DET, COMP und INFL: zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen 9783111353838, 9783484302631

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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DET, COMP und INFL: zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen
 9783111353838, 9783484302631

Table of contents :
Vorwort
DET, COMP und INFL: Zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen
Determinantien in der DP
Die deutsche Nominalphrase als "Determinansphrase"
Das Possessiv im Neugriechischen
Präpositionen und Präpositionalphrasen im Deutschen, im Altgriechischen und im Neugriechischen
Hierarchiegesetze der Universalgrammatik ohne grammatische Relationen
Subjekte und Null-Subjekte im Französischen
Das Complementizer-System der Freien Relative im Berndeutschen unter Berücksichtigung universalgrammatischer Aspekte
Abstrakte Inkorporation

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Linguistische Arbeiten

263

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

>DET, COMP und INFL< Zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen

Herausgegeben von Susan Olsen und Gisbert Fanselow

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek »DET, COMP und INFL« : zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen / hrsg. von Susan Olsen und Gisbert Fanselow. - Tübingen : Niemeyer, 1991 (Linguistische Arbeiten ; 263) NE: Olsen, Susan [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-30263-1

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Heinr. Koch, Tübingen

Inhalt Vorwort

vi

Susan Olsen & Gisbert Fanselow DET,

COMPundINFL:

Zur Syntax funktionaler Kategonen und grammatischer Funktionen

l

Heinz Vater

Determinantien in der DP

15

Susan Olsen Die deutsche Nominalphrase als "Determinansphrase"

35

Gaberell Drachmann Das Possessiv im Neugriechischen

57

Norbert Fries Präpositionen und Präpositionalphrasen im Deutschen, im Altgriechischen und im Neugriechischen

73

Beatrice Primus Hierarchiegesetze der Universalgrammatik ohne grammatische Relationen

83

Georg Kaiser & Jürgen Meisel Subjekte und Null-Subjekte im Französischen

110

Thomas Bader & Zvi Penner Das Complementizer-System der Freien Relative im Berndeutschen unter Berücksichtigung universalgrammatischer Aspekte

137

Gereon Müller

Abstrakte Inkorporation

155

VI

Vorwort Zu den Themen der Syntaxforschung, die derzeit auf viel Interesse stossen, gehört ohne Zweifel das der funktionalen Kategorien. In den letzten Jahren haben eine Reihe von Arbeiten unverkennbar gezeigt, daß die Berücksichtigung funktionaler Kategorien wie DET, COMP und INFL in der X-bar-Theorie der Sprachwissenschaft neue Möglichkeiten eröffnet, auf den ersten Blick idiosynkratisch anmutende einzelsprachliche Phänomene in ein sprachübergreifendes Strukturschema zu integrieren. Zwischensprachliche syntaktische Variation kann dabei häufig als Parametrisierung der Eigenschaften funktionaler Kategorien dargestellt werden. Diese Beobachtung war auch Grundtenor der Arbeitsgruppe zur syntaktischen Variation und Parametrisierung auf der DGfS-Jahrestagung 1989. Wir haben acht Aufsätze, die im Umfeld dieses Workshop entstanden sind, zum vorliegenden Band zusammengefaßt, um so einen Ausschnitt aus der aktuellen Diskussion zum Thema funktionale Kategorien und Parametrisierung zu dokumentieren. Bedanken möchten wir uns bei Eleonore Brandner und Markus Feldmeyer für ihre mühevolle Arbeit, aus Dateien in den unterschiedlichsten Textverarbeitungssystemen und Druckformaten einen einheitlichen reprofähigen Ausdruck zu erstellen.

Stuttgart und Passau Oktober 1990

Susan Olsen Gisbert Fanselow

DET, COMP und INFL: Zur Syntax funktionaler Kategorien und grammatischer Funktionen Susan Olsen & Gisbert Fanselow Die Entwicklung der generativen Grammatik der letzten fünf Jahre ist durch eine Reihe entscheidender Fortschritte bestimmt. Beispielsweise sind durch die Barriers (CHOMSKY 1986) Möglichkeit eröffnet worden, verschiedene Prinzipien und lokale Domänen auf ein einheitliches Format zu reduzieren. Daneben ergab sich im Kontext der Theorie der sog. funktionalen Kategorien eine weitgehende Rekonzipierung der Auffassung über den phrasenstrukturellen Aufbau natürlicher Sprachen. Im folgenden werden wir zunächst kurz die Entwicklung der Theorie funktionaler Kategorie nachzeichnen, und dann die Beiträge zu diesem Band in ihr theoretisches Umfeld einordnen. l.

Die Entwicklung der Theorie funktionaler Kategorien

1.1.

Anfänge der X-bar-Theorie

Frühe generative Modelle (CHOMSKY 1957, 1965) erzeugten syntaktische Tiefenstrukturen mit expliziten Phrasenstrukturregeln wie NP --> DET N PP oder VP --> V NP PP. Gegen Ende der sechziger Jahre wurden die fundamentalen Mängel dieses Ansatzes jedoch immer deutlicher. Wie schon in der traditionellen und strukturalistisehen Grammatik beobachtet1, sind erstens syntaktische Kategorien endozentrisch, d.h. die Unterschiede im syntaktische Verhalten von phrasalen Kategorien wie NP und VP sind dadurch bedingt, daß erstere Kategorie einen nominalen Kern (Kopf) enthält, letztere einen verbalen. Da NP und N aber voneinander unabhängige Kategoriensymbole sind, stellen die frühen expliziten Phrasenstrukturregeln die Endozentrizität der phrasalen Kategorien als letztlich nicht erklärbaren Zufall dar. Zweitens kann man beobachten, daß die verschiedenen Kategorien grundsätzlich parallel aufgebaut sind. Dies verdeutlicht etwa der Vergleich der NP (la) mit dem Satz (Ib). Um diese Gemeinsamkeiten zu erfassen, waren Theorien im Sinne von CHOMSKY (1965) gezwungen, sehr komplexe Transformationsregeln anzusetzen, die etwa die Tiefenstruktur von (Ib) auf die von (la) abbildeten. Solche Transformationen implizierten jedoch die Postulierung immer abstrakter Tiefenstrukturen, die - wie die Entwicklung der Generativen Semantik belegt (vgl. NEWMEYER 1980) - zu einer völlig unrestringierten und daher abzulehnenden Syntaxtheorie führten. (la) (Ib)

[NP his reßisal to leave] [5 he refused to leave}

Zur Lösung solcher und weiterer Probleme schlug CHOMSKY (1970) das sog. X-bar-Schema als Ersatz für explizite Phrasenstrukturregeln vor, das in der heutigen generativen Gramma-

1

CHOMSKY (1970) weist darauf hin, daß formale Ausprägungen dieser Idee in der schon bei HARRIS (1951) vorhanden sind.

2

Susan Olsen & Gisbert Fanselow

tik allein den phrasenstrukturellen Aufbau syntaktischer Kategorie erklärt. (2) gibt das Xbar-Schema in seiner ersten Fassung aus CHOMSKY (1970: 210) wieder. (2)

X" X'

--> Spec X 1 --> X Complements

Lexikalische Kategorien, i.e. N, V, A und P projizieren nach (2) ihre Merkmale auf höhere syntaktische Ebenen, und bauen so die phrasalen Kategorien der Sprache auf. Die lexikalischen Kategorien sind dabei über zwei primitive Merkmale des Lexikons, [±N] und [±V] definiert, d.h. N(omen) := [+N, -V], V(erb):= [-N, +V], A(djektiv) := [+N, +V], sowie P(räposition) := [-N, -V]. Phrasale Kategorien unterscheiden sich von den lexikalischen allein durch ihre höhere Projektionsstufe (X1, X" vs. X°). Dies erklärt die Endozentrizität der phrasalen Kategorien. Unter der ersten Prqjektionsstufe (X1) verbindet sich ein lexikalischer Kopf mit den sog. Komplementen, auf der nächsthöheren (X"), der maximalen, mit Spezifikatoren oder Specifiem. Alle syntaktischen Phrasen besitzen also grundsätzlich einen identischen internen Aufbau. Über die Grammatikalität einer spezifischen (Teil-) Struktur entscheiden einerseits Selektion- oder Kompatibilitätsfestlegungen des Kopfes für Komplemente (z.B. strikte Subkategorisierung), die bei refuse und refusal auf Grund lexikalischer Regularitäten identisch sind, und andererseits Gesetze, die regeln, welche Elemente zulässige Spezifikatoren für die jeweiligen Kategorien darstellen. Die Menge der syntaktischen Kategorien einer Sprache leitet sich somit allein aus der Menge ihrer lexikalischen Kategorien ab. Im Deutschen oder Englischen werden mit (2) also NPs, VPs, PPs und APs projiziert. Allein der Aufbau der Kategorie der Sätze, S, wurde von CHOMSKY (1970) nicht in das X-bar-Schema (2) integriert. CHOMSKY faßte sie als Einheit aus Subjekt und Prädikat wie in (3b) auf, wobei die Auxiliarelemente (z.B. Modalverben) als Spezifikator zu V angesehen wurden.

(3a)

S - - > N" V"

Ob)

U N''[v ispec-V» tv ".l]]]

Somit fiel die Struktur von S aus dem Rahmen des X-Bar-Schemas, denn die Struktur von S in (3b) ist exozentrisch, d.h. nicht auf einen lexikalischen Kern reduzierbar. Die Frage, ob auch die Expansion von S in die X-bar-Theorie integriert werden kann, stellte einen wesentlichen Aspekt der frühen Diskussion zur X-bar-Theorie dar. JACKENDOFF (1977) ist der prominenteste Vertreter einer Richtung, die Sätze als maximale Projektion des Verbs auffaßt. Dabei fungiert das Subjekt als Spezifikation zu V", und die Auxiliarelemente als Modifikatoren von V, vgl. (4) nach JACKENDOFF (1977:41). (4)

b = v- N" 1 [v.. T have en [v. V ...]]]

Um Strukturen wie (4) zu erzeugen und dabei die strukturelle Parallelität zu den anderen Phrasentypen nicht zu verlieren, erhöht Jackendoff allgemein die Zahl der Projektionsstufen auf 3. Unter X' hängen neben dem Kopf die (strikt) subkategorisierten Komplemente i.e.S., unter X" modifizierende Phrasen. Jackendoffs Uniform-Three-Level-Hypothesis galt nicht nur für die lexikalischen Kategorien N, V, A und P, sondern gleichermaßen für die 'nichtlexikalischen1, von Jackendoff minor genannten Kategorien wie Art(icle), Q(uantifier), Deg(ree) u.a. Dieses System brachte gegenüber dem Schema (2) von CHOMSKY (1970) nach JACKENDOFFS Ansicht zwei Vorteile: Alle Kategorien, auch Sätze, können mit (4) durch die X-bar-Theorie erklärt werden. Daraus folgt auch eine für alle Phrasen einheitliche strukturelle Charakterisierung des Begriffes des Subjekts als Specifier unter X'", die in CHOMSKYS

DET, COMP und INFL

3

ursprünglichem System nicht gegeben war, da dort Satzsubjekte nicht wie die Subjekte in NP als Specifier einer maximalen Projektion definiert werden konnten. 1.2.

Die Integration funktionaler Kategorien in das X-bar-Schema

Der entscheidende Anstoß zu einer allgemeine akzeptierten Theorie der später funktional genannten 'minor categories' im Rahmen des X-bar-Schemas kam nur partiell aus Untersuchungen zum phrasen strukturellen Aufbau natürlicher Sprachen. Wichtiger waren allgemeine theoretische Fortschritte in der generativen Grammatik, die Entwicklung immer restringierterer Theorien der Syntax. BRESNAN (1970) hatte nachgewiesen, daß eine befriedigende Analyse der Struktur von Nebensätzen nur dann möglich ist, wenn man eine eigenständige strukturelle, funktionale Kategorie COMP ansetzt, die vor dem 'eigentlichen' Satzverband S steht, und zunächst wie in (5) eingeführt wurde. (5)

S'-> COMP S

(Bresnan 1970:300)

Den an der linken A stehenden COMP-Knoten setze man auch als Landeposition für die WH-Bewegung an, die mit dem Merkmal [+wh] versehene Elemente unter Zurücklassung einer Spur aus ihrer basisgenerierten Position wie in (6b) an die Satzspitze stellt. (6a)

/ wonder [^ [CQMP l U Mary loves who]]

(6b)

/ wonder [5. [CQMP wAoJ [s Mary loves tj]

Außer Fragesätzen können nach CHOMSKY (1977) Relativsätze, topikalisierte und PseudoCleft-Sätze und weitere Satztypen aus einer einheitlichen, dem X-bar-Schema gehorchenden zugrundeliegenden Satzkonfiguration mittels WW-Bewegung abgeleitet werden, dazu zählt auch der deutsche Hauptsatz (vgl. etwa GREWENDORF 1988 für eine aktuelle Darstellung). Verschiedene Fakten zeigen nun, daß eine einzige COMP-Position nicht hinreichend ist. Wegen der Subjazenzbedingung (vgl. etwa CHOMSKY 1981) können Bewegungen maximal einen sogenannten Grenzknoten (im Englischen sind dies NP und S) überschreiten. Diese Annahme erklärt etwa die Ungrammatikalität von (7a), da die Bewegung who hier über zwei S-Knoten geführt wird. Aber auch im grammatischen (Tb) ist who von der Ausgangsposition t; der Bewegung durch zwei S-Knoten getrennt. (Tb) ist jedoch lizensiert, da W7/-Bewegung zyklisch ausgeführt werden kann: die WW-Phrase wird in (Tb) zunächst in den COMP-Knoten des untersten Satzes geführt, und überschreitet dabei nur einen S-Knoten. Unter Beachtung der Subjazenzbedingung kann sie nun von COMP nach COMP bewegt werden. Die Grammatikalität von (7c) zwang daher zu der Annahme, daß in COMP zwei Position vorhanden sind, eine WW-Position und eine Konjunktionsposition (cf. etwa CHOMSKY 1981:53). (7a)

*/ know who-t [$ you wonder why [5 Mary has invited tj]

(7b)

/ know who^ [5 you believe [COMP li'] Is Mary has invited tj]

(7c)

/ know whol [5 you believe [COMP V thai] [$ Mary has invited tj]

Diese COMP-Strukturierung erwies sich jedoch schnell als nicht mit Grundannahmen der Gesamttheorie verträglich. Ein Kategorie mit zwei Position erscheint ungewöhnlich. Im Sinne des Strukturerhaltungsprinzips von EMONDS (1976) ist weiter zu fordern, daß maxi-

4

Susan Oben & Gisbert Fanselow

male Projektion nur in Positionen von maximale Projektionen bewegt werden können, und X°-Kategorien nur in X°-Positionen. Daher sollte COMP an sich nicht als Landeposition für maximale Projektion wie which man zur Verfügung stehen können. Setzt man die Standarddefinition (8) an, so c-kommandiert in (7c) auch die Zwischenspur tj' die Ausgangsspur t; nicht, wie es für verschiedene Subtheorien der Grammatik erforderlich wäre. Verschiedene Verben wie etwa wonder subkategorisieren femer ein [+wh]-Merkmal von COMP. Subkategorisierung ist jedoch normalerweise allein eine Beziehung zwischen Schwesterkategorien. Setzt man die Expansionsregel (4) an, so ist unklar, wie S1, die Schwester von wonder in (9) die [±wh]-Merkmale von COMP erben kann. (8)

c-kommandiert ß genau dann wenn der erste verzweigende Knoten über a auch ß dominiert, und a ß nicht dominiert.

(9a)

/ wonder [5· [COMP whether] it will rain]

(9b)

*/ wonder [S'[COMP tnat] "wi^ rflZXI

All diese Probleme lassen sich umgehen, wenn man S1 als maximale Projektion von COMP, COMP" oder CP, ansieht. Als Kopf projiziert COMP seine Merkmale an S' = CP, was (9) erklärt. Die Landeposition von WW-Bewegung kann so als Specifier der CP kategorisiert werden; sie c-kommandiert daher auch nach (8) die Ausgangsposition einer Bewegung aus S. Der Satz S selbst ist Komplement von COMP. Insbesondere im Kontext einer allgemeinen Rektions- und Bewegungstheorie ergab sich auch die Notwendigkeit, die Struktur von S zu überdenken. Merkmale wie Kasus werden beispielsweise nach CHOMSKY (1981) durch Köpfe wie Verben oder Präpositionen zugewiesen. Der Kasus des Subjekts eines Satzes S wird aber nicht vom Verb von S bestimmt, sondern hängt vom Flexionstyp ab. Nominativkasus kann im Englischen wie im Deutschen nur dann auftreten, wenn der Flexionskomplex INFL, der aus Merkmalen für Tempus (etwa englisch -ed) und AGR(eement) (-s) besteht, finit ist. Dies legt nahe, daß auch INFL ein Kopf ist, der Kasus zuweisen kann, und kein Modifikator von V (JACKENDOFF 1977) oder Specifier von VP (CHOMSKY 1970). Da ferner bekanntlich im Englischen Modalverben und Flexionselemente komplementär verteilt sind, ist für Flexion und Auxiliare eine einzige strukturelle Position, INFL, anzusetzen (so CHOMSKY 1981). Merkmale von INFL werden von den Konjunktionen selegiert (that verlangt finites INFL, for infinites). Auch diesen Spezialfall von Subkategorisierung kann man nur dann erfassen, wenn die Schwesterkategorie S von COMP, wie etwa STOWELL (1981) vorschlägt, die maximale Projektion von INFL ist. Dabei erscheint die VP als Komplement von INFL, das Satzsubjekt als Specifier von INFL", der IP. Mit CHOMSKY (1986) ist sowohl die Rekategorisierung von S1 und die von S zur allgemeinen theoretischen Grundlage der generativen Grammatik geworden. Sätze weisen also die Struktur (10) auf: (10)

[CP Spec-CP [c, [COMP ][,p Spec-IP [wrL. INFL VP]]]]

Hier selegieren die funktionalen Köpfe C(OMP) und I(NFL) auf der C'/ -Stufe ein Komplement (IP bzw. VP) und verbinden sich unter ihrer maximalen Projektion mit einem Spezifikator. Der Spezifikator von INFL ist das Subjekt des Satzes, während die Spec-Position von COMP den Landeplatz für fokussierte/topikalisierte Phrasen bereitstellt. Mit dieser revidierten Fassung der Satzstruktur gewinnt die X-Bar-Syntax an konzeptueller Einheitlichkeit. Der Satz (d.h. CP oder IP) kann als endozentrische Phrase dargestellt werden wie andere Phrasen, die Projektionen lexikalischer Köpfe sind. Außerdem tritt durch die Integra-

DET, COMP und 1NFL

5

tion der funktionalen Kategorien COMP und INFL in das X-bar-Schema ein klarer Unterschied zwischen X°- und Xmax-Konstituenten an den Tag: X°-Kategorien sind Köpfe, X1™*Kategorien ( als XP notiert) Komplemente, Modifikatoren oder Spezifikatoren zu diesen Köpfen. Grammatische Funktionen werden auf etwas andere Weise als bei JACKENDOFF eindeutig Position zugeordnet: der Specifier ist die YP, die unter XP hängt und X' als Schwester hat, das Komplement (Objekt) ist die YP, die unter X 1 und neben X hängt, und Adjunkte (Modifikatoren, adverbiale PPs, etc.) sind solche XPs, die unter einem X' hängen und X' als Schwester haben. Somit ersetzt (l 1) die Festlegung (2): (11)

XJ — > ... X' ..., wobei i kleiner oder gleich j ist, und ... eine beliebige Folge maximaler Projektionen

Im Anschluß an CHOMSKY (1986) haben sich vor allem drei Entwicklungen in der Theorie funktionaler Kategorien ergeben. Erstens wird immer deutlicher, daß die Merkmalsspezifikation funktionaler Kategorien und ihre syntaktischen Eigenschaften entscheidend sind für das Funktionieren natürlichsprachlicher Grammatiken, und auch einen Großteil der zwischensprachlichen Parametrisierung erfassen. Zweitens wurde erkannt, daß die Menge der maximale Projektionen aufbauenden funktionalen Kategorien mehr umfaßt als COMP und INFL; schließlich deutet sich in jüngster Zeit eine engere Korrelation zwischen Merkmalskomplexen und eigenständigen funktionalen Köpfen an. Wir möchten im folgenden auf die letzten beiden Entwicklungen eingehen. 1.3.

Die Erweiterung der Klasse der funktionalen Kategorien

Es fällt nicht schwer zu erkennen, daß die traditionelle Struktur [NP DET N] für NP mit dem X-bar-Schema in der Fassung (11) nicht vereinbar ist: DET ist keine maximale Projektion, und sollte daher nicht als Schwester zum Kopf N der NP auftreten dürfen. In neueren Arbeiten zur Phrasenstruktur haben FUKUI (1986) und ABNEY (1987) vorgeschlagen, die Kategorie DET(erminans), und ggf. auch DEG(ree) in die Klasse der funktionalen Köpfe aufzunehmen. Es ist vor allem das Anliegen ABNEYS, die strukturellen Parallelen zwischen Nominalphrasen und Sätzen, die er sorgfaltig dokumentiert, auch theoretisch zu erfassen. Er verspricht sich davon nicht nur einen konzeptuellen Gewinn für die X-Bar-Syntax, sondern auch eine bessere Erklärung der empirischen Fakten durch die Theorie. Sowohl das Verb als auch das Nomen weisen z.B. in vielen Sprachen charakteristische Flexionsparadigmen auf. ABNEYS Vorschlag besteht darin, die Flexion von N ähnlich wie die von V über einen funktionalen Kopf, der die grammatischen Merkmale (abgekürzt AGR) der Phrase trägt, zu vermitteln. Diese Konzeption sieht folgendermaßen aus:

(12a) DP

INFL Tempus AGR

VP

Susan Olsen & Gisbert Fanselow

DP

(12b)

D1

DP DET POSS AGR

NP (vgl. Abney 1987:19)

Ein fmites AGR in INFL lizensiert das Subjekt von VP durch Kasuszuweisung (z.B. Nominativ) und erscheint als Flexionsaffix am Kopf seines Komplements VP. Durch den merkmalshaltigen, funktionalen Kopf entsteht also das Phänomen der Subjekt-Verb-Kongruenz. Auch in der Nominalphrase - jetzt als Determinansphrase (=DP) aufgefaßt - kommt ein "Subjekt" (der Possessor) vor, der wie das Subjekt des Satzes von einem (possessiven) AGR unter DET seinen Kasus (z.B. Genitiv) erhält. Nominales AGR erscheint zudem in vielen Sprachen wie verbales AGR am lexikalischen Kopf seines Komplements (N) in Form eines Flexionssuffixes. Um diesen Punkt zu unterstreichen, führt ABNEY Daten aus dem Ungarischen, Türkischen, Eskimo und Maya an, in denen der Kopf der Nominalphrase (N) mit dem Possessor bezüglich der Merkmale Person und Numerus morphologisch kongruiert. Im Paradigma (13) ist das ungarische Nomen vendag 'Gast1 durchgehend mit einem Affix -e markiert, welches das N als von jemandem besessen kennzeichnet. Auf dieses Suffix folgt ein weiteres Flexiv, das Kongruenz mit dem Possessor anzeigt. In (13ab) beispielsweise stimmt das nominale Suffix (-ml-d) mit der Person des Spezifikators überein; in der dritten Person erscheint das Suffix als Nullmorphem. In allen Fällen wird der Possessor der DP (genauso wie das Subjekt des Satzes) mit Nominativ markiert.

(13a)

az der ich-nom

vandeg-e-m Gast-POSS-l.Sg

(13b)

a teder du-nom

vendeg-e-d Gast-POSS-2.Sg

(13c)

a Marivendeg-eder Maria-nom Gast-POS S-3-Sg.

(Szabolcsi 1983:89)

Die Struktur (14) verdeutlicht die Rolle von DET bei diesem Kongruenzphänomen:

(14)

DP

D1

DP

l

2Ps Sg

DET

NP

r- POSS L

2Ps Sg

te

N vendeg

-e-, -d Das AGR-Element unter DET stimmt mit den Merkmalen des Spezifikators überein und weist ihm Kasus zu, und zwar im Ungarischen wie INFL den Nominativ. Das Merkmal [Poss] sowie das Bündel der AGR-Merkmale [2.Person, Singular] nehmen als Suffixe phonologische Gestalt an (-e- bzw. -d) und werden an den Kopf des Komplements affigiert. Der funktionale Kopf der Phrase vermittelt auf diese Weise - wie INFL in der VP - die

DET, COMP und 1NFL

1

morphologische Kongruenz zwischen N und dem Possessor. SZABOLCSI (1983) weist auf eine weitere Parallele zwischen den Kategorien DET und INFL im Ungarischen hin. Das Flexions-Element AGR in INFL lizensiert im Ungarischen - wie in den romanischen Sprachen (cf. RIZZI 1982, 1986, CHOMSKY 1982) ein phonetisch leeres pronominales Subjekt im Satz (= pro-Drop). Auch in der ungarischen Nominalphrase kommt das pro-Drop-Phänomen unter den gleichen Bedingungen vor. In (15a) ist das Nomen mit des Possessivaffix -a markiert. Ein Possessor wird in diesem Falle immer mitverstanden, selbst wenn er phonologisch nicht realisiert wird. Die Phrase in (15a) hat demzufolge die Bedeutung 'sein/ihr Tisch'. SZABOLCSI kontrastiert (15a) mit der ungrammatischen abstrakten Struktur (15b), um zu zeigen, daß eine nicht-possessive Interpretation der Phrase bei o-Markierung des Kopfs nicht möglich ist. Die Phrase 'derTisch1 kann nur mit (15c) übersetzt werden.

(15a)

az pro asztal-ader

Tisch-POSS-3sg.

(15b)

*az asztal-a-

(15c)

az asztal

(Szabolcsi 1983:95)

(Szabolcsi 1983:96)

Die Daten in (13) und (15) untermauern ABNEYS Versuch, die Nominalphrase so zu gestalten, daß sie unter einem funktionalen Kopf einen AGR-Komplex enthält, welcher eine parallele Funktion zum verbalen AGR in INFL ausübt. In Anlehnung an HIGGINBOTHAM (1985) macht ABNEY auch auf die ähnliche semantische Funktion von INFL und DET aufmerksam: Das Tempus-Element in INFL dient dazu, das vom verbalen Prädikat denotierte Ereignis in der Zeit zu lokalisieren, während der Inhalt von DET den Referenten des nominalen Prädikats festlegt. Die Klasse der funktionalen Kategorien grenzt sich nach ABNEY (1987:65) durch folgende Eigenschaften von der Klasse der lexikalischen Kategorien ab: Funktionale Kategorien stellen geschlossene Klassen dar, die zum größten Teil aus morphologisch abhängigen Elementen wie Klitika oder Affixen bestehen. Sie selegieren ein funktionales Komplement, das weder als Argument noch als Adjunkt (d.h. Modifikator) aufzufassen ist. Schließlich enthalten funktionale Kategorien durchweg grammatische Merkmale; es fehlt ihnen jedweder deskriptive Gehalt. Sie dienen hauptsächlich dazu, den semantischen Gehalt ihres Komplements funktional zu bestimmen und ihn an höhere Projektionsstufen weiterzureichen. Unter dieser Konzeption der Phrasenstruktur kann man die zu Anfang dargelegten unterschiedlichen Positionen von CHOMSKY und JACKENDOFF etwas entschärfen. Die Satzknoten (IP und CP) stellen einerseits im Einklang mit der X-Bar-Theorie maximale Projektionen funktionaler Kategorien dar, die eigene Komplemente und Spezifikatoren aufweisen. Gleichzeitig aber 'projiziert1 der semantische Gehalt von VP über die funktionale Struktur von INFL, , IP, COMP und C 1 hinauf zu CP. In diesem Sinne kann der Satz als die maximale kategoriale kategoriale Projektion von I bzw. C und gleichzeitig als eine semantische Projektion von VP angesehen werden (vgl. ABNEY (1987:57)). ABNEYS Ansatz hat anscheinend nur einen Schönheitsfehler: er führt zu einem gravierenden terminologischen Problem. Ein Großteil der generativen Begriffe ist vor ABNEY (1987) eingeführt worden, man spricht von NP-Bewegung, wo wegen (12) eigentlich von DP-Bewegung gesprochen werden müßte. Es hat sich eingebürgert, dort, wo die Rekonzipierung der Nominalphrase als Determinansphrase keine Konsequenzen hat, weiterhin mit NP den Komplex aus den Projektionen von DET und N zu bezeichnen. Orientiert am allgemeinen Usus haben wir davon abgesehen, in den Beiträgen zu diesem Band eine terminologische Konsequenz zu erzwingen, die die aktuelle Literatur selbst nicht kennt.

8

Susan Olsen & Gisbert Fanselow

1.4.

Die Eindeutigkeit funktionaler Köpfe

POLLOCK (1989) und CHOMSKY (1988) haben Analysen des englischen und französischen Verbalkomplexes vorgelegt, die zu einer Renaissance der Untersuchung des Flexionsphänomens geführt haben, und es plausibel erscheinen lassen, daß zumindest in einigen Sprachen eine eindeutige Beziehung zwischen funktionalen Köpfen und grammatischen Merkmalskomplexen besteht. Betrachten wir zunächst einen deutschen Hauptsatz wie (16a):

(16a) (16b)

Hansfängt seinen Vortrag an daß Hans seinen Vortrag anfängt

Schon BACH (1962) und BIERWISCH (1963) (und außerhalb der generativen Grammatiktradition bereits DRACH 1940) hatten erkannt, daß eine befriedigende Erfassung der deutschen Verbstellungsfakten im Hauptsatz nur dann möglich ist, wenn das Finitum zunächst - wie im Nebensatz - in Endposition erzeugt wird, und dann in die zweite Position bewegt wird. DEN BESTEN (1981), LENERZ (1981), und OLSEN (1985) haben gezeigt, daß im Deutschen, Niederländischen und anderen germanischen Sprachen COMP die Landeposition des Finitums ist; das Vorfeldelement steht in Spec-CP (vgl. auch die Beiträge in HAIDER & PRINZHORN 1986, sowie GREWENDORF 1988). Bewegungen wie die von V nach COMP bezeichnet man als Kopfbewegungen. Betrachten wir unter dieser Perspektive nun die folgenden englischen und französischen Daten, die POLLOCK (1989) aufbauend auf Einsichten von EMONDS (1985) diskutiert:

(17a) (lTb) (17c)

Jean embrasse souvent Marie *John kisses often Mary John often kisses Mary

Die schon oben angesprochene Zuweisung eines Kasus an eine NP/DP durch ein Verb setzt im Englischen Adjazenz zwischen den beteiligten Phrasen voraus. Ferner ist Mary das direkte Objekt von kiss. Daher müssen im Sinne der Festlegung grammatischer Funktionen bezogen auf (11) kiss(es) und Mary eine V'-Konstituente bilden. (17c) ist (partiell) erklärt, wenn man annimmt, daß Adverbien vor der VP basisgeneriert werden können. Bei der Analyse von (17a) ergeben sich nun gewisse Probleme. Da die thematischen Verhältnisse in (17a) denen von (17c) entsprechen, muß auf der D-Struktur eine V'-Konstituente vorliegen, die allein embrasse und Marie umfaßt. Die lineare Abfolge in (17a) ist folglich Resultat von Bewegung. Entweder kann als D-Struktur (18a) vorliegen, und Marie an VP adjungiert worden sein (18b), oder wie in (18c) souvent der VP vorangehen, wobei dann das Verb aus VP herausbewegt wird.

(18a)

tvptvp embrasse Marie] souvent}

(18b)

[[Vp[vp embrasse t;] souvent} Marie}

(l8c)

[vp souvent [VP embrasse Marie}}

(18d)

[embrasse^ [vp souvent [vp t; Marie}}}

POLLOCK (1989) belegt ausführlich, daß allein die zweite Lösung richtig ist; Landeposition der Kopfbewegung von V ist INFL. Dies bedeutet: im finiten Satz wird V im Französischen grundsätzlich nach INFL bewegt, nicht jedoch im Englischen. Die Verbindung des Flexionsmorphems INFL mit seinem Träger V kann somit, wie CHOMSKY (1988) ausführt, auf zwei Weisen erfolgen: entweder durch normale Kopfbewegung von V

DET, COMP und INFL

9

nach INFL, oder durch (abwärtsgerichtete) Klitisierung von INFL an V wie im Englischen, durch das sog. Affix Hopping aus CHOMSKY (1957). Ein Vergleich von infiniten und finiten Sätzen zeigt, daß mehr als ein Landeplatz für das Verb zur Verfügung stehen muß: (19a) (19b) (19c)

Jean n 'aime pas Marie *John likes not Mary John does not like Mary

(20a) (20b)

ne pas sembler heureux est une condition pour ecnre des romans *ne sembler pas heureux est une condition pour ecnre des romans

(21)

oublier presque son nom,

'arrive pas frequement

In (19a) ist aime von seinem Komplement Marie durch das Negationsmorphem pas getrennt; eine analoge Struktur ist im Englischen unmöglich (19b). Dies kann im Sinne von POLLOCK (1989) aus der Annahme abgeleitet werden, daß pas genauso wie not vor der VP (und hinter INFL) basisgeneriert wird. Nur im Französischen kann V aus der VP nach INFL, und damit vor pas bewegt werden. (20) zeigt, daß aus Gründen, die hier nicht relevant sind, die V-INFL-Bewegung über Negation hinweg im Infinitiv des Französischen ebenso unmöglich ist wie im Englischen. Allerdings ist die Annahme, V könne im französischen Infinitiv überhaupt nicht bewegt werden, mit (21) nicht verträglich: obwohl ein Infinitiv vorliegt, ist oublier über das Adverb presque bewegt worden. POLLOCK (1989) zeigt, daß man den Kontrast zwischen (17a), (19), (20) und (21) erklären kann, wenn Sätze die zugrundeliegende Struktur (22) besitzen: die AGR-Merkmale und T(ense) sind voneinander unabhängige funktionale Köpfe, die eigenständige maximale Projektionen projizieren. Im Infinitiv kann dabei das Verb nur nach AGR, aber nicht nach T bewegt werden (vgl. POLLOCK 1989 und CHOMSKY 1988 für eine Diskussion der Prinzipien, die dies Verhalten erzwingen) (22)

[TP DP/NP [T. (n ')[TENSE ... ]([NEG.P [NEG />i]-Bildungen: dahin, nahehin, nirgendhin, vornehm, daraufhin, hieraufhin, durchhin, überallhin, nebenhin, obenhin, zwischenhin, hintenhin, untenhin, fernhin, sohin, wohin, irgendwohin, hierhin, fernerhin, vorhin, linkshin, woandershin, rechtshin, dorthin, forthin, osthin ... [P°-/wr]-Bildungen: daher, ebendaher, nirgendher, jeher, nachher, beiher, umher, rundumher, ringsumher, nebenher, obenher, zwischenher, untenher, einher, fernher, woher, irgendwoher, hierher, weiterher, hinterher, vorher, bisher, linksher, rechtsher, seither, weither, zeither, dorther...

Entgegen BIERWISCH (1988) ist hierbei kaum von generellen Regularitäten zu sprechen. Dies gilt einerseits schon für die Akzentuierung der betreffenden Bildungen (Bildungen wie (6) tragen den Hauptakzent im allgemeinen auf P°); andererseits vererben sich die Eigenschaften der Köpfe gerade nicht vorhersagbar, oder es ist unklar, welches der Kopf der Bildung ist. Fälle wie (9), in welchen sich die Markierung [+DIR] vererbt, sind nicht der Normalfall, wie Bildungen wie umher/herum, vorher/hervor, einher/herein, zeigen, die über diverse semantische Idiosynkrasien verfügen:

76

Norbert Fries

(9)

[- V -N +DIRECTIONAL] [-V -N -DIRECTIONAL]

(hierhin)

[+DIRECTIONAL]

hier

hin

Neue P-Lexeme entstehen diachron u.a. durch Kategorienwechsel, insbesondere von A zu P, wobei sich wiederum idiosynkratische semantische Differenzierungen ergeben: (10)

Wechsel [X°] — > [P0]:

(lOa)

die {infolge ihrer Stellung ungeachteten] Mitglieder *die [der Konsequenzen ungeachteten] Ausführungen ! [ungeachtet der Konsequenzen]

(lOb)

*der [innigsten Mitleids volle] Redner [innigsten Mitleids voll] sprach er zu den Gästen [voll größter Hochachtung]

Schließlich dienen der Bildung neuer P-Lexeme auch syntaktische Umstrukturierungen: (lla)

[[in Anbetracht] dieses Vorfalls]

(lib)

[[im Zuge] der Verhandlung]

(l Ic)

[dem Käufer [zu Lasten]]

Präpositionswenige Fügungen (vgl. BENES" 1974) entstehen im wesentlichen durch Restrukturierungen voller PPs, wobei synchron mit Strukturierungen wie (12 a) zu rechnen ist, die erst am Ende ihrer diachronen Entwicklung zu Strukturen wie (12 b) werden:

(12a)

[p. [p[p in] [N Anbetracht]]^ dieses Vorfalles]

(12b)

[P. [p aufgrund NP]]

Solcherart entstandene P-Lexeme können sowohl transitiv wie intransitiv sein, Beispiele unter (13); die transitiven P-Lexeme regieren aufgrund ihrer diachronen Herkunft stets den Genitiv: (13)

2.

Lexeme der Struktur [P°-X°]:

transitiv: aufgrund, aufseilen, infolge, zufolge, mitsamt, inmitten ... intransitiv: abhanden, vorhanden, zuhauf, imstande, insbesondere, an Hand, an Land, zuEnde,... P-Spezifizierungen

P-Lexeme tragen, wie Elemente nicht-präpositionaler Klassen, in verschiedenen Sprachen unterschiedliche lexikalische Spezifizierungen, die für die Distribution der betreffenden Lexeme verantwortlich sind. Solche Differenzierungen schlagen sich in traditionellen Beschreibungen z.B. in Form von "Wortarten-Klassifikationen" nieder. Im Deutschen, im Altgriechischen und im Neugriechischen sind die Spezifizierungen der P-Lexeme unterschiedlich:

Präpositionen und Präpos it ionalphrasen

2.1.

77

Deutsch

Es gibt 3 Subklassen von P-Lexemen: (i)

"PräP" = P°, die (a) (b) (c) (d)

(ii)

ein Komplement besitzen (un markierterweise NP) und gemeinsam mit diesem eine Phrase des Typs P1 bilden und ihrem Komplement eine -Rolle zuweisen und im Falle eines NP-Komplementes diesem einen morphologischen Kasus, sowie ihrem Komplement in der Phrase vorhergehen

)» "PostP" (d1) folgen ihrem Komplement in der PP

(iii) 2.2.

"AdvP" = komplementlose P° Altgriechisch (P{ag})

Wie im Deutschen sind 3 Subklassen zu differenzieren, mit Spezifikationen wie im Deutschen:

(i)

"PräP{ag}" und

(ii)

"Post{ag}" tfneka, neken [wegen], entos {innerhalb})

(iii)

"AdvP{ag}"

2.3.

Neugriechisch (P{ng})

P-Lexeme zerfallen in 2 Subklassen: (i)

"PräP{ng}M = P°, die wie 2.l.-(a)-(b), und (c) (d) (e)

(ii)

unmarkierterweise keinen Kasus (struktureller Akkusativ), aber -Rolle zuweisen, und bei pronominalem Komplement ausschließlich eine sogenannte starke (nicht-klitische) Form erlauben und links-peripher sind

"AdvP{ng}M = komplementlose P°, die jedoch - lexikalisch markiert - ein klitisches Pronomen in Post-Stellung erlauben.

[PostP{ng} gibt es nicht]. ad (d): mazi (zusammen (mit)) ist intransitive P°, erlaubt also kein Komplement (vgl. (14b,e). Phrasen wie (14a) sind demzufolge als P'-Phrasen mit klitisiertem (schwachem) Pronomen zu interpretieren; Phrasen wie (14c) als [P'-P'J-Strukturen. me hingegen ist transitive P° und erfordert dementsprechend ein Komplement, das nur durch ein starkes Pronomen substituierbar ist (vgl. 15):

78

Norbert Fries

(14a)

meai mou zusammen mit mir-GEN. schwach

(14b)

*mazi mena zusammen mit mich/mir-stark

(14c)

mazi

(14d)

me

mena

zusammen mit mich-AKK. stark (zusammen mit mir)

*mazi

zusammen

me mou

mit mir-GEN. schwach

(14e)

*mazi zusammen mit

ton Kosta dem Kosta-AKK

(15a)

me mena

(15b)

*me mit

(15c)

*me me mit mich-AKK. schwach

(15d)

me mit

mit mich-AKK. stark (mit mir) mou mir-GEN. schwach

ton Kosta dem Kosta-AKK

Die entsprechenden Phrasen besitzen die Strukturen (16) bzw. (17): (16)

[ ·[ ·[

\] [P.[P me [NP mena ton Kosta]]]

(17)

[P. [P. mazi] [[+pro] mou]]

(17) stellt nicht nur die syntaktischen Eigenschaften der betreffenden PPs adäquat dar (ausführlich FRIES 1988a), sondern auch ihre semantischen und phonologischen. So besitzen PPs mit klitisiertem Pronomen eine spezifische Semantik, welche z.B. nicht-belebte Referenzobjekte der Pronomina ausschließt. Andererseits entspricht die Klitisierung generellen Klitisierungsregeln des Neugriechischen, die für alle Expansionen von [-V]-Kategorien gelten. Unter anderem gelten für solche X1-Phrasen spezifische Akzentuierungsregeln. Syntaktische und semantische Eigenschaften klitisierter Phrasen können dementsprechend mit einer Klitik-Regel wie (18) erfaßt werden: (18)

Distributionsregel für genitivische klitische Pronomina: [... [-V]1 [+pro: klitisch/GENITIV]] [pro] ist possessiv

ad (c): Die aus der Katharevusa (Hochsprache) entnommenen P-Lexeme weisen auch in der Dhimotiki (Volkssprache) morphologischen Kasus zu; teils herrscht jedoch auch schon bei diesen Lexemen strukturelle Kasuszuweisung. Die Verhältnisse erfordern eingehende empirische Untersuchungen:

Präpositionen und Präpositionalphrasen

(19)

Kasus-regierende PräP{ng} (markiert): *) NGR.: anti(s)

dhiamesou ektos enantion iper kata logo meta meso metaxi para (20)

79

:

+ + ± + + ± ±

DEUTSCH:

KOMPLEMENT-TYPEN:

(an)statt durch außer entgegen für, zugunsten gemäß, gegen

NP-GEN./NP-AKK., P\na-K NP-GEN. NP-GEN./NP-AKK., P1 NP-GEN. NP-GEN./NP-AKK. NP-GEN./NP-AKK. NP-GEN. NP-GEN./NP-AKK., pi Ql NP-GEN. NP-GEN. NP-GEN./NP-AKK., C'

wegen, aufgrund nach, hinter durch zwischen bei, trotz

Nicht-Kasus-regierende PräP{ng} (struktureller Akkusativ): NGR.:

TaPIRI:

apo choris

±

dhichos isame jia

+ +

mechri

+

OS

+

prin pros se

+ ±

me

DEUTSCH:

KOMPLEMENT-TYPEN:

von

NP, P1 NP, na-K. NP, na-K.

ohne ohne

bis für mit bis bis vor

NP

zu, nach in, zu

NP NP

NP, Pi, na-K.

NP

NP, P1, O, na-K. NP, P1, C1, na-K. NP, P1, na-K.

*)C'= oti-, pos-, pou-Satz; na-K.= ra-Phrasen-Komplement

3.

[a DIR] - Markierung

P-Lexeme unterscheiden sich von nominalen und von verbalen Lexemen durch die lexikalische Spezifizierung [-N, -V]. Diese Spezifizierung reicht nicht aus, wn P-Lexeme von solchen Lexemklassen abzugrenzen, die ebenfalls nicht-nominal und nicht-verbal sind, jedoch ebenso offensichtlich nicht-präpositional. Es ist evident, daß zur Erfassung lexematischer Subklassen weitere Markierungen angenommen werden müssen. Ich will hier annehmen, daß P-Lexeme sich von nicht-präpositionalen Lexemen durch die Markierung [a DIR] abgrenzen, [a DIR] ist damit eine rein syntaktische Markierung, welche diverse morphologisch-syntaktische Eigenschaften der P-Lexeme erfaßt, wie ihre Abgrenzung von nicht-präpositionalen Lexemen, [a DIR] beschränkt auch einige Wortbildungseigenschaften (wie die Vererbung der [a DIR]-Markierung eines Kopfes einer Wortbildung in einem Teil der Fälle), und im Deutschen und im Altgriechischen insbesondere die Zuweisung morphologischer Kasus bei jenen transitiven P-Lexemen, welche sowohl obliquen Kasus wie einen nicht-obliquen Kasus zuweisen können, [a DIR] wird bei solchen PPs, die als Argumente auftreten, ebenso von der regierenden Kategorie selegiert, wie [a N] oder [a V]. D.h., [a DIR] ist ein zumindest auf syntaktischer Ebene prpjizierendes Merkmal. Die morphologischen Kasus können als Merkmalsystem wie in (21) repräsentiert werden:

80

Norbert Fries

(21) Morphologische Kasus:

regiert oblique genitiv

NOM

AKK

DAT

GEN

-

+ -

+ + -

+ + +

Generell kann dann für die deutschen P-Lexeme unter (22) eine Regel wie (23) konstatiert werden, welche die Kasus-Rektion dieser P-Lexeme steuert: (22) (23)

P-Lexeme mit DATIV- und AKKUS ATI V-Rektion: an, auf, außer, hinter, in, neben, über, unter, vor, zwischen [-V, -N. DIR] [NP [-et obl, -gen]]

Für die deutsche Präposition entlang gilt bei PräP-Markierung (d.i. Prä-Stellung) die komplexere Regel (24) (zur Motivation und zu entlang in Post-Stellung, vgl. FRIES 1988a): (24)

entlang: [-V, -N, a DIR] [NP [+ obl, a gen]]

Auch für das Altgriechische muß eine komplexere Regel als (23) angenommen werden; betroffen sind die altgriechischen Präpositionen mit PräP{ag}-Markierung unter (25):

(25)

Altgriechische P-Lexeme mit mehrfacher Kasus-Rektion: amfl, dhia, epi, iper, ipo, kata, meta, para, pert, pros

Die Kasus-Rektion dieser Lexeme kann durch eine Regel wie (26) beschrieben werden, mit "K" als Komplex weiterer Merkmale: (26)

Altgriechische Kasus-Zuweisung: [-V, -N, a DIR, ß K] [NP [-a obl, ß genitiv]]

Der als "K" bezeichnete Komplex weiterer Merkmale korreliert - ebenso wie die Markierung [a DIR] - nicht notwendig mit bestimmten semantischen Eigenschaften der betreffenden Lexeme bzw. ihrer Expansionen. Es ist jedoch offensichtlich, daß bei lokalen P-Lexemen die GENTTIV-Rektion mit der Kennzeichnung des Ausgangspunktes einer Richtungsangabe korreliert. Bezüglich deutscher lokaler Präpositionen führt LEYS (1989:1) die DATIV- bzw. AKKUSATIV-Rektion auf generelle semantische Spezifikationen zurück: "Der Dativ nach räumlichen Präpositionen zeigt ein bestehendes, der Akkusativ ein entstehendes Verhältnis an." LEYS ist der Auffassung, daß dieses Prinzip nicht nur für Präpositionen mit mehrfacher Kasusrektion gilt, sondern für alle lokalen Präpositionen. Im Neugriechischen sind von der Regel (26) nur noch Relikte vorhanden; die [a DIR]Markierung macht sich hier im wesentlichen bei der Selektion entsprechender PPs durch regierende Kategorien bemerkbar. Im wesentlichen erlauben die betreffenden P-Lexeme im Neugriechischen AKKUS V-Rektion; die GENITIV-Rektion bei den Lexemen anti, ektos, iper, kata, meta, und para erfordert detaillierte Untersuchungen.

Präpositionen und Präpositionalphrasen

4.

81

Resümee

Geht man davon aus, daß Präpositionen universalgrammatisch die Markierungen [-N, -V] tragen (bei einzelsprachlich festgelegtem Gehalt dieser Merkmale), so sind hinsichtlich des Deutschen und des Griechischen folgende Beobachtungen zu konstatieren: 1. 2.

3.

Eine bestimmte Teilklasse der Präpositionen tendiert stark zu funktionalen Elementen; deren generelle Eigenschaften sollten über eine Subtheorie über funktionale Elemente erfaßt werden. Präpositionen sind durch weitere Markierungen von nicht-präpositionalen, nicht-nominalen, nicht-verbalen Lexemen unterschieden. Unter diesen Markierungen spielt die Spezifizierung [a DIR] eine hervorragende Rolle. Je nach vorliegendem (morphologischen) Kasus-System (Altgriechisch verfügt wie Deutsch über ein 4-Kasus-System; Neugriechisch über ein 3-Kasus-System) entscheidet die [a DIR]-Markierung über die Rektion einer Präposition, d.h. zwischen obliquem Kasus und nicht-obliquem Kasus. Darüber hinaus können Präpositionen weitere einzelsprachlich fixierte Eigenschaften besitzen, die von generellen Eigenschaften des betreffenden Sprachsystems teilbedingt werden. Die Eigenschaften des Neugriechischen bezüglich der Distribution klitischer Pronomina bedingt beispielsweise die mögliche Adjungierbarkeit klitischer Pronomina an P1 (und nicht an P°).

82

Norbert Fries

Literatur ABNEY, S., (1987): The English Noun Phrase in its Sentential Aspect. Ph. D. Diss. MIT. BENEä, E., (1974): "Präpositionswertige Präpositionalwendungen." Studien zur deutschen Grammatik 34:3352. BIERWISCH, M., (1988): "On the grammar of local prepositions." Berlin. In: B ERWISCH, M., W. MOTSCH, I. ZIMMERMANN, Hrsg. (1988): 1-66. BIERWISCH, M., W. Motsch, I. ZIMMERMANN, Hrsg. (1988): Syntax, Semantik und Lexikon. Berlin [studia grammatica XXIX]. FRIES, N., (1985): "Über S"-Bar." Zeitschrift für Sprachwissenschaft 4:156-200. —, (1988a): Präpositionen im Deutschen und im Neugriechischen. Tübingen: Niemeyer-Verlag. —, (1988b,c,d): "Interjektionen. Forschungsberichte l, 2, 3." In: I.ROSENGREN Hrsg.(1988): S & P 2,9,11. —, (1990): "Interjektionen und Interjektionsphrasen". IN: I. ROSENGREN Hrsg. (1988ff): S & P 17. FUKUI, N., (1986):

Theory of Category Projection and its Applications. Ph. D. Diss. MIT.

LEYS, O. (1989): "Aspekt und Rektion räumlicher Präpositionen." Preprints - Papers uitgegeven door de faculteit Letteren en Wijsbegeerte K. U. Leuven Campus Kortrijk, 1989/55. (Erscheint demn. in Deutsche Sprache). ROSENCREN, I. Hrsg.(1988): Forschungsberichte des Projektes Sprache und Pragmatik, Lund. ZIMMERMANN, L, (1988): "Die substantivische Verwendung von Adjektiven und Partizipien." In: M. BIERWISCH, W. MOTSCH, ds., Hrsg. (1988):279-312.

Hierarchiegesetze der Universalgrammatik ohne grammatische Relationen Beatrice Primus

l.

Einleitung

Die vorliegende Arbeit stellt den Versuch dar, anhand von Beschränkungen der Anaphernbindung in mehreren Sprachen ein Dilemma aufzudecken, mit dem viele, zur Zeit sehr einflußreiche allgemeine Syntaxtheorien konfrontiert werden. Obwohl vielfach nachgewiesen wurde (z.B. von CHOMSKY 1982 für das Englische sowie von REIS 1982 und VENNEMANN 1982 für das Deutsche), daß grammatische Relationen für die Beschreibung von Einzelsprachen entbehrlich sind, konnte man bei der Berücksichtigung mehrerer Sprachtypen auf ihre Einführung im Rahmen einer Universalgrammatik nicht verzichten. Grammatische Relationen spielen somit eine zentrale Rolle in der Relationalen Grammatik und der LexikalischFunktionalen Grammatik und werden auch in der Generativen Grammatik für sogenannte "nicht-konfigurationelle" oder für ergativische Sprachen eingeführt (vgl. CHOMSKY 1982, Kap. 2.8, HALE 1983, MARANTZ 1984). Das Dilemma dieser Modelle besteht darin, daß Universalien, die mit Hilfe von grammatischen Relationen und ggf. Hierarchien derselben formuliert werden, ungeeignet sind, einzelsprachliche Phänomene einfach und vollständig zu erklären. Ich werde zeigen, daß die Probleme dieser Theorien daraus resultieren, daß grammatische Relationen als Verb- bzw. Satzrelationen aufgefaßt werden, was schon aus ihrer Bezeichnung (z.B. "das Subjekt des Prädikats bzw. des Satzes") ersichtlich ist. Ich werde diesen Ansatztyp infolgedessen "satzrelational" nennen, wobei es keine Rolle spielt, ob grammatische Relationen als grundlegende Begriffe vorausgesetzt oder von anderen Satzrelationen wie z.B. "das Nominativargument der Prädikats" abgeleitet werden. Ich werde anschließend eine alternative Konzeption anbieten, die auf der Basis mehrerer Hierarchien die Herrschaftsrelation der Generativen Grammatik neu definiert und für die Formulierung universeller Hierarchiegesetze einsetzt. Unter Berücksichtigung mehrerer Parameter der Herrschaft werde ich sprachenübergreifende Prinzipien der Anaphernbindung aufstellen, die einzelsprachliche Daten einfacher und lückenlos erklären können. Das immer wiederkehrende Argument für die Einführung von grammatischen Relationen ist die Tatsache, daß in verschiedenen Sprachsystemen oder innerhalb eines Sprachsystems unterschiedliche Formkategorien identisches Verhalten aufweisen. Sprachimmanent wurden die Begriffe z.B. im Rahmen der Relationalen Grammatik von PERLMUTTER (1979:278f.) für das Italienische damit verteidigt, daß / bambini in (la) und ai bambini in (Ib) gemeinsame Subjekt-Eigenschaften aufweisen: (la) (Ib)

/ bambini non mancano di energia. ai bambini non manca energia. 'Den Kindern fehlt keine Energie'

Sprachkontrastiv wurde ähnlich argumentiert. Verbargumente im Nominativ haben im Deutschen oder Ungarischen diesselben Eigenschaften wie diejenigen Verbargumente im Englischen oder Isländischen, die unmittelbar vom Satzknoten dominiert werden. Um solche Eigenschaften möglichst einfach erfassen zu können, wurde der Subjektbegriff herange-

84

Beatrice Primus

zogen. Die typischen sprachenübergreifenden Subjekteigenschaften sind spätestens seit KEENAN (1976) allgemein bekannt, so daß ich hier nur einige der wichtigsten aufzuführen brauche: a) Subjekte kongruieren am ehesten mit dem Verb, b) sie sind bevorzugte Zielrelationen bei der Passivbildung, c) sie können am ehesten als Relativpronomina erscheinen, d) sie sind bevorzugte Antezedentien für Anaphern, e) sie können bei Koordinationsreduktionen und in infiniten Sätzen am ehesten eliminiert werden, f) sie kodieren im allgemeinen das Agens einer Handlung, und g) sie drücken im allgemeinen das Topik eines Satzes aus. Die Untersuchungen in diesem Beitrag werden deutlich zeigen, daß die oben genannte systeminterne oder sprachenübergreifende unterschiedliche Manifestation von Subjektausdrücken nicht für, sondern gegen die Einführung von grammatischen Relationen spricht. Satzrelationale Ansätze führen nämlich zu erheblichen empirischen und theoretischen Schwierigkeiten, wenn man möglichst einfache Generalisierungen über parametrisierte (d.h. zu verschiedenen Sprachtypen gehörige) oder modularisierte (d.h. auf verschiedenen Grammatikebenen manifeste) Phänomene aufzustellen versucht. Diese Schwierigkeiten demonstriere ich an fehlgeschlagenen Versuchen, Anaphern im Deutschen, Isländischen und Ungarischen mittels Satzrelationen datenadäquat und einfach zu erfassen. Es gibt jedoch auch alternative Vorschläge zur Behandlung der Anaphern im Rahmen der Generativen Grammatik, die von vornherein nicht als Universalien, sondern nur für sogenannte "konfigurationelle" Sprachen konzipiert wurden und die nicht auf grammatische Relationen Bezug nehmen. Ich versuche zu zeigen, daß sich nur dieser Typ von Theorie, nicht aber der satzrelationale Ansatz für mehrere Sprachtypen generalisieren läßt. 2.

Universelle Hierarchiegesetze

Für die folgende Diskussion von Wichtigkeit ist die Annahme der Relationalen Grammatik (vgl. JOHNSON 1977) und anderer sprachtypologisch orientierter Ansätze (vgl. MORAVCSIK 1974; KEENAN & COMRIE 1977), daß sehr viele einzelsprachliche Regeln durch universelle Hierarchiegesetze erklärt werden können. Diese Gesetze greifen auf folgende Hierarchie zurück: (2)

Subjekt > gr direktes Objekt > gr indirektes Objekt > gr obliques Objekt (z.B. Präpositionalobjekt) > gr andere Relationen

Für beliebige grammatische Relationen A und B in (2), Anwendungen einer Regel R auf Konstituenten mit den grammatischen Relationen A oder B, kurz R(A) und R(B), gelten die Gesetze (3)-(5): (3)

Das Kontinuitätsgesetz: Wenn in einer Grammatik G R(B) zugelassen ist, dann ist für jedes A in der Hierarchie-Relation A > gr B in (2) auch R(A) in G zugelassen.

Die universalgrammatische Relevanz jeder einzelnen Relation auf der Hierarchie ist durch das Endpunktgesetz gegeben: (4)

Das Endpunktgesetz: Es gibt mindestens eine einzelsprachliche Grammatik G, in der R(A) zugelassen ist und in der R(B) blockiert ist für jedes B in der Hierarchie-Relation A > gr B in (2).

Die Gesetze (3) und (4) erfassen z.B. Subjekt-Objekt-Asymmetrien in den Sprachen der Welt. So z. B. sagen (2) und (3) voraus, daß es keine Sprache gibt, in der das Finitum mit

Hierarchiegesetze

85

dem Objekt und nicht mit dem Subjekt kongruiert. Außerdem läßt das Endpunktgesetz mehr Sprachen mit Subjekt-Verb-Kongruenz als mit Subjekt-Verb- und zugleich Objekt-VerbKongruenz zu. Die Gesetze erklären somit die bevorzugte Beteiligung von Subjekten an der Verbkongruenz und anderen Regularitäten. Für anaphorische Relationen, an denen zwei Elemente, X und Y, teilnehmen, so daß X bindet, gilt für jedes Element (3) und (4) und darüber hinaus (5). Man findet es in einer ähnlichen Formulierung bei JOHNSON (1977:168): (5)

Das Anapherngesetz: BR(X,Y) ist eine zugelassene Bindungsrelation, wenn für die grammatischen Relationen von X und Y, A bzw. B, A > gr B in (2) gilt.

Das Gesetz besagt z.B., daß Subjekte Objekt-Anaphern binden können, aber nicht umgekehrt Objekte Subjekt-Anaphern. Ich werde versuchen, dieses Gesetz auf verschiedene Sprachtypen anzuwenden und beginne mit einer sogenannten "konfigurationeilen" Sprache und zwar mit der satzinternen Bindung von Reflexivpronomina im Isländischen. Ich habe diese Sprache gewählt, weil sie im Rahmen der Lexikalisch-Funktionalen Grammatik (vgl. ANDREWS 1982; ZAENEN et al. 1985) als exemplarisch für die Relevanz der grammatischen Relationen und die Notwendigkeit ihrer Einführung als Grundbegriffe gilt. 3.

Konfigurationelle Bindungsbeschränkungen

Als grundlegende Generalisierung über die satzinterne Reflexivierung im Isländischen gibt z. B. THR/INSSON (1979:292) an, daß sie bei Subjekt-Antezedentien obligatorisch und bei Objekt-Antezedentien optional ist. Das Beispielpaar (6) und (7) verdeutlicht dieses (vgl. THRAINSSON 1979:291 f.): (6)

Jon sendi mer föt a sig-/*hannHans(N) schickte mir(D) KleideriA) PRÄP sich/ihn(A) 'Hans schickte mir Kleider für sich'*

(7)

g sendi Haraldi föt a sig/hann· ich(N) schickte Harald(t>) Keider(A) PRÄP sich/ihn(A) 'Ich schickte Harald Kleider für sich'

In den neueren Arbeiten zum Isländischen wird das Subjekt strukturell determiniert (vgl. MALING 1984,1986) oder als primitiver Begriff aufgefaßt (vgl. ANDREWS 1982). MALING (1986) geht von der PrädikatioVistheorie WILLIAMS' (1981) und Hellans (1988:6) aus. In diesen Ansätzen ist ein Subjekt das externe Argument eines Prädikationsausdrucks (vgl. näheres im Abschnitt 5.3 dieser Arbeit). Ein Argument eines Prädikationsausdrucks P ist extern gdw. es außerhalb der maximalen Projektion von P generiert wird. Für Satzsubjekte in Sprachen mit einer VP erfaßt man damit diejenige Nominalphrase, die unmittelbar vom Satzknoten dominiert wird (vgl. CHOMSKY 1965, 1982), und darüber hinaus die externen Argumente von Prädikativen und A.c.i.-Phrasen. Dieser allgemeinere Subjektbegriff ist für das Isländische geeigneter. Das verdeutlicht das Beispiel in (8) von THRAINSSON (1979:337), in welchem das akkusativische Subjekt der Infinitivphrase obligatorische Reflexivierung auslöst: Folgende Abkürzungen kommen in den Sprachbelegen vor: N, A, D, G, K für die nominalen Kasus Nominativ, Akkusativ, Dativ, Genitiv bzw. Komitativ; PRÄP und COMP für Präposition bzw. Komplementierer; REFL und PERS für Reflexiv- und Personalpronomen. Bei den Interlinearübersetzungen werden nur die für die Diskussion relevanten Angaben gemacht.

86

Beatrice Primus

(8)

ug so Jon} raka ich(N) sah Hans(A) rasieren 'Ich sah Hans sich rasieren'

sig/*hann· sich/ihn(Aj

Daß der Subjektbegriff für die Beschreibung der Reflexivpronomina nicht mit einer Kasusrelation, z.B. dem Nominativargument, identifiziert werden kann, zeigen die Fälle in (8) und die folgenden in (9) aus MALING (1984:216): (9a)

honum. er oft kalt heima hja ser/*honum. ihm(D) ist oft kalt daheim PRÄP sich/ihm(D) 'Ihm ist oft kalt daheim bei sich'

(9b)

hemif*S£r. finnst hun veik. ihr/sich(D) glaubt sie(N) krank 'Sie glaubt sich krank'

(9c)

ateins själfiun sar/*honum} hjälpar Haraldur nur selbst sich/ihm(D) hilft Harald(N) 'Nur sich selbst hilft Harald'

Im Satz (9a) löst laut MALING ein dativisches Subjekt eine obligatorische Reflexivierung aus. Satz (9b) zeigt, daß ein dativisches Subjekt nicht reflexiviert werden kann, im Gegensatz zu einem topikalisierten dativischen Objekt wie in (9c). Objekte werden als prädikationsinterne Argumente eingeführt. Die präsentierten Daten belegen, daß die satzinterne Reflexivierung im Isländischen den relationalen Universalien (3)-(5) gehorcht. Subjekte können beliebige Objekte binden aber nicht umgekehrt Objekte Subjekte. Weiterhin können Subjekte und Kasusobjekte Reflexiva in Präpositionalphrasen binden aber nicht umgekehrt. Die Reflexivierungsrichtung läßt sich nämlich weder in (6) noch in (7) umkehren. Außerdem liegt keine Verletzung der Kontinuitätsbeschränkung vor, weil Anaphern in beliebigen Funktionen auftreten und weil sowohl Subjekte als auch Kasusobjekte als Binder in Frage kommen, nicht jedoch Präpositionalobjekte, wie (10) zeigt (vgl. MALING 1986:56): t (10) töluSum v/5 Jon- um hann sjalfan/um sjalfan *sigwir(N) redeten mit Hans PRÄP 1 ihn(A) selbst/PRÄP selbst sich(A) "Wir redeten mit Hans über ihn selbst Antezedentien in der Funktion von Präpositionalobjekten kann man durch eine Endpunktbestimmung blockieren, die nach Meinung JOHNSONS (1977:168) universell ist. Auch die Tatsache, daß die Reflexivpronomina bei Subjekt-Antezedentien obligatorisch und bei ObjektAntezedentien fakultativ ist, kann man ebenfalls durch die satzrelationalen Gesetze als Präferenz für Subjektantezedentien erklären (vgl. THRAINSSON 1979:292). Die bestechende Einfachheit, mit der die präsentierten Reflexivierungen mit Hilfe von Hierarchiegesetzen und grammatischen Relationen erklärt werden können, spricht prima facie für satzrelationale Theorien. Da man grammatische Relationen im Isländischen auf der Basis von strukturellen Relationen definieren kann, lassen sich die Daten allerdings auch durch eine strukturelle Bindungstheorie, die nicht auf grammatische Relationen rekurriert, recht einfach erfassen. Alle Reflexivpronomina des Isländischen gehorchen nämlich dem Bindungsprinzip A der Generativen Grammatik (vgl. CHOMSKY 1982:188, 225 Fn. 35 und 1986:166):

Hierarchiegesetze

(11)

Bindungsprinzip A: Wenn a eine Anapher ist, dann muß Kategorie gebunden sein.

87

in seiner regierenden

Zu den Anaphern gehören u.a. Reziprok- und Reflexivpronomina, nicht jedoch Personalpronomina. Das Prinzip (11) setzt folgenden Bindungsbegriff voraus (vgl. CHOMSKY 1982:184f.): (12)

a ist von ß (in seiner regierenden Kategorie) gebunden, wenn und ß miteinander koindiziert sind und ß a k-beherrscht, sonst ist (in seiner regierenden Kategorie) frei.

CHOMSKY formuliert das Prinzip (11) nur für Argument-Positionen, d.h. für Positionen, denen eine thematische Rolle zugewiesen werden kann. Alle Reflexivpronomina, die ich in diesem Aufsatz behandle, befinden sich auf mindestens einer Ebene der Grammatik in einer Argumentposition. Man nimmt im Rahmen der Generativen Grammatik im allgemeinen an, daß das Bindungsprinzip auf Oberflächenstrukturen (s-structures) vor der Anwendung von Bewegungstransformationen wie Topikalisierung, Inversion im Mittelfeld und anderen sogenannten "stilistischen" Bewegungen Anwendung findet. M.a.W. werden k-Herrschaftsrelationen durch solche Bewegungen nicht verändert (vgl. STECHOW & STERNEFELD 1988:249). Es gibt mehrere Varianten des k-Herrschaftsbegriffs, die man für (12) heranziehen kann. Allen Varianten gemeinsam ist jedoch, daß sie ausschließlich als strukturelle Begriffe aufgefaßt werden. Aus diesem Grund ist die k-Herrschaftsbedingung für Anaphern, die aus (11) und (12) folgt, eine rein strukturelle Bedingung. Ich habe unter (13) und (14) zwei der meist verwendeten Begriffsbestimmungen wiedergegeben (vgl. REINHART 1983:18, 23): (13)

Ein Knoten a k-beherrscht einen Knoten ß gdw. der erste verzweigende Knoten, der a dominiert, auch ß dominiert.

(14)

Ein Knoten a k-beherrscht einen Knoten ß gdw. der erste verzweigende Knoten , der a dominiert, entweder ß dominiert oder unmittelbar von einem Knoten ' dominiert wird, der ß dominiert, wobei r und ' vom selben Kategorientyp sind.

Dabei faßt man im Rahmen einer X-Bar-Syntax die Projektionen einer lexikalischen Kategorie (z.B. V, V und V") zu einem Kategorientyp zusammen. Der Begriff der regierenden Kategorie bestimmt die Domäne, in der ein Antezedens eine Anapher bindet. Ich möchte auf ihn nicht näher eingehen, weil verschiedene Sprachen unterschiedliche Lokalitätsbeschränkungen haben (vgl. YANG 1983, WEXLER & MANZINI 1987). So sind z.B. im Isländischen, nicht jedoch im Deutschen satzübergreifende Reflexivierungen möglich. Da Lokalitätsbeschränkungen unabhängig von den hier zur Diskussion stehenden Restriktionen der Antezedenswahl formuliert werden können, gelten die Ergebnisse dieser Arbeit unabhängig von der Lösung, die man für die Bestimmung der Domäne für Reflexivierungen im Isländischen vorschlägt.2 Um die Datenprognosen, die die k-Herrschaftsbedingung für die Reflexivpronomina in verschiedenen Sprachen trifft, überprüfen zu können, müssen die untersuchten Sätze zunächst hinsichtlich ihrer Konstituentenstruktur analysiert werden. Im Rahmen der Generativen Grammatik wird für alle konfigurationellen Sprachen eine Satzstruktur angesetzt,

Es gibt jedoch eine Korrelation zwischen einer deutlichen Bevorzugung bzw. Beschränkung auf SubjektAntezedentien und der Zulassung von nicht-lokalen Reflexivierungen, die im Abschnitt 4.3 dieser Arbeit diskutiert wird.

88

Beatrice Primus

die bis auf wenige, in diesem Zusammenhang irrelevante Unterschiede mit der folgenden äquivalent ist: (15)

[ S NP 1 [ V P VNP 2 NP 3 ]]

Die NP, ist laut THRAINSSON und MALING unabhängig von dem Kasus, den sie hat, das Subjekt des Satzes. Die definitorische strukturelle Eigenschaft der Subjekte ist, daß sie Schwesterkonstituenten und Argumente eines Prädikationsausdrucks, z.B. VP, sind. Diese Bedingung erfüllt auch die NP Jon in (8). Die NP2 und NP3 repräsentieren Objekte, die als interne Argumente eines Prädikationsausdrucks erscheinen. Kehren wir nun zur Bindungstheorie zurück, um zu prüfen, welche Voraussagen sie für die präsentierten Daten des Isländischen trifft. Unabhängig vom gewählten k-Herrschaftsbegriff erfüllen alle koindizierten Nominalphrasenpaare die strukturelle Beschränkung für Anaphern. Das strukturelle Prinzip erklärt auch, warum einerseits Objekte Subjekte und andererseits Präpositionalobjekte Reflexiva außerhalb der Präpositionalphrase nicht binden können: der Binder würde in solchen Fällen seine Anapher nicht k-beherrschen. Bindungen, die die k-Herrschaftsbeschränkung verletzen, registriert MALING (1984:222) nur bei einigen wenigen nicht-lokalen Bindungen. Es handelt sich um Fälle, in denen das Antezedens als Attribut des Matrixsubjekts und die Anapher als eingebettetes Subjekt fungiert. Auch satzrelationale Ansätze müßten für solche Fälle spezielle Vorkehrungen treffen. Man kann nun als Ergebnis festhalten, daß beide Universalien, sowohl das strukturelle als auch das satzrelationale, für diesen Typ von Reflexivierungen sehr ähnliche Prognosen treffen. Das wird klar, wenn man sich die strukturellen Definitionen der grammatischen Relationen von vorher vergegenwärtigt. Die für unsere Zwecke relevante Generalisierung ist die, daß Subjekte in konfigurationeilen Sprachen Objekte aller Art asymmetrisch k-beherrschen. Damit können Subjekte Objekte binden aber nicht umgekehrt Objekte Subjekte. Weiterhin k-beherrschen Subjekte und Kasusobjekte Nominalphrasen in Präpositionalphrasen asymmetrisch, so daß erstere letzere binden können. In diesem Punkt ist die Bindungstheorie der Generativen Grammatik eleganter als ein satzrelationales Bindungsmodell, weil sie auf eine Endpunktrestriktion für Präpositionalobjekte verzichten kann. Außerdem gilt die k-Herrschaftsrestriktion auch für nicht-lokale Reflexivierungen, bei denen das Antezedens stets höher eingebettet sein muß als seine Anapher. Diese strukturelle Asymmetrie zwischen Antezedens und Anapher kann man mit Hilfe von Satzrelationen nicht adäquat beschreiben. Neben konfigurationellen Sprachen wie dem Englischen und Isländischen gibt es jedoch auch nicht-konfigurationeile Sprachen wie das Ungarische und das Warlpiri. Typischerweise spielen in diesen Sprachen Kasusrelationen bei der Anaphernbindung oder bei anderen syntaktischen Prozessen eine entscheidende Rolle. Aus diesem Grund beschränkt man den Geltungsbereich der strukturellen Prinzipien auf konfigurationelle Sprachen bzw. auf die Bereiche nicht-konfigurationeller Sprachen, die sich konfigurational repräsentieren lassen. Für die Beschreibung nicht-konfigurationeller Phänomene werden grammatische Relationen eingeführt (vgl. CHOMSKY 1982:127f.; HALE 1983). Satzrelationale Ansätze scheinen somit allgemeinere Generalisierungen zu ermöglichen als rein strukturelle Theorien. Es scheint nämlich einfach zu sein, grammatische Relationen für konfigurationelle Sprachen konfigurational und für nicht-konfigurationelle Sprachen morphologisch zu definieren oder zu interpretieren. Die präsentierten Hierarchiegesetze könnten somit beide Sprachtypen erfassen. Wie man die Hierarchiegesetze für nichtkonfigurationelle Sprachen einsetzen kann, soll nun im folgenden an ungarischen Daten illustriert werden.

Hierarchiegesetze

4.

89

Nicht-konfigurationelle Bindungsbeschränkungen

Um die Prognosen des relationalen Anapherngesetzes (5) an den ungarischen Daten leichter zu überprüfen, habe ich die Relationen der Hierarchie in (2) durch ihr Defmiens ersetzt. Das Resultat ist die Hierarchie von Kasusrelationen in (16), die ich übergeneralisierend "morphologische" Hierarchie nennen werde: (16)

Nominativargument > m Akkusativargument > m Dativargument > m andere oblique Argumente oder Modifikatoren

Bei (16) handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine allgemeingültige Hierarchie für Nominativsprachen, die man durch sehr viele andere Phänomene in verschiedenen Sprachen motivieren kann (vgl. PRIMUS 1987). Sie ist laut Kiss (1987, Kap. 4) für die Anaphernbindung im Ungarischen relevant. Kiss (1987:175) setzt für diese Sprache eine "flache" Argumentstruktur an, in der alle Verbbegleiter einander k-beherrschen, vgl. (17):

(17)

[g V XP XP XP]

Kiss geht davon aus, daß in nicht-konfigurationellen Sprachen die k-Herrschaftsbedingung für Bindungen durch eine Prominenzbedingung, die auf die morphologische Hierarchie Bezug nimmt, ergänzt werden muß. Diese Prominenzbedingung kann als notationeile Variante des Anapherngesetzes (5) betrachtet werden. Sie besagt, daß ein Antezedens seiner Anapher auf der Hierarchie in (16) vorangehen muß. Die Daten in (18) - (21) illustrieren die Wirkung des Prominenzgesetzes (vgl. Kiss 1987:176f.): (18a)

Janos lelötte önmagät Hans(N) erschoß sich(A) 'Hans erschoß sich'

(18b)

*önmagO: lelötte Janost: REFL(N) erschoß Hans(A)

(19a)

a lanyok} irtak egymasnaL die Mädchen (N) schrieben einander(D) 'die Mädchen schrieben einander1

(19b)

*a lanyoknak:

in

egymas}

den Mädchen(D) schrieben einander(N) (20a)

(20b)

a lanyokat} bemulattam egymasnak die Mädchen(A) vorstellte (ich) einander(D) 'Ich stellte die Mädchen einander vor'

länyoknak:

bemutattam

egymastj

den Mädchen(D) vorstellte (ich) einander(A)

(21 a)

a lanyoknak)

ajandikot

küldtem

egymassal

den Mädchen(D) Geschenke(A) schickte (ich) einander(K) 'Ich schickte den Mädchen Geschenke miteinander1

(21b)

*a lanyokkal

ajandakot

küldtem

egymasnak

die Mädchen(K) Geschenke(A) schickte (ich) einander(D)

90

Beatrice Primus

In den akzeptablen Sätzen rangiert das Antezedens auf der m-Hierarchie in (16) höher als seine Anapher. In den inakzeptablen Fällen dagegen ist die Anapher prominenter als ihr Antezedens. Auch im Deutschen ist die morphologisch interpretierte relationale Hierarchie (16) für die Bindung von Anaphern relevant, wie GREWENDORF (1984), (1985), (1988) in mehreren Arbeiten zeigte. Man vergleiche den Kontrast zwischen (22) und (23) bzw. (24) und (25):

(22)

wir überlassen die beiden· am besten sicfy selbst wir überschrieben die Sklaven^ sich selbst er hat den kranken Mann} sicfy selbst anvertraut

(23)

lieh zeigte dem Mann-t sich- selbst im Spiegel lieh empfahl dem Chefi sicn^ selbst als Kommissionsvorsitzenden

(24)

er vertraute die kranken Männer^ einander^ an er hat die beiden Summen^ einander · angeglichen

(25)

Tter zeigte den Leuten^ einander^ im Spiegel Her stellte den Leuten^ einander^ vor

Den Unterschied zwischen (22) und (23) treffen nicht alle, aber die meisten Sprecher des Deutschen.3 Es gibt Sprecher, die (23) überhaupt nicht akzeptieren, aber niemanden, der die Bindungen in (22) systematisch schlechter bewertet als die Bindungen in (23). Die Akzeptabilität der Bindungen hängt nicht nur im Deutschen, sondern in allen hier untersuchten Sprachen auch von der Verbwahl ab. So z.B. wird das Reflexivpronomen bei zeigen schlechter bewertet als bei empfehlen. Da es sich dabei - aus der Perspektive des jetzigen Forschungsstandes betrachtet - um lexikalische, idiosynkratische Phänomene handelt, werden sie bei der Angabe allgemeiner systematischer Bindungsbeschränkungen ausgeklammert. Die Fälle (22)-(25) sind deswegen konkludent, weil die beobachtete Asymmetrie nicht auf andere Faktoren zurückgeführt werden kann.4 In (26) hingegen wird neben der satzrelationalen Beschränkung auch die k-Herrschaftsbedingung verletzt, wie weiter unten an den Strukturdarstellungen (28) und (29) zu sehen ist:

(26a) (26b) (26c)

*sich} selbst kämmt den ^ *ich überlasse am besten sichj selbst den beiden^ *ich zeigte sicfy selbst den kranken Mann-t im Spiegel

Es ist nun wichtig festzuhalten, daß die Ansätze von Kiss und GREWENDORF, zwar im generativen Modell formuliert sind, aber dennoch Theorien bestätigen, die Uni Versalien mit Hilfe grammatischer Relationen formulieren. Denn durch Chomskys Bindungsprinzip A lassen sich die Daten in (18)-(25) nicht adäquat erfassen. Wählt man hingegen einen satzrelationalen Ansatz, so kann man für Sprachen wie das Ungarische und Deutsche die grammatischen Relationen morphologisch interpretieren und für Sprachen wie das Englische und Isländische konfigurational. Auf der Basis einer unterschiedlichen Interpretation oder Defini-

Die Daten des Deutschen wurden ca. 80 Personen zur Beurteilung der Akzeptabilität vorgelegt. Es gibt einige m.M.n. sehr artifizielle Versuche, die Akzeptabilitätsunterschiede in (22)-(25) strukturell zu erfassen (vgl. STECHOW & STERNEFELD 1988:455f.). Daß eine Lösung mittels semantischer Rollen nicht zur Verfügung steht, wird in Abschnitt 6 dieser Arbeit erläutert.

Hierarchiegesetze

91

tion5 der grammatischen Relationen könnte man folgende Parametrisierung der Sprachen der Welt erhalten: (27)

Grammatische Relationen als Kasusrelationen: der morphologische Sprachtyp Grammatische Relationen als strukturelle Relationen: der konfigurationeile Sprachtyp Grammatische Relationen als thematische Relationen: der thematische Sprachtyp usw. für weitere satzrelationale Parameter

Damit könnte man zu dem Ergebnis gelangen, daß der Generalisierungsgrad des satzrelationalen Anapherngesetzes höher ist als der des Bindungsprinzips von CHOMSKY. Darüber hinaus liefern die unterschiedlichen Interpretationen der grammatischen Relationen, die man für verschiedene Sprachen berücksichtigen muß, ein Argument für ihre Einführung als Grundbegriffe. Dieser erste Eindruck trügt und ich versuche nun zu zeigen, daß satzrelationale Gesetze zu einem Dilemma führen. 5.

Das Dilemma satzrelationaler Ansätze

5.1.

Konfigurationelle und topologische Beschränkungen im Deutschen

Solange für eine bestimmmte Sprache nur ein Parameterwert in (27) für die Beschreibung eines Phänomens in Frage kommt, hat man keine besonderen Schwierigkeiten, dieses Phänomen mit satzrelationalen Uni Versalien zu erklären. Man muß lediglich für verschiedene Sprachen die grammatischen Relationen wie in (27) unterschiedlich definieren bzw. interpretieren. Unerklärt bleibt dabei allerdings, was z.B. Nominativargumente, strukturelle [NP,S]-Relationen und Agensausdrücke derart verbindet, daß sie identische Verhaltenseigenschaften aufweisen und somit als Subjekte eingeführt werden müssen. Das ist jedoch ein verzeihbarer Auslassungsfehler im Vergleich zu den Schwierigkeiten, mit denen diese Ansätze konfrontiert werden, wenn in einer Sprache zwei Parameterwerte gewählt werden müssen. So z.B. haben SCHACHTER (1976), (1977) sowie FOLEY & VAN VALIN (1977) gezeigt, daß im Tagalog die von KEENAN beobachteten Subjekteigenschaften auf zwei unterschiedliche Relationstypen zutreffen: auf eine diskurspragmatisch determinierte Relation, das Topik dieser Theorien, und auf die thematische Rolle "Agens". Gleichgültig welche Relation man für die Definition des Subjekts einführt, die durch die andere Relation determinierten Subjekteigenschaften können nicht als solche erfaßt werden. Diese Sprachen decken das Hauptproblem bisheriger Theorien auf, indem sie den Verdacht nahelegen, daß grammatische Relationen Generalisierungen im Wege stehen. Man begegnete dieser Kritik damit, daß man die Sprachen der Welt in Subjekt- und Topik-Sprachen klassifizierte (vgl. Li & THOMPSON 1976) und die Relevanz des Subjektbegriffs und die Reichweite der Hierarchiegesetze auf Subjekt-Sprachen beschränkte. Dies kann jedoch nicht die Lösung des Problems sein. Denn erstens fällt auf, daß in Topik-Sprachen von allen möglichen thematischen Rollen und Diskursfunktionen gerade das Agens und das Topik Subjekteigenschaften aufweisen und daß KEENAN (1976) dieselben semantischen und pragmatischen Relationen auch für Subjekt-Sprachen als Subjekt-Korrelate herausgestellt hat. Zweitens

Diese Parametrisierung ergibt sich entweder per Definition der grammatischen Relationen oder bei ihrer Einführung als Grundbegriffe aufgrund von Zuweisungsregeln, die den Grundbegriffen die anderen Relationsytypen in (27) zuordnen.

92

Beatrice Primus

findet man das im Tagalog beobachtete inkonsistente Subjektverhalten auch in SubjektSprachen, wie ich im folgenden an Bindungsphänomenen nachweisen werde. Für satzrelationale Theorien problematisch sind Bindungen, bei denen mehrere syntaktische Faktoren zusammenwirken. So werden Anaphern im Deutschen nicht nur vom Kasus der beteiligten Elemente determiniert, sondern auch von ihren strukturellen oder topologischen Eigenschaften. Die Relevanz der strukturellen k-Herrschaftsbedingung wurde für die Bindungen des Deutschen wiederholt festgestellt, z.B. in STECHOW & STERNEFELD (1988, Kap. 6 und 12); FANSELOW (1987, Kap. 4). Diese Annahme hängt in entscheidendem Maße von den Hypothesen über die Konstituentenstruktur deutscher Sätze ab. Ich werde mich im folgenden auf dreistellige Argumentstrukturen konzentrieren, da sie für die vorliegende Fragestellung besonders ergiebig sind. Strukturbeschreibungen kann man im Deutschen u.a. durch die Grundstellung der Verbargumente, durch Topikalisierungen und durch die Bestimmung des Fokus einer fokusinduzierenden Partikel unabhängig motivieren (vgl. PRIMUS 1987, 1989). Diese Kriterien ergeben, daß es im Deutschen zwei Typen von dreistelligen Verben mit Akkusativ- und Dativkomplementen gibt (vgl. REIS 1986, CZEPLUCH 1988). Eine erste, größere Gruppe, zu der u.a. empfehlen, geben, schenken, zeigen gehören, determinieren Strukturen wie in (28), in denen das Dativkomplement das Akkusativkomplement asymmetrisch k-beherrscht. Die nominalen Kasus und die Verbvalenz werden als Subindizes notiert.

(28)

b NP„ [v„, NPd [v,2 NP. V3]]]

Eine zweite, weniger umfangreiche Gruppe von dreistelligen Verben, zu der u.a. angleichen, anvertrauen, gleichstellen, überlassen, übergeben, überschreiben, unterstellen (den Lehrling dem Meister unterstellen), unterziehen, vorziehen gehören, determinieren Argumentstrukturen wie in (29), bei denen das Akkusativkomplement höher eingebettet ist als das Dativkomplement: (29)

[sNPJv... NP a [ v . 2 NP d V3]]]

Kehren wir nun zur Bindungstheorie zurück, um zu prüfen, welche Voraussagen sie für die präsentierten Daten trifft. Wenn man davon ausgeht, daß valenzverschiedene verbale Phrasen auch kategorienverschieden sind, kommt man mit beiden k-Herrschaftsbegriffen, (13) oder (14), zu korrekten Ergebnissen. Die koindizierten NP-Paare in (22)-(25) erfüllen die k-Herrschaftsbedingung, wodurch sich ihre - mehr oder minder hohe - Akzeptabilität erklären läßt. Wenn zusätzlich zur k-Herrschaftsbedingung auch die relationale Prominenzbedingung wie in (22) und (24) erfüllt ist, dann wird die Anapher als sehr gut bewertet. Ist nur die k-Herrschaftsrestriktion erfüllt und die Prominenzbedingung verletzt wie in (23) und (25), so fällt der Akzeptabilitätswert der Bindung deutlich ab. Sind beide Bedingungen verletzt wie in (26), so ist eine Reflexivierung inakzeptabel. Solche Daten geben schon einen ersten Hinweis darauf, daß nicht nur strukturelle Bindungsmodelle, sondern auch satzrelationale Theorien bei Sprachen wie dem Deutschen Erklärungslücken haben. Wenn man grammatische Relationen mittels Kasusrelationen definiert, was nicht nur für Anaphern, sondern auch für andere syntaktische Phänomene des Deutschen sinnvoll ist (vgl. REIS 1982), hat man die Möglichkeit vergeben, die strukturelle Bedingung zu erfassen. Wenn man als Alternative dazu grammatische Relationen strukturell definiert, dann bleibt die morphologische Prominenzbedingung unerklärt. Der Preis, den ein relationaler Ansatz für eine Erklärungsvollständigkeit zu zahlen hat, ist sehr hoch: Man müßte verschiedene relationale Beschreibungsebenen einführen und für den Kontrast zwischen (22) und (23) oder (24) und (25) funktionsverändernde Transformationen ansetzen,

Hierarchiegesetze

93

die durch keine unabhängige Evidenz unterstützt werden können. Diesen Tribut zollt die Relationale Grammatik seit ihrem Bestehen.6 Es gibt jedoch einen weiteren, entscheidenden Grund, warum satzrelationale Ansätze zum Scheitern verurteilt sind. Das ist die Präzedenzbedingung für Antezedentien von Anaphern, vgl. LANGACKER (1969). Diese topologische Beschränkung bezieht sich im Deutschen nicht nur auf Grundstellungen, sondern auch auf markierte Abfolgen. Ein satzrelationaler Ansatz müßte den abwegigen Versuch .unternehmen, grammatische Relationen bezüglich markierter Stellungen als topologische Begriffe zu definieren. M.a.W. müßte man bei einer Umstellung der Verbargumente einen Wechsel ihrer grammatischen Relation annehmen. Die Präzedenzbedingung kann man für das Deutsche an den Fällen in (30) - (32) festmachen: (30a) (30b)

da ich die beiden·^ sich-} selbst/einander- anvertraute Ida ich sich-} selbst/einander-^ die beiden} anvertraute

(31 a) (31b)

da ich die Studenten^ mit sich^/miteinander^ konfrontierte Ida ich mit sich^/miteinander^ die Studenten^ konfrontierte

(32a) (32b)

Ida ich den Chefs} sich^ selbst/einander^ als Vorsitzende empfahl *da ich sich-} selbst/einander^ den Chefs-} als Vorsitzende empfahl

In den b-Sätzen hat man Inversionen von Satzgliedern im Mittelfeld, in denen die Anapher vor ihrem Antezedens steht. Die geringe Akzeptabilität dieser Sätze kann nicht durch andere topologische Prinzipien erklärt werden, da die Voranstellung eines Pronomens vor eine volle Nominalphrase unmarkiert ist, falls keine Koreferenz intendiert ist. Das zeigt (33): (33a) (33b) (33c) (3 3d)

da man ihr die Kinder anvertraute "Wa man die Kinder ihr anvertraute da man sie dem Chef als Kommissionsvorsitzende empfohlen hat ™da man dem Chef sie als Kommissions vorsitzende empfohlen hat

Auch bei Topikalisierungen manifestiert sich die Präzedenzbedingung für Anaphern. In (34) sind die Reflexivpronomina weniger akzeptabel als in (35), wo keine bindungstheoretische Beschränkung verletzt wird: (34a) (34b)

Imit sich} konfrontierte ich den Studenten, Imit sich} konfrontierte mich der Professor·

(35)

mit mir konfrontierte der Professor den Studenten

Neben (30)-(32) und (34) gibt es weitere Fälle, die dafür sprechen, daß Präzedenzrelationen als eigenständige Beschreibungsmittel zu berücksichtigen sind. Die Sätze in (36a) verletzen sowohl die k-Herrschafts- als auch die Präzedenzbedingung. Die Akzeptabilität der Sätze

Diesen Zusammenhang zwischen der Einführung grammatischer Relationen als Grundbegriffe und der Notwendigkeit mehrerer Repräsentationsebenen haben Linguisten, die die Relationale Grammatik vertreten, selbst erkannt. So heißt es z. B. bei PERLMUTTER (1982:284): "This paper argues that once grammatical relations are taken as primitive notions and sentence structure is represented in terms of relational networks, the result is surprising: there are distinct notions of subject that play a role in the grammars of natural languages".

94

Beatrice Primus

verbessert sich jedoch, wenn das Antezedens seiner Anapher wie in (36b) vorangestellt wird:

(36a)

*ich empfahl sich selbst den Chefi als Kommissionsvorsitzenden *ich stellte einander^ die Leutes vor

(36b)

Wich empfahl den Chefi sich selbst als Kommissionsvorsitzenden lieh stellte die Leute} einander^ vor

Ein Problem für die Präzedenzbedingung bieten Sätze wie die folgenden:

(37a)

weil sich} Max selten kämmt heute kann sich^jede Fraut selbst helfen

(37b)

Iweil vor sich} jedem Sexualverbrecher· graut Iweil mit sich} der Quotient^ zu multiplizieren ist

Die Reflexivpronomina in (37a) neigen im Gegensatz zu denen in (37b) dazu, ihren Antezedentien voranzugehen. Man kann diese Besonderheit erklären, wenn man ein eigenes Stellungsfeld für "leichte" Satzelemente7 annimmt, vgl. JACOBS (1988), der auf LENERZ (1984) zurückgreift. Schwachtonige Pronomina wie das Reflexivum inhärent reflexiver Verben, Personalpronomina sowie Reflexivpronomina, Modalpartikeln u.a. besetzen im unmarkierten Fall dieses Stellungsfeld, das im Deutschen das sogenannte "klammereröffnende Glied" als benachbartes Element enthält. Dieses Stellungsfeld können nur bestimmte NP-Pronomina, nicht jedoch Pronomina, die in Präpositionalphrasen eingebettet sind, besetzen. Dies zeigen die Sätze in (37) und folgende Sätze, in denen die Abfolgen in (b) deutlich markierter sind als die in (a):

(38a)

weil ihn Max selten besucht heute kann es ihm Max geben

(38b)

m \veil m

vor ihm Maria graut weil damit Max nicht rechnet

Eine plausible Behandlung der topologischen Eigenschaften der Reflexiva in (37a) wäre, eine Bewegung von "leichten" Elementen auf der Ebene der phonologischen Form anzusetzen und davon auszugehen, daß Bindungsbeschränkungen die Satzrepräsentationen dieser Ebene nicht betreffen. Es gibt auch andere Sprachen, in denen Antezedenticn von Pronomina der Präzedenzbedingung unterliegen. Das scheint im Ägyptisch-Arabischen (vgl. LUST 1986:26f.) und Malayalam (vgl. MOHANAN 1982) der Fall zu sein. Für meine Argumentation spielt es keine Rolle, auf welcher Grammatikebene das Präzedenzprinzip für Pronomina in diesen Sprachen zur Anwendung kommt. So lassen sich meine Einwände gegen den Versuch, Präzedenzprinzipien aus einer allgemeinen Bindungstheorie zu eliminieren, nicht schon dadurch entkräften, daß man sie der Diskurskomponente zuschlägt. Eine allgemeine Bindungstheorie, die durch genau ein Prinzip auch Diskursbedingungen erfaßt, ist einer Bindungstheorie, die das nicht leisten kann, vorzuziehen.

Die Elemente, die bevorzugt dieses Feld besetzen, sind 'leicht' in dem Sinne, daß sie normalerweise nicht den Satzakzent tragen und/oder eine Tendenz zur Klitisierung aufweisen. Am klarsten sind diese Kriterien beim Pronomen es erfüllt.

Hierarchiegesetze

95

Man kann nun folgendes Fazit ziehen. Es gibt mehrere Vorkommensbeschränkungen für die Anaphern des Deutschen: eine k-Herrschaftsrestriktion, eine Präzedenzbedingung und eine morphologische Prominenzbedingung. Satzrelationale Ansätze können nur eine Bedingung erfassen, wobei die beiden anderen Restriktionen nicht in das satzrelationale Konzept integriert werden können. Das ist sehr bedauerlich, denn, wie ich im Abschnitt 6 dieser Arbeit nachweisen werde, liegt allen Bindungsbedingungen ein universelles Prinzip zugrunde. Das Problem, das das Deutsche für relationale Ansätze aufwirft, taucht auch bei anderen Sprachen auf. Im folgenden möchte ich zeigen, daß auch im Ungarischen und Isländischen mehrere Bindungsbeschränkungen zusammenwirken. 5.2.

Konfigurationelle Beschränkungen im Ungarischen

Die Annahme von Kiss (1987:182), daß die relationale Prominenzbedingung für Anaphern nur in Sprachen mit "flachen" Argumentstrukturen zur Anwendung kommt, konnte ich im vorigen Abschnitt an deutschen Daten widerlegen. Ich kann im folgenden darüber hinaus belegen, daß die strukturellen und morphologischen Bindungsbedingungen im Ungarischen auf eine ähnliche Weise wie im Deutschen interagieren. Relevant ist das Satzpaar (20), das ich in (39) mit der Bewertung von Kiss wiederhole: (39a)

a lanyokat} bemutattam egymasnak die Mädchen(A) vorstellte (ich) einander(D) 'Ich stellte die Mädchen einander vor1

(39b)

la lanyoknak bemutattam egymast} den Mädchen(D) vorstellte (ich) einander(A)

(39b) zeigt, daß im Ungarischen eine Verletzung der morphologischen Prominenzbedingung nicht zum völligen Akzeptabilitätsverlust führt. Das haben mir Sprecher des Ungarischen bezüglich aller Daten in (18)-(21) bestätigt. So z.B. ist für alle Sprecher des Ungarischen, die ich befragt habe, (21b), das ich hier in (40b) wiederhole, nicht völlig inakzeptabel: (40a)

a länyoknak aj&ndekot küldtem egymassal den Mädchen(D) Geschenke(A) schickte (ich) einander(K) 'Ich schickte den Mädchen Geschenke miteinander1

(40b)

?a lanyokkal ajandekot küldtem egymasnak die Mädchen(K) Geschenke(A) schickte (ich) einander(D)

Auch das Beispiel (41), eine topologische Variante von (18b) mit Reflexivum in Fokusposition, belegt, daß die morphologische Prominenzbedingung schwächer ist, als Kiss (1987:176) annimmt:8 (41)

?[F csak önmaga.} szereti Janost· Nur REFL(N) liebt Hans(A) 'Nur sich liebt Hans1

Die Daten lassen sich durch die Annahme erklären, daß zusätzlich zur relationalen Beschränkung auch die strukturelle k-Herrschaftsrestriktion Bindungen determiniert. Ähnlich Kiss notiert den Satz (41) als völlig akzeptabel. Meine Befragungen ergaben jedoch, daß er nicht besser bewertet wird als die marginal akzeptablen Sätze (39b) und (40b).

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wie im Deutschen führt auch im Ungarischen die Verletzung einer einzigen Bedingung noch nicht zum völligen Akzeptabilitätsverlust. Daß die k-Herrschaftsrestriktion in (39)-(40) nicht verletzt wird, ist bei einer "flachen" Argumentstruktur evident. Fälle wie in (41), wo ein Antezedens seine Anapher strukturell nicht zu beherrschen scheint, erklärt man dadurch, daß die k-Herrschaftsverhältnisse durch eine Bewegung in eine Nicht-Argument-Position nicht verändert werden (vgl. STECHOW & STERNEFELD 1988:249). In der Argument-Position, d.h. vor ihrer Voranstellung, wird die Anapher von ihrem Antezedens k-beherrscht. Das Zusammenwirken mehrerer Bindungsbeschränkungen kann man auch in einer sogenannten "konfigurationellen" Sprache wie dem Isländischen nachweisen. 5.3.

Subjektbeschränkungen im Isländischen

Die bisher besprochenen Prinzipien für die Reflexivpronomina des Isländischen, das Bindungsprinzip A und das satzrelationale Anapherngesetz, erfassen den Kontrast zwischen obligatorischer und fakultativer Reflexivierung nicht. Die Generalisierung für satzinterne Bindungen, die man in den Arbeiten zu dieser Fragestellung findet, besagt, daß Reflexivierung mit Subjekt-Antezedentien obligatorisch und mit Objekt-Antezedentien optional ist (vgl. z.B. THRAINSSON 1979:292, MALING 1986:60). Diese Aussage, die eine längst abgelegte Substitutionstheorie für Pronomina voraussetzt, verdeckt die Probleme, die auftreten, wenn man Reflexivierungsregeln als Vorkommensbeschränkungen für basisgenerierte pronominale Ausdrücke auffaßt. Bei dieser Auffassung bedeutet "obligatorische Reflexivierung", daß in diesen Kontexten nur Reflexivpronomina und keine Personalpronomina zugelassen sind. Bei einer "fakultativen Reflexivierung" sind neben Reflexivpronomina auch Personalpronomina akzeptabel, vgl. (6) und (7), das ich hier in (42a,b) wiederhole: (42a)

Jon sendi wer föt a sig-/*hannHans(N) schickte mir(D) Kleider(A) P sich/ihn(A) 'Hans schickte mir Kleider für sich1

(42b)

g sendi Haraldl föt a sig/hann· ich(N) schickte Harald(D) Keider(A) P sich/ihn(A) 'Ich schickte Harald Kleider für sich'

Die Personalpronomina, die in Reflexivierungskontexten vorkommen, werfen der Bindungstheorie Chomskys erhebliche Probleme auf. Das Bindungsprinzip B für Personalpronomina besagt nämlich in Konjunktion mit dem Bindungsprinzip A für Anaphern, daß Personal- und Reflexivpronomina in allen Sprachen der Welt komplementär verteilt sind, vgl. (43): (43)

Bindungsprinzip A: Wenn a eine Anapher ist, dann muß in seiner regierenden Kategorie gebunden sein. Bindungsprinzip B: Wenn ein Pronominal ist, dann muß in seiner regierenden Kategorie frei sein (d.h. nicht gebunden).

Das Prinzip B läßt nicht-lokale, z.B. satzübergreifende, Bindungen von Personalpronomina zu. Dem Prinzip B widersprechen im Isländischen alle lokalen Koindizierungen mit einem Objekt-Antezedens wie in (42b). Daß man das Personalpronomen in (42b) nicht durch eine Veränderung der Lokalitätsbeschränkung erfassen kann, z. B. dadurch, daß man die Bindung als nicht-lokal ausweist, ist naheliegend. Denn Subjekt-Antezedentien sind weiter entfernt von ihren gebundenen Elementen als Objekt-Antezedentien und trotzdem werden nur die näheren Objekte als Antezedentien für Personalpronomina zugelassen. Eine adäquate

Hierarchiegesetze

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Behandlungsmöglichkeit ist somit bei den Bestimmungen zu suchen, die die Wahl des Antezedens steuern. Bevor wir eine Lösung dieses Problems angehen, sollen weitere Daten und einige Vorschläge zu ihrer Behandlung angeführt werden. Denn die Optionalität der Reflexivpronomina ist nicht so einfach auf eine Subjekt-Objekt-Asymmetrie zurückzuführen, wie die bisher präsentierten Daten vermuten lassen. Neben dem recht unproblematischen Beispielpaar (42a,b) kommen Fälle vor, bei denen ein Objekt eine obligatorische Reflexivierung auszulösen scheint. Das sind zunächst A.c.I.-Konstruktionen wie die folgenden (vgl. THRAINSSON 1979:337f.): (44)

ig tel J6n} hafa rakab ich(N) glaube Hans(A) haben rasieren 'Ich glaube, daß Hans sich rasiert hat'

sig/*hannsich/ihn(A)

(45)

ig sä Jon-} raka sig-/*hannich(N) sah Hans(A) rasieren sich/ihn(A) 'Ich sah Hans sich rasieren'

(46)

g lit Jon} raka ich(N) ließ Hans(A) rasieren 'Ich ließ Hans sich rasieren'

(47)

Jon· telur mig hafa svikib sig/*hannHans(N) glaubt mich(A) haben verraten sich/ihn(A) 'Hans glaubt, daß ich ihn verraten habe'

(48)

Jorij heyrbimig gera gys ab sar-/*honumHans(N) hörte mich(A) scherzen 1 PRÄP sich/ihm(D) 'Hans hörte mich über ihn scherzen

(49)

Jon^ let mig raka Hans(N) ließ mich(A) rasieren 'Hans ließ mich ihn rasieren'

sig-/*hann· sicn/ihn(A)

sig/*hann· sicn/ihn(Ä)

Die Beispiele (44)-(46) zeigen, daß sich die Akkusativkomplemente der A.c.I.-Konstruktionen bezüglich ihrer Bindungseigenschaften wie die nominativischen Subjekte in (47)-(49) verhalten. Auch bei Infinitivkonstruktionen scheinen bestimmte Objekt-An tezedentien Personalpronomina nicht zuzulassen (vgl. THRAINSSON 1979:290f.). Da die Konstruktionen in (50)(54) recht einfach sind, wird nur für den ersten Satz eine Interlinearübersetzung angeboten: (50)

g skipabi Haraldi ab raka ich(N) befahl Harald(D) COMP rasieren 'ich befahl Harald, sich zu rasieren'

(51)

bannabi Haraldi-} ab raka sig^hann^ 'ich verbot Harald, sich zu rasieren1

sig/*hann sich/ihn(A)

Auch hier verhalten sich die Objekte in (50)-(51) wie die Subjekte in (52)-(54). (52)

7 m B auf folgender Hierarchie: Nominativargument > m Akkusativargument > m Dativargument > m andere oblique Argumente oder Modifikatoren

Auf der Basis von (78) kann man die morphologische Prominenzbedingung, die im Abschnitt 4 dieser Arbeit besprochen wurde, in die Bindungstheorie integrieren, ohne die allgemeine Bindungsbedingung oder die Bindungsprinzipien modifizieren zu müssen. Beim mParameter muß man bei Berücksichtigung mehrerer Sprachtypen, z.B. des Japanischen oder der Ergativsprachen, den Rekurs auch auf andere m-Hierarchien zulassen. Für die Präzedenzbedingung benötigt man einen topologischen Parameter, der wie in (79) eingeführt wird: (79)

Eine Konstituente a t-beherrscht eine Konstituente ß gdw. a vor ß steht.

Das vorliegende Modell setzt eine modulare Grammatikkonzeption voraus, so daß sich die Interaktion der Parameterwerte aus der Interaktion der Grammatikmodule ergibt. Beim vorliegenden Bindungsmodell versuche ich extrinsische Restriktionen bezüglich der Wahl des Parameters und somit der Grammatikkomponente, auf der in verschiedenen Sprachen die Bindungsbedingungen angewandt werden, zu umgehen. Die Bindungsbedingung wird in jeder Grammatikkomponente, wo immer die Bedingungen für ihre Anwendung gegeben sind, überprüft. Ich vermute nämlich, daß die Selektion der Herrschaftsparameter für einzelne Sprachen aus der Wahl anderer sprachtypologischer Parameter folgt und nicht postuliert werden braucht. Die eingeführten Parameter und die allgemeine Bindungsbedingung ermöglichen eine vollständige Erklärung der hier besprochenen einzelsprachlichen Bindungsbeschränkungen. Beginnen wir mit dem Deutschen. In den vorigen Abschnitten konnte ich nachweisen, daß im Deutschen drei Beschränkungen operieren: die k-Herrschaftsrestriktion, die morphologische Prominenzbedingung und die Präzedenzbeschränkung. Alle drei Restriktionen lassen sich unter die Bindungsbedingung (77) subsumieren, indem man drei Parameter der Herrschaft selegiert: k-, m- und t-Herrschaft. Eine Anapher ist genau dann völlig akzeptabel, wenn sie die Bindungsbedingung bezüglich aller drei Parameterwerte erfüllt. Wird die Die Wahl der Herrschaftsrelation für die Formulierung universeller Gesetze hängt mit dem gewählten Syntaxmodell zusammen. In PRIMUS (1987) wurden universelle Gesetze auf der Basis der allgemeinen Hierarchierelation ">j," ohne Zwischenschaltung des Herrschaftsbegriffs formuliert.

Hierarchiegesetze

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Herrschaftsbedingung bezüglich eines Parameters verletzt, so fällt die Akzeptabilität der Bindung deutlich ab. Bei einer Verletzung der Bindungsbedingung bezüglich zweier Parameter wird die Bindung als inakzeptabel gewertet. Ich gehe davon aus, daß die Herrschaftsbedingung auf ähnliche Weise auch in anderen Sprachen zur Anwendung kommt. Der bindungstheoretische Unterschied zwischen einer ausgeprägt konfigurationeilen Sprache wie dem Englischen und einer ausgeprägt nicht-konfigurationellen Sprache wie dem Ungarischen resultiert aus der Interaktion der Beschreibungsebenen in diesen Sprachen. Da im Englischen die Kasus bzw. Rektionseigenschaften der Verbargumente aus ihrer strukturellen Position abgeleitet werden können, vgl. CHOMSKY (1982), ist m-Herrschaft insoweit irrelevant als sie dieselben Bindungen blockiert wie die k-Herrschaft. Demgegenüber greift im Ungarischen aufgrund der flachen Argumentstruktur von Sätzen die k-Herrschaftsrestriktion insoweit nicht, als sie in beiden Richtungen erfüllt wird: Zwei koindizierte Verbargumente k-beherrschen einander und können sich gegenseitig binden. Somit wird die Distribution der Anaphern im Ungarischen nur durch die m-Herrschaftsbedingung, die in diesem Modell die morphologische, satzrelationale Prominenzbedingung ersetzt, beschränkt. Auch die Relevanz der p-Herrschaft im Isländischen läßt sich aus der Selektion des Parameterwertes für regierende Kategorien ableiten, wie ich im Abschnitt 5.3 dieser Arbeit belegen konnte. Denn klare bindungstheoretische p-Herrschaftsbeschränkungen kommen sehr wahrscheinlich nur in Sprachen vor, die satzübergreifende Bindungen zulassen. Es bliebe noch zu untersuchen, warum in einer Sprache mit einem morphologisch ausgeprägten Kasussystem wie dem Isländischen m-Herrschaft für Anaphernbindungen irrelevant ist. Eine Erklärungsmöglichkeit wäre der Parameterwert für regierende Kategorien, der auch die Relevanz der p-Herrschaft vorhersagt. Morphologische Herrschaftrelationen sind strikt lokal, d.h. für Begleiter desselben prädikativen Kopfes gegeben. Für nicht-lokale Bindungen ist m-Herrschaft nicht definiert. Ihre Irrelevanz bei satzinternen Bindungen könnte somit auf einer Verallgemeinerung ihrer Eliminierbarkeit bei nicht-lokalen Bindungen beruhen. Eine zuverlässige Klassifizierung der topologischen Eigenschaften unterschiedlicher Sprachsysteme bezüglich markierter Wortfolgen, d.h. bezüglich diskursdeterminierter topologischer Regeln, liegt meines Wissens noch nicht vor. Aus diesem Grund kann beim jetzigen Forschungsstand noch nicht erklärt werden, warum t-Herrschaft im Englischen, Ungarischen oder Isländischen nicht dieselben bindungstheoretischen Effekte zeigt wie im Deutschen. Ich habe im Laufe der Arbeit nur solche Faktoren berücksichtigt, die in den untersuchten Sprachen nachgewiesen werden konnten. Man kann in der Bindungstheorie sowie in der Universalgrammatik auf weitere Hierarchien Bezug nehmen. Ich möchte hier eine Hierarchie von thematischen Rollen ( -Rollen) kurz diskutieren, deren Relevanz für Bindungsphänomene in verschiedenen Sprachen seit längerem von JACKENDOFF (1972,1987) und in neuester Zeit von HELLAN (1988:156f.) unterstrichen wird. Allgemein bekannt dürfte JACKENDOFFS (1972) Vorschlag sein. Er formuliert eine Bedingung mit dem Anspruch universeller Geltung, der zufolge ein Reflexivum seinem Antezedens auf der Hierarchie Agens > Ziel > Thema nicht vorangehen darf. Dieses thematische Prinzip kann ebenfalls unter eine verallgemeinerte h-Herrschaftsbedingung subsumiert werden, wenn man den Begriff der -Herrschaft wie in (80) einführt: (80)

Für beliebige Begleiter (Argumente oder Modifikatoren) a, ß eines prädikativen Kopfes mit den -Rollen A bzw. B gilt: -beherrscht ß gdw. A > B auf folgender Hierarchie: Agens > Ziel > Thema

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Beatrice Primus

Es ist sicherlich berechtigt zu fragen, ob eine Hierarchie von -Rollen den Rekurs auf koder m-Herrschaft in den hier untersuchten Sprachen überflüssig macht. Dieser Frage geht auch Kiss (1987, Kap. 4) für das Ungarische nach und kommt zu dem Ergebnis, daß die Rollen der Verbargumente keinen Einfluß auf ihr Bindungsverhalten nehmen. Etwas anders präsentiert sich die Situation im Deutschen. Wie ich an anderer Stelle demonstriert habe (vgl. PRIMUS 1987, Kap. 4.2 und 5.8; 1989), sind die -Rollen der an einer Bindung beteiligten Verbbegleiter für bestimmte "Subjekteffekte" verantwortlich. Ich kann jedoch leicht nachweisen, daß im Deutschen weder auf die k- noch auf die m-Hierarchie zugunsten der -Hierarchie verzichtet werden kann. So illustriert das Beispiel (81),daß ein Agensausdruck kein völlig akzeptables Antezedens abgibt, wenn es seine Anapher nicht k-beherrscht. Auch Fälle wie (82), die akzeptabel sind, zeigen, daß Agensausdrücke im Deutschen dem Gesetz von JACKENDOFF nicht gehorchen und reflexiviert werden können. (81)

Ider Brief wurde von Peter · an sich} selbst adressiert

(82)

der Politiker^ wurde nicht nur von seinen^ Gegnern, sondern auch von sich} selbst kritisiert

Außerdem kann für den Unterschied zwischen (22) und (23) sowie zwischen (24) und (25) keine plausible -theoretische Lösung gefunden werden. Sowohl Verben wie überlassen, anvertrauen, überschreiben als auch Verben wie geben, zeigen, schenken -markieren ihr Dativargument als Ziel und ihr Akkusativargument als Thema. JACKENDOFFS -Bedingung würde also fälschlicherweise die Reflexiva in (22) und (24) blockieren und die in (23) und (25) zulassen. Aus diesem Grund bevorzuge ich JACKENDOFFS neuesten Lösungsvorschlag (1987:407). Er hierarchisiert die Verbargumente auf einer Ebene, die er der konzeptuellen Semantik zuschlägt, in einer Struktur, die die oben genannte -Hierarchie abbildet. Die Bedingung formuliert er als k-Herrschaftsbedingung für konzeptuelle Strukturen. Darüber hinaus definiert JACKENDOFF k-Herrschaft auch bezüglich syntaktischer Strukturen. Diese Revision des -theoretischen Ansatzes nähert sich der hier vorgeschlagenen modularen Auffassung von Herrschaft. In einem solchen Modell ist es möglich, bindungstheoretische Effekte auf bestimmte Bereiche zu beschränken, was für das Deutsche notwendig erscheint, und zusätzlich weitere Herrschaftsbedingungen zu formulieren. Unabhängig davon, wie die Selektion und Interaktion der Herrschaftsparameter in verschiedenen Sprachen zu erklären ist, erfassen die Bindungsprinzipien A und B der Generativen Grammatik zusammen mit der allgemeinen Bindungsbedingung (77) einzelsprachliche Bindungsbeschränkungen, die alternativen satzrelationalen Modellen erhebliche Schwierigkeiten bereiten, auf eine sehr einfache Weise. Abschließend möchte ich darauf hinweisen, daß nicht nur bindungstheoretische, sondern auch andere universelle Hierarchiegesetze ohne Rekurs auf grammatische Relationen sehr einfach formuliert werden können. Das allgemeine satzrelationale Kontinuitätsgesetz in (3) kann mit Hilfe der allgemeinen Herrschaftsrelation wie folgt formuliert werden: (83)

Für beliebige Konstituenten a, ß, Anwendungen einer Regel R auf a oder ß, kurz R(a), R(ß), gilt: Wenn in einer Grammatik G R(ß) zugelassen ist, dann ist für jedes a, das ß hbeherrscht, auch R(a) in G zugelassen.

Ähnlich wie in der Bindungstheorie muß man bei einer einzelsprachlichen Regel, die unter (83) fällt, die Herrschaftsparameterwerte spezifizieren oder aus anderen Parametern ableiten. Das Gesetzesschema (83) erklärt ohne Rekurs auf den Subjektbegriff, warum ein No-

Hierarchiegesetze

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minativkomplement, eine vom S-Knoten unmittelbar dominierte Nominalphrase, eine satzinitiale Nominalphrase oder ein Agensausdruck einer Handlungsbeschreibung potentiell identisches Verhalten aufweisen. Das Subjektverhalten dieser unterschiedlichen Konstituententypen beruht auf ihrer gemeinsamen Herrschaftseigenschaft, alle ihre Ko-Konstituenten zu beherrschen. Die Konstituenten, die man in satzrelationalen Modellen als Subjekte beschreibt, zeichnen sich gegenüber anderen Ko-Konstituenten dadurch aus, daß sie die größte Herrschaftsdomäne haben. Dadurch läßt sich ihre bevorzugte Beteilung an verschiedenen Regularitäten einfach erklären. Das Universal (83) ist außerdem hinreichend restriktiv, indem es dieselben einzelsprachlichen Regeln ausschließt wie das satzrelationale Gegenstück. So z.B. schließt es eine strukturelle Kongruenzregel mit einem VP-internen Verbargument in einer gegebenen Grammatik G aus, wenn in G nicht zugleich Kongruenz mit dem VPexternen Argument vorliegt. Ebenso wird eine morphologische Kongruenzregel ausgeschlossen, an der ein Akkusativkomplement aber kein Nominativkomplement beteiligt ist. Das Gesetz ist jedoch flexibel genug, um einfache und datenadäquate Beschreibungen einzelsprachlicher Phänomene vollständig zu erklären, auch wenn mehrere Faktoren diese Phänomene determinieren.

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Beatrice Primus

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Subjekte und Null-Subjekte im Französischen Georg Kaiser & Jürgen Meisel

0.

Einleitung1

Die Frage, ob das Französische wie andere romanische Sprachen als sogenannte NullSubjekt-Sprache charakterisiert werden kann, wird im Rahmen der Generativen Grammatik in der Regel verneint. In der romanistischen Sprachwissenschaft hingegen sind zur Beantwortung dieser Frage, die ein Problem berührt, das dort schon seit vielen Jahren behandelt wird, sehr unterschiedliche Vorschläge gemacht worden. Sowohl die Argumente, die für eine Charakterisierung als Null-Subjekt-Sprache sprechen, als auch die, die gegen eine solche Analyse angeführt werden, scheinen auf guter empirischer Evidenz zu beruhen. Wir glauben, daß dies vor allem auf die Tatsache zurückzuführen ist, daß in den meisten Studien zum Französischen das "Französische" als monolithisches Ganzes betrachtet wird, das als ein grammatisches System beschrieben werden kann. Im Gegensatz dazu schlagen wir vor, das "Französische" als polylektales System anzusehen. In der Tat kann man zeigen, daß die Belege, die für eine der beiden unterschiedlichen Positionen angeführt werden, niemals in den gleichen Kontexten und sehr selten in den gleichen Varietäten des Französischen anzutreffen sind. D.h. die widersprüchlichen Belege stammen aus unterschiedlichen sprachlichen Subsystemen, denen unterschiedliche Grammatiken zugrundeliegen. Wir werden argumentieren, daß das Französische in einigen Varietäten zutreffend als Null-Subjekt-Sprache beschrieben werden kann, während andere Varietäten nicht die entsprechenden syntaktischen Charakteristika aufweisen. Für den Zweck der vorliegenden Arbeit muß es genügen, zwischen dem sogenannten "Standardfranzösischen" und dem "gesprochenen Französischen" zu unterscheiden. Tatsächlich dürften die Verhältnisse erheblich komplexer sein. Die wenigen publizierten Studien zu diesem Thema (z.B. LAMBRECHT 1981, SANKOFF 1982, MATTHEWS 1988) zeigen, daß hier nicht nur der Unterschied zvi sehen gesprochener und geschriebener Sprache ausschlaggebend ist, sondern auch solche P oren, wie z.B. "Öffentlichkeit der Kommunikationsstruktur" und "Sozialstruktur der Gesprächspartner". Möglicherweise finden sich auch regionale Unterschiede. Eine soziolinguistische Analyse wird hier genauere Auskunft geben müssen. Mit der von uns gewählten Opposition werden die Bereiche auf dem Kontinuum von Varietäten, das der

Die in dieser Arbeit vorgestellten Überlegungen wurden zuvor in einigen Vorträgen zur Diskussion gestellt, z.B. im Oktober 1986 von J.M.M. an der Universität Klagenfurt und 1989 von G.K. bei der 11. Jahrestagung der DGfS in Osnabrück und von J.M.M. an der University of Toronto, Dept. of Linguistics. Wir bedanken uns bei allen, die uns durch ihre kritischen Diskussionsbeiträge geholfen haben. Dies gilt vor allem für Yves ROBERGE (Toronto), der in seinen Arbeiten zu sehr ähnlichen Schlußfolgerungen gelangt ist wie wir in den Abschnitten 4.-6. Wir sind uns einig, daß diese große Übereinstimmung in der Argumentation und in der Analyse ein Indiz dafür ist, daß auch die Linguistik, bzw. die Generative Grammatik, über Möglichkeiten verfügt, die in anderen Wissenschaften als selbstverständlich gelten: Sofern die gleichen Daten und Fakten berücksichtigt werden, gelangt man auch zu gleichen Ergebnissen. Besonders danken möchten wir den Freunden und Kollegen, die frühere Fassungen der Arbeit gelesen und kommentiert haben, vor allem Marianne Dieck, Gisbert Fanselow, Rudolf Hameit, Axel Mahlau, Wolfgang J. Meyer, Natascha Müller, Christoph Schwarze und Wolf-Dieter Stempel. Wie üblich tragen sie jedoch keine Verantwortung für die verbleibenden Schwächen und Irrtümer.

Subjekte und Null-Subjekte

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Sprachgemeinschaft bzw. dem Individuum zur Verfügung steht, nur ungefähr beschrieben. Dabei beziehen wir uns mit der Bezeichnung "Standard" auf Varietäten des öffentlichen Sprachgebrauchs, ähnlich dem von STOURDZE (1969) oder SOLL (1974) als langue ttaborte bezeichneten Sprachregister. Mit "gesprochenem" oder "kolloquialem" Französisch sind Varietäten gemeint, die vorwiegend im privaten bzw. halböffentlichen Gespräch Verwendung finden. Bisweilen sind sie auch in geschriebener Form anzutreffen. Im folgenden wollen wir zeigen, daß das gesprochene Französisch die Eigenschaften einer Null-Subjekt-Sprache aufweist, wohingegen das Standardfranzösische diese Eigenschaften nicht besitzt. Die beobachteten Unterschiede sind möglicherweise Indizien dafür, daß das Französische in dem hier untersuchten grammatischen Teilbereich einem Prozeß des Sprachwandels unterworfen ist, der zu syntaktischen Umstrukturierungen führt. In diesem Fall darf man erwarten, daß die gesprochene Sprache bereits dementsprechend umstrukturiert ist, während die Standardvarietät die konservativere Variante repräsentiert. In beiden Varietäten sollten sich zudem Spuren des jeweilig anderen Systems finden lassen. Diese (begrenzte) Möglichkeit der Variation kann damit erklärt werden, daß der Prozeß der Reanalyse noch nicht vollständig zum Abschluß gekommen ist. Auch dies ist ein der Soziolinguistik und der historischen Linguistik vertrautes Phänomen; daß nämlich in spezifischen sprachlichen Kontexten Residuen älterer Varianten erhalten bleiben oder Charakteristika des progressiven Systems bereits aufgenommen werden. Hinzu kommt, daß jeder Sprecher über ein Kontinuum von Varietäten einer Sprache verfügt und in Fällen wie den hier diskutierten die Möglichkeit besteht, daß er sich sprachlich nicht konsistent verhält. Im konkreten Fall des Französischen als Null-Subjekt-Sprache bietet sich jedoch noch eine andere Erklärungsmöglichkeit als die, daß es sich um einen nicht abgeschlossenen Prozeß des Sprachwandels handelt. Ein kurzer Blick auf die Sprachgeschichte zeigt, daß das Altfranzösische noch im XII. Jahrhundert eine Null-Subjekt-Sprache war. Wir werden darüberhinaus die These - die hier allerdings nicht im Detail belegt werden kann - formulieren, daß das Französische im gesprochenen Sprachgebrauch tatsächlich immer eine NullSubjekt-Sprache geblieben ist. 1.

Subjekte und Null-Subjekt-Sprachen

Der Begriff des grammatischen Subjekts ist in der linguistischen Theoriediskussion immer wieder kontrovers diskutiert worden.2 Neben seiner grammatischen Funktion trägt das Subjekt auch semantische und/oder pragmatische Funktionen, insbesondere die Funktion des Topiks. In der Tat ist in den meisten Fällen, in denen ein nominales Element als Subjekt eines Satzes fungiert, dieses gleichzeitig Topik der Äußerung und häufig auch Agens der Handlung.3 Relativ unumstritten ist dagegen eine andere Beobachtung, die das grammatische Subjekt betrifft: Eine Reihe von Sprachen zeichnet sich dadurch aus, daß das Subjekt des Satzes nicht notwendigerweise phonetisch realisiert werden muß, obwohl eine adäquate syntaktische Interpretation solcher Sätze die Existenz eines Subjekts als obligatorischen Teil ihrer entsprechenden Strukturbeschreibung voraussetzt. Diese Besonderheit wird im allgemeinen als Null-Subjekt- oder /?ro-i/rop-Eigenschaft von Sprachen bezeichnet; vgl. CHOMSKY (1981), RIZZI (1982).

2

Vgl. Ll, Hrsg. (1976) für einige neuere Beiträge in dieser Diskussion.

3

Vgl. GrvoN (1979:210):"[...] there is probably a residue of between 10-20% in which the topic does not coincide with the grammatical subject."

112

Georg Kaiser & Jürgen M. Meisel

Angesichts der Tatsache, daß durch Subjekte normalerweise das Topik der Äußerung und nicht eine neue Information ausgedrückt wird, ist es nicht verwunderlich, daß die Subjekte meist nicht als volle lexikalische NPs, sondern als Pronomina realisiert werden. In Sprachen, in denen diese Realisierung syntaktisch nicht obligatorisch ist, wird die Null-SubjektOption vorgezogen - gemäß dem von CHOMSKY (1981:65) formulierten Avoid PronounPrinzip. Mit anderen Worten, in Null-Subjekt-Sprachen werden pronominale Subjekte nur dann lexikalisch realisiert, wenn a) b)

das Subjekt betont ist, d.h. hervorgehoben werden soll (Emphase) die Interpretation des Subjekts nicht eindeutig gewährleistet ist, d.h. möglicherweise ambig ist.

Aus diesen Voraussetzungen für eine phonetische Realisierung des Subjekts ergibt sich, daß sie in Null-Subjekt-Sprachen für referentielle Subjektspronomina eher die Ausnahme und für expletive Subjektspronomina ausgeschlossen ist: "A pronominal subject is not normally phonologically spelled out. This occurs only under emphasis" (JAEGGLI 1982:134) - und bei eventueller Zweideutigkeit. Das Vorhandensein dieser Eigenschaft der Subjektsauslassung in einer Sprache ist parametrisch festgelegt, d.h. natürliche Sprachen unterscheiden sich dadurch, ob sie diese Eigenschaft besitzen oder nicht. Für den kindlichen Spracherwerb bedeutet dies, daß das Kind lediglich erkennen muß, zu welchem Sprachtyp die von ihm zu erwerbende Sprache gehört. Diese Fixierung (Festlegung) des Parameters kann aufgrund bestimmter Merkmale einer Sprache erfolgen, die das Kind im Verlauf des Spracherwerbs erkennt. Das Kind muß demnach nicht die gesamte Grammatik einer Einzelsprache lernen, sondern die für sie charakteristischen Parameterwerte. Dadurch ist es in der Lage, verschiedene Eigenschaften, die oberflächlich völlig unabhängig voneinander sind, vergleichsweise schnell und gleichzeitig zu erwerben.4 In der Tat scheint die Möglichkeit der Null-Subjekt-Sprachen, Subjekte phonetisch nicht zu realisieren, mit weiteren spezifischen Eigenschaften zu korrelieren. Obwohl dieses "clustering of properties" (CHOMSKY 1981:240) strittig diskutiert worden ist und wohl nicht in der ursprünglich vorgeschlagenen Form aufrecht erhalten werden kann, stimmen doch die meisten Arbeiten darin überein, daß eine Eigenschaft, nämlich die sogenannte Freie Inversion, als spezifisch für Null-Subjekt-Sprachen angesehen werden kann.5 Es handelt sich dabei um die Möglichkeit, das Subjekt eines fmiten Satzes grundsätzlich sowohl präverbal als auch postverbal realisieren zu können, ohne daß sich dadurch die Bedeutung des Satzes ändert. So sind etwa im Italienischen die beiden Sätze in (1) weitgehend bedeutungsgleich ("roughly synonymous", SAFIR 1985:172): (la) (lb)

Giovanni ha mangiato ha mangiato Giovanni

Diese Theorie der Parameterfixierung versucht damit, eine Erklärung für das sogenannte "logische Problem" des kindlichen Spracherwerbs zu liefern. Es bezieht sich auf die Beobachtung, daß Kinder - trotz unzureichender, fehlerhafter und (fast) ausschließlich positiver Evidenz - in einem relativ kurzen Zeitraum ein sehr komplexes grammatisches System erwerben; vgl. HORNSTEIN & LlGHTFOOT (1981), ROEPER & WILLIAMS, Hrsg. (1987), CHOMSKY (1986). CHOMSKY (1981:255) geht selbst auch davon aus, daß die Null-Subjekt-Eigenschaft und die Möglichkeit der Freien Inversion die "essential properties of the pro-drop-languages" sind. Auf die Diskussion um die einzelnen Eigenschaften von Null-Subjekt-Sprachen kann hier nicht eingegangen werden; wir verweisen hierzu auf RIZZI (1982) und die dort referierte Literatur.

Subjekte und Null-Subjekte

113

Diese Möglichkeit der Subjektsnachstellung als spezifische Eigenschaft von Null-SubjektSprachen ist allerdings selbst auch nicht unumstritten.6 Es bleibt außerdem unklar, inwieweit zwei Sätze als "roughly synonymous" interpretiert werden können und aufgrund welcher Kriterien darüber entschieden wird, ob eine Inversion als "frei" oder als "nicht frei" anzusehen ist. Offensichtlich gibt es keine Sprache, in der die Freie Inversion ohne jegliche Beschränkung möglich wäre. Es läßt sich auch unter den verschiedenen Sprachen, die eine solche Inversion erlauben, ein unterschiedlicher "Grad an Inversionsfreiheit" ausmachen. So scheint etwa im Spanischen die Inversion des Subjekts strengeren syntaktischen und auch semantischen und pragmatischen Beschränkungen zu unterliegen als dies etwa im Italienischen der Fall ist; vgl. z.B. CONTRERAS (1976) oder BENTIVOGLIO & WEBER (1986). Im allgemeinen werden die meisten romanischen Sprachen den Null-Subjekt-Sprachen zugeordnet. Wie wir gesehen haben, gibt es offensichtlich aber bessere und schlechtere Kandidaten für diese Zuordnung: Unter den romanischen Sprachen ist das Italienische das beste Beispiel für eine Null-Subjekt-Sprache; der schlechteste Kandidat hierfür ist das Portugiesische Brasiliens (vgl. Fußnote 6). Das Französische wiederum scheint sich hier von den anderen romanischen Sprachen ganz abzusetzen: Es wird meist als Nicht-Null-SubjektSprache angesehen. Im folgenden werden wir die relevanten Fakten über Elemente, die im Französischen in der Subjektsposition erscheinen können, kurz zusammenfassen. Dabei werden wir die verschiedenen Argumente für oder gegen die Klassifizierung des Französischen als NullSubjekt-Sprache diskutieren. Da die Beantwortung dieser Frage eng mit der Frage nach Rolle und Funktion der klitischen Subjektspronomina zusammenhängt, werden wir uns zunächst damit befassen und anschließend Überlegungen einbringen, welches die adäquateste strukturelle Beschreibung des Französischen sein könnte. Dies führt uns zu der Annahme, daß zumindest das gesprochene Französisch als Null-Subjekt-Sprache angesehen werden kann. 2.

Subjektsklitika und Nominalphrasen im Französischen

Die französischen Subjektspronomina lassen sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Distribution in zwei Klassen unterteilen, und zwar in eine sogenannte starke und in eine schwache. Die Unterscheidung der beiden Klassen entspricht der Unterscheidung zwischen betonten und unbetonten bzw. zwischen ungebundenen und gebundenen Subjektspronomina; vgl. GREVISSE (1986:1006ff.), auch JAEGGLI (1982:89):

Vgl. SAFIR (1985:234ff.). Als Beleg für eine Sprache, die zwar Null-Subjekte besitze, jedoch keine Freie Inversion erlaube, fuhrt SAFIR das Portugiesische an. Unserer Meinung nach bestätigen Safirs Einwände jedoch eher die Annahme einer Verknüpfung der Null-Subjekt-Eigenschaft und der Möglichkeit zur Freien Inversion als sie zu widerlegen. In der Tat ist im Portugiesischen die Möglichkeit der Subjektsinversion wesentlich stärker eingeschränkt als beispielsweise im Italienischen, sodaß hier nicht mehr von einer Freien Inversion gesprochen werden kann. SAFIR übersieht jedoch, daß die Null-Subjekt-Eigenschaft im Portugiesischen (vor allem in dem Brasiliens) längst nicht (mehr) so ausgeprägt ist wie in anderen Null-SubjektSprachen: Das Subjektspronomen wird sehr häufig auch dann phonetisch realisiert, wenn es weder betont noch ambig ist. Mit anderen Worten, im brasilianischen Portugiesisch - und in eingeschränkterem Maße auch im europäischen - unterliegt die phonetische Realisierung des Subjekts nicht (mehr) den oben beschriebenen Bedingungen, die für eine typische Null-Subjekt-Sprache gelten. Lediglich in bezug auf expletive Subjekte verhält es sich wie andere Null-Subjekt-Sprachen, d.h. diese werden nicht lexikalisch realisiert; vgl. TARALLO (1985), ZUBIZARRETA (1982).

114

Georg Kaiser & Jürgen M. Meisel

(2)

Schwache Form

Starke Form

l.Ps.Sg. 2.Ps.Sg. 3-Ps.Sg. l.Ps.Pl. 2.PS.P1. 3.PS.P1.

je tu Welle ( 5) vous ils/elles

moi toi Mlelle nous vous eux

3.Ps.Sg./Pl. S.Ps.Sg.

celces

KAYNE (1975:84ff.) hat gezeigt, daß sich die schwachen Subjektspronomina im Französischen in vieler Hinsicht ähnlich wie die Objektsklitika verhalten; sie sind klitisch an das finite Verb des Satzes gebunden und unterscheiden sich durch eine Reihe von distributioneilen Eigenschaften von den "normalen" (vollen) NPs; vgl. auch LAMBRECHT (1981:17ff.), JAEGGLI (1982:90ff.): 1. Nur klitische Objektspronomina, die (klitischen) Pronominaladverbien y und en und die Partikel ne können zwischen dem klitischen Subjektspronomen (SCL) und dem finiten Verb auftreten:8

(3) 2.

'er[SCL], scheint es, ist verrückt1

SCLs können nicht mit einer anderen NP oder einem anderen Pronomen mittels einer Konjunktion verbunden werden: (4)

3.

*ils et elles veulent partir en vacances I sie[ScL,3.pi.m.sk.] und sie[scL,3.pi.fem.] wollen in Urlaub fahren1 SCLs können nicht durch Modifikatoren, die unmittelbar nach ihnen stehen, näher bestimmt werden :

(5)

4.

* ils tous partiront bientöt 'sie[SCL] alle werden bald weggehen1

SCLs können nicht allein stehen bzw. nicht kontrastiv betont werden: (6)

5.

*//, parait-il, estfou

*/7 partira le premier 'er[betont] wird ^S erster gehen1 SCLs unterscheiden sich von vollen NPs in bezug auf die "phonological rule of truncation" (KAYNE 1975:85): Während das Plural-j der Subjekt-NP in (7a) nicht mit einem Verb, das mit einem Vokal beginnt, gebunden ausgesprochen werden kann, ist in (Tb) das Klitikon ils mit dem Verb durch Liaison verbunden und bildet "a phonological unit with the verb" (LAMBRECHT 1981:17):

Nous wird in der gesprochenen Sprache fast ausschließlich als Pronomen der "starken" Form gebraucht; das "schwache" nous ist im gesprochenen Französisch nahezu vollständig durch on ersetzt worden; vgl. GRAFSTRÖM (1969), HAUSMANN (1979). Der Gebrauch von ne ist im gesprochenen Französisch stark rückläufig. ASHBY (1977) z.B. hat bei einer entsprechenden Auszählung der Daten von FRANCOIS (1974) festgestellt, daß in fast 97% aller möglichen Kontexte ne ausgelassen wird.

Subjekte und Null-Subjekte

(7a)

mes amis iront ä Paris = /... amiir .../ statt */... amizir .../ 'meine Freunde fahren nach Paris'

(Tb)

ils iront ä Paris = /i(l)zir.../ statt */ilir .../ 'sie[SCL] fahren nach Paris'

115

Die gleichen Distributionsbedingungen gelten auch für das Demonstrativpronomen ce\ d.h. ce ist klitisch an das finite Verb gebunden und kann der Gruppe der SCLs zugerechnet werden. Das Auftreten von ce unterliegt dabei einer zusätzlichen Einschränkung, nämlich der, daß es nur mit etre auftreten kann; vgl. JAEGGLI (1982:104): (8a)

c'ataitvrai 1 'das war wahr

(8b)

*ce correspond tres bien ä ce qu a dit 'das stimmt sehr gut mit dem überein, was er gesagt hat'

Das Demonstrativpronomen kann ebenfalls klitische Eigenschaften haben, kann aber auch - ebenso wie eile oder vous - als betontes Pronomen gebraucht werden: LAMBRECHT (1981:20) führt als Unterscheidungsmerkmal an, daß der Vokal von vor einem Verb mit Vokalanlaut nicht getilgt werden kann, wenn es sich um das unabhängige handelt. Außerdem ist ein "optional glottal stop" nur nach dem unabhängigen möglich ist: (9a)

a on aime = /sä 8nEm/ oder Istfon^nl 'das mögen wir[SCL]'

(9b)

avance — /sä saavas/ jedoch */sa sa'avas/ 'das das(SCL) geht voran'

Neben diesen besonderen Distributionsbedingungen, denen die sogenannten "schwachen" Pronomina des Französischen unterliegen und die die Charakterisierung klitisch rechtfertigen, besitzen diese Pronomina noch eine weitere besondere Eigenschaft: Sie können auch zusammen mit nicht-klitischen Subjektspronomina und vollen Subjektsnomina auftreten. Ganz ohne nominales Element in der präverbalen Position, d.h. ohne Nomen, betontes Pronomen oder Subjektsklitikon, kann das Verb jedoch in der Regel nicht erscheinen: (lOa)

il mange

(lOb)

Jean- ü{ mange

(10c) (10d) (10e)

luit i'/j mange

*mange M mange

Das heißt, daß im gesprochenen Französisch neben Sätzen wie (lOa) auch Sätze vom Typ (lOb) oder (lOc) möglich sind; dagegen ist (lOd) in allen französischen Varietäten ausgeschlossen, und (lOe) ist nur in der geschriebenen Sprache oder in speziellen Textsorten, jedenfalls aber nur in der 3. Person, möglich. Aus dieser Beobachtung wird bereits ersichtlich, daß die klitischen Subjektspronomina einen anderen syntaktischen Status besitzen als volle Nomina bzw. NPs. Wie genau ihre grammatische Funktion zu charakterisieren ist, bleibt vorläufig noch offen.

116

3.

Georg Kaiser & Jürgen M. Meisel

Die philologische und strukturalistische Diskussion

Die Diskussion über die besondere Rolle und Funktion der französischen SCLs, die im Rahmen dieses Artikels nur äußerst knapp skizziert werden kann9, ist so alt wie die Romanistik selbst. Bereits bei Friedrich DIEZ, einem der Väter der Romanistik, findet sich der Hinweis, daß es sich bei den Pronomina je, tu, U und ils um "durch den Gebrauch fast zu bloßen Formwörtern herabgekommene11 Nominative handele (Diez 1882:798). DARMESTETER (1877:3f.) weist auf die enge Bindung zwischen Subjektspronomen und Verb im Französischen hin und kommt zu der Schlußfolgerung, daß in der "langue populaire" die Verbflexionsendungen in zunehmendem Maße homophon geworden und durch die Personalpronomina ersetzt worden sind. Diese auch "Präfixtheorie" genannte Annahme, daß im Laufe der Entwicklung des Französischen das SCL die Funktion der Verbflexionsmarkierung übernommen hat, wird immer wieder in der romanistischen Diskussion aufgegriffen und vertreten. Die Entstehung dieser Funktion wird stets damit begründet, daß im Verlauf der Entwicklung vom Lateinischen bzw. vom Vulgärlateinischen zum Neufranzösischen die Verbflexion am Verbstamm im gesprochenen Französisch fast völlig verschwunden ist.10 Es wird angenommen, daß dieser Verlust zu Ambiguitäten und Unterdeterminiertheiten führte, wodurch das Auftreten des klitischen Subjektspronomens als Ersatz der lateinischen Personalendungen notwendig und quasi obligatorisch wurde. In den 60er Jahren wird die Diskussion um den Präfix-Status der französischen Subjektspronomina Bestandteil der Streitfrage, ob das Französische als analytische bzw. prädeterminierende Sprache beschrieben werden kann; vgl. z.B. WEINRICH (1963). In anderen Arbeiten wird außerdem diskutiert, inwiefern auch die französischen Objektspronomina als Präfixe angesehen werden können. So weisen z.B. HEGER (1966) und ROTHE (1966) darauf hin, daß neben den klitischen Subjektspronomina auch die (unbetonten) Objektspronomina im Französischen klitisch an das Verb gebunden sind. Sie zeigen auf, daß diese auch dann auftreten können, wenn gleichzeitig eine lexikalische Objekt-NP vorkommt, wobei sie einen zunehmenden Gebrauch solcher Konstruktionen konstatieren. Sie ziehen aus ihren Beobachtungen den Schluß, daß das Französische dabei ist, sich zu einer systematischen Objektkonjugationssprache^ zu entwickeln; vgl. auch ASHBY (1977).

Für eine ausführlichere Darstellung dieser Diskussion vgl. KAISER (1988).

Am weitesten fortgeschritten ist hierin die er-Konjugation; dort ist nur noch in der 2.PS.PL eine offene, sprich hörbare Flexionsendung vorhanden: l.Vs.Sg.je 2.Ps.Sg. tu 3.Ps.Sg.il/elle l.Ps.Pl. on 2.Ps.Pl. vous 3.Ps.Pl. ik feiles

mang-e mang-es mang-e mang-e mang-ez mang-ent

[ ] [ ] [ ] [ ] [e:] [ ]

In den anderen Konjugationen ist außer in der 2.Ps.Pl. noch in der 3-Ps.Pl. die Flexionsendung hörbar. In solchen Sprachen, zu denen etwa das Baskische oder das Ungarische gerechnet werden, wird in der Verbflexion angezeigt, ob das Verb ein Objekt mit sich führt und - je nach Einzelsprache unterschiedlich welche Person, welchen Numerus und welchen Kasus das Objekt besitzt.

Subjekte und Null-Subjekte

4.

1 17

Analysen im Rahmen der Generativen Grammatik

Unter den Arbeiten, die sich im Rahmen der generativen Grammatiktheorie mit diesem Thema befassen, gibt es - soweit uns bekannt ist - nur wenige, in denen die Rolle und Funktion der SCLs des Französischen ähnlich analysiert werden wie von den Vertretern der Präfixtheorie. Eine dieser Arbeiten ist die von JAEGGLI (1982). Darin werden die SCLs aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften als Teil des INFL'-Knotens interpretiert. Demnach enthält der INFL' -Knoten außer INFL ein (nicht obligatorisches) SCL, das nach der S-Struktur an das Verb klitisiert wird; vgl. JAEGGLI (1982:92f.): (lla)

INFL1 -> (SCL) INFL

(lib)

X SCL V

= > X SCL+V

Aus der Annahme, daß das SCL in INFL' inkorporiert ist, ergibt sich, daß die [NP,S]-Position unregiert ist, da INFL, das normalerweise diese Position regiert, die Subjektsposition nicht mehr c-kommandiert. 12 Daraus wiederum folgt, daß wegen des Kasusfilters die [NP, S] -Position kein lexikalisches Element enthalten kann, da diesem kein Kasus zugewiesen werden kann. Mit anderen Worten, wenn in einem finiten Satz im Französischen ein SCL auftritt, muß die Subjektsposition leer sein. In Anlehnung an CHOMSKY (1981) vermutet JAEGGLI, daß dieses leere Element in der Subjektsposition (das unregierte) PRO ist. Enthält ein Satz kein SCL, bleibt der INFL1 -Knoten unverzweigt. Die [NP,S]-Position ist daher von INFL regiert, d.h. PRO kann dort nicht erscheinen und eine lexikalische NP kann dort Kasus erhalten. Nach dieser Analyse ergeben sich somit folgende mögliche Strukturen für einen französischen Matrixsatz: (12a)

PRO [^FL, SCL+INFL] VP

(12b)

NP [Wfv INFL] VP

Das gleichzeitige Auftreten eines präverbalen SCLs (unter INFL) und einer NP in der Subjektsposition schließt JAEGGLI demnach aus. Solche Äußerungen, die dem Satz (l Ob) entsprechen, sind nach Ansicht JAEGGLIS nur möglich, wenn es sich dabei um "instances of Left-Dislocation, with a pause between the initial NP and the following subject clitic" handelt; vgl. JAEGGLI (1982:95). In ähnlicher Weise interpretiert Rizzi (1986b) Sätze vom Typ (10b). Auch er ist der Auffassung, daß in solchen Äußerungen das Subjektsnomen nach links disloziert worden und durch eine Pause vom SCL getrennt ist. Subjekt-NP und SCL sind somit komplementär verteilt; sie können in einem Satz nur alternativ in der Specifier-IP-Position erscheinen:

(13)

[JNFL- [NP Jean/H ] [INFL, [INFL ] [VP mange]]]

Das klitische Pronomen kann nach RIZZI deshalb nicht unter dem INFL-Knoten generiert werden, weil dadurch Nullsubjekte in der Subjektsposition möglich wären. Dies sei jedoch JAEGGLI geht hier von einer älteren Definition für das C-Kommando aus, wonach sich das C-Kommando nur über den jeweils ersten verzweigenden Knoten erstreckt; vgl. LANGACKER (1969): Wenn der INFL'Knoten ein SCL enthält, kann INFL die [NP,S]-Position nicht mehr regieren, da nicht S, sondern INFL' der erste verzweigende Knoten ist:

(0

U INP l IINFL· UCL l [INFL 11 tvp 11

118

Georg Kaiser & Jürgen M. Meisel

durch die "usual assumption that French is not a NSL [=null subject language, GK&JMM]" (Rizzi 1986b:402) ausgeschlossen. Eine Generierung des SCLs unter INFL kommt für RIZZI außerdem auch deshalb nicht in Betracht, weil es nicht in allen Kontexten mit finiten Verben auftreten kann. So sind Sätze, die ein Indefinit-Pronomen mit präverbalem Klitikon enthalten, nicht möglich:13 (14)

*personne ü ne mange

RIZZI sieht dadurch die für das Französische angenommene Struktur (13) bestätigt. Sätze wie (lOb) sind demnach ungrammatisch, denn da die Subjektsposition mit Jean besetzt ist, gibt es keine freie Position ("slot") für das SCL. Eine Äußerung wie (lOb) ist nur dann möglich, wenn Jean unter einem höheren TOP-Knoten angesiedelt ist und das SCL in der Subjektsposition erscheinen kann. Gegen solche Interpretationen des Französischen, wie sie von JAEGGLI oder RIZZI vorgeschlagen werden, läßt sich, so meinen wir, eine Reihe von Einwänden anführen. Wir werden unsere Kritik anhand eigenen Datenmaterials belegen und daran anschließend versuchen, Vorschläge für eine adäquatere Analyse des gesprochenen Französischen zu machen. 5.

Schwächen bisheriger Analysen

5.1.

Struktur und Funktion "dislozierter" Konstruktionen

Der erste Einwand gegen die in Abschnitt 4 dargestellten Erklärungsansätze betrifft die Behauptung, daß die scheinbar dislozierte Subjekt-NP und das klitische Subjektspronomen durch eine Pause getrennt sind. Diese Annahme ist empirisch eindeutig zu widerlegen. Die Analyse von Ton- und Bildaufzeichnungen in nicht kontrollierten Konversationen zeigt, daß solche Pausen zwischen Subjekt-NP und SCL auf keinen Fall obligatorisch, allenfalls fakultativ sind. Auch in der einschlägigen Literatur finden sich zahlreiche Belege, die der Existenz einer solchen Pause, zumindest aber deren Obligatheit, widersprechen. Bereits BALLY (1932:307) spricht davon, daß Sätze wie (lOb) in zunehmendem Maße ohne Pause ausgesprochen werden: "[...] on arriva ä dire sans pause mecliane « Moi je dors, Charles il dort ». Ainsi je, tu, U, etc., deviennent de plus en plus flexionnels, et dans Charles il dort, il fait double emploi avec Charles comme, dans Carolus dormit, -it avec Carolas. "^

In vielen empirischen Arbeiten jüngeren Datums wird auf diese Problematik nicht mehr eigens eingegangen; vgl. u.a. die Arbeiten von ASHBY (1977), LARSSON (1979) oder

Rizzi weist allerdings auch daraufhin, daß bei der sogenannten Komplexen Inversion im Französischen ein Indefinit-Pronomen gleichzeitig mit einem postverbalen SCL erscheinen kann: (i)

Pourquoi personne n 'est-il venu ?

Rizzi (1986b) nimmt an, daß das SCL in (i) deshalb möglich ist, weil das Verb nach links und das Klitikon in das Verb bewegt worden ist; vgl. auch KAYNE (1983) und RIZZI & ROBERTS (1989). '[...] schließlich kam man dazu, ohne eingeschobene Pause zu sagen: « Ich ich[SCL] schlafe, Charles er[SCL] schläft ». Daher werdende, tu, il etc. in zunehmendem Maße zu Flexiven, und in Charles il dort wird Charles durch // wiederholt ebenso wie in Carolus dormit Carolus durch -it wiederholt wird.'

Subjekte und Null-Subjekte

119

MATTHEWS (1988)15. Für die meisten dieser Autoren ist zweifelsfrei belegt, daß normalerweise keine Pause zwischen Subjekt-NP und Subjektsklitikon gemacht wird. Und selbst Rizzi, der seine Argumentation u.a. auf der Annahme aufbaut, daß in Sätzen wie (lOb) die NP und das Pronomen durch eine Pause getrennt sind, räumt ein, daß einige Sprecher des Französischen solche Sätze durchaus auch ohne Pause äußern; vgl. RIZZI (1986b:401). Angesichts der so eindeutigen empirischen Evidenz muß man sich in der Tat wundern, daß dieses Argument weiterhin angeführt und als ausschlaggebend bewertet wird. Der zweite - und gewichtigere - Einwand betrifft die Behauptung, daß es sich bei Konstruktionen wie (lOb) um Links-Dislokationen handelt. Dagegen spricht die Beobachtung, daß solche Äußerungen im gesprochenen Französisch keine emphatischen oder andere diskursive Funktionen besitzen, die diese These rechtfertigen könnten. Auch für diesen Einwand lassen sich empirische Belege anführen. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung von G. SANKOFF (1982). Am Beispiel des Gebrauchs der Subjektsklitika im Französischen überprüft SANKOFF ihre These, daß syntaktische Neuerungen und neue Ausdrucksmöglichkeiten in einer Sprache als Folge (pragmatischer) Kommunikationsbedürfnisse entstehen. SANKOFF nimmt an, daß diese grammatisiert werden, d.h. ihre semantisch-pragmatische Funktion verlieren und dabei an Regelhaftigkeit und Kontextunabhängigkeit gewinnen.16 Sie analysiert hierzu Konstruktionen vom Typ (lOb), in denen ein klitisches Subjektspronomen im selben Satz eine Subjekt-NP "wiederaufnimmt". G. SANKOFF (1982:83) weist darauf hin, daß diese "Wiederaufnahme" ("reprise") des Subjekts ursprünglich dazu diente, dieses zu betonen oder emphatisch hervorzuheben. Diese Funktion hat die "Wiederaufnahme" nach Ansicht Sankoffs aber verloren: Zunächst wird das Klitikon nur bei hervorgehobenen Subjektsnomina ("[les] SN les plus 'saillants'"), später jedoch in zunehmendem Maße auch bei geringer betonten Subjekten ("des SN moins 'saillants'") verwendet. Sankoffs Auswertung der Daten von französisch sprachigen Kanadierinnen und von Französinnen belegt diese These: Während die Kanadierinnen in ca. 55 % aller Sätze mit einer Subjekt-NP diese mit einem Klitikon "wiederaufnehmen", liegt der Prozentsatz der Wiederholungen in den Daten der Französinnen noch weitaus höher, nämlich bei über 80%. Geht man davon aus, daß das kanadische Französisch im Vergleich zum europäischen eher konservativ ist, dann bestätigen diese Ergebnisse ganz deutlich die von SANKOFF beobachtete Tendenz. Die "Wiederholung" durch ein Subjektsklitikon wird im europäischen Französisch mittlerweile auf fast alle Subjekte angewendet, sodaß die ursprünglichen diskursiven Funktionen dieser Wiederholungen auf diese Weise nicht mehr ausgedrückt werden können. Somit hat eine solche Konstruktion zunehmend nur noch morpho-syntaktische Funktion, d.h. sie ist "grammatisiert" worden:

In all diesen Arbeiten ist umfangreiches empirisches Datenmaterial ausgewertet worden. Abgesehen von der Auswertung bereits vorhandener Korpora (z.B. FRANCOIS 1974, LAMBRECHT 1981, BARNES 1985), basieren die Untersuchungsergebnisse dieser Arbeiten auch auf der Analyse eigens erstellter Datenkorpora. Ashbys Daten stammen von Sprechern aus Tours, MATTHEWS Daten aus Mende im Lozere und von in den USA studierenden Franzosen. E. LARSSON stützt ihre Ergebnisse auf das von M. Blanc in Orleans erstellte Korpus des gesprochenen Französisch. Dies läßt sich auch bei der Entwicklung von Kreolsprachen beobachten, wo z.B. aus Verben abgeleitete Elemente zunächst als freie Morpheme in satzexterner Position erscheinen, dann an das Verb angefügt und schließlich in das Verb integriert werden.

120

Georg Kaiser & Jürgen M. Meisel "Celui qui utilise la reprise avec la quasi-totalito de ses SN perd necessairement la possibilito de l'employer pour les diffeiencier, ce qui montre la recuperation par la grammaire d'un processus a l'origine discursif, bref, la grammaticalisation."17 (G. SANKOFF 1982:85)

5.2.

Ein Vergleich mit der Analyse norditalienischer Dialekte

Bevor wir eigene Vorschläge zur Analyse des Französischen vorlegen, wollen wir kurz auf einige Untersuchungen von Sprachen bzw. von Varietäten von Sprachen hinweisen, in denen das SCL ähnliche syntaktische Eigenschaften wie im Französischen aufweist. In Anlehnung an zwei Arbeiten über norditalienische Dialekte, wie etwa dem Trentinischen und dem Florentinischen1*, weist z.B. Rizzi (1986b) darauf hin, daß es in diesen Varietäten des Italienischen Subjektsklitika gibt und daß deren phonetische Realisierung in bestimmten Kontexten obligatorisch ist. So muß z.B. im Trentino das SCL in der S.Ps.Sg. u. PL (und auch in der 2.Ps.Sg.) stets vorhanden sein, und zwar auch dann, wenn eine Subjekt-NP oder ein Subjektspronomen dem Verb voranstehen: (15a)

(15b) (15c) (15d) (15e)

elmagna

Gianni el magna lu elmagna *Gianni magna *magna

In einer Untersuchung der Subjektsklitika in der Romania shlägt RIZZI (1986b:393) folgende strukturelle Repräsentation für das Trentinische vor: 06)

[NFL- [NP Gianni/

] [,NFL· [rNFL e/][VP magna]]]

Gemäß dieser Analyse ist das Trentinische dadurch gekennzeichnet, daß das SCL unter INFL angeordnet ist und in dieser Position als "spell-out of AGR" phonetisch realisiert wird (Rizzi 1986b:393). Dabei kann die Specifier-IP-Position entweder mit einer NP belegt sein oder lexikalisch leer sein. Das Auftreten von pro in der Subjektsposition wird dadurch lizensiert, daß es von INFL regiert ist. Der Inhalt ("content") von pro, d.h. dessen Interpretation als defmites und referentielles Pronomen, kann durch das "reiche" AGR in INFL identifiziert werden.19 Abgesehen von dem direkt unter INFL generierten SCL, besitzt das Trentinische zudem eine "reiche" Verb flexion, d.h. die AGR-Merkmale werden auch am Verbstamm phonetisch realisiert - wie beispielsweise das Konjugationsparadigma des Verbs parlare 'sprechen' zeigt; vgl. RIZZI (1986b:401):

1

' 'Derjenige, der die Wiederaufnahme fast so häufig wie seine Subjektsnomina gebraucht, verliert notwendigerweise die Möglichkeit, diese zu gebrauchen, um sie zu unterscheiden. Dadurch wird die Wiederbesetzung eines ursprünglich diskursiven Prozesses durch die Grammatik, sprich die Grammatikalisierung, sichtbar.'

18

Vgl. RlZZI (1986b) für die Literaturangaben: L. Brandi & L. Cordi (1981), "Dialetti e italiano: un confronto sul parametro del soggetto nullo", Rivista di Grammatica Generativa 6; L. Renzi & L. Vanelli (1982), "I pronomi soggetto in alcune varieta romanze", Studi in onore di G.B. Pellegrini, Padova.

19 Zu dieser Unterscheidung zwischen der formalen Lizensierung für das Auftreten von pro und der Zuweisung des Inhalts an pro als zwei unterschiedliche grammatische Prinzipien siehe Rizzi (1986a).

Subjekte und Null-Subjekte

(17)

l.Ps.Sg. 2.Ps.Sg. 3.Ps.Sg. l.Ps.Pl. 2.PS.P1. S.Ps.Pl.

121

parlo te parli ellla parla parlem parle ilk parla

Nach Ansicht von RIZZI (1986b:393) ist das Trentinische folglich dadurch gekennzeichnet, daß auf der Ebene der Phonetischen Form die AGR-Merkmale nicht nur am Verbstamm, sondern auch in ihrer "abstrakten syntaktischen Position" realisiert werden.20 Die AGRMerkmale werden in ihrer "abstrakten syntaktischen Position" im Trentinischen allerdings nur dann sichtbar, wenn das finite Verb für die 2. Person Singular oder die 3. Person Singular bzw. Plural spezifiziert ist. Für alle anderen Kontexte gibt es im Trentinischen - wie dem Paradigma in (17) zu entnehmen ist - keine SCL-Formen. RIZZI (1986b:402) sieht darin eine Evidenz für die von ihm vorgeschlagene Analyse des Trentinos: Das Vorhandensein solcher "gaps in the clitic paradigm" des Trentinischen - und anderer norditalienischer Dialekte - könne nur durch die Struktur (16) erklärt werden. Die phonetische Realisierung des SCLs unter INFL ist demnach in den norditalienischen Dialekten obligatorisch, optional oder unmöglich - jeweils entsprechend den verschiedenen Spezifizierungen von Person und Numerus in den verschiedenen Dialekten. Im Gegensatz dazu ist im Italienischen eine derartige phonetische Realisierung nicht möglich, denn das Italienische besitzt keine SCLs. Das Französische dagegen kennt für alle Personen und Numeri SCL-Formen, d.h. es hat keine "Lücke" im Klitik-Paradigma. Das Fehlen solcher "Lücken" ist nach RIZZI dadurch erklärt, daß das SCL im Französischen nicht unter INFL generiert wird, sondern in der Subjektsposition steht. Die phonetische Realisierung der französischen SCLs unter INFL hätte außerdem zur Folge, daß im Französischen Null-Subjekte in der Subjektsposition möglich wären. Dies jedoch stehe im Widerspruch zur "usual assumption", daß das Französische keine Null-Subjekt-Sprache sei; vgl. RIZZI (1986b:402). Diese Argumentation Rizzis ist jedoch wenig überzeugend. Abgesehen davon, daß eine "usual assumption" nicht notwendigerweise richtig sein muß, zeigt die in Abschnitt 3 dargestellte romanistische Diskussion von mittlerweile über hundert Jahren, daß diese "assumption" keineswegs so verbreitet und akzeptiert ist, wie RIZZI vermutet. Außerdem trägt diese Argumentation deutliche Züge eines "circulus vitiosus", da das Problem ("Ist das Französische eine Null-Subjekt-Sprache?") durch sich selbst erklärt würde. Ein weiterer Kritikpunkt an Rizzis Argumentation betrifft die Feststellung, daß "Lücken" im SCL-Paradigma einer Sprache notwendig wären, damit diese SCLs unter INFL generiert werden können. Die Notwendigkeit der Lücken ist nicht überzeugend begründet. In der Tat spricht einiges dafür, daß gerade eine Sprache, die für alle Personen- und Numerus-Spezifizierungen SCLs kennt und deren SCLs in allen Kontexten erscheinen, ein noch weitaus besserer Kandidat als die norditalienischen Dialekte für eine Null-Subjekt-Sprache ist, deren SCLs als "spell out" von AGR realisiert werden. Wir möchten von daher im folgenden für das Französische eine ähnliche Interpretation vorschlagen, wie dies RIZZI für das Trentinischen tut. Mit anderen Worten, wir wollen annehmen, daß im gesprochenen Französisch das SCL unter dem INFL-Knoten generiert wird und folglich die Subjektsposition lexikalisch leer sein kann. Wir werden zeigen, daß die Daten des gesprochenen Französisch eine solche Analyse ebensogut bzw. besser rechtfertigen als die für das Trentinische angeführten Beobachtungen. Die Frage, aufweiche Weise die AGR-Merkmale an den Verbstamm gelangen, läßt RIZZI allerdings offen. HVAMS (1983:121) schlägt dazu eine Regel vor, die sie "agreement triggering" nennt. Aufgrund dieser Regel werden die Kongruenz-Merkmale vom SCL in der INFL-Position an den Verbstamm übertragen.

122

Georg Kaiser & Jürgen M. Meisel

6.

Das Französische als Null-Subjekt-Sprache

6.1.

Empirische Belege

Was die Distribution der französischen SCLs betrifft, so haben wir bereits in Abschnitt 2 gezeigt, daß sie eine Sonderstellung innerhalb der Gruppe der "NPs" einnehmen, d.h. daß sie in dieser Hinsicht nicht als NPs charakterisiert werden können. Hinzu kommt - abgesehen davon, daß das Französische im Gegensatz zum Trentinischen keine "Lücke" im SCLParadigma aufweist - , daß das Auftreten der französischen SCLs in zunehmendem Maße obligatorisch geworden ist. Nur in wenigen Kontexten treten im gesprochenen Französisch finite Verben ohne Subjektsklitikon auf. Diese besonderen syntaktischen Eigenschaften der französischen SCLs rechtfertigen unserer Ansicht nach die Annahme, daß sie unter INFL generiert werden und dort als "spell out" von AGR, d.h. in ihrer abstrakten syntaktischen Position, phonetisch realisiert werden. Im folgenden soll diese These anhand von Daten aus dem gesprochenen Französisch überprüft werden. Die Auswertung der von uns untersuchten Daten21 belegt eindeutig die besondere Rolle und Funktion der klitischen Subjektspronomina: In fast 95% aller finiten Sätze tritt ein Subjektsklitikon auf, d.h in nahezu allen Äußerungen mit einem finiten Verb steht auch ein Subjektsklitikon. Eine detailliertere Analyse der Daten zeigt, daß hinsichtlich der Obligatheit des Auftretens der klitischen Subjektspronomina grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Kontexten unterschieden werden muß: Erstens das Auftreten der SCLs mit Verben in der 1. und 2. Person und zweitens der Gebrauch von SCLs bei Verben, die für die 3. Person flektiert sind. Im ersten Fall, d.h. mit Verbformen der 1. und 2. Person, ist der Gebrauch der SCLs stets obligatorisch.22 Dies trifft auch dann zu, wenn in der Äußerung ein Pronomen der starken Form erscheint und gilt sowohl für den Fall, daß das "starke" Pronomen präverbal (vgl. 18a-b), als auch für den Fall, daß es postverbal steht (vgl. 18c-d):

21 Die hier vorgeschlagene Analyse beruht vorwiegend auf einer Auswertung von Daten des gesprochenen Französisch. Die von uns verwendeten Daten stammen aus einem Datenkorpus, das für eine Magisterarbeit an der Universität Hamburg erstellt wurde (vgl. KAISER 1988), basierend auf den Daten aus dem Forschungsprojekt DUFDE (Deutsch und Französisch: Doppelter Erstspracherwerb). Hierbei handelt es sich um ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes und am Romanischen Seminar der Universität Hamburg angesiedeltes Projekt zur Untersuchung des Spracherwerbs zweisprachig französich-deutsch aufwachsender Kinder; vgl. MEISEL, Hrsg. (i.E.). Dazu werden die Kinder alle zwei Wochen per Videogerät aufgenommen, während sie abwechselnd mit einem französisch- bzw. deutschsprachigen Projektmitarbeiter spielen. Das von uns verwendete Korpus enthält die Daten von vier französischsprachigen Erwachsenen aus insgesamt elf Aumahmesequenzen. 22

Ausnahmen bilden lediglich Imperative. Sie werden im Französischen ausschließlich ohne SCL gebraucht. Den Imperativsätzen kann jedoch auch aus anderen Überlegungen heraus eine Sonderrolle zugewiesen werden, da sie nur auf die 2. Person Singular und Plural bzw. auf die l. Person Plural beschränkt sind. Aus diesem Grunde wurden bei der Auswertung unserer Daten Imperative nicht berücksichtigt. Abgesehen von den Imperativen kann im gesprochenen Französisch noch in einigen Redewendungen, die eher einen formelhaften Charakter haben, das SCL der 1. Person fehlen, wie z.B. in connais pas, sais pas. Unser Korpus liefert hierfür keine Belege.

Subjekte und Null-Subjekte

(18a)

et moije, suis venue expres pourjouer avec toi 'und ich[süirk] ich[SCL] bin extra gekommen, um mit dir zu spielen1

(18b)

et puts noust ont va ranger? 'und dann wir[stark] wir[SCL] werden aufräumen 1

( 1 8c)

tu, veux aller aussi toi ? 'willst du(SCL] auch gehen du[aurk]?'

(18d)

jet /5 l'habiller moi, parce que t 'es vraiment trop lente 'ichtsCL] werde ihn anziehen ich[surk], denn du(SCL) bist wirklich zu langsam'

123

Was das Auftreten der SCLs mit Verbformen der 3. Person betrifft, so zeigt sich, daß ebenso wie die "starken" Pronomina der 1. und 2. Person die der 3. Person im gesprochenen Französisch offensichtlich ausnahmslos mit der entsprechenden klitischen Form gebraucht werden. In unseren Daten gibt es keinen Beleg für ein fehlendes SCL, wenn ein betontes Subjektspronomen auftritt.23 Eine Überprüfung des gleichzeitigen Auftretens von Subjektsnomen und SCL zeigt, daß 65% aller (nicht-pronominalen) Subjekt-NPs, die einem fmiten Verb vorangehen, mit pronominaler Kopie (SCL) auftreten. Ein Beispiel für solch eine Äußerung ist der Satz (19a). Die übrigen in (19) aufgeführten Sätze sind Beispiele für Äußerungen, in denen die präverbale Subjekt-NP ohne koindiziertes Klitikon auftritt: (19a)

le nounours, il, a unejolie robe 'der Bär er[SCL) hat einen schönen Rock'

(19b)

la grosse ^ € est habillee 1 'die große Puppe ist angezogen

(19c)

la voiture peut pas sortir 'das Auto kann nicht wegfahren1

( 19d)

Caroline n 'aime pas Brigitte 'Caroline mag Brigitte nicht'

(19e)

Jens a soif 'Jens hat Durst'

Die Auswertung unserer Daten bestätigt die Ergebnisse von G. SANKOFF (1982). Es zeigt sich, daß das klitische Pronomen sehr häufig als Kopie des Subjektes erscheint. Bemerkenswert ist, daß es sich in knapp der Hälfte der Äußerungen, die eine Subjekt-NP ohne SCL enthalten, bei den Subjekten um Eigennamen handelt; siehe die Beispiele (19d-e). G. SANKOFF (1982:83) weist darauf hin, daß Eigennamen einem besonderen Typ der SubjektNPs zugerechnet werden können. Behandelt man also die Konstruktionen mit Eigennamen

Im geschriebenen - und möglicherweise auch im gesprochenen - Standardfranzösisch können bisweilen 'starke" Subjektspronomina ohne entsprechendes Klitikon vorkommen. Das Fehlen des KJ i t ikons ist allerdings nur in der 3. Person möglich. Vgl. GREVISSE (1986:1011) bzw. die beiden folgenden Beispiele: (i)

"Lui pilotait la deceleration de l 'inflation [ . . . ] . "

(Le Monde vom 31.7.1987, S.6) (ii) 'Litt s Occupait de moi avec affection * (Camus, La peste, Paris: Gallimard 1947:267)

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Georg Kaiser & Jürgen M. Meisel

gesondert, so ergibt sich sogar eine Häufigkeit von 71,8% dieser NP+SCL-Sequenzen in unseren Daten. Somit belegt unsere empirische Untersuchung anhand der ermittelten Häufigkeiten der "Wiederaufnahme" der Subjekt-NP durch ein Klitikon in eindrucksvoller Weise, daß hier nicht von einer emphatischen Funktion dieser Konstruktionen gesprochen werden kann. Die Ergebnisse unserer Datenauswertung unterstützen vielmehr die von SANKOFF vertretene These, wonach diese Konstruktionen eine primär morphosyntaktische Funktion besitzen. Diese Schlußfolgerung erhält weitere Unterstützung, wenn man die im Französischen sehr häufig gebrauchten Äußerungen betrachtet, in denen die Subjekt-NP. nach dem Verb erscheint: In diesen Fällen tritt die Subjekt-NP ausnahmslos zusammen mit einem Klitikon vor dem finiten Verb auf. Als Beispiele für solche Äußerungen sollen die in (20) aufgeführten dienen:24 (20a)

je crois qu'elle^ est cassee cette barrierel 'ich glaube, daß sie[SCL] kaputt ist die Schranke

(20b)

iVj a disparu le pantalont 'sie[SCL] ist verschwunden die Hose1

(20c)

tu crois qu'il^ aime bien le lau le crocodile? 'glaubst du, daß es(SCL] die Milch mag das Krokodil?'

(20d)

comment { s'appelle en allemand un rhinonerosj 'wie heißt das[SCLJ im Deutschen ein Rhinozeros?'

Zwischen dem Satz und dem nachgestellten Subjekt wird in solchen Äußerungen im Französischen in der Regel auch keine intonatorische Pause gemacht, sodaß ein wesentliches Argument dafür entfallt, diese Konstruktionen als Beispiele für Rechtsdislokationen zu behandeln. Bereits bei SANDFELD (1928:43) findet sich ein Hinweis darauf, daß in Äußerungen, wie z.B. Elle jolie, sä femme, eine solche Pause meistens fehlt; vgl. auch LARSSON (1979:17), LAMBRECHT (1981:86): "La toumure est devenue coutumiere dans la langue de tous les jours chez beaucoup de personnes et se trouve meine souvent dans la langue ecrite. Aussi la courte pause qu'il y a a i'origine devant l'explication ajoutee apres coup, se lrouve-t-elle souvent supprimee [...]." (SANDFELD 1928:43)25

Außerdem ist zu beobachten, daß es kaum Unterschiede gibt, was die Interpretation eines Satzes mit vorangestelltem Subjekt im Vergleich zu einem Satz mit nachgestelltem Subjekt Handelt es sich bei Sätzen mit nachgestelltem Subjekt allerdings um einen Fragesatz, dann ist das Fehlen des SCLs möglich, jedoch sehr selten. In den von uns untersuchten Daten findet sich ein einziger Beleg für das Fehlen des Klitikons in einem solchen Fall: (i)

oü est le pantalon ? 'wo ist die Hose?'

Der gleiche Satztyp wird ansonsten ausnahmlos mit SCL geäußert: (ii)

oü il est le nounours? 'wo ef 'st der Bär?'

" 'Die Wendung ist in der Alltagssprache bei vielen Leuten üblich geworden und findet sich sogar häufig in der geschriebenen Sprache. Auch die kurze Pause, die sich ursprünglich vor der nachträglich hinzugefügten Erläuterung befand, wird häufig unterdrückt [...]'.

Subjekte und Null-Subjekte

125

betrifft. Man kann zweifellos sagen, daß beide Sätze "annähernd bedeutungsgleich" sind; vgl. SAFIR (1985:172). Nimmt man dieses Kriterium Safirs zur Definition von Freier Inversion als Grundlage, so folgt daraus, daß das Französische in der Tat die Möglichkeit besitzt, Subjekte frei zu invertieren.26 Mit anderen Worten, das Französische verfügt über eine der charakteristischen Eigenschaften der Null-Subjekt-Sprachen. Das Besondere am Französischen ist nur, daß die Inversion des Subjekts nur dann möglich ist, wenn ein SCL dem finiten Verb vorangeht. Damit unterscheidet sich das Französische nicht nur von einer "normalen" Null-Subjekt-Sprache, wie dem Italienischen, sondern auch von Null-SubjektSprachen, die Subjektsklitika besitzen, wie dem Trentinischen. Zwischen dem Trentinischen und dem Französischen können wir nämlich folgenden Kontrast beobachten: Während im Trentinischen das Auftreten des Klitikons bei nachgestelltem Subjekt ungrammatisch ist27, ist es im Französischen gerade umgekehrt; dort darf das Klitikon in diesem Fall nicht fehlen: (21) (a) (b)

Trentinisch

Französisch

*el magna Gianni magna Gianni

il mange Jean *mange Jean

Die wenigen Kontexte, in denen in finiten Sätzen im Französischen das SCL fehlen kann, beschränken sich folglich im wesentlichen auf Äußerungen mit präverbaler Subjekt-NP. Doch auch hier ist das Auftreten des SCLs - wie wir gesehen haben - der Regelfall. Ist das Subjektsnomen allerdings indefinit, so ist der Gebrauch eines koreferenten SCLs nicht sehr häufig zu beobachten. In unseren Daten findet sich kein Beleg für das Auftreten eines SCLs zusammen mit einem indefiniten Subjektsnomen.28 Sätze mit präverbalem indefiniten Subjekt sind im gesprochenen Französisch äußerst selten. In der Regel werden indefinite Subjekte mit der (il) y o-Konstruktion eingeleitet - wie etwa in den Beispielen in (22). Dies bedeutet, daß auch Sätze mit indefinitem Subjekt normalerweise ein SCL enthalten; vgl. dazu auch MATTHEWS (1988): (22a)

il y a un cheval sur la maison 'es gibt ein Pferd auf dem Dach'

(22b)

il y a un petit courant d'air la qui passe 'es gibt ein kleinen Luftzug da, der durchzieht1

2

" Auch die von RlZZI (1982:173,Fn. 1) aufgeführten Bedingungen für die Freie Inversion werden erfüllt: "The inversion rule of NSLs [= null subject languages, GK&JMM] does not involve the presence of a special marker or structural property of the clause."

27

RlZZI (1986b:409) weist darauf hin, daß im Florentinischen in Konstruktionen mit einem postverbalen Subjekt ein expletives SCL ("a preverbal expletive clitic with unmarked person and number specification") möglich ist.

2

° G. SANKOFF (1982:84) gibt zwar ein Beispiel für den Gebrauch eines SCLs in einem Satz mit indefinitem Subjekt: (i)

Un bricoleur-t, tu sais, il-t est toujours mieux qu'un homme du matter. 'Ein Bastler, weißt du, er(SCLj ist immer besser als ein Mann vom Fach'.

Dabei handelt es sich aber wiederum um einen besonderen Typ, da das indefinite Subjektsnomen hier generisch verwendet wird.

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Georg Kaiser & Jürgen M. Meisel

Ist die Subjekt-NP ein Personalpronomen der starken Form oder ein Demonstrativpronomen, so tritt in den von uns untersuchten Daten stets ein SCL auf.29 Eine andere Situation ist gegeben, wenn es sich bei der Subjekt-NP um eine andere Art von Pronomina handelt; dann erscheint nämlich im gesprochenen Französischen normalerweise kein SCL. Damit sind z.B. die erwähnten Indefinit- Pronomina gemeint. Des weiteren fehlt das SCL in der Regel in Relativ- und Fragesätzen, die mit dem Pronomen qui 'der/ wer' eingeleitet werden: (23a)

c'est un animal qui va dans le disert 'das ist ein Tier, das in die Wüste geht1

(23b)

qui Habite dans cette maison ? 'wer wohnt in diesem Haus?'

In den Daten unseres Korpus treten solche Sätze ausschließlich ohne SCL auf. LAMBRECHT (1981 :29f.) liefert allerdings Belege dafür, daß auch in Nebensätzen, die mit qui eingeleitet werden, der Gebrauch des SCLs möglich ist. Er weist darauf hin, daß in bestimmten französischen Dialekten bisweilen das Relativpronomen qui durch que ersetzt wird, wodurch die Verwendung des entsprechenden SCLs notwendig wird. Nach LAMBRECHT ist dies vor allem in c'ett-Konstruktionen, aber auch in anderen Relativkonstruktionen zu beobachten; vgl. auch ASHBY (1977:60):

(24a)

c 'est moit que jet pane 'das bin ich[suirk], der ich[SCL] spreche'

(24b)

le vasCi qu 'il} est sur le piano

'die Vase, die sie[SCL] ist auf dem Klavier

Wie wir gezeigt haben, werden die SCLs im gesprochenen Französisch in fast allen Kontexten mit finiten Verben in kategorischer Weise verwendet. Variabler Gebrauch ist in nur wenigen Konstruktionen belegt, d.h. bei indefiniten Nomina und bei Indefinit-, Relativ- und Interrogativpronomina. Hinzu kommt noch ein weiterer Kontext, der die Verwendung eines SCLs nicht kategorisch erfordert. Es handelt sich hierbei um Sätze mit sogenannten "unpersönlichen" Verben, die ein expletives Subjekt fordern. Dazu zählen z.B. Konstruktionen wie ilfaut 'man muß 1 , il paratt/il semble 'es scheint', ily a 'es gibt' oder ils'agit de 'es handelt sich (dar)um'. Unsere Daten belegen, daß Äußerungen dieser Art sehr häufig ohne Klitikon gebraucht werden:

29

(25a)

mais /aut plus le taper quand meme 'aber (man[SCL]) braucht ihn nicht mehr zu hauen'

(25b)

lä regarde y a une couverture id 1 'sieh her, (es(SCL]) gibt hier eine Decke

Vergleiche hierzu die folgenden Beispiele: (i)

celle-lä^ elle-t dolt aller 'die da siejSCL] muß gehen' (ii) celui-lät il-t a pas d'oreüle 'der da er[SCL] hat kein Ohr'

Subjekte und Null-Subjekte

127

Ebenso wie die Imperativsätze ist diese Konstruktion aber auf die 3. Person beschränkt. Im Gegensatz zu den Imperativen ist das Auslassen des SCLs in Sätzen mit expletivem Subjekt jedoch nicht obligatorisch, sondern fakultativ.30 Zusammenfassend kann man somit feststellen, daß im gesprochenen Französisch das SCL nur in wenigen Kontexten fehlt bzw. fehlen kann. Die Auswertung der Daten unseres Korpus macht deutlich, daß in nahezu allen Äußerungen, die ein finites Verb enthalten, ein SCL auftritt. Dies belegt eindrucksvoll die These, daß es sich bei dem SCL nicht um eine unabhängige NP handelt, sondern vielmehr um ein Element, dessen Auftreten eng zusammenhängt mit der Finitheit des Verbs. 6.2.

SCL als AGR in INFL

Die hier gewählte Art der Analyse ist insofern unorthodox als sie Fragestellungen und Erklärungsansätze aus sprachwissenschaftlichen Paradigmen verbindet, die üblicherweise als unvereinbar gelten. So scheint die Unterscheidung nach verschiedenen Lekten oder Varietäten im Sinne der Generativen Grammatiktheorie ein Phänomen der Performanz bzw. der pragmatischen Kompetenz zu sein, wodurch es aus dem Erklärungsbereich der Grammatik proper sensu herausfällt. Wir möchten dem entgegenhalten, daß damit unerklärt bliebe, daß Sprecher einer Sprache in der Tat die Fähigkeit besitzen, verschiedene Varietäten zu gebrauchen - Dialekte, Soziolekte, Register (d.h. situative Varietäten) - , die sich in wesentlichen grammatischen Eigenschaften unterscheiden können, ohne daß sinnvollerweise völlig separate grammatische Kompetenzen angenommen werden dürften. Außerdem muß ohnehin erklärt werden, wie Sprachentwicklung möglich ist - individueller Spracherwerb ebenso wie Sprachwandel, d.h. Veränderungen des Systems für die Sprachgemeinschaft. Mit der Ausgrenzung der angesprochenen Probleme ist keine befriedigende Lösung gefunden. Im übrigen erlaubt, nach unserem Verständnis, das Modell der Prinzipien und Parameter (CHOMSKY 1981) durchaus die Erklärung variabler Phänomene. Dies ist bisher vor allem so verstanden worden, daß grammatische Merkmale erfaßt werden können, in denen verschiedene Einzelsprachen differieren, ohne dabei den Prinzipien der UG zu widersprechen. In jüngster Zeit wurde diese Konzeption aber auch für die Erklärung von Sprachentwicklung genutzt, z.B. durch HYAMS (1983 bzw. 1986) für den Erstspracherwerb, WHITE (1985) u.a. für den Zweitspracherwerb und ADAMS (1987) für den Sprachwandel; vgl. auch die Arbeiten in ROEPER & WILLIAMS, Hrsg. (1987). Die von uns ausgewerteten Daten belegen eindeutig, daß in der Grammatik des gesprochenen Französischen das SCL nicht als NP fungiert. Auch die - ursprüngliche - Funktion der Hervorhebung der Subjekt-NP durch deren "Wiederaufnahme" kann durch das SCL nicht mehr erfüllt werden. Es erscheint in nahezu allen Äußerungen, die ein finites Verb enthalten, und ist somit "grammatisiert" (worden); vgl G. SANKOFF (1982). In diesem Sinne schlagen wir hier eine Analyse des gesprochenen Französischen als einer Varietät vor, die von allen Sprechern verwendet wird.

Auch im geschriebenen Standardfranzösisch sind nicht selten leere Expletiva zu beobachten. Vergleiche etwa die folgenden Belege aus F. Jacob, La statue int£rieure, Paris: Jacob 1987: (i)

Un etl, arrive pour quelques jours un lointain cousin de Lorraine 'Eines Tages kam für einige Tage ein entfernter Cousin aus Lothringen an1 (ii) A mesure que nous grimpions, s'abaissaii la mer et s'eloignait le claquement des vagues centre la falaise 'In dem Maße, wie wir kletterten, senkte sich das Meer und entfernte sich das Wellenschlagen gegen die Steilküste'

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Die empirischen Evidenzen und die im vorangehenden angesprochenen theoretischen Argumente sprechen dafür, daß SCLs in INFL generiert werden, so wie Rizzi (19865) für das Trentinische vorgeschlagen hat. Dies bedeutet, daß das SCL als phonetische Realisierung von AGR analysiert werden kann. Zunächst wird das finite Verb nach INFL angehoben; vgl. EMONDS (1978). Die AGR-Merkmale können dann auf der Ebene der Phonetischen Form (PF) als klitische "Präfixe" ausbuchstabiert werden bzw. als Suffixe am Verbstamm in den Fällen, in denen im gesprochenen Französischen noch ein overtes Flexionssuffix realisiert wird. Die Struktur des Französischen, wie sie in dieser Analyse vorgeschlagen wird, kann wie in (26) dargestellt werden:31 (26)

[mFL·. [NP [N Jean/lui/pro ] [WFL. [WFL [AGR U ]] [VP ... [v mange] ...]]]

Diese Analyse ist auch vereinbar mit dem Vorschlag von CHOMSKY (1988) und POLLOCK (1989), wonach AGR eine unabhängige Konstituente ist. Tatsächlich scheint unser Ansatz dadurch zusätzliche Unterstützung zu erfahren. In Anlehnung an CHOMSKY (1988) schlagen wir folgende Struktur vor: (27)

[B, [NP Jeanlluilpro\[V [AGR_S //][FP [F ][AGR.P [AGR.0] [VP... [v mange] ...]]]

Die Specifier-IP-Position kann entweder mit einer lexikalischen NP besetzt oder leer sein. Das Auftreten einer lexikalischen NP ist dadurch gewährleistet, daß AGR-S als der Kopf der IP dem Element in der Specifier-IP-Position den Kasus zuweist. Bei den wenigen Fällen, in denen ein gleichzeitiges Auftreten von Subjekt-NP und SCL nicht möglich ist (vgl. Abschnitt 6.1.), d.h. das unter AGR-S generierte SCL nicht phonetisch realisiert wird, handelt es sich möglicherweise um eine besondere Eigenschaft des Französischen, die aber auch in einigen anderen Sprachen zu beobachten ist: Im Ungarischen z.B. werden die Merkmale für die Objektkongruenz nur dann realisiert, wenn die Objekt-NP definit ist. Es könnte angenommen werden, daß die unter AGR-S generierten Subjektsklitika im Französischen - ähnlich wie die Merkmale für die Objektkongruenz im Ungarischen - neben den Merkmalen für Person, Genus und Numerus ( -Merkmale) mit dem Merkmal [+definit] spezifiziert sind. Die gleiche Beschränkung gilt im übrigen auch für den Fall, daß der Satz kein lexikalisches Subjekt enthält. Es wird im allgemeinen angenommen, daß in NullSubjekt-Sprachen die leere Specifier-IP-Position mit der leeren Kategorie pro belegt, die als definites (referentielles oder expletives) Pronomen fungiert; vgl. RIZZI (1986a:518ff.): pro kongruiert im Französischen mit den Merkmalen des SCLs, das sich im Kopf von INFL befindet. Diese Merkmale werden offen als "spell-out" von AGR realisiert und reichen aus, um den Inhalt der leeren Kategorie zu identifizieren.^ Das Auftreten von pro ist lizenziert, da es vom Kopf der IP streng regiert wird.

Nicht berücksichtigen konnten wir die Analyse von Y. ROBERGE, in der offensichtlich eine ganz ähnliche wie die von uns vorgetragene Analyse des gesprochenen Französischen vorgeschlagen wird. Leider war uns die betreffende Arbeit nicht zugänglich, sodaß wir uns nur auf die in ROBERGE (1988) enthaltenen Bemerkungen stützen können; auch dieser Aufsatz ist uns erst nach Fertigstellung dieser Arbeit bekanntgeworden. Dort wird folgende Analyse für das gesprochene Französisch vorgeschlagen:

(0 b (NP i /"»l · Ii IAGR «i l ITNS 11 IVP Iv ai + v l INP j J"»l 111 Damit liefert unsere Analyse eine unabhängige Evidenz für die Annahme von POLLOCK (1989:385), daß AGR im Französischen morphologisch "reicher" als im Englischen ist: Aufgrund dieser reichen Morphologie ist AGR im Französischen "transparent" für -Rollen-Zuweisung bzw. es besitzt die Fähigkeit, das Verb anzuziehen; vgl. auch CHOMSKY (1988).

Subjekte und Null-Subjekte

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Diese von uns vorgeschlagene Analyse erklärt, warum im gesprochenen Französisch bei unpersönlich gebrauchten Verben das SCL fakultativ ist: Ein expletives Null-Subjekt unterliegt nicht der Identifizierungsbedingung, sondern es muß lediglich vom Kopf der IP streng regiert sein; m.a.W. der Inhalt von pro muß in diesem Fall nicht notwendigerweise durch ein "reiches" AGR identifiziert sein; vgl. auch JAEGGLI & SAFIR (1989:31). Wie wir gesehen haben, kann im gesprochenen Französisch die Subjekt-NP auch postverbal erscheinen. Diese Beobachtung zeigt, daß offensichtlich eine Korrelation zwischen der Null-Subjekt-Eigensch&ft und der Fähigkeit der Freien Inversion besteht, wie sie bereits von CHOMSKY (1981) beobachtet wurde. In Anlehnung an CHOMSKY (1982) nehmen wir an, daß bei der Freien Inversion die nachgestellte Subjekt-NP den Kasus von INFL "erbt" und dadurch die entsprechende -Rolle erhält. 7.

Historische Evidenz

Das Altfranzösische weist typische Merkmale einer Null-Subjekt-Sprache auf:33 Pronominale Subjekte, d.h. die Formen, aus denen die klitischen Subjektspronomina des Neufranzösischen hervorgegangen sind, können fehlen; expletive Subjektspronomina gibt es gar nicht. Außerdem besitzt das Altfranzösische zumindest bis zum XII.-XIII. Jhdt. eine "reiche" Verbalmorphologie. Die Wortstellung ist im Vergleich zum Neufranzösischen sehr frei. Ab dem XIII. Jhdt. nimmt die Verwendung des Subjekts zu, geht vor allem in der literarischen Sprache des XVI. Jhdt. unter dem latinisierender» Einfluß der Humanisten wieder zurück, gilt dann aber ab dem XVII. Jhdt. als obligatorisch, bzw. der Gebrauch des Subjekts wird nun von den Grammatikern verlangt. Da wir zu dem Schluß gekommen sind, daß zumindest das gesprochene Französische heute eine Null-Subjekt-Sprache ist, liegt die These nahe, daß sich ein Wandel von [+pro-drop] über [-pro-drop] zu [+pro-drop] vollzogen hat. Angesichts der Tatsache jedoch, daß die gängigen Analysen sich auf die Standardvarietät oder gar auf die Schriftsprache beziehen, d.h. auf die Varietäten, die gerade im XVII. Jhdt. und in der Folgezeit starken Normierungskräften ausgesetzt waren, kann man die Frage stellen, ob nicht die Null-Subjekt-Eigenschaften in der Grammatik der gesprochenen Sprache durchgängig erhalten geblieben sind. In der Tat ist der Gedanke, daß die Charakteristika des gesprochenen Französisch nicht alle als Neuentwicklungen zu erklären sind, sondern daß diese Varietät auch konservative Züge aufweist, durchaus nicht neu. BORK (1975:37) geht sogar so weit zu schreiben: "Das gesprochene Französisch ist durchweg konservativ; von franqais oder gar von einem "frangais nouveau" kann überhaupt keine Rede sein." Auf wenigen Seiten kann dieses Problem natürlich nicht befriedigend behandelt werden; vgl. CHRJSTMANN (1978). Ein kurzer Exkurs könnte aber dennoch von Interesse sein, zumal dadurch einige Fragen in den Blick kommen, die die Erklärung von sprachlichen Entwicklungen im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie berühren. Wir stellen die These auf, daß auch das Altfranzösische eine Struktur aufweist, die weitgehend der zuvor für das heute gesprochene Französische angenommenen entspricht. Pro wird demzufolge, wie in den anderen romanischen Sprachen auch, durch INFL ordentlich regiert und somit lizensiert. Problematisch ist allerdings, ob die Verbalflexion reich genug war, um auch den Inhalt der leeren Kategorie zu identifizieren, oder ob man bereits für das Altfranzösische annehmen muß, daß das Subjektspronomen in INFL generiert wurde und so diese Funktion übernehmen konnte.

33

Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, daß wir uns der schwierigen Beleglage für das Altfranzösische bewußt sind. Wir denken aber, daß die für unsere Argumentation relevanten Fakten als gesichert gelten können, und verweisen an den entsprechenden Stellen ?'if Standardwerke zum Altfranzösischen.

130

Georg Kaiser ro-Identifizierung in einer Kette. Es fragt sich nun, wie sich (8b) in bezug auf unseren Fall verhält. Es ist intuitiv klar, daß das Matrixverb als lizensierender Kopf den Inhalt des leeren Pronomens nicht rekonstruieren kann, da es keine Objektkongruenzmerkmale trägt. Dies gilt auch für INFL der dritten Person, das im Bdt. pro nicht identifizieren kann. Diese Funktion muß einer anderen Kategorie überlassen werden, nämlich dem Relativsatz, und zwar derart, daß die -Merkmale seines Kopfes die des pro sichtbar machen. Dies unter der Annahme, daß: a. der eingebettete Satz das Bezugsnomen quasi antezedens-regiert, sofern wir Antezedensrektion als Rektion durch eine koindizierte maximale Projektion definieren, und daß b. durch die Anwendung der Prädikationsregel sowohl der Kopf des Relativsatzes, der Relativsatz als ganzes wie auch die wh-Phrase (inkl. der dazugehörigen Lücke) mit pro koindiziert wird. Mit dieser Arbeitshypothese als Ausgangspunkt stellt sich nun die Frage nach dem kausalen Zusammenhang zwischen der zweiten Klausel des /?ro-Moduls (8b) und der Lizensierung von DFCn. Mit anderen Worten: ist es plausibel anzunehmen, daß die Anwesenheit von daß in C° in irgendeiner Weise dazu führt, daß pro-Identifizierung unter der in (8b) angegebenen Bedingung nicht stattfinden kann? Unsere Argumentation basiert darauf, daß das tatsächlich der Fall ist. Wenn der Kopf der eingebetteten CP als daß realisiert wird, dann sollte dieses Element gemäß unserer Interpretation von (8b) die -Merkmale des leeren Bezugsnomens, nämlich Genus, Numerus und Person nach der Standardauffassung, diskret aufweisen. Es ist nun klar, daß daß diese Bedingung nicht erfüllt, da es die notwendige Merkmalsspezifikation per se nicht ausbuchstabieren kann. Wie verhält es sich nun, wenn die Generierung von daß in C° unterbleibt? In der Literatur (für eine Übersicht vgl. u.a. ROTHWEILER 1989) werden für diesen Fall zwei Möglichkeiten angeführt, die sich an der Oberfläche nicht voneinander unterscheiden lassen: Entweder ist C° phonetisch leer, oder es ist vom wh-Wort besetzt (in komplementärer Distribution mit daß). Im letzteren Fall ist unmittelbar klar, woher die für die Identifikation von pro nötigen -Merkmale kommen würden. Es fragt sich dann allerdings, wie das wh-Wort in die C°-Position gelangen kann. Wenn es direkt aus seiner Position innerhalb der IP nach C° kopfbewegt werden sollte, dann müßte es - außer im Fall des Subjekts - mehrere Köpfe (mindestens V und INFL) überspringen, was eine Verletzung des Head Movement Constraint darstellen würde. Wenn andererseits zuerst die ganze wh-Phrase nach SPEC-CP

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Thomas Bader & Zvi Penner

bewegt und das wh-Wort von dort aus in C° inkorporiert würde, würde dies bedingen, daß C° seinen Speziflkator L-markieren müßte, da ja sonst eine Barriere (die XP in SPEC-CP) überschritten werden müßte. Dies stimmt aber mit den Standardannahmen der Barrierentheorie nicht überein. Wir gehen also davon aus, daß diese Option aus theoretischen Gründen11 nicht adäquat sein kann und verfolgen sie nicht weiter. Für den erstgenannten Fall, nämlich jenen des leeren Kopfes, nehmen wir an, daß die Merkmale des wh-Wortes via SPEC/Kopf-Kongruenz nach C° transferiert werden. Dies ermöglicht dann die Identifizierung von pro im Matrixsatz nach der oben gegebenen Interpretation des pro-Moduls. Nicht unwichtig in diesem Zusammenhang ist die Frage nach der Identität der Merkmale, die an diesem Prozeß teilnehmen. Die Koindizierung der whPhrase mit dem /»ro-Kopf kann maximal fünf Kongruenzmerkmale involvieren: Genus, Numerus, Person, Kasus und kategoriale Identität. Die Teilnahme dieser Merkmale amproIdentifizierungsprozeß ist von einem hierarchischen Prinzip gesteuert, das GROSU (1987) entwickelt hat. Wir geben hier unsere leicht modifizierte Version dieser Theorie an. Welche Merkmale beim Identifikationsprozeß wirksam werden, hängt davon ab, welche Merkmale das wh-Pronomen ausbuchstabiert. Wenn das wh-Pronomen, wie z.B. im Altgriechischen12, Genus, Numerus und Person (via Default-Zuweisung) overt realisiert, dann ist diese Merkmalsspezifikation ausreichend, um den leeren Kopf identifizieren zu können. Die zwei anderen Merkmale bleiben unberücksichtigt. Wenn hingegen die Morphologie des whPronomens "zu arm" ist im Sinne des />ro-Moduls, dann hängt die Identifizierbarkeit des Bezugsnomens von den anderen in Frage kommenden Kongruenzmerkmalen ab, nämlich Kasus und kategorialer Identität. Man beachte hier, daß die Hypothese, wonach "reiche" (d.h. overte) Kasusübereinstimmung, analog zu INFL-Kongruenz, pro identifizieren kann, auf die in HARBERT (1983) und SUNER (1984) entwickelten Theorien zurückgeht. Wie GROSU argumentiert, sagt diese Hypothese das Eintreten bzw. die Abwesenheit der "Matching-Effekte" voraus: Haben die wh-Pronomina in einer Sprache reiche Morphologie, so brauchen sie in FRen mit dem Kopf in bezug auf Kasus und kategoriale Identität nicht übereinzustimmen. Fehlt hingegen diese Merkmalsspezifizierung, so treten "Matching-Effekte" kompensatorisch ein. Im Bdt. sind nun, im Unterschied zum Altgriechischen z.B., die wh-Pronomina in bezug auf Genus und Numerus unspezifiziert. Dabei erweist sich das Merkmal [±human] als irrelevant in diesem Kontext. Diese Sachlage impliziert, daß die anderen Kongruenzmerkmale, nämlich Kasus und kategoriale Identität, nach C° versetzt werden müssen, um von dort aus den Inhalt des leeren Kopfes zu rekonstruieren. Die Übereinstimmungsbedingung und das Verbot des Pied Piping lassen sich dann aus dieser Tatsache ableiten. Wir haben oben festgehalten, daß daß das leere Bezugsnomen nicht identifizieren kann, weil es die Merkmale Genus, Numerus und Person nicht ausbuchstabiert. Angesichts der Annahme eines erweiterten Identifizierungsmechanismus stellt sich jedoch die Frage, aus welchem Grund die identifizierenden Merkmale Kasus und kategoriale Zugehörigkeit in eine durch daß besetzte C°-Position nicht perkolieren können. Die Antwort darauf scheint uns mit der Annahme zusammenzuhängen, daß in einem solchen Fall die notwendige Kongruenz nicht hergestellt werden kann. Dafür bieten sich zwei Erklärungen an. Die erste basiert auf der Hypothese, daß der Complementizer ein zusätzliches Merkmal trägt, das die Man beachte, daß sich diese Option nicht empirisch verfolgen läßt, da die infragekommenden Tests aus unabhängigen Gründen negative Resultate ergeben. Dies betrifft die Nicht-Lizensierung von komplexen NPn (die nicht genetisch interpretierbar sind) und die Ungrammatikalität von Präpositionsstrandung. Es ist uns allerdings noch unklar, ob die Relativpronomina des Altgriechischen als C° oder als SPEC-CP Elemente aufzufassen sind. Wenn die erste Option gewählt wird, muß man wahrscheinlich davon ausgehen, daß das Relativpronomen seine Merkmale durch A'-Kongruenz erhält.

Complementizer-System der Freien Relative

145

Merkmalsunifikation blockiert. Es könnte sich dabei um [+fmit] handeln, im Sinne der von PLATZACK & HOLMBERG (1989) entwickelten Theorie. Wenn man nun zusätzlich annimmt, daß der [+finit] Complementizer im Bdt. (Vgl. BADER & PENNER 1988) dem Subjekt den Nominativ zuweist, dann sollte daß kasusresistent sein im Sinn von STOWELL (1981) und keine Kasusmerkmale empfangen dürfen. Unter diesen Bedingungen ist anzunehmen, daß Identifizierung durch Kasuskongruenz nicht zustande kommen kann. Es scheint uns jedoch problematisch anzunehmen, daß die Tatsache, daß die C° Position in FRen leer ist, bedeutet, daß die Merkmale [+fmit] und [-l·Nominativzuweisung] von einem anderen Kopf getragen werden müssen (z.B. von 1°), und genau das müßten wir tun, wenn wir die Wirkung von daß auf diese Art erklären wollten. Schließlich wird ja die Position dieser Merkmale im System von PLATZACK & HOLMBERG als Parameterwert verstanden, der natürlich in einer bestimmten Sprache nur auf eine Art gesetzt werden kann. Diese Überlegungen führen uns zu einer alternativen Erklärung, die auf dem in Rizzis "Relativized Minimality" (1989, Kap. 2) entwickelten System beruht. RIZZI klassifiziert Complementizer nach den folgenden Merkmalen: [±wh], [±predicative], [±A'-Agr] (d.h. Kongruenz mit SPEC-CP) und [±A-Agr] (d.h. Kongruenz mit dem Bezugsnomen). Die erste infragekommende Möglichkeit, das DFC-Verbot zu erklären, wäre davon auszugehen, daß der Complementizer daß im Bdt. (vielleicht im Unterschied zu da im Westflämischen) [-predicative] ist, wobei [+predicative] der Partikel wo reserviert ist. Daß diese Annahme nicht stimmen kann, sieht man daran, daß daß als Kopf von prädikativen CPn auftreten kann, nämlich in den "unechten" freien Relativen (s. 1.5. unten) und in Korrelat-Konstruktionen (inkl. Exklamativen). Was aber die daß-Sätze auszeichnet, ist die Tatsache, daß C° mit dem Operator in SPEC-CP nicht kongruieren kann. Diese Art von Kongruenz findet sich nur in Relativsätzen mit wo in der C° Position.13 Das gesamte Merkmalssystem würde dann wie folgt aussehen: (9)

daß

[+wh] [-»-predicative] [-A'-Agr] [+A-Agr]

vs.

wo

[-wh] [+predicative] [+A'-Agr] [-A-Agr]'4

Wir gehen hier tentativ davon aus, daß alle HO-Relative einen Operator in SPEC-CP haben, und zwar unabhängig davon, ob eine Bewegung in der Syntax stattfindet oder nicht (z.B. im Fall eines in einer wh-Insel eingebetteten resumptiven Pronomens). In diesem System sollte wo, unter anderem, Agr mit SPEC-CP ausbuchstabieren, das Subjektextraktion ermöglicht. Der negative Wert des Merkmals [A-Agr] sollte der Tatsache Rechnung tragen, daß wo in Korrelat-Konstruktionen nicht auftreten darf.

146

Thomas Bader & Zv/ Penner

Wenn diese Analyse korrekt ist15, d.h., wenn im Fall von daß keine Kongruenzregel anwendbar ist, die Merkmale von SPEC-CP nach Kopf-CP perkolieren läßt, so kann der letztere die für /iro-Identifizierung notwendigen Kongruenzmerkmale nicht erhalten. Dies führt zu einer Veletzung des ^ro-Moduls und somit zu Ungrammatikalität. Die einzige Möglichkeit, diesen Konflikt aufzulösen, ist C° leer zu lassen. Dies ermöglicht, wie im Englischen, die freie Perkolation von Agr aus SPEC-CP. Kurz zusammengefaßt: Wir leiten die Ungrammatikalität des DFC von der Tatsache ab, daß C° leer sein muß, um die Kasus- und Kategoriemerkmale der wh-Phrase übernehmen zu können. Durch diese Merkmalsübertragung erwirbt C° die Fähigkeit, den Kopf des Relativsatzes zu identifizieren. Als Nebenprodukte ergeben sich die Unzulässigkeit des Pied Piping und die Kasusübereinstimmungs-erfordernis. 1.5.

"Pseudo" Freie Relative

In (2) oben haben wir Beispiele für FRe angeführt, die den Beschränkungen, die für die Gruppe (1) gelten, nicht unterliegen, also Pied Piping und DFC zulassen. Auffällig ist, daß diese Gruppe semantisch eingeschränkt ist, und zwar derart, daß diese Konstruktionen die Einstellung des Subjekts zum Ausdruck bringen. Wie oben erwähnt besteht diese Gruppe ausschließlich aus FRen mit Prädikaten des Typus wöue "wollen", passe "passen" oder gfaue "gefallen", die Volition oder relative Gleichgültigkeit in bezug auf die Auswahl des Objektes ausdrücken. Typische Beispiele sind die in (2), die wir hier als (10) wiederholen: (lOa)

%i ich

mache was (daß) tue was daß

i won ich will

(lOb)

i tanze mit warn (daß) i won ich tanze mit wemdaß ich will

(lOc)

/ ga wohäre (daß) i won ich gehe wohin daß ich will

Wie kann man die Besonderheiten dieser Gruppe im Rahmen der hier entwickelten Theorie erklären? Unser Ansatzpunkt ist die schon erwähnte semantische Eigenschaft der Gruppe (2). Die Bedeutung eines FRs der Gruppe (1) könnte man völlig informell wie in (11) paraphrasieren:

Dieses Analyse wird durch die Grammatik der vollen Relativsätze im Hebräischen unterstützt. Im allgemeinen kennt das Hebräische zwei Relativpartikel: sehe- und 'ascher. Nach BORER (1984) ist sehe- der Default-Complementizer, wobei 'ascher nur dann vorkommen kann, wenn der Complementizer mit dem Bezugsnomen koindiziert werden kann. In Rizzis System sind beide [ +predicative], sehe- ist [± AVA-Agr] und 'ascher [-A'/+A-Agr]. Dies impliziert, daß der letztere, wie daß, in FRen nicht auftreten darf; eine Tatsache, die die Grammatik bestätigt. Genauer gesagt, es kann nur in modalen Relativen (Typus yihye 'ascher yihye 'es soll werden was es will') vorkommen, die, wie wir weiter unten sehen werden, keine proIdentifizierung verlangen. Was die sogenannten Semi-Relative im Hebräischen, vgl. SlLONI (1989), die ähnlich wie im Altgriechischen - in der Kopfposilion den bestimmten Artikel ha- aufweisen, betrifft, so läßt sich feststellen, daß sie mit FRen inkompatibel sind. Dies ist auf die Tatsache zurückzuführen, daß sie DFC nicht zulassen. Nach SILONI (1989) ist dieses Verbot dadurch motiviert, daß ha- [+predicative, -wh] ist. Wir vermuten hingegen, daß diese Eigenschaft daher kommt, daß ha- in Relativen einerseits zu arm ist, um den Matrixkopf identifizieren zu können und andererseits keine Ausweichmöglichkeit hat, C° zu entleeren. Wir werden unten sehen, wie der Complementizer sehe- diese Schwierigkeiten überwinden kann. Dies unterscheidet sich vom Altgriechischen, wo der voll flektierende Relativpronomen ein whElement zuläßt (in Komposita).

Complementizer-System der Freien Relative

(11)

ich kaufe x, für die gilt, daß du

147

kaufst

Mit anderen Worten, solche FRe haben eine referentielle Lesart. Dies manifestiert sich strukturell dadurch, daß solche Konstruktionen einen referentiellen Kopf haben, der eine wh-Phrase bindet (vgl. (7) oben). Daher kann diese komplexe NP als Antezedens für Anaphern figurieren, wie z. B in (12): (12)

erhetkchoufl was[ im si er hat gekauft was ihm seine het'Si nachher i Schöpf hat es nachher in-den Schuppen

Mueter empfole het u Mutter empfohlen hat und ta getan

Wir haben in dieser Gruppe zwei strukturelle Optionen, nämlich mit und ohne DFC. Die der Gruppe (1) zugeschriebene referentielle Interpretation ist bei denjenigen Konstruktionen der Gruppe (2), die DFC aufweisen, unmöglich. Solche ohne DFC hingegen lassen sowohl die referentielle als auch die nicht-referentielle Interpretation zu. Dies zeigt sich im folgenden Minimalpaar, wo anaphorische Beziehungen analog zu (12) nur in (13b) hergestellt werden können:

(Da)

er het kchouft wasijlaß. er het wöue

u

er hat gekauft was daß er hat wollen und hat es nachher i Schöpf ta nachher in-den Schuppen getan

(13b)

er het kchouft was-t er het wöue u het's^ nachher i Schöpf ta

Daraus schließen wir, daß die DFC- Versionen von (10) nicht wie in (11) paraphrasiert werden können. Vielmehr tragen sie die Bedeutung eines freien Adjunktsatzes.16 Wir umschreiben (lOa) als (14):

(14)

ich kaufe irgendetwas wie es mir gefällt

Entscheidend an dieser Paraphrase ist, daß kein Element des FRs direkt dem Objekt des Matrixverbes entspricht. Dies könnte sich syntaktisch derart niederschlagen, daß das übergeordnete Objekt als ein vom Matrixverb lizensiertes protri> im Sinn von RIZZI (1986) realisiert wird, währenddem der "FR" nicht als Bestandteil einer NP auftritt, sondern als CP-, evtl. IP-Adjunkt. Wir nehmen also an, daß bei Konstruktionen vom Typus (10) gar keine Prädikationsbeziehung zwischenvdem "Freien Relativsatz" und einem Bezugsnomen mit anderen als default -Merkmalen besteht. Es handelt sich somit nicht um Relativsatzkonstruktionen im üblichen Sinn. Dieser Gruppe wird die D-Struktur (15) zugewiesen: (15)

[CP [Cp tc tu·· IIP i tr [Vp t NP/"».A] ro-Modul Harberts Stipulation völlig überflüssig. Es sei hier auch darauf verwiesen, daß der auf Direktionalität basierten Ansatz dadurch unterstützt wird, daß das absolute Pied Piping-Verbot in erster Linie für V/2-Sprachen gilt, wobei Sprachen mit rechtsgerichteter Rektion (Hebräisch, Spanisch, Französisch usw.) Pied Piping grundsätzlich zulassen. l^Wie ADAMS (1987) bemerkt, ist die Anwendung eines pro-Moduls mit einem Direktionalitätsfaktor auf das Phänomen des Subjekt-pro-drops in V/2-Sprachen wegen der Verbbewegung nach C° problematisch. Auch im Bdt. passen die Daten bezüglich der Lizensierung von pro-Subjekten nicht ohne weitere Spezifizierung der Bedingungen in unser Schema hinein. Von COMP-adjungierten Klitika abgesehen läßt Bdt. Subjekt-pro-drop nur in der zweiten Person Singular zu, vgl. PENNER (1988). Eine zusätzliche Bedingung ist, daß das flektierte Verb in C° sein muß. Man beachte, daß die in COOPER & ENGDAHL (1989) diskutierten Fälle des Bdt., wo pro-drop auch in eingebetteten Sätzen grammatikalisch zu sein scheint, höchst wahrscheinlich Assimilationen des Klitikons der zweiten Person singular d' an den -soder Dentalauslaut des Complementizers sind, die sich rein phonetisch von der Kette COMP pro nicht unterscheiden lassen.

152

Thomas Bader & Zvi Penner

Kette der Form (22) entstehen kann. Da im eingebetteten Satz eine PP und keine bloße whPhrase steht, kommt es bei der Identifizierung des pro immer zu einem kategorialen "Clash", wodurch solche Konstruktionen ausgefiltert werden.

Wenn diese Beurteilung stimmt, dann gerät (8a) deshalb in Schwierigkeiten, weil sich die Lizensierung des Subjekt-/»ro-drops spiegelbildlich zu den tatsächlichen Daten hätte verhalten sollen. D.h. Subjekt-prodrop im Bdt. hätte nur in eingeleiteten Nebensätzen zugelassen sein sollen, wo sich das flektierte Verb auf der rechten Seite des Subjektes befindet. Um die Direktionalitätsbedingung aufrechterhalten zu können, muß man das pro-Modul differenzierter formulieren als in (8). Dabei scheinen die folgenden Punkte wichtig zu sein: a. Es ist die D-Strukturposition, die für (8a) relevant ist. b. Die Bedingung der kanonischen Rektionsrichtung gilt für die formale Lizensierung jedoch nicht für die Inhaltsrekonstruktion. Diese leichte Modifizierung des pro-Moduls ließe sich wie folgt auf unseren Problemfall anwenden. Wie in BADER & PENNER (1988) angedeutet, gibt es Evidenz dafür, daß Bdt. zwei AGR-Positionen hat, nämlich in IP und an C°. Es ist jedoch nicht a priori klar, welche von beiden die Funktion des identifizierenden Elementes erfüllt. Angesichts der hier dargestellten Daten scheint es so zu sein, daß AGR an C° der identifizierende Kopf ist. Wenn nun der Complementizer kein Subjektklitikon trägt, ist diese AGR-Position in bezug auf /x-Merkmale unterspezifiziert und kann das leere Subjekt nicht identifizieren. Dies erklärt die selektive Lizensierung von pro-Subjekten im Bdt.

Complementizer-System der Freien Relative

153

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154

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Abstrakte Inkorporation Gereon Müller

0.

Einleitung1

Im folgenden geht es vor allem um die Entwicklung einer Theorie der strikten Rektion, mit Hilfe derer Beschränkungen für A'-Bewegung im Deutschen abgeleitet werden können.2 Zentral ist dabei der Begriff der Barriere. Es lassen sich im wesentlichen zwei Strategien unterscheiden, nach denen der Barrierenbegriff in der Literatur festgesetzt worden ist: (a) Barrieren per Nicht-Selektion (nach CHOMSKY (1986): XPs, die nicht L-markiert werden); und (b) Barrieren per Minimalität. Beide Versionen sind natürlich von vornherein nicht inkompatibel (bei CHOMSKY 1986 oder BAKER 1988 etwa gibt es jeweils sowohl Nicht-Selektions-Barrieren, als auch Minimalitätsbarrieren). Letztlich handelt es sich hier aber um konkurrierende Modelle, und es treten in Theorien, die beides annehmen, auch Redundanzen auf. Im folgenden wird daher versucht, auf das Konzept der Nicht-Selektions-Barriere ganz zu verzichten. Stattdessen wird BAKERS (1988) Theorie der Minimalitätsbarrieren zugrundegelegt und modifiziert. Während dort allerdings in erster Linie Barrieren für Kasusrektion betrachtet werden, geht es hier vor allem um eine Abänderung des BAKERschen Konzepts zur Erfassung von Barrieren für Antezedens-Rektion. Der wichtigste Slogan von BAKER lautet: Inkorporation öffnet Minimalitätsbarrieren. Zunächst einmal scheint es nicht besonders nahe zu liegen, dies auch für Sprachen wie das Deutsche anzunehmen, das ja sicherlich nicht zum polysynthetischen Typ gehört. Es hat sich in der generativen Syntax aber mehr und mehr die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich typologisch ganz unterschiedliche Sprachen auf einer hinreichend abstrakten Ebene doch sehr ähnlich sein können (cf. z.B. HUANGS 1982 Arbeit über W-Bewegung im Chinesischen und Englischen). Gerade diese Strategie werde ich in diesem Papier bzgl. des Phänomens der Inkorporation verfolgen (wie das auch schon BAKER in einigen Fällen macht). Die These ist, daß Inkorporationsphänomene im Deutschen im selben Maße vorhanden sind wie z.B. in nordamerikanischen Indianersprachen oder in den Bantu-Sprachen, nur eben als abstrakte Inkorporation auf einer anderen (nicht sichtbaren) Ebene, auf LF. Dieses Papier ist eine geänderte und gekürzte Version von MÜLLER (1989a); dies wiederum entspricht einem Teil meiner Magisterarbeit (1989). Für ausführlichere und weitergehende Diskussionen problematischer Punkte und weitere Analysen im selben Rahmen werde ich daher im folgenden häufiger auf letztere Arbeit verweisen (in der Hoffnung, daß dies nicht allzu penetrant wirkt). Vorversionen von Teilen der Arbeit sind auf dem GGS-Treffen im Oktober 1988 in Wien und in der Syntax-AG auf der Jahrestagung der DGfS im März 1989 in Osnabrück vorgetragen worden. Für hilfreiche Anregungen, Kritik und Diskussionen möchte ich mich bei Josef Bayer, Gisbert Fanselow, Willy Geuder, Günther Grewendorf, Zvika Penner, Joachim Säbel, Peter Staudacher, Amim von Stechow, und vor allem bei Wolfgang Stemefeld bedanken. Was sicherlich trotzdem noch verbliebene Inkonsistenzen betrifft, so hoffe ich, daß sie nicht entscheidend und im Prinzip korrigierbar sind. Die Arbeit ist entstanden im Rahmen des von der DFG geförderten Projekts ff ST 525/89. Tatsächlich wird nur ein Typ von A'-Bewegung eine Rolle spielen, nämlich Operatorenbewegung (Bewegung nach SpecC); Scrambling wird ignoriert (vgl. MÜLLER 1989 für eine Analyse im Rahmen der vorliegenden Theorie).

156

Gereon Müller

Das Papier ist wie folgt organisiert. Im ersten Teil steht das Auftreten bzw. Fehlen von K(omplementierer-)S(pur)- (*thai-t-) Effekten im Vordergrund. Es wird dafür argumentiert, daß IP eine Barriere für das Subjekt ist, die aufgebrochen werden kann, wenn I und C koindiziert sind; letzteres ist nur unter ganz bestimmten, genau zu spezifizierenden Bedingungen möglich. Die Grundidee dieser Analyse ist in bisher entwickelten Theorien über den Zusammenhang von Barrieren und A'-Bewegung nicht umzusetzen. Daher wird im darauf folgenden zweiten Teil eine Version von BAKERS (1988) Theorie der Barrieren entwickelt, die eben dies erlaubt. Zugrundelegend ist hier der Begriff der (offenen oder abstrakten) Inkorporation. Es wird gezeigt, daß Inkorporation (= X°-Bewegung) für Antezedens-Rektion die Konsequenz hat, daß Barrieren geöffnet werden, und darüber hinaus eine Neuformulierung des Konzepts der -Rektion erlaubt (unter Bezug auf X°-Ketten statt nur X°-Kategorien), die von den Daten her erwünscht ist. Im dritten Teil versuche ich nachzuweisen, daß abstrakte Inkorporation im Deutschen nicht nur I und C betrifft, sondern z.B. auch N und V; dies ermöglicht u.a. eine kohärente Analyse der Möglichkeiten im Deutschen, aus NPs zu extrahieren, erfaßt die Opazitätsinduzierende Wirkung von NP-Spezifikatoren, erlaubt eine Erklärung des Brückenverb-Phänomens und macht korrekte Prognosen über die Distribution und Durchlässigkeit von V/2-Komplementen. Im vierten Abschnitt werden kurz weitere mögliche Konsequenzen der Analyse erwogen, insbesondere hinsichtlich von P- und -Inkorporation. Abschließend werden Beschränkungen für abstrakte Inkorporation und die konzeptuelle Einbettung dieses Begriffs diskutiert. 1.

Lange A'-Bewegung im Deutschen

1.1.

Komplementierer und Minimalität

Ausgangspunkt seien die folgenden Daten mit langer Bewegung aus Komplementsätzen im Englischen:

(la)

*whol did you think [cp t/ [c. that [Ip t; kissed George]]]!

(Ib)

who, did you think [cp V [c. that [& George kissed t,]]]?

(Ic)

\vhoi did you think [CP tj1 [c. [, t; kissed George]]]!

(Id)

whot did you think [cp t/ [c. [IP George kissed t;]]]?

(le)

why{ do you think [Cf t/ [c. that [y there are flecks of foam in the trees around Barking t;]]]?

(If)

whyt do you think [cp t;' [c. [^ there are flecks of foam in the trees around Barking t,]]]!

Extraktion eines Objekts ist hier offenbar immer möglich, Extraktion eines Subjekts nur dann, wenn kein lexikalischer Komplementierer den Komplementsatz einleitet; ansonsten tritt ein KS-Effekt auf (PERLMUTTER 1971, CHOMSKY/LASNIK 1977). Die Bewegung eines Adjunkts dagegen ist wiederum möglich (HUANG 1982), obwohl sich sonst Adjunkte im

Abstrakte Inkorporation

157

Hinblick auf das ECP nicht wie Objekte, sondern wie Subjekte verhalten (z.B. bei W-Inseln).3 In der Theorie von CHOMSKY (1986, Kap. 8) wird diese Evidenz wie folgt abgeleitet. Die Sätze (lb,d) sind grammatisch, weil die Objektspuren vom Verb 6-regiert sind, (la) ist ungrammatisch, weil die nicht -regierte Subjektspur auf Antezedens-Rektion durch t/ in SpecC angewiesen ist, und dies aufgrund einer durch that ausgelösten Minimalitätsbarriere nicht zustandekommt. Da jedoch leere bzw. .merkmallose Komplementierer keine Barrieren auslösen können, ist (Ic) wieder akzeptabel. Die Adjunktspur t; in (le) ist zwar auch nicht -regiert; sie kann aber durch tj' auf LF, nach der Tilgung des semantisch leeren that, Antezedens-regiert werden, und für Adjunktspuren wird gemäß LASNIK/SAITO (1984) angenommen, daß sie im Gegensatz zu Argumentspuren das ECP erst auf LF erfüllen müssen. Wie nun die folgenden Beispiele in (2) zeigen, sind im Deutschen lange Extraktionen von W-Phrasen aus durch lexikalische Komplementierer eingeleiteten Komplementsätzen bei bestimmten verba sentiendi et dicendi (den Brückenverben; cf. Abschnitt 3.3) als einbettenden Matrixverben immer möglich, unabhängig vom GF-Status (Subjekt, direktes Objekt etc.) der extrahierten W-Phrase. Diese Konstruktionen sind vielleicht standardsprachlich nicht perfekt, aber, wie die Sätze (3a,b) zeigen, nicht nur in süddeutschen (wie gemeinhin angenommen), sondern auch in norddeutschen Dialekten (hier: dem Ostfälischen) vollkommen grammatisch und unmarkiert. (Vgl. MÜLLER (1989, Kap. 1) für Diskussion des Akzeptabilitätsgrades dieser Sätze und der sich mit dieser Frage beschäftigenden Literatur.)

(2a)

wiet meinte sie [CP V [c. daß [„, man t{ am besten an Platten von den Chrysanthemums käme]]]'!

(2b)

wer{ hattest du denn gedacht [cp t.1 [c. daß [„> tj das Hygrometer erfunden habe]]]!

(2c)

[welcher Idiot]t hattest du gemeint [cp t/ [c. daß [^ t; die Massen begeistert hat]]]!

(2d)

went sagte sie [CP V [c. daß [& sie tt heiraten werde]]]!

(2e)

wemt meinte Frank [cp L/ [c. daß [„, das Fahrrad tj gehören würde]]]!

(2f)

wohin, glaubst du [cp V [c. daß [,P das alles noch l^fiihren

(3a)

wert het hei sek gedacht [CP t/ [c, dot [,P tj den Pannekerken upegeten net}]}!

(3b)

watt het hei sek gedacht [CP V [c. dat [u> hei gistern ^ geten het]]]!

wird]]]!

Oft wird die Möglichkeit langer Extraktion in Zusammenhang gebracht mit der Option kurzer Extraktion über einen Komplementierer, und das heißt, mit der Option der doppelten COMP-Füllung, i.e., der gleichzeitigen Besetzung von SpecC durch eine XP und C durch einen Komplementierer (cf. BAYER 1983/84, 1984). Für Beispiele dieser Art gilt im Standarddeutschen Ähnliches wie für lange Bewegungen über Komplementierer: Sie verletzen offensichtlich keine grammatischen Beschränkungen und werden ständig gebraucht, aber

Die Daten in (1), obschon mittlerweise klassisch, sind natürlich nicht unumstritten; vgl. etwa SOBIN (1987) und Aoun/HORNSTElN/LlGHTFOOT/WElNBERG (1987) für entgegengesetzte Urteile über (la) und (le), respektive. In Mehrheit der Literatur zum Thema wird von dieser Datenlage aber nicht ausgegangen, cf. LASNIK/SATTO (1984), KOOPMAN/SPORTICHE (1985, 1986), CHOMSKY (1986).

158

Gereon Müller

werden ebenso offensichtlich als Verstöße gegen eine hochsprachliche Norm angesehen (4a,b,c). Interessant ist wiederum, daß doppelte COMP-Füllung nicht nur im Bayrischen, sondern auch in manchen norddeutschen Dialekten eher den Normalfall als die Ausnahme darstellt (4d,e):

(4a)

ich weiß nicht [CP warum^ [c. daß [w das i{ passieren mußte]]}

(4b)

ich frage mich [CP wer-{ [c. daß [„, tt eigentlich diese blöde Idee gehabt hat}]]

(4c)

am Rechner neben mir sitzt [NP der Mensch [cp der{ [c. wo [^ t· dauernd Tetris spielt}}]]

(4d)

hei hei vergeten [CP wurüme-, [c- dot [y sei t; den Pannekerken upegeten net]]]

(4e)

hei het vergeten [cp wer^ [c. dot [jp t; den Pannekerken upegeten net]]]

Es liegt nahe, die Grammatikalität dieser Beispiele in Analogie zu der Akzeptabilität der Sätze in (2) zu erklären. Aus (2)-(4) ergibt sich nun aber das Problem, daß Subjektspuren im Deutschen offenbar doch das ECP erfüllen können, und das heißt, daß dies entweder mit unabhängigen Annahmen erklärt werden muß, oder aber, daß im Deutschen Subjektspuren auch bei Präsenz von daß Antezedens-regierbar sind (im Unterschied zu vergleichbaren Fällen im Englischen). In der Literatur findet sich eine Reihe von Analysen, wo z.T. der erste Weg gegangen wird, z.T. der zweite. Ich kann hier darauf nicht weiter eingehen; vgl. für ausführliche Diskussion MÜLLER (1989, Kap. 1). Es sei lediglich vermerkt, daß alle diese Erklärungsversuche für das Ausbleiben von KS-Effekten im Deutschen Probleme mit sich bringen; dies nicht zuletzt oft auch deswegen, weil sie sich einer Übertragung in die mit dem X-bar-Schema in Einklang gebrachte phrasenstrukturelle Analyse des Satzsystems bei CHOMSKY (1986, Kap. 1) aus prinzipiellen Gründen widersetzen. Des weiteren scheint es plausibel zu sein, davon auszugehen, daß die Möglichkeit der Lizensierung von Subjektspuren bei Komplementierer-Präsenz im Deutschen mit anderen syntaktischen Phänomenen korreliert. Dies ist Gegenstand des nächsten Abschnitts. 1.2.

Zur Parametrisierung von C und I

Auf PERLMUTTER (1971) geht die Beobachtung zurück, daß die Option der langen Subjektbewegung über einen lexikalischen Komplementierer hinweg einherzugehen scheint mit einem anderen syntaktischen Phänomen, der Lizensierung leerer pronominaler Elemente in der SpecI-Position finiter Sätze (der pro-drop-Eigenschaß), und zwar insofern, als Sprachen im allgemeinen entweder beide Eigenschaften zusammen aufweisen (Italienisch, Spanisch etc.), oder aber keine von beiden (Englisch, Französisch, Schwedisch etc.). Man würde also erwarten, daß das Deutsche über leere pronominale Elemente verfügt. Dies trifft zu (cf. GREWENDORF 1989, Kap.3, u.a.): Leere Subjektpronomina (pros nach CHOMSKY 1982) sind im Deutschen lizensiert, allerdings nur in solchen Fällen, wo sie keine -Rolle tragen:

Abstrakte Inkorporation

(5a)

weil [, pro hier jetzt nicht mehr gearbeitet wird]

(5b)

weil [^ pro{ dem Fahrrad ein Tritt\ gegeben wurde}

(5c)

weil [, prot OB Brück ein kleiner Fehler\ unterlaufen ist]

(5d)

*weil [ff pro im Ruhrpott dauernd regnet]

(5e)

*weil [& pro über seinen Schatten springt]

159

Nach der pro-Theorie von RIZZI (1986) sind Subjekt-pros nur möglich, wenn I in einer Sprache als formal lizensierender Kopf dafür ausgezeichnet ist. Demgemäß könnte man Perlmutters Beobachtung derart formulieren, daß lange Subjektextraktion über einen lexikalischen Komplementierer möglich ist gdw. I (formal) pro lizensiert. Eine Generalisierung dieser Art liegt denn auch mehreren Analysen des KS-Effekts zugrunde4. Allerdings kann dies nicht deskriptiv adäquat sein, weil es Sprachen gibt wie z.B. das Russische, diepro-Lizensierung durch I aufweisen (cf. RÜZI£KA 1986), aber dennoch lange Subjektextraktionen über lexikalische Komplementierer nicht zulassen (im Gegensatz zu Objektbewegungen) (cf. COMRIE 1973, PESETSKY 1981/82, 1982); fehlt der Komplementierer, sind Extraktionen aber grundsätzlich in Ordnung (cf. SINICYN 1982). Demgemäß ist die Generalisierung über den Zusammenhang zwischen pro-drop und der Lizensierung langer Subjektbewegung also wie folgt zu formulieren (MÜLLER/ ROHRBACHER 1989:40): (6)

Perlmutters Generalisierung (revidiert): Wenn in einer Sprache lange Subjektextraktion über lexikalische Komplementierer hinweg möglich ist, dann kann I in dieser Sprache pro lizensieren^.

Wenn nun pro-Lizensierung durch I eine notwendige, aber noch nicht hinreichende Bedingung für Verletzungen des *[r/w/-t]-Filters ist, stellt sich die Frage, welche Eigenschaften in einer Sprache noch vorliegen müssen, um lange Subjektextraktion zu ermöglichen. Nach RIZZI (1982) besteht in Sprachen wie dem Italienischen oder Spanischen die Möglichkeit der freien Subjektinversion mit anschließender Extraktion aus der invertierten und strikt regierten VP-Adjunktionsposition. Eine solche Option weist das Deutsche nicht auf, ebensowenig das Russische; cf. zu beiden Fragen MÜLLER (1989). Es muß also mindestens noch eine zweite Option geben für eine Sprache, in der I ein pro-lizensierender Kopf ist. Im folgenden soll davon ausgegangen werden, daß diese Möglichkeit unmittelbar eine im Unterschied zur Inversions-Option - strikt (Antezedens-) regierte Subjektposition betrifft, und daß eine Spur in dieser Position zwar in Sprachen wie dem Deutschen erlaubt ist, aber nicht etwa in der non-pro-drop-Sprache Englisch, im Italienischen (wofür RIZZI (1982, Kap. 4) anhand des ECP-Verhaltens quantifizierter Phrasen gezeigt hat, daß die Subjektposition nicht strikt regiert ist und Extraktion aus der VP-Adjunktions-Position die einzige

Cf. schon PERLMUTTER (1971), außerdem z.B. TARALDSEN (1978), RIZZI (1982), HOEKSTRA (1984), PLATZACK (1985), KOSTER (1986). (6) ist potentieller Gegenevidenz ausgesetzt in Form von f/uz/-Relativsätzen im Englischen (CHOMSKY/LASNK 1977, PESETSKY 1981/82, CHOMSKY 1986), scheinbar akzeptablen langen Subjektextraktionen über den Komplementierer at im Norwegischen (MALING/ZAENEN 1982:238ff & 248ff, ENGDAHL 1986, PLATZACK 1985) sowie der que-zu-qui-Rege\ im Französischen (KAYNE 1984, CHOMSKY 1981, KOSTER 1986). Denn in allen diesen Sprachen sind Subjekt-/»ros (in welcher Form auch immer) nicht lizensiert, cf. RlZZl (1986), PLATZACK (1985). Ich nehme an, daß dies markierte Phänomene sind, die durch spezielle Regeln zu erklären sind, die das Verhältnis von SpecC und C betreffen (vgl. MÜLLER 1989 für Vorschläge), und Generalisierung (6) nicht berühren.

160

Gereon Maller

Möglichkeit der langen Subjektbewegung bildet) oder im Russischen. Konkret werde ich annehmen, daß diese Option im Deutschen mit einer parametrisierten Eigenschaft von C zusammenhängt, nämlich der, in finiten Sätzen immer gefüllt sein zu müssen. Diese Eigenschaft von C führt im Deutschen bekanntermaßen zur V/2-Strategie. Gerade das ist in Sprachen wie dem Italienischen oder Russischen anders. Als deskriptive Generalisierung kann man nun festhalten, daß in Sprachen mit einem C, das obligatorisch gefüllt werden muß, und einem I, daß als ^ro-lizensierender Kopf ausgezeichnet ist, lange Subjektbewegung über Komplementierer möglich ist. Um dies formal zu repräsentieren, läßt sich auf eine Idee von KOSTER (1986) rekurrieren: C und I sind als funktionale (i.e., auf der D-Struktur nicht lexikalische) Köpfe durch ein Merkmal charakterisiert, dessen positive Spezifikation bei lexikalischen X°-Kategorien schon von vornherein gegeben ist: die einzelsprachlich parametrisierte Eigenschaft der Stärke. In Anlehnung an KOSTER (1986) soll gelten, daß C stark ist gdw. es auf der SStruktur gefüllt werden muß; was dagegen die Kategorie I betrifft, so soll hier ihre Stärke bzw. Schwäche nicht wie bei KOSTER von der Notwendigkeit bzw. Möglichkeit der Sstrukturellen Besetzung abhängig gemacht werden, weil ich davon ausgehe, daß I auf der SStruktur in finiten Sätzen ohnehin nicht leer im Sinne von merkmallos sein kann, da es Flexionselemente enthält (bzw. deren Spur). Gemeint ist an dieser Stelle vielmehr eine Parametrisierung im Sinne von KAYNE (1989): I ist stark genau dann, falls es in der Menge der pro-lizensierenden Köpfe liegt, und schwach, falls dies nicht der Fall ist. Es soll nun allgemein gelten: (7)

C/I-Koindizierung: Starkes C und starkes I können auf der S-Struktur koindiziert werden.

Man fragt sich natürlich, warum (7) bewirkt, daß die Subjektposition im Deutschen auch über daß hinweg strikt regiert werden kann. Ein erster Vorschlag hierfür wird jetzt im Rahmen der Theorie der Erweiterten Ketten von CHOMSKY (1986) kurz diskutiert. 1.3.

Erweiterte Ketten

In jeder Theorie der Barrieren läßt sich unterscheiden zwischen einem generellen Konstitutionsprinzip für Barrieren und den Mitteln, die es gestatten, eine Barriere wieder aufzulösen bzw. zu umgehen. In der Theorie der Minimalitätsbarrieren von CHOMSKY (1986, ab Kap. 8) sieht das wie folgt aus. Eine X°-Kategorie errichtet die nächste verzweigende Projektion als Barriere (falls sowohl X' als auch XP vorhanden sind, ist dies die X'-Kategorie; ist jedoch X 1 nicht präsent, wie das von CHOMSKY für die VP angenommen wird (und angenommen werden muß, weil nur XP-Barrieren durch Adjunktion umgangen werden können), ist erst XP die Minimalitätsbarriere). Es gibt nun im wesentlichen zwei Möglichkeiten, die so aufgebauten Barrieren bei "unerwünschten" Minimalitätseffekten (die notwendige und offenbar auch vorliegende Antezedensrektion verhindern sollten) wieder zu beseitigen bzw. als irrelevant zu erweisen: (a) Adjunktion an eine Minimalitätsbarriere (diese Option steht nur dann zur Verfügung, wenn die Barriere eine Phrase ist, wie im Falle von VP, und wenn es sich bei der Extraktion nicht um -Bewegung handelt), und (b) die Bildung Erweiterter Ketten (cf. CHOMSKY 1986, Kap. 11). Die Idee bei letzterem Mechanismus ist die, daß typeninhomogene Ketten z.B. der Art zugelassen werden (wobei c*i,...,an X°-Kategorien sein können und ß eine XP), falls ,,..., und ß denselben Index tragen. Dies wird ermöglicht durch die Annahme, daß Spezifikator-Kopf-Kongruenz allgemein repräsentiert wird als Koindizierung, und daß Ketten-Koindizierung und Kongruenz-Koindizierung auf dieselbe Weise (i.e., mit demselben Index) ausgedrückt werden. So kann z.B.

Abstrakte Inkorporation

161

bei Anhebungs-Konstruktionen im Englischen wie in (8) verhindert werden, daß die auf Antezedens-Rektion angewiesene Subjektspur der VP-Minimalitätsbarriere zum Opfer fällt: Unter der Annahme, daß in (8) tj und I koindiziert sind (dies wird durch "Verschmelzung" des I- und des V-Kopfes erreicht, s.u.), und daß weiterhin I und das Subjekt koindiziert sind, sind natürlich automatisch tj und die Subjektspur t; koindiziert, so daß also gilt: i=j. Durch Bildung einer Erweiterten Kette gelangt nun die Verbspur in eine Kette mit der Subjektspur und kann sie wegen Koindizierung in einer Kette und Rektion auch Antezedens-regieren. (8)

Johnt [, seemSj] [vp tj [jp t; to be intelligent]]

Auf eine ähnliche Art und Weise könnte man jetzt das Fehlen des KS-Effekts im Deutschen herzuleiten versuchen. Auf der Basis von (7) lassen sich die Indizes der beiden X°-Ketten und identifizieren. Damit sind dann in Fällen von langer W-Bewegung (a) wegen SpecI-I-Kongruenz die Indizes der A'-Kette und . So ergibt sich, daß Q mit der Spur t; in der SpecI-Position nicht nur koindiziert ist und sie regiert, sondern zusätzlich noch nach CHOMSKYS (1986:75) Definition der Erweiterten Kette in einer einzigen (Erweiterten) Kette damit vorkommt, und sich daher vom minimalen zum strikten Regens wandelt. Wenn ein derartiger Ansatz auch für die Ableitung der KS-Effekte deskriptiv adäquat zu sein scheint, so gibt es doch damit einige Probleme empirischer und konzeptueller Natur (und zwar sowohl, was das Bauprinzip der CHOMSKYschen Minimalitätsbarrieren betrifft, als auch hinsichtlich der Möglichkeiten ihrer Auflösung), die gegen eine Analyse wie die soeben vorgestellte sprechen. Unter diesen Einwänden (cf. MÜLLER (1989, Kap. 2.2 & 2.3) für eine ausführliche Präsentation) sind die folgenden zwei im gegenwärtigen Kontext von besonderer Bedeutung. In CHOMSKY (1986) wird wesentlich darauf rekurriert, daß zwischen dem Kopf und dem Spezifikator einer Phrase generell Kongruenz besteht, und daß diese Kongruenz als Koindizierung zu repräsentieren ist. Außerdem soll es wie gesagt nur eine einzige Art der Koindizierung geben. Diese Annahmen haben aber zusammen mit dem Konzept der Erweiterten Ketten eine unerwünschte Konsequenz. Denn wenn auch im C-System SpecC/C-Kongruenz als Koindizierung ausgedrückt ist, wovon man ausgehen muß, um that-Relanve im Englischen korrekt zu erfassen (der Komplementierer that soll in gewisser Weise als Antezedens der Subjektspur fungieren, i.e., als Relativpronomen; vgl. CHOMSKY 1986, Kap. 5) (9)

this is the thing [cp Oj [c. that{ [„, t; troubles me]]]

und was auch ansonsten in der Literatur in der Regel postuliert und z.T. für andere Zwecke ausgenutzt wird (vgl. etwa STAUDACHER 1990), funktioniert im Englischen die Ableitung der KS-Effekte als Minimalitätsverletzungen nicht mehr: Das minimale Regens C ist ja nun mit der Subjektspur koindiziert, gemäß der Theorie kann hier eine Erweiterte Kette gebildet werden, und somit sollte ein Komplementierer that eine Spur t; in der Konfiguration [cp t/ [c. that [jp tj...]]] strikt regieren können. In gewisser Weise läge genau die Konfiguration vor, die von PESETSKY (1981/82) und BAYER (1984) für solche Sprachen stipuliert wurde, die gerade keine KS-Effekte aufweisen. Ein ähnliches Problem ergibt sich nicht nur im C-System, sondern auch eine Stufe tiefer in der IP. Denn da I mit dem Subjekt koindiziert ist und es auch regiert, sollte hier Antezedens-Rektion einer Subjektspur durch I stattfinden, eine falsche Prognose. Man muß also auch dies per Stipulation ausschließen. Hier könnte man einwenden, daß man für I so-

162

Gereon Müller

wieso schon immer Sonderannahmen machen muß, so z.B. in der Theorie von CHOMSKY (1981), daß es kein lexikalisches Regens für das Subjekt ist. Dies ist jedoch kein vollständig analoger Fall, da die Koindizierung von I und dem Subjekt hier gerade Antezedensrektionsrelevant ist. D.h., diese Koindizierung kann wie oben gesehen, die Fähigkeit der (potentiellen) Antezedens-Rektion übertragen, reicht aber selbst dafür noch nicht aus. Probleme dieser Art verschwinden erst dann, wenn man annimmt, daß es entweder (a) keine Kongruenz-Koindizierung gibt, oder aber (b) (was plausibler erscheint) diese Art der Koindizierung eine andere ist als die für Antezedens-Rektion relevante. Mir ist unklar, wie man diese Probleme im Rahmen von CHOMSKYS (1986) Theorie lösen kann. Auf jeden Fall legt dies bereits nahe, daß die Möglichkeit der Bildung Erweiterter Ketten kein geeignetes Mittel zur Auflösung unerwünschter Minimalitätsbarrieren ist; da sich keine andere Option in offensichtlicher Weise darbietet, und da außerdem auch das andere Mittel zur Auflösung von Minimalitätsbarrieren bei CHOMSKY, der liberalisierte Gebrauch von Adjunktion bei A'-Bewegung (wenigstens im Falle von VP), in diesem Ansatz (wie man gleich sehen wird) verhindert werden wird, kann man darüber hinaus folgern, daß auch das Konstruktionsprinzip der CHOMSKYschen Minimalitätsbarrieren zu verwerfen ist. Ich werde im folgenden also ein anderes Konzept von Minimalitätsbarrieren zugrundelegen, und zwar jenes von BAKER (1988). Diesem gemäß können nur XPs (und nicht etwa X's) Minimalitätsbarrieren sein; sie sind dies nur für bestimmte Positionen innerhalb der XP, und (was entscheidend ist) sie können durch eine bestimmte, noch festzulegende Beziehung zwischen dem Kopf der XP und dem nächsthöheren Kopf im Baum (von der die Koindizierung im Sinne von (7) eine Instanz ist) aufgebrochen werden. Für die Ableitung der KS-Effekte in Sprachen wie Englisch oder Russisch heißt das zunächst einmal, daß nur IP die in Frage kommende Barriere für Antezedens-Rektion der Subjektspur sein kann; dies ist auch schon so von KOSTER (1986, 1987) konstatiert worden. Zu erklären ist damit aber, warum IP für praktisch alle anderen Fälle derartig durchlässig ist, daß i.a. abzuleiten versucht wird, daß IP nie eine Rektionsbarriere sein kann (klassischerweise durch die Annahme, S sei keine maximale Projektion), bzw. eben dies explizit in die Definition der Barriere geschrieben werden muß (so bei CHOMSKY 1986, wo IP zwar Barrierenstatus erben und vererben, aber per se niemals selbst Barriere werden kann). Ebenso muß noch abgeleitet werden, was der C/I-Koindizierung in Sprachen wie dem Deutschen letztlich zugrundeliegt, und warum dies dazu führt, daß eine IP-Barriere aufgebrochen werden kann. Bevor all das in Abschnitt 2 unternommen wird, sind aber noch zwei Prämissen zu klären, die ECP-unabhängige Anforderungen an Bewegungsprozesse und die Existenz von Spuren stellen. Die erste Prämisse betrifft den Zusammenhang zwischen W-Bewegung und Adjunktion. In vielen neueren Theorien der XP-Bewegung wird eine Vermischung beider Fälle von A'Bewegung zugelassen. So ist VP bei CHOMSKY (1986), BAKER (1988) u.a. zunächst einmal eine Barriere, die W-Bewegung darüber nur deswegen nicht verhindert, weil daran adjungiert werden darf; ähnliches gilt z.B. bei JOHNSON (1988) für die IP (cf. zu diesen Fragen auch SPORTICHE 1989). In diesem Papier soll demgegenüber angenommen werden, daß Bewegung in eine Spezifikator-Position und Bewegung in eine VP- oder IP-Adjunktionsposition disjunkte Prozesse sind in dem Sinne, daß man (a) nach Bewegung in eine Adjunktionsposition nicht mehr in einen Spezifikator bewegen darf, und (b) nach Bewegung in einen Spezifikator später nicht mehr adjungieren kann. Für eine klare Unterscheidung der beiden Bewegungstypen lassen sich starke empirische Argumente anführen, auf die hier nicht eingegangen werden kann; vgl. dazu MÜLLER/STERNEFELD (1990) und STERNEFELD/MÜLLER (1990). Da sich jedoch einerseits zeigen wird, daß auf das Mittel der Adjunktion an VP oder IP zur Auflösung einer VP- oder IP-Barriere verzichtet werden kann, und da ein mehr oder weniger unrestringierter Gebrauch der Adjunktions-Option bei W-Bewegung die im

Abstrakte Inkorporation

163

folgenden präsentierten Analysen z.T. wieder unmöglich machen würde, wird nun ohne weitere Begründung ein Prinzip eingeführt, das zwischen W-Bewegung und Adjunktion klar trennt: (10)

Prinzip der eindeutigen A'-Bindung: Eine Variable kann nicht zugleich aus einer Operatoren- und aus einer Scramblingposition heraus gebunden werden.

Es läßt sich zeigen, daß im Deutschen das Prinzip der eindeutigen A'-Bindung exklusiv auf LF appliziert (MÜLLER/STERNEFELD 1990). Voraussetzung für das Funktionieren dieser Beschränkung ist es daher natürlich, daß bei zyklischer langer Bewegung Zwischenspuren nicht getilgt werden dürfen. Dies führt zur zweiten Prämisse, die hier gemacht werden soll. Bei LASNIK/SAITO (1984) und CHOMSKY (1986) sind Zwischenspuren von Argumentextraktionen nicht ECP-relevant; sie können getilgt werden. Prinzip (10) setzt jedoch gerade die Existenz auch solcher Spuren auf LF voraus. Tatsächlich wird sich auch im folgenden zeigen, daß Zwischenspuren von Argumentbewegungen im Deutschen ebenso wie AdjunktZwischenspuren nicht getilgt werden dürfen und das ECP verletzen können. Daß der LASNiK/SAiTO-Mechanismus im Falle der A'-Bewegung im Deutschen falsche Prognosen macht und wenigstens z.T. aufgegeben werden muß (z.B. für bestimmte Landeplätze von XP-Bewegung wie die Vorfeldposition), ist schon öfter festgestellt worden; vgl. hierzu u.a. HAIDER (1986), STAUDACHER (1990), STERNEFELD (1989). Ich werde also hier für das Deutsche annehmen, daß Bewegung obligatorisch eine Spur hinterläßt, und daß diese Spur in keinem Fall getilgt werden darf (cf. MÜLLER/STERNEFELD (1990), wo ein Parameter für A'Ketten auf LF eingeführt wird, der dies bewirkt). Auf der Grundlage dieser beiden Voraussetzungen (Adjunktionsverbot bei W- Bewegung und LF-Existenz aller Zwischenspuren im Deutschen) können nun eine Version des ECP (nach CHOMSKY 1986) und eine Theorie der Barrieren (nach BAKER 1988) eingeführt werden. Klar ist bereits, daß die generelle Durchlässigkeit der VP für A'-Bewegung aufgrund des Verbots der VP- Adjunktion unmittelbar aus der Barrierentheorie folgen muß, und nicht ein Nebeneffekt der Adjunktions- bzw. Bewegungstheorie sein kann. 2.

Eine Theorie der strikten Rektion

2.1.

K-Rektion

Hier soll im Unterschied zu KAYNE (1984), KOSTER (1987), CHOMSKY (1986, ab Kap. 11), CHOMSKY (1989) u.a. die klassische adjunktiv formulierte Version des ECP zugrundegelegt werden, derzufolge sowohl Antezedens-Rektion, als auch lexikalische Rektion jeweils allein für das Zustandekommen von strikter Rektion ausreicht (cf. CHOMSKY 1981, LASNIK/SAITO 1984). Wie bei CHOMSKY (1986, bis Kap. 11) werde ich allerdings annehmen, daß nicht lexikalische Rektion das einschlägige Konzept bildet, sondern daß erst thematische Rektion (also bestimmten Lokalitätsanforderungen genügende Zuweisung einer -Rolle) für die Erfüllung des ECP ausreicht. Ebenfalls wie bei CHOMSKY (1986), aber anders als z.B. bei BAKER (1988) soll -Rektion nicht über den Begriff der Barriere definiert werden, und zwar deswegen, weil das Konzept der -Rektion in die Definition der (Rektions-) Barriere eingeht. Außerdem wird an dieser Stelle CHOMSKYS (1986) Bestimmung etwas modifiziert: Für das ECP wird der Begriff der -Rektion ersetzt durch den davon abgeleiteten Begriff der K-Rektion, (X0-) Ketten-Rektion:

164

(11)

Gereon Maller

Strikte Rektion: a regiert ß strikt gdw. (a) oder (b) gilt: (a) a K-regiert ß. (b) a Antezedens-regiert ß.

Vor der Erläuterung des Konzepts der K-Rektion sei an dieser Stelle eine Annahme eingefühlt, die dieses Konzept letztlich motiviert. Dabei geht es um Bewegungen von X°-Kategorien (Inkorporationen nach BAKER 1988), insbesondere um die eines finiten Verbs. In fmiten Sätzen muß V nach I bewegt werden; diese V-I-Inkorporation ist dadurch begründet, daß die Flexionsmorphologie in I als Affix einen geeigneten Träger benötigt und ein fmites Verb flektiert sein muß. Für das Deutsche ist diese Annahme auch relativ unumstritten, jedenfalls soll sie hier provisorisch gemacht werden (aber s.u. & MÜLLER 1989, 5.2); für das Englische wird von CHOMSKY (1986, Kap. 11) ebenfalls angenommen, daß V in finiten Sätzen auf der S-Struktur nach I inkorporiert wird; EMONDS (1985), LIGHTFOOT/WEINBERG (1988), POLLOCK (1989) u.a. zeigen allerdings, daß dies hier (im Unterschied z.B. zum Französischen) nicht zutreffen kann. Nichtsdestoweniger scheint klar, daß I und V im finiten Satz auch im Englischen zusammenkommen müssen. Der konkrete Mechanismus sei an dieser Stelle offengelassen (cf. dafür u.a. POLLOCK 1989 und CHOMSKY 1989); man kann aber wohl mit CHOMSKY (1989) davon ausgehen, daß auf LF das Verb an die I-Position angehoben wird, möglicherweise nach S-struktureller Senkung von I nach V. Dies entspricht der von BAKER (1988) gemachten Unterscheidung zwischen konkreter, offener Inkorporation auf der S-Struktur und abstrakter Inkorporation auf LF, die die Tatsache widerspiegelt, daß ein und derselbe Typ von X°-Bewegung in einer Sprache auf der S-Struktur und in einer anderen Sprache erst auf LF passieren kann. Letzteres wird bei BAKER auch als (Kopf-) Reanalyse bezeichnet - man beachte aber, daß man es hier mit einem grundlegend anderen Konzept von Reanalyse zu tun hat, als es sonst in der Literatur gebräuchlich ist, denn diese Reanalyse ist eben LF-Inkorporation und damit strukturerhaltend: Syntaktische Konfigurationen werden nicht zerstört. Ich werde der Deutlichkeit halber daher im folgenden den Begriff Reanalyse nicht für abstrakte Inkorporation verwenden. Entscheidend ist nun, daß eine abstrakte Inkorporation auf LF nach BAKER (1988) auf der S-Struktur mit Hilfe von Koindizierung bereits ablesbar ist. Über die Natur von X°-Bewegungen gibt es verschiedene Meinungen: Vorgeschlagen wurde, daß hier Adjunktion, Substitution, oder sogar etwas völlig anderes, Verschmelzung (Merger) vorliege. Will man verhindern, daß vollkommen leere (i.e., merkmallose) Köpfe basisgeneriert werden (oder sonstwie entstehen; cf. CHOMSKY 1989) können, und lehnt man weiter aus konzeptuellen Gründen die Einführung eines Spezialtyps von Bewegung für X°-Köpfe ab, dann bleibt als Bewegungsprozeß für X°-Kategorien nur noch Adjunktion übrig. Für V-I-Inkorporation auf der S-Struktur oder V-I-Inkorporation auf LF (12a) und V-I-C-Inkorporation bei VerbZweit-Sätzen in Sprachen wie dem Deutschen (12b) ergeben sich also folgende Strukturen (Linearisierung wird ignoriert; in (12a) gilt für Sprachen mit abstrakter V-I-Inkorporation auf LF: i=j; in (12b) gilt für V/2 -Sprachen, die die C/I-Koindizierungsregel (7) aufweisen:

(12a)

[r [, V, Ij]] [VP [v U NP]]]

(12b)

[c, [c [, V, Ij] Ck] t NP [r [, tj] [y, [v t; ] NP]]]]

Nun zum Begriff der K-Rektion. Wenn X°-Bewegungen etwa von Verben nach I und C angenommen werden, stellt sich die Frage, ob z.B. VP-interne Objekte nach V-Anhebung noch durch V (bzw. die V-Kette ) strikt regiert sind. Generell soll hier stipuliert

Abstrakte Inkorporation

165

werden, daß bei zu weiter Bewegung einer X°-Kategorie keine K-Rektion mehr (obschon noch -Rektion) zustandekommt; daher wird K-Rektion unter Bezugnahme auf X°-Ketten und eine Lokalitätsbedingung für sämtliche Kettenglieder formuliert (vorausgesetzt, daß X°Ketten nicht mehr als zwei Elemente haben, gilt für die folgende Klausel (a): = ! oder a2; dies wird in Abschnitt 3.2 hergeleitet): (13)

K-Rektion: a K-regiert ß gdw. gilt: a. ist eine Kette < ,,..., >. b. a„ -regiert ß. c. Es gibt kein , so daß eine X°-Kategorie ist und zwischen a, und an interveniert.

Der entscheidende Punkt ist Klausel (c). Gemeint ist damit, daß zweifache X°-Bewegung eine K-Rektions-Kette bricht: (14)

Intervenieren: Für alle X°-Kategorien a, ß, gilt: a. ß m-kommandiert a. b. a m-kommandiert . c. m-kommandiert ß nicht.

interveniert zwischen ß und , falls gilt:

In gewisser Weise gilt also für K-Rektion durch eine Kette eine Form der Minimalitätsbedingung (minimales c-Kommando). Man beachte aber, daß hiermit keine (Antezedens-) rektionsverhindernde Minimalität gemeint sein kann, weil sonst in einer X°-Kette gleichzeitig mit K-Rektion eines -regierten Objekts auch strikte Rektion der Ausgangsspur dieser X°Kette erlöschen würde. Aus (13) und (14) folgt, daß z.B. im Deutschen V-I-Inkorporation K-Rektion der Kette nicht unterbricht, während bei Verb-Zweit-Bewegung wie in (12b) I interveniert und K-Rektion durch verhindert (nichtsdestoweniger kann in der V-Kette selber natürlich nicht das ECP verletzt sein; d.h. die V-Spur muß noch Antezedens-regiert werden durch V in C, obschon VP-interne Objekte bei V/2 nicht mehr K-regiert sind). Bedingung (14c) wird benötigt, damit bei V-nach-I-Bewegung ohne folgende Anhebung nach C (das untere Segment von) I noch nicht zwischen V und der V-Spur intervenieren kann und K-Rektion der Kette verhindert. -Rektion wird nun im großen und ganzen (abgesehen von einer Sonderregelung für Nomina) wie bei CHOMSKY (1986) verstanden: (15)

-Rektion: a -regiert ß gdw. gilt: a. a ist eine X°-Kategorie und =f= N. b. und ß sind Schwesterknoten. c. -markiert ß.

Damit -regiert ein Kopf sein phrasenstrukturelles Komplement, mit Ausnahme vielleicht von C (wenn man annimmt, daß IP von C keine -Rolle erhält), und (per Stipulation) von N; für letztere Annahme wird weiter unten noch Evidenz präsentiert. Falls keine X°-Bewegung vorkommt, oder falls sie erfolgt, aber kein intervenierender Kopf die X°-Kette bricht, K-regiert eine Kette nach (13) das von ihrem Endglied -regierte Komplement. Damit ist z.B. gewährleistet, daß VP-Topikalisierung im Englischen auch bei Überquerung eines lexikalischen Komplementierers und aus W-Inseln heraus möglich ist: VP ist von I -regiert und somit von der I-Kette K-regiert, so daß eine VP-Spur das ECP nicht verletzen kann. Wenn man nun provisorisch als gegeben annimmt, daß Antezedens-Rektion von ß durch ein im übergeordneten Satz befindliches a nur dann vorliegen kann, wenn ß in SpecC steht,

166

Gereon Müller

also nicht, wenn die SpecC-Position anderweitig gefüllt ist (dies wird weiter unten noch abgeleitet), ergibt sich im Deutschen ein durch das ECP ausgelöster Unterschied zwischen Subjekten und Objekten, zusätzlich zur beidesmal vorliegenden Subjazenzverletzung (nach FANSELOW 1987, Kap. 2); meiner Meinung nach verhalten sich Adjunkte hier erwartungsgemäß wie Subjekte: (16a)

Iden Feldbergi habe ich vergessen [CP wie [c. [jp man tj am einfachsten hochfährt]]]

(16b)

*echte Profis^ habe ich vergessen [CP wie [c< [& ^ den Feldberg hochfahren]]]

(16c)

*an Weihnachteni habe ich vergessen [CP wie [c· [H» Frank tt den Feldberg hochgefahren ist]]]

In (16a) ist die Objektspur t; durch die V-Kette mit dem lexikalischen Kopf hochfährt K-regiert; dagegen werden die Subjektspur tj und die Adjunktspur t; in (16bc) nicht K-regiert (da sie nicht -regiert sind) und fallen daher wegen ebenfalls fehlender Antezedens-Rektion dem ECP zum Opfer. Interessant ist nun, daß dieser Kontrast nicht mehr zu beobachten ist, falls aus einem V/2-Satz mit gefüllter SpecC-Position extrahiert wird: (17a)

*wer-t behauptet Frank [cp den Feldberg. [c, habe [IP t; t in weniger als einer Stunde geschafft]]]!

(lTb)

*wen behauptet Frank [cp der Feldberg- [c. habe [& fc t; in weniger als einer Stunde geschaffi]]]!

(17c)

*wannt behauptet Frank [cp der Feldberg} [c, habe [& tj schon so manchen t-t in weniger als einer Stunde geschafft]]]!

(17d)

*der Joachim^ behauptet Frank [cp den Feldberg} [c. habe [ff t; tj in weniger als einer Stunde geschafft]]]

(17e)

*den Joachimt behauptet Frank [cp der Feldberg} [c. habe [^ tj t; in weniger als einer Stunde geschafft]]]

(17f)

*im Hochsommer^ behauptet Frank [cp der Feldberg-} [c. habe [ tj schon so manchen t; in weniger als einer Stunde geschajft]]]

Nach dem Prinzip der eindeutigen A'-Bindung kann es bei der Bewegung der W-Phrase in den Matrix-SpecC keine Zwischenspur geben, die die ECP-Verletzung auslösen könnte. Die Ungrammatikalität von (17acdf) folgt wie vorher daraus, daß eine Subjekt- oder Adjunktspur hier nicht Antezedens-regiert sein kann und von vornherein nicht -regiert, also in keinem Fall K-regiert ist. Aber auch die Unmöglichkeit von (ITbe) ergibt sich sofort aus dem Begriff der K-Rektion: Die Objektspur tj ist nicht K-regiert, da V nicht nur nach I,

Abstrakte Inkorporation

167

sondern das komplexe I noch weiter nach C bewegt worden ist, so daß die I-Spur wegen Minimalität K-Rektion durch die V-Kette verhindert^. An dieser Stelle ergibt sich aber noch ein Problem. Die Analyse funktioniert so, wie sie hingeschrieben ist, nur dann, wenn ein Hauptverb nach C geschoben wird und nicht, wie es z.B. ja auch in (17) der Fall ist, ein finites Auxiliar nach C angehoben wird, und das Hauptverb als Partizip in der VP zurückbleibt. Es entsteht dabei nämlich folgendes Dilemma. Das Hauptverb-Partizip in der VP -regiert ein Objekt und ist, da ja nur das Auxiliar bewegt wird, Element einer eingliedrigen Kette, die also auch K-regieren sollte. Dies soll aber gerade verhindert werden, falls das Auxiliar nach C bewegt wird. Man könnte nun sagen, daß sowieso nur V-Ketten mit einem finiten Element K-regieren können. Dies reicht aber noch nicht aus: Da Auxiliare ein VP-intemes Objekt nicht -regieren, hieße das, daß stets bei Präsenz eines Auxiliars Objekte nicht K-regiert sind- eine weitere falsche Prognose, denn Sätze wie (16a) weisen natürlich auch bei periphrastischen Tempora im eingebetteten Satz keine ECP-Verletzungen auf. Es sieht also so aus, als müsse man den Begriff der K-Rektion so ändern, daß es möglich wird, die Lokalitätsanforderung von der 6-Rektion zu trennen, so daß für das Vorliegen von K-Rektion bei Konstruktionen mit Auxiliar und Vollverb im Deutschen die Auxiliarkette nicht durch einen intervenierenden (I-) Kopf gebrochen werden darf, und das Vollverb (das, per Annahme, aufgrund von Infinitheit zur K-Rektion selber nicht fähig ist) -regieren muß. M.a.W., die beiden notwendigen Informationen bei der Bestimmung von K-Rektion müssen im Zweifelsfall nicht nur von einer, sondern auch von zwei X°-Ketten geliefert werden können. Konkret könnte eine Lösung folgendermaßen aussehen. Für eine Struktur wie [IP [VP [VP NP VHllupJ VAux] I] kann man voraussetzen, daß VHaupt und VAux koindiziert werden können. Diese Annahme muß man, wie sich implizit aus der im nächsten Abschnitt vorgestellten Barrierentheorie ergeben wird, ohnehin machen, damit die untere VP keine Barriere ist (cf. dazu auch CHOMSKY 1986, Kap. 11); d.h., VHaupt inkorporiert abstrakt in VAux. VHaupt -regiert NP, K-regiert NP wegen fehlender Finitheit jedoch nicht. Für die VAux-Kette soll nun gelten, daß sie selbst die NP der eingebetteten VP K-regiert, falls (a) zwischen den Gliedern einer mehrelementigen VAux-Kette kein intervenierender Kopf vorhanden ist, und falls (b) das letzte Glied der VAux-Kette mit einem VH , koindiziert ist, das die NP -regiert. Damit ergeben sich die erwünschten Effekte: (Echte) VAux-Ketten werden immer durch infinite VHaupt-Ketten gestützt, so daß der -Rektions-Teil der K-Rektions-Definition in diesen Fällen erfüllt ist, und VAux-Anhebung darf nur so weit gehen, daß keine andere X°-Kategorie interveniert. Man beachte, daß sich bei dieser Lösung aber ergeben würde, daß K-Rektion von ß durch a nicht immer mit -Rektion von ß durch (ein Element von) a einhergehen müßte. Dies mag ein wenig unbefriedigend sein; andere Losungen des Problems sind denkbar (cf. MÜLLER (1989), und für Diskussion ähnlicher Probleme auch NOON AN 1988) Weiter ist zu beachten, daß in (17) bei V-Anhebung nach C im eingebetteten Satz keine tatsächlichen W-Inseln (mit einer [+W]-Phrase) gebildet werden können, weil, wie oft in Möglicherweise wären die Beispiele (17a,b,c) schon aus anderen Gründen im Deutschen unmöglich, weil hier ein generelles Verbot der Bewegung von W-Phrasen aus W-Inseln zu bestehen scheint (*Was-t hast du vergessen wie man t; hochfährt!; cf. für einen Erklärungsversuch BAYER 1990). Es ist aber noch nicht gesagt, daß ein solches für echte W-Inseln geltendes Verbot auch auf Konstruktionen mit durch Vorfeldbesetzung durch eine [-W]-Phrase unzugänglich gemachten V/2-Spezifikatoren zu übertragen wäre. Laut Gisbert FANSELOW (p.M.) ist das Verbot der Extraktion aus V/2-Komplementen mit unzugänglichem Spezifikator in den skandinavischen Sprachen genauso strikt wie im Deutschen, obwohl eine normale W-Insel hier problemlos verlassen werden kann. In der Literatur wird dieses Phänomen auch als "Topik-Insel "-Beschränkung bezeichnet; cf. den BESTEN ET AL. (1983) für einen Überblick über die skandinavische Datenlage. Dies zeigt, daß bei V/2-Bewegung alle Spuren des betroffenen Satzes Antezedens-regiert werden müssen, und daß Konfigurationen wie (17a,b,c) in jedem Fall durch die beschriebene ECP-Eridärung ausgeschlossen werden müssen.

168

Gereon Müller

der Literatur festgestellt worden ist, [+W]-Phrasen in SpecC und V/2-Stellung sich gegenseitig ausschließen. Vgl. für einschlägige Beispiele und eine Ableitung dieser Generalisierung im hier gewählten Ansatz Abschnitt 3.3 und die Diskussion um (55). Zusätzliche Evidenz für die Notwendigkeit eines Begriffs der K-Rektion findet sich im Spanischen (TORREGO 1984). Hier sind sind NP und CP Grenzknoten; daher sind Bewegungen aus einer W-Insel prinzipiell möglich und keine Subjazenzverstöße wie im Deutschen. Blockiert dabei eine Adjunkt-XP die SpecC-Position, verbleibt das Verb in situ, und Objekte und Subjekte sind gleich gut extrahierbar: (18a)

qu£-t dices [cp que no te explicas [cp por qut^ [y Juan se habra comprado t; tj]]]? 'Was sagst (du) daß nicht du verstehst warum Juan wird haben gekauft?'

(18b)

quien^ no sabes [cp por que^ [lf prot [vp te ha dejado una nota tj L]]? 'Wer nicht weißt (du) warum dir hat hinterlassen eine Nachricht?

Die Objektspur in (18a) ist durch die V-Kette K-regiert, die Subjektspur in (18b) befindet sich in der strikt regierten VP-Adjunktionsposition. Die Lage ändert sich aber, wenn nicht eine Adjunkt-XP, sondern eine Argument-XP die SpecC-Position des eingebetteten Satzes einnimmt. Denn die Besetzung von SpecC durch eine Argument-XP löst im Spanischen obligatorische V-Anhebung aus, und wenn man wie TRAVIS (1984), CHOMSKY (1986), BAKER (1988) u.a. annimmt, daß eine X°-Kategorie nur in eine X°-Position verschoben werden darf, muß diese V-Bewegung nach C gehen. Damit nicht vereinbar sind allerdings die Analysen bei TORREGO (1984:107) selber und bei AOUN (1986:112ff), wo angenommen wird, daß der Landeplatz dieser Verbanhebung eine S-Adjunktionsposition ist.7. Jetzt sind zwar noch Subjekte, aber nicht mehr Objekte extrahierbar: (19a)

*que"i dices [cp que no te explicas [cp a quian (le) ha compradoi [& Juan t,,. tt

p?

"was sagst (du) daß nicht du verstehst für wen hat gekauft Juan?'

(19b)

quitn^ no recuerdas [cp quepelicula dirigioy. [lp proj [vp [vptk fc en el cincuenta y uno] tj]]? 'Wer nicht weißt (du) welchen Film gemacht hat im Jahr 1951?'

Die Ungrammatikalität der Objektextraktion in (19a) ist nun gerade dadurch erklärbar, daß V über I nach C bewegt wird, so daß die V-Kette durch intervenierendes I nicht mehr K-regieren kann. Für Subjektspuren nimmt TORREGO (1984) an, daß sie in diesem Fall in situ stehen (also keine Subjektinversion mit pro in der Subjektposition erfolgt ist) und von dem angehobenen Verb lexikalisch regiert werden. Lexikalische Rektion ist aber nach den obigen Annahmen nicht ECP-relevant. Man wird auch hier annehmen, daß die Subjektextraktion aus der postverbalen Position erfolgt. Dementsprechend ist klar, daß die Option Inversion & Extraktion z.B. des Spanischen nicht daran gekoppelt werden darf, daß diese Position durch V in Analogie zum Objekt-Fall strikt regiert wird. Vielmehr wird die postverbale Position im Italienischen oder Spanischen immer durch ein koindiziertes pro in der

Zu bemerken ist noch, daß allerdings im Spanischen anders als im Deutschen nicht nur minimale X°-Kategorien bewegt werden, sondern (auch) komplexe Verben wie ha comprado. Cf. TORREGO (1984), NooNAN (1988:200). Eine Frage, zu der ich hier nichts zu sagen habe, ist die, was der tieferliegende Grund für die obligatorische V-Anhebung bei einer Argument-Phrase in SpecC im Spanischen ist. Möglicherweise könnte diese V-nach-C-Bewegung dadurch motiviert sein, daß manche Typen von XPs in SpecC Flexionselemente in C verlangen. Spekulationen in dieser Richtung finden sich in neueren Arbeiten von BAKER, KOSTER, NOONAN und anderen. Vgl. auch STERNEFELD/M OLLER (1990) für Diskussion.

Abstrakte Inkorporation

169

Subjektposition Antezedens-regiert (vgl. MÜLLER/ROHRBACHER 1989:20), wodurch sich dann auch erklärt, warum ECP-Erfüllung von Subjekten im Spanischen durch V-Bewegung nicht affiziert wird.8 Das klassische Wirkungsfeld des ECP-relevanten -Rektionsbegriffs bleibt jedoch unter der Reformulierung als K-Rektion erhalten. So sind in den englischen Beispielen (lb,d) (und analogen Konstruktionen in Sprachen ohne V/2-Strategie) sowie in solchen Konstruktionen des Deutschen, die keine V-nach-C-Anhebung im eingebetteten Satz aurweisen, Objektspuren immer K-regiert, weil in allen Fällen die V-Bewegung nur bis nach I gegangen ist und somit die V-Kette K-regieren kann. 2.2.

Barrieren

Nun zur Antezedens-Rektion und zur Rektion. (20)

Antezedens-Rektion: Antezedens-regiert ß gdw. gilt: a. und ß sind in einer Kette koindiziert. b. regiert ß.

(21)

Rektion: a regiert ß gdw. gilt: a. c-kommandiert ß. b. Zwischen und ß liegt keine Barriere.

Der zentrale Begriff der Barriere wird im folgenden in Anlehnung an BAKER (1988) formuliert. Kern der BAKERschen Barrierentheorie ist, daß jeder Kopf zunächst für alle von ihm selegierten Elemente und für alles, was von diesen selegierten Elementen inkludiert wird, seine maximale Projektion als Barriere errichtet, und daß diese Barriere aufgebrochen werden kann durch das Wegbewegen des Kopfes selber (auf der S-Struktur oder, wie angeführt, nach S-struktureller Koindizierung auf LF). Eine typische nicht-selegierte Position ist die SpecC-Position; somit wird garantiert, daß zyklische, Satzgrenzen-überschreitende Bewegung überhaupt möglich ist. Um die Darstellung zu vereinfachen, wird nun zur Klärung dessen, was es genau heißt, eine maximale Projektion zwischen a undß zu sein, der Begriff des Barrierenbereichs zwischen potentiellem Regens und potentiellem Rektum eingeführt; erst dann wird das Konzept der Barriere definiert. (22)

Barrierenbereich: Es sei die nächste maximale Projektion, die dominiert. Dann ist der Barrierenbereich zwischen a und ß ( / ) wie folgt bestimmt als: {XP: dominiert XP und XP dominiert } { }.

Was diese Analyse jedoch leider ebensowenig wie die von TORREOO ohne Zusatzannahmen mit ad-hocCharakter erklären kann, ist die freie Extrahierbarkeit von indirekten Objekten auch bei V-Anhebung; vgl. TORREGO (1984:122) und Aoun (1986:140f).

170

(23)

Gereon Müller

Barriere: C ist eine Barriere zwischen

und ß gdw. gilt:

b. Der Kopf von C selegiert eine WP, die ß dominiert oder mit ß identisch ist, und es gibt ein FeEa/ß, so daß gilt: (i) F dominiert C unmittelbar.9 (ii) Der Kopf von C ist vom Kopf von F unterscheidbar.10 Dominanz soll im folgenden immer im Sinne von Inklusion verstanden werden (vgl. die Unterscheidung in CHOMSKY 1986). Man beachte, daß dies eine Vereinfachung ist, die (a) durch den Verzicht auf die Behandlung von Scrambling (i.e., Adjunktionsphänomenen) in diesem Papier (vgl. dazu MÜLLER 1989, Kap. 5), und (b) durch das Prinzip der eindeutigen A'-Bindung ermöglicht wird. Ein Unterschied zur BAKERschen Barrierentheorie liegt darin, daß nach (23) eine XP keine Barriere mehr sein kann, wenn ihr Kopf vom nächsthöheren Kopf ununterscheidbar ist (hierunter soll informell und im einfachsten Fall zunächst verstanden werden, daß er dorthin bewegt wurde, s.u.); bei BAKER (1988) hilft Kopf-Bewegung allein noch nichts, sondern erst Kopf-Bewegung bis hin zum Kopf der das (potentielle) Antezedens-Regens dominierenden Phrase. Man betrachte hierzu ein ziemlich abstraktes Beispiel. (24)

[xp

[x. -, [YP [ Y [z Wj Zk] Y,] [ZP [z tk] U [W tj] ß]]]]] keine Bewegung - keine Rektion

Nach BAKER (1988) bleibt hier nicht nur YP eine Barriere zwischen a und ß, weil nicht nach X bewegt wurde; auch ZP und WP sind Barrieren. Nach (23) dagegen sind ZP und WP keine Barrieren zwischen und ß mehr, da jeweils Kopf-Bewegung erfolgt ist; lediglich YP bleibt als Barriere übrig. Für das ECP hat das zwar dieselben Konsequenzen; es ergeben sich aber folgenschwere Unterschiede, falls man Subjazenzverletzungen mit Hilfe der Barrierentheorie herleiten will (was bei BAKER (1988) nicht versucht wird), vgl. MÜLLER (1989) und Abschnitt 3.3. Wichtig sind zwei weitere Veränderungen gegenüber BAKERS Theorie der Minimalitätsbarrieren. Sie betreffen die zentralen Begriffe der Selektion und der Unterscheidbarkeit von X°-Kategorien. Selektion soll wie folgt bestimmt werden: (25)

Selektion: selegiert ß gdw. (a) und (b) gilt: a. a ist Kopf einer XP . b. ß besetzt eine potentielle -Position in .

Dabei soll hier unmittelbar so verstanden werden wie in CHOMSKYS (1986:14) Definition der Barriere, also beschränkt auf maximale Projektionen: (i) Eine XP dominiert eine XP unmittelbar, falls dominiert und es keine XP gibt, so daß dominiert und ß dominiert. Mit der Forderung, daß C in jedem Fall erst dann eine Barriere werden kann, wenn es im selben Barrierenbereich (unmittelbar) darüber noch ein F gibt, folgt, daß das oberste Element eines Barrierenbereichs Eor/ß (das aus (22)) niemals zur Barriere zwischen und ß werden kann. Ableitbar ist also: (i) Wenn CcEa/ eine Barriere zwischen und ist, dann gilt: C ^= . Dies ist erwünscht und in ähnlicher Form z.B. auch bei CHOMSKY (1986) oder BAKER (1988) vorzufinden: Die nächste XP über einem potentiellen (Ajitezedens- oder Kasus-) Regens kann natürlich nicht Rektion blockieren.

Abstrakte Inkorporation

171

Potentielle -Position soll ein Oberbegriff für (a) -Positionen (also solche Positionen, denen eine -Rolle zugewiesen werden kann) und (b) phrasen strukturelle Komplementpositionen (definiert als Schwesterknoten einer lexikalischen X°-Kategorie) sein. Häufig gibt es hier Überschneidungen. In der Regel wird nämlich ein Kopf sein phrasenstrukturelles Komplement -markieren; Selektion kann aber dennoch nicht auf -Positionen beschränkt werden, weil nicht nur I VP selegieren soll (dies täte es ja auch dann wegen -Markierung der VP; cf. CHOMSKY 1986), sondern es ebenfalls notwendig ist, daß auch C IP selegiert, ohne eine -Rolle an IP zuzuweisen. (CP soll eine Barriere für IP und darin Enthaltenes sein.) Eine umgekehrte Reduktion des Selektionsbegriffs auf phrasenstrukturelle Komplementpositionen ist auch nicht möglich, weil dann z.B. N nicht mehr alle NP-internen Komplemente, inkl. eines thematisch markierten N-Spezifikators, selegieren würde, auch wenn es sich hier um Elemente in -Positionen handelt. Nicht selegierte Positionen sind dagegen SpecC und alle Adjunktionspositionen. Bis hierher sieht (25) im wesentlichen so aus wie eine Generalisierung der Selektionsdefinition von BAKER (1988:57). (25) impliziert jedoch eine wichtige Änderung gegenüber BAKERS Theorie. Nach BAKER sind Subjekte in Specl nicht selegiert. Wenn man aber annimmt, daß Subjekte nicht in der VP basisgeneriert und dann nach Specl angehoben werden, sondern ebenda in der DStruktur erzeugt werden (was ich hier tue), ist Specl natürlich eine (potentielle wie tatsächliche) -Position in IP: Hier ist eine -Rolle (wenn auch nicht durch I) zuweisbar. Diese Änderung ist dadurch motiviert, daß ein fmites I eine Kasusposition kontrolliert (dort Nominativ zuweist und gewöhnlich keinen anderen Kasus toleriert, cf. KOSTER 1986), und der Spezifikator von I obligatorisch besetzt werden muß (daß also Sätze ein Subjekt haben müssen; cf. CHOMSKYS (1982:10) Erweitertes Projektionsprinzip). Beide Eigenschaften gelten ja z.B. für das Verhältnis von C und SpecC-Position nicht. (Ob sich diese Motivation für Selektion des Subjekts durch I auch auf Infinitive ausdehen läßt, oder ob dafür eine Ausnahmeregelung getroffen werden muß, kann ich hier nicht diskutieren. Aus (25) folgt das jedenfalls erstmal. (Cf. MÜLLER 1989, 5.4. für diesbezügliche Überlegungen.) IP ist damit zwischen Subjektspuren in Specl und Zwischenspuren in SpecC eine Barriere: Die SpecI-Position ist selegiert, und I fungiert als minimales Regens. Da I seinen Spezifikator nicht -regiert und also dieser auch nicht K-regiert sein kann, erklärt sich so die Unmöglichkeit langer Subjektextraktionen über lexikalische Komplementierer im Englischen oder Russischen. Bei BAKER (1988) sind im wesentlichen zwei Möglichkeiten vorgesehen, Barrieren für Antezedens-Rektion bei Spezifikator-Bewegung aufzubrechen, nämlich zum einen Adjunktion an eine ansonsten bestehende Barriere, und zum anderen die Ununterscheidbarmachung von Köpfen, deren Kemfall die S-strukturelle Kopf-Bewegung ist. Da wegen des Prinzips der eindeutigen A'-Bindung bei W-Bewegung nicht adjungiert werden darf, und da beide Mechanismen ohnehin in gewisser Weise ähnliche Effekte bei der Auflösung von Barrieren haben, besteht nun die Aufgabe darin, die letztere Strategie intensiv zu verfolgen. Ich werde annehmen, daß eine X°-Kategorie sich auf der S-Struktur nicht unterscheidet von einer anderen X°-Kategorie ß, (a) falls Endglied einer Kette ist, deren Kopf an ß (oder an eine Spur von ß) adjungiert ist, (b) falls beide koindiziert sind (so daß auf LF X°-Bewegung erfolgt), oder (c) falls ß eine nicht sichtbare (was nicht heißt: merkmallose) funktionale Kategorie ist. (26)

Unterscheidbarkeit von X°-Kategorien: a ist unterscheidbar von ß gdw. nicht der Fall ist, daß (a) oder (b) oder (c) gilt: a. und kommen in einer Kette vor, und ist an ein Element der Kette, in der ß vorkommt, adjungiert. b. a und ß sind koindiziert. c. ß ist funktional und nicht sichtbar.

172

Gereon Müller

Klausel (a) bedarf einer kurzen Erläuterung. Falls an adjungiert und nicht weiterbewegt wird, wie bei V-nach-I-Bewegungen, z.B. in deutschen Verb-End-Sätzen (12a), gilt, daß = ß, und ist von ß nicht unterscheidbar; und falls danach selber in den nächsthöheren Kopf inkorporiert wird (wie bei V-nach-I-nach-C-Bewegungen (12b); cf. auch (24)), gilt, daß ungleich ß ist, aber beide Glieder einer Kette sind, und a ist von ß immer noch ununterscheidbar (wegen dieses Falles hätte es also nicht ausgereicht, in (26a) nur zu fordern, daß an ß adjungiert ist). In der folgenden Struktur ist also a von ß nicht unterscheidbar. (2

...[ a [r5 i r j ] ff ].

Unter diesen Voraussetzungen ergibt sich, daß VP in finiten Sätzen nie eine Barriere sein kann, weil immer entweder S-strukturelle oder abstrakte V-I-Inkorporation vorliegt, so daß V und I nicht unterscheidbar sind. Auf diese Art und Weise kann man erklären, warum V z.B. bei Anhebungskonstruktionen im Englischen (8) keine VP-Barriere errichtet (cf. BAKER 1988, Kap. 6). Ebenso folgt ohne die Notwendigkeit der Annahme von VP-Adjunktionen, daß bei langen Adjunkt-Bewegungen (cf. z.B. (le,f)) keine ECP-Verletzungen auftreten, auch wenn nur die SpecC-Positionen als Zwischenlandeplätze zur Verfügung stehen. Die IP-Barriere zwischen Spuren in SpecC und Subjektspuren im Englischen läßt sich unter zwei Bedingungen aufbrechen. Zum einen ist es möglich, daß C als funktionale Kategorie nicht durch einen lexikalischen Komplementierer besetzt ist. Dann ist I von C nicht unterscheidbar, und IP keine Barriere mehr.11 Aus diesem Grund liegt in Sätzen wie (Ic) Antezedens-Rektion der Subjektspur vor. Zum anderen kann auch im Englischen in manchen Fällen I nach C bewegt werden. Allgemein wird davon ausgegangen, daß der Prozeß der Subjekt/Auxiliar-Inversion so zu analysieren ist, cf. (28a). Damit wird die ansonsten vorhandene IP-Barriere ebenso geöffnet. Nun verhält es sich aber so, daß eine Subjektbewegung inkl. Auxiliar-Anhebung im Englischen normalerweise nicht möglich scheint; dies wird bei KOOPMAN (1983:347-348) und im Anschluß daran bei AOUN (1986:105-107) gerade als *[that-t]-Effekt in Hauptsätzen abgeleitet (28b). KOSTER (1987, Kap.4.6) zeigt jedoch, daß Sätze wie (28b) bei Fokussierung von did völlig akzeptabel werden (28c), und daß eine ECP-Lösung für Sätze wie (28d), in denen offensichtlich nicht bewegt worden ist, die aber dieselbe Eigenschaft zeigen, bei Fokussierung des Auxiliars wohlgeformt zu werden (28e), ohnehin nicht in Frage kommt, und schließlich bei anderen Auxiliarverben in C der in (28b) beobachtete Effekt sowieso nicht eintritt (28f).

11

NOONAN (1988) versucht in einem anderen, aber gleichfalls an BAKER (1988) orientierten Rahmen, die Zulässigkeit von Subjektbewegungen nach SpecC ohne Präsenz von that durch (nicht sichtbare) S-strukturelle I-nach-C-Bewegung abzuleiten. Eine solche Analyse, obwohl prinzipiell mit den in diesem Papier zugrundegelegten Annahmen vereinbar, hängt stark ab von der Annahme leerer Bewegung, was hier nicht diskutiert werden soll.

Abstrakte Inkorporation

(28a)

who-, [c. did· [^ Bill [,. tj see t;]]]?

(28b)

* 0; [c, did· [v t{ [r tj come]]]!

(28c)

M*0i [c, D7Dj [, t; [,. tj come]]]!

(28d)

*/0 « [,. tf/W come]

(28e)

70/zfl [,. D/D come]

(28f)

w/W; [c. AoSj [, t; [,. ^ come]]]!

173

Das bedeutet dann aber, daß der problematische Status von (28b) nicht durch das ECP abgeleitet werden kann, und daß in der Tat ein ECP-relevanter Unterschied zwischen einem Komplementierer in C und einem Verb in C besteht in dem Sinne, daß die Bewegung eines Auxiliars von I nach C eine IP-Barriere öffnet. Daraus wiederum folgt, daß alle oben angeführten ECP-Erklärungen für das Zustandekommen bzw. die Vermeidung von KS-Effekten, die eine Unterscheidung zwischen Verben in C und Komplementierern in C nicht zulassen, mit Problemen der deskriptiven Adäquatheit konfrontiert sind; nicht zuletzt ist auch dies ein empirisches Argument dagegen, die KS-Effekte des Englischen aus dem Doppel-COMPFilter abzuleiten. Man beachte in diesem Zusammenhang, daß es der hier präsentierten Analyse zufolge nicht ein lexikalischer Komplementierer an sich ist, der einen Minimalitätseffekt für das Subjekt auslöst (wie bei CHOMSKY (1986) u.a.); Präsenz bzw. Fehlen eines Komplementierers ist nicht unmittelbar für Antezedens-Rektion einer Subjektspur relevant, sondern nur indirekt, insofern, als I von einem lexikalischen Komplementierer unterscheidbar ist und somit selbst minimales, Barrieren-auslösendes Regens wird. Noch zu klären ist die Grammatikalität von langen Adjunktextraktionen über that. Hierfür braucht man nicht wie LASNIK/SAITO (1984) anzunehmen, daß Adjunktspuren erst auf LF strikt regiert sein müssen, denn I selegiert zwar die VP, diese inkludiert aber ein Adjunkt in keinem Fall, so daß IP hierfür keine Barriere sein kann. Das zur Subjekt-Auxiliar-Selektion im Englischen Gesagte wird noch deutlicher in einer V/2-Sprache, die lange Subjektextraktion über Komplementierer nicht zuläßt, wie z.B. dem Schwedischen (PLATZACK 1985, 1986; KOSTER 1986). (29a)

Tb/ii [c. köpte: [IP tj sannolikt tj en bok]] 'Johann kaufte wahrscheinlich ein Buch.'

(29b)

vem, tror du [cf V [c. har· [IP t; t begalt brottet]]]! 'Wer denkst du hat verübt das Verbrechen?'

(29c)

*vem{ tror du [CP V [c att [^ t; har begätt brottet]]]! 'Wer denkst du daß hat verübt das Verbrechen?'

Da C nicht leer bleiben darf, ist in (29ab) [, V I] nach C bewegt worden, und somit I von C nicht mehr unterscheidbar und IP keine Barriere für Antezedens-Rektion einer Subjektspur durch ein Antezedens in SpecC; steht jedoch ein Komplementierer in C (29c), ist I von C unterscheidbar und daher IP eine Barriere (da das Schwedische keine pro-Lizensierung durch I aufweist, kann nach (7) keine C/I-Koindizierung erfolgen). Im Deutschen dagegen können C und I gemäß (7) koindiziert sein. Nach dem, was oben zu BAKERS Theorie der LF-Inkorporation gesagt wurde, ist klar, daß es sich hier um einen solchen Fall von X°-Bewegung auf LF handelt; (7) wäre letzten Endes einem generelleren Prinzip zu subsumieren, dergestalt, daß starke funktionale Köpfe abstrakter Inkorporation

174

Gereon Müller

unterliegen.12 Damit ergibt sich, daß im Deutschen in finiten Sätzen das gesamte VP/IP-System durchlässig ist, weil wegen V-I-Inkorporation und I-C-Inkorporation auf LF weder VP noch IP eine Barriere sein kann. So erklärt sich das Fehlen von KS-Effekten, (2) & (3), und die Möglichkeit der gleichzeitigen Besetzung von SpecC und C auch im Fall von Subjekten, (4). Ein Kennzeichen dieser Analyse ist dabei, daß Subjektspuren im Deutschen nicht von vornherein strikt regiert sind, sondern eben nur im Normalfall von SpecC aus Antezedensregiert werden. Ist SpecC durch eine andere Phrase blockiert, muß bei W-Bewegung der nächsthöhere SpecC direkt angesteuert werden. Dabei löst dann C im eingebetteten Satz für eine Subjektspur eine Barriere CP aus, weil C vom Matrixverb (bzw. übergeordneten Kopf, s. Abschnitt 3.3) immer unterscheidbar ist. Da gilt, daß C für alles, was nicht in seinem Spezifikator steht, eine Barriere errichtet (also nicht nur für Subjekte), läßt sich diese Erklärung für alle nicht K-regierten Spuren innerhalb von CP/IP generalisieren. So ergeben sich ECP-Verletzungen für (16bc), (17a-f) und (19a). Mit der Erweiterung von BAKERS (1988) Konzept der Unterscheidbarkeit muß man sicherstellen, daß die Effekte der Kopf-Bewegungs-Beschränkung (Head Movement Constraint, HMC), nach der X°-Bewegungen strikt lokal sein müssen (d.h., nur bis zum nächsthöheren Kopf gehen dürfen; vgl. TRAVIS (1984), CHOMSKY (1986), BAKER (1988) u.a.) immer noch aus dem ECP folgen, wie es CHOMSKY, BAKER u.a. annehmen. Dies ist nicht unproblematisch; ich werde in Abschnitt 5 darauf zurückkommen. 3.

Abstrakte N-V-Inkorporation

Im folgenden geht es darum, zu zeigen, daß mit BAKERS restriktiver Version der Reanalyse (als abstrakter Inkorporation) auch andere z.T. wohlbekannte Probleme der deutschen Syntax wenigstens teilweise gelöst werden können. Während es bislang in erster Linie um den Barrierenstatus von IP und VP ging, werden nun nacheinander als Fallstudien Extraktionen aus komplexen NPs und die Frage der Transparenz verschiedener Typen von Satzkomplementen betrachtet. 3.1.

Extraktion aus NP

Zunächst soll es um Bewegungen aus NP und damit um die Barrierenschaft dieser Kategorie gehen. Nach (15) -regiert N seine Komplemente nicht; also liegt hier auch keine K-Rektion vor (cf. dazu auch KAYNE (1984), FANSELOW (1987) und andere Arbeiten, wo gesagt wird, daß N kein striktes Regens ist). Spuren in NP müssen also Antezedens-regiert werden. Allerdings selegiert N seine Komplemente und induziert so zunächst einmal für sie eine Barriere. Die Daten ergeben folgendes Bild. Extraktion aus NP-Subjekten ist im Deutschen niemals möglich (mit der klassischen Ausnahme von ergativen und passivischen Subjekten), und Extraktion aus NP-Objekten ist nur in manchen Fällen erlaubt, cf. FANSELOW (1987), KOSTER (1987), GREWENDORF (1989), WEBELHUTH (1989):

Vgl. hierzu auch NOONAN (1988), wo mit einer ähnlichen Strategie der Prozeß eines Feature-Sharing zwischen funktionalen Kategorien, die bereits einige Merkmale teilen, zugrundegelegt wird; für (7) wurde dies bedeuten: Merkmale der Stärke.

Abstrakte Inkorporation

(30a)

*[pp über \ven\ hat [NP ein Buch tj Diedrich Diederichsen beeindruckt!

(30b)

*[Pp über wen\ hat Diedrich Diederichsen [NP ein Buch tj beeindrucket

(30c)

*[pp über wen], hat Diedrich Diederichsen [NP ein Buch tj geklaut?

(30d)

[pp über \veh]t hat Diedrich Diederichsen [NP ein Buch tj geschrieben!

175

Solche Daten werden oft dadurch erklärt, daß prinzipiell aus NPs nicht herausbewegt werden kann, und daß die Grammatikalität von (30d) auf eine Reanalyseregel zurückgeht, die die jeweiligen komplexen NPs aufbricht und NP und PP zu "gleichberechtigten Töchtern der VP" (BACH/HÖRN 1976, CHOMSKY 1977; für das Deutsche, inkl. Zitat, FANSELOW 1987) macht, und die darüber hinaus eben auch nur innerhalb von VP applizieren kann, so daß Subjekt-NPs niemals durchlässig werden können; bzw. schlicht dadurch, daß bei bestimmten Objekten optional die PP auf der D-Struktur außerhalb der NP erzeugt wird. Letzere Lösung ist schon deswegen in der Form nicht aufrechtzuerhalten, weil die PP ein Komplement von N ist und also in der D-Struktur an Komplementposition auftreten muß. Wie WEBELHUTH (1987, 1989) zurecht feststellt, werfen Reanalyse-Theorien der angeführten Art erstens Probleme mit dem Projektionsprinzip auf; zweitens ist die "VP-Domäne nicht deduzierbar", und es muß ad hoc stipuliert werden, daß Subjekte von der Reanalyseregel nicht betroffen sein können (WEBELHUTH 1987:3); und schließlich sind derartige Reanalyseregeln in der GB-Theorie überhaupt nicht formulierbar. Will man daher das Reanalyse-Konzept formalisieren, wird man sehr schnell zu solch grundlegenden Änderungen der Theorie wie der Einführung mehrerer gleichzeitiger Repräsentationen auf einer einzigen Ebene, der sog. Koanatyse, kommen, vgl. BENNIS (1983) für Fälle wie die hier betrachteten; und Arbeiten wie HAEGEMAN/RIEMSDIJK (1986), DISCIULLO/WILLIAMS (1987), SADOCK (1985) oder ZUBIZARRETA (1985) für Explorationen eines solchen Ansatzes. Gemäß der oben skizzierten Barrierentheorie lassen sich die Daten in (30) einfacher und plausibler herleiten. Der,Barrierenstatus von NP kann aufgehoben werden durch abstrakte N-V-Inkorporation. Hierbei wird keine Phrasenstruktur zerstört, das Projektionsprinzip wird beachtet; die PP bleibt an der Position, an der sie basisgeneriert werden muß, kategorial erhalten. Durch Koindizierung von N und V (und somit abstrakte N-V-Inkorporation auf LF) wird aber die komplexe NP durchlässig für W-Bewegung der PP.13 Ist Inkorporation nicht möglich wie bei der Objekt-NP in (30c), so ist der Kopf der NP vom Kopf der VP distinkt. Bei Bewegung nach SpecC wird somit eine Barriere überschritten, und da die Spuren in NP nicht K-regiert sind (s.o.: N -regiert nicht), fallen sie dem ECP zum Opfer. Für Subjekt-NPs (30a,b) ist N-V-Inkorporation nie möglich, da in diesem Fall die abstrakte Inkorporation von X°-Köpfen von Subjekten immer zu ECP-Verletzungen aufgrund fehlenden c-Kommandos führen muß (Cf. BAKER (1988): Die Subjekt-Kopf-Spur unterliegt dem ECP und kann so nicht Antezedens-regiert werden). N-I-Inkorporation dagegen ist vermutlich universell nicht möglich: Der einzige akzeptable Landeplatz für N-Bewegung ist offenbar V. Somit ist die NP hier immer eine Barriere für Bewegung; die häufig in der Literatur zu findende Bestimmung, daß die postulierte Reanalyseregel nur in der VP applizieren darf, ergibt sich also mit Hilfe der Annahmen von BAKER als Konsequenz des ECP und muß nicht stipuliert werden.

Dem Mechanismus der abstrakten Inkorporation liegt die Vorstellung zugrunde, daß in diesen Fällen auf LF komplexe Prädikate gebildet werden wie etwa: Buch-schreiben, aber nicht *Buch-ldauen. Dieser Prozeß ist offensichtlich lexikalisch gesteuert; die genaue Ursache, die wohl auch semantischer Natur ist, soll hier aber nicht interessieren.

176

Gereon Müller

Nach der hier vorgestellten Analyse haben NP-interne Subjekte und NP-interne Objekte denselben Status bzgl. des ECP (im Unterschied zu den Annahmen bei CHOMSKY (1986, Kap. 8); vgl. MÜLLER (1989, Kap. 2.3) für Diskussion): Sie sind nicht K-regiert und können nur bei abstraker N-V-Inkorporation Antezedens-regiert werden. Prognostiziert ist also, daß auch von-PPs (als Kandidat für NP-interne Subjekte) nur bei Extraktion aus komplexen Objekt-NPs (oder bei ergativen Subjekten) das ECP erfüllen können. Dies wird durch die Daten bestätigt:

(31 a)

[Pp von \vem\ hat Diedrich Diederichsen [NP ein Buch t;] gelesen!

(31b)

??[pp von wem\ hat Diedrich Diederichsen [NP ein Buch t;] gekauft!

(31c)

[Pp von wem]; ist kürzlich [NP der Vater tj gestorben!

(31d)

??[pp von wem], hat kürzlich [NP der Vater tj sich den Bart abrasiert!

Für mich sind die Grammatikalitätskonstraste in (31) offensichtlich. Arnim von STECHOW (p.M.) findet aber ("nach einigen Bieren") auch die Beispiele (b) und (d) gut. Dies könnte man durch eine spezifische Eigenschaft der wrc-Phrase erklären: Diese ist nämlich manchmal (die Bedingungen dafür sind mir allerdings unklar) d& freies Argument einsetzbar (der formale Status davon ist mir leider noch unklarer); und in diesen Fällen müßte sie gar nicht aus der NP herausbewegt werden. In keinem Fall jedoch läßt sich aus dem Verhalten der wn-Phrase ein Argument dafür gewinnen, daß für das ECP zwischen NP-internen Subjekten und Objekten zu unterscheiden ist. Denn wäre z.B. (31b) akzeptabel, dann könnte es wohl, wie bei der von-PP im Deutschen die Regel, sowohl die Lesart als NP-internes Objekt (im Sinne von: Buch über jemanden), als auch die als NP-internes Subjekt (im Sinne von: Buch, das jemand geschrieben hat, oder in possessiver Lesart) haben. (Das würde ich jedenfalls tentativ annehmen.) Festzuhalten ist somit, daß die (anderen PPs gegenüber) scheinbar größeren Extraktionsmöglichkeiten der vo/z-Phrasen im Deutschen nicht darauf zurückzuführen sind, daß die von-Phrase Barrieren umgehen kann, sondern sich durch die Option erklären, daß die vo/i-Phrase bereits außerhalb der jeweiligen Barrieren erzeugt wird.14 Nach BAKER (1988) können die Köpfe von indirekten Objekten nicht ins Verb inkorporiert werden, ohne eine ECP-Verletzung auszulösen. Falls man auch für das Deutsche annimmt, daß direkte Objekte hierarchisch unter indirekten Objekten und damit näher am Verb stehen (was intuitiv und von den Wortstellungsdaten her plausibel erscheint, mit der von GREWENDORF (1985) angeführten Evidenz aus der Bindungstheorie allerdings nicht Bemerkenswert ist auch noch, daß die von-Phrase im Unterschied zu anderen Kategorien im Deutschen CPüberschreitendes Scrambling zu erlauben scheint, zur Not auch inklusive vorheriger Bewegung aus einer Subjekt-NP eines nicht ergativen Verbs: (i) *weil ich [pp über Chomsky] glaube [Cf daß ein neues Buch erschienen ist] (ii) Iweil ich [pp von Chomsky] glaube [Cf daß ein neues Buch erschienen ist] (iii) Iweil ich [PP von Chomsky] glaube [cp daß ein neues Buch im Regal steht] Hier wire eine Bewegunsganalyse schon fast absurd, denn das Verbot von Scrambling aus einem füllten Satz ist im Deutschen äußerst strikt (vgl. Ross 1986, FANSELOW 1990, STERNEFELD 1989); (ii) und (iii) wird man in jedem Fall so analysieren müssen, daß die von-Phrase als freies Argument mit bestimmten Verben konstruierbar ist. Wenn diese Option also grundsätzlich besteht, dann gibt es auch keinen Grund, wegen des Verhaltens dieser Kategorie die ganze Barrierentheorie infrage zu stellen. Im übrigen wäre zu diesem Phänomen noch weit mehr zu sagen, insbesondere angesichts der Rolle, dies es in der italienischen Literatur zur Extraktion aus NPs spielt; cf. ClNQUE (1980), RlZZl (1982, Kap. 2.5 & Anmerkung 16) und GlORCI/LONGOBARDI (1989, Kap. 2).

Abstrakte Inkorporation

177

kompatibel ist; vgl. aber STERNEFELD (1985) und WEBELHUTH (1989) für Diskussion), und falls sichergestellt ist, daß die Spur eines N-Kopfes eines indirekten Objekts von der V-Position aus nicht c-kommandiert werden kann (vgl. aber MÜLLER 1989, Kap. 5.3), würde damit prognostiziert werden, daß im Deutschen aus indirekten Objekt-NPs nicht extrahiert werden kann, selbst wenn die betreffenden Verben und Nomina an sich Inkorporation erlauben würden (cf. auch den BESTEN 1981). Auch dies findet empirische Bestätigung:

(32a)

?[pP über wen], hast du [NP ein Buch y geschenkt bekommen!

(32b)

*[Pp über wen], hast du [NP einem Buch y wenig Aufmerksamkeit geschenkt!

(32c)

*[PP über wen], hat man neulich [NP einem Buch y einen Preis geschenkt/verliehen!

Man beachte, daß die Barrierenschaft einer NP bzgl. eines in der NP enthaltenen ganz wesentlich davon abhängt, daß N selegiert.15 MASSAM (1985) hat darauf hingewiesen, daß es Sprachen gibt, wo Nomina z.B. ihre Spezifikatoren nicht vor Kasus-Rektion von außen schützen können (und wo eine Erklärung über N-V-Inkorporation mit einem übergeordneten Kopf nicht zur Verfügung steht, z.B. weil es sich um Subjekt-NPs handelt und die abstrakte Inkorporation in I erfolgen müßte, was aber wie erwähnt universell ausgeschlossen zu sein scheint); dies kann man damit erklären, daß NP-Spezifikatoren in diesen Fällen nicht selegiert sind. Demgemäß sollte NP für sie keine Barriere sein und also bei Extraktion verlassen werden können, was auch der Fall ist. In Verbindung mit der obligatorischen V-I-Inkorporation tritt allerdings bei der Erklärung der NP-Extraktions-Daten durch N-V-Inkorporation ein Problem auf. Es ergeben sich dabei nämlich auf LF Strukturen folgender Art: (33a) fo NP [r [VP [NP..[N tk]..] [v Nk y] [, v, Ij (33b)

[CP [c [, Vi y C,] [IP..[VP [NP..[N tk]..] [v Nk

Aufgrund von I-C-Koindizierung im Deutschen gilt in (33b): j=l. Entscheidend ist hier aber jeweils die durch N-Inkorporation in V auf LF sich ergebende Struktur [V Nk y, denn hier liegt eine Konfiguration vor mit Spuren in Wörtern. Gerade dies muß man aber i.a. verhindern, will man die Kopf-Bewegungs-Beschränkung aus dem ECP ableiten. Ansonsten nämlich müßte X°-Bewegung nicht mehr streng lokal sein; man könnte durch eine Kopf-PoIgnoriert wird an dieser Stelle der Fall der NP-internen Adjunkte. Die relevanten Daten werden im allgemeinen ziemlich unterschiedlich bewertet; auch spielen andere Faktoren (wie die Option, Adjunkte gleich außerhalb der NP zu erzeugen) offenbar eine Rolle. CHOMSKY (1986, Kap. 12) führt Daten wie (i) an, die zeigen, daß NP auch für Adjunkte eine Barriere ist:

(0

*lpffrom

which city\ did you meet [ Np althe man t;]?

Dementsprechend wäre der Begriff der Selektion so zu modifizieren, daß ein N zunächst für alle Elemente in der NP, mit Ausnahme bestimmter Spezifikatoren, eine Barriere errichtet. Hiermit würde allerdings der Begriff der Selektion der Intuition widersprechend ausgedehnt. Man könnte spekulieren, daß das generelle Verbot von Adjunkt-Extraktionen aus NPs eine unabhängige Ursache hat, insbesondere dann, wenn man die folgenden Daten gleich schlecht findet. Denn das würde bedeuten, daß die Ungrammatikalität solcher Adjunktbewegungen auch bei N-V-Inkorporation nicht reduziert wird. Für weitere Diskussion vgl. HUANG (1982) und CHOMSKY (1986, Kap. 12).

(ii) *[pp aus welchem Regal\-t hast du [Np ein Buch tj] gelesen! (iii) *[PP aus welchem Regal]·, hast du [ NP ein Buch tj gekauft! (iv) *[pp aus welchem Rega\\ hast du [ NP ein Buch tj verbrannt

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Gereon Müller

sition zyklisch durchbewegen wie in (34a). Bei BAKER (1988:73f) wird daher, um diese Möglichkeit zu verbieten, ein Filter (34b) stipuliert: (34a)

[YP [Y Z; Y] [XP [x V X] [ZP [z tj]]]]

(34b)

*[ ·... ..]

Demgemäß wären solche Konfigurationen wie in (33a,b) ausgeschlossen und die gleichzeitige Annahme von V-I-Inkorporation und N-V-Inkorporation auf LF nicht möglich. CHOMSKY (1989, Kap. 2) hat aber darauf hingewiesen, daß so ein Filter wie (34b) idealerweise durch das ECP abzuleiten wäre, und vorgeschlagen (cf. dazu auch BAKER 1988:451, Fußnote 19), daß generell ein Kopf X eine XP als Barriere nicht nur für selegierte Elemente errichtet, sondern auch für an X adjungierte Köpfe. Im hier zugrundegelegten System kann man diesen Sachverhalt wie folgt auf relativ natürliche Weise ausdrücken. Daß bestimmte X°-Kategorien die Bildung eines komplexen Wortes durch Verknüpfung mit einer anderen X°-Kategorie zulassen, ist wie gesagt lexikalisch bedingt. Ich werde annehmen, daß z.B. bei bestimmten Verben in ihrem Lexikoneintrag festgelegt ist, daß sie die Bildung eines komplexen Prädikates mit einem Nomen (gewissen Typs) zulassen. Man kann also sagen, daß in diesen Fällen N durch V auf bestimmte Art und Weise selegiert wird. Dasselbe läßt sich annehmen für (fmites) I, das V selegiert, und im Deutschen auch für C, das I selegiert. Damit ergeben sich zwei verschiedene Typen der Selektion: Neben der Selektion von XPs durch eine X°-Kategorie als syntaktischem Phänomen (S-Selektion) gibt es noch die Selektion von X°-Kategorien durch andere X°-Kategorien, die morphologische Selektion (M-Selektion; nach STECHOW 1990). Nur bei M-Selektion von ß durch können komplexe Wörter mit der Struktur [^ ß] entstehen; dies passiert dann entweder offen, mit morphologischem Reflex, oder unsichtbar, auf LF. (Da weder LF- noch S-Struktur-Inkorporation obligatorisch ist (es sei denn, aufgrund der Anforderung, daß eventuell beteiligte Affixe gebunden werden müssen), muß man annehmen, daß morphologische Selektion optional erfolgt, bzw. optional X°-Bewegung nach sich zieht.) Der generalisierte Begriff der Selektion läßt sich demgemäß wie folgt formulieren: (35)

Selektion (generalisierte Version): selegiert ß gdw. (a) oder (b) gilt: (a) S-selegiert ß, im Sinne von (25). (b) a M-selegiert ß.

Man beachte, daß S-Selektion eine strukturelle und M-Selektion eine inhaltliche Relation ist. Wenn man (35) annimmt und die restlichen oben gemachten Festlegungen über Minimalitätsbarrieren und Unterscheidbarkeit beibehält, ergibt sich folgendes Ergebnis. Wird ein Kopf an einen anderen adjungiert, so errichtet letzterer wegen (35b) seine XP als Barriere für ihn. Damit ist zunächst einmal eine Möglichkeit gegeben, zyklische X°-Bewegung auszuschließen. Verkompliziert wird die Situation wiederum dadurch, daß die Ableitung der Kopf-Bewegungs-Beschränkung durch das ECP noch nicht vollständig geleistet ist (s.o.); aufgrund der V-I-Bewegung in (33a,b) z.B. sollte auch zyklische Bewegung von N möglich sein. Man beachte aber, daß unter diesen Bedingungen N hierfür nicht einmal zuerst in V inkorporieren müßte. Dieses Problem wird wie gesagt in Abschnitt 5 diskutiert; es ist aber klar, daß durch die Einführung des Begriffs der M-Selektion gesichert ist, daß, falls direkte Bewegung einer X°-Kategorie über eine andere ausgeschlossen werden kann, auch sukzessiv-zyklische Bewegung durch diese X°-Kategorie verboten ist. D.h.: Wenn es gelingt, in Konstruktionen wie (33a,b) dafür zu sorgen, daß N nicht direkt den V-Kopf überspringen

Abstrakte Inkorporation

179

und weiter oben inkorporieren kann (was allerdings wie erwähnt im Falle von I als Landeplatz unabhängig ausgeschlossen ist), dann hilft auch zyklische Inkorporation nichts. Unter vorübergehender Vernachlässigung dieses Problems kann man also sagen, daß Spuren in komplexen Wörtern möglich sind, wenn sie Spuren des Kopfes vom Wort selber sind, und nicht lizensiert, wenn sie Spuren eines an das Wort adjungierten Kopfes darstellen. Dieses Resultat ist nicht nur notwendig für die Ableitung der Fakten über Gange) Extraktion mit Hilfe von V-I-Inkorporation und abstrakter N-V-Inkorporation; so erklärt sich auch, warum im Deutschen Verben mit abtrennbarem Präfix überhaupt allein nach C (oder vielleicht, wie in (a) angegeben, auch schon nach I) geschoben werden dürfen (wie immer auch die Strukturen hierfür genau aussehen (Basisgenerierung von P am Verb vs. Inkorporation einer intransitiven Kategorie P; Bewegung nur von V nach I oder von P und V gleichzeitig, mit anschließender erneuter Bewegung von V nach I, usw.); diese Punkte sind aber möglicherweise problematisch). (36a)

weil sie endlich [v an tj [j [v komm]-f]

(36b)

sie} [c komm-t] endlich [v an tj

So wäre erklärt, warum es hier möglich ist, den Verbteil ohne die Partikel zu bewegen. Warum es aber auch notwendig ist, ihn allein zu bewegen, ist eine andere Frage. Eine einschlägige, mit dieser Analyse voll vereinbare Beschränkung, woraus das folgt (das X°unier-X°-Prinzip), findet sich bei STECHOW (1989, 3). 3.2.

Barrieren, Kasusrektion und X°-Ketten

BAKERS (1988) Hauptinteresse bei der Betrachtung des Zusammenhangs von Inkorporation und Minimalitätsbarrieren gilt wie schon gesagt nicht der Antezedens-Rektion, sondern der Kasusrektion. So wird N-V-Inkorporation als Mittel zum Aufbrechen von NP-Barrieren in seiner Arbeit nur deswegen eingeführt, weil es Sprachen gibt, in denen das Phänomen der Possessor-Anhebung, bei dem der Possessor einer NP von einem übergeordneten Verb den strukturellen Kasus des Verbs erhält, auch auftritt, ohne daß, wie sonst notwendig, das Nomen auf der S-Struktur ins Verb inkorporiert wird. Im folgenden soll nun versucht werden, mit Hilfe des Zusammenwirkens von Kasustheorie und ECP bestimmte Fakten über NP-Possessor-Phrasen im Deutschen und anderen Sprachen abzuleiten, nämlich diese: Der Possessor einer NP kann nie A'-bewegt werden (37), und bei Präsenz eines Possessors kann ebenfalls nicht aus einer NP extrahiert werden (38) (die Fakten sind seit langem bekannt, cf. u.a. Ross (1986), BACH/HORN (1976), ERTESCHIK (1973, 1981), CHOMSKY (1981, 1986), POLLOCK (1989a), STERNEFELD (1989), WEBELHUTH (1987, 1989) u.v.a.; in der Literatur wird die Datenlage u.a. mit Hilfe der Left Branch Condition, bindungstheoretisch (die Possessorphrase wirkt als Opazitätsfaktor) oder unter Zuhilfenahme einer sog. Spezifitätsbeschränkung erklärt): (37a)

er hat [NP Antjes [N. Arbeiten über Benjamin}] gelesen.

(37b)

*Antjesi hat er [NP tj [N. Arbeiten über Benjamin]] gelesen.

(37c)

*wessen-i hat er [NP t; [N. Arbeiten über Benjamin]] gelesen!

(37d)

*Antjesi haben [NP t; [N. Arbeiten über Benjamin^ ihn beeindruckt.

(37e)

*wesseni haben [NP t; [N. Arbeiten über Benjamin]] ihn beeindruckt?

180

Gereon M aller

(38a)

""[über \ven\ hat er [NP Antjes [N. Arbeiten t; ]] gelesen"?

(38b)

*[0ber Benjamin]^ hat er [NP Antjes [N. Arbeiten t; ]] gelesen.

(38c)

*[über \ven\ hat er [NP

(38d)

*[ßter Benjamin^ hat er [NP

(38e)

*[öter wen]; Aüten [NP /4/i//es [N, Arbeiten t; ]] /A« beeindruckt!

(38f)

*[ö/>er Benjamin]^ haben [NP ;«/« [ , Arbeiten t; ]] /An beeindruckt.

//&$ [N, Arbeiten t; ]] weggeschmissenl //£ [Arbeiten i{ ]] weggeschmissen.

Bevor eine Analyse vorgestellt wird, ist noch einzugehen auf den Zusammenhang zwischen X°-Bewegung und der Zuweisung von Kasus und -Rollen durch X°-Ketten. Wenn X°-Bewegung immer nur Adjunktion sein kann (2.1), und wenn Nicht-Kopf-Spuren in Wörtern nicht erlaubt sind (3.1), dann folgt daraus, daß X°-Ketten nur höchstens zwei Elemente haben können, also wie in (39) aussehen: (39)




(mit dem Sonderfall, daß gilt: a! = a^)

Relativ unstrittig ist, daß die -Zuweisung durch [über wen\ hat Diedrich Diederichsen [Np das Buch tj] gelesen! Durch Inkorporationstheorie und ECP sind diese Sätze nicht auszuschließen; tatsächlich weisen sie wohl (wie schon Ross 1986, geschrieben 1967, festgestellt hat) auch einen Zwischenstatus auf und sind nicht genauso unmöglich wie echte ECP-Verletzungen bei Bewegungen aus NPs. 19

KUNO (1987:13) und POLLOCK (1989a:83) fuhren Sätze wie die folgenden an, die eigentlich ungrammatisch sein sollten: (i) this is the story that-t I haven 't been able to get [NP Mary 's version of tj] (ii) [which song^ do you hate [Np XTC's interpretation Für KUNO zeigen solche Beispiele die Fruchtlosigkeit des Bemühens, Extraktion aus NP überhaupt syntaktisch zu regeln. Man beachte aber, daß solche Bewegungen über Genitiv-Spezifikatoren markiert und nur bei wenigen Kopf-Nomina möglich sind. POLLOCK (1989a:85) schlägt eine syntaktische ad-hoc-Lösung für dieses Problem vor; ähnlich könnte man auch hier verfahren (z.B., indem man abzuleiten versucht, daß die pränominalen Genitive in diesen Fällen Kasus nicht von N zugewiesen bekommen). Im übrigen finde ich analoge Konstruktionen im Deutschen generell ziemlich unmöglich: (iii) ?* sie das Problem t; so schnell lösen können]]]!

(49d)

wer{ glaubt Herr X [CP t;1 [c, werde [^ t; ihm helfen]]]!

Bei HAIDER (1984:79ff) und GREWENDORF (1988, Kap. 11 & 1989:60ff) findet sich die Hypothese, daß die Klasse der Brückenverben mit der Klasse der Verben, die V/2-Komplemente zulassen, identisch ist. Dies soll hier auch angenommen werden: (50)

Eigenschaften von Brückenverben im Deutschen: Brückenverben lassen Extraktion aus dem Komplementsatz zu und lizensieren darüber hinaus V/2-Komplemente.

Demgemäß sind V/2-Sätze als Komplemente von Nicht-Brückenverben unmöglich, und selbstverständlich wird auch hier lange Extraktion blockiert: (51 a)

*sie bedauerte [CP er verstand [|P sie nicht]]

(51b)

*er vergaß [CP man hatte [„> die Straße gesperrt]]

(51c)

*ich lehne es ab [cp du spülst [^ das Geschirr]]

Eine Ausnahme bildet der Fall, wo aus einem V/2-Satz in einen V/E- Satz bewegt wird und nicht, wie in den hier angeführten Beispielen, erneut in einen V/2-Satz. Solche Konstruktionen sind nämlich im Deutschen generell unmöglich (anders als Bewegungen aus (Komplementierer-eingeleiteten) V/E-Sätzen in V/ESätze). (i) *ich weiß nicht, wen^ du meinst [cp tj' liebt [p Maria t;]] (ii) ich weiß nicht, wen-t du meinst [Cf tj' daß [jp Maria t; liebt]] Ich habe hierzu an dieser Stelle nichts zu sagen; für Analysen dieses Phänomens vgl. REIS (1985), HAIDER (1984), STAUDACHER (1990), STERNEFELD (1989), MÜLLER (1989, Kap. 6) und STERNEFELD/MÜLLER (1990).

186

Gereon Maller

(52a)

*wer-t bedauerte sie [cp t/ [c. verstand [„, tt sie nicht]]]!

(52b)

*wasl vergaß er [cp t/ [C. hatte [^ man t; gesperrt]]]!

(52c)

"wer; faztfe tcA es eigentlich abgelehnt [cp t;' [c. spült [^ t;