Der gelehrte Gerichtshof: Das Oberappellationsgericht Lübeck und die Praxis des Zivilprozesses im 19. Jahrhundert 9783412214968, 9783412208424

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Der gelehrte Gerichtshof: Das Oberappellationsgericht Lübeck und die Praxis des Zivilprozesses im 19. Jahrhundert
 9783412214968, 9783412208424

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Forschungen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Herausgegeben von Martin Schermaier, Mathias Schmoeckel und Gunter Wesener Band 33

Nora Tirtasana

Der gelehrte Gerichtshof Das Oberappellationsgericht Lübeck und die Praxis des Zivilprozesses im 19. Jahrhundert

2012 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Possehl-Stiftung Lübeck

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Akte: AHL OAG L I 22a Q 19 Entscheidungsgründe. Foto: Peter Oestmann © 2012 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Wien Köln Weimar Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlagentwurf: Satz + Layout Werkstatt Kluth GmbH, Erftstadt Satz: Mitterweger & Partner Kommunikationsgesellschaft, Plankstadt Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20842-4

Für Omama

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster im Wintersemester 2009/2010 als Dissertation angenommen. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Peter Oestmann. Er hat nicht nur die Anregung zu diesem ema gegeben, sondern meine Forschungen in jeder Hinsicht bis zur Veröffentlichung unterstützt. Er ermutigte mich bei den ersten Archivstudien und ermöglichte, dass ich mein ema bei verschiedenen Doktorandenseminaren vorstellen durfte. Seine fördernde Kritik hat der Arbeit gut getan. Frau Professor Dr. Susanne Hähnchen danke ich für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens und für ihre Anmerkungen, die ich in der Druckfassung berücksichtigt habe. Zu danken habe ich der Possehl-Stiftung Lübeck, die mein DissertationsVorhaben nanziell gefördert und die Kosten der Drucklegung übernommen hat. Ich durfte meine Arbeit an der Rheinisch-Westfälischen Graduiertenschule zur Diskussion stellen, so konnten Anregungen der Diskussionsteilnehmer in die Bearbeitung ein ießen. Besonders danke ich den Herrn Professoren Dr. Nils Jansen, Dr. Hans-Peter Haferkamp, Dr. Martin Schermaier, Dr. Mathias Schmoeckel und Dr. Gunter Wesener für die wertvollen Hinweise. Ich danke den Herausgebern für die Aufnahme in die Reihe und Frau RhekerWunsch vom Böhlau Verlag für Ihre Unterstützung. Die geduldige Hilfe der Mitarbeiter des Archivs der Hansestadt Lübeck hat die Einarbeitung in die Prozessakten des 19. Jahrhunderts erleichtert. Frau Birte Albertsmeier, Frau Dr. Eva Blomberg, Frau Dr. Florence Heide und Frau Mirjam Siedenbiedel haben die mühevolle Arbeit des Korrekturlesens auf sich genommen. Meine Großmutter Dr. Marie Luise Lösener hat die Entstehung der Arbeit mit großem Interesse begleitet. Von ihr habe ich viel gelernt und möchte ihr als Dank diese Arbeit widmen. Schließlich danke ich herzlich meinem Mann Mathias. Ohne ihn wäre diese Arbeit gar nicht entstanden. Er hat mich bestärkt, ein solches Projekt zu beginnen, hat immer wieder Hilfe bei technischen Problemen geleistet und unsere süße Tochter Clara betreut, damit ich in die Rechtsgeschichte eintauchen durfte. Dortmund, im Sommer 2011 Nora Tirtasana

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Forschungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Normative Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Gerichtsverfassung des OAG . . . . . . . . . . . . . . I. Besetzung des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . 1. Präsidenten des OAG . . . . . . . . . . . . . . a) Georg Arnold Heise . . . . . . . . . . . . . . b) Carl Georg von Wächter . . . . . . . . . . . c) Johann Friedrich Martin Kierulff . . . . . . . 2. Räte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prokuratoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Stellung der Richter aus verfassungsrechtlicher Sicht 1. Sachliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . a) Normative Grundlagen . . . . . . . . . . . . b) Rechtsbehelf der Partei nach gemeinem Recht c) Rechtsprechung des OAG zur Recusation . . . aa) Rechtsprechung zum Perhorrescenzeid . . bb) Mögliche Recusationsgründe . . . . . . . 2. Persönliche Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . III.Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Direktorialsenat . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Visitationskommission . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des OAG . IV. Selbstverständnis der Richter . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

V. Zuständigkeit in Zivilsachen . . . . . . . . . . . . . 1. Appellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsprechung zur Appellationssumme . . . . b) Rechtsprechung zur Justizsache, Abgrenzung zur Extrajudizialappellation . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige Rechtsbehelfe . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Gerichtsverfahren vor dem OAG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prozessmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhandlungsmaxime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eventualprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schriftlich und geheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Während des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nach der Entscheidungs ndung . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Entscheidungssammlungen in der rechtshistorischen Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidungssammlungen der Rechtsprechung des OAG Lübeck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Heise/Cropp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bruhn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Wunderlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kierulff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beispiel einer überterritorialen Entscheidungssammlung dd) Auswirkungen der Entscheidungssammlungen . . . . . 4. Rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Partei-, Prozess-, Postulationsfähigkeit – zur Terminologie . . . 2. Gesetzliche Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prokurator als gewillkürter Vertreter . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einwendung und Einführung der Appellation . . . . . . . . . 2. Weiteres Vorgehen des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vernehmlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aktenversendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

6. Verfahrensbeendigung durch die Partei . . . a) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Beendigung durch Parteiverhalten 7. Entscheidungs ndung und Urteil . . . . . . a) Schluß-Decret . . . . . . . . . . . . . . b) Entscheidungs ndung . . . . . . . . . . c) Urteil und Entscheidungsgründe . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . .

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht . . . . . . . . . 126 A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG . . . . . . . . 126 I. In der OAGO genannte Entscheidungsquellen . . . . . . . . . . . 127 1. „Partikular-Gesetze“ und in Lübeck „erscheinende Verordnungen“ 128 a) Revidiertes Lübecker Stadtrecht von 1586 . . . . . . . . . . 128 b) Verordnung betreffend das Gerichtswesen von 1814 . . . . . 129 c) Civilproceß-Ordnung für die freie und Hansestadt Lübeck von 1862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 d) Anwendung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. „Rechtliche Gewohnheiten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 3. „das in den Städten recipirte gemeine Recht“ . . . . . . . . . . 139 a) Begriff rezipiertes gemeines Recht . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Anwendung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Weitere Entscheidungsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 aa) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 bb) Präjudiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Natur der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 5. Verhältnis der Rechtsquellen zueinander . . . . . . . . . . . . . 161 a) Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen zueinander nach OAGO und Rechtsanwendungslehre . . . . . . . . . . . . . 161 b) Anwendung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

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Inhaltsverzeichnis

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte . . I. Beginn eines Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. provocatio ex lege diffamari . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. litis contestatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umfang der Einlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Folgen des Ungehorsams . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ungehorsam des Beklagten in der Vernehmlassung . . . bb) Ungehorsam des Klägers oder Beklagten in späteren Schriftsätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlegung zum gemeinen Beweisrecht . . . . . . . . . . . a) Moderne rechtshistorische Forschung zur gemeinrechtlichen Beweistheorie und ihrer Überwindung . . . . . . . . . . . b) Forderung nach freier Beweiswürdigung im 19. Jahrhundert c) Die Überzeugungsbildung des Richters – Ein Blick in die Akten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundsätzliche Zweiteilung des Verfahrens erster Instanz . . . 3. Erstes Verfahren und Beweisinterlokut . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsnatur und Appellabilität des Beweisinterlokuts . . . . b) Umfang der Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt des Beweisinterlokuts . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Insbesondere: Beweislast bei der Negatorienklage . . . . cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beweisverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit eines Beweisverfahrens . . . . . . . . . . . b) Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gemeinrechtliche Terminologie . . . . . . . . . . . (2) Lübeckische Civil-Prozeß-Ordnung von 1862 . . . (3) Glaubwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Abgrenzung Glaubwürdigkeit und Zulässigkeit . (b) Glaubwürdigkeit und Revidiertes Lübecker Stadtrecht V, 7, 15 . . . . . . . . . . . . . . . (c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

(4) Zulässigkeit von Zeugen anhand des lübeckischen Stadtrechts V, 7, 20 . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zeugnisp icht . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Ausschluss des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . bb) Sachverständige als Beweismittel . . . . . . . . . . . (1) Befugnisse des Richters und des Sachverständigen (2) Partei-Sachverständiger und Obmann . . . . . . . cc) Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Original und Kopie bei Handelsbüchern . . . . . (2) Edition von Urkunden . . . . . . . . . . . . . . (3) Echtheitsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Beweiswert gegen vorbringende Partei . . . . . . dd) Geständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Eid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Eidesvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik am Parteieid . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eideszuschiebung als Beweismittel . . . . . . . . (4) Insbesondere: Gewissensvertretung . . . . . . . . (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Sonstige Beweismittel: Insbesondere Verklarung . . . c) Überprüfung des geführten Beweises . . . . . . . . . . . aa) Auferlegung des Reinigungs- bzw. Erfüllungseides . . (1) Eidesformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Wahrheits-, Glaubens- oder Ignoranzeid . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Juristische Überzeugung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Art der Beweisführung: Vermutungen . . . . . . . . (1) Schiffswegsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gläubigerbenachteiligung . . . . . . . . . . . . . (3) Ehesachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Trennung von Tisch und Bett . . . . . . . . . (b) Ehescheidung wegen Ehebruchs . . . . . . . . (4) Schiffsunglück . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

dd) Maßstabsänderung: Bescheinigung . . . . . . . . . (1) Bescheinigung der Appellationssumme . . . . . (2) Bescheinigung der Schadenshöhe . . . . . . . . (3) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung zum Beweis . . . . . . . . . . . . . 5. Ausgestaltung der Appellation . . . . . . . . . . . . . . . a) Reformatio in peius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderes Problem der Appellation: Befugnis zu neuem Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) OAGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gemeinrechtliche Literatur . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsprechung zum neuen Vorbringen . . . . . . dd) Rechtsprechung zur Zulässigkeit neuer Zeugen . . . ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Stil der Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . 7. Entscheidungsgründe als Wissenschaft . . . . . . . . . . . a) Prozessrecht und gerichtliche Praxis als Wissenschaft . . b) Verwissenschaftlichung der Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsprechung und Grundsätze . . . . . . . . . . . . aa) Entwicklung der Grundsätze durch das OAG . . . . bb) Rechtsetzung durch Rechtsanwendung . . . . . . .

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Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . 351 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 A. B. C. D.

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . Ungedruckte Quellen . . . . . . . . . . . Gedruckte Quellen und Literatur vor 1879 Literatur nach 1879 . . . . . . . . . . . .

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424

Einleitung Freiheit des Verfahrens heißt Freiheit richterlicher Willkür und Partheilichkeit, Freiheit der Chikane und der Verschleppung des Processes¹. Also klare Regeln statt Freiheit für einen gerechten Zivilprozess? Freiheit ist in unserem heutigen Sprachgebrauch so positiv besetzt, dass Jherings Aussage zunächst befremdet². Ersetzt man Freiheit des Verfahrens aber mit Begriffen wie Regellosigkeit, Chaos oder Anarchie, erschließt sich schnell, dass dies von der Rechtswissenschaft nicht gewollt sein kann³. Der Richter muss gerade im Prozess an Gesetzmäßigkeiten gebunden sein. Soweit war man sich auch im 19. Jahrhundert einig. Doch wie sollten diese prozessualen Regeln im Einzelnen ausgestaltet werden? Welchen Regeln sollte sich der Richter konkret unterwerfen? Im 19. Jahrhundert waren sowohl die Grundsätze des Verfahrens als auch die konkrete Ausgestaltung des Prozesses heftig umstritten. Diese Fragen bargen ein enormes Koniktpotenzial. Es gab konträre Ansichten, die in hitzigen Auseinandersetzungen endeten. Das gemeinrechtliche Verfahren, das jahrhundertelang gegolten hatte, empfanden Prozessualisten zunehmend nicht mehr als zeitgemäß. Die Prozesse dauerten zu lang, das Verfahren sei schwerfällig und mit Formalien überlastet⁴. Neben dieser Kritik forderten Reformer, allen voran Feuerbach und Mittermaier⁵, ein mündliches und öffentliches Gerichtsverfahren. Die Richter sollten nicht mehr hinter geschlossenen Türen entscheiden und der Betroffene nicht allein aufgrund der richterlichen Autorität auf die Richtigkeit einer Entscheidung vertrauen müssen. Stattdessen beabsichtigten die Reformer, dem mündigen Bürger eine gewisse Kontrolle über den Richter zuzubilligen. Er sollte an dem Gerichtsverfahren, zumindest an dem, welches ihn selbst betraf, teilnehmen können. Diese Reformvorschläge hatten nicht zuletzt aus der Aufklärung und der französischen Revolution Impulse gewonnen und waren durch sie regelrecht be ügelt worden. Der französische Code de procédure civile von 1806, der die freiheitlichen Ziele der Revolution, Öffentlichkeit und Mündlichkeit im Verfahren, umgesetzt hatte, galt als vorbildlich. Die Mündlichkeit verstand man als deutschrechtliches Prinzip und bestärkte damit nationale Kodi kationsforderungen.

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Jhering, Geist des römischen Rechts III, § 50, S. 17. Zu einem ähnlichen Zitat Jherings Oestmann, Zwillingsschwester der Freiheit, S. 1–5. Zum Formalismus im Verfahrensrecht Münch, Richtermacht, S. 55–103. So beispielsweise schon 1820 Gönner, Verbesserungen Gerichtsordnung, S. 219; und in Rückschau 1885 Wach, Handbuch, § 10 I a, S. 132. 5 Feuerbach, Öffentlichkeit, S. 195 ff.; Mittermaier, AcP 30 (1847), S. 421, 422; ders., AcP 33 (1850), S. 119, 138 ff.

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Einleitung

Die im französischen Prozess verwirklichten Grundsätze des mündlichen und öffentlichen Verfahrens dienten dazu, den geheimen, schriftlichen gemeinen Prozess zu kritisieren. Dies blieben aber zunächst Impulse. Auch wenn später das Recht der Franzosen als nachahmenswert herangezogen wurde⁶, hatten die partikularen Gerichtsordnungen und auch später die Reichscivilproceßordnung von 1879 eine völlig andere Gestalt⁷. Die Kontrolle des Richters durch den Bürger hatte einige Voraussetzungen. Die Rechtsprechung sollte durch Laien überprüfbar sein, das heißt sie musste allein durch Logik und Vernunft begreifbar sein. Der Richter legitimierte seine Entscheidung nicht allein aufgrund herrschaftlicher Macht, sondern durch die rationale Nachvollziehbarkeit. Eng damit verknüpft war die Forderung nach der Unabhängigkeit der Justiz. Im Gegensatz zu Patrimonialgerichten, die stark vom jeweiligen Herrscher beein usst werden konnten, sollte die Rechtsprechung nunmehr allein der Justiz obliegen. Dieser Gedanke der Gewaltenteilung hatte sich seit Montesquieus Werk „De l’esprit des lois“ (1748) nach und nach durchgesetzt. Ein Territorium nach dem anderen schaffte die Patrimonialgerichte ab⁸. Welche Stellung dem Staat zugebilligt wird und welche Rolle er tatsächlich ausübt, wird gerade im Prozess deutlich. Hier sucht der Bürger seine Interessen mit Hilfe des Staates durchzusetzen. Wie sehr darf der Staat sich einmischen, wie ein ussreich ist der Richter für den Prozess? Die rechtspolitischen Forderungen, den Richter von herrschaftlicher Macht abzukoppeln und ihn allein dem Gesetz zu unterwerfen, die Transparenz für den Bürger, die Kontrolle gewährleisten sollte, sind Ausdruck eines liberalen Staatsverständnisses. Das bestehende Verfahrensrecht wurde der geänderten Auffassung vom Bürger als einem mündigen, selbstbestimmten Menschen, den es vor dem Staat zu schützen galt, nicht mehr gerecht. Daher wurde als Ausdruck einer liberalen Einstellung eine Kontrolle staatlichen Handelns durch den Bürger gefordert. Diese rechtspolitischen emen bestimmten den Vormärz. Die Paulskirchenverfassung von 1849 verordnete schließlich in Art. 178 ein öffentliches und mündliches Gerichtsverfahren. Die territorialen Gesetzgebungen folgten dem nach und setzten, im Einzelnen höchst unterschiedlich, diese Vorgaben um. Als besonders fortschrittlich zeigte sich Hannover. Das Königreich hielt in seiner Pro-

6 Mittermaier, AcP 30 (1847), S. 421, 422. 7 Ahrens, Prozessreform, S. 650; Koch, Ein uß, S. 157, 175. 8 Erler, „Patrimonialgerichtsbarkeit“, in: HRG III, Sp. 1547, 1548; zur schwierigen tatsächlichen Abschaffung in Preußen: Wienfort, Patrimonialgerichte.

Einleitung

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zessordnung von 1850⁹ zwar noch an der gemeinrechtlichen Zweiteilung des Prozesses durch das Beweisinterlokut, also durch Zwischenurteil, fest, im Übrigen führte es aber viele Neuerungen ein¹⁰. Es lehnte sich dabei an das französische Prozessrecht an, so basierte der Prozess beispielsweise auf dem Mündlichkeitsprinzip. Die wenigsten anderen deutschen Länder kodi zierten jedoch den Zivilprozess. Eine Ausnahme bildete Preußen mit der preußischen Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793, die den Untersuchungsgrundsatz für den Zivilprozess vorschrieb¹¹. Daneben gab es eine Vielzahl unterschiedlicher Prozessgesetze, die aber den Prozess bei weitem nicht umfassend normierten¹². Die partikularen Rechtsordnungen entstammten teilweise noch der Frühen Neuzeit wie der sächsische Prozess¹³. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägte ein weiteres zivilprozessuales ema die rechtswissenschaftliche Diskussion. Die freie Beweiswürdigung sollte die streng formelle Beweistheorie ersetzen. Besonders Wilhelm Endemann¹⁴ billigte dem Richter einen größeren Freiraum zu, wie Beweismittel zu werten seien. Logische Erwägungen, ob ein Beweis erbracht war, versprachen ein als gerechter empfundenes Ergebnis als festgelegte, den Richter bindende Beweisregeln. Das öffentliche und mündliche Verfahren wie auch die freie Beweiswürdigung prägten die Reichscivilproceßordnung von 1879. Die reformerischen Forderungen hatten sich schließlich durchgesetzt. Doch was war davor? Wie kam es dazu? Dieses von neuen Ideen sprühende Jahrhundert verband das traditionelle gemeinrechtliche Modell mit der Kodi kation, die grundlegende Prinzipien dieses alten Verfahrens verwarf und diametral entgegengesetzte aufstellte.

9 Allgemeine Bürgerliche Prozessordnung für das Königreich Hannover vom 8.11.1850, abgedruckt in: Dahlmanns, Kodi kationen I, S. 57–710. 10 Ahrens, Prozessreform, S. 3; Nörr, Iudicium, S. 161; Schubert, ZRG/GA 85 (1968), S. 127, 168. 11 Sellert, „Zivilprozeß, Zivilprozeßordnung“, in: HRG V, Sp. 1742, 1745; Adler, Zivilprozeßgesetzgebung, S. 76–115; Busch, AGO, S. 164–166. 12 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch III/2, S. 2618–2672; Schubert, ZRG/GA 85 (1968), S. 127, 151–168. 13 Dazu Schmoeckel, ZRG/GA 126 (2009), S. 1–37; Sellert, „Prozeß, sächsischer“, in: HRG IV, Sp. 36, 38. 14 Wilhelm Endemann (1825–1899) war fortschrittlicher Verfechter des Prinzips der freien Beweiswürdigung, vgl. Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 952.

18

Einleitung

A.

Forschungsstand

Für die besonders zahlreichen zeitgenössischen rechtswissenschaftlichen Werke¹⁵, die sich dem Zivilprozess widmeten, und für die Gesetzgebung¹⁶, die insbesondere nach der Paulskirchenverfassung sprunghaft anwuchs, ist diese beschriebene Entwicklung sehr intensiv erforscht. Neben den rechtshistorischen Gesamtdarstellungen sind zudem zahlreiche Arbeiten zu einzelnen Instituten des gemeinen Zivilprozesses erschienen, die jedoch alle auf der zeitgenössischen Lehre oder den Gesetzgebungsarbeiten aufbauen¹⁷. So lassen sich die enormen Veränderungen in Bezug auf den Zivilprozess erahnen. Diese Veränderungen sind von Dahlmanns als gewaltiges Stück Kulturarbeit gewertet worden¹⁸; Schlosser würdigt allgemein den Zivilprozess. In seinen Regeln spiegelten sich Stil, Niveau und Realitäten einer Rechtskultur wider¹⁹. Nörr spricht von einer Weiterentwicklung des Zivilprozesses wie in keinem anderen Zeitalter²⁰. Bezeichnenderweise stellt er dabei aber lediglich auf die Wissenschaft und Gesetzgebung ab, verliert jedoch zu der Gerichtspraxis kein Wort. Bereits 1822 bemerkte Mittermaier: „An keinem Zweige der Gesetzgebung haben in neuerer Zeit die Reformatoren so viele und so tief einreißende Verbesserungen zu machen für nöthig gefunden, als an dem des bürgerlichen Verfahrens“²¹. Doch wie sah die gerichtliche Praxis aus? Beein usste die rechtspolitische Diskussion die Rechtsanwendung? Wie reagierten die Richter auf ihr gewandeltes Verständnis in der Öffentlichkeit? Wie gestalteten die Gerichte den gemeinen Prozess in seinen letzten Jahrzehnten? Starb der gemeinrechtliche Prozess langsam aus?

15 Insbesondere sind zu nennen: Damrau, Zivilprozessmaximen; Nörr, Iudicium; Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat; Dölemeyer, eorie, S. 251–268; Dölemeyer, ZNR 18 (1996), S. 288–299; Haferkamp, Fortwirkungen, S. 293–310, zu den Rechtsquellen des gemeinen Prozesses. 16 Insbesondere: Ahrens, Prozessreform; Dahlmanns, Kodi kationen I–IV; Dahlmanns, Strukturwandel; Dahlmanns, in: Coing Handbuch III/2; Koch, Ein uß, S. 157–176; Nörr, Iudicium; die reichhaltige Materialsammlung von Schwartz, Civilprozeß. 17 Beispielsweise Engel, Beweisinterlokut; Kadel, Feststellungsklage; Schlinker, Litis contestatio; Schulte; Dölemeyer, Zeugenbeweis, S. 91–111, die auch die gerichtliche Praxis mit einbezieht; Drosdeck, Beweisdoktrin, S. 113–143; Schubert, ZRG/GA 85 (1968), S. 127 um nur einige wenige zu nennen; auf diese Einzeldarstellungen wird bei entsprechender Stelle in der Arbeit ausführlich eingegangen. 18 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch III/2, S. 2615, 2617. 19 Schlosser, ZNR 4 (1982), S. 42. 20 Nörr, Iudicium, S. 155. 21 Mittermaier, AcP 5 (1822), S. 265.

A. Forschungsstand

19

Die einzelnen Territorien hatten sich weder im Deutschen Bund noch im Deutschen Reich auf eine gemeinsame höchste Instanz verständigt²². Stattdessen hatten die Bundesstaaten Gerichtsverfassung und -verfahren unterschiedlich ausgestaltet. Die höchstinstanzliche Rechtsprechung oblag den verschiedenen Oberappellationsgerichten. Sie waren die Verbindungsglieder zwischen Reichskammergericht und Reichshofrat vor 1806 und dem Reichsgericht ab 1879. Nur noch in wenigen Ländern galt subsidiär der gemeine Prozess. Einige hatten sich vom gemeinen Recht abweichende Prozessgesetze gegeben²³. Eine einheitliche gerichtliche Praxis gab es damit nicht. Kam dem gemeinen Prozess also überhaupt noch eine Bedeutung zu? Aufgrund dieser Rechtszersplitterung ist es schwierig oder sogar unmöglich, solche Fragen für die gerichtliche Praxis in allen deutschen Ländern zu beantworten. Die Bedeutung der Praxis für die Entwicklung des Zivilprozesses ist dennoch erkannt worden. Dölemeyer betont, dass die Gerichtspraxis für die Entwicklung der freien Beweiswürdigung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung gehabt habe²⁴. Ahrens stellt fest, dass keines der drei großen Prozesssysteme, nämlich weder die hannoversche Prozessordnung von 1850, noch die preußische Allgemeine Gerichtsordnung oder der gemeine Prozess in der späteren Reichscivilproceßordnung übernommen wurde. Es sei stattdessen der Verdienst der CPO, abstrakte Grundsätze formuliert und Systeme entwickelt zu haben, an denen sich das Verfahren ausrichtete. Neben der Gesetzgebung könnten andere Grundtendenzen diese Entwicklung maßgebend gestaltet haben. Ahrens deutet an, dass in der kaum überschaubaren Vielfalt der reichsgesetzlichen und partikularrechtlichen Formen des gemeinen Prozesses eine allmähliche Umwandlung durch Modi zierung des Artenreichtums stattgefunden haben könnte²⁵. Diese könnte die gerichtliche Praxis bewirkt haben. Eine Auswertung der Rechtsprechungstätigkeit zum Prozessrecht kann möglicherweise zeigen, wie die Praxis die unterschiedlichen Verfahrensformen modi zierte und nach welchen Grundsätzen sie arbeitete. Coing vermutet insoweit, dass die französische Rechtsprechung eine besondere Bedeutung für die Fortentwicklung des Rechts hatte²⁶.

22 Coing, Privatrecht II, S. 66, 67. 23 Eine Übersicht zu den Territorien und den jeweils geltenden Rechten gibt Kroeschell, Rechtsgeschichte III, S. 174, allerdings für das Zivilrecht; eine Aufzählung für den gemeinen Prozess: Sartorius, ZCP 1 (1845), S. 151, 189; Haferkamp, Fortwirkungen, S. 293–310; neben dem gemeinen Prozessrecht, galt in anderen Ländern auf französischem Recht basierende Prozessordnungen, in Preußen die preußische Gerichtsordnung, die durch den Offizialgrundsatz beschrieben wird, vgl. Sellert, „Zivilprozeß, Zivilprozeßordnung“, in: HRG V, Sp. 1742, 1745. 24 Dölemeyer, Zeugenbeweis, S. 91, 110. 25 Ahrens, Prozessreform, S. 2. 26 Coing, Privatrecht II, S. 251.

20

Einleitung

Möglicherweise ist bereits das Verfahren vor einem einzelnen Gericht richtungsweisend. Insoweit besteht jedoch Forschungsbedarf. Das Zivilverfahren vor einzelnen Gerichten, die in einem Territorium lagen, in dem noch der gemeine Prozess galt²⁷, ist kaum eingehender untersucht. Es gibt einige Arbeiten dazu, die nicht allein auf die partikulare Gesetzgebung, sondern auf die Rechtsprechung eines obersten Gerichtes selbst abstellen. So hat eisen die kurhessische Rechtsprechung untersucht und dazu auch den Zivilprozess beschrieben²⁸. Obwohl er anhand der Gerichtsakten arbeitet, stellt er den Ablauf des Prozesses nur in seinen Grundzügen vor. Seine Untersuchung gilt der besonderen Entwicklung der richterlichen Unabhängigkeit in Kurhessen und zwar sowohl in privatrechtlichen als auch in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten. Dem Zivilprozess ist daher nur ein kurzer Abschnitt gewidmet. Der Schwerpunkt dieser Darstellung liegt nicht auf dem gerichtlichen Verfahren, dessen Details ausgeblendet bleiben. Bei der Suche nach einem Gericht, das geeignet ist, den Zivilprozess in den gemeinrechtlichen Ländern zu repräsentieren, el die Wahl schnell auf das Oberappellationsgericht der vier freien Städte zu Lübeck. Das OAG Lübeck war letztinstanzliche Behörde für die vier freien Städte Frankfurt am Main, Hamburg, Bremen und Lübeck. Es bestand von 1820 bis zum Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze 1879. Diese Fakten allein sprechen nicht für eine besondere Bedeutung des Gerichts. Tatsächlich handelt es sich aber um das berühmteste Gericht seiner Zeit. So schrieb Jhering in einem Nachruf für den OAG-Rat Agathon Wunderlich: „So konnte man das Lübecker OAG als den gelehrten Gerichtshof Deutschlands bezeichnen und die deutsche Wissenschaft hat die Probe, zu der sie in Verbindung mit der Praxis berufen ward, mit Ruhm bestanden“²⁹. Windscheid verglich die Ehre, dem OAG Lübeck als Präsident vorzustehen, damit, die Nachfolge Savignys in Berlin anzutreten³⁰. Und Savigny selbst soll das Gericht als Muster der Rechtsp ege bezeichnet haben³¹. Was rechtfertigte dieses große Lob von bedeutenden Persönlichkeiten? Die ausgezeichnete personelle Besetzung des Gerichts, das vermehrt mit Rechtsgelehrten ausgestattet war, hatte sicherlich wesentlichen Anteil an dem hervorragenden Ruf. Aber inwieweit konnte der Richter den Prozess überhaupt beein ussen? Insbesondere auf dem Gebiet des Handels- und Seerechts hat

27 Dazu zählten im 19. Jahrhundert laut Ahrens, Prozessreform, S. 12: Schleswig, Holstein, Mecklenburg, Sachsen; Bomsdorf, Prozeßmaximen, S. 202–215, nennt außerdem: Lübeck, Hamburg und Bremen, Nassau, Sachsen-Meiningen. 28 eisen, Machtspruch und Unabhängigkeit, S. 186–198; Jessen, OAG Celle, beschäftigt sich lediglich bis 1806 mit dem Gericht. 29 Jhering, Jahrbücher Bd. 17 (1879), S. 145, 156. 30 Windscheid, Waechter, S. 14, 15. 31 Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 17.

B. Forschungsziel

21

die Rechtsprechung des Gerichts die weitere Entwicklung stark geprägt. So ist die Rechtsprechung des OAG von öl³² aufgegriffen worden und hat mittelbar Eingang in das später kodi zierte Handelsgesetzbuch gefunden³³. Der Bedeutung des OAG Lübeck entsprechend gibt es verschiedene Arbeiten zu seiner Rechtsprechung³⁴ sowie zu der schwierigen und langwierigen Errichtung des Gerichts³⁵, zu den Richterpersönlichkeiten³⁶ und zur Gerichtsverfassung³⁷. Obwohl die Gerichtsverfassung des OAG untersucht worden ist, sind als Quellen nur vereinzelt die Urteile des OAG herangezogen worden³⁸. Das gerichtliche Verfahren ist in seinen Grundzügen ausschließlich anhand der Oberappellationsgerichtsordnung dargestellt³⁹. Weder erfasst die Darstellung von Polgar, inwieweit das gemeine oder partikulare Recht bei dem Prozess vor dem OAG eine Rolle spielte, noch zeigt die rein normengeschichtliche Untersuchung, wie das Verfahrensrecht tatsächlich gehandhabt wurde, wie die Rechtswirklichkeit aussah. Der Rechtsprechung des OAG zu verfahrensrechtlichen Fragen hat sich die rechtshistorische Forschung bisher nicht gewidmet. Insoweit besteht Forschungsbedarf.

B.

Forschungsziel

Das Ziel dieser Arbeit ist es, zu untersuchen, wie der Zivilprozess in der Praxis des OAG ausgestaltet war. In dem ersten Hauptteil soll dazu der Zivilprozess vor dem OAG Lübeck selbst untersucht werden. Welche gemeinrechtlichen Elemente waren enthalten? Wirkten lübische Rechtstraditionen fort? Nahmen rechtspolitische Schlagwörter auf

32 Johann Heinrich öl (1807–1884), berühmt durch sein „Handelsrecht“, Prorektor der Universität Göttingen und am Entwurf einer „Allgemeinen Wechselordnung“ sowie zum Handelsgesetzbuch maßgeblich beteiligt, zu ihm vgl. Ahrens, in: Biographisches Lexikon Bd. 12, S. 409–412. 33 Kusserow, OAG Handelsrecht, S. 93–95. 34 Insbesondere zum Handelsrecht: Kusserow, OAG Handelsrecht; Rückert, Handelsrechtsbildung, S. 19–66; Oestmann, OAG Seehandelsrecht; Landwehr, ZVLGA 60 (1980), S. 21, 58–61; Kraglund, OAG Familienrecht, zum Erb und Familienrecht. 35 Graßmann, Schleswig-Holsteinische Anzeigen, S. 24. 36 Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten. 37 Funk, ZRG/GA 27 (1906), S. 61–91; Greb, Verfassung OAG; Griesebach, Hanseatische Rechtszeitschrift 1920, Sp. 609; Krause, Lübecker Gerichtsverfassung; Wogatzki, Hanseatisches OLG, S. 15, 33. 38 Lediglich als Ergebnissätze aufgrund Heises Präjudiziensammlung bei Greb, Verfassung OAG, S. 3. 39 Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 85–90; Albers, Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter 8 (1970), S. 241, 242.

22

Einleitung

die Entscheidungs ndung oder Argumentation des OAG Ein uss? Zunächst widmet sich die Darstellung dem OAG Lübeck selbst. Die Gerichtsverfassung wird mit Hilfe bisher rechtshistorisch nicht bearbeiteter Rechtsstreitigkeiten erläutert. Allerdings beschäftigen sich nur wenige Entscheidungen des OAG mit Fragen, die die eigene Gerichtsverfassung betrafen. Anschließend wird das Verfahren vor dem OAG näher untersucht. Die grundlegenden Prozessmaximen werden dargestellt sowie der übliche Ablauf eines Verfahrens von Appellationseinlegung bis zum Urteil. Im zweiten Hauptteil wird aus den Urteilen des OAG die Rechtsprechung bezüglich des Zivilprozesses der unterinstanzlichen Gerichte herausgearbeitet. Wie charakterisierten die Richter selbst den Prozess? Da das partikulare Zivilprozessrecht der Stadt Lübeck noch nicht kodi ziert war, kamen für die Entscheidungs ndung oft eine Vielzahl heterogener Rechtsquellen in Betracht. Auf welche Rechtsquellen bezogen sich die Richter? Wie wandten sie gemeines Recht, Gewohnheitsrecht und Partikularrecht an? Sind in der Rechtsprechung Entwicklungstendenzen erkennbar, die den Weg zum modernen Prozess ebneten? Auch in der Entscheidungstätigkeit könnten sich die Richter kritisch gegenüber der gesetzlichen formellen Beweistheorie geäußert haben. Möglicherweise haben die bis dahin üblichen zahlreichen Eide an Bedeutung verloren. Daher kann die Entscheidungstätigkeit darüber Auskunft geben, wie die Richter selbst ihre Stellung im Prozess verstanden und aufgrund welcher Maßstäbe sie das gerichtliche Verfahren beurteilten. Dafür wird die Rechtsprechung des OAG zu prozessualen Problemen systematisiert. Eine Auswertung des Verfahrens vor dem OAG und der Entscheidungstätigkeit soll detailreich die Ausgestaltung des Zivilprozesses zeigen. Zu der rechtspolitischen Entwicklung kann die gerichtliche Praxis nur eingeschränkte Antworten geben. Im Spannungsverhältnis zu den einschneidenden justizpolitischen Forderungen steht hier die Rechtsanwendungsmethode. Die Rechtswissenschaft, zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der Pandektistik repräsentiert, war angeblich höchst unpolitisch⁴⁰. Danach waren ethische und rechtspolitische Überlegungen nach Möglichkeit ganz ausgeschaltet, kulturelle und soziologische Argumente übten nur einen geringen Ein uss aus⁴¹. Stattdessen war eine Entscheidungs ndung durch rationale Geistesarbeit zu bewerkstelligen⁴². Dies

40 Luig, „Pandektenwissenschaft“, in: HRG III, Sp. 1422, 1424. 41 Zu dieser Bewertung der Rechtsprechung als unpolitisch kritisch die neuere Forschung: Falk, „Pandektistik“, in: Der Neue Pauly, Bd. 15/2, Sp. 45–49; Haferkamp, Puchta; Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 274–278; Rückert, Fälle und Fallen, S. 23, 33 ff. 42 Döhring, Rechtsp ege, S. 351, diese Arbeitsweise soll Wissenschaft und Praxis beherrscht haben.

C. Methode

23

weist auf eine völlig gegensätzliche Position und Aufgabe von Gesetzgebung und Rechtsanwender hin. Wie sich diese Gegensätze in der Praxis vertrugen, könnte eine Auswertung der Urteile zeigen.

C.

Methode

Die Entscheidungstätigkeit des Gerichts selbst steht im Mittelpunkt der Untersuchung. Ihr ist der zweite Hauptteil der Arbeit vollständig gewidmet. Aus Gerichtsakten, insbesondere aus den Entscheidungsgründen, aber auch aus den veröffentlichten Urteilen soll die Rechtsprechung zum Verfahrensrecht rekonstruiert werden. Die Arbeit soll widerspiegeln, mit welchen rechtlichen Fragestellungen sich das Gericht schwerpunktmäßig auseinandersetzte. In erster Linie überprüfte das OAG ordentliche Verfahren, nur ein Bruchteil der Prozesse beschäftigte sich mit dem einstweiligen Rechtsschutz, der daher in der Arbeit nicht gesondert behandelt wird. Beinahe alle Prozesse sind im Wege der Appellation vor das OAG gelangt⁴³. Dementsprechend werden die übrigen Rechtsmittel zwar kurz dargestellt, der Schwerpunkt gilt aber der Appellation. In dem Zusammenhang stellte sich in den Rechtsstreitigkeiten häu g die Frage, wie genau die Appellation ausgestaltet werden durfte. Insbesondere die Befugnis, neues Vorbringen einzuführen, das also im bisherigen Prozess noch nicht eingebracht worden war, sogenannte nova, erzeugte eine Fülle von Rechtsstreitigkeiten. Entsprechend der tatsächlichen Relevanz ist außerdem das Kapitel zum Beweis besonders umfangreich. Anhand der durch das Gericht verwandten gemeinrechtlichen Literatur kann die Rechtsprechung der Lehre der Zeit zugeordnet werden. So ist es möglich, die Rechtsprechung mit dem Stand der Wissenschaft zu vergleichen. Auch die von den Richtern des OAG verfasste Literatur wird punktuell herangezogen. Im ersten Hauptteil, der sich mit dem Verfahren vor dem OAG selbst beschäftigt, gibt der Aufbau der Gerichtsakten Aufschluss über den Ablauf des Verfahrens. Die Prozessakten zeichnen den Verfahrensablauf nach. So ist der Prozessgang zu erkennen, der Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Gerichts zulässt. Die Prozessakten geben also ein authentisches Bild des Verfahrens wieder⁴⁴.

43 Durchschnittlich ca. 90%. In den Lübecker Zivilprozessen von 1820–1830 (ausgewertet AHL OAG L I 1 bis einschließlich L I 122) waren 91,7% der Rechtsbehelfe Appellationen; von 1845–1855 (ausgewertet AHL OAG L I 265 bis einschließlich 370) 85,1% Appellationen; von 1870–1879 (ausgewertet AHL OAG L I 601 bis 724) waren 92,7% der Rechtsbehelfe Appellationen. 44 Zum Quellenwert von Prozessakten: Dölemeyer, ZNR 18 (1996), S. 288, 289.

24

Einleitung

Die Auswahl der Quellen unterliegt folgenden Regeln: Aus der Fülle der 5261⁴⁵ Zivilprozess-Akten des OAG werden ausschließlich die Lübecker Fälle bearbeitet, die sich inhaltlich mit prozessualen Fragen beschäftigen. Das Quellenmaterial wird damit in zweifacher Weise eingeschränkt. Zum einen werden ausschließlich Fälle systematisch aufbereitet, die erstinstanzlich in Lübeck entschieden wurden. Das schränkt die Quellen auf 724 Akten ein. Zum anderen gewährleistet eine Vorauswahl, dass die Streitigkeiten Zivilprozessrecht zum Inhalt haben. Zahlreiche Entscheidungen beschäftigen sich unter anderem mit zivilprozessualen Fragestellungen⁴⁶. Das Gesamtinventar zum Aktenbestand des OAG Lübeck, das Lorenzen-Schmidt und Kaltwasser herausgeben, gibt den Prozessgegenstand in der OAG-Instanz an. Danach verbleiben 272 Fälle. Das bedeutet, dass ca. 5,2% der gesamten Zivilprozesse als Quellen für diese Arbeit dienen. Diese systematische Auswertung erfährt jedoch einige Ausnahmen. Teilweise zitierten die Richter Präjudizien, die vorinstanzlich nicht in Lübeck entschieden worden waren. Sie werden als Fälle, die einer anderen Stadt entstammten, kenntlich gemacht. Daneben stritten dieselben Parteien mehrmals über den gleichen Sachverhalt vor dem OAG. Diese Entscheidungen sind ebenfalls aufgenommen, soweit sie für den Sachverhalt oder den Ausgang des Rechtsstreites insgesamt erheblich sind. Schließlich lieferten die Stichwortverzeichnisse der Entscheidungssammlungen grundlegende Urteile zu zivilprozessualen Fragen. Diese Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang zusätzlich berücksichtigt worden, auch wenn es sich nicht um Lübecker Fälle handelte. Sowohl gedruckte Entscheidungen als auch die handgeschriebenen Gerichtsakten bilden die Grundlage der Untersuchung. Teilweise wurden die Entscheidungsgründe in zeitgenössischen Entscheidungssammlungen veröffentlicht, allerdings nicht bei allen der 272 auszuwertenden Prozesse. Zudem erfolgten die Veröffentlichungen oftmals nur ausschnittsweise oder mit Anmerkungen des Herausgebers. Die Prozessakten geben originalgetreu über den Gang des Verfahrens Auskunft. Insgesamt sind 149 Fälle im Archiv ausgewertet worden. Die grundsätzliche Beschränkung auf Lübecker Fälle dient der angemessenen Stoffbewältigung. Da die Arbeit des Gerichts im Vordergrund der Untersuchung steht und nicht etwa partikularrechtliche Besonderheiten der freien Städte, ist diese Einschränkung gerechtfertigt. Auch die Art und Weise der Rechts ndung

45 Davon ent elen 620 auf Bremen, 2183 auf Hamburg, 724 auf Lübeck und 1734 auf Frankfurt, vgl. Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar I, S. 154 a; Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar II, S. 415, 616; Kaltwasser, Gesamtinventar V, S. 1155. 46 So auch hinsichtlich Entscheidungen, die neben Erb- und Familienrecht überwiegend prozessuale Fragen betrafen, Kraglund, OAG Familienrecht, S. 28.

C. Methode

25

müsste gleich sein. Allerdings beschreibt die Rechtsprechung zum Verfahren der unteren Gerichte spezi sche Besonderheiten Lübecks. Frankfurter Streitigkeiten eignen sich nicht als beispielhafte Untersuchungsgegenstände, denn Frankfurt war nicht Mitglied des OAG bis zum Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze. Frankfurt schied frühzeitig aus dem Verband des Oberappellationsgericht aus und gehörte seit 1866 Preußen an⁴⁷. Dass statt Bremen oder Hamburg Lübeck ausgewählt wurde, ergibt sich aus der besonders traditionsreichen Geschichte des lübischen Rechts. Bremen hatte außerdem recht früh eine eigene Prozessordnung und nahm damit eine Sonderstellung ein⁴⁸. Lübeck hatte eine sehr ausgeprägte partikulare Rechtstradition. Das Revidierte Lübecker Stadtrecht von 1586, das sich auch zum Verfahrensrecht äußerte, bildete einen Höhepunkt⁴⁹. Dabei hatte das lübische Partikularrecht angeblich seine Blüte längst überschritten. Anders als in anderen Städten wie in Hamburg und Bremen, wo sich die Stadtrechtsliteratur multiplizierte, griff man in Lübeck noch auf die älteren Kommentatoren Mevius⁵⁰ und Stein⁵¹ zurück⁵². Dabei gab es im 19. Jahrhundert auch aktuelle Bearbeiter des Partikularrechts⁵³, nämlich die OAG-Räte Hach⁵⁴ und Pauli⁵⁵. Zwar stützten sich Hach und Pauli sogar noch auf die Vorschriften, die dem Lübecker Stadtrecht von 1586 vorangegangen waren, so dass man die Arbeiten als historisch ansehen könnte. Dies geschah jedoch in Tradition der historischen Rechtsschule und um das Revidierte Stadtrecht dementsprechend auslegen zu können⁵⁶ bzw. um eine Änderung des alten Rechts zu veranlassen⁵⁷. Inwieweit lebten die partikularen Rechtstraditionen fort? Die französische Besatzung hatte zu Beginn des Jahrhunderts ein öffentliches, mündliches Verfahren eingeführt. Nach der Okkupation 1815 machten die Lübecker

47 Dazu Greb, Verfassung OAG, S. 38–42. 48 Dazu die Rezension Mittermaiers, AcP 5 (1822), S. 265–290. 49 Einseitig Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 192, der das Revidierte Stadtrecht von 1586 als Zeichen Lübecks Niedergang beurteilt. 50 David Mevius (1609–1660) edierte die Rechtsprechung des Wismarer Obertribunals und gab einen systematischen Kommentar zum lübischen Stadtrecht heraus als erste wissenschaftliche Behandlung eines überterritorialen Rechtskreises, vgl. Otto, in: Juristen, S. 425; sein Kommentar wurde noch 1829 neu herausgegeben, Hach, Lübisches Recht, S. 161 Fn 1. 51 Joachim Lucas Stein (1711–1785) gab einen fünfbändigen Kommentar zum lübischen Recht heraus, vgl. Schäfer, Germanistik, S. 178; Landwehr, ZVLGA 60 (1980), S. 21, 38. 52 Schäfer, Germanistik, S. 440. 53 Dies verkennt Schäfer, Germanistik, S. 440. 54 Hach, Das Alte Lübische Recht, Lübeck 1839. 55 Abhandlungen aus dem Lübischen Rechte in vier Bänden, Lübeck 1837–1865. 56 So Hach, Lübisches Recht, S. 1; Pauli, Abhandlungen I, S. 1. 57 So Pauli, Abhandlungen IV, S. 1.

26

Einleitung

die neuen französischen Verfahrensregelungen vollständig rückgängig⁵⁸. Das als das Recht der Eroberer empfundene Zivilverfahren passe nicht für Lübeck. Im 19. Jahrhundert regelten nur einzelne neuere Verordnungen punktuell das Gerichtsverfahren, eine Prozessordnung fehlte noch⁵⁹. Daneben galt subsidiär das gemeine Prozessrecht. Erst 1862 gab sich Lübeck eine Zivilprozessordnung. Ob diese umfassend und abschließend war, bleibt an dieser Stelle noch dahingestellt. Diese heterogenen Rechtsquellen prägten entscheidend die Rechtsanwendung des Gerichts. Um den Lübecker Zivilprozesses zu charakterisieren, bildet die Rechtsanwendung damit einen Schwerpunkt der Untersuchung.

58 Kähler, Französisches Zivilrecht, S. 306. 59 Schwartz, Zivilprozeß, S. 545.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG Der erste Hauptteil beschäftigt sich mit dem Verfahren in Zivilsachen vor dem OAG selbst. Zunächst werden die relevanten Rechtsgrundlagen dargestellt. Anschließend wird die Gerichtsverfassung des Gerichts anhand der Akten beleuchtet. Insbesondere soll dabei festgestellt werden, ob die Auswertung der Rechtsprechung zur Gerichtsverfassung der bisherigen Forschung entspricht. Schließlich werden die Grundsätze des Verfahrens vor dem OAG sowie ein typischer Prozessablauf beschrieben.

A.

Normative Grundlagen

Die Möglichkeit, ein OAG der vier freien Städte Bremen, Hamburg, Frankfurt am Main und Lübeck zu errichten, normierte Art. 12 Abs. 3 der deutschen Bundesakte von 1815⁶⁰. Die Bundesakte ließ für die freien Städte, die nicht die sonst für ein eigenes OAG erforderlichen 300000 Einwohner zusammen brachten, eine Ausnahme von der Einwohneranzahl zu. Die Gerichtsverfassungen der einzelne Städte⁶¹ regelten, wann das OAG zuständig war. 1820 erließ der Rat eine OAGO, die zunächst provisorisch galt⁶², in der endgültigen Fassung 1831 aber fast vollständig übernommen wurde⁶³. Nach der Bekanntmachung des Rates vom 5. Juli 1820 löste die Appellation an das OAG die Rechtsmittel der Revision und der Aktenversendung ab⁶⁴. Die OAGO umfasste in der endgültigen Fassung 190 Paragraphen, darunter auch die Bestimmungen zu der Gerichtsverfassung und dem Verfahren des Gerichts. Der ausführlichste Abschnitt war dem Verfahren der Appellation gewidmet, das auch tatsächlich anteilsmäßig mit Abstand den größten Teil der Verfahren vor dem OAG ausmachte. Daneben enthielt die OAGO verschiedene Regelungen, die beispielsweise andere Rechtsmittel, Befugnis zu neuem Vorbringen oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betrafen. Zu der

60 Abgedruckt bei Huber, Dokumente I, S. 88. 61 Abgedruckt bei Hauff, Gerichtsverfassung. 62 Abgedruckt in: Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 3, No 37, S. 146–184. 63 Endgültige OAGO abgedruckt bei Bluhme, Gerichtsordnung, S. 1–99, mit Anmerkungen, was sich im Verhältnis zur provisorischen geändert hatte. 64 Bekanntmachung vom 5. Juli 1820, in: Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 3, No 37, S. 144, 145.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

28

OAGO wurden später zahlreiche Nachtragsverordnungen erlassen⁶⁵. Das zeigt, dass diese Prozessordnung das Verfahren keineswegs lückenlos regelte. So musste das OAG im Verfahrensrecht andere Rechtsquellen heranziehen. Teilweise verwies die OAGO auf die ergänzende Anwendung des gemeinen Rechts und auch auf die verschiedenen statutarischen Rechte⁶⁶. Davon machte das Gericht tatsächlich Gebrauch und zwar über die in der OAGO ausdrücklich genannten Fälle hinaus. 1862 trat die lübeckische CPO in Kraft, die aber lediglich die OAGO ergänzte, teilweise inhaltsgleiche Regelungen enthielt und im Übrigen zu dem Verfahren dritter Instanz auf die Vorgängerordnung verwies, § 123 der lübeckischen CPO. Zwei Jahre zuvor war bereits eine neue Gerichtsverfassung verkündet worden, die sich auch auf die Organisation des OAG bezog, die OAGO aber ebenfalls nur ergänzte⁶⁷.

B.

Gerichtsverfassung des OAG I.

Besetzung des Gerichts

Die OAGO regelte die Besetzung des Gerichts und gab detailliert Auskunft über die Anstellungsvoraussetzungen der Mitglieder. Das OAG bestand aus dem Präsidenten, sechs, zeitweilig sieben Räten, einem Sekretär als Vorstand des Kanzleipersonals, den Kanzlisten und Gerichtsboten⁶⁸. Die Rechtsstreitigkeiten entschieden Präsident und Räte. Präsident, Räte und Sekretär waren rechtsgelehrt, hatten also studiert. Voraussetzung für die Anstellung als Präsident oder Rat war weiterhin, dass der Kandidat der christlichen Religion angehörte, Deutscher war, er musste das dreißigste Lebensjahr vollendet haben und von unbescholtenem Lebenswandel sein⁶⁹. Eine Verwandtschaft oder

65 Beispielsweise Bekanntmachung vom 11. Oktober 1837, betreffend Abänderung einiger Paragraphen der unter dem 13. August 1831 erlassenen Gerichtsordnung für das gemeinschaftliche OAG. 66 So beispielsweise bei der Restitution in §§ 157, 187 OAGO oder bzgl. Zuständigkeit gem. § 34 OAGO. 67 §§ 10, 34 Gesetz über die Gerichtsverfassung der freien und Hansestadt Lübeck 1860, abgedruckt in Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 27 (1860), No 31, S. 91, 96. 68 § 2 OAGO (die zitierte ist auch im Folgendem die endgültige OAGO), zur personellen Besetzung dieser Posten vgl. Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar I, S. 12–14. 69 § 4 OAGO, in einem Fall relevant geworden, vgl. Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 254; vgl. zu den Anstellungsvoraussetzungen im Einzelnen: Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 64–66.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

28

OAGO wurden später zahlreiche Nachtragsverordnungen erlassen⁶⁵. Das zeigt, dass diese Prozessordnung das Verfahren keineswegs lückenlos regelte. So musste das OAG im Verfahrensrecht andere Rechtsquellen heranziehen. Teilweise verwies die OAGO auf die ergänzende Anwendung des gemeinen Rechts und auch auf die verschiedenen statutarischen Rechte⁶⁶. Davon machte das Gericht tatsächlich Gebrauch und zwar über die in der OAGO ausdrücklich genannten Fälle hinaus. 1862 trat die lübeckische CPO in Kraft, die aber lediglich die OAGO ergänzte, teilweise inhaltsgleiche Regelungen enthielt und im Übrigen zu dem Verfahren dritter Instanz auf die Vorgängerordnung verwies, § 123 der lübeckischen CPO. Zwei Jahre zuvor war bereits eine neue Gerichtsverfassung verkündet worden, die sich auch auf die Organisation des OAG bezog, die OAGO aber ebenfalls nur ergänzte⁶⁷.

B.

Gerichtsverfassung des OAG I.

Besetzung des Gerichts

Die OAGO regelte die Besetzung des Gerichts und gab detailliert Auskunft über die Anstellungsvoraussetzungen der Mitglieder. Das OAG bestand aus dem Präsidenten, sechs, zeitweilig sieben Räten, einem Sekretär als Vorstand des Kanzleipersonals, den Kanzlisten und Gerichtsboten⁶⁸. Die Rechtsstreitigkeiten entschieden Präsident und Räte. Präsident, Räte und Sekretär waren rechtsgelehrt, hatten also studiert. Voraussetzung für die Anstellung als Präsident oder Rat war weiterhin, dass der Kandidat der christlichen Religion angehörte, Deutscher war, er musste das dreißigste Lebensjahr vollendet haben und von unbescholtenem Lebenswandel sein⁶⁹. Eine Verwandtschaft oder

65 Beispielsweise Bekanntmachung vom 11. Oktober 1837, betreffend Abänderung einiger Paragraphen der unter dem 13. August 1831 erlassenen Gerichtsordnung für das gemeinschaftliche OAG. 66 So beispielsweise bei der Restitution in §§ 157, 187 OAGO oder bzgl. Zuständigkeit gem. § 34 OAGO. 67 §§ 10, 34 Gesetz über die Gerichtsverfassung der freien und Hansestadt Lübeck 1860, abgedruckt in Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 27 (1860), No 31, S. 91, 96. 68 § 2 OAGO (die zitierte ist auch im Folgendem die endgültige OAGO), zur personellen Besetzung dieser Posten vgl. Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar I, S. 12–14. 69 § 4 OAGO, in einem Fall relevant geworden, vgl. Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 254; vgl. zu den Anstellungsvoraussetzungen im Einzelnen: Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 64–66.

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Schwägerschaft mit einem anderen Mitglied des Gerichts durfte nicht bestehen⁷⁰. Hatten die Räte noch nicht als Richter gearbeitet, war eine Proberelation für die Einstellung erforderlich⁷¹. So sollte sichergestellt werden, dass es sich um erfahrene, fähige Berufsrichter handelte. Den Präsidenten wählten die Senate der vier freien Städte. Die Räte wurden durch die jeweilige Stadt ernannt, wobei jeder Stadt die Ernennung eines Ratspostens oblag. Die Städte besetzten beide weiteren Ratsstellen im Wechsel. Je höher die Einwohnerzahl war, desto öfter durfte die Stadt den Posten besetzten. Das hatte zur Folge, dass Hamburg am häu gsten einen Ratsposten besetzen durfte⁷². Als ständiger Auftrag durch die Senate der Städte oblag dem OAG selbst die Ernennung der erforderlichen Kanzlisten und Gerichtsboten. Die Städte nanzierten das Gericht gemeinsam. Hamburg als Stadt mit der höchsten Bevölkerungszahl brachte anteilig den höchsten Betrag auf und Lübeck den geringsten. Lübeck stellte dafür die Räumlichkeiten für das Gericht zur Verfügung⁷³. Am Gericht waren außerdem zunächst acht, später sechs Prokuratoren angestellt, die das Gericht aus den Advokaten der Städte wählte⁷⁴. Sie reichten die Parteischriften ein und nahmen Verfügungen des Gerichts entgegen. Die Prokuratoren vermittelten dadurch zwischen Partei und Gericht. Die rechtliche Beratung leisteten die Advokaten. Besonders die jeweiligen Präsidenten prägten das Bild des Gerichts in der Öffentlichkeit.

1. Präsidenten des OAG Obwohl das OAG fast 60 Jahre bestand, standen ihm insgesamt nur drei Präsidenten vor, da die Präsidenten wie Räte auf Lebenszeit ernannt wurden⁷⁵.

70 § 5 OAGO; zu den einzelnen Anstellungsvoraussetzungen vgl. Funk, ZRG/GA (1906), Band 27, S. 61, 73. 71 § 7 OAGO. 72 Greb, Verfassung OAG, S. 33. 73 Greb, Verfassung OAG, S. 34. 74 § 17 OAGO. 75 Rückschluss aus § 15 OAGO.

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a) Georg Arnold Heise Im Zusammenhang mit dem hervorragenden Ruf des OAG Lübeck wird besonders Georg Arnold Heise genannt. Er war der erste Präsident des OAG. Ihm wird zugeschrieben, dem Gericht zu dem hohen Rang und Ansehen verholfen zu haben, indem er seine Fähigkeiten und seine Arbeitskraft in den Dienst des Gerichts stellte und sich selbst für eine gute fachliche Besetzung der Ratsstellen einsetzte. So war es vielfach seinem persönlichem Einsatz zu verdanken, gut ausgebildete Räte für das OAG zu gewinnen. Diese waren oftmals seine Schüler gewesen⁷⁶. Von 1820 bis 1850 stand er als Präsident dem Gericht vor und leitete die Amtsgeschäfte. Daneben erstellte er zahlreiche Korrelationen und Voten, die das Urteil vorbereiteten, selbst⁷⁷. „Seine Leitung der Discussionen und Abstimmungen im Oberappellationsgerichte zeichnete sich aus theils durch eine höchst vielseitige, man kann wohl sagen, allseitige Rechtskenntniß, welche ihm ihrem ganzen Umfang nach in einem jeden Augenblick sogleich zu Gebote stand, theils durch eine ungemeine Klarheit der Darstellung, durch welche er die Mitglieder des Gerichtes in den Stand setzte, auch die verwickelsten Sachen zu übersehen und erschöpfend zu beurtheilen“⁷⁸. Seine sprachliche Präzision, die er, um die Interessen der Rechtssuchenden zu wahren, für unentbehrlich hielt, stellten seine Kollegen außerdem heraus⁷⁹. Er wurde als äußerst arbeitsam beschrieben, der seine gesamte Leistungskraft in den Dienst des OAG stellte⁸⁰. Dabei als gewissenhaft und als „fast pedantisch in seiner Unparteilichkeit“⁸¹ charakterisiert und bestrebt, „dem materiellen Recht zum Siege über das formelle“ zu verhelfen⁸². 1778 als Sohn eines angesehenen Kaufmanns in Hamburg geboren, studierte Heise von 1798 bis 1802 die Jurisprudenz in Jena und Göttingen, wo er unter an-

76 Dazu zählten Georg Wilhelm August du Roi, Friedrich Cropp, Arnold Ludwig Lueder sowie Christian Gerhard Overbeck, vgl. Bippen, Heise, S. 128. 77 Döhring, Rechtsp ege, S. 404. 78 du Roi zit. nach Bippen, Heise, S. 311; OAG-Rat Bluhme lobte Heise in seinen Briefen an Savigny als „gründlich und belehrend“ und fügte hinzu: „Wäre er nur nicht so tolerant gegen die klägliche Lübecker Gesellschaft“, aus: Strauch, Briefwechsel, Brief 133, S. 246; Brief 171, S. 309; aber die Kritik in Brief 149, S. 270: „Wenn nicht Heise durch Eigensinn und Unordnung die Sachen hier auf ’s Äußerste triebe und die Stellung des ganzen Collegiums compromittirte“, allerdings in dem Zusammenhang, dass Bluhme die Stelle als OAG-Rat gerne gegen eine Professur eintauschte. 79 Bippen, Heise, S. 233. 80 Braunewell, Heise, S. 81. 81 Bippen, Heise, S. 232. 82 Auszug aus der Grabrede Paulis bei Bippen, Heise, S. 312, 313.

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deren von Feuerbach, Hugo⁸³ und Martin⁸⁴ unterrichtet wurde⁸⁵. Mit letzterem verband ihn über seine Studienzeit hinaus eine enge Freundschaft. In Jena lernte er auch Savigny kennen, mit dem er einen regen Briefkontakt unterhielt und sich fachlich austauschte. Diesen Kontakt hielt er während seiner Zeit als Präsident des OAG⁸⁶. Savignys Zuspruch, seinem Ideal des Gelehrten auf dem Richterstuhl entsprechend⁸⁷, war es unter anderem zu verdanken, dass Heise die angebotene Stelle als Oberappellationsgerichtspräsident überhaupt annahm⁸⁸, aber das sollte erst lange nach seiner Zeit als Professor geschehen. Zunächst war Heise einige Monate Praktikant beim Reichskammergericht in Wetzlar⁸⁹, dann kurze Zeit Beisitzer im Spruchkollegium, anschließend Professor in Göttingen, wechselte aber bereits 1804 nach Heidelberg, wo er zehn Jahre blieb. Seine Vorlesungen erfuhren dermaßen großen Zuspruch, dass er sogar den Pferdestall seines Hauses in ein Auditorium für mindestens 300 Personen ausbauen ließ⁹⁰. Gemeinsam mit seinen Kollegen Martin und ibaut wurden die drei, in Anlehnung an die politischen Zusammenschlüsse antiker Herrscher, als das Heidelberger „Triumvirat“ berühmt⁹¹. Ab 1814 wechselte er ein weiteres Mal nach Göttingen. In seiner Zeit als Professor widmete er sich in erster Linie der Lehre und publizierte recht spärlich⁹². Besonders hervorzuheben ist darunter sein „Grundriss eines Systems des gemeinen Civilrechts zum Behuf von Pandecten-Vorlesungen“, das in drei Au agen erschien. Heise wählte in diesem Leitfaden für seine Vorlesung eine besondere Systematik. Wurden bis dahin die Pandekten nach der Ordnung ihrer Titel dargestellt, wählte Heise einen systematischen Aufbau, insbesondere unterteilt zwi-

83 Gustav Hugo (1764–1844) legte die Grundlage für die historische Rechtsschule, indem er das römische Recht systematisch darstellte und führte das Naturrecht auf ein kritisches Korrektiv zurück, vgl. Luig, NDB Bd. 10, S. 26. 84 Christoph Reinhard Dietrich Martin (1772–1857), Professor in Göttingen und Heidelberg, wichtigster Prozessualist der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, gab u.a. Lehrbuch zum bürgerlichen Prozess in insgesamt 13 Ausgaben hervor, arbeitete außerdem zum Strafrecht, er engagierte sich daneben politisch für die Göttinger Sieben und verfasste Gesetzesentwürfe, zu ihm vgl. Eisenhart, ADB Bd. 20, S. 485, 387; Klemmer, in: Niedersächsische Juristen, S. 386; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 160–165. 85 Ausführlich zu Heises Biographie: dessen Schwiegersohn Bippen, Heise. 86 Braunewell, Heise, S. 90–232; Savigny bittet ausdrücklich in einem Brief an Bluhme, um Heises Meinung zu dem ersten Band seines Systems, Strauch, Briefwechsel, Brief 163, S. 298. 87 Mohnhaupt, Richter, S. 243, 249. 88 Braunewell, Heise, S. 67. 89 Bekker, Pandektisten, S. 22. 90 Braunewell, Heise, S. 61. 91 Bippen, Heise, S. 119; Rückert, Heidelberg, S. 83, 90, der dem Triumvirat zuschreibt, Heidelberg zur best besuchtesten Universität seiner Zeit gemacht zu haben. 92 Übersicht zu den einzelnen Veröffentlichungen bei Braunewell, Heise, S. 30 ff.

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schen allgemeinen und „Haupt-Lehren“, der in einzelne Bücher unterteilt war. Der Aufbau, der später als Pandektensystem bezeichnet wird, entsprach also weitgehend unserem heutigen Bürgerlichen Gesetzbuch und wird auf Heises Aufbau zurückgeführt⁹³. Außerdem lud Heise in seinem Werk zum Quellenstudium ein, indem er lediglich die Fundstellen des Corpus Iuris zitierte. So trug Heises Werk mit dazu bei, den usus modernus zu überwinden und, orientiert an den wirklichen Quellen des römischen Rechts, die Systematisierung der Pandektistik voranzutreiben⁹⁴. Kurz bevor er das Amt als Präsident des OAG antrat, war er im hannoverschen Justizdepartement tätig, wo er mit legislativen Aufgaben betraut war⁹⁵. Anschließend wechselte er zum OAG, und arbeitete dort bis zu seinem Tod 1851. So prägte er über 30 Jahre lang dessen Rechtsprechung.

b) Carl Georg von Wächter Nachdem Heise gestorben war, begann die Suche nach einem würdigen Nachfolger. Mit Carl Georg von Wächter schien dies mehr als gelungen. Sein Lebenslauf war beeindruckend. Als Sohn eines Verwaltungsjuristen 1797 geboren, studierte er ebenfalls die Rechtswissenschaften. Bereits mit 22 Jahren, noch vor seiner Promotion, ernannte ihn die Universität Tübingen zum Extraordinarius, kurze Zeit darauf zum ordentlichen Professor⁹⁶. Und sechs Jahre später, 1825, wurde er zum Rektor gewählt⁹⁷. Er unterrichtete für einige Jahre in Leipzig, wo er unter anderem Rat des neu errichteten Appellationsgerichts war⁹⁸, kehrte jedoch, nach mehreren abgelehnten Rufen, nach Tübingen als Kanzler zurück. Dort verlieh ihm die Stadt die Ehrenbürgerschaft und König Wilhelm I. den persönlichen Adel⁹⁹. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen beschäftigte er sich unter anderem mit dem im Königreich Württemberg geltenden Privatrecht, mit dem römisch-deutschen Strafrecht, sowie mit dem gemeinen Recht, zu dem er Lehr- und Handbücher

93 Palandt (Heinrichs), Einleitung Rn. 6; Schäfer, Germanistik, S. 697, hebt hervor, dass Heise damit ein germanistisches System übernommen habe; Oestmann, ad legendum 2008, S. 132, 133; Schwarz, ZRG/RA 42 (1921), S. 578, 582, betont, dass Heise nur am Ende einer Entwicklung solcher eingeteilten Werke steht. 94 Braunewell, Heise, S. 40, 41; Rückert, Heidelberg, S. 83, 93, beschreibt das Werk als „epochemachend“. 95 Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Noten, S. 39 Fn 47. 96 Sturm, „Wächter“, in: HRG V, Sp. 1076. 97 Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 181. 98 Laufs, Waechter, S. 11, 15. 99 Jungemann, Wächter, S. 30.

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herausgab¹⁰⁰. Besonders in seinen strafrechtlichen Werken setzte er sich von anderen Bearbeitungen ab und entwickelte eine eigene Darstellungsweise¹⁰¹. Seine gemeinen privatrechtlichen Werke zeichnen sich durch Detailschärfe hinsichtlich der römischen Quellen aus¹⁰², sowie durch die Verbindung, die er zwischen dem Partikularrecht Württembergs und dem römischen Recht suchte¹⁰³. Dies trug ihm unter anderem das Lob Böhlaus¹⁰⁴ ein: „Im deutschen Partikularrecht liegt daher die Versöhnung und Verschmelzung römischen und deutschen zu einem neuen einheitlichen Rechte“¹⁰⁵. Als Kanzler der Universität Tübingen war er stimmberechtigtes Mitglied der landständischen Kammer des Abgeordnetenhauses, dem er 1839 und 1845 als Präsident vorstand¹⁰⁶. In diesem Amt hatte er maßgebenden Ein uss auf das Zustandekommen des württembergischen Strafgesetzbuchs von 1839. In der parlamentarischen Arbeit zeichnete sich Wächter durch seine Treue zum König ebenso wie eine rechtsstaatlich-liberale Auffassung aus¹⁰⁷. So verurteilte er beispielsweise die Entlassung der Göttinger Sieben, die sich gegen die Aufhebung der hannoverschen Verfassung gewandt hatten, als ein „Unglück für Deutschland“¹⁰⁸, forderte nulla poena sine lege und wandte sich gegen die Todesstrafe¹⁰⁹. 1847 nahm er an der Germanistenversammlung in Lübeck teil als einer von wenigen Romanisten¹¹⁰. Dort wie auch in der Eröffnungsrede des württembergischen Landtags 1848 sprach er sich für die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtsp ege aus und für die Rechtsvereinheitlichung in Deutschland durch gemeinsame Geset-

100 Umfassende Literaturliste Wächters mit jeweiligen Rezensionen bei Mauntel, Wächter, S. 306–315. 101 Vertiefend dazu: Jungemann, Wächter und das Strafrecht des 19. Jahrhunderts. 102 Mauntel, Wächter, S. 253; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 616. 103 Dies betont Schäfer, Germanistik, S. 685, dieses Einheitsprinzip aus Sicht der Germanistik sei stilbildend für das 19. Jahrhundert. 104 Hugo Heinrich Albert Böhlau (1833–1887), Mitbegründer der ZRG, vgl. zu ihm ausführlich: Hübner, ADB Bd. 47, S. 68–74. 105 Böhlau, Landrecht I, § 1, S. 1. 106 Schaefer, Waechter, 33, 35; Sieber, Tübingen, S. 95, 96. 107 So Dannenberg, Liberalismus, S. 17, 32; Jungemann, Wächter, S. 33; Laufs, Wächter, S. 11, 15; Mauntel, Wächter, S. 27, weist auf die Schwierigkeiten einer schematischen Einordnung hin, umreißt ihn selbst als „historisch-organisch Liberalen, politischpragmatischen Positivisten“, S. 298; Schaefer, Waechter, S. 33, 47, ordnet ihn als konservativ ein, jedoch liberalen Gedanken gegenüber aufgeschlossen; als „liberalem Gedankengut nicht besonders hold“ beschreibt ihn Sturm, „Wächter“, in: HRG V, Sp. 1076, 1077; hier zeigen sich begriffliche Uneinheitlichkeiten. 108 Laufs, Wächter, S. 11, 16. 109 Dannenberg, Liberalismus, S. 32. 110 Pöggeler, Wächter, S, 49, 54; Schiemann, Waechter, S. 89, 99; differenzierend: Jungemann, Wächter, S. 57 ff.; die Königstreue betont sein Sohn O. v. Wächter, Wächter, der sein Buch König Karl von Württemberg „ehrfurchtsvoll“ widmete.

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ze¹¹¹. Wächter gab seine parlamentarischen Ämter auf, nachdem er zwar in den Fünfzigerausschuss in Frankfurt gewählt wurde, der vorübergehend die Rechte des Volkes bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung wahrnehmen sollte, jedoch nicht in der Paulskirche aufgestellt wurde¹¹². Zu dieser Zeit, 1851, wurde Wächter die Präsidentschaft des OAG Lübeck angeboten. Savigny hatte ihm daraufhin die Position empfohlen als „daß Sie durch dieselbe, mehr als durch jede andere der Politik entfremdet werden“¹¹³. Wächter nahm die ihm angebotene Stellung an. Obwohl er die Stadt Lübeck als sehr angenehm beschrieb, drückte ihn die Arbeitsbelastung am OAG, die ihm keine Zeit für wissenschaftliche Forschung ließ. So schrieb er in einem Brief an einen Freund: „Nur zwei Dinge habe ich auszusetzen: Die Gründlichkeit geht bei Gerichte etwas zu weit und ich habe zu viel zu thun. Nicht, daß mich die Arbeit eigentlich anstrengte, oder daß ich nicht viel freie Zeit hätte; aber ich habe täglich wenigstens so viel zu thun, daß ich zu keiner wissenschaftlichen Arbeit komme, und dies ertrage ich schwer“¹¹⁴. Als er bereits nach einem Jahr am OAG einen Ruf aus Leipzig erhielt, nahm er an und verließ das OAG Lübeck im Juli 1852. In diesem einen Jahr als Präsident des OAG führte er die Amtsgeschäfte im Sinne Heises konsequent weiter, so arbeitete er alle Korrelationen selbst aus¹¹⁵. Damit erhielt er das hohe Ansehen des Gerichts. In Leipzig arbeitete er dann als Professor, engagierte sich ab 1862 wieder politisch als Mitglied der Städteverordnetenversammlung und von 1867 an als Abgeordneter für die verfassungsgebende Versammlung des Norddeutschen Bundes. In dieser Funktion setzte er sich für die deutsche Rechtseinheit und für ein Bundesgericht ein¹¹⁶. 1880 starb Wächter.

c) Johann Friedrich Martin Kierulff Die Suche nach einem neuen Präsidenten gestaltete sich schwierig. Zunächst einigte sich der Direktorialsenat des OAG auf Bornemann¹¹⁷, der die ihm angebo-

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Laufs, Wächter, S. 11, 16. Schaefer, Waechter, S. 33, 39. Zit. nach Laufs, Wächter, S. 11, 20. Zit. nach O. v. Wächter, Wächter, S. 127. Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 187, 188. Björner, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 150. Ferdinand Wilhelm Ludwig Bornemann (1798–1864), tätig am preußischen Obertribunal, zugleich Begründer der Wissenschaft des Preußischen Rechts auf der Grundlage des ALR, zwischenzeitlich Mitglied der preußischen Gesetzeskommission (im Dauerkon ikt mit Savigny) und Justizminister; vgl. Göppert, ADB Bd. 3, S. 173–174.

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tene Stellung jedoch ablehnte¹¹⁸. Nach weiteren Vorschlägen entschied sich der Senat für Johann Friedrich Martin Kierulff, der schon nach Heises Tod als Nachfolger in Betracht gezogen worden war. Wie seine beiden Vorgänger war Kierulff Professor für bürgerliches Recht und verfügte bereits über praktische Erfahrung als Richter. Er hatte zehn Jahre zunächst als Rat, dann als Vizepräsident dem mecklenburgischen OAG vorgestanden¹¹⁹. 1853 wechselte er an das OAG Lübeck, dessen Präsident er bis 1879 blieb. Kierulff wurde 1806 in Schleswig geboren, studierte Rechtswissenschaften in Kiel und München, besuchte daneben aber auch Geschichts- und Philosophievorlesungen. 1831 wurde er promoviert und begann 1834, nach einigen Jahren Lehrerfahrung, zunächst als außerordentlicher Professor seine wissenschaftliche Laufbahn in Kiel¹²⁰. Dort hielt er ebenso wie Heise und Wächter Pandektenvorlesungen. Später, nun bereits ordentlicher Professor, wechselte er an die Universität Rostock. 1848/49 war Kierulff als Abgeordneter Rostocks Mitglied in der Nationalversammlung in Frankfurt am Main, aus der er im Mai 1849 wieder austrat¹²¹. Politisch gehörte er dort der Fraktion „Württemberger Hof“¹²² und dem Kreis um Dahlmann¹²³ an, der bereits in Kiel sein Lehrer gewesen war¹²⁴. Sein wissenschaftliches Hauptwerk während seiner Professorentätigkeit veröffentlichte er 1839 mit dem Titel „eorie des Gemeinen Rechts“. Zeitgenossen schätzten seine „eorie“ sehr¹²⁵. Anders als bei Heise und Wächter ist die Einordnung Kierulffs Werk unter Rechtshistorikern strittig und bedarf daher der Erörterung. So wird einerseits vertreten, dass er sich gänzlich gegen die historische Schule sowie gegen das Naturrecht wandte¹²⁶. Andererseits ist ebenso wenig offensichtlich, dass Kierulff ein Pandektenlehrbuch für die akademische Forschung intendierte¹²⁷. In seiner „eorie“ gab er zunächst einen prägnanten historischen

118 Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 193. 119 Döhring, Rechtsp ege, S. 409; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Noten, S. 261 Fn 5. 120 Döhring, Rechtsp ege, S. 409; Eckert, Kierulff, S. 31, 32; Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 190 ff.; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Noten, S. 261 Fn 5; Teichmann, ADB Bd. 55, S. 513. 121 Eckert, Kierulff, S. 31, 33. 122 Borchert, Frankfurt, S. 12, charakterisiert dies als linkes Zentrum. 123 Friedrich Christian Dahlmann (1785–1860), Historiker und Politiker, zu ihm: Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 396. 124 Polley, Biographisches Lexikon, Bd. 7, S. 110. 125 Zu Puchtas Urteil: Haferkamp, Puchta, S. 360, 361. 126 So aber Eckert, Kierulff, S. 31, 37, der Kierulff in Bezug auf die historische Rechtsschule mit falscher Richtung wiedergibt; Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 192; Larenz, Kierulff, S. 116, 117; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, S. 588, spricht gar von „Haß“. 127 Dies zitiert Teichmann, ADB Bd. 55, S. 513, 514, als vielfach herrschende Meinung.

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Abriss zur Entstehung des Naturrechts sowie der historischen Schule. Im Weiteren trat er diesen beiden Strömungen entgegen¹²⁸. Der entscheidende Unterschied zwischen der historischen Rechtsschule, dem Naturrecht und Kierulffs eorie bestand in dem verschiedenen Verständnis von Gesetzen. Während die historische Rechtsschule den Volksgeist als gesetzesbegründend ansah¹²⁹, forderte Kierulff einen Gesetzgeber, der originär die Gesetze bestimmte¹³⁰. Nach Kierulff war das Gewohnheitsrecht dabei Ausdruck des Gesetzgeberwillens. Das Gewohnheitsrecht konnte seiner Ansicht nach daher nur dort bestehen, wo keine Regelung des Gesetzgebers bestand¹³¹. Anders als vom Naturrecht gefordert, war der Gesetzgeber in der Gestaltung völlig frei. Der Staat als Gesetzgeber allein bestimmte nach Kierulff zentral das geltende Recht. Solange aber keine Gesetze durch die Gesetzgebung geschaffen wurden, lag es an dem Rechtsanwender, sich zu behelfen¹³². Die Methode, die Kierulff zur Überbrückung vorschlug, negierte nicht vollkommen historische Rechtsschule und Naturrecht. Vielmehr benutzte er deren Methoden, um herrschende Grundsätze des Rechts zu entwickeln. Aus diesen Grundsätzen sollte durch Deduktion ein Ergebnis für den zu entscheidenden Fall gefunden werden. Insoweit war sein Blickwinkel der des Praktikers, der primär eine Lösung des Einzelfalls anstrebte. Zwar hielt er die Beschäftigung mit den römischen Quellen keinesfalls für über üssig. Allerdings seien sie alleine nicht geeignet, Recht herzuleiten und zu nden. Vielmehr könnten die römischen Quellen ein gefundenes Ergebnis nur belegen¹³³. So distanzierte sich Kierulff von der Methode der historischen Schule allein aus bereits bestehenden Rechtsquellen, die es höchstens neu zu ordnen galt, Recht zu sprechen. Stattdessen formulierte er die Anforderungen, die er an das Recht stellte im Anschluss an Hegels¹³⁴ Idee von einem allgemeinen Rechtsbegriff, der sich im Staat verwirklichte¹³⁵, folgendermaßen: „Die eorie des Rechts hat zum Objekt die in einem bestimmten Staat zu einer bestimmten Zeit geltenden Rechtsgrundsätze, d.h. diejenigen allgemein anerkannten einfachen und höchsten Normen, von welchen

128 Kierulff, eorie, S. XIX: „Diese historische Richtung verläßt nicht minder, als jene naturrechtliche eorie, den practischen Boden der Gegenwart. Sie hält fest am positiven Stoff, aber dieser Stoff ist seinem größten eil nach todtes Material“. 129 Schmoeckel, Verlorene Ordnung, S. 370. 130 Kierulff, eorie, S. 1: „Das Recht ist der Wille des Staates“. 131 Kierulff, eorie, S. 13. 132 Kierulff, eorie, S. XXVII. 133 Kierulff, eorie, S. XXV. 134 Larenz, Kierulff, S. 116, 117; Vossius, Rechtsschutzlehre, S. 57; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 414. 135 Zu Hegel: Küchenhoff, „Hegel“, in: HRG II, Sp. 30, 32.

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das gesamte Recht, welches in diesem Staat practisch zur Anwendung kommen soll, ausgehen muß. Es sind die ersten juristisch nicht deducirbaren Sätze (Principien), welche den Grund bilden zu dem Detail des Rechts, welches zur Entscheidung wirklicher Rechtsstreitigkeiten dient. Das Wesen, die at der juristischen eorie ist Interpretation(...). Geleitet von den herrschenden Dogmen bringt sie zum Bewußtseyn das concrete Recht, die der Natur der im Staat wirklich vorkommenden Verhältnisse entsprechenden Normen“¹³⁶. Er forderte also ein einfaches, einheitliches und klares Rechtssystem aus den Grundsätzen der gegenwärtigen Praxis¹³⁷. Später präzisierte er: „Diese eorie gewinnt ihre Resultate durch freie Begriffsentwicklung, (...also) durch Begriffsinterpretation die vorhandenen zerstreuten Einzelheiten in ihrem Zusammenhang mit den practischen Grundbegriffen und Grunddogmen“¹³⁸ aufweisen. Die zentrale Stellung des Begriffs könnte im Zusammenhang mit der späteren sogenannten Begriffsjurisprudenz gesehen werden. Dadurch, dass Kierulff jedoch herausstellte, dass die Begriffe selbst aus der Praxis geschöpft werden müssen, schwebte ihm nur die begriffliche Bündelung konkreter Rechtsgrundsätze vor¹³⁹. Die geschriebenen Quellen des gemeinen Rechts seien jedoch bisher die Ausgangslage, um Rechtsgrundsätze aufzustellen. Dies sei notwendig und zweckmäßig, zum einen aus Rücksicht gegenüber der bisherigen Praxis der Juristen, zum anderen weil „jene Quellen die juristischen Resultate in einer unübertrefflichen Anschaulichkeit darlegt“¹⁴⁰. Hier wandte sich Kierulff gerade nicht gegen die römischen Quellen, sondern wertschätzte ihre Gestaltung, und erklärte sie zur Grundlage, anhand derer die Rechtsgrundsätze zu ermitteln seien. Damit wandte er sich nicht völlig von der historischen Richtung ab. Er ging jedoch über sie hinaus, indem er sie zu einem Ausgangspunkt unter anderen bestimmte und die Ermittlung der Grundsätze und die Deduktion hieraus in den Mittelpunkt seiner eorie stellte. Er versuchte also die bestehende Richtung zu reformieren, nicht sie zu eliminieren. Es ist bemerkenswert, dass Kierulff der Praxis eine solch hohe Bedeutung beimaß und die Berechtigung der eorie auf die Bedürfnisse der Praxis zurück führte. Dem zollte Savigny insoweit Respekt, als dass er in seinem „System des heutigen Römischen Rechts“ ein besseres Verhältnis von eorie und Praxis versprach¹⁴¹. Durch seine systematische Veröffentlichungen zahlreicher Entscheidungen des OAG Lübeck trug Kierulff dazu bei, die Praxis stärker in den Fokus zu rücken.

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Kierulff, eorie, S. XXV. Polley, Biographisches Lexikon, Bd. 7, S. 110, 112. Kierulff, eorie, S. XXVI. So auch Larenz, Kierulff, S. 116, 124. Kierulff, eorie, S. XXVI. Darauf weist Polley, Biographisches Lexikon, Bd. 7, S. 110, 112, hin.

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2.

Räte

Auch waren einige bekannte Namen unter den Räten des OAG. Zahlreiche Räte waren zunächst als Professoren tätig gewesen. Von den 26¹⁴² Räten, die während der Bestehenszeit am OAG arbeiteten, sollen hier nur einige wenige kurz vorgestellt werden. Die Auswahl ist auf die bekannteren Privatrechtler beschränkt. Bluhme¹⁴³ war der einzige Rat, der ein Lehrbuch zum Prozessrecht herausgegeben hatte. Vor und nach seiner Zeit am OAG war er Professor und stand in engem Kontakt zu Savigny¹⁴⁴. Ebenfalls unterhielt er Korrespondenz zu Puchta¹⁴⁵. Er arbeitete in erster Linie zum römischen Recht. Insbesondere sein Werk zur Entstehung der Digesten, die Bluhmesche Massentheorie, ist bis heute maßgebend¹⁴⁶. Daneben arbeitete Bluhme zum Kirchenrecht und verfasste eine Enzyklopädie des in Deutschland geltenden Privatrechts¹⁴⁷. Cropp, der zusammen mit Präsident Heise Aufsätze zu der Rechtsprechungstätigkeit des OAG herausgab, hatte über den Sachsenspiegel und die Geschichte des hamburgischen Privatrechts gearbeitet sowie ein Handbuch zum deutschen Recht herausgegeben¹⁴⁸. Hach forschte zum lübischen Recht¹⁴⁹. Er gab die verschiedenen Codices, handschriftliche Rechtsaufzeichnungen, die vor dem Revidiertem Lübecker Stadtrecht von 1586 entstanden waren, in gedruckter Form heraus¹⁵⁰. Dazu hatte er in Archiven geforscht und ältere gedruckte Fassungen miteinander verglichen. Die Auswahl begründete Hach unter anderem damit, dass er weggelassen habe,

142 Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 197. 143 Friedrich Bluhme (1797–1874), OAG Rat von 1833 bis 1843, zu ihm: Strauch, Briefwechsel, in der Vorrede. 144 Dazu Strauch, Briefwechsel. 145 Dazu Haferkamp, Puchta, S. 287–289. 146 Bluhme, Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft IV, S. 257–472; zur Bluhmeschen Massentheorie Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 216. 147 Strauch, Briefwechsel, S. XXIV. 148 Friedrich Cropp (1790–1832) verstarb an der Cholera, OAG-Rat von 1820 bis 1832, zu ihm: Frensdorff, ADB Bd. 4, S. 610–612. 149 Johann Friedrich Hach (1769–1857), am OAG von 1820 bis 1850, zu ihm: Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 198–209; als Lübecks antijüdischen Wortführer in aktuellen politischen Diskussionen bezeichnet ihn Guttkuhn, Geschichte der Juden, S. 109. 150 Hach, Lübisches Recht; eine Bewertung dieser Arbeit liefert Ebel, Lübisches Recht I, S. 197, 198.

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was „lediglich in einer, den gedruckten Lüb. Rechtsbüchern fremden Einmischung des Röm. R. besteht“¹⁵¹. Auch Pauli forschte zum lübischen Recht¹⁵². Laspeyres¹⁵³ beschäftigte sich sowohl mit dem kanonischen Recht als auch mit verschiedenen einheimischen Rechtsquellen. Er gab eine synoptische Darstellung verschiedener Fassungen der Lex Salica heraus¹⁵⁴, und befasste sich mit der Entstehung der langobardischen Libri feudorum¹⁵⁵. Außerdem hatte er ein Lehrbuch zum ALR verfasst¹⁵⁶. Darüber hinaus edierte er erstmals¹⁵⁷ die Summa einer Dekretalensammlung von Bernhard von Pavia, die dieser zwischen 1191 und 1198 zusammengestellt hatte¹⁵⁸. Die zugrunde liegende Dekretalensammlung war die erste anerkannte Extravagantensammlung vor Gregor IX.; sie wurde glossiert und rezipiert¹⁵⁹. Overbeck war bereits zur Zeit der französischen Besatzung Advokat gewesen und hatte zum französischen Organisationsdekret gearbeitet¹⁶⁰. Auch du Roi hatte neben Aufsätzen zum gemeinem Recht zum französischen Recht veröffentlicht¹⁶¹. Schweppe forschte schwerpunktmäßig zum römischen Recht. Er hatte dazu ein System der Pandekten, eine römische Rechtsgeschichte sowie ein System des römischen Privatrechts und eine Abhandlung zum gemeinen Konkursrecht herausgegeben¹⁶².

151 Hach, Lübisches Recht, S. 160. 152 Carl Wilhelm Pauli (1792–1879), OAG-Rat von 1843 bis 1876, vgl. Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 238–243, zuvor war er von 1820 bis 1843 am OAG als Sekretär tätig gewesen, Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar I, S. 13; Pauli veröffentliche: Abhandlungen aus dem Lübischen Rechte und Lübeckische Zustände. 153 Ernst Adolf eodor Laspeyres (1800–1869), OAG-Rat von 1846 bis 1869, vgl. Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 243–246. 154 Laspeyres, Lex Salica. 155 Laspeyres, Libri feudorum. 156 Laspeyres, System des preußischen Privatrechts. Zum Gebrauche bei Vorlesungen im Grundrisse, Halle 1843. 157 So Walter, Kirchenrecht, S. 254 Fn 15. 158 Laspeyres, Summa Decretalium. 159 Dazu Schulte, „Kanonen- und Dekretalensammlung“, Realencyklopädie eologie und Kirche X, S. 1, 12. 160 Christian Gerhard Overbeck (1784–1846), ab 1823 war er Rat am OAG bis 1846, zu ihm: Kähler, Französisches Zivilrecht, S. 95. 161 Georg August Wilhelm du Roi (1787–1853), war OAG Rat von 1826 bis 1853, zu ihm: Spehr, ADB Bd. 5, S. 489. 162 Albrecht Schweppe (1783–1829), am OAG von 1821 bis 1829, zu ihm: Eisenhart, ADB Bd. 33, S. 414–415.

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Wunderlich¹⁶³ beschäftigte sich mit mittelalterlichen Prozessualisten des Kirchenrechts¹⁶⁴. So edierte er Werke von Tankred¹⁶⁵, Johannes Andreae¹⁶⁶ und Damasus¹⁶⁷. Zimmermann¹⁶⁸ arbeitete zur Geschäftsführung ohne Auftrag, der Negotiorum Gestio des gemeinen Rechts¹⁶⁹. Es sind zwischen den zahlreichen Publikationen nur wenige zum Prozessrecht erschienen. Dafür lassen sich Arbeiten zu verschiedenen Bereichen des römischen Rechts nden, viele zu partikularen Rechten wie dem lübischen, zum Kirchenrecht, sowie einige rein geschichtliche Arbeiten. Die Bandbreite der Publikationen spiegelt die Rechtsquellenvielfalt sowie die unterschiedliche Spezialisierung der Richter des OAG. Teilweise wird die Rechtsquellen übergreifende, die vereinheitlichende Betrachtung der Publikationen betont¹⁷⁰.

3.

Prokuratoren

Neben den Richtern gehörten erst acht, später sechs Prokuratoren zu den Angestellten des Gerichts. Sie wurden aus den zugelassenen Advokaten der freien Städte ausgewählt und vermittelten zwischen Gericht und Partei, die in der Regel durch ihren Sachführer, also Advokaten rechtlich beraten wurde¹⁷¹. Die Prokuratoren hatten im gemeinen Prozess eine lange Tradition¹⁷². Sie hatten neben dieser traditionellen auch eine ganz praktische Komponente. Es ersparte den auswärtigen Sachwaltern und Parteien aus Hamburg, Bremen oder Frankfurt

163 Agathon Wunderlich (1810–878), am OAG von 1850 bis 1878, zu ihm: Jhering, Jahrbücher Bd. 17 (1879), S. 145–157; Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 251, 252. 164 Jhering, Jahrbücher, Bd. 17 (1879), S. 145, 147: Joannis Andrea, Tancred, Bulgarus, Damasus, Bonaguida. 165 Wunderlich, Tancredus: Summa de Matrimonio, Göttingen 1841. Tankred hatte beispielsweise die Dekretalensammlung von Bernhard von Pavia glossiert; vgl. Schulte, „Kanonen- und Deretalensammlung“, Realencyklopädie eologie und Kirche X, S. 1, 13; Nörr, Stellung des Richters, S. 5, sieht bei Tankred die Grundstrukturen für den Zivilprozess niedergelegt. 166 Wunderlich, Joannis Andreae Summula de processu judicii, Basel 1840; Johannes Andreae, lebte von 1270 bis 1348, verfasste Glossen zu Deretaliensammlungen, vgl. Plöchl, Kirchenrecht II, S. 520. 167 Anecdota, quae processum civilem specant: Bulgarus, Damasus, Bonaguida, Göttingen 1841; zu Damasus: Plöchl, Kirchenrecht II, S. 513. 168 Ernst Wilhelm Lois Carl Zimmermann (1812–1877), am OAG von 1854 bis 1877, Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 256–257. 169 Zimmermann, Lehre vom stellvertretenen Negotium Gestio, Straßburg 1876. 170 So zu Cropp: Frensdorff, ADB Bd. 4, S. 610, 612. 171 Ausführlich dazu unter Prokurator als gewillkürter Vertreter: Erster Hauptteil C. II. 3. 172 Dazu Baumann, Advokaten und Prokuratoren.

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extra anzureisen. Es wäre eine weite und beschwerliche Reise geworden, Lübeck zu erreichen. Erst 1851 wurde in Lübeck eine erste Eisenbahnverbindung eingerichtet, die Hamburg erreichbar machte¹⁷³. Die nicht am OAG angestellten Sachführer verfassten hingegen die Schriftsätze. Dies wird an folgendem Beispiel deutlich. Am Schluss einer Entscheidungsbegründung rügten die Richter ausdrücklich einen Sachwalter dafür, dass er den Inhalt eines Bürgerausschusses falsch wiedergegeben habe, obwohl er dessen Mitglied gewesen war¹⁷⁴. Hier schwang der Vorwurf der Fälschung mit. Die Räte hatten dies aufgedeckt, indem sie den Abdruck des Senatsdekrets in den Neuen Lübeckischen Blättern verglichen hatten. Eine Sanktion drohten sie nicht an und ließen es bei der Rüge bewenden¹⁷⁵.

4.

Zusammenfassung

Gemeinsam ist den drei Präsidenten des OAG, Heise, Wächter und Kierulff, dass sie zunächst als Professoren tätig waren, also eine enge Verbindung zur Wissenschaft in ihr Amt mitbrachten. Dies war nicht ungewöhnlich. Beispielsweise war auch Puchta als Rat am Berliner Obertribunal tätig gewesen, Savigny am Revisions- und Kassationshof der Rheinprovinz und Planck am Appellationsgericht Celle¹⁷⁶. Alle drei Präsidenten hatten sich mit dem gemeinen Recht auseinander gesetzt. Immerhin zwei waren politisch tätig. Hier schienen sich Politik und Wissenschaft bestens zu ergänzen. Vielleicht konnte man in dieser Zeit auch kaum der Politik entgehen. Dass Heise sich nicht politisch engagierte, an der in Lübeck statt ndenden ersten Germanistenversammlung 1847 gar nicht teilnahm¹⁷⁷, ist in dieser sich politisierenden Zeit des Vormärz auffallender. Ihre einzelnen wissenschaftlichen Hauptwerke sind höchst unterschiedlich und lassen eine Entwicklung oder angesichts des Veröffentlichungszeitpunktes eine Gegenrichtung erkennen. Heise, der zeitlich am Beginn der Pandektenwissenschaft stand, veröffentlichte ein Werk, das sehr eng an die Digesten angelehnt war

173 Kopitzsch, Neue Forschungen, S. 63, 65. 174 Wunderlich, Bd. 1, No 308 A, Gaettens u. Gen. (Mitglied der Krämercompanie) c. Aelteste derselben (1852), S. 249, 254. 175 Dies war häu g der Fall, zu einer Strafe kam es selten am OAG, vgl. Albers, Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter 8 (1970), S. 241, 251. 176 Falk, Von Dienern des Staates, S. 251, 254 Fn 9. 177 Im „Verzeichniss der eilnehmer an der Germanisten-Versammlung“ taucht Heise nicht auf, im Unterschied zu den OAG-Räten Hach, Laspeyres und Pauli, dem OAG-Kanzlisten Dittmer, dem späteren Rat Bluhme und späteren Präsidenten Wächter.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

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und deren Systematik innovativ darstellte. Die Rechtsprechungssammlung, die Heise gemeinsam mit Cropp verfasste, ist zwar eng an die einheimischen Quellen angelegt. Heise selbst hat jedoch lediglich drei Abhandlungen selbst verfasst, so dass die zweibändige Sammlung eher Cropp zuzuordnen ist¹⁷⁸. Wächter arbeitete eng an den Quellen und stellte die Geltung des gemeinen Rechts nach dem Zusammenbruch des Alten Reichs 1806 in Frage¹⁷⁹. Kierulff hingegen sagte sich bereits von dieser allein an den Quellen orientierten Richtung los und betonte die praktische Wirklichkeit bei der Ermittlung von Recht. Rechtsquellen zu ermitteln wird so als Schwierigkeit dieser Zeit, die ohne Kodi kation auskam, deutlich. Die meisten Räte des OAG hatten, ebenso wie die Präsidenten, wissenschaftlich gearbeitet. Viele waren Professoren bevor oder nachdem sie ihr Amt am OAG Lübeck inne hatten. Ihre einzelnen Arbeiten lassen sich keiner Richtung zuordnen, sie spiegeln vielmehr die Rechtsquellenvielfalt ihrer Zeit. Die exzellente Besetzung der Präsidenten- und Richterstellen war eine gute Voraussetzung dafür, dass die Rechtsprechung des OAG Lübeck wahrgenommen wurde und ihr eine rechtswissenschaftliche Bedeutung zukam. Die gemeinrechtliche Zweiteilung zwischen Prokuratoren und Sachführern hielt das OAG während seiner gesamten Bestehenszeit aufrecht.

II.

Stellung der Richter aus verfassungsrechtlicher Sicht

Zur Stellung der Räte, also der Richter, enthält die Gerichtsordnung verschiedene Vorschriften, aus denen sich eine weitgehende Unabhängigkeit der Richter entnehmen lässt¹⁸⁰. Damit thematisierte die OAGO die richterliche Unabhängigkeit noch vor der Paulskirchenverfassung von 1849, die diesen Grundsatz erstmals in heute üblicher Form ausformulierte¹⁸¹. Obwohl die richterliche Unabhängigkeit eine der entscheidenden Forderungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war¹⁸², setzten viele Territorien diese nicht konsequent um¹⁸³. Die richterliche Unabhängigkeit beinhaltet zum einen die sachliche Unabhängigkeit, also die Frei-

178 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. VII: Im ersten Band hat Heise lediglich die Abhandlung zur Haverei beigesteuert; Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. V: Im zweiten Band verfasste er eine Abhandlung zur Wechselklage und eine zum Versicherungsrecht. 179 Mauntel, Wächter, S. 252. 180 So die Wertung von Greb, Verfassung OAG, S. 134. 181 Sellert, „Unabhängigkeit des Richters“, in: HRG V, Sp. 443, 444; zu der Entwicklung davor: Conrad, Richter und Gesetz. 182 Dazu Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 264; Simon, Unabhängigkeit, S. 5, 41; eisen, Machtspruch und Unabhängigkeit, S. 130. 183 So nahm der kurhessische Staat auf mehrere laufende Verfahren Ein uss, vgl. die Beispielsfälle bei eisen, Machtspruch und Unabhängigkeit, S. 155.

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heit des Richters, eine Entscheidung selbstständig und eigenverantwortlich zu fällen. Zum anderen die persönliche Unabhängigkeit, zu der zählt, dass der Richter darauf vertrauen kann, für eine umstrittene oder falsche Stellungnahme nicht gemaßregelt zu werden und nanziell versorgt zu sein¹⁸⁴.

1. a)

Sachliche Unabhängigkeit Normative Grundlagen

Verschiedene Vorschriften der OAGO beschäftigten sich mit der richterlichen Unabhängigkeit¹⁸⁵. § 29 OAGO bestimmte, dass den Räten weder Befehle, noch Weisungen oder Instruktionen durch die Senate erteilt werden durften. Damit gewährte die OAGO eine grundsätzliche Weisungsfreiheit¹⁸⁶. Allerdings schränkten die folgenden Sätze diese generelle Freiheit ein. So konnten die Senate Beförderungsschreiben erlassen und Gutachten über Gesetzgebungsarbeiten vom OAG anfordern. Diese Modi zierungen betrafen jedoch nicht das Verbot, Anordnungen an das Gericht zu richten, aufgrund derer ein bestimmtes Urteil zu fällen oder das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer bestimmten Tatsache festzustellen war¹⁸⁷. Die Weisungsfreiheit wurde durch § 60 OAGO ergänzt, der die Fälle regelte, in denen der Richter kraft Gesetzes von der Rechtsprechung ausgeschlossen war. Im Umkehrschluss lässt sich daraus entnehmen, dass der Richter in seiner Tätigkeit weder behindert noch beschränkt werden durfte, er war in seiner Urteils ndung frei¹⁸⁸. Neben § 60 OAGO, der die Ausschließung eines Richters ex officio regelte bei einem mittelbaren Interesse eines Gerichtsmitgliedes, enthielt die OAGO weitere Regeln, um einen befangenen Richter auszuschließen. So bestimmte § 16 Nr. 2 OAGO, dass bei einer eigenen Betroffenheit eines Rates, die Aktenversendung stattfand. Bei der Aktenversendung entschied das Gericht nicht selbst, sondern verschickte den anhängigen Prozess an ein Spruchkollegium. Das Spruchkollegium bestand aus Mitgliedern einer juristischen Fakultät und bereitete eine Ent-

184 Oestmann, Menschenrechte, S. 57–59. 185 Dazu ausführlich Greb, Verfassung OAG, S. 52–64, der die Weisungsfreiheit, Verantwortungsfreiheit und die Handlungsfreiheit durch die OAGO als gewährleistet ansieht. 186 Zur Entstehung der Vorschrift Greb, Verfassung OAG, S. 52. 187 Greb, Verfassung OAG, S. 52. 188 Greb, Verfassung OAG, S. 57, 54.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

scheidung vor, die das anfragende Gericht den Parteien sodann als Urteil verkündete¹⁸⁹. Zu dem Verhältnis beider Vorschriften, § 60 und § 16 Nr. 2 OAGO, nahm das OAG in einer Entscheidung Stellung. Einige Räte besaßen Aktien eines Unternehmens, das selbst Prozesspartei war. Nun war fraglich, ob daher eine Aktenversendung nach § 16 Nr. 2 OAGO von Amtswegen statt nden musste¹⁹⁰. Im Unterschied zu § 60 Nr. 1 OAGO, der bestimmte, dass ein mittelbares Interesse bereits zum Ausschluss an der Entscheidungs ndung ausreiche, konnte nach Ansicht des OAG § 16 Nr. 2 OAGO, der ja durch die Betroffenheit eines Rates sogar die übrigen von der Entscheidungs ndung ausschließe, nur gemeint sein, dass ein Rat selbst Prozesspartei sei¹⁹¹. Diese einschneidendere Vorschrift, die eine Ausnahme zu dem generellen Verbot der Aktenversendung von Amtswegen nach § 145 OAGO bedeutete¹⁹², legte das OAG damit einschränkend aus. Wunderlich bemerkte in einer Fußnote zu dieser Entscheidung, dass die OAGO lediglich eine Ergänzung zu dem gemeinen Recht darstelle und kein neues Zivilprozessbuch sei¹⁹³. Damit kam dem gemeinem Recht neben den speziellen Vorschriften der OAGO eine weitreichende Bedeutung zu¹⁹⁴. Um eine Entscheidung durch einen sachlich unabhängigen Richter zu gewährleisten, standen der Partei außerdem das Mittel der Nichtigkeitsklage, sowie der Recusation nach gemeinem Recht zur Verfügung. Durch die Recusation konnte eine Partei den Richter ablehnen und von der Entscheidungs ndung ausschließen. Daneben konnte das OAG ex officio ein Mitglied von Relation und Abstimmung ausschließen oder die Aktenversendung anordnen.

b) Rechtsbehelf der Partei nach gemeinem Recht Die Partei, die sich der Gefahr eines willkürlich handelnden Richters ausgesetzt sah, hatte nach gemeinem Recht verschiedene Schutzmöglichkeiten. Die Partei konnte, nachdem das Urteil gefällt war, gegen es vorgehen. Daneben hatte sie die Möglichkeit, während des laufenden Verfahrens den Richter wegen Befangenheit abzulehnen.

189 190 191 192 193 194

Vgl. Oestmann, „Aktenversendung“, in: HRG I, Sp. 128. Wunderlich, Bd. 2, No 428, Gädertz c. Casino (1861), S. 269 ff. Wunderlich, Bd. 2, No 428, Gädertz c. Casino (1861), S. 269, 270. Wunderlich, Bd. 2, No 428, Gädertz c. Casino (1861), S. 269, 273. Wunderlich, Bd. 2, No 428, Gädertz c. Casino (1861), S. 269, 272 Fn 1. Dies verkennt Greb, Verfassung OAG, der sich ausschließlich auf die OAGO-Vorschriften stützt.

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Nach dem Urteilsspruch konnte die unterlegene Partei Schadensersatz von dem befangen urteilenden Richter verlangen oder eine Nichtigkeitsklage erheben. Den Richter auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, setzte voraus, dass dieser wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit ein ungerechtes Urteil gefällt hatte¹⁹⁵. Diese Möglichkeit hat vor dem OAG keine praktische Bedeutung erlangt. Immerhin setzte dieser Anspruch einen nachweisbaren Schaden voraus. Auch wird es schwer gewesen sein, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen. Daneben hatte die Partei die Möglichkeit, Nichtigkeitsklage einzulegen. Da über sie die Senate der freien Städte entschieden, ist sie als Aufsicht über das OAG einzuordnen. Bevor ein Urteil durch einen befangenen Richter gefällt wurde, konnte die Partei präventiv Recusation erheben. Im Gegensatz zur Nichtigkeitsklage verhinderte die Recusation von Beginn des Rechtsstreits an, dass der befangene Richter an der Entscheidungs ndung beteiligt war und stellte nicht erst nachträglich fest, dass das Urteil nichtig war¹⁹⁶. Außerdem entfaltete dieser Rechtsbehelf keinen Devolutiveffekt, da das OAG selbst über die mögliche Befangenheit seiner Mitglieder urteilte. Denn der Antrag auf Recusation einer Partei war notwendig, die Handlung des Richters nicht aus sich heraus nichtig. Die Recusation umfasste weniger schwerwiegende Gründe. Es handelte sich also um einen vorbeugenden Rechtsbehelf, der weitgehend bereits den verdächtigten Richter von der Entscheidungs ndung ausschloss. Über die Einzelheiten der Recusation war man sich indes nicht einig. Strittig war in der gemeinrechtlichen Lehre, unter welchen Bedingungen ein Richter abzulehnen war, wie der Verdacht zu begründen war und wer über die Recusation entschied.

c) Rechtsprechung des OAG zur Recusation Das OAG, das in verschiedenen Fällen darüber zu entscheiden hatte, ob ein Richter befangen war, nahm in allen diesen Punkten im Gegensatz zu vielen Literaturäußerungen eine zurückhaltende Ansicht ein.

aa)

Rechtsprechung zum Perhorrescenzeid

Zunächst wurde in der Literatur vertreten, dass eine Recusation ohne Angabe jeglicher Gründe möglich sein sollte. Lediglich der Perhorrescenzeid, den die Par-

195 Wetzell, System, § 36 in Fn 14, S. 421. 196 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 30, S. 97.

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tei leistete, sollte ausreichen, den Richter von der Entscheidungs ndung auszuschließen. Damit setzte sich das OAG sehr differenziert auseinander. Im Rechtsstreit zwischen Jürgensen und Körner¹⁹⁷ entschied das Kollegium des OAG 1827 selbst über die mögliche Befangenheit zweier Räte, nämlich von Hach und Overbeck. Der Querulant, also Beschwerdeführer, Johann Christian Jürgensen hatte während des vor dem OAG anhängigen Verfahrens (er hatte Nichtigkeitsbeschwerde, eventualiter Appellation eingelegt), den Antrag gestellt, die beiden genannten Räte von der Verhandlung und Entscheidung der gegenwärtigen Sache auszuschließen. Das OAG entschied über den Antrag zwei Jahre, bevor es das Endurteil sprach¹⁹⁸. Jürgensen trug vor, dass die OAG-Räte als Sachverständige im ersten Verfahren mitgewirkt hätten, da sie ein Rechtsgutachten mit unterzeichnet hätten. Um die Befangenheit von Hach und Overbeck zu beweisen, hatte sich der Querulant zum Perhorrescenzeid erboten. Der Perhorrescenzeid war ein Eid eigener Art, nach anderer Ansicht ein Kalumnieneid der Partei, also die eidliche Versicherung, in gutem Glauben zu handeln. Damit konnte man nach umstrittener Auffassung die Befangenheit des Richters bescheinigen¹⁹⁹. Während 1862 die Lübecker Prozessordnung in § 18 ausdrücklich bestimmte, dass die Eideszuschiebung an den Richter als Bescheinigungsmittel unzulässig sei und der Perhorrescenzeid nur als Ergänzungseid zuzulassen sei, war 1827 strittig, ob der Perhorrescenzeid ein zulässiges Bescheinigungsmittel sei. Der Querulant hatte sich lediglich auf diesen Eid berufen, ging also augenscheinlich davon aus, dass seine eidliche Versicherung, dass er den Richtern misstraue, ausreiche, um die beiden Räte als befangen abzulehnen. Gleich zu Beginn des Urteils stellten die Richter klar, dass sie insoweit dem Querulanten nicht uneingeschränkt beip ichteten, und warfen die Frage auf, ob nicht vielmehr ein strenger Beweis nötig sei, um die Befangenheit zu begründen²⁰⁰. Das römische Recht lasse zwar die Recusation unbedingt, sogar ohne Angabe von Gründen zu, allerdings nur für die iudices pedanei oder delegati, für den magistratus hingegen nde gar keine Recusation statt. Die Richter des OAG seien „ohne Zweifel“ aber viel eher mit den magistrati zu vergleichen. Der selbstverständliche Vergleich mit dem magistratus, dem staatlichen Amtsträger der nicht an ein Gesetz gebunden war, sondern aufgrund seiner hier-

197 Bruhn, Sl. 1, No L, Jürgensen c. Körner (1827), S. 215. 198 Das Erkenntnis über die Recusation der OAG-Räte erging am 9. Dezember 1825, das Erkenntnis bezüglich der vorigen Urteile am 23. Februar 1827. 199 Wetzell, System, § 36 Fn 20, S. 422. 200 Bruhn, Sl. 1, No. L, Jürgensen c. Körner (1827), S. 215, 216.

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archischen Bestellung durch den Kaiser Recht sprach²⁰¹, könnte ein Hinweis auf das Selbstverständnis der Räte sein. Es ist davon auszugehen, dass die Richter sich ebenfalls als Staatsbeamte sahen im Gegensatz zu Privatpersonen wie der iudex delegatus. Und wie die Magistrate beschäftigten sie sich meist mit der rechtlichen, nicht der tatsächlichen Prüfung der Sachverhalte²⁰². Nachdem die Richter für das römische Recht herausgearbeitet hatten, dass danach für sie eine Recusation nicht möglich sei, subsumierten sie unter das kanonische Recht²⁰³. Das kanonische Recht lasse die Recusation zu; verlange aber eine Begründung und nötigenfalls deren Beweis. Die „irrige Meinung“, dass alleine der Perhorrescenzeid ausreiche, sei durch die „sonderbare Vermischung des römischen und canonischen Rechts“ entstanden. Diese „sonderbare Vermischung“ kritisierte das OAG, indem es verschiedene Glossatoren wie Martinus, Azo oder Bulgarus übersetzte und darstellte, welche Stellen jeweils weggelassen oder vermischt worden waren. Während Azo den Unterschied zwar noch berücksichtigt habe, jedoch nicht deutlich genug differenziere, hätte Martinus zwei Informationen fälschlich miteinander in Bezug gesetzt. Den Satz, dass auch ein judex ordinarius recusiert werden könne, habe er damit verbunden, dass ein Eid ausreiche, obwohl sich der letztere Satz ursprünglich lediglich auf den judex delegatus erstreckt habe. Die entscheidende Bedeutung kam damit dem antiken römischen Recht zu und nicht dem rezipierten. Um ihre Auslegung der Quellen zu stützen, griffen die Richter hier auf die Entstehungsgeschichte des Irrtums bis auf die Glossatoren zurück. Ihr Ergebnis entsprach allerdings nicht exakt dem römischen Recht, sondern war nur an dieses angelehnt. Denn die Unterscheidung zwischen den Richtertypen gab es in dieser Form nicht mehr. Anschließend argumentierten die Richter gegen die angeblich allgemeine Praxis²⁰⁴, die allein den Perhorrescenzeid fordere. Zwar würde die allgemeine Praxis den Perhorrescenzeid als eigene Gattung des Eides einordnen, doch ob dieser Eid allein ausreiche, sei auch unter gewichtigen Autoritäten umstritten. So sä-

201 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, § 5 II, S. 40; Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 2 Rn. 11, S. 22, § 80 Rn. 10, S. 365: ursprünglich übernahm der König selbst diese Aufgabe, sie waren also dessen Nachfolger im Amt. 202 Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Professor Schermaier. Nach der Zweiteilung des klassischen Formularprozesses prüfte der magistratus (in iure) lediglich, ob eine actio gegeben war, unterstellt der Vortrag des Klägers sei wahr, Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 80 Rn. 11, S. 365. 203 Dazu zitierten die Richter: X 2, 28, 61; X 2, 29, 39; X 2, 2, 10. 204 Die von Quistorp, Beyträge, No XXXIV, S. 520–530; Glück, Pandecten VI, S. 224; Bülow/Hagemann, Erörterungen Bd. 2, No XIX, S. 184–188, behauptet werde.

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hen Mynsinger²⁰⁵ und Leyser²⁰⁶ den Eid als Misstrauen begründend und damit ausreichend an, andere forderten Recusationsgründe, aber den Beweis ließen sie auch durch den Eid zu (so Mevius, neuere, in der Urteilsveröffentlichung durch eine andere Schrift gekennzeichnet: Grolmann²⁰⁷, Danz²⁰⁸, Claproth²⁰⁹, Gönner²¹⁰, Martin²¹¹), eine dritte Meinungsgruppe lasse den Perhorrescenzeid nur als Erfüllungseid²¹² zu. Obwohl die lübeckische Praxis möglicherweise den Eid als ausreichend ansehe, käme es darauf nicht an, da jedenfalls dem OAG eine solche Praxis fremd sei²¹³. Die Vorschriften der OAGO zogen die Richter in dieser Rechtsfrage gar nicht heran, sondern lösten den Fall ausschließlich nach gemeinem Recht. Die Richter wählten selbstbewusst einen neuen, eigenen Weg zur Lösung. Sie verlangten Recusationsgründe, die nicht allein durch den Perhorrescenzeid belegt werden konnten, sondern eines anderen Beweismittels bedurften. Weder die bisherige lübeckische Praxis sahen sie als für ihre Entscheidung bindend an, noch hielten sie streng an den bisherigen Lehrmeinungen fest. Die eigene ausführliche Quellenanalyse der römischen und kanonischen Vorschriften sowie die kurze Darstellung ihrer Rezeptionsgeschichte gab den Richtern genügend Material,

205 Joachim Mynsinger von Frundeck (1514–1588) begründete mit der Edition einer Entscheidungssammlung des Reichskammergerichts die sog. Kameralistik, vgl. Otto, in: Juristen, S. 449, 450; Schumann, Braunschweigisches Jahrbuch 64 (1983), S. 25–39. 206 Augustin Leyser (1683–1752) arbeitete mehrere tausend Urteile und Sprüche aus, war am Naturrecht orientiert und auf praktische Verwertbarkeit ausgerichtet, gilt als Muster eines aufgeklärten Juristen des 18. Jahrhunderts, vgl. Luig, in: Juristen, S. 377, 378; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/1, S. 206–213. 207 Karl Ludwig Wilhelm von Grolmann (1775–1829), Professor und OAG-Rat in Gießen, Staatsminister in Darmstadt, seine zivilprozessualen Arbeiten lehnten sich stark an Gönner an, vgl. Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Noten, S. 70. 208 Wilhelm August Friedrich Danz (1764–1803), Professor, Hofgerichtsassessor und Regierungsrat in Stuttgart, zu ihm: Stintzing/Landsberg, Geschichte III/1, S. 453, 454. 209 Justus Claproth (1715–1805), Professor in Göttingen, die OAG-Richter zitierten sein Hauptwerk „Einleitung in den ordentlichen bürgerlichen Proceß“, zu ihm: Muther, ADB Bd. 4, S. 274; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/1, S. 407–411. 210 Nikolaus addäus von Gönner (1764–1827) systematisierte das gemeine Prozessrecht, zu dessen bayrischen Gesetzesentwürfen für den Zivilprozess: Ahrens, Prozessreform, S. 496–501; Nörr, Iudicium, S. 155: Mit Grolmann und Gönner habe die Natur- oder Vernunftrechtsperiode ihren abschließenden Höhepunkt erhalten; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 147–160 und Noten, S. 73–78. 211 Nörr, Iudicium, S. 156, bezeichnet Martin als den führenden Lehrbuchliteraten des ersten Jahrhundertviertels, der Ergebnisse des Naturrechts übernommen habe, obwohl er selbst in der Tradition der gemeinrechtlichen Fachliteratur stehe. Er habe sich intensiv dem Quellenmaterial zugewandt, noch nicht in der Art der historischen Rechtsschule. 212 Der Erfüllungseid konnte bei gewissen, bereits erbrachtem Beweisanteil den Beweis komplettieren, näher dazu unten: Zweiter Hauptteil B. II. 4. c) aa). 213 Bruhn, Sl. 1, No. L, Jürgensen c. Körner ( 1827), S. 215, 220.

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einen eigenen Lösungsansatz zu entwickeln. Diese Praxis zeigte neben hervorragenden Quellen- und Literaturkenntnissen den wissenschaftlichen Anspruch, mit dem die Richter den Einzelfall lösten. Die Praxis verstand sich als Gegenstück zur Rechtslehre. Sie folgten nicht mehr einer herrschenden Lehre, sondern wählten frei ihren eigenen Lösungsansatz, indem sie sich auf antike Quellen stützten. Die Richter betrieben hier nicht nur fallentscheidende Rechtsanwendung²¹⁴, sondern regelrechte wissenschaftliche Rechtsanalyse. Die Rechtsprechung entsprach hier Savignys Idealismus, Richterrolle und Wissenschaftsrolle zu verbinden²¹⁵, um zu wahrer Rechtserkenntnis zu gelangen. Diese Rechtsprechung, die dem Perhorrescenzeid nur ergänzende Wirkung zuschrieb und ihn allein keineswegs als ausreichend ansah, verfestigte das OAG in verschiedenen Entscheidungen²¹⁶. eoretisch untermauerte Cropp in seinen und Heises Abhandlungen diese Rechtsprechung²¹⁷. Noch ausführlicher als in einem Urteil möglich, ging er auf die historischen Grundlagen und Entwicklungen ein, stellte aber ebenfalls den Unterschied im römischen Recht zwischen ordentlichem und delegiertem Richter heraus²¹⁸. Insofern stellte sich die Abhandlung als wissenschaftlich fundiertes Urteil dar oder, anders ausgedrückt, das Urteil als kleinere wissenschaftlichere Abhandlung mit Fallbezug. Der praktische Fall war die Grundlage für die Abhandlung. Cropp referierte zusätzlich eine vierte Meinung, die den Perhorrescenzeid gar nicht zulassen wollte. So hätten mehrere Landesgesetze diesen Eid gänzlich abgeschafft, wie die badische und preußische Gerichtsordnung²¹⁹. Er schloss sich der ebenfalls in dem dargestellten Urteil vertretenen Meinung an, die den Perhorrescenzeid nur als Erfüllungseid zulassen wollte. Er wählte damit einen Kompromiss und maß dem Perhorrescenzeid noch immer eine geringe Bedeutung bei. Mit dieser Meinung des OAG, das durch die Abhandlung des Richters Cropp einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, etablierte sich eine eigene neue Auf-

214 Rückert, Fälle und Fallen, S. 19, unterscheidet verschiedene Methodenansätze: fallentscheidende Rechtsanwendung, wissenschaftliche Rechtsanalyse und rechtskritische Behandlung des Rechts. 215 Dazu Rückert, Fälle und Fallen, S. 20. 216 In den Hamburger Sachen: Schmid c. Schuhmacheramt (1827); Becker c. Wurmb. (1828), vgl. Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 73 Fn 41; auch noch Jahrzehnte später, 1869, behielt das OAG seine Rechtsprechung bei, vgl. folgenden Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 5, No 14, Isram (1869), S. 92–97; No 92, S. 589–590. 217 Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 48 ff. 218 Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 49–64. 219 Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 67 Fn 35.

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fassung, unter welchen Voraussetzungen die Recusation zulässig war. Wetzell²²⁰ nahm in seinem Standardwerk zum gemeinen Zivilprozess auf die Ansicht des OAG Bezug²²¹, ebenso Strippelmann²²², der ausführlich der Meinung des OAG, die er als Cropps Auffassung darstellte, einige Seiten in seinem dreibändigen Buch „Der Gerichts-Eid“ widmete²²³. 1868 schrieb Wilhelm Endemann in seinem Lehrbuch „Zivilprozeßrecht“ bereits, dass die Kontroverse um den Perhorrescenzeid, dieses „unsichere und klägliche Institut“, „zu den Todten gelegt werden“ könne²²⁴. Die Kontroverse um den Perhorrescenzeid zeigt möglicherweise, dass der Eid generell als bedingte Selbstver uchung an Bedeutung verlor²²⁵. Bereits 30 Jahre ehe die lübeckische Prozessordnung den Perhorrescenzeid nur noch die Funktion eines Erfüllungseides zuwies, hatten die OAG-Richter dies bereits entwickelt. Insofern zementierte die Gesetzgebung nur noch die Rechtsprechung des OAG.

bb) Mögliche Recusationsgründe Zu der Frage, welche Gründe die Besorgnis der Befangenheit eines Richters rechtfertigten, wurden ebenfalls verschiedene Ansätze vertreten. Die Diskussion war aber weit weniger hitzig. Anhaltspunkte könne die Unfähigkeit, als Zeuge auszusagen, bieten²²⁶. Cropp wandte jedoch ein, dass die Fähigkeit, als Zeuge auszusagen, eine Ermessensentscheidung des Richters sei und deswegen wenig Anhalt für einen Recusationsgrund liefere²²⁷. Cropp wollte die Recusationsgründe offensichtlich nicht allein dem richterlichen Ermessen überlassen. Im Hinblick auf das Vorliegen eines Recusationsgrundes stellte Cropp nur vage fest, dass „jeder Umstand, welcher eine Abgeneigtheit des Richters für diese Partei oder eine zu günstige Gesinnung desselben für die Gegenpartei hervorzubringen droht“, die Recusation

220 Georg Wilhelm Wetzell (1815–1890), Professor in Marburg und Rostock, später schweriner Innenminister, Schüler Puchtas, sein Lebenswerk „System des ordentlichen Civilprocesses“ ist eine hoch gelobte Gesamtdarstellung des gemeinen Prozesses, vgl. Oetker, ADB Bd. 55, S. 61–63; laut Nörr, Iudicium, S. 162, sind erst bei Wetzell Entwicklungsgeschichte und System verwoben, dagegen gaben die früheren Lehrbücher zum Zivilprozess von Linde oder Bayer der Entwicklungsgeschichte nur begrenzten Raum. 221 Wetzell, System, § 36 Fn 20, S. 423. 222 Friedrich Georg Lebrecht Strippelmann, forschte zum Beweis und gab Mitte des 19. Jahrhunderts Entscheidungen des OAG Kassel heraus. 223 Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. 470, 471. 224 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 30 Fn 26, S. 100. 225 Zu verschiedenen prozessualen Eiden, unten unter Eid: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) ee). 226 Dies vertrat auch Martin, Lehrbuch, § 59, S. 103. 227 Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 75.

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rechtfertige. Auch bei anderen Rechtsgelehrten lassen sich keine expliziten Gründe für die Recusation nden. Wetzell meinte, es sei unmöglich, die einzelnen Umstände, die zur Recusation berechtigen, aufzuzählen²²⁸. Endemann betonte, dass Recusationsgründe solche sind, auf welche die Partei verzichten kann, im Gegensatz zu Gründen, die den Richter ex officio ausschließen²²⁹. Als Beispiele nannte er die entferntere Verwandtschaft zu einer Partei oder zu dem Anwalt oder geringere Freundschaft oder Feindschaft zu derselben²³⁰. Dies war eine recht weite Subsumtionsgrundlage. Der Phantasie der Partei, ihren Richter für befangen zu halten, waren damit keine kasuistischen Grenzen gesetzt. Die Partei konnte also als Recusationsgrund zahlreiche Tatsachen vortragen. Hätte nun allein ein Parteieid ausgereicht, um diese zu beweisen, hätte die Partei einen großen Spielraum gehabt, unliebsame Richter loszuwerden. Indem das OAG darauf bestand, dass die Behauptungen zu beweisen waren und zwar nicht allein durch einen Parteieid, stärkte es das Ermessen des Richters. Zumindest mussten beweisbare Tatsachen der Recusation zugrunde liegen. Auf den Perhorrescenzeid allein wollten sich die Richter nicht verlassen. Das OAG erarbeitete anhand vieler Fälle, die sich allerdings mehrheitlich auf die Recusation unterinstanzlicher Richter bezogen, eine Kasuistik zu möglichen Recusationsgründen. 1864 wandte sich der Beschwerdeführer Priest gegen die Besetzung des OG²³¹. Die OG-Mitglieder schienen vollständig als Gesellschaftsdirektoren oder jedenfalls als Aktionäre mit der beklagten Neuen St. PetersburgLübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft verbunden zu sein. Bei den Gesellschaftsdirektoren nahm das OAG einen Recusationsgrund an. Die Unfähigkeit ergebe sich hier bereits aus dem Gesetz²³². Zwar lege § 31 No 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 17. Dezember 1860 ²³³ nur ausdrücklich fest, dass Verwandte, die Vormünder der Partei seien, von der Entscheidungs ndung ausgeschlossen sein sollten. Die Direktoren einer Aktiengesellschaft hätten aber die Stellung eines Parteivormundes. Zum einen belegten die Richter dies anhand zahlreicher Vorschriften des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches²³⁴, das bevor es 1871

228 Wetzell, System, § 36 Fn 21, S. 423; Linde sagte in seinem Lehrbuch Zivilprozeß dazu nichts. 229 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 30, S. 97 Fn 4. 230 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 28, S. 93. 231 AHL OAG L I 521 Priest c. Neue St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1864). 232 AHL OAG L I 521 Priest c. Neue St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1864) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 2. 233 Abgedruckt in Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 27 (1860), S. 88, 95. 234 Sie zitierten ADHGB Art. 227, 230–232, abgedruckt in: ADHGB, S. 46, 47.

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als reichseinheitliche Kodi kation in Kraft trat, in Lübeck am 1. Mai 1864 aufgrund des Beschlusses der Bundesversammlung von 1861 bereits Wirksamkeit entfaltete²³⁵. Zum anderen zogen sie den „Grund der Vorschrift“ heran, um die Analogie der Direktoren zu den Vormündern zu begründen. Es handle sich in beiden Fällen um den gesetzlich notwendigen Vertreter mit selbständiger Verwaltung und Verantwortung, der an der Sache ein ganz nahe kommendes eigenes Interesse habe²³⁶. Bei den Mitgliedern des OG, die als Aktionäre an der Gesellschaft beteiligt seien, liege hingegen kein Recusationsgrund vor. Der Beschwerdeführer hatte sich, um einen Ausschluss zu erreichen auf § 15 der lübeckischen CPO gestützt. Die Richter betonten aber, dass diese neuere Vorschrift keine Abänderung der gemeinrechtlichen Grundlagen für die Recusation bedeute²³⁷. Vielmehr gelte nach wie vor, dass der Umstand, der einen glaubhaften Grund für die Befangenheit des Richters besorge²³⁸, dargelegt werden müsse; eine reine Sorge, dass das Vertrauen in die Unparteilichkeit geschwächt sein könne, reiche hingegen nicht. Dass eine Aktionärsstellung nicht ausreiche, hatten die Richter zuvor mit verschiedenen Argumenten nahegelegt. So müsse es auf die „Größe oder Geringfügigkeit des pecuniären Interesses“ ankommen; die Aktionäre könnten täglich wechseln und dem Kläger unbekannt sein, außerdem könne der sich nur an das Gesellschaftsvermögen halten; der Aktionär habe nur ein mittelbares Interesse an Gewinn und Verlust der Gesellschaft²³⁹. Trotz dieser eingehenden Ausführungen, ob ein Aktionär generell ausgeschlossen sei, komme es im vorliegenden Fall auf solche Erwägungen gar nicht an. Hier hatte der Appellant nämlich lediglich eine Kaution eingeklagt, diese könne aber nie die Aktionärsstellung berühren, da sie nicht dauerhaft verloren ginge²⁴⁰. Die generellen Erwägungen kamen in der Entscheidung also letztendlich nicht zum Tragen. Dennoch gingen die Richter zunächst von den allgemeinen Ausführungen zum Recusationsgrundbei Aktionären aus. Obwohl die Richter mit einem hohen Argumentationsaufwand die Befangenheit von Aktionären abgelehnt hat-

235 Hahn, ADHGB, Einführung § 14, S. L. 236 AHL OAG L I 521 Priest c. Neue St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1864) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 4. 237 AHL OAG L I 521 Priest c. Neue St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1864) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 8. 238 Diese Wortwahl „Besorgnis der Befangenheit“ entspricht der heutigen ZPO, § 42. 239 AHL OAG L I 521 Priest c. Neue St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1864) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 6–8. 240 AHL OAG L I 521 Priest c. Neue St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1864) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 10.

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ten, kamen diese Gründe in dem konkreten Fall gar nicht zum Tragen. Hier zeigt sich, dass die Richter möglichst versuchten, einen Fall abstrakt generell zu lösen. Außerdem betonten die Richter die Kontinuität der Rechtsanwendung. Obwohl die lübeckische CPO von 1862 mittlerweile eine Vorschrift zur Recusation erlassen hatte, griffen die Richter auf die tragfähigen, vernünftigen Grundsätze, die sie noch zum gemeinen Recht entwickelt hatten, zurück. Die neuere Vorschrift sollte die Recusationsgründe nicht ändern, sondern nur bestätigen. Noch in der heutigen ZPO in § 42 unterscheidet das Gesetz, genau wie die OAG-Richter, zwischen gesetzlichen Unfähigkeitsgründen und der Besorgnis der Befangenheit. Nicht nur die Aufsplittung zwischen gesetzlichen und sonstigen Gründen, wie sie anhand der Direktoren bzw. der Aktionäre einschlägig waren, ist gleich, sondern auch die Wortwahl „Besorgnis der Befangenheit“. In einer späten Entscheidung von 1877 fasste das OAG diese jahrzehntelange, kontinuierliche Rechtsprechung in einem Satz zusammen: „Einem Richter, welcher über eine Rechtsfrage, worüber sich schon früher in einem der recusirenden Partei ungünstigen Sinne ausgesprochen hat, oder auch über die Rechtmäßigkeit einer von ihm selbst in früherer administrativer ätigkeit vollzogenen Handlungen entscheiden soll, deshalb in der Regel noch nicht das Vertrauen in seine Unpartheilichkeit und in die p ichtmäßige Würdigung der ihm vorgeführten Rechtsgründe versagt werden darf,²⁴¹ besondere Umstände aber“ eine Ausnahme begründen könnten²⁴². Damit hatten die OAG-Richter hohe Anforderungen formuliert. Der Satz ist zum einen ein Beispiel für die Kontinuität der Rechtsprechung des OAG, zum anderen dafür, dass die allgemeine Formulierung Abstraktionen vom konkreten Fall ermöglichte und damit die Basis für wiederkehrende, einprägsame Sätze schuf. In dem Rechtsstreit Körner gegen Jürgensen, in dem entschieden wurde, dass der Perhorrescenzeid nur als Erfüllungseid Bedeutung erlangte, behandelten die Richter ebenfalls die gerichtliche Zuständigkeit für die Recusation. Die Recusation hatte keinen Devolutiveffekt, dennoch entschied der recusierte Richter nicht selbst über seine eigene Recusation, sondern bei einem Kollegium die restlichen Richter, bei einem Einzelrichter der instanzlich nächst höhere²⁴³. Das OAG problematisierte, dass die an dem Gutachten beteiligten Richter indirekt über die eigene Befangenheit urteilten, was § 24 der provisorischen OAGO ²⁴⁴ (=§ 60 der

241 Dazu zitierten die Richter bereits ergangene Präjudizien: vgl. Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 76–78. 242 AHL OAG L I 677 Pitzschki & Co und W. Jordan, als Kapitän des Schiffes „Marschall“ c. Finanz-Department Lübeck (1877) Q 16 Urtheil. 243 Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 78. 244 Danach durfte ein Rat nicht bei der Entscheidung zugegen sein, die ihn selbst betraf, Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 3, No 37, S. 146, 165.

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endgültigen) entgegenstünde. Denn die Entscheidung, ob die Richter des Niedergerichts²⁴⁵ als befangen anzusehen seien, sei indirekt eine Entscheidung, ob die an dem Gutachten beteiligten OAG-Räte befangen seien. Entscheide das OAG jetzt über die Befangenheit der Niederrichter, stelle es damit ein Präjudiz auf, „durch welches das OAG, wenn es gleich nicht gerade unbedingt dabei stehen zu bleiben genöthigt wäre, sich doch ohne Zweifel auf gewisse Weise gebunden nden würde“²⁴⁶. Dass ein Richter mittelbar über seine eigene Befangenheit urteile, stehe aber schon dem kanonischen Recht²⁴⁷ entgegen sowie erst recht § 24 der provisorischen OAGO. Die Bestimmung der OAGO schließe den Rat bereits bei einem mittelbaren Interesse von der Anwesenheit bei Relation und Abstimmung aus. Mit dieser Begründung schloss das OAG die recusierten Räte von der Entscheidungs ndung doch aus. Die Richter nahmen hier nicht ausschließlich auf eine Rechtsquelle Bezug, sondern stellten, nachdem sie nach kanonischem Recht bereits ein Ergebnis gefunden hatten, dennoch auf die partikulare Rechtsvorschrift ab, die das gefundene Ergebnis nur noch bestätigte. Ein ähnliches Vorgehen ndet sich in dem Erkenntnis zwischen Jürgensen und Körner, das sich auf die Recusation der Niederrichter bezog. Wenn nur ein Prokurator des Niedergerichts als unbefangen übrig bleibe, dürfe dieser nicht selbst in der Sache entscheiden, urteilte das OAG. Zwar enthalte die Niedergerichtsordnung dazu keine genaue Bestimmung, allerdings deute eine Vorschrift darauf hin, dass neben mehreren Urteils ndern die Autorität der Vorsitzenden notwendig sei. Diese Auslegung der Niedergerichtsordnung entlehnten die Richter der „Natur der Alt-Deutschen Gerichtsverfassung überhaupt, aus welcher die des hiesigen Niedergerichts sich entwickelt hat“²⁴⁸. Auch hier war die ältere Rechtsquelle gegenüber der neueren partikularrechtlichen Norm für die Auslegung ausschlaggebend.

2.

Persönliche Unabhängigkeit

Die persönliche Unabhängigkeit, welche die sachliche stützt, gewährte die OAGO durch verschiedene Bestimmungen²⁴⁹. Die Räte wurden auf Lebenszeit ernannt, was sich mittelbar aus § 15 OAGO ergab, der bestimmte, dass die Stellung der Räte nur durch „Urtheil und Recht“ genommen werden konnte. Sie waren also

245 Das Niedergericht war das erstinstanzliche Gericht. Zum Verfahrenszug in Lübeck im 19. Jahrhundert: Landwehr, ZVLGA 60 (1980), S. 21, 38 ff. 246 Bruhn, Sl. 1, No L, Jürgensen c. Körner (1827), S. 215, 222. 247 Hier zitierten die Richter wiederum X 2, 28, 61. 248 Bruhn, Sl. 1, No L, Jürgensen c. Körner (1827), S. 224, 226. 249 Ausführlich dazu Greb, Verfassung OAG, S. 64–75.

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unabsetzbar. Die OAGO war insoweit sehr fortschrittlich. Kern stellt demgegenüber dar, dass sich die persönliche Unabhängigkeit erst im Lauf der Revolution von 1848 durchsetzen konnte²⁵⁰. Wirtschaftlich wurde der Rat durch einen Gehalts- und Pensionsanspruch abgesichert. Die Höhe des Gehalts war so bemessen, dass der Lebensunterhalt einer Familie gut bestritten werden konnte²⁵¹. Ein Nebenamt, insbesondere Advokaturgeschäfte, waren ihm verboten²⁵², so dass die Räte ausschließlich dem Gericht verp ichtet waren. Die Räte erlangten das Bürgerrecht aller vier freien Städte²⁵³, als besondere Ehrbezeugung²⁵⁴ waren sie jedoch von den Steuern jeder Stadt befreit.

III. Aufsicht Die richterliche Unabhängigkeit stand in einem Wechselwirkungsverhältnis zur Aufsicht über das Gericht. § 29 OAGO garantierte wie oben ausgeführt die Weisungsfreiheit der Räte, jedoch ergab sich aus § 33 OAGO, dass eine Visitationskommission das Gericht überwachte und aus §§ 26 ff. OAGO, dass der Direktorialsenat die Aufsicht innehatte. Die Senate der Städte bildeten die Visitationskommission sowie den Direktorialsenat, so dass die Aufsicht auf die vier freien Städte zurückging. Eine umfangreiche Aufsicht schränkt die Unabhängigkeit der Räte weiter ein. Entscheidend ist also Umfang und Ausgestaltung der Aufsicht.

1. Direktorialsenat Der Direktorialsenat war einer der Senate der vier freien Städte, der jährlich wechselte²⁵⁵. Die Aufsicht des Direktorialsenats über das OAG umfasste nach § 26 OAGO die öffentlichen Verhältnisse und den Geschäftsgang. Die öffentlichen Verhältnisse meinte im Wesentlichen Dienstanstellungs-, Disziplinar- und Unterhaltssachen²⁵⁶. Beispielsweise ndet sich in mehreren Gerichtsakten der Hinweis, dass Anzeige an den Direktorialsenat gemacht werde gem. §§ 59, 56 OAGO,

250 251 252 253 254 255 256

Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 58. Greb, Verfassung OAG, S. 75. § 12 OAGO. § 14 OAGO. Greb, Verfassung OAG, S. 68. § 26 OAGO. Greb, Verfassung OAG, S. 27.

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dass nicht genügend Mitglieder an der Urteilsabstimmung beteiligt gewesen seien²⁵⁷. Der Geschäftsgang bezog sich auf die erledigten bzw. liegen gebliebenen Rechtsstreitigkeiten. Somit erstreckte sich die Aufsicht über das Gericht auf die Justizverwaltung, judikative Aufgaben berührte die Aufsicht nicht²⁵⁸. Weisungen oder ähnliches bezüglich einzelner Rechtsstreitigkeiten durfte der Direktorialsenat den Räten unter keinen Umständen erteilen, so dass die Weisungsfreiheit, die § 26 OAGO garantierte, nicht unterlaufen wurde.

2.

Visitationskommission

Die Visitationskommission setzte sich aus Mitgliedern der vier Senate zusammen unter dem Vorsitz des Abgeordneten des Direktorialsenats²⁵⁹. Eine Visitation des Gerichts war gem. § 33 OAGO alle vier Jahre vorgesehen, fand ab 1860 aber gar nicht mehr statt, da kein Anlass für sie gesehen wurde²⁶⁰. Die Visitation bezog sich in erster Linie ebenfalls auf den Geschäftsgang des Gerichts. Insbesondere überprüfte sie Sitzungsprotokolle, sowie Relationen und Korrelationen²⁶¹ der Räte, Urteile, Entscheidungsgründe und unerledigte Sachen. Außerdem sah die Visitationskommission das Kanzlei-, Registratur-, Archiv-, Stempel- und Rechnungswesen durch sowie die Bibliothek²⁶². Auch hier wurde nicht in laufende Verfahren eingegriffen. Zudem wurden die Visitationen restriktiv gehandhabt. Eine Einschränkung der sachlichen Unabhängigkeit der Richter bestand insoweit nicht.

3.

Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des OAG

Die Aufsicht durch die Städte, die sich lediglich auf die Justizverwaltung bezog, begründete also keine Gefährdung der Unabhängigkeit. Die Senate konnten jedoch, sofern eine Partei Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hatte, gegen Urteile des OAG vorgehen und die Entscheidung materiell abändern. Auf diese Weise grif-

257 So beispielsweise in AHL OAG L I 669 Riessen c. Konkursverwalter des Boy (1876) Q 19 Schreiben an den hohen Direktorialsenat: die Räte Pauli und Zimmermann be nden sich außer amtlicher Tätigkeit, OAG-Rat Dr. Wunderlich sei im Urlaub; AHL OAG L I 685 Binder c. Binder (1877) Q 12 Schreiben an den hohen Direktorialsenat: Wunderlich beurlaubt und Kierulff verreist. 258 So Kusserow, OAG Handelsrecht, S. 66; Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 69 259 § 33 OAGO. 260 Greb, Verfassung OAG, S. 30. 261 Relation und Korrelation bereiteten das Urteil vor, vgl. dazu unten unter Verfahrensablauf: Erster Hauptteil C. III. 7. 262 Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 71.

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fen die Senate, die legislative und exekutive Funktionen ausübten²⁶³, hier in die Judikative des OAG ein. Gem. § 174 OAGO war die Nichtigkeitsbeschwerde durch den Beschwerten gegen das OAG statthaft. Über diese entschied der Direktorialsenat. Das OAG selbst bezeichnete diesen Verfahrensgang als „unerträgliche Einmischung der Staatsgewalt in Justizsachen“²⁶⁴. Die Mitglieder des OAG bemängelten damit die unzureichende Gewaltenteilung. Eine Nichtigkeitsbeschwerde war allerdings nur statthaft bei wesentlichen Mängeln des Verfahrens, also bei solchen, die sich auf das Gericht, die Parteien oder auf das gerichtliche Verfahren bezogen²⁶⁵. Außerdem sah § 176 OAGO vor, dass eine Entscheidung des Direktorialsenats erst nach Einholung einer Stellungnahme einer juristischen Fakultät erfolgen konnte. Inwieweit der Senat an diese Stellungnahme gebunden war, ist aus der OAGO jedoch nicht ersichtlich. Durch die Nichtigkeitsbeschwerde erfolgte also auch eine Überprüfung in materieller Hinsicht durch die Senate, die allerdings auf wesentliche Mängel beschränkt war. Eine Vermischung zwischen Judikative und Exekutive, wobei die Senate als umfassende Gewalt auch legislatorische Aufgaben wahrnahmen²⁶⁶, war auch dadurch gegeben, dass die Obergerichte, deren Urteile das OAG überprüfte, bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts mit Senatoren besetzt waren. Neben der Vermischung von Judikative und Exekutive, war das Verhältnis zwischen OAG und dem Senat der Stadt nicht eindeutig abgegrenzt. Zwar bestand eine instanzenmäßige Unterordnung der Senate, die aber durchbrochen wurde durch die Überordnung im Hinblick auf die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des OAG. Daneben waren die Senate durch die Aufsicht dem OAG übergeordnet. Diese Vermischung beruhte auf den vielfältigen Aufgaben, welche die Senate wahrnahmen. Die Errichtung eines OAG, das mit Berufsrichtern besetzt war, die neben ihren Aufgaben als Richter keine Ämter ausführen durften, war dagegen ein erster Schritt zur Gewaltentrennung, der durch die Institution Senat nicht konsequent durchgeführt wurde.

263 Für Lübeck: Krause, Lübecker Gerichtsverfassung, S. 399; für Bremen: Kähler, Französisches Zivilrecht, S. 282; für Hamburg: Kähler, Französisches Zivilrecht, S. 291, trotz vorangegangener heftiger Forderungen, die Trennung von Verwaltung und Justiz einzuführen. 264 Bericht des OAG vom 13.12.1822, Direkt.-Archiv I B 3 Fasz. 9 Anl. A., zitiert nach: Greb, Verfassung OAG, S. 35. 265 Greb, Verfassung OAG, S. 36. 266 Schroeder, „Rat, Ratsgerichtsbarkeit“, in: HRG IV, Sp. 156.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

IV. Selbstverständnis der Richter Über das Selbstverständnis der Richter und ihre Beziehung zur Gesetzgebung gibt eine Passage eines Urteils des OAG Aufschluss. Arnold Feldmann, der Schwiegersohn des damaligen Lübecker Bürgermeisters Tresdorpf²⁶⁷, hatte gegen das Finanzdepartement der Stadt geklagt und Herausgabe von Zinsen aus einer erzwungenen Anleihe verlangt²⁶⁸. Die „gezwungene Anleihe“ war folgendermaßen zustande gekommen. Er hatte das Geld bereits vor der französischen Besatzung angelegt gehabt mit einem „ordentlichen Zinsversprechen“ seitens der Bank. Nach der französischen Besatzung hatte der Senat aus Geldmangel einen Gesetzesbeschluss gefasst, wonach die Auskehr des Zinsgewinns auf 1 % beschränkt war. Feldmann hielt das Gesetz für rechtswidrig und verlangte eine höhere Auszahlung. Das Finanzdepartement verweigerte bereits die Einlassung vor Gericht, weil es das Gericht für unzuständig erachtete, die Klage richte sich nämlich eigentlich gegen den Ratsbeschluss. Seine Klage wurde abgewiesen, ebenso die Appellation vor dem OG. Dagegen wandte sich Feldmanns Appellation vor dem OAG. Diese blieb jedoch erfolglos. Die OAG-Richter bestätigten, dass die richterliche Befugnis sich nicht auf Maßregeln von Gesetzgebung und Regierung erstrecke. Diese Beschränkung führten die Richter auf die allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätze zurück, namentlich dem Notrecht des Staates, dem ius eminens. „Denn es steht dem Richter über die innere Rechtmäßigkeit einer von der gesetzgebenden Gewalt im Staate ausgegangenen Verfügung überall kein Urtheil zu, sondern wenn ihm ein in der gehörigen Form erlassenes unter Beobachtung der verfassungsmäßigen Erfordernisse abgegebenes, genügend publicirtes Gesetz vorliegt, so hat er solches zur Anwendung zu bringen, ohne Rücksicht auf die Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit desselben, weil die formelle Gültigkeit des Gesetzes für ihn davon unabhängig ist, wie sich schon daraus ergiebt, daß der Richter nicht über, sondern unter dem Gesetz steht.“²⁶⁹ Mit dieser scheinbar sehr zurückhaltenden Stellungnahme trafen die Richter gleichzei-

267 Bruhn, Sl. 2, No XVIII, Feldmann c. Finanz-Departement (1837), S. 144–153 (145); es ist unklar, um welchen Bürgermeister Tresdorpf es sich hier handelte. Zwei kommen in Betracht: Johann Matthäus Tresdorpf (1749–1824) wurde 1811 als Maire der Stadt Lübeck ernannt, vgl. Fehling, Lübeckische Ratslinie, S. 2; Guttkuhn, Geschichte der Juden, S. 79, 82; Peter Hinrich Tresdorpf (1751–1832) wurde 1827 zum Bürgermeister gewählt, vgl. Fehling, Lübeckische Ratslinie, S. 4; Pelc, „Tresdorpf“, in: Lübecker Lebensläufe, S. 398, 399. Die Ehefrau Catharina von Carl Anton Buchholz, eines erfolgreichen Lübecker Sachwalters, der sich für die Belange der Juden einsetzte und häu g Prozessparteien vor dem OAG beriet, war eine geborene Tresdorpf, vgl. Guttkuhn, Geschichte der Juden, S. 95 Fn 156. 268 Bruhn, Sl. 1, No XVII, Feldmann c. Finanz-Departement (1835), S. 134–144. 269 Bruhn, Sl. 1, No XVII, Feldmann c. Finanz-Departement (1835), S. 134, 142.

B. Gerichtsverfassung des OAG

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tig eine Aussage darüber, in welcher Hinsicht sie eine Prüfungskompetenz hatten, nämlich in jeglicher formeller Hinsicht. Obwohl sie sich selbst ein materielles Prüfungsrecht absprachen, stellten die Richter klar, dass der Staat „im Falle dringender Noth und zum öffentlichen Besten“, in die Rechte Einzelner eingreifen dürfe. Dies begründeten sie mit einer Parallele zum JRA von 1654 §§ 170–173. Auch nach dem 30jährigen Krieg habe der Staat die Zinsenlast der Schuldner auf ¼ reduziert. Der vorliegende Fall unterscheide sich jedoch in einem Punkt wesentlich. Hier sei der Staat selbst der sich bevorzugende Schuldner. Dies sei auffallend. Einen anderen Rechtmäßigkeitsschluss oder Prüfungsmaßstab zogen die Richter nach dieser treffenden Feststellung aber nicht heran. Im Folgenden prüften sie noch einen Entschädigungsanspruch gegen den Staat. Dieser müsse jedoch konsequenterweise verneint werden, da das Eingriffsrecht sich gerade daher ableite, dass „die Kräfte des Staats nicht hinreichen, um seinen Verbindlichkeiten Genüge zu leisten“²⁷⁰. Ob die Kräfte tatsächlich nicht ausreichten, unterläge nicht der richterlichen Beurteilung. Äußerst vorsichtig postulierten die OAG-Richter ein rein formelles Prüfungsrecht von Gesetzesbeschlüssen und setzten für den Staat den schuldnerfreundlichen Maßstab, dass er nicht zahlen müsse, soweit er angebe, kein Geld zu haben. Die richterlichen Kompetenzen unterschieden sich nach der eigenen Rechtsprechung deutlich von der gesetzgebenden und konnten diese nur in sehr eingeschränktem Maße kontrollieren. Der Grundsatz, dass der Richter dem Gesetz unterworfen ist, wurde hier extensiv ausgelegt und lediglich mit einem kurzen Seitenhieb gegen den sich selbst privilegierenden Staat angereichert. Die Loyalität der Richter galt dem Gesetzgeber. Allerdings musste hier das Gesetz kaum ausgelegt werden; es handelte sich um ein neues partikulares Gesetz, das eine eindeutige Aussage traf. Die meisten von dem OAG gefällten Urteile konnten hingegen auf ein so eindeutiges Recht nicht zurückgreifen. So spielte die Rechtsermittlung in anderen Prozessen die bedeutende Rolle. Unabhängig von dem Problem der Rechtsermittlung betonten die Richter ihre strikte Bindung an die Gesetze. Die Richter argumentierten hier also mit der Gewaltenteilung. Sie grenzten ab, inwieweit der Rechtsprechung ein Prüfungsrecht im Hinblick auf Gesetze zustehe. Die Gewaltenteilung war ebenso eine Forderung des Liberalismus wie den Bürger in seinen Rechten vor staatlichen Eingriffen zu bewahren²⁷¹. Den Bürger vor einem quasi enteignenden Eingriff des Staates zu schützen musste durch das begrenzte Prüfungsrecht der Richter zurückstehen.

270 Bruhn, Sl. 1, No XVII, Feldmann c. Finanz-Departement (1835), S. 134, 143. 271 Dazu Kern, Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, S. 56–58.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

Noch 1872 hatte sich das OAG mit einem ganz ähnlichen Fall, allerdings aus Bremen, zu befassen²⁷². Hier klagte der Erbe des Geldanlegers auf Zahlung aus Staatsobligationen gegen den Staat Bremen. Infolge der Besatzungszeit und der schweren Finanzlage hatte Bremen jedoch 1816 die Kündbarkeit der Staatsobligationen gesetzlich ausgeschlossen. Das OAG griff hier mehrmals auf die Grundsätze zurück, die es bei Feldmann gegen das Finanzdepartement Lübeck entwickelt hatte. Wieder betonten die Richter die Gewaltenteilung. So binde der „Grundsatz (...), daß die Gesetzgebung wohlerworbene Rechte nicht verletzen dürfe“²⁷³ eben nur die Gesetzgebung selbst. Hätte die Gesetzgebung dennoch ein solches verletzendes Gesetz erlassen, dürfe der Richter dieses Gesetz nicht außer Acht lassen. Der daraus resultierenden Unkontrollierbarkeit der Gesetzgebung fügten die Richter schnell hinzu, dass der Gesetzgeber hier gute Gründe gehabt habe, die Gesamtheit der Gläubiger nur anteilig zu befriedigen. Formell prüften die Richter, ob das Gesetz ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei. Seit 1810 werde in Bremen die obrigkeitlichen Anordnungen nicht mehr von den Kanzeln verkündet, sondern in verschlossenen Kästen an der Kirche angeschlagen. Neben der wichtigen Stellung des Kirchengebäudes für staatliche Gesetze, ist wahrscheinlich, dass ein großer Teil der bremischen Bevölkerung des Lesens mächtig war. Jedenfalls genügte der Anschlag, dass das Gesetz nun allgemein bekannt war. Der Fall Feldmann, obwohl aus Lübeck, wurde an drei verschiedenen Stellen der Entscheidungsgründe zitiert. Teilweise wurden längere Textpassagen abgedruckt. Anders als in den Entscheidungsgründen zu dem früheren Fall argumentierten die Richter im Bremer Beispiel nicht mit historischem Geschehen. Stattdessen wiesen die Richter zusätzlich darauf hin, dass dem Rechtsvorgänger des Klägers damals ein Wahlrecht zugestanden hätte, er also nicht völlig rechtlos gestellt worden sei. Ob sich hier Interessenüberlegungen vor die historische Argumentation gedrängt haben oder ob einfach zu der gesamten bereits in der früheren Entscheidung erfolgten Argumentation neue Aspekte hinzugefügt werden sollten, muss dahinstehen. Möglicherweise hat die Kritik Jherings 1865 gegen den „Cultus des Logischen, der die Jurisprudenz zu einer Mathematik des Rechts hinaufzuschrauben gedenkt“²⁷⁴ die Interessen der Parteien für die Richter stärker in den Vordergrund gerückt.

272 Bremer Fall: Kierulff, Bd. 7, No 25, Krieger c. Bremischen Staat (1872), S. 231–240. 273 Bremer Fall: Kierulff, Bd. 7, No 25, Krieger c. Bremischen Staat (1872), S. 231, 234. 274 Jhering, Geist des römischen Rechts III, § 59, S. 302.

B. Gerichtsverfassung des OAG

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V. Zuständigkeit in Zivilsachen 1.

Appellation

Die Appellation war deutlich das meist gebrauchte Rechtsmittel vor dem OAG²⁷⁵. Die Appellation bildete damit einen Behelf gegen eine Vielzahl von Rechtsverletzungen durch die untere Instanz. Die Appellanten rügten die unrichtige Auslegung von Recht oder die falsche Bewertung von Tatsachen durch die vorige Instanz. Die Appellanten wehrten sich gegen die Erteilung eines Fangzettels²⁷⁶ oder gegen Beweisinterlokute²⁷⁷. Mit der Appellation wurden also höchst unterschiedliche Begehren verfolgt. Als erste Instanz gab es in Lübeck verschiedene Gerichte, in zweiter Instanz war meist das OG zuständig²⁷⁸. Als dritte Instanz war dagegen in jeder Zivilsache, unabhängig ob zuvor vor der Wette, dem lübeckischen Gericht für Handelsstreitigkeiten oder dem Niedergericht verhandelt worden war, das OAG zuständig. Insoweit stand das OAG an der Spitze der Justizverfassung. Gem. § 34 OAGO wurde das OAG bei Appellationen letztinstanzlich in Zivilsachen tätig gegen Urteile des Obergerichts. Die weitere Ausgestaltung der Zuständigkeit blieb den Städten überlassen. Diese machten, exemplarisch für die Rechtszersplitterung dieser Zeit, sehr unterschiedlich von der eingeräumten Befugnis Gebrauch²⁷⁹. Die Zuständigkeit für Sachen aus Hamburg, Bremen oder Lübeck war an einen Streitwert gebunden, allerdings jeweils an unterschiedlich hohe Streitwerte²⁸⁰. Zudem existierten in den Städten verschiedene Währungen,

275 Durchschnittlich ca. 90 %. In den Lübecker Zivilprozessen von 1820–1830 (ausgewertet AHL OAG L I 1 bis einschließlich L I 122) waren 91,7 % der Rechtsbehelfe Appellationen; von 1845–1855 (ausgewertet AHL OAG L I 265 bis einschließlich L I 370) 85,1% Appellationen; von 1870–1879 (ausgewertet AHL OAG L I 601 bis L I 724) waren 92,7% der Rechtsbehelfe Appellationen. 276 Das Fangzettelverfahren scheint ein Verfahren zur vorläu gen Befriedigung gegen insolvente Schuldner gewesen zu sein. Zum 1. März 1864 wurde dieses „in Lübeck übliche Verfahren“ aufgehoben, vgl. Verordnung vom 13. November 1863 Art. 1 XIII Nr. 2, Lübeckische VO und Bekanntmachungen Bd. 30 (1863), S. 240; Wunderlich, Bd. 1, No 340 A und B, Plitt c. Sillem (1855 und 1857), S. 421–425; siehe daneben auch Wunderlich, Bd. 2, No 449, Witt c. Bernhard & Co. (1862), S. 350–351. 277 Dazu siehe unter Beweisinterlokut: Zweiter Hauptteil B. II. 3. 278 Während bis 1863 die erste Instanz in Zivilsachen zwischen Niedergericht, Landgericht und Wette aufgeteilt war, bildete ab 1863 die erste Instanz das Untergericht, das zwischen Stadt- und Landgericht und Handelsgericht bestand, vgl. Funk, ZRG/GA 27 (1906), S. 61, 65–69 und S. 84–85. 279 Vgl. Hauff, Gerichtsverfassung, S. 232 ff. 280 Ausführlich dazu Greb, Verfassung OAG, S. 92–97; Krause, Lübecker Gerichtsverfassung, S. 386–388.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

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was die Prüfung der Zuständigkeit für die Räte des OAG zusätzlich erschwerte und die Uneinheitlichkeit verdeutlicht. Hamburg schränkte die Kompetenz des OAG zusätzlich ein, indem Urteile der zweiten Instanz, die das erstinstanzliche Urteil bestätigten, bereits in Rechtskraft erwuchsen. Dies bezeichnete man mit duae conformes Prinzip. Dabei handelte es sich um den Grundsatz, dass zwei gleichlautende Entscheidungen rechtskräftig wurden²⁸¹. Damit bewahrte sich Hamburg teilweise die letztinstanzliche Rechtsprechungskompetenz. Die Frankfurter Rechtssachen unterlagen keinerlei Einschränkungen. Dementsprechend stellten die Frankfurter Sachen einen erheblichen Teil der zu entscheidenen Verfahren. Dies verdeutlicht die Effektivität der Appellationsbeschränkung durch eine Appellationssumme oder das duae conformes Prinzip. Neben diesen Zulässigkeitsbeschränkungen war durch das Novenrecht auch der Prüfungsumfang des Appellationsgerichts grundsätzlich auf bereits in erster Instanz beigebrachte Tatsachen beschränkt²⁸². In der Rechtsprechung des OAG existierte eine Fülle von Entscheidungen, die sich mit den Appellationsbeschränkungen auseinander setzten²⁸³. In der Praxis spielten die Beschränkungen also eine erhebliche Rolle.

a)

Rechtsprechung zur Appellationssumme

Die notwendige Appellationssumme stellte den Appellanten oftmals vor hohe Hürden. Jedenfalls beschäftigten sich mit dieser Frage zahlreiche Urteilspassagen. Anhand dieser Abschnitte wird deutlich, wie geschickt die Sachwalter in unterschiedlichen Fallkonstellationen für die Zulässigkeit plädierten. So musste sich das OAG ausführlich mit diesen Argumentationen auseinander setzen²⁸⁴. Eine Appellationssumme verlangte § 36 OAGO nur, wenn keine Unschätzbarkeit vorlag. War der Appellationsgegenstand also unschätzbar, war die Appellation immer zulässig. Die Unschätzbarkeit war damit ein beliebter Anknüpfungspunkt, um zu einer Zulässigkeit zu gelangen. Dies zeigt sich in folgendem Fall von

281 Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 201. 282 Ausführlich dazu unter Beschränkung der Appellation durch neues Vorbringen: Zweiter Hauptteil B. III. 2. 283 Beispielsweise Bruhn, Sl. 2, No XLIV (223A), Möller c. Möller (1837), S. 367, 368 und 369; Wunderlich, Bd. 1, No 268, Klicks c. Köhn (1848), S. 8–12; AHL OAG L I 694 Horstmann c. Inzen (1877) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 1–3. 284 Beispielsweise Bruhn, Sl. 2, No XXXIII, Wildt c. W. (Wilcken) (1839), S. 269–276; Bescheinigung reicht aus: Wunderlich, Bd. 1, No 268, Klicks c. Köhn (1848), S. 8–12.

B. Gerichtsverfassung des OAG

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1873. In einem Erbschaftsstreit zwischen Köhne und Köhne²⁸⁵ wies das OAG die Appellation „mangels gesetzlicher Appellationssumme“ ab. Zunächst stellten die Richter fest, dass „gemeinrechtlich, wie auch speziell nach Lübeckischem Recht“ bei wirklicher Unschätzbarkeit die Appellation zugelassen werde. Doch der konkrete Fall liege deutlich anders. Hier bestehe nur die Möglichkeit, dass die Erbschaft deutlich höher ausfalle als die 1000 Mark²⁸⁶. § 36 OAGO unterscheide aber zwischen Nennwert der Beschwerde und wirklichem Interesse. Nun setzten sich die Richter mit dem Begriff des Nennwerts auseinander. Entscheidend für den Nennwert sei der Zusammenhang, in welchem die Summe genannt werde. „Nur wenn es sich bereits um Zahlung oder Compensation jener Summe handelt, stellt sich ohne weiteres in ihr der Nennwerth dar, dann aber auch ohne Rücksicht auf etwaige Gegenleistung“²⁸⁷. Zu dieser Auslegung des Begriffs zitierten die Richter ihre eigenen Entscheidungen, bei denen sie „stets“ auf dieses Kriterium zurückgegriffen hatten. Die Richter gingen außerdem von einem nach formellen Gesichtspunkten zu bemessenden Nennwert aus. So lege nur der Umfang der Rechtskraft des vorangehenden Urteils die Appellationssumme fest. Nicht berücksichtigt werden könne, dass sich tatsächliche Umstände geändert haben mögen. Diese Rechtsprechung festigte bereits ergangene Entscheidungen²⁸⁸. Schwierig war außerdem, wie genau die Appellationssumme berechnet werden sollte. 1870 entschied das OAG einen Fall, in dem eine Frau ihren geschiedenen Ehemann auf Alimentationsbeitragszahlung in Höhe von 16 lübische Mark pro Monat verklagt hatte²⁸⁹. Zweifelhaft war, ob das OAG überhaupt zuständig war oder ob die erforderliche Appellationssumme nicht erreicht war. Das OAG war nur zuständig, wenn für Lübeck laut § 34 Abs. 1 der Lübecker Gerichtsverfassung vom 17. Dezember 1860 der Nennwert der Beschwerde „1000 Mark Capital oder 50 Mark jährlicher Einkünfte“ überstieg²⁹⁰. Zur Berechnung zog das OAG eine in den Digesten des Corpus Iuris Civilis enthaltene Sterblichkeitstabelle ²⁹¹ heran, die nicht von der Gerichtsverfassung verdrängt sei. Da die Appellantin zur Zeit der

AHL OAG L I 632 Köhne c. Köhne (1873). Zur lübischen Mark: Verdenhalven, Währungssysteme, S. 94. AHL OAG L I 632 Köhne c. Köhne (1873) Q 13 Entscheidungsgründe, p. 5. Beispielsweise Wunderlich, Bd. 2, No 419, Procurator Fisci c. Kahrstedt (1860), S. 216, 238. 289 Kierulff, Bd. 6, No 75, Wriedstuff c. Wriedstuff (1871), S. 468, 470. 290 Abgedruckt in Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 27 (1860), No 31, S. 96. 291 D. 35, 2, 68, pr., darin enthaltene gesetzliche Präsumtion, auch zitiert in Wunderlich, Bd. 2, No 440, Unv. Dose c. v. Duhn (1862), S. 313–314. 285 286 287 288

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

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Beschwerde bereits 60 Jahre alt sei, komme man auf einen Wert von 960 Mark. Der erforderliche Streitwert war also nicht erreicht. Lag die erforderliche Appellationssumme nicht vor, wurde die Klage als „nicht anher erwachsen“ abgewiesen²⁹². Im Zweifel sahen die Richter die Appellation als zulässig an. Die Unzulässigkeit durfte der Richter nur aufgrund gesetzlicher Vorschriften aussprechen²⁹³. Zu der Begründetheit nahmen die Richter dann keine Stellung mehr, bezeichneten eine Ausführung vielmehr als „unstatthaft“²⁹⁴. Die deutliche Unterscheidung zwischen Zulässigkeit und Begründetheit entspricht dem heutigen Aufbau und der heutigen Begrifflichkeit.

b)

Rechtsprechung zur Justizsache, Abgrenzung zur Extrajudizialappellation

Als weitere Voraussetzung musste es sich um eine Justizsache handeln, die Sache musste also durch die Gerichte justiziabel sein. Das war bei Streitigkeiten zwischen Privaten unproblematisch, wurde aber bei Streitigkeiten zwischen Staat und Bürger, sogenannten Polizeisachen, relevant. Allerdings hatte sich noch nicht die genaue Trennung zwischen öffentlichem und privatem Recht herausgebildet²⁹⁵. Es wird vertreten, dass das OAG in dieser Hinsicht sehr großzügig gewesen sei. Im Zweifel sei zugunsten des Rechtssuchenden von einer Justizsache ausgegangen worden²⁹⁶. Anhand der Rechtsprechung des OAG zur Kompetenz des OG in Wettestreitigkeiten lässt sich dies jedoch nicht bestätigen. Der lübeckische Gesetzgeber hatte in § 6 des Nachtrags vom 5. Juli 1820 zur Verordnung zum Gerichtswesen vom 4. Mai 1814 ²⁹⁷ angeordnet, dass die Wette sowohl als Polizeibehörde als auch als Gericht tätig werden konnte. In der Regel war sie jedoch nur Polizeibehörde. An diesen verschiedenen Aufgaben der Wette zeigt sich, dass die Gewaltenteilung in Lübeck zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch nicht vollendet war.

292 Zur Tenorierung des Reichskammergerichts Oestmann, Rechtsprechung des Reichskammergerichts als methodisches Problem, S. 15, 43. 293 Wunderlich, Bd. 1, No 268, Klicks c. Köhn (1848), S. 8, 11: „Ohne eine bestimmte gesetzliche Vorschrift ist aber der Richter zur Verhängung der Desertions-Strafe nicht befugt.“ 294 AHL OAG L I 646 Göttsche c. Rösing (1875) Q 9 Urtheil, p. 2, die Entscheidungsgründe sind hier im Urteil angegeben. 295 Darauf weist Greb, Verfassung OAG, S. 87, 88, hin, der eine Kasuistik dazu zusammenstellt. 296 Krause, Lübecker Gerichtsverfassung, S. 85–92, 126. 297 Abgedruckt in: Bluhme, OAGO, S. 121, 122.

B. Gerichtsverfassung des OAG

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Diese Regelung zog einige Rechtsstreite nach sich²⁹⁸. In allen Streitigkeiten hatte die Wette auf Antrag einer sich verletzt glaubenden Zunft eine Verfügung an den Gegner erlassen, das unter das Verbietungsrecht²⁹⁹ fallende Verhalten zu unterlassen. Dagegen konnte sich der Adressat der Verfügung nur an das OG wenden, falls die Wette als Gericht gehandelt hatte; ein Tätigwerden als Polizeibehörde hatte er zu dulden. § 6 des Nachtrages legte das OAG so aus, dass in der Regel die Wette als Polizeibehörde tätig werde³⁰⁰. Dabei sei nicht die generelle Unterteilung zwischen Justizsache und Polizeisache das „durchgreifende Princip“³⁰¹, sondern vielmehr sei in der Regel von einer Polizeisache auszugehen. Anders sei es nicht zu erklären, dass § 6 des Nachtrags eindeutige Justizsachen der Wette als Polizeibehörde zuordneten. Den Grund dieser Bestimmung sahen die Richter darin, dass eine Polizeibehörde gerade für Zunftstreitigkeiten eher die Möglichkeit habe, „mehr nach Billigkeit und mit Rücksicht auf das öffentliche Interesse verfahren zu können, und den langsameren Gang der gerichtlichen Verhandlungen dabey zu entberen“³⁰². In Hinblick auf Zunftstreitigkeiten, die von der Wette behandelt wurden, ging das OAG also im Zweifel gerade nicht von einer Justizsache, sondern von einer Polizeisache aus. Diese strenge Gesetzesauslegung ist damit zu erklären, dass das OAG bestrebt war, Zunftstreitigkeiten durch die verschiedenen Instanzen einzudämmen³⁰³. Das OAG überprüfte die Rechtswegverweigerung in Wettesachen in zwei Schritten: „1, ob die Wette wirklich als Polizeybehörde gehandelt habe, und 2, ob, sie vorliegende Sache als bloße polizeyliche behandeln durfte?“³⁰⁴. Ob tatsächlich die Wette nicht als Gericht gehandelt hatte, ermittelte das OAG aufgrund des gesamten bisherigen Verfahrens. Es sei keine Klage, nur eine bloße Anzeige angebracht worden; der Denunziant habe seiner Anzeige keine Bitte zugefügt und insbesondere keinen Antrag auf Ersatz gestellt; zwar habe die Wette den Denunziaten vernommen, aber es sei keine Re- oder Duplik erfolgt; das Ableugnen habe nicht zur Folge gehabt, dass auf Beweis erkannt wurde; es gab einen Beistand des Denunzianten, welcher im Zivilverfahren als Zeuge nicht zugelassen worden wäre; der Denunziat sei nur ganz summarisch vernommen worden und zwar ohne vorherge-

298 AHL OAG L I 52 P üg c. Schröder u.a. (1825); L I 60 Klemann c. Koop (1826); L I 77 Willms c. Perll (1827); L I 110 Röhl und Zernitz c. Zernitz (1829); L I 169 Ruesch c. Aelteste des Amtes der Tischler (1832). 299 Zum Verbietungsrecht Nordloh, Kölner Zunftprozesse, S. 70, 71. 300 AHL OAG L I 52 P üg c. Schröder u.a. (1825) Q 10 Entscheidungsgründe, p. 2; L I 110 Röhl und Zernitz c. Zernitz (1829) Q 8 Entscheidungsgründe, p. 6. 301 AHL OAG L I 110 Röhl und Zernitz c. Zernitz (1829) Q 8 Entscheidungsgründe, p. 7. 302 AHL OAG L I 110 Röhl und Zernitz c. Zernitz (1829) Q 8 Entscheidungsgründe, p. 8. 303 Zur beginnenden Zunftfreiheit im 19. Jahrhundert: Oestmann, ZNR 26 (2004), S. 246, 260. 304 AHL OAG L I 60 Klemann c. Koop (1826) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 1.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

hende Beeidigung; letztlich sei dem Denunziant kein Recht oder Schadensersatz zugesprochen worden³⁰⁵. Ob ein gerichtliches Verfahren vorlag, ermittelten die Richter hier also aufgrund formeller Charakteristika. Die Beantwortung der zweiten Frage, ob die Wette als Polizeibehörde handeln durfte, hing davon ab, ob das Verbietungrecht an sich strittig war. War dies der Fall, könne nur ein Richter entscheiden³⁰⁶. Sobald das Verbietungsrecht als solches fraglich war, konnte der Rechtssuchende also den Instanzenzug ausschöpfen. Von den Wettestreitigkeiten, in denen eine Rechtsverweigerung geltend gemacht worden war, nahm das OAG dies aber nur in zwei von fünf Fällen an³⁰⁷. Bei Ablehnung des Rechtsweges mangels Justizsache, konnte sich der Beschwerte mittelst Extrajudizialappellation wehren³⁰⁸. Die Extrajudizialappellation war ein Rechtsmittel, das langsam verdrängt worden war und nur noch in einigen Bereichen wie der freiwilligen Gerichtsbarkeit angewendet werden sollte³⁰⁹. Verletzungen durch die Verwaltung, die keine Justizsache waren, konnten bei der Ablehnung der Extrajudizialappellation nicht mehr gerichtlich überprüft werden. Der Verweis auf die Extrajudizialappellation zeigt, dass das OAG an diesem Institut noch festhielt. Auch die OAGO widmete ihr einen eigenen Abschnitt, §§ 161–163 der OAGO. In der gemeinrechtlichen Literatur war die Extrajudizialappellation nicht unumstritten. Gönner hatte dieses Rechtsmittel als über üssig verworfen und stattdessen auf die einfache Beschwerde verwiesen³¹⁰. Dem widersprach Linde allerdings³¹¹. Damit war strittig, ob das Rechtsmittel der Extrajudizialappellation noch existent war. In der Kommentierung der OAGO schloss sich Bluhme der Meinung an, die die Extrajudizialappellation beibehielt³¹². Tatsächlich gelangte nur eine einzige Extrajudizialappellation aus dem Kreis der Lübecker Fälle vor das OAG³¹³. Der praktische Anwendungsbereich war also sehr gering und wurde immer weiter eingeschränkt. So löste ein neues Rechtsinsti-

305 AHL OAG L I 60 Klemann c. Koop (1926) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 3, 4. 306 AHL OAG L I 77 Willms c. Perll (1827) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 8; L I 169 Ruesch c. Aelteste des Amtes der Tischler (1832) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 5. 307 AHL OAG L I 77 Willms c. Perll (1827) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 8; L I 169 Ruesch c. Aelteste des Amtes der Tischler (1832) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 5. 308 Wunderlich, Bd. 2, No 450 A, Schweder und Handelskammer (1862), S. 352–353. 309 Ausführlich dazu Seeger, Extrajudizialappellation; Oestmann, „Extrajudizialappellation“, in: HRG I, Sp. 1457, 1458; Wetzell, System, § 58, S. 773. 310 Gönner, Handbuch III, S. 347 ff.; auf ihn wies Bluhme, OAGO, S. 193, hin. 311 Linde, Lehrbuch, § 413, S. 518. 312 Bluhme, OAGO, S. 196. 313 Wunderlich, Bd. 2, No 359, Wohlers (1856), S. 12–15; Beschwerde aufgrund einer abgeschlagenen Extrajudizialappellation: AHL OAG L I 619 Möller (1872) Q 7 Entscheidungsgründe, p. 2.

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tut die Extrajudizialappellation in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch das Gerichtsverfassungsgesetz vom 17. Dezember 1860 ³¹⁴ ab³¹⁵.

2.

Sonstige Rechtsbehelfe

Appellationen machten den weitaus größten Teil der eingelegten Rechtsmittel aus. Die Appellation war ein Rechtsmittel für Beschwerden, die sowohl das Verfahren als auch die materielle Rechtsanwendung betrafen. Durch die Appellation konnte man Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verlangen³¹⁶, aber ebenso die Zuständigkeit des OG³¹⁷ oder die Klageberechtigung³¹⁸ bezweifeln. Auch die Recusation des Richters konnte durch die Appellation angefochten werden³¹⁹. Selbst verweigerte Rechtsprechung³²⁰, sonst klassisch der Beschwerde zugewiesen, wurde mit der Appellation angegriffen. Letztlich konnten sogar Nichtigkeitsgründe, sofern sie heilbar waren, nach der Rechtsprechung des OAG, die sich auf RKGO 1555  3 Tit 34 § 1 und 2 und Martins Lehrbuch zum bürgerlichen Prozess stützte, mit der Appellation angefochten werden³²¹. Außer mit Appellationen wandten sich die Rechtssuchenden mit Beschwerden, Nichtigkeitsbeschwerden oder einfachen Beschwerden, an das OAG. Die Nichtigkeitsbeschwerde oder Nullitätsquerel verlangte gem. § 41 OAGO keine Appellationssumme und war daher in den Städten einheitlich ausgestaltet. Die Richter betonten, dass § 41 OAGO auf § 122 JRA³²² beruhe³²³. Sie stellten die neuere Vorschrift damit in einen traditionsreichen Zusammenhang. Das hatte

314 Gesetz über die Gerichtsverfassung der freien und Hansestadt Lübeck, abgedruckt in: Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 27 (1860), No 31, S. 89 ff. 315 AHL OAG L I 619 Möller (1872) Q 7 Entscheidungsgründe, p. 5, 6. 316 Beispielsweise in AHL OAG L I 360 Scharbau c. Bruhns (1854); Linde, Lehrbuch, § 423, S. 532 ff., ordnete die Wiedereinsetzung als eigenes Rechtsmittel ein. 317 AHL OAG L I 630 Simons c. Kindler (1873); L I 672 Rostocker Vereins-Bank c. Larssen (1876). 318 AHL OAG L I 391 Westphal c. Dillner (1855); L I 679 Kindler und Hahn c. Wwe. Ekengren (1877). 319 So in AHL OAG L I 521 Priest c. Neue St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1864). 320 AHL OAG L I 355 Möller c. Schloepke (1853). 321 AHL OAG L I 630 Simons c. Kindler (1873) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 8. 322 Buschmann, Kaiser und Reich II, S. 233; Laufs, JRA, S. 59; der Wortlaut des § 41 OAGO spricht ebenfalls von Mängeln aus der Person des Richters, den Parteien oder des gerichtlichen Verfahrens. 323 Wunderlich, Bd. 2, No 391, Kahts c. Wiggers Wwe. (1858), S. 125, 126; hier wiederum die Hervorhebung des gemeinen Rechts durch das OAG.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

den Vorteil, dass sie damit auf die gesamte gemeinrechtliche Literatur zurückgreifen konnten. Die Nichtigkeitsbeschwerde war nur bei wesentlichen Mängeln hinsichtlich der Gerichtspersonen, der Parteien oder des gerichtlichen Verfahrens selbst zulässig³²⁴. Mit der Nichtigkeitsbeschwerde konnten nur „formelle Punkte“ geltend gemacht werden³²⁵. So konnte die Kompetenz des Gerichts angefochten werden, es konnte gerügt werden, dass dem Beklagten kein rechtliches Gehör gewährt wurde oder dass die Akten nicht vollständig zugrunde gelegt wurden³²⁶. Später, in einer Entscheidung von 1878, schränkten die Richter diese Nichtigkeitsgründe im Hinblick auf die Zuständigkeit weiter ein³²⁷. Zwar sei bisher der Meinung Pfeiffers³²⁸ gefolgt worden, der in der falsch beurteilten Kompetenz einen Nichtigkeitsgrund sah, dies solle aber nicht beibehalten werden, wenn eine unrichtige Entscheidung über die Appellabilität vorliege. Denn diese betreffe nicht die Kompetenz. Stattdessen folgten die Richter nun der Auffassung Wetzells³²⁹. Danach betraf die unzutreffende Entscheidung über die Appellabilität nicht die Kompetenz des Gerichts, sondern schränkte lediglich die Befugnis der Partei zur Appellation ein. So wie jede andere Entscheidung im Prozess führe eine unrichtige Beurteilung nicht zu einem Fehler im Verfahren. Die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels stehe die der Förmlichkeiten gleich, die auch nicht zur Nichtigkeit führe. Um diese andere dogmatische Einordnung zu begründen, stützten sich die Richter auf die praktische Erwägung, dass die Frage der Appellabilität oftmals schwierig und mehrdeutig sei; dies dürfe aber nicht gleich zu einer Nichtigkeit des Verfahrens führen. „Man denke an die Lehre der duae conformes, an die verschiedenen eorien von Berechnung der Appellationssumme, an die oft selbst von richterlichem Ermessen nicht unabhängigen Beurtheilungen eines Bescheinigungs- oder Beweisverfahrens, über das Dasein der Appellationssumme, an die Unterscheidung appellabler und inappellabler Interlocute, und ähnliches“³³⁰. Diese Aufzählung von schwierigen Entscheidungen über die Zulässigkeit der Appellation zeige, dass auch eine unrichtige Beurteilung nicht zur Nichtigkeit führen dürfe. Hier sei dem Richter ein Ermessen einzuräumen.

324 325 326 327

Zur Kasuistik Greb, Verfassung OAG, S. 97. Bruhn, Sl. 1, L, Jürgensen c. Körner (1825), S. 215, 221. Bruhn, Sl. 1, L, Jürgensen c. Körner (1825), S. 215, 221. AHL OAG L I 699 Pitzschky & Co und W. Jordan c. Finanz-Department Lübeck (1878) Q 10 Entscheidungsgründe, p. 3–8. 328 Pfeiffer, Practische Ausführungen, Bd. 6, S. 427, 438. 329 Wetzell, System § 54, S. 661. 330 AHL OAG L I 699 Pitzschky & Co und W. Jordan c. Finanz-Department Lübeck (1878) Q 10 Entscheidungsgründe, p. 7.

B. Gerichtsverfassung des OAG

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Voraussetzung für die Anfechtbarkeit war außerdem stets, dass der Partei aus dem Verfahrensmangel ein Nachteil erwuchs³³¹. So konnte der Beschwerdeführer nicht geltend machen, dass der Prozess sofort in zweiter Instanz vor dem Oberrichter begonnen wurde. Seine Rechte konnte er in diesem Fall dennoch verteidigen, da er dagegen Appellation hätte einlegen können³³². Ein zur Nichtigkeit berechtigender Verfahrensmangel lag indes vor, wenn der Richter die Eidesdelation übersehen und stattdessen auf einen Reinigungseid erkannt hatte³³³. Entscheidend für die Nichtigkeitsbeschwerde war, dass ein verfahrensrechtlicher, kein rein inhaltlicher Fehler vorlag. Zum Beleg konnte das OAG hier auf die gemeinrechtliche Literatur zurückgreifen, die zur Nichtigkeitsbeschwerde gem. § 122 JRA Stellung bezogen hatte ³³⁴. Indem die Richter die Vorschrift der OAGO in einen größeren geschichtlichen Kontext einordneten, konnten sie sich hier die gemeinrechtliche Lehre nutzbar machen. Nur der nichtige Teil des vorangegangenen Urteils wurde kassiert, nicht das gesamte Urteil³³⁵. Bei einer 1866 entschiedenen Nichtigkeitsbeschwerde³³⁶ stellte sich die Frage, ob eine unrichtige Inrotulation³³⁷ der Akten einen wesentlichen Mangel im Hinblick auf das gerichtliche Verfahren und damit eine Nichtigkeitsbeschwerde gem. § 41 OAGO begründe. In diesem Zusammenhang griff das OAG auf die entsprechende reichsgesetzliche Bestimmung der RKGO zurück, nach der hier ebenfalls kein unwiederbringlicher Nachteil vorliege. Neben der OAGO zog das OAG also besonders gemeinrechtliche Regelungen zu Rate. Die OAGO selbst schien lediglich die gemeinrechtlichen Bestimmungen zu wiederholen oder auszugestalten. Auf die gemeinen Regelungen zurückzugreifen, hatte verschiedene Vorteile. Zunächst ordnete das OAG die OAGO so in eine lange Tradition ein, die wissenschaftlich schon recht durchdrungen war. Es betonte also die Kontinuität. Daneben konnte die Rechtsprechung nicht nur für sich in Anspruch nehmen,

331 Wunderlich, Bd. 2, No 415 B, Steuer- u. Stempel-Departement c. Kahl (1860), S. 212, 213. 332 Wunderlich, Bd. 2, No 415 B, Steuer- u. Stempel-Departement c. Kahl (1860), S. 212, 214. 333 Wunderlich, Bd. 2, No 391, Kahts c. Wiggers Wwe. (1858), S. 125, 126. 334 Wunderlich, Bd. 2, No 391, Kahts c. Wiggers Wwe. (1858), S. 125, 127: zitiert wird Grolmann, Gerichtliches Verfahren, § 218; Martin, Lehrbuch, § 294, 295; Linde, Lehrbuch, § 421; Linde, Lehre von den Beweismitteln  2, § 257; Bayer, Civilprozeß, S. 1089. 335 Wunderlich, Bd. 2, No 391, Kahts c. Wiggers Wwe. (1858), S. 125, 127: die Richter argumentierten aus D. 4, 4, 29; D. 10, 2, 41 und D. 37, 14, 24. 336 Kierulff, Bd. 2, No 77, Möller c. Frister (1866), S. 624, 634. 337 Inrotulation – Zurechtstellen der Akten des Untergerichts an das Obergericht, vgl. Meyers Konversationslexikon, Bd. 9 (1909), Sp. 856.

70

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

partikular begrenztes Recht zu sprechen. Vielmehr versuchte das OAG, allgemein gültiges Recht größtmöglich zur Anwendung zu bringen. War der Mangel nicht so gravierend, dass er eine Nichtigkeit begründen konnte, kam die einfache Beschwerde in Betracht. Die einfache Beschwerde oder simplex querela zeigt, wie wichtig die Appellation war. Die einfache Beschwerde richtete sich am häu gsten dagegen, dass der Richter eine Appellation verweigert, also nicht zugelassen hatte³³⁸. Sie war in der OAGO § 43 geregelt, basierte aber überwiegend auf gemeinem Recht³³⁹. Geltend gemacht werden konnte, dass sich der Richter entweder „bloß negativ verhalten, d.h. auf eine beschwerende Weise unterlassen habe, seine Richterschaft auszuüben, wohin namentlich die Fälle verweigerter oder verzögerte Justiz gehören, oder aber da, wo er sie ausgeübt hat, sich einer wirklichen Ungebühr schuldig gemacht“ hat³⁴⁰. Nicht dagegen reiche es, dass der Richter etwa fehlerhaft Anträge abgelehnt habe oder lediglich eine inappellable prozessleitende Verfügung³⁴¹ erlassen hatte. Die richterliche Ungebühr setze vielmehr voraus, dass der Richter laut Reichsabschied von 1594 § 95 „tamquam pars und als ein Widersacher und nicht richterlicherweis gehandelt hat“. Von dem Unterfall der Ungebühr war die Extrajudizialappellation abzugrenzen³⁴². Mit der Revision beantragte der Beschwerdeführer die Aktenversendung, sie konnte statt der Appellation eingelegt werden³⁴³. Da die Bundesakte von 1815 Art. 12 Absatz 4 die Aktenversendung nur auf Antrag einer Partei vorsah³⁴⁴ und dementsprechend die OAGO diese nur im Ausnahmefall zuließ, hatte sie nur noch einen kleinen Anwendungsbereich. Besonders in der Anfangszeit des OAG wurde noch zu der Revision gegriffen³⁴⁵. Später ndet sie in dem Gesamtinventar gar keine Erwähnung mehr.

338 So in 18 Fällen von 38 Beschwerden: AHL OAG L I 48, L I 102, L I 110, L I 245, L I 260, L I 299, L I 324, L I 346, L I 359, L I 390, L I 392, L I 395, L I 448, L I 496, L I 501, L I 555, L I 579, L I 619. 339 So Bluhme, OAGO, S. 185; zur Justizverweigerung im Alten Reich: Perels, ZRG/GA 25 (1904), S. 1–51. 340 Wunderlich, Bd. 1, No 286, Dorfschaften Brodten etc. c. Procurator Fisci (1849), S. 111, 127. 341 So in Wunderlich, Bd. 1, No 286, Dorffschaften Brodten etc. c. Procurator Fisci (1849), S. 111, 128. 342 Dazu ausführlich Bluhme, OAGO, S. 199, 200; aus der rechtshistorischen Literatur Seeger, Extrajudizialappellation, S. 219–234. 343 Linde, Lehrbuch, § 414, S. 520. 344 Abgedruckt in Huber, Dokumente I, S. 88. 345 Beispielsweise AHL OAG L I 3; L I 8; L I 9; L I 19; L I 37.

B. Gerichtsverfassung des OAG

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Verlangte der Beschwerdeführer zusätzlich eine Entscheidung in der Sache, konnte er die Beschwerde mit der Appellation verbinden³⁴⁶. Das hatte den Vorteil, dass die Appellationsfrist gewahrt blieb.

3.

Zusammenfassung

Die OAGO sicherte dem Richter sachliche wie persönliche Unabhängigkeit zu. Diese ergänzten die Richter in ihrer Rechtsprechung durch die gemeinrechtlichen Regelungen. Insbesondere die Recusation, die zur Ablehnung eines Richters berechtigte, erfuhr eine eigenständige, wissenschaftlich fundierte Ausgestaltung in zahlreichen Prozessen. Dazu beriefen sich die OAG-Richter insbesondere auf das kanonische Recht. In der Vielzahl der unterschiedlichen Prozesse kehren einmal entwickelte Grundsätze wieder. Es lässt sich eine stringente Rechtsprechung erkennen. Allein die Nichtigkeitsbeschwerde an die Senate der Städte gegen Urteile des OAG durchbrach die Gewaltenteilung und damit die richterliche Unabhängigkeit, da die Senate nicht nur mit judiziellen Angelegenheiten betraut waren, sondern ihnen die gesamte Staatsführung oblag. Anders als in der frühen Neuzeit³⁴⁷ war die Reichsebene nicht mehr für diese Beschwerden zuständig, sondern die Senate als Organe der Städte. Allerdings kam der Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des OAG nur eine sehr geringe praktische Bedeutung zu. Die Aufsicht durch die Städte schränkte das OAG in seiner Entscheidungs ndung nicht ein. Die OAG-Richter selbst sahen sich als dem Gesetz unterworfen an und postulierten nur ein formelles Prüfungsrecht im Hinblick auf Gesetze. Sie beriefen sich insofern auf die Gewaltenteilung. Obwohl den Rechtssuchenden für verschiedene Anliegen unterschiedliche Rechtsmittel zur Verfügung standen, wählten sie meistens die Appellation. Dieses für die Praxis überragend wichtige Rechtsmittel wird noch näher untersucht werden³⁴⁸. Alle Rechtsmittel basierten auf dem gemeinen Recht.

346 So in AHL OAG L I 71, L I 102, L I 109, L I 110, L I 245, L I 299, L I 482, L I 496. 347 Dazu Perels, ZRG/GA 25 (1904), S. 1, 12. 348 Vgl. Erster Hauptteil C. III. und Zweiter Hauptteil B. III.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

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C.

Gerichtsverfahren vor dem OAG I. Prozessmaximen

Die Prozessmaximen als leitende Grundsätze eines Verfahrens³⁴⁹ zeigen, wie das Gerichtsverfahren im Allgemeinen ausgestaltet war. Solche Maximen überhaupt abstrakt zu formulieren, war eine neuere Entwicklung Ende des 18. Jahrhunderts³⁵⁰. Die Maximenschöpfung ist nicht nur positiv gewertet worden³⁵¹, sie beein usste aber die späteren Lehrbücher³⁵² und, wie sich zeigen wird, auch die Praxis. Daher bietet es sich an, anhand der Prozessmaximen einen Überblick über das Gerichtsverfahren zu geben. Ausgangspunkte bilden dabei die Maximen, die dem gemeinen Prozess üblicherweise zugeschrieben werden³⁵³. Während die Maximen des gemeinen Prozesses wie Eventualprinzip und Schriftlichkeit den Prozess zu Beginn des 19. Jahrhunderts geprägt haben, normierte die CPO bzw. das Gerichtsverfassungsgesetz 1879 ein mündliches, öffentliches Verfahren und kehrte damit die überkommenen Grundsätze um. Für diese neue Richtung der Legislative sollen maßgeblich liberale Ideale und der französische Code de procédure civile von 1806 verantwortlich gewesen sein³⁵⁴. Zumindest verbanden die Reformer ihre Forderungen stark mit dem französischen Recht³⁵⁵. Nun sollten die Türen des Gerichts geöffnet werden. Der mündige Bürger sollte die Justiz kontrollieren können und nicht mehr blind einer Autorität vertrauen müssen. Möglicherweise hat sich in der Praxis ein zunehmend kritischer Umgang mit den traditionellen Maximen gezeigt, der die radikale Umkehrung bereits andeutete. Dazu werden anknüpfend an die Maximen des gemeinen Prozesses die Grundsätze des Verfahrens vor dem OAG herausgearbeitet. Doch wie lassen sich diese leitenden Grundsätze ermitteln? Zum einen kann die OAGO Aufschluss geben. Aus einzelnen Normen lassen sich in der Gesamtschau Regeln und Ausnahmen erkennen³⁵⁶. Zum anderen können Prozessmaximen anhand einzelner Urteilspas-

349 Wesener, „Prozeßmaximen“, in: HRG IV, Sp. 55. 350 Wesener, „Prozeßmaximen“, in: HRG IV, Sp. 55, ausführlich zur Maximenbildung durch Gönner, unter Prozessmaximen: Erster Hauptteil C. I. 351 Bomsdorf, Prozeßmaximen, S. 171, 192: Naturrechtliche Überhöhung. 352 Dölemeyer, eorie, S. 251, 257, spricht von einer rechtspolitischen Wirkung durch die Umformung und Uminterpretation des jüngeren Naturrechts. 353 Wesener, „Prozeßmaximen“, in: HRG IV, Sp. 55, 58 und 59. 354 Ahrens, Prozessreform, S. 640; Nörr, Iudicium, S. 260. 355 Koch, Ein uß, S. 157, 175. 356 So geht Damrau, Zivilprozessmaximen, vor.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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sagen ermittelt werden. Entweder nahmen die Richter ausdrücklich auf sie Bezug oder legten sie stillschweigend zugrunde.

1. Verhandlungsmaxime Die Verhandlungsmaxime ist im heutigen Zivilprozess noch immer ein leitender Verfahrensgrundsatz. Sie besagt heute, dass es Aufgabe der Parteien ist, den Tatsachenstoff vorzutragen, auf dessen Grundlage die Entscheidung getroffen wird³⁵⁷. Anfang des 19. Jahrhunderts war das Verständnis von der Verhandlungsmaxime weiter. Man begrenzte sie nicht auf den Tatsachenstoff, sondern verstand unter Verhandlungsmaxime, was heute mit der Dispositionsmaxime umschrieben wird. Die Bedeutung der Verhandlungsmaxime erstreckte sich damit auch auf die Befugnis der Parteien, über den Streitgegenstand zu verfügen³⁵⁸. Die Differenzierung erfolgte erst mit der Schrift von Cansteins 1877 „Die rationellen Grundlagen des Civilprozesses“. Beide Maximen stellen eine Fortsetzung der Privatautonomie im Prozess dar³⁵⁹. Den Begriff der Verhandlungsmaxime entwickelte Gönner³⁶⁰ aus dem Grundsatz „wo kein Kläger, da kein Richter“. Er deduzierte diesen Grundsatz, der sich auf das Ingangsetzen eines Verfahrens bezog, auf das gesamte Verfahren. Aus der Freiheit des Einzelnen auf sein Recht verzichten zu können, folge, dass der Richter entweder „Nichts von Amts wegen“ tun dürfe oder, falls die Parteien durch die Anrufung des Gerichts in dem Sinne über ihre Rechte verfügt hätten, „Alles von Amts wegen“. Die Ausgestaltung durch den Gesetzgeber könne nach beiden Grundsätzen erfolgen; wobei er die Befugnis des Richters, „Nichts von Amts wegen“ vornehmen zu dürfen, mit der Verhandlungsmaxime beschrieb und für die gegenteilige Ausgestaltung der Befugnis den Begriff der Untersuchungsmaxime prägte. Zwar räumte Gönner ein, dass in der Praxis die strenge Einordnung nicht immer durchgeführt werden könne, jedoch beherrsche stets eine Maxime den Prozess. Um dieses übergeordnete Prinzip zu formen, knüpfte Gönner an einen bekannten, allgemeingeltenden Grundsatz an. Damit negierte er die Normen, die dazu

357 Damrau, Zivilprozessmaximen, § 4, S. 19. 358 Böhm, Ius Commune 7 (1978), S. 136, 142, sieht das damalige Verständnis von Verhandlungsmaxime als deckungsgleich zur heutigen Dispositionsmaxime. 359 Weyers, FS Esser, S. 200. 360 Gönner, Handbuch I, S. 269, dazu die kritische Auseinandersetzung von Bomsdorf, Prozeßmaximen, S. 143; positivere Bewertung durch Böhm, Ius Commune 7 (1978), S. 136, 140.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

im Widerspruch standen und leitete aus der Maxime Einzelregelungen ab. Die Verhandlungsmaxime wird als eine naturrechtliche Schöpfung verstanden³⁶¹. Dieses enge Verständnis der Verhandlungsmaxime „Nichts von Amts wegen“ modi zierten spätere Prozessualisten. So verstand beispielsweise Mittermaier das Aufklärungs- und Fragerecht des Richters als von der Verhandlungsmaxime umfasst³⁶². Teilweise wird heute vertreten, dass dieses modi zierte Verständnis die Verhandlungsmaxime im gemeinen Prozess stark geschwächt hat³⁶³. Die Verhandlungsmaxime selbst stellte die gemeinrechtliche Literatur des 19. Jahrhunderts nicht mehr in Frage und übernahm sie als Aus uss der Freiheit des Einzelnen im gemeinen Recht. Ausdrücklich nannte die OAGO die Verhandlungsmaxime nicht. Die Verhandlungsmaxime spiegelte sich aber in verschiedenen Vorschriften wider. Tatsächlich verlangten einige Vorschriften der OAGO, dass die Partei zunächst handeln musste, um richterliches Tätigwerden zu erreichen³⁶⁴. Dagegen betonten andere Vorschriften die starke Stellung des Richters³⁶⁵. Sie überließen nicht ausschließlich den Parteien die Prozessgestaltung, sondern gewährten dem Richter ein Fragerecht, eine Verwerfungskompetenz und die Möglichkeit, eine erleichterte Beweisführung zuzulassen. Die OAGO erlaubte dem Richter damit, den Prozess zu gestalten. Diese Bestimmungen stehen scheinbar im Widerspruch zur Verhandlungsmaxime. Die OAGO ist insoweit unergiebig. Eine genauere Ausgestaltung der Verhandlungsmaxime lässt sich der OAGO außerdem nicht entnehmen. Insoweit sind die gesetzlichen Grundlagen unzureichend und erfordern, die Rechtsprechung näher zu beleuchten.

361 Bomsdorf, Prozeßmaximen, S. 192; Dölemeyer, eorie, S. 251, 257. 362 Mittermaier, AcP 5 (1822), S. 177, 185. 363 So Tiegelkamp, Verhandlungsmaxime, S. 23: Besonders im Beweisverfahren Stärkung der richterlichen Befugnisse. 364 War eine Frist verstrichen, musste gem. § 99 OAGO die Partei auf den Nachteil für den Gegner antragen; gem. § 111 OAGO wurde das Armenrecht nur auf Ansuchen durch die Partei gewährt; §§ 118, 124 OAGO bestimmte, was der Beschwerdeführer beizubringen hatte; § 130 OAGO setzte voraus, dass die Partei neue Tatsachen vorbrachte; die Entstehung neuer Tatsachen musste nur auf Verlangen der Gegenpartei bescheinigt werden, § 131 OAGO; eine Aktenversendung fand auf Antrag der Partei statt, § 142 OAGO. 365 So bestimmte § 131 OAGO, dass eine Beeidigung von neu entstandenen Tatsachen genügte, falls der Richter den Eid für genügend erachtete; nach § 132 OAGO konnte das Gericht das neue Vorbringen verwerfen; das Gericht konnte Erklärungen zu einzelnen Punkten fordern, § 148 OAGO; Fristbestimmungen durch das Gericht, beispielsweise in § 125 OAGO; § 141 OAGO Beibringung der Akten von Amtswegen bei anderweitig rechtshängigen konnexen Sachen.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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Das OAG setzte die Verhandlungsmaxime als einen grundlegenden Verfahrensgrundsatz voraus und nahm in Urteilen außerdem ausdrücklich auf sie Bezug. So durfte der Richter nur auf Antrag etwas zusprechen. Das OAG sah diesen Grundsatz noch als gewahrt an, soweit dem Appellanten nur weniger zugesprochen wurde als beantragt³⁶⁶. So sei es ein Minus einen erleichterten Beweis zu verlangen statt den Beweis dem Gegner aufzuerlegen. Die Urteilsgründe bezogen sich ausdrücklich auf die Verhandlungsmaxime und argumentierten mit ihr. In den Entscheidungssammlungen von Bruhn oder Kierulff³⁶⁷ nden sich unter dem Stichwort Verhandlungsmaxime verschiedene Urteile. Ausdrücklich ist in einem Urteil von dem prozessualen Grundsatz der „Verhandlungsmaxime, worauf der deutsche Prozeß wesentlich beruht“³⁶⁸ die Rede. Das OAG hielt die Verhandlungsmaxime für eingeschränkt, falls eine Gefahr für ein öffentliches Interesse vorlag. Ausgehend von RKGO 1555  2 Tit 21 § 3³⁶⁹, der die Einschränkung im Falle von Gewalttätigkeiten forderte, normierte das OAG den Gedanken des eingeschränkten Verhandlungsgrundsatzes für alle Fälle, in denen ein öffentliches Interesse gefährdet war. Dies war eine erhebliche Ausweitung. Sie entsprach aber der Ansicht der zeitgenössischen Literatur³⁷⁰, die jedoch nicht präzisierte, wann ein solches öffentliches Interesse vorlag und wann es gefährdet war. In den von Kierulff veröffentlichten Entscheidungen nden sich verschiedene Urteile, die sich damit beschäftigten, wann ein solches öffentliches Interesse den Verhandlungsgrundsatz einschränken konnte. In einem 1865 entschiedenen Fall³⁷¹ aus Bremen hatte ein Kaufmann einen Makler verklagt. Der Makler hatte ein Spekulationsgeschäft übernommen, das für den Kaufmann jedoch ungünstig ausging. Daraufhin verlangt er von dem Makler die verlorene Differenz. Fraglich war jedoch, ob das Spekulationsgeschäft überhaupt wirksam zustande gekommen war. § 40 der bremischen Waren-MäklerOrdnung von 1828 sah nämlich vor, dass alle Handelsgeschäfte, die der Makler in eigener Rechnung schließe, nichtig seien. Dies sollte die Unparteilichkeit des Maklers und damit dem Schutz des Kunden dienen. Der Makler hatte nun aber ausdrücklich darauf verzichtet, sich auf § 40 der bremischen Waren-MäklerOrdnung von 1828 zu berufen, obwohl diese Vorschrift für ihn günstig war. Die

366 Wunderlich, Bd. 2, No 375, Riesland c. Capt. Beuer (1857), S. 69, 74. 367 Nicht so im Stichwortverzeichnis von Wunderlich. 368 Bruhn, Sl. 2, No XXVIII A, Älteste des Beckenschlägeramtes c. Lüders (1837), S. 230, 234. 369 Abgedruckt in Laufs, RKGO 1555, S. 199. 370 Gönner, Handbuch IV, Nr. 79 § 15, S. 346; Schmid, Handbuch I, § 197 bei Fn 7, S. 121; Puchta, ZCP 5 (1832), S. 107, 124. 371 Bremer Fall: Kierulff, Bd.1, No 6, Klein c. Mohr (1865), S. 58–73.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

Vorinstanzen hatten den Anspruch des Kaufmannes wegen Nichtigkeit abgewiesen, obwohl der Makler auf die Norm verzichtet hatte. Ebenso entschied das OAG. Zwar liege ein Verzicht des Maklers auf diese Vorschrift vor, ein Verzicht sei jedoch lediglich beachtlich, wenn die Vorschrift der Nichtigkeit auf einem „privatrechtlichen Grunde“ beruhe. Da das Verbot jedoch bezwecke, „die Stellung und Berufsthätigkeit der Mäkler in voller Unpartheilichkeit zu erhalten“ und dies „unbezweifelt als ein im öffentlichen Interesse erlassenes anzusehen“ sei, sei „der Richter verp ichtet, die gesetzliche Folge auch von Amts wegen auszusprechen, sobald die vom Gesetz vorausgesetzte atsache in irgendeiner Weise zu actenmäßiger Gewißheit erhoben“ ³⁷² sei. Nicht nur wird der Leser dieser Entscheidung stark an den heutigen § 134 BGB und die diesbezügliche Rechtsprechung zur Teilnichtigkeit erinnert³⁷³, die Entscheidung verdeutlicht auch, dass die Verhandlungsmaxime und damit die Privatautonomie Grenzen kannte. Obwohl sich beide Parteien im Prozess nicht auf die Vorschrift berufen wollten, wandte sie das OAG von Amts wegen an. Die Privatautonomie, die als Verhandlungsmaxime in den Prozess hineinwirkte, grenzten die Richter ein. Dem öffentlichen Interesse räumten die Richter hier den Vorrang ein. Eine andere Entscheidung³⁷⁴ aus Hamburg gestaltete den Begriff des öffentlichen Interesses weiter aus. In diesem Fall stritten sich die getrennten Eheleute um die elterliche Sorge für ihre Tochter. Die Mutter hatte den Antrag gestellt, ihr die Sorge um die Tochter zuzusprechen, da der Vater das Kind vernachlässige. Diesen Antrag hatte sie allerdings nur in der Hauptsache gestellt und nicht in dem nun zu entscheidenden provisorischen Prozess. Trotz Fehlen eines provisorischen Antrags hatte das Niedergericht ihr die elterliche Sorge zugesprochen, was das Obergericht bestätigte. Dagegen hatte der Vater Appellation eingelegt. Das OAG bestätigte auch diese Entscheidung. Es liege kein Verstoß gegen die Verhandlungsmaxime vor. Denn diese sei durch die Gefahr für ein öffentliches Interesse, nämlich die Vorsorge für eine angemessene Unterbringung und Erziehung eines minderjährigen Kindes, eingeschränkt. Eine Gefahr sei auch gegeben. Durch den Streit der Eltern um das Kind war die Tochter vorübergehend bei Vormündern untergebracht worden. In dieser Unterbringung und dem Antrag des Vaters daraufhin, ihm die Tochter wieder zu überlassen, sah das OAG eine „angedeutete Gefährdung, welche durch einen mehrmaligen Wechsel der Erziehung herbeigeführt werden muss-

372 Bremer Fall: Kierulff, Bd.1, No 6, Klein c. Mohr (1865), S. 58, 73. 373 Dazu Dorn, in: HKK I, § 134–137 Rn. 19–22. 374 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 27, Gerrits c. Gerrits (1867), S. 193–203.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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te“³⁷⁵. Hinsichtlich der Erheblichkeit der Gefahr räumte das OAG den unteren Gerichten Ermessen ein. Diese zweite Entscheidung legt ein weites Verständnis der Verhandlungsmaxime (der heutigen Dispositionsmaxime) zugrunde, da der fehlende Antrag den Streitgegenstand betrifft. Interessant ist, dass die Erziehung eines Kindes als im öffentlichen Interesse stehend klassi ziert wird und nicht ausschließlich die Familien betreffend. Die beiden miteinander streitenden Grundsätze, nämlich die Verhandlungsmaxime und das Interesse der Öffentlichkeit, werden hier zugunsten letzterer entschieden. Die Verhandlungsmaxime mag damit zwar ein leitender Verfahrensgrundsatz gewesen sein, die Entscheidungen zeigen aber auch, dass sie nicht ausnahmslos galt. Wie heute gab es im Familienrecht Ausnahmen. Allerdings verdeutlicht diese Ausnahme auch die starke Stellung des Verhandlungsgrundsatzes. Ein genereller Hinweis auf einen Verstoß gegen den Verhandlungsgrundsatz hatte ausgereicht, zu prüfen, ob eine Verletzung vorlag. Ohne normative Anknüpfung hatte der Vater unmittelbar aus dem prozessualen Grundsatz Rechte für sich hergeleitet. Zwar stimmte das OAG im Ergebnis nicht damit überein, aber es beanstandete dabei nicht, dass die Verhandlungsmaxime als solche Rechte begründe. Durch dieses Maximenverständnis wurden die gesetzlichen Grundlagen zugunsten der Verhandlungsmaxime zurückgedrängt. Der Anspruch ergab sich unmittelbar aus der Maxime selbst. In einer Entscheidung, in der die Zulässigkeit eines Sachverständigenbeweises in Frage stand³⁷⁶, berief sich das OAG ausschließlich auf die Verhandlungsmaxime, um zu begründen, dass der Sachverständige zuzulassen sei, wenn die Partei dies fordere. Zu der speziellen Frage nach der Zulässigkeit, führten die Richter aus: „so entscheidet hier doch schon der prozessualische Grundsatz, daß die VerhandlungsMaxime, worauf der deutsche Prozeß wesentlich beruht, dem Richter nicht gestattet, die von den Parteien angebotenen, an sich zulässigen Beweismittel aus dem Grunde zurück zu weisen, daß er ohnehin im Stande sei, sich die nöthige Ueberzeugung zu verschaffen“³⁷⁷. Zwar folgte in den Entscheidungsgründen noch eine Erklärung dazu. So stellten die Richter einen Vergleich zu der Zulässigkeit von Zeugen an, die unstrittig zuzulassen seien. Das wesentliche Argument zogen sie aber allein aus der Verhandlungsmaxime. Der prozessuale Grundsatz diente hier dazu, eine Entscheidung zu einem gesetzlich nicht geregelten Einzelproblem zu nden. So erfuhr die Verhandlungsmaxime eine konkrete Ausgestaltung im Prozess.

375 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 27, Gerrits c. Gerrits (1867), S. 193, 202. 376 Dazu siehe unter Sachverständige: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) bb); Bruhn, Sl. 2, No XXVIII A, Älteste des Beckenschlägeramtes c. Lüders (1837), S. 230–238. 377 Bruhn, Sl. 2, No XXVIII A, Beckenschläger c. Lüders (1837), S. 230, 234.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

Neben dem ausdrücklichen Verweis auf die Verhandlungsmaxime, ndet sich in der Argumentation des Gerichts oftmals der Hinweis auf die Rechtsgleichheit der Parteien³⁷⁸. Die Rechtsgleichheit ist Voraussetzung für die Verhandlungsmaxime, denn nur wenn beide Parteien rechtlich gleich stark sind, können sie gleichwertig den Prozess lenken. Langenbeck³⁷⁹ meinte, dass sich der Zivilprozess durch das Bestreben auszeichne, „eine möglichste Gleichheit der Parteirolle herzustellen“³⁸⁰. Er verwies dazu auf den Grundsatz „audiatur et altera pars“. Mittermaier wählte die Gleichheit der Partei als Ausgangspunkt, um daraus verschiedenste Forderungen für den Zivilprozess zu begründen. So diente ihm die Gleichheit der Parteien, um eine unabhängige Richterschaft, gebildete Prozessvertreter und eine standesunabhängige Behandlung vor Gericht zu fordern³⁸¹. Denn die Gleichheit gewährleiste, dass materielles Unrecht nicht in formelles Recht übergehen könne. In der Reichsverfassung von 1849 wurde im Zusammenhang mit den Standesunterschieden die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz normiert. Bereits 1807 proklamierte das Königreich Westphalen die „Gleichheit aller Untertanen vor dem Gesetze“³⁸².

2. Eventualprinzip Als wesentliches Merkmal des gemeinen Prozesses wird üblicherweise das Eventualprinzip genannt³⁸³. Unter Eventualprinzip verstand man den Grundsatz, alle konkurrierenden Prozesshandlungen derselben Streitsache zugleich vorzunehmen, auch wenn sie nur eventuell zur Geltung kamen, und sie zu vollenden³⁸⁴. Tatsachenbehauptungen mussten beispielsweise alle gleichzeitig zu Beginn des Prozesses vorgeschützt werden. Konkurrierende Prozesshandlungen waren dabei solche, welche die gleiche prozessuale Funktion erfüllten (z.B. verschiedene Einreden) oder zumindest den gleichen prozessualen Zweck erfüllten³⁸⁵. Zugleich bedeutete, dass die Handlungen in bestimmter Zeit, also einer Frist, und in einer

378 So in Bruhn, Sl. 1, No X, Rosenberg c. Platzmann (1821), S. 64, 68 und Bruhn, Sl. 1, No XLV, Braasch c. Müter (1827), S. 200, 205. 379 Wilhelm Langenbeck gab ein dreibändiges Werk zum Beweis heraus. 380 Langenbeck, Beweisführung 1, S. 38. 381 Mittermaier, Prozeß in Vergleichung 1, S. 19, 20. 382 Darauf verweist Rückert, in: HKK I, Das BGB und seine Prinzipien, Rn. 40; Art. 10 der Verfassung abgedruckt in: Lück/Tullner, Sachsen-Anhalt, S. 92. 383 Dahlmanns, Strukturwandel, S. 21; Ahrens, Prozessreform, S. 24. 384 Albrecht, Eventualprinzip, S. 74. 385 Dick, Kameralprozess, S. 112.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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Schrift vorzunehmen waren³⁸⁶. Die Parteien mussten also einen vollständigen, umfassenden Vortrag in allen Verfahrensabschnitten liefern. Dieses gleichzeitige Vorbringen sollte der Prozessverschleppung vorbeugen und einen schnellen Abschluss des Verfahrens gewährleisten³⁸⁷. Wetzell beschrieb die sonst drohende Gefahr sehr anschaulich: „Ist es dem Beklagten um Verzögerung des Urtheils, oder einem Advocaten um Ausbeutung des Processes zu thun, so braucht er nur beliebige Scheingründe vorzutragen, und über einen nach dem anderen ein umständliches Beweisverfahren einzuleiten“³⁸⁸. Wetzells Bedenken sind nur verständlich, wenn man sich die Zweiteilung in erster Instanz in Erinnerung ruft. Danach unterschied man zwischen dem ersten Verfahren, in dem ausschließlich alle Tatsachen vorgebracht werden konnten, und dem davon getrennten Beweisverfahren³⁸⁹. Die Schriftlichkeit war Bedingung für das Eventualprinzip und durch dieses gerechtfertigt, denn nur weil der Gegner von allem unterrichtet war, konnte er zur vollständigen Erwiderung gezwungen werden³⁹⁰. Um das gleichzeitige Vorbringen zu gewährleisten, war eine Sanktion für verspätetes Vorbringen nötig. Durch ein versäumtes Vorbringen wurde daher die spätere Vornahme und die Fortsetzung der eingeschlagenen Handlung ausgeschlossen³⁹¹. Das Vorbringen von neuen beweisbedürftigen Tatsachen ließ das OAG nur bedingt zu³⁹², so dass sich die Frage stellt, um welche konkurrierenden Prozesshandlungen es sich in der letzten Instanz handelte. Pauschal verwiesen die Prozessualisten darauf, dass das Eventualprinzip auch in der Appellationsinstanz gelte³⁹³. Die OAGO lässt an verschiedenen Stellen, den Schluss zu, dass das Eventualprinzip auch im Verfahren vor dem OAG galt. So war nach § 99 OAGO eine Frist peremtorisch, späteres Vorbringen damit ausgeschlossen, der Nachteil trat aber erst auf Antrag der Gegenpartei ein. Der Verfall späteren Vorbringens an sich kann das Eventualprinzip aber noch nicht begründen, denn die kumulierte Vornahme verschiedener Prozesshandlungen ist wesentliches Merkmal für die

386 387 388 389 390 391 392 393

Albrecht, Eventualprinzip, S. 25. Albrecht, Eventualprinzip, S. 3; Schubert, ZRG/GA 85 (1968), S. 127, 128. Wetzell, System, § 71 bei Fn 1, S. 965. Ausführlich dazu unten unter Grundsätzliche Zweiteilung: Zweiter Hauptteil B. II. 2. Dahlmanns, Strukturwandel, S. 22. Albrecht, Eventualprinzip, S. 25. § 130 OAGO. Albrecht, Eventualprinzip, S. 57; Wetzell, System, § 71 bei Fn 48, S. 979.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

Eventualmaxime³⁹⁴. § 148 OAGO bestimmte, dass nach Vernehmlassung³⁹⁵ des Appellanten auf die gegnerische Adhäsion, also auf die Anschluss-Appellation, die Akten geschlossen wurden. In dieser Vernehmlassung waren also die gesamten Einwände geltend zu machen. Hiervon ließ die OAGO aber Ausnahmen zu. Allein die Vorschrift § 148 OAGO lässt damit den Schluss zu, dass vor dem OAG das Eventualprinzip galt. Auch bei der Ermittlung des Eventualprinzips ist damit die OAGO als neuere gesetzliche Vorschrift wenig hilfreich. Heise und Cropp, der erstere Präsident und der andere Rat am OAG, äußerten sich in ihren Abhandlungen von 1827, die auf Entscheidungsgründen beruhten, jedoch kritisch über die generelle Geltung des Eventualprinzips³⁹⁶. Ihre Bedenken entwickelten sie exemplarisch anhand der Eidesdelation. Die Eidesdelation war ein Beweismittel des gemeinen Prozesses, bei dem eine Partei, der anderen einen Eid auferlegen konnte³⁹⁷. Zwar hielten Heise und Cropp eine Eidesdelation, die die Parteien eventuell einführten, an sich für erforderlich. So entspreche sie einem „practische(n) Bedürfniß und die (bzw. der) Rücksicht auf die Ausmittelung des materiellen Rechtes“ ³⁹⁸. Der generelle Vorbehalt einer Eidesdelation, die sich auf noch unbestimmte Tatsachen erstreckte, lehnten Heise und Cropp hingegen als „leere Förmlichkeit“ ³⁹⁹ und als unzweckmäßig ab. Zumindest sei die genaue Angabe, auf was sich der Eid beziehen solle, zu fordern. Zum Eventualprinzip führten sie dabei aus: „Auf der andren Seite ist aber nicht zu übersehen, daß die Eventualmaxime zwar wohl in einzelnen Beziehungen in den Gesetzen gegründet ist, so daß namentlich die vorhandenen Einreden gleichzeitig vorgeschützt werden müssen, und daß der Appellat, welcher die Statthaftigkeit der Appellation bestreitet, zugleich seine eventuelle Vernehmlassung auf das Materielle der Beschwerden hinzuzufügen gehal-

394 Albrecht, Eventualprinzip, S. 6 in Fn. 395 Vernehmlassung war die Erwiderung auf die Appellation, dazu unten: Erster Hauptteil C. III. 3. 396 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 266 ff. 397 Ausführlich dazu unten unter Eideszuschiebung: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) ee) (3) und zu dem zugrunde liegenden Fall unter Heise/Cropp: Erster Hauptteil C. I. 3. b) bb) (1). 398 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 272. 399 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 279.

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ten ist ( c. 4 X de except. – 2, 25⁴⁰⁰; RKGO 1555 . 3 Tit. 27 § 1, 2⁴⁰¹; JRA 1570 § 89, 90, 92; 1594 § 63, 64⁴⁰²; 1654 § 37, 70⁴⁰³.); daß aber im Uebrigen die gedachte Maxime nur als ein doctrineller Grundsatz der neueren Processualisten erscheint, dieselbe mithin außer den Fällen, wo sie gesetzlich begründet ist, nur insoweit geltend gemacht werden kann, als dafür in jenen gesetzlichen Vorschriften eine passende Analogie enthalten ist⁴⁰⁴.“ Heise und Cropp bejahten die Anwendung des Eventualprinzips also nur dort, wo es gesetzlich verankert war. Sie unterwarfen damit den Gang des Prozesses streng dem Gesetz. Eine generelle Berufung auf das Eventualprinzip als tragenden Grundsatz an sich lehnten sie ab. Damit sprachen sie der Maxime nur im Rahmen der geltenden Gesetze Bedeutung zu und setzten damit indirekt den Grundsatz voraus, dass der Richter an das Gesetz gebunden sei. Der Hinweis auf die „neueren Processualisten“ lässt auf eine Haltung schließen, die den Quellen den Vorrang gegenüber Lehrmeinungen einräumte. Insbesondere kann der Ausspruch auch als eine Ablehnung der Naturrechtswissenschaftler gesehen werden, auf welche die Entwicklung der Maximen zurückzuführen ist⁴⁰⁵. Implizit räumten sie den Gesetzen den Vorrang vor naturrechtlichen Grundsätzen ein. Diese bedingungslose Kritik, zum Vorrang der Gesetzesquellen spricht dagegen, dass Vertreter der historischen Schule, wozu auch Heise zu zählen ist, bequem die gewünschten Ergebnisse des Naturrechts übernahmen⁴⁰⁶. Heise und Cropp nahmen die dogmatische Diskussion über die Eventualmaxime auf, zugunsten einer praxisorientierten Handhabung. Sie betonten die Bindung an das Gesetz. Die Eventualmaxime erkannten sie zwar grundsätzlich für die Appellationsinstanz und auch für die Eidesdelation an, aber schlossen die bloß generelle, eventuell eingeführte Eidesdelation aus, die allein auf den Grundsatz der Eventualmaxime gestützt wurde.

400 X 2, 25, 4, in: Friedberg, Corpus Iuris Canonici II, S. 376: „Quoniam autem per dilatoria exceptiones malitiose nonnunquam causarum terminatio prorogatur, inquisitioni tuae respondendo decernimus, ut infra certum tempus a iudice assignandum omnes dilatoriae proponantur ita, quod si partes extunc aliquas voluerint opponere, quas non fuerint protestatae, nullatenus audiantur, nisi forte aliqua de novo sibi competens exorta fuerit, vel is, qui voluerit eam opponere, dem faciat iuramento, se postmento, se postmodum ad illius notitiam pervenisse.“; übersetzt in: Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici II, S. 331: bezieht sich auf das gleichzeitige Vorbringen von Einreden. 401 Abgedruckt in Laufs, RKGO 1555, S. 245. 402 Abgedruckt in Ludolff, Corpus Iuris Cameralis, No CCLXXI, S. 455. 403 Abgedruckt in Buschmann, Kaiser und Reich II, S. 199–200, 213. 404 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 279. 405 Nörr, Iudicium, S. 158, der auf Bethmann-Hollwegs Vorrede und dessen Ablehnung der Maximen verweist. 406 So aber Nörr, Iudicium, S. 158.

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Die Literatur beschäftigte sich mit dieser Auffassung⁴⁰⁷. Dabei el die Resonanz höchst unterschiedlich aus. Frühe Autoren wie Albrecht⁴⁰⁸ oder Heimbach⁴⁰⁹ lehnten die Ansicht Heises zugunsten einer generellen Geltung des Eventualprinzips ab. Sie wollten das Eventualprinzip als grundlegende Verfahrensmaxime beibehalten. Ob sich darin die Bedeutung des späten Naturrechts im Zivilverfahren des frühen 19. Jahrhunderts widerspiegelt, erscheint aber höchst fraglich⁴¹⁰. Zwar übernahmen die Autoren den mittlerweile etablierten Grundsatz, allerdings wandten sie selbst andere Methoden der Rechts ndung an als es die Naturrechtler getan hatten. Insbesondere die ausdrückliche starke Ablehnung des Naturrechts (ja auch durch das OAG) spricht dafür, dass zumindest sie selbst nicht stringent das Naturrecht weiterführen wollten, sondern sich abgrenzten. Wetzell hingegen bezeichnete bereits die von Heise und Cropp vertretene Ansicht als gründlich durchgeführt und einleuchtend⁴¹¹. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Eventualprinzip fand erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts statt. Dabei wurde das Eventualprinzip als nicht dem Ziel der Prozessbeschleunigung entsprechend abgelehnt⁴¹² und deswegen nicht in die CPO übernommen. Es sei eine „völlig unnötige Aufblähung des Prozesstoffes“ ⁴¹³ in der ersten Instanz. Diese Kritik knüpfte ebenfalls an die Überlastung des Prozesses mit unnötigen Informationen an, – der gleiche Kritikpunkt, den das OAG fünfzig Jahre vor Wach⁴¹⁴ anhand der Form der Einlegung der Eidesdelation entwickelt hatte. Heise und Cropp waren also durch ihre Kritik an dem überkommenen Eventualprinzip ihrer Zeit voraus. Die kritische Haltung gegenüber der Eventualmaxime steht im Gegensatz zu der unmittelbar Rechte gewährenden Verhandlungsmaxime. Anders als bei der Eventualmaxime, bei der die gesamte Maximenschöpfung für den konkreten Fall unbedeutend genannt wird, übten die Richter bei der Verhandlungsmaxime kei-

407 Albrecht, Eventualprinzip, S. 58; Heimbach, „Proceß“, in: Rechtslexikon VIII, S. 569, 681; Wetzell, § 71 in Fn 46, S. 977; Kracke, Eventualprinzip, S. 20. 408 Josef Ambrosius Michael von Albrecht (1807–1878), Professor sowie in der juristischen Praxis tätig, forschte zum gemeinen und bayrischen Prozess sowie zum Kirchenrecht, vgl. Karl von Savigny, ADB Bd. 45, S. 742–743. 409 Karl Wilhelm Ernst Heimbach (1803–1865), gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Mitarbeiter von Weiskes Rechtslexikon, vgl. Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 482–483. 410 So aber Dölemeyer, eorie, S. 251, 257. 411 Wetzell, § 71 in Fn 46, S. 977. 412 Wach, Handbuch, § 10 I a, S. 132. 413 Schulte, Eventualmaxime, S. 10. 414 Adolf Wach (1843–1926), liberaler Zivilprozessrechtler, setzte sich für die Vereinheitlichung des Zivilprozesses und ein einheitliches Begriffssystem ein, vgl. Unger, Wach, S. 337.

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ne solch abwertende Kritik. Stattdessen stützten sie Entscheidungsbegründungen allein auf die Verhandlungsmaxime und nicht auf die Gesetze, aus denen die Verhandlungsmaxime entspringen sollte. Hier oss eine deutliche Wertung der Richter zugunsten der Verhandlungsmaxime ein. Die Verhandlungsmaxime als Ausdruck der Privatautonomie und Freiheit einer Partei in der gerichtlichen Durchsetzung nahm einen solch fundamentalen Rang ein, dass die Maximenkritik dahinter zurück trat. Dem gegenüber der Eventualmaxime älteren Grundsatz der Verhandlungsmaxime räumten die Richter eine weitreichendere, fundamentalere Bedeutung ein. Möglicherweise erfuhr die Verhandlungsmaxime durch die neueren liberalen Forderungen einen zusätzlichen Aufschwung. Zumindest hinsichtlich der Verhandlungsmaxime entsprach das Prozessverständnis der Richter liberalen Anschauungen. Vielleicht sprach aus der bezüglich der Eventualmaxime geübten Kritik aber auch die Resignation. Die erhoffte Beschleunigung der Prozesse durch die Präklusionswirkung hatte sie anscheinend nicht bewirkt. Immer noch hatten sich die OAG-Richter häu g mit der selben Streitsache mehrmals zu beschäftigen, so dass sich der gleiche Rechtsstreit über Jahre hinziehen konnte. Die Richter scheuten nicht davor, das traditionelle Institut der Eventualmaxime radikal in Frage zu stellen entgegen der herrschenden Meinung in der Literatur.

3.

Schriftlich und geheim

a) Während des Verfahrens Das rein schriftliche Verfahren war ein Wesensmerkmal des gemeinen Prozesses. Nach gemeinrechtlicher Ansicht mussten alle entscheidungserheblichen Erklärungen dem Gericht schriftlich vorliegen und wurden erst dadurch prozessrechtlich wirksam⁴¹⁵. Das bisherige geheime und schriftliche Gerichtsverfahren stellten zahlreiche Rechtswissenschaftler radikal in Frage und forderten zunehmend ein Verfahren, das eine breite Öffentlichkeit zum Verfahren zuließ und bei dem dementsprechend mündlich verhandelt wurde⁴¹⁶. Die moderne rechtshistorische Forschung betont, dass die Schriftlichkeit tatsächlich vielfach durch mündliche Verhandlungen durchbrochen wurde⁴¹⁷. Obwohl die reine Schriftlichkeit das traditionel-

415 Ahrens, Prozessreform, S. 15. 416 Dazu Nörr, Iudicium, S. 260. 417 Zuletzt für den gemeinen Prozess im 19. Jahrhundert: Ahrens, Prozessreform, S. 17; Kip, Mündlichkeitsprinzip, S. 7–26; zu dem Kameralprozess: Diestelkamp, Schriftlichkeit, S. 105, 115.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

le Ideal darstellte, wichen schon der Kameralprozess vor dem Reichskammergericht wie auch das Verfahren vor den unteren Instanzen von der ausschließlichen Schriftlichkeit ab. Die Kritiker des überkommenden Schriftlichkeitsprinzips störten die mündlichen Elemente nicht; sie forderten unentwegt das Prinzip der Mündlichkeit. Allein hieran zeigt sich, dass diese Forderung in erster Linie rechtspolitischer Natur war. Diese politisch geprägte, kontroverse Diskussion verklärte ihre Positionen regelrecht. So schilderte Feuerbach die Heimlichkeit als „verbergende Hülle des Schlechten und Verworfenen“⁴¹⁸, die der Gerechtigkeit zuwider sei. Mündlichkeit und Öffentlichkeit wurde als Synonym für wahre und aufgeklärte Rechtsp ege gebraucht. Vor dem OAG war das Verfahren in Zivilsachen gem. § 83 OAGO ausschließlich schriftlich. Weder eine Partei- noch eine Publikumsöffentlichkeit waren beim Verfahren zugelassen⁴¹⁹. Die Beschlussfassung erfolgte geheim, nur in Anwesenheit der Räte, des Präsidenten und des Sekretärs. Die Schriftlichkeit ist auch aus dem Verlauf des Verfahrens ersichtlich, wie es sich in den Gerichtsakten darstellt. So fand der Kontakt mit den Parteien, etwa die Aufforderung zur Stellungnahme mittels Communications-Decret statt. Ob eine Entscheidungsverkündung stattfand ist ungewiss. Hier scheint sich tatsächlich der Idealtypus des schriftlichen Verfahrens verwirklicht zu haben⁴²⁰. Dass lediglich die Akten Grundlage der Entscheidung waren (entsprechend der viel zitierten Parömie: „quod non est in acta, non est in mundo“), ist bereits aus Nebensätzen der Entscheidungsgründe ersichtlich⁴²¹. Es handelte sich damit um ein rein schriftliches, sogenanntes geheimes Verfahren, ganz nach dem gemeinrechtlichen Ideal. Zwar klagte bereits Heise: „Ich kann doch nicht mehr thun als arbeiten! Vereinfache man nur das processualische Verfahren, und vor allem schaffe man das unselige Vielschreiben ab!“⁴²² Sein Ausspruch richtete sich aber nicht unbedingt gegen die ausschließliche Schriftlichkeit, sondern möglicherweise gegen das sehr formalisierte Verfahren. So lehnte Heise die Einführung einer mündlichen, öffentlichen Verhandlung ab, weil er zum einen die Praktikabilität der Reform bezweifelte, zum

418 Feuerbach, Öffentlichkeit, S. 89. 419 Anders in der fortschrittlichen Verfassung des Königreichs Westphalen von 1807, die bestimmte, dass das Verfahren öffentlich sein sollte, vgl. Art. 46 abgedruckt in Lück/Tullner, Sachsen-Anhalt, S. 99. 420 Entgegen der Annahme Ahrens, Prozessreform, S. 17, dass es dieses niemals gegeben habe. 421 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 68, Halbert & Rutlidge c. Wright Kelso & Co. (1867), S. 576, 581: „nach dem Inhalt der Acten keineswegs anzunehmen“. 422 Heise zit. nach Bippen, Heise, S. 234: „Nur die Gesetzgebung kann helfen“.

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anderen meinte, dass der Richter in seiner charakterlichen Integrität keiner öffentlichen Kontrolle bedürfe⁴²³. Auch Bluhme⁴²⁴ schrieb 1855 ausweichend, dass die Schriftlichkeit zu einer nachhaltigeren Wirksamkeit der Rechtsp ege führe. Er hielt aber einen Kompromiss für möglich, dass die schriftliche Prozessführung durch die mündliche in geringfügigen Sachen ergänzt werde⁴²⁵. Diese zögerliche bis ablehnende Haltung zeigt, dass die Richter den Reformen keinen großen Gewinn beimaßen. Lediglich in Strafsachen verhandelte das OAG ab 1864 öffentlich. Dazu wurde ein Sitzungssaal an den Seiten ügel des Gerichtsgebäudes angebaut⁴²⁶. In anderen Oberappellationsgerichten, in denen ein öffentliches und mündliches Verfahren eingeführt worden war, äußerte sich die Richterschaft hierzu zurückhaltend bis ablehnend⁴²⁷.

b) Nach der Entscheidungs ndung Die Öffentlichkeit des Verfahrens meint die Teilnahme der Partei oder Dritter während der Verhandlung. Diese fand wie gesehen nicht statt. Versteht man unter Öffentlichkeit aber nicht nur die Teilnahme an der Verhandlung, sondern weiter gefasst die Kenntnis der Partei oder eines Dritten von den Entscheidungsgründen, stellt sich die Frage nach der Öffentlichkeit erneut. Die reformerische, rechtspolitische Forderung nach der Öffnung des Gerichts meinte diese weit verstandene Form der Öffentlichkeit nicht. Die Kenntnis der Entscheidungsgründe stellt aber eine Vorstufe von Öffentlichkeit dar, bevor die Teilnahme an der Verhandlung gestattet wurde. Sie beschreibt eine fachliche Öffnung, die auch der interessierte Bürger in Anspruch nehmen konnte. Eine Partei- oder Gerichtsöffentlichkeit während des Verfahrens war nicht gestattet. Und doch lobten Wissenschaftler die Arbeit des OAG, mussten zuvor also die Möglichkeit gehabt haben, sich über die Arbeit des Gerichts zu informieren. Auch das OAG ging davon aus, dass Advokaten und Parteien seine Rechtsprechung kannte. So wiesen die Richter auf Präjudizien hin, um eine Entscheidung zu begründen. Daher ist davon auszugehen, dass zumindest die Möglichkeit be-

423 Bippen, Heise, S. 234. 424 Bluhme (1797–1874) war OAG-Rat von 1833 bis 1843, vgl. Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar I, S. 13. 425 Bluhme, System, § 600, S. 488, 489. 426 Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 86; Funk, ZRG/GA 27 (1906), S. 61, 76. 427 So beispielsweise die Richter des OAG Celle, die zu dem seit dem 1. Oktober 1850 in Hannover in Kraft getretenen Justizorganisationsgesetzes Stellung bezogen, vgl. Heile, 1733 bis 1866, S. 63, 105.

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stand, die Entscheidungsgründe einzusehen. Als einziges Relikt des Code de procédure civile fand sich in § 30 Gerichtswesenverordnung vom 4. Mai 1814, dass die Erkenntnisse aller Gerichte Entscheidungsgründe enthalten mussten⁴²⁸. Nur die Entscheidungsgründe selbst kamen als Erkenntnisquelle in Betracht, denn zu dieser Zeit gab es noch keine Entscheidungssammlungen. Den Parteien wurden die Entscheidungsgründe mitgeteilt⁴²⁹. Geheim war die Arbeit des Gerichts nach dem Abschluss des Verfahrens also nicht mehr. Neben den Entscheidungsgründen waren Briefe eine Möglichkeit, sich über die Arbeit des OAG zu informieren. Daneben gab es einige Publikationen und seit 1831 dann die wichtige Publikationsform der Entscheidungssammlung⁴³⁰. Zeitschriften publizierten in den frühen Jahren noch keine Entscheidungsgründe oder Auszüge davon. Seufferts Archiv scheint⁴³¹ die früheste Sammlung zu sein. Ein wichtiges Mittel für den wissenschaftlichen Austausch war der Brief⁴³². Gerade in den ersten 20 Jahren seiner Tätigkeit, in der noch keine der Entscheidungen in Sammlungen veröffentlicht wurden, war der Brief das einzige Medium, das OAG über die vier freien Städte hinaus bekannt zu machen. Heise korrespondierte beispielsweise lange mit Savigny und Feuerbach⁴³³. Von den Gerichtsentscheidungen selbst ist dabei nie die Rede. Anders in der Korrespondenz Savignys und Bluhmes. Bluhme berichtete verschiedentlich über die Spruchtätigkeit und dadurch aufgeworfene rechtliche Fragen⁴³⁴. Savigny fragte zur litis contestatio, die er in dem sechsten Band seines Systems behandelte, explizit nach der Rechtsauffassung des OAG und zitierte diese⁴³⁵. Auch wenn die Rechtsauffassung in eine

428 Kähler, Französisches Zivilrecht, S. 306. 429 Wetzell, System, § 67 Fn 49, S. 903, nannte die schriftliche Publizierung des Urteils das damalige übliche Vorgehen; Bluhme, System, § 621, S. 504: „die Mitteilung der Richterverfügung an die Parteien erfolgt entweder durch Publication in öffentlicher Gerichtssitzung oder durch Insinuation, d.h. schriftliche Zustellung“. 430 Ausführlich zu den im 19. Jahrhundert neuen Publikationsformen Stolleis, Juristische Zeitschriften, S. VII–XIV. 431 Ermittelt anhand der Suchmaschine des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte. Möglicherweise sind aber die Entscheidungen nicht durch eine Überschrift aufndbar. 432 Weitere Nachweise bei Vano, Gaius, S. 47–52, die den wissenschaftlichen Beitrag des Briefes betont. 433 Abgedruckt bei Braunewell, Heise, S. 90 ff. 434 Zum Ein uss des Irrtums auf die Gültigkeit der Erbeinsetzung, Strauch, Briefwechsel, Brief 155, S. 280; zunächst erwog Savigny daraufhin sein System umzuschreiben, folgte der Meinung Bluhmes dann aber doch nicht, Strauch, Briefwechsel, Brief 158, S. 288; zum Beweis eines Gewohnheitsrechts: Strauch, Briefwechsel, Brief 162, S. 296; zur litis contestatio: Strauch, Briefwechsel, Brief 174, S. 313. 435 Strauch, Briefwechsel, Brief 173, S. 311.

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Entscheidung ein oss, trugen die Briefe doch nicht dazu bei, die Urteilstätigkeit selbst öffentlich zu machen. Seit Heise an das OAG gewechselt war, befassten sich seine Briefe in erster Linie mit Personalfragen oder der OAGO⁴³⁶. Rechtsfragen, die sich besonders dem römischen Recht widmeten⁴³⁷, sind in den früheren Briefen aus seiner Professorenzeit enthalten. Der rege Kontakt der Präsidenten mit gewichtigen Autoritäten der Wissenschaft führte jedoch dazu, dass wissenschaftliche Kreise das Gericht, vertreten durch seine Präsidenten und Räte, schätzten. Der ausgewählte Adressatenkreis ermöglichte einen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis⁴³⁸. Die Urteilstätigkeit an sich blieb aber weiterhin einer breiteren Öffentlichkeit verschlossen. Nach der Entscheidungs ndung veröffentlichten außerdem Privatpersonen die gerichtlichen Entscheidungsgründe in Sammlungen. Durch diese Veröffentlichungen konnten sich Interessierte über die Entscheidungstätigkeit nachträglich informieren, ohne umständlich die Akten einsehen zu müssen. Vielleicht trugen diese Entscheidungssammlungen dazu bei, dass nachträglich eine Kontrolle der gerichtlichen Tätigkeit stattfand und das Verfahren damit weniger geheim war. Das hängt jedoch davon ab, wie die Sammlungen ausgestaltet waren und wahrgenommen wurden.

aa)

Die Entscheidungssammlungen in der rechtshistorischen Forschung

Diese Entscheidungssammlungen existierten nicht nur für das OAG Lübeck. Vielmehr erschienen höchst unterschiedliche Sammlungen in allen deutschen Staaten⁴³⁹. Diese vielfältigen Arten der Entscheidungsliteratur hat die rechtshistorische Forschung aus verschiedenen Perspektiven untersucht. Die Autoren beleuchten insbesondere die Gründe dieser Entwicklung, die im Ancien Régime begann und dann Mitte des 19. Jahrhunderts gemessen an der Vielzahl unterschiedlicher Veröffentlichungen zur Hochform au ief. Zwar wurden bereits im 16. Jahrhundert Entscheidungssammlungen veröffentlicht, jedoch unterschieden sich diese wesentlich von den späteren Exemplaren. Die damaligen Urteile waren noch nicht mit Gründen versehen und so musste entweder der Herausgeber Grün-

436 So beispielsweise in einem Brief Duntze an Heise vom 20. Oktober 1823, in: Braunewell, Heise, S. 248. 437 So beispielsweise in Briefen Heise an Savigny vom 21. Juni 1804, in: Braunewell, Heise, S. 108; 2. Juli 1804, Braunewell, Heise, S. 111. 438 Vano, Gaius, S. 52, spricht von wissenschaftlicher Gemeinschaft, die im Besonderen dem Studenten nützlich war. 439 Einen Überblick über die veröffentlichten Gerichtsentscheidungen im 19. Jahrhundert bietet Ranieri, Gedruckte Quellen.

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de liefern oder es wurden die Relationen mit veröffentlicht⁴⁴⁰. Die im 19. Jahrhundert erscheinenden Entscheidungssammlungen hingegen konnten sich auf die gerichtseigene Begründung stützen. So steht dieser neue Typ von Entscheidungssammlungen⁴⁴¹ im engen Zusammenhang mit der möglichen P icht zur Begründung im Gegensatz zu dem reichsgesetzlichen Geheimhaltungsgeboten⁴⁴² im Ancien Régime⁴⁴³. Dass nicht länger die Urteilsbegründung geheim gehalten werden musste, sondern im Gegenteil öffentlich gemacht werden sollte, war möglich aufgrund eines geänderten Menschenbildes, angestoßen durch die Aufklärung und die französische Revolution⁴⁴⁴. Der Einzelne vertraute nicht mehr blind auf die Autorität des Gerichts, sondern forderte Offenlegung. Der Richter war nun gezwungen, seine Entscheidung zu legitimieren. Diese Legitimation musste der Richter aus den Gesetzen ableiten, denen er verp ichtet war. Inwieweit sein Urteil den Gesetzen gemäß war, konnte er in den Gründen durch Argumentation darlegen. Mohnhaupt spricht von einer neuen Stufe der Gerichtsöffentlichkeit. Der Staatsbürger entwickelte sich zum „Rechtsprechungsbürger“, dem es offen stand, sich über die Tätigkeit der Gerichte zu informieren⁴⁴⁵. Sellert sieht den Bürger gar als Kontrollinstanz, das Gericht musste hier Rechenschaft gegenüber dem Bürger ablegen⁴⁴⁶. Nicht so sehr den Bürger als Adressaten dieser neuen Transparenz der Spruchtätigkeit, sondern vielmehr den Richter selbst stellt Hocks in den Mittelpunkt. Die veröffentlichten Entscheidungsgründe seien Ausdruck eines neuen Richtertyps, der sachlich und in richterlicher Eigenverantwortung durch seine Argumentation einen „Kompass in der Landschaft der interpretationsbesdürftigen Gesetze“ biete⁴⁴⁷. Um Unklarheiten der Gesetze zu kompensieren, sei eine offenkundigere Justiz sinnvoll. Anders als zuvor die juristischen Fakultäten, die im Wege der Aktenversendung für eine einheitliche Rechtsprechung sorgen sollten, sei der

440 Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 33, 79; allgemein zu den Entscheidungssammlungen vor 1800: Ascheri und Gehrke, in: Coing, Handbuch II/2, S. 1113–1130 und S. 1343–1392. 441 Hocks, Gerichtsgeheimnis, S. 176; Kroeschell, Rechtsgeschichte III, S. 172: Justiz als selbstbewusster Partner der Rechtswissenschaft; von einem in Qualität und Quantität neuartigen Phänomen spricht Mohnhaupt, FS Diestelkamp, S. 403. 442 Die dennoch häu g übergangen wurden, vgl. dazu Gehrke, in: Coing, Handbuch II/2, S. 1355; Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 34. 443 Weller, Präjudizien, S. 78; zum Zusammenhang zwischen Begründung und Öffentlichkeit: Sprung, Begründungsp icht, S. 43, 46. 444 Hattenhauer, Zivilurteil, S. 20; Sellert, Urteilsbegründung, S. 107; Sprung, Begründungsp icht, S. 55. 445 Mohnhaupt, Gedruckte Quellen I, S. 100. 446 Sellert, Urteilsbegründung, S. 110. 447 Hocks, Gerichtsgeheimnis, S. 189, 190.

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staatlich eingesetzte „Beamtenrichter“ eher praktisch ausgerichtet und so in der Lage, eine innovativere Rechtsprechung als die Fakultäten zu betreiben. Die juristischen Fakultäten als akademische Autoritäten erschienen schwerfällig statt fortschrittlich⁴⁴⁸. Dennoch arbeiteten die Richter ebenfalls wissenschaftlich, jedoch nicht mehr auf eine andere Autorität angewiesen als ihre eigene logische Argumentation. Das Vertrauen auf eine gerechte Entscheidungs ndung des Richters stärkte dessen richterliches Selbstbewusstsein, machte aber zugleich die Veröffentlichungen erforderlich. So dienten die Veröffentlichungen zum einen der Kontrolle, zum anderen der sachlichen Auseinandersetzung mit anderen Argumentationsstrukturen der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Neben dem geänderten Bild des Bürgers betont Mohnhaupt, dass die veröffentlichten Entscheidungsgründe der Vereinheitlichung dienen sollten, einer gleichförmigen Urteilspraxis, die selbst die Rechtsprechung stabilisieren sollte⁴⁴⁹. So entfalteten die veröffentlichten Urteile oftmals Präjudizienwirkung⁴⁵⁰, insbesondere wenn eine Gesetzgebung fehle, so beispielsweise im gemeinen Recht. Oder es werde jedenfalls ein Regelungsangebot für zukünftige Gesetzgebungsarbeiten geschaffen. Vorwiegend haben Einzelne, meist Richter eines Gerichts, die Sammlungen herausgegeben. Dies stellt auch Ranieri heraus, der auf die „regelrecht transformierende Leistung“ der Herausgeber aufmerksam macht⁴⁵¹. Der jeweilige Herausgeber veröffentlichte oft nur einen Teil der Entscheidung, zusammengefasst und durch ihn kommentiert. Diese Kommentierungen wurden aber nicht immer deutlich getrennt von den gerichtseigenen Ausführungen. Bereits durch die Auswahl, so Ranieri, trage die Sammlung die Handschrift des Herausgebers. Die Unterschiede der einzelnen Entscheidungssammlungen sind auffallend. Alleine für die Veröffentlichungen von Entscheidungen des OAG Lübeck sind verschiedene Stile erkennbar. Bevor auf die möglichen Folgen der zahlreichen Veröffentlichungen eingegangen werden soll, werden diese unterschiedlichen Veröffentlichungen näher betrachtet.

448 Hocks, Gerichtsgeheimnis, S. 183. 449 Mohnhaupt, Deutschland, S. 95, 101. 450 Diesen Zusammenhang untersuchen insbesondere Dawson, Oracles, S. 437 ff; Weller, Präjudizien, S. 78 ff. 451 Ranieri, Gedruckte Quellen I, S. I; so auch Dawson, Oracles, S. 439, der einen Auszug aus Seufferts Archiv zitiert.

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bb) Entscheidungssammlungen der Rechtsprechung des OAG Lübeck Alleine für das OAG existieren 13 verschiedene, meist mehrbändige, private Sammlungen von Gerichtsentscheidungen⁴⁵². Daneben wurden Entscheidungen des OAG in Zeitschriften zusammen mit denen anderer Gerichte veröffentlicht⁴⁵³. Einige Sammlungen enthielten ausschließlich Entscheidungen, die einzelnen emengebieten zuzurechnen sind wie dem Handelsrecht oder dem Zivilrecht. So hat insbesondere die Entscheidungssammlung von öl zum Handelsrecht große Bedeutung erlangt⁴⁵⁴. öl stückelte die Entscheidungen auf und veröffentlichte so Aussagen zu interessanten Rechtsfragen an getrennten Orten. So ist beispielsweise eine Lübecker Entscheidung an sieben unterschiedlichen Stellen auszugsweise abgedruckt⁴⁵⁵. Hier steht nicht mehr der Sachverhalt im Vordergrund, sondern öl teilte allein den rechtlichen Grundsatz mit. Andere wiederum differenzierten nach der örtlichen Zuständigkeit der vorigen Instanz und publizierten lediglich Entscheidungen aus einer der vier freien Städte. Im Folgenden werden ausschließlich Lübecker Entscheidungen, die auch das Zivilprozessrecht zum Inhalt haben, untersucht. So bleiben von den 13 Entscheidungssammlungen vier, die näher erläutert werden⁴⁵⁶.

(1)

Heise/Cropp

Die weitaus früheste Sammlung stammt von OAG-Präsident Heise und OAG-Rat Cropp⁴⁵⁷; der erste Band erschien 1827, der zweite folgte 1830. Auch von der Aufmachung unterscheidet sie sich deutlich von den übrigen Veröffentlichungen. So sind die Entscheidungen nicht nach Datum oder Parteien sortiert, sondern nach Rechtsproblemen. Die „Juristischen Abhandlungen“ entnehmen die jeweiligen rechtlichen Fragen aus gefällten Entscheidungen, diese werden aber eher beiläu g und meist gebündelt in Fußnoten zitiert. Insoweit ist die Überschrift „Juristische Abhandlungen mit Entscheidungen des OAG“ Programm. Bereits auf der ersten Sei-

452 Vgl. Mohnhaupt, Deutschland, S. 169–173; falsch ist die Angabe Döhrings, Rechtsp ege, S. 346, es habe in Lübeck nur vier Entscheidungssammlungen gegeben. 453 Beispielsweise Seufferts Archiv. 454 Heinrich öl (1807–1884). Laut Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 625, 634, habe öl das Handelsrecht auf dogmatisch-romanistischer Grundlage, dabei aber an der tatsächliche geübten Praxis ausgerichtet erst geschaffen; öl, Entscheidungsgründe. 455 AHL OAG L I 141 Mann c. Geller (1831) in öl, Entscheidungsgründe, No 38, 115, 119, 121, 122, 177, 180, vgl. Gesamtinventar II, S. 511. 456 Bruhn; Heise/Cropp; Kierulff; Wunderlich. 457 Juristische Abhandlungen mit Entscheidungen des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands. Von A. Heise und F. Cropp, I–II, Hamburg 1827–1830.

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te der Vorrede stellte Cropp klar, dass der Zweck des Werks nicht „eine Sammlung von Rechtsfällen und Urtheilssprüchen“ sei, denn davon gebe es bereits genügend, „sondern vielmehr (...) die wissenschaftliche Eroerterung einzelner practisch wichtiger Gegenstände, vorzüglich des Handelsrechts und des germanischen Rechts“ sei. Die dargestellten Entscheidungen dienten eher der Anschaulichkeit⁴⁵⁸. Im Vordergrund steht die wissenschaftliche Aufbereitung der Fragestellung, die sich durchschnittlich über 30 Seiten erstreckt und zahlreiche Quellenangaben des Corpus Iuris Civilis enthalten, trotz der Einleitung, die die angeblich germanischen Rechte in den Blickpunkt rückt. Es ndet eine Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen sowie älteren Literatur statt, oftmals wird eine eigene Stellungnahme anhand der Quellen entwickelt. Die Zitate sind sowohl der gemeinrechtlichen Literatur als auch der partikularrechtlichen entnommen. Die rechtliche Darstellung ist also viel ausführlicher, der Sachverhalt wird nur teilweise und am Rande mitgeteilt. Es handelt sich somit eher um wissenschaftliche Aufsätze, in denen Entscheidungen zitiert werden, die durch einzelne Entscheidungen motiviert waren. Der Titel „Abhandlungen“ erinnert an die observationes forenses, ebenso wie der Verweis auf die Entscheidungen lediglich in Fußnoten⁴⁵⁹. Im Gegensatz zu den älteren Werken setzten Heise und Cropp neue Maßstäbe in der Art und dem Niveau der Bearbeitung⁴⁶⁰. Umfassend stellten die Autoren einen behandelten emenkomplex dar, setzten sich mit Literatur kritisch auseinander und arbeiten immer anhand der vorhandenen Rechtsquellen. Diese Aufbereitung entspricht wissenschaftlichen Ansprüchen und erklärt die lobende Reaktion von Zeitgenossen auf das Werk⁴⁶¹. In der Vorrede distanzierte sich Cropp von der Rechtsprechung des OAG und stellt ausdrücklich klar, dass aufgrund der dargestellten Entscheidungen nicht mit einer fortwährenden Urteilspraxis des OAG gerechnet werden könne⁴⁶². Diese Betonung erstaunt. Auch wenn man nicht von bindenden Präjudizien ausgeht, so dient doch eine Entscheidungssammlung der Vorhersehbarkeit und damit der Rechtssicherheit. Aufgrund der wissenschaftliche Methode hält Bergfeld die Abhandlungen für keine eigenständige Entscheidungssammlung⁴⁶³, frühere Bewertungen hingegen

458 459 460 461 462 463

Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. V. Dazu vgl. Gehrke, in: Coing, Handbuch II/2, S. 1360; Gehrke, Entscheidungsliteratur. Dazu Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 49–53. Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 91. Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. VII. Bergfeld, OAG Handelsrecht, S. 67, 74; Döhring, Rechtsp ege, S. 346, bezeichnet Heise/Cropp als „gelehrte Monographie“ mit einer Anknüpfung an Entscheidungen.

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rühmten die als vorbildhaft empfundene Darstellung einer Entscheidungssammlung durch Heise und Cropp⁴⁶⁴. Zwar ist die Abhandlung keine Entscheidungssammlung im modernen Sinne, sondern es handelt sich um eine Zusammenstellung der rechtlichen Fragen, die die Justiz beschäftigten. Im Übrigen rechtfertigt die damalige Einschätzung die Klassi zierung als Entscheidungssammlung. Eine der Abhandlungen von Heise/Cropp beschäftigt sich mit dem Vorbehalt der Eidesdelation⁴⁶⁵. Nach allgemeineren Ausführungen zur Eidesdelation und deren Zulässigkeit wird nach 10 Seiten auf drei Entscheidungen des OAG verwiesen, die den Ausführungen gemäß entschieden worden seien. Im Folgenden geht Cropp darauf ein, wann ausnahmsweise eine Eidesdelation unzulässig ist. In dem Zusammenhang wird zur Eventualmaxime folgendes ausgeführt: „Daß aber im Uebrigen die gedachte Maxime nur als ein doctrineller Grundsatz der neueren Processualisten erscheint“⁴⁶⁶. Auf eine konkrete Entscheidung des OAG wird hier nicht verwiesen. In der diesen Ausführungen zugrunde liegenden Entscheidung Witwe Ohrt gegen Schütt⁴⁶⁷ wandte sich die vormals Beklagte Anna Margaretha Ohrt dagegen, 486 Reichstaler und 1 ½ Schillinge zahlen zu müssen. Hans Heinrich Schütt hatte sie aus einem angeblich gemeinsamen Holzhandel, der bereits mehr als zehn Jahre zurück lag, in Anspruch nehmen wollen. In der Appellation focht sie die Beweisführung des Schütt an, dass eine gemeinsame Gesellschaft vorliege, und verlangte den Reinigungseid leisten zu dürfen. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen Bahlke zog sie in Zweifel, da Schütt die „Vatersschwester des Zeugen zur Frau gehabt“ habe⁴⁶⁸, außerdem legte sie einen Vertrag vor, der aussagte, dass Schütt der Holzhandel nicht anteilig gehörte⁴⁶⁹. Schließlich nahm Anna Ohrt Zu ucht zu einer vorbehaltenen Eidesdelation. Das OAG griff in seinen Entscheidungsgründen diese Argumente auf. Zwar sei der Zeuge angeheiratet, darauf sei aber wenig Gewicht zu legen, zumal diese Verbindung bereits aufgehoben sei. Ein vom Kläger vorgebrachter Zeuge Rohde wird mit Aktenverweis zitiert, der aussagte, dass Ohrt (der verstorbene Ehemann der Anna Ohrt) Schütt gesagt habe, „wir theilen uns den Gewinn, Schaden kann daraus ja nicht entstehen, dazu ist das Holz zu gut

464 Vgl. Griesebach, Hanseatische Rechtszeitschrift 1920, Sp. 609, 620, bezeichnet es als Muster und führt die Autorität des Gerichts auf Heise/Cropp zurück. 465 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 266–282; die Eidesdelation bezeichnete ein Beweismittel, bei dem eine Partei den Eid über Tatsachen an die andere zuschob, näher dazu: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) ee) (3). 466 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 279. 467 AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt, (1826). 468 AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt, (1826) Q 14, p. 3 der Entscheidungsgründe. 469 AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt, (1826) Q 14, p. 6 der Entscheidungsgründe.

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gekauft, haben wir aber Verlust so müsse der Kläger denselben mit stehen“⁴⁷⁰. Zwar sei diese Äußerung schon eine Weile her, sie decke sich aber mit anderen Zeugenaussagen, die ebenfalls zitiert wurden. Sehr plastisch wird die Tochter des Klägers wiedergegeben, die ausführte, wie der Kläger „Hammer in das Holz eingeschlagen und ein noch fehlender Baum auf ihn angewiesen wurde“⁴⁷¹. Zu dem Vertrag führten die Richter aus, dass drei von vier Schriftverständigen die Urkunde für gefälscht hielten und dass die Beweiskraft endgültig schwinde, dadurch, dass der Kläger den Diffessionseid⁴⁷² geleistet habe. Hier nannten die Richter den nach ihrer Ansicht eigentlichen Grund: „die von Ohrt zur Fabricirung eines falschen Documents genommene Zu ucht eine neue Anzeige der Unrechtlichkeit seiner Sache.“⁴⁷³ Anschließend, nach längeren Ausführungen zu den Beweisen, nahmen die Richter zu der reservierten Eidesdelation Stellung. Die vorbehaltene Eidesdelation, die nur eventuell zur Geltung komme, sei nicht gleichzustellen mit den übrigen Beweismitteln. Daher sei die Verhandlung über die vorbehaltene Eidesdelation zunächst auszusetzen bis über die übrigen Beweismittel entschieden sei, denn die gleichzeitige Verhandlung führe nicht selten zu über üssigen Erörterungen. Zwar würde bei einigen Verteidigungsmittel vereinzelt zugelassen, dass Einreden eventuell eingebracht werden könnten, die „daraus abgeleitete allgemeine Eventualmaxime (sei) ein blos aus einzelnen Anwendungen geschöpfter und in seiner weiteren Ausdehnung nur mit großer Vorsicht zu benutzender doctrineller Grundsatz der neueren Processualisten“⁴⁷⁴. Der einprägsame Ausspruch „doctrineller Grundsatz der neueren Processualisten“ war also in den Juristischen Abhandlungen von Heise/Cropp wortgleich (jedoch ohne Quellenangabe) übernommen worden. Auch inhaltlich lehnten sich die Abhandlungen an die Entscheidung an, ohne jedoch den zugrunde liegenden Sachverhalt zu erläutern. Vielmehr stellte Cropp das Zitat in einen Kontext, der von dem Grundsatz der Zulässigkeit der Eidesdelation ausgehend auf die Ausnahmen zu sprechen kam. Die seitenlangen Ausführungen gaben dem Leser Hintergrundinformationen, ein Vergleich mit anderen Prozessordnungen wie der sächsischen, dem lübeckischen Stadtrecht und Kommentatoren des Partikularrechts wurde angeführt, um schließlich zu einer für ihre Zeit provokanten Aussage zu

470 AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt, (1826) Q 14, p. 4 der Entscheidungsgründe. 471 AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt, (1826) Q 14, p. 5 der Entscheidungsgründe. 472 Ein Diffessionseid wurde geleistet, um sich von dem Vorwurf zu befreien, dass eine Urkunde gefälscht sei, vgl. Bluhme, System, § 669, S. 542. 473 AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt, (1826) Q 14, p. 7 der Entscheidungsgründe. 474 AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt, (1826) Q 14, p. 13, 14 der Entscheidungsgründe.

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der Eventualmaxime zu gelangen. Diese Ausführung hat dementsprechend Aufsehen erregt und wurde vielfach zitiert⁴⁷⁵.

(2)

Bruhn

Die von dem Kanzlisten des OAG Bruhn⁴⁷⁶ 1858 herausgegebene Entscheidungssammlung⁴⁷⁷ ist zweibändig. Auch er druckte die in Heise/Cropp zitierte Entscheidung Ohrt gegen Schütt ab. Bruhn sortierte nach Entscheidungen, die durchnummeriert wurden und mit den Namen der Parteien überschrieben waren. Außerdem gab er Aktenzeichen an, die das OAG selbst verwandte. Dies lässt auf eine moderne Aktenführung des Gerichts schließen. Darüber hinaus zeigte Bruhn damit, dass er mit den originalen Gerichtsakten gearbeitet hatte⁴⁷⁸. Bevor er wörtlich einen Ausschnitt aus den Entscheidungsgründen zitierte, was er durch Anführungszeichen verdeutlichte, gab er sehr knapp einige Zusatzinformationen zum Fall. „Aus den Entscheidungsgründen zum Urtheil vom 25. März 1826 in Sachen Ohrt Wittwe, Bekl. c. H.H. Schütt, Kl., Ansprüche aus Holzankäufen v. 1811 u. 1812 betr., wodurch das Erkenntnis des Obergerichts bestätigt worden, verdient folgender, die Tempestivität des Eidesantrags betreffender Passus Mittheilung.“⁴⁷⁹ Die Bezeichnung der Parteien, das Datum der Entscheidung sowie die knappe Zusammenfassung des ursprünglichen Streitgegenstandes ließ sich dem Aktendeckel entnehmen. Die Akten waren Bruhn, wie er in seinem Vorwort mitteilte, dann auch zugänglich gewesen. Die rechtlichen Ausführungen standen im Mittelpunkt der Darstellung; dabei wurde auf den Wortlaut des Urteils Wert gelegt. Die im Original über zehn Seiten einnehmende Begründung el bei Bruhn viel kürzer aus. Auf die Darstellung des Sachverhalts verzichtete er weitgehend. Die veröffentlichten Entscheidungen waren, wie der Fall Ohrt illustriert, oft aus der Anfangsphase des Gerichts. Der jüngste Fall entstammt dem Jahre 1847. Die Aktualität der Entscheidungen war also offensichtlich nicht wichtigstes Anliegen. Dass ältere Entscheidungen der Publikation wert waren, zeigt, dass man im 19. Jahrhundert davon ausging, dass das Recht stabil war und keinen ständi-

475 Näher dazu oben unter Eventualmaxime: Erster Hauptteil C. I. 2. 476 Christian August omas Bruhn, Kanzlist am OAG von 1855–1859, vgl. LorenzenSchmidt, Gesamtinventar I, S. 13. 477 Sammlung von Entscheidungen des Oberappellationsgerichts zu Lübeck in Lübecker Rechtssachen. Herausgegeben von C.A.T. Bruhn, I–II, Lübeck 1858. 478 Mohnhaupt, Deutschland, S. 95, 172. 479 Bruhn, Sl. 1, XLIII, Wwe. Ohrt c. Schütt (1826), S. 196.

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gen Veränderungen unterlag. Die ausnahmslos zivilrechtliche Sammlung wurde mit einem Sachregister versehen. Nicht immer waren die eigenen Anmerkungen Bruhns so knapp gehalten wie in dem Streit um den Holzhandel. Teilweise stellte er den Sachverhalt und kurze Auszüge aus den Entscheidungen der vorigen Instanzen dar. Wenn dieselben Parteien mehrmals appellierten, wurden die Entscheidungsgründe unter dem gleichen Aktenzeichen mit dem Zusatz A, B, C usw. gekennzeichnet⁴⁸⁰. Bruhn stellte in der Entscheidung Otzen c. Dettmer⁴⁸¹ ausführlich seine eigene rechtliche Ansicht dar. Auf den elf Seiten des Falles wurde nur eine halbe Seite wörtlich aus den Entscheidungsgründen des OAG zitiert, um anschließend ausführlich darzustellen, weshalb dem nicht zu folgen sei. Diese Darstellung, die ausdrücklich als eigene gekennzeichnet war („Diesen Gründen und Folgerungen haben Wir nicht beitreten können...“) bildete allerdings die Ausnahme. So variierte die Schilderung der Entscheidungen, was auch daran deutlich wird, dass die Namen der Parteien zum Teil nur durch den Anfangsbuchstaben abgekürzt waren, in der Regel jedoch ausgeschrieben wurden. Warum in seltenen Fällen die Anonymität gewahrt wurde, in den meisten hingegen nicht, bleibt undurchsichtig. Die Sammlung nutzte Bruhn aber nicht in erster Linie als Plattform eigener Stellungnahmen, sondern die Rechtsprechung des OAG bildete eindeutig den Schwerpunkt. Dabei wählte Bruhn oft behandelte Rechtsprobleme aus, ohne dass er den Sachverhalt mitteilte. Die Auswahl der Entscheidung sowie die unterschiedliche Mitteilung des Sachverhaltes prägte die Wahrnehmung der Rechtsprechung des Lesers. Sie trugen also deutlich die Handschrift des Herausgebers. In seinem Vorwort betonte Bruhn, dass die Veröffentlichung mit „hochgeneigter Genehmigung jenes hohen Gerichts“ erfolgte⁴⁸². Er wandte sich darin außerdem an die Anwälte und Richter als Adressaten der Sammlung, die eine „faßlichste und zuverlässigste Richtschnur“ der Rechtsprechung nden sollten, um bei den zahlreichen Rechtssatzungen ermessen zu können, was Recht sei. Er wandte sich daneben an die Rechtswissenschaft und an die „legislativen Organe“, um endlich die Lücken schließen zu können⁴⁸³. Damit beklagte er die Unübersichtlichkeit des Rechts und wollte mit seiner Sammlung Abhilfe schaffen⁴⁸⁴. Diese Formulierung

480 So beispielsweise bei Marty c. Gibbons & Healing in Bruhn, Sl. 2, No XXXIII, S. 186–196, diese Entscheidung ist sogar wortgleich abgedruckt, allerdings ohne die durch das Gericht vorgenommenen Unterstreichungen; Seitenzahlangaben fehlen außerdem. 481 Bruhn, Sl. 1, No. VI, Otzen c. Dettmer (1821), S. 42–53. 482 Bruhn, Sl. 1, S. IV. 483 Bruhn, Sl. 1, S. III. 484 Mohnhaupt, Deutschland, S. 95, 172.

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zeigt, dass die Rechtsquellenvielfalt zunehmend als Last und Quelle von Unsicherheit empfunden wurde.

(3)

Wunderlich

Die 1866 erschienene von dem OAG-Rat Wunderlich redigierte Entscheidungssammlung⁴⁸⁵ ähnelt der durch Bruhn veröffentlichten Sammlung stark und schließt zeitlich an diese an. Auch Wunderlich ordnete die Entscheidungen chronologisch und beschränkte sich auf bürgerliche Streitigkeiten aus Lübeck. Er überschrieb die Entscheidungsgründe ebenfalls mit den Namen der Parteien sowie mit dem Datum des Urteils und dem Aktenzeichen des OAG. Die Fälle entstammten den Jahren 1848 bis 1864, also wiederum einer früheren Zeit. Aus dem Gesamtinventar erschließt sich, dass jedoch nicht jede Entscheidung veröffentlicht wurde, eine Auswahl durch Wunderlich also durchaus stattfand. Die Sammlung enthält sowohl ein systematisches Sachregister als auch ein chronologisches Namensregister. Auf eine Einleitung verzichtete der Herausgeber. Dafür hat er die Entscheidungen mit Leitsätzen versehen. Die Entscheidungsgründe selbst hat er anscheinend auszugsweise wörtlich übernommen. Die im Fließtext angegebenen Seitenzahlen lassen darauf schließen. Durch die fehlende graphische Hervorhebung dieser Zitate fällt es dem Leser allerdings schwerer zu unterscheiden, was von dem Verfasser selbst herrührt und was vom OAG. Dafür hat Wunderlich gesetzliche Grundlagen und gemeinrechtliche Literatur im Fließtext hervorgehoben⁴⁸⁶. Wunderlich stellte den rechtlichen Ausführungen des OAG gelegentlich eine kurze Sachverhaltsschilderung und Schilderung der Prozessgeschichte voran. Auf Entscheidungsgründe der vorigen Instanzen verzichtet er jedoch.

(4) Kierulff Die Sammlung von Kierulff⁴⁸⁷ ist mit sieben Bänden die ausführlichste und zugleich die letzte Entscheidungssammlung des OAG Lübeck. Der erste Band er-

485 Die Jurisprudenz des Oberappellationsgerichts zu Lübeck 1848–1855. Redigiert von Agathon Wunderlich, I–II, Bremen 1866–1868. 486 Darauf weist Mohnhaupt, Deutschland, S. 95, 172, hin. 487 Sammlung der Entscheidungen des Ober-Appellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck. Herausgegeben von J.F. Kierulff, Hamburg 1866–1868; fortgesetzt unter dem Titel: Sammlung der Entscheidungen des Ober-Appellationsgerichts der Freien Hansestädte zu Lübeck, III–VII, Lübeck 1869–1874.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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schien 1866, acht Jahre später, 1874, der letzte. Die nach 1872 ergangenen Lübecker Entscheidungen wurden nicht mehr publiziert⁴⁸⁸. In mehreren Punkten unterschied sich die Zusammenstellung durch Kierulff von den übrigen Veröffentlichungen. Zunächst wurde fast jedes Jahr ein neuer Band herausgegeben, der sich auf das laufende, spätestens auf das davor liegende Jahr bezog. Die zeitliche Nähe nahm hier an Bedeutung zu. Die Sammlung war umfassender, da sie in zeitlicher Reihenfolge nahezu alle Entscheidungen, zivilsowie strafrechtliche Entscheidungen aus allen vier Städten, aufführte. Nur vereinzelt wurde eine Entscheidung nicht publiziert. Den Entscheidungen vorangestellt wird die Stadt genannt, in der die vorigen Instanzen den Fall entschieden hatten, es folgt der Name der Parteien und deren Parteistellung aus der Vorinstanz. Kierulff stellte den Entscheidungsgründen eigene Leitsätze voran und eine unter Rechtsfall überschriebene Zusammenfassung des Sachverhalts⁴⁸⁹. Häu g werden die Entscheidungsgründe beider Vorinstanzen verkürzt wiedergegeben, teilweise sogar das Vorbringen der Parteien. In seinem Vorwort stellte er die Verbindung von Praxis und Wissenschaft in den Mittelpunkt⁴⁹⁰. Wer auf die Rechtsprechungspraxis zurückgreife, könne „ein tieferes Verständniß des Gesetzesstoffes“⁴⁹¹ gewinnen. Er betonte die „innere Durchdringung von eorie und Praxis, welche sich in unserem Zeitalter zu vollziehen beginnt“⁴⁹². Die Sammlung sollte dazu einen Beitrag leisten. Dass Kierulff diese umfangreiche Zusammenstellung von Entscheidungsgründen 1874 aufgegeben hat, kann zum einen mit dem Kompetenzverlust des OAG seit das Oberhandelsgerichts 1869 seine Tätigkeit aufnahm, zusammenhängen, zum anderen zeichnete sich zu dem Zeitpunkt bereits das Inkrafttreten der CPO ab⁴⁹³ und damit das Ende des OAG.

(5)

Zusammenfassung

Für diese höchst unterschiedliche Darstellungsweise der Entscheidungssammlungen kommen verschiedene Gründe in Betracht. Zum einen kann das Selbstverständnis der Herausgeber sich auswirken. Kierulff, der detailgetreu den Prozess

488 Vgl. Angabe im Repertorium Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar III. 489 Mohnhaupt, Deutschland, S. 95, 170, spricht von einer ausführlichen Wiedergabe des Sachverhaltes und der Gründe. 490 Mohnhaupt, Deutschland, S. 95, 170. 491 Kierulff, Bd. 1, S. IV. 492 Kierulff, Bd. 1, S. IV. 493 Dahlmann, in: Coing, Handbuch III/2, S. 2615, 2672.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

nachzeichnete, war am Einzelfall interessiert. Heise und Cropp, die ausschließlich die rechtliche Problemstellung für mitteilenswert hielten, begriffen sich als Pendant zur Literatur. Zum anderen kann sich tatsächlich im Laufe der Zeit (zwischen erster und letzter Veröffentlichungsreihe liegen immerhin vierzig Jahre) die Bedeutung von Entscheidungssammlungen verschoben haben hin zu einer eigenständigen Gattung, die im Mittelpunkt die einzelne Entscheidung sieht und vor allem diese dokumentieren will. Dafür spricht, dass etwa für das Reichsoberhandelsgericht ab 1871 eine amtliche Entscheidungssammlung erschien⁴⁹⁴. Auch eine geänderte Auffassung von der Bindungswirkung der Präjudizien kann ausschlaggebend gewesen sein. So werden die Argumentationsstrukturen deutlich. Dass vermehrt neben den rechtlichen Problemen die Sachverhalte mitgeteilt werden, zeigt, dass sich die Herausgeber bewusst wurden, dass die rechtlichen Ausführungen eines Falles nur bedingt verallgemeinerungsfähig sind und eine Differenzierung notwendig ist. Während Heise und Cropp die wissenschaftliche Aufbereitung in den Mittelpunkt rückten, zeugt Kierulffs Sammlung von einem Verständnis von Entscheidungsveröffentlichungen, die unserem heutigen signi kant ähnlicher ist als die vorherigen Sammlungen. So nimmt die Aktualität der Entscheidungen sowie die genaue Wiedergabe des Sachverhalts und des Entscheidungswortlauts an Bedeutung zu. Eigene Zusätze, die sich bei Kierulff in Form der leitsatzähnlichen Überschriften nden, sind deutlich als eigene im Gegensatz zu den Worten des Gerichts für den Leser erkennbar.

cc) Beispiel einer überterritorialen Entscheidungssammlung Neben den Entscheidungssammlungen, die sich auf Rechtsprechung des OAG Lübeck beschränkten, gab es überterritoriale Entscheidungsveröffentlichungen. Diese Sammlungen veröffentlichten Entscheidungen von verschiedenen OAG und machte sie daher für Leser über die Landesgrenzen hinaus attraktiv. Möglicherweise waren diese überterritorialen Sammlungen ein ussreicher, weil sie einen größeren Leserkreis ansprachen. Daher dürfen sie nicht fehlen, wenn herausgefunden werden soll, welchen Ein uss die Rechtsprechung des OAG hatte. Als ein prominentes Beispiel wird Seufferts Archiv⁴⁹⁵ untersucht.

494 Entscheidungen des Bundes-Oberhandelsgerichts herausgegeben von Mitgliedern des Gerichtshofs, erster Band Erlangen 1871. 495 Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten; ab XII: A. Seufferts Archiv für Entscheidungen, herausgegeben von J.A. Seuffert, I–XCVIII, München 1847–1944.

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Auf der Grundlage von bereits von Richtern veröffentlichten Entscheidungen einzelner Gerichte stellte Seuffert⁴⁹⁶ ab 1847 Entscheidungsauszüge und Leitsätze zu einzelnen emengebieten zusammen. Er wollte die Entscheidungen verschiedener OAG über ihre Landesgrenzen hinaus einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen, um die „Wechselwirkung zwischen eorie und Praxis“⁴⁹⁷ zu fördern und das gemeine deutsche Recht zu p egen. Dieses Recht, das Seuffert als „Ergebniß der Ausprägung allgemeiner überall zu Grunde liegender Rechtsbegriffe“ verstand, müsse erhalten bleiben und ein Gegengewicht zu der Gesetzgebung bilden, die sich nicht der gemeinsamen deutschen Gesetzgebung widme, sondern nur „particularen Codicismus“ betreibe⁴⁹⁸. Um dieses Vorhaben realisieren zu können, rief er dazu auf, ihm Entscheidungsmaterial, gerne bereits redigiert, zu senden⁴⁹⁹. Dem Versuch, eine einheitliche Rechtsprechung von einer Vielzahl von Oberappellationsgerichten herauszuarbeiten, el die ausführliche Darstellung eines jeden Urteils zum Opfer. Die Urteilsgründe waren stark gekürzt, die Leitsätze von dem Herausgeber eingefügt. Dawson nennt die Darstellungsweise gar beeinussend⁵⁰⁰. Die ursprüngliche Gestalt des Urteils konnte so nicht beibehalten werden, der Beitrag des Herausgebers erlangte höheres Gewicht und verminderte die Authentizität. Die Urteile wurden in Zivilrecht und Zivilprozessrecht eingeteilt, durchnummeriert und thematisch überschrieben. Welches Gericht entschieden hatte, war erst am Schluss des kurzen Textausschnitts oder der Zusammenfassung der Entscheidung durch den Herausgeber zu entnehmen. Die Fundstelle der Erstveröffentlichung wurde jeweils angegeben.

dd) Auswirkungen der Entscheidungssammlungen Die Herausgeber erläuterten in ihren Vorworten jeweils, warum sie die Veröffentlichungen für wichtig hielten. So sollte die Rechtsprechung vereinheitlicht, die Gesetzgebung angeregt und dem Diskurs mit der Rechtswissenschaft Vorschub geleistet werden. Doch welche dieser beabsichtigten Funktionen konnten die Entscheidungssammlungen tatsächlich erfüllen? Die verschiedenen Entscheidungssammlungen erfassten eine Fülle von Entscheidungen. Von 724 Lübecker

496 Johann Adam von Seuffert (1794–1857), zu ihm: Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 597–600 und Noten, S. 261–263. 497 Seufferts Archiv, Bd. I (1847), S. V. 498 Seufferts Archiv, Bd. I (1847), S. V, VI. 499 Seufferts Archiv, Bd. I (1847), S. VII. 500 Dawson, Oracles, S. 439.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

Gerichtsentscheidungen zum Zivilrecht sind zwischen 1845 und 1855 75,2 %⁵⁰¹ der Entscheidungen veröffentlicht worden, einige davon mehrfach. Auch in den ersten zehn Jahren, in denen das Gericht bestand, wurden mit 62,8 %⁵⁰² eine hohe Anzahl von Entscheidungen veröffentlicht, obwohl die ersten Entscheidungssammlungen zu diesem Zeitpunkt erst aufkamen. Dennoch hielten die Herausgeber auch die jahrelang zurückliegenden Entscheidungen einer Veröffentlichung wert. Der Prozentsatz der Veröffentlichungen lässt signi kant erst in den letzten Jahren, in denen das OAG bestand, nach. So wurden von 1870 bis 1879 nur noch 10,57 %⁵⁰³ der Urteile veröffentlicht. Die Sammlungen waren also durchaus geeignet, ein Abbild der Entscheidungstätigkeit des OAG zu vermitteln. Allerdings variierte die Darstellungsweise je nach Herausgeber beträchtlich. Zumindest die rechtlichen Ausführungen wurden jedoch größtenteils wörtlich, wenn auch nur auszugsweise abgedruckt. Auswirkungen, die die Rechtsprechung des OAG möglicherweise auf die Gesetzgebung Lübecks nahmen, waren jedenfalls durch diese Veröffentlichungen bedingt. Die Veröffentlichungen trugen dazu bei, die Rechtsprechung zu vereinheitlichen. Gerade die später ergangenen Entscheidungen des OAG nahmen häu g Bezug auf bereits früher gefällte Entscheidungen. Die Richter verwiesen auf die Argumentationsstruktur und übernahmen das Ergebnis. Damit festigten sie die eigene Rechtsprechung. Inwieweit das OAG Lübeck die Rechtsprechung anderer Gerichte, insbesondere Gerichte anderer Gerichtsbezirke beein usste, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Es ist aber davon auszugehen, dass die Rechtsprechung in der gemeinrechtlichen Literatur berücksichtigt wurde und andere Gerichte zumindest leicht Kenntnis erlangen konnten. So war eine, wenn auch zeitlich verzögerte, Rezeption der Rechtsprechung des OAG möglich. Die gemeinrechtliche Literatur befasste sich mit der Rechtsprechung des Gerichts⁵⁰⁴. In seinem grundlegenden Standardwerk zum gemeinrechtlichen Zivilprozess zitierte Wetzell das OAG Lübeck beispielsweise 36 mal⁵⁰⁵. Soweit er lediglich in Fußnoten auf die Entscheidung des OAG Bezug nahm, bewertete er

501 Ermittelt anhand der Angaben in Lorenzen-Schmidt, Bd. 2, ob Entscheidung veröffentlicht, ausgewertete AHL OAG L I 265 bis einschließlich L I 370. 502 AHL OAG L I 1 bis einschließlich L I 122. 503 Von AHL OAG L I 601 bis einschließlich L I 724. 504 Insbesondere Wetzell, System, beispielsweise in § 71 Fn 4, S. 977; auch Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. 475 Fn 18 allerdings Untertitel: „mit Belegen aus der Praxis der obersten Gerichte“. 505 Ermittelt anhand der Hinweise in den Fußnoten, die sich auf das OAG Lübeck oder auf die jeweiligen Entscheidungssammlungen beziehen.

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diese als „gründlich und einleuchtend “⁵⁰⁶, aber auch als „teilweise auf Seiten des Gegners“⁵⁰⁷, „abweichend“⁵⁰⁸, „andere Meinung“⁵⁰⁹ oder als „unzutreffend“⁵¹⁰. Er beließ es nicht dabei, in Fußnoten auf das OAG hinzuweisen, sondern setzte sich mit der Rechtsprechung, sofern sie einen anderen Standpunkt als die übrige Literatur einnahm, kritisch auseinander. Beispielsweise bei der Einschränkung der generellen Eidesdelation folgte er der Meinung des OAG⁵¹¹. Besonders häu g zitierte er dabei Heise/Cropp und Seuffert’s Archiv, nur vereinzelt nahm er auf Kierulffs Entscheidungssammlung Bezug. Im Zeitpunkt des Erscheinens der ersten Au age von Wetzells System 1854 war Kierulffs Sammlung auch noch gar nicht erschienen. Dabei war das OAG Lübeck nicht das einzige OAG, auf dessen Rechtsprechung Wetzell hinwies. Oft zitierte er mehrere Oberappellationsgerichte in Zitatennestern, die er benutzte, um den eigenen Standpunkt zu festigen⁵¹². Savigny zitierte in seinem späteren Werk wie dem sechsten Band seines „Systems“ die Rechtsprechungssammlungen des OAG Lübeck wie auch andere Oberappellationsgerichte in Fußnoten. In einem Briefwechsel mit dem OAGRat Bluhme fragte Savigny explizit nach der Auffassung des OAG Lübeck zu den Rechtswirkungen der litis contestatio⁵¹³ sowie nach der Bedeutung der Prozesszinsen⁵¹⁴. Savigny setzte sich also, jedenfalls in seinem Spätwerk⁵¹⁵, mit der Rechtsprechung der Oberappellationsgerichte auseinander. Die Praxis fand also durchaus Anerkennung in der Literatur. Die gegenseitige Wertschätzung ist somit viel früher erkennbar als von Döhring veranschlagt⁵¹⁶. Auch wenn von keinem Übergewicht der Praxis gesprochen werden kann, waren hier Rechtspraxis und Wissenschaft verzahnt und standen im regen Austausch miteinander. Das OAG Lübeck seinerseits untermauerte seine Entscheidungen, genauer den eigenen Argumentationsstrang mit Zitaten auch aus den neueren juristischen

506 507 508 509 510 511 512 513 514 515 516

Wetzell, System, S. 977 Fn 46. Wetzell, System, S. 830 Fn 29. Wetzell, System, S. 818 Fn 17. Wetzell, System, S. 677 Fn 12. Wetzell, System, S. 530 Fn 14. Wetzell, System, S. 977 Fn 46. Beispielsweise Wetzell, System, S. 46 Fn 15; S. 115 Fn 66; S. 125 Fn 43; S. 200 Fn 11; S. 201 Fn 15; S. 202 Fn 21. Römisch rechtliches Institut zur Festlegung des Verfahrensbeginns mit zahlreichen prozessualen und materiellrechtlichen Wirkungen, näher dazu unter: Zweiter Hauptteil B. I. 2. So Mohnhaupt, Richter, S. 243, 262. Mohnhaupt, Richter, S. 243, 263. Döhring, Rechtsp ege, S. 365, will erst in den 1920er Jahren die Stellung der Praxis für die Wissenschaft herausstreichen.

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Lehrbüchern wie Linde, Martin, später Wetzell, Planck oder Windscheid⁵¹⁷. Durch diese gegenseitige Bezugnahme der neueren Literatur und des OAG war eine kritische Auseinandersetzung und Beein ussung zwischen Rechtsprechung und Literatur möglich und fand auch tatsächlich statt. Die Veröffentlichungen von Entscheidungen trugen zum sachlichen Austausch zwischen Wissenschaft und Rechtsprechung bei. Brinkmann⁵¹⁸ schätzte bereits 1826 den Ein uss auf die Wissenschaft sogar höher ein als die „bloße Lehre“ der Rechtsgelehrten⁵¹⁹. Zwar fanden bereits im usus modernus die Entscheidungssammlungen großen Anklang⁵²⁰. Nun wurden sie aber aufgrund ihrer Argumentationsstruktur geschätzt und nicht allein aufgrund ihrer praktischen Autorität. Jan Schröder spricht insofern von der Entwicklung weg von der reinen Nützlichkeit hin zur Wissenschaftlichkeit⁵²¹. Die Entscheidungsgründe selbst arbeiteten mit wissenschaftlichem Anspruch und emanzipierten sich von der Lehre. Das OAG wurde so als wissenschaftliche Autorität ernst genommen. Nicht erst Ende des 19. Jahrhunderts, sondern bereits zu seinem Beginn spiegelte sich also die wissenschaftliche Bedeutung der Rechtsprechung in der gemeinrechtlichen Literatur wider⁵²², jedenfalls für das OAG Lübeck. Das OAG war außerdem bemüht, die eigene Rechtsprechung zu festigen. Damit schaffte es eine gewisse Rechtssicherheit für den betroffenen, rechtssuchenden Bürger und Orientierung für die unterinstanzlichen Gerichte. So fand zwar keine Partei- oder Gerichtsöffentlichkeit während einer Verhandlung statt, aber der wissenschaftliche Austausch wurde durch die späteren Veröffentlichungen herbeigeführt. Diese Art der Öffentlichkeit war zwar weder für eine breite, juristisch nicht geschulte Bevölkerung interessant noch für die Betroffenen selbst, die nicht mehr unmittelbar auf die Urteils ndung einwirken konnten, sie führte jedoch dazu, dass das OAG auf einzelne rechtliche Fragestellungen Ein uss nahm. 517 Beispielsweise in Wunderlich, Bd. 2, No 391, Kahts c. Wiggers Wwe. (1858), S. 125, 127, werden Linde und Martin genannt; in Wunderlich, Bd. 2, No 361, Christianicke c. Marienkirche (1856), S. 17, 18: Planck; in der Frankfurter Sache: Kierulff, Bd. 2, No 11, Schmalz c. Bied (1866), S. 70, 77: Wetzell. 518 Heinrich Rudolf Brinkmann (1789–1878), Professor in Kiel, arbeitete zunächst als Advokat, später als Richter in der Praxis, vgl. „Brinkmann“, in: Meyers Konversationslexikon, Bd. 3 (1905), S. 433. 519 Brinkmann, Urtheilsgründe, S. 58. 520 Zu der großen Bedeutung von Entscheidungssammlungen bereits im 16. Jahrhundert: Ascheri, in: Coing, Handbuch II/2, S. 1124. 521 Schröder, Wissenschaftstheorie, S. 142. 522 Reimann, „Fallrecht“, in: HRG I, Sp. 1482, 1485, veranschlagt diese Entwicklung erst für die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts mit Hinweis auf Oskar Bülows Gesetz und Richteramt (1885).

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4. Rechtliches Gehör Das rechtliche Gehör, wonach den Beteiligten vor jeder sie betreffenden Entscheidung des Gerichts Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben ist⁵²³, wurde vom OAG als zentraler Verfahrensgrundsatz anerkannt. Dies ergibt sich sowohl aus der OAGO als auch aus den Entscheidungen selbst, die auf das rechtliche Gehör eingingen. Die OAGO bestimmte in § 119, dass bevor das OAG über die Zulässigkeit von Anträgen entscheidet, die Gegenpartei zu hören war. Gem. § 159 OAGO durfte die Restitution nur nach Vernehmung der Gegenpartei bewilligt werden. Vor Ausspruch der Restitution war der Beschwerdegegner zu vernehmen, § 182. Die rechtswidrige Versagung des rechtlichen Gehörs begründete die Nichtigkeit des Urteils. Jedoch sahen die Richter das rechtliche Gehör oftmals nicht als verletzt an. In dem oben beschriebenen Fall Gerrits gegen Gerrits⁵²⁴, bei dem die Eltern für die Sorge um ihre Tochter stritten, hatte der Vater sich auch auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs berufen. Mit Verweis auf die Literatur lehnte das OAG die Verletzung ab⁵²⁵. Durch die gefährdete Unterbringung des Kindes hätte eine abzuwendende Gefahr vorgelegen, die den „Verzug einer vorgängigen Verhandlung nicht zulässt“⁵²⁶. In einem solchen einstweilig zu entscheidenden Fall seien die Rechte der nicht gehörten Partei dadurch gewahrt, dass sie durch „nachträglichen Vortrag die Wiederaufhebung des vorläu g Verfügten“ erwirken könne. In einem Hamburger Rechtsstreit⁵²⁷ lehnten die Richter die Berufung auf diesen Grundsatz generell ab; in einem Exekutiv- und Wechselprozess sei rechtliches Gehör vor Erlass einer Entscheidung nicht immer möglich ⁵²⁸. Dem Kläger wurde sogar vorgeworfen, den Prozess lediglich verzögern zu wollen. Der Kläger hatte die Einlassung verweigert und sich dennoch auf die Verletzung des richterlichen Gehörs berufen. Dass das rechtliche Gehör in exekutivischen Prozessen eingeschränkt sei, da der Anspruch des Beschwerdeführers höchst wahrscheinlich sei, entsprach der Meinung der Literatur⁵²⁹. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs würde hier die effektive Durchsetzung des Anspruchs im einstweiligen Rechtsschutz verhindern. 523 Uhlhorn, „Rechtliches Gehör“, in: HRG IV, Sp. 253. 524 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 27, Gerrits c. Gerrits (1867), S. 193–203, siehe dazu bei Verhandlungsmaxime: Erster Hauptteil C. I. 1. 525 Sie zitierten Gönner und Martin, Vorlesungen. 526 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 27, Gerrits c. Gerrits (1867), S. 192, 202. 527 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 5, No 54, Wolffson c. Otte & Becker (1869), S. 336–341. 528 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 5, No 54, Wolffson c. Otte & Becker (1869), S. 336, 339. 529 Wetzell, System, § 43 bei Fn 52, S. 523.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

Zwar normierte die OAGO das rechtliche Gehör als wesentlichen Verfahrensgrundsatz, in der Praxis lehnten die Richter aber häu g eine Verletzung ab.

5. Zusammenfassung Der Zivilprozess vor dem OAG Lübeck war vollkommen an den gemeinrechtlichen Prozessgrundsätzen ausgerichtet. Die Verhandlungsmaxime war der bestimmende, wesentliche Grundsatz des Verfahrens. Das Verfahren war bis zur Au ösung des Gerichts 1879 geheim und rein schriftlich. Von den rechtspolitischen Grundsatzkämpfen war im Gerichtsalltag nichts zu spüren. Die Richter verzichteten in ihrer Urteilstätigkeit vollkommen auf rechtspolitische Argumentationen. Der französische Ein uss hat für die Rechtspraxis damit keinen bedeutenden Einuss erlangen können. Allerdings ist eine andere Form der Öffnung bemerkenswert. Durch die Entscheidungssammlungen konnte die Entscheidungstätigkeit des Gerichts einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden. Ein wissenschaftlicher Austausch zwischen Literatur und Praxis wurde rege genutzt. Die Richter begriffen sich als selbstbewusste Partner der Literatur, sie arbeiteten mit wissenschaftlichem Anspruch. Die Eventualmaxime, ein bis dahin nicht in Frage gestellter Grundsatz des gemeinen Zivilverfahrens, war bitterer Kritik der Richter ausgesetzt. Sie erkannten die Eventualmaxime nur an, soweit sie gesetzlich vorgesehen war. Hier waren die Richter ihrer Zeit voraus, denn erst 1879 hat die CPO den Eventualgrundsatz nicht übernommen. Im Gegensatz zur Eventualmaxime war der Prozess so sehr mit dem Verhandlungsgrundsatz verwoben, dass allein eine Berufung auf den Grundsatz ausreichte, um konkrete Rechtsverletzungen zu prüfen. Der Verhandlungsgrundsatz wurde in zahlreichen Urteilen ausdrücklich erwähnt. In der konkreten Ausgestaltung schränkten die Richter die Verhandlungsmaxime allerdings gelegentlich durch ein öffentliches Interesse ein. Ebenso konnte der Rechtssuchende mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs argumentieren. Die Prozessmaximen waren also anerkannte Abstraktionen, die Einzelforderungen im Prozess begründen konnten.

II. Parteien Die Frage, wer überhaupt vor einem Gericht als Partei auftreten durfte, ist essentiell. Denn die Antwort zeigt, wem die Rechtsgewährung generell offenstand und damit zugute kommen konnte. War diese auf Menschen beschränkt, denen das Bürgerrecht zustand und die damit nur einen geringen Anteil der tatsächlichen Bevölkerung widerspiegelten? Waren Frauen berechtigt, selbst Partei zu sein? Wie wurden die zahlreichen Zünfte Lübecks vor Gericht repräsentiert?

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

1.

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Partei-, Prozess-, Postulationsfähigkeit – zur Terminologie

Die rechtshistorische Forschung hat sich im Zusammenhang mit der Rechtsstellung der Frau der Frage zugewandt, inwiefern sie vor Gericht auftreten bzw. Partei sein konnte⁵³⁰. Schwierigkeiten ergeben sich zunächst in terminologischer Hinsicht. Erst Ende des 19. Jahrhunderts unterschied die Jurisprudenz zwischen Partei-, Prozess- und Postulationsfähigkeit. Dabei soll Koch⁵³¹ 1855 zuerst zwischen Partei- und Prozessfähigkeit differenziert haben. Jedoch ndet sich bereits bei Linde 1850 in einer Fußnote der Verweis auf den Begriff der Prozesslegitimation, den Reinhardt⁵³² gebrauchte⁵³³. Linde selbst blieb jedoch der gemeinrechtlichen Terminologie treu, die nicht unterschied, sondern nur von ius standi in iudicio bzw. legitima persona standi in iudicio sprach, also von der Fähigkeit, ein subjektives Recht gerichtlich geltend zu machen, der Gerichtsfähigkeit⁵³⁴. Auch Wetzell verwandte 1878 nicht die moderne Begrifflichkeit. Rechtssubjekt könne zunächst jeder Mensch sein⁵³⁵. Einen Prozess zu führen, heiße aber Handlungen vorzunehmen, die dazu führen könnten, Ansprüche aufzugeben. Dies könne aber nur, wer handlungsfähig sei und einen vollkommenen Willen bilden könne⁵³⁶. Dies sei bei juristischen Personen nicht der Fall wie auch bei Frauen, für die das Landesrecht eine Geschlechtsvormundschaft vorsehe. Hier trat die Verzahnung von materiellem und prozessualem Recht zutage. Der Prozess selbst wirkte sich laut Wetzell direkt auf den materiellen Anspruch aus, konnte Ansprüche zum Erlöschen bringen. Diese Feststellung veranlasste ihn dazu, Einschränkungen von der generellen Rechtssubjektfähigkeit zu formulieren. Die moderne Begrifflichkeit benutzte die gemeinrechtliche Literatur damit nicht, sondern sie sprach undifferenziert von der Gerichtsfähigkeit. Auch in der Rechtsprechung des OAG ist die moderne Begrifflichkeit nicht zu nden. In einigen Fallgruppen waren gewillkürte oder gesetzliche Vertreter nötig, um wirksam prozessual handeln zu können.

530 Holthöfer, Frau, S. 575–599; Oestmann, Frauen, S. 150–153; Weitzel, „Prozeßfähigkeit“, in: HRG IV, Sp. 48, 49; Westphal, Frauen, S. 17. 531 Christian Friedrich Koch (1789–1872), nach der Schneiderlehre trat er eine erfolgreiche Juristenlaufbahn an, veröffentlichte insbesondere zum ALR, zu ihm Rückert, NDB Bd. 12, S. 257–260. 532 Karl Friedrich von Reinhardt war unter anderem Verfasser des Werkes System des gerichtlichen Verfahrens in Königreich Württemberg, Stuttgart 1811. 533 Linde, Lehrbuch, § 114, S. 148. 534 So auch Wetzell, System, § 12, S. 91. 535 Ähnlich in Aufbau und Argumentation Heimbach, „Proceßparteien“, in: Rechtslexikon VIII, S. 697, 727. 536 Wetzell, System, § 12, S. 92.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

2. Gesetzliche Vertreter Gesetzliche Vertreter waren für die Personen erforderlich, die selbst nicht gerichtsfähig waren. Neben Frauen und Kindern ist dies hinsichtlich juristischer Personen und insbesondere der in Lübeck häu g vorkommenden Zünften denkbar. Die bei Wetzell erwähnte Geschlechtsvormundschaft⁵³⁷, welche die eigene Fähigkeit, im Prozess aufzutreten, hinderte, war in Lübeck im Revidierten Stadtrecht von 1586 vorgeschrieben⁵³⁸. Die Vormundschaft über die ledige Frau führte der Vater⁵³⁹, die cura sexus, bei der verheirateten Frau der Ehemann, die cura materialis⁵⁴⁰. Auch die Verordnung über die Vormundschaft von 1820 behielt diese Vertretung der Frau bei⁵⁴¹. Allerdings konnte sich die ledige oder verwitwete, volljährige, also über 25 Jahre alte Frau, den Geschlechtsbeistand selbst auswählen⁵⁴². Die Wahl bestätigte die Vormundschaftsbehörde. Erst 1869⁵⁴³ brauchte die ledige, volljährige Frau keinen Vormund mehr und vermochte so selbst rechtlich zu handeln. Im Gegensatz dazu konnte die verheiratete Frau, die nach wie vor der cura materialis unterstellt war, nur durch ihren Ehemann prozessuale Handlungen vornehmen. In der Rechtsprechung des OAG hat diese für die Stellung der Frau bemerkenswerte Änderung eine in erster Linie formale Umgestaltung bewirkt. So tauchte beispielsweise 1870 Susanna Ludovika Wriedstuff, die gegen ihren geschiedenen Mann klagte, ohne den Zusatz im Rubrum cum curatore als Klägerin auf⁵⁴⁴. Fraglich ist, wie es in einer Scheidungssache möglich war, dass der Mann gegen seine Frau, die ja noch durch ihn selbst vertreten wurde, klagen konnte. In der Prozesspraxis schien dies aber kein Problem darzustellen. Jedenfalls klagten häu-

537 Ausführlich dazu Holthöfer, Geschlechtsvormundschaft, S. 390–451. 538 Art. I, 7, 8: „...Frawen un Jungfrawen / zu keinen zeiten macht haben / Sachen im Gericht zu füren / weder durch Klage noch durch Antwort / Sollen auch nicht aufflassen vor dem Radte / noch jemandt volmechtig machen / ohne ihrer Vormunder Consens und willen“. 539 Revidiertes Stadtrecht Art. I, 7, 1. 540 Kähler, Französisches Zivilrecht, S. 175, 176; Kraglund, OAG Familienrecht, S. 84. 541 §§ 1, 81 Lübecker Vormundschaftsordnung von 1820, damit war das Lübecker Recht konservativ gegenüber anderen Landesrechten, zu denen: Heimbach, „Proceßparteien“, in: Rechtslexikon VIII, S. 697, 728. 542 Auf diese Regelung des Lübecker Rechts wiesen Heise/Cropp, Abhandlungen II, S. 466 in Fn 69 hin, die sie bereits im älteren lübischen Recht angelegt sahen. 543 Gesetz, die Aufhebung der Geschlechtsvormundschaft betreffend, vom 15. März 1869, in: Lübeckische Verordnungen und Bekanntmachungen 1814–1875, S. 284, 1869, S. 31. Das Gesetz wurde am 17. März publiziert und in Kraft gesetzt. 544 Kierulff, Bd. 6, No 75, Wriedstuff c. Wriedstuff (1870), S. 468–472.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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g Eheleute gegeneinander⁵⁴⁵. Für den Frankfurter Aktenbestand hat Kaltwasser herausgestellt, dass oftmals Ehepaare gemeinsam klagten⁵⁴⁶ die Mehrzahl der Prozesse aber von Männern allein geführt wurden. Klagten Frauen, waren diese häu g Witwen oder Dienstmägde, die das Armenrecht in Anspruch nahmen. Partei war in den Lübecker Streitigkeiten die Frau selbst. Sie allein bezeichnete das Gericht als Klägerin bzw. Beklagte. Lediglich im Rubrum war ihr Vertreter angeführt. Inhalt eines Rechtsstreites war die Klageberechtigung in den ausgewerteten Prozessen nur ein einziges Mal. In einem Erbrechtsstreit stellte sich die Frage, ob die Witwe Ekengren überhaupt noch zum Prozess legitimiert sei oder ob sie dazu nicht vielmehr die Reassumtion⁵⁴⁷ erklären müsse, dass nämlich eine Veränderung der am Prozess beteiligten Person stattgefunden habe⁵⁴⁸. Dass sie nicht mehr berechtigt und damit nun „dispositionsunfähig“ sei, hing allerdings nicht mit ihrem Geschlecht, sondern damit zusammen, dass sie „als Verschwenderin unter Curatel“ gestellt worden war. Die Appellanten, Testamentsvollstrecker des Ekengren, stellten sich nun auf den Standpunkt, dass dadurch, dass ihr Ehemann seinen Wohnsitz von Ratzeburg nach Lübeck verlegt hatte, der ehemals ausgewählte Vormund, der für sie geklagt hatte, nicht mehr zuständig und sie damit nicht mehr legitimiert sei. Schließlich gelte in Lübeck ein anderes Landesrecht, das unter anderen Voraussetzungen die Vormundschaft zulasse. Diesen Antrag lehnte das OAG ab. Bei der Dispositionsunfähigkeit eines Verschwenders handele es sich um einen rechtlich begründeten Zustand der Person, der ebenso wie andere Standes- und Personalsachen aller Orts Anspruch auf Anerkennung habe⁵⁴⁹. Den Begriff der Dispositionsfähigkeit benutzte ebenfalls Wetzell als Unterfall eines Handlungsfähigen, der dennoch nicht am Prozess teilnehmen kann⁵⁵⁰. Diese kategorisierte das Gericht als Standessache ein und umging damit elegant, sich mit der möglichen Dispositionsunfähigkeit näher auseinander setzen zu müssen. Neben den Frauen, die zwar selbst Partei waren, jedoch für ihre prozessuale Handlungsfähigkeit in den meisten Fällen einen Vormund benötigten, setzte sich das OAG mit der Legitimation von Kindern auseinander.

545 Beispielsweise AHL OAG L I 40 Gäth c. Elhabe (1824); L I 300 Möller c. Möller (1848); L I 637 Binder c. Binder (1874); L I 640 Hildsberg c. Hildsberg (1874). 546 Kaltwasser, Gesamtinventar IV, S. 20. 547 Zur Litisreassumtion als Wiederaufnahme vgl. Oestmann, Zivilprozeß, S. 121 Fn 658. 548 AHL OAG L I 679 Testamentsvollstrecker c. Ekengren (1877) Q 18 Entscheidungsgründe, p. 2. 549 AHL OAG L I 679 Testamentsvollstrecker c. Ekengren (1877) Q 18 Entscheidungsgründe, p. 10. 550 Wetzell, System, § 12 Fn 7, S. 92.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

Die Vormünder des Johann Heinrich Siebert hatten gegen dessen Stiefvater Johann Hermann Schmalhausen geklagt, dass er die Einkindschaft⁵⁵¹ aufgebe und das Sondergut der verstorbenen Mutter Sieberts herausgebe⁵⁵². Während des Rechtsstreits war Johann Heinrich volljährig geworden. Dies hatte seinem Stiefvater als Anlass gedient, anzuzweifeln, dass der Anwalt nun zur Vertretung noch berechtigt sei. Zu der Prozesslegitimation führten die Richter aus, dass, anders als im römischen Recht, im zeitgenössischen Recht die Prozessvollmacht mit direkter Wirkung für den von den Vormündern Vertretenen erteilt werde⁵⁵³. Hilfsweise argumentierten die Richter mit der Vertragsauslegung, die im Zweifel zu keinem anderen Ergebnis komme. So nde sich auch in dem Formular zur Anwaltsbestellung nichts, was auf eine Beschränkung der Bevollmächtigung hindeute. Hier verwandten die OAG-Richter den Begriff der Prozesslegitimation, der sich 1870 durchgesetzt hatte. Ohne auf Rechtsquellen Bezug zu nehmen, sondern einfach als dem geltenden Recht entsprechend, stellten die Richter hier die untergeordnete Position der Vormünder im Gegensatz zu dem durch sie vertretenen Mündel heraus. Die tatsächliche Bedeutung der Vormünder lässt sich anhand der Akten nicht klären. Größere rechtliche Probleme erörterte das OAG in diesem Zusammenhang nicht. Die wenigen Prozesse, die sich andeutungsweise mit diesem emenkomplex beschäftigen, wählten eine unspezi sche Terminologie, die nicht immer klar erkennen lässt, ob es sich um ein materielles oder prozessuales Problem handelte. Die gesetzlichen Vertreter schienen in der Prozesspraxis eher eine untergeordnete Rolle im Vergleich zur Partei zu spielen. Sie wurden lediglich im Rubrum genannt. Dem steht allerdings entgegen, dass Wilhelm Endemann betonte, die eigentliche Partei sei der Tutor, nicht der Vertretene⁵⁵⁴. Ob Prozesse mangels eines Vertreters nicht geführt werden konnten oder die prozessualen Handlungen nicht dem Willen der Vertretenen entsprach, lässt sich nicht heraus nden. Wer klagen durfte, problematisierten die Lehrbüchern nicht. Der emenkomplex wurde aber, auch in den frühen Werken, angesprochen. Die Ausführungen zu der akzessorischen oder sukzessorischen Teilnahme Dritter wurde hingegen ausgiebig diskutiert, hat in den bearbeiteten Fällen aber keine rechtlichen Probleme aufgeworfen.

551 Einkindschaft war die vertraglich vereinbarte, erbrechtliche Gleichstellung von Stiefgeschwistern, vgl. Lipp, „Einkindschaft“, in: HRG I, Sp. 1296. 552 Bremer Fall: Kierulff, Bd. 7, No 13, Siebert c. Schmalhausen (1871), S. 116. 553 Bremer Fall: Kierulff, Bd. 7, No 13, Siebert c. Schmalhausen (1871), S. 116, 118. 554 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 91, S. 330.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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In Lübecker Rechtssachen klagten vielfach Zünfte gegen Handwerker. Oft rankte sich der Streit darum, ob die Zunft ein Verbietungsrecht⁵⁵⁵ geltend machen konnte. Unabhängig vom Streitgegenstand zeigt sich daran, dass Zünfte als Personenzusammenschlüsse klagen konnten und dass sie durch ihre „Ältesten“ vertreten wurden. Dies entsprach einem praktischen Bedürfnis. Als prozessuales Problem ist die Möglichkeit der Klage meist jedoch nicht thematisiert. In einer Entscheidungsbegründung argumentierte das OAG gegen den Beklagten, einen Handwerker, den dessen Zunft nicht unterstützte. Die Zunft müsse erhebliche Zweifel an dem Recht des Handwerkers haben, da es ihm nicht gelungen sei, „die in solchen Streitigkeiten sonst so gewöhnliche Vertretung des Vorstandes seiner Corporation zu erwirken“⁵⁵⁶. In solchen Fällen übernehme sonst die Amtskasse die Prozesskosten. Häu g waren Versicherungen oder Schiffsgesellschaften Partei. Teilweise wurden deren Vertreter im Rubrum angegeben, teilweise nicht. Diese uneinheitliche Handhabung und das Fehlen von Auseinandersetzungen über die prozessuale Handlungsfähigkeit zeigt, dass die Praxis bestrebt war, die juristischen Personen den natürlichen prozessual gleichzustellen.

3.

Prokurator als gewillkürter Vertreter

Jede Partei benötigte, unabhängig von ihrem Bedürfnis nach einem gesetzlichen Vertreter, einen Prokurator, um postulationsfähig zu sein. Den Prokurator konnte die Partei selbst wählen. Dementsprechend nahmen die Ausführungen in der gemeinrechtlichen Literatur zur Prozessvertretung breiten Raum ein. So erörterten Wetzell, Linde und Martin in ihren Systemen und Lehrbüchern ausführlich, wer als Prokurator auftreten konnte, die Rechtsfolgen, die sich an einen falsus procurator knüpften und die Möglichkeit zur Restitution bei einem P ichtversäumnis des Prokurators⁵⁵⁷. Es waren, auch am OAG, nur die Prokuratoren berechtigt, für eine Partei eine Prozesshandlung vorzunehmen. Ob sich dadurch die prozessuale Handlungsfähigkeit jeder Person praktisch auf das Recht reduzierte, den Prozessbevollmächtigten auszuwählen und gegebenenfalls zu instruieren⁵⁵⁸, hängt davon ab, welche Kompetenzen der Prokurator hatte. Es war den Proku-

555 Weiterführend dazu Nordloh, Kölner Zunftprozesse, S. 65–148; Oestmann, ZNR 26 (2004), S. 246–261. 556 Wunderlich, Bd. 1, No 249 C, Garbereiter-Amt c. Rehwolt (1849), S. 43, 47. 557 Linde, Lehrbuch, §§ 129–138, S. 172–184; Martin, Lehrbuch, §§ 75–77, S. 132–138; Wetzell, System, § 10, S. 78–86. 558 So Holthöfer, Frau, S. 575, 594.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

ratoren vorbehalten, Schriftsätze beim OAG einzureichen oder entgegenzunehmen. So konnte eine Insinuation nur statt nden, wenn die Partei durch einen Prokurator vertreten wurde⁵⁵⁹. Die Schriftsätze selbst waren allerdings meist von den Advokaten, uneinheitlich als Sachführer oder Sachwalter, später als Anwalt⁵⁶⁰ bezeichnet, ge- und unterschrieben, und nur zusätzlich durch einen Prokurator abgezeichnet. Seine Befugnis, für die Partei zu handeln, belegte der Prokurator durch eine den Akten beiliegende Vollmacht des Mandanten, in der die Partei den Prokurator ermächtigte, „alle zur Führung und Beendigung dieses Rechtsstreits erforderlichen Handlungen (...) vorzunehmen: insbesondere alle Schriften (...) einzureichen, so wie die Verfügungen des Gerichts und die Eingaben des Gegners in Empfang zu nehmen, hierbei auch alles weitere zu besorgen“⁵⁶¹, das als von der Partei selbst geschehen betrachtet werden sollte. Die Befugnisse eines Prokurators erschöpften sich also auf rein formale Handlungen wie das Einreichen der Schriftsätze. Die Bedeutung des Sachwalters war für die Partei damit viel entscheidender. Außerdem blieb es der Partei unbenommen, selbst Schriftsätze aufzusetzen. Der Prokurator schwächte damit die Rechtsstellung der Partei keineswegs, wie von Holthöfer angenommen⁵⁶². Nicht immer war die Partei damit vertraut, dass ein Prokurator nötig war. Claus Hinrich Möller hatte ohne jeglichen Beistand an das OAG appelliert⁵⁶³. Das bisher unbehelligte Lumpensammeln hatte Hans Peter Kückelhahn ihm „von Herren wegen“ verboten und seine Leute „aus dem orr gebracht“. Dies war jedoch durch das untere Gericht bestätigt worden, da Kückelhahn ein Pachtrecht habe. Nun könne er, Möller, die Pacht nicht aufbringen, auch wisse er nicht, wie Kückelhahn dieses Recht erhalten habe. Daher wandte er sich an das OAG und bat um Beistand und Schutz. Er unterzeichnete mit „unterthänigster Diener“ und sandte das Schreiben an Präsident Heise persönlich. Antwort erhielt Möller aus der Kanzlei, die ihm förmlich mitteilte, dass ein Prokurator nötig sei, um die Frist für die Appellationseinlegung zu wahren. Daraufhin bat Möller um „Credit“. Ihm wurde daraufhin durch Dekret ein Prokurator ex officio zugeteilt und die Ge-

559 AHL OAG L I 393 Finanz-Deputation c. Rehder u.a. (1855), unquad. 560 Den Begriff Rechtsanwalt prägte erst v. Kleist in seinem „Zerbrochener Krug“, er wurde dann in den Reichsjustizgesetzen übernommen, zuvor wurde von Anwalt, Sachwalter oder Advokat gesprochen, vgl. Grimm, „Rechtsanwalt“, in: Deutsches Wörterbuch Bd. VIII, Sp. 423, 424. 561 Vordruck einer Prokurator-Vollmacht, in der lediglich Name der Partei und des Prokurators sowie Streitgegenstand ergänzt werden muss, der Akte AHL OAG L I 16 entnommen. 562 Holthöfer, Frau, S. 575, 594. 563 AHL OAG L I 16 Möller c. Kückelhahn (1822) Q 1, unpaginiert.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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richtsgebühren vorläu g erlassen⁵⁶⁴. Der Erlass der Gerichtsgebühren stellte eine Form des Armenrechts⁵⁶⁵ dar, das die OAGO garantierte⁵⁶⁶. So war der Prokurator das Bindeglied zwischen Partei und Gericht. § 17 OAGO bestimmte, dass der Prokurator aus den Advokaten auszuwählen sei. Für den Beruf des Prokurators war also die gleiche Ausbildung erforderlich wie für den eines Advokaten, nämlich ein juristisches Studium, das mit einem Diplom über einen Juristengrad nachgewiesen wurde. Zusätzlich musste man als Advokat in der jeweiligen Stadt durch eine Prüfung zugelassen werden. Seit 1826 nahm das OAG diese Zulassungsprüfung für die Lübecker Advokaten ab⁵⁶⁷. Die Aufspaltung des Anwaltsberuf auf zwei getrennte Tätigkeitsfelder ist höchst fraglich. Zum einen konnte der Prokurator eine höhere Sportelbelastung, also zusätzliche Gebühren, für die Partei bedeuten, die zusätzlich zu den Gebühren des Sachwalters einen Prokurator bezahlen musste, zum anderen setzten die Prokuratoren ihre juristische Fachkenntnis zum bloßen Einreichen und Entgegennehmen von Schriften anderer ein. Dass die Senate der freien Städte dennoch bis 1879 an diesem Institut festhielten, erstaunt. In anderen Territorien war bereits der Einheitsberuf des Rechtsanwalts eingeführt worden⁵⁶⁸. Praktisch war es sicherlich für die aus Hamburg, Bremen oder Frankfurt stammenden Parteien und deren Advokaten, denen die lange und beschwerliche Anreise erspart blieb. Vielleicht war dieses Institut dazu geeignet, die Autorität des Gerichts zu unterstreichen, indem nur ein extra zu diesem Zweck angestellter Prokurator Schriftsätze einreichen durfte. Die langen Abschnitte in der gemeinrechtlichen Literatur, die den Prokuratoren gewidmet sind, zeigen jedoch wie tief dieses Institut im Prozess verwurzelt war im Anklang an den römischen Prozess. Dies spiegelte auch das Verfahren vor dem OAG wider.

4.

Zusammenfassung

Der Rechtsschutz durch das OAG stand einer breiten Bevölkerung offen. Oft appellierten sozial benachteiligte Gruppen. Die Möglichkeit zur Appellation war nicht an das Bürgerrecht geknüpft, sondern es stand grundsätzlich allen frei, den Rechtsschutz durch das OAG in Anspruch zu nehmen. Unter den Parteien fanden

564 AHL OAG L I 16 Möller c. Kückelhahn (1822) Q 4 Decret. 565 Zu dessen Entwicklung siehe Oestmann, „Armenrecht“, in: HRG I, Sp. 300. 566 §§ 111–113 OAGO: Einstweilig Stempel- und Gerichtsgebühren erlassen und Bestellung eines Prokurators unentgeltlich von Amts wegen. 567 Ewald, Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter 8 (1970), S. 282, 283. 568 Döhring, Rechtsp ege, S. 122.

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

sich früh viele jüdische Namen. Die Juden wurden durch Carl August Buchholz, der Sachwalter der jüdischen Gemeinde, vertreten, bevor sie 1848 das Bürgerrecht erwerben konnten. Es appellierten viele Frauen. Für nanziell Bedürftige bestand die Möglichkeit, das Armenrecht zu beantragen. Auf diese Weise bot das OAG Rechtsschutz für eine breite Bevölkerungsschicht. Obwohl die Sachwalter teilweise mit fehlender Dispositionsfähigkeit und später mit mangelnder Prozesslegitimation argumentierten, setzte sich das OAG damit kaum auseinander. Rechtliche Probleme erörterte es bei den ausgewerteten Prozessen in diesem Zusammenhang nicht. Eine Partei konnte sich jedoch in keinem Fall selbst vor Gericht vertreten, sondern es bedurfte dazu gemäß der gemeinrechtlichen Tradition eines Prokurators, der zwischen Partei und Gericht vermittelte.

III. Verfahrensablauf Der Verfahrensablauf eines Gerichts kann Verschiedenes zeigen. Zum einen verdeutlicht er, wie professionell ein Gericht organisiert ist. Zum anderen kann man aus dem Verfahrensablauf erkennen, ob eher ein Partei- oder ein Amtsbetrieb vorliegt. Der Prozessbetrieb, bestehend aus Amts- bzw. Parteibetrieb, bezeichnet die Tätigkeit, die den Antrieb zur Vornahme einer Handlung gibt⁵⁶⁹ und damit den Prozess fortentwickelt. Meist wird der gemeine Zivilprozess durch den Amtsbetrieb charakterisiert⁵⁷⁰. Drosdeck bezeichnet das gemeinrechtliche Verfahren dagegen als „eigentümliche Verbindung von Parteibetrieb und Offizialmaxime“⁵⁷¹. Die Offizialmaxime, also der Amtsbetrieb, hebe die starke Stellung des Richters hervor. Die Stellung des Richters sei deshalb sehr bedeutend, da ihm zum Beispiel zu Beginn eines Verfahrens verschiedene Möglichkeiten offenstünden, dass es nicht zum Prozess komme wie der Erlass eines Prälokuts oder eines Dekrets a limine. Erst durch das Kommunikationsdekret komme ein Prozess zustande. Daraus leitet Drosdeck den Amtsbetrieb und damit eine starke Stellung des Richters ab. Ob diese Behauptung auf das Verfahren vor dem OAG zutrifft, bedarf der Untersuchung. Die einzelnen Verfahren vor dem OAG wiesen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf, die auf eine große Regelmäßigkeit schließen lassen. Viele Verfahrensabschnitte nden sich wieder, die sich gleich anhand der Aktenführung erkennen lassen, die eingangs durch die designatio actorum kenntlich gemacht wird. Die designatio

569 Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, § 77, S. 450. 570 Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, § 77, S. 451. 571 Drosdeck, Beweisdoktrin, S. 113, 121.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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actorum macht es dem Leser möglich, gezielt Aktenstücke zu nden. Die Akten sind zudem mit Aktenzeichen versehen. Die Aktenzeichen verdeutlichen durch den Zusatz A, B, C usw. zu der durchlaufenden Quadrangulierung, ob der Rechtsstreit bereits vor das OAG gelangte. Die Akten sind mit 3 cm durchschnittlichem Durchmesser schlank und übersichtlich. Auf die Schriftstücke, die ihrer Art nach in jeder Akte vorhanden sind, und ergänzend auf die OAGO stützt sich die folgende Beschreibung des Verfahrensablaufs.

1. Einwendung und Einführung der Appellation Das Verfahren vor dem OAG begann, indem eine Partei beim iudex a quo, dem Richter, der zuvor entschieden hatte, ein Rechtsmittel einlegte, § 114 OAGO. Das OAG sprach insoweit auch von „Einwendung der Appellation“⁵⁷². Dies geschah mündlich im Hause eines Aktuars, des Gerichtsschreibers, und wurde von diesem unter das angefochtene Urteil vermerkt. Die Einwendung der Appellation begründete noch nicht den Suspensiveffekt, sondern es war zunächst eine Prüfung des Untergerichts nötig, ob die Appellation überhaupt statthaft war. Dazu verwies das OAG auf § 11 des Nachtrags vom 5. Juli 1820 zur Gerichtsordnung von 1814⁵⁷³. Dies folgte daraus, dass die Einwendung bloß durch eine Mitteilung an den Aktuar des Gerichts möglich war, und sollte der unteren Instanz ihre bisherige Kompetenz sichern⁵⁷⁴. Gegen die ablehnende Entscheidung der unteren Instanz konnte die Partei Appellation einlegen. Eine weitere Möglichkeit sah die OAGO zwar nicht vor, aber tatsächlich legten in einer Vielzahl von Fällen die Parteien dadurch Appellation ein, dass sie bei einem Notar vorsprachen und dies durch zwei Zeugen bescheinigen ließen. Dies entsprach nach Wetzell⁵⁷⁵ der RKGO von 1555  2 Tit 29 § 5⁵⁷⁶. Die OAGO ergänzte hier lediglich die RKGO. Nach dieser Einwendung der Appellation beim Untergericht, musste der Appellant beim OAG die Appellation einführen⁵⁷⁷. So begann jede Akte des OAG mit den Gravamina, auch als Klaglibell, Appellationsbitte, AppellationsRechtfertigung oder Appellationsbeschwerde bezeichnet, in der der Appellant

572 Wunderlich, Bd. 1, No 268, Klicks c. Köhn (1848), S. 8, 9. 573 Bruhn, Sl. 1, No LXVI (100A), Hahn c. Raith (1828), S. 262; abgedruckt in Bluhme, OAGO, S. 126, 127. 574 Bruhn, Sl. 1, No LXVI (100A), Hahn c. Raith (1828), S. 262, 263. 575 Wetzell, System, § 55 Fn 8, S. 722. 576 Laufs, JRA, S. 208. 577 Zu Einwendung (fatalia interponendae appellationis) und Einführung (fatalia introducendae appellationis) siehe Oestmann, Edition, S. 51 Fn 279.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

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nach ehrenvoller Ansprache des Gerichts seine Beschwerde gegen das vorige Urteil schilderte. Nach den sehr anschaulichen Schilderungen der Appellationslibelle (schließlich war der Richter allein auf diese Sachverhaltsschilderung angewiesen), legte der Appellant seine einzelnen Begehren fest. Bei rechtlichen Ausführungen sparten die Sachführer nicht damit, sich auf rechtswissenschaftliche Autoritäten oder bereits ergangene Entscheidungen zu berufen. Die Argumentationen waren teilweise sehr kreativ⁵⁷⁸. Nach der Unterschrift des Sachführers unterzeichnete der Prokurator. Mit dieser Rechtfertigung war die Appellation eingeführt. Als Anlage reichte der Appellant das Urteil der vorigen Instanz, eine Vollmacht für den Prokurator sowie den Interpositionsbescheid, den er von dem unterinstanzlichen Richter erhalten hatte, ein. Der Interpositionsbescheid belegte die Befugnis des Appellanten, appellieren zu dürfen. Er wies aus, dass das Rechtsmittel ordnungsgemäß beim Obergericht eingereicht worden war und teilte dem Appellanten mit, dass diese dem Appellaten „nachrichtlich mitgetheilt“ werde. An die Interposition knüpfte der Suspensiveffekt an⁵⁷⁹. Inhibitionen, die im 18. Jahrhundert den Suspensiveffekt gesondert anordneten⁵⁸⁰, kamen beim OAG nicht vor. Der Suspensiveffekt trat im 19. Jahrhundert automatisch mit dem Interpositionsbescheid, also mit Appellationseinlegung, ein. Das OG wurde also auf Antrag des Appellanten von Amts wegen tätig und veranlasste das weitere Verfahren. Selten wurden dem Appellationslibell Rollen der Zünfte⁵⁸¹, ein Lageplan oder eine Schuldurkunde⁵⁸² beigelegt.

2.

Weiteres Vorgehen des Gerichts

Die Appellation insinuierte das OAG an den Beklagten, stellte sie also zu. Die Insinuationen, also die Verfügungen der Gerichte, waren gem. § 93 OAGO von Amts wegen zu verfügen und durch einen Gerichtsboten auszuführen. Sie betrafen alle Schriftstücke, die eine Partei zuvor an das OAG eingereicht hatte. § 86

578 Siehe als Beispiel AHL OAG L I 41 Hilliger c. Blohm & Söhne (1824) Q 1, S. 4 der Appellationsbeschwerde. Dazu unter Rechtliche Gewohnheiten: Zweiter Hauptteil A. I. 2. 579 Wetzell, System, § 55 Fn 1, S. 721. 580 Dazu Oestmann, Edition, S. 49. 581 So in Wunderlich, Bd. 1, No 249 A, Garbereiter-Amt c. Rehwoldt (1846), S. 38, 40: „die zu den Acten gekommene Rolle der Garbrädere von 1376 “; in dem selben Rechtsstreit hatte eine Partei ein Urteil vom Reichskammergericht vom 24. April 1799 beigebracht sowie ein Dekret des Senats vom 11. Juli 1705, um das geltend gemachte Verbietungsrecht zu leugnen. 582 So in AHL OAG L I 674 Brandes und Petersen c. Gatermann (1876) Anlage zu Q 1 Appellationsbitte.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

115

OAGO bestimmte, dass gleichzeitig mit der Einreichung von Schriften an das Gericht eine Abschrift abzugeben sei. Da dies nur nötig war, sofern die Gegenpartei diese Unterlagen nicht schon besaß, konnte die Abgabe einer Kopie nur den Zweck haben, diese Schriften durch das Gericht an die Gegenpartei zukommen zu lassen. Eine förmliche Zustellung beurkundete, dass der Appellat das Schriftstück erhalten hatte⁵⁸³. Am Rand der Dekrete waren Ausgang des Schreibens sowie Insinuation vermerkt. Das OAG stellte also durch seine Gerichtsboten zu, so dass insoweit ein Amtsbetrieb vorlag. Des Weiteren erließen die Richter ein Communicationsdecret, nachdem die Appellation eingelegt war. Mit diesem Communicationsdecret, das von Amts wegen an den Appellaten geschickt wurde, um ihn von der Appellation in Kenntnis zu setzten und ihm eine Frist zur Vernehmlassung zu setzten, war die Einlegung der Appellation abgeschlossen⁵⁸⁴. An dieses Dekret war der Devolutiveffekt geknüpft⁵⁸⁵. Das OAG selbst forderte anschließend beim OG die Vorakten durch das Requisitionsschreiben an. Der Begriff Kompulsoriales taucht in dem designatio actorum der Gerichtsakten anders als im 18. Jahrhundert⁵⁸⁶ nicht mehr auf. Die Kompulsoriales waren Zwangsbriefe, die das Untergericht aufforderten, die Vorakten herauszugeben. Diese Aufgabe hatten im 19. Jahrhundert die Requisitionsschreiben übernommen. Dabei sollten die Vorakten nicht mehr an den Appellanten herausgegeben werden, sondern wurden sofort an das OAG eingesandt. Das Verfahren war insoweit offizieller, ohne Umwege über die Partei, ausgestaltet.

3.

Vernehmlassung

Nach Einlegung der Appellation, fand eine Vernehmlassung⁵⁸⁷ des Appellaten statt. Die Vernehmlassung bezeichnete die schriftliche Verteidigung des Beklagten⁵⁸⁸. Er hatte die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge darzustellen. Sie sicherte das rechtliche Gehör.

583 584 585 586 587 588

Damrau, Zivilprozessmaximen, § 4, S. 15. RKGO 1555  3 Tit 50 § 6; Wetzell, System, § 56 Fn 43, S. 741. Hahn, Neues Vorbringen, S. 14. Dazu Oestmann, Edition, S. 49. Zu Einlassung und litis contestatio: Zweiter Hauptteil B. I. 2. Linde, Lehrbuch, § 212, S. 276.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

116

4.

Aktenversendung

Bis zum 19. Jahrhundert hatten die juristischen Fakultäten als neutrale, wissenschaftlich ausgebildete höhere Instanz Berufungssachen entschieden und damit de facto den Rechtszug an einen Oberhof ersetzt⁵⁸⁹. Im 19. Jahrhundert verlor diese Aktenversendung aber an Bedeutung. Stattdessen schufen nun die Territorien vermehrt eigene Gerichtsorganisationen⁵⁹⁰. Dennoch ließ Art. 12 Absatz 4 der deutschen Bundesakte von 1815 die Aktenversendung ausdrücklich zu. Dementsprechend konnten die Parteien, statt durch das OAG beschieden zu werden, auf eine Aktenversendung antragen. Das OAG verkündete die Entscheidung des Spruchkollegiums als eigene⁵⁹¹. In Lübeck unterband die lübeckische CPO erst 1862 die Aktenversendung. Für das OAG hatte sie zwischenzeitlich wegen der Überlastung des Gerichts große Bedeutung. Alle Angelegenheiten außer seehandelsrechtlichen wurden zwischen 1849 und 1851 an eine juristische Fakultät versandt⁵⁹². Außerdem überprüfte das OAG zahlreiche Entscheidungen, die zuvor eine juristische Fakultät getroffen hatte. So kam der Aktenversendung zumindest bis 1862 in Lübeck noch einige Bedeutung zu.

5.

Fristen

Eine Möglichkeit des Richters, das Handeln der Parteien zu reglementieren, bestand darin, ihnen Fristen zu setzen. Im Gegensatz zu Terminen, die im mündlichen Verfahren „der ätigkeit der Parteien Schranken setzen sollen“ ⁵⁹³, erfüllen diesen Zweck im schriftlichen Verfahren die Fristen. Allerdings sah die OAGO nicht nur Fristen vor, die der Richter setzen konnte, sondern ebenso auch gesetzliche Fristen. In der OAGO fand sich zu den Fristen ein eigener Abschnitt (XV. Fristen), §§ 97 ff. OAGO. Die Fristen waren nach § 99 OAGO peremptorisch, das Verstreichenlassen hatte also den dauerhaften Verlust der Handlung zur Folge. Im Gegensatz zu Verjährungsfristen regelte die OAGO also Präklusionsfristen. Der Fristbeginn richtete sich gem. § 97 OAGO nach der Insinuation,

589 Oestmann, „Aktenversendung“, in: HRG I, Sp. 128, 129. 590 Oestmann, „Aktenversendung“, in: HRG I, Sp. 128, 131; Schildt, ZNR 15 (1993), S. 1, 3. 591 §§ 142–147 OAGO; AHL OAG L I 105 Älteste der Gemeinträger Lübeck c. Busch und Eckhoff (1829) Q 14 Vernehmlassung nebst Gesuch um Versendung der Akten; Q 21 Decret: Aktenversendung verfügt; Q 22 Einrede der Appellanten wider zwey Spruchcollegien; Q 30 Facultäts-Erkenntniß; Q 32 OAG Erkenntniß, das wortgleich lautete. 592 Krause, Lübecker Gerichtsverfassung, S. 391; Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar I, S. 12; Griesebach, Hanseatische Rechtszeitschrift 1920, Sp. 609, 611. 593 Wetzell, System, § 68 bei Fn 124, S. 918.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

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die nach § 93 OAGO von dem Gericht bewirkt wurde. Ausführlich wurde geregelt, wann Fristen enden, die eigentlich an einem Feiertage ablaufen⁵⁹⁴. Es gab die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 156 OAGO, wobei in § 160 OAGO differenziert wurde, ob die Partei selbst oder deren Prokurator die Frist versäumt hatte. Es wurde zwischen Not- und einfachen Fristen unterschieden. Für verschiedene Prozesshandlungen wie für die Einlegung der Beschwerde gegen die Verwerfung wegen Unzulässigkeit der Appellation ⁵⁹⁵, der Vernehmlassung⁵⁹⁶ oder der Rechtfertigung⁵⁹⁷ wurden durch die OAGO Fristen vorgeschrieben. Die Regelungsdichte ist mit der heutigen ZPO vergleichbar. Viele Regelungen eröffneten dem Richter ein Ermessen. So bestimmte § 100 OAGO, dass eine Geldstrafe zu verhängen war, wenn die Präklusion nicht angemessen erschien. Ausdrücklich an einen Adressaten richtete sich diese Vorschrift nicht. Da dies jedoch „vorzuschreiben“ war, intendierte die Wortwahl, dass der Richter gemeint war. Nach § 101 OAGO konnte der Richter eine Au age anordnen, die eine Ungehorsams-Entschuldigung der Parteien ausschloss. So konnte der Richter Verzögerungen vorbeugen. Das Gericht konnte des weiteren Fristen abkürzen, § 103 OAGO. § 124 OAGO bestimmte, dass das Gericht eine Nachfrist setzten konnte, falls die erste Frist zur Einlegung der Rechtfertigung versäumt wurde. In bestimmten, eng umgrenzten Fällen konnte das Gericht darüber hinaus Fristen zur Einführung der Rechtfertigung setzten. Gesetzliche Fristen, wie die Frist zur Appellationseinführung und Appellationsrechtfertigung, waren gem. §§ 27, 28 der Verordnung vom 5. Juli 1820⁵⁹⁸ Notfristen. Diese waren der Parteiwillkür entzogen⁵⁹⁹. Auch wenn der Gegner offensichtlich einverstanden war, dass die Rechtfertigungsfrist ausgedehnt wurde, wies das OAG die Appellation dennoch als verfristet ab, denn nach „gemeiner Prozeßpraxis“ seien Notfristen den Bestimmungen der Parteien entzogen. Das gemeine Recht ergänzte auch hier die engmaschigen Regelungen der OAGO. Mit Ausnahme der durch das Gesetz vorgegebenen Fristen wurden dem Gericht verschiedene Möglichkeiten eingeräumt, auf die Länge und die Wirkung der Frist Ein uss zu nehmen. Die OAGO gestaltete die Frist als ein Mittel aus, das

§ 102 OAGO. § 117 OAGO. § 134 OAGO. §§ 123 ff. OAGO. Abgedruckt in Sammlung der lübeckischen Verordnungen und Bekanntmachungen, Bd. 3, S. 185 ff.; Bd. 4, S. 55, 56. 599 So titelte Wunderlich, Bd. 2, No 377, Russ. Ges. f. See-, Fluß-, Land-Vers. u. Gütertransport c. Colsmann (1857), S. 77. 594 595 596 597 598

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Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

den Richtern erlaubte, auf die Länge des Verfahrens einzuwirken und Vorträge zuzulassen oder abzulehnen. Den Richtern gab die OAGO damit die Möglichkeit, den Prozess zeitlich zu leiten. Damit konnte der Richter entscheidend auf die Länge des Verfahrens Ein uss nehmen. Die Fristenregelungen unterstrichen die regelnden und gestaltenden Kompetenzen der Richter. Der Partei räumte die OAGO demgegenüber keine Befugnisse ein, Fristen zu setzen.

6. Verfahrensbeendigung durch die Partei Die Partei konnte durch verschiedene Handlungen den Prozess beenden. Praktisch besonders relevant war dabei der Vergleich.

a) Vergleich Durch Vergleiche der Parteien sind vor dem OAG im Schnitt ca. 6 % der Prozesse beendigt worden⁶⁰⁰. Das ist für heutige Verhältnisse recht viel. Im Jahr 2007 endeten vor dem Bundesgerichtshof als dritte Instanz ca. 2 % der erledigten Fälle durch Vergleich⁶⁰¹. Im Gegensatz dazu waren Vergleiche vor 1800 angeblich selten⁶⁰². Durch den Abschluss eines Vergleichs sparte die Partei Gerichtskosten⁶⁰³. Beide Parteien sandten eine Vergleichsanzeige an das OAG⁶⁰⁴. Darin zeigten sie den Vergleich an und „entsagen litis et causae“⁶⁰⁵, meist ohne über den Ver-

600 1820 bis 1830 (ausgewertet AHL OAG L I 1 bis einschließlich L I 122: 121 Prozess, davon 7 durch Vergleich beendet, also ca. 5,79%); 1845 bis 1855 (ausgewertet AHL OAG L I 265 bis einschließlich L I 370: 105 Prozesse ohne Aktenversendung, davon 6 durch Vergleich beendet, also ca. 5,71%); 1870 bis 1879 (ausgewertet AHL OAG L I 601 bis L I 724: 123 Prozesse, davon 9 durch Vergleich beendet, also ca. 7,32%). 601 Insgesamt 3134 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden sind 2007 erledigt worden, davon wurden lediglich 681 durch Urteil entschieden, 62 durch Prozessvergleiche und Rücknahmen nach Verweigerung einer Prozesskostenhilfe, Statistik der Zivilsenate 2007 unter www.bundesgerichtshof.de, Zugriff am 19. Januar 2009. 602 Dick, Kameralprozess, S. 178. 603 So ausdrücklich in AHL OAG L I 548 Crusen c. Behn & Sohn (1866) Q 1 Gravamina. 604 Beispielsweise AHL OAG L I 178 Nölting c. Linde (1833) Q 13 Vergleichsanzeige; AHL OAG L I 223 Goos c. Grube (1838) Q 27 Vergleichs-Anzeige der Bekl und Q 28 Vergleichs-Anzeige des Kl. 605 Zur Bedeutung des litis contestatio: Zweiter Hauptteil B. I. 2.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

119

gleichsinhalt zu informieren⁶⁰⁶. Prozesse, die durch Vergleiche endeten, enthielten als letzte Verfügung des Gerichts ein Dekret, das die Sache für erledigt annahm⁶⁰⁷. Auf die gemeinsame Vergleichsanzeige, in der der Appellant seine Oberappellation zurücknahm⁶⁰⁸, erging in einem Fall antragsgemäß kein Dekret, sondern ein Conclusum des OAG⁶⁰⁹. Die Parteien hatten die Vergleichsanzeige nach Einführung der Appellation, aber vor Vernehmlassung des Appellaten eingeführt. Neben diesen außergerichtlichen Vergleichen, deren Abschluss die Parteien lediglich mitteilten, ergingen daneben gerichtliche Vergleiche. In einem späten, 1876 erledigten Prozess war für einen Vergleich die Anwesenheit beider Parteien gefordert⁶¹⁰. In dem Protokoll des OAG ist von einem durch das OAG eingesetzten Kommissar die Rede, der dem anwesenden Beklagten und Prokurator den Vorschlag gemacht habe, sich zu vergleichen. Beide Parteien erklärten sich dazu bereit. Durch das Erfordernis der Anwesenheit der Parteien zeigt sich hier ein Einschlag Mündlichkeit. Dieser Akteneintrag zeigt, dass ausnahmsweise ein Protokoll gefertigt wurde. Diese Vorgehensweise bildete aber die Ausnahme. Nur in einer einzigen Akte ndet sich ein solches Protokoll.

b) Sonstige Beendigung durch Parteiverhalten Neben dem Vergleich konnten die Parteien auch auf andere Arten den Prozess beendigen. Eine Partei konnte zum Beispiel einseitig die Klage zurücknehmen⁶¹¹. Auf die Klagerückziehung erließ das OAG ein Dekret, dass die Sache für erledigt angenommen werde⁶¹². Bevor die Appellationsschrift an den Gegner insinuiert war, konnte der Appellant die Klage zurückziehen, ohne dass ein solches Dekret

606 Beispielsweise in AHL OAG L I 223 Goos c. Grube (1838) Q 27 Vergleichs-Anzeige der Bekl.; AHL OAG L I 548 Crusen c. Behn & Sohn (1866) Q 11 Vergleichsanzeige, bereits in Q 1 Gravamina erwähnte Crusen die „in allen Instanzen angestrebte gütliche Einigung“, legte dennoch, zur Fristwahrung, Appellation ein. 607 Beispielsweise AHL OAG L I 178 Nölting c. Linde (1833) Q 14; AHL OAG L I 223 Goos c. Grube (1838) Q 29 Decret, wodurch die Sache für erledigt erklärt wurde. 608 AHL OAG L I 541 Behrens c. Röper (1866) Q 5 gemeinschaftliche Vergleichs-Anzeige. 609 AHL OAG L I 541 Behrens c. Röper (1866) Q 6 Conclusum: „Auszug aus dem Protokolle vom (...) die Sache für erledigt anzunehmen“. 610 AHL OAG L I 674 Brandes und Petersen c. Gatermann (1876) Q 14a Protocoll des OAG. 611 Beispielsweise in AHL OAG L I 27; L I 81. 612 Beispielsweise in AHL OAG L I 516 Röhl c. Röhl (1864) Q 9 Schreiben des OAG. Nachdem die Appellanten von dem Ehebruch ihres Mannes erfahren hatte, wollte sie ihre Beschwerde gegen die Ehescheidung nicht aufrecht erhalten.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

120

erging⁶¹³. In zumindest einem Fall beendete der Tod des Appellaten den Prozess⁶¹⁴. Diesen Arten der Prozessbeendigung kam aber statistisch keine große Bedeutung zu⁶¹⁵.

7.

Entscheidungs ndung und Urteil a)

Schluß-Decret

Bevor eine Entscheidung des Gerichts erging, erließ das OAG ein Schluß-Decret an die Parteien, mit dem Inhalt, dass das Gericht die Sache für entscheidungsreif hielt. Das Schluß-Decret stellte sicher, dass beide Parteien gleich oft die Möglichkeit hatten, sich zu der Sache zu äußern, wobei stets derjenige das letzte Wort haben sollte, der in der jetzigen Instanz der „Angegriffene“⁶¹⁶ war und folglich nicht den ersten Hauptvortrag gehalten hatte⁶¹⁷. Das Schluß-Decret gewährleistete also im schriftlichen Verfahren den Beteiligen und insbesondere dem Appellaten rechtliches Gehör. War der Aktenschluss aus Sicht einer Partei zu Unrecht ergangen, konnte sie beantragen, dass das Gericht den Aktenschluss aufhebe. Ein Aktenschluss durfte nach der gemeinrechtlichen Rechtswissenschaft aufgehoben werden, wenn ein Urteil aufgrund der vorgebrachten Tatumstände noch nicht erlassen werden konnte, wenn eine Partei neue zulässige Tatsachen vorgebracht hatte, worüber die andere Partei noch nicht vernommen worden war, oder, mit Hinweis auf § 78 JRA, wenn nach dem Aktenschluss nova aufkamen⁶¹⁸. Vor dem OAG begehrte in einem Lübecker Fall der Appellant Aufhebung des Aktenschlusses vor dem OAG⁶¹⁹. Mit Berufung auf §§ 130–132 OAGO, die die

613 AHL OAG L I 617 Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinische Regierung c. Müller (1872), letzter Akteneintrag: Q 7 Anzeige des Appellanten, die Klage nicht zu insinuieren. 614 AHL OAG L I 84 Michelsen c. Lammers (1827). 615 So sind zwischen 1820 und 1830 (ausgewertet AHL OAG L I 1 bis einschließlich L I 122) drei Streitigkeiten durch Klagerückziehung, eine durch Dekret und eine durch Tod beendet worden; zwischen 1845 und 1855 (ausgewertet AHL OAG L I 265 bis einschließlich L I 370) ein Rechtsstreit durch Beschluss, einer durch Deserterklärung, einer durch Klagerückziehung und einer durch eine einstweilige Einstellung beendet worden; zwischen 1870 und 1879 (ausgewertet AHL OAG L I 601 bis einschließlich L I 724) sind vier Streitigkeiten durch Klagerückziehung, einer durch Deserterklärung, einer durch die Befolgung einer gerichtlichen Au age und einer durch Dekret beendigt worden. 616 Die Terminologie Angegriffener, letztes Wort erinnert an den Strafprozess, ist hier von den Autoren aber ausdrücklich auf den Zivilprozess bezogen. 617 Martin, Lehrbuch, § 102, S. 178. 618 Linde, Lehrbuch, § 222, S. 285. 619 AHL OAG L I 339 Rathsack c. Gütschow (1852).

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

121

Befugnis zu neuem Vorbringen regelten, machte er geltend, dass neue Zeugen aufgetaucht seien und bat, der Hauptbitte gemäß zu erkennen, eventualiter die Sache an das Niedergericht zurückzuverweisen, damit er den Erfüllungseid ableisten konnte. Der Appellat erwiderte, dass die Appellationsinstanz nicht der Ort sei, einen Gegenbeweis anzutreten⁶²⁰. Im Folgenden stellte der Appellant nach drei Monaten einen Contumacial-Antrag⁶²¹, der Appellat konterte mit einer Substitutions-Anzeige⁶²². Danach versandete das Verfahren; keine der Parteien rührte sich. 1852, nach fast zehnjähriger Pause erließ das OAG einen Beschluss, in dem es einstweilen die Einstellung des Verfahrens verfügte, bis „die Sache von einer der Partheien wieder in Bewegung“⁶²³ gebracht würde. Zu Tatsachen, die erst nach Aktenschluss beigebracht wurden, äußerte das OAG für die erste Instanz, dass die „völlig unbehörig nach Actenschlusse“⁶²⁴ beigebrachten Atteste, die ein Herkommen beweisen sollten, nicht mehr berücksichtigt werden könnten und nur noch zum Beweis verstellt werden dürften. Wetzell bezeichnete den Aktenschluss als reine Inkonsequenz, da dieser mit einem Restitutionsgrund wieder aufgehoben werden konnte und ihm insoweit keine eigenständige Bedeutung zukam⁶²⁵. Das OAG jedenfalls erließ ein SchlußDecret, bevor es ein Urteil sprach, jedoch konnte dieses wieder aufgehoben werden.

b)

Entscheidungs ndung

Nach Aktenschluss war es Aufgabe des Gerichts, eine Entscheidung zu nden. Zur Vorbereitung des Urteils fertigte ein Richter aus dem Kollegium eine Relation, also einen Entscheidungsvorschlag, an. Die Relation folgte einem schematischen Aufbau. Zunächst schilderte der jeweilige Richter das Faktum, es folgte das Votum oder das Gutachten und anschließend die Urteilsformel⁶²⁶.

620 AHL OAG L I 339 Rathsack c. Gütschow (1852) Q 18, p. 3 der Erklärung des Klägers. 621 Ein Contumacialantrag war Voraussetzung für ein Säumnisverfahren. 622 Die Substitutionsanzeige unterrichtete, dass der Prokurator ersetzt worden war, zur zweifelhaften Zulässigkeit, vgl. Wetzell, System, § 10 Fn 26, S. 84. 623 AHL OAG L I 339 Rathsack c. Gütschow (1852) Q 21. 624 Bruhn, Bd. 1, No I, Evers c. Evers (1821) S. 1, 16. 625 Wetzell, System, § 71 Fn 38, S. 974. 626 Eingehend zur Relation im Kameralverfahren Ranieri, Entscheidungs ndung und Begründungstechnik, S. 165, 171 ff.

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

122

Die OAGO bestimmte, dass in der Regel eine Relation aufgrund der Aktenlage durch einen der Richter anzufertigen sei, in einer “wichtigen oder verwickelten“⁶²⁷ Sache zusätzlich eine Korrelation. Die Relationen waren meist umfangreicher als die ausgearbeiteten Entscheidungsgründe eines Urteils. Der Aufbau orientierte sich an dem Vorbringen des Appellanten, dann des Appellaten, anschließend wurde ein Gutachten angefertigt, das die zu entscheidende Sache in Hauptpunkte aufgliederte. Die Relation war dem Präsidenten zuzustellen⁶²⁸, der in der nächsten Sitzung des Gerichts, die Sache „zum Vortrage befördert“⁶²⁹. In der Sitzung trug der Verfasser der Relation die Sache vor, wobei bei zweifelhaften Fällen oder unterschiedlichen Meinungen eine freie mündliche Erörterung stattfand⁶³⁰. Anschließend stimmten Richter und Präsident über die einzelnen Punkte der Entscheidung ab. Bei der Abstimmung entschied die Mehrheit, für den Fall der Stimmengleichheit traf die OAGO besondere Vorschriften. Stimmengleichheit war bei den sieben Mitgliedern des Gerichts nur dann möglich, wenn nicht alle Richter bei der Sitzung anwesend waren, was ausnahmsweise zulässig war. Es mussten jedoch stets mehr als drei Richter und der Präsident entscheiden⁶³¹, – eine kollegiale Entscheidung war also immer nötig. Die OAGO unterschied zwischen Stimmengleichheit in Haupt- und Nebenpunkten. Bei Stimmengleichheit einen Hauptpunkt betreffend, zirkulierte die Relation zwischen allen Richtern, und es fand eine abermalige Abstimmung statt. Sollte wiederholt Stimmengleichheit eintreten, entschied die Meinung, die ebenfalls durch die Korrelation vertreten wurde. Nur wenn diese ebenfalls nicht übereinstimmten, kam der Stimme des Präsidenten das entscheidende Gewicht zu. Die besondere Stellung des Präsidenten kam hier nur subsidiär zur Geltung. Die OAGO war bestrebt, jedem Richter die gleiche Bedeutung seiner Stimme zu gewährleisten. Sondervoten eines einzelnen Richters mit anderer Ansicht ergingen nicht, der einzelne ordnete sich hier der Stimmenmehrheit unter. Für lübeckische Sachen bestand vor dem OAG die Besonderheit, dass bei Stimmengleichheit der Räte zunächst ein Vergleichsversuch der Parteien anzuordnen war⁶³².

627 628 629 630 631 632

§ 64 OAGO. § 70 OAGO. § 71 OAGO. § 66 OAGO. §§ 54 ff. OAGO. Gem. § 73 Absatz 2 OAGO.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

123

c) Urteil und Entscheidungsgründe Nach der Abstimmung der Richter reichten sie die Relation mit dem Entwurf das Erkenntnis an die Kanzlei weiter⁶³³, wo der Sekretär, der bei der Abstimmung der Richter anwesend war, die Entscheidung samt Gründen ausfertigte. Zu den Entscheidungsgründen selbst und zum weiteren Verfahren, schweigt die OAGO. So ist die Praxis entscheidend, ob das Gericht die Entscheidungsgründe den Parteien zustellte oder ob nach der Entscheidung des OAG vollstreckt werden konnte. Die Entscheidungsgründe wiesen Seitenzahlen auf, die mit der in der Akte be ndlichen Ausfertigung nicht übereinstimmten. So befanden sich gleich zwei oder mehr Seitenzahlen auf einer Seite. Außerdem enthielten die Entscheidungsgründe teilweise Verbesserungen oder Streichungen einzelner Worte⁶³⁴. Das lässt darauf schließen, dass die in der Akte be ndliche Ausfertigung nicht die einzige war. Wahrscheinlich wurde das Original an die Parteien gesandt. Das Urteil erging bis auf wenige Ausnahmen separat von den Entscheidungsgründen. Beide waren, abgesehen vom Inhalt, standardisiert. So war die Tenorierung in der OAGO festgehalten, tatsächlich wiesen alle untersuchten Entscheidungen diese Formel auf. Die Eingangsformel lautete: „In Appellationssachen erkennt das OAG der vier freien Städte für Recht.“⁶³⁵ Auf einen Verweis auf das Recht als solches, das Volk oder gar Gott wurde verzichtet und damit eine vergleichsweise bescheidene, sachliche Eingangsformel gewählt. Durch das Remissionsschreiben sandte das OAG die Akten zurück an das OG. Das OAG verwies die Sache meist zur weiteren Verhandlung zurück an die Tatsa-

633 § 75 OAGO. 634 Beispielsweise in AHL OAG L I 499 Cartheuser c. Walte & Co. (1872) Q 17 Entscheidungsgründe. 635 § 79 OAGO.

124

Erster Hauptteil: Verfahren vor dem OAG

cheninstanz. Da das OAG häu g lediglich Inzidentpunkte entschied⁶³⁶, war die Sache noch nicht vollständig aufgeklärt und endgültig zum Endurteil entscheidungsreif. Daher enthalten die Akten nur in seltenen Ausnahmefällen Anträge zur Vollstreckung⁶³⁷.

8. Zusammenfassung Das Verfahren vor dem OAG war höchst formalisiert und orientierte sich stark an dem gemeinen Prozess. Die regelmäßig wiederkehrenden Verfügungen und die übersichtliche Aktenführung durch Quadrangel, also Nummerierung der Aktenstücke, und designatio actorum ermöglichen, sich schnell zurechtzu nden. Es handelte sich um ein vorbildlich geführtes und hoch professionelles Gerichtsverfahren, das rein schriftlich war. Eine Offizialmaxime, wie sie Drosdeck im gemeinrechtlichen Verfahren ausmachen will⁶³⁸, ist für das OAG nicht ersichtlich. Zwar war für die Kommunikation zwischen den Parteien tatsächlich der Richter zuständig, da die Parteien untereinander keinen direkten Kontakt hatten. Dies stellte aber lediglich eine administrative Aufgabe dar. Inhaltlich griff der Richter nicht ein, sondern sorgte nur für eine ordnungsgemäße Zustellung der Schriftstücke, denen ein standardisiertes Dekret beilag. Hier wird die Umständlichkeit des schriftlichen Verfahrens deutlich. Erst nach Aktenschluss prüften die Richter die Sache selbst. Dieser Amtsbetrieb war also rein formaler Natur und lenkte nicht den Prozess. Ein Parteibetrieb zeigte sich dadurch, dass den Parteien Rechtsmittel gegen den Aktenschluss und gegen Interlokute, die jeden Verfahrensabschnitt beendeten, zustanden; dass die Partei entschied, ob sie überhaupt ein Rechtsmittel einlegte und damit das Verfahren eröffnete und dass die Parteien jederzeit ohne inhaltliche Prüfung des Richters den Prozess beenden konnten. Durch diese wesentlichen Steuerungsmöglichkeiten konnten die Parteien die Handlungen des Richters weitgehend beein ussen. Von einer Offizialmaxime kann daher nicht gesprochen werden. Vielmehr ist die leitende Funktion des Richters gerade in einem schriftlichen Verfahren Voraussetzung dafür, dass dieses überhaupt zu einem Abschluss kommt. Allerdings stellten die notwendigen Akte seitens des Richters die reine Betonung der Verhandlungsmaxime und den Parteibetrieb als ihren Ausdruck in Frage. Hinsichtlich der rein administrativen Aufgaben lag also durchaus ein orga-

636 Dazu unter Grundsätzliche Zweiteilung: Zweiter Hauptteil B. II. 2. 637 So ausnahmsweise in AHL OAG L I 702 Susemihl c. Kreutzfeldt (1878) Q 21 Exekutionsantrag, der sich auf die Umschreibung eines Hauses bezog. 638 Dazu siehe oben unter Erster Hauptteil C. III.

C. Gerichtsverfahren vor dem OAG

125

nisierender Amtsbetrieb vor. Im Hinblick auf die wesentlichen inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten war hingegen der Parteibetrieb streng verwirklicht. Darin spiegelte sich der Verhandlungsgrundsatz als Maxime des Prozesses.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht Gerichtsakten zu den Lübecker Verfahren vor Nieder- oder Obergericht sind nicht erschlossen. Die Lübecker Zivilprozesspraxis kann jedoch durch die Rechtsprechung des OAG rekonstruiert werden. Gleichzeitig geben die Entscheidungsbegründungen des OAG Aufschluss, wie die Richter Recht anwandten, welche Stellung das gemeine Prozessrecht dabei einnahm und welche partikularen Rechtstraditionen weitergeführt wurden. Bevor die Rechtsprechung des OAG zu einzelnen prozessualen Problemen systematisch ausgewertet wird, werden zunächst die Rechtsquellen als Grundlagen für eine Entscheidungs ndung dargestellt.

A.

Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

Die Richter des OAG überprüften die Urteile der unteren Instanz zu verfahrensrechtlichen Fragen anhand einer unterschiedlichen Palette von Rechtsquellen. Damit können die Entscheidungen darüber Auskunft geben, auf welchen Rechtsquellen der unterinstanzliche Lübecker Prozess beruhte. In Rechtsstreitigkeiten zur Einlassung subsumierten die Richter beispielsweise mehrmals unter verschiedene Rechtsquellen. Während nach gemeinem Recht die Klage als unbegründet abzuweisen sei und dies auch die deutsche Praxis als Regel anerkenne, sehe dies das lübeckische Recht anders und der Gerichtsgebrauch müsse zunächst ausgelegt werden⁶³⁹. Es stellt sich also die Frage, welche Quellen die Richter heranzogen, um verfahrensrechtliche Probleme zu lösen und wie diese Entscheidungsquellen zueinander standen. Bis zur für die deutschen Staaten einheitlichen Kodi kation der CPO standen für den Prozess eine Vielzahl von Rechtsquellen zur Verfügung. Das gemeine Recht und insbesondere der gemeine Prozess, wie er durch die Lehrbuchliteratur ausgestaltet worden war, sowie daneben das alte Lübecker Stadtrecht von 1586, das sich in einem eigenen Buch mit dem Prozess beschäftigte, waren wichtige Rechtsquellen. Das Gewohnheitsrecht nahm eine beherrschende Stellung in der Rechtsanwendungslehre der historischen Rechtsschule ein. Hatte es auch für das Lübecker Verfahrensrecht diese wichtige Bedeutung? Nörr weist auf Bethmann-

639 AHL OAG L I 49 Kelling c. Behrens (1825) Q 9 Entscheidungsgründe, p. 11.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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Hollwegs⁶⁴⁰ Vorrede zu dessen „Vorlesungsgrundriss“ von 1821 hin, der die Quellen des gemeinen Prozesses als außerordentlich heterogen beschrieb im Vergleich zum Privatrecht. Nach Bethmann-Hollweg beruhte der gemeine Prozess nicht allein auf dem römischen Recht, sondern unstreitig auch auf den Reichsgesetzen des Alten Reiches, dem römischen und kanonischen Recht sowie auf Gewohnheitsrecht⁶⁴¹. Die Rechtsanwendungslehre ging von separaten Rechtsquellenmassen aus, die verschiedenen Anwendungsvoraussetzungen unterlagen. Die moderne rechtshistorische Forschung hat aber für das 18. Jahrhundert gezeigt, dass zum einen die prozessualen Anwendungsvoraussetzungen nicht getrennt von der materiellen Rechtsanwendungslehre betrachtet werden können. Zum anderen hat sie deutlich gemacht, dass in der Praxis taktische Überlegungen der Anwälte für die Rechtsquelleneinführung maßgebend waren und dabei oftmals mehrere verschiedene Rechtsquellen herangezogen wurden⁶⁴². Hier soll zunächst nur untersucht werden, auf welche Rechtsquellen die OAGRichter im lübeckischen Zivilprozess des 19. Jahrhunderts überhaupt zurückgriffen. In welchem Anwendungsverhältnis die Quellen zueinander standen, wird die detailreiche Untersuchung zu einzelnen prozessualen Problemen zeigen.

I. In der OAGO genannte Entscheidungsquellen Für die Rechtsanwendung durch das Gericht bestimmte die OAGO unter der Überschrift „Entscheidungsquellen“⁶⁴³ in seinem § 82: „Das OberAppellationsgericht hat bei seinen Erkenntnissen in Civil- und Criminalsachen die in den Freien Städten geltenden Particular-Gesetze und rechtliche Gewohnheiten, und in deren Entstehung das in den Städten recipirte gemeine Recht, mit Inbegriff der in denselben vor Au ösung der ehemaligen deutschen Reichsverfassung aufgenommenen Reichsgesetze, anzuwenden. Die in jeder Stadt erscheinenden Verordnungen werden dem Gericht mitgetheilt.“ Für die Rechtsanwendung teilte die OAGO also mit, welche Rechtsquellen anzuwenden waren. Neben den Partikulargesetzen galt das

640 August von Bethmann-Hollweg (1795–1877), Professor in Berlin und Bonn, Staatsmann, Schüler Savignys, forschte zur geschichtlichen Entwicklung des Zivilprozesses, zu ihm: Fischer, NDB Bd. 2, S. 187, 188; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 295. 641 Nörr, Iudicium, S. 157. 642 Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 673. 643 Zu dem begrifflichen Unterschied von Rechtsquellen und Erkenntnisquellen: Puchta, Vorlesungen I, § 11, S. 25; ihm folgend: Bluhme, System, § 35, S. 31, der aber feststellte, dass zumindest geschriebene Rechtsquellen die nächsten Erkenntnisquellen für ihren Inhalt seien. Auch das OAG selbst spricht von Entscheidungs-Quellen.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Gewohnheitsrecht, das gemeine Recht und die ehemaligen Reichsgesetze. Diese Vielzahl von Rechtsquellen und das Fehlen einer einheitlichen Kodi kation lässt die Schwierigkeiten der Rechtsanwendung für die Richter erahnen. Welche verschiedenen Normen könnten für den Zivilprozess vor den unteren Instanzen einschlägig gewesen sein? Wie verhielt sich dazu das nicht normierte, aber ausdrücklich genannte Gewohnheitsrecht? In welchem Verhältnis standen die Gesetze zueinander? Gab es bevorzugt angewandte, besonders relevante Normen? Kam dem Partikularrecht, das die OAGO an erster Stelle nannte, eine hervorgehobene Bedeutung zu? Anhand der in der OAGO genannten Entscheidungsquellen werden die in den Entscheidungsgründen genannten gesetzlichen Grundlagen näher beleuchtet.

1. „Partikular-Gesetze“ und in Lübeck „erscheinende Verordnungen“ Dem Verfahrensrecht vor den unteren Instanzen widmeten sich verschiedene Partikulargesetze und mehrere Verordnungen. Die Partikulargesetze und Verordnungen, die die Richter am häu gsten zitierten, werden im folgenden dargestellt.

a) Revidiertes Lübecker Stadtrecht von 1586 Das Revidierte lübeckische Stadtrecht von 1586 beschäftigte sich im fünften Buch mit verfahrensrechtlichen Fragen. Es handelte sich allerdings um eine unvollständige Regelung einiger Teilbereiche, beispielsweise zu Richtern, Prokuratoren, vom Ungehorsam oder Geständnissen. Der umfangreichste Teil widmete sich den Zeugen. Das Stadtrecht war damit eine Sammlung von Einzelbestimmungen, die im Wesentlichen deutsche Rechtsgrundsätze zusammenfasste⁶⁴⁴. So ist von Gerichtsvögten und Vorsprachen die Rede, die simultane Widerklage ist dem sächsischen Prozess gemäß ausgeschlossen. Das Partikularrecht kannte das Versäumnisverfahren⁶⁴⁵. Es zeigten sich aber auch, allerdings wenige, Anlehnungen an das römische Recht⁶⁴⁶.

644 Schwartz, Zivilprozeß, S. 307. 645 Ebenfalls dem sächsischen Prozess entlehnt, vgl. Sellert, „Prozeß, sächsischer“, in: HRG IV, Sp. 36, 38. 646 Germann, Lübisches Privatrecht, S. 63–65; Stobbe, Rechtsquellen, S. 295; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 192.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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b) Verordnung betreffend das Gerichtswesen von 1814 Am 4. Mai 1814 trat in der Stadt Lübeck eine Verordnung betreffend das Gerichtswesen als nächst jüngere Vorschrift zum Prozess in Kraft. Hinsichtlich des Verfahrens verwies die Verordnung jedoch allgemein auf die frühere Übung⁶⁴⁷. Demnach fand gerade bei Streitsachen mit geringem Streitwert ein kurzes und schnelles Verfahren statt⁶⁴⁸. Insbesondere den Nachtrag zu dieser Verordnung vom 5. Juli 1820⁶⁴⁹ zitierten die Richter des OAG häu g.

c)

Civilproceß-Ordnung für die freie und Hansestadt Lübeck von 1862

Am 28. April 1862 erließ der Lübecker Rat im Strom der Forderungen der Paulskirchenverfassung als eines der letzten Territorien ein neues Verfahrensgesetz mit 184 Paragraphen. Bereits der erste Paragraph bestimmt ein öffentliches, mündliches Gerichtsverfahren. Diese Vorschrift galt freilich lediglich für die Untergerichte. Dahlmanns spricht insoweit von einer halb-mündlichen Verfahrensordnung, da lediglich die Schlussverhandlung mündlich geführt würde, das vorhergehende Verfahren hingegen schriftlich, § 2 der lübeckischen CPO⁶⁵⁰. Im Übrigen sei jedoch dieses letzte Lübecker Verfahrensgesetz größtenteils durch Strukturelemente des fortentwickelten gemeinen Prozesses wie Verfahrensteilung mit Eventualmaxime und Beweisinterlokut, die Versäumnisfolgen und die Beschränkung auf eine Tatsacheninstanz gekennzeichnet⁶⁵¹.

d) Anwendung in der Praxis Nach der Rechtsquellenlehre der Zeit kam dem Partikularrecht die entscheidende Wirkung zu; das gemeine Recht war nur subsidiär heranzuziehen⁶⁵². Das Verfahrensrecht war in Lübeck jedoch nur bruchstückhaft geregelt. Trotz zahlreicher neuerer Verordnungen griffen die Richter häu g in den Entscheidungsgründen auf die mittelalterlichen Codices⁶⁵³ oder entsprechende Vorschriften aus anderen

647 648 649 650

Schwartz, Zivilprozeß, S. 547. Bomsdorf, Prozeßmaximen, S. 208. Abgedruckt in Bluhme, OAGO, S. 120–133. Dahlmanns, in: Coing, Handbuch III/2, S. 2615, 2665; ebenso Bomsdorf, Prozeßmaximen, S. 209. 651 Dahlmanns, in: Coing, Handbuch III/2, S. 2615, 2665; zu der Prozessgesetzgebungsgeschichte der lübeckischen CPO: Polgar, OAG Richterpersönlichkeiten, S. 138. 652 Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 205. 653 Zu diesen Handschriften Ebel, Lübisches Recht I, S. 194–216.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Staaten zurück. Allerdings nutzten sie diese Verweise nicht unmittelbar als Entscheidungsquelle, sondern zur Auslegung. Die Gesetzesauslegung mit Hilfe anderer Gesetze als des anzuwendenden durch das OAG wird an einem Fall besonders deutlich. Der Kläger Otto Grieffenhagen forderte vom Finanzdepartement der freien Hansestadt zu Lübeck Schadensersatz⁶⁵⁴. Er hatte von der Stadt einen Hof mit Schafstall gepachtet, dessen Dach einstürzte. Dies führte der Geschädigte auf das Verschulden des Vorpächters zurück. Nach erfolgloser Verhandlung der beiden Parteien wandte sich Grieffenhagen zunächst an den Senat der Stadt, bevor er den Schadensersatz einklagte. Das Finanzdepartement hatte geltend gemacht, dass sich der Kläger durch die Beschwerdeführung an die Stadt den Rechtsweg selbst verschlossen habe. Denn § 4 der Gerichtsverfassung⁶⁵⁵ sehe vor, dass der Beschwerte sich sein Ansinnen entweder als Justizsache dem Gericht oder, im Falle einer Verwaltungssache, dem Senat vortragen könne. Nachdem er sich für einen Weg entschlossen habe, könne er aber nicht mehr den anderen wählen. Außerdem sei § 5 der Gerichtsverfassung nicht befolgt worden, der vorschrieb, dass sich der Beschwerte innerhalb von drei Wochen an die Behörde wenden müsse. Dies sei nach dem Ablauf der drei Wochen auch nicht nachholbar, im Übrigen sei infolge der außergerichtlichen Verhandlung ein Vergleich zustande gekommen. Zu den prozesshindernden Einreden der Behörde führte das OAG aus⁶⁵⁶, dass §§ 4, 5 der Gerichtsverfassung keine privatrechtlichen Handlungen der Behörde begünstigen, sondern lediglich besondere Vorschriften für das Handeln einer Verwaltungsbehörde als solche durch „Verwaltungsmaßregel“ bereit halte. Die Richter argumentierten mit dem Willen des Gesetzgebers, den Rechtsweg bei privatrechtlichem Handeln der Behörde nicht beschränken zu wollen, der in ganz Deutschland dem Bürger gegen eine Behörde offen stehe. Diese Auslegung bestätige auch das ältere lübeckische Recht⁶⁵⁷. Die Motive zu dem Gesetz, die die beklagte Behörde angeführt hatte, seien kein Indiz gegen diesen Willen. Es sei nämlich von Obrigkeit die Rede, ein Begriff, von dem ja gerade nicht privatrechtliches Handeln umfasst sei. Das Gericht argumentierte systematisch, indem es die Bestimmung des § 5 anführte, der bei lediglich privatrechtlichem Handeln keine Beschrän-

654 Kierulff, Bd. 2, No 37, Grieffenhagen c. Finanzdepartement (1866), S. 273. 655 Gesetz vom 17. Dezember 1860 über die Gerichtsverfassung (abgedruckt in Sammlung der lübeckischen Verordnungen und Bekanntmachungen, Band 27 (1860), S. 90); wortgleich in §§ 10, 11 VO zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes für das Deutsche Reich vom 27. Januar 1877 betreffend, übernommen worden, allerdings wurde die kurze 3 Wochenfrist auf 6 Monate ausgedehnt. 656 Kierulff, Bd. 2, No 37, Grieffenhagen c. Finanzdepartement (1866), S. 273, 277. 657 Zitiert wird der Nachtrag zur Gerichtsordnung vom 5. Juli 1820 § 1–3.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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kung des Rechtsweges darstelle. Mit dem abschließenden Hinweis, dass eine solche Beschränkung des Rechtsweges eine „nirgends sonst statuierte Singularität“ sei, lehnten die Richter die Einrede des Finanzdepartements ab. Mit „nirgends sonst“ wurde die Absonderlichkeit hervorgehoben, die nur bemerkenswert war, wenn sonst von einer Einheitlichkeit ausgegangen wurde. Kraglund spricht von einer horizontalen und vertikalen Kontinuität, die das OAG schaffen wollte, indem die Richter die Übereinstimmung zu anderen oder älteren Gesetzen betonte⁶⁵⁸. Diese Entscheidung zeigt, dass das OAG großzügig den Rechtsweg vor die Gerichte eröffnete, indem es zwischen hoheitlichem und privatem Handeln einer Behörde unterschied. Außerdem illustriert die Entscheidung die Gesetzesauslegung, die den Willen des Gesetzgebers anhand des Wortlauts der Motive erörterte, systematisch auslegte und schließlich auf geltende Regelungen in anderen Gebieten Deutschlands sowie auf ältere partikularrechtliche Bestimmungen Bezug nahm.

2.

„Rechtliche Gewohnheiten“

Das Gewohnheitsrecht ist ausdrücklich als Entscheidungsquelle in der OAGO genannt. Die Doktrin des Gewohnheitsrechts war in den 1820er Jahren heftig umstritten⁶⁵⁹. Es wurde entweder als einzige wahre Rechtsquelle oder als überüssig bezeichnet, die Meinungen gingen weit auseinander. Weder über die Bedeutung noch die Entstehung oder genaue terminologische Abgrenzung war man sich in der gelehrten Literatur einig. Jedenfalls stellte das Gewohnheitsrecht ein hoch aktuelles Streitthema dar. Im Zusammenhang mit dem Gewohnheitsrecht stand der Gerichtsgebrauch. Während das Gewohnheitsrecht Ausdruck der herrschenden Volksansichten sein sollte⁶⁶⁰, konnte sich der Gerichtsgebrauch auch lediglich aus der Wissenschaft entwickelt haben⁶⁶¹. Der Gerichtsgebrauch war nach zeitgenössischer Lehre zum einen wissenschaftliches Recht, zum anderen durch die Juristen als Repräsentanten des Volkes aus der Volksüberzeugung hervorgegangen. Im Unterschied zum Gerichtsgebrauch, der eine lange Reihe gleichförmiger Entscheidungen voraussetzte⁶⁶², reichte für das Präjudiz eine einzelne Entscheidung. Eine Gewohnheit,

658 Kraglund, OAG Familienrecht, S. 104. 659 Krause, „Gewohnheitsrecht“, in: HRG I, Sp. 1675, 1683; ausführlich dazu: Haferkamp, Puchta, S. 146–165; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 105. 660 Puchta, Gewohnheitsrecht I, 2. Buch, 2. Kapitel, § 1, S. 143; Savigny, System I, S. 35. 661 Wächter, AcP 23 (1840), S. 432; so auch Weller, Präjudizien, S. 96. 662 Wächter, AcP 23 (1840), S. 432, 433.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

die sich noch nicht zum Gewohnheitsrecht entwickelt hatte, war wieder davon zu unterscheiden. Für das Prozessrecht bedeutungsvoll war insbesondere der Gerichtsgebrauch, da das Volk sich nach herrschender Meinung meist über das prozessuale Verfahren keine Vorstellung machte, also nicht die Volksüberzeugung als solche, sondern vielmehr die Praxis der Rechtsprechung für den Zivilprozess entscheidend war⁶⁶³. Terminologisch ist in der Literatur nicht nur von Gerichtsgebrauch als dem traditionellen Topos die Rede, sondern auch von Juristen- oder von wissenschaftlichem Recht, gegen Ende des Jahrhunderts von Richterrecht. Zwar bezeichneten diese Begriffe nicht exakt den gleichen Umstand, aber im Zentrum der Diskussion stand jeweils die Frage der Bindung an eine fortgesetzte Entscheidungspraxis⁶⁶⁴. Ob aber dem Gerichtsgebrauch Gesetzeskraft zukam, war höchst strittig. Insofern wurde es nicht als Unterfall des Gewohnheitsrecht behandelt, bei dem die Gesetzeskraft einstimmig angenommen wurde. Das OAG beschäftigte sich in vielen Entscheidungen mit Gewohnheitsrecht und Gerichtsgebrauch. Neben dem ausdrücklichen Gesetzesrecht nannte das OAG „Gewohnheitsrecht, Gerichtsgebrauch und wissenschaftliche Folgerungen aus bestehenden Rechtssätzen“ als „Entscheidungs-Quellen“⁶⁶⁵. Das OAG differenzierte hier nicht zwischen Gewohnheitsrecht und Gerichtsgebrauch, sondern nannte beide gleichermaßen neben dem Gesetzesrecht als Entscheidungsquelle. In den Entscheidungsgründen ist von Observanz, Gewohnheit, Gewohnheitsrecht oder von Herkommen die Rede. Gewohnheit und Observanz wurden dabei austauschbar verwandt⁶⁶⁶. Gewohnheit und Gerichtsgebrauch wurden unterschiedlich behandelt, aber oft gemeinsam genannt. Das Gewohnheitsrecht beachteten die Richter stärker, vom Gerichtsgebrauch wichen sie häu ger ab. Meist stützten sich die Richter nicht ausschließlich auf Gewohnheitsrecht oder den Gerichtsgebrauch, sondern zogen das Gewohnheitsrecht im Zusammenhang mit anderen Rechtsquellen heran. Dass der Beweisführer nach verschiedenen glaubhaften Zeugen, die jedoch nur halben Beweis erbrächten, zum Erfüllungseid zuzulassen war, stützten die Richter sowohl auf „bekannte allgemeine Rechtsgrundsätze, als nach der hiesigen Observanz, über deren vorhandenseyen der gemeine Bescheid vom 7ten Februar 1755 als ein Zeugniß angesehen werden kann“⁶⁶⁷. In einer

663 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 4, S. 18; Puchta, Gewohnheitsrecht II, 3. Buch, 3. Kapitel, § 4, S. 262. 664 Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 177. 665 Kierulff, Bd. 5, No 25, Lampe c. Brehmer (1869), S. 160, 166. 666 Vgl. AHL OAG L I 206, Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27 Entscheidungsgründe, p. 21: „fortbestehende Gewohnheit“ mit p. 24: „bisherige Observanz“. 667 AHL OAG L I 40 Gäth c. Elhabe (1824) Q 10, p. 6 der Entscheidungsgründe.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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anderen Entscheidung ordneten die Richter einen Gemeinen Bescheid nicht nur als Zeugnis für eine Gewohnheit ein, sondern sprachen ihm „wahre Gesetzeskraft“ zu⁶⁶⁸. In einem Rechtsstreit von 1824 stützte das OAG die Restitution ob culpam advocati, also eine Wiedereinsetzung aufgrund anwaltlichem Verschuldens, allein auf den Gerichtsgebrauch. Johann Gottfried Hilliger hatte gegen Johann Christian Blohm und dessen Söhne Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gefordert, was ihm durch das Obergericht verwehrt worden war. Der Rechtsstreit, in dem bereits ein Beweisinterlokut ergangen war, zog sich über zehn Jahre hin. Das führte der Appellant Hilliger darauf zurück, dass Blohm seinen Wohnsitz infolge der französischen Besetzung nach England verlegt habe. Sein Begehren begründete er außerdem mit dem Verschulden seines Anwalts, der ihm zwar eine Eidesdelation bei Erlass des Interlokuts vorbehalten habe, jedoch die Delation selbst später unterlassen habe. Ihm sei das Verschulden des Anwalts nicht zuzurechnen. Im Weiteren beschwerte Hilliger sich über Urteilsgründe, die sich „im Cirkel bewegen, theils der Klarheit ermangeln“⁶⁶⁹. Um diese Behauptung zu stützen, zitierte sein neuer Advokat aus dem Urteil des Obergerichts und versah dieses mit spitzen Bemerkungen: „...nach Umständen (welchen?) nach Gründen (welche?) nach rechtlichem Anschein (aber soll denn nach dem Schein geurtheilt werden?) sey es bedenklich (weshalb?) einen Eid zu beschwören, der nach so langem Stillstand der Sache (aber war es denn die Schuld der Appellanten, daß Appellaten ihr Domicil nach England verlegten, daß französische Tribunale instituirt wurden, die mit jenem Lande nicht correspondirten, und wenn den Gegnern an Beendigung der Sache gelegen gewesen wär, warum förderten sie dieselbe nicht ihrentheils?) nun erst gefordert wurde (ist es nun nicht mehr an der Zeit ihn zu fordern?)...“. Er forderte hier größere Transparenz vom Obergericht, um die Ausführungen nachprüfen zu können. In der Verteidigungsschrift führte der Vertreter des Appellaten gelassen und äußerst knapp auf kaum einer Seite aus, dass die Ausführungen des Obergerichts völlig zutreffend seien. Ohne auf die Polemik des Appellanten einzugehen, beschäftigte sich das OAG sachlich mit der Restitution ob culpam advocati. Im römischen Recht nde dieses Institut keine Stütze. Es sei lediglich durch den Gebrauch deutscher Gerichte eingeführt worden. Dieser Praxis sei das Reichskammergericht gefolgt. Dazu zitierten die Richter ein Conclusum Pleni des Reichskammergerichts⁶⁷⁰. Das Reichskammergericht nannten die Richter zwar als Autorität, dennoch stellten sie

668 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B): Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254, 257. 669 AHL OAG L I 41 Hilliger c. Blohm & Söhne (1824) Q 1, p. 4 der Appellationsbeschwerde. 670 AHL OAG L I 41 Hilliger c. Blohm & Söhne (1824) Q 10, p. 9 der Entscheidungsgründe.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

auf den dieser Autorität zugrunde liegenden Gerichtsgebrauch der deutschen Gerichte als den eigentlichen Grund des Instituts ab. Diese Erörterung der Herkunft der Restitution ob culpam advocati war nicht durch die Parteien veranlasst worden, dennoch referierte das OAG kurz seine Entstehungsgeschichte. Verstieß eine Gewohnheit gegen ältere Gesetze, war sie nicht ungültig⁶⁷¹. Beispielsweise zur Einlassung vertraten die Richter, dass der lübeckische Gerichtsgebrauch zwar gegen § 37 JRA verstieß, dass aber insoweit der Gerichtsgebrauch, der eben über die Geltungsdauer des JRA hinaus beibehalten worden war, vorrangig sei⁶⁷². Zumindest, wenn der Gerichtsgebrauch in „wahres Gewohnheitsrecht“ erwachsen sei, könne man unmöglich davon abweichen⁶⁷³. Hier betonten die Richter die stärker bindende Kraft des Gewohnheitsrechts. Ein Appellant hatte „Gewohnheit gegen Vernunft“ angeführt, um zu begründen, weshalb eine Gewohnheit nicht gelte. Etwas Unvernünftiges konnte das OAG im konkreten Fall jedoch nicht entdecken⁶⁷⁴. Aber nicht in allen Fällen folgte das OAG dem Gerichtsgebrauch. In einem Rechtsstreit von 1821 verwarf es den Gerichtsgebrauch als nicht existent, den das OG noch angenommen hatte⁶⁷⁵. In einer anderen Entscheidung von 1830 wichen die Richter mit einem hohen Begründungsaufwand von dem in Lübeck geltenden Gerichtsgebrauch ab. Dazu zitierten sie D. 1, 3, 39, der bestimmte, dass „eine Gewohnheit oder ein Gerichtsgebrauch nur insoweit Gesetzeskraft besitzen, als sie nichts zweckwidriges und dem übrigen Recht widersprechendes enthalten“⁶⁷⁶. Im konkreten Fall stellten sie fest, dass der Gerichtsgebrauch aber gegen die lübeckischen Gesetze verstieß und auch sonst nicht zu den lübeckischen prozessualen Grundsätzen passe. Außerdem stützten sich die Richter auf Zweckerwägungen. So bringe der Gerichtsgebrauch einen Nachteil in der Sache, er führe zur Verzögerung des Rechtsstreites und berge die Gefahr, dass sich Zeugen gegenseitig beein ussten. Die OAG-Richter ließen aber für den Appellanten die Restitution zu.

671 AHL OAG L I 49 Kelling c. Behrens (1825) Q 9 Entscheidungsgründe, p. 11, ob klare Gesetze gegen den Gerichtsgebrauch, dass Verzugszinsen erst ab dem Tag der Klage an gerechnet werden könnten, konnte in dem Fall aber dahin stehen; Wunderlich, Bd. 1, No 208A, Gaettens c. Aelteste der Krämercompanie (1852), S. 249, 253: verweist auf wiederholte Rechtsprechung des OAG. 672 Bruhn, Sl. 2, No XXVII, Pantaenius c. ee (1836), S. 228, 229. 673 AHL OAG L I 46 ee c. Böttcherhandwerk (1825) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 8. 674 Wunderlich, Bd. 1, No 208A, Gaettens c. Aelteste der Krämercompanie (1852), S. 249, 253; Puchta verwarf 1837 diesen Ansatz, Gewohnheitsrecht an der Vernunft überhaupt zu messen, dazu Haferkamp, Puchta, S. 359. 675 Bruhn, Sl. 1, No X, Rosenberg c. Platzmann (1821), S. 64, 67. 676 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98B), Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254, 259; näher zu dem Fall unter Zulässigkeit neuer Zeugen: Zweiter Hauptteil B. III. 2. d).

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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Diese Rechtsprechung festigte das OAG in einer ähnlichen, späteren Rechtssache. Eine Gewohnheit könne durch ein einziges Präjudiz „unterbrochen“ werden und damit ihre „rechtliche Gültigkeit“ verlieren, hieß es dort⁶⁷⁷. Doch ließen die OAG-Richter in dem zugrundeliegenden Fall zu, dass noch eine Restitution gewährt wurde, da der Sachführer das Präjudiz nicht gekannt habe. Der Sachführer hatte die nicht mehr befolgte Gewohnheit trotz anderslautendem gemeinen Bescheid angenommen⁶⁷⁸. Der Irrtum über die bestehende Gewohnheit sei zwar nicht mehr wie in der vorangegangenen Entscheidung⁶⁷⁹ eine opinio communis omnis. Aber da bisher nur eine einzige Entscheidung des OAG dazu ergangen sei, die „auch nicht nothwendig allen bekannt werden müsste“ und sogar das Gericht erster Instanz nicht in diesem Sinne entschieden habe, habe der Irrtum noch nicht ganz den Charakter eines communis error verloren und begründe daher eine Restitution. Eine einzige Gerichtsentscheidung reichte hier, um der Gewohnheit, die auf einem Irrtum beruhte, die rechtliche Gültigkeit abzusprechen. Der Sachführer hatte sich nicht nur auf einen Stadtrechtsartikel gestützt, sondern zusätzlich auf eine rechtliche Gewohnheit. Dies zeigt die große Bedeutung der Gewohnheit neben dem geschriebenem Recht. Dennoch reichte es den Richtern des OAG, einmal durch (historische) Gesetzesauslegung zu zeigen, dass diese Gewohnheit keine Gültigkeit mehr besitze. Eine communis opinio war hier nicht mehr als eine widerlegbare Ansicht. In einem Rechtsstreit zwischen Gewandschneidern und Tuchmachern⁶⁸⁰ hatte der Appellant das gewichtige Argument vorgebracht, dass gegen Gewohnheitsrecht und Gerichtsgebrauch verstoßen worden sei. Nach einer ausführlichen historischen Auslegung kamen die OAG-Richter zu dem Schluss, dass das Gewohnheitsrecht hier nicht eindeutig sei. Im konkreten Fall und nach „Natur des Verhältnisses“ sei das Gewohnheitsrecht hier jedenfalls nicht einschlägig⁶⁸¹. OAG-Rat Bluhme führte in einem Brief an Savigny zu dieser Rechtsprechung aus, dass das

677 AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27 Entscheidungsgründe, p. 21; diese Entscheidung behandelte insgesamt vier unterschiedliche rechtliche Probleme, vgl. dazu die Sachverhaltsschilderung unter Glaubwürdigkeit Zeugen: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3). 678 „auch seit Erlassung des gemeinen Bescheides v J 1756 fortbestehende Gewohnheit“, vorher zitierten die Richter den Gemeinen Bescheid der vom Senat am 6. Februar 1756 erlassenen Gemeinen Bescheide, in: Gemeiner Bescheid, S. 66, 67. 679 Dazu unten unter Glaubwürdigkeit der Zeugen: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3): Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B): Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254. 680 Bruhn, Sl. 1, No XXXVIII, Gewandschneider c. Tuchmacher (1826), S. 173–179; zu dem Fall siehe unten unter provocatio: Zweiter Hauptteil B. I. 1. 681 Bruhn, Sl. 1, No XXXVIII, Gewandschneider c. Tuchmacher (1826), S. 173, 175.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Gericht im Zweifel keine Abweichung von Gesetz und Gewohnheit annehme. Sobald eine Auslegung eines Gesetzes in Betracht komme, die mit der Gewohnheit übereinstimme, sei diese zu wählen, so dass es auf den Beweis der Gewohnheit nicht ankomme⁶⁸². Während die OAG-Richter in den ausgewerteten Fällen vom Gewohnheitsrecht nicht abwichen und höchstens im konkreten Fall nicht unter das Gewohnheitsrecht subsumierten, gingen sie mit Gewohnheit und Gerichtsgebrauch freier um. Wie gezeigt nden sich verschiedene Entscheidungen, in denen die Richter von einem feststehenden Gerichtsgebrauch abwichen⁶⁸³. Den Gerichtsgebrauch verwarfen sie aber nur mit einem hohen Argumentationsaufwand. Wie ein Gewohnheitsrecht im Prozess zu beweisen war und wer dies zu beweisen hatte, waren weitere Streitpunkte. Nach der Rechtswissenschaft war unbestritten, dass die Partei, die das Gewohnheitsrecht behauptete, dieses auch beweisen müsse, sofern der Richter nicht verp ichtet war, das Gewohnheitsrecht zu kennen⁶⁸⁴. Denn das Gewohnheitsrecht beruhe auf Tatsachen, die im Prozess nicht vermutet würden⁶⁸⁵. 1828 leitete Puchta neue Regeln für den Beweis des Gewohnheitsrechts ab. Nach seinem Ansatz waren die Tatsachen lediglich Ausdruck der Gewohnheit, im Übrigen handele es sich aber um Recht, das wie Gesetzesrecht nicht durch die Parteien zu beweisen sei. Der Richter müsse daher von Amts wegen die Existenz der Gewohnheit erforschen⁶⁸⁶. Diese Ansicht übernahmen neben den OAG-Präsidenten Kierulff⁶⁸⁷ und Wächter⁶⁸⁸ auch zahlreiche andere bedeutende Rechtswissenschaftler⁶⁸⁹. Scheuermann stellt fest, dass bis 1861 alle Oberappellationsgerichte Puchtas Lehre betreffend das Gewohnheitsrecht übernommen hätten, indem sie ihn zitierten⁶⁹⁰. Dies gilt es für das OAG Lübeck zu überprüfen. Ob nun der Kläger sein Gewohnheitsrecht zu beweisen habe, hatte besonders bei Streitigkeiten zwischen Zünften große praktische Relevanz. Vielfach stritten

682 Strauch, Briefwechsel, Brief 162, S. 296. 683 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B): Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254; AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27 Entscheidungsgründe, p. 21. 684 So Puchta, Gewohnheitsrecht I, 1. Buch, 9. Kapitel, S. 107, zu der bis dahin herrschenden Meinung; zu der gegenteiligen Praxis bereits Oestmann, Rechtsvielfalt. 685 Glück, Pandecten I, S. 476; Savigny, System I, S. 186. 686 Puchta, Gewohnheitsrecht I, 3. Buch, 4. Kapitel, § 6, S. 187. 687 Kierulff, eorie, S. 15, 16. 688 Wächter, Handbuch II, § 9. 689 Savigny, System I §§ 12, 28–30, S. 34: Verweis auf Puchta, Gewohnheitsrecht I, 1. Buch, 2. Kapitel, S. 168–197, insbesondere S. 187; Beseler, Volksrecht, S. 59, Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 459. 690 Scheuermann, Zivilrechtspraxis, S. 86.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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die Zünfte um ihre Verbietungsrechte⁶⁹¹. Wem stand das Handwerk nun alleine zu, damit man vom Konkurrenten Unterlassung fordern konnte? In diesen Streitigkeiten brachten die Parteien hundert- oder zweihundert Jahre alte Rollen oder Vergleiche in das Verfahren ein, um beweisen zu können, dass sie allein besagtes Handwerk ausführen durften. In einer Entscheidung von 1834 legten die Richter ausdrücklich dem Kläger den Beweis einer Gewohnheit auf⁶⁹². Die unteren Gerichte hätten insoweit uneinheitlich geurteilt und dem OAG sei kein entsprechender, vom Kläger behaupteter Gerichtsgebrauch bekannt⁶⁹³. Das Gericht ermittelte hier nicht selbst, sondern überließ es der Partei, das behauptete Gewohnheitsrecht zu beweisen. Legten die Richter hier Puchtas neuen Ansatz gar nicht zugrunde? Obwohl Puchta das Gewohnheitsrecht dem übrigen Recht gleichstellte, billigte er, dass der Richter den Parteien auferlegte, das Gewohnheitsrecht zu beweisen. Der nach gemeinem Recht gelehrte Richter könne gar nicht alle Gewohnheiten kennen. Um über ein Gewohnheitsrecht Gewissheit zu erlangen, dürfe der Richter daher „nach freyer Erwägung der Umstände verfahren“⁶⁹⁴. In der Praxis hatte der Umschwung der Lehre also möglicherweise gar keine große Veränderung zur Folge. Wie genau der Beweis eines Gewohnheitsrecht in der Praxis geführt wurde, lässt sich nicht ermitteln. Wie schwer dazu eine genaue Aussage fällt, zeigt folgender Fall. Die Lübecker und Schlutuper Fischer stritten, wem das Recht zustand, auf einem bestimmten Stück der Trave schen zu dürfen⁶⁹⁵. Ausgehend von der Beweislast (das Beweisinterlokut hatten die Schlutuper angefochten), war es in der Regel Aufgabe des Klägers, sein Verbietungsrecht, also den Grund der Klage, nachzuweisen⁶⁹⁶. Die Lübecker Fischer, die die Schlutuper auf Unterlassung verklagt hatten, hatten eine Fischerrolle von 1585 zu den Akten gebracht⁶⁹⁷, aus der sich

691 Dazu Nordloh, Kölner Zunftprozesse, S. 65–149; Oestmann, ZNR 26 (2004), S. 246–261. 692 Bruhn, Sl. 2, No XV, Dillner c. Drevsen (1834), S. 120–127. 693 Bruhn, Sl. 2, No XV, Dillner c. Drevsen (1834), S. 120, 124. 694 So Puchta ausdrücklich folgend Savigny, System I, § 30, S. 191. 695 Zu einem Streit des späten 17. Jahrhunderts ebenfalls zwischen den Stadt- und Schlutuper Fischern, der auch nach Beweislastgrundsätzen entschieden wurde: Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 573, 574. 696 AHL OAG L I 128 Aelteste der Schlutuper Fischer c. Aelteste der Stadt- und Gothmunder Fischer (1839) Q 20 Entscheidungsgründe, p. 4. 697 Die Rolle selbst befand sich nicht in den Akten des OAG, wahrscheinlich war sie mit den unterinstanzlichen Akten zurück an das OG gesandt worden, aber Aktenverweis in den Entscheidungsgründen: AHL OAG L I 128 Aelteste der Schlutuper Fischer c. Aelteste der Stadt- und Gothmunder Fischer (1839) Q 20 Entscheidungsgründe, p. 5.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

ergab, dass das Fischereirecht an der Trave nur in genau bezeichneten, abgegrenzten Gebieten den Schlutupern zustand. Daraus schlussfolgerten die Richter, dass in diesem Fall, die Schlutuper beweisen müssten, dass an dem konkreten Stück der Trave es ihnen ausnahmsweise freistehe zu schen. Die Fischerrolle sprach noch von alten Ortsbezeichnungen, „Marienhare“ und „Heringswyk“, die die Richter etymologisch auslegten, aber nicht feststellen konnten, ob Marienhare das heutige Herrenwyk meinte. Obwohl die Kläger hier eine Fischerrolle beigebracht hatten, konnte nicht geklärt werden, wem das Recht an dem Stück der Trave zustand. Die Auslegung der alten Handwerksrolle blieb ergebnislos. So verblieb es bei der Beweislastentscheidung zuungunsten der Schlutuper Fischer. Welche Bedeutung hatte nun die Fischerrolle? Sie sollte beweisen, dass es allein den Klägern zustand, auf der Trave zu schen. Obwohl man erst um das Interlokut stritt, war die Rolle bereits in den Rechtsstreit eingeführt. Also hatten die Lübecker nicht das Beweisverfahren abgewartet, sondern bereits im ersten Verfahren die Rolle beigebracht. Es könnte sich insofern um einen antizipierten Urkundenbeweis gehandelt haben. Jedenfalls war die Partei und nicht der Richter tätig geworden, die Rolle zu den Akten zu bringen. Auch noch in einer Entscheidung von 1852 ist davon die Rede, dass „ein genügender Beweis der von den Beklagten behaupteten Observanz“ nicht geführt sei⁶⁹⁸. Der Beweis von Verbietungsrechten beschäftigte das OAG verschiedentlich⁶⁹⁹. 1865 legte das OAG dar, dass Gewohnheitsrecht nur dann entgegenstehendes Gesetzesrecht verdrängen konnte, wenn die Partei, die sich auf das Gewohnheitsrecht berief, die „thatsächlichen Angaben“ machte, woraus sich die Entstehung und Ausbildung des Gewohnheitsrechts erkennen ließen⁷⁰⁰. Es war also eine Substantiierung erforderlich. Diese Zwischenlösung ermöglichte dem Richter, keine eigenen Nachforschungen anstellen zu müssen, sondern der Partei immerhin die Substantiierung zu überlassen. Der Umschwung in der Literatur, der nun die Erforschung von Gewohnheitsrecht ex officio vorschrieb, beeindruckte die Rechtsprechung nicht. Sie hielt daran fest, sich gelegentlich darauf zu berufen, eine Partei habe ihr Gewohnheitsrecht nicht genügend bewiesen. Auch wenn nachgewiesen ist, dass bereits im Alten Reich tatsächlich der Richter selbst Gewohnheitsrecht ermittelte⁷⁰¹, blieb die Tat-

698 Wunderlich, Bd. 1, No 208A, Gaettens c. Aelteste der Krämercompanie (1852), S. 249, 253. 699 Wunderlich, Bd. 2, No 387, Siebente Träger-Section c. Kornträger (1858), S. 104–110: Beweis Verbietungsrecht anhand Rolle; Bruhn, Sl. 2, No 422A, Schöpfer c. BandreißerAelteste (1860), S. 242. 700 Bremer Fall: Kierulff, Bd. 1, No 6, Klein c. Mohr (1865), S. 59, 71. 701 Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 552.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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sache, dass der Kläger sein Gewohnheitsrecht nicht bewiesen habe, noch nach der generellen Umkehr in der Literatur in der Rechtsprechung des OAG ein beliebtes Argument, einen Rechtsstreit abzuweisen.

3.

„das in den Städten recipirte gemeine Recht“

Der Begriff des gemeinen Rechts ist nicht leicht zu fassen⁷⁰². Im 19. Jahrhundert stritt man darüber, was genau darunter zu verstehen sei⁷⁰³. Dabei ging die eorie jedenfalls von einer klaren Trennung der Rechtsquellenmassen aus, die Rechtsquellen sollten einem eindeutigen Anwendungsprinzip unterliegen. Das Landrecht breche das gemeine Recht, das also nur subsidiär gelten sollte⁷⁰⁴. Dass die Praxis teilweise anders aussah und die Rechtanwendungslehre nur im Zusammenhang mit den prozessualen Anwendungsvoraussetzungen verstanden werden kann, ist für die Frühe Neuzeit belegt⁷⁰⁵. Hier soll zunächst eine Annäherung an den Begriff des gemeinen Rechts aus Sicht der zeitgenössischen Literatur, insbesondere aus Sicht der OAG-Präsidenten Wächter und Kierulff⁷⁰⁶ versucht werden, um anschließend einige Beispiele der Praxis des OAG heranzuziehen. Insbesondere soll dabei das gemeine Zivilprozessrecht untersucht werden.

a)

Begriff rezipiertes gemeines Recht

Der Begriff des gemeinen Rechts umfasste nach Savigny das römische Recht, das germanische Recht und die Modi kation beider⁷⁰⁷. Das kanonische Recht nannte er nicht, im Gegensatz zu Puchta⁷⁰⁸. Wächter de nierte das gemeine Recht als deutsches, kanonisches und römisches Recht⁷⁰⁹. Dies fasste er an anderer Stelle mit der Formulierung „also namentlich das Justinianische Recht“⁷¹⁰ zusammen und sprach damit dem römischen Recht die maßgebende Bedeutung zu. Das gemeine Recht deutschen Ursprungs umfasse auch die deutschen Reichsgesetze, deren Inhalt trotz Aufhebung des Deutschen Reiches weiterhin gültig sei, soweit es sich

702 Guter Überblick über die verschiedenen Lehrmeinungen im 19. Jahrhundert: Luig, „Gemeines Recht“, in: HRG I, Sp. 60, 71–76; Schäfer, Germanistik, S. 347–354. 703 Vgl. Reyscher, Zeitschrift für deutsches Recht 10 (1846), S. 153–180. 704 Reyscher, Zeitschrift für deutsches Recht 10 (1846), S. 153, 157. 705 Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 635. 706 OAG-Präsident Heise äußerte sich dazu nicht ausdrücklich. 707 Savigny, Beruf, S. 118. 708 Puchta, Vorlesungen I, § 5–8, S. 11. 709 Wächter, Handbuch I, S. III. 710 Wächter, Erörterungen, S. III.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

nicht auf staatsrechtliche Verhältnisse erstrecke⁷¹¹. In Bezug auf die Geltung der Reichsgesetze enthielt die OAGO also nur eine Klarstellung. Das OAG verwendete den Begriff gemeinrechtlich verschiedentlich⁷¹², auch als allgemeinen Hinweis zum gemeinen Prozess, ohne denselben näher zu konkretisieren. Die Quellen des gemeinen deutschen Zivilprozesses stimmten weitgehend mit denen des gemeinen Rechts überein⁷¹³. Wetzell beschrieb den gemeinen Prozess als ein vollkommen neues Ganzes, hervorgegangen aus römischem Recht und germanischen Rechtselementen, wobei das römische durch das kanonische Recht modi ziert worden sei⁷¹⁴. Ausdrücklich bezog die OAGO in § 82 die Reichsgesetze in das gemeine Recht mit ein. Der Streit um die Weitergeltung der Reichsgesetze nach 1806⁷¹⁵ war damit für Lübeck entschieden. Der JRA von 1654, daneben der Gerichtsgebrauch und territoriale Ein üsse prägten den gemeinen Prozess⁷¹⁶. Diese aus den gleichen Elementen bestehende Beschreibung zeigt die Parallelität zwischen gemeinem Recht und gemeinem Prozess, aber auch die Unbestimmtheit beider Begriffe. Von einem „Konglomerat heterogener Quellen“⁷¹⁷ ist die Rede. Die Anwendung des gemeinen Rechts war nach der OAGO auf das beschränkt, das in den Städten rezipiert worden war. Ob dieses Merkmal eine eigene Bedeutung hatte, ist fraglich, da die herrschende Meinung der Lehre von einer Rezeption des römischen Rechts in complexu ausging, zumindest für das Privatrecht. Die gesonderte Betonung, dass das Recht in den Städten rezipiert sein müsse, legt nahe, dass dem Merkmal eine eigene Bedeutung dennoch zukam und die Verfasser der OAGO nicht von einer Rezeption in complexu ausgingen. Gerade in den

711 Wächter, Handbuch I, § 125, S. 1078. 712 Beispielsweise Kierulff, Bd. 6, No 13, Siebert c. Schmalhausen (1870), S. 116, 122: „auch ganz dem gemeinen deutschen Prozeßrecht entspricht“; Kierulff, Bd. 7, No 27, Frese c. Müller (1871), S. 250, 252: „gemeinrechtlich den erheblichsten Bedenken unterliegen“; Wunderlich, Bd. 2, No 361, Christeinicke c. Marienkirche (1856), S. 17, 21: „gemeinrechtlich an einer desfalligen Vorschrift fehlt“. 713 Wetzell, System, § 2, S. 3; Nörr, Iudicium, S. 193, weist auf die Unterschiede hin, so sei der römische Prozess nicht maßgebend; anders: Sartorius, ZCP 1 (1845), S. 151, 160. 714 Wetzell, System, § 2, S. 3; so auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 182; Sartorius, ZCP 1 (1845), S. 151, 163–189, betonte auf über zwanzig Seiten seines Aufsatzes über die Quellen des gemeinen Prozesses die deutschen Reichsgesetze. 715 Dazu Haferkamp, Fortwirkungen, S. 293, 299–301. 716 Ahrens, Prozessreform, S. 12, 13, der trotz verschiedener Entwicklungen rechtfertigt, von dem gemeinen Prozess zu sprechen; ähnlich Bomsdorf, Prozessmaximen, S. 26; Döhring, Rechtsp ege, S. 20; einschränkend Haferkamp, Fortwirkungen, S. 293, 296, der die Flexibilität der Begründung des Prozessrechts betont; Sellert, „Prozeß des Reichskammergerichts“, in: HRG IV, Sp. 29, 33. 717 Ahrens, Prozessreform, S. 13; die unterschiedliche Betonung verschiedener Rechtsquellen durch die Lehre hebt auch Haferkamp, Fortwirkungen, S. 293, 298, hervor.

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Hansestädten diskutierte man die Rezeption in complexu sehr emotional⁷¹⁸. Die Ansicht der Lehre ging in diesem Punkt auseinander; während Eichhorn⁷¹⁹ als Germanist sowie auch Kierulff⁷²⁰ nicht von einer Rezeption im Ganzen ausgingen, hielt sie Wächter⁷²¹ wie auch Savigny für das Zivilrecht⁷²², für gegeben⁷²³. Allerdings schränkte Savigny diese Rezeption in complexu für den Prozess ein. Er betrachtete den Zivilprozess ganz modern als Teil des Staatsrechts, denn der Staat werde durch die Bereitstellung des Zivilprozesses seiner Verp ichtung gerecht, dem Einzelnen Schutz seiner Rechte zu gewähren⁷²⁴. Zwar seien Zivilprozess und Zivilrecht „verwebt“, so dass eine vollständige Trennung praktisch nicht durchführbar sei. Dennoch sei das innere Wesen des Prozesses öffentlich rechtlich⁷²⁵. Und das römische Staatsrecht sei von aller Anwendung ausgeschlossen⁷²⁶. Zum Zivilprozess führte Savigny in seiner Einleitung zum „System“ aus, dass dieser sich durch die Mischung historisch verschiedener Quellen derart eigentümlich ausgebildet habe, dass eine gesonderte Behandlung erforderlich sei⁷²⁷. Wächter hingegen stellte auf die gemeinsame Rezeption von Zivilrecht und Zivilprozessrecht ab, die keine unterschiedliche Beurteilung hinsichtlich der Rezeption rechtfertige⁷²⁸. Das römische Zivilprozessrecht sei vollständig rezipiert und habe unmittelbare Gesetzeskraft als subsidiäres Recht. Kierulff entwickelte im Vorwort zu seiner „eorie des Gemeinen Civilrechts“ die Ansicht, dass es, solange der Gesetzgeber untätig bliebe, der eorie wie auch der Praxis obliege, aus dem Corpus Iuris Civilis und den deutschen Rechtsquellen, eben aus der „Fluth der geltenden Rechtsbestimmungen“⁷²⁹, ein gemeines Recht herauszuarbeiten. Nur diese Verbindung mache das „lebende deutsche Recht“ aus⁷³⁰. Diese Herausarbeitung sei weder allein durch historisches Studium der römischen Quellen noch aus der leeren Deduktion des Naturrechts zu erreichen⁷³¹, son-

718 719 720 721 722 723 724 725 726 727 728 729 730 731

Vgl. Duhn, Abhandlungen, S. 57–89. Eichhorn, Deutsches Privatrecht, S. 43. Luig, „Gemeines Recht“, in: HRG 9. Lieferung, Sp. 60, 75. Wächter, Handbuch I, § 125, S. 1082, § 127, S. 1092. Savigny, Obligationenrecht II, § 76, S. 233, der dies als herrschende Meinung darstellte. Rückert, Autonomie des Rechts, S. 58 in Fn 197, beschreibt Wächter, wie auch Heise als „bekanntlich ein ußreich für Savigny“. Savigny, System I, § 9, S. 26. Savigny, System I, § 9, S. 27. Savigny, System I, § 17, S. 69. Savigny, System I, § 1, S. 3. Wächter, AcP 23 (1840), S. 432, 437. Kierulff, eorie, S. XXVII. Kierulff, eorie, S. XXX in Fn. Kierulff, eorie, S. XIX.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

dern zum einen durch „das, was wirklich Grundsatz, und was nur Consequenz, was wirklicher gesetzlicher Stoff, und was doctrineller Natur ist, zu sondern und wiederum in Zusammenhang zu bringen“⁷³². Diese Systematisierung des Stoffes sei das entscheidende, „die Einfachheit, welche den Reichthum in sich birgt, organische Durchdringung der Vielfalt durch die Einheit“⁷³³. Zum anderen komme es auf die selbstgewonnene Überzeugung des Interpreten an, dass die aus dieser Deduktion gewonnenen Ergebnisse richtig seien. Dies sei eine höchst subjektive Leistung, die nicht allein durch das „Häufen von Citaten aus Quellen und Schriftstellern“⁷³⁴ getan sei, vielmehr müsse die entgegenstehende Meinung genannt werden. Also kam es Kierulff hier auf die Argumentation des Einzelnen an, auf das Abwägen von Argumenten, auf den Austausch verschiedener Ansichten, um zu einem Ergebnis zu gelangen⁷³⁵. Dass daraus keine allgemein verbindliche richtige Rechtsposition herausgearbeitet werden konnte, nahm er hin; entscheidend sei lediglich der „eigenen Ueberzeugung von der Richtigkeit einer Deduction zu vertrauen“⁷³⁶. Richtig war danach also ein subjektiv beein usster Begriff. Insofern war Kierulffs Darstellung innovativ. Während zwar auch Puchta eine ähnliche Herangehensweise an die Quellen vorschwebte, ging er doch davon aus, zu einem objektiv richtigen Ergebnis zu gelangen⁷³⁷. Dieses Verständnis von richtiger Deduktion hielt Kierulff nicht für erforderlich. Die Arbeit mit den Quellen diente Kierulff also nicht dazu, sich auf das geltende Recht zu berufen, sondern durch „selbständige(n) Deductionen“ ein „wirklich universelles practisches Recht“⁷³⁸ zu schaffen. Die Quellen waren also lediglich Mittel zum Zweck. Das Gewirr von Regel und Ausnahme des römischen Rechts war für Kierulff nicht geeignet, die Rechts ndung vorzuzeichnen. Gerade diese Unüberschaubarkeit des römischen Rechts, aber eben auch die Geltung der verschiedensten anderen Rechtsquellen, mache eine eigene Ausarbeitung der Grundsätze durch wertende Deduktion erforderlich. Die Bedeutung der Rechtsquellen war im Gegensatz zu dem, was der Rechtsanwender leistete, eher gering. Die Rechtsquellen zwangen nicht zu einem Ergebnis, sondern waren nur Ausgangspunkt der Rechts ndung. Dieser Auffassung von Kierulff stand die von Wächter gegenüber, der das römische Recht als unmittelbar geltendes Recht ansah; die Rezeption habe sich gerade

Kierulff, eorie, S. XXVII. Kierulff, eorie, S. XXV. Kierulff, eorie, S. XXVII. So auch die Auslegung von Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 234, die betont, dass es Kierulff lediglich auf die Plausibilität der Ergebnisse angekommen sei. 736 Kierulff, eorie, S. XXV. 737 So die Interpretation Ogoreks, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 207. 738 Kierulff, eorie, S. XXVI. 732 733 734 735

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auf das gesamte römische Recht erstreckt⁷³⁹. Unterschiede ergaben sich bei der Annahme einer Rezeption in complexu hinsichtlich der Anwendungsvermutung für das gemeine Recht. Für die Unanwendbarkeit mussten in diesem Fall spezielle Gründe nachgewiesen werden. Fraglich ist, wie sich der Unterschied in der Praxis auswirkte. So schränkte Wächter die Anwendungsvermutung des gemeinen Rechts für die Praxis insofern ein, als dass der Richter zunächst prüfen müsse, ob nicht besondere Gründe der Unanwendbarkeit des römischen Instituts vorlägen⁷⁴⁰. Ob das Recht rezipiert und damit anwendbar war, bedeutete einen zusätzlichen Prüfungsschritt für den Richter vor der eigentlichen Subsumtion. Die mit diesem Prüfungsschritt einhergehende Macht wurde durchaus kritisch beurteilt. So beschrieb 1834 Siegen, ein ehemaliger Rat des OAG Oldenburg, die Anwendung des gemeinen Rechts durch den Richter als unvorhersehbar und verwirrend. Der Untertan sei der Allmacht des Richters ausgeliefert⁷⁴¹, es herrsche eine allgemeine Rechtsunsicherheit, ob römisches Recht anzuwenden sei oder nicht⁷⁴², die auch durch die historische Methode in seiner Weitschwei gkeit zugenommen habe. Der Germanist Stobbe⁷⁴³ bemängelte 1864 die „alle Grenzen übersteigende Bevorzugung des römischen Rechts vor den deutschen Gewohnheiten und den statutarischen Bestimmungen, die massenhaften und nicht enden wollenden Zweifel über den Sinn der römischen Rechtsquellen“⁷⁴⁴. Doch auch die aufkommende Debatte um den Ausbau des deutschen Rechtes habe aus dem gerühmten ius certum des Corpus Iuris ein ius incertum gemacht⁷⁴⁵. Auch Stobbe beschrieb also eine Unsicherheit der Rechtsanwendung, die die Willkür des Richters förderte. Diese allgemeine Kritik an der Schwammigkeit des anzuwendenden Rechts teilte Kierulff nicht. Er sah es als im Wesen des Rechts und der Gesetze liegend an, dass keine Gewissheit herrsche; trotz Divergenz würden sich die unterschiedlichen Ansichten respektieren⁷⁴⁶. Daraus folgert Ogorek⁷⁴⁷, dass es Kierulff auf die Plausibilität der Ergebnisse angekommen, die Begründung also wesentlich gewesen sei. Die

739 Wächter, Handbuch I, § 127, S. 2091; zur gegensätzlichen Auffassung Kierulffs und Wächters vom gemeinen bzw. geltenden Recht vgl. Mauntel, Wächter, S. 222–226. 740 Wächter, Handbuch I, § 127, S. 2092. 741 Siegen, Abhandlungen, S. 247. 742 Siegen, Abhandlungen, S. 263. 743 Otto Stobbe (1831–1887), zu ihm vgl. Landsberg, ADB Bd. 36, S. 262–266; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 774–775 und 891–894. 744 Stobbe, Rechtsquellen, S. 426. 745 Stobbe, Rechtsquellen, S. 429. 746 Kierulff, eorie, S. XXVII. 747 Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 234.

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Stärke der Argumentation, welches Recht anzuwenden sei, lag also in der wissenschaftlichen Begründung.

b) Anwendung in der Praxis Das gemeine Recht war in den prozessrechtlichen Entscheidungen allgegenwärtig. Die Richter überprüften den zu entscheidenden Fall häu g anhand von Digestenstellen oder des Liber Extra. Daneben spielte der JRA von 1654 eine nicht unbedeutende Rolle. Für Einzelfragen zogen die Richter oftmals das kanonische Prozessrecht heran. In verschiedenen Entscheidungen betonten sie die Ähnlichkeit des zeitgenössischen Prozesses zum kanonischen Prozess. Die starke Betonung des kanonischen Rechts kann an der Regelungsdichte im prozessrechtlichen Bereich liegen. Der kanonische Prozess war in den Dekretalen sehr ausführlich, wenn auch mit höchst unterschiedlichen Schwerpunkten geregelt⁷⁴⁸. Möglich ist aber auch, dass sich hier die Lehrpraxis des Prozessrechts im 19. Jahrhundert niederschlug. An vielen protestantischen Universitäten wurde der Zivilprozess anhand des zweiten Buches der Dekretalen gelesen⁷⁴⁹. Die gemeinrechtlichen Quellen nannten die Richter im Zusammenhang mit anderen. Vergleichend zogen sie beispielsweise andere Partikularrechte heran. Dennoch nahm das gemeine Recht eine besondere Stellung ein. Es war die am besten erforschte und systematisierte Rechtsquellenmasse. Die meisten zeitgenössischen Autoren widmeten sich ausschließlich dem gemeinen Recht. Dies nutzte das OAG. Systematisierungen übernahmen die Richter und übertrugen sie auf das partikulare Recht, bei ungeregelten Fällen half eine Analogie. Nicht die einzelne Fundstelle stand im Vordergrund, sondern die Richter versuchten, aufgrund eines einheitlichen Rechts, bestehend aus den verschiedenen Rechtsquellen, Recht zu sprechen. Neben den häu g aus dem Corpus Iuris Civilis zitierten Stellen begründeten sie die Anwendung des gemeinen Rechts mit Hinweisen auf gemeinrechtliche Lehrbücher. Der Bezug auf das gemeine Recht diente nicht allein dazu, Entscheidungen zu nden. Oft nutzte das OAG das gemeine Recht auch dazu, bereits gefundene Ergebnisse zu untermauern⁷⁵⁰. Anlässlich eines 1867 entschiedenen Falles, erstinstanzlich aus Hamburg, diskutierte das OAG das dem Hamburger Richter zu-

748 Nörr, Iudicium, S. 65. 749 Nörr, Iudicium, S. 157. 750 Zu dieser doppelten Absicherung in der neuzeitlichen Gerichtspraxis durch „Mischrecht“: Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 122–129.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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stehende Fragerecht⁷⁵¹. Dabei gingen die Richter zunächst auf die einschlägige Hamburger Gerichtsordnung ein. Der Sachverhalt sei „auch gemeinrechtlich“ so zu beurteilen. Ebenso wird in einem Bremer Fall 1871 argumentiert⁷⁵². Hier wurde ein Paragraph der bremischen Gerichtsordnung im systematischen Zusammenhang mit den Paragraphen der Ordnung ausgelegt. Das so gefundene Ergebnis entspreche auch ganz dem gemeinen deutschen Prozessrecht. Die Richter zogen hier das gemeine Prozessrecht lediglich zusätzlich heran, um ein Ergebnis, das sie anhand partikularer Prozessordnungen gefunden hatten, zu bestätigen. Teilweise stellten sie auch zunächst auf das gemeine Recht ab. So entschied das OAG, dass bei Bestimmung der Appellationssumme nicht auf den ursprünglichen Beschwerdewert abgestellt werden dürfe, sondern auf den Wert der gegenwärtigen Beschwerde⁷⁵³. Dies sei „nicht bloß gemeinrechtlich jetzt allgemein anerkannt“⁷⁵⁴, sondern „auch für die freien Städte (...) nach OAGO § 36 “. Zwar zogen die Richter zunächst das gemeine Recht heran. Die Reihenfolge hatte aber keine wertende Komponente wie die Formulierung hinsichtlich des gemeinen Rechts „bloß “ belegt. Diese Vorgehensweise, ein bereits gefundenes Ergebnis durch eine andere Rechtsquelle zu bestärken, ndet sich auch bei anderen Gerichten dieser Zeit⁷⁵⁵. Kierulff schrieb zu dieser Methode: „Die römischen Quellen kann sie (gemeint: die Jurisprudenz) nicht benutzen, um ihre Operationen darnach zu machen, sondern nur, um bei Anderen die Zweifel an der Richtigkeit des Resultats zu beseitigen, und sich selbst, so lange sie noch nicht völlig sich vertraut, in dem Glauben an sich zu stärken“⁷⁵⁶. Diese Vorgehensweise, die Quelle des gemeinen Rechts nicht als Ausgangspunkt der Überlegung zu benutzen, sondern vielmehr zur Untermauerung der Ergebnisse, die aufgrund anderer Normen gefunden wurden, widerspricht aber der Auffassung von Wächter, dass das gemeine Recht nur bei einer Lücke des zunächst anzuwendenden Partikularrechts zu Rate zu ziehen sei. Denn eine Regelungslücke lag in diesem Fall nicht vor.

751 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 68, Halbert & Rudlidge c. S. Wright Kelso & Co (1867), S. 576, 587. 752 Bremer Fall: Kierulff, Bd. 6, No 13, Siebert c. Schmalhausen (1870), S. 116, 122. 753 Wunderlich, Bd. 1, Dorendorf c. Nau (1850), S. 166, 167. 754 Dazu zitierten sie Pfeiffer, Praktische Ausführungen. 755 Gampel, FS Demelius, S. 51, 52, bestätigt diese „Doppelt-hält-besser“-Argumentation für die allgemeinen Rechtsgrundsätze und das positive Recht in der Rechtsprechung des kaiser- und königlichen Reichsgerichtes; Schumacher, Gerichtspraxis, S. 131: Der rheinische Appellationsgerichtshof hatte 1822 in einem Urteil den Code Civil als Stütze der eigenen Argumentation herangezogen. 756 Kierulff, eorie, S. XXIV.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Landwehr ordnet diese Vorgehensweise als Bestrebung des Gerichts ein, die einzelnen partikularen Bestimmungen nicht isoliert als selbstständige Normen zu betrachten, sondern als Bestandteile einer gemeinsamen Rechtsordnung aller in Deutschland anwendbaren einheimischen, also nicht römischen, Rechtsgrundsätze. Er glaubt also an eine nationale Bestrebung⁷⁵⁷. Aber nicht nur aus nichtrömischen Rechtsquellen schöpften die Richter, vielmehr zogen sie zusätzlich römisches Recht zu deutschrechtlichen Quellen heran. Eine strikte Trennung der Rechtsquellenmassen strebten sie also gar nicht an. Auch nationale Bestrebungen waren vielleicht nicht das dringlichste Anliegen. Vielmehr schien es um die Rechtseinheit der gesamten Quellen zu gehen. Obwohl Lübeck eine ausgeprägte partikulare Rechtstradition vorweisen konnte⁷⁵⁸, hatte teilweise doch der gemeine Prozess Ein uss gefunden und wurde so nun als Auslegungshilfe herangezogen⁷⁵⁹. Das OAG betonte neben dem Partikularrecht das gemeine Recht als Legitimationssäule. An Reichsgesetzen zitierten die Richter die RKGO von 1555⁷⁶⁰ und besonders häu g den JRA von 1654⁷⁶¹. Die Richter stützten sich in den Entscheidungen aber nicht ausschließlich auf die Reichsgesetze des Alten Reiches. Vielmehr dienten die Gesetze der Konkretisierung der OAGO⁷⁶², als Parallele, um ein formelles Prüfungsrecht von Gesetzen zu statuieren⁷⁶³, oder wurden in Zusammenhang mit anderen Entscheidungsquellen genannt⁷⁶⁴. Auch hier zeigt sich die Bestrebung des OAG, ein Rechtssystem aus allen Entscheidungsquellen zu schaffen, das in sich widerspruchsfrei war.

757 Landwehr, ZVLGA 60 (1980), S. 21, 60; ähnlich Kraglund, OAG Familienrecht, S. 103. 758 Ebel, „Lübisches Recht“, in: HRG III, Sp. 77–84. 759 So zitierte das OAG Mevius und Stein, dass Stadtrecht dem gemeinem Recht entsprach, beispielsweise in: AHL OAG L I 659 Sartori c. Freiherr (1876) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 11. 760 Beispielsweise zur Zulässigkeit einer Appellation: RKGO von 1555  2 Tit 28 § 4 und  3 Tit 34, § 1, 2 in: AHL OAG L I 630 Simons c. Kindler (1873) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 8; Wunderlich, Bd. 1, No 268, Köhne c. Köhne (1848), S. 8, 12. 761 Beispielsweise § 37 JRA zur litis contestatio in: AHL OAG L I 99 Älteste der Gewandschneider-Companie c. Janicke (1828) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 10 oder §§ 78, 79, 118 JRA zum bene cium novorum in AHL OAG L I 122 Hertel und die Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck und andere (1830) Q 24 Entscheidungsgründe. 762 So § 122 bzgl. der Nichtigkeitsbeschwerde: Wunderlich, Bd. 2, No 391, Kahts c. Wwe. Wiggers (1858), S. 125, 126. 763 Mit Hinweis auf §§ 170–173 JRA in Bruhn, Sl. 1, No XVII, Feldmann c. FinanzDepartement (1835), S. 134, 142. 764 AHL OAG L I 122 Hertel und die Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck und andere (1830) Q 24 Entscheidungsgründe, p. 5: Daneben wurde kanonisches Recht, ein Gemeiner Bescheid und eine lübeckische Verordnung zitiert, zum Fall siehe unten unter neues Vorbringen: Zweiter Hauptteil B. III. 2.

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Nicht immer entsprach das Partikulargesetz dem gemeinen Prozessrecht. Bei einem 1871 entschiedenen Fall hatte der Beklagte die Einrede der fehlenden Gerichtskosten erhoben. Dazu führte das OAG aus, dass die in Frage stehende Kautions-Einrede zwar gemeinrechtlich den „erheblichsten Bedenken“ unterliege, sie müsse aber nach der lübeckischen CPO bejaht werden⁷⁶⁵. Hier gab das OAG dem Partikulargesetz den Vorzug, was auf eine Subsidiarität des gemeinen Rechts entsprechend der Lehre schließen lässt. Wächter führte in seinem Handbuch zur subsidiären Geltung des römischen Rechtes aus, dass zwar generell von einer Subsidiarität ausgegangen werden könne, einzelne Institute aber möglicherweise direkt zur Anwendung kämen. Er stützte diese Auffassung auf den Geltungsgrund des römischen Rechts überhaupt, auf das Gewohnheitsrecht, „welches davon ausging, daß das römische Recht in Deutschland gelten müsse, weil es von einer gesetzgebenden Gewalt ausgegangen sey, der Römisch-kaiserlichen“⁷⁶⁶. Das gemeine Recht nahm eine solch zentrale Rolle ein, dass es die Richter, ob es nun dem Partikularrecht entsprach oder nicht, als Vergleichsmaßstab heranzogen und das Ergebnis an dem gemeinen Recht maßen. War zweifelhaft, wie ein Partikularrecht auszulegen war (und mit der Annahme von Zweifelsfällen waren die Richter äußerst großzügig), wählten die Richter eine Auslegung, die dem gemeinen Recht entsprach, die strikte Interpretation⁷⁶⁷. Dem gemeinem Recht kam damit eine besondere Bedeutung in der Rechtsanwendung zu. Für das Zivilrecht kommt Scheuermann, der die Rechtsprechung aller Oberappellationsgerichte auswertet, zu dem Ergebnis, dass Fragen der Rezeption in den Entscheidungen fast keine Rolle gespielt hätten⁷⁶⁸. Dies lässt sich für das OAG Lübeck und dessen Rechtsprechung in Zivilprozesssachen nur bedingt bestätigen. Zwar prüften die OAG-Richter selten, ob rezipiertes Recht vorlag. Meist zitierten die Richter eine Vorschrift aus den Digesten, ohne dass sie die Rezeption gesondert prüften⁷⁶⁹. Für das Zivilrecht legten sie im Hinblick auf das römische Recht eine Vermutung für die volle Rezeption zugrunde⁷⁷⁰. Teilweise themati-

765 Kierulff, Bd. 2, No 27, Frese c. Müller (1866), S. 250, 252. 766 Wächter, Handbuch I, § 6, S. 14 in Fn 1. 767 Siehe dazu insbesondere die Entscheidungsbesprechungen zur litis contestatio: Zweiter Hauptteil B. I. 2. und unter Zeugen: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa). 768 Scheuermann, Zivilrechtspraxis, S. 38. 769 Beispielsweise in Kierulff, Bd. 1, No 68, Riunione Adriatica di Sicurtà c. Walte, S. 878, 884. 770 Anlässlich eines Servitutenerwerbs AHL OAG L I 659 Sartori c. Freiherr (1876) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 8.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

sierten sie aber, ob eine Vorschrift bereits antiquiert oder noch anwendbar sei⁷⁷¹. Dieser zusätzliche Prüfungsschritt war nicht dem gemeinen Recht vorbehalten, sondern die Richter erörterten auch, ob das Partikularrecht noch anzuwenden sei. In den wenigen Fällen, in denen die Richter die Anwendbarkeit problematisierten, verdeutlichten sie den Unterschied zwischen kanonischem und römischem Recht. Für das kanonische Recht ging das OAG von einer generellen Geltung im Prozess aus⁷⁷². Für das römische Recht wies das OAG auf die wesentliche Verschiedenheit des römischen und des deutschen Prozesses hin und bescheinigte einer römischen Regel „keine unbedingte Regel im heutigen Processe“ zu sein⁷⁷³. Hier zeigt sich die für das Zivilprozessrecht unterschiedliche Auffassung zur Rezeption. Im Gegensatz zum materiellen Zivilrecht gingen die wenigsten von einer Rezeption in complexu aus. Oft argumentierten die Richter allein mit der strukturellen Verschiedenheit des römischen und lübeckischen Prozesses. In einem Hamburger Rechtsstreit führten die Lübecker Richter aus, dass dem Oberrichter die Befugnis zur Entscheidung in der Hauptsache zustehe, selbst dann, wenn der Gegenstand der Appellation lediglich das Desertionserkenntnis sei⁷⁷⁴. Es sei zwar die (römischrechtliche) Regel, dass der Oberrichter die Sache nicht an die vorige Instanz zurückverwies, sondern selbst ausspreche, was der Unterrichter zu erkennen gehabt habe. Aber es müsse dem Oberrichter doch freistehen, in einzelnen Fällen, in denen es die „Billigkeit und Zweckmäßigkeit“ erfordere, eine Ausnahme zu machen. Diese Möglichkeit zur Einzelfallprüfung durch den Richter begründete das OAG mit der „wesentlichen Verschiedenheit des heutigen und römischen Processes“, „welchem letzteren die Trennung des ersten und des Beweisverfahrens, die Abgabe besonderer BeweisInterlocute und die Appellation vor der endlichen Entscheidung fremd war“⁷⁷⁵. Der Verweis auf Billigkeit und Zweckmäßigkeit gab dem Richter ausdrücklich großen Freiraum. Zur Begründung dieser Ausnahme verwiesen die Richter hier allein auf die grundsätzliche Andersartigkeit der Prozesse, eine Differenzierung, die jegliche Modi kation erlauben konnte. Auf die Unterschiede zwischen römischen und gemeinem Prozess wies teilweise auch die Literatur hin⁷⁷⁶.

771 So in Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi c. Zernitz (1855), S. 392, 394 zum Lübecker Stadtrecht Art. 5, 7, 9; Kierulff, Bd. 1, No 33, Bosse c. Kasch (1865), S. 438, 455 zu D. 30, 34, 3. 772 AHL OAG L I 90 Wehde c. Wwe. Steen (1828) Q 18 Entscheidungsgründe, p. 18. 773 Hamburger Fall: Seufferts Archiv, Bd. 1, No 304, Möller c. Coulon (1843), S. 310. 774 Hamburger Fall: Seufferts Archiv, Bd. 1, No 304, Möller c. Coulon (1843), S. 310. 775 Hamburger Fall: Seufferts Archiv, Bd. 1, No 304, Möller c. Coulon (1843), S. 310. 776 Dazu Nörr, Iudicium, S. 193, der auf Bethmann-Hollweg verweist.

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Den Unterschied von reichsgerichtlichem und zeitgenössischem Prozess und die Übereinstimmung mit kanonischem Recht statt mit römischem unterstrichen die Richter in einer 1855 gefällten Entscheidung. Die Richter hatten zu entscheiden, ob eine Appellationsfrist auch in den Gerichtsferien ablaufe und ob der Ablauf den Verlust der Appellation nach sich ziehe⁷⁷⁷. Dazu hatten sie § 27 der Lübecker Gerichtswesenverordnung vom 4. Mai 1814, der die Frist zur Einführung und Rechtfertigung der Appellation regelte, auszulegen. Zunächst ordneten die Richter die in dem Paragraph bestimmte Frist als gesetzliche Frist, genauer als Fatalie, also als Notfrist, ein. Es handele sich also um eine Frist, die der Richter nicht verlängern durfte, sondern er war an die gesetzliche Bestimmung gebunden. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut und entspreche auch dem gemeinrechtlichen und dem früheren Lübecker Prozess, der Grundlage der Verordnung sei⁷⁷⁸. Außerdem stimme diese Auslegung der Frist als Fatalie mit der Revisionsfrist⁷⁷⁹ und der Appellation in anderen Verfahrensordnungen überein. Nun enthalte das römische Recht keine „völlig klare und zugleich generelle Bestimmung“ darüber, wie die Appellationsfrist zu berechnen sei bzw. ob sie in den Gerichtsferien enden könne⁷⁸⁰. Ohnehin sei das römische Recht für AppellationsFatalien des gemeinen Prozesses nur „theilweise und untergeordneter Weise“ maßgebend. Die im kanonischen Recht und in den Reichsgesetzen⁷⁸¹ festgesetzten Fatalien hingegen bildeten die „Grundlage und das Vorbild der desfalligen gemein- und partikularrechtlichen Bestimmungen“⁷⁸². Mevius⁷⁸³ habe eine Erstreckung der Fristen auf den ersten Tag nach den Gerichtsferien befürwortet. Auch Gail⁷⁸⁴ habe speziell zur Einführung der Appellation bemerkt, dass das RKG noch Appellationen am ersten Tag nach den Gerichtsferien angenommen habe. Dennoch folgten dem die OAG-Richter nicht. Die „thunliche Beschleunigung des Appellationsverfahrens“⁷⁸⁵ sei das dringendste Anliegen der partikularen Gesetzgebung, die

777 778 779 780 781

782 783 784 785

Wunderlich, Bd. 1, No 334, Müller c. Ehefrau (1855), S. 396–401. Wunderlich, Bd. 1, No 334, Müller c. Ehefrau (1855), S. 396, 397. Zitiert dazu wurde: Gemeiner Bescheid vom 19. März 1739 in: Gemeine Bescheide, S. 51. Wunderlich, Bd. 1, No 334, Müller c. Ehefrau (1855), S. 396, 398 mit Ausnahme von C. 7, 63, 2, 8. Vgl. X 2, 28, 5 und 57, in: Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici II, S. 348 und 369–370 sprechen von Jahresfristen für die Appellation, im Ausnahmefall von zwei Jahren; Clem. 2, 12, 3, in: Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici II, S. 422; RKGO von 1555  2 Tit 30 § 2 und 5, in: Laufs, RKGO 1555, S. 209, 210. Wunderlich, Bd. 1, No 334, Müller c. Ehefrau (1855), S. 396, 399. Mevius, Juisdictio Pars III, decisio 276, S. 420, 421. Sie zitierten: Gail, Observationum, observatio 1, 140 Nr. 4, S. 242. Wunderlich, Bd. 1, No 334, Müller c. Ehefrau (1855), S. 396, 400.

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durchweg kürzere Fristen erlassen habe. Außerdem weiche das Verfahren vor dem Reichskammergericht in erheblichen Punkten von diesem Verfahren ab. Das frühere Verfahren habe auf Schriftlichkeit sowie auf Vertretung der Partei durch Advokaten und Prokuratoren beruht und sei an die Verhandlung der Appellation in Gerichts-Audienzien gebunden gewesen. Daher seien die Gerichtsferien für das Fristende berücksichtigt worden. Mittlerweile hingegen seien die Gerichtsferien im Interesse des Gerichts angeordnet, der Sachführer könne sich durch einen anderen vertreten lassen oder um eine Fristerstreckung bitten. Die Richter grenzten hier den reichskammergerichtlichen ganz prinzipiell vom zeitgenössischen Prozess ab, obwohl im konkreten Fall lediglich das Fristende fraglich war. Insbesondere das Anliegen der Gesetzgebung, das Verfahren müsse schneller gestaltet werden, hoben die Richter hervor. Obwohl sie den Kameralprozess als Grundlage des lübeckischen, an gemeinem Recht orientierten Prozess sahen, stellten die Richter entschieden die Unterschiede der Verfahren heraus. Wie in der Lehre⁷⁸⁶ zeigt sich hier, dass sich ebenso die Prozesspraxis bewusst war, dass sie zwar dem Kameralprozess entstammte, sich jedoch nicht an an dessen Regeln strikt gebunden verstand. Eine Autorität stellte der Kameralprozess lediglich insoweit dar, dass er als Maßstab herhalten musste. Allerdings waren die Richter genauso kritisch gegenüber dem römischen Prozess. Ein prinzipieller Vergleich konnte zeigen, was im 19. Jahrhundert übernommen werden konnte. Erst nach diesen allgemeinen Ausführungen zu den wesentlichen Prozessmerkmalen zogen die Richter besondere Bestimmungen des Lübecker Prozesses heran, die sie den vorigen Ausführungen entsprechend auslegten. So stehe es im Einklang mit dem früheren Gerichtsverfahren, dass die Frist nun streng gehandhabt werde⁷⁸⁷. Für die Appellationsfatalien sprachen die Richter dem kanonischen Recht sowie den Reichsgesetzen und der Reichspraxis entscheidende Bedeutung zu. Das römische Recht hingegen enthalte keine genügenden Bestimmungen. Ausgehend von den grundsätzlichen Unterschieden zwischen dem römischen Prozess oder dem Prozess vor dem RKG und dem Prozess des 19. Jahrhunderts hatten die Richter eine Auslegung der partikularen Norm entwickelt, die sich vom römischen Recht emanzipierte. Es bleibt festzuhalten, dass die Richter meist das partikulare Recht entsprechend dem gemeinem Recht interpretierten. Dazu zogen sie die gemeinrechtlichen Bestimmungen zusätzlich heran und wandten so ein in sich widerspruchs-

786 Dazu Haferkamp, Fortwirkungen, S. 293, 309. 787 Wunderlich, Bd. 1, No 334, Müller c. Ehefrau (1855), S. 396, 401.

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freies Rechtssystem an, das aus den verschiedenen Rechtsquellen bestand. Besonders das kanonische Recht benutzten die Richter, um Detailfragen des Zivilprozesses zu klären. In einigen Fällen aber distanzierten sie sich insbesondere vom römischen Prozessrecht. Dann problematisierten sie, ob das römische Recht rezipiert sei oder argumentierten mit der grundsätzlichen Andersartigkeit des römischen oder reichsgerichtlichen Verfahrens gegenüber dem zeitgenössischen. Die prinzipielle Verschiedenheit konnte zu einer Abweichung des Verfahrensrechts führen. Das Bestreben des OAG, Recht zu vereinheitlichen, berücksichtigte grundsätzliche Unterschiede der Prozesssysteme.

4. Weitere Entscheidungsquellen Neben den in der OAGO ausdrücklich genannten Rechtsquellen führten die zeitgenössischen Autoren noch andere Rechtsquellen des Zivilprozesses an. Und auch ein Blick in die Urteilsbegründungen des OAG lässt die Annahme zu, dass sich die Richter daneben auf andere Autoritäten als Rechtsquellen gestützt haben könnten.

a) Wissenschaft Die Wissenschaft als mögliche Rechtsquelle untergliederte sich in die Literatur als reine Lehre und Präjudizien, die die wissenschaftliche Praxis spiegelten.

aa)

Literatur

Puchta bezeichnete die Wissenschaft als ergänzende Rechtsquelle⁷⁸⁸. Die Wissenschaft habe den anzuwendenden Rechtssatz aus den Prinzipien des bestehenden Rechts zu erschließen. Damit stellte er sich gegen die traditionelle Auffassung, die die Wissenschaft als „Hülfsmittel“ einordnete⁷⁸⁹ und betonte die herausragende Bedeutung der Wissenschaft für die Rechts ndung. Allerdings sei der Richter an diese Rechtsquelle nur gebunden, solange er nicht von einer anderen Meinung überzeugt sei. Trotz dieser Einschränkung sprach Puchta der Wissenschaft ausdrücklich Rechtsquellenqualität zu. Das wirft die Frage auf, ob nicht auch die wissenschaftliche Lehre vom OAG als Rechtsquelle angesehen wurde. Während die OAGO die Literatur nicht als Rechtsquelle nannte, strich Wetzell die beson-

788 Puchta, Pandekten, § 16, S. 25. 789 Linde, Lehrbuch, § 26, S. 29.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

dere Bedeutung der Literaten für das gemeine Prozessrecht heraus. Ihrer Ausformung sei der Prozess in seiner jetzigen Gestalt zu verdanken⁷⁹⁰. Aber auch die zeitgenössischen Literaten nahmen Ein uss auf die gerichtlichen Entscheidungen im Einzelfall. Wieacker spricht gar von der bedeutendsten wissenschaftlichen Autorität des Lehrbuchs für die Rechtspraxis⁷⁹¹. Mangels Kodi kation des gemeinen Rechts sei das wissenschaftliche Lehrbuch die letzte wissenschaftliche Instanz für die Praxis des gemeinen Rechts. Die Entscheidungen des OAG führten zahlreiche Belege für aber auch gegen⁷⁹² ihre eigene Auffassung aus der Literatur an⁷⁹³, so dass von einer Auseinandersetzung gesprochen werden kann. Nicht immer ließ sich dabei eine herrschende Lehre ausmachen, sondern das OAG stellte zum Teil konträre Ansichten dar. Eine strenge Bindung an eine wissenschaftliche Autorität lässt sich den Urteilen des OAG dagegen nicht entnehmen. Zwar zitierten sie zahlreiche Lehrbücher, setzten sich aber kritisch mit deren Aussagen auseinander und entwickelten eigene Standpunkte. Entgegen Wieacker war das Lehrbuch damit keine unbezweifelbare wissenschaftliche Autorität. Die Richter nutzten die Literatur nur zur eigenen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung. Diese Vorgehensweise verdeutlicht sich an folgendem Beispiel. In einem Rechtsstreit hatte der Kläger zunächst Klage erhoben und sie anschließend noch vor der Einlassung des Beklagten zurückgenommen. Dagegen wandte sich Christianicke, der Beklagte, in seiner Appellation. Eine bereits rechtshängige Klage könne der Kläger nicht mehr einseitig aufgeben, ohne sein Klagrecht zu verlieren⁷⁹⁴. Das OAG teilte diese Ansicht nicht. Um die angeführten Autoritäten zu widerlegen, untersuchte das OAG zunächst die geltend gemachten Gründe. Man hatte sich darauf berufen, dass der Beklagte auch bei klägerischem Ungehorsam⁷⁹⁵ das Recht habe, den Prozess einseitig fortzusetzen. Dieser Fall,

790 Wetzell, System, § 3, S. 9. 791 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 446. 792 So beispielsweise in Wunderlich, Bd. 2, No 361, Christianicke c. Marienkirche (1856), S. 17, 18, auf S. 19 Streitdarstellung der unterschiedlichen Meinungen von Literaten; AHL OAG L I 99 Älteste der Gewandschneider-Companie c. Janicke (1828) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 3, wird Gönners Prinzip anhand Gesetze (N. 2, 22, 10), Literaten (Almendingen und Martin) und der eigenen Entscheidungspraxis widerlegt, dass eine Appellation nicht auf nova gegründet sein dürfe. 793 Zum gemeinen Prozessrecht werden sehr häu g die Lehrbücher von Wetzell, Martin und Linde zitiert, später von Windscheid, daneben aber auch zahlreiche andere Lehrbücher (Gensler, Planck, Pfeiffer, Pufendorf ) und Aufsätze, für die Statuten werden oft zitiert Carpzov, Mevius, Stein. 794 Wunderlich, Bd. 2, No 361, Christianicke c. Marienkirche (1856), S. 17, 18, zitiert werden der hessische OAG-Rat Lindelof, ZCP V (1832), S. 412, 415; Planck, Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten, S. 289 ff. 795 Ausführlich zum Ungehorsam: Zweiter Hauptteil B. I. 2. c).

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so befand das OAG, sei jedoch nicht mit dem zu entscheidenden Problem vergleichbar. Dies hätte auch Planck⁷⁹⁶ erkannt und seine zuvor vertretene Meinung in einem späteren Werk zurückgenommen. Die eigene Argumentation leiteten die Richter mit der „Natur der Sache“ ein. Aus dieser folge, dass der Kläger das Recht haben müsse, sein Klagrecht auch auf anderem Wege geltend zu machen. Solange der Richter die Befugnis habe, die Klage zu verwerfen, müsse dieselbe Befugnis dem Kläger zustehen. In einem weiteren argumentativen Schritt stellten die Richter klar, dass insoweit in der Doktrin Einigkeit herrsche, dass der Kläger bis zu einem bestimmten Zeitpunkt berechtigt sei, die Klage zurückzunehmen. Dieser Zeitpunkt sei allerdings strittig. So werde vertreten, dass noch nach Einlassung die Klage einseitig zurückgezogenen werden könne. Manche wollten eine Rücknahme nur bis zur Einlassung anerkennen und eine dritte Meinungsgruppe bis zum rechtskräftigen Beweisinterlokut. Die Richter beschäftigten sich nicht mit den Gründen der verschiedenen Auffassungen, zitierten aber eine stattliche Zahl von Meinungsvertretern. Nach den allgemeinen Ausführungen zur Zurücknahme einer Klage wandten sich die Richter dem konkreten Fall zu. Gerade „hier“ könne die Befugnis des Klägers nicht bezweifelt werden. Denn der Beklagte selbst habe in einer Einrede die Zulässigkeit des eingeschlagenen Verfahrens bestritten. Im Übrigen solle eine entbehrliche richterliche Entscheidung vermieden werden und dem Kläger es möglich sein, sein Recht in bestimmter Zeit zu verfolgen⁷⁹⁷. Die Meinungsvielfalt unter den Autoren erforderte hier eine kritische Auseinandersetzung mit den Literaturstimmen. Eine eigene Meinungsbildung und keine Anhänglichkeit an Autoritäten forderte bereits früher Gustav Hugo⁷⁹⁸. Dabei führten die Richter eine Vielzahl von anderslautenden Meinungen an. Die argumentative Begründung lieferten sie jedoch scheinbar unabhängig von den Lehrbüchern. Diese Art der Vorgehensweise, keine strenge Autoritätsgläubigkeit, sondern argumentative Auseinandersetzung mit den bestehenden Ansichten, sieht Scheuermann als typisch für die historische Rechtsschule an⁷⁹⁹. Es sind aber auch Zitatennester zu nden, also eine große Anzahl von verschiedenen Auffassungen, auf die Bezug genommen wird, um die eigene Anschauung zu stützen. Erstaunlich dabei ist, dass Meinungen herangezogen werden, die völlig unterschiedlichen Rich-

796 Gemeint war hier Julius Wilhelm von Planck (1817–1900), Vetter von Gottlieb Planck, der das BGB mitgestaltete, Professor und Mitglied des OAG Greifswald und später des OAG München. Planck hatte mehrere Werke zum Prozessrecht verfasst, vgl. Meyers Konversationslexikon, Bd. 16 (1907), S. 2; Schott, in: Niedersächsische Juristen, S. 399. 797 Wunderlich, Bd. 2, No 361, Christianicke c. Marienkirche (1856), S. 17, 20. 798 Hugo, Encyclopädie, § 27, S. 19. 799 Scheuermann, Zivilrechtspraxis, S. 29.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

tungen und Epochen angehören⁸⁰⁰. Sowohl Vertreter der romanistischen als auch der germanistischen Richtung, daneben solche aus dem Naturrecht, vom Humanismus bis zum späten usus modernus, wurden aufgeführt. Die Rechtsprechung allein aufgrund der zitierten Literatur in eine bestimmten Richtung einordnen zu wollen⁸⁰¹, kann für das OAG nicht gelingen. Noch stärker gegen eine Bindung an die Lehre spricht die Gegensätzlichkeit der Auffassungen zu einzelnen Problemfeldern, die nach einer argumentativen Begründung der eigenen Stellungnahme verlangen⁸⁰². Häu g zitierten die Richter die frühneuzeitlichen Stadtrechtskommentatoren Mevius und Stein. Die partikularrechtliche Auslegung relativierten die Richter, indem sie neben den Stadtrechtskommentatoren, das römische Recht heranzogen⁸⁰³. Daneben zitierten die Richter in erster Linie gemeinrechtliche Literatur⁸⁰⁴. Die Auseinandersetzung mit der Lehre war wichtiger Bestandteil einer Entscheidung. Diese Erörterung war jedoch durchaus kritisch gegenüber den älteren und zeitgenössischen Werken. Im Mittelpunkt der Entscheidungen stand nicht der Beleg durch eine Lehrmeinung, sondern die wissenschaftliche Begründung des eigenen Standpunkts.

bb) Präjudiz Präjudizien sind Entscheidungen, in denen dieselbe Rechtsfrage, über die zu entscheiden ist, von einem Gericht in einem anderen Fall bereits einmal entschieden wurde⁸⁰⁵. Obwohl nicht ausdrücklich als Entscheidungsquelle erwähnt, spielten Präjudizien, aus denen sich der Gerichtsgebrauch entwickelte, praktisch eine wichtige Rolle in der Rechtsprechung des OAG. Vielfach verwiesen die Richter auf frühe-

800 Dies stellen auch Bergfeld, OAG Handelsrecht, S. 67, 81, und Scheuermann, Zivilrechtspraxis, S. 29, heraus. 801 So geht Kischkel, ZNR 22 (2000), S. 124, 146, methodisch vor und stellt aufgrund der so gefundenen Ergebnisse die große Bedeutung des Naturrechts für Bereiche ohne positive Regelungen auch Anfang des 19. Jahrhunderts heraus. 802 Dagegen spricht Kraglund, OAG Familienrecht, S. 24, von einer „Art Rechtsquelle“. 803 So beispielsweise in AHL OAG L I 206 Heinrich Marty c. Gibbons & Healing (1835) Q 27 Entscheidungsgründe, vergleiche p. 8 unten (Mevius) und p. 10 (D. 22.5). 804 Zum gemeinen Prozessrecht werden sehr häu g die Lehrbücher von Wetzell, Martin und Linde zitiert, später von Windscheid, daneben aber auch zahlreiche andere Lehrbücher (Gensler, Planck, Pfeiffer, Pufendorf ) und Aufsätze. 805 Larenz, Methodenlehre, S. 429.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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re Entscheidungen⁸⁰⁶, grenzten sich zu Entscheidungen anderer Gerichte ab⁸⁰⁷ oder führten aus, aus welchen tatsächlichen Gründen die Sachlage in dem zu entscheidenden Fall anders sei als in dem bereits entschiedenen⁸⁰⁸. Beinahe in jeder Entscheidung, insbesondere in den neueren, sind solche Verweise zu nden. Kraglund würdigt diese vielfältige Bezugnahme als ökonomische Vorgehensweise des Gerichts, erneute lange Begründungen zu vermeiden, und als Stärkung des gefundenen Ergebnisses⁸⁰⁹. Es ist aber denkbar, dass das OAG von einer Bindungswirkung der früheren Entscheidungen ausging und es sich damit um eine Rechtsquelle handelte. Eine unmittelbare Bindungswirkung höchstrichterlicher Präjudizien gaben beispielsweise die jenaeische OAGO von 1816 oder das hannoversche Präjudizialgesetz von 1838 vor. Diese standen im Gegensatz zu dem Prinzip der mittelbaren Bindung, also der Kompetenz bisherige Entscheidungen abzuändern, der preußischen Kabinettsordre von 1836⁸¹⁰. Die OAGO enthielt dazu keine Regelung. Ogorek betont, dass die Bedeutung und der Umfang der Bindung auf die Macht des Richters im Staat hinweist⁸¹¹. Richterliche Rechtsetzung bedeute eine weitreichende Kompetenz und damit eine große Ein ussmöglichkeit des Richters. Sie diene aber auch dazu, Widersprüche zu vermeiden, und damit eine einheitliche Rechtsprechung zu schaffen. Die Bindungswirkung von Präjudizien stärke also die Macht des Richters, gleichzeitig fördere sie die Rechtssicherheit. Denn die Rechtsanwendung werde für den Rechtssuchenden vorhersehbar. Das OAG selbst ging aber nicht von einer Bindung an die eigene Rechtsprechung aus. So führte es anhand einer Klage auf Alimentation aus, dass die Richter sich „durch eine wiederholte Prüfung nicht veranlaßt sehen, von seiner bisherigen Praxis abzugehen“⁸¹². Im Weiteren prüften die Räte die „nicht zweifellose Rechtsfrage“, ob es sich bei einer Alimentationszahlung um einen relativ unschätzbaren Streitgegenstand handelte, verneinten dies aber mit der Begründung eine „immerwäh-

806 Beispielsweise in der Bremer Sache: Kierulff, Bd. 1, No 6, Klein c. Mohr (1865), S. 59, 71, 73; No 11, Steer c. Dorffschaft Ritzerau (1865), S. 126, 127; No 33, Bosse c. Kasch (1865), S. 438, 455; No 51, Trägercorporation c. Brandassekuranzcasse (1865), S. 708, 711, 712, 715. 807 Strippelmann, Neue Sammlung der Entscheidungen des OAG zu Cassel, zitiert in: Kierulff, Bd. 2, No 77, Möller c. Frister (1866), S. 624, 65; Obertribunal zu Stuttgart in Seufferts Archiv, Bd. 2, No 237, zitiert in: Kierulff, Bd. 6, No 75, Wriedstuff c. Wriedstuff (1870), S. 468, 470. 808 Beispielsweise in Kierulff, Bd. 1, No 33, Bosse c. Kasch (1865), S. 438, 456; No 51, Trägercorporation c. Brandassekuranzcasse (1865), S. 708, 716. 809 Kraglund, OAG Familienrecht, S. 24. 810 Becker, „Präjudiz“, in: HRG III, Sp. 1866, 1869. 811 Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 171. 812 Kierulff, Bd. 6, No 75, Wriedstuff c. Wriedstuff (1870), S. 468, 469.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

rende Rente an Werth dem Capitale gleich stehe“. Sie verwiesen daraufhin auf ihre insoweit gefestigte Rechtsprechung. Die wiederholte Prüfung und eine Auseinandersetzung mit den abweichenden rechtlichen Auffassungen wäre über üssig, hätte eine feste Bindung an die eigene Praxis bestanden. Zwar legitimierte eine Begründung gegenüber den Parteien die Entscheidung, insoweit hätte aber ebenfalls ein Verweis auf bereits ergangene Entscheidungen genügt. Trotz der Verneinung einer Bindung nahmen die Richter auf frühere Entscheidungen Bezug. Dies spricht für die Autorität der einzelnen Entscheidung. Das OAG zitierte fremde⁸¹³ sowie eigene frühere Entscheidungen. Mit der eigenen Entscheidungspraxis argumentierten die Richter gegen einen Grundsatz, den Gönner aufgestellt hatte⁸¹⁴. Auch in den Appellationsschriften beriefen sich die Sachführer auf ergangene Entscheidungen, auch anderer Oberappellationsgerichte⁸¹⁵. Das OAG sah diese Anlehnung an bereits ergangene Entscheidungen aber nicht als Rechtsquelle an. Das OAG wich zwar selten von eigenen Entscheidungen ab, dies kam aber durchaus vor. Emanzipierte sich das OAG von einer früheren Entscheidung, begründete es seine Entscheidung besonders aufwendig. Es war seiner Rechtsprechung insoweit treu, stellte aber auch klar, dass es nicht zwanghaft an einer Entscheidung festhielt⁸¹⁶. Im engen Zusammenhang mit der Bezugnahme auf frühere Urteile standen die Entscheidungssammlungen. Durch die Veröffentlichung von Entscheidungsgründen gewann das Vertrauen auf eine fortwährende Rechtsprechung eine größere Bedeutung. Anwälte, die sich in Sicherheit wogen, dass das Gericht die bekannte Rechtsprechung beibehielt, berieten den Mandanten dementsprechend, richteten die Schriftsätze daraufhin aus und genossen einen gewissen Vertrauensschutz, dass das Gericht nicht willkürlich anders entscheiden werde. Die Ablehnung einer förmlichen Bindung, aber Betonung einer faktischen, entsprach der Richtung der übrigen höchsten Gerichte. In der Vorrede zu der Entscheidungssammlung des OAG Wiesbaden warf der Herausgeber Nahmer⁸¹⁷ die Frage der Bindungswirkung von Entscheidungen auf und bemerkte dazu, dass das Gericht nicht sein eigener Sklave sei und später nicht an irrig erkannte Aussprüche gebun-

813 Beispielsweise das OAG Rostock in AHL OAG L I 682 Uther c. Godtmann (1879) Q 10 Entscheidungsgründe p. 5. 814 AHL OAG L I 99 Älteste der Gewandschneider-Companie c. Janicke (1828) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 4, danach hatte Gönner gemeint, dass auf nova keine Appellation gegründet werden könne. 815 Beispielsweise AHL OAG L I 41 Hilliger c. Blohm & Söhne (18) Q 1 Appellationsbeschwerde: OAG Celle Bülow und Hagemann, Practische Erörterungen I, Erörterung 57. 816 Zur Rechtsprechungsänderung bezüglich der Negatorienklage: Zweiter Hauptteil B. II. 3. d) bb). 817 Wilhelm von der Nahmer (1792–1834), Prokurator am nassauischen OAG zu Wiesbaden, vgl. Lorenz, ADB Bd. 18, S. 722.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

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den sei⁸¹⁸. Die Autorität des höchsten Gerichts sei eben keine gesetzliche, sondern lediglich eine moralische. Auch die Literatur wählte einen ähnlichen Kompromiss, indem einerseits eine starre Bindung abgelehnt, andererseits betont wurde, dass die ständige Rechtsprechung eine Vermutung für die Richtigkeit für sich habe⁸¹⁹. So argumentierte auch Kierulff, der heraushob, dass der Gerichtsgebrauch aufgrund der Anwendung des Gesetzes durch den Richter zustande komme, und mithin lediglich eine Interpretation des Willens des Gesetzgebers sei, an den der Richter allein gebunden sei. Eine nochmalige Interpretation, die einer individuellen Überzeugung des Richters vorausgehe, mache dies nicht über üssig⁸²⁰. Wächter lehnte eine Bindung an den Gerichtsgebrauch ab, indem er durch ein argumentum ad absurdum ausführte, dass sonst die Obergerichte an den Gerichtsgebrauch der Untergerichte gebunden seien und so eine Überprüfung nicht mehr statt nden könne⁸²¹. Wächter räumte ein, dass der Gerichtsgebrauch eine wichtige Autorität darstelle und sich zu echtem Gewohnheitsrecht entwickeln könne. Außerdem sei im Zweifel dem Gebrauche zu folgen, um auf „Festigkeit und Sicherheit des Rechts hinzuwirken“⁸²². Nur vereinzelt wurde eine unmittelbare Bindung an den Gerichtsgebrauch bejaht⁸²³. Die überwiegend zurückhaltenden Äußerungen zu der Bindungswirkung des Gerichtsgebrauchs sollten möglicherweise vor Richterwillkür schützen. Dieses Bestreben, den Rechtssuchenden vor dem Richter zu schützen, erklärt sich aus der Angst heraus, dass jeder Richter Rechtsetzungsbefugnisse nach Gutdünken ausübte⁸²⁴. Möglich ist auch, dass stattdessen die Flexibilität und damit die Richterautonomie in jeder einzelnen Entscheidung gestärkt werden sollte⁸²⁵. Jedenfalls waren die eigenen Entscheidungen dem OAG präsent und wurden über den Einzelfall hinaus als bedeutend angesehen, so dass sie als Bestätigung der nochmaligen Entscheidung dienten, als Abgrenzung oder als Diskussionsgrundlage, ob diese Position beibehalten werden sollte. Insofern stellten die Präjudizien, die zum Gerichtsgebrauch, zur ständigen Praxis erwachsen konnten, einen wesent-

818 Nahmer, Entscheidungen, S. 12. 819 Ausführliche Darstellung bei Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 181 ff. (insbesondere: S. 185); Weller, Präjudizien, S. 93 ff. (insbesondere: S. 101). 820 Kierulff, eorie, S. 38, 40. 821 Wächter, AcP 23 (1840), S. 432, 442. 822 Wächter, AcP 23 (1840), S. 432, 446. 823 Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 399, weist in diesem Zusammenhang auf Maurenbrecher hin. 824 So Weller, Präjudizien, S. 106. 825 So Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 189.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

158

lichen Beitrag zur Entscheidungs ndung dar, wenn sie auch nicht als bindende Rechtsquelle verstanden wurden.

b)

Natur der Sache

Das OAG begründete seine Entscheidungen gelegentlich mit einem Hinweis auf die Natur der Sache. Im Bereich des Versicherungsrechts, in dem für Lübeck keine geschriebenen Gesetze existierten, argumentierte es häu g mit der Natur der Sache⁸²⁶. Auch in anderen Rechtsgebieten, die durchaus durch Normen teilweise geregelt waren, oder wenn sich bereits zeitgenössische Autoren dementsprechend geäußert hatten, untermauerte das Gericht seine Argumentation durch die Natur der Sache⁸²⁷. Ebenso ist dieser Gebrauch im Verfahrensrecht zu beobachten. Ob ein mittelbarer Beweis möglich war, sollte die Natur des Gegenstandes ergeben⁸²⁸. Zeugen seien nach der Natur der Sache unverdächtig, wenn sie mit dem Gegenstand über den sie aussagen sollten, zu tun hätten⁸²⁹. Und ob kopulativer Beweis nötig sei, mehrere Tatsachen also kumulativ erfüllt sein mussten, ergebe sich aus der Natur des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses⁸³⁰. Ein Einwand des Appellaten, der den Umfang des Streitgegenstandes betraf, wurde mit folgender Begründung abgewiesen: „Diese Behauptung hat aber weder in den Gesetzen, noch in der Natur der Sache, noch in der Praxis den geringsten Grund und daher bedarf es darüber keiner näheren Erörterung“⁸³¹. Bei der Beweislast griff das OAG auf „eine ganz natürliche Regel“⁸³² zurück, die das Miteigentum zweier Grundstücksnachbarn an der dazwischenliegenden Begrenzung begründe. Und daher könne das Gericht die Partei „von der Natur der Sache begründeten und aus andern Gründen sich ergebenden Beitragsverbindlichkeiten nicht freisprechen“⁸³³. Der Begriff der Sache wurde hier teilweise durch den Ausdruck Gegenstand oder Rechtsverhältnis näher konkretisiert. So stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Natur der Sache zukommt.

826 Dazu Kusserow, OAG Handelsrecht, S. 214; Lammel, Rechtsbildung, S. 89, 117. 827 Für das Kommissionsgeschäft: Bergfeld, OAG Handelsrecht, S. 67, 81; zum Familienund Erbrecht: Kraglund, OAG Familienrecht, S. 136–141. 828 AHL OAG L I 708 Ebenhusen c. Warner (1878) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 3, 4. 829 AHL OAG L I 78 Mohrmann c. Hagen (1827) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 5, näher zu der Entscheidung unter Glaubwürdigkeit Zeugen: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3). 830 AHL OAG L I 56 Ohrt c. Schütt (1826) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 9, näher dazu oben: Erster Hauptteil C. 3. b) bb). 831 Bruhn, Sl. 1, No LXXXXIV (144A), Dankwertz c. Fresenreutrer (1830), S. 368, 371. 832 Bruhn, Sl. 1, No LXXXX, Behrens c. Wwe. Spethmann (1832), S. 357, 360. 833 Bruhn, Sl. 1, No LXXXX, Behrens c. Wwe. Spethmann (1832), S. 357, 362.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

159

Die Natur der Sache steht in einem traditionsreichen geistesgeschichtlichen Zusammenhang und kennzeichnet nach Gustav Radbruch das Bemühen, den Gegensatz von „Sein und Sollen, von Wirklichkeit und Wert“⁸³⁴ zu mildern. In der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts stellte sie einen Komplementärbegriff zum Naturrecht dar⁸³⁵. Während das Naturrecht eine aus der Vernunft hergeleitete Denkform war, die für alle Zeiten und Völker Recht begründen wollte, nahm die Natur der Sache auf die erfolgte Rechtsbildung Rücksicht; sie griff dort ein, wo keine Normierung bestand⁸³⁶. Sie bezog das Faktische in die Rechts ndung ein⁸³⁷. Justus Friedrich Runde⁸³⁸ setzte die Natur der Sache mit natürlicher Billigkeit und richterlichem Ermessen gleich⁸³⁹. Heise nannte die Natur der Sache in seinem Grundriss zwar nicht ausdrücklich, führte aber die Moral und Billigkeit als Ein üsse rationeller Prinzipien auf das Recht unter den Rechtsquellen auf⁸⁴⁰. Ob es sich bei der Natur der Sache um eine eigenständige Rechtsquelle oder um eine lückenfüllende Interpretationstechnik handelte, war strittig. Runde und später Savigny ordneten die Natur der Sache als Rechtsquelle ein⁸⁴¹. ibaut hingegen wollte höchstens bei fehlenden Gesetzen einen Rückschluss auf die Natur der Sache zulassen⁸⁴² und sah sie damit nicht als gleichwertige Rechtsquelle an. Auch speziell zum Zivilprozess gingen die Meinungen der Rechtsgelehrten auseinander. Während die früheren die Natur der Sache neben der Analogie als subsidiäre Rechtsquelle nannten⁸⁴³, erwähnten die späteren sie nicht mehr als Rechtsquelle⁸⁴⁴. Für das OAG Lübeck beobachtet Bergfeld anhand des Kommissionsgeschäfts, dass das OAG neben dem gemeinen Recht auf die üblichen Verhaltensweisen und Interessenlagen von Kau euten zu sprechen kam; und aus der Verbindung des

834 Radbruch, Natur der Sache, S. 5. 835 Missverständlich Dölemeyer, eorie, S. 251, 259. 836 Larenz, Methodenlehre, S. 418; Radbruch, Natur der Sache, S. 7; differenziert: Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 263, 264. 837 Schäfer, Germanistik, S. 380; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 262. 838 Justus Friedrich Runde (1741–1807), Professor in Kassel und Göttingen, zu ihm ier, in: NDB, Bd. 2, S. 257–258. 839 Runde, Deutsches Privatrecht, § 80, S. 65. 840 Heise, Grundriss, S. 15. 841 Runde, Deutsches Privatrecht, § 80, S. 63; zu Savigny: Montag, Lehrdarstellung, S. 92; Rückert, Autonomie des Rechts, S. 65. 842 Montag, Lehrdarstellung, S. 93; Rückert, Autonomie des Rechts, S. 63, 65; klar gegen die Rechtsquelleneigenschaft sprachen sich noch Larenz, Methodenlehre, S. 417, und Radbruch, Natur der Sache, S. 15, aus. 843 Noch 1850: Linde, Lehrbuch, § 24, S. 27; Schmid, Handbuch I, § 14, S. 19. 844 Endemann, Zivilprozeßrecht; Wetzell, System.

160

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

rechtlichen und faktischen die Natur der Sache ableitete⁸⁴⁵. Montag konkretisiert dies anhand Heises Manuskript zum Handelsrecht. Die Natur der Sache benutze Heise darin, um die Eilbedürftigkeit des Handelsverkehrs und den besonders ausgeprägten Vertrauensschutz zu umreißen⁸⁴⁶. Damit war die Natur der Sache in diesem Zusammenhang ein Synonym für die Besonderheiten des Handelsrechts. In diesem frühen Werk des späteren OAG-Präsidenten stand damit die Natur der Sache für Prinzipien und Grundsätze, die sich nicht aus Normen ergaben. Kraglund meint, dass die Natur der Sache in den Entscheidungen als über dem Gesetz stehende Wahrheit angesehen worden sei und wahrscheinlich den Rang einer Rechtsquelle gehabt habe. Zumindest sei die Natur der Sache gemeinsam mit anderen Rechtsquellen genannt worden⁸⁴⁷. Scheuermann hingegen wertet dies als naturrechtlichen Ein uss⁸⁴⁸. Im Verfahrensrecht benutzte das OAG ebenfalls die Natur der Sache um Ergebnisse zu begründen; dies geschah allerdings selten. Die Regelungsdichte, wenn auch aus verschiedenen Rechtsquellengruppen, war zum Verfahrensrecht vergleichsweise hoch. Neuartige, ungeregelte Rechtsverhältnisse kannte das Verfahrensrecht nicht. Der Rückgriff auf die Natur der Sache war damit kaum erforderlich⁸⁴⁹. Auch eignete sich das Verfahrensrecht nicht, um auf Gebräuche des betreffenden Verkehrskreises Rücksicht zu nehmen. Berief sich das OAG im Zusammenhang mit dem Prozessrecht auf die Natur der Sache, benutzte es diese weniger als Werturteil denn als eine Seinsfeststellung. Damit stellte es eine Selbstverständlichkeit fest, die keiner näheren Begründung bedurfte. Stichweh sieht die Natur der Sache als eine entgegengesetzte Interpretationstechnik zu dem Rückgriff auf die Prinzipien des Systems⁸⁵⁰. Die Natur der Sache verweise ebenso wie die aus einem Recht abgeleiteten Prinzipien auf grundlegende Zusammenhänge des Rechtssystems. Während die Natur der Sache ohne Normbezug auskomme, beruhten die Grundsätze auf geschriebenen Gesetzen.

845 846 847 848 849

Bergfeld, OAG Handelsrecht, S. 67, 81. Montag, Lehrdarstellung, S. 108. Kraglund, OAG Familienrecht, S. 138, 139. Scheuermann, Zivilrechtspraxis, S. 65. Ähnlich Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 262, der darauf abstellt, dass die Natur der Sache meist für neue, ungeregelte Rechtsverhältnisse benutzt worden sei. 850 Stichweh, Wissenschaftlichkeit, S. 330, 345.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

5.

161

Verhältnis der Rechtsquellen zueinander

Die Frage, wie die einzelnen Rechtsquellen zueinander standen, in welchem Verhältnis sie also anzuwenden waren, stellte sich in verschiedenen Richtungen. Unklarheit herrschte zum einen darüber, welche Rechtsquelle nach der Rechtsanwendungslehre vorrangig anzuwenden war, zum anderen, wie tatsächlich in der Praxis verfahren wurde.

a)

Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen zueinander nach OAGO und Rechtsanwendungslehre

Zu dem Verhältnis der einzelnen Rechtsquellen untereinander, äußerte sich die OAGO nicht. Zwar nannte sie in § 82 OAGO die Gesetze vor den Gewohnheiten, das partikulare vor dem gemeinen Recht, fraglich ist aber, ob durch diese Stellung die Frage der vorrangigen Anwendbarkeit berührt werden sollte⁸⁵¹. An anderer Stelle der OAGO, nämlich zur Kompetenz in Appellationssachen, wurde auf das Verhältnis der Regelungen zueinander eingegangen. Nach § 34 OAGO war das gemeine Recht lediglich subsidiär anwendbar⁸⁵². Dieser Subsidiaritätsgedanke spiegelte sich hingegen nicht bei der Bestimmung über die Entscheidungsquellen. Von einer subsidiären Geltung des gemeinen Rechts ging die Lehre aber gemeinhin aus⁸⁵³. Allerdings nahm das OAG auch bei einer einschlägigen partikularrechtlichen Vorschrift dennoch auf das eigentlich subsidiäre gemeine Recht Bezug. Ob also tatsächlich von einer Subsidiarität in dem Sinne gesprochen werden kann, dass das gemeine Recht bei einer vorrangigen Vorschrift gar nicht mehr zur Anwendung gelangte, ist fraglich. Genau diese Auffassung von Subsidiarität legte aber Wächter mit der herrschenden Lehre zugrunde, indem er zur Anwendbarkeit des subsidiären Rechts eine Lücke des vorgehenden Rechts voraussetzte⁸⁵⁴.

851 Für einen Zusammenhang: Wesel, Geschichte des Rechts, S. 339, Rn. 239, mit Nachweisen der anderslautenden Ansicht. 852 Die betreffende Stelle in § 34 OAGO lautete: „welche nach den besonderen Verfassungen und Ordnungen jeder Stadt oder, in Ermangelung sich hieraus ergebender specieller Bestimmungen, nach gemeinem deutschen Prozeßrechte“. 853 Bluhme, System, § 61, S. 59, zitierte das Rechtssprichwort: „Stadtrecht bricht Landrecht, Landrecht bricht gemeines Recht“; Wächter, Handbuch I, S. III; Reyscher, Zeitschrift für deutsches Recht 10 (1846), S. 153, 157. 854 Wächter, Handbuch I, § 125, S. 1082; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 204–208.

162

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Vor Gericht hatte allerdings bis ins 18. Jahrhundert eine Vermutung für die Anwendbarkeit des römischen Rechts, die fundata intentio, gegolten⁸⁵⁵. Berief sich eine Partei danach auf partikulares Recht, musste sie deren Existenz beweisen und konnte so die Vermutung zugunsten des römischen Rechts widerlegen. Im 19. Jahrhundert war aber die fundata intentio allgemein aufgehoben⁸⁵⁶. In einer Entscheidung des OAG ndet sich allerdings noch 1876 der Hinweis, dass eine Vermutung für die volle Rezeption des römischen Rechts spreche und die Partei das partikulare Recht besonders nachweisen müsse⁸⁵⁷. Dies entsprach gerade der fundata intentio. In der Entscheidung war strittig, wie ein Servitut, also eine Dienstbarkeit, erworben werde und welche Stellung dabei die „Einzeichnung in öffentliche Bücher“ einnehme. Das OAG sprach sich dafür aus, ein Servitut müsse nicht eingetragen werden und verwies dazu sowohl auf die praktischen Schwierigkeiten als auch auf andere partikulare Gesetze, die Dienstbarkeiten ebenfalls nicht für eintragungsp ichtig hielten⁸⁵⁸. Auch das lübeckische Stadtrecht habe in Art. III, 12, 7–14 für städtische Dienstbarkeiten nur die Einwilligung des Nachbarn geregelt. Mevius und Stein griffen zu dessen Auslegung wiederum auf das römische Recht zurück, der Statutentheorie entsprechend, die als Interpretationsmaßstab das römische Recht vorsah⁸⁵⁹. Anscheinend benutzten die Richter in diesem Fall die fundata intentio, um ihre Auslegung zu bekräftigen. Ob die fundata intentio entsprechend der herrschenden Lehre vollständig aus der Rechtsprechung verschwunden war, ist somit zweifelhaft. Allerdings handelt es sich nur um ein Argument in diesem Einzelfall, ein Auslegungsergebnis zu stützen. Da bereits in der frühen Neuzeit, als die fundata intentio noch allgemein angenommen wurde,

855 Luig, Römisches Recht, S. 109; Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 9, 11, mit weiteren Nachweisen. 856 Schäfer, Germanistik, S. 237, 539 ff.; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 206 Fn 96 mit zahlreichen Belegen aus der gemeinrechtlichen Literatur. 857 AHL OAG L I 659 Sartori c. Freiherr (1876) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 8. 858 AHL OAG L I 659 Sartori c. Freiherr (1876) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 9–11: Sie zitierten die preußische Gesetzgebung von 1794, das österreichische ABGB von 1811 § 481, die zwar eine Eintragungsp icht vorsähen, die aber beide nicht zur vollen Anwendung gelangt seien, so sei in Preußen ALR  I Tit 22 § 16–18 durch Circular Verfügung vom 30. Dezember 1798 und den Anhang von 1803 zum Landrecht § 58 außer Kraft gesetzt worden (abgedruckt in: Sammlung sämmtlicher Gesetze, Bd. 1,1, S. 539); keine Eintragungsp icht sähen hingegen die bayrische Gesetzgebung von 1822, das Bürgerliche Gesetzbuch für das Königreich Sachsen von 1863 (§ 574 und 644; abgedruckt in Wengler, Sachsen, S. 90, 101); Preußische Gesetz vom 5. Mai 1872 über den Eigentumserwerb und die dingliche Belastung von Grundstücken (abgedruckt in: Achilles, Preußische Gesetze, S. 73–324). 859 AHL OAG L I 659 Sartori c. Freiherr (1876) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 11: Mevius, Jus Lubecense, S. 642 und 645–647 zu den Art. des Lübecker Stadtrechts III, 12, 6 und 8; zur Statutentheorie: Luig, Römisches Recht, S. 110.

A. Rechtsquellen in der Rechtsanwendung durch das OAG

163

die reine Lehre nicht streng durch das Gericht praktiziert wurde⁸⁶⁰, ist von einer strengen Anwendung ebenso wenig im 19. Jahrhundert auszugehen. Die rechtshistorische Forschung geht davon aus, dass sich eine getrennte Anwendung der Rechtsquellen in der Praxis nicht durchsetzte und stattdessen der gemeine Prozess vielfach den territorialen beein usste⁸⁶¹.

b) Anwendung in der Praxis Diese Fülle von anzuwendenden Normen, deren Verhältnis zueinander im Dunkeln liegt, könnte in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten geführt haben. Indes zeichnen die Entscheidungen, wie sich zeigen wird, ein anderes Bild. Das OAG verwendete das partikulare Recht, die Digesten und Analogien dazu, bezog sich auf Gewohnheiten oder sprach von „heutigem Prozessrecht“ oder gemeinem Recht und führte als Stütze zahlreiche Zitate aus den Lehrbüchern zum Prozessrecht an. Dabei stellten die Richter die verschiedenen Quellen meist als sich gegenseitig bestätigend dar. Diese Doppelbelege einer Rechtsansicht aus verschiedenen Rechtsquellengruppen hatte bereits in den Schriftsätzen der Parteien eine lange Tradition⁸⁶². Der prinzipielle Gegensatz von partikularem und gemeinem Recht nahm in der theoretischen Rechtsanwendungslehre eine bedeutende Stellung ein. Umso erstaunlicher ist, dass in der Praxis, auch nach der theoretischen Trennung der Rechtsquellen, die Rechtsquellen doppelt benutzt wurden. Die praktische Bedeutung der Rechtsanwendungslehre war umso geringer, je weniger der Gegensatz von partikularem und gemeinem Recht herausgestellt wurde. Die Lübecker Richter führten diese Tradition fort. Sie übernahmen die auf verschiedene Rechtsquellen gestützte Argumentation auch in der Entscheidungsbegründung, ohne einer Rechtsquelle den Vorzug zu geben. Für das Handelsrecht in der Rechtsprechung des OAG Lübeck spricht Landwehr von einer Hinwendung zum römischen Recht, das dem römischen Recht allgemeine Geltung im Bereich des Handelsrechts verschafft habe. Von insgesamt 368 veröffentlichten handelsrechtlichen Prozessen seien 296 nach gemeinem Recht entschieden worden. Das OAG habe es offensichtlich als seine Aufgabe angesehen, aus der Vielzahl der partikularen Rechtsquellen die einheitlichen Rechts-

860 Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 663–667, 669. 861 Vgl. mit weiteren Nachweisen Engel, Beweisinterlokut, S. 40, 41. 862 Zu Doppelbelegen in Rezeptionszeit, usus modernus und 18. Jahrhundert: Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 122–129.

164

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

gedanken des Handelsrechts herauszuarbeiten⁸⁶³. Dies stellt auch Oestmann für das Seehandelsrecht heraus⁸⁶⁴. Er betont, dass das Gericht die Anwendung des gemeinen Rechts, das die Auslegung des Partikularrechts stark beein usste, genutzt habe, um die „partikularrechtliche Beschränktheit zu überwinden“. Darüber hinaus strebte das Gerichts an, ein verallgemeinerungsfähiges, widerspruchsfreies Handelsrecht, das vielfach auf dem allgemeinem Schuldrecht aufbaute, zu schaffen. In dieses sollte sich das Seerecht einordnen. Diese allgemeinen Grundsätze hätten der Rechtszersplitterung entgegengewirkt⁸⁶⁵. Für das Familien- und Erbrecht hat Kraglund festgestellt, dass beinahe 40 Prozent der lübeckischen Erkenntnisse auf materiellem lübeckischen Recht beruhten, wohingegen insgesamt auf das Privatrecht bezogen lediglich 1/9 der Entscheidungen auf dem lübeckischen Recht basierten⁸⁶⁶. Insgesamt ist das partikulare Recht also zur Anwendung gekommen, hatte zahlenmäßig jedoch eher geringe Bedeutung. Selbst im Familien- und Erbrecht wurde über die Hälfte der Entscheidungen nach gemeinem Recht gefällt. Das Familien- und Erbrecht war besonders partikular zersplittert⁸⁶⁷, so dass der Rückgriff auf das gemeine Recht die einheitliche Rechtsanwendung hervorhob. Für das Prozessrecht in der Spruchtätigkeit der halleschen Juristenfakultät hat Schildt herausgearbeitet, dass dieses Mitte des 19. Jahrhunderts durch das römische Recht sehr geprägt gewesen sei. Teilweise hätten sich aber auch Regelungen aus dem gemeinen sächsischen Prozessrecht durchgesetzt⁸⁶⁸. Beispielsweise seien Fristen dem sächsischen Recht entlehnt. Lübecker Rechtsfälle haben im 19. Jahrhundert allerdings nur ca. 1,4 Prozent der untersuchten Spruchtätigkeit an der halleschen Fakultät ausgemacht⁸⁶⁹. Auch für das Prozessrecht beim OAG war das gemeine Recht oftmals entscheidend⁸⁷⁰. Durch extensive Auslegung wirkte es auf das partikulare Recht ein. Dass das gemeine Recht nur subsidiär zur Anwendung kommen sollte, darf also nicht den Blick darauf verstellen, dass die praktische Bedeutung des gemeinen Rechts immens war. Es bildete den Ausgangspunkt für Gesetzesauslegung und Lückenfüllung. Auch wenn das Ergebnis nach partikularem Recht bereits gefunden wor-

863 864 865 866 867

Landwehr, ZVLGA 60 (1980), S. 21, 58. Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 94, 153, 230. Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 143. Kraglund, OAG Familienrecht, S. 16, 17. So für das Eherecht Stobbe, Deutsches Privatrecht IV, § 216, S. 53; für das Erbrecht Stobbe, Deutsches Privatrecht V, § 292, S. 122. 868 Schildt, ZNR 15 (1993), S. 1, 8. 869 Schildt, ZNR 15 (1993), S. 1, 5. 870 Im Einzelnen vgl. die Fallauswertung zu den einzelnen prozessualen emen.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

165

den war, nahm das OAG ergänzend dennoch auf das gemeine Recht Bezug. So stellte es verschiedene Rechtsquellen als sich gegenseitig bestätigend dar.

6.

Zusammenfassung

Wie bereits für andere Rechtsgebiete festgestellt, zeichnet sich auch für das Prozessrecht die besondere Stellung des gemeinen Rechts ab. Hier zeigt sich der große Ein uss der bestens mit dem gemeinem Recht vertrauten OAG-Präsidenten auf die Rechtsprechung. Allerdings waren weniger die römischen als die zahlreichen Regelungen des kanonischen Rechts im Prozessrecht entscheidend. In Bezug auf die Reichsgesetze griffen die Richter insbesondere auf den JRA von 1654, der den Prozess wesentlich umgestaltet hatte, zurück. Aber auch das Lübecker Stadtrecht von 1586 bildete, soweit Regelungen zu Einzelproblemen existierten, den Ausgangspunkt der Falllösung. Den Gerichtsgebrauch übernahmen die Richter im Zweifel, allerdings nicht unbedingt. Dieses vorhandene Gesetzesrecht legten die Richter sehr großzügig aus, formulierten allgemeine Grundsätze aus einer Gesamtschau der verschiedenen Rechtsquellen. Widersprachen sich die verschiedenen Rechtsquellen, brachten die Richter möglichst das gemeine Recht zur Anwendung. Falls sie prinzipielle Gegensätze zwischen partikularem und gemeinem Recht ausmachten, beließen sie es bei der partikularen Regelung. Einfache Rechtsanwendung und Auslegung waren kaum zu trennen; hier verschwamm die exakte Grenze. Auch die Wissenschaft, die keine echte Rechtsquellenqualität hatte, war ein wichtiges Erkenntnismittel. Auf die Natur der Sache griffen die OAG-Richter zwar auch im Prozessrecht zurück, jedoch war dies angesichts der Regelungsdichte des gemeinen Prozessrechts häu g nicht nötig. Die Richter arbeiteten meist anhand verschiedener Rechtsquellengruppen und suchten die Gemeinsamkeiten. Die aus den unterschiedlichen Rechtsquellen durch Interpretation gefundenen Grundsätze brachten die Richter kontinuierlich zur Anwendung und stellten sich damit der Gefahr einer völlig unvorhersehbaren Rechtsanwendung entgegen.

B.

Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

In den wenigsten Entscheidungen nahm das OAG zu dem Verfahrensrecht am eigenen Gericht Stellung. Es überprüfte in erster Linie die Entscheidungen der unteren Instanzen.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

165

den war, nahm das OAG ergänzend dennoch auf das gemeine Recht Bezug. So stellte es verschiedene Rechtsquellen als sich gegenseitig bestätigend dar.

6.

Zusammenfassung

Wie bereits für andere Rechtsgebiete festgestellt, zeichnet sich auch für das Prozessrecht die besondere Stellung des gemeinen Rechts ab. Hier zeigt sich der große Ein uss der bestens mit dem gemeinem Recht vertrauten OAG-Präsidenten auf die Rechtsprechung. Allerdings waren weniger die römischen als die zahlreichen Regelungen des kanonischen Rechts im Prozessrecht entscheidend. In Bezug auf die Reichsgesetze griffen die Richter insbesondere auf den JRA von 1654, der den Prozess wesentlich umgestaltet hatte, zurück. Aber auch das Lübecker Stadtrecht von 1586 bildete, soweit Regelungen zu Einzelproblemen existierten, den Ausgangspunkt der Falllösung. Den Gerichtsgebrauch übernahmen die Richter im Zweifel, allerdings nicht unbedingt. Dieses vorhandene Gesetzesrecht legten die Richter sehr großzügig aus, formulierten allgemeine Grundsätze aus einer Gesamtschau der verschiedenen Rechtsquellen. Widersprachen sich die verschiedenen Rechtsquellen, brachten die Richter möglichst das gemeine Recht zur Anwendung. Falls sie prinzipielle Gegensätze zwischen partikularem und gemeinem Recht ausmachten, beließen sie es bei der partikularen Regelung. Einfache Rechtsanwendung und Auslegung waren kaum zu trennen; hier verschwamm die exakte Grenze. Auch die Wissenschaft, die keine echte Rechtsquellenqualität hatte, war ein wichtiges Erkenntnismittel. Auf die Natur der Sache griffen die OAG-Richter zwar auch im Prozessrecht zurück, jedoch war dies angesichts der Regelungsdichte des gemeinen Prozessrechts häu g nicht nötig. Die Richter arbeiteten meist anhand verschiedener Rechtsquellengruppen und suchten die Gemeinsamkeiten. Die aus den unterschiedlichen Rechtsquellen durch Interpretation gefundenen Grundsätze brachten die Richter kontinuierlich zur Anwendung und stellten sich damit der Gefahr einer völlig unvorhersehbaren Rechtsanwendung entgegen.

B.

Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

In den wenigsten Entscheidungen nahm das OAG zu dem Verfahrensrecht am eigenen Gericht Stellung. Es überprüfte in erster Linie die Entscheidungen der unteren Instanzen.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Besonders viele Urteile des OAG hatten Beweisfragen zum Gegenstand. Dies waren anscheinend beliebte Anknüpfungspunkte, die untergerichtliche Entscheidung mit Erfolg überprüfen zu lassen. Aber auch mit der Zulässigkeit von neuem Vorbringen beschäftigten sich viele Urteilspassagen. Die Auswahl der dargestellten rechtlichen Probleme orientiert sich daher an Fällen, die für das OAG die höchste praktische Relevanz hatten. Einen Überblick über den Prozessverlauf ab Klageerhebung erhält man durch die Relationen des OAG. In ihnen ist meist kurz die bisherige Prozessgeschichte geschildert. Anschaulich ist dies an einem Fall von 1873 zu verfolgen, in dem darum gestritten wurde, ob ein Verlöbnis zustande gekommen war und ob Carl Jochim Heinrich Rüttger verp ichtet war, Ellna Sjöberg zu heiraten⁸⁷¹. Die Relation begann mit dem Vorbringen der Klägerin in erster Instanz, darauf folgte eine kurze Zusammenfassung der Vernehmlassung des Beklagten. Nach Replik, Duplik und einem gescheiterten Vergleichsversuch erging das erste Erkenntnis des Stadt- und Landgerichts⁸⁷², das der Klägerin den Beweis des Verlöbnisses auferlegt. Daraufhin trat die Klägerin den Beweis durch Zeugen und eine eventuelle Eidesdelation, eines speziellen Beweismittel des gemeinen Prozesses, an. Der Beklagte widersprach der Zeugenzulassung. Nach einer mündlichen Verhandlung erging das zweite Erkenntnis des Stadt- und Landgerichts, das sämtliche Zeugen zuließ. Der Beklagte trug den Gegenbeweis, wogegen sich die Klägerin Einreden vorbehielt. Dann wurden die Beweis- und Gegenbeweiszeugen vernommen. Die Klägerin bat um Ansetzung eines Termins zur Beweisausführung, um „nunmehr alle Zeugen“ zu vernehmen. Dieser Termin wurde angesetzt und abgehalten. Daraufhin erging das dritte Erkenntnis des Stadt- und Landgerichts. Gegen dieses Erkenntnis appellierte die Klägerin erfolgreich an das OG. Im Gegensatz zum Stadt- und Landgericht hielt das OG den Beweis bis zum suppletorium, also bis zum Erfüllungseid, der den Beweis nach formeller Beweistheorie komplettierte, für erbracht. Hiergegen richtete sich die Appellation des Beklagten an das OAG, mit der er die Wiederherstellung des Urteils erster Instanz beantragte. An dieser Schilderung des bisherigen Prozessverlaufs fällt zunächst auf, dass bereits in erster Instanz drei Erkenntnisse ergingen. Das erste Urteil erlegte den Beweis auf, das zweite beschäftigte sich mit dem Zwischeneinwand, die Zeugen nicht zuzulassen, und erst das dritte Urteil entschied endlich, ob der Beweis geführt war oder nicht. Dieses dritte Urteil focht eine Partei an. Möglicherweise hätten aber bereits die ersten beiden Urteile angefochten werden können. Allein

871 AHL OAG L I 625 Rüttger c. Sjöberg (1873) Relation, unpaginiert, Blatt 1–2. 872 Das Stadt- und Landgericht hatte das Niedergericht als erste Instanz seit Inkrafttreten der neuen Gerichtsverfassung von 1860 abgelöst, vgl. Funk, ZRG/GA 27 (1906), S. 61, 84.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

167

in der Schilderung des Prozessablaufs zeigt sich hier bereits die mögliche lange Verfahrensdauer. Ausgerechnet die Frage, ob der Beweis nun geführt war, wobei der Richter streng gebunden sein sollte, bewertete das OG anders. Nach diesem Überblick über das unterinstanzliche Verfahren, werden einige prozessuale Probleme mit denen sich das OAG besonders ausführlich beschäftigte, näher beleuchtet werden.

I. Beginn eines Prozesses 1.

provocatio ex lege diffamari

Eine besondere Form, Klage zu erheben, stellte die provocatio ex lege diffamari dar. Durch sie forderte der zukünftige Beklagte den zukünftigen Kläger auf, Klage zu erheben⁸⁷³. Zuvor hatte der Gegner der provocatio (Provokat) behauptet, dass ihm Rechte gegen den Provokanten zustünden. Um das Gegenteil gerichtlich feststellen zu lassen, konnte er auf diesen außerordentlichen Rechtsbehelf zurückgreifen. Auf diese Weise konnte jemand also zur Klage gezwungen werden. Die Provokation schränkte somit die grundsätzliche Dispositionsbefugnis der Parteien ein⁸⁷⁴. Man kann die provocatio ex lege diffamari als Vorläufer der heutigen Feststellungsklage sehen⁸⁷⁵. Zwar zwingt der Provokant zur Klage, aber ebenfalls um feststellen zu lassen, dass ein behauptetes Recht nicht bestand. Insoweit diente sie als Feststellungsmittel. Im 19. Jahrhundert gab es keine Feststellungsklage, aber das praktische Bedürfnis danach. So soll die gerichtliche Praxis eine Anerkennungsklage entwickelt haben⁸⁷⁶. Für die Anerkennungsklagen mussten verschiedene dogmatische Konstruktionen herhalten, die sehr unterschiedlich in Lehre und Praxis benutzt wurden⁸⁷⁷. In einem frühen Fall von 1826 setzte sich das OAG näher mit der Lehre von den Provokationen auseinander. Die Gewandschneider hatten gegen eine provocatio ex lege diffamari der Tuchmacher appelliert⁸⁷⁸. Ihrer Ansicht nach hätten die Tuchmacher gegen das angeblich angemaßte Verbietungsrecht stattdessen mit der actio Negatoria vorgehen müssen. Die provocatio sei jedenfalls subsidiär. Dieser

873 Heimbach, „Provocation“, in: Rechtslexikon VIII, S. 531, 533; Wetzell, System, § 13, S. 103. 874 So Wetzell, System, § 13, S. 99. 875 In diesen Zusammenhang setzt sie Kader, Feststellungsklage, S. 26. 876 Kader, Feststellungsklage, S. 35, 38. 877 Kader, Feststellungsklage, S. 41, 42. 878 Bruhn, Sl. 1, No XXXVIII, Gewandschneider c. Tuchmacher (1826), S. 173–179.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Argumentation der Gewandschneider folgte das OAG nicht und sah die Provokation als zulässig an. Infolge Usual-Interpretation⁸⁷⁹ der lex diffamari (5 Codex de ingenuis manumissis)⁸⁸⁰ könne der Diffamat den Gegner, der sich berühmt hätte, Ansprüche zu haben, zur Geltendmachung seiner Rechte auffordern⁸⁸¹. Fraglich sei also nur, ob im konkreten Fall besondere Gründe vorlägen, die zur Unanwendbarkeit des Provokationsrecht der Tuchmacher führten. Die genaue Subsumtion bereitete schon Schwierigkeiten. So war es fraglich, ob ein Verbietungsrecht bereits eine Diffamation war. Dazu stellten die OAGRichter auf die Reichsgesetze und ältere Lehrmeinungen ab. Da die RKGO von 1555 auch „in anderer Wege“ eine Diffamation zulasse, könne der Richter die Diffamation nach seinem arbitrium⁸⁸² annehmen. So hätten sich auch Leyser, Mevius und Berger⁸⁸³ ausgesprochen. Problematisch sei weiterhin, ob, wie der Appellant behaupte, eine Provokation nur subsidiär zuzulassen sei. Die einzelnen Argumente dafür und dagegen trugen die Richter vor und wogen sie gegeneinander ab. Besonderes Gewicht habe das Argument, dass die Provokation nur insoweit Anwendung nde, als sie durch Gewohnheitsrecht und Gerichtsgebrauch ausgestaltet worden sei⁸⁸⁴. Sie sei also dann im Vergleich zu anderen Rechtsmitteln subsidiär, falls dies gewohnheitsrechtlich und durch Gerichtsgebrauch so ausgestaltet worden sei. Um die Frage der Subsidiarität der Provokation für das OAG zu beantworten, führten die Richter den Leser quer durch die Geschichte der Provokationen. Während die Kameralschriftsteller des 16. Jahrhunderts, insbesondere Gail⁸⁸⁵, nicht von einer Subsidiarität der provocatio ex lege diffamari ausgegangen seien, habe sich das Verständnis später geändert. So hätten Mevius, Berger und seitdem auch Claproth, Zachariae⁸⁸⁶, Bü-

879 Zur Usual-Interpretation im 19. Jahrhundert siehe Schott, Entwicklung Methodenlehre, S. 65, 72; Schröder, Recht als Wissenschaft, S. 243, 244, danach konnte sie in Gewohnheitsrecht erwachsen. 880 C. 7, 14, 5. 881 Bruhn, Sl. 1, No XXXVIII, Gewandschneider c. Tuchmacher (1826), S. 173. 882 Zum arbitrium als richterliches Ermessen: Meccarelli, Arbitrium. 883 Johann Heinrich von Berger (1657–1732), Professor in Wittenberg und Gerichtsreferent am Reichshofrat, einer der letzten Vertreter des usus modernus, verfasste eine Gesamtdarstellung des Rechts „Oeconomia juris“, wirkte an sächsischer Prozess- und Gerichtsordnung mit, vgl. Döhring, NDB, Bd. 2, S. 80, 81. 884 Bruhn, Sl. 1, No XXXVIII, Gewandschneider c. Tuchmacher (1826), S. 173, 175. 885 Andreas Gaill (1526–1587), Beisitzer am Reichskammergericht und später am Reichshofrat, gilt neben Mynsinger als Begründer der Kameralistik, der Literatur zur Rechtsprechung des Reichskammergerichts, vgl. Otto, in: Juristen, S. 220, 221. 886 Karl Salomo Zachariae (1769–1843), liberaler Staatsrechtler, zu ihm ausführlich: Fischer, ADB Bd. 44, S. 646–652.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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low und Hagemann⁸⁸⁷ und Gönner eine Subsidiarität angenommen. Aber keiner dieser Schriftsteller behaupte einen dafür sprechenden Gerichtsgebrauch. Außerdem habe die neuere Gesetzgebung⁸⁸⁸ dem Diffamaten die Wahl gelassen, ob er Provokation oder selbst Klage erheben wolle. In „allerneuester Zeit“ befürworteten die Juristen, dass die Provokation nicht subsidiär sei. Dazu zitierten sie quer durch die gemeinrechtliche Literatur, unter anderen Martin und Glück⁸⁸⁹. So sei es nicht eindeutig, dass Gerichtsgebrauch und Gewohnheitsrecht sich für die Subsidiarität ausgesprochen hätten. Die „besondere Beschaffenheit des concreten Falles“⁸⁹⁰ spreche dafür, die Provokation zu gestatten. Die Gewandmacher hätten hier ein Verbietungsrecht in Anspruch genommen, das eigentlich den Tuchmachern eigen sei. Die „Natur des Verhältnisses“, wonach die Diffamaten eigentlich nicht klagen sollten, dürfe nicht verrückt werden. Das Verbietungsrecht als Nutzen und Vorteil der Tuchmacher solle sich nicht in deren Nachteil verkehren. Die Tuchmacher sollten ihrerseits nicht genötigt sein, eine Klage anzustrengen. Dazu verwiesen die Richter auf die sehr allgemeine Digestenstelle l. 25 D. de legibus⁸⁹¹, die verbot, eine so harte Gesetzesauslegung zu betreiben, dass sie den ursprünglich gewollten Nutzen in Strenge wandelt. Mit diesem allgemeinen Gedanken ließen die Richter hier die Provokation der Tuchmacher zu, um „die Sache wieder in die gehörige Lage zu bringen“. Ausgehend von allgemeinen Grundsätzen entwickelten die Richter eine sachgerechte Lösung für den konkreten Fall. Dabei stellten die Richter ausführlich die rechtsgeschichtliche Entwicklung des Instituts dar⁸⁹². Ausschlaggebend waren letztendlich jedoch die besonderen Umstände des konkreten Falles und die Natur des Verhältnisses, mithin fallbezogene Argumente. Die Provokation ließen die Richter in dieser frühen Entscheidung zu.

887 Friedrich von Bülow (1762–1827) und eodor Hagemann (1761–1827), beide Räte am OAG Celle, hatten gemeinsam die achtbändigen „Practische Erörterungen aus der Rechtsgelehrsamkeit“ herausgegeben, vgl. zu Bülow: Frensdorff, ADB Bd. 10, S. 328, 329; Schott, in: Niedersächsische Juristen, S. 326; zu Hagemann: Frensdorff, ADB Bd. 3, S. 525; Schott, in: Niedersächsische Juristen, S. 353. 888 Hier zitierten die Richter die Preußische Gerichtsordnung  I Tit 32 § 2 und 3. 889 Christian Friedrich Glück (1755–1831), Professor in Erlangen, später Geheimer Hofrat, Herausgeber eines umfangreichen Pandekten-Kommentars, vgl. Stintzing/Landsberg, Geschichte III/1, S. 444–446. 890 Bruhn, Sl. 1, No XXXVIII, Gewandschneider c. Tuchmacher (1826), S. 173, 178. 891 D. 1, 3, 25. 892 Zum Stellenwert der historischen Auslegung im 19. Jahrhundert Rückert, FS Canaris, S. 1263–1297.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Eine fortschrittliche Praxis, die zu einer Anerkennungsklage neigte⁸⁹³, ist hier nicht ersichtlich. Vielmehr prüften die Richter gewissenhaft das Gewohnheitsrecht und sprachen der neueren Entwicklung nicht die entscheidende Wirkung zu. So konservierten sie der Rechtsquellenlehre ihrer Zeit gemäß das Institut der Provokation.

2. litis contestatio Die litis contestatio ist eine Prozessrechts gur, die – anknüpfend an das antike römische Recht – seit dem frühen Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestand und die festlegte, wann und wodurch ein Prozess rechtshängig war⁸⁹⁴. Die litis contestatio hatte im Wandel der Zeit unterschiedliche Bedeutungen; knüpfte jedoch immer an den Prozessbeginn an⁸⁹⁵. Schlinker hat herausgearbeitet, dass sie ein Akt der Transformation vom materiellen zum prozessualen Anspruch darstellte. Sie sei also verwurzelt in dem aktionenrechtlichen Denken. Durch die Eigenständigkeit des Prozessrechts sei ihr Ende des 19. Jahrhunderts die Grundlage entzogen worden⁸⁹⁶. Außerdem stelle sie ein Symbol für die gegenseitige Begründung des Prozesses dar. Hier zeige sich, dass man den Prozess als Interessenausgleich zwischen zwei Personen verstanden habe. So habe man den Prozess oft mit dem Zweikampf verglichen⁸⁹⁷. Es ginge also um Konsens und Schlichtung im Gegensatz zu einem Prozess, der als obrigkeitliches Verfahren zur Durchsetzung von privaten Ansprüchen verstanden werde⁸⁹⁸. Die Ansicht von der litis contestatio im 19. Jahrhundert als prozessbegründendes Institut grenzte sich entscheidend von der Auffassung des 18. Jahrhunderts ab⁸⁹⁹. Durch die Wiederentdeckung der Institutionen des Gaius⁹⁰⁰ beschäftigte sich die Rechtswissenschaft mit der litis contestatio anhand der römischen Quellen und versuchte, die ursprüngliche Bedeutung zu rekonstruieren. Der litis contestatio widmete sich die gemeinrechtliche Literatur sehr intensiv. Sowohl die geschichtliche Entwicklung als auch die zeitgemäße Bedeutung und

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So aber Kader, Feststellungsklage, S. 38. Sellert, „Litis contestatio“, in: HRG I, Sp. 14. Schlinker, Litis Contestatio; Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 237, 238. Schlinker, Litis Contestatio, S. 652. So zu der Buch’schen Glosse zum Sachsenspiegel Kannowski, Umgestaltung, S. 151–164. Schlinker, Litis Contestatio, S. 2, 650. Schlinker, Litis Contestatio, S. 526. Auch OAG-Rat Bluhme war 1822 nach Italien gereist, um Gaius mit verbesserten chemischen Mitteln zu lesen, vgl. Strauch, Briefwechsel, S. 9 Fn 5. Also sechs Jahre nachdem Niebuhr das ursprüngliche Werk Gaius’ entdeckt hatte.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Wirkung diskutierte die Lehre ausführlich⁹⁰¹. Man führte sie auf das römische Recht zurück und betrachtete sie als prozessuales Kernstück. Wetzell beschrieb die litis contestatio als einen „zweiseitigen Act, durch welchen die Parteien das zwischen ihnen bestehende Streitverhältniß (actio) in einen Rechtsstreit (judicium) überleiten“⁹⁰². Sie zeige an, was nun strittig war und worüber der Rechtsstreit geführt werde. Damit begründe sie den Rechtsstreit. Klagbitte des Klägers und Gegenbitte des Verklagten bewirkten, nach Wetzells Darstellung, die litis contestatio, die Streitbefestigung. Savigny stellte die litis contestatio hingegen als einseitige Handlung des Beklagten dar⁹⁰³. Man war sich aber einig, dass sie prozesskonstitutive Wirkung entfalte⁹⁰⁴. Sie begründete also einen Prozess. Zu welchem Zeitpunkt genau die litis contestatio eintrat, beantworteten die Gelehrten wiederum unterschiedlich. Während Savigny annahm, dass ein einheitlicher Zeitpunkt gewählt werden müsse und so den Zeitpunkt der Insinuation, also der Zustellung, wählte⁹⁰⁵, legten andere den tatsächlichen Zeitpunkt der Verteidigung, also die Einlassung, zugrunde. Da die litis contestatio die Feststellung des Streitgegenstandes bedeutete, wurde sie während des gesamten Prozesses stetig wiederholt⁹⁰⁶, wurde also auch nach Appellationsbeschwerde und Vernehmlassung des Appellaten erneuert. Schlinker vermutet, dass an der litis contestatio deutlich wird, wie stark die Pandektistik das Prozessrecht geprägt hat⁹⁰⁷. Dies gilt es anhand der Rechtsprechung des OAG zu überprüfen. Außerdem soll eine Analyse der Entscheidungstätigkeit zeigen, ob und welche praktische Bedeutung die litis contestatio für den Prozess einnahm. Die gemeinrechtliche Literatur wird dazu als Vergleichsmaßstab herangezogen. In den Stichwortverzeichnissen der Entscheidungssammlungen taucht der Begriff litis contestatio, teilweise auch unter Einlassung⁹⁰⁸ mit zahlreichen Entscheidungsverweisen und in unterschiedlichen Zusammenhängen auf. Das impliziert,

901 Beispielsweise Heimbach, „Litiscontestation“, in: Rechtslexikon VI, S. 685–729; Savigny, System VI, §§ 259–279, S. 1–256; Sohm, litiscontestatio; Wetzell, System, § 14, S. 114–141. 902 Wetzell, System, § 14 Fn 46, S. 126, ähnlich Savigny, System VI, §§ 257, S. 9. 903 Vgl. Schlinker, Litis Contestatio, S. 539. 904 Dies sei die typische Auffassung der gemeinrechtlichen Doktrin gewesen, Schlinker, Litis Contestatio, S. 541. 905 Savigny, System VI, § 278, S. 240, er hatte dazu die Meinung des OAG Lübeck von Bluhme erbeten, vgl. Strauch, Briefwechsel, Brief 173, S. 311. 906 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 108 Fn 1, S. 409; anders noch im Verfahren vor dem Reichshofrat, vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 237–250. 907 Schlinker, Litis Contestatio, S. 526. 908 Zu der uneinheitlichen Terminologie Oestmann, „Einlassung“, in: HRG I, Sp. 1300.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

dass das OAG die Begriffe litis contestatio und Einlassung synonym verwendete. Die litis contestatio spielte in der Rechtsprechung des OAG in erster Linie eine Rolle für die sich anschließenden Folgen. An die litis contestatio knüpften verschiedene prozessuale und materielle⁹⁰⁹ Wirkungen an. So konnte die Partei nach der litis contestatio beispielsweise die Klage nicht mehr ohne weiteres abändern, der Gegenstand durfte nicht veräußert werden und der Beklagte war gehalten, sich ordnungsgemäß zu verteidigen⁹¹⁰. In der gerichtlichen Praxis erlangte die litis contestatio insbesondere Bedeutung für die Möglichkeit zur Klageänderung, für die unterschiedlichen Einreden und speziell die Frage, wann diese noch vorgebracht werden durften, also für den Umfang der Einlassung und für den Ungehorsam und dessen Folgen.

a) Klageänderung Nach der litis contestatio konnte die einmal erhobene Klage nicht mehr abgeändert werden. In Lübeck gab es dazu eine besondere partikularrechtliche Norm. Art. V, 3, 1 des lübeckischen Stadtrechts ließ eine Änderung der Klage nur bis zur Kriegsbefestigung zu. Auf diese Norm griffen die Richter in verschiedenen Entscheidungen zurück⁹¹¹. In einem Erbschaftsstreit von 1829 entschied das OAG, dass die Klage vor Einlassung noch abgeändert werden dürfe⁹¹². Da der Beklagte zu dem Zeitpunkt, als ein anderer Klageantrag gestellt wurde, noch nicht geantwortet hatte, stehe hier der Änderung kein Hindernis entgegen. Zusätzlich begründeten die Richter diese Entscheidung mit einer Interessenerwägung. Der geänderte Antrag sei sowieso weniger nachteilig für den Beklagten, der so selbst sein Vermögen darlegen dürfe, anstatt die Ermittlung seines solventen Zustandes mithilfe von „Inventur und Taxation“ dem Richter überlassen zu müssen. Damit konnte bis zur Einlassung die Klage geändert werden. Die Kriegsbefestigung entsprach also der litis contestatio. Diese trat nach dieser frühen Rechtsprechung mit der Einlassung des Beklagten ein.

909 Dazu eingehend Savigny, System VI, § 278, S. 241 ff. 910 Weitere Beispiele bei Sellert, „Litis contestatio“, in: HRG III, Sp. 14, 18. 911 Bruhn, Sl. 1, No LXXVII, Martens c. seine Kinder (1829), S. 274, 276; ebenso in AHL OAG L I 208 Älteste des Hauszimmerleuteamts Lübeck c. Luetgens im Beistand der Ältesten des Tischleramtes Lübeck (1836) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 3. 912 Bruhn, Sl. 1, No LXXVII, Martens c. seine Kinder (1829), S. 274, 276.

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b) Umfang der Einlassung Nicht nur für den Kläger, sondern auch für den Beklagten war die Kriegsbefestigung, die litis contestatio, der Zeitpunkt bis zu dem Einwände gegen die Klagbitte eingebracht werden konnten. Nach ihr sollten grundsätzlich keine Prozesseinreden vorgebracht werden können⁹¹³. Die Verp ichtung des Beklagten zu „litem contestiren“ stützten die Richter auf JRA § 37⁹¹⁴. Danach müsse sich der Beklagte über alle tatsächlichen Angaben des Klägers erklären und angeben, welche nach seiner Meinung anders seien. Allerdings führte das OAG aus, dass dies spätestens mit Antretung des Gegenbeweises⁹¹⁵ geschehen konnte, danach waren die Einwände des Beklagten nicht mehr zu hören⁹¹⁶. Hier ließ das OAG vom Zeitpunkt der Einlassung eine Ausnahme zu. Der Beklagte konnte noch zu einem späteren Zeitpunkt Einwände vorschützen. Die litis contestatio war eigentlich eine Figur, die zu einem schleunigen Prozess führen sollte, indem die Parteien zu diesem Zeitpunkt ihre Angriffe und Verteidigungsmittel vollständig vorbringen sollten und anschließend neues Vorbringen in der Regel präkludiert war. Von dieser generellen Verp ichtung ließ das OAG aber Ausnahmen zu. Fraglich war damit, welchen Umfang die Einlassung haben musste. Mussten alle Einreden vorgebracht oder konnten manche noch später während des Prozesses vorgeschützt werden? Anhand von Beispielen aus der Praxis sollen Regeln und Ausnahmen herausgearbeitet werden, wann welche Einreden vorzubringen waren. In einer Entscheidung von 1828 modi zierten die Richter die Einlassungsp icht vor dem Wettegericht⁹¹⁷. Die „processualischen Grundsätze über die Nothwendigkeit“ zu einer „sofortigen vollständigen und erschöpfenden Einlassung auf die Klage“ dürften nicht in „ihrer ganzen Strenge“ auf Wette-Sachen übertragen werden⁹¹⁸. Denn § 37 JRA setze eine entsprechende Ladung des Beklagten vor-

913 Sellert, „Litis contestatio“, in: HRG I, Sp. 14, 18. 914 Bruhn, Sl. 2, No XXI, Müller c. Otard (1835), S. 160–162 (161); so schon Bruhn, Sl. 1, No CIV, Koehl c. Grabau (1833), S. 438–454 (445); nach § 37 JRA sollte der Beklagte „alles uff einmahl, bey Straff der präclusion, einbringen“. 915 Gegenbeweis betrifft Tatsachen, die sich gegen die Beweisführung des Gegners richten, vgl. Bluhme, System, § 645, S. 524. 916 AHL OAG L I 40 Gäth c. Elhabe (1824) Q 10 Entscheidungsgründe, p. 6. 917 AHL OAG L I 99 Älteste der Gewandschneider-Companie c. Janicke (1828) Q 17 Entscheidungsgründe. 918 AHL OAG L I 99 Älteste der Gewandschneider-Companie c. Janicke (1828) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 10.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

aus. Die Ladung bei der Wette⁹¹⁹ enthalte aber nicht unbedingt vollständig alle Vorwürfe. Der Beklagte könne sich also im Voraus nicht auf eine umfassende Verteidigung vorbereiten. Bei der Wette hingegen nde ein möglichst summarisches Verfahren statt. Rechtsbeistände seien gar nicht zugelassen, die rechtsunkundige Person sei im Verfahren schutzlos gestellt. Aufgrund dieser Besonderheiten des Verfahrens folgerte das OAG, dass bei der Wette keine strenge Einlassungsp icht gelte. In einem Nachbarschaftsstreit von 1836 modi zierten die Richter die generelle Einlassungsp icht nach § 37 JRA durch den in Lübeck geübten Gerichtsgebrauch⁹²⁰. J.C. Pantaenius hatte gegen Peter ee geklagt, um zu verhindern, dass ee seinen Speicher umbaute. Durch den Umbau würde er als Nachbar gestört. Die untere Instanz hatte Pantaenius aufgegeben, seine Legitimation als Eigentümer an einem durch die Bauarbeiten behinderten Gang besser zu beweisen. Gegen dieses Interlokut wandte sich Pantaenius mit seiner Appellation. Seine möglicherweise fehlende Berechtigung hätte ee gleich bei seiner Einlassung bemängeln müssen, befand das OG, nun sei dieser Einwand präkludiert und dürfe jetzt nicht mehr berücksichtigt werden. Als auf einem „bekannten prozessualischen Grundsatz“ beruhend müssten die dilatorischen⁹²¹ Einreden bei der Einlassung geltend gemacht werden. Dazu zitierte der Appellant §§ 37, 40 JRA. Dies entspreche einer „gewöhnlichen, aber irrigen Ansicht“, meinte dagegen das OAG. Zwar sei diese Verbindung der Einreden mit der Einlassung zweckmäßig und in der Regel zu raten; sie diene der Abkürzung des Prozesses. Gerade bei dem Bestreiten der Eigentümerstellung bewirke die Verbindung, dass über die Legitimation schnell entschieden werden könne. Ausschlaggebend sei aber, dass in Lübeck ein „ausgemachter, auf die ältere Gerichtsordnung sich gründender und auch nach dem J.R.A. beibehaltener Gerichtsgebrauch“⁹²² bestehe, wonach die fehlende Legitimation getrennt vorgebracht und die Einlassung in der Hauptsache solange verweigert werden könne. Anschließend subsumierten die Richter den Fall: „Demnach hatte der Beklagte im vorliegenden Falle allerdings ein Recht, vorläu g die Einlassung zu verweigern“. Damit hatte ee auch noch später die fehlende Eigentümerstellung bemängeln dürfen. Die Richter sprachen in dieser Entscheidung dem älteren Partikularrecht und dem sich darauf gründenden Gerichtsgebrauch die entschei-

919 Zu den Besonderheiten der Wette Funk, ZRG/GA 27 (1906), S. 61, 69. 920 Bruhn, Sl. 2, No XXVII, Pantaenius c. ee (1836), S. 228–230. 921 Zu dem Begriff dilatorische Einreden vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 234, 235: Einreden, bei deren Geltendmachung sich aus formellen Gründen die Einlassung auf den Klaggrund erübrigt. 922 Bruhn, Sl. 2, No XXVII, Pantaenius c. ee (1836), S. 228, 229.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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dende Wirkung gegenüber dem JRA zu. Zwar stellten sie das gemeine Recht kurz dar, ausschlaggebend war jedoch der Lübecker Gerichtsgebrauch. Wetzell als Vertreter der gemeinrechtlichen Lehre wollte die Eigentümerstellung noch vor der Einlassung klären. Er ordnete die fehlende Legitimation als Prozesseinrede ein, die getrennt werden müsse von dilatorischen Einreden. Prozesseinreden seien Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine litis contestatio, die ja einen Prozess voraussetzte, statt nden könne. Daher müsse vor der Gegenbitte des Beklagten die Frage nach den Prozessvoraussetzungen geklärt werden⁹²³. Auch Martin differenzierte bereits zwischen der Einlassung und den Einreden, die wiederum unterteilt werden konnten. Er ordnete die „nöthige Begründung des ngierten Eigenthums“ jedoch als in die Einlassung gehörig ein⁹²⁴. Die gemeinrechtliche Literatur wie auch das OAG differenzierten zwischen den verschiedenen exceptiones, also Einreden. Gerade am Beispiel der Einreden wird das Bestreben der Rechtswissenschaftler deutlich, zu systematisieren. Das ausgefeilte System, zwischen unterschiedlichen Einreden und der Art der Einlassung zu differenzieren, vereinfachte den Einzelfall nicht. Für jede Verteidigung war so ein Zeitpunkt für das Vorbringen festzulegen. Die Rechtswissenschaft schuf damit ein neues Problem, nämlich als welche Einrede die Eigentümerstellung einzugruppieren sei. Die litis contestatio die den Zweck hatte, diesen Zeitpunkt einheitlich festzulegen, wurde hier mit Ausnahmen durchsetzt. Neben der Einrede des fehlenden Eigentums beschäftigte sich das OAG mit der Einrede der anderweitigen Rechtshängigkeit. Bei einem Frankfurter Rechtsstreit von 1866⁹²⁵ stellte sich die Frage, ob die Einrede der Rechtshängigkeit vorliege. Die Gebrüder Schmalz hatten Peter Anton Bied eine Dampfmaschine geliefert, dieser hatte jedoch nur teilweise den Kaufpreis bezahlt. Am Stadtgericht in Frankfurt verklagten die Gebrüder den Bied, der sich dort gerade aufhielt. Zuvor hatten sie bereits das Gericht in Höchst, dem Wohnort des Bied, angerufen. Obwohl in Folge die Klage in Höchst zurückgenommen wurde, wandte Bied im Frankfurter Prozess ein, die Sache sei anderweitig rechtshängig. Das Stadtgericht Frankfurt wies die Klage ab. Dies bestätigte das Appellationsgericht. Das Oberappellationsgericht hingegen hob die Entscheidung der vorigen Instanz auf. Den etwas verworrenen, zugrunde liegenden Sachverhalt führten die Richter auf die präzise Frage zurück, wann Rechtshängigkeit der Klage vorlag und ob diese eine Zurücknahme der Klage hinderte⁹²⁶. Eine Klage sei bereits mit Insinuation

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Wetzell, System, § 70 Fn 14, S. 944. Martin, Lehrbuch, § 156, S. 287, 288. Frankfurter Fall: Kierulff, Bd. 2, No 11, Schmalz c. Bied (1866), S. 70, 77. Frankfurter Fall: Kierulff, Bd. 2, No 11, Schmalz c. Bied (1866), S. 70, 71.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

rechtshängig und nicht erst mit der Einlassung des Beklagten. Das OAG schloss sich hier der Meinung Savignys an, ohne jedoch auf ihn zu verweisen. Zur Begründung führte das OAG die Lehrbücher von Martin⁹²⁷ und Wetzell⁹²⁸ an. Dementsprechend hätten sie bereits im Frankfurter Fall Rist gegen Schüle vom April 1830 entschieden. Dass die Richter hier zwischen Rechtshängigkeit, die mit Insinuation vorlag, und litis contestatio, also der Einlassung, unterschieden, ist bemerkenswert. Sellert stellt die Rechtshängigkeit als Folge der litis contestaio dar, die erst im modernen Prozess durch die Insinuation ersetzt worden sei⁹²⁹. In dieser späten Entscheidung des OAG bahnt sich jedoch bereits der Bedeutungsverlust der litis contestatio an⁹³⁰. Man versuchte einen objektiven Zeitpunkt für die Rechtshängigkeit zu bestimmen. Es sollte nicht dem Zufall überlassen bleiben, ob sich der Beklagte schnell einließ und die Klage damit zügig rechtshängig wurde oder nicht. Die Insinuation war ein objektiver Zeitpunkt, der später als maßgebender Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in der CPO übernommen wurde. Hier zeigt sich in der Rechtsprechung des OAG bereits 1866 die Tendenz, die litis contestatio zurückzudrängen. Nach den allgemeinen Ausführungen zur Rechtshängigkeit warfen die Richter zudem die Frage auf, ob sich die vor litis contestatio mögliche Rücknahme der Klage auch auf den Gerichtsstand erstrecke. Davon sei früher nicht ausgegangen worden, da der Beklagte ein Recht darauf habe, dass der Rechtsstreit bei dem bereits gewählten Gericht anhängig bliebe. Indessen sei diese Ansicht „schon gemeinrechtlich nicht zu billigen“⁹³¹. Diese Feststellung wurde wiederum durch Zitate aus Lehrbüchern⁹³² belegt. Letztlich lasse sich jedenfalls nach der allgemein gefassten Stelle der Frankfurter Reformation nicht daran zweifeln, dass der Kläger vor der litis contestatio nicht an das angerufene Gericht gebunden sei. Diese einseitige Befugnis zum Aufgeben der Klage vor der litis contestatio sei auch nach Frankfurter Recht anerkannt. Die Lösung des Falles ermittelten die Richter zunächst nach gemeinem Recht anhand der Lehrbücher. Davon weiche das Frankfurter Recht nicht ab. Lagen keine partikularrechtlichen Abweichungen vor, blieb das gemeine Recht ausschlag-

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Martin, Lehrbuch, § 152, S. 278 von 1838. Wetzell, System in 1. Au age, S. 87, 364 Sellert, „Litis contestatio“, in: HRG I, Sp. 14, 18 und 19. Im Gegensatz dazu entschied das OAG 1821 noch dass die Rechtshängigkeit auf der litis contestatio beruhe, dazu unten Bruhn, Sl. 1, No X, Rosenberg c. Platzmann (1821) S. 64–70. 931 Kierulff, Bd. 2, No 11, Schmalz c. Bied (1866), S. 70, 77. 932 Zitiert werden: Gensler, Kommentar zu Martin § 59; Planck, Beweisurtheil, S. 354, Note 2; Wetzell, System, S. 88, 363.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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gebend. Durch diese Arbeitsweise hoben die Richter die Bedeutung des gemeinen Rechts hervor. Der Fall war so über den Frankfurter Rechtskreis hinaus interessant. Da der Fall in erster Linie nicht nach Partikularrecht gelöst wurde, konnten die Richter in diesem Frankfurter Fall ein lübeckisches Präjudiz zitieren. Das Gericht zog in jenem Urteil also zunächst das gemeine Recht als Rechtsquelle heran, das es durch Lehrbücher belegte. Auf das Frankfurter Prozessrecht in Form der Reformation nahm das OAG lediglich ergänzend Bezug. Ausgangspunkt war also das gemeine Recht, nur partikularrechtliche Abweichungen waren beachtlich. Die litis contestatio verlor bei der Frage nach der Rechtshängigkeit an Bedeutung. Der ohne Interessenabwägungen und Ausnahmen zu bestimmende Zeitpunkt war nun die Insinuation an den Beklagten. Allerdings spielte die litis contestatio in der Frankfurter Entscheidung eine eigene Rolle. Zwar wurde für den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit auf die Insinuation abgestellt, aber die Zurücknahme der Klage ohne Einwilligung des Beklagten blieb bis zur litis contestatio möglich. Der litis contestatio verblieb damit in der Rechtsprechung ein eigener, wenn auch zunehmend geringer Anwendungsbereich.

c) Folgen des Ungehorsams Von Ungehorsam sprach man, wenn eine Partei nicht die ihr obliegenden Prozesshandlungen bewirkte⁹³³. Das konnte vorliegen, wenn die Partei trotz Ladung nicht im Termin erschien oder eine Frist versäumte. Die Literatur unterschied zwischen Ungehorsam vor und nach der litis contestatio und danach ob der Kläger oder der Beklagte säumig war. Hier interessiert lediglich der Ungehorsam nach erfolgter litis contestatio. Zwei unterschiedliche Folgensysteme standen sich bei dem Ungehorsam gegenüber: Zum einen das gemeinrechtliche System, zum anderen das sächsische Ungehorsamssystem. Die gemeinrechtliche Tradition ging von einem Eremodizialprinzip aus⁹³⁴. War der Kläger säumig, konnte der Beklagte einseitig den Prozess zu Ende führen. Er musste sich also eine Sachentscheidung erstreiten, ein Versäumnisurteil erging nicht. War der Beklagte säumig, wurde er so behandelt, als ob er das klägerische Vorbringen leugne⁹³⁵. Damit legte dieses gemeinrechtliche Verständnis von dem Ungehorsam dem Richter prozessleitende Gewalt auf; er musste nun ermitteln, was der Beklagte geleugnet hätte. Die Ermittlung materieller Wahrheit, die Feststellung objektiven Rechts rückte in den

933 Ahrens, Prozessreform, S. 27, mit Verweis auf die gemeinrechtliche Literatur; Sellert, „Versäumnisverfahren“, in: HRG V, Sp. 798, 799. 934 Sellert, „Prozeß, sächsischer“, in: HRG IV, Sp. 36, 38. 935 Sellert, „Versäumnisverfahren“, in: HRG V, Sp. 798, 803.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Vordergrund⁹³⁶. Die partikularen Prozessordnungen legten, in Anlehnung an den sächsischen Prozess, der säumigen Partei genau die umgekehrten Rechtsfolgen auf, die formelle Wahrheit reichte aus. Die territorialen Ordnungen behandelten das Schweigen als Zugeständnis der Tatsachen, als poena confessi⁹³⁷. War der klägerische Antrag schlüssig und der Beklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen, erging ein Versäumnisurteil. Insbesondere bestanden also Unterschiede bei dem Ungehorsam des Beklagten. Nach der rechtshistorischen Forschung standen sich also zwei völlig gegensätzliche Systeme bei dem Ungehorsam gegenüber. Die Anwendung der partikularen Gerichtsordnungen führte zu einer schnelleren Erledigung des Rechtsstreites, im Gegensatz zu dem gemeinrechtlichen Verfahren, das bei dem Ungehorsam die richterliche Macht betonte⁹³⁸. Die CPO übernahm das Eremodizialprinzip des gemeinrechtlichen Verfahrens nicht, sondern entsprechend der Verhandlungsmaxime erkennt sie, falls der Beklagte säumig ist, nach dem schlüssigen klägerischen Antrag⁹³⁹.

aa) Ungehorsam des Beklagten in der Vernehmlassung Waren Tatsachen in der Einlassung nicht beantwortet, galten sie als eingestanden. Diesen aus dem sächsischen Recht stammenden Grundsatz hatte Lübeck übernommen⁹⁴⁰. Dieses Prinzip legte das OAG in seiner Rechtsprechung zulasten des Beklagten zugrunde⁹⁴¹. Das OAG ordnete demnach die Säumnis als Ungehorsam der Partei ein, die gegen ihre Mitwirkungsobliegenheiten verstoßen hatte. Diesen Grundsatz, dass eingestanden gilt, was nicht bestritten wurde, bestätigten die Richter noch in einem späten Prozess von 1866⁹⁴². Anlässlich einer Lohnforderung einer Verwandten äußerte sich das OAG unter anderem positiv über den lübeckischen Grundsatz, dass in der Einlassung nicht bestrittene Tatsachen als zugestanden gelten. Obwohl in dem Fall nie ein Urteil er-

Schwartz, Zivilprozeß, S. 409. Schlinker, Litis Contestatio, S. 616. Sellert, „Versäumnisverfahren“, in: HRG V, Sp. 798, 803. § 331 Absatz 1 Satz 1 der heutigen ZPO. Für das Lübecker Stadtrecht von 1586: Schwartz, Zivilprozeß, S. 307, es entspreche der deutschrechtlichen Tradition. 941 So der Leitsatz von Wunderlich, Bd. 2, No 358 A, Bollow c. Bollow (1856), S. 6. 942 Kierulff, Bd. 2, No 105, Stiehl & Co. c. Jacobi & Co. (1866), S. 914, 916. 936 937 938 939 940

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gangen ist, sind Auszüge aus den vorangegangenen Beschlüssen veröffentlicht⁹⁴³. In der Sache bestand Stimmengleichheit zwischen den OAG-Räten, der daraufhin erfolgte Vergleichsversuch zwischen den Parteien war erfolgreich. Die Veröffentlichung der Beschlüsse gliederte sich in das Vorbringen der Appellantin Wolff und das des Appellaten Philippson. Dabei wurden die einzelnen Behauptungen aufgegliedert und vermerkt, was bestritten wurde und was nicht. Die Appellantin, in erster Instanz Klägerin, war, nachdem sie in Hamburg als Näherin gearbeitet hatte als „lediges Frauenzimmer von etwa 50 Jahren“⁹⁴⁴ zu ihrer Schwester und ihrem Schwager gezogen. Dort hatte sie den Haushalt versorgt. Für eine Lohnforderung ihrerseits sah das OAG zwei Momente für erheblich an, nämlich ob sie tatsächlich wie eine Arbeitskraft mitgewirkt habe und ob diese Leistung aufgrund ausdrücklichen Verlangens des Dienstherrn oder eines dringenden Bedürfnisses gemäß erfolgt sei. Die Klägerin hatte nun detailliert ausgeführt, dass sie das „Kochen, und zwar sowohl das Frühstück (Kaffee, ee) wie das Mittagsbrod und Abendessen, und ferner das Aufwachen, das Reinmachen der Zimmer und selbst der Diele, die Instandhaltung der Kleidung, das Nähen, Stopfen, Flicken für die Familienmitglieder besorgt“ habe. Außerdem machte sie geltend, dass ihre Schwester damals „sehr kränklich gewesen und insbesondere an schwacher Brust und schwachen Augen gelitten habe, dass es ihr sogar ärztlich untersagt gewesen, zu kochen oder sonst im Hausstand mit Hand anzulegen“⁹⁴⁵. Der Vortrag des Beklagten Philippson freilich klang deutlich anders. Sie habe sich „in dem Hause des Onkels gegen dessen Wunsch und Wille eingenistet“. Mehrfach habe er sie der Türe verwiesen und sie auch öfters hinausgeworfen. Trotzdem sei sie „unverwüstlich“ gewesen und jedes Mal zurückgekehrt „und nunmehr nicht wegzubringen gewesen“. Das OAG führte zu diesen unterschiedlichen Darstellungen aus, dass diese durchaus nicht im Widerspruch stünden. Schließlich habe der Beklagte nicht bestimmt bestritten, dass die Wolff nach dem Zerwürfnis weiterhin im Haushalt gearbeitet habe. Die Nichtbeantwortung der Klage „im Ganzen wie im Einzelnen auch ohne specielle Androhung und gleichgültig, ob eine Partei mit Sachwalt versehen ist oder nicht“, habe jedoch die

943 Wunderlich, Sl. 2, No 457, Unv. Wolff c. Philippson Testamentsvollstrecker (1863), S. 359–366; dazu Wunderlich in Fn: „Weder endlich festgestellt, noch eröffnet, da die Sache in Befolgung von OAGO § 73 Abs. 2 verglichen ward. Aber materiell Inhalt der Beschlüsse“. 944 Wunderlich, Sl. 2, No 457, Unv. Wolff c. Philippson Testamentsvollstrecker (1863), S. 359, 361. 945 Wunderlich, Sl. 2, No 457, Unv. Wolff c. Philippson Testamentsvollstrecker (1863), S. 359, 362.

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Fiktion eines Geständnisses der wesentlichen Tatumstände zur Folge „nach den im lübischen Rechte wiederholten Grundsätzen des sächsischen Prozeßrechtes“⁹⁴⁶. Führten die Richter die Folgen des Schweigens in der Vernehmlassung aus, wiesen sie jedes Mal deutlich auf den Ursprung, hier nämlich den sächsischen Prozess, hin. Auch hier wurden Parallelen und Entwicklungszusammenhänge herausgestellt, um einen Anknüpfungspunkt für eine Auslegung offenzulegen. Die Richter stellten die Grundsätze des Ungehorsams sehr ausführlich, über den konkreten Fall hinausgehend, dar. So war es im vorliegenden Fall nicht strittig, ob eine Partei mit oder ohne Sachwalter aufgetreten war. Ebenso wenig hatte der Beklagte vollkommen die Einlassung verweigert. Dennoch beurteilten die Richter auch diese Möglichkeit. Damit nahmen die Richter den konkreten Fall zum Anlass, vorausschauend bereits ähnliche Fälle mitzuentscheiden, wohl um damit weitere Appellationen auszuschließen. Die Richter rechtfertigten ihre Aussagen, indem sie Grundsätze des Verfahrens herausarbeiteten. Diese Grundsätze wurden teilweise als allgemeingültig lediglich festgestellt, teilweise aber auch mit großem Argumentationsaufwand hergeleitet. Die Herleitung geschah unterschiedlich. Daraufhin stellte das Gericht Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Normen heraus. Danach bestätigte das gemeine Recht das Partikularrecht. War kein normativer Anknüpfungspunkt ersichtlich, griffen die Richter dennoch auf allgemeine Prinzipien der Rechtsordnung zurück. Die Rechtsgleichheit nannten die Richter verschiedentlich als wesentlichen Grundsatz, um eine Entscheidung zu rechtfertigen, ebenso die Ähnlichkeit des lübeckischen Prozessrechts zu dem sächsischen, aus dem es sich entwickelt habe. Neben diesen Argumentationssäulen ließen sich aber fast zu jedem prozessualen Problem Grundsätze formulieren, die als solche bezeichnet wurden, in der Sache jedoch recht speziell waren. Die spärliche, lückenhafte Gesetzgebung wurde so stückweise durch obiter dicta gefüllt.

bb) Ungehorsam des Klägers oder Beklagten in späteren Schriftsätzen In dem Rechtsstreit Rosenberg gegen Platzmann⁹⁴⁷, in dem der Kläger Platzmann seine Replik schuldig geblieben war, setzte sich das OAG mit dem Ungehorsam und dessen Folgen auseinander. Da hier der Kläger auf die Vernehmlassung des Beklagten nicht geantwortet hatte, wich der Fall von den üblichen ab. Meist blieb der Beklagte seine Einlassung schuldig. Das OG hatte mit Verweis auf einen

946 Wunderlich, Sl. 2, No 457, Unv. Wolff c. Philippson Testamentsvollstrecker (1863), S. 359, 360. 947 Bruhn, Sl. 1, No X, Rosenberg c. Platzmann (1821) S. 64–70.

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Grundsatz im prozessualen Verfahren in Lübeck entschieden, dass das, was nicht bestritten wurde, als zugestanden galt. Das OAG änderte dieses Erkenntnis ab. Dass ein Ungehorsam vorlag, wenn jemand nicht erscheine oder die ihm obliegende Handlung nicht vornehme, stellten die Richter mit einem knappen Verweis auf Justus Henning Böhmer⁹⁴⁸ fest. Was aber nun die Folgen dieses Ungehorsams waren, wurde ausgehend vom gemeinen Prozessrecht entwickelt. Nach Claproth, Grolmann und Danz sei der Kläger mit seiner Replik präkludiert. Von diesen Grundsätzen ergebe sich auch nach lübischem Partikularrecht keine Abweichung. Zwar könne nach § 13 der Lübecker Verordnung betreffend das Gerichtswesen vom 4. Mai 1814 das Ausbleiben der Antwort auf die Klage den Verlust der Sache nach sich ziehen. Durch grammatikalische und systematische Auslegung ermittelten die Richter aber, dass dies gerade nicht für das Ausbleiben der Replik gelte⁹⁴⁹. Überhaupt sei die litis contestatio von der Replik wesentlich verschieden. „Jene, die Antwort auf die Klage, ist die wichtigste Handlung im ganzen Processe und in wirklich streitigen Fällen ganz unentbehrlich, nicht blos, um eine Erklärung über die atsachen der Klage zu enthalten, sondern auch, um die Sache wahrhaft rechtshängig zu machen“⁹⁵⁰. Die Replik hingegen stelle lediglich eine Möglichkeit für den Kläger dar, bereits in der Klage geltend gemachte Punkte auszuführen oder zu ergänzen. Jedenfalls könne nicht so wie bei der Säumnis angenommen werden, dass der Kläger die vom Gegner bestrittenen Tatsachen einräume. Aus D. 50, 17, 142 und der Natur der Sache folge, „daß solche atsachen, um das Erkenntniß darauf gründen zu können, zuvor erwiesen werden müssen, wenn das Gesetz nicht ausdrücklich verordnet, daß sie in contumaciam für wahr angenommen werden sollen“⁹⁵¹. Aufgrund dieser Verschiedenheit von Einlassung und Replik gebiete die Rechtsgleichheit der Parteien vor Gericht gerade nicht die gleichen Rechtsfolgen bei deren Ausbleiben. Dementsprechend hätten andere Rechtsordnungen wie der neuere und ältere sächsische Prozess, auf den der lübische gründe, für diese verschiedenen Fälle unterschiedliche Rechtsfolgen vorgesehen. Und auch „neuere und neueste“ Prozessordnungen⁹⁵² ordneten verschiedene Rechtsfolgen an. Falls nun,

948 Justus Henning Böhmer (1674–1749), Professor und Geheimer Rat in Halle und Magdeburg, arbeitete insbesondere zum Kirchenrecht, zu den Pandekten und verfasste praktische Schriften, vgl. Hof, in: Niedersächsische Juristen, S. 41–45; Landau, in: Juristen, S. 93; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/1, S. 145–149. 949 Bruhn, Sl. 1, No X, Rosenberg c. Platzmann (1821), S. 64, 67. 950 Bruhn, Sl. 1, No X, Rosenberg c. Platzmann (1821), S. 64, 67, nach späterer Rechtsprechung (1866) für Rechtshängigkeit der Zeitpunkt der Insinuation der Klage maßgebend. 951 Bruhn, Sl. 1, No X, Rosenberg c. Platzmann (1821), S. 64, 68. 952 Markgrä iche badische Process-Ordnung von 1752 § 30, 51 und Martins Entwurf einer Verordnung über das Verfahren in Rechtsstreitigkeiten der sächsischen Häuser unter sich vor dem OAG Jena 1821 § 38, 39.

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wie es das OG angenommen hatte, ein Gerichtsgebrauch in Lübeck herrsche, dass als zugestanden gelte, was nicht allgemein oder speziell geleugnet sei, so müsse dies jedoch insoweit beschränkt werden, dass zwar geantwortet sei, einige Tatsachen aber stillschweigend übergangen worden seien⁹⁵³. Fehle aber gänzlich eine Antwort, wie im vorliegenden Fall, käme diese Maxime nicht zur Anwendung. Im Übrigen könne aus den vom Beklagten beigebrachten Urkunden gar nicht geschlussfolgert werden, was dieser vorgebe. Den Fall nahm das OAG zum Anlass, ausführlich auf den Unterschied zwischen nicht erfolgter Replik im Gegensatz zur litis contestatio einzugehen und die unterschiedlichen Folgen zu beleuchten. Obwohl die Beantwortung in dem zugrunde liegenden Fall nicht entscheidungserheblich war, klärten die Richter grundsätzlich den Unterschied. Dabei begann das Gericht mit dem gemeinen Recht und zog dann das lübische Partikularrecht heran. Das lübeckische Recht legten die Richter mit Hilfe anderer partikularer Rechtsordnungen aus. Dass dieses Partikularrecht anderer Staaten gar nicht galt, erwähnten die Richter nicht und stellten stattdessen heraus, dass der lübische auf dem sächsischen Prozess beruhte. Die anderen Rechtsordnungen dienten also zur vereinheitlichenden Rechtsauslegung. Demgegenüber kam dem lokalen Gerichtsgebrauch keine entscheidende Wirkung zu. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Richter den Grundsatz, dass das, was nicht bestritten ist, als zugestanden gilt, einer differenzierten Lösung unterzogen. So modi zierten sie zugunsten des Beklagten, dass zumindest irgendeine Antwort vorliegen müsse, in der Punkte unbeantwortet blieben. Die Fiktion des Geständnisses drängten sie zugunsten einer materiell richtigen Entscheidung zurück. Diese feinsinnige Unterscheidung entwickelten sie anhand neuerer territorialer Prozessordnungen, des gemeinen Rechts, der Natur der Sache und allgemeiner Rechtsgedanken wie der Rechtsgleichheit der Parteien. Durch diese Modizierung näherten sich die lübeckischen Ungehorsamsfolgen den gemeinrechtlichen an. Obwohl sich bei dem Ungehorsam zwei völlig verschiedene Prozesssysteme gegenüber standen, bevorzugte das OAG eine Lösung anhand beider Systeme gleichzeitig. Der gemeinrechtliche Prozess diente hier nicht nur zur Abgrenzung, sondern als Ausgangspunkt. Zunächst stellten die Richter die Folgen nach gemeinem Recht anhand von Lehrbüchern vor und fanden anschließend auch keine andere Regel im lübeckischen Prozess. Die unterschiedliche Behandlung des Ungehorsams nach gemeinem und sächsischem Recht, das als Paradebeispiel unterschiedlich ausgestalteter Prozesse gilt, wird auf dasselbe Ergebnis hingeführt. Dies

953 Bruhn, Sl. 1, No X, Rosenberg c. Platzmann (1821), S. 64, 69.

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zeigt den erheblichen Ein uss des gemeinen Prozesses ebenso wie das Bemühen der Richter, Recht zu vereinheitlichen. Der Weg zur Kodi kation des Prozesses war geebnet. In einer späteren Entscheidung von 1862 stellten die Richter fest, dass nach lübeckischem Recht die Tatsachen ebenfalls nicht als eingestanden galten, wenn lediglich die Duplik als spätere Prozesshandlung versäumt wurde⁹⁵⁴. Wunderlich fasste dies in einem Leitsatz treffend zusammen: „Das in Lübeck geltende sächsische Prinzip bejahender Einlassung im Fall einer Nichtbeantwortung von atumständen der Klage in der Vernehmlassung gilt nicht für die späteren Proceßschriften“⁹⁵⁵. Die sich andeutende, begrenzende Rechtsprechung zu der lübeckischen Besonderheit wird hier abermals bestätigt. Dieses Urteil zitierte dazu eine um Jahrzehnte früher ergangene Entscheidung. Bereits in einer Entscheidung von 1828 betonten die Richter, dass lediglich die Unterlassung der ersten Haupthandlung die poena confessi et convicti nach sich ziehe⁹⁵⁶. Dabei verwiesen die Richter auf Art. V, 4, 1 des lübeckischen Stadtrechts und auf § 13 der Lübecker Gerichts-Ordnung von 1814 und begründeten diese Beschränkung mit dem Wortlaut der Gerichts-Ordnung von 1814, die nicht von „Eingeständnis“, sondern von „Ausschließung“ spreche. Die spätere Entscheidung festigte diese Rechtsprechung. Die partikulare Gesetzgebung griff diese Rechtsprechung auf. Wunderlich wies in einer Fußnote darauf hin, dass diese Rechtsprechung mittlerweile in § 7 lübeckischen CPO von 1862 Niederschlag gefunden habe. Nach § 7 der lübeckischen CPO galt als eingestanden, was nicht in der „nächsten Erklärung“ bestimmt bestritten wurde.

d) Zusammenfassung Dem Grundsatz nach bestätigten die Richter die Gemeinsamkeit der lübeckischen mit den sächsischen Ungehorsamsfolgen. Die Tatsachen galten als zugestanden, wenn der Beklagte nicht auf die Klage reagierte, der Richter ermittelte nicht selbst. In Zweifelsfällen aber zogen die Richter die gemeinrechtlichen Grundsätze heran. Diese galten gemäß der strikten Interpretation also dennoch als Maßstab. Dies stärkte den Ein uss des gemeinen Prozesses und glich das lübeckische Recht dem gemeinen an. So galt bei Prozessschriften nach der Einlassung nicht mehr un-

954 Wunderlich, Sl. 2, No 437 A, Riesland c. Hammonia Güterp eger (1862), S. 288–298. 955 Wunderlich, Sl. 2, No 437 A, Riesland c. Hammonia Güterp eger (1862), S. 288, 289. 956 Bruhn, Sl. 1, No LXII, Wwe. v. Bahlen c. Nitzky (1828), S. 248, 249; der Rechtsstreit Bahlen c. Nitzki wurde nach erneuter Appellation vor dem OAG 1830 durch einen Vergleich beendet (AHL OAG L I 134).

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eingeschränkt, dass alles zugestanden werden sollte. Beide Parteien hatten zu diesem Zeitpunkt ihre unterschiedlichen Auffassungen bereits dargestellt, dies wurde nicht mehr durch Fiktionen zerstört. Die materiell richtige Entscheidung zogen die Richter hier einer schnellen Erledigung durch eine differenzierte Beurteilung der Ungehorsamsfolgen vor. Die Eigenart des lübeckischen Rechts wurde im Zweifel nicht unterstützt, sondern dem gemeinen Recht angenähert. Die Auslegung der partikularen Gesetze betrieben die Richter äußerst großzügig. Man kann sogar von gestaltender Rechtsanwendung sprechen. Um das partikulare Recht dem gemeinen anzunähern, zeigten sich die Richter sehr kreativ. Sie griffen auf die Natur der Sache, auf allgemeine Grundsätze wie die Rechtsgleichheit der Parteien und auf neuere Prozessordnungen anderer Territorien zurück. Durch eine Gesamtschau dieser unterschiedlichen Rechtsquellen fanden die OAG-Richter ihre entwickelten Grundsätze bestätigt. Insbesondere stützten sie ihr Ergebnis auf Zweckmäßigkeitserwägungen wie die schnelle Erledigung des Verfahrens. An der Rechtsprechung zur litis contestatio und insbesondere zu den Ungehorsamsfolgen wird der erhebliche Ein uss des gemeinen Rechts deutlich. So war in Zweifelsfällen oder bei Lücken das gemeine Recht ausschlaggebend. Das gemeine Recht nutzten die Richter, um das Prozessrecht zu vereinheitlichen. Die zitierten Lehrbücher zum gemeinen Recht sind der Pandektistik zuzuordnen. Diese hatte somit, genau wie von Schlinker vermutet, zumindest im Hinblick auf die Rechtsprechung des OAG einen erheblichen Ein uss auf die Rechtsanwendung. Die Richter bemühten sich um eine rechtsvereinheitlichende Rechtsanwendung. Eine völlig getrennte Darstellung der gemeinrechtlichen und territorialen Folgen des Ungehorsams wird daher der Rechtswirklichkeit nicht gerecht. Zwar bestanden diese Unterschiede prinzipiell, in Zweifelsfällen betrieb das OAG aber eine weite, zweckorientierte Auslegung des Partikularrechts zugunsten des gemeinen Rechts. Die litis contestatio hatte in der Rechtsprechung des OAG zunächst große Bedeutung. Anhand der Rechtsprechung zur Rechtshängigkeit lässt sich aber eine allmähliche Abwendung von diesem Institut erkennen. Während das Gericht 1821 noch die Einlassung als die Rechtshängigkeit begründend ansah, war 1866 die Insinuation der Klage als Zeitpunkt entscheidend. So verlor die litis contestatio nach und nach ihre Bedeutung.

II. Beweis Das Ergebnis der Beweisaufnahme klärt die Tatsachen für die rechtliche Würdigung durch den Richter, ist also die Grundlage der richterlichen Subsumtion. Zum Beweis nden sich im Gesamtinventar des OAG zahlreiche Entscheidun-

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gen, die freilich im Einzelnen höchst unterschiedliche Aspekte des Beweisrechts berühren. Oftmals rankt sich die Entscheidung um die Frage, ob Zeugen glaubwürdig oder zulässig sind, ob nun Reinigungs- oder Erfüllungseid aufzuerlegen ist oder um die Abgrenzung der einzelnen Beweismittel. Da vor dem OAG selbst keine Beweise erhoben wurden, sondern bei zulässigem neuen Vorbringen an die untere Instanz verwiesen wurde, nden sich in den Akten keine Hinweise über die Beweiserhebung selbst wie etwa Protokolle über Zeugenvernehmungen. Vielmehr beurteilten die Lübecker Richter die Ausführungen zum Beweisrecht ihrer Kollegen unterer Instanz.

1. Grundlegung zum gemeinen Beweisrecht a) Moderne rechtshistorische Forschung zur gemeinrechtlichen Beweistheorie und ihrer Überwindung Die rechtshistorische Forschung hat sich dem Beweisrecht in erster Linie unter dem Aspekt der späteren freien Beweiswürdigung gewidmet. Das 19. Jahrhundert ist auch hier durch einen Umbruch gekennzeichnet. Während bis zur Mitte des Jahrhunderts die sogenannte formale, legale oder gemeinrechtliche Beweistheorie⁹⁵⁷ das Beweisrecht prägte, schrieb die CPO 1879 die freie Beweiswürdigung durch den erkennenden Richter vor. Hier fand also eine Umkehrung der Prinzipien des durch Mittelbarkeit und starre Regeln gekennzeichneten älteren Verfahrens statt. Doch ob diese stilisierende Betrachtung des gemeinrechtlichen Beweissystems zutrifft oder ob die freie Beweiswürdigung sich nicht doch schon nach und nach unter dem Deckmantel der legalen Beweistheorie durchsetzen konnte, wird heute in der Forschung unterschiedlich bewertet. Inwieweit schränkte die legale Beweistheorie den Richter also tatsächlich ein? Zum Teil wird in der traditionelleren rechtshistorischen Forschung die starre Gebundenheit des Richters an die strengen Beweisregeln betont. Der Richter sei zum reinen Auszählen der Beweismittel genötigt gewesen⁹⁵⁸. Erst durch die

957 Die uneinheitliche Begrifflichkeit, die aber dieselbe eorie bezeichnet, verdeutlicht sich an folgenden Zitaten: Ahrens, Prozessreform, S. 29: „formelle Beweistheorie“ und S. 31: „Legaltheorie“ und „gesetzliche Beweistheorie“; Bergfeld, Zeugenbeweis, S. 145, 146: „gesetzliche Beweisregeln“; Deutsch, „Beweis“, in: HRG I, Sp. 559, 563: „formale Beweistheorie“; Dölemeyer, Zeugenbeweis, S. 91: „legale Beweistheorie“. 958 Lévy, Hiérarchie, S. 164 (zum 13. Jahrhundert).

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französische Entwicklung sei das Beweissystem auch in den deutschen Staaten „überwunden“ worden⁹⁵⁹. In der neueren Forschung gibt es zwei Ansätze. Zum einen wird die praktische Relevanz dieser Entwicklung in Frage gestellt⁹⁶⁰. Jedenfalls sei eine freie Beweiswürdigung am Reichskammergericht laut RKGO und JRA praktiziert worden. Die Möglichkeit, formlos Beweis zu erheben, habe die Bedeutung der legalen Beweistheorie in der Praxis zusätzlich geschwächt⁹⁶¹. Zum anderen ist der Umfang der Gebundenheit des Richters strittig. Die Diskussion über die modern formulierte und sehr schematische Frage nach der freien richterlichen Beweiswürdigung befasst sich mehr und mehr mit einer detaillierten Auswertung, an welcher Stelle des Prozesses der Richter die Beweise selbst bewerten durfte. So sei der Richter durch die legale Beweistheorie in der Würdigung von Beweisen zwar gebunden gewesen, dennoch durfte er sich an einigen Stellen des Beweisverfahrens auf seine eigene, aus der Situation erwachsende Beurteilung verlassen⁹⁶². Solche Einbruchstellen waren die Beurteilung, ob einem Beweismittel ein Beweiswert überhaupt zuzusprechen war⁹⁶³, ob dem Beweisführer der Erfüllungseid oder dem Gegner der Reinigungseid aufzuerlegen war⁹⁶⁴, wie Zeugenaussagen zu bewerten waren⁹⁶⁵ oder welche Bedeutung Indizien⁹⁶⁶ hatten. Die Erklärungsansätze dieser letzten Ansicht sind unterschiedlich. Dölemeyer sieht eine Öffnung des starren Beweisrechts im 19. Jahrhundert nicht als Folge der französischen Revolution, sondern als Folge naturrechtlichen Denkens und durch die partikulare Rechtspraxis veranlasst⁹⁶⁷. Obwohl sich die Rechtspraxis mit der bestehenden Rechtslage begnügen musste, sei die Praxis noch wichtiger

959 Cappelletti, Michigan Law Review, Volume 69 (1971), S. 847, 849; Engelmann, Procedure, S. 563; Kornblum, „Beweis“, in: HRG I, Sp. 401, 407; Lévy, Hiérarchie, S. 161–164. 960 Mit Verweis auf § 97 RKGO von 1570 und § 56 JRA: Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 317–321; Dick, Kameralprozess, S. 171. 961 Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 481. 962 Musielak, Beweislast, S. 266; Patermann, Entwicklung, S. 34, 44, Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 272–294, betont die Flexibilität des gemeinrechtlichen Beweisverfahrens und die Ermessensspielräume der Richter; mit dieser Betonung auch schon Endemann, Zivilprozeßrecht, § 182, S. 692 zum künstlichen Beweis, S. 693 wann welcher Noteid aufzuerlegen war. 963 Zur Beurteilung von Zeugenaussagen Dölemeyer, Zeugenbeweis, S. 91, 109. 964 Drosdeck, Beweisdoktrin, S. 113, 141; Roth, Richterliche Beweiswürdigung, in: HRG IV, Sp. 1047, 1050. 965 Oestmann, „Beweis“, in: Enzyklopädie der Neuzeit 2, Sp. 122, 126, verweist auf § 97 RKGO v 1570. 966 Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 226. 967 Dölemeyer, Zeugenbeweis, S. 91, 109.

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als die Lehre gewesen, die legale Beweistheorie zu schwächen⁹⁶⁸. Auch Drosdeck nimmt an, dass das freie richterliche Ermessen in der Literatur sowie in der Praxis während des 19. Jahrhunderts zugenommen hat. Er schreibt der hannoverschen Gesetzgebung dabei eine hohe Bedeutung zu. In der gerichtlichen Praxis sei diese Entwicklung insbesondere erkennbar an den Begriffen, die ihre Konturen verlören und damit ausfüllungsbedüftiger würden. Darunter elen insbesondere die Abgrenzung von Zulässigkeit und Glaubwürdigkeit von Zeugen, aber auch die Unterscheidung zwischen Parteieid, Eideshelfer, Zeugeneid und Eideszuschiebung⁹⁶⁹. Im Gegensatz zu dieser Annahme eines sich erst im 19. Jahrhundert entfaltenden richterlichen Ermessens sehen andere diese Spielräume schon weitaus früher angelegt. So sieht Lepsius erhebliche richterliche Spielräume bereits in der Lehre von Bartolus⁹⁷⁰. Schmoeckel geht darüber sogar hinaus. Er betont die Flexibilität des gemeinrechtlichen Beweisverfahrens, das er bereits in dem frühen gelehrten Verfahren nachweist⁹⁷¹. Die Flexibilität der Lehre für den Richter sei nicht nur eine Ausnahme oder eine Einbruchstelle, sondern sie sei der Lehre immanent. Damit erhebt er das Ermessen der Richter sogar zur Regel der gemeinrechtlichen eorie und kehrt damit das überkommene Verständnis der legalen Beweistheorie um. Diese unterschiedlichen Ansichten beruhen nicht zuletzt auf dem unklaren, bewertungsbedürftigen und durch die Diskussion im 19. Jahrhundert geprägten Begriff der freien Beweiswürdigung. Außerdem wählen die Rechtshistoriker verschiedene Darstellungsformen und setzen damit höchst unterschiedliche Akzente. Die erstgenannte Meinung, die die Starrheit des Systems betont, stellt dies in überblicksartigen Zusammenfassungen dar. Fasziniert von der knappen Ergebnisbildung beim Beweis, stützt sich diese eorie auf die Auswertung der Beweise. Diese Akzentuierung vermeiden hingegen die Vertreter, die detailgetreu nachzeichnen, an welchen Stellen das Verfahren tatsächlich keine solch vorgefertigte Wertung bot. Welche Grundströmung die legale Beweistheorie nun besser spiegelt, die Starrheit oder die Flexibilität, kann eine Auswertung einzelner Prozesse nicht zeigen. Nicht die Lehre als solche und wie diese treffend charakterisiert werden kann, steht hier im Mittelpunkt. Stattdessen sollen die Entscheidungsgründe des OAG Lübeck zeigen, wie die legale eorie in der Praxis des 19. Jahrhunderts angewendet

968 969 970 971

Dölemeyer, Zeugenbeweis, S. 91, 94. Drosdeck, Beweisdoktrin, S. 113, 123, 133. Lepsius, Zweifeln Überzeugung, S. 428. Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 272.

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wurde. Wie verstanden die Praktiker die eorie, bevor sie 1879 durch die CPO abgeschafft wurde? Wie übten die Richter dies in der Praxis aus? An welchen Stellen genau durfte der Richter nicht nur nach einem vorgegebenem Schema entscheiden? Inwieweit beein usste möglicherweise die Forderung nach einer freien Beweiswürdigung die Rechtsanwendung durch das OAG? Wenn man davon ausgeht, dass bereits nach der legalen Beweistheorie dem Richter an verschiedenen Punkten ein Ermessensspielraum zustand, der auch weiter ausgedehnt wurde, ging dann die Diskussion der Rechtspolitiker an der Wirklichkeit vorbei?

b)

Forderung nach freier Beweiswürdigung im 19. Jahrhundert

Zunächst soll die rechtspolitische Diskussion um die freie Beweiswürdigung in ihren Grundzügen nachvollzogen werden. Diese Diskussion bildet oftmals den Ausgangspunkt für die moderne Forschung. Die moderne Forschung knüpft stark an die durch die Reformdebatte geprägte Annahme an, dass die legale Beweistheorie den Richter zu streng binde und damit zu Ungerechtigkeiten führe. So bestimmt meist die Frage nach der Entwicklung hin zur freien Beweiswürdigung den Forschungsansatz. Schließlich bildete diese Diskussion den Hintergrund, vor dem die Lübecker Richter Beweise auferlegten und Beweisführungen bewerteten. Die mit Leidenschaft geführte Debatte kann den Richtern nicht verborgen geblieben sein. Haben sie sich ihr in der Beweisbewertung womöglich angeschlossen? Oder war die Diskussion eher Anlass, die überkommene Anwendung zu konservieren? Die Forderung nach freier Beweiswürdigung hat während das OAG bestand eine Entwicklung durchlaufen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterstützte die überwiegend juristische Literatur fast uneingeschränkt die gemeinrechtliche Beweisdoktrin. An die Gewissheit bzw. Wahrheit einer Behauptung knüpfte Weiske in seinem Rechtslexikon an⁹⁷². Langenbeck beschrieb den zivilprozessualen Beweis in seinem dreibändigen Werk über Beweis und Beweisverfahren folgendermaßen: „Beweis ist die Darlegung von Gründen, welche im Stande sind, dem Richter eine juristische Gewißheit in Ansehung solcher Tatsachen zu verschaffen, die den Ausgang des Rechtsstreits bestimmen und nach dem Stande der von den Parteien abgegebenen Erklärungen den processualen Grundsätzen gemäß als noch ungewiß anzusehen sind“⁹⁷³. Danach bezeichnete Beweis sowohl die Tätigkeit der Parteien, um den Richter zu

972 Weiske, „Beweis“, in: Rechtslexikon II, S. 108. 973 Langenbeck, Beweisführung I, I § 1, S. 2.

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überzeugen, als auch den Grund dieser Überzeugung. Langenbeck beschreibt das angestrebte Ziel ganz in der Terminologie seiner Zeit als „juristische Gewißheit“ und schränkt dadurch die erstrebte Wahrheit ein. Die Lehre erkannte damit die juristische Überzeugung als Ausdruck einer formalen Wahrheit an. Den Begriff der formalen Wahrheit hatte Möser⁹⁷⁴ 1786 geprägt⁹⁷⁵. Er hatte damit konkretisiert, wann der Beweis erbracht war. Maßgeblich sollte dazu die juristische Überzeugung des Richters sein. Die juristische Überzeugung war einerseits von der menschlichen (die heute im Wege der freien Beweiswürdigung angestrebt wird), andererseits von der mathematischen Überzeugung zu unterscheiden. Man war sich einig, dass die juristische Überzeugung nach festen Beweisregeln gewonnen werden musste. Ab Mitte des Jahrhunderts geriet dieser Gleichklang ins Wanken⁹⁷⁶. Preußen führte 1846 die freie Beweiswürdigung für den Strafprozess ein⁹⁷⁷. So diskutierten Rechtswissenschaftler, ob die freie Beweiswürdigung für den Zivilprozess übernommen werden sollte. Zunächst forderte Feuerbach, dass die Parteien bei der Zeugenbefragung anwesend sein müssten. Das Argument, dass der Zeuge nur in Abwesenheit von der Partei vernommen werden solle, um ihn nicht zu beein ussen, verhöhnte er. Dadurch solle nur die „Feigheit des Charakters“ begünstigt werden⁹⁷⁸. Insbesondere Wilhelm Endemann⁹⁷⁹ ist bedingungslos für eine freie Beweiswürdigung eingetreten. 1858 veröffentlichte er im Archiv für civilistische Praxis⁹⁸⁰ gleich zwei Aufsätze. Der erste Aufsatz griff die juristische Wahrheit als ein ungerechtes, oft inkonsequentes Ziel an. So werde mündig Gewordenen geglaubt, was sie bereits als Kinder erlebt, nicht jedoch den Kindern selbst, die doch aus viel frischerer Erinnerung schöpften⁹⁸¹. Die Erkenntnis der Wahrheit müsse inneren, logischen Gründen überlassen bleiben, denn Überzeugung sei ein innerer, lebendiger Vorgang und kein toter Begriff⁹⁸². Dabei räumte er ein, dass dies zuletzt an der Persönlichkeit des Richters hänge, jedoch müsse dieser eben seine logischen

974 Justus Möser (1720–1794), zu ihm Stintzing/Landsberg, Geschichte III/1, S. 496–498, der ihn als Vorläufer der historischen Schule einordnet; Welker, in: Niedersächsische Juristen, S. 64–73. 975 Möser, Patriotische Phantasien, Band 4, S. 110 ff. 976 Zu dieser Entwicklung ausführlich Patermann, Entwicklung. 977 Deutsch, „Beweis“, in: HRG I, Sp. 559, 565. 978 Feuerbach, Öffentlichkeit, S. 107. 979 Wilhelm Endemann (1825–1899); Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 952, beschreibt ihn als fortschrittlichen Verfechter des Prinzips der freien Beweiswürdigung. 980 Zu dieser Zeitschrift eingehend Rückert, Geschichtlich, S. 107, 146–182. 981 Endemann, AcP 41 (1858), S. 92, 103. 982 Endemann, AcP 41 (1858), S. 92, 110.

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Überlegungen begründen⁹⁸³. Heute wird übrigens auf die Begründung besonderen Wert gelegt. So ist von der Irrationalität der freien Beweiswürdigung⁹⁸⁴ die Rede, die nur durch den Zwang zur Begründung entschärft werde⁹⁸⁵. In seinem zweiten Aufsatz beschäftigte sich Endemann ebenfalls 1858 mit den Folgen der freien Beweiswürdigung⁹⁸⁶. Er zählte die Voraussetzungen für einen Richter auf und betonte die gleichmäßige Übung in der Rechtsprechung. Dabei ließ er nicht aus, anhand zahlreicher Bespiele gegen die praktizierte eorie zu wettern. So würde die Form der Beeidigung überbewertet⁹⁸⁷, die Beweissätze würden in Tradition an das Artikelverfahren⁹⁸⁸ viel zu wörtlich formuliert und festgelegt⁹⁸⁹ und beispielsweise der Sachverständigenbeweis würde zu einer schädlichen Formalität degradiert, wenn der Richter gezwungen werde, darauf zurückzugreifen⁹⁹⁰. Auch Busch⁹⁹¹ forderte die freie Beweiswürdigung. Die Inkonsequenz der bestehenden Regelung sei nicht vereinbar mit der richterlichen Würde und mache eine Änderung erforderlich. Busch stützte sich außerdem stark auf eine nötige Gleichstellung mit dem Strafprozess, der nun bereits die freie Beweiswürdigung kenne⁹⁹² und wies auf die hohe Zahl von Meineiden hin⁹⁹³. Diese radikale Abkehr von den bestehenden Regelungen provozierte eine Reihe von Verteidigern des bestehenden Systems. Gewichtige Argumente für die bestehenden Regelungen hatte bereits Weber⁹⁹⁴ formuliert, dessen Werk „Über die Verbindlichkeit zur Beweisführung im Civilprozeß“ noch 1845 herausgegeben wurde, und dessen Argumente später wiederholt wurden⁹⁹⁵. Weber sah die juristische Wahrheit und die durch die Gesetzgebung bestimmten Grenzen als uner-

983 Endemann, AcP 41 (1858), S. 92, 96. 984 Zur psychologischen Entscheidungs ndung aufgrund Alltagstheorien: Drosdeck, Beweisdoktrin, S. 113, 115. 985 So Nörr, Iudicium, S. 19. 986 Endemann, AcP 41 (1858), S. 289–345. 987 Endemann, AcP 41 (1858), S. 289, 292. 988 Dazu Oestmann, „Artikelprozess“, in: HRG I, Sp. 313, 314. 989 Endemann, AcP 41 (1858), S. 289, 299. 990 Endemann, AcP 41 (1858), S. 289, 322. 991 Ferdinand Benjamin Busch (1797–1876), Vizepräsident des Appellationsgerichts Eisenach, verfasste zahlreiche Artikel in der Zeitschrift AcP, zu ihm Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Noten, S. 273. 992 In Preußen wurde 1846 die freie Beweisführung für das Strafverfahren eingeführt. 993 Busch, AcP 37 (1854), S. 63, 69. 994 Adolf Dietrich Weber (1753–1817), Professor in Kiel und Rostock, naturrechtliche Werke in mehreren Au agen unter anderem zum Zivilprozess, vgl. Landsberg, ADB Bd. 41, S. 279–281. 995 Beispielsweise von Kroll, Beweiswürdigkeit, S. 28.

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lässliche Voraussetzung für die Gleichbehandlung der Bürger an. Denn den Richter leite „Leichtsinn, bald eine gutmüthige Denkungsart, bald Vorurtheil, persönlicher Haß, oder leidenschaftliche Zuneigung gegen diese oder jene Person, bald Mangel an Einsicht und Erfahrung“⁹⁹⁶. Dem Richter sollte also von seinen menschlichen Gefühlsregungen nicht der Blick auf die Wahrheit getrübt werden. Die objektiven Regeln, die eben die förmliche und nicht die persönliche Überzeugung hervorriefen, sah Weber als Garant für eine objektive, gerechte, da gleichbehandelnde Rechtsp ege an. Die Diskussion der Bewahrer des legalen Beweissystems und der Reformer rankte sich letztendlich also um die Frage, ob die Wahrheit besser anhand fester Regeln gefunden werden könne oder ob die Wirklichkeit so vielfältig und unvorhersehbar sei, dass feste Regeln die Wahrheit gar nicht ermitteln könnten. Konnten also gesetzliche Regeln den Einzelfall hinreichend berücksichtigen oder führte nur die menschliche Logik zu einem gerechten Ergebnis? War der Richter ein zu leicht manipulierbares Wesen oder eine wichtige menschliche Komponente im Verfahren? Jedenfalls versuchten beide Ansichten, der materiellen Wahrheit größtmögliche Entfaltung zu gewähren. Nur die Frage, wie die Überzeugung von der Wahrheit verlässlicher gefunden werden konnte, wurde unterschiedlich beantwortet. Die Frage nach den Prinzipien der Wahrheits ndung ist letztlich eine philosophische Frage, die die Praxis so nicht stellen konnte. Neben den radikalen Positionen gab es aber auch Ansätze, die der Praxis näher kamen, weil sie sich an die legale Beweistheorie gebunden fühlten. Wetzell betonte, dass bereits nach legaler Beweistheorie dem Richter ein weiter Ermessensspielraum zustehe. An festen Beweisregeln gebe es im Grunde nur den der Gewichtung von Zeugenaussagen⁹⁹⁷. War die rechtspolitische Diskussion damit eine Schein-Diskussion, die die Wirklichkeit aus dem Blick verloren hatte? Hatte sich die freie Beweiswürdigung unter dem Deckmantel der legalen Beweistheorie also bereits durchgesetzt? Manche lehnten nicht ausnahmslos alle festen Beweisregeln ab. Sie betonten, dass in einigen Bereichen ohnehin Ermessen des Richters bestehe wie bei der Bescheinigung oder dem Beweiswert von Beweismitteln abgesehen vom Zeugenbeweis⁹⁹⁸. Eine umfassende richterliche Gewalt, wie sie die freie Beweiswürdigung bewirken würde, wurde als unzulässige Einschränkung der bürgerlichen Freiheit gewertet, die sich im Prozess in der Verhandlungsmaxime ausdrücke⁹⁹⁹. Ähn-

996 997 998 999

Weber, Beweisführung, S. 7. Wetzell, System, § 26, S. 279. Kroll, Beweiswürdigkeit, S. 12. Kroll, Beweiswürdigkeit, S. 28, 30.

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lich argumentierte Wach. Er stellte sich 1896, also bereits nach Inkrafttreten der CPO, vehement gegen das Ziel der materiellen Wahrheitsermittlung für den Zivilprozess. Die formelle Wahrheit hielt er in konsequenter Anwendung der Verhandlungsmaxime für erforderlich¹⁰⁰⁰. Die freie Forschung sei dem Richter durch die Gesetze nicht gestattet, denn der Staat dürfe nicht in fremde Privatinteressen eingreifen¹⁰⁰¹. Bei dieser Argumentation zeigt sich erneut der hohe Stellenwert der Verhandlungsmaxime. Auch das OAG betonte im Zusammenhang mit der Beweiserhebung die Verhandlungsmaxime. So wiesen die OAG-Richter im Zusammenhang mit der Zulassung eines Sachverständigen auf die Verhandlungsmaxime als einen für das deutsche Verfahren wesentlichen prozessualen Grundsatz hin. Selbst wenn der Richter meine, genügend unterrichtet zu sein, hätte er auf den Antrag einer Partei hin Zeugen zum Beweis zuzulassen¹⁰⁰². Die Verhandlungsmaxime nahm einen höheren Rang ein als die Schnelligkeit des Verfahrens. Die richterliche Erkenntnis sollte die Parteien möglichst wenig beschränken und diente dazu, den notwendigen Schluss aus den Beweismitteln, die die Parteien gewählt hatten, zu folgern.

c)

Die Überzeugungsbildung des Richters – Ein Blick in die Akten

„Nimmt man den Totaleindruck aller dieser Momente zusammen, und macht man sich dahin von den formalistischen Fesseln los, in welche man die Frage von dem Daseyn einer Ueberzeugung des Richters gegen die gesetzlichen Vorschriften oft ganz willkührlich einzwängt, so muß man den Beweis des Daseyns der Societät für hinreichend geführt anerachten“¹⁰⁰³. Liest man alleine diese Stelle des bereits 1826 ergangenen Urteils, könnte man annehmen, dass das OAG bereits lange vor Inkrafttreten der CPO und der Forderungen der Reformer die freie richterliche Beweiswürdigung anwandte. Es ist von einem Totaleindruck¹⁰⁰⁴ die Rede statt von einzelnen Beweismitteln, die erst gemeinsam zu einem Beweis erwachsen. Die Richter übten hier rigide Kritik an den Gesetzen und sprachen sogar von Willkür, um ihren Missmut über die bestehende Gesetzeslage auszudrücken. Waren die Richter damit gar nicht so neutral

Böhm, Ius Commune 7 (1978), 136, 151. Wach, Vorträge, S. 199. Bruhn, Sl. 2, No XXVIII, Lüders c. Beckenschläger (1837), S. 230–238. AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt (1826) Q 14, p. 7 der Entscheidungsgründe; zum Sachverhalt vgl. obiges Beispiel zu Entscheidungssammlungen: 1. Hauptteil C. I. 3. b) bb). 1004 Savigny, System I, S. 92, sprach abwertend vom verworrenem Totaleindruck in Bezug auf allgemeine richterliche Rechts ndung. 1000 1001 1002 1003

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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gegenüber politischen Erwartungshaltungen?¹⁰⁰⁵ Allein 1826 existierten diese Erwartungshaltungen noch gar nicht. Die Reformdebatte setzte erst um Jahrzehnte später an. Waren die Richter also fortschrittliche Forderer nach neuen gesetzlichen Regelungen? Trotz dieser bemerkenswerten Kritik, die den Überdruss der Richter gegen den angeblichen Zwang zu einer Tatsachenfeststellung deutlich illustriert, ist nicht davon auszugehen, dass sie sich der legalen Beweistheorie grundsätzlich widersetzten. Diese Stelle aus der Entscheidungsbegründung bezog sich darauf, dass das Verlangen der Appellantin, den Reinigungseid leisten zu dürfen, abgelehnt wurde. Der Appellat hatte drei Zeugen benannt, die Appellantin dagegen drei Urkunden, deren Echtheit zweifelhaft war. Drei von vier Sachverständigen hatten nämlich die Echtheit der Urkunden angezweifelt. Darauf hin hatte der Appellat einen Diffessionseid¹⁰⁰⁶ geleistet, der einer Urkunde jeden Beweiswert nahm. Das OAG, das in dem Verlangen der Appellantin ausdrücklich Zu ucht zur Rechtserschleichung sah, nahm den Beweis bereits als geführt an, ohne auf eine schematische Kollisionsregel von Beweismitteln¹⁰⁰⁷ einzugehen. Hier wird der Zusammenhang der legalen Beweistheorie mit den Wahrheitseiden besonders deutlich. Das Gericht nahm an dieser Stelle eine Wertung vor, keinen Reinigungseid zuzulassen. Die Noteide wie auch der Diffessionseid sind Zeugnis dafür, dass das OAG nach der legalen Beweistheorie verfuhr¹⁰⁰⁸. Diese deutliche Ablehnung der „formalistischen¹⁰⁰⁹ Fesseln“, die im Angesicht einer versuchten Rechtserschleichung getroffen wurde, darf also nicht als exemplarisch für die Beweiswürdigung des OAG herhalten. Doch zeigt die Aussage die Skepsis der Richter gegenüber der legalen Beweistheorie und als deren Folge einer zu formalen Wahrheits ndung. Außerdem scheuten sie hier keine rechtspolitische Kritik in den Entscheidungsgründen. Auch andere Absätze in deutlich späteren Entscheidungsbegründungen lassen aufhorchen. So stellte das OAG nicht auf die sonst so allgemein als Ziel eines Beweisverfahrens formulierte formelle Wahrheit ab, sondern betonte die materi-

1005 So aber Luig, „Pandektenwissenschaft“, in: HRG III, Sp. 1422, 1424. 1006 Der Diffessionseid belegte die Echtheit einer Urkunde, vgl. Bluhme, System, § 669, S. 542. 1007 Diese bot beispielsweise Linde, Lehrbuch, § 321, S. 401, 402, an: Danach haben Zeugen und Urkunden in der Regel den gleichen Beweiswert, es sei denn es handele sich um öffentliche Urkunden. Zeugen könnten außerdem eine Urkunde entkräften. 1008 Einen ausdrücklichen Hinweis auf die gesetzliche Beweistheorie enthalten die Entscheidungsgründe selten, so aber beispielsweise in Kierulff, Bd. 3, No 105, Wölper c. Brander (1867), S. 834, 839. In der Entscheidung wird ein Verstoß gegen diese eorie abgelehnt, weil hier nicht erst die vollständige Beweiserhebung abzuwarten gewesen sei, da sowieso erst ein Beweisurteil erlassen wurde. 1009 Zu dem Begriff „formalistisch“: Münch, Richtermacht und Formalismus, S. 55, 59–69.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

elle Wahrheit als Grundsatz. In einem Nebensatz heißt es dazu: „Die materielle Wahrheit kann nur Eine sein, und sie ist auch im Civilprozesse (nach dem Grundsatz, daß der Beweis dem Richter geliefert werde) überall da entscheidend, wo nicht specielle gesetzliche Regeln oder die Dispositionsbefugniß der Parteien eine Beschränkung herbeiführen“¹⁰¹⁰. Materielle contra formelle Wahrheit waren Grundfesten, die nicht nur zum Beweisrecht erörtert wurden. Seit Möser an das förmliche Recht anknüpfte und anschließend Almendingen¹⁰¹¹ ebenfalls die formelle Wahrheit als Ziel des Verfahrens herausstellte¹⁰¹², waren die Gegensätze formelle und materielle Wahrheit, förmliches und wirkliches Recht beliebte Argumente¹⁰¹³. In der Gesetzeskommission zur CPO konnte Wilhelm Endemann sich nicht durchsetzen, die materielle Wahrheit neben der formellen im Gesetz zu etablieren¹⁰¹⁴. Im Gegensatz dazu scheint die Praxis für diese Forderung sehr empfänglich gewesen zu sein. In einem späten Urteil von 1878 sprachen die Richter von einem „oft selbst von richterlichem Ermessen nicht unabhängigen Beurtheilungen eines Bescheinigungsoder Beweisverfahrens“¹⁰¹⁵. Zwar bezog sich dieser Ausspruch lediglich darauf, ob die erforderliche Appellationssumme erreicht war, aber die Stelle zeigt dennoch, dass sich die Richter bewusst waren, trotz legaler Beweistheorie einen Ermessensspielraum zu besitzen. Doch was war nun exemplarisch in der Lübecker Rechtsprechung zu der Überzeugungsbildung? Wie wurde die legale Beweistheorie in der Praxis angewandt? Eine zielgerichtete Suche in den Akten, wie die Überzeugung gewonnen werden sollte, kann zu falschen Schlussfolgerungen führen. Denn diese einzelnen, oben dargestellten Aussprüche lassen zunächst eine radikale Umkehr der legalen Beweistheorie vermuten. Andere Stellen aus den Entscheidungsgründen zeichnen hingegen ein anderes Bild. So verfuhren die Richter in der Regel nach der legalen Beweistheorie. Damit nicht vorschnell ein falsches Bild der Rechtsprechung des OAG entsteht, emp ehlt sich daher, jeden Schritt bis zur juristischen Überzeugung darzustellen. Die Rechtsprechung des OAG soll hier so gesichtet werden,

1010 Kierulff, Bd. 3, No 49, Cur. Bon. Bergmann c. Bergmann (1867), S. 402, 411; zu dieser Entscheidung ausführlich unten unter Vermutungen: Zweiter Hauptteil B. II. c) cc). 1011 Ludwig Harscher von Almendingen (1766–1827), tätig in der Wissenschaft, bei Gesetzgebungsarbeiten und als Richter, trat für eine liberale Umgestaltung des Zivilprozessrechts ein, zu ihm: Struck, NDB Bd. 1, S. 204. 1012 Almendingen, Metaphysik, S. 55; dazu Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 153. 1013 Dazu Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 237, 238. 1014 Dazu Stintzing/Landsberg, Geschichte III/2, Text, S. 952. 1015 AHL OAG L I 699 Pitzschky & Co und W. Jordan c. Finanz-Department Lübeck (1878) Q 10 Entscheidungsgründe, p. 7.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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dass sich der Verfahrensgang nachzeichnet, an dessen Schluss der volle Beweis, die juristische Überzeugung stand. Die Partei hatte verschiedene Urteile, gegen die sie appellieren konnte. Zunächst konnte sie sich gegen das Beweisinterlokut wenden, das ihr aufgab, was sie zu beweisen hatte. Das nächste Urteil, gegen das sich die Partei richten konnte, betraf regelmäßig das Ergebnis des Beweisverfahrens. Ob diese Zweiteilung des erstinstanzlichen Verfahrens immer streng durchgehalten wurde, soll das folgende Kapitel untersuchen. Dem chronologischen Ablauf eines Verfahrens gemäß wird anschließend die Rechtsprechung zum ersten Verfahren, das mit dem Beweisinterlokut schloss, untersucht, danach das Beweisverfahren. Die gemeinrechtliche Literatur dient dabei als Vergleichsmaßstab für die Rechtsprechung.

2. Grundsätzliche Zweiteilung des Verfahrens erster Instanz Das Verfahren bis zum Urteil war bereits in erster Instanz in der Regel zweigeteilt. Der erste Abschnitt endete sofern Tatsachen strittig blieben, mit einem Beweisinterlokut, das die zu beweisenden Tatsachen formulierte und die Beweislast regelte. Der mögliche zweite Abschnitt, das Beweisverfahren¹⁰¹⁶, endete mit dem Endurteil. Das förmliche Beweisverfahren konnte vor eine Beweiskommission, der nicht der erkennende Richter angehörte, ausgelagert werden. Es gab also kein unmittelbares Beweisverfahren; der erkennende Richter musste nicht unbedingt bei der Beweiserhebung gegenwärtig sein. Einen Unmittelbarkeitsgrundsatz wie heute gab es also nicht. Als Ausnahmen zu dieser grundsätzlichen Zweiteilung kannte der gemeine Prozess die formlose und die antizipierte Beweisführung. Neben dem förmlichen Beweisverfahren war eine formlose Beweisführung durch die Parteien möglich¹⁰¹⁷. Diese formlose Beweisführung erfolgte ohne Anordnung des Richters freiwillig durch die Parteien bereits im ersten Verfahrensabschnitt¹⁰¹⁸. In einem Fall gingen die OAG-Richter kurz auf diese Möglichkeit ein. Der Kläger hatte bereits im ersten Verfahren Präjudizien angeführt, um ein Gewohnheitsrecht zu beweisen. Dennoch verwiesen die Richter ihn auf das „ordentliche Beweisverfahren“. Gelinge der Beweis nicht, sei nämlich dem Beklagten die Möglichkeit zum Gegenbeweis zu geben¹⁰¹⁹. Hier stellten die Richter die Bedeutung des zweige-

1016 Wetzell, System, § 71 Fn 41, S. 975. 1017 Auf die formlose Beweisführung weist Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 480, 676, hin. 1018 Zu dieser Möglichkeit äußerte sich Planck ablehnend, Beweisurtheil, S. 362, da sie Zeit klaue und die Parteien, bliebe etwas streitig, doch noch ein Beweisurteil forderten. 1019 Bruhn, Sl. 2, No XV, Dillner c. Drevsen (1834), S. 120, 124.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

teilten Verfahrens heraus. Das anschließende Beweisverfahren sollte die Rechte des Beweisgegners sichern, dem nach misslungenem Beweis die Gelegenheit zum Gegenbeweis zu geben war. Bei dem OAG Lübeck spielte die erst genannte, förmliche Beweisführung aufgrund des zu überprüfenden Interlokuts eine Rolle. Von dieser formlosen Beweisführung war die antizipierte Beweisführung zu unterscheiden. Die antizipierte Beweisführung bildete eine Ausnahme zu der grundsätzlichen Trennung der beiden Verfahrensabschnitte¹⁰²⁰. Bereits im ersten Verfahren konnten die Parteien den wenig Zeit kostenden Urkundenbeweis¹⁰²¹ erbringen und damit bei Gelingen den Erlass eines Beweisinterlokuts über üssig machen. In einer Entscheidung erwähnte das OAG diese Möglichkeit „anticipando verfrühten“ Beweis anzutreten¹⁰²². Da die Richter den Beweis aber noch nicht durch ein einziges Gutachten eines Sachverständigen für gelungen hielten, verwiesen sie den Kläger auf einen echten Beweisantritt. Die Zweiteilung des Verfahrens sah das OAG nicht als unumstößlichen Verfahrensgrundsatz an. Aufgrund einer Appellation gegen ein handelsrechtliches hamburgisches Erkenntnis, hatte sich das OAG mit der Frage zu befassen, ob eine Appellation gerechtfertigt war, wenn diese Zweiteilung nicht eingehalten wurde¹⁰²³. Der Appellant Brander, Kapitän des Schiffes „Berlin“, hatte bemängelt, dass das Handelsgericht statt eines Beweisinterlokuts eine Verfügung erlassen hatte, die dem gemeinen Recht so gar nicht entspreche. Die Verfügung zog die Schifferalten zur Verhandlung hinzu, um die Sachverhandlung, also das erste Verfahren, zu wiederholen, gab aber gleichzeitig den Parteien auf, den Beweis nun anzutreten. Die Richter des Handelsgerichts hatten sich allein offenbar nicht in der Lage gesehen, die speziellen Seegegebenheiten zu beurteilen. Schifferalte sollten als Beisitzer bei der Entscheidungs ndung helfen. Dem Streit war eine Anseglung, eine Schiffskollision, vorangegangen. In einer Julinacht war das Schiff der Kläger durch das englische Dampfboot „Berlin“ übersegelt worden. Schiff und Ladung waren dabei stark beschädigt worden. Nun stritt man, wer schuld sei an dem Unfall. Die Kläger meinten, die „Berlin“ hätte ausweichen müssen. Der beklagte Kapitän setzte dem entgegen, dass das andere Schiff nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Lichter gezeigt habe, hilfsweise, dass er nicht mehr hätte ausweichen können. Die vom

1020 Dazu Planck, Beweisurtheil, S. 357–362. 1021 In der gemeinrechtlichen Lehre war strittig, ob nur der Urkundenbeweis (so Mittermaier, AcP 1 (1818), S. 120, 124; Martin, Lehrbuch, S. 147; Planck, Beweisurtheil, S. 359) oder grundsätzlich alle Beweismittel (so Linde, Lehrbuch, § 194 Fn 2, S. 255; Renaud, § 147, S. 421, der auf neuere Prozessordnungen verwies) antizipiert zulässig waren. 1022 AHL OAG L I 208 Älteste des Hauszimmerleuteamts Lübeck c. Luetgens im Beistand der Ältesten des Tischleramtes Lübeck (1836) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 10. 1023 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 105, Wölper c. Brander (1867), S. 834–839.

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Handelsgericht erlassene Verfügung schloss weder das erste Verfahren ab, denn die Sachverhandlung sollte ja gerade weitergeführt werden. Noch beschränkte sie sich auf diese Regelung, da sie gleichzeitig die Beweisantretung durch die Parteien anordnete. Damit erließen die unterinstanzlichen Richter eine Verfügung, die das gemeine Prozessrecht nicht vorsah. Die OAG-Richter bemerkten dazu: „Eine solche Ordnung des Verfahrens widerspricht sicherlich der gemeinrechtlich feststehenden Reihenfolge der processualischen Handlungen“¹⁰²⁴. Dennoch begründe dies keinen Nichtigkeitsgrund, denn die Parteien hätten dieses unregelmäßige Vorgehen als Grundlage des weiteren Verfahrens anerkannt. An dieser Entscheidung zeigt sich, wie exibel und vielfältig das unterinstanzliche Verfahren ausgestaltet werden konnte. Obwohl diese „Vermischung des ersten und des sogenannten Beweisverfahrens“¹⁰²⁵ der gemeinrechtlichen Ordnung widersprach, ließen die OAG-Richter eine solche Verfügung zu. Sie begründeten ihre Entscheidung mit der Verhandlungsmaxime, obwohl sie diese nicht ausdrücklich nannten. Zwar beschwere sich jetzt eine Partei darüber, dass die Zweiteilung nicht gewahrt sei, in der ersten Appellation an das OG sei dies aber hingenommen und damit bestätigt worden. So habe sich der Beklagte nicht über die Ordnung des Verfahrens beschwert. Stattdessen hatte sich der Beklagte vielmehr zu eigen gemacht, dass noch nicht de nitiv darüber entschieden worden war, wer was zu beweisen habe. Auf diese „von den Parteien nicht angefochtene, unregelmäßige Procedur“¹⁰²⁶ konnte die Appellation daher nicht gestützt werden. Die Parteiherrschaft über das Verfahren verdrängte damit die feststehende, gemeinrechtliche Reihenfolge. Die Verhandlungsmaxime überlagerte das Eventualprinzip. Ausdrücklich betonten die Richter damit, dass das Verfahren den Parteien diente und diese darüber disponieren konnten. Das gemeinrechtliche Prozessrecht, das oft als starr und formalistisch stilisiert wird¹⁰²⁷, zeigt sich hier als anpassungsfähig und zweckmäßig handhabbar. Beide Urteile, Beweisinterlokut und Endurteil, waren in praxi appellabel¹⁰²⁸. Daneben wurden aber auch andere richterliche Verfügungen mit der Appellation

1024 1025 1026 1027

Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 105, Wölper c. Brander (1867), S. 834, 837. Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 105, Wölper c. Brander (1867), S. 834, 837. Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 105, Wölper c. Brander (1867), S. 834, 838. Wesener, „Prozeßverschleppung“, in: HRG IV, Sp. 68, führt die Prozessverschleppung des gemeinen Prozesses auf zu starke Reglementierung zurück. 1028 Ausführlich Wetzell, System § 51 Fn 40, S. 661, 662 mit weiteren Nachweisen.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

angegriffen. Häu g ist in den Entscheidungsgründen von „Incidentpuncten“¹⁰²⁹ oder „Nebenfragen“, die nun nur erörtert werden dürften, die Rede. So stritt man in einem „Incidentverfahren“ ausschließlich um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen¹⁰³⁰. Nur für diese Frage waren eigenständige Beweise erhoben worden. Daher beschäftigte sich das OAG häu g mit demselben Rechtsstreit mehrmals. Manchmal klärte das OAG nur einzelne Rechtsfragen. Darin lag ein erheblicher praktischer Nachteil des Prozessrechts. Die Parteien konnten so zahlreiche Appellationen anstrengen, so dass der Abschluss des Verfahrens hinausgezögert wurde und mit ihm die Rechtsverwirklichung. Die vielen Appellationen bargen also eine Missbrauchsgefahr. Dies bedeutete außerdem, dass derselbe Rechtsstreit in verschiedenen Instanzen gleichzeitig rechtshängig sein konnte. So ist in den Gravamina von gleichzeitigen Vergleichsbemühungen in allen Instanzen die Rede¹⁰³¹.

3. Erstes Verfahren und Beweisinterlokut Das Beweisinterlokut sollte den Beweissatz enthalten, also die Tatsachen, die eines Beweises bedurften, die Beweislast und bestimmen, in welcher Frist der Beweis anzutreten war¹⁰³². Damit bildete das Beweisinterlokut zum einen den Abschluss des ersten Verfahrensabschnitts, in dem die Parteien Tatsachen behaupteten¹⁰³³, zum anderen zeichnete es den weiteren Ablauf des Beweisverfahrens vor, in dem der Richter den Parteien die für ihr Obsiegen nötigen Handlungen in Aussicht stellte. Die neuere rechtshistorische Literatur beurteilt das Beweisinterlokut äußerst kritisch, da es den erstrebten Zweck, das Gerichtsverfahren zu beschleunigen und übersichtlicher zu gestalten, verfehlt habe. Im Gegenteil: Aufgrund der Appellabilität des Beweisinterlokuts habe ein Zivilprozess im Durchschnitt neun bis zehn Jahre gedauert. Hinzu käme, dass aus „Sportel- und Prestigesucht der Anwälte“ oftmals missbräuchlich gegen ein Interlokut appelliert würde¹⁰³⁴.

1029 Wetzell, System, § 64 Fn 82, S. 875, führte zu den Inzidentpunkten aus, dass diese seit dem Mittelalter bekannt seien. Es handle sich um Rechtsfragen, die im Laufe des Verfahrens auftauchten und die von der Sache im Ganzen getrennt würden. Er problematisierte die Rechtskraftfähigkeit der darauf ergangenen Entscheidungen. 1030 AHL OAG L I 643 Krause c. Fedder (1874) Q 14 Urtheil; zwei Jahre später erging zwischen den Parteien in der gleichen Streitigkeit erneut ein Urteil zu einer anderen Rechtsfrage: AHL OAG L I 668, Krause c. Fedder (1876). 1031 AHL OAG L I 548 Crusen c. Behn & Sohn (1866), in Q 1 Gravamina erwähnte Crusen die „in allen Instanzen angestrebte gütliche Einigung“. 1032 Linde, Lehrbuch, § 239, S. 302. 1033 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 157, S. 598. 1034 Engel, Beweisinterlokut, S. 94, 97.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Diese Kritik knüpft an die Äußerungen der Zeitgenossen an¹⁰³⁵. Allerdings richtete sich diese Kritik nicht gegen das Interlokut im Allgemeinen¹⁰³⁶, sondern bemängelte insbesondere, dass Interlokute überprüfbar waren. In der Mitte des Jahrhunderts nahm die Kritik an der bedingungslosen Appellabilität von Interlokuten zu. Pape und Hassenp ug¹⁰³⁷, die das Interlokut als richterliche Verfügung kategorisierten, wie es dem heutigen Beweisbeschluss entspricht, veröffentlichten 1847 bzw. 1845 ihre Schriften. Aber schon davor war Kritik geäußert worden an der uneingeschränkten Appellabilität, die insbesondere dem kanonischen Recht entsprach¹⁰³⁸. Gönner forderte bereits 1820, keine Appellation gegen Interlokute zuzulassen¹⁰³⁹. Er sah in ihnen das größte Übel des Prozesses, aus dem Prozessverlängerungen, Überlastung der Gerichte und die hohen Kosten für die Rechtshilfe resultierte. Diese zeitgenössische Kritik teilte das OAG in seiner Rechtsprechung nicht. Es überprüfte Interlokute. Teilweise zogen sich einige Prozesse durch zahlreiche Appellationen sehr in die Länge. Der Großteil der Prozesse beschäftigte das OAG aber kein zweites Mal. Allerdings versuchte das OAG die Rechtskraft der Interlokute weit zu fassen. Wurde gegen das Interlokut nicht appelliert, hatte dies bereits Bindungswirkung für die Endentscheidung. Bevor auf den Inhalt eines Beweisinterlokuts näher eingegangen wird, wird daher zunächst dessen Appellabilität und der Umfang seiner Rechtskraft untersucht.

a)

Rechtsnatur und Appellabilität des Beweisinterlokuts

Die Rechtsprechungspraxis des OAG überprüfte Beweisinterlokute¹⁰⁴⁰. Rechtsnatur und Appellabilität waren in der Literatur hingegen nicht unumstritten. Zwar ging die überwiegende Ansicht davon aus, dass ein Beweisinterlokut ein

1035 Bar, Recht, S. 49: „Durch Nichts p egen die Acten so anzuschwellen als durch (...) Zwischenappellationen“; Mittermaier, Prozeß Vergleichung 2, S. 142; dazu Ahrens, Prozessreform, S. 26. 1036 Zwar wirft Planck, Beweisurtheil, S. 228, die Frage nach der Notwendigkeit des Beweisurteils auf, bejaht sie aber uneingeschränkt. 1037 Hans Daniel Ludwig Friedrich Hassenp ug (1774–1864), kurhessischer Staatsminister, habe durch seine partikular-reaktionistische Politik dem Zusammenbruch Kurhessens Vorschub geleistet, vgl. Franz, NDB Bd. 8, S. 46, 47. 1038 Weitzel, „Appellation“, in: HRG I, Sp. 268, 270. 1039 Gönner, Verbesserungen Gerichtsordnung, S. 219. 1040 Beispielsweise AHL OAG L I 128, L I 163; Kierulff, Bd. 1, No 33, Bosse c. Kasch (1865); dies entsprach der Praxis der übrigen OAG, vgl. OAG München, Seufferts Archiv, Bd. 1 (1829), No 18; OAG Jena, Seufferts Archiv, Bd. 1 (1829), No 58.

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Urteil und dementsprechend appellabel sei¹⁰⁴¹, es wurde jedoch auch vertreten, dass das Beweisinterlokut die Rechtsnatur einer prozessleitenden Verfügung habe und daher nicht mit der Appellation angefochten werden könne¹⁰⁴². Die Begründungsansätze waren höchst unterschiedlich und argumentierten anhand verschiedener Rechtsquellen. Die stark vertretene Ansicht, die Appellationen gegen Interlokute zulassen wollte, argumentierte mit dem kanonischen Recht und den Reichsgesetzen. Gensler¹⁰⁴³ nahm auf das kanonische Recht Bezug, das nicht begründe, dass das Beweisinterlokut eine Verfügung sei, denn die in Frage stehende Stelle spreche gar nicht von Beweisinterlokuten, sondern von Einreden¹⁰⁴⁴. Auch der JRA von 1654 lasse in § 40¹⁰⁴⁵ keinen anderen Schluss zu¹⁰⁴⁶. Gönner zog die RKGO  3 Tit 31¹⁰⁴⁷ und den JRA § 58 heran, die sich bewusst vom römischen Recht abgewandt hätten und unbeschränkt Appellationen gegen Beweisinterlokute zuließen¹⁰⁴⁸. Die Ansicht, die keine Appellation gegen Beweisurteile zulassen wollte, argumentierte mit dem römischen Recht¹⁰⁴⁹. Pape unterschied die Rechtsnatur des Beweisinterlokuts¹⁰⁵⁰. Er sah die Frage, welche Tatsachen bewiesen werden müssten, als eine Verfügung und lediglich die Rechtsfragen als bedingtes Endurteil an, sofern solche enthalten seien. Er differenzierte also, welche Wirkung der Beweis entfaltete. Er folgerte aber nicht, dass das Beweisinterlokut zwingend appellabel sei. Dem Zweck des Beweisinterlokuts, nämlich das Verfahren übersichtlich zu gliedern und damit den Rechtsstreit möglichst schnell zu beenden, widerspreche es, eine kosten- und zeitaufwendige Appellation, die nicht selten durch Anwälte missbraucht werde, zuzulassen. Da er der Rechtskraft des Beweisinterlokuts keine

1041 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 157, S. 599; Gönner, Handbuch III, S. 322; Linde, Lehrbuch, § 399, S. 497; Planck, Beweisurtheil, S. 300 ff.; Wetzell, System, § 51 Fn 40, S. 662. 1042 Hassenp ug, Schriften, S. 82; Pape, AcP 30 (1847), 107, 132 ff. 1043 Johann Kaspar Gensler (1767–1821), auch Genßler geschrieben, Professor in Heidelberg und Beisitzer des Schöppenstuhls und Hofgerichts in Jena, veröffentlichte ausschließlich zum Zivilprozess, unter anderem das Handbuch zu Martins Zivilprozess, vgl. Pierer’s Universal-Lexicon, „Genßler“, Bd. 7, S. 161. 1044 Gensler, AcP 1 (1818), S. 343, 372. 1045 Abgedruckt in Buschmann, Kaiser und Reich II, S. 201. 1046 Gensler, AcP 1 (1818), S. 343, 367 ff. 1047 Laufs, RKGO 1555, S. 247–250. 1048 Gönner, Handbuch III, S. 318. 1049 Hassenp ug, Schriften, S. 82. 1050 Pape, AcP 30 (1847), S. 107, 132.

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zwingend unabänderliche Kraft zuschrieb, war nach seiner Ansicht eine Appellation nicht erforderlich¹⁰⁵¹. Pape begründete seine Folgerung, der Zweck des Beweisinterlokuts werde durch die Appellation unterlaufen, mit politischen Argumenten. Dass das Beweisinterlokut lediglich als Urteil rechtskräftig werden könne, entnahm er der Digestenstelle l. 14 D. de re judicate¹⁰⁵², die von sententia spricht. Der „etwaige Einwand, daß der römische Proceß von dem heutigen durchaus verschieden sei und daher ein römisches Gesetz nichts beweisen könne, widerlegt sich durch die Bemerkung, daß schon die KGO v 1495 sich in § 24 expresse auf die kaiserlichen Rechte beruft, die KGO v 1507 häu g das römische Recht citirt und daß die eorie von den Interlocuten in den Reichsgesetzen hauptsächlich aus dem römischen Rechte entlehnt ist“¹⁰⁵³. Ob die verschiedenen Quellen die gegensätzlichen Meinungen stützten oder ob die Verfechter die Quellen zu ihren Meinungen suchten, mag dahin stehen. Jedenfalls begünstigte die Quellenvielfalt, auf die sich der gemeine Prozess stützte, die unterschiedlichen Argumentationslinien, die nicht immer aufeinander Bezug nahmen¹⁰⁵⁴. Dennoch bildete sich eine herrschende Meinung heraus, die Julius Wilhelm Planck¹⁰⁵⁵ prägte. Planck wurde in den führenden Lehrbüchern nach 1848 als Beleg für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln gegen Beweisurteile zitiert¹⁰⁵⁶. Planck differenzierte 1848 in seiner Monographie „Beweisurtheil“ die Rechtsnatur und dementsprechend die Anfechtbarkeit nach dem Regelungsinhalt des Beweisinterlokuts. Danach lag ein appellables Urteil vor, soweit über Beweissatz oder -last entschieden wurde, da es sich um eine Entscheidung über eine bestrittene Frage handele¹⁰⁵⁷. Betreffe das Beweisinterlokut dagegen allein die Beweisfrist, sei es eine prozessleitende Verfügung, die nicht angefochten werden könne¹⁰⁵⁸. Das OAG ging nicht auf diese unterschiedlichen Rechtsquellen ein, als es sich mit der Rechtskraftfähigkeit von Beweisinterlokuten beschäftigte, sondern stellte

1051 1052 1053 1054 1055

Pape, AcP 30 (1847), S. 107, 142 f. D. 42, 1, 14. Pape, AcP 30 (1847), S. 107, 136. So schon Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 673. Julius Wilhelm Planck (1817–1900), Vetter von Gottlieb Planck, der das BGB mitgestaltete, Professor und Mitglied des OAG Greifswald, vgl. Meyers Konversationslexikon, Bd. 16 (1907), S. 2. 1056 Endemann, Zivilprozeßrecht, S. 598; Linde, Lehrbuch, § 245, S. 312 Fn 19; Wetzell, System, § 52, S. 662 Fn 39. 1057 Planck, Beweisurtheil, S. 300. 1058 Planck, Beweisurtheil, S. 164, 165.

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lapidar fest: „Zwar gestatten die gesetzlichen Bestimmungen des gemeinen Rechts keine Rechtskraft von bloßen Interlocuten, allein das Gegenteil ist in Deutschland durch Schriftsteller und Praxis so allgemein und entschieden angenommen, daß der desfallige Gerichtsgebrauch die Kraft eines wahren Gewohnheitsrechtes erlangt hat, so daß man unmöglich davon abgehen kann“¹⁰⁵⁹. Dies ist einer recht frühen Entscheidung von 1825 entnommen, noch bevor Planck oder Hassenp ug ihre Schriften veröffentlicht hatten. So ist es möglich, dass 1825 die einhellige Meinung von einer Rechtskraft des Beweisinterlokuts ausging, oder, was aber angesichts der Argumentierfreudigkeit anderer Entscheidungen abwegig erscheint, die Richter des OAG es sich leicht machten und sie die einzelnen abweichenden Meinungen unterschlugen. Aus der Sicht des Praktikers hatte dieser Streit angesichts der Vorgehensweise der Gerichte nur geringe Bedeutung. Auf diesen Streit ließ sich das OAG jedenfalls nicht ein, indem es die Frage nach der Rechtskraft, die eine Partei aufgeworfen hatte, aufgriff und durch den Hinweis auf die gerichtliche Praxis, die hier Gewohnheitsrecht schaffe, abwies. Dies entsprach ihrem Berufsalltag, Beweisinterlokute aufgrund einer Appellation zu überprüfen. Die Vielzahl zu überprüfender Interlokute stellte jedoch gerade in der Praxis ein Problem dar¹⁰⁶⁰. Manche Prozesse zogen sich Jahre hin, gelangten immer wieder vor das OAG, wo jedes Mal nur eine rechtliche Frage geklärt wurde. Dies bedeutete eine Rechtsverzögerung für die Partei und eine Möglichkeit, Appellationen zur Verzögerung eines Rechtsstreits zu missbrauchen. Vielleicht ist durch diesen Schwachpunkt der Appellabilität von Interlokuten die in der Mitte des Jahrhunderts anschwellende Diskussion zur Rechtskraftfähigkeit und Appellabilität von Interlokuten zu erklären. Die zitierte Stelle ist noch aus einem anderen Aspekt interessant. Obwohl die Richter davon ausgingen, dass das gemeine Recht dem Beweisinterlokut keine Rechtskraft zubilligte, hielten sie das abweichende Gewohnheitsrecht für vorrangig. Hier schlägt deutlich das Gesetzesverständnis der historischen Rechtsschule durch. Nicht immer konnte das OAG dem Appellanten helfen. Die Appellation von Pincus gegen ein Interlokut schlug das OAG ab¹⁰⁶¹. Pincus wandte sich gegen einen Zwischenbescheid, der ihm die Möglichkeit zur Vernehmlassung nahm, da die Frist verstrichen sei. Das OAG führte dazu aus, dass nach § 9 der lübeckischen

1059 AHL OAG L I 46 ee c. Böttcherhandwerk (1825) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 8. 1060 Dazu Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 230. 1061 Dies war seine zweite Appellation: Wunderlich, Bd. 1, No 317 B, Pincus c. Feuerversicherung (1855), S. 329–330; zu seiner ersten erfolgreichen Appellation vgl. unter Bescheinigung: Zweiter Hauptteil B. II. 4. c) dd) (2).

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Verordnung über das Gerichtswesen vom 5. Juli 1820¹⁰⁶² der Zwischenbescheid nur dann appellabel sei, wenn er rechtlichen Ein uss auf das Endurteil habe. Ein rein faktischer Nachteil reiche aber nicht aus. Der Verweis auf die Verordnung zeigt, dass der Gesetzgeber hier bereits Maßnahmen ergriffen hatte, die Appellationen gegen Interlokute wieder einzuschränken.

b) Umfang der Rechtskraft Über den Umfang der Rechtskraft und damit der Bindungswirkung war sich die herrschende Meinung in der Literatur nicht einig. Planck sah durch das Interlokut jegliches neues Vorbringen als präkludiert an und meinte, durch das Interlokut sei über die Reichweite des Endurteils entschieden. Gelinge der Beweis, sei dem Interlokut gemäß zu entscheiden¹⁰⁶³. Das Interlokut war demnach eine Schlüssigkeitsprüfung der Klage bzw. eine Erheblichkeitsprüfung des Vorbringens des Appellaten. Demgegenüber sahen Heffter¹⁰⁶⁴ und Gensler die Rechtskraft als nicht so weitgehend an. Es bestehe die Möglichkeit, die Klage abzuweisen, obwohl der Beweis dem Interlokut gemäß erbracht sei¹⁰⁶⁵. Dieser weniger weitgehenden Ansicht entsprach die Rechtsprechung des OAG Jena unter Hinweis auf die beiden Schriftsteller und die Natur der Sache¹⁰⁶⁶. Der Umfang der Rechtskraft beschäftigte verschiedentlich das OAG. Mit dem Hinweis auf Gensler¹⁰⁶⁷ führten die Lübecker Richter aus, dass sich die Rechtskraft „nicht bloß auf Dasjenige, was darin ausdrücklich ausgesprochen, sondern auch auf Alles, was dadurch unzweifelhaft implicite wirklich festgestellt ist“¹⁰⁶⁸. Weiter führten die Richter aus, dass das Beweisinterlokut somit durchaus Bindungswirkung für das Endurteil haben könne, wenn nämlich „der factische Grund der zur gänzlichen Vernichtung des Klagfundaments ergriffen und vom Kläger bestrittenen Einrede des Beklagten zum Beweise verstellt ist, so steht es rechtskräftig fest, daß der Beklagte nach geführtem Beweise von der Klage zu entbinden sei“. In dem diesen

1062 Nachtrag zu der VO über das Gerichtswesen vom 4. Mai 1814, in: Sammlung der lübeckischen VO und Bekanntmachungen, Bd. 3 (1823), No 38, S. 189. 1063 Planck, Beweisurtheil, S. 354. 1064 August Wilhelm Heffter (1796–1880), Professor in Bonn und Mitglied des rheinischen Obertribunals, vgl. Ogris, NDB Bd. 8, S. 202. 1065 Heffter, System, S. 480; Gensler, AcP 1 (1818), S. 343, 378. 1066 OAG Jena, Seufferts Archiv, Bd. 10, No 299, S. 429 (1848), Bd. 13, No 188, S. 265 (1844). 1067 Gensler, AcP 1 (1818), S. 362. 1068 AHL OAG L I 46 ee c. Böttcherhandwerk (1825) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 8.

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Ausführungen zugrunde liegenden Rechtsstreit hatten zunächst die Ältesten des Böttcherhandwerks gegen den Fabrikherrn Peter ee¹⁰⁶⁹ geklagt, um einen Eingriff in ihre Amtsgerechtsame, also ihre Zunftrechte, zu unterbinden. ee hatte durch zwei Helfer die aus Getreide gewonnene Stärke Amidam in selbsthergestellten Fässern verpacken lassen. Streitig war, ob es sich bei diesen Helfern um Dienstboten des ee handelte und ob das Anfertigen der Tonnen vom Verbietungsrecht¹⁰⁷⁰ der Zunft gedeckt war. ee hatte die Einrede vorgebracht, dass es sich um seine Dienstboten handelte. Er vertrat die Ansicht, wenn das Gesinde seiner Fabrik für ihn arbeite, dann dürfe es Arbeiten ausführen, die sonst nur von Zunftgenossen getätigt werden durften. Denn auch wenn der Hausvater sein Gesinde eine Zunfttätigkeit ausführen lasse, sei das zulässig. Das Wettegericht hatte daraufhin folgendes Beweisinterlokut erlassen: Es war zu beweisen, „daß die bei der Böttcherarbeit betroffenen Wollitz und Stoll sich bei ihm in Lohn und Kost be nden“. Zu dem Umfang des Verbietungsrechts enthielt das Beweisinterlokut keinen Beweissatz. Die Kläger, also die Zunft, hatten zwar dieses Beweisinterlokut nicht angefochten, aber das zugunsten des ee ergehende Endurteil der Wette. Das Obergericht hatte dieses Urteil wiederum aufgehoben, wogegen sich ee mit der Begründung wandte, das Verbietungsrecht der Zünfte¹⁰⁷¹ könne nicht derart weit gehen, die Verpackung der Ware zu hindern. Die Verpackung sei unerheblich und erfordere keine Kunstfertigkeit. Insofern müsse die Unbequemlichkeit und das Unnatürliche ausgeglichen werden, „wozu eine allzu schroffe Anwendung des Zunftzwanges führen müßte“¹⁰⁷². Diese Argumentation lehnte das OAG zwar ab, da das Herstellen von Fässern genau zu dem Böttcherhandwerk gehöre. Allerdings räumten die OAG-Richter ein, dass „der Gewinn oder Verlust der Sache nun lediglich von dem Erfolg der Beweisführung“ abhing, der ja durch das Beweisinterlokut auf die Angestellteneigenschaft der Helfer beschränkt war. Nicht nur könne das Beweisinterlokut rechtskräftig werden, auch hätte es eine weitgehende Bindungswirkung für das Endurteil. Auf den Einwand der Kläger, ein Interlokut könne wenigstens dann nicht rechtskräftig werden, wenn ein „unerheblicher Punct zum Beweis verstellt oder sonst eine ganz unangemessene Beweisau age gemacht“¹⁰⁷³ worden sei, erwiderte das OAG, dass es nur darauf ankomme, dass der entscheidende Richter, die zu erweisenden Punkte für erheblich und dessen Grundlage für gesetz-

1069 Peter ee führte acht Prozesse vor dem OAG, vgl. Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar III, S. 131. 1070 Zum Verbietungsrecht Oestmann, ZNR 26 (2004), S. 246, 252. 1071 Bis zur Gewerbefreiheit 1867 waren in Lübeck Zünfte noch stark vertreten, vgl. Warncke, Handwerk und Zünfte. 1072 AHL OAG L I 46 ee c. Böttcherhandwerk (1825) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 6. 1073 AHL OAG L I 46 ee c. Böttcherhandwerk (1825) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 10.

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mäßig erachtete. Damit gestand das OAG dem erkennenden Richter eine große Kompetenz zugunsten der Rechtssicherheit zu¹⁰⁷⁴ „Ueberhaupt aber würde es die größte Inconsequenz sein und alle Rechtssicherheit aufheben, wenn man zwar den Beweisinterlocuten im Allgemeinen eine Rechtskraft zugestehen, zugleich aber gestatten wollte, dieselben alsdann bei’m De nitiv-Erkenntnisse unbeachtet zu lassen“¹⁰⁷⁵. So lehnten die Richter eine Beschränkung der Rechtskraft ab. Nach diesen allgemeineren rechtlichen Ausführungen wandten sie sich dem konkreten Fall zu. Hier hätte diese rigorose Rechtskraft zur Folge, dass materielles und formelles Recht jedenfalls dann auseinander elen, falls ee den Beweis erbracht habe, dass die beiden Helfer seine Dienstboten seien. Dann nämlich wäre eine Gleichstellung zwischen Fabrikherr und Hausvater denkbar und das Gesinde durfte die Tätigkeit ausführen. ee hatte insoweit die Helfer selbst als Zeugen aufgeführt. Diese seien aber dem Stadtrecht gemäß unzulässig, falls es sich tatsächlich um dessen Dienstboten handelte. Den Beweis betrachteten die Richter als nicht erbracht, denn: „Auf jeden Fall steht aber das Dilemma fest: entweder sind Wollitz und Stoll seine Dienstboten nicht, dann durfte er auch keine Tonnen von ihnen machen lassen; oder sie stehen in seinem Brode, dann konnte er durch ihr Zeugniß den ihm nachgelassenen Beweis nicht führen“¹⁰⁷⁶. Mit dieser logischen Erwägung konnten die Richter die Appellation ablehnen; die materielle Rechtslage entsprach wieder der formellen. Das OAG Lübeck nahm damit eine sehr weitreichende Bindungswirkung des Beweisinterlokuts an, das bereits Bedeutung für die Endentscheidung hatte.

c)

Inhalt des Beweisinterlokuts

Das Beweisinterlokut sollte sowohl den Beweissatz als auch die Beweislast und -frist enthalten¹⁰⁷⁷. Der Beweissatz enthielt die zu beweisenden Tatsachen. Dazu führte das OAG folgendes aus. Es sei eine allgemeine Rechtsregel, dass die Tatsachen im Beweisinterlokut möglichst speziell angegeben werden sollten und dass keine Rechtsbegriffe verwandt werden sollen¹⁰⁷⁸. Dabei wandten die OAGRichter eine großzügige Auslegung zugunsten der Wirksamkeit an¹⁰⁷⁹. Zumindest dann sei eine solche Auslegung möglich, wenn die Parteien die entsprechenden

1074 In der gemeinrechtlichen Lehre wurde demgegenüber gestützt auf JRA § 50 vertreten, dass es zur Nichtigkeit des Interlokuts führe, falls etwas Unerhebliches zum Beweis verstellt worden war, vgl. Martin, Lehrbuch, S. 195. 1075 AHL OAG L I 46 ee c. Böttcherhandwerk (1825) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 11. 1076 AHL OAG L I 46 ee c. Böttcherhandwerk (1825) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 12. 1077 Linde, Lehrbuch, § 239, S. 302. 1078 AHL OAG L I 625 Röttger c. Sjöberg (1873) Q 13 Entscheidungsgründe, p. 3. 1079 AHL OAG L I 625 Röttger c. Sjöberg (1873) Q 13 Entscheidungsgründe, p. 4.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Tatsachen im ersten Verfahren dargelegt hätten. Die Rechtsprechung des OAG war insoweit stringent. Sie verlangte, dass das Niedergericht möglichst präzise die zu beweisenden Tatsachen angab, damit der Beweisführer sich insoweit nicht auf Unklarheiten zurückziehen konnte. Während das OAG nicht oft zu dem Beweissatz oder der Beweisfrist Stellung nahm, beschäftigte die Beweislast häu g das OAG. Es änderte seine Rechtsprechung dazu in entscheidenden Punkten.

aa)

Beweislast

Unter Beweislast verstand man im 19. Jahrhundert entsprechend dem römischen Recht die Beweisführungslast, also die Frage, wer verp ichtet war, etwas zu beweisen¹⁰⁸⁰. Dazu wurden unterschiedliche eorien vertreten, alle bestrebt, ein einheitliches Prinzip zur Verteilung zu entwickeln¹⁰⁸¹. Zwar fasst die traditionelle Pandektistik wie das heutige Bürgerliche Gesetzbuch die Beweislast als Gebiet des materiellen Rechts auf. Schon vor Windscheid, der die Beweislast dem Prozessrecht zuordnen wollte¹⁰⁸², stellten Prozessualisten aber die Beweislast in Verbindung mit dem Prozessrecht dar¹⁰⁸³. Dies rechtfertigt, dass auch hier innerhalb des Beweisinterlokuts die Beweislast als oftmals entscheidendes Kriterium für den Ausgang eines Prozesses dargestellt wird. Die ältere Negativentheorie ging davon aus, dass sich negative Tatsachen (also dass etwas nicht vorlag) nicht beweisen lasse oder der Beweis zumindest nicht zweckmäßig sei. Daher müsse derjenige im Prozess die Beweislast tragen, der das Vorliegen einer Tatsache behaupte. Dieses „Prinzip der Bejahung“¹⁰⁸⁴ führte jedoch in der Praxis dazu, dass die Sachwalter positive Formulierungen verwendeten¹⁰⁸⁵. Dennoch soll diese eorie in der gerichtlichen Praxis lange herrschend gewesen sein¹⁰⁸⁶. Die Präsumtionstheorie versuchte, zu jeder rechtlichen Frage Vermutungen zu statuieren. Danach musste derjenige den Beweis erbringen, der die geringere Wahrscheinlichkeit für sich hat, also für den keine Präsumtion sprach¹⁰⁸⁷. Die

1080 Musielak, Beweislast, S. 267. 1081 Langenbeck, Beweisführung 2, S. 248, sprach von „ungemein zahlreiche Versuche der Aufstellung eines allgemeinen Prinzips nach welchem die Beweislast zu bestimmen“ war. 1082 Windscheid, actio des römischen Zivilrechts, S. 227. 1083 Langenbeck, Beweisführung 2, S. 248–358; Linde, Lehrbuch, § 242, S. 304–306. 1084 Langenbeck, Beweisführung 2, S. 258. 1085 Musielak, Beweislast, S. 269 Fn 720. 1086 Kori, AcP 8 (1825), S. 90. 1087 Grolmann, eorie, S. 112; Schneider, Lehre vom Beweise, S. 17 ff.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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erforderlichen abstrakten Wahrscheinlichkeitsregeln mussten für jeden tatsächlichen Sachverhalt gefunden werden. Weber stellte diese beiden eorien radikal in Frage und entwickelte 1805 ein eigenes Prinzip: „Wer ein Recht oder eine Befreiung von Rechten oder Anmaßungen anderer ganz oder zum eil mit Erfolg vor Gericht geltend zu machen sucht, ist schuldig, die noch ungewissen atsachen, deren Wahrheit das Recht oder die Befreiung als nothwendig voraussetzt, zu beweisen“¹⁰⁸⁸. Ausnahmen sollten nur durch gesetzliche Regelungen zuzulassen sein. Diesem Gedanken, dass jeder die tatsächlichen Voraussetzungen der von ihm vorgebrachten Tatsachen zu beweisen habe, folgten eine Reihe von Prozesswissenschaftler¹⁰⁸⁹. Bethmann-Hollweg ging einen Schritt weiter. Er unterschied der Sache nach zwischen rechtsbegründenden, die vom Kläger, und rechtsvernichtenden Merkmalen, die vom Beklagten zu beweisen waren¹⁰⁹⁰. Damit verlagerte sich das Problem der Beweislast, die Merkmale einzuordnen. Ähnlich unterschieden andere Prozessualisten¹⁰⁹¹. Die verschiedenen Ansätze zeugten von dem Bestreben, eine allgemeingültige Regelung zu nden, die voraussehbar machte, wer was im Prozess zu beweisen hatte. In der Praxis entschied die Beweislast oftmals über den Ausgang des Prozesses¹⁰⁹². Dementsprechend appellierte die mit der Beweislast beschwerte Partei häu g an das OAG¹⁰⁹³. Entscheidend für die Beweislast war nach der Rechtsprechung des OAG der Rechtsgrund der Klage¹⁰⁹⁴. Auch bei der Beweislast zeigt sich, dass das Gericht auf allgemeinere Rechtsgedanken und Grundsätze zurückgriff. Aufgrund der Bitte, die Beweislast anders zu verteilen, hatte sich das OAG mit dem französischen Wechselrecht auseinander zu

1088 Weber, Beweisführung, S. 86 f. 1089 Danz, Grundsätze, S. 385; Martin, Lehrbuch, S. 265; Gensler, AcP 1 (1818), S. 264, 265; Linde, Lehrbuch, § 242, S. 305. 1090 Bethmann-Hollweg, Versuche, S. 351; dazu Musielak, Beweislast, S. 274. 1091 Langenbeck, Beweisführung 2, S. 274, schlug vor, dass der Beklagte erst dann beweisp ichtig sei, wenn der Kläger nichts mehr zu beweisen habe; Wetzell, System, S. 148, 158, und Wach, Handbuch, S. 126, ergänzten, dass falls der Beklagte beweisp ichtig bliebe, conditio sine qua non davon auszugehen sei, dass der Kläger sein Recht bewiesen habe. 1092 So ausdrücklich Puchta, Vorlesungen I, S. 228. 1093 Appellationen, die auf Beweislastverteilung gestützt wurden: Bruhn, Sl. 1, No LXXXX, Behrens c. Wwe. Spethmann ( 1832), S. 357–362 (insbesondere S. 359, 360); Bruhn, Sl. 1, No CIV, Koehl c. Grabau. (1833), S. 438, 446. 1094 AHL OAG L I 49, Kelling c. Behrens (1825) Q 9 Entscheidungsgründe, p. 2; Kierulff, Bd. 6, No 4, Conradi c. Lück (1870), S. 20, 25, sprach von: „Natur des unter den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisse“.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

setzen¹⁰⁹⁵. Dem Streit lag ein recht verworrener Sachverhalt zugrunde. Besagter Wechsel war mehrmals und über verschiedene Städte hinweg übertragen worden. Als der Inhaber den Wechsel verspätet einlösen wollte, weigerte sich die Bank, das Geld auszuzahlen. Das Geld hätte abgehoben werden können, sei nun nach der Verfallzeit aber von der französischen Behörde gepfändet worden. Der Verlust der Valuta müsse den Inhaber treffen. Dieser klagte. Anhand dieses Rechtsstreits wird die französische Besatzungszeit lebendig. Wen sollte es treffen, dass – wie OAG-Kanzlist Bruhn es beschrieb – „Davoust (sic!)¹⁰⁹⁶ am 5. Nov. 1813 die ganze Bank geraubt“¹⁰⁹⁷ habe? Wer hatte für die Deckung des Wechsels zu sorgen? Hier lag auf beiden Seiten eine P ichtverletzung vor. Der Aussteller konnte die insolvente Bank nicht zur Leistung anhalten, denn der Inhaber des Wechsels hatte versäumt, das Geld rechtzeitig abzuholen. Der Kläger stellte sich auf den Standpunkt, dass er dennoch befriedigt werden müsse. Es sei nicht seine Aufgabe, für die Deckung des Wechsels zu sorgen. Der Aussteller des Wechsels meinte, dass er einfach den Wechsel rechtzeitig hätte einlösen sollen, jedenfalls dürfe ihn nicht die Beweislast für das Verschulden des Inhabers treffen. Ähnliche Fälle müssen zu dieser Zeit häu g vorgekommen sein. Zwischen der Jahresmitte 1808 und Ende des Jahres 1811 gab es in Lübeck 95 insolvente Banken¹⁰⁹⁸. Die Besatzungszeit hatte für Lübeck den wirtschaftlichen Zusammenbruch gebracht¹⁰⁹⁹. Zahlreiche kleinere Unternehmen mussten schließen. Sogar Hungersnöte sollen Lübeck zu dieser Zeit erschüttert haben¹¹⁰⁰. Die Klagen der geschädigten Anleger beschäftigten das OAG noch Jahre später. Das OAG löste den Streit nach französischem Recht, wie es zu der Zeit der Wechseleinlösung gegolten hatte¹¹⁰¹. Danach hafte zwar grundsätzlich derjenige auf Schadensersatz, der seiner vertraglichen P icht nicht nachkomme¹¹⁰². Ausnahmsweise aber, wenn ein Zufall ihn von seiner P icht abhalte, müsse er nicht haften. Diesen Grundsatz deduzierten die Richter auf das Wechselrecht. Danach könne der Inhaber vom Aussteller immer noch Garan-

1095 Bruhn, Sl. 1, No III, Nölting (Fothergill) c. Müller (1821), S. 20–30. 1096 Louis-Nicolas Davout (1770–1823), Generalgouverneur der freien Städte während der französischen Besatzung 1810 bis 1814, näher zu ihm Kähler, S. 69, 246. 1097 Bruhn, Sl. 1, No III, Nölting (Fothergill) c. Müller (1821), S. 20, 21. 1098 Kähler, S. 213 Fn 1491, zu den letzten Monaten der (Wieder-)besetzung in Lübeck, S. 242–243. 1099 Brandt, Geist und Politik, S. 78, 167. 1100 Brandt, Geist und Politik, S. 168. 1101 Zitiert wird u.a. Code Civile Art. 1147-8; Pardessus élémens de jurisprudence commerciale von 1811, S. 288. 1102 Herausarbeitung einer generellen Beweislastverteilung und Verneinung einer Ausnahme auch bei Kierulff, Bd. 6, No 4, Conradi c. Lück (1870), S. 20–31, insbesondere S. 28: „Umänderung der Beweislast hierdurch nicht“.

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tie für den Wechsel fordern, wenn ein Zufall es ihm unmöglich gemacht habe, den Wechsel zur rechten Zeit zu präsentieren. Daraus zogen die Richter die allgemeine Schlussfolgerung, dass wenn der Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften klar sei, die Schuld vermutet werde. Derjenige, der einen Umstand behaupte, um sich dadurch zu rechtfertigen, müsse auch den Beweis dieses Zufalls übernehmen. Für den konkreten Fall bedeute dies, dass der Inhaber beweisen müsse, „daß es nicht thunlich war, den Wechsel zeitig einzufordern“. Das französische Wechselrecht bot in diesem Fall den Ausgangspunkt für das OAG, um einen allgemeingültigen Grundsatz zu entwickeln, wie die Beweislast zu verteilen war. Entsprechend dieser Beweislastverteilung, die dem französischen Recht entnommen war, stellte Wächter zwanzig Jahre später die Beweislastverteilung nach gemeinem Recht dar¹¹⁰³. Auch er führte aus, dass der Schuldner, der nicht leistet, den Zufall, der zur Nichtleistung führt, beweisen muss. Französisches wie gemeines Recht führten hier zu demselben Ergebnis. In dem Rechtsstreit Bosse gegen Kasch¹¹⁰⁴ von 1865 überprüfte das OAG die Beweislast anhand von verschiedenen Digestenstellen. Kasch war beauftragt worden, ein Haus aus der Erbmasse einer Erbengemeinschaft zu veräußern, zu der die Ehefrau des Bosse gehörte. Trotz Verweigerung der Genehmigung dieses Verkaufs durch ein Telegramm hatte Kasch im Auftrag der Frau Bosse den Kaufvertrag über das Haus zu dem vereinbarten Preis unterzeichnet. Bosse hatte wegen des Verkaufs, der nicht dem Interesse seiner Frau entspreche, namens seiner Frau Entschädigung gefordert. Die beiderseitige Appellation richtete sich gegen das Beweisinterlokut, das Kasch unter anderem aufgab, zu beweisen, dass er vor Eingang des Telegramms den Vertrag bereits mündlich fest abgeschlossen habe. In dem Zusammenhang beschäftigte sich das OAG mit der Frage, wen die Beweislast traf. Bezüglich der einem Beauftragten obliegenden Rechenschaftsp icht verwies das OAG auf die Analogie zu l. 11 D. de probationibus et praesumtionibus und l. 1 § 13 D. de magistratibus conveniendis¹¹⁰⁵, wonach es keinem Zweifel unterliege, dass der Beauftragte darlegen müsse, dass er dem Auftrag entsprechend seine Verp ichtung ordnungsgemäß mit „höchster Sorgfalt“ ausgeführt habe¹¹⁰⁶. So sei wiederholt vom OAG in hamburgischen und bremischen Fällen entschieden worden. Welche Verp ichtung eingegangen worden sei, sei wiederum vom Kläger, also dem Auftraggeber, zu beweisen. Aus den beiden Digestenstellen, die je einen speziellen Fall regelten, stellte das OAG hier eine allgemeine Schlussfolge-

1103 1104 1105 1106

Wächter, Handbuch II, V § 113, S. 793. Kierulff, Bd. 1, No 33, Bosse c. Kasch (1865), S. 438. D. 22, 3, 11 und D. 27, 8, 1, 13. Kierulff, Bd. 1, No 33, Bosse c. Kasch (1865), S. 438, 455.

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rung auf. Im Folgenden subsumierten die Richter unter den abstrakt aufgestellten Grundsatz. Mache Kasch nun geltend, dass die Unterzeichnung des Vertrages lediglich eine Bestätigung eines vor Eintreffen der Depesche bereits geschlossenen Vertrages sei, müsse er diesen Umstand ebenfalls beweisen. Zwar gehe man im Allgemeinen davon aus, dass den Beklagten nicht die Beweislast treffe. Dies sei aber nicht in jedem Fall richtig. Zur Bestätigung dessen wurde eine Stelle aus den Digesten¹¹⁰⁷ angeführt, die einen „gleichen Fall“ behandle. Zwar sei diese Digestenstelle für veraltet erklärt im Gegensatz zu l. 34 § 3 D. de legatis et deicommissis¹¹⁰⁸. Dabei sei aber die Verschiedenheit der in beiden Stellen vorausgesetzten Sachlage nicht genügend gewürdigt worden. Damit ließ das OAG beide Digestenstellen nebeneinander zu. Anhand des römischen Rechts entwickelten hier die Richter eine abstrakte Beweislastverteilung für den Fall einer Beauftragung. Für die Frage, ob eine Digestenstelle noch anwendbar war, verließen sie sich nicht auf wissenschaftliche Autoritäten, sondern ermittelten selbst anhand der Quellen. Bei der Beweislastverteilung spielten Billigkeitsgedanken eine Rolle. So war es Aufgabe des Klägers zu beweisen, welcher Vertrag nun tatsächlich vorlag. Habe der Beklagte aber bereits die Ländereien 10 Jahre in Anspruch genommen und auch 10 Jahre die Pacht gezahlt, habe er dadurch „ipso facto anerkannt, daß der Kläger seinerseits den Contract erfüllt habe“ und es läge nun am Beklagten, die unrichtige Erfüllung zu beweisen¹¹⁰⁹. Die Regel, dass den Kläger die Beweislast trifft, unterbrachen die Richter hier durch eine Ausnahme, die das komplette Gegenteil besagte. Auch wenn diese Ausnahme nicht dogmatisch begründet wurde, diente sie dem natürlichen Gerechtigkeitsemp nden.

bb) Insbesondere: Beweislast bei der Negatorienklage Besonders strittig war die Beweislast bei der Negatorienklage. Die Negatorienklage beschrieb ein Abwehrrecht des Eigentümers gegen Beeinträchtigungen seines Eigentums durch den Besitzer¹¹¹⁰. Die Beweislast hing davon ab, ob man die actio Negatoria als Eigentumsfreiheitsklage (dann hatte der Eigentümer lediglich sein Eigentum zu beweisen) oder als Servitutenklage (dann traf den Eigentümer zusätzlich die Beweislast, dass ihm das alleinige Recht an der Sache zustand) ansah. Diese Frage war in der gemeinrechtlichen Literatur seit langem strittig. Die be-

1107 1108 1109 1110

D. 22, 3, 12. D. 30, 34, 3. AHL OAG L I 49, Kelling c. Behrens (1825) Q 9 Entscheidungsgründe, p. 5. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 27 Fn 23, S. 137; heute mit § 1004 BGB vergleichbar; zu ihrer Ausgestaltung im 19. Jahrhundert: Ogorek, Actio negatoria, S. 40–78.

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rühmte und alte Kontroverse war im Grund ein Widerstreit zwischen der Freiheit des Eigentums und der Rechtsvermutung für den Besitzer¹¹¹¹. OAG-Präsident Heise und OAG-Rat du Roi¹¹¹² hatten vertreten, dass es sich um eine Servitutenklage handelte. Demnach hatte der Eigentümer, der Unterlassung forderte, zu beweisen, dass keine Dienstbarkeiten anderer an seiner Sache bestanden. Dieser negative Beweis konnte selten gelingen. Mitte des 19. Jahrhunderts zeichnete sich ab, dass sie diese Meinung nicht beibehalten konnte. Dem praktischen Bedürfnis der Eigentümer entsprechend hatten Literatur und Rechtsprechung die actio Negatoria großzügig als Eigentumsfreiheitsklage ausgestaltet¹¹¹³. In der Entscheidungstätigkeit des OAG vollzog sich in diesem Bereich eine Rechtsprechungsänderung. Am 30. Mai 1855 erließ das OAG Lübeck ein Urteil¹¹¹⁴, das in verschiedener Hinsicht bemerkenswert war. Zum einen änderte es die einmal eingeschlagene Rechtsprechung zur Beweislast und stellte einen neuen Grundsatz auf. Zum anderen nahm es zur Freiheit des Eigentums Stellung, einem der liberalen Prinzipien, die das 19. Jahrhundert prägen sollten. Endgültig entschied das OAG den Rechtsstreit zwischen Johann Kaping und Hans Jochim Derlien dadurch aber nicht, sondern es sollte sich ein Jahr später mit einer anderen zwischen den beiden strittigen Rechtsfrage erneut beschäftigen¹¹¹⁵. Kaping und Derlien stritten darum, ob Derlien als Eigentümer eines Weges Kaping die Benutzung verbieten konnte. Entscheidend kam es darauf an, ob der Eigentümer bei der Negatorienklage beweisen musste, dass an dem Weg keine Dienstbarkeit bestand, oder ob allein der Beweis des Eigentums genügte. Hier stellte sich nun die Frage, ob die actio Negatoria eine Eigentumsfreiheitsklage oder eine Servitutenklage anzusehen war und wer dementsprechend die Beweislast trug¹¹¹⁶. Außerdem war die besondere Konstellation, in welcher der mögliche Inhaber der Dienstbarkeit Besitzer war, umstritten. Für beide Ansichten fanden sich gewichtige Autoritäten. So vertrat ibaut, dass der Eigentümer sein Recht beweisen müsse, falls der Besitzer den Gegenstand noch immer im

1111 Merkwürdige Urtheile von Tribunalen erster Instanz, Archiv für das Zivil- und Kriminalrechte der Königlich-Preussischen Rheinprovinzen, Bd. 1 (1820), S. 136. 1112 Heise, AcP 40 (1857), S. 50, 51: Obwohl er an den Gesetzgeber appellierte, die Beweislast dem Beklagten aufzuerlegen, hielt er im Anschluss an du Roi, die Negatorienklage nach römischem Recht für eine Servitutenklage; du Roi, AcP 40 (1857), S. 24–49. 1113 Ogorek, Actio negatoria, S. 40, 46; zur Freiheit des Eigentums im 19. Jahrhundert: Hofer, Freiheit, S. 258, 259. 1114 AHL OAG L I 382 Kaping c. Derlien (1855). 1115 AHL OAG L I 406 Derlien c. Kaping (1856). 1116 Zu dem Streitstand allgemein Ogorek, Actio negatoria, S. 40, 44.

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Besitz habe¹¹¹⁷. Er maß damit der Rechtsvermutung für den Besitz den höheren Stellenwert bei. Savigny stellte sich auf den entgegengesetzten Standpunkt, dass der Besitzer als Beklagter sein Gegenrecht beweisen müsse¹¹¹⁸. Er argumentierte mit der grundsätzlichen Stellung des Beklagten, der Besitz dürfe hier nicht bevorzugt behandelt werden. So stellte sich der Streitstand noch 1855 dar, als sich das OAG mit der Frage nach der Beweislast bei der Negatorienklage beschäftigte. Das OAG ging diese Frage, den Parteischriften folgend, anders an. Kaping, der sich wehrte, als Beklagter beweisbelastet zu sein, dass ihm eine Dienstbarkeit¹¹¹⁹ an dem Weg zustehe, hatte eine Analogie zu der Formulierung Intentio¹¹²⁰ der actio Negatoria im römischen Verfahren bemüht. Außerdem hatte er sich auf l. 15 D. de operis novi nuntiatione¹¹²¹ berufen, auf welche sich eine Entscheidung des OAG Lübeck, die dem Eigentümer die Beweislast in einem ähnlichen Fall auferlegt hatte, bezogen hatte. Gegen die Argumentation des städtischen Obergerichts aus der Freiheit des Eigentums, dem Eigentümer nicht die Beweislast für Dienstbarkeiten aufzuerlegen, wandte der Beklagte ein, dass angeblich bei den Germanen Eigentum eine weitaus beschränktere Bedeutung zugemessen worden sei¹¹²². Das OAG ging auf diese Einwände ausführlich ein, lehnte sie im Ergebnis aber ab. In der Parallele zum römischen Prozess sahen sie eine „unzulässige Gleichstellung der im römischen Prozeß vorkommenden Formel mit dem deutschrechtlichen Beweisurtheil“¹¹²³. Und sie betonten, dass der formula eine andere Aufgabe im Rechtsstreit zugekommen sei als der Beweislast, nämlich den Zeitpunkt des Prozessbeginns festzustellen. Die intentio, ursprünglich das feierliche Behaupten des streitigen Rechts durch den Kläger, habe dem Richter lediglich die Befugnis zur Verurteilung gegeben. Der historische Auslegung des prozessualen Instituts formula legten die Richter die Bedeutung der antiken, klassischen Epoche zugrun-

1117 ibaut, Pandekten 2, § 625, S. 67; vor ihm schon Hufeland, Beyträge, 4. Stück, S. 13–18, der meinte, dass die Pandekten von einer Beweislast des Besitzers ausgingen. 1118 Savigny, Recht des Besitzes, § 3 Nr. 4, S. 15, 16; so auch Weber, Beiträge, 2. und 3. Stück, Nr. 16, S. 136, der sich insbesondere gegen Hufeland richtete und die besagte Pandektenstelle entgegengesetzt auslegte. 1119 Daneben benutzten die Richter das römische Wort Servitut, häu ger jedoch das deutsche Wort Dienstbarkeit. 1120 Teil der meisten formulae im Formularprozess der vorklassischen und klassischen Periode, in dem der Kläger sein Begehren zusammenfasste, enthielt also die Klaggrundlage und den Gegenstand des Klagebegehrens, vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, § 83 Rn. 6, S. 379. 1121 D. 39, 1, 15. 1122 AHL OAG L I 382 Kaping c. Derlien (1855) Q 1 Klagbitte. 1123 AHL OAG L I 382 Kaping c. Derlien (1855) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 3.

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de. Die geschichtliche Betrachtung diente hier dazu, das Institut als solches zu verstehen und zu entscheiden, ob der damalige Zweck weiterhin noch gelte. Das geschichtliche Verständnis sollte also eine Regel für die Gegenwart stützen. Damit wandte das Gericht die zentrale Methode der historischen Rechtsschule an¹¹²⁴. Außerdem meine l. 15 D. de operis novi nuntiatione, soweit sie sich überhaupt auf die Negatorienklage beziehe, einen anderen Sachverhalt und regele nicht die Beweislast einer Dienstbarkeit¹¹²⁵. Dass das Eigentumsverständnis in deutschrechtlicher Tradition ein anderes gewesen sei, zogen die Richter in Erwägung. Es lasse sich allerdings nicht nachweisen, dass der Besitz von jeglicher Beweislast befreie. Außerdem bezweifelten die Richter, ob sich daraus die juristische Schlussfolgerung einer Beweislastverteilung ziehen lasse. „Jedenfalls aber wird man bis zum Beweis des Gegentheils anzunehmen haben, daß der römische Eigenthumsbegriff als gemeines Recht in Deutschland zur Anwendung zu bringen sey. Aus dieser, als der unbeschränkten, ausschließlichen Herrschaft einer Person über eine Sache ergiebt sich aber, daß (...) die Veränderung der ursprünglichen Freiheit des Rechts durch irgendein beschränkendes Recht, von dem nachgewiesen werden muß, welcher sich auf dessen Vorhandensein beruft: man die Regel für sich hat, muss dann den Beweis der Ausnahme verlangen“¹¹²⁶. Allein aus dem Begriff des Eigentums und der umfassenden Freiheit, die sie damit verbanden, entwickelten die Richter den heute noch gültigen Grundsatz, dass derjenige das beweisen muss, was für ihn günstig ist. Die Begriffsde nition bildet formal den Ausgangspunkt für eine allgemeine Regelung über die Beweislastverteilung. Inhaltlich begriffen die Richter damit die Freiheit des Eigentums als die Regel. Diese Begriffsde nition entsprach der pandektistischen Wissenschaft¹¹²⁷. Insbesondere Savigny de nierte Eigentum wortgleich als „ausschließliche Herrschaft einer Person über eine Sache“¹¹²⁸. Die Richter stärkten in dieser Entscheidung die Bedeutung des Eigentums, indem sie ganz selbstverständlich den römischen Eigentumsbegriff als gemeines Recht zugrunde legten. Eine lange, spezielle Kontroverse lösten sie, indem sie auf die allgemeine Bedeutung des Eigentums zurückgriffen. Dieses Ergebnis begründeten die Richter anschließend¹¹²⁹ auf verschiedenen Argumentationsebenen. Zunächst verglichen sie die Beweislastverteilung bei einer

1124 Vgl. die Zusammenfassung zur Methode der historischen Rechtsschule bei Coing, Privatrecht II, S. 42. 1125 Die Richter verwiesen dazu auf: Puchta, Institutionen II, § 233 b), S. 505, § 253, S. 648–667; Franke AcP 21 (1838), S. 1, 15; Vangerow, Pandekten Bd. 1, S. 880. 1126 AHL OAG L I 382 Kaping c. Derlien (1855) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 10, 11. 1127 Wilhelm, Private Freiheit, S. 19, 23. 1128 Savigny, System I, § 56, S. 367. 1129 Sie arbeiteten hier also wieder mit dem Urteilsstil.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Eigentumsbeschränkung durch persönliche Rechte wie dem Pfandrecht mit der Negatorienklage und stellten fest, dass nun beide Fälle gleich behandelt wurden. Dann vollzogen sie die historische Entwicklung der Streitigkeit nach. So meinten die Glossatoren, dass dem Besitzer die Beweislast aufzuerlegen sei¹¹³⁰. Diese Ansicht fand Eingang in zahlreiche Partikularrechte. Die französische Juristenschule hielt das Gegenteil für richtig¹¹³¹. In „neuester Zeit“ habe sich aber die Ansicht verbreitet, dem Eigentümer lediglich die Beweislast für sein Eigentum, nicht aber für weitere Beschränkungen, aufzuerlegen. Dazu zitierten die Richter Vertreter der Wissenschaft¹¹³², Rechtsprechung¹¹³³ und des territorialen Gesetzgebers¹¹³⁴, die dem gefolgt seien. An dieser rechtsvergleichenden Argumentation zeigt sich die Bestrebung, ein möglichst widerspruchsfreies Rechtssystem zu konstruieren. Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung sollten zusammenwirken und ein einheitliches Recht postulieren. 1830 und 1836 hatten die Richter noch anders argumentiert und dem Eigentümer die Beweislast für Beschränkungen auferlegt¹¹³⁵. Damals hatten sie die Entscheidung mit zahlreichen Digestenstellen untermauert¹¹³⁶ und gemeint, der Eigentümer müsse beweisen, dass sein Eigentum von Beschränkungen frei sei, also die Nichtexistenz des Servituts. Rechtsgrund der Klage¹¹³⁷ sei nämlich nicht das

1130 Zitiert wurden: Lirandt Klagspiegel,  I tit de conf et neg act ad Strassburg 1542 got LII.LIII; der Klagspiegel ist das älteste und umfassendste Kompendium des römischen Rechts in deutscher Sprache, vgl. Koehler, „Klagspiegel“, in: HRG II, Sp. 855, 857; Stobbe, Rechtsquellen, S. 170; Deutsch, Klagspiegel, S. 13, 14; Wormser Reformation von 1498 LIII P I 1.26, die den Klagspiegel zum Vorbild hatte. 1131 Hier verwiesen die Richter für die Nachweise unter anderem auf Donellus (1527–1591) und Durantis (um 1230–1296), aus: Hufeland, Beyträge 4, S. 13–18. Ihnen seien Mevius und Lauterbach gefolgt. 1132 Vangerow, Pandecten 1, S. 878–880, der als praktisch nicht verwertbar gilt. Dazu Giebels-Deinert, Anwaltshaftung, S. 184 Fn 55. 1133 Oberappellationsentscheidungen aus Halle, Breslau und Berlin zitierten die Richter. 1134 Österreichische ABGB § 523 und dazu Zeiller, Commentar II, S. 366 No 5; Preußen ALR  I Tit 7 §§ 181, 182 und dazu Bornemann, Preußisches Civilrecht I, S. 264, 265; Koch, Preußische Prozeßpraxis, S. 271; für die Länder des französischen Rechts: Zachariä, Französisches Civilrecht I, § 219, S. 555; im Übrigen verwiesen die Richter mit weiteren Nachweisen auf Baden, das Königreich Sachsen, den gemeinen Prozess, Hessen-Cassel und Hessen Darmstadt. Württemberg und Bremen bildeten dagegen eine Ausnahme. 1135 Hamburger Fall: Wunderlich, Bd. 1, No 343, Ahrens c. Bühring (1830), S. 432–436; Bremer Fall: Dorfschaft Hastedt c. Schwarzkopf (1836), unveröffentlicht. 1136 So bezogen sich sich auf D. 39, 1, 15; D. 7, 5, 4, 8, die sie damals noch in Bezug auf die Negatorienklage auslegten, seit Vangerow diesen Bezug aber ablehnten. 1137 An der Formulierung „Rechtsgrund der Klage“ zeigt sich die Vermischung des subjektiven Rechts als causa der actio mit dem Prozessrecht, die erst 1856 durch Windscheid „Die actio des römischen Zivilrechts“ überwunden wurde, der den Begriff Anspruch prägte, S. 5, 225; siehe dazu Coing, Privatrecht II, S. 274.

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Eigentum, sondern die Behauptung, dem anderen stehe kein Recht an der Sache zu. Puchta, der bereits 1827, also bevor diese frühen Entscheidungen ergingen, zugunsten des Eigentümers eine Gleichstellung mit der actio Publiciana gefordert hatte¹¹³⁸, zitierten die Richter weder in der frühen noch in der späteren Entscheidung. Überhaupt erwähnten die Richter zwar die aktuelle Diskussion, an der sich namhafte Vertreter beteiligten, in erster Linie argumentierten sie aber historisch. Die Richter mussten zu den Parteischriften der Sachführer Stellung nehmen, die hier beispielsweise einen anderen, sogenannten germanischen Eigentumsbegriff zugrunde gelegt hatten. Die Richter konnten sich nicht auf die Argumente der Wissenschaft zurückziehen. Obwohl sich Heise und du Roi selbst an der akademischen Diskussion beteiligt hatten, griffen sie hier die Argumente der Parteien auf. Diese frühe, anderslautende Entscheidung von 1830 sei 1855 vom „jetzigen Stand der Wissenschaft“¹¹³⁹ überholt worden. Das Eigentum selbst werde nun als Rechtsgrund¹¹⁴⁰ gesehen. Mit einem hohen Begründungsaufwand und dem Verweis auf viele rechtswissenschaftlichen Autoritäten wichen die Richter von der einmal eingeschlagenen Rechtsprechung ab. An dieser Entscheidung wird deutlich, dass das Eigentum nun als umfassendes und weitreichendes Recht verstanden wurde. Dieses neue weitgehende Verständnis von einem freien Eigentum wirkte in den Prozess hinein und entschied den Streit. Dieses weite Eigentumsverständnis zeigt sich auch in anderen gerichtlichen Entscheidungen. So lehnten die Richter eine Ausdehnung des lübischen Stadtrechts VII, 3, 13 über den Wortlaut hinaus ab, weil „der Artikel eine vom gemeinen Rechte abweichende Beschränkung der Eigenthumsrechte enthält“¹¹⁴¹. Statt einer Analogie zum Stadtrecht zu bilden, bevorzugten die Richter eine Auslegung dem römischen Recht entsprechend. Vergleiche zum römischen Recht zogen die Richter sehr differenziert. So entnahmen sie die Begriffsbedeutung Eigentum vollständig dem römischen Recht als mittlerweile gemeinrechtlich. Die Gleichstellung der formula lehnten sie jedoch aufgrund der andersartigen Strukturierung des antiken und zeitgenössischen Prozesses ab¹¹⁴². Die teilweise gleichen, nur anders ausgelegten Digestenstellen zei-

1138 Dazu Henkel, Begriffsjurisprudenz und Billigkeit, S. 102–104. 1139 AHL OAG L I 382 Kaping c. Derlien (1855) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 20. 1140 Wegen D. 22, 5, 21 und C. 4, 20, 8, 1, 20, sei der Rechtsgrund für die Beweislast entscheidend; den Rechtsgrund als wesentlich für die Beweislast strich auch Kierulff, eorie, S. 286, heraus. 1141 Bruhn, Sl. 2, No XV, Dillner c. Drevsen (1834), S. 120, 123. 1142 Eingehende Vergleiche zwischen antikem und Prozess des 19. Jahrhunderts oben, unter gemeines Recht: Zweiter Hauptteil A. I. 3. b).

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

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gen aber auch eine gewisse Beliebigkeit der Rechtsanwendung. Je nach Auslegung konnte die gleiche Digestenstelle das Gegenteil bedeuten.

cc)

Zusammenfassung

Bei der Beweislast lehnten sich die Richter in erster Linie an die römischen Quellen an. Aber auch anhand anderer Rechtsquellen entwickelten sie allgemeingültige Regelungen, wer was im Prozess zu beweisen habe. Diese selbst aufgestellte Systematik durchbrachen die Richter aber gelegentlich durch Billigkeitserwägungen. Anhand der Rechtsprechung zur Negatorienklage wird die wissenschaftliche Arbeitsweise deutlich. Vergleiche zum römischen Prozess ließen die Richter nur sehr differenziert zu. Aus dem allgemeinen Eigentumsbegriff, den sie sehr weit verstanden, leiteten sie eine spezielle Beweislastverteilung ab. So lösten die Richter einzelne Rechtsprobleme, indem sie auf allgemeine Grundsätze und De nitionen abstellten und darunter subsumierten. Das freiheitlich verstandene Eigentum war eines der zentralen Forderungen des 19. Jahrhunderts. Dieser Eigentumsbegriff entfaltet hier bis in den Zivilprozess Auswirkung und hilft Detailprobleme zu lösen.

4.

Beweisverfahren

Appellierte eine Partei gegen ein Urteil, welches das Ergebnis eines Beweisverfahrens betraf, beschwerte sie sich entweder über die Qualität des Beweismittels oder über die Überzeugungsbildung des Untergerichts. Aber nicht in allen Fällen war überhaupt ein Beweisverfahren nötig. Demnach bietet sich hier eine Dreiteilung an. Zunächst soll untersucht werden, wann ein Beweisverfahren notwendig war. Anschließend werden die unterschiedlichen Beweismittel anhand der Rechtsprechung erläutert und zum Schluss die Stellungnahmen des OAG zur Frage, ob ein Beweis gelungen war, dargestellt werden.

a) Notwendigkeit eines Beweisverfahrens Nicht immer war ein Beweisverfahren notwendig. Konnte der Richter bereits durch Augenschein die rechtlich relevanten Tatsachen ermitteln, war ein Beweisinterlokut mit anschließendem Beweisverfahren nach strittiger Auffassung¹¹⁴³

1143 Ausdrücklich gegen die Einordnung des Augenscheins als Beweismittel: Wetzell, System, § 44, S. 526.

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über üssig. Linde zählte den Augenschein zu den Beweismitteln mit notwendiger Beweisführung, Wetzell hingegen nicht¹¹⁴⁴. Das OAG hielt ein Beweisverfahren für entbehrlich, falls der richterliche Augenschein ausreichte. So änderte das OAG ein Interlokut des OG, das auf Beweis erkannt hatte, ab, und ordnete an, dass das erkennende Gericht sofort zu entscheiden habe¹¹⁴⁵. Die Schadenshöhe sei durch Augenschein zu ermitteln. Anders hätte das verletzte Dienstmädchen, das auf Schadensersatz gegen ihren Dienstherrn geklagt hatte, den Rechtsstreit wohl nicht gewinnen können. Ihr Dienstherr hatte mit einem Teller nach ihr geworfen und zwei Finger der rechten Hand verletzt. Die von dessen Frau statt eines „ordentlichen Wundarztes“ herbeigeholte „Quacksalberin“ hatte nur ein P aster auf die verletzte Hand gelegt. Die Finger waren nicht richtig geheilt und nun verkrüppelt und unbrauchbar. Das Niedergericht hatte dem zur Zeit der Verletzung keine 17 Jahre alten Hausmädchen den Beweis zur Bestimmung des Schadens auferlegt, welche Arbeiten sie genau nun nicht mehr verrichten könne¹¹⁴⁶. Dies verwarf das OAG. „Es giebt keine Beweismittel, wodurch sich mit Sicherheit ermitteln ließe, wie weit die Klägerin es durch Uebung in weiblichen Arbeiten oder Hausgeschäften zu bringen oder nicht zu bringen im Stande sein werde, da hierueber ein sachverständiges Urtheil kaum denkbar und jedenfalls gar viel von der Persönlichkeit der Verkrüppelten abhängig ist“¹¹⁴⁷. Stattdessen müsse darauf abgestellt werden, dass sie künftig mit den zwei lahmen Fingern kaum einen einträglichen Dienst erhalten werde. So komme es nur darauf an, ob die Hand tatsächlich so verkrüppelt sei, wie der Ratschirurg attestiert habe. Dies könne das Gericht durch Augenschein feststellen und dann den Schaden schätzen. Zugunsten der sozial unterlegenen Partei wich das OAG hier von einer Bescheinigung des Schadens ab. Zwar überließ es dem Niedergericht die Bestimmung des Schadens, zeichnete die Entscheidung aber vor. So ist in den Entscheidungsgründen von einer „beträchtlichen Entschädigung“ die Rede. Dass der Augenschein der Niedergericht-Richter Zweifel an der Verletzung aufkommen ließ, war höchst unwahrscheinlich. Soziale Gesichtspunkte spielten hier eine Rolle im Rahmen der Auslegung, wie ein Schaden zu beweisen sei. Durch die Appellation

1144 Linde, Lehrbuch, nannte Zeugen, Urkunden, richterlichen Augenschein, Sachverständige, Eid; Wetzell, System, hingegen: außergerichtliches Geständnis, Zeugenaussagen, Urkunden, Eid. 1145 Bruhn, Sl. 2, No XXXIII, Wildt c. W. (Wilcken) (1839), S. 269–276. 1146 Zum Sachverhalt: Bruhn, Sl. 2, No XXXIII, Wildt c. W. (Wilcken) (1839), S. 269 und 274. 1147 Bruhn, Sl. 2, No XXXIII, Wildt c. W. (Wilcken) (1839), S. 269, 275/276.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

gegen das Interlokut konnte das OAG über üssige Beweisverfahren also verhindern¹¹⁴⁸. Neben dem Augenschein war auch bei allseits bekannten Tatsachen, also bei Notorietät¹¹⁴⁹, kein Beweisverfahren nötig. Was man als allgemein bekannt voraussetzen konnte, war allerdings im Einzelfall höchst schwierig zu ermitteln. Das OAG legte einen recht großzügigen Maßstab an und vermied damit ausgedehnte Beweisverfahren. Zu der Frage, wer dafür zu sorgen habe, dass ein Pfahl erhalten bleibe, führten die Richter zum Beispiel aus: Es sei „notorisch, daß überall und namentlich zu Lübeck“¹¹⁵⁰ denjenigen die Unterhaltsp icht obliege, auf dessen Grundstück der Pfahl stehe. War eine Tatsache gerichtsbekannt oder lag ein Geständnis der Partei vor, bedurfte es ebenfalls keines Beweisverfahrens.

b)

Beweismittel

Fand ein Beweisverfahren statt, fragt sich, mit welchen Mitteln die Parteien die Tatsachen beweisen konnten. Welche Beweismittel es im gemeinen Prozess gab, beantwortete die gemeinrechtliche Literatur nicht einheitlich. Wetzell sah den Sachverständigen nicht als Beweismittel an, Bluhme hingegen klassi zierte den Sachverständigen als Beweismittel, ebenso wie den Augenschein und die Hilfseide¹¹⁵¹. Immer als echte Beweismittel wurden zumindest Zeugenaussagen und Urkunden genannt. Die hier getroffene Auswahl orientiert sich an der Rechtsprechung des OAG und ergänzend an der Darstellung in Langenbecks ausführlichem Standardwerk zur Beweisführung¹¹⁵².

aa) Zeuge Zumindest beim Zeugenbeweis unterschied das OAG zwischen Produktions- und Deduktionsverfahren. Im Produktionsverfahren konnte der Beweisführer seine Beweismittel vorbringen, im Deduktionsverfahren aus dem Beweismittel Schluss-

1148 Zu dieser Kontrollfunktion des Interlokuts Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 296. 1149 Erler, „Notorietät“, in: HRG III, Sp. 1062; Oestmann, Beweis von Rechtsnormen, S. 467, 480 f. 1150 Bruhn, Sl. 1, No LXXXX, Behrens c. Wwe. Spethmann (1832), S. 357, 360. 1151 Bluhme, Privatrecht nannte als „eigentliche“ Beweismittel: Zeugen und Urkunden, als „gemischte“ Beweismittel: Augenschein, Sachverständige, Eid; dazu, ob der Augenschein ein Beweismittel war siehe oben unter Zweiter Hauptteil B. II. 4. a). 1152 Langenbeck, Beweisführung 3.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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folgerungen ziehen, ob eine Tatsache dadurch bewiesen sei. Die Beweisartikel¹¹⁵³, die das OAG aufgrund einer Appellation zu überprüfen hatte, waren in einem Fall von 1835 nicht „gänzlich unerheblich“ und damit zulässig¹¹⁵⁴. Denn noch befand man sich lediglich im Produktionsverfahren, das noch nicht das Ergebnis der Beweisführung vorwegnehmen sollte. Die Aufgabe des Richters bestand hier lediglich darin, darauf zu achten, dass die Zeugen nicht zu völlig über üssigen Artikeln aussagten. Beweis selbst erbrachte nach Auffassung des OAG sowieso nicht der Artikel, sondern, was der Zeuge daraufhin aussagte. Die Richter stellten hier also keine hohen Anforderungen an die Beweisartikel, die den Zeugen vorgelegt werden sollten, sondern überließen den Parteien im Produktionsverfahren große Freiheit. Dass der Appellant Beweisartikel anfocht, zeigt, dass Zeugen auf Grundlage dieser Beweisartikel vernommen wurden. Auch wenn in Lübeck kein artikulierter Prozess stattfand¹¹⁵⁵, so wurde doch zumindest beim Zeugenbeweis auf Beweisartikel zurückgegriffen. Dies entsprach dem JRA von 1654. Zeugenaussagen waren die in Lübeck meist gebrauchten Beweismittel. Darin bestätigt sich für die Praxis am OAG, dass Zeugen das zentrale Beweismittel im 19. Jahrhundert waren¹¹⁵⁶. Zahlreiche Urteile des OAG beschäftigen sich mit glaubwürdigen, verdächtigen, unfähigen, unzulässigen oder untüchtigen Zeugen. Diese Adjektive, die das OAG in Zusammenhang mit Zeugen verwandte, gebrauchte auch die gemeinrechtliche Literatur. Zunächst soll hier die gemeinrechtliche Literatur zu dieser Terminologie untersucht und anschließend erst die Rechtsprechung des OAG dazu herangezogen werden.

(1) Gemeinrechtliche Terminologie Die Worte untüchtig, verdächtig oder glaubwürdig gebrauchte der gemeine Prozess, um zu verwertbaren Zeugenaussagen, also der Wahrheit einer durch eine Person wahrgenommenen Tatsache¹¹⁵⁷, zu gelangen. Die Voraussetzung dafür, dass der Richter seine juristische Überzeugung bilden konnte, war zunächst ein zuverlässiger Zeuge. Ein zuverlässiger Zeuge durfte nicht untüchtig sein, das heißt er musste die Fähigkeit haben, Tatsachen wahrnehmen zu können. Untüchtig waren beispielsweise „Wahnsinnige“ oder Kinder.

1153 Instruierung des Richters durch die beweisführende Partei, nach welchen Tatsachen der Zeuge genau zu befragen sei, Bluhme, System, § 662, S. 536. 1154 AHL OAG L I 206, Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27 Entscheidungsgründe, p. 12. 1155 Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 163. 1156 Schmoeckel, Psychologie, S. 57, 61. 1157 Martin, Lehrbuch, § 193, S. 360; Wetzell, System, § 23, S. 206.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Außerdem musste der Zeuge glaubwürdig sein. Da die Wahrheit seiner Aussage nach zeitgenössischer Auffassung von dessen Genauigkeit und Ehrlichkeit abhing, bedurfte es sichernder formeller Momente, die die Glaubwürdigkeit garantierten¹¹⁵⁸. Dies war beispielsweise der Zeugeneid, der aus dem Corpus Iuris Canonici abgeleitet wurde¹¹⁵⁹. Auf diesen Eid konnte jedoch die Gegenpartei verzichten. Der Verhandlungsmaxime wurde hier ersichtlich der Vorrang vor der fehlerfreien Aufklärung gegeben. Zu diesem Eid wurden alle zugelassen, die nicht wegen Meineids verurteilt waren. Hatte der Zeuge den Eid geleistet, war es dennoch möglich, dass an seiner Glaubwürdigkeit Zweifel bestanden, er mithin verdächtig war. Das war neben Verbrechern oder denen, die einen schlechten Lebenswandel führten, bei denjenigen der Fall, bei denen sich „aus irgendeinem Grunde annehmen lässt, daß sie nicht die volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit“¹¹⁶⁰ bezeugten, beispielsweise bei Familienangehörigen oder Dienstboten einer Partei¹¹⁶¹. Diese Verdachtsgründe geltend zu machen und zu beweisen, war Sache desjenigen, gegen den der Zeuge aussagen sollte. Zu ermessen, in welchem Verhältnis dadurch die Glaubwürdigkeit gemindert und deshalb durch andere Beweismittel zu ergänzen war, war Aufgabe des Richters¹¹⁶². Der Richter ließ die Zeugen zu, soweit sie glaubwürdig waren. Damit war der erste Schritt, die Zulassung, erfüllt; der Zeuge konnte nun vernommen werden. Für eine zuverlässige Zeugenaussage musste der Zeuge ordnungsgemäß vor Gericht aussagen. Der erforderlichen Form widmete die gemeinrechtliche Lehre große Aufmerksamkeit. Eine Partei musste den Zeugen dem Richter vorstellen und außerdem die zu beweisende Tatsache in einfacher Fassung dem Richter als Gegenstand der Vernehmung vorlegen¹¹⁶³. So konnte die Partei auf die Vernehmung der Zeugen durch den Richter einwirken. Der Produzent¹¹⁶⁴, also der Beweisführer, legte dem Richter dazu Beweisartikel vor. Der Produkt, also der Gegner, formulierte Fragstücke, also Fragen an den Zeugen, die sich auf die einzelnen Artikel bezogen und mit ja oder nein beantwortet werden konnten¹¹⁶⁵. Bei der Abhörung des Zeugen selbst war keine Partei zugegen. Es wurde aber ein Protokoll erstellt, welches den Parteien später zugesandt wur-

1158 Linde, Lehrbuch, § 261, S. 335, hebt insbesondere die Beeidigung hervor; Wetzell, System, § 23, S. 209. 1159 X 2, 20, 5 und 47. 1160 Wetzell, System, § 23, S. 212. 1161 Martin, Lehrbuch, § 195, S. 367. 1162 Wetzell, System, § 23, S. 213. 1163 Wetzell, System, § 23 S. 216. 1164 Producent – Beweisführer bei den eigentlichen Beweismitteln (Zeugen, Urkunde), vgl. Bluhme, System, § 647, S. 525. 1165 Bluhme, System, § 661, S. 536.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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de. Dieses sogenannte Zeugenrotul¹¹⁶⁶ schloss neue Zeugen zu demselben Artikel aus. Bei der Würdigung des Zeugenbeweises ging die herrschende Lehre davon aus, dass zwei Zeugen vollen Beweis erbrächten, also gegen Täuschung und Unredlichkeit schützten. Dies wurde durch zahlreiche Bibelzitate belegt¹¹⁶⁷. Aber auch die materielle Übereinstimmung von verdächtigen Zeugenaussagen steigerte die Wahrscheinlichkeit der Wahrheit. Wetzell enthielt sich an dieser Stelle einer genauen Prozentangabe „im Gegensatz zu älteren Juristen“, die aus zwei verdächtigen einen vollgültigen Zeugen machen wollten, mithin vier verdächtige Zeugen vollen Beweis begründen¹¹⁶⁸. Auch Linde, Martin und Schmid benutzten nicht mehr den Begriff der semiplena probatio, sondern stellten auf vollständigen oder unvollständigen Beweis ab¹¹⁶⁹. Die richterliche Verfügung, einen Zeugen zuzulassen, stellte nur einen Zwischenbescheid dar, gegen den die Partei nicht appellieren konnte¹¹⁷⁰. Daher waren es in erster Linie die Urteile, die am Schluss der Beweisaufnahme standen, gegen die die Partei vorging. Da die Lübecker Richter die gemeinrechtliche Terminologie benutzten, wird als weitere Arbeitshypothese zunächst davon ausgegangen, dass sie die gemeinrechtliche Lehre ihrer Rechtsprechung zugrunde legten. Ob sich dies bestätigt, wird die folgende Auswertung der Prozesse zeigen. Die Auswahl der Prozesse nimmt besonders auf partikulare Besonderheiten Rücksicht.

(2)

Lübeckische Civil-Prozeß-Ordnung von 1862

Von dieser gemeinrechtlichen Regelung zur Form der Zeugenvernehmung wich die lübeckische CPO von 1862 ab. Im Zuge der Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens fand nun die Befragung der Zeugen durch den Richter im Beisein der Partei samt Vertreter statt, § 105 der lübeckischen CPO von 1862.

1166 Linde, Lehrbuch, § 270, S. 346: Öffentliche Urkunde, die Auskunft über die Vernehmung aller gehörten Zeugen gab. 1167 Wetzell, System, § 23, S. 218: 5. Moses 17.6; Matthäus 18.16; Johannes 8.17. 1168 Wetzell, System, § 23, S. 218; ebenso Renaud, Lehrbuch, § 111, S. 308; so aber noch Mevius, Jurisdictio Pars III, decisio 402, S. 616, 617; Hommel, Rhapsodia, observatio 210, regula 10, S. 211. 1169 Dies bemerkte Endemann, AcP 41 (1858), 289, 302: Im Gegensatz dazu spreche Heffter von Gewissheit und Wahrscheinlichkeit. 1170 So das OAG, allerdings nur falls Einreden noch vorbehalten blieben: Bruhn, Sl. 2, No LXII, Garbereiter-Amt c. Rehwolt, S. 471–474, auch abgedruckt in Wunderlich, Bd. 1, No 249 B, Zusammenfassung des Verfassers von Garbereiter-Amt c. Rehwolt, S. 43; der Rechtsprechung folgte 1862 die lübeckische CPO § 108 Nr. 2.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

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Auch wurden Zeugen nur noch im Ausnahmefall zu Artikeln verhört, sondern der Richter durfte während der mündlichen Verhandlung im Rahmen des Beweissatzes beliebige Fragen stellen, die die Partei jedoch „veranlassen“¹¹⁷¹ durfte. Die Gesetzgebung lockerte hier also erheblich die Formvorschriften zugunsten des richterlichen Fragerechts. Bei Zweifeln über den Inhalt einer Zeugenaussage konnte das OAG zurückverweisen¹¹⁷². Trotz dieses Rückverweises hatte sich das OAG einige Monate später erneut mit der gleichen Sache zu beschäftigen. Dieses Mal stand die Auferlegung des Erfüllungseides in Frage. Dazu prüfte das OAG die Glaubwürdigkeit des Zeugen¹¹⁷³.

(3)

Glaubwürdigkeit

Wurden die Entscheidungen der vorigen Instanzen durch das OAG überprüft, beschäftigten sich die Entscheidungen weit überwiegend mit der Glaubwürdigkeit von Zeugen¹¹⁷⁴. Dabei überprüften die Richter die Glaubwürdigkeit nicht anhand der Persönlichkeit des konkreten Zeugen, sondern abstrakt anhand seiner Stellung zur Partei. Die gemeinrechtliche Doktrin benutzte höchstens vage Formulierungen wie Ehrlichkeit und Genauigkeit, um zu beschreiben, wann ein Zeuge glaubwürdig war und hatte daneben Fallgruppen entwickelt, wann ein Zeuge relativ untüchtig oder verdächtig sei¹¹⁷⁵. Diese relative Untüchtigkeit entsprach dem Prüfungspunkt der Glaubwürdigkeit, den das OAG durchführte. Zwar verwendete auch das OAG die gemeinrechtliche Terminologie zu Zeugen. Zu der Frage, wann ein Zeuge glaubwürdig ist, wurden daneben aber auch „allgemeine“ Glaubwürdigkeitserwägungen¹¹⁷⁶ angestellt, auf Verwandtschaftsverhältnisse¹¹⁷⁷,

1171 So die Wortwahl bei AHL OAG L I 661 Harder c. Timme (1876) Q 16, p. 8 der Entscheidungsgründe. 1172 Wunderlich, Bd. 2, No 364 A, Kaping c. Kemp (1856), S. 21; siehe auch den Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 68, Halbert & Rutlidge c. Wright Kelso & Co (1867), S. 576, 586: „So hat sich das OAG veranlaßt gefunden, wie in ähnlichen Fällen schon früher geschehen, durch Prälocut vom 26. Januar d. J. eine nochmalige Vernehmung des Zeugen zu verfügen“. 1173 Wunderlich, Bd. 2, No 364 B, Kaping c. Kemp (1856), S. 22–25. 1174 Zu der beginnenden Skepsis gegenüber Zeugenaussagen im 19. Jahrhundert: Schmoeckel, Psychologie, S. 57, 83. 1175 Wetzell, System, § 23, S. 213. 1176 Beispielsweise die Tätigkeit als Vermittler gegen Provision zwischen Parteien AHL OAG L I 692 Freitag c. Runge (1877) Q 18, p. 3 der Entscheidungsgründe. 1177 So beispielsweise in AHL OAG L I 56 Wwe. Orth c. Schütt (1826) Q 14, p. 3 der Entscheidungsgründe; AHL OAG L I 90 Wehde c. Wwe. Steen (1828) Q 18, p. 4 der Entscheidungsgründe.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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aber auch auf partikularrechtliche Vorschriften eingegangen. So wurde oftmals das Revidierte lübeckische Stadtrecht von 1586 dessen Artikel V, 7 von Zeugen handelte, herangezogen.

(a)

Abgrenzung Glaubwürdigkeit und Zulässigkeit

Auf den Unterschied zwischen Glaubwürdigkeit und Zulässigkeit eines Zeugen legte das OAG viel Wert. Besonders plastisch wird dies an folgender Entscheidung. Das Obergericht hatte eine Zeugin nicht zugelassen. Die Zeugin Bohnsack hatte mit dem klagenden Ehemann Arnold Vorster dessen Ehe mit der Beklagten gebrochen, und daher wollte das OG die „verdächtige Zeugin“ nicht zulassen. Vorster war nicht bereit, weitere Alimente an seine Frau zu zahlen, da sie aus dem Verkauf der überlassenen Wohnungseinrichtung bereits befriedigt sei. Obwohl das OAG ebenfalls erhebliche Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugin vortrug, hätte diese nach Auffassung der Richter doch aufgrund des Verlangens des Klägers zunächst zugelassen werden müssen¹¹⁷⁸. Das OAG trennte damit präzise zwischen der Verdächtigkeit bzw. der Glaubwürdigkeit und der Zulässigkeit bzw. Verwer ichkeit der Zeugin. Eine verdächtige Zeugin sei zwar zunächst zuzulassen. Ob die Aussage aber glaubhaft sei, dürfe erst anschließend geprüft werden. Diese formale Unterscheidung hielt das OAG strikt ein, obwohl aus der Argumentation bereits ersichtlich wird, dass an der Glaubwürdigkeit der Zeugin erhebliche Bedenken bestanden. Das Urteil überprüften die Richter an formalen Maßstäben, der gemeinrechtlichen Terminologie und Systematik. Ein Verstoß führte, abgesehen davon, wie die Zeugenaussage später bewertet wurde, zur Aufhebung. Durch diese streng formale Überprüfung hatte die Appellation des Klägers Erfolg. Das OAG überprüfte die Entscheidung des OG, die Zeugin gar nicht erst zuzulassen. Der im römischen und kanonischen Recht „ausgesprochene Grundsatz“¹¹⁷⁹, dass mitschuldige Verbrecher nicht zum Zeugnis zuzulassen seien, könne „nicht einmal für Criminalsachen im heutigen Recht als schlechthin anwendbar gelten“¹¹⁸⁰. Erst recht könne nicht aufgrund einer Verurteilung in Kriminalsachen zwingend auf eine Zeugnisunfähigkeit in Zivilsachen geschlossen werden. Dennoch subsumierten die Richter zunächst unter den genannten Grundsatz und stellten fest, dass dieser hier nicht einschlägig sei. Zum einen sei die Schuldigkeit der Bohnsack noch gar nicht festgestellt, erst recht fehle es an einer Verurteilung.

1178 Wunderlich, Bd. 1, No 316, Vorster c. Ehefrau (1853), S. 313–317 (315). 1179 Dazu wurde zitiert: D. 22,5, 3, 5; X 2, 20, 10 und 13 und 20 und 56 des Corpus Iuris Canonici. 1180 Wunderlich, Bd. 1, No 316, Vorster c. Ehefrau (1853), S. 313, 315.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Damit wählten die Richter eine für die Zulässigkeit der Zeugin günstige Auslegung. D. 22, 5, 3, 5 bestimmt, dass nicht als Zeuge aussagen darf, wer „als Frau öffentlich der Unzucht nachgeht (...) oder wer verurteilt oder überführt ist“¹¹⁸¹. Die Richter gingen aber im Zweifel zugunsten des Zeugen davon aus, dass auch für die Frau eine Verurteilung erforderlich sei. Obwohl die Subsumtion ergab, dass nach dem genannten Grundsatz die Zeugin zuzulassen war, führten die Richter weiter aus, dass der in Kriminalsachen unzulässige Zeuge nicht unbedingt in Zivilsachen unzulässig sei. So würde die Beweisführung in Zivilsachen weniger streng behandelt¹¹⁸². JRA § 53, der für Fragstücke, die auf ein Verbrechen oder eine Schande des Zeugen gerichtet sind, die Verwer ichkeit der Fragen aussprach und dem Zeugen ein Recht gab, die Frage nicht zu beantworten, dürfe nicht extensiv ausgedehnt werden. Die absolute Verwer ichkeit des Zeugen selbst dürfe daraus gerade nicht gefolgert werden. Ebenso wenig bestimme Praxis oder eorie die Verwer ichkeit eines Zeugen, der über seine „unsittliche oder unerlaubte Handlung“ aussagen solle, sondern nur dessen Verdächtigkeit¹¹⁸³. Im konkreten Fall komme außerdem hinzu, dass die Zeugin Bohnsack zu Tatsachen aussagen sollte, die nicht im direkten Zusammenhang zu dem Ehebruch stünden. Und da nun die „neuere und hiesige Praxis den einfachen Ehebruch doch nun einmal sehr gelinde bestraft“¹¹⁸⁴, so könne eine gänzliche Verwerfung der Zeugin, ohne diese zuerst anzuhören, nicht gerechtfertigt sein. Obwohl die Aussichtslosigkeit der Beweisführung in den Entscheidungsgründen deutlich anklingt, stellten sich die Richter gegen die vorherige Verwerfung durch das OG und eröffneten dem Kläger die Möglichkeit, die Beweisführung dennoch auf die Aussage der Zeugin zu stützen. Dogmatisch unterschieden die Richter deutlich zwischen der Zulässigkeit und der Glaubwürdigkeit von Zeugen. Obwohl hier der Sachverhalt bereits klar für eine Zulässigkeit sprach, sparten die Richter nicht daran, die rechtlichen Unterschiede der Zeugen im Kriminalbzw. Zivilverfahren anhand der gemeinrechtlichen Quellen herauszuarbeiten.

1181 D. 22, 5, 3, 5: Übersetzung nach Knütel/Kupisch/Seiler/Behrends, CIC IV, S. 125; eigene Unterstreichung. 1182 X 2, 21, 13. 1183 Dazu zitierten die Richter Pufendorf, Observationes II, 19, S. 105, 106; Hommel, Rhapsodia, observatio 210, regula 7, S. 211; observatio 211 (in der Hommel alphabetisch verschiedene Zeugen au istete und deren Glaubwürdigkeit bestimmte): „inquisitus“, S. 224, und „turpitudinem“, S. 234, 235; Schneider, Lehre vom Beweise, § 163, S. 111. 1184 Wunderlich, Bd. 1, No 316, Vorster c. Ehefrau (1853), S. 313, 316.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

(b)

225

Glaubwürdigkeit und Revidiertes Lübecker Stadtrecht V, 7, 15

Der Artikel V, 7, 15 beschäftigte das OAG mehrmals. Laut diesem Artikel konnte derjenige nicht zeugen, der in „einer Sachen in raten und thaten gewesen / oder part und theil“ daran hatte. Mit dieser Vorschrift hatte sich das OAG das erste Mal in einem Urteil vom 29. November 1826 auseinander gesetzt¹¹⁸⁵. Die Parteien, Schlesinger und Schwarz, waren dem Gericht bereits bekannt, denn schon anderthalb Jahre vorher war zwischen ihnen aufgrund des gleichen Rechtsstreits ein Beweisurteil überprüft worden¹¹⁸⁶. Man stritt um einen nicht bezahlten Wechsel. Zunächst war der Färber Heller Gläubiger des Wechsels gegen Schlesinger gewesen. Diesen hatte er dann aber an den Schwarz abgetreten, der nun neuer Gläubiger war. Schlesinger hatte wiederum eine Gegenforderung gegen Schwarz. Als Schlesinger diese Forderung einklagte, rechnete Schwarz dagegen auf („gegen eingestandene Schuld zur Compensation bringen wollte“¹¹⁸⁷). Schlesinger, Kläger und Schuldner der Gegenforderung, hatte gegen die Aufrechnung die lex Anastasiana¹¹⁸⁸ vorgebracht. Die lex Anastasiana des römischen Rechts bestimmte, dass der Käufer einer Forderung, der für sie einen geringeren Preis als die Forderungssumme bezahlt hatte, nur diesen geringeren Betrag vom Schuldner eintreiben durfte¹¹⁸⁹. Nach zwei vorangegangenen unterinstanzlichen Entscheidungen hatte das OAG geurteilt, dass Schwarz entweder die Übertragung der Forderung oder ihre Erfüllung zu beweisen habe. In dem jetzigen Rechtsstreit vor dem OAG stritten Schlesinger und Schwarz, ob dieser Beweis geführt sei. Schwarz hatte Heller, den ursprünglichen Gläubiger, als Zeugen vorgebracht, der aber nicht zugelassen worden war. Gegen diese Entscheidung wandte sich Schwarz. Das OAG führte systematisch die Umstände auf, die gegen Heller als Zeugen sprachen und prüfte diese anhand des Art. V, 7, 15 des Lübecker Stadtrechts von 1586. Wenn die Übertragung eines Wechsels von dieser Vorschrift erfasst sei, wäre der Zeuge Heller ausgeschlossen gewesen. Jedoch bezog sich der Artikel für das OAG nur auf den Fall, dass im Interesse der Partei, nicht aber wie hier lediglich im eigenen Interesse gehandelt

Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157–165. Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 A), Schlesinger c. Schwarz (1825), S. 150–157. Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 A), Schlesinger c. Schwarz (1825), S. 150 zum Sachverhalt. Laut Bruhn, Sl. 1, S. 151, durfte die lex Anastasiana in Lübeck durch VO vom 15. Januar 1848 nicht mehr zur Anwendung gebracht werden. 1189 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 55.7, S. 272: Das Gesetz wurde von Kaiser Anastasius erlassen und bezweckte den Schutz des Schuldners vor gewerbsmäßigen Forderungskäufern. 1185 1186 1187 1188

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

worden sei¹¹⁹⁰. Er könne aber doch dadurch „Part und eil“ an der Sache gehabt haben. Zunächst schlossen die Richter aus, dass es sich bei Heller um einen Zeugen in eigener Sache handele, denn er habe keinen direkten Vorteil oder Schaden am unmittelbaren Ausgang des Rechtsstreits. Doch reiche auch das „nahe und erhebliche Interesse“ am Ausgang des Prozesses. Dieses könne seine Glaubwürdigkeit verringern. Die Glaubwürdigkeit sei aber von der völligen Verwer ichkeit zu trennen. Damit müsste der Zeuge jetzt zugelassen werden. Die Zulassung habe aber salvis exceptionibus¹¹⁹¹ zu erfolgen, da sich die Möglichkeit nicht erkennen lasse, dass „wegen besonderer, zur Zeit aus den Acten noch nicht hervorgehender Umstände demnächst anzunehmen sein könnte: dieser Zeuge sei bei der Sache in „Rathen und aten“ gewesen, oder er habe daran „Part und eil“ und daß deshalb in der Folge eine gänzliche Verwer ichkeit seines Zeugnisses angenommen werden müßte“¹¹⁹². Die Schriftlichkeit des Verfahrens hemmte hier die schnelle und vollständige Sachverhaltsaufklärung; die endgültige Beendigung des Verfahrens verzögerte sich dadurch. Ein drittes Mal gelangte der Rechtsstreit trotzdem nicht vor das OAG. Das Niedergericht, an das der Fall zur weiteren Sachverhaltsaufklärung und Entscheidung zurück verwiesen wurde, entschied endgültig. Die Ausführungen zur Zulässigkeit des Zeugen zeigen zweierlei. Zum einen prüfte das OAG alle in Betracht kommenden Varianten der Norm vollständig durch, zum anderen unterschied es der gemeinrechtlichen Terminologie entsprechend (ohne aber auf das gemeine Recht als solches direkt Bezug zu nehmen) zwischen der Zulässigkeit und der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Diese Vorgehensweise war insofern unpraktisch, als dass es den Rechtsstreit in die Länge zog und noch nicht endgültig entschied. Auf diese Weise blieb jedoch das Gericht dem lehrbuchmäßigen Aufbau treu und wandte die Begriffe konsequent an. In einer um Jahrzehnte späteren Entscheidung von 1853 verwies das OAG auf diese erste, frühe Entscheidung Schlesinger gegen Schwarz, um die Auslegung des Stadtrechts zu erläutern. Danach könne unter „eigener Sache“ sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Zusammenhang nur der Hauptstreit gemeint sein und nicht das Faktum¹¹⁹³. In der späteren Entscheidung entwickelten die Richter die Argumentation allerdings weiter. Zwar zitierten sie das frühere Urteil. Die Entscheidungen stimmten auch tatsächlich in der Problemstellung wie im

1190 Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157, 162. 1191 Also vorbehaltlich der Einreden gegen die Person und die Aussagen des Zeugen; Pierer’s Universal-Lexicon, „Salvis“, Bd. 14, S. 816. 1192 Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157, 164. 1193 Wunderlich, Bd. 1, No 316, Vorster c. Ehefrau (1853), S. 313, 317; dazu siehe oben unter Verwer ichkeit: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (a).

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Ergebnis überein. Der Begründungsaufwand wich aber deutlich voneinander ab. So bauten die Richter die Begründung weiter aus, stützten sie durch weitere Argumente, Autoritäten und Rechtsquellen¹¹⁹⁴. In der späteren Rechtssache beriefen sie sich für die Auslegung des Stadtrechts zusätzlich auf Mevius. Mevius habe den Artikel auf das römische Recht zurückgeführt. Dementsprechend habe er die Stelle wie l. 1 § 11 D. quando appellandum sit et intra quae tempora 49,4¹¹⁹⁵ ausgelegt. Danach sei mit eigener Sache nur die Hauptsache selbst gemeint¹¹⁹⁶. Im Anschluss fassten die Richter prägnant ihr Ergebnis zusammen: „Bloß also wer an diesem (Rechtsstreit) beteiligt ist und von dessen Ausgang Vortheil oder Nachtheil, wenn auch vielleicht nur mittelbar, zu gewärtigen hat, kann als Zeuge in eigener Sache betrachtet und deshalb je den Umständen nach, indem das Richterermessen nicht gänzlich ausgeschlossen ist, verworfen werden“¹¹⁹⁷. Die reine Möglichkeit eines Voroder Nachteils reiche für die Verwerfung des Zeugen jedoch nicht aus. Der Rechtsstreit Vorster gegen Vorster, aus dem die zuvor genannten Erwägungen stammen, diente später in einem Hamburger Fall als Anhaltspunkt. Obwohl sich die Argumentation auf das lübische Recht gestützt hatte, verwiesen die Richter auf den lübeckischen Fall sowie auf ein Frankfurter Präjudiz. So postulierten die Richter auch in dem Hamburger Fall den Grundsatz (hier losgelöst von einer Vorschrift), dass das Interesse eines Zeugen nicht an der zu bezeugenden Tatsache gemessen werden dürfe. Vielmehr sei der Vor- oder Nachteil bei dem Ausgang des Prozesses entscheidend¹¹⁹⁸. An anderer Stelle betonten die Richter, dass „Alles auf die concreten Umstände und das persönliche Interesse des Mandantar bei der Sache“¹¹⁹⁹ ankomme. Damit war dem erkennenden Richter großes Ermessen eingeräumt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass die geschaffenen Grundsätze über das lübische Recht hinaus bedeutsam waren. Das OAG versuchte, unabhängig von den Stadtgrenzen einheitliche Rechtsgrundsätze anzuwenden. An eine hamburgische normative Grundlage knüpften die Richter hier nicht an.

1194 Zusätzlich wurde D. 22, 5, 10 zitiert: „Niemand wird in eigener Sache als tauglicher Zeuge angesehen“, Übersetzung aus: Knütel/Kupisch/Seiler/Behrends, CIC IV, S. 127: „Nullus ideoneus testis in re sua intellegitur“; C. 4, 20, 10; D. 49, 5, 11 ; Stadtrecht Art. II, 7, 16 und Stadtrecht Art. V, 7, 15. 1195 D. 49, 4, 1, 11. 1196 Wunderlich, Bd. 1, No 316, Vorster c. Ehefrau (1853), S. 313, 317. 1197 Wunderlich, Bd. 1, No 316, Vorster c. Ehefrau (1853), S. 313, 317. 1198 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 116, Brodersen & Rohde c. Oppenheimer (1867), S. 925, 930. 1199 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 3, No 116, Brodersen & Rohde c. Oppenheimer (1867), S. 925, 932.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Im Mai 1827 nahm das OAG umfassend Stellung zu Art. V, 7, 15. Der Rechtsstreit zwischen Peter Heinrich Mohrmann und Kapitän Christian Georg Hagen war bereits das zweite Mal vor das OAG gelangt¹²⁰⁰. Mohrmann verlangte Schadensersatz für Segeltücher, die Kapitän Hagen auf dem Seetransport zwischen St. Petersburg und Lübeck nicht in die Kajüte gebracht hatte und die deshalb beschädigt worden waren. Mohrmann bezweifelte in seiner Appellation die Zulässigkeit der von Hagen beigebrachten Zeugen. Es handelte sich bei den Zeugen um Angestellte des Hagen, die aussagten, dass es keine Verabredung gegeben habe, die Segeltücher in die Kajüte zu schaffen. Das OAG begann seine Ausführungen mit dem systematischen Hinweis, dass das lübeckische Stadtrecht zwar in Art. 20 Vormünder, Schwäger und Blutsverwandte als Zeugen ausnahmsweise zuließ, falls keine anderen Zeugen vorhanden seien. Diese Vorschrift dürfe aber nicht analog auf Angestellte ausgedehnt werden. Für den konkreten Fall wiesen die Richter zusätzlich darauf hin, dass es möglich gewesen wäre, zumindest den Ablader als Zeugen hinzuzuziehen. Dies sei nur durch Nachlässigkeit des Beklagten unterblieben. Das Ergebnis wurde hier mit einem fallbezogenen Argument unterfüttert. Im Anschluss wandten sich die Richter Art. V, 7, 15 zu und begannen mit dem „buchstäblichen Sinne“ des Wortes „Sache“¹²⁰¹, das den zu untersuchenden Fall umfassen würde. Jedoch gebiete die „Rücksicht auf den wahren Sinn und Geist (...), gemäß die bey der Gesetzgebung gelegte Absicht“, dass Sache anders verstanden werden müsse, „weil dann in den meisten Fällen die der Sache am besten kündigen und nach der Natur der Sache durchaus unverdächtigen Zeugen ohne allen Grund“ nicht vernommen werden dürften. Nachdem das Problem angerissen wurde, stellten die Richter das Ergebnis heraus, dass nämlich der Beklagte nicht gehindert sein dürfe, seine Angestellten als Zeugen zu benennen, was im Anschluss ausführlich begründet wurde. Diese Vorgehensweise entspricht dem Urteilsstil. Dazu zitierten die Richter zunächst im originalen Wortlaut („Van tuegen in Spelinge. Nein man mach up den andern Tuegen, dede mede wesen is in Rede und Dade, im oeck und foerde (ie in turba), dit ist tho vorstande, efte he des bekennet, da he damede gewesen is“)¹²⁰² aus den Codices, der Vorgänger-Vorschrift, aus Brokes Observationen¹²⁰³, aus denen sich die spätere Vorschrift wahrscheinlich entwickelt habe. Hier zogen die Richter also eine mittelalterliche Rechtsquelle als Auslegungshilfe heran. Zur

1200 AHL OAG L I 42 (1825) und 78 (1827) Mohrmann c. Hagen, zuvor auch zitiert in: AHL OAG L I 70 ee c. Wwe Bahlen (1827) Q 13, p. 7 der Entscheidungsgründe. 1201 AHL OAG L I 78 Mohrmann c. Hagen (1827) Q 14, p. 5 der Entscheidungsgründe, auszugsweise abgedruckt in Bruhn, Sl. 1, No XXXIV, S. 142–149 (damit entgegen fehlendem Hinweis bei Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar III, S. 499, veröffentlicht). 1202 AHL OAG L I 78 Mohrmann c. Hagen (1827) Q 14, p. 6 der Entscheidungsgründe. 1203 Dazu Ebel, Lübisches Recht I, S. 197.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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weiteren Erläuterung verwiesen sie auf Andersons Hamburgisches Privatrecht¹²⁰⁴. Mit diesem Bezug auf hamburgisches Recht knüpften die Richter an die verwobenen beiden Stadtrechte an¹²⁰⁵. Diese Bestimmung besage, dass bei gemeinschaftlichen Streitigkeiten nicht ein Teilnehmer gegen den anderen zugelassen werden dürfe. Der Grund besteht nach Auffassung des OAG darin, dass jeder Teilnehmer seine eigene Schuld so gering wie nur eben möglich darstellen werde, auch auf Kosten der anderen Teilnehmer. Diese Sachlage, die das ältere Recht annahm, lag nun aber hier nicht vor, woraus die OAG-Richter folgerten, dass Art. 15 nicht anwendbar war. Diese ältere Stelle benutzten die Richter, um das neuere Stadtrecht auszulegen. Sie betonten, dass die Bedeutung des älteren Stadtrechts für die Auslegung keinesfalls zu gering zu achten sei, und postulierten den Grundsatz, dass „niemand durch einen Zeugeneid gezwungen werden soll, das zu offenbaren, was ihm der Gegner des Producenten anvertraut hat“¹²⁰⁶. Die Richter trafen diese allgemeine Aussage zum Zeugeneid, obwohl sie im Anschluss klarstellten, dass dies nun nicht den hier zu entscheidenden Fall betreffe. Hier solle nämlich gerade nicht über die Aussagen des Gegners, sondern über die eigene Auskunft gegeben werden. Nach diesen obiter dicta näherten sich die Richter dem konkreten Fall: „Nun kann gemäß derjenige, welcher in einer Sache gerathen und geholfen hat, auch wenn er sonst nicht dabey persönlich interessiert ist, eine so große Vorliebe für den glücklichen Ausgang derselben gewinnen, daß sein Zeugniß allerdings verdächtig wird“. Dies sei häu g bei Personen der Fall, die als Ratgeber und Gehilfen in der Sache gedient hätten¹²⁰⁷. Diesen Gedanken stützten die Richter durch eine Parallele im römischen Recht (D. 22, 5, 25) und eine Analogie zu Art. I, 1, 8 des lübeckischen Stadtrechts. Jedoch sei die Regel nicht soweit auszudehnen, dass niemand zugelassen werden dürfe, dem die eigene Aussage einen Vorteil bringe. Denn dieses weite Verständnis der Norm liege offenbar nicht im Sinn und in der Absicht des Gesetzes¹²⁰⁸. Selbst wenn man diese weite Auslegung der Norm zugrunde lege, seien im konkreten Fall die Zeugenaussagen zuzulassen. Hier habe nämlich der beklagte Kapitän und nicht der Arbeitgeber die Angestellten zu Zeugen ernannt. Damit verzichte er auf die ihm günstige Einrede. Die Richter maßen hier der Disposition der Partei die höchste Stellung bei. Dabei ließen sie sich aber nicht nehmen, umfangreiche Ausführungen zu der hier nicht entscheidenden Rechtsfrage zu treffen.

1204 Christan Daniel Anderson, Hamburgisches Privatrecht, 5 Bände, 1782–1792. 1205 Dazu Ebel, „Lübisches Recht“, in: HRG III, Sp. 77, 80; Eichler, Hansisches Recht, S. 127–140. 1206 AHL OAG L I 78 Mohrmann c. Hagen (1827) Q 14, p. 8 der Entscheidungsgründe. 1207 AHL OAG L I 78 Mohrmann c. Hagen (1827) Q 14, p. 9 der Entscheidungsgründe. 1208 AHL OAG L I 78 Mohrmann c. Hagen (1827) Q 14, p. 11 der Entscheidungsgründe.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Diese Auslegung der partikularrechtlichen Norm ist vorbildhaft¹²⁰⁹. Beginnend vom Wortlaut über Sinn und Geist der Absicht des Gesetzgebers, über die breitesten Raum einnehmende historische Auslegung wurden Parallelen zum römischen Recht gezogen und eine andere Bestimmung des Stadtrechts im systematischen Vergleich herangezogen. Abschließend wiederholten die Richter den „offensichtlichen“ Sinn und die Absicht des Gesetzes und maßen mit diesem abermaligen Verweis dieser Auslegung eine besondere, hervorzuhebende Bedeutung bei. Die Wortwahl Sinn und Geist, Absicht des Gesetzgebers¹²¹⁰ erinnert an ibaut, der für die Auslegung den „Geist der Gesetze, das heißt auf die Absicht des Gesetzgebers und den Grund des Gesetzes Rücksicht“ nehmen, hervorhebt¹²¹¹. ibaut betonte damit die enge Auslegung am Gesetzeswortlaut, die buchstäbliche Treue, also die enge Bindung des Rechtsanwenders. Damit stand er konträr zu Savigny, der die organische Ergänzung zuließ, also Weiterentwicklung „des positiven Rechts aus sich selbst“¹²¹². Die beiden obiter dicta illustrieren das Bestreben der Richter nach verallgemeinerungsfähigen Aussagen. Dass die Richter bereits 1827 systematisch argumentierten, zeigt, dass sie eine für ihre Zeit sehr fortschrittliche Gesetzesinterpretation betrieben¹²¹³. Diese Entscheidung ist grundlegend für die Glaubwürdigkeit von Zeugen nach dem lübeckischen Stadtrecht. Auch in späteren Entscheidungen wird auf diese Argumentation verwiesen. Es nden sich in späteren Entscheidungen wortgleiche Zitate aus dieser Entscheidungsbegründung. Zugleich wird die eingeschlagene Argumentation weiterentwickelt. Mit dem Rechtsstreit zwischen Marty und Gibbons & Healing beschäftigte sich das OAG insgesamt dreimal, zunächst 1835¹²¹⁴. Der Kaufmann Marty hatte 1828 den Auftrag erhalten, guten, trockenen, alt und neu gemischten

1209 Zum Maßstab von Gesetzesinterpretation im 19. Jahrhundert Brockmöller, Rechtstheorie, S. 82, betont Suche nach dem „Geist der Gesetze“, 96 ff.; zu Savignys VierElementen-Lehre: Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 168, 169; Rückert, Fälle und Fallen, S. 23, 25 ff. 1210 Dieselbe Wortwahl des OAG zu familienrechtlichen Fällen, vgl. Kraglund, OAG Familienrecht, S. 118, 119. 1211 ibaut, Pandekten, § 43, S. 35. 1212 So die Auslegung Rückerts, Autonomie des Rechts, S. 63, der gegensätzlichen Positionen ibauts und Savignys. 1213 Schröder, Wissenschaft, S. 234, ordnet der systematischen Auslegung erst nach 1850 größere Bedeutung bei. 1214 AHL OAG L I 206 (1835); AHL OAG L I 215 (1837) und AHL OAG L I 262 (1844) Gibbons & Healing c. Marty (veröffentlicht in Bruhn, Sl. 2, No XXIII A, S. 168–182; während sich die erste Appellation unter anderem mit der Glaubwürdigkeit von Zeugen beschäftigt, beschwert sich die zweite über die Fassung der Fragstücke an die Zeugen, die dritte zielt auf den nötigen Umfang des erbrachten Beweises ab.

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Weizen von Travemünde nach Liverpool zu liefern. Die Ladung war zwar in Liverpool angekommen, aber man stritt über die vereinbarte Menge. Das Gewicht und Volumen waren zuvor abgesprochen, die Gesellschaft Gibbons & Healing meinte aber, dass Marty nicht dementsprechend geliefert habe, der Weizen also nicht die vereinbarte Qualität gehabt habe¹²¹⁵. Dazu berief sich die britische Gesellschaft auf die Ablader, die im Hafen von Liverpool den Weizen in Empfang genommen hatten. Gegen die Zulassung der Ablader als Zeugen, die für Gibbons bezeugen sollten, dass das in Liverpool ausgelieferte Getreide ein höheres Volumen, dafür ein geringeres als das vereinbarte Gewicht hatte, wandte sich Marty. Marty machte neben dem allgemeinen Vorwurf der Parteilichkeit die besondere Vorschrift des Art. V, 7, 15 geltend. Den allgemeinen Vorwurf der Parteilichkeit hatte er darauf gestützt, dass es sich bei den Zeugen um Angestellte von Gibbons & Healing handelte. Mit einem Verweis auf das lübeckische Stadtrecht, das allein die Eigenschaft als Angestellter nicht ausreichen ließ, um ein Aussagehindernis zu begründen, verwarfen die Richter diesen Vorwurf jedoch. Den Hinweis auf Art. V, 7, 15 leiteten sie mit dem Ergebnis ein, dass diese Stelle auf den vorliegenden Fall unanwendbar sei. Den wahren Sinn der Vorschrift hätten sie bereits in der Sache Mohrmann gegen Hagen dargelegt. Im Folgenden fassten die Richter das Ergebnis dieser bereits entschiedenen Rechtsfrage zusammen: „Daß nemlich diese Vorschrift nicht Alle und Jede, die in Auftrag einer Partei mit dem Gegenstande, welcher die Veranlassung zum Processe gegeben, zu thun gehabt haben, als solche habe bezeichnen wollen“¹²¹⁶. Nach diesem abstrakt formulierten Ergebnissatz, stellten die Richter zunächst eine sehr allgemeine, rhetorisch scharf formulierte Begründung zur Verfügung. Und zwar könne es nicht im Geiste „unseres“ gemeinen Prozessrechts sein, dass nur zufällige, müßige Zuschauer zulässige Zeugen seien, die gar nicht mit Genauigkeit aussagen könnten. Diejenigen hingegen, die sich mit dem Streitobjekt eingehend beschäftigt hätten und damit die besten und unverdächtigsten Zeugen darstellten, als Zeugen jedoch ausgeschlossen seien¹²¹⁷. Der Verweis auf das frühere Urteil diente also dazu, sich umfangreiche Wiederholungen zu ersparen. Allerdings gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine Entscheidungsveröffentlichungen, so dass fraglich bleibt, wie die Anwälte das Präjudiz hätten einsehen können. Dass die Richter das zuvor ergangene Urteil samt Entscheidungsgründen als bekannt voraussetzten, zeigt, dass die Gründe keinesfalls geheim gehalten wurden. Wahrscheinlich

1215 Zum Sachverhalt: AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Relation. 1216 AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27, p. 7 der Entscheidungsgründe. 1217 AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27, p. 8 der Entscheidungsgründe.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

waren sie der Partei bekannt. Es muss daneben eine Möglichkeit gegeben haben, sich auch als nicht durch den Streit betroffene Partei über die Entscheidungsgründe zu informieren. So begnügte sich das Gericht auch nicht nur damit, auf die bereits ergangene Entscheidung zu verweisen, sondern formulierte neben dem Ergebnis eine knappe Begründung. Dieser eingängigen Formel folgte eine genauere Darlegung, die sich jedoch von den Gründen im vorangegangenen Fall deutlich unterschied. Auf eine erneute historische Einordnung verzichteten die Richter und bauten stattdessen andere Argumente weiter aus. Die Codices aus Brokes Oberservationen wurden dieses Mal nur kurz zitiert, stattdessen wurde aber noch auf den Stadtrechtskommentator Mevius Bezug genommen, der lediglich einige rechtsgeschäftlich handelnde Berufsgruppen als von Art. 15 erfasst angesehen hatte. Mit einer offenen, ausfüllungsbedürftigen Formulierung, die bereits aus dem vorgehend dargestellten Fall bekannt ist, nämlich dass derjenige, welcher in einer Angelegenheit geraten und geholfen hat, unbedingt vom Zeugnis auszuschließen sei, wenn er, „auch ohne sonst persönlich dabei interessiert zu sein, doch eine so große Vorliebe für den glücklichen Ausgang derselben gewonnen hat“¹²¹⁸, schlossen die Richter die Argumentationskette. Dieses Mal wurde darüber hinaus der Begriff der Sache problematisiert. Es sei, hieß es, damit die Rechts- oder Streitsache gemeint, entsprechend dem Begriff im römischen Recht, denn dies sei der gewöhnliche Begriff der Sache in älteren Rechtsquellen, wie die Richter an Zitaten aus einem BremischNiedersächsischen Wörterbuch¹²¹⁹ (Begriff „Sake“) belegten. Die Wortbedeutung wurde also zum Zeitpunkt der Vorgängervorschrift als Maßstab für den späteren Gesetzgeber ermittelt. Damit versuchten die Richter, die gewöhnliche Wortbedeutung zur Zeit und Ort des Gesetzeserlasses zu ermitteln, was der damaligen herrschenden Meinung entsprach¹²²⁰. Damit stimme die Auslegung des Art. 15 mit l. 25 D. de testibus (22,5)¹²²¹ überein, wonach Sachwalter nicht in Rechtsstreitigkeiten als Zeugen aussagen durften, in denen sie als Rechtsbeistand tätig waren. Nachdem nun die Auslegung der partikularrechtlichen Vorschrift dem gemeinen Recht entsprach, wandten die Richter diese Auslegung auf den konkreten Fall an. Sie subsumierten also. Danach hatten die körperlich arbeitenden Zeugen an dem erst später erwachsenden Prozess kein Interesse.

1218 AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27, p. 9 der Entscheidungsgründe. 1219 Tiling, Versuch eines bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs, Bremen 1771. 1220 Vgl. Schröder, Wissenschaft, S. 230 Fn 245. 1221 D. 22, 5, 25.

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Auf diese Weise verwendeten die Richter den Urteilsstil. Zunächst warfen sie im ersten Satz der Entscheidungsbegründung die maßgebende rechtliche Frage auf, die sich in dem konkreten Fall stellte. Anschließend lieferten sie ihr Ergebnis und begründeten es. Erst im Anschluss wurde das so begründete rechtliche Ergebnis auf den zu entscheidenden Fall angewandt. Die Lösung des Einzelfalls stand hier nicht im Mittelpunkt des Interesses, sondern bildete nur den Abschluss des langen Begründungsaufwandes eines verallgemeinerungsfähigen Ergebnisses. Die eigene Rechtsprechung zementierten die Richter durch wörtliche Wiederholung und erneuten Begründungsaufwand. Deutlich wird an dieser Entscheidung wiederum, dass die Formulierung allgemeiner Rechtssätze über den konkreten Rechtsfall hinaus interessant blieb. Ein gefundenes Ergebnis erneut zu verwenden, war durch den strukturierten Aufbau möglich. Es wurde nämlich zunächst die Auslegung des Rechtssatzes erarbeitet, diese durch ältere und gemeinrechtliche Rechtsquellen untermauert und erst im Anschluss hieran auf den konkreten Fall angewendet. Voraussetzung zur erneuten Verwendung war also ein verallgemeinerungsfähiger Grundsatz. Den gemeinrechtlichen Begriff der Glaubwürdigkeit von Zeugen füllten die Richter durch das lübeckische Stadtrecht aus, also der partikularen Vorschrift, und präzisierten damit den weiten Begriff der Glaubwürdigkeit. Die Auslegung des Stadtrechts festigten die Richter wiederum mit ähnlichen gemeinrechtlichen Vorschriften entsprechend der strikten Interpretation. Auf diese Weise wurde das Partikularrecht in das System des gemeinen Rechts eingebunden. Die Rechtsquellen standen sich hier nicht als eigenständige, abgeschlossene Systeme gegenüber, sondern die Richter suchten die Verbindung der unterschiedlichen Vorschriften, nutzten die Systematik des gemeinen Rechts und ergänzten Einzelheiten durch das partikulare Recht. Dies fügte sich in eine Entwicklung der Wissenschaftsgeschichte ein, die nach und nach stärker danach strebte, den Einheitsgrundsatz¹²²² zu verwirklichen¹²²³. Die Vorgehensweise der Richter führte zur Systematisierung des Rechts. Ein einheitliches System scheint das Ziel dieser Vermengung gewesen zu sein. Die vorhandene Normierung nutzten die Richter auf diese Weise größtmöglich. Die systematische Gesetzesauslegung wandten die Juristen hier auf partikulare Rechtsquellen an, sie nutzten das System des römischen Rechts. Der Aussage, dass die Pandektistik praxisfern und nicht geeignet war, partikularrechtliche Fragen zu lösen, muss damit entgegengetreten werden¹²²⁴. Zumindest die Recht-

1222 Den Begriff des Einheitsgrundsatzes gebraucht Rückert, Reyscher, S. 388, dabei stehen nicht die einzelnen Rechtsquellen im Vordergrund, sondern deren Verbindung. 1223 Schäfer, Germanistik, S. 29, 581. 1224 So aber Schlosser, Privatrechtsgeschichte, § 6, S. 151, 155.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

sprechung des OAG, die von pandektistisch gebildeten Richtern ausging und sich bei der Rechtsanwendung an die römischen Quellen anlehnte, war durchaus in der Lage, konkrete Rechtsfälle zu lösen. Zwar wurde nicht ausschließlich römisches Recht gebraucht. Aber die in der Pandektistik gefundene Systematik wurde auf partikularrechtliche Vorschriften übertragen. Ein kreativer Umgang mit dem Quellenmaterial des Corpus Iurius Civilis durch eine Gesamtschau von Quellenexegese, Systemdenken und der Entwicklungsgeschichte¹²²⁵ kann hier in der Praxis für den Zivilprozess beobachtet werden. Dem könnte man entgegensetzen, dass die Richter gar nicht pandektistisch, sondern vielmehr germanistisch vorgingen. Denn die römischen Rechtsquellen sind lediglich ein Ansatzpunkt unter vielen. So griffen die Richter auf die Rechts gur der Natur der Sache oder auf das partikulare Recht zurück. Schäfer charakterisiert die methodische Vorgehensweise der Germanisten in zwei Schritten. Zunächst hätten sie aus vorhandenen Rechtsquellen universale Rechtssätze synthetisiert¹²²⁶. In einem weiteren Schritt hätten sie diese Rechtssätze zu Rechtsinstituten in einem wissenschaftlichen System gebündelt. Auch diese Vorgehensweise traf auf das OAG zu. Entscheidend aber ist, dass sie die Systematik den gemeinrechtlichen Lehrbüchern entnahmen. Eine strenge Zuordnung der Rechtsprechung als germanistisch oder pandektistisch fällt schwer und ist vielleicht gar nicht eindeutig möglich. Für den Zivilprozess formten hier jedenfalls Praktiker eine leistungsfähige Zivilprozessrechtsdogmatik¹²²⁷. In einem späten, erst 1879 entschiedenen Fall wurde das Stadtrecht vergleichend herangezogen, um die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen zu belegen. Hier nutzten die Richter die einmal entwickelte Rechtsprechungspraxis zum lübeckischen Stadtrecht, um eine neue Fallgruppe zu erörtern. Das System der eigenen Rechtsprechung erhielt so eine über die einzelne Fallgruppe hinausreichende Relevanz. Dieses Mal stand nicht die Glaubwürdigkeit eines Angestellten oder Beauftragten in Frage, sondern eines Cridars, also eines Konkursschuldners, der nicht mehr befugt war, über die Konkursmasse zu verfügen. Dem Leser, der mit der Rechtsprechung des OAG vertraut war, bot dieser Fall die Möglichkeit, auf die einmal entwickelte Wertigkeit bei der bekannten Fallgruppe zurückzugreifen. Wiederum verwendeten die Richter die gemeinrechtliche Terminologie. Rechts-

1225 So Keilmann „Pandektistik“, in: Examinatorium Rechtsgeschichte, S. 375, 376; Rückert, FS Canaris, S. 1263, 1274; Schmoeckel, Verlorene Ordnung, S. 370. 1226 Schäfer, Germanistik, S. 697: Durch spezi sche Methoden wie Rechtsvergleichung, Rechtsgeschichte, Empirie, Natur der Sache. 1227 Insoweit Ergänzung zu Keilmann, „Pandektistik“, in: Examinatorium Rechtsgeschichte, S. 375, 376.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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quellen sind in der gesamten Urteilsbegründung nicht zu nden. Die Richter entwickelten aus ihrer eigenen Rechtsprechung, wann nun ein Cridar als glaubwürdig anzusehen sei. Die Präjudizien waren hier der Ausgangspunkt. Am Schluss der Ausführungen belegten die Richter ihre Ansicht lediglich mit Literatur und neuerer Gesetzgebung, die ihrem System entsprechend ergangen sei. Den Ausführungen lag folgender Fall zugrunde. Möllendorf war mit seiner Mutter von dem Konkursverwalter des Flotow verklagt worden, aus einer Bürgschaft 2366 Mark zu zahlen. Die Beklagten Möllendorf wandten sich mit ihrer Appellation gegen den klägerischen Erfüllungseid und verlangten stattdessen, den Reinigungseid leisten zu dürfen¹²²⁸. So überprüfte das OAG, ob aufgrund der vom Kläger angeführten Zeugen die Auferlegung des Erfüllungseides fehlerhaft gewesen war. Nachdem das Gericht die Aussagen der Zeugen geprüft hatte, behandelte es ihre Glaubwürdigkeit. Zur Glaubwürdigkeit des Gemeinschuldners Flotow stellte das OAG mit Verweis auf eigene in Sammlungen veröffentlichte Entscheidungen fest, dass ein Cridar nicht allein wegen des Konkurses ein allgemein unzulässiger Zeuge sei, sondern dass nur die relative Unfähigkeit in Prozessen für oder wider die Konkursmasse begründe. So müssten für die Unglaubwürdigkeit besondere Umstände hinzukommen, sofern gegen die Masse ausgesagt werde¹²²⁹. Als Beleg verwiesen die Richter auf eigene Entscheidungen sowie auf eine Entscheidung des OAG Dresden, die in Seufferts Archiv veröffentlicht war. Werde jedoch für die Konkursmasse ausgesagt, sei in der Regel von einem moralischen wie pekuniären Interesse des Cridars auszugehen, ausgenommen seien davon nur ungewöhnliche Ausnahmefälle. Denn die Hoffnung auf eine verbesserte Vermögenslage begründe ein unmittelbares Interesse, sich gegenwärtig und fortdauernd nicht mit einem größeren Schuldenbetrag belasten zu wollen. Außerdem betreffe die zu bezeugende Angelegenheit einen Zeitpunkt, in dem der Cridar noch in eigener Sache gehandelt habe und von ihm damit Unparteilichkeit gar nicht habe erwartet werden können. Dies wird „beispielsweise“ oder „wie hier“ anhand des vorliegenden Falles, in dem es sich um den Inhalt eines Vertrages handelte, aufgezeigt¹²³⁰. Die Ausführungen zur Zulässigkeit von Zeugen haben in ihrer Systematik lehrbuchartigen Charakter, die gleichzeitig ein System der eigenen Rechtspre-

1228 AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Flotow (1879) Q 1 Appellationslibell, S. 3. 1229 AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Flotow (1879) Q 15, p. 8 der Entscheidungsgründe; Unterstreichungen durch das Gericht. 1230 AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Flotow (1879) Q 15, p. 11 der Entscheidungsgründe.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

chung verdeutlichen. Eine „Begriffspyramide“¹²³¹ wird deutlich. Der zu entscheidende Fall wurde nur als ein Beispiel in dieses System einbezogen, das sich immer weiter aufgliedern lässt. So bildete die Zulässigkeit eines Zeugen den Ausgangspunkt. Dann wurde festgestellt, dass es sich hier um die Zulässigkeit eines Cridars handelt. Unterschieden wurde zwischen absoluter und relativer Unzulässigkeit und ob für oder gegen die Konkursmasse ausgesagt werde. Bei absoluter Unzulässigkeit konnte der Zeuge gar nicht erst zugelassen und vernommen werden, die relative Unzulässigkeit begründete hingegen nur, dass der Zeugenaussage mit Vorsicht begegnet werden musste, er also ein verdächtiger Zeuge war, dessen Glaubwürdigkeit vermindert sein konnte. Die Systematisierung erscheint aber nicht lebensfremd und abgekoppelt von der Wirklichkeit. Die Begründung durch das jeweilige „moralische oder pecuniäre“ Interesse des Cridars, wenn er für die Masse aussage, zeugt davon, dass die Richter sich in die Lage des Schuldners versetzten. Sein geschildertes Interesse an dem Ausgang des Rechtsstreits kann sich der Leser lebhaft vorstellen. So ist die Aufsplittung abstrakt (relative Unzulässigkeit – für oder wider die Masse), aber gleichzeitig ist die Begründung äußerst lebensnah und verständlich. So argumentierten die Richter, dass der Cridar, der für die Masse aussage, in der Regel ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits habe. Die abstrakte Begriffspyramide diente so dazu, über den konkreten Fall hinaus zu entscheiden. Die Begründung spricht für ein wirtschaftliches Verständnis der Richter. Dabei gingen sie höchst systematisch vor. Sie griffen auf die allgemeinere gemeinrechtliche Begrifflichkeit zurück und gestalteten diese weiter aus. Ziel war es dabei, wie sich aus der Begründung erkennen lässt, eine interessengerechte Lösung über den Einzelfall hinaus zu nden. Die Konstruktion war kein Selbstzweck, sondern diente der möglichst gleichbleibenden Lösung von verschiedenen Streitigkeiten. Dies lässt einmal mehr die überkommene Auffassung von der sogenannten Begriffsjurisprudenz als lebensfremd und allein der Logik verhaftet überdenken¹²³². Gestützt wurde dieses System in erster Linie auf die eigene Rechtsprechung. Als Beleg zogen die Richter eine Parallele zu der statutarischen Vorschrift heran.

1231 Zu dem Begriff Henkel, Begriffsjurisprudenz und Billigkeit, S. 34, 35; Haferkamp, Puchta, S. 94–101, betont, dass dieses Bild erst im 20. Jahrhundert geprägt wurde. 1232 So schon Haferkamp, Puchta, S. 105, 467: Das System als bloße Form der Darstellung, die daneben ein Bedürfnis nach Billigkeit ausdrücke; Henkel, Begriffsjurisprudenz und Billigkeit, insbesondere S. 233, 234; Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 208; Rückert, TRG 61 (1993), S. 65, 85, zu Puchta: „Genealogievorstellung nur Verdeutlichung des systematischen Elements in der ganzen Jurisprudenz“ und S. 86, der auf die Ähnlichkeit mit Kierulff verweist; als lebensfremd allerdings noch Larenz, Methodenlehre, 20–22; Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 400.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Die Freiheit der Beobachtung stehe bei dem Cridar ebenso stark in Frage wie bei jemanden, der „in Rathen und aten“ sei. Damit verwiesen die Richter auf das Lübecker Stadtrecht V, 7, 15 und auf ihre Rechtsprechung dazu. Nachdem die Richter sich bis zum Aufkommen dieses Argumentationssystems ausschließlich auf gegenwärtige Rechtsprechung gestützt hatten, belegten sie nun diese Differenzierungen anhand der gemeinrechtlichen Doktrin. Dazu zitierten sie ältere, noch aus dem 18. Jahrhundert stammende gemeinrechtliche Literatur¹²³³, die ebenfalls einen Cridar für die Konkursmasse als unzulässigen Zeugen ansehe. Dies habe die bremische Debit- und Nachlaßverordnung¹²³⁴ aufgegriffen. So zeige Doktrin wie Praxis im Ganzen das gleiche Ergebnis. Anschließend diskutierten die Richter die Glaubwürdigkeit zweier weiterer Zeugen. Die Ehefrau des Flotow sei ebenfalls verdächtig. „Hier genügt es hervorzuheben, daß nach Lübeckischem Recht die Ehefrau regelmäßig – und eine Ausnahme ist hier nirgends behauptet worden- für die Schulden des Mannes mit zu haften hat¹²³⁵. Das Interesse der Zeugin Flotow für die Concursmasse steht daher dem ihres Mannes wesentlich gleich“¹²³⁶. An dieser Stelle zeigt sich der Vorteil davon, dass die Richter stets bemüht waren, Regel und Ausnahme zu postulieren. Ein kurzer Verweis auf die Regel genügte hier, um die Glaubwürdigkeit der Zeugin zu verwerfen. So sparten sich die Richter lange Erörterungen. Schließlich formulierten die Richter ein „Gesamtergebnis“. Danach sei der Beweissatz nur von einem „ganz oder fast ganz unglaubwürdigen Zeugen“ in vollem Maße bestätigt worden. Dazu trete nur die Aussage einer sehr verdächtigen Zeugin, nämlich der Ehefrau des Flotow, und die inhaltlich aber kaum entsprechende Aussage eines klassischen Zeugen. Hinzu komme, dass der klägerische Güterp eger lediglich einen Glaubenseid¹²³⁷ leisten könne, der Reinigungseid der Beklagten jedoch „aus eigener Wissenschaft zu beschwören“ sei¹²³⁸. Der gemeinrechtlichen Lehre entsprechend werteten die Richter den Wahrheitseid gegenüber dem Glaubenseid hier als vorrangig. Die argumentativen Ausführungen zur Glaubwürdigkeit nehmen erkennbar den breitesten Raum und den höchsten Begründungsaufwand ein. Das anschließende Ergebnis,

1233 Hommel, Rhapsodia, observatio 211, S. 212–237: Der oftmals nur als „Zeugenkatalog“ tituliert wird wegen seiner alphabetischen Au istung verschiedener Zeugen (nach Beruf bzw. Verwandtschaftsverhältnis zur Partei) und deren Glaubwürdigkeit. 1234 Zitiert wird die § 16 der Bremischen Debit- und Nachlaßverordnung von 1843. 1235 Dazu Oestmann, Rechtsaltertümer. 1236 AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Konkursverwalter des Flotow (1879) Q 15, p. 15 der Entscheidungsgründe. 1237 Der Glaubenseid belegte nur, dass der Eidleistende eine Tatsache glaubte, aber nicht selbst erfahren hatte, der Wissenseid war demnach weitergehender, näher dazu unten unter Wahrheits-, Glaubens- oder Ignoranzeid: Zweiter Hauptteil B. II. 4. c) aa) (2). 1238 AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Flotow (1879) Q 15, p. 16 der Entscheidungsgründe.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

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dass nur der Reinigungseid hätte auferlegt werden können, folgt wie zwangsläu g und fällt sehr knapp aus. Die gesamte Entscheidung kommt ohne jede Rechtsquelle aus. Stattdessen zitierten die Richter Präjudize. Hinweise aus der gemeinrechtlichen Literatur oder der diesem System gefolgten Gesetzgebung bildeten erst den Schluss der Argumentationskette. Sie waren lediglich Belegstellen, die in das selbst geschaffene System der Glaubwürdigkeit eines Cridars eingebettet wurden.

(c)

Zusammenfassung

Die Glaubwürdigkeit von Zeugen war für den Appellanten ein möglicher Angriffspunkt, um die gewonnene Überzeugung des Unterrichters in Frage zu stellen und den Prozess neu aufzurollen. Entsprechend häu g hat das OAG zu dieser Problematik Stellung bezogen. Daran zeigt sich, wie die Rechtsprechung eigene Prinzipien verfestigte. Das OAG bettete die Frage nach der Glaubwürdigkeit in das System des gemeinen Prozesses ein und nutzte damit dessen Terminologie und Systematik. Das OAG legte methodisch vorbildlich die Gesetze aus¹²³⁹. Insbesondere die bis dahin noch kaum etablierte systematische Auslegung zeigt, dass das Gericht eine fortschrittliche Auslegung betrieb. Teleologische Erwägungen nahmen eine besonders wichtige Stellung ein. Nicht immer stützten sich die Richter jedoch überhaupt auf Gesetze. Teilweise tauchten in den gesamten Entscheidungsgründen gar keine normativen Rechtsquellen auf. In diesen Fällen legitimierten die Richter ihre Entscheidungen durch sorgfältige Argumentation und indem sie die einzelne Entscheidung in ein System einbanden, das sich mittlerweile durch ihre Rechtsprechung gebildet hatte. Zur Beantwortung der speziellen Einzelfrage, ob die Glaubwürdigkeit gegeben war, benutzte das OAG das partikulare Recht, das insofern die speziellere Regelung traf. Allerdings griff es zur Auslegung dieser Norm durchaus wiederum auf das gemeine Recht bzw. auf sogenannte bekannte Rechtsgrundsätze zurück. Die gefundenen Grundsätze übertrugen die Richter auf andere partikulare Rechtskreise, die wohl keine spezielle Regelung getroffen hatten. Das Prinzip sollte also möglichst universal gelten. Dadurch fand zwar eine Vermengung der verschiedenen Rechtsquellen statt, aber der Richter bereitete mit der neuen wissenschaftlichen Herangehensweise ebenfalls das Partikularrecht auf, indem er das aus der Pandektenwissenschaft bekannte System auf das partikulare Recht übertrug. Dass die Pandektenwissenschaft die Vermischung von römischem und deutschem Recht

1239 Zu dem Auslegungsmaßstab Savignys: Rückert, Fälle und Fallen, S. 25 ff.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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nicht mehr vorgenommen habe¹²⁴⁰, kann hier für die Rechtsprechung nicht bestätigt werden. Die wissenschaftliche Legitimation des Ergebnisses war den Richtern ein besonderes Anliegen. Das sonst betont an eine strenge Form gebundene Beweisverfahren¹²⁴¹ spielte, jedenfalls in der Rechtsprechung des OAG, keine Rolle. Das lässt darauf schließen, dass Formverstöße nicht dazu geeignet waren, eine Appellation zu rechtfertigten. Den Formverstößen kam damit in der Praxis im Gegensatz zur Lehre keine eigenständige erwähnenswerte Bedeutung zu.

(4)

Zulässigkeit von Zeugen anhand des lübeckischen Stadtrechts V, 7, 20

Nach dem Revidierten lübeckischen Stadtrecht Art. V, 7, 20 durften Vormünder, Blutsverwandte und Schwager als Zeugen zugelassen werden, falls andere Zeugen nicht zu haben waren. Das OAG hatte nun den umgekehrten Fall zu entscheiden¹²⁴². Werden Schwager zugelassen, wenn daneben andere Zeugen zur Verfügung stehen? Diesen sprachlich nahe liegenden Umkehrschluss wollten die Richter nicht zulassen. Diese statuierte Ausnahme könne nämlich keine allgemeine Regel, dass nahe Verwandte generell als Zeugen unzulässig seien, begründen. Vielmehr sei dieser spezielle Fall ungeregelt, so dass auf das gemeine Recht zurückgegriffen werden müsse. Da das gemeine Recht sogar Geschwister nicht für unfähig, sondern bloß zu verdächtigen Zeugen erkläre, könne erst recht der Bruder des Ehemannes nicht per se durch das Stadtrecht ausgeschlossen sein. Die Richter wählten eine einschränkende Auslegung der partikularrechtlichen Besonderheit und kamen so zu einer Lücke, die sie mit gemeinem Recht füllen konnten. Im Ergebnis führte dies zu einer größtmöglichen Übereinstimmung zwischen Partikularrecht und gemeinem Recht. So hoben die Richter das gemeine Recht zulasten des Partikularrechts hervor. Die Besonderheiten des partikularen Rechts wurden zurückgedrängt. Die gleiche restriktive Interpretation des lübeckischen Rechts ist bei der Rechtsprechung zur litis contestatio zu beobachten¹²⁴³. Ähnlich in Ergebnis und Methode hatten die Richter 1845 einen Rechtsstreit entschieden, bei dem es ebenfalls auf die Auslegung des Stadtrechts Art. V, 7, 20 angekommen war¹²⁴⁴. Die Gesellschaft Jacobi & Co. hatte appelliert, da sie meinte, ihre Zeugen seien zu Unrecht für unzulässig erklärt und damit rechts-

1240 1241 1242 1243 1244

So aber Luig, „Pandektenwissenschaft“, in: HRG III, Sp. 1422, 1425. Dahlmanns, in: Coing, Handbuch III/2, S. 2615, 2635. Wunderlich, Bd. 1, No 360, Rath c. Höppner (1856), S. 15–17. Zur litis contestatio: Zweiter Hauptteil B. I. 2. Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405–412.

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widrig abgelehnt worden. Bei den Zeugen handelte es sich zum einen um den Sachführer Dr. Krauel, zum anderen um den Vater der gegnerischen Partei. Die Zulässigkeit dieser Zeugen prüfte das OAG ausführlich. Dabei griff es auf ein enormes Aufgebot von verschiedensten Rechtsquellen und Literatur zurück, um die eigene Gesetzesauslegung zu unterstützen. Zur Auslegung verwendeten die Richter die älteren Codices sowie das gemeine Recht, das sogar umfangreicher als das lübeckische Recht interpretiert wurde. Dabei diente der Grundsatz, der aus dem gemeinen Recht entwickelt wurde, wiederum dazu, das lübeckische Recht auszulegen, das die Revisoren des Stadtrechts dem römischen Recht entnommen hätten¹²⁴⁵. Den entscheidenden Impuls für die Auslegung gab also das gemeine Recht. Obwohl auch die Gliederung des Urteils strikt zwischen den Rechtsquellen des gemeinen Rechts und des Partikularrechts unterschied, erreichten die Richter das gleiche Ergebnis. Die Entscheidungsbegründung ist übersichtlich in zwei Stufen gegliedert. Zunächst verneinte das OAG, dass Vater oder Sachführer einer Partei generell Zeuge sein durfte und prüfte anschließend die ausnahmsweise Zulässigkeit anhand des Stadtrechts V, 7, 20. In beiden Schritten legten die Richter erst das römische und kanonische Recht aus, anschließend das lübeckische Recht, das beides Mal dem Ergebnis des gemeinen Rechts entsprechend verstanden wurde. Im ersten Schritt warfen die Richter die Frage auf, ob die Zeugen generell unzulässig seien. Zunächst untersuchten sie die Zulässigkeit des Sachführers. Jacobi & Co. hatten sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Zeugen zuzulassen gewesen seien. l. 25 D. de testis¹²⁴⁶ sei, so die Kläger, nämlich dahingehend zu verstehen, dass nur zugunsten der Partei nicht ausgesagt werden dürfe. Denn nur in diesem Fall sei eine Parteilichkeit des Sachführers zu befürchten. Zulasten der eigenen Partei dürfe der Anwalt hingegen aussagen. Der generelle Ausschluss könne außerdem dazu führen, dass Parteien sich missbräuchlich Sachführer wählten, um diese Personen als Zeugen auszuschließen. Diese Auslegung der Digestenstelle lehnten die OAG-Richter ab. Die Auslegung des Klägers sei eine „willkührliche Annahme“, obwohl bereits die Glosse und in neuester Zeit eine große Zahl ein ussreicher Juristen sie so verstanden hätten¹²⁴⁷. Nicht nur in der vermuteten Parteilichkeit des Sachführers sei der Grund der Vorschrift zu suchen, sondern zusätzlich in der besonderen Vertrauensbeziehung zwischen Mandant und seinem Anwalt. Der Mandant solle sich nicht sorgen müssen, dass das, was er sei-

1245 Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405, 412. 1246 D. 22, 5, 25. 1247 Für die Ansicht des Klägers zitierten die Richter unter anderen in den Entscheidungsgründen: Carpzov, Mevius, Lauterbach, J. H. Boehmer.

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nem Sachführer anvertraue, gegen ihn verwendet werde. Um ihre Auslegung nach der ratio zu stützen, führten sie umfangreiche Literatur an, die das Gegenteil der zuvor zitierten Autoren vertrat¹²⁴⁸. Ohne die Kontroverse des gemeinen Rechts abschließend zu entscheiden, bezogen sich die Richter auf das „hier zunächst in Betracht kommende Lübische Recht“¹²⁴⁹ Art. V, 2, 1. Auch das lübische Recht kenne diese Unterscheidung, ob für oder gegen die Partei ausgesagt werde, nicht. Weder das ältere Recht, aus dem sich das Stadtrecht entwickelt habe, noch andere Artikel¹²⁵⁰ führten diese Unterscheidung auf¹²⁵¹. Insofern bezeuge Mevius gar eine von der communis opinio abweichende Praxis in Lübeck¹²⁵². Als zusätzlichen Beleg führten die Richter die eigene Rechtsprechung an. Vor Missbrauch dieser allgemeinen Auslegung könne die Rechtsprechung nicht schützen, dies sei vielmehr Aufgabe des Gesetzgebers. „Sie (die Gefahr des Missbrauchs der Sachführerstellung) kann aber vom Richter da, wo es sich um die Anwendung eines völlig klaren Gesetzes handelt, nicht berücksichtigt werden“¹²⁵³. Mit diesem Verweis auf die Gewaltenteilung wählten die Richter eine von der früheren communis opinio abweichende Meinung. Die besondere Bedeutung zeigt sich immerhin noch darin, dass sie als gewichtige Meinung aufgeführt wird. Gut hundert Jahre, nachdem die communis opinio ihre herrschende Stellung als wissenschaftliches Argument eingebüßt hatte¹²⁵⁴, verwies die Rechtsprechung dennoch auf sie. In der juristischen Praxis stellte man die communis opinio also dar, folgte dann aber den besseren sachlichen Argumenten. Damit ist die Rechtsprechung des OAG selbst wissenschaftliche Autorität. Zwingend angewandt wurde die einst herrschende Lehre hier nicht¹²⁵⁵; vielmehr wagten die Richter, mit einem hohen Begründungsaufwand einen neuen Weg einzuschlagen. Dem entsprach die Empfehlung Savignys, dass zumindest die höheren Instanzen wissenschaftlich frei entscheiden sollten¹²⁵⁶. Im Hinblick auf die generelle Zulässigkeit des Vaters der Beklagten als Zeuge verwiesen die Richter auf die „Vorschrift des neusten Röm. Rechts“¹²⁵⁷ l. 6 C. de tes-

1248 Desiderius Heraldus; Müller; Berger; Leyser; Hommel. 1249 Ein Lippenbekenntnis zur Rechtsanwendungslehre seiner Zeit, Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405, 407. 1250 Hier verwiesen die Richter auf Art. V, 7, 15, der nur allgemein von der Sache spreche. 1251 Diese Auslegung belegten sie anhand von Mevius und Stein. 1252 Mevius, Jus Lubecense, S. 799, No 4, zu dem Revidierten Stadtrecht Art. V, 7, 15. 1253 Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405, 408. 1254 Dazu Duve, Mit der Autorität, S. 239, 243; Schröder, FS Kroeschell, S. 404, 413. 1255 Zur hohen Bedeutung, teils als Rechtsquelle der communis opinio doctorum: Lepsius, „Communis opinio doctorum“, in: HRG I, Sp. 875; zur Fortgeltung im jüngeren gemeinen Recht: Coing, Privatrecht II, S. 249. 1256 Savigny, System I, S. 88, 91; dazu Schröder, FS Kroeschell, S. 404, 417. 1257 Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405, 408.

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tibus¹²⁵⁸. Auch hier dürfe nicht zwischen dem Inhalt der Zeugenaussagen unterschieden werden. Neben der Besorgnis der Parteilichkeit solle durch die Vorschrift der Familienfriede geschützt werden. Eine andere Auslegung sei eine willkürliche, die der klare Wortlaut der Gesetze verbiete. In dem zweiten Schritt untersuchten die Richter, ob die an sich unzulässigen Zeugen ausnahmsweise zuzulassen seien, weil andere Zeugen nicht zu bekommen seien. Auch hier begannen die Richter mit der Beantwortung nach gemeinem Recht. Die von „älteren und neueren Juristen vielfach aufgestellte Regel“¹²⁵⁹, dass unzulässige Zeugen zuzulassen seien, „ubi veritas aliter haberi nequit“ sei so allgemein nicht durch die Gesetze legitimiert. Die Stellen, auf die man sich gewöhnlich berufe, regelten nur diese genannten speziellen Fälle¹²⁶⁰. Höchstens könne man daraus herleiten, „daß Personen, welche die Gesetze an sich vom Zeugnisse ausschließen, ausnahmsweise nur dann zulässig werden, wenn ein Factum seiner Natur nach nur durch diese bestimmten Personen erwiesen werden kann“¹²⁶¹. Entscheidendes Kriterium war demnach die Tatsache an sich. Nur wenn eine gewisse Tatsache sich immer nur durch unzulässige Zeugen beweisen ließe, sonst also völlig unbeweisbar wäre, konnten unzulässige Zeugen aussagen. Damit hatten die Richter einen eigenen Grundsatz entwickelt, wann ausnahmsweise unzulässige Zeugen herangezogen werden durften. Diesen untermauerten sie durch zeitgenössische sowie ältere Literatur¹²⁶². Diesen aus römischen und kanonischen Rechtsquellen deduzierten Grundsatz wandten die Richter ebenso auf das lübeckische Recht an. Das lübeckische Stadtrecht regelte in Art. V, 7, 20 den ähnlichen Fall, dass Blutsverwandte ausnahmsweise zeugen dürften, wenn andere Zeugen nicht zu haben seien. Würde man nun den Vater unter Blutsverwandten subsumieren, wäre dieser entgegen dem römischen Recht als Zeuge zuzulassen gewesen. Dies vermieden die Richter und suchten den römischen Grundsatz auch im lübeckischen Recht anzuwenden. Ein Vater sei kein Blutsverwandter. Zwar würden auch Aszendenten

1258 C. 4, 20, 6, in: Krüger, CIC II, S. 158: „Parentes et libri invicem adversus se nec volentes ad testimonium admittendi sunt“. Übersetzung aus: Otto/Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici V, S. 566: „Eltern und Kinder sind gegen einander auch nicht einmal mit ihrem Willen zum Zeugniss zuzulassen“. 1259 Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405, 409. 1260 Im einzelnen stellten die Richter folgende Vorschriften und deren begrenzten Anwendungsbereich dar: l. 7 D. de testibus (D. 22, 5, 7); l. 8 § 6 C de repudiis (C. 5, 17, 8, 6); c. 22 X de testibus (X 2, 20, 22); c. 11 X de testibus cogendis (X 2, 20, 11); c. 3 X qui matrimonium accusare possunt ( X 4, 18, 3). 1261 Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405, 410; Unterstreichung durch das Gericht. 1262 Zitiert werden Lauterbach, Hommel, daneben auch zeitgenössische Literaten: ibaut; Bayer.

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und Deszendenten als blutsverwandt bezeichnet. Dieser Sprachgebrauch sei aber falsch. Ursprünglich¹²⁶³ bezeichnete der Begriff „Blutsverwandte“ nur Seitenverwandte, nicht aber Abkömmlinge. Die ursprüngliche Wortbedeutung legten die Richter damit als die treffende zugrunde. Außerdem spreche auch ein systematisches Argument für diese restriktive Auslegung. Art. V, 7, 17, der sich an das kanonische Recht c. 3 X qui matrimonium accusare possunt¹²⁶⁴ anschließe, lasse ausnahmsweise bei einem Streit um einen Brautschatz Eltern als Zeugen zu. Diese Ausnahme sei über üssig, wenn dieser Fall bereits durch Art. V, 7, 20 erfasst werde. So müsse Art. V, 7, 20 dem römischen Recht, aus dem er offensichtlich herrühre, gemäß verstanden werden. Der Halbsatz „Wenn man andere Zeugen nicht haben kann“ müsse demnach so gelesen werden: „wenn nach der Natur des zu erweisenden Factums keine anderen Zeugen vorhanden sind“¹²⁶⁵. Die Richter betonten nicht die Besonderheiten des lübeckischen Rechts, sondern versuchten dieses in Anlehnung an das gemeine Recht auszulegen. Das weitaus quellenreichere römische Recht diente dazu als Ausgangspunkt. Die verschiedenen geschilderten Fälle des gemeinen Rechts gliederten die Richter auf, um einen allgemeinen, abstrakten Grundsatz daraus zu formulieren. Bezeichnenderweise wurde zuerst der Grundsatz ausführlich aus dem gemeinen Recht entwickelt und, Besonderheiten des lübeckischen Rechts negierend, sodann in das partikulare Recht übertragen. Trotz der Identität im Ergebnis achteten die Richter auf eine strikte Trennung der Rechtsquellenmassen in ihrer Darstellung. Das römische Recht nahm hier die beherrschende Stellung ein. Den durch den Kläger entwickelten Grundsatz, der zwischen Aussage für oder gegen die Partei unterschied, bezeichnete das OAG mehrfach als willkürlich und erteilte ihm eine klare Absage, obwohl der Kläger für seine Auffassung die frühere communis opinio für sich hatte. Stattdessen entwickelten die Richter anhand der Quellen einen eigenen tragfähigen Grundsatz. Von der Tradition, die noch vor den Reichsgerichten gegolten hatte, wandten sich die Richter damit ausdrücklich ab. Zu einer Anwendung des gemeinen Rechts gelangten die Richter auch in einem 1865 entschiedenen Fall. Sophie Eggers zu Carlow hatte auf Eingehung der Ehe gegen Georg Petermann geklagt¹²⁶⁶. Strittig war, ob es zu einem Verlöbnis gekommen war. Sie hatte, um das Verlöbnis und die Zustimmung ihrer Eltern zu der Verbindung zu beweisen, ihre Eltern als Zeugen aufgeführt. Während das

1263 1264 1265 1266

Belegt durch Adelung, Wörterbuch, und Homeyer, Sachsenspiegel, im Glossar. X 4, 18, 3. Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405, 410. Kierulff, Bd. 1, No 54, Eggers c. Petermann (1865), S. 740–743.

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Stadt- und Landgericht den Beweis nur bis zum Reinigungseid geführt ansah, das Obergericht aber bis zum Erfüllungseid¹²⁶⁷, appellierte der angebliche Verlobte gegen die Zulassung der Eltern der Klägerin als Zeugen. Das kanonische Recht regelte diesen Fall ausdrücklich und ließ die Eltern in diesem speziellen Falle als Zeugen zu¹²⁶⁸. Georg Petermann meinte aber, dass hier lübeckisches Recht zur Anwendung komme, das die Eltern als Zeugen verbiete. Dazu hatte er sich auf unterschiedliche Artikel des lübeckischen Stadtrechts berufen, das hier das gemeine Recht ausschließe. Das gab dem OAG die Gelegenheit, zu den einzelnen Artikeln des Stadtrechts Stellung zu beziehen und damit ihre Rechtsprechung komprimiert zusammenzufassen. Zudem konnte es auf das Verhältnis zwischen gemeinem und lübischem Recht näher eingehen. Art. V, 7, 15 hielt das OAG hier nicht für anwendbar. Zwar hätten Eltern ein Interesse am Zustandekommen der Ehe ihrer Tochter. Durch die Auslegung des älteren Rechts (an dieser Stelle wird wörtlich der ältere Codex nach Hach zitiert) ergebe sich aber, dass nicht gemeint sei, dass der Zeuge ganz unbeteiligt sei, sondern nur, dass er in der Streitigkeit selbst nicht durch Rat und Tat beteiligt sein dürfe¹²⁶⁹. Art. V, 7, 20 abzulehnen, erforderte den höchsten Begründungsaufwand. Schließlich hatten die Richter zuvor zu dem oben dargestellten Fall¹²⁷⁰ entschieden, dass Eltern nicht einfach dann zuzulassen seien, wenn andere Zeugen nicht zu haben waren, Eltern also ausnahmsweise nicht unter den Begriff „Blutsverwandte“ zu fassen seien. Hier sei aber die „Begünstigung der Ehe“, der die Vorschrift des kanonischen Rechts klar Rechnung trage, zu beachten. Daher werde der Fall eines Verlöbnisses nicht von der statutarischen Vorschrift erfasst. Bei der Gelegenheit nahmen die Richter Stellung zur Lückenhaftigkeit des Partikularrechts: „Dabei darf man nicht außer Acht lassen, daß das Statut, wie überhaupt, so namentlich auch im Titel von den Zeugen, nur eine Sammlung von Willküren und Urtheilen über einzelne vorgekommene Fälle, nicht aber ein Gesetzbuch ist, welches Anspruch auf Vollständigkeit macht“¹²⁷¹. Ein Gesetzbuch sollte abstrakt formuliert und vollständig sein und damit die Voraussetzungen einer Kodi kation erfüllen. Die Richter bemängelten, dass eine Kodi kation fehlte. Nur eine Kodikation schien eine Autorität darzustellen, deren Wortlaut nicht einfach durch

1267 1268 1269 1270

Zur Prozessgeschichte: Kierulff, Bd. 1, No 54, Eggers c. Petermann (1865), S. 740. Zitiert wurde: X 4, 18, 3. Kierulff, Bd. 1, No 54, Eggers c. Petermann (1865), S. 740, 742. Als Präjudiz wurde zitiert: Bruhn, Sl. 2, No L (233 B), Jacobi & Co. c. B. & St. (1845), S. 405, 411. 1271 Kierulff, Bd. 1, No 54, Eggers c. Petermann (1865), 740, 742.

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Auslegung einen anderen Sinn zugesprochen werden konnte¹²⁷². Das Revidierte Stadtrecht hingegen sei nur eine Sammlung von einzelnen Fallentscheidungen. Dass das Corpus Iuris Canonici oder die Digesten ebenfalls kein abstrakt formuliertes Gesetzbuch darstellen, unterschlugen die Richter an dieser Stelle. Das lübeckische Recht hielten sie hier nicht für einschlägig. Damit kam das kanonische Recht zur Anwendung, das die Eltern als Zeugen nicht verbot. Nachdem die Richter damit die Eltern als Zeugen zugelassen hatten, differenzierten sie, dass es dem richterlichen arbitrium überlassen bleibe, den Grad der Glaubwürdigkeit zu bestimmen. Denn immerhin handele es sich um verdächtige Zeugen. Für die Glaubwürdigkeit sei insbesondere der Inhalt der Aussagen ausschlaggebend. Damit nannten die Richter abschließend den weiteren Prüfungsmaßstab des unterinstanzlichen Richters. Das Partikularrecht wurde vorsichtig und zurückhaltend angewandt und möglichst eng ausgelegt, in Übereinstimmung mit dem gemeinen Recht. Durch die harsche Kritik des Stadtrechts als Sammlung willkürlicher Einzelfälle wird die enge Auslegung verständlich. Die unzureichenden partikularen Regelungen stellten die Richter, soweit möglich, in einem größeren Zusammenhang mit dem gemeinen Recht, um zu einer einheitlichen, in sich schlüssigen Rechtsanwendung zu gelangen.

(5) Zeugnisp icht 1869 bot ein Rechtsstreit zwischen dem Bäckermeister Lampe und dem Beamten Senator Dr. Brehmer dem OAG Anlass, zur Zeugnisp icht Stellung zu nehmen¹²⁷³. Der Bäckermeister hatte in einem früheren Prozess beweisen sollen, dass er, obwohl er seine Bäckerei verpachtet hatte, dennoch Mitglied im Bäckereiamt blieb. Um dies zu beweisen, hatte er Dr. Brehmer als Zeugen benannt. Brehmer weigerte sich jedoch, ein Zeugnis abzulegen. Ursprünglich war dieser Mitglied des Wettegerichts gewesen und war nun zum Senator aufgestiegen. In seiner Eigenschaft als Beamter des Stadtamtes machte er drei Argumente dagegen geltend, ein Zeugnis ablegen zu müssen. Erstens könne seine Erinnerung in Widerspruch zu den amtlichen Protokollen stehen, zweitens müsse er eventuell später über die Rechtssache selber richten, drittens stehe dem sein Amtseid entgegen, mit dem er sich zur Verschwiegenheit verp ichtet habe. Daraufhin verklagte der Bäckermeis-

1272 Zu dem veränderten Autoritätsverständnis durch Kodi kationen Duve, Mit der Autorität, S. 239, 245. 1273 Kierulff, Bd. 4, No 25, Lampe c. Brehmer (1869), S. 160–174.

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ter den Senator. Das OAG bestätigte die beiden vorigen Urteile, die ebenfalls auf eine Zeugnisp icht erkannt hatten¹²⁷⁴. Das OAG stellte dazu zunächst klar, dass hier ein Rechtssatz zu beweisen war, der „observanzmäßig bei dem bisherigen Amte der Bäcker gegolten haben soll“¹²⁷⁵. Nach dieser Einordnung widmeten sich die Richter der „Rechtsfrage“, „inwieweit die staatsbürgerliche Verp ichtung zur Ablegung eines Zeugnisses sich auch auf öffentliche Beamte erstrecke“. Damit abstrahierten sie von Dr. Brehmer, der ja insbesondere Senator war, allgemein auf Beamte und versuchten die Frage damit grundsätzlich zu klären. Des Weiteren entkräfteten die Richter die Einwände des Dr. Brehmer. Dieser hatte bemängelt, dass die Zeugnisp icht nicht nur durch gesetzliche Vorschriften eingegrenzt werden könne. Insoweit gab das OAG dem Appellanten Recht und stellte fest, dass die „Begränzung der allgemeinen Zeugnißp icht nicht auf ausdrückliche Gesetzesvorschriften beschränkt ist, sondern die sonstigen Entscheidungs-Quellen, Gewohnheitsrecht, Gerichtsgebrauch, wissenschaftliche Folgerungen aus bestehenden Rechtssätzen, auch hier ihre gewöhnliche Geltung haben“¹²⁷⁶. Hier hatte der Appellant, Dr. Brehmer, also grundsätzlich den Maßstab für die Entscheidungs ndung der unteren Instanz in Frage gestellt. Nun nahmen die OAG-Richter eine Interessenabwägung vor. Auf der einen Seite stehe das Amtsgeheimnis, das mit Rücksicht auf das öffentliche Wohl auferlegt werde, auf der anderen Seite das Interesse an einer Rechtssache für eine einzelne Partei. Das Amtsgeheimnis könne von der Verp ichtung zum Zeugnis einen Befreiungsgrund darstellen. Beispielsweise bildete das Beichtgeheimnis der Geistlichen eine solche Ausnahme und im Anschluss daran statuierten ebenso einige partikulare Rechtsordnungen und Lehrmeinungen Ausnahmen¹²⁷⁷. Das Amtsgeheimnis erstrecke sich aber nicht generell auf alle Aussagen von Beamten. Dazu verwiesen die Richter auf das gemeine Recht und fanden dies ebenso im lübischen Recht bestätigt¹²⁷⁸. Die entscheidende Frage sei daher, ob im konkreten

1274 Kierulff, Bd. 4, No 25, Lampe c. Brehmer (1869), S. 162–164, gibt die vorigen Erkenntnisse wieder. 1275 Kierulff, Bd. 4, No 25, Lampe c. Brehmer (1869), S. 160, 165. 1276 Kierulff, Bd. 4, No 25, Lampe c. Brehmer (1869), S. 160, 166. 1277 Die Richter stützten sich auf die badische Proceßordnung von 1831 § 511; hannoversche Proceßordnung von 1850 § 251 sowie auf den Entwurf einer Civilproceßordnung für den deutschen Bund von 1866 § 334–336, an Schriftstellern verwiesen sie auf Langenbeck und Endemann, Beweislehre. 1278 D. 22, 5, 22 , Übersetzung in: Knütel/Kupisch/Seiler/Behrends, CIC IV, S. 130, spricht davon, dass Gemeindemagistrate sich unter bestimmten Umständen als Zeugen zur Verfügung stellen können: „Curent magistratus cuiusque loci testari volentibus et se ipsos et alios tetestes vel signatores praebere, quo facilius negotia explicentur et probatio rerum salva sit.“; lübisches Stadtrecht Art. V, 9, 3: Um einen Vergleich zu bekräftigen, konnten danach Commissarien aussagen.

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Fall Dienstgeheimnisse betroffen seien. Der Appellant hatte insoweit die Kompetenz der Gerichte bestritten, festzustellen, ob ein Dienstgeheimnis verletzt sei. Die Richter differenzierten. Wenn die Vernehmung nur möglicherweise mit den Amtsp ichten kollidiere, stehe dem Richter die Kompetenz zur Prüfung zu. Wenn aber bereits feststehe, dass ein Amtsgeheimnis betroffen sei, könne nur die Behörde einen Dispens erteilen. Diese Differenzierung fanden die Richter im partikularen sowie im gemeinen Recht bestätigt¹²⁷⁹. Nur die Gesetzgebung Hannovers¹²⁸⁰ mache insoweit eine Ausnahme, die allein der Behörde die Kompetenz zuweise. Diese Abweichung habe aber in den Beratungen des deutschen Bundesentwurfes von 1864 und 1866¹²⁸¹ keine Billigung erfahren und sei auch gemeinrechtlich nicht richtig. Das gemeine Recht war damit entscheidend. Dennoch suchten die Richter eine größtmögliche Übereinstimmung auch mit den partikularen Prozessordnungen anderer Staaten. Dass im vorliegenden Fall ein Amtsgeheimnis aber nicht betroffen sei, sahen die Richter bereits als in den vorigen Urteilen ausreichend begründet an. Der Zeugnisp icht räumten die Richter damit eine weitreichende Geltung ein. Nur im Ausnahmefall sollte sie eingeschränkt werden können. Die Zeugnisp icht stehe im Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen Interesse an der Geheimhaltung und dem Interesse der Parteien an der Sachverhaltsaufklärung. So sahen die Richter nur Interessen Einzelner für die Sachverhaltsaufklärung betroffen. Der Prozess wurde folglich eher als private Angelegenheit eingestuft. Obwohl damit in erster Linie nur private Interessen geschützt werden sollten, betonten die Richter die generelle Zeugnisp icht. Die Befugnis des Richters, den Einzelnen zum Zeugnis zu zwingen, wurde nicht thematisiert. Der Begriff Zeugnisp icht entsprach der neueren zeitgenössischen Literatur¹²⁸². Im Gegensatz zur älteren gemeinrechtlichen Lehre¹²⁸³, die nur von unzulässigen Zeugen sprach, beschäftigte sich das OAG hier 1869 mit der Befugnis zur Zeugnisverweigerung. Nach der Rechtsprechung des OAG erhielt der Richter weitreichende Kompetenz, über ein Zeugnisverweigerungsrecht zu be nden. Entscheidend für die Auslegung war das gemeine Recht. Dass die Richter viele

1279 Dazu griffen sie auf verschiedene partikulare Prozessordnungen zurück: Preußische Gerichtsordnung  I Tit 10 § 180 n § 181; Badische Prozessordnung § 500–504; Bundesentwurf einer CPO § 334, 337; ebenso Endemann, Beweislehre, S. 202. 1280 Hannoverische Processordnung 1850 § 251 sub 2. 1281 Gemeint war hier der hannoversche Entwurf einer Civilproceßordnung für den Deutschen Bund, der maßgeblich auf der hannoverschen Prozessordnung von 1850 beruhte, vgl. dazu Ahrens, Prozessreform, S. 561 ff.; Kroeschell, Rechtsgeschichte III, S. 175. 1282 Vgl. Endemann, Beweislehre, S. 194 ff, der vom OAG zitiert wurde. 1283 So Sellert, „Zeugnisp icht, Zeugnisverweigerungsrecht“, in: HRG V, Sp. 1694, 1695.

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verschiedene partikularen Rechtsordnungen anführten, zeigt, wie bewandert die Rechtsbeistände, die sich sicher auf die Rechtsquellen berufen hatten, in anderen partikularen Rechtsordnungen waren. Außerdem wird deutlich, dass den fremden Rechtsordnungen ein wesentlicher, wenn auch letztendlich nicht ausschlaggebender Ein uss eingeräumt wurde. Die Rechts ndung war darauf gerichtet, ein möglichst universell geltendes Recht zu nden, das den verschiedenen Interessen gerecht wurde.

(6) Ausschluss des Zeugen Die verwitwete Johanna Jacobi warf Johann Zernitz ein Spiel auf Zeit vor¹²⁸⁴. Um ein Gerichtsurteil hinauszuzögern, habe er den Zeugenbeweis aufgehalten. Erst schien Zernitz zu einem Vergleich bereit. Aus diesem Grunde habe sie zunächst nicht darauf bestanden, den Zeugen möglichst schnell von Hamburg nach Lübeck zu laden. In der Zwischenzeit brach der Zeuge Rittscher zu einer längeren Reise auf. Als er nach Europa zurückgekehrt sei, habe Zernitz rein gar nichts getan. Diese Untätigkeit warf die Witwe Jacobi, die den Rechtsstreit ihres Mannes fortführte, dem Zernitz vor. Ob dieses Verhalten zum Ausschluss des Zeugen führe, musste das OAG entscheiden. Vorsichtig bemerkte das OAG, dass ein solcher „Rechtssatz (...) noch nicht zur Anerkennung gelangt ist“¹²⁸⁵. Die Frist des Lübecker Revidierten Stadtrechts Art. V, 7, 9, um den Zeugen zu hören, sei zwar lange abgelaufen. Fraglich sei aber, ob es sich dabei um eine gesetzliche Frist handele, die mit dem Beweisurteil beginne und ipso jure ablaufe und damit automatisch zum Ausschluss des Zeugen geführt habe oder ob zusätzlich eine Ungehorsamsbeschuldigung des Klägers nötig sei. Früher habe es sich um eine gesetzliche Frist gehandelt. Dies sei noch 1754 so gewesen. Hier griffen die Richter, um die ältere Übung zu erläutern, auf neuere Literatur¹²⁸⁶ und auf zwei Lübecker Senatsdekrete¹²⁸⁷ zurück. Dieses altdeutsche Verfahren, das in Form des Stadtrechts lediglich wiederholt worden sei, sei mittlerweile durch „die Grundsätze des gemeinen deutschen Prozesses“¹²⁸⁸ verdrängt worden. Dadurch hätten die im Artikel genannten Fristen die Natur gesetzlicher Fristen verloren. Nach diesen gemeinrechtlichen

1284 Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi & Co., jetzt Jacobi Wwe. c. Zernitz (1855), S. 392–396. 1285 Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi & Co., jetzt Jacobi Wwe. c. Zernitz (1855), S. 392, 393. 1286 Sie zitierten Planck, Beweisurtheil (ohne nähere Fundangabe). 1287 Senatsdekret vom 4. Dezember 1733 und vom 19. Oktober 1754. 1288 Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi & Co., jetzt Jacobi Wwe. c. Zernitz (1855), S. 392, 394.

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Grundsätzen werde „in der Regel die Production und Vernehmung der Zeugen vornemlich durch richterliche ätigkeit beschafft“. Der Richter müsse nun die Frist anberaumen und habe auf die Ungehorsamsbeschuldigung des Produkten hin ein Dekret zu erlassen, um den Zeugen auszuschließen. Der Auszug aus diesem Urteil ist für zwei verschiedene Bereiche interessant. Zum einen veranschaulicht es eindrucksvoll, wie ältere Normen angewandt wurden. Zum anderen betont es die starke Stellung des Richters. Die Stelle enthält ein Beispiel dafür, wie die tatsächliche gerichtliche Übung die Auslegung von Gesetzen beein usste. Die gerichtliche Übung war also wichtiger als das geschriebene Gesetz. Dies entsprach ganz der herrschenden Lehre vom Gewohnheitsrecht, das die wahre Quelle des Rechts war. Die Auslegung der tatsächlichen Übung bereitete keine Schwierigkeiten. In nahezu 100 Jahren scheint sich die Prozesspraxis eindeutig verändert zu haben. Die Prüfung, ob das Stadtrecht schon antiquiert oder noch anwendbar war, erschwerte die Rechtsanwendung. Es überrascht, dass das OAG die starke und hier entscheidende Stellung des Richters betonte. Man hätte hier mit Verweis auf die sonst so hervorgehobene Verhandlungsmaxime den nötigen Parteiantrag herausstreichen können. Stattdessen stellte das OAG auf die nötigen Verfügungen des Richters ab. Nach seinen Ausführungen hatte das gemeine Recht die Stellung des Richters gegenüber dem altdeutschen Verfahren gestärkt. Typisch ist wiederum, dass auf die „Grundsätze“ abgestellt und die Formulierung „in der Regel“ gebraucht wurde. Damit sollten die wesentlichen Änderungen erfasst werden. Eine konkrete Frage (ist der Zeuge wegen Verzögerung ausgeschlossen?) wurde mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Umgestaltung des Prozessrechts beantwortet. Im Ergebnis wäre nun eigentlich der Antrag der Jacobi, den Zeugen wegen Verzögerung auszuschließen, abzulehnen gewesen. Diese Konsequenz zogen die Richter aber nicht. Stattdessen wandten sie den ganz allgemeinen Gedanken der Prozessbeschleunigung an und kamen so zum entgegengesetzten Ergebnis. „Mit Unrecht wird nämlich angenommen, daß Art. 9 jetzt gänzlich antiquirt ist (...) Das dem Artikel zugrundeliegende und durch Nichtübung keineswegs beseitigte Princip geht nämlich dahin, der Verschleifung des Rechtsstreites durch verspätete Zeugenvernehmungen die geeigneten Grenzen zu setzen, ein Princip, welches in den Rechtsquellen fremden Ursprungs l. 1 C. de dilatt. 3, 11 Nov 90, 5¹²⁸⁹

1289 C. 3, 11, 1; Nov. 90, 5.

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ebenfalls zur Anwendung gebracht wird. Auch ist dasselbe gestützt auf hamb. Stat. 1, 28 Art. 14, welches mit dem revidirten lüb. Stat. aus einer gemeinsamen Quelle, dem hamburg. Rechte von 1270¹²⁹⁰ (Art. 338 bei Hach, das alte lüb Recht S. 409) ge ossen,¹²⁹¹ (…) In Hamburg noch gegenwärtig und namentlich in Fällen der vorliegenden Art in lebendiger Übung“¹²⁹². Obwohl die Norm in Lübeck nicht mehr angewandt worden war, stellten die Richter auf das zugrunde liegende Prinzip ab, das weiterhin Geltung beanspruchte. Um diese problematische Auslegung zu stützen, zogen die Richter das gemeine Recht sowie das hamburgische Recht heran. Der Gedanke liegt nahe, dass die Richter überzeugt waren, dass es ein richtiges, universelles Recht gebe. Die den Normen zugrunde liegenden Prinzipien waren ausschlaggebend. Diese Prinzipien fanden die Richter in unterschiedlichen Rechtsquellen bestätigt. Jedenfalls bemühten sie sich, durch Auslegung Recht zu vereinheitlichen. Dieser Kunstgriff ermöglichte ein interessengerechtes Ergebnis. Der offensichtlich nicht um Eile bemühte Beklagte verlor sein Beweismittel. Dass dieses sachgerechte Ergebnis beabsichtigt war, wird in Formulierungen deutlich, die den Beklagten beschreiben („seinem eigenen Mangel an Diligenz zuzuschreiben“) oder den Rechtsstreit („bereits schwerlich zu rechtfertigende Verzögerungen erlitten“)¹²⁹³. Dass teleologische Gedanken für die Auslegung ausschlaggebend gewesen sind, verdeutlicht ein allgemein formulierter Satz am Schluss der Entscheidungsgründe: „Denn Niemand ist verp ichtet, seine rechtlichen Ansprüche um deswillen zu sistieren, weil dem Gegner angeblich Einwendungen dagegen zustehen, für deren Wahrheit er sich auf das Zeugniß nicht zu erreichender Personen berufen zu können glaubt“¹²⁹⁴. Damit postulierten die Richter den leitenden Grundsatz, der hinter ihrer Rechtsanwendung stand. Dass sich die Richter um eine funktionierende, schnelle und durchsetzungsstarke Rechtsprechung bemühten, war notwendig. Der Rechtsstreit zwischen Jacobi und Zernitz war mit dem Urteil nämlich noch nicht abgeschlossen. Eine endgültige Entscheidung hatten die Parteien zwar beantragt, sie wurde vom OAG aber abgelehnt. Stattdessen wurde die Entscheidung des Lübecker Nie-

1290 Dazu Eichler, Ordeelbook. 1291 Diese Ansicht ist wahrscheinlich nicht richtig. Hamburgisches und lübisches Recht wurde erst in der Spätzeit der lübischen Handschriften miteinander vermischt, vgl. Ebel, „Lübisches Recht“, in: HRG III, Sp. 77, 80. 1292 Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi & Co., jetzt Jacobi Wwe. c. Zernitz (1855), S. 392, 395. 1293 Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi & Co., jetzt Jacobi Wwe. c. Zernitz (1855), S. 392, 395. 1294 Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi & Co., jetzt Jacobi Wwe. c. Zernitz (1855), S. 392, 396.

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dergerichts wiederhergestellt, die dem Zernitz aufgab, den Zeugen nun in einer Frist von 6 Wochen zu beschaffen. Diese Art der Rechtsanwendung eröffnete dem Richter große Freiheit. Er unterschied, ob eine Norm ganz oder teilweise antiquiert war, griff auf den hinter einer Vorschrift liegenden Grundsatz zurück, korrigierte Normen durch die tatsächliche Übung. Die Rechtsanwendung, in die viele Unsicherheitsfaktoren einossen, könnte eine große Rechtsunsicherheit bedeutet haben. Dadurch, dass die Richter aus der Rechtsanwendung neue Grundsätze schöpften, machten sie das Ergebnis verallgemeinerungsfähig und für weitere Entscheidungen fruchtbar. Die umfangreiche, gehaltvolle Begründung, die mit Literatur, Gerichtsgebrauch und anderen, inhaltsähnlichen Normen operierte, schränkte diesen großen richterlichen Spielraum etwas ein, machte ihn transparent und überprüfbar. Dabei halfen dem interessierten Leser, dass Fundstellen für Literatur oder ungewöhnlichere Rechtsquellen genau angegeben waren. Hier diente die Wissenschaft der Legitimation der Entscheidung.

bb) Sachverständige als Beweismittel Ob ein Sachverständiger, also jemand, der zu dem Prozess wegen seiner besonderen wissenschaftlichen Kenntnis hinzugezogen wurde¹²⁹⁵, als Beweismittel anzusehen war, war in der neueren gemeinrechtlichen Lehre strittig¹²⁹⁶. Eine Ansicht verneinte dies und ordnete den Sachverständigen als „Gehülfen des Richters“ ein. Dabei stellten diese Vertreter auf die Befugnis des Richters ab, von Amts wegen den Sachverständigen hinzuzuziehen und deren Zahl bestimmen zu können¹²⁹⁷. Eine andere Meinung vertrat, zumindest für die tatsächlich durch eine Partei produzierten Sachverständigen, dass es sich um Beweismittel handelte und betonte die Ähnlichkeit zu den Zeugen¹²⁹⁸. Die Frage hatte erhebliche praktische Bedeutung. Sah man den Sachverständigen als Beweismittel an, wäre das Gericht gezwungen gewesen, ihn zuzulassen sobald dies beantragt war. Diese Ansicht führte zu einer größeren Parteiherrschaft. Wäre er hingegen nur Gehilfe, käme es darauf an, ob der Richter auch allein in

1295 Wetzell, System, § 44 Fn 10, S. 528. 1296 Noch zu Zeiten des Reichskammergerichts oder Reichshofrats wurden Sachverständige unstreitig nicht als Beweismittel angesehen, vgl. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 300. 1297 Danz, Ordentlicher Prozess, § 350, S. 315; Wetzell, System, § 44 Fn 16, S. 530. 1298 So Grolmann, eorie, § 84, S. 116; Langenbeck, Beweisführung 3, S. 568; Linde, Lehrbuch, § 295, S. 372; Martin, Lehrbuch, § 207, S. 341.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

der Lage wäre, eine Überzeugung zu bilden. Damit stützte diese Ansicht die entscheidende Stellung des Richters.

(1) Befugnisse des Richters und des Sachverständigen Das OAG beschäftigte sich mehrmals in seinen Entscheidungen mit Sachverständigen. Dabei nahm das OAG sowohl Stellung dazu, ob der Sachverständige Beweismittel sei als auch zu dessen Befugnissen. In einer Entscheidung ordnete es einen Sachverständigen unproblematisch als Beweismittel ein und diskutierte dessen Zulässigkeit. In diesem Zusammenhang ging das Gericht auch auf die Befugnisse eines Richters im Gegensatz zur Partei ein. Der Sachverständige war von den Ältesten des Beckenschlägeramtes angeführt worden, um zu beweisen, dass ihnen ein Verbietungsrecht gegen den Klempnermeister Lüders zustehe¹²⁹⁹. Denn das ihrer Zunft verbürgte Recht, das sich auf den Verkauf aus Messing gefertigter Gegenstände bezog, gelte ebenso für Gegenstände aus Tomback, das auch „rotes Messing“ genannt werde. Dabei sollte der Sachverständige klären, dass Tomback Messing gleichzusetzen sei. Das bestätigte Urteil des unterinstanzlichen Wettegerichtes hatte den Beweis jedoch für verfehlt erachtet. Der Sachverständige war gar nicht erst zugelassen worden, da sich aus den einschlägigen Werken sachkundiger Autoren ergebe, dass Tomback und Messing keinesfalls identisch seien. Dieser Argumentation stellen sich die Richter des OAG mit Hinweis auf die Verhandlungsmaxime entgegen¹³⁰⁰. So dürfe der Richter ein durch die Parteien angebotenes Beweismittel nicht deshalb zurückweisen, weil er sich die Erkenntnis anderweitig verschaffen könne. Dies gelte unbezweifelt für Zeugen und ebenso für Sachverständige. Zwar sei der Richter nicht verp ichtet, von Amts wegen Sachverständige zu vernehmen und da es seinem Ermessen überlassen sei, ob er ausreichend unterrichtet sei, könne er auf eine weitere Vernehmung verzichten. Wenn aber die Partei die Behauptung durch einen Sachverständigen stützen wolle, dürfe ihr das verlangte Gehör nicht versagt werden. Nachdem die Richter mit diesen Ausführungen die Entscheidung, den Sachverständigen nicht zuzulassen, verwarfen, bezweifelten sie aber in einem zweiten Schritt, dass der Sachverständige inhaltlich bestätigen könne, dass Tomback mit Messing gleichzusetzen sei. Die schwierige und streitige Frage nach dem Verhältnis von Richter- und Parteienmacht bezüglich Sachverständiger, beantworteten die Richter in diesem Fall

1299 Bruhn, Sl. 2, No XXVIII A, Beckenschläger c. Lüders (1836), S. 230–238. 1300 Bruhn, Sl. 2, No XXVIII A, Beckenschläger c. Lüders (1836), S. 230, 235.

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zugunsten der Parteienmacht. Dabei fällt wiederum auf, dass die Richter die Antwort aus den prozessualen Grundsätzen herleiteteten und auf die Parallele zum Zeugenbeweis hinwiesen. Der zunächst bedingungslose Verweis auf die Verhandlungsmaxime wurde in den weiteren Ausführungen jedoch differenziert eingeschränkt. So erkannte das Gericht den Richtern dennoch ein Ermessen zu. Der Richter entscheide, ob von Amts wegen Sachverständige überhaupt oder zusätzlich¹³⁰¹ zu den durch die Parteien produzierten Sachverständigen, vernommen werden sollten. Die Richter beantworteten damit mehr als die Appellationsbeschwerde und ordneten den Sachverständigen ausgehend von den Grundsätzen in ein System der Beweismittel ein. Obwohl sich die Richter bereits in dieser ersten Appellation zögerlich zu dem voraussichtlichen Inhalt der Sachverständigenaussage äußerten, gelangte eine weitere Appellation in dieser Rechtssache fünf Jahre später nach vorangegangener Aktenversendung an das OAG¹³⁰². Dieses Mal bestätigte es die Entscheidung. Hier zeigt sich, dass die dogmatische Behandlung von Einzelproblemen nicht zu einer zweckmäßigen und schnellen Erledigung des Rechtsstreits führte. Dennoch wurde die abermalige Appellabilität als Ausdruck der Verhandlungsmaxime nicht in Frage gestellt.

(2) Partei-Sachverständiger und Obmann In einer sehr späten Entscheidung von 1879¹³⁰³ wurde zwar kurz die Frage aufgeworfen, inwieweit Sachverständige lediglich „Gehülfen des Richters“¹³⁰⁴ seien, dann aber unproblematisch Sachverständige als Beweismittel eingeordnet. Im Vordergrund standen die Befugnisse des Sachverständigen. Die fünf Geschwister Frese, die im Prozess durch ihren Vormund vertreten wurden, hatten von ihrem verstorbenen Vater ein gepachtetes Gut geerbt. Von dem Verpächter Rudolph Carl Müller hatten sie verlangt, den Pachtvertrag aufzuheben, da das Gut heruntergekommen sei. Müller hatte versucht, den Beweis zu führen, dass die Schäden auf eine unsachgemäße Bewirtschaftung zurückzuführen seien. Diese Beweisführung durch Sachverständige hatten die Geschwister Frese in ihrer Appellation angegriffen. Aufgrund dieser Appellation musste sich das OAG ausführlich mit dem Beweis durch Sachverständige befassen.

1301 1302 1303 1304

Dazu Bruhn, Sl. 2, No XXVIII A, Beckenschläger c. Lüders (1836), S. 230, 236. Bruhn, Sl. 2, No XXVIII B, Beckenschläger c. Lüders (1842), S. 238. AHL OAG L I 719 Geschwister Frese c. Müller (1879). AHL OAG L I 719 Geschwister Frese c. Müller (1879) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 3.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

In der Begründung des Urteils ist von Partei-Sachverständigen die Rede. Der Sachverständige wird entweder dem Kläger oder Beklagten zugeordnet, je nach dem, wer ihn benannte. Der Richter ernannte, wenn Produzent und Produkt¹³⁰⁵ gleich viele Sachverständige vorschlugen, einen Obmann¹³⁰⁶. Der Obmann und je ein Sachverständiger jeder Partei stimmten nun mehrheitlich darüber ab, ob das Erkenntnis vorlag. Ein Obmann war auch in der Sache Frese gegen Müller bestellt worden. Das OAG prüfte auf die Beschwerde des Klägers hin die Befähigung des Obmannes aufgrund der Aktenlage¹³⁰⁷. Dadurch, dass der Richter die Möglichkeit hatte, dem Partei-Sachverständigen einen Obmann beizuordnen, war dieser Beweis nicht nur Sache der Parteien¹³⁰⁸. In einem Nebensatz sprachen sich die Richter gegen den Sachverständigen als ihren Gehilfen aus. So sei es nach „richtigen Grundsätzen“ Aufgabe des Sachverständigen-Beweises auf die Überzeugung des Richters einzuwirken¹³⁰⁹. Genau dies aber sei Aufgabe eines Beweismittels. Im Ergebnis erachteten sie den durch die Sachverständigen geführten Beweis als „entschieden verwer ich“, weil der Sachverständige über die Beweiskraft eines abgelegten Zeugnisses geurteilt und damit „in die richterliche Sphäre übergriffen“ habe¹³¹⁰. Der Sachverständige habe sich an die Instruktionen¹³¹¹ des Richters zu halten. Die Befugnisse des Sachverständigen wurden damit klar abgegrenzt und denen des Richters untergeordnet. Diesem Ergebnis ging in den Entscheidungsgründen eine dezidierte Prüfung des Gutachtens voraus. Satz für Satz analysierten die Richter die Aussagen des Sachverständigen daraufhin, ob er die Instruktionen des Richters verletzt habe. Habe der Sachverständige Punkte begutachtet, die nach der Instruktion des Richters ausgeschlossen bleiben sollten, und stellten sich diese Punkte als Prämissen des Endergebnisses dar, dann sei der Beweis zwar noch nicht misslungen, aber ungewiss¹³¹². Hier differenzierten die Rich-

1305 Beweisführer und Gegner bei den eigentlichen (Urkunde, Zeuge) Beweismitteln, vgl. Bluhme, System, § 647, S. 525. 1306 Schneider, Lehre vom Beweise, § 183, S. 121. 1307 AHL OAG L I 719 Geschwister Frese c. Müller (1879) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 10–11. 1308 Auf diesen Kompromiss zwischen Bestellung durch Richter oder Partei wies Wetzell, System, § 44 Fn 22, S. 531, hin, der den Sachverständigen allerdings auch nicht als Beweismittel einordnete. 1309 AHL OAG L I 719 Geschwister Frese c. Müller (1879) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 11. 1310 AHL OAG L I 719 Geschwister Frese c. Müller (1879) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 23. 1311 Zur Instruktion durch den Richter: Langenbeck, Beweisführung 3, S. 587–591. 1312 AHL OAG L I 719 Geschwister Frese c. Müller (1879) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 4.

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ter zwischen einem Mangel des versuchten Beweises selbst und zwischen einer ungenügenden Beweisaufnahme. Letzteres könne ergänzt und verbessert werden. Diese unterschiedlichen Rechtsfolgen leiteten die Richter aus einem Vergleich mit anderen Fallgruppen ab. Instruktionsmäßige Punkte unberücksichtigt zu lassen, sei dasselbe wie eine Aufgabe unvollständig zu erfüllen oder wie ein Mangel an nötiger Klarheit und Bestimmtheit des Gutachtens. Ebenso wie bei Zeugen, die unvollständig aussagten, müsse der Sachverständige nachträglich das Gutachten ergänzen¹³¹³. Auch in diesem Urteil betonten die Richter die Parallele zum Zeugenbeweis und griffen auf dort entwickelte Grundsätze zurück. Das Urteil durchzieht die Bemühung, die Kompetenz des Richters im Gegensatz zur Partei und zu deren Sachverständigen hervorzuheben und abzugrenzen. In der Literatur herrschten zahlreiche Streitigkeiten, die den Sachverständigen betrafen. So war nicht nur die grundsätzliche Stellung des Sachverständigen als Beweismittel oder als Richtergehilfe strittig, sondern auch, wer wann wie viele Sachverständige benennen durfte, ob der Sachverständige wie ein Zeuge durch Artikel und Fragstücke zu vernehmen sei und welchen Inhalt die Instruktion durch den Richter haben dürfe¹³¹⁴. Der Beweiswert hing von der Überzahl der Sachverständigen ab¹³¹⁵. Die Bemühung, möglichst viele Detailfragen im Vorfeld zu beantworten, nutzte der Rechtsprechung des OAG Lübeck kaum. In den Urteilen befassten sich die Richter mit anderen Einzelfragen. Im Anklang an die strittige Literatur diskutierten sie allerdings, welche Stellung dem Sachverständigen grundsätzlich zukomme. Aus Parallelen zum Zeugenbeweis oder der Stellung von Richter und Partei folgerten sie, inwieweit die Aussage des Sachverständigen verwertbar sei oder ob der Sachverständige überhaupt zuzulassen sei¹³¹⁶.

cc) Urkunde Urkunden scheinen das nach den Zeugen meist genutzte Beweismittel zu sein. Eine Urkunde hatte nach gemeinem Recht den Vorteil, dass ihr ein hoher Beweiswert zugesprochen wurde¹³¹⁷. Unterschieden wurde zwischen öffentlichen und

1313 AHL OAG L I 719 Geschwister Frese c. Müller (1879) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 5. 1314 Zu den einzelnen Streitpunkten: Langenbeck, Beweisführung 3, S. 548–613 mit weiteren Nachweisen. 1315 Bluhme, System, § 674, S. 545. 1316 So in Wunderlich, Bd. 1, No 325 B, See-Assecuranz-Versicherung c. Hamann in Vertretung von Böttcher (1854), S. 339, 341. 1317 Zu der steigenden Bedeutung seit dem 13. Jahrhundert: Schmoeckel, ZRG/KA 127 (2010), S. 186, 188.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

privaten, Originalurkunden und Kopien¹³¹⁸. Die öffentliche Urkunde, also die amtlich beglaubigte, bewies, was in ihr stand. Ein Gegenbeweis war aber möglich. Der Beweiswert einer privaten Urkunde eines Dritten wurde nach Indizien bestimmt, die Urkunde einer Partei konnte grundsätzlich nur Beweis gegen die gegnerische Partei führen. Die gemeinrechtliche Literatur unterschied detailliert nach der einzelnen Urkunde und danach, wer sie einbrachte. In der variantenreiche Fülle von systematisch gegliederten Einzelfällen verliert der Leser schnell die Orientierung. Das OAG beschäftigte sich in verschiedenen Prozessen mit dem Beweiswert von Urkunden und wie sie dem Gericht vorgelegt werden mussten.

(1) Original und Kopie bei Handelsbüchern Der nachfolgend dargestellte Rechtsstreit zeigt, in welchem Verhältnis Originalurkunde und Kopie standen. Zwei Kau eute¹³¹⁹ stritten darüber, wann das Handelsbuch¹³²⁰ im Original dem Richter vorgelegt werden musste, damit sie die Kopie verwerten konnten. Die Entscheidungsgründe begannen mit einer Klarstellung, um Missverständnisse zu vermeiden: „Im Allgemeinen unterliegt es keinem Bedenken, daß der Kaufmann zum Beweis eines Handelsgeschäfts (...) sich seiner Bücher bedienen kann“¹³²¹. Damit ließen die Richter die gemeinrechtliche Ausnahme für Kau eute zu, wonach diese Privaturkunden auch zugunsten ihrer selbst und nicht nur für die gegnerische Partei als Beweis nutzen konnten¹³²². Jedoch seien vorliegend nur die Kopien der Handelsbücher beigebracht worden. Das lübeckische Stadtrecht Art. V, 6, 3, das bestimmte, dass Kopien mit dem Original bestärkt werden müssten, legte nicht fest, zu welchem Zeitpunkt dies geschehen musste. Daher müsse es „in der Hinsicht bei den gemeinrechtlichen Grundsätzen bleiben“. Vorbildhaft wandten die Richter hier die Subsidiarität des gemeinen Rechts an. Ohne sich auf einen normativen Anknüpfungspunkt zu beziehen, meinten die Richter, das Original könne in einem späteren Termin nachgereicht werden. Gerade Handelsbücher könne der Kaufmann nicht für längere Zeit entbehren, daher werde „nach der Natur der Sache und nach der täglichen Praxis“ der Beweis nur

1318 Bluhme, System, §§ 663, 664, S. 538. 1319 Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157–164. 1320 Zur Rechtsprechung des OAG Handelsbücher betreffend: Kusserow, OAG Handelsrecht, S. 108–111. 1321 Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157, 158. 1322 Bluhme, System, § 666, S. 540, spricht davon als einem gewohnheitsrechtlichen Privileg, das aber durch die neuere territoriale Gesetzgebung weiter beschränkt würde, zusätzlich war ein Eid erforderlich.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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durch die Abzüge angetreten. Es sei außerdem nicht der Zweck der Beweisantretung, dem Richter einen vollständigen Einblick in die Beweislage zu verschaffen. Der weitere Einwand des Beweisgegners, dass Art. V, 6, 4 den Beweiswert der Handelsbücher von Gewandschneidern und Krämern auf 30 Mark beschränke, begegneten die Richter ebenfalls mit zweckmäßigen Erwägungen. Es sei nicht „Meinung des Gesetzes“¹³²³, dass ein Kaufmann auf seine Beweisführung durch Handelsbücher verzichten solle. Die Beschränkung beruhe auf historischen Gründen, die nicht mehr einschlägig seien. So hätten Krämer und Gewandschneider nicht zu den „commercirenden Collegien“ gehört¹³²⁴. Bei einem echten Kaufmann könne davon aber keine Rede sein. Die Richter des OAG wählten hier, gestützt auf das gemeine Recht, die Natur der Sache und die tägliche Praxis eine zweckmäßige Handhabung. Demnach reichten bei Beweisantretung zunächst die Kopien aus. Diese Auslegung drängte die lübeckische Bestimmung des Stadtrechts weitgehend zurück.

(2) Edition von Urkunden Der Beweis durch Urkunden konnte sich hinziehen. In dem Streit zwischen den Brüdern Hartz um die Rückzahlung eines Darlehens appellierte bereits die zweite Generation¹³²⁵. Nachdem die Brüder verstorben waren, hatten die Ehefrau des einen und die Kinder des anderen als Parteien den Rechtsstreit fortgeführt. Zunächst hatte eine Partei sich gegen die Verp ichtung gewandt, die Papiere vorzuzeigen¹³²⁶. Aus l. 11 § 1 D. ad exhibendum und l. 12 § 1 D. depositi vel contra ¹³²⁷ schloss das OAG auf die Regel, dass Urkunden auf Verlangen des Gegners in dem Gerichtsort vorzuzeigen seien. Eine Ausnahme liege nicht vor¹³²⁸. Die Verp ichtung zur Edition bestätigte das OAG damit. In einem späteren Fall mussten die Richter allerdings diese allgemeine P icht zur Vorlage modi zieren; so treffe eine solche allgemeine Editionsp icht nur den Kläger, nicht den Beklagten¹³²⁹. Das

Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157, 159. Dazu Asch, Rat und Bürgerschaft, S. 22, 24. Bruhn, Sl. 1, No CIII (157 A und B), Hartz c. Hartz (1833 und 1836), S. 427–437. Bruhn, Sl. 1, No CIII (157 A), Hartz c. Hartz (1833), S. 427, 430. D. 10, 4, 11, 1, differenziert, auf wessen Kosten die Sache an den Klageort verbracht werden muss, Übersetzung in: Knütel/Kupisch/Seiler/Behrends, CIC II, S. 858, 859; D. 16, 3, 12, 1, die Sache müsse an den Ort zurückgebracht werden, an der sie sich zuvor befand, Übersetzung in: Knütel/Kupisch/Sailer/Behrends, CIC III, S. 345. 1328 Bruhn, Sl. 1, No CIII (157 A), Hartz c. Hartz (1833), S. 427, 434. 1329 Wunderlich, Bd. 2, No 380, Leise Ehefrau u. Kopka c. Dt. Lebensversicherungsgesellschaft (1857), S. 79–82 (80). 1323 1324 1325 1326 1327

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

zwischen Hartz und Hartz anschließende Editionsverfahren¹³³⁰ war wieder Ausgangspunkt für verschiedene Appellationen¹³³¹. Eine erreichte das OAG. Dieses Mal hatte sich der Appellant dagegen gewandt, die Originale selbst beizubringen. Der Appellant hatte sich auf die Entscheidung zwischen Schlesinger und Schwarz gestützt, in der keine Originale verlangt worden waren. Das OAG verwarf die Appellation erneut. Es differenzierte zwischen der Beweisantretung, bei der tatsächlich eine Abschrift genüge und der Urkundenedition, die einen „selbstständigen und de nitiven Act“¹³³² bilde. Hier zeigt sich das Nachteilige daran, dass die Richter vom Fall losgelöste allgemeine Grundsätze postulierten. So mussten sie gelegentlich von diesen abweichen, um ein sachgerechtes Ergebnis zu nden. Den zuvor aufgestellten Grundsatz modi zierten sie, bildeten Ausnahmen oder schränkten ihn generell ein. Das erarbeitete System verästelte sich auf diese Weise mehr und mehr. So waren sach- und interessengerechte Ergebnisse möglich, bargen aber die Gefahr einer verwinkelten Kasuistik. Jedenfalls beeinträchtigte diese Vorgehensweise die Rechtssicherheit. Weigerte sich die gegnerische Partei, die Urkunde herauszugeben, konnte dies den angestrebten Prozess so verzögern, dass die Partei vertraglich vereinbarte Fristen zur Klageerhebung versäumte. Zunächst musste, um die Klage vorzubereiten, die Herausgabe durch ein Editionsgesuch erzwungen werden¹³³³. Dies erforderte also ein separates Vorgehen und kostete Zeit. In einem 1864 entschiedenen Fall hatte der Kläger dadurch, dass sich die Beklagte zunächst geweigert hatte, die Urkunde vorzulegen, die Verjährungsfrist verpasst. Um dem Appellanten, der Restitution erbeten hatte, dennoch die Möglichkeit zur Klage zu gewähren, griff das OAG auf den „allgemeinen Rechtsgrundsatz“ zurück, dass der Rechtsverlust nicht demjenigen zugute kommen soll, der sich ungerechtfertigt verhalten hat¹³³⁴. Nachdem die Richter erörterten, wie dies dogmatisch zu bewerkstelligen sei, das Ergebnis dann aber offen ließen, formulierten sie: „daß dem Rechtsformalismus die Anerkennung zu versagen ist, sobald er mit den Grundsätzen des wahren Rechts in Widerspruch tritt“¹³³⁵. Das setzt voraus, dass es wahres Recht gibt, also

1330 Verfahren bei dem die Urkunde vorgelegt werden sollte, dazu Bluhme, System, § 667, S. 540; Wetzell, System, § 24, S. 249. 1331 So der Vermerk von Bruhn, Sl. 1, S. 436. 1332 Bruhn, Sl. 1, No CIII (157 B), Hartz c. Hartz (1836), S. 436, 437. 1333 Wunderlich, Bd. 2, No 442A, Magdeburger Feuer-Versicherungs-Gesellschaft c. Bohnhoff (1864), S. 314–319. 1334 Wunderlich, Bd. 2, No 442A, Magdeburger Feuer-Versicherungs-Gesellschaft c. Bohnhoff (1864), S. 314, 318. 1335 Wunderlich, Bd. 2, No 442A, Magdeburger Feuer-Versicherungs-Gesellschaft c. Bohnhoff (1864), S. 314, 319.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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hier so verstandene materielle Gerechtigkeit. Hier war das zweifellos der allgemeine Rechtsgrundsatz, der seinerseits aus den verschiedenen Gesetzen geschöpft wurde. Die Suche nach diesen allgemeinen Rechtsgedanken bestimmte die Entscheidungs ndung des OAG. Dieses wahre Recht stand höher als der sogenannte Rechtsformalismus, der sich ihm im Zweifel unterordnen musste. Eine Billigkeitsrechtsprechung, die durch die Suche nach dem „wahren Recht“ gekennzeichnet war, spielte eine erhebliche Rolle¹³³⁶. Bemerkenswert ist, wie offen die Richter hier kennzeichneten, dass sie entgegen dem „Rechtsformalismus“ entschieden und ausdrücklich eine Ausnahme zuließen. Die Richter nutzten nicht alleine den eingeräumten Spielraum bei Rechtsquellen- und Auslegungslehre, sondern kehrten offen ihr nach den Gesetzen gefundenes Ergebnis um. Daran zeigt sich, dass die Rechtsprechung eine Vorreiterrolle im Kampf gegen den allzu strengen Formalismus einnahm und ausgestaltete, nach welchen Rechtsgrundsätzen sich eine Partei zu richten hatte. Damit gestaltete die Praxis das Recht erheblich. Vielleicht unterscheidet sich diese Rechtsanwendung, die zeitlich der Pandektistik und der sogenannten Begriffsjurisprudenz zuzuordnen ist, von der Zwecklehre oder Interessenjurisprudenz, die ja erst 1905 formuliert wurde¹³³⁷, im Wesentlichen dadurch, dass nicht allein Zweck oder Interessen die Rechts ndung tragen sollten, sondern eben die Suche nach dem wahren Recht, das durch Extraktion aller Rechtsquellenmassen gefunden werden sollte.

(3)

Echtheitsverfahren

In einem sogenannten Diffessions- oder Echtheitsverfahren konnte der Produzent erklären, dass die Urkunde echt ist, also tatsächlich von der angegebenen Person stammte. Zumindest musste er auf Antrag einen Diffessionseid des Inhalts leisten, dass er nicht selbst die Urkunde ausgestellt habe¹³³⁸. Das OAG deutete eine ausweichende Stellungnahme des Gegners zu einer Urkunde (es handelte sich dabei um ein Senats-Dekret von 1705) bereits als Beleg der Echtheit¹³³⁹ und verzichtete damit auf eine zusätzliche formelle Beglaubigung.

1336 1337 1338 1339

So schon Haferkamp, in: HKK II/1, § 242 Rn. 55. Zur Interessenjurisprudenz und deren Vertreter Schmoeckel, Verlorene Ordnung, S. 421. Bluhme, System, § 669, S. 542. Wunderlich, Bd. 1, No 249 A, Garbereiter-Amt c. Rehwoldt (1846), S. 38, 41.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

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(4)

Beweiswert gegen vorbringende Partei

In einem Erbschaftsstreit zweier Brüder um die Hufe¹³⁴⁰ des Vaters stellte das OAG fest, dass eine Urkunde auch gegen denjenigen wirke, der sie vorgebracht habe¹³⁴¹. Strittig zwischen den Brüdern war, ob dem einen ein lebenslanges Wohnrecht auf der Hufe, freier Unterhalt und der Gebrauch eines Reitpferdes durch ein Testament eingeräumt war und ob diese Übereinkunft später auf dem Sterbebett des Vaters wieder aufgehoben worden war. Dazu war von einem der Brüder ein Hausbrief, also eine Vertragsurkunde über ein Haus¹³⁴², zu den Akten gebracht worden, aus dem hervorgehen sollte, dass die frühere Verfügung aufgehoben worden sei. Auch der andere Bruder hatte sich auf dasselbe Dokument berufen, daraus aber ganz andere Schlüsse gezogen. Bevor das OAG die Urkunde auslegte, stellte es „nach dem Grundsatze des Processes“¹³⁴³ fest, dass auch derjenige die Urkunde gegen sich gelten lassen müsse, der sie zu seinen Gunsten angeführt habe. Dies gelte sowohl für den Produzenten als auch für den Produkten. Diese allgemeine Feststellung stützten sie mit Verweis auf die ältere gemeinrechtliche Literatur, Danz und Grolmann und auf das gemeine Recht¹³⁴⁴.

dd) Geständnis Das Geständnis genoss vor dem OAG einen hohen Beweiswert. Dem gerichtlichen Geständnis, das im Gegensatz zu dem außergerichtlichen Geständnis in den Akten vorkam, maßen die Richter vollen Beweiswert zum Nachteil des Gestehenden zu¹³⁴⁵. Dieser „bekannte Grundsatz des gemeinen Rechts“ sei auch auf die in der Vernehmlassung gemachten Eingeständnisse anzuwenden. Der Gegenbeweis war nur zulässig, soweit der Beklagte einen Irrtum oder sonst einen Grund gegen die Richtigkeit vorbrachte. Dies stützten die Richter sowohl auf das römische Recht¹³⁴⁶ als auch auf das lübeckische Recht¹³⁴⁷.

1340 1341 1342 1343 1344 1345

Hufe: Stück Land, Bauernhof, vgl. Köbler, Rechtswörterbuch, S. 193 unter „Hufe“. Bruhn, Sl. 1, No I (3), Evers c. Evers (1821), S. 1–16. Dazu Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 5, Sp. 385. Bruhn, Sl. 1, No I (3), Evers c. Evers (1821), S. 1, 11. C. 4, 21; X 3, 39, 19. Bruhn, Sl. 2, No XXI, Müller c. Otard (1835), S. 160, 161, mit der Einschränkung in Privatstreitigkeiten. 1346 D. 9, 2, 23, 11 und 24, legt den Fall zugrunde, dass jemand gestanden hat, einen Sklaven getötet zu haben, dieser aber lebt bewiesenermaßen, dann entfalle die Klage, in: Knütel/Kupisch/Sailer/Behrends, CIC II, S. 745; D. 11, 1, 11, 10–12. 1347 Lübecker Stadtrecht Art. V, 5 die Richter zitierten wörtlich die Vorschrift: „Was Einer vor Gericht bekennet und überzeuget wird, das kann er hernachmals nicht wiederum verleugnen“.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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ee) Eid (1)

Eidesvielfalt

Eide wurden an unterschiedlichen und zahlreichen Stationen eines Prozesses geleistet. Es gab Diffessionseide, Manifestationseide, Editionseide und Armeneide, um nur einen Bruchteil der Eidesfülle zu nennen. Um diesen in ihren Voraussetzungen und Zielrichtungen unterschiedlichen Merkmalen Herr zu werden, gab es in der gemeinrechtlichen wie auch in der modernen Literatur verschiedene Ansätze, diese Eide zu klassi zieren. So wird zwischen promissorischen und assertorischen Eiden unterschieden. Neben dem promissorischen Eid, also dem Gelöbnisoder Versprechenseid, der das Verhalten des Schwörenden in der Zukunft betrifft¹³⁴⁸, wie beispielsweise den Eid, den ein OAG-Rat bei Amtsantritt ableistete, gab es die assertorischen Eide, die Wahrheitseide, die die Richtigkeit behaupteter Tatsachen betrafen. Nur die letzteren konnten als Beweismittel benutzt werden. Im gemeinrechtlichen Prozess wurde wiederum unterschieden zwischen dem Ergänzung- oder Reinigungseid und der Eideszuschiebung¹³⁴⁹. Strippelmann dagegen versuchte in seinem dreibändigen Werk zu gerichtlichen Eiden, die verschiedenen Eide nach ihrer Herkunft zu gliedern. So gebe es Eide, die auf das römische Recht zurückzuführen seien wie der Ergänzungs- oder der Schätzungseid. Germanischrechtlichen Ursprungs sei insbesondere der Reinigungs-, Diffessionsoder der Manifestationseid. Neben dieser Kategorie der Haupteide bildeten die Nebeneide eine eigene Gruppe, die sich wiederum unterteilen lasse in Kalumnieneide, Bescheinigungs- und schließlich die Verp ichtungseide¹³⁵⁰. Hier zeigte sich eine negative Folge der uneinheitlichen Systematisierungsversuche in der gemeinrechtlichen Literatur. Im Weiteren wird lediglich die Eideszuschiebung, die ein Beweismittel war, behandelt.

(2)

Kritik am Parteieid

Der Eid stand gegen Mitte des Jahrhunderts wie kein anderes Beweismittel in der Kritik. Obwohl von der gemeinrechtlichen Lehre neben die anderen Beweismittel gestellt, war er seiner Konzeption gemäß ein ganz besonderes Beweismittel. Der Eid ist eine bedingte Selbstver uchung. Ein Schwur. Für den Fall, dass man nicht die Wahrheit gesagt hatte, würde Gott einen strafen. Damit musste man

1348 Zu der Unterscheidung Luminati, Eidverweigerung, S. 197, 200. 1349 Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 398. 1350 Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. VI.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

sich nicht nur vor dem Gericht verantwortlichen. Die göttliche Macht ließ einen die Wahrheit sprechen. Die Partei, obwohl befangen durch ihr eigenes Interesse, leistete den Eid. Hier erfuhren Moral und Religion eine Einbruchstelle in den Zivilprozess. Wie passte dieses auf religiöse Überzeugung beruhende Beweismittel in den Prozess, der zunehmend durch rationale, logisch überprüfbare Überlegungen gekennzeichnet war? Der Richter konnte den Eid einer Partei nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen, sondern war auf die Redlichkeit des Schwörenden angewiesen. Zwar gab es auch weltliche Sanktionsmöglichkeiten wie die Strafbarkeit wegen Meineides, aber ein Missbrauch musste zunächst bewiesen werden. Von einer fundamentalen Krise des Eides, der als religiös fundiertes Zwangsmittel mit der menschlichen Freiheit unvereinbar sei¹³⁵¹, ist in der rechtshistorischen Literatur für das 19. Jahrhundert die Rede. Insbesondere Kant hatte den Eid als Verbindungsglied von Staat und Religion grundlegend in Frage gestellt, an seine Impulse knüpfte die Diskussion Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts unter Juristen, Philosophen und eologen an¹³⁵². In der juristischen Literatur¹³⁵³ lassen sich auf der einen Seite Kritiker der überkommenen Eideslehre ausmachen, auf der anderen Seite die Verfechter, die insbesondere die religiöse Bedeutung bewahren wollten¹³⁵⁴. Als einen der größten Übelstände des gemeinen Prozessrechts bezeichnete von Bar¹³⁵⁵ 1867 den Parteieid¹³⁵⁶. Er wies auf die vielen Meineide hin, auf die Ungereimtheiten, wer bei juristischen Personen schwöre und auf die Lebensfremdheit. So sehe man den Eid einer gestorbenen Partei als geleistet an. Andere begriffen die vielen Eiden nur als eine über üssige, überkommene Tradition, die es abzuschaffen galt¹³⁵⁷. Es sei nicht einzusehen, weshalb dem Wort des einen mehr geglaubt werde, nur weil es eine besondere Form einhalte. Als schwerer Notstand wurden die massenhaften Eideszuschiebungen kritisiert und die über üssigen Zeugenei-

1351 Holenstein, Seelenheil und Untertanenp icht, S. 13; Luminati, Eidverweigerung S. 197, 204; Prodi, Glaube und Eid, S. XXIV: Schwindende Bedeutung im sozialen Leben und damit im Gerichtswesen; Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 450. 1352 Dazu Holenstein, Seelenheil und Untertanenp icht, S. 46, 47; ausführlich auch zu anderen Ein ussfaktoren, aber ebenfalls Kant betonend: Prodi, Sakrament, S. 375–407; Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 75, 450, sieht die Kritik am Eid parallel zur Folter und veranschlagt sie bereits wesentlich früher. 1353 Umfangreiche Nachweise zum Streitstand 1828 nden sich bei Bayer, Eid. 1354 Dazu auch Prodi, Sakrament, S. 406, 407, der sich jedoch auf einige wenige Werke, die zumeist auf philosophische Erwägungen stützten, beschränkt. 1355 Ludwig von Bar (1836–1913), Professor in Rostock und Breslau, Richter, bedeutend für das Internationale Privatrecht, vgl. Kristen/Oestmann, in: Niedersächsische Juristen, S. 259, 1356 Bar, Recht, S. 125. 1357 Muther, Gewissensvertretung, S. 322; Nissen, Gewissensvertretung, § 32, S. 196–198.

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de¹³⁵⁸. Teilweise folgerte man dennoch nicht die völlige Abschaffung der vielen Eide. Kritiker wie Bewahrer des Eides schlugen vor, dass zumindest die Feierlichkeiten der Eidesleistung erhöht werden müssten, um auf seine ursprüngliche wahre Bedeutung hinzuweisen und Meineide zu vermeiden¹³⁵⁹. In großer Detailschärfe schilderten die Konservativen, wie ein Eid zu leisten sei. Vor dem Richterstuhl solle ein mit einem schwarzen Tuch behangener Tisch stehen mit Kruzi x für die Katholiken oder Bibel für die Protestanten, während des „gerichtlichen Gottesdienstes“ sollte feierliche Stille herrschen und der Richter habe sich angemessen und würdevoll zu kleiden¹³⁶⁰. Überhaupt war es Anliegen derjenigen, die die Eide verteidigten, auf den religiösen Ursprung hinzuweisen. Strippelmann hatte den Eid als christliches Element, das die Verwirklichung der materiellen Wahrheit garantiere, 1857 verteidigt¹³⁶¹. So entstanden ganze Monographien für oder gegen Eide. Spätere Prozessualisten regten die Gesetzgebung an, zumindest den religiösen Zusatz aus der Eidesformel zu verbannen und eine neutrale Formulierung zu wählen¹³⁶². Erst die Weimarer Verfassung ermöglichte in Art. 136 IV, 177, den Eid ohne religiösen Zusatz zu leisten, nach langen kontroversen Auseinandersetzungen über den gerichtlichen Eid¹³⁶³. Die Debatte im 19. Jahrhundert beendete also noch nicht den Streit, welche Bedeutung den lange geübten Eiden zugemessen werden sollte. Teilte die Rechtsprechung diese Kritik? Versuchte sie möglicherweise die zahlreichen Eide einzudämmen? Oder hielten sie an dem überkommenen Institut fest?

(3) Eideszuschiebung als Beweismittel Die Eideszuschiebung, auch Schiedseid¹³⁶⁴ oder Eidesdelation genannt, war im Gegensatz zur Eidesau age unabhängig von der Mitwirkung des Richters. Die Eidesau age oder Noteid genannt, erlegte der Richter einer Partei auf. Entweder konnte die Partei dadurch einen bis dahin unvollständigen Beweis komplettie-

Elvers, Nothstände, S. 5, 6 und 48. So Elvers, Nothstände, S. 51; Reichenbach, Eid, S. 41. Marx, Eid, S. 194. Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. V, VIII; vor ihm bereits Bayer, Eid, insbesondere S. 187 ff., der das Christentum wie auch andere Kulturen und Religionen als mit einem Eid vereinbar verteidigte. 1362 Reichenbach, Eid, S. 39; dazu Holenstein, Seelenheil und Untertanenp icht, S. 57, der die Probleme bei der Säkularisation eines christlichen Rechtsinstruments hervorhebt. 1363 Darauf weist Bergfeld, Zeugenbeweis, S. 145, 161, hin, der den Deutschen Juristen Tag von 1931 zitiert; Munzel-Everling, „Eid“, in: HRG I, Sp. 1249, 1260. 1364 So Renaud, Lehrbuch, § 132, S. 377. 1358 1359 1360 1361

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ren, also einen Ergänzungs- oder Erfüllungseid leisten, oder die Partei konnte sich von dem Vorwurf, der in einem unvollständigen Beweis enthalten war, freisprechen, einen Reinigungseid leisten. Im Unterschied zu den Noteiden war es bei der Eideszuschiebung jedoch nicht das Ziel, einen Beweis zu komplettieren, sondern einen Beweis überhaupt zu führen. Bei der Eidesdelation, oder -zuschiebung stellte eine Partei die Wahrheit der von ihr behaupteten Tatsachen in den Eid des Gegners¹³⁶⁵. Der Gegner hatte daraufhin die Möglichkeit diesen Eid zu leisten, womit der Beweis über die Tatsache geführt war, oder er schob den Eid an die andere Partei zurück¹³⁶⁶. Der zurückgeschobene Eid bezog sich dann auf die Negation der zuvor zum Eid verstellten Tatsache¹³⁶⁷. Alternativ konnte der Gegner den Gegenbeweis führen¹³⁶⁸. Die Eidesdelation nahm eine Sonderstellung zu den übrigen Beweismitteln ein. Sie konnte entweder vollständigen oder gar keinen Beweis erbringen¹³⁶⁹, nicht aber einen Anfangsbeweis, der ergänzt werden konnte. Sie war subsidiär zu den übrigen Beweismitteln. Die Partei, die den Eid zuschob, setzte damit alles auf eine Karte. Dennoch kam die Eideszuschiebung in der Rechtsprechung des OAG mehrfach vor¹³⁷⁰. Die gemeinrechtliche Literatur machte auf den Vergleichscharakter der Eidesdelation aufmerksam¹³⁷¹. Der Schiedseid gleiche einer vertragsgemäßen Erledigung streitiger Tatsachen. Den Parteien, die hier über zu beweisende Tatsachen disponierten, war ein großer Freiraum gegeben, die Stellung des Richters dagegen erscheint auf den ersten Blick unbedeutend. Im Grundsatz unangefochten, setzte sich das OAG mehrmals mit Einzelheiten der Eidesdelation auseinander. Die Terminologie des OAG war unterschiedlich; teilweise ist von Schiedseid die Rede. Gerichtspräsident Heise und Richter Cropp widmeten dem Vorbehalt der Eidesdelation eine eigene Abhandlung¹³⁷². Bei Beweisantretung die Eidesdelation vorzubehalten, bot dem Beweisführer den Vorteil, später, sollten andere Beweismittel erfolglos bleiben, noch auf den Eid zurückgreifen zu können. Wegen der

1365 1366 1367 1368 1369 1370

Wetzell, System, § 27, S. 285. Kornblum, „Gerichtlicher Eid“, in: HRG I, Sp. 863, 865. Schmid, Handbuch II, § 166, S. 363. Schmid, Handbuch II, § 166, S. 364. Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 272. AHL OAG L I 41 Hilliger c. Blohm & Söhne (1824); L I 51 Smith c. Hoffmann (1825); L I 61 Pauli c. Pauli (1826); Bruhn, Sl. 2, No LXVIII (257), Schiffszimmerleute c. Tischler (1846), S. 511–517. 1371 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 201, S. 781; Nissen, Gewissensvertretung, § 32, S. 196; Wetzell, System, § 27 Fn 1, S. 281. 1372 Heise/Cropp, Abhandlungen I, Abhandlung XV: Von dem Vorbehalte der Eidesdelation innerhalb der Beweisfrist, S. 266–282.

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Eventualmaxime war dies sonst nicht mehr möglich. Heise und Cropp hielten entgegen dem in Lübeck bisher geübten Gerichtsgebrauch einen Vorbehalt der Eidesdelation für zulässig. Der Vorbehalt sei nämlich im Ergebnis mit der eventuellen Delation gleichzusetzen¹³⁷³. Die eventuelle Eideszuschiebung kam nur hilfsweise, sollten andere Beweismittel nicht zulässig sein, zum Einsatz. So habe das OAG entschieden und die lübeckische Praxis sei dem gefolgt. Zweifelhaft sei aber, ob auch ein genereller Vorbehalt zulässig sei. Generell bedeutete, dass der Beweisführer den Eid nicht auf eine bestimmte Tatsache einschränkte. Schwierig bei diesem Vorgehen war, dass der Eid als letztes Hilfsmittel zum Erfolg dienen sollte. Danach kam es erst eventuell zur Eideszuschiebung, falls die anderen vorherigen Beweismittel erfolglos blieben. Problematisch dabei war, dass die generelle Eidesdelation sich nicht auf eine bestimmte Tatsache bezog, sondern als subsidiäres Beweismittel beliebig für die zu beweisenden Tatsachen eingesetzt werden konnte. Daher lehnte das OAG einen generellen Vorbehalt ab. § 100 der lübeckischen CPO von 1862 war insoweit strenger als die Rechtsprechung und kehrte zu dem ursprünglich in Lübeck geübten Gerichtsgebrauch zurück, indem gar kein Vorbehalt einer Eidesdelation zugelassen wurde. Hier folgte die Gesetzgebung dem OAG nicht.

(4) Insbesondere: Gewissensvertretung Statt den Eid zu leisten, konnte die gegnerische Partei, der Delat, dem der Eid zugeschoben war, mit anderen Beweismitteln den Gegenbeweis erbringen. Das war die sogenannte Gewissensvertretung. Sie hatte für den Delaten den Vorteil, dass der Beweis nicht durch seinen Eid vollständig erbracht war, ohne dass er seinerseits Tatsachen beweisen durfte. Die Gewissensvertretung durchbrach damit die strikte Beweisverteilung zwischen Beweisführer und Gegner. Der Eid behielt zwar noch formell seine starke Stellung, er konnte vollen Beweis erbringen, die Gegenpartei konnte ihm dennoch ausweichen. Die prozessualen Lübecker Vorschriften enthielten keine Regelung zur Gewissensvertretung. In anderen Partikulargesetzen war sie ausgeschlossen. Die Einzelheiten waren in der gemeinrechtlichen Lehre höchst umstritten¹³⁷⁴. Man war sich nicht einig, ob es die Gewissensvertretung grundsätzlich geben sollte. Teilweise wurde sie als dem römischen Recht fremd abgelehnt. Die Gewissensvertretung war der beschwerlichere und zeitaufwendigere Weg für den Delaten, der den Eid hätte leisten können. Sie bot aber den Vorteil, die vielen Eide eines Prozesses zu vermindern und das „schwankende Ge-

1373 Heise/Cropp, Abhandlungen I, S. 278. 1374 Zu den Einzelheiten vgl. Münks, Parteieid, S. 118–122.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

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wissen“ zu beruhigen¹³⁷⁵. Insbesondere sehr gewissenhaften Parteien bot sie eine Alternative¹³⁷⁶. Die Annahme, dass besonders gewissenhafte Menschen eher zur Gewissensvertretung als zum Eid griffen, stellte freilich die Bedeutung des Eides überhaupt in Frage. Denn wieviel Wert besitzt der Eid einer gewissenlosen Person? Muther¹³⁷⁷ schilderte außerdem, wie sich eine Lüge zur eigenen Überzeugung entwickeln kann¹³⁷⁸. Diese Einwände, die eine generelle Abkehr vom Institut des Eides oder zumindest eine Skepsis demgegenüber erkennen lassen, teilte das OAG nicht. Das OAG hatte zu überprüfen, ob der Beweis durch Gewissensvertretung gelungen war¹³⁷⁹. Insofern nahm die Rechtsprechung eine bewahrende Funktion ein. Allerdings tauchte die Gewissensvertretung bei der sowieso schon seltenen Eidesdelation kaum auf. Große praktische Bedeutung hatte sie demnach nicht.

(5)

Zusammenfassung

Anders als bei dem Perhorrescenzeid¹³⁸⁰, der nicht mehr ausreichte, den Richter für befangen zu erklären, lässt sich bei der Eideszuschiebung keine Abkehr von der gemeinrechtlichen Eideslehre erkennen. Vielmehr waren die Eide ein alltägliches prozessuales Mittel zur Erforschung der Wahrheit. Die sich in der Lehre entwickelnde Skepsis vermochte die Praxis nicht zu beein ussen. Die innerhalb der Lehre höchst umstrittene Gewissensvertretung hatte keine große praktische Relevanz. Die Eideszuschiebung als Beweismittel nutzten die Parteien im Vergleich zu anderen Beweismitteln zwar selten, geschah dies, wurde sie durch das OAG aber durchaus als Beweismittel anerkannt. Die Rechtsprechung weitete die Eidesdelation in frühen Entscheidungen sogar aus, indem sie sie in einem Vorbehalt zuließ. Dies führte die spätere lübeckische Gesetzgebung von 1862 nicht fort. Hier übernahm die partikulare Gesetzgebung ausnahmsweise nicht die Rechtsprechung des OAG. Der Gesetzgeber war nötig, um eine Abschaffung der vielen Eide zu ermöglichen.

1375 Muther, Gewissensvertretung, S. 319. 1376 Savigny, System VII, S. 87. 1377 eodor Muther (1826–1878), Professor und OAG-Rat in Jena, veröffentlichte Streitschrift gegen Windscheids „actio“, historische Forschung insbesondere zur Rezeption, zu ihm vgl. Luig, NDB Bd. 18, S. 650. 1378 Muther, Gewissensvertretung, S. 322. 1379 AHL OAG L I 61 Pauli c. Pauli (1826) Q 1 Einführung der Appellation, S. 3. 1380 Erster Hauptteil B. II. 1. c) aa).

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Ob die Auswertung der Rechtsprechung zu den notwendigen Eiden ein anderes Bild ergibt, bleibt abzuwarten¹³⁸¹.

ff) Sonstige Beweismittel: Insbesondere Verklarung Neben diesen klassischen Beweismitteln scheinen eine Vielzahl anderer Beweismittel im Prozess benutzt worden zu sein. So bezeichneten die Richter Präjudizien als Beweismittel, um ein Gewohnheitsrecht zu beweisen¹³⁸². In einer Entscheidung legten die Richter dem Beklagten den Erfüllungseid auf, obwohl bezüglich dieser Tatsache kein förmlicher Beweis beigebracht worden war¹³⁸³. Zuvor war in dem Prozess ein Beweisinterlokut ergangen; es handelte sich also nicht um eine antizipierte oder formlose Beweisführung. Das nicht förmliche Beweismittel war eine Notiz in einem Handelsbuch, aus dem die Richter durch Auslegung schlossen, dass ein Erlassvertrag zwischen den Parteien vorliege und die Beklagte daher das verlangte Geld nicht zurückzuzahlen bräuchte. Aus dieser Notiz folge eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Vertrag. Die Klägerin hätte nämlich die Notiz ihres verstorbenen Mannes nicht in Abrede gestellt und die Beklagte hätte nicht anders davon Kenntnis erlangen können, als dass ihr der Inhalt mitgeteilt worden sei. Dies rechtfertige den Erfüllungseid der Beklagten. Auch aufgrund eines nicht förmlichen Beweismittels konnte in Verbindung mit dem Erfüllungseid voller Beweis erbracht werden. Dass eine Beweisführung anders als durch förmliche Beweismittel möglich war, zeigt, dass auch bei den Beweismitteln selbst eine richterliche Wertung stattnden konnte. So entschied der Richter, ob er das vorgebrachte Material als Beweismittel ausreichen ließ. Die gemeinrechtliche Lehre, die sehr unterschiedliche Beweismittel aufzählte¹³⁸⁴, gab insoweit keine klaren Beschränkungen vor. Der Richter konnte hier sein Ermessen, die Partei konnte alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um einen Beweis zu führen. Viele Lübecker Prozesse¹³⁸⁵ beschäftigten sich mit Seeunfällen. Die bekannten Beweismittel genügten hier nicht. Bei dieser sogenannten Haverei gab es ein

1381 Dazu unter Zusammenfassung zu den notwendigen Eiden: Zweiter Hauptteil B. II. 4. c) aa) (3). 1382 Bruhn, Sl. 2, No XV, Dillner c. Drevsen (1834), S. 120, 124. 1383 AHL OAG L I 83 Wwe. omann c. Wwe. Schickedanz, jetzt deren Erben (1827) Q 13 Entscheidungsgründe, p. 7. 1384 Dazu siehe oben, unter Beweismittel: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b). 1385 Zu den frühen Schiffsunfällen: Oestmann, Seehandelsrecht OAG.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

besonderes Beweismittel: die Verklarung. Damit bezeichnete man die eidliche Vernehmung der Schiffsmannschaft über den Vorfall vor einer Behörde¹³⁸⁶. Mit dem Beweiswert einer Verklarung, der eine gegenteilig lautende Verklarung entgegenstand, hatte sich das OAG 1868 zu befassen¹³⁸⁷. Die „Maria“, ein schwedischer Schoner war am 28. September 1867 mit der Brigg „Friedrich Hanmann“, die durch die „Novgorod“ bugsiert wurde, auf der Trave zusammengestoßen. Aufgrund eines Dampfbaggerschiffs war die Durchfahrt sehr eng. Als die „Hanmann“ das Dampfschiff schon passiert hatte, stieß sie mit der „Maria“ zusammen. Beide Schiffe wurden schwer beschädigt. Der Kapitän der „Maria“ Anderson hatte Klage auf Schadensersatz erhoben. Nach seiner Darstellung hatte die Besatzung der „Hanmann“ statt einfach dem „Novgorod“ zu folgen in „verkehrter und völlig kop oser Weise“ auf die „Maria“ zugesteuert¹³⁸⁸. Dies zu beweisen, hatte das Handelsgericht dem Kläger Anderson auferlegt. Dieser hatte sich auf eine Verklarung seiner Mannschaft gestützt und zusätzlich Urkunden, Sachverständige und Zeugen benannt. Der Beklagte hatte sich für den Gegenbeweis auf die gleichen Beweismittel gestützt¹³⁸⁹. Die Verklarung des Beklagten war allerdings nicht rechtzeitig angemeldet worden. Darin sah das OAG jedoch keinen Grund, der Verklarung des Beklagten jeden Beweiswert abzusprechen. Dennoch bestätigte es das Urteil des OG, das den Beweis der Kläger als geführt ansah.

c) Überprüfung des geführten Beweises Nach Abschluss des Beweisverfahrens musste der Richter entscheiden, ob der Beweis nun gelungen war. Nach der legalen Beweistheorie reichte seine juristische Überzeugung aus, die weniger sein konnte als seine tatsächliche menschliche Überzeugung¹³⁹⁰. Doch bestand die Aufgabe des Richters in der Praxis des 19. Jahrhunderts nicht darin, schematisch Beweismittel zusammenzuzählen. Vielmehr ergibt sich aus der Rechtsprechung des OAG, dass dem Richter an verschiedenen Stellen Ein ussmöglichkeiten zustanden. Bevor der Beweis überprüft werden konnte, musste er, war er bisher noch nicht vollständig geführt, durch Noteide komplettiert werden. Die Noteide,

1386 Ausführlich dazu: Erler, „Verklarung“, in: HRG V, Sp. 741–743; Oestmann, Seehandelsrecht OAG, bei Fn 74. 1387 Kierulff, Bd. 4, No 90, Anderson c. Galle (1868), S. 802–809. 1388 Die Prozessgeschichte bei Kierulff, Bd. 4, No 90, Anderson c. Galle (1868), S. 802–808. 1389 Kierulff, Bd. 4, No 90, Anderson c. Galle (1868), S. 802, 803. 1390 Dazu oben, unter Grundlegung zum gemeinen Beweisrecht: Zweiter Hauptteil B. II. 1.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Reinigungs- oder Erfüllungseid, hatte der Richter der Partei aufzuerlegen. Hier oss bereits die Wertung des Richter ein, welchen Eid er welcher Partei auferlegte. Obwohl anschließend die juristische Überzeugungskraft der gesetzlichen Beweistheorie meist nur noch kurz festgestellt werden musste, gab es davon Ausnahmen. Die OAG-Richter reduzierten in einigen Entscheidungen den Beweismaßstab vom strengen Beweis zur Bescheinigung oder ließen Indizienbeweise ausreichen, die ebenfalls nur auf eine hohe Wahrscheinlichkeit gerichtet waren. Waren dies Ausnahmen oder wurde die Regel des strengen Beweises in der gerichtlichen Praxis umgekehrt? Um dies beantworten zu können, werden die Fälle, in denen der Richter Noteide auferlegte, nur kurz seine juristische Überzeugung feststellte oder eine Bescheinigung oder Indizien ausreichen ließ, näher untersucht.

aa) Auferlegung des Reinigungs- bzw. Erfüllungseides Nach Abschluss des Beweisverfahrens entschied der Richter, soweit ein gewisser Beweisanteil geführt war, ob dem Beklagten der Reinigungseid oder ein Erfüllungseid aufzuerlegen war¹³⁹¹. Durch den Reinigungseid konnte sich derjenige, gegen den sich der Beweis richtete, frei von allen Beschuldigungen machen. Der Erfüllungseid komplettierte den bisher nicht vollständig geführten Beweis, ein geringer Grad an Wahrscheinlichkeit wurde zur vollen Wahrheit erhoben¹³⁹². Die Voraussetzung dafür, dass der Richter der Partei einen Erfüllungseid auferlegen konnte, war, dass ein bestimmtes Maß an Beweis bereits geführt worden war. Die Rechtswissenschaftler stritten darüber, ob ein halber Beweis ausreichend war oder ob mehr als ein halber, ein überwiegender Beweis für einen Erfüllungseid bereits vorliegen musste¹³⁹³. Dazu schrieb der frühere OAG-Rat Bluhme 1855 in seinem Lehrbuch, dass „solche Hälften selten mathematisch bestimmbar sind, sondern auch weil die Persönlichkeit des Schwörenden und die Art seines Wissens eben so entscheidend mit in Betracht kommen“¹³⁹⁴. Ähnlich ablehnend gegenüber einer exakten mathematischen Berechnung äußerten sich andere gemeinrechtliche Schriftsteller¹³⁹⁵. Einen positiven Vorschlag, wann nun welcher Eid aufzuerlegen sei, mach-

1391 Schmid, Handbuch II, S. 416. 1392 Kraussold, Eid, S. 118. 1393 Zu diesem Streit: Strippelmann, Gerichts-Eid III, § 9, S. 35; Wetzell, System, § 26, S. 278, 279. 1394 Bluhme, System, § 678, S. 549. 1395 Linde, Lehrbuch, § 317, S. 393: Halber Beweis nur als Anhaltspunkt für den Richter; Wetzell, System, § 26, S. 279, betonte das richterliche Ermessen, abgesehen von Quantitäten.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

te Bluhme nicht. Er betonte aber, dass stattdessen erheblich sei, ob die Partei den Glaubens- oder Wahrheitseid schwören könne¹³⁹⁶. In dem Rechtsstreit Bosse gegen Kasch, der bereits zum zweiten Mal vor das OAG gelangt war, setzte sich das OAG damit auseinander, wem welcher Eid aufzuerlegen war. Der Richter habe sich zunächst am objektiven Ergebnis der Beweisführung zu orientieren. Hier seien für beide Parteien Indizien angeführt worden und die für den Erfüllungseid zu fordernde Wahrscheinlichkeit sei noch nicht erreicht. Ausschlaggebend sei dabei die „bessere Wissenschaft einer Partei“. Da die Kläger selbst bei dem fraglichen Geschehen nicht anwesend gewesen seien, komme nur der Reinigungseid in Betracht. Die bessere Wissenschaft bedeutet also die eigene Wahrnehmung gegenüber der fremden. Weiter stellte sich in derselben Entscheidung die Frage, ob die vertretene Frau selbst den Eid ablegen könne. Daran, dass die Frau selbst beeiden könne, ließen die Richter aber keinen Zweifel. Die allgemeinen Bestimmungen sowie die Bestimmungen des hamburgischen Rechts, das hier entscheidend war, ließen keinen Zweifel, dass die Frau als Partei und nicht ihr Vertreter die Haupteide selbst ableiste¹³⁹⁷. Zwar oblag es dem richterlichen Ermessen, einen Eid aufzuerlegen, die Partei konnte aber den Eid verweigern. Dies kam einem ngierten Geständnis gleich¹³⁹⁸. Mit solchen Fällen hatte sich das OAG nicht zu befassen. Stattdessen entschied es über eine andere Möglichkeit der Partei, auf die Eidesleistung Ein uss zu nehmen. Die Parteien konnten nämlich ihrerseits Anträge stellen und damit bestimmen, mit welchen Fragen sich der Richter auseinanderzusetzen hatte. So hatte eine Versicherungsgesellschaft, die nicht für den Schaden eines Seeunfalles aufkommen wollte, beantragt, den versicherten Kläger nicht zum Eid zuzulassen¹³⁹⁹. Würde der Kläger nicht zugelassen, wäre sein Beweis misslungen. Dabei wollte die Versicherung keine infamia juris, also keine vom Recht anerkannte Ehrminderung¹⁴⁰⁰, nachweisen, sondern lediglich sonstige Umstände, die auf eine Unglaubwürdigkeit des Klägers als Eidleistenden hinwiesen¹⁴⁰¹. Diesem Antrag gaben die OAGRichter statt. In den vorigen Erkenntnissen sei der Versicherung keine ausreichen-

1396 Der Eid bezog sich zum einen auf den eigenen Glaube, dass eine Tatsache vorlag, zum anderen auf positive Kenntnis. Zu Wahrheits-, Glaubens- oder Ignoranzeid: Zweiter Hauptteil B. II. 4. c) aa) (2). 1397 Kierulff, Bd. 3, No 96, Bosse c. Kasch (1867), S. 766, 770. 1398 Kraussold, Eid, S. 121. 1399 AHL OAG L I 29 Hansen c. Versicherungs-Gesellschaft von 1818 und die Zweite Assecuranz-Companie zu Lübeck (1823) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 10. 1400 Im Gegensatz dazu musste der Richter bei infamia facti eine Ehrminderung im Einzelfall feststellen, vgl. Lieberwirth, „infamia“, in: Latein im Recht, S. 142. 1401 AHL OAG L I 29 Hansen c. Versicherungs-Gesellschaft und die Zweite AssecuranzCompanie zu Lübeck (1823) Q 3 Appellation des Beklagten, S. 13.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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de Gelegenheit gegeben worden, diesen Nachweis zu führen. Zusätzlich zur infamia juris, entwickelten die Richter parallel zur Glaubwürdigkeit von Zeugen, dass derjenige, der in eigener Sache ein Zeugnis oder einen Eid ableisten wolle, einen noch höheren Grad an Glaubwürdigkeit aufweisen müsse. Schon im gemeinen Recht sei für die Zeugen der Grundsatz aufgestellt, dass der Richter ihre Glaubwürdigkeit nach ihrem ganzen Charakter, ihrer bisherigen Handlungsweise und nach den Umständen erwägen solle¹⁴⁰². Das lübische Recht gehe sogar noch weiter und verlange ehrliche, unbescholtene Leute, Stadtrecht Art. V, 7, 4. Dies müsse umso mehr gelten, wenn es darum gehe, jemanden zum Zeugnisse in eigener Sache oder eben zum Eid zuzulassen. Zwar überließen die Gesetze es dem Ermessen des Richters, ob eine Unglaubwürdigkeit vorliege. Für die Glaubwürdigkeit hingegen stellten die Gesetze hohe Hürden auf. So werde nur zum Eid zugelassen, wer ein glaubwürdiger, „unberüchtigter“ Mann sei¹⁴⁰³. Aus der absoluten Rechtsfolge eines Eides leiteten die Richter ab, dass hohe Anforderungen an die Glaubwürdigkeit des Schwörenden gestellt werden müssten. „Wenn die im germanischen Rechte überhaupt, und namentlich auch in den Lübischen Statuten häu g erteilte Begünstigung, sich durch seinen bloßen Eid von Verdacht zu reinigen, oder dadurch statt aller Beweise einen Anspruch zu begründen, nur unter der Voraussetzung hoher Rechtlichkeit und Gewissenhaftigkeit von Seiten des Schwörenden als vernünftig und gerecht erscheinen kann, – indem das Erfordernis der Glaubwürdigkeit, welche schon bey dem zu Erfüllung anderer Beweise zu leistenden Eide eintritt, noch um so nothwendiger bey demjenigen vorhanden seyn muss, welchem kraft gesetzlicher Begünstigung ohne allen weiteren Beweis auf seinen Eid geglaubt wird“, – müsse der beklagten Versicherung die Befugnis eingeräumt werden, alles vorzulegen und zu beweisen, wodurch der Kläger verdächtig sein könnte¹⁴⁰⁴. Schließlich gaben die OAG-Richter ihren Kollegen unterer Instanz den Maßstab vor, nach dem der Kläger zum Eid zuzulassen sei. Es müssten die besonderen Umstände des Falles in Betracht gezogen und darauf Rücksicht genommen werden, ob das,

1402 AHL OAG L I 29 Hansen c. Versicherungs-Gesellschaft und die Zweite AssecuranzCompanie zu Lübeck (1823) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 12: l. 3 pr. D. de testibus; c 54 X de testibus ( D. 22, 5, 3 pr. und X 2, 20, 54), auf diese Stellen des gemeinen Rechts hatte der Beklagte in seiner Appellationsschrift hingewiesen, Q 3 Appellation des Beklagten, S. 8; der Sachführer hatte bereits die modernere Zitierweise mit dem Zusatz (2, 20) beim kanonischen Recht verwandt im Gegensatz zum OAG. 1403 AHL OAG L I 29 Hansen c. Versicherungs-Gesellschaft von 1818 und die Zweite Assecuranz-Companie zu Lübeck (1823) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 13: Lübecker Stadtrecht Art. I, 5, 4; II, 3, 3 und 5; III, 4, 8; IV, 1, 1; V, 8, 4; nur auf die letztgenannte Stelle hatte der Beklagte in seiner Appellationsschrift hingewiesen, Q 3 Appellation des Beklagten, S. 11. 1404 AHL OAG L I 29 Hansen c. Versicherungs-Gesellschaft und die Zweite AssecuranzCompanie zu Lübeck (1823) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 12, 13.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

was der Kläger beschwören wolle, wahrscheinlich sei¹⁴⁰⁵. Dieser vage Prüfungsmaßstab ließ reichlich Raum für richterliches Ermessen. Insbesondere, dass der Richter den Inhalt des Schwures als mehr oder weniger wahrscheinlich einstufen konnte, steigerte den richterlichen Ein uss. Der Prüfungsmaßstab folgte dennoch daraus, dass die Parteien über die Glaubwürdigkeit des Schwörenden Tatsachen vorbringen und Beweise erheben konnten. Somit beein ussten und lenkten die Parteien den Prüfungsumfang des Richters. Der Begünstigung, sich durch „bloßen Eid“ zu reinigen oder dadurch einen Anspruch zu begründen ohne vollen Beweis führen zu müssen, standen die Richter vorsichtig gegenüber. Sie verließen sich hier weder auf die Redlichkeit und Gottesfurcht des Schwörenden noch darauf, dass die Eidesformel nur von einem ehrlichen Mann fehlerfrei gesprochen werde. Stattdessen wählten sie einen Weg, der es dem Richter vor der Eidesleistung erlauben sollte, den Eid gar nicht erst zu gewähren. Da die Richter die Eidesleistung als Begünstigung auffassten, konnten sie daran strenge Voraussetzungen knüpfen, die der Eidleistende erfüllen musste. Auf diese Weise oblag dem Richter nicht nur die Prüfung, ob ein Reinigungsoder Erfüllungseid aufzuerlegen war, sondern zusätzlich, ob die Partei überhaupt schwören durfte.

(1)

Eidesformel

Während die neuere Lehre darüber stritt, ob eine nicht religiöse Eidesformel zu formulieren sei¹⁴⁰⁶, bewegte die Praxis ganz andere Fragen. Das Gericht stellte in einer Entscheidungsbegründung fest, dass dem Appellationsrichter die exakte Formulierung des Reinigungseides obliege und er nicht strikt an den Beweissatz gebunden sei¹⁴⁰⁷. Vielmehr könne er den Beweissatz „schärfer präcisiren“, dürfe also weniger zur Reinigung fordern. Auf diese Befugnis des Richters, die Eidesformel abzuändern, bezog sich in einem späteren Rechtsstreit der Appellant Behrends mit dem Hinweis, dass das gemeine Recht die Eidesformel dem richterlichen Ermessen überlasse¹⁴⁰⁸. Dadurch versuchte er, eine zu zahlende Entschädigung zu

1405 AHL OAG L I 29 Hansen c. Versicherungs-Gesellschaft und die Zweite AssecuranzCompanie zu Lübeck (1823) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 14. Dazu zitierten die Richter wörtlich aus der Digestenstelle D. 22, 5, 3. 1406 Reichenbach, Eid, S. 39; aus rechtsgeschichtlicher Sicht: Holenstein, Seelenheil und Untertanenp icht, S. 57. 1407 AHL OAG L I 661 Harder c. Timme (1876) Q 16 Entscheidunsgsgünde, p. 11. 1408 AHL OAG L I 30 Behrends c. Rodd’sche Masse (1823) Q 2 Einführung und Rechtfertigung der Appellation, S. 16, 17 mit Verweis auf Gönner, Handbuch II, Abfolge 49 § 8; das OAG ergänzte die Stellen des gemeinen Rechts: l. 34 § 5, 8 D. de jurejurando (D. 12, 2, 34, 5 bzw. 8).

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

273

schmälern. Er meinte, die Tax sei in der Eidesformel, die in dem Interlokut festgeschrieben worden war, nicht richtig zu Grunde gelegt worden. Das Interlokut war nun zwischenzeitlich rechtskräftig geworden und die Parteien stritten darüber, ob der Beweis als geführt angesehen werden könne. Behrends sah hier die Möglichkeit, einen Reinigungseid zu leisten und sich damit von seiner Zahlungsp icht zu befreien, falls die Eidesformel um einen Zusatz ergänzt würde. Die Rechtskraft, so stellten die Richter jedoch fest, beschränke die Befugnis, eine Eidesformel abzuändern. Sofern die Eidesformel in einem rechtskräftig gewordenen Interlokut formuliert sei, könne auch eine materielle Unrichtigkeit hieran nichts ändern¹⁴⁰⁹. Durch das rechtskräftige Beweisinterlokut hätte der Richter behauptete Tatsachen für irrelevant erklärt. Dies könne nur durch neues Vorbringen durchbrochen werden. Nach den Ausführungen zur Rechtskraft legten die Richter eine Digestenstelle¹⁴¹⁰ so aus, dass sich die Stelle lediglich auf den zurückgeschobenen Eid oder auf den Fall bezog, dass sich die Parteien bezüglich der Eidesformel nicht einig werden konnten¹⁴¹¹. Davon mache die Literatur auch keine Ausnahme, denn sie beziehe sich nur darauf, dass es möglich sei, Über üssiges wegzulassen, nicht jedoch eine rechtskräftige Eidesformel zu ergänzen. Die Liste der von dem Appellanten zitierten Autoren ist beeindruckend in ihrer Vielzahl und verdeutlicht sein Bemühen, die Richter durch jede Autorität zu überzeugen¹⁴¹². Mit erneutem Hinweis auf die Rechtskraft verwarfen die OAG-Richter den Antrag, die Eidesformel zu modi zieren: „Dieses würde auch schwerlich irgendein bewährter Rechtslehrer gestatten, da es im höchsten Grade bedenklich seyn würde, einer solchen eorie, die zu Verschleppungen des Rechtsstreits ohne Ende gemissbraucht werden könnte, zu folgen“¹⁴¹³. Damit stellten die Richter das durchschlagende Argument, das sich an Sinn und Zweck orientierte, an den Schluss dieser Ausführungen. In einem etwas späteren Fall argumentierten die Richter ähnlich. Es ging nicht nur um die exakte Formulierung des Eides, sondern auch darum, ob alle Streitgenossen einen Eid abzuleisten hätten. Dies verneinte das OAG mit folgender Begründung: „(K)ommt es in den Fällen, wo der Richter auf einen Eid ex officio

1409 AHL OAG L I 30 Behrends c. Rodd’sche Masse (1823) Q 14, p. 3 der Entscheidungsgründe. 1410 D. 12, 2, 34, 5 bzw. 8. 1411 AHL OAG L I 30 Behrends c. Rodd’sche Masse (1823) Q 14, p. 6 der Entscheidungsgründe. 1412 Die Appellanten nahmen Bezug auf folgende Schriftsteller: Leyser, Quistorp, Pufendorf, Hommel, Kind, Berger, Boehmer, Malblanc, Reinhard, Gönner, damit wurden Schriftsteller des usus modernus und des Naturrechts zitiert. 1413 AHL OAG L I 30 Behrends c. Rodd’sche Masse (1823) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 8.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

274

erkennt, hauptsächlich und in der Regel nur darauf an, was zur Befestigung der Ueberzeugung des Richters beytragen kann, um über üssigen Eiden zu begegnen“¹⁴¹⁴. In einem Urteil von 1878 kritisierten die OAG-Richter, dass der dem Kläger auferlegte Reinigungseid überhaupt nicht zu dem Beweisthema des rechtskräftigen Beweisinterlokuts passe¹⁴¹⁵. Die Tatumstände, die beeidigt werden sollten, seien völlig bedeutungslos. Daher sei die Eidesform hier abzuändern. Einen konkreten Formulierungsvorschlag machten die Richter aber nicht. Stattdessen stellten sie fest, dass der Reinigungseid überhaupt unangemessen und stattdessen der Erfüllungseid aufzuerlegen sei¹⁴¹⁶. Denn mehrere Zeugen hätten die fraglichen Tatumstände bezeugen können. Mit der konkreten Formulierung des Eides befassen sich viele Urteilspassagen¹⁴¹⁷. Das OAG gab somit präzise Anweisungen an die untere Instanz. So nahm es zwar nicht selbst den Eid ab, wirkte aber doch mittelbar auf das Verfahren vor der unteren Instanz ein. Die Eidesformel bezog sich ausschließlich auf Tatsachen und betraf nicht das Rechtsverhältnis im Ganzen. Ob die Tatsachen das Beweisthema stützten, war dem Ermessen des Richters überlassen.

(2)

Wahrheits-, Glaubens- oder Ignoranzeid

Grundsätzlich bezog sich der Eid darauf, ob eine Tatsache wahr oder unwahr war. Dieser Wahrheitseid konnte sich nur auf die eigene Wahrnehmung beziehen. Nicht immer konnte der Eidleistende hierzu eine Aussage treffen. Daher waren neben dem Wahrheitseid andere Eidformen gebräuchlich. So wurde in der Praxis der Glaubenseid geleistet. In der Lehre war hingegen strittig, ob bezüglich fremder Tatsachen ein Glaubens- oder Ignoranzeid statthaft war¹⁴¹⁸. Bei dem Glaubenseid sollte der Eidleistende von der Tatsache überzeugt sein, im Falle des Ignoranzeides war er gerade nicht überzeugt oder kannte die Tatsachen nicht¹⁴¹⁹. In einem Erbrechtsstreit hatte das OAG zu entscheiden, ob das OG mit Recht den Erfüllungseid auferlegt hatte oder ob nicht doch nur der Reinigungseid zulässig

1414 AHL OAG L I 83 Wwe. omann c. Wwe. Schickedanz, jetzt deren Erben (1827) Q 13 Entscheidungsgründe, p. 8. 1415 AHL OAG L I 702 Susemihl c. Kreutzfeldt (1878) Q 19 Entscheidungsgründe, p. 2. 1416 AHL OAG L I 702 Susemihl c. Kreutzfeldt (1878) Q 19 Entscheidungsgründe, p. 3. 1417 Beispielsweise Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157, 165; AHL OAG L I 83 Wwe. omann c. Wwe. Schickedanz, jetzt deren Erben (1827) Q 13 Entscheidungsgründe, p. 12, 13. 1418 Dazu Münks, Parteieid, S. 115, 116. 1419 Bluhme, System, § 85, S. 70.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

275

gewesen wäre¹⁴²⁰. Strittig war, ob Heinrich Julius Papke zugunsten seiner nichtehelichen Kinder einen Vertrag abgeändert hatte, der aus seinem Nachlass nun zu begleichen war. In einer Unterredung mit der Klägerin Johanna Friederike Dorothea Knaavk im Beisein einer Zeugin hatte er auf ihre Forderung angesichts der „hül osen Kinder“ geantwortet: „Liebe Hanna, das sollst du auch haben“¹⁴²¹. Allerdings hatte er hinzugefügt, zunächst mit Dr. Plitt darüber reden zu wollen. Aufgrund diesen Zusatzes könne nicht zwingend von einer bindenden Abänderung ausgegangen werden, führte das OAG aus. Sonstige Unwahrscheinlichkeitsgründe, die für die eine oder andere Variante sprächen, seien nicht mehr als bloße Möglichkeiten¹⁴²². Zwar könne die Klägerin Knaavk den Erfüllungseid als Wahrheitseid leisten, die Erben des Papke den Reinigungseid nicht als Wahrheitseid. Dennoch sei hier der Reinigungseid aufzuerlegen in Form der von der Zeugin gebrauchten Worte. Entsprechend der gemeinrechtlichen Lehre, sei der Wahrheitseid dem Eid „de credulitate und ignorantia“ im allgemeinen vorrangig. Allerdings betonten die Richter, dass das nur bei sonst gleichen Verhältnissen der Fall sei¹⁴²³. Zwischen Glaubens- oder Ignoranzeid unterschieden die Richter hier nicht.

(3)

Zusammenfassung

Ähnlich wie für den Eid als Beweismittel zeigt sich auch für die notwendigen Eide, dass Eide alltäglich in der Gerichtspraxis verwandt wurden. Von einer fundamentalen Krise des Eides, der als religiös fundiertes Zwangsmittel mit der menschlichen Freiheit unvereinbar sei¹⁴²⁴, ist in der Rechtsprechungspraxis des OAG nichts zu spüren. Auch hat das OAG sich nicht an der Diskussion beteiligt, ob von Staats wegen eine nicht religiöse Eidesformel zu formulieren sei¹⁴²⁵, die wiederum konservative Vertreter anregte, ganze Monographien der Verteidigung des Eides als religiösen Akt zu widmen¹⁴²⁶. Vielmehr tauchte der Eid in vielen Urteilen auf. Dabei wehrten sich die Appellanten zum einen dagegen, dass ihnen

AHL OAG L I 641 Papke c. Knaavk (1874). AHL OAG L I 641 Papke c. Knaavk (1874) Q 23 Entscheidungsgründe, p. 2. AHL OAG L I 641 Papke c. Knaavk (1874) Q 23 Entscheidungsgründe, p. 6. AHL OAG L I 83 Wwe. omann c. Wwe. Schickedanz, jetzt deren Erben (1827) Q 13 Entscheidungsgründe, p. 7. 1424 Holenstein, Seelenheil und Untertanenp icht, S. 13; Luminati, Eidverweigerung S. 197, 204. 1425 Dazu Holenstein, Seelenheil und Untertanenp icht, S. 57. 1426 So Marx, Eid; Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. VIII; näher dazu oben Kritik am Parteieid: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) ee) (2). 1420 1421 1422 1423

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

276

durch den vorigen Richter der Reinigungs- bzw. Erfüllungseid auferlegt worden war, zum anderen prangerten sie die Eidesformel als zu eng oder weit an. Dies waren Punkte, die in das richterliche Ermessen gestellt waren und von denen sich die Appellanten eine andere Beurteilung durch das OAG erhofften. Der Eid, wie er sich in der Rechtsprechung des OAG darstellte, war damit ein Einfallstor des richterlichen Ermessens. Zwar hing die endgültige Entscheidung, ob der Beweis nun gelungen war, noch von der Eidesleistung der Partei ab. In den ausgewerteten Prozessen fand sich jedoch kein Fall, in dem die Eidesleistung selbst angeprangert wurde. Damit war die Entscheidung des Richters, welcher Noteid aufzuerlegen war, quasi die Entscheidung darüber, ob der Beweis gelungen war. Die schwindende Bedeutung des Reinigungseides im Strafprozess¹⁴²⁷ kann im Zivilprozess nicht beobachtet werden. Stattdessen bot die genaue Formulierung der Eidesformel eine für die Partei willkommene Möglichkeit, die Entscheidung durch das OAG überprüfen zu lassen.

bb)

Juristische Überzeugung

Nach der gesetzlichen Beweistheorie ist zu erwarten, dass das Ergebnis, ob ein Beweis geführt ist, wie zwangsläu g aus el. Lassen sich Beweismittel einfach zusammenzählen, ist kein hoher Begründungsaufwand für ein Ergebnis erforderlich. Daher müsste nach der gesetzlichen Beweistheorie ein knapper Satz genügen, ob ein Beweis geführt ist oder nicht. Dies ist auch meist der Fall¹⁴²⁸. Teilweise wurden die Ergebnisse jedoch unterschiedlich gebildet. So führte es in dem einen Fall dazu, dass trotz Aussage eines klassischen Zeugen der Reinigungseid auferlegt wurde und der Beweis damit misslungen war¹⁴²⁹. In einem anderen Fall hingegen zog die Aussage eines klassischen Zeugen den Erfüllungseid und damit das Gelingen des Beweises nach sich¹⁴³⁰. Dieses Resultat verblüfft zunächst. Die Fälle und damit die Argumentation des Gerichts wichen aber voneinander ab, so dass die unterschiedliche Beurteilung

1427 So Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 451, zu der Entwicklung im 18. Jahrhundert. 1428 AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Flotow (1879) Q 15, p. 16 der Entscheidungsgründe, vgl. dazu oben Glaubwürdigkeit: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3); Wunderlich, Bd. 2, No 358 B, Bollow c. Bollow (1856), S. 6–12 (9): „Allein es ist durch ihre (zwei klassische Zeugen) übereinstimmende Angabe erwiesen“. 1429 AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Flotow (1879) Q 15, p. 16 der Entscheidungsgründe. 1430 Wunderlich, Bd. 2, No 364 B, Kaping c. Kemp (1856), S. 22, 25; so auch in AHL OAG L I 660 Schmalfeldt c. Schmalfeldt (1876) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 5, in der das Nichtsehen und -gehörthaben eines anderen klassischen Zeugen nicht zur Abwertung der Aussage führt.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

277

nachvollziehbar ist. In dem ersten Fall hatte der Zeuge nicht genau zu dem Beweisthema ausgesagt, außerdem argumentierten die Richter, dass der Beweisführer nur den weniger starken Glaubenseid hätte leisten können¹⁴³¹. In dem anderen Fall hingegen gab es an dem Inhalt der Äußerung keinen Zweifel, außerdem keinen Gegenbeweis. In beiden Entscheidungsgründen nahm die Ausführung zur Glaubwürdigkeit der Zeugen im Vergleich zum Ergebnis, welcher Eid aufzuerlegen sei, den höchsten Argumentationsaufwand ein. Der Appellant Horstmann hatte sich darüber beschwert, wie Zeugenaussagen vom OG bewertet worden waren. Mit seinem Hilfsantrag verlangte er, neue Sachverständige zu vernehmen¹⁴³². Er war der Ansicht, dass ihm eine neue Chance zuzusprechen sei, den Beweis zu führen. Das Wort nova oder neues Vorbringen el nicht und ergab sich nur indirekt aus seinen Anträgen. Stattdessen verwies er ganz allgemein darauf, dass sich sein Begehren aus allgemeinen prozessualen Rechtsregeln ergebe¹⁴³³. Denn der Sachverständige sei lediglich Gehilfe des Richters. Zuvor hatte Johann Friedrich Inzen seinen Namensvetter Johann Friedrich Horstmann, den jetzigen Appellanten, auf Schadensersatz verklagt. Inzen war von einem Gerüst gefallen, das Horstmann aufgestellt hatte. Nun forderte er Ersatz der Kurkosten und Schmerzensgeld, außerdem entgangenen Verdienst. Horstmann meinte, nicht schuld zu sein, dass das Gerüst, auf dem Inzen gestanden hatte, zusammengebrochen war. Das OG hatte entschieden, dass Horstmann den erforderlichen Exkulpationsbeweis nicht geführt hatte. Die vier Sachverständigen hatten nicht mit Sicherheit feststellen können, was Ursache des Einsturzes war. Das OAG prüfte das Endurteil. Mit drei Fragen hatte es sich dabei auseinanderzusetzen: Über welche Tatsachen war überhaupt ein Beweis zu erheben? Welche Erfordernisse mussten an einen Exkulpationsbeweis gestellt werden? Zuletzt war zu klären, ob dem Beweisführer nach erfolglos geführtem Beweis eine neue Chance zu geben war. So lehre die „Erfahrung des praktischen Lebens unbestreitbar“¹⁴³⁴, dass bei fehlerhafter oder schwacher Errichtung eines Baugerüsts mit höherer Wahrscheinlichkeit die schwache Stelle im Holz breche, weil diese schwächer und weniger widerstandsfähig sei. Insoweit bedürfe es keinen Beweises. Die Anforderungen an einen Exkulpationsbeweis dürften nicht zu streng zu beurteilen sein¹⁴³⁵. Insbesondere müsse nicht bewiesen werden, dass jeder Umstand, der hätte zum Bruch führen können, nicht vorlag. Es müsse stattdessen

1431 1432 1433 1434 1435

AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Flotow (1879) Q 15, p. 16 der Entscheidungsgründe. AHL OAG L I 694 Horstmann c. Inzen (1877) Q 1 Appellationsschrift, S. 9, 10. AHL OAG L I 694 Horstmann c. Inzen (1877) Q 1 Appellationsschrift, S. 11. AHL OAG L I 694 Horstmann c. Inzen (1877) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 4. AHL OAG L I 694 Horstmann c. Inzen (1877) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 6.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

der allgemein ordnungsgemäße Zustand des Baugerüstes dargelegt werden. Dazu, dass das Baugerüst gut sei, liege aber nur eine Aussage vor. Eine solche „alleinstehende und ungenügend motivierte (also begründete) Aussage reicht zur Zuerkennung eines Erfüllungseides“¹⁴³⁶ nicht aus. Ob darüber hinaus weitere sachkundige Aufklärung zu fordern sei, unterstehe der Beurteilung des erstinstanzlichen Richters. Der Partei aber stehe kein Recht zu, die Ausübung dieser Befugnis zu fordern¹⁴³⁷. Diese drei Erwägungen zu Beweisbedürftigkeit, Anforderungen an den konkreten Beweis und Beurteilungsspielraum des Richters zeigen, dass trotz strenger Anwendung der legalen Beweistheorie ein erhebliches Ermessen des Richters bestand. Außerdem zeigt dieser Fall wie auch die zahlreichen übrigen, dass ein Beweisverfahren durchaus unterschiedlich bewertet werden konnte. Der Antrag, statt des Reinigungs- den Erfüllungseid aufzuerlegen, ndet sich in den Appellationsschriften häu g. Und nicht selten führten diese Appellationen, immerhin bereits in dritter Instanz, auch zum Erfolg. Dass nach der gesetzlichen Beweistheorie oftmals kein eindeutiges Ergebnis möglich war, zeigt folgender Fall. Strittig war, ob ein Darlehensvertrag vorlag¹⁴³⁸. Jochim Hinrich Bollow hatte sich Geld leihen wollen. Öldorp, der in dem Prozess als Zeuge aussagte, hatte sich geweigert, ihm Geld zu leihen. Daraufhin war Bollow mit seinem Bruder, dem jetzigen Kläger, wiedergekommen und hatte abermals um Geld gebeten. Öldorp hatte dem Bruder das Geld gegeben und sich von diesem eine Bestätigung unterschreiben lassen. Nun forderte der Kläger das Geld von seinem Bruder zurück. Bollow stellte sich aber auf den Standpunkt, dass zwischen ihnen nur eine Bürgschaft geschlossen worden war. Daraus sei er aber nicht zur Rückzahlung verp ichtet. Das OAG überprüfte nun, ob der Darlehensvertrag zwischen den Brüdern erwiesen war. Das OG hatte den Beweis zuvor nicht als erbracht angesehen. Zwei klassische Zeugen konnten zu den genauen Vertragsumständen nichts aussagen. Aus der Zinsvereinbarung zwischen den Brüdern hatten die OAG-Richter lediglich eine faktische Vermutung konstruiert. Die aus dieser Vermutung erwachsende Wahrscheinlichkeit sahen die Richter durch die Zeugenaussagen bestätigt. Sie konnten bezeugen, dass Bollow zunächst keinen Darlehensvertrag erhalten habe. Daraus schlossen die Richter, dass hier ein doppelter Darlehensvertrag geschlossen worden war. Der Kläger hatte danach das Geld, das er selbst erhalten hatte, an den Beklagten weitergegeben. Obwohl die

1436 AHL OAG L I 694 Horstmann c. Inzen (1877) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 8. 1437 AHL OAG L I 694 Horstmann c. Inzen (1877) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 9. 1438 Wunderlich, Bd. 2, No 358 B, Bollow c. Bollow (1856), S. 6, 9.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

279

Zeugen nicht zu der zu beweisenden Tatsache aussagen konnten, konstruierten die Richter aus der Interessenlage einen doppelten Darlehensvertrag und brachten damit die Entscheidung des OG zu Fall. Die gesetzliche Beweistheorie allein hatte hier kein eindeutiges Ergebnis liefern können; dies war nur möglich, indem die Richter die Interessenlage hinzuzogen, um eine Vermutung zu konstruieren. Die Vermutung wiederum war der Schlüssel zum Ergebnis. Durch sie bestand eine Wahrscheinlichkeit für einen doppelten Darlehensvertrag, der durch die Beweismittel bestätigt werden konnte. Dass die Richter hier eine faktische Vermutung annahmen, änderte das Ergebnis, das noch das OG erzielt hatte. Hier zeigt sich die große Bedeutung der faktischen Vermutungen, der praesumtio hominis. Nicht nur die tatsächliche Bewertung der einzelnen Beweismittel war von Richter zu Richter unterschiedlich, auch war oftmals der Maßstab, der an den Beweis zu stellen war, strittig. Insbesondere war teilweise statt eines Beweises eine Bescheinigung ausreichend. In anderen Fällen weitete die Rechtsprechung die Voraussetzungen, die an Indizienbeweise gestellt wurden, aus. Damit modi zierten die Richter die Art der Beweisführung. Mit diesen besonderen Modi kationen der sonst üblichen Beweisführung, an deren Schluss die juristische Überzeugung stand, beschäftigen sich die nachfolgenden Kapitel.

cc)

Art der Beweisführung: Vermutungen

Die Parteien versuchten häu g, sich auf ihnen günstige Präsumtionen, also Vermutungen, zu stützen. Die Lehrbücher unterschieden dabei zwischen verschiedenen Präsumtionen. Die praesumtiones facti sive hominis beruhten auf logischen Schlussfolgerungen, die praesumtio iuris wurde zusätzlich durch Rechtsregeln bestätigt. Völlig verschieden davon, da nicht durch den Beweis des Gegenteils zu entkräften war die Fiktion (praesumtio iuris et de iure)¹⁴³⁹. Die ausgewerteten Fälle bezogen sich allein auf die praesumtio facti sive hominis, also auf faktische Vermutungen, die eine Wahrscheinlichkeit für eine Tatsache begründeten¹⁴⁴⁰. Insoweit war weder die in der gemeinrechtlichen Literatur noch die in der Rechtspraxis des OAG verwandte Terminologie einheitlich¹⁴⁴¹. Das OAG zeigte sich zurückhaltend, allgemein Präsumtionen anzunehmen. In einem Fall, wo fraglich war, ob das Zwangsrecht ein persönliches Privileg war und damit nicht auf den Erben übergehen konnte oder nur ein Realrecht sei und

1439 Bluhme, System, § 650, S. 526; Wetzell, System, § 15 Fn 13, S. 146. 1440 Wetzell, System, § 21 Fn 5, S. 192. 1441 Zu terminologischen Unterschieden in früherer Zeit: Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 220.

280

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

damit übergehen konnte, sprach sich das OAG zurückhaltend zur praesumtio facti aus. Es wollte keine praesumtio facti annehmen, obwohl dies einige Juristen täten, denn es komme auf Art und Gründe der Verleihung des Zwangsrechtes an, ob es tatsächlich ein Realrecht sein solle¹⁴⁴². Eine allgemeine Präsumtion könne nicht angenommen werden. In einem Rechtsstreit von 1835 hatten sich die Appellanten ebenfalls auf eine angebliche Präsumtion berufen¹⁴⁴³. Die Präsumtion besagte laut Appellanten, dass die gegnerische Korporation, die sich gegen ein Verbietungsrecht zur Wehr setzte, die Beweislast traf. Auch in diesem Fall gingen die OAG-Richter nicht von allgemeinen Präsumtionen aus. Die Appellanten hätten die erforderliche feste Praxis der Wette weder in älterer noch in neuerer Zeit hinreichend bewiesen¹⁴⁴⁴. Der Indizienbeweis zählte ebenfalls zu den faktischen Vermutungen. Die gemeine Literatur verwendet den Begriff des Indiz gleichgesetzt mit praesumtion facti sive hominis¹⁴⁴⁵ und argumenta¹⁴⁴⁶. Den Begriff der praesumtio hominis benutzten eher die älteren Lehrbuchautoren¹⁴⁴⁷, während die neueren den Begriff künstlichen Beweis oder Indizien-Beweis bevorzugten¹⁴⁴⁸. Der künstliche (mittelbare) Beweis oder Indizien-Beweis begründete die praesumtio hominis, die einfache oder richterliche Vermutung¹⁴⁴⁹. Dabei richtete sich die aus der bewiesenen Tatsache zu ziehende Schlussfolgerung nach allgemeinen logischen Regeln und der menschlichen Erfahrung und Vernunft. Die Prämisse oder das Indiz selbst mussten nach der formellen Beweistheorie bewiesen sein, daraus ermittelte der Richter die Wahrscheinlichkeit für eine festzustellende Tatsache. Durch einen Erfüllungseid führte dieser Beweis vollständig zur Gewissheit¹⁴⁵⁰. Diese künstliche Beweisführung ermöglichte den Beweis so zu führen, dass er auf der Schlussfolgerung des Richters fußte und damit auf dessen Ermessen. Entscheidend ist, in welchen Fällen der künstliche Beweis in der Praxis angewandt wurde und ob ihm damit eine größere praktische Relevanz zukam.

1442 AHL OAG L I 100 Ive c. Beckmann (1828) Q 26 Entscheidungsgründe, p. 22, 23. 1443 AHL OAG L I 198 Marktklösterträger c. Älteste der Gemeinträger (1835). 1444 AHL OAG L I 198 Marktklösterträger c. Älteste der Gemeinträger (1835) Q 27 Entscheidungsgründe, p. 12, 13. 1445 Bluhme, System, § 650, S. 526. 1446 Martin, Lehrbuch, § 131, S. 241; Wetzell, System, § 21 Fn 5, S. 192. 1447 Beispielsweise Gönner, Handbuch II von 1801, § 12, S. 262. 1448 Beispielsweise Endemann, Beweislehre von 1860, S. 69; Wetzell, System von 1878, § 21, S. 193; zu der uneinheitlichen Terminologie bis zum 18. Jahrhundert: Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 220, 221. 1449 Schmid, Handbuch II, § 118, S. 146; ebenso Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856, 861. 1450 Schmid, Handbuch II, § 118, S. 147.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

281

(1) Schiffswegsetzung Folgender Hamburger Fall war wegweisend¹⁴⁵¹ für die spätere Rechtsprechung zur Beweisführung aufgrund von Indizien. Ein gesunkenes Schiff, eine gerettete Mannschaft, ein Kapitän, der in Geldschwierigkeiten steckte und verdächtig war, sein eigenes Schiff versenkt zu haben, um die Versicherungssumme zu kassieren – der Fall bot viel Faktenmaterial¹⁴⁵². Die entscheidende Frage war jedoch, was am 26. Juni 1858 zwischen 14.30 und 16.30 Uhr nachmittags geschehen war. In dieser Zeitspanne war das Wasser im Bauch des Schiffes allmählich gestiegen, ohne dass sich zuvor ein Unfall ereignet hatte. Um 6.45 Uhr war die Mannschaft der „Louise“ von einem in der Nähe be ndlichen Schiff gerettet worden, die „Louise“ versank im Meer. Das Schiff war für die Reise von Newcastle nach Kopenhagen für die vergleichsweise geringe Summe von 9000 Mark Banco¹⁴⁵³ und für die Ladung (es sollte Steinkohle transportiert werden) mit zusätzlich 90 £ versichert worden. Nun weigerte sich die Versicherung zu zahlen, denn der Kapitän Ewertsen, der Miteigentümer des Schiffes gewesen war, hätte sein Schiff weggesetzt. Wegsetzen bedeutete, das Schiff sinken zu lassen, um die versicherte Summe zu erlangen, also um zu betrügen¹⁴⁵⁴. Der Kapitän selbst war während seines Strafprozesses von Kopenhagen aus untergetaucht¹⁴⁵⁵, die Versicherungsforderung klagte nun Boldemann & Mantels ein. Das Handelsgericht hatte der Versicherung den Beweis auferlegt, dass das Schiff tatsächlich von Kapitän Ewertsen auf der Reise weggesetzt worden sei. Ein direkter Beweis war hier nicht möglich, denn keiner hatte bezeugen können, dass Ewertsen tatsächlich ein Loch in den Bauch des Schiffes geschlagen hatte. So versuchte die Versicherung einen Indizienbeweis zu führen und scheiterte vorerst. Das Handelsgericht sah den Beweis als nicht geführt an. Für den Zivilrichter entstehe erst dann die Gewissheit, wenn „die Voraussetzungen aus denen Schlüsse gezogen werden sollen, durch die civilrechtlichen Beweismittel dargethan sind, und diese erwiesenen atsachen zu der zu beweisenden in einem solchen Verhältnisse stehen, daß nach den Gesetzen des Denkens oder der Erfahrung die eine

1451 Sowohl Kierulff, Bd. 3, No 49, Cur. Bon. Bergmann c. Bergmann (1867), S. 402, 411, als auch Kierulff, Bd. 4, No 81, Voss c. Voss (1868), S. 710–718, zitierten diesen Fall, um zu begründen, dass es möglich sei, einen Beweis aufgrund von Indizien zu führen. 1452 Hamburger Fall: Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856–877. 1453 Währungseinheit, die als reiner Buchwert bestand und durch die Hamburger Bank nachgehalten wurde, vgl. Verdenhalven, Währungssysteme, S. 98. 1454 Kluge, „wegsetzen“, in: Seemannssprache, S. 829. 1455 Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856, 857.

282

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

ohne die andere, oder umgekehrt die andere mit der anderen gar nicht vorkommen kann“¹⁴⁵⁶. Damit hatte das Handelsgericht an den Beweis durch Indizien hohe Hürden gestellt. Die Indizien selbst mussten durch die Beweismittel auf die übliche Weise bewiesen worden sein. Die Indizien mussten den zwingenden Schluss ergeben, dass die behauptete Tatsache vorgelegen haben musste. An dieser zweiten Voraussetzung fehlte es hier. Denn es war nicht ausgeschlossen, dass das Schiff auf andere Weise als durch die Handlung des Kapitäns untergegangen war. Besonders die Verklarung der Schiffsmannschaft spreche dagegen. Das OG hatte dies schon anders beurteilt und sah den Beweis als bis zum Erfüllungseid geführt an. Ebenso entschied das OAG und knüpfte damit den Beweis durch Indizien an erfüllbare Voraussetzungen. Das OAG begann seine Ausführungen mit der Feststellung, dass der Indizienbeweis so weit geführt werden könne, dass der Beweisführer zum Erfüllungseid zuzulassen sei. Dies belegte es anhand einer beeindruckenden Zahl gemeinrechtlicher Prozessualisten¹⁴⁵⁷ und Präjudizien anderer Oberappellationsgerichte¹⁴⁵⁸. Damit stellten die Richter klar, dass es möglich sein müsse, nur aufgrund von Indizien vollen Beweis zu erbringen. Auch wenn das Schlagwort der freien Beweiswürdigung in den Entscheidungsgründen nicht el, war die Beweisführung allein aufgrund von Indizien ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Äußerlich blieben die Richter der strengen Beweistheorie treu. So war von vollem Beweis die Rede. Inhaltlich jedoch konnte der Richter neben den herkömmlichen Beweisführungen nun einen Beweis für geführt ansehen, wenn alle Umstände für die zu beweisende Tatsache sprachen. De facto hatte sich hier die freie Beweiswürdigung durchgesetzt. Der Verklarung sprachen die Richter nur geringe Bedeutung bei. Die Gefahr eines Meineides war bei einer Verklarung besonders groß. Stattdessen gingen sie zunächst auf die einzelnen vorgebrachten Indizien ein. Dass ein Schiff von alleine untergehen könne, sei höchst unwahrscheinlich. Da das Schiff weder aufgelaufen sei noch das Wetter Anlass zu besonderer Sorge gegeben habe, (wie sich aus der Verklarung und dem Umstand ergebe, dass eine Kommunikation auf der „Louise“ möglich gewesen sei) komme nur ein Untergang durch eine menschliche Handlung in Betracht. Dafür, dass Kapitän Ewertsen sein Schiff selbst versenkt habe,

1456 Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856, 858. 1457 Zitiert wurden: Gönner, Handbuch; Martin, Lehrbuch und Vorlesungen; Linde, Lehrbuch; Bayer, Proceß; Wetzell, System; Endemann, Beweislehre; Langenbeck, Beweisführung und damit ältere und neuere Werke zum gemeinen Prozess im 19. Jahrhundert. 1458 OAG Jena, Seuffert, Bd. 13, S. 271; Obertribunal zu Stuttgart, Seuffert, Bd. 4, S. 15.

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sprächen folgende „übereinstimmenden und starken“¹⁴⁵⁹ Indizien. Vor der Reise habe Ewertsen darauf hingewirkt, eine Versicherung abzuschließen. Obwohl er mit voller Fracht beladen im Hafen lag, verzögerte er die Abreise und machte sie von der Versicherung abhängig. Dies ergebe sich aus einem Telegramm zwischen Ewertsen und seinen Miteigentümern. Diese Verzögerung der Abreise sei unter Schiffern etwas „Ungehöriges und jedenfalls sehr Ungewöhnliches“¹⁴⁶⁰. Die Ladung sei höher versichert worden als sie tatsächlich wert war. Da das Schiff überhaupt nur unter großen Schwierigkeiten versichert werden konnte, el die Versicherungssumme über das Schiff selbst so gering aus. Die Verklarung hingegen sei „werthlos“. Die Schiffsmannschaft habe sich nämlich vor dem Kriminalgericht ganz anders geäußert als zuvor. So sei die Verklarung durch die Aussagen der Zeugen modi ziert und zurückgenommen worden. Die Aussagen vor dem Kriminalgericht als solche seien zwar unbeeidigt getroffen worden und hätten demnach formell keine Beweiskraft. Da die Aussagen verschiedener Zeugen aber inhaltlich in wesentlichen Punkten übereinstimmten, seien sie wie Indizien zu behandeln¹⁴⁶¹. Im Weiteren führten die Richter die verschiedenen Indizien für die Schiffsversenkung durch Ewertsen vor, die sie einzeln bewerteten. Ewertsen habe Vorkehrungen für den Schiffsuntergang getroffen, als dieser noch gar nicht abzusehen gewesen sei. Er habe Säcke mit Brot an Deck bringen lassen, um sie trotz hohen Wellengangs angeblich an Deck zu trocknen. Er habe die Rettungsboote in Bereitschaft setzen lassen. Er habe seine persönliche Habe gepackt; der Koffer mit seinen Sachen sei später auch gerettet worden. Er sei, obwohl erfahrener Seemann, aufgeregt gewesen, was er selbst mit „Sehnsucht bald nach Hause zu kommen“ nur unglaubwürdig begründet habe. Er habe sich allein und ohne erkennbaren Grund längere Zeit unter Deck aufgehalten. Er hatte sich einen Bohrer und mehrere große P öcke von einem Zimmermann verschafft, die geeignet waren, ohne Schwierigkeiten das Schiff anzubohren. Als das Schiff erkennbar sank, habe er von zwei funktionierenden Pumpen nur eine eingesetzt. Die Beobachtung eines Zeugen, dass das Schiff schneller gesunken sei, nachdem sich Ewertsen das letzte Mal allein im Raum des Schiffes befunden haben, verwarfen die Richter. Dies hätte eine Person alleine nicht bewerkstelligen können. Dennoch seien die Indizien in ihrer Gesamtheit erdrückend. So kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass die Schiffswegsetzung durch Indizien bewiesen sei. Die „große Anzahl in ihren Voraussetzungen unbestrittener oder bewiesener, in ihrer Schlüssigkeit tadelloser und

1459 Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856, 865. 1460 Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856, 866. 1461 Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856, 871.

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dringlicher, in ihrer Uebereinstimmung ausnahmsloser, auch einander ueberall unterstützender und ergänzender Indicien, beim völligen Mangel (...) eines Gegenbeweises“¹⁴⁶² erlaube keinen Zweifel, dass Ewertsen durch absichtliche Herbeiführung eines Lecks das Schiff zum Sinken gebracht habe. Dass die Beklagte hier nur einen Glaubenseid schwören könne, Ewertsen aber einen Wissenseid, mache keinen Unterschied. Denn hier habe man bereits „nach der gewöhnlichen Ausdrucksweise mehr als halben Beweis“ erbracht. Hier gelang der Beweis durch Indizien und Erfüllungseid. Natürlich legten die Indizien einen solchen Schluss nahe, dennoch bildete die Beweisführung durch Indizien die Ausnahme im System der legalen Beweisführung. Die Richter sprachen im Gegensatz dazu der Verklarung den Beweiswert ab, da sie nachträglich widerrufen worden sei. Die formell ungültigen Zeugenaussagen behielten immerhin als Indizien einen Beweiswert und ossen damit in das Ergebnis mit ein. An der Begrifflichkeit der legalen Beweistheorie hielten die Richter hier fest. Dennoch modi zierten sie diese erheblich, indem sie eine Beweisführung aufgrund von Indizien unter erfüllbaren Voraussetzungen zuließen. Vor dieser Entscheidung von 1865 befasste sich das OAG nicht mit Indizien, die zu einem Beweis führten.

(2)

Gläubigerbenachteiligung

Aufgrund einer Appellation hatte sich das OAG zwei Jahre später damit auseinanderzusetzen, in wieweit ein Beweis durch Indizien geführt werden konnte. Havemann, der den insolventen Friedrich Wilhelm Bergmann vertrat, hatte gegen den Sohn des Bergmann, Georg Friedrich, Klage erhoben. Dieser sollte das Haus, das ihm sein Vater geschenkt und übertragen hatte, zurück übertragen. Havemann machte eine Gläubigerbenachteiligung, die actio Pauliana¹⁴⁶³, geltend. Der Schuldner wirkt dabei mit Gläubigern zusammen, um andere Gläubiger zu benachteiligen. Dazu hatte das OG dem Kläger den Beweis auferlegt: „daß der Cridar Fr. W. Bergmann bei der eigenthümlichen Verlassung und Umschreibung des Hauses sub No 265 an den Beklagten gewußt habe, daß er zahlungsunfähig sei“¹⁴⁶⁴. Diesen Beweis hatten die beiden vorigen Gerichte für geführt erachtet. Der Beklagte verlangte vom OAG, den Beweis für verfehlt zu erklären, eventuell ihm den Reinigungseid, und „höchst eventuell“ dem Kläger einen Erfüllungseid aufzuerlegen, und bat darum, das Resultat der Beweisführung in das richterliche Ermessen zu

1462 Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856, 877. 1463 Mit der actio Pauliana konnten Geschäfte angefochten werden, die zum Nachteil der Gläubiger geschlossen worden waren, vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, S. 65. 1464 Kierulff, Bd. 3, No 49, Cur. Bon. Bergmann c. Bergmann (1867), S. 402, 403.

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stellen¹⁴⁶⁵. Der Vater Bergmann war ein notorischer Spieler gewesen, den zwar vor langer Zeit das Glück eines großen Lotteriegewinns getroffen, dann aber stetig verloren hatte. Die Anzahl der drängenden Gläubiger wuchs, er aber vertraute immer noch auf das Glücksspiel, das er in so großartigem Maßstab betrieb, dass das OAG davon ausging, dass sogar mit einem durchschnittlichen Gewinn gerechnet werden könne. Seine zwei Häuser hatte er seinen Kindern geschenkt, obwohl ihm mittlerweile klar war, dass ihn nur noch ein großer Gewinn retten konnte. Jedoch sei die Aussicht auf Gewinn schon immer seine einzige Hoffnung gewesen, auf die er unentwegt vertraute. Um weiter an der Lotterie teilnehmen zu können, nahm er weiterhin Darlehen auf, die ihm im Vertrauen auf seinen Grundbesitz gewährt wurden. In einem gegen Bergmann geführten Kriminalprozess wegen „betrügerischen Bankrotts“ war er freigesprochen worden, da man „aus den Acten nicht die unbedingte Ueberzeugung von seiner Ueberschuldung gewinnen“¹⁴⁶⁶ konnte. Im Zivilprozess war die Überschuldung eindeutig, jedoch hatte das OAG sich damit auseinander zu setzen, wann ein Bewusstsein der Überschuldung vorlag. Mit Verweis auf bereits ergangene Erkenntnisse stellte das OAG fest, dass es sich hierbei um ein „inneres Factum“ handele, das nur durch künstlichen Beweis, also einen Beweis, der nur mittelbar auf die zu erweisende Tatsache abzielte, geführt werden könne. Im Hinblick darauf binde der kriminalrechtliche Freispruch den Zivilrichter nicht, zumal nun ausreichendes Beweismaterial vorliege. Ein wichtiges Indiz für das Bewusstsein sei zunächst die hohe Überschuldung. Außerdem hatte Bergmann während der Kriminaluntersuchung eine Erklärung abgegeben, die das OAG ebenfalls als Indiz wertete. Allein aus Indizien könne, auch ohne Noteid einer Partei, voller Beweis erwachsen¹⁴⁶⁷. Die Möglichkeit, dass eine „vollkommene, die Zurechnung ausschließende Geistesverwirrung“ bei Bergmann vorlag, sprachen die Richter kurz an. Jedoch sei diese in der Untersuchung nicht zur Sprache gekommen und der Beklagte wage dies auch nicht, trotz Andeutungen, zu behaupten. Die aus den Indizien „zu ziehende Schlussfolgerung“ ergebe sich allein aus jedem Indiz für sich betrachtet. Zu der Erklärung, die hier nun doch als „Geständnis“ gewertet wurde, zogen die Richter einen Vergleich zum Kriminalprozess. Jeder Kriminalrichter würde ihn daraufhin ohne zu zögern verurteilen. Nun sei aber nicht einzusehen, weshalb der Zivilprozess einen strengeren Beweis fordern sollte, obwohl es bei dem Kriminalprozesse doch „lediglich auf die materielle Wahrheit“ ankomme. „Die materielle Wahrheit kann nur Eine sein, und sie

1465 Kierulff, Bd. 3, No 49, Cur. Bon. Bergmann c. Bergmann (1867), S. 402, 404. 1466 Kierulff, Bd. 3, No 49, Cur. Bon. Bergmann c. Bergmann (1867), S. 402, 410. 1467 Dazu zitierten die Richter das Präjudiz Kierulff, Bd. 1, No 67, Boldemann & Mantels c. Stecher (1865), S. 856, 861.

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ist auch im Civilprozesse (nach dem Grundsatz, daß der Beweis dem Richter geliefert werde) überall da entscheidend, wo nicht specielle gesetzliche Regeln oder die Dispositionsbefugniß der Parteien eine Beschränkung herbeiführen“¹⁴⁶⁸. Damit erachteten die Richter den Beweis ebenfalls als geführt. Die speziellen gesetzlichen Regeln, also die gesetzliche Beweistheorie, sollten nicht vorrangig zur Anwendung kommen. Nur falls die Gesetze einen besonderen Fall ausdrücklich regelten, musste auf die gesetzliche Beweistheorie zurückgegriffen werden. Vorrangig sollte der Richter die materielle Wahrheit ermitteln. Die materielle Wahrheit wurde hier zwar der Disposition der Partei untergeordnet und damit die Geltung der Verhandlungsmaxime als wichtiger eingeordnet. Interessant ist aber die Betonung der materiellen Wahrheit und die Gleichsetzung mit dem Kriminalprozess. Obwohl die förmliche Wahrheit als Ziel der Beweisführung nach der legalen Beweistheorie anerkannt war, betonte das OAG hier die materielle Wahrheit. Damit schnitten die Richter die höchst aktuelle Diskussion an und schlugen sich auf die Seite, die die freie Beweiswürdigung forderte. Ohne jedoch im Detail oder mit Nachweisen darauf Bezug zu nehmen, wählten sie den pragmatischsten Weg mit der Argumentation der reformierenden Juristen, es könne nur eine Wahrheit geben¹⁴⁶⁹. Dass aufgrund von Indizien ohne Noteide voller Beweis erbracht werden konnte, entsprach nicht der herrschenden Literaturmeinung¹⁴⁷⁰. Allerdings kann diese Divergenz auch an der Unschärfe des Begriffes Indiz liegen¹⁴⁷¹. In der Entscheidung verwendet das OAG als Synonym Geständnis, obwohl es die Aussagen zuvor vom Geständnis als Fachterminus abgegrenzt hatte. Zumal es sich vorliegend um den Beweis einer inneren Tatsache, nämlich des Bewusstseins der Überschuldung, handelte. Ganz selbstverständlich begannen die Richter noch 1867 die actio Pauliana zu prüfen. Von einem Zerfall des Aktionenrechts kann also wenigstens in der Praxis nicht die Rede sein¹⁴⁷². Die Renaissance des aktionenrechtlichen Denkens¹⁴⁷³, die 1827 mit Werk Friedrich Ludwig Kellers „Über Litis Contestation und Urtheil nach classischem Römischen Recht“ begann, zeigte sich in der Praxis noch 40 Jahre später.

1468 Kierulff, Bd. 3, No 49, Cur. Bon. Bergmann c. Bergmann (1867), S. 402, 411. 1469 Auf die Formulierung bezog sich ebenfalls Wach, Vorträge, S. 199, als die der Gegenmeinung. 1470 Vgl. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 186, S. 711; Wetzell, System, § 21 Fn 7, S. 193: Durch Indizien höchstens bis zur semiplena probatio. 1471 Dazu Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 216–220. 1472 So aber für die Literatur seit Windscheid: Nörr, Iudicium, S. 168. 1473 Haferkamp, Fortwirkungen, S. 293, 304.

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Es ist häu g zu beobachten, dass die Richter die actio genau benannten¹⁴⁷⁴. Die unterschiedlichen Streitigkeiten, die auf verschiedene actiones bezogen waren, erklärten diese Differenzierung. Die Forderung der Romanisten, die Praxis solle die actiones präzise bezeichnen, um „unjuristischer Willkühr und Principlosigkeit“¹⁴⁷⁵ vorzubeugen, befolgte das OAG. Eine Renaissance des aktionenrechtlichen Denkens im Prozess¹⁴⁷⁶ ist hier auch für die Praxis festzustellen. Jhering hingegen geißelte die Verwendung von actiones als „Bastard römischer und moderner Ideen“¹⁴⁷⁷. Nur das Wort actio sei beibehalten, streng nach römischen Recht verfahren werde hingegen nicht mehr. So müsse jedes Pferd, jeder Wagen und die darauf be ndlichen Sachen mit besonderen Reivindikationen eingeklagt werden anstatt mit einer einzigen. Dies sei eine Fehlentwicklung. Denn statt materielles Klagrecht sei die actio ein besonderer Prozess gewesen¹⁴⁷⁸. Jhering zeigte so die Unterschiede zwischen der Funktion des ursprünglichen römisch-rechtlichen Instituts und dessen Verwendung im 19. Jahrhundert.

(3)

Ehesachen

Bei Ehesachen operierte das OAG verschiedentlich mit Indizien. Dabei handelte es sich um solche Fälle, die klassischerweise bereits die Glossatoren im Zusammenhang mit der Indizienlehre diskutierten, nämlich wie eine Misshandlung der Ehefrau durch ihren Mann und wie ein Ehebruch bewiesen werden konnten¹⁴⁷⁹.

(a) Trennung von Tisch und Bett Die Entscheidung Bergmann gegen Bergmann und die frühere hamburgische Entscheidung Boldemann & Mantels gegen Stecher von 1865 nannten die Richter als Beleg dafür, dass es durch Indizienbeweis möglich sei, vollen Beweis zu erbringen. Dabei lagen jeweils völlig verschiedene Sachverhalte den Entscheidungen zugrunde. Bei den früheren Fällen hatte es sich um eine Gläubigerbenachteilung und um eine Schiffswegsetzung gehandelt, in dem 1868 zu entscheidenden Fall ging es jedoch um eine Trennung von Tisch und Bett, also einer vorläu gen Tren-

1474 So in Bruhn, Sl. 1, No CIV, Koehl c. Grabau (1833), S. 438, 442: Actio emti. 1475 Wächter, Handbuch II, S. 447; ähnlich Savigny, System V, S. 148, 149, später durch Windscheid, actio des römischen Zivilrechts, S. 229, für über üssig befunden. 1476 Nörr, Iudicium, S. 155, 157; ihm folgend Haferkamp, Fortwirkungen, S. 293, 304. 1477 Jhering, Geist des römischen Rechts III, § 51, S. 28. 1478 Jhering, Geist des römischen Rechts III, § 51, S. 33. 1479 Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 223.

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nung der Eheleute¹⁴⁸⁰. Hier zeigt sich, dass die Abstraktion von dem Sachverhalt und die Bildung von Grundsätzen es den Richtern ermöglichte, einmal gefundene Grundsätze in vollkommen anderen Sachverhalten erneut zu verwenden. In der Sache ging es um Folgendes. Nach Darstellung der Klägerin Wilhelmine Magdalena Maria Voss hatte ihr Ehemann sie wiederholt misshandelt. Ihr Ehemann bestritt, dass ihr die Verletzungen durch ihn zugefügt worden seien. Um sich von ihm trennen zu können, habe sich seine Frau vielmehr selbst verletzt¹⁴⁸¹. Die Ehefrau hatte mehrere Hausangestellte als Zeugen benannt. Diese hatten zwar den Streit zwischen den Ehegatten bezeugen können und dass sie schwer verletzt aus dem Zimmer gekommen sei, nicht aber die Misshandlung an sich. Die Appellation des Ehemannes gegen das obergerichtliche Erkenntnis wendete sich gegen den Erfüllungseid, welcher der Klägerin auferlegt worden war. Er verlangte stattdessen, den Reinigungseid leisten zu dürfen, denn der Beweis sei nicht bis zum Erfüllungseid gebracht worden¹⁴⁸². Das OAG stellte zunächst fest, dass eine Beweisführung durch Indizien statthaft sei. In der Sache nahm es an, dass die Zeugenaussagen bezüglich der Indizien „durch die begleitenden Umstände höchsten Grad an Wahrscheinlichkeit“ gewannen¹⁴⁸³. Als begleitende Umstände führten die Richter an, dass die Zeugen wahrgenommen hatten, dass es zwischen dem streitenden Paar laut geworden war, ein Krach zu hören und anschließend die Klägerin uchtartig aus dem Raum gestürmt war, dass die Klägerin dann sofort das Haus verlassen hatte und einen Arzt aufsuchte, der die Verletzungen dokumentierte. Ein ähnlicher Exzess des Ehemannes habe außerdem bewiesenermaßen bereits einmal stattgefunden. Anschließend bemühten die Richter den sich aus den Akten ergebenen „Charakter der Klägerin“, der zwar heftig sei, nicht aber Anlass gebe, sie einer solcher „raffinierten Bosheit“ zu beschuldigen, die nötig sei, um sich selbst zu misshandeln, allein um eine Trennung zu bewirken¹⁴⁸⁴. Dieser höchste Grad der Wahrscheinlichkeit rechtfertige den Erfüllungseid.

1480 Kierulff, Bd. 4, No 81, Voss c. Voss (1868), S. 710–718. 1481 So auch noch die Argumentation Baldus’, dazu: Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 223. 1482 Kierulff, Bd. 4, No 81, Voss c. Voss (1868), S. 710. 1483 Kierulff, Bd. 4, No 81, Voss c. Voss (1868), S. 710, 712. 1484 Kierulff, Bd. 4, No 81, Voss c. Voss (1868), S. 710, 713.

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(b) Ehescheidung wegen Ehebruchs Einen Beweis aufgrund von Indizien und Präsumtionen durch künstliche Beweisführung erkannte das OAG bei einer Ehescheidungssache an. Als Scheidungsgrund nach protestantischem Kirchenrecht kam laut OAG ein Ehebruch in Betracht. Nur wie sollte dieser bewiesen werden? Ein direkter Beweis sei in den meisten Fällen nicht möglich. So reiche als Beweis des Scheidungsgrundes ein „dringender Verdacht“, der sich auf tatsächliche Momente stütze¹⁴⁸⁵, dass die eheliche Treue verletzt sei. Daher könne die Beweisführung auf die tatsächlichen Momente beschränkt werden. Aufgabe des Richter sei es anschließend „in Uebereinstimmung mit den Schlußworten des c. 27 X de test(ibus et attestationibus) 2,20¹⁴⁸⁶ das Gesamtverhalten des beklagtischen Ehegatten ins Auge zu fassen und alle über dessen Verkehr mit anderen Personen, sowie über sein Verhältniß zu dem beklagenden eile ermittelten Umstände gleichmäßig und gleichzeitig zu würdigen habe. Sobald aus deren Zusammenhalte, aus dem Inbegriff aller die Sachlage bildenden Specialmomente ein ausreichend dringender Verdacht stattgehabten Ehebruchs mit derjenigen Sicherheit sich ergiebt, welche überhaupt dem Beweise durch Schlußfolgerungen und vollends für atsachen der hier vorliegenden Natur von einer künstlichen Beweisführung verlangt werden kann, wird man die Ehe für gebrochen zu erklären und die Scheidung auszusprechen kein Bedenken tragen können“¹⁴⁸⁷. Der Richter war also zur Würdigung aller Umstände befugt. Implizit erkannten die Richter außerdem an, dass eine vollständige Sicherheit nicht erreicht werden könne. So reiche eine durch die Natur eingeschränkte Überzeugung.

1485 Wunderlich, Bd. 2, No 366, Kayser Ehefrau c. Ehemann (1856), S. 39–42 (40); als Rechtsquelle zitiert wurde X 2, 23, 12, in: Friedberg, Corpus Iuris Canonici II, S. 355: „(...) violenta et certa suspicione (...)“, Übersetzung in: Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici II, S. 330: dringender und sicherer Verdacht reicht als Ehescheidungsgrund. 1486 X 2, 20, 27, in: Friedberg, Corpus Iuris Canonici II, S. 323: „Praeterea quum quis accusatur aliquam cognovisse, an sint testes interrogandi de visu, aut sola viciniae fama sufficiat, vel si iuratis testibus sit credendum, qui se carnalis copulae conscios esse fatentur, sed de visu nihil affirmant, nos inter alia consulere voluisti. Ad haec itaque Respondemus, quod, si testimonium conveniens de visu reddatur, vel etiam de auditu, et praesumtionem violentam fama consentiens submiinistret, ac alia legitima adminicula suffragentur eidem standum est testimonio iuratorum. Etenim circumspectus iudex atque discretus iuxta illud, quod in iure civili cautum exsistit, motum animi sui ex argumentis et testimoniis, quae rei aptiora esse compererit, con rmabit“, übersetzt in: Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici II, S. 308: zu der Frage, ob zum Beweis des Beischlafs bereits ein Gerücht reicht als geschworenes Zeugnis, das „geeignetes, auf eigne Erfahrung oder auch auf Hörensagen gebautes Zeugniss gegeben und durch das bestimmende Gerücht eine dringende Vermuthung begründet worden ist, und auch andre gesetzliche Verdachtsgründe unterstützend hinzutreten“, der Richter soll das „Urtheil aus den Beweisgründen und Zeugnissen bilden, welche er im concreten Fall als die passendsten erkannt hat“. 1487 Wunderlich, Bd. 2, No 366, Kayser Ehefrau c. Ehemann (1856), S. 39, 40 und 41.

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Obwohl nur ein Verdacht vorlag, legten die Richter keinen Noteid auf, sondern schieden allein aufgrund dieses Verdachts die Ehe. Dies erklärt sich durch die Besonderheit der Ehe. So verwiesen die Lehrbücher auf die Ehrfurcht vor der Heiligkeit der Ehe und auf die göttliche Ordnung, die nicht durch einen Eid zu lösen sei¹⁴⁸⁸. Das Bestehen der Ehe sei eines der höchsten Güter des Menschen. Drohe der Verlust, also die Scheidung, dürfe der Mensch nicht in die Lage gebracht werden zwischen Wahrheit und Bestand der Ehe wählen zu müssen und sich damit gegen eines dieser Güter zu entscheiden. Die der Entscheidung durch Wunderlich vorangestellten Leitsätze sprachen vom „richterlichen“ Ergänzungseid¹⁴⁸⁹. Diese Konstruktion ergab sich aus der Urteilsbegründung selbst nicht, vielmehr wurde gar kein Eid auferlegt.

(4)

Schiffsunglück

Nicht in jedem Fall ließen die Richter die künstliche Beweisführung zu oder sahen sie als geführt an. Sie differenzierten in einem 1876 entschiedenen Fall zwischen der Art der Indizien, nachdem sie die Entscheidungen, in denen sie eine Beweisführung durch Indizien bestätigt hatten, zitierten. So seien „nahe“ Indizien nötig¹⁴⁹⁰. Diese Indizien seien Tatsachen, die ihrerseits vollbewiesen vorlägen. Verschiedene Zeugenaussagen, die jeweils andere Vorgänge bezeugten, reichten dazu aber nicht. Sie seien lediglich „entferntere“ Indizien¹⁴⁹¹. In dem Schiffsunglücksfall Tomma gegen Helix führte das OAG seine Auffassung zum Indizienbeweis breit aus. So könne zwar „unter Umständen auch in Civilsachen durch Indizien voller Beweis erbracht werden“¹⁴⁹², dazu sei jedoch erforderlich, dass der Schluss von diesen Indizien auf das Beweisthema ein „unabweisbarer“ sei. Dies nahmen die Richter im vorliegenden Fall jedoch nicht an. Ausgangspunkt des Rechtsstreits war eine Schiffskollision gewesen. Das Dampfschiff „Helix“, das zwischen Lübeck und St. Petersburg verkehrte, hatte die „Tomma“, ein mit Holz beladenes Schiff, das auf ihrem Weg von Riga nach Els eth fuhr, gerammt. Betten und Meyer als Eigentümer der Tomma hatten die St. PetersburgLübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft daraufhin auf Schadensersatz in Höhe von

1488 Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. 124. 1489 Wunderlich, Bd. 2, S. 39. 1490 AHL OAG L I 669 Riessen c. Konkursverwalter des Boy (1876) Q 11 Entscheidungsgründe, p. 9. 1491 AHL OAG L I 669 Riessen c. Konkursverwalter des Boy (1876) Q 11 Entscheidungsgründe, p. 11. 1492 AHL OAG L I 610 Betten und Meyer c. Direktion der Neuen St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1871) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 7.

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4420 Stück Louis d’or¹⁴⁹³ verklagt und den Rechtsstreit für sich entschieden. Dagegen appellierte die Dampfschiffahrtsgesellschaft und verlangte, ihre Beweisführung „für ganz, aber wenigstens bis zum Erfüllungseid gelungen erklärt“ werde¹⁴⁹⁴. Sie hatte vorgetragen und insoweit hatte das Interlokut ihr den Beweis auferlegt, dass die Besatzung der Tomma erst kurz vor Zusammenstoß der beiden Schiffe die Schiffslaterne angezündet hatte, zu spät um den Zusammenprall verhindern zu können. Als Indizien hatte sie Verklarung¹⁴⁹⁵ und Schiffsjournal¹⁴⁹⁶ der Helix angeführt. Darin hatte die Besatzung der Helix angegeben, an besagtem Abend gehörigen Ausguck gehalten und die Lichter anderer Schiffe schon auf erhebliche Entfernung hin wahrgenommen zu haben. Nur die Tomma habe man erst kurz vor dem Zusammenstoß gesehen. Da seien dann nur die beleuchteten Segel zu sehen gewesen. Daraus folgerte sie, dass die Lichter nicht rechtzeitig gezeigt worden waren. Diese Schlussfolgerung zog das OAG hingegen nicht. Es meinte, selbst wenn an diesem Abend im Allgemeinen guter Ausblick gehalten worden wäre, könne eine vereinzelte Nachlässigkeit der Besatzung doch nicht völlig ausgeschlossen werden. Außerdem sei auch denkbar, dass irgendein Hindernis das Erblicken der Lichter erschwert habe¹⁴⁹⁷. Selbst wenn diese Indizien völlig erwiesen wären (was die Richter ausdrücklich offen ließen), könne diese Sachlage höchstens den Reinigungseid für die Kläger rechtfertigen. Zusätzlich gingen die Richter auf den Gegenbeweis der Kläger ein. Die Kläger hatten vorsichtigerweise ebenfalls eine Appellation eingelegt. Schiffssteuermann Hoock der Tomma hatte in einer Nachverklarung ausgesagt, dass er die Laternen früh genug aus seiner Koje geholt habe. Der Aussage maßen die Richter jedoch kaum einen Beweiswert zu. Eine Nachverklarung habe „so gut wie keinen“ Beweiswert. Auch die Angabe „früh genug“ sei zu unbestimmt und außerdem habe Hoock nicht ausgesagt, dass er gesehen habe, wie Matrose Zeerhusen die Laterne anzündete. Mit diesen Überlegungen bestätigten die Richter das Erkenntnis des Handelsgerichts.

1493 Goldbasierte Bremer Währung, vgl. Verhalven, Währungssysteme, S. 110. 1494 AHL OAG L I 610 Betten und Meyer c. Direktion der Neuen St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1871) Q 1 Appellationsbitte, p. 2. 1495 Dazu ausführlich Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 72. 1496 Den Beweiswert von Schiffsjournalen veranschlagte Renaud, Lehrbuch, § 119, S. 344, als ähnlich wie ein Handelsbuch, in der Regel halben Beweis ausmachend, ausgenommen jedoch für Unfälle, die eine Verklarung erforderten. 1497 AHL OAG L I 610 Betten und Meyer c. Direktion der Neuen St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (1871) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 8.

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Zusammenfassung

Den künstlichen, indirekten Beweis wandte das OAG erst 1865 und damit recht spät an. Vielleicht hatten zuvor die Sachverhalte keine Veranlassung gegeben, auf einen Indizienbeweis einzugehen. Möglicherweise zeichnet sich in dieser Rechtsprechung aber auch ab, dass die legale Beweistheorie mehr und mehr aufgelöst wurde. Zwar kannte die Literatur schon lange den künstlichen Beweis¹⁴⁹⁸, aber nun wandte die Praxis diese Grundsätze auch vermehrt an. Dabei musste die Schlussfolgerung nicht logisch zwingend, aber doch höchst wahrscheinlich sein. Dies waren leichter zu erfüllende Voraussetzungen, als sie noch Linde gefordert hatte¹⁴⁹⁹. Die Rechtspraxis weitete die durch die gemeinrechtliche Literatur vorgegebene Möglichkeit der Beweisführung durch Indizien damit aus. Allein aufgrund von Indizien konnte ein voller Beweis erbracht werden. Die Fälle, in denen das OAG eine Beweisführung aufgrund von Indizien erlaubte, sind allein aufgrund der Sachverhaltsschilderung für den Leser so eindeutig, dass es abwegig erscheint, den Beweis zu verneinen. Sowohl wogen die Indizien bei der Schiffswegsetzung erdrückend zulasten des Kapitäns, als es auch recht eindeutig war, dass sich die Ehefrau nicht selbst die Verletzungen zugefügt hatte. Es handelte sich also um Fälle, welche zu einem eindeutigen Ergebnis führen mussten. Eine andere Beurteilung aufgrund schematischer Beweisregeln wäre kaum vermittelbar gewesen. Jedenfalls verlangte die Billigkeit nach den durch die OAG-Richter gezogenen Schlüssen. Die Richter argumentierten jedoch nicht mit einem allgemeinen Gedanken der Billigkeit, sondern entwickelten ein tragfähiges System der Beweisführung durch Indizien. Dieses System konnte auf unterschiedliche tatsächliche Sachverhalte angewandt werden. Es war also nicht auf bestimmte Fallgruppen beschränkt, obwohl es tatsächlich nur in wenigen Fällen zur Anwendung gelangte. Die vielgestaltige Lebenswirklichkeit konnten die Richter mit ähnlichen allgemeineren Erwägungen systematisieren. Hier lag eine entscheidende Änderung gegenüber der früheren Lehre, die zwar kasuistisch Fälle aufbereitete und damit typisierte Geschehensabläufe als Ausgangspunkt zur Verfügung stellte, aber keine allgemeine dogmatische Erfassung lieferte¹⁵⁰⁰. Auf die bereits ergangenen Präjudizien wies das OAG in seiner Begründung jeweils ausdrücklich hin.

1498 Linde, Lehrbuch in seiner 2. Au age von 1828, § 314, S. 460; Wetzell, System, § 21 Fn 7, S. 193, verwies auf den weiten Spielraum bei Indizien schon im kanonischen und römischen Recht; zum Hochmittelalter vgl. Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 216–220. 1499 Linde, Lehrbuch in seiner 2. Au age von 1828, § 314, S. 460. 1500 Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 221.

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Sie bildeten damit wichtige Legitimationssäulen für spätere Urteile. Wie die Fälle zeigen, in denen ein künstlicher Beweis abgelehnt wurde, agierten die Richter zurückhaltend und nur bei eindeutigen Schlussfolgerungen mit dem Beweis durch Indizien. So erlaubte die Beweisführung durch Indizien dem Richter, in eindeutigen Fällen von dem strengen Beweiserfordernis abzuweichen, aufgrund der Schlussfolgerungen durch den Richter konnte der Beweis erbracht werden. Die gesetzliche Beweistheorie selbst bot diese Möglichkeit, ab Mitte des 19. Jahrhunderts benutzte das OAG verschiedentlich diese Ausnahme und wandte damit unter dem Deckmantel der gesetzlichen Beweistheorie die freie Beweiswürdigung an.

dd)

Maßstabsänderung: Bescheinigung

Die gemeinrechtliche Literatur erwähnte die Bescheinigung als Alternative zum strengen Beweis. Um eine Tatsache als wahr anzusehen, war danach nicht immer ein voller Beweis notwendig; unter bestimmten Umständen reichte auch eine Bescheinigung aus. Eine Bescheinigung verlangte geringere Anforderungen als ein Beweis. Die Partei konnte beliebige Belege vorbringen, um die behauptete Tatsache zu stützen. An ein bestimmtes Beweismittel war sie dabei nicht gebunden. Ziel war nicht die juristische Überzeugung des Richters, die den Richter auf ein bestimmtes Beweisergebnis festlegte, sondern es reichte, dass eine Tatsache wahrscheinlich gemacht wurde¹⁵⁰¹. Ob die Wahrscheinlichkeit ausreichte, durfte demnach der Richter nach seinem eigenen Ermessen entscheiden. Es handelte sich bei der Bescheinigung also um eine Wahrheitsermittlung, die an keine strengen Förmlichkeiten geknüpft war, sondern bei der der Richter weitgehend frei war. Insoweit entsprach die Bescheinigung einer Glaubhaftmachung im modernen Recht. Bereits im römischen Recht als summatim cognoscere¹⁵⁰² und im usus modernus als semiplena probatio¹⁵⁰³ war die Annahme einer Tatsache ohne vollen Beweis bekannt. Sellert wendet ein, dass die Bescheinigung im 19. Jahrhundert im Sinne der Glaubhaftmachung typisch für den summarischen Prozess gewesen sei¹⁵⁰⁴. Nach ihm wäre die Bescheinigung also nur in einer bestimmten Verfahrensart von Bedeutung gewesen. Möglicherweise hatte die Bescheinigung aber einen größeren Anwendungsbereich, auch im ordentlichen Verfahren. Falls die Bescheinigung neben dem strengen Beweis eine größere Anzahl von Fallgrup-

1501 1502 1503 1504

Wetzell, System, § 29, S. 302. Dazu Simon, ZRG/RA 83 (1966), S. 142, 215, 216. Dazu Schmoeckel, Humanität und Staatsraison, S. 211. Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 163.

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pen, auch im ordentlichen Verfahren, abdeckte, hätte sie eine zweite Säule neben dem eigentlichen Beweis dargestellt. Dann wäre die Bescheinigung geeignet, die legale Beweistheorie zusätzlich in ihrer praktischen Anwendung zu schwächen. Zunächst drängen sich jedoch Fragen zu der Bescheinigung auf. War die Bescheinigung ein feststehender Begriff? Wurde sie nur in bestimmten Verfahren oder Regelungsbereichen angewandt? In welchen Fallgruppen kam sie vor? Wie bestimmte der Richter, ob eine Sache hinreichend bescheinigt war? In den neueren gesetzlichen Grundlagen tauchte der Begriff mehrere Male auf. Die OAGO sprach von Bescheinigung in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Neben Bescheinigung verwendete sie zusätzlich „wahrscheinlich machen“ im Gegensatz zu „beweisen“, ohne jedoch auf den Begriff der Bescheinigung zurückzugreifen¹⁵⁰⁵. Bescheinigung wurde außerdem als Alternative zur Beeidigung¹⁵⁰⁶ oder bei der Fristerstreckung in dringenden Fällen¹⁵⁰⁷ gebraucht. Bei dem Nachweis, als Prokurator tätig sein zu dürfen, wurde Bescheinigung dagegen als Synonym für Papier verwandt. Die Begriffsverwendung war in der OAGO damit uneinheitlich. Die lübeckische CPO von 1862 benutzte den Begriff der Bescheinigung in verschiedenen Paragraphen. Beispielsweise um das Armenrecht zugesprochen zu bekommen¹⁵⁰⁸, um einen Richter abzulehnen¹⁵⁰⁹ und für eine Fristerstreckung¹⁵¹⁰ setzte das Gesetz eine Bescheinigung voraus¹⁵¹¹. Dabei handelte es sich um ein Begehren einer Partei, das nicht unmittelbar einen Nachteil für die andere Partei mit sich brachte. Im Gegensatz zu der 40 Jahre älteren OAGO war die Bescheinigung in der lübeckischen CPO häu ger vorgesehen, wobei die Formulierung darauf schließen lässt, dass hier immer die Alternative zum strengen Beweis gemeint war.

(1) Bescheinigung der Appellationssumme In der Rechtsprechung des OAG nden sich verschiedentlich Hinweise zur Bescheinigung. Für den Nachweis der Appellationssumme stellte das OAG ausdrücklich klar, dass eine Bescheinigung im Gegensatz zum strengen oder förmli-

1505 1506 1507 1508 1509 1510 1511

Vgl. § 160 OAGO. § 131 OAGO. § 125 OAGO. § 31 lübeckische CPO. § 18 lübeckische CPO. § 48 lübeckische CPO. §§ 53, 73, 117, 162 der lübeckischen CPO von 1862.

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chen Beweis ausreiche¹⁵¹². Diese Bescheinigung sei durch den „Hinweis auf die Höhe bis auf weiteres erbracht“. Allerdings konnte der Richter zusätzlich, nach Rechtsprechung des OAG, nach RKGO  2 Tit 28 § 4¹⁵¹³ eine eidliche Bestärkung fordern. Daran scheiterte gelegentlich die Zulässigkeit einer Appellation¹⁵¹⁴.

(2) Bescheinigung der Schadenshöhe Lion Levy Pincus war verzweifelt. Wie konnte er bloß beweisen, was ihm in der Nacht dieses schrecklichen Brandes alles abhanden gekommen war? Seine mit Akribie geführten Handlungsbücher¹⁵¹⁵ hatte die Fakultät, in die er zunächst alle seine Hoffnung gesetzt hatte, wie schon das Niedergericht, nicht anerkannt¹⁵¹⁶. Das eben erst eröffnete Geschäft samt Warenlager war ausgebrannt. Und obwohl er alles versichert hatte, weigerte sich die Versicherung, für seinen Verlust aufzukommen, weil er den Schaden nicht beweisen könne. Nur ein Bruchteil der neuen Ware hatte er in die Nachbarhäuser retten können. Sicher, er hatte Hilfe erfahren. Aber einige der Helfer, die nachts die Gegenstände zu retten versuchten, hatten die Sachen gar nicht in die Nachbarhäuser gebracht, sondern waren mit ganzen Packen einfach in die Holstenstraße und den Kolk davon gelaufen¹⁵¹⁷. Nun konnte ihm nur noch das OAG helfen. Und das tat es. Es änderte den Beweismaßstab. Kein strenger Beweis war nötig, sondern in einem solchen Fall reichte eine Bescheinigung des Schadens, meinte das Gericht¹⁵¹⁸. Der Beweis eines Schadens sei in Brandfällen immer besonders schwierig. Daher formulierte das OAG hier eine Ausnahme von dem Erfordernis eines strengen Beweises. So könne, eben-

1512 AHL OAG L I 632 Köhne c. Köhne (1873) Q 13 Entscheidungsgründe, p. 3; AHL OAG L I 697 Mull c. Petersen (1878) Q 25 Entscheidungsgründe, p. 2. 1513 Laufs, RKGO 1555, S. 206: „So sollicher eydt von dem appellanten beschicht“. 1514 Wunderlich, Bd. 1, No 268, Klicks c. Köhne (1848), S. 8, 12: Das OAG hatte angeregt, den Kläger den Eid leisten zu lassen. Als dieser ihn verweigerte, konnte das OAG durch Urteil die Appellation „als nicht anher erwachsen“ erklären. 1515 Ältere Bezeichnung für Handelsbuch, siehe „Handelsbücher“, Meyers Konversationslexikon, Bd. 8 (1907), S. 725. Im Einzelnen ist in den Entscheidungsgründen die Rede von Cassabuch, Verkaufbuch, Facturenbuch, Memorial. Hier erfolgte also die sog. doppelte Buchhaltung, vgl. „Buchhaltung“, Meyers Konversationslexikon, Bd. 3 (1905), S. 538, 539. 1516 Wunderlich, Bd. 1, No 317 A, Pincus c. Feuerversicherungs-Gesellschaft (1853), S. 317, 324. 1517 Zum Sachverhalt: AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Relation von Pauli, erhalten am 22. Juni 1853, abgegeben am 25. Juli 1853, Blatt 1. 1518 AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 1, 2; in dieser Bewertung waren sich Relation von Pauli, Blatt 22, und Correlation von Laspeyres, Bogen 1, einig.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

so wie es bei Seeversicherungen der Fall sei¹⁵¹⁹, bei Feuerversicherungen keine gewöhnliche Beweisführung über den Schaden geführt werden, sondern es reiche eine Bescheinigung. Diese Ausnahme ergebe sich aus der Natur der Sache¹⁵²⁰ und bestätige sich aus den Plänen, vergleichbar mit den heutigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen¹⁵²¹, der Versicherungsgesellschaften, die einen Nachweis und eine Aufklärung über die Größe des Schadens forderten, die „nach der Lage der Sache billiger Weise“ von dem Versicherten gefordert werden dürfen. In ihren Bedingungen hatte die Versicherung zugesichert, nur den Beweis fordern zu wollen, den der Versicherte liefern könne, insbesondere Handlungsbücher und Personen als Zeugen ausreichen zu lassen, die mit der Sache vertraut waren¹⁵²². Falls der Gegner dies verlange, müsse der Nachweis zusätzlich beeidigt werden. Zwar sei über die Existenz des Schadens ein Nachweis zu liefern, doch die Bestimmung der Größe obliege dem richterlichen arbitrium¹⁵²³. Diesen Grundsatz stellten die Richter ihren Entscheidungsgründen voran und prüften im Weiteren lediglich, ob davon wiederum eine Gegenausnahme gemacht werden müsse wegen der Besonderheiten des Einzelfalles¹⁵²⁴. Neben der Persönlichkeit des Versicherten könne ein Betrug eine Ausnahme begründen. Der Brand sei aber gar nicht im Hause des Pincus ausgebrochen. Und wenn kein Verlust vermeldet werde, sei das viel ungewöhnlicher als dass einige Waren abhanden gekommen seien. Außerdem stelle es keinen Grund für eine Gegenausnahme dar, dass förmlich im Beweisinterlokut auf Beweis und nicht auf eine Bescheinigung erkannt worden sei. Denn die lübischen Gerichte differenzierten in ihren Interlokuten nicht zwischen Beweis und Bescheinigung. Dennoch sei das Interlokut den durch das OAG aufgestellten Grundsätzen gemäß zu interpretieren¹⁵²⁵. Indem die Richter die Urteile der vorigen Instanz geschickt ihrer eigenen Rechtsprechung gemäß auslegten, waren sie nicht gezwungen, das niedergerichtliche Urteil aufzuheben. Stattdessen sicherte das OAG eine einheitliche Spruchpraxis auch an den Untergerichten. Die

1519 Das OAG verwies dabei auf Benecke, System eil 4, S. 328. 1520 Dazu siehe oben unter Natur der Sache: Zweiter Hauptteil A. II. 2. 1521 Abwegig, dass der Gebrauch von Allgemeinen Geschäftsbedingungen erst Ende des 19. Jahrhunderts entstand, vgl. Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 123; so aber: Hofer, in: HKK II/2, § 307–310 (I) Rn. 7 mit weiteren Nachweisen. 1522 AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 4. 1523 AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 2, 24. 1524 AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 5. 1525 AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 7.

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Richter festigten die einmal gefundenen Grundsätze durch eine kontinuierliche Anwendung. Der Einzelfall führte nur in besonderen Ausnahmefällen zur Abweichung von dieser Rechtsprechung. Diese Ausnahme vom strengen Beweis begründeten die Richter lediglich mit der Natur der Sache und einer vergleichbaren Lage bei See-Versicherungen. Sie fanden ihr Ergebnis durch die Versicherungsbedingungen verschiedener Versicherungen bestätigt. Mit diesen recht weitläu gen Vergleichen ohne gesetzliche Grundlage verhalfen die Richter Billigkeitserwägungen zur Geltung. Dieser Fall bestätigt, dass das Versicherungsrecht, für das keine Normen bestanden, aus dem Seeversicherungsrecht geschaffen wurde¹⁵²⁶. Die Versicherungsbedingungen stärkten das so gefundene Ergebnis. Das OAG gebrauchte hier die Versicherungsbedingungen normähnlich als Korrektiv der allgemeinen Grundsätze des Versicherungsrechts¹⁵²⁷. Die Versicherungsbedingungen sollten eine Fülle von Einzelfällen regeln, sie waren also keine dogmatischen Konstrukte, sondern an der Wirklichkeit orientiert. Indem das OAG sie als Auslegungshilfe für die Natur der Sache heranzog, berücksichtigte es also die Wirklichkeit der Versicherungsfälle. Den Schaden sahen die Richter im Fall Pincus als hinreichend bescheinigt an. Dazu gingen sie näher auf die Handlungsbücher ein, die das Niedergericht zuvor nicht zum Beweis zugelassen hatte. Dazu ermahnte das OAG zunächst die Sachwalter des Pincus, die sich nicht die Mühe gemacht hatten, die Ausführungen der Fakultät zu überprüfen. Die Handlungsbücher waren jedenfalls noch immer mit dem Siegel der Fakultät verschlossen¹⁵²⁸. Das OAG prüfte die Handlungsbücher erneut und kam zu dem Ergebnis, dass sie nicht verdächtig seien und deshalb hätten verwertet werden müssen. Zwar fänden sich kleinere falsche Angaben, aber aus einem „zufälligen Uebersehen einzelner so kleiner Posten“¹⁵²⁹ könne unmöglich eine Verdächtigkeit der ganzen Bilanz des Verkaufsbuches gefolgert werden. Für den Versicherungsnehmer dürfe es keinen Nachteil darstellen, dass er Kaufmann sei. Dass die Handlungsbücher einen höheren Beweiswert hätten, sei als Privileg¹⁵³⁰ ausgestaltet – dies dürfe sich nicht in sein Gegenteil verkehren. Deswegen müssten

1526 So Lammel, Rechtsbildung, S. 89, 95; dazu auch Nehlsen-von Stryk, Seeversicherung. 1527 So Lammel, Rechtsbildung, S. 89, 116 und 117; entgegen der Ansicht, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen erst im 20. Jahrhundert normähnlich behandelt hätte, so aber Hellwege, in: HKK II/2, §§ 305–310 (II) Rn. 3, 4. 1528 AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 15. 1529 Wunderlich, Bd. 1, No 317 A, Pincus c. Feuerversicherungs-Gesellschaft (1853), S. 317, 325. 1530 Zu dem uneinheitlich gebrauchten Begriff, der sowohl ein objektives Sonderrecht als auch eine subjektive Sonderberechtigung bezeichnete, Mohnhaupt, „Privileg, neuzeitlich“, in: HRG III, Sp. 2005, 2006.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

die Handlungsbücher zumindest als eigene Aufzeichnung verwertet werden¹⁵³¹. Damit konnte Pincus seinen Schaden durch den Brand bescheinigen. An diesem Fall wird die Geschichte der lübeckischen Juden lebendig. Das Geschäft des jüdischen Warenmanufaktors¹⁵³² Lion Levy Pincus öffnete erst 1849. Erst zu diesem Zeitpunkt war es Juden, die sich nahe Lübeck in Moisling niedergelassen hatten, erlaubt, in Lübeck Geschäfte auf eigenen Namen zu eröffnen¹⁵³³. Das Niedergericht hatte sich gegen die Verwertung der Handelsbücher unter anderem darauf berufen, dass Pincus eine größere Gewinnspanne angegeben habe als bei jüdischen Händlern üblich; diese judenspezi sche Argumentation verwarf das OAG als irrelevant¹⁵³⁴. Hier half das OAG dem Kaufmann. Bei einer erneuten Appellation des Pincus scheiterte diese allerdings an einer anderen Rechtsfrage¹⁵³⁵. Die rechtliche Gleichstellung von Juden war erst kurz vor der Zeit des Prozesses, nach langwierigen und konträren Vorarbeiten, durchgesetzt worden¹⁵³⁶. Ob Hilfe von sozial benachteiligten Gruppen und sozialer Ausgleich Anliegen des OAG war, ist ungewiss. Aber im Rahmen einer noch möglichen Auslegung und durch neue Ausnahmetatbestände half das OAG dem Appellanten, der einer Minderheit angehörte. Diese Ausnahme vom strengen Beweiserfordernis für Feuerversicherungen wiederholten die Richter in späteren Fällen mit Hinweis auf diese Entscheidung. Dabei stellten die Richter knapp den entwickelten Grundsatz abermals dar. So reiche eine glaubhafte Bescheinigung der Existenz und der Größe des Schadens mit Parteieid aus¹⁵³⁷. Hier scheint stillschweigend eine weitere Ausnahme zugelassen worden sei. Nicht mehr nur für die Größe des Schadens, sondern auch für seine Existenz reichte eine Bescheinigung. Hier zeigt sich, wie leicht die Rechtsprechung einmal entwickelte Ausnahmen weiter ausdehnen konnte. Durfte nun auch die Existenz eines Schadens durch Bescheinigung bewiesen werden, verlor

1531 AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Q 16 Entscheidungsgründe, p. 9, 10. 1532 AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853) Relation von Pauli, Blatt 1. 1533 Guttkuhn, Geschichte der Juden, S. 221. 1534 Wunderlich, Bd. 1, No 317 A, Pincus c. Feuerversicherung (1853), S. 317, 326. 1535 Wunderlich, Bd. 1, No 317 B, Pincus c. Feuerversicherung (1855), S. 329–330. 1536 Die am 30. Dezember 1848 verkündete Verfassung verp ichtete alle selbständigen Bewohner zum Erwerb des Bürgerrechts der Stadt Lübeck, am 16. Juni 1852 verkündete der Senat ein Gesetz, das ausdrücklich die Gleichstellung der Lübecker Staatsbürger jüdischen Glaubens feststellte, dazu Guttkuhn, Geschichte der Juden, S. 236, 237. 1537 Kierulff, Bd. 3, No 65, Wacker’sche Masse c. Deutscher Phönix (1867), S. 550–555 (552).

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der strenge Beweis in den gesamten praktisch relevanten Schadensfällen rapide an Bedeutung. In diesem Fall waren die Handlungsbücher dem Feuer anheim gefallen. Dennoch nahmen die Richter auch hier eine Bescheinigung an. Die Statuten der Versicherung gäben keinen Anlass, von der entwickelten Rechtsprechung abzuweichen. Auch an diesem Fall lässt sich leicht erkennen, dass der Einzelfall berücksichtigt wurde, aber das Ergebnis nur im Ausnahmefall von dem selbst aufgestellten Grundsatz abweichen durfte. In einem sehr früh entschiedenen Rechtsstreit von 1825 sprachen die Richter die Möglichkeit zur Bescheinigung gar nicht an. Stattdessen stellten sie bei der vorliegenden Schadensersatzklage allein auf den Schätzungseid der Partei und auf die richterliche Schätzung und das richterliche arbitrium ab¹⁵³⁸. Mit dem Schätzungseid¹⁵³⁹ konnte die Partei den ihr entstandenen Schaden durch Eid versichern. Obwohl ebenfalls um die Höhe des Schadens gestritten wurde, wie in dem Fall des Pincus, erwähnte das OAG keine Bescheinigung. Die Bescheinigung zog das OAG also vermehrt erst später heran. Dabei behielt der Schätzungseid der Partei neben der Bescheinigung immer noch eine Bedeutung; allerdings eine untergeordnete. So kam es nur zur Eidesleistung, wenn die gegnerische Partei darauf bestand. Die gemeinrechtliche Literatur erörterte die Bescheinigung im Zusammenhang mit der Schadensschätzung nicht. Sie setzte sich aber mit dem Schätzungseid auseinander. Die Lehre kannte den aus dem römischen Recht stammenden Schätzungseid, auch Würderungseid oder iuramentum in litem genannt, nur für die Höhe des Schadens¹⁵⁴⁰. Die Existenz des Schadens musste nach der Literatur durch legalen Beweis erbracht worden sein, daraufhin durfte die beweislasttragende Partei unter bestimmten, engen Voraussetzungen den Schätzungseid schwören. Er sei beschränkt auf arbiträre Klagen¹⁵⁴¹, also auf Restitutions-¹⁵⁴² oder Exhibitionsklagen¹⁵⁴³, die nun auf Entschädigung gerichtet seien¹⁵⁴⁴. Bei dem Beklagten lag culpa, contumacia oder dolus vor. Der Richter musste den Schätzungseid der

1538 AHL OAG L I 43 Müller c. Ganslandt & Götze; zu diesem Rechtsstreit vgl. Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 186–190. 1539 Der Schätzungseid tauchte noch in der CPO von 1877 in § 260 auf, dazu Kaufmann, „Schätzungseid“, in: HRG IV, Sp.1363. 1540 Ausdrücklich auf Höhe beschränkt, Existenz des Schadens musste bereits feststehen, Wetzell, System, § 28 Fn 9, S. 293, 294. 1541 Die der Selbstschätzung unterlagen. 1542 Klagen, die auf Zurücksetzung eines abgeschlossenen Verfahrensabschnitts gerichtet sind. 1543 Klagen, die auf Herausgabe bzw. Zurückgabe einer Sache gerichtet sind. 1544 Savigny, System V, § 222, S. 129, im Einzelnen strittig, siehe Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. 414.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Partei zunächst zulassen¹⁵⁴⁵. Dann durfte der Kläger die Höhe der Sache benennen und beschwören. Ob der Kläger die Höhe frei beziffern durfte oder durch das Ermessen des Richters auf den objektiven Wert beschränkt werden konnte, diskutierten die Wissenschaftler heftig und konträr¹⁵⁴⁶. Wilhelm Endemann wies darauf hin, dass Doktrin und Praxis darüber hinaus einen Quantitätseid geschaffen hätten¹⁵⁴⁷. Diesen Quantitätseid lege der Richter einer Partei auf, die so den schwierigen Beweis einer Quantität führen könne. Hier wurde also der Schätzungseid über Schadensersatzklagen hinaus ausgedehnt¹⁵⁴⁸. Strippelmann berichtete in seinem mehrere Bände umfassenden Standardwerk „Der Gerichts-Eid“ von der Spruchpraxis des OAG Kassel, das entgegen einigen Vorschlägen aus der Literatur den Schätzungseid in verschiedener Hinsicht ausgeweitet habe¹⁵⁴⁹. Auf die Bescheinigung wies die Literatur in diesem Zusammenhang nicht hin. Neben der Bescheinigung wandte das OAG ebenfalls den Schätzungseid an. In einer Entscheidung¹⁵⁵⁰ von 1865, in der es um die Rückerstattung einer bereits gezahlten Brandversicherungssumme wegen der Nichtangabe geretteter Gegenstände ging, führten die Richter eine Digestenstelle (l. 7 pr. D. de administratione¹⁵⁵¹) an, mit der die Entscheidung, dass der Beweis als geführt anzusehen sei, in Übereinstimmung stehe. Damit unterschied sich die literarische Behandlung der Schadensschätzungsfälle von der praktischen. Während die Literatur weiterhin allein an dem Schätzungseid festhielt, dehnten die Oberappellationsgerichte die Bescheinigung auf diese Fallgruppen aus. Damit wählten die Gerichte den Weg, der dem Richter das größte Ermessen einräumte, also eine punktuelle freie Beweiswürdigung. Die Literatur hingegen hielt an dem gemeinrechtlichen Institut des Schätzungseides fest, das der Partei es freistellte, den Schaden zu beeiden. Die Praxis hatte sich somit selbstbewusst von der Literatur gelöst, indem sie dem nicht kontrollierbaren Eid die Bescheinigung vorzog, die nachprüfbar war, dafür aber im freien Ermessen des Richters stand.

1545 Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. 414. 1546 Dazu Glück, Pandekten XII, S. 429, 430: Affektionsinteresse mitumfasst; Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. 446–449: Beschränkt auf objektiven Wert. 1547 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 205, S. 817. 1548 Wetzell, System, § 28, S. 294, lehnte diese Ausweitung ab. 1549 Strippelmann, Gerichts-Eid III, S. 421–423; S. 426–428; S. 430–431. 1550 Kierulff, Bd. 1, No 68, Riunione Adriatica di Sicurtà c. Walte (1865), S. 878, 884. 1551 D. 26, 7, 7, pr.: „(...) Wenn daher jemand arglistig kein Inventar errichtet, ist die Rechtslage die, daß er dem Mündel auf das Interesse haftet, das durch Schätzungseid veranschlagt wird (...)“, Übersetzung aus: Knütel/Kupisch/Sailer/Behrends, CIC IV, S. 388: „(…) si quis igitur dolo inventarium non fecerit, in ea condicione est, ut teneatur in id quod pupilli interest, quod ex iureiurando in litem aestimatur (...)“.

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(3)

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Zusammenfassung

Die Bescheinigung begegnet dem Leser der OAG Rechtsprechung nur in begrenzten Fallgruppen. Sie unterwanderte nicht den strengen Beweis, aber sie war auch nicht nur auf den summarischen Prozess beschränkt. Auf sie griffen die Richter immer zurück, wenn die Appellationssumme bestimmt werden musste. Daneben weiteten die Richter die Bescheinigung auf die Schadensschätzung aus. Diese Ausdehnung erfolgte unabhängig von der Literatur, die ihrerseits allein auf den Schätzungseid abstellte. Im Gegensatz zur Bescheinigung war der Schätzungseid nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Außerdem leistete die Partei den Eid. Ob eine Tatsache bescheinigt war, legte hingegen der Richter fest. Die selbständige Ausweitung durch die Rechtsprechung, die immerhin den Beweismaßstab vollkommen änderte, erfolgte, ohne dass die Richter auf irgendwelche Rechtsquellen abstellten. Stattdessen bezogen sich die Richter ausschließlich auf die Natur der Sache, die sie in vertraglichen Vereinbarungen bestätigt fanden. Zwar etablierte die Rechtsprechung die Bescheinigung nur in überschaubaren Fallgruppen. Dafür benutzten die Richter die Bescheinigung hier um so entschiedener, um zu einem interessengerechten Ergebnis zu gelangen. Die Bescheinigung stellte damit für den Richter eine Möglichkeit dar, den strengen Beweis zu vermeiden und eine punktuell freie richterliche Beweiswürdigung einzuführen.

d) Zusammenfassung zum Beweis Insgesamt ndet sich die gesetzliche Beweistheorie, wie sie sich im 19. Jahrhundert darstellte, in der Rechtsprechung des OAG bestätigt. Die juristische Überzeugung des Richters war maßgebend, meist folgte das Ergebnis der Beweisführung wie zwangsläu g. Anders als bei der freien richterlichen Beweisführung fand der Richter nicht das Ergebnis aus der Zusammenschau aller Umstände, sondern war durch bestimmte Beweismittel gebunden. Die Ausführungen zur Glaubwürdigkeit der Zeugen oder zur Eidesfähigkeit zeigen aber, dass der Richter bereits während der Beweisführung Ein uss nehmen konnte. Die Auferlegung der notwendigen Eide stand wiederum im Ermessen des Richters. Ließ der Richter eine Bescheinigung ausreichen, musste überhaupt kein strenger Beweis erbracht werden, sondern der Richter konnte die Umstände frei würdigen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Indizien. Ein Beweis konnte vollständig durch Indizien erbracht werden. Es reichte dafür, dass der Beweisführer die Umstände höchst wahrscheinlich gemacht hatte. Allerdings stellten sowohl die Bescheinigung als auch die Indizien Ausnahmen dar. In den weit überwiegenden Fällen reduzierten die OAG-Richter weder den Beweismaßstab noch die Art der Beweisführung. Die Ausnahmen dien-

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ten dazu, besondere Härten abzuwenden. Dabei argumentierten die Richter aber nicht mit allgemeinen Gedanken der Billigkeit, sondern wandten Modi zierungen des Beweissystems an.

5.

Ausgestaltung der Appellation a)

Reformatio in peius

Eine reformatio in peius, eine Abänderung der vorigen Entscheidung zulasten des Beschwerdeführers, war in der Appellationsinstanz nicht erlaubt. So wurde der Antrag, den Beweissatz enger zu fassen, als reformatio in peius abgelehnt¹⁵⁵². Allerdings stellte es eine zulässige Abänderung des vorigen Urteils und keine reformatio in peius dar, wenn „die eigene Erklärung des Appellanten ergiebt, daß eine demselben in dem vorigen Urtheile gestattete Befugniß auf die dermalige Lage der Sache keine Anwendung ndet“¹⁵⁵³. In dem vorigen Urteil war dem Appellanten zugestanden worden, den Beweis mittels einer Verklarung zu erbringen, aber nur unter der Bedingung, dass er die Verklarung durch Vorlegung des Journals bestärken konnte. Dies war dem Appellanten aber unmöglich. Das neue Urteil, das nun einen Beweis durch andere Beweismittel vorsah, sei nicht nachteiliger für den Beschwerdeführer als das jetzige meinte deswegen das OAG.

b)

Besonderes Problem der Appellation: Befugnis zu neuem Vorbringen

Eines der größten Nachteile des gemeinen Prozesses soll die Langwierigkeit der Verfahren gewesen sein. In Lübeck standen der Partei drei Instanzen zur Verfügung, es sollte aber nicht jedes Mal der komplette Rechtsstreit neu aufgerollt werden. Die partikulare Gesetzgebung nutzte vielfältige Möglichkeiten, den Rechtsstreit nicht ausufern zu lassen. In manchen Territorien war die Berufung verboten, wenn bereits zwei gleichlautende Entscheidungen ergangen waren. Diese Beschränkung sah z.B. das hamburgische Recht vor. Die Appellation konnte auch dadurch beschränkt werden, dass der Appellant Kosten für verspätetes Vorbringen ohne Rücksicht auf den Sieg in der Hauptsache tragen, oder gar Geld- und Gefängnisstrafen für leichtfertiges Appellieren auf sich nehmen musste. Die angedrohten Kosten dienten als Abschreckungsmittel. Teilweise sahen die Prozessgesetze eine mögliche reformatio in peius vor¹⁵⁵⁴. Eine andere Möglichkeit offerierte

1552 AHL OAG L I 638 Harder c. Timm (1874) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 4. 1553 Bruhn, Sl. 1, No LXXVIII, Schirmhoff c. Asseuranz-Compagnien (1829), S. 281, 293. 1554 Aufzählung vgl. Hahn, Neues Vorbringen, S. 76.

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das gemeine Recht. Neues Vorbringen sollte nach gemeinem Recht nur sehr beschränkt zulässig sein. In der höheren Instanz sollte die Partei keine neuen Einwände vorbringen dürfen. Sie war gehalten, komplette Tatsachen, Einreden oder Beweismittel sofort in der ersten Instanz einzubringen. Die höheren Instanzen sollten nur noch die Entscheidung überprüfen, ohne sich mit neuen Ausführungen aufhalten zu müssen. Die Befugnis zu neuem Vorbringen zeugt von der Bedeutung, die man der höheren Instanz zuwies. Handelte es sich nur um eine reine Überprüfung des vorigen Prozesses oder stand die materielle Gerechtigkeit im Vordergrund, so dass den Parteien das Vorbringen von neuen Tatsachen gestattet war? Wie wurde dabei der Prozessverschleppung vorgebeugt, um den erforderlichen Rechtsfrieden herzustellen? In diesem Spannungsverhältnis ist die Frage nach den nova, dem neuen Vorbringen, zu sehen. Schwartz hat die partikularen Prozessgesetze im Gegensatz zum römischen Recht dargestellt¹⁵⁵⁵. Nach ihm ging die deutschrechtliche Tradition von einer Beschränkung neuen Vorbringens aus. Das römische Recht hingegen habe unbeschränkt neues Vorbringen in der Appellationsinstanz zugelassen, dadurch habe in der Appellationsinstanz ein komplett neuer Rechtsstreit statt nden können. Mit dem Novenrecht und den unterschiedlichen Möglichkeiten, Appellationen zu beschränken, befasst sich eine Dissertation aus den 1930er Jahren. Hahn, der Verfasser, systematisiert die Prozessgesetze des 19. Jahrhunderts der verschiedenen deutschsprachigen Länder. Er ordnet die partikularen Prozessgesetze zum Novenrecht in vier Gruppen ein. Solche, die das „deutsche Rechtsdenken“ bewahrten und neues Vorbringen stark beschränkten, solche, die das französische Recht aufnahmen, dabei waren die Anträge der Appellationsinstanz auf solche des ersten Verfahrens begrenzt, solche, die zu Gunsten der Anwendbarkeit des römischen Rechts neues Vorbringen ohne Einschränkung zuließen, und schließlich solche, die weitgehend das gemeine Recht übernommen und modi ziert haben¹⁵⁵⁶. Er rechnet die lübeckische Prozessordnung und damit auch die OAGO der letzten Gruppe zu, die der Berufung nur einzelne Beschränkungen auferlegte. Ob diese Einschätzung zutrifft und die OAGO weitgehend mit dem gemeinen Recht übereinstimmte, soll anhand der OAGO und der gemeinrechtlichen Lehre untersucht werden. Zur Prozesspraxis äußert sich sehr knapp anhand weniger Sätze GiebelsDeinert¹⁵⁵⁷. Danach soll die Tendenz der Rechtsprechung zu einem großzügigen

1555 Schwartz, Zivilprozeß, S. 425, 426. 1556 Hahn, Neues Vorbringen, S. 31. 1557 Giebels-Deinert, Anwaltshaftung, S. 210.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Novenrecht geführt haben. Allein solche Angriffs- und Verteidigungsmittel sollen ausgeschlossen gewesen sein, die die Partei durch ein Kontumazialurteil, also ein Versäumnisurteil, verloren hatte oder die einen neuen Klaggrund einführten. Ob diese Bewertung auch für das OAG Lübeck zutrifft, werden die entschiedenen Fälle zum Novenrecht zeigen.

aa)

OAGO

Die OAGO regelte in §§ 130–132 die Befugnis zu neuem Vorbringen. Neue Tatumstände und darauf gegründete Einreden sowie neue Beweismittel sollten vor dem OAG nur insoweit zulässig sein, als sie neu entstanden oder neu aufgefunden worden waren. Dies musste die Partei bescheinigen oder, sofern der Richter dies zuließ, beeidigen. Das OAG prüfte lediglich die Zulässigkeit und Erheblichkeit des neuen Vorbringens und verwies, sofern es beide Punkte bejahte, zur weiteren „Instruction und abermaligen Entscheidung“ zurück an die erste Instanz. Dass diese Regelung große praktische Bedeutung hatte, verdeutlicht ein Nachtrag zu der OAGO von 1837. Darin wurde klargestellt, dass das OAG bei Unzulässigkeit oder Unerheblichkeit, die Appellation sofort endgültig verwerfen durfte¹⁵⁵⁸. Diese Regelung ist wortgleich in der lübeckischen Civilproceßordnung von 1862, also rund 30 Jahre später, in §§ 116–118 übernommen worden. Die OAGO unterschied zwar zwischen Tatumständen, Einreden und neuen Beweismitteln, unterwarf aber alle dem gleichen Vorgehen, ließ also alle drei Varianten unter Einschränkungen zu.

bb) Gemeinrechtliche Literatur Diese lübeckische Regelung wies Parallelen zum gemeinem Recht auf, an dem es sich orientierte. Das gemeine Recht ließ neues Vorbringen nur sehr beschränkt zu, gesichert durch den Eid, der durch den JRA §§ 73, 118 eingeführt worden war¹⁵⁵⁹. Die Rechtslehre unterschied zwischen bene cium nondum deducta deducendi, also den rechtlichen Ausführungen zu bereits vorliegendem Material, dem bene cium nondum asserta asserendi und dem bene cium nondum probata probandi, also den Behauptungen und der neuen Beweisführung¹⁵⁶⁰. Diese Differenzie-

1558 § 132 in Bekanntmachung vom 11. Oktober 1837, betreffend Abänderung einiger Paragraphen der unter dem 13. August 1831 erlassenen Gerichtsordnung für das gemeinschaftliche OAG. 1559 Wetzell, System, § 56 Fn 79, S. 755. 1560 Vgl. Bluhme, System, § 698, S. 565.

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rung lässt sich auch der OAGO entnehmen, die Tatsachen, Einreden und Beweismittel gesondert nannte. Ob und inwieweit das bene cium, also die Rechtswohltat, die einzelnen neuen Vorträge erfasste, war strittig. Rechtliche Ausführungen aufgrund bereits vorher beigebrachter Tatsachen waren nach allgemeiner Ansicht zulässig. Bezüglich des bene cium nondum probata probandi, der Beweismittel, gingen die Auffassungen in der gemeinrechtlichen Literatur auseinander. Während Grolmann¹⁵⁶¹ weder den Vortrag neuer Tatumstände noch darauf gründbare neuen Klagen oder Einreden zuließ und auch neue Beweise für zulässig erachtete, bejahte Gönner¹⁵⁶² die Zulässigkeit. Grolmann stützte seine Ansicht darauf, dass die Präklusivkraft des Beweistermins aufrecht gehalten werden und das Recht der ersten Instanz gewahrt werden müsse. Diese Argumentation zeigt, welch bedeutende Stellung das Eventualprinzip für den Prozess einnahm. Die Zweiteilung des erstinstanzlichen Prozesses durch das Beweisinterlokut, welches das Beweisthema vorgab, sollte nicht durch neues Vorbringen unterlaufen werden. Zwar erkannte Gönner der ersten Instanz weitergehende Rechte zu als den weiteren. Aus römischen, kanonischen und den Reichsgesetzen leitete er aber dennoch das Recht her, in der Appellationsschrift neue Tatumstände und Beweise einzuführen. Schon die Römer hätten „im dunklen Gefühle einer Billigkeit, welches doch in den unbedingten Sieg des förmlichen Rechts über das wirkliche nicht ganz einstimmen könnte“¹⁵⁶³ erlaubt, neues Vorbringen mit der Appellation zu verbinden. Jedoch dürfe die Appellation nicht ausschließlich auf neues Vorbringen gestützt werden, insofern unterscheide sie sich von der Restitution¹⁵⁶⁴. Weitere Voraussetzung der Zulässigkeit sei ferner, dass die Identität des Streits selbst nicht gestört werden dürfe, dies ergebe sich schon aus der Natur der Sache¹⁵⁶⁵. Gönner vertrat damit eine Auffassung, die die materielle Gerechtigkeit in den Vordergrund rückte. Wetzell ging sogar noch weiter. Er hielt neue Tatsachen, Einreden oder Beweise als einzigen Appellationsgrund für zulässig. Er sah das neue Vorbringen als Restitutionsgesuch, das sich in das Appellationsverfahren einfügte¹⁵⁶⁶.

Grolmann, eorie, § 214, S. 356. Gönner, Handbuch III, S. 240. Gönner, Handbuch III, S. 224. Gönner, Handbuch III, S. 242; dies war in der gemeinrechtlichen Lehre strittig, eine andere Auffassung vertrat Almendingen, Metaphysik, S. 104, 105, siehe dazu ein paar Zeilen weiter unten. 1565 Gönner, Handbuch III, S. 246; zur Natur der Sache: Zweiter Hauptteil A. II. 2. 1566 Wetzell, System, § 56 bei Fn 82, S. 756. 1561 1562 1563 1564

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Linde hingegen wies auf den naheliegenden Missbrauch des bene cium nondum deducta deducendi hin¹⁵⁶⁷. Der Umfang des bene cium novorum und die Kategorisierung als Unterfall der Restitution waren eng verknüpft. Ordnete man das bene cium novorum als Restitutionsgrund ein, stellte sich die Frage nach dem Umfang nicht. Konnte die Partei sich für die Versäumung der Frist durch Bescheinigung oder Eid entschuldigen, war der Restitution stattzugeben. Nur falls man das bene cium novorum als Rechtfertigungsgrund der Appellation betrachtete, war fraglich, in welchem Umfang das neue Vorbringen zulässig sein sollte. So konnte die alleinige Begründung der Appellation durch novum problematisch sein, da damit eingestanden wurde, dass das Urteil als solches, das durch die Appellation überprüft werden sollte, ja den Akten gemäß war¹⁵⁶⁸. Die Appellation sollte aber gerade dazu dienen, die Tätigkeit der vorigen Instanz zu überprüfen; diese hatte aber auf der bereits vorhandenen Tatsachengrundlage richtig entschieden. Die Ansicht, die die Befugnis zu neuem Vorbringen nicht als Restitutionsgesuch begriff, argumentierte in erster Linie historisch. Das gemeine Prozessrecht kenne die Restitution nicht als eigenes Rechtsmittel, sondern als Klage¹⁵⁶⁹, außerdem sei die Befugnis zu neuem Vorbringen im Rahmen der Appellation geregelt worden¹⁵⁷⁰. Zudem müsse sich der Appellant wehren können, um zu verhindern, dass materielles Unrecht in rechtskräftiges, formelles Recht erwachse¹⁵⁷¹. Daher müsse neues Vorbringen im Rahmen des ordentlichen Rechtsmittels der Appellation geltend gemacht werden können. Die Vertreter der Gegenauffassung¹⁵⁷² sahen in dem bene cium novorum keine erneute Ausnahme vom Eventualprinzip, sondern eine Fristversäumung der Partei, der nur mit der Restitution abgeholfen werden könne. Dies habe zur Folge, dass kein Devolutiveffekt eintrete, also der Richter der ersten Instanz entscheide. Allerdings könne das Restitutionsgesuch mit der Appellation verknüpft werden. Und auch gegen rechtskräftige Entscheidungen könne mit dem bene cium novorum angegangen werden. Die gemeinrechtliche Literatur war also hinsichtlich Rechtsnatur und Umfang des Novenrechts gespalten. Es zeichnete sich aber eine Tendenz zugunsten der

1567 Linde, Lehrbuch, § 405, S. 507. 1568 Martin, Vorlesungen, Bd. 2, § 292, S. 404. 1569 Martin, Vorlesungen, Bd. 2, § 292, S. 401; zur Restitution im Alten Reich Sellert, FS Werkmüller, S. 368–383. 1570 Linde, ZCP IV (1831), S. 460, 479. 1571 Almendingen, Metaphysik, S. 110. 1572 Gönner, Handbuch III, No 60, § 13–16; Grolmann, eorie, § 214, S. 356; Wetzell, System, § 56 bei Fn 82, S. 756.

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Zulässigkeit des neuen Vorbringens im Rahmen einer Appellation ab. Während Grolmann noch skeptisch für eine Unzulässigkeit eintrat, Linde vor Missbrauch warnte, wollte Wetzell als jüngerer Vertreter der gemeinrechtlichen Lehre das neue Vorbringen im vollem Umfang zulassen. Dass das Vorbringen tatsächlich neu war, sollte gem. § 73 JRA ein Eid der Partei beweisen. Die OAGO wies etliche Gemeinsamkeiten mit dem gemeinen Recht auf. Sie unterschied ebenfalls zwischen Tatsachen, Einreden und Beweismitteln, unterwarf alle drei Varianten jedoch demselben Vorgehen. Die OAGO wich auch in einzelnen Punkten vom gemeinen Recht ab. So verwies sie den Rechtsstreit an die untere Instanz zurück, was dem gemeinen Recht fremd war. Neues Vorbringen war zwar grundsätzlich möglich, jedoch sollte Vorsorge getroffen werden, dass keine weitere Tatsacheninstanz stattfand. Dadurch, dass der Richter, falls er das neue Vorbringen zuließ, zurück verwies, war die Zuständigkeit des Richters erster Instanz und die des OAG-Richters strikt abgegrenzt. Wilhelm Endemann klassi zierte die lübeckische CPO von 1862 und damit die gleichlautende OAGO als dem neuen Vorbringen nicht günstig gesinnt im Gegensatz zu den meisten anderen partikularen Prozessordnungen. Er stützte sich darauf, dass die anderen partikularen Regelungen entsprechend dem gemeinen Recht keine Bescheinigung darüber forderten, dass das Vorbringen neu sei. Der Eid sollte ausreichen¹⁵⁷³. Im Gegensatz zu Endemann betont Hahn nicht den restriktiven Charakter, sondern die Gemeinsamkeiten mit dem gemeinen Recht. Angesichts der verschiedenen Möglichkeiten, die Appellation zu beschränken, mutet das Novenrecht der OAGO dem gemeinen Recht eng entlehnt an, allerdings mit der Einschränkung, dass es im Regelfall eine Bescheinigung statt eines Eides forderte.

cc) Rechtsprechung zum neuen Vorbringen Mit der Befugnis, neues Vorbringen zuzulassen, beschäftigte sich das OAG häu g. In den überwiegenden Fällen überprüfte es, ob das OG zu Recht neue Beweismittel abgelehnt hatte. Die Problematik hatte also eine nicht zu unterschätzende praktische Relevanz. Zeugen, die der Beweisführer zunächst gemieden hatte oder die erst später aufgetaucht waren, sollten nun noch vernommen werden. Verspä-

1573 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 235 in Fn 33, S. 917.

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tete Zeugen unterwarf das OAG einer besonders strengen Beurteilung. Insoweit bestanden spezielle gemeinrechtliche Regelungen¹⁵⁷⁴. Aber auch andere Beweismittel versuchten Parteien noch in zweiter Instanz beizubringen. Mit einem Rechtsstreit hatte sich das OAG dazu fünfmal auseinander zu setzen¹⁵⁷⁵. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde. Die Reederei des Schiffes „Dora“ hatte ihre Auftraggeber auf Schadensersatz verklagt, der ihr daraus entstanden war, dass sie Güter von Lübeck nach Reval verschifft hatte. Es war verboten gewesen, die Güter einzuführen; die Güter sowie das Schiff wurden kon sziert. Der Schiffer starb im russischen Arrest¹⁵⁷⁶. Die Kläger wandten sich nun gegen ein Urteil des Obergerichts, das ihnen untersagte, nachträglich ein Attest des Departements des auswärtigen Handels zu St. Petersburg vorzulegen, da das Attest nicht innerhalb der Rechtfertigungsfrist beigebracht worden sei. Man stritt unter anderem darum, ob der Partei zusätzliche Zeit zu geben sei, eine Urkunde aus St. Petersburg einschiffen zu lassen. Das novum hatte das vorige Gericht nämlich für zulässig erachtet. Der Beweisführer hatte aber die ihm eingeräumte Frist erneut versäumt. Das OAG abstrahierte das entscheidende Rechtsproblem. Fraglich sei, in welchem Zeitpunkt des Prozesses das novum beizubringen sei. Zwar dürften grundsätzlich neue Beweise nur innerhalb der Rechtfertigungsfrist vorgelegt werden nach §§ 27, 30 der lübeckischen Verordnung zum Gerichtswesen vom 4. Mai 1814. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe aber dann, wenn der Appellant ohne sein Verschulden nicht im Stande war, das novum rechtzeitig vorzubringen. In diesem Falle bedürfe es keiner Restitution gegen den Ablauf der Rechtfertigungsfrist, sondern nur einer Darlegung, dass unverschuldet erst jetzt der Beweis beigebracht werden könne. Dies sei dem kanonischen Recht¹⁵⁷⁷ und § 78 JRA¹⁵⁷⁸ zu entnehmen, für Lübeck außerdem dem Gemeinen Bescheid vom

1574 Zu dieser besonderen Fallgruppe in der Rechtsprechung zu neuem Vorbringen: Zweiter Hauptteil B. III. 2. d). 1575 AHL OAG L I 122 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck, Hornemann, Leuenroth (1830) = Bruhn, Sl. 1, No XXVI (32 B), S. 124–130 (A–D ebenfalls abgedruckt, S. 110–135); nicht abgedruckt der letzte Rechtsstreit zwischen den Parteien AHL OAG L I 202 (1835), der durch Vergleich beendet wurde. 1576 Ausführlicher zum Sachverhalt: Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 194. 1577 X 2, 25, 4. 1578 Abgedruckt in Laufs, JRA, S. 42.

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6. Februar 1756¹⁵⁷⁹. Hier benutzte das OAG das gemeine Recht und den lübeckischen Gemeinen Bescheid, um die enge Zeitvorgabe für nova der lübeckischen Verordnung zu modi zieren. Das Verschulden des Appellanten konnten die Richter so als zusätzlichen Maßstab für Ausnahmen heranziehen. Mit der kurzen Randbemerkung, dass es hier keiner Restitution bedürfe, stellen sich die Richter hinter die Ansicht, die das bene cium novorum als Rechtfertigungsgrund der Appellation einordnete¹⁵⁸⁰ und nicht als Unterfall der Restitution¹⁵⁸¹. Dies hatten sie bereits in einem Urteil von 1828 gemeint¹⁵⁸². Darin hatten sie ausgeführt, dass zwar von Gönner vertreten werde, dass nova nur im Rahmen einer Restitution beizubringen seien, dem aber stünden die Gesetze entgegen¹⁵⁸³. Außerdem hätten andere Prozessualisten wie von Almendingen¹⁵⁸⁴ dies nicht übernommen, und auch die Praxis des OAG gehe davon aus, dass nova einen Rechtfertigungsgrund für eine Appellation darstellten. Zwar bemerkte Endemann 1868 in seinem „Zivilprozessrecht“, dass die neuere gemeinrechtliche Praxis nur noch die Restitution kenne und nur die gemeine eorie noch ein neben der Restitution bestehendes bene cium novorum aufrecht erhalte¹⁵⁸⁵, insoweit folgte das OAG 1829 jedoch der eorie, die der gemeinen Lehre zugeschrieben wurde. Nachdem das OAG modi zierte Bedingungen für die zeitliche Zulässigkeit aufgestellt hatte, kam es darauf zu sprechen, wie der Appellant darzulegen habe, ob das Beweismittel tatsächlich nicht früher habe beigebracht werden können. Das gemeine Recht wie auch der Gemeine Bescheid stellten für die Kenntnis des Beweismittels auf den Eid der Partei ab. Diese Gesetzesstellen hätten vorliegenden Fall aber gar nicht im Sinn. Ein Eid sei im konkreten Fall nicht möglich, weil hier die eigene Sorgfalt in Frage stehe, den Beweis nicht schon früher beibringen zu können. Die Gesetzesstellen gingen hingegen von einer späteren Kenntnis, dass überhaupt ein solcher Beweis möglich sei, aus und eben nicht von der eigenen

1579 Der gemeine Bescheid ist nicht genauer spezi ziert; wahrscheinlich Gemeiner Bescheid wegen (...) Aufhebung eines in Ansehung der productionis testium eingeschlichenen Mißbrauchs, in: Gemeine Bescheide, S. 65, 66: Darin soll Art. V, 7, 1 des lübeckischen Stadtrechts so angewandt werden, dass „nach Anweisung jetzt gedachten articuli der producent die Zeugen alle auf einmahl nahmhaft machen solle, dergestalt, daß diejenige, welche er ex post produciren würde, nicht anders zugelassen werden sollen, es habe denn der Producent mittels Eydes erhalten, daß er vorhero von solchen Zeugen keine Wissenschaft gehabt habe“. 1580 Gönner, Handbuch III, S. 242; Linde, ZCP IV (1831), S. 460, 479. 1581 Grolman, eorie, § 214; Wetzell, System, § 53 in Fn 47, S. 684; zur gemeinrechtlichen restitutio in integrum Sellert, FS Werkmüller, S. 368–383. 1582 AHL OAG L I 99 Älteste der Gewandschneider-Companie c. Janicke (1828) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 3, 4. 1583 Sie zitierten Gönner, Handbuch III, No 60 § 13–16 und Nov. 2, 22, 10. 1584 Almendingen, Metaphysik Bd. I, No 7, S. 101–154. 1585 Endemann, Zivilprozeßrecht, § 235, S. 917.

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Sorgfalt. Stattdessen sei ein positiver Beweis zu erbringen, der leicht möglich sei. Ein Eid würde hingegen „dem Urtheile der Parthei zuviel überlassen“¹⁵⁸⁶. Die Richter übernahmen damit nicht den Beweismaßstab der zuvor zitierten Gesetzesstellen. Sie differenzierten stattdessen, dass die Eidesleistung sich nur darauf beziehen konnte, dass die Partei keine Kenntnis von dem Beweismittel gehabt hatte. Dieser Fall sei hier jedoch nicht gegeben. Denn vorliegend gehe es um die nötige eigene Sorgfalt, rechtzeitig das Beweismittel zu beschaffen. Dieser Fall sei aber gar nicht geregelt. Dass ein Beweismittel nicht rechtzeitig vorgebracht werden konnte, stellten die Richter also nicht dem geregelten Fall gleich, dass erst später Kenntnis von dem Beweismittel erlangt worden war. Dieser Urteilsauszug veranschaulicht, wie frei die Richter die gesetzlichen Grundlagen anwendeten. Aus der Fülle der in Frage kommenden Rechtsquellen konstruierten sie Regeln und ihre Ausnahmen. Mit dem Argument, dass der konkrete Fall nicht von den Rechtsquellen erfasst werde, konnten sie statt des Eides einen anderen Beweis fordern. Im Ergebnis schufen sie so eine differenzierte Lösung, wann und unter welchen Bedingungen nova verspätet vorgebracht werden konnte. Danach konnten zwar ausnahmsweise nach Ablauf der Rechtfertigungsfrist nova eingebracht werden, falls kein Verschulden des Beweisführers vorlag. Dass die Verspätung unverschuldet war, musste jedoch bewiesen werden, wobei ein Eid nicht genügte. Dieses Ergebnis entwickelten die Richter für den Leser der Urteilsgründe auf transparente Weise. Die entsprechenden Rechtsquellen nannten sie und legten dar, warum sie nicht einschlägig waren. Die abstrahierte Ausgangsfrage hatten die Richter nun generell beantwortet, bevor sie anschließend unter den konkreten Einzelfall subsumierten. Hier musste das Attest in St. Petersburg ausgefertigt werden und sei dementsprechend schwer in einer eng begrenzten Frist zu beschaffen gewesen. Ob kein Verschulden vorlag, beurteilten sie jedoch nicht abschließend, es fehle an tatsächlichen Anhaltspunkten. Immerhin sei das Wissen von der Urkunde dann nicht schädlich, wenn sie ohne Verschulden nicht in der Frist zu beschaffen sei. Anders laute zwar der lübische Bescheid. Dieser beziehe sich aber auf Zeugen und nicht auf Urkunden. Bei Zeugen reichte die reine Nennung der Personen zur Wahrung der Frist, die Urkunden müssten im Gegensatz dazu vorgelegt werden¹⁵⁸⁷. Der Gemeine Bescheid regelte nach ihren Ausführungen ausschließlich, wie mit verspäteten Zeugen zu verfahren sei. Dennoch hatten die Richter zuvor den Bescheid so ausgelegt, dass

1586 AHL OAG L I 122 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck, Hornemann, Leuenroth (1830) Q 24 Entscheidungsgründe p. 5. 1587 AHL OAG L I 122 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck, Hornemann, Leuenroth (1830) Q 24 Entscheidungsgründe, p. 5, 10.

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das Verschulden berücksichtigt werden musste. Sie hatten dem Gemeinen Bescheid damit einen allgemeinen Rechtsgedanken für verspätetes Vorbringen entnommen, wendeten ihn jedoch nicht direkt auf Urkunden an. Sie schöpften aus den vorhandenen Rechtsquellen ein differenziertes System. Indem die Richter die Gesetze interpretierten und vom konkreten Fall abstrahierten, legten sie hier Gesetzeslücken offen. Die konkret formulierten Fallregelungen des römischen Rechts und des Gemeinen Bescheides beantworteten häu g die zu entscheidenden Fragen nicht. Hier half das OAG, die Lücken durch Abstraktionen zu schließen. In dem Urteil setzten sich die Richter weiter damit auseinander, welche Konsequenzen es habe, dass der Kläger keinen Eid offeriert hatte. Dass der Appellant nicht angeboten habe, einen Eid zu leisten, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen. Dies ergebe sich aus § 79 JRA. § 118 JRA, der eine Sanktion vorsah, beziehe sich nicht auf das unterlassene Anbieten, sondern auf die tatsächliche Nichtableistung. Die Entscheidung des OAG lautete darauf, dass die Kläger innerhalb einer Frist, die das OG zu bestimmen habe, die Bescheinigung erbringen müsse, dass sie den „gebührenden Fleiß “ aufgewandt hätten, innerhalb der Frist, das Attest zu beschaffen. In diesem Urteil nahmen die Richter auf die Digesten und den JRA Bezug, auf einen lübeckischen Gemeinen Bescheid, sowie auf eine lübeckische Verordnung. Keine dieser angesprochenen Normen regelte jedoch den Fall, zu welchem Zeitpunkt Urkunden noch nachgereicht werden konnten. Diese Lücke schlossen die Richter, indem sie aus den Quellen verschiedene Rechtsgedanken entnahmen und, die Besonderheit von Urkunden berücksichtigend, auf den konkreten Fall übertrugen. Drei Jahre später erging zwischen den Parteien erneut ein Erkenntnis des OAG. Dieses Urteil beschäftigte sich damit, ob die Bescheinigung, dass die Partei ohne Verschulden das Attest nicht rechtzeitig beibringen konnte, erbracht worden sei. Das Urteil betraf also nur einen „Incidentpunct“¹⁵⁸⁸ des Streits, nämlich, ob für die auferlegte Bescheinigung nova noch zuzulassen seien. Im Gegensatz zu einem vollen Beweis war die Bescheinigung ein bloßer Wahrscheinlichkeitsbeweis, der genügte, falls die irrtümliche Annahme der Wahrheit für den Gegner keinen de nitiven oder sachlichen Nachteil bedeutete¹⁵⁸⁹. Auf diesen Unterschied wiesen auch die Appellanten, wieder die Reederei des Schiffes „Dora“, in ihrer

1588 AHL OAG L I 161 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck (1832) Relation von du Roi, erhalten am 10. November 1831, abgegeben am 6. März 1832. 1589 Wetzell, System, § 21 Fn 7, S. 195, darauf wies insbesondere der Sachführer des Appellanten hin: AHL OAG L I 161 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck (1832) Q 1 Appellations-Rechtfertigung, S. 6 mit Verweis auf Martin, Lehrbuch, § 228, S. 371.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Appellationsschrift hin: Beweis und Bescheinigung verfolgten zwar den gleichen Zweck, nämlich die Überzeugung des Richters. Der Grad der juristischen Überzeugung des Richters sei jedoch verschieden. Während der Beweis in gesetzlich vorgeschriebener Form und Stärke nach der gesetzlichen Beweistheorie erhoben werden müsse, um die volle Überzeugung des Richters zu bewirken, genüge für die Bescheinigung, solange sich noch keine Praxis herausgebildet habe, ein geringerer Grad von Wahrscheinlichkeit, der dem vernünftigen Ermessen des Richters überlassen sei¹⁵⁹⁰. Der Appellat ging auf die Unterscheidung in der Vernehmlassung nicht ein. Vielmehr wies er darauf hin, dass der Beweis nicht erbracht sei. Der Kläger habe sich nicht genügend Mühe gemacht, das Attest vorzulegen. Das OAG wiederum hielt die sprachliche Unterscheidung von Beweis und Bescheinigung aufrecht, ohne dazu jedoch Ausführungen zu machen. Sie bestätigten das Urteil des OG, dass diese Bescheinigung nicht erbracht sei. Dazu nahmen die Richter auf das Zeugnis eines Zeugen aus St. Petersburg Bezug, der bestätigen sollte, dass die Kläger alles Erforderliche getan hätten, um das Attest rechtzeitig innerhalb der Rechtfertigungsfrist zu beschaffen. Dieses Zeugnis sei aber „formell ohne Wert, indem dieser Zeuge theils nicht beeidigt, theils bey der Sache in Rathen und aten gewesen ist, Lübisches Statut V, 7, Art 15“¹⁵⁹¹. Mit dieser für die Kläger negativen Entscheidung gaben sie sich nicht geschlagen. Nach erneuter Verhandlung vor dem OG gelangten die Parteien 1833, ein Jahr darauf, wieder vor das OAG. Nun beriefen sich die Kläger auf § 130 OAGO, der auch für das OG verbindende Kraft habe. Dieser spreche von keiner Einschränkung des neuen Vorbringens innerhalb der Rechtfertigungsfrist, sondern lasse Beweismittel auch nach der Zeit, wo sie hätten beigebracht werden müssen, zu¹⁵⁹². Das OAG führte daraufhin in seinen Entscheidungsgründen aus, dass § 130 OAG „nichts anderes als das gewöhnliche bene cium novorum in der Appellationsinstanz“ war, „wobei nur theils gewisse Controversen des gemeinen Rechts entschieden worden sind, theils das letztere in einzelnen Punkten abgeändert ist, wie sich diese aus dem ganzen Inhalte der §§ 130 bis § 132 und auch aus dem Umstand ergiebt, daß der Abschnitt XXII eine bloße Unterabtheilung der Hauptabtheilung litt b „Verfahren bei Appellation“ bildet“¹⁵⁹³ und damit das neue Vorbringen an die Voraussetzung

1590 AHL OAG L I 161 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck (1832) Q 1 Appellations-Rechtfertigung, S. 5, 6. 1591 AHL OAG L I 161 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck (1832) Q 13 Entscheidungsgründe p. 2. 1592 AHL OAG L I 181 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck (1833) Q 1 Gravamina appellat., S. 9. 1593 AHL OAG L I 181 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck (1833) Q 10 Entscheidungsgründe, p. 6.

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des bene cium novorum gebunden sei. Dieser Klarstellung folgte die Abweisung des Antrages der Appellanten aber aus dem Grund, dass sie sich des § 130 OAGO als eigenes Rechtsmittel hätten bedienen wollen, in dieser Norm sei aber nur die Rechtfertigung für gewisse andere Rechtsmittel zu sehen. Da die Appellation jedoch im Hinblick auf das angegriffene Erkenntnis bereits rechtskräftig verworfen sei, habe die Appellation keinen Bestand. Die Begründung dieses Standpunkts, dass die Befugnis zu neuem Vorbringen nicht als eigenes Rechtsmittel ausgestaltet sei, entnahmen die Richter fast vollständig der vorangegangenen Relation¹⁵⁹⁴. Aus der systematischen Stellung der §§ 130 ff. OAGO lasse sich entnehmen, dass sie Unterpunkt der Appellation sei, die in diesem Abschnitt geregelt sei. Mit diesen Ausführungen, die der Relation entstammen, wiesen die Richter den Antrag ab. Diese Entscheidung verdeutlicht die praktische Relevanz der unterschiedlichen Auffassungen, ob das bene cium novorum als Restitutionsgrund anzusehen war oder lediglich als Begründung einer Appellation. Dieser wissenschaftlich anmutende Streit entfaltete hier erhebliche praktische Unterschiede. Eine Restitution wäre gegen ein rechtskräftiges Urteil statthaft gewesen, der Restitutionsgrund bestünde in der unterlassenen Darbietung des Beweismittels, wobei das Nichtwissen ebenfalls nach § 78 JRA beeidigt werden musste¹⁵⁹⁵. Danach wäre dem Antrag des Appellanten stattzugeben gewesen. Als Rechtfertigung der Appellation war die Anfechtung eines rechtskräftigen Urteils hingegen erfolglos. Auch konnte das neue Vorbringen nur fristgebunden geltend gemacht werden. Die Richter wählten also die restriktive Variante, neues Vorbringen zuzulassen. Allerdings begründeten sie ihre Auffassung nicht der Literatur entsprechend. Weder wählten sie die Argumentation Lindes, der einmal auf die wesentlichen Unterschiede zwischen Appellation und Restitution aufmerksam machte und darauf hinwies, dass der JRA, auf den unstrittig der Eid für das neue Vorbringen gestützt wurde, nicht die Restitution regeln wollte¹⁵⁹⁶. Noch griffen sie auf die Einwände Martins zurück, der darauf abstellte, dass das gemeine deutsche Recht die Restitution als Rechtsmittel gar nicht kenne¹⁵⁹⁷. Stattdessen argumentierten die Richter des OAG mit der systematischen Stellung der entsprechenden Norm in der OAGO, also der neueren Vorschrift.

1594 Vgl. AHL I 181 Hertel und Reederei des Schiffes „Dora“ c. Wildtfanck (1833) Q 10 Entscheidungsgründe, p. 6 mit Q 8 der Relation (unpaginiert, Bogen nummeriert). 1595 Vgl. Wetzell, System, § 53 Fn 47, S. 684. 1596 Linde, ZCP IV (1831), S. 460, 479. 1597 Martin, Vorlesungen, Bd. 2, § 292, S. 404.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Dieser Rechtsstreit, der sich zwischen den Parteien seit dem ersten niedergerichtlichen Urteil von 1821¹⁵⁹⁸ über mehr als dreizehn Jahre hinzog, beschäftigte wiederholt das OAG. Die lange Dauer der aneinandergereihten Prozesse, die doch nur einen Streit betrafen, sind durch verschiedene Umstände zu erklären. Eine Appellation war zum einen gegen das Beweisinterlokut möglich sowie gegen jegliche Urteile, auch wenn sie nur Randpunkte betrafen. Zum anderen überprüfte das OAG lediglich die Urteile des OG, verwies zur weiteren Verhandlung die Sache an die untere Instanz zurück. Diese daraufhin ergehende Entscheidung war aber erneut appellabel. So beschäftigte sich das OAG mit dem Fall „Dora“ insgesamt fünfmal. Davon betrafen verschiedene Entscheidungen das Novenrecht, zwei Urteile kreisten um eine sehr ähnlichen Rechtsfrage. Unter welchen Bedingungen das bene cium novorum zuzulassen war, beantwortete das OAG zunächst aufgrund der lübeckischen Verordnung von 1814, dem Gemeinen Bescheid, dem JRA und dem römischen Recht. In einer späteren Entscheidung griff es zusätzlich auf die OAGO zurück. Das OAG thematisierte dabei das Verhältnis der OAGO zum gemeinen Recht. Die OAGO maßen die Richter an dem gemeinen Recht, indem sie auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hinwiesen und so die OAGO als Modi zierung des gemeinen Rechts darstellten. Zum gemeinen Recht führte das OAG in einer fast zeitgleichen Entscheidung aus, dass es nach diesem „völlig unstatthaft ist, novas probationes in der höheren Instanz beizubringen“¹⁵⁹⁹. § 132 der OAGO sei hier nicht anzuwenden, da die Urkunde bereits vor Erlass der OAGO beigebracht worden sei. So griffen die Richter hier auf das gemeine Recht zurück. Auch diese Entscheidung zeigt, dass gemeines Recht als Vergleich zu der OAGO herangezogen wurde, soweit die OAGO nicht einschlägig war. Als weiteren Problembereich beschäftigten sich die Richter in den „Dora“Entscheidungen mit dem Unterschied von Beweis und Bescheinigung. Die Bescheinigung räumte dem Richter freies Ermessen ein, der Beweis im Sinne der formellen Beweistheorie hingegen band den Richter in seiner juristischen Überzeugung, falls eine gewisse Anzahl genau bestimmter Beweismittel erbracht war. Die OAGO sprach in § 130 begrifflich von Bescheinigung. Im konkreten Fall, kam es auf diese Unterscheidung jedoch gar nicht mehr an. Die Richter nutzten konkret das Ermessen nicht. Dies ist der früheste ausgewertete Fall, der sich mit der Bescheinigung beschäftigte. Erst 1853 griff das OAG auf die Bescheinigung zurück, um in Schadensersatzfällen den Beweismaßstab lockern zu können¹⁶⁰⁰.

1598 AHL OAG L I 22a; Repertoriumsangabe Lorenzen-Schmidt, Gesamtinventar II, S. 489. 1599 Bruhn, Sl. 1, No LXXXXVI, Procurator Fisci c. Schulz (1832), S. 377, 384. 1600 Dazu AHL OAG L I 354 Pincus c. Feuerversicherungsgesellschaft (1853); oben unter Bescheinigung: Zweiter Hauptteil B. II. 4. c) dd).

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Daneben fällt auf, dass die Richter den Eid hier zurückhaltend zuließen und bestrebt waren, das neue Vorbringen restriktiv zu behandeln und möglichst durch den Richter überprüfbar zu gestalten. In der vorletzten „Dora“-Entscheidung argumentierten die OAG-Richter mit der Rechtskraft der ergangenen Entscheidung. Der abermalige Prozess zwischen den Parteien, in dem die Parteien wiederum erbittert um die Zulässigkeit des neuen Vorbringens stritten, barg die Gefahr, dass eine endgültige Entscheidung noch länger verzögert wurde und der Prozess wieder kein Ende fand. Die Rechtskraft benutzten die Richter als letzten Anker, um neues Vorbringen nicht zuzulassen und damit zu verhindern, dass der Prozess erneut aufgerollt werden musste. Diese restriktive Handhabung, eher zur Bescheinigung als zum Eid zu tendieren, kam allerdings aufgrund der Verhandlungsmaxime nur dann zur Geltung, wenn die Parteien über die Zulässigkeit des neuen Vorbringens stritten. Der Novitätseid müsse dann nicht geleistet werden, wenn die Gegenpartei die Zulässigkeit des Novum nicht beanstandete, meinte das OAG 1867¹⁶⁰¹. Die Erheblichkeit prüften die Richter ex officio. Auch OAG-Rat Bluhme wies in seinem Lehrbuch darauf hin, dass die Praxis vom Novitätseid dann absehe, wenn nicht die Gegenpartei oder der Richter auf ihn bestünden¹⁶⁰². Insoweit wurde der Verhandlungsmaxime der Vorrang vor der restriktiven Zulassung von neuem Vorbringen gewährt. Auch in einer anderen Entscheidung thematisierte das Gericht den Unterschied zwischen Bescheinigung und Beweis und verglich die OAGO wieder mit einer anderen Rechtsquelle, die sich zum neuen Vorbringen äußerte, dem JRA. Das Amt der Kerzengießer hatte gegen den Händler Friedrich Gottfried Luger geklagt, den Verkauf russischer Kerzen zu unterlassen¹⁶⁰³. Luger drücke die Preise, denn er verlange weniger als 5 lübische Mark für eine Kiste Kerzen. Nachdem bereits eine Partei gegen das Beweisinterlokut appelliert hatte, gelangte auch das Endurteil knappe zwei Jahre später vor das OAG. Um den Beweis zu führen, dass das Amt der Kerzengießer das Recht hatte, das erstrebte Verbot zu erwirken, hatte es Wette-Protokolle vorgelegt, die zu einem Vergleich zwischen den Parteien geführt haben sollten. Da es diese Protokolle erst vor dem OG beigebracht hatten, beschäftigte sich das OAG mit der Zulässigkeit und Erheblichkeit dieses neuen Vorbringens. Nach § 130 OAGO sei das neue Vorbringen dann zulässig, wenn es tatsächlich erst nach dem Ablauf des Beweistermins entstanden sei. Zwar bezweifelte der Beklagte, dass es sich um wirkliche nova handele, da die Beibringung nur

1601 Bremer Fall: Kierulff, Bd. 3, No 93, Hölschen c. Hoffmann & Leisewitz (1867), S. 756. 1602 Bluhme, System, § 699, S. 566. 1603 Bruhn, Sl. 1, No C, Kerzengießer c. Luger (1831, 1833), S. 414–421.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

mangels ausreichender Sorgfalt unterblieben sei. Dem trat das Gericht entgegen, „denn aus dem Vorgange von Vergleichsverhandlungen folgte nicht mit Nothwendigkeit, daß auch Protokolle über dieselben vorhanden sein müßten, und noch weniger, daß darin genaue Angaben über den Gang der Verhandlungen zu nden seien“¹⁶⁰⁴. Im Weiteren prüfte das Gericht, ob sich der Vergleich auf denselben Streitgegenstand bezog, bejahte dies und kam so zu dem Schluss, dass die nova weder unzulässig noch unerheblich seien. Ausdrücklich überließ es die Bewertung, ob der Beweis erbracht war, der unteren Instanz. Zum Unterschied zwischen Bescheinigung und Eid nahmen die Richter hingegen Stellung. Im Gegensatz zu § 73 JRA sei es nach § 130 OAGO nicht als ausreichend anzusehen, wenn der Eid sich darauf beziehe, dass es früher nicht als notwendig erachtet wurde, die neuen Beweismittel vorzulegen¹⁶⁰⁵. Auch stelle § 131 OAGO die weitere Variante der Bescheinigung, die die JRA nicht kannte, in das Ermessen des Richters. Ebenso sei es dem Richter überlassen, wer den Eid zu erbringen habe, Partei, Sachführer oder beide. Da eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass die Partei von den Wette-Protokollen nicht früher Kenntnis erlangt hätte, geschweige denn der Sachführer, der diese sicherlich gleich vorgelegt hätte, sei in diesem Fall ein Eid der Partei ausreichend. Der Eid sei den Ältesten der Zunft aufzuerlegen als Vertreter der Zunft, die „zur Zeit des Ablaufs des Beweistermins, wo eigentlich von den Beweismitteln hätte Gebrauch gemacht werden sollen“ tätig gewesen war¹⁶⁰⁶. In dieser Entscheidung ließ das OAG das neue Vorbringen zu. Es ging sowohl auf die OAGO als daneben auch auf den JRA ein. Die Richter arbeiteten die Unterschiede zwischen der OAGO und dem JRA heraus. Im Gegensatz zum JRA legte die OAGO dem Beweisführer strengere Beschränkungen für nova auf. Außerdem räumte sie dem Richter ein größeres Ermessen ein. So bestimmte der Richter, ob ein Eid ausreichte oder ob doch eine Bescheinigung nötig sei und wer den Eid erbringen durfte. Formell prüfte das OAG lediglich Zulässigkeit und Erheblichkeit der nova. Die Richter differenzierten insoweit ausdrücklich in ihren Ausführungen. Auch in einer Entscheidung zu Zunftrechten von 1834 stritt man um die Zulässigkeit neuen Vorbringens. Ohne Rechtsquellen zu zitieren, stellte das OAG

1604 Bruhn, Sl. 1, No C, Kerzengießer c. Luger (1831, 1833), S. 414, 418. 1605 Bruhn, Sl. 1, No C, Kerzengießer c. Luger (1831, 1833), S. 414, 421. 1606 Bruhn, Sl. 1, No C, Kerzengießer c. Luger (1831, 1833), S. 414, 421.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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darauf ab, dass nova nicht dazu führen dürften, das Beweisverfahren in die Appellationsinstanz zu verlegen¹⁶⁰⁷.

dd)

Rechtsprechung zur Zulässigkeit neuer Zeugen

Die Zulassung neuer Zeugen nahm eine Sonderrolle bei der Befugnis zu neuem Vorbringen ein. Insoweit bestanden gemeinrechtliche Normen, die die Zulassung neu aufgefundener Zeugen besonders regelten. So ließen die Novellen (Nov. 90, 4), und das kanonische Recht (X 2, 20, 17¹⁶⁰⁸ und Clem. 2, 8, 2¹⁶⁰⁹) verspätete Zeugen nur zu, wenn sie zu gänzlich neuen Tatsachen aussagten. Auch in Lübeck war das Problem, ob neue Zeugen zuzulassen waren, lange bekannt. Das Revidierte Lübecker Stadtrecht 1586 Art. V, 7, 1 sprach davon, alle Zeugen„ auff einmal namhafftig“ zu machen. Ein Gemeiner Bescheid von 1756¹⁶¹⁰ knüpfte an diese Norm an und verschärfte sie insoweit, als dass später Zeugen nur noch zugelassen werden durften, wenn die Partei einen Eid leistete. So sollte Missbrauch verhindert werden.

1607 AHL OAG L I 186 Älteste Böttcherhandwerk c. Nachtigall (1834) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 4; ähnlich in der Formulierung: AHL OAG L I 198 Marktklösterträger c. Älteste der Gemeinträger (1835) Q 27 Entscheidungsgründe, p. 16. 1608 X 2, 20, 17, in: Friedberg, Corpus Iuris Canonici II, S. 319: „(...) utrum recipiendi sint novi testes super quaestione iudicata, in qua testibus renunciatum esse constet utrinque, et an, testibus in prima causa receptis, propter causam appellationis liceat super quaestinibus iudicatis aliquid novi proponere? (...) Duximus tibi respondendum, quod in appellationis causa, si nova contigerit emergere capitula, super quibus aliqua partium voluerit novos testes inducere, vel per iam receptos aliquid comprobare, eos credimus posse recipi super novis duntaxat capitulis, receptis prius ab ipsis secundum formam recipiendorum testium iuramentis.“, Übersetzung aus: Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici II, S. 304, 305: „(...) ob den in der ersten Rechtssache abgehörten Zeugen in der Appellationssache über bereits entschiedene Punkte neue atsachen vorzubringen gestattet sei. (...) Hierauf geben Wir dir zur Antwort, dass wenn in der Appellationssache neue Punkte sich ergeben, über welche eine der Parteien neue Zeugen produciren, oder durch die bereits abgehörten nachträglichen Beweis führen will, dieselbe lediglich über neue atsachen befragt werden können, nachdem von ihnen die bei der Annahme von Zeugen üblichen Eide erfordert worden sind “. 1609 Clem. 2, 8, 2, in: Friedberg, Corpus Iuris Canonici II, S. 1147: „Testibus rite receptis et eorum attestationibus publicatis sicut non licet super eisdem vel directo contrariis articulis alios vel eosdem testes in principali causa producere, sic non debet in appellationis causa licere; quum non minus in appellationibus, quam in principali causa subornatio sit timenda.“, Übersetzung aus: Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici II, S. 420: „So wie es unzulässig ist, nach gesetzmässiger Abhörung der Zeugen und Publication der Gezeugnisse über dieselben oder direct entgegengesetze Artikel in der Hauptsache andere oder dieselben Zeugen noch einmal zu produciren, so kann diess auch nicht in der Appellationsinstanz gestattet werden, da in dieser nicht weniger als in der Hauptsache vermieden werden muss, dass eine Partei den Zeugen ihre Aussagen selbst an die Hand gebe“. 1610 Gemeiner Bescheid, S. 65–67.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

Das OAG beschäftigte sich mehrmals mit diesem altbekannten Problem der neuen Zeugen. Trotz Regelungsdichte der Normen gab es vielfach Klärungsbedarf. In einem Streit von 1828 ging es darum, wem die Rechte an einem Dorfredder, einem kleinen Weg, zustanden. Der Beklagte Wehde beschwerte sich in seiner Appellationsschrift, dass das OG neu aufgefundene Zeugen nicht zugelassen hatte. Die neu aufgefundenen Zeugen sollten beweisen, dass der Dorfredder nicht ausschließlich im Besitz der Witwe Steen stehe, sie daher kein Eigentumsrecht und verbunden damit kein ausschließliches Nutzungsrecht geltend machen könne, und infolge dessen die Durchfahrt für andere nicht verbieten dürfe. Das OG hatte lapidar dazu bemerkt, dass nach gemeinrechtlicher Bestimmung die Vernehmung neuer Zeugen über die bisherigen Beweis- oder Gegenbeweisartikel nach eröffnetem Zeugenrotul unstatthaft sei und hatte zur Bestätigung dieser Auffassung auf Pufendorf¹⁶¹¹, Böhmer, Danz und Martin verwiesen¹⁶¹². Ein Zeugenrotul, also eine öffentliche Urkunde, die Auskunft über die Vernehmung aller gehörten Zeugen gab¹⁶¹³, war eröffnet, wenn die durch den Richter versiegelte Urkunde beiden Parteien zur Abschrift überlassen wurde. Anhand des Zeugenrotuls verdeutlicht sich, wie das Lübecker Niedergericht Zeugen vernahm. Entsprechend dem gemeinen Prozessrecht waren die Parteien bei der Zeugenbefragung nicht zugegen, hatten aber die Möglichkeit, schriftlich Fragen zu verfassen, die der Richter dem Zeugen stellte. Über die Vernehmung wurde Protokoll geführt, das die Parteien anschließend zur Abschrift zur Verfügung gestellt bekamen. Das Problem war nun, dass nach eröffnetem Zeugenrotul den Parteien der Inhalt der Aussagen bekannt waren. Später verhörte Zeugen konnten instruiert werden, um das Beweisergebnis zu beein ussen. Das OAG ging sehr viel differenzierter als das OG auf die Bitte, die Zeugen zuzulassen, ein. Zunächst bezog es sich auf die einschlägigen Stellen des römischen Rechts¹⁶¹⁴. Danach würden Zeugen nicht mehr zugelassen, nachdem das Zeugenrotul eröffnet war. Dann fragte das Gericht nach dem Verhältnis dieses Verbots zu dem bene cium novorum, das unter bestimmten Voraussetzungen neues Vorbringen zuließ. Vorschriften des kanonischen Rechts¹⁶¹⁵ sprächen sich dafür aus, dass neues Vorbringen nicht ausgeschlossen werden dürfe, aber auf neue Tatsachen beschränkt sei. Es sei jedoch fraglich, ob diese Vorschrift

1611 Samuel Pufendorf (1632–1694), Professor des Naturrechts in Heidelberg, Lund, Geheimer Rat in Stockholm und Berlin, zu ihm Luig, in: Juristen, S. 506, 507; Stintzing/Landsberg, Geschichte III/1, S. 11–23. 1612 AHL OAG L I 90 Wehde c. Wwe Steen (1828), sent a qua des OG, Anlage 2 der Akten. 1613 Linde, Lehrbuch, § 270, S. 346. 1614 Nov. 90, 4. 1615 X 2, 20, 17; Clem. 2, 8, 2.

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in weltlichen Gerichten überhaupt gelte, denn die Reichsgesetze hätten das neue Vorbringen ohne Einschränkungen für Zeugen geregelt. So sei „die Gültigkeit dieser Vorschrift in weltlichen Gerichten früher oft bezweifelt (worden), namentlich auch in Deutschland“. Daran lasse sich zweifeln, da die RKGO von 1555 und der JRA in § 73 das bene cium novorum ohne jegliche Beschränkung wiederholten¹⁶¹⁶. Als neuere Vorschriften hätten die Reichsgesetze das kanonische Recht möglicherweise verdrängt. So hätten Mevius und Carpzov¹⁶¹⁷ argumentiert. Diese Auffassung lehnte das OAG jedoch mit folgendem Hinweis ab: „Aber die dafür angeführten Gründe sind sehr unbedeutend, da das canonische Recht bei uns im Ganzen gilt, namentlich in den Prozeßlehren; und da die Reichsgesetze durch die allgemeine Anerkennung des bene cium novorum natürlich nicht die speciellen Beschränkungen aufheben, welchen dies bene cium schon früher unterworfen war“¹⁶¹⁸. Damit folgten die Richter der damals herrschenden Lehre des Vorrangs des kanonischen Rechts¹⁶¹⁹. Im Weiteren verwiesen die Richter durch Zitate auf die Uneinigkeit der älteren Autoren und sprachen sich schließlich für die generelle Gültigkeit des kanonischen Rechts aus mit dem Hinweis: „in neueren Zeiten hat sich die Meinung der Processualisten so sehr für die Gültigkeit der Vorschrift des canonischen Rechts entschieden, daß nur noch wenige von den älteren Controversen wissen“. Obwohl die Richter den Streit als mittlerweile überholt einstuften und ihn mit dieser Begründung auch verwarfen, legten sie ihn recht ausführlich in den Entscheidungsgründen dar. Sie vollzogen damit eine historische Entwicklung nach, die einer wissenschaftlichen Abhandlung entnommen sein könnte. Das OAG betonte und stärkte in dieser Entscheidung das kanonische Recht, das die Zulassung von neuen Zeugen ausführlich regelte. Schließlich, nachdem das OAG die Anwendbarkeit des kanonischen Rechts bejahte, stellte es auf die Intention der Vorschrift ab. „Die Einschränkung der neuen Zeugenabhörung ist nämlich nicht eine Strafe der Saumseligkeit der Producenten, wie der Verlust der Beweismittel nach abgelaufener Beweisfrist, sondern beruht auf dem metus subornationis¹⁶²⁰ und auf der Ansicht, daß auf die Aussagen später abgehörter Zeugen, weder formal noch material viel gegeben werde“¹⁶²¹. Im Gegensatz zu dem OG-Urteil beschäftigte sich das OAG wesentlich ausführlicher mit der Rechtsfrage. Während das OAG erst den konkreten Fall nach

1616 1617 1618 1619 1620 1621

AHL OAG L I 90 Wehde c. Wwe Steen (1828) Q 18, p. 4 der Entscheidungsgründe. Benedict Carpzov (1595–1666), zu ihm: Döhring, NDB Bd. 3, S. 156. AHL OAG L I 90 Wehde c. Wwe Steen (1828) Q 18, p. 18 der Entscheidungsgründe. Wolter, ius canonicum, S. 9, 182 und 183. Metus subornationis – bestochener Zeuge, vgl. Bluhme, System, § 662, S. 537. AHL I 90 Wehde c. Wwe Steen (1828) Q 18 Entscheidungsgründe, p. 20.

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über 16 Seiten allgemeinen Ausführungen zu neu aufgefundenen Zeugen subsumierte, stellte das OG lediglich kurz das Ergebnis fest. Das OG stützte sich dabei auf zwei etablierte Lehrmeinungen. Das OAG hingegen nannte die in Frage kommenden Rechtsquellen und leitete selbst die Anwendbarkeit der Vorschriften ab. Es begnügte sich nicht damit, auf bestehende Meinungen zu verweisen. Stattdessen arbeitete es mit einem wissenschaftlichen Anspruch, indem es von den Quellen ausgehend, sich mit der Geltung dieser auseinandersetzte und mit dem Zweck der Regelung argumentierte. Diese Grundsätze wandten die Richter ebenfalls auf die Fälle aus den übrigen freien Städte an. In einem Bremer Rechtsfall wiederholten die Richter, dass der Zeugenbeweis nach eröffnetem Zeugenrotul unzulässig sei. Als Beleg zitierten sie die Entscheidung Wehde gegen die Witwe Steen von 1828 sowie einen Frankfurter Fall und mehrere Bremer Fälle¹⁶²². An dieser stringenten Linie, weitere Zeugen nach eröffnetem Zeugenrotul nicht mehr zum Beweis zuzulassen, hielt das OAG auch nach Inkrafttreten der endgültigen OAGO fest. Die Einschränkung des § 130 OAGO „wenn ihnen sonst kein Rechtsgrund entgegensteht“ beziehe sich eben auf jene gemeinrechtliche Vorschrift, die Zeugen nicht mehr zulasse; die Rechtswohltat des neuen Vorbringens sei insofern nachrangig¹⁶²³. Die Vorschriften des kanonischen Rechts wandte das OAG darüber hinaus für den Fall neu aufgefundenen Zeugen bei einer Restitution an, ebenfalls mit dem Hinweis auf die Gefahr, dass die Zeugen beein usst werden könnten¹⁶²⁴. Dieser Ansicht stand die der Literatur entgegen, die dem bene cium novorum der Reichsgesetze den Vorrang einräumen und neue Zeugen auch nach eröffnetem Zeugenrotul anhören wollte¹⁶²⁵. Wetzell wies explizit auf die anders lautende Meinung des OAG hin, die im Gegensatz stehe zu den übrigen zitierten Schriftstellern. Der Hinweis Wetzells zeigt zweierlei. Das OAG Lübeck war zum einen eine ernstzunehmende Autorität, auf die Wetzell hinwies. Zudem wird deutlich, dass das Selbstverständnis des Gerichts es verbot, blind der herrschenden Lehre der Literatur zu folgen, sondern die Richter entwickelten einen eigenen Standpunkt, den sie gegen die Literatur verteidigten.

1622 1623 1624 1625

Bremer Fall: Kierulff, Bd. 4, No 4, Schmidt & Co. c. Becker (1868), S. 31, 32. Wunderlich, Bd. 2, No 357, Scharbau c. Kaping (1856), S. 5. Bremer Fall: Seufferts Archiv, Bd. 9, No 231, Kropp c. Kropp (1840), S. 305, 307. Endemann, Zivilprozeßrecht, § 213 Fn 15, S. 844; Linde, Lehrbuch, § 270 Fn 11, S. 347; Wetzell, System, § 53 in Fn 12, S. 677.

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In der Ehescheidungssache Ranfft gegen Ranfft¹⁶²⁶ hatte sich der beklagte Ehemann Hermann Wilhelm Emil Ranfft gegen die Zulassung einer neuen Zeugin gewandt, nämlich des Bordellmädchens Margarethe Mewe, mit dem er angeblich die eheliche Treue gebrochen hatte. Das OAG überprüfte hier die Zulassung des neuen Vorbringens durch das OG, gegen das sich der Appellant, der Ehemann, wandte. Die Entscheidungsgründe begannen pointiert mit der sogenannten „Hauptfrage“, ob dem neuen Vorbringen der Klägerin, der Ehefrau, beizutreten war oder ob demselben das Verbot, neue Zeugen nachzuschieben, entgegenstand. Das Verbot bestehe, sobald den Parteien die Aussage der Zeugen bekannt geworden seien. Dieses nach kanonischem Recht normierte Verbot¹⁶²⁷ habe auch Geltung gegenüber dem bene cium novorum. Davon sei auch keine Ausnahme zu machen, nur weil eine Ehescheidungssache vorliege, wie das OG angenommen hatte. Denn der „legislative Grund des Verbotes“ liege darin, dass durch die Befragung der neuen Zeugen, der wahre Sachverhalt verdunkelt werden könne¹⁶²⁸. Anschließend ging das OAG darauf ein, wie neue Zeugen, die unstatthaft seien, und neue Aussagen, die diesem Verbot nicht unterlägen, voneinander abzugrenzen seien. Diese Abgrenzung war nach kanonischem Recht entscheidend. Neue Zeugen durften zwar grundsätzlich nicht vernommen werden, zu neuen Tatsachen waren sie hingegen statthaft. Während das OG von neuen Tatsachen ausgegangen war, nahm das OAG neue Zeugen an. Zwar sei die Parteischrift, die mit „Benennung neuer Zeugen und Gesuch“ insofern nicht eindeutig, es sei abwechselnd von Tatsache, nämlich einer durch das Mädchen gemachten notariellen Aussage, und Zeugin die Rede. Im Grunde sei aber keine neue Zeugin vorgeschlagen, sondern nur eine Notariatsurkunde über eine von der Mewe unbeeidigt gemachte Aussage als Beweismittel angeboten worden. Da die Vernehmung der Zeugin nun unmöglich geworden sei und das Beweismittel selbst nicht vorliege, könne die Urkunde nicht beachtet werden. Allerdings müsste eine im Sinne der vorbringenden Partei günstige Auslegung gewählt werden¹⁶²⁹, so dass man den Antrag auch als Einführung einer neuen Zeugin verstehen könne. Aber auch nach dieser zunächst günstigeren Auslegung sei das Vorbringen unzulässig. Denn danach stelle sich die Frage, ob gegen das Verbot der Zeugennachschiebung verstoßen werde. Es sei zu unterscheiden, ob sich der Satz des kanonischen Rechts auch auf denselben Beweissatz beziehe oder das Verbot lediglich dahin zu verstehen sei, dass über dieselben einzelnen Tatumstände nach eröffnetem Zeugenrotul keine neuen

1626 1627 1628 1629

AHL OAG L I 683 Ranfft c. Ranfft (1877). X 2, 20, 17. AHL OAG L I 683 Ranfft c. Ranfft (1877) Q 13, p. 3 der Entscheidungsgründe. AHL OAG L I 683 Ranfft c. Ranfft (1877) Q 13, p. 6 der Entscheidungsgründe.

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Zeugen verhört werden sollen¹⁶³⁰. Wenn gar nicht mehr zu demselben Beweissatz vernommen werden durfte, war jedes weitere Vorbringen unstatthaft. Das OAG nahm aber die zweite Variante an und stützte sich dabei wieder auf eine Stelle des kanonischen Rechts¹⁶³¹. Danach durfte der Richter zwar Zeugen zu demselben Beweissatz vernehmen, allerdings mussten die Zeugen zu Tatsachen aussagen, die bisher nicht Gegenstand einer Vernehmung gewesen waren. Das kanonische Recht habe ausdrücklich einen nachträglichen Zeugenbeweis für zulässig erklärt, so fasste das OAG die Stelle des kanonischen Rechts zusammen. Es sei nun kein Zeuge bisher über die durch die Mewe ausgesagten Tatsachen verhört worden. Allerdings dürfe nicht jede einzelne Tatsache von Bedeutung sein, vielmehr sei entscheidend, für welche Tatsachen im Allgemeinen die Zeugenaussagen vorgeschlagen worden seien. Insofern dürfe „der schon mehrfach bewegte Satz des kanonischen Rechts auf das jetzt in Lübeck eingeführte summarische Zeugenverhör nicht in der Weise angewandt werden, daß jede in den Antworten der Zeugen vorkommende Einzelheit dem Inhalte eines der im früheren Verfahren üblichen Probatorialartikel gleichgesetzt wird“¹⁶³². Hier wandten die Richter das kanonische Recht modi ziert durch die in Lübeck seit 1862 geänderte Praxis¹⁶³³ der Zeugenvernehmung an, sie passten es also an. Das nun eingeführte summarische Zeugenverhör hatte das Probatorialartikelverfahren bei Zeugenbefragungen ersetzt. Entscheidend waren nach diesen Ausführungen also nur wesentliche Tatsachen. Bei den von Mewe zu bezeugenden Tatsachen handele es sich um wesentlich andere. Mit diesen Erwägungen bestätigten die Richter das OG-Urteil. Die Artikelbefragung bei der Zeugenvernehmung, die die zu beweisenden Fragen in eindeutigen Sätzen formulieren sollte, stellte das Einbringen neuer Zeugen vor weitere Hürden. Bei der Anhörung neuer Zeugen stellte sich nämlich das Problem, dass zuvor möglicherweise neue Artikel formuliert werden mussten, zu denen die Zeugen dann vernommen werden konnten. Während die Appellations-

1630 AHL OAG L I 683 Ranfft c. Ranfft (1877) Q 13, p. 7 der Entscheidungsgründe. 1631 X 2, 20, 35, in: Friedberg, Corpus Iuris Canonici II, S. 327: „(...) Quia igitur dubitatis, utrum post publicationem attestationum super illo articulo deberent testes admitti, nos inquisitioni vestrae auctoritate praesentium respondemus, testes mulieris ad probandum illum articulum admittendos.“, Übersetzung von: Schilling/Sintenis, Corpus Iuris Canonici II, S. 310, 311: „(...) da ihr nun zweifelt, ob nach geschehener Publication der Gezeugnisse rücksichtlich jenes Punctes noch Zeugen zugelassen werden dürfen, so geben wir euch auf eure Anfrage kraft des Gegenwärtigen zum Bescheid, dass die von der Frauensperson zum Beweis jenes Punctes producirten Zeugen von euch angenommen werden müssen“. 1632 AHL OAG L I 683 Ranfft c. Ranfft (1877) Q 13, p. 8, 9 der Entscheidungsgründe, Unterstreichungen durch das Gericht. 1633 Seit § 105 der lübeckischen CPO von 1862 wurden nur noch allgemeine Fragen zu dem Beweissatz an den Zeugen formuliert. Die Partei war nun bei der Befragung zugegen und durfte Fragen anregen, die Befragung selbst erfolgte dennoch durch den Richter.

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schrift eine zusammenhängende Sacherzählung war, wurden die Zeugen nach Tatsachen, die in Artikeln gegliedert waren, befragt. Die lübeckische CPO von 1862 schaffte diese Form zugunsten einer freieren Befragung durch den Richter ab¹⁶³⁴. Aus einem Urteil des OAG geht hervor, dass ein Antrag, neue Artikel zur Zeugenbefragung aufzustellen, durchaus üblich war¹⁶³⁵. In diesem konkreten Fall wurde dem Antrag jedoch nicht stattgegeben, weil die neuen Zeugen gar nicht erst zugelassen wurden und dementsprechend nicht befragt werden konnten. Die gleichen Beweisartikel seien häu g gerade bei der Vernehmung von Zeugen nicht brauchbar, da sie sich nach der „individuellen Wissenschaft“ derselben richten müsse. Bei neuen Zeugen könne nichts anderes gelten. Außerdem sehe es das gemeine Recht als etwas viel Unbedenklicheres an, neue Zeugen über andere als neue Zeugen über dieselben Artikel zu befragen¹⁶³⁶. Dies sei nach lübischem Rechte jedoch nur möglich, falls dem Beweisführer bei Beweisantretung die Zeugen noch nicht bekannt gewesen seien. Anschließend gingen die Richter darauf ein, dass dieser Grundsatz bereits im älteren lübischen Rechte gegolten habe. Dazu zitierten sie verschiedene Rechtsquellen mit der Angabe, wo diese zu nden waren¹⁶³⁷. Nicht ebenso eindeutig sei darin das Revidierte lübeckische Stadtrecht V, 7, 1¹⁶³⁸. Zwar sage das Stadtrecht ausdrücklich, dass alle Zeugen auf einmal namhaftig zu machen seien, aber die Stelle lasse zu, weitere Zeugen vorzubehalten, falls neue Zeugen vorgestellt werden. Dabei habe benennen und vorstellen im 16. Jahrhundert eine durchaus andere Bedeutung, was die Richter anhand der Hamburger Statuten von 1603 belegten¹⁶³⁹. Zwar könne bei Benennung der ersten Zeugen auch von einer rein zeitlichen Aufforderung ausgegangen werden und damit die ersten Zeugen nicht im Gegensatz zu neuen Zeugen zu sehen seien. Eine andere Auslegung der Stelle sei aber auch möglich. So könne der Artikel auch so verstanden werden, dass nach einem Vorbehalt eine Benennung neuer Zeugen möglich sei. Dieser zweiten möglichen Auslegung entspreche auch die Meinung

1634 § 105 Absatz 2 der lübeckischen CPO. 1635 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B), Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254; derselbe Rechtsstreit beschäftigte das OAG dreimal, siehe AHL OAG L I 106, 174. 1636 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B), Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254, 255. 1637 Lübisches Recht im Codex Lat. A von 1235, Art 61 (abgedruckt in: Westphalen, Monumentum III, S. 627); Codex Juris Lubecensis A 1266, Art. 48, abgedruckt in: Dreyer, Abhandlungen I, S. 457; Deutscher Codex von 1240, Art. 48 (abgedruckt in: Westphalen, Monumenta III, S. 645). 1638 Art. V, 7, 1: „Wer Zeugen im Gerichte führen wil / der sol sie alle auff einmal namhafftig machen / und ob ihme gleich etzliche widerleget würden / so hat er doch der ubrigen zu geniessen / Wil er aber mehr Zeugen hernachmals vorstellen / so mus er solches bey benennung der ersten Zeugen mit seiner protestation vorbehalten / oder gar entberen“. 1639 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B), Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254, 256.

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der älteren Autoren¹⁶⁴⁰, jedoch habe sich ein lübischer Gemeiner Bescheid von 1756, der laut der lübischen Verfassung „wahre Gesetzeskraft“ genieße, gegen diese Auslegung ausgesprochen. Der Gemeine Bescheid habe ausdrücklich hervorgehoben, dass „der Zeugenführer alle von ihm zu producirende Zeugen auf einmal namhaftig machen solle“, zur Not eventualiter benennen solle, ein reiner allgemeiner Vorbehalt neuer Zeugen also nicht ausreiche¹⁶⁴¹. Allerdings tendiere der Gerichtsgebrauch seitdem zu einer großzügigeren Zulassung. Die Richter betonten aber „daß eine Gewohnheit oder ein Gerichtsgebrauch nur insoweit Gesetzeskraft besitzen, als sie nichts zweckwidriges und dem übrigen Recht widersprechendes enthalten“¹⁶⁴². Außerdem hätte dieser Gerichtsgebrauch keinen Nutzen gewährt, sondern passe nicht zu den „in Lübeck befolgten prozessualischen Grundsätzen“ und könne leicht erhebliche Nachteile für die Sache erzeugen. Dieser Gerichtsgebrauch, den Beweis zunächst unvollständig anzutreten, führe nämlich dazu, dass die Partei selbst in „nachtheiligen, ober ächlichen und verkehrten Richtung des Beweisverfahrens verleiten und verdient daher schon im eigenen Interesse des Producenten keine rechtliche Begünstigung“¹⁶⁴³. Dieser Gerichtsgebrauch widerspreche auch der lübeckischen Gesetzgebung, die den Ablauf des Beweistermins für streng peremtorisch erklärt habe. Es bestehe die Gefahr, dass die Sache stark verzögert würde. Die Befugnis des Richters der Partei peremtorische Fristen zu setzen, sei nach der Praxis nämlich nicht gegeben. Letztendlich sei zu befürchten, dass sich die Zeugen gegenseitig beein ussten. Dem Kläger müsse aber immerhin eine Restitution zustatten kommen, denn schließlich habe er seinen Irrtum bezüglich der Geltung dieses Gerichtsgebrauchs mit dem ganzen Publikum geteilt. Mit diesen vielfältigen Argumenten aus Gesetzgebung, allgemeinen Grundsätzen und Zweckmäßigkeitserwägungen entschieden sich die Richter gegen den Gerichtsgebrauch. Durch die Praxis ließen sich die Richter hier nicht binden, sondern wichen, allerdings mit erhöhtem Argumentationsaufwand, hiervon ab. Aus der Gesamtschau von Lübecker Stadtrecht, Gemeinem Bescheid und Gerichtsge-

1640 Sie zitierten dazu Mevius, Jus Lubecense, S. 790 No 6–9, zu Art. V, 7, 1; Stein, Abhandlung Lübschen Rechts IV, § 210, S. 260, 261. 1641 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B), Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254, 257. 1642 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B), Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254, 258, mit Verweis auf: D. 1, 3, 39 : „Was nicht kraft Rechtsvernunft, sondern zunächst irrtümlich eingeführt ist und dann kraft Gewohnheit Geltung erlangt hat, hat in anderen ähnlichen Fällen keine Geltung“, Übersetzung aus: Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler, CIC Bd. II, S. 116: „Quod non ratione introductum, sed errore primum, deinde consuetudine optentum est, in aliis similibus non optinet“. 1643 Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B), Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254, 259.

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brauch entwickelten die Richter einen eigenen Standpunkt. Sie verboten rigoros, Zeugen verspätet zuzulassen. Die Richter führten die Auslegung des Stadtrechts Art. V, 7, 1 in späteren Entscheidungen dementsprechend fort. In der zeitlich nächsten Urteilsbegründung betonten sie, dass obwohl nun andere Kollegiumsmitglieder die Frage geprüft hätten, sie zu dem selben Ergebnis gelangt seien¹⁶⁴⁴. Das Ergebnis belegten sie durch zusätzliche mittelalterliche Rechtsprechung¹⁶⁴⁵. Diese Interpretation des Stadtrechts Art. V, 7, 1 durch den Gemeinen Bescheid vom 6. Februar 1756 hatten frühere Entscheidungen bereits angedeutet¹⁶⁴⁶. Jedoch begründeten die Richter diese weit weniger ausführlich. In einem früheren Rechtsstreit von 1826, Schlesinger gegen Schwarz, wollte der Beweisführer nachträglich Zeugen vorbringen, die ihm zuvor „nicht erinnerlich“¹⁶⁴⁷ gewesen waren. Dazu entschieden die OAG-Richter, dass dem zwar der Artikel V, 7, 1 des Stadtrechts nicht entgegen stehe, denn der beziehe sich nur auf bei Beweisantretung bereits bekannte Zeugen. Von später aufgefundenen Zeugen „redet vielmehr einzig und allein“ der Gemeine Bescheid. Jedoch entspreche der geleistet Eid nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der vom Beweisführer geleistete Eid habe sich darauf bezogen, dass er sich nicht an die Zeugen erinnern könne. Dies sei „kein zulässiges Äquivalent für den gesetzlich vorgeschriebenen Eid“. Hier deutete sich die später fundierte Argumentation für neu aufgefundene Zeugen bereits an. Die Richter nannten die gleichen Rechtsquellen und gaben dem Gemeinen Bescheid den Vorrang. In der Entscheidung Möller gegen Möller von 1837 hatte sich die Partei auf den Wortlaut des Gemeinen Bescheides gestützt, um noch eine Zulassung zweier Zeugen zu erreichen. Verspätet sei das Vorbringen erst, wenn nicht alle Zeugen innerhalb der Beweisfrist benannt seien. Die Gegenpartei argumentierte mit dem offensichtlichen Missbrauch. Es war nämlich nicht das erste Mal, dass der Beweisführer versuchte, verspätet Zeugen vorzubringen. Er hatte dies wiederholt getan und so hatte sich der Prozess bereits über Jahre hingezogen. Nun stritten die Par-

1644 AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27 Entscheidungsgründe p. 19. 1645 AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27 Entscheidungsgründe p. 21: „ein ungedrucktes Ordal von 1493 nach Rensburg, welcher so lautet: Nadenne du ein Ankleger von wegen dynes hovetmannes bist, hefft he denne veer tugen bedachdinget unde vor sinen Ja benomet, is denne eyn van den tugen upgedreven so mach he van den dreen eynem in de stede nemen“. 1646 Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157–165, näher dazu unten Glaubwürdigkeit der Zeugen: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3); Bruhn, Sl. 2, No XLIV (223A), Möller c. Möller (1837), S. 367–374. 1647 Bruhn, Sl. 1, No XXXV (50 B), Schlesinger c. Schwarz (1826), S. 157, 164.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

teien darüber, ob er die beiden Zeugen bei der letzten, bereits verspäteten Zeugenbenennung hätte vorbringen müssen oder ob es reiche, dass der Beweisführer die Zeugen bei der ersten Zeugenbenennung noch nicht gekannt habe. Das OAG ging auf beide Parteiansichten ein und griff deren Argumente nacheinander auf. Es zitierte eine Textpassage aus dem Gemeinen Bescheid von 1756. Dieses Zitat wäre über üssig, wenn das Gericht den Text als bekannt vorausgesetzt hätte. Den Parteien, die sich bereits in ihren Parteischriften auf den Gemeinen Bescheid gestützt hatten, dürfte der Text allerdings geläu g gewesen sein. Hier diente der Verweis also entweder dazu, einen minimalen Konsens zwischen den Parteien herauszustellen oder zeigt, dass die Entscheidungsgründe für eine weitere Leserschaft geschrieben waren. Die Richter fassten den Textauszug so zusammen, dass danach alle Zeugen namhaft gemacht werden sollten. Da der Gemeine Bescheid nur von „ex post“ und „vorhero“ genannten Zeugen sprach, war nicht ausdrücklich klargestellt, von welchem Zeitpunkt oder welcher Frist der Text ausging. Mit einer Zweckerwägung sahen sie es dennoch als eindeutig an, dass der Zeitpunkt der Zeugenbenennung gemeint sei. „Natürlich“ gelte dieses Gebot auch für die nachträgliche Zeugenbenennung. Denn der Grund der Vorschrift des lübeckischen Stadtrechts Art. V, 7, 1 liege darin, dass der Missbrauch zur Verzögerung des Rechtsstreits führe. Mit dem Hinweis, dass das lübische Recht eigentlich fordere, dass gleich im ersten Verfahren von beiden Teilen alle Beweismittel beigebracht oder namhaft gemacht werden sollten¹⁶⁴⁸, bezogen die Richter den Gemeinen Bescheid auch auf spätere Zeugenbenennungen. Diese Reduzierung auf einen wesentlichen prozessualen Gesichtspunkt stützten die Richter durch eine systematische Überlegung aus Art. V, 7, 9, der sich auf Fristen beziehe. Allein aus dem Grundsatz ergebe sich, dass die Zeugen nun nicht mehr vorgebracht werden dürften. Im konkreten Fall machten die Richter den zusätzlichen „allein schon für sich entscheidenden Grund “¹⁶⁴⁹ geltend, dass hier tatsächlich ein Missbrauch nahelag. Die umfangreichen Ausführungen zu dem Gemeinen Bescheid und der Regel des lübischen Rechts, alle Beweismittel gleichzeitig vorzubringen, wären vorliegend also für die Entscheidungs ndung gar nicht nötig gewesen. Die Richter beschränkten sich also nicht allein auf die hier kürzere, alleine bereits ausreichende Begründung. Dies hatte zwei Vorteile. Der erhöhte Begründungsaufwand diente dazu, dass die Parteien die Entscheidung akzeptieren. Daneben konnte die allgemeinere Begründung dazu beitragen, das Recht zu systematisieren. Die Regel, alle

1648 Bruhn, Sl. 2, No XLIV (223A), Möller c. Möller (1837), S. 367, 372. 1649 Bruhn, Sl. 2, No XLIV (223A), Möller c. Möller (1837), S. 367, 373.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Beweismittel gleichzeitig vorzubringen, wiederholten und verfestigten die Richter auf diese Weise. In dem Streit zwischen Rathsack und der Witwe Gütschow¹⁶⁵⁰ bat der Appellant um Aufhebung des Aktenschlusses, eventualiter darum, den Rechtsstreit zur Zeugenbefragung an das Niedergericht zurückzuverweisen. Während sich die vorigen Entscheidungen allesamt auf die Überprüfung der Rechtsprechung des OG zur Zulassung neuen Vorbringens bezogen, verdeutlicht dieser Fall, dass auch vor dem OAG selbst das Vorbringen neuer Zeugen grundsätzlich möglich war. Im konkreten Fall wurde das neue Vorbringen jedoch zurückgewiesen, da es „formell und materiell“ keinen Bestand habe. Da die Aussage des Zeugen sowieso nur geeignet war, dem Beklagten den auferlegten Reinigungseid als gerechtfertigt zu erscheinen, sei das Vorbringen sowieso nicht relevant. Auch in einem anderen Fall bemerkten die Richter zu dem vorgebrachten novum nur, dass dieses zur Erneuerung der Beweisführung keine Veranlassung gebe¹⁶⁵¹. Vor dem OAG selbst abgelegte Eide zu den nova nden sich in den Prozessakten nicht. Als dritte Instanz überprüfte das OAG meist die Entscheidung des OG, neues Vorbringen zuzulassen.

ee) Zusammenfassung Das OAG verfolgte eine stringente Rechtsprechung zum bene cium novorum. Jegliches neue Vorbringen sollte möglichst unterbunden werden. Insbesondere bei verspäteten Zeugen war das OAG streng. Die Richter argumentierten mit der Gefahr, dass die Zeugen beein usst werden könnten und dass das neue Vorbringen zu erheblichen Verzögerungen des Prozesses missbraucht werden könnte. Das Beweisverfahren sollte nicht in die Appellationsinstanz verlegt werden. Diese Zweckmäßigkeitserwägungen leiteten sie aus verschiedenen Rechtsquellengruppen her und legten diese Rechtsquellen ihrerseits nach diesen Grundsätzen aus. Besonders plastisch wird diese Vorgehensweise bei den Ausführungen zum Gerichtsgebrauch. Der lübeckische Gerichtsgebrauch ließ neue Zeugen zu. Da dieser zweckwidrig und gegen die Gesetze sei, sollte er jedoch nicht gelten. Die Rechtsquellen beantworteten selten die konkrete Rechtsfrage, sondern regelten andere Einzelfälle. Durch Zusammenschau der unterschiedlichen Rechtsquellen, durch genaue Gesetzesanalyse sowie durch sinnvolle Auslegung entwickelten die Richter abstrakte Grundsätze, die sie durch kontinuierliche Wiederholung festigten.

1650 AHL OAG L I 339 Rathsack c. Wwe. Gütschow (1852). 1651 AHL OAG L I 661 Harder c. Timme (1876) Q 16 Entscheidungsgründe p. 9.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

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Dadurch hatten die Richter ein differenziertes System von Regeln und Ausnahmen geschaffen. Die Richter wandten zu neuem Vorbringen verschiedene kanonische Rechtsquellen an, denen sie, entgegen der herrschenden Lehre, den Vorrang vor den einschlägigen Reichsgesetzen einräumten. Dadurch rechtfertigten sie, die Vernehmung neuer Zeugen umfassend zu unterbinden. Die Rechtsprechung des OAG ließ im Gegensatz zur Literatur damit nur sehr eingeschränkt neues Vorbringen zu. Auf die anderslautende Meinung des Gerichts wiesen die Lehrbücher hin. Das OAG war damit eine wissenschaftliche Autorität wenn auch in diesem Punkt Vertreter einer Mindermeinung. Neben dem kanonischen Recht griffen die Richter auf das Revidierte Lübecker Stadtrecht zurück, das sie restriktiv entsprechend dem Gemeinen Bescheid auslegten. Als Auslegungshilfe benutzten sie daneben älteres lübeckisches Recht und das Recht anderer Territorien. Die nur restriktive Zulassung neuen Vorbringens stärkte die Bedeutung des Beweisinterlokuts. Nur bis zu diesem Zeitpunkt konnten neue Tatsachen beigebracht werden. Die Appellationsinstanz sollte ausschließlich die Entscheidung der unteren Instanz überprüfen und nicht erneut einen eigenen Rechtsstreit ermöglichen. Es sollte also nur eine einzige Tatsachen- und Beweisinstanz geben. Die Gefahr der Prozessverschleppung erkannte das OAG und suchte durch eine zweckmäßige Handhabung der nova gegenzusteuern.

6.

Stil der Entscheidungsgründe

Meist ist der Urteilsstil rechtsvergleichend betrachtet worden. Aus den Unterschieden oder Gemeinsamkeiten¹⁶⁵² sind Rückschlüsse auf die Rechtskultur, auf die Stellung des Richters in der Gesellschaft, auf rechtsphilosophische Grundanschauungen gezogen worden¹⁶⁵³. Der Urteilsstil oder auch Rechtsstil lässt sich untersuchen in Hinblick auf die Länge der Entscheidung¹⁶⁵⁴, Zitate von Präjudizien und wissenschaftlichen Autoren, Vorkommen von obiter dicta und das Eingehen auf die Rechtsmeinung der Parteien¹⁶⁵⁵. Darüber hinaus lassen sich auch durch Argumentationsstrukturen, Aufbau und sprachliche Formulierung¹⁶⁵⁶ Rückschlüsse auf die Rechtskultur der Zeit ziehen.

1652 Gemeinsamkeiten bis Beginn des 19. Jahrhunderts betont Ranieri, Stilus Curiae, S. 75, 80. 1653 Vgl. zum Alten Reich: Cordes, Argumentation; Hocks, Gerichtsgeheimnis. 1654 Eingehend dazu Goutal, American Journal 24 (1976), S. 43 ff. 1655 Ranieri, Stilus Curiae, S. 75; Ranieri, Gedruckte Quellen I, S. XLV. 1656 Kötz, RabelsZ 37 (1973), S. 245 ff.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Gerade der Vergleich kontinentaleuropäischer Urteile mit Urteilen aus dem Gebiet des Common Law hat erhebliche Unterschiede offenbart. Während die französischen Urteile der Cour de Cassation in einem einzigen Satz gehalten sind und sich deduktiv aus dem Gesetz herleiteten, elen englische Urteile durch ausführliche, anschauliche Begründungen auf, die den Lebenssachverhalt mit einbezogen. Diese waren sprachlich auf Überzeugung angelegt und dementsprechend um ein Vielfaches länger als die Urteile der französischen Kollegen. Diese offensichtlichen Unterschiede bereits in der äußeren Form der Urteile lassen den Schluss auf ein anderes Rechts- und Selbstverständnis der Richter zu. In Frankreich wurde nach der Zeit der Aufklärung und im Anschluss an Montesquieus Gewaltenteilungslehre der Rechtsprechung eine rein dienende, gesetzesanwendende Funktion zugebilligt, die durch einen Richter ausgeübt wurde, der dem Bild eines unselbstständigen Beamten entsprach¹⁶⁵⁷. Hingegen füllten in England ehemalige erfolgreiche Anwälte das prestigeträchtige Amt des Richters aus¹⁶⁵⁸. In England fungierten als Rechtsquelle Partikularrecht, Präjudiz, Enzyklopädie sowie das Lehrbuch, die zumindest gleichrangig in den Urteilen zitiert sind¹⁶⁵⁹. Gerade die herausragende Stellung der Präjudizien machte es im englischen Recht erforderlich, sehr differenziert den zugrunde liegenden Lebenssachverhalt mit einzubeziehen, den Aussagegehalt des vorigen Urteils zu prüfen und nur gegebenenfalls auf den eigenen zu entscheidenden Fall anzuwenden. Diese induktive, von einzelnen Sachproblemen ausgehende Vorgehensweise erforderte eine ausführliche Begründung¹⁶⁶⁰. Die möglichen Sondervoten einzelner Richter unterstrichen das persönliche Element einer Entscheidungs ndung. In dem Beispiel der französischen und englischen Urteile treten diametral entgegengesetzte Vorstellungen von der Funktion der Rechtsprechung zu Tage. In Frankreich war das Urteil streng auf den Einzelfall angewandtes Gesetz. Hier stand das Gesetz im Mittelpunkt, das durch den Richter lediglich mechanisch zur Anwendung gebracht werden sollte, jede Interpretation war dem Richter sogar verboten¹⁶⁶¹. Goutal spricht hier gar von einer Religion der Exegese des neuen Code¹⁶⁶². Dies stand im Gegensatz zu England, wo den Urteilen eine höchst wichtige, eigenständige, ja Recht schaffende Funktion zukam. Daher war ein Richter auf ausführliche, überzeugende Argumentation angewiesen. Diese beiden trotz gemeinsamer Ausgangslage

1657 1658 1659 1660 1661 1662

Kötz, RabelsZ 37 (1973), S. 245, 250. Lawson, American Journal 25 (1977), S. 364, 370. Goutal, American Journal 24 (1976), S. 43, 53. Kötz, RabelsZ 37 (1973), S. 245, 253. Dawson, Oracles, S. 380, 381. Goutal, American Journal 24 (1976), S. 43, 61.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

vor dem 19. Jahrhundert¹⁶⁶³ entgegengesetzt entwickelten Urteilsformen, die ein unterschiedliches Rechtsverständnis erkennen lassen, zeigen die Bedeutung, die die Urteilsstilanalyse für das Verständnis der Funktion von Rechtsprechung hat. Die Einschätzung der Urteile aus dem deutschen Rechtskreis des 19. Jahrhunderts fällt unterschiedlich aus. Kötz nennt die Ausdrucksweise, ähnlich wie in französischen Urteilen, apodiktisch und unpersönlich¹⁶⁶⁴. So stelle ein Urteil den Akt einer anonymen Behörde dar, das jeden persönlichen Akzent der Richter vermissen lasse. Inhaltlich stellt er die offene Erörterung der Präjudizien heraus¹⁶⁶⁵. Ranieri hingegen betont, dass sich Gutachten- und Urteilsstil herausgebildet hätten, was durch die umfangreiche Ausbildungsliteratur begünstigt worden sei¹⁶⁶⁶. Außerdem bestehe eine deutsche Besonderheit in der strikten Trennung von rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen im Urteil. Im Hinblick auf das OAG Lübeck können diese Aussagen überprüft werden. Als Vergleichsmaßstab dienen dabei die Urteile aus anderen, oben beschriebenen Rechtskreisen. Anhand des Stils dieser Urteile lässt sich erkennen, ob nach der französischen Besatzungszeit in Lübeck von 1811 bis 1814 Urteile im französischen Stil verfasst wurden oder ob sich dieser Stil zumindest nach und nach durchsetzten konnte. Sahen sich die Lübecker Richter eher als Beamtenrichter, die streng aus dem Gesetz deduzierten, das ihre Legitimation Recht zu sprechen, begründete oder als selbst Recht schöpfende Personen, deren Urteil auf Überzeugung der Partei angelegt war? Anknüpfungspunkt sollen dabei nicht die Urteile selbst sein, sondern ihre Begründung¹⁶⁶⁷. Teilweise sind die Begründungen in die Urteile eingearbeitet. Bei umfangreicheren, schwierigeren Überlegungen ergingen die Entscheidungsgründe gesondert zum eigentlichen Urteil, das die Entscheidung verkündete. Wie oben gezeigt¹⁶⁶⁸, erhielt die Partei ebenfalls die Begründung des Urteils. Die Entscheidungsgründe ergingen damit gemeinsam mit dem eigentlichen Urteil. Bereits die Länge der Entscheidungsbegründungen zeigt, dass die Lübecker Richter sich nicht an dem knappen, aus einem Satz bestehenden Stil der Franzosen orientierten. 20 Spalten sind bei den Entscheidungsgründen, die separat zum Urteil ergingen, keine Seltenheit. Allerdings nahm sich das Urteil verglichen

1663 1664 1665 1666 1667

Ranieri, Stilus Curiae, S. 75, 83. Kötz, RabelsZ 37 (1973), S. 245, 256. Kötz, RabelsZ 37 (1973), S. 245, 257. Ranieri, Gedruckte Quellen I, S. XLVIII. Zur Auswertung der Entscheidungsbegründungen: Dölemeyer, ZNR 18 (1996), S. 288, 299. 1668 Unter Öffentlichkeit nach der Entscheidungs ndung: Erster Hauptteil C. I. 3. b).

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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mit der Relation sehr knapp aus. Im Unterschied zur Relation, die erst nach eingehender Darstellung der zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse und des bisherigen Prozessverlaufs auf das eigene Gutachten zu sprechen kam, stellte das Urteil nicht separat das tatsächliche Geschehen vorab dar. Markant an dem Aufbau der Entscheidungsgründe ist zweierlei. Zum einen ist der durchgehende Fallbezug der Ausführungen bemerkenswert. Es wurde oft explizit dem Kläger oder Beklagten zugestimmt oder widersprochen¹⁶⁶⁹, Zeugen wurden teilweise wörtlich zitiert¹⁶⁷⁰. Nach längeren allgemeineren rechtlichen Ausführungen nahm das OAG stets zum eigenen Fall Bezug, entsprechend einer Subsumtion. Zum anderen ist die Systematisierung der Ausführungen durch das Gericht hervorzuheben. Das Gericht teilte seine Abhandlungen in Haupt- und Nebenfragen ein, die mit Gliederungspunkten versehen wurden. Es unterschied zwischen formellem und materiellem Vorbringen und zwischen Grundsatz und Ausnahme. Die Entscheidungsgründe begannen häu g bereits im ersten Satz mit der Hauptfrage. Im Folgenden wurde vom Allgemeinen zum Besonderen fortschreitend beantwortet, um anschließend unter den konkreten Fall zu subsumieren. Dieser allererste Satz der Entscheidungsgründe erfasste oftmals vollständig die späteren Ausführungen, er war einem Obersatz vergleichbar. Die zusammenfassende Präzision dieser ersten Sätze bot für den Leser einer Akte des OAG eine gute Orientierung, welche tatsächlichen Verhältnisse der Entscheidung zugrunde lagen, sowie welche rechtlichen Fragen in der Hauptsache behandelt wurden. So lautete der erste Satz in den Entscheidungsgründen in einem Rechtsstreit zwischen den Ältesten des Bandreißeramtes gegen Friedrich Hinrich Ladewig unter Beistand der Ältesten im Böttcherhandwerks: „Den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreites macht, wie das OG im vorangegangenen Erkenntnisse mit vollem Recht bemerkt hat, lediglich die Frage aus: ob die Bandreißer befugt seyen, den Böttchern auch den Verkauf solcher Tonnenbändern zu verbieten, welche erwiesenermaßen von den Bandreißern selbst und nicht von den Böttchern verfertigt sind?“¹⁶⁷¹. In zahlreichen anderen Entscheidungsbegründungen ndet sich die große Bedeutung des

1669 Beispielsweise AHL OAG L I 41 Hilliger c. Blohm & Söhne (1824) Q 10, p. 10 der Entscheidungsgründe. 1670 Beispielsweise AHL OAG L I 90 Wehde c. Wwe. Steen (1828) Q 18 Entscheidungsgründe; L I 122 Hertel und Reederei der „Dora“ c. Wildtfanck u.a. (1830) Q 24, p. 5 der Entscheidungsgründe; L I 358 Kollecker c. Deutsche Lebensversicherungs-Gesellschaft (1853). 1671 AHL OAG L I 130 Älteste des Bandreißeramtes c. Ladewig in Beistand der Ältesten des Böttcherhandwerks (1830) Q 17, p. 1 der Entscheidungsgründe.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

ersten Satzes für die folgenden Ausführungen bestätigt. „Es kommt für die Prüfung der vorliegenden Appellationen in dieser Sache auf folgende (...) Fragen an: I, Ob die Einwendungen der Bekl gegen die Personen der vorgeschlagenen Zeugen gegründet seyen? II, Ob die aufgestellten Beweis-Artikel¹⁶⁷² ganz oder theilweise als unerheblich oder unzulässig zu verwerfen seyen? III, Ob die insbesondere nach Ablauf des Beweistermins denominirten Zeugen noch zuzulassen seyen, und IV, Ob die von den Kl(äg)ern nur allgemein vorbehaltene Eidesdelation als versäumt anzusehen sey?“¹⁶⁷³ Die Formulierung lehnte sich häu g an das Begehren einer Partei an. („Mit Unrecht bestreitet der Kl das Vorhandensein der Appellationssumme (...)“¹⁶⁷⁴; „Von den drei Beschwerden, welche der Beklagte wider das vorige Erkenntniß aufgestellt hat, beschäftigt sich I, die erste sich zunächst damit, daß die für die Ausgleichung in Jenerem bestimmten Tage auch auf den Fall angewandt werden soll, wenn er die ihm überlassene Roddeschen Weine nicht in natura, sondern in Gelde ersetzen würde“¹⁶⁷⁵; „Der Appellant geht in seiner Rechtfertigungsschrift wohl zunächst davon aus, daß ein Fabrikherr befugt sey, das Gesinde seiner Fabrik auch für solche Arbeiten anzustellen, welche sonst nur von Zunftgenossen verfertigt werden dürfen“¹⁶⁷⁶). Die auch vom Gericht ausdrücklich so bezeichnete Hauptfrage bündelte bereits die folgenden Ausführun-

1672 Instruierung des Richters durch die beweisführende Partei, nach welchen Tatsachen der Zeuge genau zu befragen sei, Bluhme, System, § 662, S. 536. 1673 AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Heinrich Marty (1835) Q 27, p. 1, 2 der Entscheidungsgründe. 1674 AHL OAG L I 697 Mull c. Petersen (1878) Q 25, p 1 und 2 der Entscheidungsgründe. 1675 AHL OAG L I 30 Behrens c. Mitverwalter der Konkursmasse von Rodde (1823) Q 14, p. 1 der Entscheidungsgründe; der erste Prozess von insgesamt fünf Prozessen (AHL OAG L I 30, L I 50, L I 62, L I 98, L I 132), die letztendlich zwischen den Erben 1830 mit einem Vergleich endeten. Der Kaufmann Matthäus Rodde (1754–1825) galt als reichster Mann Lübecks, war Eigentümer des Guts und Dorfes Moisling, in dem jüdische Einwanderer lebten, Ratsherr und Bürgermeister, zu ihm: Brandt, Geist und Politik, S. 78; Guttkuhn, Geschichte der Juden, S. 50, 234. Während der französischen Besatzung Lübecks verschuldete er sich und musste Konkurs anmelden, vgl. Hassenstein, Rodde-Schlözer, in: Lübecker Lebensläufe, S. 327, 329, zu seiner Frau, die als erste Frau Doktor der Philosophie war. Bei Jacob Behrens sen. handelt es sich möglicherweise um den Vater der Gebrüder Behrens (die alle den Zweitnamen Jacob trugen) aus Moisling. Zumindest ließ er sich in allen Prozessen von Carl August Buchholz, erfolgreicher Sachwalter, der sich politisch für die Gleichstellung der Juden engagierte und als Anwalt der jüdischen Gemeinde tätig war. Zu ihm und zu den Gebrüdern Behrens: Guttkuhn, Geschichte der Juden, S. 108, 119, 123, 228. 1676 AHL OAG L I 46 ee c. Älteste des Böttcherhandwerks (1825) Q 14, p. 1, 2 der Entscheidungsgründe.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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gen, nahm teilweise aber auch, dem Urteilsstil entsprechend, bereits das Ergebnis vorweg. „Wenn sich die Kläger I, darüber beschweren, daß ihnen noch ein Beweis von ihrem behaupteten ausschließlichen Rechts auf die Verfertigung von Rohr (...) als bereits erwiesen angenommen sey, so wird diese Beschwerde A, durch die von ihnen in dieser Sache beigebrachte Urkunden nicht gerechtfertigt“¹⁶⁷⁷. „Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Obergutachten des Inspectors Witthaus (...) nicht die Natur eines Schiedsspruch hat“¹⁶⁷⁸. Der erste Satz entsprach also dem Obersatz des Urteilsstils. Dennoch wurde das Ergebnis, wie es im Urteilsstil üblich ist, nicht unbedingt vorweggenommen, sondern in den Entscheidungsbegründungen teilweise erst anhand der Ausgangsfrage entwickelt. Insofern wurde der Urteilsstil gelegentlich durch den Gutachtenstil überlagert. Es nden sich auch erste Sätze („Der Kläger beschwert sich auch in gegenwärtiger Instanz über die erkannte Abweisung der Klage angebrachtermaßen und verlangt ein Erkenntniß in Gemäßheit seiner Klagbitte“¹⁶⁷⁹), die zu fast jeder Appellation passen. Dies war aber höchst selten der Fall. Jeder einzelne erste Satz der Entscheidungsgründe war meist individuell. Oft angelehnt an das Vorbringen der Parteien gab er bereits das vor, was das Gericht im Folgenden näher ausführte. Auch wenn der erste Satz vom Gericht ausdrücklich als Hauptfrage bezeichnet wurde, handelte es sich jedoch stilistisch nicht immer um echte Fragen, sondern auch um Ergebnissätze. Dies handhabten die Richter unterschiedlich, wahrscheinlich abhängig von der Schwierigkeit seiner Beantwortung. Der erste Satz war für den Leser jedes Mal ein, oft durch Gliederungszeichen hervorgehobener Wegweiser durch die Entscheidungsgründe. Handelte es sich um mehrere inhaltliche Punkte, wurden sie durch Gliederungszeichen aufgesplittet¹⁶⁸⁰. Dabei versuchte das Gericht vom Generellen auszugehen und die Ausnahmen zu erarbeiten¹⁶⁸¹. Welche Bedeutung der erste Satz für die folgenden Ausführungen hatte und wie die Richter dabei vorgingen, soll der folgende Aktenauszug verdeutlichen. Der Appellant George Smith (Impetrant der vorigen Instanz) hatte in erster In-

1677 AHL OAG L I 308 Älteste des Amts der Stuhlmacher c. Tischlermeister Boldt in Beistand seines Amts (1848) Q 19, p. 1, 2 der Entscheidungsgründe. 1678 AHL OAG L I 512 Derlien c. Direktion der Lübeck-Büchener Eisenbahn-Gesellschaft (1864) Q 11, p. 1 der Entscheidungsgründe. 1679 AHL OAG L I 662 Ehlers c. Müter (1876) Q 15, p. 1 und 2 der Entscheidungsgründe. 1680 Beispielsweise AHL OAG L I 497 Walte c. Riunione Adriatica di Sicurtà (1862) Q 14, p. 13, 14 der Entscheidungsgründe. 1681 Beispielsweise AHL OAG L I 122 Hertel und die Reederei „Dora“ c. Wildtfanck u.a. (1830) Q 24, p. 3, 4 der Entscheidungsgründe.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

stanz Herausgabe der Rapssaat von Johann Hoffmann gefordert, die sich auf einem Gut in Jütland befand. Es war strittig, wem das Gut nun gehöre. Dazu war ein Beweisinterlokut ergangen, das Hoffmann die Beweislast bezüglich des Eigentums auferlegt hatte. Im Beweisverfahren hatte Hoffman jedoch nach Ansicht des Niedergerichts diesen Beweis erbringen können. Gegen dieses Endurteil richtete sich nun die Appellation des Smith. Das OAG führte dazu aus: „Der Impetrat (also Hoffmann) solle beweisen, daß er Mitheigenthümer des Gutes Gyllingnäs in Jütland sei, oder als solcher bereits gerichtlich anerkannt worden“¹⁶⁸². Die Richter fassten zu Beginn der Entscheidungsgründe also zunächst den Sachverhalt und das Ergebnis voriger Instanz zusammen, bevor sie zu eigenen Ausführungen vordrungen. „Offenbar hängt die ganze Frage von dem Mitheigenthum des Impetraten von dem genaueren Inhalt der zwischen beiden eilen anfänglich errichteten Vertrages ab. Ging dieser dahin, daß das Gut dem Impetraten sofort mit gehören solle, jedoch unter der Verbindlichkeit, demnächst den vom Impetranten vorläu g allein ausgelegten Kaufpreis zur Hälfte zu erstatten, so war ein solches Mitheigenthum des Impetraten allerdings vorhanden. Ging dem Inhalt des Vertrages dahin, daß der Impetrat in das vorläu g vom Impetranten für sich allein erworbene Gut, sobald der Impetrat den halben Kaufpreis vorlegen würde, als Mitheigenthümer aufgenommen werden solle“¹⁶⁸³. Die Richter legten hier zunächst den abstrakten Maßstab für die anschließende Vertragsauslegung fest, ob nun Hoffmann als Miteigentümer anzusehen war oder nicht. Dabei unterschieden die Richter, mit welcher Intention der halbe Kaufpreis erstattet werden sollte. Dass die dingliche Berechtigung getrennt von der Verp ichtung zu prüfen war, lässt auf die Anwendung des Abstraktionsprinzips schließen¹⁶⁸⁴. „Demnach hätte der Impetrat bey der ihn treffenden Beweislast diesen Punct vor allen Dingen aufklären müssen, und schon daß er dies unterlassen, ist einer der wesentlichen Mängel seiner Beweisführung“¹⁶⁸⁵. In einer einfachen Sprache führten die Richter den Leser zu einem nachvollziehbaren Ergebnis hin. Die Richter stellten das Verallgemeinerungsfähige heraus und wandten es erst im Anschluss auf den konkreten Fall an. Sie reduzierten den Streit auf eine rechtliche Frage, die sie im Folgenden zunächst möglichst abstrakt und generell für Miteigentum und dann in Bezug auf den konkreten Fall entschieden. So gestalteten sie die Entscheidungsgründe übersichtlich. Zunächst den Grundsatz darzustellen,

1682 AHL OAG L I 51 Smith c. Hoffmann (1825) Q 13, p. 4 der Entscheidungsgründe. 1683 AHL OAG L I 51 Smith c. Hoffmann (1825) Q 13, p. 10 der Entscheidungsgründe. 1684 Zur im 19. Jahrhundert durch Savigny entwickelten eorie von dem abstrakten dinglichen Vertrag durch neue Auslegung der römischen Quellen: Coing, Privatrecht II, S. 394. 1685 AHL OAG L I 51 Smith c. Hoffmann (1825) Q 13, p. 10 der Entscheidungsgründe.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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hatte den Vorteil, hierauf zurückgreifen zu können, um diesen auch auf andere, später zu entscheidende Rechtsfälle anzuwenden. Zwischen Hoffmann und Smith war nur der Beweis des Miteigentums strittig, in anderen Fällen förderte die Abstrahierungsleistung der Richter die Rechtssicherheit noch stärker. Die Richter fassten die einzelnen zerfaserten Rechtsquellen zusammen, räumten Widersprüche aus und legten sich auf einen Grundsatz fest¹⁶⁸⁶. So bot das Gericht den Lesern des Urteils Orientierung in der Rechtsquellenvielfalt. Diese Vorgehensweise entsprach dem wissenschaftlichen Ideal der Pandektenwissenschaft. Puchta führte in seinen „Pandecten“ aus, dass es Aufgabe der Wissenschaft sei, einen anzuwenden Rechtssatz aus den Prinzipien des bestehenden Rechts zu erschließen. Dabei sei folgendermaßen vorzugehen. Zuerst sei der Rechtssatz aus den Prinzipien, unter die der Fall „seiner Natur nach gehörte“, zu erschließen („juristische Consequenz“). In einem zweiten Schritt sei dieselbe Folgerung zu ziehen, die auch sonst bei gleichen Umständen vorkomme („Analogie“)¹⁶⁸⁷. Das OAG stellte verschiedene Argumente dar („einerseits – andererseits“). Die Entscheidungs ndung des Gerichts konnte der Leser so nachvollziehen und damit überprüfen. Das Gericht unterschied dabei nicht strikt zwischen dem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen der Parteien, sondern verknüpfte beides und stellte es so im thematischen Zusammenhang dar. Länge, Aufbau und Sprachstil alleine reichen nicht aus, den Urteilsstil eines Gerichts zu würdigen. Denn auch der Umgang mit Autoritäten¹⁶⁸⁸, also zitierten Lehrmeinungen, anderen Gerichten und vorhergehenden eigenen Urteilen können über das Selbstverständnis des Gerichts Auskunft geben. Daneben können Art, Umfang und Schwerpunkt einer Begründung Rückschlüsse auf den Adressatenkreis zulassen¹⁶⁸⁹. Teilweise wurden Rechtsquellen wörtlich zitiert¹⁶⁹⁰ und so der Leserschaft bekannt gemacht. Für die Parteien, denen der Text ohnehin bekannt gewesen sein müsste, da sie oft auf die Rechtsquellen in den Schriftsätzen hingewiesen hatten, wäre das Zitat über üssig gewesen. Es sollte also eine größere Leserschaft angesprochen werden, denen die Rechtsquelle nicht bekannt und, gerade die parti-

1686 Vgl. die Zusammenfassung zu Zeugen: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3) (c); zur litis contestatio: Zweiter Hauptteil B. I. 2. d) oder zu den nova: Zweiter Hauptteil B. III 2. e). 1687 Puchta, Pandekten, § 16, S. 26. 1688 Dazu Duve, Mit der Autorität, S. 239, 243. 1689 Darauf weist Dölemeyer, ZNR 18 (1996), S. 288, 299, hin; zu dem Adressatenkreis Partei und Wissenschaft: Haferkamp, ZNR 27 (2005), S. 140, 141. 1690 Beispielsweise Bruhn, Sl. 2, No XLIV (223A), Möller c. Möller (1837), S. 367, 371: Gemeiner Bescheid vom 6. Februar 1756.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

kularen Rechtsquellen, vielleicht nicht leicht zugänglich waren. Auch der zusammenfassende und gleichzeitig gliedernde erste Satz legt es nahe, dass neben den Parteien andere Leser angesprochen werden sollten. Den Parteien war der Sachverhalt durchaus bekannt, so dass es einer Zusammenfassung nicht bedurft hätte. Schließlich lassen die generalisierenden Antworten des Gerichts vermuten, dass Erkenntnisse über den konkreten Fall hinaus gefunden werden sollten. Die Parteien aber dürften in erster Linie an der Entscheidung ihres Falles interessiert gewesen sein. Eine allgemeinere Beantwortung der Rechtsfrage unter einer ausführlichen Herleitung anhand verschiedener Rechtsquellen und Literaturmeinungen hatte für die rechtlich meist rechtsunkundige Partei keinen eigenen Wert. Neben der Partei und ihren rechtlichen Beiständen sollten also die Entscheidungsgründe eine breitere Leserschaft ansprechen. Die Gründe waren auch für eine wissenschaftlich interessierte, nicht unbedingt mit der lübeckischen Gesetzgebung vertrauten Öffentlichkeit gedacht. Diese Annahme ndet sich sowohl in den Entscheidungsgründen selbst, als auch durch die Entscheidungssammlungen¹⁶⁹¹ bestätigt. Das OAG schrieb die Entscheidungsgründe also für einen Leser, der die Möglichkeit hatte, die Erwägungen, einzelne Argumente und die Rechtsquellen nachzuprüfen, immer auch als Antwort auf das Vorbringen der Parteien. Neben den Parteien sprach das Gericht die Wissenschaft als Adressat der Entscheidungsgründe an. Es fand ein sehr selbstbewusster und kritischer, wissenschaftlicher Umgang mit Autoritäten statt. Das Gericht sah sich offensichtlich nicht allein der Lehre verp ichtet. Es versuchte, die verschiedenen Rechtsquellen auf gemeinsame Grundsätze zurückzuführen. Dabei verlor es aber nicht den konkreten Einzelfall aus den Augen. Auch wenn vielfach die rechtlichen Ausführungen quellenexegetisch und dementsprechend sehr ausführlich dargestellt wurden, führte das Gericht die allgemeinen Ausführungen auf den Einzelfall zurück. So wurde eine Verbindung zwischen wissenschaftlicher Herleitung und Fallergebnis gefunden. Dies stimmte mit der Forderung Kierulffs überein, einen guten Richter erkenne man daran, dass dieser „den Geist der herrschenden Grundsätze“¹⁶⁹² begreife. Ein apodiktischer Sprachstil kann nicht beobachtet werden. Es handelte sich um eine recht verständliche Sprache, die kompliziertere Gedankengänge einfach aufgliederte dabei sachlich war. Lateinisches Fachvokabular wurde vorausgesetzt, aber doch vergleichsweise selten zitiert, Abkürzungen wurden kaum verwandt. Die Entscheidungsgründe waren damit auf einen Leser zugeschnitten, dessen Akzeptanz das Urteil anstrebte. Die Aufteilung von rechtlichen und tatsächlichen Aus-

1691 Dazu siehe unter Entscheidungssammlungen: Erster Hauptteil C. I. 3. b) dd). 1692 Kierulff, eorie, S. 261 in Fn.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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führungen wurde erstaunlicherweise nicht strikt durchgehalten. Allerdings nahmen die Richter auf die Tatsachen in den Entscheidungsgründen nur insoweit Bezug, als es für die zuvor festgestellten rechtlichen Hauptfragen zuträglich war. Als Appellationsinstanz beschäftigten sich die Richter in erster Linie mit einer rechtlichen und nicht einer tatsächlichen Überprüfung, da letztere der ersten Instanz durch Zurückverweisung überlassen blieb. Einen Tatbestand im heutigen Sinne stellten die Richter nicht in den Entscheidungsgründen dar, sondern formulierten diesen nur in den Relationen, die der Entscheidungs ndung vorausgingen. Eine Hinwendung zum französischen Urteilsstil ist nicht ersichtlich. Zwar deduzierten auch die Richter des OAG ihr gefundenes Ergebnis aus den bestehenden Gesetzen. Anders als die Franzosen, die auf den Code zurückgreifen konnten, stand dem OAG keine Kodi zierung zur Verfügung, was zumindest die eigene Zusammenstellung der Rechtsquellen erforderlich machte. Darüber hinaus glichen sie das Ergebnis mit anderen Autoritäten ab. Gemeinsamkeiten mit dem englischen Urteilsstil bestanden darin, dass sich auch das OAG mit der eigenen früheren Rechtsprechung auseinandersetzte, die aber einen vollkommen anderen Stellenwert hatte. Außerdem waren ihre Urteile ebenfalls auf Überzeugung und auf Akzeptanz des Lesers angelegt.

7.

Entscheidungsgründe als Wissenschaft

Die wissenschaftliche Arbeitstechnik wird an einer oft zitierten Entscheidung¹⁶⁹³ besonders deutlich. In dieser Entscheidung führte das OAG aus, ob und unter welchen Bedingungen ein Mediator als Zeuge zuzulassen sei. Ausgehend von Nov. 90, 8 problematisierten die Richter, wer als Mediator zu bezeichnen sei. Dazu zitierten sie ältere Autoren, die sich auf Glossatoren beriefen, sowie jüngere, die systematische Gründe für ihre Ansicht anführten. Im Weiteren entwickelte das OAG eine eigene Auffassung, ausgehend vom griechischen Originaltext der Novelle, die sie etymologisch deuteten. Dazu zogen die Richter verwandte Begriffe der griechischen Sprache heran, die sie mit Hilfe verschiedener Wörterbücher übersetzten und anschließend auf verschiedene Übersetzungen der fraglichen Novellenstelle eingingen. Nach dieser eindrucksvollen Darlegung, die auf ein hervorragendes Allgemeinwissen der Richter hindeutet, entkräfteten sie die angeführten abweichenden Meinungen, indem sie Justinian zitierten.

1693 Seufferts Archiv, Bd. 14, Nr. 176, Blunck c. Köppen (1845), S. 299 ff. = Bruhn, Sl. 2, No LVII (242), Blunck c. Köppen (1845), S. 437; oft zitierte Entscheidung als Kuriosum bei Kraglund, OAG Familienrecht, S. 120; Scheuermann, Zivilrechtspraxis, S. 30 ff.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

338

Wesenberg, der den Ein uss Savignys auf die Rechtsprechung des OAG Dresden untersucht hat, urteilt, dass textkritische Erörterungen unter der Herrschaft des usus modernus nicht möglich gewesen seien und bewertet die Ausführungen als unverkennbaren Ein uss Savignys¹⁶⁹⁴. In der zitierten Entscheidung des OAG Dresden hatten die Richter es abgelehnt, sich an den rezeptierten Text einer Kaiserkonstitution zu halten und stattdessen den Originaltext im griechischen Wortlaut zugrunde gelegt. Was den griechischen Originaltext einiger Novellen betrifft, führte Wächter allerdings aus, dass lediglich die lateinische Übersetzung rezipiert sei¹⁶⁹⁵. Dies entspreche der „wohl stets“ herrschenden Ansicht der Gerichte und sei lediglich bei den eoretikern nicht unbestritten. Das OAG Lübeck zog zur Auslegung der Novelle in lateinischer Übersetzung die griechische heran, legte also nicht unmittelbar die griechische als Rechtsquelle zugrunde. Zumindest die Herangehensweise, die möglichen Wortbedeutungen des Begriffs Mediator darzustellen, eine eigene Ansicht zu entwickeln und die übrigen Ansicht mit Begründung anzulehnen, entspricht einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung, die durch die historische Schule gefördert ist. Wenn auffällt, dass die Entscheidungsgründe wissenschaftlich verfasst sind, dass die Veröffentlichungen einen wissenschaftlichen Anspruch erheben, wenn von Gerichtsentscheidungen als Wissenschaft gesprochen wird, so drängt sich die Frage auf, was Wissenschaft in dem Zusammenhang genau bedeutet. Welches Ideal von Wissenschaft bestimmte das 19. Jahrhundert? Entsprachen die Entscheidungsgründe dieser Vorstellung? Nahm also auch die Rechtsprechung für sich in Anspruch, eine wissenschaftliche Autorität zu sein? Ganz allgemein de nierte man Wissenschaft als den Inbegriff der gleichartigen, systematisch, also nach durchgreifenden Hauptgedanken, geordneten Erkenntnisse¹⁶⁹⁶. Was aber bedeutete das genau für die Rechtspraxis des OAG?

a)

Prozessrecht und gerichtliche Praxis als Wissenschaft

Ob das Prozessrecht selbst der wissenschaftlichen Jurisprudenz zuzurechnen war oder doch der praktischen, war Ende des 18. Jahrhundert noch strittig gewesen¹⁶⁹⁷. Im 19. Jahrhundert aber war das Prozessrecht Gegenstand zahlreicher

1694 1695 1696 1697

Wesenberg, ZRG/RA 67 (1950), S. 459, 466. Wächter, Handbuch I, § 126, S. 1090; so auch Savigny, System I, § 17, S. 67. Meyers Konversationslexikon, Bd. 20(1909), „Wissenschaft“, S. 695. Simon, Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 141, 147.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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Systeme und Lehrbücher, so dass der Prozess zweifellos der Wissenschaft zugerechnet wurde. Die Trennlinie zwischen Praxis und Wissenschaft verlief dennoch anders als heute. So wurden – in idealistischer Tradition¹⁶⁹⁸ – Rechtsanwender, also auch Richter, als der Wissenschaft zugehörig eingeordnet und nicht als Praktiker¹⁶⁹⁹. Puchta formulierte, dass idealerweise Wissenschaft und Praxis miteinander verschmelzen: „Indem somit die ätigkeit der (römischen) Juristen auf das Wesen der Sache ging, (...) so daß ihr Beruf sich ganz auf die Wissenschaft, und ihre Wissenschaft ganz auf ihren Beruf sich bezog, konnte bei ihnen weder eine unlebendige eorie, noch eine unwissenschaftliche Praxis entstehen, eorie und Praxis standen bei ihnen in dem allein wahren Verhältnis, daß sie in einander aufgingen“¹⁷⁰⁰. Ähnlich klang Savigny schon 1816: „Was uns im Großen und Ganzen am meisten helfen kann, ist allein ein wissenschaftlicher Geist, der das Geschäft des Juristen, auch das gewöhnliche, praktische Geschäft, zu veredeln im Stande ist“¹⁷⁰¹. Angestrebt wurde demnach eine wissenschaftliche Praxis.

b) Verwissenschaftlichung der Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert Eine allgemeine Tendenz zur Verwissenschaftlichung prägte im frühen 19. Jahrhundert den Umgang mit dem positiven Recht¹⁷⁰². Ein System, wohin man auch blickte¹⁷⁰³. Nicht mehr die Nützlichkeit an sich sei bestimmend gewesen, sondern Wissenschaft sei als etwas entdeckt worden, das mehr war als reines Mittel¹⁷⁰⁴. Die Rechtswissenschaft war davon nicht unberührt geblieben. Eine Entwicklung weg von der Rechtsgelehrsamkeit hin zur Rechtswissenschaft, die die Methode und nicht das Einzelwissen in den Mittelpunkt rückte, fand statt. Wissenschaft wurde so mehr als Disziplin oder Lehre verstanden, die es näher zu präzisieren galt¹⁷⁰⁵. So forderte Feuerbach in seiner Antrittsvorlesung klare Begriffe als formelle Bedingungen der Wissenschaft, insbesondere aber Erkenntnis der Grundsätze und

1698 Rückert, Autonomie des Rechts, S. 62. 1699 Feuerbach, Über Philosophie, S. 6; zu Savignys Auffassung zum Verhältnis Wissenschaft und Praxis, differenziert: Rückert, Idealismus, S. 152 Fn 9. 1700 Puchta, Institutionen I, S. 247. 1701 Zitiert nach Rückert, TRG 61 (1993), S. 65, 87, der dies als „Meinung von der Wissenschaft als dem Königsweg“ beschreibt. 1702 Schröder, Wissenschaftstheorie, S. 154 Fn 115. 1703 Rückert, Heidelberg, S. 83, 116. 1704 Mazzacane, Jurisprudenz, S. 30, weiterführende Hinweise zur Wissenschaftsentwicklung im 19. Jahrhundert in Fn 119; Schröder, Wissenschaftstheorie, S. 145. 1705 Simon, Rechtshistorisches Journal 7 (1988), 141, 143.

340

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

einen systematischen Zusammenhang der Lehre¹⁷⁰⁶. Hugo de nierte die Wissenschaft über ihre Form, die den logischen Regeln gemäß sein müsse¹⁷⁰⁷. Savigny legte in seiner Schrift „Vom Beruf unserer Zeit“ dar, dass die leitenden Grundsätze des Rechts „heraus zu fühlen, und von ihnen ausgehend den inneren Zusammenhang und die Art der Verwandtschaft aller juristischen Begriffe und Sätze zu erkennen, gehört eben zu den schwersten Aufgaben unsrer Wissenschaft, ja es ist eigentlich dasjenige, was unsrer Arbeit den wissenschaftlichen Charakter giebt“¹⁷⁰⁸. Savigny stand damit in der Tradition Kants, der System und Begründung als das Wissenschaftliche ausmachend anerkannte¹⁷⁰⁹. Er ging aber auch über ihn hinaus. So bildete der wichtige geschichtliche Ansatz ein neues Element, nämlich die Verknüpfung von Gesetz und Wissenschaft¹⁷¹⁰. Das mitgewachsene historische Wissen sollte in das Recht ein ießen, das Recht bilden. Dadurch strebte Savigny durch Prinzipien und System die Vollständigkeit des Rechts als Ideal an¹⁷¹¹. Feuerbach, Hugo und Savigny als bedeutende Rechtswissenschaftler im frühen 19. Jahrhundert, strichen die Bedeutung eines Systems heraus. Ein System verstanden sie nach Kant als eine Einheit durch verschiedene Elemente, die einen Sinnzusammenhang bilden, ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes¹⁷¹². Dieser Systemgedanke deutet darauf hin, dass sie Rechtswissenschaft, so zersplittert und kasuistisch die Rechtsquellen waren, als ein Ganzes verstanden. Dieses Ganze galt es im Zusammenhang zu begreifen und nicht an beispielhaft verstandenen Einzelregelungen festzumachen. Jhering hielt das „Abstraktions- und Generalisierungsvermögen“ für unentbehrlich, um die Wissenschaft zu fördern¹⁷¹³. Wie diese organische Einheit, dieser Sinnzusammenhang zu ermitteln war, erklärte die Methodik. Dazu erschienen zu der Zeit verschiedene Veröffentlichungen. Die Worte Begriffe, Systematik, Begründung, Form und Grundsätze, so ausfüllungsbedürftig sie sein mögen, zeichnen doch ein Bild von Rechtswissenschaft als einer nachvollziehbaren, ordnenden und Regel gemäßen Disziplin. Deutlich grenzt sich Wissenschaft damit gegen Irrationalität, Subjektivismus und Indivi-

1706 1707 1708 1709 1710 1711 1712 1713

Feuerbach, Über Philosophie, S. 25, 28 und darin Naucke, S. XII. Hugo, Encyclopädie, § 37, S. 31. Savigny, Vom Beruf, S. 22. Rückert, in: HKK, Das BGB und seine Prinzipien, Rn. 56 ff.; Schröder, Wissenschaftstheorie, S. 166. Rückert, in: HKK, Das BGB und seine Prinzipien, Rn. 64. Rückert, in: HKK, Das BGB und seine Prinzipien, Rn. 65. Kant, Metaphysische Anfangsgründe, S. IV. Jhering, Jahrbücher Bd. 17 (1879), S. 145, 157; spricht diese Fähigkeit OAG-Rat Wunderlich in dessen Nachruf pikanterweise ab.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

341

dualismus ab¹⁷¹⁴. Jan Schröder weist die Verwissenschaftlichung anhand der juristischen Ausbildung an den Universitäten nach¹⁷¹⁵. Daneben ist aber auch in der praktischen Jurisprudenz, zumindest in der Rechtsprechung des OAG Lübeck, eine solche Entwicklung erkennbar. Eine Stärkung der Praxis wird gar mit der Entwicklung von Dogmatik gleichgesetzt¹⁷¹⁶. Dieser wissenschaftlich-systematische Stil des 19. Jahrhunderts¹⁷¹⁷ spiegelte sich auch in der Rechtspraxis. Dies zeigt insbesondere die Kritik Kirchmanns¹⁷¹⁸. Die wissenschaftliche Vorgehensweise der Rechtsprechung wurde nicht nur positiv gewertet. 1848 kritisierte Kirchmann die über üssige Verwissenschaftlichung der Rechtswissenschaft anhand von Entscheidungsbegründungen, also anhand der Rechtsprechung¹⁷¹⁹. Er stellte die Rechtswissenschaft als eigene Wissenschaft in Frage und nahm damit eine radikale Position gegen den Trend der letzten Jahrzehnte ein. Diese „Wissenschaftlichkeit“ äußere sich darin, dass für Selbstverständlichkeiten ein enormer Begründungsaufwand geleistet werde. Stattdessen sei es Aufgabe des Gesetzgebers, vorhandene Lücken zu schließen. Damit entfalle das Bedürfnis, unökonomisch und wirklichkeitsfremd Lücken auszufüllen. Kirchmann wies stattdessen auf die politische Verantwortung der Rechtswissenschaft hin¹⁷²⁰. Nach diesem Verständnis von Wissenschaft brauchte sie als Legitimation ein politisches Ziel. Danach beschrieb das Begriffspaar Wissenschaft und Politik keine Gegensätze, sondern die Wissenschaft diente der Politik. Mit dieser rigiden Kritik stand Kirchmann jedoch alleine, die empörten Antworten der in ihrem Selbstverständnis in Frage gestellten Juristen folgten postwendend¹⁷²¹.

Simon, Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 141, 151. Schröder, Wissenschaftstheorie, S. 252. Coing, Systembegriff, S. 149, 155. Rückert, in: HKK I, Das BGB und seine Prinzipien, Rn. 50. Julius von Kirchmann (1802–1884), Jurist und Philosoph, in der Justiz, Politik tätig und an Gesetzgebungsarbeiten beteiligt, vgl. Holz, NDB Bd. 11, S. 654, 655. 1719 Kirchmann, Werthlosigkeit, insbesondere S. 23 ff. 1720 So interpretiert ihn Rückert, Autonomie des Rechts, S. 77. 1721 Aufzählung der Schriften, die sich gegen Kirchmann wandten bei Simon, Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 141 Fn 2: Carl Retslag, Apologie der Jurisprudenz. Eine Erwiderung auf den von Herrn Staatsanwalt von Kirchmann in der juristischen Gesellschaft zu Berlin gehaltenen Vortrag, Berlin 1848; Adolph August Friedrich Rudorff (anonym), Kritik der Schrift des Staatsanwalts v. Kirchmann über: Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. Von einem Lehrer dieser Wissenschaft, Berlin 1848; Adolph Schönstedt, Die Bedeutung der Jurisprudenz als Wissenschaft. Eine Entgegnung, Magdeburg 1848; Friedrich Julius von Stahl, Rechtswissenschaft oder Volksbewußtsein? Eine Beleuchtung des von Herrn Staatsanwalt von Kirchmann gehaltenen Vortrags: Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Berlin 1848. 1714 1715 1716 1717 1718

342

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

c) Rechtsprechung und Grundsätze Neben den einzelnen Inhalten bediente sich das OAG konsequent einer besonderen Technik¹⁷²². Es entwickelte Grundsätze und leitete daraus die Lösung für den Einzelfall ab. Was als Forderung an die Gesetzgebung gestellt wurde¹⁷²³, verwirklichte das OAG im Rahmen der Entscheidungsbegründungen. Dass überhaupt eine eingehende Entscheidungsbegründung existierte, zeugte von einem sich rechtfertigenden, Legitimation suchenden Rechtsprechungsorgan¹⁷²⁴. Die Begründung selbst entsprach einer individuellen, in ihren Strukturen aber wiederkehrenden Anordnung. Die Gründe begannen mit der zugrunde liegenden abstrakt formulierten Rechtsfrage. Bei der Beantwortung berief sich das OAG auf Rechtsquellen oder Grundsätze, anhand derer der konkrete Fall deduziert wurde. Wie die Richter im Einzelnen Grundsätze entwickelten, soll im Folgenden untersucht werden. Der Begriff Grundsatz als solcher tauchte oftmals in den Entscheidungsbegründungen auf. Dann ist von allgemeinem Rechtsgrundsatz¹⁷²⁵, Grundsätzen des wahren Rechts¹⁷²⁶, grundsätzlich oder Grundsatz¹⁷²⁷ oder dem Geiste des Prozessrechts¹⁷²⁸ die Rede. Ein Rechtsproblem beantworteten die Richter, indem sie vom Grundsätzlichen ausgingen und Ausnahmen davon postulierten. Diese Vorgehensweise erinnert an die Forderung der Rechtswissenschaftler, Sinnzusammenhänge zu schaffen, aus einzelnen Rechtssätzen Grundsätze aufzustellen und anhand derer wiederum den konkreten Fall zu lösen. Dabei handelte es sich nur

1722 Zu der Differenzierung Inhalt – Technik, siehe Rückert, in: HKK, Das BGB und seine Prinzipien, Rn. 4, 5. 1723 Dazu Rückert, in: HKK, Das BGB und seine Prinzipien. 1724 So auch Hocks, Gerichtsgeheimnis, der nicht so sehr die äußeren Ein üsse als den Richter selbst für diese Entwicklung verantwortlich macht. 1725 Zum Beispiel in AHL OAG L I 40 Gäth c. Elhabe (1824) Q 10 Entscheidungsgründe, p. 6. 1726 Wunderlich, Bd. 2, No 442 A, Magdeburger Feuer-Versicherungs-Gesellschaft c. Bohnhoff (1864), S. 314, 319. 1727 AHL OAG L I 99 Älteste der Gewandschneider-Companie c. Janicke (1828) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 10; Bruhn, Sl. 1, No LXV (98 B), Evers Debitmasse c. ee (1830), S. 254, 259; Bruhn, Sl. 2, No XXI, Müller c. Otard (1835), S. 160, 161; Wunderlich, Bd. 1, No 316, Vorster c. Ehefrau (1853), S. 313, 315; Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi & Co., jetzt Jacobi Wwe. c. Zernitz (1855), S. 392, 394; Wunderlich, Sl. 2, No 457, Unv. Wolff c. Philippson Testamentsvollstrecker (1863), S. 359, 360; Kierulff, Bd. 3, No 49, Cur. Bon. Bergmann c. Bergmann (1867), S. 402, 411; AHL I OAG L I 641 Papke c. Knaavk (1874) Q 23 Entscheidungsgründe p. 7; AHL OAG L I 662 Ehlers c. Müter (1876) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 10. 1728 So in AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27, p. 9 der Entscheidungsgründe.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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selten um Argumente¹⁷²⁹, sondern eher um Prinzipien, von denen ausgegangen wurde. Das zeigt sich unter anderem daran, dass unter den dargestellten Grundsatz subsumiert wurde. Die Stoffsystematisierung anhand von allgemeineren Aussagen durchzog die Arbeit des Gerichts. Vielfach formulierten die Richter obiter dicta, trafen also Entscheidungen, die über den konkreten Fall hinausreichten¹⁷³⁰. Die Richter legten einzelne Begriffe aus und erarbeiteten eigene Ordnungsfunktionen. Außerdem lassen sich zusätzlich zur Begründung solcher Systeme vielfach Zweck- und Interessenerwägungen nden. Die Lebenswirklichkeit oss gelegentlich durch die Natur der Sache in die Entscheidungs ndung ein. Auch die Ausnahmen von der Regel statuierte das OAG, um dem einzelnen Fall gerecht zu werden¹⁷³¹. Einmal betonte das OAG sogar ausdrücklich, dass das System nicht über dem wirklichen Recht stehen dürfe, dass also die materielle Gerechtigkeit das Ziel der Rechts ndung sei¹⁷³². Damit ließ sich das OAG weniger von dem formalen System anhand von Begriffen leiten, als von der Suche nach Regelmäßigkeiten und Sinnzusammenhängen, wobei es die Lebenswirklichkeit aber nicht aus dem Blick verlor.

aa) Entwicklung der Grundsätze durch das OAG Die Grundsätze entwickelten die Richter größtenteils aufgrund der Rechtsquellen, teilweise auch allein anhand der Literatur. Die Rechtsquellen selbst dienten dabei zwar meist als Anknüpfungspunkt, nahmen neben den aus ihnen entwickelten Grundsätzen aber nur eine untergeordnete Stellung ein. Die oft nur Einzelfälle lösenden Rechtssätze traten hinter den selbst entwickelten „Grundsätzen“ zurück. Diese allgemeine Gültigkeit beanspruchenden Aussagen bildeten die Richter größtenteils anhand verschiedenster Rechtsquellen in einer Gesamtschau; sie verglichen also verschiedene Gesetze. Dabei wandten die Richter verschiedene Ausle-

1729 Rückert, in: HKK I, Das BGB und seine Prinzipien, Rn. 84, differenziert zwischen allgemeinen Rechtsgedanken, die als Argument verwandt werden und Rechtsregeln, unter die subsumiert wird und zwischen Optimierungsprinzipien, die als hinter den Normen stehende Steuerungsfunktion begriffen wird. 1730 Zu Kierulffs Forderung nach Systematisierung durch Grundsätze, siehe oben unter gemeines Recht: Zweiter Hauptteil A. I. 3. a). 1731 So plastisch in der Entscheidung: AHL OAG L I 713 Möllendorf c. Flotow (1879) Q 15, p. 11 der Entscheidungsgründe, vgl. dazu die Entscheidungsbesprechung unter Glaubwürdigkeit der Zeugen: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3). 1732 Wunderlich, Bd. 2, No 442 A, Magdeburger Feuer-Versicherungs-Gesellschaft c. Bohnhoff (1864), S. 314, 319: Das wahre Recht gehe dem Rechtsformalismus vor; Kierulff, Bd. 3, No 49, Cur. Bon. Bergmann c. Bergmann (1867), S. 402, 411: Betonung der materiellen Wahrheit, die nur eine sein könne; ähnlich in: AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt (1826) Q 14, p. 7 der Entscheidungsgründe.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

gungsmethoden an¹⁷³³. Insbesondere benutzten sie die Wortlautanalyse und die systematische Auslegung. Die historische Auslegung nahm oft einen besonders breiten Raum ein. Die Auslegung dem „Geist des Gesetzes“ gemäß stand meist am Schluss der Argumentationskette. Dabei lösten die Richter nicht allein den konkreten Rechtsstreit, sondern betonten die über den Einzelfall hinausgehende Grundfesten. Oft arbeiteten sie mit obiter dicta¹⁷³⁴. Ebenso bezogen sich einzelne Argumente häu g auf das gesamte Rechtssystem¹⁷³⁵. In den kasuistischen Rechtsquellen suchten die Richter abstrakte, wiederkehrende Strukturelemente. Diese Leitprinzipien hoben sie wiederholt hervor und entschieden danach den Einzelfall. Dabei setzten sie die innere Widerspruchsfreiheit der verschiedenen Rechtsquellen voraus, wenn in den Rechtsquellen nicht prinzipielle Unterschiede auszumachen waren wie beispielsweise zwischen dem klassischen römischen und dem zeitgenössischen Prozess des 19. Jahrhunderts. Die Suche nach verallgemeinerungsfähigen Ergebnissen kommt in folgender Entscheidungsbegründung besonders zum Ausdruck. Ein Bewohner aus Dummersdorf hatte geklagt, dass ein kleiner Weg, der ihn mit seinem Feld verband, erhalten bleiben sollte¹⁷³⁶. Zuvor hatte er allerdings wie alle anderen Dummersdorfer Eingessenen einem Verkoppelungsplan zugestimmt. Danach sollten alle einzelnen kleinen Pfade und Wegerechte nach dem Ermessen von gewählten und beeidigten Achtmännern¹⁷³⁷ neu aufgeteilt werden, um alte Rechte an den Koppeln klarer zu gestalten und neu aufzuteilen. Eine solche wirtschaftliche Neuaufteilung war in vielen Gegenden notwendig geworden. Teilweise verordnete der Gesetzgeber, dass Grundstücke zwangsweise zusammengelegt wurden. Die hier praktizierte einverständliche Vereinbarung zwischen allen Beteiligten, die sogar den ordentlichen Rechtsweg offen ließ, war selten¹⁷³⁸. Zwar hatte der Bewohner auch so noch Zugang zu seinem Feld, aber der schnellste Weg war ihm nun verbaut. Das Recht an dem Weg sprach das OAG ihm nicht zu. Dazu hob es den Zweck eines gerichtlichen Verfahrens hervor. „Billiger und

1733 Näher dazu Kraglund, OAG Familienrecht, S. 111–129. 1734 So in Wunderlich, Sl. 2, No 457, Unv. Wolff c. Philippson Testamentsvollstrecker (1863), S. 359, 360, zum Ungehorsam; AHL OAG L I 78 Mohrmann c. Hagen (1827) Q 14, p. 8 der Entscheidungsgründe, zum Zeugeneid. 1735 Beispielsweise zur Verschiedenheit der Prozesse: Seufferts Archiv, Bd. 1, No 304, Möller c. Coulon (1843), S. 310; Wunderlich, Bd. 1, No 334, Müller c. Ehefrau (1855), S. 396–401. 1736 Bruhn, Sl. 1, No XLV, Braasch c. Müter (1827), S. 200–205. 1737 Achtmann: Bürgerausschuss, Rechtswörterbuch, Bd. 1, Sp. 406, 407. 1738 Ausführlich zu diesem im 19. Jahrhundert weit verbreiteten Verkoppelungen: Meyers Konversationslexikon, Bd. 6 (1906), „Flurregelung“, S. 728–730.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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zweckmäßiger“¹⁷³⁹ mochte es sein, ihm jenen Zugang zu gewähren, aber es komme nur auf eine „wirkliche Rechtsverletzung“¹⁷⁴⁰ des Klägers an. Daraufhin prüfte das OAG die Vollmacht der Achtleute. In diesem Zusammenhang arbeiteten die Richter den Zweck solcher Verkoppelungen heraus und betonten, dass den Achtmännern ein arbitrium eingeräumt sei. Von diesen Grundsätzen sei hier keine Ausnahme zu machen¹⁷⁴¹. Schließlich, argumentierten die Richter, habe der Kläger selbst dem Vertrag zugestimmt. „Aber im Rechtswege kann nicht das Einzelne aus dem Ganzen herausgegriffen werden“¹⁷⁴², daher könnten Urteil und Recht dem Einzelnen nicht gestatten, sich Vorteile des Planes zueigen zu machen, dessen Unannehmlichkeiten aber abzulehnen. Zwar lenkten sie ein, dass der einzelne Fußweg nicht den ganzen Plan zunichte mache, aber „dieser zufällige Umstand kann das Rechtsprincip nicht bestimmen“¹⁷⁴³. Denn wenn man nun dem Einen diesen Vorteil zugestehen wollte, gebiete die Rechtsgleichheit, den gleichen Vorteil auch den anderen Einwohnern zuzubilligen. Dann aber würde der ganze Plan zerfallen. Die Argumentation der Richter war hier deutlich auf ein widerspruchsfreies Rechtssystem gerichtet. Die Beschränkung der gerichtlichen Durchsetzung auf Rechtsverletzungen war Säule dieses Systems. Damit sprachen die Richter dem Staat nur eine überschaubare Kontrolle in privaten Streitigkeiten zu. Ebenso legten die Richter die Rechtsgleichheit der Parteien, sogar jeder Person als elementar zugrunde. Der Einzelfall fügte sich in dieses System ein. Neben den Rechtsgrundsätzen operierte die Rechtsprechung sensibel mit genauen Begriffsde nitionen¹⁷⁴⁴. Die Richter knüpften an die einzelnen Begriffe an. Entscheidend war so einmal die genaue Bedeutung des Begriffs „Nennwerth“¹⁷⁴⁵ im Sinne des § 36 OAGO, ein anderes mal der „Sache“¹⁷⁴⁶ im Sinne des lübeckischen Stadtrechts Art. V, 7, 15 oder die Bedeutung des gemeinrechtlichen Eigentumsbegriffs¹⁷⁴⁷. Bei einer Zuständigkeitsstreitigkeit kam es auf den Begriff der

Bruhn, Sl. 1, No XLV, Braasch c. Müter (1827), S. 200, 201. Bruhn, Sl. 1, No XLV, Braasch c. Müter (1827), S. 200, 202. Bruhn, Sl. 1, No XLV, Braasch c. Müter (1827), S. 200, 204. Bruhn, Sl. 1, No XLV, Braasch c. Müter (1827), S. 200, 204. Bruhn, Sl. 1, No XLV, Braasch c. Müter (1827), S. 200, 205. Zu den genauen Begriffsde nitionen, die Rechtssicherheit schaffen sollten, bei Savigny: Rückert, FS Canaris, S. 1263, 1289. 1745 AHL OAG L I 632, Köhne c. Köhne (1873) Q 13 Entscheidungsgründe p. 5, zu dem Fall unter Appellationssumme: Erster Hauptteil B. II. V. 1. a). 1746 AHL OAG L I 78 (1827), Mohrmann c. Hagen, Q 14, p. 5 der Entscheidungsgründe, zu dem Fall oben unter Glaubwürdigkeit der Zeugen: Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3). 1747 AHL OAG L I 382 Kaping c. Derlien (1855) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 9–11. 1739 1740 1741 1742 1743 1744

346

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

„Aemter“ an¹⁷⁴⁸. Obwohl im Rezess von 1669¹⁷⁴⁹ Zünfte noch unter Einschluss der „commercierenden Collgien“ verstanden worden sei, werde unter den neueren Begriff der Ämter nur Handwerkszünfte verstanden¹⁷⁵⁰. Dem entspreche der frühere und jetzige Sprachgebrauch. Außerdem sei nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Kompetenz der Gerichte über Handwerkszünfte hinaus habe erweitern wollen. Hier ossen in die Begriffsauslegung teleologische Erwägungen ein. Die Richter verwandten höchste Sorgfalt darauf, Begriffe, die Rechtssätzen entnommen waren, genau zu de nieren. Dies lässt an Parallelen der späteren sogenannten Begriffsjurisprudenz denken, die aufgrund einer „Construction“ ein Rechtssystem schaffen wollte, dazu Begriffe de nierte und Recht so logisch erfasste¹⁷⁵¹. Teilweise sind die Entscheidungen aber vor der Entwicklung dieser theoretischen Richtung ergangen. Außerdem kommt den Begriffen keine konstituierende Bedeutung zu. Ausgangspunkt war nicht der Begriff als solcher, sondern nur Anknüpfungspunkt, um den Rechtssatz auszulegen. Darüber hinaus beschäftigte sich das OAG auch mit Begriffsbedeutungen, die nicht in Vorschriften auftauchten. So hatten die Richter in einem Rechtsstreit festzustellen, was genau von dem Begriff Stuhl umfasst war. Die Ältesten des Amts der Stuhlmacher hatten gegen den Tischlermeister Heinrich Friedrich Boldt geklagt. Boldt hatte Kirchenbänke angefertigt, die die Stuhlmacher von ihrem Verbietungsrecht behaftet ansahen. Sie machten damit ihr alleiniges Herstellungsrecht geltend und verlangten von Boldt Unterlassung und Schadensersatz. Gegen das Beweisinterlokut der Wette hatten die Stuhlmacher appelliert. Den Beweis zu führen, wie von der Wette gefordert, dass ihnen „über Sitzgestelle dieser Art“ ein Verbietungsrecht zustehe, hielten sie für zu allgemein. An dem Streit zeigt sich die Spitz ndigkeit der Sachwalter. In der Vernehmlassung bestritt der Sachwalter des Beklagten schlicht, dass es sich bei den Bänken um Stühle handelte. „Ein Stuhl besteht aus einem Sitzstück, einem Parquet, einem Vorderriegel, einem Kopfstück, einem Mittelstück, einem Hinterriegel, und zwei Seitentheilen“¹⁷⁵². Bei

1748 Wunderlich, Bd. 1, No 308 A, Gaettens u. Gen. (Mitglied der Krämercompanie) c. Aelteste derselben (1852), S. 249–254: § 6 Absatz 2 Nachtrag vom 5. Juli 1820 zur Gerichtswesenverordnung. 1749 Lübecks Verfassung bis zur Verfassungsänderung 1848; dazu Asch, Rat und Bürgerschaft, S. 170–174; Krabbenhöft, Verfassungsgeschichte Lübeck, S. 18–22. 1750 Wunderlich, Bd. 1, No 308 A, Gaettens u. Gen. (Mitglied der Krämercompanie) c. Aelteste derselben (1852), S. 249, 252. 1751 Dazu Coing, Privatrecht II, S. 47–49. 1752 AHL OAG L I 454 Älteste der Stuhlmacher c. Tischlermeister Boldt unter Beistand der Ältesten des Amts der Tischler (1859) Q 11 Vernehmlassung des Beklagten, S. 4.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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diesem Kirchensitzgestell fehle aber der Hinterriegel und der eine Seitenriegel. Die Richter des OAG fassten zunächst zusammen, dass unstreitig feststehe, dass die Stuhlmacher ausschließlich berechtigt seien, sofern es sich um Stühle handele. Bei anderen „zum Sitzen bestimmten Mobilien“¹⁷⁵³ konkurrierten sie hingegen mit den Tischlern. Den Beweissatz modi zierten die Richter leicht und legten den Stuhlmachern den Beweis auf, dass der Beklagte im Parkett des neuen Turms 147 Lehnstühle verfertigt habe. Die genaue Begriffsbedeutung nahm in der Argumentation damit einen wichtigen Bestandteil ein. Sowohl Prinzipien als auch Begriffe stellten grundlegende Merkmale der Rechtsprechung des OAG dar. Sie löste nicht nur den konkreten Rechtsfall, sondern stellte diesen Rechtsfall in den Kontext rechtlicher Fragen, die abstrakt entschieden wurden. Der „Glaube an eine Einheit im Stoff “¹⁷⁵⁴ bestimmte die Rechtsndung des OAG. Die so gefundenen Rechtsgrundsätze zum Prozess gewannen dadurch an Bedeutung, dass das OAG sie in späteren Entscheidungen als Ausgangspunkt benutzte. Zur Kostenentscheidung am Ende einer Entscheidungsbegründung verwiesen die Richter in späteren Entscheidungen regelmäßig auf die „bekannten vom OAG befolgten Grundsätze“¹⁷⁵⁵. Hier konnten sie bereits auf einen größeren Schatz an bereits getroffenen Entscheidungen mit verallgemeinerungsfähigen Aussagen zurückgreifen. Handelte es sich um eine bereits erörterte Rechtsfrage zitierten die Richter lediglich die vorangegangenen Entscheidungen ohne anhand der einschlägigen Rechtsquellen den Fall erneut zu lösen. So brauchten die Richter keine langwierigen Begründungen zu wiederholen. Außerdem stellten sie so heraus, dass beiden Rechtsfällen dieselbe rechtliche Frage zugrunde lag. Hier diente der Grundsatz der Vereinfachung und Vereinheitlichung. Nicht immer entwickelten die Richter den Grundsatz zunächst aus Rechtsquellen. Teilweise führten sie losgelöst von den Quellen Prinzipien oder Grundsätze an. Den „Geist des Prozessrechts“ benutzten die Richter, um ein aus ihrer Sicht absurdes Ergebnis zu vermeiden, das nicht im Wille des Gesetzgebers liege¹⁷⁵⁶. Prinzipien, die Prozessrechtler aufstellten, maßen die Richter an bestehenden Ge-

1753 AHL OAG L I 454 Älteste der Stuhlmacher c. Tischlermeister Boldt unter Beistand der Ältesten des Amts der Tischler (1859) Q 14 Entscheidungsgründe, p. 3. 1754 So Rückert, TRG 61 (1993), S. 65, 89. 1755 Beispielsweise in AHL I OAG L I 641 Papke c. Knaavk (1874) Q 23 Entscheidungsgründe p. 7; AHL OAG L I 662 Ehlers c. Müter (1876) Q 15 Entscheidungsgründe, p. 10. 1756 AHL OAG L I 206 Gibbons & Healing c. Marty (1835) Q 27 Entscheidungsgründe, p. 8.

Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

348

setzen¹⁷⁵⁷. Daran zeigt sich, dass sie sich nicht den Lehrmeinungen verp ichtet fühlten¹⁷⁵⁸.

bb)

Rechtsetzung durch Rechtsanwendung

Ersetzten die selbst aufgestellten Grundsätze, also ein internes System, die Rechtsquellen? Stichweh begreift Gesetz und System des Rechts als Komplementärbegriffe. Unter System versteht er dabei eine Einheitsbildung aus heterogenen Elementen. Dazu zählt er Gesetze, aber auch begriffliche Leistungen der Wissenschaft und andere Komponenten des Rechts¹⁷⁵⁹. Er sieht im 19. Jahrhundert einen Übergang zu einer Rechtsquellenlehre als eorie der Rechtserzeugung¹⁷⁶⁰. Die Wissenschaft zogen die Rechtstheoretiker als Rechtsquelle heran, wohl auch wegen der fehlenden politischen eigenen Repräsentation. Ähnlich stellt Rückert die Rechtsbildungsrolle der Wissenschaft für das Handelsrecht heraus¹⁷⁶¹. Das römische Recht liefere dabei lediglich einen brauchbaren Hintergrund. Es stelle die inhaltlichen Grundsätze und rechtlichen Kategorien bereit, die schon ausgearbeiteten Begriffe zu einer Fülle von Rechtsregeln. Daraus entwickelten die Rechtsanwender „Von-selbst“ oder mit „innerer Notwendigkeit“ die „Principien“. Rückert sieht dies als „wirkliche Zauberformel“ angesichts der pluralistisch schwierigen realen Rechtsquellenlage¹⁷⁶². So komme der Rechtswissenschaft eine umfassend rechtsbildende und durch die entwickelten Prinzipien kontrollierende Funktion zu, ohne dabei dem Gesetzgeber oder der Gewohnheitsrechtsbildung die Kompetenz zu bestreiten¹⁷⁶³. Das Handelsrecht basierte im Gegensatz zu dem Verfahrensrecht auf wenigen Normen, die zudem durch die faktischen handelsrechtlichen Gebrauch modi ziert werden mussten. Aber auch im Verfahrensrecht arbeitete das OAG ähnlich. In späteren Entscheidungsgründen nahmen die Zitate der Rechtsquellen signi kant ab, die zitierten Präjudizien hingegen zu. Dies muss nicht zwangsläu g bedeuten, dass die Rechtsquellen an Bedeutung verloren. Das OAG betonte ver-

1757 AHL OAG L I 99 Aelteste der Gewandschneider-Companie c. Janicke (1828) Q 17 Entscheidungsgründe, p. 3. 1758 So auch Kraglund, OAG Familienrecht, S. 125. 1759 Stichweh, Rechtshistorisches Journal 11 (1992), S. 330, 335. 1760 Stichweh, Rechtshistorisches Journal 11 (1992), S. 330, 336. 1761 Rückert, Handelsrechtsbildung, S. 19, 49. 1762 Rückert, Handelsrechtsbildung, S. 19, 45. 1763 Rückert, Handelsrechtsbildung, S. 19, 51.

B. Rechtsprechung des OAG zum Verfahrensrecht der Untergerichte

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schiedentlich, dass es dem Gesetz verp ichtet sei¹⁷⁶⁴. Das OAG selbst sah sich als an das Gesetz gebunden an. Tatsächlich aber setzten die Richter eine Bindung an Gesetze voraus, so wie sie sie selbst interpretiert hatten. Handelte es sich also noch um Auslegung des Gesetzesrechts oder darüber hinausgehend um Rechtsetzung, bei der die Normen nur als Beweis eines Grundsatzes dienten? Die ausdrückliche Gesetzesbindung auf der einen Seite und die tatsächlich häu g freie Gesetzesinterpretation auf der anderen Seite stellten keine unvereinbaren Widersprüche dar. Die unterschiedlichen, sich teilweise widersprechenden Rechtsquellen machten zum einen eine Auslegung durch den Rechtsanwender erforderlich. Zum anderen führte die konsequente gleiche Rechtsanwendung zu einer größeren Rechtssicherheit. Auslegung und Rechtsetzung waren ohnehin nicht immer scharf zu trennen. Für Savigny war die Legalinterpretation in Wahrheit Gesetzgebung¹⁷⁶⁵. Der Unterschied zwischen dem Finden schon vorhandener, latenter Rechtssätze und dem Schaffen neuen Rechts scheint bedeutungslos gewesen zu sein¹⁷⁶⁶. Jedenfalls gab es keine dogmatischen Regeln für die Abgrenzung beider Prozesse¹⁷⁶⁷. Die Grenzen zwischen der Rechtsetzung und der Auslegung verschwammen. Allerdings war Savigny dieses Problem bewusst. So erkannte er, dass die Grenzziehung zwischen reiner Auslegung und eigentlicher Fortentwicklung des Rechtsstoffs sehr zweifelhaft sein konnte¹⁷⁶⁸. Dies hätte zu einer großen Rechtsunsicherheit für den rechtssuchenden Bürger führen können. Doch das OAG verstand die Prinzipien als miteinander zusammenhängendes Ganzes, als Einheit. Danach richtete es die einzelne Entscheidung aus. Außerdem blieb es dem einmal eingeschlagenen Weg der Auslegung treu. So entwickelte es ein in sich geschlossenes Rechtsprechungssystem, dem es die einzelne Entscheidung einfügte. Das OAG unterwarf sich also einer Selbstbindung. Das eigene Rechtsprechungssystem gewährleistete voraussehbare Entscheidungen der OAG-Richter. Die Rechtsquellen, aus denen sich die Rechtsanwendung der Richter entwickelt hatte, verloren nicht an Relevanz. Auf die Rechtsquelle beriefen sich die Richter mittelbar, indem sie eine frühere Entscheidung zitierten. Aber die konsequente Rechtsprechung gewann an Bedeutung. Nicht nur die einzelne Entscheidung, sondern die gesamte ständige Rechtsprechung bildete ein eigenes

1764 So das Selbstverständnis des OAG, siehe oben: Erster Hauptteil B. IV; so auch Kraglund, OAG Familienrecht, S. 134. 1765 So die Auslegung Rückerts, Savignys Hermeneutik, S. 287, 301, der sich auf das System I, S. 109 bezieht; Bühler, Rechtsauslegung, S. 329, 330 betont hingegen, dass Savigny zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung unterschieden habe. 1766 So für das 18. Jahrhundert Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 673. 1767 Dies betont Björne, Rechtssysteme, S. 278, anhand der Literatur. 1768 Dazu Rückert, Fälle und Fallen, S. 23, 53, der auf Savigny, System I, S. 329, verweist.

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Zweiter Hauptteil: Rechtsprechung zum Verfahrensrecht

System. Die Systematisierung des Prozessrechts war damit großes Anliegen und eine wesentliche Leistung des OAG. Selbst wenn die großzügige Rechtsanwendung eher einer Rechtsetzung gleich kam, litt die Rechtssicherheit nicht. Die zerstreuten verschiedenen Rechtsquellen bedeuteten kein Chaos der Rechtsanwendung, sondern durch die konsequente Anwendung der entwickelten Grundsätze schuf das OAG ein verlässliches System.

Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick Die hehren justizpolitischen Ideale wie Öffentlichkeit und Mündlichkeit, die die rechtswissenschaftliche Diskussion des 19. Jahrhunderts bewegten, haben auf die Rechtspraxis des OAG keinen Ein uss ausgeübt. Die Richter waren an ein Zivilverfahrensrecht gebunden, das stark an dem gemeinen Prozess ausgerichtet war. Diese Ausrichtung betonten die Richter zusätzlich in der Rechtsanwendung. Damit konservierten die Lübecker Richter zum einen das bestehende System, zum anderen perfektionierten sie es, indem sie Regelmäßigkeiten und Prinzipien hervorhoben und konsequent anwandten. Das Verfahren vor dem OAG war nach wie vor weder öffentlich noch mündlich und statt dessen durch die Eventualmaxime sowie einen stark formalisierten Verfahrensablauf geprägt¹⁷⁶⁹. Obwohl das Verfahren rein schriftlich verlief, kann aufgrund der zahlreichen Entscheidungsveröffentlichungen nicht von einem geheimen Verfahren gesprochen werden. Die Entscheidungsgründe publizierten die Richter oder dem Gericht nahe stehende Personen in nichtamtlichen Sammlungen und förderten damit eine wissenschaftliche Öffnung der Rechtspraxis¹⁷⁷⁰. So konnte ein reger Austausch zwischen Lehre und Gerichtsalltag statt nden, und auch der interessierte Bürger hatte die Möglichkeit, sich über ergangene Entscheidungen zu informieren. Die Gerichtsverfassung des OAG war von Anfang an auf eine weitgehende Unabhängigkeit der Richter ausgelegt¹⁷⁷¹. Die Gewaltenteilung war in Lübeck bereits fast vollständig verwirklicht. Lediglich über die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile des OAG entschied der Senat, der insoweit gleichzeitig legislative und exekutive Funktionen ausübte. Die OAG-Richter verstanden sich selbst als ausschließlich dem Gesetz unterworfen, wobei sie allerdings eine oftmals sehr freie Gesetzesauslegung praktizierten. Neuerungen kamen damit weniger aus der justizpolitischen Sphäre – an diesen Diskussionen nahmen die OAG-Richter gar nicht teil – als aus dem wissenschaftlichen Anspruch an die Rechts ndung. Auch die Rechtsprechung des Gerichts zu zivilprozessualen Fragen zeigte sich gegen die Politisierung unemp ndlich. Zwar waren die Richter durchaus neuen, sachlichen Argumenten aufgeschlossen. Da sie sich aber im Rahmen der Gewal-

1769 Vgl. die Zusammenfassungen zu Prozessmaximen und zum Verfahrensablauf: Erster Hauptteil C. I. 5. und Erster Hauptteil C. III. 8. 1770 Siehe Auswirkungen der Entscheidungssammlungen: Erster Hauptteil C. III. 3.b) dd). 1771 Dazu siehe Aufsicht über das OAG: Erster Hauptteil B. III.

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Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

tenteilung strikt an das Gesetz gebunden beschrieben¹⁷⁷², hatten politische Erwägungen keinen Raum. Vereinzelt ließen sich die Richter zu Kritik hinreißen, beispielsweise gegen die gesetzliche Beweistheorie, wandten sie aber dennoch an. Insoweit achteten die OAG-Richter die Gewaltenteilung und überließen es der Gesetzgebung, die gesetzliche Beweistheorie abzuschaffen. Hier verdienen die OAGRichter das denkwürdige Lob nach Gustav Radbruch: „Wir verachten den Pfarrer, der gegen seine Überzeugung predigt, aber wir verehren den Richter, der sich durch sein widerstrebendes Rechtsgefühl in seiner Rechtstreue nicht beirren läßt“¹⁷⁷³. Argumente, die stärker in den Vordergrund rückten, wie die Rechtsgleichheit der Parteien¹⁷⁷⁴, die Freiheit des Eigentums, die sich auf die Beweislast auswirkte¹⁷⁷⁵, oder die Betonung der materiellen Wahrheit¹⁷⁷⁶, erörterten die Richter nüchtern und sachlich. Sie mussten wissenschaftlicher Prüfung standhalten. An diesen wiederkehrenden Argumenten wie Rechtsgleichheit und Freiheit des Eigentums zeigt sich dennoch, dass liberale Prinzipien die Rechts ndung beein ussten. Dass die Richter auf die materielle Wahrheit hinwiesen, verdeutlicht, dass sie sich im Rahmen der Urteile auf die das Jahrhundert durchziehende grundlegende Diskussion um formelle contra materielle Wahrheit als Verfahrensziel einbrachten. Das 1862 in der Stadt Lübeck eingeführte mündliche Verfahren hat in der Rechtsprechung des OAG keine Rolle gespielt. Ansonsten stellt sich die lübeckische CPO von 1862 eher als kodi zierte Fortführung des ohnehin praktizierten städtisch-untergerichtlichen Prozesses dar. Selbst Änderungen zur Zeugenvernehmung, bei der nun die Parteien zugegen sein durften, legten die OAG-Richter zurückhaltend aus und stellten die Vorschrift in die Tradition der bereits praktizierten Zeugenbefragung. Auf Gesinnungsbekenntnisse verzichteten die Richter gänzlich. Die polemisch überspitzten Debatten der Rechtspolitiker haben die gerichtliche Realität in Lübeck nicht beein usst. Ebensowenig förderte das OAG die prinzipielle Umstrukturierung des Verfahrensrechts. Es waren andere, politische Tendenzen, die eine Umgestaltung des bestehenden Prozesses forderten. Erst die

1772 Zum Selbstverständnis der Richter: Erster Hauptteil B. IV. 1773 Radbruch, Rechtsphilosophie, § 10, S. 85. 1774 So anhand der Verhandlungsmaxime: Erster Hauptteil C. I. 1. und der Rechtsprechung zur litis contestatio: Zweiter Hauptteil B. I. 2. d). 1775 Exemplarisch anhand der Beweislast bei der Negatorienklage: Zweiter Hauptteil B. II. 3. d) bb). 1776 Dazu siehe Überzeugungsbildung des Richters – ein Blick in die Akten: Zweiter Hauptteil B. II. 1. c).

Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

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Kodi kation der Reichscivilproceßordnung konnte das zivilprozessuale Verfahren tatsächlich radikal verändern. Das Verfahren vor dem OAG¹⁷⁷⁷ sowie vor den lübeckischen unterinstanzlichen Gerichten¹⁷⁷⁸ stellte sich als wesentlich dem gemeinen Prozess verhaftet dar. Der praktizierte Prozess war dabei höchst professionalisiert. Das zeigt sich insbesondere in der Entscheidungstätigkeit des Gerichts. Die Richter arbeiteten mit wissenschaftlichem Anspruch. Der materielle Inhalt der Entscheidungen zum Prozessrecht war nicht in erster Linie innovativ, sondern vielmehr die Art und Weise der Entscheidungs ndung. Die Richter entwickelten ihre Entscheidungen dogmatisch vorbildlich. Sie systematisierten die Rechtsquellen, erarbeiteten genaue Begriffsde nitionen und legten die Gesetze methodengetreu aus. Dies zeigte sich auch in der formellen Gliederung der Entscheidungsgründe, die im Urteilsstil gehalten waren. Die Richter stellten sich anderen wissenschaftlichen Autoritäten als gleichwertig gegenüber und erarbeiteten verallgemeinerungsfähige Grundsätze. Die wissenschaftliche Öffnung des Gerichts durch die Entscheidungssammlungen trug dazu bei, dass das Gericht von der Lehre wahrgenommen wurde und stärkte so die rechtswissenschaftliche Bedeutung der Praxis. Die exzellente Besetzung mit vielen Professoren als Richtern bildete dazu die Grundlage¹⁷⁷⁹. In den Entscheidungen bahnten sich die Richter einen eigenen Weg durch die zahlreichen akademischen Streitigkeiten. Dazu verwandten sie eine Vielzahl von Rechtsquellen. Sie entwickelten eigene Positionen, die sie gegenüber der Literatur verteidigten. Beispielsweise vertraten sie einen eigenen Standpunkt bei neuen Zeugen, die sie nur restriktiv zulassen wollten¹⁷⁸⁰, oder bei der Bescheinigung¹⁷⁸¹, die teilweise den Eid ersetzten konnte und eine punktuelle freie Beweiswürdigung zuließ. Auch hinsichtlich der Eventualmaxime, die sie – ihrer Zeit voraus – äußerst kritisch beurteilten, nahmen die Richter eine zur Lehre konträre Position ein¹⁷⁸². Bei der Eventualmaxime widersetzte sich das Gericht einer kritiklosen Übernahme der durch die Naturrechtler geschaffenen Klassi zierungen. Von einer stillschweigenden Übernahme naturrechtlicher Elemente kann in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden¹⁷⁸³. Auch hier zeigt sich das Selbstverständnis des OAG als eine von jeglichen Autoritäten unabhängige, wissenschaftlich arbeitende Jus-

1777 1778 1779 1780 1781 1782 1783

Dazu der Erste Hauptteil C. Dazu der Zweite Hauptteil. Dazu Besetzung des Gerichts: Erster Hautteil B. I. 4. Dazu Zweiter Hauptteil B. III. 2. d). Dazu Zweiter Hauptteil B. II. 4. c) dd). Dazu Erster Hauptteil C. I. 2. So aber allgemein Dölemeyer, eorie, S. 251, 260 und 265; Nörr, Iudicium, S. 158.

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Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

tizbehörde. Damit ist das OAG als Gericht dem wissenschaftlichen Ideal seiner Zeit nahe gekommen. Die Literatur nahm die eigene Meinung des Gerichts wahr und setzte sich mit ihr auseinander. Die Rechtsprechung trat hier selbstbewusst aus dem übergroßen Schatten der Lehrmeinungen hervor. Einem fruchtbaren Austausch zwischen reiner Wissenschaft und wissenschaftlicher Praxis war der Weg geebnet. Diese gegenseitige Beein ussung zwischen Lehre und Rechtspraxis war insbesondere möglich, weil die Richter nicht nur den Einzelfall lösten, sondern allgemeine prozessuale Grundsätze entwickelten. Das Interesse des OAG galt nicht allein dem einzelnen Fall, sondern die Rechtsprobleme sollten möglichst umfassend und grundsätzlich gelöst werden¹⁷⁸⁴. Ob ein Sachverständiger zuzulassen sei, beantworteten die Richter beispielsweise, indem sie auf die weitreichende Geltung des Verhandlungsgrundsatzes im Zivilprozess verwiesen und daraus die Zulässigkeit des Sachverständigen deduzierten¹⁷⁸⁵. Einem Kläger, der um Restitution ersuchte, da er eine Urkunde nicht rechtzeitig vorgelegt hatte, allerdings nur weil der Beklagte sich weigerte, diese herauszugeben, gab das OAG mit der Erwägung statt, dass der Rechtsverlust nicht demjenigen zugute kommen soll, der sich ungerechtfertigt verhalten habe¹⁷⁸⁶. So lösten die Richter spezielle Rechtsprobleme, indem sie auf allgemeine Grundsätze des Verfahrens zurückgriffen und daraus auf den Einzelfall deduzierten. Nicht immer existierten bereits Rechtsgrundsätze, auf die sich die Richter beziehen konnten. Oftmals kreierten sie die Rechtsgrundsätze aus verschiedenen Rechtsquellen und entwickelten aus einer Gesamtschau verallgemeinerungsfähige Grundfesten. Den unterschiedlichen Rechtsquellen kam dabei nicht die gleiche Bedeutung bei der Grundsatzbildung zu. Die Richter lehnten sich stark an das gut systematisierte gemeine Recht an¹⁷⁸⁷. Insbesondere dem kanonischen Recht, das eine Vielzahl von Regelungen zum Prozess enthielt, kam in der Praxis eine wichtige Bedeutung zu. Die Richter führten ganz allgemein aus, dass der klassische römische Prozess wesentlich verschieden vom zeitgenössischen Verfahren des 19. Jahrhunderts war, anders als der kanonische Prozess. Das kanonische Recht gelte im Ganzen. Das partikulare Recht ordnete sich in der

1784 So ebenfalls für das Seehandelsrecht: Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 230. 1785 Bruhn, Sl. 2, No XXVIII A, Beckenschläger c. Lüders (1836), S. 230, 235; zu weiteren Fällen, in denen das OAG mit der Verhandlungsmaxime argumentierte siehe unter Verhandlungsmaxime: Erster Hauptteil C. I. 1. 1786 Wunderlich, Bd. 2, No 442 A, Magdeburger Feuer-Versicherungs-Gesellschaft c. Bohnhoff (1864), S. 314, 318. 1787 Zur großen Bedeutung des gemeinen Rechts in der Rechtsprechung des OAG zum Familienrecht: Kraglund, OAG Familienrecht, S. 16, 17; zum Handelsrecht: Landwehr, ZVLGA (1980), S. 21, 58; siehe dazu Verhältnis der Rechtsquellen, Anwendung in der Praxis: Zweiter Hauptteil A. III. 2.

Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

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Rechtsprechung des OAG in dieses System ein. Bei Zweifeln über die Auslegung wählten die Richter meist eine Auslegung, die dem gemeinen Recht entsprach. Gerade bei der Rechtsprechung zu der Glaubwürdigkeit von Zeugen wird dies deutlich¹⁷⁸⁸. Zu den Zeugen enthielt das lübeckische Stadtrecht von 1586 verschiedene Einzelfallregelungen. Diese ordnete das OAG als Vorschriften über die Glaubwürdigkeit ein, nutzte hier also das gemeinrechtliche System. Allerdings ließen sich nicht alle Fälle problemlos unter die lübeckischen Bestimmungen subsumieren. Um die genaue Bedeutung einzelner Worte zu ergründen, betrieben die Richter eine überzeugende Gesetzesauslegung. Besonders die historische Auslegung zeugt von einer reichen Quellenkenntnis der mittelalterlichen Codices. Schließlich wählten die Richter eine Auslegung, die dem gemeinen Recht entsprach¹⁷⁸⁹. Damit prägte das gemeine Recht das Partikularrecht. Andererseits berücksichtigten die Richter partikulare Besonderheiten, die im Gegensatz zum gemeinen Recht standen. So stellten sie die Einzelregelungen zur Einlassung in die Tradition des sächsischen Rechts¹⁷⁹⁰. Soweit sich jedoch eine Regelungslücke auftat, füllten sie diese durch eine sehr zweckmäßige und weite Auslegung des Partikularrechts, die sich im Ergebnis wiederum dem gemeinen Recht annäherte. Daneben griffen die Richter auf die Rechts gur der Natur der Sache zurück und argumentierten mit einer sinnvollen Handhabung der Grundsätze. Insbesondere kehrte die Verfahrensbeschleunigung als entscheidungsleitendes Argument wieder¹⁷⁹¹. Durch diese gestaltende Rechtsanwendung bemühten sich die Richter um eine Rechtsvereinheitlichung. Die Rechtsquellen standen sich nicht als eigenständige, abgeschlossene Vorschriften gegenüber. Die Richter suchten vielmehr die Verbindung der unterschiedlichen Vorschriften, nutzten die Systematik des gemeinen Rechts und ergänzten Einzelheiten durch das partikulare Recht. Neben dem gemeinen Recht zogen sie auch Parallelen zu anderen territorialen Regelungen oder Regelungsentwürfen. Das französische Recht hatte dabei keine herausragende Bedeutung für die Auslegung oder Fortentwicklung des Rechts¹⁷⁹². Allein die noch verbliebenen Fälle aus der französischen Besatzungszeit, in der französisches Recht gegolten hatte, lösten die Richter nach französischem Recht. Auslegungsmaßstab war aber auch hier das gemeine Recht. Das

1788 Dazu Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) aa) (3). 1789 Zu der Stadtrechtsvorschrift Art. V, 7, 15 stellten sie so zusätzlich auf D. 22, 5 ab; bei Art. V, 7, 20 zusätzlich auf X 4, 18, 3. 1790 Dazu litis contestatio: Zweiter Hauptteil B. II. 2. d). 1791 So in der Rechtsprechung zu den nova und zur Eventualmaxime, auch bei Ausschluss der Zeugen, vgl. Wunderlich, Bd. 1, No 333, Jacobi & Co., jetzt Jacobi Wwe. c. Zernitz (1855), S. 392–396. 1792 Entgegen der Vermutung Coings, Privatrecht II, S. 251.

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Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

Recht der früheren Besatzer nutzte die Rechtspraxis nicht für neue Impulse¹⁷⁹³. Meist führten die Richter Partikularrecht aus zahlreichen verschiedenen Territorien an, ohne eine besondere Wertung erkennen zu lassen. Das Partikularrecht diente ihnen dazu, eine bereits entwickelte Argumentation zu stützten. Auch hier waren sie möglichst darauf bedacht, Gemeinsamkeit und Kontinuität herzustellen. Das Einheitsprinzip¹⁷⁹⁴ ndet sich seit Bestehens des OAG 1820 in der praktischen Rechtsanwendung zum Zivilprozess. Durch die Grundsatzbildung aufgrund verschiedener Rechtsquellenmassen nahm die Rechtsprechung eine bewahrende, ordnende Funktion ein. Unterschiede der partikularen Gesetzgeber negierten die Richter, solange keine prinzipiell anderen Grundentscheidungen sichtbar wurden. Die partikulare Rechtszersplitterung löste sich in der Rechtsprechung des OAG zugunsten eines einheitlichen Rechts auf, das stark am gemeinen Recht orientiert war. Diese Rechtsanwendung setzte ein Rechtsverständnis voraus, das von einem einzigen, sich möglichst nicht widersprechendem Recht ausging, welches eine innere Einheit bildete. Dies entsprach Savignys Ideal¹⁷⁹⁵. Savignys Ausführungen zu den Grundsätzen des Rechts als organische Ergänzung aus dem Recht selbst gewinnen in der Rechtsanwendung des OAG Gestalt. Ergänzend dazu und als ob kein Widerspruch vorläge, lehnten sich die Richter aber auch an die Ideen ibauts an. Der Geist der Gesetze und die Absicht des Gesetzgebers wurden ausdrücklich zur Auslegung herangezogen. Beide unterschiedlichen Richtungen wurden hier kumulativ in der praktischen Anwendung vereint. Dies verdeutlicht, dass es schwerfällt, das Gericht einer wissenschaftlichen Richtung zuzuordnen. Verschiedene theoretische Konzepte prägten die Rechtsanwendung¹⁷⁹⁶. Es nden sich vielfältige Hinweise, dass die historische Rechtsschule die Rechtsermittlung beein usste wie insbesondere die breite historische Auslegung. Die große Zahl der zitierten Digestenstellen erinnert an die Pandektistik, aber daneben griffen die Richter ebenso auf neuere territoriale Prozessgesetze zurück, welche an die germanistische Richtung denken lassen¹⁷⁹⁷. Exakte Begriffsde nitionen benutzten die

1793 Dies deckt sich mit der Beobachtung Kählers, Französisches Zivilrecht, S. 316, der die zivilprozessuale Gesetzgebung nach der Besatzungszeit in den Hansestädten untersucht hat. 1794 Dazu Schäfer, Germanistik, S. 696, der den Einheitsgrundsatz erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts ansiedelt. 1795 Rückert, Fälle und Fallen, S. 23, 36 und oben unter Entscheidungsgründe als Wissenschaft: Zweiter Hauptteil B. V. 1796 Insoweit weitergehend als Scheuermann, Zivilrechtspraxis, und Wesenberg, ZRG/RA 67 (1950), S. 459 ff., die beide ausschließlich die historische Rechtsschule betonen. 1797 Auch in der Wissenschaft nutzte die Germanistik Elemente der Pandektenwissenschaft, vgl. Schäfer, Germanistik, S. 650.

Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

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Richter ebenso wie Interessenabwägungen. Teilweise standen diese verschiedenen Herangehensweisen nebeneinander in einer Entscheidungsbegründung. Die Pluralität der wissenschaftlichen Richtungen zeigt sich in den zitierten rechtswissenschaftlichen Autoritäten. Von einem Methodenpluralismus¹⁷⁹⁸ kann daher auch für die gerichtliche Praxis gesprochen werden. Die Dekonstruktion des als statisch geltenden Pandektismus durch die modernen Forschung¹⁷⁹⁹ bestätigt sich in der gerichtlichen Praxis. Es lassen sich Argumentationsstränge und Systematisierungen aus allen Richtungen nden. Die Erforschung des wirklichen Rechts durch eine wissenschaftliche Methode stand im Mittelpunkt, nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule. Die gestalterische Rechtsanwendung hat nicht zu einer großen Rechtsunsicherheit geführt. Die Richter entwickelten ihre Ergebnisse in den Entscheidungsbegründungen und machte sie so für einen Leser transparent. Dabei war die formale Urteilsbegründung stets ähnlich. Im ersten Satz der Begründung bündelten die Richter die rechtlichen Probleme¹⁸⁰⁰. Erst nachdem die prinzipielle Antwort infolge einer methodisch immer ähnlichen Gesetzesauslegung gefunden war, subsumierten sie unter den konkreten Fall. Waren mehrere rechtliche Fragen zu lösen, gliederten sie diese übersichtlich. Diese Aufbereitung eignete sich hervorragend für einen Leser, der mit dem Sachverhalt bisher nicht vertraut war. Außerdem wiederholten die Richter die selbstgeschaffenen Grundsätze kontinuierlich in späteren Entscheidungen. So trugen die Präjudizien zu einer Selbstbindung der Richter wesentlich bei. Ihr eigenes System festigten die Richter auf diese Weise, modi zierten es aber auch weiterhin, indem sie Ausnahmen von den aufgestellten Regeln zuließen. Auch wenn die Richter ihr „Rechtssystem frei entworfen“¹⁸⁰¹ hatten, so war es doch nachprüfbar und beständig. Es herrschte so eine Rechtsgewissheit, zumindest hinsichtlich bereits ähnlich entschiedener Rechtsfragen. Dabei hielten die Richter aber nicht statisch an ihren Grundsätzen fest, sondern revidierten durchaus eine Entscheidung, wenn sie von neueren rechtswissenschaftlichen Ansichten überzeugt waren¹⁸⁰².

1798 Für die Literatur nennt Schäfer, Germanistik, S. 406, 407: Konstruktion, Geschichte, Rechtsvergleichung, Empirie, Natur der Sache. 1799 Falk, „Pandektistik“, in: Der Neue Pauly, Bd. 15/2, Sp. 45–49; Haferkamp, Puchta; Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, S. 274–278; Rückert, Fälle und Fallen, S. 23, 33 ff.; Rückert, FS Canaris, S. 1263, 1289. 1800 Dazu Zweiter Hauptteil B. IV. 1801 Coing, Privatrecht II, S. 27, zur Rechtsanwendung im 19. Jahrhundert. 1802 So geänderte Rechtsprechung zur Beweislast Negatorienklage: Zweiter Hauptteil B. II. 3. bb) oder entgegen dem bisherigen Gerichtsgebrauch zu den nova: Zweiter Hauptteil B. III. 2. e).

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Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

In wesentlichen Punkten stellte sich der Prozess vor dem OAG sowie vor den lübeckischen Gerichten als dem gemeinen Prozess entlehnt dar. Vor dem OAG vertrat ein Prokurator die Partei. Die Verhandlungsmaxime war stark ausgeprägt und wurde von den Richtern bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorgehoben. Sie war wesentliche Säule des Verfahrens. Aus der Verhandlungsmaxime selbst konnte die Partei sogar Einzelforderungen herleiten¹⁸⁰³. Das Verfahren vor den Untergerichten war im Wesentlichen durch eine Zweiteilung durch das Beweisinterlokut geprägt. Hier zeigte sich aber, dass das angeblich so sehr formalisierte gemeine Verfahren in der Praxis durchaus exibel gehandhabt wurde. So ließen die Richter aus Zweckmäßigkeitserwägungen Abweichungen zu¹⁸⁰⁴. Die Zweiteilung wurde nicht unter allen Umständen strikt durchgehalten. Solange kein gesetzliches Verbot vorlag, zeigte sich die Rechtsprechung großzügig und legte das Verfahren – entsprechend der Verhandlungsmaxime – in die Hände der Parteien. Dennoch war die Zweiteilung wesentliches Charakterisierungs- und Ordnungsmerkmal des Prozesses. Die starke Bindung des Richters trat in der legalen Beweistheorie hervor. Die legale Beweistheorie wurde, trotz erstaunlich früher Kritik durch die OAGRichter¹⁸⁰⁵, angewandt. Allerdings zeigt die Praxis, an welchen Stellen die Doktrin nicht zu eindeutigen Ergebnissen führte. In diesen Verfahrensabschnitten waren richterliche Wertungen nötig, die unterschiedlich aus elen¹⁸⁰⁶. Das Bild der Beweistheorie als starr und den Richter streng bindend gerät hier erneut ins Wanken, obwohl grundsätzlich an der legalen Beweistheorie festgehalten wurde. Zahlreiche Appellanten drängten darauf, erneut die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu überprüfen oder statt eines Reinigungseides einen Erfüllungseid aufzuerlegen oder andersherum. Bezeichnenderweise versprachen sich die Appellanten gerade über Beweisstreitigkeiten eine andere Bewertung durch das OAG und hatten damit häu g Erfolg. Mitte des Jahrhunderts weitete das OAG die Bescheinigung und den Beweis durch Indizien, die punktuell eine freie richterliche Beweiswürdigung ermöglichten, auf verschiedene Fallgruppen aus. Beispielsweise konnte dadurch ein nicht beeidigter Zeuge als Indiz gewertet werden. Hier zeigte sich an verschie-

1803 Dazu Erster Hauptteil C. I. 5. 1804 Ausdrücklich beispielsweise in: Hamburger Fall Seufferts Archiv, Bd. 1, No 304, Möller c. Coulon (1843), S. 310, zu dem Fall unter Anwendung des gemeinen Rechts: Zweiter Hauptteil A. I. 3. b); Hamburger Fall Kierulff, Bd. 3, No 105, Wölper c. Brander (1867), S. 834–839, dazu unter Grundsätzliche Zweiteilung des Verfahrens: Zweiter Hauptteil B. II. 2. 1805 AHL OAG L I 56 Wwe. Ohrt c. Schütt (1826) Q 14, p. 7 der Entscheidungsgründe; dazu oben unter Beweis – Ein Blick in die Akten: Zweiter Hauptteil B. II. 1. c). 1806 Dazu Zweiter Hauptteil B. II. d).

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denen Stellen ein erheblicher Spielraum für den Richter. Grobe Unbilligkeiten konnte das OAG dadurch vermeiden. Allerdings blieben dies Ausnahmen, eine generelle Abkehr von der gesetzlichen Beweistheorie fand in der lübeckischen Praxis nicht statt. Stattdessen griff das OAG auf die in der Lehre angelegten Ausnahmen von der richterlichen Bindung zurück. So zeigte sich das Beweissystem im 19. Jahrhundert in der Rechtspraxis exibel und anpassungsfähig, obwohl es zur gleichen Zeit von den Kritikern als ungerechte Ergebnisse erzeugend und den Richter unangemessen stark bindend gegeißelt wurde. Wegen der strengen Beweistheorie waren es gerade Streitigkeiten über Beweise, die das OAG am häu gsten beschäftigte. Eide waren nach wie vor fest in dem gerichtlichen Alltag verankert¹⁸⁰⁷. Reinigungs- und Erfüllungseide, also die Noteide, komplettierten beinahe jeden Beweis. Die Eidesdelation als Beweismittel war deutlich seltener anzutreffen. Den Perhorrescenzeid drängten die Richter als Beweismittel für eine richterliche Befangenheit weitgehend zurück. Die Bescheinigung konnte in manchen Fallgruppen einen Eid ersetzten. Hier argumentierten die Richter mit der fehlenden Neutralität der Partei. Dies stellte einen sehr generellen Einwand gegen einen Eid dar. Eine solche offene Skepsis, dass der Eid der Wahrheits ndung diene, war in den Urteilen dennoch selten anzutreffen. Die meisten Eide nahmen die Richter kritiklos entgegen. Eine grundsätzlich kritische Einstellung gegenüber den zahlreichen Eiden kann nicht festgestellt werden, denn dafür waren die Eide zu selbstverständliche Hilfsmittel im Prozess. Nur in einzelnen Fällen stellte sich das OAG einem Eid entgegen. Der städtische Lübecker Zivilprozess zeigte dagegen eklatante Mängel. In derselben Rechtssache waren zahlreiche Appellationen möglich. Dies rechtfertigte man mit der Parteiherrschaft, akzeptierte damit jedoch ein erhebliches Übel für die Partei, die an einem zügigen Abschluss interessiert war. Es hinderte strukturell eine effektive, schnelle Rechtsdurchsetzung und belastete das Gericht. Oftmals entschieden die Richter nur einzelne rechtliche Detailfragen, um sich nach weiterer Appellation einer Partei erneut mit der Sache zu beschäftigen¹⁸⁰⁸. Obwohl das OAG versuchte, durch seine Rechtsprechung zu den nova gegen dieses bekannte Problem anzusteuern, konnte es doch die Flut von Appellationen nicht nennenswert eindämmen. Es zeichnet sich ein an dem gemeinen Prozess stark angelehntes Verfahren ab, das die Richter ausfeilten und in seinen Prinzipien durchdrangen. Die Bestrebung,

1807 Dazu Zweiter Hauptteil B. II. 4. b) ee) (5) und Zweiter Hauptteil B. II. 4. c) aa) (3). 1808 So schon Oestmann, OAG Seehandelsrecht, bei Fn 216, 230.

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Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

einen in sich schlüssigen, prinzipiengetreuen Prozess zu formen, zeigt sich in fast jeder gerichtlichen Entscheidung. Dabei stand der gemeine Prozess, wie ihn die Lehrbücher ausgeformt hatten, Pate. Sowohl die geschichtliche Entwicklung als auch Zweckmäßigkeitserwägungen und immer wieder das System als solches prägten diese Rechtsprechung, die auf Kontinuität bedacht war. Dass der gemeine Prozess vor neuartigen Herausforderungen wie dem französischen oder preußischen Recht seine Stabilität verlor¹⁸⁰⁹, kann für die Rechtspraxis nicht bestätigt werden. Die Lübecker Richter banden neuere Entwicklungen in ihr gemeinrechtliches System ein. Widersprüche vermieden sie möglichst und integrierten neue gesetzliche Entwicklungen in bestehende Grundmuster. Das gemeinrechtliche System stärkten die Richter in ihrer Rechtsprechung. Ob in diesem Zusammenhang nur von einer regionalen Nachblüte¹⁸¹⁰ zu sprechen ist, ist höchst fraglich. Die damit verbundene regionale Beschränktheit kann zwar nicht für andere Territorien widerlegt werden; dies muss anderen Untersuchungen überlassen bleiben. Jedoch steht dieser Annahme zu sehr die Berühmtheit des OAG Lübecks entgegen. Die allgemeine Anerkennung der gerichtlichen Tätigkeit des OAG zeigt, dass diese Art der Entscheidungs ndung als vorbildlich galt. Eher drängt sich die Vermutung auf, dass der gemeine Prozess bis zu seiner Ablösung durch die CPO wirkmächtig war und in der Praxis weiterhin als Maßstab diente¹⁸¹¹. Sollte ein überregionaler Austausch in der Rechtswissenschaft statt nden, war dies nur über den allseits bekannten gemeinen Prozess möglich. So fügte sich die Bestrebung des Gerichts ein, allgemeine Grundsätze zu postulieren, die die regionale Beschränktheit hinter sich ließen. Der gemeine Prozess war kein langsam absterbendes Gebilde, sondern zeigte sich in der Rechtsprechung des OAG in seiner letzten späten Blüte, die über Lübeck hinausstrahlte. Dennoch hat das OAG die Einführung der Reichsjustizgesetze nicht überdauert. So sehr verlangte die politische Entwicklung danach, Überkommenes umzustürzen, dass für das an dem gemeinen Prozess orientierten Verfahren vor dem OAG kein Raum mehr bestand. Ist dennoch etwas geblieben? Wenn Ahrens¹⁸¹² feststellt, dass die Reichscivilproceßordnung sich insbesondere dadurch auszeichnete, dass sie Prinzipien über einzelne Verfahrensinstitutionen baute, den liberalen Geist in abstrakte Grundsätze fasste und damit Resultate eines systematischen Verständnisses umsetzte, ist diese Leistung bereits vom OAG verwirklicht

1809 So aber für die Gesetzgebung Ahrens, Prozessreform, S. 635. 1810 So Ahrens, Prozessreform, S. 636, für den gemeinen Prozess in Preußen. 1811 Insoweit kein Widerspruch zu Haferkamp, Fortwirkungen, S. 296–300, der lediglich den Kameralprozess in der Lehrbuchliteratur zurückgedrängt sieht. 1812 Ahrens, Prozessreform, S. 650.

Schlussbetrachtung: Ergebnisse und Ausblick

361

worden, wenn auch unter anderen Prozessmaximen. Ob die Rechtsprechung des OAG zum Zivilprozess damit die spätere CPO beein usste, muss an dieser Stelle offen bleiben. Jedenfalls prägte die Rechtspraxis des OAG die rechtswissenschaftliche Methode und Systembildung im Zivilprozessrecht. Die Richter des OAG trugen durch eine prinzipiengeleitete Gesamtschau der Rechtsquellen dazu bei, einen einheitlichen, überregionalen Prozess zu formen. Der gemeine Zivilprozess aus dem 19. Jahrhundert hatte damit mit dem Verfahren vor den Reichsgerichten des 18. Jahrhunderts nur noch den Namen gemein.

Anhang A. ABGB Abs. AcP ADB ADHGB AHL ALR Art. Bd. Bekl. bzw. C. c. ca. CIC CPO

Clem. D. d.h. ders. Diss. jur. evt. ff. Fn FS HKK HRG Hrsg. JRA Kl. NDB NG

Abkürzungsverzeichnis

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie 1811 Absatz Archiv für civilistische Praxis Allgemeine Deutsche Biographie Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 Archiv der Hansestadt Lübeck Allgemeines Preußisches Landrecht vom 5.2.1794 Artikel Band Beklagter beziehungsweise Codex Justinianus contra circa Corpus Iuris Civilis Civilproceßordnung, falls ohne Zusatz ist die Civilproceßordnung für das Deutsche Reich vom 30.1.1877, die zum 1.10.1879 in Kraft trat, gemeint Clementis papae V. constitutiones Digeste das heißt derselbe Juristische Dissertation eventuell folgende Fußnummer Festschrift (für) Historisch-kritischer Kommentar zum BGB Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Herausgeber Jüngster Reichsabschied von 1654 Kläger Neue Deutsche Biographie Niedergericht

A. Abkürzungsverzeichnis

No Nov. OAG OAGO OG OLG p.

Q RabelsZ RKGO Rn. S. Sl. Sp. StuLG  Tit TRG u.a. vgl. VO Vol Wwe. X z.B. zit. ZCP ZNR ZPO ZRG/GA ZRG/KA ZRG/RA ZVLGA

363

Nummer Novellen Oberappellationsgericht Oberappellationsgerichtsordnung Obergericht Oberlandesgericht pagina, Seitenbezeichnung des OAG in den Entscheidungsgründen, korreliert nicht mit der tatsächlichen Seite aus den Entscheidungsgründen, sondern nur ca. halbe Seite Quadrangel Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichskammergerichtsordnung Randnummer Seite Sammlung Spalte Stadt- und Landgericht eil Titel Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis und andere vergleiche Verordnung Volume(n) Witwe Liber Extra Zum Beispiel zitiert Zeitschrift für Civilrecht und Proceß Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte Zivilprozessordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Kanonistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte / Romanistische Abteilung Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde

364

Anhang

B.

Ungedruckte Quellen

Die ungedruckten Quellen werden nach folgendem Muster dargestellt, das sich nach dem Aktendeckel der Archivalien richtet: (1) Prozessaktenzeichen des Archivs der Hansestadt Lübeck (2) Appellant (Parteistellung in erster Instanz) (3) Appellat (Parteistellung in erster Instanz) (4) Rechtsmittel (5) Streitgegenstand in erster Instanz (6) Streitgegenstand in gegenwärtiger Instanz (7) Datum der OAG-Entscheidung (Entscheidung des OAG) (1) AHL OAG L I 16 (2) Claus Hinrich Möller, Siems (Kl.) (3) Hans Peter Kückelhahn, Schlutup (Bekl.) (4) Appellation (5) Berechtigung zum Lumpensammeln (6) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (7) 18. Januar 1822 (Abweisung) (1) AHL OAG L I 29 (2) Peter Hansen, Arnis (Kl.) (3) Versicherungs-Gesellschaft von 1818 und die Zweite AssecuranzCompanie zu Lübeck (Bekl.) (4) Appellation (5) Versicherungsforderung in Höhe von 9126 Mark 12 Schilling aus der Havarie eines Schiffes auf der Fahrt von Schleimünde durch den Holsteinischen Kanal zur Weser (6) Beweise (7) 26. April 1823 (Bestätigung und Erweiterung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 30 (2) Jakob Behrens (Bekl., Widerkl.) (3) die Mitverwalter der Konkursmasse von Matthäus Rodde, nämlich Diedrich Stolterfoht und Ludolf Leonhard Meyersiek (Kl., Widerbekl.) (4) Appellation

B. Ungedruckte Quellen

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(5) Entschädigungsforderung in Höhe von etwa 72000 Courantmark aus einer Weinrequisition bei der Rodd‘schen Masse im Jahre 1814 (6) Beweise (7) 6. Mai 1823 (Bestätigung und teilweise Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 40 (2) Carl Heinrich Gäth (Bekl.) (3) Elsabe Catharina Gäth, geborene Turnau, mit Vormund (Kl.) (4) Appellation (5) Entfernung einer schwangeren Dienstmagd aus dem gemeinsamen Haushalt, hilfsweise Unterhaltsforderung der ausgezogenen Ehefrau (6) Beweis (7) 25. September 1824 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 41 (2) Johann Gottfried Hilliger, dann J. G. Hilliger Wwe. & Söhne, Lauenburg (Kl.) (3) Johann Christian Blohm & Söhne (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderung in Höhe von 5232 Courantmark 8 Schilling aus Transport von Steinkohlen von Lübeck über Lauenburg nach Hamburg (6) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (7) 23. November 1824 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 46 (2) Peter ee (Bekl.) (3) Christian Heinrich Sack und Consorten als Älteste des Böttcheramtes Lübeck (Kl.) (4) Appellation (5) Berechtigung zur Anfertigung von Böttcher-Arbeiten außerhalb des Böttcheramtes (6) Beweis (7) 30. März 1825 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette)

366

Anhang

(1) AHL OAG L I 49 (2) Friedrich Anton Kelling, Mönckhoff (Bekl.) (3) Jacob Behrens (Kl.) (4) Appellation (5) Forderungen in Höhe von 3504 Courantmark aus Pachtvertrag des Gutes Marly und einiger Koppeln am Brandenbaumer Weg (6) Beweis (7) 12. September 1825 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 51 (2) George Smith, Hamburg (Impetrant, Kl.) (3) Johann Heinrich Hoffmann, Gyllingnaes (Impetrat, Bekl.) (4) Appellation (5) Arrest auf eine Partie Rapssaat (6) Beweis (7) 14. Oktober 1825 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 52 (2) Georg eodor P üg (Bekl.) (3) Georg Friedrich Nicolaus Schröder sowie Jochim Jacob Trost und Gottlieb Gerhard Seemann (Kl.) (4) Appellation (5) Beeinträchtigung der Reihefuhr durch Beförderung von Reisenden durch nicht zu Reihefuhr berechtigten Fuhrmann (6) Zuständigkeit der OG (7) 26. November 1825 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 56 (2) Anna Margaretha Ohrt, geborene Brandt, Wwe., mit Vormund (Bekl.) (3) Hans Heinrich Schütt, Ratzeburg (Kl.) (4) Appellation (5) Forderung in Höhe von 486 Reichstalern 1 ½ Schilling aus einem gemeinsamen Holzhandel (6) Beweisführung (7) 25. März 1826 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG)

B. Ungedruckte Quellen

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(1) AHL OAG L I 60 (2) Johann Christoph Kleemann (Bekl.) (3) Johann Friedrich Koop (Kl.) (4) Appellation (5) Beeinträchtigung der Reihefuhr durch Beförderung von Reisenden durch nicht zur Reihefuhr berechtigten Fuhrmann (6) Kompetenz des OG (7) 16. Mai 1826 (Bestätigung der OG-Entscheidung) (1) AHL OAG L I 61 (2) Franz Heinrich Pauli (Kl.) (3) Catharine Pauli, geborene Gülcher, mit Vormund, Amsterdam (Bekl.) (4) Appellation (5) Fortsetzung der Ehe (6) Gewissensvertretung durch Beweis (7) 7. Juni 1826 (Beendet durch Klagerückziehung) (1) AHL OAG L I 70 (2) Peter ee (Kl.) (3) Juliane Sophie Caroline von Bahlen, geborene Maider, mit Vormund (Bekl.) (4) Appellation (5) Erfüllung eines Vergleichs über die Nutzung einer gemieteten Schwärzefabrik vor dem Mühlentor (6) Beweisführung (7) 13. Februar 1827 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 77 (2) Älteste des Drechsleramtes Lübeck (Imploranten) (3) Älteste des Rademacheramtes Lübeck (Imploraten) (4) Appellation (5) Berechtigung zur Haltung von Drehbänken außerhalb des Drechsleramtes (6) verweigerte Appellation (7) 14. Mai 1827 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an OG) (1) AHL OAG L I 78 (2) Peter Heinrich Mohrmann, Hamburg (Kl.) (3) Christian Georg Hagen, Rostock (Bekl.)

368

Anhang

(4) Appellation (5) Schadensersatzforderung für Seetransportschäden an Leinwand auf dem Weg von St. Petersburg nach Lübeck (6) — (7) 29. Mai 1827 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 83 (2) Wwe. omann, geborene Decker, mit Vormund, Hamburg (Kl.) (3) Wwe. Schickedanz, geborene Ziegler, mit Vormund, jetzt deren Erben (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderungen in Höhe von 2289 Courantmark 10 Schilling aus wechselseitigen Handelsgeschäften (6) Beweis (7) 18. Juli 1827 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 90 (2) Andreas Wehde, Kurau (Bekl.) (3) Hans Steen Wwe., mit Vormund (Kl.) (4) Appellation (5) Exklusivbesitz eines Dorfredders und Verbot der Durchfahrt durch andere (6) Beweis, neu aufgefundene Zeugen (7) 25. Februar 1828 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an LG) (1) AHL OAG L I 99 (2) Älteste der Gewandschneider-Companie Lübeck (Kl., Imploraten) (3) Johann Jacob Samuel Janicke (Bekl., Implorant) (4) Appellation (5) Berechtigung zum Zuschnitt und ellenweisen Verkauf von Tuch (6) Beweis (7) 7. November 1828 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 100 (2) Johann Jochim Ive, Vorrade (Bekl.) und die Dorfschaften Vorrade, Genin und Niederbüssau (Intervenienten) (3) Johann Hermann Friedrich Beckmann, Genin (Kl., Intervent) (4) Appellation

B. Ungedruckte Quellen

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(5) Schmiede-Zwangsrecht (6) Beweis (7) 11. November 1828 (Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an LG) (1) AHL OAG L I 105 (2) Älteste der Gemeinträger Lübeck, nämlich Lars Wieckström, Berend Christopher Jasmann, Joachim David Steinhagen und Hinrich Wilhelm Rath (Kl., Interventen) (3) Jacob Hinrich Busch (Bekl.) und Johann Matthias Eckhoff (Intervenient) (4) Appellation (5) Berechtigung zum Transport von Heringen (6) Beweis (7) 21. Januar 1829 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 110 (2) Jochim Matthias Röhl und Johann Friedrich Ludwig Zernitz (Imploraten) (3) Johann Dietrich Zernitz, Stendal (Implorant) (4) Beschwerde / Appellation (5) Zulassung zur Gewinnung des Meisterrechts im Wandbereiteramt Lübeck (6) verweigerte Appellation (7) 18. April 1829 (Zulassung der Appellation; Abweisung) (1) AHL OAG L I 122 (2) Anna Catharina Hertel, geborene Wenditz, verwitwete Hasse, sowie die Reederei des Schiffes „Dora“ (Kl.) (3) Heinrich Dietrich Wildtfanck, Arnold Hornemann und Friedrich Ernst August Leuenroth (Bekl.) (4) Appellation (5) Schadensersatzforderung aus der Verschiffung von Gütern von Lübeck nach Reval, deren Einfuhr verboten war und die deshalb kon sziert wurden, wie auch das Schiff zur Deckung der Strafgelder eingezogen wurde (6) Zulässigkeit neuer Beweise (7) 14. Juni 1830 (Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an OG) (1) AHL OAG L I 128 (2) Älteste der Schlutuper Fischer, nämlich Jochim Peter Voß und Hinrich Gerhard Westphal (Bekl.)

370

Anhang

(3) Älteste der Stadt- und Gothmunder Fischer, nämlich Johann Jochim Hinrich Harbers, Horst und Johann Wilhelm Gielau, Gothmund (Kl.) (4) Appellation (5) Berechtigung zum Fischfang mit enger Wade auf dem Bretling (6) Beweis (7) 21. Juli 1839 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 130 (2) Älteste des Bandreißeramts Lübeck, nämlich Jochim Christopher Dreyfes und Andreas Christian Buhmann (Kl.) (3) Friedrich Hinrich Ladewig im Beistand der Ältesten des Böttcheramts Lübeck, nämlich J.H. Wulff, Hermann Peter Schniedewind, Georg Eyseler und Johann Friedrich Behrens (Bekl.) (4) Appellation (5) Berechtigung zum Verkauf von Tonnenbändern (6) — (7) 7. September 1830 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 161 (2) Die Reederei des Schiffes „Dora“ und die Erben des verstorbenen Georg Hinrich Hasse, nämlich Anna Catharina Hertel, geborene Wendlitz, Wwe., mit Vormund, und Jürgen Heinrich Willrath und Adolph Hinrich Hasse als Vormund von Margaretha Elisabeth Hasse (Kl.) (3) Heinrich Dietrich Wildtfanck, Arnold Hornemann und Friedrich Ernst August Leuenroth (Bekl.) (4) Appellation (5) Schadensersatzforderung aus der Verschiffung von Gütern von Lübeck nach Reval, deren Einfuhr verboten war und die deshalb kon sziert wurden, wie auch das Schiff zur Deckung der Strafgelder eingezogen wurde (6) Zulässigkeit neuer Beweismittel (7) 26. Juni 1832 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an OG) (1) AHL OAG L I 163 (2) Nicolaus Hermann Müller (Bekl.) (3) Ganslandt & Götze in eigener Sache und in Vollmacht von Friedrich Krummes, Hamburg, Johann Anton Schmidt & Sohn, Hamburg, Knauer & Prieß, Wagner, Osthammer (Kl.) (4) Appellation

B. Ungedruckte Quellen

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(5) Schadensersatzforderung in Höhe von 37000 Francs an den Bürgen eines Kaperkapitäns, der das schwedische Schiff „Ceres“ unberechtigterweise gegen sich aufbrachte (6) Beweislast (7) 12. Juli 1832 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 169 (2) Asmus Hinrich Adolph Busch (Bekl.) (3) Älteste des Tischleramts Lübeck, nämlich Johann Hinrich Friedrich Wölder, Nicolaus Friedrich Techau, Caspar Adolph Timm und Johann Diedrich Ludwig Hagen (Kl.) (4) Appellation (5) Berechtigung der Herstellung von Türen und Fensterrahmen durch Instrumentenmacher (6) Zuständigkeit des OG (7) 20. November 1832 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an OG) (1) AHL OAG L I 178 (2) Georg Friedrich Nölting (Bekl., Widerkl.) (3) C. F. Linde, St. Petersburg, jetzt Heinrich Marty (Kl., Widerbekl.) (4) Appellation (5) Forderung in Höhe von 8315 Rubel aus einem Kommissionsgeschäft über Roggen- und Weizenmehl (6) Beweislast (7) 6. Juli 1833 (Beendet durch Vergleich) (1) AHL OAG L I 181 (2) Die Reederei des Schiffes „Dora“ und die Erben des verstorbenen Georg Hinrich Hasse, nämlich Anna Catharina Hertel, geborene Wendlitz, Wwe., mit Vormund, und Jürgen Heinrich Willrath und Adolph Hinrich Hasse als Vormund von Margaretha Elisabeth Hasse (Kl.) (3) Heinrich Dietrich Wildtfanck, Arnold Hornemann und Friedrich Ernst August Leuenroth (Bekl.) (4) Appellation (5) Schadensersatzforderung aus der Verschiffung von Gütern von Lübeck nach Reval, deren Einfuhr verboten war und die deshalb kon sziert wurden, wie auch das Schiff zur Deckung der Strafgelder eingezogen wurde

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Anhang

(6) Zulässigkeit neuer Beweise (7) 31. Oktober 1833 (Bestätigung und Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an OG) (1) AHL OAG L I 186 (2) Älteste des Böttcheramts Lübeck, nämlich Johann Behrens, Johann Heinrich Wolff, Hermann Peter Schniedewind und Peter Gerhard Jost (Kl.) (3) Johann Anton Erich Nachtigal (Bekl.) (4) Appellation (5) Berechtigung zur Anfertigung hölzerner Badewannen (6) Beweis (7) 24. Februar 1834 (Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 198 (2) Marktklösterträger Lübeck (Bekl.) (3) Älteste der Gemeinträger Lübeck (Kl.) (4) Appellation (5) Berechtigung zum Transport von Tabaksballen aus einem Kaufmannshaus zur Waage und von dort in ein anderes Kaufmannshaus (6) Beweis (7) 28. März 1835 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 206 (2) Gibbons & Healing, Liverpool, jetzt Mollwo in Vollmacht derselben (Kl.) (3) Heinrich Marty (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderung in Höhe von 766 Pfund Sterling aus der Lieferung von 1000 Quarter Weizen, die nicht vertragsgemäß waren (6) Beweis (7) 10. Dezember 1835 (Bestätigung und Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 208 (2) Älteste des Hauszimmerleuteamts Lübeck (Kl.) (3) Jacob Adolph Diedrich Luetgens im Beistand der Ältesten des Tischleramtes Lübeck (Bekl.) (4) Appellation

B. Ungedruckte Quellen

373

(5) Berechtigung zur Ausfertigung einer Laube (6) Beweis (7) 17. März 1836 (Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 215 (2) Gibbons & Healing, Liverpool, jetzt L. Mollwo in Vollmacht derselben (Kl.) (3) Heinrich Marty (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderung in Höhe von 766 Pfund Sterling aus der Lieferung von 1000 Quarter Weizen, die nicht vertragsgemäß waren (6) — (7) 31. März 1837 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 223 (2) Hinrich Christian Goss Wwe. und Erben, Moisling, jetzt Johann Heinrich Ziemsen, Moisling, im Beistand des Finanz-Departements Lübeck (Kl.) (3) Detlef Christian Grube, Moisling (Bekl.) (4) Appellation (5) Zwangsrecht der Moislinger Mühle (6) Beweis (7) 21. Juli 1838 (Beendet durch Vergleich) (1) AHL OAG L I 262 (2) L. Mollwo in Vollmacht von Gibbons & Healing, Liverpool (Kl.) (3) Heinrich Marty (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderung in Höhe von 766 Pfund Sterling aus der Lieferung von 1000 Quarter Weizen, die nicht vertragsgemäß waren (6) Beweis (7) 13. Mai 1844 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 300 (2) Christina Margaretha Möller, geborene Godendörp, Wwe., mit Vormund, jetzt Dr. J. Kollmann als Verwalter des insolventen Nachlasses von Johann Heinrich Möller (Bekl.) (3) Johann Carl Möller (Kl.) (4) Appellation

374

Anhang

(5) Rechnungslegung über einen Nachlass und Erbteilung (6) Beweis (7) 20. Juli 1848 (Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 308 (2) Älteste des Stuhlmacheramts Lübeck (Kl.) (3) Heinrich Friedrich Boldt im Beistand der Ältesten des Tischleramts Lübeck (Bekl.) (4) Appellation (5) Berechtigung zur Anfertigung von Rohrbänken durch einen Tischler (6) — (7) 29. Dezember 1848 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 339 (2) Jacob Adolph Rathsack (Bekl.) (3) Dr. Carl Philipp Gütschow, jetzt dessen Wwe. mit Vormund (Kl.) (4) Appellation (5) Reinigung eines Wassergangs, der unter dem Stall eines Nachbargrundstückes ab ießt (6) Aufhebung des Aktenschlusses und Zulassung neuer Beweise (7) 2. März 1852 (einstweilige Einstellung des Verfahrens) (1) AHL OAG L I 354 (2) Lion Levy Pincus (Kl.) (3) Heinrich Brockmann in Vollmacht der Vaterländischen Feuerversicherungsgesellschaft zu Elberfeld (Bekl.) (4) Appellation (5) Versicherungsforderung in Höhe von 417 Courantmark 5 Schilling aus Brandschaden (6) Beweis (7) 23. September 1853 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 355 (2) Johann Carl Möller (Kl.) (3) Adolph Heinrich Christian Schloepke, dessen Ehefrau und Catharine Eleonore Grambau (Bekl.) (4) Appellation

B. Ungedruckte Quellen

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(5) Körperverletzung (6) verweigerte Rechtsprechung (7) 12. November 1853 (Abweisung) (1) AHL OAG L I 360 (2) Jochim Hinrich Prestien (Bekl.) (3) Finanz-Departement Lübeck (Kl.) (4) Beschwerde (5) Instandsetzung eines Grabens und Knicks (6) Deserterklärung der Appellation; verweigerte Appellation (7) 11. März 1854 (Abweisung) (1) AHL OAG L I 382 (2) Johann Kaping, Blankensee (Bekl.) (2) Hans Jochim Derlien, Blankensee (Kl.) (4) Appellation (5) Wegerecht (6) — (7) 30. Mai 1855 (Bestätigung und Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an LG) (1) AHL OAG L I 391 (2) Hinrich Gerhard Westphal und omas Daniel Westphal, Schlutup (Kl.) (3) Carl Dillner, Schlutup (Bekl.) (4) Appellation (5) Abfuhr von Schlick (6) Klageberechtigung (7) 26. November 1855 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an LG) (1) AHL OAG L I 393 (2) Finanz-Deputation Lübeck (Bekl.) (3) August Peter Rehder, Carl Heinrich Friedrich Lüth, Johann Carl Leonhard Wecker, jetzt Daniel Eschenburg, Christian Hermann Friedrich Francke, Anna Catharina Böbs, geborene Höppner, Wwe., mit Vormund, Maria Johanna Luetgens, geborene Evers, Wwe., mit Vormund, und Heinrich Friedrich Richter (Kl.) (4) Appellation

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Anhang

(5) Sicherstellung gegen Schaden (6) Verwerfung prozesshindernder Einreden (7) 27. Dezember 1855 (Einstellung wegen fehlendem Prokurator) (1) AHL OAG L I 406 (2) Hans Jochim Derlien, Blankensee (Kl.) (3) Johann Kaping, Blankensee (Bekl.) (4) Appellation (5) Wegerecht (6) Beweis (7) 21. Juni 1856 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an LG) (1) AHL OAG L I 454 (2) Älteste des Stuhlmacheramts Lübeck, nämlich Johann Gottfried Werner und Johann Friedrich Carstens (Kl.) (3) Heinrich Friedrich Boldt im Beistand der Ältesten des Tischleramts Lübeck, nämlich Johann Heinrich Daniel Schröder und Johann Jochim Friedrich Tamm (Bekl.) (4) Appellation (5) Berechtigung zur Anfertigung von Rohr-Lehnstühlen durch einen Tischler (6) — (7) 27. Oktober 1859 (Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an Wette) (1) AHL OAG L I 497 (2) Heinrich Walte, vormals in Firma H. Walte & Co. (Bekl.) (3) Riunione Adriatica di Sicurtà, Triest (Kl.) (4) Appellation (5) Versuchter Versicherungsbetrug durch überhöhte Schadensmeldung bei Abwicklung eines Brandversicherungsfalles (6) Beweis (7) 29. November 1862 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 499 (2) Versicherungsgesellschaft Deutscher Phoenix in Frankfurt/Main (Kl.) (3) Albert Klevenhusen in Firma H. Walte & Co. (Bekl.) (4) Appellation

B. Ungedruckte Quellen

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(5) Versuchter Versicherungsbetrug durch überhöhte Schadensmeldung bei Abwicklung eines Brandversicherungsfalles (6) Beweis (7) 29. November 1862 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an NG) (1) AHL OAG L I 512 (2) Hans Jochim Derlien, Blankensee (Kl.) (3) Direktion der Lübeck-Büchener Eisenbahn-Gesellschaft (Bekl.) (4) Appellation (5) Lieferung einer Viehtränke, hilfsweise: Entschädigung für den Verlust einer Viehtränke (6) Beweis (7) 29. Februar 1864 (teilweise Bestätigung und Aufhebung der OGEntscheidung; Rückverweis an LG) (1) AHL OAG L I 516 (2) Margaretha Louise Röhl, geborene Aubin, Versailles (Kl.) (3) Ferdinand Conrad Röhl, Paris (Bekl.) (4) Appellation (5) Ehescheidung (6) — (7) 31. Mai 1864 (Beendet durch Klagerückziehung) (1) AHL OAG L I 521 (2) Priest Brothers, Hull (Kl.) (3) Neue St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (Bekl.) (4) Appellation (5) Provisionsforderung (6) Recusation des OG (7) 8. Dezember 1864 (Abweisung) (1) AHL OAG L I 541 (2) Johann Christian Behrens, St. Gertrud (Bekl.) (3) Hermann Hartwig Ludwig Röper, St. Gertrud (Kl.) (4) Appellation (5) Erfüllung eines Pachtvertrages (6) Beweisführung (7) 10. Februar 1866 (Beendet durch Vergleich)

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Anhang

(1) AHL OAG L I 548 (2) A. Behn & Sohn (Bekl.) (3) Johann Andreas Torkuhl in Vollmacht von Heinrich, Wilhelm, Friedrich, Georg, Paul und August Crusen (Kl.) (4) Appellation (5) Forderung aus Darlehen (6) — (7) 11. September 1866 (Beendet durch Vergleich) (1) AHL OAG L I 610 (2) Otto H. Betten, Karolinensiel und A. G. Meyer, Oldenburg (Kl.) (3) Direktion der Neuen St. Petersburg-Lübecker Dampfschiffahrtsgesellschaft (Bekl.) (4) Appellation (5) Schadensersatzforderung in Höhe von 4420 Stück Louisd’or aus der Kollision des mit Holz von Riga nach Els eth beladenen Schiffes „Tomma“ mit dem Dampfschiff „Helix“ (6) Beweis (7) 30. Januar 1871 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 617 (2) Großherzoglich Mecklenburg-Schwerinischen Regierung (Kl.) (3) Rudolf Carl Müller, Brandenbaum (Bekl.) (4) Appellation (5) Enteignung von Land (6) Prozesskosten (7) 13. Januar 1872 (Beendet durch Vergleich) (1) AHL OAG L I 619 (2) Johannes Möller als Hauptagent der Kaiserlich-Königlich privilegierten Versicherungsgesellschaft Oesterreichischer Phoenix in Wien (Impetrant) (3) — (4) Beschwerde (5) Eintragung in das Firmenregister (6) verweigerte Appellation (7) 23. Januar 1872 (Bestätigung der OG-Entscheidung)

B. Ungedruckte Quellen

379

(1) AHL OAG L I 625 (2) Carl Jochim Heinrich Röttger, Genin (Bekl.) (3) Ellna Sjöberg, Christiansstad (Kl.) (4) Appellation (5) Eheversprechen (6) Beweis (7) 23. Januar 1873 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 630 (2) Christian Simons, Padelügge (Kl.) (3) Wilhelm Georg Albert Kindler, Westerau, jetzt Oldesloe (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderung (6) Zuständigkeit der Lübeckischen Gerichte (7) 1. Juli 1873 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 632 (2) Dr. A. Brehmer als Kontradiktor der Konkursmasse von Marolinus Köhne (Bekl.) (3) Caroline Köhne (Kl.) (4) Appellation (5) Forderung (6) Zulässigkeit von Beweismitteln (7) 15. November 1873 (Abweisung) (1) AHL OAG L I 637 (2) Caroline Binder, geborene Redeker, Trittau (Kl.) (3) Dr. Christian Matthias Binder (Bekl.) (4) Appellation (5) Fortsetzung der Ehegemeinschaft (6) Beweis (7) 18. April 1874 (Bestätigung und Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 638 (2) Johannes Heinrich Hermann Harder (Kl.) (3) Carl Matthias Joachim Timm (Bekl.) (4) Appellation

380

Anhang

(5) Forderung aus Schenkungsversprechen (6) Beweis (7) 2. Mai 1874 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 640 (2) Catharina Magdalena Dorothea Hildsberg, geborene Kolbow (Kl.) (3) Carl Ludwig Hildsberg (Bekl.) (4) Appellation (5) Ehescheidung (6) Beweis (7) 16. Mai 1874 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 641 (2) Heinrich Julius Papke (Proklams-Extrahent), jetzt dessen Kinder Johannes Franz Edmund Papke und Christine Lüders, geborene Papke, Tammerfors, mit ehelichem Beistand (Bekl.) (3) Johanna Friederike Dorothea Knaack (Pro tentin, Kl.) (4) Appellation (5) Forderung aus dem Nachlass von Heinrich Julius Papke (6) Beweisführung (7) 6. Juni 1874 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 643 (2) Johannes Heinrich Krause (Kl.) (3) Julius Fedder, Moorgarten (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderung aus der Lieferung von Rosenstämmen (6) Glaubwürdigkeit eines Zeugen (7) 19. November 1874 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 646 (2) Hans Göttsche, Hartenholm (Kl.) (3) G. A. Rösing (Bekl.) (4) Appellation (5) Schadensersatzforderung und Herausgabe einer Wiese (6) Befolgung einer gerichtlichen Au age (7) 23. März 1875 (Abweisung)

B. Ungedruckte Quellen

381

(1) AHL OAG L I 659 (2) Heinrich Friedrich eodor Sartori (Kl.) (3) Peter Heinrich Freiherr (Bekl.) (4) Appellation (5) Grenzverlauf zwischen zwei Nachbargrundstücken (6) Beweis (7) 13. Januar 1876 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 660 (2) Anna Margaretha Schmalfeldt, geborene Sorje (Kl.) (3) Carl August Christian Schmalfeldt (Bekl.) (4) Appellation (5) Ehescheidung (6) Kostenvorschuss zum Unterhalt (7) 22. Januar 1876 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 661 (2) Johannes Heinrich Hermann Harder (Kl.) (3) Carl Matthias Joachim Timme (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderung aus Schenkungsversprechen (6) Beweis (7) 2. Januar 1879 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 662 (2) Hans Heinrich Ehlers, Dummersdorf (Kl.) (3) Hans Hinrich Müter, Dummersdorf (Bekl.) (4) Appellation (5) Umschreibung einer Hufenstelle (6) Beweis (7) 12. Februar 1879 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 668 (2) Johannes Heinrich Krause, St. Lorenz (Kl.) (3) Julius Fedder, Moorgarten (Bekl.)

382

Anhang

(4) Appellation (5) Forderung aus der Lieferung von Rosensträuchern (6) Beweis (7) 5. Mai 1876 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 669 (2) Asmus Hinrich Riessen, jetzt Dorothea Emerentia Riessen, geborene Gläfcke, Wwe., und Emma Dorothea Riessen mit Vormund (Bekl.) (3) Dr. C. W. Dittmer als Konkursverwalter von C. F. W. Boy (Kl.) (4) Appellation (5) Forderung (6) Beweis (7) 17. Juni 1876 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 672 (2) Rostocker Vereinsbank, Rostock (Kl.) (3) P. E. Larssen (Bekl.) (4) Appellation (5) Forderung (6) Zuständigkeit des Stadt- und Landgerichtes (7) 15. Juli 1876 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 674 (2) Johann Petersen und Johann Heinrich Christoph Brandes, beide Hamburg (Bekl.) (3) Hans Joachim Heinrich Rickert (Kl.) (4) Appellation (5) Forderung von Pfandgeld (6) — (7) 14. November 1876 (Beendet durch Vergleich) (1) AHL OAG L I 677 (2) Fr. Pitzschky in Firma F. Pitzschky & Co. und W. Jordan, Stettin, als Kapitän der Schiffes „Marschall“ (Kl.) (3) Finanz-Departement Lübeck (Kl.) (4) Beschwerde (5) Rückzahlung einer Stempelgebühr (6) Recusation des OG (7) 28. April 1877 (Abweisung)

B. Ungedruckte Quellen

383

(1) AHL OAG L I 679 (2) Dr. P. Steinhagen in Vollmacht von eodor Friedrich Kindler und Johann Ludwig Hahn, beide Schönberg, als Testamentsvollstrecker des verstorbenen Johann Gustav Ekengren (Bekl.) (3) Dr. J. P. F. Crome in Vollmacht von Ludwig Bicher, Schönberg, Vormund von Sophie Ekengren, geborene Schroeder, Wwe. (Kl.) (4) Appellation (5) Erbansprüche aus dem Nachlass von J. G. Ekengren (6) Klageberechtigung (7) 2. Juni 1877 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 682 (2) Hermann Jochim Heinrich Uter (Bekl.) (3) Johann Jochim Hinrich Godtmann (Kl.) (4) Appellation (5) Schadensersatzforderung (6) Beweis (7) 12. Juli 1877 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 683 (2) Hermann Wilhelm Emil Ranfft (Bekl.) (3) Dorothea Catharina Magdalena Ranfft, geborene Schultz (Kl.) (4) Appellation (5) Ehescheidung (6) Beweis (7) 14. Juli 1877 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 685 (2) Caroline Binder, geborene Redeker, Trittau (Kl.) (3) Dr. Christian Matthias Binder (Bekl.) (4) Appellation (5) Fortsetzung der Ehegemeinschaft (6) Unterhaltsforderungen und Kostenvorschuss (7) 21. Juli 1877 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 692 (2) J. H. C. Freitag (Bekl.) (3) Johanna Dorothea Wilhelmine Runge, geborene Wulff, mit ehelichem Beistand, Stockelsdorf (Kl.)

384

Anhang

(4) Appellation (5) Hauskauf (6) Beweis (7) 6. Dezember 1877 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 694 (2) Johann Friedrich Joachim Horstmann (Bekl.) (3) Johann Friedrich Inzen, Mori (Kl.) (4) Appellation (5) Forderung von Arztkosten und entgangenem Verdienst (6) Beweis (7) 11. Dezember 1877 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 697 (2) Johann Christoph Hinrich Friedrich Mull, Travemünde (Bekl.) (3) Peter Hinrich Friedrich Petersen, Travemünde (Kl.) (4) Appellation (5) Grundeigentum und Eigentumsbeschränkungen an 4 Grundstücken (6) Beweis (7) 16. Februar 1878 (Bestätigung und Änderung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 699 (2) Fr. Pitzschky in Firma F. Pitzschky & Co. und W. Jordan, Stettin, als Kapitän der Schiffes „Marschall“ (Kl.) (3) Finanz-Departement Lübeck (Kl.) (4) Beschwerde (5) Rückzahlung einer Stempelgebühr (6) Nichtigkeit (7) 7. März 1878 (Abweisung) (1) AHL OAGL I 702 (2) Carl Joachim Johann Susemihl (Kl.) (3) Carl August Friedrich Eduard Kreutzfeldt (Bekl.) (4) Appellation (5) Umschreibung eines Hauses

B. Ungedruckte Quellen

385

(6) Beweis (7) 11. Mai 1878 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 708 (2) Conrad Ebenhusen (Bekl.) (3) Rudolph Carl August Warner (Kl.) (4) Appellation (5) Besitzstörung durch Durchbruch einer Scheidemauer zwischen zwei Grundstücken in der Breiten Straße (6) Beweis (7) 2. Juli 1878 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 713 (2) J. A. Chr. Möllendorff und dessen Mutter J. Möllendorf, Wwe., jetzt letztere allein (Bekl.) (3) Dr. J. P. F. Crome als Konkursverwalter von Johann Carl Dietrich Flo tow (Kl.) (4) Appellation (5) Forderung in Höhe von 2366 Mark aus Bürgschaft (6) Beweis (7) 25. Januar 1879 (Aufhebung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG) (1) AHL OAG L I 719 (2) Moritz Frese als Vormund von Johanna, Alida, Hans, Carl und Ella, sämtliche Frese (Kl., Widerbekl.) (3) Rudolph Carl Müller, Brandenbaum (Bekl., Widerkl.) (4) Appellation (5) Aufhebung eines Pachtvertrages (6) Sachverständigenbeweis (7) 27. Mai 1879 (Bestätigung der OG-Entscheidung; Rückverweis an StuLG)

386

Anhang

C.

Gedruckte Quellen und Literatur vor 1879

Albrecht, Josef Ambrosius Michael von: Die Ausbildung des Eventualprinzips im gemeinen Civilprocess, Marburg 1837 Almendingen, Ludwig Harscher von: Metaphysik des Civil-Processes oder Darstellung der obersten Grundsätze des gerichtlichen Verfahrens in den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Ein Handbuch für gebildete Geschäftsmänner, Gießen 1821 Bar, Ludwig von: Recht und Beweis im Civilprocesse. Ein Beitrag zur Kritik und Reform des deutschen Civilprocesses, Leipzig 1867 Bayer, Friedrich: Betrachtungen über den Eid, enthaltend eine ausführliche Erörterung seines Begriffes, Zweckes und der Art seiner Anwendung, so wie der wichtigsten, auf denselben sich beziehenden Gegenstände, und Vorschläge zu einem zweckmäßigeren Gebrauche dieser Handlung, besonders einer Verminderung der Eide, Nürnberg 1829 Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht, Leipzig 1843 Bethmann-Hollweg, Moritz August von: Versuche über einzelne eile der eorie des Civilprozesses, Berlin 1827 Bippen, Wilhelm von: Georg Arnold Heise, Mittheilungen aus dessen Leben, Halle 1852 Bluhme, Friedrich: Die Gerichtsordnung für das Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands, nebst den darauf bezüglichen Gesezen der einzelnen Städte und den allgemeinen Verfügungen des Gerichts, Hamburg 1843 Bluhme, Friedrich: „Die Ordnung der Fragmente in den Pandektentiteln. Ein Beitrag zur Entstehung der Pandekten“, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft, Band IV, S. 257–472 Bluhme, Friedrich: System des in Deutschland geltenden Privatrechts mit Einschluss des Civilprocesses, 2. Au age, Bonn 1855 Böhlau, Hugo Heinrich Albert: Mecklenburgisches Landrecht, Band 1, Weimar 1871 Bornemann, Friedrich Wilhelm Ludwig: Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts mit Benutzung der Materialien des Allgemeinen Landrechts, Band 1: Enthaltend die geschichtliche Einleitung, die Fundamentallehren des Preußischen Rechts und die Lehre vom Besitz, 2. Au age, Berlin 1842 Brinkmann, Rudolf: Ueber die richterlichen Urtheilsgründe nach ihrer Nützlichkeit und Nothwendigkeit, so wie über ihre Auffindung, Entwicklung und Anordnung, Kiel 1826

C. Gedruckte Quellen und Literatur vor 1879

387

Bruhn, Christian August omas (Hrsg.): Sammlung von Entscheidungen des Oberappellationsgerichts zu Lübeck in Lübecker Rechtssachen, Erster Band, Lübeck 1858 Bruhn, Christian August omas (Hrsg.): Sammlung von Entscheidungen des Oberappellationsgerichts zu Lübeck in Lübecker Rechtssachen, Zweiter Band, Lübeck 1858 Bülow, Friedrich von Hagemann, eodor: Friedrich von Bülow’s und Dr. eodor Hagemann’s practische Erörterungen aus allen eilen der Rechtsgelehrsamkeit, Band 2, Hannover 1799 Busch, F.B.: „Der Zwiespalt der deutschen Gesetzgebung in Bezug auf den Beweis im Civil- und Strafsachen, und die daraus entstehenden Nachtheile“, in: AcP (1854), Band 37, S. 63–92 Buschmann, Arno: Kaiser und Reich, Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vom Beginn des 12. Jahrhunderts bis zum Jahre 1806 in Dokumenten, Teil II, Vom Westfälischen Frieden 1648 bis zum Ende des Reiches im Jahre 1806, 2. Au age, Baden-Baden 1994 Dahlmanns, Gerhard (Hrsg.): Neudrucke zivilprozessualer Kodi kationen und Entwürfe des 19. Jahrhunderts, Materialien zur Entwicklungsgeschichte der ZPO, Band 1, Bürgerliche Prozeßordnung für das Königreich Hannover von 1847 und 1850, Aalen 1971 Danz, Wilhelm August Friedrich: Grundsätze des ordentlichen Prozesses, 4. Au age, Stuttgart 1806 Dreyer, Johann Carl Henrich: Sammlung vermischter Abhandlungen zur Erläuterung der teutschen Rechte und Alterthümer, wie auch der Critic und Historie, Erster eil, Rostock und Wismar 1754 Dreyer, Johann Carl Henrich: Sammlung vermischter Abhandlungen zur Erläuterung der teutschen Rechte und Alterthümer, wie auch der Critic und Historie, Zweyter eil, Rostock und Wismar 1756 Duhn, Carl Alexander von: Deutschrechtliche Arbeiten, Abhandlungen über das Immobiliarsachenrecht und die Geschichte der Reception des Römischen Rechts, Lübeck 1877 Du Roi, Georg August Wilhelm: „Ueber die Beweislast bei der Negatorienklage (1830)“, in: AcP 40 (1857), S. 24–49 Eichhorn, Carl Friedrich: Einleitung in das deutsche Privatrecht mit Einschluß des Lehenrechts, 5. Au age, Göttingen 1845 Elvers, Rudolf: Die Nothstände des preußischen Eidesrechtes, Berlin 1858 Endemann, Wilhelm: Das deutsche Zivilprozeßrecht, Neudruck der Ausgabe Heidelberg 1868, Aalen 1969 Endemann, Wilhelm: Die Beweislehre des Civilprozesses, Heidelberg 1860

388

Anhang

Endemann, Wilhelm: „Die Folgen freier Beweisprüfung im Civilprozesse“, in: AcP (1858), Band 41, S. 289–345 Endemann, Wilhelm: „Die freie Beweiswürdigung im Civilprozesse“, in: AcP 41 (1858), S. 92–114 Feuerbach, Paul Johann Anselm: Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitsp ege, Band I, Gießen 1821 Feuerbach, Paul Johann Anselm: Ueber Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnisse zur positiven Rechtswissenschaft, eine Antrittsrede (1804), Mit einer Einführung von Wolfgang Naucke, Zur Zeitgeschichte, Kleine Reihe, Band 3, Baden-Baden 2002 Franke, A.W.S.: „Betrachtungen über die Beweislast bei der Negatorienklage“, in: AcP 21 (1838), S. 1–34 Frensdorff, Ferdinand: „Bülow, Friedrich von“, in: ADB, Band 3, Leipzig 1876, S. 525–527 Frensdorff, Ferdinand: „Cropp, Friedrich“, in: ADB, Band 4, Leipzig 1876, S. 610–612 Frensdorff, Ferdinand: „Hagemann, eodor“, in: ADB, Band 10, Leipzig 1879, S. 327–328 Friedberg, Emil: Corpus Iuris Canonici, 2. Band, Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1879, Graz 1959 Gaill, Andreas: Practicarum observationum, tam ad processum judiciarium, praesertim imperialis camerae, quam causarum decisiones pertinentium, libri duo, Köln 1721 Gensler, Johann Kaspar: „Ueber die Begriffe Beweis, Beweismittel, Beweisgründe, Beweislast, Beweissatz“, in: AcP 1 (1818), S. 343–389 Glück, Christian Friedrich: Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar, 2. Au age erster eil, Erlangen 1797 Glück, Christian Friedrich: Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar, 2. Au age sechster eil, Erlangen 1800 Glück, Christian Friedrich: Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar, 2. Au age zwölfter eil, Erlangen 1809 Gönner, Nikolaus addäus von: Commentar über das Königlich baierische Gesetz vom 22. Julius 1819 einige Verbesserungen die Gerichtsordnung betreffend, Erlangen 1820 Gönner, Nikolaus addäus von: Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Band 1, Erlangen 1801 Gönner, Nikolaus addäus von: Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Band 2, Erlangen 1801

C. Gedruckte Quellen und Literatur vor 1879

389

Gönner, Nikolaus addäus von: Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Band 3, Erlangen 1802 Gönner, Nikolaus addäus von: Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Band 4, Erlangen 1803 Göppert, Heinrich: „Bornemann, Friedrich Wilhelm Ludwig“, in: ADB, Band 3, Leipzig 1876, S. 173–174 Grolmann, Karl Ludwig Wilhelm von: eorie des gerichtlichen Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Gießen 1800 Hach, Johann Friedrich: Das Alte Lübische Recht, Lübeck 1839 Hahn, Friedrich von: Commentar zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch, Erster Band, 3. Au age, Braunschweig 1877 Hassenp ug, Hans Daniel Ludwig Friedrich: „Das kurhessische Gesetz von 1834 zur Abstellung der im prozessualischen Verfahren wahrgenommenen Mängel, nebst dessen Begründung, zugleich als Beitrag zu mehreren Lehren des gemeinen Prozesses, insbesondere zu der über die Rechtskraft der Vorbescheide, namentlich der Beweisinterlocute, mit einem Anhange, enthaltend: das kurhessische Gesetz vom 2. Juli 1843, betreffend die prozessualische Restitutionen“, in: Kleine Schriften juristischen Inhalts, Erstes Bändchen, Leipzig 1845 Hauff, Ludwig: Die Gerichtsverfassung der sämmtlichen deutschen Staaten mit Einschluß der nichtdeutschen Länder des österreichischen Kaiserstaats und unter namentlicher Aufführung aller Ober- und Untergerichte, Fürth 1856 Heffter, August Wilhelm: System des römischen und deutschen Civil-Proceßrechts, 2. Au age, Neudruck der Ausgabe Bonn 1843, Frankfurt 1987 Heimbach, Karl Wilhelm Ernst: „Litiscontestation“, in: Julius Weiske (Hrsg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, sechster Band, Leipzig 1845, S. 685–729 Heimbach, Karl Wilhelm Ernst: „Proceß“, in: Julius Weiske (Hrsg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, achter Band, Leipzig 1854, S. 569–697 Heimbach, Karl Wilhelm Ernst: „Proceßparteien“, in: Julius Weiske (Hrsg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, achter Band, Leipzig 1854, S. 697–734 Heimbach, Karl Wilhelm Ernst: „Provocation“, in: Julius Weiske (Hrsg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, achter Band, Leipzig 1854, S. 531–569 Heise, Georg Arnold: „Ueber die Beweislast bei der Negatorienklage (1830)“, in: AcP 40 (1857), S. 50–56

390

Anhang

Heise, Georg Arnold: Grundriss eines Systems des Gemeinen Civilrechts zum Behuf von Pandecten-Vorlesungen, 3. Au age, Neudruck der Ausgabe Heidelberg 1819, Goldbach 1997 Heise, Georg Arnold / Cropp, Friedrich: Juristische Abhandlungen mit Entscheidungen des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands, Erster Band, Hamburg 1827 Heise, Georg Arnold / Cropp, Friedrich: Juristische Abhandlungen mit Entscheidungen des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands, Zweiter Band, Hamburg 1830 Hochedler und Hochweiser Rath der Kaiserlichen freyen und des Heiligen Römischen Reichs-Stadt Lübeck: Gemeine Bescheide die Taxam der Gebühren der Advocatorum, Ober- und Nieder-Gerichts-Procuratorum, und Notariorum, wie auch einige das Justiz-Wesen und die Abstellung einiger bemerkten GerichtsMängel betreffend, Lübeck 1756 Hommel, Carl Ferdinand: Rhapsodia Quaestionum in Foro Qvotidie Obvenientium neque tamen legibus decisarvm, Editio tertia, Volvmine II et III Avcta, Lübeck 1796 Huber, Ernst Rudolf (Hrsg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Erster Band, Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Au age, Stuttgart 1978 Hufeland, Gottlieb: Beyträge zur Berichtigung und Erweiterung der positiven Rechtswissenschaften, Band 1–5, Jena 1792–1804 Hugo, Gustav: Lehrbuch eines civilistischen Cursus, Erster Band, welcher als allgemeine Einleitung die juristische Encyclopädie enthält, Vierter, größtenteils neu ausgearbeiteter, Versuch, Berlin 1811 Jhering, Rudolf von: „Agathon Wunderlich. Ein Nachruf“, in: Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, 17. Band (1879), S. 145–157 Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, Dritter eil, Leipzig 1865 Kant, Immanuel: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Frankfurt und Leipzig 1797 Kierulff, Johann Friedrich (Hrsg.): Sammlung der Entscheidungen des OberAppellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck, Band 1, Jahrgang 1865, Hamburg 1866 Kierulff, Johann Friedrich (Hrsg.): Sammlung der Entscheidungen des OberAppellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck, Band 2, Jahrgang 1866, Hamburg 1867

C. Gedruckte Quellen und Literatur vor 1879

391

Kierulff, Johann Friedrich (Hrsg.): Sammlung der Entscheidungen des OberAppellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck, Band 3, Jahrgang 1867, Hamburg 1868 Kierulff, Johann Friedrich (Hrsg.): Sammlung der Entscheidungen des OberAppellationsgerichts der freien Hansestädte zu Lübeck, Band 4, Jahrgang 1868, Hamburg 1870 Kierulff, Johann Friedrich (Hrsg.): Sammlung der Entscheidungen des OberAppellationsgerichts der freien Hansestädte zu Lübeck, Band 5, Jahrgang 1869, Lübeck 1871 Kierulff, Johann Friedrich (Hrsg.): Sammlung der Entscheidungen des OberAppellationsgerichts der freien Hansestädte zu Lübeck, Band 6, Jahrgang 1870, Lübeck 1873 Kierulff, Johann Friedrich (Hrsg.): Sammlung der Entscheidungen des OberAppellationsgerichts der freien Hansestädte zu Lübeck, Band 7, Jahrgänge 1871 und 1872, Lübeck 1874 Kierulff, Johann Friedrich: eorie des Gemeinen Civilrechts, Erster Band, Altona 1839 Kirchmann, Julius von: Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, Ein Vortrag, Berlin 1848 Knütel, Rolf / Kupisch, Berthold / Seiler, Hans Hermann / Behrends, Okko (Hrsg.): Corpus Iuris Civilis, Text und Übersetzung, Band IV, Digesten 21–27, Heidelberg 2005 Koch, Christian Friedrich: Anleitung zur preußischen Prozeßpraxis mit Beispielen, Band 1: Die gerichtlichen Klagen und Einreden, Berlin 1860 Kori, August Sigismund: „Ueber die Regel: affirmanti incumbit probatio, vornehmlich als Widerlegung der Weberschen Erklärung derselben“, in: AcP 8 (1825), S. 90–106 Kraussold, Eduard: Zur Lehre vom Eid als Beweismittel im Civilprozeß, München 1857 Kroll, Wilhelm: Ueber die Beweiswürdigkeit im Civilprozeß, Mit besonderer Rücksicht auf das Preußische Recht, Leipzig 1862 Krüger, Paul / Mommsen, eodor: Corpus Iuris Civilis, Vol I, Instiutiones, Digesta, Zürich 1968 Krüger, Paul: Corpus Iuris Civilis, Vol II, Codex Justinianus, Nachdruck der 11. Au age Berlin 1954, Hildesheim 1989 Langenbeck, Wilhelm: Die Beweisführung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Band 1, den Gegenstand des Beweises betreffend, Leipzig 1858

392

Anhang

Langenbeck, Wilhelm: Die Beweisführung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Band 2, Beweisinterlocut und dessen einzelne Bestandteile behandelnd, Leipzig 1860 Langenbeck, Wilhelm: Die Beweisführung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Band 3, Die Beweismittel und deren Anwendung behandelnd, Leipzig 1861 Laspeyres, Ernst Adolph eodor: Bernardi Papiensis, Summa Decretalium, Neudruck der Ausgabe Regensburg 1860, Graz 1956 Laspeyres, Ernst Adolph eodor: Lex Salica, Halle an der Saale 1833 Laspeyres, Ernst Adolph eodor: Über die Entstehung und älteste Bearbeitung der Libri Feudorum, Neudruck der Ausgabe Berlin 1830, Aalen 1969 Laufs, Adolf (Hrsg.): Der jüngste Reichsabschied von 1654, Abschied der Römisch Kaiserlichen Majestät und gemeiner Stände, welcher auf dem Reichstag zu Regensburg im Jahr Christi 1654 aufgerichtet ist (Quellen zur neueren Geschichte 32), Frankfurt am Main 1975 Laufs, Adolf (Hrsg.): Die Reichskammergerichtsordnung von 1555 (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 3), Köln, Wien 1976 Linde, Justus Timotheus Balthasar von: Lehrbuch des deutschen gemeinen Civilprozesses, 7. Au age, Bonn 1850 Linde, Justus Timotheus Balthasar von: „Ueber das neue Vorbringen in der höheren Instanz“, in: ZCP 4 (1831), S. 460–494 Lindelof, Friedrich von: „Von dem Unterschiede zwischen dem Verzichte auf das eingeklagte Recht selbst, und dem Fallenlassen der bisherigen Klage“, in: ZCP 5 (1832), S. 412–416 Lübeck: Der Kayserlichen Freyen vnd des Heiligen Reichs-Stadt Lübeck Statuta vnd Stadt Recht, Lübeck 1586 Lübeck: Sammlung der Lübeckischen Verordnungen und Bekanntmachungen, 3. Band 1818–1821, Lübeck 1823 Lübeck: Sammlung der Lübeckischen Verordnungen und Bekanntmachungen, 4. Band 1822–1825, Lübeck 1826 Lübeck: Sammlung der Lübeckischen Verordnungen und Bekanntmachungen, 27. Band 1860, Lübeck 1861 Lübeck: Sammlung der Lübeckischen Verordnungen und Bekanntmachungen, 30. Band 1863, Lübeck 1864 Ludolff, Georg Melchior von: Corpus iuris cameralis, Frankfurt am Main 1724 Martin, Christoph: Lehrbuch des teutschen gemeinen bürgerlichen Processes, 8. Au age, Heidelberg 1824 Martin, Christoph: Vorlesungen über die eorie des deutschen gemeinen bürgerlichen Processes, Zweiter Band, Leipzig 1857

C. Gedruckte Quellen und Literatur vor 1879

393

Marx, Peter: Der Eid und die jetzige Eidespraxis. eologisch-juristische Abhandlung, Regensburg 1855 Mevius, David: Commentarius in Jus Lubecense, libre quinque, Frankfurt am Main, Leipzig 1744 Mevius, David: Jurisdictio Summi Tribunalis Regii quod est Vismariae in Forma atque protestate ex Pacis Instrumento nec non Administrata Justicia per Decisiones & qvidem in primo volumine super causis Anno 1653, ad istud delatis, Stralsund 1664 Mittermaier, Carl Joseph Anton: „Beiträge zu der Lehre von dem anticipirten Beweise“, in: AcP 1 (1818), S. 120–137 Mittermaier, Carl Joseph Anton: Der gemeine deutsche bürgerliche Prozeß in Vergleichung mit dem preußischen und französischen Civilverfahren und mit den neuesten Fortschritten der Prozeßgesetzgebung, Band 1, 3. Au age, Bonn 1838 Mittermaier, Carl Joseph Anton: „Die Civilgerichtsordnung der freien Hansestadt Bremen von 1820“, in: AcP 5 (1822), S. 265–290 Mittermaier, Carl Joseph Anton: „Die neuesten Erscheinungen auf dem Gebiete der Civilprozeßgesetzgebung und die Grundrichtung derselben mit besonderer Hinsicht auf die neuesten Entwürfe der Prozeßordnung für Hannover und Schleswig-Holstein“, in: AcP 33 (1850), S. 119–148 Mittermaier, Carl Joseph Anton: „Über das teutschrechtliche Verfahren bei dem Zeugenbeweis in Vergleichung mit dem preussischen und französischen Verfahren und den neuesten Fortschritt der Prozeßgesezgebung“ in: AcP 5 (1822) S. 177–207 Mittermaier, Carl Joseph Anton: „Ueber die neuesten Fortschritte der Civilprozeßgebung und der im Zusammenhange damit stehenden gesetzlichen Einrichtungen“, in: AcP 30 (1847), S. 421–453 Möser, Justus: Patriotische Phantasien, Band 4, Berlin 1786 Muther, eodor: „Claproth, Justus“, in: ADB, Band 4, Leipzig 1876, S. 274–275 Muther, eodor: Die Gewissensvertretung im gemeinen Deutschen Recht, mit Berücksichtigung von Particulargesetzgebungen, besonders der Sächsichen und Preußischen, Erlangen 1860 Nahmer, Wilhelm von der: Sammlung der merkwürdigeren Entscheidungen des Herzoglich Nassauischen Oberappellations-Gerichts zu Wiesbaden, Erster Band, Frankfurt 1824 Nissen, Adolph: Die Gewissensvertretung nach gemeinem deutschen Processrecht, Leipzig 1861 Otto, Carl / Schilling, Bruno / Sintenis, Carl Friedrich Ferdinand: Das Corpus Iuris Civilis in’s Deutsche übersetzt, Fünfter Band, Leipzig 1832

394

Anhang

Pape, von: „Ueber die Rechtskraft der Beweis-Interlocute“, in: AcP 30 (1847), S. 107–143 Pauli, Carl Wilhelm: Abhandlungen aus dem Lübischen Rechte. Größtentheils nach ungedruckten Quellen, vier Bände, Lübeck 1837–1865 Pauli, Carl Wilhelm: Lübeckische Zustände zu Anfang des 14. Jahrhunderts, Lübeck 1847 Pfeiffer, Burkhard Wilhelm: Practische Ausführungen aus allen eilen der Rechtswissenschaft, Band 6, Hannover 1841 Pierer, Heinrich August: „Salvis“, in: Pierer’s Universal-Lexicon der Vergangenheit und der Gegenwart oder Neuestes encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, Band 14, 4. Au age, Altenburg 1862, S. 816 Planck, Johann Julius Wilhelm von: Die Lehre von dem Beweisurtheil, Mit Vorschlägen für die Gesetzgebung, Göttingen 1848 Planck, Johann Julius Wilhelm von: Die Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten im Prozeßrecht, Göttingen 1844 Puchta, Georg Friedrich: Cursus der Institutionen, Geschichte des Rechts bei dem römischen Volk, mit einer Einleitung in die Rechtswissenschaft und Geschichte des römischen Civilprocesses, Erster Band, 10. Au age (nach dem Tode des Verfassers besorgt von Paul Krüger), Leipzig 1893 Puchta, Georg Friedrich: Cursus der Institutionen, Geschichte des Rechts bei dem römischen Volk, mit einer Einleitung in die Rechtswissenschaft und Geschichte des römischen Civilprocesses, Zweiter Band, 6. Au age (nach dem Tode des Verfassers besorgt von Adolf Friedrich Rudorff), Leipzig 1866 Puchta, Georg Friedrich: Das Gewohnheitsrecht, Erster und zweiter Teil, Neudruck der Ausgabe Erlangen 1828 und 1837, Darmstadt 1965 Puchta, Georg Friedrich: Pandekten, 3. Au age, Leipzig 1845 Puchta, Wolfgang Heinrich: „Über Provisorien, mit besonderer Rücksicht auf Verminderung der Prozeßübel“, in: ZCP 5 (1832), S. 107–139 Puchta, Georg Friedrich: Vorlesungen über das heutige römische Recht, Erster Band, Leipzig 1847 Pufendorf, Friedrich Esaias: Observationes juris universi quibus praecipue res judicatae summi tribunalis regii et electoralis continentur, Tomus II, Hannover 1779 Quistorp, Johann Christian: Beyträge zur Erläuterung verschiedener, mehrentheils unentschiedener Rechts-Materien aus der bürgerlichen und peinlichen Rechtsgelahrtheit, 2. Au age, Rostock und Leipzig 1787

C. Gedruckte Quellen und Literatur vor 1879

395

Renaud, Achilles: Lehrbuch des Gemeinen deutschen Civilproceßrechts mit Rücksicht auf die neueren Civilproceßgesetzgebung, der ordentliche Proceß, 2. Auflage, Leipzig und Heidelberg 1873 Reyscher, August Ludwig: „Begriff des gemeinen deutschen Rechts“, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft, Band 10, Tübingen 1846, S. 153–180 Runde, Justus Friedrich: Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts, 3. Auflage, Göttingen 1801 Sartorius, Johannes Baptist: „Revision der Lehre von den Quellen des deutschen Civilprozesses“, in: ZCP 1 (1845), S. 151–239 Savigny, Friedrich Carl von: Das Obligationenrecht als eil des heutigen Römischen Rechts, Zweiter Band, Berlin 1853 Savigny, Friedrich Carl von: Das Recht des Besitzes, 6. Au age, Gießen 1837 Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen römischen Rechts, Band I, Berlin 1840 Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen römischen Rechts, Band V, Berlin 1841 Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen römischen Rechts, Band VI, Berlin 1847 Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen römischen Rechts, Band VII, Berlin 1848 Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 3. Au age, Heidelberg 1840 Savigny, Friedrich Carl von: Vorlesungen über juristische Methodologie 1802–1842, in: Aldo Mazzacane (Hrsg.): Friedrich Carl von Savigny (Ius Commune Sonderhefte, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 63, Savignyana, Texte und Studien 2), Frankfurt am Main 1993 Savigny, Karl von: „Albrecht, Michael von“, in: ADB, Band 45, Leipzig 1900, S. 742–743 Schilling, Bruno / Sintenis, Carl Friedrich Ferdinand: Das Corpus Iuris Canonici in seinen wichtigsten und anwendbarsten eilen, Erster Band, Leipzig 1834 Schilling, Bruno / Sintenis, Carl Friedrich Ferdinand: Das Corpus Iuris Canonici in seinen wichtigsten und anwendbarsten eilen, Zweiter Band, Leipzig 1837 Schmid, Andreas Christian Johann: Handbuch des gemeinen deutschen Civilprocesses, Zweiter eil, Kiel 1844 Schneider, Ernst Christian Gottlieb: Vollständige Lehre vom rechtlichen Beweise in bürgerlichen Rechtssachen, Gießen 1842 Seuffert, Johannes Adam: Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten, München 1847

396

Anhang

Siegen, H.J.: Juristische Abhandlungen vorzüglich den Zustand Deutscher Gesetzgebung und Rechtsp ege betreffend, Göttingen 1834 Spangenberg, Ernst: „Ueber das Bene cium non deducta deducendi et non probata probandi“, in: AcP 9 (1826), S. 52–70 Spehr, Friedrich Wilhelm: „du Roi, Georg August Wilhelm“, in: ADB, Band 5, Leipzig 1877, S. 489 Stein, Joachim Lucas: Abhandlung des Lübschen Rechts, Vierdter eil in sich fassend Die Rechte Des Gerichtlichen Processes, Lübeck 1745 Stobbe, Otto: Geschichte der deutschen Rechtsquellen, zweite Abtheilung, Braunschweig 1864 Strippelmann, Friedrich Georg Lebrecht: Der Gerichts-Eid, Dritte Abtheilung, Die nothwendigen Eide, mit Belegen aus der Praxis der obersten Gerichte, erste Hälfte, Kassel 1857 ibaut, Anton Friedrich Justus: System des Pandekten-Rechts, Band 1, 5. Au age, Jena 1818 ibaut, Anton Friedrich Justus: System des Pandekten-Rechts, Band 2, 7. Au age, Jena 1828 öl, Heinrich: Ausgewählte Entscheidungsgründe des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands, Göttingen 1857 Tiling, Eberhard: Versuch eines bremisch-niederdeutschen Wörterbuchs, worin nicht nur die in und um Bremen, sondern auch fast in ganz Niedersachsen gebräuchliche eigenthümliche Mundart nebst den schon veralteten Wörtern und Redensarten in bremischen Gesetzen, Urkunden und Diplomen, gesammelt, zugleich auch nach einer behutsamen Sprachforschung, und aus Vergleichung alter und neuer verwandter Dialekte, erkläret sind, Band 5, Bremen 1771 Vangerow, Karl Adolph von: Lehrbuch der Pandekten, Erster Band, 6. Au age, Marburg 1851 Wächter, Carl Georg von: „Beitrag zu der Lehre vom Gerichtsgebrauche“, in: AcP 23 (1840), S. 432–446 Wächter, Carl Georg von: Erörterungen aus dem Römischen, Deutschen und Württembergischen Privatrechte, Erstes Heft, Stuttgart 1845 Wächter, Carl Georg von: Handbuch des im Königreiche Württemberg geltende Privatrecht, Erster Band: Erste Abtheilung, Geschichte, Quellen und Literatur des Württembergischen Privatrecht, Erste Abtheilung, Stuttgart 1839 Wächter, Carl Georg von: Handbuch des im Königreiche Württemberg geltende Privatrecht, Zweiter Band: Allgemeine Lehren, Neudruck der Ausgabe Stuttgart 1842, Frankfurt am Main 1985 Wächter, Otto von: Carl Georg von Wächter, Leben eines deutschen Juristen, Leipzig 1881

C. Gedruckte Quellen und Literatur vor 1879

397

Weber, Adolph Dietrich: Beiträge zu der Lehre von gerichtlichen Klagen und Einreden, 3. Au age, Leipzig 1811 Weber, Adolph Dietrich: Ueber die Verbindlichkeit zur Beweisführung im Civilprozeß, mit Anmerkungen und Zusätzen von August Wilhelm Heffter, 3. Au age, Leipzig 1845 Weiske, Julius: „Beweis“, in: ders., Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, zweiter Band, Leipzig 1840, S. 108–170 Weiske, Julius (Hrsg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, zweiter Band, Leipzig 1840 Weiske, Julius (Hrsg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, sechster Band, Leipzig 1845 Weiske, Julius (Hrsg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, achter Band, Leipzig 1854 Wengler, Friedrich Albert (Hrsg.): Bürgerliches Gesetzbuch für das Königreich Sachsen nebst Publications-Verordnung vom 2. Januar 1863, Ein- und Ausführungs-Verordnung und Verordnung, das Verfahren in nichtstreitigen Rechtssachen betreffend vom 9. Januar 1865, 3. Au age, Dresden 1865 Westphalen, Ernst Joachim von: Monumenta inedicta rerum Germanicarum praecipue cimbricarum et megapolensium, Tomus III, Leipzig 1743 Wetzell, Georg Wilhelm: System des ordentlichen Civilprocesses, 3. Au age, Leipzig 1878 Windscheid, Bernhard: Die actio des römischen Zivilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts, Neudruck der Ausgabe Düsseldorf 1856, Aalen 1969 Wunderlich, Agathon: Die Jurisprudenz des Oberappellations-Gerichts der vier freien Städte Deutschlands in bürgerlichen Rechtssachen aus Lübeck, 1848–1855, Band I, Bremen 1866 Wunderlich, Agathon: Die Jurisprudenz des Oberappellations-Gerichts der vier freien Städte Deutschlands in bürgerlichen Rechtssachen aus Lübeck, 1856–1864, Band II, Bremen 1866 Zachariä von Lingenthal, Karl Salomo: Handbuch des französischen Civilrechts, Band 1, 5. Au age, Heidelberg 1853 Zeiller, Franz Edlen von: Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie, Band 2, Wien 1812

398

Anhang

D.

Literatur nach 1879

Achilles, Alexander (Hrsg.): Die Preußischen Gesetze über Grundeigenthum und Hypothekenrecht vom 5. Mai 1872, herausgegeben mit Einleitung und Kommentar, 3. Au age, Berlin und Leipzig 1881 Adler, Sebastian: Das Verhältnis von Richter und Parteien in der preußischen und deutschen Zivilprozeßgesetzgebung, Hamburg 2006 Ahrens, Gerhard: „öl“, in: Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek (Hrsg.): Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 12, Neumünster 2006, S. 409–412 Ahrens, Martin: Prozessreform und einheitlicher Zivilprozess. Einhundert Jahre legislative Reform des deutschen Zivilverfahrensrechts vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zur Verabschiedung der Reichszivilprozessordnung (Tübinger rechtswissenschaftliche Abhandlungen 102), Tübingen 2007 Albers, Jan: „Die „Strafbücher“ des Oberappellationsgerichts in Lübeck“, in: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter 8 (1970), S. 241–255 Asch, Jürgen: Rat und Bürgerschaft in Lübeck 1598–1669, Die verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen im 17. Jahrhundert und ihre sozialen Hintergründe (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck 17), Lübeck 1961 Ascheri, Mario: Italien, Rechtsprechungssammlungen, in: Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Zweiter Band, Neuere Zeit (1500–1800), Zweiter Teilband, Gesetzgebung und Rechtsprechung, München 1976 Battenberg, Friedrich / Ranieri, Filippo (Hrsg.): Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa, Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag, Köln, Weimar, Wien 1994 Baumann, Anette: Advokaten und Prokuratoren, Anwälte am Reichskammergericht (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 51), Köln, Weimar, Wien 2006 Baumann, Anette / Westphal, Siegrid / Wendehorst, Stephan / Ehrenpreis, Stefan (Hrsg.): Prozessakten als Quelle, Neue Ansätze zur Erforschung der Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 37), Köln, Weimar, Wien 2001 Becker, Hans-Jürgen: „Präjudiz“, in: HRG III, Berlin 1984, Sp. 1866–1870 Bekker, Immanuel: Vier Pandektisten, Heidelberg 1903 Bergfeld, Christoph: „Der Zeugenbeweis im deutschen Zivilprozeßrecht von 1877–1933“, in: André Gouron, Laurent Mayali u.a. (Hrsg.): Subjektivierung des justiziellen Beweisverfahrens, Beiträge zum Zeugenbeweis in Europa und

D. Literatur nach 1879

399

den USA (18.–20. Jahrhundert) (Ius Commune Sonderheft 64), Frankfurt am Main 1994, S. 145–163 Bergfeld, Christoph: „Handelsrechtliche Entscheidungen des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck“, in: Karl Otto Scherner (Hrsg.): Modernisierung des Handelsrechts im 19. Jahrhundert (Abhandlungen aus dem gesamten Bürgerlichen Recht, Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 66), Heidelberg 1993, S. 67–88 Björne, Lars: Deutsche Rechtssysteme im 18. und 19. Jahrhundert (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 59), Ebelsbach 1984 Björner, Ulf: Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Norddeutschen Bund und Deutschen Reich (1867–1918) (Rechtshistorische Reihe 214), Frankfurt am Main 2000 Blickle, Peter (Hrsg.): Der Fluch und der Eid. Die metaphysische Begründung gesellschaftlichen Zusammenlebens in der ständischen Gesellschaft (Zeitschrift für historische Forschung 15), Berlin 1993 Blühdorn, Jürgen / Ritter, Joachim (Hrsg.): Philosophie und Rechtswissenschaft, Zum Problem ihrer Beziehungen im 19. Jahrhundert (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts 3), Frankfurt am Main 1969 Böhm, Peter: „Der Streit um die Verhandlungsmaxime. Zum Ein uß der Verfahrenstheorie des 19. Jahrhunderts auf das gegenwärtige Prozeßverständnis“, in: Ius Commune 7 (1978), S. 136–159 Bomsdorf, Falk: Prozeßmaximen und Rechtswirklichkeit, Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime im deutschen Zivilprozeß – Vom gemeinen Recht bis zur ZPO (Schriften zum Prozeßrecht 19), Berlin 1971 Borchert, Jürgen: Auf nach Frankfurt!, Mecklenburgische und vorpommerische Parlamentarier als Abgeordnete in der Paulskirche 1848/49, Schwerin 1998 Brandt, Ahasver von: Geist und Politik in der Lübeckischen Geschichte, Acht Kapitel von den Grundlagen historischer Größe, Lübeck 1954 Braunewell, Markus: Georg Arnold Heise, Biographie und Briefwechsel mit Savigny und anderen, Frankfurt am Main 1999 Brockmöller, Annette: Die Entstehung der Rechtstheorie im 19. Jahrhundert in Deutschland (Studien zur Rechtsphilosophie und Rechtstheorie 14), BadenBaden 1997 Bruns, Alken (Hrsg.): Lübecker Lebensläufe aus neun Jahrhunderten, Neumünster 1993 Buchholz, Stephan / Lück, Heiner (Hrsg.): Worte des Rechts – Wörter zur Rechtsgeschichte, Festschrift für Dieter Werkmüller zum 70. Geburtstag, Berlin 2007 Bühler, Axel: Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung bei Friedrich Karl von Savigny, in: Jan Schröder (Hrsg.): eorie der Interpretation vom Humanismus

400

Anhang

bis zur Romantik – Rechtswissenschaft, Philosophie, eologie, Beiträge zu einem interdisziplinären Symposium in Tübingen, 29. September bis 1. Oktober 1999 (Contubernium, Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 58), Stuttgart 2001, S. 329–337 Busch, Sylvia: Die Entstehung der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preussischen Staaten von 1793/95, Ein Beitrag zur Geschichte der Kodi kationsbewegung und der Reform des Zivilprozesses in Preußen im 18. Jahrhundert (Rechtshistorische Reihe 194), Frankfurt am Main 1999 Cancik, Hubert / Schneider, Helmut / Landfester, Manfred (Hrsg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Band 15/2, Leiden 2002 Cappelletti, Mauro: „Social and Political Aspects of Civil Procedure-Reforms and Trends in Western and Eastern Europe“, in: Michigan Law Review, Volume 69 No 5 (1971), S. 847–886 Coing, Helmut: „Der juristische Systembegriff bei Rudolf von Jhering“, in: Jürgen Blühdorn / Joachim Ritter (Hrsg.): Philosophie und Rechtswissenschaft, Zum Problem ihrer Beziehungen im 19. Jahrhundert (Studien zur Philosophie und Literatur des neunzehnten Jahrhunderts 3), Frankfurt am Main 1969, S. 149–171 Coing, Helmut: Europäisches Privatrecht, Band II, 19. Jahrhundert, Überblick über die Entwicklung des Privatrechts in den ehemals gemeinrechtlichen Ländern, München 1989 Coing, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Zweiter Band, Neuere Zeit (1500–1800), Das Zeitalter des Gemeinen Rechts, Zweiter Teilband, Gesetzgebung und Rechtsprechung, München 1976 Coing, Helmut (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Dritter Band, Das 19. Jahrhundert, Zweiter Teilband, Gesetzgebungsarbeiten zum allgemeinen Privatrecht und Verfahrensrecht, München 1982 Coing, Helmut / Wilhelm, Walter (Hrsg.): Wissenschaft und Kodi kation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Band IV, Eigentum und industrielle Entwicklung, Wettbewerbsordnung und Wettbewerbsrecht (Studien zur Rechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts 4), Frankfurt am Main 1979 Conrad, Hermann: Richter und Gesetz im Übergang vom Absolutismus zum Verfassungsstaat, Graz 1971 Cordes, Albrecht / Lück, Heiner / Werkmüller, Dieter / Bertelsmeier-Kierst, Christa (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Au age, Band I, Berlin 2008

D. Literatur nach 1879

401

Cordes, Albrecht (Hrsg.): Hansisches und hansestädtisches Recht (Hansische Studien 17), Trier 2008 Cordes, Albrecht (Hrsg.): Juristische Argumentation – Argumente der Juristen (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 49), Köln, Weimar, Wien 2006 Cordes, Albrecht / Dauchy, Serge (Hrsg.): La résolution des con its en matière de commerce terrestre et maritime, im Erscheinen Dahlmanns, Gerhard:, in: Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Dritter Band, Das 19. Jahrhundert, Zweiter Teilband, Gesetzgebungsarbeiten zum allgemeinen Privatrecht und Verfahrensrecht, München 1982, S. 2615–2698 Dahlmanns, Gerhard: Der Strukturwandel des deutschen Zivilprozesses im 19. Jahrhundert, Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der ZPO an Hand ausgewählter Gesetzgebungsarbeiten, Aalen 1971 Damrau, Jürgen: Die Entwicklung einzelner Zivilprozessmaximen seit der Reichszivilprozessordnung von 1877 (Reichs- und staatswissenschaftliche Veröffentlichung der Görresgesellschaft 16), Paderborn 1971 Dannenberg, Herbert: Liberalismus und Strafrecht im 19. Jahrhundert unter Zugrundelegung der Lehren Karl Georg von Waechters, Berlin 1925 Dawson, John: e Oracles of Law, Ann Arbor 1968 Deutsch, Andreas: „Beweis“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 559–566 Deutsch, Andreas: Der Klagspiegel und sein Autor Conrad Heyden, Ein Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts als Wegbereiter der Rezeption (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 23), Köln, Weimar, Wien 2004 Dick, Bettina: Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 10), Köln, Wien 1981 Diestelkamp, Bernhard: „Beobachtungen zur Schriftlichkeit im Kameralprozeß“, in: Peter Oestmann (Hrsg.): Zwischen Formstrenge und Billigkeit, Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln, Weimar, Wien 2009, S. 105–115 Dilcher, Gerhard / Diestelkamp, Bernhard (Hrsg.): Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey, Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie, Symposium für Adalbert Erler, Berlin 1986 Döhring, Erich: „Berger, Johann Heinrich von“, in: NDB, Band 2, Berlin 1955, S. 80–81 Döhring, Erich: „Carpzov, Benedict“, in: NDB, Band 3, Berlin 1957, S. 156–157 Döhring, Erich: Geschichte der deutschen Rechtsp ege seit 1500, Berlin 1953

402

Anhang

Dölemeyer, Barbara: Der Zeugenbeweis im deutschen Zivilprozeß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: André Gouron / Laurent Mayali (Hrsg.): Subjektivierung des justiziellen Beweisverfahrens, Beiträge zum Zeugenbeweis in Europa und den USA (18.–20. Jahrhundert) (Ius Commune Sonderheft 64), Frankfurt am Main 1994, S. 91–111 Dölemeyer, Barbara: „Die eorie eines natürlichen Zivilprozeßrechts zu Beginn des 19. Jahrhunderts“, in: Diethelm Klippel (Hrsg.): Naturrecht im 19. Jahrhundert, Kontinuität – Inhalt – Funktion – Wirkung, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit (Studien und Materialien 1), Goldbach 1997, S. 251–268 Dölemeyer, Barbara: „Justizforschung in Frankreich und Deutschland“, in: ZNR 18 (1996), S. 288–299 Drosdeck, omas: Die Ablösung der gemeinrechtlichen Beweisdoktrin im 19. Jahrhundert am Beispiel des Königreichs Hannover, in: André Gouron / Laurent Mayali (Hrsg.): Subjektivierung des justiziellen Beweisverfahrens, Beiträge zum Zeugenbeweis in Europa und den USA (18.–20. Jahrhundert) (Ius Commune Sonderheft 64), Frankfurt am Main 1994, S. 113–143 Dubischar, Roland (Hrsg.): Dogmatik und Methode, Josef Esser zum 65. Geburtstag, Regensburg 1975 Duve, omas: „Mit der Autorität gegen die Autoritäten?“, in: Wulf Oesterreicher / Gerhard Regn / Winfried Schulze (Hrsg.): Autorität der Form – Autorisierung – Institutionelle Autorität, Münster 2003, S. 239–256 Ebel, Wilhelm: Lübisches Recht, Erster Band, Lübeck 1971 Ebel, Wilhelm: „Lübisches Recht“, in: HRG III, Berlin 1984, Sp. 77–84 Eckert, Jörn: Johann Friedrich Martin Kierulff (1806–1894), Vom Universitätsprofessor zum Präsidenten des Oberappellationsgerichts zu Lübeck, in: ders., Pia Letto-Vanamo, Kjelln Modéer (Hrsg.):, Juristen im Ostseeraum, Dritter Rechtshistorikertag im Ostseeraum 20.–22. Mai 2004 (Rechtshistorische Reihe 342), Frankfurt am Main 2007, S. 31–43 Eckert, Jörn / Letto-Vanamo, Pia / Modéer, Kjelln (Hrsg.): Juristen im Ostseeraum, Dritter Rechtshistorikertag im Ostseeraum 20.–22. Mai 2004 (Rechtshistorische Reihe 342), Frankfurt am Main 2007 Eichler, Frank: Das Hamburger Ordeelbook in der Erstfassung von 1270, Hamburg 2007 Eichler, Frank: „Quellen des Hamburger Stadtrechts“, in: Albrecht Cordes (Hrsg.): Hansisches und hansestädtisches Recht (Hansische Studien 17), Trier 2008, S. 127–140 Eisenhart, August Ritter von: „Martin, Christoph Reinhard Dietrich“, in: ADB, Band 20, Leipzig 1884, S. 485–489

D. Literatur nach 1879

403

Eisenhart, August Ritter von: „Schweppe, Albrecht“, in: ADB, Band 33, Leipzig 1891, S. 414–415 Engel, Hans-Ulrich: Beweisinterlokt und Beweisbeschluss im Zivilprozeß (Prozeßrechtliche Abhandlungen 87), Köln 1992 Engelmann, Arthur et al.: A History of Continental Civil Procedure (e Continental Legal History Series 7), Boston 1927 Erler, Adalbert: „Notorietät“, in: HRG III, Berlin 1984, Sp. 1062–1064 Erler, Adalbert: „Verklarung“, in: HRG V, Berlin 1998, Sp. 741–743 Erler, Adalbert: „Patrimonialgerichtsbarkeit“, in: HRG III: Berlin 1984, Sp. 1547–1549 Erler, Adalbert / Kaufmann, Ekkehard (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band I, Berlin 1971 Erler, Adalbert / Kaufmann, Ekkehard (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band II, Berlin 1978 Erler, Adalbert / Kaufmann, Ekkehard (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band III, Berlin 1984 Erler, Adalbert / Kaufmann, Ekkehard (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band IV, Berlin 1990 Erler, Adalbert / Kaufmann, Ekkehard (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Band V, Berlin 1998 Ewald, Martin: „Juristenprüfung vor 100 Jahren – das OAG der freien Hansestädte in Lübeck als Prüfungskollegium für die Zulassung der Advocatur in Hamburg von 1871 bis 1879“, in: Hamburgische Geschichts- und Heimatblätter 8 (1970), S. 282–291 Falk, Ulrich / Luminati, Michele / Schmoeckel, Mathias (Hrsg.): Fälle aus der Rechtsgeschichte, München 2008 Falk, Ulrich: „Pandektistik“, in: Hubert Cancik, Helmut Schneider, Manfred Landfester (Hrsg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte, Band 15/2, Leiden 2002, Sp. 45–49 Falk, Ulrich: „Von Dienern des Staates und von anderen Richtern, Zum Selbstverständnis der deutschen Richterschaft im 19. Jahrhundert“, in: André Gouron, Laurent Mayali, Antonio Padoa Schioppa und Dieter Simon (Hrsg.): Europäische und amerikanische Richterbilder (Rechtsprechung 10), Frankfurt am Main 1996, S. 251–292 Fehling, Emil Ferdinand: Zur Lübeckischen Ratslinie 1814–1914 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Freien und Hansestadt Lübeck 4), Lübeck 1915 Fischer, Fritz: „Bethmann Hollweg, Moritz August von“, in: NDB, Band 2, Berlin 1955, S. 187–188

404

Anhang

Fischer, William: „Zachariae, Karl Salomo“, in: ADB, Band 44, Leipzig 1898, S. 646–652 Franz, Eckhart: „Hassenp ug, Hans Daniel Ludwig Friedrich“, in: NDB, Band 8, Berlin 1969, S. 46–47 Frotz, Gerhard / Ogris, Werner (Hrsg.): Festschrift Heinrich Demelius zum 80. Geburtstag, Erlebtes Recht in Geschichte und Gegenwart, Wien 1973 Funk, Martin Samuel: „Die Lübischen Gerichte. Ein Beitrag zur Verfassungsgeschichte der Freien und Hansestadt Lübeck“, in: ZRG/GA, 1. Teil: 6 (1905), S. 53–90; 2. Teil: 27 (1906), S. 61–91 Gampl, Inge: „Die „natürlichen“ Rechtsgrundsätze in der Judikatur der k.k. Höchstgerichte Österreichs“, in: Gerhard Frotz, Werner Ogris (Hrsg.): Festschrift Heinrich Demelius zum 80. Geburtstag, Erlebtes Recht in Geschichte und Gegenwart, Wien 1973, S. 51–60 Gehrke, Heinrich: Deutsches Reich, in: Helmut Coing (Hrsg.): Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Zweiter Band, Neuere Zeit (1500–1800), Das Zeitalter des Gemeinen Rechts, Zweiter Teilband, Gesetzgebung und Rechtsprechung, München 1976 Gehrke, Heinrich: Die privatrechtliche Entscheidungsliteratur Deutschlands, Charakteristika und Bibliographie der Rechtsprechungs- und Konsiliensammlungen vom 16. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts (Ius Commune Sonderheft 3), Frankfurt am Main 1974 Gerhard, Ute (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts, Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997 Germann, Hans: Das Eindringen römischen Rechts in das lübische Privatrecht, Glauchau 1933 Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte / Verein für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde (Hrsg.): Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 7, Neumünster 1985 Giebels-Deinert, Stefanie: Anwaltshaftung und andere Folgen der P ichtverletzung von Prozessvertretern im 18. und 19. Jahrhundert (Schriften zur Rechtswissenschaft 84), Berlin 2007 Gouron, André / Mayali, Laurent / Padoa Schioppa, Antonio / Simon, Dieter (Hrsg.): Europäische und amerikanische Richterbilder (Rechtsprechung 10), Frankfurt am Main 1996 Gouron, André / Mayali, Laurent (Hrsg.): Subjektivierung des justiziellen Beweisverfahrens, Beiträge zum Zeugenbeweis in Europa und den USA (18.–20. Jahrhundert) (Ius Commune Sonderheft 64), Frankfurt am Main 1994 Goutal, Jean Louis: „Characteristics of Judicial Style in France, Britain and the USA“, in American Journal of Comparative Law 24 (1976), S. 43–72

D. Literatur nach 1879

405

Graßmann, Antjekathrin: „Die Anfänge des Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck“, in: Schleswig-Holsteinische Anzeigen. Sonderheft Obergerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein, Glückstadt 1988, S. 24–27 Graßmann, Antjekathrin (Hrsg.): Neue Forschungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck (Veröffentlichung zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B 13), Lübeck 1985 Greb, Horst: Die Verfassung des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck, Diss. jur. Göttingen, Göttingen 1967 Griesebach, Erich: „Zur Erinnerung an das Oberappellationsgericht in Lübeck,“ in: Hanseatische Rechts-Zeitschrift für Handel, Schiffahrt und Versicherung, Kolonial- und Auslandsbeziehungen, sowie für hansestädtisches Recht (1920), Spalte 609–615 Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm: „Rechtsanwalt“, in: Deutsches Wörterbuch, Achter Band, Leipzig 1893, Sp. 423–424 Guttkuhn, Peter: Die Geschichte der Juden in Moisling und Lübeck, Von den Anfängen 1656 bis zur Emanzipation 1852 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck 30), Lübeck 1999 Haferkamp, Hans-Peter: Anmerkung zu: Stephan Hocks, Gerichtsgeheimnis und Begründungszwang, in: ZNR 27 (2005), S. 140–142 Haferkamp, Hans-Peter: „Fortwirkungen des Kameralprozesses im gemeinen Zivilprozess des 19. Jahrhunderts“, in: Peter Oestmann (Hrsg.): Zwischen Formstrenge und Billigkeit, Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln, Weimar, Wien 2009, S. 293–310 Haferkamp, Hans-Peter: Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“ (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 171), Frankfurt am Main 2004 Hahn, Werner: Neues Vorbringen in der Berufungsinstanz, Eine geschichtliche und kritische Studie (Prozeßrechtliche Abhandlungen XV), Berlin 1940 Hassenstein, Friedrich: „Rodde-Schlözer,“ in: Alken Bruns (Hrsg.): Lübecker Lebensläufe aus neun Jahrhunderten, Neumünster 1993, S. 327–331 Hattenhauer, Hans: Die Kritik des Zivilurteils. Eine Anleitung für Studenten, Frankfurt am Main, Berlin 1970 Hausmann, Jost / Krause, omas (Hrsg.): „Zur Erhaltung guter Ordnung“, Beiträge zur Geschichte von Recht und Justiz, Festschrift für Wolfgang Sellert zum 65. Geburtstag, Köln, Weimar, Wien 2000 Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Deutsches Rechtswörterbuch, Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, fünfter Band, Weimar 1953–1960

406

Anhang

Heile, Bernhard: Die Zeit von 1733 bis 1866, in: 275 Jahre Oberappellationsgericht – Oberlandesgericht Celle, Festschrift zum 275jährigen Bestehen des Oberlandesgerichts Celle, Celle 1986, S. 63–112 Heldrich, Andreas / Prölss, Jürgen / Koller, Ingo (Hrsg.): Festschrift für ClausWilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, Band II, München 2007 Henkel, omas: Begriffsjurisprudenz und Billigkeit, Zum Rechtsformalismus der Pandektistik nach G. F. Puchta, Köln, Weimar, Wien 2004 Hocks, Stephan: Gerichtsgeheimnis und Begründungszwang, Zur Publizität der Entscheidungsgründe im Ancien Régime und im frühen 19. Jahrhundert (Rechtsprechung, Materialien und Studien 17), Frankfurt am Main 2002 Hof, Hagen: „Justus Henning Böhmer“, in: Joachim Rückert / Jürgen Vortmann (Hrsg.): Niedersächsische Juristen, Ein historisches Lexikon mit einer landesgeschichtlichen Einführung und Bibliographie, Göttingen 2003, S. 41–45 Hofer, Sibylle: Freiheit ohne Grenzen? Privatrechtstheoretische Diskussionen im 19. Jahrhundert (Jus Privatum 53), Tübingen 2001 Holenstein, André: Seelenheil und Untertanenp icht. Zur gesellschaftlichen Funktion und theoretischen Begründung des Eides in der ständischen Gesellschaft, in: Blickle, Peter (Hrsg.): Der Fluch und der Eid – Die metaphysische Begründung gesellschaftlichen Zusammenlebens und politischer Ordnung in der ständischen Gesellschaft (Zeitschrift für Historische Forschung Beiheft 15), Berlin 1993 Holthöfer, Ernst: Die Geschlechtsvormundschaft, in: Ute Gerhard (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts, Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 390–451 Holthöfer, Ernst: Die Rechtsstellung der Frau im Zivilprozeß, in: Ute Gerhard (Hrsg.): Frauen in der Geschichte des Rechts, Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 575–599 Holz, Friedbert: „Kirchmann, Julius von“ in: NDB, Band 11, Berlin 1977, S. 654–655 Hübner, Rudolf: „Böhlau, Hugo Heinrich Albert“, in: ADB, Band 47, Leipzig 1903, S. 68–74 Jaeger, Friedrich (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Band 2, Stuttgart 2005 Jessen, Peter: Der Ein uss von Reichshofrat und Reichskammergericht auf die Entstehung und Entwicklung des Oberappellationsgerichts Celle, unter besonderer Berücksichtigung des Kampfes um die kurhannoversche Privilegium De Non Appellando Illimitatum (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 27), Aalen 1986

D. Literatur nach 1879

407

Jungemann, Lars: Carl Georg von Wächter (1797–1880) und das Strafrecht des 19. Jahrhunderts, Strafrechtliche Lehre und Wirkungsgeschichte (Schriften zur Rechtsgeschichte 79), Berlin 1999 Kadel, Horst: Zur Geschichte und Dogmengeschichte der Feststellungsklage nach § 256 der Zivilprozeßordnung (Beiträge zum Zivilrecht und Zivilprozeß 17), Köln und Berlin 1967 Kähler, Jan Jelle: Französisches Zivilrecht und französische Justizverfassung in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen (1806–1815) (Rechtshistorische Reihe 341), Frankfurt am Main 2007 Kaltwasser, Inge: In: Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Archiv der Hansestadt Lübeck (Hrsg.): Gesamtinventar der Akten des Oberappellationsgerichtes der vier Freien Städte Deutschlands, Vierter Band Frankfurter Bestände Teil I, Köln, Weimar, Wien 1994 Kaltwasser, Inge: In: Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Archiv der Hansestadt Lübeck (Hrsg.): Gesamtinventar der Akten des Oberappellationsgerichtes der vier Freien Städte Deutschlands, Fünfter Band Frankfurter Bestände, Teil II, Köln, Weimar, Wien 1994 Kannowski, Bernd: Die Umgestaltung des Sachsenspiegelrechts durch die Buch’sche Glosse (Monumenta Germaniae Historica 56), Hannover 2007 Kaser, Max / Hackl, Karl: Das Römische Zivilprozessrecht, 2. Au age, München 1996 Kaser, Max / Knütel, Rolf: Römisches Privatrecht, Ein Studienbuch, 18. Au age, München 2005 Kaufmann, Ekkehard: „Schätzungseid“, in: HRG IV, Berlin 1990, Sp. 1364–1365 Keilmann, Annette: „Pandektistik“, in: Mathias Schmoeckel / Stefan Stolte (Hrsg.): Examinatorium Rechtsgeschichte, München 2008, S. 375–376 Kern, Eduard: Geschichte des Gerichtsverfassungsrechts, München und Berlin 1854 Kern, Bernd-Rüdiger (Hrsg.): Zwischen Romanistik und Germanistik, Carl Georg von Waechter (Schriften zur Rechtsgeschichte 81), Berlin 2000 Kip, Hans-Gerhard: Der sogenannte Mündlichkeitsprinzip, Geschichte einer Episode des deutschen Zivilprozesses (Prozessrechtliche Abhandlungen 19), Köln 1952 Kischkel, omas Cornelius: „Das Naturrecht in der Rechtspraxis. Dargestellt am Beispiel der Spruchtätigkeit der Gießener Juristenfakultät,“ in: ZNR 22 (2000), S. 124–147

408

Anhang

Klemmer, Markus: „Martin, Christoph Reinhard Dietrich“, in: Joachim Rückert / Jürgen Vortmann (Hrsg.): Niedersächsische Juristen, Ein historisches Lexikon mit einer landesgeschichtlichen Einführung und Bibliographie, Göttingen 2003, S. 386 Klippel, Diethelm (Hrsg.): Naturrecht im 19. Jahrhundert, Kontinuität – Inhalt – Funktion – Wirkung, Naturrecht und Rechtsphilosophie in der Neuzeit (Studien und Materialien 1), Goldbach 1997 Kluge, Friedrich: Seemannssprache, Wortgeschichtliches Handbuch deutscher Schifferausdrücke älterer und neuerer Zeit, Halle an der Saale 1911 Köbler, Gerhard: Etymologisches Rechtswörterbuch, Tübingen 1995 Koch, Elisabeth: Der französiche Ein uß des Code de procédure civile auf die deutsche Zivilprozeßrechtsreform, in: Reiner Schulze (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 12), Berlin 1994, S. 157–176 Koehler, B.: „Klagspiegel“, in: HRG II, Berlin 1978, Sp. 855–857 Kopitzsch, Franklin: „Grundzüge und Probleme der lübeckischen Geschichte im 18./19. Jahrhundert: Lübecks Weg in die moderne Zeit“, in: Antjekathrin Graßmann (Hrsg.): Neue Forschungen zur Geschichte der Hansestadt Lübeck (Veröffentlichung zur Geschichte der Hansestadt Lübeck B 13), Lübeck 1985, S. 63–75 Kornblum, Udo: „Gerichtlicher Eid“, in: HRG I, Berlin 1971, Sp. 863–866 Kötz, Hein: „Über den Stil höchstrichterlicher Entscheidungen“, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Recht 37 (1973), S. 245–265 Krabbenhöft, Günter: Verfassungsgeschichte der Hansestadt Lübeck, Eine Übersicht, Lübeck 1969 Kracke, Otto: Das Eventualprinzip, Seine historische Entwicklung und Geltung im heutigen Recht, Diss. jur. Göttingen, Leipzig 1932 Kraglund, Kirsten: Familien- und Erbrecht, materielles Recht und Methoden der Rechtsanwendung – in der Rechtsprechung des Oberappellationsgerichts der vier Freien Städte Deutschlands zu Lübeck (Rechtshistorische Reihe 93), Frankfurt am Main 1991 Krause, Ulf Peter: Die Geschichte der Lübecker Gerichtsverfassung, Stadtrechtsverfassung und Justizwesen der Hansestadt Lübeck von den Anfängen im Mittelalter bis zur Reichsjustizgesetzgebung 1879, Diss. jur. Kiel, Augsburg 1968 Kristen, Susanne / Oestmann, Peter: „Ludwig von Bar“, in: Joachim Rückert / Jürgen Vortmann (Hrsg.): Niedersächsische Juristen, Ein historisches Lexikon mit einer landesgeschichtlichen Einführung und Bibliographie, Göttingen 2003, S. 259–263

D. Literatur nach 1879

409

Kroeschell, Karl: Deutsche Rechtsgeschichte, Band 3: Seit 1650, 5. Au age, Köln, Weimar, Wien 2008 Küchenhoff, Günther: „Hegel“, in: HRG II, Berlin 1978, Sp. 30–35 Kunkel, Wolfgang / Schermaier, Martin: Römische Rechtsgeschichte, 14. Au age, Köln, Weimar, Wien 2005 Kusserow, Boto: Das gemeinschaftliche Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck und seine Rechtsprechung in Handelssachen, Diss. jur. Kiel, Düsseldorf 1964 Lammel, Siegbert: „Rechtsbildung durch Verträge und Vertragsbedingungen“, in: Karl Otto Scherner (Hrsg.): Modernisierung des Handelsrechts im 19. Jahrhundert (Abhandlungen aus dem gesamten Bürgerlichen Recht, Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 66), Heidelberg 1993, S. 89–117 Landau, Peter: „Boehmer, Justus Henning“, in: Michael Stolleis (Hrsg.): Juristen, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 93 Landsberg, Ernst: „Stobbe, Otto“, in: ADB, Band 36, Leipzig 1893, S. 262–266 Landsberg, Ernst: „Weber, Adolf Dietrich“, in: ADB, Band 41, Leipzig 1896, S. 279–281 Landwehr, Götz: „Rechtspraxis und Rechtswissenschaft im Lübischen Recht vom 16. bis zum 19. Jahrhundert“, in: ZVLGA 60 (1980), S. 21–65 Larenz, Karl: Johann Friedrich Kierulff, Bemerkungen zu seiner „eorie des Gemeinen Civilrechts“, in: Festschrift zum 275 jähringen Bestehen der ChristianAlbrechts-Universität Kiel, Leipzig 1940, S. 116–128 Larenz, Karl: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Au age, Berlin 2000 Laufs, Adolf: Carl Georg von Wächter (1797–1880), Praktischer Rechtsgelehrter und konstitutioneller Parlamentarier von der Zeit des Vormärz bis zur Reichsgründung, in: Bernd-Rüdiger Kern (Hrsg.): Zwischen Romanistik und Germanistik, Carl Georg von Waechter, Berlin 2000, S. 11–31 Lawson, Henry: „Comparative Judicial Style“, in: American Journal of Comparative Law 25 (1977), S. 364–371 Lepsius, Susanne: „Communis opinio doctorum“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 875–877 Lepsius, Susanne: Von Zweifeln zur Überzeugung, Der Zeugenbeweis im gelehrten Recht ausgehend von der Abhandlung des Bartolus (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 160), Frankfurt am Main 2003 Lévy, Jean-Philippe: La Hiérarchie des Preuves dans le Droit savant du Moyen-Age depuis la Renaissance du Droit Romain jusqu’à la Fin du XIVe Siècle, Annales de lúniversité de Lyon, troisième série droit fascicule 5, Paris 1939 Lieberwirth, Rolf: Latein im Recht, 5. Au age, Berlin 2007

410

Anhang

Lipp, Martin: „Einkindschaft“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 1296–1298 Lorenz, Walter: „Nahmer, Alexander von der“, in: ADB, Band 18, Berlin 1997, S. 722 Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim: In: Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Archiv der Hansestadt Lübeck (Hrsg.): Gesamtinventar der Akten des Oberappellationsgerichtes der vier Freien Städte Deutschlands, Erster Band, Allgemeine Einführung, Benutzungshinweise, Verwaltungsakten, Bremer Prozeßakten, Köln, Weimar, Wien 1996 Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim: In: Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Archiv der Hansestadt Lübeck (Hrsg.): Gesamtinventar der Akten des Oberappellationsgerichtes der vier Freien Städte Deutschlands, Zweiter Band, Hamburger Prozeßakten, Lübecker Prozeßakten, Köln, Weimar,Wien 1996 Lorenzen-Schmidt, Klaus-Joachim: In: Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, Archiv der Hansestadt Lübeck (Hrsg.): Gesamtinventar der Akten des Oberappellationsgerichtes der vier Freien Städte Deutschlands, Dritter Band, Indices und Konkordanzen zu den norddeutschen Beständen, Köln, Weimar, Wien 1996 Lück, Heiner / Tullner, Mathias (Hrsg.): Sachsen-Anhalt Geschichte und Geschichten, Königreich Westphalen (1807–1813). Eine Spurensuche, Staßfurt 2007 Luig, Klaus: „Gemeines Recht“, in: HRG, 9. Lieferung, 2. Au age, Berlin 2009, Sp. 60–77 Luig, Klaus: „Hugo, Gustav“, in: NDB, Band 10, Berlin 1974, S. 26–27 Luig, Klaus: „Leyser, Augustin“, in: Michael Stolleis (Hrsg.): Juristen, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 377–378 Luig, Klaus: „Muther, eodor“, in: NDB, Band 18, Berlin 1997, S. 650 Luig, Klaus: „Pandektenwissenschaft“, in: HRG III, Berlin 1984, Sp. 1422–1431 Luig, Klaus: „Pufendorf, Samuel“, in: Michael Stolleis (Hrsg.): Juristen, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 506–507 Luig, Klaus: Römisches Recht, Naturrecht, Nationales Recht (Nationale Bibliothek der Wissenschaften 22), Goldbach 1998 Luminati, Michele: „Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören“ – Eidverweigerung und Glaubensfragen in einem Züricher Prozess, in: Ulrich Falk /

D. Literatur nach 1879

411

Michele Luminati / Mathias Schmoeckel (Hrsg.): Fälle aus der Rechtsgeschichte, München 2008, S. 197–205 Mauntel, Christoph: Carl Georg von Wächter (1797–1880), Rechtswissenschaft im Frühkonstitutionalismus (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichung der Görres-Gesellschaft 110), Paderborn 2004 Mazzacane, Aldo: Jurisprudenz als Wissenschaft, in: Friedrich Carl von Savigny, Vorlesungen über juristische Methodologie 1802–1842, herausgegeben und eingeleitet von Aldo Mazzacane (Ius Commune Sonderhefte, Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 63, Savignyana, Texte und Studie 2), Frankfurt am Main 1993, S. 1–55 Meccarelli, Massimo: Arbitrium, Un aspetto sistematico degli ordinamenti giuridici in età di diritto comune, Milano 1998 Meyers: Meyers Großes Konservations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 6. Au age, Dritter Band, Leipzig und Wien 1905 Meyers: Meyers Großes Konservations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 6. Au age, Sechster Band, Leipzig und Wien 1906 Meyers: Meyers Großes Konservations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 6. Au age, Achter Band, Leipzig und Wien 1907 Meyers: Meyers Großes Konservations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 6. Au age, Neunter Band, Leipzig und Wien 1907 Meyers: Meyers Großes Konservations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 6. Au age, Sechzehnter Band, Leipzig und Wien 1907 Meyers: Meyers Großes Konservations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens, 6. Au age, Zwanzigster Band, Leipzig und Wien 1909 Mohnhaupt, Heinz: Deutschland, in: Filippo Ranieri (Hrsg.): Gedruckte Quellen der Rechtsprechung in Europa (1800–1945), Erster Halbband, Rechtsprechung Materialien und Studien, Frankfurt am Main 1992, S. 95–325 Mohnhaupt, Heinz: „Privileg, neuzeitlich“, in: HRG III, Berlin 1984, Sp. 2005–2011 Mohnhaupt, Heinz: Richter und Rechtsprechung im Werk Savignys, in: Walter Wilhelm (Hrsg.): Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main 1972, S. 243–264 Mohnhaupt, Heinz: Sammlung und Veröffentlichung von Rechtsprechung im späten 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland, Zu Funktion und Zweck ihrer Publizität, in: Friedrich Battenberg / Filippo Ranieri (Hrsg.): Geschichte der Zentraljustiz in Mitteleuropa, Festschrift für Bernhard Diestelkamp zum 65. Geburtstag, Köln, Weimar, Wien 1994, S. 403–420 Montag, John Karl-Heinz: Die Lehrdarstellung des Handelsrechts von Georg Friedrich von Martens bis Meno Pöhls, Die Wissenschaft des Handelsrechts

412

Anhang

im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts (Rechtshistorische Reihe 48), Frankfurt am Main 1986 Münch, Joachim: „Richtermacht und Formalismus im Verfahrensrecht“, in: Peter Oestmann (Hrsg.): Zwischen Formstrenge und Billigkeit, Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln, Weimar, Wien 2009, S. 55–103 Münks, Andrea: Vom Parteieid zur Parteivernehmung in der Geschichte des Zivilprozesses (Prozeßrechtliche Abhandlungen 85), Köln, Berlin, Bonn, München 1992 Munzel-Everling, Dietlinde: „Eid“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 1249–1261 Musielak, Hans-Joachim: Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozeß, Berlin, New York 1975 Nehlsen-von Stryk, Karin: Die venezianische Seeversicherung im 15. Jahrhundert (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 64), Ebelsbach 1986 Nordloh, Philipp: Kölner Zunftprozesse vor dem Reichskammergericht (Rechtshistorische Reihe 370), Frankfurt am Main 2008 Nörr, Knut Wolfgang: Iudicium est actus trium personarum, Beiträge zur Geschichte des Zivilprozeßrechts in Europa (Internationale Bibliothek der Wissenschaften 4), Goldbach 1993 Nörr, Knut Wolfgang: Zur Stellung des Richters im gelehrten Prozeß der Frühzeit: Iudex secundum allegata non secundum conscientiam iudicat, München 1967 Oesterreicher, Wulf / Regn, Gerhard / Schulze, Winfried (Hrsg.): Autorität der Form – Autorisierung – Institutionelle Autorität, Münster 2003 Oestmann, Peter: „Aktenversendung“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 128–132 Oestmann, Peter: „Armenrecht“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 300–301 Oestmann, Peter: „Artikelprozess“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 313–314 Oestmann, Peter: „Beweis“, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.): Enzyklopädie der Neuzeit, Band 2, Stuttgart 2005, Sp. 122–127 Oestmann, Peter: „Der Beweis von Rechtsnormen im Zivilprozeß – § 293 ZPO im Spiegel der wissenschaftlichen Diskussion des 19. Jahrhunderts“, in: Jost Hausmann / omas Krause (Hrsg.): „Zur Erhaltung guter Ordnung“, Beiträge zur Geschichte von Recht und Justiz, Festschrift für Wolfgang Sellert zum 65. Geburtstag, Köln, Weimar, Wien 2000, S. 467–512

D. Literatur nach 1879

413

Oestmann, Peter: „Die Rekonstruktion der reichskammergerichtlichen Rechtsprechung des 16. und 17. Jahrhunderts als methodisches Problem“, in: Anette Baumann / Siegrid Westphal / Stephan Wendehorst / Stefan Ehrenpreis (Hrsg.): Prozessakten als Quelle, Neue Ansätze zur Erforschung der Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 37), Köln, Weimar, Wien 2001, S. 15–54 Oestmann, Peter: „Die Zwillingsschwester der Freiheit. Die Form im Recht als Problem der Rechtsgeschichte“, in: ders. (Hrsg.): Zwischen Formstrenge und Billigkeit, Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln, Weimar, Wien 2009, S. 1–54 Oestmann, Peter: „Einlassung“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 1300–1301 Oestmann, Peter: „Extrajudizialappellation“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 1457–1458 Oestmann, Peter: Ein Zivilprozess am Reichskammergericht, Edition einer Gerichtsakte aus dem 18. Jahrhundert (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 55), Köln, Weimar, Wien 2009 Oestmann, Peter: Germanisch-deutsche Rechtsaltertümer im Barockzeitalter, eine Fallstudie, erweiterte und veränderte Fassung des Vortrags vom 19. Oktober 2000 im Stadthaus am Dom zu Wetzlar (Schriftenreihe der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung 26), Wetzlar 2000 Oestmann, Peter: „Menschenrechte und ihre Durchsetzung im Alten Reich“, in: Georg Schmidt-von Rhein / Albrecht Cordes (Hrsg.): Altes Reich und neues Recht, Von den Anfängen der bürgerlichen Freiheit, Wetzlar 2006, S. 57–73 Oestmann, Peter: Rechtsvielfalt vor Gericht – Rechtsanwendung und Partikularrecht im Alten Reich (Rechtsprechung 18), Frankfurt am Main 2002 Oestmann, Peter: „Seehandelsrechtliche Streitigkeiten vor dem Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands (1820–1848)“, in: Albrecht Cordes / Serge Dauchy (Hrsg.): La résolution des con its en matière de commerce terrestre et maritime, im Erscheinen Oestmann, Peter: „Woher kommt eigentlich die Gliederung des BGB in fünf Bücher“, in: ad legendum 2008, S. 132–133 Oestmann, Peter: „Zunftzwang und Handelsfreiheit im frühen 19. Jahrhundert“, in: ZNR 26 (2004), S. 246–261 Oestmann, Peter: „Zur Rechtsstellung verheirateter und lediger Frauen im 19. Jahrhundert“, in: Barbara Rommé (Hrsg.): Elisabet Ney, Herrin ihrer Kunst, Bildhauerin in Europa und Amerika, Köln 2008, S. 150–153

414

Anhang

Oestmann, Peter (Hrsg.): Zwischen Formstrenge und Billigkeit, Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln, Weimar, Wien 2009 Oetker, Friedrich: „Wetzell, Georg Wilhelm“, in: ADB, Band 55, Leipzig 1910, S. 61–63 Ogorek, Regina: “Actio negatoria und industrielle Beeinträchtigung des Grundeigentums“, in: Helmut Coing / Walter Wilhelm (Hrsg.): Wissenschaft und Kodi kation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Band IV, Eigentum und industrielle Entwicklung, Wettbewerbsordnung und Wettbewerbsrecht (Studien zur Rechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts 4), Frankfurt am Main 1979, S. 40–78 Ogorek, Regina: Richterkönig oder Subsumtionsautomat?, Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert (Rechtsprechung 1), Frankfurt am Main 1986 Ogris, Werner: „August Wilhelm Heffter“, in: NDB, Band 8, Berlin 1969, S. 202 Otto, Jochen: „Gaill, Andreas“, in: Michael Stolleis (Hrsg.): Juristen, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 220–221 Otto, Jochen: „Mevius, David“, in: Michael Stolleis (Hrsg.): Juristen, Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 425–426 Otto, Jochen: „Mynsinger von Frundeck, Joachim“, in: Michael Stolleis (Hrsg.): Juristen, Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 449–450 Palandt, Otto: Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Au age, München 2009 Patermann, Christian: Die Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung im ordentlichen Zivilprozess in Gesetzgebung und Lehre, Bonn 1970 Pelc, Ortwin: „Tresdorpf“, in: Alken Bruns (Hrsg.): Lübecker Lebensläufe, Neumünster 1993, S. 398–399 Perels, Kurt: „Die Justizverweigerung im alten Reiche seit 1495“, in: ZRG/GA 25 (1904), S. 1–51 Plöchl, Willibald: Geschichte des Kirchenrechts, Band 2: Das Kirchenrecht der abendländischen Christenheit 1055 bis 1517, 2. Au age, Wien, München 1962 Pöggeler, Wolfgang: Carl Georg von Wächter und die Lübecker Germanistentage 1847, in: Bernd-Rüdiger Kern (Hrsg.):, Zwischen Romanistik und Germanistik, Carl Georg von Waechter (Schriften zur Rechtsgeschichte 81), Berlin 2000, S. 49–63

D. Literatur nach 1879

415

Polgar, Katalin: Das Oberappellationsgericht der vier freien Städte Deutschlands (1820–1879) und seine Richterpersönlichkeiten (Rechtshistorische Reihe 330), Frankfurt am Main 2007 Polley, Rainer: Kierulff, in: Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte und Verein für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde (Hrsg.): Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 7, Neumünster 1985, S. 110–112 Preußische Akademie der Wissenschaften: Deutsches Rechtswörterbuch, Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache, Erster Band, Weimar 1914–1932 Prodi, Paolo: Das Sakrament der Herrschaft. Der politische Eid in der Verfassungsgeschichte des Okzidents (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 11), Berlin 1997 Prodi, Paolo: „Der Eid in der europäischen Verfassungsgeschichte. Zur Einführung“, in: ders. (Hrsg.): Glaube und Eid, Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs 28), München 1993, S. VII–XXIX Prodi, Paolo (Hrsg.): Glaube und Eid, Treueformeln, Glaubensbekenntnisse und Sozialdisziplinierung zwischen Mittelalter und Neuzeit (Schriften des Historischen Kollegs 28), München 1993 Radbruch, Gustav: Die Natur der Sache als juristische Denkform, Hamburg 1948 Radbruch, Gustav: Rechtsphilosophie, Studienausgabe, 2. Au age, Heidelberg 2003 Ranieri, Filippo: „Entscheidungs ndung und Begründungstechnik im Kameralverfahren“, in: Oestmann, Peter (Hrsg.): Zwischen Formstrenge und Billigkeit, Forschungen zum vormodernen Zivilprozeß (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 56), Köln, Weimar, Wien 2009, S. 165–190 Ranieri, Filippo: Gedruckte Quellen, Erster Halbband (Rechtsprechung 3), Frankfurt am Main 1992 Ranieri, Filippo: „Stilus Curiae, zum historischen Hintergrund der Relationstechnik“, in: Rechtshistorisches Journal 4 (1985), S. 75–88 Reichenbach, Andreas: Der Eid und die Eidesfrage in Deutschland, 2. Au age, Leipzig 1884 Reimann, Mathias: „Fallrecht“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 1482–1489 Rommé, Barbara (Hrsg.): Elisabet Ney, Herrin ihrer Kunst, Bildhauerin in Europa und Amerika, Köln 2008 Rosenberg, Leo / Schwab, Karl Heinz: Zivilprozeßrecht, 14. Au age, München 1986

416

Anhang

Rothenberger, Curt (Hrsg.): Das Hanseatische OLG, Gedenkschrift zu seinem 60jährigen Bestehen, Hamburg 1939 Rückert, Joachim: August Ludwig Reyschers Leben und Rechtstheorie. 1802–1880 (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 13), Berlin 1974 Rückert, Joachim: Autonomie des Rechts in rechtshistorischer Perspektive (Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Hannover 19), Hannover 1988 Rückert, Joachim (Hrsg.): Fälle und Fallen in der neueren Methodik des Zivilrechts seit Savigny, Baden-Baden 1997 Rückert, Joachim: Heidelberg um 1804, oder: Die erfolgreiche Modernisierung der Jurisprudenz durch ibaut, Savigny, Heise, Martin, Zachariä u.a., in: Friedrich Strack (Hrsg.): Heidelberg im sakulären Umbruch, Traditionsbewußtsein und Kulturpolitik um 1800 (Deutscher Idealismus, Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien 12), Stuttgart 1987, S. 83–116 Rückert, Joachim: Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 58), Ebelsbach am Main 1984 Rückert, Joachim: „Geschichtlich, praktisch, deutsch. Die „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft“ (1815–1850), das „Archiv für civilistische Praxis“ (1818–1867) und die „Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft“ (1839–1856)“, in: Michael Stolleis (Hrsg.): Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1999, S. 107–257 Rückert, Joachim: „Handelsrechtsbildung und Modernisierung des Handelsrechts durch Wissenschaft zwischen ca. 1800 und 1900“, in: Karl Otto Scherner (Hrsg.): Modernisierung des Handelsrechts im 19. Jahrhundert (Abhandlungen aus dem gesamten Bürgerlichen Recht, Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 66), Heidelberg 1993, S. 19–66 Rückert, Joachim: „Juristische Methode und Zivilrecht beim Klassiker Savigny (1779–1861)“, in: ders. (Hrsg.): Fälle und Fallen in der neueren Methodik des Zivilrechts seit Savigny, Baden-Baden 1997, S. 23–69 Rückert, Joachim: „Koch, Christian Friedrich“, in: NDB, Band 12, Berlin 1980, S. 257–260 Rückert, Joachim / Vortmann, Jürgen (Hrsg.): Niedersächsische Juristen, Ein historisches Lexikon mit einer landesgeschichtlichen Einführung und Bibliographie, Göttingen 2003 Rückert, Joachim: Savignys Dogmatik im „System“, in: Andreas Heldrich / Jürgen Prölss / Ingo Koller (Hrsg.): Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris zum 70. Geburtstag, Band II, München 2007, S. 1263–1297

D. Literatur nach 1879

417

Rückert, Joachim: Savignys Hermeneutik – Kernstück einer Jurisprudenz ohne Pathologie, in: Jan Schröder (Hrsg.): eorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik – Rechtswissenschaft, Philosophie, eologie, Beiträge zu einem interdisziplinären Symposium in Tübingen, 29. September bis 1. Oktober 1999 (Contubernium, Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 58), Stuttgart 2001, S. 287–327 Rückert, Joachim: „Savignys Konzeption von Jurisprudenz und Recht, ihre Folgen und ihre Bedeutung bis heute“, in: TRG 61 (1993), S. 65–95 Schaefer, omas: Karl Georg von Waechter als Parlamentarier, in: Bernd-Rüdiger Kern (Hrsg.): Zwischen Romanistik und Germanistik, Carl Georg von Waechter, Berlin 2000, S. 33–47 Schäfer, Frank L.: Juristische Germanistik (Juristische Abhandlungen 51), Frankfurt am Main 2008 Scherner, Karl Otto (Hrsg.): Modernisierung des Handelsrechts im 19. Jahrhundert (Abhandlungen aus dem gesamten Bürgerlichen Recht, Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 66), Heidelberg 1993 Scheuermann, Reimund: Ein üsse der historischen Rechtsschule auf die oberstrichterliche gemeinrechtliche Zivilrechtspraxis bis zum Jahre 1861 (Münsterische Beiträge zur Rechts- und Staatswissenschaft 17), Berlin 1972 Schiemann, Gottfried: Pandekten – Waechter als Romanist, in: Bernd-Rüdiger Kern (Hrsg.): Zwischen Romanistik und Germanistik, Carl Georg von Waechter, Berlin 2000, S. 89–99 Schildt, Bernd: „Römisches Recht in der Rechtsprechungspraxis mitteldeutscher Kleinstaaten um die Mitte des 19. Jahrhunderts anhand der Spruchpraxis der halleschen Juristenfakultät“, in: ZNR 15 (1993), S. 1–11 Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek (Hrsg.): Biographisches Lexikon für Schleswig-Holstein und Lübeck, Band 12, Neumünster 2006 Schlinker, Steffen: Litis Contestatio, Eine Untersuchung über die Grundlagen des gelehrten Zivilprozesses in der Zeit vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 233), Frankfurt am Main 2008 Schlosser, Hans: Grundzüge der Neueren Privatrechtsgeschichte, Rechtsentwicklung im europäischen Kontext, 9. Au age, Heidelberg 2001 Schlosser, Hans: „Situation, Zielsetzung und Perspektiven der rechtshistorischen Forschung zum Zivilprozeß“, in: ZNR 4 (1982), S. 42–51 Schmidt-von Rhein, Georg / Cordes, Albrecht (Hrsg.): Altes Reich und neues Recht, Von den Anfängen der bürgerlichen Freiheit, Wetzlar 2006 Schmoeckel, Mathias: Auf der Suche nach der verlorenen Ordnung, 2000 Jahre Recht in Europa – Ein Überblick, Köln, Weimar, Wien 2005

418

Anhang

Schmoeckel, Mathias: „Benedict Carpzov und der sächsische Prozess. Mündlichkeit und Konzentration im sächsischen Verfahren vor dem Hintergrund des Ius Commune und der Reformation“, in: ZRG/GA 126 (2009), S. 1–37 Schmoeckel, Mathias: „Der Ein uss der Psychologie auf die Entwicklung des Zeugenbeweises im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert“, in: ders. (Hrsg.): Psychologie als Argument in der juristischen Literatur des Kaiserreichs (Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 11), Baden-Baden 2009, S. 57–85 Schmoeckel, Mathias: „Dokumentalität. Der Urkundsbeweis als heimliche „regina probationum“ im Gemeinen Recht“, in: ZRG/KA 127 (2010), S. 186–225 Schmoeckel, Mathias / Stolte, Stefan (Hrsg.): Examinatorium Rechtsgeschichte, München 2008 Schmoeckel, Mathias / Rückert, Joachim / Zimmermann, Reinhard (Hrsg.): Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Band I, Allgemeiner Teil, §§ 1–240, Tübingen 2003 Schmoeckel, Mathias / Rückert, Joachim / Zimmermann, Reinhard (Hrsg.): Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Band II, Schuldrecht: Allgemeiner Teil 1. Teilband §§ 214–304, Tübingen 2007 Schmoeckel, Mathias / Rückert, Joachim / Zimmermann, Reinhard (Hrsg.): Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Band II, Schuldrecht: Allgemeiner Teil 2. Teilband §§ 305–432, Tübingen 2007 Schmoeckel, Mathias: Humanität und Staatsraison, Die Abschaffung der Folter in Europa und die Entwicklung des gemeinen Strafprozeß- und Beweisrechts seit dem hohen Mittelalter (Norm und Struktur, Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 14), Köln, Weimar, Wien 2000 Schmoeckel, Mathias (Hrsg.): Psychologie als Argument in der juristischen Literatur des Kaiserreichs (Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 11), BadenBaden 2009 Schott, Clausdieter: „Die Interpretatio usualis“, in: Jan Schröder (Hrsg.): Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Beiträge zu einem interdisziplinären Symposion in Tübingen, 18.–20. April 1996 (Contubernium 46), Stuttgart 1998, S. 65–84 Schott, Susanne: „Bülow, Friedrich von“, „Hagemann, eodor“, „Planck, Johann Julius Wilhelm von“, in: Joachim Rückert / Jürgen Vortmann (Hrsg.): Niedersächsische Juristen, Ein historisches Lexikon mit einer landesgeschichtlichen Einführung und Bibliographie, Göttingen 2003, S. 326, 353 und 399 Schröder, Jan: „Communis opinio als Argument in der Rechtstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts“, in: Gerhard Köbler (Hrsg.): Wege europäischer Rechtsgeschichte, Karl Kroeschell zum 60. Geburtstag (Rechtshistorische Reihe 60), Frankfurt am Main 1987, S. 404–418

D. Literatur nach 1879

419

Schröder, Jan: Recht als Wissenschaft, Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur historischen Schule (1500–1850), München 2001 Schröder, Jan (Hrsg.): eorie der Interpretation – vom Humanismus bis zur Romantik – Rechtswissenschaft, Philosophie, eologie, Beiträge zu einem interdisziplinären Symposium in Tübingen, 29. September bis 1. Oktober 1999 (Contubernium, Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 58), Stuttgart 2001 Schröder, Jan: Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz“ auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert (Ius Commune Sonderheft 11), Frankfurt am Main 1979 Schroeder, Klaus-Peter: „Rat, Ratsgerichtsbarkeit“, in: HRG IV, Berlin 1990, Sp. 156–166 Schubert, Werner: „Das Streben nach Prozeßbeschleunigung und Verfahrensgliederung im Zivilprozeßrecht des 19. Jahrhunderts“, in: ZRG/GA 85 (1968), S. 127–187 Schulte, Josef: Die Entwicklung der Eventualmaxime, Ein Beitrag zur Geschichte des Deutschen Zivilprozesses (Prozessrechtliche Abhandlungen 50), Köln 1980 Schulte, von: „Kanonen – und Dekretalensammlung“, in: Realencyklopädie für protestantische eologie und Kirche, 10. Band, 3. Au age Leipzig 1901, S. 1–17 Schulze, Reiner (Hrsg.): Französisches Zivilrecht in Europa während des 19. Jahrhunderts (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 12), Berlin 1994 Schumacher, Detlef: Das Rheinische Recht in der Gerichtspraxis des 19. Jahrhunderts, Ein Beitrag zur Auslegung rezipierter Rechtsnormen (Schriftenreihe des Instituts für Europäisches Recht der Universität des Saarlandes 9), Stuttgart 1969 Schumann, Sabine: „Joachim Mynsinger von Frundeck (1514–1588), Kanzler in Wolfenbüttel, biographische Aspekte zu einem humanistischen Rechtsgelehrten und Politiker der frühen Neuzeit“, in: Braunschweigisches Jahrbuch 64 (1983), S. 25–39 Schwartz, Johann Christoph: Vierhundert Jahre deutscher ZivilprozeßGesetzgebung, Darstellungen und Studien zur deutschen Rechtsgeschichte, Neudruck der Ausgabe Berlin 1898, Aalen 1986 Schwarz, Andreas: „Zur Entstehung des modernen Pandektensystems“, in: ZRG/RA 42 (1921), S. 578–610 Seeger, Tilman: Die Extrajudizialappellation (Quellen und Forschungen zur Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 25), Köln, Weimar, Wien 1992

420

Anhang

Sellert, Wolfgang: „Die Wiederaufnahme des Verfahrens, ein prozessuales Problem am kaiserlichen Reichskammergericht“, in: Stephan Buchholz und Heiner Lück (Hrsg.): Worte des Rechts – Wörter zur Rechtsgeschichte, Festschrift für Dieter Werkmüller zum 70. Geburtstag, Berlin 2007, S. 368–383 Sellert, Wolfgang: „Litis contestatio“, in: HRG III, Berlin 1984, Sp. 14–20 Sellert, Wolfgang: „Prozeß des Reichskammergerichts“, in: HRG IV, Berlin 1990, Sp. 29–36 Sellert, Wolfgang: „Prozeß, sächsischer“, in: HRG IV, Berlin 1990, Sp. 36–39 Sellert, Wolfgang: Prozeßgrundsätze und Stilus Curiae am Reichshofrat im Vergleich mit den gesetzlichen Grundlagen des reichskammergerichtlichen Verfahrens (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 18), Aalen 1973 Sellert, Wolfgang: „Unabhängigkeit des Richters“, in: HRG V, Berlin 1998, Sp. 443–451 Sellert, Wolfgang: „Zeugnisp icht, Zeugnisverweigerungsrecht“, in: HRG V, Berlin 1998, Sp. 1694–1696 Sellert, Wolfgang: „Zivilprozeß, Zivilprozeßordnung“, in: HRG V, Berlin 1998, Sp. 1742–1750 Sellert, Wolfgang: „Zur Geschichte der rationalen Urteilsbegründung gegenüber den Parteien insbesondere am Beispiel des Reichshofrats und des Reichskammergerichts“, in: Gerhard Dilcher / Bernhard Diestelkamp (Hrsg.): Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey, Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie, Symposium für Adalbert Erler, Berlin 1986 Sieber, Eberhard: Stadt und Universität Tübingen in der Revolution 1848/49 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Tübingen 6), Tübingen 1975 Simon, Dieter: Die Unabhängigkeit des Richters (Erträge der Forschung 47), Darmstadt 1975 Simon, Dieter: „Jurisprudenz und Wissenschaft“, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 141–156 Simon, Dieter: „Summatim cognoscere. Zwölf Exegesen“, in: ZRG/GA 83 (1966), S. 143–218 Sohm, Rudolf: Die litis contestatio in ihrer Entwickelung vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart. Ein Beitrag zur Geschichte des Zivilprozesses, München und Leipzig 1914 Sprung, Rainer: „Die Entwickelung der zivilgerichtlichen Begründungsp icht“, in: ders. / Bernhard König (Hrsg.): Die Entscheidungsbegründung in europäischen Verfahrensrechten und im Verfahren vor internationalen Gerichten, Wien 1974

D. Literatur nach 1879

421

Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen / Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main / Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg / Archiv der Hansestadt Lübeck (Hrsg.): Gesamtinventar der Akten des Oberappellationsgerichtes der vier Freien Städte Deutschlands, Band 1–7, Köln, Weimar, Wien 1994 und 1996 Stichweh, Rudolf: „Motive und Begründungsstrategien für Wissenschaftlichkeit in der deutschen Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts“, in: Rechtshistorisches Journal 11 (1992), S. 330–351 Stintzing, Roderich / Landsberg, Ernst: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abteilung, Erster Halbband, Text und Noten, München und Leipzig 1898 Stintzing, Roderich / Landsberg, Ernst: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Dritte Abteilung, Zweiter Halbband, Text und Noten, München und Berlin 1910 Stobbe, Otto: Handbuch des deutschen Privatrechts, Band 4, Familienrecht, 2. Au age, Berlin 1884 Stobbe, Otto: Handbuch des deutschen Privatrechts, Band 5, Erbrecht, 2. Au age, Berlin 1885 Stolleis, Michael (Hrsg.): Juristen, Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995 Stolleis, Michael (Hrsg.): Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1999 Stolleis, Michael: „Juristische Zeitschriften – die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts“, in: ders. (Hrsg.): Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1999, S. VII–XIV Strack, Friedrich (Hrsg.): Heidelberg im sakulären Umbruch, Traditionsbewußtsein und Kulturpolitik um 1800 (Deutscher Idealismus, Philosophie und Wirkungsgeschichte in Quellen und Studien 12), Stuttgart 1987 Strauch, Dieter (Hrsg.): Friedrich Carl von Savigny Briefwechsel mit Friedrich Bluhme 1820–1860 (Bonner Beiträge zur Bibliotheks- und Bücherkunde 8), Bonn 1962 Struck, Wolf: „Almendingen, Ludwig Harscher von“, in: NDB, Band 1, Berlin 1953, S. 204 Sturm, Fritz: „Wächter, Carl (Joseph) Georg (Sigismund) (von)“, in: HRG V, Berlin 1998, Sp. 1076–1078 Teichmann, Albert: „Kierulff, Johann Friedrich Martin“, in: ADB, Band 55, Leipzig 1910, S. 513–515

422

Anhang

eisen, Frank: Zwischen Machtspruch und Unabhängigkeit, Kurhessische Rechtsprechung 1821–1848 (Dissertationen zur Rechtsgeschichte 7), Köln, Weimar, Wien 1997 ier, Andreas: „Runde, Justus Friedrich“, in: NDB, Band 22, Berlin 2005, S. 257–258 Tiegelkamp, Kurt: Geschichte und Stellung der Verhandlungsmaxime im deutschen Zivilprozeß seit dem jüngsten Reichsabschied, Köln 1940 Uhlhorn, Manfred: „Rechtliches Gehör“, in: HRG IV, Berlin 1990, Sp. 253–258 Unger, Dagmar: Adolf Wach (1843–1926) und das liberale Zivilprozeßrecht (Schriften zur Rechtsgeschichte 120), Berlin 2005 Vano, Cristina: Der Gaius der Historischen Rechtsschule, Eine Geschichte der Wissenschaft vom römischen Recht (Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte 226, Savignyana 7), Frankfurt am Main 2008 Verdenhalven, Fritz: Alte Meß- und Währungssysteme aus dem deutschen Sprachgebiet, was Familien- und Lokalforscher suchen, 2. Au age, Neustadt an der Aisch 1998 Vossius, Oliver: Zu den dogmengeschichtlichen Grundlagen der Rechtsschutzlehre, Münchener Universitätsschriften (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung 62), Ebelsbach 1985 Wach, Adolf: Handbuch des deutschen Civilprocessrechts, Erster Band, Leipzig 1885 Wach, Adolf: Vorträge über die Reichs-Civilprocessordnung, gehalten vor praktischen Juristen im Frühjahr 1879, 2. Au age, Bonn 1896 Warncke, Johannes: Handwerk und Zünfte in Lübeck, Lübeck 1912 Weitzel, Jürgen: „Appellation“, in: HRG I, 2. Au age, Berlin 2008, Sp. 268–271 Weitzel, Jürgen: „Prozeßfähigkeit“, in: HRG IV, Berlin 1990, Sp. 48–49 Welker, Karl: „Justus Möser“, in: Joachim Rückert / Jürgen Vortmann (Hrsg.): Niedersächsische Juristen, Ein historisches Lexikon mit einer landesgeschichtlichen Einführung und Bibliographie, Göttingen 2003, S. 64–73 Weller, Heinz: Die Bedeutung der Präjudizien im Verständnis der deutschen Rechtswissenschaft. Ein rechtshistorischer Beitrag zur Entstehung und Funktion der Präjudizientheorie (Schriften zur Rechtstheorie 77), Berlin 1979 Wesel, Uwe: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart, 3. Au age, München 2006 Wesenberg, Gerhard: „Savignys Ein uß auf die Rechtsprechung des Oberappellationsgerichts in Dresden. Eine Studie zur Nachrezeption“, in: ZRG/RA 67 (1950), S. 459–473 Wesener, Gunter: „Prozeßmaximen“, in: HRG IV, Berlin 1990, Sp. 55–62 Wesener, Gunter: „Prozeßverschleppung“, in: HRG IV, Berlin 1990, Sp. 68–70

D. Literatur nach 1879

423

Westphal, Siegrid (Hrsg.): In eigener Sache, Frauen vor den höchsten Gerichten des Alten Reiches, Köln 2005 Weyers, Hans-Leo: Über Sinn und Grenzen der Verhandlungsmaxime im Zivilprozess, in: Roland Dubischar (Hrsg.): Dogmatik und Methode, Josef Esser zum 65. Geburtstag, Regensburg 1975, S. 193–224 Wieacker, Franz: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, 2. Au age, Göttingen 1996 Wienfort, Monika: Patrimonialgerichte in Preußen, Ländliche Gesellschaft und bürgerliches Recht 1770–1848/49, Göttingen 2001 Wilhelm, Walter: „Private Freiheit und gesellschaftliche Grenzen des Eigentums in der eorie der Pandektenwissenschaft“, in: Helmut Coing / Walter Wilhelm (Hrsg.): Wissenschaft und Kodi kation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Band IV, Eigentum und industrielle Entwicklung, Wettbewerbsordnung und Wettbewerbsrecht (Studien zur Rechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts 4), Frankfurt am Main 1979, S. 19–39 Wilhelm, Walter (Hrsg.): Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main 1972 Windscheid, Bernhard: Carl Georg von Waechter, Leipzig 1880 Wogatzki, Hans: „120 Jahre Hanseatische Gerichte“, in: Curt Rothenberger (Hrsg.): Das Hanseatische OLG, Gedenkschrift zu seinem 60jährigen Bestehen, Hamburg 1939, S. 15–33 Wolter, Udo: Ius canonicum in iure civili (Studien zur Rechtsquellenlehre in der neueren Privatrechtsgeschichte 23), Köln 1975

Sachregister Abstraktionsprinzip, 334 actio, 47, 171, 214, 287 actio Negatoria, 167, 210–214, 216 actio Pauliana, 284, 286 actio Publiciana, 215 Advokat, 29, 39–41, 58, 62, 110– 112, 135, 156, 215, 232, 239–241, 297, 316, 329, 332, 346 Älteste, 109, 204, 252, 316, 331, 346 Aktenschluss, 120, 121, 124, 327 Aktenversendung, 27, 43, 44, 70, 74, 88, 116, 253 Amtsbetrieb, 112, 115, 124, 125 Analogie, 52, 81, 144, 159, 163, 209, 212, 215, 228, 229, 335 Anseglung, 196 Anwalt, siehe Advokat Appellation, 23, 27, 58, 61, 62, 67, 92, 111, 113, 148, 149, 152, 166, 174, 196–203, 209, 218, 219, 228, 235, 239, 253, 258, 278, 284, 288, 291, 302–307, 313, 314, 334, 337, 359 Appellationsbeschwerde, siehe Appellationsrechtfertigung Appellationseinführung, 113, 114, 117 Appellationseinwendung, 113 Appellationsfrist, 71, 110, 149 Appellationsrechtfertigung, 114, 117, 171, 253, 313

Appellationssumme, 62–64, 68, 145, 194, 294, 301 arbitrium, 168, 245, 296, 299, 345 Armenrecht, 74, 107, 111, 112, 294 Aufklärung, 15, 88, 329 Augenschein, 216–218 Bandreißer, 331 Beckenschläger, 252 Befangenheit des Richters, 44–46 Begriffsjurisprudenz, 37, 236, 259, 346 bene cium novorum, siehe nova Bescheinigung, 46, 68, 191, 217, 269, 279, 293–301, 304, 306, 307, 311, 312, 314– 316, 353, 358, 359 Beweis, halber, 132, 269, 284, 291 Beweis, voller, 195, 221, 260, 265, 267, 272, 282, 285–287, 290, 292, 293, 311 Beweisartikel, 219–222, 255, 317, 318, 322, 323, 332 Beweisfrist, 201, 206, 319, 325 Beweisführer, 132, 186, 206, 218, 220, 264, 265, 277, 282, 301, 307, 308, 310, 316, 323, 325, 326 Beweisführung, formlose, 195 Beweisführung, künstliche, 158, 279, 280, 290, 292, 293 Beweisgegner, 196, 257, 265 Beweisinterlokut, 17, 61, 129, 133, 153, 195–205, 209, 216, 248, 267, 273, 274, 296,

Sachregister

305, 314, 315, 328, 334, 346, 358 Beweislast, 137, 138, 158, 195, 198, 205–216, 280, 334, 352 Beweismittel, neue, 305, 307, 308, 314 Beweissatz, 198, 201, 204–206, 222, 237, 272, 302, 321, 322, 347 Beweisthema, 274, 277, 290, 305 Beweisverfahren, 68, 79, 138, 148, 186–188, 193, 195–198, 216–218, 239, 268, 269, 278, 317, 324, 327, 334 Beweisverfahren, förmliches, 195 Bibel, 221 Böttcher, 204, 331 Bremische Waren-Mäkler-Ordnung von 1828, 75 Brief, 30, 31, 34, 86, 87, 101, 135 Code de procédure civile von 1806, 15, 72, 86 Codices, 38, 129, 228, 232, 240, 355 Common Law, 329 communis opinio, 135, 241, 243 Cour de Cassation, 329 cura materialis, siehe Geschlechtsvormundschaft cura sexus, siehe Geschlechtsvormundschaft Deduktionsverfahren, 218 designatio actorum, 112, 113, 115, 124 deutsche Bundesakte von 1815, 27, 70, 116 Devolutiveffekt, 45, 53, 115, 306

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Diffamation, 168 Diffessionseid, 93, 193, 259, 261 Direktorialsenat, 34, 55–57 duae conformes, 62, 68 Echtheitsverfahren, 259 Editionseid, 261 Editionsp icht, 257 Editionsverfahren, 257, 258 Eid, 261–263, 265–267, 269, 275– 277, 295, 296, 304, 306, 325, 353, 359 Eid, assertorisch, 261 Eid, promissorisch, 261 Eid, Zulassung, 270, 271, 301 Eidesau age, siehe Noteid Eidesdelation, siehe Eideszuschiebung Eidesformel, 263, 272–276 Eideszuschiebung, 46, 133, 187, 261–266, 359 Eidleisten, 270, 272 Eigentum, 175, 210–216, 318, 334, 345, 352 einfache Beschwerde, 70, 71, 117 Einlassung, 58, 103, 126, 134, 152, 153, 171–176, 178, 180, 181, 183, 184, siehe litis contestatio, 355 Einlassungsp icht, 173, 174 Einrede, 78, 93, 130, 131, 147, 153, 172–175, 200, 203, 204, 226, 229, 303 Einrede, dilatorische, 174, 175 Einrede, neue, 80, 304, 305, 307 Einreden, Vorbehalt von, 166 einstweiliger Rechtsschutz, 23, 103 Entscheidungsgründe, 23, 24, 56, 60, 77, 80, 84–89, 92,

426

94–97, 102, 122, 123, 128, 129, 132, 156, 187, 193, 194, 198, 224, 231, 238, 254, 256, 277, 282, 296, 321, 326, 328, 330, 331, 333, 334, 336–338, 348, 351, 353, 356 Entscheidungssammlung, siehe Rechtsprechungssammlung Eremodizialprinzip, 177, 178 Erfüllungseid, 48, 50, 121, 132, 166, 185, 186, 235, 244, 261, 264, 267, 269, 270, 272, 274–276, 278, 280, 282, 284, 288, 358, 359 Ergänzungseid, siehe Erfüllungseid Eventualprinzip, 72, 78–83, 92, 94, 104, 129, 197, 265, 305, 306, 351, 353 Extrajudizialappellation, 64, 66, 67, 70 Fakultät, 43, 57, 88, 116, 164, 295 Fangzettel, 61 Feststellungsklage, 167 formelle Beweistheorie, 17, 22, 166, 185–188, 191, 193, 194, 268, 269, 276, 278–280, 282, 284, 286, 292–294, 301, 312, 314, 352, 358, 359 formula, 212, 215 Fragstücke, 220, 224, 230, 255 französische Revolution, 15 freie Beweiswürdigung, 17, 19, 185–191, 282, 286, 293, 300, 301, 353, 358

Sachregister

Frist, 78, 79, 115–118, 149, 150, 164, 177, 202, 248, 249, 251, 258, 294, 306, 308, 310, 311, 324, 326 fundata intentio, 162 Gemeiner Bescheid, 135, 308, 317, 324, 325, 328 gemeiner Prozess, 16, 18, 19, 40, 72, 74, 78, 124, 127, 129, 140, 146–149, 165, 181, 183, 215, 218, 231, 238, 248, 262, 302, 318, 351, 353, 358–360 gemeines Recht, 19, 22, 28, 32, 37, 40–42, 53, 67, 71, 74, 89, 139–141, 143–148, 152, 159, 161, 164, 165, 177, 182–184, 196, 202, 209, 213, 215, 232, 233, 240, 241, 243, 245, 247, 260, 271, 303, 304, 307, 309, 312, 314, 355, 356 Gerichtsbote, 28, 29, 114 Gerichtsfähigkeit, 105, 108, 112 Gerichtsgebrauch, 126, 131, 132, 134–137, 140, 154, 157, 165, 168, 169, 174, 175, 182, 202, 246, 251, 265, 324, 325, 327, 357 Gerichtsgebühren, 111, 147 Germanistenversammlung, 33, 41 Germanistik, 32, 141, 143, 154, 234, 356 Geschlechtsvormundschaft, 105, 106 Geständnis, 128, 218, 260, 285, 286

Sachregister

Gewaltenteilung, 16, 57, 59, 60, 64, 71, 241, 329, 351, 352 Gewandschneider, 135, 167, 168, 257 Gewissensvertretung, 265, 266 Gewohnheit, 132–136, 324 Gewohnheitsrecht, 22, 36, 126– 128, 131, 132, 134–138, 147, 157, 168, 249 Gewohnheitsrechts, Beweis eines, 136–139 Glaubenseid, 237, 270, 274, 275, 277, 284 Gravamina, siehe Appellationsrechtfertigung Handelsbuch, 256, 257, 267, 291, 295–299 hannoversche Prozessordnung von 1850, 17, 85, 246, 247 Haverei, 267 historische Rechtsschule, 35, 36, 153, 338, 356 Ignoranzeid, 274, 275 Indiz, 130, 186, 256, 269, 270, 279, siehe Beweisführung, künstliche, 280–293, 301, 358 Inrotulation, 69 Insinuation, 86, 110, 114–116, 171, 175–177, 184 intentio, 212 Interpositionsbescheid, 114 iudex a quo, 113 ius eminens, 58 Jüngster Reichsabschied von 1654, 140, 144, 146, 165, 175, 186, 219, 311, 313–316

427

§§ 170–173, 59 § 118, 304, 311 § 122, 67, 69 § 37, 81, 134, 146, 173, 174 § 50, 205 § 53, 224 § 56, 186 § 58, 200 § 70, 81 § 73, 304, 307, 316, 319 § 78, 120, 146, 308, 313 § 79, 311 juristische Überzeugung, 189, 190, 195, 219, 268, 269, 279, 293, 301 Justizsache, 57, 64–66, 130 Kalumnieneid, 46, 261 Kameralprozess, 84, 150 Kanzlei, 28, 56, 110, 123 Kerzengießer, 315 Kirchenrecht, 47, 54, 81, 127, 144, 148, 289, 319, 321, 322, 328, 354 X 2, 20, 10, 223 X 2, 20, 11, 242 X 2, 20, 13, 223 X 2, 20, 17, 317, 318, 321 X 2, 20, 20, 223 X 2, 20, 22, 242 X 2, 20, 27, 289 X 2, 20, 35, 322 X 2, 20, 47, 220 X 2, 20, 5, 220 X 2, 20, 54, 271 X 2, 20, 56, 223 X 2, 21, 13, 224 X 2, 23, 12, 289 X 2, 25, 4, 308

428

X 2, 28, 5 und 57, 149 X 3, 39, 19, 260 X 4, 18, 3, 242–244, 355 Clem. 2, 12, 3, 149 Clem. 2, 8, 2, 317, 318 Klageänderung, 172 Klagerücknahme, 119, 153, 175– 177 Kommunikationsdekret, 84, 112, 115 Krämer, 257 lex Anastasiana, 225 litis contestatio, 86, 170–173, 175– 177, 181, 184, 239, 355 Lübecker Civilproceßordnung von 1862, 26, 28, 52, 53, 116, 129, 147, 183, 221, 265, 266, 294, 304, 307, 323, 352 Lübecker Gerichtsverfassungsgesetz von 1860, 51, 67 Lübecker Gerichtswesenverordnung von 1814, 64, 86, 129, 149, 181, 183, 203, 308 Lübecker Vormundschaftsverordnung von 1820, 106 magistratus, 46 Maxime, 72, 74, 81–83 metus subornationis, 319 Mündlichkeit, 15–17, 25, 33, 72, 83–85, 119, 129, 166, 221, 351, 352 Natur der Sache, 153, 158–160, 165, 181, 182, 184, 228, 234, 256, 296, 297, 301, 305, 343, 355

Sachregister

Naturrecht, 31, 35, 36, 48, 74, 81, 82, 141, 154, 159, 160, 186, 353 Negativentheorie, 206 Negatorienklage, siehe actio Negatoria Nennwert, 63 neues Vorbringen, siehe nova Nichtigkeitsbeschwerde, 46, 56, 57, 67–69, 71, 351 Nichtigkeitsklage, 44, 45 Niedergericht, 54, 61, 76, 121, 206, 217, 226, 297, 298, 318, 327, 334 Noteid, siehe Erfüllungseid, siehe Reinigungseid Notorietät, 218 nova, 23, 62, 120, 185, 273, 302– 306, 309–321, 327, 328, 355, 359 Novitätseid, 307, 309, 311, 313, 315–317 Oberappellationsgerichtsordnung, 27, 28, 42, 43, 53, 55, 61, 62, 66, 67, 69, 74, 79, 84, 103, 114, 116, 117, 122, 127, 161, 294, 303, 304, 307, 312–314, 316, 320 Obergericht, 51, 61, 65, 67, 114, 123, 137, 166, 277, 312, 320 obiter dictum, 180, 229, 230, 328, 343, 344 Obmann, 254 öffentliches Interesse, 65, 75–77 Öffentlichkeit, 15, 33, 83–85, 87, 221, 351

Sachregister

Pandektenwissenschaft, 22, 32, 41, 171, 184, 206, 233, 234, 238, 259, 335, 356 Partei-Sachverständiger, 254 Parteibetrieb, 112, 124, 125 Paulskirchenverfassung, 16, 42, 78, 129 Perhorrescenzeid, 45–49, 266, 359 poena confessi, 178, 180, 182, 183, 270 Präjudiz, 24, 54, 85, 89, 91, 98, 131, 135, 151, 154, 155, 157, 177, 195, 227, 231, 235, 237, 267, 282, 292, 328– 330, 348, 357 Präsident, 20, 28–30, 32–35, 122 Präsumtionstheorie, 206 praesumtio, siehe Vermutung Privatautonomie, 73, 76, 83 Produktionsverfahren, 218, 219, 251, 253 Prokurator, 29, 40, 42, 54, 110, 128, 294, 358 provocatio ex lege diffamari, 167, 168 Prozesslegitimation, siehe Gerichtsfähigkeit Quantitätseid, 300 Rat, 28, 38–40, 42, 58, 121, 122, 129 Reassumtion, 107 rechtliches Gehör, 68, 103, 104, 115, 120 Rechtsanwalt, siehe Advokat Rechtsgleichheit, 78, 180–182, 184, 345, 352 Rechtshängigkeit, 175–177, 181, 184

429

Rechtsprechungssammlung, 24, 42, 86–90, 94, 96–99, 101, 102, 104, 156, 336, 353 Recusation, 44–48, 50, 51, 53, 54 Recusationsgründe, 48, 50–52 reformatio in peius, 302 Reichsabschied von 1570, 81, 186 Reichsabschied von 1594, 70, 81 Reichscivilproceßordnung, siehe Zivilprozessordnung von 1879 Reichshofrat, 19, 243, 251 Reichskammergericht, 19, 31, 48, 84, 114, 133, 150, 186, 243 Reichskammergerichtsordnung von 1555, 69, 146, 168, 319  2 Tit 21 § 3, 75  2 Tit 28 § 4, 146, 295  2 Tit 29 § 5, 113  2 Tit 30 § 2 und 5, 149  3 Tit 27 § 1 und 2, 81  3 Tit 31, 200  3 Tit 34 § 1 und 2, 67  3 Tit 34 § 1 und 2, 146  3 Tit 50 § 6, 115 Reichsoberhandelsgericht, 97, 98 Reinigungseid, 69, 92, 185, 186, 193, 235, 237, 244, 261, 264, 269, 270, 272–276, 278, 284, 288, 291, 327, 358 Relation, 56, 88, 121–123, 166, 313, 331, 337 Remissionsschreiben, 123 Replik, 166, 180–182 Requisitionsschreiben, 115 Restitution, 28, 103, 109, 121, 134, 135, 258, 299, 305, 306,

430

308, 309, 313, 320, 324, 354 Restitution ob culpam advocati, 133, 134 Revidiertes Lübecker Stadtrecht von 1586, 25, 38, 126, 128, 165, 172, 244, 245, 328 Art. I, 1, 8, 229 Art. I, 5, 4, 271 Art. I, 7, 1, 106 Art. II, 3, 3 und 5, 271 Art. II, 7, 16, 227 Art. III, 4, 8, 271 Art. IV, 1, 1, 271 Art. V, 2, 1, 241 Art. V, 4, 1, 183 Art. V, 5, 260 Art. V, 7, 223 Art. V, 7, 1, 317, 325, 326 Art. V, 7, 15, 225, 227, 228, 231, 236, 241, 244, 345, 355 Art. V, 7, 17, 243 Art. V, 7, 20, 228, 239, 242, 244, 355 Art. V, 7, 4, 271 Art. V, 7, 9, 248 Art. V, 8, 4, 271 Art. V, 9, 3, 246 Art. V, 7, 1, 323 Art. VII, 3, 13, 215 Revision, 27, 70, 118, 149 Rezeption in comlexu, 140, 141, 143, 148 Richter am OAG, siehe Rat richterliche Unabhängigkeit, 42– 44, 54, 55, 71 römisches Recht, 139, 143, 144, 146–148, 150, 162, 163,

Sachregister

200, 206, 209, 210, 215, 225, 232, 234, 240, 245, 311, 348 D. 1, 3, 25, 169 D. 1, 3, 39, 324 D. 10, 4, 11, 1, 257 D. 11, 1, 11, 10–12, 260 D. 12, 2, 34, 5 und 8, 272, 273 D. 16, 3, 12, 1, 257 D. 22, 3, 11, 209 D. 22, 3, 12, 210 D. 22, 5, 355 D. 22, 5, 10, 227 D. 22, 5, 22, 246 D. 22, 5, 25, 229, 232, 240 D. 22, 5, 3, 223, 272 D. 22, 5, 3 pr., 271 D. 22, 5, 3, 5, 224 D. 22, 5, 7, 242 D. 26, 7, 7, pr., 300 D. 27, 8, 1, 13, 209 D. 30, 34, 3, 148, 210 D. 35, 2, 68, pr., 63 D. 39, 1, 15, 214 D. 42, 1, 14, 201 D. 49, 4, 1, 11, 227 D. 49, 5, 11, 227 D. 50, 17, 142, 181 D. 7, 5, 4, 8, 214 D. 9, 2, 23, 11, 260 D. 9, 2, 23, 24, 260 C. 3, 11, 1, 249 C. 4, 20, 10, 227 C. 4, 20, 6, 242 C. 4, 21, 260 C. 5, 17, 8, 6, 242 Nov. 90, 4, 317, 318 Nov. 90, 5, 249 Nov. 90, 8, 337

Sachregister

Romanistik, 33, 90, 154, 287 Sachführer, siehe Advokat Sachverständiger, 46, 77, 192, 193, 196, 218, 251–255, 268, 277, 354 Sachverständiger, neuer, 277 Sachwalter, siehe Advokat sächsischer Prozess, 17, 93, 128, 164, 178, 180–182, 355 Säumnis, siehe Ungehorsam Schätzungseid, 261, 299–301 Schiedseid, siehe Eideszuschiebung Schifferalte, 196 Schiffswegsetzung, 281, 283 Schlussdekret, 120, 121 Schriftlichkeit, 16, 83–85, 104, 116, 120, 124, 129, 226, 351 Sekretär, 28, 84, 123 Senat, 29, 43, 45, 55–58, 71, 130, 245, 351 Servitutenklage, 210, 211 Stadt- und Landgericht, 61, 166, 244 Streitwert, 61, 64, 129 Stuhlmacher, 346, 347 Suspensiveffekt, 113, 114 Tischler, 346, 347 Tomback, 252 Tuchmacher, 135, 167–169 Ungebühr, 70 Ungehorsam, 128, 152, 172, 177, 178, 180–184 Ungehorsam in der Vernehmlassung, 178 Ungehorsam, Antrag, 248, 249 Ungehorsamsentschuldigung, 117

431

Urkunde, 93, 138, 182, 193, 196, 218, 255–260, 268, 308, 310, 314, 318, 354 Urkunde, neue, 310, 311, 321 Urkunde, öffentliche, 193, 256, 318 Urteilsstil, 213, 228, 233, 328, 330, 333, 335, 337, 353 usus modernus, 32, 102, 154, 163, 168, 273, 293, 338 Verbietungsrecht, 65, 66, 109, 137, 138, 167–169, 204, 252, 280, 346 Vergleich, 118, 119, 122, 130, 137, 166, 179, 183, 198, 248, 315, 316, 332 Verhandlungsmaxime, 73–78, 82, 83, 104, 124, 178, 191, 192, 197, 220, 249, 252, 253, 286, 315, 354, 358 Verklarung, 267, 268, 282–284, 291, 302 Verkoppelung, 344, 345 Vermutung, 206, 278–280 Vernehmlassung, 80, 115, 117, 119, 166, 171, 180, 183, 202, 260, 312, 346 Visitationskommission, 55, 56 Vormund, 51, 52, 76, 108, 228 Wahrheitseid, 193, 237, 261, 270, 274, 275, 284 Warenmanufaktor, 298 Weimarer Reichsverfassung, 263 Wette, 61, 64–66, 173, 174, 204, 245, 252, 280, 315, 316, 346 Zeuge, 128, 166, 218, 228, 250– 253, 255, 268, 274, 275,

432

277–279, 288, 296, 310, 331 Zeuge, Glaubwürdigkeit, 92, 185, 187, 198, 219, 220, 222, 223, 225, 226, 230, 233– 235, 237, 238, 245, 271, 277, 301, 355, 358 Zeuge, klassischer, 276, 278 Zeuge, neuer, 121, 134, 221, 307, 310, 317–323, 325, 327, 328, 332, 353 Zeuge, Unfähigkeit, 50, 219 Zeuge, untüchtiger, siehe Zeuge, Unfähigkeit Zeuge, verdächtiger, siehe Zeuge, Glaubwürdigkeit, 223, 224, 228, 229, 237, 239, 245 Zeuge, verwer icher, 224 Zeuge, Zulassung, 65, 77, 158, 166, 187, 192, 205, 219–221, 223–229, 231, 232, 235,

Sachregister

236, 239–242, 244, 245, 318, 337 Zeugen, Ausschluss von, 248, 249 Zeugen, zwei, 113, 132, 193, 221, 276, 278 Zeugenaussage, 93, 186, 191, 219, 220, 222, 227, 235, 243, 255, 277, 278, 283, 284, 288, 290, 312, 321, 322, 358 Zeugenbenennung, 323, 326 Zeugeneid, 220, 229, 263 Zeugenrotul, 221, 318, 320, 321 Zeugenvernehmung, 185, 189, 220, 221, 247, 249, 255, 318, 321–323, 327, 332, 352 Zeugnisp icht, 245–247 Zivilprozessordnung von 1879, 16, 17, 19, 72, 82, 97, 104, 126, 176, 178, 185, 188, 192, 194, 299, 360, 361