Der ewige, allgegenwärtige und allvollkommene Stoff, der einzige mögliche Urgrund alles Seyns und Daseyns: Band 1 [Reprint 2022 ed.] 9783112670668, 9783112670651

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Der ewige, allgegenwärtige und allvollkommene Stoff, der einzige mögliche Urgrund alles Seyns und Daseyns: Band 1 [Reprint 2022 ed.]
 9783112670668, 9783112670651

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
I. Die Einheit der Natur
1. Die Naturgebiete. No. 1. Die gesammte Naturordnung als Menschengeschlecht, als Thier-, Pflanzen- und Quarzreich und als allgemeine Stoffund Körperwelt
2. Der Mensch und das Thier
3. Das Thier und die Pflanze
4. Die Pflanze und der Quarz
5. Die allgemeine Stoff- und Körperwelt
6. Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete
7. Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse als vorbildliche Grundlagen der gesammten Weltordnung
8. Die Einheit der Natur. No. 30. Die Welt ein wohlgeordnetes Naturganzes. Einheit in der Vielheit und Vielheit in der Einheit
II. Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper als die letzten Lebenseinheiten innerhalb der drei Reiche der Natur
9. Die thierische Zelle
10. Die Pflanzenzelle als einfachstes pflanzliches Einzelwesen
11. Die Quarzzelle
III. Die einzelnen stofflichen Körpertheile als die letzten und einfachsten Wesenseinheiten der gesammten allgemeinen Stoff- und Körperwelt. Atome
12. Die einzelnen stofflichen Körpertheile (Atome) als natürliche in sich untheilbare Wesenseinheiten
IV. Kraft und Stoff als die naturnothwendigen Grundlagen und Grundbegriffe alles natürlich-weltlichen Daseyns
13. Kraft und Stoff In Ihrem begrifflichen Verhältniss zu einander
14. Kraft und Stoff in ihrem natürlichen Wechselverhältniss zu einander
15. Der Stoff und seine Eigenschaften
16. Das Wesen und seine Zustände
17. Ursache und Wirkung- in Bezug- auf die einzelnen stofflich-körperlichen Ur- und Einzelwesen
18. Das Wesen und dessen Erscheinung

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DER EWIGE,

ALLGEGENWÄRTIGE

UND

ALL VOLLKOMMENE

STOFF, DER EINZIGE MÖGLICHE URGRUND

A L L E S S E Y N S UND DASEYNS. VON

EINEM FREIEN WANDERSMANN DURCH

DIE GEBIETE MENSCHLICHEN

WISSENS, DENKENS UND FORSCHENS. ERSTER

BAND.

LEIPZIG, VERLAG

VON

VEIT

1895.

&

COMP.

Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.

GRIECHISCHE DENKER. Eine

Geschichte der antilcen Philosophie von DE. THEODOR GOMPERZ, Professor an der Universität Wien, gr. 8. geli. in Lieferungen a 2 J .

Die „Griechischen Denker" sollen drei Bände im Gesamtumfange von ungefähr 75 Druckbogen bilden, die in Lieferungen zur Ausgabe gelangen.

Bis jetzt sind drei Lieferungen erschienen.

In einem seiner letzten Briefe schreibt T h e o d o r B i l l r o t h aus Abbazia unterm 20. Januar 1894 an einen Wiener Freund: „Hast

D u schon

d i e beiden

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Hefte

Th. G o m p e r z ' „ G r i e c h i s c h e n D e n k e r n " g e l e s e n ? nicht, wird

so nimm eines der

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DER FREIE WANDERSMAOT.

DER EWIGE,

ALLGEGENWÄRTIGE

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STOFF, DER EINZIGE MÖGLICHE URGRUND

A L L E S S E Y N S UND D A S E Y N S . VON

EINEM FREIEN WANDEßSMANN DURCH DIE GEBIETE

MENSCHLICHEN

WISSENS, DENKENS UND FORSCHENS. ERSTER

BAND.

LEIPZIG, VERLAG

VON

VEIT

1895.

&

COMP.

Druck Ton M e t z g e r 4 W i t t i g in Leipzig.

Vorwort. as Werk, dessen erster Band hiermit der Öffentlichkeit übergeben wird, enthält nicht ein System eines akademisch geschulten Philosophen. Der Verfasser hat nicht auf einer Hochschule, sondern durch Selbststudium sich zu bilden versucht, er hat „als freier Wandersmann auf den Gebieten menschlichen Wissens, Denkens und Forschens" sich bemüht, den Urgrund und den Zusammenhang alles Seyns zu erkennen. In stiller Abgeschlossenheit nach geschäftlicher Thätigkeit und verschiedenen Reisen hat er viele Jahre seines Lebens nur dem Forschen nach Wahrheit gewidmet, weder Euhm noch Gewinn suchend. Wenn er nun hochbejahrt, ohne Nennung seines Namens, in der ihm gewohnten Weise des Ausdrucks und Schreibens die Ergebnisse seines Nachdenkens veröffentlicht, so wird er nur von dem Wunsche geleitet, die Wahrheit, welche er gefunden zu haben glaubt, auch Anderen als eine Anregung zu weiterem Forschen mitzutheilen. Diesen Zweck wird er erreichen — denn, was aus dem Innersten eines nach Wahrheit strebenden Herzens stammt, muss auf Jeden erhebend einwirken, welcher mit sittlichem Ernste nach Wahrheit ringt, sollte er auch nicht mit allen Ergebnissen einverstanden sein.

Der Verleger.

Inhalt. I.

Die Einheit der Natur. Seite

§ 1.

§ 2.

§ 3.

§ 4.

§ 5.

Die Naturgebiete No. 1. Die gesammte Naturordnung als Menschengeschlecht, als Thier-, Pflanzen- und Quarzreich und als allgemeine Stoff- und Körperwelt Der Mensch und das Thier No. 2. Unterschied zwischen Mensch und Thier No. 3. Ähnlichkeit zwischen Mensch und Thier Das Thier und die Pflanze No. 4. Ähnlichkeitsverhältnisse zwischen Thier und Pflanze . No. 5. Verschwinden der gewohnten Unterscheidungsmerkmale zwischen Thier und Pflanze Die Pflanze und der Quarz No. 6. Pflanzen- und Quarzwurzeln No. 7. Wachsthum der Quarze No. 8. Ordnungsmässige Gestaltung und Gliederung der Quarze No. 9. Lebensgrund der Quarze No. 10. Scheinbare Leblosigkeit der Quarze No. 11. Wachsthumsgr&nzen der Quarze No. 12. Vermehrung der Quarze durch Theilung No. 13. Ergänzungsvermögen der Quarze No. 14. Formverschiedenheiten oder Spielarten bei Quarzen in Folge von Verschiedenheiten in den zu ihrem Wachsthum erforderlichen Nährstoffen Die allgemeine Stoff- und Körperwelt No. 15. Die noch ungestaltete Natur als der gemeinschaftliche Urgrund für alle höheren Daseynsformen No. 16. Die ungestaltete Natur kennt kein Todtes und Lebloses No. 17. Scheinbares Sterben in der Körperwelt No. 18. Das scheinbar Todte ist gebundenes Leben No. 19. Verschiedene Grade und Abstufungen des Lebens .

1

1 2 2 3 4 4 7 8 8 11 13 15 16 19 23 23

25 27 27 29 31 35 38

vni § 6.

Inhalt. Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete

No. 20. Gemeinsamer Grundgedanke der Natur No. 21. Die Pflanze, ein Sinnbild des gesammten Naturlebens No. 22., Ahnendes Hinüberspielen aus einem niedrigeren Naturreich in das ihm zunächst höhere No. 23. Ähnliche Vorkommnisse zwischen der allgemeinen Körperwelt und dem Reich der Quarze, sowie zwischen dem Thierreich und der Geisterwelt No. 24. Innere Verwandtschaft alles Naturdaseyns und aller besonderen Daseyns- und -Wesensformen No. 25. Alles Endliche hat gleichzeitig seine körperliche wie seine geistige Seite . No. 26. Alles Niedere ist Vorstufe und Vorbild für das Höhere, alles Höhere Erklärung für das Niedere . . § 7.

40 42 48

54 59 62 67

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse als vorbildliche Grundlagen der gesammten Weltordnung

No. 27. No. 28.

Die Werthsteigerung der einfachen Zahlenreihe . . Ein jedes höhere Naturreich enthält nach seiner Weise auch alle unter ihm stehenden Naturreiche in sich eingeschlossen No. 29. Gleichbleiben der ersten stofflichen Grundlage durch alle höheren Lebensgebiete hindurch. Unmöglichkeit der Verwandlung eines Naturreiches in ein anderes .

§ 8.

Seite 40

Die Einheit der Natur

No. 30.

72

72

88

96 107

Die Welt ein wohlgeordnetes Naturganzes. Einheit in der Vielheit und Vielheit in der Einheit . . . . 107 No. 31. Einheit des Naturplanes. Naturgedanke, Naturordnung, Naturgesetz 109 No. 32. Die Welt, ein Vernunftreich 110 No. 33. Die vernunftgemässe Einheit und Mannigfaltigkeit in der Natur ist der verborgene Grund jener unverkennbaren Schönheit, in welcher dieselbe auf so mannig- fache Weisen uns entgegentritt 111

I I . Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper als die letzten Lebenseinheiten innerhalb der drei Reiche der Natur. § 9.

Die thierische Zelle

115

No. 34. Die Zelle als Grundbestandteil und Grundbedingung alles thierischen Daseyns 115 No. 35. Die thierische Zelle als einfachster und niedrigster Ausdruck von thierischer Persönlichkeit 117

Inhalt. § 10. Die Pflanzenzelle als einfachstes pflanzliches Einzelwesen . . . . No. 36. Die Zelle als Grundbestandtheil und Grundbedingung alles pflanzlichen Daaeyns No. 37. Die Pflanzenzelle als einfachster Ausdruck der Persönlichkeit innerhalb des Pflanzenreiches . . . . . § 11. Die Quarzzelle No. 38. Die Quarzzelle, oder das kleinste Quarztheilchen, als der einfachste Ausdruck der Persönlichkeit innerhalb des untersten Naturreiches No. 39. Zerstörbarkeit der Thier-, Pflanzen- und Quarzzelle . No. 40. Innere Verwandtschaft der Thier-, Pflanzen- und Quarzzellen No. 41. Entstehung der ersten Quarzzelle und deren Übereinstimmung mit der Entstehung der ersten Thier- und Pflanzenzelle

IX Seite 122 122 124 129

129 132 135

136

H L Die einzelnen stofflichen Körpertheile als die letzten und einfachsten Wesenseinheiten der gesammten allgemeinen Stoff- und Körperwelt. Atome. § 12. Die einzelnen stofflichen Körpertheile (Atome) als natürliche in sich untheilbare Wesenseinheiten No. 42. Unzulänglichkeit der sinnlichen Erfahrungen in Bezug auf den Begriff eines persönlichen Einzelwesens innerhalb des Gebietes der allgemeinen Stoff- und Körperwelt No. 43. Entgegengesetzte Ansichten über die innere stoffliche Beschaffenheit körperlicher Dinge in Bezug auf eine etwaige Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer innerlichen Theilbarkeit No. 44. Weitere Gründe für und gegen beide Ansichten. Die vermeintliche unendliche Theilbarkeit endlicher Körpertheile No. 45. Bedenken gegen die behauptete Allgemeingültigkeit des Satzes von der unendlichen Theilbarkeit stofflichkörperlicher Grössen auf Grund einer unendlichen Theilbarkeit von bloss räumlichen Grössen ohne allen und jeden wesenhaften Inhalt No. 46. Weitere Bedenken gegen die Anwendbarkeit .des Satzes von der unendlichen Theilbarkeit bloss räumlicher Grössen auf wesenhaft-körperliche Naturdinge No. 47. Verwechselung der Begriffe von „unendlich" und von „unbestimmbar"

142

142

145

158

157

163 178

Inhalt.

X

Seite

No. 48. No. 49. No. 50. No. 51.

No. 52.

No. 53.

No. 54.

No. 55. No. 56. No. 57.

No. 58.

IT.

Vermeintliche Theilbarkeit an sich angeblich todter und lebloser körperlicher Stoffe . . 182 Der raumlose Punkt als vermeintlich letzter Bestandt e i l aller Dinge . 185 Unmöglichkeit aus bloss raumlosen Punkten jemals eine wirkliche körperliche Grösse zu gewinnen . . 188 Irrthümliche Anschauungen der Raum- und Grössenlehre in Bezug auf Linien-, Flächen- und Kaumbildungen, und daraus sich ergebende weitere Widersprüche 192 Vermeintliche Theilbarkeit natürlicher stofflich-körperlicher Wesenseinheiten auf Grund -der allgemeinen Zahlenlehre und ihrer Zahlengesetze 199 Unmöglichkeit wirklicher Theilbarkeit bei innerlich ununterbrochen und stetig zusammenhängender Wesensgleichheit und völliger Wesenseinheit 218 Innerer Grund der natürlich-wesenhaften Unteilbarkeit der einfachsten stofflichen Körpertheile in Folge der nothwendigen Unteilbarkeit ihrer natürlichen inneren Daseynskraft 230 Die stofflich-körperlichen Ur- und Einzelwesen als die wirklich-wesenhaften Ureinheiten der Natur . . 237 Innere Wesensstetigkeit und Wesensunzerstörbarkeit stofflich-körperlicher Ur-Theile 242 Thatsächliches Zeugniss der allgemeinen Stofflehre für das wirkliche Bestehen einfachster Stoff- und Körpertheile 246 Das stofflich-körperliche Ur- und Einzelwesen als natürliches stofflich-körperliches Ich und Selbst, d. h. als natürliche Persönlichkeit im Gebiete der noch ungestalteten Natur oder der allgemeinen Stoff- und , Körperwelt. „Atom" und „Individuum" . . . . . 251

Kraft und Stoff als die natarnothwendig'en Grundlagen und Grundbegriffe alles natlirlicb-weltlichen Daseyns.

§ 13. Kraft und Stoff in ihrem begrifflichen Verhältniss zu einander

No. 59.

.

.

.

Erklärungen beider Begriffe nach den Handbüchern der allgemeinen Naturkunde No. 60. Weitere Aufklärungen von Naturforschern und Denkern über die Begriffe von Kraft und von Stoff. Der Stoff als Träger der Kraft . . . . . . . . No. 61. Die Kraft als begriffliche und wesenhafte Grundlage des Stoffes

259

259

270 275

Inhalt. § 14. Kraft und Stoff in ihrem natürlichen Wechselverhäliniss zu einander

XI

.

Die K r a f t als die thatsächliche natürliche Grundlage alles weltlichen Daseyns ohne Ausnahme . . . No. 63. Die Kraft als natürliche Kraftwirksamkeit . . . . No. 64. Die Kraftwirksamkeit als ein naturgesetzmässiges allseitiges Heraustreten und Sich-Ausbreiten der K r a f t über ihren einheitlichen natürlichen Ursitz hinaus . No. 65. Die K r a f t als natürlich-schöpferischer Urgrund alles stofflich-körperlichen Daseyns No. 66. Die K r a f t als raumbildeude Wirksamkeit . . . . No. 67. Der Stoff als natürliche Kaumbehauptung . . . . No. 68. Untrennbare Einheit und Gleichzeitigkeit von Kraft und Stoff. W o Kraft, da Stoff. W o Stoff, da K r a f t

Seite 276

No. 62.

§ 15. Der Stoff und seine Eigenschaften

Die natürlichen Eigenschaften der Dinge in ihrem Einklang mit den Maassverschiedenheiten ihrer einheitlichen Grundkräfte und deren naturgemässen Wirkungsweisen No. 70. Der Stoff und seine Eigenschaften als natürliche Vielheit und Mannigfaltigkeit in der Einheit . . . No. 71. Die Eigenschaften als natürliches Eigenthum der Dinge, sowie die drei naturnothwendigen Grundeigenschaften alles natürlichen Daseyns No. 72. Eigenschaften und Fähigkeiten. Attribute und Accidenzen No. 73. Unmöglichkeit eigenschaftsloser Stoffe, sowie der sogenannten unwägsamen Stoffe

276 288

291 298 302 307 317 327

No. 69.

§16.

327 337

340 350 357

Das Wesen und seine Zustände

362

No. 74. No. 75.

362

No. 76. No. 77.

Der Wesensbegriff in seinen drei Hauptbedeutungen Innerliche Unveränderlichkeit und Beständigkeit des Wesens bei allem Wechsel und Wandel äusserer Umstände und Verhältnisse. Einheit von Naturgesetz und Gesetzeskraft Das Wesen als der einheitliche Inbegriff aller natürlichen Eigenschaften und Fähigkeiten der Dinge . . Die Wesenszustände und ihre naturgemässe Veränderlichkeit

372 377 388

§ 17. Ursache und Wirkung in Bezug auf die einzelnen stofflich-körperlichen Ur- und Einzelwesen

No. 78.

No. 79.

Die K r a f t als natürlich innerliche Ursache der Dinge und ihres Wesens. Untrennbare Zusammengehörigkeit von Ursache und Wirkung Nothwendige Gleichheit und Gleichzeitigkeit von U r sache und Wirkung .

402

402 415

Inhalt.

XII No. 80.

No. No. § 18. Das No. No.

No. No.

No.

No.

No. No. No.

Ursache und W i r k u n g in ihrer naturgesetzmässigen und naturnothwendigen wechselseitigen Verkettung und untrennbaren begrifflichen wie natürlichen Zusammengehörigkeit 81. Ursache und Wirkung in der Bedeutung von Mittel und Zweck 82. Ursache und W i r k u n g in der Bedeutung von Grund und Folge Wesen und dessen Erscheinung 83. Die körperliche Oberfläche der Dinge als Vermittlerin ihrer äusseren Erscheinung 84. Die äussere Erscheinung der Dinge als Offenbarung ihres inneren Wesens und dessen innerer wie äusserer Wesenszustände 85. Die besonderen Kennzeichen und Merkmale der Dinge 86. Die äussere Erscheinung der Dinge im Verhältniss zu unserer geistigen Erkenntniss, sowohl des inneren W e s e n s , als auch des natürlichen innersten Grundbegriffes derselben 87. Die natürlichen Erscheinungsweisen der Dinge als thatsächliche Natursprache derselben. Die Natur trügt nicht 88. Körperliche Grösse und Gestalt der Dinge. Innere Naturnothwendigkeit uranfänglicher Kugelgestalt alles zeitlich-räumlichen Daseyns 89. Das Sinnliche und das Nicht- oder Unsinnliche in der allgemeinen Stoff- und Körperwelt 90. Sache, Ding, Körper. D i e innere Leiblichkeit stofflichkörperlicher Dinge 91. D e r Name als Bezeichnung des Wesens und des natürlich geistigen Grundbegriffes der Dinge . . .

Seite

427 436 456 470 470

481 491

498

520

529 539 544 566

I.

Die Einheit der Natur. § 1.

Die

Naturg-ebiete.

No. 1. Die gesammte Naturordnung als Menschengeschlecht, als Thier-, Pflanzen- und Quarzreich und als allgemeine Stoffund Körperwelt. erfen wir einen Blick auf die Dinge um uns her, so gewahren wir einen solchen ßeichthum der Formen und Gestaltungen, eine solche Mannigfaltigkeit der Entwickelungen und der Lebensthätigkeiten, dass unser Geist davon ü b e r w ä l t i g t seyn müsste, wenn wir nicht von früher Jugend an alle diese Eindrücke gew o h n t wären. J a wir würden kaum im Stande seyn, uns innerlich unter allen diesen Erscheinungen der Aussenwelt zurecht zu finden, läge es nicht in dem Wesen unseres Geistes, Alles, was wir mit unseren Sinnen w a h r n e h m e n , auch sofort nach einer gewissen S t u f e n r e i h e in unseren Vorstellungen zu o r d n e n und eben dadurch eine gewisse U e b e r s i c h t l i c h k e i t in die gesammte uns umgebende Aussenwelt zu bringen. Diese Stufenreihe ist aber keine andere als eben diejenige, welche die Natur selbst in so grossartigen Zügen ihren Werken, in deren Hauptgliederung, so sichtbar auf- und eingeprägt hat: in dem M e n s c h e n g e s c h l e c h t , dem T h i e r r e i c h , dem P f l a n z e n r e i c h , dem Q u a r z - oder S t e i n r e i c h und der aller Wandersninnn. I.

1

2

D i e Einheit der Natur.

besonderen eigene Gestaltung entbehrenden allgemeinen S t o f f - und K ö r p e r weit. Es gibt kein Daseyn in dieser sichtbaren Welt und keine Erscheinung oder sonstige Lebensbethätigung, welche wir an den Dingen um uns her gewahren, welche nicht e i n e m oder dem a n d e r e n dieser Lebens- und Daseynsgebiete mit innerer Naturnothwendigkeit a n g e h ö r t e . Dies ist die Ordnung der N a t u r ; dies ist auch die ordnungsmässige G r u n d l a g e für alle unsere g e i s t i g e n A n s c h a u u n g e n , soweit sie nur irgendwie die Verhältnisse dieser sichtbaren AVeit betreifen.

§ 2. Der Mensch und das Thier. No. 2.

Unterschied zwischen Mensch und Thier.

Schon durch seinen aufrechten Gang, aber mehr noch durch das Geisteslicht der V e r n u n f t ist der M e n s c h so augenfällig vor dem T h i e r e ausgezeichnet, dass seit unvordenklichen Zeiten, soweit die Erinnerung der Menschheit überhaupt in deren Geschichte zurückreicht, das menschliche Geschlecht sich von dem Thiere stets ganz bestimmt u n t e r s c h i e d e n hat. So lehrte schon ARISTOTELES, dass der Mensch die e r n ä h r e n d e Seele mit den P f l a n z e n u n d T h i e r e n , die e m p f i n d e n d e mit den T h i e r e n gemein habe; vor beiden v o r a u s aber die V e r n u n f t oder die „Erkenntnisskraft", wie ARISTOTELES sich ausdrückt. (ARISTOTELES: V. d. Seele. Buch II. cap. II. S. 33 u. S. 35. PKENTL.) Der einzelne M e n s c h wie die gesammte Menschheit vermögen dadurch den Umkreis ihrer geistigen Erkenntnisse fortwährend zu e r w e i t e r n und sind in Folge dessen einer geschichtlichen Fortbildung fähig, welche dem einzelnen T h i e r e , wie seinen Gattungen und Arten, vollkommen f r e m d ist. Ein jeder Vogel baut noch heute sein N e s t , und erzieht seine J u n g e n in ganz derselben Weise, wie vor Jahrtausenden seine Art es gethan hat. Dass unwesentliche A b w e i c h u n g e n von der allgemeinen

3

D e r Mensch und das Thier.

Regel hin und wieder vorkommen, zum Behufe zweckmässiger A n p a s s u n g an äussere Verhältnisse, dies kann hierbei nicht in Betracht kommen: denn das allgemeine Gepräge des Nestes, wie eine jede Gattung, je nach ihrer besonderen Art, ihr Nest baut, bleibt trotz allen solchen Anpassungen erfahrungsgemäss doch immerhin s t r e n g g e w a h r t . Selbst das dem Menschen in so manchen Beziehungen am nächsten stehende Thier, der Affe, vermag trotz des ihm eigenen Nachahmungstriebes dennoch zu keinen h ö h e r e n V o r s t e l l u n g e n sich zu erheben, als allein bis zu solchen, welche seine nur auf das S i n n l i c h e gerichtete natürliche Wahrnehmung ihm gestattet. Irgendwelche E r f i n d u n g in Kunst und Wissenschaft zu machen, wie der M e n s c h , oder den Umfang seines natürlichen Denkens durch Erfindungen und Nachdenken zu erw e i t e r n : dies Alles ist ihm, trotz aller sonstigen Vermögen, die er als Thier besitzt, unmöglich. Denn die Natur selbst hat die Mittel dazu ihm nicht gegeben, und was diese ihm versagt: das vermag auch der Mensch n i c h t , ihm durch irgendwelche Kunst der Abrichtung zu verleihen (FKOHSCHAMMER: Athenäum III. S. 574. 575. Über d. Thierseele). No. 3.

Ähnlichkeit zwischen Mensch und Thier.

Aber bei allen diesen so scharf ausgeprägten Verschiedenheiten zwischen Mensch und T h i e r , gewahren wir in anderen Beziehungen auch wieder eine solche Ä h n l i c h k e i t und W e s e n s ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen beiden, dass man nicht selten, selbst bis in die neueste Zeit, versucht gewesen ist, den Menschen als nichts Anderes zu betrachten, denn allein als eine h ö h e r e E n t w i c k e l u n g s f o r m des Thierreiches. (SCHMIDT u. U N G E K : Alter d. Menschheit S . 20.) Die ganze innere Anordnung und Gliederung seines Körperbaues, ja selbst sein gesammtes inneres Gemüthsleben, mit seinen Begierden und Leidenschaften, zeigen eine so augenfällige Ü b e r e i n s t i m m u n g mit demjenigen, was wir in diesen Beziehungen l*

4

D i e Einheit der Natur.

auch in dem T h i e r r e i c h zu begegnen gewohnt sind, dass es uns nicht wundern darf, wenn wir, selbst in wissenschaftlichen Werken, den Menschen nicht selten geradezu an die Spitze des T h i e r r e i c h e s , als dessen h ö c h s t e n a t ü r l i c h e B l ü t h e , gestellt sehen. So bedeutend die K l u f t zwischen Mensch und Thier aber auch in Einer Beziehung anfänglich uns entgegengetreten ist: so scheint dieselbe dennoch von ihrer ursprünglichen Bedeutung zu v e r l i e r e n , sobald wir die gleichen Verhältnisse auch noch von einem etwas veränderten Gesichtspunkte aus in das Auge fassen.

§ 3. Das Thier und die Pflanze. No. 4.

Ahnlichkeitsverhältnisse zwischen Thier und Pflanze.

Ein T h i e r von einer P f l a n z e zu unterscheiden, fällt, sobald wir unsere Blicke nur auf die h ö h e r e n F o r m e n des Thier- und Pflanzenreiches richten, wohl niemanden schwer. Einen Baum wird keiner für einen Löwen, oder einen Grashalm für einen Vogel, oder einen Schmetterling halten. Die U n t e r s c h i e d e sind hier so b e d e u t e n d , dass sie Jedermann von selbst in die Augen fallen. Je mehr wir aber von den h ö h e r e n und e d l e r e n Formen beider Reiche in allmählichen Übergängen immer weiter und weiter h e r a b s t e i g e n , um so mehr begegnen wir Verhältnissen, in welchen von Stufe zu Stufe eine grössere V e r w a n d t s c h a f t zwischen T h i e r und P f l a n z e sich ausspricht, Ja steigen wir völlig hinab bis zu jenen v e r s c h w i n d e n d k l e i n e n Formen, welche unseren Blicken nur allein noch durch die schärfsten künstlichen Vergrösserungen zugänglich gemacht werden können: dann v e r s c h w i n d e n uns i m m e r m e h r all die verschiedenen Kennzeichen und Merkmale, mit deren Hülfe wir bis dahin T h i e r und P f l a n z e noch so leicht von einander zu u n t e r s c h e i d e n im Stande waren. Die F o r t p f l a n z u n g und Vermehrung geschieht bei Thieren und Pflanzen, in der Hauptsache, auf

Das Thier und die Pflanze.

5

die gleiche Weise. Finden wir bei allen höheren T h i e r klassen nur g e t r e n n t e Geschlechter, deren augenblickliche Vereinigung nöthig ist, wenn das Werk der F o r t p f l a n z u n g sich vollziehen soll: so fehlt uns diese Erscheinung auch nicht im Pflanzenreiche. Wir erinnern beispielsweise nur an die W e i d e n und P a l m e n , bei welchen die m ä n n l i c h e n Blüthen stets auf a n d e r e n Sträuchern oder Bäumen sich befinden, als die weiblichen. Bei manchen niedrigen Thieren, z. B. bei gewissen S c h n e c k e n , finden wir die männlichen und weiblichen Geschlechtstheile auf demselben Thier vere i n i g t : eine Erscheinung, welcher wir in den B l ü t h e n des bei weitem grössten Theiles aller Pflanzengattungen ebenfalls begegnen. Steigen wir noch weiter hinab, so finden wir bei den T h i e r e n selbst den Begriff der e i n h e i t l i c h e n P e r s ö n l i c h k e i t mehr und mehr s c h w i n d e n und unsicher werden. Schon bei W ü r m e r n und mehr noch bei P o l y p e n , wenn dieselben zerschnitten werden, sehen wir jedes einzelne S t ü c k , unter geeigneten Umständen, nachher wieder zu einem g a n z e n Thiere derselben Art heranwachsen. Die einheitliche, persönliche Lebens- und Daseynsfähigkeit, obgleich im Grunde nur dem ganzen Thiere in seiner ungetrennten Einheit eigen, ist dennoch bis zu einem gewissen Grade auch in den einzelnen Körpertheilen vorhanden: sonst könnten diese, vom Ganzen getrennt, nicht aus eigner Kraft selbst wieder zu einem g a n z e n T h i e r e sich gestalten. Auf dieser gewissermassen über die ganze äussere Leiblichkeit verbreiteten T h e i l p e r s ö n l i c h k e i t der niedrigeren Thiergattungen beruht deren Fähigkeit, in vollkommen naturgemässer Weise nicht einzig auf dem Wege g e s c h l e c h t l i c h e r Z e u g u n g , sondern auch durch S p r o s s u n g und selbst durch T h e i l u n g sich zu vermehren. Bei allen P o l y p e n , Q u a l l e n , geselligen Seescheiden und ähnlichen auf einem gemeinsamen einheitlichen M u t t e r s t o c k gleichsam f a m i l i e n w e i s e zusammenlebenden niederen Thiergattungen, bei welchen die einzelnen

6

Die Einheit der Natur.

Sonderthiere durch eine gemeinschaftliche, von gemeinsamem S ä f t e u m l a u f belebte thierische Körpermasse v e r b u n d e n sind, begegnen wir jenem Vermögen, durch einfache Spross u n g oder K n o s p e n b i l d u n g sich zu vermehren; wogegen die Vermehrung durch wirkliche T h e i l u n g , der gesammten körperlichen Grundmasse des Thieres, mehr den a l l e r n i e d r i g s t e n uns bekannten Thiergattungen, den sogenannten A u f g u s s t h i e r c h e n zukommt, welche wir nur durch künstliche Hülfe unserm Auge zugänglich machen können (VOGT: Bilder a. d. Thierleben. S. 122. 159. 161). Wie sehr erinnern aber alle diese Erscheinungen an die gleichen oder wenigstens höchst ä h n l i c h e n Verhältnisse im Pflanzenreich! Fast eine jede nur einigermassen entwickelte P f l a n z e ist unbeschadet ihrer inneren E i n h e i t im Ganzen, nur als ein f a m i l i e n ä h n l i c h e s Zusammenseyn von T h e i l e n zu betrachten, denen allen, bis zu einem gewissen Grade, eine eigene und besondere L e b e n s f ä h i g k e i t zukommt. Aste und Zweige, in die E r d e gesteckt, wachsen unter günstigen Verhältnissen zu neuen v o l l s t ä n d i g e n P f l a n z e n heran. Die Vermehrung durch A u s l ä u f e r und A b l e g e r ist vielen Pflanzenarten eigenthümlich; auch begegnen wir der Vermehrung durch T h e i l u n g bei jenen n i e d r i g s t e n Pflanzenformen, die wegen ihrer Kleinheit ebenfalls nur dem bewaffneten Auge können sichtbar gemacht werden, in vollkommen regelmässiger Weise. Aber auch das eigentliche N e r v e n l e b e n , an welches bei allen h ö h e r e n T h i e r e n Empfindung und eigene Bewegung geknüpft sind, wodurch sich das T h i e r so wesentlich von der P f l a n z e unterscheidet, muss bei allen niederen Thieren, welche selbst bei den stärksten Vergrösserungen keine Spur von Nervenfasern aufweisen, eine solche Veränderung oder A b s t u m p f u n g erleiden, dass auch bei ihnen im Grunde von kaum mehr als von einem dunkeln A l l g e m e i n g e f ü h l für äussere Reize die Rede seyn kann, ganz ähnlich, wie solches auch bei den Pflanzen der Fall ist.

Das Thier und die Pflanze.

7

No. 5. Verschwinden der gewohnten Unterscheidungsmerkmale zwischen Thier und Pflanze. So sehen wir T h i e r und P f l a n z e , je weiter wir in ihren einzelnen Erscheinungsformen herabsteigen, sich in ihrer äusseren wie inneren Darstellungsweise einander immer mehr n ä h e r n , ähnlich wie die beiden Schenkel eines Winkels oder die Strahlen eines leuchtenden Körpers sich immer mehr n ä h e r n , je mehr sie r ü c k w ä r t s ihrem g e m e i n s c h a f t l i c h e n A u s g a n g s p u n k t e sich n ä h e r n . Wir begegnen T h i e r e n , die fest an den Boden angewachsen sind, wie die P f l a n z e n , und die man daher auch lange Zeit hindurch mit dem Namen „ P f l a n z e n t h i e r e " belegt hat: aber wir begegnen auch ebenso P f l a n z e n , und namentlich gewissen P f l a n z e n k e i m e n , welche im Wasser beinahe in der ähnlichen Weise sich bewegen, wie die wasserbewohnenden T h i e r e , so dass sie nicht selten für wirkliche T h i e r e sind gehalten worden. Und ebenso gewahren wir auch T h i e r e , in welchen, selbst mit den stärksten Yergrösserungen, weder eine Spur von Mund und A f t e r , noch von irgendwelchen Sinneswerkzeugen mit Gewissheit nachzuweisen ist: Thiere also, welche kaum noch den Namen von wirklichen T h i e r e n zu verdienen scheinen. Dagegen gewahren wir, von der anderen Seite, aber auch P f l a n z e n , welche, wie die sogenannten „Sinnp f l a n z e n " , in einzelnen ihrer Theile eine E m p f i n d l i c h k e i t für äussere E e i z e an den Tag legen, welche wir sonst fast nur an den höheren, mit wirklichen N e r v e n f a s e r n versehenen Thieren zu bemerken gewohnt sind. So v e r l ä s s t uns eines der M e r k m a l e nach dem andern, an deren Hand wir bis dahin das T h i e r so s i c h e r von der P f l a n z e zu unterscheiden vermocht haben: zum wenigsten verlieren sie so sehr an ihrer ursprünglichen Schärfe, dass selbst die erfahrensten Forscher schliesslich u n e i n s , oder im Zweifel darüber bleiben, welchem Naturgebiet, ob dem T h i e r - oder

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D i e Einheit der Natur.

P f l a n z e n r e i c h e , sie Gegenstände, die sie zur Untersuchung vor Augen haben, eigentlich zuzutheilen haben. Daher gibt es auch, nach V O G T , bei den einfachsten pflanzlichen und thierischen Bildungen (Organismen) k e i n e i n z i g e s M e r k m a l , wodurch sich das Thier u n b e d i n g t von der Pflanze u n t e r s c h e i d e t . Nur die „ B e w e g l i c h k e i t " und „ Z u s a m m e n z i e h b a r k e i t " (Contractibilität) der äusseren H a u t lässt die Entscheidung zu, dass die betreffende Gestaltung eine thierische sey, während andererseits der M a n g e l dieser Beweglichkeit und Zusammenziehbarkeit, die S t a r r h e i t der äusseren Hülle, durchaus n i c h t mit Sicherheit beweist, dass wir es mit einer p f l a n z l i c h e n Bildung zu thun haben. Namentlich sind die U r z e l l e n , aus deren Thätigkeit im Werke der Z e u g u n g Thiere oder Pflanzen allmählich sich hervorbilden, bis dahin noch in keiner Weise sicher zu unterscheiden (VOGT: Thierleben S. 99 u. 103. — GEORG FRESENIUS: Controverse über die Verwandlung der Infusorien in Algen. — E H R E N B E R G : Unsichtbar wirkendes org. Leben S. 30).

§ 4. Die Pflanze und der Quarz. Xo. 6,

Pflanzen- und Quarzwurzeln.

Vorausschicken müssen wir hier, dass wir unter dem „ R e i c h d e r Q u a r z e " (nach VOLGER) das U n t e r s t e der drei Reiche der wirklich g e s t a l t e t e n Natur verstehen, deren Angehörige man meist auch gewohnt ist, als „ K r y s t a l l e " zu bezeichnen. — Ahnlichen Verhältnissen, wie zwischen T h i e r und P f l a n z e , begegnen wir auch zwischen der P f l a n z e und dem Q u a r z e . Wir sind gewohnt, uns unter Pflanzen meist nur Naturwesen vorzustellen, welche mit W u r z e l n fest in den Boden der Erde eingesenkt sind, mit ihrem S t a m m e und dessen vielgestaltigen Asten und Zweigen dagegen dem L i c h t e d e r S o n n e entgegenwachsen. Aber wie sehr müssen wir diese Vorstellung verlassen, wenn wir unsere Blicke auf

Die Pflanze und der Quarz.

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die n i e d r i g s t e n Gestaltungen der Pflanzenwelt hinlenken. Schon bei den S e e t a n g e n ist von einer eigentlichen W u r zel. in der gewöhnlichen Bedeutung dieses Wortes, keine Rede mehr. Die wurzelähnlichen Gebilde, welche wir hier allein noch vor Augen haben, senken sich n i c h t mehr in. zahllosen Verästelungen in den Boden ein, um aus diesem der Pflanze den ihr nothwendigen N a h r u n g s s t o f f zuzuführen: sondern es sind einfache V e r b r e i t e r u n g e n des einheitlichen Stammes, sogenannte „ H a f t w u r z e l n " , mit deren Hülfe der T a n g , zum Schutz gegen das Spiel der Wellen, an Felsen oder sonstigen festen Körpern der Meeresufer sich f e s t h ä l t . Von einer E r n ä h r u n g vermittelst dieser Haftwurzeln ist nicht im Entferntesten mehr die Rede. Doch gehen wir noch einen Schritt weiter und wenden wir uns den mit den Seetangen verwandten W a s s e r f ä d e n , den eigentlichen A l g e n , zu: so gewahren wir in diesem Bereiche auch n i c h t mehr die entfernteste S p u r von etwas, was den Wurzeln höherer Pflanzen, oder auch nur den Haftwurzeln der Seetange, irgendwie zu v e r g l e i c h e n wäre. Die W a s s e r f ä d e n schwimmen f r e i in dem Wasser und zeigen nach b e i d e n Seiten hin die g l e i c h e Ausbildung, d. h. die gleiche Z u s p i t z u n g : von einer besonderen, an irgend eine bestimmte Stelle der Pflanze gebundenen Vorrichtung zur Aufnahme von N a h r u n g s s t o f f e n , als welche wir die Wurzeln der höheren Gewächse zu betrachten haben, ist hier nicht mehr die Rede. Nur durch die allgemeine O b e r f l ä c h e vermag, ganz ähnlich wie bei den niedrigsten mundlosen Thieren, der N a h r u n g s s t o f f in das Innere der Pflanze einzudringen. Das Gleiche gewahren wir, wenn wir bis zu jenen geheimnissvollen Formen des pflanzlichen Lebens h i n a b s t e i g e n , welche nur noch mit Hülfe des Vergrösserungsglases unserem Auge können zugänglich gemacht werden. Von einer W u r zel, von einem besonderen W e r k z e u g zur Aufnahme von Nahrung, ist auch hier keine Spur. Es sind nach beiden

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D i e Einheit der Natur.

S e i t e n hin vollkommen r e g e l m ä s s i g ausgebildete Gestaltungen, denen wir meistentheils begegnen und welche zum Theil so sehr an die r e g e l m ä s s i g e n G e s t a l t u n g e n des untersten Naturreiches, des Reiches der Quarze, erinnern, dass wir fast versucht seyn könnten, sie für solche zu halten, wenn die ihnen eigenthümliche B e w e g l i c h k e i t uns nicht mahnte, dass wir es hier in der That dennoch mit höher stehenden Naturwesen zu thun haben. Wir erinnern z. B. nur an die S p a l t a l g e n oder sogenannten „ D i a t o m e e n " , mit ihren einfachen, oft scheinbar völlig k a h n ä h n l i c h e n Gestalten. Begegnen wir aber nicht auch ganz den gleichen Verhältnissen in dem Reich der Quarze? Von eigentlichen W u r z e l n ist hier keine Rede mehr. Dagegen finden sich viele Quarze, ganz ähnlich wie die Seetange, mit ihren Haftwurzeln, f e s t an andere unbewegliche Gegenstände, d. h. an andere Gesteine, a n g e w a c h s e n . Hören wir, wie SCHABFF, ein gründlicher Kenner und genauer Beobachter alles dessen, was das Q u a r z r e i c h betrifft, in dieser Beziehung sich ausspricht. „Liegt der K r y s t a l l (oder Angehörige des untersten Naturreiches) auf dem G e s t e i n oder einem anderen festen Körper (Substanz) auf, und ist er im Übrigen von der Luft oder von einer wässerigen Flüssigkeit umschlossen: so bedarf er, besonders auf stark geneigter Fläche, eines H a l t e s , wie die P f l a n z e ihn in ihrer W u r z e l findet. Fast eine jede Stufe, die wir in die Hand nehmen, gibt uns Zeugniss, dass auch der K r y s t a l l sich ein ähnliches H a f t m i t t e l zu verschaffen gewusst hat. Der Schlag, welcher die Stufe vom Gestein ablöste, vermochte n i c h t , auch den Krystall herabzuwerfen: er blieb fest sitzen." Sehr auffällig sey die Verwendung von T h e i l e n des K r y s t a l l k ö r p e r s zu H a f t w e r k zeugen — fügt SCHAEFF hinzu — bei der Auerbacher Z w i l l i n g s v e r w a c h s u n g des k o h l e n s a u r e n K a l k e s (SCHAKFF; Krystall und Pflanze. S. 3 3 und 35). An Schaustücken in unseren Steinsammlungen sowohl, wie in der freien

Die Pflanze und der Quarz.

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Natur an F e l s w ä n d e n oder in dem Innern der sogenannten Q u a r z d r u s e n , finden wir vielfach Gelegenheit, uns diese Verhältnisse zu vergegenwärtigen. Aber auch bei den nach b e i d e n Seiten hin gleichmässig entwickelten und volls t ä n d i g a u s g e b i l d e t e n Q u a r z k ö r p e r n fehlen derartige Erscheinungen keineswegs. Denn auch hier begegnen wir, in ganz verwandter Weise wie im Pflanzenreich, nach beiden Seiten hin ganz vollkommen ausgewachsenen Quarzkörpern. Konnte der Quarz nämlich, in den ersten Augenblicken seiner Entstehung, seine natürliche Gestaltungst h ä t i g k e i t nach allen Seiten und Richtungen hin, frei und u n g e h i n d e r t entfalten, ohne dabei auf irgend einen W i d e r stand von Seiten seiner Umgebung, und namentlich von Seiten fester Körper zu stossen: dann vermochte er auch, seiner eigenen Natur folgend, sich vollkommen zu entwickeln und allseitig sich vollständig auszubilden. In solchem Falle konnte also auch von einem Angewachsenseyn auf f r e m dem Gestein, oder auf einer sonstigen festen Masse, keine Rede seyn. Daher nennt auch MOHS den allseitig völlig ausgewachsenen Quarz das „vollkommenste E r z e u g n i s s " des untersten Naturreiches (SCHAKFF: a. a. 0. S. 36; MOHS). Als Beispiel dieser Art können uns vornehmlich die nach allen Seiten hin frei ausgebildeten Kiesel- und B o r a z i t q u a r z e , die G r a n a t e n , die T u r m a l i n q u a r z e in Basalten und Laven, die Magnetkiese und Andere, in ausgezeichneter Weise dienen: vor Allem aber auch unsere in völlig freier Luft gewachsenen Schneeflocken mit ihren feingestalteten Eistheilchen (SCHAKFF: a. a. 0. S. 114. 116. 117). No. 7.

Wachsthum der Quarze.

Die P f l a n z e entwickelt sich aus einem einheitlichen Keimpunkt, in welchem deren ganze Lebens- und Gestaltungskraft, wie in einem B r e n n p u n k t , sich vereinigt findet. Von hier aus treibt sie nach oben ihren Stengel, nach

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D i e Einheit der Natur.

u n t e n ihre W u r z e l n . Ganz das Gleiche gewahren wir aber auch bei der Quarzbildung. Die Seite, an welcher der Quarz auf festem Gestein a u f s i t z t , ist seine W u r z e l , sein f r e i e s E n d e vertritt die Stelle des S t a m m e s mit seinen Asten und Zweigen. Der Quarz ist gleichsam eine P f l a n z e , bei welcher alle Aste und Zweige zu einem e i n h e i t lichen G r u n d s t a m m zusammengewachsen sind. Die schönen sechsseitigen S t e r n e des in freier Luft sich gestaltenden S c h n e e s zeigen uns schon sehr deutlich die erste Andeutung jener noch vollkommen regelmässigen V e r ä s t u n gen und Verzweigungen, wie wir solche auch bei vielen P f l a n z e n , namentlich aber sehr schön bei den zu den Nadelhölzern gehörenden A r a u c a r i e n begegnen. Betrachten wir irgend eine Salzlösung, mit Hülfe des Vergrösserungsglases, in dem Augenblick, in welchem die e r s t e n Quarzgestaltungen daraus hervorgehen: so sehen wir deutlich, wie stets bes t i m m t e einzelne P u n k t e inmitten der Gesammtmasse es sind, von denen aus die einzelnen Gestaltungen in ganz bestimmten W i n k e l n und R i c h t u n g e n vor unseren Augen hervorschiessen. Unter denselben Winkeln schiessen in den e r s t e n Strahlen wiederum N e b e n s t r a h l e n hervor, und auch in diesen w i e d e r h o l t sich das Gleiche, bis endlich die ganze Masse einen in seinem Innern vom r e g e l m ä s s i g s t e n Gefüge durchzogenen vollkommen d i c h t e n und f e s t e n Körper darstellt (Berichte d. Deutsch. Hochstiftes 1864. No. 6 u. 7. S. 22; VOLGEE: inneres Gewebe der Eisdecke). Aus diesen hier beschriebenen Vorgängen ersehen wir aber gleichzeitig, dass der Q u a r z k ö r p e r zu seiner ersten Gestaltung ebenso seine Z e i t des W a c h s t h u m s hat, wie solches auch allen ü b e r ihm stehenden Daseynsformen zukommt. „Auch beim K r y s t a l l — sagt SCHARFF — ist, ähnlich wie bei der P f l a n z e , die mit jedem Frühling eine n e u e R i n d e n l a g e ansetzt, ein solcher A n s a t z bemerkbar, bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Auch der K r y s t a l l ist nicht

Die Pflanze und der Quarz.

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plötzlich in seiner g a n z e n Masse erstarrt: er ist g e w a c h s e n wie die Pflanze; er hat Blättchen über Blättchen gedeckt, und diese auf das Innigste, e n g e r als die Pflanze es vermochte, mit einander verbunden. Der Krystall w ä c h s t , indem ä u s s e r l i c h neue Körpertheile angefügt werden. Aber dieses äusserliche A n f ü g e n ist nicht ein bloss äusserliches Festhalten und Verwachsen an der S t e l l e , wo das anwachsende Stofftheilchen zufällig den Krystall b e r ü h r t e . Von einem b e s t i m m t e n Orte aus, von einer K a n t e , einem F l ä c h e n w i n k e l , beginnt die n e u e Schicht sich auf der Fläche a u s z u b r e i t e n , oft deutlich erkennbar, oft auch in einem Blättchen, so d ü n n , wie vielleicht die einzelnen Stofftheilchen selbst, und daher auch durch unser Auge nicht zu unterscheiden" (SCHARFF: a. a. 0. S . 63 u. 64). No. 8. Ordnungsmässige Gestaltung und Gliederung der Quarze. Die ganze Art und Weise der Entstehung, die Regelmässigkeit des inneren Gefüges, sowie die gesetzmässige äussere Gestaltung eines jeden ausgewachsenen und nach allen Seiten und Richtungen hin vollendeten Q u a r z k ö r p e r s zeigen auf das Unzweideutigste, dass eine e i n h e i t l i c h wirkende G r u n d k r a f t , gewissermassen ein e i n h e i t l i c h e r , seines Zieles in irgend einer Weise sich bewusster t h a t k r ä f t i g e r W i l l e es war, welcher bei der ersten Entstehung eines jeden Quarzes gleichsam als dessen innerster G r u n d g e d a n k e in ganz derselben oder ähnlichen Weise sich thätig und wirksam gezeigt hat, wie wir solches auch bei einer jeden heranwachsenden P f l a n z e und in der Entwickelung eines jeden einzelnen T h i e r e s gewahren. Denn wäre das u n t e r s t e N a t u r r e i c h , als welches wir das Reich der Q u a r z e anerkennen müssen, nicht im Stande gewesen, auch nur den geringsten nach bestimmten G e s t a l t u n g s g e s e t z e n gebildeten Q u a r z k ö r p e r in das Daseyn zu stellen: die ganze Welt wäre nichts Anderes als ein wildes und regelloses

14

Die Einheit der Natur.

D u r c h e i n a n d e r von lauter an sich noch völlig ungestalteten S t o f f a r t e n der mannigfachsten Arten. An einem jeden natürlichen Quarzkörper aber, namentlich sehr deutlich an dem K i e s e l q u a r z , diesem „Urbild aller Quarze", gewahren wir die strengste U n t e r o r d n u n g aller seiner Theile unter ein bestimmtes einheitliches G r u n d g e s e t z , ja, wir möchten sagen, unter einen gemeinsamen einheitlichen N a t u r w i l l e n , welcher hier alles natürlich V o r h a n d e n e gemeinsam in seiner wechselseitigen O r d n u n g erhält. Daher sagt auch SCHARFF in Bezug auf eben diese Verhältnisse: „Nur der g e m e i n s a m e W i l l e darf sich hier geltend machen; der einzelne verschwindet in der G e s a m m t h e i t . Da wo der Theilkrystall es ermöglicht hat, zur Geltung zu kommen: da ist meist eine ä u s s e r e Veranlassung, eine äussere Stör u n g , nachzuweisen" (SCHABST: a. a. 0. S. 101). — Ist diese regelrechte und gesetzmässige U n t e r o r d n u n g des Theiles unter das gemeinschaftliche höhere Ganze aber nicht dasselbe, was wir in den beiden anderen Naturreichen, als deren gesetzmässige innere und äussere G l i e d e r u n g , als deren natürlichen O r g a n i s m u s zu bezeichnen gewohnt sind? So wenig wir irgend einem grösseren oder kleineren Q u a r z k ö r p e r eine einheitliche, auf ganz bestimmte Gesetze sich stützende ä u s s e r e G e s t a l t und ein zu diesem Zweck planmässig geordnetes i n n e r e s Gefüge aller seiner einzelnen Theile absprechen dürfen: ebensowenig können wir es verkennen, dass eben jene einheitliche K r a f t der G e s t a l t u n g , welcher er sein besonderes Daseyn zu verdanken hat, als eine Kraft des regelrechten Ordnens, mithin als eine wirkliche „ O r g a n i s a t i o n s k r a f t " muss betrachtet werden. Ein jeder einheitliche Q u a r z k ö r p e r aber, wie er in der Natur vor unseren Augen dasteht, ist, ebensogut wie ein jedes T h i e r und eine jede P f l a n z e , ein natürliches und durch sich selbst gebildetes w o h l g e g l i e d e r t e s Ganzes, d. h. ein wirklicher und wahrer Organismus.

Die Pflanze und der Quarz.

No. 9.

15

Lebensgrund der Quarze.

Aus allem Bisherigen geht gleichzeitig hervor, dass auch dem Q u a r z e , x als einem naturgemäss durch i n n e r e K r a f t u n d G e s e t z m ä s s i g k e i t sich gestaltenden Naturkörper, ein dieses alles in sich vereinigender i n n e r l i c h e r L e b e n s g r u n d in seiner Weise e b e n s o w e n i g gänzlich a b z u s p r e c h e n ist, wie dem T h i e r e und der P f l a n z e in ihrer Weise. Die ordnende und leitende H e r r s c h a f t dieses innerlichen Lebensgrundes ist es, welche, schon im Augenblick der ersten Gestaltung, die zum W a c h s t h u m erforderlichen gleichartigen Stofftheilchen äusserlich h e r a n z i e h t , dieselben o r d n e t und während des ganzen selbstständigen B e s t a n d e s des einzelnen Quarzes mit demselben jederzeit v e r b u n d e n und v e r e i n i g t erhält. Es ist dies, auf niedrigerem Daseynsgebiete, ganz die ähnliche Erscheinung, wie wenn P f l a n z e n und T h i e r e die zu ihrem W a c h s t h u m erforderlichen Stoffe zu sich h e r a n z i e h e n , in sich a u f n e h m e n und nach i h r e r Weise zum A u f b a u und zur E r h a l t u n g ihrer äusseren L e i b l i c h k e i t verwenden. Sind auch die äusseren Erscheinungen bei diesen Vorgängen je nach den Daseynsgebieten, auf denen wir ihnen begegnen, v e r s c h i e d e n , ist auch die Regsamkeit und B e w e g l i c h k e i t , welche wir mit bewaffnetem Auge bei den ersten Gestaltungen des untersten Naturreiches gewahren, in ihrer Weise eine a n d e r e und e i n f a c h e r e als bei der Entstehung und Entwickelung des einzelnen T h i e r e s oder der einzelnen P f l a n z e : es bleibt immerhin, in dem einen Fall wie in dem anderen, die Offenbarung eines i n n e r e n L e b e n s - u n d G e s t a l t u n g s g r u n d e s , welchem alle diese Erscheinungen ihren Anstoss zu verdanken haben. „Wenn du die E r d e und S t e i n e ansiehst, — sagt JACOB BÖHME — so musst du sagen, dass der Tod drinnen sey; hingegen musst du auch sagen, dass ein L e b e n drinnen sey; sonst wächst darinnen weder Gold noch Silber, auch weder Gras

D i e E i n h e i t der Natur.

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noch Kraut. Dass du aber wolltest sagen, es sey kein Leben in der Erde, so redest du b l i n d " ( J B . B Ö H M E : I . Aurora. S. 2 7 3 u. 2 7 4 ) . — Und in demselben Sinn sagt F E . M Ö L L E R : „Das, was zunächst und zumeist das L e b e n der O r g a n i s men (d. h. aller ordnungsmässig gegliederten Naturwesen) verräth, ist die r e g e l m ä s s i g e V e r ä n d e r u n g und A u s d e h n u n g der äusseren Form und G e s t a l t u n g durch W a c h s t h u m . Dieses selbe Wachsthum beobachten wir aber in ganz der gleichen Weise auch bei den K r y s t a l l e n : sie nehmen zu, ohne dass ihre Form jemals die geringste Veränderung erlitte. Die Verschiedenheit ihrer G r u n d f o r m e n , die immer ihren Bestandtheilen (und deren besonderer stofflichen Natur) e n t s p r e c h e n , gleicht vollkommen der Verschiedenheit der G a t t u n g e n in der höher organisirten Natur" ( F R A N Z M Ö L L E K : Leben d. Atome S. 33.) No. 10.

Scheinbare Leblosigkeit der Quarze.

Man betrachtet nicht selten das Reich der Q u a r z e als eine u n b e l e b t e u n d s e e l e n l o s e Natur, im Gegensatz zu den P f l a n z e n und T h i e r e n , denen man allein Leben und Beseelung glaubt zusprechen zu dürfen. Diese Ansicht gründet man auf den scheinbar s t a r r e n und r e g u n g s l o s e n Zustand, in welchem alle Körper des untersten Naturreiches von dem Augenblick an sich befinden, da sie als wirklich g e s t a l t e t e Naturkörper aus dem allgemeinen Haushalte der Natur zu s e l b s t s t ä n d i g e m Daseyn sich hervorgebildet haben. Dass zur Zeit ihres e r s t e n E n t s t e h e n s wohl eine Art von innerer L e b e n s w i r k s a m k e i t sich geltend gemacht haben möge: das gibt man wohl gerne zu. Aber diese bloss auf die H e r v o r b r i n g u n g der äusseren G e s t a l t u n g abzweckende innerliche Lebenswirksamkeit hält man von dem Augenblick an für e r l o s c h e n , wo der durch sie beabsichtigte Z w e c k erreicht ist, d. h. wo der wirkliche einheitliche Quarzkörper vollkommen a u s g e s t a l t e t da steht. Dieses vermeintliche

17

Die Pflanze und der Quarz.

Erlöschen daher

cler gestaltenden inneren Lebenswirksamkeit wird

auch

als

Starrheit

der

und

naturnothwendige

Regungslosigkeit

unter gewöhnlichen Verhältnissen

Grund

eben

betrachtet,

allerdings an

jener

welche allen

wir

Natur-

körpern des u n t e r s t e n Naturreiches w a h r n e h m e n .

Es soll,

nach

Stoffen

dieser Ansicht,

und Körpern allgemeine nen Theile

fortan

nur

noch

dieser sichtbaren W e l t Anziehungskraft und Theilchen,

die

allen

gemeinsam

zukommende

es seyn, welche

aus

welchen

die

ein jeder

einzelgrössere

und für uns sichtbare Q u a r z k ö r p e r nothwendig z u s a m m e n gesetzt

sein

erhält.

Doch sehen wir zu, ob wir nicht ganz den gleichen

muss,

in

ihrem

starren

oder sehr ähnlichen Erscheinungen und T h i e r r e i c h e wirklichen

Zusammenhang

auch in dem

Pflanzen -

begegnen, o h n e dass bei ihnen von einem

Erlöschen

ihrer besonderen

die Rede seyn könnte. das P f l a n z e n r e i c h .

inneren

Lebenskraft

Werfen wir zuerst unsere Blicke auf Da begegnen wir sogleich einer ganzen

und höchst zahlreichen Gruppe von Pflanzen, den welche

in

dieser Hinsicht

Erscheinungen

ganz

ähnliche,

uns vergegenwärtigen.

Flechten,

wo nicht

gleiche

A u f alten Felsen

und

Mauern, an fast allen Baumstämmen, j a auf dem Boden der Erde

begegnen

wir

dieser Pflanzenklasse

in einer fast

übersehbaren Mannigfaltigkeit der Gattungen und Arten. trachten wir dieselben nun Wetter,

so

trocknet,

finden

im S o m m e r

bei sehr

wir sie so völlig v e r d o r r t

dass auch n i c h t

die

unBe-

heissem

und

ausge-

g e r i n g s t e S p u r von eige-

ner innerer Lebenskraft in ihnen vorhanden zu seyn scheint. Kein

Quarz

scheinbar

vermag

lebloser

ausgetrockneten

und

sich

vor

unseren

Augen

starrer

darzustellen, als solches bei

daher

scheinbar

völlig

er-

des P f l a n z e n r e i c h e s

ebenfalls

der

starrten

und

leblosen

Fall ist.

Und

dennoch ist alles dies nur T ä u s c h u n g .

erste Regenguss löschen

Gebilden

überzeugt

Der

uns, dass das vermeintliche

der inneren Lebenskraft auch

Wandersmann. I.

und diesen

hier nur

ein 2

Er-

natür-

18

Die Einheit der Natur.

licher S c h e i n t o d gewesen ist. Das innere Leben schien erstorben: in Wirklichkeit aber war dies n i c h t der Fall. Nur durch die Ungunst der ä u s s e r e n Verhältnisse war es v o r ü b e r g e h e n d genöthigt gewesen, aus seinem nach aussen hin gerichteten Wirkungskreis so lange sich z u r ü c k z u z i e h e n , bis günstiger gestaltete Verhältnisse ihm gestatteten, aus seinem i n n e r s t e n Sitz und Herd mit erneuter Kraft hervorzutreten. Denn erst unter der Mitwirkung einer f e u c h t e r e n L u f t , oder eines gedeihlichen Regens, vermochte gleichzeitig eine naturgemässe E r w e i c h u n g der ganzen Pflanze Hand in Hand zu gehen, und somit von Neuem dieselbe, wie mit einem frischen Hauche, zu beleben. Ein neuer lebensfrischer S ä f t e u m l a u f war nunmehr durch die ganze vorher wie leblos dastehende Pflanze ermöglicht. Und damit war zugleich die Möglichkeit zu erneutem W a c h s t h u m und G e d e i h e n durch die Natur selbst geboten. Dieselben Verhältnisse aber, welche hier die F l e c h t e n in Bezug auf das P f l a n z e n r e i c h uns vor Augen stellen, zeigen uns auch die sogenannten „ A u f g u s s t h i e r c h e n " oder „ I n f u s o r i e n " in Bezug auf' das T h i e r r e i c h . Der F e u c h t i g k e i t entbehrend, t r o c k n e n auch sie scheinbar völlig ein; aber in's W a s s e r gebracht, werden sie gleichfalls l e b e n d i g und tummeln sich lustig in ihrem Elemente herum. Auch das scheinbare E r s t o r b e n s e y n , welches zur W i n t e r s z e i t bei den meisten höheren P f l a n z e n g a t t u n g e n fast allgemein eintritt, und namentlich durch ein vollständiges H e r a b f a l l e n aller B l ä t t e r sich kennzeichnet, ist hierher zu rechnen. Denn es beruht auf ganz den gleichen Ursachen. Und ist nicht ein ganz Gleiches auch der Fall in Bezug auf die in einen wirklichen W i n t e r schlaf verfallenden T h i e r a r t e n ? Sowohl F l i e g e n wie auch W e s p e n überwintern im Zustand gänzlicher E r s t a r r u n g und E m p f i n d u n g s l o s i g k e i t , ohne alle Nahrung. Die Bienen e r s t a r r e n zwar bei der Kälte, aber doch nie ganz:

Die Pflanze und der Quarz.

19

ihre Lebensthätigkeit ist g e l ä h m t , aber n i c h t bis zur wirklichen

Unmerklichkeit

herabgesunken.

Die

Kröten

dagegen

liegen während der k a l t e n Jahreszeit r e g u n g s l o s in der Erde: erst bei wiederkehrender

Wärme

leben sie wieder auf und

kriechen aus ihrem freiwilligen Grabe hervor. thier und es

Das

Murmel-

endlich ist während seines Winterschlafes völlig kalt.

nicht

säure,

Während mehr,

der

als

ganzen Dauer

sonst

in

zwei

Tagen.

Erscheinungen

steif

athmet

Selbst

die es sonst auf der Stelle tödten würde,

ihm in diesem Zustand n i c h t . diese

desselben

Blauschadet

In der That, wenn wir alle

und

Thatsachen

ohne

und

verwandten

Verhältnissen

verglei-

chen, welchen wir in dieser Beziehung auch in dem

unter-

den

ganz

sten

ähnlichen

Naturreiche

Eindruck heit,

begegnen:

uns entziehen,

welche

allen

so

können

Yorurtheil

wir

dieses

seyn dürfte.

aber

sondern

blosse

Thatsache

ist:

Vermuthung,

dafür

geben

dem

Starr-

Naturreiches

ist, ebenfalls nur eine s c h e i n b a r e keine

kaum

dass eben jene allgemeine

Gestaltungen

mit

eigen

Dass dieses

auch

wirkliche

andere Erscheinungen,

wir in demselben Naturreiche begegnen, die

denen

überzeugendsten

Beweise. N o . 11. Alle

Klassen

besondere des

Wachsthumsgränzen der Quarze. des

Gattung

T h i e r reiches

und

Wachsthums,

Art

auch

welche,

von den einzelnen

sehr bedeutend

überschritten wird.

dieser

machen,

Eegel

welche,

besondere

scheinen wie

Gruppen

die

jene

Thieren

sind.

Diese

nicht

überhaupt

von

möglichen

gleicher A r t

Die einzige

jede

Gränze nie

Ausnahme

Thierformen

zu

Polypenthiere,

familienartig

in

vereinigt

Stock

eine

niedrigen

und

unter

durch eine Art von t h i e r i s c h e r H a u t bunden

für

besondere

abgesehen

Schwankungen, von

haben

eine

vermögen, im

sich

einheitlich

oder G a l l e r t e

so lange der

Aussterben

ver-

gemeinsame

begriffen 2*

ist,

in

20

Die Einheit der Natur.

ihrem gemeinschaftlichen Gesammtumfang f o r t w ä h r e n d ins Unbestimmte f o r t z u w a c h s e n . Allein dieses Fortwachsen i n s U n b e s t i m m t e ist doch, in gewissem Sinne, nur ein s c h e i n b a r e s , insofern es nämlich n i c h t die e i n z e l n e n T h i e r e s e l b s t betrifft; im Gegentheil ist es nur der ä u s s e r e U m f a n g des g e m e i n s a m e n F a m i l i e n g a n z e n , welcher durch fortwährende V e r m e h r u n g seiner einzelnen F a m i l i e n g l i e d e r diesen räumlichen Zuwachs erfährt. Ganz ähnliches gewahren wir auch bei den meisten P f l a n z e n , bei denen ein jeder neue A s t , ein jeder neue Zweig, und jede neue K n o s p e , in ganz dem gleichen Sinne, eine b e s o n d e r e , in sich von e i g e n e r Lebenskraft durchdrungene, aber mit dem g e m e i n s a m e n S t a m m e innig verwachsene S o n d e r p f l a n z e der gemeinschaftlichen Art darstellt. Auch hier scheint also, in ganz der ähnlichen Weise und aus den gleichen Gründen wie bei den sogenannten P f l a n z e n t h i e r e n , die Möglichkeit zu einem scheinbar e n d l o s e n F o r t w a c h s e n , ins Unbestimmte hinein, für die g a n z e D a u e r eines jeden derartigen gemeinsam-einheitlichen, daher gewissermaassen ebenfalls f a m i l i e n ä h n l i c h e n Pflanzenkörpers wirklich g e b o t e n zu seyn. Indessen sagt das Sprüchwort nicht umsonst, dass „die Bäume n i c h t in den Himmel wachsen". Die Natur selbst hat hier vorgesorgt. Der P o l y p e n s t o c k kann nur bis zu einer bestimmten A n z a h l von Einzelthieren anwachsen. Geht die V e r m e h r u n g über diese von der Natur selbst gesetzte Gränze h i n a u s : so stirbt der g a n z e S t o c k allmählich ab. Ebenso ist es bei der P f l a n z e . Denn je mehr dieselbe an äusserem Umfang z u n i m m t : um so s p ä r l i c h e r muss die S ä f t e z u f u h r für alle einzelnen Punkte der Pflanzenoberfläche werden. Schon hierin liegt also ein Grund dafür, dass die allgemeine U m f a n g s v e r g r ö s s e r u n g mit den Jahren, und namentlich im zunehmenden Alter, a b n e h m e . Aber ausserdem nimmt auch die einer jeden P f l a n z e , und ebenso auch einem jeden T h i e r e , je nach ihrer Wesensart,

Die Pflanze und der Quarz.

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zugemessene n a t ü r l i c h e L e b e n s k r a f t erfalirungsgemäss mit der Zeit in sich selber ab, und es muss also auch hierin noch ein Grund mehr dafür liegen, dass jenes vermeintlich völlig u n b e s t i m m t e Wachsthumsvermögen, in beiden Fällen, seine n a t ü r l i c h e G r ä n z e nothwendig in sich s e l b e r finden muss. Die Folge hiervon ist, dass auch die P f l a n z e gewissen allgemeinen Grössen Verhältnissen sich u n t e r w o r f e n zeigt, die sie n i c h t zu überschreiten im Stande ist. Begegnen wir aber nicht ganz ähnlichen Verhältnissen und Erscheinungen auch in dem u n t e r s t e n N a t u r r e i c h ? Wie kein Thier, keine Pflanze zu w a c h s e n und an Umfang zuz u n e h m e n vermag, wofern ihnen nicht durch ausreichende N a h r u n g die nöthigen Mittel dazu geboten sind: so auch der Quarz. Sind in einer Lösung die Stoffe e r s c h ö p f t und v e r b r a u c h t , deren die aus ihr sich herausgestaltenden Quarzkörper zu ihrem regelrechten Wachsthum b e d ü r f e n : so hört nothgedrungen auch dieses auf. Sobald wir aber einen solchen, aus S t o f f m a n g e l scheinbar ausgewachsenen Quarzkörper in eine frische Lösung bringen, welche in hinlänglicher Menge die Stoffe e n t h ä l t , deren er zu seinem W e i t e r b a u bedarf: so sehen wir ihn auch wieder w a c h s e n und, unter B e i b e h a l t u n g seiner gesetzmässigen Gestalt, an räumlichem Umfang z u n e h m e n , was völlig undenkbar und u n m ö g l i c h erschiene, wäre dessen einheitliche innerliche Lebenskraft wirklich vollständig in ihm e r l o s c h e n und ers t o r b e n gewesen. Allein auch hier scheint die Natur einem Fortwachsen ins völlig U n b e s t i m m t e , ganz ähnlich wie bei Thieren und Pflanzen, eine gewisse G r ä n z e gesetzt zu haben. Denn wenn wir auch in dem Reiche der Quarze, ebenso wie in den höheren Naturreichen, sowohl einzelnen R i e s e n , wie auch Z w e r g e n , in Bezug auf k ö r p e r l i c h e G r ö s s e begegnen: so sind doch unzweideutig auch selbst solche R i e sen, je nach ihrer besonderen Art, an irgend ein bestimmtes Maass gebunden. „Die Art des W a c h s t h u m s der K r y s t a l l e "

22

D i e E i n h e i t der Natur.

— sagt F H . M Ö L L E R — „stimmt mit dem der T h i e r e und P f l a n z e n insoweit überein, als dasselbe während eines bestimmten Zeitabschnittes l e b h a f t und r a s c h fortschreitet, bis eine gewisse, der besonderen Art einigermaassen angemessene Grösse e r r e i c h t ist. Sodann hört im Allgemeinen das W a c h s t h u m allmählich auf, und an dessen Stelle tritt die Bildung n e u e r Einzelkrystalle auf und an den bereits ausgewachsenen. Bei den Krystallen äussert sich diese Neigung zur Bildung n e u e r Einzelwesen in ganz der ä h n l i c h e n Weise wie bei der K n o s p e n b i l d u n g der Pflanzen. Ist ein einzelner selbstständiger Krystall bis zu einem gewissen Punkte ausgeb i l d e t : so entstehen an ihm ein oder auch mehrere neue, die, ganz gleich wie die von ihrem Stamme getrennten K n o s p e n , die Gestalt i h r e r A r t zeigen und, auch f ü r sich, wieder zum Wachsthum g e e i g n e t sind" ( F R A N Z M Ö L L E R : Leben d. Atome S. 35). Beide, T h i e r wie P f l a n z e , verwenden von dem Zeitpunkt an, da sie ihre geschlechtliche Reife, und damit im Allgemeinen auch ihre körperliche Vollendung erreicht haben, denjenigen Theil von N a h r u n g s stoffen, welchen sie bis dahin zu ihrem persönlichen W a c h s t h u m verbraucht haben, fortan zum Zweck der F o r t p f l a n zung oder der E r h a l t u n g • i h r e r A r t . Die einfachsten Weisen dafür sind, wie wir gesehen, die K n o s p u n g und die T h e i l u n g . Nun kennt das u n t e r s t e N a t u r r e i c h , gleich dem noch u n g e s t a l t e t e n Stoff, zwar noch k e i n e geschlechtliche Fortpflanzung wie die Pflanzen und Thiere: aber die K n o s p e n b i l d u n g ist ihm eigen. In jeder Steinsammlung finden sich Handstücke, welche Zeugniss hierfür in anschaulicher Weise ablegen. Es sind K n o s p e n , welche z e i t l e b e n s mit dem g e m e i n s a m e n M u t t e r s t a m m in ganz der ähnlichen Weise v e r e i n i g t bleiben, wie die Aste und Zweige eines B a u m e s oder S t r a u c h e s mit dem gemeinsamen P f l a n zenkörper.

Die Pflanze und der Quarz.

N o . 12.

23

Vermehrung der Quarze durch Theilung.

Aber neben der K n o s p e n b i l d u n g ist auch die Vermehrung durch T h e i l u n g dem untersten Naturreich n i c h t versagt: ein Beweis mehr, dass eben jene höhere innere Ges t a l t u n g s k r a f t , die bei dem ersten Auftreten von n e u e n Q u a r z k ö r p e r n sich thätig erweist, auch n a c h h e r , weder im Ganzen noch in dessen einzelnen Bestandtheilen, als e r l o s c h e n darf betrachtet werden. Zertheilen wir einen grösseren einheitlichen Q u a r z in der Weise, dass in den erhaltenen Theilen deren natürliche Grundgestalt n i c h t z e r s t ö r t ist: so haben dieselben so w e n i g ihre ihnen innerlich eigenthümliche W a c h s t h u m s - u n d G e s t a l t u n g s f ä h i g k e i t eingebüsst, wie der einzelne W e i d e n z w e i g , den wir von seinem Mutterstamm t r e n n e n und nun an seinem u n t e r e n E n d e in den Boden der Erde e i n s e n k e n . Denn legen wir jene einzelnen Quarztheile in eine Lösung d e r s e l b e n S t o f f e , aus welchen sie gebildet sind: so werden sie allmählich zu ebenso vielen grösseren Quarzkörpern a u s w a c h s e n . Aus Mangel an entsprechender N a h r u n g hatte der ursprüngliche Quarz, von dem sie bis dahin T h e i l e gewesen, wohl selber a u f g e h ö r t zu wachsen; aber das V e r m ö g e n und die innerliche L e b e n s f ä h i g k e i t dazu war deshalb w e d e r in dem Gesammtquarz noch in dessen T h e i l e n erloschen. No. 13.

Ergänzungsvermögen der Quarze.

Alle diese Verhältnisse und alle an sie sich knüpfenden Erscheinungen weisen unzweideutig auf die innerliche W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t hin, in welcher auch das unterste Naturreich zu seinen höheren Daseynsgenossen, dem P f l a n z e n und T h i e r r e i c h , steht. Allein das überzeugendste Beispiel, das jeden Zweifel hierüber zu nichte machen muss, hat wohl jedenfalls P A S T E U E geliefert durch die Ergebnisse seiner Versuche in Bezug auf das innerliche E r g ä n z u n g s v e r m ö g e n

24

Die Einheit der Natur.

gewaltsam v e r s t ü m m e l t e r Quarzkörper. Hören wir, wie er selbst seine Beobachtungen und den Erfolg seiner wichtigen Untersuchung beschrieben hat. „Ich nahm" — sagt er — „einen K r y s t a l l von d o p p e l t - ä p f e l s a u r e m A m m o n i a k , das in rechtwinklig an den Rändern zugeschärften Tafeln krystallisirt, und nahm durch A b s p a l t e n oder Abfeilen eine oder mehrere Z u s c h ä r f u n g e n , eine oder mehrere E c k e n fort und legte dann den Krystall wieder in seine M u t t e r l a u g e (d. h. in eine neue Lösung von doppelt-äpfelsaurem Ammoniak). Während er sich durch Ablagerungen krystallinischer Theilchen i n a l l e n R i c h t u n g e n v e r g r ö s s e r t e (und in solcher Weise in seiner gesetzmässigen Gestalt fortwuchs), z e i g t e sich eine b e s o n d e r s l e b h a f t e A r b e i t an den a b g e b r o c h e n e n oder e n t s t e l l t e n S t e l l e n : so dass eine S t u n d e genügte nicht nur für die Regelmässigkeit der a l l g e m e i n e n A r b e i t , sondern auch der W i e d e r h e r s t e l l u n g der R e g e l m ä s s i g k e i t an den verletzten Stellen. Man ist erstaunt, wenn man den vorher oft ganz e n t s t e l l t e n Krystall nach einiger Zeit in seinem g e w ö h n l i c h e n A u s s e h e n w i e d e r f i n d e t . Die W i e d e r h e r s t e l l u n g ist an den Orten der W i e d e r h e r s t e l l u n g s a r b e i t viel t h ä t i g e r als unter den g e w ö h n l i c h e n r e g e l r e c h t e n V e r h ä l t n i s s e n " (POGGENDORF'S Annalen, 1 8 5 7 . Band 100. S. 157 u. 1 5 8 [PASTEUE]). Wer sollte hier nicht unwillkürlich jener i n n e r e n L e b e n s k r a f t sich erinnern, vermöge welcher auch eine j e d e P f l a n z e und ein jedes T h i e r die ihm beigebrachte Verl e t z u n g , wofern diese von n i c h t t ö d t l i c h e r A r t gewesen, wiederum zu h e i l e n und zu v e r n a r b e n bemüht ist? Wer sollte hierbei aber nicht jener zahlreichen Fälle gedenken, in welchen namentlich gewisse n i e d e r e T h i e r g a t t u n g e n ganze, ihnen g e w a l t s a m entrissene G l i e d m a a s s e n , wie z. B. der K r e b s seine S c h e e r e n wiederum durch ihr e i g e n e s innerliches Gestaltungsvermögen zu e r s e t z e n im Stande sind? Die V e r w a n d t s c h a f t im Ausseren ist in allen diesen Ver-

Die Pflanze und der Quarz.

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hältnissen so g r o s s , class mit innerer Nothwendigkeit auch auf eine Verwandtschaft des i n n e r l i c h e n G r u n d e s in allen solchen Fällen muss g e s c h l o s s e n werden. No. 14. Eormverschiedenheiten oder Spielarten bei Quarzen in Folge von Verschiedenheiten in den zu ihrem Wachsthum erforderlichen Nährstoffen. Auch in Bezug auf die W a h l der N a h r u n g , wie solche zum A u f b a u der äusseren L e i b l i c h k e i t e r f o r d e r l i c h ist, zeigt sich der Q u a r z , je nach seiner Art, nicht weniger eigenthümlich als die P f l a n z e und das T h i e r . Auch hier hat unzweideutig die g e e i g n e t s t e N a h r u n g , sobald sie nur in hinreichender Menge v o r h a n d e n ist, ausschliesslich den Vorzug. Erst wo diese m a n g e l t , werden auch m i n d e r g e e i g n e t e Stoffe mit in den Kauf genommen. Die Erfahrung, dass wenn g e f ä r b t e s Wasser g e f r i e r t , die z u e r s t an d e r O b e r f l ä c h e sich gestaltenden E i s n a d e l n und E i s b l ä t t c h e n n u r aus vollkommen r e i n e m W a s s e r sich bilden, spricht unzweideutig für diese Wahrheit. Aller F ä r b e s t o f f wird von der die E i s b i l d u n g leitenden T h ä t i g k e i t der Gestaltungskraft des W a s s e r s als ungeeignet a u s g e s c h i e d e n und nach der M i t t e und dem B o d e n des Gefässes h i n g e d r ä n g t , in welchem das Wasser sich befindet. Erst s p ä t e r , wenn auf solche Weise der vorhandene F ä r b e s t o f f vollständig bis zum B o d e n des Gef ä s s e s zurückgedrängt und in letzterem nun durchaus k e i n völlig r e i n e s Wasser mehr vorhanden ist: erst von da an sehen wir in dem Gefasse auch E i s n a d e l n von immer d u n k l e r e r F ä r b u n g entstehen. Es zeigt sich also in diesem wie in ähnlichen Fällen augenscheinlich eine nicht zu verkennende Wahl in Bezug auf den aufzunehmenden Stoff. Denn erst dann, wenn es gar n i c h t m e h r zu umgehen ist, werden auch s o l c h e Stoffe aufgenommen, welche, wenn auch nicht völlig dazu geeignet, doch dem Werk der Gestal-

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D i e Einheit der Natur.

tung wenigstens nicht gerade h i n d e r n d in den Weg treten. Wir wissen, welch eine wichtige Rolle, bei den einzelnen P f l a n z e n - u n d T h i e r a r t e n , die durch die Verschiedenheit der „Standorte" bedingte Verschiedenheit der N a h r u n g in Bezug auf die Entstehung und Erhaltung besonderer Spiela r t e n " oder sogenannter „ V a r i e t ä t e n " einzunehmen pflegt. Wir erinnern beispielsweise nur an die auf Salzboden oder in der Nähe der M e e r e s u f e r wachsenden Pflanzen, welche alle mehr oder weniger in Folge der v e r ä n d e r t e n N a h r u n g in ihrer äusseren Form von den übrigen Gliedern derselben Art abweichen. Und ebenso ist es bekannt, wie namentlich diejenigen T h i e r a r t e n , welche unter der Zucht der Menschen an die verschiedenartigste Nahrung sind gewöhnt worden, auch in der Z a h l sowie in der äusseren V e r s c h i e d e n h e i t ihrer A b a r t e n am meisten auseinander gehen. Aber nicht bloss durch eine Verschiedenheit in der F ä r b u n g zeichnen sich im u n t e r s t e n N a t u r r e i c h die Spielarten der einzelnen Q u a r z a r t e n von einander aus: auch die ä u s s e r e Ges t a l t u n g bleibt davon n i c h t unberührt. Genauere Winkelmessungen haben nämlich ergeben, dass bei v e r w a n d t e n Quarz gestalten einer und derselben Art, wenn solche, wie z. B. die A l a u n e , in v e r s c h i e d e n e n S p i e l a r t e n vorkommen, die einzelnen W T inkel, E c k e n und K a n t e n , je nach der Natur der S t o f f e , welche die Verschiedenheit dieser Spielarten b e d i n g e n , auch regelmässig irgend eine, wenn auch noch so kleine V e r s c h i e d e n h e i t in ihren gegenseitigen G r ö s s e n v e r h ä l t n i s s e n aufweisen. Bei allen diesen Einzelheiten haben wir absichtlich etwas länger und ausführlicher verweilt, weil man, selbst in naturwissenschaftlichen Schriften, noch häufig der Ansicht begegnet, als sey das unterste Naturreich, als ein R e i c h des wirklich T o d t e n und Leblosen, durch eine in keiner Weise zu ermittelnde K l u f t von seinen beiden h ö h e r e n G e f ä h r t e n , dem Pflanzen- und dem Thierreiche, g e s c h i e d e n . Wir haben gesehen, wie i r r t h ü m l i c h diese

Die allgemeine Stoff- und Körperwelt.

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Ansicht sich erweist, sobald man nur bemüht ist, alle gegebenen Verhältnisse nicht bloss nach ihrer äusseren Vers c h i e d e n h e i t , sondern auch nach ihrer i n n e r e n Ä h n l i c h k e i t und V e r w a n d t s c h a f t in das Auge zu fassen.

§ 5. Die allgemeine Stoff- und Körperwelt. No. 15. Sie noch ungestaltete Natur als der gemeinschaftliche Urgrund für alle höheren Daseynsformen. So weit und so augenfällig die d r e i N a t u r r e i c h e , in ihren h ö c h s t e n und e d e l s t e n G e s t a l t e n , a u s e i n a n d e r treten: sie n ä h e r n sich gegenseitig um so mehr, je t i e f e r wir auf ihren Stufenleitern h e r a b s t e i g e n zu den einf a c h s t e n und darum wohl auch u r s p r ü n g l i c h s t e n unter allen ihren mannigfaltigen Daseynsweisen. Je h ö h e r die L e b e n s z w e c k e der einzelnen Naturreiche wie ihrer besonderen Gattungen und Arten sind: um so h ö h e r und e d l e r ist auch ihre ä u s s e r e G e s t a l t u n g , um so m a n n i g f a c h e r und reicher die i n n e r e G l i e d e r u n g ihres gesammten natürlichen Wesens. J e e i n f a c h e r dagegen der in ihnen ausgeprägte besondere G r u n d g e d a n k e der Natur sich darstellt: um so mehr v e r s c h w i m m e n und v e r w i s c h e n sich auch alle die besonderen K e n n z e i c h e n und Merkmale, durch welche wir die einzelnen Glieder jener d r e i R e i c h e von einander zu u n t e r s c h e i d e n gewohnt sind. In dieser Beziehung können wir die drei Gestaltungen im allgemeinen Haushalte der Natur — T h i e r r e i c h , P f l a n z e n r e i c h und Q u a r z r e i c h — sinnbildlich mit den S t r a h l e n des L i c h t e s vergleichen. Sie treten um so mehr a u s e i n a n d e r , je mehr sie von der gemeinsamen- L i c h t q u e l l e sich e n t f e r n e n , während sie, nach rücfkwärts verfolgt, immer mehr nach ihrem U r s p r ü n g e z u r ü c k w e i s e n . So wurzeln auch die drei N a t u r r e i c h e in einem g e m e i n s a m e n G r u n d e , nämlich in der noch u n g e s t a l t e t e n Natur oder der allgemeinen

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Die Einheit der Natur.

S t o f f - und K ö r p e r w e l t , Auf sie weisen, einerseits, alle h ö h e r e n D a s e y n s s t u f e n mit der gleichen Naturnothwendigkeit z u r ü c k , mit welcher wir dieselben aber, anderseits, auch gleichzeitig als deren n a t u r n o t h w e n d i g e Vorauss e t z u n g zu betrachten haben. Und in solcher Weise haben wir in ihr gewissermaassen jene noch u r a n f ä n g l i c h s t e natürliche Daseynsstufe vor Augen, welche nicht allein allen h ö h e r e n Daseynsweisen zu G r u n d e liegt, • sondern welche wir auch überhaupt im Stande sind, uns jemals zu denken und geistig uns zu vergegenwärtigen. Alles Z u s a m m e n g e s e t z t e , alles H ö h e r e , alles E d l e r e in der ganzen Natur, sehen wir aus den e i n f a c h s t e n und scheinbar u n b e d e u t e n d s t e n K e i m e n und A n f ä n g e n sich hervorbilden: gewiss ein Fingerzeig der Natur selbst, den wir auch in Bezug auf die a l l g e m e i n e n Verhältnisse, mit denen wir uns eben beschäftigen, nicht u n t e r s c h ä t z e n oder unb e a c h t e t lassen dürfen. Auf das „ W i e ? " folgt aber in der Eegel auch das „ W a r u m ? " Warum — so dürfen, ja so müssen wir uns daher fragen — sind T h i e r e und P f l a n z e n , ja selbst die Q u a r z e , als die dritten im Bunde, mit einander v e r w a n d t ? Sie sind verwandt, weil sie einem gemeinsamen Grund und Boden entstammen, und dieser kann kein a n d e r e r seyn, als allein die noch u n g e s t a l t e t e N a t u r , die allgemeine Stoff- und K ö r p e r w e l t . Wie aber alle Kinder einer und derselben Mutter, ungeachtet aller natürlichen V e r s c h i e d e n h e i t e n in Bezug auf äussere Gestalt und innere Seelen- und Geistesanlagen, dennoch ihre gem e i n s a m e A b s t a m m u n g allezeit durch eine n i e ganz v e r s c h w i n d e n d e innere oder äussere Ä h n l i c h k e i t im Wesen an den Tag legen: so auch h i e r ! Das Geheimniss einer g e m e i n s a m e n i n n e r e n W r f s e n s a b s t a m m u n g alles in dieser Welt Vorhandenen bildet somit recht eigentlich den natürlichen S c h l ü s s e l auch für alle übrigen R ä t h s e l der Natur. Je aufmerksamer wir dieselbe b e o b a c h t e n und

D i e a l l g e m e i n e Stoff- und Körperwelt.

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bis in ihre verborgensten Tiefen e r g r ü n d e n : um so m e h r wird die Erfahrung die W a h r h e i t dieses Satzes bestätigen. No. 16.

Die ungestaltete Natur kennt kein Todtes und Lebloses.

Die Sonne vermöchte nimmermehr unsere Erde zu erleuchten und zu wärmen, wofern die F ä h i g k e i t hierzu nicht in i h r s e l b s t und in ihren einzelnen Bestandtheilen vorh a n d e n wäre. Und ganz die nämliche Bewandtniss hat es auch in Bezug auf das g e g e n s e i t i g e V e r h ä l t n i s s , in welchem alle höheren Daseynsgebiete der Natur mit der ihnen gemeinschaftlich zu Grunde liegenden S t o f f - und K ö r p e r welt sich befinden. Wie wäre es möglich, dass sie sämmtlich, einem geheimen inneren L e b e n s d r a n g folgend, unausgesetzt bestrebt sind, sich innerlich wie äusserlich zu entwickeln und zu g e s t a l t e n : wofern der e r s t e Keim und die erste M ö g l i c h k e i t hierzu nicht in eben jener allgemeinen stofflich - körperlichen W e l t g r u n d l a g e bereits von jeher mit e i n g e s c h l o s s e n läge, in welcher sie alle ihre tiefere E i n h e i t und ihren natürlichen A u s g a n g finden? Wäre dem n i c h t so, wäre jene noch u n g e s t a l t e t e N a t u r wirklich ein Gebiet des Todes und des L e b l o s e n : wie vermöchte jemals ein Reich des L e b e n s und der inneren l e b e n s k r ä f t i g e n G e s t a l t u n g daraus hervorzugehen? „Nur aus u r s p r ü n g l i c h e m L e b e n " — sagt FRANZ HOFFMANN — „lässt sich L e b e n b e g r e i f e n . Wäre das Ursprüngliche t o d t oder das Todte u r s p r ü n g l i c h : so würde es bei dem Todten bleiben. Denn Leben kann nie aus dem Todten erklärt werden" (FROHSCHAMMER: Athenäum. I I . S. 5 6 3 . F R . HOFFMANN). Und in ganz dem gleichen Sinn spricht BRANISS sich aus, wenn er sagt: „nur aus dem L e b e n q u i l l t das L e b e n , aus dem Tode entspringt es n i c h t " (BRANISS, Atomistische und dynamistische Naturauffassuug. Breslau 1855. S. 314). Daher sagt auch OKEN ganz in diesem Sinn: „Nur das ist todt, was n i c h t

30

Die Einheit der Natur.

ist, d. h. das Nichts. Alles in der Welt ist l e b e n d i g . Auch der (scheinbar) t o d t e Stoff (die todte Materie) ist d u r c h sein Seyn lebendig" (OKEN: Naturphilosophie: S. 1 9 ) . — Todt im wahren und eigentlichen Sinn dieses Wortes ist nur das U n w i r k s a m e , d. h. das in k e i n e r Weise selbst zu wirken Befähigte. Wo d a h e r W i r k s a m k e i t , wo T h ä t i g k e i t , von welcher besonderen Art sie auch seyn möge, überhaupt v o r h a n d e n ist: da ist auch L e b e n . Alles, was einen anderen Gegenstand nur irgendwie zur Wirksamkeit und zur Thätigkeit r e i z t , was die innere Befähigung besitzt, sich durch ein Anderes zur Wirksamkeit und Thätigkeit r e i z e n zu l a s s e n : das hat, sammt Allem, was nur irgendwie sich r e g t und bewegt, Theil an dem Leben. Denn keine Wirksamkeit, keine Thätigkeit ist denkbar oder möglich, ohne eine zu Grunde liegende i n n e r l i c h w i r k s a m e oder t h ä t i g e K r a f t , gleichviel ob deren Wirksamkeit oder Thätigkeit von einer beständigen oder von einer nur vorübergehenden Dauer seyn mag. Eben diese innerliche, k e i n e m Dinge dieser Welt jemals völlig f e h l e n d e K r a f t , ohne die es gar nicht einmal, da zu seyn und für sich zu b e s t e h e n , im Stande wäre: diese ist es auch, darinnen in dem ganzen Bereiche der Natur, in letzter Quelle, alles natürliche L e b e n von Anfang an w u r z e l t und g r ü n d e t . Sie ist das Leben s e l b s t , in des Wortes a l l g e m e i n s t e r und Alles umfassendster Bedeutung. Von dieser eigenen innerlichen L e b e n s und D a s e y n s k r a f t ist kein Stoff und kein K ö r p e r , kein G e b i e t der ganzen uns umgebenden Natur, jemals völlig a u s g e s c h l o s s e n , mag es von uns als K ö r p e r w e l t , als Seelenwelt oder als Geisteswelt bezeichnet werden. Alles, was da ist, dem muss, nach seiner Art, auch dies innerliche L e b e n , diese innere K r a f t des W i r k e n s und des D a s e y n s in irgend einer Weise zukommen, d. h. es muss l e b e n : es muss L e b e n und L e b e n s k r a f t in irgend einer Weise in sich selbst und f ü r sich selbst besitzen. Nur eine solche,

D i e a l l g e m e i n e Stoff- u n d K ö r p e r w e l t .

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jedem Stoff oder einem jeden an und für sich rein stofflichen Körper innewohnende und i h m s e l b e r innerlich a n g e h ö r i g e natürliche G r u n d k r a f t seines eigenen Daseyns und Wesens bedingt den Begriff einer l e b e n d i g e n S t o f f w e l t . Nur e i n e s o l c h e finden wir aber in der ganzen uns umgebenden N a t u r : ein wirklich t o d t e r , d. h. ein in sich völlig k r a f t l o s e r S t o f f oder Körper lässt sich n i r g e n d s in der Welt nachweisen. Und so hat auch, von demselben Gesichtspunkt ausgehend, bereits F R A N Z MERCURIUS VAN HELMONT, Sohn von JOHANN BAPTISTA VAN HELMONT, „eine t o d t e und träge M a t e r i e " geradezu für „ein U n d i n g " erklärt (RITTER: christl. Philosophie. II. S. 180). N o . 17.

Scheinbares Sterben in der Körperwelt.

Wie kommt es aber, dass wir nicht bloss im gemeinen Leben, sondern auch selbst in wissenschaftlichen Werken, so häufig von einer t o d t e n und l e b l o s e n Natur, als von etwas dem Leben völlig E n t g e g e n g e s e t z t e m , reden hören? Weil wir Menschen geneigt sind, für alles Andere, namentlich aber für Alles, was auf der Stufenleiter zeitlicher Lebenserscheinungen u n t e r u n s steht, nur allein u n s s e l b s t als den allein richtigen Maassstab zu betrachten. Daher pflegten bekanntlich auch schon die alten Griechen den M e n s c h e n als „das M a a s s aller D i n g e " zu bezeichnen. Ja, betrachtete nicht DESCARTES die T h i e r e sogar als eine Art von A u t o m a t e n , d. h. als von der Natur gebaute k ü n s t l i c h e Mas c h i n e n , über welche dieselbe in einer ähnlichen Weise verfügt, wie wir über eine von uns künstlich hergestellte Uhr, an welcher wir die Zeit nach Stunden und Minuten ablesen. Und wie Viele gibt es nicht, welche, selbst heute noch, sich kaum getrauen, der P f l a n z e eine wirkliche innere L e b e n s k r a f t zuzuerkennen, weil sie n i c h t s c h r e i t , wenn man ihr Aste und Zweige absägt, oder sie ihrer Blumen mit Gewalt beraubt. Darf es uns da wundern, wenn schon das

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Die Einheit der Natur.

scheinbar so starre und regungslose Reich der Quarze, noch mehr aber die unter ihm stehende u n g e s t a l t e t e N a t u r , von Seiten von Gelehrten wie von Ungelehrten, so unerbittlich dem verdammenden Urtheile der L e b l o s i g k e i t anheimfallen? Den menschlichen Leichnam nennen wir todt, weil jene höhere Lebenskraft, die wir Geist oder Seele zu nennen pflegen, aus ihm g e s c h w u n d e n ist. Das Gleiche gilt von dem t h i e r i s c h e n Körper, den seine höhere einheitliche Lebenskraft verlassen hat; und ebenso auch von der P f l a n z e . Bei dem Q u a r z e dagegen glauben wir schon, gar n i c h t mehr von einem wirklichen Tode sprechen zu dürfen; obgleich auch dieser dem Tode oder vielmehr dem Sterben u n t e r w o r f e n ist, wie die Pflanze, wie das Thier und wie der Mensch. Sein V e r w i t t e r n ist sein S t e r b e n : seine volle n d e t e Verwitterung und das schliessliche Z e r f a l l e n seiner Theile, ist sein Tod. Aber da wir ihn schon an und für sich als todt zu betrachten gewohnt sind, weil er nicht denselben Grad und dieselbe Art von Lebenskraft besitzt wie die höheren Naturwesen: so können wir ihm natürlich auch kein wahres und wirkliches S t e r b e n zutrauen. Um wie viel mehr muss uns ein solches also u n m ö g l i c h erscheinen, in Bezug auf die noch t i e f e r stehenden Bestandt e i l e der noch ganz und gar u n g e s t a l t e t e n Natur. S t e r ben kann doch nur was lebt. Wenn wir also einem ganzen Daseynsgebiete das Leben a b s p r e c h e n , so kann ihm auch kein Sterben zukommen: das an und für sich T o d t e s t i r b t n i c h t mehr. Und dennoch, wenn wir uns recht umsehen und genau die Erscheinungen p r ü f e n , werden wir auch in diesem für uns noch vielfach so d u n k e l n Gebiete des Erdendaseyns Thatsachen begegnen, welche dem Tode gar mancher P f l a n z e n - und T h i e r g a t t u n g e n so nahe verw a n d t sind, dass wir ernstliche Bedenken tragen müssen, ob den Bestandtheilen der noch u n g e s t a l t e t e n Natur auch wirklich ein Sterben und damit auch ein wirkliches e i g e n e s

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Die allgemeine Stoff- und Körperwelt.

inneres L e b e n völlig a b z u s p r e c h e n seyn dürfte. Es ist bekannt, dass viele niedere T h i e r g a t t u n g e n sehr bald, nachdem die B e g a t t u n g bei ihnen vollzogen ist, d a h i n s t e r b e n : das Männchen meist zuerst, und wenn die Eier gelegt sind, auch das Weibchen. Die Zahl ihrer Nachkommenschaft ist so gross, dass schon die einmalige Begattung die L e b e n s k r a f t der A l t e n so völlig a u f z e h r t oder vielmehr so g e s c h w ä c h t hat, dass sie das Werk tjer Zeugung nicht mehr lange zu überleben im Stande sind. Ganz das Gleiche oder Ähnliche ist der Fall bei vielen P f l a n z e n , namentlich bei den nur ein- oder zweijährigen. Ist der S a m e gereift, so s t i r b t die Pflanze ab. Begegnen wir aber nicht auch dem Gleichen in dem Gebiete der noch u n g e s t a l t e t e n Körperwelt, wenn gleich, in Folge der hier herrschenden anderen Verhältnisse, in veränderter Weise? Wenn zwei Stoffe, z. B. S c h w e f e l und E i s e n , sich so mit einander vereinigen, dass ein n e u e r Stoif, das S c h w e f e l e i s e n , daraus hervorgeht, so gehen b e i d e , Schwefel und Eisen, so völlig mit ihrem ganzen Wesen in dasjenige des n e u zu bildenden Stoffes über, dass sie a u f h ö r e n , noch ferner als für sich s e l b s t s t ä n d i g e Körper zu b e s t e h e n . Wie bei niedrigen Pflanzen und Thieren M ä n n c h e n und W e i b c h e n sehr bald nach der Begattung s t e r b e n : so sterben hier die s t o f f l i c h e n E l t e r n sofort in und mit der v o l l z o g e n e n stofflichen Verbindung, d. h. in demselben Augenblick, in welchem die Z e u g u n g , d. h. die Hervorbringung des n e u e n S t o f f e s ihre natürliche Verwirklichung gefunden hat. Sie hören nun a u f , in ihrer vorigen Weise zu seyn, und eben d i e s e s ist ihr Tod. Ganz dasselbe findet umgekehrt statt bei den stofflichen T r e n n u n g e n . Wenn W a s s e r mit Hülfe des elektrischen Stromes in seine beiden Grundbestandteile, S a u e r s t o f f - und W a s s e r s t o f f g a s , zerlegt wird: so s t i r b t das W a s s e r als Solches. Denn es hat a u f g e h ö r t , noch ferner a l s W a s s e r zu bestehen. S a u e r s t o f f Wanclersmailn.

1.

3

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Die Einheit der Natur.

und W a s s e r s t o f f dagegen werden in demselben Augenblick zu einem in sich selber selbstständigen Seyn g e b o r e n , in welchem das W a s s e r , als solches, g e s t o r b e n ist. Denn ihre E n t s t e h u n g oder ihre G e b u r t fallen, in zeitlicher Beziehung, in E i n s zusammen mit dem A u f h ö r e n oder dem T o d t des Wassers. Es stellt somit der T o d , in Bezug auf das noch u n t e r s t e und e i n f a c h s t e G e b i e t alles natürlichen Daseyns, das naturgesetzmässige E n d e irgend einer b e s t i m m t e n F o r m (oder Daseynsweise) in d e m s e l b e n A u g e n b l i c k uns vor Augen, in welchem dieselbe in eine a n d e r e und für sie n e u e Daseynsweise ü b e r g e h t . Aus allen diesen Verhältnissen geht nun aber gleichzeitig augenscheinlich hervor, dass für das ganze Gebiet der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r dem Begriff des „ T o d e s " , im eigentlichen Silin des Wortes, k e i n e andere Bedeutung zukommen kann, denn allein nur diejenige eines blossen „ G r ä n z p u n k t e s " zwischen zwei e i n e r s e i t s zwar v e r s c h i e d e n e n , aber a n d e r s e i t s doch auch v e r w a n d t e n stofflich-körperlichen Daseynsweisen. Es kann daher auch innerhalb des ganzen Gebietes der noch rein s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n Natur, von einer wirklich t o d t e n W e s e n h e i t , oder von einer wirklich „ t o d t e n N a t u r " , im b u c h s t ä b l i c h e n Sinn des Wortes, überhaupt nimmermehr die Rede seyn. Was uns, im gewöhnlichen Leben, als an sich t o d t und l e b l o s erscheint, ist darum doch k e i n e s w e g s ohne sein ganz bestimmtes und ihm eigent ü m l i c h zukommendes M a a s s von innerem L e b e n und von natürlicher innerer L e b e n s k r a f t . Wie es in der Natur k e i n e eigentliche und wahre K ä l t e gibt, sondern das, was wir „Kälte" n e n n e n , allezeit nur einen g e r i n g e r e n G r a d von W ä r m e bezeichnet: so kennt sie auch k e i n an sich völlig L e b l o s e s , sondern allewege nur v e r s c h i e d e n e , theils höhere, theils niedrigere L e b e n s g r a d e oder L e b e n s s t u f e n . „Sehen wir uns um in der Natur" — sagt CARUS — „so scheint uns auf den ersten Blick überall T o d und Y e r -

Die allgemeine Stoff- und Körperwelt.

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n i c h t u n g zu umgeben, da alle Erscheinungen, ihrer Zeitlichkeit und Endlichkeit nach, über kurz oder lang zu verschwinden bestimmt sind. Und blicken wir nun doch wieder s c h ä r f e r . auf den e i n z e l n e n F a l l : so suchen wir verg e b e n s den w i r k l i c h e n Tod. Denn bald überzeugen wir uns, dass da, wo wir ihn zuerst zu s e h e n g l a u b t e n , immer nur a n d e r e und n e u e L e b e n s r e g u n g e n sich h e r v o r t h u n , so dass selbst in den Erscheinungen der sogenannten » V e r w e s u n g « sogleich der »Quell« für unübersehbare neue L e b e n s e r s c h e i n u n g e n sprudelt, und dass das, was uns als Tod erschienen war, nur eine V e r w a n d l u n g einer L e b e n s form in die a n d e r e gewesen ist" (CARUS: Erdleben S. 22). N o . 18.

Das scheinbar Todte ist gebundenes Leben.

So nennen wir also den e n t s e e l t e n und der Verw e s u n g anheim gefallenen L e i c h n a m nicht desshalb todt, weil die einzelnen Theile, aus denen er besteht, etwa s e l b e r todt und leblos wären: sondern nur aus dem Grunde, weil das h ö h e r e L e b e n , das vordem ihn beseelte, nun aus ihm entschwunden ist. Wir v e r m i s s e n die vordem gewohnten h ö h e r e n Lebenserscheinungen und darum erscheint er uns als todt. Ganz ähnlich verhält es sich ja auch, wie wir weiter oben gesehen, in Bezug auf Erscheinungen innerhalb der gestalteten Natur. Im W i n t e r s c h l a f und im S c h e i n tod, sind Thiere, Pflanzen und Menschen wie e r s t o r b e n ; denn die sonst an ihnen gewohnten Lebenserscheinungen werden wir in diesen Zuständen n i c h t an ihnen gewahr. Sendet aber die F r ü h l i n g s s o n n e von neuem ihre erwärmenden Strahlen, oder ist die Zeit des Starrkrampfes vorüber: dann erwacht Alles zur früher gewohnten Weise; denn das L e b e n selbst war n i c h t aus den betreffenden Wesenheiten gewichen. Nur in Folge ä u s s e r e r Verhältnisse hatte dasselbe von seiner zeither n a c h a u s s e n h i n gerichteten Thätigkeit sich z u r ü c k g e z o g e n in s i c h selber, d. h. in 3*.

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Die Einheit der Natur.

den innersten und v e r b o r g e n s t e n S i t z s e i n e r W i r k s a m k e i t , um hier, in scheinbarem Schlummer, des günstigen Augenblicks zu h a r r e n , an welchem veränderte äussere Verhältnisse ihm eine erneute nach a u s s e n h i n gerichtete Wirksamkeit g e s t a t t e n . Dieser Zustand ist aber k e i n e s w e g s ein wirklicher T o d , sondern er ist in s i c h ebensogut „ L e b e n " , wie in seiner Weise auch der Zustand des Keimens , Blühens und Früchtetragens. Wenn ein Jahrt a u s e n d e a l t e s S a m e n k o r n (wie die in alten ägyptischen Gräbern gefundenen Weizenkörner) unter günstigen äusseren Bedingungen sogar bis zur wirklichen K e i m u n g zu gelangen vermag: dann ist es l e b e n d i g geblieben, und es wäre eine grosse T l i o r h e i t , ihm nicht einen gewissen Grad und eine gewisse Art von L e b e n zuerkennen zu wollen. — Verhält es sich aber nicht in ganz ähnlicher, ja fast gleicher Meise, auch mit den Erscheinungen in der noch u n g e s t a l t e t e n Natur? Kann ein Körper l e u c h t e n , wenn ihm nicht auch im Ausseren die dazu nothwendigen Bedingungen g e g e b e n sind? Und wenn er, wo dieselben f e h l e n , seine innere Leuchtkraft nach aussen n i c h t kann wirksam werden lassen: ist sie desshalb in ihm e r s t o r b e n ? Lebt sie nicht auch hier, e i n g e s c h l o s s e n in das tiefste und verborgenste I n n e r e des Körpers, u n b e m e r k t im Stillen f o r t , bis eine Zeit kommt, wo es ihr möglich wird, sich auch nach a u s s e n h i n in ihrer lebendigen Wirksamkeit zu o f f e n b a r e n ? Der u n t h ä t i g e V u l k a n , die G l e t s c h e r und E i s m e e r e der Hochgebirge scheinen wolil auf den ersten Blick in ihrer starren Ode t o d t und l e b l o s : aber nur für diejenigen, deren eigenes A u g e todt und leblos, d. h. u n e m p f i n d l i c h und u n e m p f ä n g l i c h ist für das hier fortwährend sich entwickelnde n e u e L e b e n . Sobald der Vulkan zu neuer Thätigkeit e r w a c h t , zeigt sich auch die ihm innewohnende K r a f t . Und ebenso beweist es die unaufhörliche, wenn auch noch so langsame F o r t b e w e g u n g d e s G l e t s c h e r e i s e s , dass auch

Die allgemeine Stoff- und Körperwelt.

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in diesem Gebiete die Regsamkeit eines innerlichen Lebens n i e m a l s aufgehört hat. „Gewiss" — sagt CARUS •— „wer nur aufmerksam hinblickt, wie an solchen, oft für Bilder des Todes genommenen Stätten, Alles innerlich arbeitet, sich fortwährend u m b i l d e t und r e g t : der wird auch hier bald vom Todesbegriff zum Begriff des L e b e n s sich bekehren" (CARUS: Erdleben S. 27). — Für unser sinnliches Wahrnehmungsvermögen ist dieses Leben der gesammten noch ungestalteten Natur zwar vielfach, und oft für lange Zeiträume, innerlich g e b u n d e n : aber nichtsdestoweniger ist es in Wahrheit und Wirklichkeit doch allezeit thatsächlich v o r h a n d e n . Denn „Leben" gehört unter allen Umständen wesentlich zum B e g r i f f der Dinge. Es vermöchte gar nichts in Wirklichkeit v o r h a n d e n zu seyn, wenn ihm nicht auch innerlich ein fortwährend wirksames Vermögen zum D a seyn zukäme. Und eben dieses Vermögen da zu seyn, sammt allen sonstigen untrennbar mit ihm verbundenen K r ä f t e n , E i g e n s c h a f t e n und F ä h i g k e i t e n , ist es, darinnen wir für die höchsten wie die niedrigsten Naturwesen den allgemeinen B e g r i f f des L e b e n s naturgemäss zu suchen und zu finden haben. Wäre dem nicht so, wäre das Gebiet der ungestalteten Natur wirklich ein Gebiet des Todes oder einer inneren L e b l o s i g k e i t : kein einziges wesenhaftes Daseyn wäre im Stande, auch nur die allergeringste thatsächliche V e r ä n d e r u n g jemals an sich zu erfahren. Aber der edelste M a r m o r , der härteste B a s a l t , der dauerhafteste G r a n i t verändern sich im Lauf der Zeit, N i c h t s ist hier d a u e r n d , nichts ist b l e i b e n d . „Alles fliesst", d. h. alles Naturleben ist in einem steten W e r d e n , in einem steten F l u s s des A n d e r s w e r d e n s begriffen: dies ist ein bekannter Ausdruck schon des frühesten Alterthums. Es gibt k e i n e n Stoff, k e i n e n Körper, der nicht ä u s s e r e n Angriffen und Einwirkungen in irgend einer Weise zugänglich wäre, und ebensowenig einen, der solchen äusseren Einflüssen nicht in

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D i e Einheit der Natur.

seiner Weise auch irgendwelchen W i d e r s t a n d entgegenzusetzen vermöchte, um i h m g e g e n ü b e r sich in seinem eigenen selbstständigen Bestehen zu b e h a u p t e n . Was aber mit fremden Kräften in W e c h s e l w i r k u n g zu treten und ihnen sogar auch W i d e r s t a n d zu leisten, die K r a f t besitzt: das kann selbst n i c h t t o d t , d. \ \ f n i c h t völlig k r a f t - und l e b l o s seyn. V ö l l i g e Kraft- und Leblosigkeit wäre, wie schon ARISTOTELES dies richtig erkannt hat, etwas völlig N a t u r w i d r i g e s , und für ein Solches hat selbst das ganze Weltall k e i n e n Platz und k e i n e n Raum: ganz ebensowenig wie es für einen W i d e r s p r u c h in sich s e l b s t es jemals einen Raum oder eine Stätte im Gebiet des vernünftigen D e n k e n s geben kann. Ein vollständig K r a f t - u n d L e b l o s e s vermöchte g a r n i c h t zu bestehen: es ist für die gesammte uns umgebende Natur eine begriffliche und thatsächliche U n m ö g l i c h k e i t ; denn es wäre nichts Anderes, als das reine N i c h t s , dem alle und jede natürliche Fähigkeit auch nur zu dem allerniedrigsten und einfachsten Wirklichseyn vollständig abginge. No. 19.

Verschiedene Grade und Abstufungen des Lebens.

Mögen wir nun auch vorziehen, alle diese Arten von i n n e r e r L e b e n s w i r k s a m k e i t wie von ä u s s e r e r L e b e n s o f f e n b a r u n g auf jenem allgemeinen Daseynsgebiete, das wir die allgemeine Stoff- und Körperwelt nennen, wegen ihres U n t e r s c h i e d e s von dem höheren S e e l e n - und G e i s t e s l e b e n , noch nicht als eigentliches „ L e b e n " , sondern etwa nur als blosse „ K r a f t " zu bezeichnen: es wird der eigentliche K e r n der Sache nicht wesentlich davon berührt. Denn ein solcher Unterschied in der Wortbezeichnung, soferne nur die innerliche V e r w a n d t s c h a f t beider Ausdrücke nicht aus dem Auge verloren wird, sagt nicht, dass zwischen beiden Daseynsweisen ein innerlich unversöhnlicher Widerspruch bestehe: sondern er deutet uns vielmehr nur die verschiedenen

Die allgemeine Stoff- und Körperwelt.

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irr a d e und A b s t u f u n g e n an, in welchen das allgemeine Wesen dieser Welt sich zu v e r w i r k l i c h e n und in die sinnlich wahrnehmbare Erscheinung zu treten im Stande ist. Und so begreifen wir denn auch die M ö g l i c h k e i t , "wie a l l e die mannigfachen Daseynsformen, die uns umgeben, von den h ö c h s t e n bis herab zu den n i e d r i g s t e n , schliesslich immer unverkennbarer auf jenes weite Gebiet der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r uns hinzuweisen vermögen, als auf ihren gemeinsamen U r g r u n d und U r s p r u n g . Denn eben dieser gemeinschaftliche G r u n d , indem er sich dem Auge des Geistes nun n i c h t mehr als wirklich t o d t und l e b l o s darstellt,' zeigt sich, durch seine auch ihn innerlich durchtluthenden und dem L e b e n vollkommen v e r w a n d t e n K r ä f t e , als weit mehr, weit besser und weit e d l e r , als dies bei bloss o b e r f l ä c h l i c h e r Betrachtung so häufig pflegt angenommen zu werden. Aus dem einfachen, für den oberflächlichen Beschauer ebenfalls s c h e i n b a r leblosen S a m e n korn vermag, mit der Zeit und unter günstigen äusseren Verhältnissen, der herrlichste Baum sammt Blüthen und Früchten sich zu entfalten. Denn tief v e r b o r g e n in seinem I n n e r s t e n schlummert der l e b e n s k r ä f t i g e Keim, der nur der äusseren A n r e g u n g wartet, um, in der wunderbarsten Stufenfolge sinnlich-wahrnehmbarer Erscheinungen, die g a n z e ihm innewohnende L e b e n s f ü l l e zu immer reicherer Entfaltung gelangen zu lassen. Und so mag denn auch jener an sich noch u n t e r s t e n S t u f e alles natürlichen Daseyns, in ihrer wenn auch s c h e i n b a r noch so schwachen und unansehnlichen L e b e n s k r a f t , bereits von Uranfang an ein natürlicher Keim und ein natürliches V e r m ö g e n innerlich zukommen, unter günstigen äusseren Verhältnissen zu immer h ö h e r e n , ja schliesslich selbst bis zu den h ö c h s t e n Stufen des natürlichen Daseyns sich zu erheben. Man sagt, dass dem deutschen Wesen von jeher ein inniges und sinniges Gefühl nicht nur für N a t u r s c h ö n h e i t e n , sondern auch für

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Die Einheit der Natur.

N a t u r w a h r h e i t e n innewohne, dadurch es das R i c h t i g e oft schon im V o r a u s , gleichwie durch eine d u n k l e A h n u n g , treffe. Selbst in einzelnen Besonderheiten unserer Sprache tritt dies nicht selten zu Tage. Ein Gemälde, welches vorherrschend Gegenstände der scheinbar t o d t e n und l e b l o s e n Natur uns vor Augen stellt, nennt der Franzose ohne Weiteres „ T o d t e N a t u r " , „ N a t u r e m o r t e " : der Deutsche bezeichnet es als „ S t i l l l e b e n " : eine Ausdrucks weise, in welcher jedenfalls, wenn auch dessen unbewusst, ein weit t i e f e r e s Yerständniss der Natur sich ausspricht, als durch das französische „Nature morte".

§ 6. Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturg-ebiete. N o . 2 0 . Gemeinsamer Grundgedanke der Natur. Es verhält sich, im Grossen und Ganzen, in der N a t u r ganz ähnlich, oder vielmehr ganz ebenso, wie in jedem einzelnen N a t u r r e i c h , ja wie in jedem einzelnen N a t u r w e s e n , als einer s e l b s t s t ä n d i g für sich bestehenden Form des zeitlich-räumlichen Daseyns. Ein e i n z i g e r , aber in allen seinen Theilen w o h l g e o r d n e t e r G r u n d g e d a n k e ist es, der in einem jeden besonderen R e i c h e der Natur wie in einem jeden besonderen E i n z e l w e s e n uns entgegentritt. Und eben dieser gemeinsame G r u n d g e d a n k e , wie er allenthalben durch die ganze Natur als ein g e i s t i g e s B a n d sich h i n d u r c h z i e h t , bildet denn auch recht eigentlich das natürliche V e r b i n d u n g s m i t t e l , welches Alles, was überhaupt in dieser Welt vorhanden ist, von jeher zu einem einigen grossen N a t u r g a n z e n einheitlich verbindet und zusammenhält. Von Stufe zu Stufe zu immer höherer Entwickelung und Ausbildung sich e r h e b e n d , verbindet und vermittelt derselbe ebensowohl alle Daseynsweisen Eines und desselben N a t u r r e i c h e s , wie auch alle die mannigfachen besonderen Lebenserscheinungen und Wesenszustände, welche im

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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Verlaufe der Zeit an einem jeden n a t ü r l i c h e n E i n z e l w e s e n uns entgegentreten, gleichviel welchem höheren oder niederen Daseynsgebiete sie auch angehören mögen. Betrachten wir z. B. irgend eine bestimmte einzelne P f l a n z e . Welch eine bunte M a n n i g f a l t i g k e i t in F a r b e und G e s t a l t bieten auf den ersten Blick ihre einzelnen Tlieile uns dar! Und welch eine wunderbare E i n h e i t und innerliche G e d a n k e n ü b e r e i n s t i m m u n g nehmen wir nichtsdestoweniger zwischen allen ihren Theilen wahr, sobald wir es uns angelegen seyn lassen, alle Einzelheiten derselben genauer ins Auge zu fassen. Welch ein augenfälliger U n t e r s c h i e d zwischen S t e n g e l , B l a t t und B l u m e , ja zwischen den einzelnen Theilen einer und derselben Blume, zwischen Kelch und K r o n e , zwischen den S t a u b g e f ä s s e n und dem zur Frucht heranreifenden S a m e n g e h ä u s e , dem F r u c h t k n o t e n ! Und dennoch hat eine aufmerksame Yergleichung und Betrachtung aller Einzelheiten dieser Theile unabweisbar dargethan, dass nur ein e i n z i g e r , in dem innersten Wesen einer jeden Pflanze tiefbegründeter e i n h e i t l i c h e r G r u n d g e d a n k e es ist, welcher durch alle diese scheinbar so verschiedenartigen Gebilde sich hindurchzieht. Wie Ein gemeinschaftlicher L e b e n s s a f t und Eine gemeinschaftliche L e b e n s k r a f t es ist, welche t r e i b e n d und g e s t a l t e n d , vom ersten Beginn des K e i m e n s an, die ganze Pflanze d u r c h f l u t h e t und alle ihre einzelnen Theile in ordnungsmässiger A u f e i n a n d e r f o l g e , einen jeden zu s e i n e r Zeit und an seinem Orte, an den Tag bringt: so ist es auch jener Einheitliche G r u n d g e d a n k e , welcher, nachdem er den e r s t e n G r u n d und A n s t o s s zu S t e n g e l und W T u r z e l gelegt, nun in den K e i m b l ä t t e r n , den W u r z e l b l ä t t e r n und den S t e n g e l b l ä t t e r n , von Stufe zu Stufe sich immer weiter u m w a n d e l t , bis er endlich in der B l ü t h e und der aus ihr hervorgehenden F r u c h t seinen h ö c h s t e n Ausdruck in dem Bereiche seines unmittelbaren Wirkungskreises gefunden hat.

42 No. 21.

Die Einheit der Natur.

Die Pflanze, ein Sinnbild des gesammten Naturlebens.

Die Natur selbst hat die P f l a n z e in die Mitte hingestellt zwischen T h i e r und Quarz. Aber nicht allein die Mitte zwischen den drei Reichen der g e s t a l t e t e n Natur nimmt sie ein: sie bildet in ganz der gleichen Weise auch die v e r b i n d e n d e Mitte selbst zwischen den beiden äussersten G r ä n z g e b i e t e n alles natürlichen Daseyns: der allgemeinen S t o f f - und K ö r p e r w e l t einerseits und der G e i s t e r welt anderseits. Wie sie an die Ersteren durch das u n t e r ihr stehende Reich der Quarze, sich anschliesst: so an die Letztere durch die Vermittelung des über ihr stehenden T h i e r r e i c h e s . Daher besitzen wir in der Pflanze so recht eigentlich ein Sinnbild des g e s a m m t e n L e b e n s und Webens der N a t u r , von dessen n i e d r i g s t e n Daseynsweisen an bis hinauf zu seinen h ö c h s t e n . Der gemeinsame S t a m m oder S t e n g e l , mit seinen vielfachen Asten und Zweigen, stellt uns das Bild der gesammten S t o f f - und K ö r p e r weit vor Augen, jenes geheimnissvollen U r g r u n d e s , auf welchen alle höheren Daseynsformen uns zurückweisen, als auf ihren gemeinsamen e r s t e n A u s g a n g s p u n k t , Die K e i m b l ä t t e r treten am ganzen Pflanzenkörper als die e r s t e n eigentlichen B l a t t g e s t a l t e n uns entgegen. Ihnen entsprechen, im allgemeinen Haushalte der Natur, jene ringsum nach ganz bestimmten Gesetzen regelrecht ausgestalteten Q u a r z k ö r p e r oder K r y s t a l l b i l d u n g e n , in welchen eine bis dahin noch unthätig schlummernde wirkliche G e s t a l t u n g s k r a f t ihren ersten naturgemässen Ausdruck findet. Mit dem e r s t e n allseitig regelrecht gebildeten Q u a r z e aber hat die Natur sich selber l o s g e r i s s e n von dem bis dahin noch auf ihr liegenden Banne natürlicher G e s t a l t l o s i g k e i t : eine Thatsache, mit welcher wir im Geiste bereits eingetreten sind in das erste und darum auch noch u n t e r s t e Gebiet der g e s t a l t e t e n N a t u r ; gleichzeitig damit aber auch in

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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das gesammte Bereich der Quarz, Pflanze und Thier g e m e i n sam in sich einschliessenden „drei R e i c h e der N a t u r " . An die W u r z e l b l ä t t e r sehen wir im Pflanzenreich die S t e n g e l b l ä t t e r sich anschliessen. Nicht nur in Bezug auf Gr est a l t , sondern häufig auch in Bezug auf F ä r b u n g , von unten nach oben den K e l c h b l ä t t e r n , und damit der B l ü t h e selbst, sich n ä h e r n d , stellen sie uns das Reich des t h i e r i s c h e n L e b e n s vor Augen, wie es schliesslich in seinen höchsten Gestaltungen an die B l ü t h e der g e s a m m t e n W e l t o r d n u n g , an die G e i s t e r w e l t , sich anschliesst. Die Blüthe h a t , zu ihrer äussersten U m h ü l l u n g , die den obersten Stengelblättern am verwandtesten K e l c h b l ä t t e r : sie deuten auf das u n t e r s t e Reich der G e i s t e r w e l t , den M e n s c h e n , hin, als der S p i t z e und K r o n e alles auf dieser Erde uns bekannten Naturlebens. Wie die B l ü t h e aber nicht einzig und allein n u r aus dem Kelche, sondern gleichzeitig auch aus der die Werkzeuge zur F r u c h t - und S a m e n b i l d u n g in sich einschliessenden B l u m e n k r o n e besteht: so will es uns scheinen, als solle eben dieses sinnbildliche Verhältniss unser Augenmerk auch noch auf eine andere Möglichkeit hinlenken. Wohl ist es allerdings die M e n s c h h e i t , welche wir als die a l l e i n i g e Vertreterin eines wirklichen G e i s t e s l e b e n s auf dieser unserer E r d e zu betrachten haben: sollten wir Menschen, in Folge dessen, uns aber auch wirklich als dessen a l l e i n i g e V e r t r e t e r betrachten dürfen auch für jene unermesslichen Räume, welche das g e s a m m t e W e l t a l l auch sonst noch in sich einschliesst? Lehrt uns doch eine genaue Erforschung des Himmels, dass alle H i m m e l s k ö r p e r , je w e i t e r sie von der Sonne e n t f e r n t sind, in demselben Verhältniss aus um so f e i n e r e n und l e i c h t e r e n , ja wir möchten sagen aus um so v e r g e i s t i g t e r e n S t o f f e n gebildet sind! Und sollten wir, in Folge dessen, nicht auch zu der weiteren Annahme uns berechtigt fühlen, dass eben jene weit entlegenen Himmelsräume auf ihren verschiedenen

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Die Einheit der Natur.

Himmelskörpern könnten R a u m und S t ä t t e bieten auch selbst für natürliche G e i s t e s w e s e n von noch weit h ö h e r e r und v o l l k o m m e n e r e r Art, als solches in Bezug auf unseren eigenen, aus weit g r ö b e r e n und s c h w e r e r e n Stoffen zusammengesetzten i r d i s c h e n Wohnsitz wohl schwerlich jemals in Wirklichkeit hätte der Fall seyn können? Aber auch noch eine andere, wohl nicht minder bedeutungsvolle Andeutung liefert uns die Pflanze in ihrer natürlichen Stellung als das von b e i d e n Daseynsgränzen g l e i c h weit entfernt stehende gemeinschaftliche S i n n b i l d aller natürlichen L e b e n s e n t f a l t u n g e n innerhalb dieser sichtbaren Welt. Alle B l a t t f o r m e n , vom ersten und untersten K e i m b l a t t an bis hinauf zu dem F r u c h t k n o t e n und den S t a u b g e f ä s s e n zeigen sich dem aufmerksamen Forscher allerdings als e b e n s o v i e l e immer h ö h e r sich steigernde und einem ganz bestimmten E n d z w e c k zustrebende stufenweise Umw a n d l u n g e n eines und d e s s e l b e n G r u n d b e g r i f f e s : nämlich des allgemeinen B l a t t b e g r i f f e s . Jener höhere Endzweck aber, dem alle diese Umwandlungen z u s t r e b e n , ist kein anderer als die Hervorbringung der B l ü t h e und der in ihr eingeschlossenen Möglichkeit der S a m e n b i l d u n g , d. h. der F o r t e r h a l t u n g einer jeden besonderen Pflanzena r t auch noch ü b e r die Lebensdauer der einzelnen Pflanzen h i n a u s . Indessen dürfen wir, selbstverständlich, alle diese soeben erwähnten stufenweisen U m w a n d l u n g e n und Umg e s t a l t u n g e n des allgemeinen Blattbegriffes keineswegs in dem Sinn auffassen, als ob die an einem Stengel oder Stamm bereits v o r h a n d e n e n Blätter s e l b e r , und als s o l c h e , sollten im Stande seyn, jemals sich irgendwie in eine h ö h e r e Blattform d e s s e l b e n Stengels umzuwandeln. Jene ursprüngliche blosse Entwickelungs- und Umgestaltungsfähigkeit kann vielmehr nur in der Weise von uns zu verstehen seyn, dass an dem h e r a n w a c h s e n d e n Stamm oder Stengel ein natürlicher U b e r g a n g aus einer anfänglichen blossen Mög-

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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l i c h k e i t in den Zustand einer thatsächlichen Verwirkl i c h u n g von der Natur selbst erst für eine s p ä t e r e Z e i t vorausgesehen und v o r a u s b e s t i m m t ist, und zwar für eine jede besondere P f l a n z e n g a t t u n g nach den derselben eigentümlichen besonderen Entwickelungs- und Wachsthumsgesetzen. Hieraus geht aber, der Natur der Sache nach, gleichzeitig auch hervor, dass eben jener U b e r g a n g , wie erst zu einer s p ä t e r e n Zeit, so, in gleichem Verhältniss, auch erst an einem um soviel h ö h e r gelegenen Orte, des in seinem Wachsthum immer weiter voranschreitenden Stammes oder Stengels, seine eigentliche natürliche V e r w i r k l i c h u n g thatsächlich zu f i n d e n im Stande ist. Mit allen diesen Verhältnissen ist aber, erfahrungsgemäss, gleichzeitig auch verbunden, dass alle an einem Stamme oder Stengel stufenweise hervorwachsenden B l ä t t e r , mit ihrem höheren Standpunkt, auch eine demselben entsprechende Veränderung, sey es in Bezug auf äussere G e s t a l t , Grösse oder F ä r b u n g , allewege an den Tag legen. N i m m e r m e h r vermag dagegen ein K e i m b l a t t jemals die Gestalt eines W u r z e l b l a t t e s anzunehmen, noch umgekehrt ein Wurzelblatt diejenige eines Keimblattes, oder ein S t e n g e l b l a t t die Gestalt eines B l u m e n b l a t t e s u. s. w. Die Natur selbst gibt uns hier gleichsam einen F i n g e r z e i g in Bezug auf ihr geheimstes Wirken und Walten, einen Fingerzeig, den wir gewiss nicht unberücksichtigt lassen dürfen, wenn wir nicht wollen Gefahr laufen, in weit abführende Irrgänge uns zu verlieren. Alle Vergleiche h i n k e n : ihre Uberzeugungskraft geht nur bis zu einem gewissen Grade, eben weil zwischen dem gewählten S i n n b i l d und den Verhältnissen, welche durch die Vergleichung mit ihm sollen e r l ä u t e r t werden, bei aller Ähnlichkeit doch stets auch nicht zu übersehende V e r s c h i e d e n h e i t e n obwalten. So auch hier. Wohl finden sich für den aufmerksamen Beobachter mancherlei Ubergänge zwischen den einzelnen B l a t t f o r m e n einer und derselben

46

Die Einheit der Natur.

Pflanze, welche sich augenscheinlich als v e r m i t t e l n d e Z w i s c h e n f o r m e n zu erkennen geben. Dass desshalb aber auch zwischen den einzelnen N a t u r r e i c h e n , als solchen, derartige vermittelnde Z w i s c h e n - oder U b e r g a n g s s t u f e n ebenfalls vorhanden seyn müssten: hierfür besitzen wir bis jetzt noch k e i n e nur irgendwie genügenden Beweise. Wohl kennen wir einfache Thier- und Ptlanzenformen, von denen selbst die gelehrtesten Forscher, wie wir oben gesehen, im Zweifel sind, ob dieselben in Wahrheit zum Pflanzen- oder zum Thierreich müssen gerechnet werden. Aber noch kein Naturforscher hat jemals ein, wenn auch noch so einfaches Naturwesen aufgefunden, welches, als wirkliche Z w i s c h e n f o r m zwischen P f l a n z e und T h i e r , die Eigenschaften b e i d e r Naturreiche vollkommen gleichmässig und gleichberechtigt in sich v e r e i n i g t e . Es darf uns dieses aber nicht wundern, denn wir haben ja eben an unserem Beispiele ersehen, dass kein einziges B l a t t , mag der ihm zu Grunde liegende Begriff auch ein noch so einfacher oder ein noch so vielgegliederter seyn, jemals im Stande ist, aus einem a n d e r e n bereits v o r h a n d e n e n B l a t t hervorzugehen, sondern dass stets nur d e r s e l b e g e m e i n s c h a f t l i c h e S t a m m mit seinen einzelnen Asten und Zweigen es ist, a u s welchem sie alle n a c h e i n a n d e r in ihrer gesetzmässigen Ordnung und Gestaltung sich herausbilden. So müssen wir also aus allen diesen Thatsachen schliessen, dass auch das g l e i c h e Gesetz in seiner Weise bei allen Entwickelungsverhältnissen der gesammten Natur seine G e l t u n g habe. Alle, in Bezug auf einen einstigen Urzustand unserer Erde, von Seiten der Naturforschung bis jetzt zu Tage geförderten Thatsachen weisen uns darauf hin, dass sowohl die G e i s t e r w e l t , wie die T h i e r - und P f l a n z e n w e l t nebst dem Q u a r z r e i c h einst aus einem ihnen Allen gemeinsamen Grund und Boden müssen h e r v o r g e g a n g e n seyn. Als eben diesen allgemeinen und uranfänglichen W e l t g r u n d vermögen sich uns aber

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

keine nur

anderen allein

natürlichen

diejenigen,

hervorgehoben, völlig

gelernt

ähnliches, sogar

allgemeine

haben.

ja,

dem

Ist

bereits

als

mehrfach

Stoff-

und

Körperwelt

wie

Kern

dasjenige,

der

Sache

welches,

nach,

wie

wir

allezeit statthat auch in Bezug auf die an einem

jeden P f l a n z e n s t a m m

und dessen Asten und Zweigen sich

hervorbildenden

einzelnen

in

mannigfachen

allen

darzustellen,

wie

dies Alles aber nicht ein ganz

eigentlichen

gleiches Verhältniss

gesehen,

wir,

in ihrer Gesammtheit, als die in sich noch

ungestaltete

kennen

Daseynsweisen

welche

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ihren

Grundgepräge

ihrer

Blattformen? Gestaltungen,

natürlichen

Kein R o s e n s t o c k

Stamm

oder

Stengel

alle

das

müssen,

natürliche

Pflanzenart

und diesem unter allen Umständen weisen.

Sie

bewahren,

entsprechend

sich er-

ist daher im Stande, aus seinem

jemals

die

Blätter

oder

einer Nelke oder L i l i e hervorgehen zu lassen.

Blüthen

Und ebenso-

wenig vermag ein Rosenstock den bereits an ihm v o r h a n d e nen

Blättern,

durch

natürliche

Umwandlung

der Zeit die Gestalt irgend einer a n d e r e n Pflanzengattung zu verleihen.

jemals

mit

Pflanzenart oder

Als völlig abenteuerlich müss-

ten wir es aber bezeichnen, wenn jemand irgendwie im Ernste dem Gedanken Raum geben wollte, als vermöchte aus einem P f l a n z e n s a m e n jemals ein wirkliches T h i e r hervorzugehen, oder als

sey,

im Verlauf

der allgemeinen

Weltentwicke-

l u n g , es jemals möglich gewesen, dass mit der Länge der Zeit

Pflanzenarten

schaft,

zu dieser

werden können.

schliesslich,

oder jener

in

ihrer

wirklichen

NachkommenThierart

hätten

Gleichzeitig geht aber, als natürliche Folge-

rung hiervon, im Weiteren auch die

natürliche

Unmög-

l i c h k e i t hervor, dass es jemals auf unserer Erde sogenannte ZwischenPflanze, Thieren tung

oder

Übergangsstufen

zwischen

Pflanze

und M e n s c h e n

könnte

gegeben

und

zwischen Quarz Thier,

oder

und

zwischen

in dem Sinn und in der Bedeu-

haben,

dass

die wirklichen

Vertreter

48

Die Einheit der Natur.

solcher Zwischenstufen sämmtliche Eigenschaften, Vermögen und Kräfte der betreffenden b e i d e n Naturreiche oder Naturgebiete in ihrer ganzen Gesammtheit einheitlich in sich einzuschliessen vermocht hätten. No. 22.

Ahnendes Hinüberspielen aus einem niedrigeren Naturreich in das ihm zunächst höhere.

Vermissen wir aber auch in der Natur jeglichen wirklichen Üb er gang von einem Naturgebiet und von einem Naturreich in das andere, in der oben angeführten Weise, nämlich als Vorhandenseyn wirklich und wesenhaft bestehender Z w i s c h e n s t u f e n : so begegnen wir denselben um so deutlicher in mannigfachen a n d e r e n B e z i e h u n g e n . Wir haben bereits weiter oben auf die Ä h n l i c h k e i t hingewiesen, welche unverkennbar zwischen den einzelnen N a t u r g e b i e t e n und Naturreichen, bei genauer Vergleichung ihrer einzelnen Formen, an den Tag treten. Diese Ä h n l i c h k e i t e n waren es, welche uns dahin geführt haben, in dem Gebiete der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r zugleich die e r s t e n A u s g a n g s p u n k t e zu erkennen auch selbst für alle jene h ö h e r e n L e b e n s g e s t a l t u n g e n , welche wir allenthalben um uns her erblicken. Aber ebenso weisen diese Ä h n l i c h k e i t e n uns auch noch darauf hin, dass sie selber ihren t i e f e r e n G r u n d nur in der gemeinschaftlichen Theilnahme an einem und demselben e i n h e i t l i c h e n G r u n d g e d a n k e n finden können, welcher die gesammte Natur in ganz der gleichen oder ähnlichen Weise b e l e b e n d , t r e i b e n d und g e s t a l t e n d durchwaltet und durchfluthet, wie solches auch bei der P f l a n z e in Bezug auf ihre besonderen Gestaltungen der Fall ist. Einem jeden einzelnen N a t u r r e i c h e , einem jeden einzelnen N a t u r g e b i e t e liegt dieser allgemeine Naturgedanke zu G r u n d e ; aber einem jeden in seiner besonderen Bedeutung: den n i e d r i g e r stehenden Lebens- und Daseynsgebieten in einer e i n f a c h e r e n , den h ö h e r stehenden in einer

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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v o l l e n d e t e r e n und a u s g e b i l d e t e r e n Weise. In einem jeden h ö h e r e n Naturgebiet haben wir somit allezeit denselben und g l e i c h e n G r u n d g e d a n k e n vor Augen, welchem wir auch auf den u n t e r ihm stehenden Daseynsstufen begegnen. Doch dürfen wir hierbei nicht ausser Acht lassen, dass mit allen diesen stufenweisen E r h e b u n g e n jenes an sich ursprünglich noch ganz allgemeinen G r u n d g e d a n k e n s alles in dieser Welt Vorhandenen, sowohl eine dieser innerlichen G e d a n k e n s t e i g e r u n g genau entsprechenden W e s e n s s t e i g e r u n g , als auch eine ebenso genau entsprechende h ö h e r e und e d l e r e äusserlich-körperliche A u s g e s t a l t u n g mit innerer Notwendigkeit sich immer weiter entwickeln müssen. Sprechende Zeugnisse für eben die im Bisherigen besprochenen Verhältnisse liefern uns beispielsweise die in Ostindien, in China und in den Mollucken lebenden K l e t t e r f i s c h e (Anabas), sowie der zu den f l i e g e n d e n F i s c h e n gehörige und in südamerikanischen Gewässern einheimische „ H a s s a r " (Doras costata). Die K l e t t e r f i s c h e leben tagelang a u s s e r dem W a s s e r , und klettern sogar in einiger Entfernung vom Ufer auf die B ä u m e , um auf diesen Jagd auf Insekten zu machen. Dagegen vermag der H a s s a r ziemlich weite Reisen ü b e r L a n d zu machen und wandert wohl eine ganze N a c h t h i n d u r c h , um neues Wasser aufzusuchen. Die S c h i l d e r , welche seinen Leib bedecken, sowie die h a r t e n F l o s s e n s t r a h l e n der Bauchflossen — sagt H A R T W I G — befähigen ihn zu einer so langen Landreise. Gleichzeitig zeichnet er sich aber auch aus durch eine grosse M u t t e r liebe, indem er für seine Jungen zwischen Wasserpflanzen nicht nnr ein vollständiges Nest baut, welches als ein wahres Kunstwerk darf betrachtet werden, und welches er mit der grössten mütterlichen Sorgfalt auf das wackerste v e r t h e i d i g t , um die junge Brut, bis sie ausschlüpft, gegen jeden Angriff zu schützen. Im April beginnt er, sein W o c h e n b e t t zwischen Grashalmen und Binsen zu bauen. Eine für die Wandersmann.

I.

4

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Die Einheit der Natur.

Grösse der Mutter angemessene Öffnung führt in das Innere dieses Nestes (G. Habtwig: Leben des Meeres; S. 181 u. 182). — Sollten wir aber in diesen T h a t s a c h e n nicht bereits eine, wenn auch noch so dunkle V o r a h n u n g von Naturverhältnissen zu erblicken und auch a n z u e r k e n n e n haben, welche erst auf einer s p ä t e r e n und darum auch h ö h e r e n S t u f e des allgemeinen Thierlebens zu ihrer vollen Verwirklichung und Ausgestaltung zu gelangen, von der Natur selbst bestimmt sind? Als die natürlichen Vertreter eben dieser höheren Daseynsstufe, auf welche gerade jene Vermögen des F l i e g e n s , des K l e t t e r n s und des N e s t e r b a u e n s das Auge des Geistes vorzugsweise hinlenken, können wir aber unverkennbar nur allein die Vogelwelt betrachten. Denn was dorten gleichsam nur erst als dunkle A h n u n g aufgetreten: das hat h i e r seine vollgültige V e r w i r k l i c h u n g gefunden. Alle diese wechselseitigen Verhältnisse können aber unmöglich das Werk eines b l i n d e n Z u f a l l s seyn: sie weisen im Gegentheil darauf hin, dass wir uns, zum Zweck einer naturgemässen Erklärung, nach einem anderen und t i e f e r liegenden Grund umsehen müssen. Versuchen wir es aber, die eben besprochenen Verhältnisse im Geiste nach rückwärts bis zu ihrem l e t z t e n U r s p r u n g zu verfolgen: so vermögen wir denselben nur in jenem bereits weiter oben erwähnten und in sich völlig einheitlichen geistigen oder g e i s t e s v e r w a n d t e n U r g r u n d unserer gesammten Weltordnung zu erblicken, d. h. nur in einem ersten und letzten U r - und G r u n d g e d a n k e n alles in dieser Welt Vorhandenen. In ihm müssen, ohne alle und jede Ausnahme, alle natürlichen W e s e n h e i t e n , sammt allen dieselben betreffenden sonstigen V e r h ä l t n i s s e n , von Uranfang an g e m e i n s c h a f t l i c h und einheitlich e n t h a l t e n und eingeschlossen liegen. Von h i e r aus müssen sie daher einst, in irgend einer naturgemässen Weise, ihren e r s t e n A u s g a n g genommen haben, und von h i e r aus vermögen wir daher auch allein geistige E i n b l i c k e ,

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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und demgemäss auch eine naturgemässe E r k l ä r u n g uns zu erschliessen auch in Bezug auf unsere gegenwärtigen Untersuchungen. Denn auch jene eigenthümlichen Vorausa h n u n g e n , denen wir erfahrungsgemäss auf an sich noch n i e d r i g e r e n D a s e y n s s t u f e n begegnen, ohnerachtet sie ihre thatsächliche V e r w i r k l i c h u n g erst auf einem zunächst h ö h e r e n Naturgebiete zu finden b e s t i m m t sind: auch sie vermögen eine befriedigende Erklärung allewege nur aus jenem ureinheitlichen G r u n d g e d a n k e n herzuleiten, von welchem aus dereinst alles natürliche Daseyn dieser Welt seinen w e s e n h a f t e n A u s g a n g genommen hat. Doch kehren wir nunmehr wieder zurück zu dem R e i c h der Quarze. Der natürliche G r u n d g e d a n k e dieses an sich noch e i n f a c h s t e n der drei Naturreiche, welcher dasselbe wie ein belebender Hauch allseitig durchwaltet, ist es, von welchem gleichzeitig auch Alles, was dasselbe, in seiner Gesammtheit wie im Einzelnen, betrifft, allezeit seinen näheren oder entfernteren Ausgang nimmt. Mit den e i n f a c h s t e n , regelmässigsten und der allgemeinen Grundgestalt der K u g e l noch verwandtesten Gestalten sehen wir dasselbe b e g i n n e n , um von diesen aus mehr und mehr überzugehen auch zu den wirklich e b e n m ä s s i g e n oder s y m m e t r i s c h e n , d. h. mit einem thatsächlichen Oben und U n t e n , einem R e c h t s und L i n k s , und einem Vornen und H i n t e n ausgerüsteten Gestaltungen. Als die höchsten und edelsten Bildungen des Q u a r z r e i c h e s , über welche noch weiter hinauszuschreiten demselben n i c h t gegeben ist, haben wir aber vor Allem jene zierlichen und durch ihre ganze Erscheinung an die s c h ö n s t e n Gestaltungen des P f l a n z e n r e i c h e s erinnernden moos- oder b a u m a r t i g e n Bildungen zu betrachten, denen wir nicht selten bei M e t a l l e n , namentlich bei K u p f e r , Silber und Gold begegnen, die wir am leichtesten und häufigsten aber an unseren g e f r o r e n e n F e n s t e r s c h e i b e n zu beobachten Gelegenheit haben. Aus allen diesen Erscheinungen 4*

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D i e Einheit der Natur.

ersehen wir aber klar, wie schon in diesem u n t e r s t e n der drei Naturreiche ein e r s t e r i n n e r e r A u f s c h w u n g oder eine e r s t e , wenn auch noch so d u n k l e A h n u n g von Naturverhältnissen unverkennbar uns entgegentritt, welche erst im nächstfolgenden Naturreich, dem eigentlichen P f l a n z e n l e b e n , seine thatsächliche V e r w i r k l i c h u n g naturgemäss finden soll. Daher sagt auch SCHARFF, im Hinblick hierauf, dass „überall im Reich der K r y s t a l l e ein Bestreben sich zeige, zur höheren P f l a n z e n f o r m sich a u f z u s c h w i n g e n " (SCHABFF : Kryst. u. Pfl. S. 1 1 7 . GÖTHE: Band XXXVI. S. 6 3 : Metamorphose d. Pflanze). Wer sollte aber, bei dergleichen Wahrnehmungen, nicht unwillkürlich erinnert werden an jene ganz ä h n l i c h e n und v e r w a n d t e n E r s c h e i n u n g e n und Thatsachen, welche wir bereits weiter oben in Bezug auf ein gleiches Wechselverhältniss zwischen F i s c h e n und Vögeln kennen gelernt haben? Trotz alledem aber zeigt eben diese dem Q u a r z r e i c h innewohnende eigenthümliche Ges t a l t u n g s k r a f t sich völlig u n v e r m ö g e n d , selbst diesen ihren höchsten und an die Erscheinungen im P f l a n z e n r e i c h bereits so n a h e herantretenden Gestaltungen nun auch wirklich jene h ö h e r e L e b e n s k r a f t einzuhauchen, welche wir e r s t in dem der P f l a n z e eigenthümlichen F o r t p f l a n z u n g s v e r m ö g e n zu ihrer naturgemässen Geltung gelangen sehen. Wie Moses einst vom Berge Nebo herab in das gelobte Land soll h i n e i n g e s c h a u t haben, ohne dass es ihm vergönnt seyn sollte, dasselbe jemals selber zu b e t r e t e n : ebenso gewahren wir auch hier, in Bezug auf unseren obigen Gegenstand, ein ganz v e r w a n d t e s Verh ä l t n i s s . Auch das Q u a r z r e i c h bekundet in den erwähnten Gestaltungen einen gewissen und gleichsam wie von einer d u n k l e n A h n u n g begleiteten natürlichen E i n b l i c k in h ö h e r e L e b e n s - und G e s t a l t u n g s w e i s e n , zu deren tliatsächliclien Durchführung ihm jedoch, seiner eigenen Natur und seinein eigenen G r u n d g e d a n k e n nach, alle natür-

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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liehen Mittel und Kräfte fehlen. Denn zu einer gründlichen und erfolgreichen Verwirklichung dieses neuen und h ö h e r e n L e b e n s g e d a n k e n s muss die Natur nicht nur ein h ö h e r e s , sondern auch ein im gleichen Grad vers t ä r k t e s Maass von Kräften und Vermögen in W i r k s a m k e i t treten lassen, welche bis dahin, d. h. auf ihrer bisherigen noch n i e d r i g e r e n Daseynsstufe, in völliger Unthätigkeit g e s c h l u m m e r t hatten. Die Natur muss somit, gewissermaassen schon von u n t e n h e r a u f , bereits die ersten und noch einfachsten p f l a n z l i c h e n W e s e n h e i t e n mit dem entsprechenden Maasse eben jener höheren L e b e n s - u n d G e s t a l t u n g s k r ä f t e ausrüsten, durch die das P f l a n z e n r e i c h , seinem gesammten Grundgedanken nach, allezeit so wesentlich vor allen Gestaltuugen des Q u a r z r e i c h e s sich auszeichnet. Ganz ähnliche Thatsachen stellt uns aber auch das P f l a n z e n r e i c h vor Augen gegenüber dem T h i e r r e i c h . Wie die S i n n e s w a h r n e h m u n g , so ist auch die in ihr mitbegründete eigentlich w i l l k ü r l i c h e B e w e g u n g der Pflanze und ihren Theilen fremd. Allein je n ä h e r , bei den höher entwickelten Pflanzen, der Augenblick der B e f r u c h t u n g herbeikommt: um so mehr sehen wir, zwischen den verschiedenen B e f r u c h t u n g s w e r k z e u g e n ihrer Blüthen Erscheinungen zu Tage treten, welchen wir sonst nur bei wirklichen T h i e r e n zu begegnen gewohnt sind. Die weibl i c h e n Theile scheinen eine g e h e i m n i s s v o l l e A n z i e h u n g auf die Träger des m ä n n l i c h e n S t a u b e s auszuüben. Es ist, als ob diese letzteren die N ä h e und B.eife der Ersteren schon aus der F e r n e wahrzunehmen im Stande wären. Denn um diese Zeit neigen die S t a u b f ä d e n von selbst zu der weiblichen N a r b e sich hin, um ihren b e f r u c h t e n d e n Staub über dieselbe a u s z u s c h ü t t e n . Das Gesetz der Schwere ist hierbei unmaassgebend und die ganze Erscheinung trägt, wenigstens nach aussen hin, vollkommen das

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Die Einheit der Natur.

Gepräge einer wirklich w i l l k ü r l i c h e n Bewegung. Auch hier also ein thatsächliches E r w a c h e n eines h ö h e r e n Lebenstriebes, ein H i n ü b e r g r e i f e n und ein H i n ü b e r s p i e l e n in die Thätigkeiten eines h ö h e r e n L e b e n s k r e i s e s , verbunden mit einer gewissen d u n k l e n A h n u n g späterer Daseynsverhältnisse, bei welchem es jedoch auch in diesem Fall sein natürliches Bewenden hat. Denn auch die Pflanze vermag über diese e r s t e n A n d e u t u n g e n , über diese blossen H i n w e i s e auf eine nachfolgende höhere Daseynsstufe, ihrem gesammten G r u n d g e d a n k e n und also auch ihrer gesammten N a t u r a n l a g e nach, es nicht zu bringen. Die N a t u r s e l b e r hat somit — dies geht aus allen unseren bisherigen Untersuchungen unverkennbar hervor — allen ihren Entwickelungsverhältnissen ihr n a t ü r l i c h e s Ziel gesetzt, d a r ü b e r h i n a u s zu gehen es keinem Daseynsgebiete, auf welcher so n i e d r i g e n oder so h o h e n W e s e n s s t u f e es auch stehen mag, jemals gegeben sein kann. Xo. 23. Ähnliche Vorkommnisse zwischen der allgemeinen Körperwelt und dem Reich der Quarze, sowie zwischen dem Thierreich und der Geisterwelt. Wir haben in den vorstehenden Beispielen unser Augenmerk nur auf die gegenseitigen Verhältnisse zwischen den d r e i R e i c h e n d e r N a t u r gerichtet. Allein wir begegnen auch ganz ä h n l i c h e n Erscheinungen und Thatsachen sowohl zwischen der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r und dem Reich der Q u a r z e , wie zwischen dem T h i e r r e i c h und der eigentlichen G e i s t e r w e l t . Befeuchten wir z. B. einen etwas stärkeren Bogen Fliesspapier an verschiedenen Stellen mit einzelnen Tröpfchen von L ö s u n g e n v e r s c h i e d e n e r Stoffe, und zwar in solcher E n t f e r n u n g von einander, dass die einzelnen Tröpfchen bei ihrer Ausbreitung im Papiere sich gegenseitig b e g e g n e n , bevor sie vollständig vertrocknet sind: so sehen wir die schönsten und eigenthümlichsten, in man-

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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chen Fällen sogar wahrhaft b l u m e n ä h n l i c h e n Zeichnungen und Farbenbilder auf dem Papier entstehen. Es ist nicht zu verkennen, dass geheimnissvolle, in der b e s o n d e r e n N a t u r der a n g e w a n d t e n S t o f f e begründete Gesetze es sind, welche in eben diesen Erscheinungen sich kund geben: Gesetze, welche einerseits in ihrer thatsächlichen Wirksamkeit ebenso sehr an die r e g e l m ä s s i g e G e s t a l t u n g s w e i s e erinnern, welcher wir zuerst in dem Reich d e r Q u a r z e in ihrer vollen Entwickelung begegnen, als sie anderseits sich auch völlig v e r s c h i e d e n von denselben darstellen. Denn keine der eben erwähnten und in gewissem Sinn doch auch n a t u r w ü c h s i g e n Gestaltungen sehen wir in d e r j e n i g e n Weise sich bilden, welche erfahrungsgemäss dem u n t e r s t e n der drei Naturreiche ausschliesslich zukommt. Es sind vielmehr N a t u r z e i c h n u n g e n von ganz eigentümlicher Art. Durch eine von der i n n e r e n N a t u r der angewandten S t o f f e abhängige R e g e l m ä s s i g k e i t , welche wohl dem u n t e r s t e n Reich der g e s t a l t e t e n Natur zukommt, keineswegs aber in gleicher Weise auch schon dem Gebiete der noch u n g e s t a l t e t e n Natur, zeichnen sie auf den ersten Blick vor allen s o n s t i g e n G e b i l d e n der ungestalteten wie der gestalteten Natur sich aus. Wer jemals die von RUNGE herausgegebenen Blätter mit solchen Naturzeichn u n g e n aus dem Gebiete der noch ungestalteten Natur mit Aufmerksamkeit betrachtet hat, der wird sich wohl kaum des Gedankens entschlagen können, dass schon hier ein h ö h e r e s E t w a s , ein Streben nach einer h ö h e r e n A r t von Lebensäusserung sich a u s s p r i c h t , als wir solche sonst im Gebiete der allgemeinen Stoff- und Körperwelt wahrzunehmen gewohnt sind (RUNGE: Der Bildungstrieb d. Stoffe, veranschaulicht in selbstgewachsenen Bildern). Doch fassen wir, in ähnlicher Beziehung, nun auch die Verhältnisse zwischen T h i e r und Mensch, d. h. zwischen dem Gebiete des n a t ü r l i c h e n S e e l e n l e b e n s und dem-

Die Einheit der Natur.

56

jenigen des eigentlichen G e i s t e s l e b e n s ,

näher in das Auge.

Im T h i e r r e i c h e

haben wir die h ö c h s t e Entvvickelungsstufe

vor

das

uns,

welche

bis jetzt,

natürliche

Seelenleben,

wenigstens

auf dieser unserer Erde zu erreichen im Stande

gewesen ist.

So n a h e aber auch das T h i e r r e i c h ,

nament-

lich in seinen h ö h e r e n

Geschlechtern und Arten, in man-

cherlei

den M e n s c h e n

Beziehungen

bestimmte

ihm

an

von

der

Natur

selbst

vermag es n i c h t zu überschreiten.

herantritt: gezogene

natürlichen

Denkvermögens,

wie

mit seinen s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g e n auch

sein

gesammtes

Denk-

und

wie

innerer

allein seine s i n n l i c h e n

kennt

Begehrungsvermögen

Anreizungen

lichkeiten,

Denn

einzig und allein

und also auch

Anschauungen.

unleugbar

zukommt.

Dinge dieser Welt b e s c h r ä n k t ,

keine anderen Gegenstände, zu

Umfang

solches

a l l e n Angehörigen desselben a u s n a h m s l o s auf die s i c h t b a r e n

Gränze

Dieselbe findet sich am

deutlichsten ausgesprochen in dem b e s c h r ä n k t e n des

eine

äusserer

keine

anderen

Thätigkeit,

Erfahrungen und seine

denn

sinnlichen

Daher kennt es auch nur n a t ü r l i c h e W i r k und nur

diese

allein

sind

demgemäss

ver-

mögend, äussere A n r e i z u n g e n zu einem wirklichen D e n k e n auf dasselbe dagegen,

auszuüben.

und

mit

Alle

diesen

höheren

also

auch

Erkenntnisswege eine jede

natürliche

B e f ä h i g u n g zu einer wirklich g e i s t i g e n Erfassung h ö h e r e r Wahrheiten,

welche über die bloss

sinnlich-wahrnehm-

b a r e Wirklichkeit h i n a u s g e h e n : auch solche zu e r k e n n e n , ist dem T h i e r e , seiner gesammten Naturanlage nach,

nicht

gegeben.

Und aus eben diesen Gründen ist das T h i e r auch

natürlich

unfähig

lichen solchen

zu einer jeden

eigentlichen

geschicht-

Weiterbildung seines inneren Wesens, wie wir einer in

der

Geschichte

der

Menschheit

begegnen.

Trotz dieses M a n g e l s an allgemeinem geschichtlichen bildungsvermögen namentlich

in

treffen

dessen

wir

höheren

aber im

Thierreich

Geschlechtern

und

Fortund Arten

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

57

auf ein gewisses p e r s ö n l i c h e s B i l d u n g s v e r m ö g e n , welches in gar manchen Beziehungen als mit dem des Menschen v e r g l e i c h b a r sich darstellt. Wem sind z. B. die K u n s t f e r t i g k e i t e n unbekannt, welche der H u n d , das P f e r d , der E l e f a n t , der Affe u. s. w. unter der Hand des Menschen zu e r l e r n e n im Stande sind. Auch hier scheint in der That ein gewisses H i n ü b e r s p i e l e n aus dem Gebiete des S e e l e n l e b e n s in das Reich des G e i s t e s l e b e n s sich kund zu geben. Sehen wir aber genauer zu, so gewahren wir alsbald, wie sehr auch hier das Vermögen des E r l e r n e n s seine ganz bestimmte und für das Thier unüberschreitbare G r ä n z e hat. Alle diese Künste, welche das Thier, unter der leitenden und nachhelfenden Hand des Menschen, sich a n z u e i g n e n vermag, beschränken sich nämlich allewege einzig und allein auf ä u s s e r l i c h - k ö r p e r l i c h e F ä h i g k e i t e n und F e r t i g k e i t e n : das eigentliche innere S e e l e n l e b e n , der natürliche Umfang seines inneren D e n k v e r m ö g e n s bleibt davon völlig u n b e r ü h r t . Noch n i e ist es dem menschlichen Einfluss gelungen, in irgend welchem T h i e r e solche Kunstfertigkeiten heranzubilden, zu welchen jene höheren g e i s t i g e n Seelenvermögen erforderlich sind, welche wir als wirkliches „ N a c h d e n k e n " zu bezeichnen pflegen. K e i n T h i e r , und sey es das gelehrigste, hat jemals unter der Hand und Leitung selbst des unermüdlichsten menschlichen Lehrers es vermocht, die Künste des S p r e c h e n s , des L e s e n s , des S c h r e i b e n s , des Malens u. s. w. in einer wirklich des Menschen ebenbürtigen Weise sich a n z u e i g n e n . Denn was das scheinbare Sprechen des P a p a g e y s , das sogenannte Lesen und Rechnen, ja selbst Klavierspielen gewisser, hierauf besonders a b g e r i c h t e t e r H u n d e betrifft; so wird wohl niemand im Ernste auf den Gedanken kommen, diese sinnlosen, bloss durch äusserliche Körperabrichtung angelernten Kunstfertigkeiten mit einem wirklich b e w u s s t e n S p r e c h e n oder R e c h n e n und dergl. auf Eine Linie stellen

58

Die Einheit der Natur.

zu wollen. Und was dem .Thier, selbst unter der nachhelfenden Mitwirkung des Menschen, seiner inneren Natur nach v e r s a g t ist: das ist ihm mit innerer Nothwendigkeit noch weit u n m ö g l i c h e r , sich jemals anzueignen, wenn es in freier Natur nur allein sich selbst und dem n a t ü r l i c h e n Entwickelungsgang seines t h i e r i s c h e n S e e l e n v e r m ö g e n s überlassen ist. Wir begegnen auch hier ganz d e n s e l b e n V e r h ä l t n i s s e n , welchen wir auch schon bei unserer Betrachtung der n i e d r i g e r e n Naturgebiete begegnet waren. Es ist auch hier wohl ein a h n e n d e s H i n ü b e r g r e i f e n in ein h ö h e r e s Lebensgebiet und in die diesem eigen thümlichen Lebensbethätigungen: aber ohne alle und jede natürliche Befähigung, auch das Wesen selber in einer solchen Weise zu e r g r e i f e n , dass von einer dessen gesammte innere Natur völlig u m g e s t a l t e n d e n h ö h e r e n W e i t e r e n t w i c k e lung jemals irgendwie auch nur im Geringsten die Rede seyn könnte. So wenig daher selbst das zierlichste b a u m a r t i g e G e b i l d e des u n t e r s t e n Naturreiches jemals im Stande seyn würde, in eine w i r k l i c h e P f l a n z e sich umzuwandeln, und so wenig aus der vollkommensten Pflanze jemals auch nur die allergeringste wirkliche T h i e r form zu erstehen vermöchte: e b e n s o w e n i g gewähren die a l l g e m e i n e n G e s e t z e der N a t u r , selbst der u n s M e n s c h e n innerlich wie äusserlich am n ä c h s t e n stehenden T h i e r e , ein Vermögen, durch eigene i n n e r e F o r t e n t w i c k e l u n g , gleichviel ob in sich selber oder in ihren Nachkommen, thatsächlich bis zu dem Eange eines M e n s c h e n , d. h. bis zum Range eines wirklichen und wahren G e i s t e s w e s e n s sich zu erheben. Nur allein von u n t e n h e r a u f , d. h. nur allein aus dem Schoosse der u n g e s t a l t e t e n N a t u r vermag jemals ein n e u e s und h ö h e r e s Daseynsgebiet in Wirklichkeit und Wahrheit h e r v o r z u g e h e n . Denn alle diese Vermögen zu höheren Wesens S t e i g e r u n g e n mussten, wenn auch nur keimartig, d. i. als natürliche M ö g l i c h k e i t e n von

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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jeher in dem weiten Gebiete der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r mit enthalten und eingeschlossen liegen, des g ü n s t i g e n Z e i t p u n k t e s h a r r e n d , an welchem a u c h sie befähigt seyn würden, fortan aus ihrer bisherigen s c h l u m m e r ä h n l i c h e n U n t h ä t i g k e i t heraus- und in eine natürliche S e l b s t b e t ä t i g u n g auch von ihrer Seite naturgemäss e i n z u t r e t e n . No. 2 4 .

Innere Verwandtschaft alles Naturdaseyns und aller besonderen Daseyns- und Wesensformen.

Erst nachdem man alle diese Verhältnisse, wie solche die Natur selbst in einer so anschaulichen Weise durch den n a t ü r l i c h e n E n t w i c k e l u n g s g a n g d e r P f l a n z e uns vor Augen stellt, richtig erkannt und gewürdigt hat: erst seit dieser Zeit ist es dem menschlichen Geiste mehr und mehr ermöglicht, immer tiefere und richtigere Blicke zu thun auch in die i n n e r l i c h e W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t a l l e r G e b i e t e u n d R e i c h e der N a t u r , von den u n t e r s t e n und niedrigsten bis hinauf zu den h ö c h s t e n und edelsten. Insofern ein jedes h ö h e r e N a t u r g e b i e t und ein jedes h ö h e r e N a t u r r e i c h sich vor unseren Augen als die w e s e n h a f t e D u r c h f ü h r u n g eines besonderen und nur ihm a l l e i n zukommenden N a t u r g e d a n k e n s darstellt: insofern müssen sie auch a l l e in ihrem i n n e r s t e n W e s e n s g r u n d nothwendig und wesentlich von einander v e r s c h i e d e n seyn. Insofern sie aber alle, die höchsten Formen des Daseyns wie die niedrigsten, ihren u r s p r ü n g l i c h e n A u s g a n g nur aus einer und derselben g e m e i n s a m e n G r u n d l a g e , nämlich aus der allgemeinen S t o f f - u n d K ö r p e r w e l t , können genommen haben: insofern wird, auch von diesem Gesichtspunkt aus, der bereits oben (in No. 22) gezogene Schluss b e s t ä t i g t , dass nothwendig E i n e i n z i g e r alles sichtbare wie unsichtbare Daseyn dieser Welt gemeinsam und einheitlich umfassender G r u n d g e d a n k e es sein muss, in welchem alle jene b e s o n d e r e n N a t u r g e d a n k e n , wie solche einerseits in

60

Die Einheit der Natur.

dem Gesammthaushalte der Natur als K ö r p e r weit, Seelenwelt und G e i s t e s w e l t , anderseits aber, innerhalb der d r e i Reiche der g e s t a l t e t e n N a t u r , als Q u a r z r e i c h , als P f l a n z e n r e i c h und als T h i e r r e i c h zu ihrem wesenhaften Ausdruck gekommen sind. In diesem e i n h e i t l i c h e n G r u n d g e d a n k e n finden sie alle sowohl ihren begrifflichen E i n h e i t s p u n k t , wie ihren naturnothwendigen innerlichen Zus a m m e n h a n g unter einander. Eben dieser innerlich-wesenhafte Zusammenhang a l l e s in dieser Welt V o r h a n d e n e n bedingt aber e i n e r s e i t s ebensowohl eine von allen stofflichen Verschiedenheiten u n a b h ä n g i g e innerliche W e s e n s g l e i c h h e i t : wie a n d e r s e i t s zugleich auch eine diesen s t o f f l i c h e n V e r s c h i e d e n h e i t e n gleichfalls Rechnung tragende innerliche W e s e n s v e r s c h i e d e n h e i t , beides von den noch niedrigsten Daseinsweisen bis h i n a u f zu den höchsten. Alles aber, was beide Gegensätze, den der inneren G l e i c h h e i t , wie auch den der inneren V e r s c h i e d e n h e i t jederzeit g e m e i n s a m in sich vereinigt: dies pflegt der allgemeine Sprachgebrauch als einander „ ä h n l i c h " oder „ v e r w a n d t " zu bezeichnen. In diesem Sinn hat daher bereits ANAXAGORAS den Ausspruch gethan, dass „in Allem E t w a s von Allen sey" ( S C H W E I L E R : Gesch. d. Philos. im Umriss. S. 21), was im Grunde nur eine andere Ausdrucksweise ist für den späteren von P L A T O aufgestellten Satz, dass „ein j e d e s Ding einem jeden a n d e r e n Ding gewissermaassen ä h n l i c h , das A h n l i c h e aber dem Ä h n l i c h e n von Natur v e r w a n d t " sei ( P L A T O [ S C H L E I E R M A C H E R , Theil I. Band 1. S. 181 u. 187]). Diese innerliche W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t alles in dieser Welt V o r h a n d e n e n hat aber zur weiteren nothwendigen Folge, dass kein Naturgebiet und kein Naturreich irgend einem anderen jemals so schroff und so a b g e s c h l o s s e n in sich kann gegenüberstehen, als man dies im gewöhnlichen Leben nicht selten annimmt. „Alle beseelten Wesen" — sagte daher schon PYTHAGORAS — „seyen unter sich ver-

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

61

w a n d t " (BALTZEH: PYTHAGORAS. S. 104). Aber nicht auf die S e e l e n w e s e n allein darf dieser Ausspruch gedeutet werden. Denn wir haben gesehen, wie nichts in dieser Welt vorhanden ist, das nicht in seiner Weise und in irgend einem Grade T h e i l an dem L e b e n hätte. Dieses g e m e i n s c h a f t l i c h e innerliche T h e i l h a b e n am L e b e n ist aber eben das geheimnissvolle B a n d , das alle N a t u r w e s e n unter sich zu einem g r o s s e n und e i n h e i t l i c h e n G a n z e n v e r b i n d e t und welches zur natürlichen Folge hat, dass selbst die beiden einander am e n t f e r n t e s t e n gegenüber stehenden Gränzgebiete alles Daseyns, die K ö r p e r w e l t und die G e i s t e r w e l t , einander weit n ä h e r v e r w a n d t sind, als man sich dieses gewöhnlich vorzustellen gewohnt ist. Daher sagt auch J . G. F I C H T E : „Was ich rund um mich herum erblicke, ist m i r v e r w a n d t : es ist alles b e l e b t und bes e e l t " ( J . G. F I C H T E : I I . S. 3 1 5 ) . Wäre dem in der That n i c h t so, wie wäre es m ö g l i c h , dass unser e i g e n e r Geist, durch die Yermittelung unserer Seelenthätigkeiten, auf unsere ä u s s e r e L e i b l i c h k e i t , und die sie bildenden k ö r p e r l i c h e n Stoffe, jemals e i n z u w i r k e n im Stande wäre? Oder wie sollte es u n s e r e r Seele überhaupt m ö g l i c h seyn, aus lauter ihr an sich f r e m d e n S t o f f e n eine ihr eigenthümlich zukommende ä u s s e r e L e i b l i c h k e i t sich heranzubilden, wofern es nicht von b e i d e n Seiten A n k n ü p f u n g s p u n k t e gäbe, durch deren Y e r m i t t e l u n g eine solche ä u s s e r l i c h e K ö r p e r b i l d u n g ermöglicht seyn könnte? Und u m g e k e h r t : wie sollte es möglich sein, dass irgend ein ä u s s e r l i c h e r Gegenstand, durch die Vermittelung unserer S i n n e , zu unserem seelisch-geistigen B e w u s s t s e i n gelangen, und so zu einem dauernden g e i s t i g e n E i g e n t h u m für uns werden könne, wenn durchaus kein innerlicher Z u s a m m e n h a n g zwischen diesen an sich k ö r p e r l i c h e n Aussendingen und unseren eigenen S e e l e n - und G e i s t e s k r ä f t e n thatsächlich vorhanden wäre? „Nur G l e i c h e s oder A h n l i c h e s kann

62

Die Einheit der Natur.

auf Gleiches oder Ä h n l i c h e s wirken, und nur Gleiches oder A h n l i c h e s vermag von Gleichem oder A h n l i c h e m e r k a n n t zu werden." Dies war schon ein Ausspruch der alten griechischen Weltweisen, und seine tiefe W a h r h e i t vermochte bis jetzt von niemandem mit irgend welchem Erfolge in Zweifel gezogen zu werden (PLATO [ S C H L E I E E M A C H E K ] S. 35, 36 und 37, und Einleitung S. 6 u. 7). Aus allen diesen Verhältnissen geht aber gleichzeitig auch hervor, dass nur ein in sich e i n h e i t l i c h e r innerer L e b e n s g r u n d es ist, welcher allem Daseyn g e m e i n s c h a f t l i c h zukommt. In ihm besitzen wir das n a t ü r l i c h e Band innerlicher Wesensg l e i c h h e i t und innerlicher W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t , welches den thatsächlichen Z u s a m m e n h a n g aller Dinge und WTesen dieser Welt v e r m i t t e l t und ermöglicht. Dies Alles bestätigt aber zugleich, wie wenig die so häufig angenommene s t r e n g e S c h e i d u n g zwischen K ö r p e r - und G e i s t e s w e l t in der N a t u r selbst, sobald wir deren Erscheinungen und Wirksamkeiten auf den G r u n d gehen, einen wirklichen H a l t findet. J e e i n g e h e n d e r wir alle gegenseitigen Verhältnisse in das Auge fassen: u m s o m e h r müssen wir uns der Überzeugung hingeben, dass jene völlige und v e r m e i n t l i c h u n v e r s ö h n l i c h e T r e n n u n g des S t o f f l i c h e n und K ö r p e r l i c h e n von dem G e i s t i g e n nur als ein T r u g g e b i l d e unseres eigenen Denkens kann betrachtet werden. No. 25.

Alles Endliche hat gleichzeitig seine körperliche wie seine geistige Seite.

Alles H ö h e r e ist somit in dem Gesammthaushalte der Natur, durch eine tief innerliche W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t , mit dem N i e d r i g e r e n auf das Innigste v e r k n ü p f t und v e r b u n d e n . Wie ein jedes besondere E i n z e l w e s e n , welchem Lebens- und Daseynsgebiete es auch angehören möge, als Glied des einheitlichen N a t u r g a n z e n , in einer wesentlichen

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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Beziehung steht zu diesem G a n z e n , und umgekehrt dieses Ganze auch zu ihm: in ganz den ähnlichen Beziehungen stehen auch alle Einzelwesen der Natur g e g e n s e i t i g zu e i n a n d e r . Es ist E i n gemeinschaftlicher G r u n d g e d a n k e , der durch alle Daseyns weisen sich hindurchzieht und dennoch ist er in seinen b e s o n d e r e n Ausführungen, je nach den einzelnen Lebens- und Daseynsgebieten, überall v e r s c h i e d e n . Aber durch eben diesen einheitlichen, allem Vorhandenen g e m e i n s c h a f t l i c h e n G r u n d g e d a n k e n , darinnen die innere W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t aller Dinge und Wesenheiten wurzelt, schliesst alles N i e d r i g e r e an das zunächst H ö h e r e auf das Innigste sich an, wogegen, umgekehrt, alles H ö h e r e , als eine erst im V e r l a u f e der Z e i t sich vollziehende w e s e n h a f t e W e i t e r e n t w i c k e l u n g jenes gemeinsamen G r u n d g e d a n k e n s naturgemäss zu betrachten ist. Alle diese Verhältnisse wären aber u n d e n k b a r und u n m ö g l i c h , woferne nicht allem natürlichen Wesen dieser Welt, von seiner u n t e r s t e n G r ä n z e bis hinauf z u r h ö c h sten Spitze, in Folge eben dieser innerlichen V e r w a n d t s c h a f t , in irgend einer Weise ganz ebensowohl eine s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e wie eine s e e l i s c h - g e i s t i g e S e i t e zukäme. Bestände die s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e N a t u r aus wirklich t o d t e n und leblosen Massen, die in gar keiner Weise von irgend einer Art von g e i s t i g e r oder g e i s t e s v e r w a n d t e r L e b e n s k r a f t durchdrungen wären: sie vermöchte in k e i n e r Weise jemals auf die g e i s t i g e Seite unseres e i g e n e n Wesens irgendwie e i n z u w i r k e n . Aber eben damit wäre auch ein j e d e r Weg und ein jedes V e r b i n d u n g s m i t t e l für uns selber a b g e s c h n i t t e n , um nur irgendwelche Kenntniss, geschweige denn eine wirkliche E r k e n n t n i s s von den Dingen dieser Welt jemals zu erhalten. Denn selbst mit den wirklichen Seelen- und G e i s t e s w e s e n , die uns auf dieser Erde umgeben, vermögen wir in k e i n e r anderen Weise zu verk e h r e n , als allein durch die Vermittelung i h r e r ä u s s e r -

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Die Einheit der Natur.

l i e h e n L e i b l i c h k e i t , d. h. allein nur durch die Yermittelung der s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n N a t u r w e s e n , aus welchen die ä u s s e r l i c h e n L e i b e r , selbst der höheren S e e l e n - und G e i s t e s w e s e n , gebildet und zusammengesetzt sind. Wären jene s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n B e s t a n d t h e i l e des menschlichen Leibes, in ihrem innersten W e s e n s g r u n d , nicht in irgend einer Weise und in irgend einem Grade von wirklich g e i s t e s v e r w a n d t e r N a t u r : wie wären sie im Stande, mit unserem e i g e n e n Geiste, oder vielmehr mit der seelischg e i s t i g e n Seite unseres Wesens, zu v e r k e h r e n , und in solcher Weise allen natürlichen Verkehr, selbst mit unseren e i g e n e n M i t m e n s c h e n , jemals irgendwie zu v e r m i t t e l n ? Die ganze Welt bliebe, in solchem Fall, für uns in ein ebensowohl s i n n l i c h e s wie g e i s t i g e s D u n k e l eingehüllt: sie wäre thatsächlich nichts Anderes als ein für uns f e s t v e r s c h l o s s e n e s Buch. Und somit sehen wir uns denn auch, aus allen diesen Gründen, mit nur noch um so grösserer Notwendigkeit darauf h i n g e w i e s e n , bereits a l l e n A n g e h ö r i g e n selbst der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r , von U r a n f a n g an, eine ganz b e s t i m m t e und zwar von der Einen Seite ebensowohl s t o f f l i c h , wie anderseits aber gleichzeitig auch ebenso g e i s t i g e K r a f t unter allen Umständen ausdrücklich z u z u e r k e n n e n . Eben diese in sich selber allewege s t o f f l i c h - g e i s t i g e K r a f t ist es denn auch, welche gleichzeitig, in ihrer ununterbrochenen W i r k s a m k e i t n a c h a u s s e n , das natürlich-selbstständige Mittel bietet zu allen den gegenseitigen W e c h s e l w i r k u n g e n und W e c h s e l b e z i e h u n g e n überhaupt, welche wir allenthalben und jederzeit zwischen den e i n z e l n e n N a t u r wesen wahrnehmen, gleichviel von welcher besonderen W e s e n a r t sie im Übrigen auch seyn oder auf welcher besonderen W e s e n s s t u f e sie auch stehen mögen. Nur das wirklich und vollgültig K r a f t l o s e wäre gleichzeitig, wie das völlig L e b - und S e e l e n l o s e , so auch das völlig Geistlose. Daher sagt auch schon P H I L O ,

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

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dass Alles, selbst das, was ä u s s e r l i c h als t o d t und l e b l o s erscheint, doch innerlich G e i s t und L e b e n sey. Dabei unterscheidet er aber gleichzeitig auch v e r s c h i e d e n e A r t e n oder S t u f e n von g e i s t i g e n oder g e i s t a r t i g e n K r ä f t e n , und sagt von denselben, dass sie im Stein sich v e r k ö r p e r n , in der P f l a n z e sich zum L e b e n entfalten, in den T h i e r e n aber zur Seele und im Menschen zum G e i s t e werden (GFRÖRER: Philo. I. S. 346). — Und in einem verwandten Sinn spricht auch DROSSBACH sich aus, indem er die Welt als ein Gebiet des „ w a h r h a f t G e i s t i g e n " in das Auge fasst, d. h. als eine „ G e s e l l s c h a f t vieler natürlicher G e i s t e r " (DROSSBACH: Genesis d. Bewusstseyns. Vorwort, S. X X V I I ) . Tritt diese g e i s t i g e Seite aller Naturwesen auch immerhin in den einzelnen Daseynsgebieten in den mannigfachsten G r a d e n ihrer natürlichen S t ä r k e und A u s b i l d u n g zu Tage: so fehlt sie darum doch nirgends ganz und gar. Auch die noch u n g e s t a l t e t e Natur ist n i c h t davon ausgeschlossen. J a gerade weil sie als der e r s t e natürliche G r u n d und U r s p r u n g auch für alle h ö h e r e n Daseynsstufen muss betrachtet werden: gerade d e s s h a l b kann ihr jene i n n e r l i c h - g e i s t i g e W e s e n s s e i t e noch um so weniger fehlen. Denn aus dem an sich G e i s t l o s e n hätte eine wirkliche G e i s t e r w e l t ebensowenig jemals hervorgehen können, wie eine wirklich l e b e n d i g e S e e l e n w e l t jemals im Stande wäre auf eine an sich leblose und darum auch seelenlose Natur sich zu gründen. „Alles Leben" — sagt darum FECHNER (nach BURDACH) — „ist seinem Ursprung und Wesen nach g e i s t i g " (FECHNER: Zend-Avesta I I I . S. 239). Wie in dem a l l g e m e i n e n E n t w i c k e l u n g s g a n g der Natur von der einen Seite das G e i s t i g e erst allmählich in immer steigenden Graden aus dem S t o f f l i c h e n und Körperlichen sich h e r v o r b i l d e t : so ist von der anderen Seite das Geistige auch wieder der e r s t e G r u n d zu allem s t o f f l i c h k ö r p e r l i c h e n D a s e y n , insofern nämlich eben jene i n n e r Wandersmann. I,

5

66

Die Einheit der Natur.

l i e h e K r a f t selbst, durch deren unausgesetzte Wirksamkeit die körperlichen Stoffe ihr D a s e y n und ihr B e s t e h e n haben, in ihrem i n n e r s t e n G r u n d als von g e i s t i g e r N a t u r sich erweiset. Die ersten U r a n f ä n g e , selbst der s t o f f l i c h k ö r p e r l i c h e n N a t u r , sind in ihren l e t z t e n G r ü n d e n auch die U r a n f ä n g e des G e i s t e s : die ganze Natur weist selber unverkennbar darauf hin, dass ein G e i s t i g e s , d. h. i r g e n d w e l c h e dem G e i s t e v e r w a n d t e K r a f t es ist, welcher alles Naturdaseyn ohne Ausnahme, das n i e d r i g s t e wie das h ö c h s t e , seine w e s e n h a f t e W i r k l i c h k e i t zu verdanken hat. Die g e i s t i g e Seite vermag somit von der s t o f f l i c h e n S e i t e der Dinge in keiner Weise je g e t r e n n t zu werden. Alles S t o f f l i c h - K ö r p e r l i c h e trägt ebenso unverkennbar und ebenso unveräusserlich den Stempel des G e i s t i g e n an sich, wie das G e i s t i g e den Stempel des S t o f f l i c h - K ö r p e r l i c h e n . Es gibt ebensowenig eine bloss völlig reine, d. i. völlig g e i s t l o s e K ö r p e r w e l t , wie eine bloss und völlig reine, d. i. s t o f f - u n d k ö r p e r l o s e S e e l e n u n d G e i s t e s w e l t . Sie alle sind a l l z u m a l , wenn auch in v e r s c h i e d e n e n G r a d e n und A b s t u f u n g e n , das E i n e ebensowohl als das A n d e r e . Ein j e d e s dieser drei Daseynsgebiete ist, im G r o s s e n und G a n z e n ebenso wie in allen seinen besonderen G l i e d e r n und Einzelwesen, allzumal s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h , s e e l i s c h - s i n n l i c h und geistig. Daher nennt Schelling den G e i s t die „ u n s i c h t b a r e Natur", die N a t u r aber „den s i c h t b a r gewordenen G e i s t " (Fkohschammeb: Athenäum. III. S. 46). — Auch Baader spricht in ähnlicher Weise sich aus. „Eine g e i s t l o s e N a t u r besteht, nach ihm, e b e n s o w e n i g als ein n a t u r l o s e r Geist. Es gibt k e i n H ö h e r e s o h n e ein N i e d r i g e r e s und k e i n I n n e r e s o h n e ein Ä u s s e r e s , noch umgekehrt. Beide sind u n t r e n n b a r in E i n e r gemeinschaftlichen Wesenssetzung: k e i n e s von ihnen kann o h n e das Andere v o l l e n d e t werden" (Frohschammer: Athenäum. II. S. 546 u. 547). Und in glei-

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

67

ehern Sinne sagt JACOB BÖHME: „Was das Obere ist, das ist auch das U n t e r e : alle Geschöpfe dieser Welt sind D a s s e l b e " (JACOB BÖHME: X V I I . Mysterium magnum. S. 8. No. 5). No. 26. Alles Niedere ist Vorstufe und Vorbild für das Höhere, alles Höhere Erklärung für das Niedere. „Die Vorgänge der Entwicklung" — so lesen wir in Bildern aus dem Thierleben —• „sind bei den nied e r s t e n Thieren e i n f a c h e r und weniger zusammegesetzt, sodass sie gewissermaassen als V o r b e g r i f f e zu den verwickeiteren Ausführungen dienen" (VOGT: Bilder a. d. Thierleben. S. 98). Die Wahrheit dieses Erfahrungssatzes beschränkt sich aber nicht einzig auf das Thierreich: dieselbe gilt für das ganze G e s a m m t g e b i e t der Natur. Alle n i e d r i g e r e n D a s e y n s s t u f e n sind, wie alle unsere bisherigen Untersuchungen gezeigt haben, n i c h t bloss eine n a t ü r l i c h e V o r s t u f e f ü r die h ö h e r e n : sie sind in ihrer gesammten inneren wie äusseren Wesensverwirklichung zugleich auch n a t ü r l i c h e V o r b i l d e r für alle h ö h e r e n Lebensformen, dadurch unser forschender Geist von Stufe zu Stufe zu immer t i e f e r e r E i n s i c h t in die i n n e r e n wie ä u s s e r e n Verhältnisse der Natur und ihrer Dinge mag h i n g e l e n k t werden. Denn auf diese Weise ist eine jede n i e d r i g e r e Daseynsform uns ein n a t ü r l i c h e r S p i e g e l , darinnen wir gleichsam im v e r j ü n g t e n und vereinfachten M a a s s s t a b auch das H ö h e r e , eine jede h ö h e r e L e b e n s f o r m aber ein ebensolcher N a t u r s p i e g e l , in welchem wir alles Nied r i g e r e gleichsam in seiner V e r g r ö s s e r u n g und in seiner v o l l e n d e t e r e n E r w e i t e r u n g zu erblicken im Stande sind. Wie das E n d e n i c h t o h n e den A n f a n g , und der A n f a n g nicht ohne das E n d e kann begriffen werden: so auch das H ö h e r e n i c h t ohne das N i e d r i g e r e und das N i e d r i g e r e n i c h t ohne das H ö h e r e . Alles B e s o n d e r e und E i n z e l n e in der Natur ist, in Folge jener allgemeinen inneren Wesens-

VOGT'S

5*

68

Die Einheit der Natur.

V e r w a n d t s c h a f t , die allem natürlichen Daseyn zukommt, nach seiner Weise ein Bild des G a n z e n , und das Ganze wiederum die n a t ü r l i c h e E r k l ä r u n g für das E i n z e l n e . Dies gilt in der gleichen Weise ebensowohl von einem jeden e i n z e l n e n höheren L e b e n s g a n z e n wie von der allgem e i n e n G e s a m m t h e i t der Natur. Je e i n g e h e n d e r wir ein jedes b e s o n d e r e N a t u r w e s e n nicht allein in sich s e l b s t , sondern auch in seiner Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t mit der gesammten übrigen Natur, vor allem aber mit den ihm am n ä c h s t e n stehenden und darum ihm ä h n l i c h s t e n und v e r w a n d t e s t e n Mitwesen in das Auge fassen: um so mehr wird uns auch alles E i n z e l n e zu einem natürlichen Schlüssel wie für alles A n d e r e so auch für das Ganze. Denn die N a t u r , als die stufenweise immer h ö h e r e Ausw i r k u n g eines und desselben e i n h e i t l i c h e n G r u n d g e d a n k e n s , erklärt sich in ununterbrochener Reihenfolge gegenseitig d u r c h sich selbst. Wie in einem richtig geführten Beweise kein Zwischenglied der Beweisführung f e h l e n darf, sondern eine jede n e u e S c h l u s s f o l g e r u n g stets vollgültig durch ihre V o r s t u f e n muss gesichert und g e s t ü t z t seyn: ganz ebenso verhält es sich auch in Bezug auf jeden nat ü r l i c h e n E n t w i c k e l u n g s g a n g , und zwar ebensowohl in Bezug auf die G e s a m m t h e i t der Natur, wie in Bezug auf deren einzelne D a s e y n s g e b i e t e . Eine jede n i e d r i g e r e V o r s t u f e ist daher der e r k l ä r e n d e H i n w e i s auf die sich vorbereitenden h ö h e r e n Ausführungen des gemeinschaftlichen G r u n d g e d a n k e n s , und eine jede höhere E r s c h e i n u n g s weise ist die naturnothwendige S c h l u s s f o l g e r u n g aus den v o r a n g e g a n g e n e n natürlich-wesenhaften V o r d e r s ä t z e n . Auf diesen in dem innersten Wesen des Naturlebens begründeten Verhältnissen beruht daher auch alle und jede E r k l ä r u n g aus A h n l i c h k e i t s v e r h ä l t n i s s e n (Analogie, Parallele, Induction). Käme j e n e n keine Wirklichkeit zu: wir besässen auch diese nicht und ermangelten damit eines der

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

69

wesentlichsten Hülfsmittel zur Förderung unserer Erkenntnisse. „Willst du dich am G a n z e n erquicken, so musst du das G a n z e im K l e i n s t e n erblicken," sagt GOETHE. Und ebenso umgekehrt. Aus den gleichen Gründen dürfen wir aber auch, beim Erforschen der äusseren k ö r p e r l i c h e n Seite der Dinge, deren innere g e i s t i g e S e i t e nie aus den Augen verlieren, wenn es uns überhaupt um ein r i c h t i g e s Y e r s t ä n d n i s s aller Naturverhältnisse zu thun ist. Das Ä u s s e r e weist uns auf das I n n e r e hin als auf seinen Urs p r u n g : das I n n e r e aber, richtig verstanden und aufgefasst, ist die E r k l ä r u n g des Ä u s s e r e n . Wie wir alle n i e d r i g e r e n Lebensformen in dem Lichte der h ö h e r e n , und die höheren nach dem Vorbild und Beispiel der n i e d r i g e r e n uns vergegenwärtigen müssen: so auch das Ä u s s e r e stets in seiner i n n e r e n E i n h e i t mit seinem i n n e r s t e n g e i s t i g e n G r u n d e , sowie diesen gleichzeitig auch in der ganzen bunten M a n n i g f a l t i g k e i t seiner ä u s s e r e n E r s c h e i n u n g s w e i s e n . Wir vermögen, im Allgemeinen, keinen uns noch so bekannten Menschen, seinem geheimsten inneren Wesen nach, auch nur einigermaassen r i c h t i g zu beurtheilen, wofern wir nicht im Stande sind, auch alle seine H a n d l u n g e n sowohl in ihrem i n n e r e n Z u s a m m e n h a n g wie nach deren innersten und verborgensten B e w e g g r ü n d e n in das Auge zu fassen, und zwar ebensowohl in sich s e l b s t , wie auch in Bezug auf fremde ä u s s e r l i c h e B e e i n f l u s s u n g e n . Dieses aus dem alltäglichen Leben herausgegriffene Bild gewährt uns einen tiefgehenden Einblick in das gegenseitige Yerhältniss, in welchem in der ganzen uns umgebenden Natur alles G e i s t i g e allezeit zu dem ihm scheinbar so unversöhnlich gegenüberstehenden Gebiet des S t o f f l i c h - K ö r p e r l i c h e n steht. Der Geist dringt von seiner H ö h e herab bis in die t i e f s t e n T i e f e n der K ö r p e r l i c h k e i t . Doch nicht bloss dies: er ist, wie wir gesehen, gleichzeitig auch der i n n e r s t e G r u n d und uranfängliche e r s t e A u s g a n g s p u n k t für alle na-

70

Die Einheit der Natur.

t ü r l i c h - k ö r p e r l i c h e n E r s c h e i n u n g e n ohne Ausnahme. Und wie alles E i n z e l n e , je nach dem Hange, den es im allgemeinen Haushalte der Natur einnimmt, den S t e m p e l und das Gepräge dieses grossen G a n z e n trägt, von welchem es ein T h e i 1 ist: ganz in derselben Weise trägt auch alles K ö r p e r l i c h e den Stempel des G e i s t i g e n , sowie umgekehrt alles G e i s t i g e , in seiner ä u s s e r e n E r s c h e i n u n g , das Gepräge des K ö r p e r l i c h e n an sich. Ist das k ö r p e r l i c h e Daseyn somit, in dem allgemeinen Entwickelungsgang der Natur, . der V o r l ä u f e r und das für uns noch um so leichter zu erforschende Vorbild auch für alles natürliche S e e l e n - und G e i s t e s l e b e n : so sind diese Letzteren, als die beiden unserer eigenen Daseynsweise am nächsten stehenden Naturgebiete, für uns die natürlichen E r k l ä r e r auch für die innersten Geheimnisse des K ö r p e r l e b e n s . Dies heisst mit anderen Worten: j e m e h r wir uns selbst und unser eigenes Wesen e r k e n n e n und v e r s t e h e n lernen: um so mehr erkennen und verstehen wir auch die gesammte uns umgebende N a t u r , im E i n z e l n e n wie im grossen G a n z e n . Darum haben auch, nicht mit Unrecht, schon PYTHAGOBAS und Andere den M e n s c h e n „das Maass aller D i n g e " , und wieder Andere, eben weil in ihm und in der persönlichen E i n h e i t seines Wesens gleichsam die ganze übrige Welt sich a b s p i e g e l t , „eine Welt im K l e i n e n " genannt. J e mehr wir uns selber erkennen lernen: umsomehr lernen wir auch die N a t u r verstehen und alle ihre Dinge. Und ebenso auch u m g e k e h r t . Das Eine besteht n i c h t ohne das Andere. Diese innerliche untrennbare Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t des G e i s t i g e n und des K ö r p e r l i c h e n spricht gerade in Bezug auf unser eigenes menschliches Wesen wohl kaum durch Etwas sich deutlicher aus, als durch die u n v e r k e n n b a r e W e c h s e l b e z i e h u n g , in welcher wir in u n s e r e r S p r a c h e ganz d e r s e l b e n W o r t e und Bezeichnungen, bald für Verhältnisse und Thätigkeiten

Innere Verwandtschaft der einzelnen Naturgebiete.

71

unseres g e i s t i g e n wie unseres k ö r p e r l i c h e n L e b e n s , uns bedienen. Wir sprechen von einem „Stoff zum Nachd e n k e n " , d. h. von einem „ g e i s t i g e n S t o f f " für unsere „ g e i s t i g e N a h r u n g " , in ganz der ähnlichen Weise wie von einem „ k ö r p e r l i c h e n S t o f f " für unsere l e i b l i c h e Nahrung. Wir sprechen ferner von einem „ g e i s t i g e n Ü b e r g e w i c h t " , von einem „ g e i s t i g e n W i r k u n g s k r e i s " , von einer „ g e i s t i g e n A n z i e h u n g " , von „ g e i s t i g e m L i c h t " , von „ g e i s t i g e r K ä l t e " , von „ G e i s t e s - u n d G e d a n k e n b l i t z e n " , von „ g e i s t i g e r A b s p a n n u n g " , und alles dieses in ganz der ähnlichen Weise, wie wir diese Worte täglich auch zur Bezeichnung rein k ö r p e r l i c h e r V e r h ä l t n i s s e in Anwendung bringen. J a , was noch mehr ist: alle unsere Bezeichnungen, selbst für die g e i s t i g e n T h ä t i g k e i t e n , deren wir fähig sind, d. h. für unser D e n k e n und N a c h denken, sind ganz in dem gleichen Fall. „Uberlegen", „Nachsinnen", „Nachdenken", „Vorstellen", „Begreif e n " , „ E i n s e h e n " , „ E i n b i l d e n " , „ E i n p r ä g e n " , „Auffassen", „Erinnern", „Eröffnen", „Durchschauen", „Urtheilen", „Untersuchen", „Nachforschen", „Uberzeugen", „ E r m e s s e n " , „ E r w ä g e n " u. dergl.; ebenso Ausdrücke wie „ G e w i c h t g e i s t i g e r G r ü n d e " , „geistiger D r u c k " , „ g e i s t i g e A r b e i t " , „ g e i s t i g e r E i n f l u s s " u. s. w. Sie alle sind Ausdrucksweisen, welche darthun, wie sehr alle unsere g e i s t i g e n Thätigkeiten, in ihrem t i e f s t e n H i n t e r g r u n d e , verbunden und verschmolzen seyn müssen mit ähnlichen und verwandten Ausdrucksweisen, welche wir e i n e r seits zwar dem Gebiete der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r , der allgemeinen Stoff- und Körperwelt, e n t l e h n e n , welche a n d e r s e i t s aber nichtsdestoweniger auch ebenso innig und nothwendig verbunden und verschmolzen seyn müssen mit dem i n n e r s t e n B r e n n p u n k t unseres e i g e n e n Wesensinnern, d. h. mit unserem eigenen persönlichen I c h und Selbst. Alle diese Verhältnisse vermögen aber eine be-

72

Die Einheit der Natur.

friedigende Erklärung nur darin zu gesammten nur

Natur,

eine

auch

einzige

welche, je ihrer

so

finden,

dass, wie in der

in unserem

einheitliche

eigenen

Innern

Grundkraft

es

ist,

n a c h den v e r s c h i e d e n e n W e i s e n und Z i e l e n

Bethätigungen,

Seelenkraft

und

bald

bald

als

als

Körperkraft,

Geisteskraft

bald

sich

als

darstellt.

Selbst u n s e r e S p r a c h e weist uns hier, gewissermaassen unbewusst, durch ein g e h e i m n i s s v o l l e s ein d u n k l e s verhältniss aber

Gefühl

hin.

gerade

Je

in

inneres A h n e n , durch

des R i c h t i g e n , ungesuchter

diesem

Falle

auf das wahre Sach-

und

unbewusster

geschieht:

um

so

dies

sicherer

dürfen wir überzeugt seyn, dass wir es hier mit einem nicht zu

verkennenden

Fingerzeig

der

Mutter

Natur

selbst

zu thun haben.

§ 7. Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse als vorbildliche Grundlagen der gesammten Weltordnung-. N o . 27.

Die Werthsteigerung der einfachen Zahlenreihe.

Schon PYTHAGORAS und seine Anhänger lich den Satz aufgestellt, dass „die Z a h l Dinge

sey".

Jedem besonderen

dieser Anschauung, nicht

allein

haben

Einzelwesen ganz

bekannt-

das W e s e n

aller

sollten, nach

bestimmte

Zahlen

zu

Grunde liegen: sondern in ganz ähnlicher Weise sollten auch ebenso

bestimmte

Zahlenverhältnisse

oder

c h u n g e n es seyn, welche jenen geheimnissvollen hang

alles

ohne

welche

in

dieser W e l t eine

unerklärlich

Vorhandenen

allgemeine

seyn

würde.

Prüfen

wir

noch genauer

und sehen

für

einheitliche

Erkenntniss

eine

förderlich

erweisen

dürfte.

Wir

Zusammen-

begründen,

Weltordnung

Gedanken

Zahlenglei-

daher

daher auch

wir in wiefern sind

der in

Natur dem

und völlig

diesen derselbe

sich

als

Bisherigen

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

73

mehr und mehr zu der Überzeugung gekommen, dass wir in den einzelnen N a t u r g e b i e t e n und N a t u r r e i c h e n im Grunde nichts Anderes zu erblicken haben, als die naturgemässen s t u f e n w e i s e n S t e i g e r u n g e n Einßr und derselben a l l g e m e i n e n U r - und G r u n d k r a f t . Indem dieselbe einerseits allem natürlichen Daseyn, ohne Ausnahme, zu G r u n d e l i e g t : geht sie anderseits zugleich in eine u n ü b e r s e h b a r e Menge einzelner Strahlen auseinander, welche wir als die s i n n b i l d l i c h e n Grundlagen jener für uns gleich unübersehbaren Menge von in sich selbstständigen natürlichen E i n z e l d i n g e n und E i n z e l w e s e n unseres gemeinsamen Weltganzen zu betrachten haben. Die allgemeine S t o f f - und K ö r p e r w e l t bezeichnet uns den e r s t e n und noch einf a c h s t e n naturgemässen Ausdruck aller dieser Verhältnisse. Aber auch das R e i c h der Z a h l e n kennt ä h n l i c h e in sich unübersehbare Z a h l e n r e i h e n , und zwar gleichfalls verb u n d e n mit ähnlichen s t u f e n w e i s e n S t e i g e r u n g e n ihrer ursprünglichen Z a h l e n w e r t he, wie solche, innerhalb der uns umgebenden N a t u r w i r k l i c h k e i t so bedeutungsvoll uns entgegentreten, namentlich in jenen s t u f e n w e i s e n Wesenss t e i g e r u n g e n , welche die „ d r e i R e i c h e " der gestalteten Natur in ihrer Gesammtheit uns vor Augen stellen. Die Erste, als die noch e i n f a c h s t e G r u n d l a g e aller dieser Zahlenreihen ist: l 1 , 2 \ 31, 4 \ 5 1 u. s. w. ihre e r s t e Steigerung: l 2 , 22, 32, 42, 5 2 J! 3 3 3 3 die zweite l3, 2 , 3 , 4 , 5 die d r i t t e 24, 34, 44, 5 4 » » 6 25, 3®, 4®, 5® die v i e r t e » l , » Es ist dies die e r s t e und noch e i n f a c h s t e dieser Reihen und damit die n a t ü r l i c h e G r u n d l a g e aller folgenden. Noch k e i n e Art von wirklicher S t e i g e r u n g hat dieselbe, in Bezug auf ihre Einzelwerthe, bis jetzt erfahren. Dieselben sind vielmehr einzig u n t e r sich verschieden in

74

Die Einheit (1er Natur.

Folge der allmählichen W e r t h z u n a h m e der sie bildenden einzelnen G r u n d z a h l e n . In dieser ihrer noch e i n f a c h e n Z u s a m m e n s e t z u n g liefert diese Reihe uns das treue Bild der allgemeinen S t o f f - , und K ö r p e r w e l t oder der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r , wie solche noch durchaus k e i n e eigenen inneren W e s e n s s t e i g e r u n g e n in sich erfahren hat. Ihre einzelnen Z a h l e n g l i e d e r versinnbildlichen uns die ganze bunte M a n n i g f a l t i g k e i t von einzelnen S t o f f e n und ihrer stofflichen Verbindungen und Zusammensetzungen, welche in ihrer G e s a m m t h e i t die Grundlage der ganzen sichtbaren Welt bilden. Sie stellen uns in diesem Sinn, wenn auch in sinnbildlicher Bedeutung, die e r s t e n , u n t e r s t e n und noch a l l g e m e i n s t e n U r w i r k l i c h k e i t e n der Natur vor Augen. Ohne sie gäbe es kein V e r s t ä n d n i s s weder des höheren S e e l e n - noch G e i s t e s l e b e n s in dem ganzen Bereich der uns umgebenden sichtbaren Welt. „Das stofflichkörperliche Daseyn (die sogenannte Materie) ist n o t h w e n d i g " — sagt OTINGER — „weil ohne sie auch kein Geist entstehen könnte" (AUBERLEN: Ötinger S. 193). Wohl hat in jener Reihe noch kein einziges Z a h l e n g l i e d , und in jenem noch a l l g e m e i n e n G e b i e t e der Natur noch kein e i n z i g e r für sich bestehender Stoff oder Körper irgend eine Art von wirklicher Z a h l e n - oder W e s e n s s t e i g e r u n g in Wirklichkeit an sich erfahren: aber allenthalben ist der i n n e r l i c h e Keim, die i n n e r l i c h e M ö g l i c h k e i t hierzu vorhanden. Es bedarf nur des rechten Augenblickes und des richtigen Zusammen- und Ineinanderwirkens aller inneren und äusseren Verhältnisse: und der bis dahin innerlich g e f e s s e l t e Keim beginnt sich zu regen. Es erwacht ein n e u e s und m ä c h t i g e r e s Leben, und die Reihe l 2 , 22, 32, 42, 5 2 u. s. w. tritt in die Erscheinung. Es ist bekannt, dass die einzelnen Glieder solcher e r h ö h t e r Zahlen oder Zahlenwerthe als „ P o t e n z e n " und die in solcher Weise erhöhten einzelnen Grundzahlen als „ p o t e n z i r t e Z a h l e n " pflegen bezeichnet zu

D i e Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

75

werden. Die obige Reihe l 2 , 22, 3 2 u. s. w. stellt somit eine Reihe von „ P o t e n z e n z w e i t e n G r a d e s " dar, d. h. solche Potenzen, durch welche die potenzirte Grundzahl stets noch einmal d u r c h sich s e l b s t v e r v i e l f ä l t i g t wird. Die Ausdrücke l 2 , 2 2 32, 42, 52, 6 2 . . oder l x l , 2 x 2 , 3 x 3 , 4 x 4 , 5 x 5 , 6 x 6 . . . sind demnach gleichbedeutend mit 1, 4, 9, 16, 25, 36 . . . . Wir ersehen hieraus, wie wir es in einer jeden solchen Z a h l e n r e i h e mit einer ganz ähnlichen innerlichen S t e i g e r u n g des ursprünglichen Z a h l e n w e r t h es einer jeden besonderen G r u n d z a h l zu thun haben, wie wir, innerhalb der uns umgebenden w e s e n h a f t e n N a t u r es allewege mit w i r k l i c h e n und thatsächlichen i n n e r e n W e s e n s s t e i g e r u n g e n zu thun haben, welche, gegenüber von jenen Steigerungen, von an sich völlig w e s e n l o s e n blossen Z a h l e n w e r t h e n unverkennbar in einem ganz ähnlichen rein s i n n b i l d l i c h e n Verhältniss stehen, wie der Begriff eines A b b i l d e s zu dem seines begrifflichen U r und Vorbildes. Denn das Wort „ P o t e n z " , von dem lateinischen potens, d. i. v e r m ö g e n d oder b e f ä h i g t , herrührend, bedeutet in diesem Falle, auf die i n n e r l i c h e W e r t h s t e i g e r u n g von Z a h l e n oder ursprünglichen W e s e n h e i t e n angewendet, nichts Anderes, als dass n e u e und h ö h e r e W e r t h e , neue, h ö h e r e und darum auch vermög e n d e r e W i r k u n g s k r ä f t e es sind, welche, in Folge eben jener innerlichen Werth- und Wesenssteigerungen, zu thatkräftiger G e l t u n g und A u s w i r k u n g zu gelangen bestimmt sind. Es ist gewissermaassen ein neuer, h ö h e r e r und erw e i t e r t e r S t a n d p u n k t , auf welchen die Natur allenthalben sich selber gestellt hat, und von welchem aus derartige innerliche W e s e n s s t e i g e r u n g e n im Stande sind, ihre natürliche Verwirklichung zu finden. Demgemäss fasst auch LUTTERBECK — im Hinblick sowohl auf eben diese Verhältnisse, wie auch mit Bezug auf BAADER's Natur- und Weltanschauung — jene Z a h l e n p o t e n z i r u n g e n ausdrücklich

76

Die Einheit der Natur.

als einen Ausdruck eben der Beziehung in das Auge, in welcher erfahrungsgemäss die s t o f f l i c h (materielle) N a t u r , dem g e i s t i g e n (immateriellen) S e y n s g e b i e t gegenüber, sich befindet. Der Sache nach, wenn gleich mit anderen Worten, ist dies jedoch ganz das g l e i c h e Yerhältniss wie dasjenige, welches wir weiter oben als die Gebiete der noch unges t a l t e t e n und der g e s t a l t e t e n Natur bezeichnet haben. Jene in allen ihren einzelnen Zahlengliedern vollkommen g l e i c h m ä s s i g , nach einem ganz bestimmten Z a h l e n g e s e t z , fortlaufend sich s t e i g e r n d e Z a h l e n r e i h e , wie wir solche weiter oben vor Augen haben, stellt uns die noch einf a c h s t e Steigerung dar, welche überhaupt im Reich der Z a h l e n möglich ist: kein Wunder also, wenn sie auch das n a t ü r l i c h e S i n n b i l d jener e r s t e n und e i n f a c h s t e n innerlichen W e s e n s s t e i g e r u n g uns bietet, welche naturgemäss in dem u n t e r s t e n Reiche der g e s t a l t e t e n Natur, d. i. im Reich der Quarze, mit seinem natürlichen G e s t a l t u n g s t r i e b , mit seinen tiefinnerlichen G e s t a l t u n g s k r ä f t e n und G e s t a l t u n g s g e s e t z e n , so sichtbar uns entgegentritt. Wie ein n e u e r G e d a n k e , gleichsam aus einem unbewussten Schlummer, plötzlich in uns e r w a c h t , um o r d n e n d und g e s t a l t e n d auf unseren ganzen Gedankengang einzuwirken: so auch hier. Auch in der i n n e r e n N a t u r eines jeden bis dahin n o c h u n g e s t a l t e t e n stofflichkörperlichen Einzelwesens scheint in demselben Augenblick, in welchem dasselbe aus seinem bisherigen u n g e s t a l t e t e n Z u s t a n d übergeht in denjenigen einer r e g e l r e c h t e n und von h ö h e r e n G e s e t z e n geleiteten G e s t a l t u n g des u n t e r sten der drei Naturreiche, gewissermaassen ein n e u e r und bis dahin noch g e b u n d e n e r N a t u r g e d a n k e es zu seyn, welcher in dieser seiner n u n m e h r i g e n Erscheinungsweise, d. i. in seiner naturgesetzmässigen V e r w i r k l i c h u n g an den Tag getreten ist. Eine jede einzelne G r u n d z a h l jener Z a h l e n r e i h e gewinnt aber, durch die über die g a n z e

77

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

Reihe

gleichmässig

erhöhung menden

ihren

sich

verbreitende

neuen

und

der w e s e n h a f t e n

höheren

Natur.

Werth.

seine

Ganz

Innern

wie

zukom-

ebenso

in

j e nach seiner besonderen

besondere und nur

ihm

dieser Weise naturgemäss zukommende h ö h e r e im

Werth-

allein

G r u n d s t o f f durch die in ihm

vorgegangene W e s e n s s t e i g e r u n g , auch

ihr

Denn auch hier erhält ein jeder

einzelne noch u n g e s t a l t e t e Wesensart,

innerliche

ganz besonderen nur

im Ausseren.

Aber

auch

allein

in

Gestaltung

in

dieser

seiner

neuen Gestalt bleibt er innerlich noch fort und fort durchfluthet von ganz derselben und gleichen e i n h e i t l i c h e n und

Grund kraft,

sein

gesammtes

auf

deren

Daseyn

unausgesetzter

und W e s e n

Ur-

Wirksamkeit

von Anfang an ge-

gründet ist. Und eben diese an sich unverändert fortdauernde, sich

allewege

völlig

gleichbleibende selber,

gleichheit

mit

Grundwesen

noch auf seiner

einer

höheren

sich Wesens-

innerliche

gleichviel

ob

niedrigsten

Wesensein

solches

oder bereits auf

oder Wirkungsstufe

sich

befindet:

sie ist es, durch welche die neue und h ö h e r e Stufe mit der vorigen n i e d r i g e r e n stets in einem völlig naturgesetzmässigen Gleichheitsverliältniss

sich

wie

ausnahmslos

die Erfahrung

dies

befindet.

Es

vermag

bestätigt,

S t o f f nur nach der natürlichen Weise s e i n e r Wesensart jede,

sich wirklich

wenn

auch

noch

naturgemäss so

geringe

zu

auch

staltung.

eine Die

der

so

die

die

Verschiedenheit

der

Verschiedenheit ihren

inneren

schiedenheit

ihrer

Grund

der

hat

Eigenschaften, der

Stoffe

in

der

ungestalteten Stoffe

Gestaltung,

eben jener bedingt

GeStoffe durch

welche

Verschiedenheit

durch welche auch die selbst

in be-

Eigenschaften:

gestalteten

äusseren

eine

Stoffes

entsprechende V e r s c h i e d e n h e i t Verschiedenheit

jeder

Verschiedenheit

ist bedingt durch die Verschiedenheit ihrer

wiederum

ein

besonderen

gestalten:

der innerlichen Beschaffenheit des betreffenden wirkt

aber,

ist.

Ver-

Gleiche

78

Die Einheit der Natur.

S t o f f e b e s i t z e n also, von N a t u r aus, a u c h die g l e i c h e Q u a r z f o r m : die g e r i n g s t e V e r s c h i e d e n h e i t des S t o f f e s a b e r b e d i n g t a u c h mit i n n e r e r N o t h w e n d i g k e i t i r g e n d welche V e r s c h i e d e n h e i t in der ä u s s e r l i c h e n G e s t a l t . Die Naturvvahrheit dieses Satzes wird durch alle wissenschaftlichen Untersuchungen und Beobachtungen bestätigt. Kein Kiesel vermag durch seine naturwüchsige Gestaltung jemals die Form eines K a l k q u a r z e s sich anzueignen, und e b e n s o w e n i g vermag ein K a l k q u a r z uns die äussere Form und das innerliche Gefüge eines K i e s e l q u a r z e s zu zeigen. Und so fort durch die g a n z e R e i h e natürlich gestalteter Stoffe und Körper, welchen wir nur irgend in der Natur begegnen, oder welche wir auf künstlichem Wege hervorzubringen im Stande sind. Verschiedenheit des S t o f f e s bedingt Verschiedenheit der G e s t a l t , und Verschiedenheit der G e s t a l t lässt mit derselben Nothwendigkeit z u r ü c k s c h l i e s s e n auf eine innerliche Verschiedenheit des Stoffes. Doch gehen wir nunmehr zur nächsten Reihe über. Sie lautet: l 3 , 23, 4S, 5 3 . . . u. s. w. War die vorhergehende Reihe für uns die sinnbildliche Deutung des ersten und untersten Reiches der gestalteten Natur, des Q u a r z r e i c h e s : so ist diese nun naturgemäss das Sinnbild des z w e i t e n N a t u r r e i c h e s , nämlich des Pflanzenreiches. Stellten die Gestaltungskräfte des Quarzreiches uns gleichsam einen e r s t e n Sieg der Natur über die noch unterste und a l l g e m e i n s t e Wirkungsweise der u n g e s t a l t e t e n N a t u r vor Augen: so erblicken wir hier, im P f l a n z e n r e i c h e , einen zweiten ähnlichen Sieg, aber von noch h ö h e r e r und noch u m f a s s e n d e r e r Tragweite. Denn hier erfahren die einzelnen Glieder der u r s p r ü n g l i c h e n Z a h l e n r e i h e , sowie zugleich damit auch diejenigen der ursprünglichen W e s e n s r e i h e der gesammten noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r , keine bloss zweifache, sondern eine d r e i f a c h e innere Vervielf ä l t i g u n g oder innere S t e i g e r u n g ihres ursprünglichen

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

noch einfachen Z a h l e n w e r t h e s . Q u a r z r e i c h e s , d. h.

79

War daher die Reihe des

12, 22, 32, 42, 52, 6 2 u. s. w. = 1, 4,

9, 16,

25,

36 u. s. w.

so ist nun die Reihe des P f l a n z e n r e i c h e s 1 3 , 23, 33, 43, 53, 6 3 u. s. w. = 1, 8, 27, 64, 125, 216 u. s. w. Schon dieser kleine Anfang weist uns augenscheinlich darauf hin, um wieviel b e d e u t e n d e r die Zahlenwerthe der einzelnen G l i e d e r dieser das P f l a n z e n r e i c h vertretenden Z a h l e n r e i h e , ihrem inneren G e h a l t und Z a h l e n w e r t h nach, immer weiter a u s e i n a n d e r t r e t e n und, in gleichem Maasse, immer weiter sich wechselseitig von einander e n t f e r n e n , als dies in der v o r h e r g e h e n d e n , die Verhältnisse des Q u a r z r e i c h e s uns vor Augen stellenden Reihe der Fall ist. Denn wie nur Ein gemeinsamer G r u n d p l a n und nur Ein gemeinsamer G r u n d g e d a n k e es ist, welcher durch a l l e natürliche Daseynsgebiete einheitlich sich h i n d u r c h z i e h t : so zieht sich auch durch a l l e Z a h l e n r e i h e n , von welchen besonderen Höhenstufen (oder Potenzen) sie auch seyn und welche besonderen D a s e y n s s t u f e n sie vertreten mögen, allewege nur E i n g e m e i n s a m e s G r u n d g e s e t z der allgemeinen Zahlenlehre, welches sie a l l e e i n h e i t l i c h b e h e r r s c h t und auf welches sie alle gemeinschaftlich z u r ü c k w e i s e n . Daraus aber, dass eben jener in sich völlig Einheitliche U r - und G r u n d p l a n , jener allgemeine G r u n d g e d a n k e , nothwendig von Uranfang an, auch gleichzeitig a l l e b e s o n d e r e n D a s e y n s g e b i e t e , die niedrigen wie die höheren, und ebenso auch jenes E i n h e i t l i c h e G r u n d g e s e t z , alle sowohl niedrigsten wie höchsten Z a h l e n r e i h e n gemeinschaftlich in sich e i n s c h l i e s s e n müssen: geht unzweideutig für uns hervor, dass sowohl alle b e s o n d e r e n D a s e y n s w e i s e n , wie auch alle sie versinnbildlichenden b e s o n d e r e n Z a h l e n r e i h e n , allewege e i n e r s e i t s ebensowohl das Gepräge ihrer natürlichen Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t , wie a n d e r s e i t s gleich-

80

Die Einheit der Natur.

zeitig die Stempel auch ihrer mannigfachen B e s o n d e r h e i t e n in keiner Weise jemals verleugnen können. Richten wir nun aber unsere Aufmerksamkeit auch noch im Besonderen auf die unverkennbare V e r s c h i e d e n h e i t , welche in Bezug auf das fortschreitende A n w a c h s e n der besonderen Z a h l e n w e r t h e der betreffenden e i n z e l n e n G l i e d e r d e r b e i d e r s e i t i g e n Z a h l e n r e i h e n statt hat: so kann unmöglich der immer a u f f a l l e n d e r werdende U n t e r s c h i e d uns entgehen, welcher, mit dem gesetzmässigen V o r a n s c h r e i t e n der beiden Reihen es immer d e u t l i c h e r uns e r k e n n e n lässt, wie sehr von Anfang an das Quarz r e i c h in allen und jeden Beziehungen von dem P f l a n z e n r e i c h allseitig dergestalt überb o t e n ist, dass von irgendwelchem E i n h o l e n des L e t z t e r e n d u r c h das E r s t e r e in k e i n e r Weise jemals die Rede seyn kann. Denn mögen wir die das Q u a r z r e i c h vertretende Reihe so l a n g e f o r t s e t z e n als wir wollen, wir werden, wenn wir die Z a h l e n w e r t h e von zwei b e i d e r seits g l e i c h e n Gliedern, nämlich der Q u a r z r e i h e einerseits und der P f l a n z e n r e i h e anderseits, gemeinschaftlich in das Auge fassen, n i e m a l s zwei entsprechend g l e i c h e n Gliedern begegnen, denen beiderseits ein u n d d e r s e l b e Z a h l e n w e r t h könnte zukommen. Der betreffende Z a h l e n w e r t h in d e r P f l a n z e n r e i h e wird vielmehr allezeit den entsprechenden Z a h l e n w e r t h der Q u a r z r e i h e um ein Bedeutendes ü b e r s t e i g e n , und zwar wird dieser Unterschied fortwährend um so grösser, j e w e i t e r die betreffenden Glieder der beiderseitigen Reihen von ihren ersten Ausg a n g s p u n k t e n sich entfernen. Sehr verkehrt würde es daher seyn, das P f l a n z e n r e i c h jemals als eine blosse natürliche W e i t e r e n t w i c k e l u n g des Q u a r z r e i c h e s betrachten zu wollen. Was nun aber, im Weiteren, auch noch das eigentliche und v o r n e h m l i c h s t e M e r k m a l betrifft, durch welches das' P f l a n z e n r e i c h nicht allein v o l l g ü l t i g von dem Quarzreich sich u n t e r s c h e i d e t , sondern durch welches es

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

81

auch, seiner gesammten Wesensstellung nach, allseitig ü b e r d a s s e l b e in jeder Hinsicht sich e r h e b t : so haben wir als solches bereits an einem früheren Ort vor Allem dessen zweifellose F o r t p f l a n z u n g s f ä l l i g k e i t anerkennen müssen, wie solche allen seinen Angehörigen, von seinen u n t e r s t e n und noch einfachsten Stufen an bis hinauf zur h ö c h s t e n und vollendetsten, a u s n a h m s l o s z u k o m m t . Denn selbst die Thatsache, dass k l e i n e r e T h e i l s t ü c k e eines grösseren Quarzes, in ihre Mutterlauge gelegt, wieder zu einem s e l b s t s t ä n d i g e n grösseren Quarze ihrer Art a u s z u w a c h s e n vermögen, dürfen wohl zu jenen g e h e i m n i s s v o l l e n noch e r s t e n V o r a h n u n g e n zählen von Verhältnissen, welche e r s t zu einer s p ä t e r e n Zeit v o l l g ü l t i g a u f z u t r e t e n bestimmt sind, welche aber, als wirkliche Vertreter einer thatsächlichen Fortpflanzungsthätigkeit, in keiner Weise jemals gelten können. Bevor wir unsere gegenwärtige Untersuchung über die gegenseitigen begrifflichen wie natürlichen Verhältnisse schliessen, in welchen Quarz und P f l a n z e jederzeit wechselseitig zu einander stehen, haben wir auch noch eines a n d e r e n gleichfalls hierher gehörigen Verhältnisses zu gedenken. Eine jede besondere S t o f f a r t der noch u n g e s t a l t e t e n Natur vermag, nachdem das in ihren Einzeitheilen bis d a h i n noch gebundene und u n t h ä t i g s c h l u m m e r n d e innere G e s t a l t u n g s v e r m ö g e n zu eigener Bethätigung e r w a c h t ist, allewege n u r allein d i e j e n i g e körperliche A u s g e s t a l t u n g anzunehmen, welche a l l e n Angehörigen jener besonderen stofflichen Wesensart, in deren eigenem innersten Wesensgrund von Uranfang i n n e r l i c h b e s t i m m t und u n a b ä n d e r l i c h vorg e s c h r i e b e n ist. Zwar stellt die Erfahrung uns auch unzweifelhafte A b w e i c h u n g e n von eben dieser ursprünglichen G e s e t z m ä s s i g k e i t vor Augen: da dieselben jedoch nur als naturgesetzmässige Folgen von f r e m d e n äusseren E i n - u n d M i t w i r k u n g e n können betrachtet werden: so dürfen sie hier ausser Acht gelassen werden. Wae aber, in der angegebenen Wandersmann.

I.

6

82

Die Einheit der Natur.

Weise, für die noch e i n f a c h e r e n Gestaltungsverhältnisse gilt, welche das Reich d e r Q u a r z e kennzeichnen: das muss, in ganz ähnlicher Weise, seine Geltung b e h a u p t e n auch" in Bezug auf die an sich höheren G e s t a l t u n g s - und F o r t p f l a n z u n g s k r ä f t e , durch welche das P f l a n z e n r e i c h von dem Reich der Q u a r z e sich so wesentlich u n t e r s c h e i d e t . Auch hier muss einem jeden besonderen noch u n g e s t a l t e t e n Stoff, sobald die h ö h e r e n Kräfte und Vermögen des P f l a n z e n l e b e n s in ihm e r w a c h t und zu wirklicher B e t h ä t i g u n g gelangt sind, je nach deren Umfang auch seine ganz besondere und n u r ihm a l l e i n eigenthümliche P f l a n z e n f o r m zukommen. Oder mit anderen Worten: aus einem j e d e n b e s o n d e r e n S t o f f vermag je nach dessen besonderer W e s e n s a r t , durch Erwachen der in ihm schlummernden Kräfte des p f l a n z l i c h e n Lebens, auch allewege nur eine ganz b e s t i m m t e und nur ihm a l l e i n zukommende P f l a n z e n a r t hervorgehen, und zwar in einer ganz ähnlichen Weise wie wir sehen, dass solches auch in dem Reich der Q u a r z e nach ganz b e s t i m m t e n und ein für allemal f e s t s t e h e n d e n N a t u r g e s e t z e n der Fall ist. Der g l e i c h e Stoff begründet allezeit, wie die g l e i c h e Q u a r z g e s t a l t , so auch die g l e i c h e P f l a n z e n a r t : die V e r s c h i e d e n h e i t der Stoffe aber bedingt, wie die Verschiedenheit der Quarzg e s t a l t e n , so auch die innere wie die äussere V e r s c h i e d e n h e i t zwischen den e i n z e l n e n P f l a n z e n a r t e n . Auch hier steht und fällt das Eine mit dem Anderen. 1\ 24, 34, 44, 54, 6 4 . . . u. s. w. ist die nun folgende Reihe. Sie stellt uns das Thierreich in dem unübersehbaren Reichthum seiner Geschlechter und Arten vor die Augen. Was für den Unterschied zwischen Quarz und P f l a n z e gilt: das gilt hiernach, in seiner Weise, auch für den Unterschied zwischen P f l a n z e und T h i e r . Es ist abermals ein h ö h e r e r N a t u r g e d a n k e und damit eine h ö h e r e Art von N a t u r t r i e b e n , N a t u r k r ä f t e n und N a t u r g e s e t z e n , welche uns

83

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

entgegentreten. r e i c h e s , oder

War

daher vorhin die Reihe des Quarz -

12, 22, 32, 42, 52, 6 2 . . . = 1,

4,

9,

16,

25,

36 . . .

64, 125,

216 . . :

und die des P f l a n z e n r e i c h e s , oder 1 3 , 23, 33, 43, 53, 6 3 . . . = 1,

8, 27,

so ist nunmehr die Reihe des T h i e r r e i c h e s : 14, 24, 3*, 44, 54, 6 4 . . . = 1, 16, 81, 256, 625, 1296.I)em gleichen gemeinsamen Boden entstammend, wie seine beiden Vorgänger, überragt das T h i e r r e i c h , wie wir aus den betreffenden Z a h l e n - und W e s e n s r e i h e n ersehen, sowohl das Q u a r z r e i c h wie das P f l a n z e n r e i c h , in Bezug auf den natürlichen W e s e n s g e h a l t seiner einzelnen Glieder, in ganz derselben, aber noch vielfach u m f a s s e n d e r e n Weise, als solches hinsichtlich der bisher betrachteten Z a h l e n - und W e s e n s v e r h ä l t n i s s e , des Quarz- und des P f l a n z e n r e i c h e s , ihren g e s a m m t e n G r u n d l a g e n nach, jemals hätte der Fall seyn können. Denn auch h i e r ist Alles mit strengster N a t u r n o t h w e n d i g k e i t so u n a b ä n d e r l i c h , von U r a n f a n g an, nach allezeit feststehenden Naturgesetzen v o r a u s b e s t i m m t und a n g e l e g t , dass an A b w e i c h u n g e n von dem einmal bestehenden G r u n d g e s e t z , nach welchem alle solche Z a h l e n - oder W e s e n s s t e i g e r u n g e n vor sich zu gehen haben, in keiner Weise jemals gedacht werden kann. Wie weit jedoch die einzelnen Formen des T h i e r r e i c h e s , im Vergleich mit denen des P f l a n z e n r e i c h e s , wechselseitig aus einander treten: dies hat die obige Vergleichung in Bezug auf beide Daseynsgebiete' uns deutlich vor Augen gestellt. Gehen wir nunmehr aber noch um einen Schritt weiter: so sehen wir vor Allem die Frage nach dem b e s o n d e r e n M e r k m a l uns entgegentreten, durch welches sofort das T h i e r von der P f l a n z e auf eine wirklich zuverlässige Weise sich u n t e r s c h e i d e t ? Es ist dies das Vermögen einer thatsächlichen s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g , 6*

84

D i e Einheit der Natur.

Das sogenannte „Kahnthierchen" (Navicula), welches nur durch die schärfste Vergrösserung dem Auge zugänglich ist, bewegt sich schwimmend im Wasser, aber fremden Gegenständen, welchen es b e g e g n e t , geht es n i c h t aus dem Wege, sondern stösst regelmässig gegen dieselben an: das augenscheinlichste Zeugniss der Natur selbst, dass demselben k e i n e s i n n l i c h e W a h r n e h m u n g zukommt, und dass es in Folge dessen auch keineswegs dem T h i e r reich jemals darf zugetheilt werden. Die sogenannte „Monade" dagegen, welche ebenfalls nur unter den stärksten Vergrösserungen kann gesehen werden, und gleichfalls im Wasser lebt, w e i c h t jedem f r e m den G e g e n s t a n d , der ihr in den Weg kommt, alsbald aus. Und ebenso sieht man die Monaden, bei zufalligen Begegnungen, sich w e c h s e l s e i t i g aus dem Wege gehen. Dies heisst aber mit anderen Worten: die „Monade" ist ein w i r k liches T h i e r . Denn sie besitzt in Folge ihrer gesammten Naturanlage das nicht zu bezweifelnde B e w u s s t s e i n einer wirklichen Aussenwelt, Die pflanzliche-Monade aber, das „ K a h n t h i e r c h e n " , besitzt ein solches in keiner Weise. Schon in dieser an sich noch so einfachen Thatsache offenbart uns somit die Natur selbst, und zwar auf die unfehlbarste Weise, den e i g e n t l i c h - t v e s e n h a f t e n U n t e r s c h i e d , wie solcher, n i c h t bloss b e g r i f f l i c h , sondern auch n a t u r gemäss, bereits von Anfang an zwischen den an sich noch e i n f a c h s t e n P f l a n z e n s e e l e n einerseits und den an sich gleichfalls noch e i n f a c h s t e n T h i e r s e e l e n anderseits allezeit muss bestanden haben. Es deuten aber gleichzeitig alle diese Verhältnisse auch noch darauf hin, dass wir nunmehr, auch in Bezug auf das gesammte T h i e r r e i c h als Solchem, und zwar schon von dessen noch e r s t e n und u n t e r s t e n Gestaltungen an, vor dem n a t u r g e m ä s s e n D u r c h b r u c h eines ganz n e u e n und h ö h e r e n , von Stufe zu Stufe immer inh a l t s r e i c h e r sich entfaltenden N a t u r g e d a n k e n s uns befinden, als alle diejenigen noch gewesen, welche wir, bei

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

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Gelegenheit des ersten Auftretens eines wirklichen K r y s t a l l oder Q u a r z l e b e n s , theilweise auch schon früher, kennen gelernt haben. Bei allen derartigen innerlichen Wesens S t e i g e r u n g e n versteht es sich jedoch von selbst, dass allen derartigen inneren Wesenssteigerungen in keiner Weise jemals die Bedeutung darf unterschoben werden, als vermöchten, in Folge dessen, bereits thatsächlich vorhandene P f l a n z e n jemals in thatsächliche T h i e r e, oder bereits vorhandene P f l a n z e n - oder T h i e r g a t t u n g e n , im Verlaufe der Zeit, sich jemals in P f l a n z e n g a t t u n g e n oder gar in Menschen umzuwandeln. Wohl hat es eine Zeit gegeben, in welcher man alles Ernstes geglaubt hat, eine P f l a n z e „im Moment ihrer T h i e r w e r d u n g " belauscht zu haben: jedoch haben bis jetzt alle derartigen vermeintlichen Beobachtungen als blosse Täuschungen sich erwiesen. Denn was man, in Folge einer gewissen B e w e g l i c h k e i t im Wasser, für wirkliche T h i e r e gehalten hatte: das hat, nach genauerer Untersuchung, als blosse P f l a n z e n s p o r e n , d. h. als selbstständig gewordene P f l a n z e n k e i m e sich entpuppt, welche mit Hülfe eigentümlicher w i m p e r ä h n l i c h e r H a u t f o r t s ä t z e so lange in thierähnlicher Weise im Wasser sich herumbewegen, bis sie einen Ort gefunden haben, wo sie sich f e s t s e t z e n und zu einer vollkommenen P f l a n z e ihrer Art weiter auswachsen können (UNGER: Die Pflanze im Momente der Thierwerdung. Und GEORG FRESENIUS: Zur Controverse über die Verwandlung von Infusorien in Algen. S. 8 bis 13 u. S. 17. Und GEORG FRESENIUS: Grundzüge d. Botanik. S. 1). Wie der Q u a r z , wie die P f l a n z e von u n t e n h e r a u f , d. h. nur aus dem allgemeinen Schoosse der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r sich, einstens haben herausgestalten müssen: ganz ebenso auch •eine jede besondere T h i e r a r t . Denn auch das Thierreich vermag die inneren wie äusseren V e r s c h i e d e n h e i t e n seiner besonderen Geschlechter, Gattungen und Arten, in ihrer l e t z t e n Quelle nur allein aus der n a t ü r l i c h e n V e r s c h i e -

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d e n h e i t jener e r s t e n U r - und G r u n d s t o f f e herzuleiten, aus welchen sie einstens in ebenso naturgesetzmässiger Weise müssen h e r v o r g e g a n g e n seyn, wie solches auch in Bezug auf alle Angehörigen des Q u a r z - und P f l a n z e n r e i c h e s der Fall gewesen seyn muss. Auch im Bereich der T h i e r weit muss jenes a l l g e m e i n e N a t u r g e s e t z nothwendig seine Geltung b e h a u p t e n : das Thierreich kann ebensowenig eine Ausnahme hiervon machen wie seine beiden Vorgängerinnen. Denn auch hier steht und fällt das Eine mit dem Anderen. Wir kommen nun zu der R e i h e f ü n f t e n G r a d e s 5 l , 25, 36, 46, 56, 66 u. s. w. Sie weist uns hin auf das h ö c h s t e G e b i e t des gesammten uns bekannten Erdenlebens: auf das Menschengeschlecht. Mit ihm beginnt ein völlig n e u e s N a t u r g e b i e t : das Gebiet des eigentlichen G e i s t e s lebens. Durch welche innere wie äusserliche Ä h n l i c h k e i t e n der Mensch aber, in körperlicher Hinsicht wie hinsichtlich seiner S e e l e n v e r m ö g e n an das T h i e r r e i c h sich auch anschliessen mag: die höhere G e i s t e s g a b e der Vern u n f t und das damit verbundene geistige E r k e n n t n i s s v e r m ö g e n bleiben das w e s e n t l i c h e M e r k m a l , dadurch der Mensch für alle Zeiten sich von dem Thiere unterscheidet (siehe I. § 2 No. 2). Auch in diesen Beziehungen kann also von einem n a t ü r l i c h e n U b e r g a n g oder von einer a l l m ä h l i c h e n F o r t b i l d u n g irgendwelcher T h i e r a r t bis zu einem wirklichen Menschen durchaus in k e i n e r Weise die Rede sein. Im Gegentheil, wie alle drei Naturreiche, Q u a r z , P f l a n z e und T h i e r , ein jedes für sich im Besonderen, einst in der U r z e i t nur allein aus den s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n G r u n d b e s t a n d t e i l e n der gemeinschaftlichen Mutter Natur sich haben h e r v o r b i l d e n können: ebenso kann auch in Bezug auf das erste Auftreten des M e n s c h e n auf unserer Erde, nur ein sehr ä h n l i c h e s und v e r w a n d t e s Verhältniss stattgehabt

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haben. Daher hat auch COTTA, ganz in diesem Sinn, den „ G e i s t " als das „ j ü n g s t e l e t z t g e b o r n e Kind der S t o f f welt (der Materie)" bezeichnet, „dem alle anderen v o r a u s gegangen seyn müssten, damit auch E r zum wirklichen Durchbruch (zur Existenz) konnte kommen" (COTTA: Briefe über Humboldt's Kosmos S. 340). — 03er wie ÖTINGEB sich ausdrückt: „Es f e i e r t der Stoff in dem Menschen seine E r h e b u n g in den G e i s t " (AUBEKLEN: Otinger S. 194). Und in solcher Weise ist denn auch dem m e n s c h l i c h e n G e i s t e die gesammte ihn umgebende Natur n i c h t s F r e m d e s . Denn er selbst ist ja, in seinem i n n e r s t e n Wesensgrunde, nichts Anderes als ein v e r g e i s t i g t e r Stoff. Und eben h i e r i n liegt denn auch der tiefere Grund dafür, dass wir nicht nur mit anderen uns g l e i c h e n G e i s t e s w e s e n , sondern auch mit der gesammten uns v e r w a n d t e n niedrigeren Natur, d. h. mit allen sonstigen u n t e r uns stehenden Mitgeschöpfen, in g e g e n s e i t i g e W e c h s e l b e z i e h u n g e n zu treten im Stande sind. Aber eben dieser Umstand, dass auch der M e n s c h , ganz ebenso wie T h i e r e , P f l a n z e n und Quarze, seinem innersten Wesen nach nur aus einem ganz bestimmten und an sich noch u n g e s t a l t e t e n G r u n d s t o f f hervorzugehen im Stande war, dürfte darauf hinweisen, dass auch für das menschliche Geschlecht die V e r s c h i e d e n h e i t e n zwischen den einzelnen M e n s c h e n a r t e n , wenn auch nicht einzig und allein, so doch bis zu einem gewissen Theil, in ähnlichen innerlichen s t o f f l i c h - g e i s t i g e n W e s e n s v e r s c h i e d e n h e i t e n ihren Grund haben möchten. Wie und in welcher Weise solches aber, gerade in Bezug auf das M e n s c h e n g e s c h l e c h t , auch wirklich möglich seyn könnte: hierauf näher einzugehen werden wir, im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen, erst an einem späteren Orte Gelegenheit finden.

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No. 28. Ein jedes höhere Naturreich enthält nach seiner Weise auch alle unter ihm stehenden Naturreiche in sich eingeschlossen. Von allen im Vorstehenden besprochenen Z a h l e n r e i h e n stellt eine jede, f ü r ' s i c h a l l e i n in das Auge gefasst, als eine völlig neue S t e i g e r u n g sich dar, welche mit den übrigen gleichsam nur in einem sehr äusserlichen und oberf l ä c h l i c h e n Z u s a m m e n h a n g e sich zu befinden scheint. Sehen wir aber genauer zu, so werden wir erkennen, dass in einer jeden h ö h e r e n Reihe auch alle u n t e r ihr stehenden n i e d r i g e r e n R e i h e n stets mit e n t h a l t e n und eingeschlossen liegen. Die Werthe dieser letzteren gehen somit gewissermaassen in die höheren Reihen mit ein, um auf diesem Wege, in einem jeden einzelnen ihrer Glieder, auch selber innerlichen A n t h e i l zu nehmen auch an dessen eigener inneren W e r t h - und Wesenserhöhung. So ist in der zweiten Reihe allewege auch die erste, ebenso in der d r i t t e n die erste und zweite, in der v i e r t e n die erste, zweite und dritte, und in der f ü n f t e n endlich die erste, zweite, dritte und vierte Reihe mit eingeschlossen. Ganz das gleiche Yerhältniss gewahren wir aber auch, wenn wir die einzelnen N a t u r g e b i e t e und N a t u r r e i c h e gegenseitig mit einander vergleichen. Alle h ö h e r e n L e b e n s s t u f e n sehen wir die n i e d r i g e r e n in ihrer Weise i n s i c h e i n schliessen. Eine jede aufmerksamere Naturbeobachtung legt Zeugniss dafür ab, welches auch das Daseynsgebiet sey, an welches wir uns wenden. „Der Mensch" — sagt Baco von Verulam — „hat etwas von dem T h i e r e in sich, das T h i e r etwas von der P f l a n z e , die P f l a n z e etwas von dem Quarze, sodass alle Naturwesen gewissermaassen zweierlei Angesicht haben: Eines, mit dem sie nach oben, und Eines, mit dem sie nach u n t e n sehen" (Works of Lord Bacon and his novum Organum. By Joseph Devay). Aber die

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n i e d r i g e r e n Daseynsweisen gehen mit ihren einfacheren Wirkungskräften nicht bloss in die h ö h e r e n Daseynsformen e i n : es werden dieselben auch gleichzeitig von den Letzteren in einer solchen Weise mit v e r e d e l t und g e h o b e n , dass auch sie in i h r e m n e u e n und a u s g e d e h n t e r e n W i r k u n g s g e b i e t e in einer Weise sich zu b e t h ä t i g e n im Stande sind, wie ihnen eine solche auf ihrem f r ü h e r e n noch beschränkteren Standpunkte an und für sich n o c h n i c h t möglich gewesen ist. Darum sagt auch schon ANSELM VON CANTERBURY, dass alle n i e d r i g e r e Natur durch die h ö h e r e mit v o l l e n d e t und e r h ö h t werde (ANSELM VON CANTEEBURY: Cur Deus homo? Desgl. BAADER XIY. S. 224). Alles dieses sagt aber, der Sache nach, nichts Anderes, als dass in dems e l b e n V e r h ä l t n i s s , in welchem in irgend einem Daseynsgebiet h ö h e r e g e i s t i g e oder g e i s t v e r w a n d t e K r ä f t e zu ihrem natürlichen D u r c h b r u c h und zu ihrer thatsächlichen B e t h ä t i g u n g gelangt sind: damit gleichzeitig auch alle übrigen demselben zukommenden und an sich noch einf a c h e r e n Kräfte und Vermögen ebenfalls auf eine um so h ö h e r e und v e r g e i s t i g t e r e Stufe mit e m p o r g e h o b e n sind. Doch fassen wir eben diese Verhältnisse auch noch aus einem anderen Gesichtspunkt in das Auge. Was gibt den grösseren k ö r p e r l i c h e n Massen der noch ungestalteten Natur ihre ä u s s e r l i c h e G e s t a l t ? Es sind die in ihren einzelnen Bestandteilen thätigen K r ä f t e der S c h w e r e im Verein mit der in denselben mitbegründeten w e c h s e l s e i t i g e n Anz i e h u n g aller dieser Einzeitheile unter sich. Nun liegt es aber in eben diesem Verhältniss naturgemäss mit eingeschlossen, dass allein die K u g e l g e s t a l t und die ihr verwandten Formen, als die noch e r s t e n und e i n f a c h s t e n U r - und G r u n d g e s t a l t e n der Natur, im Stande sind, gleichzeitig auch den eben b e s p r o c h e n e n und in sich ebenfalls noch u r e i n f a c h s t e n Naturverhältnissen in Wirklichkeit zu e n t s p r e c h e n . Wie ganz a n d e r s erscheinen dagegen mit

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einem Male alle diese Verhältnisse, sobald in eben jenen in sich noch e i n f a c h s t e n Ur- und Grundbestandteilen aller sinnlich wahrnehmbaren k ö r p e r l i c h e n D i n g e jene h ö h e r e n G e s t a l t u n g s k r ä f t e des u n t e r s t e n der d r e i R e i c h e der wirklich g e s t a l t e n d e n N a t u r ebenfalls e r w a c h t und in ihre natürliche Thätigkeit mit e i n g e t r e t e n sind! Nicht die einfacheren Verhältnisse der K u g e l g e s t a l t , nicht die alleinigen Gesetze der Schwere sind es, welche fortan ausschliesslich walten. Der Morgen eines ganz neuen und h ö h e r e n G e s t a l t u n g s l e b e n s ist vielmehr hereingebrochen, und von I n n e n h e r a u s , aus den i n n e r s t e n N a t u r - und W e s e n s g r ü n d e n der betreifenden Einzeldinge, sehen wir mit einem Male, selbst den Gesetzen der Schwere e n t g e g e n , ebenmässige G e s t a l t e n des u n t e r s t e n Naturreiches, von ganz bestimmten E c k e n , W i n k e l n und K a n t e n begränzt, vor unseren Augen dastehen. Die frühere Wirkungsweise der S c h w e r e hat deshalb n i c h t aufgehört; aber sie ist d i e n s t b a r geworden eben jener h ö h e r e n G e s t a l t u n g s k r a f t , in deren natürlichen Wirkungskreis sie nunmehr mit einget r e t e n ist, und in deren Sinn u n d G e i s t , sowie nach deren h ö h e r e n G e s e t z e n , sie fortan a l l e i n noch zu w i r k e n im Stande ist. In noch weit auffälligerem Grade zeigen sich diese Verhältnisse jedoch im P f l a n z e n r e i c h . Stoffliche V e r b i n d u n g e n , welche die Kräfte der allgemeinen Stoffund Körperwelt in k e i n e r Weise f ü r sich a l l e i n zu bewirken v e r m ö g e n , werden denselben m ö g l i c h , sobald, in Folge ihres Eintrittes in den i n n e r e n L e b e n s k r e i s e i n e r P f l a n z e , nunmehr auch die h ö h e r e n Kräfte des p f l a n z l i c h e n L e b e n s ihnen dienstbar und förderlich geworden sind. Eine wirkliche P f l a n z e n f a s e r , ein wirkliches P f l a n z e n g r ü n , einen wirklichen P f l a n z e n s a f t hat die ungestaltete Natur, so wenig wie die menschliche Kunst, noch jemals für sich allein zu Wege gebracht. Was man etwa fälschlich für k ü n s t l i c h verfertigten W e i n ausgibt, ist ebensowenig ein

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w i r k l i c h e r Wein, wie jene k ü n s t l i c h e n Quarzgestalten,, welche aus Holz oder Thon zum Zweck des Unterrichtes angefertigt werden, jemals für n a t u r w ü c h s i g e Q u a r z e können gehalten werden. Der ä c h t e Wein wird stets seinen p f l a n z l i c h e n Ursprung dadurch verrathen und bewähren, dass er, selbst in dem F a s s e , um dieselbe Zeit in innerliche U n r u h e und Aufregung geräth, in welcher in dem W e i n s t o c k e selbst dessen n a t ü r l i c h e Lebenssäfte in die jungen Knospen und Keime zu treiben beginnen: der k ü n s t l i c h e und zum B e t r u g n a c h g e m a c h t e Wein aber wird diese Erscheinung n i e m a l s zeigen, weil er eben einfach kein ä c h t e r Wein ist, sondern nur ein u n ä c h t e s , wohl den Schein, n i c h t aber das Wesen des Weines in sich tragendes schlechtes Gebräu. Aber welch ein R e i c h t h u m der e d e l s t e n Gestaltungen vermögen dagegen die Gestaltungskräfte des u n t e r s t e n Naturreiches im I n n e r n eines P f l a n z e n k ö r p e r s zu bewirken! Es ist in beiden Fällen, im Quarz wie in der P f l a n z e , im innersten Grund und Wesen die g l e i c h e K r a f t , und dennoch, welch ein U n t e r s c h i e d in den hervorgebrachten F o r m e n und Gestalten. Was ist das schönste naturwüchsige S i l b e r b ä u m c h e n des untersten Naturreiches im Vergleich mit den natürlichen M o o s b i l d u n g e n auf unseren Bäumen und Felsen: und doch gehören selbst diese Moosbildungen noch zu den e i n f a c h e r e n und n i e d r i g e r e n Formen der gesammten Pflanzenwelt. Aber n i c h t durch diese allgemeine h ö h e r e G e s t a l t u n g s k r a f t a l l e i n erweist sich das Eingehen der Kräfte des untersten Naturreiches in das Bereich des wirklichen P f l a n z e n l e b e n s : auch in dem P f l a n z e n k ö r p e r selbst, und in dessen einzelnen T h e i l e n , zeigt es sich in seiner Weise thätig. In den verschiedenartigsten Z e l l e n und Geweben des Pflanzenkörpers, des S t a m m e s wie der B l ä t t e r , haben diese Kräfte des untersten Naturreiches ihre verborgene Werkstätte aufgeschlagen. Soweit bis jetzt die wissenschaftlichen Erfahrungen reichen, dürfte es wohl kaum eine

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h ö h e r e P f l a n z e n a r t geben, welche uns nicht durch die in einzelnen ihrer Z e l l e n enthaltenen, aber freilich nur dem stark bewaffneten Auge sichtbaren, fast unendlich kleinen Q u a r z b i l d u n g e n den Beweis lieferte für das stille Wirken jener Kräfte auch noch i n n e r h a l b des G e s t a l t u n g s g e b i e t e s des eigentlich p f l a n z l i c h e n Lebens. Schon in den einfachsten Algen f o r m e n finden sie sich vor, und unsere S c h n e i d g r ä s e r und S c h a c h t e l h a l m e verdanken bekanntlich n u r i h n e n die schneidende S c h ä r f e und rauhe H ä r t e ihrer Blatt- und Stengelfurchen. Bald schwimmen sie einzeln oder zu mehreren frei und nach allen Richtungen vollkommen ausgebildet i n m i t t e n des Z e l l e n s a f t e s , aus welchem sie hervorgegangen sind; bald zeigen sie sich zu s t e r n f ö r m i g e n D r u s e n vereinigt, oder in Gestalt von B ü s c h e l n unendlich f e i n e r , scharf zugespitzter Q u a r z n a d e l n bei e i n a n d e r liegen, und in solcher Weise dem Auge des Beschauers die schönsten und r e g e l m ä s s i g s t e n G e s t a l t e n bieten, wie kaum das I n n e r e der E r d e sie jemals hervorzubringen im Stande ist. Und ganz den ähnlichen Erscheinungen und Thatsachen begegnen wir in dem T h i e r - und M e n s c h e n k ö r p e r ; aber freilich in diesen beiden Lebensgebieten auch häufig in Folge von körperlichen K r a n k h e i t s z u s t ä n d e n . Wenn nämlich die einheitliche Kraft der Seele n i c h t m ä c h t i g g e n u g ist, innerhalb ihres körperlichen Leibes jene besonderen Kräfte u n t e r g e o r d n e t e r Daseynsgebiete in einer solchen Weise zu beh e r r s c h e n , zu überwachen und zu leiten, dass sie auch wirklich nur a l l e i n dem D i e n s t e und den Zwecken der gemeinsamen h ö h e r e n Lebenseinheit sich widmen: dann folgen jene Kräfte, wo immer möglich, den G e s e t z e n i h r e r eigenen n i e d r i g e r e n N a t u r , und bewirken eben dadurch jene Z u s t ä n d e , welche mehr oder weniger als K r a n k h e i t e n zu bezeichnen sind. In dem B l u t e von I n s e k t e n und in den Muskeln eines A l i g a t o r s hat man derartige Q u a r z b i l d u n g e n gefunden; ja selbst in der O h r f l ü s s i g k e i t des

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M e n s c h e n , welche die Säcke des Labyrinthes im Ohr erfüllt, sind sie nachgewiesen. Vermag die G e s t a l t u n g s k r a f t des noch u n t e r s t e n Naturreiches aber schon unter dem veredelnden Einfluss p f l a n z l i c h e r L e b e n s k r ä f t e eine unverkennbare E r w e i t e r u n g ihres natürlichen Wirkungskreises zu erfahren: in wie weit h ö h e r e n Graden muss dies der Fall seyn, wenn wir dieselben im t h i e r i s c h e n K ö r p e r unter der Herrschaft und Oberleitung der t h i e r i s c h e n Seele ihre Thätigkeit entfalten sehen. Was in ihrem natürlichen Bereiche der einzelne Q u a r z k ö r p e r und die gemeinsame Q u a r z d r u s e sind: das ist im P f l a n z e n r e i c h e der feste S t a m m mit seinen Asten und Zweigen, und bei den höheren T h i e r e n deren K n o c h e n g e r ü s t e mit den es zusammensetzenden einzelnen K n o c h e n s t ü c k e n . Es ist d e r s e l b e G r u n d g e d a n k e und d i e s e l b e G r u n d k r a f t , aber dem neuen und h ö h e r e n Wirkungskreise angemessen und darum wesentlich v e r e d e l t und e r w e i t e r t . Denn der h ö h e r e Zweck verlangt auch h ö h e r e Mittel. Und was für das p f l a n z l i c h e Leben die S ä f t e a u f n a h m e , der S ä f t e u m l a u f , die E r n ä h r u n g und das dadurch bedingte Vermögen des W a c h s t h u m s , der Erhaltung und der F o r t p f l a n z u n g sind: das ist für das T h i e r r e i c h die Aufnahme von N a h r u n g , deren V e r d a u u n g , deren Umwandlung in B l u t , woran sich hier wie dort die Bedingungen des W a c h s t h u m s , des selbstständigen B e s t e h e n s und der g e s c h l e c h t l i c h e n Z e u g u n g knüpfen. Aber welch ein U n t e r s c h i e d zwischen den k ö r p e r l i c h e n H ü l f s m i t t e l n zur Aufnahme und zur Verarbeitung der Speisen, den B l u t k a n ä l e n u. s. w., wie der thierische Körper, unter dem Einfluss der höheren T h i e r s e e l e , dieselben zu deren h ö h e r e n L e b e n s z w e c k e n darzustellen im Stande ist, und den entsprechenden ähnlichen, aber in Allem in weit e i n f a c h e r e r Weise angelegten Gebilden des P f l a n z e n r e i c h e s . Ganz den gleichen Erscheinungen und Thatsachen aber, welche wir hier in Bezug auf die äusseren K ö r p e r g e s t a l t u n g e n und das

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eigentliche K ö r p e r l e b e n der Naturwesen begegnen, begegnen wir nun auch bei dem M e n s c h e n in Bezug auf dessen inneres Seelen- und G e i s t e s l e b e n . Alle S e e l e n v e r m ö g e n des T h i e r e s sind im Menschen durch das Erwachen der V e r n u n f t , als der eigentlichen h ö h e r e n G e i s t e s t h ä t i g k e i t , mit v e r e d e l t und g e h o b e n : das gesammte D e n k v e r m ö g e n des Menschen hat, sammt seinem eigentlichen W i l l e n s g r u n d , durch die ihm zukommende h ö h e r e E r k e n n t n i s s k r a f t eine e r w e i t e r t e und veredeitere Richtung erhalten. L e b e n s z i e l e und L e b e n s z w e c k e haben in Folge dessen dem Menschen sich erschlossen, von denen das T h i e r , auf seinem niedrigeren Standpunkt, auch nicht die entfernteste Ahnung hat, noch solche jemals haben kann. Wie in der B l ü t h e der P f l a n z e alle Kräfte und Verhältnisse dieser Letzteren zu einer höher e n G e d a n k e n e i n h e i t sich erheben: so werden im Menschen alle u n t e r ihm stehenden Lebensgebiete in einer solchen Weise v e r e i n i g t , v e r e d e l t und g e h o b e n , dass er als eine K r o n e der gesammten i r d i s c h e n N a t u r sich darstellt. Alle h ö h e r e n R e c h n u n g s a r t e n gründen sich nicht etwa bloss auf die n i e d r i g e r e n : die Letzteren werden vielmehr von jenen in sich a u f g e n o m m e n und, zur Verwerthung für deren besondere Zwecke, denselben, gleichzeitig damit, auch innerlich in sich selber mit v e r ä h n l i c h t . Wie sehr aber ein ganz gleiches Verhältniss auch zwischen den verschiedenen n i e d e r e n und h ö h e r e n D a s e y n s s t u f e n dieser Welt stattfindet: davon haben wir uns soeben überzeugt. Eine jede n i e d r i g e r e Naturkraft, in den Wirkungskreis und unter die Herrschaft einer h ö h e r e n gebracht, erlangt die Befähigung zu weiteren h ö h e r e n und v e r e d e i t e r e n K r a f t ä u s s e r u n g e n , als ihr solche für sich allein wären möglich gewesen. Der einheitliche G r u n d g e d a n k e und das darin begründete allgemeine G r u n d g e s e t z der Natur bedingt, dass eine jede h ö h e r e Wesensstufe der ihr u n t e r g e o r d n e t e i l als eines Mittels zu um so umfangreicherer Verwirklichung ihrer

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e i g e n e n Daseynszwecke sich bediene. „In dem naturgemässen Zustand der Dinge" — sagt J. C. PASSAVANT — „ist immer die n i e d e r e Kraft der höheren u n t e r w o r f e n . So werden in der g e s t a l t e t e n (organischen) Natur die Kräfte der u n g e s t a l t e t e n (unorganischen) Natur durch die gestalteten b e h e r r s c h t ; im Menschen aber, wenn auch nicht völlig, die gestaltenden durch die geistige. Die ganze Natur ringt darnach, vom Geiste b e h e r r s c h t und durch ihn verh e r r l i c h t zu werden" (HAMBERGER : Stimmen der geistl. Mystik II S. 190). Denn wie alles Wesen dieser Welt, von seinen ersten Ausgangspunkten an, die B e s t i m m u n g in sich trägt, in den G e i s t e r h o b e n und seinem gesammten innersten Wesensinhalt nach immer mehr zur einstigen vollen A u s w i r k u n g aller in ihm s c h l u m m e r n d e n höheren Geisteskräfte b e f ä h i g t zu werden: ebenso sucht auch alles bereits auf h ö h e r e n Lebensstufen befindliche Daseyn, a l l e s Nied r i g e r e , das seinem unmittelbaren Einfluss unterworfen ist, sich i n n e r l i c h zu v e r ä h n l i c h e n , um es auf solche Weise, soweit als möglich, bis zur eigenen Höhe des Daseyns i n n e r l i c h e m p o r z u h e b e n . So liegt es in dem natürlichen Trieb der Seele, Alles, worauf sie unmittelbar e i n z u w i r k e n im Stande ist, vor allem also die e i n z e l n e n B e s t a n d t e i l e ihres äusserlichen L e i b e s , durch E r w e c k u n g der in ihnen s c h l u m m e r n d e n K r ä f t e und Vermögen in ihrer Weise zu b e s e e l e n , d. h. sie alle, soweit es thunlich, in deren eigenem innersten W e s e n s g r u n d e mehr oder weniger zum Range wirklich b e s e e l t e r W e s e n h e i t e n zu erheben. Wir werden an einem anderen Orte sehen, wie das gesammte F o r t p f l a n z u n g s v e r m ö g e n der Pflanze, sammt dem Z e u g u n g s v e r m ö g e n der Thiere und Menschen, nur allein in diesen Verhältnissen seine naturgemässe Erklärung zu finden im Stande ist. „Es soll das H ö h e r e " — sagt SENGLER — „das Niedere b e h e r r s c h e n , und so seine M a c h t an und in ihm a u s ü b e n . Dieses ist aber nur möglich, wenn beide

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D i e Einheit der Natur.

etwas G e m e i n s a m e s haben, das sie in Beziehung und Verbindung setzt. I s t die N a t u r das Vorbild (und die Vorstufe) des Geistes, so muss sie in sich G e i s t i g e s h a b e n auf n a t ü r l i c h e Weise, d. h. als N a t u r , und ebenso muss auch der Geist N a t ü r l i c h e s , N a t u r b e s t i m m u n g e n , in sich h a b e n , n u r auf geistige Weise, oder als Geist. Dieses ist das g e m e i n s a m e B a n d b e i d e r , durch welches sie mit e i n a n d e r in V e r b i n d u n g und E i n h e i t treten können, und doch dabei wesentlich v e r s c h i e d e n bleiben. Aber weil das H ö h e r e das N i e d e r e auf höhere, dem H ö h e r e n v e r ä h n l i c h t e Weise in sich hat, ist das N i e d e r e ein in die N a t u r des H ö h e r e n u m g e w a n d e l t e s und an ihr Theil habendes, dessen Bestimmungen selbst in sich tragendes und von ihr b e h e r r s c h t e s Seyn. Da der G e i s t die N a t u r auf g e i s t i g e Weise, oder als Geist, in sich hat, ist dieselbe auch selber v e r g e i s t i g t , u m g e w a n d e l t und b e s t i m m t vom Geist, dessen Eigentümlichkeiten in sich t r a g e n d , von seinem Wesen und Zweck beherrscht (SENGLEB: Idee G. II 2 . S. 437). Xo. 29. Gleichbleiben der ersten stofflichen Grundlage durch alle höheren Lebensgebiete hindurch. Unmöglichkeit der Verwandlung eines Naturreiches in ein anderes. Doch betrachten wir schliesslich unsere Z a h l e n r e i h e n auch noch von einem anderen Gesichtspunkte aus. Denken wir uns einen beliebigen G r u n d s t o f f der noch unges t a l t e t e n Natur und bezeichnen wir denselben der grösseren Einfachheit wegen mit 1. Alsdann bezeichnet uns l 1 dessen Verhalten und die ihm zukommenden s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n K r ä f t e und Eigenschaften, solange derselbe auf der noch n i e d r i g s t e n Stufe des allgemeinen Naturdaseyns sich befindet und somit als irgendwelches Glied der a l l g e m e i n e n Stoff- und K ö r p e r w e l t sich darstellt. I 2 versinnbildlicht uns d e n s e l b e n und gleichen Stoff, nachdem auch die im

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

97

Keime in ihm s c h l u m m e r n d e n eigentlichen G e s t a l t u n g s k r ä f t e des untersten Naturreiches, also des Qnarzreiches in ihm e r w a c h t und zu wirklicher Bethätigung gelangt sind. I 3 bezeichnet uns den n ä m l i c h e n S t o f f , nachdem er in ganz der ähnlichen Weise noch um eine Lebensstufe weiter, nämlich bis zum wirklichen Pflanzenleben sich erhoben hat, wodurch auch die Kräfte eines eigentlichen F o r t p f l a n z u n g s v e r m ö g e n s in ihm zum Durchbruch gelangt sind. I 4 zeigt uns d e n s e l b e n Stoff auf der Stufe des Thierlebens mit dem diesem Letzteren zukommenden eigentlichen Seelenverm ö g e n , wie solche in der sinnlichen W a h r n e h m u n g , in dem natürlichen D e n k e n und in dem natürlichen W o l l e n des T h i e r es an den Tag treten. Und in l 6 sehen wir endlich d e n s e l b e n Stoff auf der Höhe des wirklichen Geisteslebens, nachdem in ihm, als m e n s c h l i c h e r S e e l e , auch die Gabe der V e r n u n f t , sowie in und mit derselben gleichzeitig auch die Möglichkeit zu wirklich g e i s t i g e n E r k e n n t n i s s e n zu ihrer natürlichen Geltung gelangt sind. Fassen wir diese verschiedenen Z a h l e n - u n d W e s e n s w e r t h e nunmehr aber noch etwas genauer in das Auge: so werden wir finden, dass für die noch u n g e s t a l t e t e N a t u r i1 = i; für das Q u a r z r e i c h V = 1 x 1= . . . . 1 ; für das P f l a n z e n r e i c h 13 = 1 X 1 X 1 = • • •

1 ;

14 = 1 X 1 X 1 X 1 =

1;

für das T h i e r r e i c h .

und für den M e n s c h e n 15 = i x i x i x i x i = i ist. Dies heisst aber mit anderen Worten, dass kein N a t u r s t o f f , zu welcher besonderen s t o f f l i c h e n A r t er auch gehören und bis zu w e l c h e r H ö h e n s t u f e des natürlichen Daseyns er sich e r h e b e n möge, seinem e i g e n e n i n n e r e n Wander,«manu.

I.

7

98

Die Einheit der Natur.

Wesen nach, jemals im Stande seyn kann, auch nur die allergeringste V e r ä n d e r u n g in Bezug auf diese seine ura n f ä n g l i c h e W e s e n s a r t in sich zu e r l e i d e n . Alle diejenigen b e s o n d e r e n stofflichen Eigenthümlichkeiten, durch welche er sich, seiner A r t n a c h , von anderen von ihm verschiedenen Stoffen im Gebiete der noch ungestalteten Natur u n t e r s c h e i d e t , bleiben auf a l l e n h ö h e r e n S t u f e n , zu welchen er sich je e r h e b e n mag, hinsichtlich ihrer besonderen W e s e n s a r t , doch allewege w e s e n t l i c h die G l e i c h e n . Wohl sehen wir mit einer jeden solchen innerlichen Wesenserhöhung n e u e K r ä f t e , h ö h e r e T r i e b e und e d l e r e Ges t a l t u n g e n , mit den ihnen entsprechenden u m f a n g r e i c h e r e n W i r k u n g s k r e i s e n , an den Tag treten: aber die eigentliche und ursprüngliche s t o f f l i c h e N a t u r derselben bleibt von allem diesen doch völlig u n b e r ü h r t . Welch ein U n t e r s c h i e d in der ä u s s e r e n E r s c h e i n u n g desselben und gleichen Stoffes, je nachdem er in dem f e s t e n , f l ü s s i g e n oder l u f t f ö r m i g e n Z u s t a n d sich befindet! Und ebenso, welch ein U n t e r s c h i e d , in Bezug auf alle L e b e n s v e r h ä l t n i s s e , zwischen dem E i eines Schmetterlings, der ihm entschlüpfenden R a u p e , ihrer P u p p e und dem ausgebildeten S c h m e t t e r l i n g selbst! Und doch ist es d e r s e l b e S t o f f , dasselbe I n s e k t , welche unter allen diesen U m w a n d l u n g e n in ihrem i n n e r e n Wesen doch stets D i e s e l b e n und Gleic h e n bleiben: denn der innere G r u n d und die natürlichen M i t t e l zu allen diesen V e r ä n d e r u n g e n liegen in dem B e g r i f f und dem Wesen der betreffenden T h i e r a r t e n von Anfang an mit enthalten und eingeschlossen. Dem einf a c h e n Stoff werden daher allezeit auch nur die einf a c h s t e n Q u a r z f o r m e n , sowie die e i n f a c h e r e n P f l a n z e n a r t e n und die e i n f a c h e r e n T h i e r a r t e n oder Thiergattungen entsprechen können, und zwar den nur ä h n l i c h e n und v e r w a n d t e n S t o f f a r t e n folgerichtig auch nur ähnliche und v e r w a n d t e Q u a r z - , P f l a n z e n - und T h i e r g e s c h l e c h t e r ,

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

99

ebenso wie umgekehrt u n ä h n l i c h e r e n S t o f f a r t e n allewege auch nur u n ä h n l i c h e r e Ausgestaltungen. Und in solcher Weise führen alle diese Verhältnisse, von welchen Seiten und Gesichtspunkten aus wir dieselben auch in das Auge fassen mögen, uns wiederholt darauf hin, dass stets nur von u n t e n , d. h. nur von dem u n t e r s t e n und allgemeinsten G r u n d e alles Naturdaseyns aus, eine wirkliche E r h e b u n g zu h ö h e r e n Wesens- und Daseynsstufen jemals naturgemäss stattfinden kann. Aus k e i n e r R e i h e e r s t e n G r a d e s , noch aus irgend welchem e i n z e l n e n G l i e d e derselben, vermag jemals, nach den in jenen Reihen ausgeprägten allgemeinen Z a h l e n g e s e t z e n , irgendwelche Z a h l e n g r ö s s e des zweiten Grades, ebenso aus k e i n e r Reihe des zweiten Grades, oder aus irgend welchem e i n z e l n e n G l i e d e derselben, eine Z a h l e n g r ö s s e des d r i t t e n G r a d e s hervorzugehen, u. s. w. So vermag auch n i e m a l s , so lange die Welt steht, aus einem wirklich naturgemäss ausgebildeten Q u a r z e , sey es der e i n f a c h s t e oder der e d e l s t e nach Stoff und Gestaltung, eine wirkliche P f l a n z e aus sich hervorzubringen, oder sich s e l b s t in eine solche u m z u w a n d e l n , und wäre es auch nur die allerniedrigste und einfachste Pflanzenform, welche wir kennen. Was aber der Natur der Sache nach, weil auf u n w a n d e l b a r e n G e s e t z e n gegründet, hier n i c h t m ö g l i c h ist: das kann auch auf noch h ö h e r e n Lebensgebieten ganz e b e n s o wenig als möglich sich darstellen. Auch die P f l a n z e n w e l t kann und darf, aus allen diesen von der Natur selbst uns vor die Augen gelegten Gründen, nie und n i m m e r m e h r , weder in ihren e i n f a c h s t e n noch in ihren e d e l s t e n Formen, gleichsam als eine Gebärmutter f ü r die T h i e r w e l t aufgefasst werden. Denn dies würde ebensowohl allen T h a t s a c h e n , welche die Natur selbst in ihren gesammten Wirksamkeiten allenthalben uns vor Augen stellt, wie allen G e s e t z e n eines vernunftgemässen D e n k e n s in allen Stücken w i d e r s t r e i t e n . Keine Naturkraft — das lehren uns beide, V e r n u n f t und 7*

100

Die Einheit der Natur.

Erfahrung



Grösseres

vermag

in

ihrer

Wirksamkeit

mehr

zu leisten, als was an und für sich von

aus in sie g e l e g t

ist.

Eine jede N a t u r k r a f t

und Natur

aber besitzt,

auf welchem Lebens- und Daseynsgebiete sie sich auch äussern und

bethätigen

Wirksamkeit,

mag,

ihr

ganz

bestimmtes

dessen ihr von der N a t u r

Maass

selbst

von

gezogene

G r ä n z e sie nirgends zu ü b e r s c h r e i t e n im Stande ist. irgendwelcher

Naturstoff,

durch

Hat

äussere und innere allge-

meine Naturverhältnisse begünstigt, überhaupt einmal zu einem wirklichen

Quarze

sich gestaltet: so sind es, so lange der

betreffende Quarzkörper als dem Gebiete welche

des

Quarzlebens

derselbe

Stande ist. tung

haben

Folge

ganz

Pflanzen-

fortan

Ganz

alle

besteht, auch nur die

eigenthümlichen

naturgesetzmässig

das G l e i c h e

für der

solcher

Kräfte,

auszuwirken

muss aber auch seine

diejenigen

Naturwesen,

ähnlichen Verhältnisse,

auf

im Gel-

welche,

die Stufe

oder des T h i e r l e b e n s sich gestellt

finden.

in des

Mag

die besondere P f l a n z e n - oder T h i e r g a t t u n g , bis zu welcher ein bestimmter G r u n d s t o f f mag,

seyn

welche

sie

sich überhaupt zu erheben ver-

wolle:

immerhin

müssen

wir

daran

festhalten, dass die bis dahin noch s c h l u m m e r n d e n , aber zu thatkräftiger langenden h ö h e r e n

Bethätigung Kräfte

und

Auswirkung

nun ge-

und V e r m ö g e n des P f l a n z e n -

oder des T h i e r l e b e n s allewege in den e n g s t e n Beziehungen und im i n n i g s t e n

Einklang

stehen müssen auch mit der

besonderen W e s e n s a r t des betreffenden G r u n d s t o f f e s selber. Das natürliche K r a f t m a a s s aber, welches in solcher Weise einer j e d e n

besonderen

Stoffart,

ihr gehörigen E i n z e l d i n g e n ,

von Uranfang an

muss gleichzeitig für alle Zeiten liche seyns-

zukommt:

das g e m e i n s a m e

natür-

Maass seyn auch für alle diejenigen besonderen und W e s e n s e r w e i t e r u n g e n

senserhöhungen, unter

oder vielmehr den zu

oder

innerlichen

bis zu welchen ein solcher

den Einflüssen

und Mitwirkungen von

DaWe-

Grundstoff, pflanzlichen

101

Die Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

oder t h i e r i s c h e n L e b e n s k r ä f t e n , es nach seiner besonderen Wesensart fähigt

überhaupt jemals

sein

kann.

Es

zu bringen

bezeichnet

naturgemäss

somit

jenes

liche und in sich unabänderliche K r a f t m a a s s , jeden besonderen S t o f f a r t messen über

ursprüng-

wie es einer

von Anfang an natürlich

zug?r

ist, uns gleichzeitig auch die n a t ü r l i c h e , G r ä n z e ,

welche

hinauszugehen

welcher H ö h e n s t u f e mag,

be-

jemals

keinem

Naturwesen,

bis

zu

es sich auch emporgeschwungen haben

möglich

seyn

kann.

Keiner

Pflanzenform,

von welcher besonderen Natur und Art sie auch seyn möge, kann

jemals

Kräfte

gleichzeitig

und Vermögen

gattung,

auch

noch

die

besonderen

irgendwelcher

anderer

Pflanzen-

geschweige denn diejenigen

höheren

Eigentüm-

lichkeiten in Wirklichkeit z u k o m m e n , welche ausschliesslich, als zu dem Begriff und dem Wesen des T h i e r r e i c h e s hörend, Weise

müssen

in Bezug

Pflanze

anerkannt auf das

und T h i e r

werden.

Was

aber

in

gegenseitige Yerhältniss

ge-

solcher zwischen

seine Geltung haben muss:

das muss

auch in ganz der gleichen Weise gelten zwischen dem T h i e r e und

dem

Menschen.

Kann

keine

Pflanze

durch

eigene

Kraft sich s e l b e r in eine völlig a n d e r e P f l a n z e n a r t oder Pflanzengattung Samen

umwandeln:

so

kann

sie

auch

keinen

aus sich entstehen lassen, aus welchem jemals eine

a n d e r e P f l a n z e n a r t hervorzusprossen vermöchte, als eben nur i h r e eigene.

Und noch viel w e n i g e r vermöchte ein solcher

ursprüngliche

Pflanzensame

Thiere

sich zu entwickeln.

jemals zu einem

wirklichen

Ebenso i n n e r l i c h ^ u n m ö g l i c h

muss es aber auch seyn, dass ein wirkliches T h i e r , in

sich

s e l b e r oder in seinen

Nachkommen,

sey es

jemals im

Stande seyn sollte, die Gestalt und das Wresen eines s c h e n anzunehmen. inneren

Wesensgrund

demzufolge

auch

Men-

Denn wie das T h i e r , in seinem ganzen

einer

einem ganz

anderen anderen

Naturreich,

und

Wesens reihe,

an-

gehört wie die P f l a n z e : so muss, der ganzen Sachlage nach,

102

Die Einheit der Natur.

eine ganz g l e i c h e V e r s c h i e d e n h e i t stattfinden auch zwischen dem Menschen und dem T h i e r e . Nur von u n t e n h e r a u f , nur von der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r aus, vermochte der e r s t e A n s t o s s zu einer solchen h ö h e r e n W e s e n s s t e i g e r u n g und zu solch höherer K r a f t e n t f a l t u n g auszugehen. Von h i e r aus muss der Stoff aus seiner beschränkten Wirkungsweise sich h e r a u s b i l d e n und herausleben zu h ö h e r e n F o r m e n des Dasevns, soll er überhaupt v e r m ö g e n d seyn, bis zu diesen sich e m p o r z u s c h w i n g e n . Und auch dieses ist nur möglich in Folge und mit H ü l f e des a l l g e m e i n e n E n t w i c k e l u n g s g a n g e s des gemeinsamen N a t u r g a n z e n . Von diesem und von seiner h ö h e r e n E i n w i r k u n g muss die erste a n r e g e n d e K r a f t ausgehen: sonst bliebe auch der Stoff für alle Zeiten dasselbe, was er vom e r s t e n A n f a n g an gewesen, und k e i n e h ö h e r e L e b e n s f o r m vermöchte, trotz aller in ihm schlummernden n a t ü r l i c h e n B e f ä h i g u n g hierzu, jemals aus dessen Mitte h e r v o r zugehen. Der gesammte e i n h e i t l i c h e N a t u r g a n g muss die r i c h t i g e n äusseren Verhältnisse b i e t e n , damit jene im I n n e r e n der Stoffe noch g e b u n d e n e n h ö h e r e n K r ä f t e e r w a c h e n und auch von ihrer Seite und in ihrer Weise sich zu b e t h ä t i g e n im Stande sind. W a n n und wo dies aber geschieht: da k o m m e n sie auch in n a t u r g e m ä s s e r Weise zu i h r e m D u r c h b r u c h . Schon A K I S T O T E L E S hat mit diesen Naturverhältnissen eingehend sich beschäftigt und manche richtige Einblicke in dieselbe sich erschlossen. Indem er nämlich den Begriff der „Seele" von d r e i v e r s c h i e d e n e n G e s i c h t s p u n k t e n aus in das Auge fasste, ist er auf diesem Wege, in Bezug auf die thatsächlich gegebenen Naturverhältnisse, zu folgender geistiger Anschauung gekommen. Zunächst fasste er die „Seele" als Dasjenige in das Auge, wodurch wir l e b e n , e m p f i n d e n und d e n k e n . „Also" — so fügt er hinzu — „wäre die Seele auch ein B e g r i f f und eine F o r m b e s t i m m u n g , und n i c h t als Stoff und das

D i e Zahl und ihre natürlichen Verhältnisse etc.

103

zu G r u n d e L i e g e n d e . Denn Dreierlei heisst das »Wesen«, wovon das Eine die » F o r m b e s t i m m u n g « , das Andere aber » S t o f f « ist, das D r i t t e aber aus beiden. Somit ist hiervon der »Stoff« M ö g l i c h k e i t , die Formbestimmung aber W i r k l i c h k e i t . Da aber, was aus B e i d e n besteht, etwas »Beseeltes« ist: so ist n i c h t der Körper »Wirklichkeit einer Seele«, sondern die Seele ist die »Wirklichkeit eines K ö r p e r s « " (ARISTOTELES : Von der Seele und der Weit. Übersetzt v. WEISS. S. 35 [Buch II. Kapitel 2.]). Und an einem anderen Orte sagt ARISTOTELES: „Alles »Werdende« erhält sein E n t s t e h e n sowohl »von E t w a s « , wie auch »zu E t was«. Denn der Mensch zeugt einen M e n s c h e n , die Pflanze aber eine P f l a n z e aus dem einem jeden zu Grunde liegenden Stoffe. Es muss somit, der Z e i t n a c h , der »Stoff« und das »Entstehen« das E r s t e seyn, dem B e g r i f f n a c h aber das »Wesen« und die »Form« eines jeden" (ARISTOTELES: Theile der Thiere. Deutsch von KAESCH. S. 22. Buch II. Kap. 2). — Und ähnlich wie ARISTOTELES, spricht auch PHILO sich aus. „Alles, selbst das, was äusserlich als t o d t erscheint," — sagt GFBÖKEH — „ist nach PHILO Geist und L e b e n . " Eben dieser die ganze Welt durchwaltende „ G e i s t " zeigt sich aber, nach PHILO, „in den S t e i n e n v e r k ö r p e r t , in den P f l a n z e n zum L e b e n entfaltet, wird in den T h i e r e n zur Seele, und in dem M e n s c h e n zum G e i s t " (GFEÖBEE: Philo. I. S. 346). Und in ähnlicher Weise sprechen auch ALBEET DEE GEOSSE,

THOMAS VON AQUINO , DUNS SCOTUS,

und

Andere sich aus. Und in einer sehr verwandten Weise bezeichnet HERDES es als „nicht unwahrlich, dass in den Seegeschöpfen, in den P f l a n z e n , ja vielleicht gar in den als »todt« bezeichneten Wesen, E i n und d i e s e l b e Wesensa n l a g e (Organisation) herrschen möge, ja dass vielleicht die Gestalt des E i s t h e i l c h e n s , wie es sich erzeugt, und der S c h n e e f l o c k e , die sich an ihm bildet, noch immer ein v e r w a n d t e s (analoges) Yerhältniss statthaben könne, wie mit

104

D i e E i n h e i t der Natur.

der Bildung des Kindes (Embryo) im M u t t e r l e i b e " ( H E R D E R ' S Werke. Karlsruhe 1820. III. S. 74 u. 75 [Zur Philosophie und Geschichte]). — Und ähnlich gelangt auch K A N T — in seiner Besprechung des HERDER'schen Gedankenganges — zu dem Schluss, dass „nur E i n natürlich ordnender und gestaltender U r g r u n d (organisches Prinzip) der Natur es seyn kann, welchen wir b i l d e n d im S t e i n , dort t r e i b e n d in der P f l a n z e , oder e m p f i n d e n d und künstlich b a u e n d im T h i e r nennen, welches aber doch immer nur Ein und dieselbe o r d n e n d e und g e s t a l t e n d e K r a f t ist" ( K A N T . IV. S. 316 u. 317). — Einer verwandten, aber gleichzeitig auch sehr bedeutungsvollen Anschauung begegnen wir bei J. G. FICHTE. „ E i n zusammenhängender Strom" — sagt er —, „fliesst das b i l d e n d e L e b e n in allen Gestalten, und blickt mich allenthalben a n , wohin ihm mein Auge zu. folgen vermag. Dieses l e b e n d i g e E e g e n in allen Adern der sinnl i c h e n und g e i s t i g e n Natur erblickt mein Auge durch das, was Anderen t o d t e Masse scheint, hindurch, und siehet Leben stets s t e i g e n und w a c h s e n und zum g e i s t i g e r e n Aller Tod in, Ausdruck s e i n e r s e l b s t sich v e r k l ä r e n . der Natur ist G e b u r t , und gerade im S t e r b e n erscheint s i c h t b a r die E r h ö h u n g des Lebens. Es ist kein t ö d t e n der U r g r u n d (Princip) in der Natur. Denn die N a t u r ist durchaus l a u t e r Leben:- nicht der Tod tödtet, sondern das l e b e n d i g e r e L e b e n , welches h i n t e r dem alten v e r b o r g e n , beginnt und e n t w i c k e l t sich. Denn Tod und G e b u r t ist bloss das E i n g e n des Lebens mit sich selbst, um sich stets v e r k l ä r t e r und ihm selbst ä h n l i c h e r darzustellen. Denn was wir Sterbliche T o d nennen, ist die s i c h t b a r e E r s c h e i n u n g einer z w e i t e n B e l e b u n g " (J. G. F I C H T E : II. S. 316. bis 318). Was J. G. F I C H T E in diesem seinem Ausspruch,, dass der „Tod", von unserer Seite, nur als die „ s i c h t b a r e E r s c h e i n u n g einer z w e i t e n B e l e b u n g " zu betrachten sey, in einer so sinnigen Weise geahnt hat: dies war keineswegs

Die Zahl und ihre natürlichen' Verhältnisse etc.

105

das Ergebniss einer etwa nur erregten E i n b i l d u n g s k r a f t . Dieser Ausspruch beruhte vielmehr auf einer vollkommen naturgemässen g e i s t i g e n A h n u n g einer thatsächlich bestehenden a l l g e m e i n e n N a t u r o r d n u n g , welcher demgemäss auch, von U r a n f a n g an, der hierzu erforderliche naturgemässe U n t e r g r u n d in keiner Weise jemals gefehlt hat. Dass diesem Allen aber auch in W i r k l i c h k e i t so sey: davon, hatte der Verfasser dieser Zeilen vor einer längeren Reihe von Jahren Gelegenheit, mit seinen eigenen Augen sich zu überzeugen. Es war dies bei Gelegenheit des Ablebens eines ihm nahestehenden t h e u e r e n A n g e h ö r i g e n . Der herannahende Tod war bereits mit Sicherheit für die allernächste Zeit vorauszusehen, so dass dem Sterbenden zunächst stehende Personen, Mutter, Bruder und Schwester, die ganze Nacht über nicht mehr von seinem Lager gewichen sind, sondern abwechselnd stets Eines von ihnen wachend zur Seite gestanden hat. Als nun der Verfasser dieser Zeilen bei dem Kranken die Wache hielt, war er, zu seiner nicht geringen Überraschung A u g e n z e u g e eines Vorganges, welcher seitdem unauslöschlich in seinem Gedächtniss geblieben ist. Der K r a n k e , welcher bis dahin, der Länge nach ausgestreckt, fast regungslos auf seinem Bette gelegen hatte, richtete sich in demselben plötzlich, unter Zusammenraffung aller seiner Kräfte, mit starker Gewalt in die Höhe, indem er sich mit aller seiner Kraft auf seine b e i d e n E l l e n b o g e n stützte. In einer h a l b s i t z e n d e n S t e l l u n g hatte er seinen ganzen O b e r k ö r p e r so weit n a c h v o r n e n kräftig in die H ö h e gerichtet, dass der bereits aufgerichtete Oberkörper und die noch wagerecht ausgestreckten Beine gemeinsam etwa einen h a l b e n r e c h t e n W i n k e l bildeten. Dabei war gleichzeitig sein Gesicht mit festem B l i c k nach einem an sich zwar u n s i c h t b a r e n , aber nichtsdestoweniger ganz b e s t i m m ten P u n k t am Himmel hingerichtet. In diesem Augenblick war es in der That, als sähe der Sterbende bereits den

106

Die Einheit der Natur.

H i m m e l offen und b e r e i t f ü r seine A u f n a h m e . Aber in d e m s e l b e n A u g e n b l i c k war in dem Sterbenden auch dessen Seele e n t w i c h e n , und der nunmehr e n t s e e l t e L e i c h n a m sank k r a f t l o s auf sein bisheriges Lager zurück. Nur für eine k u r z e S t r e c k e hatte die augenscheinlich aus ihrem Körper sich h i n a u s s e h n e n d e Seele noch die K r a f t , auch diesen Letzteren sich n a c h z u z i e h e n . Sobald die Seele aber ihre irdische Leiblichkeit wirklich v e r l a s s e n hatte, sank auch der nun e n t s e e l t e L e i c h n a m , völlig k r a f t l o s und nur allein den G e s e t z e n der S c h w e r e fortan noch gehorchend, auf sein bisheriges Lager zurück. Was J. Gr. F I C H T E daher, mit richtigem Seherblick, bereits als eine in der N a t u r selbst mitbegründete T h a t s a c h e erkannt und ausgesprochen hat, dass nämlich der „Tod", an sich und als solcher, durchaus kein A n d e r e s sey, „als allein nur die s i c h t b a r g e w o r d e n e E r s c h e i n u n g einer z w e i t e n Bel e b u n g " : dafür hat der im Vorstehenden erwähnte H e i m gang eines vor u n s e r e n A u g e n seelig E n t s c h l a f e n e n und selig in den H i m m e l selber E i n g e g a n g e n e n den augenscheinlichen und darum auch noch um so weniger zu bezweifelnden „ E r f a h r u n g s b e w e i s " uns geliefert. Oder mit anderen Worten: Das was anfänglich nur noch eine g e i s t i g e A h n u n g und g e i s t i g e Schauung gewesen, das ist nunmehr vor u n s e r e n A u g e n zur l e b e n d i g e n T h a t s a c h e geworden. — Bevor wir jedoch unseren bisherigen Gegenstand verlassen, möchten wir doch auch noch eines Ausspruches von HEBBAET gedenken, welcher mit früher von uns erwähnten Verhältnissen gleichfalls in einem gewissen Zusammenhang steht. Er spricht hier also sich aus: „Zu erklären" — sagt derselbe —, „welche i n n e r e Bildung die einzelnen Urbestandtheile (realen Elemente) der stofflich - körperlichen Natur (der Materie) besitzen müssen, wenn dieselbe l e b e n s f ä h i g seyn soll; oder anzugeben, wie die innere Bildung v e r s c h i e d e n b e s t i m m t seyn müsse, wenn hier ein P f l a n z e n l e b e n , dort ein t h i e r i s c h e r

D i e Einheit der Natur.

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L e i b entstehen und fortdauern, oder wenn Erscheinungen bald der E m p f i n d l i c h k e i t (Sensibilität), bald der E r r e g b a r k e i t (Irritabilität), bald der W i e d e r e r g ä n z u n g und W i e d e r h e r s t e l l u n g (Reproduktion) hervortreten sollen: das sind zwar schwere Aufgaben, aber diese N a c h w e i s u n g e n der inneren M ö g l i c h k e i t des Lebens fallen dennoch in den Kreis menschlicher N a c h f o r s c h u n g , und zwar vornehmlich auf dem Wege der rein w i s s e n s c h a f t l i c h e n F o r s c h u n g (theoretischen Spekulation)." Oder mit anderen Worten: der geistigen Einsicht in die i n n e r e n G r ü n d e der Natur und ihrer Erscheinungen (HEKBAKT I I I . S. 1 4 1 ) .

§ 8. Die Einheit der Natur. No. 3 0 .

Die Welt ein wohlgeordnetes Naturganzes. in der Vielheit und Vielheit in der Einheit.

Einheit

„Je näher man die Natur wird k e n n e n lernen" — sagt — „desto mehr wird man einsehen, dass die allgemeinen B e s c h a f f e n h e i t e n der Dinge einander n i c h t f r e m d und getrennt sind. Man wird hinlänglich überführt und inne werden, dass die V e r w a n d t s c h a f t ihnen von der G e m e i n s c h a f t des U r s p r u n g e s eigen ist, aus welchem sie insgesammt ihre wesentlichen Bestimmungen g e s c h ö p f t haben" (KANT VIII. S. 377). Und in der That, von welcher Seite wir die Naturverhältnisse in das Auge fassen: sie weisen uns insgesammt immer e i n d r i n g l i c h e r hin auf jenen i n n e r l i c h e n W e s e n s z u s a m m e n h a n g alles in dieser Welt Vorhandenen, welcher schliesslich seine eigentliche und naturgemässe B e g r ü n d u n g wiederum nur in der i n n e r l i c h e n O r d n u n g eines grossen und a l l g e m e i n e n , alles besondere Daseyn e i n h e i t l i c h in sich zusammenfassenden W e l t g a n z e n zu finden im Stande ist. In dieser innerlichen E i n h e i t und Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t der ganzen unübersehbaren Vielheit und bunten Mannigfaltigkeit der Dinge und Wesen dieser

KANT

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Die Einheit der Natur.

Welt findet ein jedes einzelne und b e s o n d e r e N a t u r w e s e n die ihm zukommende r i c h t i g e S t e l l e und den ihm nach seinem eigenen W e s e n s g e h a l t gebührenden W i r k u n g s k r e i s . Ein jedes E i n z e l w e s e n , in seinem innersten Grunde ein s e l b s t s t ä n d i g f ü r sich b e s t e h e n d e s D a s e y n besitzend, ist nichtsdestoweniger in dem allgemeinen G e s a m m t h a u s h a l t e der Natur ein ganz b e s t i m m t e s Glied in der Ges a m m t v e r k e t t u n g alles E i n z e l n e n mit dem grossen Ganzen. Indem es, je nach den K r ä f t e n und T r i e b e n , die ihm eigen sind, seine eigenen Zwecke und Z i e l e naturgemäss v e r f o l g t , verfolgt und fördert es gleichzeitig damit auch die Zwecke des G a n z e n : innere O r d n u n g und das grösstmögliche Wohlseyn auch aller ü b r i g e n N a t u r w e s e n . Wäre irgendwelches N a t u r d a s e y n nur einzig und allein um s e i n e r selbst willen vorhanden und demgemäss auch ohne innere wie äussere B e z i e h u n g zu seinem Mitwesen und zu dem a l l g e m e i n e n W e l t g a n z e n : es müsste als der grösste und u n e r k l ä r l i c h s t e Z u f a l l erscheinen, dass eine Welt wie die. unsere überhaupt zu b e s t e h e n im S t a n d e ist. Dadurch aber, dass in der g e s a m m t e n N a t u r und in Allem, was in ihr vorhanden ist und in ihr geschieht, allenthalben K r a f t , L e b e n und gesetzmässige O r d n u n g uns entgegentreten: dadurch bildet sie auch in ihrer Gesammtheit eine zwar viel- und mannigfach g e g l i e d e r t e , in allen ihren Theilen aber auch innigst in sich v e r b u n d e n e Lebenseinheit, eine E i n h e i t in der V i e l h e i t und M a n n i g f a l t i g keit, und eine V i e l h e i t und M a n n i g f a l t i g k e i t in d e r E i n h e i t , welche allein es ermöglicht, die gesammte sichtbare Welt zu eben dem w o h l g e o r d n e t e n Ganzen zu machen, als welches sie sich vor unseren Augen darstellt.

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No. 31. Einheit des Naturplanes. Naturgedanke, Naturordnung, Naturgesetz. Keine O r d n u n g ist auf irgendwelchem Daseynsgebiete d e n k b a r und möglich, ohne Kenntniss des Z i e l e s , auf welches diese Ordnung a b z u z w e c k e n die Bestimmung hat, ohne Kenntniss der M i t t e l , durch welche sie zu e r r e i c h e n ist, und ohne die natürliche G r u n d l a g e eines bestimmten Gesetzes, wonach alles B e s o n d e r e und E i n z e l n e sich nicht allein z u s a m m e n g e s t e l l t und a n e i n a n d e r g e r e i h t findet; sondern wonach dasselbe auch beständig die N o t h w e n d i g k e i t , den T r i e b oder die V e r p f l i c h t u n g zu w i r k e n und zu h a n d e l n naturgemäss in sich t r ä g t . Auch in Bezug auf das grosse N a t u r g a n z e wäre eine solche einheitliche Ordnung vollkommen u n m ö g l i c h , läge nicht von Anbeginn an der ganzen Z u s a m m e n f ü g u n g aller ihrer E i n z e l d i n g e und aller E r s c h e i n u n g e n , welche daraus hervorgehen, ein e i n h e i t l i c h e r , alle Naturgebiete g l e i c h m ä s s i g in sich einschliessender und gleichmässig nach ihrer Art b e h e r r s c h e n der N a t u r p l a n und N a t u r g e d a n k e zu Grunde, welcher Alles, was ist und geschieht, nach bestimmtem Gesetz und zu wohl erkanntem Zweck naturgemäss innerlich l e n k t und l e i t e t . Und dieser einheitliche N a t u r g e d a n k e , dieses einheitliche N a t u r g e s e t z , diese einheitliche N a t u r o r d n u n g kann nicht etwa nur allein dem grossen gemeinschaftlichen N a t u r g a n z e n in seiner allgemeinen Bedeutung zukommen: es muss dies in ganz ähnlicher Weise der Fall seyn auch in Bezug auf ein j e d e s besondere N a t u r g e b i e t , auf jedes besondere N a t u r r e i c h nach allen seinen Gattungen, Geschlechtern und Arten. Ja nicht allein dieses: auch einem j e d e n , als selbstständigem Naturwesen in sich abgeschlossenen E i n z e l d a s e y n muss in seiner Weise und je nach dem besonderen W i r k u n g s k r e i s e , der ihm innerhalb des einheitlichen Ganzen zukommt, jener allgemeine N a t u r g e d a n k e , sey es

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als N a t u r g e s e t z , als N a t u r t r i e b oder als N a t u r g e b o t in seinem innersten Wesensgrunde i n n e w o h n e n , gleichviel ob es auf seinem besonderen Naturstandpunkte dieser i n n e r l i c h t r e i b e n d e n G r u n d k r a f t seines Wesens sich klar b e w u s s t ist oder n i c h t . Nur auf diese Weise vermag überhaupt von einem einheitlichen Z u s a m m e n h a n g und von einem allseitigen gemeinschaftlichen Z u s a m m e n - und I n e i n a n d e r w i r k e n aller Dinge und Wesen dieser Welt zu einem gem e i n s c h a f t l i c h e n Zweck und Ziel die Rede zu seyn. Wäre dem nicht so: es wäre jene wunderbare R e g e l m ä s s i g keit nicht nur im allgemeinen N a t u r g a n g , sondern auch in der E n t w i c k e l u n g eines jeden E i n z e l n e n , welche einen jeden aufmerksamen Naturbeobachter so m ä c h t i g a n z i e h t , die reinste U n m ö g l i c h k e i t . Die gesammte Natur würde nur ein u n z u s a m m e n h ä n g e n d e s W i r r s a l und ein wüstes D u r c h e i n a n d e r von E i n z e l d i n g e n darstellen, denen ein j e d e r h ö h e r e Sinn und eine jede h ö h e r e B e d e u t u n g abginge. „Wo r o h e Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein G e b i l d gestalten." No. 32.

Die Welt, ein Vernunftreich.

Wo in irgendwelchen Erscheinungen O r d n u n g , G e s e t z , sowie ein auf ein ganz bestimmtes Ziel hingerichtetes W i r ken von Kräften, also ein bestimmter e i n h e i t l i c h e r P l a n und G e d a n k e uns entgegentreten: da dürfen wir überzeugt seyn, däss auch V e r s t a n d und V e r n u n f t , als deren tiefere Wurzel und geistige Begründung, n i c h t f e h l e n . Denn das Eine ist u n d e n k b a r ohne das Andere: der blinde Z u f a l l vermag nie als der U r h e b e r oder als die Veranlassung für irgend eine, wenn auch noch so einfache G e d a n k e n v e r k e t t u n g sich zu erweisen (ARISTOTELES: Physik, PBANTL, Buch II, Cap. 8. S. 91). Dies vermag nur der o r d n e n d e V e r s t a n d , der zu dem bewussten Zweck auch stets die richtigen M i t t e l an die Hand giebt: den natürlichen G r u n d zu dieser gesetz-

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massigen V e r k n ü p f u n g der Gedanken wie des Zweckes mit den ihm entsprechenden M i t t e l n vermag aber nur allein die V e r n u n f t zu bieten. Wo diese gänzlich fehlte: da wären auch G e s e t z und O r d n u n g ganz ebenso wie ein P l a n und eine A b s i c h t eine U n m ö g l i c h k e i t . Daher erscheint denn auch die gesammte W e l t o r d n u n g , in ihrem geheimsten und tiefsten Urgründe erfasst, als ein grosses, einheitliches Vern u n f t r e i c h , dessen innerlich g e i s t i g e K r a f t sich in allen seinen Einzelwesen in ihrer Weise abspiegelt. Alle K ö r p e r k r ä f t e , alle S e e l e n k r ä f t e , alle G e i s t e s k r ä f t e wirken mit innerer Naturnothwendigkeit nach dem g l e i c h e n einheitlichen V e r n u n f t g e s e t z , das ihnen allen gemeinschaftlich zu G r u n d e liegt und als dessen immer h ö h e r e , nach Form und Inhalt von Stufe zu Stufe sich s t e i g e r n d e Ausdrucksweise sie alle zu betrachten sind. Für ein wirklich v e r n u n f t l o s e s D a s e y n , dem nicht in seinem innersten Wesensgrund auch irgendwelche geistige oder dem Geiste v e r w a n d t e K r a f t in dem natürlichen G r u n d g e s e t z seines Wirkens zukäme, besitzt der gesammte Haushalt der Natur k e i n e n R a u m und k e i n e S t ä t t e : ein solches Wesen wäre eine ebensolche nat ü r l i c h e U n m ö g l i c h k e i t , wie ein Daseyn, das wir als völlig k r a f t - und leblos uns etwa wollten vorstellen. „Aus nichts wird nichts, und die V e r n u n f t l o s i g k e i t " —• sagt J. G. F I C H T E — „kann nie zur V e r n u n f t kommen" (J. G. F I C H T E : VII. S. 133). No. 33. Sie vernunftgemässe Einheit und Mannigfaltigkeit in der Natur ist der verborgene Grand jener unverkennbaren Schönheit, in welcher dieselbe anf so mannigfache Weisen uns entgegentritt. E i n a l l g e m e i n e r L e b e n s o d e m der gesammten Natur ist es, der alles Daseyn dieser Welt mit seinem k r ä f t i g e n H a u c h durchfluthet, E i n e L e b e n s k r a f t , die einheitlich in Allem wirksam sich erweist, und E i n L e b e n s g e s e t z , das

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alles Wirken in seinem innersten Grunde ordnet und zu E i n e m e i n h e i t l i c h e n L e b e n s g a n z e n verbindet und zusammenhält. Dieser innerlichen, lebenskräftig i n e i n a n d e r w i r k e n d e n W e s e n s g e m e i n s c h a f t a l l e r D i n g e und Wesen dieser Welt v e r d a n k t die gesammte Weltordnung ihr Daseyn wie ihr B e s t e h e n . Durch sie ziehen die H i m m e l s k ö r p e r , ohne jemals in ihrem Laufe zu ermüden, ihre g e s e t z m ä s s i g e n Bahnen; sie zieht den Stein im f r e i e n F a l l z u r E r d e und führt die e i n f a c h e n ü r s t o f f e zu immer neuen W e s e n s v e r e i n i g u n g e n zusammen; sie gestaltet den r o h e n Stoff zum schönen regelrechten Quarz und gibt der P f l a n z e und dem T h i e r e ihre besonderen Vermögen. Und endlich erhebt sie im Menschen sich zum h ö c h s t e n auf dieser Erde uns bekannten Daseyn, das im vollen L i c h t e wirklich g e i s t i g e r E i n s i c h t nun alle jene Verhältnisse auch mit klarem Bewusstsein zu e r k e n n e n im Stande ist, während alle u n t e r ihm stehenden Naturwesen nur d u n k e l n N a t u r t r i e b e n oder einer scheinbar b l i n d e n N a t u r n o t w e n d i g k e i t zu folgen vermögend sind. Nur in Folge dieser i n n e r l i c h e n G e g e n s e i t i g k e i t aller Verhältnisse ist die Natur im Stande, im Grossen und Ganzen wie im Einzelnen, w i r k l i c h auch d a s j e n i g e zu seyn, als welches sie sich vor unseren Augen darstellt, nämlich eine Welt u n u n t e r b r o c h e n e n W e c h s e l s und W a n d e l s , sowohl in Bezug auf ä u s s e r e G e s t a l t u n g , wie auf i n n e r l i c h e Wesenszustände bei nie w a n k e n d e r E i n h e i t und G l e i c h m ä s s i g k e i t a l l e s Ges c h e h e n s und aller i n n e r e n wie ä u s s e r e n N a t u r b e t h ä tigung. Da gibt es kein Daseyn, das nicht in jedem Augenblick in irgend einer Weise sich v e r ä n d e r t e und v e r w a n d e l t e , und dennoch in seinem innersten Wesens- und Daseynsgrunde u n w a n d e l b a r D a s s e l b e bliebe. „Es muss sich r e g e n , schaffend h a n d e l n , Erst sich g e s t a l t e n , dann v e r w a n d e l n : Nur s c h e i n b a r steht's M o m e n t e still."

Die Einheit der Natur.

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So tritt in diesen unausgesetzten V e r ä n d e r u n g e n und in der gesetzmässigen O r d n u n g , in welcher sie s t a t t f i n d e n , nicht bloss das i n n e r e L e b e n der gesammten N a t u r als ein e i n h e i t l i c h e r , Alles durchfluthender L e b e n s t r i e b uns entgegen: es gründet hierin auch so recht eigentlich der h o h e Genuss und Kerz, welchen die aufmerksame N a t u r b e t r a c h t u n g auf jeden nach w a h r e r E r k e n n t n i s s strebenden M e n s c h e n g e i s t von j e h e r ausgeübt hat. „Blosse Mann i g f a l t i g k e i t ohne E i n h e i t " — sagt KANT — „kann uns n i c h t befriedigen" (KANT I. S. 364). Und e b e n s o w e n i g vermöchte es eine E i n h e i t ohne M a n n i g f a l t i g k e i t . Es ist das E b e n m a a s s aller gegenseitigen Verhältnisse, sowohl zwischen dem G a n z e n und allen seinen T h e i 1 e n , wie zwischen diesen letzteren u n t e r sich, welches die Schönh e i t der g e s a m m t e n N a t u r und aller ihrer Erscheinungen bedingt und eben dadurch jenes w o h l t h u e n d e G e f ü h l von innerer B e f r i e d i g u n g bei allen denen begründet, welche gewohnt sind, den E i n d r ü c k e n d e r N a t u r mit offenem Sinn sich h i n z u g e b e n . So gestaltet sich je länger je mehr für den forschenden und denkenden Beobachter a l l e s E i n zelne zu einem B i l d des G a n z e n , und je mehr er sich daran gewöhnt, das E i n e in dem Vielen und das Viele in dem E i n e n zu betrachten: um so s i c h e r e E i n b l i c k e werden ihm auch selbst in die i n n e r s t e n Geheimnisse der Natur v e r g ö n n t seyn. Wo das l e i b l i c h e Auge mit seinen künstlichen Hülfsmitteln und damit die Möglichkeit unm i t t e l b a r e r B e o b a c h t u n g ihn v e r l ä s s t : da wird er an der Hand jener allgemeinen A h n l i c h k e i t s v e r h ä l t n i s s e der Natur mit dem Auge des G e i s t e s immer weiter und w e i t e r auch in j e n e Gebiete und Verhältnisse v o r d r i n g e n , welche ohne jene h ö h e r e n g e i s t i g e n M i t t e l der menschlichen Forschung wohl f ü r i m m e r sich v e r s c h l i e s s e n würden. E r f o r s c h u n g der W a h r h e i t und damit auch der gesammten n a t ü r l i c h e n W i r k l i c h k e i t , als eines nicht zu unterWandersmann. I.

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Die Einheit der Natur.

schätzenden Theiles und b e s o n d e r e n G e b i e t e s derselben, gehört zu dem Wesen des G e i s t e s : dies ist sein eigentlicher Z w e c k und sein eigentliches Ziel. Je grössere E r k e n n t n i s s e und E i n s i c h t e n er sich aber auf E i n e m Gebiete der Natur erwirbt, um so m e h r müssen ihn dieselben auch zur Erforschung a n d e r e r G e b i e t e zu Gute kommen. Immer g r ü n d l i c h e r e E i n s i c h t e n in das geheimste Wirken und Walten der Natur und ein immer r i c h t i g e r e s und ans c h a u l i c h e r e s Bild ihrer i n n e r s t e n und verborgensten Vorg ä n g e wird er sich e r r i n g e n , und eine i m m e r g r ö s s e r e B e f r i e d i g u n g wird seinem G e i s t e s s t r e b e n zu Theil werden.

II.

Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper als die letzten Lebenseinheiten innerhalb der drei Reiche der Natur. § 9. Die thierische Zelle. N o . 34.

Die Zelle als Grundbestandtheil und Grundbedingung alles thierischen Daseyns.

ENO, der Eleate, sagt, dass alles Viele aus einer bestimmten Anzahl von E i n h e i t e n bestehen müsse. Die R i c h t i g k e i t dieses Ausspruches finden wir allenthalben in der Natur, wohin wir unsere Blicke lenken mögen, b e s t ä t i g t . Betrachten wir den inneren Bau des m e n s c h l i c h e n wie des t h i e r i s c h e n Körpers nur mit einiger Aufmerksamkeit, so gewahren wir schon mit Hülfe einer nur massigen Vergrösserung, dass beide aus einer unübersehbaren Menge von einzelnen s e h r k l e i n e n T h e i l c h e n z u s a m m e n g e s e t z t erscheinen, welche bald mehr, bald weniger deutlich, augenscheinlich Anzeigen von e i g e n e n L e b e n s t h ä t i g k e i t e n an den Tag legen. Die Wissenschaft pflegt dieselben bekanntlich mit dem gemeinsamen Namen „ Z e l l e " zu belegen. Sowohl nach den einzelnen T h i e r k l a s s e n und T h i e r g e s c h l e c h t e r n , denen sie angehören, wie nach den besonderen L e b e n s v e r r i c h t u n g e n , zu denen sie in ein u n d demselben t h i e r i s c h e n K ö r p e r mitzuwirken bestimmt sind, 8*

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Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

zeigen sie sich von den m a n n i g f a c h s t e n äusseren F o r m e n und G e s t a l t e n . Dabei bewahren sie aber nichtsdestoweniger unter allen Verhältnissen das ihnen eigenthümliche Wesen der Zelle auf die unzweideutigste Weise. Als die G r u n d b e s t a n d t e i l e aller Nerven und N e r v e n f a s e r n vermitteln sie die s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g e n des Menschen wie des T h i e r e s und bewirken deren ganzen V e r k e h r mit der sie umgebenden Aussenwelt. Das Gleiche ist der Fall bei allen denjenigen Gebilden, welche die E r n ä h r u n g und das W a c h s t h u m des menschlichen oder thierischen Körpers vermitteln. Ebenso sind auch alle diejenigen körperlichen Theile, durch deren unausgesetzte Thätigkeit die A t h m u n g und der B l u t u m l a u f , in ihrem natürlichen Gange erhalten werden, aus ganz ä h n l i c h e n Z e l l e n gebildet: ja selbst das gesammte K n o c h e n g e r ü s t e ist aus Zellen aufgebaut. Uberall erblicken wir die Zelle nicht nur als die n o t h w e n d i g e Vor- und G r u n d b e d i n g u n g aller menschlichen wie thierischen L e i b l i c h k e i t , sondern sie zeigt auch recht eigentlich die n a t ü r l i c h e G r u n d f o r m alles t h i e r i s c h e n L e b e n s und Daseyns überhaupt. Einem jeden solchen besonderen Gebilde sehen wir, von der N a t u r selbst, in dessen Innerem, eine ganz besondere und n u r diesem a l l e i n eigenthümlich zukommende L e b e n s v e r r i c h t u n g übertragen. So nimmt der Magen die Speisen in sich auf und v e r a r b e i t e t sie in die zur E r h a l t u n g des L e b e n s nothwendigen N a h r u n g s s ä f t e ; die A d e r n führen das B l u t durch alle Theile des K ö r p e r s bis zu den entlegensten Stellen; die L u n g e r e i n i g t d a s s e l b e von dem überflüssigen K o h l e n s t o f f , den es im Verlauf seiner Wanderungen durch den Körper in sich aufgenommen hat, u. s. w. Das G l e i c h e gilt aber auch, in ganz ähnlicher Weise, in Bezug auf jede e i n z e l n e der unzähligen Z e l l e n , aus welchen ein jedes besondere körperliche Gebilde naturgemäss zusammengefügt ist. Eine j e d e Zelle hat ihren e i g e n e n und ganz b e s t i m m t e n A n t h e i l an der Gesammtheit eben jener

Die thierische Zelle.

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g e m e i n s c h a f t l i c h e n inneren L e b e n s v e r r i c h t u n g , welche einem j e d e n t h i e r i s c h e n G e b i l d e , als einem ganz bes o n d e r e n L e b e n s g a n z e n , jederzeit zukommt. Sie stellt somit dem Auge des Geistes, in allen diesen Verhältnissen, gewissermassen als eine ganz b e s t i m m t e und einer j e d e n e i n z e l n e n Zelle für sich im B e s o n d e r e n zukommende e i g e n e i n n e r e L e b e n s a u f g a b e sich dar, welche, unter der O b e r l e i t u n g des G a n z e n auch allem E i n z e l n e n , seiner b e s o n d e r e n N a t u r nach, zukommt. Soweit es dem menschlichen Scharfsinn gelungen ist, die E n t s t e h u n g des thierischen Körpers bis in die v e r b o r g e n s t e n G e h e i m n i s s e seiner e r s t e n A n f ä n g e zu verfolgen: soweit hat man sich auch davon ü b e r z e u g e n müssen, dass eine j e d e neue Z e l l e n b i l d u n g schon in ihrer e r s t e n A n l a g e genau dem eigentümlichen G r u n d g e p r ä g e , nicht nur der g e s a m m t e n K ö r p e r l i c h k e i t , sondern auch des besonderen K ö r p e r gebildes entspricht, welchem a n z u g e h ö r e n sie die natürliche B e s t i m m u n g hat. Können wir aber von der einen Seite, in Folge -eben dieser Thatsache, in keiner Weise die innere O b e r h e r r s c h a f t verkennen, welche die allgemeine e i n h e i t l i c h e L e b e n s k r a f t eines Thieres über a l l e e i n z e l n e n T h e i l e seines Körpers vom e r s t e n A n b e g i n n an ausübt: so zeigt sich doch von der anderen Seite, ebenso bestimmt, auch eine ganz eigenthümliche innerliche S e l b s t ä n d i g k e i t einer jeden e i n z e l n e n Zelle, gegenüber von eben jenen höheren e i n h e i t l i c h e n L e b e n s t h ä t i g k e i t e n des G a n z e n , deren Oberleitung sie jederzeit u n t e r w o r f e n bleiben müssen, wofern nicht K r a n k h e i t e n an die Stelle der natürlichen Gesundheit treten sollen. N o . 35.

Die thierische Zelle als einfachster und niedrigster Ausdruck von thierischer Persönlichkeit.

Ein jedes T h i e r , auch das vollkommenste, besteht in seiner frühesten Jugend, d. h. zur Zeit seiner ersten Bildung,

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Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

aus einer e i n z i g e n t h i e r i s c h e n Z e l l e , einem einzigen einfachen Z e l l b l ä s c h e n , aus welchem durch stufenweise Heranbildung immer neuer und ähnlicher Zellen allmählich der g a n z e T h i e r k ö r p e r sich aufbaut. Diese einzige e r s t e Urzelle, dieses e r s t e Z e l l e n b l ä s c h e n , ist es somit, in welchem alle t h i e r i s c h e n K r ä f t e sammt allen ihren E i g e n s c h a f t e n von Anbeginn an in ihrer ersten A n l a g e sich v e r e i n i g t finden. Sie birgt in ihrem geheimnissvollen i n n e r sten K e r n e die ganze F ü l l e des L e b e n s , welche einem jeden einzelnen Thiere, je nach seiner b e s o n d e r e n A r t , zukommt und durch welches sein gesammtes i n n e r e s W e s e n , gleichsam von A n f a n g an, als d u r c h die N a t u r s e l b s t b e s t i m m t und b e d i n g t sich darstellt. In diesem e r s t e n und ursprünglichsten Zustand besteht somit das g a n z e T h i e r aus E i n e r e i n z i g e n l e b e n d i g e n , d. h. von eigen e r i n n e r e r L e b e n s k r a f t gebildeten und beseelten Zelle. Aber auf eben dieser noch u n t e r s t e n Lebensstufe, welche für jedes höhere thierische Geschöpf nur den e r s t e n Anf a n g seines thierischen Daseyns bildet, sehen wir a n d e r e Angehörige des Thierreiches für ihre g a n z e L e b e n s z e i t verharren. Die sogenannten G r e g a r i n e n , Schmarotzerthiere, welche in manchen Gliederthieren und niederen Seebewohnern vorkommen, bestehen n u r aus einer e i n z i g e n Zelle. Auch die t h i e r i s c h e Menade stellt uns ein ganz ähnliches Beispiel vor Augen: auch sie besteht aus einer einzigen einfachen, aber deutlich mit t h i e r i s c h e r E m p f i n d u n g und B e w e g u n g begabten Zelle. In beiden Fällen erscheint somit die t h i e r i s c h e Zelle nicht mehr als ein bloss u n t e r g e o r d n e t e r T h e i l eines h ö h e r e n Lebensganzen, wie solches bei allen höheren Thierklassen der Fall ist: sondern sie bildet das eigentliche t h i e r i s c h e L e b e n s ganze selbst. Die einfache Z e l l e bildet somit hier, in und f ü r sich a l l e i n , für ihre g a n z e L e b e n s d a u e r das ganze in sich a b g e s c h l o s s e n e und in sich s e l b e r

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bestehende t h i e r i s c h e G e s c h ö p f : sie bildet ein vollständiges t h i e r i s c h e s E i n z e l w e s e n , das heisst mit anderen Worten, eine wirkliche und thatsächliche „ t h i e r i s c h e P e r s ö n l i c h k e i t " , in welcher, im I n n e r n wie nach A u s s e n , der ganze B e g r i f f eines T h i e r e s in vollgültiger Weise zu seiner n a t ü r l i c h - w e s e n h a f t e n D a r s t e l l u n g gelangt ist. Denn aller wesenhaften „ P e r s ö n l i c h k e i t " muss, im weitesten S i n n des Wortes, vor A l l e m die Bedeutung eines in sich s e l b e r s e l b s t s t ä n d i g e n „ I c h " und „ S e l b s t " , d. h. einer v o l l g ü l t i g e n „ P e r s ö n l i c h k e i t " unter allen Umständen in u n v e r ä u s s e r l i c h e r W e i s e zukommen. Es bezeichnet somit dieser Begriff recht eigentlich jenen geheimnissvollen i n n e r s t e n W e s e n s - und D a s e y n s g r u n d , wie derselbe jederzeit die g a n z e F ü l l e einer an sich n a t ü r l i c h - s e l b s t ä n d i g e n L e b e n s k r a f t in sich einschliesst. In ihren Bethätigungen allewege an die E i g e n t ü m l i c h k e i t e n ihrer e i g e n e n W e s e n s a r t sich anschliessend, bleibt dieselbe, selbst unter dem Wechsel und Wandel ä u s s e r e r V e r h ä l t n i s s e und innerer W e s e n s z u s t ä n d e , der Sache nach, d. h. in ihrem i n n e r e n W e s e n , allezeit D i e s e l b e und G l e i c h e , welche sie von Anfang an gewesen ist. Dies heisst aber mit anderen Worten nichts Anderes, als dass sie in sich jederzeit dieselbe p e r s ö n l i c h e K r a f t und dieselbe ^ n a t ü r l i c h e P e r s ö n l i c h k e i t " ist und bleibt, welche sie bereits in ihrem e r s t e n E n t s t e h e n gewesen ist. Doch wenden wir nunmehr unseren Blick ab von jenen noch a l l e r e i n f a c h s t e n Vertretern des T h i e r r e i c h e s und hinüber auf die uns umgebende h ö h e r e Thierwelt. E s kann uns alsdann kaum entgehen, dass jener noch ureinfachste Begriff einer „ t h i e r i s c h e n P e r s ö n l i c h k e i t " , wie wir solchen eben kennen gelernt haben, eine gleiche Anwendung auf die h ö h e r e n Thierklassen nicht linden kann. Von einem a n deren G e s i c h t s p u n k t a u s dürften dagegen gerade jene Ergebnisse, welche wir soeben durch das Beispiel der noch

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u r a n f ä n g l i c h s t e n , daher auch noch u r e i n f a c h s t e n Wesenheiten des T h i e r r e i c h e s (den Gregarinen u. s. w.) gew o n n e n haben, als w o h l g e e i g n e t sich erweisen, gerade von ihrem besonderen Standpunkt aus, nicht zu unterschätzende Einblicke uns zu e r s c h l i e s s e n auch in Bezug auf die den bisher besprochenen Thatsachen scheinbar so s c h r o f f g e g e n ü b e r s t e h e n d e n Verhältnisse aller höheren T h i e r k l a s s e n . Es erweisen sich diese Letzteren nämlich, bei genauerer Prüfung, als z u s a m m e n g e s e t z t aus einer unübersehbaren V i e l h e i t von lauter e i n z e l n e n Zellen. Dass aber der Begriff einer wirklichen und wahren P e r s ö n l i c h k e i t , wie wir denselben im B i s h e r i g e n kennen gelernt haben, auf die e i n z e l n e n A n g e h ö r i g e n derartiger T h i e r k l a s s e n , und zählten sie zu den höchststehenden, nie und n i m m e r m e h r darf a n g e w e n d e t werden: dies liegt in der Natur der Sache, und kann daher für alle Diejenigen, welche unentwegt an der einfachen, klaren und a l l e i n r i c h t i g e n Vorstellung einer wirklichen und wahren P e r s ö n l i c h k e i t f e s t h a l t e n , auch keinem Zweifel unterliegen. Aber nichtsdestoweniger sind wir im a l l t ä g l i c h e n Leben ganz daran gewöhnt, nicht nur von Menschen, sondern in ähnlichem Sinn auch selbst von e d l e r e n T h i e r e n als von wirklichen „ P e r s o n e n " oder von wirklichen „ p e r s ö n l i c h e n Wesenh e i t e n " zu reden, und dieselben demgemäss auch als solche zu betrachten. Hieraus geht aber gleichzeitig hervor, wie sehr wir, namentlich in wissenschaftlichen Arbeiten, jederzeit sehr bestimmt zu u n t e r s c h e i d e n haben zwischen w i r k l i c h e n oder w a h r e n und u n e i g e n t l i c h e n oder f a l s c h e n P e r s ö n l i c h k e i t e n . Zu Ersteren sind alle thatsächlich einz e l l i g e n T h i e r e zu zählen: zu Letzteren dagegen alle T h i e r e und Menschen. In Folge aller dieser Verhältnisse tritt aber nunmehr um so entschiedener und um so ernstlicher die nicht mehr zu umgehende Frage an uns heran, wo und an w e l c h e m Ort innerhalb der thierischen wie der

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menschlichen L e i b l i c h k e i t wir wohl den eigentlichen nat ü r l i c h e n Sitz ihrer „ P e r s ö n l i c h k e i t " nicht nur zu s u c h e n , sondern naturgemäss auch zu finden hoffen dürfen? Nach unseren f r ü h e r e n Darlegungen kann uns dies kaum schwer fallen. Wir haben im allgemeinen Haushalte der Natur bereits völlig „ e i n z e l l i g e T h i e r e " kennen gelernt, Thiere also, welche beide Begriffe, einer inneren Wesense i n h e i t und einer wirklichen W e s e n s p e r s ö n l i c h k e i t , allezeit g e m e i n s a m , und von einander völlig u n g e s c h i e d e n , in sich einschliessen. Tragen aber nicht a l l e Menschen, und in ihrer besonderen Weise auch a l l e T h i e r e , allezeit eine solche „ e i n z e l l i g e W e s e n h e i t " thatsächlich in sich? Dort in ihrer eigenen m e n s c h l i c h e n Seele, hier dagegen in ihrer eigenen t h i e r i s c h e n Seele. Wohl schliessen beide, das g e s a m m t e T h i e r , wie der g e s a m m t e Mensch, allezeit eine uns völlig unbekannte Vielheit von Einzelzellen in sich ein: was aber die eigentliche Seele, das eigentliche, die g a n z e K ö r p e r l i c h k e i t b e h e r r s c h e n d e S e e l e n w e s e n , betrifft: so vermag d i e s e s , für jedes Thier wie für jeden Menschen, selbstverständlich dem Auge des Geistes allewege nur als eine E i n z i g e und in sich völlig u n t h e i l b a r e W e s e n h e i t sich darzustellen ganz ähnlich wie jene noch a l l e r e r s t e n und darum auch u r e i n f a c h s t e n N a t u r w e s e n , von denen wir bereits weiter oben gesprochen haben, und welche z e i t l e b e n s nur eine e i n z i g e in sich l e b e n d i g e und in sich s e l b s t s t ä n d i g e thierische P e r s ö n l i c h k e i t bilden. Ziehen wir jedoch alle diese soeben besprochenen Verhältnisse noch etwas n ä h e r in Betracht: so kann uns wohl kaum entgehen, dass im Grunde und dem Kern der Sache nach nur allein das thatsächliche I n n e r e einer j e d e n Seele es seyn kann, welches wir als den eigentlichen „ T r ä g e r " einer jeden natürlichen „ P e r s ö n l i c h k e i t " in das Auge zu fassen haben. Nur weil wir w i r k l i c h e , d. h. in sich völlig e i n h e i t l i c h e und u n z e r t h e i l b a r e W e s e n -

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lieiten sind: nur darum sind wir auch wirklich p e r s ö n liche W e s e n , d. h. wirkliche P e r s ö n l i c h k e i t e n . Und ebenso umgekehrt. Alles aber, was in dieser Beziehung von uns M e n s c h e n gilt, das muss, in seiner Weise, auch von den T h i e r e n gelten.

§ lO. Die Pflanzenzelle als einfachstes pflanzliches Einzelwesen. No. 36.

Die Zelle als Grundbestandteil und Grundbedingung alles pflanzlichen Daseyns.

Wenden wir uns nunmehr von dem Thierreiche zu dem Reiche der P f l a n z e n , so gewahren wir hier im Allgemeinen fast ganz die ähnlichen Verhältnisse. Auch hier ist es der Begriff und das Wesen der pflanzlichen Zelle, auf welchen das ganze P f l a n z e n r e i c h sich erbaut zeigt. Wie die t h i e r i s c h e Zelle die natürliche G r u n d l a g e alles t h i e r i s c h e n Lebens und Daseyns bildet: so die p f l a n z l i c h e Zelle diejenige alles lebensvollen p f l a n z l i c h e n Daseyns. Aus einer einzigen einfachen Z e l l e entwickelt sich die ganze Pflanze; aus Z e l l e n bestehen alle ihre einzelnen Gebilde, und alle jene geheimnissvollen L e b e n s t h ä t i g k e i t e n , welche in ihrer Gesammtheit sowohl den B e s t a n d wie das W a c h s t h u m der Pflanze hedingen, sehen wir durch Z e l l e n verrichtet und vermittelt. Selbst die dichtesten H o l z f a s e r n verdanken e h e m a l i g e n Z e l l e n ihren Ursprung. Zellen sind es, welche die N a h r u n g s s t o f f e von aussen her in sich aufnehmen, welche sie v e r a r b e i t e n und u m b i l d e n , und welche, durch ihren unausgesetzten Verkehr sowohl u n t e r sich» wie mit der A u s s e n w e l t , den ganzen U m l a u f dieser Säfte bis in die äussersten Theile des lebendigen Pflanzenkörpers v e r m i t t e l n . Wie schon im Thierreich, so erscheint demnach auch im Pflanzenreich j e d e e i n z e l n e Z e l l e des

Die Pflanzenzelle als einfachstes pflanzliches Einzelwesen.

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Pflanzenkörpers als eine k l e i n e für sich bestehende W e r k s t ä t t e des gemeinschaftlichen pflanzlichen Lebens. Jede einzelne Zelte e r n ä h r t sich gewissermaassen selbstständig für sich und in ihrer eigenthümlichen Weise durch die Nahr u n g s s ä f t e , welche sie von den sie u m g e b e n d e n Zellen in sich aufnimmt und dann, nachdem auch sie dieselben in ihrer Weise v e r a r b e i t e t , wieder an a n d e r e Zellen, mit denen sie in Berührung steht, auf dem Wege der E i n - und Aush a u c h u n g abgiebt. In diesem ebenso regen wie regelmässigen Spiel der A u f n a h m e und' der A u s s c h e i d u n g , der Z e r s e t z u n g und der U m b i l d u n g der zum Pflanzenleben erforderlichen S t o f f e , besteht die gesammte Lebenst h ä t i g k e i t einer j e d e n e i n z e l n e n Zelle und damit im Grunde auch das gesammte e i n h e i t l i c h e L e b e n d e r P f l a n z e . Jede e i n z e l n e Zelle führt also inmitten des gesammten Pflanzenkörpers, dem sie angehört, gewissermassen ein g e s o n d e r t e s L e b e n f ü r sich, in welchem sie jederzeit die ihr eigentümlich zukommende i n n e r e L e b e n s b e t h ä t i gung an den Tag legt. Aber von der a n d e r e n Seite zeigt sich eben diese innere Lebensbethätigung auch ebenso e n t s c h i e d e n in einer ganz bestimmten A b h ä n g i g k e i t von der L e b e n s t h ä t i g k e i t des g e s a m m t e n P f l a n z e n k ö r p e r s . Denn stets sind es die E i g e n t h ü m l i c h k e i t e n des letzt e r e n , durch welche auch die ihrige in a l l e n i h r e n selbs t ä n d i g e n V e r r i c h t u n g e n jederzeit g e o r d n e t und ger e g e l t wird. Hier offenbart sich somit in j e d e r e i n z e l n e n Z e l l e ein e i g e n e r F u n k e jener gemeinsamen, i n n e r e n L e b e n s f ü l l e , welche die Natur in einem j e d e n e i n z e l n e n s e l b s t ä n d i g e n P f l a n z e n w e s e n von dessen e r s t e m Anf a n g an niedergelegt hat und vermöge dessen dasselbe, im weiteren Verlauf seines Daseyns, alle e i n z e l n e n T h e i l e seines K ö r p e r s als ebensoviele b e s o n d e r e L e b e n s w e r k zeuge sich nicht nur selbstthätig s c h a f f t und bildet, sondern seinem Dienste auch u n a u s g e s e t z t u n t e r w o r f e n hält.

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N o . 37. Die Pflanzenzelle als einfachster Ausdruck der Persönlichkeit innerhalb des Pflanzenreiches. Eben dieser eigene i n n e r e L e b e n s f u n k e , wie derselbe in der T h ä t i g k e i t einer jeden e i n z e l n e n P f l a n z e n z e l l e , selbst inmitten eines jeden g r ö s s e r e n P f l a n z e n k ö r p e r s , sich ausspricht, ist aber g l e i c h z e i t i g ein n i c h t zu verk e n n e n d e r A u s d r u c k einer in gewissem Sinn und bis zu einem gewissen Grade, sehr ähnlichen „ n a t ü r l i c h e n P e r s ö n l i c h k e i t " , wie wir eine solche, auch in Bezug auf das T h i e r r e i c h , bereits kennen gelernt haben. Es ist dies b e i d e r s e i t s das Gepräge einer in sich selber begründeten inneren wie äusseren n a t ü r l i c h e n S e l b s t ä n d i g k e i t , welcher wir auch hier begegnen, und welche ü b e r alle T h e i l e des P f l a n z e n k ö r p e r s sich verbreitet. Jedoch können wir, gerade in Bezug auf diese Verhältnisse, es nicht umgehen, vor Allem vor einem nur allzuleicht sich einschleichenden M i s s v e r s t ä n d n i s s zu warnen. Wir haben nämlich auch hier, in einer ähnlichen Weise wie früher in Bezug auf t h i e r i s c h e P e r s ö n l i c h k e i t e n , allezeit zu u n t e r s c h e i d e n zwischen w i r k l i c h e n P e r s ö n l i c h k e i t e n , in der e i g e n t l i c h e n Bedeutung dieses Wortes, und den bloss s c h e i n b a r e n und darum „ f a l s c h e n P e r s ö n l i c h k e i t e n " . Die Erstere erweist sich als im t i e f s t e n I n n e r e n einer jeden einzelnen und in sich s e l b e r s e l b s t s t ä n d i g e n W'esenseinheit begründet, und ist demgemäss eine ausschliesslich rein i n n e r l i c h e „Persönlichkeit". Die Letztere dagegen, die „ f a l s c h e P e r s ö n l i c h k e i t " ist allezeit nur eine r e i n ä u s s e r l i c h e , welche eine für uns unübersehbare V i e l h e i t von Einzelwesen der mannigfachsten Wesensgrade in sich e i n s c h l i e s s e n kann. Das beste und z u v e r l ä s s i g s t e B e i s p i e l einer wirklichen und w a h r e n „ P e r s ö n l i c h k e i t " und zwar in der vollsten Bedeutung des Wortes, besitzen wir im Allgemeinen in dem B e g r i f f und dem W e s e n der „ S e e l e " . Wollen

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wir nunmehr aber weiterhin noch den V e r s u c h machen, alle diese hier besprochenen Verhältnisse zu einer in allen Beziehungen vollkommen e n t s p r e c h e n d e n geistigen Ans c h a u u n g in uns zu e r h e b e n : so haben wir vor Allem in dieser unserer geistigen Anschauung jene beiden bis dahin nur in g e t r e n n t e r Weise, d. h. nur in der Gestalt von j e n e n zwei einander völlig f r e m d gegenüber stehenden Begriffen von „Seele" einerseits, und von „ P e r s ö n l i c h k e i t " anderseits, in einer solchen Weise zu v e r e i n i g e n , dass dieselben in unserem Geiste fortan vollständig in E i n s zusammenfallen. Alle diese wechselseitigen Verhältnisse würden aber an und in sich ganz und gar u n m ö g l i c h seyn, wofern nicht a l l e s Daseyn dieser Welt, das G e i s t i g e wie das K ö r p e r l i c h e , vom Uranfang an in einem gegens e i t i g e n V e r w a n d t s c h a f t s v e r h ä l t n i s s zu einander ständen. Denn wie könnte sonst im allgemeinen Naturleben alles S t o f f l i c h - K ö r p e r l i c h e ein natürlicher H i n w e i s uns seyn auch auf das G e i s t i g e , und umgekehrt alles G e i s t i g e eine E r k l ä r u n g auch für alles K ö r p e r l i c h e ? Ganz a n d e r s gestaltet sich jedoch dies Alles, sobald wir in dieser Beziehung auf des P f l a n z e n r e i c h unsere Blicke richten. Jedes b e s o n d e r e G l i e d , welches wir von einem thierischen Leib a b t r e n n e n , fällt der V e r w e s u n g anheim: es ist völlig unf ä h i g , sich jemals wieder zu einem Thier seiner Art zu e r g ä n z e n . Denn jene h ö h e r e t h i e r i s c h e L e b e n s k r a f t ( welche, von dem Sitz der t h i e r i s c h e n Seele aus, deren ganzen L e i b , denselben erhaltend und beseelend, allezeit e i n h e i t l i c h durchwaltet und durchfluthet, vermag auf ein vom Leibe a b g e t r e n n t e s Glied in keiner Weise mehr einzuwirken: indem es verwest, fallen dessen einzelne stofflichkörperliche Bestandtheile ausschliesslich dem Gebiete der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r anheim. Wie ganz a n d e r s zeigt sich dies Alles, gerade in dieser Beziehung, im Gebiete des h ö h e r e n P f l a n z e n l e b e n s ! Wohl scheint, dem ä u s s e -

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r e n A n s c h e i n nach, ein jeder B a u m , oder baumartige S t r a u c h , wie solche vor unseren Augen dastehen, eine ganz ähnliche ä u s s e r l i c h - k ö r p e r l i c h e W e s e n s e i n h e i t darzustellen, wie auch ein jedes höhere T h i e r nach seiner Weise. Sehen wir aber genauer zu: so tritt hier in Wahrheit eine ganz a n d e r e Erscheinung uns entgegen. Wenn von einem selbst grösseren B a u m e oder S t r a u c h e einzelne noch nicht allzustark verholzte Aste oder Zweige abgetrennt und unter günstigen Verhältnissen mit ihrem untersten Ende noch l e b e n s f r i s c h in einen geeigneten Boden e i n g e s e n k t werden: so bringen dieselben von ihrem S t a m m b a u m das natürliche Vermögen mit, aus e i g e n e r K r a f t selbstständig W u r z e l n zu schlagen und allmählich zu einem vollständigen B a u m e oder Strauche wieder a u s z u w a c h s e n . Das augenfälligste Beispiel dieser Art liefern uns bekanntlich die Weiden. Auch das Einsetzen von P f r o p f r e i s e r n und das Ubertragen von K n o s p e n a u g e n auf ganz f r e m d e Pflanzenkörper, wenn nur von verwandter Art, dürfen hierher gezählt werden. Aus allen diesen Verhältnissen müssen wir aber mit innerer Nothwendigkeit den Schluss ziehen, dass wir .es im Pflanzenreich k e i n e s w e g s noch mit bloss ä u s s e r l i c h - s c h e i n b a r e n Persönlichkeiten zu thun haben, wie im höheren Thierreich: sondern dass hier vielmehr einer jeden an einem Stamm oder einem Aste hervorsprossenden K n o s p e , und in Folge dessen auch einem jeden aus ihr hervorgehenden Ast oder Zweig, eine besondere und einem jeden derselben innerlich e i g e n t ü m l i c h zugehörige p f l a n z l i c h e L e b e n s k r a f t , als ein eigener innerer L e b e n s t r i e b , je nach dessen besonderer Wesensart, allewege zukommen müsse. Alles dies b e r e c h t i g t uns aber gleichzeitig zu dem weiteren S c h l u s s , dass wir bei den h ö h e r e n Klassen der Pflanzenwelt es keineswegs mit jenen wenigstens ä u s s e r l i c h - s c h e i n b a r e n Persönlichkeiten zu thun haben wie im Thierreich, sondern vielmehr mit gewissen f a m i l i e n ä h n l i c h e n V e r e i n i g u n g e n einer für

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uns unübersehbaren V i e l h e i t von unter sich i n n i g verb u n d e n e n , nach aussen hin aber gleichzeitig auch allewege ein g e m e i n s a m e s G a n z e darstellenden E i n z e l p e r s ö n l i c h k e i t e n . Es zeigt sich somit hier gewissennassen ein sehr ähnliches Verhältniss, wie solches auch bei manchen sehr n i e d r i g e n Thierklassen kann beobachtet werden: jedoch mit dem nicht unwesentlichen U n t e r s c h i e d , dass das, was im Thierreich, gegenüber den h ö h e r e n Thierklassen, gleichsam nur als eine naturgemässe A u s n a h m e zu betrachten ist, im P f l a n z e n r e i c h als ein allgemeines und stehendes N a t u r gesetz zu Tage tritt. „Wenn auch alle Theile einer Pflanze — sagt M O H L — ein g e m e i n s c h a f t l i c h e s L e b e n führen, so bilden sie zusammen doch n i c h t Ein in sich u n g e t e i l tes E i n z e l w e s e n (Individuum): sondern es sind einzelne a u s e i n a n d e r h e r v o r s p r o s s e n d e und, in Folge ihrer Entstehung, unter einander v e r w a c h s e n e E i n z e l w e s e n (Individuen)" . . . Es geht wohl augenscheinlich hieraus hervor, dass M O H L hier kaum ein anderes Yerhältniss möchte vor Augen geschwebt haben als dasjenige, welches wir vorstehend als eine „ f a m i l i e n ä h n l i c h e V e r e i n i g u n g einer V i e l h e i t von E i n z e l w e s e n " bezeichnet haben. (MOHL: Die vegetabilische Zelle. S. 64.) Gehen wir nunmehr von den höheren b a u m a r t i g e n Pflanzen auch über zu den n i e d r i g e r stehenden B l a t t p f l a n z e n : so finden wir hier den inneren L e b e n s t r i e b und damit die innere S e l b s t ä n d i g k e i t , selbst in den einzelnen B l a t t z e l l e n mancher Pflanzenarten, bereits in einem solchen Grade ausgeprägt, dass einzelne a b g e b r o c h e n e B l ä t t e r , ruhig auf Wasser gelegt, nach einiger Zeit an einzelnen Stellen ihrer R i p p e n oder Nerven W u r z e l n schlagen und unter günstigen Umständen zu n e u e n Pflanzen derselben Art a u s w a c h s e n . Beispiele hiervon bieten die U f e r - und B r u n n e n k r e s s e (Nasturtium amphibium) und das b i t t e r e S c h a u m k r a u t (Cardamine amara). „Jeder T h e i l e i n e r

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Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

P f l a n z e -R- sagt LEUNIS —, der f ü r sich der wesentlichen Lebensverrichtungen f ä h i g ist, bildet gleichsam ein E i n z e l w e s e n , und kann unter gewissen Umständen n e u e Einzelzellen bilden. Das gemeine K e i m b l a t t (Bryophyllum calycinum), eine Fettpflanze der Molukken, t r e i b t , auf feuchte Erde gelegt, a u s j e d e r E i n k e r b u n g seiner Blätter n e u e P f l a n z e n , die nur der s t a r k e n E n t w i c k e l u n g bestimmter e i n z e l n e r Z e l l e n ihr Daseyn verdanken." (LEUNIS: Synops. d. 3 Naturreiche. II. S. 68.) Noch auffallender werden alle diese Wahrnehmungen in den noch t i e f e r stehenden Pflanzenordnungen. In den W a s s e r f ä d e n (Conferven) haben wir n u r f a d e n f ö r m i g aneinander gereihte e i n z e l n e P f l a n z e n zellen vor Augen, deren j e d e f ü r sich a l l e i n eine vollkommene p f l a n z l i c h e W e s e n h e i t bildet. Auch vom Ganzen g e t r e n n t ist jede derselben im Stande s e l b s t ä n d i g f ü r sich fortzuleben: sie vollzieht, aus e i g e n e r K r a f t , alle diejenigen Lebensverrichtungen des E i n s a u g e n s und des V e r a r b e i t e n s von aufgenommenen Nahrungsstoff'en, welche erforderlich sind, nicht nur den eigenen lebenskräftigen Bes t a n d zu sichern, sondern mit der Zeit auch wieder eine v o l l s t ä n d i g e P f l a n z e ihrer Art aus sich hervorgehen zu lassen. Und gelangen wir, noch weiter herabsteigend, schliesslich bis zur letzten und u n t e r s t e n G r ä n z e alles uns bekannten pflanzlichen Daseyns, so sehen wir in dem U r k o r n (Protococcus) und in den G ä h r u n g s p i l z e n (Pyromycetae) u. s. w. jene a l l e r e i n f a c h s t e n und a l l e r n i e d r i g s t e n Pflanzenformen, deren g a n z e r P f l a n z e n l e i b , in ähnlicher Weise wie die T h i e r l e i b e r jener einfachsten thierischen M o n a d e n , für die ganze Dauer ihres pflanzlichen Daseyns nur auf E i n e e i n z i g e , von pflanzlichem L e b e n s t r i e b erfüllte und b e s e e l t e Z e l l e sich beschränkt zeigen. In solcher Weise ist es somit auch hier die Z e l l e , in welcher wir das erste und ursprünglichste p f l a n z l i c h e E i n z e l w e s e n , damit aber zugleich die E r s t e V e r t r e t e r i n des Begriffes der

129

Die Quarzzelle.

„ P e r s ö n l i c h k e i t " im gesammten p f l a n z l i c h e n H a u s h a l t e d e r N a t u r vor Augen haben. Denn wie die t h i e r i s c h e Z e l l e , wie wir gesehen, allezeit sich selber gleichzeitig ebensowohl Seele wie auch L e i b und K ö r p e r ist, ohne dass dieselben jemals w e s e n h a f t von einander getrennt oder unterschieden seyn könnten: ganz ebenso muss, aus gleichen Gründen, auch ganz das G l e i c h e der Fall seyn in Bezug auf jede in sich einfachste P f l a n z e n z e l l e .

§ 11. Die Quarzzelle. N o . 38. Die Quarzzelle, oder das kleinste Quarztheilchen, als der einfachste Ausdruck der Persönlichkeit innerhalb des untersten Naturreiches. Welchen Verhältnissen werden wir nun aber begegnen, wenn wir vom Thier- und Pflanzenreich noch w e i t e r h i n a b s t e i g e n zu dem Reich der Quarze, das in so vielen Beziehungen, wie wir früher bereits gesehen, als etwas den beiden obengenannten Naturreichen völlig E n t g e g e n g e s e t z tes pflegt betrachtet zu werden. Wie wird es sich hier mit dem Begriif der „ P e r s ö n l i c h k e i t " verhalten, und werden wir, auch für dieses u n t e r s t e der drei Naturreiche den Begriff der „ Z e l l e " als den e i n f a c h s t e n und darum eigentlichen Ausdruck auch für den eigentlichen „ P e r s ö n l i c h k e i t s b e g r i f f " zu betrachten haben? Waren es im Thierreich meist das einzelne für sich selbständige T h i e r , im Pflanzenreich der B a u m , wie solche vor unseren Augen dastehen und gewöhnlich als die natürlichen Vertreter des P e r s ö n l i c h k e i t s b e g r i f f e s pflegen betrachtet zu werden: so haben wir nunmehr auch im Eeich der Q u a r z e ein ganz verw a n d t e s Verhältniss vor Augen. Sollten wir aber, demgemäss, auch für das unterste der drei Naturreiche, den Begriff der „Zelle" nicht in derselben Weise als den e i n f a c h s t e n natürlichen T r ä g e r des Begriffes einer wirklichen „ P e r s ö n Wandersmann.

I.

9

130

Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

l i c h k e i t " ebensowohl zu betrachten haben, wie solches auch der Fall ist in Bezug auf eine jede einzelne T h i e r - und P f l a n z e n z e l l e ? Denn in der That, auch im Reich der Q u a r z e stellt ein jeder einzelne, nach allen Seiten und Richtungen hin, vollständig ausgebildete Q u a r z k ö r p e r als ein in sich ganz ebenso s e l b s t ä n d i g e s G a n z e sich dar, wie auch ein jeder einzelne T h i e r - oder P f l a n z e n k ö r p e r . Alle jene gemeinsamen d r u s e n f ö r m i g e n Q u a r z b i l d u n g e n dagegen, in welchen sich eine unbestimmte, bald grössere bald kleinere V i e l h e i t von e i n z e l n e n Q u a r z k ö r p e r n an ihren unteren Enden auf das innigste mit einander v e r w a c h s e n zeigen: diese alle dürfen wir ohne Zweifel als eine naturgemässe Darstellung eben jenes f a m i l i e n ä h n l i c h e n V e r w a c h s e n seyns von vielen E i n z e l p e r s ö n l i c h k e i t e n zu einer gem e i n s a m e n grösseren, aber in sich v i e l g e g l i e d e r t e n E i n h e i t betrachten, wie wir einem ganz g l e i c h e n V e r h ä l t niss auch bereits in den beiden anderen Naturreichen begegnet sind. Im ganzen P f l a n z e n r e i c h e haben wir überdies, selbst in dessen e d e l s t e n Klassen, im Allgemeinen k e i n e in sich völlig u n t h e i l b a r e P e r s ö n l i c h k e i t e n mehr vor Augen. Was uns hier s c h e i n b a r als solche entgegentritt, offenbart sich, wie wir gesehen, bei genauerer Prüfung k e i n e s w e g s auch in der Wirklichkeit als eine solche; sondern vielmehr als eine V i e l h e i t von Asten, Zweigen, Blättern u. s. w., deren ein jedes eine nicht zu verkennende eigene innere L e b e n s s e l b s t ä n d i g k e i t , dem gemeinsamen G a n z e n g e g e n ü b e r , an den Tag legt. Schon hieraus dürfen wir also, nicht ohne Grund, darauf schliessen, dass auch im R e i c h d e r Q u a r z e ein sehr ä h n l i c h e s Verhältniss uns entgegentreten wird. Der einzelne Ast und Zweig sind im Grunde nur W i e d e r h o l u n g e n , im v e r k l e i n e r t e n Maassstabe, des nämlichen und gleichen Verhältnisses, unter welchem wir auch das g a n z e Gewächs, den g a n z e n Baum einzureihen haben. Der T h e i l ist hier dem G a n z e n in seiner

131

Die Quarzzelle.

Weise vollkommen ä h n l i c h , dass

mit dem alleinigen Unterschied,

das g a n z e Gewächs, der g a n z e Baum,

selbständig im

Boden der E r d e wurzelt; der e i n z e l n e T h e i l , der Ast oder Zweig

dagegen

gemeinsamen ganzen, noch

hat

seinen

Stamme

natürlichen S t a n d o r t

auf dem

eben jenes einheitlichen P f l a n z e n -

von welchem er

nur

niedrigerer Lebensstufe

ein T h e i l

bei

den

ist.

Ebenso auf

Wasserfäden.

Eine

jede einzelne Z e l l e derselben stellt gleichsam nur d e n s e l b e n Wasserfaden

dar

in

verkleinerter

Ausführung.

In

dem-

selben Verhältnisse aber, in welchem wir in dem allgemeinen Haushalte der Natur den Theil dem Ganzen in Gestalt und Wesen

sehen ä h n l i c h e r

werden: in demselben

Verhältnisse

finden wir auch jene unbedingte U n t e r o r d n u n g

der

Theile

unter das gemeinsame Ganze g e l o c k e r t , und um so mehr ist auch der T h e i l im Stande, f ü r sich a l l e i n und vom Ganzen getrennt, seyn

ein

in und für sich selber

fortzuführen.

Dies

heisst

selbständiges

aber

nichts

Da-

Anderes,

als

dass demselben, in Folge dessen, nur noch um so mehr und um so z u v e r l ä s s i g e r der Begriff und das Wesen einer eigenen

innerlichen

wirkliche

und

Selbständigkeit, eigentliche

schrieben werden muss. Erscheinungen R e i c h der Q u a r z e . ausgebildeten glanz sich

auch eine

allewege

zuge-

wir

nun

aber

auch

in

dem

Sobald wir nämlich irgend einen völlig

grösseren

besonders

damit

Ganz den g l e i c h e n und v e r w a n d t e n

begegnen

Quarzkörper,

oder einen isländischen dies

und

Persönlichkeit

leicht

z. B. einen

Doppelspath,

Blei-

bei welchem

bewerkstelligen lässt,

durch

An-

wendung äusserer Gewalt in seine einzelnen T h e i l c h e n klauben

und z e r s p a l t e n :

zer-

gewahren wir alsbald, dass alle

diese Stücke sowohl in Bezug auf äussere G e s t a l t u n g , auf

innerliche

Bildung

und

Beschaffenheit,

sich

wie

genau

ebenso verhalten, als wie der g a n z e Quarzkörper, von welchem

sie

kleinste

die

einzelnen

Theilchen

Theile

gewesen

sind.

Jedes

zeigt sich, auch in solchem Falle, im 9*

132

Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

verkleinerten Maassstab als das t r e u e B i l d des Grauzen. Es zeigt dieselbe F o r m , dasselbe G e f ü g e , denselben s t o f f l i c h e n I n h a l t : es erweist sich in allen diesen Beziehungen demnach als an und für sich ganz e b e n s o s e l b s t ä n d i g wie der g a n z e noch u n g e t h e i l t e Q u a r z , der zuvor vor unseren Augen gestanden. Dass aber alle derartige einzelne Quarzsplitterchen, in ihre n a t ü r l i c h e M u t t e r l a u g e gelegt, auch ganz ebenso wie einzelne, von der Mutterpflanze getrennte Z e l l e n niederer Pflanzengattungen, im Stande sind, wieder zu n e u e n und g r ö s s e r e n selbständigen Quarzkörpern h e r a n z u w a c h s e n : darauf haben wir früher (I. § 4 No. 13) ausführlich hingewiesen. A u c h h i e r besteht somit ein H a u p t u n t e r s c h i e d , abgesehen von den übrigen a l l g e meinen Wesensunterschieden zwischen den einzelnen Naturreichen, a l l e i n n u r d a r i n , dass dasjenige, was im T h i e r r e i c h nur gleichsam als A u s n a h m e , bei den n i e d r i g s t e n D a s e y n s f o r m e n des P f l a n z e n r e i c h s dagegen bereits bedeutend a l l g e m e i n e r auftritt: n u n h i e r , im Keich der Q u a r z e , als g a n z f e s t s t e h e n d e und diesem g a n z e n N a t u r r e i c h e ohne Ausnahme z u k o m m e n d e G e s t a l t u n g s weise sich darstellt. Auch der Q u a r z ist somit, ganz ä h n l i c h wie die P f l a n z e und das T h i e r , aus u n z ä h l i g v i e l e n einzelnen Z e l l e n : so aus unzählig vielen einzelnen Q u a r z k ö r p e r c h e n oder Q u a r z z e l l e n aufgebaut, und eine jede E i n z e l n e dieser Quarzzellen, so klein dieselbe auch seyn mag, erweist sich, ganz ä h n l i c h wie die t h i e r i s c h e und p f l a n z l i c h e Z e l l e , als eine vollkommene, in sich s e l b s t ä n d i g e und, in ihrer Weise, l e b e n d i g e p e r s ö n l i c h e W e s e n s v e r k ö r p e r u n g , je nach ihrer besonderen stofflichen Wesensart. No. 39.

Zerstörbarkeit der Thier-, Pflanzen- und Quarzzelle.

Auf den ersten Anblick scheint zwischen jenen kleinen f e s t e n K ö r p e r c h e n , in welche wir so viele Q u a r z e zu

Die Quarzzelle.

133

spalten vermögen, und jenen f e i n e n , meist völlig d u r c h s i c h t i g e n und von den mannigfachsten S ä f t e n und S t o f f e n erfüllten Z e l l e n des T h i e r - und P f l a n z e n r e i c h e s ein sehr grosser U n t e r s c h i e d zu bestehen; ja dieser U n t e r s c h i e d erscheint, wie wir gesehen, für Viele als so bedeutend, dass die K l u f t , welche d u r c h d e n s e l b e n zwischen dem R e i c h d e r Q u a r z e und den b e i d e n h ö h e r e n N a t u r r e i c h e n gebildet wird, nicht selten als völlig u n ü b e r s t e i g l i c h betrachtet wird. Wie scheint es in der That m ö g l i c h , dem I n n e r e n des starren, f e s t e n und in seiner ganzen äusseren Erscheinung r e g u n g s - und b e w e g u n g s l o s dastehenden Q u a r z e einen l e b e n s v o l l e n Inhalt oder gar eine Beweg u n g von ähnlichen oder irgendwie v e r w a n d t e n L e b e n s s ä f t e n zuzuschreiben, wie wir solche augenscheinlich jeden l e b e n d i g e n T h i e r - oder P f l a n z e n k ö r p e r allezeit durchfluthen sehen? Zudem bemerken wir sehr bald, dass auch noch eine weitere S c h w i e r i g k e i t sich hinzugesellt. Wohl sind wir im Stande, einen jeden grösseren oder kleineren Q u a r z k ö r p e r in einer ähnlichen Weise in eine zahllose Menge von einzelnen Q u a r z s p l i t t e r c l i e n zu z e r l e g e n , wie wir auch einen jeden T h i e r - oder P f l a n z e n k ö r p e r künstlich in seine einzelnen Zellen zu zertheilen vermögen. Wer bürgt uns aber dafür, dass wir bei diesem Z e r k l ü f t e n und Z e r s p a l t e n , selbst der kleinsten für uns noch wahrnehmbaren Q u a r z s p l i t t e r c h e n , auch wirklich an jener l e t z t e n G r ä n z e angelangt sind, über welcher h i n a u s überhaupt kein weiteres Zerspalten mehr möglich ist? Die Zelle bezeichnet, im Thier- wie im Pflanzenkörper, das l e t z t e in sich noch z u s a m m e n g e s e t z t e natürliche Gebilde, aus welchem schliesslich sämmtliche Thier- und Pflanzenkörper sich a u f g e b a u t zeigen. Uber die Zelle können wir daher im Zertheilen thierischer und pflanzlicher Körper n i c h t hinausgehen: wollten wir auch an diese noch Hand anlegen, so würden wir auf der Stelle jedes t h i e r i s c h e oder p f l a n z l i c h e L e b e n

134

Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

in ihr z e r s t ö r e n , und deren gesammter stofflich-wesenhafter Inhalt würde fortan nur noch dem weiten Gebiete der ung e s t a l t e t e n Natur angehören. Ganz anders verhält dies Alles sich dagegen in Bezug auf das u n t e r s t e der drei N a t u r r e i c h e . Das scheinbar kleinste Q u a r z s p l i t t e r c h e n lässt sich, mit den geeigneten Hülfsmitteln, noch immer weiter und weiter z e r t h e i l e n , ohne dass wir im Stande wären, jemals einen b e s t i m m t e n P u n k t anzugeben, bis zu welc h e m überhaupt eine derartige Theilung zu gehen vermöchte. Die Erfahrung lehrt uns jedoch, dass die Natur nicht selten zu dem, wozu sie von der einen Seite uns die Mittel verw e i g e r t , dieselben auf einem a n d e r e n Wege uns d a r b i e t e t . Und so auch hier. Wohl sind wir n i c h t im Stande, durch g e w a l t s a m e äussere Mittel jene kleinen Q u a r z s p l i t t e r c h e n ihrer eigentümlichen naturwüchsigen Gestaltung auf dem Wege f o r t g e s e t z t e r T h e i l u n g zu berauben: aber vermittelst des S c h m e l z e n s , oder mittelst der natürlichen Einwirkungen a u f l ö s e n d e r S t o f f e , vermögen wir das Gesuchte um so sicherer zu erreichen. Sobald nämlich ein Q u a r z , oder irgend ein noch so kleines Quarzsplitterchen, durch die dazu nöthige Hitze zum S c h m e l z e n gebracht ist, oder wenn dasselbe in irgend einer hierzu geeigneten F l ü s s i g k e i t vollständig sich g e l ö s t hat, ist auch sofort deren inneres und äusseres, bis dahin wohlgestaltetes G e f ü g e mit einem Male vollständig und bis auf den letzten Grund z e r s t ö r t : jene innerliche G e s t a l t u n g s k r a f t , welche den Quarz einst im Ganzen wie in seinen Theilen gebildet und zusammengehalten, ist d a h i n , und wir haben nunmehr ganz dieselbe Erscheinung wie diejenige vor unseren Augen, von der wir soeben, auch in Bezug auf die z e r s t ö r t e T h i e r - oder P f l a n z e n z e l l e , Erwähnung gethan haben. Sein I n h a l t gehört fortan nur allein noch der allgemeinen S t o f f - und K ö r p e r w e l t an: i h r e Gesetze und i h r e Kräfte sind es, welche auch hier fortan a l l e i n nur walten.

Die Quarzzelle.

No. 4 0 .

185

Innere Verwandtschaft der Thier-, Pflanzen- und Quarzzellen.

Sehen wir genauer zu, so sind es nicht einzig und allein die Begriffe der thierischen und der pflanzlichen „ Z e l l e " , in Bezug auf welche es sich, der Sache nach, hier handelt, und nach

welchen

die

übereinstimmen:

beiden

oberen

auch

hierbei

nicht

lichen

Verhärtungen,

noch ein

übergangen

werden.

Naturreiche Es

darf

sind dies die natür-

Verknöcherungen

und

zungen,

welche wir mit der Zeit in b e i d e n

eintreten

sehen.

Denn

auch

Reichen

für

gewisse

beiden

miteinander

anderes Verhältniss

Verhol-

Naturreichen

diese Erscheinungen zeigen in Zellen

kennende Ü b e r e i n s t i m m u n g .

MOHL

eine

nicht

zu

ver-

sagt in Bezug auf eben

diese Verhältnisse, dass die eigentliche G r ä n z e , bis zu welcher diese V e r d i c h t u n g e n

gehen können,

zwar unbekannt

sey, dass aber nichtsdestoweniger im T h i e r r e i c h härtung

der K n o c h e n ,

holzung

der

die Ver-

sowie im P f l a n z e n r e i c h die V e r -

Bäume

und

die

Verknöcherungen

von

F r u c h t - und S a m e n h ü l l e n sehr b e d e u t e n d seyn könnten, ohne

dass,

Pflanzen,

in Folge dessen, die betreffenden T h i e r e

oder

in Bezug auf ihren natürlichen Bestand im Da-

seyn, irgend

einen wirklichen

Schaden

(MOHL: vegetabilische Zelle S. 45).

zu erleiden hätten

Freilich,

wenn wir von

„ Z e l l e n " reden, sey es in Bezug auf das T h i e r r e i c h

oder

auf das P f l a n z e n r e i c h :

so pflegen wir dieselben meist nur

in demjenigen Z u s t a n d

geistig uns zu vergegenwärtigen, in

welchem sie, unter dem V e r g r ö s s e r u n g s g l a s e , unseren leiblichen

Augen

Weichheit, stellen.

meist

nur

Zartheit

von

und

Seiten

ihrer

ursprünglichen

Durchsichtigkeit

sich

dar-

Es ist dies nicht allein der Zustand, in welchem sie

sämmtlich zur Zeit ihrer e r s t e n

Entstehung

sich befinden,

sondern namentlich auch derjenige, in welchem sie, als Angehörige von stets weich

bleibenden

Bestandteilen

eines

136

D i e einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

thierischen oder pflanzlichen Körpers, meist während des g a n z e n natürlichen B e s t a n d e s dieses Letzteren v e r h a r r e n . Erst im weiteren Verlauf des allmählichen H e r a n w a c h s e n s der betreffenden Thiere und Pflanzen, sowie ihrer damit Hand in Hand gehenden körperlichen Ausbildung, beginnen die hier in Betracht kommenden Z e l l e n aus dem Zustand ihrer ursprünglichen W e i c h h e i t , Z a r t h e i t und D u r c h s i c h t i g k e i t mehr und mehr überzugehen in denjenigen einer stetig zunehmenden V e r d i c h t u n g und V e r h ä r t u n g . An die Stelle der früheren W e i c h h e i t tritt nun die H ä r t e , an diejenige der Z a r t h e i t die F e s t i g k e i t , und an diejenige der ursprünglichen D u r c h s i c h t i g k e i t die völligste U n d u r c h s i c h t i g k e i t . Jedoch begegnen wir allen diesen soeben geschilderten Verhältnissen keineswegs ausschliesslich n u r in den beiden oberen Naturreichen: auch in dem R e i c h d e r Q u a r z e finden ganz v e r w a n d t e Verhältnisse statt, auf welche noch näher einzugehen, die Aufgabe der folgenden Nummer seyn soll. No. 41. Entstehung der ersten Quarzzelle und deren Übereinstimmung mit der Entstehung der ersten Thier- und Pflanzenzelle. WTir bemerkten soeben, dass selbst die h ä r t e s t e n Thierund Pflanzengebilde in ihrer J u g e n d , d. i. in der ersten Zeit ihres Werdens, in einem Zustande der W e i c h h e i t und der Z a r t h e i t , die Stoffe aber, aus denen sie gebildet, in dem der F l ü s s i g k e i t und B e w e g l i c h k e i t sich befunden haben. Sollte nicht auch innerhalb des Q u a r z r e i c h e s ein sehr ähnliches, wo nicht gleiches Verhältniss in allen den Fällen stattgefunden haben, in welchen die jetzt so s t a r r und r e g u n g s l o s dastehenden Q u a r z g e s t a l t e n aus der »noch u n g e s t a l t e t e n Natur, als ihrem unzweifelhaft nächsten stofflich-körperlichen U r g r u n d , sich h e r v o r g e b i l d e t haben? Sehen wir doch noch täglich derartige Gestaltungen, namentlich zur W i n t e r s -

137

Die Quarzzelle.

zeit,

gleichsam

vor

unseren Augen,

aus

der noch

unge-

s t a l t e t e n Natur h e r v o r w a c h s e n : sollte es da nicht möglich seyn,

unter

günstigen Umständen auch diesen Verhältnissen

durch thatsächliche B e o b a c h t u n g e n kommen?

Freilich

das

näher auf die Spur zu

allererste

Erwachen

und

die

e r s t e n Regungen dieses eigenen inneren G e s t a l t u n g s t r i e b e s vermögen wir n i c h t zu erschliessen. nur

Denn jedenfalls beginnt dasselbe, wenn auch

vorbereitend,

Herden

der

dem Anblick unserer leiblichen Augen

noch

bereits

in

den

ungestalteten

s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n Natur. allerersten dringen:

und

innersten

in sich noch rein

Freilich bis zu diesen noch

Einzelbestandtheilen

in

Wirklichkeit

vorzu-

dies ist bis jetzt, selbst mit Hülfe der schärfsten

Vergrösserungen, gewesen.

geheimsten

noch

keinem

menschlichen Auge

Soweit es dagegen gelungen ist, die

möglich

Entstehung

eben jener r e g e l r e c h t e n G e s t a l t u n g e n , welche das unterste Naturreich in einer so unverkennbaren Weise von allen anderen Naturgestalten unterscheiden, n a c h r ü c k w ä r t s zu v e r f o l g e n : soweit drängt dem denkenden Beobachter die Uberzeugung sich auf, dass alle jene an sich noch u n g e s t a l t e t e n S t o f f e , welche an jener p l ö t z l i c h e n

Umgestaltung

gesammten natürlichen Wesenheit Theil

nahmen,

zu

ihrer jener

Z e i t in Zuständen sich müssen befunden haben, welche in deren Innerem eine

grosse

Beweglichkeit

zuliessen.

Als

solche vermöchten aber keine anderen dem Auge des Geistes sich darzubieten, als einerseits der l u f t - oder d u n s t f ö r m i g e , und

anderseits

der

tropfbar-flüssige

Zustand,

oder

wo

nicht, doch wenigstens ein inneres Wesensgepräge von einem solchen Grade innerer W e i c h h e i t oder H a l b w e i c h h e i t , bei welchem noch immer an irgendwelche l i c h k e i t darf gedacht werden. von

LENK

innerliche

Beweg-

Dies erklärt auch die weitere

beobachtete Thatsache,

dass allemal, wenn

feste

Körper p l ö t z l i c h durch N i e d e r s c h l a g aus einer Flüssigkeit entstehen,

darinnen

ihre

Stoffe

gelöst

waren,

zuerst

als

138

Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

k l e i n e K ü g e l c h e n sich zeigen, die dann q u e c k s i l b e r ä h n l i c h zu grösseren Kügelchen sich v e r e i n i g e n (LINK: Bildung fester Körper. S. 28 u. 30). Diese K u g e l b i l d u n g weist deutlich darauf hin, dass bis dahin a l l e i n die Gesetze der allgemeinen S t o f f - und K ö r p e r w e l t es waren, welche diesen Erscheinungen zu Grunde liegen. Sobald aber in diesen K ü g e l c h e n eben jene h ö h e r e L e b e n s - und G e s t a l t u n g s k r a f t zur Geltung und Auswirkung gelangt ist, welche als eigentlicher G e s t a l t u n g s t r i e b das Wesen des u n t e r s t e n Naturreiches ausmacht: sehen wir diese K ü g e l c h e n unter gegenseitigem Z u s a m m e n f l i e s s e n sich an e i n a n d e r r e i h e n , bis plötzlich — zuweilen u n t e r den A u g e n des B e o b a c h t e r s — der neu entstandene Quarz in sich v o l l e n d e t dasteht, anfangs zwar nur k l e i n , aber sogleich in der ihm, je nach seiner besonderen stofflichen Wesensart, e i g e n t ü m l i c h e n G e s t a l t . Dieses erste dem Auge s i c h t b a r gewordene Quarzkörperchen beginnt nunmehr, sich zu v e r g r ö s s e r n , jedoch stets unter B e i b e h a l t u n g seiner u r s p r ü n g l i c h e n G e s t a l t . Und eben diese Thatsachen betrachtet LINK denn auch folgerichtig als einen Beweis dafür, dass die betreffenden Stoffe in ihrem Innern ursprünglich noch f l ü s s i g oder wenigstens noch h a l b f l ü s s i g gewesen seyn müssen. Dieselben Thatsachen werden in ähnlicher Weise auch von BENECKE bestätigt. „Die Q u a r z b i l d u n g (Crystallbildung)" — sagt er — „ist n i c h t ein Spiel des Zufalls: sie erfolgt nach ganz bestimmten den Stoff beherrschenden Gesetzen. Dabei ist es von hoher Bedeutung, zu wissen, dass der Q u a r z , im A u g e n b l i c k seiner Entstehung n i c h t immer s o f o r t gebildet erscheint: er tritt vielmehr oft z u e r s t in u n b e s t i m m t e r , d. i. in noch g e s t a l t l o s e r Weise auf, oder in Gestalt einer sehr kleinen Kugel, die als Z u s a m m e n h ä u f u n g (Aggregat) von s e h r k l e i n e n E i n z e l q u a r z e n (Individuen) darf betrachtet werden" (BENEKE: Physiol. Vorträge. I. S. 31). Und somit wäre denn auch, in Folge eben dieser Thatsachen, für

139

Die Quarzzelle.

uns

die

Quarze, beiden zu

Kluft

über

ihm

trennen

dabei

nur,

tung,

verschwunden,

welche

das

Reich

der

beim ersten nur oberflächlichen Anblick, von den stehenden Naturreichen

schien. dass

der

Der

wesentliche

eben jener

bei

den

Zustand

natürlichen

Pflanzenreiches erst n a c h

so unversöhnlich

Unterschied dauernder

Gebilden

des

bleibt

Verhär-

Thier-

und

und n a c h , in bereits mehr oder

weniger v o r a n g e s c h r i t t e n e m A l t e r , sich bewerkstelligt, dagegen hier, bei den Q u a r z e n , schon s o f o r t mit deren erster Entstehung. übrigen, tracht

Dieser U n t e r s c h i e d ist aber, sobald wir alle

die Gestaltung

ziehen,

begleitenden Umstände

keineswegs

von der Art,

ersten Lebenserscheinungen drei Naturreiche,

nämlich

mit

in Be-

dass eben jene

in dem Gesammtgebiete der

die Bildung der

ersten

Thier-

z e l l e , der e r s t e n P f l a n z e n z e l l e und der e r s t e n zelle,

nicht unter einen

schaftlichen

gleichen,

Grundbegriff

sollten

allen dreien zu

stellen

Quarzgemein-

seyn.

Im

t h i e r i s c h e n K ö r p e r wie im P f l a n z e n k ö r p e r sind es nothwendig einzelne, der äusseren L e i b l i c h k e i t

angehörige Be-

standtheile der noch u n g e s t a l t e t e n allgemeinen S t o f f - und Körperwelt,

welche in den ersten Anfängen der E i -

Samenbildung einfachsten

zu

einer

Zellenbildung

geheimnissvollen

ersten und noch

zusammentreten.

In Folge

gleichzeitig damit verbundenen ersten E r w a c h e n s ersten

selbständigen

Bethätigung

der

oder

dem

des

sowie der

Thier-

und

P f l a n z e n r e i c h eigenthümlichen L e b e n s - u n d G e s t a l t u n g s k r ä f t e wird der e r s t e Grund gelegt zu einem n e u e n und vorher noch nicht dagewesenen

höheren

Naturwesen.

Das

A h n l i c h e und Gleiche findet, wie wir oben gesehen, in seiner Weise auch statt in dem Reich der Q u a r z e .

Was dort jene

erste unter der begünstigenden Mitwirkung äusserer Verhältnisse

gebildete

rischen

Ur-

und

Mutterzelle

eines neuen

thie-

oder p f l a n z l i c h e n Lebens ist: das ist h i e r jenes

erste von ganz bestimmten E c k e n ,

Kanten

und

Flächen

140

Die einzelnen Zellen der Thier-, Pflanzen- und Quarzkörper etc.

begränzte Q u a r z k ö r p e r c h e n . Der aufmerksame Beobachter sieht, bei ausreichender V e r g r ö s s e r u n g , jenes ursprünglich z e l l e n a r t i g e und bis dahin ausschliesslich der noch unges t a l t e t e n N a t u r angehörige U r k ü g e l c h e n plötzlich und wie m i t E i n e m S c h l a g e in ein, wenn auch noch so k l e i n e s , so doch nach allen Regeln des u n t e r s t e n N a t u r r e i c h e s , vollgültig ausgestattetes Q u a r z k ö r p e r c h e n sich umwandeln, sobald der bis dahin in ihm noch schlummernde höhere Gestaltungstrieb, sowie die untrennbar mit diesem verbundene G e s t a l t u n g s k r a f t , zu e i g e n e r Bethätigung e r w a c h t sind. Die W i s s e n s c h a f t ist bekanntlich g e w o h n t , alle diese mehr oder minder ansehnlichen V e r e i n i g u n g e n von an sich noch rein s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n Einzelwesen als an sich noch u n g e s t a l t e t e M a s s e n t h e i l c h e n oder Moleküle zu bezeichnen. Und so dürfen wir denn, in ähnlicher Weise, jene eben erwähnten e r s t e n und noch e i n f a c h s t e n Q u a r z k ö r p e r c h e n , oder, nach den G e s e t z e n des untersten Naturreiches, vollständig a u s g e s t a l t e t e n Q u a r z k e r n e , in gleicher Weise als die „ e r s t e n M a s s e n t h e i l c h e n " der g e s t a l t e t e n N a t u r , d. h. als wirkliche und wahre „ Q u a r z z e l l e n " in das Auge fassen. Und zwar betrachten wir es als selbstverständlich, dass wir hier den Begriff der „ Z e l l e " in ganz d e r selben Bedeutung nehmen, in welcher er auch in Bezug auf das P f l a n z e n - und T h i e r r e i c h pflegt aufgefasst zu werden. Jedoch bleiben diejenigen B e s c h r ä n k u n g e n vorbehalten, welche der niedrige Standpunkt des Q u a r z r e i c h e s allewege gegenüber von seinen beiden h ö h e r e n Genossen naturgemäss einnimmt. Wir möchten zu eben dieser allgemeineren Auffassung aller der hier in Betracht kommenden Verhältnisse uns umsomehr b e r e c h t i g t halten, als selbst in den beiden h ö h e r e n Naturreichen Fälle vorkommen, welche in ihren ä u s s e r l i c h e n F o r m e n unverkennbar an die r e g e l m ä s s i g e n G e s t a l t u n g e n des u n t e r s t e n der drei Naturreiche e r i n nern. Und somit weisen uns schliesslich denn auch alle

Die Quarzzelle.

141

diese im Vorstehenden besprochenen T h a t s a c l i e n , sowie die E r g e b n i s s e unserer bisherigen Untersuchungen augenscheinlich darauf hin, dass ein e i n h e i t l i c h e s B a n d tief innerlicher L e b e n s - und W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t nothwendig durch alle d r e i R e i c h e der Natur gemeinsam sich h i n d u r c h z i e h t . Als eben dieses einheitliche B a n d haben wir aber namentlich jene e r s t e n und e i n f a c h s t e n Z e l l e n b i l d u n g e n , gleichviel w e l c h e m von jenen drei R e i c h e n sie auch a n g e h ö r e n mögen, zu betrachten. Denn sie sind es, in welchen wir, in ihrer t i e f e r e n B e d e u t u n g , auch so recht eigentlich die n a t ü r l i c h - w e s e n h a f t e n B a u s t e i n e zum A u f b a u der drei Reiche der Natur vor Augen haben. „Der Gedanke der E i n h e i t des L e b e n s in allem Lebendigen" — sagt VIRCHOW — „findet in der Z e l l e seine (erste und noch allgemeinste) l e i b l i c h e D a r s t e l l u n g " (VIKCHOW: 4 Reden über Leben und Krankh. S. 8).

III.

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als die letzten und einfachsten Wesenseinheiten der gesammten allgemeinen Stoff- und Körperwelt. Atome. § 12. Die einzelnen stofflichen Körpertheile (Atome) als natürliche in sich untheilbare Wesenseinheiten. N o . 4 2 . Unzulänglichkeit der sinnlichen Erfahrungen in Bezug auf den Begriff eines persönlichen Einzelwesens innerhalb des Gebietes der allgemeinen Stoff- und Körperwelt. ir haben soeben (IL § 11 No. 39) gesehen, dass in einer jeden T h i e r - , P f l a n z e n - und Q u a r z z e l l e , sobald durch Natureinwirkung oder gewaltsame äussere Zerstörung deren eigenthümliche innere Lebenseinheit a u f g e h o b e n worden, auch alsbald eben jene höhere Lebenskraft selbst v e r s c h w u n d e n ist, welche bis dahin als das geheime B a n d eben dieser besonderen innerlichen L e b e n s e i n h e i t sich dargestellt hat. Die Stoffe, aus denen sie bis dahin gebildet gewesen, zeigen sich fortan nur allein noch den Gesetzen des a l l g e m e i n e n K ö r p e r l e b e n s , d. i. des untersten, noch ungestalteten Naturgebietes, u n t e r w o r f e n , und dessen Kräfte sind es, welche nunmehr a l l e i n in ihnen walten. Wie verhält es sich nun aber in eben diesem

Die Atome.

143

u n t e r s t e n N a t u r g e b i e t e selbst, in welches wir damit eingetreten sind, mit eben jenen Begriffen von i n n e r e r Selbs t ä n d i g k e i t , innerer E i n h e i t und innerlicher P e r s ö n l i c h k e i t , mit welchen wir uns soeben in Bezug auf die g e s t a l t e t e Natur beschäftigt haben? In der t h i e r i s c h e n Z e l l e hatten wir die e i n f a c h s t e t h i e r i s c h e , in der P f l a n z e n z e l l e die einfachste p f l a n z l i c h e P e r s ö n l i c h k e i t vor Augen. Allein schon im Reiche der Q u a r z e begegneten wir Zweifeln und Bedenken, ob jener e r s t e g e s t a l t e t e Q u a r z k e r n , den die künstliche Vergrösserung im Augenblick der wirklichen Entstehung eines neuen Quarzkörpers uns vorzeigt, auch wirklich in allen Beziehungen vollgültig dem darf an die Seite gestellt werden, was, im Thier- und Pflanzenreich, als e i n f a c h s t e T h i e r - und P f l a n z e n z e l l e , zugleich auch den sichtbaren und unzweifelhaften Ausdruck aller einfachsten thierischen und pflanzlichen P e r s ö n l i c h k e i t und L e b e n s e i n h e i t bildet? Denn jenes erste Q u a r z k e r n c h e n , welches wir unter dem Vergrösserungsglase entstehen sehen, erscheint uns vielleicht nur desshalb als die erste und ursprünglichste Gestalt, weil unsere künstlichen Hülfsmittel zu schwach sind, um jene geheimnissvolle Bethätigung der natürlichen Ges t a l t u n g s k r a f t des untersten Naturreiches in ihren a l l e r e r s t e n A n f ä n g e n zu belauschen. Wären wir im Besitze von noch schärferen Gläsern: wir würden uns vielleicht überzeugen müssen, dass das, was wir bis dahin als e r s t e n und e i n f a c h s t e n Q u a r z k e r n betrachtet haben, in Wirklichkeit ein, wenn auch noch so kleiner, so doch vielleicht schon vielfach z u s a m m e n g e s e t z t e r Quarzkörper sey, dessen einzelne und ebenfalls bereits in sich gestaltete Bestandteile jedoch unserer s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g , in Folge ihrer Kleinheit, sich e n t z o g e n haben. Wenn wir also irgend ein k l e i n s t e s Q u a r z s p l i t t e r c h e n , das wir weder durch Kunst noch äussere Gewalt irgendwie weiter zu zertheilen im Stande sind, durch S c h m e l z u n g oder L ö s u n g aus seiner bisherigen

144

Die einzelnen stofflichen Körpertliuile als Wesenseinlieiteii etc.

höheren Gestaltung wirklich in den Zustand der G e s t a l t l o s i g k e i t überführt haben: wie können wir mit Sicherheit b e h a u p t e n , dass der nun g e s t a l t l o s gewordene körperliche S t o f f eine ebensolche natürlich innerliche W e s e n s - und L e b e n s e i n h e i t darstelle, wie jenes kleinste Quarztheilchen in seiner vorigen noch naturwüchsigen Gestaltung? Wenn es uns früher schon als m ö g l i c h erschienen ist, dass jenes k l e i n s t e sichtbare Q u a r z s p l i t t e r c h e n sich wohl als in noch k l e i n e r e T h e i l e z e r t h e i l b a r erweisen möchte, wenn wir nur im Besitze der richtigen Hülfsmittel hierzu wären: wer bürgt uns dafür, dass nicht auch ganz das Gleiche von dem u n g e s t a l t e t e n Stoffe, selbst bei noch so kleinem körperlichen Umfang, seine Geltung haben müsse, und dass also auch diese in noch i m m e r k l e i n e r e und einfachere Bestandteile sich müssten z e r l e g e n lassen, wenn nur unsere künstlichen Hülfsmittel dazu ausreichten? Wo aber alle derartigen Verhältnisse in keiner Weise mehr dem leiblichen Auge und der sinnlichen Wahrnehmung können zugänglich gemacht werden: da kann auch von irgendwelcher thatsächlichen B e o b a c h t u n g durchaus k e i n e Rede mehr seyn, und ein Berufen auf wirkliche E r f a h r u n g ist in einem solchen Falle also von vornherein unmöglich. Nur auf dem Wege v e r n u n f t g e m ä s s e r S c h l ü s s e und auf Grund von bereits gemachten anderweitigen B e o b a c h t u n g e n und E r f a h r u n g e n , die mit unserer gegenwärtigen Frage in einem gewissen Zusammenhang stehen, dürfen wir erwarten, auch in Geheimnisse der Natur v o r z u d r i n g e n , welche unserem Auge, der Natur der Sache nach, stets u n z u g ä n g l i c h seyn und bleiben müssen. Wo das l e i b l i c h e Auge seine Dienste v e r s a g t , und wo die kräftigsten Hülfsmittel n i c h t m e h r ausreichen, um den Schleier zu lüften, den die Natur selbst um ihr Wirken und Walten in dem kleinsten Raum gezogen hat: da bleibt es das g e i s t i g e Auge allein, das uns fortan noch weiter zu führen im Stande ist.

145

Die Atome.

N o . 4 3 . Entgegengesetzte Ansichten über die innere stoffliche Beschaffenheit körperlicher Dinge in Bezug auf eine etwaige Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer innerlichen Theilbarkeit. Da wir für den weiteren Verlauf unserer Untersuchungen somit allein auf das geistige N a c h d e n k e n und damit auf das Vergleichen und Erwägen von G r ü n d e n und Gegeng r ü n d e n angewiesen sind: so dürfte es wohl vor Allem an der Reihe seyn, uns die verschiedenen Ansichten zu vergegenwärtigen, welche bis dahin über die Verhältnisse, mit denen wir uns hier beschäftigen, von Anderen sind geäussert worden. Es stehen nämlich seit den ältesten Zeiten hauptsächlich zwei A n s i c h t e n einander gegenüber, und die für beide in das Feld geführten G r ü n d e scheinen sich gegenseitig fast die Wage zu halten. Die eine und wohl auch die älteste dieser Ansichten ist bekanntlich diejenige, wonach Alles, was dem Gebiete der allgemeinen Stoff- und Körperwelt und also dem Bereiche der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r angehört, eine einzige, s t e t i g und u n u n t e r b r o c h e n n a c h a l l e n S e i t e n und R i c h t u n g e n hin g l e i c h m ä s s i g sich v e r l a u f e n d e s t o f f l i c h e W e s e n s e i n h e i t , ein sogenanntes „ContLnuum" bilde, darinnen von einzelnen T h e i l e n , aus denen es etwa könnte zusammengesetzt seyn, in k e i n e r Weise dürfe die Rede seyn. Der einzige U n t e r s c h i e d , welcher zwischen den verschiedenen einzelnen, derartig allewege s t e t i g in sich verlaufenden natürlich-stofflichen Wesenheiten überhaupt s t a t t f i n d e n könnte: würde seinen natürlichen G r u n d allein aus den Verschiedenheiten der besonderen s t o f f l i c h e n Wesensa r t e n herzuleiten vermögen, welche erfahrungsgemäss zwischen diesen Letzteren allezeit statthaben. Es würde demgemäss ein jedes einzelne G o l d s t ü c k , eine jede beliebige W a s s e r menge, oder eine jede besondere L u f t a r t , soweit dieselben einen bestimmten Raum erfüllen oder einnehmen, je nach ihrer besonderen Wesensart allewege n u r E i n e u n u n t e r b r o c h e n Wandersmann.

I.

10

146

D i e einzelnen stofflichen Körpertheilo als Wesenseinheiten etc.

und s t e t i g in sich v e r l a u f e n d e n a t ü r l i c h e W e s e n h e i t darstellen. An irgendwelche U n t e r b r e c h u n g dieser ihrer inneren W e s e n s s t e t i g k e i t , oder an irgend ein inneres Get h e i l t s e y n in irgendwelche Vielheit von besonderen Einzelb e s t a n d t h e i l e n , kann und darf demnach hier in keiner Weise gedacht werden. Dieser Ansicht gegenüber steht die wohl nur um Weniges jüngere und bekanntlich zuerst von L E U K I P P O S und DEMOKKITOS vorgetragene und später, erweitert und vervollständigt, auch von EPIKUROS vertretene Anschauung, nach welcher alle stofflich-körperlichen Massen, je nach ihrem Umfang, aus einer uns unbekannten Anzahl von einzelnen in sich völlig u n t h e i l b a r e n stofflichen K ö r p e r t h e i l c h e n derartig gebildet und zusammengesetzt seyn sollen, dass von einer noch weiter gehenden T h e i l b a r k e i t dieser Letzteren in keiner Weise die Rede seyn könne. Diese k l e i n s t e n und an sich e i n f a c h s t e n stofflichen Körperwesen sind bekanntlich, um eben dieser innerlichen U n t h e i l b a r k e i t willen, „ A t o m e " , d. h. die „ U n z e r s c h n e i d b a r e n " oder „ U n t h e i l b a r e n " genannt worden. (TIEDEMANN: Geist d. spec. Philosophie I. S. 229 u. ff. [ L E U K I P P . ] . S. 263 u. ff. [DENOKKIT] und S. 366 u. ff. [EPIKUR].) Sie sind demnach, in Folge der ursprünglichen Stellung, welche sie im Haushalte der Natur einnehmen, gewissermassen als die n a t ü r l i c h e n Ur- u n d G r u n d w e s e n dieser ganzen sichtbaren Welt zu betrachten. In Folge ihrer fast verschwindenden K l e i n h e i t sind sie für das leibliche Auge des Menschen, selbst bei den s t ä r k s t e n Vergrösserungen, völlig u n s i c h t b a r und können daher nur mit dem Auge des G e i s t e s in ihrer Wirklichkeit erfasst werden. So klein sie aber auch seyn mögen: eine ganz bes t i m m t e , wenn auch in Bezug auf ihren wirklichen Umfang uns völlig unbekannte r ä u m l i c h e Grösse u n d A u s d e h n u n g muss denselben nichts destoweniger unter allen Umständen zukommen: eine Anschauung, an welcher bereits die ältesten Vertreter dieser Geistesrichtung mit aller Entschiedenheit

147

D i e Atome.

f e s t g e h a l t e n haben. Bevor wir jedoch in unserer gegenwärtigen Untersuchung weiter gehen, können wir nicht umhin, auch noch eines Schreibens zu gedenken, welches — nach DIOGENES LAEETIUS — EPIKUE seiner Zeit soll an HEEODOT gerichtet haben. In demselben spricht EPIKUE unter Anderem sich auch folgendermassen aus: „Erstlich e n t s t e h t nichts aus N i c h t s , " und fährt alsdann, nach diesem Eingang, weiter fort: »Von den Körpern sind einige z u s a m m e n g e s e t z t , andere solche, aus denen die zusammengesetzten h e r v o r g e b r a c h t werden. Dieses sind die u n t h e i l b a r e n und unv e r ä n d e r l i c h e n , wenn nicht Alles wieder in das N i c h t s soll verwandelt werden; aber sie haben die Kraft f o r t z u d a u e r n , bei der Auflösung der Z u s a m m e n s e t z u n g e n , da sie noch die volle N a t u r haben, und nichts ist, worin sie a u f g e l ö s t werden könnten. So dass es nothwendig ist, dass die u n t h e i l b a r e n Theilchen den G r u n d s t o f f der K ö r p e r ausmachen. Überdies muss man auch n i c h t annehmen, dass in dem b e g r ä n z t e n Körper u n b e g r ä n z t e K ö r p e r c h e n sind, sie möchten seyn von welcher Beschaffenheit sie wollten. Es ist also eine Theilung i n ' s U n e n d l i c h e und immer Kleinere zu v e r w e r f e n , damit wir nicht Alles s c h w a c h machen, und n i c h t genöthigt werden, in der Zusammenfassung vieler kleinen Körperchen das D a s e y e n d e in das N i c h t d a s e y e n d e zusammenzudrängen und aufzulösen, da bei dem Begränzten kein U b e r g a n g anzunehmen ist in das U n b e g r ä n z t e oder auch in das K l e i n s t e . Wir haben also behauptet, dass ein u n t h e i l b a r e s Theilchen Grösse habe, aber n u r e i n e k l e i n e , indem wir d a s Grosse a u s s c h l i e s s e n " (DIOGENES LAEETIUS, übersetzt von BOBHECK, Band II, Buch 10, EPIKUB, S. 252 bis 261). Beide Ansichten haben sich in der wissenschaftlichen Welt bis heute neben einander b e h a u p t e t : gewiss der sicherste Beweis dafür, dass b e i d e n nicht unerhebliche G r ü n d e , wenigstens für eine gewisse innere oder äusserliche 10*

148

Die einzelnen stofflichen Körpertheilu als Wesenseinheiten etc.

W a h r s c h e i n l i c h k e i t , zur Seite stehen müssen. Und eben diese beiderseitigen Gründe sollen nun zunächst noch näher von uns g e p r ü f t werden. Alle diejenigen, welche die Ansicht von einer völlig u n u n t e r b r o c h e n und s t e t i g in sich verlaufenden innerlichen W e s e n s e i n h e i t alles körperlich Vorhandenen, damit gleichzeitig aber auch dessen unbedingte i n n e r e W e s e n s u n g e t h e i l t h e i t vertreten: können allezeit auf die Thatsache sich berufen, dass es ihren Gegnern noch n i e m a l s gelungen sey, die von ihnen angenommenen innerlich u n t h e i l b a r e n G r u n d k ö r p e r c h e n dem menschlichen Auge irgendwie zugänglich zu machen. Dagegen steht den Vertretern eben dieser letzteren A n s i c h t , nach welcher alle unserer sinnlichen Wahrnehmung zugänglichen s t o f f l i c h k ö r p e r l i c h e n Massen in ihrem Innern aus einer, der Zahl nach, uns zwar völlig unbekannten, n i c h t s d e s t o w e n i g e r a b e r von der N a t u r s e l b s t genau b e s t i m m t e n Menge von e i n z e l n e n s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n U r - oder G r u n d wesen gebildet und z u s a m m e n g e s e t z t seyn sollen, eine andere und gewiss nicht weniger bedeutsame T h a t s a c h e zur Seite: nämlich die unzweifelhafte w i r k l i c h e T h e i l b a r k e i t aller und jeder unserer Sinneswahrnehmung nur irgendwie zugänglichen s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n Massen, von welcher besonderen körperlichen Grösse oder Ausdehnung dieselben im Übrigen unseren leiblichen Sinnen sich auch darstellen mögen. Diese T h a t s a c h e fällt bei der Frage, um die es sich hier handelt, so s e h r in die Wagschale, dass schon das f r ü h e s t e A l t e r t h u m sich zu dem Ausspruch bekannt hat, dass d u r c h ä u s s e r e G e w a l t nur dasjenige g e t h e i l t werden könne, was in sich selber auch thatsächlich aus w i r k l i c h e n T h e i l e n bestehe. Nun sind aber erfahrungsgemäss alle stofflich-körperlichen Naturdinge durch äussere Gewalt oder irgendwelche sonstige Mittel einer wirklichen Z e r t h e i l u n g in i m m e r k l e i n e r e B r u c h s t ü c k e f ä h i g : folglich müssen sie nothwendig, schon von Haus aus, in ihrem Innern

Die Atome.

149

aus ganz bestimmten e i n z e l n e n B e s t a n d t h e i l e n naturgemäss gebildet und z u s a m m e n g e s e t z t seyn. Wie aber-die T h e i l b & r k e i t bedingt ist durch die G e t h e i l t h e i t : so ist umgekehrt auch die wirkliche G e t h e i l t h e i t dargethan durch die t h a t s ä c h l i c h e T h e i l b a r k e i t . Ganz in diesem Sinn sagt daher L E I B N I Z , dass es nothwendig e i n f a c h e N a t u r d i n g e geben müsse, welche k e i n e T h e i l e in sich einschliessen, da es erfahrungsgemäss z u s a m m e n g e s e t z t e D i n g e gebe, welche als ein H a u f w e r k (ein Aggregat) von einzelnen in sich e i n f a c h e n Dingen müssten betrachtet werden. Gebe es aber z u s a m m e n g e s e t z t e Dinge, die sich t h e i l e n lassen: so müsse es auch e i n f a c h e Dinge geben, die k e i n e Theile mehr haben, und welche daher auch in keiner Weise noch weiter sich können theilen lassen. Denn alles in sich Z u s a m m e n g e s e t z t e und nur aus diesem G r u n d e T h e i l b a r e , kann schliesslich nur aus E i n f a c h e m und darum U n t h e i l b a r e m bestehen. Daher müssen die einf a c h e n D i n g e als die natürlichen G r u n d l a g e n betrachtet werden für alle z u s a m m e n g e s e t z t e n körperlichen Massen. Freilich hat L E I B N I Z selber seinen „ M o n a d e n " , welche er als die eigentlichen in sich untheilbaren Einzelwesen betrachtete, bekanntlich eine jede eigene Wesensausdehnung völlig a b g e s p r o c h e n : allein dieser Irrthum vermag die unzweifelhafte R i c h t i g k e i t des vorerwähnten Ausspruches doch in keiner Weise aufzuheben. Die R i c h t i g k e i t und allgemeine G ü l t i g k e i t eben dieses W a h r h e i t s s a t z e s wird daher auch jetzt noch von ebensovielen Seiten a n e r k a n n t , wie solches bereits in der alten Zeit der Fall gewesen ist. Indessen fehlt es auch nicht an sonstigen E r s c h e i n u n g e n und Thatsachen, welche geeignet seyn dürften, dem oben ausgesprochenen Gedankengang auch noch zu w e i t e r e r S t ü t z e zu dienen. Denn wie sollte es möglich seyn, dass ein Vogel die L u f t durchfliege, dass er sie mit seinen Flügeln z u r ü c k s c h l a g e und mit seinem gesammten Körper

150

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesonseinheiten etc.

d u r c h s c h n e i d e ; oder wie sollte der F i s c h im Wasser zu s c h w i m m e n im Stande seyn, wenn L u f t und Wasser in ihrem I n n e r n wirklich ebenso u n g e t h e i l t e und wssenhaft in E i n s v e r s c h m o l z e n e Massen wären, wie es nach jener ersten Annahme, welche durchaus keine inneren Theile zulässt, unzweifelhaft der Fall seyn m ü s s t e ? Wie vermöchten wir mit einem k l e i n e r e n Gefässe eine g r ö s s e r e Wassermasse allmählich a u s z u s c h ö p f e n , oder mittelst der L u f t p u m p e eine gegebene Luftmenge immer mehr zu v e r d ü n n e n : wenn jene g r ö s s e r e n Wasser- oder Luftmassen nicht an und für sich schon in ihrem u n s i c h t b a r e n I n n e r n von Natur aus in eine unbekannte Vielheit von einzelnen, unter sich freilich bis zu einem gewissen G r a d e , auch mit einander v e r b u n d e n e n und daher auch unter sich bis zu einem gewissen Grade z u s a m m e n h ä n g e n d e n wirklichen T h e i l e n thatsächlich g e t h e i l t w ä r e n ? Auch die Erscheinungen, welche v e r d u n s t e n d e F l ü s s i g k e i t e n von sehr geringer Menge, oder welche f e s t e K ö r p e r zeigen, welche in einer Flüssigkeit sich lösen, dürfen hierbei nicht ausser Acht gelassen werden. Beständen die verdunstende F l ü s s i g k e i t oder der sich lösende f e s t e K ö r p e r in ihrem I n n e r n wirklich aus einer e i n z i g e n , ununterschiedlichen und völlig s t e t i g in sich selbst verlaufenden stofflichen W e s e n h e i t : so müsste wohl ohne Zweifel auch zu erwarten seyn, dass die ganze Flüssigkeitsmasse oder die g a n z e Masse jenes festen Körpers p l ö t z l i c h und auf E i n m a l in den l u f t f ö r m i g e n oder f l ü s s i g e n Zustand ü b e r g i n g e . Dem ist aber augenscheinlich nicht so. Denn sehen wir recht genau zu, so gewahren wir deutlich, wie ganz a l l m ä h l i c h und gleichsam Schritt für Schritt die g e s a m m t e Flüssigkeitsmenge i m m e r w e n i g e r und i m m e r k l e i n e r wird: offenbar ein Zeichen, dass f o r t w ä h r e n d einzelne an sich u n s i c h t b a r - k l e i n e T h e i l c h e n von der Gesammtheit sich l o s t r e n n e n , um gleichzeitig damit in den l u f t f ö r m i g e n Z u s t a n d überzu-

Din Atomo.

151

gehen. Ganz das Ä h n l i c h e ist der Fall bei einem jeden in e i n e r F l ü s s i g k e i t sich l ö s e n d e n f e s t e n Körper. Ja das Wort „ L ö s e n " deutet schon an sich darauf hin, dass einzelne Theilchen, um sich in der Flüssigkeit a u f z u l ö s e n , auch wirklich von ihrer Gesammtmasse sich loslösen müssen. Diese Erscheinung wäre in der That ohne die Annahme einer bereits innerlich v o r h a n d e n e n G e t h e i l t h e i t jener stofflichkörperlichen Massen kaum befriedigend zu erklären. Ein anderes ganz ähnliches Verhältniss findet bekanntlich auch bei W o h l g e r ü c h e n statt. Sagte doch schon EPIKUR, dass für uns keine Empfindung eines G e r u c h e s möglich seyn würde, wofern nicht von dem r i e c h e n d e n G e g e n s t a n d e einzelne T h e i l c h e n sich loszulösen und zu unserem Geruchssinn sich h i n z u b e w e g e n vermöchten (DIOGENES LAERTIUS: II. S. 259: EPIKUR). Und somit bewähren auch diese Verhältnisse den alten Satz des ARISTOTELES, dass „das T h e i l b a r e entweder eine Grösse oder eine Menge seyn müsse" (PTANTL: ARISTOTELES: Physik. S. 121 u. 123 [Buch III. Cap. 5.]). Dies heisst mit anderen Worten und genauer ausgedrückt, dass alles T h e i l b a r e nicht allein eine ganz bestimmte r ä u m l i c h - m e s s b a r e Grösse und A u s d e h n u n g besitzen, sondern ausserdem auch eine ebenso bestimmte z ä h l b a r e Menge von wirklichen E i n z e l t h e i l c h e n in sich enthalten und e i n s c h l i e s s e n müsse. In der That, gäbe es in allem stofflich-körperlichen Daseyn nicht wirklich schon von N a t u r a u s ganz bestimmte A b s o n d e r u n g e n und demzufolge auch bereits ganz e b e n s o v i e l e einzelne S o n d e r t h e i l e in eben dem Stoffe, daraus es gebildet ist: wie sollte überhaupt eine wirkliche Th eilung stattfinden können? So viele s o l c h e r T h e i l c h e n dagegen, so viele Möglichk e i t e n für eine wirkliche T h e i l u n g : keine mehr und keine einzige weniger. Das Eine vermag nicht über das Andere hinauszugehen. So e i n d r i n g l i c h und so e i n l e u c h t e n d diese Gründe für das wirkliche B e s t e h e n solcher stofflich-

152

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

körperlichen Ur- und E i n z e l w e s e n im Inneren der Naturkörper aber auch zu sprechen scheinen: es sind ihnen dennoch von jeher noch weitere E i n w e n d u n g e n entgegengehalten worden, und auch diese dürfen wir umsoweniger unberücksichtigt lassen, als sie, auch jetzt noch, vielfach als v o l l g ü l t i g e G r ü n d e gegen die Annahme solcher in sich nicht weiter mehr theilbaren körperlichen Wesenseinheiten pflegen betrachtet zu werden.

No. 4 4 . Weitere Gründe für und gegen beide Ansichten. Sie vermeintliche unendliche Theilbarkeit endlicher Körpertheile. Einer der hauptsächlichsten E i n w ü r f e , welche gegen diese Annahme k l e i n s t e r und in sich u n t h e i l b a r e r Körpertheile pflegen erhoben zu werden, besteht bekanntlich darin, dass gerade die T h a t s ä c h l i c h k e i t dieser ihrer fortwährenden T h e i l b a r k e i t es sey, um derenwillen diese Annahme müsse v e r w o r f e n werden. Denn, so sagt man, wenn eine wirkliche T h e i l b a r k e i t aller körperlichen Dinge überhaupt einmal möglich seyn und als b e s t e h e n d e T h a t s a c h e soll a n e r k a n n t werden: dann muss es auch als ganz u n m ö g l i c h und u n e r k l ä r l i c h sich darstellen, wie eine solche T h e i l b a r keit, wo sie überhaupt einmal statthat, jemals bei i n n e r l i c h e n T h e i l e n sollte anlangen können, welche, als in sich s e l b e r u n t h e i l b a r , mit Einem Male einer jeden noch w e i t e r e n Theilung ein gebieterisches „ H a l t ! " sollten entgegenstellen können. Die natürliche U n m ö g l i c h k e i t von solchen kleinsten und einfachsten G r u n d k ö r p e r c h e n soll ausserdem auch noch dadurch an den Tag gelegt werden, dass denselben, so klein wir uns dieselben auch vorstellen mögen, doch immerhin noch irgend eine ganz bestimmte k ö r p e r l i c h e G r ö s s e und A u s d e h n u n g zukommen müsse: alles aber, was räumlich oder körperlich a u s g e d e h n t sey, dies müsse auch unbedingt als noch i m m e r w e i t e r t h e i l b a r

D i e Atome.

153

anerkannt werden. Wenn also — so schliesst man weiter — den vorhandenen Naturkörpern überhaupt einmal eine thatsächliche T h e i l b a r k e i t zuerkannt werden muss, dann kann dieselbe im I n n e r n dieser Körper auch unmöglich jemals ein H i n d e r n i s s oder eine G r ä n z e finden: sie muss vielmehr mit innerer Nothwendigkeit, ohne alle und jede Gränze, bis i n ' s U n e n d l i c h e fortgesetzt werden können, und sey dieses schliesslich auch nur noch in unserem g e i s t i g e n Denken möglich. So sagt, von diesem Gesichtspunkt ausgehend, FEIEDEICH FISCHER: „Die Atome, als letzte u n t h e i l b a r e Bestandtheile (aller körperlichen Dinge) sind ein offenbarer W i d e r s p r u c h , der nur in der G e d a n k e n l o s i g k e i t einer im R e i n s i n n l i c h e n verfangenen E r f a h r u n g s w i s s e n s c h a f t (Empirie) zusammen bestehen kann. Sie sollen e i n f a c h und u n t h e i l b a r seyn, und dennoch eine A u s d e h n u n g haben: jede A u s d e h n u n g aber setzt T h e i l b a r k e i t voraus. Sind also die stofflichen Grundlagen (Elemente) der Körper unt h e i l b a r e E i n h e i t e n , so können sie auch n i c h t mit irgend einer Ausdehnung g e d a c h t werden" ( F B I E D E E . F I S C H E E : Natur u. Leben d. Körperwelt. S. 44 u. 45). Ganz anders spricht dagegen SCHELLING sich aus: „Die Z a h l e n - , K a u m - u n d G r ö s s e n l e h r e (Mathematik) b e s t e h t auf der u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t des R a u m e s , und die V e r n u n f t w i s s e n s c h a f t (die Philosophie), ob sie sich gleich hütet, zu sagen, der Stoff (die Materie) b e s t e h e aus unendlich vielen Theilen, hört deswegen doch nicht auf, eine u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t , d. h. die U n m ö g l i c h k e i t einer je v o l l e n d e t e n Theilung- zu b e h a u p t e n . Wenn also die mit den Gesetzen der Körperwelt sich beschäftigende N a t u r l e h r e (die mechanische Physik) e r s t e oder l e t z t e Körperchen v o r a u s s e t z t : so kann sie den G r u n d für diese Voraussetzung weder aus der R a u m - und G r ö s s e n l e h r e (der Mathematik) noch aus der V e r n u n f t w i s s e n s c h a f t (der Philosophie) hernehmen. Der Grund kann also nur ein naturwissenschaftlicher (ein phy-

154

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

sischer) seyn, d. h. die N a t u r w i s s e n s c h a f t muss, wenn auch n i c h t beweisen, so doch b e h a u p t e n , es beständen K ö r p e r c h e n , welche noch weiter zu t h e i l e n natürlich (physisch) u n m ö g l i c h sey" (SCHELLING II. S. 201 u. 202). Allein ungeachtet des B e s t e c h l i c h e n , welches diese Anschauungen im ersten Augenblick zu haben scheinen, haben dieselben nichtsdestoweniger nicht unbegründete Bedenken gegen sich. Schon die Anwendung des Begriffs der U n e n d l i c h k e i t oder der U n b e g r ä n z t h e i t auf Dinge und Verhältnisse, die offenbar dem Gebiete des E n d l i c h e n und B e s c h r ä n k t e n angehören, hat etwas U n h e i m l i c h e s an sich, welchem sich gänzlich zu entziehen schwer hält. Es dürfte daher geboten seyn, auch die Art und Weise weiter zu verfolgen, in welcher man jenen Satz vielfach noch weiter zu begründen pflegt. Das einfachste und darum auch gewöhnlichste B e i s p i e l , dessen man sich zu diesem Zweck bedient, besteht bekanntlich in dem Hinweis auf eine b e g r ä n z t e Linie. Denken wir uns nämlich irgend eine Linie von zwar beliebiger, aber nach beiden Seiten hin durch bestimmte E n d p u n k t e genau begränzter A u s d e h n u n g : so lässt sich eine solche Linie, wenn auch vorläufig nur in Gedanken, in ihrer Mitte h a l b i r e n . Eine jede der so entstandenen beiden H ä l f t e n erlaubt das Gleiche. Und so findet das Auge des Geistes, von Halbirung zu Halbirung weiter schreitend, in der That keine Gränze, an welcher angelangt, der Verstand sich sagen dürfte: hier kann an noch weitere Theilung in keiner Weise mehr gedacht werden! Denn so verschwindend klein die einzelnen Theilchen auch seyn mögen, bis zu welchen wir es in unserer Theilung bereits gebracht haben: sie besitzen immer noch eine wenn auch noch so kleine wirkliche L ä n g e , und müssen also, wenn auch nur für das Auge des Geistes, einer noch immer w e i t e r gehenden H a l b i r u n g oder sonstigen beliebigen Theilung f ä h i g seyn. Ein G l e i c h e s oder Ahnliches gilt, wenn wir, anstatt einer Linie, irgend eine F l ä c h e oder

Die Atome.

155

irgend einen w e s e n l o s e n R a u m oder sonstige i n h a l t l o s e Grösse von bestimmter räumlicher Umgränzung geistig uns vergegenwärtigen. Wir werden aber in den folgenden Nummern den Nachweis versuchen, dass gerade die Ü b e r t r a g u n g einer nur s c h e i n b a r e n M ö g l i c h k e i t einer an sich endlosen T h e i l b a r k e i t von äusserlich zwar e n d l i c h e n und beg r ä n z t e n , innerlich aber völlig l e e r e n und w e s e n l o s e n R ä u m e n auch auf vollgültig w e s e n h a f t e K ö r p e r l i c h k e i t e n der uns umgebenden N a t u r w i r k l i c h k e i t der wesentliche I r r t h u m ist, an welchen nothwendig noch immer weiter gehende ebenso i r r t h ü m l i c h e S c h l u s s f o l g e r u n g e n sich anknüpfen müssen. Aber n i c h t die Raum- und Grössenlehre, die G e o m e t r i e , mit ihrer für alle Zeiten anzuerkennenden S c h ä r f e und G e n a u i g k e i t ihrer Beweisführungen trägt hiervon die Schuld: dieselbe trifft vielmehr allein die völlig u n b e r e c h t i g t e Ü b e r t r a g u n g ihrer an sich n u r für wesenlose G e d a n k e n b i l d e r berechneten Wahrheitssätze auch auf das Gebiet der an sich w e s e n h a f t e n N a t u r w i r k l i c h k e i t . Indessen kann anderseits einer solchen Übertragung eine gewisse natürliche Berechtigung aus dem Grunde nicht gänzlich abgesprochen werden, weil erfahrungsgemäss allen nur einigermassen festen Naturkörpern äusserlich ganz bestimmte F l ä c h e n , L i n i e n und P u n k t e zukommen, welche, wenigstens für unsere geistige Anschauung als ebenso u n e n d l i c h - t h e i l b a r anerkannt werden müssen, wie die auf P a p i e r oder auf eine T a f e l gezeichneten L i n i e n und F l ä c h e n . Gerade hierin offenbart sich jedoch eine kaum zu verkennende Täuschung. Die an w e s e n h a f t e n N a t u r k ö r p e r n vorkommenden äusseren Linien und Flächen können wir, als solche und an sich, einer wirklichen Theilung u n m ö g l i c h unterziehen: eine solche wäre vielmehr nur durch gewaltsames Z e r s c h l a g e n der betreffenden N a t u r k ö r p e r s e l b e r in immer kleinere und kleinere Bruchstücke denkbar. Daher müssen wir auch die Frage, ob jene an sich wahren Sätze

156

D i e einzelnen stofflichen Körpertheile als W e s e n s e i n h e i t e n etc.

der Raum- und Grössenlehre auch auf das Gebiet des an sich w e s e n h a f t e n Daseyns dürfen ohne Weiteres übertragen werden, entschieden v e r n e i n e n . Und so hat, ganz in diesem Sinne, auch bereits ABISTOTELES den Ausspruch gethan, dass „diejenigen, welche von u n t h e i l b a r e n K ö r p e r n sprechen, nothwendig in S t r e i t kommen mit der allgemeinen R a u m und G r ö s s e n l e h r e (den mathematischen Wissenschaften)" (ABISTOTELES: V. P E A N T L , Himmelsgebäude. Buch I I I . Cap. 4 . S. 213). Denn diese haben um wirklich w e s e n h a f t vorh a n d e n e D i n g e sich nicht zu bekümmern, sondern nur allein um den blossen R a u m , welchen sie durch ihre Gegenwart einnehmen. Einem ähnlichen Verhältniss und darum auch gleich irrthümlichen Gedankengang begegnen wir auch bei DESCAETES. „Wir erkennen" — sagt er — „dass es k e i n e Atome, d. h. k e i n e T h e i l e von Körpern oder von Stoffen geben kann, welche, wie einige ältere Denker behaupten, ihrer Natur nach u n t h e i l b a r wären. Denn so klein wir uns dieselben auch denken mögen, so begreifen wir doch, dass ihnen immerhin eine wirkliche A u s d e h n u n g zukommen müsse. Daher begreifen wir aber auch, dass es unter denselben kein E i n z i g e s .geben könne, welches nicht noch immer weiter in zwei und noch immer mehr solcher immer k l e i n e r werdenden Theile sollte getheilt werden können. Hieraus erkennen wir also, dass sie auch (thatsächlich) t h e i l b a r sind" ( D E S C A E T E S : Oeuvres, Pariser Ausgabe 1843 von A I M É MAETIN. S. 310: Principes de la Philosophie, seconde partie No. 20). Ist an dieser Stelle, von Seiten von DESCAETES, dem Wortlaute nach, auch von keiner wirklich i n ' s U n e n d l i c h e gehenden Theilung oder Theilbarkeit die Rede: so geht doch d a r a u s , dass er ausdrücklich von einer „Theilung in unserer V o r s t e l l u n g " redet, augenscheinlich hervor, dass es sich hier keineswegs um eine wirklich und thatsächlich ausz u f ü h r e n d e T h e i l u n g , in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, handelt, als vielmehr um eine blosse M ö g l i c h k e i t

Die Atome.

157

derselben. Daher haben auch, bei der Erwähnung dieser Stelle, sowohl T I E D E M A N N wie auch B A U M A N N , jene Theilbarkeit, wie solche DESCAETES im Auge gehabt hat, als eine „ T h e i l u n g bloss in u n s e r e n G e d a n k e n " bezeichnet. Auch von Seiten SPINOZA'S wird es bestätigt, dass eben diese Auffassung des eigentlichen Grundgedankens von D E S C A E T E S als die r i c h t i g e müsse betrachtet werden. Und somit darf es uns, nach solchen Vorgängen, denn auch keineswegs Wunder nehmen, wenn, auch in Bezug auf wirklich v o r h a n d e n e stofflich-körperliche Wesenheiten, wir so vielfach der Annahme begegnen, als müsse mit einer solchen allewege nur in u n s e r e r E i n b i l d u n g vorhandenen blossen M ö g l i c h k e i t einer derartigen endlosen Theilbarkeit nothwendig auch eine jederzeit a u s f ü h r b a r e T h e i l b a r k e i t Hand in Hand gehen, trotz aller ihr anklebenden I r r t h ü m e r , dennoch eine so vielfache Verbreitung gefunden hat. No. 45. Bedenken gegen die behauptete Allgemeingültigkeit des Satzes von der unendlichen Theilbarkeit stofflich-körperlicher Grössen auf Grund einer unendlichen Theilbarkeit von bloss räumlichen Grössen ohne allen und jeden wesenhaften Inhalt. Die R a u m - und G r ö s s e n l e h r e vollzieht, wie wir im Vorigen gesehen, ihre Beweisführungen ausschliesslich auf Grund und mit Hülfe von an sich völlig w e s e n l o s e n Ged a n k e n b i l d e r n oder von an sich nur rein g e i s t i g e n Vors t e l l u n g e n . Aus eben diesem Grund können alle ihre Beweise aber auch n u r in G e d a n k e n von uns vollzogen oder von uns v e r f o l g t und g e p r ü f t werden: n i e m a l s aber lassen sie sich durch wirkliche B e i s p i e l e , welche der uns umgebenden w e s e n h a f t e n N a t u r entnommen sind, noch weiter bes t ä t i g e n oder e r h ä r t e n . Denn das Gebiet des w e s e n h a f t Seyenden muss jedenfalls als ein ganz a n d e r e s Seynsgebiet von uns in das Auge gefasst werden, als ein solches,

158

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

in welchem wir im Grunde nur mit blossen V o r s t e l l u n g e n unserer eigenen geistigen Denkthätigkeit es zu thun haben. Sobald daher diese beiden einander so e n t g e g e n g e s e t z t e n Forschungsgebiete in unserem Denken nicht ganz bestimmt aus e i n a n d e r gehalten, und deren besonderen U n t e r s c h e i dungsmerkmale nicht allezeit u n s e r e m Bewusstseyn gegenwärtig erhalten werden: können die hieraus hervorgehenden U n k l a r h e i t e n jedenfalls für unser Denken nur die bedauerlichsten V e r i r r u n g e n zur Folge haben. Schon ARISTOTELES hat, ganz in diesem Sinn, darauf hingewiesen, dass die Raum- und Grössenlehre, ihrem besonderen Forschungsgebiet gemäss, durchaus n i c h t um das innere Wesen und die natürliche B e s c h a f f e n h e i t der Dinge sich bekümmert. Sie kennt nur den r ä u m l i c h e n U m f a n g , nur die reine G e d a n k e n g r ö s s e der betreffenden Dinge. Denn nur der blosse R a u m als solcher, nur allein der geistig von uns geschaute allgemeine G r ö s s e n b e g r i f f ist es, mit dem sie sich beschäftigt (ARISTOTELES: Physik. Buch I I . Cap. 2. S. 61, und Himmelsgeb. S. 322, Anmerkung 7. Beides nach PLANTL). Aus eben diesem Grund muss aber hier auch vor Allem gefragt werden, ob die i n n e r e N a t u r oder die i n n e r e W e s e n h e i t (Usia) der Dinge, als solche, auch in Wirklichkeit alles Das g e s t a t t e t und erlaubt, was auf dem blossen P a p i e r als thatsächlicK m ö g l i c h sich darstellen lässt. Soll unser Urtheil daher nicht unvermerkt in f a l s c h e B a h n e n einlenken: so darf auch dieses Yerhältniss von uns n i c h t ausser Acht gelassen werden. Nun ist aber schon bei dem blossen G e d a n k e n an die behauptete M ö g l i c h k e i t einer u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t eines an sich wesenhaft E n d l i c h e n ein gewisses Gefühl von Misstrauen und von Unbehaglichkeit kaum zu vermeiden. Denn eine jede Annahme einer derartigen „ u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t " eines an sich thatsächlich E n d l i c h e n würde nichts Anderes aussagen, als dass eben dieses „Endliche" aus einer an sich „ u n e n d l i c h e n

159

Die Atome.

Anzahl"

von E i n z e l b e s t a n d t h e i l e n

bildet und zusammengesetzt seyn. auch

müsste innerlich

schon eine eigene innere Stimme,

Yerhältniss

nach

den

ge-

Und eben deshalb sagt uns

Gesetzen

eines

dass ein

derartiges

vernunftgemässen

D e n k e n s nur einer reinen U n m ö g l i c h k e i t gleich zu achten sey.

Aber noch mehr.

Körper,

seyn mögen,

aus einer ganz g l e i c h

unendlichen stehen!

Es müssten alsdann a l l e

endlichen

ohne Ausnahme, so gross oder so k l e i n sie auch Anzahl

von

grossen, weil

einzelnen

gleich

Körpertheilen

be-

Eine ganze, oder eine halbe oder ein Viertel Maass

W a s s e r , oder jede sonstige, wenn auch noch so kleine Menge desselben,

müsste

somit

Wassertheilchen das allerkleinste

aus ganz

ebensovielen

einzelnen

bestehen, wie das g a n z e W e l t m e e r und aus ebensovielen

Sandkörnchen

einzelnen

Sandtheilchen wie das gesammte W e l t a l l .

Und ebenso um-

gekehrt.

Denn

Versuch

wollten,

irgend

sobald ein

wir

wirklich

derartiges

an

den

sich

machen

natürlich - endliches

Körpertheilchen u n e n d l i c h e M a l e zu v e r v i e l f ä l t i g e n , oder dessen räumliche Grösse und Ausdehnung u n e n d l i c h e

Male

an e i n a n d e r zu r e i h e n : so würde von der Einen Seite die gesunde V e r n u n f t alsbald Uns sagen, dass das E n d e r g e b niss einer solchen Arbeit ein U n e n d l i c h e s darstellen müsse. Dagegen

würde

anderseits

dieselbe

gesunde Vernunft uns

auch sagen, dass, nach einem u n f e h l b a r e n und darum auch allgemein anerkannten W a h r h e i t s s a t z zu

ebenfalls wesenhaft E n d l i c h e m

ebenfalls Endliches v e r v i e l f ä l t i g t : falls E n d l i c h e s erste

zur

wesenhaft

allewege nur ein gleich-

natürlichen Folge

haben könne.

von diesen beiden Fällen vermöchte aber nur

einzutreten, wenn a l l e s an sich E n d l i c h e aus einer u n e n d l i c h e n würde.

Endliches

hinzugefügt oder durch

Anzahl

in

Der dann

Wirklichkeit

von Einzeltheilen bestehen

Da aber, wie wir eben gesehen, eine solche Annahme

jedenfalls einem W i d e r s p r u c h in sich selber würde g l e i c h kommen:

so kann selbstverständlich auch nur der

zweite

160

Die einzelnen stofflichen Körpertheilo als Wescnseinheitun etc.

Fall es seyn, welcher, als den gegebenen Naturverhältnissen a l l e i n entsprechend, in Wahrheit von uns muss a n e r k a n n t werden. Dies sagt aber mit anderen Worten nichts Anderes, als dass keine an sich wirklich e n d l i c h e W e s e n h e i t jemals eine an sich u n e n d l i c h e A n z a h l von Einzelbestandtheilen thatsächlich kann in sich e n t h a l t e n und einschliessen. Und somit scheint in der That, dass wir jenes oben erwähnte Gefühl von U n b e h a g l i c h k e i t , welches schon der blosse Gedanke einer u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t an sich e n d l i c h e r Dinge in uns rege gemacht hatte, in der That als eine innere W a r n u n g s s t i m m e betrachten dürfen, durch welche die Natur selbst den menschlichen Geist vor ü b e r e i l t e n F e h l schlüssen zu bewahren sucht. Und so hat denn auch S C H E L L I N G keinen Anstand genommen, jene ganze Lehre von einer Theilung e n d l i c h e r K ö r p e r g r ö s s e n in u n e n d l i c h viele T h e i l e geradezu als w i d e r s i n n i g zu bezeichnen (II. S. 238). Ist diese aber überhaupt einmal a l s t h a t s ä c h l i c h w i d e r s i n n i g e r k a n n t : dann darf es uns auch nicht wundern, wenn wir bei noch genauerem Nachsehen finden, dass sich auch ihre thatsächliche Ausführung nothwendig als eine n a t ü r l i c h e U n m ö g l i c h k e i t erweisen muss. Denn machen wir uns einmal — wenn auch nur in Gedanken — an die Arbeit der Theilung, so werden wir uns sagen müssen, dass wir eine Sisyphus-Arbeit unternommen haben, deren Ziel und E n d e in Wirklichkeit n i e m a l s kann erreicht, und darum auch in alle Ewigkeit niemals kann v o l l e n d e t werden. Denn wo und in welchem A u g e n b l i c k wir das Ergebniss unserer Arbeit auch überschauen mögen: immer werden wir finden, dass wir noch w e i t e r e T h e i l e vor uns haben, welche, ohne Ruhe und Rast, noch immer weiter zu t h e i l e n wären. Es würde uns bei einer solchen Arbeit somit gewissermassen ähnlich ergehen wie Ahasverus, dem ewigen Juden. Denn wie dieser in alle Ewigkeit fortwandern muss, ohne jemals das Z i e l und E n d e seiner Wanderschaft vorauszu-

D i e Atome.

161

sehen, geschweige denn ein solches jemals zu e r r e i c h e n : so müsste es auch uns ergehen, wenn wir jemals es versuchen wollten, jene vermeintliche M ö g l i c h k e i t einer u n e n d l i c h e n Theilbarkeit von an sich e n d l i c h e n G r ö s s e n durch die e i g e n e E r f a h r u n g , wenn auch nur in Gedanken, zu erproben. Schon der gewöhnliche S p r a c h g e b r a u c h pflegt daher eine jede A r b e i t , welche nie und nimmermehr zu einem wirklichen E n d e und A b s c h l u s s kann gebracht werden, als eine an sich „ v e r g e b l i c h e oder u n m ö g l i c h e A r b e i t " zu bezeichnen. Daher sagt auch THOMAS VON A Q U I N O , dass „eine jede B e w e g u n g (oder Thätigkeit), für welche es kein l e t z t e s und wirklich e r r e i c h b a r e s Ziel gibt, nicht nur eine an sich ziellose, sondern auch eine an sich g r u n d l o s e B e w e g u n g (oder Thätigkeit) seyn werde" ( W E E N E R : Thomas von Aquino. I I . S. 2 9 5 u. 2 9 6 ) . Und ähnlich spricht auch H U M E sich aus. „Alles" — sagt er — „was fähig ist, i n ' s U n e n d l i c h e g e t h e i l t zu werden: das muss auch aus einer u n e n d l i c h e n A n z a h l von Theilen bestehen, und es ist u n m ö g l i c h , hierin der Z a h l der Theile eine G r ä n z e zu setzen, ohne zu d e r s e l b e n Zeit auch der T h e i l u n g s e l b s t Gränzen zu setzen. Jedes Ding, das une n d l i c h getheilt kann werden, enthält (nothwendig) eine une n d l i c h e Z a h l von T h e i l e n . Denn sonst würde die Theilung a u f h ö r e n - bei den u n t h e i l b a r e n T h e i l e n , bei welchen wir unmittelbar ankommen würden. Wenn daher eine endl i c h e A u s d e h n u n g dennoch u n e n d l i c h t h e i l b a r ist: so kann es kein W i d e r s p r u c h seyn, anzunehmen, dass eine e n d l i c h e A u s d e h n u n g eine u n e n d l i c h e Z a h l von T h e i len in sich enthält, und u m g e k e h r t , wenn es ein W i d e r s p r u c h ist, anzunehmen, dass eine e n d l i c h e A u s d e h n u n g eine u n e n d l i c h e Z a h l von T h e i l e n enthält, so kann keine e n d l i c h e A u s d e h n u n g u n e n d l i c h t h e i l b a r seyn. Nach diesem Allem schliesse ich, dass die Idee einer u n e n d lichen Z a h l von T h e i l e n unzertrennlich D i e s e l b e ist wie Wandersmann. I.

11

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diejenige einer u n e n d l i c h e n A u s d e h n u n g , sowie dass k e i n e e n d l i c h e A u s d e h n u n g jemals fähig ist, eine u n e n d l i c h e Z a h l von T h e i l e n zu enthalten, und dass folglich auch k e i n e e n d l i c h e A u s d e h n u n g u n e n d l i c h t h e i l b a r ist" (BAUMANN: Raum u. Zeit. II. S. 509 u. 510). Es verhält sich also in Bezug auf die begriffliche und vernunftnothwendige U n m ö g l i c h k e i t einer jeden derartigen u n e n d l i c h e n Theilbarkeit der k ö r p e r l i c h e n S t o f f e ganz ebenso, wie mit dem viel behaupteten Satze, dass zwei g l e i c h l a u f e n d e Linien in der U n e n d l i c h k e i t mit einander zus a m m e n t r e f f e n . Auch dieser Satz beruht auf einem T r u g s c h l u s s , der, bei genauerem Lichte betrachtet, ebenfalls einem W i d e r s p r u c h in sich selber gleichkommt, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil derselbe vollständig dem Gesetz widerspricht, dass gleichlaufende Linien (Parallellinien) fortwährend in gleichem A b s t a n d von einander bleiben müssen. Treffen die Linien daher i r g e n d w o z u s a m m e n , und wäre dies auch erst in der „ U n e n d l i c h k e i t " oder „ E w i g k e i t " : so sind sie eben einfach „ k e i n e wirklich gleichlaufenden Linien". Also auch nicht Das, was sie ihrem Namen und Begriff nach seyn sollten. Daher sagt auch KRAUSE, ganz in diesem Sinn, dass „Das, was in gar k e i n e r Z e i t , selbst in der u n e n d l i c h e n Z e i t nicht w i r k l i c h werde: das wäre ja eben das » U n m ö g l i c h e « , was da- n i c h t w e r d e n mag", (Vorlesungen über d. System d. Philosophie. S. 128). — Ebenso HERBABT: „Was erst in u n e n d l i c h e r Z e i t geschehen kann, g e s c h i e h t n i e m a l s " (HEKBART IV. S. 261). — Und in gleicher Weise bezeichnet SCHELLING Dasjenige, was zu seiner V o l l e n d u n g „eine u n e n d l i c h e Z e i t erfordert", als an sich „ u n m ö g l i c h " (Band VI. S. 237).

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No. 4 6 . Weitere Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Satzes von der unendlichen Theilbarkeit bloss räumlicher Grössen auf wesenhaft-körperliche Naturdinge. Wir haben soeben darauf hingewiesen, dass in der uns umgebenden N a t u r w i r k l i c h k e i t noch ganz a n d e r e Verhältnisse und Beziehungen als m a s s g e b e n d in Betracht kommen, als bloss g e d a c h t e , aber in sich selber wesenlose L i n i e n , F l ä c h e n und R ä u m e , durch die wir die Naturwirklichkeit b e g r ä n z t sehen, und zwischen welchen e i n g e schlossen dieselbe vor unseren Augen dasteht. In allen Fällen aber, in welchen es sich um richtige Erkenntniss w i r k l i c h e r N a t u r v e r h ä l t n i s s e und der auf d i e s e gegründeten n a t ü r l i c h e n T h a t s a c h e n handelt, dürfen auch diese n i c h t ausser Acht gelassen werden, wenn wir uns nicht der Gefahr der V e r k e n n u n g aller W a h r h e i t und W i r k l i c h k e i t aussetzen wollen. Denn die N a t u r ist in allen ihren Beziehungen ein lebensvolles D a s e y n : nichts vermag in ihr zu b e s t e h e n , dem nicht wenigstens irgend eine, wenn auch noch so allgemeine, K r a f t des D a s e y n s zukäme. Der reine P u n k t , die reine L i n i e , die reine F l ä c h e , der blosse leere R a u m haben aber von einer derartigen, a u s u n d d u r c h sich s e l b e r u n d f ü r sich b e s t e h e n d e n Seynsk r a f t auch nicht die a l l e r g e r i n g s t e S p u r aufzuweisen. Denn in der wesenhaften N a t u r w i r k l i c h k e i t sind dieselben als selbständig f ü r sich betrachtet, gar n i c h t v o r h a n d e n : nur in w e s e n h a f t e n N a t u r d i n g e n nehmen wir sie wahr, nur an i h n e n lernen wir sie kennen. Aber nichtsdestoweniger pflegen wir auch von solchen, für sich allein n i r g e n d s vorkommenden Verhältnissen, zur Erleichterung und Vereinfachung unserer eigenen Denkthätigkeit, in u n s e r e m Geiste ganz bestimmte B e g r i f f e und V o r s t e l l u n g e n uns zu bilden, wie solches gegenüber von wirklich w e s e n h a f t e n D i n g e n , oder von sonstigen wesenhaften Daseynsweisen, der 11 *

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Fall ist. Es findet somit auch hier ein ganz v e r w a n d t e s Yerhältniss statt, wie auch in Bezug auf die mannigfachen natürlichen E i g e n s c h a f t e n , welche wir an wesenhaften Naturdingen erfahrungsgemäss wahrnehmen, wie z. B. deren S c h w e r e , deren F a r b e , deren G e r u c h , deren G e s c h m a c k u. s. w. Nirgends zeigt uns die Natur eine gleichsam wesenlos in der Luft schwebende S c h w e r e an sich, oder eine F a r b e , einen G e r u c h , eine G e s t a l t an sich, d. h. ohne allen und jeden w e s e n h a f t e n N a t u r k ö r p e r , welchem dieselben, als ihrem n a t ü r l i c h e n T r ä g e r , als u n v e r ä u s s e r l i c h e s E i g e n t h u m angehören. Ebenso sehen wir aber auch in dem Bereiche des natürlichen S e e l e n l e b e n s f r ö h l i c h e und t r a u r i g e Thiere, g e r e c h t e und u n g e r e c h t e Menschen, aber nirgends begegnen wir einer F r ö h l i c h k e i t oder T r a u r i g k e i t , Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit an sich und bloss als solcher und ohne einen wesenhaften Menschen oder Thier, dem diese Eigenschaften, als ihrem Träger, innerlich zukommen. Alle derartige E i g e n t ü m l i c h k e i t e n , welchen wir allenthalben in der uns umgebenden Natur begegnen, vermögen wir aber in unserem Denken gewissermassen geistig zu „ p e r s o n i f i z i r e n " , indem wir dieselben als in und für sich selber bestehende Wesenheiten derartig in das Auge fassen, dass wir von diesen ihren n a t ü r l i c h e n Wesenheiten, denen sie naturgemäss angehören, und an welche sie sich auch allewege g e b u n d e n zeigen, vollgültig a b s e h e n , und an deren Stelle dagegen jenes in unserem eigenen Inneren selbst geschaffenes geistiges A b b i l d derselben vollgültig e i n t r e t e n lassen. Aber eben deshalb haben wir uns auch sehr davor zu hüten, dass der unverkennbare V o r t h e i l , welchen jenes Vermögen rein g e i s t i g e r B e g r i f f s b i l d u n g e n für die V e r e i n f a c h u n g unserer gesammten Denkthätigkeit uns bietet, nicht unversehens in eine G e f a h r für dieselbe umschlage. Denn nur allzuleicht könnten wir in einem solchen Fall einer völlig e i n s e i t i g e n Anschauung insofern uns hingeben, dass

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wir auch solche Verhältnisse als thatsächlich f ü r sich bes t e h e n d betrachten, welche, aus den oben angegebenen Gründen, nie und nimmermehr in und f ü r sich a l l e i n bestehen können. Dass derartige e i n s e i t i g e Anschauungen aber, wie bereits angedeutet, nothwendig zu einer beständigen Quelle von noch immer weiteren I r r t h ü m e r n werden müssen, wofern sie nicht fortwährend im Einklang erhalten werden auch mit den sonstigen Naturverhältnissen: wer möchte dies bezweifeln? Und so ist nur eine solche e i n s e i t i g e , weil von allen thatsächlich gegebenen Naturverhältnissen völlig a b s e h e n d e Betrachtungsweise es gewesen, durch welche der menschliche Geist, im Verlaufe der Zeit, in alle jene innerlichen W i d e r s p r ü c h e sich verwickelt hat, von denen im -Gang unserer bisherigen Untersuchungen bereits mehrfach die Rede gewesen ist. Hätte er, anstatt seine Denkthätigkeit vielfach nur mit selbstgeschaffenen i n h a l t s l o s e n G e d a n k e n b i l d e r n zu nähren, vielmehr die w e s e n h a f t e N a t u r zu Käthe gezogen: dieselbe würde ihm, im Verein mit den Gesetzen seines eigenen v e r n u n f t g e m ä s s e n D e n k e n s gesagt haben, dass es an sich u n d e n k b a r und u n m ö g l i c h ist, dass eine an sich wesenhaft e n d l i c h e K ö r p e r l i c h k e i t jemals aus einer an sich u n e n d l i c h e n A n z a h l von körperlichen E i n z e l b e s t a n d t h e i l e n sollte b e s t e h e n und demgemäss auch in dieselbe g e t h e i l t und z e r l e g t werden können. Was aber natur- wie vernunftgemäss überhaupt einmal u n m ö g l i c h ist: das kann auch durch keine sonstige, wenn auch noch so grosse G e w a l t jemals möglich gemacht werden. Den völlig räum- und wesenlosen P u n k t aber, wie solchen die R a u m - und G r ö s s e n l e h r e als das a l l e i n wahrhaft E i n f a c h e und in sich U n t h e i l b a r e lehrt, kennt die wesenhafte Natur n i c h t ; es sey denn als den blossen Ort, an welchem Linien sich s c h n e i d e n , oder an welchem dieselben nach beiden Seiten hin e n d i g e n (ARISTOTELES: Physik [ P B A N T L ] , Buch IV. Cap. 12. S. 211 und Anmerkung 8: Seite 481).

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Und wie der P u n k t uns gleichzeitig auch die Stelle angibt, an welcher ein Naturkörper, in ö r t l i c h e r Beziehung, sich augenblicklich b e f i n d e t : so bezeichnet die L i n i e einerseits die Stelle, an welcher zwei F l ä c h e n einander s c h n e i d e n , anderseits aber die natürliche R i c h t u n g , welche eine abgeschossene Kugel während ihres Laufes naturgemäss i n n e hält. Die F l ä c h e dagegen kennt die Natur nur in der Bedeutung einer äusserlich-oberflächlichen U m g r ä n z u n g von körperlichen Wesenheiten. Den eigentlichen l e e r e n R a u m aber kennt die Natur gar nicht. Denn er ist, beim Lichte betrachtet, nichts Anderes als ein wesenloses Gebilde einer auf Irrwege gerathenen menschlichen Einbildungskraft. Daher hat, nach ARISTOTELES, schon XENOPHANES die unzweifelhafte Richtigkeit eben dieser Verhältnisse dadurch a n e r k a n n t , dass er von dem wahrhaft U n e n d l i c h e n ausdrücklich sagt, dass in Bezug auf dasselbe von einer etwa in ihm vorhandenen wirklichen L e e r e schon aus dem Grunde keine Rede seyn könne, weil eine solche, im eigentlichen Sinn des Wortes, nur dem reinen N i c h t s muss gleichgestellt werden (FORTLAGE: Daseyn G.: S. 14, XENOPHANES). Selbst unser gesammter W e l t r a u m kann hiervon keine Ausnahme machen. Denn die H i m m e l s k u n d e hat durch genau angestellte U n t e r s u c h u n g e n sowohl in Bezug auf die U m l a u f s b a h n e n wie in Bezug auf die U m l a u f s z e i t e n von K o m e t e n es unzweifelhaft dargethan, dass selbst der W e l t r a u m von irgend welchen, wenn auch noch so dünnen und feinen l u f t f ö r m i g e n S t o f f e n thatsächlich muss e r f ü l l t seyn. Auch der vermeintlich l e e r e R a u m über der Quecksilbersäule unserer W e t t e r glas er ist niemals völlig f r e i von aller stoifliehen Erfüllung, da Quecksilber bekanntlich stets in Q u e c k s i l b e r d ä m p f e übergeht, sobald es in einem l u f t v e r d ü n n t e n Räume sich befindet. Der leere R a u m ist somit ein reines G e s p e n s t unserer menschlichen E i n b i l d u n g : man hat, um vorgefasster Meinungen willen, von jeglichem wesen-

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haften Inhalt desselben a b g e s e h e n , und in Folge dessen immer t i e f e r in die unvermeidlichsten I r r t h ü m e r sich versenkt. In Folge eben dieser Verhältnisse dürfte es aber gleichzeitig auch erklärlich für uns seyn, wenn wir in jener nur aus i r r t h ü m l i c h e n S c h u s s f o l g e r u n g e n hervorgegangenen Annahme einer vermeintlich u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t von an sich e n d l i c h e n W e s e n h e i t e n gewissermassen ein b e g r i f f l i c h e s G e g e n b i l d vor Augen haben in der aus ebenso t r ü g e r i s c h e n S c h l u s s f o l g e r u n g e n hervorgegangenen Vorstellung eines an sich l e e r e n und wesenl o s e n R a u m e s . Beides sind somit W e c h s e l b e g r i f f e , welche nicht nur wechselseitig sich d e c k e n , sondern auch wechselseitig mit einander s t e h e n oder fallen. Die G r u n d l o s i g k e i t des Einen hat nothwendig auch die Grundlosigkeit und Unmöglichkeit des A n d e r e n im unmittelbaren Gefolge. Wollen wir daher L i n i e n , F l ä c h e n oder R ä u m e in Wirklichkeit t h e i l e n : so steht uns — wie bereits weiter oben (No. 44) angedeutet — kein a n d e r e r Weg hierzu offen, als diese T h e i l u n g an eben den tast- und fühlbaren, daher für uns auch mehr oder weniger s i n n l i c h w a h r n e h m b a r e n N a t u r k ö r p e r n vorzunehmen, an welche dieselben thatsächlich sich g e b u n d e n zeigen. Denn nur dadurch, dass wir eben jenen an sich w e s e n h a f t e n K ö r p e r theilen, t h e i l e n wir. gleichzeitig damit, auch den einem jeden E i n z e l n e n von ihnen zukommenden, an und f ü r sich s e l b e r aber völlig wesenlosen R a u m , sammt allen seinen an sich gleichfalls wesenlosen F l ä c h e n und L i n i e n , welche in jene Theilung mit h i n e i n f a l l e n . Einen anderen Weg hierzu v e r s u c h e n zu wollen, würde nichts Anderes heissen, als das G e w i c h t eines Körpers f ü r sich a l l e i n wiegen zu wollen, ohne gleichzeitig auch den wesenhaften K ö r p e r selbst m i t z u wiegen, dem dieses Gewicht als dessen u n a b t r e n n b a r e s und u n v e r ä u s s e r l i c h e s E i g e n t h u m naturgemäss z u k o m m t . In ähnlicher Weise dürfen wir aber, aus ganz v e r w a n d t e n

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Gründen, uns keineswegs dem Gedanken hingeben, als müsse ein jeder wesenhaft vorhandene K ö r p e r schon deshalb in alle Ewigkeit sich f o r t t h e i l e n lassen, weil wir den von seiner O b e r f l ä c h e zwar u m s c h l o s s e n e n , an sich aber völlig w e s e n l o s e n , und darum auch völlig l e e r e n R a u m in unseren G e d a n k e n , d. h. in unserer blossen E i n b i l d u n g , beliebig nach allen Seiten und Richtungen hin immer weiter und weiter zu theilen im Stande sind. Aber gerade in Bezug auf derartige, allewege etwas verwickelte Untersuchungen möchten wir vor einem bekannten Trugschluss warnen, welcher annimmt, ein jeder an und für sich r i c h t i g e Satz habe nothwendig auch in seiner U m k e h r u n g als ebenso r i c h t i g zu gelten. So sind, beispielsweise, die Sätze „alle Menschen sind sterblich", oder „alle Rosen sind Blumen" erfahrungsgemäss vollkommen wahr. Wollten wir dieselben aber h e r u m d r e h e n : so sind sie n i c h t mehr wahr. Denn auch T h i e r e sind s t e r b l i c h , aber darum noch lange keine Menschen; und ebenso sind alle Blumen noch lange keine Rosen. Auch ist es w a h r , dass alles an sich Mögliche für uns auch d e n k b a r seyn muss. Denn in Folge von Vernunftgründen können wir nichts als w i r k l i c h möglich anerkennen, von dem wir uns nicht gleichzeitig auch sagen dürfen, es sey die zur V e r w i r k l i c h u n g dieses an sich bloss Möglichen erforderliche K r a f t thatsächlich auch v o r h a n d e n . Nur wenn dieses der Fall ist, und wenn zugleich auch alle noch weiterhin hierzu erforderlichen äusseren Umstände und Verhältnisse mitgegeben sind: kann von einer thatsächlichen V e r w i r k l i c h u n g eines an sich bloss Möglichen die Rede seyn. Auch diesen Satz dürfen wir jedoch nicht in dem Sinn auf den Kopf stellen, als ob in Folge dessen nun Alles ohne Ausnahme, was wir Menschen uns irgendwie in den Tag hinein zu denken oder vielmehr uns e i n z u b i l d e n vermögen» nun auch unter allen Umständen als w i r k l i c h oder als a u s f ü h r b a r müsste betrachtet werden. Denn als möglich ist

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einzig und allein nur das zu betrachten, was nach den Ges e t z e n des v e r n ü n f t i g e n D e n k e n s in Allem ohne Ausnahme, und bis in die kleinsten Einzelheiten, vollkommen übereinstimmt. Wo durch irgend welchen Verstoss in unserem Denken auch nur das Allergeringste an dieser allseitigen Übereinstimmung fehlt: da ist auch das für möglich G e h a l t e n e in Wirklichkeit n i c h t möglich. Und aus diesem Grunde muss — um wieder auf den eigentlichen Gegenstand unserer Untersuchung zurückzukehren — der obige S a t z namentlich für alle diejenigen Fälle seine volle G e l t u n g beanspruchen, in welchen es sich um die Frage einer etwaigen M ö g l i c h k e i t oder N i c h t m ö g l i c h k e i t jener angeblich u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t alles an sich wesenh a f t V o r h a n d e n e n handelt. Die allgemeine Raum- und Grössenlehre b e h a u p t e t zwar, wie wir gesehen, auf dem ihr zu Gebot stehenden Weg den v o l l g ü l t i g e n Beweis für jene „unendliche Theilbarkeit" g e l i e f e r t zu haben. Wir glauben aber bereits dargethan zu haben, dass diese Art von B e w e i s f ü h r u n g , welche nur auf an sich wesenlose Z e i c h n u n g e n , d. h. auf blosse G e d a n k e n b i l d e r sich gründet, für wirkliche und w e s e n h a f t e Grössen, d. h. für wirkliche N a t u r k ö r p e r durchaus k e i n e G e l t u n g haben kann. Wie wenig die Lehrsätze der Raum- und Grössenlehre f ü r sich a l l e i n hier Geltung haben, ergibt sich auch noch daraus, dass in der f r e i e n N a t u r jedenfalls noch ganz a n d e r e Verhältnisse in Rechnung und noch ganz a n d e r e K r ä f t e zur Wirksamkeit kommen, auf welche die blosse Raum- und Grössenlehre, von ihrem besonderen Standpunkt aus, k e i n e Rücksicht zu nehmen hat. Denn gleich wie eine jede besondere N a t u r k r a f t , so bedarf auch eine jede N a t u r w a h r h e i t , um zu ihrer vollen Entfaltung, Achtung und Anerkennung zu gelangen, eines ganz besonderen Natur- und W a h r h e i t s g e b i e t e s , an welches sie durch den besonderen S t a n d p u n k t , den sie im Haushalte der Natur

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e i n n i m m t , mehr oder weniger gebunden ist. Sobald sie, ü b e r dieses ihr besonderes Gebiet h i n a u s , in ein a n d e r e s Natur- oder Wissensgebiet ü b e r t r a g e n wird, ohne dass dabei gleichzeitig auch den v e r ä n d e r t e n inneren wie äusseren Verhältnissen die g e b ü h r e n d e R e c h n u n g getragen ist, muss sie nothwendig ihre b i n d e n d e K r a f t und Schärfe v e r l i e r e n , und es kann nicht fehlen, dass solche Unvors i c h t i g k e i t , so lange sie nicht gehörig und in ihrem ganzen Umfange e r k a n n t ist, mit der Zeit zu immer g r ö s s e r e n I r r t h ü m e r n die Veranlassung werden muss. In der That haben sich seit den ältesten Zeiten Stimmen Solcher e r h o b e n , welche es sich zur P f l i c h t gemacht haben, immer von Neuem gegen jenes verkehrte Verfahren sich zu erheben, und vor einer jeden u n b e d i n g t e n und e i n s e i t i g e n Ü b e r t r a g u n g der durch die R a u m - und G r ö s s e n l e h r e aufgestellten Sätze, auch auf das Gebiet der wirklichen und wesenvollen N a t u r , auf das Nachdrücklichste zu w a r n e n . So hat schon ARISTOTELES es anerkannt, dass Etwas „wohl bei B e g r i f f e n stattfinden könne, eine solche Annahme dagegen bei w i r k l i c h e n D i n g e n dem W a h n s i n n nahe sey". (Entsteh, u. Vergeh., nach PRANTL, Buch I. Cap. 8. S. 409.) „Denn" — sagt er an einer anderen Stelle —• „was das Vertrauen auf das (blosse) D e n k e n betrifft: so ist dies u n g e r e i m t , Denn n i c h t an den wirklichen D i n g e n ist dieses D a r ü b e r h i n a u s g e h e n , sondern nur in u n s e r e m D e n k e n . Denn einen Jeden von uns könnte Jemand als einen so oder so viel mal G r ö s s e r e n denken, als er wirklich ist, wenn er ihn in's Unbegränzte übertreibt. Aber deshalb ist Jemand k e i n e s w e g s über die bestimmte Grösse h i n a u s , weil jemand dies d e n k t , sondern nur weil er dies in Wirklichkeit auch i s t " (Physik, nach P R A N T L , Buch III. Cap. 8. S. 145). Und somit bezeichnet ARISTOTELES, von diesem Gesichtspunkt aus, die Stoffe (die Materie) folgerichtig als u n e n d l i c h t h e i l b a r der

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M ö g l i c h k e i t n a c h , d. h. als unendlich theilbar in u n s e r e n G e d a n k e n , keineswegs aber auch in der w e s e n h a f t e n Wirklichkeit. Einer ähnlichen Anschauung begegnen wir auch bei GASSENDI in Bezug auf welche TIEDEMANN sich folgendermassen ausspricht. „Gegenüber von DESCARTES verfocht er mit vollem Rechte, dass die k ö r p e r l i c h e oder w e s e n h a f t e (die solide) A u s d e h n u n g von der n i c h t w e s e n h a f t e n (nichtsoliden) d. h. von dem blossen R a u m muss u n t e r s c h i e d e n werden" (siehe: „ B E S N I E R : abrégé de la philosophie de GASSENDI T. II. Chap. I: des premiers principes"). Und ebenso erklärt er auch, dass „in der wirkl i c h e n N a t u r (in der Physik) gar manches u n m ö g l i c h sey, was die R a u m - und G r ö s s e n l e h r e (die Geometrie) als m ö g l i c h annehme". (TIEDEMANN a. a. 0 . VI. S. 6 9 u. 7 2 . GASSENDI.) Und das Gleiche gilt von GASSENDI'S englischem Zeitgenossen HENRY MOKE ( H . MORUS). In Bezug auf die hier in Frage kommenden Verhältnisse sagt TIEDEMANN: „Dass die T h e i l u n g des (wahrhaft und wesenhaft) Ausg e d e h n t e n n i c h t o h n e E n d e f o r t g e h e n kann, beweist MORE auf eine (für seine Zeit) n e u e Weise. Nichts — sagt er — kann in Theile g e t h e i l t werden, die es n i c h t h a t (und also auch nicht in sich enthalten kann). Denn woferne ein K ö r p e r sich in's U n e n d l i c h e theilen lässt, hat er auch u n e n d l i c h e T h e i l e : aus einer u n e n d l i c h e n Z a h l von T h e i l e n aber muss eine endlose A u s d e h n u n g des G a n z e n entspringen. (Vergleiche HENRY MOKE: Antidote against Atheism, Book I. Chap. 4.) Alle diese T h e i l e eines Körpers — fährt MOKE fort — sind aber selber ausg e d e h n t ; denn zwischen a u s g e d e h n t und n i c h t - ausg e d e h n t gibt es k e i n M i t t l e r e s . Nun ist aber n i c h t a u s g e d e h n t so viel als g a r n i c h t s , und was k e i n e A u s d e h n u n g hat, ist einem r ä u m - und w e s e n l o s e n (einem mathematischen) P u n k t gleich; dieser aber ist blosse Vern e i n u n g (aller wirklichen Ausdehnung). Hieraus folgt aber,

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dass alles w e s e n h a f t V o r h a n d e n e nothwendig eine Ausd e h n u n g hat". Ferner sagt MORE an einem anderen Ort in Bezug auf eben diese l e t z t e n und n i c h t w e i t e r t h e i l b a r e n Theilchen, dass dieselben keine f e r n e r e Theilung gestatten, weil dies W i d e r s p r u c h herbeiführe. Dass diese w i r k l i c h e n Theilchen n i c h t in W i r k l i c h k e i t , sondern nur in G e d a n k e n theilbar seyn können: dies sucht MOKE in folgender Weise zu erhärten. A u s d e h n u n g — sagt er — kann aus Nicht-Ausdehnung n i c h t entspringen. Denn N i c h t s mit N i c h t s vervielfältigt gibt ewig Nichts. Auch würde dann eine L i n i e (und also auch eine jede Fläche) a u s P u n k t e n bestehen, was höchst u n g e r e i m t ist. Kann aber eine Ausdehnung n i c h t aus Unausgedehntem e n t s p r i n g e n : so ist auch ein j e d e r T h e i l eines Ausgedehnten ebenfalls a u s g e d e h n t . Nun ist aber alles S t o f f l i c h e (die Materie) so weit t h e i l b a r , als wirkliche Theilung überhaupt gehen m a g , also theilbar in u n t h e i l b a r e (indiscerpible) T h e i l c h e n , die zugleich A u s d e h n u n g haben." (Oder „ i n d i s c e r n i b l e , d. h. u n u n t e r s c h e i d b a r e Theilchen?) — (TIEDEMANN: a. a. 0 . V. S. 5 0 2 . 5 0 3 . 5 0 4 . H . MORE.) — Ebenso spricht auch HEGEL in ganz gleichem Sinn sich aus. Denn auch er sagt, dass „jenes T h e i l e n i n ' s U n e n d l i c h e " „ n i c h t etwas W i r k l i c h e s , Positives ist, sondern nur eine M ö g l i c h k e i t anzeigt, d. h. nur ein Theilen in unserem p e r s ö n l i c h e n V o r s t e l l e n " (Band VII 1 . S. 27). — Desgleichen HERBART. „ E S liegt" — sagt er — „in dem Begriffe des S t o f f e s (der Materie), dass das w i r k l i c h e Ding, der K ö r p e r , thatsächlich v o r h a n d e n sey, und zwar als die Summe a l l e r s e i n e r T h e i l e , deren jeder auch f ü r sich bestehen könnte, u n a b h ä n g i g von den ü b r i g e n Theilen. Dieses u n a b h ä n g i g e Daseyn aller stofflichen (materiellen) T h e i l e erreichen wir aber, selbst in unserem Denken, n i e m a l s , so lange wir die Theile erst durch die T h e i l u n g aus dem T h e i l b a r e n wollen h e r v o r g e h e n lassen,

Die Atome.

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wie es doch der B e g r i f f des A u s g e d e h n t e n , d. h. des R a u m e r f ü l l e n d e n , mit sich bringt. Wir e r r e i c h e n demnach n i e m a l s das was unserer Meinung nach an dem S t o f f l i c h e n (der Materie) wahrhaft » I s t « . Denn wir kommen nie zu allen, d. h. nie zu den l e t z t e n T h e i l e n , weil wir die U n e n d l i c h k e i t der aufgegebenen T h e i l u n g sonst ü b e r s p r i n g e n müssten". (HEKBAKT I . S. 1 7 9 . ) Oder mit anderen Worten: wir müssten im Stande seyn, im Geiste selbst über das Unendliche hinaus oder, was Dasselbe besagt, sogar noch j e n s e i t s d e s s e l b e n uns zu versetzen, um, als w i r k l i c h e A u g e n z e u g e n , es bestätigen zu können, dass jene u n e n d l i c h e T h e i l u n g nun auch wirklich bis zum a l l e r l e t z t e n Einzeltheilchen vollzogen und zu ihrem wirklichen E n d e und vollgültigen A b s c h l u s s gebracht sey. Nur auf diesem Wege würde von einem thatsächlichen E r f a h r u n g s b e w e i s für die natürliche M ö g l i c h k e i t wie für •eine thatsächliche A u s f ü h r b a r k e i t einer derartigen u n e n d l i c h e n T h e i l u n g jemals im vollen Sinn des Wortes die Rede seyn können. Sehen wir dies ganze hier geschilderte Verhältniss noch etwas genauer an: so müssen alsbald unübersteigliche H i n d e r n i s s e uns entgegentreten. Denn die eigene Selbsterfahrung lehrt uns, dass wir allerdings sehr wohl im Stande sind, uns g e i s t i g in ein U n e n d l i c h e s zu denken und in ein solches geistig uns zu v e r s e t z e n : uns selber aber auch noch ü b e r d a s s e l b e h i n a u s und a u s s e r h a l b desselben uns zu denken: dies wäre selbst der kühnsten Einbildungskraft ein für allemal u n m ö g l i c h . Der Grund hiervon liegt nicht ferne. Denn für ein wirklich und thatsächlich U n e n d l i c h e s kann es nie und nimmermehr ein „ A u s s e r h a l b d e s s e l b e n " oder ein „ J e n s e i t s d e s s e l b e n " geben, da schon der blosse B e g r i f f eines wesenhaft Une n d l i c h e n , in der vollsten und eigentlichsten Bedeutung dieses Wortes, jede M ö g l i c h k e i t von etwas a u s s e r ihm, •oder j e n s e i t s von ihm B e f i n d l i c h e n mit innerer Noth-

174

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

wendigkeit wir

vollgültig von sich

dennoch

alsbald

gewahren,

tragung

dass in

Und wollten so würden wir

mit der wirklichen

und

Über-

dieser beiden Begriffe auf ein w a h r h a f t U n e n d -

liches,

wir

dieses

v e r l o r e n haben. und neben keit

ausschliesst.

einen solchen Versuch wagen:

Unendliche

selber

sofort

Denn ein U n e n d l i c h e s ,

dessen e i g e n e r natürlichen

thatsächlich

welchem ausser

Wesensunendlich-

auch irgend ein a n d e r e s , an sich ihm zwar f r e m d e s ,

in gewissem Sinn aber doch auch zu ihm g e h ö r i g e s „ J e n s e i t s " sollte allewege gegenüber oder zur Seite stehen, kann nur

im

jeden

Widerspruch

vollsten

richtigen Vorstellung

haft

„Unendlichen".

hältnisse

nochmals

von

Denn

genauer

sich

befinden

mit

einem

wirklich

und wahr-

fassen

und

wir

schärfer

alle in

einem

vielmehr

wirklich

allein

Unendlichen. uns

„Unendlichen" noch

Der

jedenfalls in

nur

Verso

keineswegs

thun

haben,

thatsächlich

Grund

darin

als

Nicht-

hiervon konnte für

liegen,

dass

eben

jenes

unserer eigenen geistigen Anschauung

demselben

entschwunden

einem

natürliche

allein

Wirklich-Unendliche nothwendig

mit

zu

diese

das Auge:

kann uns nicht entgehen, dass wir es nunmehr mit

einer

seyn, in

Augenblick

welchem

wir

vollgültig

uns dem

musste

Gedanken

hingegeben hatten, als vermöchte ausser und neben einem wahrhaft und

Unendlichen

diesem

fremdes

jemals

auch

„Unendliche"

wir gewissermassen als diesem allewege in

das Auge zu fassen hätten. —

dieser

Abschweifung,

stand

unserer

Frage,

ob

endliche

zeitherigen

und

in

wieweit

Theilbarkeit

lichkeiten können

zurück

wir,

zu

nur allein dahin

allem

zu

ein

jene

anderes

bestehen, welches

gegenüberstehend

Doch kehren wir, dem

eigentlichen

Untersuchungen, vielseitig

d.

h.

nach

Gegenzu

der

behauptete

un-

aller an sich e n d l i c h e n

überhaupt m ö g l i c h nach

noch

Körper-

seyn dürfte oder nicht:

Bisherigen,

unsere

aussprechen, dass eine jede

so

Uberzeugung derartige

An-

D i e Atome.

175

nähme nur einem vollkommenen W i d e r s p r u c h in sich s e l b e r kann gleich geachtet werden. Und so hat denn auch HEBBABT, von einer ähnlichen Grundanschauung ausgehend, jene Behauptung der Naturi'orschung und Yernunftwissenschaft (Physik und Metaphysik), das N a t ü r l i c h - S t o f f l i c h e (die Materie) sey bis i n ' s U n e n d l i c h e t h e i l b a r , als ein „ i r r i g e s V o r g e b e n " bezeichnet (HERBART VI. S. 4 5 ) . — Auch BAUMANN äussert sich — unter Bezugnahme auf die hierher gehörigen Anschauungen von H U M E — in ähnlicher Weise. „Die u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t des R a u m e s und die unendliche Theilbarkeit a l l e s S t o f f l i c h e n (der Materie) sind auch für HUME ganz vers c h i e d e n e Dinge. Der R a u m , allein als solcher (geometrisch) betrachtet, besteht, n i c h t aus Theilen. Es lassen sich aber A b t h e i l u n g e n beliebig in demselben a n n e h m e n , d. h. beliebig viele L i n i e n oder R i c h t u n g e n , und beliebig viele P u n k t e , von denen aus Linien a n f a n g e n und in denen sie enden, oder zwischen d e n e n sie gezogen werden können. » U n e n d l i c h viele« oder »beliebig viele« heisst aber, in Bezug auf den Menschen so viel als: er kommt mit der Menge solcher Linien oder Punkte, welche von uns angenommen werden können, n i c h t zu einem Ende. Und ähnlich verhält es sich in Bezug auf den vermeintlichen » l e e r e n R a u m « . " Und weiterhin spricht H C M E über ähnliche und verwandte Verhältnisse sich auch noch folgendermassen aus: „Der von s t o f f l i c h e n D i n g e n eingenommene (materielle) R a u m wird in T h e i l e aufgelöst, nicht weil R a u m oder A u s d e h n u n g begrifflich eine Z u s a m m e n s e t z u n g aus T h e i l e n erforderten, sondern weil das s t o f f l i c h - S t ä t i g e (das materielle Continuum) mehr und mehr als ein N i c h t - S t ä t i s c h e s (ein Discretes) der W i s s e n s c h a f t , d. h. der mit dem Denken bearbeiteten E r f a h r u n g sich enthüllt hat, und zwar als ein N i c h t s t ä t i g e s (Discretum), wo das K l e i n e r e immer noch in K l e i n e r e s

176

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

ausfiösbar scheint, so dass auch hier eine u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t gewissermassen (relativ) von uns zugestanden (statuirt) werden muss, was aber l e t z t e f e s t e T h e i l e n i c h t a u s s c h l i e s s t " (BAUMANN: Raum und Zeit, II. S. 540). — Als besonders bezeichnend für diese Verhältnisse müssen wir jedoch auch einer Unterscheidung gedenken, welche ARISTOTELES seinerzeit sowohl zwischen „ Z u s a m m e n s e t z u n gen und T h e i l u n g e n " einerseits, sowie zwischen „Zus a m m e n s i c h t u n g e n und A u s e i n a n d e r s i c h t u n g e n " anderseits gemacht hat. „Wenn die G r ö s s e " — sagt er — „ n i c h t a l l s e i t i g t h e i l b a r ist, sondern wenn es einen wirklich u n t h e i l b a r e n K ö r p e r gibt: so ist Etwas allerdings n i c h t a l l s e i t i g zur Einwirkung befähigt. Aber dann ist auch überhaupt nichts s t e t i g v e r l a u f e n d (continuirlich). Wenn hingegen Jenes f a l s c h und jedweder Körper t h e i l b a r ist: so macht es k e i n e n U n t e r s c h i e d , ob er zwar schon w i r k l i c h g e t h e i l t sey, dabei aber (seine Theile) in Ber ü h r u n g b l e i b e n , oder ob er bloss theilbar sey. Denn wenn er auch, wie Einige sagen, an den Fugen a u s e i n a n d e r g e s i c h t e t werden kann, so ist er, wenn er auch noch n i c h t getheilt i s t , doch insoferne schon ein Get h e i l t e r , als er die M ö g l i c h k e i t hat, wirklich g e t h e i l t zu werden. Wirklich g e s c h e h e n kann aber n i c h t s an sich U n m ö g l i c h e s . " (ARISTOTELES: Entsteh, und Vergeh. [PRANTL], Buch I. Cap. 9. >S. 419.) Machen wir nunmehr aber den Versuch, in den e i g e n t l i c h e n G e d a n k e n g a n g von ARISTOTELES uns etwas t i e f e r zu versetzen: so möchte es uns scheinen, als ob ihm, im Allgemeinen, unter der Bezeichnung von „ Z u s a m m e n s i c h t u n g " vorzugsweise derjenige Z u s t a n d dürfte vor Augen geschwebt haben, in welchem alle grössere oder kleinere k ö r p e r l i c h e Massen sich befinden gegenüber den gleichfalls k ö r p e r l i c h e n E i n z e l b e s t ä n d t h e i l e n , aus welchen dieselben nothwendig innerlich z u s a m m e n g e s e t z t oder, wie ARISTOTELES sich ausdrückt,

177

Die Atome.

zusammengesichtet

seyn

müssen,

und

zwar

auf

Grund

jenes allbekannten Wahrheitssatzes, dass nur allein Das, was innerlich

bereits

getheilt

kann

werden.

muthung

Raum

geben,

„untheilbaren kleinsten und

sich

bestandtheile trachtet

dass

auch

eigentlichen

Hieraus

ergibt

wo

vornehmlich dürfte

DEMOKRIT

allewege

wirklich

wir der

da,

ARISTOTELES

spricht,

und

selber

aller

haben.

nachträglich

Dagegen möchten

Theilchen

LEUKIPP

in

ist,

Körpern"

körperlichen

welche bereits an

getheilt

an

haben,

eigentlichen

untheilbaren

Grund-

Massenbildungen sich

von jene

gedacht

als die

Ver-

er

aber

be-

zugleich

mit

innerer Nothwendigkeit, dass alle solche körperliche M a s s e n , unter Umständen,

auch

allezeit

wieder

in

diese

ihre

ein-

zelnen G r u n d b e s t a n d t h e i l e ,

wenn auch nur in Gedanken,

sich

auseinandersichten

müssen

trennen

oder

lassen.

Doch möchten wir hier gleichzeitig vor einem nur zu leicht sich einschleichenden I r r t h u m

warnen.

An früheren Orten

nämlich haben wir uns davon überzeugen müssen, wie v e r f e h l t es ist, T h e i l u n g e n , ungen

der

Raum-

wesenlosen

Flächen

vornehmen

an

wesenhafte

wollen. davor

Aber

lassen:

ebenso

hüten,

ohne Anstand an

und G r ö s s e n l e h r e ,

Linien,

Räumen sich

welche sich, nach den Anschauoder sonstigen

nun

ohne Weiteres

Körperlichkeiten müssen

Theilungen,

wesenhaft - körperlichen

wesenlosen

wir

welche Massen

auch

übertragen

auch,

umgekehrt,

auf zu uns

wir erfahrungsgemäss an vorzunehmen

vermögen,

in gleicher Weise auch in Bezug auf an sich völlig w e s e n lose R a u m -

oder Z e i t g r ö s s e n

in Anwendung zu bringen.

Denn wenn wir auch im Stande sind, in unserer

geistigen

V o r s t e l l u n g , ja selbst an blossen Z e i c h n u n g e n auf Papier, an sich w e s e n l o s e andere

Linien,

Augenblick theilungen

Linien, Flächen und dergleichen durch Punkte

in jede

oder Abschnitten

WaDdersniann.

I.

oder

beliebige

ähnliche Menge

scheinbar

Abzeichen von zu

einzelnen zertheilen 12

jeden Aboder

178

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

zu zerlegen: so kommen hierbei doch Verhältnisse mit in Betracht, welche von uns keineswegs gänzlich dürfen ausser Acht gelassen werden. Wir sind nämlich erfahrungsgemäss jederzeit im Stande, die durch Zertheilung wirklich k ö r p e r l i c h e r M a s s e n gewonnenen e i n z e l n e n T h e i l e oder B r u c h s t ü c k e an jeden beliebigen a n d e r e n O r t h i n z u b r i n g e n oder zu v e r s e t z e n ; wollten wir jedoch den gleichen Versuch anstellen mit jenen nur s c h e i n b a r e n T h e i l e n oder Bruchstücken von bloss geistig v o r g e s t e l l t e n oder nur auf P a p i e r gezeichneten L i n i e n und F l ä c h e n : so würde dies, bei nur einigem Nachdenken, sofort als eine Sache der reinsten U n m ö g l i c h k e i t sich darstellen. So sagt auch FRIEDEICH FISCHER, im gleichen Sinn, dass jene v e r m e i n t l i c h u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t alles wesenhaft Vorhandenen, wie solche die R a u m - u n d G r ö s s e n l e h r e (die Mathematik) zu lehren pflegt, wohl in unseren G e d a n k e n könne vorgenommen werden, n i c h t aber an w e s e n h a f t vorhandenen Körperlichkeiten. „Diese unendliche Theilbarkeit unserer bloss m a t h e m a t i s c h e n V o r s t e l l u n g von A u s d e h n u n g — sagt er — beweist n i c h t s für eine gleichfalls u n e n d l i c h e Theilbarkeit der (wirklich und wesenhaft) a u s g e d e h n t e n K ö r p e r . Denn man sollte, begreifen, dass man damit nur seine (eigene) V o r s t e l l u n g oder seinen B e g r i f f von Ausdehnung getheilt hat, n i c h t aber den ausgedehnten K ö r p e r . (FRIEDR. FISCHER: Natur u. Leben d. Körperwelt. S. 41.) N o . 47.

Verwechselung der Begriffe von „unendlich" und von „unbestimmbar".

Wie kommt es aber, so müssen wir uns fragen, dass ungeachtet aller dieser, wie es scheint, so ü b e r z e u g e n d e n Gegengründe, es dennoch von jeher so V i e l e gegeben hat, und auch heute noch gibt, welche trotz alledem an der vollen B e w e i s k r a f t jener Sätze der Baum- und Grössen-

Die Atome.

179

lehre f e s t h a l t e n , auch wenn der Gegenstand, um den es sich handelt, n i c h t ein bloss g e d a c h t e r ist, sondern als ein w i r k l i c h und w e s e n h a f t V o r h a n d e n e r vor unseren Augen dasteht? Bei genauer Prüfung werden wir finden, dass eine H a u p t s c h u l d dieser Schwierigkeiten grossentheils in einer u n b e d a c h t e n und m i s s b r ä u c h l i c h e n Anwendung des Wortes „ u n e n d l i c h " liegt, an welche man sich, selbst in Bezug auf w i s s e n s c h a f t l i c h e Fragen, mehr und mehr gewöhnt hat. So sagen wir häufig: „ich habe Dich j a u n e n d l c h l a n g e nicht gesehen!" Man sieht deutlich, dass das Wort „ u n e n d l i c h " hier n i c h t in seinem e i g e n t l i c h e n , sondern in einem b i l d l i c h e n Sinn gebraucht ist. Im g e w ö h n l i c h e n L e b e n ist eine solche Ausdrucksweise ganz und gar u n v e r f ä n g l i c h : aber dem ist n i c h t so, wenn es sich um w i s s e n s c h a f t l i c h e Gegenstände handelt. Hier sollte ein jedes Wort, soweit solches irgend möglich ist,' stets nur in seinem b u c h s t ä b l i c h - w ö r t l i c h e n S i n n gebraucht werden: es würde dadurch vielen M i s s v e r s t ä n d n i s s e n und I r r u n g e n in einfachster Weise v o r g e b e u g t . Betrachten wir aber, gerade in dieser Beziehung, die einzelnen Fälle noch etwas genauer, in welchen das Wort „ u n e n d l i c h " , selbst von w i s s e n s c h a f t l i c h e r Seite, sich angewendet findet: so werden wir uns sagen müssen, dass es hier n i c h t sowohl um wirklich „ u n e n d l i c h e T h e i l u n g e n " oder um eine wirklich „ u n e n d l i c h e A n z a h l " von T h e i l e n sich handelt, als vielmehr nur darum, dass wir bei der g r o s s e n M e n g e von T h e i l e n , bis zu welcher wir, bei u n u n t e r b r o c h e n f o r t g e s e t z t e n T h e i l u n g e n endlich gelangen' müssten, es überhaupt g a r n i c h t m e h r m ö g l i c h seyn würde, deren eigentliche A n z a h l irgend wie n ä h e r zu b e s t i m m e n . Nun liegt es aber in der natürlichen B e s c h r ä n k t h e i t unseres geistigen E r k e n n t n i s s v e r m ö g e n s , dass es uns einerseits ebenso sehr s c h w i n d e l t bei dem Gedanken an ein für uns v e r s c h w i n d e n d e s , aber eben darum für uns u n m e s s b a r 12*

180

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

und u n f a s s b a r Kleines, wie von der anderen Seite, bei dem Gedanken an ein für uns u n ü b e r s e h b a r und darum für uns ebenso unmessbar Grosses. Während der erstere Fall daher Bezug nimmt auf ein geistiges Vertiefen und Versenken in das immer K l e i n e r e und Kleinere, nimmt, umgekehrt, der zweite Fall Bezug auf unsere Versuche, das Senkblei unseres Geistes nach Sonnen- und nach S t e r n weiten hinauszuschleudern in die unermessliche und darum für uns u n e r g r ü n d l i c h e Weite des Weltalls. Ein wirklich und wahrhaft Unendliches und U n b e g r ä n z t e s aber vermag, schon seinem Grundbegriff nach, auf allen diesen Wegen in keiner Weise durch unser an sich b e s c h r ä n k t e s Geistesvermögen weder jemals in seiner ganzen A u s d e h n u n g vollständig ü b e r s c h a u t , noch in seiner ganzen B e d e u t u n g jemals vollgültig e r k a n n t zu werden. Daher hat auch schon ABISTOTELES das „Unbegränzte, insofern es unbegränzt ist", als „ u n e r k e n n b a r " bezeichnet (ABISTOTELES: Physik (PRA*TTL). Buch III, Cap. 6, S. 139). Und somit dürfen wir hierin denn auch gleichzeitig den t i e f e r e n G r u n d dafür erblicken, dass wir, umgekehrt, alles für uns Unübersehbare, U n f a s s b a r e und U n b e r e c h e n b a r e , aber eben deshalb für unser geistiges E r k e n n e n auch allezeit Unbes t i m m b a r e geradezu als ein thatsächlich U n b e g r ä n z t e s und U n e n d l i c h e s zu betrachten gewohnt sind. Hat daher an einer thatsächlich vorhandenen körperlichen Masse eine wirkliche T h e i l u n g überhaupt einmal begonnen: dann können wir diese Theilung auch so lange f o r t s e t z e n , bis wir an einem Punkte anlangen, an welchem, in Folge der fortwährend zunehmenden Verkleinerung aller einzelnen Theilchen, schliesslich alle körperlichen Hülfsmittel zu noch weiter gehenden Theilungen uns vollständig im Stich lassen. Nur in unseren Gedanken vermögen wir, von da an, die an wesenhaften Dingen begonnene Theilung noch weiter zu verfolgen. Und so müssen wir denn auch auf diesem

181

Die Atome.

Wege

zuletzt zu einer u n ü b e r s e h b a r e n ,

aber

eben darum auch für uns so völlig u n b e s t i m m b a r e n

nothwendig

An-

zahl

dass

von immer k l e i n e r e n

es uns

nicht Wunder

immer

mehr

lichkeit

und

sache,

gelangen,

mehr dazu gekommen ist,

einer wirklich

Vorhandenen,

Einzeltheilen

nehmen darf, wenn man schliesslich

als

unendlichen

wie an

alles Ernstes

zu

eine vollgültig

glauben.

an die

Theilbarkeit

Es

erwiesene

besteht

somit

Mögalles Thathier,

dem Kern der Sache nach, ganz derselbe I r r t h u m , welchen ein R e c h n e r begehen würde, wenn er in der B u c h s t a b e n rechnung

die Stelle von xXy

an

setzen wollte. frisch

weg

einer

ohne Weiteres oo X y

Und in ähnlicher Weise hat man denn auch

von

„unendlich

„unendlichen

oder

vielen

Theilen"

unbegränzten

und

von

Theilbarkeit"

gesprochen, wo man in Wahrheit doch nur von „ u n b e k a n n t wie

vielen

gehender gar

Theilen",

oder

Theilbarkeit"

nicht mehr daran, keiner

von

„unbekannt

hätte reden sollen.

wie

Man dachte

dass das an sich wirklich

liche,

wie

Messung,

so

jemals

kann unterworfen werden,

auch

weit

keiner

UnendZählung

und dass man also auch

durch ein wenn auch n o c h so l a n g e fortgesetztes Z ä h l e n ein wirklich U n e n d l i c h e s nie und n i m m e r m e h r im Stande ist, jemals thatsächlich zu erreichen.

Das G l e i c h e gilt aber

auch von der vermeintlich u n e n d l i c h e n Theilbarkeit,

von

welcher

wir

schon

oder unbegränzten oben gesagt haben,

dass eine A u f g a b e , welche in alle Ewigkeit n i e werden Arbeit

kann, muss

überhaupt betrachtet

wir denn auch,

als

eine

werden.

an

Und

vollendet

sich

unmögliche

eben

darum finden

dass alle jene W i d e r s p r ü c h e ,

denen wir

bei unseren bisherigen Untersuchungen begegnet sind, sofort verschwinden, angewendeten

wenn wir an die Stelle des missbräuchlich

Wortes

„unendlich"

die r i c h t i g e r e n

und

„unbestimmbar

und

u n ü b e r s e h b a r wie g r o s s " oder von „ u n b e s t i m m b a r

und

bezeichnenderen Ausdrucksweisen wie

182

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

u n ü b e r s e h b a r wie k l e i n " setzen würden. Wir werden dann finden, dass allerdings von einem jeden beliebigen K ö r p e r , und sey er noch so k l e i n , mit vollem Fug und Recht nicht nur gesagt werden k a n n , sondern auch gesagt werden muss, er sey in u n b e s t i m m b a r wie viele Theile t h e i l b a r . Denn weder die A n z a h l a l l e r E i n z e i t h e i l e irgend eines bestimmten Körpers, noch deren wirkliche Grösse und körperliche A u s d e h n u n g sind wir im Stande, auch nur mit der allergeringsten G e n a u i g k e i t näher zu bestimmen. Und das Gleiche muss, aus g l e i c h e n G r ü n den, gelten auch in Bezug auf den genaueren Z e i t p u n k t , bis zu welchem eine wirkliche Theilung eines solchen Körpers, wenn auch nur in unseren Gedanken, jemals bis zu den allerletzten Theilchen sollte thatsächlich können durchgeführt werden. Nur in einer unvorsichtigen und unbemerkt gebliebenen Verwechselung der eben erwähnten Begriffe und Verhältnisse kann daher die natürliche Ursache davon liegen, dass von so Vielen so hartnäckig an der vermeintlichen Mögl i c h k e i t einer unendlichen T h e i l u n g von an sich e n d l i c h e n körperlichen Grössen f e s t g e h a l t e n wird, ohne dabei die inneren W i d e r s p r ü c h e zu gewahren, in welche sie hierdurch verstrickt werden. „Wenn aber einmal E i n U n g e r e i m t e s gegeben ist" — sagt ARISTOTELES — „dann ergibt das Übrige (d. h. alles sonst noch Ungereimte) sich von selbst" (ARISTOTELES: Physik (PRANTL) Buch I, Cap. 3, S, 17). No. 48.

Vermeintliche Theilbarkeit an sich angeblich todter und lebloser körperlicher Stoffe.

Ein weiterer G r u n d für die im Vorigen angedeuteten Schwierigkeiten liegt in der alten G e w o h n h e i t , das ganze Gebiet der allgemeinen Stoff- und Körperwelt für ein an sich völlig t o d t e s und lebloses N a t u r g e b i e t zu halten. So lange wir das stoffliche K ö r p e r t h e i l c h e n als etwas an sich völlig T o d t e s und L e b l o s e s in das Auge fassen, dem

Die Atome.

183

kein anderer Zweck zur Seite steht, als nur der, durch seine Anwesenheit einen ausser und neben ihm befindlichen vermeintlich leeren Raum auszufüllen: so lange scheint eine solche Ansicht allerdings eine gewisse Geltung beanspruchen zu dürfen. Jedoch haben wir bereits an einem früheren Ort (I. § 5, No. 16) auf das unzweifelhaft Irrthümliche einer derartigen Anschauung hingewiesen. Wohl hat DEMOKRIT seine in sich völlig untheilbaren Urund Grundkörperchen alles Vorhandenen als an sich völlig e i g e n s c h a f t l o s und keiner Veränderung unterworfen bezeichnet: aber nichts destoweniger lässt er, in der weiteren Darlegung seines gesammten Gedankenganges, nicht undeutlich hindurch schimmern, dass er diese seine einfachsten Grundkörperchen doch keineswegs als völlig todt und leblos, im b u c h s t ä b l i c h e n Sinn des Wortes, kann verstanden haben. Denn nach ihm soll — wie ARISTOTELES berichtet — alles Andere aus jenen ersten U r - T h e i l c h e n „durch Zusammenfügungen und Verwickelungen derselben erzeugt werden". Daher sagt auch BRANDIS, D E MOKEIT habe zwar Pflanzen und Thiere nicht ausser Acht gelassen, vorzüglich jedoch sein Augenmerk auf den Bau und die S e e l e n t h ä t i g k e i t e n des Menschen gerichtet, weshalb auch, nach ihm, die Seele aus den f e i n s t e n Atomen, nämlich aus F e u e r a t o m e n bestehe" (BRANDIS: Gesch. d. griechisch. Philosophie. I . S. 141: DEMOKRIT). — Und ganz in demselben Sinn sagt TIEDEMANN, DEMOKRIT habe mit seiner Lehre von den Atomen zugleich auch deren innere B e l e b t h e i t vereinigt (TIEDEMANN: a. a." 0. I. S. 274). — Alles, was da ist, dies lehrt uns die tägliche Erfahrung, erweist sich in irgend einer Weise als thatsächlich wirksam. Was aber zu wirken im Stande ist: dem muss auch nothwendig irgend welche ihm e i g e n t ü m l i c h zukommende natürliche Wirkungskraft innewohnen. Wo eine solche aber als thatsächlich vorhanden sich erweist: da muss, im

184

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

Verein mit irgendwelcher bestimmten Daseynskraft, nöthw endig auch irgend ein, wenn auch nach aussen hin noch so unscheinbarer Grad von eigener innerer Lebenskraft allewege anerkannt werden. Denn das wirklich Todte und Leblose, in der vollsten Bedeutung dieser Worte, vermöchte nimmermehr auf irgend welchen Gegenstand auch nur die allergeringste W i r k u n g jemals auszuüben, weil jede hierzu erforderliche natürliche Kraft ihm vollgültig abginge. Jene vermeintlich „leblose Natur", genauer in ihrem eigentlichen Grunde erfasst, entpuppt sich somit als nichts Anderes, denn als ein trügerisches Hirngespinnst einer auf Irrwege gerathenen und demzufolge verkehrten Einbildungskraft: die Naturwirklichkeit kennt sie nicht und kann sie nicht kennen. Denn aus dem Gebiete des an sich Leblosen vermag es einen n a t ü r l i c h e n Ubergang in das Gebiet des t h a t s ä c h l i c h Lebendigen und wäre es auch nur bis zum geringsten Grade von Leben, nimmermehr geben. Eine veraltete und kaum noch bekannte sprachliche Redeweise dürfte nicht ungeeignet seyn, unsere gegenwärtige Untersuchung näher zu beleuchten. Wir meinen die Ausdrucksweise: „was da l e b e t , weset und ist", oder auch: „was da lebet, webet und ist". Denn die beiden Begriffe von „ w e s e n " und von „ w e b e n " dürfen hier, der Sache nach, als g l e i c h b e d e u t e n d betrachtet werden. Der begriffliche Zusammenhang mit unserer augenblicklichen Untersuchung kann wohl kaum verkannt werden.. Denn es deutet derselbe augenscheinlich hin auf die unmittelbare und darum auch allezeit untrennbare Zusammengehörigkeit jener drei n a t ü r l i c h e n Grundbegriffe von „Leben", „Wesen" und „Daseyn". Einem Todten und Leblosen in der wahren Bedeutung dieser Worte könnte eben so wenig wie dem angeblich „leeren Raum", jemals auch nur die allergeringste Kraft oder B e f ä h i g u n g zukommen, in irgend einer Weise im

Die Atóme.

185

wesenhaften Daseyn aus und durch sich selber zu bestehen und s e l b s t t h ä t i g und selbständig sich darin zu erhalten. No. 49.

Der raumlose Punkt als vermeintlich letzter Bestandteil aller Dinge.

Dem W i d e r s p r u c h , welcher darin liegt, dass ein an sich e n d l i c h e r Körper aus einer an sich unendlichen Menge von E i n z e l b e s t a n d t h e i l e n sollte zusammengesetzt seyn, hat man bekanntlich dadurch zu e n t g e h e n gesucht, dass man einem jeden einzelnen jener unübersehbar vielen E i n z e i t h e i l e eine jede eigene räumlich-körperliche Ausdehnung ein für allemal vollgültig absprach. Zur näheren B e g r ü n d u n g • dieser Anschauung sollte jener Satz der Raum- und Grössenlehre dienen, nach welchem Allem ohne Ausnahme, dem überhaupt eine r ä u m l i c h e Grösse zukomme, in Folge dessen auch nothwendig, ohne Ziel und E n d e , eine in's Unendliche fortgehende Theilb a r k e i t unter allen Umständen zuerkannt werden müsse. Nun liegt es aber in der Natur der Sache, dass eine jede solche unendliche Theilung, wie sie einerseits zu einer immer grösseren Menge von Einzelbestandtheilen führen muss; so a n d e r e r s e i t s .zu Einzeltheilen von immer kleinerer und k l e i n e r e r Ausdehnung. So sehr es aber den Gesetzen eines vernunftgemässen Denkens widersprechen muss, dass eine in räumlich-körperlicher Beziehung thatsächlich a u s g e d e h n t e Wesenheit durch solche, wenn auch noch so lange fortgesetzte T h e i l u n g jemals bis zum ausdehnungslosen Nichts sollte herabgebracht werden: so hat man dennoch geglaubt, allen diesen Schwierigkeiten dadurch aus dem Weg zu gehen, dass man den in sich selber völlig r ä u m - und wesenlosen P u n k t als die einzig mögliche natürliche G r u n d l a g e für ein jedes E i n z e l n e jener unzählbar-vielen E i n z e l b e s t a n d t h e i l e n aller an sich end-

186

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

l i e h e n Körperlichkeiten erklärte. Diese Anschauung hat sich bekanntlich von den ältesten bis auf den heutigen Tag erhalten. Allein, wenn man auch geglaubt hat, und auch noch glaubt, hierdurch E i n e m Widerspruch entgangen zu seyn: so ist man, wie die Erfahrung gelehrt hat, dafür in nur noch um so grössere und um so u n l ö s l i c h e r e Widersprüche gerathen, Denn wenn die l e t z t e n E i n z e l t h e i l e aller körperlichen Dinge durchaus keine wirkliche Grösse, sondern nur ausdehnungslose Punkte darstellen sollen: dann mag es, namentlich bei nur o b e r f l ä c h l i c h e r Betrachtung, allerdings als möglich — ja vielleicht sogar als nothwendig — erscheinen, dass u n e n d l i c h viele solcher an sich raumloser Theile erforderlich seyn müssen, um durch ihre Gesammtheit schliesslich eine wirklich räumlich a u s g e d e h n t e Grösse in irgend einer Weise zuwege zu bringen. Der mannigfachen Widersprüche aber, in welche eine derartige Anschauung sich immer mehr verstricken muss, haben wir bereits etwas früher (III. § 12, No. 45) in eingehender Weise gedacht. Wir dürfen daher hier auf das dort Gesagte einfach zurückweisen. So findet sich daselbst z. B. jene S c h w i e r i g k e i t eingehend besprochen, welche darin besteht, dass wirkliche Körper durch Hinz u f ü g e n neuer, oder durch Hinwegnahme von bereits in ihnen vorhandenen körperlichen E i n z e i t h e i l e n entweder um so viel grösser oder um so viel kleiner werden, während dies selbstverständlich weder in Folge von Hinzufügen, noch in Folge von Hinwegnehmen von bloss raumlosen P u n k t e n jemals der Fall seyn kann. Alle diese W i d e r s p r ü c h e müssen aber noch um so mehr an den Tag treten, wenn gleichzeitig auch die Vorstellung eines wirklich U n e n d l i c h e n und Unbegränzten in solche Untersuchungen mit h i n e i n g e z o g e n wird. Freilich kann es hier nicht in unserer Aufgabe liegen, es näher zu untersuchen, in wie weit ein solches in sich unbegränzt Un-

Die Atome.

187

endliches in Wirklichkeit bestehen möge oder n i c h t : jedenfalls aber würde ein Hereinziehen der in jeder Hinsicht sehr v e r ä n d e r t e n Verhältnisse, wie solche in einem wirklich unendlichen Seynsgebiet nothwendig allewege mit maassgebend seyn m ü s s t e n , ' unsere gegenwärtige Untersuchung nur noch um so verwickelter und um so schwieriger machen. Ganz in diesem Sinne sagt denn auch ULBICI: „Die sogenannte T h e i l u n g in's Unendliche, wenn sie auch in' alle Ewigkeit fortgesetzt würde, kann doch immer nur die Grösse des Ausgedehnten v e r r i n g e r n : aber niemals das Ausgedehnte selbst v e r n i c h t e n oder aufheben. Denn einestheils ist zur Theilung immer E t w a s erforderlich, das getheilt wird, und anderseits ging die Theilung gerade nicht in's Unendliche, wenn sie schliesslich das A u s g e d e h n t e selbst schlecht hin v e r n e i n t e (negirte), d. h. aufhebe und v e r n i c h t e t e , so dass n i c h t s Ausgedehntes mehr da wäre. Denn das Nichts lässt sich n i c h t m e h r t h e i l e n " (ULBICI: G. U. die Natur. S. 447 u. 448). — So weit wir daher in unseren Gedanken eine solche Theilung auch treiben mögen, und geschähe es, bis über den jüngsten Tag hinaus in alle Ewigkeit hinein: es könnte uns niemals die Befriedigung zu Theil werden, irgend ein wahres und wesenhaftes Etwas, und wäre es das allergeringste, welches wir zu denken vermöchten, jemals bis zum wesenlosen P u n k t , dem reinen Nichts, in Wirklichkeit h e r a b g e b r a c h t zu haben. Denn ein für allemal kann es, selbst für das Auge des Geistes, keine für uns irgendwie vorstellbare Brücke, d. h. keine stufenweise V e r m i t t e l u n g , keinen allmählichen U b e r g a n g geben zwischen den beiden Begriffen eines wirklichen und wesenh a f t e n „Etwas" und eines wesenlosen „Nichts".

188

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

N o . 50.

Unmöglichkeit aus bloss raumlosen Funkten jemals eine wirkliche körperliche Grösse zu gewinnen.

Die soeben erwähnte Schwierigkeit war durchaus noch nicht die Letzte, mit der wir uns zu beschäftigen haben. Erschien es im Vorigen als eine U n m ö g l i c h k e i t , dass eine bestimmte e n d l i c h e Grösse aus einer u n e n d l i c h e n A n z a h l von stofflich-körperlichen Urbestandtheilen sollte geb i l d e t und z u s a m m e n g e s e t z t seyn: so ist es nunmehr, umgekehrt, womöglich noch u n v e r s t ä n d l i c h e r und unbegreiflicher, wie eine r ä u m l i c h e Grösse, so gross oder so klein dieselbe auch seyn mag, jemals aus wirklich r a u m l o s e n P u n k t e n , und wären derselben auch noch so u n e n d l i c h - v i e l e , solle g e b i l d e t seyn, oder sollte aus solchen jemals können z u s a m m e g e s e t z t werden. Es bleibt sich dabei ganz gleich, ob es sich um eine bloss geistig von uns vorgestellte Grösse handelt, oder um eine wesenh a f t - k ö r p e r l i c h e Grösse, wie solche allenthalben in der Natur uns entgegentreten. Denn was ist — wie bereits bemerkt — der reine und völlig r a u m - a u s d e h n u n g s l o s e P u n k t schliesslich Anderes als das reine, unbedingte und wesenlose N i c h t s ? Wie soll es aber in irgend einer Weise d e n k b a r und möglich seyn, dass aus solchem reinen N i c h t s , aus derartigen N i c h t s e n , und wenn wir dieselben auch noch so u n e n d l i c h - o f t , vervielfältigten, j e m a l s ein thatsächlich b e s t e h e n d e s E t w a s , d. h. ein wirklich wesenh a f t e r K ö r p e r von irgend welcher bestimmten räumlichen Grösse und A u s d e h n u n g sollte entstehen oder hervorgehen können? Wie sollte es möglich seyn, dass eine Ges a m m t h e i t von Einzeldingen eine wirkliche Ausdehnung b e s i t z e und eine wirkliche r ä u m l i c h e Grösse bilde, wenn alle diese Einzeldinge selber, ein jedes f ü r sich a l l e i n , als völlig a u s d e h n u n g s - und grössenlos müssen betrachtet werden? Daher bezeichnet auch U L B I C I es als etwas, „völlig

Die Atome.

189

U n b e g r e i f l i c h e s , wie eine Z u s a m m e n h ä u f u n g (ein Aggregat) von ausdehnungslosen P u n k t e n die Wirkung haben könne, als eine wirklich a u s g e d e h n t e Masse zu erscheinen" (ULRICI: a. a. 0. S. 439). — Nie kann der blosse P u n k t — und wären es deren noch so „unendlich-viele" — als an sich völlig ausdehnungslos, jemals im Stande seyn, einen wirklichen Raum zu bilden oder einzunehmen. Daher hat auch HENKY M O E E ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „Nichts, mit Nichts v e r v i e l f ä l t i g t , ewig Nichts bleibe" (TIEDEMANN: a. a. 0. V. S. 504). Die vollgültige Zuverlässigkeit dieses Satzes ist in folgende Zusammenstellung auf das D e u t l i c h s t e und Unzweifelh a f t e s t e dargethan. 0 = 0

1 x 0 = 0 oder umgekehrt 0 x 1= 0 100 X 0 = 0 0 X 100 = 0 1000 X 0 = 0 0 X 1000 = 0 oo X 0 = 0 0 x oo = 0 Ebenso aber auch: 0 = 0

0 0 0 0

x 1 = 0 oder umgekehrt 1x0 = 0 X 100 = 0 100 X 0 = 0 X 1000 = 0 1000 X 0 = 0 x oo = 0 oo x 0 = 0 Dies heisst jedoch nichts Anderes als: Nichts bleibt Nichts, und wird zu keinem Etwas, mag man Dasselbe auch noch so oft vervielfältigen, als man will. Wie es aber widersinnig ist, aus einer noch so grossen Anzahl von Nullen irgend eine bestimmte Zahl gewinnen zu wollen: eben so widersinnig muss es auch seyn, wollten wir irgendwie dem Gedanken Raum geben, aus noch so vielen blossen P u n k t e n jemals eine wirkliche k ö r p e r l i c h e Grösse zur Darstellung zu bringen. Daher war auch schon das Alterthum in seinem vollen Rechte, wenn es durch ANAXAGORAS,

190

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

PABMENIDES „Aus

und

Nichts

mochte

nicht,

spruchs

Andere

wird

zu

sich

bestandteile

allgemeinen —

Auch

Satz

aufstellte:

ABISTOTELES

ver-

der Anerkennung des inneren W i d e r -

entziehen,

raumloser P u n k t e , wendigkeit

den

Nichts". welcher

in

der

Annahme

solcher

als erster und letzter U r - und G r u n d -

aller körperlichen D i n g e , mit innerer

liegen

muss.

Schwierigkeit,

wenn

würde,

es

irgend

welche

allseitig

gebe

„Es enthält" — Jemand einen

die

Behauptung

Körper

(d. h. in's

dieser Theilung

noch

oder

Unendliche)

und es sey dies in der That m ö g l i c h : entgehen?

Not-

sagt er —

„eine

aufstellen

eine

Grösse,

theilbar

wären,

denn was soll dann

Ist nämlich

der

Körper

a l l s e i t i g (d. i. unendlich) theilbar, und dies in der That m ö g l i c h , was wird dann übrig seyn? ja n i c h t nicht Nun

möglich.

wirklich würde

Eine G r ö s s e ?

Dies ist

Denn dann gäbe es noch E t w a s ,

getheilt

aber

ist:

auch,

war ja a l l s e i t i g

er

wenn

kein

Körper

was

theilbar.

und

keine

G r ö s s e das Ü b r i g b l e i b e n d e wäre, er entweder aus P u n k t e n bestehen, und hiermit Dasjenige, woraus er' zusammengesetzt ist, ein G r ö s s e n l o s e s

seyn, oder es wäre Letzteres

überhaupt g a r N i c h t s , so dass es aus N i c h t s entstanden, und aus n i c h t s z u s a m m e n g e s e t z t , und sonach auch das G a n z e nichs

als

ein

Schein

wäre.

Denn

ein

solches

Ganzes

machten P u n k t e um n i c h t s g r ö s s e r , und auch um n i c h t s kleiner,

so

dass,

wenn

sammengesetzt würden, Denn Grösse

ungereimt

ist

bestehe."

auch

sämmtliche

sie doch k e i n e es,

dass

aus

anreiht:

zu-

ausmachen.

Nichtgrössen

eine

Und ganz in demselben Sinn fügt ABI-

STOTELES weiterhin noch hinzu: „Da P u n k t nicht

Punkte

Grösse

so

kommt

das

allseitig

an P u n k t

sich

Theilbarseyn

den Grössen einerseits wohl zu, anderseits aber auch nicht. Es scheint aber allerdings, wenn man jene Behauptung aufstellt,

sowohl

auch a l l s e i t g

an jedweder einzelnen Stelle der Grösse,

als

an ihr, P u n k t e zu geben, so dass sie noth-

191

Die Atome.

wendig

zuletzt

in

Nichts

allerorten

sey ja

weder

aus

Berührungen

findet

dies in Wirklichkeit

weil

Ein

Punkt

getheilt

ein P u n k t

an

sämmtliche Punkte

oder

aus

nur in

jedweder

als

seyn

müssten.

Denn

und folglich bestehe sie entPunkten.

so f e r n e

einzelnen

Einzelne

gelten.

Hingegen

allerseits statt, Stelle

ist,

und

Aber m e h r

als

E i n e r sind es n i c h t ; denn für einen P u n k t gibt es keinen nächstfolgenden Pünktchen an.

anderen.

an Pünktchen,

Denn P u n k t reihen

an P u n k t ,

sich n i c h t an

oder

einander

In dieser Weise aber gibt es auch wirklich eine T h e i -

l u n g oder eine Z u s a m m e n s e t z u n g , Auseinandersichtung

und folglich auch eine

und eine Z u s a m m e n s i c h t u n g ,

aber

weder in Untheilbares, noch aus Untheilbarem, sondern nur in K l e i n e s fügt

und immer K l e i n e r e s .

Der U n t e r s c h i e d

ARISTOTELES hinzu — ist eben der, dass in dem

Grunde-Liegenden

— Zu-

das E i n e (nur) b e g r i f f l i c h (d. h. nur

in unserer V o r s t e l l u n g wirklich), das A n d e r e aber s t o f f lich

(d. h. w e s e n h a f t

wirklich)

ist".

Und

diesen

spruch ergänzt ARISTOTELES, an einem anderen Orte, sam

dahin,

dass

Nicht-Wesen Wesen

er

ist,

sagt:

ursprünglich

(PRANTL):

„Wie

ein W e s e n

Entsteh,

u.

als

soll

Wesen

Vergeh.

S.

aus seyn?

357.

„Physik", Buch. I. Cap. 6, S. 35.) —

Etwas,

oder wie soll

seyn,

Ausgleichwas

Nicht-

(ARISTOTELES

359.

363.

Und

Und in gleichem Sinn

sagtWILMARSHOF: „Wie wäre es möglich, dass ein r ä u m - und wesenloser

(ein

mathematischer)

Punkt

könne, was er selbst n i c h t b e s i t z t ? unausgedehnt gedehnten geben

ist: Körper

keine

die

Grösse

der

Körper

so

Zahl. und

können

auch

hervorbringen. Durch

Gestalt

schaffen

Wenn j e d e s mehrere Noch

mehrere

eines

etwas

so

selbst muss erst da seyn."

viele

Punkte

Körpers

»Atom«

keinen

aus-

Nullen

wird

zwar

gemessen,

aber

(WILMARSHOF: Jen-

seits. Theil I. § 16. S. 22). — Es kann also auch das wirkliche

Nichts

weder jemals den thatsächlichen

Grund

ab-

192

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

geben zu irgend welcher w e s e n h a f t e r R ä u m l i c h k e i t , noch wäre unter solchen Umständen, die thatsächliche W i r k l i c h k e i t von körperlichen Dingen jemals zu begreifen. Denn dieselben würden in solchem Fall auf noch n i c h t i g e r e m G r u n d e r b a u t seyn als ein Haus, dessen Grund nur aus losem S a n d bestände. Denn hier wäre doch immer noch eine wenn auch nicht sehr zuverlässige G r u n d l a g e : das reine N i c h t s aber wäre n i e m a l s im Stande den wirklichen G r u n d zu irgend einem wesenhaften E t w a s jemals abzugeben. Daher hat auch schon DEMOKRIT es für einen W i d e r s p r u c h erklärt, dass „aus P u n k t e n etwas Ausg e d e h n t e s entspringe, weil Z u s a t z oder W e g n a h m e vjn P u n k t e n einen Körper weder g r ö s s e r noch k l e i n e r mache". Und ebenso hat er es auch für einen Widerspruch erklärt, dass „ A u s g e d e h n t e s aus N i c h t a u s g e d e h n t e m bestehen solle" (TIEDEMANN: a. a. 0. I. S. 266). No. 51. Irrthümliche Anschauungen der Raum- und Grössenlehre in Bezug auf Linien-, Flächen- und Raumbildungen, und daraus sich ergebende weitere Widersprüche. Aus unseren bisherigen Untersuchungen hat sich bereits ergeben, dass der w a h r e G r u n d der mannigfachen W i d e r s p r ü c h e , mit denen wir uns zu beschäftigen haben, e i n e r seits sowohl in der A r t und Weise zu suchen ist, wie manche Verhältnisse von Seiten der R a u m - u n d G r ö s s e n l e h r e pflegen dargelegt zu werden, wie a n d e r s e i t s in der ganz i r r t h ü m l i c h e n G r u n d a n s c h a u u n g , dass Alles was für das Reich der bloss g e d a c h t e n , an sich aber völlig wesenlosen blossen R a u m g r ö s s e n eine gewisse Geltung haben mag, damit auch eine ebensolche Geltung beanspruchen dürfe, wenn es sich n i c h t m e h r um blosse G e d a n k e n b i l d e r handelt, sondern um das Gebiet der natürlich-wesenhaften W i r k l i c h k e i t . Wer erinnert sich nicht, dass ihm in der Schule die Begriffe von P u n k t e n , L i n i e n und

193

D i e Atome.

F l ä c h e n , sowie deren gegenseitige B e z i e h u n g e n zu eina n d e r , in der Weise sind anschaulich gemacht worden, dass eine L i n i e entstehe, wenn ein P u n k t sich f o r t b e w e g e , eine F l ä c h e dagegen, wenn eine L i n i e in der Richtung ihrer Längsseite sich verschiebe, und wenn auch diese F l ä c h e in ähnlicher Weise seitwärts auf- oder abgeschoben werde: so entstehe daraus ein a b g e g r ä n z t e r Raum. Diese' Art der Darstellung lautet zwar ganz schön, vermag die Sache auch, m

in einem gewissen Sinn, zu einer Art von g e i s t i g e r A n s c h a u u n g zu bringen: nur leidet sie an einem sehr wesentlichen Gebrechen. Sie ist nämlich rein nur ein Erzeugniss m e n s c h l i c h e r E i n b i l d u n g , dem k e i n e N a t u r w i r k l i c h k e i t zu Grunde liegt. Weil unsere Einbildungskraft sich vormalt, es k ö n n e so seyn: so bildet sie nur zu leicht sich ein, es müsse dies Alles nun auch in W i r k l i c h k e i t sich so verhalten. Daher hat auch bereits AKISTOTELES sich sehr gegen jene u n r i c h t i g e Auffassung der R a u m - und G r ö s s e n l e h r e erklärt, nach welcher dieselbe L i n i e n aus Punkten, F l ä c h e n aus Linien, und K ö r p e r aus Flächen entstehen lässt. „Denn" — sagt er — „das T h e i l l o s e (d. i. der raumund wesenlose Punkt) kann n i c h t bewegt w e r d e n , es sey denn, dass der K ö r p e r selbst, oder die Grösse, welcher Jenes zukommt, b e w e g t wird. Denn" —• fügt er weiter hinzu — „es müsste offenbar auch der P u n k t (um bewegt zu werden) vorerst in einer k l e i n e r e n , oder ihm g l e i c h e n A u s d e h n u n g bewegt werden; da er aber (als ein r e i n e s Nichts) u n t h e i l b a r ist, so kann er u n m ö g l i c h in einer noch k l e i n e r e n A u s d e h n u n g bewegt werden, als er s e l b s t ist. Also dann in einer ihm s e l b e r g l e i c h e n (das ebenfalls gleich N i c h t s wäre). Folglich bestände dann die L i n i e aus P u n k t e n ; denn es wird dann der P u n k t dadurch, dass er immer wieder in einer g l e i c h e n S t r e c k e bewegt wird, endlich die ganze L i n i e aufmessen. Ist dies aber u n möglich: so ist es auch u n m ö g l i c h , dass das U n t h e i l Wandersmann.

I.

13

Ji)4

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

b a r e (oder der raumlose Punkt) bewegt werde" (AEISTOTELES: Physik (PKANTL.) S. 827. 329. 331 [Buch VI. Cap. 10]). — Der P u n k t ist das reine Nichts. Wer kann also behaupten, dass ein N i c h t s jemals vermöchte, durch irgend welche K r a f t in Wirklichkeit f o r t b e w e g t zu werden? Doch nehmen wir für einen Augenblick an, es sey dies wirklich möglich. Was ist damit g e w o n n e n ? Eine wirkliche L i n i e ? Nimmermehr. Der P u n k t , indem er f o r t r ü c k t , ist in jedem Augenblick n i c h t m e h r da, wo er im Augenblick vorher gewesen, und als N i c h t s ist er auch n i c h t im Stande, die geringste S p u r seines vorigen Daseyns zu h i n t e r l a s s e n . Wenn er also auch am Z i e l e seiner Bewegung a n g e l a n g t ist, so ist h i n t e r ihm dasselbe, was er selber ist: Nichts. Von der geträumten L i n i e ist nicht das Geringste zu finden. Das Ganze entpuppt sich als eine thatsächliche S e l b s t t ä u s c h u n g . Ist a,ber schon der Anfang ein T r u g s c h l u s s : was für ein Gebäude soll sich weiter darauf g r ü n d e n lassen? Auch hier heisst es also: „aus N i c h t s wird Nichts". Diese ganze angebliche Entstehung der L i n i e aus dem P u n k t u. s. w. ist ein T r a u m und T r u g b i l d , damit wir nichts gewonnen haben. Wenn wir eine K u g e l abschiessen, so können wir uns im Geiste die R i c h t u n g , welche sie durchläuft, wohl unter dem Bilde einer durch den M i t t e l p u n k t der dahinfliegenden K u g e l gebildeten L i n i e zu einer Art von i n n e r e r A n s c h a u u n g bringen: aber damit ist in der N a t u r w i r k l i c h k e i t selbst noch lange keine wirkliche Linie e n t s t a n d e n . Wir mögen in der L u f t , welche die Kugel d u r c h f l o g e n , im Geiste so lange nach dieser Linie s u c h e n , als wir wollen: wir werden sie n i r g e n d s finden. Fassen wir nur genau den Begriff eines P u n k t e s , als eines völlig R a u m - . . u n d A u s d e h n u n g s losen, in das Auge: so kann hierüber k e i n Z w e i f e l bleibeu. P u n k t e lassen sich, als reine Nichtse, weder n e b e n e i n a n d e r anlegen, noch irgendwie a n e i n a n d e r anreihen.

195

D i e Atome.

Sie können stets nur in oder a u s s e r e i n a n d e r gedacht werden: nie aber unmittelbar n e b e n e i n a n d e r . Denn es ist völlig u n m ö g l i c h , sich ein N i c h t s , im Verhältniss zu einem a n d e r e n Nichts, so gestellt zu denken, dass beide sich w i r k l i c h b e r ü h r t e n . Es muss entweder ein sie t r e n n e n d e r R a u m zwischen beiden bleiben, wie z. B. zwischen den beiden E n d p u n k t e n oder Polen unserer E r d a c h s e , oder sie müssen in Einem und demselben Punkt z u s a m m e n f a l l e n , wie die M i t t e l p u n k t e aller Durchmesser einer Kugel. Uns dieselben, als wirklich einander wechsels e i t i g b e r ü h r e n d , vorzustellen, ist rein unmöglich. Sobald wir daher eine V i e l h e i t von P u n k t e n uns denken wollten: so müssen wir uns dieselben nothwendig a u s s e r e i n a n d e r denken. Denn stünden sie gegenseitig sich auch noch so n a h e : da sie sich n i c h t berühren können, so müsste, zwischen ihnen doch immer noch ein wenn auch noch so k l e i n e r Z w i s c h e n r a u m gedacht werden, durch welchen sie in ihrer wechselseitigen G e t r e n n t h e i t , erhalten bleiben. Denn fiele derselbe h i n w e g : so fielen sie unvermeidlich in E i n s zusammen, und könnten daher auch n i c h t m e h r von einander u n t e r s c h i e d e n werden. Wir hätten also, in solchem Fall, keineswegs noch zwei wirklich von einander v e r s c h i e d e n e P u n k t e , sondern nur noch einen E i n z i g e n , in Bezug auf welchen n i c h t s m e h r zu u n t e r s c h e i d e n wäre. Schon der reine B e g r i f f des „Punktes" verbietet somit jeden Gedanken, als ob auch nur die allerkleinste L i n i e , sey es durch F o r t b e w e g u n g e i n e s P u n k t e s , oder durch irgend welche A n e i n a n d e r r e i h u n g von P u n k t e n , jemals zu e n t s t e h e n vermöchte. Daher sagt auch ARISTOTELES: „Eine Linie überrage n i c h t einen P u n k t , insoferne sie n i c h t a u s P u n k t e n bestehe" (ARISTOTELES: Physik [PRANTL] Buch IV. Cap. 8. S. 89). — Und in gleichem Sinn hat auch SCHELLING es geradezu für eine „ ä u s s e r s t e U n g e r e i m t h e i t " erklärt, sich eine L i n i e als aus u n e n d l i c h 13*

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Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

vielen P u n k t e n zusammengesetzt zu denken (SCHELLING VII. S. 243). Vermag aber, e i n e r s e i t s , eine r a u m l o s e Grösse, rein als solche, ebenso wenig in Folge einer vermeintlichen F o r t b e w e g u n g eines r ä u m - und g r ö s s e n l o s e n P u n k t e s , oder einer ebensolchen L i n i e oder F l ä c h e , zu e n t s t e h e n , wie a n d e r s e i t s , aus A n e i n a n d e r r e i h u n g e n oder Nebene i n a n d e r l a g e r u n g e n von P u n k t e n , L i n i e n oder F l ä c h e n : wie soll da irgend eine M ö g l i c h k e i t vorhanden seyn, dass jemals irgend etwas R a u m e r f ü l l e n d e s im Stande sey, aus dem K a u m l o s e n , d. h. aus dem reinen wesenlosen Punkte, dem Nichts, irgendwie h e r v o r z u g e h e n ? FECHNEK hat, im Hinblick auf eben diese Verhältnisse, den Gedanken ausgesprochen, wenn man die L a g e n , welche von verschiedenen (an sich raumlosen) P u n k t e n g l e i c h z e i t i g e i n g e n o m m e n werden, in unserer Vorstellung v e r b i n d e : so entstehe eine z u s a m m e n h ä n g e n d e F o r m (oder äussere Gestalt); wenn man dagegen die L a g e n , welche ein und d e r s e l b e Punkt n a c h e i n a n d e r (successiv) einnimmt, in unserer Vorstellung v e r b i n d e t , so könne man auch F o r m e n (oder äussere Gestaltungen) d u r c h B e w e g u n g gewinnen (FECHNEK: Atomenlehre. S. 148). In welcher Weise möchten wir aber diesen in mancher Hinsicht etwas dunklen Ausspruch uns zu deuten haben, um einen G e s a m m t ü b e r b l i c k über FECHNEB'S eigentlichen Gedankengang uns zu bilden? Es will uns scheinen, als ob FECHNEB unter dieser seiner „ z u s a m m e n h ä n g e n d e n F o r m " wohl kaum etwas Anderes dürfte verstanden haben, nls jene ä u s s e r l i c h - o b e r f l ä c h l i c h e G e s t a l t oder ä u s s e r l i c h e Z u s a m m e n f a s s u n g zu gewissen G r u p p e n von irgend wie z u s a m m e n g e h ö r i g e n , an sich aber völlig r a u m l o s e n P u n k t e n , welche, nach FECHNEB'S Meinung als die allein wahren und naturgemässen G r u n d l a g e n aller wesenhaften K ö r p e r l i c h k e i t e n sollen zu betrachten seyn. Auf Grund eben dieser an sich völlig wesenlosen G r u p p e n von völlig a u s d e h n u n g s l o s e n P u n k t e n hat FECHNEB gehofft, für

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unsere geistige V o r s t e l l u n g alle jene unserer s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g zugänglichen stofflich - körperlichen (materiellen) D i n g e aufbauen (construiren) zu können, welche in der uns umgebenden N a t u r w i r k l i c h k e i t „unter der Gestalt (der Form) des S i c h t b a r e n und T a s t b a r e n auftreten" (FECHNEK: Atomenlehre. S. 148). Mag dies Alles in unseren Gedanken sich auch einigermassen vorstellbar machen lassen: ob sich dies Alles in der uns umgebenden N a t u r aber auch e b e n s o v e r h a l t e n müsse, dies ist eine a n d e r e F r a g e . Denn es bleibt doch immer dasselbe und gleiche R a t h sei, wie irgend welche G r u p p e n von lauter an sich a u s d e h n u n g s l o s e n N i c h t s e n , bloss mittelst ihrer gegenseitigen Stell u n g e n und L a g e n , es schliesslich dennoch bis zu w i r k l i c h e n und wesenhaften N a t u r d i n g e n jemals sollten bringen können. Bezeichnete doch schon EUKLID den P u n k t als das, wovon es „ k e i n e n T h e i l gibt" (BAUMANN: Raum u. Zeit I . S. 2 3 9 , EUKLID). Diesen Ausspruch des anerkannten Meisters im Gebiete der R ä u m - u n d G r ö s s e n l e h r e dürfen wir jedoch, ohne vorherige genauere Prüfung, keineswegs versuchen, auch auf die w e s e n h a f t e N a t u r zu übertragen. Denn haben wir in d i e s e r nicht bereits k ö r p e r l i c h e Dinge kennen gelernt, welche k e i n e T h e i l e in sich besitzen, und solche, natur- wie vernunftgemäss, auch n i c h t besitzen k ö n n e n ? Sind, wie wir bereits an früheren Orten gesehen, nicht a l l e unserer s i n n l i c h e n Wahrnehmung zugänglichen k ö r p e r l i c h e n Massen in ihrem Inneren aus solchen in sich völlig u n t h e i l b a r e n stofflich - körperlichen U r w e s e n h e i t e n , den „ A t o m e n " , gebildet und zusammengesetzt? Diese Alle können nimmermehr aus dem völlig räum- und wesenlosen P u n k t des EUKLID hervorgegangen seyn. N i c h t s ist und bleibt n i c h t s in alle Ewigkeit und aus solchem kraft- und wesenlosen „ N i c h t s vermöchte daher n i m m e r m e h r auch nur das allergeringste w e s e n h a f t e „ E t w a s " jemals hervorzugehen. Aus eben diesem Grund vermöchte aber auch der

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nimmermehr als ein räum- und wesenlose » P u n k t « i n n e r l i c h e s G l i e d , als ein i n n e r e r B e s t a n d t h e i l , oder als innerliche W e s e n s g r u n d l a g e in der G e s a m m t r e i h e alles w e s e n h a f t e n Daseyns zu gelten. Dies sagt aber, wenn auch mit anderen Worten, nichts Anderes, als dass alle » A t o m e « , ohne Ausnahme, allezeit an und in sich ganz ebenso u n t h e i l b a r sind und seyn müssen, wie auch der an und in sich gleichfalls völlig r ä u m - und wesenlose P u n k t des EUKLID. Zugleich dürfen wir es aber auch nicht ausser Acht lassen, dass es nicht sowohl die Aufgabe von EUKLID gewesen ist, mit den besonderen Verhältnissen der uns umgebenden N a t u r w i r k l i c h k e i t sich zu beschäftigen, als vielmehr darin, die bereits vorliegenden allgemeinen Begriffsbestimmungen den e i n s e i t i g e n Lehren der R a u m - und G r ö s s e n l e h r e mehr und mehr a n z u p a s s e n . Doch verlassen wir nunmehr diesen Gegenstand, um auch noch einem anderen Gegenstand unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Er betrifft die Frage, wie und in welcher Weise alle im Bisherigen dargelegten Verhältnisse sich für uns wohl am Natürlichsten und Einfachsten möchten erklären lassen? Um diese Frage sachgemäss beantworten zu können, will es uns scheinen, es müsse a l l e n N a t u r w e s e n ohne Ausnahme, selbst den noch a l l e r e i n f a c h s t e n und ursprünglichsten, schon von Uranfang an — oder, wie man auch zu sagen pflegt: »von Haus aus« — eine g e h e i m e und allezeit g e s e t z l i c h w i r k s a m e K r a f t zukommen, welche dieselben in den Stand setzt, selbst die g e h e i m s t e n V o r g ä n g e in i h r e m I n n e r s t e n , allein mit Hülfe ihrer m a n n i g f a c h e n ä u s s e r e n E r s c h e i n u n g s w e i s e n , jeweilig vollkommen n a t u r g e t r e u zu o f f e n b a r e n . Eine jede von Innen nach Aussen hin w i r k s a m e K r a f t versieht, ihrer e i g e n e n N a t u r gemäss, diese Thätigkeit, und zwar in ganz verwandter Weise, wie umgekehrt auch a l l e N a t u r k r ä f t e , welche von Aussen her auf uns einwirken, uns N a c h r i c h t bringen von Dem, was

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in der uns umgebenden A u s s e n w e l t jederzeit naturgemäss vor sich geht. O h n e diese soeben besprochene a l l g e m e i n e G r u n d k r a f t der N a t u r und deren u n a u s g e s e t z t e Wirksamkeiten bliebe die ganze Welt für uns ein v e r s c h l o s s e n e s B u c h , über dessen näheren I n h a l t wir ohne j e d e K u n d e bleiben müssten. Daher hat auch AKISTOTELES mit vollem Rechte alle » K r a f t l o s i g k e i t « als ein „ N a t u r w i d r i g e s " bezeichnet" (AKISTOTELES: Himmelsgebäude [ P R A N T L ] , Buch II, Cap. 6, S. 131). Trotz aller dieser mannigfachen K r ä f t e , mit denen die Natur von Anfang an uns versehen hat: ist es doch noch N i e m a n d e n jemals gelungen, unserer s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g auch nur ein Einziges von jenen s t o f f l i c h k ö r p e r l i c h e n U r w e s e n h e i t e n zugänglich zu machen, welche bis jetzt einen H a u p t g e g e n s t a n d für unsere gegenwärtigen Untersuchungen gebildet haben. Wir meinen die „Atome". Es liegt aber der natürliche G r u n d hiervon k e i n e s w e g s in diesen k l e i n s t e n K ö r p e r t h e i l c h e n als Solchen, als vielmehr in der natürlichen S c h w ä c h e unseres menschlichen S e h v e r m ö g e n s , welches n i c h t im Stande ist, derartige vers c h w i n d e n d k l e i n e Körperchen in irgend einer Weise unserer s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g jemals z u g ä n g l i c h zu machen. Der reine räum-, kraft- und wesenlose P u n k t dagegen, als das ebenso r ä u m - , k r a f t - und wesenlose N i c h t s , kann nie und nimmermehr ein natürliches Vermögen oder eine n a t ü r l i c h e K r a f t in sich einschliessen, durch welche er jemals im Stande wäre, irgend einem w e s e n h a f t e n Naturdasey.n in irgend einer Weise sich zu erkennen zu geben. N o . 52. Vermeintliche Theilbarkeit natürlicher stofflich-körperlicher Wesenseinheiten auf Grund der allgemeinen Zahlenlehre und ihrer Zahlengesetze. Sind es im Bisherigen die E i n w e n d u n g e n gewesen, welche auf Grund der allgemeinen R a u m - u n d G r ö s s e n -

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l e h r e vielfach gegen die Möglichkeit e i n f a c h s t e r und letzter, in sich u n t h e i l b a r e r stofflich-körperlicher N a t u r w e s e n erhoben worden sind, welche wir durch Vernunftgründe zu b e k ä m p f e n genöthigt waren: so haben wir uns nunmehr mit einer noch anderen Art von E i n w e n d u n g e n zu beschäftigen. Dieselben sind hergenommen von den Lehrsätzen der allgemeinen Z a h l e n l e h r e , auf welche man geglaubt hat, zum Zweck einer noch weiteren Begründung der vermeintlichen u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t alles e n d l i c h Gegebenen sich ebenso berufen zu dürfen, wie auf die verwandten Sätze der R a u m - und G r ö s s e n l e h r e . Denn wie man dem W a h n e sich hingegeben hatte, durch unausgesetztes Ane i n a n d e r r e i h e n von an sich endlichen R a u m g r ö s s e n es schliesslich bis zu einem thatsächlich U n e n d l i c h e n bringen zu können, oder u m g e k e h r t durch fortwährendes T h e i l e n derselben schliesslich beim räum- und wesenlosen P u n k t anzulangen: so hat man, folgerichtig, geglaubt, die gleiche Anschauung auch aus dem Reiche der Z a h l e n herleiten zu dürfen. Was man dort gehofft hatte, durch fortgesetztes H i n z u f ü g e n endlicher R a u m g r ö s s e n zu gleichfalls endl i c h e n Raumgrössen zu erzielen: das meinte man nunmehr auf dem einer immer weiteren F o r t f ü h r u n g von an sich endlichen Z a h l e n r e i h e n , z. B. der Zahlenreihe 1. 2. 3. 4. 5. 6. u. s. w. schliesslich um so s i c h e r e r zu gewinnen. Und ebenso hoffte man, u m g e k e h r t , vermittelst einer ebenso lange fortgesetzten Th e i l u n g jener ursprünglichen Reihe in 1 /a» V3' 1 lv 1/g> l/a u- s- w - zuletzt mit gleicher Zuverlässigkeit bei der wirklichen N u l l anzukommen. Alle diese Anschauungen beruhen aber auf der nämlichen S e l b s t t ä u s c h u n g in Bezug auf die eigentliche T r a g w e i t e jener beiden hier vornehmlich in Betracht kommenden Begriffe von „ e n d l i c h " und von „ u n e n d l i c h " , wie wir solche auch schon an einer früheren Stelle (III. § 12. No. 47) hinsichtlich der g l e i c h e n A n n a h m e von Seiten der R a u m - u n d G r ö s s e n l e h r e dar-

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gelegt haben. Denn wenn wir gleich durch fortgesetztes H i n z u f ü g e n von e n d l i c h e n Raum- oder Zahlengrössen zu anderen ebenso e n d l i c h e n , schliesslich einerseits zu immer u m f a n g r e i c h e r e n R a u m g r ö s s e n , wie anderseits zu immer i n h a l t s r e i c h e r e n Z a h l e n w e r t h e n gelangen: so sind wir auf diesen Wegen doch nimmermehr im Stande es jemals bis zu einem thatsächlich U n e n d l i c h e n zu bringen. Es liegt dies gewissermassen schon in den beiden Begriffen von „ e n d l i c h " und „ u n e n d l i c h " mit eingeschlossen. Denn sobald wir dieselben in ihrer eigentlichen und t i e f e r e n Bed e u t u n g in das Auge fassen: so kann die thatsächliche U n m ö g l i c k e i t , auf diesem Wege ein w i r k l i c h U n e n d liches jemals zu e r r e i c h e n , keinem Zweifel unterliegen. Mögen wir einer an sich e n d l i c h e n Zahl noch so viele endliche Zahlen hinzufügen: wir bleiben immer im E n d lichen, und kommen aus demselben n i m m e r heraus. Denn eine jede bestimmte Zahlenreihe, wie z. B. die Reihe 1, 2, 3, 4 u. s. w. ist und b l e i b t allewege eine e n d l i c h b e s t i m m t e Z a h l , und zwar ebensowohl in Bezug auf die Menge der einzelnen Zahlen, wie in Bezug auf die G e s a m m t h e i t aller einzelnen Z a h l e n w e r t h e. Eine angeblich „ u n e n d l i c h e Zahl" aber, von welcher man, als a l l e endlich bestimmte Zahlenwerthe gemeinsam in sich e i n s c h l i e s s e n d , mitunter wohl geträumt hat, ist und bleibt ein t o d t g e b o r n e r B e g r i f f , welcher bei genauerer Untersuchung nur als eine völlige Y e r i r r u n g des menschlichen Geistes sich entpuppen kann. Bereits Abistoteles hat darauf hingewiesen, dass eine jede wirkliche „ Z a h l " auch „ z ä h l b a r " seyn müsse (Abistoteles: Physik (Peaxtl) Buch III. Cap. 5. S. 125). Eine sogenannte „ u n e n d l i c h e Z a h l " aber würde, bis in alle Ewigkeit, nie und nimmermehr wirklich g e z ä h l t , d. h. deren Zählung niemals zu einem thatsächlichen E n d e gebracht werden können. Gleichzeitig müssen wir aber, gerade hier, auch noch eines Ausspruches von Friedrich K a r l Fresenius gedenken, durch

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welchen derselbe der bekannten Formel = 0, eine begriffliche B e d e u t u n g gegeben hat, welche mit der uns eben beschäftigenden Frage in u n m i t t e l b a r e r V e r b i n d u n g steht. „Je g r ö s s e r " — sagt er nämlich — „der N e n n e r eines B r u c h e s wird: desto n ä h e r kommt sein W e r t h der Null." (FBIEDK. KAEL FRESENIUS Physiol.: Grundlage d. Raumwissenschaft. S. 102). So e i n f a c h dieser Ausspruch sich auch ausnimmt: eine um so t i e f e r e B e d e u t u n g schliesst er in sich ein. Denn indem er e i n e r s e i t s uns die zuverlässigste G e w i s s h e i t darüber gibt, dass mit einer fortwährenden S t e i g e r u n g des inneren Z a h l e n w e r t h e s des N e n n e r s gleichzeitig das E n d e r g e b n i s s der betreffenden Rechnung in demselben Yerhältniss der N u l l sich immer mehr n ä h e r t : so ist doch, gleichzeitig damit, ein jeder Gedanke an die Möglichkeit, auf diesem Wege die N u l l , das N i c h t s , in Wirklichkeit jemals zu e r r e i c h e n , ein für allemal als eine b e g r i f f l i c h e U n m ö g l i c h k e i t vollgültig dargethan. Umgekehrt aber muss ein ganz v e r w a n d t e s Yerh ä l t n i s s stattfinden, wenn wir den N e n n e r , anstatt ihn fortwährend zu v e r g r ö s s e r n , im Gegentheil beständig verk l e i n e r n . Denn so wenig wir d o r t , bei fortgesetzter Verg r ö s s e r u n g , jemals das N i c h t s , die N u l l , zu erreichen vermögen: so wenig h i e r , durch fortwährende V e r k l e i n e r u n g , eine wirkliche und wahre U n e n d l i c h k e i t . Die Nutzanwendung auf die uns eben beschäftigende Frage liegt zu nahe, als dass wir noch näher darauf hinzuweisen brauchten. Befragen wir dagegen die L e h r b ü c h e r der allgemeinen Z a h l e n l e h r e : so fassen dieselben die g l e i c h e Frage aus einem ganz a n d e r e n G e s i c h t s p u n k t in das Auge. Dieselben sagen nicht nur, dass a l l e solche Zahlen, welche an sich schon eine M e h r h e i t von Einheiten ausdrücken, wie die Zahlen 2, 8, 4, 5 u. s. w., in sich t h e i l b a r seyen: sondern sie gehen auch noch um einen Schritt weiter. Sie lehren, dass selbst die Zahl „ E i n s " , ungeachtet dieselbe

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in der eigentlichen und wahren Bedeutung des Wortes, durchaus k e i n e n Begriff einer i n n e r e n V i e l h e i t in sich birgt, nichtsdestoweniger durch jede beliebige sonstige Zahl noch immer weiter und weiter sich müsse t h e i l e n lassen. Sehen wir jedoch genauer zu: so kann es nicht fehlen, dass auch mancherlei B e d e n k e n gegen diese Darstellungsweise in uns wachgerufen werden. Es findet nämlich hier, in Bezug auf die an sich wesenlosen Z a h l e n w e r t h e oder Z a h l e n g r ö s s e n ein ganz ähnliches Verhältniss statt, wie auch in Bezug auf alle an sich ebenso wesenlose R a u m g r ö s s e n . Auf dem P a p i e r , an der T a f e l , oder in unserer bloss g e i s t i g e n Ans c h a u u n g , lässt sich allerdings gar Manches sehr einl e u c h t e n d darstellen: ob dies Alles aber in g l e i c h e r Weise der Fall seyn muss auch in Bezug auf die w e s e n h a f t e N a t u r w i r k l i c h k e i t : dies ist eine a n d e r e F r a g e . Denn in dieser kommen noch ganz andere Verhältnisse mit in Betracht, auf welche im Allgemeinen weder die blosse R a u m und G r ö s s e n l e h r e noch die blosse Z a h l e n l e h r e Rücksicht zu nehmen haben. Namentlich und vor Allem müssen wir daher unser Augenmerk auf die natürlich - innerlichen W e s e n s b e s c h a f f e n h e i t e n hinrichten, wie solche allen k ö r p e r l i c h e n D i n g e n , je nach deren besonderen Wesensarten und je nach äusseren Umständen und Verhältnissen, allezeit n a t u r g e m ä s s z u k o m m e n . Nur wenn wir auch auf alle diese Beziehungen die gehörigen Rücksichten nehmen, sind wir vermögend ein r i c h t i g e s U r t h e i l auch darüber uns zu bilden, ob und inwieweit jene so vielfach behauptete u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t aller natürlich-endlichen K ö r p e r l i c h k e i t e n überhaupt jemals vernunftsgemäss möglich, sowie natur- und erfahrungsgemäss auch w i r k l i c h a u s f ü h r b a r seyn möge oder n i c h t ? Dies heisst aber mit anderen Worten: ob diese erfahrungsgemäss allerdings m ö g l i c h e Theilbarkeit nicht d e n n o c h , unausweichlichen V e r n u n f t g r ü n d e n zufolge, nur als bis zu gewissen von der N a t u r

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selbst innerlich gesetzten G r ä n z e n gehend, von uns müsse betrachtet werden? Werfen wir daher, im Hinblick auf diese beiden uns hier entgegentretenden Fragen, nochmals einen Blick zurück auf die Ergebnisse unserer, gerade auf die Ergründung dieser Verhältnisse hingerichteten Untersuchungen, und vergegenwärtigen wir uns dieselben in einem e i n h e i t l i c h e n G e s a m m t b i l d : so müssen wir eine jede Möglichkeit einer u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t irgend eines natürlichen und darum wesenhaften Daseyns mit aller Entschiedenheit v e r n e i n e n . Mit gleicher E n t s c h i e d e n h e i t , weil gleichfalls auf unantastbare V e r n u n f t g r ü n d e sich stützend, müssen wir dagegen f ü r jene entgegenstehende Anschauung uns aussprechen, nach welcher aller i n n e r l i c h e n T h e i l b a r k e i t von wesenhaft vorhandenen stofflich - körperlichen Massenb i l d u n g e n , zufolge ihrer i n n e r e n Zusammensetzung aus lauter in sich u n t h e i l b a r e n E i n z e l b e s t a n d t h e i l e n , innerlich ganz bestimmte n a t ü r l i c h e G r ä n z e n müssen g e s e t z t seyn, welche durch keine sonstige Gewalt jemals b e s e i t i g t oder überschritten werden können. In dem Gebiete des g e i s t i g e n D e n k e n s , so lehrt uns die Erfahrung, steht ein jeder einzelner Denker gewissermassen auf den S c h u l t e r n s e i n e r V o r g ä n g e r , deren Gedanken er in sich a u f n i m m t , sie selbständig weiter in sich v e r a r b e i t e t , um sie gewissermassen in einer n e u e n Ges t a l t seinen Nachfolgern zu noch immer w e i t e r und t i e f e r gehender Verarbeitung zu hinterlassen. Ubertragen wir diese an sich ganz allgemeine Betrachtung nunmehr auch noch im Besonderen auf PLATO: SO kann uns kaum der grosse Ums c h w u n g entgehen, welcher, namentlich auch in Bezug auf philosophische und naturwissenschaftliche Fragen, mit seinem Auftreten stattgefunden hat. Denn mit ihm, als einem Schüler von SOKBATES, hat gewissermassen eine ganz n e u e und noch immer t i e f e r gehende D e n k - und F o r s c h u n g s w e i s e sich Bahn gebrochen. Daher muss es auch, als von der Natur

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selbst uns vor Augen gestellten Verhältnissen entsprechend, sich darstellen, wenn PLATO, um eine g e s i c h e r t e G r u n d l a g e für seine weiteren Forschungen zu gewinnen, vor Allem damit begonnen hat, namentlich über das g e g e n s e i t i g e Wechselv e r h ä l t n i s s immer tiefere Einblicke zu gewinnen, in welchem erfahrungsgemäss die unserer s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g zugänglichen eigentlichen M a s s e n b i l d u n g e n einerseits, und die unserer sinnlichen Wahrnehmung unzugänglichen E i n z e l b e s t a n d t h e i l e dieser Letzteren anderseits, sich der Sache nach befinden möchten. Zu diesem Zweck musste es ihm aber vor Allem ein Anliegen seyn, über das nähere Yerhältniss in's Klare zu kommen, in welchem alle jene uranfänglichen E i n z e l b e s t a n d t h e i l e , in begrifflicher wie in naturgemässer Hinsicht, zu den durch diese in's Daseyn gestellten grösseren oder kleineren M a s s e n b i l d u n g e n allezeit sich befinden müssen. Die Beantwortung dieser Frage konnte für PLATO nicht ferne liegen. Denn es musste sofort einleuchten, dass, wenn jene stofflich-körperlichen E i n z e l b e s t a n d t h e i l e gleichzeitig auch als stofflich-körperliche Einzeldinge mussten betrachtet werden, auch die durch eine M e h r h e i t d e r s e l b e n gebildete Masse nur allein in der Bedeutung eines naturgesetzmässig gebildeten „ G a n z e n " könne in das Auge gefasst werden. Seine weiteren Untersuchungen in Bezug auf den eigentlichen B e g r i f f eines „ G a n z e n " beginnt PLATO nun damit, dass er, in seinem „Parmenides" (übersetzt von SCHLEIERMACHER) vor Allem einen tieferen Einblick in das besondere W e c h s e l v e r h ä l t n i s s zu gewinnen sucht, in welchem der Begriff des „ E i n s " , als Solchem, zu dem Begriff eines wirklichen „ G a n z e n " stehen möchte. So sagt PLATO im Hinblick auf diese Frage, ausdrücklich: „Ein „ G a n z e s " ist, was „ E i n s " i s t , und T h e i l e h a t " (PLATO übersetzt v. SCHLEIEBMACHER. Theil I. Band 2. S . 93). Dann weiterhin: „Von den T h e i l e n ist jeder »im G a n z e n « und k e i n e r ausserhalb des Ganzen" (S. 96). Und endlich:

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„ T h e i l e gibt es nur an dem, was »ein G a n z e s « ist; das G a n z e aber ist nothwendig ein » E i n s a u s V i e l e n « , dessen T h e i l e eben diese Theile s i n d " (S. 110). Diese Aussprüche müssen, schon in Folge der Einfachheit ihrer Darstellung, als in jeder Beziehung den vorhandenen Naturverhältnissen entsprechend von uns anerkannt werden. Wenn wir aber, fast unmittelbar darauf, einem weiteren Ausspruch von PLATO begegnen, in welchem derselbe ausdrücklich hervorhebt, „das e i g e n t l i c h e u n d w a h r e E i n s habe keine Theile" (S. 112): so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass von Seiten PLATO'S dem Begriff eines »Eins« hier eine ganz a n d e r e und t i e f e r gehende Bedeutung beigelegt seyn müsse, als dies in dessen bis hierher angeführten Aussprüchen der Fall gewesen ist. Wie und in welcher Weise — so müssen wir uns hier fragen — haben wir aber diese beiden einander scheinbar so widersprechenden Aussprüche PLATO'S uns zu deuten, um dieselben in Einklang mit einander zu setzen? Um diese Frage sachgemäss beantworten zu können, müssen wir jedoch zuvor noch einiger anderer Aussprüche von PLATO gedenken, welche näher zu berühren wir bis dahin noch nicht veranlasst gewesen sind, welche indessen wohl geeignet seyn dürften, uns auf einen zweckentsprechenden Weg hinzulenken zu einer befriedigenden Lösung der eben erwähnten Schwierigkeit. Die wenigen hier in Betracht kommenden Stellen aus PLATO finden sich in dessen „Parmenides", und lauten wie folgt: 1) S. 105, „Das „ E i n s " ist z u e r s t geworden unter Allem, was Z a h l ist (d. h. was überhaupt irgend eine Mehrheit in sich einschliesst)." 2. S. 112: „Das eigentliche und w a h r e » E i n s « h a t k e i n e T h e i l e . " Und 3) S. 120: „Wenn » E i n s « n i c h t ist (d. h. wenn es überhaupt keine natürliche Wesenseinheiten gibt): so i s t N i c h t s " (PLATO von SCHLEIERMACHER. Theil I. Bd. 2). Machen wir, nach diesen Andeutungen, nunmehr aber den Versuch, auch noch etwas t i e f e r in

Die Atome.

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eigentlichen Gedankengang einzudringen: so können wir wohl kaum im Zweifel bleiben über das eigentliche N a t u r v e r h ä l t n i s s , welches PLATO, in Bezug auf die oben erwähnten Aussprüche, dürfte vor Augen geschwebt haben. Denn sehen wir genauer zu: so kann uns unmöglich entgehen, dass nur ein e i n z i g e s N a t u r v e r h ä l t n i s s es seyn kann, auf welches eben jene d r e i A u s s p r ü c h e PLATO'S nicht nur ihre g e m e i n s a m e , sondern auch allezeit vollg ü l t i g e n a t u r g e m ä s s e A n w e n d u n g finden. Und eben dieses g e h e i m n i s s v o l l e E t w a s vermag, der Natur der Sache nach, kein A n d e r e s zu seyn oder darzustellen als nur allein Dasjenige, welches die heutige Wissenschaft als „ A t o m e " bezeichnet. Doch gehen wir nunmehr zu PLATO'S Freund, Schüler und Nachfolger über: zu ARISTOTELES. BRANDIS (Geschichte d. Entwick. d. griech. Philosophie I. S. 404 u. 405) hebt ausdrücklich hervor, ARISTOTELES habe auf der ihm von PLATO hinterlassenen Grundlage f o r t g e a r b e i t e t , jedoch ohne sich hierdurch abhalten zu lassen, selbständig auch s e i n e n eigenen Weg einzuschlagen, und in Folge dessen denn auch vielfach selbst ü b e r P L A T O h i n a u s zu gehen. Denn — fügt BRANDIS hinzu — unbeschadet seines Einverständnisses mit PLATO sey ARISTOTELES auch von der Uberzeugung durchdrungen gewesen, eine n e u e B a h n d e r F o r s c h u n g eröffnen zu sollen. Daher könne man auch behaupten, dass „PLATO und ARISTOTELES gegenseitig sich ergänzen mussten, um den vollen G e h a l t des philosophischen Geistes der Griechen auszuwirken, und demselben eine n a c h h a l t i g e E i n w i r k u n g auch auf die folgenden Jahrhunderte zu sichern." Was daher als G e g e n s a t z erscheint, ist w e c h s e l s e i t i g e E r g ä n z u n g (BRANDIS a. a. 0 . I . S. 3 8 7 . 405. 414). Für unseren Gedankengang liegt es jedoch in der Natur der Sache, in erster Linie mit denjenigen Aussprüchen von ARISTOTELES uns zu beschäftigen, welche irgendPLATO'S

208

D i e e i n z e l n e n s t o f f l i c h e n K ö r p e r t h e i l e als W e s e n s e i n h e i t e n

etc.

wie in einer näheren Beziehung auch zu dem Gegenstand unserer eigenen Untersuchungen stehen. Hat nun P L A T O seine wissenschaftlichen Forschungen gewissermassen mit einer Betrachtung über das gegenseitige W e c h s e l v e r h ä l t n i s s abgeschlossen, in welchem die Begriffe eines » G a n z e n « und eines wahrhaften » E i n s « , als Solchem, naturgemäss zu einander stehen möchten: so sehen wir nunmehr A R I S T O T E L E S die Darlegung seiner eigenen Geistesanschauungen mit den gleichen Gegenständen b e g i n n e n . Hierdurch bezeichnet sich A E I S T O T E L E S nicht allein ganz unverhohlen als den natürlichen E r b e n der von P L A T O bereits begonnenen Arbeit, sondern in Folge dessen fühlt er sich auch v e r p f l i c h t e t , dieselbe nunmehr von seiner Seite noch immer w e i t e r zu f ö r d e r n . So sagt er z. B. in seiner „Metaphysik" ( S C H L E I E R M A C H E R : Band IV. Buch Y. Cap. 26. S . 97): „Ein »Ganzes« wird Dasjenige genannt, dem K e i n e r der Theile f e h l t , aus denen das »Ganze« von Natur b e s t e h t . Und mit noch grösserem Rechte kann man Dasjenige »ein G a n z e s « nennen, was d u r c h die N a t u r , als was durch Kunst ein solches ist." Und ausserdem sagt A R I S T O T E L E S an einem späteren Ort (Buch X. Cap. 1. S. 163 u. 164): „Das »Eins« wird in vielfachen Bedeutungen ausgesagt. Man nennt nämlich »Eins« das von Natur Z u s a m m e n h ä n g e n d e . Ferner ist » E i n s « , und zwar in höherem Grade, das »Ganze« und Dasjenige, was eine gewisse G e s t a l t u n d F o r m hat, besonders wenn es von N a t u r ein Solches ist. Das » E i n e « ist also auf diese Weise ein » E i n s « oder ein »Ganzes«, das Andere aber durch die » E i n h e i t seines B e g r i f f s « . — Desgleichen ist das » E i n s « Dasjenige, dessen G e d a n k e ein e i n i g e r , d. h. ein u n t h e i l b a r e r ist. Ein u n t h e i l b a r e r G e d a n k e vom U n t h e i l b a r e n findet aber statt der F o r m oder der Z a h l nach. Der Z a h l n a c h u n t h e i l b a r ist das » E i n z e l n e « , der F o r m nach aber Dasjenige, was der E r k e n n t n i s s u n d der W i s s e n s c h a f t n a c h u n t h e i l b a r

Die Atome.

209

ist. Daher wird das »uranfängliche« (primitive) »Eins« Dasjenige seyn, welches für die einzelnen Wesenheiten (die Einzelsubstanzen) die »Ursache ihrer Einheit« ist. Deshalb ist auch das »Einsseyn« gleichbedeutend mit »ein U n t r e n n b a r e s seyn«. Und anderweitig (Buch X. Cap. 3. S. 168) spricht ARISTOTELES in Bezug auf den Begriff des „Eins" sich noch folgendennassen aus. „Das »Eins« und das »Viele« ist sich in mehreren Weisen entgegengesetzt. In einer Weise sind sich entgegengesetzt das » E i n s « und die » M e n g e « , nämlich als » U n t h e i l b a r e s « und als »Theilbares«. Denn das Getheilte oder Theilbare wird eine »Menge« genannt, das Untheilbare oder nicht Get h e i l t e aber »Eins«". Dagegen bezeichnet ARISTOTELES den Begriff der „Zahl" als den einer durch „Eins" messbaren „Menge" (Buch X. Cap. 6. S. 175). Doch gehen wir nunmehr, von dem Begriff des „Eins" auch noch über auf den damit nahe verwandten Begriff der „Substanz", als der natürlich - einheitlichen Vertreterin der gesammten inneren Wesenheit der Dinge. ARISTOTELES spricht über diesen Punkt dahin sich aus, dass „nur Dasjenige »Substanz« ist, was durch die Natur besteht, und demzufolge auch der Natur gemäss ist" (Metaphysik Band IV. Buch VII. Cap. 17. S . 138. SCHWEGLER); und an einem anderen Ort (Cap. 13. S. 131): „Was E i n e Substanz hat, hat auch Einen Beg r i f f , und ist s e l b e r E i n s . " Und ebenso an einer anderen Stelle (Cap. 6. S. 115. 116): „Ein Jegliches scheint nichts Anderes zu seyn, als sein (eigenes) Wesen, und der »Begriff« ist das »Wesen« eines Jeden. Denn Wissenschaft von einem Ding findet dann statt, wenn wir seinen Begriff erkannt haben." Und somit ist es auch ganz dieser Grundanschauung gemäss, wenn ARISTOTELES (Buch XI. Cap. 1. S. 180) „die Weisheit" als eine „Wissenschaft der letzten Gründe" bezeichnet hat. Von eben diesem Standpunkt aus kann es uns daher nicht Wunder nehmen, wenn ARISTOTELES Wandersmann. I.

14

210

D i e einzelnen stofflichen Körpertheile ala Wesenseinheiten etc.

sich schliesslich zu der Frage hingedrängt fühlte: „Wie könnte auch O r d n u n g stattfinden, gäbe es nicht ein E w i g e s , ein F ü r s i c h b e s t e h e n d e s und B l e i b e n d e s ? " (Buch X I . Gap. 2. S. 183.) Nach einem solchen Ausspruch sollte es freilich scheinen, es sey ARISTOTELES, gleichzeitig hiermit, auch in seinem Innern bis zur Pforte einer richtigen Erkenntniss auch des tiefinnerlichen und allein wahren U r g r u n d e s aller Dinge vorgedrungen. Da er jedoch, in Folge seines von ihm eingenommenen persönlichen Standpunktes, glaubte, dieses an sich „ E w i g e " und „ B l e i b e n d e " nur innerhalb des Gebietes des s i n n l i c h W a h r n e h m b a r e n suchen zu dürfen: so musste seinem forschenden Geiste allerdings ein jeder tiefere Einblick in das von Weitem von ihm geahnte unendliche und e w i g e S e y n verschlossen bleiben. Und somit dürfen wir wohl in diesen Verhältnissen den tieferen Grund erblicken auch zu jenem Ausspruch SCHWEGLER'S, dass „mit ARISTOTELES die schöpferische Kraft der griechischen Philosophie sich a u s g e l e b t habe, gleichzeitig mit dem allgemeinen Zerfall des griechischen Geistes und Lebens" (SCHWEGLER: Geschichte d. Philosophie im Umriss. S . 84). Nach diesem Allem dürfte es nunmehr aber an der Zeit seyn, uns noch etwas näher bekannt und vertraut zu machen auch mit den verschiedenen A u s d r u c k s w e i s e n , durch welche, PLATO sowohl wie ARISTOTELES, die mannigfachen A r t e n von „ E i n h e i t e n " , welche sie aufstellten, wechselseitig von einander zu unterscheiden pflegten. Dieselben sind theils mehr oder weniger v e r w a n d t , theils haben sie die Bedeutung von G e g e n s ä t z e n . Zu den Ersteren gehört vor Allem der Begriff des „eigentlichen und wahren E i n s , d a s k e i n e T h e i l e h a t , " und welches anderwärts wohl auch als „ E i n s an s i c h " , als „ E i n h e i t an s i c h " , oder kurzweg auch nur als „das E i n z e l n e " sich bezeichnet findet (PLATO, SCHLEIERMACHEK. Theil I. Band 2. S . 112 u. 110, sowie ARISTOTELES „Physik". Buch 1. Cap. 3. S. 19 [PRANTL]).

211

Die Atome.

Ausserdem spricht ARISTOTELES (Physik. Buch I. Cap, 9. S. 49 [PBANTL])

auch

noch

von Solchen,

welche von einem „der

Z a h l nach s u b s t a n z i e l l e n d. h. w e s e n h a f t e n E i n s " redeten,

welches,

Grunde wahren, aber,

nach

ihrer

liegen weil

nach

Meinung, . . „ a l l e m

müsse".

Diesen

allein

innerlich-wesenhaften PLATO,

begrifflich

wie

Anderen wirklichen

Einheiten

wesenhaft

zu und

stehen

gegenüber:

das „ V i e l e " , das „ G e s a m m t e " , das „ G a n z e " , oder wie man sich

auch

ausdrückt,

das

„Eins

aus

Vielem"

oder

das

„ E i n s als G a n z e s " (PLATO, SCHLEIEBMACHEB Theil I. Band 2, S. 110), sowie als „ E i n s - s e y n des G e s a m m t e n " (ABISTOTELES: Physik, Buch I. Cap. 3. S. 23). die

Anderen

Unter die E i n e n

oder

der hier erwähnten und unterschiedenen

Be-

griffsbestimmungen müssen nothwendig alle Dinge und Wesenheiten dieser Welt sich sachgemäss einordnen lassen.

Nichts-

destoweniger haben wir aber hier auch noch einiger anderer Arten von „ E i n h e i t e n " zu gedenken, deren ABISTOTELES in seiner

„Metaphysik",

erwähnt.

Band IV.

Buch X .

Cap. 1.

S. 163

„Man nennt » E i n s « " — sagt derselbe hier •— „das

Zusammenhängende,

und

zwar

vorzugsweise

das

von

N a t u r und n i c h t durch blosse B e r ü h r u n g oder Zusammenbindung

Zusammenhängende.

Ferner

ist

aber,

in

noch

h ö h e r e m G r a d e , » E i n s « das » G a n z e « und Dasjenige, was eine gewisse G e s t a l t von N a t u r Grund

und F o r m

ein Solches ist,

seines

hat, b e s o n d e r s

und also in sich

Zusammenhanges

trägt."

wenn es

selbst

Welche

den

andere

Naturgestaltungen möchten ABISTOTELES aber hier im Geiste vorgeschwebt

haben,

denn

allein

nur jene

so

wunderbar

schönen und regelmässigen G e s t a l t u n g e n des u n t e r s t e n der drei Naturreiche: die

Natur

die

selbst

„Krystalle"?

alle

die

ABISTOTELES an sein „ G a n z e s " , Zusammenhanges hat.

Denn in

Bedingungen

diesen

erfüllt,

welches den Grund

hat

welche seines

allein nur in sich selbst trägt, gestellt

Indessen dürfen wir, in Bezug auf den oben erwähnten 14*

212

DIE einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

Ausspruch von ARISTOTELES, es nicht übersehen, dass er, im Gegensatz zu dem „Ganzen", welchem eine gewisse Gestalt und Form von Natur zukommt, doch beiläufig auch noch auf eine andere Art von „Ganzem" anspielt, welche ihre äussere Gestalt und Form nicht der Natur, sondern im Gegentheil äusserer Gewalt zu verdanken hat. Wohl gibt es heftige Naturgewalten, wie z. B. vulkanische Ausbrüche und Erdbeben, welche ihrer gesammten Umgebung fast in einem Augenblick ein ganz verändertes Aussehen zu geben vermögen. Ob aber ARISTOTELES gerade hier an derartige Ereignisse möchte gedacht haben: dazu fehlt uns ein jeder nähere Anhalt. Dagegen sagt ARISTOTELES in seiner „Metaphysik" (Buch X . Cap. 1. S . 1 6 3 , SCHWEGLER): „Ferner ist »Eins« Dasjenige, was eine gewisse Gestalt und Form hat, (und zwar) besonders, wenn es von Natur ein solches ist, und n i c h t durch Gewalt". Ausdrücklich unterscheidet ARISTOTELES also hier zwischen einem solchen „Eins", welchem eine bestimmte Form und Gestalt von Natur zukommt, und einem solchen, welchem seine „Einheit" nicht von Natur zukommt, sondern im Gegentheil nur durch eine ihm fremde äussere Gewalt. BRANDIS sagt, mit namentlicher Bezugnahme auf Buch X der Metaphysik, „es sey nachgewiesen, dass dieselbe kein nach einem bestimmten Plan entworfenes Werk sey (BRANDIS: Geschichte der griech. Phil. 1. S. 397). Um so mehr möchten wir daher, nach diesem Allem, unsere eigene Yermuthung dahin aussprechen, dass ARISTOTELES, an dem angeführten Ort, nicht sowohl wirkliche Erzeugnisse der Natur dürften im Geiste vorgeschwebt haben, als vielmehr gewisse Erzeugnisse der Kunst, welche, wie beispielsweise unsere Münzen, ihre gesammte äussere Gestaltung in keiner Weise eigenen inneren Gestaltungsk r ä f t e n zu verdanken haben, als vielmehr nur allein künstlichen Anwendungen von ihnen völlig fremden äusserlichen Gewalten. — In Frankreich besass man früher

Die Atome.

2.13

a u s g e p r ä g t e Goldmünzen im Werthe von 100 und von 50 Franken. Im Ausseren stellte allerdings eine jede derselben eine nicht zu verkennende E i n h e i t dar, aber i n n e r l i c h mussten sie nothwendig eine für uns völlig unbestimmbare A n z a h l von einzelnen Goldtheilchen in sich einschliessen. Aus diesem Grund vermag aber auch ein jedes von jenen Goldstücken allewege nur eine bloss äusserliche und darum auch nur trügerische E i n h e i t darzustellen. Aber ausserdem haben wir zu diesen bloss t r ü g e r i s c h e n E i n heiten auch noch alle jene an sich nur rein b e g r i f f l i c h e n E i n h e i t e n zu zählen, wie die Begriffe von 1 Dutzend, 1 Hundert, .1 Malter, 1 Pfund, 1 Centner u. s. w. Sie alle bestehen als „Einheiten" nur allein in unserer menschlichen Einbildung: die Naturwirklichkeit hat von derartigen nur willkürlich für andere Zwecke von uns ersonnenen und darum falschen E i n h e i t e n nicht die geringste Kenntniss. So wenig aber, um wieder zu unserem vorigen Beispiel zurückzukehren, als 99 oder 101 Franken, als Solche, jemals dem wirklichen Geldwerth eines H u n d e r t f r a n k s t ü c k e s in Gold gleichkommen: ebenso wenig können 11 oder 13 Eier jemals ein wirkliches „Dutzend" darstellen. Dasselbe Verhältniss also, welches wir dorten, in Bezug auf Geld- und Zahlenwerthe, vor Augen hatten, finden wir hier im zweiten Fall vertreten durch den Begriff der zählbaren Menge. Machen wir nunmehr aber den Versuch, diese soeben gewonnenen begrifflichen Verhältnisse auf den eigentlichen Gegenstand unserer gegenwärtigen Untersuchungen zu übertragen: welche Lehre dürfen wir für denselben daraus ziehen? Sollten wir in jenen an sich rein s i n n b i l d l i c h e n Beispielen nicht eine weitere B e s t ä t i g u n g erblicken dürfen für jenen alten Wahrheitssatz, nach welchem keine stofflichkörperliche Masse jemals in eine noch grössere Anzahl von an sich untheilbaren wesenhaften E i n h e i t e n wirklich theilbar seyn kann, als nur bis zu derjenigen, aus welcher

•214

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

die betreffende Masse innerlich thatsächlich gebildet und zusammengesetzt ist? Um keine mehr und um keine weniger. — Doch kehren wir, nach dem Bisherigen, nunmehr nochmals zu PLATO zurück, um auch noch eines anderen Ausspruches desselben zu gedenken, welchen wir bis dahin nicht näher besprochen haben, und welcher von dem näheren Verhältüiss handelt, in welchem die beiden Begriffe von „Eins" und von „Seyn" gegenseitig zu einander stehen. Die betreffende Stelle lautet wörtlich: „Das E i n s , sagen wir, habe Seyn an sich, weil es ist." Und weiterhin fügt PLATO noch hinzu: „Ist nun das E i n s etwas anderes, und das Seyn etwas anderes, so ist, weder vermöge des Einsseyns, das E i n s von dem Seyn verschieden, noch vermöge des Seyns, das Seyn von dem E i n s " (PLATO: SOHLETEBMACHEB, Theil I. Band 2. S. 93, 94 [PARMENIDES). Im ersten Augenblick bringt dieser Ausspruch ein so dunkles und orakelartiges Gepräge uns entgegen, dass wir in der That uns erst fragen müssen, von welchem Gesichtspunkt aus wir denselben dürften in das Auge zu fassen haben, um einen befriedigenden E i n b l i c k in dessen eigentliche B e d e u t u n g uns zu erschliessen. Nun will es aber, bei der kurzen und bündigen Abfassung dieses kleinen Satzes, uns mehr und mehr den Eindruck machen, als dürfe derselbe nur in dem Sinn von uns verstanden werden, dass eine jede in sich selber vollkommen e i n h e i t l i c h e W e s e n h e i t den natürlichen Grund ihres ganzen Wesens und Daseyns nur allein in sich selber könne naturgemäss zu suchen und zu finden haben. Und wie in solcher Weise ein jedes natürliche Einzeldaseyn seinen thatsächlichen Seynsgrund nur allein in sich selbst besitzen kann: so gleichzeitig auch den hiermit in untrennbarer Verbindung stehenden geistigen Grundbegriff seines gesammten Wesens. Auch hier vermöchte somit das Eine nicht zu seyn ohne das Andere. Und somit hätten wir gleichzeitig, wenn auch auf einigen Umwegen, einen geistigen Stand-

D i e Atome.

215

punkt gewonnen, von welchem aus wir nunmehr jenem kürzer gefassten Ausspruch von PLATO nur b e i p f l i c h t e n können. Und dieses zwar um so mehr, als wir in ihm gleichzeitig auch noch eine weitere B ü r g s c h a f t dafür erblicken dürfen, dass nur allein jene allewege in sich s e l b e r vollkommen e i n h e i t l i c h e n und darum auch in sich selber völlig ü n t h e i l b a r e n U r e i n h e i t e n der N a t u r , die „ A t o m e " als die alleinigen w e s e n h a f t e n V e r t r e t e r eben dieser allgemeinen inneren W e s e n s e i n h e i t innerhalb der gesammten Naturwirklichkeit dürfen betrachtet werden. Wir verlassen nunmehr die altgriechische Philosophie, um späteren Denkern uns zuzuwenden, indem wir mit dem römischen Dichter LUCRETIUS CASUS beginnen. Dessen Lehrgedicht über die „ N a t u r der D i n g e " hat VON K N E B E L , im gleichen Yersmaass, aus dem Lateinischen in's Deutsche übersetzt. »Von dem Leben des Dichters" — sagt K N E B E L in seiner Vorrede — „weiss man nur wenig. Er war von edeln Altern geboren und aus altem Geschlecht; nicht lange vor den Zeiten des Cicero und des Virgil. Der Beiname CABUS, d. h. der » G e l i e b t e « ist ihm (um seiner allseitigen Beliebtheit willen) allgemein beigelegt worden." Das Lehrgedicht selbst lautet wie folgt: „Da ein ä u s s e r s t e r P u n k t in jeglichem Körper da ist, den mit dem Auge wir keineswegs erfassen: so muss u n t h e i l b a r er seyn, das K l e i n s t e s e i n e r N a t u r nach. Niemals hat er b e s o n d e r s f ü r sich als Körper bestanden, kann auch nie so bestehen: er ist ja selber des Anderen e r s t e r und l e t z t e r Theil. Es reihen dann ä h n l i c h e T h e i l c h e n ' Eins an das Andere sich an, und füllen zusammen, in E i n e n d i c h t e n H a u f e n g e d r ä n g t , des Körpers ganze Natur aus. Da nun diese für sich n i c h t können bestehen: so müssen f e s t sie zusammenhangen, dass nichts von einander sie losreisst. E i n f a c h d i c h t e r N a t u r sind also die e r s t e n der K ö r p e r ; hängen, dichte gedrängt, in den k l e i n s t e n T h e i l e n z u s a m m e n ; n i c h t durch Zu-

216

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

sammenkunft fremdartiger Theile verbunden, sondern vielmehr durch die Kraft des ewig einfachen Wesens; nichts lässt je die Natur abstreifen von ihnen, noch mindern, sondern bewahrt sie vielmehr zu ewigen Samen der Dinge. — Nähme man übrigens nicht ein Kleinstes an, so bestände j e g l i c h e r Körper, so klein er auch ist, aus unendlichen Theilen. Immer liesse die Hälfte sich wiederum theilen zur Hälfte, in's U n e n d l i c h e fort, und nichts setzte Schranken den Dingen. Wäre dann Unterschied, vom kleinsten Dinge zum grössten? Keiner fürwahr; denn obschon die Summe der sämmtlichen Dinge selber unendlich ist: so würde das k l e i n s t e D i n g doch, gleich dem Gesammten selbst, aus unendlichen T h e i l e n bestehen. Aber dagegen sträubt sich Vernunft, und verweigert den Glauben zuzusagen: du musst daher, durch Gründe besieget, eingestehen, dass es D i n g e gibt, die nicht mit Theilen begabt sind, und von der kleinsten Natur" (S. 51 u. 53 Erstes Buch). — Wir gehen nunmehr, um bei einem sehr verwandten Gedankengang zu bleiben, über zu GIOEDANO BBUNO. TIEDEMANN spricht über dessen Auffassung sich folgendermassen aus: „BBUNO behauptet, es gebe ein Kleinstes, ein Minimum, erklärt •sich aber mit solcher Unbestimmtheit darüber, dass man nur mit Mühe seine Meinung aus mehreren Stellen zusammenlesen kann. Im Allgemeinen ist ihm dieses »Kleinste« Etwas, das nicht kleiner seyn und nicht weiter g e t h e i l t kann werden, und welches, ohne wieder Theile zu haben, selber Theil ist. In der Ausdehnung ist es der »Punkt«, in den Körpern das »Atom«, und in den Zahlen die »Einheit«. Schon hieraus lässt sich vermuthen, dass sein »Kleinstes« nicht überall Ein und Dasselbe ist, und dies bestimmt er noch deutlicher in folgender Weise. Es gibt, sagt er, verschiedene Gattungen des Kleinsten: ein Kleinstes der F e s t i g k e i t nach, welches das »Atom«, d. h. der ursprüngliche Körper ist, welchem, wie B R U N O weiterhin

Die Atome.

217

sagt, K r e i s g e s t a l t (oder vielmehr »Kugelgestalt«) zukommt. Und dann ein Kleinstes der F l ä c h e , welches der Punkt ist. Dass BKUNO das »Einfache« als wirklich betrachtete, wird aus seinen B e w e i s e n sich deutlicher ergeben. Dies ist nun seines Systems Hauptgrund und zugleich die Vereinbarung der pythagoräischen und demokritischen Grundsätze. Atome — sagt er ausdrücklich — sind so gut einfache Dinge wie auch Punkte und Einheiten: beide sind gleich gut untheilbar, aber dennoch verschiedenartig. Die Ersteren gehören nur den Körpern an, die Letzteren den F l ä c h e n und der Raum- und Grössenlehre (der Mathematik). Der Beweis dieser Behauptung ist: wie keine Zahl ist, wo keine Einheit, so kann auch von anderen Dingen nichts bestehen, wenn nichts Kleinstes, d. h. E i n f a c h e s sich vorfindet. Gegenstände der Natur und Kunst werden durch Z u s a m m e n s e t z u n g und A u f l ö s u n g aus dem »Kleinsten« hervorgebracht und in das Kleinste zurückgeführt. In der w i s s e n s c h a f t l i c h e n Forschung (der Spekulation), soll sie anders der Natur auf dem Fusse folgen, muss daher vom Kleinsten, d. h. E i n f a c h s t e n ausgegangen werden: ein Ausspruch, zu welchem TIEDEMANN die weitere Bemerkung hinzufügt, dass derselbe (für seine Zeit) nicht allein neu, sondern auch sehr -tiefgehend sey" (TIEDEMANN a. a. 0. V. S. 574 bis 576). — In Bezug auf das gegenseitige Verhältniss, in welchem die Begriffe von „Einheit" und von „Vielheit" zu einander stehen, sagt PBOKLUS: „Wo V i e l h e i t ist, da muss E i n h e i t vorher angenommen werden, weil ohne E i n h e i t auch keine Vielheit denkbar ist. Diese aller Vielheit vorangehende E i n h e i t muss rein, d. h. mit keiner Mehrheit vermischt seyn, weil sonst immer wieder Vielheit, ohne Ausnahme, zum Vorschein kommt. Dieser Schluss beweist, dass Einheit eher als die Vielheit muss gedacht werden, und dass vor allen zusammengesetzten Vielheiten die Einheit vorangehen muss" (TtEDEMAim III.

218

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

S. 526). — Und ähnlich sagt BOETHIUS: „Was ein D i n g ist, ist E i n s , und was E i n s ist, ist ein D i n g " (TIEDEMANN III. S. 553). N o . 53. Unmöglichkeit wirklicher Theilbarkeit bei innerlich ununterbrochen und stetig zusammenhängender Wesensgleichheit und völliger Wesenseinheit. Haben wir uns im Bisherigen einerseits mit denjenigen E i n w e n d u n g e n beschäftigt, welche gegen die thatsächliche Notwendigkeit von u n t h e i l b a r e n stofflich-körperlichen E i n z e l w e s e n pflegen erhoben zu werden, sowie a n d e r s e i t s mit deren eingehender W i d e r l e g u n g und Z u r ü c k w e i s u n g : so haben wir nunmehr unser Augenmerk einer a n d e r e n und mit der unsrigen gleich u n v e r e i n b a r e n Anschauung zuzuwenden. Es ist dies die vielverbreitete Annahme, dass a l l e k ö r p e r l i c h e n Massen, selbst die grössten, sobald sie innerlich von s t o f f l i c h - g l e i c h e r A r t sind, auch allewege nur E i n e in sich völlig g l e i c h e und allenthalben u n u n t e r b r o c h e n und s t e t i g in sich v e r l a u f e n d e , in Folge dessen aber auch in sich völlig u n g e t h e i l t e und u n z e r t h e i l b a r e e i n z i g e i n n e r e W e s e n s e i n h e i t bilden. Bevor wir jedoch im Näheren auf diesen Gegenstand eingehen, dürfte es hier am Orte seyn, auch noch einige andere Anschauungen in Betracht zu ziehen, welche mit unserer gegenwärtigen Frage zwar in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen, welche aber doch Gelegenheit bieten könnten, zu t i e f e r e n E i n b l i c k e n auch in noch andere Verhältnisse, deren immer r i c h t i g e r e E r k e n n t n i s s förderlich seyn dürfte auch für den eigentlichen Gegenstand unserer jetzigen Untersuchung. Eine endlich bisherigen endliche

in sich u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t von an sich bestimmten Körperlichkeiten würde, nach unseren Darlegungen, mit Eecht eine ganz ebenso u n A n z a h l von Einzelbestandtheilen verlangen, aus

Die Atome.

21Ö

deren naturgemässen V e r b i n d u n g e n und wechselseitigen Aneinanderlagerungen alle in sich endliche Körperlichkeiten oder körperliche Massen nothwendig z u s a m m e n g e s e t z t seyn müssen, wenn von einer wirklichen T h e i l b a r k e i t derselben überhaupt jemals die Rede seyn soll. Um jedoch dem inneren W i d e r s p r u c h zu entgehen, an welchem eine derartige Anschauung nothwendig zu leiden hat, ist man, wie wir gesehen, auf den Gedanken gekommen, jene ersten und letzten U r e i n h e i t e n der N a t u r , aus denen alle sinnl i c h - w a h r n e h m b a r e n K ö r p e r l i c h k e i t e n innerlich zus a m m e n g e s e t z t seyn müssen, geradezu für völlig r a u m und wesenlose P u n k t e zu erklären. In derselben Weise und aus dem gleichen Grunde, aus welchem wir n i e m a l s im Stande seyn können, selbst auf dem Wege einer ohne A u f h ö r e n fortgesetzten T h e i l u n g wesenhaft vorhandener körperlichen Grössen jemals bis zu diesen wesenlosen P u n k t e n vorzudringen: ganz ebensowenig kann, umgekehrt, eine w e s e n h a f t v o r h a n d e n e körperliche G r ö s s e jemals aus wirklichen P u n k t e n , d. h. aus lauter „ N i c h t s e n " gebildet oder z u s a m m e n g e s e t z t seyn. Denn „ N i c h t s bleibt N i c h t s " , auch wenn man dasselbe noch so u n e n d l i c h m a l mit sich selber v e r v i e l f ä l t i g e n wollte. Der wissenschaftlich-sinnbildliche Ausdruck für dieses Yerhältniss lautet: oo X 0 = 0, eine F o r m e l , deren innere Bedeutung unmöglich verkannt werden kann. Denn dieselbe sagt nichts Anderes, als dass aus noch so vielen Punkten oder wesenlosen Nichtsen ein wirklich w e s e n h a f t e s „ E t w a s " nimmermehr hervorzugehen im Stande ist. Und somit kann es auch nicht wundern, wenn man schliesslich dem Gedanken Raum gegeben hat, jene w e s e n l o s e n P u n k t e nicht sowohl in ihrer wahren Bedeutung als reine N i c h t s e in das Auge zu fassen, als vielmehr aus dem Gesichtspunkt von natürlichen „ K r a f t p u n k t e n " , d. h. von uranfänglichen S i t z e n oder Mittelpunkten von wirklichen w e s e n b i l d e n d e n N a t u r -

220

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

k r ä f t e n . Auch dieser Anschauung näher zu treten, wird daher nunmehr unsere Aufgabe seyn. Bereits an einem früheren Orte (I. § 5. No. 16) haben wir darauf hingewiesen, dass jedem wirklich bestehenden Naturding, es mag so gross oder so klein seyn, oder eine so h o h e oder so n i e d e r e S t e l l u n g innerhalb des allgemeinen Weltganzen einnehmen, als es wolle, nothwendig irgend welche ihm e i g e n t ü m l i c h angehörige und innerlich untrennbar mit ihm verbundene „Kraft des Daseyns" zukommen müsse, deren natürlicher innerlicher Wirksamkeit es sowohl sein Daseyn, wie auch seinen Bestand in demselben zu verdanken hat. Soll einem solchen Naturding aber auch irgend eine bestimmte räumliche Grösse oder stofflich-körperliche Ausdehnung in Wirklichkeit zukommen: dann muss diese innerlich in ihm wirksame Daseynskraft auch als eine allezeit S t o f f - , Raum- und W e s e n - b i l d e n d e Kraft von uns in das Auge gefasst werden. In eben dieser Hinsicht haben wir jedoch z w e i Fälle, als gleichmöglich, zu berücksichtigen. Denn einerseits könnte der U r - u n d G r u n d s i t z einer derartigen Wesen und Daseyn bildenden Kraft nur in einem E i n z i g e n P u n k t innerhalb der durch ihre W i r k s a m k e i t in das Daseyn gestellten Körperlichkeit sich befinden, und dieser einzige Punkt könnte in solchem Fall kein anderer seyn, als allein der natürliche M i t t e l p u n k t dieser Körperlichkeit. Anderseits könnte es aber auch der Fall seyn, dass innerhalb einer und derselben wesenhaften Körperlichkeit irgend eine Mehrheit von solchen Kraftpunkten sich befände, aus deren gemeinsamem Zusammenwirken die betreffende Körperlichkeit naturgemäss hervorzugehen hätte. Der erste dieser beiden Fälle würde seine Geltung haben für jene in sich untheilbaren ersten und l e t z t e n Ur- und Grundbestandtheile, aus welchen, nach unseren bisherigen Darlegungen, alle eigentlichen körperlichen Massen

Die Atome.

221

nothwendig gebildet und zusammengesetzt seyn müssen. gegen

dürfte der zweite

Fall

Da-

gerade auf diejenigen Ver-

hältnisse sich beziehen, welche wir nunmehr vorzugsweise in das Auge

zu fassen haben.

Für

beide

Fälle

machen

folgende Sätze auf gleichmässige Geltung Anspruch.

Würde

jenen Wesen und Daseyn bildenden natürlichen Ur- und G r u n d k r ä f t e n , als an bestimmte Ursitze oder in sich völlig einheitliche K r a f t p u n k t e gefesselt, nicht gleichzeitig auch, von Uranfang an, ein ganz bestimmtes Vermögen zukommen, in ihren W i r k s a m k e i t e n aus diesen ihren an sich raumlosen

Ursitzen heraus und damit g l e i c h z e i t i g gewisser-

massen auch

über

sich

vermöchte auch nicht seyn,

als

wirklich

ein thatsächliches

wesenhaften

gelangen.

selber

hinaus zu treten: dann

das allergeringste wesenhafte „Etwas",

Erscheinung

jemals

bildenden

Urkräfte

Daeiner

und Darstellung

Dass ein solches H e r a u s t r e t e n

und Daseyn

zu

über ihre

zu

jener Wesen eigenen

Ur-

sitze hinaus aber nur ein der natürlichen Beschränktheit jener Grundkräfte entsprechendes seyn kann, dies liegt in der Natur

der ' gesammten Verhältnisse:

Annahme würde einem Widerspruch zu achten seyn.

eine jede

andere

in sich selber gleich

In welchen Entfernungen von ihren Ur-

sitzen

aber

die

unmittelbaren

Wirksamkeiten

Kräfte

ihr thatsächliches Ziel und Ende,

damit

jener gleich-

z e i t i g aber auch die durch diese Letzteren in das Daseyn gestellten

Wesenheiten

selber

ihren

räumlich - körper-

lichen Abschluss finden: dies kann, in erster Linie, wohl nur von

dem

besonderen Kraftmaass

abhängen,

welches

— wie auch ULBICI solches ausdrücklich hervorhebt — einem jeden in sich selbständigen Naturdaseyn, je nach dessen besonderer Wesensart, kommen

m u s s,

nothwendig

und welches daher

von

Uranfang

auch von

an zukeinem

Naturwesen jemals kann überschritten werden (ULBICI: G. U. Natur, S. 425).

222

Die einzelnen stofflichen Körpertheile ala Wesenseinheiten etc.

Doch wenden wir nunmehr, von unserem im Bisherigen gewonnenen Standpunkt aus, unsere Aufmerksamkeit jenen besonderen Verhältnissen zu, welche in u n m i t t e l b a r e r Bez i e h u n g stehen mit jener angeblich u n b e d i n g t e n Wesenss t e t i g k e i t u n d W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t aller solcher körperlicher Massen, welche als innerlich von völlig g l e i c h e r W e s e n s a r t dürfen betrachtet werden. Wie bereits angedeutet, sind wir jedoch k a u m im Stande, jene Verhältnisse auf einem a n d e r e n Wege geistig uns zu vergegenwärtigen, als unter der A n n a h m e , dass alle im I n n e r e n einer solchen in sich s t e t i g v e r l a u f e n d e n K ö r p e r l i c h k e i t nur irgend wie denkbar möglichen P u n k t e als ebenso e n d l i c h - b e s c h r ä n k t e K r a f t p u n k t e müssen in das Auge gefasst werden, wie solches auch der Fall ist in Bezug auf jene sehr verw a n d t e n K r a f t p u n k t e , welche wir bereits als die eigentlichen und allewege t h a t k r ä f t i g e n natürlichen B e g r ü n d e r jener an sich allein wahrhaft u n t h e i l b a r e n s t o f f l i c h k ö r p e r l i c h e n W e s e n s e i n h e i t e n kennen gelernt haben, welche allgemein als „ A t o m e " pflegen bezeichnet zu werden. Schon in Folge der sprachlichen Bedeutung des Wortes „Atom", als eines in sich völlig „ U n z e r s c h n e i d b a r e n " , und darum auch in sich unter allen Umständen v o l l g ü l t i g U n t h e i l b a r e n , dürfte, namentlich auch in Bezug auf unsere gegenwärtige Frage, der Begriff des „ A t o m s " als ein, auch in sprachlicher Hinsicht, den K e r n der S a c h e treffend bezeichnendes U n t e r s c h e i d u n g s m i t t e l zwischen ä c h t e r und bloss t r ü g e r i s c h e r W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t allezeit im Auge zu behalten seyn. Nun können aber wirkliche P u n k t e nimmermehr wechselseitig sich b e r ü h r e n , und es müssen demnach in unserer g e i s t i g e n Anschauung allezeit ganz b e s t i m m t e , wenn auch noch so verschwindend k l e i n e Entfernungen oder A b s t ä n d e von uns f e s t g e h a l t e n werden: ein Verhältniss, welches ebensosehr seine Geltung haben muss in Bezug auf bloss g e d a c h t e und folglich in sich k r a f t -

Die Atome.

223

lose P u n k t e , wie auch in Bezug auf jene n a t ü r l i c h e n K r a f t p u n k t e , mit denen wir uns eben beschäftigen. Sind nun i n n e r h a l b des Bereiches irgend einer bestimmten Mehrheit von solchen vereinzelten K r a f t p u n k t e n die wechselseitigen Abstände, in welchen wir uns dieselben zu denken haben, von der Art, dass deren u n m i t t e l b a r e W i r k u n g s k r e i s e nirgends in irgend eine nähere B e r ü h r u n g mit einander zu treten vermögen: dann kann selbstverständlich von irgend einer ununterbrochen und stetig in sich verlaufenden inneren Wesenseinheit in keiner Weise je die Rede seyn. Soll aber nichtsdestoweniger an jener unbedingten W e s e n s s t e t i g k e i t unter allen Umständen f e s t g e h a l t e n werden: dann könnte dies jedenfalls nur unter der Voraussetzung geschehen, dass alle solche Punkte schon von U r a n f a n g an mit einem solchen K r a f t m a a s s ausgestattet sind, dass sie mit ihren besonderen Wirksamkeiten sich derartig wechselseitig zu vermengen und in einander ü b e r z u g r e i f e n im Stande sind, dass sie, in Folge dessen, auch allewege als in völlig u n t r e n n b a r e r Weise sich mit und unter einander v e r f l e c h t e n d , verwebend und verschmelzend betrachtet werden müssen. Dass unter solchen Verhältnissen aus den vereinigten Wirksamkeiten aller jener G r u n d k r ä f t e aber mit innerer Nothwendigkeit auch allewege nur völlig s t e t i g e und in sich u n t h e i l b a r e Wesenheiten hervorgehen können: dies scheint, wenigstens für eine bloss o b e r f l ä c h l i c h e Betrachtung, allerdings in der Natur der Sache zu liegen. Die wichtigste Frage hierbei ist jedoch die, ob und in wie weit die thatsächlichen E r f a h r u n g e n innerhalb der uns umgebenden N a t u r w i r k l i c h k e i t eine solche völlige U n t h e i l b a r k e i t sinnlich-wahrnehmbarer K ö r p e r l i c h k e i t e n , wenn nur durchweg von innerlich gleicher W e s e n s a r t , auch wirklich bestätigen. Dies ist aber keineswegs der Fall. Denn die Thatsachen, denen wir hierbei begegnen, zeigen sich allent-

224

D i e einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

halben wenig günstig für eine derartige innere Wesensu n t h e i l b a r k e i t von an sich thatsächlich endlich Gegebenem: selbst eine durchgängige innere Wesensgleichheit hinsichtlich der besonderen stofflichen Wesensarten zeigt sich ausser Stande, eine n a t ü r l i c h e T h e i l b a r k e i t aller unserer sinnlichen Wahrnehmung zugänglichen Dinge irgendwie zu widerlegen. Als eine in jeder Hinsicht v o l l g ü l t i g e Bestätigung hierfür müssen wir vor allem das in Bezug auf seine innere Beschaffenheit völlig reine und von allen fremden Beimischungen stets völlig frei befundene k a l i f o r n i s c h e Gold erwähnen. Denn ungeachtet seiner inneren R e i n h e i t und stofflichen Wesensgleichheit vermag dasselbe, vermittelst geeigneter Hülfsmittel, allezeit in immer k l e i n e r e und kleinere B r u c h s t ü c k e zertheilt zu werden. Wirklich und wahrhaft „ u n z e r l e g b a r " — sagte schon ABISTOTELES — würde nur ein thatsächlich „ U n b e g r ä n z t e s " seyn können, weil ein j e d e r Theil selbst wieder u n b e g r ä n z t seyn würde (ABISTOTELES : Physik [ P B A N T L ] . Buch III. Cap. 5. S. 123). Dieser Ausspruch sagt aber im Grunde nichts Anderes, als dass ein in sich selber wahrhaft „ U n e n d l i c h e s " auch einzig und allein nur durch sich selber jemals t h e i l b a r seyn konnte. Versuchen wir es aber, auch dieses Yerhältniss nach der Weise der höheren Z a h l e n l e h r e durch eine sinnbildliche Formel uns geistig anschaulich zu machen, so würde dieselbe lauten: ||- = 1. Dies kann aber nichts Anderes aussagen, als dass einer jeden Theilung, bei welcher A l l e s beim Alten, d. h. Alles u n v e r ä n d e r t ganz D a s s e l b e und Gleiche bleiben würde, was es bereits vor der Theilung gewesen, auch allezeit nur die Bedeutung und der begriffliche Werth einer an sich unmöglichen Theilung zukommen könnte. Werfen wir jedoch nochmals einen Rückblick auf die im B i s h e r i g e n in das Auge gefassten Verhältnisse: so tritt uns die S c h r o f f h e i t beider Anschauungen so sehr entgegen, dass es kaum möglich scheint, uns dieselben nach beiden

Die Atome.

225

S e i t e n hin erklärlich und vorstellbar zu machen. So schwer aber auch, gerade aus diesem Grunde, eine V e r s ö h n u n g der Gegensätze zu sein scheint: so kann uns doch eine gewisse v e r w a n d t s c h a f t l i c h e Ä h n l i c h k e i t in der oben dargestellten Art und Weise nicht entgehen, wie die beiden Meinungen b e g r ü n d e t zu werden pflegen. In der That stützen sich b e i d e Begründungen auf blosse G e d a n k e n b i l d e r . Wie die wesenlosen L i n i e n , F l ä c h e n und ebenso wesenlosen ß a u m g r ö s s e n , mit deren Hülfe die R a u m - und G r ö s s e n l e h r e die u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t aller wesenh a f t e n Körperlichkeiten beweisen will, blosse G e d a n k e n b i l d e r sind: so sind dies auch jene w e s e n l o s e n P u n k t e , auf welche die Anhänger einer unbedingten W e s e n s s t e t i g k e i t s l e h r e ihre Anschauungen zu g r ü n d e n sich genöthigt sehen. Noch eine weitere V e r s ö h n u n g dieser G e g e n s ä t z e ist uns überdies ermöglicht durch unsere eigene innere S e l b s t e r f a h r u n g . Sie lehrt uns, dass auch wir, in unserer eigenen P e r s ö n l i c h k e i t , zwei ganz ähnliche und nicht bloss b e g r i f f l i c h e , sondern thatsächlich w e s e n h a f t e G e g e n s ä t z e besitzen, welche, in gewissen Beziehungen, sich uns als ein gleiches v e r w a n d t s c h a f t l i c h e s V e r h ä l t n i s s zu erkennen geben dürften wie dasjenige, welches wir soeben in Bezug auf die Anschauungen der R a u m - und G r ö s s e n l e h r e einerseits, und denjenigen der V e r t r e t e r einer unbedingten W e s e n s s t e t i g k e i t anderseits kennen gelernt haben. Es sind dies die, bei bloss oberflächlicher Betrachtung, scheinbar ebenfalls unversöhnlich einander gegenüberstehenden G e g e n s ä t z e von einerseits unseren k ö r p e r l i c h e n und anderseits unseren g e i s t i g e n Fähigkeiten und Thätigkeiten, oder, mit anderen Worten ausgedrückt, zwischen unserer ä u s s e r l i c h - s i n n l i c h e n und i n n e r l i c h - g e i s t i g e n Wesensseite. All unser g e i s t i g e r V e r k e h r mit der uns umgebenden wesenhaften A u s s e n w e l t ist aber erfahrungsgemäss an das hier geschilderte Wechselverhältniss in unserem eigenen I n n e r e n gebunden. Sollten Wandersmann.

I.

15

226

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

wir aber, in Folge eben dieser Thatsache, nicht zu der Vermuthung berechtigt seyn, ob nicht gerade in d i e s e n Verhältnissen uns ein natürlicher S c h l ü s s e l geboten seyn könnte zur Beseitigung eben der S c h w i e r i g k e i t e n , welche bisher von allen Seiten uns entgegengetreten sind? Wenigstens will es uns scheinen, als ob ein hierauf abzielender V e r s u c h wohl kaum von vornherein zu verwerfen seyn dürfte. Vergegenwärtigen wir uns daher, zu diesem Zweck, im Geiste irgend eine bereits thatsächlich von uns b e g o n n e n e Theilung einer unserer s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g zugänglichen K ö r p e r l i c h k e i t , sey es, dass dieselbe bloss mittelst unserer e i g e n e n körperlichen Kräfte oder unter Mitwirkung k ü n s t l i c h e r H ü l f s m i t t e l vollzogen werde: so werden wir, nach einiger Zeit, bei einem P u n k t e anlangen, über welchen h i n a u s zu einer noch weiteren F o r t s e t z u n g der begonnenen Theilung unsere bisherigen Hülfsmittel n i c h t m e h r ausreichen. Besässen wir daher in der Thatsache der bereits b e g o n n e n e n Theilung nicht einerseits eine natürliche B e r e c h t i g u n g , wie anderseits in unserer eigenen g e i s t i g e n W e s e n s s e i t e die natürliche B e f ä h i g u n g , von dem bisher eingeschlagenen Wege von nur ä u s s e r l i c h - k ö r p e r l i c h e n Theilungen nunmehr sofort überzugehen auch zu demjenigen von an sich rein i n n e r l i c h - g e i s t i g e n T h e i l u n g e n : so müsste jene bereits thatsächlich b e g o n n e n e Theilung für unsere geistige Anschauung als völlig u n f o r t s e t z b a r sich darstellen. Dank aber den oben geschilderten Verhältnissen darf, ja muss der menschliche Geist, als ebenso vollgültig b e f ä h i g t wie ber e c h t i g t sich anerkennen, jene nur in Folge ä u s s e r l i c h e r Hindernisse, k e i n e s w e g s aber aus i n n e r e n Gründen, unterbrochene ä u s s e r l i c h - k ö r p e r l i c h e T h e i l u n g nunmehr auf ganz verwandte Weise, das heisst mit Hülfe unserer i n n e r e n g e i s t i g e n T h ä t i g k e i t , auf rein g e i s t i g e m Wege fortzusetzen. Aber diese g e i s t i g e T h e i l u n g lässt sich, wie wir wissen, n i c h t in's Unendliche fortsetzen: auch sie führt uns

227

Die Atome.

nur bis zu einer neuen, aber zugleich auch letzten G-ränze, über welche hinaus überhaupt eine jede Möglichkeit einer etwa noch weiter gehenden Theilung oder T h e i l b a r k e i t , der körperlichen wie der geistigen, von selbst a u f h ö r t . Denn wir stehen nunmehr im Geiste bereits an der Schwelle zu jenen allein wahrhaft u n t h e i l b a r e n ersten und letzten stofflich-körperlichen Urwesenheiten, den „Atomen", welche dem leiblichen Auge zwar allezeit u n z u g ä n g l i c h , dem Auge des Geistes dagegen, als urnothwendige G r u n d l a g e n und G r u n d b e s t a n d t h e i l e alles in unserer Welt s i n n l i c h W a h r n e h m b a r e n allezeit gegenwärtig seyn müssen. Hiermit dürften wir aber, in Bezug auf das in vorstehender Darstellung uns vorgesteckte Ziel, nunmehr den richtigen g e i s t i gen S t a n d p u n k t gewonnen haben, von welchem aus es ermöglicht ist, im Hinblick auf die uns umgebende N a t u r wirklichkeit, einerseits ebensowohl einer natürlich-körperlichen Wesenstheilbarkeit, wie anderseits aber gleichzeitig auch einer ebenso natürlichen i n n e r e n Wesens u n t h e i l b a r k e i t allezeit gleichmässig die ihnen gebührende Rechnung zu tragen: dort der natürlichen T h e i l b a r k e i t aller s i n n l i c h - w a h r n e h m b a r e n körperlichen Massenbildungen, dagegen hier der v e r n u n f t n o t h w e n d i g e n Unt h e i l b a r k e i t jener ureinfachen st o ff Ii c h - k ö r p e r l i c h e n Einzelwesen, ohne welche alle natürlichen Massenbildungen ohne befriedigende Erklärung bleiben müssten. Doch treten wir nunmehr an die Frage heran, zu welcher unsere gesammten bisherigen Untersuchungen sich allmählich mehr und mehr zugespitzt haben. Es ist dies die F r a g e , ob einerseits eine an sich unendliche T h e i l b a r k e i t und anderseits eine an sich unmögliche T h e i l u n g , oder — was dasselbe besagt — eine thatsächliche U n t h e i l b a r k e i t von an sich endlichen Körperlichkeiten, wie solche allenthalben wesenhaft vor unseren Augen dastehen, überhaupt natur- und vernunftgemäss möglich seyn können oder nicht? Diese 15*

228

Die einzelnen stofflichen Körpertheile

Etls

Wesenseinheiten etc.

G e g e n s ä t z e bezeichnen die beiden an sich gleich e i n s e i t i g e n , aber darum auch gleich u n v e r s ö h n l i c h e n G e i s t e s s t a n d p u n k t e , einerseits der B a u m - u n d G r ö s s e n l e h r e , anderseits aber der L e h r e von einer vermeintlich u n b e d i n g t e n i n n e r e n W e s e n s s t e t i g k e i t . Aus denselben Gründen aber, aus welchen wir bereits eine jede M ö g l i c h k e i t einer wirklich u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t von an sich endl i c h e n natürlichen K ö r p e r l i c h k e i t e n haben v e r n e i n e n müssen: aus den g l e i c h e n G r ü n d e n müssen wir auch eine jede innere U n t h e i l b a r k e i t von vermeintlich i n n e r l i c h e n W e s e n s s t e t i g k e i t e n gleichfalls v e r n e i n e n . Auch hier dürfen und müssen wir also sagen: „Das Eine s t e h t und •fällt mit dem Anderen." Und so spricht denn auch U L B I C I , ganz in diesem Sinn, über die hier in Rede stehenden Verhältnisse sich folgendermassen aus. „Die u n u n t e r b r o c h e n a u s g e d e h n t e (continuirlich-extensive) Grösse, unter deren Begriff die E a u m g r ö s s e fällt, lässt sich zwar, als u n u n t e r b r o c h e n und s t e t i g (continuirlich), g a r n i c h t t h e i l e n ; denn in und kraft ihrer Stetigkeit (Continuität) h a t sie k e i n e T h e i l e : dennoch b e t r a c h t e n wir sie als t h e i l b a r , und dies können wir n u r , indem wir sie als z u s a m m e n g e s e t z t aus kleineren a u s g e d e h n t e n (extensiven) G r ö s s e n auffassen. Indem wir sie so betrachten, fassen wir sie aber n i c h t m e h r als s t e t i g e (continuirlich), sondern als in sich g e t h e i l t e ( d i s k r e t e ) G r ö s s e , d. h. als Z a h l (oder als für unsere geistige Anschauung wirklich- zählbare Grösse). Und somit folgt hieraus: ist die a u s g e d e h n t e oder r ä u m l i c h e (extensive) G r ö s s e eine b e s t i m m t e : so ist sie, wenn z u s a m m e n g e s e t z t oder als in sich g e t h e i l t e (diskrete) Grösse gefasst, nothwendig auch eine b e s t i m m t e Z a h l grosse, die eine bes t i m m t e A n z a h l von E i n e r n (oder von Theilen) hat, und also auch nur in diese Einer (oder Theile) sich t h e i l e n l ä s s t , — kurz, von ihr gilt ganz d a s s e l b e , was von jeder sonstigen bestimmten Z a h l g r ö s s e gilt. Die e n t g e g e n -

Die Atome.

229

g e s e t z t e A n n a h m e (der Stetigkeitslehre) führt nothwendig zu jenem v e r n i c h t e n d e n W i d e r s p r u c h , in welchem der Begriff der G r ö s s e überhaupt zu Grunde gehen würde" (ULRICI: G. U. Natur. S. 4 5 0 u. 451). — Eine sehr eingehende Darstellung dieser Verhältnisse besitzen wir auch von FECHNEB. „Könnte man" — sagt er — „einen Körper von gleichmassiger Beschaffenheit g l e i c h m ä s s i g d e h n e n , so würde, nach der a t o m i s t i s c h e n A n s i c h t , endlich ein P u n k t kommen, wo er in seine e i n z e l n e n B e s t a n d t h e i l e , Atome oder Moleküle, z e r f i e l e . Aber nach der Ansicht von der unbedingten inneren W e s e n s s t e t i g k e i t (nach der dynamischen Ansicht) könnte jenes Zerfallen in Atome nie eintreten. Denn der g l e i c h f ö r m i g e Körper müsste sich e w i g - f o r t g l e i c h m a s s i g d e h n e n , weil kein Z e r f a l l e n in Atome ihm möglich ist, weil es (nach dieser Anschauung) ja k e i n e Atome gibt, und weil der Körper, falls er überhaupt reissen sollte, an a l l e n S t e l l e n z u g l e i c h reissen müsste, was ein U n s i n n ist. Ein g l e i c h f ö r m i g e r und gleichförmig g e d e h n t e r Körper kann, nach der Ansicht von der inneren W e s e n s s t e t i g k e i t und U n u n t e r b r o c h e n h e i t (nach der dynamischen Ansicht), fiirgends r e i s s e n , und wenn die K r a f t noch so g r o s s würde: er kann sich nur immermehr gleichmässig verd ü n n e n , weil, sollte er überhaupt r e i s s e n , er ü b e r a l l reissen müsste, was, wie gesagt, ein U n s i n n ist. Da er nun aber doch wirklich, unter dem Einfluss einer h i n r e i c h e n d e n K r a f t , dennoch r e i s s t : so ist jene Ansicht von der u n u n t e r b r o c h e n e n inneren S t e t i g k e i t der körperlichen N a t u r d i n g e (nach der dynamischen Ansicht) eine i r r i g e , und die a t o m i s t i s c h e Ansicht die r i c h t i g e . Im Übrigen leuchtet es, schon o h n e tieferes Eingehen und Schluss, ein, dass eine A n s i c h t , nach welcher die K ö r p e r von vornherein z e r b r o c h e n (oder in ihrem Inneren bereits in bestimmte Theile getheilt) sind, einen B r u c h im Grossen b e s s e r muss e r k l ä r e n oder v e r s t e h e n lassen, als eine s o l c h e , nach

230

Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

welcher j e d e r K ö r p e r nothwendig und wesentlich in i n n e r l i c h e r W e s e n s s t e t i g k e i t (in Continuum) b l e i b t bis zu dem A u g e n b l i c k , wo er eben reisst. Denn nach j e n e r Ansicht gilt es nur, einen Riss, der i n n e r l i c h schon da ist, bis zum S i c h t b a r e n und D a u e r n d e n zu erweitern; nach d i e s e r aber gilt es, ihn p l ö t z l i c h , als etwas ganz Neues, erst zu m a c h e n . Ein Riss aber, der weder sichtbar noch unsichtbar vorhanden ist, kann auch durch Vergrösserung n i c h t s i c h t b a r gemacht werden. Ein Riss aber, der u n s i c h t b a r bereits v o r h a n d e n ist, kann es" (FECHNEB: Atomenlehre. S. 55. 56. 57). — No. 54. Innerer Grund der natürlich-wesenhaften Unteilbarkeit der einfachsten stofflichen Körpertheile in Folge der notwendigen Unteilbarkeit ihrer natürlichen inneren Daseynskraft. Aus dem Bisherigen sind uns die G r ü n d e ersichtlich geworden, weshalb alle körperlichen Massen, so gross oder so klein sie auch seyn mögen, aus einer uns zwar unbekannten, aber jedenfalls dem natürlichen Umfang der betreffenden Masse genau entsprechenden Menge von einzelnen in sich völlig u n t h e i l b a r e n stofflich - körperlichen U r - und G r u n d b e s t a n d t e i l e n zusammengesetzt seyn müssen. Diese Gründe waren jedoch vorzugsweise von mehr ä u s s e r l i c h e r Art, d. h. Gründe, welche, von rein ä u s s e r l i c h e n Verhältnissen ausgehend, erst von h i e r aus, als auf das I n n e r e jener Urwesenheiten h i n g e r i c h t e t , zu betrachten waren. Doch gehen wir nunmehr auch zu den an sich rein i n n e r l i c h e n W e s e n s v e r h ä l t n i s s e n über, welche ihren natürlichen U r s p r u n g und A u s g a n g ausschliesslich von den i n n e r s t e n Ur sitzen jener uranfänglichen Einzeldinge aus nehmen, und versetzen wir, im Geiste, uns selber in dies allein wahrhaft e i n f a c h e I n n e r e eben jener stofflich-körperlichen Einzelwesen. Denn nur von h i e r aus sind wir vermögend, die an

Die Atome.

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diese i n n e r s t e n Ursitzie gebundenen Daseyn und Wesen bildenden U r k r ä f t e , schon gleich in den e r s t e n A n f ä n g e n ihrer noch u n m i t t e l b a r s t e n Wirksamkeit geistig zu belauschen. Hiermit ist aber gleichzeitig die natürliche M ö g l i c h k e i t uns geboten, an der Hand weiterer Vernunftoder Naturgründe, auch dem eigentlichen i n n e r s t e n G r u n d auf die Spur zu kommen, w e s h a l b unter allem stofflichkörperlichen Daseyn nur allein jene an sich a l l e r ä l t e s t e n UrWesenheiten, die A t o m e , durchaus k e i n e r eigenen inneren W e s e n s t h e i l u n g zugänglich seyn können. Daher dürften aber gerade die nunmehr für uns vorzugsweise in Betracht kommenden Thatsachen uns eine ebenso r i c h t i g e wie n a t u r g e m ä s s e B r ü c k e bieten auch zu einem noch eingehenderen Verständniss selbst in Bezug auf die u r a n f ä n g l i c h s t e n inneren W e s e n s v e r h ä l t n i s s e eben jener an sich a l l e i n wahrhaft u n t h e i l b a r e n U r w e s e n h e i t e n . Wir haben bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass n i c h t das G e r i n g s t e vermögend seyn würde, in dem gesammten Weltganzen irgendwie da zu seyn und dauernd in diesem seinem natürlichen Daseyn zu b e s t e h e n , wofern demselben nicht, von N a t u r a u s , eine entsprechende i n n e r l i c h e K r a f t zu Grunde läge, vermöge welcher es thatsächlich im Stande ist, wirklich v o r h a n d e n zu seyn. Wir haben (I. § 5. No. 16) diese K r a f t , in ihrer umfassendsten Bedeutung, als „ a l l g e m e i n e D a s e y n s k r a f t " bezeichnet. Erweisen nun die durch die u n m i t t e l b a r e Wirksamkeit dieser Daseynskraft hervorgebrachten und im Daseyn sich erhaltenden N a t u r k ö r p e r sich als thatsächlich e n d l i c h e N a t u r d i n g e : so muss nothwendig auch eben diese ihnen zu G r u n d e liegende innerliche Daseynskraft in gleicher Weise als eine an sich endl i c h e K r a f t betrachtet und a n e r k a n n t werden. Denn eine an sich u n e n d l i c h e Naturkraft könnte, in Folge ihrer ebenfalls an sich u n e n d l i c h e n W i r k s a m k e i t , auch allezeit nur an sich U n e n d l i c h e s bewirken und aus sich hervorgehen

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Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

lassen, da alle Wirkung, als solche, stets vollkommen dem n a t ü r l i c h e n Maass eben der Kraft e n t s p r e c h e n muss, welche als deren w i r k e n d e U r s a c h e muss betrachtet werden. Nun vermag aber eine jede derartige, durch ihre u n m i t t e l b a r e W i r k s a m k e i t nur an sich E n d l i c h e s bewirkende K r a f t ihre r ä u m - , s t o f f - und w e s e n b i l d e n d e W i r k s a m k e i t selbstverständlich nur von einem ganz b e s t i m m t e n und in sich völlig e i n h e i t l i c h e n U r s i t z aus zu bethätigen. Zugleich werden wir aber, durch alle diese Verhältnisse, auch unwillkürlich darauf hingewiesen, dass nur allein der natürliche M i t t e l p u n k t eines jeden einzelnen in sich e i n h e i t l i c h e n Naturwesens es seyn kann, welchen wir gleichzeitig als den eigentlichen U r s i t z von eben jener einheitlichen U r k r a f t uns zu vergegenwärtigen haben, auf deren u r a n f ä n g l i c h e und u n m i t t e l b a r e W i r k s a m k e i t überhaupt das gesammte w e s e n h a f t e D a s e y n eines jeden einzelnen in sich u n t h e i l b a r e n E i n z e l w e s e n s , vom ersten Augenblick seines Bestehens an, mit innerer Nothwendigkeit sich g r ü n d e n muss. Denn aus einer, an und in sich u n t h e i l b a r e n K r a f t und deren u n m i t t e l b a r e r Wirksamkeit vermag allewege auch nur in sich ebenso U n t h e i l b a r e s hervorzugehen. Und somit darf denn auch eine jede solche den einzelnen Naturdingen zu Grunde liegende besondere D a s e y n s k r a f t , dieser ihrer natürlichen U n t h e i l b a r k e i t wegen, nicht nur als eine allezeit n a t ü r l i c h - e i n h e i t l i c h e K r a f t , sondern auch als wirkliche E i n h e i t s k r a f t , oder K r a f t d e r E i n h e i t bezeichnet werden, aus deren unmittelbarer Wirksamkeit auch nur in sich ganz ebenso unbedingt E i n h e i t l i c h e s und darum auch allezeit nur allein in sich völlig U n t h e i l b a r e s hervorzugehen im Stande ist. Daher sagt auch FROHSCHAMMEB, „dass hinter den A t o m e n noch eine K r a f t in den A t o m e n sich verbirgt, die zwar n i c h t als nach A u s s e n wirkend gedacht wurde, die aber doch im I n n e r n der Atome wirken muss, um das Gepräge der » U n t h e i l b a r k e i t « , also das (eigentliche) A t o m -

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S e y n zu wirken und zu sichern" (FROHSCHAMMEB: Phantasie. S. 185). Alle diese in solcher Weise in das Daseyn gestellten U r g e b i l d e der N a t u r , so unfassbar sie auch für unser leibliches Auge sind, stellen dagegen dem Auge des G e i s t e s als durch ihre e i g e n e n K r ä f t e bewirkte, getragene, und darum auch i n n e r l i c h b e l e b t e uranfängliche N a t u r e i n h e i t e n sich dar. Auch bei DELFF begegnen wir einem ähnlichen Gedankengang. „Nachdem es sich erwiesen hat" — sagt er — „dass Nichts uns nöthigt, gewisse A t o m e als die G r u n d l a g e alles S t o f f l i c h e n (der Materie) und aller stofflich-körperlichen (materiellen) Erscheinungen v o r a u s z u s e t z e n , werden wir vielmehr mit einer gewissen Nöthigung von den Atomen ab und auf die » K r a f t « , als Ursache und G r u n d alles Stofflichen und aller stofflichen (materiellen) E r s c h e i n u n g e n hingeführt" (HUGO D E L F F : Cäcilie. S. 2 2 u. 23). Obgleich der Verfasser ein strenger Anhänger der inneren Wesensstetigkeit und W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t ist: so können wir nichtsdestoweniger dessen Schlusssatz, dass die in den Dingen wirksame K r a f t es ist, welche wir als den H a u p t g r u n d und die natürliche U r s a c h e alles wesenhaft Vorhandenen zu betrachten haben, nur vollständig beistimmen. In Folge eben jener allgemeinen inneren D a s e y n s k r a f t , wie wir solche einem jeden einzelnen Naturdaseyn, für sich im Besonderen, unbedingt zuerkennen müssen, muss ein jedes stofflich-körperliche Einzelwesen, so klein wir uns dasselbe auch denken mögen, als ein natürlich einheitlicher L e b e n s t r ä g e r , wenn auch noch von der niedrigsten Lebensstufe, von uns betrachtet werden. Denn in entsprechend ähnlicher Weise waltet auch in ihm bereits dieselbe Kraft, welche wir auf höheren Daseynsstufen als vollgültige „ L e b e n s k r a f t " zu bezeichnen pflegen. Bedienen wir uns für diese an sich noch niedrigste Lebensstufe mitunter auch noch lieber des Wortes „ K r a f t " , als des Wortes „ L e b e n " : so ist in der i n n i g e n V e r b i n d u n g , in welcher beide Begriffe gemeinsam in dem

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Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

Worte „ L e b e n s k r a f t " schon sprachlich zu einander stehen, unverkennbar darauf hingewiesen, wie n a h e diese beiden Begriffe von „Kraft" und von „Leben" schon von N a t u r mit einander v e r w a n d t sind. Daher sprechen wir auch, so oft wir, in Bezug auf die K ö r p e r w e l t , von einer „ w i r k s a m e n K r a f t " reden wollen, von dieser allezeit als von einer „ l e b e n d i g e n K r a f t " . Es ist dies gewiss der beste sprachliche Ausdruck dafür, dass, wie einerseits kein L e b e n denkbar ist, ohne eine ganz bestimmte K r a f t , die ihm zu G r u n d e liegt, so anderseits auch k e i n e K r a f t , welcher durchaus kein Vermögen zukäme zu irgend welcher Art von t h a t k r ä f t i g e r , d. h. von „ l e b e n d i g e r W i r k s a m k e i t " . Ein sehr s p r e c h e n d e s , sowie gleichzeitig auch der s i n n l i c h w a h r n e h m b a r e n N a t u r entnommenes Zeugniss für eben diese u n t r e n n b a r e innerliche Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t , in welcher, sowohl in b e g r i f f l i c h - g e i s t i g e r wie in n a t ü r l i c h w e s e n h a f t e r Beziehung, allezeit eine jede in sich l e b e n d i g e K r a f t zugleich jederzeit auch zu ihrer eigenen unmittelbaren W i r k s a m k e i t steht und, nach u n a b ä n d e r l i c h e n N a t u r g e s e t z e n , auch jederzeit mit ihr stehen muss, liefern uns namentlich die, von irgend einem bestimmten K r a f t p u n k t aus, nach allen Seiten und Richtungen hin sich ausbreitenden L i c h t - und W ä r m e s t r a h l e n . Wir vermögen zwar, mit Hülfe von Körpern, welche für Licht- und Wärmestrahlen mehr oder weniger u n d u r c h d r i n g l i c h sind, deren Fortpflanzung vorübergehend zu u n t e r b r e c h e n : dieselben aber jemals völlig zu v e r n i c h t e n oder zu untergraben, dies kann keiner weder m e n s c h l i c h e n noch s o n s t i g e n K r a f t jemals möglich seyn. Als ganz ebenso u n m ö g l i c h müsste es aber auch sofort sich darstellen, wenn jemand auf den Gedanken verfallen sollte, irgend einen L i c h t - oder W ä r m e s t r a h l , oder auch nur deren W i r k s a m k e i t , in besondere und selbständig für sich bestehende e i n z e l n e B r u c h s t ü c k e zu zertheilen. So wenig wie die jenen Licht- und Wärmestrahlen zu Grunde

Die Atome.

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liegende und in sich allewege ungetheilte natürliche K r a f t des D a s e y n s jemals in B r u c h s t ü c k e könnte zertheilt werden: ebensowenig auch deren natürliche W i r k s a m k e i t und die durch dieselbe in's Daseyn gestellte besondere einzelne Wesenheit. Es herrscht somit hier ein ganz ähnliches Verhältniss, wie auch in Bezug auf jene an sich völlig räum- und wesenlosen K r a f t p u n k t e , aus deren gemeinsamem Z u s a m m e n - u n d I n e i n a n d e r w i r k e n angeblich jene unbedingte W e s e n s s t e t i g k e i t und W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t gewisser stofflich - körperlicher M a s s e n hervorgehen soll. Könnte ein derartiger nur w i l l k ü r l i c h in unserer g e i s t i g e n V o r s t e l l u n g angenommener und darum auch n u r in d i e s e r vorhandener K r a f t p u n k t jemals aus der Gesammtheit seiner völlig gleichwerthigen Mitgenossen irgendwie h e r a u s g e n o m men und an einen anderen a u s s e r h a l b dieser seiner Gesammtheit gelegenen f r e m d e n Ort hingebracht werden? Gewiss n i c h t : selbst nicht einmal in G e d a n k e n , weil ein an sich räum- und wesenloses N i c h t s überhaupt n i e m a l s irgend wohin kann gebracht werden. Eine jede derartige Annahme müsste als der grösste U n s i n n sich darstellen. Es vermag aber k e i n e K r a f t , sobald ihre Wirksamkeit auf eine M e h r h e i t von Gegenständen sich bezieht, einem jeden dieser Letzteren das g l e i c h e Maass ihrer Gesammtwirksamkeit zuzuwenden. Vielmehr ist dieselbe genöthigt, die gesammte Wirksamkeit jener Kraft gemeinsam über dieser Letzteren g l e i c h m ä s s i g .zu v e r t h e i l e n . Nun kann es aber bei bloss oberflächlicher Betrachtung, allerdings den Anschein gewinnen, als ob die G e s a m m t w i r k u n g der nach aussen hin gerichteten Wirksamkeit hierdurch eine T h e i l u n g und, in Folge dessen, auch eine thatsächliche innere S c h w ä c h u n g in sich hätte erfahren müssen. Dem ist aber nicht so. Denn e b e n sowenig als ein an sich r a u m l o s e r K r a f t p u n k t , als e r s t e r A u s g a n g s p u n k t für alle von ihm ausgehenden W i r k s a m k e i t e n jemals kann innerlich g e t h e i l t werden: ganz ebenso

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Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

u n m ö g l i c h muss es auch seyn, dass diese Letzteren, als solche, könnten irgendwie g e t h e i l t oder g e s c h w ä c h t werden. Ein h a l b e r L i c h t s t r a h l , oder ein so und sovielster T h e i l eines W ä r m e s t r a h l s wären U n g e h e u e r l i c h k e i t e n , welche einen jeden Gedanken auch nur an eine M ö g l i c h k e i t eines derartigen Naturverhältnisses sofort v e r n i c h t e n müssten. Daher sagt auch JOHANNES POBDAGE ganz in diesem Sinn: „Kann man doch nicht einmal das äusserliche S o n n e n l i c h t in wesentliche Stücke z e r t h e i l e n , und ein T h e i l c h e n , von dem Ganzen a b g e s o n d e r t , vorzeigen oder es, in einem Glase v e r s c h l o s s e n , zu a n d e r e m Gebrauche a u f h e b e n " (HAMBEBGEB: Stimmen d. Mystik. I. S. 286). Doch kehren wir nunmehr wieder zurück zu dem Hauptgegenstand unserer zeitherigen Untersuchungen, den „Atomen". Eine sehr ähnliche Anschauung wie diejenige, welcher wir vorhin bereits bei D E L F F begegnet sind, tritt nunmehr auch von Seiten von FBOHSCHAMMEB uns entgegen. Denn ebenso wie D E L F F , ist auch FBOHSCHAMMEB im Allgemeinen ein Anhänger der Lehre von der inneren W e s e n s s t e t i g k e i t und W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t aller körperlichen Massen, sobald dieselben überhaupt von g l e i c h e r s t o f f l i c h e r A r t sind. Daher gibt auch FBOHSCHAMMEB ausdrücklich zu, dass, sobald es „ A t o m e " in Wirklichkeit gebe, in denselben auch „eine K r a f t vorhanden seyn muss, die sie z u s a m m e n h ä l t , und welche j e d e T h e i l u n g u n m ö g l i c h macht. Hierdurch" — fügt FBOHSCHAMMEB hinzu — „muss der Begriff des » S t o f f e s « (die Materie) mit seinem eigenthümlichen Wesen sozusagen v e r s c h w i n d e n , und die » K r a f t « tritt, als das eigentlich B e s t i m m e n d e , vollständig in den V o r d e r g r u n d , so dass die »Atome« doch als K r a f t g e b i l d e erscheinen" ( F B O H SCHAMMEB: Naturphilosophie. S. 145 u. 146). Diese von Seiten von FBOHSCHAMMEB hier erwähnte Kraft ist aber keine andere als jene den natürlichen Einzeldingen bereits von Uranfang an i n n e r l i c h zu G r u n d e liegende und in sich selber u n -

Die Atome.

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t h e i l b a r e K r a f t zu seyn und zu b e s t e h e n , von der wir weiter oben bereits gesprochen, haben. Und ebenso liegt gleichzeitig auch in ihr der alleinige natürliche G r u n d jenes eigenen inneren W i d e r s t a n d v e r m ö g e n s , welches sie jederzeit in den Stand setzt, allen ä u s s e r e n T h e i l u n g s - und Z e r s t ö r u n g s v e r s u c h e n ihre natürliche S c h r a n k e und G r ä n z e zu setzen. Sie ist es, durch welche die Natur selbst allen entgegenstehenden äusseren Einwirkungen ihr natürliches „bis h i e r h e r u n d n i c h t w e i t e r ! " zuruft. Nur insoweit als die innere wesenhafte Natur der einzelnen N a t u r d i n g e selber daher eine Theilung g e s t a t t e t : nur insoweit kann sie auch naturgemäss jemals m ö g l i c h seyn. Daher kann aber auch der eigentliche G r u n d jener ebenso n a t u r - wie v e r n u n f t w i d r i g e n V o r s t e l l u n g von einer vermeintlich u n e n d l i c h e n T h e i l b a r k e i t aller k ö r p e r l i c h e n S t o f f e nur allein in irgend welchem M i s s v e r s t ä n d n i s s liegen, welches seinen widernatürlichen Ursprung nur aus u n b e d a c h t e n V e r w e c h s e l u n g e n herleitet in Bezug auf die Begriffe von A u s d e h n u n g und von Masse, von R a u m und von K ö r p e r , sowie von e i n f a c h e m K ö r p e r t h e i l und von k ö r p e r l i c h e r Masse. Wo diese Begriffe daher gehörig a u s e i n a n d e r gehalten werden: da muss auch die natürliche U n h a l t b a r k e i t jener irrthümlichen Anschauungen von selbst in die Augen leuchten. Denn ein jeder I r r t h u m beruht auf einem unbewussten V e r k e n n e n irgend welcher m i s s v e r s t a n d e n e n Wahrheit.

No. 55. Sie stofflich-körperlichen Ur- und Einzelwesen ais die wirklich-wesenhaften TJreinheiten der Natur. So hätten wir denn alle an uns vorübergehen lassen, Laufe der Zeiten über die der k ö r p e r l i c h e n D i n g e

die verschiedenen Anschauungen welche der menschliche Geist im inneren Wesensverhältnisse dieser Welt sich gebildet hat.

238

D i e einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

Wir haben deren Gründe wie deren G e g e n g r ü n d e , ihr F ü r wie ihr Dawider geprüft und gegen einander a b g e wogen. Wir mussten in Folge dessen schliesslich zu der Überzeugung gelangen, dass keine andere Annahme so geeignet ist, sowohl die Gesetze des vernünftigen Denkens, wie die E r f a h r u n g e n innerhalb der uns umgebenden N a t u r , in wechselseitigen E i n k l a n g zu bringen, als nur allein diejenige, dass alle s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n D i n g e , wie solche in der Natur s i c h t b a r vor unseren Augen dastehen, in ihrem Inneren aus einer ihrer Z a h l nach uns zwar völlig unbekannten, aber nichts destoweniger genau bestimmten Menge einzelner s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e r Urwesen müssen gebildet und z u s a m m e n g e s e t z t seyn. Es sind dies dieselben Ureinheiten der Natur, welche bereits PYTHAGORAS richtig geahnt hat, als er den Ausspruch that, „die E i n h e i t (die Monas) sey der A n f a n g und die G r u n d l a g e (das Princip) von A l l e m " (DIOGENES L A E B T I C S [BORBECK] I I . S. 1 2 1 , und SCHARPFF:

NIKOLAUS VON CUSA.

S. 286

[PYTHAGOBAS]).

Und

in gleichem Sinn bezeichnet auch PLOTLN das wahrhaft „ E i n e " als das „ E i n f a c h e " ( K I B C H N E B : PLOTIN S. 3 6 ) . — In ähnlichem Sinn sagt A E G I D I U S DE COLUMNA, das „ E i n s " , von gleicher Ausdehnung mit dem Dinge, bezeichne, dass das Ding an sich ungetheilt und von allen anderen Dingen ges o n d e r t sey (TrEDEMAHii a. a. 0. IV. S. 584). — Auch THOMAS VON STBASSBUBG schliesst demselben Gedankengang sich an, indem er sich näher noch dahin ausspricht, dass ein „jeder Gegenstand, insofern er an sich E t w a s ist, ein » D i n g « heisst, soferne er aber in sich nicht g e t h e i l t ist, sey er ein » E i n s « " (TIEDEMANN a. a. 0 . V . S. 2 3 6 ) . — Und ebenso begegnen wir auch bei TAURELLUS einer sehr verwandten Anschauung. „Die Welt" — sagt er — „ist, als das Keich einer wesenhaften (substanziellen) V i e l h e i t , aus einfachen Theilen z u s a m m e n g e s e t z t , " und aus diesem Grunde hat er denn auch, folgerichtig, die Welt, als solche,

D i e Atome.

239

n u r als eine an sich ä u s s e r l i c h e (formale) E i n h e i t bezeichnet zur Unterscheidung „von der wahrhaft i n n e r l i c h e n W e s e n s e i n h e i t jener in sich e i n f a c h s t e n U r - und G r u n d b e s t a n d t e i l e , aus welchen dieselbe (als Ganzes) nothwendig gebildet und z u s a m m e n g e s e t z t seyn muss" (FRANZ XAVER SCHMIDT: TAUBELLUS S. 62 u. 63). — LEIBNIZ geht für seine gesammte Weltanschauung zwar ganz richtig von dem Gesichtspunkt aus, dass alles Z u s a m m e n g e s e t z t e auf ein E i n f a c h e s z u r ü c k w e i s e , weil „ohne e i n f a c h e D i n g e es auch k e i n e z u s a m m e n g e s e t z t e n Dinge geben würde". Allein diesen Ausspruch hat er seines natürlichen W a h r h e i t s g e h a l t e s sofort dadurch wieder b e r a u b t , dass er, unter dem Namen von „ M o n a d e n " , für jene „ e i n f a c h e n D i n g e " nur allein den räum- und wesenlosen P u n k t als den eigentlichen n a t ü r l i c h e n V e r t r e t e r eben jener wirklichen und wahren W e s e n s e i n f a c h h e i t wollte gelten lassen (LEIBNIZ, Y. E R D MANN. Monadologie No. 2 u. No. 3. S. 705, und Syst.: nouveau de la nature No. 11. S. 126). — Gehen wir nunmehr aber von LEIBNIZ zu SCHELLING über: so kann uns wohl kaum das v e r w a n d t s c h a f t l i c h e Verhältniss entgehen, welches, gerade in Bezug auf die gegenwärtig uns beschäftigenden beiderseitigen Anschauungsweisen uns entgegentritt. So sagt z. B. SCHELLING ausdrücklich, dass, wenn man einen K ö r p e r .auch zertrenne (oder zertheile), doch offenbar dessen i n n e r e W e s e n h e i t (dessen Substanz) davon u n b e r ü h r t (unafficirt) bleibe. Denn nur der K ö r p e r werde hiervon betroffen (afficirt). Und anderweitig spricht SCHELLING auch noch folgendermassen sich aus. Die „ i n n e r e W e s e n h e i t (die Substanz) der s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n E i n z e l d i n g e (der Materie)" — sagt •er — „ist e b e n s o w e n i g z u s a m m e n g e s e t z t , als sie t h e i l b a r ist. Und so wenig daher die T h e i l b a r k e i t der s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n D i n g e (der Materie) auch die i n n e r e T h e i l b a r k e i t ihrer i n n e r e n W e s e n h e i t (ihrer Substanz) ist: so wenig ist (oder bedeutet) die Z u s a m m e n g e s e t z t h e i t stoff-

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D i e einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

lich-körperlicher Dinge (der Materie) eine Zusammengesetztheit ihrer eigenen W e s e n h e i t (ihrer Substanz)" (SCHELLING VI. S. 237 u. 238). — Von dem gleichen Gesichtspunkt ausgehend, und mit besonderer Bezugnahme auf die Anschauungen der Raum- und Grössenlehre, sagt BAUMANN: ,,Eine A t o m e n l e h r e , welche auf P u n k t e und E i n h e i t e n , im Sinne der Raum- und Grössenlehre (im mathematischen Sinn) sich gründete, wäre nach der ganzen A r t ihrer Beweisführung (der Methode nach) f a l s c h , auch abgesehen davon, dass P u n k t e und E i n h e i t e n (ohne alle und jede räumliche Ausdehnung) noch sehr u n b e s t i m m t e Vorstellungen sind. Aber auch gegen die A t o m e n l e h r e selbst kann die R a u m - u n d G r ö s s e n l e h r e (die Mathematik) an sich n i c h t s thun, denn i h r e »unendliche Theilbarkeit« ist k e i n e G e w ä h r auch für eine e n t s p r e c h e n d e B e s c h a f f e n h e i t der (natürlichen und wesenhaften) Dinge, welche den Raum e r f ü l l e n . Alle unmittelbare Ü b e r t r a g u n g der Vorstellungen der R a u m - u n d G r ö s s e n l e h r e auf die (wesenhafte) W i r k l i c h k e i t ist schon durch die Natur der Sache v e r w e h r t " (BAUMANN: Raum u. Zeit, II. S. 678). — Die V e r n u n f t - und E r f a h r u n g s g r ü n d e , auf welche diese ganze Anschauungsweise sich stützt, haben in der That so viel E i n l e u c h t e n d e s für sich, dass es nicht zu verwundern ist, wenn, fast ohne Ausnahme, die gesammte neuere Naturforschung sich mehr und mehr f ü r dieselbe erklärt hat. Wie der d e n k e n d e Geist nicht die allergeringsten geistigen U r t h e i l e jemals sich zu bilden, oder irgend welche S c h l u s s f o l g e r u n g e n zu ziehen im Stande seyn würde, woferne ihm nicht gleichzeitig auch ganz b e s t i m m t e und unbedingt anzuerkennende G r u n d s ä t z e oder U r b e g r i f f e und G r u n d w a h r h e i t e n zu Gebote ständen, auf welche er allezeit seine weiteren Beweise und V e r n u n f t s c h l ü s s e irgendwie zu b a u e n im Stande wäre: ganz ebenso u n m ö g l i c h müsste es aber auch für die N a t u r f o r s c h u n g seyn, die innere N a t u r der D i n g e sowie die Thatsachen ihrer mannigfachen

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D i e Atome.

E r s c h e i n u n g s w e i s e n irgendwie befriedigend zu b e g r ü n d e n und zu. e r k l ä r e n , woferne derselben nicht in eben jenen s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n U r e i n h e i t e n oder wesenhaften U r T h e i l e n aller Dinge, als den wesenhaften G r u n d l a g e n und G r u n d f e s t e n alles natürlichen Daseyns, gleichzeitig auch der erforderliche G r u n d und B o d e n geboten worden wäre zu noch immer tieferen und umfangreicheren E i n b l i c k e n selbst in die i n n e r s t e n und dem leiblichen Auge verb o r g e n s t e n Geheimnisse der Natur. Was d o r t in Bezug auf die g e i s t i g e Erforschung und Wahrnehmung g e i s t i g e r W a h r h e i t e n gilt: das gilt, in seiner Weise, ebenso auch hier in Bezug auf das Gebiet der s i n n l i c h - w a h r n e h m b a r e n N a t u r w i r k l i c h k e i t . Denn beide sind, wie wir früher gesehen (I. § 6. No. 24 u. No. 25) n i c h t einander f r e m d e und f e r n e stehende, sondern einander v e r w a n d t e und innerlich n a h e s t e h e n d e G e b i e t e der E i n e n und, bei aller Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit, doch immerhin sich gleichen und sich gleich b l e i b e n d e n N a t u r . Was aber auf E i n e m Naturgebiet seine sichere G e l t u n g hat: das findet sein entsprechendes E c h o auch auf jedem a n d e r e n Naturgebiet. Und so hat denn auch EBIGENA darauf hingewiesen, dass wir die G r u n d g e s e t z e unseres eigenen g e i s t i g e n D e n k e n s (die Dialektik) n i c h t selber erfunden haben, sondern dass dieselben von Uranfang an in der Natur d e r D i n g e selbst liegen (CHRISTLIEB: ERIGENA S. 296 u. 297). Es besagt dies aber, mit anderen Worten, nichts Anderes, als dass d i e s e l b e n Gesetze, welche in der Gestalt von Denkgeset'zen unser gesammtes v e r n u n f t g e m ä s s e s D e n ken beherrschen, es auch sind, welche wir, im allgemeinen W i r k e n und W a l t e n der Natur, als „ N a t u r g e s e t z e " zu bezeichnen pflegen.

Wandersmann. I.

16

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Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

No. 56.

Innere Wesensstetigkeit und Wesensunzerstörbarkeit stofflich-körperlicher Ur-Theile.

Obgleich wir in unseren bisherigen Untersuchungen den gleichen Gegenstand bereits mehrfach in eingehender Weise besprochen haben: so bleiben doch nachträglich auch noch einige a n d e r e P u n k t e zu erwähnen, welche wir bis dahin unberücksichtigt gelassen haben. So würde es namentlich ein I r r t h u m seyn, wenn wir, auf Grund jener an sich nicht zu bezweifelnden inneren W e s e n s s t e t i g k e i t und W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t der „ A t o m e " , ohne weitere nähere Prüfung, den Schluss ziehen wollten, als müsse mit diesen beiden i n n e r e n W e s e n s v e r h ä l t n i s s e n auch eine unbedingte Unv e r ä n d e r l i c h k e i t des Wesens mit gleicher Nothwendigkeit Hand in Hand gehen. Dem ist aber erfahrungsgemäss n i c h t so. Denn alle körperlichen Massen, von welcher Grösse sie auch seyn mögen, dehnen, im Fall von E r w ä r m u n g , sich a u s , indem sie, in Folge dessen, gleichzeitig auch einen dem G r a d i h r e r E r w ä r m u n g entsprechenden g r ö s s e r e n Raum einnehmen. Und ebenso tritt u m g e k e h r t , im Fall von Abk ü h l u n g oder E r k a l t u n g , eine räumliche Z u s a m m e n z i e h u n g solcher Massen ein. Alle diese Erscheinungen würden aber in keiner Weise m ö g l i c h und für uns e r k l ä r l i c h seyn, woferne nicht allen e i n z e l n e n A t o m e n , als solchen, d. h. so wie dieselben zu einer solchen Masse gehören, bereits von U r a n f a n g an eine natürliche B e f ä h i g u n g zu derartigen inneren W e s e n s a u s d e h n u n g e n und W e s e n s z u s a m m e n 2 i e h u n g e n innewohnte. Denn nur allein in Folge davon, dass eben diese V e r ä n d e r u n g e n , wie sie in den einzelnen A t o m e n , als solchen, jederzeit vor sich gehen, sich s o f o r t schon in ihrer G e s a m m t h e i t auf die G e s a m m t m a s s e , der sie angehören, ü b e r t r a g e n : nur auf diesem Wege kann es uns e r k l ä r l i c h seyn, wie alle diese in den einzelnen Atomen s e l b e r vor sich gehenden V e r ä n d e r u n g e n nun-

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Die Atome.

mehr im Stande sind, durch die Vermittelung ihrer Masse, sogar in s i n n l i c h - w a h r n e h m b a r e r und darum auch für uns m e s s b a r e r Weise selbst unseren l e i b l i c h e n Augen zugänglich zu werden. Indessen haben wir jene stofflich-körperlichen U r e i n h e i t e n der N a t u r auch noch von einem a n d e r e n G e s i c h t s p u n k t aus in das Auge zu fassen, welchem wir bis dahin noch nicht näher getreten sind. Derselbe betrifft deren natürliche U n z e r s t ö r b a r k e i t und U n v e r n i c h t b a r k e i t gegenüber von allen ihnen f r e m d e n und äusserlichen Naturgewaltem Beide Begriffe gehen gewissermassen Hand in Hand mit dem Begriff u n b e d i n g t e r innerer W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t , von welchem sie, der Sache nach, nur als eine in demselben bereits mitbegründete weitere Folgerung zu betrachten sind. Daher sagt auch JACOB BÖHME: „Ein Ding, das aus einem A n f a n g wächset, das hat A n f a n g und E n d e , und wächset n i c h t h ö h e r , als das Ding in seiner Z a h l hat (d. h. in seiner eigenen inneren Wesenszahl), d a r a u s es gewachsen ist. Was aber in E i n e r Z a h l ist, das ist u n z e r b r e c h l i c h (d. i. untheilbar). Denn es ist E i n e s und n i c h t s mehr. Es ist auch nichts in ihm, das es zerbreche (zertheile), denn kein Ding, das nur E i n s ist, f e i n d e t sich s e l b e r " (JACOB B Ö H M E , Ausgabe von 1730. III. Dreifaches Leben. S. 264. No. 31). Ferner an einem anderen Ort: „ein E i n i g e r W i l l e kann sich n i c h t in S t ü c k e von einander brechen" (Beschaulichkeit, Gap. I. Buch 6. No. 12. S. 168), und endlich: „Ein j e d e s D i n g , das aus dem ewigen Grund ist, ist ein Ding in seiner S e l b h e i t und ein e i g e n e r W i l l e , der n i c h t s vor ihm h a t , das ihn zerbrechen mag" (Gnadenwähl. XV. Cap. 2. No. 5. S. 14). — Und von gleichem Gesichtspunkt ausgehend, sagt auch SPINOZA, dass „die innerliche W e s e n h e i t der Dinge (die Substanz) weder d u r c h sich noch durch eine a n d e r e endliche Wesenheit (Substanz) z e r s t ö r t werden könne" (SPINOZA, übersetzt von AUERBACH. I. S. 262). — Bevor wir jedoch diesen Gegen16*

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stand verlassen, können wir nicht umhin, gleichzeitig auch auf ein M i s s v e r s t ä n d n i s s aufmerksam zu machen, welches gerade hier nur allzuleicht sich einschleichen könnte. Es betrifft dasselbe die ziemlich naheliegende V e r s u c h u n g , aus dieser thatsächlichen U n v e r n i c h t b a r k e i t jener uranfänglichen natürlichen E i n z e l d i n g e unbedachtsamer Weise auch auf einen denselben etwa zukommenden u n a u f h ö r l i c h e n B e s t a n d im Daseyn zu schliessen. Eine derartige Annahme könnte nur einem vollgültigen W i d e r s p r u c h in sich s e l b e r gleichkommen, und würde daher auch nur einer begrifflichen wie natürlichen U n m ö g l i c h k e i t gleich zu achten seyn. Denn jene das gesammte D a s e y n und Wesen der betreffenden E i n z e l d i n g e begründende allgemeine D a s e y n s k r a f t kann allewege nur als eine in vollkommen e i n h e i t l i c h e r Weise w i r k s a m e K r a f t von uns in das Auge gefasst werden. Es kann deren r ä u m l i c h e W i r k s a m k e i t nie und nimmermehr irgendwie g e t r e n n t und g e s c h i e d e n seyn von deren z e i t l i c h e r Wirksamkeit. Bezieht j e n e sich auf die ä u s s e r l i c h r ä u m l i c h e Wesensausdehnung jener einfachsten Naturdinge, oder auf deren natürlich-körperliche G r ö s s e : so bezieht sich diese auf deren i n n e r l i c h - z e i t l i c h e W e s e n s a u s d e h n u n g , oder auf deren natürlich - innerliche Wesensdauer. Hieraus geht aber augenscheinlich hervor, dass in k e i n e r jener in sich u n t h e i l b a r e n U r w e s e n h e i t e n diese beiden eben erwähnten, in rein b e g r i f f l i c h e r Beziehung allerdings wohl zu u n t e r s c h e i d e n d e n besonderen Wesensseiten oder scheinbar besonderen W i r k u n g s r i c h t u n g e n jemals, in e i n s e i t i g e r Weise, als thatsächlich völlig von einander g e s c h i e d e n e Wirkungsweisen E i n e r und d e r s e l b e n in sich e i n h e i t l i c h e n G r u n d k r a f t dürfen betrachtet werden. Im Gegentheil dürfen und können wir, in wirklich naturgemässer Weise, dieselben allewege nur als in ebenso u n g e t r e n n t e r wie in u n t r e n n b a r e r E i n h e i t für alle Zeit wechselseitig mit einander v e r b u n d e n und wechselseitig an einander g e f e s s e l t ,

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gemeinsam in das Auge fassen. Auch hier steht und fallt somit das E i n e mit dem A n d e r e n . Aus eben diesem Grund vermögen aber auch beide, die Wesensausdehnung im R ä u m e wie die Wesensausdehnung in der Z e i t , dem Auge des Geistes, unter k e i n e n Umständen, jemals auch nur den allergeringsten U n t e r s c h i e d in Bezug auf den natürlichen G r a d ihrer S t ä r k e zu erkennen zu geben. Denn ganz ebenso weit, wie die E i n e von beiden sich e r s t r e c k t : ganz e b e n s o weit muss auch die A n d e r e allewege sich erstrecken. Das heisst mit anderen Worten: es kann k e i n e von b e i d e n jemals weder um das Allergeringste g r ö s s e r , noch um das Allergeringste k l e i n e r seyn als die Andere. Nun wissen wir aber aus früheren Erörterungen, dass jene uranfänglich r a u m b i l d e n d e D a s e y n s k r a f t nur ausschliesslich e n d l i c h e K r a f t seyn kann, welcher demzufolge auch allezeit nur ein e n d l i c h b e s c h r ä n k t e s K r a f t m a a s s naturgemäss zukommen kann. Vermag aber keine Kraft, wie wir eben gesehen, jemals eine Wirkung auszuüben, welche ihr e i g e n e s K r a f t m a a s s irgendwie ü b e r s t i e g e : so muss es folgerichtig als die reinste begriffliche wie natürliche U n m ö g l i c h k e i t anerkannt werden, dass eine an sich e n d l i c h e K r a f t durch ihre gleichfalls nur e n d l i c h e Wirksamkeit jemals sollte im Stande seyn, zwar einerseits W e s e n h e i t e n von e n d l i c h - k ö r p e r l i c h e r W e s e n s a u s d e h n u n g , anderseits aber von u n e n d l i c h e r W e s e n s d a u e r in das natürliche Daseyn zu stellen. Eine jede a n d e r e A n s c h a u u n g muss somit, als thatsächliche U n m ö g l i c h k e i t , nothwendig in sich s e l b e r zerfallen. Denn ebenso wie jede W i r k u n g auf ihre U r s a c h e , dieser entsprechend, nothwendig irgendwie folgen m u s s : so muss auf jeden A n f a n g auch ein ihm entsprechendes E n d e , d. h. auf jeden z e i t l i c h e n A n f a n g auch allezeit ein ganz bestimmtes n a t ü r l i c h e s E n d e folgen.

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N o . 57. Thataächliches Zeugniss der allgemeinen Stofflehre für das wirkliche Bestehen einfachster Stoff- und Körpertheile. Es ist das Verdienst der n e u e r e n N a t u r f o r s c h u n g , den seither dargelegten B e w e i s g r ü n d e n für die Annahme letzter, einfachster und durch keine ihnen fremde N a t u r g e w a l t weiter zu zertheilender oder gar zu zerstörender s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e r N a t u r e i n h e i t e n noch einen weiteren h i n z u g e f ü g t zu haben. Auch diesen dürfen wir weder unerwähnt noch ungeprüft an uns vorübergehen lassen. Es ist bekannt, dass es g e l u n g e n ist, viele S t o f f e und K ö r p e r , welche man in früheren Zeiten, in Bezug auf ihre s t o f f l i c h e B e s c h a f f e n h e i t , für wirkliche U r - u n d G r u n d s t o f f e gehalten hat, in andere bis dahin völlig unbekannte Stoffe zu z e r l e g e n , aus denen sie somit selber in ihrem innersten Wesen in natürlicher Weise g e b i l d e t und z u s a m m e n g e s e t z t seyn müssen. Eines der bekanntesten Beispiele dieser Art ist das Wasser. Mit Hülfe des g a l v a n i s c h e n S t r o m e s ist es nicht nur gelungen, dasselbe in zwei verschiedene L u f t a r t e n , den S a u e r s t o f f und den W a s s e r s t o f f , zu zerlegen: es ist sogar umgekehrt gelungen, mit Hülfe des sogenannten K n a l l g a s g e b l ä s e s , aus diesen b e i d e n L u f t a r t e n wiederum W a s s e r zu bilden, d. h. beide Luftarten in der Weise wieder mit einander zu v e r e i n i g e n , dass aus dieser Vereinigung von Neuem W a s s e r hervorgeht. Dabei haben vielfach fortgesetzte Versuche d a r g e t h a n , dass ebensowohl die T r e n n u n g des Wassers in S a u e r s t o f f und W a s s e r s t o f f , wie die V e r e i n i g u n g dieser Letzteren zu W a s s e r stets nur in ganz b e s t i m m t e n und ein für allemal f e s t s t e h e n d e n G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e n vor sich geht. Es ist ein ganz bestimmtes und u n a b ä n d e r l i c h e s N a t u r g e s e t z , das diese stofflichen V e r e i n i g u n g e n allezeit b e h e r r s c h t , ordnet und r e g e l t , und welches sich in a l l e n F ä l l e n als ein sich stets g l e i c h b l e i b e n d e s zu erkennen gibt. So ver-

Die Atome.

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binden sich z. B. S a u e r s t o f f und W a s s e r s t o f f keineswegs in jedem b e l i e b i g e n Verbältniss zu W a s s e r , sondern o h n e j e d e A u s n a h m e sind es z. B. stets nur 121/a G e w i c h t s t h e i l e W a s s e r s t o f f , welche mit 100 G e w i c h t s t h e i l e n S a u e r s t o f f zu wirklichem Wasser sich vereinigen. Also mit 100 P f u n d S a u e r s t o f f stets 121/2 P f u n d W a s s e r s t o f f , oder 100 L o t h Sauerstoff mit 12y a L o t h Wasserstoff, oder 100 Q u e n t Sauerstoff mit 121/2 Q u e n t Wasserstoff (R. A. SMITH: Memoir of Dalton and History of the atomic Theory. S. 236). Das nämliche und gleiche Verhältniss ergibt sich, der Natur der Sache nach, auch ganz e b e n s o , wenn umgekehrt W a s s e r in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt wird. Aus diesen T h a t s a c h e n hat aber die n e u e r e S t o f f l e h r e (die Chemie), und gewiss n i c h t mit Unrecht, den weiteren S c h l u s s gezogen, dass wir in diesen G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e n die O f f e n b a r w e r d u n g eines i n n e r l i c h e n Gewichtsverhältnisses vor Augen haben, welches eben jenen e i n z e l n e n stofflich-körperlichen U r e i n h e i t e n von Natur aus zukommen muss, und aus welchen die zu solchen Untersuchungen benutzten Mengen von Sauerstoff und Wasserstoff i n i h r e r G e s a m m t h e i t bestehen und z u s a m m e n g e s e t z t seyn müssen. Wenn wir nun auch von der Einen Seite n i c h t im Stande sind, jene e i n f a c h s t e n stofflich-körperlichen U r - T h e i l e des Sauerstoffs und des Wasserstoffs, in Folge ihrer natürlichen K l e i n h e i t und Unwahrnehmbarkeit, im E i n z e l n e n einer wirklichen G e w i c h t s p r ü f u n g zu unterwerfen, und wenn es, anderseits, uns auch ebenso u n m ö g l i c h ist, dieses natürliche E i g e n g e w i c h t beider Luftarten durch B e r e c h n u n g zu finden, da die in irgend welcher g r ö s s e r e n Menge beider Luftarten enthaltene wirkliche A n z a h l dieser ihrer einzelnen Urbestandtheile uns gänzlich u n b e k a n n t ist: so darf aus allen jenen natürlich-feststehenden T h a t s a c h e n doch jedenfalls soviel g e s c h l o s s e n werden, dass, wenn wir das natürliche G e w i c h t eines einzelnen S a u e r s t o f f t h e i l c h e n s mit 100

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bezeichnen: alsdann nothwendig das Gewicht eines einzelnen W a s s e r s t o f f t h e i l c h e n s gleich 121/2 seyn muss. Oder was Dasselbe besagt, dass eine V e r e i n i g u n g beider Stoffe nur in dem Gewichtsverhältnisse von 8 zu 1 vor sich gehen kann. Und da es ferner n i e m a l s vorkommt, dass etwa einmal n u r 50 Gewichtstheile S a u e r s t o f f mit 121/2 Gewichtstheilen W a s s e r stoff sich verbänden, oder 100 Gewichtstheile S a u e r s t o f f mit nur Gewichtstheilen W a s s e r s t o f f : so haben wir hierin wohl sicher einen n a t ü r l i c h e n Beweis dafür, dass eben diese Gewichtsverhältnisse, in denen die Stoffe nur allein sich stofflich-wesenhaft mit einander zu vereinigen im Stande sind, uns die G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e s e l b s t vor Augen stellen, welche den einzelnen s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n U r e i n h e i t e n der beiderseitigen Stoffe schon an und für sich, d. h. schon von Uranfang an in deren eigenem inneren Wesen, je nach dessen besonderer s t o f f l i c h e n N a t u r , ein für allemal zukommen müssen. Denn wie in der wissenschaftlichen Erfahrung ebendiese G e w i c h t s g r ö s s e n auch als völlig untheilbare G e w i c h t s e i n h e i t e n sich darstellen: so haben für das Auge des Geistes, wie wir gesehen, auch jene letzten s t o f f l i c h k ö r p e r l i c h e n U r w e s e n der wirklichen Natur als ebenso u n t h e i l b a r e W e s e n s e i n h e i t e n sich erwiesen. Es ist dies als der ebenso n a t ü r l i c h e wie v e r n u n f t g e m ä s s e G r u n d dafür zu betrachten, dass eben diese an sich untheilbaren G e w i c h t s e i n h e i t e n von Seiten der S t o f f l e h r e , wie bekannt, geradezu auch als „ A t o m g e w i c h t e " , d. h. als die natürlichen „ E i g e n g e w i c h t e " oder als die natürliche „ E i g e n s c h w e r e " eben jener einfachsten stofflich-körperlichen U r b e s t a n d t h e i l e aller natürlichen Dinge pflegen bezeichnet zu werden, und welche die allgemeine N a t u r l e h r e (Physik) daher schon seit den ältesten Zeiten unter dem Namen von „ A t o m e n " in die Wissenschaft eingeführt bat. Wir könnten derartiger Beispiele noch viele anführen, allein dies Eine genügt für alle, um auch denen, welche mit den wissenschaftlichen Ergebnissen

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D i e Atome.

der allgemeinen Stofflehre (Chemie) nicht genauer sollten bekannt seyn, einen naturgetreuen Einblick in diese Verhältnisse zu gestatten. Und ebenso besitzen wir in denselben Verhältnissen gleichzeitig auch eine nicht zu verkennende Bestätigung für die Annahme von an sich untheilbaren ersten und letzten Ur-Theilen innerhalb der gesammten Stoff- und Körperwelt. Daher hat auch schon HEBBART ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die körperlichen Stoffe der Natur unmöglich als bis „in's Unendliche theilbar" dürfen angenommen werden (HEBBABT I. S. 319). Alle jene bestimmten Gewichtsverhältnisse würden mit einer solchen in's Une n d l i c h e gehenden Theilbarkeit völlig unverträglich seyn, gleichviel ob wir annehmen, dass diese Theilungen ohne Ende fortgingen, oder dass sie zuletzt bei raumlosen Punkten Halt machen müssten. Jene natürlichen Gewichtsgrössen können schon einfach aus dem Grunde nicht get h e i l t werden, weil eben jene ihnen eigenthümlich zukommende Daseynskraft unmöglich kann getheilt werden, und gleichzeitig damit auch ebensowenig deren natürliches E i g e n gewicht. Das Eine steht und fällt auch hier mit dem Anderen. Wer sollte aber hierbei nicht jenes alten und schon früher (I. § 7. No. 27) erwähnten Ausspruches von PYTHAGOBAS gedenken, dass „die E i n h e i t der Anfang aller Dinge sey; denn die E i n h e i t sey vor aller Vielheit" (DIOGENES LAEETIUS : BOBHECK: I I .

S. 1 2 1 .

PYTHAGOBAS.

Und

SCHABPFF:

S. 286. PYTHAGOBAS). Wie die A n z a h l aller in einem Naturkörper vorhandenen stofflich-körperlichen Urbestandtheile es ist, in welcher die körperliche Grösse desselben naturgemäss bestimmt ist: ebenso ist es auch, von Uranfang an, deren eigenthümliche i n n e r l i c h e i n h e i t l i c h e Wesenszahl, wie solche einer jeden einzelnen Stoffart, für sich und im Besonderen, zukommt, dadurch deren besonderes natürliches Wesens- oder Atomgewicht ein für allemal mitbegründet ist. Alles in der Natur ist dem-

NIKOLAUS V. CUSA.

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Die einzelnen stofflichen Körpertheile als Wesenseinheiten etc.

nach in sich selbst bereits von Uranfang an gezählt und gewogen: äusserlich gezählt in der unübersehbaren Vielheit und Mannigfaltigkeit theilbarer Körpermassen, innerlich aber gewogen durch die ganz bestimmten Gewichtszahlen der in sich untheilbaren stofflich-körperlichen UrWesenheiten, aus denen jene Massen allezeit gebildet und zusammengesetzt sind (WILMABSHOF : Jenseits. I I . S. 161). — Schon der Pöntier HEBAKLIDES, sowie der Pythagoräer EKPHANTUS sollen es versucht haben, die ursprünglich pythagoräische Zahlenlehre mit der A t o m e n l e h r e zu verbinden: ja es sollten sogar, nach ihnen, die Atome wechselseitig auf einander einwirken und dadurch selbst als innerlich thatkräftig sich erweisen (BRANDIS: Geschichte d. griech. Philos. I. S. 383). Einer gleichen Anschauung begegnen wir auch bei ST. MABTIN. Nachdem derselbe die inneren Zahlenwerthe oder den inneren W e s e n s g e h a l t (les valeurs) der natürlichen E i n z e l d i n g e als wirksame und innerlich thatkräftige Zahlen (valeurs en action) bezeichnet hat, spricht er weiterhin ausdrücklich auch noch dahin sich aus, dass diese e i n h e i t l i c h e n Zahlenwerthe der Natur in sich l e b e n d i g e und lebendig wirksame Zahlenwerthe (ces nombres vifs et vivants) im Grunde nichts Anderes uns vor Augen stellen, als den natürlichen Ausdruck (la traduction) jener uranfänglichen Gesetze, deren nächste Grundlage (le texte) in der Natur selbst liegt. Und in solcher Weise sind wir denn auch schliesslich vermögend, uns im Geiste bis zu einem Standpunkt (jusqu'à ces sublimes régions) zu erheben, von welchem aus jene natürlich-innerlichen Ur- und Grundzahlen (nombres) und die durch deren t h a t k r ä f t i g e Wirksamkeit begründeten D i n g e (les choses) so innig mit einander vereinigt sind, dass dieselben (selbst in unserem geistigen Denken) nicht mehr von einander zu trennen sind: d. h. dass wir bei einem Punkt (un terme) anlangen, von welchem aus jene einheitlichen Ur- und Grundzahlen,

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der Sache naeh, kein A n d e r e s mehr sind, als die D i n g e s e l b e r in ihrer t h a t k r ä f t i g e n W i r k s a m k e i t (les choses en activite), oder, mit anderen Worten, als der n a t ü r l i c h - v e r w i r k l i c h t e A u s d r u c k jener uranfänglichen G r u n d z a h l e n ihrer e i g e n e n i n n e r e n W e s e n h e i t (ne sont que les nombres en expression). „Es können daher" — so schliesst ST. M A B T I N — »jene G r u n d z a h l e n (nombres) ihre natürlichen Gr u n d w u r z e l n (racines) nur in ihren e i g e n e n w e s e n h a f t e n E r z e u g n i s s e n (dans leurs produits) uns vor Augen stellen, weil sie u n t r e n n b a r mit diesen v e r b u n d e n sind" (ST. M A R T I N : Esprit des choses I. S. 321. 324. 325. 326). N o . 58. Das stofflich-körperliche TJr- und Einzelwesen als natürliches stofflich-körperliches Ich und Selbst, d. h. als natürliche Persönlichkeit im Gebiete der noch ungestalteten Natur oder der allgemeinen Stoff- and Körperwelt. „Atom" und „Individuum". Im bisherigen Verlauf unserer Untersuchungen finden wir uns mehr und mehr einem Standpunkt entgegengeführt, von welchem aus es uns gestattet ist, den Begriff des „ A t o m s " auch noch von einem anderen, höheren und v e r g e i s t i g t e r e n G e s i c h t s p u n k t aus in das Auge zu fassen, als dies bis dahin uns möglich gewesen ist. Denn gerade in der b e g r i f f l i c h e n Bedeutung des Wortes „ A t o m " besitzen wir einen nicht unwichtigen s p r a c h l i c h e n H i n w e i s auf ein noch anderes, aber sehr v e r w a n d t e s Verhältniss, welches zwar erst im Gebiete des eigentlichen G e i s t e s l e b e n s zu seinem vollgültigen natürlichen Ausdruck gelangt, welches aber nichtsdestoweniger, in seiner noeh e i n f a c h s t e n und a l l g e m e i n s t e n B e d e u t u n g , auch in Bezug auf das an sich a l l e r u n t e r s t e , aber eben darum auch noch e i n f a c h s t e und a l l g e m e i n s t e aller Daseynsgebiete, das heisst auf das Gebiet der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r , allezeit seine berechtigte Anwendung findet. Der B e g r i f f aber, durch welchen eben dieses Verhältniss jederzeit

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g e i s t i g uns vor Augen gestellt ist, ist kein anderer als derjenige einer natürlich-wesenhaften „ P e r s ö n l i c h k e i t " . Denn dasselbe i n n e r l i c h e W e s e n s v e r h ä l t n i s s , dessen natürlicher Vertreter das „ A t o m " für alles an sich s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e D a s e y n ist: das hat in Bezug auf das eigentliche G e i s t e s l e b e n in den Begriffen von „ P e r s o n " oder -von „ P e r s ö n l i c h k e i t " seinen sachgemässen Ausdruck gefunden. Wie aber in dem Begriff des „Atoms" in erster Linie die drei Begriffe einer u n b e d i n g t e n i n n e r e n W e s e n s e i n h e i t , W e s e n s e i n f a c h h e i t und W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t uns vor Augen gestellt sind: ganz ebenso findet, der Sache nach, ein Gleiches statt auch in Bezug auf die Begriffe von „ P e r s o n " und von „ P e r s ö n l i c h k e i t " . Denn wenn diesen beiden Begriffen auch immerhin noch h ö h e r e B e d e u t u n g e n zukommen, auf die wir hier nicht weiter eingehen können: so schliessen sie die eben erwähnten drei G r u n d v e r h ä l t n i s s e doch keineswegs von sich aus. Es muss vielmehr in ganz ähnlicher Weise, wie alle P e r s ö n l i c h k e i t e n des wirklich geistigen D a s e y n s als allewege in sich u n g e t h e i l t e , u n t h e i l b a r e und für fremde Naturgewalten u n z e r s t ö r b a r e innere L e b e n s e i n h e i t e n dem Auge des Geistes sich darstellen, nothwendig ein ebensolches Yerhältniss von Uranfang an auch bestehen in Bezug auf die eigentlichen „ A t o m e " der noch ungestalteten Natur. Auch sie müssen, in einer den einfachen Verhältnissen der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r entsprechenden Weise, als gleichfalls in sich u n g e t h e i l t e , u n t h e i l b a r e und u n z e r s t ö r b a r e U r p e r s ö n l i c h k e i t e n sich darstellen, wie in e n t s p r e c h e n d h ö h e r e r Weise die P e r s ö n l i c h k e i t e n des wirklichen G e i s t e s l e b e n s . Und ebenso dürfen wir, den eben geschilderten Verhältnissen entsprechend, auch die „ A t o m e " folgerichtig als die e r s t e n wahrhaften U r - T h e i l e oder U r - E i n h e i t e n der Natur bezeichnen, oder mit anderen Worten, als die in sich noch einfachsten persönlichen U r - I c h s oder „ U r p e r s ö n l i c h k e i t e n " innerhalb un-

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serer gesammten natürlichen Weltordnung. Wie aber unser n ä c h s t e r F r e u n d , ja unser eigener B r u d e r , allezeit a n d e r e P e r s ö n l i c h k e i t e n sind als ich s e l b s t : so stehen dieselben, in gleichem Sinn, auch einem jeden E i n z e l n e n ihrer Mitmenschen als ein denselben f r e m d e r Mensch gegenüber. Tragen wir diese Thatsachen der täglichen Erfahrung nunmehr aber über auf den eigentlichen Gegenstand unserer gegenwärtigen Untersuchung: so müssen a l l e A t o m e ohne Ausnahme, d. h. alle jene wirklichen und wesenhaften „UrI c h s " der Natur, allen ihren M i t g e n o s s e n im Daseyn gegenüber, eine solche p e r s ö n l i c h e S t e l l u n g einnehmen, welche den besonderen Wesensstellungen dieser Letzteren gegenüber, allewege nur vollkommen g l e i c h kann kommen. Denn selbst diejenigen A t o m e , welche, in Folge von unmittelbarer Ber ü h r u n g mit anderen Atomen, eben diesen Letzteren in r ä u m l i c h e r Beziehung am a l l e r n ä c h s t e n stehen, vermögen, gegenüber von anderen, g l e i c h b e r e c h t i g t e n A t o m e n , doch allewege nur als denselben ä u s s e r l i c h - f r e m d gegenüber stehende „ I c h s " von uns in das Auge gefasst werden. Für ein derartiges W e c h s e l v e r h ä l t n i s s aber, nach welchem zwei oder mehrere P e r s ö n l i c h k e i t e n , ihren i n n e r e n Wesenh e i t e n nach, zwar einerseits als völlig g l e i c h b e r e c h t i g t , und darum, in gewissem Sinn, auch als völlig e b e n b ü r t i g , von der a n d e r e n Seite aber auch als ä u s s e r l i c h - f r e m d einander g e g e n ü b e r s t e h e n : für dieses Verhältniss besitzen alle nur einigermassen gebildete Sprachen den Begriff des „Du", als einer Bezeichnungsweise, welche einerseits ebensowohl die Vorstellung einer i n n e r e n G l e i c h b e r e c h t i g u n g im Daseyn, wie anderseits aber auch diejenige eines ä u s s e r l i c h e n F r e m d s e y n s allezeit gemeinsam und einheitlich in sich einschliesst. Und somit hätten wir in eben diesen hier geschilderten Verhältnissen , die u r s p r ü n g l i c h s t e n und u r a n f ä n g l i c h s t e n natürlichen G r u n d l a g e n vor Augen für ein gegenseitiges p e r s ö n l i c h e s W e c h s e l v e r h ä l t n i s s schon

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innerhalb des Bereiches der an sich noch rein s t o f f l i c h k ö r p e r l i c h e n Daseynsweisen: ein natürliches Verhältniss, welches, wenn auch vielfach verborgen und verschleiert, nichtsdestoweniger durch die gesammte Natur sich hindurchzieht, um im gesellschaftlichen Verkehr der M e n s c h e n , und damit im Gebiet des eigentlichen G e i s t e s l e b e n s , in dem gegenseitigen „ I c h " und „ D u " zu seinem höchsten naturgemässen Ausdruck zu gelangen. Und in solcher Weise stellt denn auch, im allgemeinen Haushalte der Natur, ein jedes wirkliche und in sich selber s e l b s t ä n d i g e „ I c h " , in seiner eigentlichen G r u n d b e d e u t u n g , ein ebenso natürliches „ I c h " dar, wie auch das meinige. Allein es ist n i c h t d a s M e i n i g e , sondern ein a n d e r e s , und zwar allewege ein m i r f r e m d e s Ich. Doch gehen wir noch um einen Schritt weiter: so kann uns unmöglich entgehen, dass dasselbe innere Wesensverhältniss, welches innerhalb der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r im „ A t o m " uns entgegen tritt, kein Anderes ist noch seyn kann als D a s j e n i g e , welches im Gebiete der g e s t a l t e t e n Natur allgemein als „ I n d i v i d u u m " pflegt bezeichnet zu werden. B e i d e Ausdrucks weisen sagen somit, im Grunde und der Sache nach, E i n u n d D a s s e l b e , nur mit dem Unterschied, dass das Wort „ A t o m " griechischen, das Wort „ I n d i v i d u u m " dagegen lateinischen Ursprungs ist (RITTER: Unsterblichkeit S. 44). Denn wie der Grundbegriff des „Atoms" derjenige eines in sich „ U n z e r s c h n i t t e n e n " ist: so stellt der Begriff des „ I n d i v i d u u m s " denjenigen eines in sich „ U n g e t h e i l t e n " uns vor Augen. Beides sind somit, der Sache nach, Begriffe, welche wechselseitig sich decken. Aber nichtsdestoweniger findet auch in diesem Fall eine Unterscheidung statt. Denn der Begriff des „ A t o m s " findet seine Anwendung meist nur in Bezug auf die in sich u n t h e i l b a r e n E i n z e l d i n g e der noch u n g e s t a l t e t e n Natur: der Begriff des „ I n d i v i d u u m s " dagegen vorherrschend in Bezug auf die in sich ebenfalls ungetheilten i n n e r s t e n Wesens-

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g r u n d l a g e n sowohl des t h i e r i s c h - s e e l i s c h e n wie auch des n a t ü r l i c h - g e i s t i g e n Daseynsgebietes. Auch diese beiden Unterscheidungen stehen somit in keinem inneren Widerspruch mit dem Begriff der P e r s ö n l i c h k e i t . Indessen möchten wir gerade hier auch noch eines anderen begrifflichen V e r w a n d t s c h a f t s v e r h ä l t n i s s e s gedenken, auf welches wir zwar an früheren Orten (I. § 6. No. 31 und III. § 12. No. 55) bereits hingewiesen haben, auf welches wir jedoch gerade hier Veranlassung finden, von einem anderen Gesichtspunkte aus zurückzukommen. Es betrifft dasselbe den tief begründeten inneren Z u s a m m e n h a n g , welchen wir einerseits in Bezug auf die E r s c h e i n u n g s w e i s e n wahrnehmen, denen wir innerhalb des s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n D a s e y n s begegnen, anderseits aber auch in Bezug auf gewisse s a c h l i c h e Beziehungen oder Ausd r u c k s w e i s e n , welche mitunter in dem Gebiete unseres eigenen g e i s t i g e n D e n k e n s uns entgegentreten. Denn sind nicht alle vernunftgemässen S c h l u s s f o l g e r u n g e n , als g e i s t i g e „ U r t h e i l e " , ein thatsächlich g e i s t i g e s S u c h e n nach ganz bestimmten und in s i c h s e l b e r b e g r ü n d e t e n geistigen „ U r - T h e i 1 e n ", als den vernunftnothwendigen g e i s t i g e n G r u n d l a g e n für unser g e s a m m t e s D e n k e n ? Und haben wir, a n d e r s e i t s , in den Bestrebungen der N a t u r f o r s c h u n g nicht ein ganz ähnliches und verwandtes S u c h e n nach ebenso b e s t i m m t e n und in sich s e l b e r begründeten s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n „ U r - T h e i l e n " oder s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n „ U r - S a c h e n " vor Augen, als den ganz ebenso natur- wie vernunftgemässen G r u n d l a g e n für alles unserer s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g zugängliche w e s e n h a f t e N a t u r d a s e y n ? Weisen nicht aber auch d i e s e T h a t s a c h e n zurück äuf dasselbe innerliche V e r w a n d t s c h a f t s v e r h ä l t n i s s zwischen den drei D a s e y n s g e b i e t e n des s t o f f l i c h e n , des s e e l i s c h e n und des g e i s t i g e n N a t u r l e b e n s , auf welche uns soeben auch der Begriff der P e r s ö n l i c h k e i t geführt hat? Kehren wir nunmehr aber nochmals zurück zu dem

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vorhin besprochenen Verhältniss, in welchem die beiden Begriffe des „ A t o m s " und des „ I n d i v i d u u m s " zu einander stehen: so sagte bereits THOMAS YON AQUINO, ganz in dem eben angedeuteten Sinn, „ E i n h e i t heisse soviel als Unget h e i l t h e i t , und in diesem Sinn sey jedes Ding ein I n d i v i d u u m " ( W E R N E S : THOMAS VON AQUINO, II. S. 181). — KRAUSE spricht über dieselben Verhältnisse sich dahin aus, das „ I c h " sey ein s e l b s t ä n d i g e s Wesen und bestehe „ f ü r sich s e l b s t ; jedoch bediene man sich, anstatt der Bezeichnung als selbständiges Wesen, auch des Wortes » I n d i v i d u u m « , d. h. ein u n t h e i l b a r . e s W e s e n " (KRAUSE: Vorlesungen S. 5 2 u. 53). — Und ähnlich sagt SENGLER: „Jedes Wesen ist E i n h e i t s e i n e r selbst, d. h. ein p e r s ö n l i c h e s Wesen" (Idee Gr.: II. S. 1 8 0 ) . — Desgleichen DROSSBACH: „Das u n b e w u s s t e Wesen ist » I n d i v i d u u m « , das b e w u s s t e Wesen: » P e r s o n « . " Dabei bezeichnet er noch ausdrücklich die P e r s ö n l i c h k e i t als den „ B l ü t h e z u s t a n d des I n d i v i d u u m s " (Genesis des Bewusstseyns, S. 164). — „ P e r s ö n l i c h k e i t " — sagt HERBART — „ist E i n h e i t des I c h , dessen Merkmal sie auch ohne Zweifel hat" (HERBART: II. S. 3 0 5 , und VIII. S. 181). Von welcher, für unser m e n s c h l i c h e s A n s c h a u u n g s v e r m ö g e n , fast ganz u n v o r s t e l l b a r e n K l e i n h e i t eben diese letzten k ö r p e r l i c h e n W e s e n s e i n h e i t e n übrigens hinsichtlich ihrer w i r k l i c h e n Grösse und A u s d e h n u n g seyn müssen: dafür liefern uns die Entdeckungen der Naturforschung höchst bemerkenswerthe Thatsachen. Nur von Einigen der Ü b e r r a s c h e n d s t e n derselben sey hier Erwähnung gethan. Ein einziges G r a n K a r m i n z. B. färbt mit seiner Rothe bis an 20 P f u n d W a s s e r , und Moschus erfüllt e i n ' g a n z e s H a u s mit seinem G e r u c h , o h n e deshalb m e r k l i c h von seinem G e w i c h t a b z u n e h m e n (MÜLLER-POUILLET: I . S. 7). So hat man auch berechnet, dass wenn man ein K ö r n c h e n F u c h s i n von der D i c k e eines h a l b e n M i l l i m e t e r s und von

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einem G e w i c h t von 7 Z e h n t e l eines M i l l i g r a m m in einem L i t e r W e i n g e i s t auflöst, alsdann der in einem T r o p f e n dieses Letzteren gelöste Farbstoff „y 60 M i l l i o n t e l G r a m m " wiegt. Und nicht weniger überraschende Ergebnisse haben die mit M e t a l l e n angestellten Versuche geliefert. E I S E N L O H R führt hierüber Beispiele an, die wir unmöglich ganz übergehen können. So lässt sich z. B. ein D u k a t in G o l d b l ä t t c h e n schlagen von 2000 Q u a d r a t z o l l O b e r f l ä c h e ; ähnlich ergibt eine s i l b e r n e S t a n g e von Zoll D i c k e und 22 Zoll L ä n g e , mit 1 bis 2 L o t h Gold überzogen, einen D r a h t von 110 f r a n z ö s i s c h e n Meilen, welcher noch überall mit Gold überzogen ist, so dass 14 Millionen solcher G o l d s c h i c h t e n wie diejenige, welche diesen D r a h t b e d e c k t , n u r die D i c k e eines Z o l l e s haben würden. So kann auch 1 P f u n d B a u m w o l l e in einen F a d e n gesponnen werden von 40 Meilen L ä n g e . J a P i a t i n a lässt sich sogar zu D r a h t ziehen von nur 1 dreimillionst-el Zoll D i c k e , welcher nur d u r c h G l ü h e n s i c h t b a r gemacht werden kann. — Auch die Untersuchungen von E H R E N B E R G sind in diesen Beziehungen sehr bemerkenswerth. Nach denselben kann man auf 1 Kubikzoll P o l i r s c h i e f e r oder Tripel 40 000 Millionen von v e r s t o r b e n e n A u f g u s s t h i e r c h e n rechnen, und jedes E i n z e l n e dieser Thierchen war zu s e i n e n L e b z e i t e n , trotz seiner k a u m f a s s b a r e n K l e i n h e i t , in seinem I n n e r e n noch mit seinen besonderen L e b e n s v o r r i c h t u n g e n und L e b e n s s ä f t e n versehen, deren e i n z e l n e T h e i l c h e n also sämmtlich wieder noch um ein Bedeutendes k l e i n e r mussten gewesen seyn. Die H a u t einer S e i f e n b l a s e endlich besitzt oft nur die D i c k e von 0 , 0 0 0 0 1 M i l l i m e t e r , und in 1 K u b i k m i l l i m e t e r B l u t ist eine Million B l u t k ü g e l c h e n enthalten, deren jedes wieder aus einer ganz u n b e k a n n t e n Menge von n o c h k l e i n e r e n Theilchen zusammengesetzt seyn muss (EHKENBERG: Das unsichtbar wirkende organ. Leben. S. 2 1 u. 2 5 ) . Wandersmann. I.

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Nach diesen Beispielen und Thatsachen ist es sicherlich nicht zu verwundern, wenn es trotz der Schärfe und Feinheit unserer künstlichen Hülfsmittel bis jetzt noch k e i n e m Forscher jemals gelungen ist, auch nur ein einziges jener k l e i n s t e n und einfachsten U r - T h e i l c h e n oder Atome in irgend einer Weise seinen Blicken z u g ä n g l i c h zu machen. Selbst bei einer 3000 und 4000maligen Y e r g r ö s s e r u n g bieten a l l e Körper, die man bis jetzt darauf hin untersucht hat, dem Auge nur den Anblick einer r u h i g und o h n e a l l e U n t e r b r e c h u n g in s i c h v e r l a u f e n d e n Masse. — Ob d i e Z u k u n f t es ermöglichen wird, das bis jetzt für uns noch U n w a h r n e h m b a r e uns einstens noch w a h r n e h m b a r zu machen: das ist bis jetzt wohl k a u m vorauszusehen. Denn bis zu den l e t z t e n einzelnen A t o m e n selber vorzudringen: dies dürfte wohl k e i n e m menschlichen Auge, selbst mit den a l l e r s t ä r k s t e n künstlichen Hülfsmitteln, jemals möglich werden. Denn hier scheint die N a t u r selber über diese ihre i n n e r s t e n G e h e i m n i s s e einen undurchdringlichen S c h l e i e r gezogen zu haben. Aber trotzdem dass der Augenschein so sehr g e g e n die Annahme jener unserer s i n n l i c h e n Wahrnehmung sich entziehenden k l e i n s t e n N a t u r g r ö s s e n zu sprechen scheint: die innere N o t h w e n d i g k e i t ihrer Annahme und ihrer thatsächlichen W i r k l i c h k e i t ist, wie wir uns mehr und mehr haben überzeugen müssen, von den verschiedensten Seiten her, in s i c h s e l b e r , so wohl begründet, dass dieselbe als ebenso f e s t s t e h e n d sich darstellt, wie dies nur je der Fall ist in Bezug auf die erprobten Thatsachen der allgemeinen Naturlehre.

IY.

Kraft und Stoff als die naturnothwendigen Grundlagen und Grundbegriffe alles natürlich-weltlichen Daseyns. § 13. Kraft und Stoff In Ihrem begrifflichen Verhältniss zu einander. No. 59.

Erklärungen beider Begriffe nach den Handbüchern der allgemeinen Naturkunde.

n dem vorigen Abschnitt haben wir, an der Hand der uns umgebenden Natur, mehr und mehr die Uberzeugung gewinnen müssen, dass die Annahme von natürlichen s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n Ur- u n d E i n z e l d i n g e n oder E i n z e l w e s e n , als der innerlichen Bestandteile aller grösseren wie kleineren körperlichen Massen, keineswegs als eine bloss willkürliche Yermuthung darf betrachtet werden. Dieselbe stellt im Gegentheil als eine innere Y e r n u n f t n o t h w e n d i g k e i t sich dar, ohne deren tiefere Erkenntniss ein naturgemässer Einblick in das innere Wesen der Dinge kaum jemals zu erwarten seyn kann. Schon die Thatsache der n a t ü r l i c h e n T h e i l b a r k e i t aller körperlichen Massen bliebe, ohne sie, ein unerklärliches Eäthsel, da jeder Versuch, dieselbe in anderer Weise zu begründen, in die unlöslichsten W i d e r s p r ü c h e verstricken würde (vergleiche III. No. 52. 53. 54). Sehen wir aber, in Folge eben dieser Ergebnisse uns über17*

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Kraft und Stoff als Grundlagen alles natürlich-weltlichen Daseyns.

haupt einmal genöthigt zur Anerkennung e i n f a c h e r und in sich u n t h e i l b a r e r stofflich - körperlicher Ur und G r u n d b e s t a n d t h e i l e aller körperlichen Massenbildungen: so tritt unwillkürlich und unabweislich eine mit dieser Thatsache auf das Innigste verbundene Frage an uns heran. Es ist dies die Frage, w o r i n überhaupt der Begriff des Stoffes oder des S t o f f l i c h e n im Allgemeinen n a t u r g e m ä s s bestehen möchte? Mit eben dieser Frage geht aber gleichzeitig auch noch eine andere und ebenfalls nicht zu umgehende Frage Hand in Hand. Es ist dies die Frage, in welchem näheren oder entfernteren Yerhältniss eben jener Begriff des „ S t o f f e s " , dem Kern der Sache nach, zu dem Begriff der „Kraft", sowohl natur- wie vernunftgemäss, sich befinden möchte, da wir in der Regel beide Begriffe gemeinsam mit einander vergesellschaftet finden. Oder mit anderen Worten: Haben wir b e i d e Begriffe, den des S t o f f e s wie den der K r a f t , als beiderseits in untrennbarer E i n h e i t wechselseitig mit einander v e r b u n d e n , uns geistig zu vergegenwärtigen, und zwar dergestalt, dass an ein gegenseitiges Getrenntseyn g a r n i c h t darf gedacht werden? Oder sollten wir dieselben vielmehr, als einander völlig f r e m d gegenüberstehend, in das Auge zu fassen haben, so dass dieselben nur als unter Umständen, d. h. nur z u f ä l l i g und v o r ü b e r g e h e n d , als in der Natur z u s a m m e n g e h ö r i g von uns dürften in das Auge gefasst werden? Wohl haben wir bisher dieser Ausdrücke vielfach uns bedient, und mussten uns derselben bedienen, ohne dabei ihrer besonderen naturwissenschaftlichen Bedeutung ausführlicher Rechnung getragen zu haben. Wir nahmen im Gegentheil an, dieselben seyen, schon durch ihre allgemeine Anwendung im gewöhnlichen Leben, als gemeinverständlich zu betrachten. Doch dürfte es nunmehr an der Zeit seyn, beide Begriffe, welche schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch durch zwei besondere Wortbezeichnungen ausdrücklich u n t e r s c h i e d e n und a u s e i n a n d e r g e h a l t e n werden, nunmehr noch

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etwas genauer und eingehender in das Auge zu fassen. Denn nicht mit Unrecht, sondern aus guten Gründen, wird in Bezug auf Fragen, welche wissenschaftliche Gebiete berühren, in erster Linie nicht nur ein r i c h t i g e s U n t e r s c h e i d e n der in Betracht kommenden B e g r i f f e als erste und hauptsächlichste G r u n d b e d i n g u n g g e f o r d e r t , sondern es wird hierin gleichzeitig auch das s i c h e r s t e M i t t e l erblickt sowohl zur Verm e i d u n g von M i s s v e r s t ä n d n i s s e n , als auch zur Förderung der r i c h t i g e n E r k e n n t n i s s in Bezug auf wissenschaftliche Fragen überhaupt. Doch sehen wir zu diesem Zweck uns nunmehr zunächst in den gewöhnlichen H a n d b ü c h e r n der N a t u r l e h r e darnach um, was wir in denselben in Bezug auf jene beiden Begriffe von „ K r a f t " und von „ S t o f f " gesagt finden. Wir werden in denselben im Allgemeinen nur wenig befriedigenden Aufschlüssen über die uns eben beschäftigenden Fragen begegnen. Dies darf uns nicht wundern. Denn der Zweck derartiger Bücher besteht weniger darin, dunkle Käthsel bezüglich jener allgemeinsten und ursprünglichsten Verhältnisse der Natur in wirklich eingehender Weise zu ergründen und aufzuhellen, als vielmehr darin, einen möglichst kurz gefassten Aufschluss zu geben über die unserer unmittelbaren Erfahrung und Wahrnehmung zugänglicheren Erscheinungen innerhalb des Gebietes der allgemeinen Stoff- und Körperwelt. Zur Bestätigung deshier Gesagten lassen wir hier Stellen aus einigen der namhaftesten Handbücher dieser Art folgen. „ K ö r p e r oder Stoff (Materie)" — sagt Eisenlohr — „heisst Alles, was wir durch u n s e r e S i n n e w a h r n e h m e n , und welchem wir" — wie er später hinzufügt — „als allgemeine und wesentliche Eigenschaften A u s d e h n u n g , F i g u r und U n d u r c h d r i n g l i c h k e i t beilegen. Kraft dagegen heisst Alles, was eine V e r ä n d e r u n g bewirkt. Die N a t u r l e h r e aber ist die Darstellung der den K ö r p e r n innewohnenden K r ä f t e und der E r s c h e i n u n g e n , welche dadurch h e r v o r -

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g e b r a c h t werden" (EISENLOHR: Lehrbuch der Physik. Seite 1 und 4). — PolliMet spricht über die gleichen Verhältnisse sich folgendermassen aus. „Das i n n e r e Wesen der Körper ist uns v e r s c h l o s s e n , sie sind uns nur durch ihre ä u s s e r e E r s c h e i n u n g bekannt, d. h. wir wissen von ihnen unmittelbar n u r das, was wir durch die V e r m i t t e l u n g unserer S i n n e von ihnen erfahren" ( M Ü L L E E - P O U I L L E T , 3 . Auflage, Seite 2). Und ausserdem spricht ULRICI über deren weiteren Gedankengang sich noch folgendermassen aus. „Die U r s a c h e n des D r u c k e s oder der gegenseitigen E i n w i r k u n g e n , welche die verschiedenen Theile der Stoffwelt (der Materie) aufeinander ausüben, nennt man im Allgemeinen »Kräfte«. Man kann," fügt er hinzu, „annehmen, dass diese Kräfte ein b e s o n d e r e s D a s e y n (Existenz) haben, sich a u s s e r h a l b des Stoffes (der Materie) befinden und von diesem u n a b h ä n g i g sind, oder man kann annehmen, dass sie dem S t o f f s e l b s t innerlich zukommen (inhäriren), und nur d a u e r n d e (permanente) E i g e n s c h a f t e n desselben sind, welche ihm ursprünglich ertheilt sind. Diese beiden Voraussetzungen laufen im Grunde jedoch auf Dasselbe hinaus": eine Bemerkung, welcher ULRICI allerdings ein ? hinzufügt ( U L R I C I : G. u. d. Natur, Seite 51 u. 52). — F r i e d l e b e n sagt: „Eine U r s a c h e , durch welche B e w e g u n g b e w i r k t wird, und ebenso die U r s a c h e , welche einen W i d e r s t a n d bewirkt und die Bewegung a u f h e b t oder schwächt, wird eine Kraft genannt. Versucht man es aber, irgend eine Naturerscheinung (ein Phänomen) so lange zu zergliedern, bis man endlich auf die Kraft h i n g e l a n g t , welche als die l e t z t e sich behauptet und von welcher alles Übrige in der Erscheinung (in dem Phänomen) a b h ä n g i g war: so gelangt man immer auf s o l c h e K r ä f t e , deren eigentliches Wesen gar n i c h t m e h r Gegenstand sinnlicher W a h r n e h m u n g e n ist, und die darum von uns gar nicht anders erkannt werden können, als bloss und allein dadurch, dass wir aus ihren W i r k u n g e n auf ihr

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D a s e y n schliessen. Solche Kräfte nennt man G r u n d k r ä f t e . In ihnen sind die G e h e i m n i s s e der Natur niedergelegt, und zu ihnen hinauf vermag der Mensch mit all seinem Wissen und Forschen sich n i c h t zu erheben" (FEIEDLEBEN: Populäre Experimentalphysik, Seite 17 u. 18 und 7 u. 9). — Ahnlich sprechen auch B a u m g a r t n e r und v. E t t i n g s h a u s e n sich aus, indem sie sagen, dass „die U r s a c h e einer Erscheinung häufig selbst wieder eine Erscheinung (ein Phänomen) sey, und daher eines n e u e n G r u n d e s bedürfe. Dieser setzt, wenn er in der Erfahrung vorkommt, wieder einen n e u e n G r u n d voraus; so dass man endlich durch eine Reihe von Erscheinungen, deren jede zugleich Ursache und Wirkung ist, auf einen l e t z t e n ü b e r s i n n l i c h e n G r u n d kommt, der im I n n e r n der Natur seine Wurzel hat. Man nennt ihn Kraft, ohne durch diesen Ausdruck jedoch mehr als eine uns dem Wesen nach ganz u n b e k a n n t e Ursache einer Erscheinung bezeichnen zu wollen. Das D a s e y n derjenigen Erscheinungen, denen wir keinen weiteren sinnlichen Grund a l s U r s a c h e unterzulegen im Stände sind, und die wir darum auf die K r a f t als übersinnliche unbekannte Ursache zurückführen, sammt der A r t und W e i s e , nach welcher sie e r f o l g e n , sehen wir als eine im Wesen der Natur liegende Einrichtung an und sagen, das S t a t t f i n d e n einer solchen unerklärbaren Erscheinung sey ein N a t u r g e s e t z " (siehe ULBICI: a. a. 0. S. 51). — Nach G r a h a m und O t t o wird „Alles »Körper« genannt, was einen b e g r ä n z t e n R a u m selbständig e r f ü l l t . A u s g e d e h n t s e y n , d. h. den Raum nach verschiedenen Richtungen hin e r f ü l l e n , und U n d u r c h d r i n g l i c h k e i t , d. h. dass der erfüllte Raum n i c h t g l e i c h z e i t i g auch noch von einem a n d e r e n Körper e r f ü l l t seyn könne, sind zwei E i g e n s c h a f t e n , welche a l l e m K ö r p e r l i c h e n zukommen" (siehe ULKICI, Seite 19: Anmerkung). Und an einem anderen Orte: „ A l l e K ö r p e r t h e i l e und folglich auch ihre Summen, die M a s s e n , sind mit der Eigenschaft begabt, auf einander e i n -

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z u w i r k e n , sowohl bei derjenigen Annäherung, die man Ber ü h r u n g nennt, wie aus jeder noch so grossen E n t f e r n u n g . Die U r s a c h e dieser Einwirkungen nennt man Kräfte" (siehe ULRICI: Seite 52 u. 53). — A. M o u s s o n sagt: „Mit dem Worte Stoff (Materie) bezeichnen wir Alles, was sich unseren Sinnen als wirklich und bleibend vorhanden darstellt. Ein abgegränzter Theil von Stoff (Materie) heisst ein K ö r p e r . Ohne Wirkungsfähigkeit oder, was dasselbe ist, o h n e K r ä f t e , wäre vielmehr ein Körper für alle anderen und somit auch für uns, d. h. für unsere stofflichen Sinneswerkzeuge (für unsere materiellen Sinnesorgane) g a r n i c h t v o r h a n d e n (siehe ULRICI, Seite 1 9 u. 35 [MOUSSOK]). — In dem gleichen Sinn sagt auch S c h ö d l e r (Buch der Natur. I. S. 3): „Wir müssen uns ausser dem Stoff (der Materie) eine besondere U r s a c h e der an ihr sich darstellenden Erscheinungen a n n e h m e n , welche Kraft genannt wird." Diese Auszüge reichen hin, um uns zu zeigen, w i e w e n i g sichere und zuverlässige Auskunft über die beiden unsere gegenwärtige Untersuchung betreffenden Begriffe von „ K r a f t " und von „ S t o f f " in den gewöhnlichen Lehrbüchern zu finden ist. Allen diesen Begriffsbestimmungen kommt in einem gewissen Sinne und je nach dem Standpunkt, welchen die Verfasser jener Lehrbücher einnehmen, e t w a s R i c h t i g e s und W a h r e s zu; aber gleichzeitig besitzen sie alle auch etwas so U n s i c h e r e s und S c h w a n k e n d e s , dass sie für ein wirklich befriedigendes Verständniss der Natur und ihrer Dinge nothwendig als u n z u r e i c h e n d sich darstellen. Denn die Begriffe des S t o f f e s oder des Stofflichen nur allein dahin zu bestimmen, dass dadurch Dasjenige bezeichnet werde, was unserer s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g zugänglich sey: dies dürfte wohl schwerlich als eine wissenschaftlich ausreichende Erklärung betrachtet werden. (Vergleiche JOHANNES HUBER : „Forschung nach der Materie"). Daher dürfte es nicht unpassend seyn, auch bei noch anderen namhaften Denkern über

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jene beiden Begriffe uns eines Näheren Raths zu erholen, um auch mit deren Aussprüchen uns näher bekannt zu machen. So suchte, beispielsweise, Hegel den Begriff der „Kraft" auf dem Wege zu erklären oder vielmehr zu veranschaulichen, dass er dieselbe als eine (natürliche) A u s b r e i t u n g der selbs t ä n d i g e n Stoffe (Materien) in i h r e m Seyn bezeichnete (HEGEL II. S. 102). — J. J. W a g n e r (Natur d. Dinge S. 4 9 7 u. 498) bringt den Begriff des „Stoffes" namentlich in Verbindung mit dem Begriff der „Schwere". „Was n i c h t zus a m m e n h ä n g t " — sagt er — „hat keinen Sinn: so ist auch das, was nicht schwer ist, kein wirklicher S t o f f , k e i n e M a t e r i a l i t ä t . " — Wiener spricht in seinen „G-rundzügen der Weltordnung" sich folgendermassen aus. „Als e r s t e Art von W e s e n der Aussenvvelt wollen wir den »Stoff« bezeichnen. Er hat jedenfalls die Eigenschaft, auf die S i n n e und auf anderen Stoff zu wirken. Die zweite Art der Wesen dürfte dagegen k e i n e s f a l l s die Eigenschaft haben, auf die Sinne zu wirken; denn Das, was auf die Sinne w i r k t , ist »Stoff«" (Seite 698). — Ausserdem begegnen wir aber, an anderen Orten, auch noch folgenden ebenfalls hierher gehörigen Aussprüchen. So heisst es Seite 652: „Alle jene ä u s s e r e n U r s a c h e n , welche S i n n e s e i n d r ü c k e in uns h e r v o r b r i n g e n können, bezeichnet man mit dem gemeinschaftlichen Namen »Stoff« oder »Materie«." Denn Stoff ist nach WIENEB Dasjenige, „was vermittelst unserer geöffneten Sinne auf uns zu w i r k e n vermag": ein Ausspruch, an welchen WIENER dann weiterhin (S. 715) noch die Bemerkung hinzufügt: „der »Stoff« sey nichts Anderes als ein u n d u r c h d r i n g l i c h e s , r ä u m l i c h a u s g e d e h n t e s Wesen mit T r ä g h e i t und m i t K r a f t . " Den eigentlichen B e g r i f f von dem, was überhaupt „Kraft" ist, bestimmt WIENEK (Seite 640) dahin, „dieselbe sey die w i r k e n d e u n d r e i n e U r s a c h e e i n e r B e w e g u n g s v e r ä n d e r u n g " . Ausserdem findet sich aber an einer anderen Stelle (Seite 706) ausdrücklich noch hervorgehoben, dass „die

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Kraft und Stoff als Grundlagen alles natürlich-weltlichen Daseyns.

G r u n d e i g e n s c h a f t e n des S t o f f e s aus den allem Stroffe zukommenden Eigenschaften der T r ä g h e i t , der W e c h s e l w i r k u n g d e r K r ä f t e und der U n a b h ä n g i g k e i t der K r a f t W i r k u n g e n bestehen." Und endlich hebt W I E N E R auch noch ausdrücklich an einem früheren Orte (Seite 6) hervor,, „däss der S t o f f , wenn er in R u h e ist, sich weder von selbst B e w e g u n g ertheilen, noch wenn er sich in Bewegung befindet, dieselbe, weder der Richtung noch der Geschwindigkeit nach, irgendwie zu ä n d e r n vermöge. Die U r s a c h e einer jeden B e w e g u n g s v e r ä n d e r u n g aber" — fügt W I E N E R ausdrücklich hinzu — „liegt a u s s e r d e m S t o f f (ausser ihm) und heisst »Kraft«." Wir beschliessen hiermit unsere bisherige Darlegung des Standpunktes, welchen W I E N E R , namentlich in Bezug auf die uns eben beschäftigenden Naturverhilltnisse einnimmt. Noch tiefer in dieselben einzudringen, würde hier zu weit führen. — Ule spricht über diesen Gegenstand sich folgendermassen aus. „In dem S t r e b e n , in der wirksamen Richtung der G e g e n s ä t z e liegt die Ahnung einer l e b e n d i g e n K r a f t , die nicht in dem todten Atom, sondern in dem l e b e n s v o l l e n Stoff (der Materie) selbst ihren Sitz hat." Und weiterhin fährt ULE folgendermassen fort: „Wir suchen in diesem wechselvollen Spiele das B l e i b e n d e , das U n v e r g ä n g l i c h e . Wir sehen mir Formen und Verhältnisse w e c h s e l n und s c h w i n d e n , was aber b l e i b t , das nennen wir » S t o f f « oder Materie. E r ist uns das F o r m l o s e : der U r g r u n d der D i n g e . Und somit ist der S t o f f nichts als der krafterfüllte R a u m , wie O E R S T E D ihn nennt. Ein S t o f f (eine Materie) o h n e K r a f t , ohne W i r k u n g ist nichts, ist nur ein t o d t e r S t o f f , d. h. ein W i d e r s p r u c h i n s i c h " (ULE: Die Natur. Seite 43, 62 u. 63). — „Die Wissenschaft" — sagt H e l m h o l t z — „betrachtet die Gegenstände der Aussenwelt nach zweierlei Gesichtspunkten (Abstractionen): „ e i n m a l ihrem blossen D a s e y n nach, a b g e s e h e n von i h r e n W i r k u n g e n a u f a n d e r e G e g e n -

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s t ä n d e oder auf unsere Sinneswerkzeuge; als solche bezeichnet die Wissenschaft dieselben als Stoff (als Materie). Das D a s e y n des Stoffes ist uns also ein r u h i g e s , wirkungsloses. Wir unterscheiden an ihm die r ä u m l i c h e V e r t h e i l u n g und die M a s s e (Quantität), welche als ewig u n v e r ä n d e r l i c h gesetzt wird. U n t e r s c h i e d e in Bezug auf E i g e n s c h a f t e n (qualitative Unterschiede) dürfen wir dem S t o f f an sich n i c h t zuschreiben; denn wenn wir von v e r s c h i e d e n a r t i g e n Stoffen (Materien) sprechen, so setzen wir ihre Verschiedenheit immer nur in die Verschiedenheit ihrer W i r k u n g e n , d. h. in ihre Kräfte. Der S t o f f an sich kann deshalb auch k e i n e a n d e r e Veränderung eingehen, als eine r ä u m l i c h e , d. h. B e w e g u n g . Die Gegenstände der Natur sind aber n i c h t wirkungslos, j a wir kommen überhaupt zu ihrer Kenntniss nur durch die W i r k u n g e n , welche von ihnen aus auf unsere Sinneswerkzeuge erfolgen, indem wir aus diesen Wirkungen auf ein W i r k e n d e s schliessen. Wenn wir also den Begriff des S t o f f e s in der Wirklichkeit a n w e n d e n wollen, so dürfen wir dies n u r , indem wir, durch ein z w e i t e s A b s e h e n (eine zweite Abstraction) desselben, wiederum d a s h i n z u f ü g e n , wovon wir vorher a b s e h e n wollten, nämlich das Vermögen, W i r k u n g e n a u s z u ü b e n , d. h. indem wir demselben K r ä f t e beilegen. Es ist einleuchtend, dass die Begriffe von S t o f f und K r a f t in der Anwendung auf die Natur n i e getrennt werden dürfen. Ein r e i n e r S t o f f (eine reine Materie) wäre für die übrige Natur g l e i c h g ü l t i g , weil sie n i e eine V e r ä n d e r u n g in dieser oder in unseren Sinnen bedingen könnte. Eine r e i n e K r a f t aber wäre Etwas, das daseyn s o l l t e und doch auch wieder n i c h t daseyn, weil wir das Daseyende » S t o f f « (Materie) nennen. Ebenso f e h l e r h a f t ist es aber, den S t o f f für etwas W i r k l i c h e s , die K r a f t aber für einen b l o s s e n B e g r i f f zu erklären, dem n i c h t s W i r k l i c h e s entspräche: beide sind vielmehr ein A b s e h e n von dem Wirklichen (Abstractionen), in gleicher Art gebildet: wir können

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Kraft und Stoff als Grundlagen alles natürlich-weltlichen Daseyns.

ja den Stoff nur durch seine K r ä f t e , nie an sich selbst wahrnehmen" (HELMHOLTZ: über die Erhaltung d. Kraft, S. 3 u. f., und ÜLKICI, a. a. 0. Seite 33). — In ähnlichem Sinn, doch kürzer gefasst, spricht auch Fechner sich aus. „Nach der gemeinsten und rohesten Fassung betrachtet man die Kraft als Etwas, was in dem Stoff sitze, oder ihm wie eine ä u s s e r l i c h e Eigenschaft anhafte, doch auch über ihn h i n a u s sich in die Weite erstreckt, und so das D a s e y n des Stoffes k u n d gibt. Wozu also noch Etwas a u s s e r den K r ä f t e n an dem Stoff (der Materie) annehmen, da sich dessen D a seyn nur durch die K r ä f t e verräth? Statt zu sagen, die Kraft sitze in dem S t o f f , statt zu denken, der Stoff habe auch noch abgesehen von seinen Kräften Bestand, und statt die Kräfte äusserlich an den Stoff zu heften, werden wir sagen: K r a f t und n i c h t s als K r a f t sey der S t o f f ; und was sich ü b e r i h n h i n a u s erstreckt, sey wesentlich D a s selbe als woraus er besteht" (FECHNEK: Atomenlehre Seite 106 u. 107). — Auch Redteilbacher spricht in ähnlicher Weise sich- aus. „Das Wesen des Stoffes (der Materie) ist uns nur theilweise bekannt. Wir wissen nur aus Erfahrung, dass er gleichsam ein D o p p e l w e s e n ist, das mit einem l e i d e n d e n und einem t h ä t i g e n G r u n d v e r m ö g e n (einem passiven und einem activen Princip) begabt ist. Das l e i d e n d e Grundvermögen wird B e h a r r u n g s v e r m ö g e n genannt, und besteht theils in der Fähigkeit des Stoffes, d u r c h sich s e l b s t und ohne alle äussere Einwirkung in einem Zustand des r u h i g e n oder b e w e g t e n Seyns v e r h a r r e n zu können, theils aber auch in der U n f ä h i g k e i t , durch sich s e l b s t einen in. ihm vorhandenen Zustand des ruhigen oder bewegten Seyns zu v e r ä n d e r n . Das zweite, t h ä t i g e (active) Grundvermögen wird »Kraft« genannt. Es besteht in der Fähigkeit der Körper, wechselseitig a n z i e h e n d oder a b s t o s s e n d einzuwirken, und dadurch die Z u s t ä n d e ihres Seyns v e r ä n d e r n zu können. Diese beiden Grundvermögen sind die uns be-

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kannten G r u n d e i g e n s c h a f t e n des S t o f f e s " (ULEICI: a. a. 0 . S. 60. REDTENBACHER). — U l r i c i selbst spricht in Bezug auf die beiden Begriffe von „ S t o f f " und von „ K r a f t " sich folgendermassen aus. „Der Stoff (die Materie) ist nach der übereinstimmenden Ansicht der neueren Naturforscher die G r u n d l a g e (das Substrat) der Naturerscheinungen, Dasjenige, w o r a u s die Dinge b e s t e h e n , und was das E r s c h e i n e n d e in den Erscheinungen ist." Und an einem späteren Ort spricht er im Besonderen sich noch folgendermassen aus. „Die Lehre (das Dogma) Ton der S e l b s t ä n d i g k e i t des S t o f f e s gegenüber der U n s e l b s t ä n d i g k e i t der K r a f t ist mithin eine willkürliche Voraussetzung, — ja es leuchtet ein, dass vielmehr das Gegentheil folgt, wenn die Naturwissenschaft, wie sie doch m u s s , anerkennt, dass »die Kraft« die U r s a c h e aller Erscheinungen an dem S t o f f e ist. Denn sind a l l e Erscheinungen an dem S t o f f die Wirkungen der K r a f t , so ist offenbar der e r s c h e i n e n d e S t o f f s e l b s t nur Wirkung der K r a f t , und sofern in jeder Wirkung, die erscheint, die U r s a c h e mit erscheint: so ist der e r s c h e i n e n d e S t o f f eben nur E r s c h e i n u n g d e r K r a f t , und die K r a f t also das W e s e n des S t o f f e s , das in ihm zur Erscheinung kommt. Alle übrigen Begriffsbestimmungen, welche die Naturwissenschaft versucht hat, trifft das gleiche Schicksal. Denn der S t o f f , als das »Undurchdringliche«, ist dies nur durch die K r a f t d e s W i d e r s t a n d e s , die er jeder Durchdringung entgegensetzt. Das »Baumerfüllende, einen Raum Einnehmende und Behauptende« vermag nur durch eine K r a f t den Raum in Beschlag zu nehmen, zu erfüllen und gegen den Andrang eines anderen zu b e h a u p t e n . Kurz es ergibt sich, »dass der angebliche S t o f f sich in allen seinen Bestimmungen, bei näherer Betrachtung, in K r a f t auflöst«. Dies ist der Sinn des Satzes: » K e i n e K r a f t o h n e S t o f f ; « nur so gefasst hat dieser Satz einen Sinn" (ULBICI a. a. 0 . Seite 17. 463. 464. 468).

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N o . 6 0 . Weitere Aufklärungen von Naturforschern und Denkern über die Begriffe von Kraft und von Stoff. Der Stoff als Träger der Kraft. Würde man auch den im Vorigen erwähnten Aussprüchen beipflichten, wornach die K r a f t als etwas an den Stoff Gebundenes, der Stoff aber gewissermassen als deren T r ä g e r und natürlicher Eigenthümer bezeichnet ist: so kann hieraus doch keineswegs auch schon auf eine wechselseitige A b h ä n g i g k e i t beider Begriffe von einander mit voller Sicherheit geschlossen werden. Denn es bleibt hierbei noch immer unentschieden, welcher von beiden Begriffen naturgemäss als der Erste, der Ursprünglichere und als der den Anderen Voranstehende dürfte zu betrachten seyn. Es scheint zwar nach manchen der angeführten Aussprüche, namentlich aus dem, dass der „Stoff" der Träger der „Kraft" sey, der Stoff als das Ursprünglichere dargestellt zu seyn, denn Dasjenige, was bestimmt ist, ein Anderes zu tragen, muss in der Regel eher hergestellt und zubereitet seyn als Dasjenige, welchem die Bestimmung zukommt, getragen zu werden. Als einen auf stichhaltige Vernunftgründe gestützten Beweis für einen derartigen Vorzug des Stoffbegriffes vor dem Kraftbegriff kann die blosse Bezeichnung des Stoffes als eines „Trägers der Kraft" doch wohl in keiner Weise gelten. F ü r die gesammte Naturwissenschaft, insbesondere für das richtige Verständniss alles Naturdaseyns, ist aber das wahre und eigentliche Verhältniss, in welchem Kraft und Stoff zu einander stehen, von so weitgehender Bedeutung, dass wir uns dieses Verständniss unmöglich versprechen dürfen, so lange wir uns nicht vollkommen klar darüber sind, welchem von beiden Begriffen thatsächlich die begrifflich erste S t e l l e gebührt. Zu diesem Zweck möchte es daher zweckmässig seyn, unter den Aussprüchen anerkannter Denker noch eine weitere Umschau zu halten.

K r a f t und Stoff in ihrem begrifflichen Verhältniss zu einander.

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A r i s t o t e l e s unterscheidet ausdrücklich zwischen einer „ G e s t a l t u n g " und einer „ F o r m " . Wenn er aber gleichzeitig ebensowohl von einer blossen „ F o r m " spricht, wie anderseits auch von einer „ F o r m im S t o f f " : so kann es wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass er unter jener blossen „ F o r m " im Allgemeinen allein die ä u s s e r e G e s t a l t dürfte verstanden haben, wogegen unter der „ F o r m im S t o f f " jene natürliche U r - und G r u n d k r a f t , auf deren unmittelbarer Wirksamkeit von Uranfang an das gesammte innere Wesen und Daseyn aller natürlichen Einzeldinge sich gründet. Und von diesem Gesichtspunkt aus kann eben' jene „ F o r m im S t o f f " , im Vergleich mit dem Stoff begriff als solchem, nur allein als das in begrifflicher Beziehung E r s t e und darum auch H ö h e r e zu betrachten seyn (ARISTOTELES, nach P R A N T L , Buch I. No. 9 , Seite 6 9 ) . — In einem ähnlichen Sinn sagt S e n g l e r : „Die A u s d e h n u n g ist die Erscheinung des Stoffes, deren innerer Grund die e r s c h e i n e n d e W e s e n h e i t des Stoffes ist, als die denselben wirkende K r a f t . Der Stoff ist somit das Ergebniss (Produkt) von im W e s e n des Stoffes liegenden K r ä f t e n " ( S E N G L E R : Idee G. S. 410). — B a a d e r dagegen spricht folgendermassen sich aus. „Das L e b e n will F ü l l e und H ü l l e : es will e r f ü l l t d. h. b e s e e l t , und u m h ü l l t d. h. g e s t a l t e t seyn, will I n h a l t und F o r m d. h. S e e l e und L e i b haben, und zwar beide in E i n t r a c h t , d. h. seine B e s e e l u n g und seine B e l e i b u n g soll eine W e s e n s g l e i c h h e i t (Identität) des Urgrundes (Princips) aussagen. Der Grundtrieb des Lebens ist somit w e d e r G e s t a l t u n g s - oder B i l d u n g s t r i e b a l l e i n , noch B e s e e l u n g s oder E r f ü l l u n g s t r i e b allein, sondern er geht auf b e i d e , auf E m p f i n d e n (Intension) und auf S c h a u e n (Extension) und zwar in ihrer E i n t r a c h t " (Band II. S. 325). Und an einem späteren Orte sagt er: „In jedem Lebendigen ist U n t r e n n b a r k e i t und Ü b e r e i n s t i m m u n g (Identität) der F o r m und des W e s e n s , der E i n h e i t und der V i e l h e i t , und nur,

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wenn E i n h e i t und V i e l h e i t eines Lebendigen auseinander treten, dann entsteht der W i d e r s p r u c h . Der Begriff der E i n h e i t schliesst den der V i e l h e i t in sich. Denn V i e l h e i t und E i n h e i t widersprechen sich n i c h t , aber sie würden sich doch w i d e r s p r e c h e n , wenn nicht eine Verschiedenheit der Gebiete (Regionen), in welchen sie E i n s und Vieles sind, stattfände (Band VLII. S. 161). — Und im gleichen Sinn sagt Lutterbeck: „Ein Stoff ohne K r a f t würde dasselbe seyn, wie ein Wesen ohne F o r m , ein Ä u s s e r e s o h n e I n n e r e s , eine H ü l l e o h n e F ü l l e , welches Alles schon an und für sich schlechthin u n d e n k b a r , geschweige denn etwas Seyendes ist. Beide also, K r a f t und Stoff, gleichwie Form und Wesen, sind keineswegs gleichgültig gegen einander, sondern sie entstehen, bestehen und vergehen überall nur m i t e i n a n d e r " (FROHSCHAMMER: Athenäum I I I .

S. 178.

LUTTER-

geht im Allgemeinen von der Anschauung aus, dass der Stoff nur als das Ergebniss von wirksamen Kräften darf betrachtet werden. „Keine Untersuchung" — sagt er — „ist von so vielem Dunkel umgeben, als die über das Wesen des S t o f f e s (der Materie). Und dennoch ist die E i n s i c h t in dasselbe n o t h w e n d i g zur wahren Naturerkenntniss (Philosophie). Daher kommt es darauf an, den Begriff des » S t o f f e s « selbst bis auf seinen e r s t e n U r s p r u n g zu verfolgen. Der Stoff muss überhaupt gedacht werden als Etwas, was den R a u m , jedoch unter gewissen Schranken e r f ü l l t . Als Bedingung dieser Möglichkeit müssen wir also eine K r a f t voraussetzen, die den Raum e r f ü l l t , und eine andere, jener entgegengesetzte, die dem Raum G r ä n z e und S c h r a n k e gibt" (SCHELLING: II. S. 223. 213 u. 214). — Oersted spricht einfach folgendermassen sich aus. „Ein g e d r ü c k t e r Körper d r ü c k t fortwährend gegen den D r ü c k e n d e n . Die Körper haben also eine Wirksamkeit in sich, wodurch sie ihren Raum a u s f ü l l e n . Was wir also zunächst von den Körpern wissen, ist, dass sie k r a f t e r f ü l l t e BECK). —

Schölling

Kraft und Stoff in ihrem begrifflichen Verhältniss zu einander.

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R ä u m e sind" (OEKSTED: Geist in der Natur. Band I . Seite 7 u. 8). — B ö h n e r (Naturforschung und Kulturleben. Seite 225 u. 226) spricht in einem ähnlichen Sinn sich aus. Nachdem er darauf hingewiesen, dass „die K r a f t der Wärme den Stoff verändere (modificire)", fügt er weiterhin hinzu, dass „dies nicht geschehen könnte, wenn nicht der Stoff selbst, seinem Wesen nach, Kraft wäre. Denn" — " f ä h r t er fort — „die K r a f t bildet das W e s e n des S t o f f e s . " — So sagt auch D e l f f : „Da sich kein Weg findet, um den S t o f f (die Materie) aus dem Stoff zu erklären, so hat sich f ü r uns herausgestellt, dass es n i c h t möglich ist, den Stoff aus s i c h s e l b s t zu erklären. W i r werden also zu diesem Zweck über den Stoff h i n a u s g e h e n müssen. Was würden wir aber noch ausser dem Stoff finden? Ohne Zweifel nichts Anderes, als die K r a f t . Um also den Stoff zu erklären, müssen wir auf die K r a f t zurückgehen" (DELFF: Cäcilie. Seite 16). — Zu gleichen Ergebnissen führt uns auch Ulrici, wie dies namentlich aus der eingehenden Darlegung seines gesammten Gedankenganges deutlich zu erkennen ist. „Der Stoff" — sagt er — „ist nach der übereinstimmenden Ansicht der neueren Naturforscher, der T r ä g e r (das Substrat) der Naturerscheinungen, Dasjenige, w o r a u s die Dinge bestehen, was das E r s c h e i n e n d e in den Erscheinungen ist." Und weiterhin sagt derselbe: „Nicht das Daseyn, bloss als solches, sondern n u r das » r u h i g e , w i r k u n g s l o s e « Daseyn nennen wir S t o f f (Materie), im Gegensatz gegen b e w e g t e s , w i r k e n d e s D a s e y n , d. h. gegenüber der » K r a f t « . Sind aber a l l e Erscheinungen an dem S t o f f die Wirkungen der »Kraft«, so ist offenbar der e r s c h e i n e n d e S t o f f selbst nur Wirkung der K r a f t , und sofern in jeder W i r k u n g sich die U r s a c h e kund gibt, d. h. erscheint, so ist der e r s c h e i n e n d e S t o f f eben nur die Erscheinung der K r a f t , — die K r a f t also das W e s e n des Stoffes, das in ihm zur Erscheinung kommt" (ULRICI: G. U. die Natur. Seite 17. 35. 36). — So sagt auch M o l e s c h o t t : „ D i e K r a f t ist Wandersmann.

I.

18

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Kraft und Stoff als Grundlagen alles natürlich-weltlichen Daseyna.

k e i n von der s t o f f l i c h e n Grundlage getrenntes Wesen der Dinge: sie ist des »Stoffes« u n z e r t r e n n l i c h e , ihm von Ewigkeit innewohnende E i g e n s c h a f t . Denn eine K r a f t o h n e s t o f f l i c h e n T r ä g e r wäre eine durchaus w e s e n l o s e Vorstellung, ein sinnloser abgezogener Begriff" (MOLESCHOTT: Kreisl. d. Lebens. Seite 347 u. 378). — Ähnlich sagt Louis Büchner? „ K e i n e K r a f t o h n e Stoff und k e i n Stoff o h n e K r a f t . Eine Kraft o h n e Stoff wäre ein leerer inhaltloser Begriff" (BÜCHNER: Kraft u. Stoff. Seite 2 u. 3, sowie Natur und Geist. Seite 45. 46. 48). — Und Czolbe sagt: „Das Wesen der »Atome« ist b e g r ä n z t e und u n d u r c h d r i n g l i c h e A u s d e h n u n g . Es ist dieser Begriff ohne Zweifel vollständig das, was man M a t e r i e , Stoff, S u b s t a n z nennt." Und an einem späteren Ort fügt er noch hinzu: „Es ist kein Grund vorhanden, jenes sich ganz von selbst verstehende Verhältniss durch Annahme einer dem Stoff zukommenden wesenlosen Eigenschaft oder K r a f t erklären zu wollen" (CZOLBE: Sensualismus. Seite 106 u. 122). So sagt auch L u t t e r b e c k (nach BADER), dass „nur K r a f t und Stoff zusammen den Begriff eines l e b e n d i g e n S t o f f e s bedingen. „Und" — fügt er hinzu — „ n u r e i n e n s o l c h e n Stoff (Materie) finden wir in der Natur, wogegen sich n i r g e n d s in der Welt ein todter, d. h. völlig k r a f t l o s e r Stoff (matière brüte) nachweisen lässt. Ein Stoff o h n e K r a f t würde dasselbe seyn, wie ein W e s e n o h n e F o r m , ein Ä u s s e r e s o h n e I n n e r e s , oder eine H ü l l e o h n e F ü l l e , welches alles schon an und für sich schlechthin u n d e n k b a r , geschweige etwas Seyendes ist" (FROHSCHAMMER: Athenäum. I I I . Seite 177 u. 178: LUTTERBECK). Diese Auszüge dürften genügen, uns einen richtigen Einblick zu gewähren in die verschiedenen Anschauungen, welche wir in Bezug auf die hier zu lösende Frage bei den verschiedenen Schriftstellern begegnen.

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N o . 61.

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Sie Kraft als begriffliche und wesenhafte Grundlage des Stoffes.

Bereits Aristoteles hat es als einen bekannten Erfahrungs- und Wahrheitssatz anerkannt, dass „ K r a f t l o s i g k e i t als ein N a t u r w i d r i g e s " zu betrachten sey ( A r i s t o t e l e s : Himmelsgebäude, nach P b a n t l , Seite 131 u. 133). — Und in verwandter Weise hat auch Plotin sich folgendermassen ausgesprochen. „Es gibt — sagt er — „ d r e i e r l e i W e s e n h e i t e n (Substanzen): 1. der »Stoff« (die Materie), 2. die » F o r m « (d. h. die den Stoff g e s t a l t e n d e » K r a f t « ) , und 3. das aus Beiden » Z u s a m m e n g e s e t z t e « . Der Natur der Sache nach konnte P l o t i n , unter dieser letzten Bezeichnungsweise, wohl kaum etwas Anderes im Geiste vorgeschwebt haben, als nur allein die eigene i n n e r e W e s e n h e i t der betreffenden Dinge selber ( T i e d e m a n n : III. Seite 305 und 307: lOtes Hauptstück). — Eingehender spricht, in Bezug auf diese Verhältnisse, K. P. Fischer sich aus, wenn er sagt: „Schon eine den wirklichen Gegenständen der Natur wahrhaft entsprechende (objective) A u f f a s s u n g der N a t u r überzeugt uns, dass ihre Erscheinungen Ergebnisse (Resultate) sind von V o r g ä n g e n oder P r o z e s s e n , welche d u r c h K r ä f t e bewirkt werden, die nicht bloss an den Körpern haften, sondern welche die i n n e r l i c h wirkenden K r ä f t e und U r s a c h e n (Potenzen und Agentien) ihres W e r d e n s und ihres D a s e y n s sind. Die rein (abstrakt) m a t e r i a l i s t i s c h e Vorstellungsweise" — fügt F i s c h e e hinzu — „wird durch den erwiesenen Begriff der lebendigen W e s e n h e i t (Substanz) w i d e r l e g t , welche, als solche, die E i n h e i t von K r a f t und Stoff ist" (K. P. F i s c h e r : Grundzüge des Systems der Philosophie: Band III. Seite 239). — Und ganz in demselben Sinn sagt auch Lutterbeck: „Die Natur dürfe auf k e i n e r ihrer Entwickelungsstufen als eine t o d t e M a s s e , sondern überall nur als Etwas, vermittelst der in ihr wirks a m e n K r ä f t e , schlechthin L e b e n d i g e s aufgefasst werden, 18*

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Kraft und Stoff als Grundlagen alles natürlich-weltlichen Daseyns.

und zwar mit der weiteren Folge, dass also auch das, was e r s t s p ä t e r in ihr hervortritt, schon von A n f a n g an in ihr als Keim vorausgebildet (präformirt) gewesen seyn muss" (FBOHSCHAMMEE: Athenäum. I I I . Seite 2 0 3 . LUTTEBBECK). — Ebenso sagt Moleschott: „Die W ä r m e ist nicht etwa eine vom Stoff l o s g e b u n d e n e K r a f t , und noch weniger ein eigener S t o f f : Wir kennen keine Wärme (als solche), sondern nur warme S t o f f e " (MOLESCHOTT: Kreislauf d. Lebens. Seite 364). — Und endlich sagt Oken, im Hinblick auf die gleichen Verhältnisse: „Der Stoff (die Materie) ist m i t der Z e i t und dem R a u m gegeben. Aller R a u m ist stofflicher Natur (material), ja der Stoff ist selbst der R a u m , und die Z e i t , und die G e s t a l t (Form) und die Bewegung. Denn der Raum ist ja nichts Besonderes (d. h. nichts selbständig für sich Bestehendes), sondern nur a u s g e d e h n t e oder ges t a l t e t e (geformte) K r a f t . Daher k e i n e T h ä t i g k e i t o h n e Stoff (Materie), aber auch kein Stoff ohne T h ä t i g k e i t : beide sind E i n s . Es gibt keinen t o d t e n S t o f f , er ist l e b e n d i g durch sein S e y n " (OKEN: Naturphilosophie. Seite 3 0 u. 31).

§ 14. Kraft und Stoff in ihrem natürlichen Wechselverhältniss zu einander. No. 62. Die Kraft als die tatsächliche natürliche Grundlage alles weltlichen Daseyns ohne Ausnahme. Mit diesem nunmehr beginnenden n e u e n A b s c h n i t t (§) treten wir gleichzeitig ein in einen neuen Gedankenkreis. Denn wir gehen nunmehr über zu zwei sehr tiefen und gedankenreichen Schriftstellern, welche, der Zeit nach, zwar zu den frühesten und ältesten philosophischen Denkern zählen, ihrem Gedankenreichthum nach aber gleichzeitig auch den namhaftesten philosophischen Schriftstellern dürften an die Seite gestellt werden. Der Erste und Ältere ist Lucretius

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C a r u s , der Zweite und etwas jüngere ist Giordano Bruno. Wir beginnen mit dem Ersteren, dessen philosophisches L e h r g e d i c h t „ V o n d e r N a t u r d e r D i n g e " von K N E B E L , in demselben Versmaass wie jenes, in das Deutsche übertragen hat. Von des LUCRETIUS' näheren Verhältnissen wissen wir jedoch sehr wenig. „Er war" — sagt VON K N E B E L in seiner Vorrede — „von e d e l n E l t e r n geboren und aus a l t e m Ges c h l e c h t , nicht lange vor der Zeit des CICERO und V I R G I L " . Der Beiname „Carus", das heisst der „ G e l i e b t e " , war ihm von seinen Zeitgenossen allgemein beigelegt, seiner grossen Beliebtheit wegen (Vorrede Seite VI). In Bezug auf seinen philosophischen Gedankengang war LUCRETIUS von der damals vielverbreiteten Ansicht ausgegangen, dass „die u r a n f ä n g l i c h e n K ö r p e r " nothwendig „ e w i g " seyn müssten. „Wäre der G r u n d s t o f f " — sagte er — „ n i c h t von e w i g e r D a u e r : so wäre jegliches Ding schon längst i n ' s N i c h t s versunken, und alles wäre, was irgend wir sehen, a u s N i c h t s von neuem geboren. Doch da ich aber gezeigt, dass a u s Nichts n i c h t s könne hervorgehn: auch das Erschaffene nicht in N i c h t s sich könne verkehren, müssen die Ursprungstheile von ewig f e s t e r N a t u r seyn. Denn wie könnten sie sonst f o r t d a u e r n durch ewige Z e i t e n ? (Seite 47.) Und wir sehen daher, dass jegliches sich wieder herstellt, (und) jeglichem Dinge nach (seiner) Art, f e s t s t e h t das b e s t i m m t e Z e i t m a s s , um in gehöriger Frist zur B l ü t h e d e s A l t e r s zu kommen. Uber dieses, so f e s t auch immer die K ö r p e r des U r s t o f f s , kann aus Allen si