Präsuppositionen und Syntax 3484102772, 9783484102774

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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Präsuppositionen und Syntax
 3484102772, 9783484102774

Table of contents :
VORWORT
VORBEMERKUNG
1. ZUM PRÄSUPPOSITIONSBEGRIFF
1.1 Zur philosophischen Präsuppositionsproblematik
1.2 Zur Äquivalenz der Präsuppositionsbegriffe
1.3 Zur Präzisierung eines linguistisch relevanten Präsuppositionsbegriffs
1.3.1 Präsuppositionen und Kontext
1.3.1.1 l-semantische vs. k-pragmatische Präsuppositionen
1.3.1.2 Sprachliche Präsuppositions-Garanten
1.3.2 Präsupposition, Negation, Illokution
1.3.2.1 Präsupposition und Sprachstruktur
1.3.2.2 Präsupposition und Negation
1.3.2.3 Präsupposition und Illokution
1.3.3 Linguistisch relevante Präsuppositionstypen
1.3.3.1 Die Partikeln
1.3.3.2 Konjunktionen
1.3.3.3 Grammatische Kategorien
1.3.3.4 Syntaktisch subordinierte Sätze
1.3.3.5 Asymmetrische Koordinationen
1.3.3.6 Implikative Verben
1.3.3.7 Selektionsbeschränkungen und Topic/Fokus-Erscheinungen
1.3.4 Zur Problematik eines propositionsbezüglichen Präsuppositionsbegriffs
1.4 Zum alternativen Präsuppositionsbegriff: Die essentiell-pragmatische Position
2. L-SEMANTISCHE VS. K-PRAGMATISCHE PRASUPPOSITIONEN oder: GIBT ES SPRACHLICHE PRASUPPOSITIONS-GARANEN?
2.1 Vorbemerkung
2.2 Allgemein nichtpräsuppositionale Kontexte
2.2.1 Zitat-Kontexte
2.2.2 Präsuppositionsproteste
2.2.3 'Filter'-Kontexte
2.2.4 Exkurs: Zur semantischen Festlegung von 'Filter'-Kontexten (Zu Hausser 1976)
2.2.5 'Weltschaffende' Kontexte
2.3 Termbildende Ausdrücke und Kontext
2.3.1 Gebrauch in Existentialsätzen
2.3.2 Generische und gesetzesähnliche Kontexte; Zukunftserwartungen
2.3.3 Prädikativer Gebrauch
2.3.4 Artikelformen und numerische Präsuppositionen
2.3.5 Zum Status einiger Quantoren als Präsuppositions-Garanten
2.3.6 Ein erstes Fazit
2.4 Faktive Prädikate und Kontext
2.4.1 Dt. wissen/engl. know als Präsuppositions-Garant
2.4.2 Exkurs: Zum Problem nur einzelsprachlicher Präsuppositions-Garanten. Am Beispiel dt. wissen vs. engl. know
2.4.3 Nichtkognitive Faktive als Präsuppösitions-Garanten
2.5 Ergebnis
3. PRÄSUPPOSITIONEN UND GRAMMATIK
3.1 Präsuppositionen und Lexikon
3.1.1 Engl. accuse:criticize, dt. beschuldigen:tadeln
3.1.2 Engl. some:any
3.1.3 Starke vs. schwache Negation
3.1.4 Implikative Konstruktionen
3.1.5 glauben:wissen
3.2 Präsuppositionen und Syntax: Zur syntaktischen Relevanz faktiver Präsuppositionen
3.2.1 'Fact' -Argumente
3.2.2 Faktivität und die Substantivierung von Verben mit Satzkomplementen
3.2.3 Nachbemerkung: Zum Verhältnis von Emotivität und Faktivität
3.2.4 Zusammenfassung und Ergebnis
3.3 Präsuppositionen und Syntax: Zur Einordnung von Topic/Fokus-Erscheinungen
3.3.1 Topic/Fokus-Erscheinungen und ihre syntaktische Relevanz
3.3.2 Zur Gleichsetzung von 'Topic/Fokus' und 'Präsupposition/Assertion'
3.3.3 Argumente gegen die Gleichsetzung von 'Topic/Fokus' und 'Präsupposition/Assertion'
3.3.4 Ergebnis
SCHLUSSBEMERKUNG
LITERATUR

Citation preview

Linguistische Arbeiten

51

Herausgegeben von Herbert K Brekle. Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmnr Werner

Marga Reis

Präsiippositionen und Syntax

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977

CIP-Kurztitelaufnnhme der Deutschen Bibliothek Reis, Marga

Priisuppositioncn und Syntax. I. Aufl. (Linguistische Arbeiten ; 5 1 ) ISBN 3-484-10277-2

Tübingen : Niemeycr, 1977.

ISBN 3-4H4-10277-2 (C) Max Niemeyer Verlag Tübingen 1977 Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege /u vervielfältigen. Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

VIII

VORBEMERKUNG

1

1.

ZUM PRSSUPPOSITIONSBEGRIFF

6

1.1

Zur philosophischen Präsuppositionsproblematik

>..

1.2

Zur Äquivalenz der Präsuppositionsbegriffe



1.3

Zur Präzisierung eines linguistisch relevanten Präsuppositionsbegriffs

'.:

1.3.1

Präsuppositionen und Kontext

2

1.3.1.1

1-semantische vs. k-pragmatische Präsuppositionen

2;

1.3.1.2

Sprachliche Präsuppositions-Garanten

2r

1.3.2

Präsupposition, Negation, Illokution

31

1.3.2.1

Präsupposition und Sprachstruktur

31

1.3.2.2

Präsupposition und Negation

34

1.3.2.3

Präsupposition und Illokution

41

1.3.3

Linguistisch relevante Präsuppositionstypen

53

1.3.3.1

Die Partikeln

55

1.3.3.2

Konjunktionen

59

1.3.3.3

Grattitiatische Kategorien

6O

1.3.3.4

Syntaktisch subordinierte Sätze

61

1.3.3.5

Asyimnetrische Koordinationen

62

1.3.3.6

Inplikative Verben

62

1.3.3.7

Selektionsbeschränkungen und Topic/Fokus-Erscheinungen

65

Zur Problematik eines propositionsbezüglichen Präsuppositionsbegriffs

67

1.3.4

VI

1.4

2.

Zum alternativen Präsuppositionsbegriff: Die essentiell-pragmatische Position

87

L-SEMANTISCHE VS. K-PRAGMATISCHE PRÄSUPPOSITIONEN oder: GIBT ES SPRACHLICHE PRÄSUPPOSITIONS-GARANTEN?

96

2.1

Vorbemerkung

96

2.2

Allgemein nichtpräsuppositionale Kontexte

99

2.2.1

Zitat-Kontexte

99

2.2.2

Präsuppos itionsproteste

102

2.2.3

'Filter'-Kontexte

103

2.2.4

Exkurs: Zur semantischen Festlegung von 'Filter'-Kontexten (Zu Hausser 1976)

106

2.2.5

'Weltschaffende' Kontexte

118

2.3

Termbildende Ausdrücke und Kontext

122

2.3.1

Gebrauch in Existentialsätzen

122

2.3.2

Generische und gesetzesähnliche Kontexte; Zukunftserwartungen

124

2.3.3

Prädikativer Gebrauch

128

2.3.4

Artikelformen und numerische Präsuppositionen

129

2.3.5

Zum Status einiger Quantaren als Präsuppositions-Garanten

13O

2.3.5.1

Dt. alle/engl. all

132

2.3.5.2

Kardinalzahlen

135

2.3.5.3

Engl. some

136

2.3.6

Ein erstes Fazit

139

2.4

Faktive Prädikate und Kontext

142

2.4.1

Dt. wissen/engl. know als Präsuppositions-Garant

142

2.4.2

2.4.3

Exkurs: Zum Problem nur einzelsprachlicher Präsuppositions-Garanten. Am Beispiel dt. wissen vs. engl. know

147

Nichtkognitive Faktive als Präsuppositions-Garanten

148

VII

2.5

Ergebnis

155

3.

PRÄSUPPOSITIONEN UND GRAMMATIK

158

3.1

Präsuppositionen und Lexikon

160

3.1.1

Engl. acouse'.oritic-ize, dt. beschuldigen:tadeln

3.1.2

Engl. someiany

163

3.1.3

Starke vs. schwache Negation

166

3.1.4

ünplikative Konstruktionen

171

3.1.5

glaubemwissen

171

3.2

Präsuppositionen und Syntax: Zur syntaktischen Relevanz faktiver Präsuppositionen

176

3.2.1

'Fact'-Argumente

176

3.2.2

Faktivität und die Substantivierung von Verben mit Satzkomplementen

197

3.2.3

Nachbemerkung: Zum Verhältnis von Emotivität und Faktivität

202

3.2.4

Zusammenfassung und Ergebnis

210

3.3

Präsuppositionen und Syntax: Zur Einordnung von Topic/Fokus-Erscheinungen

212

3.3.1

Topic/Fokus-Erscheinungen und ihre syntaktische Relevanz

212

3.3.2

Zur Gleichsetzung von 'Topic/Fokus' und 'Präsupposition/Assertion'

217

Argumente gegen die Gleichsetzung von 'Topic/Fokus' und 'Präsupposition/Assertion'

219

Ergebnis

228

3.3.3 3.3.4

16O

SCHLÜSSBEMERKUNG

229

LITERATUR

230

VORWORT

Die vorliegende Arbeit entstand 1974/75 und wurde im Sommer 1975 von Philosophischen Fachbereich 14 "Sprach- und Literaturwissenschaft II" der Universität München als Habilitationsschrift angenommene, Für die Veröffentlichung habe ich, ohne die Grundlinien der Argumentation zu verändern, die einzelnen Abschnitte zum Teil sehr weitgehend überarbeitet. Die seit 1974 erschienene Literatur wurde dabei berücksichtigt. Ich habe vielen zu danken, die mich bei der Durchführung dieser Arbeit unterstützt haben. Mein erster Dank gilt Hans Fronm, der mich lange Jahre gefördert und auch mein Habilitationsverfahren mit Umsicht betreut hat. Weiter l danke ich den Freunden und Kollegen, deren persönlicher und sachlicher Beistand mir über die vielen Schwierigkeiten bei der Fertigstellung der Arbeit hinweghalf: Hadumod Bußmann, Anke Ehlers, Gabriele Hollmann, Manfred Immler, Renate Weber, vor allem aber Hans Altmann, ohne dessen unermüdlichen Einsatz die Erstfassung nicht rechtzeitig abgeschlossen worden wäre. Ihm habe ich auch für viele inhaltliche Besserungsvorschläge zu danken; ebenso Ewald Lang, dessen ausführlicher Kommentar zur Erstfassung zu zahlreichen Änderungen führte, und Heinz Vater, der auch die Veröffentlichung in dieser Reihe anregte. Danken möchte ich darüber hinaus allen, die mich in den letzten Monaten bei der Erstellung der Druckfassung unterstützt haben: Karlheinz Keppler, Susan Olsen, Robert Unsold, insbesondere aber Lilo Hedtstück sowie Martina Jaschinger, die das mühselige Schreiben der Druckvorlage übernommen hat. Ein letzter Dank geht an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die mir durch ein mehrjähriges Stipendium die eingehende Beschäftigung mit Grammatik- und Präsuppositionsproblemen und das Schreiben dieser Arbeit ermöglichte.

Köln, im Juli 1977 Marga Reis

VORBEMERKUNG

Die folgenden Überlegungen sind erwachsen aus Untersuchungen zum Verhältnis von präsuppositionaler und syntaktischer Struktur, die ich an einer Reihe granmatischer Phänonene unter verschiedenen Aspekten angestellt habe. Von diesen selbst geht nur wenig in die vorliegende Studie ein. Dies hat vor allem einen Grund, dessen Stichhaltigkeit ich im weiteren zu erweisen hoffe: Die ihnen zugrundegelegte Annahme einer linguistisch signifikanten Beziehung zwischen Präsuppositionen und sprachlicher Struktur - eine Annahme, die auch der Titel dieser Arbeit zumindest konversationeil impliziert - scheint mir nicht mehr oder nur noch mit ganz anderen Akzentuierungen haltbar. Zum Thema "Präsuppositionen und Syntax" sinnvoll beizutragen, konnte von daher nur noch in fast paradoxer Weise geschehen: Statt, wie ursprünglich geplant, verschiedene Varianten des Verhältnisses präsuppositionaler und syntaktischer Struktur anhand einiger Einzeluntersuchungen vorzustellen, stellt die vorliegende Studie eine grundsätzliche Sinnvoraussetzung dieser und ähnlicher Untersuchungen in Frage: Inwieweit ist die Präsuppositionsproblematik überhaupt linguistisch relevant? Bei dieser Frage kann es sinnvoll nicht darum gehen, ob Präsuppositionen und Sprache/Sprechen irgendetwas miteinander zu tun haben, denn daß dem so ist, ist offenkundig. Ebenso müßig wäre sie als bloße Frage nach Zuständigkeiten: Ob man das Präsuppositionsphänanen als inner- oder außerlinguistisches betrachtet, ändert nichts daran, daß es real ist und offenbar nicht regellos; es muß also genau wie Sprache selbst erforscht und beschrieben werden. Weder müßig und trivial ist die Frage jedoch, wenn man sie auf Sprache im engen Sinn, auf 'Grammatik1, bezieht und zwar in der seit einiger Zeit üblichen doppelten Weise, in der 'Grammatik1 einerseits Erklärungsinstrument fit: die l Beschäftigt habe ich mich in dieser Hinsicht vor allem mit kausalen Konstruktionen, koordinativen und pseudo-koordinativen Konstruktionen, Faktivität, Satzgliedfragen und dem sogenannten Projektionsproblem für Präsuppositionen in komplexen Sätzen. Einschlägige Einzelstudien hoffe ich, unter verändertem Vorzeichen, in einiger Zeit vorlegen zu können.

Regularitäten sprachlicher Manifestationen darstellt, andererseits, sei es dm Sinne von 'Sprachsystem1, 'Langue', oder "Kompetenz1, die Abgrenzung der wesentlichen sprachlichen Eigenschaften von den nur gebrauchsbedingten (Parole-, Performanz-)Eigenschaften ermöglicht. Dann steht folgendes zur Debatte: Haben Präsuppositionen innergrairinatischen - und das bedeutete: seinantischen Status oder sind sie insgesamt und ausschließlich Erscheinungen der Sprachverwendung? Anders und 'gradueller* formuliert: Inwieweit gehen präsuppositionale Gegebenheiten in die Grammatik, sei es zur Formulierung der syntaktischen Regeln, sei es zur Beschreibung der sprachlichen Lexembedeutungen, wesentlich und notwendig mit ein? Letzten Endes geht es somit um die Autonomie der Grammatik, verstanden als Modell der sprachlichen Kompetenz, relativ zum Phänomen der Präsuppositionen. Der Ausgang dieser Debatte bestimmt zugleich auch die Natur dieses Phänomens als teilweise sanantisch oder rein pragmatisch. Autoncmiefragen vergleichbarer Art sind gerade aus der jüngsten Geschichte der Sprachwissenschaft wohlbekannt: Wie man es etwa mit der Autonomie der Lautebene gegenüber den anderen Ebenen der Grammatik, der Autonomie der Syntax gegenüber der Semantik, der Grammatik insgesamt gegenüber Logik wie Pragmatik hält, war bzw. ist noch immer schulenbildend. Die dabei auftretenden dogmatischen Verfestigungen sind unübersehbar; dennoch sind Autonanie-Fragen, wenn sie überhaupt sinnvoll sein sollen, grundsätzlich empirischer Natur: Über (den Grad der) Autonomie von A gegenüber B entscheidet, ob die in Bereichen A, B bzw. unter Gesichtspunkten A, B zu charakterisierenden Größen und Gesetzmäßigkeiten ganz, teilweise oder nicht identisch sind; dies aber ist im einzelnen empirisch, durch Untersuchung der einschlägigen Daten, entscheidbar. Daß dabei Schwierigkeiten auftreten können - vielfach ist die Evidenz mehrdautig, die notwendige Vollständigkeit der Untersuchung nicht zu erreichen, oder die Grundbegriffe sind unklar -,tut dem empirischen Status von Autonomiehypothesen keinen Abbruch, wenngleich es deren üblicherweise sehr schnelle Wandlung vom Gegenstand zur undiskutierten Voraussetzung linguistischer Untersuchungen verständlich macht. Entsprechendes gilt auch für die Autonomie-Frage bezüglich Grammatik und Präsuppositionen. Die Forschung geht mehrheitlich von der grammatischen Relevanz von Präsuppositionen, demzufolge von der teilweisen Integration beider Bereiche aus; ich möchte sie im folgenden bestreiten. Der empirische Gehalt dieser Gegenpositionen, bzw. einer darauf basierenden Kontroverse, ist nach

dem oben Gesagten klar, ebenso in Grundzügen der Weg ihrer Überprüfung. Diese Überprüfung möchte ich im folgenden vornehmen. Drei Schwierigkeiten scheinen sich dabei allerdings von vornherein aufzutun: Eirmal die Unscharfe des Präsuppositionsbegriffs, vor allem in seiner linguistischen Verwendungsweise; zweitens, damit in teilweisem Zusammenhang, der Umfang der potentiell zu berücksichtigenden Fakten; drittens, in Anbetracht der kontroversen Forschungslage, die Wahl des zugrundeliegenden Grammatikbegriffs. Die erste Schwierigkeit macht eine einleitende Diskussion und Präzisierung des Präsuppositionsbegriffs notwendig, die vor allem den für die Autonomie-Frage relevanten Präsuppositionsphänomenen gerecht wird. Was die zweite angeht, werde ich mich - im Palmen des präzisierten Präsuppositionsbegriffs - auf die repräsentative Untersuchung der wichtigsten Fakten beschränken, die bisher implizit oder explizit zum Beleg der grammatischen Relevanz präsuppositionaler Gegebenheiten angeführt wurden; das damit verbundene Widerlegungsrisiko halte ich für unvermeidlich. - Die dritte Schwierigkeit hingegen scheint mir, obwohl prinzipiell real, in diesem Zusammenhang unerheblich: Zwar ist diese Arbeit insgesamt, insbesondere im Bereich der Syntax, deutlich an der generativen Grammatik-Konzeption orientiert. Dies beeinflußt jedoch m. E. weitgehend nur die Formulierung, nicht die Substanz der Ergebnisse: Zum einen spielen die Idiosynkrasien dieser Konzeption bei der speziell vorliegenden Fragestellung keine wesentliche Rolle; Zum ändern habe ich mich bemüht, die Argumentation durchweg auf sprachliche Fakten zu stützen, die von jedem Grammatikmodell als solche anzuerkennen wären. Dies dürfte m. E. auch den Ergebnissen dieser Arbeit ein Mindestmaß theorieneutraler Verbindlichkeit sichern. Im einzelnen ist der Gang der Untersuchung wie folgt: Teil 1 dient der genauen Bestimmung des semantischen Präsuppositionsbegriffs, gegen den dann in Teil 2 und 3 argumentiert werden soll. Ich beginne mit einer Skizze des philosophischen Präsuppositionsproblems sowie der verschiedenen Ansätze zu seiner Lösung. Diese erscheinen vom linguistischen Standpunkt aus als Varianten von nur zwei Positionen,einer rein pragmatischen und einer semantischen; als Hauptmerkmal der letzteren wird bestimmt, daß sie von einer ausschließlichen und direkten Determiniertheit von (einem Großteil der) Präsuppositionserscheinungen durch die Sprachstruktur ausgeht. Dieser linguistisch unmittelbar relevante Ansatz wird im weiteren entwickelt. Ich bemühe mich dabei in Auseinandersetzung mit bisher vorgebrachten oder naheliegenden Einwanden um eine Präzisierung des semantischen Präsuppositionsbegriffs, der

auch den Intentionen seiner bisherigen Vertreter gerecht wird; daß sich daraus eine erhebliche Einengung der Klasse semantischer Präsuppositionen ergibt, wird gerechtfertigt. Dennoch verbleiben einige dem semantischen Präsuppositionsbegriff eigentümliche grundsätzliche Schwierigkeiten; sie geben . Anlaß, diesem Ansatz in Kürze die einzige echte Alternative, die rein pragmatische ('essentiell-pragmatische') Position, gegenüberzustellen. Zunächst wird deren Erklärungsstärke verglichen: Es erweist sich dabei, daß sie im wesentlichsten Punkt - der Erklärbarkeit des regelhaften Zusammenhangs zwischen präsuppositionalen und sprachlichen Gegebenheiten - potentiell äquivalent sind: Was sich semantisch direkt, durch die Annahme sprachlicher Präsuppositions-Garanten, erklären läßt, kann prinzipiell auch als rein pragmatisch vermittelt, ausgehend von der nichtpräsuppositionalen Bedeutung der betreffenden Äußerung im Kontext begriffen werden. Daß und wie solche pragmatischen Erklärungen funktionieren, wird an einigen Beispielen gezeigt. Abschließend wird auf einige empirisch überprüfbare Unterschiede zwischen der semantischen und der essentiell-pragmatischen Position hingewiesen; diese Überprüfung wird in Teil 2 und 3 vorgenommen. Teil 2 beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Präsuppositionen und Kontext, insbesondere mit der vom semantischen Ansatz her notwendigen Absonderung semantischer (kontextunabhängiger) vs. nur pragmatischer (kontextbedingter) Präsuppositionen. Anhand der Diskussion der meistzitierten Beispiele sprachlicher Präsuppositions-Garanten - termbildende Ausdrücke und faktive Prädikate - erweist sich die linguistische Willkür, ja Irrelevanz dieser Unterscheidung. Damit scheint die Existenz sprachlicher Präsuppositions-Garanten (bzw. semantischer Präsuppositionen) überhaupt fraglich, selbst wenn man von vornherein von "allgemein nichtpräsuppositionalen Kontexten" - deren Problematik am Anfang von Teil 2 diskutiert wird - absieht. - Dieses Ergebnis initeinbeziehend, werden im zentralen Teil 3 die wesentlichen Fakten untersucht, die zum Beweis der grammatischen Relevanz von Präsuppositionen, damit für die semantische Position, angeführt werden könnten bzw. angeführt worden sind: im Bereich des Lexikons die Existenz präsuppositionaler Minimalpaare, vor allem aber im Bereich der Syntax die vielfach behauptete Relevanz von Faktivität auf strukturelle Reguläritäten verschiedenster Art. In jedem Fall ergibt sich, daß diese Beweisversuche nicht wirklich stichhaltig sind; ergänzend wird gezeigt, daß der Gegensatz Präsupposition:Assertion nicht mit der syntaktisch relevanten Topic:Comment-UnterScheidung zusammenfällt. Dieser Befund erlaubt den Schluß, daß die Grammatik gegenüber Präsuppositionen in jeder re-

levanten Hinsicht autonom ist. Damit gibt es linguistisch auch keine Gründe mehr, das Präsuppositionsphänomen partiell semantisch zu deuten; vielmehr wird die Präsuppositionsforschung zwingend auf einen einheitlich pragmatischen Präsuppositionsbegriff verwiesen. In diesem Sinne ist die vorliegende Arbeit ein Plädoyer für den essentiellpragmatischen Präsuppositionsbegriff. Daß er der richtige ist, kann freilich erst dann als wirklich bewiesen gelten, wenn für die Gesamtheit präsuppositionaler Erscheinungen pragmatische Erklärungen gefunden sind. Dies Ziel liegt noch in weiter Ferne. Die bisher vorgelegten Erklärungsversuche zu Einzelfällen berechtigen jedoch wenigstens zu der Hoffnung, daß es prinzipiell erreichbar ist.

Beispiele h i e r f ü r werden in Abschnitt 1 . 3 . 4 . 4 und 1.4 (teilweise referiert aus Stalnaker 197Tb) gegeben; einschlägige Anmerkungen finden sich passim. Wichtig sind in dieser Hinsicht jedoch vor a l l e m die nach Abschluß der Erstfassung dieser Arbeit erschienen Beiträae von Kempson ( 1 9 7 5 ) , Wilson (1975) und Boer/Lycan ( 1 9 7 6 ) , letzterer sicher der b i s h e r bei weitem umfangreichste und detailliertest o Versuch, Präsuppositi'>nstypen pragmatisch zu erklären. Basis all dieser - durchweg (abaopehon von der auf falschen syntaktischen Annahmen gründenden Erkläruna Kemp^ons ( 1 9 7 5 : 1 2 5 f f . , 1 8 5 f f . ) ) diskutablen - Erklärungsversuche ist d i ' Konvorsationstheorie von Grice(1968; 1975) ; es wird aber an praktisch jedem Beispiel deutlich, daß daneben auch Prinzipien der Sprechakttheorie, Alltags- und Hintergrundwissen, spezielle Argumentationszusaminenhänge (Bestätigunastheo'- i e) , zusätzliche Annahmen über Markiertheit und Normal :.tat von Aur>-1ruckr.weisen etc. eine Rolle spielen. Die sich daraus ergebenden praktischen Schwier i gkeit.cn für w i l l k ü r freie pragmatische Analysen sowie der zu erwartende hohe Komplcxitätsgrad für eine entsprechend leistungsfähige pragmatische Theorie liegen auf der Hand.

1. ZUM PRÄSUPPOSITIONSBEGRIFF

1.1 Zur philosophischen Präsuppositionsproblematik Zur begrifflichen Exposition verwende ich ein einfaches deklaratives Beispiel der üblichen Art: (1)

Paulas Sohn ist

volljährig.

Betrachten wir diesen Satz unter wahrheitsfunktionalem Aspekt - wir wählen dabei eine Interpretation von ( 1 ) , in der die Ausdrücke Sohn, volljährig ihre natürliche Bedeutung haben, und sowohl Paula tieren -, so gilt folgendes: (1) ist wahr

wie Paulas Sohn

deno-

gdw. der durch ihn beschriebene

Sachverhalt besteht; das heißt, wenn Paulas Sohn zur Klasse der Individuen gehört, auf die das Prädikat

volljährig

Paulas Sohn über 18 Jahre alt ist

zutrifft. Dies ist der Fall, wenn

(so sei das Prädikat

volljährig

zum

Sprechzeitpunkt von (1) definiert). Ist Paulas Sohn hingegen jünger als 18 Jahre, dann ist (!')

(1) falsch, das heißt es gilt ( 1 1 ) :

[ E s gilt ] nicht: Paulas Sohn ist

volljährig.

Gleichzeitig muß jedoch dann folgender Satz (2) wahr sein, denn dann beschreibt (2) einen tatsächlich bestehenden Sachverhalt, - eben daß Paulas Sohn zur Klasse der 'nichtvoll·jährigen1 Individuen gehört. (2)

Paulas Sohn ist nicht volljährig.

Es ist dabei ohne weiteres einsehbar, daß in der gewählten Interpretation ( 1 1 ) und (2) äquivalent sind. Wahrheit und Falschheit der Sätze (1) und (2) wurden bisher nur von daher überprüft, ob das (n-stellige) Prädikat, hier volljährig

, auf den Gegen-

stand, über den gesprochen wird (n-Tupel von Gegenständen, über die gesprochen wird), hier Paulas Sohn , zutrifft oder nicht. Beschränkt man sich darauf, gilt (3) bzw. (4) allgemein:

der Wahrheit von V folgt die Falschheit von r nicht S1 umgekehrt. der Wahrheit von nicht S1 folgt die Falschheit von "'s"1 umgekehrt.

(3)

Aus und Aus und

(4)

Ein Satz S ist

entweder wahr oder falsch (Bivalenzprinzip).

Schwierigkeiten ergeben sich sofort, wenn man den Subjektsterm bzw. die mit ihm assoziierbaren Sätze/Propositionen in die Überprüfung mit einbezieht. Welche Konsequenzen hat es für den Wahrheitswert z. B. von (1) und ( 2 ) , wenn wir eine Interpretation von (1) wählen, in der es den zur Rede stehenden Sohn Paulas oder Paula selbst nicht gibt, rfos heißt, wenn z. B. (5)a, b, c falsch sind? (5)a.

Es gibt Paula.

b.

Paula hat einen Sohn.

c.

Paula hat nur einen Sohn.

Zweifelsohne kann dann (1) nicht wahr sein, denn der durch (1) ausgedrückten Proposition entspräche kein Sachverhalt. Aber auch der durch (2) ausgedrückten Proposition entspricht bei Falschheit von (5)a, b, c offenbar kein Sachverhalt, auch (2) ist also dann nicht wahr. Dies steht in offenkundigem Konflikt mit (3) und bei näherem Hinsehen auch mit (4). Wie dieser Konflikt zu lösen sei, ist das Hauptthema der philosophischen Präsuppositionsdiskussion. Unter 'Präsuppositionen eines Satzes S 1 , wie z. B. ( 1 ) , wollen wir dabei in erster Näherung diejenigen mit S assoziierten Propositionen P1 ... P (im Falle von (1) also die z. B. durch (5)a, b, c ausgedrückten Propositionen) verstehen, die bei Wahrheit von S immer wahr sind, ihrerseits aber, wenn nicht erfüllt, den Konflikt mit (3) und (4) heraufbeschwören. Zur Lösung dieses Konfliktes gibt es mehrere Strategien. Einigkeit herrscht dabei nur insoweit, daß er nicht auf Kosten der ihn auslösenden Intuitionen beseitigt werden kann: Daß Sätze wie (1) und (2) bei Falschheit von (5) in irgendeiner Weise gleich abweichend sind, ist unleugbar. Unterschiede ergeben sich bereits daraus, was man mit diesen Intuitionen anfängt: Der einen Auffassung, daß sie in der wahr-falsch-Dimension von Sätzen zu explizieren seien, steht die andere gegenüber, daß dafür nur die pragmatische Dimension der Angemessenheit von Äußerungen in Frage käme, das heißt: die fraglichen Intuitionen gelten als gänzlich wahrheitsirrelevant. Dieser letztere Ansatz

hat sich erst in jüngster Zeit profiliert; nennen wir ihn vorläufig den 'rein pragmatischen'. Wählt man ihn, so bleibt zwar als Problem, die (gleichartige) Abweichung von (1) und (2) bei nichterfülltem (5) ganz als (je gleichartige) Verletzung von Verwendungsbedingungen zu erklären; der Konflikt in der obigen Form ist jedoch bereinigt: Denn wenn die fraglichen Intuitionen nichts über die Wahrheit oder Falschheit von (1) und (2) besagen, steht einer Wahrheitswertzuteilung im Einklang mit (3) und (4) nichts mehr im Wege - pragmatische Angemessenheit wie Unangemessenheit eines Satzes S ist prinzipiell mit jeder Wahrheitsbewertung von S verträglich. Dieser Ansatz hat eine bemerkenswerte Konsequenz: Die Falschheit sogenannter 'Präsuppositionen1 von S, die die Unangemessenheit der Äußerung von S heraufbeschwört, beeinflußt nicht auch gleichzeitig den Wahrheitswert von S. Scheinbare Ausnahmen ergeben sich nur, wenn Grund besteht, üblicherweise als 'Präsuppositionen1 von S eingestufte Propositionen als klassische Implikationen von S, damit als Teil des semantisch-logischen Gehalts von S zu betrachten. - Um es am Beispiel zu zeigen: Falschheit von (5)c macht zwar in aller Regel die Äußerung von (1) und (2) unangemessen; (1) und (2) bleiben aber dennoch nach Meinung einiger Interpreten genau so wahr (oder falsch) , wie sie es bei Erfü.lltheit von (5)c wären; entsprechend gilt für sie (5)c auch nicht als Teil des logisch-sematischen Gehalts von (1) und ( 2 ) . (5)a, b hingegen werden innerhalb dieses Lösungsansatzes in der Regel als klassische Implikationen ('entailments1) von (1) rekonstruiert; danach ist bei Falschheit von (5)a, b auch (1) falsch, (2) jedoch als Negation von (1) wahr. Dem entspricht die logische Wiedergabe von (1) und (2) in (6) und (7), in der (5)a,b als jeweils erster Teilsatz einer Konjunktion auftaucht: Da eines der Konjunkte falsch ist, ergibt sich daraus die beschriebene Wahrheitswertverteilung sofort. (6) (7)

3x (x € Sp € Vj) Es existiert ein Sohn Paulas und dieser ist

volljährig.

-i3x (x G Sp € Vj) Es ist nicht der Fall, daß ein Sohn Paulas existiert und dieser volljährig ist. ""Sp"1 = 'Sohn Paulas', Vj 1 = 'volljährig 1

Die Entailment-Analyse von (5)a, b beinhaltet im übrigen auch, daß Nicht1 Als seinen ersten Vertreter betrachte ich Stalnaker (1973a, 1974, besonders aber 1073b); siehe dazu auch Abschnitt 1.4 und Huntley (1976); des weiteren Kempson ( 1 9 7 5 ) , Wilson ( 1 9 7 5 ) , Boer und Lycan ( 1 9 7 6 ) . 2 Siehe dazu etwa Kempson (1975: I o 9 f f ) . Nach dieser Auffassung hat ( 5 ) c in bezug auf ( 1 ) wie (2) den Status einer 'generalisierten konversationellen Implikatur' i m Sinne von Grice (1968: 56-58).

existenz und Nichtvolljährigkeit von Paulas Sohn prinzipiell gleichrangige Interpretationen von (2) bzw. gleichrangige Falschheitsursachen von (1) sind; die Negation erscheint beiden Möglichkeiten gegenüber als vage. Daß und weshalb die zweite Interpretation die übliche ist, die Negation sich normalerweise nur auf das zweite Konjunkt bezieht, bleibt damit noch zu erklären; dies kommt auf die Pragmatik als weitere Aufgabe zu. Allerdings sind solche Entailment-Analysen für sogenannte 'Präsuppositionen' vom rein pragmatischen Lösungsansatz her nicht zwingend gefordert; sie müssen in jedem Fall unabhängig gerechtfertigt sein. Soviel zum rein pragmatischen Vorgehen. Die eigentlich klassischen Ansätze halten an der Wahrheitsrelevanz des Scheiterns von (5) für ( 1 ) / ( 2 ) fest: Für sie ist, im Unterschied zum rein pragmatischen Ansatz, der oben beschriebene Konflikt nur durch Modifikation von (3) und/oder (4) zu lösen. Dies geschieht im wesentlichen auf zwei Wegen, die sich an der Klassifikation der beiden möglichen Arten von Nicht-Wahrheit - bei (1) etwa Nichtwahrheit auf Grund unzutreffender Prädikation von 'volljährig1 vs. Nichtwahrheit auf Grund der Falschheit von (5) - scheiden: Hält man den Unterschied zwischen beiden für intuitiv unerheblich, werden beide Weisen von 'Nicht-Wahrheit' als 'Falschheit 'zusammenklassifiziert; entsprechend stellt sich das Modifikationsproblem für ( 3 ) / ( 4 ) so, daß sowohl für (1) wie seine Negation (2) bei Falschheit von (5) die Zuteilung des Wahrheitswertes 'falsch' gesichert werden muß. Dies geschieht am einfachsten dadurch, daß die von (1) und (2) 'präsupponierten1 Propositionen als Konjunkte innerhalb der logischen Explikation von (1) und (2) erscheinen, dabei aber in (2) außerhalb des Bereichs der Negation bleiben. Dies wird bei Wiedergabe von (1) bzw. (2) als

(8) bzw. (9) erreicht:

(8)

3x (x G Sp Ay (y G Sp ~ y = ) £ Vj) Es existiert ein Sohn Paulas und es existiert nur ein Sohn Paulas und dieser ist volljährig.

(9)

3x (x 6 Sp A Ay (y G Sp - y = x) A n ( x € Vj ) ) Es existiert ein Sohn Paulas und es existiert nur ein Sohn Paulas und dieser ist nicht volljährig.

Bei Nichterfülltheit bereits einer der als erstes und zweites Konjunkt wiedergegebenen Präsuppositionen erhalten die Gesamtsätze (8), (9), bzw. die durch (8), (9) repräsentierten Sätze ( 1 ) , ( 2 ) , den Wahrheitswert 'falsch' wie gefordert. Ebenso ist die Gleichstellung beider Arten von Nichtwahrheit erreicht; d e n n ( 8 ) , . ( 9 ) , bzw. ( 1 ) , ( 2 ) , erhalten ebenfalls den Wahrheitswert "falsch", wenn nur das letzte Konjunkt falsch ist, die 'Präsuppositionen' je-

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doch erfüllt sind. Diese Repräsentation läßt sich allerdings im Einklang mit (3)/(4) nur durchführen, wenn man - durchaus gegenintuitiv - fordert, daß Sätze wie (2), bzw. Negationen von Gasamtsätzen wie (1) und (2) überhaupt, zwischen einer internen und externen Lesart ambig sind; dies läuft auf eine Differenzierung der logischen Negationsarten bzw. auf speziellen Festlegungen über deren Skopi hinaus (siehe dazu Abschnitt 3.1.3). - Als hier wesentliche Konsequenz dieses Vorgehens bleibt festzuhalten, daß ungeachtet gewisser Folge-Differenzierungen von (3) zum einen das Bivalenz-Prinzip (4) als solches erhalten bleibt, zum ändern die mit einem Satz S wesentlich assoziierbaren Propositionen grundsätzlich gleichrangig behandelt werden. Von speziell als 'Präsuppositionen1 ausgesonderten logischen Folgerungen aus S kann - ebensowenig wie beim rein pragmatischen Ansatz - nicht die Rede sein. Betrachtet man hingegen die Unterscheidung der beiden 'Nichtwahrheits'-Arten als fundamental, verläuft die Modifizierung von (3)/(4) notwendig anders: Die Wahrheit der Propositionen (5) wird als Voraussetzung für die Wahrheit/ Falschheit von (1) und (2) im üblichen logischen Sinn (exemplifiziert in (3)) angesehen. Falschheit von (5) resultiert entsprechend darin, daß (1) und (2) weder wahr noch falsch sind; was dies im einzelnen und unterschiedlichen bedeuten kann, stehe im Augenblick dahin. In jedem Fall wird jedoch das Bivalenz-Prinzip (4) kontingent, das heißt (unter anderem ) abhängig davon, daß die entsprechenden vorausgesetzten Propositionen erfüllt sind. Diese Voraussetzungen heißen Präsuppositionen. Von diesen Wegen ist den ersten bekanntlich Russell gegangen; vertreten wird er noch heute, wenngleich von einer deutlichen Minderheit4 . Die Mehrheit 5 3 "unter anderem" bezieht sich darauf, daß das Bivalenz-Prinzip auch voraussetzt, daß der Positiv- und Negativbereich von Prädikaten genau abgegrenzt ist, d. h. die Prädikate keinerlei Vagheitsspielraum haben; vgl. dazu Blau (1973/74;1975/76:22ff.). 4 Siehe Russell(19o5), Russell/Whitehead (1927:69ff); in ihrer Nachfolge noch jetzt Mates ( 1 9 7 4 ) , Guhl/Todt (1975). Zu Vertretern des rein pragmatischen Standpunktes bestehen deutliche Verbindungen, insoweit diese sich Entailment-Analysen für bestimmte Präsuppositionsphänomene zueigen machen; besonders weit in dieser Richtung gehen Kempson (1975) und Wilson (1975). 5 Zur Mehrheit, die an Frege (1892) und Strawson (195o und 1952) anknüpft, zu zählen sind unter anderen Keenan (197o und 1972), van Fraassen (1968), Blau (1973 und 1973/74; 1975/76), Hausser (1974 und 1976), Cooper (1974); ebenso wohl die gesamte linguistische Präsuppositionsliteratur, insofern bei nichterfüllten Präsuppositionen eines Satzes dieser Satz durchweg als 'sinnlos', 'bizarr 1 u. ä. gilt. - Zur Russell-Strawson-Debatte gibt es reiche Literatur, siehe dazu neuerdings Kemmerling (1976).

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vertritt, anknüpfend an Frege und Strawson, den zweiten Weg, wenngleich in deutlich unterschiedlichen Ausformungen. Diesen zunächst neutral gegenüber ist folgende Rahmendefinition von Präsupposition: (10)

S präsupponiert S' gdw. gilt: (i) Aus S folgt

S' .

(ii) Aus nicht S folgt

S' .

Die relevanten Unterschiede ergeben sich bei der Auslegung von folgt in (1o) und vor allem darin, was als Konsequenz der Falschheit von S 1 gilt. Wird die Folgebeziehung zwischen S und S 1 innerhalb der logischen Semantik expliziert resultiert Falschheit von S 1 darin, Haft s entweder keinen oder den dritten Wahrheitswert 'unbestintnt' hat. Das folgt in (1o) ist somit keinesfalls mittels der klassischen zweiwertigen Implikation (" ~2~"> ") rekonstruierbar: Denn wäre (1o) (i) als rS -^-> S' 1 , (1 ) (ii) als r iS -^-> S'1 zu lesen, müßte einmal bei Falschheit von S 1 aufgrund der gültigen Schlußregel Modus Tollens auch S den Wahrheitswert 'falsch' erhalten; zum ändern wäre (1o) (i)/ (11) dann gleichzeitig nur erfüllbar, wenn es sich bei S'um Tautologien handelte - eine Klasse von Präsuppositionen, die Definition (lo) nur in Kauf nimmt, keinesfalls aber primär abgrenzen soll und will. Entsprechend wird folgt in (1o) innerhalb von zweiwertigen Logiken, die Sätze ohne Wahrheitswert zulassen, mittels einer Relation rekonstruiert, die den Modus Tollens ausspart, z. B. der Necessitations-Relation van Fraassens (1968:98), für die nur Modus Ponens gilt. In dreiwertigen Logiken hingegen tut die dreiwertig verallgemeinerte Implikation (" "T"*· ") diesen Dienst, insofern bei Geltung von (1o) (i) rS —*r-> S' 1 bei Falschheit von S' der Antecedens S auch unbe6 Die erstere Position wird etwa von van Fraassen (1968) und Hausser (1974 und 1976), die letztere etwa von Keenan (197o und 1972) und Blau (1973 und 1973/74; 1975/76) vertreten. Entscheidend ist offenbar die Frage der Tautologien, man denke etwa an ( A) . Erkennt man -einen dritten Wahrheitswert "unbestimmt 1 (u) an, dürfte die Wahrheitstafel für starke Negation ( iA ) , bei Belegung von A mit u, ebenfalls u ergeben; auch die Wahrheitstafel für Konjunktionen ( A B ) dürfte bei Belegung beider Teilfonneln mit u sinnvollerweise in u resultieren; daraus ergibt sich auch für ( A) 1 bei Unbestimmtheit von A der Wahrheitswert u. Damit aber wäre -\ ( ) keine Tautologie mehr - diese sind ja bei jeder Wahrheitswertbelegung 'wahr' -, sondern in bestimmtem Umfang kontingent. Wem diese Konsequenz unannehmbar scheint, kann innerhalb der Logik kaum anders, als den Fall scheiternder Präsuppositionen entweder ganz der Pragmatik zuzuweisen, oder, wie van Fraassen, Wahrheitslücken für Sätze mit gescheiterten Präsuppositionen zuzulassen, außer wenn es sich um Tautologien handelt. Forschern wie Keenan und Blau hingegen scheint diese Konsequenz akzeptabel mir im übrigen auch; diese Frage spielt aber für die weitere Argumentation in dieser Arbeit keine Rolle.

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stimmt sein kann , ebenso die sinnlose Einschränkung von S 1 auf Tautologien entfällt. Häufig ist unter Berufung auf (1o) von Präsuppositionen auch als pragmatisehen Größen die Rede, sei es als Sprechervoraussetzungen, sei es als gemeinsame Hintergrundannahmen von Sprecher und Hörer bzw. Annahmen des Spre9 chers in Bezug auf das Wissen des Hörers. In der Regel werden sie dabei explizit oder implizit als notwendige Voraussetzungen S 1 verstanden, um S in irgendeiner Weise kontnunikativ erfolgreich verwenden zu können, am leichtesten faßbar als Bedingungen des Glückens für Sprechakte, in Sonderheit für konstatiere Sprechakte, die man mit der Äußerung von Aussagesätzen vollzieht. ° Entsprechend hat (1o) ebenfalls pragmatischen Status, auszulegen etwa in dem Sinne, daß jede erfolgreiche (konstative) Sprechhandlung die Erfüllung ihrer Glückensbedingungen beinhaltet. Falschheit von S 1 hat dann unter allen umständen den Fehlschlag der beabsichtigten Sprechhandlung zur Folge. Falls also z. B. (5)a, b, c falsch ist, wäre nach dieser Betrachtungsweise der Versuch des Sprechers, mit ( 1 ) , (2) eine Behauptung aufzustellen, bzw. den Adressaten zur Akzeptierung von ( 1 ) , (2) zu bewegen, mißglückt, und das hieße, da für konstative Sprechakte der Wahrheitsanspruch konstitutiv ist, daß für (1) und (2) sich "die Frage ihrer Wahrheit oder Falschheit gar nicht stellt" (Strawson 195o; 1973:2o4). Man beachte, daß sich diese Konsequenz bei rein pragmatischer Betrachtungsweise nicht ergibt: Da Falschheit von (5) die A\isserung von (1) und (2) zwar unangemessen macht, ihnen aber einen Wahrheitswert beläßt, sind sie nach diesem Ansatz als Behauptungssprechakte nach wie vor gelungen. Hierin wird erstmals der wesentliche Unterschied zwischen dem rein pragmatischen Ansatz und der pragmatischen Variante des wahrheitsbezogenen, logisch-semantischen Ansatzes greifbar, den die gemeinsame Redeweise von Präsuppositionen als Sprecherannahmen, von 'Unangemessenheit1 als Folge Q

7 Siehe dazu Blau (1973/74:96; 1975/76:l ) , dessen Wahrheitstafel für die dreiwertige Implikation ich hier wiedergebe: A : w w w f f f u u u B : w f u w f u w f u A ··· > B : w f u w w w w w w 8 So etwa bei Wunderlich (1973), Karttunen (1971b). 9 Siehe dazu etwa Ebert (1973), Vennemann (1975ay Keller (1975). 10 So etwa bei Strawson (195o und 1952), Austin (1962; 1972:4.Vorl.); siehe auch Garner ( 1 9 7 1 : 2 9 f f . ) , Cooper (1974:Kapp.4,6-8), Fillmore (1969; 1971a: 38o und 1971b:276), Langendoen/Savin (1971:55). 11 'folgt 1 entspricht somit ungefähr einer Verallgemeinerung der bei Austin (1962; 1972:4.Vorl.) und Searle (1969:65) vorkommenden Implikationsbeziehung

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nichterfüllter Präsuppositionen, allzu leicht verdeckt.

12

Im Gefolge der Differenzierung zwischen logisch-semantischen und pragmatischen Explikationen des Präsuppositionsbegriffs treten weitere Unterschiede bezüglich folgender Frage auf: Womit ist x, y in der Formulierung 'x präsupponiert y 1 identisch? Die Rahmendefinition (1o) suggeriert durch die Wahl der Abkürzungen S, S 1 , daß es sich jeweils um Sätze handele; dies aber ist für einige Varianten des Präsuppositionsbegriffs ganz sicher nicht kongenial, für die ändern zu vage. Wer Präsuppositonen als Sprechervoraussetzungen bzw. als Sprecher- und Hörervoraussetzungen ansieht, wird x, bzw. den Vorbereich der Präsuppositionsrelation, auch mit Sprecher (und Hörer) identifizieren; die Formel 'x präsupponiert y' ist für sie zu erweitern zu: '(Sprecher/Hörer) z präsupponiert y bei der Äußerung eines Satzes S '. Vergleichbares gilt für die Definitionen von Präsuppositionen als Bedingungen des Glückens ('felicity conditions') von Sprechhandlungen: Hier muß x als 'Äußerung eines Satzes S (in der intendierten illokutionären Rolle)' verstanden bzw. eine ähnliche Relativierung auf den Sprecher (und Hörer) wie oben vorgenommen werden. Wird die Präsuppositionsrelation hingegen logisch-semantisch expliziert, kommen für x sinngemäß nur diejenigen Größen in Frage, denen auch Wahrheitswerte zukommen: den (durch den fraglichen Satz S ausgedrückten) Propositionen. Sätze als linguistische Größen bzw. Äußerungsvorkommnisse dieser Sätze präsupponieren dann somit vermöge der Eigenschaften der Proposition, die sie ausdrücken. Sofern die relevanten Eigenschaften der Proposition mit strukturellen Eigenschaften der linguistischen Form in einer 1:1-Entsprechung stehen, ist es natürlich auch möglich, für x weiterhin 'Satz' zu gebrauchen; man sollte jedoch inner bedenken, daß dies an die Entsprechungsbedingung gebunden ist. Die Spezifizierung von y ist demgegenüber weniger variant: Bei dem, was Sätze/ Propositionen S präsupponieren, Sprecher/Hörer als wahr voraussetzen bzw. glauben müssen bei Äußerung von S, kann es sich von vornherein sinnvoll nur um Propositionen handeln. Entsprechend haben diese Präsuppositionen, wenn sie in der präsupponierenden Äußerung mit versprachlicht sein müssen, wie etwa bei restriktiven Relativsätzen oder Komplementen faktiver Prädikate, die Form und Modalität von Aussagesätzen (freilich ohne deren zusätzliche illokutive Funktion). - Was für 'Satz' statt 'Proposition1 hinsichtlich x gesagt 12 Der Unterschied wird im folgenden sehr viel deutlicher werden, siehe vor allem Abschnitt 1.2 und 1.4. 13 Zu dem hier zugrunde gelegten Propositionsbegriff siehe Abschnitt 1.3.2.3ff.

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wurde, gilt natürlich auch mutatis mutandis für y. Da zu den Mutanda allerdings auch gehört, ffoR präsupponierte Propositionen in der.Regel unversprachlicht bleiben, würde es fast unüberwindliche Schwierigkeiten bereiten, eine spezielle linguistische Repräsentation einer Präsupposition als 'die richtige1 zu motivieren (siehe auch Ebert 1973:422f.). Von daher scheint es besser, y von vornherein mit der Proposition des Satzes S' gleichzusetzen, der zur Wiedergabe der Präsupposition verwendet wird. Soviel in erster Näherung zu den alternativen Konzeptionen des Präsuppositionsbegriffs. Welche davon die richtige sei, ist trotz umfänglicher und langwieriger Diskussion umstritten - was unter anderem darauf verweist, daß eine sichere vortheoretische Basis zur Beurteilung dieser Frage nicht existiert: Die fundamentalen Intuitionen über die Distinktion 'falsche vs. nicht wahre Sätze1, bzw. darüber, ob ein Satz keinen Wahrheitswert habe oder nur unangemessen sei, sind, wie bereits ausgeführt, gegensätzlich; 14 darüber hinaus eher von der Einstellung gegenüber den jeweils absehbaren theoretischen Konsequenzen bestinmt als ihrerseits unabhängige Basis für diese (siehe dazu auch Cooper 1974:39f.). Ebensowenig läßt sich vortheoretisch das gegenseitige Verhältnis von Pragmatik, Linguistik, Logik bzw. ihr Zusammenwirken in der Sprachanalyse sinnvoll bestimmen: Welchen Abstand man etwa zwischen der linguistischen Struktur eines Satzes S und der Struktur seiner logischen Explikation - der Proposition - zuläßt, ist vortheoretisch nur eine Sache dei Festlegung, nicht unabhängig begründbar. Beides gekoppelt macht aber beim bisher erreichten Stand der Argumentation eine sinnvolle Kontroverse über die Adäquatheit der einzelnen hier skizzierten Präsuppositionsbegriffe schwierig, vielfach so gut wie unmöglich: Selbst die gerade von Linguisten als intuitiv besonders inadäquat empfundene Russellsche Lösung des Präsuppositionsproblems 14 Dies braucht nicht zu verwundern, denn die geforderte Intuition über logische Wahrheitswerte in diesem Bereich hat keinerlei Stütze in der natürlichen Sprache; deren Negations- und andere Ablehnungsmittel von Äußerungen sind den in jedem Fall in irgendeiner Form geforderten Unterscheidungen gegenüber vage. Gleiches gilt für Ausdrücke wie "falsch 1 , 'sinnlos', 'unangemessen' etc. - Den Optimismus Haussers, daß es "an intuitively motivated and justified truthvalue assignment (that is lack of truthvalue in case of presupposition failure)" (1976:251) gebe, teile ich von daher nicht. 15 Siehe etwa Cooper ( 1 9 7 4 : 9 f . ) , Wunderlich (1973:48of.,Anm.3), Franck (1973:

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wird damit de facto unkritisierbar. 16 ün so dringlicher scheint es angesichts dieser Sachlage, zu überprüfen, welche empirische Relevanz den auftretenden Explikationsunterschieden von 'Präsupposition' bei der Untersuchung der linguistischen Aspekte des Präsuppositionsproblems überhaupt von vornherein zukamen kann. Dies soll im folgenden Abschnitt geschehen.

16 Abgesehen davon, daß die Intuitionen gar nicht besonders sicher sein können (vgl. Anm. 14), könnte sich die Russellsche Lösung darauf berufen, daß der Unterschied zwischen zwei Sätzen wie ( i ) , (ii), (i) Paula existiert, und sie hat einen Sohn, und sie hat nur einen Sohn, und dieser ist volljährig (ii) Paulas Sohn ist volljährig. deren logische Explikation in dieser Lösung identisch ist (und damit auch die Variation der Wahrheitswerte unter verschiedenen Interpretationen) kein logischer/semantischer, sondern ein pragmatischer sei (siehe Guhl/ Todt 1975:31), entsprechende Intuitionen also auch von der pragmatischen, nicht der logisch/semantischen Analyse abzudecken wären. Der strukturelle Abstand zwischen (ii) und seiner logisch/semantischen Explikation (siehe o. ( 8 ) ) ist mangels entsprechender Konvention kein Ablehnungsgrund. Darauf, daß allerdings 'syntaktische Korrektheit 1 ein ebenso wichtiges Kriterium für die Beurteilung logischer Explikationen von Sätzen natürlicher Sprache sein sollte wie 'semantische Korrektheit 1 , hat vor allem Blau (1973/741:12ff., 1975/761:37) nachdrücklich hingewiesen.

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1.2 Zur Äquivalenz der Präsuppositionsbegriffe Lassen wir zunächst den rein pragmatischen Ansatz beiseite, der bisher für 17 die linguistische Präsuppositionsforschung wenig maßgeblich war, und wenden wir uns den im Anschluß an (1o) vorgestellten Präsuppositionsbegriffen zu. Wie gezeigt wurde, stellen diese je verschiedene Aspekte bezüglich eines gegebenen Satzes S. als präsupponierende Größen in den Vordergrund - die Proposition P . , die S. ausdrückt; die Äußerung bzw. das Äußerungsvorkcnitinis von Ä. von S.; den Sprecher Sp., der S. äußert, bzw. den Hörer H . , an den S./ A · sich richtet; den Sprechakt SA., der mit (der Äußerung von) S. vollzogen wird. Entsprechend variieren die Konsequenzen im Falle nichterfüllter Präsuppositionen. Trotz dieser Unterschiede ergibt sich jedoch in einem wesentlichen Punkt Einheitlichkeit: Die für alle Explikationen bestehende Aufgabe, festzulegen, unter welchen Umständen das Präsuppositionsproblem bezüglich gegebener Sätze S. (bzw. deren Äußerungen, damit vollzogener Äußerungshandlungen, Sprechakte) überhaupt auftritt, wird im allgemeinen dahingehend gelöst, daß grundsätzlich den sprachlich-strukturellen Eigenschaften von S. eine ausschlaggebende, systematische Rolle eingeräumt wird. Dies wird selten so explizit gesagt, wie in den folgenden Zitaten ( 1 1 ) , (12) und (13), die aus ganz unterschiedlichen Präsuppositionsbegriffen verpflichteten Arbeiten stammen: (11)

L . . ] I n these cases, the presuppositions are systematically related to the form of the sentence[ . . . ] [The claim of relative well-formedness] is a claim that the general principles by which a speaker pairs a sentence with those presuppositions required for it to be well-formed, are part of his linguistic knowledge. (G. Lakoff 1971b:329)

(12)

Wenn ein Sprecher einen Satz s äußert, dann sind die Präsuppositioner» t von s diejenigen Voraussetzungen, die der Sprecher bei der Äußerung von s macht und die der Hörer nach grammatischen Regeln aus der Form der Äußerung von s rekonstruieren können muß. (Wunderlich 1973:472)

(13)

L . . ] w e have to know what causes certain sentences of natural language to have the particular presuppositions they have. There is evidence that the relevant (e. g. non-tautological) presuppositions of sentences of natural language depend on the surface form of the sentence: on its verbs, the types of noun-phrases, the presence or absence of modals, intensional predicates, e t c . [ . . . ] The basic linguistic hypothesis underlying the present approach to implementing presuppositions[...Imay now be formulated as follows:

17 Dieser Ansatz wird unter dem Stichwort 'essentiell-pragmatische Position1 in Abschnitt 1.4 wieder aufgegriffen.

17 I assume that the occurrence of relevant semantic presuppositions in natural language is systematically predictable. More specifically, I assume that all relevant presuppositions are induced by certain lexical items, called P-inducers[... ](Hausser 1976:249)

Daß aber die These von der sprachlich-strukturellen Bedingtheit der relevanten Präsuppositionen weit allgemeiner verbindlich ist,

läßt sich auch aus an-

deren Arbeiten - aus Diskussionskontext und einschlägigen Beispielen - unschwer extrapolieren. Um beim Beispiel (1) zu bleiben: Daß mit diesem Satz die Präsuppositionen (5)a, b, c verbunden sind, ist nach allgemeiner Auffassung von der sprachlichen Eigenschaft bedingt, daß (1) einen definiten singularischen (dazu komplexen) Subjektsterm enthält. Und (5)a, b, c werden von jedem der verschiedenen hier betrachteten Präsuppositionsbegriffe als Präsuppositionen von (1) ausgezeichnet, gleichgültig, ob (1) im Sinne etwa eines logisch-semantisch formulierten Präsuppositionsbegriffs wie (14) (14)

A[n abstract, S. 48] sentence S logically presupposes a[n abstract] sentence S' just in case S logically implies S' and the negation of S, ~S, also logically implies S 1 . Thus, if S' is not true, then S can be neither true nor false. (Keenan 1971:45f.)

oder im Sinne des sprechaktbezogenen Präsuppositionsbegriffs, sei es in einer einfachen oder in einer elaboraten Form wie (15) (15)

To say 'u[tterer]'s assertion that ra is 01 presupposes that a is satisfied' is equivalent to saying 'u[tterer]'s belief that a is satisfied is a necessary condition of U ' s asserting that a is , in the sense that U could not have the required B-(BB-intention) otherwise'. (Cooper 1974:97; siehe auch 117f.)

überprüft wird: Im Sinne von (14) muß (5) a, b, c erfüllt sein, damit (1) einen Wahrheitswert erhalten kann. Aber auch im Sinne von (15) muß (5)a, b, c insofern erfüllt sein, als der Sprecher glauben muß, daß Paula, ihr Sohn, etc. existieren; denn sonst wären die notwendigen Voraussetzungen einer geglückten Assertion von (1) - der Sprecher U beabsichtigt, den Hörer sowohl dazu zu bringen, (1) zu glauben ( — 'B-intention'), als auch dazu, zu glauben, daß U i fl (1) glaubt ( - 'BB-intention') - schlechterdings nicht erfüllbar. 18 Dies ist nur als Illustration gedacht; keine erschöpfende Diskussion noch Vorstellung des Cooperschen Präsuppositionsbegriffs. Dazu würde u. a. auch gehören, die Frage aufzuwerfen, inwieweit nicht nur des Sprechers Glauben an a, sondern die tatsächliche Existenz von a notwendig ist, damit die Assertion wirklich gelingt, d. h. der Hörer auch glaubt, daß a is 0 (siehe dazu Cooper 1 9 7 4 : 8 9 f . , l o l ) .

18

Gerade dieses Beispiel läßt sich verallgemeinern: Unter jedem bisher formulierten Präsuppositionsbegriff werden einem Satz, der einen definiten Subjektsausdruck enthält, entsprechende existentielle und numerische Präsuppositionen gleicher Art zugewiesen, das heißt: Die Definitheit auslösenden Eigenschaften, - sei es der definite Artikel, sei es der Gebrauch von Eigennamen, oder anderes - gelten als 'Präsuppositionsgaranten1 19 unter allen Explikationen von Presupposition. - Gleiches dürfte für die anderen gemeinhin als präsuppositionsgarantierend anerkannten sprachlichen Mittel wie faktive Prädikate, bestimmte Quantoren etc. gelten, auch wenn sich dies, anders als beim Standardbeispiel definiter Ausdrücke, bei dem normalerweise geringen Umfang des diskutierten Materials nicht im einzelnen belegen läßt. Für den Sprachwissenschaftler ist all dies in zweierlei Hinsicht von offensichtlichem Belang: (a) Erst die These von der Sprachstruktur-Abhängigkeit der relevanten Präsuppositionen eines Satzes, wie in (16) nochmals formuliert, macht Präsuppositionen überhaupt zu einem im engeren Sinn linguistischen Thema. (16)

Die im Zusammenhang mit einem Satz S (der Äußerung von S, der mit S vollzogenen Sprechhandlung) auftretenden relevanten Präsuppositionen stehen in systematischem Zusammenhang mit der sprachlichen Form von S. (Dabei machen die in S vorkommenden Lexeme und die syntaktische Struktur zusammen die sprachliche Form von S aus).

Erst bei der Konkretisierung von (16) treten auch die für den Sprachwissenschaftler unmittelbar relevanten und von seiner Seite her mitzubehandelnden Fragen auf: Denn These (16) als solche läßt offen, welche sprachlichen Eigenschaften unter welchen Bedingungen Präsuppositionen welcher Art im einzelnen induzieren> und welche Idealisierungen/Abstraktionen vom sprachlichen Oberflächenbefund bei ihrer Detailüberprüfung zulässig sind und welche nicht. (b) Zum zweiten ermöglicht (16) eine Antwort darauf, welche empirische televanz die Unterschiede zwischen den Präsuppositionsexplikationen besitzen: Insoweit für alle bisher vorgestellten Varianten des Präsuppositionsbegriffs These (16) 19 Mit 'Präsuppositions-Garant 1 , gelegentlich 'Präsuppositionsauslöser' übersetze ich den glücklichen, von Hausser geprägten Ausdruck 'Presupposition-Inducer', 'P-inducer' (Hausser 1973, 1974 und 1976:249); als verbale Entsprechung werde ich '(Ausdruck) garantiert/löst aus/induziert Präsupposition y ' verwenden. Zur Definition von 'Präsuppositions-Garant1 siehe Abschnitt 1.3.1.

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eine zentrale Itolle spielt, sind diese Varianten in dem für den Sprachwissenschaftler entscheidenden Punkt äquivalent: Gleichgültig, worauf sich x, y in in 'x präsupponiert y 1 bezieht, gleichgültig, ob die zentralen Begriffe in Definition (1o), wie 'folgt' oder der Negationsausdruck, logisch/semantisch oder pragmatisch ausgelegt werden, und welch unterschiedliche Konsequenzen sich entsprechend aus nichterfüllten Präsuppositionen ergeben - alle darauf bezogenen unterschiedlichen Präsuppositionsbegriffe ordnen einem gegebenen Satz S. im wesentlichen die gleiche Präsuppositionsmenge zu. Vom linguistischen Standpunkt aus sind somit die bisher diskutierten Unterschiede unerheblich; die Qual der Wahl zwischen ihnen kann entfallen: Gebunden an (16) sind die vorgestellten logisch-semantischen wie pragmatischen Qcplikationen von (1o) ineinander übersetzbare Redeweisen, nichts anderes als notationeile Varianten eines einzigen - wahrheitsbezogenen - Präsuppositionsbegriffs. These (16) nun beinhaltet genau das, worum es in dieser Arbeit geht: die Annahme, daß zumindest eine Teilklasse von Präsuppositionen in systematischer Weise von sprachlicher Form (und allein von dieser) abhängen, dann gehen Präsuppositionen auch in die Beschreibung dieser Form,in die Grammatik also, notwendig ein. Ich nenne deshalb auch den einen Präsuppositionsbegrifft der sich mittels (16) profiliert hat, vorläufig den "linguistisch relevanten1; dies hat auch insofern seinen Sinn, als dieser Präsuppositionsbegriff für die linguistische Literatur im Grunde verbindlich ist. Allerdings ist er mit (1o) und (17) bisher zu unscharf und umrißhaft gefaßt, als daß dies unmittelbar einsichtig wäre; ebensowenig kann die beabsichtigte Auseinandersetzung darauf aufbauen. Ich versuche deshalb zunächst, in Abschnitt 1.3, den linguistisch relevanten Präsuppositionsbegriff geeignet zu präzisieren - wie ich hoffe in einer Weise, die den linguistischen Präsuppositionsvorstellungen und ihrer Praxis gerecht wird und überdies die Einheitlichkeit dieser Vorstellungen erweist. 1.2.1 Exkurs: Zu einigen Einwänden gegen die Äquivalenzbehauptung (Hörerpräsuppositionen, Tautologien, nichtdeklarative Sätze). Die im letzten Abschnitt gemachte Feststellung, daß die in der Literatur gängigen Präsuppositionsbegriffe durch ihre Bindung an (16) äquivalent sind, hat für die weitere Argumentation praktische wie inhaltliche Folgen: Sie erlaubt einmal die Konzentration von Darstellung, Präzisierung und Kritik auf genau einen Präsuppositionsbegriff, ohne daß der Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit aufgegeben werden müßte. Ferner ermöglicht sie letzten Endes den Aufbau der klaren inhaltlichen Alternative - hie logisch-semanti-

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sehe, da essentiell-pragmatische Position (siehe Abschnitt 1.4) -, in deren Rahmen sich die Argumentation bewegt, weil sie von vornherein eine Reihe pragmatisch formulierter Präsuppositionsbegriffe der logisch-semantischen Position als Notationsvarianten zuweist. Es scheint mir deshalb notwendig, vorweg auf drei Argumente gegen die Äquivalenzbehauptung in gerade dieser Hinsicht einzugehen; einige Vorgriffe auf die spätere Diskussion sind dabei unve rme idli ch. (i) Die Äquivalenzbehauptung muß eingeschränkt werden in bezug auf Formulierungen des Präsuppositionsbegriffs, die auch auf das Hörerwissen abheben. Das zeigt der Vergleich mit nur sprecher-relativierten oder logisch-semantischen Formulierungen: Zwar sind alle relevanten Präsuppositionen eines Satzes im Sinne der ersteren hörerbezogenen Formulierung auch Präsuppositionen im Sinne der letzteren; dies gilt aber nicht immer umgekehrt. Z. B. präsupponiert ein Satz wie (17)a den Satz ( 1 7 ) b sowohl logisch-semantisch wie auch in dem Sinn, daß der Sprecher bei ehrlicher Äußerung von (17)a auch (17)b glauben muß; es besteht jedoch kein Zweifel, daß (17)a in den meisten Kontexten auch (oder gerade) ohne Hörerwissen um (17)b angemessen gebraucht wird; (17)b ist also im Sinne des hörerbezogenen Präsuppositionsbegriffs keine Präsupposition. Auch die von faktiven Prädikaten normalerweise ausgelöste Präsupposition muß dem Hörer nicht immer bekannt sein; bei Fragegebrauch wie in ( 1 8 ) a , (19)a ist vorausgesetzte Unkenntnis der jeweiligen Präsuppositionen (18)b, (19)b auf Seiten des Hörers sogar die Regel. ° (17)a. b. (18)a. b. (19)a. b.

[A zu B: Kommen Sie bitte mit ins Nebenzimmer?] Ich möchte Ihnen meinen Mann vorstellen, A hat einen (und nur einen) Mann. Wußten Sie schon, daß eine positive Korrelation zwischen Haarfarbe und Schwimmtalent besteht? Es besteht eine positive Korrelation zwischen Haarfarbe und Schwimmtalent. [A zu B : ] Ja merkst Du denn nicht, daß Erna Dich anlügt? Erna lügt B an.

Diese Ausnahmen sind real und mindestens teilweise vom Auftreten bestimmter sprachlicher Mittel abhängig - beispielsweise treten Fälle wie„|18)/(19) nur mit kognitiven, nie aber mit emotiven faktiven Prädikaten auf. Sie liegen also mit im Bereich dessen, was ein an (16) anknüpfender 'linguistisch relevanter 1 Präsuppositionsbegriff eigentlich beschreiben will und müßte. Dennoch kann man zugunsten dieses Präsuppositionsbegriffs und damit im Sinne der Äquivalenzbehauptung auf zwei Auswege verweisen: Zum einen könnte man versuchen, Voraussetzungen in bezug auf das Wissen des Hörers samt und sonders unter Nachweis ihrer Kontextabhängigkeit - zu den pragmatischen Präsuppositionen zu stellen; daß eine Trennung der Präsuppositionserscheinungen in 'linguistisch relevante" und nur 'pragmatische' ohnehin bei Annahme des auf (16) bezogenen Präsuppositionsbegriffs notwendig ist, wird in Abschnitt 1.3.1 gezeigt. - Zum ändern könnte man den zugrundegelegten Begriff von 'Hörerpräsupposition" ändern: Faßt man ihn nämlich in dem strengen Sinne, daß die vom Sprecher als wahr vorausgesetzte Proposition P auch vom Hörer als wahr vorausgesetzt sein muß, ihm also auch bereits bekannt sein muß, ergeben sich mehr Diskrepanzen zu den von den anderen Präsuppositionsbegriffen 20 Weitere Beispiele und Diskussion zu diesem Punkt in Ebert (1973:426ff.) und Karttunen (1974:19of.). 21 Zur Unterscheidung kognitive vs.emotive faktive Prädikate siehe Abschnitt 2.4.

21

ausgezeichneten Präsuppositionsklassen, als wenn man nur verlangte, daß die vom Sprecher präsuppositional vermittelten Sachverhalte für den Hörer (nach seiner Kenntnis der Situation und der daran Beteiligten) nicht überraschend sein dürfen. In diesem letzteren Sinne wäre etwa (17) durchaus auch von dem Hörer-relativierten Präsuppositionsbegriff abdeckbar. Zwei weitere Einwände gegen die Äquivalenzbehauptung liegen nahe, lassen sich aber letzten Endes ebenfalls zurückweisen bzw. umgehen: (ii) Die logisch-semantische Auslegung von (lo) hat zur Folge, daß jeder Satz S. (bzw. die von ihm ausgedrückte Proposition P . ) neben den S.-spezifischen Präsuppositionen auch sämtliche Tautologien prasupponiert. Damit scheint der logisch-semantische Präsuppositionsbegriff im Vergleich mit seiner pragmatischen Relativierung auf die Glaubenswelt des Sprechers weiter zu sein. Denn zwar gilt für die S.-spezifischen logisch-semantischen Präsuppositionen, daß der Sprecher sie bei ehrlicher Äußerung von S. auch glauben muß (wie auch umgekehrt); das gilt aber nicht unbedingt für die Tautologien: Insofern sie immer wahr sind, stört es nicht, sie als logisch-semantische Präsuppositionen in Kauf zu nehmen; es könnte jedoch problematisch, wenn nicht falsch scheinen, sie als Sprecher-Präsuppositionen zu betrachten, das heißt zu verlangen, man müsse an die Wahrheit sämtlicher Tautologien glauben, um etwa (1) ehrlich, angemessen zu äußern. Die beiden Präsuppositionsbegriffe wären also in diesem Punkte nicht äquivalent. Dieser Einwand ist jedoch keineswegs zwingend: Man kann geltend machen, daß die Möglichkeit zu vernünftigem Diskurs an die Gesetze der Logik gebunden ist; jeder Sprecher somit bei jeder Äußerung in irgendeiner Form auf diese Gesetze und damit implizit auch auf die daraus ableitbaren logischen Wahrheiten verpflichtet ist. Das heißt, er kennt/'glaubt 1 an die Tautologien etwa in dem Sinne, wie er das Regelsystem seiner Sprache kennt, bzw. auf die Richtigkeit der aus ihm ableitbaren Sätze verpflichtet ist, und insofern sind die fraglichen Präsuppositionsbegriffe auch in diesem Punkt äquivalent. Es steht allerdings außer Zweifel, daß ein linguistisch relevanter Präsuppositionsbegriff so präzisiert werden muß, daß die Tautologien und ihre pragmatischenÄquivalente nicht mehr darunter fallen. (Siehe dazu Abschnitt 1.3.2.1). (iii) Andererseits scheint der logisch-semantische Präsuppositionsbegriff enger als die pragmatischen Varianten: Die letzteren können auf alle Typen von Sätzen/Äußerungen, die Präsuppositionen haben, angewandt werden, seien es Fragen, Aussagen, Befehle, Wünsche etc.; der logisch-semantische Präsuppositionsbegriff jedoch kann sich von vornherein nur auf die Klasse von Sätzen/Sprechakten beziehen, denen ihrer Natur nach Wahrheitswerte zukommen, also auf Assertionen, deskriptive/konstative Aussagen, allgemeiner: deklarative Sätze bzw. Sprechakte. Daraus läßt sich jedoch weder gegen den logisch-semantischen Präsuppositionsbegriff als solchen, noch gegen die Äquivalenzbehauptung ein Argument gewinnen, das unumgehbar wäre. Man muß nur folgendes berücksichtigen: Alle pragmatischen Präsuppositionsbegriffe scheinen vorauszusetzen, daß (a) es zu jedem nichtdeklarativen Sprechakt SA. einen korrespondierenden deklarativen Sprechakt D. gibt, (b) die relevanten Präsuppositionen von D. mit denen von SA. identisch sind. Nimmt man jedoch diese Voraussetzungen auch für den logisch-semantischen Präsuppositionsbegriff in Anspruch, spielt dessen begrenzte Reichweite keine Rolle mehr: Auf der Grundlage der präsuppositionalen Analyse von Deklarativsätzen lassen sich mittels ( a ) / ( b ) auch allen anderen 22 Zu ähnlichen Überlegungen siehe Keller (1975:Io5f.).

22

Sätzen die zugehörigen relevanten Präsuppositionen zuweisen, und zwar die gleichen, die ihnen auf Grund der pragmatischen Präsuppositionsbegriffe "direkt 1 zukämen, (a) und (b) sind natürlich Annahmen empirischer Natur und als solche nicht ohne Schwierigkeiten von zum Teil grundsätzlichem Belang. (Siehe u. Abschnitt 1 . 3 . 2 . 4 ) . Da diese jedoch sowohl für die logisch-semantisqhen wie pragmatischen Varianten des Präsuppositionsbegriffs auftauchen, bleibt die Feststellung ihrer Äquivalenz davon unberührt.

23

1.3 Zur Präzisierung eines linguistisch relevanten Präsuppositionsbegriffs Die bisherigen Überlegungen standen im Rahmen der Präsuppositionsdefinition (1o). Gleichgültig, ob diese logisch-semantisch cder pragmatisch ausgelegt wurde, spezifiziert sie nur ein einziges Kriterium für die Präsuppositionen S' eines Satzes S: die Konstanz von S1 unter Negation von S. 'Negation1 ist dabei in logisch-semantischer Auslegung von (1o) als 'starke Negation' zu verstehen, in pragmatischer Auslegung als 'natürlicher Widerspruch gegen S', 'Sprecher bestreitet S', bzw. allgemeiner die in verschiedener Stärke möglichen Sprechakte der Gegenbehauptung oder Ablehnung; beides sind einander eindeutig entsprechende Explikationen. Ein eindeutig zugeordnetes sprachliches Pendant zu 'Negation' in dem hierdurch festgelegten Sinn gibt es hingegen nicht; dies schafft zumindest linguistische Analyseprobleme. - Das Negationskriterium reicht jedoch zur Abgrenzung eines linguistisch interessanten Präsuppositionsbegriffs, gleich ob logisch-semantisch cder pragmatisch gefüllt, nicht aus; die Definition (1o) soll entsprechend im folgenden präzisiert werden. Die Richtung der Präzisierung ist dabei weitgehend von (16) vorbestimmt. 1.3.1 Präsuppositionen und Kontext 1.3.1.1 1-semantische vs. k-pragmatische Präsuppositionen Eine erste Präzisierung ergibt sich durch Berücksichtigung des Parameters Kontext (einer Äußerung von S . ) : Nicht alle Propositionen, die das Negationskriterium (einer Äußerung von) S. im Kontext K. als Präsuppositionen zuweist, sind nämlich kontextinvariant. So präsupponiert etwa (2o), wenn im Kontext (21) geäußert, neben den Propositionen in (22) auch (23), wie die Anwendung des Negationskriterium (in Form eines Widerspruchs zu Mitteilung (2o), siehe (24)) im gleichen Kontext zeigt: (20)

Die beiden Unternehmer aus Hofstetten sprachen sich gegen den Bebauungsplan aus.

(21)

Kontext: a.

[sprachlich:] Gestern wurde auf der Gemeinderatssitzung über die Bebauung des Wiesfeldes gesprochen.

23 Siehe dazu Abschnitt 1.3.2.2; weitere Probleme der Negation werden in Abschnitt 1.3.4 und 3.1.3 behandelt.

24 b.

(22)a.

[unversprachlichtes Hintergrundwissen: Die Gemeinderatssitzung war nicht öffentlich; weder Sachverständige noch Betroffene waren geladen. ] Es gibt Hofstetten.

b.

Es gibt zwei Unternehmer a, b.

c.

Die Unternehmer a, b sind aus Hofstetten.

(23)

Die Unternehmer a, b sind Gemeinderäte.

(24)

Nein, die beiden Unternehmer aus Hofstetten sprachen sich nicht gegen den Bebauungsplan aus.

Daß diese Präsuppositionen jedoch nicht von gleicher Art sind, zeigt sich unter Kontextvariation: Würde (2o) etwa im Kontext eines Berichts über eine BürgerversaTtmlung oder über ein Frühstückskartell der Baubranche in Unterfranken geäußert, würde dieser Satz zwar weiterhin (22)a, b, c präsupponieren, nicht aber (23). Der Grund hierfür scheint klar: Satz (2o) präsupponiert (22)a, b, c notwendig auf Grund seiner sprachlichen Form, insofern er einen definiten, durch beide spezifizierten Subjektsausdruck enthält; (23) hingegen wird nicht durch die sprachliche Form von (2o), sondern nur durch den speziellen Äußerungskontext (21) als Präsupposition induziert. Dies verallgemeinernd, läßt sich zwischen solchen Präsuppositionen P.

eines Satzes S. unterscheiden,

die ihm ausschließlich auf Grund seiner sprachlichen Eigenschaften, damit unabhängig von jedem Kontext, und deshalb bei Äußerung von S. in jedem Kontext K. zukonmen, und solchen Präsuppositionen P. , die an das Äußern von S. 1 in be-

J

stimttten Kontexten K. gebunden sind.

J-n

Soweit diese Unterscheidung in der Literatur gemacht wird,

24

läuft sie unter

24 Vgl. etwa Stalnaker (197o:369 und 1 9 7 3 : 2 f . ) ; Thomason ( 1 9 7 3 : l f f . ) ; Ebert (1973); Karttunen (1973:169ff.); Blau (1973/741:51); Hausser (1974:11), um nur einige zu nennen. - Keenans Unterscheidung zwischen logisch-semantischer und pragmatischer Präsupposition (1971:49ff.) ist allerdings nicht hierher zu stellen, obwohl Keenan rein definitorisch von der unterschiedlichen Kontextgebundenheit relevant Gebrauch macht (vgl. S. 48: "the logical notion of presuppositions is defined solely in terms of abstract sentences and the world" mit S. 49: "we consider now a notion of presupposition defined on the relation between the utterance of a sentence and the context in which it is uttered ... an utterance of a sentence pragmatically presupposes that its context [=participants involved in the speech act, physical and cultural setting of the speech act] is appropriate") . Als Beispiele pragmatischer Präsuppositionen in diesem Sinn verwendet Keenan nämlich nur Ausdrücke, die von vornherein kontextabhängig sind, nämlich indexikalische Ausdrücke, wobei etwa bei französisch vous/ tu offenbar die zu dem semantischen Element ' 2 . Person' hinzukommenden zusätzlichen Spezialisierungen (bei tu etwa, daß es sich beim Adressaten um 'ein Tier, Kind, einen sozial unter dem Sprecher stehenden, bzw. mit ihm in einem (intimen) Vertrautheitsverhältnis befindlichen' handelt), als

25

den Stichworten logische bzw. semantische vs. pragmatische Präsuppositionen. Diese Terminologie ist an sich irreführend, weil sie zweierlei verdeckt: Erstens sind selbstverständlich die in diesem Sinne logisch-semantischen Präsuppositionen von S. bei Äußerung von S. auch pragmatische Präsuppositionen, denn sie können bei jeder Verwendung von S. vor. Zweitens ist die angezielte Unterscheidung der beiden Präsuppositionsklassen für alle Formulierungsvarianten des linguistisch relevanten Präsuppositionsbegriffs von Bedeutung, also auch dann, wenn man sich an eine pragmatische Variante hält: Z. B. führt bei sprechaktbezogener Betrachtungsweise die Nichterfülltheit der mit dem Subjektsterm von (2o) verbundenen Präsuppositionen (22)a, b, c notwendig dazu, daß der mit (2o) im Kontext (21) beabsichtigte konstative Sprechakt nicht gelingt (siehe Austin 1962; 1972:69f.); wäre hingegen nur die kontextabhängige Präsupposition (23) nicht erfüllt, (2o) jedoch im übrigen wahr, könnte man sich zumindest darüber streiten, ob der Akt nicht doch geglückt sei, wenngleich mit einem Makel behaftet. Von daher schiene es am sinnvollsten, zwischen linguistisch induzierten, eo ipso kontextunabhängigen, und durch Kontext mit-induzierten, eo ipso kontextabhängigen Präsuppositionen S . ' eines Satzes S. präsupponiert gelten (ibid., 51). Diese Präsuppositionen' sind jedoch (a) in einer dem Fall (2o) vergleichbaren Weise gar nicht kontextabhängig, insofern ein Satz S . , der tu enthält, in jedem Kontext die Erfüllung dieser 'präsuppositionalen 1 Spezifizierungen von dem (freilich je nach Kontext wechselnden) betreffenden Referenten verlangt; (b) handelt es sich bei diesen 'Präsuppositionen 1 im Grunde nur um zusätzliche Teile der Bedeutung von tu) - ebenso wie etwa bei nichtindexikalischen Lexembeispielen wie etwa Haus vs. Hütte vs. Palast vs. Iglu vs. Wigwam etc. die differenzierenden Bedeutungseigenschaften über 'Wohnung' hinaus einfach zur Bedeutung der betreffenden Lexeme gehören, nicht deren Präsuppositionen sind. - Verallgemeinert man also Keenans Begriff von pragmatischer Präsupposition auf nichtindexikalische Ausdrücke (bzw. auf Sätze S., die nichtindexikalische Ausdrücke enthalten), so 'pragmatisch-präsupponiert 1 die Äußerung eines Satzes S . , daß die Bedeutungsbedingungen der Lexeme, die den Subjektsterm konstituieren, von den Referenten erfüllt sind - und dies klarerweise in jedem Kontext. - Diese Verallgemeinerung macht m . ' E . deutlich, (a) daß Keenans Scheidung mit der im Text getroffenen nichts zu tun hat; (b) daß sie auch nicht, wie es in Anbetracht der Beispiele naheläge, in Anlehnung an die (ihrerseits durchaus kontroverse) Scheidung der Bedeutungskomponenten eines Wortes in assertierbare und präsuppositionale (siehe etwa Fillmore 1969; 1971a:38o und 1971b) rekonstruiert werden darf; (c) daß sie so wie sie auf Grund der Beispiele offenbar gemeint ist - überflüssig ist, weil sie sich aus der ohnehin zu machenden Unterscheidung von indexikalischen vs. nichtindexikalischen Ausdrücken von selbst ergibt.

26

(bzw. einer Äußerung S.) zu unterscheiden. In Konzession an den üblichen Sprachgebrauch werde ich jedoch die ersteren linguistisch-semantische (1-semantische) Präsuppositionen, die letzteren Kontext-pragmatische (k-pragmatische) Präsuppositionen nennen. 25 Die einschlägigen Definitionen geben (25) - (27): (25)

S (i)

präsupponiert S' in Kontext K. gdw.: Aus S folgt S'

(ii) aus 3 folgt S ' . (26)

(27)

S'

ist

1-seraantische Präsupposition von S gdw.:

S

präsupponiert S' in allen Kontexten K . .

S'

ist k-pragmatische Präsupposition von S gdw.:

(i)

Es gibt Kontexte K . , in denen S' von S präsupponiert wird,

2fi

(ii) es gibt Kontexte K. (i ^ j ) , in denen S' von S nicht präsupponiert wird,

bzw. (271)

S' (i)

ist k-pragmatische Präsupposition von S im Kontext K, gdw.: S präsupponiert S 1 ,

(ii) S' ist nicht 1-semantische Präsupposition von S.

Die 1-semantischen Präsuppositionen sind dabei die 'relevanten1 Präsuppositionen im Sinne von These (16), bezüglich derer auch in Abschnitt 1.2 die Äquivalenz der verschiedenen Explikationen des Präsuppositionsbegriffs geltend gemacht wurde. Die Definitionen für 1-semantische vs. k-pragmatische Präsupposition sind an sich leicht operationalisierbar und entsprechen dann dem bei Thomason (1973: 1f.) angeführten Test: (28)

There is one test, any way, that is fairly conclusive in showing certain presuppositions to be pragmatic. Suppose an example has been described, involving a sentence A and a context of utterance of type C, and we agree that here A presupposes B. If it's possible to find

25 Daß '1-semantisch1 auch als 'logisch-semantisch' gelesen werden könnte, ist nicht schlimm, eher willkommen, weil logisch wie linguistisch motivierte semantische Präsuppositionsanalyse im wesentlichen aufs gleiche hinauslaufen. (Siehe allerdings auch Abschnitt 2.5, wo ich auf eine mögliche Divergenz hinweise). - Zur weiteren terminologischen Differenzierung von 'pragmatisch 1 siehe Abschnitt 1.4. 26 'alle Kontexte' ist, im Vorgriff auf die Ausführungen in Abschnitt 2, zu lesen als 'alle Kontexte mit Ausnahme der allgemein nichtpräsuppositionalen". Ohne diese Einschränkung (deren Legitimität noch zu diskutieren ist) wäre die Annahme, daß es überhaupt 1-semantische Präsuppositionen gibt, von vornherein unhaltbar.

27

a type C' of context of utterance such that A does not presuppose B relative to C ' , this shows that the presupposition c a n ' t be semantic, Semantic presupposition, like semantic implication is invariant with respect to context of utterance, though its definition may involve quantification over contexts of utterance.

Arbeitet man damit, ergibt sich allerdings ein Problem, dessen Lösung iir Einzelfall keineswegs trivial ist: die Bestinmung bzw. Trennung von 'Satz1 27 ('Äußerung') und 'Kontext1. Dies wird sehr deutlich an folgendem Beispiel, in dem wir Satz (2o) innerhalb einer Frage-Antwort-Sequenz betrachten: (29)a. b.

[Frage:] Welche Gemeinderäte sprachen sich gegen den Bebauungsplan aus? [Antwort:] Die beiden Unternehmer aus Hofstetten sprachen sich gegen den Bebauungsplan aus. [ ( 2 g ) b = ( 2 o ) ]

Es scheint zunächst selbstverständlich, (29)a in Bezug auf (28)b als Kontext aufzufassen, wobei die gleichen Präsuppositionen wie im Kontext (21) auftreten: (22)a, b, c und (23). Geeignete Variation des Kontexts führt entsprechend zum gleichen Ergebnis: Im Gegensatz zu (22)a, b, c ist

(23) kontextab-

hängige, 'k-pragmatische' Präsupposition. Aber es wäre auch nicht unmöglich, das Frage-Antwort-Paar insgesamt als sprachliche Einheit zu betrachten, deren Kontext zu variieren wäre; und das würde das Ergebnis entscheidend verändern: (23) träte in jedem (sprachlichen wie Situationellen) Kontext auf, in dem die sprachliche Einheit (29) geäußert würde; (23) wäre also danach, bezogen auf (29), 1-semantische Präsupposition! Das Problem, das sich hier zeigt, ist bemerkenswert, weit verbreitet und OQ

schwierig; ich lasse es hier ebenso ungelöst wie den speziellen Fall.

Al-

lerdings scheint mir das in diesem Zusaimenhang berechtigt: Fälle wie (29) führen weder die Unterscheidung von 'Satz' (genauer: geäußerter relevanter sprachlicher Einheit) und 'Kontext' als solche ad absurdum, noch die Annahme, 27 Die Behandlung dieses Punktes wurde von Ewald Lang (pers. Mitteilung) angeregt, dessen kritischem Kommentar zu Beispiel (29) - meinem ursprünglichen Belegfall für kontextabhängige Präsuppositionen - ich viel verdanke.Daß Frage/Antwort-Paare keine glücklichen Belege für Kontextabhängigkeit sind, hat auch Hausser (1976:271) zu Recht angemerkt. Der Gegenschluß - daß jede Kontextabhängigkeit, die bisher (und in dieser Arbeit) als Argument gegen die Existenz l-semantischer Präsuppositionen angeführt wurde, von dieser Art sei - t r i f f t allerdings, so weit ich sehe, nicht zu. 28 Im speziellen Fall neigt die Forschung zur zweiten Lösung, siehe etwa Keenan/Hull (1973), für die Frage/Antwort-Paare wie (29) zusammen wahrheitsfähige Gebilde sind, (23) infolgedessen logisch-semantische Präsupposition. Ähnlich auch Hausser ( 1 9 7 6 : 2 7 o f . ) .

28

daß es kontextabhängige Präsuppositionen gibt; sie sind nur als Belege dafür - weil dem Bereich der sog. 'unklaren Fälle1 angehörig29 - ungeeignet. Daß (29) tatsächlich ein 'Einzelfall1 in diesem Sinne ist und ohne grundsätzliche Bedeutung, zeigt sich daran, daß er sich nicht verallgemeinern läßt: Nicht jede k-pragmatische Präsupposition eines Satzes S. wird einfach durch Abgrenzung geeigneter größerer Texteinheiten (die S. enthalten) zur 1-semantischen. So ändert sich etwa im ersten hier diskutierten Fall das ursprüngliche Ergebnis nicht, wenn man (21)a mit (2o) zu einer Einheit zusammenfaßt: Bei geeigneter Kontext-Variation - etwa Wegfall der in (21)b aufgeführten Einschränkungen - verschwindet (23) nach wie vor und erweist sich damit auch in bezug auf (21)3+(2 ) als k-pragmatische Präsupposition. ° Um die Anerkennung kontextabhängiger Präsuppositionsphänomene kommt man also nicht herum. 1.3.1.2 Sprachliche Präsuppositions-Garanten Die Unterscheidung von linguistisch induzierten vs. kontextbedingten Präsuppositionen bezieht sich in (25) - (2V) auf die Einheit 'Satz1 (mit all den auf Grund von Beispielen wie (29) zu erwartenden Modifikationen) bzw. deren logische oder pragmatische Entsprechungen. Für den Sprachwissenschaftler stehen aber nicht die präsuppositionalen Eigenschaften von Sätzen als solche im Vordergrund, sondern die sprachlichen Mittel, vermöge derer Sätze ihre relevanten, das heißt 1-semantischen Präsuppositionen haben. Entsprechend wird die Frage der Kontext-Abhängigkeit von Präsuppositionen in aller Regel nicht in bezug auf Sätze, sondern auf die sie konstituierenden Einheiten und Konstruktionsmuster gestellt. Das linguistische Interesse gilt dabei vor allem sprachlichen Präsuppositionsgaranten, das heißt sprachlichen Mitteln G., die in jeder Verwendung (eo ipso innerhalb von Sätzen) in jedem Kontext für sie charakteristische Präsuppositionen induzieren, vgl. Definition (3o): (3o)

G. ist Garant einer Präsupposition P, gdw. für alle Sätze S. [ G . ] (has heißt Sätze S . , die G. enthalten) in allen möglichen Kontexten K gilt: S. [ G . ] ha?, eine Präsupposition P . . JC

j

l

l

29 Ich berufe mich dabei indirekt auf das bei Chomsky (1957:14) angeführte Prinzip der klaren Fälle. 30 Von der noch weitergehenden Möglichkeit, Sätze mit ihrem jeweils präsuppositionsinduzierenden Gesamtkontext (gleich ob versprachlieht oder nicht) zu linguistischen Grundeinheiten zusammenzufassen, habe ich hier abgesehen Daß ein solches Vorgehen zu unhaltbaren Konsequenzen führen würde, hat Kempson (1975:55-62) an einem vergleichbaren Beispiel gezeigt.

29

Dem entspricht die, in (31) präzisierte Tendenz, als 1-semantische Präsuppositionen eines Satzes S nur diejenigen zu betrachten, die von in S enthaltenen Präsuppositionsgaranten ausgelöst werden: (31)

S" ist 1-semantische Präsupposition von S gdw. S einen Präsuppositionsgaranten für S 1 enthält.

(26) und (31) sind nicht äquivalent. Zwar wird jede 1-semantische Präsupposition eines Satzes S im Sinne von (31) auch im Sinne von (26) als solche gelten, nicht aber notwendig umgekehrt: Es gibt durchaus sprachliche Mittel, die nur in bestimmten Verwendungsweisen (damit in Sätzen bestimmter Form) für sie charakteristische Präsuppositionen induzieren, in anderen nicht. Um ein (stark vereinfachtes) Beispiel zu geben: Ein Satz wie (32)a präsupponiert in 32 praktisch jedem Kontext die Wahrheit seiner Komplementproposition (32)b und dies in offensichtlicher Abhängigkeit vom Vorkoitnen des Prädikats bedauern, wie sich durch Austausch mit anderen syntaktosemantisch passenden Matrix-Prädikaten wie glauben, bezweifeln, sich einbilden ermitteln läßt. (32)a. b.

Maria bedauerte Fritzens Absage (nicht), Fritz sagte ab.

(32)b ist also 1-semantische Präsupposition im Sinne von (26), - nicht aber notwendig im Sinne von (31), da angesichts von Sätzen wie (33), die (32)b nicht präsupponieren, bedauern nicht ohne weiteres als Präsuppositionsgarant für die sogenannte faktive Präsupposition gelten kann. 31 Dies gilt gerade für die linguistisch orientierte Präsuppositionsforschung allgemein (man vgl. etwa die Klassifikationen präsupponierender Sätze und Präsuppositionstypen je nach Präsuppositionsgarant bei Keenan ( 1 9 7 1 : 4 6 f . ) , Wunderlich (1973:469f.), Kotschi ( 1 9 7 6 : 9 8 f f . ) . Selbst bei Hausser (1974 und 1976), der explizit das Konzept 1-semantischer Präsuppositionen relativ zu Sätzen definiert und sprachliche Elemente auf ihre präsuppositionalen Eigenschaften nur in einem bestimmten Satzrahmen testet, gilt - wie Auswertung und Diskussion zeigen - das eigentliche Interesse dem Konzept der Präsuppositionsgaranten selbst und damit dem schärferen 1-semantischen Präsuppositionsbegriff ( 3 1 ) . 32 Zu gewissen Einschränkungen siehe u. Abschnitt 2. 33 Ein vielleicht einfacheres (weil nichtkonjunktivisches) Beispiel bieten Sätze wie (i) und ( i i ) , (i) Es hat sich (nicht) gelohnt, Julio umzubringen, (ii) Es lohnt sich (nicht), Julio umzubringen. von denen (i) unter allen Interpretationen (bei Explikation des Tempus) präsupponiert, daß (iii) wahr ist, (ii) jedoch nicht: (iii)

Julio wurde umgebracht.

Die Schlußfolgerung ist jedoch die gleiche: (iii) kann nur im Sinne von ( 2 6 ) , nicht aber im Sinne von (31) 1-semantische Präsupposition sein, da sich lohnen kein Präsuppositionsgarant ist.

30

(33)

Maria würde Fritzens Absage (nicht) bedauern.

Damit soll nicht gesagt sein, daß die beiden Ansätze sich nicht im Einzelfall zur Deckung bringen ließen. Im gewählten Beispielfall etwa bietet sich Abgehen von der Oberflächenstruktur zugunsten einer konditionalen "liefenStruktur" für (33), 34 sowie andere Abstraktion des Präsuppositionsgaranten an, etwa als bedauern, daß (mit sekundärer Nominalisierungsmöglichkeit); andere, vielleicht die meisten Diskrepanzen zwischen (26) und (31) ließen sich durch Polysemisierung der fraglichen Lexeme/Konstruktionen je nach Verwendungsweise im Satzkontext bereinigen. Solche Maßnahmen bedürfen jedoch der unabhängigen linguistischen Rechtfertigung; man kann also nicht von vornherein unterstellen, daß der Unterschied zwischen (26) und (31) in jedem Fall ohne sprachanalytische Konsequenzen bleibt. Der Sprachwissenschaftler hat sich also für eine der beiden Abgrenzungen der für ihn relevanten '1-semantischen' Präsuppositionen zu entscheiden. Die Wahl fällt dabei durchweg auf (31), und dies praktisch notwendigerweise: Nicht die - unendlich vielen - Sätze als solche, sondern die sie konstituierenden - endlich vielen - Einheiten und Bildungsregeln sind direkt in der Granmatik repräsentiert; nur für diese ließe sich, in Entsprechung zu These (16), direkt grammatisch darstellen, daß präsuppositionale Gegebenheiten notwendige Gebrauchsbedingungen für die betreffenden sprachlichen Einheiten sind, bzw. zur semantischen Interpretation der sie enthaltenden Sätze gehören. Ob diese Entscheidung für den engeren 1-semantischen Präsuppositionsbegriff für alle bisher vorgestellten Explikationen von 'Präsupposition' unter jeder analytischen Zielsetzung verbindlich ist, kann ich nicht entscheiden; noch strengere Fassungen von '1-semantische (vs. eo ipso k-pragmatische) Präsuppositionen1 sind durchaus denkbar. Zusanmenfassend läßt sich jedoch sagen, 34 Vgl. dazu die Diskussion bei Karttunen (1971a:61f.). 35 Eine solche strengere Fassung liegt etwa vor in Blaus Behandlung faktiver Prädikate (1973/741:5o-57), die ich, obwohl zwischenzeitlich anders motiviert (1975/76:55ff.), wegen ihrer exemplarischen Bedeutung referiere: Blau gibt zwar zu, daß bei einzelnen Prädikaten die faktive Präsupposition durchweg vorliegt; weil bei anderen Prädikaten von gleicher Form und von sonst gleichen strukturellen Eigenschaften dies jedoch nicht der Fall ist, schließt er alle verb-induzierten faktiven Präsuppositionen aus der Klasse 1-semantischer Präsuppositionen aus und weist sie damit der Klasse k-pragmatischer Präsuppositionen zu. Das heißt: '1-semantische Präsupposition1 wird nicht einmal relativ zu den sprachlichen Grundeinheiten der Lexeme und Konstruktionsmuster definiert, sondern relativ zu Klassen solcher

31

daß jeder Ansatz, der These (16) wesentlich involviert, (a) die Unterscheidung zwischen 1-semantischen und k-pragmatischen Präsuppositionen in irgendeiner Form macht und machen muß; (b) entsprechend nur die ersteren in der 1-semantischen bzw. propositionalen Repräsentation berücksichtigt; (c) darüber hinaus die empirische Relevanz dieses Gegensatzes auch insofern unterstellt, als durchweg neben der Existenz zahlreicher k-pragmatischer Präsuppositionen die Existenz zumindest einiger 1-semantischer Präsuppositionsgaranten postuliert wird. Allerdings bestehen im Zusanmenhang gerade mit dem letzten Punkt weit mehr empirische Rechtfertigungsprobleme als der diesbezügliche Konsensus der logischen wie linguistischen Präsuppositionsforschung ahnen läßt; dies soll, auch wegen des Stellenwertes dieser Frage für die Einnahme der Positionen (a)/(b), in einem eigenen Abschnitt diskutiert werden (siehe Abschnitt 2 . ) . Zunächst jedoch zur weiteren Präzisierung des linguistischen Präsuppositionsbegriffs. 1.3.2 Präsupposition, Negation, Illokution 1.3.2.1 Präsupposition und Sprachstruktur Im vorigen Abschnitt wurde These (16) dazu benutzt, kontextunabhängige von kontextabhängigen Präsuppositionen eines (Äußerungsvorkmmuiisses des) Satzes S abzugrenzen. Man beachte jedoch, daß zur Aussonderung der linguistisch relevanten Präsuppositionen nicht Kontextinvarianz per se ausschlaggebend ist, sondern These (16) selber, genauer: das Kriterium (34), das sich in Anlehnung an (16) formulieren läßt:

Grundeinheiten von gleicher Form. - Die Konsequenz ist natürlich die, daß die linguistisch-semantische bzw. logisch-semantische Explikation die fraglichen präsuppositionalen Gegebenheiten nicht berücksichtigen bzw. repräsentieren muß. Diese Konsequenz scheint mir für den Logiker akzeptabel, und auch für denjenigen Linguisten, der logisch-semantische Repräsentationen von Sätzen primär unter dem Gesichtspunkt der (Einfachheit, syntaktischen Plausibilität der) ÜberführungsregeIn von linguistisch- bzw. logisch-semantischen Repräsentationen in Oberflächenstrukturen betrachtet; eine einheitliche Repräsentation der Faktive (sei es als durchweg präsuppositional oder durchweg nichtpräsuppositional) legt sich von daher nahe. Vom Standpunkt präsuppositionaler Adäquatheit per se ist diese Entscheidung jedoch anfechtbar, der 'laxere1 Standpunkt (31) vorzuziehen.

32

(34)

S1

ist

linguistisch relevante Präsupposition von S gdw.:

(i)

S' ist

Präsupposition von S (nach ( l o ) bzw. ( 2 5 ) ) ,

(ii)

S' ist in systematischer und ausschließlicher Weise abhängig von der spezifischen sprachlichen Struktur von S.

Dies zeigt sich deutlich an einigen negationskonstanten Typen von Voraussetzungen/Propositionen, die mit (Äußerungsvorkommnissen von) Sätzen S. assoziiert sind, aber, trotz Kontextinvarianz, intuitiv nicht zu den linguistisch interessanten oder relevanten Präsuppositionen von S. gehören; diese können nur mit Hilfe von (34) (ii) in der erwünschten Weise ausgeschlossen werden. An einschlägigen Fällen seien die folgenden erwähnt: - Die Klasse der Tautologien wird, wie oben ausgeführt (Abschnitt 1.2.1), unter der logischen Explikation des Präsuppositionsbegriffs von jedem Satz S. im Sinne von (1o) wie auch (25) präsupponiert. Zu den logisch interessanten Präsuppositionen (interessant insofern, als sie falsch sein könnten) von S. zählen sie jedoch nicht; erst recht nicht zu den linguistisch relevanten Präsuppositionen, insofern sie unter jeder sprachlichen bzw. propositionalen Änderung von S. konstant bleiben, also auch nicht sprach-strukturbedingt sein können. Damit ist jedoch gleichzeitig Bedingung (34) (ii) unerfüllbar,· die Tautologien somit in der erwünschten Weise mittels (34) aus der Klasse der relevanten Präsuppositionen von S. ausgeschlossen. - Ein vergleichbares Auswahlproblem stellt sich bei pragmatischer Formulierung des Präsuppositionsbegriffs: Offensichtlich sind beim Äußern eines Satzes S. nicht sämtliche Sprecherannahmen bzw. Sprecher und Hörer gemeinsamen Hintergrundvoraussetzungen V. für die Angemessenheit von S. relevant, sondern nur die durch die Äußerung von S. in Kontext K aktualisierten. Ware es anders, würde jede Diskrepanz in den Hintergrundannahmen zur Unangemessenheit von S. führen - eine offensichtlich unsinnige Konsequenz. Dennoch ist die Klasse V. insgesamt sowohl unter Negation konstant, wie weitestgehend kontext-invariant. Auch hier leistet (34) im wesentlichen die geforderte Abgrenzung: Relevant aus V. sind für S. nur diejenigen Präsuppositionen, die von der sprachlichen Struktur von S. im Sinne von Bedingung (ii) abhängig sind. 36 Zur Aussonderung der Tautologien siehe auch Blau ( 1 9 7 3 : 9 2 f f . ) ; vor allem Hausser ( 1 9 7 4 : l l f . und 1976:248f.).

33

- Werden Präsuppositionen als Bedingungen des Glückens für Sprechakte SA., die mit Äußerung von S. vollzogen werden, expliziert, dann ist es auf Grund der Definitionen (1o), (25) unvermeidlich, daß alle Bedingungen des Glükkens für Sprechakte SA. als Präsuppositionen von SA./S. gelten. Man vergleiche etwa Satz ( 1 ) , mit dem normalerweise ein Sprechakt der Behauptung vollzogen wird: In dieser Funktion setzt (1) nicht nur (5)a, b, c voraus, sondern auch, (a) daß die sogenannten normalen Ein- und Ausgabebedingungen für jede Form ernsthafter und buchstäblicher sprachlicher Kommunikation erfüllt sind, z. B. daß Sprecher und Hörer beide die Sprache L verstehen, in der S. formuliert ist, der Hörer nicht taub, aphasisch ist etc. (Searle 1969:57), (b) daß die sprechaktspezifischen sogenannten Einleitungs- und Aufrichtigkeitsbedingungen eingehalten sind; für Behauptungen rdaß P1 etwa, daß der Sprecher Beweismittel/Gründe für die Wahrheit von P hat, daß er annimmt, daß der Hörer noch nicht weiß, daß P, der Sprecher selbst glaubt, daß P,etc. (Searle 1969:66). Diese Voraussetzungen von (1) (die sich leicht als Propositionen, die mit (1) assoziiert sind, formulieren lassen) hätten auch als Präsuppositionen zu gelten, denn sie sind bei Verneinung von (1) konstant und dazu kontextinvariant. Dennoch sind sie intuitiv von anderer Art als (5)a, b, c: (5)a, b, c kommt jedem Sprechakt zu, der mit Satz (1) (verstanden als linguistische Einheit) vollzogen werden kann - sei es eine Warnung, eine Drohung, eine Empfehlung, einer der zahlreichen konstativen Akte -, nicht aber jedem Sprechakt im allgemeinen oder im besonderen, z. B. nicht dem der Behauptung. Umgekehrt kommen (a)/(b) allen, darunter auch den Behauptungs-Sprechakten zu, gleichgültig, welche Proposition P behauptet wird. Darüber hinaus sind auch die Konsequenzen des Fehlschlags dieser 'Voraussetzungen' und jener 'Präsuppositionen1 nicht die gleichen. Auch hier leistet (34) die erwünschte Ausgrenzung von (a)/(b) aus der Klasse linguistisch-relevanter Präsuppositionen. Allerdings muß dabei der Begriff 'spezifische sprachliche Struktur' in (34) (ii) präzisiert werden: Da es auch illokutive Indikatoren ('illocutionary force indicating devices') gibt, somit eine gewisse systematische Korrelation zwischen der sprachlichen Form einer Äußerung und den damit ausführbaren Sprechakten, und somit auch den sprechaktspezifischen Bedingungen (b) zumindest partiell bestehen kann, darf (34) (ii) nur auf die linguistische Struktur von S insoweit bezug nehmen, als diese nicht (nur) zur Anzeige der illokutiven Kraft, etwa des Behauptungscharakters, dient. Positiv ausgedrückt: (34) (ii) hat sich auf die linguistische Struktur zu beziehen, soweit diese relevant die Proposition bestürmt, auf die

34

sich die illokutive Kraft der Äußerung bezieht, vgl. (34'i Mit dieser Präzisierung sind alle Fälle (b) aus der Klasse linguistisch relevanter Präsuppositionen ausgeschlossen. (34')

S' (i) (ii)

ist S

1

linguistisch relevante Präsupposition von S gdw.: ist

Präsupposition von S (nach (lo) bzw. ( 2 5 ) ) .

1

S ist in systematischer und ausschließlicher Weise abhängig von der spezifisch sprachlichen Struktur von S, soweit diese den spezifischen propositionalen Gehalt von S festlegt.

Diese Präzisierung ist im übrigen weder nachteilig noch ad hoc: (34") sondert in den vorgenannten Fällen die gleichen Präsuppositionen eines Satzes S als linguistisch relevant bzw. irrelevant aus wie (34); die Bezugnahme auch auf den propositionalen Gehalt eines Satzes ist zudem auch für die Verallgemeinerung des Präsuppositionskriteriums notwendig (siehe u. Abschnitt 1.3,2.3); auf den (34') zugrundezulegenden Begriff von Proposition könne ich im Zusammenhang damit zurück. Zuvor sei noch darauf verwiesen, daß (34) und (31) die gleichen Präsuppositionsklassen bezüglich eines Satzes S auszeichnen; gleiches gilt von (34') und der entsprechend geänderten Version (31'): (3l1)

S 1 ist 1-semantische Präsupposition von S gdw. S einen Präsuppositionsgaranten für S 1 enthält, der den spezifischen propositionalen Gehalt von S festlegt.

Das heißt, daß 'linguistisch relevante Präsupposition1 im Sinn von (34)/(34') und -semantische Präsupposition1 im Sinne von (31)/(31') einander äquivalent sind. Dies erlaubt uns, beide Begriffe im folgenden unterschiedslos nebeneinander zu gebrauchen. 1.3.2.2 Präsupposition und Negation In den vorgehenden Abschnitten zeigt sich, daß das Kriterium 'Konstanz unter Negation1 grundsätzlich zu weit ist, um die linguistisch relevanten Präsuppositionen eines Satzes abzugrenzen; entsprechend wurde (1o) durch Zusatzbedingungen eingeschränkt. - In diesem Abschnitt möchte ich das Negationskriterium unter eher operationalen Gesichtspunkten betrachten: Inwieweit ist es

37 Diese Bezugnahme ist auch außerhalb der logisch orientierten Präsuppositionsliteratur gängig; vgl. etwa Fillmore (1971b); Franck (1973:14f.,21f.); Cooper (1974); Dahl (1973). Die linguistischen Gründe für die entsprechende Differenzierung bleiben allerdings durchweg undiskutiert.

35 OQ

als Präsuppositionstest bei der Analyse natürlicher Sprache brauchbar? Es wird sich zeigen, daß es nur mit zahlreichen Einschränkungen bzw. Zusatzannahmen verwendet werden kann. Da sprachliche Tests generell solchen Begrenzungen unterliegen, keinesfalls vortheoretisch zu handhaben sind, 39 ist dieses Ergebnis an sich weder eine Überraschung noch ein grundsätzlicher Einwand gegen Negation als Präsuppositionskriterium per se. Bedenkenswert ist es trotzdem: Zum einen nimmt die Präsuppositionsproblematik von Intuitionen über Sätze der natürlichen Sprache (und dabei wesentlich über negierte Sätze) ihren Ausgang; viele Unstimmigkeiten bei der präsuppositionalen Analyse von Einzelfällen gehen entsprechend auf (oft unbeachtete) Anwendungslücken und -schwächen des Negationskriteriums zurück. Zum ändern deutet sich bei der Auseinandersetzung mit einigen dem Negationskriterium eigentümlichen Problemen bereits die Notwendigkeit - und Möglichkeit - eines allgemeineren Präsuppositionskriteriums an. In der natürlichen Sprache gibt es viele Mittel, mit denen man Sätze verneinen (pragmatisch ausgedrückt: auf Sprechakte ablehnend reagieren) kann: Sie alle sind Entsprechungen von 'Negation' im Sinne des Präsuppositionskriteriums. Eine Auswahl bietet (35): (35) a.

nein, (doch),· Unsinn,· bei dir piept's wohl;

b.

es trifft (daß);

nicht zu/ stimmt nicht/ ist nicht der Fall/ ist

falsch

c.

nicht, (niemand, nirgends, keiner); keineswegs; ebensowenig;

d.

un-;

-los;

Diese Verneinungsmittel weisen je verschiedene formale Eigenheiten auf, die ihre Brauchbarkeit als Präsuppositionstest nicht unwesentlich beeinflussen. Als gutes Einteilungskriterium kann dabei dienen, welches syntaktische Verhältnis sie zu dem verneinten Satz eingehen: Die in (35)a aufgeführten Mittel haben keine syntaktische Bindung an ihren Bezugssatz, der bei der Verneinung auch nicht aufgegriffen werden muß; unter negative Prädikatsausdrücke wie (35)b wird der jeweilige Bezugssatz eingebettet; sein Auftauchen (und sei es in pronominaler Form) ist obligatorisch. Verneinungen wie (35)c hingegen werden in ihren Bezugssatz (zum Teil unter Verschmelzung mit Indefinitpronomina) inkorporiert; Verneinungsmittel wie (35)d schließlich erscheinen von vornher38 Zur linguistischen Anwendung bzw. Anwendbarkeit des Negationskriteriums siehe auch Ebert (1973:436ff.); Kotschi (1976:Io2-llo); Altmann (1976: 71-77). 39 Siehe dazu vor allem Chomsky (1965;1969:33ff.).

36

ein an Lexeme gebunden, die alternativ zu einem entsprechenden Ausdruck im Bezugssatz stehen. - Von diesen Mitteln steht, generell, wie auch hier, die "normale1 Verneinung mit nicht im Vordergrund der Diskussion. Die Anwendung dieser Verneinungsmittel im Sinne des Präsuppositionskriteriums (1o) führt allerdings zu einer Reihe von Schwierigkeiten: (i) Ein erstes Problem entsteht daraus, daß Sprecher häufig gegen Präsuppositionen protestieren bzw. einen Satz wegen falscher Präsuppositionen zurückweisen müssen, aber dafür keine gesonderten sprachlichen Mittel haben: Sie machen dafür notgedrungen von den üblichen sprachlichen Ablehnungs- und Verneinungsmitteln wie (35) Gebrauch. Da prinzipiell zu jedem präsupponierenden Satz S ein Präsuppositionsprotest möglich ist, würde eine vorbehaltlose linguistische Auslegung des Kriteriums 'Konstanz unter Negation' den Präsuppositionsbegriff ad absurdum führen: Kein Satz S hätte dann mehr irgendwelche Präsuppositionen. Der Vorbehalt, den man machen muß, und auch gewöhnlich macht, ist natürlich, daß sich 'Konstanz unter Negation1 nur auf Realisierungen von sog. 'starker' (interner) Negation beziehen darf; Vorkommnisse 'schwacher' Negation bleiben außer Betracht. Damit aber ist das Problem nur neu definiert: Die sprachlichen Verneinungsmittel selbst geben keinerlei Hinweise darauf, wann sie stark und wann sie schwach verwendet sind; daß schwache Verwendung insgesamt selten, aber dabei nach der communis opinio sehr viel häufiger bei (35)a und (35)b als bei den übrigen Negationsmitteln auftritt, nützt für die Beurteilung des Einzelfalls nichts. IM das Negationskriterium überhaupt linguistisch anwenden zu können, muß man also über unabhängige Indizien für das Vorliegen von starker vs. schwacher Negation verfügen. Diese dürfte es zweifellos geben, auch wenn es sich nicht um einfach zu handhabende sprachliche Indizien i. e. S. handelt: starke vs. schwache Negation ist kein simples Disambiguierungsproblem (siehe dazu Abschnitt 3.1.3). Damit steht aber auch jetzt schon fest, daß negationsunabhängige Kriterien für die Identifikation von Präsuppositionen existieren müssen, denn der einzige Unterschied zwischen beiden Negationsarten liegt ja darin, ob sie präsuppositionsbezüglich sind oder nicht. (ii) Weitere Probleme ergeben sich bei der vom Negationskriterium verlangten Zuordnung von Sätzen zu ihrem (stark) negierten Pendant und umgekehrt: Diese ist in der natürlichen Sprache, selbst bei Beschränkung auf Deklarativsätze, zum Teil lückenhaft, zum Teil nicht eindeutig. So fehlt zu Sätzen wie (36),

37

die 'negative polarity items' enthalten, das natürliche affirmative Pendant (36'); ebensowenig ist (wegen der Unmöglichkeit doppelter n-icftt-Verneinung) (36) selbst mit nicht negierbar, vgl. ( 3 6 1 ' ) . Ähnliche Lücken treten im Zusammenhang mit einer Reihe von Partikeln wie schon, noch, einmal, sogar etc. auf, vgl. die Sätze in (37), zu denen einmal das affirmative, einmal das negative Pendant fehlt, wie (37') zeigt: (36)

Hans konnte nicht umhin, seinem Gegner Mut zu bescheinigen.

(36')

»Hans konnte umhin, seinem Gegner Mut zu bescheinigen.

(36*')

»Hans konnte nicht nicht umhin, seinem Gegner Mut zu bescheinigen.

(37)a.

Hans ist noch nicht alt.

b.

Meier ist nicht einmal Oberstudienrat.

c.

Fritz war schon um 5

d.

Herbert ist noch jung.

( 3 7 ' ) a . *Hans ist noch

fertig.

alt.

b. »Meier ist einmal Oberstudienrat. c. »Fritz war schon um 5

nicht fertig.

d. »Herbert ist noch nicht jung.

Für Sätze wie (38) hingegen stehen gleich mehrere negative Pendants mit nicht zur Verfügung, siehe (38'), wobei die natürliche Negation bei (38)b im Sinne der üblichen Präsuppositionsanalyse von nur 4o nicht präsuppositionsneutral ist:

Nur aus (38)b und (38')b' läßt sich (39) folgern, nicht aber aus (38')b.

(38)a.

Alle Kreter lügen,

b.

Nur die Kreter lügen.

(38')a.

Alle Kreter lügen nicht.

1

a . Nicht alle Kreter lügen, b.

Nur die Kreter lügen nicht.

1

b . Nicht nur die Kreter lügen. (39)

Die Kreter lügen.

In all diesen Fällen ließe sich allerdings geltend machen, daß es sich um lexikalische Idiosynkrasien einiger Verben und Partikeln in Verbindung mit Eigenheiten von nicht (bzw. inkorporierter Negationen wie (35)c allgemein) handle. In der Tat kann man hier auf Verneinungsformen wie (35)b, beispiels4o Siehe dazu Hörn (1969); dazu Altmann (1976:311ff.}.

38

weise es ist nicht der Fall, daß S, ausweichen; ebenso ist dialogischer Widerspruch mittels (35)a möglich. Damit erhalten (36) und (37) ihre entsprechenden Pendants; zu (38) lassen sich als allein relevante Pendants ( 3 8 ' ) a ' , b' zuordnen, denn nur diese sind mit es ist nicht der Fall, daß S - Paraphrasen synonym; ebenso wird durch die entsprechenden Paraphrasen das Suppletivverhältnis einiger Partikeln (sogar/(nicht)

einmal, schon/noch (nicht),

etc.)

deutlich. Der präsuppositionalen Untersuchung der Sätze (36) - (38) mittels des Negationskriteriums steht damit nichts mehr im Wege. Diese Fälle legen nahe, als relevante Negation im Sinne des Präsuppositionskriteriums nur einbettende Verneinungsmittel wie (35)b anzusetzen. Aber diese Hilfskonstruktion versagt mindestens in drei Fällen, in denen sich auch Schwierigkeiten mit der natürlichen n-icTzt-Verneinung ergeben: Der erste Fall sind komplexe koordinierte Sätze wie (4o), für die kein eindeutiges negatives Pendant mit nicht vorhanden ist,

die Einbettung unter es ist nicht der

Fall, daß aber häufig zu Ungrammatikalität führt,, vgl. (4 1 ) : (4o)a.

(4

1

Max geht ins Gymnasium, und Mizzi geht auch auf eine weiterführende Schule.

b.

Hinz besitzt einen Porsche, aber Kunz ist

c.

Hinz hat 3 Kinder, aber Kunz hat lo Kinder.

d.

Selbst Max hatte eine 4-, und er ist der Beste in der Klasse.

e.

Mizzi geht nur auf die Realschule, denn für Mädchen ist überflüssig.

f.

Kaum hatte Fritz die Zigaretten versteckt, als der Vater hereinkam.

)a.

(?)Es ist nicht der Fall, daß Max ins Gymnasium geht und Mizzi auch auf eine weiterführende Schule geht.

b.

auch nicht arm.

das Abitur

Es ist nicht der Fall, daß Hinz einen Porsche besitzt, aber Kunz auch nicht arm ist.

c. *Es ist hat.

nicht der Fall, daß Hinz 3 Kinder hat, aber Kunz lo Kinder

d. *Es ist nicht der Fall, daß selbst Max eine 4- hatte und er der Beste in der Klasse ist/und er ist der Beste in der Klasse. e. *Es ist nicht der Fall, daß Mizzi nur auf die Realschule geht, denn für Mädchen das Abitur überflüssig ist/denn für Mädchen ist das Abitur überflüssig. f. *Es ist nicht der Fall, daß Fritz kaum die Zigaretten versteckt hatte als der Vater hereinkam.

In Fällen wie (4o) sind immerhin noch Umwege denkbar, den fraglichen Sätzen ein akzeptables negatives Pendant zuzuweisen bzw. ihnen sonstwie zu einer

39

präsuppositionalen Analysanöglichkeit zu verhelfen - bei und-Koordination etwa, indem man die Disjunktion negierter Teilsätze als Pendant zuläßt, oder stellvertretend von vornherein nur Teilsätze und ihre negierten Pendants untersucht. Dies gilt aber nicht für den zweiten Fall: Siinplexsätze wie (41), für die die natürliche - /zt-Verneinung (41 1 ) ebensowenig präsuppositionsneutral ist (im Sinne der üblichen Analyse, nach der (41) die von (42) ausgedrückte Proposition präsupponiert 41 ) wie bei nur, sogar. Hier ist, nachdem die es ist nicht der Fall, daß S - Umschreibung (43) nur schwer interpretiert werden kann, und auch die dialogische Verneinung mittels der Ausdrücke in (35)a bezugsunklar bleibt, nur noch schwer vorstellbar, wie eine präsuppositionale Analyse auf der Grundlage des Negationskriteriums vonstatten gehen könnte. (41)

Mizzi ist für ein Mädchen sehr schlau.

(4l1)

Mizzi ist für ein Mädchen nicht sehr schlau.

(42)

Mädchen sind (gemessen am Standard der Vergleichsgruppe) nicht sehr schlau.

(43)

Es ist nicht der Fall, daß Mizzi für ein Mädchen sehr schlau ist.

Wirklich bedenklich ist allerdings nur der dritte Fall - komplexe appositive Konstruktionen, für die die m'cTzt-Negation ebenfalls zu Problemen führt: 42 Zwar liefert dort die Negations-umschreibung mit es ist nicht der Fall, daß S sowohl grammatische wie auch völlig eindeutige Ergebnisse; die darauf basierende präsuppositionale Analyse ist aber unhaltbar. Auf diese Schwäche des Negationskriteriums als linguistischem Präsuppositionskriterium wird noch zurückzukommen sein (siehe Abschnitt 1.3.2.3). (iii) Probleme bieten schließlich auch nichtdeklarative Sätze bzw. nichtkonstative Sprechakte. Zwar ist es im allgemeinen möglich, zu positiven Frageund Imperativsätzen jeweils angemessene negative Entsprechungen zu finden und umgekehrt, vgl. (44) und ( 4 4 1 ) : 41 Siehe dazu etwa Chomsky (1971:213). - Es ist natürlich keineswegs ausgeschlossen, daß es sich bei der Beziehung zwischen (41) und ( 4 2 ) auch um eine nichtpräsuppositionale handeln könnte; das Unbefriedigende ist nur, daß man das mit dem Negationstest nicht herausfinden kann. 42 Siehe Ebert ( 1 9 7 3 : 4 3 7 f . ) ; dazu Kotschi (1976:1 4-1 7 ) , dessen Rettungsversuch für das Negationskriterium in diesem Punkt allerdings nicht überzeugen kann.

40

(44)a. b. (44")a. b.

Gib Paulas Sohn den Autoschlüssel! Kommt Paulas Sohn heute? Gib Paulas Sohn den Autoschlüssel nicht! Kommt Paulas Sohn heute nicht?

Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht für alle Sprechakt- und Satztypen durchgängig. Ein wesentlicher Störfaktor sind dabei Modalpartikeln, sei es, 43 daß sie Assertionen kommentieren, sei es, daß sie nichtdeklarative Sprechakte illokutiv modifizieren: Vielfach jedenfalls sind die negierten Versionen zu solchen Sätzen entweder nicht grammatisch oder stellen bedeutungsmässig nicht die natürlichen Pendants dar, vgl. (45) vs. (45 1 ): (45)a.

44 Max hat mich heute vielleicht wieder geärgert.

b.

Der Hinz ist aber ein Schlaumeier.

c.

Das finde ich schon eine tolle Leistung, daß er das geschafft hat. 44 Kannst du mir mal die Kiste tragen helfen?

d.

( 4 5 ' ) a . *Max hat mich heute nicht vielleicht wieder geärgert. b. *Der Hinz ist

aber kein Schlaumeier.

c. *Das finde ich schon keine tolle Leistung, daß er das geschafft hat. d. »Kannst du mir nicht mal die Kiste tragen helfen?

Darüber hinaus lassen exklamative Sprechakte wie (46) so gut wie nie Negation zu, vgl. (46'): (46)a.

Wie groß du geworden bist!

b.

Ist das die Möglichkeit - der Vorsitzende des Reitclubs hier!

c.

Wie herrlich leuchtet die Natur!

( 4 6 ' ) a . *Wie groß du nicht geworden bist! b. *Ist das nicht die Möglichkeit - der Vorsitzende des Reitclubs hier! c. *Wie herrlich leuchtet die Natur nicht!

Und ebenso sind explizit performative Sätze wie (47)a problematisch, da ihnen als Handlungen bekanntlich nicht widersprochen werden kann, vgl. (47)b, bzw. die syntaktisch natürliche Matrix-Negation nicht sprechaktgleich ist, vgl. (47)c: 43 Siehe dazu Lang/Steinitz (1975:lo+Anm.7). 44 (45)a, d sind Sätze von Ebert (1973:437).

41

(47)a.

Ich, Herbert Meier, verspreche dir, den VW schnellstens zu bezahlen.

Christian Schulze (hiermit),

b.

[Als Reaktion auf ( a ) : ] »Nein.

c.

Ich, Herbert Meier, verspreche dir, Christian Schulze, (»hiermit) nicht, den VW schnellstens zu bezahlen.

Es liegt auf der Hand, daß in keinem dieser Fälle auf die Negationsform es ist nicht der Fall, daß 5 ausgewichen werden kann. Will man überhaupt für die präsuppositionale Analyse dieser Sätze das Negationskriterium dienstbar machen, könnt im Grunde nur das Verfahren in Frage, das sich auch bei der logisch-semantischen Explikation des Präsuppositionsbegriffs als notwendig erwies (siehe Abschnitt 1.2.1): die Präsuppositionen eines nichtdeklarativen Satzes durch stellvertretende Analyse des korrespondierenden Deklarativsatzes zu ermitteln. Einer solchen Analyse dürften zwar keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen, 45 dennoch bleibt die Moral die gleiche wie oben: Ohne zusätzliche Festlegungen und Hilfskonstruktionen ist das Negationskriterium auf Sätze der natürlichen Sprache nicht anwendbar. Um das Fazit zu ziehen: All die in (i) - (iii) aufgeführten Schwierigkeiten sind, wie schon einleitend gesagt, kein grundsätzlicher Einwand gegen 'Konstanz unter Negation1 als Präsuppositionskriterium, vielleicht eher "eine Herausforderung an die Analysemethodik". Trotzdem scheint die Frage berechtigt, ob es nicht doch eine alternative, generellere Fassung des Definiens von 'Presupposition1 gibt, die mit weniger Zusatzannahmen auskommt und insofern auch eine direktere Anwendung auf eine größere Klasse natursprachlicher Sätze ermöglicht. 1.3.2.3 Präsupposition und Illokution Nun werden gerade in der linguistischen Präsuppositiönsliteratur neben dem vorrangigen Negationskriterium weitere Präsuppositionskriterien benannt und benutzt, darunter vor allem - die Konstanz von Präsuppositionen eines Satzes S unter Infragestellung und imperativischer Abwandlung von S; 47 45 immerhin jedoch einige, siehe Abschnitt 1.3.4.1. 46 Ewald Lang (pers. Mitteilung). - Daß - und auch wie - sich dieser Herausforderung begegnen ließe, haben Altmanns richtungsweisende Überlegungen zu präsuppositionalen Testverfahren (1976:7o-86) gezeigt. 47 Siehe u. a. Kiparsky/Kiparsky (1971:351ff.); Wunderlich (1973:467ff.); Bartsch ( 1 9 7 2 : 6 9 f f . ) ; Fillmore (1971b:283,Anm.17), um nur einige zu nennen.

42

- die Konstanz von Präsuppositionen eines Satzes S in modalen Kontexten, bzw. unter modalen Veränderungen von S; 48 49 - die Konstanz von Präsuppositionen eines Satzes S unter Einbettung von S.

Für sich genommen und verabsolutiert ist keines dieser Kriterien dem der "Konstanz unter Negation1 überlegen. So ist das Kriterium der "Konstanz unter Einbettung" einerseits dadurch beschränkt, daß für eine Teilklasse von Sätzen, z. B. explizit performative Sätze, Imperative, Ausrufe, Sätze mit Modalpartikeln, auf Grund beträchtlicher formaler Diskrepanzen zum Teil sehr schwer nachzuweisen ist, daß sie mit gewissen eingebetteten Sätzen äquivalent sind, bzw. gilt, daß diese sich gar nicht einbetten lassen. Andererseits sind manche Einbettungen, vor allem unter Verba Dicendi, ebensowenig präsuppositionserhaltend, wie bestimmte (schwache) Verwendungen von Negation.5o Vergleichbares läßt sich über ein putatives Hauptkriterium "Konstanz in modalen Kontexten/unter modalen Veränderungen" sagen, da zum einen nicht alle Sätze S in diese einbettbar, bzw. entsprechend variierbar sind, zum ändern auch für einen Teil der modalen Operatoren bzw. ihren natursprachlichen Entsprechungen mit der Doppelheit starker und schwacher Verwendung gerechnet werden muß. überdies haben bekanntlich gerade die sprachlichen modalen Mittel sehr viele zusätzliche, nicht immer leicht abtrennbare Verwendungsweisen, die die Anwendung dieses Kriteriums sehr erschwerten. "Konstanz unter Infragestellung und imperativischer Abwandlung" schließlich ist zwar von einer vergleichbaren stark:schwachen Ambiguität frei, andererseits jedoch ebenfalls nicht auf jeden beliebigen natursprachlichen Satz S anwendbar: Frage-Entsprechungen zu explizit negierten Sätzen sind kaum gebräuchlich; Imperativ-Entsprechungen sind auf die Teilklasse von Sätzen beschränkt, die Subjekte in der 2. Person und Handlungsprädikate enthalten. Anders jedoch, wenn man diese Kriterien, einschließlich des Negationstests, zusammen betrachtet: Dann wird sehr schnell eine (Teil-)Gemeinsamkeit sichtbar, die, als eigentliches Präsuppositionskriterium ausfonnuliert, jedem der vier genannten an Reichwei48 Dies wurde vor allem von Karttunen (1971a und 1973a)hervorgehoben, vgl. auch Liberman (1973). Zur Brisanz dieses Kriteriums in bezug auf die (In)Adäquatheit von van Fraassens Präsuppositionsbegriff siehe Thomason (1973: Abschnitt 6 f f . ) ; dazu Karttunen (1973b). 49 Siehe vor allem Kiparsky/Kiparsky (1971:354f.); Karttunen (1973b:13). Letzterer benutzt dieses Kriterium auf dem Hintergrund seiner (in Karttunen 1973a) differenzierten Projektionsmethode, womit die im folgenden genannten Schwierigkeiten bereits implizit berücksichtigt sind. 50 Siehe dazu Karttunen (1973a).

51 Siehe zur 'schwachen1 Interpretation einiger modaler Operatoren Bartsch (1974:26ff.).

43

te und Direktheit überlegen ist: Die Konstanz der Präsuppositionen S' eines Satzes S unter (jeder Art von) illokutionärer Abhandlung von S bei festgehaltener Proposition. Die überlegene Reichweite ergibt sich daraus, daß die spezifischen Lücken der darunter subsumierbaren Einzelkriterien sich bei der Vielzahl alternativer Abwandlungsmöglichkeiten weitestgehend kompensieren, 52 die größere Direktheit daraus, daß die bereits mehrfach erwähnten Entsprechungsannahmen zwischen (den Präsuppositionen von) deklarativen und nichtdeklarativen Sätzen/Sprechakten, deren jedes Einzelkriterium ohnehin zusätzlich bedarf, um auf die Gesamtheit der natursprachlichen Sätze anwendbar zu sein, direkt als Definiens in die Präsuppositionsdefinition eingeht. Damit werden alle Satztypen präsuppositionaler Analyse gleich unmittelbar zugänglich, ohne daß Einzelkriterien für Spezialfälle zusätzlich erwähnt werden müßten. Von den genannten ist dabei ohnehin 'Infragestellung1 und 'imperativische Abwandlung* eindeutig subsumiert, Negations- und Modalitätsabwandlungen insoweit als sie sich sinnvoll als illokutionäre Variationen eines Satzes - etwa als Sprechakte des Bestreitens, des Vermutens - rekonstruieren lassen. Entsprechend läßt sich die bisherige Präsuppositionsdefinition (siehe (1o), (25), (34)) in folgender Richtung verallgemeinern: (48)

S

präsupponiert S 1 gdw.:

(i) Aus S folgt S ' ; (ii)

Aus allen illokutionären Entsprechungen von S folgt S ' ;

bzw.

alternativ zu ( i i ) :

( i i ' ) S ' ist

von allen illokutionären Abwandlungen von S unbetroffen.

Analoge Veränderungen sind für die kontextbezüglichen Fassungen (25) - (27) vorzunehmen, die ich hier nicht eigens aufführe. Auch die Definition von 'Präsuppositionsgarant1 (3o) ist auf (48) zu beziehen. 'Illokutionäre Abwandlung' wäre an sich nicht der einzige Gesichtspunkt, unter dem sich die vier Kriterien zusammenfassend verallgemeinern ließen: Eine andere Möglichkeit wäre die schon von den Kiparskys (1971:354f.) unter dem 52 Das Einbettungskriterium ist in weit geringerem Umfang subsumiert, da Einbettungen von S (bzw. der von S ausgedrückten Proposition) nur selten - etwa bei Einbettung unter explizit performative Formeln - als illokutionäre Abwandlungen von S i. e. S. gelten können. Dies ist jedoch insofern kein Nachteil, als das obengenannte Kriterium alle vom Einbettungskriterium abdeckbaren Fälle ebenfalls erfassen kann. 53 Siehe für das Negationskriterium o. Abschnitt 1.3.2.2, (iii); daß Analoges für die weiteren Kriterien gilt, läßt sich leicht überprüfen.

44

Stichwort 'higher sentences' vorgeschlagene: Wenn man Negation (ebenso andere modale Qperatoren), Infragestellung, Imperativbildung als 'implizite höhere Sätze' (d. h. wohl als performative Hypersätze im Sinne von Ross (197o)) rekonstruierte, würden die genannten Kriterien in folgender Verallgemeinerung des Einbettungskriteriums aufgehen: Die Präsuppositionen S1 eines Satzes S bleiben bei Einbettung von S unter explizite wie implizite höhere Sätze konstant. - Im Ergebnis wäre diese Formulierung des verallgemeinerten Präsuppositionskriteriums mit (48) äquivalent; sie besitzt jedoch deutliche Nachteile darin, daß sie eine mehr als zweifelhafte Syntaktisierung pragmatischer Sachverhalte voraussetzt 54 und im Hinblick auf die präsuppositionsblockierenden Verba Dicendi eingeschränkt werden muß. Ich gehe deshalb im weiteren von der in (48) gegebenen Formulierung des verallgemeinerten Präsuppositionskriteriums aus, aus der sich überdies ein notwendiges Korollar (siehe u. (6 ) / ( 6 1 ) ) zwanglos ableiten läßt. Auf dem Hintergrund von (48) haben die Definitionen von 'linguistisch relevante1 bzw. '1-semantische Präsuppositionen1 folgende Gestalt: (49)

S1 ist linguistisch relevante/1-semantische Präsupposition von S gdw. : (i)

S präsupponiert S 1 (nach ( 4 8 ) ) i n jedem Kontext K . ;

(ii)

S 1 ist in systematischer und ausschließlicher Weise abhängig von der spezifisch sprachlichen Struktur von S, soweit diese den spezifisch propositionalen Gehalt von S festlegt.

bzw. (50)

S" ist gdw. :

linguistisch relevante/1-semantische Präsupposition von S

S enthält einen Präsuppositionsgaranten für S 1 , der an der Festlegung des spezifischen propositionalen Gehalts von S beteiligt ist.

Hinter diesen Definitionen, wie auch hinter (48), steht ungefähr folgende Vorstellung von der illokutionären und propositionalen Repräsentation eines Satzes: Mit Sätzen S. werden bei Äußerung illokutionäre Akte SA. vollzogen. Im ein54 Zur entsprechenden Kritik der performativen Analyse siehe Grewendorf (1972); neuerdings, in Bezug auf Sadock (1974), auch Searle (1976).

45 fachsten Fall

legt die sprachliche Form von S. den mit S. vollziehbaren

Akt SA. eindeutig fest; dann läßt sich verkürzt davon sprechen, daß ein Satz S. eine bestirmtte illokutive Kraft F. hat. Die F. determinierenden sprachlichen Eigenschaften von S. heißen 'illokutive Indikatoren' ("illocutionary force indicating devices"). Die übrigen lexikalisch-strukturellen Eigenschaften von S. bestittmen den proposiitonalen Gehalt des mit S. vollziehbaren Sprechaktes SA., bzw. die Proposition P..^ auf die sich F. bezieht; sie sei entsprechend auch sprechaktsensitive Proposition genannt. Die sprachlichen Eigenschaften, die diese festlegen, heißen propositionale Indikatoren ("propositional indicators"). S. kann dann in Searles abkürzender Schreibweise l

(-£

(1969:31 f f . ) wie folgt repräsentiert werden:

(51)

S

:

F

(P)

:

F. ( ±)

bzw. S

i.

Siehe dazu die Beispiele (51'): (5l1)a.

S. : Ich behaupte hiermit, daß der Sohn Paulas volljährig F . : Behauptung Indikatoren: für F . : ... behaupte ...

b.

ist.

P . : (daß) der Sohn Paulas volljährig ist. für P . : (daß) der Sohn Paulas volljährig ist

S. : Das bestreite ich.[Als Antwort auf ( 5 l 1 ) a ] ^ F . : Widerspruch 11

Indikatoren: für F.: ... bestreite ... D

P . : (daß) der Sohn Paulas vollX jährig ist für P . : i

das

55 Ich unterstelle hier als einfachsten Fall explizit performative Sätze, in denen performative Verben als eindeutige illokutive Indikatoren fungieren. Auf deren Problematik kann ich hier ebensowenig eingehen wie auf den umstrittenen illokutiven Status der grammatischen Modi (Aussage-, Frage-, Imperativ-, Wunschsatzform), ebensowenig auf die These der eindeutigen Indiziertheit von Illokutionen - und sei es durch sehr komplexe sprachliche Konfigurationen - überhaupt. Siehe dazu teils Grewendorf ( 1 9 7 2 : 1 7 4 f f . ) , sodann die einschlägige Literatur zu indirekten Sprechakten (Searle 1975; Meyer-Hermann 1976) und Wunderlich (1976). - Das im Text Ausgeführte bleibt von diesen Schwierigkeiten im wesentlichen unberührt. 56 Auch Searle beschränkt sich im Grunde auf den 'einfachsten Fall'; entsprechend sind die Größen F, P systematisch ambig zwischen Form und Gehalt: F vs. P repräsentiert einerseits den Unterschied illokutive vs. propositionale Indikatoren bezüglich der sprachlichen Form von S; andererseits steht F vs. P für illokutive Kraft vs. propositionaler Gehalt eines mit S vollzogenen/vollziehbaren Sprechakts.

46

F und P können (wie durch die verschiedenen Indizes ausgedrückt) unabhängig variieren. Bezogen auf die mit einem bestürmten Satz S assoziierten relevanten Präsuppositionen ergibt sich dabei definitionsgemäß folgender Unterschied: Nur bei rein illokutionärer Abwandlung von S (das heißt Variation von F bei gleichbleibendem P) bleiben sie notwendig unbetroffen, vgl. ( D / ( 2 ) und (52)a-f, die sämtlich unterschiedslos (5)a, b, c präsupponieren. Von propositionaler Abwandlung hingegen ist die Klasse der Präsuppositionen potentiell tangiert, vgl.(53)a, b mit (52)a: (53)a präsupponiert nur mehr (5) a; (53)b präsupponiert (5)a, b, aber statt (5)c eine entsprechende Mehrzahlspräsupposition. (52)a.

Ich behaupte (hiermit), daß der Sohn Paulas volljährig

b.

Ich bestreite (hiermit), daß der Sohn Paulas volljährig

c.

Ich schwöre (hiermit), daß der Sohn Paulas volljährig

d.

Ist der Sohn Paulas volljährig?

e.

Vorsicht, der Sohn Paulas ist

f.

Ach, wäre der Sohn Paulas doch volljährig!

(53)a. b.

ist. ist. ist.

volljährig.

Ich behaupte (hiermit), daß Paula einen Sohn hat. Ich behaupte (hiermit), daß die Söhne Paulas volljährig sind.

Daß Sätze S. qua spezifischen propositionalen Gehalt P. bzw. qua die P. festlegenden propositionalen Indikatoren präsupponieren, ist in Definition (49) via (ii) bereits explizit berücksichtigt. Gleichzeitig ist jedoch hervorzuheben, daß umgekehrt dann auch folgendes gilt, im Sinne von (48) gelten muß: (54)

Keine der linguistisch relevanten Präsuppositionen S" von S ist von einer sprachlichen Eigenschaft abhängig, die bezüglich S zu den illo kutiven Indikatoren gehört.

bzw. (54')

Kein illokutiver Indikator bezüglich eines Satzes S kann bezüglich dieses Satzes Präsuppositionsgarant sein.

Dies ist nicht unter allen Propositionsbegriffen durchweg zwanglos zu gewährleisten (siehe Abschnitt 1.3.4). Nun zu den präsupponierten Propositionen P ' . eines Satzes S.. Sie unter1 iHc scheiden sich von der Proposition P., auf die sich F. bezieht, genau dadurch, daß diese, bei gleicher 'Konstanz' unter illokutionärer Abwandlung, 'sprechaktsensitiv1 ist, P! jedoch nicht. Der Unterschied, der bei Deklarativsätzen in bezug auf oie unterschiedliche Konstanz der möglichen Folgerungen

47

leichtesten pragmatisch fassen: Gleichgültig, wie F. beschaffen ist, ist der Sprecher verpflichtet, bei Äußerung von S. die Propositionen P 1 . für wahr zu halten - was heißt, sie auf Verlangen zu behaupten; für P. ist das jedoch nur bei affirmativen konstativen Sprechakten der Fall. Entsprechend scheint es angebracht, P. und P ' . , obwohl sämtliche "irgendwie1 zum propositionalen Gehalt des Satzes S. gehörig, verschieden zu explizieren. Gemäß (49) (ii) und (51) hat man sich das so zu denken, daß nur P . , die sprechaktsensitive Proposition von S. (die natürlich ihrerseits Propositionen als Argumente enthalten könnte), als solche direkt expliziert wird. Die präsupponierten Propositionen P 1 . hingegen werden indirekt repräsentiert, und zwar dadurch, rfqft P. für jeden sprachlichen Präsuppositionsgaranten von P 1 . einen formalen Reflex enthält; für diesen formalen Reflex - nennen wir ihn, im Unterschied zum entsprechenden sprachlichen Präsuppositionsgaranten ('PGarant'), 'propositionaler Präsuppositionsgarant' ('PP-Garant') - muß durch Definition (oder durch Lexikon-Eintrag) festgelegt sein, daß und welche Präsuppositionen er garantiert. Über dies im Grunde sämtlichen Präsuppositionsbegriffen, die auf These (16) verpflichtet sind, Gemeinsame hinaus legt der jeweilige allgemeine theoretische Kontext die Konsequenzen für den P. entsprechenden Satz S. / für die Äußerung Ä. von S. / für den mit Ä. von S. vollzogenen Sprechakt SAj_ fest, im Falle, daß eine der Präsuppositionen nicht erfüllt ist, die ein in P. befindlicher PP-Garant an sich garantiert. lf

So gesehen, lassen sich 'linguistisch-relevante Präsupposition' und "sprachlicher Präsuppositionsgarant1 auch propositionsbezogen fassen: (55)

S . 1 ist linguistisch relevante/1-semantische Präsupposition von 1 S. gdw.: S . " wird von einem PP-Garanten induziert, den die S. direkt zugeordnete Proposition P. enthält.

(56)

G.

ist

ein sprachlicher Präsuppositionsgarant (P-Garant) gdw.:

G.

ist in allen Vorkommnissen als propositionaler Reflex ein PP-Garant (bzw. der gleiche PP-Garant) zugeordnet.

Man beachte, daß (56) die Zuordnung unterschiedlicher sprachlicher P-Garanten zum gleichen PP-Garanten zuläßt. Dies ist sprachlich sinnvoll, denkt man beispielsweise an die sog. 'faktiven Prädikate1, die sämtliche (in der Literatur mehrheitlich als 1-sanantisch eingestufte) Präsuppositionen gleicher

48

Art induzieren, oder an die verschiedenen Typen definiter singularischer Ausdrücke (siehe dazu u. Abschnitt 2 ) , denen sämtlich die Auslösung von Existenzund Einzigkeitspräsupposition zugeschrieben wird. Diese sollten also (bei propositionaler Repräsentation ihrer sonst teilweise unterschiedlichen, potentiell sprechaktsensitiven Bedeutung) mithilfe der je gleichen PP-Garanten repräsentiert werden; die letzteren etwa, wie üblich, mittels des Jota-Operators, vgl. dessen Festlegung in (57) und die entsprechende Explikation von (1) in (57)b. (Gleiche Dienste wie der Jota-Operator täten bei entsprechender Repräsentation und Festlegung auch Merkmale wie [+def], [+sing]). (57)a.

ix P [ X ] ist (i)

sinnvoll in W, wenn es in W

ein A gibt, für das P [ A ] gilt, und

(ii) für alle B, für die P [ B ] gilt, auch B = A gilt. - Andernfalls ist l 1

a .

P [ x ] sinnlos in W.

Ist P [ X ] in W sinnlos, so ist P e [nx P [ X ] ] in W unbestimmt.

jeder einfache Satz

Ist ein einfacher Satz P [ P [ X ] ] in W wahr oder falsch, so sind die Kennzeichnungspräsuppositionen (Existenz und Eindeutigkeit, siehe o. ( i ) , ( i i ) ) erfüllt. [W = diejenige Bewertung der Sprache, welche eine zutreffende Beschreibung der Welt des Beispiels liefert] (vgl. Blau 1973:37,9o) b.

Der Sohn Paulas ist

volljährig.

Illokutive Kraft F: Behauptung Proposition P: (x 6 Sp)6 Vj

Bei den faktiven Prädikaten könnte die gleichartige propositionale Repräsentation, wie ebenfalls üblich, mittels des 'fact'-Merkmals erfolgen, gleich in welcher speziellen Ausformung. Faktive Konstruktionen S belegen den seltenen Fall, in dem eine Proposition P 1 , obwohl von S präsupponiert, innerhalb von S ganz versprachlicht sein kann. 57 In der Literatur sind vor allem drei vorgeschlagen: (a) die Einführung der NP the fact in der Tiefenstruktur als der für die semantische Interpretation maßgeblichen Repräsentationsebene (plus entsprechender selektionaler Markierung faktiver Prädikate im Lexikon), vgl. Kiparsky/Kiparsky (1971: 3 5 5 f f . ) ; (b) die Repräsentation ausschließlich durch Prädikatsmerkmale, vgl. dazu Pusch ( 1 9 7 2 : 7 3 f f . ) ; (c) in logisch-semantischen Arbeiten, die Einführung der Kategorie 'faktiver Namen1 plus entsprechender Festlegungen über die damit assoziierten Präsuppositionen, vgl. z. B. Keenan (1972: 42of.) Unter dem hier relevanten Gesichtspunkt spielen diese Unterschiede keine Rolle.

49

In diesem Fall muß auch P1 direkt als Proposition in der Repräsentation von S expliziert werden. Da Kaipleroentpropositionen innerhalb von S sonst durchweg mit im Bezugsfeld der jeweiligen illokutionären Kraft von S liegen - in (58)a etwa ist die Komplementproposition potentiell Teil des Erfragten, in (58)b Teil des Bestrittenen (58)a. b.

Nahm Hans an, daß Erna ihn nicht mehr liebte? Nein, Herbert hat es keineswegs fertiggebracht, daß Rivale Fritz das Feld räumt.

ist eine Zusatzbestimmung wie (59) notwendig, die versprachlichte Präsuppositionen aus dem Einflußbereich des jeweiligen F ausschließt: (59)

Propositionen P . ' im Bereich (Skopus) eines PP-Garanten sind insensitiv gegenüber der illokutiven Kraft F . , in deren Bereich sie (bzw. die den PP-Garanten enthaltende Proposition P.) sich befinden. Alle anderen im Bereich von F . befindlichen Propositionen sind F.-sensitiv. ·*

:

Die Repräsentation versprachlichter Präsuppositionen enthält keinerlei illokutiven Indikator F, - im Einklang mit (48)/(59) und mit der sprachlichen Wirklichkeit: (Neben)-Sätze innerhalb S, die Präsuppositionen von S versprachlichen, können keine eigenständige illokutive Rolle übernehmen; 'Präsupponieren1 selbst ist kein illokutiver Akt.58 Umgekehrt muß jedem (Teil-) Satz, der eigenständiger illokutionärer Abwandlung innerhalb von S fähig ist, ein eigenes F bei der illokutionären propositionalen Repräsentation zukommen; er kann demgemäß auch nicht Presupposition von S sein. Es gilt also (60): (60)

Eine sprechaktsensitive Proposition kann nicht präsupponiert sein,

bzw., relativiert auf den Spezialfall 'Teilsätze', (6 1 ) : (6

1

)

Wenn ein Teilsatz S. von S innerhalb von S illokutionärer Abwandlungen fähig ist k (das heißt die durch S. ausgedrückte Proposition P, gegenüber variablem F sensitiv ist), kann S. weder versprachlichte Präsupposition von S noch von einem ändern* Teilsatz von S sein.

Man beachte, daß (6 ) / ( 6 1 ) nicht eigens und zusätzlich postuliert werden muß; es folgt praktisch zwanglos, durch Umkehrung, aus den oben gegebenen Präsuppositionsdefinitionen (48)/(49). In zusätzlicher Anwendung auf Simplex-Sätze ist (6o)/(6o') natürlich uninformativ; in Anwendung auf komplexe 58 Entgegen der von Morgan (1969:382) vertretenen, u. a. von Muraki (197o: 39of.), Pusch (1972), Wunderlich (1973:477) übernommenen Auffassung. Diese wird mit guten Gründen von Morgan selbst (1973:41of.) zurückgezogen.

50

Sätze jedoch nicht: So sind komplexe koordinative Sätze, wenn unreduziert, in der Regel weder mittels des Negationskriteriums (siehe o. Abschnitt 1.3.2.2) noch mittels Definition (48)/(49) direkt präsuppositional zu beurteilen; mittels (6 ) / ( 6 1 ) jedoch ergibt sich angesichts von Daten wie etwa (61) das intuitiv richtige Ergebnis sofort: (6l)a.

Hinz verzeiht dem Kunz, denn der Vater duldet keinen Streit.

b.

Mensch, Hinz, verzeih dem Kunz, denn der Vater duldet keinen Streit.

c.

Hoffentlich verzeiht Hinz dem Kunz, denn der Vater duldet keinen Streit.

d.

Ich bin euch nicht böse, denn niemand ist ohne Fehler.

e.

Ich bin euch nicht böse, denn wer ist ohne Fehler?

f.

Ich bin euch nicht böse, denn demnächst stelle ich (vermutlich) ohnehin meinen Posten zur Verfügung.

Ebensowenig möchte man das von den illokutionären Variationen des einen Konjunkts S. je unbetroffene andere Konjunkt S. als Presupposition von S. einstufen, wie man auf Grund blinder Anwendung von (48) könnte; auch hier schafft (6o)/(6o') sofort Abhilfe. Den Ausschluß dieses Falles hätte man noch direkt auch mittels (49) (ii) bewerkstelligen können, da die koordinative Oberflächenstruktur von (61) von vornherein keinerlei Anlaß bietet, in der propositionalen Repräsentation das eine Konjunkt von einem propositionalen Element des ändern abhängig zu machen Anders jedoch bei oberflächenstrukturell subordinativen, etwa appositiven ('nichtrestriktiven1) Konstruktionen wie (62): (62)a.

Die Chinesen, die zweifellos sparsam und fleißig sind, sind reich.

b.

Die Chinesen, zweifellos (alle) sparsam und fleißig, sind reich.

c.

Die zweifellos sparsamen und fleißigen Chinesen sind reich.

Diese unterscheiden sich bekanntlich von ihren restriktiven Pendants, vgl. ( 6 2 ' ) , dadurch, daß restriktive Zusätze zur korrekten Identifikation des Referenten notadendig, somit integraler Bestandteil der definiten Kennzeichnung sind. Entsprechend werden restriktive Attribute auch in der propositionalen Repräsentation so expliziert, daß - via die Definition des Jota-Operators, siehe (57)a - die Gültigkeit der Existenzaussage (63) gewährleistet sein muß: Diese ist somit für (62 1 ) Presupposition. (62')a.

Die(jenigen) Chinesen, die sparsam und fleißig sind, sind reich.

51

c. (63)

Die sparsamen und fleißigen Chinesen sind reich (, die anderen Chinesen nicht). Es gibt sparsame und fleißige Chinesen.

Appositionen hingegen liefern nur zusätzliche, auf den (bereits identifizierten) Referenten irgendwie bezügliche Informationen; entsprechend würde man sie in (62) etwa intuitiv eher als zusätzliche Assertion zur Hauptassertion r Die Chinesen sind reich1 explizieren, denn als deren Präsupposition. Dieser Unterscheidung entspricht auch die in diesem Fall sehr sichere Intuition über unterschiedliche Folgen der Falschheit von (63): Falls es keine sparsamen und fleißigen Chinesen gibt, ist die Assertion über den Chinesen zukommenden Reichtum in (62') in der für Präsuppositionsfehlschlag charakteristischen Weise unangemessen, sinnlos; die analoge Assertion in (62) hingegen bleibt unberührt, das heißt: sie kann weiterhin sowohl wahr als auch falsch sein. Daß Appositionen und ihre Matrixsätze tatsächlich in dieser relevanten Hinsicht unabhängig sind, wird noch deutlicher bei Sätzen wie (64), in denen ein Zusammenhang zwischen beidem nicht einmal suggeriert wird: Bei Falschheit oder Sinnlosigkeit des appositiven Satzes bleibt nicht nur die Hauptassertion klarerweise untangiert; umgekehrt ist auch das Unbehagen, das man dann dem Gesamtsatz (64) gegenüber empfindet, genau und ausschließlich auf die Apposition lokalisierbar. (64)

Ich habe Gretchen, die übrigens jetzt mit dem Sohn Paulas verlobt ist, schon seit Wochen nicht mehr gesehen.

Die Anwendung von (48) auf Sätze wie (62)/(64) vs. (62') liefert die fällige Unterscheidung zunächst jedoch nicht: Die in restriktiven wie appositiven Attributen bzw. Attributsätzen ausgedrückte Information bleibt unter illokutionärer Abwandlung der sie enthaltenden Sätze S gleich konstant. Ebensowenig liefert sie (49) (ii), da die notwendige Voraussetzung - die restriktiven Attribute müßten in Abhängigkeit von einem (als P-Garant bzw. als PP-Garant fungierenden) Element von S bzw. der S entsprechenden Proposition expliziert werden, die appositiven Attribute jedoch keinesfalls - nicht einwandfrei gerechtfertigt werden kann: Die im entscheidenden Punkt gleiche Oberflächenstruktur spricht dagegen; die Evidenz unterschiedlicher Paraphrasemöglichkei-

52

ten ist durchaus kontrovers.

59 Von (6 ) / ( 6 1 ) her jedoch ergibt sich im

Hinblick auf Daten wie (65), (66) das intuitiv richtige Ergebnis sofort: Appositionen zu einem Satz S können von S nicht präsupponiert sein, siehe (65); wohingegen restriktive Zusätze, ihrem präsuppositionalen Charakter entsprechend, illokutionäre Abwandlungen nicht zulassen, siehe (66). (65)a.

Die Chinesen, denen ich hiermit für ihren vorbildlichen Fleiß danke, sind reich.

b.

Die Chinesen, denen Gott ihren Atheismus vergeben möge, sind reich.

c.

Diese Kapazitätszahl, die sich hoffentlich als zu hoch herausstellt, wurde vom Kultusministerium festgesetzt.

d.

Diese hoffentlich falsche Kapazitätszahl wurde vom Kultusministerium festgesetzt.

e.

Dieser dir hiermit zur freien Verfügung gestellte VW braucht viel Sprit.

(66)a.

*Die hoffentlich falschen Kapazitätszahlen wurden vom Kultusministerium festgelegt (, die richtigen nicht).

b.

»Diejenigen Studenten im dritten Semester, die ich hiermit verspreche, ins Seminar aufzunehmen, sollen sich melden.

c.

*Die hiermit zur freien Verfügung gestellten VWs brauchen viel Sprit (, die ändern VWs nicht).

Von daher läßt sich dann auch eine distinktive propositionale Repräsentation für appositive (vs. restriktive) Konstruktionen rechtfertigen; im Einklang mit (49) (ii)/(59) läuft diese auf eine konjunktive Repräsentation hinaus. An Fällen dieser Art - einschlägig sind vor allem noch parenthetische und weiterführende Konstruktionen - erweist sich die Überlegenheit des (48), (49) 59 Dies gilt vor allem für die Paraphrasemöglichkeit appositiver Relativsätze mit und-Konstruktionen, vgl. zusammenfassend Thompson (1971:84f.). Gleichwohl postuliert Thompson für restriktive wie appositive Relativsätze eine koordinative syntaktische Tiefenstruktur - eine Position, die sich sowohl aus grundsätzlichen Erwägungen kritisieren läßt (siehe Hausser 1974:63 , unter Berufung auf Rodman 1972 ) , als auch im generativ-transformationellen Rahmen, da keine ausreichende empirische Rechtfertigung (weitere Gegenargumente gibt Ziv (1973)) vorliegt. 60 Vgl. hierzu auch Hooper/Thompson (1973:486ff.), wo m. W. erstmals auf den präsuppositionalen Aufschlußwert performativer Besetzbarkeit bzw. illokutiver Abwandlung in bezug auf subordinierte Sätze hingewiesen wird. 61 Man beachte, daß damit der mögliche kommunikative Wert der syntaktischen Subordination noch nicht repräsentiert ist; mehr als Notationsvorschlage (so etwa bei Keenan 197o:13o) finden sich jedoch in der Literatur nirgends.

53

wie (60) zugrundeliegenden Präsuppositionskriteriums gegenüber dem üblichen Kriterium 'Konstanz unter Negation": Da Negationsvorkomnnisse präsupponierte von nichtpräsupponierten Nebensätzen nicht unterscheiden, ist letzteres nämlich nicht sinnvoll auf Teilsätze übertragbar. In der damit allein möglichen Anwendung auf die Gesamtkonstruktionen führt es jedoch notwendig zu dem Ergebnis, daß es sich bei Appositionen (Parenthesen, weiterführenden Nebenfi2 Sätzen) zu S um Präsuppositionen von S handle, denn der Bezugsbereich der einschlägigen einbettenden Negationsmittel ist vielfach von vornherein auf die syntaktisch übergeordneten Sätze beschränkt. Dieses Ergebnis ist angesichts von Sätzen wie (65) pragmatisch absurd - es würde bedeuten, daß sprachliche Handlungen im Augenblick ihres Vollzugs gleichzeitig Präsuppositionen sind -; daß sich vergleichbare Probleme auch für eine wahrheitsfunktionale Betrachtung ergeben, haben bereits Hooper/Thompson (1973:486ff.) gezeigt. Um diese Konsequenzen zu vermeiden, muß das Negationskriterium ad hoc um eine Zusatzbestiimung ergänzt werden, die seine mangelnde Aussagekraft in bezug auf subordinierte Sätze kompensiert. Diese läuft aber, wenn sinnvoll formuliert, auf Anerkennung des in (48) zugrundegelegten Präsuppositionskriteriums hinaus. 1.3.3 Linguistisch relevante Präsuppositionstypsn

Der Begriff 'Präsupposition1, ursprünglich nur im Zusarnnenhang mit referierenden Ausdrücken relevant, ist in der Linguistik beträchtlich ausgeweitet worden: Darunter fallen nicht nur die mit termbildenden Ausdrücken - defini62 So konsequent bei Keenan (197o:125ff.; sein Beispielsatz wird in ( 6 2 ) / ( 6 2 ' ) variiert). Siehe auch Kotschi ( 1 9 7 6 : I o 6 f f . ) , dessen Rechtfertigungsversuch für das Negationskriterium in diesem Punkt allerdings nicht stichhaltig ist: Daß appositive und hreil-/oi>wohl-Konstruktionen vielfach parallel sind, beweist nichts für 1-semantische Präsupponiertheit der ersteren, da auch die letzteren sich mittels des Kriteriums (48) als nichtpräsuppositional erweisen lassen. Ferner zeigt die Einfügbarkeit von bekanntlich, ja, etc. in appositive Sätze eher, daß diese Assertionsstatus haben (in eindeutig präsupponierte Nebensätze sind solche Partikeln nicht einfügbar) als das behauptete Gegenteil, nämlich daß sie, wie das Negationskriterium ergibt, nicht nur 1-semantisch, sondern auch (hörerbezogen) pragmatisch präsupponiert wären. Dies hätte überdies zur unhaltbaren Konsequenz, daß auch Hauptsätze mit eingeschobenem bekanntlich, etc., Präsuppositionen wären, alle einschlägigen Kriterien sprechen jedoch dafür, daß es sich bei solchen Sätzen um Assertionen handelt - also um illokutive Akte, nicht deren Voraussetzungen-, wobei bekanntlich, etc. mit Rücksicht auf die Konversationsmaximen der Relevanz und der Quantität (siehe Grice 1968;1975) anzeigen, daß vorhandenes Hintergrundwissen aktualisiert wird.

54

ten Kennzeichnungen, Quantoren - konventionell assoziierten existentiellen und numerischen Propositionen; man spricht auch von Präsuppositionen im Zusartmenhang mit bestimmten Gebrauchsbedingungen/Gebrauchsweisen von Prädikaten (z. B. bei faktiven oder transformativen Prädikaten wie bedauern, aufhören) , von Partikeln (z. B. schon, noch, nur, sogar, auch) , von Konjunktionen (z. B. aber, denn, weil), von grammatischen Kategorien (z. B. Tempus-, Modusgebrauch), von implikativen Konstruktionen, von subordinierten Sätzen (z. B. appositiven und adverbialen Nebensätzen), und sogar im Zusammenhang mit koordinierten Sätzen, wenn es sich um eine sog. 'asymmetrische' Konstruktion handelt. Schließlich werden als 'präsuppositional' linguistisch auch solche Erscheinungen klassifiziert, die traditionell unter den Stichwörtern 'Selektionsbeschränkungen1 und "Thema1(-'Rhema') bzw. 'Topic1(-'Fokus') abgehandelt werden; zu letzteren können noch sämtliche mit Kontrastakzent u. ä. verbundenen Erscheinungen. All diese Präsuppositionen werden dabei im Sinne der vorgehenden Präzisierungen als '1-semantische' aufgefaßt, die dabei relevanten sprachlichen Mittel eo ipso als 'Präsuppositionsgaranten'. Es würde hier zu weit führen, den Gründen für diese Begriffsextension im einzelnen nachzugehen. Der Verdacht, daß sie zu weit gegangen ist, das heißt, die linguistisch als 'Präsuppositionen1 bezeichneten Phänomene keine einheitliche Klasse bilden, besteht auf jeden Fall allgemein; die Notwendigkeit, den Begriff unter Beibehaltung des historischen Kerns - den Präsuppositionen termbildender Ausdrücke - auf eine linguistisch "natürliche" Klasse einzuschränken, steht ausser Frage. In dieser Hinsicht leistet der oben entwickelte, in (48) - (60) präzisierte Präsuppositionsbegriff - hier nochmals in (67) zusammengefaßt - gute Dienste: (67)

S1

ist linguistisch relevante/1-semantische Präsupposition von S gdw.:

(i)

S präsupponiert S 1 (d. h. S 1 folgt aus S und ist von allen illokutionären Abwandlungen von S unbetroffen) in jedem Kontext K .

(ii)

S' wird von einem PP-Garanten induziert, den die S direkt zugeordnete (sprechaktsensitive) Proposition P enthält.

63 Diese Gleichsetzung begann bei McCawley (1968:141); vgl. auch Fillmore (1969;1971a:382); G. Lakoff (1971:33off.); Keenan (1971:47). 64 Einschlägig ist hier, neben den in Abschnitt 3.3 abzuhandelnden Erscheinungen und Autoren,etwa Bartschs Gebrauch (1972:316ff.) von 'Präsupposition' bei der Analyse von Adverbialkonstruktionen. 65 Explizit geäußert etwa bei Liberman (1973:346); Ebert (1973:421); Cooper (1974:Kapp.l,2); Wilson ( 1 9 7 5 : x i i f . ) .

55

Einerseits ist er so weit, daß die Präsuppositionen termbildender und prädikativer Ausdrücke (vorausgesetzt, sie erweisen sich als 1-semantisch) darunterfallen: denn Terms und Prädikate gehen auf jeden Fall in die propositionale Repräsentation mit ein. (Siehe dazu u. Abschnitt 1.3.4) Andererseits ist er restriktiv genug, um eine ganze Reihe der genannten sprachlichen Mittel als Präsuppositionsgaranten auszuschließen, darunter unter anderem die folgenden: 1.3.3.1 Die Partikeln

Soweit es sich um Modalpartikeln handelt, sind diese eher den illokutiven als den propositionalen Indikatoren zuzurechnen; dafür spricht ihre Bindung an bestimmte Sprechakttypen, sowie ihre generelle Beschränkung auf (Teil-)Sätze, deren Repräsentation eine F-Variable vorsehen muß - also Hauptsätze und die illokutiv eigenständigen Nebensätze. Als solche sind sie jedoch unmittelbar mittels (54), auf dem (67) (ii) beruht, als Präsuppositionsgaranten ausgeschlossen, - die mit ihnen assoziierten Erscheinungen unter ändern Vorzeichen bedeutungsmäßig zu verbuchen. Soweit es sich um nichtmodalen Gebrauch handelt, etwa temporalen oder Gradpartikel-Gebrauch, liegt eine vergleichbare Verteilungsbeschränkung nicht vor; auch, nur, sogar, wieder, noch, etc. treten sogar in versprachlichten Präsuppositionen auf, deren Repräsentation ja kein F enthält, vgl. (68). (68)

Hans freute es, daß auch/nur/sogar Otto (wieder) .in Hamburg war.

Ob die Klausel (67) (i) allerdings in jedem Fall erfüllt ist, kann als strittig gelten. Die jeweils auftauchenden Komplikationen sind dabei verschieden: Bei temporalem noch beispielsweise ist die Präsuppositionsformulierung, selbst in ihrer allgemeinsten Form, nicht konstant, vgl. (69) mit (7o); die Variation ist allerdings aus dem unmittelbaren Satzkontext von noch (in Abhängigkeit vom jeweiligen Bezug des gesamten Prädikatausdrucks zur Zeitachse) vorhersagbar. 66 Diese Beschreibung lehnt sich an Abraham (1976) an, der allerdings wegen Sätzen wie (69) vs. (7o) zwei verschiedene temporale noch's ansetzt. Bedeutungselemente, denen man von vornherein nur den Status bloßer 'konversationeile r Implikaturen' geben könnte - so etwa die mit (7o)a-a" häufiger verbundene Sprechererwartung, daß Hans bald nicht mehr da ist - habe ich hier, genau wie im folgenden bei nur und auch, nicht repräsentiert.

56

(69)a. a1. a". b. c. (7o)a. a1. a".

Hans kommt noch. Es ist nicht der Fall, daß Hans noch kommt. Kommt Hans noch? ASS von (69)a: Hans wird zu einem Zeitpunkt t > t PSP von (69)a-a": Hans ist zum Zeitpunkt t

da sein. [= p(t > t ) ]

und vorher nicht da. [= i p ( t S t ) ]

Hans ist noch da. Es ist nicht der Fall, daß Hans noch da ist. Ist Hans noch da?

b.

ASS von (7o)a: Hans ist zum Zeitpunkt t da. [= p(t ) ] o o c. PSP von (7o)a-a": Hans war vor Zeitpunkt t da. i= p ( t < t ) ] o o [ p: Hans 6 Ds; Ds = 'da sein 1 ; t : jeweiliger Sprechzeitpunkt ]

Unterschiedliche Präsuppositionsfonnulierungen treten auch für auch je nach dessen skalierender oder quantifizierender Interpretation auf, vgl. (71) vs. (72); diese Interpretationen lassen sich allerdings nur aus dem weiteren Situationskontext, sei er versprachlicht oder nicht, vereindeutigen. (71)a. a". a".

Auch Otto war in Hamburg. Es ist nicht der Fall, daß auch Otto in Hamburg war. War auch Otto in Hamburg?

b.

ASS von (71)a: Otto war in Hamburg.

c.

PSP von (71)a-a": Andere (aus der Bezugsgruppe) als Otto waren in Hamburg.

(72)a. a1. a".

b.

Da kann auch Otto nicht helfen. Es ist nicht der Fall, daß da auch Otto nicht helfen kann. Kann da auch Otto nicht helfen?

ASS von (72) a:

Otto kann nicht helfen. c.

PSP von (72)a-a": Niedriger Eingestufte (aus der Bezugsgruppe) als Otto können nicht helfen.

Bei nur hingegen ist zwar die Formulierung der jeweils auftauchenden Präsupposition konstant - sie entspricht "der Formulierung des Gradpartikel-Satzes abzüglich der Gradpartikel" (Altmann 1976:311,314). Diese 'Präsupposition' ist jedoch bei skalierender Interpretation desrou>-Satzeseinerseits in nichtne67 Siehe dazu Altmann (1976:Io7-117;317-319); an dieser Arbeit sind meine Anmerkungen zu den Gradpartikeln insgesamt orientiert.

57 rn

gierten Sätzen suspendierbar, vgl. (73),

andererseits taucht sie in man-

chen Kontexten gleich gar nicht auf, vgl. ( 7 4 ) : Dort wird gefragt, behauptet, vermutet, daß der Milchmann an der Tür ist, bzw. dem natürlich widersprochen, aber in keinem Fall wird dies prüsupponiert. (73)a. a1. a". b.

Hans verdient nur looo.Es ist nicht der F a l l , daß Hans nur looo.- verdient. Verdient Hans nur looo.-? ASS von ( 7 3 ) a : Hans verdient nicht mehr als

looo.-

c.

PSP von ( 7 3 ) a - a " : Hans verdient looo.-

d.

Suspension der PSP: Hans verdient nur looo.- und möglicherweise sogar noch weniger.

(74)a. b.

c.

Es hat geläutet. Schau mal nach, ob es nur der Milchmann oder Besuch.

ist

A: Es hat geläutet. Das ist sicher nur der Milchmann. B: Stimmt leider nicht, daß es nur der Milchmann ist/Leider ist nicht nur der Milchmann; es ist der Gerichtsvollzieher.

es

A: Wer war denn eben an der Tür? B: A: B: A:

Ach, nur der Milchmann war an der T ü r . Das ist nicht wahr. Wieso nicht? Ich kenn doch deinen Freund an der Stimme und am Gang.

Ebenso scheint bei wieder die charakteristische Präsupposition (75)c manchmal zu fehlen, vgl. (76): (75)a. a'. a". b. c.

(76)a. a1. a".

Innerlichkeit ist wieder gefragt. Es ist nicht der Fall, daß Innerlichkeit wieder gefragt Ist Innerlichkeit wieder gefragt? ASS von ( 7 5 ) a : Innerlichkeit ist

ist.

(zum Zeitpunkt t ) gefragt.

PSP von ( 7 5 ) a - a " : Innerlichkeit war vor t

bereits (mindestens) einmal gefragt.

(Hans besuchte seinen Vetter.) Nach drei Tagen reiste er wieder ab. Es ist nicht der Fall, daß er nach drei Tagen wieder abreiste, Reiste er nach drei Tagen wieder ab?

b.

ASS von ( 7 6 ) a : Nach drei Tagen reiste Hans ab.

c.

PSP von (76)a-a": ?

68 Vgl. Altmann (1976:311-317). - Darüber hinaus kommen scheinbar auch Präsuppositions-Suspensionen bei Sätzen mit bevorzugt quantifizierender Lesart vor, vgl. Nur Hans mag Bier, und möglicherweise nicht einmal er. Altmann macht allerdings plausibel, daß die Suspensionsformel jedesmal die skalierende Interpretation erzwingt (1976:81;313).

58

iMöglicherweise ließen sich die bisher aufgeführten Eigenheiten der Partikeln durch entsprechende Aufspaltung in Homonyme bzw. hinreichend allgemeine Präsuppositionsformulierungen wegerklären - obwohl solche Maßnahmen natürlich unabhängiger Rechtfertigung bedürften. Aber selbst wenn auf diese Weise eine Teilklasse von Partikeln im Einklang mit (67) (i) bleiben würde, bestünden noch immer Unterschiede zu den 'regulären1 Beispielen 1-semantischer Präsuppositionen bzw. Präsuppositionsgaranten. Einmal ist zu bedenken, in welch ungewöhnlich hohem Maße die Präsuppositionen von Partikeln sich erst im Zusammenwirken mit anderen Einheiten (ihren Skopuskonstituenten) konkretisieren (Altmann 1976:63), Skopus wie auch die gerade bei Gradpartikeln immer mitangesprochenen Bezugsgruppen bzw. -Skalen jedoch ihrerseits großteils erst aus dem Situationellen Kontext erschließbar sind. Zum ändern unterscheiden sich /-Q

zumindest auch und (auch quantifizierend interpretiertes) nur,

möglicher-

weise auch wieder und noch, von ändern zweifelsfreien Präsuppositionsfällen dadurch, daß sich 'Präsuppositionsverneinung' und 'Assertionsbejahung' sinnvoll miteinander koordinativ verknüpfen lassen, vgl. beispielsweise (77): (77)a. b.

[Als Reaktion auf ( 7 1 ) a , a " : ] Ja, Otto war schon in Hamburg, aber von den ändern niemand. [Als Reaktion auf: Von all diesen Leuten sagt nur Hans die Wahrheit. (ASS: Niemand von all diesen Leuten, der nicht Hans ist, sagt die Wahrheit. PSP: Hans sagt die Wahrheit)] Hans sagt ebensowenig die Wahrheit wie diese Leute.

Das heißt im Grunde: Die sog.

Präsuppositionen sind keine notwendigen Vor-

aussetzungen für Sinnfülle bzw. Wahrheitsdefinitheit der jeweiligen Assertion bzw. für das Glücken des damit vollzogenen Sprechaktes. Diesem Fall läßt sich automatisch von (67) aus dadurch Rechnung tragen, daß im Einklang mit (ii) weder auch

noch nur etc. ein PP-Garant in der propositionalen Repräsentation

zugeordnet wird. Die damit unrepräsentierten, bisher als 'Präsuppositionen1 aufgefaßten Bedeutungsaspekte müssen dann anders, eventuell als konventionelle (bzw. generalisierte konversationelle) Implikaturen, ausgelöst von ent-

69 Siehe dazu Altmann (1976:313f.,319). 70 Diese Auffassung läßt sich mit dem Standpunkt von Ebert ( 1 9 7 3 : 4 2 4 f f . ) zur Deckung bringen, die die mit wieder und auch verbundenen "präsuppositionalen 1 Bedeutungsaspekte ebenfalls anders, als "schwache pragmatische Präsuppositionen" einstuft ("schwach" deshalb, weil die zugehörige Assertion unabhängig auf ihre Richtigkeit überprüft werden könne).

59

sprechend anderen propositionalen Indikatoren, dargestellt werden. 71 1.3.3.2 Konjunktionen Bei koordinativen Konjunktionen wie aber, denn ergibt sich der Ausschließungsgrund sofort, wenn man deren Standardanalyse nach Assertion vs. Präsupposition betrachtet:72 (78)a.

[ES läutete Sturm]

, aber [Frau Meier machte nicht auf] l

b.

ASS von (78)a: Es läutete Sturm,und Frau Meier machte nicht auf.

c.

PSP von (78)a: Wenn S , dann erwartet man: -S .

(79)a.

[Eine Frau war hier]

. 2

, denn [dies sind Lippenstiftflecken] l

b.

ASS von (79)a: Eine Frau war hier,und dies sind Lippenstiftflecken.

c.

PSP von (79)a: S_ ist hinreichender (Erkenntnis-)Grund für S , .

. 2

Weder (78) noch (79) entspricht also in der je zugehörigen sprechaktsensitiven Proposition (78)/(79)b ein PP-Garant, der sie induzieren könnte; nach (67) (ii) können sie somit nicht 1-semantische Präsuppositionen sein. Die Berechtigung dieser Analyse ergibt sich dabei, wie bei den Gradpartikeln, aus der Unbetroffenheit der jeweiligen Assertion von Präsuppositionsverneinung, vgl. für den aber-Fall die einschlägige koordinative Verbindung (80): (80)

[Als Reaktion auf (78) a : ] Richtig: Es läutete Sturm, und Frau Meier.machte nicht auf; aber würdest du im Ernst erwarten, daß man um 12 auf Sturm-Lauten hin aufmacht?

Darüber hinaus ist zumindest die afcer-Präsupposition nicht einheitlich; der von ober signalisierte Kontrast ist weder konstant auf den Gehalt der miteinander verknüpften Propositionen bezogen, noch auf Sprecher-, noch auf Hörererwartungen, sondern offenbar abwechselnd und in Kombination auf alle drei (Wilson 1975:118ff.). 71 Einen ähnlichen Standpunkt bezüglich der Partikeln vertreten - ungeachtet ihrer sonst konträren Auffassung über die Existenz regulärer sprachlicher Präsuppositionsgaranten - sowohl Kempson (1975:2oo;213f,f.) und Wilson (1975:116ff.) als auch Hausser (1976:25oAnm.3). 72 Siehe R. Lakoff (1971:131ff.), G. Lakoff (1971a:66ff.) zu but/aber; Sohmiya (1974), Lang (1976) zu denn.

60

Auch aber, und wohl auch denn, wird scmit besser unter nichtpräsuppositionalen Vorzeichen beschrieben; aber vermutlich als Auslöser einer konventionellen Implikatur, denn vielleicht am besten als illokutiver Indikator für Begründungssprechakte bzw. Begrüj-dungssprechiktsequenzen. Diese Ausschlußargumentation läßt sich im übrig«in nicit von vornherein auf sämtliche Konjunktionen verallgemeinern: r eil u:id ohtJhl etva müssen, da sprechakt sensitiv, entsprechend prepositional repräsentiert warden. Daß sie dabei keine (P)P-Garanten bezüglich der Wahrheit des vca ihnen eingeleiteten Satzes sind, ergibt sich aus der Mögliclikeit Lllokutionärer Abwandlung nach (67) (ii): weil-/ cbi:ohl-Sätze sind sowohl von d'2r Abwandlung des Gesamtsatzes potentiell mitbetroffen, als auch ihrerseits illokutionär eigenständig, das heißt: explizit performativ besetzbar. 1.3.3.3 Grammatische Kategorien Es ist auch bei nur flüchtigem Nachdenken sofort einsichtig, daß die einschlägigen Tempus- oder Modusmorpheme schon deshalb keine Präsuppositionsgaranten sein können, weil sie nicht die gleichen 'Präsuppositionen' in jedem sprachlichen Kontext induzieren. Darüber hinaus ist die Klasse der grammatischen Kategorien zu heterogen, um generelle Aussagen zu machen: Das Vorkommen der satzbezogenen Tempus- und Moduskategorien etwa ist auch illokutiv stark beschränkt, was auf deren subsidiäre Rolle als illokutive Indikatoren hinweist; darüber hinaus ist gerade die Möglichkeit des Konjunktiv- vs. Indikativgebrauchs unter Negation nicht konstant (siehe dazu u. Abschnitt 3.2.1.6.2). Am stabilsten sind noch die mit der NP-bezogenen grammatischen Kategorie 'Numerus' assoziierten Präsuppositionen; diese werden - mittels entsprechender Kennzeichner - in der Regel auch propositional garantiert, das heißt als 1-semantische Propositionen ausgezeichnet. 74

73 So Grice selbst; vgl. Kempson ( 1 9 7 5 : 1 7 4 ) , die sich diesem Vorschlag ebenso anschließt wie Wilson ( 1 9 7 5 : 1 2 o ) ; vgl. auch Thomason ( 1 9 7 3 : A n m . 2 , 3 ) . Eventuell müßte man diesen Bedeutungsaspekt von aber als generalisierte konversationelle Implikatur einstufen, da er sich, zumindest in der Erwartungs-Formulierung, ja suspendieren läßt, vgl. Die Frist lief ab, aber Hans war nicht fertig, aber, wenn ichs recht bedenke, war das bei dem Umfang der Arbeit auch nicht zu erwarten. 74 So etwa bei Blau (1973/74;1975/76:63ff.) und Hausser (1974:Kap.3).

61 1.3.3.4 Syntaktisch subordinierte Sätze

In Abschnitt 1.3.2.3 wurde bereits am Beispiel appositiver Relativsätze gezeigt, daß (67) (i) die Aussonderung der illokutiv eigenständigen Teilsätze liefert, die die traditionelle Definition (1o) als Präsupposition auszeichnet;

- Diese Aussonderung wurde dort auch gerechtfertigt. Die Klasse derart

eigenständiger Teilsätze ist

sehr umfangreich: Neben den appositiven Relativ-

sätzen gehören zu ihr appositive Adverbialsätze, weiterführende und parent:ctische Konstruktionen verschiedenster Art, für die ich nur je ein Beispiel aufführe, vgl. (81) - (83). (81)a.

Der Vatikanstaat investiert außerhalb Italiens, weil er auf Erhalt seines Vermögens bedacht ist.

a1.

Der Vatikanstaat versucht, weil auf Erhalt seines Vermögens bedacht, außerhalb Italiens zu investieren.

b.

Obwohl er sehr reich ist, will der Vatikanstaat auf den Peterspfennig nicht verzichten.

b1.

Obwohl sehr reich, will der Vatikanstaat auf den Peterspfennig nicht verzichten.

(82)a.

Der Chef bleibt unerbittlich, was Fritz veranlaßt

zu kündige:..

b.

Der Chef blieb unerbittlich, sodaß Fritz schließlich kündigte.

c.

Der Chef bot Fritz einen Jahresvertrag an, den dieser ablehnte.

d.

Der Chef blieb hart, ohne daß eine Reaktion erfolgte.

(83)a.

Dieser Chevrolet - er ist übrigens ein Geschenk meiner Mutter verbraucht viel Sprit.

b.

Herbert, und das weiß ich hundertprozentig, war schon einmal verheiratet.

c.

Herbert und ich sind, wie ihr j e t z t endlich wissen sollt, seit 9 Jahren verheiratet.

All diesen Sätzen ist

im Einklang mit (67) (ii)

prepositional eine konjunkti-

ve Repräsentation zu geben. Der Unterschied Haupt-Nebeninformation, den die syntaktische Unterordnung vielfach signalisiert, muß anderweitig markiert werden. 75 Man beachte, daß diese Festlegung erst in der linguistischen Präsuppositionsliteratur erfolgt. Der einzige philosophische, nochmals an Frege (1892) anknüpfende Beitrag zur Problematik der Nebensätze - Baker (1956) ist von diesem Dogmatismus frei. - Eine pragmatische Erklärung d a f ü r , weshalb appositive Relativsätze gleichwohl im Diskurs häufig als gegeben unterstellt bzw. hingenommen werden, versuchen Boer/Lycan (1976:18-25).

62 1.3.3.5 Asynnetrische Koordinationen

Für Koordinationen, in denen die Konjunkte nicht sinnvoll linear vertauschbar sind (vgl. (84)), wurde geltend gemacht, daß S~ S., präsupponiere. (84)a. b.

Herbert sah die Polizei kommen und warnte ^ seine Komplizen. Hans fuhr von München nach Stuttgart, und ^ von Stuttgart nach Köln.

Auch diesen Fall schließt (67) sofort aus, da zum einen selbst Konjunkte asynmetrischer Koordinationen prinzipiell (begrenzter) illokutiver Abwandlung fähig sind, vgl. (85), zum ändern S1 in S0 keinerlei sprachlichen Anknüpfungspunkt hat, der dann als Präsuppositionsgarant gelten könnte. 77 (85)

Hiermit danke ich euch herzlich für die geleistete Hilfe, und hoffe sehr, daß sich nun alles zum besten wendet.

Darüber hinaus könnte es sich bei S1 ohnehin nur um eine k-pragmatische Präsupposition von S0 handeln; denn S0 kann offensichtlich in beliebig vielen ändern Kontexten ohne notwendig assoziiertes S. vorkamen. 78 Allerdings bedarf es der Einstufung als 'Präsupposition' keineswegs, um die bizarren Effekte der Ablehnung/Unwahrheit von S1 in Äußerungskontexten von asymmetrischen Koordinationen zu erklären: Sie werden genau so verständlich, wenn man zuvor die auf kausale bzw. temporale Interpretation von rS1 und S»1 hinauslaufende Asymmetrie mittels Gricescher Konversationsmaximen expliziert hat. 79 1.3.3.6 Implikative Verben Daß diese 1-semantische Präsuppositionsgaranten seien, hat erstmals Karttunen geltend gemacht: "an implicative verb carries a presupposition of some necessary and sufficient condition which alone determines whether the event described in the complement took place" (197o;1973:285). So soll beispielsweise fertigbringen - für das wie für alle implikativen Verben die in (86) belegten Gesamtsatz-Komplement-Beziehungen gelten - für (87)a, b die Präsupposition (87') garantieren; als Assertion von (87)a bzw. als sprechaktsensitive Propo76 Siehe R. Lakoff (1971:126ff.); ebenso Zuber (1972:82f.) und daran anschliessend Kotschi (1976:loo). 77 Selbst wenn ein solcher in Form eines anaphorischen Ausdrucks wie daraufhin, dann (eingeschoben bei " ") vorläge, wären dies nicht notwendig Präsuppositionsgaranten: Vielmehr läge es nahe, sie wie die Partikeln als Auslöser konventioneller Implikaturen zu behandeln. 78 Siehe dazu auch Kempson (1975:55-62). 79 Dies wird u. a. vorgeschlagen von Geis/Zwicky (1971); siehe auch Boer/Lycan (1973:495ff.) und vor allem Schmerling (1975).

63

sition von (87) a, b wird entsprechend ihrer alleinigen Betroffenheit von illokutiver Abwandlung und Negation die Proposition des Komplementsatzes (87)c betrachtet. (86)

V ist

implikatives Verb gdw.:

(i) V ist Matrixverb einer Kompleraentkonstruktion S mit Komplement

(ii) S m — > S Beispiele für V : fertigbringen, geruhen, sich herablassen, gelingen, die Stirn haben, sich unterstehen, sich beehren, So etc. (87) a. b.

Hans brachte es fertig, das Problem zu lösen. [ S ] m Hans brachte es nicht fertig, das Problem zu lösen. [ iS

c.

Hans löste das Problem. [ S

(87')

m

]

]

Hans bemühte sich, das Problem zu lösen.

Grundsätzlich spricht nichts dagegen, daß Bedeutungselemente der Art (88) Präsuppositionen im Sinne von Definition (67) sein könnten. Nähere Betrachtung der Fakten zeigt allerdings, daß sie es nicht sind: Einerseits variierer. die fraglichen Präsuppositionen inhaltlich sehr stark mit unmittelbarem Satzund Situationskontext. Erweitert man Satz (87) beispielsweise zu (88) oder äußert man (87) a in einer Situation, in der Hans als Problemlösungsgenie bekannt ist, ist die von fertigbringen ausgelöste Präsupposition eher wie (88 1 ), dabei ohne Bezug aufs Satzsubjekt, zu formulieren; in (89) hingegen ist dieser Bezug erlaubt, wenn nicht erzwungen, vgl. (89 ' ) . In Sätzen wie (9o hinwiederum signalisiert fertigbringen weder Bemühen noch Schwierigkeit, sondern eher die Unwahrscheinlichkeit bzw. unerwartetheit des im Komplement beschriebenen Ereignisses, vgl. (9 1 ) . In (91) schließlich trägt das Verb nicht mehr zum irgendwie deskriptiv zu nennenden Gesamtinhalt des Satzes bei; es vermittelt nur noch die emotionale Einstellung des Sprechers zur sprechaktsensitiven Proposition, vgl. (91 1 ). (88)

Hans brachte es mühelos fertig, das Problem zu lösen.

(88')

Es ist schwierig, das Problem zu lösen.

(89)

Hans bringt es einfach nicht fertig, mit seinem Gehalt auszukommen, obwohl das eigentlich sehr leicht sein sollte. Natürlich bemüht er sich im Grunde auch nicht darum . . .

80 über diese Auswahl hinaus möchte ich auf die Existenz negativ implikativer Verben wie versäumen, vermeiden, unterlassen, sich weigern, etc. verweisen für die die Gesamtsatz-Komplement-Beziehungen umgekehrt sind: S > nS und i S > S . Für sie gelten die oben gemachten Feststellungen entsprechend.

64

(89')

Es ist

(9o)a.

Ulla bringt es mühelos f e r t i g , 5oo.- für ein Sommerkleid auszugeben.

(9

1

f ü r Hans schwierig, mit seinem Gehalt auszukommen.

b.

Pauls Nachbarn bringen es aber auch jedesmal fertig, genau dann lautstark zu streiten, wenn er sich auf eine Prüfung vorbereiten muß.

c.

Er brachte es fertig, sich mit allen innerhalb von drei Monaten anzulegen.

)

Das von S je beschriebene Ereignis ist bemerkenswert.

(91)a. b. (9l1)

unerwartet/unwahrscheinlich/

Meier bringt es doch glatt fertig, zu dem Termin nicht zu erscheinen! Am Ende bringt es der Meier noch fertig und erscheint nicht zu dem Termin, und was ist dann? Der Sprecher mißbilligt bzw. fürchtet, daß Meier zu dem Termin nicht erscheint.

Die von (87") - ( 9 V ) belegte Variation wäre noch größer, wäre die unterschiedliche Bezugsmöglichkeit der sog. Präsupposition auf Sprecher vs. Subjekt des Satzes (siehe (89) vs. (88)) durchgängig berücksichtigt. Auch so ist aber klar, daß sich die sogenannten Präsuppositionen implikativer Verben von denen regulärer Präsuppositionsgaranten wesentlich unterscheiden: Die offensichtliche starke Kontextabhängigkeit ihres Gehalts ist mit Definition (67) nicht verträglich. Darüber hinaus kommen implikative Verben auch präsuppositionslos in dem Sinne vor, daß sie nur mehr stilistische Varianten der einfachen (negierten) Komplementsätze darstellen, vgl. die Satzpaare in ( 9 2 ) : (92)a. 1

Hiermit beehren wir uns, unsere Verlobung bekanntzugeben.

a .

Hiermit geben wir unsere Verlobung bekannt,

b.

Herbert unterließ es fortan, mich weiter zu sticheln.

b1.

Herbert stichelte mich fortan nicht mehr.

Andererseits scheint es auch bei implikativen Konstruktionen problemlos möglich, Assertionsbejahung mit Verneinung der zugehörigen Präsupposition - in jeder Formulierung - zu vereinen, vgl. im Hinblick auf (87)/(88) die Verbindung in (93): (93)

Hans löste das Problem/,das allerdings nicht schwierig war/,das für ihn nicht schwierig war/ ohne irgendwelche Mühen.

81 Einige meiner Beispiele und Überlegungen sind an Coleman (1975) orientiert, wo Variationen dieser Art erstmals für einige englische implikative Verben (manage, happen, fail) beschrieben sind. - Coleman selbst gibt allerdings die Einstufung des Phänomens als präsuppositional nicht a u f .

65

Das heißt: Auch hier sind assertierte Proposition und sogenannte 'Präsupposition1 gegenseitig unabhängige Bedeutungskomponenten des Gesamtsatzes. All dies spricht für eine Beschreibung, wie sie auch für die Partikeln vorgeschlagen wurde: Iinplikative Verben werden nicht als Auslöser von Präsuppositionen sondern von konventionellen Implikaturen aufgefaßt; entsprechend ist die logische Form bzw. die propositionale Repräsentation implikativer KonQJ

struktionen S mit der des jeweiligen Komplementsatzes S, identisch. Die m sog. 'Präsuppositionen' implikativer Verben sind somit auf jeden Fall mittels Klausel (67) (ii) aus der Klasse linguistisch relevanter Präsuppositionstypen ausgeschlossen. 1.3.3.7 Selektionsbeschränkungen und Topic/Fokus-Erscheinungen Bleiben noch Selektionsrestriktionen und die mit (Kontrast-)Fokus verbundenen Erscheinungen. Beide werden vom Negationskriterium her als präsuppositional ausgezeichnet; auch Definition (67) schließt sie nicht von vornherein bzw. ohne weiteres aus der Klasse der Präsuppositionen aus. Dennoch scheint es sich bei beiden um Phänomene ganz anderer, nicht-präsuppositionaler Art zu handeln. Selektionserscheinungen sind einerseits von vornherein vielfach rein pragmaQ·}

tischer Natur.

Selbst wenn prepositional formulierte Selektionsbeschränkun-

gen wie ( 9 3 ' ) den Test (67) für 1-semantische Präsuppositionen bestehen, ist ihre Gültigkeit in allen Kontexten nur durch die Tatsächlichkeit der Welt, nicht durch die Sprache bzw. die jeweiligen Prädikate garantiert. Andere Welten - sei es durch erneute Änderung des Wahlalters, sei es durch Fortschritte in Biologie und medizinischer Technik - sind durchaus vorstellbar; träumen und darüber in der gegebenen Sprache berichten - kann man von ihnen bereits jetzt, wobei unakzeptable Sätze wie ( 9 3 ) a ' f b 1 akzeptabel werden, vgl. ( 9 4 ) : (93)a.

Herbert wählte 1976 SPD.

a ' . *Der ABC-Schütze wählte 1976 SPD. a".

Viele Rentner wählten 1976 SPD.

82 Dies läuft auf den von Karttunen/Peters (1975) gemachten Beschreibungsvorschlag hinaus. - Ablehnend gegenüber einer präsuppositionalen Charakterisierung der fraglichen Erscheinung äußern sich - mit teilweise andersgelagerter Argumentation - auch Boer/Lycan ( 1 9 7 6 : 4 1 - 4 9 ) . 83 Zur pragmatischen Natur von Selektionserscheinungen siehe auch Blau (1973/74;1975/76:6off.).

66 b.

Friedl ist schwanger,

b ' . *Herr Meier ist schwanger, b". (931)

Frau Meier ist schwanger. Selektionsrestriktion für:

a.

a wählt (1976 SPD): a ist mindestens 18 Jahre

b.

a ist schwanger; a ist weiblichen Geschlechts.

(94)

alt.

Frau Schulze träumte, - der ABC-Schütze von nebenan habe SPD gewählt. - Herr Meier von nebenan sei schwanger.

Zweifellos gibt es darüber hinaus auch Selektionsbeschränkungen, die in der Sprache verankert sind, z. B. die für rüstig: (95)a. b.

Toni ist rüstig. Meine Großmutter ist rüstig.

c.

*Das Kind ist rüstig.

d.

*Der Karpfen ist rüstig.

(95')

Selektionsrestriktion für: a ist rüstig: a ist ein Mensch und a ist

alt.

Hier wäre die Unakzeptabilität von (95)c, d ebenso wie die putative Präsupposition (95') nur durch Änderung der Sprache, nicht durch Änderung der Welt zu beseitigen; dies zeigt sich auch darin, daß Sätze wie (95)c, d in Berichten über andere Welten nicht akzeptabler werden, vgl. (96): (96)

Hans bildete sich ein, - *sein Kind sei rüstig. - *der von ihm gekaufte Karpfen sei rüstig, wenngleich

alt.

Aber selbst dann scheint es besser, Selektionsrestriktionen als semantische Eigenscheinungen sui generis zu behandeln: Sie sind eher den syntaktischen Wohlgeformtheitsbedingungen für Sätze vergleichbar, als deren (präsuppositionalen) Sinnvoraussetzungen. Überdies gilt gerade bei nominalen Prädikaten, daß ihre selektionalen von den - assertionsrelevanten - inhärenten Bedeutungseigenschaften nicht sinnvoll trennbar sind, was dafür spricht, sie auch semantisch einheitlich zu behandeln. Weiterhin haben Verletzungen von SelektionsQC

84 Das heißt: ich sehe die sogenannten Selektionsbeschränkungen der Linguistik in Analogie zu den von der Typentheorie in der Logik festgelegten Wohlgeformtheitsbedingungen. - Zu einer etwas anderen gleichwohl nichtpräsuppositionalen Behandlung von Kategoriefehlem siehe Blau (1973/74;1975/76:61f.), 85 Siehe dazu Langendoen ( 1 9 7 1 ) ? Kempson (1975:4-7); Wilson (1975:Kap.4).

67

beschränkungen auch ganz andere Folgen für Interpretation und Interpretierbarkeit der betreffenden Äußerung als nichterfüllte Präsuppositionen.

Aus

diesen Gründen möchte ich sie aus der Klasse der Präsuppositionen und damit der weiteren Diskussion ausschließen. Ebenso schließe ich Topic/Fokus-Phänomene als nichtpräsuppositional aus; der Ausschluß dieses grammatisch ungleich interessanten Falles wird aber erst in Abschnitt 3.3, unter Rekurs auf (67), ausführlich gerechtfertigt. Zu den Ergebnissen von Abschnitt 1.3.3.1 bis 1.3.3.7 noch eine Nachbemerkung. Ausgehend von dem in (67) präzisierten Präsuppositionsbegriff wurden die meisten linguistisch als präsuppositional eingestuften Erscheinungen nicht als solche anerkannt; als Anwärter auf 1-semantischen Status verbleiben im Grunde nur noch die von termbildenden Ausdrücken und Prädikaten (in Sonderheit faktiven Prädikaten) ausgelösten Präsuppositionen. Es ist wichtig, diese Grenzziehung nicht mißzuverstehen: Sie besagt nicht, daß die ausgeschlossenen Phänomene weniger real oder linguistisch weniger relevant wären; daß ihre Beschreibung zudem mindestens ebenso große Probleme für die herkömmliche Semantik aufwirft wie die der Präsuppositionen i. e. S., ist offensichtlich.

Was

sie besagen soll, ist lediglich, rj^R es von den Fakten her - im Sinne eines linguistisch wie historisch gerechtfertigten Präsuppositionsbegriffs - von vornherein keinen begründeten Anlaß gibt, jene mit diesen Phänomenen zu einer natürlichen Klasse zusarmenzuordnen; dies erleichtert aufs Ganze gesehen die Argumentation. 1.3.4 Zur Problematik eines propositionsbezüglichen Präsuppositionsbegriffs Die letzten Abschnitte dienten dazu, einen Präsuppositionsbegriff zu präzisieren, der mit der These der linguistischen Relevanz von Präsuppositionen, siehe (16), im Einklang steht. Das Resultat dieser Bemühungen, zusammengefaßt in der Präsuppositionsdefinition (67), wird meines Erachtens sowohl dieser These als auch der daran anknüpfenden präsuppositionalen Theorie und linguistischen Praxis gerecht - so gut es überhaupt geht: Jede Präzisierung eines 1-semantischen bzw. linguistisch relevanten Präsuppositionsbegriffs läuft im Grunde auf (67) oder eine dazu äquivalente Formulierung hinaus. 86 Siehe dazu Ebert ( 1 9 7 3 : 4 3 5 f . ) , die Selektionsbeschränkungen ebenfalls als nichtpräsuppositional einstuft. 87 Zu einschlägigen Überlegungen siehe Wilson (1975:113ff.).

68

Dennoch ist dieser Präsuppositionsbegriff, noch bevor man die Frage seiner empirischen Relevanz stellt, nicht ohne präsuppositionsrelevante Probleme. Einige davon möchte ich jetzt unter dem Stichwort 'Proposition' erörtern. Teilweise scheinen sie von dem speziellen hier verwendeten Propositionsbegriff abhängig (siehe dazu 1.3.4.1); allerdings scheint es auch präsuppositionsrelevante Probleme und Erscheinungen zu geben, die von keinem Begriff von Proposition her sinnvoll angehbar sind (siehe 1.3.4.2, 1.3.4.3, 1.3.4.4). Eine mögliche Schlußfolgerung aus dieser dilemmatischen Situation wird in Abschnitt 1.4 skizziert. 1.3.4.1

Der hier verwendete Propositionsbegriff - das machte vor allem Ab-

schnitt 1.3.2 deutlich - ist der Searleschen Variante des Konzepts verpflichtet, die folgendes Zitat erhellt: (97)

Immer wenn zwei illokutionäre Akte die gleiche Referenz und Prädikation enthalten, vorausgesetzt, daß die Bedeutung des referierenden Ausdrucks je die gleiche ist, spreche ich davon, daß die gleiche Proposition ausgedrückt wird. (Searle 1969:29f.)

Dieser Propositionsbegriff hat den linguistisch wichtigen Vorteil, auf Satztypen jeder Art direkt anwendbar zu sein; wohingegen der sprachanalytische Wert der alternativen Propositionskonzepte - sei es als wahrheitswertfähige oder als assertierbare Gebilde u. a. 89 - zwar nicht prinzipiell aber de facto durchweg auf Aussagesätze beschränkt ist. Dieser Vorteil wurde in den hier vorgenommenen Präzisierungen des Präsuppositionsbegriffes ab ( 4 7 1 ) wesentlich genutzt. Dieser Propositionsbegriff hat aber auch präsuppositionsrelevante Nachteile, vor allem im Zusammenhang mit explizit performativen Sätzen. Nach Searle ist die Proposition eines Satzes wie (98)a nicht äquivalent mit der Proposition von (98)b, sondern mit der von (98)c. (98)a.

Ich, Herbert Meier, verspreche Ihnen, Herr Schulze, hiermit, morgen zu kommen.

b.

Herbert Meier verspricht Herrn Schulze, morgen zu kommen.

c.

Herbert Meier wird morgen kommen.

88 Das Zitat in meiner Übersetzung erhellt nur den wichtigen sprechakt-universalen Aspekt des Searleschen Propositionsbegriffs; eine Definition bietet es nicht, denn "gleiche Referenz und Prädikation 1 ist als Bedingung weder notwendig (man denke an Existenzpropositionen, siehe Searle 1969:29 Anm.) noch hinreichend (z. B. können Propositionen mit "gleicher Referenz und Prädikation 1 negiert oder unnegiert, damit verschieden sein, siehe auch u. Abschnitt 1 . 3 . 4 . 2 ) . 89 Siehe dazu etwa Rosenberg/Travis ( 1 9 7 1 : 2 1 9 f f . ) .

69

Entsprechend haben syntaktisch/semantisch nahestehende Sätze wie (98)a, b generell unterschiedliche propositionale Repräsentation, desgleichen selbstverständlich identische Sätze mit Subjekten in der 1. Person bei explizit performativem vs. konstativem (wie auch präsupponiertem) Vorkamen. So wenig nützlich dies generell unter linguistischen Gesichtspunkten sein mag, nach denen die propositionale Repräsentation eines Satzes dessen semantischen Gehalt vollständig explizieren sollte, - für die Präsuppositionsbetrachtung entsteht daraus in den meisten Fällen kein Nachteil. Nicht jedoch in allen Fällen, vgl. etwa (99): (99)a.

Ich danke Ihnen, Herr Meier, daß Sie Paul geholfen

haben.

b.

Danken Sie Herrn Meier d a f ü r , daß er Paul geholfen

hat!

c.

Paula dankt Herrn Meier d a f ü r , daß er Paul geholfen

hat.

In allen drei Sätzen wird, offensichtlich abhängig vom Prädikat danken, vom Sprecher als wahr vorausgesetzt, daß Herr Meier Paul geholfen hat. Dies Faktum läßt sich jedoch, bei explizit performativer Lesart von (99)a als Akt des Dankens, nicht überall gleich repräsentieren: Für (99)b, c ist der Komplementsatz definitionsgemäß Präsupposition, denn ihr Garant danken (bzw. dessen propositionales Pendant) ist Teil der sprechaktsensitiven Proposition. In (99)a hingegen ist danken illokutiver Indikator; der Komplementsatz allein drückt nach Searles Propositionsbegriff die sprechaktsensitive Proposition aus; rdaß Herr Meier Paul geholfen hat1 kann somit aus doppeltem Grund - wegen (54) und (59) - nicht Präsupposition von (99)a sein. Daß diese dennoch auch hier als wahr vorausgesetzt wird, muß als eigenständige Bedingung für den Sprechakt des Dankens wiedergegeben werden - wie es auch bei Searle (1969:67) geschieht. - Analoges gilt für die existentiellen und numerischen Voraussetzungen, die für die Terme des explizit performativen Matrixsatzes in gleicher Weise wie für die Terme in primär performativen Sätzen erfüllt sein müssen, jedoch unter Searles Propositionsbegriff als verschiedene Posten zu verbuchen sind: Im Falle (1oo)a sind (1o1)b - d nichterfüllte allgemeine Bedingungen des Glückens für Sprechakte, im Falle (1oo)b nichterfüllte Präsuppositionen. (loo)a.

b.

Wir, die Präsidenten der Vereinigten Staaten, befehlen hiermit Ihnen, den Königen der Bundesrepublik Deutschland, Mirage-Flugzeuge zu kaufen. Die Präsidenten der Vereinigten Staaten befahlen den Königen der Bundesrepublik Deutschland [am 2o. Mai 1975], Mirage-Flugzeuge zu kaufen.

70

(lol)a.

Es gibt einen Präsidenten der Vereinigten Staaten.

b.

Es gibt mehr als einen Präsidenten der Vereinigten Staaten.

c.

Es gibt einen König der Blinde s republik Deutschland.

d.

Es gibt mehr als einen König der Bundesrepublik Deutschland.

Dies ist zweifellos eine unliebsame Konsequenz; Abhilfe läßt sich jedoch nur in ihrerseits problematischer Weise schaffen: Revidiert man Searles Propositionsbegriff

in geeigneter Weise - dies könnte nur darauf hinauslaufen, 'Pro9o position' den Umfang von Austins "Lokution" zu geben -, kann er seinen ursprünglichen Zweck, das verschiedenen Sprechakten Gemeinsame auszudrücken, nicht mehr erfüllen. In Sonderheit bliebe die Akt-Identität von Paaren wie (1o2)a, b unrepräsentierbar; ebenso wäre das Präsuppositionskriterium (48) in komplizierter Weise tangiert. (Io2)a. b.

Ich fordere Sie hiermit auf, den Saal zu verlassen, Verlassen Sie den Saal!

Schließt man hingegen, alternativ, die störenden Fälle mittels einer Zusatzbestimmung wie (1o4) - diese auf Prinzip (1o3) beruhend - aus, läßt sich der Searlesche Propositionsbegriff

zwar beibehalten. Gleichzeitig wären jedoch

präsuppositionale 'Stellvertreter-Analysen1 wieder zugelassen, die mit dessen 91 Adoption bzw. mit (48)/(49) vermieden werden sollten. (103)

Ist ein mit Äußerung eines explizit performativen Satzes S vollziehbarer Sprechakt Sp. geglückt, dann ist ein Satz S ' , der vollständig über dieses Sprechaktvorkommnis von Sp. berichtet - d. h. S ' sei die konstative Entsprechung von S -, wahr,

(104)

Wenn P Präsupposition einer konstativen Entsprechung S ' von S dann ist P auch Präsupposition von S .

ist,

Eine letzte Möglichkeit wäre, linguistische Mittel, seien es Lexeme oder Konstruktionsmuster bzw. deren 'Bedeutung', direkt als präsupponierende Größen zuzulassen; dann könnten die Probleme mit der vermittelnden Größe 'Proposition' gar nicht entstehen. Diese Alternative ist jedoch in allen orthodoxen 92 Explikationen des Präsuppositionsbegriffs undenkbar. 90 Siehe dazu Austin (1962;1972:8.Vorlesung). 91 Man beachte, daß alle Präsuppositionsbegriffe von zu (63) und (64) analogen Prinzipien Gebrauch machen müssen, um den unerläßlichen Hilfsbegriff 'deklarative Entsprechung von Sj_' so festzulegen, daß die erwähnten Schwierigkeiten für Sj_ (= explizit performativer Satz) nicht entstehen. 92 Entsprechende Redeweisen sind geradezu verpönt; vgl. etwa Karttunen (1971b: Anm.6).

71

1.3.4.2 Eine performativen Verben vergleichbare Doppelrolle spielt unter dem Searleschen Propositionsbegriff die Negation. In (1o5), (1o6) muß die Verneinung sinnvoll als illokutiver Indikator für die Akte des Bestreitens, bzw. der Weigerung interpretiert werden; in Fällen wie (1o7) und (1o8) hingegen kann sie nur Teil der Proposition sein, denn bei (1o7) handelt es sich um Sprechakte des Behauptens bzw. Befehlens; bei (1o8) tritt die Negation innerhalb einer versprachlichten Präsupposition auf, die ja definitionsgemäß keinen illokutiven Indikator enthalten kann. (105)

[Als Reaktion auf die Behauptung: Herbert ist pumperlgesund]: ( N e i n ) , Herbert ist nicht gesund.

(106)

[Als Reaktion auf den Befehl: Gib die Schlüssel her!]: Nein, ich gebe die Schlüssel nicht her.

(Io7)a.

[Als Fortsetzung eines Berichts wie: Gestern hab ich Herbert getroffen. Der sah ganz blaß aus und klagte über Schlaflosigkeit. Also, wenn du meine Meinung wissen willst:] Herbert ist nicht gesund,

b. (loB)

Rühr dich nicht vom Fleck! Bei dieser Erbmasse verstört es Fritz schon, daß Herbert nicht gesund ist.

An diesem Befund soll uns nicht so sehr stören, daß der im wesentlichen gleiche (Teil-)Satz Herbert ist nicht gesund unter dem Searleschen Propositionsbegriff gegensätzliche Propositionen ausdrücken kann, vgl. (98); denn wenn man Zusatzpostulate wie (1o9) einbezieht, bleibt dies im Vergleich zu anderen Propositionsbegriffen ohne jede nachteilige Konsequenz: (Io9)

Wer den Akt des Bestreitens r daß vollzieht, ist dazu verpflichtet rdaß für wahr zu halten, d. h, er muß zum Akt des Behauptens daß bereit sein, und umgekehrt.

Was vielmehr stört, ist dieses: Da die Vorkommnisse der starken Negation nur zum Teil illokutiv behandelt werden dürfen (siehe oben), findet das einheitliche konstante Verhalten von Präsuppositionen unter starker Negation vom Präsuppositionskriterium (48) her keine Erklärung. Vergleichbares gilt für modale Abwandlungen, die Präsuppositionen unberührt lassen, aber ebenfalls 93 (Io9) ist praktisch das illokutionäre Äquivalent zu den in (3) formulierten Beziehungen zwischen Wahrheitswert und Negation, wie sie für jede Aussagenlogik verbindlich sind. Die Nähe beider Formulierungen wird sehr schön deutlich in Frege (1918/19).

72

nur partiell vom Kriterium 'Unbetroffenheit von illokutionärer Abwandlung1 94 subsumier- und damit erklärbar sind. Umgekehrt wiederum ist es nicht möglich, ausgehend von der Konstanz der Präsuppositionen von S unter negativer und modaler Abwandlung von S, ihre Unbetroffenheit auch unter illokutionärer Abwandlung von S vorherzusagen. Bei der Konvergenz der Ergebnisse, die die Anwendung dieser Kriterien erbringt, ist dieser Zustand prinzipiell unbefriedigend. Auch hier scheint Abhilfe nur möglich, wenn man sich gleich direkt auf die sprachlichen 'präsuppositionsgarantierenden' Mittel bezieht, alle Kriterien sozusagen 'negativ1 vereinheitlicht: Der Gebrauch von Präsuppositionsgaranten G. (außerhalb allgemein nichtpräsuppositionaler Kontexte, siehe Abschnitt 2.2) löst Präsuppositionen P. aus, gleichgültig wie der sprachliche (Satz)Kontext von G. sonst noch beschaffen ist. Wie leicht einsehbar, bleibt jedoch diese Vereinheitlichung solange rein verbal, als man an 'Proposition' als der eigentlichen Vermittlungs- bzw. Bezugsgröße des Präsuppositionsbegriffs festhält. Damit ist auch dieser Ausweg in den orthodoxen Behandlungen des Präsuppositionsproblems ausgeschlossen. 1.3.4.3

Problematisch sind auch Sätze der folgenden Art:

(llo)a.

Hurrah for Manchester United.

b.

Down with Caesar.

c.

Na warte, Bürschchen.

d.

Ach du immer mit deinen Enkelkindern.

e.

Ein Hoch auf den Jubilar!

f.

Jetzt aber weg mit den Büchern!

g.

Diese verdammte Habilitation!

h.

Und das ausgerechnet ihm!

Diese Sätze enthalten sämtlich referentielle Ausdrücke; von diesen werden nach intuitivem Eindruck die gleichen Präsuppositionen ausgelöst wie sonst, etwa in deklarativen Sätzen, auch. So präsupponiert etwa (11o)a, e die Existenz und Einzigkeit bzw. eindeutige Identifizierbarkeit des Denotats von Manchester United, Jubilar; (11o)d, h etwa die Existenz und Pluralität der Referenten von Enkelkinder, ihn etc. Aber diese Präsuppositionen sind von keinem Propositions- oder Präsuppositionsbegriff her analytisch zugänglich: 94 Dies ändert nichts an der 'quantitativen 1 Überlegenheit des Präsuppositionskriteriums (48) bezüglich der adäquaten Erfassung intuitiv eindeutig (nicht)präsuppositionaler Fälle, wie sich vor allem an komplexen Konstruktionen zeigte.

73

Vom Searleschen Propositionsbegriff her nicht, weil Sätze wie (11o) zwar illokutive Kraft, aber keine (vollständige) Prädikation bzw. Referenz und damit

keine Proposition haben; 95 erst recht nicht von ändern Propositionsbegriffen aus, weil es auf Grund der gleichen Unvollständigkeit keine korrespondierenden wahrheitswertfähigen Sätze, - Deklarativsätze - zu (11o)a-h gibt. Damit werden auch die einschlägigen Präsuppositionskriterien sämtlich unanwendbar: Das Negationskriterium fällt aus, da die Sätze (11o)a-h sich als solche nicht akzeptabel negieren lassen, die stellvertretend überprüfbaren Deklarativsätze aber wie gesagt fehlen; Vergleichbares gilt vom Kriterium 'Konstanz unter modaler Variation1. Ebensowenig hilfreich wäre ein Einbettungskriterium: (11o)a-h lassen sich nicht direkt einbetten; und auf Grund der unvollständigen Proposition gibt es auch keine einbettbaren Paraphrasen. Schließlich versagt auch das Kriterium "Konstanz unter illokutionärer Abwandlung1 , vgl. (48), da es streng genommen überhaupt keine rein illokutionaren Abwandlungen zu Sätzen wie (11o)a-h gibt. Was man jedoch immerhin von (48)/(49) her sagen kann, ist, daß die fraglichen referentiellen Ausdrücke nicht zu den illokutiven Indikatoren gehören. Bei ihrer Abwandlung ändert sich die illokutive Kraft von (11o)a-h nicht. Bei Sätzen wie (11o)a-h läßt sich also in keiner Weise mehr davon sprechen, daß sie via die Propositionen präsupponieren, die sie mitausdrücken: Sie präsupponieren direkt via die sprachlichen Präsuppositionsgaranten, die sie enthalten. Daß diese die eigentlichen Bezugsgrößen sind, kann man selbst den 'propositionsfreundlichsten' Formulierungen des Prinzips entnehmen, das die 95 Siehe Searle (1969:31.Anm.); daraus auch die Sätze ( l l o ) a , b. 96 Dagegen läßt sich nicht einwenden, daß man im einen oder ändern präsuppcsitionsrelevanten Fall plausible, prepositional vollständige Paraphrasen zum Ausgangssatz, und darauf bezogen auch einen korrespondierenden Deklarativsatz finden kann, - dies geht sicher. Entscheidend ist jedoch, (a) daß eine solche Paraphrasenroöglichkeit weder generell garantiert werden kann, noch als systematische gegeben ist - in dem Sinne, daß man entsprechende 'Tiefenstrukturen' mittels linguistisch unabhängig gerechtfertigter Operationen in die gegebenen Oberflächenstrukturen überführen könnte; (b) daß man auch abgesehen von diesen präsuppositionsrelevanten Fällen, bereits die Existenz propositionsloser Äußerungen anzuerkennen hat, vgl. Pst, hm, ätsch!, eben drum!,na also etc., für die keinerlei Hoffnung besteht, (a) je erfüllen zu können. - Siehe auch die hierzu einschlägige Diskussion von Savignys (1969;1974:158-161).

74

Zuweisung der Präsuppositionen zu Sätzen wie (11o)a-h regelt, vgl. etwa (111): (111)

Sätze S mit unvollständiger Proposition erhalten ihre Präsuppositionen P j ... P in Analogie zu S entsprechenden Sätzen S 1 mit vollständiger Proposition zugewiesen.

Denn die Basis von 'Analogie' bzw. 'Entsprechung' müssen in jedem Fall die S und S 1 gemeinsamen Präsuppositionsgareuiten £:ein. Sätze wie (11o)a-h sind keine kommunikativen Randerscheinungen. Insofern sind sie signifikante Gegenargumente gegen die durchweg (wenngleich in unterschiedschiedlicher Form) benötigte Voraussetzung, daß es zu jedem Satz S. andere illokutive Entsprechungen, insbesondere deklarative Entsprechungen gibt. Ihnen kann nur durch eine Aufweichung des 'Entsprechungsbegriffs' in der Art von (111) begegnet werden. - Es sei darauf hingewiesen, daß auch die zweite überall irgendwie benötigte Voraussetzung (siehe o. Abschnitt 1.3.2.3) - die der Konstanz der Präsuppositionen unter illokutionärer Abwandlung - möglicherweise nicht durchweg gilt. Der dabei kritische Fall sind Satzgliedfragen: Auch ihnen ist von vornherein keine Proposition, sondern nur eine propositionale Funktion zuzuordnen, was auch die eindeutige Zuordnung einer deklarativen Entsprechung erschwert. Im Grunde kommen dafür drei Möglichkeiten in Frage: (a) Berichte über den mit Satzgliedfragen wie (112) vollzogenen illokutiven Akt, vgl. (113)a; (b) deklarative Sätze mit einem dem w-Pronomen entsprechenden Indefinitpronomen, vgl. (113)b; (c) jede natürliche Antwort auf die betreffende Satzgliedfrage, vgl. etwa (113)c, c': (112)

Wer hat Paul geschlagen?

(l 13)a.

Peter fragt, wer Paul geschlagen hat.

b.

Jemand hat Paul geschlagen. [Vgl. auch umgangssprachlich:]

b'.

Es hat wer Paul geschlagen.

c.

Paula hat Paul geschlagen.

1

c .

Niemand hat Paul geschlagen.

Keine dieser Möglichkeiten ist jedoch in der entscheidenden Hinsicht problemlos: (113)a kann mit (112) von vornherein nicht präsuppositionsgleich sein, weil fragen als Verbum Dicendi alle 1-semantischen Präsuppositionen des eingebetteten Satzes blockiert (siehe u. Abschnitt 2.2.1); diese könnten damit allenfalls k-pragmatisch präsupponiert sein. (113)b hingegen, syntaktisch die natürlichste deklarative Entsprechung, unterscheidet sich von (112) bei Gleichheit aller sonstigen Präsuppositionen dadurch, daß (112) die Existenzproposi-

75

tion (113}b möglicherweise 1-semantisch, auf jeden Fall aber vielfach k-pragmatisch zu präsupponieren scheint, (113)b sich selbst jedoch natürlich nur impliziert. Parallel dazu haben die normalen Antworten auf (112) in diesem Punkt unterschiedliche Präsuppositionen: (113)c präsupponiert die Existenzproposition (113)b, (113)c* hingegen verneint sie explizit; eine sichere Intuition darüber, ob (113)c' eine weniger natürliche

und damit vernachläs-

sigbare Antwort sei als präsupponierende Antworten wie (113)c', gibt es nicht. - Irrmerhin sind jedoch in diesem Fall empirische Entscheidungs- und damit auch Auswegmöglichkeiten gegeben, gleichgültig ob man sie bezogen auf Entsprechungen nach (b) oder (c) oder auf Frage-Antwortpaare als neue Kategorie 97 wahrheitswertfähiger Gebilde formuliert. Einen vergleichbaren systematischen Ausweg aus der ersten, mit Sätzen wie (11o)a-h verknüpften Schwierigkeit sehe ich hingegen nicht. 1.3.4.4

Mit präsuppositionsrelevanten Schwierigkeiten ist es damit noch

nicht zu Ende: Es gibt auch Fälle, in denen auf Präsuppositionsgaranten kein Verlaß ist. (114)a.

Einen davon illustrieren Sätze wie (114): Daß Fritz diese Tortur überhaupt aushält.

b.

Daß Hans aber auch nie seinen Mund halten kann.

c.

Daß hier alles so ruhig

d.

Daß Ihr Euch nicht einmal schämt.

ist.

Mit Sätzen dieser Art, deren Selbständigkeit sich auch intonatorisch ausprägt, 97 Welche Entscheidung zu treffen sei - ob für oder gegen den Ansatz einer mit dem w-Term verbundenen Existenzpräsupposition und entsprechend ob gegen Sätze wie (113)b als natürliche deklarative Pendants und gegen Sätze wie (113)c 1 als natürliche Antwort oder jeweils dafür - ist umstritten: Die erste Ansicht wird etwa vertreten von Keenan/Hull (1973); gegen diese Mehrheitsmeinung wenden sich neuerdings Wunderlich (1976b) ; Hausser/Zaefferer (1976), allerdings mit sehr schmaler empirischer Basis. Im Hinblick auf die Gesamtargumentation dieser Arbeit ist es wichtig, zu betonen, daß die zweite Auffassung die definitiv richtige ist, wofür ich zwei Argumente nachtragen möchte: (a) Rhetorische Fragen wie Her will das schon? sind nur pragmatische Varianten normaler Satzgliedfragen - mit gleicher Semantik -, ihre einzig natürliche Antwort ist aber die präsuppositionslose niemand-Antwort; dies ist von Keenan/Hulls Auffassung her überhaupt nicht beschreibbar, wohl aber von der zweiten Position her. (b) Es gibt pragmatisch abgrenzbare Kontexte, in denen Satzgliedfragen eindeutig nicht die fragliche Existenzproposition präsupponieren, z. B. Polizeiaufrufe der Art: Wer hat gestern den blauen VW vor dem Bankgebäude Ziemenstraße gesehen?, wo die Polizei allenfalls hofft, aber nicht voraussetzt, daß es einen Zeugen gibt. - In anderen Worten: Konfigurationen mit w-Termen sind keine Präsuppositionsgaranten; die korrespondierende Existenzpräsupposition wird entsprechend, wo sie auftaucht, nur k-pragmatisch präsupponiert.

76

werden 'kcmnantierende1 Sprechakte vollzogen, wobei Kontext, propositionaler Gehalt, oft auch begleitende Gestik (2.. B. Kopf schütteln bei (114)b, d) zur Vereindeutigung des Kotmentars - in Richtung Verwunderung, Tadel, Vorwurf beitragen kann. In ihrem semantischen Gehalt, wie in ihrer illokutionären Geltung sind sie am ehesten Sätzen wie (115) vergleichbar: (115)a.

(Es ist/ich finde es) unfaßlich,

daß Fritz diese Tortur aushält.

b.

(Es ist/ich finde es) zu dumm, daß Hans nie seinen Mund halten kann.

c.

(Es ist/ich finde es) merkwürdig, daß hier alles so ruhig ist.

d.

(Es ist/ich finde es) unglaublich, daß ihr euch nicht einmal schämt.

d1.

Daß ihr euch nicht einmal schämt, (ist) unerhört.

Zur Bestätigung dieser Vergleichbarkeit bietet sich z. B. die im wesentlichen gleichartige Verteilung gegenüber zitat-'einleitenden' und '-ausleitenden' Verben an: So kann sowohl ein Zitat von (114)b wie (115)b gefolgt werden von ... ärgerte sich/beklagte Hinz, nicht aber von ... fragte/wünschte/vermutete/ empfahl/warnte Hinz. Ebenso sind die akzeptablen wie unakzeptablen Reaktionen auf Sätze wie (114) und (115) gleich; beispielsweise sind Nein, Ja, Recht so, Iah denk nicht dran gleichermaßen unnatürliche Reaktionen. Parallel sind (114) und (115) aber auch dahingehend, daß die van daß-Satz ausgedrückte Proposition als wahr vorausgesetzt wird. Daß es sich um eine 'Presupposition1 im üblichen Sinn handelt, läßt sich bei (115) leicht zeigen: Sie bleibt von illokutionärer Abwandlung bzw. Negation der unverkürzten (damit deklarativ abgewandelten) Sätze unbetroffen; einschlägige Präsuppositionsgaranten - faktive Prädikate - sind jeweils vorhanden. (114) hingegen ist illokutionärer Abwandlung nicht fähig; auch Negierbarkeit fällt, da unmittelbar auf die putative Präsupposition selbst anzuwenden, als sicheres Kriterium aus (siehe o. Abschnitt 1.3.2.3). Dennoch besteht intuitive Sicherheit darüber, daß der Status der doß-Sätze in (114) und (115) von gleicher Art ist. Dies bestätigt sich wieder an der identischen Wirkung bestimmter Reaktionen: Auf (114)c und (115)c mit Aber es ist hier doch furchtbar laut, Sag mal, biet du schwerhörig zu reagieren, bedeutet in gleicher Weise Protest gegen die als wahr vorausgesetzte Proposition; Dialog-Fortsetzungen von (114)a und (115)a wie: Ja, da bin ich auch ganz baff, Finden Sie das wirklich so erstaunlich?, Er hat halt gute Nerven lassen die fragliche doß-Proposition gleichermaßen intakt. Es läßt sich also mit einigem Recht sagen: Die von den Sätzen (114)a-d je ausgedrückten Propositionen werden bei Äußerung von (114)a-d je präsupponiert.

77

Dieser Befund schafft jedoch für alle gängigen Explikationen des Präsuppositionsbegriffs ein neues Problem: Nicht nur ist keine Proposition explizit versprachlicht vorhanden, von der die Präsuppositionen je abhängen könnten; anders als bei dem in Abschnitt 1.3.4.3 behandelten Fall ist auch kein sprachlicher Präsuppositionsgarant - gleichgültig, ob gleichzeitig illokutiver Indikator oder nicht - für die fragliche Präsupposition vorhanden. Daß es sich eindeutigerweise um k-pragmatische Präsuppositionen handelte - womit das propositionale Repräsentationsproblem entfiele - steht dabei zunächst nicht zu hoffen: Jeder der Sätze (114)a-d ist durch das Zusantnenwirken lexikalischer, konstruktioneller und intonatorischer Mittel ebenso faktiv festgelegt wie sonst eingebettete daß-Sätze durch die faktiven Prädikate; das heißt unter anderem, (114)a-d sind nichtpräsuppositionalen Interpretationen, wie sie folgende (ebenfalls durch Partikel etc. vereindeutigte) selbständige daß-sätze illustrieren, nicht zugänglich. (l 16)a.

Daß ihr mir keinen Unsinn macht, Kinder!

b.

Daß ihr ja nicht zuviel Kuchen eßt!

c.

Daß ihr bloß nie den Mund haltet!

Kontextvariabel an (116) ist nur der spezielle affektive Kommentar, der mit (116)a-c je vollzogen wird; die Präsupponiertheit der doß-Proposition bleibt konstant. Was tun?

Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten:

Erstens: Man postuliert einen zugrundeliegenden, primär performativen Hyper98 satz, der je ein faktives, affektives Prädikat enthält, dazu (fakultativ anwendbare?) Tilgungsregeln, die Oberflächenstrukturen wie (114)a-d herleiten. Diesen Ausweg legt die syntaktische 'Nebensatzgestalt1 von (114)a-d wie auch der Vergleich mit (115) nahe; methodisch unbedenklich ist er dennoch nicht, selbst wenn man syntaktische oder sonstige Tiefenstrukturen nicht prinzipiell ablehnt: Erstens wäre es sehr schwer, eine eindeutige Form des Hypersatzes, in Sonderheit ein zweckmäßiges Prädikat als zugrundeliegend zu rechtfertigen. Wieviele Kandidaten dabei kontextabhängig zu berücksichtigen wären, deuten berichtende Wiedergaben eines Satzes wie (114)brecht gut an, vgl. (117) : (117)

"Daß Hans auch nie seinen Mund hält", a.

sagte Meier

verzweifelt.

98 Siehe dazu auch u. Abschnitt 3.2.3.3; dort werden Exklamativkonstruktionen mit w-Komplementen diskutiert, die eine ganz ähnliche Problematik aufweisen

78 b.

sagte Meier kopfschüttelnd

und stirnrunzelnd.

c.

tadelte Meier.

d.

sagte Meier voller Kritik/kritisierte Meier.

e.

sagte Meier bestürzt.

f.

sagte Meier voller Bewunderung.

g.

sagte Meier. Das gleiche hatte Müller auszusetzen.

h.

sagte Meier. Auch Müller war erstaunt/verwundert/voller Begeisterung.

Setzt man die zugrundeliegenden Prädikate jedoch je nach kontextgebundener Paraphrasemöglichkeit an, gelten Sätze wie (114) damit fälschlich als sprachlich vielfach ambig, obwohl sie in bezug auf die fraglichen Differenzierungen eher vage sind. Postuliert man jedoch, diesem Rechnung tragend, ein einheitliches abstraktes, nur als [+faktiv, +affektiv] spezifiziertes Prädikat, fehlt dafür der unabhängige sprachliche Existenzbeweis, ohne den solche Ansätze bloße Kunstgriffe ohne empirischen Erklärungswert bleiben. Zweitens bliebe von einer solchen Tiefenstruktur her noch immer unerklärt (bzw. nur mittels komplizierter gegenseitiger Ordnung der einschlägigen Operationen zu klären) , weshalb nur in den selbständig vorkommenden -|C; A ' 2 » C.

(44)a und ( 4 4 ) b sind,Paraphrasen voneinander auf jeden Fall dahingehend äquivalent, daß intuitiv weder die faktive Präsupposition A_ von B noch die Präsupposition C des jeweiligen zweiten Teilsatzes des ersten Konjunkts (und auch von B) dem Gesamtsatz erhalten bleibt. Die entsprechenden Wahrheitstafeln weisen jedoch aus, daß C auf jeden Fall Einfluß auf den Gesamtwahrheitswert im relevanten Sinne nehmen kann, vgl. für die konjunktive Interpretation (45)b, d, für die adjunktive Repräsentation ( 4 5 ' ) d . Da C auch Präsupposition von A 2 ist, nimmt auch diese Präsupposition bei Scheitern von C mittelbar Einfluß auf den Gesamtwahrheitswert; unabhängig von C tut sie es bei adjunktiver Repräsentation, wo Falschheit von A„ im Gesamtwert u resultieren kann,

118 vgl. ( 4 5 ' ) a , c. Und damit wären beide Explikationsmöglichkeiten im Hinblick auf das Filter-Problem als inadäquat disqualifiziert, bzw. Haussers FilterPrinzip, das in keiner Explikation der fraglichen Sätze mit deren Präsuppositionsverhältnissen zu Rande kommt.

(45)

C

A

a.

w

f

b.

f

u

c.

f

d.

2

A

l

A(A I

B

A2)

A

u

f

f

W

u

U

U

u

f

u

f

f

f

u

u

u

u

U

C

A

A

a.

w

f

w

f

u

W

U

b.

w

f

f

f

u

f

f

c.

w

f

u

f

u

u

u

d.

f

u

u

W

u

w

u

(45')

2

*2

A

'i

B

A C A ^ N, A ' 2 )

A /N B

Es ist klar, daß die für die Inadäquatheit beweisenden Wahrheitswertkonstel1 lationen zum Teil davon abhängen, daß A l' A 2 , A ' l f A 2 weitgehend unabhängig voneinander interpretiert wurden. Ebenso klar scheint mir jedoch, daß auch bei Wechsel zu einem modallogischen Rahmen, in dem die wahrheitsfunktionalen Bezüge zwischen 1 Möglichkeit, daß p1 und'Tatsächlichkeit, daß p" analysiert wären, diese Fälle nicht vollständig verschwinden: (45)b wie ( 4 5 ' ) d scheinen auf jeden Fall resistent. Damit bliebe Haussers Filter-Prinzip auch in diesem Rahmen insofern inadäquat, als es inkorrekterweise den Erhalt der Präsupposition C - unter jeder halbwegs plausiblen Explikation von ( 4 4 ) a , b vorhersagt. Fazit des Exkurses: Haussers Anspruch, das sog. Projektionsproblem semantisch gelöst zu haben, hat sich meines Brachtens als ungerechtfertigt erwiesen. Aus dem Verhalten von Präsuppositionen in Filter-Kontexten ergibt sich somit kein überzeugendes Argument für die 1-semantische Position. Eher haben sich deutliche Anzeichen für die nur pragmatische Abgrenzbarkeit der verschiedenen Filter-Kontexte ergeben: Nicht die 1-semantische Form von Sätzen S scheint für das Filterverhalten der Präsuppositionen von S entscheidend, sondern die Äußerung von S im Kontext K. , bzw. als was die Äußerung von S im Kontext. K^ gilt. Daß dies es nicht aussichtslos erscheinen läßt, auch die Lösung des Projektionsproblems auf pragmatischer Ebene zu suchen, sei abschließend vermerkt; gründliche Untersuchungen hierzu stehen freilich noch aus. 17 Beispielsweise ließen sich Erklärungen wie die in Abschnitt 2 . 2 . 3 für undund wenn-dann-Filtern angedeutete als 'Filterbedingungen 1 präzisieren: "Was bei Äußerung von S behauptet oder als Annahme eingeführt wird (sei es direkt oder indirekt erschließbar),kann bei der gleichen Äußerung nicht präsupponiert sein", o. ä. Eine vollständige pragmatische Erklärung für das Ausbleiben von Präsuppositionen in Deliberationen (Abwägen alternativer Erklärungen für einen Sachverhalt) habe ich allerdings noch nicht.

119

2.2.5 'Weltschaffende1 Kontexte Zu betrachten ist im Zusammenhang dieses Abschnitts auch der Einfluß weltschaffender Ausdrücke bzw. von Verben der propositionalen Einstellung wie glauben, wünschen, träumen, sich einbilden, dazu suchen (nach) u. ä. auf die präsuppositionalen Eigenschaften von Sätzen. Ob diese allgemein nichtpräsuppositionale Kontexte bilden oder nicht, ist umstritten. Nach Morgans (1969: 379ff.) und Keenans (1971:48) Auffassung etwa präsupponieren Sätze, wenn unter solchen Verben eingebettet, in genau der üblichen Weise: Sofern sie definite Kennzeichnungen enthalten, haben sie die entsprechenden Existenz- und numerischen Präsuppositionen; enthalten sie faktive Prädikate, haben sie die entsprechende faktive Präsupposition, es sei denn, die entsprechenden Propositionen werden explizit als in der betreffenden Welt geltend eingeführt. Nach dieser Auffassung wird etwa (46)c von Satz (46)a als ganzem präsupponiert, nicht aber von Satz (46)b, wo (46)c explizit als in der Traum- bzw. Glaubenswert des Subjekts eingeführt gilt: (46)a.

Hinz träumt/glaubt, daß die Schwester von Kunz ihn heiraten möchte.

b.

Hinz träumt/glaubt, daß Kunz eine Schwester hat Schwester von Kunz] ihn heiraten möchte.

c.

Kunz hat eine Schwester.

und diese [= die

Ein Satz wie (46)a gilt also bei Falschheit von (46)c weder als wahr noch als falsch, als 'sinnlos1; ein Satz wie (46)b hingegen kann trotz Falschheit von (46)c weiterhin wahr sein. - Nach Karttunen (1973a : 188ff.) und Hausser (1976:277f.) hingegen sind solche Kontexte prinzipiell nichtpräsuppositional, anders ausgedrückt: Weltschaffende Matrix-Prädikate gelten als 'plugs' für die Präsuppositionen der darunter eingebetteten Sätze. Daraus folgt, daß Sätze wie (46)a selbst dann als bivalent betrachtet werden - zumindest in einer Lesart -, wenn (46)c falsch ist. Die vielen Fälle, in denen definite Ausdrücke, faktive Prädikate etc. gleichwohl mit ihren charakteristischen Präsuppositionen vorkamen, müssen entsprechend als 'k-pragmatische' Phänomene behandelt werden; daraus ergeben sich natürlich von vornherein ähnliche Probleme wie bei den Zitat-Kontexten (vgl. Abschnitt 2.2.1). Welche dieser Auffassungen richtig ist, braucht hier nicht entschieden zu 18 werden - einschlägige Abgrenzungsprobleme ergeben sich für Glaubens-Sätze 18 Die Intuitionen über die Präsuppositionsverhältnisse bei Sätzen wie (46)a sind offenbar sehr unterschiedlich, vgl. dazu Karttunen (1973a:188ff.).

120

wie (47) auf jeden Fall: (47)a.

b.

Hans (, der arme Idiot,) glaubt/bildet sich ein/wähnt irrwitzigerweise, daß er verheiratet ist, und er schildert seine Gattin dem Psychiater in glühendsten Farben. Hans hat eine Frau.

Das zweite Konjunkt von (47)a präsupponiert für sich genommen (47)b, ausgelöst durch die definite Kennzeichnung seine Gattin. (47)a als Gesamtsatz hingegen präsupponiert

(47)b nicht - ohne daß sich dies durch die auf (47)a zu-

treffende uraf-Filterbedingung bzw. in Analogie zu (46)b oder durch die Ein19 stufung weltschaffender Matrix-Prädikate als 'plugs' erklären ließe: Denn weder ist im ersten Konjunkt von (47)a die in (47)b ausgedrückte Proposition behauptet (der Sprecher drückt sogar Zweifel aus, daß sie wahr ist), noch ist das zweite Konjunkt im syntaktischen Skopus eines weltschaffenden Ausdrucks bzw. modalen Operators und damit sprachlich auch nicht der Glaubenswelt des Antecedens-Subjektes zugeordnet. Das heißt: Will man für die zur Bildung definiter Terme eingesetzten sprachlichen Mittel den Status 'Präsuppositionsgarant1, für (47)b die Einstufung als '1-semantische Präsupposition1 retten, müssen auch Kontexte wie (47)a abgesondert und als 'irrelevant' ausgeschlossen werden. Eine gewisse Berechtigung für dieses Verfahren ergibt sich daraus, daß auch die üblichen Präsuppositionsgarantien anderer sprachlicher Mittel in mit (47) vergleichbaren Verwendungen nichtig sein können, vgl.

(48): (48)a.

Hans bildet sich ein, daß [es Argumente für syntaktische Tiefenstrukturen gibt], und freut sich mächtig darüber..

Die Karttunensche Position scheint allerdings weniger von abweichenden Intuitionen als davon bestimmt, daß sich seines Erachtens anders als durch Einstufung aller Verben der propositionalen Einstellung als 'plugs' die Präsuppositionssuspension in Sätzen wie (48)e (der Karttunens Beispiel (42) nachgebildet ist) nicht erklären läßt. Daß diese Annahme nicht notwendig ist, hat Schiebe (1975:37ff.) gezeigt; daß sie zur Erklärung aller einschlägig vergleichbaren Fälle nicht hinreicht, wird aus der unmittelbar folgenden Diskussion von ( 4 7 ) f f . hervorgehen. - Im übrigen ist es nur auf den ersten Blick ein Argument für die 'nichtpräsuppositionale' Auffassung, daß es klare Fälle wie die ausnahmslos nichtfaktiv zu lesende Konstruktion glaubt zu wissen, daß p gibt. Auf den zweiten Blick spricht m. E. alles dafür, das Ausbleiben der faktiven Präsupposition als Sonderfall (e-pragmatisch zu rekonstruieren aus dem Zusammenwirken der spezifischen assertierbaren Bedeutung von glauben und wissen unter Rekurs auf die Grice'schen Konversationsmaximen) zu erklären (vgl. auch Abschnitt 2 . 4 . 1 ) . Zu einem weiteren Sonderfall (some vs. the) siehe Abschnitt 2 . 3 . 5 . 3 . 19 Vgl. dazu auch Reis ( 1 9 7 4 a : 5 4 7 f f . ) .

121 b.

Für Hans folgt aus Meyers Daten, daß [Regelordnung doch ein empirisch sinnvolles Konzept ist]., und das. bedrückt ihn sehr/und das. stört sein wissenschaftliches Weltbild enorm.

c.

Hans bildet sich ein, daß [seine Frau ihn betrogen hat]. und hat Angst, daß es, seine Familie erfährt/und kann es. ihr nicht vergessen.

d.

Hans hat das unsinnige Gefühl, daß er betrogen wurde, und tut nun alles, um nicht wieder betrogen zu werden.

e.

Hinz ist in dem Wahn befangen, daß Kunz früher seine Frau schlug, hofft/meint aber, daß er zwischenzeitlich damit aufgehört hat, sie zu schlagen.

Die Abgrenzung dieser Kontexte ist allerdings auf rein sprachlicher Basis nicht zu leisten: Erstens lösen nur unnegierte Glaubensprädikate im ersten Konjunkt den von (46) und (47) illustrierten Präsuppositions-Löschungseffekt aus, nicht aber Matrixverben wie träumen, hoffen,

wünschen oder inhärent ne-

gative Verben wie zweifeln. Zweitens muß das glaubende Subjekt des ersten Kbnjunkts im zweiten Konjunkt, und zwar in maßgeblicher Position, gewöhnlich als Agens oder 'Experiencer', auftreten, ohne daß sich diese Vorkommensbedingung klar oberflächensyntaktisch, ohne weitgreifende Toleranz für semantische oder syntaktische 'Umformungen' fassen ließe, vgl. etwa die zum zweiten Konjunkt in (47)a alternativen Fortsetzungen in (49), die sämtliche - im Gegensatz zu (inkonsistent wirkendem) (5o) - nichtpräsuppositionale Kontexte bezüglich (47)b sind: (49)a. b. c.

...

und jeder Gedanke an seine Gattin erregt ihn über die Maßen.

... und natürlich ist auch Hansens Psychiater mit dessen Gattin bereits häufig befaßt worden. ?...

und seine Gattin ist ihm lästig.

d.

... und seine Gattin ist Gegenstand vieler Gespräche mit seinem Psychiater.

e.

... und er bedauert, daß seine Gattin sich so wenig um ihn kümmert.

(5o)a. b.

... und seine Frau arbeitet bei Siemens, ...

und Fritz findet Hansens Gattin doof.

Die Unakzeptabilität der Fortsetzungen (5o) hängt natürlich damit zusammen, daß der Sinnzusammenhang von (5o) eine [+ konkret]-Charakterisierung für das Denotat von Hansens Gattin etc. erzwingt; dies steht jedoch mit dessen im ersten Konjunkt explizit festgelegten imaginären Status im Widerspruch. Wegen ähnlicher Selektionsverletzungen sind auch Fortsetzungen wie (51) auszuschließen:

122 (51)a.

... und er stellte Fritz seine Gattin gestern endlich persönlich vor.

b.

...

und er schlägt sie jeden Tag.

Drittens schließlich sind die spezifischen Idiosynkrasien einiger Präsuppositionsgaranten zu berücksichtigen. So ist der in Rede stehende 'Glaubens'Kontext bezüglich emotiv-faktiver Prädikate nur dann auf jeden Fall nichtpräsuppositional, wenn deren Komplement in Pro-Form auftritt. Liegt es in Vollform vor, präsupponiert der Gesamtsatz meiner Intuition nach (unter begünstigenden Umständen wie Voranstellung des Komplements etc.) die Wahrheit des Komplements weiterhin, bzw. ist (bei Ausdruck einer negativen Sprecherhaltung zum Glauben des Subjekts im ersten Konjunkt) abweichend, weil inkonsistent, vgl. (52): (52)a.

Hans glaubt, daß es keine Argumente für syntaktische Tiefenstrukturen gibt,und (das Faktum,) daß es keine gibt, stört ihn sehr.

b.

?Hans glaubt fälschlicherweise, daß es keine Argumente für syntaktische Tiefenstrukturen gibt,und (*das Faktum), daß es keine gibt, überrascht ihn sehr.

Alle diese Details sind zu beachten, will man die im Sinne des 1-semantischen Präsuppositionsbegriffs unerläßliche Aussonderung der 'Glaubenskontexte' vornehmen. Prinzipiell störend sind dabei vor allem die im letzten Punkt angedeuteten Eigenheiten der faktiven Konstruktionen; sie lassen es bereits nicht mehr zu, den Ausschluß der 'Glaubens'-Kontexte als irrelevant unter Hinweis auf deren allgemeine Nichtpräsuppositionalität zu rechtfertigen. Damit zeichnet sich ab, daß allgemein nichtpräsuppositionale Kontexte über ihre mangelnde Abgrenzbarkeit auf rein sprachlicher Ebene hinaus sich auch quantitativ nicht scharf abgrenzen lassen; der Übergang von allgemein nichtpräsuppositionalen zu idiosynkratisch nichtpräsuppositionalen Kontexten ist offenbar fließend.

Soviel zu den in der Literatur bisher erörterten generell nichtpräsuppositionalen Kontexten. Einen weiteren allgemein nichtpräsuppositionalen Kontext stellt die Argutnentationsform 'reductio ad absurdum1 dar; er wird kurz im Zusammenhang von Abschnitt 2.3.5.1 erörtert werden. 2o Vgl. hierzu auch die Diskussion in Abschnitt 3.2.2.1.

123

2.3 Termbildende Ausdrücke und Kontext In den folgenden Abschnitten betrachte ich eine Reihe von Kontexten, die praktisch ausschließlich für termbildende Ausdrücke nichtpräsuppositional sind. Ich diskutiere dabei vor allem präsuppositional problematische Verwendungsweisen definiter Ausdrücke, in Sonderheit des bestimtiten Artikels. Auf die übrigen termbildenden Mittel, deren Status als 1-semantische Präsuppositionsgaranten ja durchweg mehr oder weniger umstritten ist und die überdies auch eine Reihe von Sonderproblemen aufwerfen, wird abschließend eingegangen (siehe Abschnitt 2.3.5). 2.3.1 Gebrauch in Existentialsätzen Bekanntlich wird in Existentialsätzen wie (53) trotz der darin auftretenden definiten Ausdrücke die Existenz der entsprechenden Denotate nicht präsupponiert, sondern nach Ausweis der einschlägigen Präsuppositionskriterien behauptet bzw. bestritten; 21 (53)f, g zeigen, daß Eigennamen und sonstige definite Ausdrücke sich darin gleich verhalten: (53)a.

Der trojanische Krieg findet nicht statt.

b.

Es gibt den König von Frankreich.

c.

Das Ungeheuer von Loch Ness existiert.

d. e.

Die Straflager in der Sowjet-Union sind ebensowenig eine Erfindung der Presse wie die Massaker in Vietnam. 22 Das Lehrer-Problem ist in Wirklichkeit gar keines.

f.

Atlantis hat es (nie) gegeben.

g.

Ob Tarquinius Superbus nur eine Ausgeburt der Phantasie römischer Geschichtsschreiber ist?

21 Siehe auch Donnellan (1966:74); ebenso Wilson ( 1 9 7 5 : S o f f . ) , die daraus ein Argument für die Entailment-Analyse von Präsuppositionsphänomenen ableitet. 22 Konstruktionen der Art (53)e, vgl. zusätzlich auch ( i ) - ( v ) , sind dabei besonders merkwürdig: (i) Das Präsuppositionsproblem entpuppt sich somit als Scheinproblem. (ii) Der Gott, der keiner war ... (iii) Why the helping verbs don't ... (iv) When obligatory copula deletion isn't ... (v) The antiques that w e r e n ' t . . . Denn explizierte man diese Fälle in der üblichen Weise - (iii) enthielte dann u. a. als Teilexplikation the verbs that help do not help - würde diese Explikation beinhalten, daß (53)e, (i)-(v) abweichend sind (vgl. Keenan (1971:49) zum Status von The man who won won bzw. The man who won didn't win ) . Damit erweist sich diese Explikation als falsch, denn (i)-(v) werden nicht wirklich kontradiktorisch verstanden. Eine halbwegs

124

Um den Definitheit anzeigenden Mitteln den Status als Präsuppositionsgaranten zu erhalten, müssen Existentialsätze als 'nichtpräsuppositional1 ausgeschlossen werden. Dabei ist zweierlei zu beachten: Zum einen läßt sich der relevante Begriff von Existentialsatz wiederum nur unter Einbezug der pragmatischen Ebene definieren, wie die Sätze (54)b, (55)c im beigegebenen Kontext zeigen: (54)a. b.

(55)a.

A: Gibt es das Ungeheuer von Loch Ness? B: Ich jedenfalls hab es (= das Ungeheuer von Loch Ness) noch nie gesehen, und ich kenne den Loch Ness wie meine eigene Westentasche. A: Warum rufst du mich nie an?

b.

B: Also, ich hab es wirklich oft versucht in den letzten Wochen, aber ich hatte mit meinen Anrufen kein Glück; offenbar warst du nie da.

c.

A: Komisch, daß deine Anrufe immer ausgerechnet dann kommen, wenn ich nicht da bin. Andere Leute erreichen mich immer; und ich bin schließlich so gut wie ständig zu Hause.

(54)b und (55)c sind von ihrer wörtlichen Bedeutung her (die allein in die semantische Repräsentation eingeht) keine Existentialsätze. Zweifel an der Existenz des Ungeheuers von Loch Ness bzw. der Anrufe von B werden jedoch konversationell impliziert; gleichzeitig bleiben auch die Präsuppositionen aus, die (54)b und (55)c auf Grund der unterstrichenen Ausdrücke an sich zukämen. Daß sich das letztere aus dem ersteren Faktum - analog zu (53) - erklärt, ist offenkundig; damit aber auch, daß eine entsprechend einheitliche adäquate und für die 1-semantische Explikation maßgebliche Teil-Paraphrase müßte etwa für (iii) rThe so-called helping verbs do not help1 lauten; analog für (ii) statt des kontradiktorischen derjenige,der Gott war/ist und kein Gott war/ist1 die Explikation r derjenige, der (von mir/ändern) für Gott gehalten wurde und keiner war/ist"1 etc.. Ausdrücke dieser Art - (ii)(v) sind sämtlich belegte Aufsatz- und Buchtitel - sind m. E. nicht selten und dabei weder Versprecher noch eindeutige Zeichen 'ironischen' Sprachgebrauchs. Daß solche Gebilde - Existenzverneinungen im Gewand definiter Kennzeichnungen - überhaupt grammatisch vorkommen können, scheint mir von der 1-semantischen Position her - nach der der wesentliche Daseinsgrund für den bestimmten (vs. unbestimmten) Artikel ja ist, daß er u. a. die Existenzpräsupposition garantiert, und Syntax nur als Oberflächenrealisierung 1-seraantischer Strukturen begriffen wird - unerklärlich. Für eine 'autonome Syntax'-Position wäre das hingegen kein Problem, da von ihr aus das Fehlen uneindeutiger wie eindeutiger Entsprechungen zwischen 1-semantischen und syntaktischen Strukturen erwartbar ist, ebensowenig natürlich von einer e-pragmatischen Präsuppositionsbehandlung her, denn aus der potentiell entstehenden Kontradiktion (bzw. Tautologie in Sätzen wie (53) b-d) erklärt sich via Grice's Maximen der Relevanz und Quantität, weshalb die übliche Existenz-Implikatur beim Gebrauch definiter NPs unterbleibt.

125

Erklärung nur auf der Ebene der Satzverwendung formuliert werden kann. Zum ändern sind Existentialsätze nichtpräsuppositional nur in Bezug auf die Existenzpräsupposition: Die entsprechenden numerischen Präsuppositionen induziert der einschlägige definite Nominalausdruck auch in dieser Umgebung 23 weiterhin: (53)b z. B. wäre sinnlos/unangemessen, wenn es mehrere Könige gibt; (53)d eta*a, wenn nur ein Massaker stattfand oder nur ein Straflager existiert. Existentialsätze fungieren also ähnlich wie die in Abschnitt 2.2.3 behandelten Kontexte, die ebenfalls ihre Präsuppositionen nur teilweise blockieren. Dennoch sind Existentialsätze 1-semantisch nicht als Spezialfall dieser Filter-Kontexte zu begreifen, da erstere unter jeder illokutiven Abwandlung, auch bei Negation, die entsprechende Existenzpräsupposition ausfiltern, die letzteren jedoch im allgemeinen nur bei expliziter Behauptung oder Supposition. Vom e-pragmatischen Standpunkt her wäre es hingegen möglich, die intuitive Gleichheit dieser Fälle durch ein einheitliches Erklärungsprinzip abzudecken: Was illokutiv noch zur Debatte steht, kann nicht gleichzeitig präsupponiert sein. 2.3.2 Generische und gesetzesähnliche Kontexte; Zukunftserwartungen Irregulär im Sinne der üblichen Präsuppositionsgarantien des bestimmten Artikels sind auch Sätze wie (56)/(57): (56)a.

(Hilfe, ich habe mein Studienbuch verloren!) Der ehrliche Finder erhält eine Belohnung.

b.

Die Studenten, die den Test nicht bestehen, müssen den Kurs wiederholen.

c.

Seit 196o wird in Emmenthal das Läuten der Kirchenglocken am Sonntagmorgen als Ruhestörung betrachtet.

d.

Im alten Rom wurde der Diebstahl der kapitolinischen Gänse mit der Todesstrafe bedroht.

(57)a.

Der Wal ist ein Säugetier.

b.

Der Fernsehapparat verwandelt den Kreis der Familie in einen Halbkreis.

c.

Der kluge Mann wird stets das Beßre wählen.

d.

Die ideale Führungskraft ist dynamisch und väterlich zugleich.

e.

Die Amerikaner sind reich.

23 Dies zeigt vor allem die Umformung in Fragen; bei Negation treten insofern Schwierigkeiten auf, als bei Leugnung der Existenz die entsprechende numerische Kategorisierung sofort hinfällig wird.

126

In diesen Fällen handelt es sich um gesetzesähnliche bzw. generische Aussagen; dem entspricht die weitgehende Austauschbarkeit des Singulars mit dem Plural, sowie des bestimmten mit dem unbestinmten Artikel. In diesem Gebrauch garantiert der bestimmte Artikel weder die Existenzpräsupposition noch die charakteristischen numerischen Präsuppositionen: (56)a-d z. B. können wahr oder falsch (bzw., wenn nicht als Assertion interpretiert, aufrichtig, angemessen) sein, auch wenn nie jemand das betreffende Studienbuch findet oder abliefert, alle Studenten den Test bestehen, seit 1960 es in Enmenthal sonntags nie läutet, nie ein Diebstahl der kapitolinischen Gänse stattfand. Erst recht nicht präsupponiert z. B. (56)b, daß mehrere Studenten durchfallen, oder (57)a-d, daß nur über ein Exemplar der jeweiligen Gattung gesprochen würde. In jedem Fall bietet sich als korrektes 1-semantisches Explikationsmittel der unbeschränkte Aliquanter und die materiale Implikation an, vielleicht auch der von Blau (1973/74:55;1975/76:63) eingeführte Kollektivkennzeichner, nicht aber der Jota-Operator oder dessen Äquivalente. Fälle wie (56)/(57) müssen demnach, will man den Status eines 1-semantischen Präsuppositionsgaranten für den bestimmten Artikel erhalten, ausgeklammert werden. Der Ausschluß läßt sich dabei nicht ausschließlich unter Rekurs auf die sprachliche Form bewerkstelligen, da ein Satz wie (56)a oder (57)b durchaus die üblichen Präsuppositionen in anderem Kontext auf weisen kann.

24

Ebenfalls Schwierigkeiten bereiten Verwendungsweisen des bestimmten Artikels in Sätzen wie (58): (58)a. b. c.

Die Siegerin des olympischen loom-Laufs von 198o wird aus der DDR kommen. Erna weiß gewiß, daß ihr Haus einmal Blumenbänke aus Marmor aufweisen wird. Wo ist meine bessere Hälfte? [Heiratsanzeige]

Keiner dieser Sätze präsupponiert (notwendig) im strengen Sinn, daß die Denotate der (hier unterstrichenen) Kennzeichnungen existieren; der Äußerung von (58)a-c kann allenfalls entncmmen werden, daß der Sprecher dies für die Gegenwart/Zukunft erwartet bzw. erhofft. Diese Sätze - eventuell ist auch (56)a hierher zu stellen - sind von den deutlicher gesetzesähnlichen und gener ischen Aussagen dadurch unterschieden, daß letztere auch in der Vergangenheit existenzpräsuppositionsfrei angesiedelt sein können, erstere jedoch bei 24 Vgl. dazu auch Vendler (1967:53ff.). 25 Vgl. auch Vennemann ( 1 9 7 5 : 3 2 7 f . ) .

127

entsprechendem Tempuswechsel nicht. Dies ist im Sinne einer nichtwillkürlichen, konsistenten (und dabei semantisch korrekten) Explikation syntaktischer Oberflächenstrukturen störend; erschwerend kommt hinzu, daß sich die fraglichen definiten Kennzeichnungen nicht irttner als ISfcminalisierungen von wenn-Sätzen. auffassen ließen, vgl. etwa (58)b, c. Wie dem auch sei - auch diese Kontexte müssen als irrelevant ausgeklammert werden, sollen Definitheit anzeigende Mittel ihren Status als 1-semantische Präsuppositionsgaranten behalten. Daß der Ausschluß dieser nichtpräsuppositionalen Gebrauchskontexte in nichtwillkürlicher Weise gelingt, ist allerdings nicht ausgemacht: Die Grenzen sind zum Teil fließend, vor allem aber ist die unumgängliche Präzisierung der maßgeblichen Kontextmerkmale 'generisch1, 'gesetzesähnlich1 bzw. mögli2fi 27 cherweise 'attributiver Gebrauch' schwierig; ob sie sich ohne Rekurs auf pragmatische Faktoren durchführen läßt, bleibe hier dahingestellt. Immerhin scheint zumindest die Ausklammerung generischer Kontexte breitere präsuppositionale Rechtfertigung zu haben, vgl. die verbalen Präsuppositionsgaranten in (59), die ebenfalls in diesen quasi-generischen Aussagen ihre normalen Präsuppositionen nicht induzieren: 26 Gerade Fälle wie (56)a, b und (58)a ließen sich meines Erachtens eventuell sinnvoll als Beispiele 'attributiven 1 Gebrauchs von definiten NPs analysieren. Ich gebrauche dabei den Terminus 'attributiv' (vs. 'referentiell') anders als Donnellan (1966:passim); dort präsupponieren gerade definite NPs in attributivem Gebrauch, daß etwas existiert, worauf die Beschreibung zutrifft. Nun hat aber bereits Partee (1972) plausibel gemacht, daß die vieldiskutierte, auf den Gebrauch indefiniter NPs bezogene Scheidung '+ spezifisch vs. - spezifisch 1 , bzw. 'transparent vs. opak' der Distribution 'referentiell vs. attributiv" parallel ist; es handelt sich um zwei Ausformungen der gleichen Sache. Ist dem so, so existiert nach Partee (a) diese Distinktion unabhängig davon, ob an die betreffenden NPs Existenzpräsuppositionen geknüpft sind oder nicht; (b) der attributive Gebrauch ist derjenige, bei dem in opaken Kontexten bei indefiniten NPs typischerweise keine Existenzpräsupposition auftritt, während referentieller Gebrauch sie durchweg induziert. Bei Einbezug von Fällen wie (56)a,b, (58)a benutzt man die Parallelität gewissermaßen in der anderen Richtung, indem man die Parallele von den Präsuppositionsverhältnissen indefiniter NPs (siehe ( b ) ) zu denen definiter NPs in ( 5 6 ) a , b , (58)a zieht. Daß auch referentielle Lesart für (56)a,b vorliegen kann, wurde bereits erwähnt. Donnellans präsuppositionelle Feststellungen bezüglich der Unterscheidung 'attributiv vs. referentiell 1 wären dann als akzidentiell, nur die zufällig von ihm analysierten Beispieltypen betreffend, zu werten: bei Gebrauch definiter NPs in konditionalen Voraussagen, Versprechungen etc. kann sich die Dichotomie - unter der von Partee (1972:418) angeführten Bedingung - analog zu (b) ausprägen. 27 Siehe dazu auch Nunberg/Chiahua (1975).

128

(59)a.

Zu wissen, daß man Krebs hat, muß schrecklich sein.

b.

Jemand zu bedauern, daß er Vater von Drillingen geworden ist, ist geschmacklos.

c.

Ein Mann, der aufhört, seine Frau zu schlagen, weil der Arzt ihm körperliche Anstrengungen verbietet, handelt vernünftig.

2.3.3 Prädikativer Gebrauch Bisher wurden definite NPs nur in einer Verwendungsweise betrachtet, in der sie prepositional gesehen Argumenten entsprechen. Definite NPs fungieren jedoch häufiger auch prädikativ, wobei weniger idiomatisierte Prädikate wie in (60) als Sätze wie (61) von Interesse sind: (60)a.

Gutachten schreiben müssen, ist die Pest.

b.

Vor Jahren war Aubergine der letzte Schrei unter den Modefarben.

c.

Sein Verhalten ist wirklich das Letzte/die reine Schikane.

d.

Aha, ich bin mal wieder der vierzehnte Nothelfer.

(61)a.

Giscard d'Estaing ist der König von Frankreich.

b.

Hinz ist

der Leiter des Kundendienstes bei Kunz & Co.

c.

Scheuerklapp ist der Inhaber des LehrStuhls für Paläontologie an der Universität Immekeppel.

d.

Müller ist das Opfer eines unglücklichen Mißverständnisses geworden

Für Beispiele wie (61)a hat schon Donnellan (1966:74) geltend gemacht, daß hier nur die Existenz von Giscard d'Estaing, nicht aber die des Königs von Frankreich präsupponiert werde. Entsprechend gilt ihm ein Satz wie (61)a als falsch, nicht jedoch als sinnlos, bzw. wahrheitswertlos. Dies Beispiel ist 28 einerseits jedoch Identitätsbehauptungen zu nahe, um zu überzeugen, andererseits ist der von Donnellan angeführte natürliche Kontext von (61)a - jemand ist im Zweifel, ob Giscard König oder Präsident von Frankreich ist insofern irreführend, als dieser noch immer nicht ausschließt, daß die Existenz und Einzigkeit eines Herrschenden über Frankreich präsupponiert wird, d. h. nur die Anwendbarkeit der Prädikate 'König1 vs. 'Präsident1 zur Debatte steht. Die 'natürliche' Geltung von (61)a wäre demnach die einer kontrastiven, korrigierenden Aussage - eine für Präsuppositionsfeststellungen in 28 Siehe dazu auch Bellert (1969:47).

129

jedem Fall problematische/ irrelevante Gebrauchsweise. 29 Vergleichbare Einwände gibt es allerdings nicht gegen (61 )d: Verneint man diesen Satz, kann keine Rede davon sein, daß nur eine Identitätsbehauptung verneint werde; potentiell verneint wird auch, daß es ein/das Opfer eines unglücklichen Mißverständnisses überhaupt gibt. In diesem Fall ist der definite Artikel auch ohne jede präsuppositionsrelevante Differenz weglaßbar oder mit 0 austauschbar, - dies im Unterschied etwa zu (61)a, wo, kontingent zur Existenz, die Einzigkeit des Position "König von Frankreich1 signalisiert wird. (61)b,c scheinen mir in dieser Hinsicht Übergänge darzustellen, zumal wenn man die weitgehende Synonymie mit Sätzen wie (62)a,b in Betracht zieht, die ja ebenfalls auszuweisen wäre: 3o (62)a. b.

Hinz leitet den Kundendienst bei Kunz & Co. Scheuerklapp hat den Lehrstuhl für Paläontologie an der Universität Immekeppel inne.

Für diese Sätze stellt sich wohl die Frage nach der Existenz des Kundendienstes oder des LehrStuhls in wahrheitswertrelevanter Form, nicht aber die nach der Existenz eines Leiters des Kundendienstes, eines Inhabers des speziellen Lehrstuhls: Denn werden (62)a,b verneint, bleibt es offen, ob und wie Kunz & CD'S Kundendienst überhaupt hierarchisch organisiert, ob der betreffende Lehrstuhl anders besetzt oder unbesetzt ist. Die tibergänglichkeit im einzelnen zu untersuchen, dürfte lohnen; im Sinne der 1-semantischen Präsuppositionsgarantien des definiten Artikels steht aber fest, daß der rein prädikative Gebrauch als "irrelevante Gebrauchsweise" auszuklammern ist. Eventuell vergleichbare präsuppositionale Eigenheiten ergeben sich beim Gebrauch definiter und anderer termbildender Ausdrücke in Objekt-Position (d. h. als Teil des "Prädikats1 im grammatischen Sinn). Sie werden im Zusammenhang mit den Zahlwörtern erörtert (siehe unten Abschnitt 2.3.5.2). 29 Vgl. dazu etwa Kiparsky/Kiparsky (1971:351); Fillmore (1969;1971a:382). Als generell nichtpräsuppositionale Gebrauchsweisen sind Korrekturnegationen am ehesten dem in Abschnitt 2 . 2 . 2 erörterten Fall zuzuweisen. 30 Man wird gegen die postulierte Synonymie vor allem bei (62) a einwenden, daß dort eine numerische Opposition neutralisiert ist, die bei An- vs. Abwesenheit des definiten Artikels in (61)b deutlich zum Ausdruck kommt. Dies ist richtig, aber vielleicht weniger präsuppositionsrelevant als es auf den ersten Blick scheint: Auch bei Existentialsätzen wie Es gibt den König von Frankreich wird Einzigkeit des Königs signalisiert, aber ebenfalls nur kontingent zu dessen Existenz, wie sich unter Verneinung zeigt.

130

2.3.4 Artikelformen und numerische Präsuppositionen Im Zusammenhang mit Abschnitt 2.3.2 wurde bereits darauf hingewiesen, daß singularische Artikelformen nicht notwendig die Einzigkeits-Präsupposition induzieren. Darüber hinaus sei wenigstens vermerkt, daß auch in nichtgenerischen Kontexten die Zuschreibung numerischer Präsuppositionen von vornherein nur bei als [+zählbar, -kollektiv] kategorisierten definiten Ausdrücken unproblematisch bzw. sprachlich sinnvoll ist. Nichtssagend ist die präsuppositionale Charakterisierung mittels Einzigkeitspräsupposition, z. B. in Fällen wie (63), insofern diese bei normaler Interpretation gar nicht scheitern kann; in Fällen nichtgenerischen kollektiven Singulars ist sie problematisch, wenn nicht falsch, vgl. (64): (63)a.

Das Wetter ist seit Tagen herrlich.

b.

Das Ärgerliche an dieser Einstellung ist,

c.

Die Milch ist schon wieder teurer geworden.

d.

Ach, hätten wir doch auch ein bißchen von dem Erdöl.

(64)a.

daß ...

Das Vieh wird gezählt.

b.

Der Feind kam diesmal von links.

c.

Am nächsten Morgen griff der Tommy/der Iwan schließlich an.

d.

Am nächsten Morgen griff der Russe schließlich an.

Die Problematik von (64) dadurch wegzuerklären, daß man die Denotate der unterstrichenen Ausdrücke je als 'Individuen im Sinne der natürlichen Sprache' o. ä. betrachtet, scheint mir ein wenig attraktiver Ausweg: Sprachanalytisch ist ihre Interpretation als referentiell pluralisch notwendig, da sie die pluralischen Selektionsrestriktionen von einschlägigen Prädikaten wie zählen etc. erfüllen. Logisch-semantisch ergeben sich Schwierigkeiten daraus, daß etwa zwischen (64)d und (65) eine klare Paraphrasenbeziehung besteht; diese wäre aber bei der vorgeschlagenen Interpretation von (64)d nicht mehr direkt repräsentierbar; sie müßte durch ad hoc-Bedeutungspostulate o. ä. vermittelt werden. (65)

Am nächsten Morgen griffen die Russen schließlich an.

Auch hier bietet sich eher eine singularische Kbllektiva und pluralische Individuativa gleichbehandelnde Repräsentation mit einem Kollektivkennzeichner 31 Ein Vorschlag von Godehard Link (pers. Mitteilung); vgl. zu dem Individuenkonzept Blau (l973/74:66f.).

131

an. Dies bedeutet jedoch, daß man bei der Zuschreibung der üblichen numerischen Präsuppositionsgarantien zu def initen Artikelformen sich von vornherein auf einen Teilbereich von definiten Kennzeichnungen beschränken, bzw. von den oben illustrierten und weiteren 'Verwendungsweisen1 als irrelevant absehen muß.

2.3.5 Zum Status einiger Quantoren als Präsuppositions-Garanten Definitheitsanzeigende Mittel, in Sonderheit der bestimmte Artikel, gelten als Paradefall eines sprachlichen bzw. 1-semantischen Präsuppositionsgaranten. Die vorliegenden Abschnitte haben gezeigt, daß sich diese Einstufung nur halten läßt, wenn man sich von vornherein an die 'richtigen* Kontexte hält; ob man die übrigen dabei mit (sprachanalytischem) Recht vernachlässigt, stehe im Augenblick dahin. Über weitere termbildende Präsuppositionsgaranten besteht in der einschlägigen Literatur kein Konsens. Im folgenden beschäftige ich mich mit drei möglichen Kandidaten für diesen Status: dt. aüe/engl. all, Kardinalzahlen, engl. some. Es wird dabei vor allem, in je verschiedener Weise, deutlich werden, wie sehr jeder (sprachlich oder sonst sinnvoll motivierter) Maßstab zur Einteilung der Gebrauchskontexte in relevante und vernachlässigbare fehlt.

2.3.5.1 Dt. aUe/engl. all Die Präsuppositionsanalysen des Allquantors widersprechen einander sehr. Im Maximalfall wird davon ausgegangen (so von Kotschi 1976:99), daß er drei Prä-

32 Vergleichbare Diskrepanzen zwischen formalem Numerus und referentieller Singularität/Pluralität ergeben sich unter anderem bei Pluralia Tantum oder augmentativem Pluralgebrauch. - Zudem müßten in jeder präsuppositionalen Analyse von einiger Subtilität auch noch die semantischen Funktionen von Disgruenz-Erscheinungen, wie sie gerade im Englischen möglich sind, berücksichtigt werden, wenn Widersprüche in der Repräsentation vermieden werden sollen.

132

suppositionen ganz verschiedener Art garantiert: Existenz- und Pluralpräsupposition, sowie daß es einige gibt, auf die das Satzprädikat zutrifft, vgl. (66): (66)a.

Alle Söhne Paulas sind volljährig,

b.

ES existieren Söhne Paulas.

b1.

Es existieren mehrere Söhne Paulas.

b ' ' . Einige Söhne Paulas sind volljährig.

Daß es sich bei (66)b 1 ' nicht un eine Präsupposition handelt, beweist ihre Suspendierbarkeit im verneinten Fall, vgl. (67): (67)

Nicht alle Söhne Paulas sind volljährig, möglicherweise sogar noch keiner.

Zweifel an der pluralischen Präsuppositions-Garantie lassen sich bereits anmelden anhand von Fällen wie (68), in denen die Singular:Plural-Opposition neutralisiert ist; wie begründet sie sind, wird auch anhand der unten aufgeführten Beispiele (69)/(7o) deutlich. (68)a.

Alles Zureden half nichts.

b.

Alle Liebe, die ich habe, geb ich dir.

c.

Nicht für alles Erdöl in der Welt verkaufen wir unsere Selbständigkeit.

Aber auch im Hinblick auf die Existenzpräsupposition - auf die ich die weitere Diskussion beschränke - besteht keine Einigkeit. Für Strawson (1952), Keenan (1972), Bellert (1969 und 1973) und Hausser (1974 und 1976) ist sie durch dt. aZle/engl. all· als solche garantiert; Wilson (1975) rekonstruiert sie als Entailment; Blau (1973/74;1975/76:62) hingegen betrachtet sie nur als starke pragmatische Präsupposition. Die Uneinigkeit beruht dabei nicht auf gegensätzlicher Interpretation der Fakten, sondern auf dem verschiedenen Unr fang, in dem sie berücksichtigt werden. Keenan, Bellert, Hausser e. a. lassen das Vorkamen von alle in gesetzesartigen Aussagen, in denen die Präsuppositionsgarantie von alle nichtig ist, außer Acht, vgl. (69)/(7o); desgleichen vernachlässigen sie auch schwer klassifizierbare Gegenbeispiele wie (71), in denen die unterstrichenen Ausdrücke nicht (notwendig) denotieren. (69)a.

Alle Vereinsmitglieder, die nach Wanne-Eickel, mitfahren wollen, werden gebeten, sich zu melden.

133

b.

Alle Zuwiderhandlungen werden strengstens bestraft.

c.

Alle Studenten, die den Test nicht bestehen, müssen den Kurs wiederholen.

(7o)a.

All bodies not acted upon by external forces ... (Vendler 1967:93}

b.

All pure metal light-bulbs expand on heating. (Wilson 1975:57)

c.

Alle Anti-Goldbach-Zahlen sind positiv. (Blau 1973/74;1975/76:62)

(71)a. b.

I'll give you all my Bingo-winnings tonight, if you meet me outside the hall.(Wilson 1975:57) Reykjavik has all the charm of a wet Sunday night in Aberdeen.(ebda)

Blau hingegen bezieht Fälle wie (69)/(7o), bzw. die Kontexte, in denen sie auftreten, für die Beurteilung des Status von alle ein; entsprechend spricht er alle jede 1-semantische Präsuppositionsgarantie ab. Zur Stützung dieses Standpunkts zieht er auch die Verhältnisse in der Argumentationsform 'Reductio ad absurdum1 heran, die anderen als nichtpräsuppositional oder vernachlässigbar gilt: Man vergleiche sein Beispiel, die Untersuchung der Frage "Gab es je Pyramiden im Libanon?": In deren chronologisch schrittweiser Bearbeitung können durchaus Teilresümes wie (72) gezogen werden, ohne daß das in Widerspruch zu einem möglichen Gesatntergebnis (73) stehen müßte, das gleichzeitig die Falschheit der alle in (72)a zugeschriebenen Existenzpräsupposition impliziert. (72)a. b. (73)

Alle Pyramiden im Libanon müßten dann wohl vor Chr. gebaut worden sein. Jedenfalls ist keine Pyramide im Libanon nach Chr. gebaut worden.^ Im Libanon gab es niemals Pyramiden.

33 So explizit Keenan (1971:51f.); in der Tat gelten innerhalb dieser Argumentationsform die Präsuppositionsgarantien auch vieler anderer sprachlicher Mittel nicht. 34 Siehe Blau (1973/74;1975/76:62); die Beispiele werden dort allerdings in etwas anderer Weise verwertet: Blau argumentiert dort, alle könne schlecht eine Existenzgarantie geben, da sich bei - ansonsten bedeutungserhaltender - Umformung die entsprechende Präsupposition verflüchtige. Mir scheint dies Argument jedoch nicht hieb- und stichfest, da sich bei der einschlägig relevanten weiteren Umformung von (72)- Nach Chr. ist keine Pyramide im Libanon gebaut worden - auch die Term-Interpretation für Pyramiden im Libanon leicht verflüchtigt; damit aber läßt sich der letzte Satz leicht als - ent-

134

Diese Beispiele zeigen eindeutig, daß der Aliquanter kein bzw. kein problemloser Präsuppositionsgarant ist. Sie zeigen darüber hinaus jedoch vor allem, wie sehr der jeweils vertretene Standpunkt von der Bereitwilligkeit abhängt, bestimnte Gebrauchsweisen, Kontexte als 'irrelevant1 auszuklammern. Rechten läßt sich hierüber schwer, solange geeignete Urteils-Maßstäbe fehlen. Ich sehe einerseits sprachlich keinerlei unabhängigen Grund, den aHe-Gebrauch in Gesetzesaussagen, generischen Aussagen als sekundär, präsuppositional irrelevant einzustufen, andererseits jedoch auch keinen zwingenden Grund - wenn man erst eirmal, wie 1-semantisch notwendig, mit der Eliminierung 'nichtpräsuppositionaler' Kontexte begonnen hat - vor Gebrauchsweisen wie "Reductio ad absurdum1 haltzumachen. Allenfalls kann man auf Konsequenz in der Abgrenzung bestehen, in der Art, daß die bei den definiten Kennzeichnungen vernachlässigten Kontexte, so vor allem die generischen und gesetzesähnlichen, auch bei der Beurteilung von alle keine Rolle spielen dürften. Doch auch dies könnte eine sprachlich unangemessene Festlegung sein, da keineswegs von vornherein auszuschließen ist, daß verschiedene Sprachmittel in verschiedenen Kontexten in ihrer 'primären', 'eigentlichen1 Funktion vorkommen. Bleibt abschließend auf ein Faktum hinzuweisen, das auf den ersten Blick für die grammatische Relevanz der Existenzpräsupposition beim Allquantor zu sprechen scheint: Sog. 'Quantoren-Floating', d. h. Stellung des Quantors rechts von seiner Bezugs-NP (bzw. entsprechende Rechtsbewegung) scheint davon abhängig zu sein, ob die Existenzpräsupposition erfüllt ist,vgl.(74)a vs.(74)b: (74)a. b.

Die Söhne Paulas sind alle volljährig, »Zuwiderhandlungen werden alle bestraft.

Dazu paßt auch, daß der Quantor in generischen Sätzen nicht floaten kann. Damit schiene auch ein unabhängiges Argument gegeben, alle in nichtpräsupponierendes alle* und einen Präsuppositions-Garanten alle,., aufzuspalten, der allein gefloatet werden kann. Auf den zweiten Blick erweist sich das allerdings als voreilig: Die Möglichkeit des Quantoren-Floating scheint mit der Definitheit der Bezugs-NP zu korrelieren, und dabei mit deren 'assertorischen' Element (eben definit zu sein). Ob die definite NP präsuppositional gebraucht sprechend präsuppositionsloser - Existentialsatz interpretieren. 35 Siehe dazu Link (1974:124Anm.8).

135

wird oder nicht, spielt keine Bolle, wie (75) zeigt. (75)a.

Deine Probleme sind alle in Wirklichkeit nur Scheinprobleme.

b.

Die etruskischen Könige hat es alle nie gegeben.

c.

Die Studenten, die den Test nicht bestehen, müssen ihn alle wiederholen.

2.3.5.2 Kardinalzahlen Uneinigkeit besteht auch bezüglich des 1-seaiantischen Status von Kardinalzahlen. Hausser (1974:15f.,21f.) schließt sie unter Verweis auf Sätze wie (76) aus der Klasse existentieller Präsuppositionsgaranten aus. Bellert (1969:46f.) hingegen schließt sie unter Verweis auf Beispiel (77) in diese Klasse ein: (76)

The professor gave every student two tests about Montague Grammar.

(77)

Three habitants of the moon died.

Nach Bellert ist darnach (77) 'sinnlos', 'unbestinmt'; ebenso wäre es (76) in einer Interpretation, in der kein Test zur Montague-Grarmiatik vorliegt. Nach Hausser ist (76) und wohl auch (77) jedoch nur falsch. Vielleicht ist dies nur eine Sache gegensätzlicher Intuitionen. Vielleicht aber auch resultieren die Intuitionsunterschiede aus den gegensätzlichen Positionen der je betrachteten NPs im Satz: Die einschlägige NP in (76) ist als Objekt (nach linguistischer Aufgliederung) Teil des Prädikats, in (77) jedoch Subjekt. Daß beide Positionen sich unterschiedlich auswirken, und zwar so, daß in Objektsposition die in Subjektsposition bzw. 'Topic'-Position üblichen Präsuppositionen von Termen nicht auftreten, bzw. ihre Fehlschläge in Falschheit (statt Sinnlosigkeit) des Satzes resultieren können, wird häufiger in der philosophischen Diskussion um Referenz und bestürmte Kennzeichnung erwähnt; möglicherweise trifft es auch für natürliche Zahlen als Quantoren zu. 36 Siehe Garner (1971:4o) mit weiterführenden Hinweisen; auch Cooper (1974: 36ff.). 37 Die Intuition über mangelnde Existenzgarantie in Objektposition mag dann auch darin ihre Stütze finden, daß es vielfach für V + -Prädikate halbwegs synonyme Prädikate gibt, die keine NP enthalten, vgl. etwa zu ( 7 6 ) die folgende Paraphrase: The professor tested every student twice about Montague Grammar. - Zu analogen Erscheinungen bei prädikativ gebrauchten definiten Ausdrücken, siehe o. Abschnitt 2.3.3.

136

Stellt man diesen präsuppositionsrelevanten Schnitt zwischen Tenngebrauch in Subjekt- und Objektposition in Rechnung - das heißt, klaimert nan Vor können in Cbjektposition zusätzlich als 'irrelevant1 aus -, sind Sätze wie (76)/(77) als Test auf Präsuppositionsgaranten-Status unzureichend. Ausschlaggebend dafür, Zahlen diesen Status zu- oder abzuerkennen, müssen dann andere Argumente sein. So ist etwa für entsprechende Sätze eine nichtspezifische, d. h. nichtreferentielle Lesart möglich, wie sich vielleicht am eingängigsten in opaken Kontexten zeigt, vgl. (78): (78)

John wants to hire

a model two models both models the model

his father doesn't approve of.

Hier läßt two wie , aber im Gegensatz zu den üblicherweise anerkannten Präsuppositionsgaranten both, ths, auch die nichtspezifische Lesart zu. Allerdings könnte man auch Kontexte dieser Art einfach ausklammern; dies wäre gemessen an den für den definiten Artikel und alle eingeräumten Ausnahme-Kontexten genau dann nicht ad hoc, wenn man die für opake Kontexte charakteristische [ ±spezifisch]-Ambiguität nur als Spezialfall der im Sinne von Anmerkung 26 verallgemeinerten Dichotonie 'attributiv vs. referentiell1 verstünde. Im übrigen liefert auch die Einsetzung von all in. (78) nicht das intuitiv eindeutige Ergebnis, das man von ihm als putativem 1-semantischen Präsuppositionsgaranten eigentlich erwarten würde. 2.3.5.3 Engl. some Wieder andere Probleme ergeben sich im Zusammenhang mit der 1-semantischen Einstufung des englischen indefiniten Quantors some. Dieser soll nach allgemeiner Auffassung, im Unterschied zu und any, durchweg eine Existenzpräsupposition induzieren,38 vgl. Sätze wie (79): (79)a. b.

Some girl(s)

screamed.

John kissed some girls at the party.

Für die Bestätigung dieser Auffassung fällt der übliche Negationstest aus. Eingesetzt in (78) läßt some jedoch nur die referentielle, spezifische Lesart zu; dies spricht daür, some als Garanten der Existenzpräsupposition anzuerkennen. 38 Siehe Hausser ( 1 9 7 4 : 1 6 f f . ) ; Keenan (1972:425,458); Bellert (1969:45). (79)a,b sind Haussers bzw. Keenans Beispiele.

137

Selbst wenn man die präsuppositionale Charakterisierung von some in Deklarativsätzen der Art (79) durchweg einräumt, scheint die generelle Anerkennung als Präsuppositionsgarant mit einigen nicht unproblematischen Grenzziehungen erkauft: Erstens induzieren Sätze mit someone, somebody, something in Sätzen gleicher Art häufig keine Existenzpräsupposition, vgl. (80): (80)a.

Someone screamed.

b.

I have someone come in twice a week to do some cleaning.

c.

Goofy ate something terrible at Gulp's.

d.

Herman bought something special for his mother.

e.

Something funny happened to him on his way to the station.

Daß dem so ist,

läßt sich, da auch hier der Negationstest und viele illoku-

tive Abwandlungen ausfallen, einmal durch Einbettung in modale Kontexte (siehe Abschnitt 1.3.2.3) nachweisen, vgl. etwa (81): (81)a. b.

Goofy may have eaten something terrible at Gulp's. Maybe something funny happened to him on his way to the station.

Aus (81)a,b läßt sich, im Gegensatz zu (8o)c,e, nicht auf die Existenz ungenießbaren Essens in Gulp's Restaurant oder eines merkwürdigen Vorfalls auf dem Weg zum Bahnhof schließen; die einschlägigen Denotate von something terrible/something funny sind also nicht existenzpräsupponiert. Das heißt, selbst unter einer Interpretation, in der nichts Merkwürdiges statthat oder es nichts Ungenießbares gibt, ist (8o)c,e nicht sinnlos, sondern einfach falsch. - Weiterhin bleibt die [±spezifisch]-Ambiguität erhalten, wenn man für a model in (78) someone/'somebody einsetzt; dies zeigt, daß somebody/ something als solche keine Präsuppositionsgaranten sein können. Der Bereich, in dem das Morphem some keine Existenzpräsupposition induziert, ist klar beschreibbar. Er ist identisch mit dem Bereich der Indefinitpronomina, in dem die Opposition a:some aufgehoben ist,

und nur some zur Bildung

indefiniter Terme bereitsteht. Ob some als 1-semantischer Präsuppositionsgarant gelten kann, hängt also davon ab, ob man Vorkciumiisse von some wie in (79) und in Zusammensetzungen wie (80) als Belege des gleichen sprachlichen Ausdrucks ansieht oder nicht, d. h. existenzpräsuppositionales some, von dem nichtpräsuppositionalen some

als Indefinitproncmina unterscheidet. Von lin-

138

guistischen Standpunkt aus wäre eine solche Aufspaltung klar ad hoc; Dies zeigt zum einen die systematische some-any-Beziehung, die sich auf some* wie some2 gleichermaßen erstreckt (siehe dazu R. Lakoff 1969). Zum ändern sind die Übergänge zwischen dem Bereich der Infinitpronomina und indefiniten r some + N1-Ausdrücken fließend, vgl. (82): (82)a. b.

... well, and then some idiot got up and said ... We wanted to catch him at Gulp's, but some idiot must have warned him beforehand; so he got away.

some idiot garantiert, wie vor allem an (82)b leicht überprüfbar ist, die Existenzpräsupposition keineswegs. Dies ist im Einklang damit, daß dieser Ausdruck als pejorative Variante des Indefinitproncmens somebody gelten kann. Formal aber gehört er nicht zu den festen Zusammensetzungen und verhält sich auch nicht wie diese, - was heißt, daß (82) a,b als Vorkotitmisse des präsuppositionalen some* zu werten wären. Zweitens scheinen die Existenzpräsuppositionen, die some* und definiter Artikel in Deklarativsätzen gleichmäßig auslösen, unterschiedlich resistent im Skopus weltschaffender Ausdrücke zu sein, vgl. (83): (83)a. b. (84)

John dreamed that the two-winged Holstein cows attacked him. John dreamed that some two-winged Holstein cows attacked him. There are two-winged Holstein cows.

Nur (83)a, nicht aber (83)b scheint zu präsupponieren, daß (84) wahr ist. Das heißt, selbst wenn (84) falsch ist, kann (84)b wahr sein, nicht aber (84)a. Daraus folgt, daß some als 1-semantischer Präsuppositionsgarant nur gerettet werden kann, wenn man auch weltschaffende Kontexte generell als 'irrelevant1 ausschließt. Dieser Ausschluß ist aber im Sinne der einheitlichen Charakterisierung von Präsuppositionserscheinungen, z. B. aller präsuppositionalen Vorkommnisse des bestimmten Artikels, durchaus fraglich (siehe dazu oben Abschnitt 2.2.5). Auf weitere präsuppositionsrelevante Fragen im Zusammenhang mit some wird bei der Diskussion des Bedeutungsunterschieds von some vs. any einzugehen sein (siehe Abschnitt 3.1.2).

139

2.3.6 Ein erstes Fazit Bereits die sehr grobe und unvollständige überschau über den präsuppositionsrelevanten Bereich der termbildenden Ausdrücke zeigt recht deutlich, mit welchen Idealisierungen, kontextuellen Einschränkungen der Ansatz 1-semantischer Präsuppositionsgaranten ermöglicht, besser gesagt erkauft wird. Von einem Konsens über das zu Recht Vernachlässigbare kann keine Rede sein. Einigkeit besteht allenfalls über die in Abschnitt 2.2 behandelten Kontexte, 39 deren allgemeine Nichtpräsuppositionalität auch eine intuitiv klare - pragmatische - Basis hat: Stellt man einerseits die konmunikative Rolle von Präsuppositionen als Redevoraussetzung in Rechnung,andererseits, welchen kommunikativen Zwecken Zitieren, Annahmeeinführung, explizite Behauptung etc. dient, wäre eher das Gegenteil - die Präsuppositionalität dieser Kontexte verwunderlich. Strittiger ist bereits der Ausschluß von Argumentationsformen und weitschaffenden Kontexten, und dies mit gutem Grund: Obwohl es intuitiv plausibel scheint, daß Reden über eine andere als die reale Welt (und Argumentieren gehört in gewissem Sinn dazu) präsuppositionale 'Unregelmäßigkeiten1 mit sich bringt, ist die Nicht^jräsuppositionalität nicht generell: Die einzelnen Präsuppositionsgaranten sind davon uneinheitlich betroffen und verhalten sich auch nicht bei jeder Verwendung in diesem Kontext gleich. Vollends problematisch sind die in Abschnitt 2.3 behandelten Kontexte, z. B. generische und gesetzesähnliche Kontexte. Da sie nur für eine Teilklasse von Präsuppositionsgaranten nichtpräsuppositonal sind, ist ihr Ausschluß in keiner Weise allgemein oder grundsätzlich gerechtfertigt. Bleibt die Abgrenzungfrage für diese Kontexte. Sie ist wichtig deshalb, weil das Ausbleiben von Präsuppositionen P. in Kontexten K. allein nicht notwendig etwas gegen deren 1-semantischen Status bzw. gegen die fraglichen Präsuppositionsgaranten besagt. Falls sich nämlich K. auf rein sprachlicher Ebene (d. h. semantisch-syntaktisch) abgrenzen ließe, wäre auch das Ausbleiben von P. in K. rein sprachlich vorhersagbar. Damit aber bliebe die Suspension von Präsuppositionen ('presupposition canceling'), genau wie deren Induktion, im Bereich dessen, was 1-semantischer Behandlung zugänglich wäre. 4o 39 Selbst gegen deren Ausklammerung sind jedoch teilweise Einwände erhoben worden, siehe Garners Bedenken gegen "Kontextsensitive Präsuppositionen' (1971:41). 40 Darauf hat vor allem Hausser (1976:249f.,27lAnm.lo) hingewiesen.

140

Bei der Diskussion der allgemein nichtpräsuppositionalen Kontexte hat sich jedoch bereits abgezeichnet, daß sie nur mit Hilfe pragmatischer Konzepte definierbar sind; auch bei weltschaffenden Kontexten erwies sich eine rein semantisch-syntaktische Definition als schwierig, wenn nicht unmöglich. Was schließlich die eher idiosynkratischen Kontexte angeht, so scheint deren Nichtpräsuppositionalität zwar in einigen Fällen, wie z. B. 'prädikativer Gebrauch' semantisch-syntaktisch beschreibbar, aber keineswegs in allen: Daß sich der Kontext 'Existentialsätze' nur unter Einbezug pragmatischer Faktoren definieren läßt, ist sicher; daß sich Gleiches für generische und gesetzesähnliche Kontexte vermeiden ließe, keineswegs ausgemacht. Damit aber ist für den Großteil der beobachteten Kontextabhängigkeiten eine 1-semantische Erklärung ausgeschlossen. Sie als Argumente gegen die betroffenen Präsuppositionsgaranten A. zu entkräften, wäre dann nur noch auf dem Weg möglich, den Thomason (1973:1 f . ) den Vertretern der 1-semantischen Position nahelegt: Nachzuweisen, daß die nichtpräsuppositionalen Vorkommnisse nicht auf A. sondern auf einen homonymen Ausdruck zurückgehen. Ein solcher Nachweis liegt bisher in keinem Fall vor; daß er nichtzirkulär gelingt, ist nicht unbedingt wahrscheinlich. Man kann und muß also nach den Ergebnissen dieses Abschnitts davon ausgehen, daß die diskutierten termbildenden Ausdrücke keine Präsuppositionsgaranten sind. Dies gilt auch für die logisch wie linguistisch interessantesten und meistdiskutierten Ausdrücke, den bestirnten Artikel und alle. Am stabilsten 41 scheinen noch die putativen Präsuppositionsgaranten beide, sowie Eigennamen zu sein; dies verständlicherweise, denn in den ausnahmeträchtigsten Kontexten - gesetzesähnliche bzw. generische Aussagen, attributiver und prädikativer Gebrauch - kennen sie, ihrer Funktion gemäß, nicht vor; in opaken wie weltschaffenden Kontexten bleiben die von ihnen ausgelösten Präsuppositionen untangiert. Die Eigennamen und beide müssen somit als die besten, ja die einzigen termbildenden 1-semantischen Präsuppositionsgaranten akzeptiert werden. Dieses Ergebnis scheint weder unter den Gesichtpunkten logischer noch linguistischer Systematik attraktiv, jedoch nur mit willkürlichen Maßnahmen ab41 Zur Ausnahmestellung der Eigennamen siehe auch Boer/Lycan ( 1 9 7 6 : 6 5 f . ) .

141

wendbar. Dies scheint mir ein deutlicher Hinweis darauf, daß das Konzept "sprachlicher Präsuppositionsgarant', die Unterscheidung '1-semantische vs. k-pragmatische Präsupposition', kaum sprachanalytischen Wert besitzen. Etnpirisch interessanter und wichtiger scheint es auf jeden Fall, Ausdrücke A. in Einzelkontexten auf ihre distinktiven präsuppositionalen Eigenschaften zu untersuchen, und, unter Rekurs auf die assertorische Funktion/Bedeutung42 von A. und die Art der Kontexte, zu erklären, veshalb sie in den einen Kontexten vorkommen und präsupponieren, und in den anderen nicht. Die folgende Betrachtung der faktiven Prädikate wird diesen Eindruck noch verstärken.

42 Daß diese eine ausschlaggebende Rolle spielt, ist von vornherein zu erwarten; anders wäre bei Verzicht auf das Konzept des Präsuppositionsgaranten die auffällige Kovarianz zwischen dem Auftreten bestimmter Lexeme und bestimmter Präsuppositionen nicht zu begreifen. Daß sich diese Erklärungsweise auch bei termbildenden Ausdrücken bewährt, hat vor allem Kempson (1975:173ff.) gezeigt, deren Erklärung der Präsuppositionseigenschaften des bestimmten Artikels wesentlich vom (assertorischen) Merkmal [+definit] Gebrauch macht. Eine ähnliche Analyse dürfte auch für den Allquantor, ausgehend vom (assertorischen) Bedeutungsaspekt der Totalität, möglich sein.

142

2.4 Faktive Prädikate und Kontext Die faktiven Prädikate sind bereits in Abschnitt 2.1 kurz vorgestellt worden; für eine ausführliche Diskussion ihrer senantischen wie syntaktischen Klassen-Merkmale verweise ich auf Abschnitt 3.2. Hier soll es allein um ihren Status als Präsuppositionsgaranten gehen. Zuvor muß nur noch angemerkt werden, daß die Einleitung des Komplements mit daß (bzw. engl. that) eine notwendige Bedingung für die Faktivitätsgarantie darstellt; bei Exklamativ- und Fragesatzkomplonenten z. B. ist die Wahrheit der Komplementproposition kei43 neswegs von Matrixprädikaten wie wissen, bedauern, seltsam induziert. 2.4.1 Dt. uissen/engl. know als Präsuppositionsgarant Die Diskussion um den 1-semantischen vs. k-pragmatischen Status faktiver Präsuppositionen ist bisher vornehmlich am Beispiel des Prädikats know/wissen geführt worden. 44 Das empirisch gewichtigste Argument gegen diesen Status als 1-semantischer Präsuppositionsgarant hat dabei Thcmason (1973:3) vorge43 Diese Bedingung ist notwendig im Sinne einer möglichst viele Kontexte umfassenden Präsuppositionsgarantie: Für viele faktive da/3-Konstruktionen gibt es zwar in indikativischen, in Vergangenheit oder Gegenwart angesiedelten (nichtgenerischen) Deklarativsätzen infinitivische bzw. Nominalisierungs-Varianten, ohne daß der faktive Charakter verloren geht, vgl. Daß er eingeladen wurde, überraschte ihn; die Einladung überraschte ihn; es überraschte ihn, eingeladen zu werden. (Für manche Verben, z. B. sich erinnern, vergessen, ist der Unterschied daß-Komplement vs. nominales Komplement vs. zu-Komplement allerdings präsuppositionell signifikant, vgl. Kiparsky/Kiparsky ( 1 9 7 1 : 3 6 o f . ) ) . Gerade in irrealen, futurischen Kontexten garantiert jedoch nur der daJ3-Gebrauch die faktive Präsupposition. Infinitivische und nominale Komplemente sind dort zweideutig, wobei die konditionale Lesart normalerweise die dominante ist, vgl. Abgelehnt zu werden würde mich ärgern = Es würde mich ärgern, wenn ich abgelehnt würde. Eine Einschränkung bezüglich that/daß als notwendigem Bestandteil faktiver Präsuppositionsgaranten ist eventuell für die von Wilkinson (197o)diskutierten engl. faktiven Konstruktionen der Art Bernie was wise to run away from the bear zu machen, die nur mittels Postulat einer gemeinsamen Tiefenstruktur und entsprechender Überführungsregeln mit tnat-Varianten wie (ii) That Bernie ran away from the bear was wise (of him) in Verbindung zu bringen sind. Hingegen ist *flernie was wise that he ran away from the bear ungrammatisch. Separiert man (i) von ( i i ) , kann wise im konstruktioneilen Muster (i) die faktive Präsupposition nicht garantieren, insofern Konstruktionen dieser Art in irrealen und futurischen Kontexten qua obligatorischer Infinitheit nichtfaktiv interpretiert werden, vgl. Bernie would be wise to run away from the bear. - Mehr zur Syntax faktiver Konstruktionen in Abschnitt 3.2. 44 Siehe dazu etwa Thomason (1973), Stalnaker (1973b), Harnish (1973), Blau (1973/74;1975/76:55ff.), Wilson (1972 und 1975), Boer/Lycan (1976:28ff.);

143

bracht:45 Er belegt für einen Satz wie (85) einen Kontext K, in dem (85) nicht die ihm üblicherweise zugeschriebene (Lind in anderen Kontexten zukommende) faktive Präsupposition (86) aufweist: (85)

John doesn't know that his wife used to be a go-go-dancer.

(86)

John's wife used to be a go-go-dancer.

Bei K handelt es sich um folgende Situation: Leute, die John gut kennen, aber seine Frau nicht, geraten müßigerweise in eine Diskussion darüber, ob Johns Frau eine Go-go-Tänzerin gewesen sei oder nicht. In deren Verlauf kann (85) natürlich geäußert werden, ohne daß (85) die Wahrheit von (86) impliziert im Gegenteil: (85) hat in diesem Kontext die Geltung eines Arguments dafür, daß (86) nicht wahr ist (was sich unter Voraussetzung der Alltagsweisheit, daß einem Mann in der tegel die Vergangenheit seiner Frau auf die Dauer nicht verborgen bleiben kann - zumindest nicht die signifikanten Stationen - recht leicht aus (85) ableiten läßt). Möglichkeiten, diesen Fall wegzuerkären, sind denkbar, wenngleich m. E. ad hoc. Ob man sie trotzdem nützen sollte, hängt natürlich mit davon ab, ob sie alle entscheiden sich dabei gegen den 1-semantischen Status dieser Präsuppositionen. In der eher linguistisch orientierten Literatur hingegen galt know/wissen bisher als das gern zitierte Paradebeispiel eines Präsuppositionsgaranten; diesbezügliche Zweifel werden wirklich explizit nur bei Delacruz (1972;1976). 45 Stalnaker (1973b), Kempson (1975), Wilson (1975) und Boer/Lycan (1976) bieten keine Gegenargumente im strengen Sinn; sie beschränken sich im wesentlichen auf pragmatische Erklärungsversuche dafür, wie es zu dem augenscheinlichen Präsuppositionseffekt bei faktiven Prädikaten kommt. - Die ansonsten gegen know/vissen als Präsuppositionsgaranten vorgebrachten Argumente sind entweder linguistisch problematisch (so etwa Blaus Argument, siehe Abschnitt 1.3.1.2 Anm. 35) oder nicht stichhaltig bzw. empirisch leer (so die Argumente von Harnisch 1973:Soff, und Wilson 1972; zu letzteren siehe Reis 1973a). - Zur weiteren Diskussion von wissen vgl. Abschnitt 3.1.5. 46 R. Hausser, personliche Mitteilung, schlägt vor, Sätze wie (85) als 'ambig' zu betrachten, d. h. die neben der präsuppositionalen Lesart mögliche nichtpräsuppositionale Lesart in Form eines Konditionals zu explizieren, etwa: If John's wife used to be a go-go-dancer, then John doesn't know it = Wenn John's Frau Go-go-Tänzerin gewesen ist, dann ist es auf jeden Fall so, daß John nichts davon weiß, woraus sich ebenfalls zusammen mit der zitierten Alltagsweisheit der 'Gegenargument-Effekt' konversationeil ergibt. Der Vorteil dieser Herleitung läge darin, daß das Fehlen der Präsupposition dann durch das Vorliegen des Filterkontextes 'Explizite Supposition'(siehe Abschnitt 2.2.3) erklärt wäre. Diese Erklärung erscheint mir allerdings problematisch: Erstens können nichtdeklarative Varianten von (85) wie Does. John know that his wife used to be a go-go-dancer? oder If John would know

144 überhaupt Aussicht besteht, die sprachlichen Ausdrücke know/wissen als 1-semantische Präsuppositions-Garanten zu retten. Einige andere nichtpräsuppositionale Gebrauchsweisen von know/wissen (und der englischen Parallelen, soweit vorhanden) geben hier zu Zweifeln Anlaß. In (87)-(91) gebe ich, ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder korrekte Klassifikation, Beispiele für nichtfaktive verwendungsweisen von wissen (vielfach durch know parallelisierbar) über (85) hinaus. Zumindest die nichtfaktive 'kontentive Verwendungsmöglichkeit1 hat wissen/know dabei mit den sogenannten Semifaktiven wie herausfinden, entdecken, wahrnehmen, feststellen, bemerken, sehen, darauf etc.

gemein.

47

kommen

Vielleicht vergleicht sich auch die Nichtfaktivität von wissen

in (88)a/(9o) mit der häufigen Nichtfaktivität von Semifaktiven in modalen Kontexten; auf jeden Fall verhalten sich inchoative Wendungen mit Wissens-Verben unter gleichen Umständen nichtfaktiv wie die durchweg inchoativen Semifaktive, vgl. dazu ( 9 2 ) . (87)

Rein 'kontentiver' Gebrauch: a.

Das russische Bauerlein weiß schon längst, daß Lenin ein Jude

that his wife used to be a go-go-dancer, I'd believe it right away, die in gleicher Weise nichtpräsuppositional sind, nicht analog paraphrasiert werden. Zweitens tritt der mit Äußerung von (85) im Kontext K verbundene Effekt nicht nur in diesem Fall a u f : Verwendungen mit komplementbestreitendem (und analog komplementbehauptendem) Effekt gibt es bei praktisch allen Konstruktionen mit Wahrnehmungs- bzw. Wissens-Verben (z. B. Aber hat (nicht) gesehen, daß p!), gleich ob inhärent faktiv oder nicht. Das Gemeinsame dieser Fälle liegt darin, daß Wissen und Wahrnehmungen bezüglich p in besonderer Weise zur Bezeugung/Begründung von p bzw. befähigt. Dies legt nahe, all diese Fälle einschließlich (85) nach Searle (1975) als indirekte Sprechakte der Behauptung bzw. Gegenbehauptung zu rekonstruie ren: Sie stellen ja de facto eine Assertion/Negation der Einleitungsbedingung (S hat gute/zureichende Gründe dafür, daß p) dar. Die e-pragmatische Natur dieser Erklärung (zu der ich wesentliche Anregungen einer Seminararbeit von I. Hänel, H. Lessenich und A. Schmücker verdanke) ist offensichtlich. 47 Zu den Semifaktiven vgl. Karttunen (1971a); Stalnaker (1973b); Oh (1974) und Rosenberg (1975). 48 'Kontentiv' soll auf die Parallele bezüglich der Matrixsatz-Komplementsatz-Beziehung in ( 8 7 ) a , b zu folgenden Sätzen hinweisen: (i)

Hans lehrte die Kinder/brachte den Kindern bei, daß Frankreich im Mittelalter von Kaisern regiert wurde.

(ii)

Hans informierte/sagte zu Fritz, daß er Geld brauchte/brauche.

In Sätzen dieser Art geben die Komplementsätze je den Gehalt der Lehre, der Mitteilung wieder, unabhängig von der Frage der Wahrheit der entsprechenden Proposition (diese kann in angemessenen Umständen präsupponiert sein). Kontentiv verwendbar sind in Sonderheit auch sogenannte Semifaktive; darauf hat m. W. erstmals Oh (1974) aufmerksam gemacht.

145 und auch Stalin einer war ... b.

(88)

49

Wissen ist relativ: Vor einigen Jahrhunderten wußte man z. B., daß sich die Sonne um die Erde dreht, heute weiß man es anders und hoffentlich auch besser. 'verbum-dicendi-ähnlicher' Gebrauch:

a.

Hanna: Ruth war gerade zum Kaffee da. - Fritz: So? Was wußte die Ratschbase denn alles? - Hanna: Ach, sie wußte z. B., daß Erna ein Kind kriegt. 50

b.

Der Bundeskanzler ließ die Journalisten wissen, daß die Verhandlungen mit Moskau ein entscheidendes Stadium erreicht haben/hätten.

(89)

wissen

sicher sein:

a.

Wenn Peter/ich (sicher) wüßte, daß Erna (tatsächlich) mit dem Nachtzug kommt, würde er/ich sie abholen.

b.

Weiß Helmut, daß Erna ihn hintergeht, oder bildet er sichs nur ein?

c.

Helmut übertreibt bei allem: Wenn Erna hustet, weiß er gleich, daß sie Tbc hat, und natürlich weiß er, daß Herr Meier NPD wählt, statt zuzugeben, daß es nur ein Vorurteil ist, das ihm Herrn Meiers Äusseres eingibt.

49 'Uneigentlichen' Gebrauch von wissen bei diesem Satz anzusetzen, scheint mir keineswegs zwingend, vgl. den Kontext dieses Belegs: "... daß der Antisemitismus in Rußland eine ausschließlich von oben, von der Staatsmacht oktroyierte Anordnung ist, die auf einen blinden, ungebildeten Boden fällt. 0 nein, das russische Bauerlein ist gar nicht so einfältig und überhaupt nicht blind. Es weiß schon längst, daß Lenin ein Jude und auch Stalin einer war (ein georgischer), und sogar Leo Tolstoj war Jude (ich hatte Gelegenheit, auch dieser Version zu begegnen). Zwar machen die Beispiele Iwans des Schrecklichen mit seiner Opritschnina, des Dschingis-Khan und des Mao Tse-tung, die - ungeachtet des von ihnen angerichteten Unheils beim besten Willen keine Juden sein können, ..." (A. Sinjawski, Süddeutsche Zeitung, 2.11.1974, S. 9 1 ) . 50 Man könnte diesen Gebrauch von wissen als elliptisch - zu ergänzen wäre (wußte) zu berichten - ansehen: Dies brächte uns einer Erklärung aber noch nicht entscheidend näher, insofern als die übliche "know how'-Bedeutung von wissen + zu + Infinitiv (vgl. Hans weiß zu leben) in zu berichten wissen nicht fraglos vorliegt. 51 Gründe, die Verbindung wissen lassen als idiomatisiert anzusehen, sehe ich nicht; allerdings ist die intuitiv bestehende Verbindung dieses Gebrauchs von wissen zu anderen Verwendungen in der Bedeutung "mitteilen 1 (z. B. Ihr sollt nämlich wissen, daß ich der Bruder Rafaels bin) nicht leicht explizierbar. 52 In Fällen wie ( 8 9 ) b , c korreliert die Nichtpräsuppositionalität deutlich mit etwas stärkerer Akzentuierung von wissen. Da sich jedoch durch Betontheit vs. Unbetontheit eines Lexems nicht automatisch eine Polysemisierung andeutet (vgl. etwa in dieser Hinsicht Konstruktionen mit bedauern), reicht dies allein zur Abspaltung eines nichtfaktiven wissen- von einem faktiven wissen, nicht aus. Vgl. auch Abschnitt 3.1.5.

146

(90)

'Frau im Spiegel1 glaubt zu wissen, daß Marilyn Monroe im Leben hochgestellter amerikanischer Persönlichkeiten eine größere Rolle spielte.

(91)

Ich wüßte nicht, daß ich ihm jemals in Sachen Geldbeschaffung behilflich war/gewesen wäre.

(92)a.

Sollte ich später feststellen/herausfinden, daß ich nicht die Wahrheit gesagt habe/hätte, werde ichs öffentlich verkünden.

a1.

If I find out/realize/discover later that ...

b.

Sollte mir später bewußt werden

b'.

If I'd come to know later that

• · *

54

Alle diese nichtpräsuppositionalen Gebräuche als 'sekundär* bzw. als Belege eines zu präsuppositionalem wiaaen*l homonymen wissen*.£· f «J~ · · · nachzuweisen,

um sie damit als Argumente gegen know/wisaen als Präsuppositionsgaranten ausklanmern zu können, scheint mir keineswegs leicht zu sein. Daß nichtfaktive Geltung des Komplements so häufig mit Gebrauch des Konjunktivs einhergeht, ist dabei nicht entscheidend hilfreich: Dies gilt nur für einen Teil der nichtfaktiven Wissen-Gebräuche und auch für diese letzten Endes fakultativ was u. a. heißt: Der Konjunktiv ist primär Ausdruck nichtpräsuppositionaler Geltung; er bewirkt sie nicht, und keinesfalls ist der Konjunktiv frei verfügbar, um in jeder Situation Nichtfaktivität zu erzwingen. Für die verbleibende Strategie - die bezüglich know/wiseen riichtpräsuppositionalen Kontexte als irrelevant auszuklammern - ist keine Rechtfertigung in Sicht. Zum einen dürfte sich allenfalls eine Teilklasse von ihnen semantisch-syntaktisch abgrenzen lassen; dies legt zumindest das in Anmerkung 46 und 53 Gesagte nahe. Zum ändern ist die Nichtpräsuppositionalität dieser Kontexte wenig allgemein: Schon die faktive Presupposition von Qnotiven wie peinlich sein, sich stören an, ~Le-ia tun bleibt z. B. in vergleichbaren inchoativen Kontexten oder durch Betonung unbetroffen, vgl. (93): 53 Die Nichtfaktivität von glaubt zu wissen, daß p läßt sich auf der Basis der Grice'sehen Maxime der Quantität erklären; dies möchte ich in einer gesonderten Studie zu 'distanzierendem1 yJauien/volJen-Gebrauch zeigen. Man beachte, daß hier genau wie bei Beispiel (85) (siehe Anm. 46) der nichtfaktive Gebrauch von wissen, da/3-Konstruktionen zum Gegenstand e-pragmatischer Erklärungen gemacht wird. Zu der natürlich ebenso notwendigen e-pragmatischen Erklärung des faktiven Gebrauchs siehe die in Anm. 44 genannten Autoren. 54 Daß die inchoative Bedeutungskomponente für die Erscheinung der Semi-Faktivität eine große Rolle spielt, ist bekannt und wurde zu Lösungen verschiedenster Art benutzt, vgl. Yamanashi (1972), Stalnaker (1973b), oh (1974). - Dt. wissen kann im übrigen in inchoativen Kontexten nicht natürlich vorkommen.

147 (93)a. b.

Sollte es mir anfangen werden, daß ...

leid zu tun/später einmal peinlich

Hans ist es peinlich, daß ...

Die einschlägigen Verbindungen von know/wissen zu den Semifaktiven einerseits und zu den von jeher als 1-semantisch nichtfaktiv eingestuften Berichtsverben wie mitteilen, informieren, sagen etc. zeigen zudem, daß Grenzziehungen, dichotone Aufspaltungen, wie sie die Unterscheidung von 1-semantischen vs. pragmatischen Präsuppositionen fordert, im kognitiv-faktiven Bereich willkürlich wären. Wenn überhaupt, müßten sie dort präsuppositional zwischen 'ne•gativ-kognitiven1 Faktiven wie vergessen, verschwitzen, verdrängen, verheimlichen und dem Rest verlaufen: Denn für die ersteren ist die faktive Präsupposition durchweg (von den in Abschnitt 2.2 aufgeführten Kontexten abgesehen), in Sonderheit in den angedeuteten Ausnaimekontexten für know/wissen, stabil. 2.4.2 Exkurs: Zum Problem nur einzelsprachlicher Präsuppositionsgaranten. Am Beispiel dt. wissen vs. engl. know Versucht man Thomasens Beispiel eines nichtpräsuppositionalen Kontextes bezüglich engl. know auf dt. wissen zu übertragen, ergibt sich folgender interessanter Sachverhalt: Der (85) am genauesten entsprechende deutsche Satz (94) kann in Thomasens Beispielsituation K nicht angemessen geäußert werden; zumindest läßt sich die nichtpräsuppositionale Lesart nur äußerst gezwungen verwirklichen. (94)

Hans weiß nicht, daß seine Frau früher Go-go-Tänzerin gewesen

Sehr viel natürlicher als (95)a. b.

ist.

(94) wäre auf jeden Fall (95)a oder (95)b:

Hans (jedenfalls) weiß nicht(s) davon, daß seine Frau früher Go-go-Tänzerin gewesen ist. Hans (jedenfalls) weiß nicht(s) davon, daß seine Frau früher Go-go-Tänzerin gewesen wäre.

Analoge Unterschiede ergeben sich für eine Reihe anderer know that vs. wissen, da/3-Gebräuche in Situationen, die nichtfaktive Geltung der Komplementproposition induzieren.(bzw. konversationell Skepsis oder Neutralität ihr gegenüber zum Ausdruck bringen). 5 5 55 Vgl. zu solchen Gebräuchen etwa das von Kiparsky/Kiparsky (1971:349Anm.a) zitierte Beispiel: I don't know that this isn't our car (nichtfaktiv; im Deutschen mit wissen nur bei Wahl gänzlich anderer syntaktischer Struktur paraphrasierbar); oder folgendes Beispiel: (i)

Behauptung: All known transformations are meaning preserving. Anmeldung von Zweifel dagegen: Oh, I don't know that.

Auch hier ist know klar nichtfaktiv bezüglich der (nicht realisierten) Komplementproposition. In deutschen Äquivalenten zu dieser Einwand-Phrase kommt wissen, daß normalerweise nicht vor. Wenn überhaupt dt. wissen in Sätzen vergleichbarer Geltung vorkommt, steht natürlicherweise wissen davon, daß, vgl. Beispie-

148 Dies scheint zunächst geradezu ein Beweis für die Richtigkeit der Charakterisierung von wissen, daß als faktiver Präsuppositionsgarant - und die sprachliche Relevanz des Konzepts 'Präsuppositionsgarant 1 generell - zu sein: Nichtfaktiver Gebrauch wird im Deutschen sprachlich-strukturell durch den Rahmen davon, daß markiert. Die Konsequenzen allerdings sind problematisch, wenn wir unterstellen, daß Kontexte wie der Thomasonsche die einzigen wären, in denen wissen, daß/know that keine faktive Präsupposition induziert. Dann wäre dt. wissen, daß (im Gegensatz zu wissen davon, daß) ein 1-semantischer Präsuppositionsgarant, engl. know that jedoch nicht: Dessen faktive Präsupposition wäre eo ipso k-pragmatisch. Die m. E. absurde Folge wäre, daß der englische Satz (85) und seine genaue deutsche Entsprechung (94) in all den vielen Situationen, in denen sie gleich angemessen und dabei beide präsuppositional gebraucht werden können, verschiedene 1-semantische Explikationen hätten: Sie wären einander nur pragmatisch, aber nicht 1-semantisch äquivalent. Das hieße unter anderem auch, daß in bezüglich know/wissen präsuppositionalen Kontexten der englische Satz bei scheiternder Präsupposition als nur falsch zu gelten hätte, der synonyme deutsche Satz jedoch als sinnlos. Akzeptiert man diese Konsequenz, hat man sich, will man konsistent sein, mit mehr als nur diesem künstlich vereinfachten Fall abzufinden. Z. B. werden die Funktionen des existenzpräsuppositionslosen englischen Quantors any im Deutschen zum Teil von den Quantoren jeder (alle) mit übernommen, die funktionsmäßig auch mit den englischen Präsuppositionsgaranten every, all überlappen; damit stellt sich das Problem äquivalenter 1-semantischer Repräsentation sofort wieder. Daß es bei genauerer kontrastiver Beobachtung viele solcher Fälle gibt, scheint mir keineswegs ausgeschlossen. Sucht man umgekehrt die sprachunabhängig einheitliche 1-semantische Repräsentation dieser Sätze zu retten, muß man entweder know that/wissen, daß einheitlich als 1-semantische Präsuppositionsgaranten ansetzen und dabei die strukturellen Indizien für zwei unterschiedliche Gebrauchsweisen im Deutschen als Argument zur Aufspaltung von engl. know in Homonyme verwenden, oder man muß,bei einheitlicher pragmatischer Auffassung des faktiven Phänomens, bei know that/wissen, daß die strukturell eindeutigen Indizien des Deutschen vernachlässigen. Beides wäre für die 1-semantisch orientierte Präsuppositionsbehandlung nicht unproblematisch: Im ersten Fall bedient man sich eines semantisch bedenklichen Homonymie-Arguments; im zweiten Fall wird die These, daß die oberflächenstrukturellen Eigenschaften maßgebend sind, bzw. daß es relevante 1-semantische sprachliche Präsuppositionsgaranten gibt, entscheidend geschwächt.

2.4.3 Nichtkognitive Faktive als Präsuppositionsgaranten

Zu überprüfen bleiben noch die Verhältnisse bei den nichtkognitiven Faktiven, darunter vor allem den Qnotiven. In dem von den Kiparskys (1971:363f.) angegebenen Umfang werden sie in der linguistisch orientierten Literatur durch56 Beispiele emotiver faktiver Prädikate gebe ich in Abschnitt 3.2 ( 2 5 ) . Neben den Emotiva rechne ich zu den nichtkognitiven Faktiven auch 'Evaluativa' (Beispiele ebda.) wie sie Wilkinson (197o) diskutiert.

149

weg als faktive Präsuppositionsgaranten behandelt bzw. anerkannt) zu den wenigen Ausnahmen gehört Delacruz (1972;1976). Auf dessen Argumentation sei unmittelbar anschließend eingegangen: Delacruz lehnt faktive Prädikate als Präsuppositionsgaranten pauschal ab. Gelten läßt er nur, daß die Konstruktion the faat that p per se die Wahrheit von p garantiert, also 'faktiver Präsuppositionsgarant' ist. Prädikate wie regret, surprise, sad etc. sind für ihn faktiv nur in dem Sinne, daß ihre semantischen Selektionsbeschränkungen fact (that S)-Nominalisierungen in Subjekt- bzw. Objektposition erlauben. Die vielfache Äquivalenz in präsuppositionaler Hinsicht zwischen Sätzen wie etwa (96)a und (96)b kann demnach, nach Delacruz, nur eine pragmatische sein, nicht aber durch eine gemeinsame (sei es syntaktische, sanantische, logische) Tiefenstruktur vermittelt. (96)a. b.

Bill regrets (doesn't regret) the fact that John resigned. Bill regrets (doesn't regret) that John resigned.

Diese Konsequenz rechtfertigt Delacruz (S. 194f.) vor allem mit Hinweis auf Kontexte wie ( 9 6 ' ) , in welchen Sätze wie (96)a ihre faktive Präsupposition behalten, nicht aber Sätze wie (96)b: (96')

[gesprochen von jemandem, der weiß, daß die Komplementproposition nicht wahr ist:] a.

Believing John to have resigned, Bill regrets that John resigned.

b.

Believing every student to have passed, Mary was surprised that every student passed.

Delacruz1 Beobachtung ist zweifellos korrekt, aber die pauschale Eliminierung faktiver Prädikate aus der Reihe der Präsuppositionsgaranten rechtfertigt sie nicht. Die Kontexte (96 1 ) sind offensichtlich Varianten des in Abschnitt 2.2.5 beschriebenen Glaubenskontextes; das dort erzielte Ergebnis - daß sinnvollerweise nur die Präsupposition 'persönlicher' faktiver Prädikate (das sind solche, bei den der Träger der emotionalen Einstellung explizit mit ausgedrückt wird) betroffen sein können - bestätigt sich auch hier. Die ändern, in diesem Sinne 'unpersönlichen' faktiven Prädikate - die beiden wesentlichen Typen illustrieren (97) und (98) - induzieren die faktive Präsupposition, von allgemein als Ausnahme akzeptierten Kontexten abgesehen, weiterhin durchgängig. 57 So bei Karttunen (1971a und 1971b); Keenan (197o,1971 und 1972); Hooper (1975); Zuber (1973); Hausser (1974 und 1976), um nur einige zu nennen.

150 (97)a. b. (98)a. b.

It was sad that John had to go. Schade, daß Hans gehen mußte. It was nice of him to help me with the laundry, Es war nett von ihm, daß er mir waschen half.

Probleme für die faktive Klasse in dem von den Kiparskys e. a. vertretenen Umfang bleiben jedoch weiterhin: Zum einen sind, in idiosynkratischer Verteilung, einige emotiv-faktive Prädikate auch zur Einleitung indirekter Rede zu verwenden, vgl. (99): (99)a.

Kissinger bedauerte/(»tat es leid), daß die Betroffenen sich so wenig verhandlungsbereit gezeigt hätten.

b.

Hinz zeigte sich enttäuscht/verärgert/dankbar (dafür)/überrascht, daß Kunz soviel Ehre widerfahren sei/wäre.

c.

Hinz klagt furchtbar über die Zustände, z. B. stört es ihn, daß je Student nur o , 2 qm Raum zur Verfügung stünden.

Verbum-Dicendi-Gebrauch führte bei Verben wie informieren, sagen, berichten, mitteilen etc. dazu, sie trotz häufigen faktiven Gebrauchs nie als faktive Präsuppositionsgaranten in Betracht zu ziehen. Konsequenterweise würde man die in dieser Weise verwendbaren Emotiva, u. a. den auch im Deutschen gern zitierten Paradefall bedauern, aus der faktiven Klasse ausgliedern müssen; zumindest ist eine Rechtfertigung für verschiedene Behandlung - sei es via verschiedene Häufigkeit oder 'Eigentlichkeit' des Verbum-Dicendi-Gebrauchs je nach Verb - nicht in Sicht. Zum zweiten lassen Kcmplement-Konstruktionen mit einer Reihe von Prädikaten wie sich ärgern, jemanden bedauern, beleidigt/entzückt/erfreut/böse sein neben der normalen faktiven Lesart auch eine nichtpräsuppositionale Lesart zu, und zwar in der Weise, daß die Kcmplementproposition sprechaktsensitiv ist, d. h. bei Infragestellung, Vermutungsform, Negation des Matrixsatzes ebenfalls Teil des Erfragten, Vermuteten, Negierten sein kann, vgl. etwa (1oo): (loo)a. a'.

Hinz: Vermutlich ärgert sich Meier, daß sein Sohn eingezogen wird. Hinz: Ärgert sich Meier (etwa) darüber, daß sein Sohn eingezogen wird?

58 Verbum-Dicendi-Gebrauch von Verben, die normalerweise als von Haus aus 'faktiv 1 eingestuft werden, wie bedauern, sich wundern, dankbar sein etc. verzeichnet auch Jäger ( 1 9 7 1 : 3 o f f . ) .

151

b.

Kunz: Nein, Meier ärgert sich nicht darüber, daß sein Sohn eingezogen wird - darüber ist noch gar nicht entschieden - ,sondern daß sein Baugelände für einen Truppenübungsplatz enteignet wird.

Nichtpräsuppositional in der genannten Weise ist

(1oo) etwa in folgendem

Kontext: Meier, bekannt als hitziger Verteidiger der Institution Bundeswehr, kritisiert sie eines Abends lautstark. Dies bedarf für Hinz und Kunz, die Meier gut kennen, der Erkärung. Da Hinz weiß, daß Meiers Sohn einen Rückstellungsantrag stellte (und Meier auf Grund seiner Beziehungen mit einem positiven Entscheid rechnet), aber Hinz nicht weiß, wie er beschieden wurde, liegt es nahe, in dieser Richtung den Grund für Meiers Verhalten zu suchen. (1co)a, a" sind Versuche, sich über die kcrnplexe Deutung von Meiers Verhalten Gewißheit zu verschaffen. Kunzens Reaktion (1oo)b ist dabei ebenfalls nichtfaktiv zu lesen. Sie besagt eindeutig, daß die Korplementproposition nicht wahr ist, woraus indirekt folgt, daß sie Meiers Ärger nicht erklären kann. Dies wird besonders deutlich, wenn man (1oo) mit einer einschlägig parallelen Alternativreaktion wie (1o1) vergleicht, die eindeutig f aktiv ist:

Mit ihr wird le-

diglich verneint, daß die Tatsache, daß der Sohn eingezogen wird, diejenige ist, (lol)

die Meier schlimn findet. In Meiers Augen ist nicht das schlitam, daß sein Sohn eingezogen wird, sondern daß sein Baugelände für einen Truppenübungsplatz enteignet wird.

Die Verbgruppe, die neben normal faktiver Verwendungsweise nichtfaktive Verwendung wie die in (1co) illustrierte zuläßt, scheint mir durch folgende Merkmale ausgezeichnet:59 (i) Matrix- und Komplementsatz sind locker verbunden; d. h. die betreffenden Prädikate nehmen Präpositionalobjekt-Komplemente (mit fakultativer Realisierung des präpositionalen Platzhalterausdrucks) zu sich; diese Komplemente sind in der Regel fakultativ, (ii) Matrix- und Komplementsatz stehen in einer quasikausalen Beziehung; häufig sind daß und weil gegeneinander austauschbar. - Wie diese Eigenschaften zu einer Erklärung der bebeschriebenen nichtfaktiven Gebrauchsmöglichkeit beitragen, stehe hier dahin. 59 Diese Verbgruppe ist bisher nie extensiv in der Literatur behandelt worden. Einen Einzelfall, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen, diskutiert Hajicovä (1974:16of., engl. glad); einige mit (loo) vergleichbare Fälle behandelt Rosenberg (1975). 60 Daß sich die Parallele zu wei2-Konstruktionen fruchtbar nutzen läßt, möchte ich in einer gesonderten Studie zu Kausalkonstruktionen zeigen. Voraussetzung dazu ist allerdings, daß man (a) die literaturgängige Ansicht widerlegt, daß weil selbst ein Präsuppositionsgarant sei (so etwa Morgan (1969: 384, since); Bartsch (1972:lo8, veil); Ross (1973:138, since/because)); (b) die Gleichheit der Umstände aufzeigen kann, unter denen in S. weil S-

152

Auf jeden Fall - und dies scheint im vorliegenden Zusammenhang wichtiger ist diese Gruppe der durch quasikausalen Gebrauch charakterisierten Verba Affectüs

weder deckungsgleich mit der Gruppe der Snotiva, die sich in Glau-

benskontexten nichtfaktiv verhält (zu ersteren gehören nur "persönliche1 Emotiva mit fakultativem Präsuppositionalobjekt-Komplement), noch sind die Grenzen zwischen Verba Affectüs und anderen Faktiven im einzelnen scharf und leicht zu ziehen. Schließlich reflektiert der für die Stabilität faktiver Präsuppositionen (und damit für die Geltung als Präsuppositionsgarant) offenbar entscheidende Unterschied 'persönlich* vs. "unpersönlich1 in der Regel nicht inhärente semantische Eigenschaften der sprachlichen Ausdrücke, sondern ihres jeweiligen Gebrauchs im Satz: Zwar sird einige Prädikate, bezogen auf ihre unmittelbaren Selektionsbeschränkungen, klar "persönlich" oder "unpersönlich " , insofern sie in day3-Konstruktionen ausschließlich in der einen oder anderen Weise verwendet werden, vgl. (1o2), (1o3); und weiterhin lassen sich einige andere Prädikate, die in beiden Verwendungsweisen auftreten, als in einschlägiger Weise polysem auffassen, vgl. (1o4): (Io2)a. b. (Io3)a. b. (Io4)a. b.

Hans ist verärgert/verstimmt/voller Wut/zufrieden/bestürzt/zornig, daß Fritz abgesagt hat. *Es ist verärgert/verstimmt/voller Wut/zufrieden/bestürzt/zornig, daß Fritz abgesagt hat. Es ist schade/lächerlich/bedenklich/ungeheuerlich/ein Fritz abgesagt hat.

Jammer, daß

*Hans ist schade/lächerlich/bedenklich/ungeheuerlich/ein daß Fritz abgesagt hat.

Jammer,

Hans ist traurig/ärgerlich, daß Fritz abgesagt hat. Es ist traurig/ärgerlich, daß Fritz abgesagt hat.

-Konstruktionen und in den fraglichen Sj daß ^-Konstruktionen §2 präsupponiert ist. (So weit ich sehe, ist die wesentliche Bedingung, daß S2 zu den allgemein oder Situationen besonders wahrscheinlichen Ursachen für Sj zählt. Z. B. wäre in dem gegebenen Kontext von (loo) ein statt (loo) a geäußerter, formal gleicher Satz Ärgert sich Meier (etwa) darüber, daß der Freund seines Sohnes als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurde? klar faktiv, wenn nicht durch geteilte Zusatzannahmen bzw. Zusatzwissen auf seiten von Hinz wie Kunz sichergestellt ist, daß die Komplementproposition einen naheliegenden Grund für Meiers Ärger benennt. - Die e-pragmatische Natur dieser Erklärung des präsuppositionalen Verhaltens von weil scheint mir evident) . 61 Die so charakterisierte Gruppe von Prädikaten scheint mit der im Lateinischen so benannten Verbgruppe (bezeichnenderweise durch guod-Anschluß des Komplements ausgezeichnet) völlig vergleichbar. 62 Eine Abwandlung des in Chomsky (1965) bzw. McCawley (1968:126f.) bezüglich sad gebrachten Arguments soll als unabhängige Rechtfertigung genügen: Ein

153

Aber: Alle in dem Sinne unpersönlichen Prädikate, daß sie im Rahmen Es ist fdaß

p verwendbar sind,können auch im Rahmen (1o5)a vorkamen; die

meisten auch im Rahmen (1o5)b,b'; viele können fakultativ den Träger der im Prädikat ausgedrückten Empfindung zu sich nehmen, ohne daß ihre Bedeutung eine andere wäre als im rein unpersönlichen,in (1o3)b, (1o4)b, illustrierten Gebrauch, vgl. (1o5), (1o6): (Io5)a. b. 1

b . (Io6)

Hans findet es Hans kommt es

, daß Fritz abgesagt hat. ____ vor, daß Fritz abgesagt hat.

Hans scheint es __

(zu sein), daß Fritz abgesagt hat.

Es ist für Hans peinlich/wichtig/unwichtig/unbegreiflich/sehr arg, daß Fritz abgesagt hat.

Da aber Sätze der Art (1o5)/(1o6) in Glaubenskontexten nichtfaktiv gebraucht werden können, Verbum-Dicendi-Gebrauch zumindest für Sätze wie (1o5)a nicht ungewöhnlich ist, garantieren auch "unpersönliche1 emotive Prädikate nicht per se die faktive Präsupposition innerhalb von daß-Konstruktionen. Un 1-semantische Präsuppositionsgaranten in diesem Bereich überhaupt zu retten, muß also entweder mit weit komplexeren sprachlichen Präsuppositionsgaranten als 'Prädikat1 und deren im Lexikon auftauchenden Charakteristika gerechnet werden - in Betracht zu ziehen wäre die gesamte superordinierte Matrixstruktur -; oder von präsuppositionsgarantierenden Prädikaten wie seltsam, schade, lächerlich etc. wären, syntaktisch wie semantisch ad hoc, Ausdrücke wie seltsam finden, jemandem seltsam scheinen, für1 jemanden seltsam sein als eigenständige komplexe Prädikate abzutrennen. Wie auch immer man sich im einzelnen entscheidet - der beabsichtigte Demonstrationszweck scheint mir insgesamt erreicht: Auch unter faktiven Prädikaten gibt es ohne idiosynkratische Kontextvernachlässigung keine Präsuppositionsgaranten. Die Unterscheidung 1-senantischer vs. k-pragmatischer faktiver Präsuppositionen zieht willkürliche Grenzen, wobei die quantitativ stabilsten Präsuppositionsgaranten wiederum nicht unbedingt wissen, bedauern etc. sind, d. h. diejenigen, für die sich logische wie linguistische Forschung Satz wie *Hans ist ebenso traurig wie die Geschichte ist abweichend, weil traurig bezüglich Hans und Geschichte verschiedene Selektionsbestimmungen hat, d. h. polysem ist. traurig in erster Verwendung ist dem Gebrauch in ( I o 4 ) a parallel, traurig in zweiter Verwendung dem Gebrauch in ( I o 4 ) b .

154

bisher am meisten interessierte. Und wiederum scheint aufschlußreicher als diese rein quantitativ orientierte Grenzziehung die qualitative Untersuchung des Wie? und Warum? der Kontextabhängigkeit faktiver Präsuppositionen bezüglich gegebener Matrixprädikate und Matrixsätze (in ihrer assertorischen Bedeutung!) . Daß dabei rein pragmatische Falcioren einbezogen werden müßten, ist angesichts von Beispielen wie (1co) wahrscheinlich.

' 63 Am stabilsten, faktiv gesehen, scheinen Konstruktionen, die an der Grenze von Komplementkonstruktionen und freien da/3-Konstruktionen stehen, vgl. Du jbist dumm, daß du das tust; Hans ist verrückt, daß er ihr hilft (siehe dazu auch Abschnitt 1.3.4.4). Sie sind in der Präsuppositionsliteratur und andernorts nur selten erwähnt, geschweige denn gründlich untersucht worden

155

2.5 Ergebnis Die vorgehenden Überlegungen haben erbracht, daß die Frage 'Gibt es sprachliche Präsuppositionsgaranten?' entweder verneint werden muß - dann nämlich, wenn man deren Definition in puncto 'alle möglichen Kontexte1 (vgl. Abschnitt 1.3.1.2 (3o)) wörtlich nimmt -, oder nur unter Modifikationen bejaht werden kann, die die dichotcme Einteilung der Präsuppositionsphänomene in 1-semantische vs. k-pragmatische ad absurdum führen: Entweder geht man bei der Bestimmung der präsuppositionsrelevanten Kontexte nicht willkürlich vor, d. h. schließt nur die aus, die für alle Präsuppositionsklassen nichtpräsuppositional sind; dann ist die Klasse der darauf bezüglichen Präsuppositionsgaranten nicht leer, aber logisch wie linguistisch uninteressant, "zufällig1. Oder man spart Kontexte nach Maßgabe derjenigen sprachlichen Ausdrücke aus, die für Logik wie Linguistik interessante Präsuppositionsgaranten abgäben; dann jedoch ist die Aufspaltung der Kontexte in präsuppositionsrelevante und -irrelevante gänzlich ad hoc. Angesichts des quantitativ fließenden Übergangs zwischen den verschiedenen Ausdrücken, die in weniger oder mehr Kontexten Präsuppositionen induzieren, sowie deren teilweiser 'Kreuzklassifikation1 bezüglich der Präsuppositionalität von Kontexten (G. präsupponiert P.. in K., aber nicht in K«; G_ präsupponiert P_ nicht in K-, wohl aber in K_ etc.), ist eine dichotcme Grenzziehung, wie die Frage nach 1-semantischen vs. k-pragmatischen Präsuppositionen sie verlangt, nicht zwanglos zu gewährleisten. Darüber hinaus deutete sich an, daß die einzige 1-semantische Alternative hierzu - Erklärung der Kontextabhängigkeit putativ 1-setnantischer Präsuppositionen durch eine syntaktisch-sarantische Suspensionstheorie (siehe Abschnitt 2.3.6) - allenfalls für eine Teilklasse von Fällen in Frage könnt. In der Mehrzahl der Fälle scheinen die nichtpräsuppositionalen Kontexte ihrer Abgrenzung nach pragmatisch. Diesem Decimals in Kürze skizzierten Argumentationsgang ordnen sich die zu termbildenden Ausdrücken wie faktiven Prädikaten gemachten Bemerkungen alle zu. Zudem zeigte sich bei deren Diskussion, daß der noch verbleibende Weg zur Etablierung von Präsuppositionsgaranten - die Hanonymisierung der entsprechenden sprachlichen Ausdrücke - sich linguistisch nur selten willkürfrei benutzen läßt. Damit zeichnet sich ein gewisses Dilemma ab: Obwohl es linguistische Rechtfertigung dafür nicht gibt, muß man diesen Weg doch konsequent und rigoros benutzen (was seinerseits zur Einebnung des Unterschieds

156

zwischen 1-semantischen und k-pragmatischen Präsuppositionen führte). Denn sonst könnte der unerwünschte Fall eintreten, daß einander total entsprechenden, in verschiedenen Sprachen x, y formulierten Sätzen S , S (wobei die Entsprechung sich sowohl auf äußere sprachliche Struktur als auch Bedeutung - sprechaktsensitive wie präsupponierte Propositionen - und Art der Präsuppositionsauslöser G. in allen G.-präsuppositionalen Kontexten erstreckt) die identische 1-semantische Explikation vorenthalten werden muß, weil der Präsuppositionsauslöser nur in Sprache Präsuppositionsgarant ist, nicht aber in Sprache y. Solche Fälle mögen selten sein; daß sie jedoch de facto nie auftreten, scheint mir angesichts der fehlenden 1:1-Entsprechung der verschiedenen einzelsprachlichen Lexemgliederungen eine unbegründete Hoffnung. Dieser Befund rechtfertigt es, unter linguistischem Aspekt auf die dichotcme Einteilung der Präsuppositionsphänonene in 1-semantische vs. k-pragmatische zu verzichten: Sie ist sprachlich weder notwendig, noch möglich, noch nützlich. Damit ist auch der Weg frei, das Präsuppositionsphänonen selber als einheitliches zu sehen, und in gleicher Weise auch die Einheitlichkeit der Beschreibungsaufgaben: Ob man fragt, wie und weshalb gewisse Kontexte bezüglich aller Präsuppositionstypen bzw. -"garanten1 nichtpräsuppositional sind, der Thonasonsche Beispielkontext (siehe Abschnitt 2.4.1) jedoch nur bezogen auf know, oder ob man fragt, unter welchen Umständen bei definiten Ausdrücken wie rder + (1-semantisch ein Präsuppositionsgarant) die '1-semantische' Existenzpräsupposition wegbleibt, und unter welchen Umständen bei Ausdrücken wie ralle + N 1 , re-in + N1 (1-semantisch kontroverse oder keine Präsuppositionsgaranten) die ' k-pragmatische' Existenzpräsupposition auftritt - all diese Fragen sind dann Varianten einer wesentlich gleichen Aufgabenstellung: Unter Rückgriff auf die Bedeutung der zur Debatte stehenden Sätze bzw. sprachlichen Ausdrücke und die spezielle Art der betreffenden Kontexte zu erklären, weshalb die je fragliche Präsupposition auftritt oder nicht. Dies aber heißt nichts anderes, als die e-pragmatische Position zu akzeptieren, wie sie in Abschnitt 1.4 skizziert wurde.

Das negative Ergebnis von Abschnitt 2 hat auch unter präsuppositionslogischem Aspekt Konsequenzen, auf die ich abschließend hinweisen möchte: Wenn es Präsuppositionen, aber keine sprachlichen Präsuppositionsgaranten dafür gibt, dann besagt das, daß die sprachliche Form von Äußerungen keinen direkten

157

oder eindeutigen Wegweiser zu deren präsuppositionalen Eigenschaften darstellt. Entsprechend muß für eine logische Präsuppositionsanalyse die direkte sprachanalytische Motivation entfallen. Es entfällt damit nicht notwendig die logische Motivation für eine Präsuppositionslogik bzw., allgemeiner, für eine dreiwertige Logik, denn an der Existenz des Präsuppositionsproblems als solchem, entsprechend an der Möglichkeit präsuppositonaler Schlüsse, und auch unbestiimter, weil absolut unverifizierbarer Sätze, gibt es keinen Zweifel. Wer diese innerhalb der Logik charakterisieren will, kann dies, unter Aufgabe der in Abschnitt 1 in (16) , (3o), (55), (56) etc. formulierten Beziehungen, durchaus tun: Garant der Existenz- und Eindeutigkeitspräsupposition z. B. von Satz (3) in Abschnitt 2, wäre dann nicht mehr der sprachliche Ausdruck 'bestimmter Artikel', sondern ausschließlich der 'propositionale Präsuppositionsgarant', etwa der Jota-Operator in der (3) entsprechenden logischen Form. Sätze wie (56) und (57), die trotz auftretender definiter Ausdrücke keine Existenz- bzw. Eindeutigkeitspräsupposition aufweisen, stellen dann keinerlei Problem dar, insofern ihre korrekte logische Explikation den Jota-Operator ganz sicher nicht enthält. In diesem Sinne gibt es auch weiterhin propositional repräsentierte, logische Präsuppositionen. Da diese jedoch nicht nach Maßgabe der sprachlichen Ausdrucksmittel auftreten, ist dies mit der Ablehnung der linguistischen Relevanz des Gegensatzes k-pragmatische vs. 1-semantische Präsuppositionen (bzw. der Ablehnung, entsprechende sprachliche Präsuppositionsgaranten auszusondern) durchaus verträglich. Zu akzeptieren wäre damit allerdings auch, daß die linguistische und logische Analyse in einem wesentlichen Punkt nicht deckungsgleich sind: Präsuppositionen mögen vielleicht Wahrheitswertvoraussetzungen für Propositionen sein - und dies in Abhängigkeit von darin enthaltenen logischen Ausdrucksmitteln, deren Funktion sie mit charakterisieren; die Langue-Bedeutung einzelner sprachlicher Ausdrucksmittel charakterisieren sie (damit) nicht. 64 Absolut unverifizierbar im Sinne Blaus (1973/74;1975/76:67ff.). 65 Nichterfüllte Präsuppositionen sind zudem nicht der einzige Unbestimmtheitsgrund für Sätze; hinzu kommt die aus dem Vagheitsspielraum natürlicher Prädikate resultierende Möglichkeit von im Wahrheitswert unbestimmbaren Sätzen, siehe Blau (1973/74;1975/76:22ff.). Eine gewisse sprachanalytische Motivation für dreiwertige Logiksysteme bleibt somit auf jeden Fall erhalten.

3. PRÄSUPPOSITIONEN UND GRAMMATIK

Wenden wir uns nun direkt der Hauptfrage dieser Arbeit zu: Inwieweit gehen präsuppositionale Gegebenheiten in die Grammatik, sei es zur Formulierung der grammatischen Regeln, sei es zur Beschreibung der sprachlichen Lexembedeutungen,wesentlich bzw. notwendig mit ein? Im Hinblick darauf hat das Ergebnis des letzten Abschnittes einigen Aufschluß gebracht: Da kaum eine sprachliche Einheit durchgängig konstante präsuppositionale Eigenschaften aufwies, können diese auch nicht im eigentlichen Sinn semantische Eigenschaften von jenen sein: Von daher ist die Aufnahme präsuppositionaler Information in die jeweiligen Lexikoneinträge weder notwendig noch gerechtfertigt. Dieses Ergebnis bestätigt auch evidentermaßen die in Abschnitt 1.4 skizzierte e-pragmatische Position. Trotzdem aber braucht der Vertreter des 1-semantischen Standpuktes noch nicht aufzugeben, denn die Überprüfung der folgenden beiden Möglichkeiten steht noch aus: (1)

Es gibt präsuppositionale Minimalpaare; d. h. es gibt Lexeme L^, L j , die sich, bei sonst gleicher semantischer Funktion bzw. Bedeutung, allein dadurch unterscheiden, daß L^ eine zusätzliche Präsupposition P induziert.

(2)

Präsuppositionen sind syntaktisch relevant; d. h. es gibt syntaktische Prozesse und Regeln, die wesentlich von präsuppositionalen Bedingungen abhängen.

Würden (1) und (2) sich bestätigen, dann müßten präsuppositionale Gegebenheiten auf jeden Fall innergrammtisch bzw. im Lexikon - als Eigenschaften bestiimter Wörter und Konstruktionen - repräsentiert werden. Selbstverständlich wäre dabei auch ihre je spezifische 'Suspendierbarkeit' im Kontext zu markieren; was im Grunde auf eine polyseme Aufspaltung der betreffenden Lexeme nach "± präsuppositional" hinausliefe. Doch selbst dies wäre, falls (1) sich bestätigt, kaum mehr als 'ad hoc1 angreifbar: Denn mit der Existenz einschlägiger Minimalpaare wäre die Langue-Relevanz eines Gebrauchsunterschiedes erwiesen, damit die grundsätzliche Rechtfertigung für entsprechende Pol Vgl. dazu etwa Fillmore (1969;1971a:383Anm.a).

159

lysemisierungen von Lexemen vorhanden. Daß damit auch das negative Ergebnis von Abschnitt 2 entscheidend zu relativieren wäre/ ist unmittelbar einsich-

tig. Wie steht es also um die Richtigkeit der Thesen (1) und (2)? Nach der einschlägigen Forschung zu schließen, fraglos gut: Die (wenigen) Arbeiten, die (1) und (2) thematisieren, bejahen sie,

die übrige Forschung setzt fast

durchweg die syntaktische wie semantische Relevanz präsuppositionaler Gegebenheiten als selbstverständlich voraus.

Demgegenüber möchte ich jedoch im

folgenden zeigen, daß keinerlei Anhaltspunkte für die Richtigkeit von (1) oder (2) vorliegen: Die zur Diskussion stehenden Daten sind sämtliche im Sinne des Bewsisziels entweder nicht stichhaltig oder nicht einschlägig. Meine Argumentation ist notgedrungen auswahlhaft; ich beziehe jedoch, im Rahmen des in Abschnitt 1 präzisierten Präsuppositionsbegriffs, sämtliche Daten ein, deren Relevanz bezüglich (1)/(2) explizit geltend gemacht wurde. Hinsichtlich These (1) sind das nur sehr wenige; neben dem fast topischen Minimalpaar engl. 2 Thematisiert wurde vor allem ( 2 ) , typischerweise in der frühen linguistischen Präsuppositionsforschung, die im Rahmen der Auseinandersetzung um die Autonomie der Syntax gegenüber der Semantik für die innersyntaktische Relevanz präsuppositionaler Fakten argumentierte (vgl. vor allem natürlich die einflußreichen Arbeiten Kiparsky/Kiparsky 1971 und Chomsky 1971). - Darüber hinaus implizieren natürlich sämtliche Arbeiten bzw. grammatischen Modelle, die präsuppositionslogische Ausgangsstrukturen bzw. präsuppositionslogische Interpretationen für ihre Derivate vorsehen (siehe etwa Hausser 1974; Keenan 1969, 1972) oder mit einem durch 'derivational constraints' der Grammatik i. e. S. vielfach zugänglichen "presupposition pool1 rechnen (etwa G. Lakoff 1971c, Postal 1972; ebenso, mit einigen Einschränkungen, Chomsky 1971, wobei den 'derivational constraints' seine semantischen Interpretationsregeln entsprechen), bzw. 'Eins-Jtzbedingungen für Präsuppositionen' erörtern (etwa Morgan 1969; Pusch 1972; Cohen 1973; Muraki 1974), manifest die grammatische Relevanz von Präsuppositionen bzw. die Notwendigkeit, präsuppositionale Information in die Grammatik (dabei in die semantische Repräsentation) mit aufzunehmen. 3 Dies nicht ohne Grund: Die neuere Präsuppositionsforschung steht durchweg im Kontext einer eher auf Integration von Logik und Pragmatik als auf diesbezügliche Abgrenzung bedachten Sprachwissenschaft (vgl. Franck 1973). Eine Frage, wie die nach der i. e. S. grammatischen Relevanz von Präsuppositionen im einzelnen konnte dann einerseits leicht als sterile Abgrenzungsfrage und damit als überholt, überflüssig erscheinen. Andererseits mußten die Überlegungen, die generell für die Aufgabe der Distinktion "Kompetenz vs. Performanz 1 oder die Aufgabe der Abgrenzung logischer vs. linguistischer Tiefenstrukturen von Sätzen zu sprechen schienen - und dies läuft auf die Behauptung wechselseitiger Abhängigkeit/Untrennbarkeit von Pragmatik, Linguistik und Logik hinaus -, von vornherein Entsprechendes für den Präsuppositionsfall nahelegen. Abgrenzungsfragen dieser Art sind jedoch bei aller Komplexität nicht dogmatische sondern empirische, die im Einzelfall überprüft werden können, vgl. dazu diese Arbeit (Vorbemerkung und passim).

160

aoouseioriticize (dt. beschuldigen:tadeln) behandle ich noch unter je verschiedenen Aspekten das Quantorenpaar engl. some:any, den Gegensatz starke: schwache Negation; abschließend gehe ich, nach einigen Bemerkungen zu implikativen vs. einfachen Konstruktionen, kurz auf den schwierigen Fall glauben: wissen ein. Hinsichtlich These (2) diskutiere ich zum einen die behauptete syntaktische Relevanz des Präsuppositionsmerkmals [+ faktiv], zum ändern den präsuppositionalen Status der syntaktisch zweifelsfrei relevanten Ibpic/Fokus-Erscheinungen. Ein dritter Bereich, dessen Betrachtung sich hinsichtlich (2) lohnen würde, wäre die SatzStruktur als solche; dabei wäre zu untersuchen, in welchem Entsprechungs- gegebenenfalls Abhängigkeitsverhältnis die lineare wie hierarchische Organisation eines Satzes zu seiner intendierten kcramunikativen (d. h. illokutiven vs. präsuppositionalen) Gliederung steht. Diesen Bereich will ich hier aussparen; nach meinen bisherigen Beobachtungen stehen jedoch die zu erwartenden Ergebnisse ganz mit dem Hauptergebnis der 4 vorliegenden Studie im Einklang. Unbeschadet dessen, ob sich dieses insgesamt halten und auf alle (vielleicht bisher noch gar nicht als solche erforschten) einschlägigen Fälle verallgemeinern läßt oder nicht, scheint mir die folgende Untersuchung auf jeden Fall eines sicher zu erbringen: Daß eine schlüssige Beweisführung in der Frage der grammatischen Relevanz von Präsuppositionen weitaus problematischer, damit viel weniger vernachlässigbar

ist,

als die gegenwärtige Forschungspraxis unterstellt. 3.1 Präsuppositionen und Lexikon

3.1.1 Engl. aaouse-.critioize, dt. beschuldigen:tadeln Fil]more hat anhand von Sätzen wie (3), (4) (3)

Harry accused Mary of writing the editorial.

4 So weit ich sehe, besteht keinerlei Grund, die zweifellos normalen Ent- . sprechungsverhältnisse linearer und hierarchischer Art (etwa: "Wenn eine Präsupposition S 1 eines (Teil-)Satzes S im gleichen Satzgefüge verbalisiert ist, steht sie vor S" oder "In hierarchischen Gefügen werden Präsuppositionen S 1 eines Satzes S (wenn überhaupt) als Nebensätze versprachlicht; der Hauptsatz hingegen enthält die sprechaktsensitive Proposition - d. h. der Hauptsatz ist S") als Gesetzesverhältnisse zu formulieren. Ausnahmen lassen sich leicht finden, - zur angeblichen linearen Entsprechung siehe etwa das in Abschnitt 2 . 2 . 3 und 2 . 2 . 4 gegen die Filter-Asymmetrie Gesagte; gegen die hierarchischen Entsprechungen lassen sich von vornherein implikative Konstruktionen und Konstruktionen der Art Bedauerlicherweise ist er krank etc. anführen, siehe auch Liberman (1973) zu den sog. 'adsententials'.

161 (4)

Harry criticized Mary for writing the editorial.

den Bedeutungsunterschied zwischen accuse und criticize wie folgt charakterisiert: ... "a speaker who utters (56) [= ( 3 ) ] presupposes that Harry regarded the editorial-writing activity as 'bad1 and asserts that Harry claimed that Mary was the one who did it; while a speaker who utters (57) [= ( 4 ) ] presupposes that Mary was the writer of the editorial and asserts that Harry claimed the editorial-writing or its result as being 'bad1. The content of the presupposition in each of these verbs shows up in the assertive meaning of the other". Letzteres beinhaltet, falls Fillmores Analyse korrekt ist, daß accuse -.criticize dem gewünschten präsuppositionalen Minimalpaar sehr nahe kommt. Vergleichbares würde auch für dt. be schuldigem tadeln (kritisieren) gelten, siehe (5), (6): (5)

Hinz beschuldigte Kunz, den Leitartikel geschrieben zu haben.

(6)

Hinz tadelte Kunz dafür, den Leitartikel geschrieben zu haben.

Fillmores Analyse ist weithin akzeptiert und auch in einschlägiger Weise benutzt worden: Cooper (1974:18) führt genau dieses Beispiel als Argument dafür an, "Präsupposition als einen Aspekt der [Langue]-Bedeutung zu behandeln ", das heißt präsuppositionale Gegebenheiten in die 1-semantische Repräsentation und damit in den Lexikon-Eintrag der betreffenden Lexeme aufzunehmen. Aber Fillmores Analyse ist, wie sowohl Cohen (1973:23ff.) als auch Wunderlich (1973:474ff.) gezeigt haben, in dem entscheidenden Punkt falsch: Bei den mit (3) bzw. (5), (4) bzw. (6) je assoziierten Propositionen ( 3 1 ) , (4*) handelt es sich nicht um verbinduzierte Präsuppositionen der Gesamtsätze: (3')

Harry regarded the writing of the editorial as ' b a d ' . Harry hielt das Schreiben des Leitartikels für etwas 'Schlechtes 1 .

(41)

Mary wrote the editorial. Mary schrieb den Leitartikel.

(3 1 ) ist klar nur eine Implikation Centailment1) von (1) bzw. (3); (4 1 ) ist nicht einmal dieses, was heißt, daß (4)/(6) wahr sein könnten, selbst wenn (3 1 ) falsch wäre. Dies mag bei dem von Fillmore gegebenen Beispiel nicht voll plausibel sein, insofern man vom speziellen Gehalt der Kcmplementproposition 5 Fillmore (1969;1971a:381); Fillmore bezieht sich dabei auf die nichtperformative Verwendung von accuse und auf die Verwendung von criticize als dreistelliges Prädikat. (Vgl. auch Fillmore 1971b:281ff.). 6 Siehe etwa Langendoen/Savin ( 1 9 7 1 : 5 5 f f . ) ; G. Lakoff ( 1 9 7 2 : 6 o 3 f . ) .

162

(eventuell auch ihrer syntaktischen Form) und den zu (3)/(4) vorstellbaren Äußerungssituationen her leicht unterstellen kann, daß wohl auch der Sprecher (3 ') bzw. (4')für wahr hält. Daß dies aber kontextbedingt ist, mit der Bedeutung von accuse: criticize, beschuldigen:tadeln nichts zu tun hat, wird klar, wenn man etwa Wunderlichs Beispiel betrachtet, vgl. (7)/(8): (7)

Die Mutter beschuldigte Hans, ins Wasser gesprungen zu sein.

(8)

Die Mutter tadelte Hans, ins Wasser gesprungen zu sein.

Denn hier sind die analogen "Präsuppositionen1, was (7) angeht, unter illokutiver Abwandlung und Negation nicht konstant und, was (7) und (8) angeht, durch entsprechende Folgesätze als klar nichtpräsuppositional erweisbar, vgl. (7 1 ), (8 1 ): (7')

Die Mutter beschuldigte Hans, ins Wasser gesprungen zu sein; aber warum sollte er das nicht tun, da ist doch nichts dabei!

(8 1 )

Die Mutter tadelte Hans, ins Wasser gesprungen zu sein; aber er war gar nicht ins Wasser gesprungen, er hat nur den Gartenschlauch benutzt. 7

Daraus ergibt sich, daß die Auslösung der *faktiven Präsupposition' (4 1 ) in keiner Weise zur Bedeutungscharakterisierung von tadeln/criticize - ebensowenig wie bei ändern Verba Dicendi - hinzugehört, sowie bezüglich beschuldigen/ accuse das in (1') ausgedrückte evaluative Moment nur Bestandteil der assertierbaren Langue-Bedeutung darstellt. Weder bei accuse'.criticize noch bei beschuldigen:tadeln handelt es sich somit um ein präsuppositionsrelevantes Minimalpaar. Analoges gilt für Minimalpaare wie erwarten-.hoffen bzw. erwarten:fürchten, vgl. (9): (9)a.

Hans erwartet, daß Fritz kommt.

b.

Hans fürchtet, daß Fritz kommt.

c.

Hans hofft, daß Fritz kommt. o

Nach verbreiteter Auffassung ist der Bedeutungsunterschied von (9)a vs. (9)b bzw. (9)a vs. (9)c ein präsuppositionaler: Von fürchten und hoffen gehe je zusätzlich eine evaluative Präsupposition bezüglich des im Komplement ausgedrückten Sachverhaltes aus, vgl. (1o)a vs. (1o)b: 7 Dies sind Wunderlichs Beispiele (1973:475). 8 Vgl. dazu Kiefer (1972:278 und 285).

163

(lo)a. b.

[zu ( 9 ) b ] : Daß Fritz kommt, ist schlecht, [zu ( 9 ) c ] r Daß Fritz kommt, ist gut.

Aber auch hier ist leicht einzusehen, daß es sich nicht um Präsuppositionen handeln kann, da (1o)a, b unter Negation von (9)b, c nicht als Folgerungen erhalten bleiben. Vielmehr scheinen auch hier (1o)a, b,nur wenn auf das Subjekt des jeweiligen positiven Satzes relativiert, gültig zu sein. Das heißt aber, daß die zusätzliche "evaluative1 Komponente von fürchten bzw. hoffen Teil von deren assertierbaren Bedeutung darstellt. Auch diese Fälle sind also keine einschlägigen präsuppositionsrelevanten Minimalpaare. Das für tadeln'.beschuldigen, erwarten hoffen etc. Gesagte scheint mir auf viele weitere, fälschlich unter präsuppositionellen Vorzeichen analysierte Fälle wie stehlen (vs. erwerben), entwischen (vs. weggehen) , ermorden (vs. g töten) etc. übertragbar: Es handelt sich jeweils um assertierbare, der Funktion nach adverbiale zusätzliche Bedeutungskomponenten; daß sie sogar in den Fokus des jeweiligen Sprechakts rücken können, hat bereits Rohrer (1973:12o) exemplarisch gezeigt. 3.1.2 Engl. someiany Die Quantoren a, some, any sind sämtlich indefinit; ihre Gebrauchsbedingungen und -bereiche jedoch verschieden. Darin spiegeln sich semantische Unterschiede; daß dies auch für some vs. any gilt, die vielfach als Fall rein formaler, 'allomorphischer1 Variation behandelt wurden, ° hat vor allem R. Lakoff (1969) mit überzeugenden Beispielen gezeigt. Diese Bedeutungsunterschiede sind in jüngster Zeit als präsuppositionale expliziert worden: some unterscheide sich von a/'any dadurch, daß ersteres die Existenz-Präsupposition für das entsprechende Denotat garantiere, letztere hingegen nicht. Diese Charakterisierung trifft für den Gebrauch von some:any/a in deklarativen Sätzen 9 Siehe etwa die Fälle bei Fillmore (1971a:382) und Kiparsky/Kiparsky (1971: 351, zu force). - Zu den prinzipiellen Schwierigkeiten, die Wörter dieser Art ( zu denen u. a. auch noch schonen, bewahren, berauben, entbehren, leichtgläubig etc. gehören) für eine wahrheitsfunktionale Semantik verursachen, siehe Wilson (1975:Teil I I I ) . 10 Vgl. dazu Klima (1964), Ross (1967), wo das Verhältnis von some/any direktional dargestellt wird: Der Merkmalkomplex, der in positiven Umgebungen als some realisiert ist, "wird 1 transfonnationell zu any in negativen Umgebungen etc.. Da Transformationen bedeutungserhaltend sind, kodifiziert diese Transformation die Auffassung von some/any als bedeutungsgleich. 11 Vgl. vor allem Hausser (1974:17; 1976:254f.).

164

weitgehend zu. 12 Wir haben damit, so scheint es, einschlägige (Beinahe-)Minimalpaare an der Hand: Ist das distinktive Bedeutungsmerkmal bei some:a/any tatsächlich präsuppositional, müßte die 'Existenzgarantie' durch some als dessen semantische (Gebrauchs-)Eigenschaft im Lexikon notiert werden. Auch diese Minimalpaare scheinen jedoch bei genauerer Untersuchuung - ich beschränke mich dabei auf some vs. any - sehr problematisch. Triftige Einwände ergeben sich sofort, wenn man neben den deklarativen Daten - in denen some/ any komplementär verteilt in der Weise sind, daß some nur in positiven, any in negativen Umgebungen verkannt. - auch some/any in nichtdeklarativen Kontexten betrachtet. Es genügt, einige der von R. Lakoff (1969) diskutierten Daten zu rekapitulieren: (11)

Fragen: a.

Who wants some beans? Who wants any beans?

b.

I wonder if Bill would lend me some money. I wonder if Bill would lend me any money.

(12)

Konditionalsätze: a.

If you eat some spinach, I ' l l give you ten dollars. If you eat any spinach, I'll give you ten dollars.

b.

If you eat some candy, I'll whip you. If you eat any candy, I'll whip you.

c.

If only John had said (something,] we'd know what was going on. [»anything,J

(13)

Explizit performative

Sätze:

a.

I warn you that, if you eat Jany 1 candy, I'll | »some]

whip you.

b.

I promise you that, if you eat [some 1 candy, I'll give you ten 1 *any J dollars.

In all diesen Sätzen ist der kontrastive Gebrauch von some vs. any mit einem Bedeutungsunterschied verknüpft, den Verteilungslücken, wie in (12)c, (13)a,b belegt, weiter unterstreichen: "Sentences containing some involve a positive feeling on the speaker's part about the action described; those with any a neutral or negative attitude" (R. Lakoff 1969:611). Die some-Version der Frage (11)a z. B. wird als Einladung verstanden; der Sprecher erwartet die Antwort yes. Die any-Version ist, wenn van Anbieter der Bohnen geäußert, nicht positiv vorbelastet; wenn von einem dritten geäußert, in der Regel eine rhetorische Frage mit der Geltung einer Ablehnung. - Bei Frage (11)b signalisiert 12 Allerdings nicht ganz, vgl. oben Abschnitt 2.3.5.3.

165

some eine gewisse Zuversicht des Sprechers auf positiven Bescheid, any entsprechende Zweifel; dies läßt sich durch nicht vertauschbare Folgesätze stützen.

In den Konditionalsätzen (12)a,b passiert Vergleichbares: same im Antece-

dens signalisiert, daß der Sprecher das Succedens als für den Betroffenen wünschenswert, positiv einschätzt, any das Gegenteil; d. h. mit some wirken die Sätze (12)a,b als Versprechen, mit any als Drohung, wie sich auch an der Verteilung von some/any bei den entsprechenden explizit performativen Sätzen in (13) bestätigt. Die Lakoffsehe Erklärung deckt auch (12)c ab, insofern if only die positive Einstellung des Sprechers gegenüber dem im Antecedens als irreal gekennzeichneten Sachverhalt darstellt, und, wie Lakoff (1969:61of.) zeigt, viele weitere Fälle mehr. - Entscheidend für unseren Zusantnenhang ist nun, daß in all diesen Fällen von einem existenzpräsuppositionalen Unterschied, wie in deklarativen Sätzen vorliegend, nicht die Rede sein kann: Die some/arcy-Terme in (11)-(13) sind bezüglich ihrer Denotate gleich (wenig) existenzpräsuppositional. Umgekehrt jedoch scheint die Lakoffsehe Charakterisierung des mit any vs. some verbundenen Bedeutungskontrastes auch auf die Verhältnisse in Deklarativsätzen zuzutreffen, insofern bei negativen Einstellungen zum Satz, in dem sich der fragliche indefinite Term befindet, nur any, bei positiver Einstellung nur some in Frage kamt. Die Konsequenz scheint mir damit eindeutig diese: Lakoffs Charakterisierung des Bedeutungsunterschiedes von some:any ist die durchgehende und langue-relevante; das Hinzutreten eines existenzpräsuppositionalen Unterschieds in deklarativen Sätzen

ist

nur ein kontextbedingtes Akzidens der Realisierung, - ebenso wie der Droh- vs. Versprechens-Effekt bei Konditionalen. Dies ist gleichbedeutend mit Langue-Irrelevanz des fraglichen präsuppositionalen Unterschieds; er hat lediglich pragmatische Geltung. Man kann gegen diesen Schluß nicht einwenden, daß Verflüchtigung von Präsuppositionen in nichtdeklarativen Kontexten ein allgemeines Phänomen sei; denn das Beispiel anderer putativer Präsuppositionsgaranten, etwa des bestimmten Artikels

oder faktiver Verben,beweist das Gegenteil. Ebensowenig wäre es

sprachlich stichhaltig, dem Gebrauch von Ausdrücken in deklarativen Sätzen von vornherein eine Sonderrolle in deren Bedeutungscharakterisierung einzuräumen: Zumindest ist es so gut wie nicht erforscht, inwieweit Sprechaktkontext die normalerweise 'propositionalen Indikatoren' in ihrer Bedeutung beeinflußt. Das Beispiel der Negation lehrt dabei, daft im Sinne eines präsuppo13 Und einigen anderen Satztypen, vgl. Lakoff

(1969:612)

166

sitionalen Minlmalpaars someiany günstige Ergehnisse auch nicht von vornherein zu erwarten sind. 14 Man könnte allenfalls argumentieren, daß das Argument, obwohl richtig, den gewünschten Effekt nicht habe, da es sich ja auch bei der von Lakoff gegebenen Charakterisierung um eine präsuppositionale handle. In der Tat spricht auch R. Lakoff selbst (1969:614f.) von positiven und negativen Präsuppositionen. Soweit ich sehe, ist dies jedoch eine ungerechtfertigte überdehnung des Präsuppositions-Begriffs. Die von some:any, genau wie von Modalpartikeln oder Konjunktiv signalisierten Sprecher-Erwartungen sind ein anderes Phänomen; sie scheinen eher der Sphäre zuzugehören, die durch von vornherein pragmatische Konzepte abzudecken ist. 3.1.3 Starke vs. schwache Negation An dieser Stelle möchte ich auf eine logisch-semantische Opposition eingehen, für die man bei Voraussetzung der linguistischen Relevanz des Präsuppositions-Phänonens am ehesten klare lexematische Reflexe erwarten dürfte: die Opposition von starker (präsuppositions-neutraler) und schwacher (präsuppositions-tangierender) Negation. Dieser Gegensatz wird in praktisch allen 1-semantisch orientierten Präsuppositions-Analysen benötigt, gleichgültig ob er sich direkt im Ansatz zweier verschiedener Negations-Operatoren niederschlägt 14 Auch die Negation wirkt in deklarativen Sätzen anders als etwa in Fragesätzen, vgl. den deklarativen Gegensatz S = Du hast gestern geschwänzt : •\S = Du hast gestern nicht geschwänzt mit dem Frage-Gegensatz: Hast Du gestern geschwänzt? : Hast Du (nicht) gestern (nicht) geschwänzt?, wo die nicht enthaltende Frage nicht die im Vergleich zur positiven Frage negierte Proposition in Frage stellen muß. Vielmehr kann das nicht auch nur die positive Erwartung des Sprechers signalisieren, daß der Adressat in der Tat gestern geschwänzt hat. Dabei zeigt sich allerdings der für die 1-semantische Auffassung ungünstige Bumerang-Effekt des Vergleichs, insofern bei nicht.-0 sich die positive:negative Polarität von Deklarativsatz zu Fragesatz genau umgekehrt wie bei some-.any verhält. 15 Eine verwandte Auffassung bezüglich der Quantoren some:any vertritt Erdmann ( 1 9 7 6 : 2 9 7 f f . ) . 16 Vgl. etwa Hörn (1972:9); Blau (1973/74;1975/76:82f.). Die Wahrheitstafel ist dort wie üblich (mit allerdings leicht verwirrender Verteilung der Symbole):

-p w f u

f W

u

ip T w w

"-p" "i p"

ist die starke Negation ist die schwache Negation

167

oder indirekt, unter Ansatz einer Negation und eines weiteren Junktors in der Bedeutung 'wahr1 o. ä. bzw. einer Negation plus zusätzlicher Skopuamarkierungen, rekonstruierbar (und damit anerkannt) wird. 18 Diese Unterscheidung hat ihr Korrelat in der Realität des Sprach- bzw. Diskursverhaltens: Der Sprecher/Hörer hat selbstverständlich, wie schon oben Abschnitt 2.2.2 gezeigt, die Möglichkeit, sowohl auf eine Assertion als solche (mutatis mutandis auf Frage, Imperativ etc.) negativ/ablehnend zu reagieren - das entspricht der starken Negation -, als auch auf die damit gemachten Präsuppositionen, und diesen Protest auszudrücken - das entspricht der schwachen Negation. Die hier entscheidende Frage ist jedoch: Hat der Gegensatz ein Korrelat in der sprachlichen Form? In der einschlägigen Forschung bestehen Tendenzen, Negation mittels (negierter) Satzprädikate wie nicht wahr seint daß ... als Ausdruck der schwachen 19 Negation zu betrachten, lexikalisch gebundene Negationen wie un- als Ausdruck der starken Negation; die normale Negation (Hauptsatznegation mit nicht, Formen von kein) gilt als ambig. Von Sätzen wie (15), verstanden als Reaktion etwa auf (14), soll demnach (15)a nur die starke Lesart zulassen, d. h. daß (15)a ebenso wie (14) die üblicherweise als Präsupposition betrachtete Proposition (16) logisch impliziert. (15)b hingegen soll nur die schwache Lesart aufweisen, was heißt, daß es (16) nicht logisch impliziert; (15)b schließlich soll beide Lesarten haben. (14)

Das soziale Verhalten der Wolpertinger ist

sehr gut erforscht.

(15)a.

Das soziale Verhalten der Wolpertinger ist bisher unerforscht.

b.

Es ist nicht wahr, daß das soziale Verhalten der Wolpertinger schon erforscht ist.

c.

Das soziale Verhalten der Wolpertinger ist bisher nicht erforscht.

17 Vgl. dazu Hörn ( 1 9 7 2 : 9 ) . 18 Dieses letztere, etwa bei Russell/Whitehead (1927:69ff.) und Guhl/Todt (1975) auftretende Verfahren (auch in Bartsch 1972:68ff. übernommen) ist deshalb hier einzubeziehen, weil die vorgenommene SkopusunterScheidung durch nichts anderes als die logisch notwendig zu treffende Unterscheidung zwischen negationskonstanter und negationssensitiver Proposition ('Präsupposition' vs. 'Assertion') motiviert wird, Damit sind im Grunde zwei Negationstypen, die 'wide-scope'- vs. 'narrow-scope'-Negation eingeführt, die dem Gegensatz starke vs. schwache Negation entsprechen. 19 So etwa bei Keenan (197o:83); Blau (1973/74 ; 1975/76:83f.); vgl. auch die Ausführungen bei Russell/Whitehead ( 1 9 2 7 : 6 9 f f . ) ; Hörn (l972:Einleitung); siehe auch G. Lakoff (1972:656Anm.3a). 20 So etwa Blau (1973/74;1975/76:83f.).

168

(16)

Wolpertinger sind existente Lebewesen.

21

Träfe dies zu, könnte man mit einigem Recht von der lexematischen Ausprägung des Gegensatzes starke vs. schwache Negation sprechen; der Ansatz der Ambiguität für nicht wäre durch die Existenz eindeutiger Ausdrücke begründet. Es scheint mir jedoch offensichtlich, daß hier eine Normierung, keine adäquate Beschreibung des normalen Sprachgebrauchs vorliegt - wie auch die einschränkenden Bemerkungen in der Forschung über nicht vollständige Korrelierungen mehr Ausnahmen als Regelfälle etc. andeuten: (15)b läßt auch die starke Lesart zu, wie sich durch entsprechende Folgesätze leicht nachprüfen läßt, ebensowenig ist die schwache Lesart generell für Negätionsmittel mit Gesamtsatzskopus - dazu rechnen neben Satzprädikaten wie es ist nicht wahr/nicht der Fall (, daß S ) , es stimmt nicht/trifft nicht zu (, daß S) etc. auch pauschale dialogische Widerspruchsmittel wie (nein), Blödsinn, Schmarrn (siehe oben Abschnitt 1.3.2.2.2, (35)) - die überwiegende und bevorzugte. Dem entspricht, daß Präsuppositions-Protest in der Regel nicht durch solche Verneinungen erfolgt, sondern entweder durch explizite Präsuppositions-Zurückweisung, vgl. (17)a, oder durch negativefeann/mö^ZicTz-Qnschreibungen,vg. (17)b; letztere in der linguistisch-semantischen Explikation von ändern ("starken") epistemischen Vorkommnissen von kann/möglich zu trennen, wäre jedoch völlig ad hoc. (17)a. b.

Aber es gibt doch überhaupt keine Wolpertinger! Das soziale Verhalten der Wolpertinger kann überhaupt nicht erforscht sein, denn es gibt sie gar nicht.

Auch was die Hauptsatznegation angeht, kann von Ambiguität kaum die Rede sein: Die normale Lesart ist die starke, dies wohl mitbedingt durch die oberflächenstrukturellen Skopus-Verhältnisse. Die schwache Lesart ist ohne vereindeutigende Folgesätze selten; auf jeden Fall dann in ihrem Auftreten je nach Präsuppositionstyp variabel, ohne daß starke Betonung der Negation oder des präsuppositionsinduzierenden sprachlichen Ausdrucks, wie häufig angenommen, 22 einen sicheren Anlialtspunkt böte. Nur die eindeutige Zuordnung der lexika21 Eine falsche Behauptung, wie Kenner der bayrischen Mythologie wissen. 22 Daß Betonung der Negation starke vs. schwache Negation nicht disambiguiert, läßt sich am Beispiel (15)c unschwer zeigen. Was Betonung des präsuppositionsauslösenden Elements angeht, halten Fillmore (1969;1971a:382) wie die Kiparskys (1971:351) und offenbar auch Wilson (vgl.1975:33) diese für negationsdisambiguierend. Dies mag in den dort zitierten Fällen haltbar sein oder nicht - auf jeden Fall gilt es nicht generell: (Negierte) faktiv-emotive Prädikate z. B. bleiben auch unter Betonung faktiv. Auch bei definiten Kennzeichnungen kann beispielsweise durch Betonung des bestimmten Arti-

169 lisch gebundenen Negationen - wozu neben un- auch -los, Nicht- in Komposita, ohne etc.

gehören - zur starken Lesart scheint adäquat; diese Eindeutigkeit

dürfte bei den Wbrtbildungsmitteln mit deren festgelegtem (prädikatsbildenden) Skqpus zusammenhängen. Allerdings sind auch hier gelegentlich schwache Verwendungen nicht auszuschließen.

Die Negationsmittel der natürlichen

Sprache sind also den Termen der Unterscheidung 'starke vs. schwache Negation1 weder eindeutig zugeordnet, noch diesbezüglich ambig; sie sind der Unterscheidung gegenüber bestenfalls vage. Daß diese Charakterisierung zutreffend ist,

hat Kempson (1975:1oo) unter Rückgriff auf Lakoffs (197o) Test auf Ambi-

guität vs. Vagheit gezeigt; daß sie das Vorkamen schwacher wie starker Interpretationen (und dabei auch die Seltenheit der schwachen Interpretation) nicht unerklärlich macht, haben Bartsch (1974:23ff.),

24

Kempson (1975:11-27,

95-lco), Wilson (1975:35,99ff.) und Boer/Lycan (1976:passim) demonstriert, kels nur die numerische, nicht die Existenzpräsupposition gelöscht werden, vgl. folgenden Dialog: A: (i) B: (ii)

Nennen Sie mir den römischen Konsul des Jahres 56 v. Chr.! Den Konsul des Jahres 56 v. Chr. gibt es nicht.

Hier wäre (ii) akzeptabel mit es gab auch 56 v. Chr. zwei Konsuln fortsetzbar, aber nicht mit schlichtem (vorgehende Löschung der Existenz-Präsupposition nahelegendem) in diesem Jahr gab es keine Konsuln. 23 Gute Beispiele hierfür bei Blau (1973/74;1975/76:84). Der Fall kann natürlich nur dort eintreten, wo un-, -los etc. Bestandteil des Prädikatsausdruckes sind, und somit als "Hauptsatznegation" verstanden werden können, nicht aber, wenn un-/-Ios-Zusammensetzungen in anderer syntaktischer Position auftauchen. 24 Zu Bartschs Ansatz einige Anmerkungen: Bartsch betrachtet die Unterscheidung schwache vs. starke Negation als eine "void issue" ( S . 2 3 ) ; sie postuliert als einzige Negationsart für die semantische Repräsentation die schwache. Deren jeweiliger Skopus, der in starker Lesart ja nur einen Teil der mit dem betreffenden (negierten) Satz S assoziierten Propositionen P j ... Pn umfaßt, wird mittels pragmatischer Informationen vereindeutigt: Was sich von Pj^ ... Pn in dem (Sprecher und Hörer gemeinsamen,) im Diskurs aufgebauten "presupposition pool" befindet, wird aus dem Skopus der Negation 'ausgefiltert 1 : Damit ist der Skopus der Negation (ebenso wie der Fokus einer Äußerung) 'ex negative' festlegbar ( S . 2 4 f . ) . Das heißt, gegeben die semantische Repräsentation von 3 als rs. & S 2 & S 3 \wäre die Negation riS«1 kontextlos dreifach bereichs'ambig 1 , und es würde gelten: 50 i Si v iS 2 v i S31. Im Kontext ^ & S_n (beide präsupponiert) ist sie es jedoch nicht, denn S^ & S2 & iS" 1 ist in diesem Kontext äquivalent zu S^ & S- & 1S3\ Ich sehe mit Bartschs Vorschlag unter anderem folgende Schwierigkeiten: Bartschs Vorschlag sagt voraus, daß die Negierung einer koordinierten Assertion S. & S 2 bereichs'ambig' ist. Dies ist richtig, soweit der semantischen koordinierten Assertion auch syntaktisch eine Koordination (mittels und/aber oder bloßer Junktion) entspricht. Es ist falsch, wenn r S^ & S2 syntaktisch als Sub- oder Superordination geprägt ist (wie etwa bei appositiven Relativsätzen oder parenthetischen und-Sätzen), denn für diese

170

die sich im Ansatz erfolgreich um entsprechende pragmatische Erklärungen bemüht haben. Ob sie dabei mit Recht von der schwachen Negation als der einen Negation der natürlichen Sprache ausgehen, scheint mir nicht ausgemacht; zumindest scheint mir der alternative Ansatz - Gleichsetzung der einen Negation mit der "starken Negation' per se und Erklärung der gelegentlichen schwachen Interpretation als nur konversationeile Implikatur - nicht ausgeschlössen. 25 Wie auch immer - das hier einschlägige Fazit ist klar: Die natürliche Sprache kennt/'hat1 nur eine Negation im Sinne der Langue; starke und schwache Negation sind zwar entscheidend notwendige Hilfskonzepte einer 1-semantischen Präsuppositions-Analyse, aber ohne direkte sprachsystematische Relevanz. Daß das Fehlen dieses sprachlichen Minimalpaares die Argumentation für die linguistische Relevanz von Präsuppositionen zumindest nicht stärkt, scheint mir offensichtlich. ist der Skopus der Negation (meistens) eindeutig der superordinierte Satz (siehe auch Abschnitt 1 . 3 . 2 . 3 ) . Dem pragmatischen Präsuppositions-'Filter' wäre also noch ein syntaktischer Filter bzw. ein auf Haupt-/Nebeninformation bezüglicher Filter zur Vereindeutigung des Negationsskopus beizufügen. Weiterhin sagt Bartschs Ansatz fälschlicherweise voraus, daß jede mit einem Satz S assoziierte Proposition gleichermaßen und gleich häufig 'Topic 1 oder Fokus sein könnte, obwohl dies manifest mit von der sprachlichen Form abhängt: Die Fälle, in denen die Existenzproposition für Maria in Maria lacht Fokus, die andere(n) Proposition(en) Topic sind, dürften marginal sein. Dies hängt m. E. mit der mangelhaften Unterscheidung von 'Topic' und 'Präsupposition 1 zusammen; darauf kann ich hier jedoch nicht weiter eingehen (siehe dazu Abschnitt 3 . 3 ) . Die Ansätze von Wilson, Kempson und Boer/Lycan scheinen mir hingegen in dieser Hinsicht von vergleichbaren Schwächen frei. 25 So auch Altmann (1976:73). - Diese Auffassung läuft darauf hinaus, die Negation eines Satzes S nur auf dessen sprechaktsensitive Proposition(en), d. h. nach Grice auf das mit S "Gesagte" zu beziehen. Gelegentliche Mitbeziehbarkeit auf das Gemeinte (sei es nach üblicher Auffassung von S präsupponiert oder konversationell/konventionell impliziert) ergibt sich dann nur als konversationeile Implikatur, wobei die Maxime der Relevanz (kooperative Gesprächspartner sagen und unterstellen einander nichts Kontradiktorisches) die entscheidende Rolle spielt. Beispielsweise wird man die Negationen in ( i i ) , (ii 1 ) nur auf das mit (i) Gesagte beziehen, also (ii), (ii 1 ) so interpretieren, daß Hans weniger als 4ooo,- verdient; die Verneinung in (iii) hingegen muß auf die konversationeile Implikatur von (i) (= Hans verdient nicht mehr als 4ooo,-) bezogen werden, weil man sonst dem Sprecher einen Verstoß gegen die Relevanzmaxime unterstellen müßte. (i) (ii) (ii 1 ) (iii)

Hans verdient 4ooo,- im Monat, Nein. Hans verdient keine/nie und nimmer/nicht 4ooo,- im Monat, Hans verdient nicht 4ooo,- im Monat; er verdient mindestens 5ooo,-.

Die Erklärung für Präsuppositionen im Negationsskopus funktioniert analog. Daß dabei in entscheidender Weise von der expliziten Implikatur- bzw. Präsuppositionsverneinung Gebrauch gemacht werden muß, erklärt m. E. zwanglos, weshalb es in der Regel nur bei solch expliziten Nachsätzen zu schwa-

171

3.1.4 Implikative Konstruktionen Betrachtet man Satzpaare wie (18)a,b, so entsteht auch hier zunächst der Eindruck eines präsuppositionalen Minimalpaares: (18)a. b. (19)

Hans löste das Problem. Hans brachte es fertig, das Problem zu lösen. Hans bemühte sich, das Problem zu lösen.

(18)a und (18)b haben die gleiche sprechaktsensitive Proposition, nämlich, daß Hans das Problem löste ; sie unterscheiden sich bedeutungsmäßig dadurch, daß (18)b zusätzlich die Bedeutungskonponente (19) aufweist, die nach üblicher Auffassung Präsupposition von (18)b ist. Formal unterscheidet sich (18)b von (18)a im wesentlichen nur durch das implikative Matrixverb (es)fertigbringen, dessen einziger Beitrag zur Gesamtbedeutung des Satzes somit eine Präsupposition zu sein scheint. Wenn dem aber so wäre, wäre (18)a,b ein Minimalpaar der gewünschten Art: Die einzige Funktion implikativer Verben wäre dann eine präsuppositionale, diese wäre zwangsläufig im Lexikoneintrag zu markieren. Die tatsächlichen Verhältnisse lassen jedoch eine solche Deutung nicht zu. Zwar handelt es sich bei (19) keinesfalls um ein 'normales1, assertierbares Bedeutungselement; 26 wie ich in Abschnitt 1.3.3.6 zu zeigen versucht habe, ist es jedoch auch keine Präsupposition: Die inhaltliche Füllung dieser Bedeutungskomponente variiert stark mit dem Kontext; in einer Reihe von Verwendungen schwindet der Bedeutungsunterschied als solcher ganz; beides spricht dafür, das von implikativen Verben jeweils beigesteuerte Bedeutungselement allenfalls als konventionelle ünplikatur bzw. generalisierte konversationeile Implikatur einzustufen. Auch von den implikativen Konstruktionen her läßt sich somit nicht für die sprachanalytische Relevanz des Präsuppositionskonzepts argumentieren. 3.1.5 glaubennjissen

Zum Abschluß möchte ich kurz, unter dem hier relevanten Aspekt, auf das außerordentlich problembeladene Begriffspaar glaubeniin-ssen eingehen. Vergleichen Interpretationen kommt; dies scheint mir ein Vorteil gegenüber dem oben erwähnten alternativen Ansatz von Kempson e. a. zu sein. 26 Siehe dazu vor allem Karttunen/Peters (1975). 27 Zu einer instruktiven zusammenfassenden Diskussion der im Zusammenhang mit glauben:wissen diskutierten Probleme vgl. Blau (1969); von Savigny (1969: Kap.6); Keller (1975:96ff.) .

172

chen wir die Sätze (2o)a und (2o)b miteinander, so unterscheiden sie sich auf den ersten Blick dadurch, daß nur (2o)b, nicht aber (2o)a die Wahrheit der Kcmplementproposition (2o)c präsupponiert: (2o)a.

Hans glaubt, daß Erna Krebs

b.

Hans weiß, daß Erna Krebs

c.

Erna hat Krebs.

hat.

hat.

Andererseits kann jedoch, wer (2o)b behauptet, nach üblicher Auffassung nicht (2o)a sinnvoll verneinen, und wer (2o)a verneint, nicht (2o)b sinnvoll bejahen; das heißt: Die von (2o)a assertierte Proposition ist auch von (2o)b mitassertiert. Falls (2o)a jedoch genau die Assertion von (2o)b wiedergibt, hätten wir in glauben:wissen ein Minimalpaar von der gewünschten Art: Es würde sich nur durch die von wissen (vs. glauben) zusätzlich ausgehende faktive Präsupposition unterscheiden, wissen käme dann folgende Analyse zu: (21)

weiß, daß p

(i)

glaubt, daß p.[Assertion]

(ii) p ist wahr.

[Präsupposition]

Diese Analyse formuliert im wesentlichen die in der linguistischen Präsuppositionsliteratur gängige Auffassung - gerade wegen der vermeintlichen präsuppositionalen Minimaipaar-Eigenschaft ist glauben:wissen ja als Demonstrationsfall so beliebt. 28 Ob sie allerdings die tatsächlichen Verhältnisse richtig beschreibt, ist zweifelhaft: Erstens ist zu fragen, ob die Charakterisierung (21) auch alle Gebräuche von wissen wirklich deckt. Selbst wenn wir uns von vornherein auf die Fälle be29 schränken, in denen (21)ii eine notwendige Bedingung darstellt, scheint die Antwort negativ: Betrachten wir hierzu den Fall, in dem A behauptet Erna hat Krebs, ohne sonstigen Kommentar. B hört dies, und weiß, daß A meistens nur 'Ansichten', oft weithergeholte, äußert, bzw. B weiß, daß A hinsichtlich der behaupteten Proposition (2o)c gar keinen Zugang zu der gesamten vorhandenen bzw. zureichenden Evidenz für (2o)c haben kann. B selbst ist jedoch auch der 28 Dies von Anfang an, vgl. Morgan (1969:167f.); Kiparsky/Kiparsky (1971:349),

29 Das ist nicht immer der Fall, vgl. die in Anlehnung an Woozley und Ryle gegebenen Beispiele bei von Savigny (1969:312ff.) - Ebensowenig werden fragende und bestreitende Äußerungen wie Weißt du schon, daß p?, Weiß Fritz, daß p?, Ja, weiß denn Fritz nicht, daß p?, Nein, Fritz weiß nicht, daß p. als Glaubst du schon, daß p?, Glaubt Fritz, daß p?, Ja, glaubt denn Fritz nicht, daß p? Nein, Fritz glaubt nicht, daß p. verstanden, wie das von (21) her erwartbar wäre. Das Bedeutungselement (21)i tritt in solchen Verwendungen ebensowenig auf, wie (von besonderen Umständen abgesehen) die Komponente (22). Stattdessen scheint im Fokus des jeweiligen Sprechaktes eine Bedeutungskomponente zu liegen, die in keiner der gängigen Analysen

173

Auffassung, daß (2o)c wahr ist. Bei solchen Gegebenheiten kann B zweifelsohne (2o)a mit Recht behaupten. (Wir nehmen an, A und ftms seien dieselbe Person.) Kann er jedoch (2o)b mit gleichem Recht behaupten? Nach (21) müßte dies möglich sein; denn sowohl (i) wie (ii) sind erfüllt. In der gegebenen Wirklichkeit allerdings scheint (2o)b abweichend; zunindest nicht unkontrovers: Wer weißt daß p behauptet, scheint damit auch zuzuschreiben, daß gute Gründe dafür habe, daß p. Dies scheint darauf hinzudeuten, daß (21) als Bedeutungsbeschreibung nicht hinreichend ist; (22) stellt offenbar eine notwendige Bedeutungskomponente von wissen dar, die in (21) zu integrieren wäre. (22)

hat gute/zureichende Gründe zu glauben, daß p.

Dies wird bestätigt durch die Verhältnisse bei Aussagen in der 1. Person, vgl. (23)a,b: (23)a. b.

Ich glaube, daß Erna Krebs hat. Ich weiß, daß Erna Krebs hat.

Würde (21)i tatsächlich die assertorische Bedeutung von weiß, daß p gänzlich ausmachen, dann müßten nur durch glauben vs. wissen unterschiedene Sätze in der 1. Person synonym sein; denn iah weiß, daß p würde die gleiche Proposition zugleich assertieren und präsupponieren. Dies ist aber manifest nicht der Fall: (23)b beinhaltet über (23)a hinaus, daß der Sprecher bzw. das Subjekt des Satzes gute Gründe dafür hat, an die Wahrheit von (2o)c zu glauben; d. h., auch hier ist mit wissen die Bedeutungskomponente (22) assoziiert. Ist dem aber so, dann ist der Unterschied zwischen glauben und wissen offenbar nicht rein präsuppositional; das Bedeutungselement (22) gehört, wo es auftaucht, zur assertierbaren Bedeutung. Zweitens ist der präsuppositionale Status von (21)ii nicht unanfechtbar. Das beste Argument hierfür - die vielfache Erhaltung von (21)ii unter Negation von wissen-Sätzesn. - ist keineswegs zwingend: Auch ausgehend von der philosophischen Standardanalyse (24), die (21)i, ii und (22) unterschiedslos als Entailment behandelt, ° läßt sich dieses Faktum sinnfällig - und zwar mittels von wissen berücksichtigt ist: (a) hat Kenntnis/hat gehört von p (als möglicherweise wahrer Proposition). Steht aber dieses noch zur Debatte, ist klar, daß sich die Frage nach (21)i bzw. ( 2 2 ) überhaupt nicht stellt. - (a) müßte also bei einer genaueren Analyse, als sie hier gegeben wird, in die Charakterisierung (21) bzw. (24) integriert werden. 3o Zur Standard-Analyse siehe von Savigny (1969:3o9); Keller (1975:97). Sie wird, in Auseinandersetzung mit der präsuppositionalen Analyse von wissen bzw. faktiven Verben allgemein, auch vertreten von Harnisch (1973), Wilson

174

pragmatischer Prinzipien - erklären; dies haben Boer/Lycan (1976:28ff.) gezeigt. (24)

weiß, daß p = (i)

glaubt, daß p.

(ii)

hat gute/zureichende Gründe zu glauben, daß p .

(iii)

p ist wahr.

Darüber hinaus spricht sogar manches dafür, p ist wahr in keiner Form in die semantische Analyse von

weiß, daß p aufzunehmen: Zum einen gibt es eine

Reihe nichtpräsuppositionaler Verwendungen von wissen (in affirmativen wie negativen Sätzen), vgl. oben Abschnitt 2.4.1, zum anderen besteht dabei eine auffällige Komplementarität zwischen den Bedeutungselenenten (24)ii und (24) iii:

Vto immer die Bedeutungskomponente (24)ii deutlich in den Fokus der Asser-

tion rückt, verflüchtigt sich die entsprechende "Präsupposition1. Dies gilt für die - in der Regel nichtpräsuppositionalen

- Aussagen in der 1. Person 1 32

(ich weiß, daß p) , deren besonderer 'Bezeugungscharakter sich ja in der Hervorhebung von (24)ii manifestiert. Gleiches läßt sich jedoch auch bei Aussagen in der 3. Person beobachten; vgl. vor allem die in 2.4.1 aufgeführten nichtpräsuppositionalen Fälle (89), (9o), bei denen Komponente (24)ii durch Adverbien, Kontrastkonstruktion und/oder Betonung, sprachlichen Kontext gegenüber (24)i deutlich hervorgehoben ist. - Dies legt m. E. nahe, (24)ii und (24)iii als alternative Realisierungen ein- und desselben Bedeutungselementes anzusehen, was auch angesichts des pragmatischen Zusammenhangs zwischen (24)ii und (24)iii plausibel scheint: Schließlich wird ein Sprecher Sp nur dann die Gründe, die für seinen Glauben,daß p hat, für zureichend halten, wenn er selbst glaubt, daß p wahr ist. Deshalb erlaubt auch die Zuschreibung zureichender Gründe für x' Glauben, daß p, wie Sp sie in Sätzen der Form weiß, daß p vornimmt, in der Regel - d. h. beim Fehlen von Indizien für das Gegenteil - den pragmatischen Schluß, daß auch Sp p für wahr hält. (1973 und 1975), Kempson (1975), Boer/Lycan (1976). 31 So auch Keller (1975:98). - Der Beweis hierfür ist zwar mit den üblichen Mitteln nicht zu führen - Negation und illokutive Abwandlung von ich weiß, daß p bringen unakzeptable Ergebnisse -; die kommunikative Funktion solcher Aussagen belegt es jedoch klar: Sie werden in der Regel (so wie wissen-Sätze in der 3. Person in Ausnahmefällen, siehe o. Abschnitt 2 . 4 . 1 ) evidential gebraucht; d. h. sie dienen in Zusammenhängen, in denen die Wahrheit von p noch zur Debatte steht, zur Bekräftigung/"Bezeugung", daß p. 32 Zum Unterschied von ich weiß, daß p vs. er weiß, daß p siehe Keller (1975: 9 8 ) , sowie von Savigny ( 1 9 6 9 : 3 o l f f . ) ; letzterer arbeitet auch den Bezeugungscharakter von Aussagen in der 1. Person heraus.

175

Wenn dem aber so ist, dann entfällt die Notwendigkeit, (21)ii bzw. (24)iii eigens semantisch zu repräsentieren; diese Bedeutungskomponente ist, wo sie vorliegt, aus der wörtlichen Bedeutung des Satzes im Kontext mittels pragmatischer Prinzipien - im positiven wie im negativen Fall - ableitbar. Damit kann es sich bei glaubemwissen nicht mehr um ein präsuppositionales Minimalpaar der gewünschten Art handeln: Die mit wissen häufig korrelierende Präsupposition ist offensichtlich ein kontext- und situationsabhängiges Phänomen, das eher e-pragmatischen Erklärungen in der Art Stalnakers (1973b:13f.) als einer 1-semantischen Beschreibung zugänglich ist. Auch glaubeniwissen - obwohl zweifellos der noch geeignetste Fall - liefert demnach kein Argument für These (1); diese ist folglich, nach den Ergebnissen dieses Abschnitts zu schließen, ohne Stütze.

176

3.2 Präsuppositionen und Syntax:

Zur syntaktischen Relevanz faktiver Präsuppositionen 3.2.1 'Fact'-Argumente Der eindruckvollste und sicher auch einflußreichste Versuch, die syntaktische Relevanz präsuppositionaler Gegebenheiten nachzuweisen, staitmt von den Kiparskys. In ihrer Studie 'Fact1 machen sie für das englische Komplementsystem geltend, daß die sogenannte "faktive Präsupposition", das heißt "die Präsupposition des Sprechers, daß das Komplement des Satzes eine wahre Proposition ausdrückt", "in vielfach relevanter Weise zur Festlegung der syntaktischen Form beiträgt, in der das Komplement in der Oberflächenstruktur erscheinen kann". "Diese These ist, bei mancher Kritik im einzelnen, im ganzen als gültig akzeptiert worden. 34 Die Kiparskys führen zur Stütze ihrer These insgesamt zehn verschiedene syntaktische Argumente an. Diese werde ich im folgenden diskutieren. Ich möchte dabei zeigen, daß keines von ihnen die behauptete graimatische Relevanz der Merkmale [± faktiv] schlüssig begründet, und damit auch nicht ihre Aufnahme in den Lexikoneintrag der betreffenden Verben motivieren kann. Ich werde mich dabei auf die englischen Daten und ihre deutschen Parallelen beschränken. Meine Argumentation richtet sich nicht gegen die Annahme semantisch-syntaktischer Wechselbeziehungen per se, sondern gegen die privilegierte Rolle, die präsuppositionalen Faktoren eingeräumt wird. Akzeptieren wir die gegebene Definition von "faktiver Präsupposition", relativ zu dem in Abschnitt 1.3.2 präzisierten Präsuppositionsbegriff, und sehen wir von den in Abschnitt 2 erörterten Einschränkungen ab, können die komplementfähigen Verben in (25) als Beispiele faktiver Prädikate gelten: (25)a.

b.

Mit Subjektkomplement: engl. significant, odd, tragic, counts, makes sense, suffices, bothers, surprises s.o.; dt. bedeutend, seltsam, wundervoll, nett, leuchtet ein, genügt, quält jem., stört jem., stinkt jem. etc. Mit Objektkomplement: engl. regret, be aware (of), grasp, take into consideration, ignore, mind, know, forget; dt. bedauern, es merkwürdig/schön/'traurig/zum Kotzen finden, erkennen, wissen, vergessen, berücksichtigen, übelnehmen, einsehen etc.

33 Kiparsky/Kiparsky (1971:345), in meiner Übersetzung. 34 So explizit von Bierwisch (1971:425-427); Cooper ( 1 9 7 4 : 1 3 f f . ) ; Karttunen (1971:2); Menzel (1973:163ff.); Hooper (1975:91); Kempson (1975:127), die die Kiparskysche syntaktische Analyse zur Grundlage ihrer pragmatischen Herleitung faktiver 'Präsuppositionen 1 macht ( 1 8 5 f f . ) . - Für das Deutsche vgl. vor allem Pusch (1972:7off.); Esau (1973:189-213); Kastovsky (1976:84ff.) . - Zu einer knappen Kritik an der Kiparskyschen Analyse, vor allem im Hin-

177 c.

In 'evaluativer Konstruktion 1 it is of s.o./es ist von jem.: engl. nice, wise, stupid, clever, arrogant, foolish etc.; dt. nett, gütig, lieb, klug, dumm, eine Frechheit, unverschämt etc.

Die Standardform faktiver Komplemente ist die des that/daß-Satzes. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich zunächst nicht von nichtfaktiven Prädikaten, die vielfach ebenfalls tTiat/daß-Komplemente zu sich nehmen. Auch die Weglaßbarkeit von that/daß ist, entgegen dem ersten Augenschein, nicht von der Faktivität des Matrixprädikats bedingt (siehe Bolinger 1972; Ullmer-Ehrich 1977: 87ff.). Die als signifikant postulierten Differenzen zwischen faktiven und nichtfaktiven Prädikaten treten erst auf bezüglich alternativer Besetzungsmöglichkeit des Komplements und des Auftretens einiger syntaktischer Regularitäten. 3.2.1.1 Als ersten Unterschied führen die Kiparskys (S.346f.(1)) an, daß nur faktive Prädikate vor dem Satzkomplement (sei es in that- oder Gerundform) im Englischen die NP fact zulassen, vgl. (26). Das gleiche Argument, nur übertragen auf die Verteilung der deutschen NPs Tatsache, (Sachverhalt, Umstand, Faktum), findet sich bei Pusch (1972:72ff.) und Esau (1973:193ff.). (26)

+ faktiv: a.

I The fact that the dog barks 1 . . .,. ,./.,_,_ < , _ ^ _ _ , . . . . } is significant/bothers me. I The fact of the dog's barking I Die Tatsache, daß der Hund bellte, ist Ruhe.

von Bedeutung/läßt mir keine

b.

I want to make clear the fact that I don't intend to participate.

'

Hans berücksichtigte den Umstand, daß es sich um ein Erstsemester handelte. - faktiv: The fact that the dog barked \ „. , ., , /Jt ,. , .. „. , ,. . , . . , . f »is likely/*seems (true) to me J The fact of the dog's barking I »Die Tatsache, daß der Hund bellte, ist wahrscheinlich/scheint mir wahr zu sein.

b 1 . »I assert the fact that I don't intend to participate. »Hans behauptete den Umstand, daß es sich um ein Erstsemester handelte

Dieses Argument ist jedoch keinesfalls schlüssig. Selbst wenn man sich auf Idiolekte beschränkt, in denen fast, Faktum, Tatsache die ursprüngliche Bedeutung strikt beibehalten haben, und selbst wenn man der Unnatürlichkeit blick auf die für eine Nominalisierungsgrammatik relevanten Aspekte, siehe Ullmer-Ehrich ( 1 9 7 7 : 8 7 f f . ) . 35 Zu anderen Idiolekten siehe Kiparsky/Kiparsky (1971:348,Anm.a).

178

vieler die Tatsache, do^Formulierungen (im Vergleich mit der Form ohne Stütz oc NP) im Deutschen keine Beachtung schenkt, gilt folgendes allgemein: (i) Nicht alle semantisch zweifelsfrei faktiven Prädikate erlauben die Voranstellung von fast/Tatsache vors Komplement allgemein. Die Kiparskys selbst haben auf die Ausnahmestellung von know, realize in dieser Hinsicht aufmerksam gemacht (S.348,Anm.a), siehe (27) ; zu ergänzen bleibt, daß auch andere im Englischen den Zusatz von fact/Tatsache erlauben. 37 Darüber hinaus ist dieser Zusatz auch in sämtlichen evaluativ-faktiven Konstruktionen ungrammatisch, 38 vgl. (28). Daß für diese Konstruktion gegebenenfalls ein anderes Stützwort wie act/action/'Handlung motiviert werden könnte, ändert nichts an der Tatsache, daß die Faktivität des Komplements auch hier nicht mit dem Auftreten von fact/Tatsache korreliert. (27)a.

*I know the fact that John is here. *Ich weiß/merke die Tatsache, daß John hier

b.

ist.

*Max didn't see/hear the fact that John came in (but I saw/heard it). *Max hat die Tatsache nicht gesehen/gehört, daß John hereinkam (aber ich) .

(28)

»The fact that you did my laundry, was nice/stupid of you. *Die Tatsache/ daß du für mich gewaschen hast, war nett/dumm von

dir.

(ii) Andererseits kann Tatsache/(fact) vor daß/(that)-Komplementen von nichtfaktiven Matrixprädikaten auftreten (wobei zu beachten ist, daß "nichtfaktiv" heißt, daß sie die faktive Präsupposition in der Regel nicht induzieren, dieser Interpretation gegenüber aber durchaus offen sein können), vor allem bei Verben des Sagens, Zweifeins, Leugnens, vgl. (29): (29)a.

Hans bezweifelt ., daß es Tiefenstrukturen gibt.

b.

Hinz stellt . in Abrede, daß er Kunz schon 197o gekannt

hat.

c.

Nur der Spiegel meldete ., daß Rubin hinter dem Anschlag steckt.

Der Einschub von die Tatsache (bei " ") beeinflußt allerdings die Interpretation: Das jeweilige Komplement von (29)a-c muß dann ebenfalls faktiv gelesen werden. Dies ist nicht verwunderlich, da die Tatsache, daß S-Konstruktion immer die faktive Lesart für S induziert, auch wenn sie nicht in Komplementstellung auftaucht,vgl. (3o); Vergleichbares gilt für die englische the fact 36 Siehe dazu Esau (1973:193). 37 Siehe dazu Pusch ( 1 9 7 2 : 7 5 f . ) ; Ullmer-Ehrich (1977:89). 38 Siehe Wilkinson (197o:429) .

179

that S-Konstruktion. 39 (3o)a. 1

Angesichts/hinsichtlich der Tatsache, daß Fritz Läuse hat ...

a .

As for/as to the fact that John flunked the exam ...

b.

Er möchte, daß die Tatsache, daß ihm gekündigt wurde, keine

ist.

(i) und (ii) zeigen, daß zwischen der Distribution von fast/Tatsache und der 'inhärenten' Faktivitat von Prädikaten im oben definierten Sinne keine intrinsische Beziehung besteht. Letztere muß also ebensowenig zur Erklärung der ersteren granmatisch repräsentiert sein, wie umgekehrt die Distribution von faat/Tatsaahe in der Weise zur Explikation von Faktivität benutzt werden kann, wie die Kiparskys das tun. Damit ist die Paraphrasebeziehung zwischen einer Teilklasse von faktiven Konstruktionen und entsprechenden fact that/Tatsache, day3-Kcmplementkonstruktionen nicht geleugnet, sondern als syntaktisch zufällig, das heißt nur semantisch bzw. pragmatisch explizierbar ausgewiesen. Daß eine tiefere (tiefenstrukturelle) Beziehung nicht bestehen kann, zeigt sich auch daran, daß die fact/Tatsache-Konstruktionen selbst in solchen Kontexten notwendig faktive Lesart aufweisen, wo ihre putativen Korrelate nichtfaktiv gelesen werden können oder müssen, vgl. (31) (siehe auch Abschnitt 2.2.5 und 2.4.3): (31)a. a'.

Ärgert sich Hans 0, daß Fritz mal wieder abgesagt hat, oder was ist sonst los? Ärgert sich Hans über die Tatsache, daß Fritz mal wieder abgesagt hat, oder was ist sonst los? [a: -faktiv, a ' : +faktiv]

b.

Sollte ich später 0 entdecken, daß ich mich damals geirrt habe, werde ich das kundtun.

b 1 . -»Sollte ich später das Faktum entdecken, daß ich mich damals geirrt habe, werde ich das kundtun. [b: -faktiv, b 1 : +faktiv, dabei*] 39 Daß the fact that S/die sache voraussetzt, ist tion - S1 oder auch ist bzw. 1 > vgl. 2 (i)

Tatsache, daß S die Geltung von rS ist eine Tatnicht verwunderlich - jede explikative Konstrukr liP^ 2 beinhaltet die Geltung von PS ist ( i ) » (ii) :

Die Illusion, daß ihr Sohn heiratet, hat Erna nicht mehr H rdaß Ernas Sohn heiratet, ist eine Illusion . Helmuts Wunsch, daß Erna ihn heiratet ... h ""daß Erna ihn heiratet ist Helmuts Wunsch"1. Die schreckliche Vorstellung/die Idiotie/das Dilemma/das Problem/die Peinlichkeit, daß Hinz entlaust werden muß h rDaß Hinz entlaust werden muß, ist eine schreckliche Vorstellung/ ... . Die fälschliche Annahme, daß S ... |- rS ist eine fälschliche Annahme .

180

c.

Heinz nimmt an, daß Montagues Theorie die größte ist, was ihm sehr zu schaffen macht.

c1.

Heinz nimmt an, daß Montagues Theorie die größte ist, das ihm sehr zu schaffen macht.

ein Faktum,

[c: -faktiv, c 1 : +faktiv]

3.2.1.2 Der zweite Unterschied betrifft die Besetzbarkeit des Komplements mit Gerundkonstruktionen und Nominalisierungen. Nach den Kiparskys erlauben nur faktive Prädikate die Gerundkonstruktionen und die -ness-Noninalisierungen in vollem Umfang als ihre Subjekt- bzw. Objektkonplemente, nicht jedoch nichtfaktive Prädikate (S.346f.(2)): (32)

+faktiv: a.

John's having died of cancer last week is tragic.

b.

Their suddenly insisting on very detailed reports makes sense.

c.

The whiteness of the whale is reason enough to ...

d.

I don't mind your saying so.

e.

I regret having agreed to the proposal. -faktiv:

a " . »John's having died of cancer last week is true, b ' . *Their suddenly insisting on very detailed reports turns out. c ' . «The whiteness of the whale is likely. d 1 . *I maintain your saying so. e " . *I believe having agreed to the proposal.

Ist dem so, dann könnte man Bildung bzw. Vorkarmen von -ness-Nominalisierun gen (und anderen Nominalisierungen4 ), ebenso die 'Ergänzer-Wahl1 (POSS- ING vs. that (for-to)) , von den Merkmalen [± faktiv] abhängig machen, statt von ganzen Verblisten; auch dies wäre eine Vereinfachung der Graranatik. (ii)

Der Bildhauer Ernst Barlach ... |- r Ernst Barlach ist Bildhauer? Oberinspektor Meier ... HrMeier ist Oberinspektor."1

Man beachte, daß es sich hier um explikative, bzw. appositive Konstruktionen handelt, nicht restriktive; rS ist NP 1 , bzw. ?2 ist NPj"1 ist also strenggenommen von dem Satz, der die entsprechende Konstruktion enthält, nicht präsupponiert, sondern als Information subordiniert. 4o Die Übertragbarkeit der Kiparskyschen These auf sämtliche vergleichbaren Nominalia wie departure, arrival, destruction etc. wird in der einschlägigen Literatur (Esau 1973, Stockwell e.a. 1973, Kastovsky 1976) vorausgesetzt; in der Tat sind die Verhältnisse (und Gegenargumente bezüglich der Kiparsky-These) auch ganz parallel.

181

Nun können Gerrundkonstruktionen allerdings zahlreich als Komplemente nichtfaktiver Prädikate auch alternativ zur ttet-Einleitung vor; dies läßt sich anhand von Rosenbaums Listen (1967:12off.) leicht verifizieren. Entsprechend schränken die Kiparskys ihr Argument auch von vornherein auf 'faktive Gerundien1 ein, - die sich von nichtfaktiven im wesentlichen dadurch unterscheiden, ctaß sie auch in der Vergangenheitsform auftauchen können, vgl. etwa (32)a. Damit erklärt sich aber die Unverträglichkeit der relevanten Gerundien mit nichtfaktiven Prädikaten zum großen Teil von selbst - ohne Rekurs auf Faktivitätsnerkmale: Die nichtfaktiven Prädikate des Wünschens, Ratens, Vermeidens, Zwingens, Beginnens etc. schließen von ihrer Bedeutung her von vornherein 'vorzeitige1 Komplemente aus; Urteile und Emotionen, wie die meisten faktiven Prädikate sie ausdrücken, hingegen können sich durchaus auf Vorzeitiges beziehen. Immerhin gibt es jedoch neben f aktiven auch nichtf aktive Prädikate, die nach Ausweis ihrer tfot-Kcmplemente sich auch auf Vergangenes, Vorzeitiges beziehen können, vgl. (33): (33)

It seems/is true/is likely that Caesar started the Civil War just out of spite.

Aber selbst wenn man sich auf solche Prädikate von vornherein beschränkt, gibt es Ausnahmen in beiden Richtungen: Kognitive Faktive wie know/realize/find out sind mit Gerundkonstruktionen unverträglich; 41 einige nichtfaktive Prädikate erlauben sie, vgl. (34): (34)a.

b.

That Caesar started the Civil War just out of spite, is a fact/is a myth/is fiction pure and simple/is too terrible an idea for the classical scholar to be entertained.

Caesar's having started the Civil War just out of spite is a fact/ is a myth/is fiction pure and simple/is too terrible an idea for the classical scholar to be entertained.

Sie werden durch diese Konstruktion auch keinesfalls faktiv, wie die fehlende Konstanz der als Presupposition in Frage kaimenden Proposition rCaesar started the Civil War just out of spite"1 unter Verneinung zeigt. Mit Faktivität als solcher im oben definierten Sinne kann die Gerund-Konstruktion also nichts zu tun haben. Bleiben die -ness- und andere Nationalisierungen, für die die Kiparskysche These weithin übernonmen wurde. 42 Auch hier gilt, daß kognitive Faktive keines41 Darauf wiesen auch die Kiparskys selbst hin (1971:348,Anm.a). 42 Siehe etwa Kastovsky (1976:84f.).

182

wegs zu allen tfazt-Kanplementen die -ness-Paraphrasen zulassen, vgl. (35): (35)a. b.

John l *nows l that the whale is white. I doesn t know I *John \ , °W". , L the whiteness of the whale. I doesn't know

Und ebenso gibt es nichtfaktive Prädikate, die -ness-Komplemente alternativ zu ttet-Komplementen erlauben, vgl. (36): (36)

The correctness of this solution is arguable/open to doubt/ above suspicion/undisputable.

Ncminalisierungen und Gerundkonstruktionen liefern also per se kein wirkliches Argument für die syntaktische Signifikanz der Unterscheidung von faktiven vs. nichtf aktiven Prädikaten. Damit soll nicht geleugnet sein, daß Gerund- und Nbminalform partiell zur ± faktiven Interpretation der damit ausgedrückten Proposition beiträgt. Z. B. sind die Gerundkonstruktionen in (37) sämtliche faktiv zu lesen, obwohl die zugehörigen Matrixverben durch die Bank keine faktiven Prädikate sind: 43 (37)a.

He bragged about John's having gone to Paris.

b.

He wrote me about John's having gone to Paris.

c.

He said something sarcastic about John's having gone to Paris.

Umgekehrt haben die nominalen bzw. gerundialen Komplemente sonst eindeutig faktiver Prädikate in folgenden Sätzen auch eine nichtfaktive Lesart, die die alternativen tfett-Komplemente nicht zulassen. 44

(38)a.

Bill's death would be tragic.

b.

His saying so would amaze me.

c.

John disapproves of Max's being invited to the meeting.

Daß dabei neben dem Wechsel von finiter that- vs. infiniter Gerund- und Nominalform 45 die Präsens- vs. Perfektform des Komplements, Tempus und Modus des zugehörigen Matrixsatzes, (assertorische) Bedeutung der Matrixverben eine Rolle spielen, scheint bei der Betrachtung vor allem von (34)-(38) offensichtlich. Die ± faktive Interpretation eines nichtfiniten Komplements ist 43 Vgl. auch die Anmerkungen Erteschiks (1973:Io8) zu der Unmöglichkeit, das Komplement von regret als semantisch dominant, d. h. als 'Zentrum der Assertion" zu interpretieren, wenn es in Gerundform, im Gegensatz zur tnat-Form auftaucht. Ebenso sind die Anmerkungen der Kiparskys S. 36o zu remember einschlägig. 44 Ein Satz von Karttunen (1971a:62), der das Problem erstmals erörtert hat. 45 Auch infinitivische Komplemente haben häufig defaktivierende Wirkung, vgl. fürs Englische Karttunen (1971a:67Anm.lo); fürs Deutsche siehe Abschnitt 2 . 4 , erste Anmerkung.

183

also eine Resultante aus einer ganzen Reihe gleichzeitig zu berücksichtigender, aber in sehr komplexer Weise und je nach Einzelfall potentiell unterschiedlich zusammenwirkender Faktoren. Keiner dieser beteiligten Faktoren hat, wie man leicht verifizieren kann, seinen linguistischen Zweck nur innerhalb dieser Kontexte, umgekehrt ist [± faktiv] zu ihrer Explikation weder hinreichend noch notwendig. Daß speziell die Markierung von Matrixverben als faktiv vs. nichtfaktiv auf jeden Fall keine Erklärungsfunktion für das Auftreten nichtfiniter Komplemente hat, wurde bereits oben deutlich. Auf die deutschen Verhältnisse ist im Zusammenhang dieses Argument nur kurz einzugehen: Im Bereich der -w^g—Entsprechungen zu englischen Gerundkonstruktionen besteht keine Möglichkeit zu Vergangenheitsbildungen; von daher entfällt auch von vornherein das Kiparskysehe Argument, da sich die relevanten 'faktiven Gerundien1 nicht abtrennen lassen. Bei den substantivischen Infinitiv-Entsprechungen, wo Vergangenheitsformen durchaus möglich sind, vgl. (39): (39)a. b.

Dabei sein ist alles. Dabeigewesen sein ist alles.

ergeben sich sehr starke Verteilungsbeschränkungen im Vergleich mit ungefähr gleichbedeutenden abgeleiteten Substantiven; auf jeden Fall aber dennoch einschlägige Gegenbeispiele, vgl. (4o), (41). (40)

-faktives Prädikat: a.

Sein Kommen ist

b.

Seine Ankunft ist noch fraglich.

c.

Seine Ernennung ist noch umstritten.

d.

Seine Überlegenheit möchte ich bezweifeln.

(41)

noch fraglich.

+faktives Prädikat a. *?Sein Kommen ist wundervoll/schade/bedeutsam. b. * Hinz entdeckt Kunzens Behandeln l dieses Falls> Behandlung L J [Vgl.: a'.

Daß er kommt, ist wundervoll/schade/bedeutsam,

b'.

Hinz entdeckt, daß Kunz diesen Fall behandelt.]

Bezüglich des 'defaktivierenden1 Einflusses infiniter Komplamentformen auch bei sonst faktiven Prädikaten sind die englischen und deutschen Verhältnisse praktisch völlig parallel. Auch von daher ergibt sich für die Signifikanz von [± faktiv] also keine Stütze. 46 Weitere Gegenbeispiele und -argumente bei Ullmer-Ehrich ( 1 9 7 7 : 8 o f . ; 8 9 f f . ) .

184

3.2.1.3 Einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen f aktiven und nichtf aktiven Prädikaten sehen die Kiparskys in bezug auf die Regel der Subjekt-Subjekt-Anhebung (S. 346). Das ist diejenige Regel, die etwa die zu (43) a alternative Oberflächenstruktur (43 )b aus der gemeinsamen Äusgangsstruktur (42) ableiten soll: (42)

[

(43) a. b·

c

[

o

Bi11 NP it[ S. 1

Wil1 W i n ]

S-]NPCVPiS ^

°

it is certain that Bill will win. Bill is certain to win.

Nach den Kiparskys lassen nichtf aktive Satzprädikate diese Subjektanhebungskonstruktion mit wenigen Ausnahmen zu, vgl. (43) , (44) , niemals aber faktive Satzprädikate, vgl. (45) : (44) a. b. (45) a. b.

It seems/happens/turns out/is likely that Bill is the winner of the j ackpot . Bill seems/happens/turns out/is likely to be the winner of the jackpot. It is odd/makes sense/is surprising/tragic that Bill ... *Bill is odd/makes sense/is surprising/tragic to be the winner . . .

Wenn dem so ist, würde es die Grammatik erheblich vereinfachen, wenn die Anwendungsbedingungen von Subjekt-Subjekt-Anhebung - eine lexikalisch regierte Regel - in bezug auf die Merkmale [± f aktiv] formuliert werden könnten, statt alle einschlägigen Lexeme einzeln aufführen zu müssen. Allerdings ist dem nicht ganz so. Zum einen gibt es im Englischen sehr viele nichtf aktive Satzprädikate ohne diese Konstruktionsmöglichkeit, so neben possible noch impossible, true, false, probable, uncertain, (un)neaessary, obvious, evident, imperative, urgent, imminent etc.47 Zum ändern gibt es, wie Wilkinson (197o:429ff .) gezeigt hat, unter den faktiv-evaluativen Prädikaten eine ganze Reihe, die die Subjektanhebungskonstruktion zulassen, vgl. (46) ; ihre Faktivität bleibt dabei, wie der Negationstest zeigt, durchweg erhalten. (46) a. b.

It was (not) clever/wise/foolish/ stupid (of John) that John ran away from the bear. John was (not) clever/wise/foolish/stupid to run away from the bear.

47 Postal (1974:291ff.) hat darauf hingewiesen, daß nur etwa 60 Lexeme diese Konstruktion überhaupt zulassen (faktiv-evaluative Prädikate sind dabei unberücksichtigt) . Daß dies die Klasse nichtfaktiver Prädikate bei weitem nicht erschöpft, ist offensichtlich.

185

Wie auch immer der Anwendungsbereich der Subjekt-Subjekt-Anhebungserscheinung im Englischen zu begrenzen ist - ein Argument für die syntaktische Relevanz der Merkmale [± faktiv] läßt sich daraus nicht gewinnen. Werfen wir noch einen Blick aufs Deutsche. Die Existenz einer deutschen Version der Subjekt-Subjekt-Anhebungsregel ist von vornherein zweifelhaft ; selbst wenn es sie gäbe, wäre sie jedoch so klar auf Semi-Auxiliare wie scheinen, pflegen, anfangen,

(intr.) versprechen etc. beschränkt, daß eine

Charakterisierung ihres Anwendungsbereiches mittels [+ faktiv] völlig sinnlos wäre. Das von den Kiparskys gegebene Argument läßt sich aufs Deutsche also nicht übertragen. Zudem gibt es ausgerechnet im Bereich der evaluativ-faktiven Konstruktionen persönliche faktive Konstruktionen, die möglicherweise auf eine Subjekt-Anhebungsregel bzw. Subjekt-Kopier-Regel zurückgehen, vgl. neben Abschnitt 1, (126)ff. auch (47): (47)

Du bist blöd, daß du ihm die Reise bezahlst.

Allerdings ist dieser interessante, wenngleich umgangssprachliche Konstruktionstyp syntaktisch wie semantisch unerforscht, um definitive Schlüsse zuzulassen. 3.2.1.4

Der in Abschnitt 3.2.1.3 gemachte Unterschied betraf, in klassi-

scher Terminologie, die N.c.I-Konstruktion. Analog dazu postulieren die Kiparskys für Prädikate mit Objektkomplementen einen Unterschied bezüglich der A.c.I.-Konstruktion (S. 348 (3)): Nur nichtfaktive Prädikate würden sie mit einigen Ausnahmen erlauben, faktive nicht, vgl. (48) vs. (49): (48)

+faktiv: a.

*I resent Mary to have been the one who did

b.

*I took into consideration there to have been a mistake somewhere.

(49)

it.

-faktiv: a.

I believe Mary to have been the one who did

b.

He fancies himself to be an expert in pottery.

it.

Da die Herleitung dieser Oberflächenstrukturen (alternativ zu den that-Paraphrasen gleicher tiefenstruktureller Provenienz) mittels einer lexikalisch re49 gierten Regel - postuliert wird hierfür Subjekt-Objekt-Anhebung - bewerk48 Siehe dazu R. P. Ebert (1975). 49 Die Existenz dieser Regel ist allgemein kontrovers, s. Chomsky (1973). Daß sie fürs Deutsche nicht zu motivieren ist, wird in Reis (1973b) zu zeigen versucht.

186

stelligt wird, würde auch hier die Abgrenzung ihres Anwendungsbereichs durch die grammatische Verfügbarkeit von [± faktiv] vereinfacht, wenn die postulierte Korrelation existierte. Aber auch sie existiert nicht vollständig: Zum einen gibt es eine ganze Reihe nichtfaktiver Verben, die die A.c.I-Konstruktion nicht erlauben, z. B. accept, allege, appreciate, assert, certify, charge, complain, contend, decide, discern, dislike, insinuate. 5o Zum ändern erlaubt gerade das exemplarische kognitive Faktiv know im Englischen auch die A.c.I.-Konstruktion, worauf die Kiparskys (S. 348Anm.a) auch hinweisen; soweit die Konstruktionen mit Verba Sentiendi wie see, hear, feel etc. ebenfalls als A.c.I.-Konstruktionen ("raising constructions") zu werten sind, können auch sie als Gegenbeispiele gelten, da A.c.I.-Gebrauch faktive Geltung nicht verhindert. R. Lakoff (1973:691) hat darüber hinaus auf passivierte A.c.I-Fälle wie (5o) hingewiesen: ,r * , ^ was 4[discovered ^ , , (50) John I .known j? to have left. Allerdings scheint discover nach Ausweis von Negations- und Fragetest hier nicht mehr faktiv zu sein, deshalb als Gegenbeispiel auch nicht unbedingt haltbar. - Insgesamt zeigt sich jedoch, daß auch dieses Argument für die syntaktische Relevanz von [± faktiv] nicht stichhaltig ist. Die Verhältnisse im Deutschen lassen wiederum eine Übertragung des Arguments kaxzn zu, da die vollständige A.c.I-Konstruktion nur noch auf wenige Verben beschränkt ist. Das eindeutig faktive Verb wissen hat nur in der reduzierten Form daran teil, vgl. (51); in diesem Gebrauch ist es ebensowenig faktiv wie discover in (5o). (51)

Hans weiß seine Eltern (nicht) gut versorgt.

Allerdings sind im Deutschen, darauf hat auch Pütz (1975:75f.) hingewiesen, die Verba Sentiendi in f aktivem Gebrauch von der A.c.I.-Konstruktion ebensowenig ausgeschlossen wie im Englischen. Und umgekehrt gilt natürlich, wegen der Beschränktheit der Konstruktion, daß nahezu alle deutschen nichtfaktiven Prädikate keine A.c.I.-Konstruktion dulden. Von daher legt auch das Deutsche die syntaktische Relevanz von [± faktiv] keinesfalls nahe. 50 Erhoben aus Rosenbaum (1967:12off.), vgl. auch Stockwell e. a. (1973:538f.) 51 Damit wird nicht geleugnet, daß bei vereinzelten Verben faktive vs. nichtfaktive Geltung mit dem Komplementtyp (z. B. Gerund vs. .c.I. bei engl. remember, s. Kiparsky/Kiparsky (1971:36o)) korreliert. Dies sind aber offensichtliche lexikalische Idiosynkrasien ohne systematischen Status. 52 Eine Übersicht gibt Reis (1976:9ff.).

187

3.2.1.5 Als weiteren distinktiven syntaktischen Prozeß führen die Kiparskys Extraposition von Satzkcmplementen an (S. 346 ( 4 ) ) : Für Komplemente faktiver Verben sei diese optional; für die nichtfaktiven Verben hingegen obligatorisch, vgl.(52): (52)

+faktiv: a.

That there are porcupines in our basement makes sense to me.

b.

It makes sense to me that there are porcupines in our basement, -faktiv:

a. b.

*That there are porcupines in our basement seems to me. It seems to me that there are porcupines in our basement.

In der Tendenz ist dies Argument sicher richtig: Nichtfaktive tfcrt-Komplemente werden im Englischen allgemein leichter und in einigen Fällen, wie z. B. bei allen nichtfaktiven Semi-Auxiliaren (wie happen/seem/turn out) obligatorisch extraponiert. Aber: Erstens ist Extraposition nicht für alle nichtfaktiven Komplemente obligatorisch, vgl. (53) : (53)a.

That we will be ready on time is likely.

b.

To see the doctor would be worth while for you.

c.

That John shall represent us was decided (on) by me.

d.

That John deserted me, simply isn't true!

Zweitens liefert das Argument keinen Beweis für die Relevanz inhärenter präsuppositionaler ± f aktiver Merkmale, sondern nur einen Beleg für die Topic/Fokus-Gliederung von Äußerungen in ihrer Interaktion mit (pragmatisch) präsuppositionalen Gegebenheiten. Darauf weisen schon die Kiparskys im Anhang (S. 366) implizit hin; ausführlicher diskutiere ich dieses Problem in Abschnitt 3.3. Im Deutschen übrigens ließe sich das Extrapositionsargument von vornherein widerlegen, insofern auch nichtfaktive Subjektkomplentente grundsätzlich in der 'topikalischen1 Subjekt-Position verharren Jönnen, wenn sie eben Topic sind. 3.2.1.6 Die Kiparskys repräsentieren f aktive Komplemente tiefenstrukturell als komplexe Noninalphrasen der Struktur L·- [_f act ] S ] . Zur Rechtferti53 Diese Sätze stammen von Rosenbaum (1967:83,Io3,lo5); weitere 'native speaker'-geprüften Beispiele finden sich bei Ross (1967:153ff.).

188

gung dieser Tiefenstruktur führen sie unter anderem das distinktive Verhalten faktiver vs. nichtfaktiver Komplemente vor allem gegenüber 'merkmaländernden' Pegeln und "Negative Transportation1 an (S. 358f.); diesen Unterschied kann,i bei Zugrundelegung der genannten Tiefenstruktur, der Ross'sehe 'Complex NP "' Constraint1 (Ross 1967:66ff.) erklären. Gleichgültig ob diese Tiefenstruk-' tur zugrundegelegt werden darf oder nicht, werdan damit signifikante Korrelationen zwischen von Prädikaten ausgehender Factivität und syntaktischen Prozessen behauptet; diese sind zu iiberprifen. 3.2.1.6.1 Die Regel 'Negative Transportation', die pragmatisch synonyme Sätze der Art (54)a,b miteinander in Beziehung setzt, (54) a. b.

John believes that Harry can't win.



John doesn't believe that Harry can win.

ist nach den Kiparskys nur in nichtfaktiven Strukturen wie (54) anwendbar, niemals in faktiven (S. 358f.) wie (55): * (55)a.

b.

I regret that Harry can't win.

' '·"

I don't regret that Harry can win.

Diese Aussage ist richtig, aber als Argument schwach, da viele nichtfaktive Prädikatkatplementkonstruktionen ebenfalls keine synonymen 'Neg-Transport'-Paraphrasen aufweisen, 54 darunter von Nichtfaktiven mit Subjektkcmplement etwa klar, dringend, notwendig, von nichtfaktiven Verben mit Objekt-Komplementen unter anderem alle Verba Dicendi, dazu hope, like, hate, condescend etc., vgl. etwa (56). (56)a. b.

I am afraid that Harry isn't well.

*

·>

I am not afraid that Harry is well.

Wenn überhaupt, formen die 'Neg-Transport-Verben' unter ganz anderem Aspekt als Faktivität eine semantisch natürliche Klasse, nämlich als neutrale Verben der propositionalen Einstellung ("prepositional attitude verbs"); diese Eigenschaft kann dann auch, wie Bartsch (1973) gezeigt hat, zur Erklärung der Paraphrasebeziehung zwischen (54)a,b - ohne Postulat einer Neg-Transport-Regel genutzt werden. Dieses Argument wäre gänzlich ins Deutsche übertragbar; ebenso jedoch analog seine Widerlegung, weshalb ich diese nicht eigens durchführen will. 54 Dies vermerken auch Wilkinson (197o:435) und R. Lakoff (1973:619f.); Lakoffs Beispiel eines faktiven Verbs, das Negations-Transportation zulasse, ist allerdings zurückzuweisen, da das fragliche Prädikat happen, genau wie andere in Frage kommenden Semi-Auxiliare, implikativ ist.

189

Ein damit zusammenhängendes Argument, von den Kiparskys selbst nicht erwähnt, gibt Wilkinson (197o:435) : In nichtfaktiven Konstruktionen bewirkt ein negatives Element im Matrixsatz, daß in den subordinierten Konplementsätzen sogenannte 'negative-polarity items' auftauchen, so z. B. any (statt some), ever (statt always) ; diese Beeinflussung sei in faktiven Strukturen blockiert, vgl. (57): (57)a. b.

It isn't true that any of the policemen has ever harmed him. *It isn't significant that any of the policemen has ever harmed him.

Nun erwähnt bereits Wilkinson (197o:443 Arm.19) die kognitiven Faktive know/ realize als einschlägige Ausnahmen; Costa (1972:5o) verallgemeinert dies generell auf Semi-Faktive. Allerdings stellt Costa gleichzeitig fest, daß damit ein Verlust der faktiven Eigenschaften einhergehe: "not discover + any is non-factive and does not presuppose the existence of whatever the indefinite modifies, while not discover + some is factive and does presuppose the existence of the NP modified by the indefinite," vgl. (58). (58)a. b.

Bill didn't discover that there were any people on Mars, Bill didn't discover that there were some people on Mars.

Dieses scheint auch für entsprechende know-Sätze zu gelten. Damit sind diese Ausnahmen jedoch noch nicht als Gegenbeispiele entkräftet. Man beachte folgende Satzpaare mit nichtfaktiven Matrix-Prädikaten: (59)a.

Waldo didn't report that someone had left.

a'.

Waldo didn't report that anyone had left.

b.

This idiot claims it isn't true that somebody was here.

1

b .

The guy claims, correctly, that it isn't true that anybody was here.

c.

Who'd be so stupid to doubt/call into question here?

c1.

The clever inspector doubted/called into question was here.

that somebody was that anybody

Sie zeigen, daß auch in von Haus aus nichtf aktiven Konstruktionen der Übergang zu any unterbleiben kann, genau dann nämlich, wenn der Sprecher den Komplementsatz für wahr hält. Die Setzung von some vs. any bewirkt also selbst, in prag55 Givon (1972:12) behauptet, daß sogar forget, unter Verlust seiner faktiven Eigenschaft, das Auftauchen von any im Komplement erlaube; sein Beispielsatz Mary forgot that the child had read any book scheint mir allerdings kaum akzeptabel. 56 Siehe dazu Wilkinson (197o:435f.).

190

matisch leicht einsehbarer Weise, faktive oder nichtfaktive Interpretation. Sie bestätigt dabei nicht die Einteilung in faktive vs. nichtf aktive Prädikate, wie auch etwa umgekehrt die Verfügbarkeit dieser Vertrnerkmale nichts zur Beschreibung der some/any-Oistriisation beiträgt. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß ein Teil der Emotiva, die ja die stärksten Faktive sind, selbst als Auslöser-Umgebung für 'negative polarity items' wie any, ever, dienen kann. Unter gewissen Umständen können sogar Kontrast wie (60) auftreten - ohne daß die f aktive Lesart damit unmöglich würde, vgl. Baker (197o:181f.). (60)a. b.

It's strange that Sheila didn't throw something, It's

strange that Sheila didn't throw anything.

3.2.1.6.2 Zur Unterstützung ihrer These ziehen die Kiparskys auch die oft gemachte Beobachtung heran, "that subordinate clauses in German are not in the subjunctive mood, if the truth of the clause is presupposed by the speaker, and that sequence of tenses in English and French also depends on this condition" (S. 359). Daß diese Beobachtung unter Bezug auf die inhärente Faktivität vs. Nichtfaktivität von Matrix-Prädikaten zu explizieren sei , sollen folgende Minimalpaare belegen (gesprochen von jemandem, der glaubt, die Erde sei rund): (61)a. 1

John claimed that the earth was (*is)

flat.

a .

John grasped that the earth is (was) round,

b.

Er behauptet, daß die Erde flach sei (ist).

1

b .

Er versteht, daß die Erde rund ist

(*sei).

Da im Deutschen die Regelung der Consecutio Temporum, und des Konjunktivgebrauchs stärker verquickt sind als im Englischen, werde ich den behaupteten Einfluß von [± faktiv] auf die Zeitenfolge am Englischen, die Konjunktivregel am Deutschen überprüfen. Was die Zeitenfolge angeht, braucht nan zur Widerlegung nur Costas Aufstellung (1972:46) zu konsultieren: Zu den Matrixprädikaten, die, wenn in der Vergangenheit gebraucht, dennoch Präsens im Komplement erlauben, gehören neben den von den Kiparskys ausschließlich erlaubten Faktiven wie forget, regret und den Semi-Faktiven auch die von Hause aus nichtf aktiven Verba Dicendi und -Verben wie etwa show. Zu den Verben, die bei Präteritum im Matrixsatz Vergangenheit im Komplementsatz erzwingen, gehören neben den von den Kiparskys ausschließlich erlaubten Nichtf aktiven auch die Faktive know, be aware, sowie alle einstelligen faktiven Satzprädi-

191

kate, z. B. unfortunate, strange, vgl. (62): (62)a.

Bill showed/mentioned that coconuts grow/grew high up on trees.

b.

Bill knew/was aware that the new President of Chorea was/*is really a CIA agent.

c.

It was strange/unfortunate that the new President of Chorea was/*is really a CIA agent. (Costa 1972:46).

Eine weitere Ausnahmegruppe stellen die von Costa nicht eigens aufgeführten faktiv-evaluativen Konstruktionen dar, in denen Consecutio Temporum obligatorisch auftritt. Damit ist der Wahrheitsgehalt der oben zitierten Beobachtung nicht geleugnet. Es zeigt sich lediglich, wie schon öfters, daß sie mit inhärenten, auf bestimmte Verben bezogenen [± faktiv]-Merkmalen nicht korrekt expliziert werden kann. Vergleichbares gilt auch von der Regelung des Konjunktivgebrauchs im Deutschen, die die Kiparskys so formulieren: "It is optional in non-factives and inapplicable in factives" (S. 359). Zum einen gibt es nichtfaktive Konstruktionen, in denen nie Konjunktiv stehen darf, vgl. (63): (63)a.

Es ist möglich, daß das Auto sofort anspringt/*anspringe.

b.

Es ist wahr, daß die Gedanken frei sind/*seien/»wären.

c.

Es ist

d.

Er bringt es fertig, daß der Autor kommt/*komme.

fraglich, daß Anton hier Hilfe weiß/*wisse.

Und zum anderen gibt es von Hause aus f aktive Prädikate, die fakultativ Konjunktiv im Kanplement zulassen, vgl. (64): (64)a.

Kissinger bedauerte, daß sich die Israelis so störrisch gezeigt hätten.

b.

Helmut wüßte nicht, daß Fritz ihn jemals um Geld gebeten hätte.

c.

Helmut verrät Fritz, daß der Feind bereits in Remagen stehe/stünde.

Daß diese Konstruktionen bei Setzung des Konjunktivs ihre Faktivität verlieren (das Matrix-Verb oft Verbum-Dicendi-Charakter anniitmt), paßt dazu, daß umgekehrt auch bei an sich nichtfaktiven Konstruktionen die Setzung von Konjunktiv die distanzierte Haltung des Sprechers zur Wahrheit der Konplementkonstruktion vereindeutigen kann, aber nicht muß: Je nach der gleichzeitigen funktionellen Belastung des Konjunktivs als Kennzeichen indirekter Rede opponieren dann Indikativ: Konjunktiv I oder Konjunktiv I: Konjunktiv II miteinander, vgl. (65) und (66): 57 Was damit zusammenhängen dürfte, daß in deren Komplement nur Handlungen, nie zeitlose Wahrheiten vorkommen können - eine Dichotomie übrigens, auf die auch die anderen faktiven Prädikate im Hinblick auf Consecutio Temporum noch überprüft werden müßten.

192

(65)a.

Er

f i s t der Auffassung jglaubt { informiert mich

ein großer Wurf

b.

} l , daß Schelskys neues Buch J

ist.

fist der Auffassung ^j Er | glaubt l , daß Schelskys neues Buch [informierte mich J ein großer Wurf sei/wäre.

(66)a.

Peter sagte, er sei krank,

b.

Peter sagt, er wäre krank.

Dies rettet aber die These der Kiparskys keineswegs: Zwar korrelieren auf weite Strecken Konjunktiv und Indikativ durchaus mit Sprechereinstellungen bezüglich der Wahrheit des Komplement; dies kann aber nicht als von der inhärenten Faktivität von Prädikaten abhängig beschrieben werden, und allein darauf kamt es an. Wenn sich unter diesem Aspekt überhaupt natürliche Prädikatsklassen ergeben, läuft die Grenze zumindest quer durch die nichtfaktive co Klasse, eventuell (vgl. (64)) auch durch die faktive. Allerdings läßt sich bezweifeln, ob die Möglichkeit zu Indikativ- vs. Konjunktivgebrauch in daß-Konplementen überhaupt durch (alleinigen) Rekurs auf Prädikatsmerkmale beschrieben werden kann; der Einfluß von Negation, 1. vs. 2./3. Person (vgl. etwa (67)/(68) mit (63)b/(65)b)legt eine mehr pragmatische, dabei die wörtliche Bedeutung der gesamten Matrix-Proposition mitberücksichtigende Beschreibungshypothese nahe. (67)a. b. (68)

»Ich bin der Meinung, daß Schelskys neues Buch ein großer Wurf sei/wäre. Damals glaubte ich, daß Schelskys Buch ein großer Wurf wäre/?ist, heute nicht mehr. Es ist

einfach nicht wahr, daß die Gedanken zollfrei wären.

Im übrigen stellt sich die Frage nach der Bedingtheit von Konjunktiv- vs. Indikativgebrauch nicht nur bei Konplementsätzen, sondern bei praktisch allen Arten von Nebensätzen und auch in Hauptsätzen, ganz abgesehen einmal von Kon-

58 Siehe dazu Esaus Diskussion des Konjunktivarguments (1973:2oo-2o9), der zu dem wesentlich gleichen Ergebnis kommt, allerdings eine Lösung mittels semantischer Charakterisierung der Matrix-Prädikate in Betracht zieht.- Die Beispiele (63)a,b sind die seinen.

193

ditionalgefügen. Die Verhältnisse scheinen dabei intuitiv so weit vergleichbar, daß eine einheitliche Beschreibung für sie gesucht werden muß. Wie diese aussehen würde, bleibe hier dahingestellt; von vornherein klar ist jedoch, daß sie sich, weil nicht auf Komplemente beschränkt, auch nicht auf inhärente Merkmale von Matrixprädikaten berufen könnte. Der Verdacht, daß die Kiparskysche These prinzipiell zu kurz greift, ist somit nicht von der Hand zu weisen. 3.2.1.7 Die letzten Daten, die die Kiparskys für die syntaktische Signifikanz ihrer /act-Analyse, damit für die Signifikanz des Unterschiedes faktiver vs. nichtfaktiver Prädikate anführen, haben mit Pronominalisierung zu tun (S. 361f.). 3.2.1.7.1 Einen ersten Unterschied sehen die Kiparskys in bezug auf konplementbezügliche ^-Pronomina in Objektposition: Faktive Verben sollen sie zum Teil obligatorisch, zum Teil fakultativ zulassen, nichtfaktive Verben jedoch nicht, vgl. ihre Beispielsätze (69): (69)

+faktiv: Bill resents it that people are always comparing him to Mozart, -faktiv: *Bill claims it that people are always comparing him to Mozart.

Die Kiparskys schwächen die genannte Behauptung im Verlauf ihrer Diskussion dahingehend ab, daß sie nur für faktive it (gedeutet als Proncminalisierung der Tiefenstruktur-NP fact) in Objektposition gültig ist. Rein expletives it, das ist der sernantisch leere Platzhalter für Komplemente jeder Art, könne auch bei nichtfaktiven Verben in Objektposition auftauchen. Zwischen diesen beiden it zu unterscheiden, sei dabei notwendig, weil nur das faktive it (genau wie die zugrundegelegte NP faat), nicht aber das expletive it, Extraktionstransformationen (wie z. B. Relativsatz-, Fragesatzbildung) blockiere. - Dieses Argument ist auch auf das Deutsche übertragen worden, vgl. die analog zu (69) angeführten Sätze (7o):59 (70)

Der Mann bereut es, daß er nach Berlin gefahren

ist.

*Der Junge glaubt es, daß er die Schule schwänzen kann. 59 Siehe Esau (1973:2o9ff.); Pusch (1972:77). Letztere meldet allerdings die vorsichtige, wenn auch nicht entscheidende Kritik an, daß im Deutschen Tatsache, weil Femininum, nicht durch es pronominalisiert werden könne.

194

Das Argument ist jedoch insgesamt sehr schwach. In Stockwell e. a. (1973:55ff.) wurde bereits in aller Deutlichkeit gezeigt, daß erstens die notwendige Proncminalisierungsqperation foot ·» it sich weder theoretisch noch faktisch rechtfertigen läßt; zweitens das postulierte unterschiedliche Verhalten unter Extraktionstransformationen durch die Kiparskyschen Beispiele weder bewiesen ist noch durch andere bewiesen werden kann; das heißt: Der Unterschied zwischen expletivem und faktivem it ist hinfällig. Damit könnte als Argument nur noch bleiben/ was als seine erste Formulierung oben zitiert wurde. Aber in dieser Formulierung ist das Argument ganz sicher nicht schlüssig: Vorausgesetzt, man unterscheidet sorgfältig zwischen it/es als Resultat von sog. "Right Dislocation1 ('Rechtsversetzung1) und expletivem it/es, so gibt es f aktive Prädikate (in aller Regel kognitive Faktive), die kein expletives Ctojekt-it/es zulassen, so im Englischen know, realize, grasp, understand, im Deutschen etwa wissen, bemerken, feststellen, entdecken. Vor allem aber gibt es auch nichtfaktive Prädikate, die expletives Objekt-it/es erlauben: Im Englischen gehören dazu z. B. to take it that, to see to it that; einschlägige dt. Gegenbeispiele sind etwa die nichtfaktiven Verben vermeiden, fertigbringen, verstehen (etwas zu tun), in die Hand nehmen mit obligatorischem es; dazu mit fakultativem es z. B. vorziehen, wagen, gerne haben/leiden können, sieh leisten, erlauben, wünschen, wollen (daß). Die letztere Gruppe läßt sich aus60 Vor allem Pütz (1975:6of.) hat darauf hingewiesen, daß zwischen Rechtsversetzungs- und Extrapositionsstrukturen (letztere sind die Umgebungen für expletives es) unterschieden werden muß und kann: Sie sind einmal gekennzeichnet euren unterschiedliche Intonationsmuster (Hauptakzent auf einer extraponierten Konstituente ist möglich, bei einer rechtsversetzten Konstituente ausgeschlossen; dort trägt den Hauptakzent das Prädikat des Matrixsatzes) ; zum ändern ist RV-es, anders als expletives es, mit das austauschbar. Beides verweist m. E. auf den Hauptunterschied, der es auch rechtfertigt, RV-es von der weiteren Betrachtung auszuschließen: Die einzige Bedingung, der die Rechtsversetzung einer Satzkonstituente unter Zurücklassung von es unterliegt, ist, daß sie vorerwähnt (thematisch) ist; sie findet also unabhängig von der Art des Matrixverbs statt. (Siehe dazu auch Ullmer-Ehrich 1977:91ff.) Extraponierte Satzkonstituenten können hingegen auch rhematisch sein; ob sie von einem expletiven es vertreten werden müssen oder können ist dabei allem Anschein nach verbabhängig - nur für sie ist also die Kiparskysche These von Belang. Daß gleichwohl die Thema-Rhema-Struktur auch in die es-Verhältnisse bei faktiven Konstruktionen hineinspielt, ist nicht zu leugnen: Immerhin sind bei genau den faktiven Verben, bei denen es obligatorisch oder fakultativ steht, die präsupponierten Propositionen bereits vorerwähnt/bekannt; und bei den - durchweg kognitiven - Faktiven, mit deren Komplement dem Hörer auch etwas Neues mitgeteilt wird bzw. werden kann (ohne daß die Faktivität damit verlorenginge), ist it/es auch inakzeptabel, vgl. ( i ) , (ii) : (i)

Als Ilse ihre Strümpfe bezahlen wollte, stellte sie (*es) fest/bemerkte sie (*es), daß sie ihr Geld verloren hatte.

195

serordentlich vermehren, wenn man auch an das funktional gleichwertige expletive da(r)- bei satzförmigen Präpositionalobjekten denkt, vgl. sich verlassen /ro auf, abhängen von, ankommen auf, bitten um etc. Auch der von den Kiparskys (S. 362) angeführte Fall (71)a vs. (71)b, in dem it (es) bei neutralem Prädikat faktivierende Wirkung habe, (71)a.

I had expected that there would be a big turnout (but only three people came). Ich hatte erwartet/ daß großer Andrang herrschen würde (aber es kamen nur drei Leute).

b.

I had expected it that there would be a big turnout ( . . . - get more chairs). Ich hatte es erwartet, daß großer Andrang herrschen würde ( ... los, hol mehr Stühle).

-

ist nicht beweiskräftig, da it/es sich durch Austauschbarkeit mit that/das als Resultat von Rechtsversetzung erweist. Damit soll weder in Abrede gestellt werden, daß die Distribution von expletivem Objekt—it/es von der Semantik des Matrixverbs gesteuert sein könnte, noch daß die sich so ergebenden Verbklassen von syntaktischem Interesse wären. Dafür aber, daß sie mittels der Merkmale [± faktiv] zu definieren seien, spricht im Augenblick nichts, weder im Englischen noch im Deutschen. 64 3.2.1.7.2 Das letzte Argument betrifft die Verteilung von engl. so vs. it als Mittel der Satzproncminalisierung. Nach den Kiparskys erlauben faktive Komplemente nur it-Pronoidnalisierung, nichtfaktive Komplemente sowohl itwie so-Pronominalisierung, vgl. (72): (ii)

61 62 63 64

Du, letzte Neuigkeit: Weißt du (*es) schon, daß Emma ein Kind kriegt?

Wie dies genau zu erklären ist, bleibe hier dahingestellt. Die Berechtigung der o. a. Unterscheidung hebt es ebensowenig auf (Die obligatorischen/ fakultativen es bei faktiven Verben sind nicht mit das austauschbar und kommen auch bei Hauptakzent auf dem Komplement vor, sind also expletiv), wie es die Kiparskysche Korrelation von es-Verhältnissen und Faktivität zu retten vermag: Thematische und faktive Sätze/Propositionen sind streng zu unterscheiden, vgl. Abschnitt 3.3. Woran man denken muß, denn sonst wären Faktive wie sich stören an, verärgert/verstimmt/traurig/überrascht sein etc.alle bereits Gegenbeispiele zum Kiparskyschen Argument. Weitere Beispiele zu jeder Fallgruppe finden sich in den unter dem Gesichtspunkt der es-Distribution zusammengestellten Verblisten von Köhler (1976: 227ff.). Dies versucht Pütz (1975:7off.) mit durchaus suggestivem Material zu beweisen. Zum gleichen Ergebnis gelangt auch Pütz (1975:87ff.).

196 (72)

+faktiv: John regretted that Bill had done it, and Mary regretted it/*so,

too.

-faktiv: John supposed that Bill had done it,

and Mary supposed it/so

too.

Die Kiparskys geben dafür eine attraktive strukturelle Begründung, die auf die Unterschiede zwischen den von ihnen zugrundegelegten Tiefenstrukturen für faktive vs. nichtfaktive Komplemente - [fact + S] vs. [S] - rekurriert. Sie ist jedoch ebenso hinfällig wie das ganze Argument, angesichts der von Gushing (1972) gebrachten Gegenbeispiele, vgl. (73) und (74): (73)a. b. (74)a. b.

Lakoff announced that he had proven that Deep Structure does not exist, and Ross announced it/*so, too. Harris asserted that transformations are necessary in linguistics, and Chomsky asserted it/*so, too. Ncam said that Deep Structure exists, and I believed it/*so. George asked me whether Deep Structure exists; I said that I believed so/*it.

Die relevante Distinktion ist nach Gushing offenbar nicht die zwischen [+faktiv] und [-faktiv], sondern zwischen den Merkmalen [+fester Standpunkt] vs. [-fester Standpunkt] gegenüber der Wahrheit des Komplements. Dabei handelt es sich, wie (74) zeigt, nicht notwendig um inhärente Verb-Eigenschaften, sondern um Eigenschaften ihres Gebrauchs. [+fester Standpunkt] induziert dabei it, [-fester Standpunkt] so. Es ist dann zwar tatsächlich der Fall, daß alle Faktive unter [+fester Standpunkt] fallen, aber ebenso auch viele Nichtfaktive. Die Merkmale [± faktiv] müssen demnach zur Beschreibung der so-vs. itProncminalisierung nicht in der Granmatik auftauchen; auch dieses Argument ist also nicht stichhaltig. Die Funktion von englisch so wird dm Deutschen von einer ganzen Reihe von Ausdrücken übernonmen, darunter nur in Ausnahmefällen von so, vgl. (75): (75)

Frage: Gibt es Tiefenstrukturen? Antworten: a.

Ich glaube ja/schon/*so.

b.

Es scheint *ja/*schon/so.

c.

Ich fürchte ja/?schon /*ao.

d.

Ich hoffe ?ja/schon/*so.

Insofern hat das auf so vs. it bezügliche 'fact'-Argument kein Äquivalent im Deutschen.

197

3.2.2 Faktivität und die Substantivierung von Verben mit Satzkonplementen Zwei weitere Argumente für die syntaktische Relevanz von Faktivität finden sich bei Pusch (1972). Diese Arbeit versucht vor allem die Frage zu beantworten, "was Konstruktionen mit Satzkcmplementen, die ohne Schwierigkeiten substantiviert werden können, von solchen, die es nicht können, unterscheidet" (S. 73). Vgl. zur Illustration (76) vs. (77): (76)a.

Es ist notwendig/möglich/wahrscheinlich, daß Otto Lehrer wird.

b.

Ruth behauptet/wünscht/kündigt an, daß Otto Lehrer wird.

c.

Ruth versucht/ist willig/ist fähig, konzentriert zu arbeiten.

1

a .

Die Notwendigkeit/Möglichkeit/Wahrscheinlichkeit, wird ...

b1.

Ruths Behauptung/Wunsch/Ankündigung, daß Otto Lehrer wird ...

1

c . (77)a.

daß Otto Lehrer

Ruths Versuch/(Wille)/Fähigkeit, konzentriert zu arbeiten

...

Es ist traurig/wahr/(un)bekannt, daß Otto Lehrer wird.

b.

Ruth vergißt/mißbilligt/gelingt es/erwähnt/verhindert/verrät, daß Otto Lehrer wird.

c.

Ruth fängt an/liebt es/läßt sich herab, ihm Geld zu leihen.

1

a .

Die *Traurigkeit/*Wahrheit/*(Un)bekanntheit, daß Otto Lehrer wird.

1

b .

Ruths *Vergessen/*Mißbilligung/*Gelingen/*Erwähnung/*Verhinderung/ »Verrat, daß Otto Lehrer wird ...

c1.

Ruths *Anfang/*Liebe/*Herablassung, ihm Geld zu leihen ...

Puschs Antwort hebt dabei auf die Art der Folgerungsbeziehungen zwischen Matrix-Verb und Komplement ab: "Es können nur solche Konstruktionen zu abgeleiteten SN umgeformt werden, deren Komplemente nicht bezüglich ihres Wahrheitswertes von Seiten des Sprechers festgelegt sind." (S 83). Das heißt, auf die Karttunenschen Verbklassen bezogen, daß es sich bei SN-blockierenden Verb-Kcmplement-Konstruktionen um Faktive und Bnplikative handelt; bei solchen,

65 Eine notwendig - hier beachtete - Einschränkung für den Unterschied ist, daß Komplemente satzwertig besetzt sind. Weit größere Substantivierungsmöglichkeiten ergeben sich in Konstruktionen mit Verben der in (77) gebrauchten Art, wenn das Komplement selbst ein Nomen oder 'Derived Nominal' ist, vgl. Pusch ( 1 9 7 2 : 2 7 f . ) . 66 Siehe Karttunen (1971b). (Pusch bezieht sich auf Karttunen 197o, den sie S. 79-83 referiert.). 67 SN = satzkomplementfähige Substantivbildungen (nach Ross "sentential noun") siehe Pusch (1972:18Anm.).

198

die SN erlauben, um nwr-wenn-Verben und Nicht-Implikative. Die gleiche Verteilung wird darüber hinaus bei der Bildung von Funktionsverbgefügen festgestellt: Aus [-implikativ, -faktiv]-Verben seien derartige substantivische Streckformen bildbar, aus [+implikativ, +faktiv]-Verben nicht (S. 11off., S. 125). Der Ableitungszusammenhang, den Pusch daraus folgert (S. 141f.), soll uns nicht weiter interessieren; relevant allein sind hier die behaupteten Korrelationen von SN- und Funktionsverberscheinungen zu Faktivitat. Rechtfertigen die Daten die durchgängig manifeste Ansicht, daß das Merkmal [± faktiv] in der Grammatik verfügbar, damit auch im Lexikon repräsentiert sein müsse? Soweit ich sehe, nicht: 3.2.2.1 Unterstellen wir zunächst, die von Pusch gegebenen Daten seien vollständig, ihre Analyse dafür gültig. Selbst dann müßte [±f aktiv] nicht zur Auslösung bzw. Blockierung der entsprechenden SN-Bildungen und Funktionsverbfügungen grammatisch repräsentiert sein; denn dieses Merkmal ist gegenüber dem gleichfalls notwendigen Merkmal [iimplikativ] redundant: Kein [-implikatives]-Verb ist gleichzeitig t+implikativ]. Es genügte also, Verben für Implikativität zu markieren, um die SN- und Funktionsverbdaten abzudecken. Dies paßt ganz dazu, daß Puschs Abgrenzung der SN-fähigen Verben nur deren Gebrauch in nichtnegierten Sätzen als relevant in Betracht zieht - sonst wären die raiiTJenn-Prädikate (vgl. möglich, fähig, versuchen) nicht im (notwendigen) Gegensatz zu den als [+implikativ] charakterisierten Verbklassen, da auch sie ja unter Negation des Gesamtsatzes den Wahrheitswert der Komplemente eindeutig - als 'falsch1 - festlegen. Diese Beschränkung auf positive Sätze dürfte von den Gesetzmäßigkeiten der Wortbildung her genereller gerechtfertigt 68 sein; aber sie besagt im Grunde gleichzeitig, daß der distinktive Unter68 Man beachte, daß Pusch sich auf Substantivierungen/Nominalisierungen im Sinne der Wortbildung ("derived nominals" , nicht Gerundien, (substantivierte) Infinitivbildungen etc.) bezieht. Für diese unterliegt die Komposition mit negierten Präfixen jedoch bekanntlich starken idiosynkratisehen Einschränkungen. Auch in den hier zur Diskussion stehenden Fällen - etwa (76) - zeigt sich dies: (a) Komposita wie Nichtnotwendigkeit, Nichtmöglichkeit, Nichtwahrscheinlichkeit, Nichtbehauptung, Nichtwunsch, Nichtversuch, Nichtwille, Nichtfähigkeit sind in keinem Kontext akzeptabel; Nichtankündigung, ist an sich akzeptabel, aber nicht als SN, wie man bei Einsetzung in (76)b* sieht, (b) Wo un-Komposita existieren (Unmöglichkeit, Unwahrscheinlichkeit, Unwille, Unfähigkeit) besteht keine Notwendigkeit, sie aus einem syntaktisch negierten Satz abzuleiten; da in jedem Fall das zugrundeliegende Adjektiv bereits un-präfigierbar ist, können auch entsprechende syntaktisch positive Sätze die Ausgangsstruktur bilden. - Von daher scheint es mir gerechtfertigt, die fraglichen SN-Bildungen grundsätzlich unter Bezug auf (syntaktisch) positive Prädikat-Konstruktionen zu betrachten, gleichgültig ob man

199 schied zwischen faktiven und bloß implikativen Verben - das Verhalten unter Negation - von vornherein keine erklärende Rolle spielen kann. Allerdings läßt sich Puschs Ansatz auch von den Daten her nicht halten: 3.2.2.2

Zunächst zu den SN-Bildungen. Gegenbeispiele zu Puschs These sind

im Deutschen unter anderem die folgenden auf [+implikativ] rückgehenden SNs: Beweis, Verzicht, Weigerung, Zwang,

-Prädikate zu-

Unfähigkeit,

Unmög-

lichkeit, Einbildung, Wahn, Traum (vgl. ( 7 8 ) ) , sowie Kenntnis, Entdeckung, Erfahrung,

Offenbarung,

Geständnis,gelegentlich sogar Wissen (vgl.

(79)).

sich dabei eines lexikalistischen oder transformationalistischen oder eines dritten Verfahrens bedient. 69 [+implikativ] im Sinne Puschs, die darunter nicht nur die eigentlich implikativen Verben Karttunens (1971b) versteht, sondern auch wenn-Verben und negative wenn-Verben. 70 Anläßlich dieses Beispiels - zweifelsohne ein mit dem implikativen Verb zwingen wortbildungsmäßig zusammenhängendes Nomen - möchte ich einige Zweifel an Puschs transformationeller Herleitung der SN-Konstruktionen anmelden. (a) Es treten idiosynkratische Beschränkungen auf; Zwang z. B. kann Satzkomplemente nur zu sich nehmen, wenn der putative Ausgangssatz unpersönlich/passivisch ist, vgl. (i) vs. (ii) : (i)

Hans zwingt mich/sich , die Doktorarbeit zu schreiben ·* *Hansens Zwang, die Doktoraroeit zu schreiben.

(ii)

Man wird/ist gezwungen, die Doktorarbeit zu schreiben ·* Der Zwang, die Doktorarbeit zu schreiben.

Diese Beschränkung wird von anderen SNs nicht geteilt, vgl. Entdeckung Annahme. Eine andere Idiosynkrasie illustriert Unvermögen: Sätze wie Sein Unvermögen, sich klar auszudrücken (war offensichtlich) sind akzeptabel; ebenso der putative Ausgangssatz hierzu: Er vermag nicht, sich klar auszudrücken; aber vermögen als Verb ist die SN-Bildungsfähigkeit nicht zuzuschreiben, vgl. »Sein Vermögen, sich klar auszudrücken (war offensichtlich). (b) Es gibt SN-Bildungen, die keine grammatische Ausgangsstruktur der Art haben, wie es die transformationeile Hypothese fordert, vgl. (iii): (iii)

*Man wird/ist gezwungen, kommen zu müssen. ·» Der Zwang, kommen zu müssen...

Vergleichbares gilt für Sätze mit umstand, vgl. (iv): (iv)

Der Umstand, daß er schizophren ist (muß berücksichtigt werden). *Daß er schizophren ist, ist ein Umstand.

(a) wie (b) weisen darauf hin, daß die Möglichkeit zu SN-Gebrauch grundsätzlich eine (potentiell sehr idiosynkratische) Eigenschaft von Substantiven ist, seien sie abgeleitet oder nicht. Entsprechend sind einmal Basisstrukturen der Art [ S]jqp vorzusehen; Substantive für Gebrauch in diesem Rahmen im Lexikon zu markieren. Ob das insgesamt die richtigere Auffassung ist, kann natürlich nur nähere Untersuchung zeigen. Wenn sie es ist, wäre Puschs These über die Rolle von [+faktiv],[+implikativ] von vornherein so zu relativieren, daß sie zur Formulierung ausgesprochener Lexikonregeln notwendig ist.

200

Hinzu kamen die zahlreichen SNs von faktiven Verba Affectus, auf die bereits Pusch (S. 149f.) als Ausnahmen hingewiesen hat, wie Enttäuschung, Überraschung, Erstaunen, Schock, Empörung, Bedauern, Freude, Schmerz etc., die vielfach auch ohne eingeschobene Platzhalterphrase darüber akzeptabel sind (vgl. (80)). Bezieht man darüber hinaus noch die aus Konstruktionen mit prädikativen Nomen abgeleiteten SNs mit ein, kamen als Gegenbeispiele [+faktive]SNs wie Problem, Dilemma, Schmach, sowie [+implikative] SNs wie Vorwand, Illusion, Trugschluß, vor allem aber Sachverhalt, Faktum, Tatsache hinzu. (78)a.

Thomas' Beweis, daß Gott existiert, überzeugt viele.

b.

Helmuts Verzicht(darauf)/Weigerung/Unfähigkeit, geistig zu arbeiten, ärgert seinen ehrgeizigen Vater.

c.

Nur seine Einbildung, daß er ein Genie sei, Forderungen veranlassen.

(79)a.

kann Fritz zu solchen

Die Einsicht, daß auch arrivierte Wissenschaftler machen, gab dem Studenten Mut.

elementare Fehler

b.

Das Wissen, daß sein Sohn zu den Attentätern gehörte, raubte dem Vater den Schlaf.

(80)a.

Den Schock, daß die DDR l:o gewann, konnte die BILD-Zeitung kaum verwinden.

b.

Pauls Freude (darüber), daß Tante Adelheid so rasch verstorben war, wich bald heftigem Ärger, daß sie ihm nichts vererbt hatte.

ün Englischen sind neben den Gegenbeispielen denial, failure (Pusch 1972:73 Arm.1,8lAnm.1) und den englischen Verba Affectus noch mindestens folgende [+implikative] bzw. [+faktive] SNs zu notieren: admission, awarenessf confession, disclosure, knowledge, acknowledgement, perception, proof, realization, revelation, verification, refusal, pretense, delusion, dream, inability, 72 incapability; dazu eventuell unabgeleitete SNs wie problem, dilemma, illusion, fact etc. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Gegenbeispielen in die andere Richtung [-inplikative] konplementfähige Prädikate, die keine SN-Bildungen erlauben. So z. B. die von Pusch sogenannten 'Flüsterverben' (S. 178ff.) und sagen selbst, so sämtliche [-implikativen] Semi-Auxiliare wie scheinen, wissen (zu), 71 Deren Ausschluß schiene mir unter der transformationeilen Hypothese ungerechtfertigt, da es sich um prädikativ verwendbare Nomina handelt. Er ist außerdem, lexikalisch gesehen, künstlich, da es idiosynkratischer Zufall ist, ob in einer Sprache für ein SN-fähiges Substantiv ein verbales oder adjektivisches Grundwort vorliegt oder nicht, vgl. etwa engl. pretense (pretend) mit dt. Vorwand (*vorwenden). 72 Die Nomina mit that S-Ergänzungen wurden den Listen von Householder e. a. (1965) entnommen.

201

können, wollen (daß), brauchen, vermögen, (es) lieben/hassen/vorziehen/satt haben/müde sein (etwas zu tun); dazu warnen/ermuntern, vgl. (81): (81)a.

Er scheint/weiß/kann/vermag/ gut (zu) leben.

a'.

*Der Schein/*das Wissen/*das Können/*das Vermögen, gut zu leben...

b.

Er sagte/schrie/flüsterte, daß ich ein Idiot sei.

1

b .

*Sein Sagen/ Schrei/ Flüstern, daß ich ein Idiot sei ...

c.

Er liebt es/zieht es vor/ist es müde, ins Kino zu gehen,

c'.

»Seine Liebe/*Bevorzugung/*Müdigkeit, ins Kino zu gehen ...

d.

Heinz warnt/ermuntert Kunz

1

d .

zu kommen.

Heinzens *Warnung/*Ermunterung (an Kunz)

zu kommen...

Die analogen Fälle dazu finden sich auch im Englischen. 3.2.2.3 Bei den Funktionsverbfügungen ergibt sich ein analoges Bild: Es ist möglich, den Beweis zu erbringen, die Ehre zu erweisen, Verzicht zu leisten, zur Einsicht/Erkenntnis zu gelangen, die Entdeckung/Erfahrung zu machen, die Illusion zu haben, ein Geständnis abzulegen-, alle einschlägigen Substantivierungen beruhen auf [+implikativen] bzw. [+faktiven] Prädikaten. Hinzu können als umfängliche Klasse von Ausnahmen ihrerseits [+implikative] Funktionsverbfügungen wie die Dreistigkeit/Klugheit/Arroganz/Frechheit/Freundlichkeit/Unverfrorenheit /Leichtfertigkeit /Selbstsucht/Vermessenheit /Liebenswürdigkeit/ Kühnheit/das Zartgefühl/(der Mut)/(die Geistesgegenwart)/ ... haben bzw. besitzen', die Dummheit/Torheit/ ... begehen, deren zugehörige Grundprädikate dreist, klug, arrogant, ... dumm, töricht, wenn in Konplementkonstruktionen gebraucht, auf jeden Fall t+iinplikativ] (in der so-Ronstruktion), in der von-Kbnstruktion sogar faktiv sind. Ungekehrt lassen sich nicht zu allen [-implikativen]-Prädikaten substantivische Streckformen bilden, so nicht zu den meisten Flüsterverben, zu warnen, ermuntern, auch wenn, bei grundsätzlich verfügbarem abgeleiteten Substantiv, die Lücken vereinzelter sind als bei SN-Bildungen im eigentlichen Sinn. Aus diesem Befund geht hervor, daß weder die Merkmale [± implikativ] noch die Merkmale [± faktiv] die Bildung von SN-Konstruktionen oder Funktionsverbfügungen steuern. Vielmehr scheint für jedes komplementfähige Prädikat, bzw., noch besser, für jedes damit zusammenhängende 'abgeleitete Substantiv1 eigens im Lexikon markiert werden zu müssen, ob es SN- bzw. Funktionsverb-Kbnstruk73 Siehe dazu Pusch (1971), vor allem S.37ff.

202

tionen bilden kann oder nicht. Entsprechend besteht von daher keine Notwendigkeit, Faktivität (oder auch Implikativität) von Prädikaten in Graninatik oder Lexikon zu repräsentieren. 74 3.2.3 Nachbemerkung: Zum Verhältnis von Emotivität und Faktivität. 3.2.3.1 In den letzten Abschnitten wurde die Behauptung zu widerlegen versucht, daß (komplementbezogene) Prädikatmerkmale [±faktiv] syntaktisch relevant, damit im Lexikoneintrag der betreffenden Verben zu markieren seien. Die Argumentationsstruktur war irtirver die gleiche: Es lag jeweils vor eine Behauptung der Art "Die syntaktische Erscheinung A hängt ab von dem Vorliegen des Merkmals [+faktiv] bzw. [-faktiv]"; diese galt als widerlegt,wenn einerseits - angenonmen, es ging um die Korrelation von A mit [+faktiv] - Fälle nachgewiesen wurden, in denen trotz Faktivität des Prädikats A unmöglich ist, andererseits solche, in denen A auftritt, obwohl das Prädikat nicht faktiv ist. Wenn der Nachweis nur in der einen Richtung möglich war, wie etwa in Abschnitt 3.2.1.7.2, mußte (und konnte) ergänzend gezeigt werden, daß das Vorliegen von A vs. nicht-A von anderen Faktoren konditioniert ist, die ihrerseits [+faktiv] bzw. [-faktiv] subsumieren, die Faktivitätseigenschaft der Prädikate damit zu einer im Sinne von A akzidentiellen machen. Im Verlauf dieser Argumentation hat sich gezeigt, daß vielfach die gleiche Gruppe von semantischen Faktiven einschlägige Gegenbeispiele liefert. Vor allem Verben des Wissens wie engl. know, realize, discover, find out, bzw. dt. wissen, (be)merken, entdecken, feststellen, herausfinden, dazu jeweils 74 Damit soll nicht geleugnet sein, daß Puschs Analyse etwas sehr Richtiges t r i f f t , wenn sie auf die normale Offenheit des Wahrheitswertes bezüglich der S-Komplemente von Nomina hinweist. Nur die gesetzmäßige Rückbeziehung auf die logischen Prädikat-Komplement-Beziehungen der jeweiligen Grundprädikate scheint mir einerseits falsch (siehe dazu oben), andererseits im Ansatz zu eng: Man beachte zunächst, daß einige Verben, beweisen, deny z. B., bei SNBildungen ihre Folgerungseigenschaften bezüglich des Komplements verlieren: der Beweis, daß Gott existiert ... impliziert für sich genommen nicht mehr, daß Gott existiert; ferner, daß diese Neutralität von anderen Substantivierungen in großem Umfang geteilt wird. Man denke an die zu relativen Adjektiven gehörigen Substantive wie Gewicht, Höhe, Schwere, etc., aber auch an Bildungen wie Die Autonomie der Republik Tschad ..., die Existenz Gottes ..., Die Liebe von Fritz zu den Eltern ..., die für sich genommen nicht implizieren, daß der Tschad autonom ist, Gott existiert, Fritz seine Eltern liebt; und bei einer Fortsetzung mit ... ist als Fiktion erwiesen implizieren sie sogar das Gegenteil. Wenn überhaupt, müßte die 'Unmarkiertheit' vieler Nomina bzw. NPs auf einer positiv/negativen Skala im Vergleich mit ihren Grundwörtern auf viel breiterer Basis und in größeren Zusammenhängen untersucht werden als Pusch es tut.

203

auf bestirtmte Formen der Wissens-Erlangung gerichtete Verba Dicendi und Sentiendi, die für faktiven Gebrauch offen sind. Diese, von mir im folgenden 'Kognitiva' genannten Verben gehören sämtlich der Prädikatklasse an, die die Kiparskys als "nicht-emotiv" bezeichnen (S. 363f.). üngekehrt entsprechen die dort mit dem Merkmal [+emotiv] ausgezeichneten faktiven Prädikate den Thesen der Kiparskys fast durchweg, vgl. engl. resent, deplore, find it nice/ strange/deplorable/ terrible, a pity, no laughing matter, dt. bedauern, übelnehmen, verärgern, beklagen, es schrecklich/nett/komisch/finden, nett/furchtbar/peinlich/unglaublich/gemein etc. Von daher läge es nahe, die Kiparskysche These der syntaktischen Relevanz von Faktivität dahingehend abzuschwächen, daß nicht der Gegensatz [+faktiv] vs. [-faktiv] von Belang ist, sondern der Gegensatz zwischen [+emotiv, +faktiv] markierten Verben und allen anderen, seien sie [+emotiv, -faktiv], [-emotiv, -faktiv] oder auch [-emotiv, +faktiv], zu welch letzteren auch die Kognitiva gehören. Da es Prädikate aller vier Merkmalkcmbinationen gibt, ist [+faktiv] gegenüber [+emotiv] keinesfalls redundant. Damit aber, so könnte man argumentieren, ist der obige Widerlegungsversuch weitgehend entkräftet, bzw. nicht mehr stichhaltig: Denn auch wenn einige der von den Kiparskys und auch Pusch vorgelegten Argumente selbst für [+faktiv, -t-emotiv] zu klassifizierende Verben nicht haltbar wären, für alle träfe dies keineswegs zu. Damit wäre aber die syntaktische Irrelevanz des Faktivitätsmerkmals weiterhin zumindest unbewiesen; das Gegenteil auf den ersten Blick sogar wahrscheinlich. Aber auf den zweiten Blick ist die These der syntaktischen Relevanz von Faktivität auch in dieser abgeschwächten Form nicht haltbar: 3.2.3.2 Die genannten Kognitiva erschöpfen nicht die Klasse der Nicht-Bnotiva. Qnotiva sind nach der Definition der Kiparskys "all the predicatives which express the subjective value of a proposition rather than knowledge about it or its truth-value" (S. 363). Entsprechend gehören über die genannten Kognitiva hinaus zu den Nicht-Qnotiva auch Verben wie forget, take into account, 75 Diese Ausnahmestellung ist allerdings nicht durchgängig, siehe etwa das Verhalten der Kognitiva gegenüber Subjekt-Subjekt-Anhebung (Abschnitt 3.2. 1.3); oder auch gegenüber Negations-Transportation (Abschnitt 3.2.1.6.1) oder gegenüber den in Abschnitt 3.2.1.7.1 und 3.2.1.7.2 gehandelten Erscheinungen. 76 Die in "fast durchweg" anklingende Einschränkung bezieht sich a) auf das Argument in Abschnitt 3.2.1.3, wo evaluative Konstruktionen die Gegenbeispiele bilden (daß diese als [+emotiv] einzuordnen wären, liegt von der Bedeutung wie von dem Kiparskyschen Hauptkriterium, der Möglichkeit, for-to-Komplemente zu sich zu nehmen, nahe, vgl. auch Wilkinson 197o); b) auf Ne-

2O4

(Kiparsky/Kiparsky 1971:363), bzw., um vor allen das Deutsche einzubeziehen, vernachlässigen, in Betracht ziehen, ignorieren, seine Aufmerksamkeit schenken, bedenken, vergessen auf, beachten etc.; dazu sanantisch komplexe, oft inhärent negative Prädikate wie verdrängen, verraten, vergessen, verheimlichen, mit der Nase darauf stoßen, jemand etwas stecken, verschwitzen. All diese letztgenannten Prädikate sind jedoch syntaktisch mindestens ebenso der Kiparskyschen These konform wie die Bnotiva; wenn überhaupt, muß also der relevante Schnitt zwischen syntaktisch 'echten Faktiven1 und 'Halbfaktiven' durch die Nicht-Enotiva hindurchgehen. Diese Abgrenzung durchzuführen, ist nicht ganz leicht: Zwar enthalten die syntaktischen Halbfaktive wissen, herausfinden , entdecken, einsehen, sehen, hören sämtlich irgendwie das Wissenselement (WlSS-)in ihrer assertierbaren Bedeutung; dies ist aber insofern nicht distinktiv, als auch z. B. die 'echten Faktive' vergessen, verheimlichen, verdrängen, verschwitzen neben einer inhärenten Negations- und weiteren Bedeutungskomponenten ebenfalls WISS- enthalten; auch für Berücksichtigungsprädikate ist WISS- als Teil der assertierbaren Bedeutung nicht ganz auszuschlies78 sen. Auch bezogen auf die Stabilität des semantischen Merkmals [+faktiv] ergibt sich kein relevanter bündiger Unterschied: Zwar umfaßt die Klasse der syntaktischen 'Halbfaktive1 auch die sogenannten sernantischen'Semi-Faktive' (Karttunen 1971a); wissen z. B. ist jedoch semantisch kaum mehr oder weniger (lückenhaft) faktiv als die Enotiva oder Berücksichtigungsprädikate selbst. Die semantische Abgrenzung der Klasse 'echter Faktive1, die signifikant mit syntaktischen Egenschaften korrelieren soll, ist also einigermaßen schwierig: Für sie müßte [+faktiv] gleichzeitig gekoppelt sein mindestens mit (i) [+emogations-Transportation (Abschnitt 3.1.7.1), wo die Rolle der emotiven Faktive in keiner Weise eindeutig konform ist; c) auf das erste 'Fact'-Argument bezüglich solcher emotiven Prädikate wie engl. a pity, no laughing matter, dt. kein Pappenstiel, schade, prima, Klasse. Dazu kommen d) Idiosynkrasien wie z. B, bei bedauern, das als Verbum Dicendi der Konjunktivregel unterliegen kann. 77 Siehe zu der analogen englischen Begriffsbildung Hooper (1975). 78 Man beachte, daß Sätze wie Der Autor berücksichtigt nicht/vernachlässigt gänzlich, daß es im Gotischen eine Auslautverhärtung gegeben hat anders als ihre positiven Gegenstücke nicht implizieren müssen: Der Autor weiß, daß es im Gotischen ...; d. h. das Element WISS- ist von Negation betreffbar, damit Teil der assertorischen Bedeutung von berücksichtigen/vernachlässigen, Dies berechtigt m. E. dazu, Berücksichtigungsprädikate und die übrigen Nicht-Emotiva als Wissensprädikate bzw. Kognitiva positiv zu bestimmen. Emotiva haben im Gegensatz dazu auf keinen Fall WISS- unter den Komponenten ihrer assertorischen Bedeutung; wenn überhaupt, ist mit emotiven Objekt(bzw. 'Experiencer'-)Komplementkonstruktionen ein WISS- involvierender Satz nur als Präsupposition verbunden (siehe auch Zuber 1973).

205

tiv], alternativ auch (ii) [-emotiv] und [+negativ] plus eventuell ein weiteres Merkmal, um z. B. leugnen, das nicht zu den echten Faktiven gehört, von vergessen, verdrängen u. a. zu unterscheiden, oder (iii) [-emotiv] und das Berücksichtigungsprädikate auszeichnende Merkmal [+Beachtung] o. a. Es dürfte schwer, wenn nicht unmöglich sein, diese alternativen Kbnditionierungen zu vereinheitlichen, bzw. den sich anbietenden Oberbegriff "semantische Komplexität des Matrixprädikates1 widerspruchsfrei zu präzisieren. 79 Damit aber ist die Grenzziehung zwischen echten und anderen Faktiven doch relativ willkürlich, eine generelle Erklärung der so erzwungenen semantisch-syntaktischen Korrelation kaum möglich. In Sonderheit könnte Faktivität dabei nur noch eine ganz untergeordnete Rolle spielen, und - sollte sich die faktive Präsupposition als vom Zusammenwirken der genannten Faktoren (plus eventuell weiterer) als O pragmatisch vorhersagbar erweisen - vielleicht sogar keine. 3.2.3.3 Ungekehrt scheinen syntaktische Prozesse, die nach erstem Anschein sinnvoll unter Rekurs auf die Merkmale [iemotiv] beschrieben werden können, nie gleichzeitig relevant von [±faktiv] konditioniert. Dies gilt auf jeden Fall für die Erscheinungen, die die Kiparskys (S.363-365) als jeweils charakteristisch aufgeführt haben, wonach die emotiven Prädikate ausgezeichnet 81 sind durch: (i) die Möglichkeit der /oi^to-Rotplementation im Englischen, (ii) die Kbnjunktivkennzeichnung should im Englischen, (iii) die Möglichkeit exklamativer Adverbien wie at all', 82 die nichtemotiven Prädikate durch die Möglichkeit, parenthetische as/wie-Sätze zu bilden bzw. überhaupt eine paren79 Einen guten Eindruck von den dabei bestehenden Schwierigkeiten vermittelt Erteschik (1973:Kap.3A). 80 Ansätze dazu bei Erteschik (1973:89ff.). 81 Ein deutsches Analogon zu englisch for-to-Komplementkonstruktionen gibt es nicht. Da diese jedoch aus Reanalysis von Konstruktionen mit for-Präpositional-Phrasen (zur Angabe des Interessenten) unter Koreferenz zum Komplementsubjekt hervorgegangen zu sein scheinen, liegt es nahe, eine von [±emotiv] abhängige Verteilung des Dativs des Interesses bzw. der für-Konstruktionen in bezug auf deutsche komplementfähige Prädikate zu vermuten. Dies scheint auch im wesentlichen der Fall, vgl. Es ist mir/für mich schrecklich/peinlich/wundervoll/eine Wohltat/ein Vergnügen/dringlich/möglich/lebenswichtig, diesen Kampf mit anzusehen, vs. *Es ist mir/für mich wahr/ vahrscheinlich/klar/steht fest/bekannt, diesen Kampf mit anzusehen. Allerdings ist das nach den Kiparskys emotive unwahrscheinlich mit Dativ des Interesses für + NP nicht akzeptabel; und andererseits sind daß-Komplementkonstruktionen wie Es ist {für mich/mir} klar/bekannt/offensichtlich, daß dieses Spiel abgekartet ist akzeptabel, ohne daß mir ein nichtzirkuläres Abgrenzungskriterium fur diese freien Dative und für-Phrasen gegenüber dem in emotiven Konstruktionen auftauchenden zur Verfügung stünde. 82 Dies Argument läßt sich im Deutschen nur schwer duplizieren; die einschlägigen Lexeme wie überhaupt, solch sind multifunktional.

206 thetische Lesart (gekoppelt mit der assertiven Lesart des anzusetzenden Kcmplanents) zuzulassen.

83

Ebenso trifft es zu für die indirekten Fragesatzkcm-

plemente, die von keinem emotiven Prädikat, sei es [+faktiv] oder [-faktiv], erlaubt werden. Auch die Erscheinung satzkcnmentierender Relativsätze bildet keine Ausnahme: Sie können bei Berücksichtigung einschlägiger Selektionsrestriktionen, von allen Emotiven, auch nichtfaktiven Prädikaten, gebildet wer-

den, vgl. (82): (82)a. b.

Hans ist durchs Examen gefallen, was mir sehr leid

tut.

Hans wird das Examen im Herbst machen, was auch notwendig/ dringlich ist.

a 1 . *Hans ist durchs Examen gefallen, was wahr ist/ich glaube. b 1 . *Hans wird das Examen im Herbst machen, was ich weiß. Nur bei wie-Exklamativkonstruktionen der Art (83) und den ihnen teilweise nahestehenden englischen Strukturen des Typs (84) - nennen wir sie Quasi-Extrapositionen - scheinen [+emotiv] und [+faktiv] als Bedingungsfaktoren zu korrelieren: (83)a.

(Es ist)

schrecklich, wie fett Caesar geworden

ist.

b.

Unerhört, wie verschlampt dein Sohn herumläuft.

c.

Vielleicht finde ich es auch noch herrlich, wie rheinisch hier die Leute reden.

d.

Fabelhaft (ist es), wie (gut) ihr das Kolloquium organisiert habt.

a ' . *(Es ist) wahr/illusorisch/eine Illusion/wahrscheinlich, wie fett Caesar geworden ist. (84)a.

It's awful the price you have to pay for tomatoes in the winter .

b.

It's a disgrace the way he behaves when he's drunk.

c.

It's deplorable the speed he drives on country roads. P(It's terrible the stories he tells about Nixon.

d.

83 Siehe dazu Hooper (1975). - Man beachte, daß nicht alle nichtemotiven Prädikate in dieser Weise verwendbar sind: Die von Hooper als 'non-assertive' eingestuften Prädikate können normalerweise, entgegen der Kiparskyschen These, auch keine as/wie-Einschübe bilden, vgl. *Er ist, wie möglich/wahrscheinlich/wahr ist, ein Verbrecher. Die Möglichkeit einschränkender Zusätze ist natürlich damit nicht immer ausgeschlossen, vgl. Er ist dumm, zumindest ist das wahrscheinlich. 84 Es gelten hier vergleichbare Einschränkungen wie für as/nue-Einschübe, siehe Anm. 3. 85 Die Sätze stammen von Ebert/Rohdenburg (1971:352,357). Analoge deutsche Konstruktionen sind für mich kaum akzeptabel, vgl. (i)

*Es ist furchtbar, die Preise, die Buchhändler heute verlangen.

207

Aber beide Fälle sind dennoch eher suggestiv als beweisend. Was die Quasi-Extraposition angeht, haben Ebert/Rohdenburg, die die Abhängigkeit dieser Konstruktion von Faktivität wie Etnotivität des komplementfähigen Prädikats behaupten, selbst auf ein erstes Gegenbeispiel hingewiesen (1971:36of.), vgl. (85); weitere auch nichtfaktive Gegenbeispiele scheinen mir die Sätze in (86) darzustellen, obwohl es vor jedem definitiven Schluß weit umfänglicherer Untersuchungen bedürfte. (85)

It is well-known the speed he drives on the autobahn. (Prädikat: [-emotiv, +faktiv])

(86)a.

It's nonsense the story he tells about his nephew being a neurotic shotputter. (Prädikat: [+emotiv, -faktivj)

b.

It's impossible

86

the situation h e ' s gotten us into.

(Prädikat: [+emotiv, -faktiv]) c.

It will remain a dream this plan of moving out to Hawaii. (Prädikat: [?emotiv, -faktiv])

d.

It's just not realistic this proposal of reentering the war. (Prädikat: [?emotiv, ?faktiv])

e.

It's been taken into account the way he behaves when he's drunk. (Prädikat: [-emotiv, +faktiv])

Die Zahl möglicher Gegenbeispiele kann dabei von vorneherein nicht groß sein: Es gibt nicht allzuviele nichtamotive und dabei komplementfähige Prädikate, die mit relativischen [NP-S]-Konstruktionen (das heißt nichtexplikativen Konstruktionen) selektional verträglich wären. (ii)

*Es ist zum Verrücktwerden, die Naivität, mit der Linguisten oft Logik betreiben.

(iii)

*Es ist schrecklich, die Art und Weise, wie er mich behandelt.

(iv)

*Es ist nervenaufreibend, herrscht.

die Hektik, die vor Semesterbeginn

Akzeptabler hingegen scheinen mir Fälle von 'Rechtsversetzung' (siehe Emonds 197o:19f. für das englische Äquivalent; Huddiestons 'pronomimale Apposition1 - siehe dazu Ebert/Rohdenburg 1971:ibid.) - scheint sich auf den gleichen Fall zu beziehen) und entsprechende Verkürzungen, z. B. (sie sind) furchtbar, die Preise, die Buchhändler heute verlangen. Allerdings sind diese Versetzungen fürs Deutsche noch zu wenig untersucht, um irgendetwas Schlüssiges über ihr Verhältnis zu Quasi-Extraposition sagen zu können. 86 Dies ist kein unproblematisches Gegenbeispiel, denn impossible, das als Satzprädikat nichtfaktiv zu lesen ist, ist hier eher als hyperbolische Ausdrucksweise für (faktives?) unerträglich/untragbar aufzufassen. Vergleichbares gilt für incredible, unbelievable, eventuell auch unlikely.

208

Für die üie-Exklamativkonstruktion schließlich besteht Abhängigkeit von [+fak87 tiv, -femotiv] klassifizierten Matrix-Prädikaten im wesentlichen ungeschmälert nur bei 'elliptischen1 exklamativen Konstruktionen wie (83)a,b,d. Hier sind in der Tat [-emotive, -f aktive] Matrix-Prädikate gänzlich ausgeschlossen, siehe (83)a 1 ; ebenso elliptische Matrix-Sätze mit [-emotiv, +faktiv] klassifizierten Prädikaten, vgl. (87). Gegenbeispiele wie (88), mit nach erstem Augenschein t+emotiv, -faktiv] zu klassifizierenden Prädikaten, sind insofern problematisch, als diese, ebenso wie impossible in (86), nicht die eigentliche Lesart der hcmonymen Satzprädikate zulassen: (87)

*Unberücksichtigt/*offensichtlich/*sonnenklar/*wohlbekannt, wie fett Caesar geworden ist!

(88)

Unglaublich/unmöglich/unwahrscheinlich, wie fett Caesar geworden istl

In 'vollständigen' Konstruktionen mit uie-Exklamativkcmplementen, etwa in Deklarativ- oder Fragesatzform, sind jedoch ohne weiteres nichtenotive Matrix-Prädikate, darunter auch von Haus aus nichtfaktive, möglich; vgl. die Sätze in (89), (9o), wobei die ersteren neben einer Fragesatzinterpretation auch 88 die exklamative Lesart fürs Komplement zulassen, die letzteren nur die exklamative Lesart: (89)a. b. (9o)a. b.

Er entdeckt/weiß nicht/hat vergessen/denkt nicht daran/berücksichtigt nicht, wie groß die Schuldenlast ist. Er sagt/deutet an/tut kund/ahnt nicht, wie alt Hinz ist. Niemand kann sich vorstellen/glaubt mir, wie alt Hinz ist. Das darf doch nicht wahr sein, wie fett Caesar geworden ist.

Nun besteht jedoch weder von der Syntax noch der Semantik der exklamativen Kcmplemente her irgendein Anlaß, die elliptischen von den vollständigen Konstruktionen zu trennen. Damit entfallen auch die z^e-Exklamativkonstruktionen 87 Es gibt eine Reihe emotiver Matrixprädikate, die im Gegensatz zu fast synonymen Ausdrücken die exklamativen wie-Komplemente weder bei Vollform der Matrix noch bei Ellipse des es ist zulassen, so z. B. schade (vs.bedauerlich) , (k)ein Wunder, (vs. unglaublich); anders als mit lexikalischer Idiosynkrasie kann ich dies nicht erklären. 88 Fragesatz- und Exklamativsatzinterpretation lassen sich, wie u. a. Ebert/ Rohdenburg (1971:359) bemerken, am leichtesten anhand polarer Adjektive auseinanderhalten: Werden die nicht-markierten Elemente eines polaren Paares in der wie-Konstruktion verwendet (siehe etwa alt (vs. jung), groß (vs. klein) in (89)), so haben sie in exklamativen Sätzen ihre absolute Bedeutung, (d. h. implizieren, 'präsupponieren' im Falle von (89), daß Hinz alt, die Schuldenlast groß ist), in Fragesätzen jedoch nicht notwendigerweise.

2O9

als einschlägiges Argument für die syntaktische Relevanz der gekoppelten Merkmale [+emotiv, +faktiv]. Die speziellen Restriktionen für elliptische Konstruktionen wie in (83)/(88) sind damit dennoch einer Erklärung zugänglich nur daß diese nicht die Möglichkeit der Exklamativkonstruktion irgendwie kausal mit Bnotivität und Faktivität des Matrixprädikates verbindet, sondern beides aus einem dritten - der besonderen Sprechaktform des 'elliptischen1 Gesamtsatzes erklärt. Im Gegensatz zu (89), (9o) etwa handelt es sich dabei ja um 'affektive' Ausrufe, die auch völlig ohne 'Matrixprädikat1 vorkommen können, vgl. (91): (91)a.

Wie laut ist es hier!

a'.

Wie laut es hier

b.

Mensch, wie groß bist du geworden!

1

b .

ist!

Mensch, wie groß du geworden bist l

Daß zur Vereindeutigung des mit diesem Ausruf verbundenen Gefühlsausdruckes nur affektive bzw. affektiv interpretierbare Prädikate in Frage kämmen können, scheint mir evident - kein signifikantes syntaktisches, sondern ein (fast triviales) pragmatisches Faktum. Damit ist jedoch bereits die Beschränkung der Konstruktion auf 'emotive Prädikate1 erkärt, denn von diesen bilden affektive Prädikate eine Unterklasse - zu der andere emotiv-f aktive Prädikate wie z. B. wichtig, bedeutsam, relevant, von Belang, lehrreich, die ihrer assertierbaren Bedeutung nach nicht Gefühlsausdrücke im engen Sinn sind, 89 nicht gehören, vgl. (92): (92)

*Relevant/*lehrreich/»bedeutsam, wie schnell die linguistischen Moden wechseln!

Und auch bei den verbleibenden nichtfaktiven Qnotiven handelt es sich vielfach nicht um Gefühlsausdrücke im engen Sinn; somit kommen auch diese nicht als "Matrix-Prädikat1 in Frage. Ferner haben Ausrufe der Art (91) von vornherein von ihrer illokutiven Funktion her eine gewisse 'Faktivität1; ° damit 89 Eine Abgrenzung dieser Unterklasse von emotiven Prädikaten (fließende Übergänge vorausgesetzt) scheint mir in dem Sinne möglich, daß bei ihnen bezüglich der Komplementsproposition S sich eine Implikation "Sprecher betrachtet S als gut bzw. schlecht" ergibt; dieser Unterschied korreliert mit bestimmten, als Test anwendbaren Verhaltensweisen unter aher-Koordination (siehe Reis 1973b:266ff.). 90 Ich beziehe mich hier, wie passim, auf die von den Kiparskys (1971:363f.) gegebene Liste emotiver Prädikate (die sich unter dem grammtischen Gesichtspunkt der for-to-Komplementation als einheitliche ergeben). - Bei den nichtfaktiven Emotiven handelt es sich überdies häufig um Ausdrücke mit Bezug auf eine 'Ungewisse Zukunft', (so vital, urgent, lebenswichtig, dringend),

210

ist auch die Begrenzung der einschlägigen Prädikate auf faktive geklärt. Somit kann also auch im Hinblick auf die letztdiskutierten Fakten von der syntaktischen Signifikanz der Prädikatsmerkmale [±faktiv] in Koppelung mit [±emotiv] nicht wirklich die Rede sein. 3.2.4 Zusammenfassung und Ergebnis Im Vorgehenden wurde gezeigt, daß das komplamentbezügliche Prädikat-Merkmal [±faktiv] nicht die wesentliche Rolle in der Syntax spielt, die ihm allgemein zugeschrieben wird. Damit ist gleichzeitig auch die These von der syntaktischen Relevanz präsuppositionaler Gegebenheiten allgemein entscheidend geschwächt; denn stärkere Argumente als die im Zusammenhang mit faktiven Präsuppositionen angeführten liegen derzeit für sie nicht vor. Ist damit auch die weitergehende Annahme der syntaktischen Relevanz semantischer Gegebenheiten entscheidend geschwächt? Dies zu folgern liegt nahe angesichts dessen, daß die Kiparskys ihre Fact-Hypothese explizit in den Dienst dieser Annahme stellten (siehe S. 345,365). Dieser Schluß scheint aber, auch und gerade bei einem Rückblick auf die vorgehende Diskussion, nicht gerechtfertigt: Was sich z . B . in bezug auf die behaupteten Korrelationen von syntaktischen Erscheinungen und Faktivität an Ausnahme- und Regelfällen ergab, schien semantisch nicht gänzlich zufällig, 'semantisch' aber eben nicht im Sinne präsuppositionaler Eigenschaften der betreffenden Lexeme, sondern ihrer assertierbaren Bedeutung. Einschlägige Beispiele dafür liefern Prädikatklassifizierungen mittels 'kognitiv', 'emotiv', 'affektiv1, 'negativ1, 'evaluativ' (bezogen auf Handlungen), 'assertiv' (vgl. Hooper 1975), im Grunde auch der Tatbestand 'semantische Komplexität der Matrix' (vgl. Erteschik 1973:Kap.3A), die sich sämtlich auf die assertierbare Prädikatbedeutung beziehen und dabei gleichzeitig syntaktisch relevant erscheinen, - auf jeden Fall weitaus relevanter als die präsuppositionale Klassifikation selber. Ob dieser Eindruck standhält oder trügt, könnte natürlich nur nähere Untersuchung zeigen. Auf jeden Fall scheint jedoch die vorgehende Diskussion zu gestatten, neben dem negativen Ergebnis, das (93) ausdrückt, auch ein positives zu formulieren: Es die mit der 'Faktivität' von nde-Ausrufen von vornherein nicht verträglich sind: Denn wenn diese im Modus realis Futurbezug aufweisen, dann in Form der gewissen Voraussage, vgl. etwa Mensch, wie schön wird das Leben sein, wenn die Habilitation erst einmal vorbei ist/

211

hat sich eine Präzisierungsmöglichkeit der immer noch vagen Vorstellungen über die syntaktische Relevanz semantischer Faktoren (zumindest im Prädikatbereich) abgezeichnet, die (94) zusammenfaßt: (93)

Syntax ist gegenüber (faktiven) Präsuppositionen autonom.

(94)

Soweit Syntax gegenüber der Semantik nicht autonom ist, sind die Wechselbeziehungen im Bereich der assertierbaren Bedeutung zu suchen.

212

3.3 Präsuppositionen und Syntax: Zur Einordnung von Topic/Fokus-Erscheinungen 3.3.1 Topic/Fokus-Erscheinungen und ihre syntaktische Relevanz Sätze sind in der Regel Teil eines Textes bzw. werden im Zusammenhang eines Diskurses geäußert. Bei ihrer Äußerung muß der Sprecher sonit gewisse Bedingungen der Kohärenz und Informativität relativ zum Äußerungskontext erfüllen. Mit Äußerung von S. muß er zum einen an etwas anknüpfen, was durch diesen oder in diesem Kontext als bekannt etabliert und durch den unmittelbar vorausgehenden Textabschnitt (der auch nur aus S. , bestehen kann) angesprochen wurde; dies ist Topic oder Thema seines kannunikativen Beitrags. Zum ändern muß er 91 mit Äußerung von S. über dieses Thema etwas sagen und dabei etwas mitteilen, was über das bereits Etablierte hinausgeht, in diesem Kontext neu ist oder erneut in den Vordergrund zu rücken ist; dies ist der Fokus seines konnunikativen Beitrages, auch genannt Comment oder Rhema. Die kommunikative Unterscheidung, die mit Topic (Thema) :Fokus (Rhema, Garment) angestrebt wird, ist intuitiv klar, ohne daß freilich die zu ihrer Explikation verwendeten Gegensatzpaare - alte:neue bzw. bekannte:unbekannte bzw. kontextuell gebundenetungebundene Information; das, worüber man spricht:das, was darüber gesprochen wird - leicht zu präzisieren wären oder sich in jedem Fall miteinander deckten. 92 Topic und Ccttment sind zunächst Kategorien der Sprachverwendung. Sie beziehen sich somit - das wird in der Regel zu wenig beachtet - nicht primär auf die syntaktische Einheit Satz (oder gar einfacher Satz), sondern auf kcnmunikative Einheiten der Rede, gleich ob diese durch mehrere Sätze, einen Satz oder nur Satzfragmente (z. B. bei Antworten) verwirklicht sind. Von daher müssen auch nicht alle Sätze eine Topic/Comment-Gliederung im oben explizierten Sinn aufweisen - es gibt durchaus Sätze, die als ganze thematisch oder rhematisch sind, vgl. den unterstrichenen, ganz zum Thema gehörigen Satz in (95) und den ganz zum Rhema gehörigen Satz in (96). Weitere Beispiele rhematischer Sätze finden sich naturgemäß häufig unter Textanfangssätzen; daß auch Gliedsätze 91 Diese Formulierung darf natürlich nicht so verstanden werden, als seien nur deklarative Sätze adäquate Textfortsetzungen. 92 Vgl. die allerdings auf fragwürdigen Beispielen (siehe (96)) basierenden Feststellungen von Dahl (1975:35o) und Weiss (1975:27); allgemein hierzu Dahl (1976).

213

und 'Hauptsätze' in Satzgefügen häufig insgesamt thematisch oder rhernatisch 93 sein können, liegt auf der Hand. (95)

A: Wo ist Hans denn? B: Hans ist in Bombay. A: Hans ist in Bombay. Na so was.

(96)

Do you know what I read in the newspaper? - Hitler was a Jew. (Dahl 1975:35o)

Weißt du, was ich gerade in der Zeitung gelesen habe? - Hitler war Jude.

In den meisten Fällen enthalten Sätze jedoch sowohl thematische als auch rhematische Elemente. Zu ihrer Abgrenzung kann auf den Verwendungskontext des betreffenden Satzes S. nicht verzichtet werden; gewisse Kontrollmöglichkeiten bietet die Bildung möglicher Vorgänger- und Folgesätze, und vor allem der Fragetest: Es wird eine Ergänzungsfrage gebildet, zu der der betreffende Satz S. eine (natürliche) mögliche Antwort darstellt. Das Rhema von S± läßt sich dann einigermaßen genau bestimmen: Es entspricht dem Frageskopus, markiert 94 durch das Fragewort, dessen Stelle es im Antwortsatz einnimmt. Entsprechend 93 In der Literatur wird auch Sätzen dieser Art häufig eine Topic/Corament-Gliederung zugeschrieben (eine gute Übersicht gibt Fries 1971:225ff.). Hierbei wird unvermeidlich von einer Art subjektiven kommunikativen Gewichtung innerhalb der bereits bekannten oder neu mitzuteilenden Sachverhalte durch den Sprecher ausgegangen: Als Thema gilt dann der vom Sprecher gewählte 'Ausgangspunkt 1 (Basis) mit dem subjektiv niedrigsten Wichtigkeitsgrad, als Rhema das Element mit dem subjektiv höchsten Mitteilungsgrad. Die mögliche Existenz solcher subjektiven Gewichtungen soll nicht geleugnet werden, ebensowenig die Möglichkeit, daß sie die Abfolge der Elemente in diesen Sätzen mitbeeinflussen. Sie unter Topic/Comment-Gliederung im oben angegebenen Sinn zu subsumieren, ist jedoch gerade im Hinblick auf die hier interessierenden Korrelationen zwischen sprachlicher Struktur (syntaktischen Regularitäten) und Topic/Comment-Gliederung von Sätzen sinnlos: a) Subjektive Gewichtung ist (im Gegensatz zur eigentlichen Topic/Comment-Gliederung, siehe o.) nicht testbar; Aussagen über solche Korrelationen wären also in Fällen wie ( 9 5 ) , (96) unvermeidlich zirkulär, bzw. empirisch leer, b) Soweit solche Korrelationen an Sätzen mit normaler Topic/Comment-Gliederung zweifelsfrei festgestellt werden können (siehe o . ) , scheinen sich die fraglichen "Topics" und "Foci" ihr nicht zu fügen; genau das wäre aber bei Vorliegen des tatsächlich gleichen Phänomens zu verlangen. 94 Siehe hierzu Altmann ( 1 9 7 6 : 3 5 f . ) . Hinzuweisen bleibt noch darauf, daß der Fragetest nur in günstigen Fällen wie (97) den Fokus für einen isolierten Satz eindeutig abzugrenzen vermag. Einem Satz s. wie Hans hängt ein BILD auf wäre, seine Topic/Comment-Binnengliederung vorausgesetzt, sowohl die Frage Was tut Hans? als auch Was hängrt Hans auf? zuzuordnen; je nachdem gehört aufhängen zum Rhema oder Thema von S^. Sehr viel 'mehrdeutigere' Fälle sind unschwer denkbar. Dies läßt sich, wie in der Prager Schule üblich, dadurch beschreiben, daß man Topic und Comment eines Satzes S^^ in Be-

214

ist das Rhema von S. identisch mit denjenigen Konstituenten von S., die in den zugehörigen Frageformulierungen nie auftreten dürfen. Das Thema von S. hingegen sind diejenigen Konstituenten von S., die ui den zugehörigen Frageformulierungen auftreten müssen; es ist bei Antwortverwendung von S. fakultativ weglaßbar. Angewandt auf einen Beispielfall wie (97) ergibt sich also auf Grund des Fragetests als Rhema morgen, als Thema Hans kommt. (97)a.

b. c. c'.



: Hans kommt MORGEN.

Frage : Wann kommt Hans? Antwort: S. Antwort: MORGEN.

Das rhematische Satzglied zieht immer den normalen Satzakzent auf sich ("Primärakzent", hier angezeigt durch Großschreibung des Wortes innerhalb des Rhemas, das ihn trägt). Diese Zuordnung ist jedoch nicht eindeutig, da der Primärakzent auch in Sätzen außerhalb der Topic/Comment-Gliederung vorkommt, so in total thematischen Sätzen, vor allem aber in Kontrastsätzen. Dort markiert er die kontrastierende Konstituente, den sog. 'Kontrastfokus'. 'Kontrast' bezeichnet dabei primär eine Verwendungsweise von Sätzen - Verwendung als "Gegenbehauptung zu einer explizit deklarativen Äußerung (aber auch zu einer sicheren Annahme)", 95 vgl. (98); ob dabei inhaltliche oder verbale Korrekturen vorgenaimen werden, spielt keine Rolle. (98)a.

b.

[A zu B in Anwesenheit von C : ] Ich muß noch jemanden finden, der mir beim Korrigieren hilft. Vielleicht hilft mir Hans; der kommt heute abend. Und ... [Darauf C, A unterbrechend:] Hans kommt MORGEN!

Auf kontrastive Verwendungswiese ist nur eine Minderheit von Sätzen durch ihre sprachliche Form festgelegt. 96 Insbesondere gibt es offenbar keinen eigenen 'Kbntrastakzent': Der Kontrastfokus ist grundsätzlich ebenfalls mit Primärakzent markiert; dessen bei Kontrastgebrauch wohl häufigere Verstärkung ist grundsätzlich auch innerhalb der Topic/Comment-Gliederung (Biphase!) möglich. zug auf sämtliche zugehörigen Fragemöglichkeiten festlegt (meine obige Formulierung ist dafür o f f e n ) , und die übrigen Elemente von S^, im Beispielfall aufhängen, einer Übergangszone ("transition") zuordnet. Nicht zuletzt aus Einfachheitsgründen werde ich jedoch im weiteren davon ausgehen, daß Topic und Comment bezüglich des Elemente eines Satzes S^ komplementäre Begriffe sind, - der Äußerungskontext von S. wählt jeweils die zugehörige Frageformulierung aus. 95 Altmann (1977:99); dessen Ausführungen zur Kontrastproblematik (ibid. und 1976:37ff.) ich weitgehend folge. 96 Siehe dazu Altmann ( 1 9 7 7 : l o o f f . ) .

215

Die Grenze zwischen Normal- und Kontrastäußerungen ist schwer zu ziehen. Zwischen klaren Fällen normaler Topic/Catment-Gliederung (in denen der Verwendungskontext, z. B. fortlaufender Bericht, jede Kontrastierungsabsicht ausschließt) und klaren (weil formal oder kontextuell expliziten) Kontrastfällen, gibt es Stufen von 'Hervorhebung' des Rhemas, die mit impliziter Kontrastierung verbunden, wahrscheinlich gleichbedeutend, sind. So scheint mir die Entfernung des Rhemas aus seiner Normalstellung am Satzschluß zunehmend 'Hervorhebung' zu bewirken. Gleiches gilt für die Verwendungsweise eines Satzes S. als Antwort, bei der das Rhema von S. (bezeichnenderweise oft in Spitzenstellung) ja implizit mit den anderen Antwortalternativen aus dem durch die Frage feststehenden Bereich kontrastiert. Daß die Grenzen derart fließend sind, scheint einerseits ganz natürlich, da Kontrast- und Topic/Comment-Gliederung im wesentlichen gleich sind: Kontrast- wie Normalfokus signalisieren Neues, sind kontextuell ungebunden; der Rest der Äußerung ist hier wie dort bekannt, kontextuell gebunden, also thematisch. Andererseits jedoch ist die Unterscheidung zwischen beiden von einschlägiger Wichtigkeit, weil mit zunehmend kontrastivem Gebrauch die Suggestion einer dem Rhema entsprechenden Existenzpräsupposition immer stärker wird, die bei Normaläußerungen völlig fehlt. Es ist deshalb notwendig, bei der weiteren Argumentation sowohl das Gemeinsame wie das Unterscheidende zwischen beiden Verwendungsweisen im Auge zu behalten. 97 Die normale Topic/Fokus-Gliederung von Sätzen wird in europäischen Sprachen vor allem durch Reihenfolge und Intonation signalisiert. Dabei scheinen folgende Prinzipien wirksam: (a) Der Fokus eines Satzes zieht den Hauptakzent auf sich; (b) das Topic steht vor dem Fokus. Diese Reihenfolge läßt sich entweder durch die Wortstellung oder durch die Wahl alternativer Lexeme (z. B. von Konversen) oder durch die Wahl alternativer Konstruktionen (z. B. Passiv) verwirklichen; in Sprachen mit starrer Wortstellung stehen nur die letzteren zur Verfügung. Hiervon ausgehend ist geltend gemacht worden, daß die Topic/ Fokus-Gliederung via Prinzip (b) nicht nur die Verwendung syntaktischer Muster (Stellungs- wie Konstruktionsmuster) beeinflußt, sondern auch die syntaktischen Muster und Gesetzmäßigkeiten selber. Im Deutschen etwa unterliegt die (möglicherweise als syntaktische Regel zu formulierende) Umstellung nominaler Satzglieder der sog. "Thema/Rhema-Bedingung" (Lenerz 1977:42ff.); QQ

97 Zu dieser Einschränkung siehe Lenerz ( 1 9 7 7 : 1 5 f . ) . 98 Siehe hierzu die Untersuchungen von Firbas (1964).

216

das satzeröffnende es darf nach Kiparsky (1966:9of.) nur Thematische Konstituenten ins Mittelfeld verdrängen; falls das Vorfeld mit zwei Konstituenten besetzt ist, müssen diese, von genau beschreibbaren Fällen abgesehen, thematisch sein (Benes 1971:162). Darüber hinaus betrifft nach üblicher Auffassung die SpaltSatzkonstruktion (Es war x3 der'/die/das ...) nur rhematische Konstituenten, die Rechts- bzw. Linksversetzung nur thematische Konstituenten; die entsprechenden Regeln können also nur unter Rückgriff auf die Topic/ Fokus-Unterscheidung formuliert werden. Auch daß Subjektivierungsprozesse wie Passivbildungen, die sog. Subjektanhebungen, 'tough-movement' etc. in Sprachen mit fester Wortstellung gehäuft auftreten, ergibt möglicherweise ein einschlägiges Argument. Zumindest wird der Umstand, daß sie die Verwirklichung der Topic/Fokus-Gliederung im Sinne von (b) ermöglichen, häufiger als ihr eigentlicher Entstehungsgrund angenommen. 99 Daß auch relevante Bezüge zwischen Topic/Fokus-Gliederung und Intonation bestehen, drückt sich schon aus in Prinzip (a). Gleiches trifft zu für die Kontrastgliederung; wobei darauf hinzuweisen ist, daß auch sie für eine Reihe von Stellungsregularitä*ten (insbesondere der Negation und wohl auch der Gradpartikeln) verantwortlich zeichnet. Gegenüber einem Gutteil dieser Argumente mag Skepsis angebracht sein - daß nähere Untersuchung die mindestens punktuelle syntaktische Relevanz der Topic/Fokus-Gliederung (ditto Kontrastgliederung) bestätigen würde, scheint mir jedoch nicht zweifelhaft. Hiervon werde ich M folgenden, ohne weitere Beweisführung, °° ausgehen. Nachtragen möchte ich nur, daß die Regel 'Topikalisierung1, die (nicht-subjektische) Konstituenten ins Vorfeld rückt, entgegen ihrem Namen und erstem Augenschein, nicht die syntaktische Relevanz der Topic/ Fokus-Gliederung bezeugt. Wie (99) und (1oo) zeigen, sind von ihr sowohl Topic- wie (Kontrast-)Fokuskonstituenten betroffen; die Regel kann und muß also ohne Rückgriff auf die Topic/Fokus-Gliederung formuliert werden. (99)a. b.

(Aber ist Freiheit wirklich ein Wert an sich?). Diese Frage soll uns Herr MEIER beantworten. (Sicher, der Lokführer trägt einen Teil der Schuld.). Schuldig sind aber auch die BEHÖRDEN.

99 Vgl. Sgall e. a. (1973:15ff,46); sowie Bartsch (1974:21), Vennemann (1975b). loo Sie würde eine eigene Abhandlung erfordern, da weder die fraglichen Erscheinungen selbst bisher genau beschrieben noch wichtige Vorfragen (z. B. die Annahme einer Grundwortstellung für das Deutsche betreffend) genau geklärt sind.

217

c.

(Wo hast du den Brief?) Den Brief habe ich in der UNI.

(loo)a.

(Wo hast du den Brief?) In der UNI habe ich den Brief.

b.

(Sicher, der Lokführer trägt einen Teil der Schuld). Aber auch den BEHÖRDEN kommt Schuld zu.

c.

(Wen hat Hans gesucht?) FRITZ hat er gesucht.

3.3.2 Zur Gleichsetzung von 'Topic/Fokus1 und "Präsupposition/Assertion' Die im vorigen Abschnitt beschriebenen Erscheinungen haben in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit gefunden. Allerdings werden sie häufig nicht unter der Rubrik Fokus/Topic behandelt, sondern unter dem Stichwort Fokus/Präsupposition bzw. Assertion/Präsupposition. Diese Gleichsetzung scheint naheliegend: 'Topic' sein kann nur bereits Bekanntes, in irgendeiner Form als gegeben Vorausgesetztes; beides ist auch für 'Präsupposition1 charakteristisch. Ungekehrt ist assertierte Information gewöhnlich neu: dies verbindet 'Assertion1 und 'Fokus1. Zusätzlich bleibt gerade in den dort zur Demonstration besonders häufig benutzten Fällen kontrastiver Verwendung wie (1o1)a-c die mit dem jeweiligen (unterstrichenen) Topic assoziierte Information (vgl. 1o1)a'c 1 ) unter illokutionärer Abwandlung der Gesamtsätze konstant. (lol)

[Mitteilung: Hans hat seinen Autoschlüssel verloren. Mögliche Gegenbehauptungen:] a.

(Nein,) FRITZ hat seinen Autoschlüssel verloren.

b.

(Nein,) Hans hat seinen UNI-Schlüssel verloren.

c.

(Nein,) Hans hat seinen Autoschlüssel VERSCHLAMPT.

a'.

Jemand hat seinen Autoschlüssel verloren.

1

b .

Hans hat etwas/einen von seinen Schlüsseln verloren,

c'.

Hans hat etwas mit seinem Autoschlüssel gemacht.

Von daher scheint es gerechtfertigt, die fragliche Topic/Fokus-Unterscheidung unter Rekurs auf Präsupposition:Assertion zu definieren, und unter diese Begriffe zu subsumieren: Topics, bzw. vorsichtiger, die mit Topics je assoziierten Informationen, würden dann nur eine Unterklasse der für einen Diskurs (bzw. für eine Äußerung innerhalb eines Diskurses) relevanten Präsuppositionsmenge darstellen: nämlich diejenigen Präsuppositionen, die zusätzlich zu den lol Siehe Chomsky (1971:199-2o7); Akmajian (197o:Kap.3.5); Jackendoff (1972: 2 2 8 f f . ) ; Keenan ( 1 9 7 o : I o 2 f f . ) ; Vennemann (1975a:318) ; Bartsch/Vennemann (1973:49f.);.Bartsch (1974:24). - Gegen die Gleichsetzung explizit Sgall e. a. (1973:161ff.).

218

auf Grund von Allgemeinwissen und situativem Kontext gegeibenen, durch den jeweils abgeschlossenen Teil des Diskurses hinzukommen. ° Wenn dem aber so wäre, müßte die Hauptthese dieser Arbeit eingeschränkt werden, denn dann hätte eine Teilklasse präsuppositionaler Fakten zweifelsfrei grammatische Relevanz. Im folgenden möchte ich jedoch zeigen, daß es notwendig ist, die Topic/Fokus-Gliederung eines Satzes bzw. einer Äußerung von ihrer Gliederung nach Präsupposition vs. Assertion (bzw. allgemeiner: präsupponierter vs. sprechakttf>

sensitiver Proposition) weiterhin zu trennen. Als repräsentativ für Präsuppo*;; sitionsfälle im eigentlichen Sinn wähle ich vor allem faktive Präsuppositionen aus; als repräsentativ für Topic/Fokus-Phäncmene Sätze wie (1o1) , diese sowohl in kontrastiver wie nichtkontrastiver Verwendung. Als Fokus eines Satzes S betrachte ich diejenige Teilkette/Konstituente von S, die durch Hauptakzent markiert ist; mit ihr ist (neue) semantische Information assoziiert. Die Restkette, bzw. die damit assoziierte Information,bildet das Topic von S.104 Der empirische Gehalt der Gleichsetzungsfrage ist meinem Verständnis nach der folgende: Die Explikation der Topic/Fokus-Unterscheidung mittels der Präsupposition/Assertion-Unterscheidung läuft notwendig darauf hinaus, "Topic-Information1 wie "Fokus-Information1 in Form von Propositionen zu repräsentieren: Die Standardexplikation 'Topic eines Satzes S 1 ist dabei eine Existenzproposition St, wobei S, derjenige Satz ist, der aus S mittels Ersetzung der Fokuskonstituente durch eine Variable und Existenzquantifizierung über hervorgeht. Die Standardexplikation von 'Fokus eines Satzes S" ist eine Identitätsproposition Sf bezüglich dieses, als existent angesetzten x; S präsupponiert dabei S. . ° - Die Gegenposition hierzu - die Behauptung der prinzipi-

102 Zu dieser Charakterisierung diskursrelevanter Präsuppositionsmengen siehe Vennemann ( 1 9 7 5 a : 3 1 4 f . ) . 103 Daß es sich auch bei den faktiven Präsuppositionen wohl nur um k-pragmatische handelt, kann in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. 104 Zur gegenseitigen Abgrenzung von Topic vs. Fokus mittels Fragetest (den auch die in Anm. lol genannten Autoren verwenden) siehe den vorigen Abschnitt 3.3.1. 105 Siehe Akmajian ( 1 9 7 o : 2 1 8 f f . ) ; Chomsky (1971:2o2); Jackendoff ( 1 9 7 2 : 2 4 6 f f . ) ; aber auch Bartsch (1872:73 und 1974:24). Es spielt keine Rolle, ob man dabei eine innergrammatische Repräsentation des Unterschieds vornimmt oder nicht; der z. B. in Bartsch (1974) postulierte Filtermechanismus, der den Fokus ex negative bestimmen soll, setzt, um funktionieren zu können, eine propositionale Repräsentation zumindest der Topic-Information voraus.

219

eilen Unabhängigkeit der Topic/Fokus-Gliederung von der Präsupposition/Assertion-Gliederung eines Satzes - läuft letzten Endes darauf hinaus, es bei einem nichtpropositionalen Verständnis von Topic und Fokus wie auch Topic- 'Information1 und Fokus- 'Information1 zu belassen. Daß propositionale Explikationen in einigen Fällen als adäquat erscheinen, ist von dieser Position her zufällig. - Diese zweite Position stellt eine Art Minimalposition dar. Für sie zu argumentieren, heißt demnach praktisch nur, die Unhaltbarkeit der ersten zu zeigen, das heißt: Es sind Fälle nachzuweisen, in denen die übliche propositionale (Assertion vs. Präsupposition -) Explikation der Topic/Fokus-Struktur eines Satzes S gezwungen wirkt bzw. diese mit jener Explikation von S in Widerspruch gerät, die von dessen sonstigen im engen Sinn präsuppositionalen und illokutiven Eigenschaften motiviert wird. 3.3.3 Argumente gegen die Gleichsetzung von 'Topic/Fokus' und 1 Präsupposition/Assertion ' 3.3.3.1 Als erstes möchte ich Fälle betrachten, in denen im engeren Sinne präsupponierte Propositionen eines Satzes sich ganz oder teilweise im Satzfokus befinden, vgl. (1o2)-(1o4): (Io2)

[Frage: Hans ist Antwort : ]

so traurig. Was bedrückt ihn denn?

a.

Es bedrückt Hans, daß_Maria ihn_nicht MAG. °

b.

2aß_Maria_ihn_nicht_MAG, bedrückt ihn.

c

·

(103)

[Frage: (Mensch, Karl hat unsere Gruppe an den CIA verraten.) Was weiß der Kerl denn alles über uns? Antwort : ] a.

Er weiß unter anderem, daß_Mike DOPPELagent

b.

Daß_Mike DOPPELagent ist,

c.

Unter anderem, daß Mike_DOPPELagent_ist.

(104)

ist.

weiß er unter anderem.

[Frage: Helmut hatte doch etwas mitgebracht, und Fritz hatte es vergessen. Was war das denn? Antwort: ] a.

Fritz hatte vergessen, daß Helmut SCHNAPS mitgebracht hatte.

b.

Daß Helmut SCHNAPS mitgebracht hatte, hatte Fritz vergessen.

c.

SCHNAPS.

Io6 Der durch die Frage determinierte Satzfokus ist jeweils unterstrichelt.

220

Wie der Vergleich mit der jeweiligen Frage ausweist, gehören in den Antworten die Matrixsätze zum Topic. Die Fokuskonstituente ist Teil des faktiven Komplementsatzes bzw. identisch mit ihm; diese Fokusposition führt jedoch keineswegs zur Aufhebung der präsuppositionalen Eigenschaft. Dies scheint auf den ersten Blick gegen die Gleichsetzung von Präsupposition mit Topic, Assertion mit Fokus zu sprechen. Bei näherem Hinsehen jedoch erweist sich dieser Widerspruch als noch zu vordergründig. Bei Gleichsetzung von Topic mit Präsupposition, Fokus mit Assertion, kämen den Antworten(1o2')-(1o4')je folgende Analysen zu: (Io2')

Topic Fokus

(= PSP) (= ASS)

3x (x bedrückt Hans) = 'Maria mag Hans nicht 1 .

do3')

Topic

(= PSP)

Fokus

(= ASS)

3x (Hans weiß x) = 'Mike ist Doppelagent1.

Topic

(= PSP)

3x (Fritz hat vergessen, daß Helmut x mitgebracht hatte.)

Fokus

(= ASS)

x = 'Schnaps'.

Uo4')

Assertiert bzw. fokussiert würde dabei in(1o2')/(1o3')nicht die jeweilige faktive Präsupposition der Antworten selbst, sondern, entsprechend der Selektionsbedingung von bedrücken bzw. wissen, daß unter der Menge der vom Sprecher als wahr (und zumindest bei (1o3') auch dem Hörer als bekannt) vorausgesetzten Fakten eben das Faktum, daß Maria Hans nicht mag, dasjenige ist, das Hans bedrückt bzw. daß zu den Fakten, um die Karl weiß, dasjenige gehört, daß Mike Doppelagent ist. Vergleichbares würde für (1o4') gelten. Von daher stünde der Gleichsetzung von Topic und Präsupposition im obigen Fall nichts im Wege.(1o2')-(1o4')wären dann nur komplexe präsuppositionale Konstruktionen, insofern die jeweilige Identitätsbehauptung zusätzlich zum charakteristischen Existenzsatz eine weitere Proposition als faktiv präsupponierte. Das heißt: Die Fokussierung von (Teilen von) präsupponierten Komplementsätzen ergibt kein Argument gegen (aber auch keines für) die Gleichsetzung von Topic/Fokus mit Präsupposition/Assertion; die Verhältnisse sind mit beidem verträglich. 3.3.3.2 Wie steht es mit dem umgekehrten Fall, der 'Topikalisierung1 nichtpräsupponierter Konplementsätze? Hier scheint sich zunächst ein Argument für Io7 Im Falle von (Io4) treten bei deren Formulierung allerdings Schwierigkeiten auf, wie sie Karttunen (1971a:57) für Sätze wie some senators regret that they voted für the SST diskutiert.

221

die fragliche Gleichsetzung zu ergeben. So weisen die Kiparskys darauf hin, daß nichtfaktive Subjektkcrnplemente im Englischen obligatorisch eactraponiert würden (also nach Prinzip (b) in die übliche Rhemastellung geraten). Vor allem aber - siehe dazu ihre Beispielsätze in (1o5) - würden Komplementsätze, die in Nachstellung weder bei positivem noch negiertem Gesamtsatz faktiv festgelegt sind, bei Vorausstellung eindeutig faktiv: ... "the initial position itself of a clause is in such cases associated with a factive sense" (Kiparsky/Kiparsky 1971:366). Dies würde aber im Grunde nichts anderes besagen, als daß in diesem Fall 'Topic sein1 mit "präsupponiert sein1 zusamnenfällt. (Io5)a.

The UPI reported that Smith had arrived.

b.

It was reported by the UPI that Smith had arrived.

c.

That Smith had arrived was reported by the UPI [+faktiv].

In die gleiche Richtung argumentiert explizit Hajicovä (1974:167ff.). Ihre Beispiele sind Komplement- bzw. Gliedsatzkonstruktionen, die in der Abfolge Matrixsatz - Gliedsatz (wobei der erste Topic, der zweite Fokus ist) nur einfach implikativ sind, bei eindeutiger Topic-Position des Gliedsatzes jedoch faktiv werden, d. h. das Komplement bleibt von der Negation unbetroffen, vgl. ihre Beispiele: (Io6)a.

Harry caused our DEFEAT, (a > c)

a'.

Harry didn't cause our DEFEAT, (a 1 $ c)

b.

our defeat was caused by HARRY, (b > c)

1

b .

Our defeat wasn't caused by HARRY, (b' > c)

c.

We were defeated.

Dies Argument kann jedoch aus zwei Gründen nicht stichhaltig sein: (i) Falls wir Daten wie die gegebenen als grundsätzlich beweiskräftig akzeptieren, scheitert es an Sätzen wie (1o7): (Io7)

Behauptung: Hua Kuo-feng ist Reaktion:

auf dem Weg nach Rott am Inn.

Daß Hua Kuo-feng auf dem Weg nach Rott am Inn

a.

- glaub ich nicht.

b.

- kannst auch nur du glauben.

ist,

108 Kiparsky/Kiparsky (1971:366). Siehe dazu auch die Diskussion in Abschnitt 3.2.1.5. 109 Das bedeutet, daß es sich, bezogen auf Karttunens Klassifikation (1971b: 6 f f . ) , um Konstruktionen mit wenn-Verben oder nur wenn-Verben als Matrixprädikaten handeln muß.

222

c.

- läßt sich nicht beweisen/steht wohl im Bayernkurier, oder?

d.

- bezweifle ich.

e.

- hab ich auch schon gehört, aber mein Bruder sagt, das sei eine Zeitungsente.

f.

- ist durchaus möglich.

g.

- ist entspannungspolitisch wünschenswert, aber wohl nur ein frommer Wunsch.

h.

- ist einfach nicht wahr/stimmt nicht.

i.

- bestreite ich/halte ich für falsch.

j.

- bringt (selbst) Franz Josef nicht fertig.

Obwohl sich das Komplement eindeutig in Topic-Stellung befindet, größtenteils, so bei (1o7)a,b,d,e,i,j durch Topikalisierung erst in Spitzenstellung gelangt ist, impliziert keiner der Gesamtsätze (1o7)a-j die Wahrheit des Komplements; mehrfach sogar dessen Falschheit, so (1o7)h,i,j. Sie können also nicht präsupponiert sein. Topic und Präsupposition sind also weder in dem Sinn gleichzusetzen, daß die 'inhärent1 nichtpräsuppositionale Geltung des Komplements seine 'Topikalisierung' verhindert, noch in dem Sinn, daß Topic-Stellung präsuppositionale Geltung jedes Komplements erzwingt. Letzteres ist eher die auf Verba Dicendi, uenn-Verben, spezifizierende Relativsätze beschränkte Ausnahme. In der Kegel bleiben die normalen Folgerungsbeziehungen zwischen Gesamt- und Gliedsatz auch bei Topic-Stellung des Gliedsatzes unverändert in Kraft.112 (ii) Das von Hajioovä gegebene Beispiel hat m. E. als (einzige) natürliche Lesart die kontrastive; daran scheint mir auch der 'präsuppositionale' Effekt geknüpft. Wenn wir ihm entsprechend die übliche propositionale Explikation der Topic-'Präsupposition1 und der Fokus-'Assertion' geben, vgl. (1o6'), erscheint Hajicoväs Argument im Sinne der fraglichen Gleichsetzung jedoch ohne Beweiskraft: (Io6')a.

PSP : ASS :

3x(Harry caused x ) . = Our defeat'.

b.

PSP :

3x(Our defeat was caused by x ) . 3x(x caused our defeat). x = 'Harry 1 .

ASS :

=

110 Inhärent im Sinne der von Karttunen (1971b) festgestellten Beziehungen. 111 Als 'spezifizierende Relativsätze 1 bezeichne ich solche mit indefiniten Bezugs-NPs; nur für diese, nicht für restriktive Relativsätze allgemein, gilt die von Hajicovä (1974:166) behauptete Nichtpräsuppositionalität (bloße Implikativität) in Fokusstellung. 112 Das gilt in Sonderheit dann, wenn die Beziehung zwischen Gesamtsatz S und Komplementsatz S^ so ist, daß i(Sm) ·* iSk oder Sm ·* nS k / vgl. ( l o / ) h ,

223

Zwar taucht der fragliche Ausdruck our defeat einmal in der 'Präsupposition', einmal in der 'Assertion1 auf. Dies aber vermag die unterschiedlichen Folgerungsverhältnisse - (1o6)b, nicht aber (1o6)a, soll unter Negation (1o6)c implizieren - nicht zu erklären: Vorkamen als Term in der Assertion ist per se nicht präsuppositonssuspendierend, vgl. etwa Harry in (1o6)a,b, dessen Existenz in allen Vorkommnissen präsupponiert ist. Ebensowenig erzwingt Vorkommen in der Präsupposition per se die präsuppositionale Geltung einer mit dem betreffenden Ausdruck assoziierbaren Existenz-Proposition, vgl. (1o8): (Io8)a.

Die Existenz fliegender Untertassen ist nicht erwiesen.

b.

Der Autor vergißt völlig, daß die Existenz fliegender Untertassen nicht erwiesen ist.

c.

Es existieren fliegende Untertassen, b » a; a }· c; b } c.

Allenfalls könnte durch die Repräsentation (1o6') die unterschiedliche Konstanz von (1o6)c bei Verneinung von (1o6)a vs. (1o6)b erklärt werden: Indem sich der fragliche Term in (1o6')b innerhalb der Topic-'Präsupposition1 befindet, ist er dem Einfluß der Gesamtsatz-Negation entzogen. Um ein erstes Fazit zu ziehen: Auch Topic-Stellung ist grundsätzlich mit Nichtpräsupponiertheit (im engen Sinn) der mit Topic-Elementen assoziierbaren Propositionen verträglich. Darüber hinaus hat (ii) gezeigt, daß die übliche Explikation von Topic/Fokus mittels (Existenz-)Präsupposition/(Identitäts-) Assertion auch nur sehr partiell zum Verständnis der an. sich einschlägigen Fakten beiträgt. Für Fälle wie (1o5) oder (1o7), für die nichtkontrastive Lesart möglich bzw. die natürliche ist, fiel zudem die zu (1o6') analoge Explikation von vornherein als klar gegenintuitiv aus. - All dies scheint mir eindeutig gegen die übliche gleichsetzende Explikation zu sprechen: Gerade Daten, wie die von den Kiparskys und Hajicovä angeführten, müßten von ihr aus erklärbar sein. Daß sie es nicht sind, hängt damit zusammen, daß jede (im engen Sinn) präsuppositionelle Explikation von 'Topic1 darauf hinausläuft die auf Topic-Information zutreffenden Charakterisierungen "bekannt1, 'voreri , j , ( d ) . Ob in diesen Fällen die Nicht-Wahrheit des Komplements in Topic-Stellung signifikant häufiger durch Konjunktivgebrauch signalisiert wird als in Fokus-Stellung, - was die 'faktivierende' Tendenz der Topic-Stellung indirekt bestätigen (oder widerlegen) könnte -, könnte nur eine statistische Untersuchung an breitem Material erbringen. Die bisherigen Untersuchungen zum Konjunktiv (etwa Jäger 1971) liefern dazu jedoch keine verwertbaren Hinweise.

224

wähnt' zu 'als wahr vorausgesetzt' zu verschärfen. Dies erweist sich an Topic-Fallen wie (1o7) als klar falsch; es ist darum für Fälle wie (1o5)/(1o6) auch nicht erklärend. Erklärend könnte es hingegen sein, von der Verschiedenheit von Topic/Fokus-Struktur und propositionaler Struktur eines geäußerten Satzes auszugehen und es bei der Explikation von Topic als Konstituenten, die auf 'Bekanntes'/'Vorerwähntes'/'Zur Diskussion Gestelltes1 Bezug nehmen, zu belassen: Dann kann Markierung bzw. Gebrauch etwa des Komplements von (1o5)/ (1o6) als Topic bei der je gegebenen Beziehung zwischen Gesamtsatz und Gliedsatz kaum etwas anderes heißen (in natürlicher Interpretation), als daß das Komplement dieser Sätze von Sprecher als wahr akzeptiert wird. Bei der für die Fälle (1o7) bestehenden Gesamtsatz-Gliedsatz-Beziehung hingegen kann es zu dieser Interpretation von vornherein nicht können. - Hinzuweisen ist zudem noch eiranal darauf, daß der übliche Ansatz einer Identitätsaussage als Assertion und des entsprechenden Existenzsatzes als Präsupposition nur bei Sätzen mit kontrastiver Verwendung sinnvoll ist. Für nichtkontrastive Fälle wie (1o7) - gleich ob 'Topikalisierung' vorliegt oder nicht - hat er keinerlei sprachanalytische oder intuitive Meriten. Als Mindestkonsequenz dieses Abschnitts läge es demnach nahe, die Gleichsetzung von Topic/Fokus mit Präsupposition/Assertion wie die übliche Explikation auf Fälle mit starker Fokusprofilierung (d. h. Hervorhebungs- und Kontrastfälle, siehe Abschnitt 3.3. 3.1)zu beschränken. 3.3.3.3 Das nun folgende Argument gegen eine Explikation von Topic/Fokus mittels Präsupposition/Assertion scheint allerdings auch für Kontrast- und Hervorhebungsfälle gültig. In Abschnitt 1.3.2.3 wurde hervorgehoben, daß zweifelsfrei präsupponierte Propositionen sich dadurch auszeichnen, daß sie einerseits unter Sprechaktabwandlungen des sie präsupponierenden Satzes konstant sixd, andererseits eo ipso keine eigenständige illokutionäre Geltung besitzen, damit auch nicht explizit performativ besetzbar sind, überträgt man dies auf die Kontrast- und Hervorhebungsfälle in der üblichen Explikation, entstehen keine Schwierigkeiten, solange man sich bei den Abwandlungen auf Assertion, Negation und Infragestellung beschränkt, vgl. (1o9)a-c. Diese tangieren nur die Identitätsproposition; die putative Präsupposition (11o) bleibt unter jeder Abwandlung erhalten. (Io9)a.

Fritz bekommt ein FAHRRAD.

b.

Fritz bekommt doch nicht ein FAHRRAD.

b'.

Es ist nicht wahr, daß Fritz ein FAHRRAD bekommt.

225

c. (l

)

Bekommt Fritz ein FAHRRAD? 3 (Fritz bekommt x ) .

Unausweichliche Probleme ergeben sich jedoch, wenn man explizit performative Sätze der Art (111) einbezieht: (11 Da.

(Was versprichst Du mir für den Fall, daß ich den Test bestehe?) 1

a . a

11

b. 1

Ich verspreche Dir (hiermit), daß Du ein FAHRRAD bekommst. . Ich verspreche Dir (hiermit) ein FAHRRAD. (Was rätst Du mir zu tun?)

b .

Ich rate Dir (hiermit) zur ^ÜNDIGÜNG.

c.

(Was willst Du hinsichtlich der Gefangenen tun, Boss?)

1

c .

Ich BEFEHLE Dir hiermit, sie zu_befreien.

d.

(Soll ich Kaffee kochen?)

1

d .

Ich BITTE Dich darum.

e.

ICH aber sage Euch hiermit voraus, daß Haiti Weltmeister wird.

f.

IHNEN, mein lieber Zitzewitz, der Sie unserer Firma so lange treu gedient haben, möchte ich hiermit im Namen aller herzlich für die geleisteten Dienste danken.

All diese Sätze lassen sich als Fälle von Hervorhebung der Fokuskonstituente interpretieren. Dabei bleiben sie durchweg explizit perfontativ interpretierbar: Das heißt, mit ihrer Äußerung beschreibt man nicht notwendigerweise einen Akt des Versprechens, des Ratens, des Befehls, der Bitte, der Voraussage, des Dankens, sondern vollzieht damit auch diese Akte selber. Nach der üblichen Explikation fokussierter Sätze wären z. B. (111)a',f wie folgt zu analysieren: (111)a 1 .

f.

Fokus: Das was ich (hiermit) verspreche, ist rad/daß du ein Fahrrad bekommst. Topic: 3x(ich verspreche hiermit x ) .

(»hiermit) ein Fahr-

(vereinfacht) Fokus: Derjenige, dem ich (hiermit) herzlich danke, sind (»hiermit) Sie. Topic: 3x(ich danke x hiermit herzlich).

113 Daß Kontrast-Verwendung vorliegen kann, ist mittels der beigegebenen Fragen zumindest bei ( l l l ) a - d vollständig ausgeschlossen. Dies ist insofern nicht ohne Belang, als die Nähe zur Kontrastinterpretation darüber zu entscheiden scheint, ob gleichzeitig noch eine explizit performative Interpretation möglich ist. Zumindest ist die explizit performative Interpretation für entsprechende nur-Konstruktionen wie Spaltsatzkonstruktionen, die beide eher Kontrast-Fokus-Konstruktionen sind, sehr viel schlechter realisierbar. Siehe auch Abschnitt 3.3.1 und 3.3.3.4.

226

Diese Explikation ist aber in jeder Hinsicht inadäquat, wenn wir, im Sinne der Identifikation von "Topic1 mit 'Presupposition' und 'Fokus' mit "sprechaktsensitiver Proposition1, den Existenzsatz als Präsupposition, den Identitätssatz als Träger der illokutionären Rolle ansehen. Denn zum einen würde den Sätzen (111)a',f damit fälschlich zugeschrieben, daß sie Identitätsbehauptungen seien - die niemals explizit performativ sein können - zum ändern aber, und das ist hier entscheidend, wäre ein explizit performativer Satz dann präsupponiert, und dies wäre im Sinne des zugrundegelegten Präsuppositionsbegriffs ein Widerspruch in sich. Dieser Widerspruch zeigt auf jeden Fall, daß die mit Topic vs. Fokus assoziierte semantische Information nicht unter die Scheidung Präsupposition vs. Assertion (sprechaktsensitive Proposition) zu subsumieren ist. Darüber hinaus führt er jedoch jede propositionale Repräsentation von Topic vs. Fokus ad absurdum, da dies im Falle von Sätzen wie (111) Inner offensichtlich zur eigentlichen illokutionären Struktur quer stünde, nicht in sie integrierbar wäre. 3.3.3.4

Als einziges Rückzugsgebiet für die übliche präsuppositionale Expli-

kation von Topic/Fokus-Strukturen blieben demnach allenfalls die Sätze mit ausgesprochen kontrastiver Verwendung, vgl. (112). Auf diese läßt sich ja das performative Argument des letzten Abschnitts nicht übertragen (siehe Anm. 113); für sie eine Identitätsaussage als sprechaktsensitive Proposition anzunehmen, scheint adäquat, ebenso die übliche Explikation des Topic als Existenzproposition. (112)a.

FRITZ hat den Autoschlüssel verloren (nicht Hans).

b.

(Nicht Fritz, sondern) HANS hat die Autoschlussel verloren.

c.

(Du, das war nicht Hans;) FRITZ hat gelogen.

d.

Nicht nur FRITZ hat gelogen, sondern auch HANS.

114

114 Zur Kontrastproblematik siehe o. Abschnitt 3.3.1. Hinweisen möchte ich noch auf eine Unterscheidungsmöglichkeit zwischen 'Hervorhebung's- und ausgesprochen kontrastiver Verwendung: Sätze mit kontrastiver Geltung können nicht als Antworten zu Fragen auftreten (siehe auch Altmann 1977: loo);Hervorhebung hingegen ist für Antworten die Regel. Vgl. folgende Beispiele: (i)

Frage: Was tut Fritz? Antwort 1: Er SCHLÄFT. (Hervorhebung) Antwort 2: fir arbeitet nicht, sondern

er SCHLÄFT. (Kontrast)

Antwort 2 scheint mir eine "Über-Antwort" zu sein, die dem Frager mehr Information gibt als er fordert, bzw. ihm eine Erwartung unterstellt, die er nicht hat; entsprechend könnte er wieder antworten: Das hab ich auch gar nicht anders erwartet.

227

Als Kontrastfokus können nun allerdings nicht nur Terme und Prädikate auftreten, sondern auch Operatoren und Quantoren, ebenso natürlich Terme wie niemand etc., vgl. (113)-(115): ( l 13)a.

A: Diese Lösung ist falsch. Darauf B: Diese Lösung ist NICHT falsch (, denn . . . ) . Darauf A: Diese Lösung ist SEHR WOHL falsch ( , denn . . . ) .

b.

A: Bergmans neuen Film finde ich nicht gut. B: Was?? Bergmans neuer Film ist SEHR gut.

c.

A: Kennst du den Struwelpeter? B: Eben NICHT, das ist es ja.

d.

Fritz hat nicht WENIG, sondern GAR NICHTS getan.

(l 14)a.

A: Wer kommt, Hans oder Fritz? B: Hans und Fritz kommen BEIDE.

b.

ALLE Bücher sind zurückzugeben, verstanden! Nicht nur die Zeitschriftenbände .

b1.

Die Bücher sind ALLE zurückzugeben.

( l 15)a. b.

A: Hans hat viel gearbeitet. B: Was? NICHTS hat er gearbeitet, der Schuft. NIEMAND kann den Hinz leiden, nicht einmal Kunz.

Auf diese angewandt, gerät die präsuppositionale Standardanalyse jedoch in unüberwindliche Schwierigkeiten: Im Falle von (115) widerspräche der Ansatz einer Existenzpräsupposition wie 3 ( kann Hinz leiden)1 dem Sinn der &isserung eklatant; Vergleichbares gilt im Falle von (113). Darüber hinaus können weder bei (113) noch bei (114) die anzusetzende Existenz- und Identitätsproposition im Sinne eines akzeptablen logischen Kalküls wohlgeformt sein. - Soweit also Sätze wie (112)-(115) Belege eines linguistisch einheitlichen Fokussierungsphäncmens sind - und nichtzirkuläre Argumente gegen diese Annahme liegen nicht vor -, kann dessen präsuppositionale Standardexplikation nicht haltbar sein. Daß sie Kontrastfoci, bezogen auf positive Terme und Prädikate, abdeckt, ist demnach zwar seinerseits pragmatisch erklärlich, aber linguistisch zufällig, was heißen soll: Zur Erklärung der Kontrastfokusbildung irrelevant. Die Notwendigkeit der bei den anderen Fokusphänonenen so störenden propositionalen Explikation entfällt also auch hier. Allenfalls sind Kontrastsätze als Erwiderungen auf Fragen {nicht als natürliche Antworten) zugelassen; dann nämlich, wenn sie eine mit der Frage verbundene Vorerwartung korrigieren, vgl. ( i i ) : (ii)

Frage: Wer kommt heute abend, Fritz oder Hans? Antwort: Weder Fritz noch Hans, sondern KUNO. 115 Siehe auch Jackendoff (1972:246).

228

3.3.4 Ergebnis Die Argumente in Abschnitt 3.3.3 haben meines Erachtens schlüssig gezeigt, daß es sich bei Topic vs. Fokus bzw. bei Topic- vs. Fokus-Information nicht um einen Fall von Präsupposition vs. Assertion im eigentlichen Sinne handeln kann, über eine für die propositionale Struktur des Satzes irrelevante Kennzeichnung des 'Bekannten' vs. 'Unbekannten' hinauszugehen, scheint demnach, aufs Ganze gesehen, linguistisch unmotiviert bis widersprüchlich. Wie die Topic/Fokus-überlagerung der eigentlichen propositionalen/illokutionären Struktur genau zu repräsentieren ist, kann hier dahingestellt bleiben. Wichtig im Zusammenhang dieser Arbeit ist nur, daß sie mit der Präsuppositionsproblematik im eigentlichen Sinne nichts zu tun hat.

SCHHJSSBEMERKUNG

In jeder Wissenschelf t, in der überhaupt von Gesetzmäßigkeit die Rede sein kann, ist imner zu fragen: welche Kunstausdrücke sind nötig oder wenigstens nützlich, um die Gesetze dieser Wissenschaft genau auszudrücken? Was solche Prüfung nicht besteht, ist vom Übel. (Frege 1918/19:62) Die vorliegende Arbeit hatte sich folgende Leitfrage gestellt: Inwieweit ist die Präsuppositionsproblematik linguistisch relevant? Die Abschnitte 2 und 3 haben darauf, ausgehend von dem in Abschnitt 1 präzisierten 1-semantischen Präsuppositionsbegriff, eine negative Antwort erbracht. An keiner Stelle, weder zur Beschreibung sprachlicher Einheiten, noch zur Formulierung syntaktischer Pegeln gingen präsuppositionale Fakten in die Grarnnatik wesentlich oder notwendig mit ein. Im Sinne des obigen Frege-Zitats hat der Begriff 'Präsupposition" demnach innerhalb der Grammatik-jrheorie keinen Platz, und ebensowenig sind Präsuppositionsphänomene linguistische Phänomene im eigentlichen Sinn: Sie gehören gänzlich in den Bereich der Sprachverwendung, in die Pragmatik. Hierzu möchte ich Stalnaker das letzte Wort geben: In some cases, distinctions such as between semantic and pragmatic features may be used as a way to set problems aside. Some linguists have accused other linguists of using the distinction between syntax and semantics in this way. Deviant sentences which seem to conflict with syntactic generalizations are not treated as counterexamples, but instead are thrown into a "semantic wastebasket" to be explained away by some future semantic theory. In the same way, seme may be suspicious that I am setting up a pragmatic wastebasket, and recommending that all the interesting problems be thrown away. I do not think that this is always a bad procedure, but it is not what I am suggesting here. I am recommending instead the development and application of a pragmatic theory in which detailed explanations of phenomena relating to linguistic contexts can be given. It is true that traditionally the more well developed and the more rigorous linguistic theories have focussed on questions of grammar and content, while the discussions which emphasized the role of conversational context have been more informal and less theoretical. But there is no necessity in this. Potentially at least, a theory of pragmatics, and the notion of pragmatic presupposition can be as precise as any of the concepts in syntax and semantics. (Stalnaker 1973b:25)

LITERATUR

Abraham, W. 1976. Temporales noch: woher stammt noch ? Unveröff. Ms