Der ewige, allgegenwärtige und allvollkommene Stoff, der einzige mögliche Urgrund alles Seyns und Daseyns: Band 3 [Reprint 2022 ed.] 9783112691540

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Der ewige, allgegenwärtige und allvollkommene Stoff, der einzige mögliche Urgrund alles Seyns und Daseyns: Band 3 [Reprint 2022 ed.]
 9783112691540

Table of contents :
Inhalt
Nr. 127. Der Zeitbegriff als Augenblick und Zeitpunkt. — Wo, Wie, Wann. — Was und Wie. — Der Zahn der Zeit
Nr. 128. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Einheitliche innere Wesenhaftigkeit aller Zeit- und Raumverhältnisse
No. 129. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrem Verhältniss zu den Begriffen des Wo und Wann und des Was und Wie. — Strom oder Fluss der Zeit und Flüchtigkeit der Zeit
No. 130. Zeiträume, Zeitabschnitte und Zeittheile. — Die Zeit als Offenbarungsweise der geistigen Seite alles Naturdaseyns
§. 23. Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen
No. 131. Sie räumliche und zeitliche Endlichkeit aller innerhalb des gesammten Weltganzen befindlichen natürlichen Einzelwesen
No. 132. Die räumliche Endlichkeit und Beschränktheit des gesammten Weltganzen
No. 133. Die zeitliche Endlichkeit und Beschränktheit des gesammten einheitlichen Weltganzen
No. 134. Weltraum, Weltordnung, Weltzeit; Weltanfang, Weltentwickelung, Weltvollendung; Weltraum und Weltgebäude; Welt und Weltall; Wesen und Natur in ihren verschiedenen begrifflichen Bedeutungen
No. 135. Kant und dessen Anschauungen in Bezug auf die Begriffe von Raum und Zeit
VII. Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit
24. Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit der auf eine vermeintliche zeitliche Unendlichkeit oder Ewigkeit der stofflichkörperlichen Ur- und Einzelding-e gestützten Weltanschauung
No. 136. Entgegenstehende Ansichten in Bezug auf die Ergebnisse unserer bisherigen Untersuchungen sowohl von Seiten namhafter Senker des griechischen Alterthums, wie auch von späteren Denkern bis in die jetzige Zeit
No. 137. Vermeintliche Erfahrungsbeweise für die angebliche Ewigkeit der stofflich-körperlichen Einzeldinge
No. 138. Innere Unzulänglichkeit und Irrthümlichkeit der vermeintlichen Beweise für eine innere Wesens-Ewigkeit der räumlich-körperlichen Grundbestandteile dieser Welt
No. 138. Innere Unzulänglichkeit und Irrthümlichkeit der vermeintlichen Beweise für eine innere Wesens-Ewigkeit der räumlich-körperlichen Grundbestandteile dieser Welt
No. 139. Scheinbare Begründungen einer angeblichen räumlichen Unendlichkeit der Welt von Seiten der die Endlichkeit der Welt leugnenden und bekämpfenden Weltanschauungen
No. 140. Innere Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit der scheinbaren Begründungen einer räumlichen unendlichen Welt
No. 141. Unendlichkeit, Unermesslichkeit und die sogenannten Unendlichkeits-Rechnungen
26. Irrthümliehkeit und Unhaltbarkeit einer vermeintlichen zeitlichen Unendlichkeit oder Ewigkeit des gemeinsamen Weltganzen
No. 142. Wahre und falsche Ewigkeit. — Irrthümliche Anschauungen von Seiten der namhaftesten Weltweisen des griechischen Alterthums
No. 143. Begründungen der Unmöglichkeit einer ewigen Welt von Seiten der namhaftesten Denker der älteren und neueren Zeiten
No. 144. Innere Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit der scheinbaren Begründungen einer zeitlichen Ewigkeit der Welt von Seiten der neueren Naturforschung
Zweites Hauptstück. Die Natur und ihr einzig möglicher Urgrund
VIII. Die innere Unelbstständigkeit aller natürlichen Dinge
27. Natürlicher Hinweis des endliehen Daseyns der Welt und ihrer Dinge auf eine von ihnen unabhängige Weltursache oder auf irgendwelchen sonstigen denkbar möglichen Weltgrund
No. 145. Die Welt und ihre Dinge als bloss zufällige Daseynsweisen
No. 146. Sie Welt und ihre Dinge können nicht sich selber das Daseyn gegeben haben. Notwendigkeit einer ihnen fremden Ursache ihres Daseyns, als zureichender Grund für deren Vorhandenseyn
No. 147. Die Unmöglichkeit endloser Verkettungen von natürlichen Ursachen und Wirkungen als Hinweis auf einen dieser endlichen Welt nicht angehörigen übersinnlichen Weltgrund
Verzeichniss der in dem dritten Bande citirten Autoren

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DER EWIGE, ALLGEGENWÄRTIGE UND ALLVOLLKOMMENE

STOFF, DER EINZIGE MÖGLICHE URGRUND

A L L E S S E Y N S UND DASEYNS. VON

EINEM FREIEN WANDEBSMANN DÜECH DIE GEBIETE

MENSCHLICHEN

WISSENS, DENKENS UND FORSCHENS. DRITTER

BAND.

LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1896.

Druck von M e t z g e r & W i t t i g in Leipzig.

Inhalt. No. 127.

Der Zeitbegriff als Augenblick

and Zeitpunkt. —

Seite

Wo, Wie, Wann. — W a s und Wie. — Der Zahn der Zeit No. 128.

1

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Einheitliche innere Wesenhaftigkeit

aller Zeit- und Raumver-

hältnisse No. 129.

32

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

in ihrem

Verhältniss zu den Begriffen des W o und Wann und des W a s und Wie. — Strom oder Fluss der Zeit und Flüchtigkeit der Zeit No. 130.

Zeiträume, Zeitabschnitte

51

und Zeittheile.



Die

Zeit als Offenbarungsweise der geistigen Seite alles Naturdaseyns 23.

Die

räumliche

No. 131.

und

zeitliche Endlichkeit

75 alles natürlich Vorhandenen.

91

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit aller innerhalb des gesammten Weltganzen befindlichen natürlichen Einzelwesen

No. 132.

91

Die räumliche Endlichkeit und Beschränktheit des gesammten Weltganzen

No. 133.

Die

zeitliche Endlichkeit

106 und Beschränktheit des

gesammten einheitlichen Weltganzen No. 134.

Weltraum,

Weltordnung,

Weltzeit;

114 Weltanfang,

Weltentwickelung, Weltvollendung; Weltraum und Weltgebäude; Welt und Weltall; Wesen und Natur in ihren verschiedenen Bedeutungen No. 135.

126

Kant und dessen Anschauungen in Bezug auf die Begriffe von Raum und Zeit

138

Inhalt.

IV

VII.

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit. Seite

§ . 24.

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit der auf eine vermeintliche zeitliche Unendlichkeit oder Ewigkeit der stofflich-körperlichen Ur- und Hinzeidinge gestutzten Weltanschauung

No. 136.

152

E n t g e g e n s t e h e n d e A n s i c h t e n in B e z u g a u f die E r g e b nisse unserer bisherigen U n t e r s u c h u n g e n sowohl von Seiten n a m h a f t e r D e n k e r des g r i e c h i s c h e n A l t e r t h u m s , wie auch von späteren D e n k e r n

bis in d i e j e t z i g e

Zeit No. 137.

152

Vermeintliche Erfahrungsweise

f ü r die

angebliche

Ewigkeit der stofflich-körperlichen Einzeldinge . N o . 138.

.

171

I n n e r e U n z u l ä n g l i c h k e i t u n d I r r t h ü m l i c h k e i t d e r verm e i n t l i c h e n B e w e i s e f ü r eine i n n e r e W e s e n s e w i g k e i t d e r r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e n G r u n d b e s t a n d t e i l e dieser Welt

§. 25.

181

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit einer vermeintlichen räumlichen Unendlichkeit des gemeinsamen Weltganzen

N o . 139.

Scheinbare Begründungen lichen

Unendlichkeit

208

einer a n g e b l i c h e n r ä u m -

von Seiten der die Endlich-

keit der W e l t leugnenden und bekämpfenden Weltanschauungen N o . 140.

208

I n n e r e Irrthümlichkeit und U n h a l t b a r k e i t der scheinbaren

Begründungen

einer

räumlich-unendlichen

Welt N o . 141.

225

U n e n d l i c h k e i t , U n e r m e s s l i c h k e i t u n d die s o g e n a n n t e n Unendlichkeits-Rechnungen

§. 26.

IrrthUmlichkeit und Unhaltbarkeit

einer vermeintlichen zeitlichen Un-

endlichkeit oder Ewigkeit des gesammten

N o . 142.

264

Weltganzen

.

.

.

.

280

W a h r e und falsche Ewigkeit. — Irrthümliche Ans c h a u u n g e n von S e i t e n d e r n a m h a f t e s t e n W e l t w e i s e n des griechischen Alterthums

No. 143.

280

B e g r ü n d u n g e n der Unmöglichkeit einer ewigen W e l t von

Seiten

der

namhaftesten

und neueren Zeiten

Denker der

älteren 297

Inhalt.

V Seite

No. 144.

Innere Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit der scheinbaren Begründungen einer zeitlichen Ewigkeit der Welt von Seiten der neueren Naturforschung. . .

Zweites

341

Hauptstück.

Die Natur und ihr einzig möglicher Urgrund. Till.

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

§. 27.

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns der Welt und ihrer Dinge auf

eine

von

ihnen unabhängige Weltursache oder auf irgend-

welchen sonstigen denkbar möglichen Weltgrund

No. 145. No. 146.

No. 147.

374

Die Welt und ihre Dinge als bloss zufällige Daseynsweisen Die W e l t und ihrer Dinge können nicht sich selber das Daseyn gegeben haben. N o t w e n d i g k e i t einer ihnen fremden Ursache ihres Daseyns, als zureichender Grund f ü r deren Vorhandenseyn

402

Die Unmöglichkeit endloser Verkettungen von natürlichen Ursachen und Wirkungen als Hinweis auf einen dieser endlichen W e l t nicht angehörigen ü b e r sinnlichen Weltgrund

437

374

N r . 127. Der Zeitbegriff als Augenblick und Zeitpunkt. — Wo, Wie, Wann. — Was und Wie. — Der Zahn der Zeit. aben wir im Vorigen mit einigen Begriffen uns beschäftigt, als dem R a u m b e g r i f f im Allgemeinen angehörend, gewissermassen besondere Unter- oder Nebenbegriffe desselben darstellend: so haben wir nunmehr auch noch einige andere Begriffe etwas näher zu berücksichtigen, welche in ganz ähnlichen Verhältnissen zu dem allgemeinen Z e i t b e g r i f f stehen, wie die vorigen zu dem allgemeinen Raunibegriff. Dabei werden wir in dem Fall seyn, uns auch ausserdem noch die besonderen Beziehungen zu vergegenwärtigen, in welchen sowohl jene untergeordneten Raumbegriffe .wie diese untergeordneten Zeitbegriffe wechselseitig zu einander stehen mögen. Denn, als einer gemeinsamen Grundkraft, als ihrer gemeinsamen Grundwurzel entsprossen, dürfen wir im voraus schon erwarten, dass sie in keiner Weise in einem inneren Widerspruch zu einander stehen können, sondern dass im Gegentheil auch zwischen ihnen eine gewisse gegenseitige begriffliche Verwandtschaft uns entgegentreten dürfte. Der erste eben jener untergeordneten Raumbegriffe, mit welchen wir im Vorigen es zu thun hatten, war der des besonderen O r t e s , wo und an w e l c h e m ein jedes Ding im räumlichen Zusammen- und Nebeneinanderseyn mit seinen übrigen Mitwesen diesen gegenüber sich befindet. Diesem entsprechend werden wir nunmehr zuerst mit dem z e i t l i c h e n O r t e , wenn wir so sagen dürfen, uns zu beschäftigen haben, d. h. mit anderen Worten, w a n n und zu w e l c h e r Z e i t im allgemeinen Weltverlauf Dieses oder Jenes an, in oder mit den Wandersniann I I I .

1

2

Baum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

betreffenden Naturdingen oder Naturwesen sich ereignet habe. Diesen zeitlichen Ort pflegen wir bekanntlich sowohl im gewöhnlichen Leben wie in der Wissenschaft als „ A u g e n b l i c k " oder auch als „ Z e i t p u n k t " zu bezeichnen. Diese doppelte Bezeichnungsweise, welche, dem äusseren Anschein nach, einem und demselben an sich völlig gleichen Verhältniss beigelegt zu werden pflegt, kann nicht verfehlen, uns sofort an ein ganz ähnliches Doppelverhältniss zu erinnern, wie wir ein solches auch bereits im Vorigen hinsichtlich des räumlichen Ortsbegriffes kennen gelernt haben. Es war dies der Ortsbegriff einerseits in seiner w e i t e r e n und anderseits in seiner engeren oder vielmehr e n g s t e n Bedeutung. Jenen haben wir damals als den i n n e r e n , diesen dagegen als den i n n e r s t e n O r t der einzelnen räumlich-körperlichen Dinge bezeichnet: denn jener umfasste den g e s a m m t e n r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e n W e s e n s u m f a n g , dieser dagegen beschränkt sich ausschliesslich nur auf den an sich völlig r a u m l o s e n W e s e n s m i t t e l p u n k t der betreffenden Einzeldinge. Nach eben dieser Darlegung dürfte es nun, dem äusseren Anschein nach, als das Natürlichste und Sachgemässeste sich darstellen, den Begriff des A u g e n b l i c k e s , als des umfassenderen, dem Begriff des i n n e r e n O r t e s , den Begriff des an sich zeitlosen Z e i t p u n k t e s dagegen dem Begriff des i n n e r s t e n O r t e s oder des blossen W e s e n s m i t t e l p u n k t e s an die Seite zu stellen. Allein, bevor wir in dieser Beziehung eine bestimmtere Entscheidung wagen, dürfte es sich als zweckmässig empfehlen, auch noch einige andere hierbei in Betracht kommende Verhältnisse etwas näher in das Auge zu fassen. Bereits unsere früheren Betrachtungen über das natürlich-gegenseitige Wechsel verhältniss, in welchen die beiden Begriffe von R a u m und Z e i t im Allgemeinen zu einander stehen, haben uns darauf hingeführt, dass beide, die an sich mehr vom äusserlichen Standpunkt in das Auge gefasste räumlich-körperliche G r ö s s e oder W e s e n s a u s d e h n u n g der Dinge sowie deren mehr dem inneren Standpunkt entsprechende zeit-

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

3

liehe W e s e n s d a u e r , als aus einer einzigen und in sich untheilbaren, das gesammte Wesen und Daseyn der Dinge gemeinsam bewirkenden Grundkraft hervorgegangen müssen betrachtet werden. Daher haben wir eben diese, die räumlichen wie die zeitlichen Verhältnisse der Dinge gemeinsam bewirkende Ur- und G-rundkraft alles natürlichen Einzeldaseyns bereits an einem früheren Orte als eine denselben innerlich zukommende a l l g e m e i n e D a s e y n s k r a f t bezeichnet. Aber aus eben diesem in sich völlig einheitlichen Grundverhältniss geht nun auch, als naturnothwendige Folge hiervon, des Weiteren hervor, dass beide, die äussere W e s e n s g r ö s s e (oder k ö r p e r l i c h e W e s e n s a u s d e h n u n g ) sowie die innere W e s e n s d a u e r (oder z e i t l i c h e W e s e n s a u s d e h n u n g ) der Dinge, als gemeinsam durch die einheitliche Wirksamkeit Einer und derselben Grundkraft begründet und folglich auch als gemeinsam auf E i n und dasselbe sich s t e t s gleiche i n n e r e K r a f t m a a s s g e g r ü n d e t , sich nothwendig auch gegenseitig, wenn wir so sagen dürfen, vollkommen die Wage halten müssen. Aber gerade ein solches gegenseitiges Wechselverhältniss könnte von einem gewissen Gesichtspunkt aus befremden. Denn scheint nicht die Erfahrung ein ganz Entgegengesetztes zu lehren? Wie verschwindend k l e i n stellen nicht' für unser geistiges Auge alle jene stofflichkörperlichen Ur- und Einzeldinge in Bezug auf ihre natürliche stofflich-körperliche W e s e n s g r ö s s e sich dar, auf deren Vorhandenseyn alle grösseren Körpermassen der noch ungestalteten wie der gestalteten Natur sich gründen, da wir selbst mit den allerstärksten Vergrösserungsmitteln nicht im Stande sind, dieselben dem leiblichen Auge zu irgendwelcher thatsächlichen Anschauung zu bringen. Aber wie ganz anders scheint dies der Fall zu seyn hinsichtlich der natürlichen W e s e n s d a u e r dieser Dinge, selbst wenn wir bloss auf die Dauer ihrer einzelnen Wesenszustände Rücksicht nehmen. Denken wir z. B. an die mitunter sehr lange Zeitdauer, in welcher dieselben stofflichkörperlichen. Dinge im festen, im flüssigen oder im luftförmigen .1*

4

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

Zustand sich befinden: inuss uns da nicht der Begriff der räumlich-körperlichen G r ö s s e wie ein Zwerg erscheinen, dem gegenüber die zeitliche D a u e r in der That wie ein R i e s e einherzuschreiten scheint? Aber gerade in diesen Beziehungen dürfen wir Etwas nicht ausser Acht lassen, und zwar etwas, was für unsere gegenwärtige Untersuchung nicht ohne Wichtigkeit seyn dürfte, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, uns durch den Schein vielleicht irre leiten zu lassen. Wir besitzen nehmlich für unser menschliches Messungs- und Beurtheilungsvermögen durchaus kein natürlich-einheitliches oder n a t i i r l i c h - g e m e i n s a m e s M a a s s für beide, d . h . sowohl für r ä u m liche wie für z e i t l i c h e G r ö s s e n v e r h ä l t n i s s e , ausser wo solche etwa an grösseren Massenbildungen gleichsam in vergrösserter Weise uns entgegentreten. Wer ist im Stande, mit irgend einem menschlichen Maass die räumliche G r ö s s e eines nur für unsere rein geistige Anschauung zugänglichen Urund Einzelwesens der Natur zu messen oder zu ergründen? wer, dessen ebenfalls nur für das geistige Urtheil erkennbare zeitliche D a u e r ? oder wer die Dauer jener einzelnen W e s e n s z u s t ä u d e derselben Dinge, wie solche in ihrer stetig fortfortdauernden Yeränderungsfähigkeit ja allein den natürlichen Grund bieten können auch für eben jenen ununterbrochenen Wechsel äusserer Erscheinungsweisen, darauf schliesslich auch alle jene eigentlichen Z e i t v e r h ä l t n i s s e zurückzuführen sind, wie sie im allgemeinen Weltverkehr unausgesetzt uns entgegentreten? Hier messen und rechnen wir nach Sonnengebieten und nach Siriusweiten, nach Erden-, Sonnen- und Steinzeiten: sollen wir diese auf jene uns völlig unzugänglichen Verhältnisse des für unsere leiblichen Augen v e r s c h w i n d e n d K l e i n e n übertragen, auf welche selbst die allerkleinsten Bruchtheile unserer gewöhnlichen Raum- oder Zeitmaasse sich nicht einmal in Anwendung bringen lassen? Wo aber alle unsere Messungs- und Abschätzungsmittel des gewöhnlichen Erfahrungslebens als unzulänglich so völlig uns im Stiche lassen: da müssen

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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wir auch wohl bedenken tragen, Messungsverhältnisse aus dem Bereiche unserer täglichen Erfahrung so ohne Weiteres auch auf eben jene aller sinnlichen Erfahrung sich entziehenden Ur-Verhältnisse der Natur zu übertragen. Und so dürfen wir denn auch, auf diesem Standpunkt unserer geistigen Erkenntniss angelangt, uns wohl für berechtigt halten, ungeachtet eben jener vorhin erwähnten scheinbaren Widersprüche an dem bereits oben gewonnenen und auf unabweisbare Vernunftgründe sich stützenden Ergebniss unserer damaligen Untersuchung festzuhalten: an der Überzeugung nehmlich, dass in Bezug auf alle wirklichen Einzeldinge und Einzelwesen dieser Welt beide, räumlich-körperliche G r ö s s e wie zeitliche D a u e r , weil aui Einem und demselben natürlichen Kraftmaass beruhend, auch allewege als einander völlig g l e i c h w e r t h i g von uns müssen betrachtet werden. In Folge eben dieses nunmehr gewonnenen Standpunktes tritt gleichzeitig damit nun aber auch noch eine weitere nicht unwichtige Frage an uns heran: die Frage nehmlich, ob wir uns für berechtigt halten dürfen, eben jene an sich verschwindend kleine r ä u m l i c h e G r ö s s e oder Ausdehnung der natürlichen Einzeldinge, welche wir als den i n n e r e n Ort dieser Letzteren oder als deren Ort im w e i t e r e n Sinn bezeichnet haben, nun auch ohne Weiteres als in seiner Weise dem Begrifi des zeitlichen A u g e n b l i c k e s entsprechend aufzufassen, des Augenblickes nehmlich, wie wir solchen jederzeit einer erfahrungsmässigen wirklichen Messung zu unterwerfen thatsächlich im Stande sind. Wir möchten solches v e r n e i n e n , und zwar aus folgenden Gründen. Der Begriff der zeitlichen D a u e r umfasst nehmlich nicht etwa bloss die einzelnen besonderen Wesenszustände und Wesensbeschaffenheiten der betreffenden Einzeldinge und Einzelwesen: er umfasst in ganz der gleichen Weise wie auch der ihm so nahe verwandte eigentliche Z e i t b e g r i f f das ganze natürliche Daseyn eben dieser Dinge. Denn der ganze Unterschied zwischen dem Dauer- und dem Zeit-

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

begriff besteht ja, wie wir früher gesehen, allein nur darin, dass bei dem Ersteren auf etwaige Veränderungen in Bezug auf besondere Wesenszustände oder Wesensbeschaffenheiten durchaus k e i n e Rücksicht genommen ist, in dem Zeitbegriff dagegen gerade diesen Veränderungen im inneren und äusseren Wesen der Dinge die eigentlich massgebende Rolle zukommt. Aber eben hieraus ergiebt sich denn auch gleichzeitig, dass nicht nur allen jenen besonderen Wesensbeschaffenheiten der Dinge, sondern in noch weit höherem Grade allen einzelnen fast beständig wechselnden Wesenszuständen, wie solche dem allgemeinen Zeitbegriff angehören, in Bezug auf ihre besondere Zeitdauer nur eine f a s t v e r s c h w i n d e n d k l e i n e Z e i t g r ö s s e zukommt im Vergleich mit derjenigen des alle diese Verschiedenheiten ausser Acht lassenden allgemeinen D a u e r b e g r i f f e s als solchem. Ist nun aber nach unserer obigen Darlegung die körperliche W e s e n s g r o s s e der Dinge oder deren eigentlicher i n n e r e r O r t als völlig g l e i c h w e r t h i g zu betrachten mit deren einheitlicher G e s a m m t d a u e r ihres natürlichen Daseyns, insofern nehmlich jener uns die r ä u m l i c h k ö r p e r l i c h e W e s e n s a u s d e h n u n g , diese dagegen die von jener völlig unabtrennbare und dieser daher völlig entsprechende z e i t l i c h e W e s e n s a u s d e h n u n g , d. h. Ein und dasselbe Naturding, nur von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus, vergegenwärtigt: so geht mit Nothwendigkeit hieraus hervor, dass die z e i t l i c h e D a u e r eines jeden einzelnen besonderen W e s e n s z u s t a n d e s von fast verschwindender K l e i n h e i t sich darstellen muss im Vergleich mit der gesammten zeitlichen W e s e n s d a u e r eben dieser Dinge. Auch hier also müsste die Dauer der besonderen einzelnen Wesenszustände einen winzigen Zwerg darstellen gegenüber dem die ganze Reihe von veränderlichen Wesenszuständen desselben Naturdinges in sich einschliessenden R i e s e n der G e s a m m t d a u e r seines natürlichen zeitlich-räumlichen Daseyns. Auch hier also finden wir uns in ganz die ähnlichen Widersprüche verwickelt wie bereits

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Natuvdaseyns.

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vorhin, und es dürfte daher nunmehr als unsere nächste Aufgabe sich darstellen, uns noch etwas weiter in dem inneren wie in dem äusseren Wesen eben jener ursprünglichen Einzeldinge umzusehen, ob wir nicht vielleicht doch noch natürlichen Verhältnissen und Bedingungen begegnen möchten, welche geeignet seyn könnten, schliesslich uns noch über unsere bisherigen Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten hinwegzuhelfen. Bevor wir jedoch zu diesem Zweck weiter voranschreiten, dürfte es nicht ungeeignet erscheinen, uns zuvor noch etwas eingehender mit den besonderen Umständen zu beschäftigen, unter welchen der Begriff des „ A u g e n b l i c k e s " in unserer eigenen Lebenserfahrung uns thatsächlich entgegenzutreten pflegt. Derselbe umfasst, wie schon sein Name darauf hinweist, zwei von einander wohl zu unterscheidende Erfahrungst a t s a c h e n , welche in zeitlicher Beziehung in dem „ v o r h e r " und dem „ n a c h h e r " einander gegenüber stehen. Die E r s t e r e umfasst das O f f n e n der bis dahin geschlossenen Augenlider, welches s o f o r t in die Z w e i t e , d. h. in das W i e d e r s c h l i e s s e n derselben übergeht. Der Augenblick in seiner gesammten Dauer besitzt also jedenfalls eine ganz bestimmte, sowohl r ä u m l i c h e wie auch z e i t l i c h e G r ö s s e oder A u s d e h n u n g : er ist in beiden Beziehungen wirklich m e s s b a r , weil zwischen räumlich-zeitlichem A n f a n g und räumlich-zeitlichem E n d e ganz bestimmt eingeschlossen. Dabei erweisen beide Bewegungserscheinungen oder Bewegungsthatsachen, das Offnen der Augen von der einen und das Schliessen derselben von der anderen Seite, sich wechselseitig einander in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung vollkommen d e c k e n d , d. h. als in beiden Beziehungen einander völlig g l e i c h w e r t h i g . Vergleichen wir ferner noch den Begriff des „Augenblickes" wie solcher sich aus den an uns selbst anzustellenden Beobachtungen ergibt, mit dem Begriff des „ Z e i t p u n k t e s " so werden wir finden, dass eben jener bereits erwähnte W e n d e p u n k t , in welchem

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

das zeiträumliche Offnen und Schliessen der Augen sofort und unmittelbar, d. h. ohne allen und jeden zeitlichen wie räumlichen Aufenthalt, vor sich geht, alle die Merkmale in sich vereinigt, welche auch dem Begriff des Z e i t p u n k t e s in seiner strengen Bedeutung zukommen müssen, und unter welchen namentlich der völligen Raum- wie Z e i t l o s i g k e i t , als unbedingt zum Begriff des Punktes gehörend, die wesentlichste Rolle zukommt. Sehen wir uns nun im Anschluss hieran darnach um, ob wir nicht auch innerhalb des an sich noch einfachsten und ursprünglichsten natürlich-körperlichen Daseyns Erscheinungen begegnen, welche im Allgemeinen den eben hier besprochenen als hinlänglich vollgültig dürften an die Seite gestellt werden. Nun haben wir bereits früher zu verschiedenen Malen darauf hingewiesen, wie alles natürlichwesenhafte Daseyn, als auf rein innerlichen Kraftwirksamkeiten beruhend, thatsächlich als ein in jeder Beziehung in sich selber Lebendiges und L e b e n s v o l l e s muss betrachtet werden. Gleichzeitig damit haben wir aber auch darauf hingewiesen, wie eben diese innerliche Wesenslebendigkeit naturgemäss darauf sich gründet, dass alle in den natürlichen Dingen vor sich gehenden innerlichen Kraftwirksamkeiten als in zwei verschiedenen und zwar einander geradezu entgegengesetzten Richtungen erfolgend von uns müssen in das Auge gefasst werden. Die Erste derselben ist diejenige, welche von dem Wesensmittelpunkt der Dinge aus nach deren äusserer Oberfläche hin sich als wirksam erweist; die andere darauf folgende diejenige, welche von der Oberfläche zum Mittelpunkt wiederum zurückkehrt. Da beide Thätigkeitsvorrichtungen nothwendig allem in sich einheitlichen Naturdaseyn ohne Ausnahme zukommen, so geht hieraus hervor, dass beide im allgemeinen Wechselverkehr der Dinge durch entsprechende Einwirkungen von Aussen auch fortdauernd in regelmässiger Aufeinanderfolge erhalten bleiben. In eben diesen an sich noch so einfachsten JIIHI ursprünglichsten Wesensverhältnissen und Wesensvorgängen

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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haben wir denn auch so recht eigentlich den wahren innerlichen Stempel des eigentlichen Lebensbegriffes erblickt, und zwar als eines ununterbrochen und stetig aufeinander folgenden Regens von an sich zwar rein innerlichen W e s e n s w a l l u n g e n , die aber naturgemäss auch gleichzeitig nach aussen hin zu Tage treten unter der Gestalt eines zwar an sich äusserlichoberflächlichen, der Natur der Sache nach aber nichtsdestoweniger auch wirklich wesenhaften A u f - und A b w o g e n s bald aufsteigender, bald niedersinkender Bewegungserscheinungen. Dass aber eben diese äusserlich-oberflächlichen Auf- und Abwogungen im Vergleich sowohl zu dem gesammten räumlichkörperlichen W e s e n s u m f a n g wie zu der gesammten zeitlichen W e s e n s d a u e r der betreffenden Dinge in der That nur als winzig-kleine Z w e r g e sich unserer geistigen Anschauung darstellen können: dies liegt in der Natur der Sache. Denn sind wir genöthigt, schon jene in Folge ihrer natürlichen Kleinheit allen sinnlichen Wahrnehmungen sich entziehenden Einzeldinge als thatsächlich fast verschwindend klein zu betrachten: um wie viel, ja fast unendlich k l e i n e r müssen jene fast ausschliesslich nur auf die ä u s s e r s t e W e s e n s g r ä n z e sich beschränkenden Wesensauf- und Abwallungen in unserer geistigen Anschauung sich darstellen? Was in diesem Fall aber in r ä u m l i c h e r Beziehung als f a s t v e r s c h w i n d e n d e k ö r p e r l i c h e K l e i n h e i t uns entgegentritt: dasselbe muss auch in zeitlicher Beziehung die g l e i c h e G e l t u n g behaupten und zwar unter der Form eines ganz ebenso v e r s c h w i n d e n d k l e i n e n Z e i t t h e i l e s . Und somit wären wir denn, wenn auch auf mancherlei Umwegen, an dem eigentlichen Ziel unserer Untersuchung angelangt, an dem Punkt nehmlich, an welchem für ein jedes einzelne stofflich-körperliche Grundwesen von der einen Seite sowohl die r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e A u s d e h n u n g oder räumliche G r ö s s e , wie von der anderen Seite die z e i t l i c h e A u s d e h n u n g oder D a u e r gegenseitig vollkommen mit einander Hand in Hand gehen und wo sie demgemäss auch

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Kaum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

vollständig sich wechselseitig d e c k e n . Der blosse Raum- und Grössenbegriff nimmt keine Rücksicht auf irgendwelche Veränderungen, welche in den W e s e n s z u s t ä n d e n der betreffenden Dinge vor sich gehen, und ebensowenig der blosse Dauerbegriff; daher auch beide, ihren Ursprung der ununterbrochenen Wirksamkeit eines und desselben, an sich unveränderlichen Kraftmaasses verdankend, selbstverständlich auch nur Eine und dieselbe gleichzeitige Raum- wie Dauergrösse darzustellen vermögen. Aber g a n z a n d e r s muss dieselbe Sachlage sich gestalten, sobald wir, statt unser Augenmerk auf den reinen Dauerbegriff zu richten, im Gregentheil den eigentlichen Z e i t b e g r i f f an dessen Stelle treten lassen; denn während j e n e r auf Zustandsveränderungen im inneren Wesen der Dinge durchaus keine Rücksicht nimmt, bilden eben diese Zustandsveränderungen vielmehr die naturnothwendige Grundlage, darauf der ganze Zeitbegriff erbaut ist. Wie daher ohne Z u s t a n d s wechsel auch kein Z e i t w e c h s e l als natürlich möglich sich darstellen kann: ganz ebenso muss aus dem gleichen Grunde der jedesmaligen D a u e r irgend eines bestimmten Z u s t a n d e s auch die G r ö s s e des eigentlichen Z e i t t h e i l e s genau entsprechen, durch welches die wirkliche Dauer eines solchen Zustandes soll gemessen werden. So wenig wir uns daher für die r ä u m l i c h e Maassbestimmung eines e i n z e l n e n stofflichkörperlichen Ur- und Einzelwesens der Gesammtgrösse des alle vorhandenen Einzeldinge in sich einschliessenden g e s a m m t e n W e l t r a u m e s mit seinen Sonnen und Sirius weiten bedienen können: ganz ebensowenig können wir uns zum Zweck der z e i t l i c h e n Maassbestimmung irgend eines besonderen einzelnen Wesenszustandes der, alle diese Einzelzustände in sich einschliessenden g e s a m m t e n Welt z e i t mit ihren Sonnen- und Sternzeiten bedienen. Und so mussten wir uns denn nach einem für unseren Zweck passenderen Zeitmaass umsehen, und eben dieses glauben wir in dem Begriff des A u g e n b l i c k e s gefunden zu haben, als eines uns von der Natur selbst

Kaum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Xaturdaseyns.

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verliehenen M a a s s e s , namentlich für die zeitliche Bestimmung aller mit besonderer Raschheit an uns vorüberziehenden Sinneseindrücke. Kein Zustandswechsel ist für uns aber denkbar möglich ohne irgend eine mit ihm Hand in Hand gehende veränderte innere Wesenserregung, und als das äusserliche Abbild aller dieser an sich rein innerlichen Vorgänge haben wir jene oberflächlichen wellenförmigen Auf- und Abwogungen anerkennen müssen, in denen wir zugleich den natürlichen Ausdruck aller eigentlichen Lebensbethätigungen selbst innerhalb der noch ungestalteten Natur gefunden haben. Was für den A u g e n b l i c k daher das Offnen der Augenlider ist, das ist für jene oberflächlichen W a l l u n g e n die nach aufwärts strebende Bewegungsrichtung, wogegen das Schliessen der Lider sich hier durch die nach abwärts gehende Bewegungsrichtung vertreten zeigt. Was in dieser- Hinsicht aber für die Einzeldinge der noch ungestalteten Natur gelten muss, das muss der Natur der Sache nach auch für unser eigenes Seelenwesen seine Geltung behalten: die Pulsschläge unseres Herzens bilden innerhalb unseres äusseren Leibeslebens den natürlich-fühlbaren Widerhall, gleichsam eine naturgesetzmässige leibliche Nachwirkung eben jener regelmässig aufeinander folgenden Vorgänge in unserem eigenen inneren Seelenleben. Wie nun aber im Begriff des A u g e n b l i c k e s eben jener W e n d e - oder U b e r g a n g s p u n k t , in welchem das Offnen der Augenlider unmittelbar in das Wiederschliessen derselben übergeht, nur allein als eine an sich völlig r ä u m - wie z e i t l o s e t i r ä n z s c h e i d e sich darstellen kann, dadurch das E n d e der einen der beiden Bewegungsrichtungen unmittelbar an den A n f a n g der andern sich anschliesst: in ganz derselben Weise stellt uns dort eben jener h ö c h s t e P u n k t oder O r t , an welchem die aufsteigende Wellenbewegung sofort übergeht in die ihr entgegengesetzte absteigende Bewegungsrichtung, einen ganz ähnlichen, ja wir dürfen wohl sagen gleichen W e n d e - und Ü b e r g a n g s p u n k t vor Augen. Aber eben damit offenbaren

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

sich uns denn auch gleichzeitig eben diese an sich raumund zeitlosen Gränz-, Wende- und Übergangspunkte so recht eigentlich als dasjenige, was von unserem Denken als dem Begriff des „ Z e i t p u n k t e s " in jeder Beziehung völlig entsprechend muss anerkannt werden. Es. scheint dies zwar unserer ursprünglichen Annahme zu widersprechen, wonach wir geneigt waren, den Z e i t p u n k t als dem i n n e r s t e n O r t oder dem an sich ebenfalls raumlosen W e s e n s m i t t e l p u n k t der Dinge entsprechend zu betrachten. Allein bei dem grossen Unterschied, in welchem der eigentliche Zeitbegriff jedenfalls sowohl dem ßaum- wie auch dem blossen Dauerbegriff gegenüber sich befindet, darf uns dies wohl kaum sehr befremden. Und dies um so weniger, als auch jener innerste Wesensmittelpunkt für manche Gesichtspunkte, unter denen wir ihn ins Auge fassen können, ebenfalls den Begriff eines wirklichen W e n d e - oder G r ä n z p u n k t e s anzunehmen sich geeignet zeigt. Schon an einem früheren Orte haben wir darauf hingewiesen, wie ein Pfeil, welcher durch den Mittelpunkt einer Kugel hindurchgeht, von dem oberflächlichen Eintrittspunkt an bis zum Mittelpunkt seine ursprüngliche Bewegungsrichtung zwar im G a n z e n bis zur entgegengesetzten Oberfläche vollkommen beibehält, man aber nichtsdestoweniger von dem Augenblick an, wo die Spitze des Pfeiles durch den Mittelpunkt der Kugel hindurchgegangen ist, nicht mehr von einer Bewegung von der Oberfläche nach dem Mittelpunkt reden kann, sondern im Gegentheil für diese zweite Strecke seines Durchganges nur von einer Bewegung, welche sich von dem Mittelpunkt nach der entgegengesetzten Oberfläche hin gerichtet zeigt. Also auch hier bildet der Mittelpunkt der Kugel thatsächlich einen wirklichen Wende- und Ubergangspunkt, von dem aus die anfängliche Bewegungsrichtung in die ihr entgegengesetzte umschlägt. Doch auch noch einer anderen Eigenthümlichkeit müssen wir hierbei in Bezug auf das gegenseitige Wechselverhältniss gedenken, in welchem jene drei, an sich von einander untrennbaren Wechselbegriffe von Raum,

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

Ii)

Dauer und Zeit zu einander stehen. Wie wir bereits mehrfach erwähnt, ist es unter diesen drei Begriffen nur allein der wirkliche Zeitbegriff, welcher sich auch auf die besonderen Wesenszustände der einzelnen Dinge bezieht. Die besonderen Wesenszustände sind zugleich zeitlich bestimmt durch ihre eigene Z e i t l ä n g e oder Z e i t d a u e r , d. h. durch eben jene kleinsten, für unsere gewöhnlichen Messungsverhältnisse ganz unerreichbaren besonderen Z e i t t h e i l c h e n , welche ein solcher besonderer Wesenszustand während seines Bestandes naturgemäss zu durchlaufen hat. Alle diese im Einzelnen zwar wohl unterschiedenen Zeittheilchen bilden aber in ihrer stetig fortlaufenden Gesammtheit nicht nur die G e s a m m t z e i t , sondern auch die G e s a m m t d a u e r eines jeden in sich einheitlicli-selbstständigen Naturdaseyns, eben weil aus unserer blossen Beachtung oder Nichtbeachtung der in einen bestimmten Zeitraum fallenden einzelnen Zustandsveränderungen kein Unterschied hervorgehen kann weder in Bezug auf die zeitliche Dauer der einzelnen Wesenszustände als solcher, noch in Bezug auf deren Gesammtheit für irgendwelchen grösseren Zeitraum. Somit fallen, ebenso wie alle jene einzelnen Wesenszustände, so auch alle ihre einzelnen Vertreter, jene kleinsten Zeittheilchen, sämmtlich i n n e r h a l b der wesenhaften G e s a m m t d a u e r eben der einzelnen Dinge, denen sie zukommen. Da nun aber die räumliche Wesensausdehnung oder die natürliche Dauer sich, wie oben dargethan, allewege wechselseitig decken müssen: so geht hieraus hervor, dass dasselbe, was hier in Bezug auf die Wesensdauer gesagt ist, in gleicher Weise auch seine Geltung beibehalten muss in Bezug auf die r ä u m l i c h e A u s d e h n u n g oder körperliche G r ö s s e derselben Dinge. Fallen eben hiernach aber alle diese einzelnen Wesenszustände in ihrer ununterbrochenen Aufeinanderfolge sammt den sie vertretenden k l e i n sten Z e i t t h e i l c h e n überhaupt i n n e r h a l b der gesammten zeitlichen W e s e n s d a u e r der betreffenden Dinge, so müssen sie nach diesen Thatsachen auch ganz ebenso i n n e r h a l b ihrer

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Raum und Zeit als G r u n d b e d i n g u n g e n alles n a t ü r l i c h e n D a s e y u s .

gesammten räumlichen W e s e n s g r ö s s e zu liegen kommen. Das Eine hängt unmittelbar zusammen mit dem Andern. Halten wir nun aber an der oben dargelegten Ansicht fest, dass ein jeder derartige besondere Wesenszustand hinsichtlich seiner besonderen Zustandsdauer eben jenen räumlich-zeitlichen, sowohl innerlich-wesenhaften wie äusserlich-oberflächlichen A u f - und A b w o g u n g e n an die Seite zu stellen ist: so ergibt sich für uns hieraus als weitere Folge, dass eben jene, diese besonderen Wesens zustände vertretenden k l e i n s t e n Z e i t t h e i l c h e n nicht nur als die V e r t r e t e r im K l e i n e n auch für die gesammte räumlich-körperliche Grösse und Ausdehnung des betreffenden Einzeldinges zu gelten haben, sondern dass sie gleichzeitig auch als in ihrer Weise dem entsprechend zu halten seyn dürften, was wir in räumlich-körperlicher Beziehung bereits als den i n n e r e n O r t der in Frage stehenden Dinge bezeichnet haben. Ist dieses aber der Fall, dann würde eben dieser „innere Ort" in zeitlicher Beziehung auch als ganz dem entsprechend sich darstellen, was der Begriff des A u g e n b l i c k e s uns in sinnlichwahrnehmbarer Selbsterfahrung vor die Seele führt. Und vollkommen mit dieser Anschauungsweise übereinstimmend würde dann auch jener in dem Begriff des Augenblickes stets mit eingeschlossene, an sich völlig räum- und zeitlose W e n d e - oder M i t t e l p u n k t , in welchem das Offnen der Lider übergeht in das sofortige Wiederschliessen derselben, so recht eigentlich den Begriff des wirklichen „ Z e i t p u n k t e s " uns vergegenwärtigen. Es heisst dies aber mit anderen Worten, dass, wenn der A u g e n blick in zeitlicher Beziehung uns ganz dasselbe anzeigt, was der i n n e r e O r t in räumlicher Beziehung uns vor Augen stellt, der Begriff des Z e i t p u n k t e s alsdann in zeitlicher Beziehung vollkommen dem entspricht, was der i n n e r s t e O r t der Dinge in räumlicher Beziehung uns anzeigt. Alle jene scheinbaren Widersprüche oder scheinbar unlösbaren ßäthsel, denen wir im Verlauf der gegenwärtigen Untersuchung begegnet sind, können somit ihren Grund nur aus jener Verschiedenheit der

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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begrifflichen Bestimmungen herleiten, durch welche wir genöthigt sind, in unserer geistigen Anschauung die Begriffe von Raum. Dauer und Zeit zu unterscheiden und mehr oder weniger aus einander zu halten, während sie doch alle drei ihrem eigentlichen und wahren Wesen nach vollkommen Eins sind, und demgemäss nicht nur als völlig unabtrennbar von einander, sondern auch wechselseitig der Sache nach einander völlig deckend müssen anerkannt werden. Vermöchten wir alle diese Verhältnisse einmal in ihrer untrennbaren Zusammengehörigkeit mit einem Einzigen Blick zu durchschauen: wir würden auch keinen Widersprüchen und keinen Räthseln in ihnen begegnen; allenthalben würden wir nur vollkommene Ubereinstimmung und vollkommenes Ebenmaass erblicken. Bevor wir diesen unseren bisherigen Gegenstand verlassen, dürfte es nicht ungeeignet erscheinen, zuvor auch noch eines Ausspruches L o c k e ' s zu gedenken, in welchem derselbe seine Ansichten über die gleichen Verhältnisse niedergelegt hat. „Die Z e i t im Allgemeinen — sagt LOCKE — steht zur D a u e r wie O r t zur A u s b r e i t u n g . Zeit und Ort werden gebraucht, um die L a g e der wirklichen räumlichen Wesen rücksichtlich auf einander in dem unermesslichen Ocean von D a u e r und R a u m zu bezeichnen. Richtig betrachtet sind sie nichts anderes als die g e i s t i g e n V o r s t e l l u n g e n von bestimmten A b s t ä n d e n von gewissen bekannten, in unterscheidbaren, in den sinnlich-wahrnehmbaren Dingen f e s t g e g r ü n d e t e n P u n k t e n , und werden gedacht, als denselben Abstand von einander einhaltend. Diese sind es, was wir, so betrachtet, Z e i t und Ort nennen" (LOCKE; S. 320). Den Begriff der Z e i t im Allgemeinen stellt hier LOCKE gleich von Anfang in ein und dasselbe Verhältniss mit der zeitlichen D a u e r , wie anderseits den Begriff des räumlichen Ortes der Dinge mit dem ihrer räumlich-körperlichen A u s b r e i t u n g oder Ausdehnung. Da nun aber in Bezug auf die einzelnen Naturdinge, der Dauer derselben sowie der ihnen eigentümlich zukommenden Zeit nur der ganz gleiche zeitliche Umfang, oder

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R a u m und Zeit als G r u n d b e d i n g u n g e n alles natürlichen Daseyns.

die ganz gleiche zeitliche Grösse und Ausdehnung zukommen kann, und LOCKE auch die Begriffe von O r t und A u s b r e i t u n g in ganz ein gleiches Wechselverhältniss setzt, wie diejenigen von Zeit und Dauer: so geht unzweifelhaft hieraus hervor, dass er auch den Begriff des O r t e s an sich völlig g l e i c h w e r t i g betrachtet mit dem der räumlich-körperlichen G r ö s s e oder des gesammten Wesensumfanges der betreffenden Dinge. Und demgemäss könnte es also auch nur der Begriff des Ortes im w e i t e r e n S i n n , d. h. der eigentliche i n n e r e O r t der Dinge seyn, welchen LOCKE hier im Auge hat. Es findet diese Auffassung auch ausserdem noch dadurch eine weitere Bestätigung, dass sie noch in einer anderen Beziehung vollkommen dem begrifflichen Wechselverhältniss von Zeit und Dauer entspricht, mit welchem LOCKE das gegenseitige Wechselverhältniss von Ort und Ausbreitung auf Eine Linie stellt. Denn wie wir bei dem Begriff der Z e i t alle die Wechselfälle mit ins Auge fassen, denen die Dinge in Bezug auf Wesenszustände u. s. w. in ihrem gegenseitigen Wechsel verkehr fortwährend unterworfen sind; wie dies alles aber bei dem blossen Dauerbegriff gänzlich ausser Acht gelassen wird: ganz ebenso findet in räumlicher Beziehung ein in seiner Weise ganz Gleiches statt zwischen dem Begriff des O r t e s und dem der bloss räumlichen G r ö s s e oder A u s b r e i t u n g . Bei dem O r t s b e g r i f f kommt stets auch der Wechsel in Betracht, welchen die Dinge in Bezug auf ihre gegenseitige örtliche L a g e im Verlauf der Zeit an sich erfahren, während eben diese Verhältnisse beim blossen K a u m b e g r i f f völlig unberücksichtigt bleiben. Und eben damit wären wir nunmehr auch zu derjenigen Stelle in LOCKE'S Ausspruch gekommen, wo auch er sagt, dass die Begriffe von Z e i t und O r t dazu gebraucht würden, um im allgemeinen Wechselverkehr der Dinge die besonderen L a g e n zu bestimmen, in welche sie in ö r t l i c h e r wie in z e i t l i c h e r Beziehung nach und nach eintretend Damit wären wir nun aber zugleich auch an einem gewissen Wendepunkt in LOCKE'S Darlegung gelangt, zu dem Punkt

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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nehmlich, wo er, gleichsam als Schlussergebniss seiner Untersuchung, die eigentliche Bedeutung des Zeit- und Ortsbegriffes darin zusammenfasst, dass er sie als g e i s t i g e V o r s t e l l u n g e n von b e s t i m m t e n A b s t ä n d e n bezeichnet, weiche n ä h e r b e s t i m m t werden durch gewisse, in den sinnlich-wahrnehmbaren Dingen f e s t g e g r ü n d e t e P u n k t e , von welchen er dann noch weiter sagt, dass sie, als bestimmte Abstände von einander e i n h a l t e n d , müssten gedacht werden. Hier inuss sich uns nun in erster Linie die Frage aufdrängen, welche wohl jene im inneren Wesen der Dinge f e s t g e g r ü n d e t e n P u n k t e seyn mögen, die uns als natürlich gebotene Mittel dazu dienen sollen, um die gegenseitigen Abstände genauer zu bestimmen, in welchen die Dinge in stets wechselnder Aufeinanderfolge sowohl in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung zu einander stehen? Lassen wir fürs Erste jene Schlussbemerkung LOCKE'S noch ausser Betracht, wonach diese Punkte ihre bestimmten Abstände von einander e i n h a l t e n , d. h. unverändert beibehalten sollen: so dürfte die Beantwortung dieser Frage wohl kaum eine besondere Schwierigkeit bereiten. Denn was könnte wohl näher liegen, als eben jene, im Innern der Dinge f e s t g e g r ü n d e t e n P u n k t e in eben jenen inneren, an sich r a u m l o s e n W e s e n s m i t t e l p u n k t e n zu suchen, welche wir bereits früher schon als den i n n e r e n O r t s b e g r i f f in seiner e n g s t e n B e d e u t u n g und darum auch so recht eigentlich als den i n n e r s t e n O r t darstellend anerkannt haben, und welchem alsdann in zeitlicher Beziehung, wie wir oben gesehen, nur allein der Begriff des ebenfalls an sich völlig räum-, zeit- und wesenlosen Z e i t p u n k t e s entsprechen kann? Aber wie lässt sich dies mit eben jener Schlussbemerkung LOCKE'S vereinigen, nach welcher eben jene Punkte in den betreffenden Dingen als stets die g l e i c h e n A b s t ä n d e e i n h a l t e n d sollen anzusehen seyn? Der M i t t e l p u n k t oder der i n n e r s t e O r t der Dinge nimmt an allen Ortsveränderungen der betreffenden Dinge Theil: wohin diese sich bewegen, dahin wird er auch von denselben getragen. Wie Wandersraann III.

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

sollen wir diesen Widerspruch mit jener Darstellung LOCKE'S vereinigen? Wir selber haben zwar bei unseren Betrachtungen über Ortsverhältnisse im Allgemeinen ebenfalls von gewissen u n a b ä n d e r l i c h f e s t s t e h e n d e n P u n k t e n gesprochen, welche an sich und als solche u n b e e i n f l u s s t bleiben von einer jeden Ortsveränderung, die im allgemeinen Weltraum in Bezug auf die in ihm vorhandenen Dinge überhaupt nur jemals statthaben mag. Es waren dies die namentlich von Seiten der Wissenschaft im Weltraum als f e s t s t e h e n d angenommenen Punkte, mittelst welcher auch vom irdischen Standpunkt aus räumliche wie zeitliche Entfernungen oder Lagen- und Bewegungsverhältnisse möglichst annähernd, selbst bis in die weitesten Fernen des Weltraums hinaus mögen wissenschaftlich bestimmt, bemessen und berechnet werden. In Bezug auf das in dieser Welt Vorhandene bezeichnen eben diese Punkte daher im Allgemeinen nur rein ä u s s e r l i c h e und z u f ä l l i g e O r t e , die sie vorübergehend einnehmen, aber auch jeden Augenblick wieder verlassen können, um dafür an irgend einen anderen, bis dahin ihnen ebenfalls fremden und äusserlichen Ort sich zu begeben. Nur für so lange, als ihr eigener Wesensmittelpunkt, als ihr eigener i n n e r s t e r O r t , mit eben diesem ihnen an sich fremden äusserlichen Punkt oder Ort in E i n s zusammenfällt, stellt dieser Letztere auch zugleich den i n n e r s t e n O r t des in ihm befindlichen Dinges dar. Hiernach dürfte es wohl kaum als eine zu gewagte Annahme erscheinen, wenn wir in eben dieser Beziehung den Gedanken aussprechen, dass LOCKE in Bezug gerade auf diese Verhältnisse die begriffliche Unterscheidung zwischen i n n e r e m und i n n e r s t e m O r t einerseits und ä u s s e r e m O r t anderseits wohl richtig g e f ü h l t habe, ohne diese unterschiedenen Begriffe in ihrer Nutzanwendung auf die durch die Natur selbst gegebenen Orts- und Zeitverhältnisse auch hinlänglich von einander getrennt und geschieden gehalten zu haben. Ist diese Vermuthung richtig, dann kann es auch nichts Befremdendes mehr haben, wenn in

Kaum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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seiner oben angeführten Darlegung eben diese unterschiedlichen Begriffe theilweise mit einander vermischt und vermengt seyn dürften. — Kant kleidet das gegenseitige Wechselverhältniss, in welchem die Begriffe von Zeit, Dauer, Ort und Raum zu einander stehen, in die Formel einer bekannten Rechnungsart ein, wenn er sagt: „Zeit: Dauer-Ort: Raum" (KANT X, S. 4 8 8 ) . Es stimmt dies ganz damit überein, dass sowohl der Zeit- wie der Ortsbegriff auf innere oder äussere Zustands- oder Lagenveränderuugen Rücksicht nehmen, während solches bei den Begriffen von Dauer und Raum nicht der Fall ist. So sagt auch Leibnitz: „Die D a u e r ist die G r ö s s e der Zeit. Wenn die Grösse der Zeit gleichmässig und stetig (continuirlich) vermindert wird, so geht die Zeit in den Z e i t p u n k t (Moment) über, welcher k e i n e G r ö s s e hat. Die Zeit thut in Wirklichkeit n i c h t s zur Dauer hinzu, wie der Raum n i c h t s zur Ausdehnung" (BAUMANN, Raum und Zeit II. 'S. 93. LEIBNITZ, Ed. PEKTZ III. S. 7). Und an einem andern Ort: „Die Ausd e h n u n g (oder körperliche Grösse) entspricht der D a u e r , und ein Theil der Dauer, in welcher wir keine A u f e i n a n d e r f o l g e von V o r s t e l l u n g e n gewahren, ist das, was wir einen Augenb l i c k (un instant) nennen. Diese begriffliche Bestimmung (Definition) des Augenblickes hat, wie ich glaube, dieselbe Bedeutung für die volksthümliche Anschauung (notion populaire) wie diejenige, welche der grosse Haufe (le vulgaire) von dem Punkt hat" (LEIBNITZ, Ed. EEDMANN S. 295; Ed. A. ULRICH I. S. 295). Im allgemeinen Leben werden allerdings die Begriffe von A u g e n b l i c k wie von Z e i t p u n k t vielfach mit einander verwechselt. So sagt man z. B., es werde etwas geschehen, wenn der rechte „Augenblick" dazu gekommen sey, wie auch, wenn der rechte „Zeitpunkt" dazu kommen werde. Und von diesem Gesichtspunkt des gewöhnlichen Lebens aus ist es auch ganz richtig, wenn LEIBNITZ den A u g e n b l i c k mit dem P u n k t vergleicht, wie solches im gemeinen L e b e n allgemein pflegt aufgefasst zu werden, nehmlich mit dem k l e i n e n 2*

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

T ü p f c h e n , welches man auf ein Papier oder auf eine Holztafel zeichnet. So spricht man beim Schreiben von dem P u n k t auf dem i oder am Ende eines Satzes u. s. w. Jedermann weiss, was darunter gemeint ist, obgleich solch' ein sogenannter Punkt den Namen Punkt, streng genommen, gar nicht verdient; denn der Punkt in der eigentlichen Bedeutung des Wortes ist allewege nur allein als völlig r a u m l o s zu denken und kann daher auch nie und nimmermehr selbst mit dem feinsten Stift in sichtbarer Weise durch Zeichnen dargestellt werden. Der rechte und wahre Punkt hat also durchaus keine Grösse, keine Ausdehnung, keinen Umfang. Wenn also LEIBNITZ die begriffliche Bedeutung des Wortes „Augenblick" oder „instant" nichtsdestoweniger dahin bestimmt, dass dasselbe einen T h e i l der zeitlichen D a u e r bezeichne, in welchem keine Aufeinanderfolge von Vorstellungen bemerkt werde: so widerspricht solches nicht allein der buchstäblichen Bedeutung des Wortes „Augenblick", sondern auch, wie wir weiter oben gesehen haben, ebensosehr unserer eigenen Lebenserfahrung. Denn diese lehrt uns ausdrücklich zwei ganz verschiedene Vorstellungen kennen, ohne die es keinen Augenblick in der wahren Bedeutung des Wortes geben kann: das Offnen und Schliessen der Augenlider, durch welche zwei Verhältnisse thatsächlich die A u f e i n d e r f o l g e von zwei ganz verschiedenen Vorstellungen sich ausgedrückt findet. Wenn dagegen LEIBNITZ von dem „ Z e i t p u n k t " oder „moment" sagt, dass dieser g a r keine G r ö s s e oder Ausdehnung besitze, so hat dieses seine volle Richtigkeit, ganz ebenso, wie es seine volle Richtigkeit hat, wenn er den Augenblick mit dem Begriff des Punktes im gewöhnlichen V o l k s m u n d vergleicht, eben weil dieser unter „Punkt" dies Wort nicht in seiner strengen, sondern nur in seiner sinnbildlichen Bedeutung auffasst, nehmlich als das, was man beim Schreiben oder Zeichnen einen „Punkt" zu nennen pflegt, welchem im vollen Sinn des Wortes stets eine wirkliche, wenn auch noch so kleine räumliche G r ö s s e zu-

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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kommt. Es scheint demnach auch hier bei L E I B N I T Z eine ähnliche Unklarheit in der Darstellungsweise obzuwalten, wie die vorhin in Bezug auf LOCKE erwähnte, nur mit dem Unterschied, dass es sich hier um zeitliche Verhältnisse handelt, während bei LOCKE mehr um räumlich-örtliche. Waren es bei L O C K E die räumlichen Begriffe von i n n e r e m , i n n e r s t e m und ä u s s e rem O r t , welche nicht hinlänglich von einander geschieden zu seyn schienen: so bei L E I B N I T Z die beiden zeitlichen Begriffe von A u g e n b l i c k und Z e i t p u n k t . Wollen wir die innerlich-untrennbare Zusammengehörigkeit nicht nur der beiden Allgemeinbegriffe von Raum und Z e i t , sondern zugleich damit auch diejenigen von Ort und Z e i t p u n k t geistig uns veranschaulichen: so bietet sich uns dafür wohl kaum ein treffenderes Bild als das der B e w e g u n g und namentlich in der Bedeutung von O r t s v e r ä n d e r u n g . Denn keine Ortsveränderung vermag ihren natürlichen räumlichen Verlauf' zu nehmen, es gehe denn damit in irgend einer Weise auch ein z e i t l i c h e r Verlauf unabtrennbar Hand in Hand. Alle Ortsveränderung ist gleichbedeutend mit S t a n d p u n k t s wechsel, und der erste Ort oder Standpunkt, von dem aus eine beliebige Ortsveränderung sowohl in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung ihren Ausgang nimmt, kann kein anderer seyn, als der an sich als f e s t s t e h e n d betrachtete ä u s s e r e O r t im Weltraum, welcher soeben mit dem i n n e r s t e n O r t , d. h. mit dem eigenen W e s e n s m i t t e l p u n k t des betreffenden Einzeldinges nur einen e i n z i g e n P u n k t bildet. Sowie nun aber von Seiten des betreffenden Dinges dessen Fortbewegung aus seinem gegenwärtigen Standpunkt im Weltraum beginnt, hat es denselben in gewissem Sinn, d. h. der eigentlichen Suche nach, auch bereits schon wieder verlassen. Denn dadurch, dass es seinen eigenen Mittelpunkt in seiner unausgesetzten Fortbewegung allenthalben innerlich ebenfalls mit sich h i n w e g t r ä g t , jener als feststehend angenommene Punkt aber unabänderlich an diesen seinen eigenen Ort im Weltraum

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

gefesselt b l e i b t : eben dadurch kann es nicht fehlen, dass beide Punkte, äusserer Ort und eigener Wesensmittelpunkt, im Verlauf des stetigen weiteren Yorrückens des betreffenden Dinges allmählich immer mehr und mehr auseinander treten. Im ersten Anfang dieses beiderseitigen Auseinandertretens werden beide Punkte zwar für eine kurze Spanne Zeit noch in dem Wesensinnern des betreffenden Dinges selbst sich befinden, und so lange dieses der Fall ist, werden wir zwar von der einen Seite wohl sagen müssen, dass das betreffende Ding seinen ä u s s e r e n O r t , in dem es sich soeben noch befunden, b e r e i t s v e r l a s s e n habe, insofern sein eigener Wesensmittelpunkt mit eben jenem ihm fremden äusseren, als feststehend angenommenen Punkt im Weltraum n i c h t m e h r in E i n s z u s a m m e n f ä l l t ; von der anderen Seite werden wir aber auch anerkennen müssen, dass es ihn mit dem ganzen Umfang seines Wesens noch n i c h t ganz und g a r verlassen habe, eben weil jener äussere Punkt ebenfalls noch immer im Inneren des betreffenden Dinges sich mitbefindet. Erst von dem Zeitpunkt an, in welchem eben jener äussere Punkt wieder vollständig aus dem gesammten körperlichen Umfang des in Rede stehenden Dinges herausgetreten ist: erst von da an kann man sagen, dass es seinen bisherigen äusseren Ort auch wirklich vollgültig hinter sich gelassen habe; denn bis dahin hatte es ihn seinem ganzen Umfang nach wohl fortwährend mehr und mehr, aber doch immerhin solange nur t h e i l w e i s e verlassen, als das völlige Ausscheiden jenes Punktes nicht auch zur vollendeten Thatsache geworden war. Es geht hieraus somit auf das unzweideutigste hervor, dass eine jede Fortbewegung im Räume, sofern sie eine thatsächliche Ortsveränderung darstellt, weder als ein bloss räumliches, noch als ein bloss zeitliches Geschehen kann betrachtet werden, sondern dass wir es in allen derartigen Fällen vielmehr stets mit einem wirklich z e i t r ä u m l i c h e n Vorgang zu thnn haben. In den feinen Wellenbewegungen

eines leicht

erregten

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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Sees haben wir ein anschauliches Bild vor Augen von eben jenen verwandten Vorgängen, wie sie sowohl im verschwindend kleinsten Raum wie in der verschwindend kleinsten Zeit auf den Oberflächen der in unausgesetztem Wechselverkehr mit ihrer gesammten Umgebung befindlichen Einzeldinge statthaben, mit denen wir uns so eben beschäftigt haben. Ein anderes, ebenfalls lehrreiches Beispiel dieser Art versinnbildlichen uns in ihrer Weise unsere centralen Sonnenfinsternisse, namentlich was Ortsveränderungen betriift in Bezug auf die beiden Begriffe des i n n e r s t e n und des ä u s s e r e n O r t e s . Hier ist es der Mittelpunkt der Sonnenscheibe, auf welchen hin, als auf einen f e s t s t e h e n d e n P u n k t oder Ort am Himmelszelt, die Annäherung des Mondes von Osten her gerichtet ist. Nehmen wir an, der Mond befinde sich ziemlich nahe bei der Sonne, ohne dass jedoch deren beiderseitige Scheibenränder sich bereits berührten. Während der ununterbrochen weiter voranschreitenden Annäherung der Mondscheibe an die Sonnenscheibe verändert die Sonnenscheibe somit fortwährend ihren eigenen örtlichen Standpunkt und damit zugleich alle die einzelnen Punkte, oder die für sie äusserlichen Orte, welche in der Richtung ihrer Umlaufbahn als bestimmte, in ihr feststehende Punkte von uns angenommen werden mögen, unter welchen allen aber für unser gegenwärtiges Beispiel nur der Mittelpunkt der Sonnenscheibe von Bedeutung ist. Sobald die Mondscheibe mit ihrem östlichen Rande den Mittelpunkt der Sonnenscheibe oberflächlich berührt, ist der Zeitpunkt gekommen, wo der Mittelpunkt der Sonnenscheibe durch den Mondrand hindurch in das Innere der Mondscheibe eintritt; die Annäherung der beiden Mittelpunkte oder der beiderseitigen innersten Orte der Sonnen- wie der Mondscheibe nimmt noch immer mehr zu, und sobald nunmehr beide thatsächlich in E i n s zusammenfallen, ist auch der rasch vorübergehende Zeitpunkt gekommen, an welchem der Mittelpunkt der Sonnenscheibe, der bisher nur einen für die Mondscheibe

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

ä u s s e r e n Ort darstellte, ebenfalls zu deren innerstem Ort geworden. Aber mit eben diesem Zeitpunkt fällt zugleich auch der W e n d e p u n k t zusammen, an welchem die bisherige Annäherung von innerem und äusserem Ort in ihr gerades Gegentheil umschlägt: denn an die Stelle der bisherigen Annäherung ist von da an ein stetig zunehmendes A u s e i n a n d e r t r e t e n der betreffenden beiden Punkte getreten. Auch hier also entspricht die Dauer der wechselseitigen Annäherung, von der ersten oberflächlichen Berührung der beiden Scheiben bis zum Zusammenfallen der beiderseitigen Scheibenmittelpunkte in nur Einen einzigen Punkt, in ihrer Weise dem Begriff des Offnens der Augenlider in Bezug auf den Begriff des A u g e n b l i c k e s ; das Wiederauseinandertreten der beiden Mittelpunkte dagegen bis zum völligen Auseinandertreten auch der beiden Scheiben entspricht dem Wiederschliessen der Lider. Der ganze Vorgang versinnbildlicht uns somit sehr treu den Begriff des Augenblickes, nur in einem fast unendlich vergrösserten Maassstab. Versetzen wir uns nunmehr im Geist an den O r t , an welchem oder wo irgend ein bestimmtes Ding gerade gegenwärtig sich befindet, sey es nun in Bezug auf seine nächste' Umgebung oder in Bezug auf seine Stellung im gesammten Weltraum: so erscheint uns eben dieser Ort als dessen augenblickliches „ H i e r " , d. h. „ h i e r an diesem O r t " , dadurch es sich von allen zu derselben Zeit ausser oder neben ihm, d. h. an a n d e r e n O r t e n sich befindenden Dingen auf das Bestimmteste unterscheidet. Was aber in solcher Weise das „Hier" für den Raum- und Ortsbegriff ist: dasselbe vergegenwärtigt uns für den Z e i t b e g r i f f das „ E b e n " . Wie aber das Hier zugleich auch die verbindende Mitte bildet zwischen dem „ D a " und dem „ D o r t " , d. h. zwischen dem „an diesem Ort da" und dem „an jenem Ort dort": so bildet auch in ganz verwandtem Sinn das „ E b e n " in zeitlicher Beziehung die vorbindende Mitte zwischen dem „ V o r " und dem „ N a c h " .

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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Dasselbe Ding, welches v o r h i n noch an „jenem Ort d a " war, ist „ e b e n . " an „diesem Ort hier" und wird „ n a c h h e r " an „jenem Ort dort" seyn. Und derselbe Wesenszustand, in welchem ein Ding v o r h i n sich befunden hat, kann nicht derselbe seyn, in dem er e b e n sich befindet, und wieder ein anderer wird derjenige seyn, in dem es n a c h h e r sich befinden wird. Im ersteren dieser beiden Beispiele: stetiger räumlicher O r t s w e c h s e l , im zweiten dagegen stetiger zeitlicher Z u s t a n d s Wechsel. Denn gleichwie das „ W o " uns den O r t angibt, an welchem die Dinge sich im Augenblick befinden, das „ W a n n " aber den Z e i t p u n k t , in welchem an jenem Ort, an jenem W o , dieses oder jenes sich ereignet oder z u t r ä g t : so weist nun das „ W i e " , als die verbindende Mitte zwischen dem W o und dem W a n n , uns hin auf die jedesmaligen besonderen W e s e n s z u s t ä n d e oder W e s e n s b e s c h a f f e n h e i t e n , welche alle Naturdinge und Naturwesen dieser Welt in Folge des ununterbrochenen räumlich-zeitlichen Wechselverkehres, in welchem sie a n a l l e n O r t e n und zu a l l e n Z e i t e n ausnahmslos sich befinden, in unausweichlicher und ununterbrochener Abwechselung an sich erfahren. Das W o und das W a n n , der Raum und die Zeit, der Ort und der Zeitpunkt, sind somit das natürliche Elternpaar des Wie. Und wie nach der altgriechischen Göttersage Saturn, der Gott der Zeit, seine eigenen Kinder verzehrte, so findet diese Sage in den eben erwähnten allgemeinen Weltverhältnissen in der T h a t ihre volle naturgemässe Erklärung und Bestätigung. Denn alles, was die allwaltende Zeit im gemeinsamen Haushalt der Natur nach einander bewirkt und begründet, gestaltet und a u f b a u t , das reisst sie in ihrem weiteren Verlauf erfahrungsgemäss auch selber wieder ein, um es sofort auch schon wieder in neue Gestaltungsformen umzusetzen. Daher gedenkt auch schon Aristoteles eben dieser drei, f ü r jede eingehende Naturbetrachtung so wichtigen Begriffe des „ W o " , „ W a n n " und „ W i e " , welche er auch gewissermassen als die Grundbe-

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Kaum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

dingungen betrachtet für alles natürliche Geschehen in dieser Welt (ARISTOTELES, Zeug. d. Thier. S. 175). Die allgemeine und unbestimmtere Form für eben diese drei Begriffe ist bekanntlich das „ I r g e n d w o " , das „ I r g e n d w i e " und das „ I r g e n d w a n n " . Auf diese Begriffe erweist nicht allein die gesammte Weltordnung bis in ihre kleinsten Einzelheiten sich erbaut: aus ihnen gehen auch alle die verschiedenen räumlichen wie zeitlichen einzelnen Kennzeichen und Merkmale hervor, dadurch die Dinge trotz allen Wechsels und Wandels in ihren äusseren Erscheinungsweisen sich allewege wechselseitig von einander u n t e r s c h e i d e n . Für den, der alles mit einem einzigen Blick in seinem gesammten inneren wie äusseren Zusammenhang zu überschauen vermöchte, und welchem eben dadurch zugleich auch ein allseitig klarer E i n b l i c k in alle besonderen i n n e r e n Wesensverhältnisse und jedesmaligen Wesenszustände der Dinge gegeben wäre: für einen solchen würde eine jede Verwechselung des Einen mit dem Anderen als thatsächlich vollkommen unmöglich sich erweisen müssen. Aber gerade dies hier Gesagte nöthigt uns, um nicht missverstanden zu werden, auch noch eines anderen hierher gehörigen und ebenfalls verwandten Begriffes zu gedenken: es ist dies der Begriff des „Was", mit welchem wir auch bereits bei einer früheren Gelegenheit uns beschäftigt haben. Es bezeichnet, wie damals schon erwähnt, die an sich unveränderliche innere W e s e n s a r t und bildet daher auch so recht eigentlich die natürliche, ein für allemal feststehende Grundlage für das „Wie". Denn eben dieses „Wie" zeigt uns ja schliesslich nur an, in w e l c h e r Weise das „Was" unter der Mitwirkung des „Wo" , und des „Wann", d. h. unter der Mitwirkung der stets wechselnden äusseren Umstände und Verhältnisse an jedem bestimmten Ort und zu jeder bestimmten Zeit in seiner gesammten äusseren Erscheinung sich darstellt und unter den gegebenen Naturverhältnissen sich nothwendig darstellen muss. Denn nur allein an dem an sich U n v e r ä n d e r l i c h e n kann es ein V e r ä n d e r l i c h e s geben:

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

.27

nur an ihm vermag eine Veränderung sich zu vollziehen, nicht aber umgekehrt. Ganz in diesem Sinn sagt daher auch R i t t e r : „"Wenn wir fragen, was ein Ding sey, so haben wir im Silin, das Wesen desselben zu erforschen, wobei vorausgesetzt wird, dass in dem Wesen des Dinges das ihm b e h a r r l i c h Beiw o h n e n d e (oder vielmehr innewohnende) ausgedrückt werden soll. Daher sind die Dinge die b l e i b e n d e n G r u n d l a g e n der v e r ä n d e r l i c h e n E r s c h e i n u n g e n . In wie vielen und wie verschiedenen solcher Weisen auch ein Ding erscheint, immer bleibt es d a s s e l b e D i n g " (RITTER, Erb. Gottes S. 315. 316. 328). Aus eben diesem Grund ist es denn auch bekanntlich ein ebenfalls schon früher von uns erwähnter, von der Natur- wie Yernunftwissenschaft anerkannter Satz, dass kein Naturwesen mit irgend einem anderen zu irgend einer Zeit jemals in allen Stücken völlig gleich seyn könne. Was aber in irgend einer Beziehung von allem anderen v e r s c h i e d e n ist, das muss auch — wie Hume dies ausdrücklich hervorhebt — von allem Anderem u n t e r s c h e i d b a r seyn (BAUMANN, Raum und Zeit II. S. 520). — Auch Hobbes spricht sich hierüber in ganz dem gleichen Sinn folgendermassen aus: „Man sagt, zwei Körper unterscheiden sich von einander, wenn von Einem derselben etwas gesagt wird, was von dem anderen zur selben Zeit n i c h t kann gesagt werden Vornehmlich ist es offenbar, dass zwei Körper n i c h t der n e h m l i c h e Körper sind; denn sind sie zwei, so sind sie zu der nehmlichen Zeit an zwei (verschiedenen) Orten. Was aber das N e h m l i c h e ist, das ist zur nehmlichen Zeit auch an dem n e h m l i c h e n Ort. Alle Körper u n t e r s c h e i d e n sich also von einander schon der Z a h l nach, nehmlich als E i n e r und ein A n d e r e r " (BAUMANN, Raum und Zeit I. 313). — Daher bezeichnet auch L o c k e das „Wie, Wo und Wann" mit Recht als „Fragen, welche alles endliche Daseyn angehen" (LOCKE S. 321). — So sagt auch Leibllitz in Bezug auf dieselbe Frage: „Ausser dem Unterschied der Z e i t und des O r t e s muss es auch einen

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

i n n e r e n U n t e r s c h e i d u n g s g r u n d geben. Denn obgleich es mehrere Dinge von derselben Wesensart gibt, so ist es doch ebenso wahr, dass es unter denselben niemals solche gibt, die einander vollkommen gleich sind. Obgleich daher die Zeit und der Ort, d. h. die äusseren Beziehungen der Dinge, uns dazu dienen, auch diejenigen Dinge zu unterscheiden, die a n s i c h für uns nicht leicht zu unterscheiden sind, so hören diese Dinge darum doch nicht auf, auch i n s i c h unterscheidbar zu seyn. Der eigentliche Grund (précis) der Gleichheit und der Verschiedenheit der Dinge liegt daher n i c h t in der Zeit und in dem Ort; obgleich es wahr ist, dass die Verschiedenheit der Dinge auch von der Verschiedenheit der Zeit und des Ortes b e g l e i t e t i s t , weil diese eine Verschiedenheit von Eindrücken auf die betreffenden Dinge herbeiführen; um nicht zu sagen, dass es vielmehr d u r c h d i e D i n g e geschieht, dass wir einen Ort und eine Z e i t von anderen Orten und Zeiten zu unterscheiden vermögen. Denn von sich aus sind diese Letzteren einander völlig gleich, da sie k e i n e W e s e n oder w e s e n h a f t e n W i r k l i c h k e i t e n darstellen" (LEIBNITZ, Ed. EKDMANN S. 2 7 7). — Zu dieser letzten Stelle bemerkt B a u m a n n : „Wenn Ort und Zeit den Dingen a n h a f t e n und nur insoweit s i n d , als sie ihnen a n h a f t e n : so sind sie allerdings mehr d u r c h d i e D i n g e bestimmt, als die Dinge von ihnen. Ganz kann LEIBNITZ es indessen nicht vermeiden, dass Zeit und Ort mindestens die Unterscheidung m i t b e s t i m m e n . Und da Zeit und Ort immer von einem P u n k t e aus bestimmt werden, so sind sie sogar schlechterdings geeignet zur Unterscheidung f ü r d i e A n s c h a u u n g , und wenn es sich finden sollte, dass die Entfernung in Raum und Zeit auch sonstige Folgen für die Dinge h a t , so gewinnt das bloss Räumliche und Zeitliche dadurch noch mehr an K r a f t " (BAUMANN, R a u m und Zeit II. S. 1 3 4 . 135). Und in dem gleichen Sinn sagt Kuno F i s c h e r : „In R a u m und Z e i t erscheint jede Vorstellung (oder vielmehr jeder Gegenstand) an einem bestimmten, i h r a l l e i n z u g e -

Kaum und Zeit in Bezug auf die Gresammtheit alles Naturdaseyns.

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h ö r i g e n P u n k t , und in d i e s e m P u n k t , örtlich und z e i t l i c h bestimmt, in diesem H i e r und in diesem J e t z t unterscheidet sie sich von allem Übrigen derart, dass eine Verwechselung, eine Vermischung, ein unentwirrbares Durcheinander (eine Confusion) vollkommen u n m ö g l i c h ist. Wenn zwei Dinge in d e r s e l b e n Z e i t sind (existiren), so sind sie doch durch den Raum getrennt: sie sind z u g l e i c h , aber an v e r s c h i e d e n e n O r t e n . Und wenn zwei Dinge an d e m s e l b e n O r t sich befinden: so sind sie durch die Zeit geschieden; sie nehmen d e n s e l b e n O r t ein, aber n i c h t z u g l e i c h , sondern n a c h e i n a n d e r " (KUNO FISCHEE, Leben KANT'S S. 123. 124). Eben diese unabwendbare innere wie äussere V e r ä n d e r l i c h k e i t , die unausgesetzt allem Naturdaseyn ohne Ausnahme im steten Wechsel aller räumlichen wie zeitlichen Verhältnisse von Uranfang an anhaftet, bildet denn auch so recht eigentlich das, was wir im gewöhnlichen Leben unter dem sogenannten „ Z a h n der Z e i t " zu verstehen gewohnt sind. Von Uranfang an ist dieser nie ruhende und nie rastende Zahn der Zeit der mächtige Hebel gewesen, der durch seine unermüdliche Thatkraft alles in dieser Welt Vorhandene nicht nur in einem beständigen und ununterbrochenen Flusse innerer Zustandswechsel und damit stets wechselnder äusserlichen Umwandlungen erhält, sondern gleichzeitig damit, hier schneller und dort langsamer, aber überall mit gleich sicherem Erfolg, Bahn bricht für immer neue und immer höhere Wesensentfaltungen. Der härteste Diamant v e r b r e n n t ; der festeste Granit v e r w i t t e r t . Da ist kein Ding, kein Zustand, keine Gestaltung, die dauernd davon ausgeschlossen bliebe. V e r w i t t e r n ist sprachlich nahe verwandt mit W i t t e r u n g ; Witterung und W e t t e r sind nahezu sich deckende Begriffe: das Wetter aber stellt uns das ungetreue Bild von eben jener unausgesetzten U n b e s t ä n d i g k e i t aller jener natürlichen Verhältnisse vor Augen, welche in dem Begriff d e r Z e i t sich geistig uns vergegenwärtigen. „Während ein jeder von uns für sich — sagt Krause — seine Zeit fort-

3t)

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyiis.

setzt, ä n d e r n sich alle uns äusseren Wesen, ä n d e r t sich a l l e s , was selbst Leben hat oder in lebenden Wesen enthalten ist" (KRAUSE, Vorl. S. 110). — Dass aber auch wir selber ganz ebenso wie alles, was uns rundumher umgibt, in unserem gesammten inneren wie äusseren Wesen diesem „Zahn der Zeit" nicht entgehen: dies vermag ein jeder an sich selber allezeit bald mehr bald weniger deutlich zu gewahren. Wenn daher A r i s t o t e l e s sagt, dass „die Zeit mehr Ursache des V e r g e h e n s sey als des „ E n t s t e h e n s " (AKISTOTELES, Phys. S . 2 2 3 ) : so hat auch dieser Ausspruch in sofern seine Berechtigung, als das Zerstören des Vorhandenen in gar vielen Fällen weit rascher aber eben darum auch für uns um so augenfälliger von statten geht, als die meistens von kaum bemerkbaren Ursachen ausgehenden und darum auch nur langsam und allmählig in ihrer Entwicklung voranschreitenden Neugestaltungen, welche demgemäss erst nach längeren Zeiträumen in ihren schliesslichen Endergebnissen auf eine für uns augenfälligere Weise in die äussere Erscheinung eintreten. Aber eben darum ist es auch geradezu die unausgesetzte V e r ä n d e r l i c h k e i t an dem seiner inneren Natur nach an sich U n v e r ä n d e r l i c h e n , die W a n d e l b a r k e i t in dem an sich U n w a n d e l b a r e n , oder, mit anderen Worten ausgedrückt, die unübersehbare M a n n i g f a l t i g k e i t in den äusseren Erscheinungsweisen bei untrennbarer E i n h e i t u n d i n n e r e r W e s e n s u n v e r ä n d e r l i c h k e i t der Dinge, welche allenthalben als ein gemeinsames Grundgepräge alles natürlichen Daseyns uns entgegentritt. Alle Kraftwirksamkeiten aber, sobald sie im gegenseitigen Wechselverkehr der Dinge als Kraftati swirkungen von der einen und als Kraftein Wirkungen von der anderen Seite sich bethätigen, sind erfahrungsgemäss von der einen Seite jederzeit ebensosehr mit einer K r a f t b i n d u n g und damit also auch mit einem K r a f t v e r b r a u c h , d. i. mit einem scheinbaren K r a f t v e r l u s t , von der anderen Seite dagegen mit einer K r a f t e n t b i n d u n g , d. i. mit einem K r a f t z u w a c h s oder einer scheinbaren K r a f t V e r m e h r u n g verbunden. Jeder der-

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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artige Kraftverbrauch oder Kraftverlust ist aber — wie wir früher schon gesehen — auch jederzeit mit einem entsprechenden Z e i t v e r b r a u c h oder Z e i t v e r l u s t verbunden. Denn K r a f t und Z e i t sind sehr nahe verwandte Begriffe, ja wir können fast sagen: sie sind im Grunde Ein und dasselbe, nur von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus in das Auge gefasst. Wie daher eine jede besondere Grund- und Daseynskraft in erster Linie als eine Wesen und Daseyn bildende und erhaltende Kraft sich darstellt: so stellt sie sich auch ganz ebensosehr von Uranfang an als eine fortdauernd v e r ä n d e r n d e und umw a n d e l n d e , d. h. als eine wirkliche z e i t b i l d e n d e , weil zeitl i c h w i r k s a m e K r a f t dar. Denn eine jede U m w a n d l u n g oder V e r ä n d e r u n g bezeichnet ja nichts anderes als einen natürlichen U b e r g a n g aus einem v o r h e r i g e n Z u s t a n d in einen zunächst n a c h f o l g e n d e n . Wo aber das V o r h e r und das N a c h h e r ihre Rolle mitzuspielen haben: da stehen wir mitten in dem F l u s s d e r Z e i t . Wie die körperlichen Dinge daher in ihrer äusserlich-oberflächlichen Wesensumschränkung und Wesenseinschliessung in örtlich-räumlicher Beziehung sich wechselseitig von einander a u s s c h l i e s s e n , und doch zugleich auch an ihren jedesmaligen gegenseitigen Berührungspunkten ohne alle und jede räumliche Unterbrechung auf das innigste sich aneinander a n s c h l i e s s e n : so muss, in B^olge der innigen Beziehungen, in denen alle Raum- und Zeitverhältnisse zu einander stehen, nothwendig auch in z e i t l i c h e r H i n s i c h t hierin ein ganz gleiches Verhältniss stattfinden. Lehrt uns doch die Erfahrung, dass alle Kraftaus- und Krafteinwirkungen in Folge des an den gegenseitigen Berührungsstellen zu überwindenden Übergangswiderstandes von Seiten des die Krafteinwirkung an sich erfahrenden Gegenstandes stets von irgendeiner Einbusse von lebendiger Kraft begleitet sind und dass diese Einbusse von Kraft sich schätzen lässt durch den Z e i t a u f w a n d , welcher zur Uberwindung des betreffenden Widerstandes an den Berührungsstellen erforderlich ist. Aber eben aus diesen

32

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

Verhältnissen geht dann auch des Weiteren unzweifelhaft hervor, dass, wie diese Berührungsstellen oder Berührungspunkte die natürliche Vermittelung bilden für den allgemeinen r ä u m lichen

Zusammenhang

die gleiche Vermittlerrolle brochenen

aller

vorhandenen Dinge,

spielen müssen für den

Zusammenhang

und

stetigen

sie auch ununter-

Verlauf

alles

dessen, was in z e i t l i c h e r Beziehung irgendwie in oder an den betreffenden Dingen sich ereignet oder vorgeht.

So gehen durch

die gesammte Natur hindurch G e t r e n n t s e y n und V e r e i n i g t s e y n wechselseitig Hand in Hand, und die ganze bunte Mannigfaltigkeit

der Erscheinungen zeigt sich gegründet auf eine un-

ausgesetzte Aufeinanderfolge

von

Trennungen

des bis

dahin

Verbundenen und von Vereinigungen des bis dahin Getrennten. Daher sagt auch O e r s t e d mit vollem Eecht, dass es eines von den Grundgesetzen der „ N a t u r " sey, dass in dem allgemeinen Weltverlauf

der

unausgesetzt

voranschreitenden

einheitlichen

Weltentwickelung die „verschiedenen Zustände" der Dinge, von denen ein jeder Entwickelungsgang begleitet ist,

„nicht bloss

auf e i n a n d e r , sondern auch aus e i n a n d e r folgen" müssen. „Denn —

so fügt er hinzu —

sonst wäre k e i n

Zusammen-

h a n g " (OERSTED, Geist i. d. Nat. I . S. 16). — W i e es daher im Menschenleben keine O r d n u n g und keinen O r d n u n g s s i n n gibt ohne R a u m - und O r t s s i n n : so auch ebensowenig ohne Z e i t sinn.

Denn nur wo alles,

an seinem r e c h t e n

was ist und geschieht, auch

O r t und zu seiner r e c h t e n Z e i t ,

d. h.

im r i c h t i g e n A u g e n b l i c k geschieht: da kann auch allein von Ordnung

im wahren

und eigentlichen Sinn des Wortes

die'

Rede seyn.

N r . 128.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Einheitliche

innere Wesenhaftigkeit aller Zeit- und Raumverhältnisse. Haben Augenblickes

wir uns in dem Vorigen und des Zeitpunktes,

mit

den Begriffen

sowie mit

des

dem dazu ge-

hörigen begrifflichen Dreiklang des Vorher, des Jetzt und des.

Kaum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

33

Nachher beschäftigt: so wird es nunmehr an der Eeihe seyn, zu einer anderen zeitlichen Begriffsreihe überzugehen, welche mit den im Vorigen besprochenen Verhältnissen in einer sehr nahen verwandtschaftlichen Beziehung steht. Es sind dies die drei Zeitbegriffe von V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t und Z u k u n f t . Die V e r g a n g e n h e i t , als der Gegenwart vorangehend, entspricht dem Begriff des „Vor" oder — um dem allgemeinen Sprachgebrauch zu folgen — dem des „Früher"; die G e g e n w a r t , als das z e i t l i c h e H i e r , dem Begriff des „Eben" oder dem „ J e t z t " ; und die Z u k u n f t , als der Gegenwart nachfolgend, dem „Nach" oder dem „ S p ä t e r " . Wie das räumliche „Hier" zugleich das verbindende Mittelglied bildet zwischen dem „Da" und dem „Dort": so das zeitliche „Hier", oder die G e g e n w a r t das verbindende Mittelglied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Vergegenwärtigen wir uns nun aber zwei körperliche Einzeldinge, wie sie an ihrem beiderseitigen Berührungspunkt in unmittelbarer räumlich-körperlicher Verbindung mit einander stehen, und vergleichen wir dieses Bild mit der begrifflichen Reihenfolge, in welcher die obigen drei Begriffe von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einander stehen: so würde das erste jener beiden Einzeldinge, als das V o r a n s t e h e n d e oder V o r a n g e h e n d e , dem Begriff der V e r g a n g e n h e i t entsprechen, das andere, als das an jenes sich A n r e i h e n d e und ihm N a c h f o l g e n d e dagegen dem Begriff der Z u k u n f t : die wechselseitige B e r ü h r u n g s - und V e r b i n d u n g s s t e l l e beider Dinge aber, als diesen gemeinschaftlich angehörend, werden wir als die Vertreterin oder die Verbindung der die Vergangenheit mit der Zukunft vermittelnden G e g e n w a r t zu betrachten haben. Kann nun aber eben jene räumlichörtliche Berührungsstelle bei kugelförmigen Körpern sich nicht anders darstellen denn allein als ein an sich räum- und wesenloser P u n k t , als eine beiden Dingen gemeinsam angehörige räum- und wesenlose G r ä n z s c h e i d e , so geht unzweideutig Wandersmann.

III.

3

34

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns

hieraus hervor, dass auch in Bezug der z e i t l i c h e n Gegenwart nur ein ganz gleiches Verhältniss stattfinden kann. Dies heisst mit anderen Worten: auch die, die Vergangenheit mit der Zukunft in unmittelbare Verbindung setzende G e g e n w a r t kann in ihrer eigentlichsten und strengsten Bedeutung ebenfalls nur als ein an sich räum-, zeit- und wesenloser G r ä n z p u n k t zwischen Vergangenheit und Zukunft geistig von uns in das Auge gefasst werden, als ein Gränzpunkt, welcher uns beständig aus der Vergangenheit heraus in die Zukunft einführt. Aus eben diesem Verhältniss geht nun aber gleichzeitig auch hervor, dass der Begriff der G e g e n w a r t , in seiner zeitlichen Bedeutung genommen, völlig ins Eins zusammenfällt mit dem Begriff des an sich ebenfalls völlig zeitlosen Z e i t p u n k t e s , mit dem wir im Vorigen uns beschäftigt haben. In Bezug hierauf bezeichnet P l a t o das „War" (oder das „Gewesen") für die v e r g a n g e n e , das „Wirdseyn" für die zuk ü n f t i g e Zeit. Von dem „Jetzt" dagegen sagt er, es sey zwischen „War" und „Wirdseyn". Denn — so fügt er hinzu — „es kann doch nicht das »Vorher«, in das »Nachher« fortschreitend, das »Jetzt« überspringen" (PLATO, [SCHLEIEKMACHEK] I11- S. 104). Dagegen spricht A r i s t o t e l e s in dieser Beziehung sich dahin aus, dass das „Früher" und das „Später", als nothwendig in dem Begriff der Bewegung als Ortsveränderung liegend, ursprünglich auch schon in dem Begriff des Ortes, d. h. der L a g e nach, mit enthalten sey. Denn die Begriffe des „Früheren" und des „Späteren" seyen entsprechend dem des „Dortigen" (oder vielmehr denen des „Da" und des „Dort"). Aber — fügt er hinzu — „auch in der Z e i t ist das F r ü h e r und S p ä t e r , weil von diesen immer das Eine dem Anderen f o l g t " . Die Zeit scheint durch das Jetzt a b g e g r ä n z t zu seyn. Wenn wir also das J e t z t als ein E i n e s wahrnehmen und n i c h t als ein Früheres oder Späteres in der Bewegung, oder, wenn auch als das Nehmliche, doch als ein Nehm lieh es von einem F r ü h e r e n oder S p ä t e r e n : so scheint keine

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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Z e i t verflossen zu seyn, weil auch keine Bewegung. Wenn hingegen wir das Früher oder Später w a h r n e h m e n : dann sprechen wir von einer Z e i t ; denn dieses eben ist die Zeit. Es besteht also das J e t z t einerseits als immer das N e h m l i c h e , anderseits als n i c h t immer das Nehmliche; denn wiefern es in einem a n d e r e n und immer wieder a n d e r e n Z e i t p u n k t ist, ist es immer wieder Verschiedenes. Das J e t z t ist die S t e t i g k e i t (Continuität) der Zeit. Denn es hält die vergangene und die künftige Zeit als eine ununterbrochene (continuirliche) zusammen, und überhaupt ist es eine G r ä n z e der Zeit; denn es ist A n f a n g der einen und E n d e der anderen. Aber dies ist nicht so augenfällig wie bei dem ruhig bleibenden Punkt, sondern das J e t z t theilt die Zeit und deren stetige Aufeinanderfolge n u r der M ö g l i c h k e i t (Potenz) nach, und sofern es derartig ist, ist das „Jetzt" immer ein Verschiedenes; insofern es aber eine V e r b i n d u n g bewirkt, ist es immer das N e h m l i c h e . So ist also das „Jetzt" theils bloss mögliche (potenzielle) T h e i l u n g der Zeit, theils G r ä n z e und E i n h e i t l i c h k e i t beider Theile" (ARISTOTELES, Phys. S. 205. 207. 219. 221). Und in der gleichen Bedeutung sagt auch Hegel, dass „die angenommene Z e i t g r ä n z e ein »Jetzt« sey als E n d e der verflossenen und ein A n f a n g einer zukünftigen Zeit" sey. Und an einem andern Ort sagt er: „Die Ausdehnung in der Zeit, die G e g e n w a r t , Z u k u n f t und V e r g a n g e n h e i t , sind das W e r d e n in seiner Ausserlichkeit (d. i. in seiner äusserlichen Erscheinung) als solches. Das unmittelbare Verschwinden dieser Unterschiede ist die G e g e n w a r t als J e t z t " (HEGEL XIV. 361. III. 275. VII 1 - S. 57. Aus allem diesem geht nun aber nothwendig hervor, dass im allgemeinen Weltverkehr nicht nur in Folge des eben angedeuteten stetigen Zusammenhanges sowohl aller räumlichen wie aller zeitlichen Verhältnisse, sondern namentlich auch in Folge der damit in Verbindung stehenden ganz ebenso ununterbrochenen Verkettung aller Ursachen mit ihren sofort 3*

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

ebenfalls wieder zu neuen Ursachen werdenden Wirkungen alle Dinge sowohl durch den gesammten Weltraum wie durch die gesammte Weltdauer hindurch in einem ununterbrochenen und stetig sich verlaufenden i n n e r l i c h - ä u s s e r l i c h e n W e s e n s z u s a m m e n h a n g sich unausgesetzt befinden müssen. Aber ebenso geht auch aus allen unseren bisherigen Untersuchungen hervor, dass eben dieser innerlich-äussere Wesenszusammenhang und diese innerlich-äusserliche Verkettung aller Dinge und aller einzelnen Weltvei'hältnisse unter einander sich nicht etwa nur allein auf den r ä u m l i c h - w e s e n h a f t e n Weltzusammenhang beziehen kann, sondern dass ganz das Gleiche auch aus ganz den ähnlichen oder gleichen Gründen der Fall seyn muss in Bezug auf den z e i t l i c h - w e s e n h a f t e n Zusammenhang aller z e i t l i c h e n V o r g ä n g e , weil auch diese nothwendig in ebenso ununterbrochener Weise durch ihre natürlichen Wirkungen und Rückwirkungen durch den ganzen zeitlichen Weltverlauf sich hindurchziehen. Das Wort „ s t e t s " , sprachlich zusammenhängend mit s t ä n d i g , b e s t ä n d i g und s t e t i g , vergegenwärtigt uns auch in begrifflicher Beziehung recht eigentlich das durch die gesammte Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Weltganzen sich hindurchziehende Verhältniss eines ganz ebenso stetig nach allen Seiten und Richtungen hin statthabenden z e i t l i c h e n Z u s a m m e n h a n g e s aller Dinge und alles dessen, was an und in ihnen vorgeht, wie auch der räumliche Zusammenhang derselben nach allen Seiten und Richtungen durch das gesammte Weltall hindurch als ein vollkommen ununterbrochener und stetiger muss betrachtet werden. Auch hier also dürfen wir sagen, dass im allgemeinen Naturzusammenhange beide, natürlich-räumlicher und natürlich-zeitlicher Wesenszusammenhang aller Dinge unter sich, mit einander stehen oder fallen. Das Eine wäre ohne das Andere eine natürliche wie begriffliche Unmöglichkeit. Bezeichnet uns somit nach dem Bisherigen die Verg a n g e n h e i t eine gewesene, d. h. nicht mehr vorhandene

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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sondern thatsächlich e n t s c h w u n d e n e , die Z u k u n f t eine noch n i c h t daseyende, sondern e r s t noch k o m m e n d e Wirklichkeit oder zeitliche Wirksamkeit: so haben wir dagegen in der G e g e n w a r t die e i g e n t l i c h e , d. i. die nur in eben diesem Z e i t p u n k t „ j e t z t " gegebene zeitliche Wirklichkeit vor Augen. Was ist aber eben dieses Jetzt? Ein blosser zeit-, räum- und wesenloser Punkt: ein reines Nichts. Wie soll aber mit solch einem reinen Nichts eine thatsächliche, d. h. nicht bloss gedachte und nur eingebildete, sondern eine wesenhafte Wirklichkeit bestehen? Dieser Widerspruch muss uns allerdings in etwas misstrauisch in unseren bisherigen Gedankengang machen, und wir müssen demgemäss nach dem Grund uns umsehen, welcher zu diesem Widerspruch die äussere Veranlassung dürfte geboten haben. Könnte aber nicht gerade dieser innere Widerspruch, in den wir hineingerathen sind, uns einen Wink geben, dass wir unvermerkt die Begriffe von Raum und Zeit mitunter zu sehr in ihrer blossen rein begrifflichen Bedeutung, d. h. als etwas an sich rein W e s e n l o s e s in das Auge gefasst haben, ohne zugleich auch darauf zu achten, dass die thatsächliche Naturwirklichkeit kein w i r k l i c h w e s e n l o s e s , sondern allein nur lauter wesenhaftes D a s e y n in sich einschliesst, und dass wir also, sobald wir auf räumliche oder zeitliche Verhältnisse unser Augenmerk richten, es allewege nur mit wirklich w e s e n h a f t e n , aber nie mit wesenlosen Dingen zu thun und nie mit solchen zu rechnen haben? In Bezug auf den Raumbegriff liegt die Gefahr eines solchen Versehens weniger nahe, als gerade in Bezug auf den Zeitbegriff. Denn wenn wir auch bei dem Gedanken an den bloss räumlich-körperlichen Umfang oder an die blosse Grösse eines Dinges meist den wesenhaften Inhalt desselben unberücksichtigt lassen, so werden wir doch alsbald auch auf diesen Letzteren hingewiesen, sobald wir diesen körperlichen Raum auf ein wirklich vorhandenes wesenhaftes Näturdaseyn beziehen. Ganz anders verhält sich dieses aber

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

in Bezug auf den Z e i t b e g r i f f . Hier lassen wir uns weit leichter dazu verleiten, diesen Begriff nicht als etwas den Dingen innerlich und wesenhaft Zukommendes in das Auge zu fassen, sondern im Gegentheil als etwas ihrem Wesen als solchem völlig Fremdes und ihm an sich rein Aeusserliches, aber eben damit zugleich auch als etwas selbst in der Naturwirklichkeit an sich völlig W e s e n l o s e s zu betrachten. Wir werden hierzu um so mehr verleitet durch die irrthümliche Vorstellung einer an sich völlig leeren und wesenlosen allgemeinen Weltzeit, und was diese Gefahr noch vermehrt, das ist die weitverbreitete Gewohnheit, der grösseren Einfachheit wegen den Zeitverlauf unter dem Bilde einer an sich ebenfalls wesenlosen L i n i e uns geistig zu vergegenwärtigen und damit die Zeitereignisse selber gewissermassen als thatsächlich an einem derartigen wesenlosen Faden verlaufend uns vorzustellen. Die Irrthümlichkeit einer derartigen Anschauungsweise muss sich aber sofort ergeben, sobald wir berücksichtigen, dass alle Zeitereignisse, alles zeitliche Geschehen ohne Ausnahme als kein Anderes können betrachtet werden, denn allein nur als die für uns sinnlich-wahrnehmbar äussere Erscheinung oder Offenbarwerdung eben der an sich rein i n n e r l i c h e n Vorgänge oder Veränderungen, welche das eigentliche W e s e n s i n n e r e der Dinge in Folge seines unausgesetzten Verkehrs und Zusammenhanges mit allen übrigen natürlichen Wesenheiten ohne Unterlass und in steten Abwechselungen an und in sich selbst erfährt. Ein jeder derartige Widerspruch, in welchen das menschliche Denken in solcher Weise hineinzugerathen in Gefahr ist, kann und muss daher stets als ein erneuerter Hinweis dafür uns gelten, dass beide Raum und Zeit, weder als von e i n a n d e r noch als von den Dingen dieser Welt dergestalt g e t r e n n t und g e s c h i e d e n dürfen in das Auge gefasst werden, als ob ihnen jemals ein in sich s e l b e r s e l b s t s t ä n d i g e r und von den vorhandenen Dingen u n a b h ä n g i g e r Bestand zukäme. Nur den wesenhaften Dingen als solchen

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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kommt eine begrifflich-natürliche Geltung und ein thatsächlicher Bestand im Daseyn zu: ohne dieselben oder vermeintlich losgetrennt von ihnen, sind sie beide, Raum wie Zeit, das reine Nichts. Denn für sich allein fehlt ihnen jede wesenhafte Grundlage und demgemäss auch jede Wirklichkeit. . Wie es daher ohne wesenhafte Dinge keinen Raum, also auch keine räumliche Grösse und keine räumliche Ausdehnung geben kann: so auch keine zeitliche Dauer, keine Zeit als solche, und damit auch keinen zeitlichen Verlauf und keinen sogenannten Fluss der Zeit. Nur in der eigenen inneren Befähigung aller vorhandenen Dinge, im allgemeinen Weltverkehr unausgesetzt den Wechselfällen äusserer Umstände und Verhältnisse sich fortwährend und ohne Unterbrechung anzupassen und anzubequemen, und damit zugleich in jedem Augenblick ihre eigene äussere Erscheinungsweise fortwährend zu ändern: nur dadurch kann von einem wirklichen F l u s s oder V e r l a u f der Z e i t die Rede seyn. Denn die natürlichen Dinge finden sich n i c h t in einem von ihnen unabhängigen „Strom der Zeit" hineingestellt, und werden n i c h t von dessen äusserlicher Kraft in der Richtung dieses Stromes mit fortgerissen , wie ein Stück Holz, das wir in einen wirklichen Strom werfen, von diesem dahingetragen wird. Im Gegentheil sind es die wesenhaften Dinge dieser Welt, welche in Folge dieses ununterbrochenen Wechselsverkehrs, in dem sie unter einander stehen, die Zeit in ihrem e i g e n e n I n n e r n geb ä h r e n , und sie in Folge dessen, durch ihre eigenen stets wechselnden Erscheinungsweisen, auch zu etwas sinnlich Wahrnehmbaren f ü r uns machen. Jener „Fluss oder Strom der Zeit" von dem so oft gesprochen wird, ist daher nur als eine rein sinnbildliche Sprechweise zu verstehen, die zu irrthümlichen Auffassungen verleiten muss, sobald wir sie unbedachtsamer Weise in buchstäblichem Sinn nehmen. Sowie daher in unserem Denken das gegenseitige Wechselverhältniss zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Weise in das

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Kaum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns,

Auge gefasst wird, dass man Vergangenheit und Zukunft nur als zwei an sich w e s e n l o s e Z e i t a b s c h n i t t e ansieht, welche nur dadurch sich von einander unterscheiden, dass der Erstere als n i c h t m e h r s e y e n d , der Zweite aber als noch nicht seyend betrachtet wird: so kann es nicht fehlen, dass folgerichtig auch die G e g e n w a r t , als das verbindende Mittelglied zwischen zwei wesenlosen Zeitabschnitten, ebenfalls nur als ein an sich W e s e n l o s e s sich darstellen kann. Wie aber dem an sich Wesenlosen k e i n e z e i t l i c h e D a u e r zugesprochen werden kann, so auch keine Art von irgend welcher z e i t l i c h e r oder r ä u m l i c h e r A u s d e h n u n g . Denn wie nur allein dem wirklich Wesenhaften eine wirkliche r ä u m l i c h e G r ö s s e oder A u s d e h n u n g zuerkannt werden kann: so kann auch nur allein einem ebensolchen wirklich w e s e n h a f t e n D a s e y n ein wirklicher B e s t a n d in diesem seinem natürlichen Daseyn, d. h. eine wirkliche zeitliche D a u e r oder thatsächliche A u s d e h n u n g in der Z e i t zukommen. Eine G e g e n w a r t aber ohne alle und jede Ausdehnung in der Zeit würde ebenfalls gleichbedeutend seyn mit einem völligen Nichtseyn, also einem thatsächlichen Nichts. Eine solche Sachlage aber, wenn sie wirklich zu bestehen vermöchte, müsste geradezu alles Naturdaseyn überhaupt zu Nichte machen, und wir s e l b e r würden uns sagen müssen, dass wir g a r n i c h t b e s t e h e n , g a r n i c h t v o r h a n d e n sind, weil wir nichts Anderes als das reinste N i c h t s oder N i c h t s e y n darstellen würden. Dies aber wird kein vernünftiger Mensch zugestehen; denn wir alle f ü h l e n und w i s s e n , dass wir wirklich und wesenhaft da sind. Unser richtiges Gefühl des eigenen Daseyns muss also eine jede derartige Anschauung, von welcher Seite sie auch an uns herantrete, sofort Lügen strafen. Wie alles übrige wirklich wesenhafte Naturdaseyn, so tragen eben auch wir, wie unsere r ä u m l i c h e , so auch unsere z e i t l i c h e G e g e n w a r t in unserem eigenen persönlich-wesenhaften I c h und S e l b s t : wäre sie nicht h i e r von Uranfang an für uns vorhanden, so würde auch kein

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anderes Naturverhältniss, von welcher Art es auch seyn möchte, im Stande seyn, dieselbe uns von aussen her zu geben. G e g e n w a r t ist daher gleichbedeutend mit wesenh a f t e m D a s e y n , im zeitlichen wie im räumlichen Sinn, und alles wesenhafte Daseyn ist daher auch für die ganze Dauer seines Bestandes gleichbedeutend mit einer s t e t e n , d. i. unu n t e r b r o c h e n - s t e t i g in sich verlaufenden thatsächlichen Gegenwart. Wir haben zwar vorhin das gegenseitige Wechselverhältniss zwischen den drei zeitlichen Grundbegriffen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Weise uns vorstellig zu machen gesucht, dass wir dasselbe sinnbildlich mit dem gegenseitigen Wechselverhältniss verglichen, welches zwischen zwei oberflächlich sich berührenden körperlichen Einzeldingen stattfindet. In diesem Beispiel musste selbstverständlich das Erste dieser beiden Dinge sich uns als dem Begriff der Vergangenheit entsprechend darstellen, das Zweite als dem Begriff der Zukunft; der oberflächliche Berührungspunkt beider aber versinnbildlichte uns den Begriff der Gegenwart. Eben jenes Bild hatten wir jedoch damals vorherrschend zu dem Zweck gewählt, um an ihm den thatsächlich ununterbrochenen und stetig in sich verlaufenden allgemeinen Naturzusammenhang uns zu veranschaulichen, wie solcher zwischen allem in dieser Welt Vorhandenen ohne Ausnahme besteht und in zeitlicher wie in räumlicher Beziehung, d. h. sowohl durch die ganze Weltdauer und Weltzeit wie durch den ganzen Weltraum, von Uranfang an sich hindurchzieht. Auf die räumlichen Verhältnisse passte jenes Bild vollkommen; denn hier hatte das Auge des Geistes es nur mit lauter wirklich wesenhaften Dingen zu thun, welche vermittelst ihrer äusserlichen Berührungspunkte sich nach allen Richtungen hin stets auf das innigste aneinander anzuschliessen vermochten. Ganz anders aber verhält es sich in dieser Hinsicht mit der Anwendung desselben Bildes auch auf zeitliche Verhältnisse. Hier h i n k t das Gleichniss,

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so entsprechend es sich auch hinsichtlich der Raumverhältnisse darstellte. Denn während wir es in diesem letzteren Fall, der Naturwirklichkeit entsprechend, nur mit lauter an sich wesenhaften Dingen zu thun hatten, war dies hinsichtlich seiner Nutzanwendung auch auf rein z e i t l i c h e Verhältnisse keineswegs mehr in derselben augenscheinlichen Weise der Fall. Wohl hat es seine Richtigkeit, dass der jedesmalige Wesenszustand des Ersten jener beiden Dinge, in Folge der von ihm ausgehenden Einwirkung auf das Zweite, in diesem eine entsprechende Veränderung in Bezug auf dessen bisherigen Wesenszustand hervorruft. Demgemäss erscheint nun allerdings der eben diese Veränderung in dem zweiten Einzelding bewirkende Wesenszustand des Ersten als die eben dieser Veränderung, im Zweiten v o r a n g e h e n d e Ursache, wogegen die in Folge hiervon im zweiten Ding bewirkte Veränderung im bisherigen Wesenszustand als die aus jener vorangehenden Ursache erst hervorgehende und ihr demnach auch zeitlich n a c h f o l g e n d e W i r k u n g sich darstellt. Denn aus unseren früheren Untersuchungen (V. § 19. No. 105) wissen wir, dass in allen Fällen, in welchen das Wechselverhältniss von Ursache und Wirkung n i c h t in e i n e m und d e m s e l b e n E i n z e l d i n g seinen natürlichen Abschluss findet, sondern vielmehr über zwei v e r s c h i e d e n e a b e r e i n a n d e r b e r ü h r e n d e Einzelwesen derart sich vertheilt zeigt, dass das Eine dieser beiden Einzeldinge als der Träger der bewirkenden U r s a c h e , das andere dagegen als der Träger der durch diese Ursache bewirkten W i r k u n g sich darstellt: dass in allen diesen Fällen die Wirkung der Ursache z e i t l i c h n a c h f o l g e n muss. Der Grund hiervon muss bekanntlich in dem durch das e i n w i r k e n d e Einzelding zu überwindenden Ubergangswiderstand gesucht werden, welchen dasjenige Einzelding, welches jene- Einwirkung an sich erfahren soll, der auf dasselbe einwirkenden fremden Kraft gegenüber ausübt. Bis hierher also würde das Beispiel, dessen wir im Vorigen uns bedienten, n i c h t hinken. Denn wie in eben

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diesem Beispiel in der Naturwirklichkeit die in dem Ersten der betreffenden beiden Einzeldinge liegende Ursache der in dem Zweiten sich vollziehenden Wirkung zeitlich v o r a n g e h t , diese Letztere also Jener n a c h f o l g t : so findet erfahrungsgemäss ganz das gleiche Yerhältniss statt auch in Bezug auf die beiden Zeitbegriffe von V e r g a n g e n h e i t und Z u k u n f t . Und wenn nur die rein örtlichen, an sich räum- und ausdehnungslosen äusserlichen Gränz- oder Berührungspunkte es sind, durch welche die gegenseitige Wechselverbindung zwischen Ursache und Wirkung sich vermittelt zeigt: sollten wir uns in Folge dessen nicht für berechtigt halten dürfen, nunmehr auch die z e i t l i c h e G e g e n w a r t in entsprechender Weise ebenfalls nur als einen an sich z e i t l o s e n G r ä n z - und U b e r g a n g s p u n k t zu betrachten, durch welchen einerseits die Vergangenheit von der Zukunft sich ganz bestimmt geschieden zeigt, und durch welche anderseits doch zugleich auch die begriffliche Verbindungsbrücke gebildet ist, vermittelst welcher die Vergangenheit unausgesetzt in die Zukunft übergeht? Allein, obzwar eben jene sinnbildliche Darstellung uns allerdings zu einer solchen Schlussfolgerung zu berechtigen scheint: so können wir in derselben dennoch nur einen F e h l s c h l u s s erblicken. Denn wir dürfen uns den zeitlichen Verlauf eben jener stetig fortlaufenden Verkettungen von veranlassenden Ursachen in den einen, und den dadurch verursachten Wirkungen in den diesen nachfolgenden Dingen keineswegs in der Weise denken, als ob dies alles nur in einer an sich wesenlosen Linie sich vollzöge, ähnlich wie wir uns solches nicht nur in Bezug auf allen Zeitverlauf überhaupt, sondern namentlich auch in Bezug auf das gegenseitige Wechselverhältniss zwischen den Begriffen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft meist zu denken gewohnt sind. Eine derartige Vorstellungsweise, sobald sie auf Verhältnisse der allseitig wesenhaften Naturwirklichkeit soll bezogen werden, anstatt auf bloss wesenlose Begriffsverhältnisse, muss nothwendig als i r r t h ü m l i c h sich erweisen: der W i d e r s p r u c h ,

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

in den wir durch eine solche Anschauungsweise mit unserer eigenen inneren Selbsterfahrung und unserem eigenen inneren Selbstgefühl und Selbstbewusstseyn gerathen, darf uns als sichere Bestätigung hierfür gelten. Aber wo sollen wir nunmehr den ersten Grund dieses Widerspruches oder den ersten Ausgangspunkt für die falsche Richtung suchen, in welche wir in unserem Denken uns verirrt haben? Er kann, wie wir eben angedeutet, allein in unserer Gewohnheit liegen, allen Z e i t v e r l a u f einseitig nur als in einer w e s e n l o s e n L i n i e vor sich gehend uns zu denken. Denn bei einer solchen Anschauung bieten allerdings nur innerhalb dieser Linie gelegene und darum ebenfalls w e s e n l o s e P u n k t e sich uns dar als Träger und Vermittler für den gesammten Zeitbegriff. Die gesammte Naturwirklichkeit, uns selber mit eingeschlossen, weiss aber von einem derartigen Sachverhältniss n i c h t s . Sie, die Naturwirklichkeit, kennt allein nur solche w e s e n h a f t e D i n g e , deren innere Wesenhaftigkeit unabtrennbar ganz ebensowohl auf alle ihre z e i t l i c h e n wie auf alle ihre r ä u m l i c h e n Verhältnisse, d. h. ebensowohl auf deren körperliche Grösse und Ausdehnung wie auf deren zeitliche Dauer sich bezieht. So lange wir uns freilich allen zeitlichen Verlauf nur als in Einer fast endlosen Linie sich vollziehend vorstellen, so lange können allerdings für unsere geistige Anschauung auch alle jene Verkettungen von Ursachen und Wirkungen zwischen den sich berührenden Einzeldingen ebenfalls nur allein in der Richtung eben dieser Linie statthaben. Aber ein derartiges Verhältniss findet überhaupt in der Naturwirklichkeit k e i n e n Boden. Denn in dieser reihen die natürlichen Einzeldinge durch den gesammten Weltraum hin nach allen Seiten und Richtungen sich wechselseitig an einander an. Es nimmt daher auch demgemäss ein jedes Einzelne eben dieser Einzeldinge ringsum an ebenso vielen Punkten seiner körperlichen Oberfläche Einwirkungen von aussen her in sich auf, als es überhaupt von Dingen der Aussenwelt ringsum berührt wird; und ebenso muss auch ganz das Gleiche

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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der Fall seyn in Bezug auf seine eigenen Aus- und Einwirkungen auf diejenigen Einzeldinge seiner Umgebung, mit denen es in äusserer Berührung sich befindet. Unter solchen Umständen, wie sie nothwendig durch das gesammte Weltganze sich erstrecken müssen, stehen demnach alle innerhalb dieses Letzteren vorhandenen Einzeldinge und Einzelwesen mit allen ihren Mitwesen in einem ununterbrochenen wechselseitigen Austausch von Krafteinwirkungen und von Kraftauswirkungen, und zwar in den mannigfachsten, durch die Natur der einzelnen zusammenwirkenden Wesenheiten bedingten Kraftmaassen. Da können nirgends Dinge sich finden, die einseitig etwa bloss Kraftwirksamkeiten auf ihre Umgebungen ausübten, unterdess Andere ebensolche Kraftwirksamkeiten nur leidend in sich aufnähmen: im Gregentheil ist alles Vorhandene fortwährend ebensowohl Kraftein Wirkungen, auf seine gesammte Umgebung a u s ü b e n d , wie auch fremde Krafteinwirkungen von der es umgebenden Aussenwelt in sich a u f n e h m e n d . Und zwar können alle diese wechselseitigen Kraftaus- und Krafteinwirkungen unter so gegebenen Verhältnissen keineswegs bloss auf die zunächst sich berührenden Dinge sich beschränken, sondern sie müssen im Gegentheil durch die Vermittelung eben dieser ihrer allernächsten Umgebung in immer weiteren Kreisen durch das gesammte Weltall derart sich erstrecken, dass ein jedes Einzelding dieser Welt nicht nur fortwährend Krafteinwirkungen irgendwelchen Grades aus allen Orten des Weltalls erhält und in sich aufnimmt, sondern ganz ebenso auch nach allen Seiten und Richtungen hin bis in die weitesten Fernen ähnliche Krafteinwirkungen von sich aussendet. Aber aus allen diesen Thatsachen ergibt sich dann auch noch des Weiteren, dass bei der sehr grossen Verschiedenheit, welche unter allen in dieser Welt vorhandenen Einzeldingen in Bezug auf deren besondere W e s e n s a r t statt hat, ein jedes derselben nothwendig nicht nur in einem jeden Augenblick in irgendeiner Weise in e i n e m a n d e r e n W e s e n s z u s t a n d sich befinden muss, als

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dies im nächst vorhergehenden Augenblick der Fall gewesen ist, sondern dass ausserdem dieser sein jedesmaliger Wesenszustand auch in jedem Augenblick verschieden seyn muss von den gleichzeitigen Wesenszuständen aller seiner übrigen Mitwesen. Alle diese für unser menschliches Auffassungsvermögen so unfassbar verschiedentlich gearteten Wesenszustände müssen aber nothwendig über das ganze w e s e n h a f t e I n n e r e eben des Einzeldinges sich erstrecken, dem sie angehören; daher denn auch die gesammte jedesmalige ä u s s e r e E r s c h e i n u n g s w e i s e eines jeden Dinges als der naturgetreue Spiegel eben desjenigen inneren Wesenszustandes muss betrachtet werden, welcher ihm in einem j e d e n b e s o n d e r e n A u g e n b l i c k thatsächlich zukommt. Aber eben hiermit wären wir denn auch an dem eigentlichen Punkt angelangt, auf welchen unsere ganze gegenwärtige Untersuchung abzielte, nehmlich an dem Punkt, wo wir anerkennen müssen, dass, gleichwie der r ä u m l i c h e Z u s a m m e n h a n g aller in dieser Welt vorhandenen wesenhaften Dinge für das Auge des Geistes allein nur als a l l s e i t i g nach a l l e n R i c h t u n g e n hin statthabend sich darstellen kann, auch nur ein ganz G l e i c h e s gelten kann, nicht nur in Bezug auf den z e i t l i c h e n Z u s a m m e n h a n g aller dieser Dinge unter einander: sondern namentlich auch in Bezug auf den g a n z e n z e i t l i c h e n V e r l a u f von allen den so mannigfach verschiedenen inneren wie äusseren W e s e n s z u s t ä n d e n , in denen die Dinge abwechselnd während der ganzen Dauer ihres räumlich-zeitlichen Daseyns sich nacheinander befinden. Für bloss leere, wesenlose Räume kann an keine Art von wechselseitigem Zusammenhang zu denken seyn; denn woher sollte ihnen die natürliche Kraft dazu kommen? Derselbe kann allein nur möglich seyn bei wahrhaft k ö r p e r l i c h e n Räumen, welche, der Natur der Sache nach, auch in i h r e m I n n e r n als wirklich w e s e n h a f t e Körperlichkeiten zu betrachten sind: denn nur solchen können auch innerlich die erforderlichen lebendig-thätigen Kräfte zukommen, durch deren Wirksamkeit jener allseitige äusserlich-körperliche

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Zusammenhang aller Dinge auch thatsächlich kann bewirkt werden, der innerhalb der gesammten Naturwirklichkeit bestehen muss. wenn nicht alles ordnungslos aus einander fallen soll. Nur bei wirklich w e s e n h a f t e n D i n g e n kann daher, wie von einer körperlichen Grösse und von einer natürlichen Wesensdauer, so auch innerhalb dieser Letzteren von einem eigentlichen z e i t l i c h e n Verlauf in Bezug besonderer Wesenszustände die Rede seyn. Und so besitzt denn auch ein jedes natürliche Einzelding, wie überhaupt ein jedes in sich selbstständige Naturdaseyn, nicht nur seine eigene, nur ihm allein zukommende R e i h e n f o l g e von i n n e r l i c h e n Z u s t a n d s v e r ä n d e r u n g e n , sondern als natürliche Folge hiervon, auch seine eigene, seinem inneren Wesen unabtrennbar zukommende i n n e r l i c h - w e s e n h a f t e Z e i t . Aber eben hieraus ergibt sich denn auch weiter, dass nur allein wirklich w e s e n h a f t e D i n g e als die natürlichen T r ä g e r und V e r m i t t l e r von wirklichen Z e i t v e r h ä l t n i s s e n sich darstellen können. Kein bloss wesenloser Gränzpunkt vermag irgend eine wirkliche Vermittlerrolle zwischen einem Früheren oder bereits Vergangenen und einem Späteren oder noch Zukünftigen zu übernehmen; und wenden wir diese unverkennbare Naturthatsache nunmehr auch an auf das gegenseitige Wechselverhältniss zwischen den drei zeitlichen Grundbegriffen von V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t und Z u k u n f t : so ergibt sich uns als natürliche Schlussfolgerung, dass auch hier die Erstere mit der Letzteren n i c h t , wie anfänglich angenommen, durch einen bloss wesenlosen Punkt kann vermittelt seyn, sondern dass vielmehr die diese Ver"mittelung vollziehende G e g e n w a r t nur dadurch als zu dieser ihrer natürlichen Aufgabe tüchtig und befähigt von uns kann anerkannt werden, dass wir auch sie als einen wirklich wesenh a f t e n T r ä g e r und V e r m i t t l e r eben dieser ihrer z e i t l i c h e n A u f g a b e in das Auge fassen. Und eben dadurch wird es denn auch erklärlich, wie und weshalb unser gesammtes eigenes Leben und Daseyn, von unserer frühesten Jugend an bis in

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unser spätestes Alter, allewege unserem eigenen inneren Gefühl nach nur als eine u n u n t e r b r o c h e n f o r t d a u e r n d e W e s e n s g e g e n w a r t in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung sich darstellt. Wo immer wir uns in räumlich-örtlicher Hinsicht befinden: da finden wir uns auch w e s e n h a f t g e g e n w ä r t i g . Denn eben der i n n e r e O r t , von dem wir früher schon gesprochen und den wir allenthalben in u n s mit h i n n e h m e n , wohin wir uns je begeben mögen, bezeichnet ja, genau betrachtet, kein Anderes als eben unser e i g e n e s i n n e r e s W e s e n und damit also auch unsere eigene innere W e s e n s g e g e n w a r t ; unterdess jener ä u s s e r e O r t , von dem wir ebenfalls früher schon gesprochen, den uns fremden Ort bezeichnet, n a c h d e m wir uns hinbegeben, und den wir erst dann als wirklich gegenw ä r t i g uns betrachten dürfen, wenn wir auch p e r s ö n l i c h thatsächlich an ihm angelangt sind. Wie es in dieser Hinsicht aber in räumlich-örtlicher Beziehung sich verhält: ganz ebenso auch in zeitlicher Beziehung; denn an welchen uns bis dahin fremden Ort wir uns auch hinbegeben mögen, dahin nehmen wir, z u g l e i c h mit unserem e i g e n e n persönlich-innerlichen O r t , auch unsere eigene persönlich-innerliche Z e i t mit, und wo und an welchem Ort wir uns im Leben befinden, da wissen und fühlen wir uns auch z e i t l i c h wie r ä u m l i c h - ö r t l i c h g e g e n w ä r t i g . Auf eben diese Weise fühlen und erfahren wirres auch ununterbrochen an uns selber, wie wir trotz alles Wechsels und Wandels in den uns äusserlichen Weltverhältnissen und trotz alles damit Hand in Hand gehenden Wechsels und Wandels in unseren eigenen innerlichen wie äusserlichen Daseynsverhältnissen doch immerdar, was den eigentlichen Kern unseres gesammten Wesens betrifft, p e r s ö n l i c h ganz dieselben b l e i b e n , die wir von Anfang an gewesen sind. Würde nicht, wie an und in allen zeitlichen Daseyn, so auch an und in uns selber der Z a h n der Z e i t seine Geltung behaupten, und würden wir auf diese Weise nicht durch gar mancherlei innere Empfindungen und Veränderungen in unserer äusserlichen

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Erscheinung mehr und mehr daran erinnert, dass wir, trotz alles persönlichen Gleichbleibens im Wesen, doch aus unserer vergangenen Jugendzeit heraus und durch die Gegenwart hindurch allmählich immer weiter vorrücken: wir würden das Gefühl eines eigentlichen Verlaufs der Zeit kaum persönlich an uns selber wahrnehmen. Wie wir das Gefühl unserer inneren Wesensgegenwart in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung allenthalben mit uns hinnehmen, so würden wir uns auch in einen ebenso fortdauernden Zustand von unveränderter Jugend hineinträumen, wenn wir niclit durch den erwähnten „Zahn der Zeit" hierüber unausgesetzt eines Besseren belehrt würden. Es verhält sich eben hinsichtlich des Zeitbegriffes ganz ähnlich wie hinsichtlich des Ortsbegriffes. Unseren eigenen wesenhaften i n n e r e n O r t , als Eins mit unserem inneren Wesen selber, und ebenso auch unseren eigentlichen i n n e r s t e n O r t , als Eins mit unserem innersten W e s e n s m i t t e l p u n k t , nehmen wir in und mit unserem persönlichen Ich und Selbst a l l e n t h a l b e n mit h i n , nach welchem uns ä u s s e r l i c h e n Ort auf Erden, ja selbst innerhalb des Luftraumes über unserer Erde, wir uns auch begeben mögen. In ganz derselben Weise tragen wir aber auch in und mit unserer r ä u m l i c h e n W e s e n s g e g e n w a r t , aus denselben Gründen, unsere eigene innerliche z e i t liche W e s e n s g e g e n w a r t ebenfalls an alle die Orte mit hin, an welchen wir selber uns nach und nach befinden. Denn mögen auch im Verkehr mit der uns äusseren Welt und ihren Dingen unsere eigenen Wesenszustände sich fortwährend noch so sehr ändern: wir fühlen und wissen es an uns selbst, dass dieselben, wenn auch von aussen her angeregt, doch allewege n u r in uns s e l b s t sich vollziehen, und demgemäss auch n u r allein u n s e r e m e i g e n e n i n n e r e n Wesen angehören. Was will dies aber anders sagen, als dass alle diese aus dem steten Wechsel unserer eigenen Wesenszustände hervorgehenden und mit unserem gesammten inneren Wesen so innigst verschmolzenen und verwachsenen e i g e n e n i n n e r e n Z e i t v e r h ä l t n i s s e es Wandersmann. III.

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sind, welche, im Verein mit unserem eigenen natürlichen Anpassungsvermögen an den steten Wechsel äusserer Umstände und Verhältnisse, in ihrer stetigen zeitlichen Aufeinanderfolge geradezu unsere eigene in sich selbst begründete natürliche W e s e n h e i t und P e r s ö n l i c h k e i t in ihrem zeitlichen Verlaufe uns innerlich vor Augen stellen. Dass dies alles aber nicht etwa auf einer unbewussten Selbsttäuschung beruht, dafür darf uns wohl der Umstand bürgen, dass nicht etwa bloss unsere eigene persönliche Wesens- und Lebenserfahrung es ist, welche uns ein sicheres Zeugniss gibt in Bezug auf alle diese Verhältnisse, sondern dass auch selbst das Gebiet der noch ungestalteten oder sogenannten todten und leblosen Natur uns mit ganz ähnlichen Zeugnissen an die Hand geht. Bekanntlich hat ein jeder bestimmter Ort unserer Erdoberfläche erfahrungsgemäss seine eigene S o n n e n z e i t , welche der Hauptsache nach bestimmt ist durch die Lage der Mittagslinie, innerhalb welcher ein jeder besonderer Ort seine Lage hat. So hat z. B. Wien, dessen Mittagslinie unter dem 34. Grad östlicher Länge von Ferro liegt, um 56 Minuten f r ü h e r Mittag als P a r i s , dessen Mittagslinie unter dem 20. Grad östlicher Länge von Ferro sich befindet. Demzufolge ist es in Paris, wenn Wien 12 Uhr Mittag hat, erst 11 Uhr 4 Minuten Vormittag. Reisen wir nun von Wien nach Paris und unsere Taschenuhr ist nach der W i e n e r U h r oder W i e n e r Z e i t gerichtet: so behält sie auch während der ganzen Reise in ihrem Gang die W i e n e r Zeit bei, und ebenso umgekehrt, wenn wir von P a r i s nach Wien reisen, so behält unsere Uhr, nach der Pariser Zeit gestellt, auch regelmässig die Pariser Zeit bei, so dass wir also in beiden Fällen auch unsere eigene persönliche Zeit, das eine Mal auf Grund der Wiener Zeit, das andere Mal auf Grund der Pariser Zeit, mitgenommen haben, unterdess eine jede dieser Städte ihre eigene Zeit unverändert beibehalten hat, welche ihr nach ihrer besonderen örtlichen Lage zukommt.

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Dürfen wir also unter diesen Umständen nicht sagen, dass, wenn wir von Wien nach Paris reisen, wir unsere eigene Wiener Zeit mitnehmen und so auch umgekehrt?

N o . 129. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrem Verhältniss zu den Segriffen des Wo und Wann und des Was und Wie. — Strom oder Fluss der Zeit und Flüchtigkeit der Zeit. Bezeichnet der Begriff des „ W o " uns den räumlichen O r t , an welchem etwas sich befindet: so bezeichnet uns das „ W a n n " die Z e i t , in welcher etwas geschieht. Beide Begriffe, in ihrer engsten und strengsten Bedeutung genommen, bezeichnen für unsere geistige Anschauung nur w e s e n l o s e P u n k t e , und diese müssen als unvermögend sich erweisen, einen wirklichen W e l t z u s a m m e n h a n g thatsächlich zu begründen: dies ist nur wirklich wesenhaften D i n g e n von bestimmter räumlicher Grösse und zeitlicher Dauer möglich. Diese aber finden wir in den beiden Begriffen des „ W a s " und des „ W i e " . Denn das Erste sagt uns, von welcher besonderen W e s e n s a r t ein Ding an sich sey; das Zweite aber gibt uns Auskunft über die besonderen W e s e n s z u s t ä n d e , in welchen die Dinge je nach dieser ihrer besonderen Wesensart unter den gemeinschaftlichen Bedingungen des „ W o " und des „ W a n n " jeweilig sich befinden. Beide Begriffe also, das „Was" wie das „Wie" umfassen das g a n z e , volle Wesen der Dinge. Denn müssen wir auch annehmen, dass die in den Dingen statthabenden Veränderungen ihrer inneren Wesenszustände nur stattfinden in Folge von B i n d u n g e n oder E n t b i n d u n g e n innerlich thätiger oder schlummernder Kraftmengen oder Kraftmaasse, welche im Wesensmittelpunkt der Dinge ihren einheitlichen Sitz haben: so ist hierbei doch auch nicht zu übersehen, dass die natürlichen Folgen eben dieser Bindungen oder Entbindungen von Kräften sofort über das gesammte Innere der betreffenden Dinge sich erstrecken 4*

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müssen, weil andernfalls von einer thatsächlichen Änderung in den inneren Wesenszuständen in keiner Weise die Rede sein könnte. Da aber das räumlich-örtliche „Wo" in Folge des unausgesetzten Verkehres aller Dinge unter einander nie genau dasselbe bleiben kann: so geht hieraus hervor, dass aller i n n e r e r Z u s t a n d s w e c h s e l auch irgend welche, wenn auch noch so unmerkbar kleine äusserliche O r t s v e r ä n d e r u n g e n oder innere G r ö s s e n v e r ä n d e r u n g e n in seinem Gefolge haben muss, von denen aber auch die Letzteren nie ohne Einfluss auf die örtlichen Lagenverhältnisse ihrer Umgebung bleiben können. Hierbei müssen wir jedoch vor einem Missverständniss warnen. Man könnte nehmlich dem Gedanken Raum geben, als ob bei dem innigen Wesenszusammenhang aller Dinge unter einander in gar vielen Fällen und namentlich dann, wenn die Dinge im festen Zustand sich befinden, von gar keiner eigentlichen Ortsveränderung die Rede seyn könnte, oder dass auch, durch theilweises Zerreissen des bisherigen Zusammenhangs der Dinge mit ihrer nächsten Umgebung, k ö r p e r f r e i e L ü c k e n entstehen möchten, welche alsdann auch den allgemeinen Weltzusammenhang nur als einen sehr unvollständigen erscheinen lassen würden. Allein derartige Befürchtungen dürften wohl als unbegründet sich erweisen, sobald wir die Sache nur etwas näher in das Auge fassen. Denn sobald der ganze Weltraum überhaupt einmal durchweg als von wechselseitig sich berührenden Dingen erfüllt muss anerkannt werden: da kann es auch nie an Dingen fehlen, die, sobald ein Einzelding oder irgend ein sonstiger Gegenstand seine bisherige Stelle zu verlassen beginnt, auch sofort bereit sind, jenem in den hierdurch frei werdenden Raum sofort und unmittelbar nachzurücken. Von einer wirklichen Gefahr etwa entstehender Lücken durch Zerreissen des allseitigen Zusammenhangs der Dinge kann also keineswegs die Rede seyn. Denn bei allen derartigen Erscheinungen handelt es sich im Grunde genommen nicht sowohl um eigentliches wechselseitiges

Raum und Zeit iu Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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sich E n t f e r n e n von einander, als vielmehr um bloss oberflächliche V e r s c h i e b u n g e n oder V e r r ü c k u n g e n von bisherigen Berührungsstellen zwischen den einzelnen Dingen. Und mögen dabei 'auch immerhin vielfache Einschiebungen bis dahin entfernterer Dinge zwischen solche vorkommen, welche bis dahin in gegenseitiger Berührung gestanden haben: auch durch solche örtliche Ein- oder Zwischenschiebungen braucht der allgemeine Zusammenhang vermittelst allseitiger Berührungen nicht gestört zu werden. Es liegt dies schon in dem Begriff des Einschiebens oder Dazwischenschiebens, bei welchem unter steter Beibehaltung von wechselseitigen Berührungen das Eine durch ein ihm unmittelbar Nachfolgendes nach Vorwärts gedrängt wird. In grossem Gedränge kann man solche Erfahrungen fortwährend an sich selber machen. So halten wir denn daran fest als an einem allgemeinen G r u n d g e s e t z der Natur, dass der allgemeine Weltzusammenhang in zeitlicher sowohl wie in räumlicher Beziehung nur allein stattzuhaben vermag auf Grund allseitiger unmittelbarer Belehrungen von wirklich w e s e n h a f t e n Dingen. Jene angeblich u n w ä g s a m e n , d. h. unkörperlichen und darum auch an sich wesenlosen S t o f f e , an welche man früher lange Zeit geglaubt hat, wie z. B. der Wärmestoff, das elektrische Fluidum u. s. w., sind bei voranschreitender Erkenntniss der thatsächlicheii Naturverhältnisse anerkannt worden als besondere Wirkungsweisen innerer Naturkräfte, welche dem eigentlich i n n e r l i c h e n Wesen der Dinge, an denen sie beobachtet werden, angehören. In diesen bedingen sie durch ihre innerliche Wirksamkeit besondere Wesenszustände dieser Letzteren , ohne dabei jemals auf einen selbstständigen Bestand ausserhalb dieser Dinge irgendwelchen Anspruch erheben zu können. Ganz in dem Sinn unserer bisherigen Darlegungen dürfen wir es daher auch auffassen, wenn LEIBNITZ sagt: „Mein f r ü h e r e r Zustand schliesst den Grund ein, dass der spätere e n t s t e h t . Und da mein früherer Zustand wegen

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

der Verknüpfung a l l e r D i n g e auch den früheren Zustand der a n d e r e n Dinge einschliesst, darum schliesst mein früherer Zustand auch den G r u n d ein zu dem s p ä t e r e n Zustand der a n d e r e n Dinge, und ist sonach au\;h f r ü h e r als der Zustand dieser anderen Dinge. Und sonach ist alles, was vorhanden ist (existirt) mit dem anderen Vorhandenen entweder z u g l e i c h oder f r ü h e r oder s p ä t e r als dieses" (BAUMANN, Raum und Zeit I I . S. 9 3 . [LEIBNITZ I.]). — Und ebenso gilt das Gleiche auch von dem folgenden Ausspruch S u a b e d i s s e n ' s : * „Da sich das Wirken, dessen Erscheinung das W e r d e n ist, innerhalb der Natur nicht erschöpft, das Werden also f o r t g e h t : so stehet das Gewordene, das äussere Seyn, fortwährend in der Z e i t l i c h k e i t . Es gibt also n i c h t s bloss R ä u m l i c h e s in der Natur. Und da es kein Werden gibt, in welchem nicht in jedem Augenblick etwas w ü r d e (oder geschehe), so ist alles Z e i t l i c h e in der N a t u r a u c h r ä u m l i c h . Es gibt also n i c h t s bloss Z e i t l i c h e s in der Natur. Z e i t l i c h k e i t und R ä u m l i c h k e i t sind in der Natur überhaupt in jedem Naturding von einander d u r c h d r u n g e n . Nur durch diese D u r c h d r u n g e n h e i t (oder untrennbare Zusammengehörigkeit von Raum und Zeit) findet eine w i r k l i c h e B e w e g u n g statt. Nur d u r c h sie gibt es auch eine wirkliche G e g e n w a r t . Sie (die Bewegung) ist die w i r k u n g s volle und mit dem F o r t g a n g e i h r e s I n h a l t e s f o r t g e h e n d e G e g e n w a r t ; also ihrem Inhalt nach die s t e t s f o r t w i r k e n d e W i r k l i c h k e i t selbst. Und nur in Bezug auf diese Gegenwart gibt es eine w i r k l i c h e V e r g a n g e n h e i t und Z u k u n f t . Nur dadurch endlich gibt es eine w i r k l i c h e F o l g e , als ein N a c h e i n a n d e r s e y n , und ein w i r k l i c h e s Zugleichseyn als ein M i t e i n a n d e r s e y n in der Zeit. Die w i r k l i c h e Z e i t , das Zeitlichseyn, setzt also R ä u m l i c h s e y n und dieses setzt Z e i t l i c h s e i n voraus: eines ist nur mit dem anderen" (SUABEDISSEN , Metaph. S. 2 9 . 3 0 ) . Nur wirklich wesenhafte Dinge also, deren Wesensinnerem ebensowohl wesenhafte Räumlich-

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtkeit alles Naturdaseyna.

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keit wie wesenhafte Zeitlichkeit untrennbar zukommen, vermögen als thatsächliche Vermittler und Träger alles natürlichen Werdens sich darzustellen. — Daher sagt auch R i t t e r : „ R a u m und Z e i t stellen sich in ihrem Gegensatz als durchaus wechselseitig durch einander bedingt (durchaus relativ) dar, weil sie auf dem Gegensatz von Äusserem und Innerem zurückgehen, der n u r e i n e p e r s ö n l i c h e B e d e u t u n g hat, so dass auch der Gegensatz zwischen dem z e i t l i c h E r s c h e i n e n d e n und dem r ä u m l i c h E r s c h e i n e n d e n nur als ein wechselseitig durch einander bestimmter (als ein relativer) angesehen werden kann" (RITTEB, Erb. Gottes. S. 290). So liegt auch in diesen Aussprüchen eine weitere Bestätigung dafür mit enthalten, dass die w e s e n l o s e L i n i e uns durchaus k e i n allseitig zutreffendes Sinnbild zu bieten vermag für den räumlich-zeitlichen Wesenszusammenhang der Dinge unter sich, und zwar namentlich in Bezug auf den damit zusammenhängenden steten Wechsel in deren i n n e r e n W e s e n s z u s t ä n d e n . Denn eben dieser ununterbrochene, die eigentlichen Z e i t v e r h ä l t n i s s e bedingende W e c h s e l in den inneren Wesenszuständen erstreckt sich, ebenso wie diese Zustände selbst, nicht etwa bloss auf die innersten an sich wesenlosen W e s e n s m i t t e l p u n k t e der Dinge, sondern im Gegentheil erfasst derselbe den g e s a m m t e n i n n e r e n W e s e n s r a u m , von d e s s e n M i t t e l p u n k t b i s zu d e s s e n O b e r f l ä c h e . Wollen wir daher für unsere geistige Anschauung eines der Naturwirklichkeit entsprechenderen und darum auch zweckdienlicheren Gleichnisses als der wesenlosen Linie uns bedienen: so kann sich uns wohl kaum ein passenderes Bild darbieten, dessen wir auch bereits bei einer früheren Gelegenheit Erwähnung gethan haben, als dasjenige von P e r l e n s c h n ü r e n . Die einzelnen, unmittelbar und innigst an einander sich anschliessenden Perlen versinnbildlichen uns die noch der ungestalteten Natur angehörigen Einzeldinge, wie solche im allgemeinen Naturzusammenhang durch ihre oberflächlichen Be-

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

rührungsstellen ebenfalls auf das innigste, und zwar r u n d u m nach a l l e n S e i t e n und R i c h t u n g e n hin, mit einander in wechselseitiger Verbindung stehen: der die einzelnen Perlen in ihrer beiderseitigen Berührung erhaltende und durch deren Berührungs- und Mittelpunkte sich hindurchziehende d ü n n e F a d e n zeigt dagegen die mannigfachen E i c h t u n g e n an, in welchen der räumliche wie zeitliche Wesenszusammenhang alles Vorhandenen sich ununterbrochen nach allen Seiten hin verwirklicht. Denn an so vielen Punkten ihrer Oberfläche die Dinge sich ringsum thatsächlich zu berühren vermögen, nach ebenso vielen Richtungen hin vermögen von jedem Einzelding aus auch E i n w i r k u n g e n auszugehen auf die es unmittelbar berührenden Aussendinge. Und was von den Einwirkungen gilt, die ein jedes Einzelding unausgesetzt auf seine nächste Umgebung a u s ü b t , das muss auch ebenso gelten in Bezug auf die Einwirkungen, die es in entgegengesetzter Richtung ebenso unausgesetzt von seinen nächsten Nachbarn in seinem eigenen Inneren zu e r f a h r e n hat. Mit wesenlosen Nullen und Nichtseyn, als Trägern und Vermittlern des Wechselverkehres der Dinge unter sich, haben wir es also bei dem eben erwähnten Sinnbild ebensowenig zu thun, als solche in der Naturwirklichkeit jemals vorkommen können: es sind alles nur l e b e n d i g e N a t u r e i n h e i t e n , mit welchen sich rechnen, d. h. geistig etwas erklären und begreifen lässt. Und wie unter diesen Verhältnissen die natürlichen Z u s t a n d s w e c h s e l im Innern der Dinge über deren g e s a m m t e s inneres Wesen sich erstrecken: so muss auch das G l e i c h e der Fall seyn in Bezug auf die mit eben diesen Zustandswechseln innigst verbundenen eigenen inneren Z e i t v e r h ä l t n i s s e . Auch diese müssen i n n e r l i c h in den D i n g e n deren gesammtes inneres Wesen ergreifen, von dessen Mittelpunkt bis zur äussersten Wesensgränze. Was wir den „äusseren Fluss" oder den „äusseren Verlauf" der Zeit nennen, ist für uns nur das in sinnlich wahrnehmbarer Weise in dem steten Wechsel der äusseren

Raum und Zeit in Bezug auf die G-eaammtheit alles Naturdaseyns.

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Erscheinungen der Dinge sich offenbarende naturgetreue A b b i l d und der unverkennbare A u s d r u c k eben jener an sich r e i n i n n e r l i c h sich abspielenden Vorgänge. G. Bertling, in seiner Schrift über die Grundlinien einer philosophischen Apologie, spricht die Ansicht, aus, dass die V e r k e t t u n g e n der U r s a c h e n mit i h r e n W i r k u n g e n oder, mit anderen Worten, die Verkettungen jener gegenseitigen K r a f t a u s - u n d K r a f t e i n w i r k u n g e n , wie solche unausgesetzt im Wechselverkehr der Dinge statthaben, in diesen Letzteren nach den drei Grundrichtungen der H ö h e , B r e i t e und T i e f e vor sich gehen. Denn eben diese ununterbrochenen wechselseitigen K r a f t a u s und K r a f t e i n w i r k u n g e n , welche die Dinge fortwährend einerseits auf ihre Umgebung ausüben und anderseits von Letzterer an sich erfahren und erleiden, sind es ja, auf welche aller innere Z u s t a n d s w e c h s e l und damit auch der ganze stetig voranschreitende Verlauf der Z e i t v e r h ä l t n i s s e im eigenen Innern der Dinge naturgemäss sich gründet. Sollten wir daher, in Folge eben hiervon, nicht der Vermuthung Raum geben dürfen, ob nicht dem Verfasser jener Schrift bei der angeführten Stelle ein ähnlicher, wo nicht derselbe Gedanke vorgeschwebt habe? Der Gedanke nehmlich, ob nicht auch allen wirklichen Z e i t v e r h ä l t n i s s e n als solchen, und damit auch dem Z e i t b e g r i f f selbst, eine thatsächliche r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e V e r b r e i t u n g d u r c h d a s g e s a m m t e i n n e r e Wesen der Dinge zuerkannt werden müsse: eine innerliche Verbreitung oder Ausbreitung also, welche das gesammte innere Wesen der Dinge erfasst von dem Mittelpunkt bis zur Oberfläche, wie auch von diesem bis zu jener? In unserem eigenen persönlich-wesenhaften S e l b s t g e f ü h l und S e l b s t b e w u s s t s e y n besitzen wir eine erfahrungsmässige innere S e l b s t g e w i s s h e i t von einem ganz bestimmten wesenhaften B e s t a n d im eigenen Daseyn, aber eben damit zugleich auch das uns ebenso gewisse und uns nicht trügende Gefühl und Bewusstseyn von einer uns ebenso eigenthümlich zukommen-

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

den persönlichen W e s e n s d a u e r und einer untrennbar damit verbundenen vollkommen einheitlichen und ununterbrochen in sich verlaufenden eigenen inneren W e s e n s s t e t i g k e i t , welche uns auf allen unseren Wegen unausgesetzt begleitet. Aber eben in diesen Thatsachen gründet denn auch weiterhin das für uns ebenso untrügliche Bewusstseyn einer ununterbrochen in uns andauernden, sowohl in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung persönlich-innerlichen W e s e n s g e g e n w a r t , deren wir unter allen äusseren Umständen und Verhältnissen, wohin wir uns auch begeben mögen, an allen Orten und zu allen Zeiten nicht nur innerlich vollkommen gewiss s i n d , sondern deren wir uns auch unsere ganze Lebensdauer hindurch vollkommen gewiss b l e i b e n . Aber gerade hierin liegt uns denn auch ein sicheres und untrügliches Zeugniss dafür, wie sehr gefehlt es seyn würde, wenn wir uns etwa dem trügerischen Wahne hingeben wollten, dass wir in dieser unserer eigenen inneren wie äusseren Wesensgegenwart gewissermassen in einem uns fremden und nur äusserlich an uns vorüberziehenden S t r o m der Z e i t fest gebannt wären. Im Gegentheil, eine genaue Beobachtung unserer selbst sagt uns, dass wir eben diesen Strom der Zeit in erster Linie nur in u n s e r e m e i g e n e n I n n e r n tragen, und denselben daher auch nur in diesem zu suchen haben. Denn eben dieser Strom der Zeit besteht, wenn wir ihm genauer auf den Grund sehen, ja thatsächlich nur in dem in unserem Inneren sich vollziehenden stetigen Wechsel unserer eigenen inneren Wesens- und Gemüthszustände. Und somit haben wir alle nur u n s s e l b e r als diejenigen zu betrachten, welche in Gemeinschaft mit a l l e n i h r e n ü b r i g e n Mitwesen in allen ihren besonderen Wesensinneren den eigentlichen und wahren G r u n d legen zu allem Wechsel und Wandel wirklicher Zeitverhältnisse, welche wir gemeinschaftlich unter der Bezeichnung eines „Stromes der Zeit" sinnbildlich zusammenzufassen gewohnt sind. Und in eben diesen Verhältnissen liegt denn auch der tiefere Grund für den scheinbaren Widerspruch, dass

Kaum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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eben diese unsere eigene innere Wesensgegenwart in Raum und Zeit sich allewege in zwei e i n a n d e r g e r a d e z u e n t g e g e n g e s e t z t e n W e i s e n unserem inneren Bewusstseyn darbietet, je nachdem wir auf den Standpunkt unseres eigenen Wesensinneren uns versetzen oder auf den Standpunkt der uns umgebenden Aussenwelt. D o r t das richtige Gefühl, dass wir in und mit unserem eigenen W e s e n s i n n e r n auch unsere eigene innere W e s e n s g e g e n w a r t als unser selbstständiges inneres Eigenthum unveräusserlich allenthalben mitnehmen: h i e r dagegen, d. h. von äusserem Standpunkt aus in das Auge gefasst, die auf geistige Schlussfolgerungen gegründete Erkenntniss, dass wir keinen einzigen Augenblick unseres Lebens so betrachten dürfen, als ob wir b e s t ä n d i g im ungestörten Besitz desselben zu verbleiben hätten. Denn derselbe Augenblick, den wir vorhin noch als uns innerlich a n g e h ö r e n d betrachten durften, ist uns jetzt in diesem gegenwärtigen Augenblick bereits ents c h w u n d e n , unterdess derjenige, an dessen Schwelle wir uns eben jetzt befinden, erst im nächstfolgenden Augenblick uns wirklich a n g e h ö r e n wird. In eben dieser letzteren Bedeutung ist es denn auch aufzufassen, wenn wir im gewöhnlichen Leben so vielfach von dem „ f l ü c h t i g e n A u g e n b l i c k " oder von der „ F l ü c h t i g k e i t der Z e i t " reden hören. Was einmal in unserem eigenen inneren Wesen während solch eines flüchtigen Augenblicks sich e r e i g n e t und demgemäss auch gleichsam wie in raschem Flug durch unsere innere Wesensgegenwart wirklich h i n d u r c h gegangen ist: das bildet für unsere geistige Anschauung nunmehr ein für uns V e r g a n g e n e s . Es ist für uns d a h i n auf N i m m e r w i e d e r k e h r ; daher auch die nicht selten gebräuchliche Redensart von einem „ R a d der Z e i t " , das nach vorwärts aber nicht nach rückwärts sich zu bewegen im Stande sey. Denn obgleich eben noch unserer eigenen inneren Wesensgegenwart angehörend, gehört es ihr in dem jetzigen Augenblick schon nicht mehr an. Und je weiter wir mit unserer eigenen Gegenwart voranrücken in die noch kom-

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

mende, d. i. zukünftige Zeit: um so weiter rückt das für uns Vergangene in unserem, mit unserer eigenen inneren Wesensgegenwart voranschreitenden Selbstbewusstseyn in stetiger Aufeinanderfolge zurück in immer weitere Fernen der Vergangenheit. So ist es und so war es, und so wird es auch unsere ganze uns jetzt noch zukünftige Lebenszeit hindurch bleiben: das Alte, das Vergangene muss dem Neuen, dem Gegenwärtigen und Zukünftigen je länger je mehr das Feld räumen. Wie daher das räumlich-örtliche „ H i e r " unseren g e g e n w ä r t i g e n S t a n d p u n k t in dem Raum bezeichnet, so — nach Baader — auch das „ J e t z t " unseren g e g e n w ä r t i g e n S t a n d p u n k t in der Zeit. Nur in ihrer Gemeinschaftlichkeit vermögen sie den vollen Begriff unserer persönlichen Wesensgegenwart derart zu begründen, dass wir beide an j e d e m O r t und zu j e d e r Zeit thatsächlich in uns s e l b s t b e s i t z e n , und demgemäss auch allerorten und jederzeit stets in unserem eigenen Wesen i n n e r l i c h mit uns zu f ü h r e n befähigt sind. Dies ist die eigentliche und wahre Bedeutung des sogenannten F l u s s e s der Z e i t . Daher auch Baader in eben dieser Hinsicht sagt, dass derselbe Widerstreit, der zwischen dem „ Z e i t - J e t z t " und dem „ V o r und N a c h " herrsche, auch in dem „ R a u m - H i e r " gegenüber dem „ H i n und H e r " (oder dem „Da und Dort") sich vorfinde, weshalb er denn auch beide, das „Jetzt," und das „Hier" als u n f i x bezeichnet (BAADER XIV. S. 414), d. h., dass beide niemals als irgend wie b e s t ä n d i g oder f e s t s t e h e n d dürfen betrachtet werden. Ganz in diesem Sinn sagt denn auch Krause: „Es gilt von der Z e i t , dass sie D a s i s t , was sie n i c h t ist, und Das n i c h t ist, was sie ist. Sofern ich nehmlich die Z e i t als ein stetig » W e r d e n d e s « betrachte. Denn im g e g e n w ä r t i g e n Augenblick ist die Zeit n o c h n i c h t , was sie seyn wird, d. h. ihre (eigene) Fortsetzung, und in diesem Augenblick ist sie auch n i c h t m e h r , was sie gewesen ist: sie v e r f l i e s s t . Also im I n n e r n ist die Zeit auch ein W e r d e n d e s , stets Entstehendes und stets Vergehendes, so

Baum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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wie das, was die Zeit an sich hat" (KRAUSE, Vorl. S. 107. 108). —

Aber aus eben diesem Grund ist es denn auch ein ganz richtiges, weil den gegebenen Naturthatsachen vollkommen entsprechendes Bild, wenn wir eben dieses fortwährende Geb ä r e n der Gegenwart aus der Vergangenheit und der Zukunft aus der Gegenwart mit einem natürlichen Keim und dessen naturgesetzmässiger allmählig voranschreitender innerer wie äusserer W e s e n s e n t w i c k e l u n g vergleichen, wie solche einem jeden einzelnen Naturdaseyn schon in seinem innersten Wesensgrundbegriff für alle Zeiten und für allemal vorgebildet liegt. Hier, im innersten natürlich-geistigen Wesensgrundbegriff der Dinge, fallen Bild und W i r k l i c h k e i t vollkommen in E i n s zusammen, und darum kann das Erstere auch nicht hinken. Ein jeder vergangene oder gegenwärtige Wesenszustand, wie solcher sowohl im einheitlichen Entwickelungsgang alles Einzelnem wie in dem des allgemeinen Weltganzen naturgemäss herbeigeführt wird, ja selbst eine jede That und jede Handlung, sey es in der belebten oder sogenannten unbelebten Natur, ist daher nach Baader als eine „ E r f ü l l u n g " und als ein „Aufs c h l u s s des Vergangenen" und als ein „Keim und Siegel des Z u k ü n f t i g e n " zu betrachten (BAADER XI. S. 75). — Ein jeder einzelne Wesenszustand der Dinge und ein jedes sonstige, dem Zeitverlauf angehörige Ereigniss reicht demnach in seinen natürlichen Folgen und Wirkungen aus längst entschwundener Vergangenheit thatsächlich herein bis in die Gegenwart und aus dieser wieder weiter bis in die entfernteste Zukunft. Und es bleibt sich hierbei selbstverständlich ganz gleichgültig, ob diese Thatsachen dem Gebiete des allgemeinen Naturlebens oder dem des eigentlichen Geisteslebens angehören. Aber eben in diesen Thatsachen liegt denn auch der natürliche S c h l ü s s e l zu der für uns sonst ganz unverständlichen Erscheinung, dass wir uns in unseren Gedanken in jedem beliebigen Augenblick erfahrungsgemäss so leicht in l ä n g s t e n t s c h w u n d e n e Zeiten

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der V e r g a n g e n h e i t z u r ü c k z u v e r s e t z e n u n d in d i e s e r uns z u r e c h t z u f i n d e n v e r m ö g e n , als ob eben jene für uns längst hinter uns liegenden Thatsachen von neuem wieder innerlich zu unserer gegenwärtigen Zeit geworden wären. Denn wie die Alten in ihren Kindern gleichsam ihrem eigenen Wesen nach fortleben, so lebt auch die Vergangenheit, wenngleich unserem persönlichen Bewusstseyn mitunter vielfach entschwunden, in ihren fortlaufenden Nachwirkungen dennoch wesenhaft in uns fort bis in die lichte G e g e n w a r t des j e t z i g e n Augenb l i c k e s und durch diesen hindurch weiter in die für uns noch dunkele Zukunft hinein. Und so sind wir denn auch vermögend, selbst das längst Vergangene in der E r i n n e r u n g geistig in uns festzuhalten: es wird — wie S c h e l l i n g sagt — thatsächlich von uns , , g e w u s s t " , während an das Zukünftige von uns nur „ g e g l a u b t " werden kann (SCHELLING II. Abth. IV. S. 221). — Aber wir glauben nicht nur an eine Zukunft: der scharf beobachtende Menschengeist vermag, wenn auch nicht im Einzelnen, so doch in allgemeinen Umrissen selbst das eigentliche G e s c h e h e n in der Zukunft, wenigstens theilweise, von der Gegenwart aus bereits v o r a u s z u s e h e n , und somit aus dem uns bereits Bekannten auf das uns noch Unbekannte schliessend, uns bereits in der Gegenwart, voraussehend und vorausahnend, in die Zukunft zu versetzen. In eben diesem Sinn sagt daher auch R e i m a r u s : „Der Mensch kann seine Vorstellungen nicht bloss auf die Gegenwart beschränken. Er muss, er soll v o r a u s d e n k e n . Seine Vernunft weist ihm, in der Vergleichung des Vergangenen mit dem Gegenwärtigen, das Zukünftige wenigstens als möglich" (REIMARUS, Natur und Religion. S. 628). — Die allgemeine Raum- und Grössenlehre hat uns mit zwei Linien bekannt gemacht, deren Eine sie O r d i n a t e und die Andere A b s c i s s e nennt. Mit Hülfe dieser beiden Linien vermag sie bekanntlich den natürlichen Verlauf einer jeden gekrümmten Linie in Bezug auf die ö r t l i c h e L a g e eines jeden

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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beliebigen, innerhalb dieser Linie gelegenen Punktes von ihrem ersten Anfangspunkt an bis zu ihrem Endpunkt auf das genaueste und sicherste durch Rechnung zu bestimmen. Denken wir uns nun in einer solchen Linie irgend einen Körper in der Weise sich fortbewegen, dass sein Mittelpunkt sich stets genau in dem Verlaufe dieser Linie hält: so .wird ein jeder Punkt dieser Linie, welcher mit dem Mittelpunkt jenes Körpers in Eins zusammenfällt, uns sowohl den eigenen i n n e r s t e n O r t desselben wie auch dessen ihm fremden ä u s s e r e n O r t bezeichnen, an welchem jener Gegenstand augenblicklich sich befindet. Und ist uns die Geschwindigkeit bekannt, mit welcher derselbe in dieser Linie sich fortbewegt, so werden wir zugleich damit auch genau den Z e i t p u n k t berechnen können, an welchem jener Körper an dem betreffenden Ort eintrifft, und an welchem er also nicht nur in räumlicher sondern auch in zeitlicher Beziehung in jenem Orte g e g e n w ä r t i g seyn wird. Denn da bei einer jeden Bewegung in Zeit und Raum der zurückgelegte R a u m oder Weg bestimmt und gemessen wird durch die Dauer der auf die Zurücklegung desselben aufgewendeten Zeit, aber umgekehrt auch die darauf verwendete Zeit durch die Länge des während derselben zurückgelegten Weges: so kann es nicht fehlen, dass stets gerade der Punkt, an welchem ein Körper in seiner Fortbewegung sich eben befindet, für diesen Körper nicht nur das thatsächliche „ r ä u m l i c h e H i e r " desselben uns genau v e r g e g e n w ä r t i g t , sondern ganz ebenso genau auch dessen „ z e i t l i c h e s J e t z t " . Denn H i e r und J e t z t , O r t und Z e i t p u n k t fallen hier vollkommen und dergestalt in Eins zusammen, dass dieselbe nur Eine gemeinschaftliche r ä u m l i c h - z e i t l i c h e G e g e n w a r t des betreifenden Körpers bezeichnen. Daher, wie schon früher erwähnt, die vollkommene G l e i c h w e r t i g k e i t wie vollkommen gleiche A n w e n d b a r k e i t des Begriffes der G e g e n w a r t sowohl für r ä u m l i c h e wie für z e i t l i c h e Verhältnisse. Schon dem allgemeinen Sprachgebrauch kann eine richtige Ahnung von eben

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

diesem Yerhältniss nicht abgesprochen werden. Denn wie wir von der einen Seite von einem nahen oder entfernten Ort, von einem langen oder kurzen Weg, von einer langen oder kurzen Mauer, von einem langen oder kurzen Seil sprechen, so auch von der anderen Seite von einer nahen oder fernen Zeit, von einem langen oder kurzen Gang, einer langen oder kurzen Reise, einer langen oder kurzen Rede u. s. w.: die Begriffe von „nah" oder „fern", sowie von „lang" oder „kurz" werden hier gleichbedeutend und gleichwerthig angewendet für räumliche wie für zeitliche Verhältnisse (WEDEWEK, Sprachwissenschaft. S. 112). In einer sehr ähnlichen, wenn auch etwas veränderten Weise tritt eben dieses Wechselverhältniss anschaulich uns entgegen, wenn wir z. B. einer Baumreihe entlang gehen. Der erste Baum, von dem aus wir unseren Gang beginnen, bezeichnet uns unser augenblicklich-gegenwärtiges räumlich-zeitliches H i e r und J e t z t . Bei dem zweiten Baum angelangt, gehört der Erstere sammt dem durch ihn versinnbildlichten Hier und Jetzt bereits unserer Vergangenheit an, unterdess eben dieses Hier und Jetzt sich uns nunmehr durch den zweiten Baum veranschaulicht zeigt. Jeder nächste Baum also, zu dem wir im Weitergehen gelangen, wird uns zu einem neuen Hier und Jetzt, unterdess alle Bäume, an denen wir vorübergegangen, bereits unserer Vergangenheit, alle diejenigen aber, bis zu denen wir noch nicht gelangt sind, noch unserer Zukunft angehören. Und so schreitet denn während unseres stetigen Weitergehens unsere persönliche Wesensgegenwart sowohl in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung immer weiter von Baum zu Baum ununterbrochen voran, unterdess ein jeder Baum, vor dem wir uns eben befinden, ebensowohl uns gegenwärtig ist wie wir ihm. Auch dieses Beispiel legt also Zeugniss dafür ab, wie in der Naturwirklichkeit ein jedes Nebeneinander im Raum allewege in Eins zusammenfällt mit einem ihm genau entsprechenden Nacheinander in der Zeit. Denn beide gehen bei aller Bewegung, am deutlichsten und äugen-

Baum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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fälligsten aber gerade bei der Ortsbewegung, vollkommen g l e i c h massig voran. Es dürfte nunmehr an der Zeit seyn, auch das gegenseitige Wechselverhältniss noch etwas genauer in das Auge zu fassen, in welchem der Begriff der G e g e n w a r t in der Naturwirklichkeit namentlich zu den beiden einander sehr nahe verwandten Begriffen des A u g e n b l i c k e s und des Z e i t p u n k t e s stehen möchte. Bei dem ebenfalls sehr nahen Verhältniss zwischen den beiden Begriffen von A u g e n b l i c k und G e g e n w a r t dürfte es wohl nicht unpassend erscheinen, uns noch einmal den Begriff des Augenblickes in der Weise zu vergegenwärtigen, wie solcher unserer eigenen persönlichen Selbsterfahrung sich darstellt. Wie wir bereits dargethan, zerfällt der Augenblick nach seiner Naturwirklichkeit in zwei gleiche, aber unmittelbar an einander sich anschliessende zeitlich-räumliche Thatsachen: das Offnen und das Schliessen der Augen. Der Wendepunkt zwischen beiden, an welchem das Erstere in das Letztere übergeht, stimmt, als an sich vollkommen zeitlos, völlig überein mit dem Begrifl' des ebenfalls völlig zeitlosen reinen Z e i t p u n k t e s . Der A u g e n b l i c k schliesst also den Zeitpunkt, als dessen Mittelpunkt, thatsächlich in sich ein; wogegen ihm selbst eine wirkliche Z e i t d a u e r , wenn auch nur von einer für uns kaum messbaren Kleinheit, unbedingt zukommt. Ganz das Gleiche findet aber auch statt hinsichtlich des Begriffes unserer eigenen inneren W e s e n s g e g e n w a r t . Auch sie kann, wie wir gesehen, unmöglich in einem bloss zeitlosen und darum auch völlig wesenlosen Punkt bestehen: auch ihr muss irgend eine, wenn auch fast ebenso verschwindend kleine D a u e r zukommen wie dem erfahrungsmässigen Augenblick. Daraus dürfen wir aber wohl schliessen, dass die Begriffe des natürlichen A u g e n b l i c k e s und unserer natürlichen W e s e n s g e g e n w a r t der Sache nach sich in der Naturwirklichkeit völlig decken dürften. Schon der Sprachgebrauch scheint in dem Ausdruck „im g e g e n w ä r t i g e n A u g e n b l i c k " hierauf hinzudeuten, wogegen „im gegenwärtigen Wanderernruin. III.

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Zeitpunkt" im gewöhnlichen Leben wohl kaum gebräuchlich ist. Auch in clem anderen Ausdrucke, wie „im gegenwärtigen Fall", liegt, wie schon der Begriff des „Falles" solches mit sich bringt, der Gedanke an irgend eine, wenn auch noch so kurze Dauer des betreffenden Falles mit eingeschlossen. Alle diese Thatsachen, auf welche wir im Verlauf dieser Untersuchungen geführt werden, müssen uns immer mehr zu der Uberzeugung hindrängen, dass wir es auch hinsichtlich des Begriffes der G e g e n w a r t ganz ebensowenig mit einem an sich völlig raumund zeitlosen Gränz- und Übergangspunkt zu thun haben, wie solches ja auch für den Begriff des A u g e n b l i c k e s nach unserer eigenen Selbstbeobachtung keineswegs der Fall ist. Schon der Begriff einer p e r s ö n l i c h - w e s e n h a f t e n Gegenw a r t nöthigt uns zu einer solchen Auffassung, indem in ihm der Begriff der Gegenwart geradezu in Eins zusammenfällt mit dem unseres eigenen persönlich-wesenhaften I c h und S e l b s t , dem wir, wie wir an einem früheren Ort gesehen (Y. § 20 No. 111) ja ebenfalls, in derselben Weise und aus denselben Gründen, wie auch einem jeden an sich stofflich körperlichen Einzelwesen, irgend eine, wenn auch noch so verschwindend kleine körperliche Grösse und Ausdehnung zuschreiben müssen. Und was in solcher Weise seine Geltung hat in Bezug auf räumlich-körperliche Wesensgrösse und Wesensausdehnung, das behält auch seine Geltung in Bezug auf die zeitliche Wesensdauer. Und eben hierin liegt denn auch der tiefere, einheitliche Grund, weshalb unsere innere Wesensgegenwart in zeitlicher Beziehung in ununterbrochener Wesensstetigkeit durch alle Augenblicke unseres ganzen Lebens sich hindurchzieht. Denken wir uns in einem, etwa mit der Geschwindigkeit eines Fussgängers von Westen nach Osten fahrenden Wagen so gesetzt, dass unser Blick beständig nach Norden gerichtet ist. Schliessen wir nun in dem Augenblick, in welchem der Wagen fortfährt, unsere Augen, öffnen und schliessen sie dann abwechselnd während des Fahrens, so zieht eine Reihe von

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einzelnen aber stetig auf einander folgenden Augenblicken an uns vorüber. Während der Ersten derselben, ohnerachtet wir in jedem neuen Augenblick auch an einem etwas veränderten örtlichen Standpunkt uns befinden, wird das Bild, das zwischen dem Offnen und Schliessen der Augen sich unserem Blicke darbietet, kaum eine merkliche Veränderung zeigen. Aber nach einigen wiederholten Augenblicken werden wir allmählig immer mehr die Wahrnehmung machen, dass Gegenstände, die bisher am westlichen Rande des Bildes noch sichtbar gewesen waren, nunmehr unserem Blick e n t s c h w u n d e n sind, unterdess nicht nur das gesammte übrige Bild um ebensoviel von Westen nach Osten vorgerückt ist, sondern gleichzeitig auch am östlichen Rande neue und bisher hier noch nicht gesehene Gegenstände dafür in unseren Gesichtskreis e i n g e r ü c k t sind. Und diese Erfahrung wird uns in stetiger Aufeinanderfolge während der ganzen Fahrt begleiten: immer mehr bis dahin im Westen noch für uns sichtbar gewesenen Gegenstände werden für uns unsichtbar werden. Sollten wir nun aber eben diese für uns sinnlich wahrnehmbaren äusseren Erfahrungsthatsachen nicht auch anwenden dürfen auf jene Thatsachen unserer inneren Erfahrung, von welchen unser z e i t l i c h e s V o r a n s c h r e i t e n in unserem eigenen Lebenslauf in ganz ähnlicher Weise sich ohne Unterbrechung begleitet zeigt? Die Gegenstände, welche dorten am westlichen Rande unseres Gesichtsfeldes aus diesem soeben h e r a u s g e r ü c k t sind, gehören unserer jeweiligen Wesensgegenwart nun nicht mehr an, weder dem Raum noch der Zeit nach: sie sind uns e n t s c h w u n d e n , liegen nun h i n t e r uns. Denn sie sind nunmehr herausgetreten aus unserer persönlichen Gegenwart, in welcher sie sich bis dahin noch befunden, und damit sind sie übergetreten in unsere V e r g a n g e n h e i t . Umgekehrt treten dagegen Gegenstände, die bis dahin noch vor uns unserer Z u k u n f t angehört haben und darum für unseren gegenwärtigen Gesichtskreis bisher noch unsichtbar gewesen, immer mehr und mehr in denselben ein, d. h.: sie haben be5*

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gönnen uns mehr und mehr g e g e n w ä r t i g zu werden, und damit denn zugleich auch mehr und mehr in das Bereich unserer eigenen persönlichen W e s e n s g e g e n w a r t einzutreten. Dort also ein allmähliches H e r a u s t r e t e n aus der Gegenwart mit immer grösserer Annäherung an den wirklichen Austritt in die Vergangenheit: hier dagegen ebenso stetiges H e r a n n ä h e r n des Zukünftigen, verbunden mit schliesslichem Eintreten in unsere innere Wesensgegenwart, um dieser während der Dauer des Durchganges durch dieselbe s t e t i g a n z u g e h ö r e n , bis auch für dieses eben noch zukünftig Gewesene der Austritt aus der Gegenwart in die Vergangenheit wirklich herbeigekommen ist. Richten wir nun aber unser Augenmerk auf den eigenen W e s e n s m i t t e l p u n k t , diesen eigentlichen i n n e r s t e n O r t unseres gesammten Wesens, so wird dieser den jeweiligen örtlich-zeitlichen Gränz- und Wendepunkt bilden, an welchem i n n e r h a l b unseres eigenen natürlichen Wesens und damit auch i n n e r h a l b u n s e r e r eigenen p e r s ö n l i c h e n W e s e n s g e g e n w a r t die beiden zeitlichen Gegensätze von Zukunft und Vergangenheit sich berühren. Es kann demnach Z u k ü n f t i g e s bereits in das Bereich unserer eigenen Wesensgegenwart eingetreten seyn und dieser demnach b e r e i t s a n g e h ö r e n , und doch kann es, von anderem Gesichtspunkt aus, in Bezug auf den eigentlichen innersten K e r n unseres Wesens und damit auch unserer eigenen Wesensgegenwart ein diesem noch Zukünftiges seyn: und ebenso kann von entgegengesetzter Seite etwas noch i n n e r h a l b unserer eigenen Wesensgegenwart sich befinden, und gehört doch in Hinsicht auf jenen innersten Kern- und Mittelpunkt unseres Wesens bereits dr Vergangeneheit an. Dort i m m e r t i e f e r e s und i m m e r v e r m e h r t e s E i n d r i n g e n in die räumlich-zeitliche Gesammtheit unseres Wesensinneren: hier s t e t i g z u n e h m e n d e s A u s t r e t e n aus derselben. Die Übereinstimmung aber, welche zwischen diesen eben geschilderten Thatsachen und denen, von welchen vorhin die Rede war, in Bezug auf das mit jedem Augenblick sich

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verändernde Eintreten neuer Gegenstände an dem einen, und dem damit verbundenen Austreten anderer Gegenstände an dem a n d e r e n Ende unseres jeweiligen Gesichtsfeldes besteht, kann wohl kaum verkannt werden. In derselben Weise aber, wie alle Einwirkungen, welche an unser eigenes persönliches Ich von aussen her herantreten, erst allmählich bis in die eigentliche Tiefe desselben vordringen, von da an aber mit dem hier beginnenden Wiederaustritt bis zur Verwirklichung dieses Letzteren gleichsam immer mehr innerlich in uns in ihren Nachwirkungen verklingen: in ganz ähnlicher Weise muss auch ein Gleiches stattfinden in Bezug auf die besonderen inneren W e s e n s z u s t ä n d e , in welche wir oder in welche sonstige Dinge durch eben diese fremden Einwirkungen jeweilig versetzt werden. Denn der stete Wechsel eben dieser Wesenszustände ist ja kein anderes als der ganz natürliche gemeinsame Widerhall aller der mannigfachen Arten von Einwirkungen, welche fortwährend von aussen her an alles Vorhandene herantreten; wogegen wir in dem hiermit zusammenhängenden Wechsel in den mit den inneren Wesenszuständen Hand in Hand gehenden äusseren Erscheinungsweisen der betreffenden Daseynsformen den natürlichen Rückschlag oder die äussere Offenbarwerdung eben dieser inneren Wesensvorgänge jederzeit vor Augen haben. H. Schmid, welcher in seinen Untersuchungen über die inneren Wesensverhältnisse der Natur und namentlich unseres eigenen Seelenwesens sich sehr eingehend mit eben diesen Verhältnissen beschäftigt hat, sagt hierüber: „Kein Augenblick (Moment) ist dem folgenden gleich. Jede Empfindung, jeder Gedanke, jedes Gefühl verändern augenblicklich ihren Gegenstand, ihre Stärke, ihre Feinheit und alle übrigen Verhältnisse. — Das blosse Wie eines Naturdaseyns (einer Existenz), die blossen Eigenschaften, lassen sich für die Erkenntniss gar nicht denken, ohne die D i n g e , denen diese Eigenschaften zukommen. — Dabei herrscht für die innere Natur allein das Gesetz der S t e t i g -

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k e i t ; denn auch alle Gradveränderung muss nothwendig nach s t e t i g e m U b e r g a n g und ohne S p r u n g erfolgen, und so gilt also auch für den Geist das Gesetz des stetigen Abflusses (oder natürlichen Verlaufes) seiner Thätigkeiten. — Z e i t d a u e r oder Beharrlichkeit in der Zeit, Z e i t f o l g e oder Veränderung in der Zeit: dies ist der Grundriss (das Schema) für die begriffliche Form (Kategorie) der W e s e n h e i t . Denn das Wesen der Dinge ist dasjenige, was in der Zeit dauert: Veränderlichkeit dagegen ist die reine Zeitbestimmung für die begriffliche Form (Kategorie) der U r s ä c h l i c h k e i t ; denn U r s a c h e ist G r u n d einer V e r ä n d e r u n g in der Z e i t f o l g e . — Die Veränderungen in unserem Seelenleben schauen wir jedoch nicht unmittelbar an; denn Veränderung ist ein nur beziehungsweiser (ein relativer) Begriff, der nur im Verhältniss zu etwas U n v e r ä n d e r l i c h e m (d. i. zu unserem allgemeinen Wesen als solchem) erkannt werden kann. Die innere Natur aber erscheint uns in einem unaufhörlichen stetigen Abfluss (oder zeitlichen Verlauf) von Z u s t ä n d e n in der Z e i t , zu welchem wir das Unveränderliche durch das reine S e l b s t b e w u s s t s e y n , d. h. in dem (eigenen) Ich hinzudenken. Die einzige ans c h a u l i c h e E r s c h e i n u n g s w e i s e (Form) der Z e i t lässt uns nur ein N a c h e i n a n d e r von Z u s t ä n d e n (unseres eigenen inneren Wesens) anschauen. — In der Zeit erscheint somit das I c h als ein stetiger Abfluss (oder ununterbrochener Verlauf) von Z u s t ä n d e n oder T h ä t i g k e i t e n ; aber in allen diesen Zuständen oder Thätigkeiten ist es doch immer das E i n e u n d g l e i c h e I c h , dem wir sie zuschreiben. — Und so stellt uns demnach die i n n e r e W a h r n e h m u n g das Seelenleben dar als eine in der Z e i t a u f e i n a n d e r f o l g e n d e R e i h e von T h ä t i g k e i t e n . Thätigkeit folgt auf Thätigkeit; jede folgende ist eine (in irgend einer Beziehung) a n d e r e wie die vorhergehende, und in jedem Augenblick befindet sich daher die Seele in einem a n d e r e n Z u s t a n d wie in dem vorhergehenden. — So wird die Seele zur E r s c h e i n u n g in

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Thätigkeiten. Thätigkeit aber ist W i r k e n ; die Grundlage (das Subjekt) des Wirkens ist U r s a c h e : die Seele also als Grundlage (Subject) von Thätigkeiten ist zugleich als Ursache bestimmt, d. h. sie ist Ursache ihrer Thätigkeiten" (HEHTBICH SCHMIDT, Metaphys. d. inneren Natur. S. 27. 28. 117. 129. 133. 136. 137. 138. 142. 143. 160. 161). — Nehmen also überhaupt einmal alle natürlichen Erscheinungsweisen in der Zeit nur allein aus dem i n n e r s t e n Wesen der einzelnen natürlichen Daseynsformen ihren natürlichen Ausgang: so geht noth wendig hieraus hervor, dass allen diesen zeitlich-veränderlichen Erscheinungsweisen auch allewege der natürliche Stempel und das natürliche Gepräge einer eigenen i n n e r l i c h e n W e s e n h a f t i g k e i t , die aber in E i n s z u s a m m e n f ä l l t mit dem n a t ü r l i c h e n Wesen der erscheinenden Dinge, unmöglich abgesprochen werden kann. Aber eben damit stellt auch die Zeit so recht eigentlich das nie R u h e n d e , nie R a s t e n d e , aber immerdar W i r k e n d e und T h ä t i g e in den natürlichen Wesenheiten dieser Welt sich dar, d. h. als eben jene in sich lebendige innerste Wesensgrundkraft aller einzelnen Dinge, die nicht bloss in räumlicher Beziehung als allewege wesenhaftes Daseyn g r ü n d e n d e und e r h a l t e n d e Kraft sich offenbart, sondern zugleich damit auch ebensosehr in zeitlicher Beziehung als eine eben dieses wesenhafte Daseyn fortwährend v e r ä n d e r n d e und u m w a n d e l n d e Kraft. Daher sagt auch Baader in eben diesem Sinn, „die Zeit habe, als W i r k e n , nur B e s t a n d im N i c h t b e s t a n d " , d. h. nur in der Unbeständigkeit und Veränderlichkeit, wobei er ausserdem auch noch ausdrücklich hinzufügt, dass der Ausdruck „Bestand" auch zugleich auf den R a u m gehe (BAADER XIV. S. 413). Denn ohne den wesenhaften Bestand im räumlich-körperlichen Daseyn würde auch von keinem Bestand in zeitlicher Beziehung die Rede seyn können. Wie daher der Raum, der Naturwirklichkeit entsprechend, nicht anders von uns kann gedacht werden, denn nur als ein n a t ü r l i c h - w e s e n h a f t e r R a u m , so kann

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auch die Zeit nicht anders von uns gedacht werden denn ebenfalls nur als eine n a t ü r l i c h - w e s e n h a f t e Z e i t . Ein bemerkenswerther, auf dieselben Fragen sich beziehender Ausspruch findet sich auch bei H e g e l . „Das einfach sinnliche B e w u s s t s e y n — sagt er — ist die unmittelbare Gewissheit von einem äusserlichen Gegenstande. Der Ausdruck für die Unmittelbarkeit (oder diese unmittelbare Gewissheit) eines solchen Gegenstandes ist, d a s s e r i s t , und zwar d i e s e r , d. h. j e t z t der Zeit nach und h i e r dem Raum nach, durchaus von allen anderen Gegenständen v e r s c h i e d e n und vollständig an ihm selbst bestimmt. Sowohl dieses J e t z t wie dieses H i e r ist ein V e r s c h w i n d e n d e s . J e t z t ist n i c h t m e h r , indem es i s t , und ein anderes J e t z t ist an seine Stelle getreten, das aber ebenso unmittelbar verschwunden ist. Zugleich b l e i b t aber J e t z t . Dies b l e i b e n d e J e t z t ist das a l l g e m e i n e , das sowohl d i e s e s als j e n e s Jetzt, also auch k e i n e s von ihnen ist." Und nun fügt er, unmittelbar hieran anschliessend, noch die bedeutungsvollen, scheinbar etwas räthselhaften Worte hinzu: „Dieses H i e r , das ich meine und aufzeige, hat ein R e c h t s und ein L i n k s , ein O b e n und ein U n t e n , ein H i n t e n und ein V o r n e n " (HEGEL X Y I I I . S. 81. 82). Sollte H E G E L bei diesem Ausspruch nicht der Gedanke an die Möglichkeit eines thatsächlichen in s i c h w e s e n h a f t e n , weil nur den w e s e n h a f t e n Dingen i n n e r l i c h i n n e w o h n e n d e s Z e i t v e r h ä l t n i s s e s oder eines thatsächlich w e s e n h a f t e n Z e i t v e r l a u f e s im eigenen Innern der einzelnen Naturwesen vor der Seele geschwebt haben? Aber ebenso auch gleichzeitig damit der Gedanke an eine wirkliche r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e G r ö s s e u n d A u s d e h n u n g , wie aller stofflich-körperlichen Einzelwesen, so auch unseres eigenen S e e l e n w e s e n s ? Denn wenn für den Gegenstand, den er im Auge h a t , das Verhältniss des J e t z t - und des Hierseyns sowohl ein Seyendes und doch zugleich auch ein stets Verschwindendes seyn soll, das eben jetzt i s t und auch schon n i c h t m e h r ist, aber zugleich

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in diesem steten Verschwinden auch als ein B l e i b e n d e s bezeichnet wird: sollte es nach eben diesen Andeutungen nicht berechtigt erscheinen, diesen ganzen Ausspruch auf jenes vorhin erwähnte Verhältniss zu beziehen, darinnen das uns Zukünftige allmählich und stetig in unsere eigene innere r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e W e s e n s g e g e n w a r t einzieht, immer weiter in diese sich vertieft, um dann in und mit dem erreichten Wesensmittelpunkt ebenso allmählich und stetig aus unserem eigenen Wesensinneren auf der entgegengesetzten Seite wieder auszutreten und dem Verschwinden in die Vergangenheit anheim zu fallen? Das B l e i b e n d e in diesem ganzen Vorgang bildet allein unser eigenes Wesensinnere, unsere eigene räumlich-zeitliche Wesensgegenwart. Das d a r i n S e y e n d e aber zugleich auch stets daraus V e r s c h w i n d e n d e aber: was könnte dies wohl Anderes andeuten, als eben jenen stetigen Wechsel und Wandel von besonderen Wesenszuständen, wie solche im eigentlichen Zeitverlauf im Innern unserer eigenen Seele wie auch im Innern aller stofflich-körperlichen Einzeldinge ohne Unterlass e i n k e h r e n , um dieselben nach kurzer Innewohnung wieder zu v e r l a s s e n , und somit eben diese Wesenszustände selbst nach ihrer natürlichen Reihenfolge der Vergangenheit anheimfallen zu lassen? Denn ein jedes derartige E i n - und A u s t r e t e n kann nur in dem Fall als möglich und erklärlich uns erscheinen in Bezug auf Dinge oder Wesen, denen auch wirklich irgend eine bestimmte wirklich körperliche Grösse und Ausdehnung, aber eben damit zugleich auch ein wirkliches Rechts und Links, ein wirkliches Oben und Unten, und ein wirkliches Vornen und Hinten als einander räumlich gegenüberstehende Ein- und Austrittspunkte zukommt. Indem jedoch unsere besonderen Wesenszustände in solcher Weise in einem jeden Augenblick wechseln und stetig in veränderte Zustände übergehen und damit, wie wir zu sagen pflegen, der zeitlichen Vergangenheit anheimfallen, bleibt doch unser Wesen als solches immerdar unverändert dasselbe, wie

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es von Anfang gewesen. Da unsere eigene W e s e n s g e g e n w a r t aber selbstverständlich an sich nichts anders anzeigen will als unser e i g e n e s i n n e r e s W e s e n s e l b s t , indem wir nicht anders als nur mit unserem persönlichen Wesen irgendwo in Raum oder Zeit anderem Vorhandenen g e g e n w ä r t i g seyn können: so geht daraus hervor, dass, wenn auch u n s e r e W e s e n s z u s t ä n d e in ihrem steten Wechsel allmählich der Vergangenheit anheimfallen, doch u n s e r e i g e n e s W e s e n und unsere e i g e n e W e s e n s g e g e n w a r t u n v e r ä n d e r t in i h r e r s t e t e n S e l b s t g l e i c h h e i t v e r h a r r e n , und demnach auch n i e m a l s in irgend einer Weise einer wirklichen z e i t l i c h e n V e r g a n g e n h e i t anheimfallen können. Daher sagt auch Baumann: „Zur Zeit gehört das N a c h e i n a n d e r , das V o r h e r und das N a c h h e r , dem gegenüber aber das I c h sich als das n i c h t in ihm b e g r i f f e n fühlt, sondern als das, was das Vorher und das Nachher in sich v e r k n ü p f t " (BAUMANN, Raum und Zeit II. S. 661). — Das I c h fühlt und weiss sich viel zu sehr, in räumlich-körperlicher wie in zeitlicher Beziehung, als ein w e s e n h a f t e s E t w a s , als dass es nicht sofort E i n s p r a c h e gegen die Zumuthung erheben sollte, sich selber für einen wesenlosen P u n k t , für ein wesenloses N i c h t s zu halten. Das I c h , als natürlich-wesenhafter V e r t r e t e r der G e g e n w a r t , ist zugleich damit auch Vermittler der einheitlichen Verbindung zwischen V e r g a n g e n h e i t und Z u k u n f t ; und somit kann folgerichtig hieraus auch nur der Schluss sich ergeben, dass auch auf den Begriff und das Wesen der G e g e n w a r t nothwendig ganz dieselbe unleugbare W e s e n h a f t i g k e i t ihre ganze und volle Anwendung finden muss, welche wir aus eigener Selbsterfahrung auch unserem e i g e n e n p e r s ö n l i c h e n I c h und S e l b s t allewege zuschreiben. Daher überhaupt kein an sich leerer und wesenloser Raum und keine an sich leere und wesenlose Zeit.

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No. 130. Zeiträume, Zeitabschnitte und Zeittheile. — Die Zeit als Offenbarungsweise der geistigen Seite alles Naturdaseyns. Wir haben bereits im Früheren darauf hingewiesen, wie jener i n n e r e O r t der Dinge der Sache nach wesenhaft in Eins zusammenfällt mit deren persönlichem innerlich wesenhaften Ich und Selbst, damit zugleich aber auch mit dem gesammten, von diesem eingenommenen w e s e n e r f ü l l e n d e n R a u m oder der räumlich-körperlichen Grösse der betreffenden Dinge. Von eben diesem an sich durchweg vollkommen wesenhaften i n n e r e n O r t haben wir jedoch ausserdem auch noch unterschieden den i n n e r s t e n Ort derselben Dinge, welcher in Eins zusammenfällt mit deren innerem Wesensm i t t e l p u n k t . Namentlich an diesem i n n e r s t e n O r t , als einem in sich selber völlig raumlosen Mittelpunkt der Dinge, haben wir festgehalten, einmal, weil er zugleich auch jenen natürlichen U r s i t z im Innern eines jeden Einzeldinges anzeigt, von dem aus die unmittelbare Wirksamkeit eben jener natürlichen Grundkraft ausgeht, durch welche wie das Daseyn, so auch das gesammte innere Wesen der Dinge nicht nur von Uranfang an gemeinschaftlich begründet sind, sondern von dem aus sie auch fortdauernd in ihrem wesenhaften Daseyn erhalten bleiben. Zum andern aber bietet eben dieser innere Wesensmittelpunkt oder innerste Ort der Dinge zugleich auch den wichtigsten A n h a l t s p u n k t für die wissenschaftliche Bestimmung und Berechnung der ö r t l i c h e n L a g e n und wechselseitigen E n t f e r n u n g e n , in welchen die Dinge in irgend einem bestimmten Z e i t p u n k t sich thatsächlich zu einander befinden. Kein sonstiger Punkt, weder im Innern noch auf der äusseren Oberfläche der Dinge, erweist sich für diesen Zweck so geeignet als eben deren Mittelpunkt, einmal weil die betreffenden Dinge denselben nach jedem ihnen ä u s s e r l i c h e n Ort innerlich mit hinnehmen, nach welchem hin sie

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selber sich bewegen: sodann aber aucli, weil gerade er der einzige Punkt innerhalb des Wesensinneren der betreffenden Dinge ist, welcher, namentlich auch bei rollenden Fortbewegungen, dem übrigen Wesensinnern gegenüber als völlig t h e i l n a h m l o s an der allgemeinen Umdrehung und eben darum auch als v ö l l i g u n b e r ü h r t von derselben sich darstellt. Und so haben wir denn auch schliesslich in Folge des unmittelbaren Zusammenhanges, in welchem die Begriffe von R a u m und Z e i t wechselseitig zu einander stehen, eben jenen i n n e r e n O r t der Dinge, als in zeitlicher Beziehung gewissermassen dem Begriffe des A u g e n b l i c k e s entsprechend anerkannt: deren i n n e r s t e n Ort dagegen, oder deren eigentlichen Wesensmittelpunkt, als den Begriff des Z e i t p u n k t e s uns versinnlichend. Denn ganz ebenso wie wir jenem an sich wesenhaften i n n e r e n O r t eine ganz bestimmte, wenn auch für uns ganz unbekannt wie k l e i n e k ö r p e r l i c h e G r ö s s e mussten zuerkennen, so auch dem zeitlichen A u g e n blick eine ebenfalls ganz bestimmte, aber für uns unmessbar wie k l e i n e z e i t l i c h e G r ö s s e oder D a u e r . Nun ist es aber ein seit den ältesten Zeiten allgemein anerkannter und auch von uns bereits mehrfach erwähnter Wahrheitssatz, dass an sich raumlose Punkte als solche nie und nimmermehr weder eine in sich zusammenhängende stetig verlaufende Linie, geschweige denn irgendwelche sonstige räumlich-körperliche Grösse oder wirkliche natürliche Wesenheit zu bilden im Stande sind. Ganz ebensowenig vermöchte auch eine, wenn auch noch so grosse Anzahl von blossen Z e i t p u n k t e n es jemals zu Stande zu bringen, durch ihre Gesammtheit auch nur die allergeringste Z e i t d a u e r , und wäre es nur die eines A u g e n b l i c k e s , thatsächlich zu bewirken. Daher bezeichnet es auch Spinoza als eine ebenso grosse Unmöglichkeit, „die D a u e r aus A u g e n b l i c k e n zusammenzusetzen", als irgend eine „ Z a h l aus N u l l e n " entstehen zu lassen; wobei nur zu bemerken bleibt, dass SPINOZA hier den

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Augenblick mit dem wirklichen Zeitpunkt verwechselt hat. Daher fügt auch Bau mann jenem Ausspruch die Bemerkung hinzu, dass derselbe ganz unwiderleglich sey, „wenn man sich den Augenblick als Null denke, was er jedoch weder in Bezug auf die p e r s ö n l i c h e noch auf die s t e r n k u n d l i c h e (psychologische noch astronomische) Zeit jemals gewesen sey, sondern stets ein Ding von s e h r b e s t i m m t e m Wesen und G e s t a l t " (BAUMANN, Raum und Zeit I. S. 184. 188). — Gerade der Umstand also, dass SPINOZA das, was er „Augenblicke" nennt, mit „Nullen" vergleicht, lässt darauf schliessen, dass er hier den Begriff und das Wesen des Augenblickes nicht sowohl in seinem buchstäblichen Sinn dürfte aufgefasst haben, als vielmehr in einer uneigentlichen und mehr sinnbildlichen Bedeutung, nehmlich in derjenigen des an und für sich ja ebenfalls vollkommen wesenlosen blossen Z e i t p u n k t e s . Nun sagt aber auch noch ein anderer ebenso alter und auch von uns bereits früher erwähnter Wahrheitssatz, dass alles, was in seinem Innern aus wirklichen Theilen besteht oder aus diesen zusammengesetzt ist, durch fortgesetzte Theilung -in alle die einzelnen Theile müsse zerlegt werden können, aus welchen es als Ganzes der Zahl nach thatsächlich gebildet ist. Auch dieser Satz muss selbstverständlich, ebenso wie für räumlich-körperliche, auch für zeitliche Verhältnisse seine natürliche Geltung haben. Denkt man sich also irgend eine Z e i t g r ö s s e , wie z. B. den Augenblick, aus lauter blossen Z e i t p u n k t e n zusammengesetzt, so müsste man bei folgerichtig fortgesetzter Theilung eben dieser Zeitgrösse schliesslich auf die an sich wirklich räum- und zeitlosen Zeitpunkte kommen, aus denen man sich dieselbe als wirklich z u s a m m e n g e s e t z t gedacht hat. Aber zu einem solchen Schlussergebniss vermögen wir, solange wir auch die vorgenommene Theilung in unseren Gedanken fortsetzen mögen, doch nie und nimmermehr zu gelangen, eben weil keine wirklich wesenhafte Grösse und Ausdehnung, weder in räumlicher noch in zeitlicher Beziehung,

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jemals als aus blossen Raum- oder Zeitpunkten gebildet und zusammengesetzt vernünftiger Weise darf betrachtet werden. Daraus folgt aber auch, dass allen derartigen, im gewöhnlichen Leben so oft gebrauchten Ausdrücken, wie „ Z e i t r ä u m e " , „ Z e i t a b s c h n i t t e " , „ Z e i t t h e i l e " , oder „ Z e i t e i n t e i l u n g e n " u. s. w., im wörtlichen Sinn genommen, gar keine eigentliche Bedeutung zugesprochen werden kann. Alles natürliche Wesen und Daseyn der stofflich-körperlichen Einzeldinge dieser Welt gründet, wie wir mehrfach gesehen, allein nur auf der unmittelbar innerlichen Wirksamkeit eben jener uranfänglichen natürlichen Wesensgrundkraft der betreffenden Dinge, welche an sich und als solche, als von einem in sich völlig einheitlichen und darum auch völlig untheilbaren Ursitz im inneren Wesen der Dinge ausgehend, auch in ihrer gesammten innerlichen Wirksamkeit nur als eine ganz ebenso e i n h e i t l i c h e und darum auch ebenso u n t h e i l b a r e für das Auge des Geistes sich darstellen kann. Muss aber überhaupt einmal die dem inneren Wesen der Dinge zu Grunde liegende innere Kraftwirksamkeit als eine in sich stetig einheitliche und stetig in sich untheilbare anerkannt werden: so liegt es in der Natur der Sache, dass auch die durch eben diese in sich untheilbare Kraftwirksamkeit begründete innere W e s e n h a f t i g k e i t der Dinge durch deren ganze räumlich - körperliche Grösse und Ausdehnung hindurch nicht anders als ebenfalls in sich völlig u n t h e i l b a r für jede äussere Naturgewalt sich erweisen muss (III. § 12 No. 53 und 54). Was aber in solcher Weise für die innere Wesenhaftigkeit der Dinge in r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e r Beziehung gilt, das muss auch in diesem Fall selbstverständlich ganz ebenso in z e i t l i c h e r B e z i e h u n g seine Geltung behaupten. Denn nur Ein und dieselbe innere Wesensgrundkraft ist es ja, aus deren Wirksamkeit zugleich mit der k ö r p e r l i c h e n G r ö s s e auch der z e i t l i c h e B e s t a n d der Dinge im wesenhaften Daseyn, d. h. deren z e i t l i c h e D a u e r hervorgeht. So

Kaum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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wenig also Erstere in ihrer wesenhaften Einheit als aus einer Mehrheit von besonderen k ö r p e r l i c h e n R a u m t h e i l e n oder K a u m a b s c h n i t t e n zusammengesetzt darf betrachtet werden: ganz ebensowenig in zeitlicher Beziehung auch deren Ges a m m t d a u e r im Daseyn als zusammengesetzt aus einer Mehrheit von besonderen Z e i t t h e i l e n oder Z e i t a b s c h n i t t e n . Das Eine wäre so widersinnig als das andere. Nur in unseren Gedanken sind derartige Eintheilungen zulässig: die Naturwirklichkeit selbst aber kennt sie nicht. Ganz in diesem Sinn hat denn auch bereits A r i s t o t e l e s von dem „ J e t z t " gesagt, dass es „ k e i n T h e i l der Zeit" sey. Und an einem andern Ort sagt er: „Der eine Theil der Zeit ist schon gewesen und ist daher n i c h t m e h r ; der andere aber ist k ü n f t i g und ist daher noch nicht. Aus diesen Theilen aber ist sowohl die unbegränzte (d. i. allgemeine) Zeit als auch ein jedesmal (in unseren Gedanken) herausgenommenes Z e i t t h e i l zusammengesetzt. Was aber aus N i c h t - s e y e n d e m zusammengesetzt ist, möchte wohl unmöglich an dem Seyn Theil haben zu können scheinen" (ARISTOTELES, Physik. S. 199. 2 0 1 ) . — In dem gleichen Sinn sagt auch K r a u s e : „Wir können die Z e i t , die uns als unbestimmtes Ganze erscheint, in endliche Theile theilen und zwar vermittelst zweier G r ä n z e n , zweier sogenannter Z e i t p u n k t e , eines A n f a n g s - und eines E n d p u n k t e s . Da finden wir, vor dem (beliebig irgendwann von uns irgendwo angenommenen) Anfangspunkt geht auch noch Zeit her, und n a c h dem Endpunkt folgt wieder Zeit. Ferner: jeder (derartige) T h e i l der Z e i t kann wieder von uns get h e i l t werden, indem man noch ein, zwei, drei oder mehr Punkte hinzusetzt, und alle diese Theile einer endlichen Zeit h ä n g e n s t e t i g zusammen. Wenn man sich nun bemüht, in unserer Vorstellung (Phantasie) ein Bild der ganzen Zeit zusammenzubringen, so wird man finden, dass man unwillkürlich die Zeit vorstellt unter dem Bild einer L i n i e , sie also sinnbildlich im R a u m darstellt, daher man auch gewöhnlich

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

von Z e i t r ä u m e n oder von Z e i t l ä n g e n redet. Die Eintheilung der Zeit in V e r g a n g e n h e i t und Z u k u n f t ist eine rein begrifflich-geistig angeschaute (rein mathematische) Eintheilung der Zeit als eiDes Ganzen durch ihre i n n e r e G r a n z e . Wir sind uns aber auch noch einer a n d e r e n Zeiteintheilung bewusst, indem wir sie in V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t und Z u k u n f t theilen, so dass noch die G e g e n w a r t hinzukommt. Sehen Sie nun auf diese Zeiteintheilung hin, so werden Sie finden, dass solche auf dem I n h a l t der Z e i t beruht; dass man da n i c h t die Z e i t eintheilt rein als Ganzes und als Grösse, sondern n a c h M a a s s g a b e dessen, was in ihr g e s c h i e h t , in i h r sich ä n d e r t . So sagen wir » g e g e n w ä r t i g e s J a h r « , und theilen also in dieser Hinsicht die Zeit in d r e i T h e i l e , nehmlich in die Zeit vor Anfang dieses Jahres, in die Zeit d i e s e s Jahres, und in die künftige Zeit n a c h diesem Jahr. Dieses Jahr bezeichnet aber eine b e s t i m m t g r o s s e Z e i t , binnen welcher die Erde einmal um die Sonne herumgeht, binnen welcher also eine b e s t i m m t e B e g e b e n h e i t a n f ä n g t u n d v o l l e n d e t wird. Und der Grund, dass ich sage, »das Jahr ist zu Ende«, liegt n i c h t in der Z e i t , sondern in der Vollendung eben d i e s e r B e g e b e n h e i t . Ebenso: »unser gegenwärtiges Leben«. Damit meint jeder die bestimmte Zeit von seiner Geburt an bis zum Augenblick seines Todes u. s. w. Sehen wir nun zunächst an diesem Beispiel darauf hin, wie sich der V e r f l u s s p u n k t verhält zu solch einer G e g e n w a r t , so finden wir: der V e r f l u s s p u n k t (oder mit anderen Worten das in stetigem Fluss voranschreitende »Jetzt«) ist allemal b i n n e n einer solchen Zeit, die man g e g e n w ä r t i g nennt; z. B. »diese Stunde«, dieses »Jahr« u. s. w. Ein Theil der Zeit davon ist schon v e r f l o s s e n , allaugenblicklich f l i e s s t sie d a h i n , und ein Theil wird noch verfliessen. Ebenso von unserer Lebenszeit. Wir sehen also, dass eine Zeit, die man g e g e n w ä r t i g nennt, ein e n d l i c h e s Stück Z e i t ist, worin eine bestimmte Begebenheit vollendet

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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wird, von welcher aber ein Theil verflossen ist, der andere verfliessen wird.

Daraus folgt, dass die G e g e n w a r t

ausserhalb

Vergangenheit

der

sondern dass ein

Theil

der

und

nicht

der Z u k u n f t

Gegenwart

ein Stück

ist, ver-

g a n g e n e r Z e i t ist, v e r b u n d e n durch den V e r f l u s s p u n k t mit e i n e m Stück z u k ü n f t i g e r Z e i t .

Und wenn wir über-

legen, dass die Zeit Erscheinungsweise

(Form) des Anderns,

des Lebens und Gestaltens ist, so dürfen wir sagen: die Zeit ist Eine G e g e n w a r t , deren eine Hälfte v e r f l o s s e n ist, und deren andere Hälfte verfliessen w i r d " (KEAUSE, Vöries. 107 bis 110).

Die

U b e r eins t i m m u n g

eben

dieser

Darlegung

von

Seiten KEAUSE's mit dem Ergebniss, zu welchem wir, wenn anfänglich auch von anderen Gesichtspunkten ausgehend, am Schlüsse unserer vorigen Untersuchungen gelangt sind, kann wohl

kaum

Anfangs-

entgehen.

und

Gränzen stimmen

Und was

Endpunkte

aller

KEAUSE

bezeichnet,

derartigen

Zeiträume

hier als beliebige

d. h. oder

als

äusserste

Zeitabschnitte:

sie nicht überein mit jenem, in unserem

geistigen

Denken sowohl im allgemeinen Weltraum wie in der meinen Weltzeit

als

äusseren

oder

Orte

feststehende Zeitpunkte

Punkte

allge-

angenommenen

im Gegensatz

zu jenem

i n n e r s t e n O r t oder eigenen W e s e n s m i t t e l p u n k t der Dinge, welchen

diese

Letzteren

„ H i e r " und „ J e t z t "

als

unveräusserliches

persönliches

allenthalben mit hinnehmen, wohin sie

sich selber begeben? Hat ein Ding oder hat unser eigenes Ich im Verlauf des eigenen Daseyns einen jener ihm bis dahin äusserlichen

Orte oder Zeitpunkte derart erreicht, dass der

eigene Wesensmittelpunkt

mit jenem, bis dahin ihm äusser-

lichen Ort oder Zeitpunkt gemeinschaftlich in Eins zusammenfällt: dann ist jener anfänglich f r e m d e

und f e r n e

liegende

Ort oder Zeitpunkt für uns oder das betreffende Naturding in diesem

Augenblick

zu

einem

innerlich

ebenfalls

Gegen-

w ä r t i g e n und damit zu einem persönlich-gegenwärtigen eigenen „ H i e r " und „Jetzt" geworden. Wandersmann. III.

Freilich kann eben diese Ver6

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

einigung des eigenen Hier und Jetzt mit eben diesem fremden Orts- oder Zeitpunkt keine dauernde seyn; sondern — wie wir aus dem Vorigen ebenfalls bereits ersehen haben — werden die betreffenden inneren und äusseren Orts- und Zeitpunkte sich sofort wieder mehr und mehr von einander entfernen. Und so gelangen die Dinge im stetigen Verlauf ihrer Ortsveränderungen, sowohl in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung, stetig und ununterbrochen von einem äusseren Orts- und Zeitpunkte zu einem anderen, um schliesslich in steter Flucht immer mehr jenem letzten Orts- oder Zeitpunkt entgegenzueilen, welchen KRAUSE als den letzten Gränz- oder Endpunkt eines jeden besonderen Zeitraumes oder Zeitabschnittes bezeichnet. Diese blossen Anfangs- und Endpunkte, eben weil blosse Gränzpunkte, dürfen demnach auch mit dem Begriff des eigentlichen und wahren natürlichen A u g e n b l i c k s in keiner Weise verwechselt und vermengt werden. Darum wird z. B. im Französischen, wie früher erwähnt, der Begriff des Augenblicks mit m o m e n t oder i n s t a n t bezeichnet: nicht so aber der Begriff des blossen G r ä n z - oder Z e i t p u n k t e s , wofür die französische Sprache bekanntlich sich des Ausdruckes „terme", d. h. das Ziel, Ende, Gränze, bedient, freilich mehr im Hinblick nach vorwärts, d. h. nach dem Endpunkt, als nach rückwärts nach dem Anfangspunkt. Für den Begriff des Ausgangspunktes dagegen hat die französische Sprache das Wort „issue", welches sie jedoch bekanntlich auch vielfach in der Bedeutung von Entwickelung, von Ausgang und von Ende anwendet: eine Begriffserweiterung also, welche die beiden Begriffe von Anfangs- und von Endpunkt gemeinschaftlich in sich einschliesst, und welche darum auch iür unsere gegenwärtige Betrachtungsweise sehr bezeichnend ist. — Auch bei Leibnitz begegnen wir bereits einer ähnlichen Anschauung wie der eben von KRAUSE erwähnten, nur mit dem Unterschied, dass er, wie bereits früher bemerkt, den Begriff des Augenblickes glaubt als gleichbedeutend mit dem des blossen Zeitpunktes setzen zu sollen. „Streng

Eaum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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genommen" — sagt er — „sind weder der Punkt noch der Augenblick T h e i l e des Baumes oder der Zeit, wie sie s e l b e r aucb k e i n e Theile mehr in sich schliessen. Sie bilden bloss ä u s s e r s t e E n d e n und G r ä n z e n " (LEIBNITZ [Edit. ERDMANN] S. 2 4 1 . Edit. ULRICH I . S. 2 9 5 ) . — Ebenso fasst auch E i m e rn o s e r , in ähnlichem Sinn wie KRAUSE, die drei zeitlichen Grundbegriffe von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in der Bedeutung auf von „ A n f a n g oder E n t s t e h e n " , von „ M i t t e oder B e s t e h e n " und von „ E n d e oder V e r g e h e n " . „Raumpunkt und Zeitpunkt" bezeichnen nach ihm die Anfänge aller Lebensformen" (ENNEMOSER, Geist d. Menschen. S. 5 7 ) . — Und ebenso bilden sie auch die Endpunkte derselben, unterdess die M i t t e oder der wesenhafte B e s t a n d im D a s e y n , als stetig voranschreitende W e s e n s g e g e n w a r t , beide, Anfang und Ende, in ununterbrochenem Wesenszusammenhang erhält. Sc hell in g, nachdem er sich darauf bezogen, dass „das Wesen (die Substanz) selbst das in der Zeit Beharrende" seyn müsse, fügt dann weiter hinzu: „Also ist das j e t z t E n t s t e h e n d e nur eine Bestimmung (oder besondere Daseyns- und Erscheinungsweise) des Beharrenden; aber n i c h t das Beharrende selbst, welches i m m e r d a s s e l b e ist. Also war auch das, was verging, nicht das Beharrende selbst, sondern nur eine Bestimmung (oder besondere Erscheinungsweise) des Beharrenden". Und an einem anderen Orte bezeichnet auch er, ganz in dem Sinn wie KRAUSE, alles das, „was man v e r s c h i e d e n e Z e i t e n " nennt, nur als „verschiedene E i n s c h r ä n k u n g e n der allgemeinen (absoluten) Zeit". Weiterhin aber sagt er mit Bezug auf den sogenannten F l u s s der Z e i t , dass, „wenn die D a u e r aus Augenblicken oder Zeitpunkten z u s a m m e n g e s e t z t wäre, auch nicht der kleinste Theil der Zeit als v e r f l i e s s e n d gedacht werden könnte". Uberhaupt wollte SCHELLING die Bezeichnung des Zeitverlaufs als eines „ F l u s s e s " mehr als ein blosses „ B i l d des Lebens" aufgefasst sehen, als dass er den Begriff des F l i e s s e n s oder V e r f l i e s s e n s in seiner Anwendung auf

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

die stete Veränderlichkeit aller Zeitverhältnisse in wirklich buchstäblichem Sinn gelten Hesse (SCHELLING, III. S. 472. 473. 519. VI. S. 274 IX. S. 92). — So sagt auch S c h l e i e r m a c h e r : „Der P u n k t , der die Linie durchschneidet, ist n i c h t ein T h e i l von ihr, und überall in ihr kannst Du einen solchen Punkt setzen. So auch der Augenblick (Moment), in welchem Du die Bahn des Lebens theilst, soll selbst kein T h e i l des zeitlichen Lebens seyn, und überall, wo Du willst, kannst Du (in solcher Weise) den Strom des zeitlichen Lebens hemmen und durchschneiden" SCHLEIEEMACHEB, Monol. S. 7). — Und in gleichem Sinn spricht auch Bau mann sich aus, wenn er sagt: „ T h e i l e werden auf Raum und Zeit mehr ü b e r t r a g e n , als dass sie in ihnen sind. Man kann n i c h t sagen, beide e n t h a l t e n Theile; denn sie entstehen und bestehen n i c h t aus Theilen." Und weiterhin: „Der Ausdruck T h e i l ist ein mehr b i l d l i c h e r . Denn die Zeit ist n i c h t aus Augenblicken (Momenten) als aus Theilen z u s a m m e n g e s e t z t . Wenn irgendwo, so ist bei der Z e i t das S t e t i g e (Continuirliche) ein W e s e n t l i c h e s in ihrem Begriff, und zwar das ununterbrochene (continuirliche) I n e i n a n d e r ü b e r g e h e n dessen, was als Augenblick in ihr empfunden wird" BAUMANN, Kaum und Zeit II. S . 525. 666). — Zu ebensolchen w i l l k ü r l i c h e n Z e i t e i n t h e i l u n g e n gehören ausser den bereits erwähnten unter anderen auch die „ P e r i o d e " und die „ E p o c h e " . Beide werden mitunter wohl als gleichbedeutend betrachtet und in Folge dessen auch im Gebrauch wohl mit einander verwechselt. Indess kommt ihnen doch eine bestimmte begriffliche Verschiedenheit zu. „ P e r i o d e " findet sich in Wörterbüchern geradezu mit „Zeitraum" oder „Zeitabschnitt" übersetzt. Es schliesst jedoch der Begriff der P e r i o d e , als längerer oder kürzerer Zeitraum, auch zugleich noch denjenigen irgend eines bestimmten Z e i t g e p r ä g e s oder irgend einer bestimmten Z e i t r i c h t u n g in sich ein, wodurch gerade diese Zeit sich von andern Zeiten wesentlich unter-

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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scheidet. So spricht man z. B. von der Periode der Steinwerkzeuge, von der Periode der Kreuzzüge u. s. w. Der Begriff der „ E p o c h e " dagegen, von dem griechischen Zeitwort „epechein" [knk/Eiv) d. i. „einhalten", „enthalten" abstammend, bezeichnet einen A n h a l t e - oder Z e i t p u n k t , wo man einen Halt macht und von dem aus etwas N e u e s b e g i n n t , also irgend eine neue Richtung in irgend einer Sache, z. B. in einer Wissenschaft. Demnach bezeichnet also Epoche nicht sowohl einen neuen Zeitraum oder eine neue Zeitrichtung bloss a l s s o l c h e , sondern sie nimmt vielmehr zugleich auch auf die e r s t e Z e i t d e s A n f a n g e s derselben Rücksicht, als eines damit beginnenden n e u e n und b e d e u t u n g s v o l l e n Z e i t a b s c h n i t t e s . Daher spricht man vielfach von e p o c h e m a c h e n d e n Ereignissen, z. B. der Entdeckung von Amerika, der Erfindung der Buchdruckerkunst, der wissenschaftlichen Forschungen DAEWIN'S U. S. W. (Nach Mittheilungen von D. F . A. FINGER). — Unverkennbar ergibt sich aus den eben angeführten Beispielen eine gewisse Unbestimmtheit und Willkührlichkeit, welche allen derartigen Zeitbegriffen innewohnt. Es sind weit mehr Unterscheidungen, welche wir allein in unserem Denken in den allgemeinen Zeitbegriff hineinlegen, als dass sie sich mit einer eigentlichen begrifflichen Notwendigkeit aus diesen selbst ergäben. Und eben hierin liegt denn auch der natürliche Grund dafür, dass man allgemein gewohnt ist, allen derartigen nicht in dem eigentlichen Naturverlauf selbst begründeten Zeiteintheilungen je nach den besonderen Zwecken unseres geistigen Denkens eine bald grössere, bald kleinere zeitliche Grösse oder Ausdehnung zuzuerkennen, und zwar von dem für uns ganz unbestimmt wie Grossen bis herab zu dem für uns ebenso unbestimmt wie Kleinen. Wir erwähnen hier beispielsweise nur der Begriffe des „Augenblickes" und der „Gegenwart". Der A u g e n b l i c k bezeichnet für uns gewissermassen das Kleinste, weil das dem blossen Zeitpunkt ziemlich am nächsten Stehende, wie wir uns solches überhaupt aus eigener Erfahrung

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

vorzustellen im Stande sind. Und dennoch erscheint uns nicht selten unser ganzes menschliches Erdenleben mit seiner uns durch den ganzen Verlauf desselben begleitenden eigenen inneren Wesensgegenwart im Vergleich mit der für uns unbestimmbar wie grossen Dauer des gesammten Weltganzen wie ein einziger grosser Augenblick. Wir tragen das Bewusstseyn dieser unserer stetigen Wesensgegenwart von unserer frühesten Jugend an bis in unser spätestes Alter unvertilgbar in uns: ist es da zu verwundern, wenn auch der Begriff des „Augenblicks", in vielen Beziehungen so innig verbunden mit dem der Gegenwart, in unserem geistigen Denken schliesslich eine zeitliche Ausdehnung gewinnt, welche weit über diejenige hinausreicht, welche die Erfahrung uns lehrt, sobald wir auch eben jenen unausgesetzten Wechsel in unseren eigenen inneren Wesenszuständen und äusserlichen Wesenserscheinungen mit in Betracht ziehen, welcher durch das ganze Leben uns begleitet? Und findet nicht ein ganz Ahnliches statt auch in Bezug auf das, was wir im allgemeinen Leben als „ L a n g e w e i l e " oder „ l a n g e Z e i t " und als „ K u r z w e i l e " oder als „ k u r z e Z e i t " zu bezeichnen pflegen? Die Zeit, in ihrer allgemeinen Bedeutung genommen, verläuft allewege in vollkommen gleichmässiger Weise: aber nichtsdestoweniger scheint sie uns in der sogenannten L a n g e w e i l e wie mit einer fast unendlichen Langsamkeit dahinzuschleichen, während sie in der K u r z weile scheinbar mit einer solchen Raschheit an uns vorüberzueilen pflegt, dass selbst Stunden und Tage für uns wie zu blossen Augenblicken werden. Wie mag diese eigenthümliche Erscheinung sich erklären? Wenn wir L a n g e w e i l e empfinden, dann befinden wir uns in Gemüthszuständen, die uns meist zu aller eigenen inneren oder äusseren Thätigkeit unaufgelegt machen, und das Gefühl eben dieses innerlichen Mangels an dem, was doch als der eigentliche Zweck unseres Daseyns zu betrachten ist, dieses peinliche und peinigende Gefühl von gleichsam innerlicher W e s e n s l e e r e oder W e s e n s h o h l h e i t ist es, was den natür-

Kaum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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liehen Verlauf der Zeit als so l a n g e w ä h r e n d , als so lange in uns v e r w e i l e n d und eben damit auch nur als so m a r t e r voll l a n g s a m d a h i n s c h l e i c h e n d für uns erscheinen lässt. In der sogenannten K u r z w e i l e oder k u r z e n Zeit dagegen, wo alles in lebenskräftiger Thätigkeit und steter Abwechselung der Beschäftigungen und Unterhaltungen an und in uns vorüberzieht: da möchten wir dem so rasch dahineilenden Augenblick ein gebieterisches „Bleibe" oder „Verweile" zurufen; wir möchten ihn um so länger bei uns zurückbehalten, um uns denselben, sey es zu noch emsigerem und thatkräftigerem Schaffen, sey es zu noch um so länger anhaltendem Lebensgenuss, noch immer mehr zu Nutz zu machen. Lassen wir aber nunmehr noch einmal den Begriff der Z e i t an uns vorübergehen, wie solcher im Verlauf unserer Untersuchungen uns entgegengetreten ist: so kann es uns kaum entgehen, wie es zugleich auch so recht eigentlich die Ers c h e i n u n g des G e i s t i g e n oder des innersten g e i s t i g e n G r u n d e s in der Natur ist, was wir in allen inneren wie äusseren Zeiterscheinungen vor Augen haben. Wie wir mit dem Begriff des R a u m e s auch vorzugsweise den einer innerlich-äusserlichen S e l b s t a b s c h l i e s s u n g und einer ebensolchen W e s e n s b e s c h r ä n k u n g verbinden, und wie eben damit zugleich auch unausgesetzt der Begriff einer wirklichen K ö r p e r l i c h k e i t oder natürlichen W e s e n s v e r k ö r p e r u n g Hand in Hand geht: so findet auch in Bezug auf den Begriff und das Wesen der Zeit ein sehr ähnliches Verhältniss statt. Denn in dem Begriff der Z e i t , wie er in der wesenhaften Naturwirklichkeit uns entgegentritt, haben wir so recht eigentlich die unausgesetzte natürliche Wirksamkeit eben jener wesenbegründenden, wesenerhaltenden und wesengestaltenden K r a f t , d. h. eben jenes innerlich treibenden g e i s t i g e n N a t u r g r u n d e s vor uns, darinnen von Uranfang an ein jedes in sich selbstständige natürliche Einzeldaseyn in steter innerer W e s e n s g e g e n w a r t seinen gesammten räumlich-zeitlichen Entwickelungs-

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

gang und damit auch seine ganze zeitliche Z u k u n f t , wie in einem Keime verborgen, innerlich in sich eingeschlossen trägt. Wir haben bereits früher darauf hingewiesen, wie eben jene innerste Wesensgrundkraft der Dinge, in ihrer unmittelbarsten und ursprünglichsten Wirksamkeit, von der einen Seite ebensowohl als eine das innere Wesen der Dinge e r w e i t e r n d e und a u s d e h n e n d e Kraft, wie von der a n d e r e n Seite als eine dasselbe z u s a m m e n z i e h e n d e und damit nach aussen hin auch stets b e s c h r ä n k e n d e und das Wesen der Dinge im eigentlichsten Sinn v e r k ö r p e r n d e Kraft sich darstellt. Haben wir somit dort jene innerste, an sich dem G e i s t i g e n verwandte Wesensgrundkraft der Dinge in ihrem steten Streben nach innerer Wesenserweiterung vornehmlich von ihrer, ebenfalls dem Geistigen verwandten z e i t l i c h e n Seite kennen gelernt: so dagegen hier in ihrer aus der inneren Wesensweite wieder in die Wesensenge zurückführenden z u s a m m e n z i e h e n d e n Wirksamkeit, vornehmlich von Seiten ihrer r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e n Thätigkeit. Daher darf man auch von unserer eigenen Seele ganz wohl sagen, dass sie in ihrem Denken sich zwar ganz in der Zeit wisse, dagegen nur von ihrer körperlich-sinnlichen Seite sich auch zugleich im Raum f ü h l e und e m p f i n d e . Mit einem jeden Blick in die uns umgebende Weite schauen wir die Dinge um uns her in ihrem räumlichen Z u g l e i c h - und N e b e n e i n a n d e r s e y n : bei jedem Gedanken aber, der unser Haupt durchzuckt, blicken wir in das zeitliche Nacheinanderseyn sowohl unserer geistigen Vorstellungen wie des steten Wechsels unserer inneren Wesenszustände und unseres damit verbundenen ebenso wechselnden Gemüths- und Empfindungslebens, und zwar nach dessen gesammter Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. So wie wir demnach von einem unausgesetzt an dem jeweiligen Bestand der gegebenen zeitlichen Verhältnisse nagenden Z a h n der Z e i t und von einem in und ausser uns ununterbrochenen Strom der Z e i t sprechen dürfen: ganz mit gleichem Rechte auch von einem G e i s t der Zeit.

Raum und Zeit in Bezug auf die Gesammtheit alles Naturdaseyns.

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Weist der „Zahn der Zeit" uns zurück auf das Gebiet des s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n Daseyns und der „Strom der Zeit" auf dasjenige des s e e l i s c h - l e b e n s v o l l e n Daseynsgebietes: so führt der „Geist der Zeit" oder der sogenannte Z e i t g e i s t uns ein in das Gebiet des eigentlichen seelisch-geistigen Lebens dieser Welt. Und eben dieser jedesmalige G e i s t d e r Z e i t , dieser im Grossen und Ganzen vorherrschende allgemeine Zeitgeist im Menschenleben, mit seinen mannigfachen und oft einander so entgegengesetzten G e i s t e s r i c h t u n g e n und G e i s t e s s t r ö m u n g e n (KRAUSE, Vorl. S. 104), ist es denn auch, welcher für die Geschichte der Menschheit so recht eigentlich als die begriffliche Maassbestimmung zu gelten hat für alle jene, bald mehr bald weniger tief und bedeutsam, im guten wie im schlimmen Sinn, in die Geschicke der Menschheit eingreifenden und einschneidenden besonderen einzelnen Zeiträume und sonstigen willkührlichen Zeiteintheilungen, von denen wir soeben gesprochen haben. Die wissenschaftliche Geschichtsforschung pflegt derartige zeitgeschichtliche Unterscheidungen zu machen und soweit als thunlich in bestimmte Abgränzungen einzuschliessen, um sich in dem sonst unübersehbaren Strudel vorübergehender Zeitereignisse wenigstens einigermassen geistig zurechtzufinden. So sehr jedoch alle derartigen von der Geschichtsforschung aufgestellten besonderen geschichtlichen Zeitabschnitte und Zeiteintheilungen im Grossen und Ganzen in Bezug auf deren maassgebendes Zeitgepräge sich von einander unterscheiden mögen: so dürfen wir doch nie ausser Acht lassen, dass alle derartigen neuen Zeitrichtungen im allgemeinen Verlauf der Weltgeschichte doch niemals plötzlich und gleichsam wie mit Einem Schlage sich für uns bemerklich machen. Im Gegentheil werden sich dieselben, dem stetigen Verlauf aller Zeitverhältnisse entsprechend, im allgemeinen Wechselverkehr alles Vorhandenen meist schon von Langem und Weitem her erst langsam und allmählig vorbereiten und werden unterdessen, oft für längere Zeiten, nach aussen hin

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Kaum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

noch völlig unbemerkt und unbeachtet bleiben. Ist aber endlich in ihrem verborgenen Entwicklungsgang der richtige Zeitpunkt gekommen: dann sehen wir alle diese im Stillen bereits längst vorbereiteten neuen Verhältnisse auch nach aussen hin als erste Morgendämmerung einer heranbrechenden „ n e u e n Z e i t " sich mehr und mehr offenbaren. Aber eben hieraus ersehen wir auch, wie unmöglich es selbst für die Geschichtsforschung ist, für alle derartigen von ihr aufgestellten besonderen Zeitabschnitte auch nur einigermassen genaue und zuverlässige Anfangs- und Endpunkte aufzustellen. Alle derartigen Zeiteintheilungen tragen daher auch immerhin mehr oder weniger ein Gepräge des Willkührlichen an sich, demgemäss man als allgemein gültige Thatsache den Satz aufstellen darf, dass während desselben Zeitverlaufes, während dessen eine solche besondere Zeitrichtung ihrem Abschluss entgegengeht, auch bereits der erste Grund sich unbemerkt gelegt hat für ein neues und nächstfolgendes Zeitgepräge von einer vielleicht ganz anderen Geistesrichtung als derjenigen, durch welche die jetzt zu Ende gehende geschichtliche Zeit von allen ihr vorangegangenen bedeutsamen Zeit- und Geistesströmungen sich unterschieden hat. Und so gilt auch hier der allbekannte Satz, dass „andere Zeiten" auch stets „andere Sitten" in ihrem Gefolge haben. Das Eine gilt unmittelbar mit dem Anderen und findet seine Bestätigung sowohl in der allgemeinen Entwickelungsgeschichte unserer Erde wie in der der gesammten Menschheit. Und somit ergibt sich demnach auch von dieser Seite her, in welch' nahen Beziehungen, sowohl in begrifflicher wie in naturgemässer Bedeutung, die Geisterweit als Schlusspunkt der gesammten Naturentwickelung auch schon mit dem ersten und untersten Daseynsgebiete der Natur, der allgemeinen Stoff- und Körperwelt, als dem ersten und allgemeinsten Ur- und Ausgangspunkt für die gesammte einheitliche Naturentwickelung, allewege sich befindet. Wie wir von W i n d - oder L u f t -

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen. 9 1

S t r ö m u n g e n sprechen: so auch von G e i s t e s s t r ö m u n g e n , wobei als verbindendes Mittelglied zwischen beiden die Z e i t s t r ö m u n g e n sich darstellen; wie von einem „ W e h e n des W i n d e s " : so auch von einem , , W e h e n des G e i s t e s " , und auch hier ist das „ W e h e n der Z e i t " deren verbindende Mitte. Und als die dritten im Bunde haben wir die W i n d r i c h t u n g e n , die Z e i t r i c h t u n g e n und die G e i s t e s r i c h t u n g e n . „Was in dem Augenblick (Moment) das Streben ist" — sagt Leibnitz — „das ist in der Zeit die B e w e g u n g des K ö r p e r s . Hier öffnet sich eine Pforte für den, der vordringen will zur wahrhaften Unterscheidung von G e i s t und K ö r p e r . Jeder Körper ist nehmlich ein augenblicklich der Erinnerung entbehrender G e i s t " (LFIBNITZ, Ed. PERTZ S. 6 9 ) . — Und in ähnlichem Sinn sagt Schölling: „Die N a t u r soll der s i c h t b a r e G e i s t , der G e i s t die u n s i c h t b a r e N a t u r seyn" (SCHELLING II. S. 56). — Z e i t l i c h s e y n und G e i s t i g s e y n bilden demnach allewege ebenso zusammengehörige Begriffe wie R ä u m l i c h s e y n und K ö r p e r l i c h s e y n . Wenn SCHELLING an der eben angeführten Stelle die Natur als sichtbaren Geist bezeichnet: so ist es recht eigentlich deren z e i t l i c h e Wirkungs- und Erscheinungsweise, welche er dabei im Auge hatte, da gerade in dieser die g e i s t i g e S e i t e ihres Wesens sich am entschiedensten ausspricht.

§. 23. Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen. N o . 131. Sie räumliche und zeitliche Endlichkeit aller innerhalb des gesammten Weltganzen befindlichen natürlichen Einzelwesen. Wir sind bereits zu verschiedenen Malen in dem Fall gewesen, auf gewisse sowohl begriffliche wie natürliche Gegensätze hinzuweisen, welche sich wechselseitig fördern und hervor-

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Kaum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Dascyns.

rufen, und eben dadurch denn auch auf eine entsprechende begriffliche V e r w a n d t s c h a f t hinweisen. Sie sind gewissermassen jenen natürlichen Gegensätzen zu vergleichen, wie sie bei magnetischen und elektrischen Erscheinungen uns entgegentreten: wird der eine Pol erregt, so wird gleichzeitig auch der andere Pol mit erregt. Ganz Ähnliches ist der Fall bei den beiden Begriffen, welche wir nunmehr im Auge haben, nehmlich den begrifflichen Gegensätzen von „ e n d l i c h " und „ u n e n d l i c h " . Beide Begriffe erregen sich ebenfalls wechselseitig in unserem Geist. Denken wir ein „Endliches," so regt sich unwillkürlich in uns der Gedanke an eine U n e n d l i c h k e i t , wenn er auch nicht immer in der gleichen Stärke und Bestimmtheit wie jener uns entgegentritt. Im gemeinen Leben pflegen wir als e n d l i c h alles dasjenige zu bezeichnen, woran wir entweder mit unseren leiblichen Sinneswerkzeugen irgend einen bestimmten A n f a n g und ein ebenso bestimmtes E n d e wahrzunehmen im Stande sind, oder wo wir aus irgendwelchen Vernunftgründen uns genöthigt sehen, solche als bestimmt vorhanden geistig anzuerkennen, wenn auch die sinnliche Wahrnehmung solches zu erweisen nicht im Stande ist. A n f a n g und E n d e bezeichnen uns somit die bestimmten und in diesem Sinn feststehenden Punkte, also gewissermassen die beiden natürlichen Pole, zwischen denen alles als e n d l i c h Erkannte i s t oder g e s c h i e h t , und über welche hinaus keine natürliche oder begriffliche Endlichkeit sich noch weiter zu erstrecken im Stande ist. So ist z. B. eine jede Strasse einer Stadt stets eine endliche, weil sie an irgend einem ganz bestimmten Ort innerhalb dieser Stadt ihren Anfang nimmt, und an irgend einem anderen Ort in derselben Stadt ihr Ende erreicht. Und ebenso bezeichnen wir auch die Bewegung einer jeden Uhr als eine endliche, weil sie erst mit dem Aufziehen der Uhrfeder beginnt und mit dem Ablaufen derselben ihr ganz bestimmtes Ende findet. Ganz dasselbe gilt auch von der natürlichen Entwickelung einer jeden Pflanze, eines jeden Thieres. Denn in der ersten Bildung ihres natürlichen Keimes dürfen

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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wir naturgemäss auch ihren ersten zeitlichen A n f a n g erblicken: in ihrem schliesslichen Absterben aber deren ganz bestimmtes zeitliches E n d e . S e n g l e r sagt: „Schon PLATON und ARISTOTELES sagten: das W e r d e n ist des W e s e n s wegen. Dieses muss einmal w i r k l i c h w e r d e n , sonst wäre das Werden ohne Zweck, ohne feste Richtung. Hat aber das Werden d u r c h d a s w e r d e n d e W e s e n seinen ganz bestimmten A n f a n g s p u n k t (terminus a quo), sein ganz bestimmtes W o d u r c h (per quem) und seinen ganz bestimmten Endpunkt (ad quem): so ist es durch dieses b e g r ä n z t " (SENGLER, Idee Gottes II 11 - S. 392), d. h. es kann ihm nur ein zeitlich- endliches Maass der Entwickelung naturgemäss zukommen." In ganz ähnlicher Weise spricht auch K. P. Fischer sich aus, indem er noch hinzufügt, dass es aus dem „Begriff einer gesetzmässigen Entwickelung und eines wohlgeordneten (systematischen) Ganzen folge, dass die Z e i t , welche von LEIBNITZ als die Ordnung des nacheinander Bälgenden bezeichnet wird, von einem bestimmten Anfang aus b e g i n n t , durch bestimmte Entwickelungszeiten (Perioden) f o r t s c h r e i t e t , und zu einem bestimmten Ziel oder Zweck sich v o l l e n d e t " (K. P. FISCHEK, Philos. d. Natur. S. 204). — Daher werden denn auch von Hettinger alle weltlichen Dinge überhaupt als z e i t l i c h - e n d l i c h e bezeichnet (HETTINGER, Apol. I. S. 202.) — Denn das E n d e in seiner wahren zeitlichen Bedeutung zeigt ja nichts anderes an, als die v o l l e E n t w i c k e l u n g und A u s g e s t a l t u n g des A n f a n g s , und damit die wirkliche Erreichung und Verwirklichung des in dem Anfang bereits mitgesetzten und vorgezeichneten besonderen Zieles und Zweckes. Dagegen würden wir folgerichtig alles dasjenige als u n e n d l i c h zu bezeichnen haben, dem in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung aller wirkliche A n f a n g und alles wirkliche E n d e aus Vernunftgründen ein für allemal völlig a b g e s p r o c h e n werden müsste. Wir haben bereits bei früheren Gelegenheiten mehrfach erkannt, dass alles natürlich in sich selber selbstständige Daseyn auf der innerlichen Wirksamkeit einer in sich einheitlichen Ur-

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

and Grundkraft beruht, welche durch eben diese ihre unmittelbare Wirksamkeit das natürliche Daseyn und Wesen der betreffenden Dinge ununterbrochen bewirkt und hervorbringt. Der körperliche U m f a n g und die räumliche G r ö s s e , sowie der zeitliche B e s t a n d alles in dieser Welt "Vorhandenen gründen ausnahmslos auf eben diesen Verhältnissen. Eine thatsächliche K r a f t w i r k s a m k e i t aber vermögen wir uns geistig kaum anders zu vergegenwärtigen denn als einen thatsächlichen innerlichen N a t u r d r a n g zur thatsächlichen Verwirklichung jenes innersten geistigen Grundbegriffes der Dinge, welchen wir bereits mehrfach als die letzte uns zugängliche Grundlage alles natürlichen Daseyns haben anerkennen müssen. Eben dieser geistige Grundbegriff schliesst aber auch das natürliche K r a f t m a a s s in sich, welches der diesen Grundbegriff verwirklichenden lebendigen Kraft von Uranfang an zu Gebot steht, und jener natürlichinnerliche Verwirklichungsdrang vermag demnach seine Wirksamkeit auch nur in soweit zur Geltung zu bringen, als ihm solches durch dieses sein eigenes innerstes Kraftmaass verstattet ist. Nur bis h i e r h e r und n i c h t w e i t e r vermag eine jede derartige Kraftwirksamkeit sich zu erstrecken: ein jedes etwaige D a r ü b e r h i n a u s g e h e n müsste, den angegebenen Grundverhältnissen entsprechend, sofort als natürliche Unmöglichkeit sich erweisen. Daher sagt auch Hegel: „Die E n d l i c h k e i t besteht darin, dass etwas eine G r ä n z e hat, d. h. dass hier sein Nichtseyn gesetzt ist, oder dass es hier a u f h ö r t " (HEGEL XVIII. S. 20). — Ebenso sagt Schölling: „Alles, was in den R a u m gedacht wird, ist e n d l i c h " (SCHELLING VII. S. 230. — Desgleichen Lamennais: „Alles ist e n d l i c h in einem endlichen Wesen: es kann dieser wesentlichen und ersten Bedingung seines Daseyns (Existenz) nicht entgehen" (LAMENNAIS, Phil. I . S. 13). — Ein an sich e n d l i c h e s und b e s c h r ä n k t e s K r a f t m a a s s kann demnach auch allewege nur ein ebenso e n d l i c h e s u n d b e s c h r ä n k t e s D a s e y n aus sich hervorgehen lassen. Wäre ein solches ursprüngliches Kraftmaass aber ein an sich

Die räum liehe und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen. 9 5

u n e n d l i c h e s und u n b e s c h r ä n k t e s : so würde es nothwendig auch ein in sich u n e n d l i c h e s und u n b e s c h r ä n k t e s Daseyn zu bewirken vermögen. Eine jede Abweichung hiervon, wie wir uns solche auch denken möchten, müsste als eine natürliche wie begriffliche Unmöglichkeit sich darstellen. Aus allen diesen Thatsachen geht nun aber weiter ebenso unzweifelhaft hervor, dass alles natürliche Daseyn, sobald es in E i n e r B e z i e h u n g Vernunft- oder erfahrungsgemäss als endlich, b e s c h r ä n k t und b e g r ä n z t sich erweist oder darstellt, mit ganz derselben und gleichen Vernunft- oder Naturnotwendigkeit auch in a l l e n a n d e r e n B e z i e h u n g e n als ganz ebenso endlich, beschränkt und begränzt sich erweisen muss. Mit anderen Worten: dass alles, was nach seinen r ä u m l i c h e n Verhältnissen e n d l i c h und b e s c h r ä n k t ist, auch ganz ebenso endlich und b e s c h r ä n k t seyn muss in Bezug auf seine z e i t l i c h e n Verhältnisse. Und ebenso umgekehrt: was in r ä u m l i c h e r Beziehung als u n e n d l i c h dem Auge des Geistes sich darstellte, würde auch in z e i t l i c h e r Beziehung als ebenfalls u n e n d l i c h von uns betrachtet werden müssen. Aber ebenso würde es auch für uns als eine U n m ö g l i c h k e i t zu betrachten seyn, dass einer K r a f t , welche hinsichtlich ihrer r ä u m l i c h e n oder r a u m b i l d e n d e n Wirksamkeit allewege als eine in sich e n d l i c h e sich darstellt, in Bezug auf deren z e i t l i c h e s Wirken und Walten jemals eine u n e n d l i c h e W i r k s a m k e i t sollte zukommen können. Und ebenso umgekehrt. Denn beides würde für unsere geistige Anschauung entweder eine e n d l i c h e U n e n d l i c h k e i t oder eine u n e n d l i c h - e n d l i c h e W i r k s a m k e i t darstellen, welches beides aber ein W i d e r s p r u c h in sich selbst seyn würde. Denn Raum und Zeit laufen nicht wie zwei völlig von einander getrennte und also auch in keiner weiteren Beziehung zu einander stehende Daseynsweisen neben einander her, so dass man etwa sagen könnte: „Hier ist blosser Raum" und „da blosse Zeit"; im Gegentheil sind beide in allem natürlichen Daseyn so unzertrennlich mit einander verbunden, dass Keines von beiden sich

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

von dem Anderen irgendwie loszumachen und für sich allein zu bestehen im Stande ist. Sie sind unzertrennlich aus Einer und derselben in sich e i n h e i t l i c h e n G r u n d k r a f t entsprungen und alles, was dieser gemeinsamen Grundwurzel entstammt, niuss unter allen sonstigen Umständen und Verhältnissen auch das natürliche Gepräge der gemeinsamen Mutter in und an sich tragen: ist diese e n d l i c h , so muss auch jene als ebenso e n d l i c h sich erweisen. Schon Heraklit und seine Nachfolger stellten denSatz auf, dass „die W e s e n h e i t d e r Z e i t k ö r p e r lich sey;" daher sie auch die Z e i t geradezu einen K ö r p e r nannten (LASSALLE, Heracleitos I. S. 358. 360. II. S. 121). — Es ist dies ein Ausspruch, welcher bei der bilderreichen Ausdrucksweise HEKAKLIT'S kaum anders darf verstanden werden, als dass er durch diese den räumlichen Verhältnissen entnommene Bezeichnung „Körper", nicht allein die untrennbare innerliche Verwandtschaft des Raum und Zeitbegriffes andeute, sondern gleichzeitig damit auch eine ganz bestimmte E n d l i c h k e i t und B e s c h r ä n k t h e i t wie des R a u m e s so auch der Z e i t zu geistiger Anschauung bringe. Auch Aristoteles sagt in Bezug auf eben diese Verhältnisse: „Weder kann U n b e g r ä n z tes das U n b e g r ä n z t e in einer b e g r ä n z t e n Z e i t durchlaufen, noch in u n b e g r ä n z t e r Z e i t das B e g r ä n z t e ; sondern sowohl wenn die Z e i t u n b e g r ä n z t ist, wird die G r ö s s e (d. i. die natürliche Ausbreitung im Raum) unbegränzt seyn, und wenn die G r ö s s e unbegränzt ist, so ist es auch die Zeit." Und an einem andern Orte: „dass das B e g r ä n z t e unmöglich eine u n b e g r ä n z t e K r a f t haben könne, und dass es daher unm ö g l i c h sey, dass ein b e g r ä n z t e s Etwas eine u n b e g r ä n z t e Z e i t hindurch bewegt werde" (ARISTOTELES, Phys. S. 289. 469). — In ähnlichem Sinn sagt Locke: „Ich möchte gerne den denkenden Menschen finden, der in seinen Gedanken dem R a u m m e h r G r ä n z e n als d e r Z e i t setzen kann" (LOCKE S. 294). — „Die Zeit" — sagt Schölling — „wird nur durch den R a u m , der R a u m nur durch die Z e i t endlich. Eins

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen. 97

wird durch das Andere endlich, heisst aber: Eins wird durch das Andere b e s t i m m t und g e m e s s e n " (SCHELLING III. S. 468). — Und ebenso sagt Oken: „Es gibt kein e n d l o s e s D i n g und noch weniger ein ewiges. Alle zeitlichen Dinge sind auch im Raum und b e g r ä n z t . Ein g r ä n z e n l o s e s , durch den ganzen Raum ausgedehntes Ding ist ein Unsinn" (OKEN, Naturphil. S. 17. 23). — So sagt auch L a m e n n a i s : „Alles, was in dem R a u m begränzt ist, ist auch in der Zeit begränzt: hieraus entspringt die Nothwendigkeit eines E n d e s " (LAMENNAIS , Philos. I. S. 337. II. S. 24. 51). — Und endlich sagt B ö h n e r : „Sowohl der raumerfüllende Stoff (Materie) wie die Gestalt und Wesen gebende (d. i. formbildende) K r a f t ist auf ein ganz bestimmtes G r ö s s e n m a a s s und auf eine ganz bestimmte Z e i t d a u e r ihrer Gestaltungen beschränkt, also endl i c h " (BÖHNER, Naturf. und Kulturleben. S. 227). — Aus allem hier Dargelegten ergibt sich folgerichtig, dass eine jede Kraftwirksamkeit, mag sie so gross oder so gering seyn als sie wolle, sobald sie einmal wirklich einen A n f a n g genommen hat, von eben diesem Augenblick an auch ihrem Ende, d. h. ihrem einstigen Wiedererlöschen mit innerer Naturnothwendigkeit unausgesetzt entgegengeht. Und zwar muss dies, ähnlich wie in räumlicher Beziehung, so ganz namentlich auch in zeitlicher Beziehung seine volle Geltung behaupten: es kann von keiner Art von Ausnahme hier die Rede seyn, auch nicht von der allergeringsten; denn es würde dies dem allgemeinen Begriff von Endlichkeit und von Endlichem geradezu widerstreiten. Daher ist es aber auch völlig undenkbar, dass irgend eine in einem bestimmten Zeitpunkt b e g i n n e n d e Kraftwirksamkeit jemals eine an sich unendl i c h e W i r k u n g oder irgend eine Art von u n e n d l i c h e r Bew e g u n g zu ihrer natürlichen Folge sollte haben können. Zwar hat man, in Folge einer missverständlichen Auffassung des Begriffes und des Wesens des natürlichen B e h a r r u n g s v e r m ö g e n s der Dinge, vielfach der Ansicht Raiim gegeben, als Wandersraann. III.

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

ob eine in einem v ö l l i g l e e r e n R a u m abgeschossene Kugel o h n e a l l e s u n d j e d e s A u f h ö r e n , also in einer v ö l l i g e n d l o s e n W e i s e ihre einmal begonnene Bahn fortsetzen müsse. Der Grund, welchen man hierfür anführt, ist der, dass man sagt, in einem völlig leeren Raum könne nichts vorhanden seyn, was einer ungehinderten Fortsetzung der ursprünglichen Bewegung irgend einen Widerstand entgegenzusetzen und dadurch die Kugel von der einmal erhaltenen Richtung irgendwie abzulenken im Stande wäre. So sagt in diesem Sinn z. B. WilmarShof: „Einige alte Denker (Philosophen) meinten, dass alles, was begonnen habe, auch einmal enden müsse. Dies ist jedoch ein f a l s c h e r S c h l u s s ; denn eine einmal begonnene Thätigkeit (oder Bewegung) kann ewig f o r t d a u e r n , wie ja auch eine Linie von einem Punkte aus i n s U n e n d l i c h e gezogen werden kann" ( WILMABSHOF , Jenseits III. S. 114). — In einem verwandten Sinn spricht auch Leibnitz die Ansicht aus, dass „die Kraft eines Körpers n i c h t v e r m i n d e r t werden (und also auch nicht abnehmen) könne, ausser in dem Maasse, in welchem er davon an anstossende Körper

abgibt"

(LEIBNITZ,

E d . PEUTZ.

S. 170).



Diese hier angeführten Anschauungen lassen jedoch eine Möglichkeit ausser Acht, welche für die Frage, um die es sich dabei handelt, nicht ohne Wichtigkeit ist. Jede an sich endliche Kraft kann nehmlich nur als an ein g a n z b e s t i m m t e s K r a f t m a a s s gebunden von uns gedacht werden: sollte es daher nicht als möglich erscheinen, dass eine solche in sich schon e n d l i c h e K r a f t dieses ihr zugemessene beschränkte Kraftmaass durch einen fortwährenden, wenn auch noch so langsamen i n n e r e n V e r b r a u c h allmählich in sich selber mehr und mehr v e r z e h r e , bis endlich ein Zeitpunkt eintritt, an welchem derselbe als v ö l l i g e r l o s c h e n zu betrachten seyn würde? Jene Behauptung in Betreff einer im leeren Raum abgeschossenen Kugel beruht auf einer blossen V e r m u t h u n g , welche durch keine anzustellenden Versuche jemals in irgend einer Weise erwiesen werden

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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kann: wie könnte es also ungerechtfertigt erscheinen, einer an sich unbeweisbaren und nach unserer Uberzeugung unrichtigen Ansicht eine andere gegenüber zu stellen, welche wenigstens in begrifflicher Beziehung gar manches, wie es uns scheint, für sich haben dürfte? Es verhält sich nehmlich hinsichtlich der im leeren Raum abzuschiessenden Kugel in gewissem Sinn ganz ähnlich wie mit jener Behauptung, dass im luftleeren Raum alle Körper, gleichviel wie schwer oder wie leicht sie seyn mögen, mit völlig gleicher Geschwindigkeit zu Boden fallen müssten: eine Behauptung, auf deren Unhaltbarkeit wir bereits an einem früheren Orte aufmerksam gemacht haben. Was nun aber im Besonderen noch den von Wilmarshof als Beispiel für die Richtigkeit seiner Ansicht ins Feld gestellten Satz betrifft, dass auch eine Linie von einem bestimmten Punkt aus ins Unendliche gezogen werden könne: so kann hierin für eben jene Behauptung, welcher sie zur Stütze dienen soll, auch nicht die allergeringste Beweiskraft liegen. Punkte und Linien' bezeichnen an sich nichts Anderes als Gränzen an wirklich vorhandenen und folglich an sich endlichen Dingen. Nur in diesem Sinn kann ihnen also auch eine Bedeutung zuerkannt werden. Für sich allein und ohne diese natürlichen Dinge in das Auge gefasst, sind sie das reine Nichts, mit dem wir in unserer Einbildung freilich schalten und walten mögen nach Belieben, ohne dass jedoch darin auch nur die geringste Bürgschaft dafür zu liegen braucht, dass in der uns umgebenden wirklichen Natur auch alles dies sich genau so verhalten müsse, wie wir uns solches ausgemalt hatten. ' Für die Frage daher, ob einer an sich endlichen Kraft jemals unter Umständen eine an sich unendliche Wirksamkeit irgendwie sollte zukommen können, vermag die angeführte Darlegung nicht den geringsten, auch nur einigermassen gerechtfertigten Anlass zu bieten. Was wir im gewöhnlichen Leben „eine Linie ziehen" nennen, das ist weiter nichts als eine thatsächliche Aneinanderreihung von uns 7*

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyna.

unbekannt wie vielen wirklichen Körpertheilchen, welche von dem Stifte, mit dem wir die betreffende Linie ziehen, auf der Oberfläche des Gegenstandes sich abreiben, auf welche dieselbe liingezeichnet werden soll. Die Länge oder Ausdehnung dieser sogenannten Linie wird dabei nothwendig abhängig seyn von dem Maass der K r a f t , welches demjenigen zukommt, der die in Rede stehende Arbeit des Ziehens übernommen hat. Ist das Gesammtmaass dieser Kraft — und rechnen wir dazu die Gesammtkräfte der ganzen Menschheit — ein e n d l i c h e s : so kann auch die zu ziehende Linie nie und n i m m e r m e h r zu einer e n d l o s e n Ausdehnung anwachsen. Sollte es dagegen wirklich irgendwelche Kraft geben, von der wir anzunehmen berechtigt seyn könnten, dass ihr wirklich ein an und in sich u n e n d l i c h e s Kraftmaass innewohne oder irgendwie zu Grunde liege: dann würden wir allerdings genöthigt seyn, derselben auch die Möglichkeit einer u n e n d l i c h e n W i r k s a m k e i t zuzuerkennen. Das aus dieser unendlichen Wirksamkeit hervorgehende Gesammtergebniss müsste dann nothwendig eine ebenfalls unendliche Wirkung — für unsern gegenwärtigen Fall also eine unendliche Linie — darstellen. Solange aber das wirkliche Vorhandenseyn oder die innere Nothwendigkeit einer derartigen unendlichen Kraft n i c h t v o l l g ü l t i g nachgewiesen ist, und solange auch niemand behaupten kann, dass eine solche selbst der Gesammtheit aller Erdenbewohner jemals zukommen könne: solange hat es auch mit jener vermeintlich bis ins Endlose zu ziehende Linie seine guten Wege. Denn die allererste und allernothwendigste Grundlage zur Begründung und Verwirklichung eines in sich Unendlichen oder in sich Endlosen, nehmlich die dazu erforderliche unendliche Kraft, würde von vorneherein fehlen. Kann nun aber keinem an sich e n d l i c h e n Daseyn — wie solches den natürlichen Einzeldingen dieser Welt jedenfalls muss zuerkannt werden — weder eine in sich unendliche Kraft innewohnen, noch das ihm innewohnende endliche Kraftmaass jemals eine u n e n d l i c h e W i r k -

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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samkeit aus sich hervorgehen lassen: so geht als natürliche Folge unmittelbar hieraus hervor, dass alles natürliche Dasey.n und Wesen dieser Welt wie in räumlicher so auch in z e i t l i c h e r Beziehung allewege nur als ein in sich wesenhaft Beschränktes und äusserlich B e g r ä n z t e s dem Auge des Geistes sich darzustellen im Stande ist.

Oder mit anderen Worten:

als ein Daseyn, das, sowohl nach den Begriffen des Raumes wie der Zeit, stets nur als von den beiden

G r ä n z e n oder

Gegenpolen eines ganz bestimmten natürlichen A n f a n g e s und eines ebenso bestimmten natürlichen Endes umschlossen von uns kann gedacht werden. wir also sagen,

Jeder natürliche A n f a n g , dürfen

trägt unmittelbar und von vornherein auch

schon den natürlichen K e i m Und

eines einstigen Endes in sich.

zwischen diesen beiden Gränzpolen vollzieht sich denn

auch in ununterbrochen-stetiger Weise der gesammte Verlauf eben jener innerlich-äusserlichen Wesensentwickelung, welchem alles Wesen dieser Welt, wie wir gesehen, sich ausnahmslos unterworfen

zeigt.

Sollten

wir

nun aber, nach allem Bis-

herigen, uns nicht für berechtigt halten dürfen, gerade in diesen natürlichen Entwickelungsverhältnissen, Anfang

von denen vom ersten

des Daseyns bis zu dessen Ende das ganze innere

Wesen der Dinge sich fortdauernd i n n e r l i c h erregt

zeigt,

nunmehr

auch

den

e r g r i f f e n und

eigentlichen

und wahren

Grund zu erblicken für eben jenen, wenn auch nur langsam und allmählich, so doch unausgesetzt sich vollziehenden natürlichen

Verbrauch

von e i g e n e r

innerer

Daseynskraft,

dadurch alle Dinge und Wesen dieser Welt nothwendig mit der Zeit

auch

Verlöschen

schliesslich

mehr

und V e r z e h r t s e y n

und

mehr

eben jenes

einem

völligen

ursprünglichen

Kraftmaasses entgegen gehen müssen, auf dessen Wirksamkeit in

allererster

Grösse dauer

Linie

zugleich

mit

der

räumlich-körperlichen

der einzelnen Dinge auch deren zeitliche sich gegründet zeigt?

Daher sagt auch

WesensSchölling

ganz in diesem Sinn und gewiss auch mit vollem Recht:

„Ein

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

W e r d e n (und also auch eine jede Wesensentwickelung) lässt sich nicht denken als unter der Bedingung einer ßegränzung. Die Bedingung alles Werdens ist also die B e g r ä n z u n g oder die S c h r a n k e " (SCHELLING III. S . 3 8 3 ) . — Alles Wesen dieser Welt trägt somit in seiner eigenen Selbstentwickelung auch zugleich den natürlichen Stempel seiner Endlichkeit allezeit in und an sich selber ein- und aufgeprägt. Nichts macht davon eine Ausnahme. Schon Epikur stellte den Satz auf, dass bei dem Begränzten kein Ü b e r g a n g anzunehmen sey in das U n b e g r ä n z t e und zwar von der einen Seite weder in das unbegränzt Unendliche, wie nach der anderen Seite auch nicht in das „(unbegränzt) Kleinste" (DIOGENES L A E E T I U S II. S. 2 6 0 ) . — Und in ähnlicher Bedeutung sagt auch Aristoteles, „dass nichts E n d l i c h e s (als auf einem beschränkten Kraftmaass beruhend) ins U n b e s c h r ä n k t e bewegt werden kann." Ausserdem weist ARISTÓTELES auch darauf hin, dass P L A T O die Zeit n i c h t für anfangslos betrachte, sondern dass er lehre, sie sey e n t s t a n d e n und zwar zugleich mit dem Himmelsgebäude, von dem er ebenfalls sage, dass es entstanden sey. Und mit eben diesen Aussprüchen P L A T O ' S erscheint es auch ganz übereinstimmend, wenn ARISTOTELES an einem anderen Orte sich dahin ausspricht, dass „die Zeit an und für sich mehr U r s a c h e des V e r g e h e n s als des Entstehens" sey, da alles „ E n t s t a n d e n e nothwendig auch ein E n d e nehme" (ABISTOTELES, Phys. S. 1 1 9 . 3 2 2 . 3 3 9 . 383.

387.

PLATO [ E d . MÜLLEB] V I . S . 1 4 6 .

1 5 6 [TIMAEOS]).



Auch Philo spricht in dieser Beziehung in gleichem Sinn wie ABISTOTELES sich aus ( G E E Ö R E E , P H I L O I. S. 1 9 7 ) . Und ebenso Thomas von Aquilio, wenn er sagt, dass „alles, was a n f ä n g t , ein M a a s s seiner D a u e r habe" ( W E E N E R , T H O M . V. A Q . I. S. 385). — Desgleichen Jacob Böhme: „Was aus der Zeit" — sagt er — „seinen A n f a n g hat, das v e r g e h t auch mit der Zeit." Und an einem anderen Ort: „Ein Ding, was aus einem Anfang w ä c h s t , hat A n f a n g und E n d e , und wächst n i c h t

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen. 1 0 3

h ö h e r , als das Ding in seiner Z a h l hat, daraus es gewachsen ist" (JAC. BÖHME X . S. 1 3 3 [2 Schutzschrift, gg. TILKEN]). — Ebenso sagt Herbart, dass die Vorstellung des Z e i t l i c h e n mit der des R ä u m l i c h e n darin übereinstimmt, dass b e i d e eingeschlossen sind zwischen ihrem A n f a n g s - und E n d p u n k t . Beide gehören g l e i c h w e s e n t l i c h zur Auffassung des Z e i t l i c h e n " (HEBBABT VI. S. 142). — „Alles, was e n d l i c h ist" — sagt Kant — „d. h. was einen A n f a n g und einen U r s p r u n g hat, hat das Merkmal seiner e i n g e s c h r ä n k t e n N a t u r in sich: es m u s s v e r g e h e n und ein E n d e haben" (KANT VIII. S. 3 2 7 ) . — Und wenn Krause sagt, dass „jede Erfahrung in e i n e bes t i m m t e Z e i t falle und darum auch ihren A n f a n g und ihr E n d e habe" (KRAUSE, Vorl. S. 63): so enthält auch dieser Ausspruch den gleichen Grundgedanken. Eben diese Ergebnisse unserer gegenwärtigen Untersuchung, nehmlich einmal, dass alles, was in r ä u m l i c h e r B e z i e h u n g e n d l i c h ist, auch ebenso e n d l i c h seyn muss in z e i t l i c h e r B e z i e h u n g , sowie anderseits dass alles, was räumlich wie zeitlich einen wirklichen A n f a n g genommen hat, auch nothwendig irgend einmal ein räumliches wie zeitliches E n d e finden muss: dies alles muss uns einen wohl zu beachtenden Schlüssel zu einem allseitig immer richtigeren Verständniss der Natur und aller ihrer besonderen Einzelverhältnisse bieten. Können auch alle jene unzählbaren natürlichen Ur- und Einzeldinge, jene ersten stofflich-körperlichen Ureinheiten der Natur, wie sie in ihrer Gesammtheit die natürlich-wesenhaften Grundlagen für die gesammte Weltordnung bilden, ebensowenig irgendwelche Ausnahme machen, wie auch irgendein sonstiges in dieser Welt vorhandenes Naturdaseyn. Auch sie vermögen dem Auge des Geistes sich nur allein als allseitig e n d l i c h e und allseitig b e s c h r ä n k t e Wesen darzustellen; hieraus folgt nun aber auch unzweideutig, dass sie alle ohne Ausnahme in irgend einer Weise sowohl in r ä u m l i c h e r wie in z e i t l i c h e r B e z i e h u n g i r g e n d w o und i r g e n d w a n n einen ganz bestimmten wesen-

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Kaum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

haften A n f a n g genommen haben und demgemäss also auch irgend einmal in irgend einer Weise einem ebenso bestimmten W e s e n s e n d e entgegensehen müssen. Es gehen diese Thatsachen mit einer so bestimmten Nothwendigkeit aus jenen beiden Sätzen hervor, dass auch nicht der geringste Zweifel hierüber obwalten kann. Aus ihrer für unsere sinnliche Wahrnehmung ganz verschwindenden k ö r p e r l i c h e n K l e i n h e i t geht aber jedenfalls hervor, dass sie in r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e r Beziehung nothwendig als t h a t s ä c h l i c h e n d l i c h e Naturwesen müssen anerkannt werden, und Spinoza bezeichnet daher in dieser Hinsicht mit vollem Recht jedes in sich „Einzelne" als „ein Ding, welches e n d l i c h ist" (SPINOZA III. S. 26. 45. 77. [Ethik]). — Müssen diese in sich einfachsten Dinge aber überhaupt einmal in räumlich-körperlicher Beziehung als von thatsächlich e n d l i c h e r und b e s c h r ä n k t e r N a t u r b e s c h a f f e n h e i t anerkannt werden, so muss, wie bereits früher dargethan (VI. § 21 No. 115 und § 22 No. 121), auch das ganz Gleiche in z e i t l i c h e r Beziehung von ihnen gelten. Denn in beiden Beziehungen auf der einheitlichen Wirksamkeit Einer und derselben natürlichen Wesensgrundkraft beruhend, kann es jedenfalls auch nur Ein- und dasselbe g e m e i n s a m e K r a f t m a a s s seyn, welches als g e m e i n s a m m a s s g e b e n d f ü r b e i d e Bez i e h u n g e n von uns muss anerkannt werden. In n u r E i n e r dieser beiden Beziehungen diese innerlich nothwendige Wesensbeschränktheit a n z u n e h m e n , in der andern aber v e r w e r f e n zu wollen: dies würde unser Denken in die unlöslichsten Widersprüche verwickeln. Und in diesem Sinn ist es daher wohl auch nur allein aufzufassen, wenn S c h e l l i n g es irgend einmal als „eine ausgemachte Sache" bezeichnet, „dass dem Wesen der Dinge k e i n e D a u e r zugeschrieben werden könne" (SCHELLING V. S. 376). — Denn dass einem jeden Ding, wenn es überhaupt einen Bestand haben soll, nothwendig auch irgendwelche zeitliche Dauer zukommen m u s s : dies liegt zusehr in der Natur der Sache, als dass wir auch nur im entferntesten dem Ge-

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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danken Raum geben dürften, SCHELLING habe jenen Ausspruch wollen in buchstäblichem Sinn aufgefasst wissen. Seine Absicht konnte vielmehr nur dahin gegangen seyn, durch denselben anzudeuten, dass k e i n e u n e n d l i c h e D a u e r es seyn kann, welche den betreffenden Dingen zugesprochen werden darf. Und dass dies in der That auch die richtige Auffassung im eigenen Sinne SCHELLING'S sey: dies geht einerseits schon aus der ganzen Betrachtung selbst hervor, auf welche jener Ausspruch sich bezieht, sowie dies anderseits auch mehrfach durch anderweitige Stellen bestätigt wird, an welchen er sich bestimmt für eine bloss e n d l i c h e D a u e r der natürlichen Dinge ausspricht. So sagt er z. B. ausdrücklich, dass ,,im Gebiet des wirklichen Daseyns (des Realen) die E n d l i c h k e i t h e r r s c h e " ; und an einem anderen Orte: „Jedes Ding ist z e i t l i c h . " Dann weiterhin: „Wie von dem denkenden Verstand (der Reflexion) die E n d l i c h k e i t der D i n g e auch dem Wesen (der Substanz) nach darum behauptet wird, weil sie t h e i l b a r und aus T h e i l e n zusammengesetzt seyen: so wird auf dieselbe Weise aus der e n d l i c h e n D a u e r der Dinge auf deren N i c h t e w i g k e i t geschlossen." Und wieder an einem anderen Orte sagt er: „Alle E i n z e l h e i t ist etwas d u r c h a u s E n d l i c h e s " (SCHELLING V. S. 218. VI. S. 45. 274. VII. S. 200). — Ebenso sagt O e r s t e d : „ R a u m und Z e i t sind nothwendige Daseynsweisen (Formen) der E n d l i c h k e i t " (OERSTED, Geist i. d. Natur I. S. 23). — Und in gleichem Sinn sagt S e n g l e r : „Eben desshalb, weil Raum und Zeit nur ihre Bestimmung durch die Wirklichkeit haben: sind sie n i c h t u n b e g r ä n z t und n i c h t s c h r a n k e n l o s , sondern haben ihr M a a s s (und damit auch ihre natürliche Gränze und Schranke) d u r c h die W i r k l i c h k e i t " (SENGLEE, Idee Gottes II11- S. 391 392). —

IOC

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

N o . 132.

Die räumliche Endlichkeit und Beschränktheit des gesammten Weltganzen.

Sind alle natürlichen und in sich selbstständigen Einzeldinge und Einzelwesen dieser Welt als solche, d. h. in ihrer besonderen Einzelheit, ausnahmslos als in sich wesenhaft e n d l i c h e und b e s c h r ä n k t e Daseynsweisen zu betrachten: so geht mit Nothwendigkeit hieraus hervor, dass auch ganz das Gleiche der Fall seyn muss in Bezug auf deren gemeinschaftliche Ges a m m t h e i t , d. h. auf das gemeinsame W e l t g a n z e , die gesammte N a t u r oder unser ganzes einheitliches W e l t a l l . Denn wie von der einen Seite eine jede der unzählbar vielen in dieser Welt vorhandenen körperlichen Massen, wenn wir die ausreichenden Hülfsmittel hierzu besässen, in genau ebenso viele Einzeldinge sich müssten zerlegen lassen, als solche thatsächlich zu deren Bildung sich zusammengefügt haben: so muss von der anderen Seite auch eine jede n o c h w e i t e r gehende Zertheilung derselben in Folge der den natürlichen E i n z e l d i n g e n innewohnenden inneren U n z e r t r e n n b a r k e i t ihres Wesens unbedingt in das Reich des Unmöglichen verwiesen werden. Aber eben hieraus geht dann auch des Weiteren hervor, dass, wie eine jede einzelne körperliche Masse innerhalb unseres Weltalls, so auch die körperliche G e s a m m t m a s s e eben dieses Letzteren ebenfalls nur genau so viele wesenhafte Einzeldinge in sich einschliessen kann, kein einziges mehr und kein einziges weniger, als thatsächlich in der Gesammtmenge aller in unserer Welt vorhandenen Einzelwesen enthalten seyn mögen. Eine jede, wenn für uns auch nur begriffliche und nicht in Wirklichkeit auszuzählende M e n g e oder A n z a h l von einzelnen Dingen oder zählbaren Einheiten, mag sie auch so überwältigend gross seyn als sie wolle, kann aber immerhin für das Auge des Geistes nur allein als eine allewege e n d l i c h e Z a h l sich erweisen. Denn es sagt ja ein schon sehr alter Wahrheitssatz, dass Endliches zu Endlichem hinzugefügt auch

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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stets nur E n d l i c h e s zur Folge habe. Muss also, wie wir solches aus den gewichtigsten Gründen anzuerkennen genöthigt sind, einem jeden einzelnen Grundwesen dieser Welt irgend eine, wenn auch noch so verschwindend kleine körperliche G r ö s s e oder räumliche A u s d e h n u n g zukommen: so geht unausweichlich hieraus hervor, dass auch die G e s a m m t z a h l aller dieser Einzelwesen ebenfalls nur eine r ä u m l i c h - e n d l i c h e und b e s c h r ä n k t e G r ö s s e bilden kann, und dass derselben demnach folgerichtig unter allen Umständen und Verhältnissen auch nur eine ganz bestimmte r ä u m l i c h - e n d l i c h e Ausd e h n u n g beigemessen werden darf. Oder mit anderen Worten: es kann das gesammte W e l t a l l , wie es in seiner unübersehbaren Naturwirklichkeit vor uns dasteht, vernunftgemäss nur allein als ein in räumlicher Beziehung thatsächlich endliches und b e s c h r ä n k t e s G e s a m m t d a s e y n oder einheitliches N a t u r g a n z e s von uns aufgefasst werden. Denn jede Zahl versinnbildlicht uns je nach ihrer besonderen Grösse genau die A n z a h l eben der E i n h e i t e n , deren begrifflich-natürlichen Ausdruck sie darstellt, und welche demnach auch allewege auf das Zutreffendste, d. h. keines mehr und keines weniger, darin enthalten seyn müssen. Von u n e n d l i c h vielen Z a h l e n oder von einer u n e n d l i c h e n oder u n e n d l i c h g r o s s e n Z a h l reden zu wollen, hiesse eine u n e n d l i c h e E n d l i c h k e i t anerkennen, und würde demnach, als einen W i d e r s p r u c h in sich selbst darstellend, schon von vornherein für eine b e g r i f f l i c h e U n m ö g l i c h k e i t zu gelten haben. Denn wie es zum Begriff eines E n d l i c h e n gehört, dass es thatsächlich muss gemessen oder g e z ä h l t werden können: so würde es in dem Begriff eines U n e n d l i c h e n liegen, falls es ein solches gibt, n i e m a l s völlig a u s g e m e s s e n , noch auch, falls es aus einer unendlichen Anzahl von Einzeltheilen zusammengesetz gedacht werden sollte, jemals völlig d u r c h g e z ä h l t zu werden. Wo es einmal im Begriff einer Sache liegt, überhaupt kein E n d e zu haben: da kann selbstverständlich auch von einem that-

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

sächlichen „bis zu Ende gemessen Werden" oder von einem „bis ZU Ende gezählt Werden" in keiner Weise die Rede seyn. An eine Ausnahme hiervon kann vernünftiger Weise auch nicht im allerentferntesten gedacht werden. Denn Billionen mal Billionen von Einheiten, und wenn dieselben in unseren Gedanken auch noch so oft vervielfältigt würden, sind und bleiben in ihrer Weise doch immerdar ganz ebensolche endliche Grössen wie auch die Summe von blos 2, 3 oder 4 solcher Einheiten. „Keine Zahl" — sagt daher J u s t i n u s M a r t y r — „ist unendlich" (TIEDEMANN, Geist der spek. Philos. III. S. 175). — Und somit kann also auch kein in wirklichen Zahlen Ausdrückbares jemals als ein wirklich Unendliches und Gränzenloses betrachtet werden. Bereits bei unseren früheren Untersuchungen über die besonderen einzelnen Eigenthümlichkeiten jener einfachsten und in sich untheilbaren stofflich-körperlichen Grundbestandtheile der Welt, welche die Wissenschaft allgemein als Atome zu bezeichnen pflegt, haben wir ersehen, dass denselben schon in den frühesten Zeiten von Seiten der angesehendsten Denker die K u g e l g e s t a l t , als die Grundform für sämmtliche Grundwesen der noch ungestalteten Natur, ist zuerkannt worden. Ein ganz Gleiches ist nun auch der Fall in Bezug auf die ä u s s e r e G e s t a l t oder äussere U m g r ä n z u n g des grossen einheitlichen W e l t g a n z e n . Die natürliche Berechtigung hierfür liefert uns schon der einfache W a s s e r t r o p f e n . Denn wir dürfen wohl mit guten Gründen annehmen, dass d a s s e l b e N a t u r g e s e t z , welches in der Bildung dieses Letzteren sich ausspricht, auch durchweg durch alle Räume der Natur bis zu deren äusserster Gränze seine natürliche Geltung habe. Und berücksichtigen wir, dass von Seiten der Naturwissenschaft allgemein angenommen wird, dass nicht nur unsere Erde, sondern überhaupt alle Weltkörper ohne Ausnahme aus ursprünglich luftförmigen und nachmals zu wässerigen Flüssigkeiten verdichteten Stoffen durch immer weiter gehende inner-

D i e räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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liehe Wesensverdichtungen hervorgegangen seyen: so dürfen wir ohne Zweifel auch die nahezu k u g e l f ö r m i g e Gestalb unserer Erde und aller übrigen uns bekannten Himmelskörper als einen weiteren Beweis für eine ähnliche k u g e l f ö r m i g e G e s t a l t auch des einheitlichen Weltganzen selbst betrachten. Nach BRANDIS ist diese Lehre von der kugelförmigen Gestalt des Himmelsgebäudes wahrscheinlich auf P y t h a g o r a s zurückzuführen. Jedenfalls bekennen sich dazu wohl die meisten seiner Nachfolger. „ Z u e r s t " — sagt B r a n d i s — „ s o l l im M i t t e l p u n k t der Welt das Centraifeuer und von diesem aus die Welt selbst in der F o r m der K u g e l sich gebildet haben". Es ist diese Anschauung zugleich ganz in Ubereinstimmung mit der weiteren Lehre der Pythagoräer, dass die verschiedenen Wesenheiten der natürlichen Dinge durch gewisse, diesen innewohnende Z a h l e n von Uranfang an bestimmt seyen. Denn indem sie in solcher Weise Zahlen für die inneren Wesensgrundlagen aller natürlichen Dinge erklärten, indem sie diese Dinge selbst aber, dem Begriff der Zahl gemäss, als wirklich e n d l i c h e Dinge anerkennen mussten: so lag es in der Natur der Sache, dass sie auch der Gesammtheit aller dieser Dinge keine an sich endlose Bedeutung konnten beigemessen h a b e n , sondern dass im Gegentheil eine thatsächliche E n d l i c h k e i t auch des gesammten W e l t g a n z e n unumwunden von ihnen ausgesprochen werden musste. Die weitere ausdrückliche Anerkennung auch der Kugelgestalt für dies Letztere, als der noch einfachsten Grundform aller Naturgestaltungen überhaupt, erscheint somit nur als eine unmittelbar aus dem Vorigen sich ergebende ganz natürliche Folgerung (BRANDIS, Gesch. d. griech. Philos. I. S. 162. 181.

BALTZER PYTHAGORAS S . 1 1 2 .

SCHWEGLER S . 8 . 9 .

Geist d. spek. Philos. I . S . 93—120. DIOGENES S. 121). Und in ähnlicher Weise sprach auch X e n o p h a n e s sich f ü r die Kugelgestalt des Weltalls aus (TIEDEMANN, a. a. 0 . S . 7 5 2 . DIOGENES LAERTIUS I I . S . 1 6 6 ) . — Auch von Heraklit sagt BRANDIS, dass er wahrscheinlich KreisbeTIEDEMANN,

LAERTIUS

II.

110

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

wegung und Kugelgestalt der Welt angenommen habe, entschieden aber habe er sie als eine durch und durch zusammengehörige Einheit betrachtet, und in Folge hiervon finde sich denn auch bei Späteren, er habe Einheit und Begränzung der Welt gelehrt (BBANDIS, Gesch. d. gr. Phil. I. S. 69. DIOGENES LAERTIUS II. S. 166). — Von E m p e d o k i e s dagegen sagt BBANDIS ausdrücklich, dass er „dem Nebeneinander der reinen TJrstoffe und Kräfte die Gestalt einer in sich g e s c h l o s s e n e n K u g e l beigelegt habe" (BRANDIS, a. a. 0. I. S. 111). — E p i k u r nahm eine unbekannte Mehrheit von Welten an und bemerkte von diesen, dass sie nicht nothwendig bloss Eine Gestalt haben müssten: manche seyen kugelförmig, andere eiförmig, und noch andere könnten auch anders gestaltet seyn. Doch hätten sie — fügt er hinzu — nicht jedwede Gestalt (DIOGENES LAEETIUS II. S. 268). Ob EPIKUR aber unter diesen „Welten" nicht vielleicht nur die verschiedenen für uns sichtbaren Welt- oder Himmelskörper könnte verstanden haben: dies ist aus der Darstellung des LAERTIUS nicht ersichtlich. — Ganz entschieden spricht P l a t o im TIMÄUS sich dahin aus, dass dem „Leib des Weltganzen, als aus lauter Ganzen (d. h. aus lauter in sich untheilbaren Einzeldingen) bestehend, die ihm a n g e m e s s e n e G e s t a l t , nehmlich die Gestalt, welche alle irgend vorhandenen Gestalten in sich schliesst", zukomme. Und als eben diese Gestalt bezeichnet er „die k u g e l i g e " , deren Oberfläche „vom Mittelpunkt in allen Endpunkten g l e i c h weit abstehe, und die darum die vollkommenste aller Gestalten" darstelle (PLATO [MÜLLER] V I .

S. 150.

185. 186.

SCHWEGLER,

a . a . 0 . S. 5 7 .

I. S. 338). Auch A r i s t o t e l e s gelangt bei seinen Untersuchungen zu gleichen Ergebnissen. „In der That ist es klar" — sagt er — „dass, wenn die e i n f a c h e n Körper b e g r ä n z t sind, nothwendig das aus ihnen Z u s a m m e n g e s e t z t e ebenfalls b e g r ä n z t seyn müsse. Denn was aus T h e i l e n besteht, welche der Z a h l oder der G r ö s s e nach b e s c h r ä n k t sind, ist selbst sowohl der Zahl wie der Grösse nach beschränkt." Ein unBRANDIS

D i e r ä u m l i c h e u n d zeitliehe E n d l i c h k e i t alles natürlich V o r h a n d e n e n .

111

e n d l i c h V i e l e s erklärt er daher von vornherein für unmöglich. Denn an einem andern Ort sagt er: „Wenn der Begriff des Körpers durch eine Fläche a b g e g r ä n z t ist, so möchte es wohl k e i n e n u n e n d l i c h e n K ö r p e r geben, weder einen denkbaren, noch einen sinnlich wahrnehmbaren". Ausdrücklich fügt er hier hinzu, dass „auch die Z a h l n i c h t u n l a e g r ä n z t ist, denn etwas Z ä h l b a r e s ist die Zahl oder dasjenige, was Zahl hat. Und wenn es möglich ist, das Z ä h l b a r e zu z ä h l e n , so könnte es j a seyn, dass auch das U n b e g r ä n z t e (durch Zählen) wohl zu E n d e gebracht würde. Bei mehr naturkundiger Betrachtung aber möchte dies n i c h t der Fall seyn. Denn der K ö r p e r (als seinem Begriff nach von einer Fläche umgränzt) ist das, was nach allen Seiten eine begränzte Ausdehnung hat: das U n b e g r ä n z t e aber ist das g r ä n z e n l o s A u s g e d e h n t e " . Auch für A R I S T O T E L E S bildet demnach ein u n e n d l i c h e r K ö r p e r einen unverkennbaren W i d e r s p r u c h in sich selber. Darum tadelt er auch L E U K I P P und D E M O K R I T , dass sie behaupten, „die ersten ursprünglichen Grössen seyen der Menge nach u n b e g r ä n z t v i e l e " , und dass beide somit „den Fehler begehen, die ersten Grundkörper (Principien) n i c h t in u n b e g r ä n z t e r Zahl zu erfassen". Indem A R I S T O T E L E S , durch Vernunftgründe geleitet, in solcher Weise die Nothwendigkeit einer r ä u m l i c h e n E n d l i c h k e i t des einheitlichen Weltganzen ausdrücklich anerkennt, schreibt er demselben aber auch mit gleicher Bestimmtheit, als die demselben allein mögliche naturgemässe Form die K u g e l g e s t a l t zu, und zwar, weil dieselbe als „die ursprüngliche e r s t e " muss betrachtet werden ( A R I S T O T E L E S , Phys. S. 33. 125. Himmelsgeb. S. 35. 43. 121. 123. 213). Dass alle diese so tiefsinnigen Untersuchungen und Darlegungen von Seiten des A R I S T O T E L E S nicht ohne bedeutende Nachwirkungen bleiben konnten auch auf Denker selbst der aussergriechischen Welt: dies liegt in der Natur der Sache. Betrafen dieselben doch die Feststellung der ersten, wichtigsten und nothwendigsten Grundlagen für eine jede wirklich wissenschaftliche Natur- und

112

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

Weltanschauung. Kein Wunder daher, dass sie nicht bloss bei der alexandrinischen Gelehrtenschule, sondern auch bei den muhamedanisch-arabischen Gelehrten, ja selbst durch das ganze Mittelalter hindurch bis in die Jetztzeit ihre Anerkennung sich erhalten haben. So erklärte auch Philo die Welt ihrem Umfang und ihrer gesammten räumlichen Ausdehnung nach für n i c h t u n e n d l i c h , sondern b e s c h r ä n k t , und was deren äusserlich-oberflächliche Umgränzung betrifft, so schrieb auch er derselben eine r u n d e , d. i. kugelähnliche Gestalt zu (GFRÖKER, PHILO I . S. 3 4 2 ) . Gleiche Anschauungen finden wir auch bei den arabischen lauteren Brüdern vertreten. Die das Wesen des K ö r p e r s herstellenden Formen sind auch nach ihnen Länge, Breite und Tiefe, und auch sie zogen daraus den Schluss, dass alle K ö r p e r G r ä n z e n haben und dass demgemäss auch der W e l t k ö r p e r (d. i. das gesammte Weltganze) durchaus von K u g e l g e s t a l t seyn müsse (DIETERICI, Naturanschauung d. Arab. S. 2 4 — 3 0 ) . — Und den gleichen Beweisgründen schliesst auch der muhamedanisch-spanische Arzt T h o p h a i l sich an (TIEDEMANN, Geist d. spek. Philos. IV. S. 135). Desgleichen der muhamedanisch-arabische Gelehrte A I K i n d i (DIETERICI, a. a. 0 . ) . Pythagoräisch-Aristotelische Einflüsse sind hier allenthalben zu erkennen. Und ebenso auch bei Thomas von Aquino: auch er erklärt die Vorstellung u n e n d l i c h v i e l e r Z a h l e n für etwas, was dem gesunden Verstand w i d e r s p r i c h t , weshalb auch er einer j e d e n V i e l h e i t von D i n g e n eine ganz bestimmte G r ä n z e zuerkennt (WEENER, THOM. v. AQUINO II. S. 1 8 9 . 1 9 0 . 2 6 6 . 2 6 7 ) . K e p p l e r spricht in seinen Werken von einem M i t t e l p u n k t des Weltraumes, und W. P F A F F macht hierzu die Bemerkung, KEPPLER habe „dadurch gewissermassen den Mittelpunkt der Welt gefunden"; denn er „folgere bereits daraus, dass solch ein Körper n i c h t u n e n d l i c h seyn könne." „Kein Stern ist daher, nach K E P P LER, man mag ihn sehen oder er möge wegen seiner Kleinheit verschwinden, u n e n d l i c h weit von uns entfernt" (W. P F A F F ,

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

HS

d. Mensch u. die Sterne. S. 147). Ist aber im Weltall wirklich ein bestimmter Mittelpunkt anzunehmen — und spätere Entdeckungen scheinen diese Yermuthung KEPPLEK'S bestätigt zu haben — so kann die durch diesen Mittelpunkt geforderte und daher mit Nothwendigkeit zu ihm gehörende äusserlich-oberflächliche G e s a m m t u m g r ä n z u n g dem einheitlichen W e l t g a n z e n in keiner Weise fehlen. Das Gegentheil hiervon anzunehmen, wäre dasselbe, als ob wir für einen Magneten einen Nordpol annehmen wollten ohne Südpol, oder umgekehrt. Auch S p i n o z a , indem er, wie bereits im Vorigen erwähnt, alle Einzeldinge schon auf Grund ihrer Körperlichkeit für endliche Dinge erklärt, gelangt folgerichtig zu dem weiteren Ergebniss, dass das U n e n d l i c h e aus e n d l i c h e n Theileri n i c h t zusammengesetzt seyn könne, da solches anzunehmen widersinnig seyn würde. Aber eben hieraus ergibt sich dann auch mit Nothwendigkeit, dass allem, was aus einer wirklichen V i e l h e i t von e n d l i c h e n Dingen besteht, also namentlich auch unserem einheitlichen Weltganzen, eine jede vermeintlich u n e n d l i c h e G r ö s s e oder unendliche Ausdehnung unbedingt abgesprochen werden muss (SPINOZA III. S. 25 [Ethik]). In gleichem Sinn sagt S c h e l l i n g : „Die W e l t ist n i c h t ein Schranken- und Gränzenloses, sondern ein in s e h r b e s t i m m t e n S c h r a n k e n E i n g e s c h l o s s e n e s " . „Denn" •— sagt er an einem anderen Ort •— „der Begriff einer u n e n d l i c h e n Z a h l ist ein widers p r e c h e n d e r B e g r i f f " . „Eine thatsächliche (actuelle) Unendlichkeit" würde daher nicht „eine solche" seyn können, für welche, als ihr „entsprechend (adäquat) eine u n e n d l i c h e Z a h l " gelten könnte, sondern nur allein eine solche, welcher überhaupt g a r keine Z a h l entsprechen kann, weil sie als „über aller Zahl" erhaben müsste gedacht werden (SCHELLING II. Abth. IV. S. 332 I. Abth. VI. S. 273). — Desgleichen C o u s i n . Auch nach ihm bildet die Natur in ihrer Gesammtheit ein zwar zusammenhängendes, aber unter allen Umständen e n d l i c h e s Naturdaseyn (une chose finie et contingeante; COUSIN, DU Vrai, Wandersmanu. III.

8

114

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

du Beau et du Bien. S. 70). — So sagt auch Ulrici: „Das Weltall kann n i c h t als g r ä n z e n l o s gedacht werden, weil das G a n z e der Welt, sofern es aus lauter begränzten Theilen besteht, selbst nothwendig ein b e g r ä n z t e s seyn muss" (ULEICI, Gott u. Nat. S. 631. 632). Oken sagt zwar, von dem Irrthum einer unendlichen Zahlenreihe ausgehend, dass in Folge dessen „der Raum überall", d. h. ebenfalls unendlich sey: allein nichtsdestoweniger bezeichnet auch er die räumlich-körperliche Ges t a l t des Weltalls (des Universums) als diejenige einer K u g e l (OKEN, Naturphil. S. 23. 24). Und ebenso spricht auch Molitor sich dahin aus, dass „das ganze Weltall (Universum) seiner Naturgesetztheit nach eine Kugelgestalt bilde" (MOLITOB, Philos. d. Geschichte IY. S. 314).

N o . 133. Die zeitliche Endlichkeit und Beschränktheit des gesammten einheitlichen Weltganzen. Hat sich aus den im Vorigen angegebenen Gründen das gesammte Weltall überhaupt einmal als ein in räumlicher Beziehung unzweifelhaft Endliches und räumlich Beschränktes erwiesen: so ergibt sich schon hieraus auf eine ganz gleiche Weise, wie für ein jedes zu ihm gehörige Einzelding, dass es auch in z e i t l i c h e r Beziehung als ebenso e n d l i c h und beg r ä n z t muss anerkannt werden. So sehr indess die Begriffe von Raum und Zeit, als aus Einem gemeinschaftlichen Grunde gemeinsam hervorgehend, innerlich mit einander v e r w a n d t sind: so bieten sie doch der Natur der Sache nach auch ihre begrifflichen Verschiedenheiten, und es darf uns daher nicht wundern, wenn die z e i t l i c h e E n d l i c h k e i t d e r W e l t in ihrer Weise auch anderer Vernunftgründe zu ihrer Beweisführung bedarf, wie deren bloss r ä u m l i c h e Begränztheit. Ist es daher vorhin vornehmlich die begriffliche Unmöglichkeit einer unendlichen Anzahl von einzelnen Naturdingen gewesen, auf welche

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

sich

die natürliche N o t w e n d i g k e i t

einer

115

räumlich-körper-

l i c h e n Endlichkeit und Beschränktheit des gesammten

Welt-

alls gründete: so wird sich nunmehr die Nothwendigkeit auch einer z e i t l i c h e n

Endlichkeit desselben

auf die U n m ö g l i c h -

k e i t e i n e r u n e n d l i c h e n , d. h. wirklich völlig a n f a n g s - u n d endlosen dieser

Gesammtentwickelung

Welt

zu gründen haben.

des gemeinsamen Wesens

Der

allgemeine

Grundsatz,

dass alles, was als e n d l i c h i m R a u m sich erweist, nothwendig auch

endlich

in der Z e i t

seyn muss,

wird somit hier wie

dort den für beide Fälle gemeinsamen Grundgedanken bilden. Denselben beiden untrennbaren Gegenpolen,

welche in Bezug

auf die wesenhaft-körperliche Ausbreitung der Dinge im Raum uns im Vorigen in den beiden Begriffen des M i t t e l p u n k t e s und der O b e r f l ä c h e entgegengetreten waren, begegnen wir nun hier Beide

in den beiden Begriffen von A n f a n g Verhältnisse

zeigen

das

und von

Ende.

Gemeinschaftliche,

dass

gerade sie es sind, durch welche alles Naturdaseyn, im Einzelnen wie im Ganzen, eingefriedigt

und

schlossen

zeigt:

Beziehung.

Wie

einer

allseitigen

sich wesenhaft durch und in sich selber nach

aussen

hin in sich

dort in r ä u m l i c h e r , aber kein Einzelding

Entwickelung

selber a b g e -

hier in

zeitlicher

oder Einzelwesen

und Auswirkung

zu

aller in ihm

liegenden K r ä f t e , Vermögen und Anlagen zu gelangen vermag, ohne einen unausgesetzten lebendigen Wechselverkehr mit seinen übrigen Mitwesen: ganz ebensowenig würde von einer einheitlichen G e s a m m t e n t w i c k e l u n g d e s W e l t a l l s als solchen die Rede

seyn

können

ohne

die

eben

erwähnte

fortschreitende

Wesensentwickelung aller der in dem grossen Weltganzen gemeinschaftlich

eingeschlossenen

Einzeldinge

und

Einzelwesen.

Denn nur durch, in und mit der immer inhaltsreicher zu Tage tretenden Wesensentwickelung

dieser Letzteren

vermag

auch

die einheitliche Gesammtentwickelung des Ersteren im Verlauf der Zeit sich zu vollziehen.

Ist dies Letztere aber n i c h t d e n k -

b a r , wie wir gesehen, ohne dass die in Rede stehende Wesens8*

116

Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

entwickelung und Wesensentfaltung von der einen Seite mit einem ganz bestimmten z e i t l i c h e n A n f a n g beginne und also von einem ebenso bestimmten A n f a n g s p u n k t aus ihren ersten A u s g a n g nehme: ganz ebensowenig ist von der anderen Seite ein derartiger Entwickelungsgang denkbar, wofern nicht in eben diesem zeitlichen A n f a n g auch bereits ein ebenso bestimmt vorausgesetztes z e i t l i c h e s E n d e schon von vornherein mit inbegriffen läge. Dies einstige unausbleibliche Ende alles Naturdaseyns bezeichnet somit den eigentlichen zeitlichen S c h l u s s p u n k t , dem eine jede Wesens- und Daseynsentwickelung unausgesetzt entgegengeht, um in ihm dereinst ihren l e t z t e n A b s c h l u s s zu finden. Derselbe r ä u m l i c h - z e i t l i c h e M i t t e l p u n k t daher, von dem aus eine jede r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e D a s e y n s - und W e s e n s b i l d u n g einmal ihren ersten Ausgang muss genommen haben, darf uns demnach auch jenen ersten Ausgangspunkt anzeigen, von dem aus auch die mit einer jeden W e s e n s b i l d u n g untrennbar verbundene W e s e n s e n t w i c k e l u n g einstens muss begonnen haben. Wie aber jedes Naturdaseyn in der durch seinen eigenen innersten Wesensmittelpunkt unbedingt mit geforderten ä u s s e r l i c h o b e r f l ä c h l i c h e n W e s e n s - und D a s e y n s u m s c h r ä n k u n g für die ganze Dauer seines wesenhaften Bestandes im Daseyn sich in räumlich-körperlicher Hinsicht in sich s e l b e r abs c h l i e s s t : so wird auch dessen gesammte z e i t l i c h e Wesensentwickelung nur innerhalb derselben beiden natürlichen Gränzpole des W e s e n s m i t t e l p u n k t e s und der W e s e n s o b e r f l ä c h e sich vollziehen können. Das heisst aber mit anderen Worten: wie eben jener innerste Daseynsmittelpunkt uns den r ä u m lichen wie z e i t l i c h e n A n f a n g einer jeden Wesensentwickelung vor Augen stellt: so werden wir in der dazu gehörigen oberflächlichen Wesens- und Daseynsumschränkung auch die letzte G r ä n z e und den letzten natürlichen A b s c h l u s s des gesammten Daseynsverhältnisses in r ä u m l i c h e r wie in zeitl i c h e r B e z i e h u n g vor Augen haben. Es kann dies in keiner

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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Weise als zweifelhaft erscheinen, sobald wir unserem geistigen Auge nur das erste Grund verhältniss gegenwärtig erhalten, in welchem die beiden Begriffe von Raum und Zeit allenthalben im gesammten Naturdaseyn wechselseitig zu einander stehen. Ein und dieselbe einheitliche Ur- und Daseynskraft ist es, deren ununterbrochener Wirksamkeit alles Vorhandene —• und damit zugleich das gesammte Weltganze — sowohl seinen räumlichen Bestand wie seine zeitliche Wesensentwickelung gemeinschaftlich zu verdanken hat. Von eben jenem innersten einheitlichen Wesens- und Daseynsmittelpunkt aus muss also zugleich mit der w e s e n h a f t e n K r a f t a u s b r e i t u n g im R ä u m e auch die gesammte innere wie äussere W e s e n s e n t w i c k e l u n g ihren ersten Anfang genommen haben. Wie aber von eben diesem ersten Ausgangspunkt innerlicher Kraftentfaltung aus diese Letztere selber nach allen Seiten und Richtungen hin gleichsam strahlenförmig sich ausbreitet, und auch die einzelnen Naturdinge im allgemeinen Weltraum in räumlicher Beziehung r i n g s u m n a c h a l l e n S e i t e n und R i c h t u n g e n hin an ihren einzelnen Berührungspunkten sich wechselseitig unmittelbar an einander anschliessen: so muss ein ganz gleiches Verhältniss auch in z e i t l i c h e r Beziehung stattfinden. Denn auch die z e i t l i c h e n W e l t v e r h ä l t n i s s e schreiten, wie schon früher darauf hingewiesen, n i c h t nach der Weise einer wesenlosen Linie einseitig bloss in einer einzigen Richtung voran: sondern wie die W e c h s e l der W e s e n s z u s t ä n d e vom innersten Wesensmittelpunkt aus das ganze innere Wesen der Dinge ergreifen, ebenso müssen nothwendig auch die mit eben jenen Zustandsveränderungen in E i n s zusammenfallenden i n n e r l i c h e n Z e i t v e r h ä l t n i s s e sich von demselben innersten Wesensmittelpunkt aus n a c h a l l e n S e i t e n und R i c h t u n g e n hin ü b e r das g e s a m m t e W e s e n s i n n e r e der betreffenden Dinge erstrecken. Und wie die einzelnen Dinge im allgemeinen Weltverkehr in räumlich-körperlicher Beziehung an ihren äusserlichen Berührungspunkten sich wechselseitig un-

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

mittelbar an einander anreihen und in solcher Weise den gesammten W e l t r a u m zu einheitlicher Darstellung bringen: ebenso muss auch hier wieder ein ganz gleiches Yerhältniss obwalten in Bezug auf die z e i t l i c h e n W i r k s a m k e i t e n , welche die Einzeldinge durch den gesammten Weltraum hindurch ohne Unterlass wechselseitig auf einander ausüben. An e b e n d e n s e l b e n und also auch an ebenso vielen P u n k t e n , a l s die D i n g e sich o b e r f l ä c h l i c h b e r ü h r e n und r ä u m l i c h sich i n n i g an e i n a n d e r a n s c h l i e s s e n : an dens e l b e n und e b e n s o vielen P u n k t e n m ü s s e n d i e s e l b e n a u c h in z e i t l i c h e r B e z i e h u n g n a c h a l l e n S e i t e n und R i c h t u n g e n hin d u r c h den g a n z e n W e l t r a u m h i n d u r c h w e c h s e l s e i t i g auf e i n a n d e r e i n w i r k e n . Hieraus ergibt sich aber unzweifelhaft, dass in demselben Augenblick, in welchem der gesammte allgemeine W e l t r a u m einst durch das gesammte räumliche Zusammenwirken aller vorhandenen Dinge sich gebildet hat, auch zugleich damit die gesammte allgemeine W e l t z e i t , in Folge des mit jenem untrennbar verbundenen z e i t l i c h e n I n e i n a n d e r w i r k e n s , ebenfalls ihren e r s t e n Anfang muss genommen haben. Wir haben schon im Vorigen darauf hingewiesen, wie bereits KEPPLER von einem r ä u m lichen M i t t e l p u n k t des W e l t a l l s spricht, und dass er folgerichtig hieraus den Schluss gezogen hat, dass solch ein Körper nothwendig auch nach aussen hin als räumlich umschränkt sich erweisen müsse: und so dürfen wir, nach dem bisher Gesagten, nunmehr auch in z e i t l i c h e r Beziehung ein ganz gleiches Yerhältniss als durch die Naturnothwendigkeit geboten betrachten. In neuerer Zeit hat Mädler auf Grund andauernder und eingehender Beobachtungen am Himmelszelt einen gewissen Punkt in der Sterngruppe der Plejaden als den muthmasslichen Ort im weiten Weltraum bezeichnet, in dessen Nähe der wahrscheinlich räumliche Mittelpunkt dieses letzteren sich befinden dürfte (P. FISCHER, Naturphil. S. 49 [MÄDLER]). Ist diese Vermuthung aber begründet, so kann

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen. 1 1 9

nothwendig einzig und allein nur ganz d e r s e l b e Punkt oder Ort es seyn, den wir auch in zeitlicher Beziehung als den M i t t e l p u n k t d e r W e l t zu betrachten haben dürften. Wo aber überhaupt einmal, sey es in räumlicher oder in zeitlicher Beziehung, ein wirklicher Mittelpunkt muss anerkannt werden: da muss Vernunft- und naturnothwendig auch ganz das G l e i c h e der Fall seyn in Bezug auf den diesem Mittelpunkt gegenüberstehenden Gegenpol der äusserlich oberflächlichen Daseynsumschrankung. Oder mit anderen Worten: erweist sich das einheitliche W e l t g a n z e in r ä u m l i c h e r Beziehung nach aussen hin als endlich und beschränkt, dann muss es auch in z e i t l i c h e r Beziehung ebenfalls als e n d l i c h und b e s c h r ä n k t anerkannt werden. Das Eine steht und fällt mit dem Anderen, und eine jede anderweitige Naturanschauung müsste als im Widerspruch mit sich selber stehend sich erweisen. Denn wie mit dem r ä u m l i c h e n M i t t e l p u n k t allewege auch der z e i t l i c h e M i t t e l p u n k t nothwendig in E i n s zusammenfallen muss, so muss in entsprechender Weise ein ganz gleiches Verhältniss statthaben auch in Bezug auf die r ä u m l i c h e wie auf die z e i t l i c h e W e s e n s - u n d D a s e y n s b e s c h r ä n k t h e i t , und zwar gilt dies für das gesammte W e l t g a n z e ganz ebenso wie für die in ihm enthaltenen Einzeldinge. So e n d l i c h und in sich b e s c h r ä n k t also der a l l g e m e i n e W e l t r a u m unserem geistigen Auge sich darstellen muss: ebenso e n d l i c h und in sich b e s c h r ä n k t muss folgerichtig auch die ihm entsprechende a l l g e m e i n e W e l t z e i t sich darstellen. Alle diese Sätze ergeben sich mit solcher Vernunft- und Naturnotwendigkeit wechselseitig aus einander, dass eine jede hiervon abweichende Annahme in die unvermeidlichsten Widersprüche verwickeln müsste. In dem Vorigen ist es vorzugsweise die begriffliche Unmöglichkeit einer u n e n d l i c h e n Anzahl oder Menge von stofflich-körperlichen Einzeldingen gewesen, in welcher wir die Hauptgrundlage für Anerkennung einer r ä u m l i c h e n E n d l i c h -

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

k e i t des g e s a m m t e n W e l t a l l s erblickt haben: schon hieraus ist es leicht ersichtlich, dass dem alten Wahrheitssatz von der U n m ö g l i c h k e i t u n e n d l i c h e r Z a h l e n r e i h e n , wenn auch in etwas veränderter A u s d r u c k s w e i s e , auch hinsichtlich z e i t l i c h e r E n d l i c h k e i t des Weltganzen eine nicht zu verkennende Rolle zukommt. Denn wie dort die natürlichen Einzeldinge als das Z ä h l b a r e und demgemäss auch wirklich naturgemäss Z u - Z ä h l e n d e sich darstellen: so sind es an ihrer Statt nunmehr die in ununterbrochenen Reihenfolgen wechselseitig sich ablösenden e i n z e l n e n W e s e n s z u s t ä n d e der betreffenden Dinge. Vermag aber überhaupt die Gesammtheit einer jeden zu zählenden Menge in keiner Weise in einer angeblich unendlichen Zahl ihren der Wirklichkeit entsprechenden begrifflichen Ausdruck zu finden: so ergibt sich hieraus schon die begriffliche wie naturgesetzmässige Notwendigkeit eines dereinstigen thatsächlichen W e l t a n f a n g e s . Es ist dies eine Schlussfolgerung, welcher wir bereits bei Justinus Martyr begegnen, und welche auch die ganze spätere Zeit noch nicht zu entkräften vermocht hatte. Das J a h r —• sagt er — ist n i c h t ewig; nun kann aber o h n e Jahre keine W e l t und keine R e i h e von Jahren u n e n d l i c h seyn: also muss die Welt einen A n f a n g haben (TIEDEMANN III. S. 175). — Auch Reimarus, von ganz dem gleichen Gesichtspunkt ausgehend, gelangt auf Grund eben dieser Verhältnisse zu einem ganz gleichen Ergebniss (REIMAKUS, Natürl. Relig. S. 217—222). So werden wir durch die thatsächlich gegebenen Weltverhältnisse selbst darauf hingedrängt, nicht nur einen ganz bestimmten einstigen W e l t a n f a n g , sondern auch ein demselben entsprechendes einstiges W e l t e n d e mit aller Entschiedenheit anzuerkennen. W e l t e n t s t e h u n g und W e l t u n t e r g a n g fordern einander wechselseitig. Schon Thaies, welcher bekanntlich unter der Bezeichnung „Wasser" irgend einen allgemeinen Stoff von tropfbar-flüssiger Beschaffenheit als einheitliche Grundlage des gesammten Weltganzen annahm,

D i e räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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lehrte, wie einen A n f a n g , so auch ein dereinstiges E n d e der gesammten gegenwärtigen Weltordnung; alles jetzt Vorhandene werde sich in das, woraus es g e w o r d e n , dereinst auch wieder a u f l ö s e n (BBANDIS, Gesch. d. griech. Philos. I . S . 4 7 . SCHWEGLEB, Gesch. d. Philos. in Umrissen. S. 6). — Ebenso Anaxim ander. „Woraus die seyenden Dinge g e w o r d e n " — sagt auch er — „darin muss nothwendig auch ihr U n t e r g a n g erfolgen" (BRANDIS a. 0 . S . 5 4 . SCHWEGLEE a. 0 . S . 7). Und ebenso auch soll Anaximenes einen Wechsel von Weltentstehung und Weltzerstörung angenommen haben (BBANDIS S . 5 8 ) . — DIOGENES LAEBTIUS berichtet Ähnliches von Z e n o und seinen Nachfolgern. „Sie sind" — sagt er — „der Meinung, dass die Welt v e r g ä n g l i c h sey; denn sie sey auf die Weise der durch die Sinne erkannten Dinge e n t s t a n d e n , und da diese Letzteren theilweise vergänglich wären, so sey auch das G a n z e vergänglich" (DIOGENES LAEBTIUS II. S. 69. 72. 108). — Zweifelhaft in dieser Beziehung erscheint die Ansicht H e r a k l i t ' s - Nach DIOGENES LAEBTIUS soll derselbe sowohl das Hervorgehen der Welt aus dem von ihm als Grundstoff aller Dinge angenommenen Feuer gelehrt haben, sowie anderseits auch, dass sie dereinst wieder in dasselbe aufgelöst werde. So sagt auch LASSALLE, dass viele Berichte das Feuer als w e l t b i l d e n d bei H E E A K L I T betrachteten, und er erwähnt in dieser Beziehung namentlich von R I T T E R und BBANDIS, dass diese mit Entschiedenheit zu der Annahme eines stoischen Weltbrandes auch bei H E E A K L I T zurückkehrten. Nichtsdestoweniger bleibt LASSALLE in Bezug auf eben diese Frage in Zweifel, und führt zu dessen Begründung folgende Stelle aus HEEAKLIT wörtlich an. „Die Welt" — sagt er — „die Eine und mit sich selbst Gleiche (Identische), hat keiner der Götter und Menschen gemacht, sondern sie w a r , i s t und wird seyn ewig l e b e n d i g e s F e u e r " . „Wenn aber" — so fügt nunmehr LASSALLE hinzu — „die W e l t (der Kosmos) s e l b s t Feuer ist und noch dazu i m m e r w ä h r e n d e s F e u e r , wie soll

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

das Feuer dieselbe verbrennen?" (DIOGENES LAERTIUS I I . S. 1 6 6 . Heracleitos. I I . S . 3 0 . 1 2 9 . 1 4 4 ) . — Hiernach erscheint die Sache allerdings zu wenig klar, um eine feste Anschauung nach der einen oder anderen Seite hin darauf zu gründen. Sollte aber nicht vielleicht HEBAKLIT'S Anschauung dahin gegangen seyn, dass gleichsam F u n k e n eben jenes gemeinsamen ewigen Lebensfeuers es gewesen seyen, welchen die Dinge dieser Welt, und damit zugleich das gesammte Weltall, dereinst ihr wesenhaftes Daseyn dürften zu verdanken gehabt haben? Und sollte in solchem Fall nicht auch für H E E A K L I T selbst dessen Anschauung dahin gegangen seyn, dass eben jene einzelnen Funken des lebendigen Lebensfeuers es könnten gewesen seyn, durch welche das den betreffenden Einzeldingen zu Grunde liegende natürliche Maass dieser ihrer eigenen innersten Daseynskraft und ihres eigenen innersten Lebensfeuers mit der Zeit auch wieder sich in sich s e l b s t v e r z e h r e n und somit schliesslich auch in sich selbst verl ö s c h e n könnte? Bei der bekannten Dunkelheit, welche in Bezug auf HEBAKLIT'S eigentlichen Gedankengang in so mancher Hinsicht obwaltet, möchte eine solche Annahme wohl nicht ganz ungerechtfertigt erscheinen, und auch die von LASSALLE beanstandete Schwierigkeit dürfte auf diesem Wege eine harmonische Lösung finden, und zwar ebensowohl in Bezug auf die einzelnen Wesen dieser Welt wie auch in Bezug auf das gemeinsame Weltganze. Empedokles erwähnt ausdrücklich eines A n f a n g e s dieser „Welt der Gegensätze"; ob er auch, wie manche annehmen, einen Untergang derselben gelehrt habe: das ist nach BRANDIS unzuverlässig (BEANDIS a. a. 0 . I . S. 1 1 3 . SCHWEGLEE a. a. 0 . S . 1 6 ) . — Das Gleiche gilt auch von LASSALLE,

Anaxagoras

(BRANDIS I . S . 1 2 7 . SCHWEGLEE S . 2 1 . F R . H O F F -

Gottesidee d. ANAXAGORAS, SOKRATES und P L A T O . S . 5 . 6. 7). — In Bezug auf Pythagoras und seine Schule sagt BRANDIS: „Wiewohl P h i l o l a u s ewige Dauer der Welt annahm, so beschreiben doch auch die PYTHAGORÄER, und wahrschein-

MANN,

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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lieh schon er selber, die Weltbildung als eine z e i t l i c h e . Zunächst soll im Mittelpunkt der Welt ein Centraifeuer sich gebildet haben, von diesem aus soll das Nächstgelegene im Unbegränzten (?) angezogen und begränzt worden seyn, und so die Welt in der Gestalt einer Kugel sich gebildet h a b e n " (BRANDIS I . S . 1 8 1 .

BALTZER PYTHAGORAS S. 1 1 2 . ) . —

Leukipp,

D e m o k r i t und E p i k u r lehrten ebenfalls eine E n t s t e h u n g und einstige W i e d e r a u f l ö s u n g von Welten. Ob sie aber unter dieser Vielheit von Welten, die nach ihrer Meinung durch körperliche Stoffverbindungen mannigfachster Arten entstehen und vergehen sollten, in der T h a t eine Vielheit von wirklichen Welten oder nicht vielmehr nur eine Vielheit von Weltkörpern innerhalb unseres Weltganzen möchten verstanden haben, muss dahingestellt bleiben: weshalb SCHWEGLER auch sagt, dass mit dieser atomistischen Erklärung der Weltbildung im Grunde nichts erklärt sey (SCHWEGLER, Gesch. d. Ph. S . 1 8 . BRANDTS a. a. 0 . I.

S. 140.

DIOGENES LAERTIÜS I I .

S. 183.

191.

255.

268). — PlatO erkennt eine wirkliche W e l t e n t s t e h u n g ausdrücklich an. Im Timäus spricht er sich hierüber folgendermassen aus: „Der g a n z e H i m m e l — oder die W e l t , oder welcher Name jemanden dafür belieben mag — ist e n t s t a n d e n , denn er ist s i c h t b a r und t a s t b a r und etwas K ö r p e r l i c h e s . Alles Derartige erscheint als ein W e r d e n d e s und G e w o r d e n e s " (PLATO [MÜLLER] S. 14G. [TIMAEUS]). — „Das Jahrtausende hielt" •— sagt L u c r e t i u s C a r u s — „zuletzt stürzt es zusammen. Himmel und Erde werden dereinst vergehen. Denn' die W e l t ist ein v e r g ä n g l i c h e r K ö r p e r und wird somit, wie sie einst entstanden, so auch wieder untergehen." Und zur näheren Begründung dieser seiner Anschauung fügt er weiter hinzu: „Da die Körper, aus deren Mischung das G a n z e zu bestehen scheint, nehmlich die Erde, die Luft, das Wasser und F e u e r , von solcher Natur sind, dass sie e r z e u g t werden und wieder v e r g e h e n : so muss man die Natur der W e l t von g l e i c h e r Beschaffenheit halten. Denn wo wir

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

Glieder sehen und einzelne Theile des Körpers erst entstehen und dann hinfällig werden in ihren Gestalten: da bemerken wir auch des G a n z e n E n t s t e h u n g und H i n f a l l . Sehe ich demnach von der Welt so mächtige Glieder und Theile aufgelöst und wieder erzeugt: so schliesse ich aus Gründen, dass auch H i m m e l und E r d e werden auf ähnliche Weise einen A n f a n g gehabt haben und dass ihnen das E n d e bevorsteht". — Und in gleichem Sinne lehrten auch die arabischmuhamedanischen Naturphilosophen, dass die Welt als etwas zeitlich E n t s t a n d e n e s müsse betrachtet werden (DIETEBICI, Naturansch. d. Araber S. 95). — Gehen wir von den älteren nunmehr auch zu den neueren Denkern über, so werden wir auch bei diesen vielfach den gleichen oder ähnlichen Anschauungen begegnen. So wird nach Thomas von Aquino alle Bewegung im Eaum durch die Zeit gemessen. Die Z a h l der (während der Dauer einer solchen Bewegung) aufeinanderfolgenden Augenblicke (Momente) bildet aber eine b e s t i m m t e Zeit. Die Zeit ist somit eine Z a h l der Bewegung rücksichtlich des Vorher und Nachher im Verlaufe der Bewegung. Als Z a h l ist die Z e i t also nothwendig eine e n d l i c h e (discrete) Grösse. So ist auch alles, was wesentlichen oder zufälligen V e r ä n d e r u n g e n unterworfen ist, nach THOMAS n i c h t ewig, und wie alles Einzelne in dieser Welt, so kann also auch die W e l t n i c h t von Ewigkeit her bestehen: sondern sie muss einen bestimmten zeitlichen A n f a n g haben ( W E K N E E , THOM. V. AQU. II. S. 2 7 3 . 274). — So sagt auch Jakob Böhme: „Diese äussere Welt mit ihren Heeren und allem, was darinnen lebet und webet, ist g e s c h l o s s e n in eine Zeit eines Uhrwerkes, das läuft nun von seinem A n f a n g immer wieder in sein E n d e " (JAKOB BÖHME XV. S. 4 1 ) . — „Die Zeit" — sagt L o c k e — „ b e g i n n t und e n d e t mit dem Bahmen (frame) d i e s e r s i n n l i c h e n W e l t " : daher nach ihm auch die Ausdrücke wie „vor aller Zeit" oder „wenn die Zeit nicht mehr seyn wird". Dass

D i e räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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den Zeitbegriff hier ganz in der Bedeutung von allgem e i n e r W e l t z e i t genommen hat, ist deutlich ersichtlich (LOCKE, S . 3 2 0 ) . — Was L e i b n i t z betrifft, so scheint derselbe — wie TIEDEMANN anführt — „in Betreff der anfangslosen Weltreihe mit sich nicht ganz einig gewesen zu seyn. In den Streitigkeiten mit CLAEKE ist er m e h r für den W e l t a n f a n g . Wenn die Geschöpfe, spricht er, stets an Vollkommenheit gleichmässig wachsen sollen: so hat die Welt einen A n f a n g " . „Den weiteren Grund" — fügt TIEDEMANN hinzu •— „hat er zwar nicht weiter entwickelt: man erräth aber bald, dass er kein anderer ist, als weil es dann eine u n t e r s t e Stufe der Vollkommenheit gibt, bei welcher das Wachsthum muss a n g e f a n g e n haben" (LEIBNITZ [Ed. E E D MANN] S. 7 5 6 ) . — Auch S t . M a r t i n folgert daraus, dass alles Vorhandene, das „in der Zeit g e m e s s e n ist, also auch die W e l t , sowohl im Allgemeinen wie im Besonderen nothwendig v o r ü b e r g e h e n muss" (HAMBUEGEE, Stimme d. Myst. II. S. 1 0 5 . St. M A E T I N , Ministère de l'homme esprit. Ubers. SCHLÜTEE S. 1 2 — 1 7 ) . — Und ebenso findet sich auch von Seiten Schelling's die Anerkennung eines einstigen W e l t a n f a n g e s ausgesprochen (FEOHSCHAMMER, Athen III. S. 3 5 4 . 3 5 5 . 3 5 6 . 3 5 7 . 4 1 9 . 4 2 2 . 5 6 3 . [ F E . HOFFMANN, Gotteslehre SCHELLING'S]). — Desgleichen K. P. Fischer: „Es folgt ebensosehr" — sagt er — „aus dem Begriff einer gesetzmässigen E n t w i c k e l u n g , wie aus dem eines wohlgeordneten (systematischen) G a n z e n , dass die Z e i t (also auch die Weltzeit), welche von LEIBNITZ mit Recht als die Ordnung des nacheinander Folgenden bezeichnet wird, von einem b e s t i m m t e n A n f a n g b e g i n n t , durch bestimmte Zeiträume (Perioden und Epochen) fortschreitet, und zu einem bestimmten Zweck oder Ziel sich v o l l e n d e t " (K. P. F I S C H E S , Phil. d. Nat. S. 1 9 4 . 1 9 7 . 2 0 0 . 2 0 4 . 2 0 9 ) . — „Der a l l g e m e i n e R a u m und die a l l g e m e i n e Z e i t " — sagt Sengler — „sind durch das Wesen der Welt, das sich ausdehnt und wird, d. h, sich räumlich und zeitlich s e l b s t beLOCKE

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Kaum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

g r ä n z t . Sonach sind sie als solche durchaus b e s t i m m t , nehmlich durch das Wesen der Welt, das sich im Raum soweit ausdehnt, ausspannt, und in ihm in b e s t i m m t e r D a u e r sich bewegt, als es ist oder als es sich selbst in b e i d e r H i n s i c h t b e g r ä n z t " (SENGLEE, Idee Gottes II11- S. 396). — Auch dem aus dem Griechischen stammenden Worte Aion (almv), welches bei uns nicht selten in dem Sinn einer endlosen Zeit pflegt gebraucht zu werden, kommt diese Bedeutung ursprünglich keineswegs zu: sein wahrer und eigentlicher Sinn hat vielmehr geradezu die Bedeutung einer, von einem ganz bestimmten Anfang und Ende begränzten W e l t z e i t , W e l t d a u e r (RUDLOFF, Lehre v. Menschen. S. 298).

N o . 134. Weltraum, Weltordnung, Weltzeit; Weltanfang, Weltentwickelung, Weltvollendung; Weltraum und Weltgebäude; Welt und Weltall; Wesen und Natur in ihren verschiedenen begrifflichen Bedeutungen. Wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass einem jeden in sich selbstständigen Naturdaseyn, drei von einander untrennbare Wechselbegriffe zukommen. Der Verstand trennt, wie in vielen Fällen, so auch hier, in seinem Denken, was die Natur selbst nie für sich allein zu verwirklichen im Stande ist. Es sind dies die drei schon öfters erwähnten Wechselbegriffe von I n n e r s t e m , I n n e r e m und Ä u s s e r e m . Entspricht für die Einzelwesen dem Ersten der Begriff der K r a f t , dem Zweiten der des W e s e n s sammt allen seinen möglichen Zustandsverhältnissen, dem Dritten aber der Begriff der K ö r p e r l i c h k e i t : so dürfen wir hieraus im voraus schon vermuthen, dass auch das gemeinsame W e l t g a n z e keine Ausnahme hiervon bilden wird. Jene einheitliche G r u n d k r a f t der Dinge, indem sie diese ihrem gesammten natürlichen Wesen nach ins Daseyn stellt und in diesem er-

D i e räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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hält, erweist sich ebensowohl als räum- wie als zeitbildende K r a f t , und es bilden demnach auch jene beiden Begriffe von R a u m und Z e i t für unsere geistige Anschauung zwei ganz ebenso untrennbare begriffliche G r ä n z p o l e für alles endliche Wesen dieser Welt, wie auch die beiden Begriffe von M i t t e l p u n k t und O b e r f l ä c h e , mit denen wir uns bereits im Vorigen beschäftigt haben. J a bei genauerem Zusehen werden wir finden, dass eben jene beiden Gegensätze von R a u m und Z e i t einerseits und von M i t t e l p u n k t und O b e r f l ä c h e anderseits der Sache nach völlig in Eins zusammenfallen. Denn ist es nicht der Wesensmittelpunkt der Dinge, von dem aus von Uranfang an sowohl die innere W e s e n s b i l d u n g wie auch die äussere W e s e n s v e r k ö r p e r u n g völlig gleichmässig und einheitlich ihre natürliche Verwirklichung finden und in derselben erhalten bleiben? In dem Begriff des W e s e n s als solchem aber, indem es die einheitliche Verbindung und Mitte zwischen eben diesen beiden ebenerwähnten Naturgegensätzen bildet, liegt, wie wir gesehen, zugleich auch keimartig die natürliche M ö g l i c h k e i t zu allen den mannigfachen Zustandsveränderungen mit eingeschlossen, welche die Dinge im Verlaufe ihres Wechselverkehres mit ihren übrigen Mitwesen jemals an sich erfahren können. Beide Gegensätze der körperlich wesenhaften R a u m b i l d u n g wie der geistig-wesenhaften Z e i t b i l d u n g liegen somit von Uranfang an im Wesen der Dinge einheitlich vereinigt als äusserste Gränzmarken und Gränzpole alles wesenhaften Naturdaseyns dieser Welt. Was aber in solcher Weise hinsichtlich eines jeden besonderen Naturdaseyns als das dreifache untrennbare Wechselverhältniss von R a u m b i l d u n g , W e s e n s b i l d u n g und Z e i t b i l d u n g uns entgegentritt: demselben dreifachen Grundverhältniss begegnen wir hinsichtlich des gemeinsamen W e l t g a n z e n in den drei in ebenso untrennbarer Einheit stehenden Wechselbegriffen von W e l t r a u m , W e l t o r d n u n g und W e l t z e i t . Dabei bedienen wir uns nicht selten für den Begriff des Weltraumes

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Kaum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

auch der Bezeichnung als W e l t g e b ä u d e . Der Sache nach Eins, sind beide Bezeichnungsweisen dennoch in begrifflicher Hinsicht von einander zu unterscheiden. Einmal liegt in dem Begriff eines Weltraumes die stete Gefahr mit eingeschlossen, bei demselben, im Widerspruch mit der Naturwirklichkeit, an einen vermeintlichen sogenannten „leeren Raum" zu denken: eine Gefahr, die für den Begriff eines Weltgebäudes kaum vorhanden ist. Der eigentliche begriffliche Unterscheidungsgrund liegt jedoch darin, ob wir das einheitliche Weltganze von unserem irdischen Standpunkt im I n n e r e n desselben ins Auge fassen, oder ob wir im Geiste uns über dessen räumliche Gränze hinaus versetzen und dasselbe also gleichsam von a u s s e n her in Augenschein nehmen. Im ersten Fall werden wir richtiger der Bezeichnung eines W e l t r a u m e s uns bedienen, von dem wir uns augenscheinlich von allen Seiten umgeben sehen; im zweiten Fall dagegen richtiger der Bezeichnung eines W e l t g e b ä u d e s , indem wir von diesem äusserlichen Standpunkt aus das gesammte Weltall gewissermassen als einen grossen stattlichen N a t u r b a u vor uns erblicken werden. Was nun aber weiter in Bezug auf die Einzeldinge dieser Welt für unser Denken als W e s e n s g r u n d , W e s e n s e n t w i c k e l u n g und W e s e n s v o l l e n d u n g sich darstellt: dasselbe erscheint uns in Bezug auf das alle diese Einzelformen in sich einschliessende allgemeine W e l t g a n z e als gemeinsamer W e l t a n f a n g , gemeinsame W e l t e n t w i c k e l u n g und gemeinsame Weltvollendung. Denn ohne den fortlaufenden Entwickelungsgang aller jener Einzeldinge, auf den die gesammte Weltentwickelung sich gegründet und erbaut zeigt, würde auch von dieser Letzteren in keiner Weise die Rede seyn können. Das innere W e s e n der Dinge aber, wie es dem Auge des Geistes als ein ständiger Schauplatz sich darstellt für alles unmittelbare Walten der ihnen zu Grunde liegenden eigenen innersten Daseynskraft, und wie es zugleich damit auch alle die mannig-

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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fachen Zustandsveränderungen in sich einschliesst, welche durch den allgemeinen Weltverkehr im innersten Wesensgrund der Dinge wach gerufen werden: dieses gesammte lebensvolle Getriebe im wesenhaften Innern der Dinge ist es bekanntlich, was wir als die eigentliche i n n e r e N a t u r der Dinge zu bezeichnen pflegen. Alles natürliche W e r d e n und A n d e r s w e r d e n , wie solches in den äusseren Erscheinungsweisen der Dinge auch sinnlich wahrnehmbar uns entgegentritt, findet sich zusammengefasst in dem Einen vielseitigen Begriff der „Natur". In derselben Weise aber, wie wir in Bezug auf die vorhandenen E i n z e l d i n g e von deren i n n e r e r N a t u r und deren i n n e r e m W e s e n reden, ebenso bedienen wir uns auch der gleichen Ausdrucksweise in Bezug auf das gemeinsame W e l t g a n z e . Auch hier ist es jenes gemeinsame wechselseitige Ineinanderwirken und Durchwalten aller besonderen Einzelkräfte innerhalb des hierauf gegründeten gemeinsamen Weltraumes, welches wir als die gemeinsame i n n e r e N a t u r d e r g e s a m m t e n W e l t o r d n u n g bezeichnen. In Bezug auf die einzelnen Naturdinge pflegen wir dann aber, den Begriffen von Innerem und Äusserem entsprechend, auch weiter noch der inneren Natur oder dem inneren Wesen derselben deren äussere K ö r p e r l i c h k e i t gegenüber zu stellen, wogegen hinsichtlich des gemeinsamen Weltganzen, wie bereits oben erwähnt, der Begriff des einheitlichen W e l t g e b ä u d e s es ist, durch welchen wir die äusserlich-körperliche Weltumgränzung uns begrifflich zu vergegenwärtigen pflegen. Und weil wir gewohnt sind, der Kürze wegen an der Stelle des Ausdruckes „Weltgebäude" auch häufig kurzweg der einfachen Bezeichnung von „ W e l t " uns zu bedienen: so wird hieraus ersichtlich, weshalb, dem Ebengesagten entsprechend, auch gemeinhin die Begriffe von N a t u r und W e l t in derselben gegensätzlichen Bedeutung pflegen aufgefasst zu werden, wie die Begriffe von I n n e r e m und Ä u s s e r e m . Wie aber bei allen besonderen Verschiedenheiten hinsichtlich der einzelnen Wesensgebiete, Wesensstufen, Waadersmann. III.

9

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

Wesensgättungen und Wesensarten doch immerdar nur ein einziger und allgemeiner Wesensbegriff es ist, in dem alle diese Verschiedenheiten gleichmässig sich verschmolzen und aufgelöst finden: ganz ebenso bildet auch die ganze uns umgebende Weltordnung in der untrennbaren Zusammengehörigkeit alles dessen, was sie in sich einschliesst, nur E i n e g e m e i n s a m e a l l g e m e i n e N a t u r und als solche auch nur E i n g e m e i n s a m e s a l l g e m e i n e s W e r d e n , darinnen alles Einzelne nur in und mit dem Ganzen und das Ganze nur in Gemeinschaft mit allem Einzelnen wechselseitig zu immer höheren Daseynsstufen und durch diese zu immer höherer inneren wie äusseren Wesensvollendung sich zu erheben vermag. Und wie endlich von der einen Seite das gesammte innere Wesen eines jeden Einzeldinges nur als die erste und unmittelbarste Folge der sein gesainmtes Daseyn begründenden innerlichen Kraftwirksamkeit zu betrachten ist, von der anderen Seite aber auch die besondere Art und Weise eben dieser Kraftwirksamkeit durch den geistigen Grundbegriff der betreffenden Dinge ein für allemal unabänderlich vorausbestimmt und festgestellt ist: ganz ebenso muss auch ein entsprechend ähnliches Grundverhältniss obwalten in Bezug auf die gesammte i n n e r e N a t u r des einh e i t l i c h e n W e l t g a n z e n . Wie diese Letztere uns einerseits die innere Wesensbeschaffenheit dieser Welt und ihrer Dinge vor die Augen stellt: so nicht weniger die einheitliche innere wie äussere Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t und g e m e i n s a m e W i r k s a m k e i t aller jener in den betreffenden Einzeldingen und Einzelwesen zerstreuten und an diese gebundenen E i n z e l k r ä f t e . Aber eben dieses einheitliche Zusammen- und Ineinanderwirken aller dieser besonderen Einzelkräfte zu einem gemeinsamen Ziel und Zweck ist es denn auch, daraus wir in ununterbrochener Aufeinanderfolge das gesammte bunte Wechselspiel aller äusseren Naturerscheinungen innerhalb des gemeinsamen Naturganzen hervorgehen sehen; und hierin liegt denn auch der tiefere Grund, weshalb mit dem Begriff der

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a l l g e m e i n e n N a t u r auch stets derjenige einer durch alle Einzeitheile dieser Welt sich ergiessenden, dieselben belebenden und innerlich wie äusserlich bewegenden a l l g e m e i n e n N a t u r k r a f t sich verbunden zeigt. Jenes allseitig ordnungsmässige Ineinanderwirken und Zusammenstimmen aller besonderen Naturkräfte zu einem unverkennbaren gemeinschaftlichen Ziel und Zweck ist es, was den Gesammtwirkungen aller dieser Einzelkräfte den Stempel einer wirklichen E i n h e i t aufprägt. Allenthalben tritt bei aufmerksamer Naturbetrachtung bei allem, was ist und geschieht, im Einzelnen wie im Ganzen, ein gewisser innerer W i r k u n g s d r a n g oder eine verborgene innere T r i e b k r a f t uns entgegen, in deren Folge denn auch das allgemeine Wesen dieser Welt geradezu als ein grosses n a t ü r liches T r i e b w e r k sich darstellt. Von diesem Gesichtspunkt aus in das Auge gefasst, erscheint uns somit der gesammte Naturbegriff denn auch so recht eigentlich unter dem Bilde einer einheitlichen, zu eigener inneren Wesensentwickelung und Wesensentfaltung i n n e r l i c h d r ä n g e n d e n , t r e i b e n d e n oder irgend wie n ö t h i g e n d e n e i n h e i t l i c h e n N a t u r k r a f t . Und somit dürfen wir diesem gemäss denn auch sagen, dass der Begriff der N a t u r einerseits ebensowohl das innere W e s e n der Dinge uns vor Augen stelle ohne B,ücksicht auf die in ihm vorgehenden inneren Zustandsveränderungen und besonderen Wesensentfaltungen, wie von der anderen Seite derselbe Naturbegriff uns das gleiche innere Wesen der Dinge auch wieder vergegenwärtigt unter M i t b e r ü c k s i c h t i g u n g eben dieser besonderen inneren Vorgänge. Auch hier liegt der Grund dieser begrifflichen Unterscheidungen in den besonderen geistigen Gesichtspunkten, von denen aus dieselbe Sache sich in das Auge fassen lässt. Es ist das gleiche' begriffliche Doppelverhältniss, welches uns hier entgegentritt, als ob wir sagen, der Begriff des W e s e n s verhält sich zu dem der N a t u r , wie derjenige der D a u e r zu dem der Zeit. Schon

Aristoteles

lehrte, dass unter den Begriff der 9*

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N a t u r alles dasjenige falle, was einen Anfang der Bewegung (und Veränderung) in sich selber hat, gleichviel ob man dieses mehr mit Rücksicht auf den zu Grunde liegenden Stoff oder mehr mit Rücksicht auf dessen g e s t a l t g e b e n d e K r a f t in das Auge fasse, dadurch die Dinge ihre eigentliche Verwirklichung erhalten. „Nach der ersten Auffassungsweise" — sagt er — „wird N a t u r jener e r s t e Stoff genannt, welcher allem demjenigen zu Grunde liegt, was einen A n f a n g von Bewegung in sich - s e l b e r hat. Nach einer anderen Auffassung aber wird sie die G e s t a l t u n g und b e g r i f f l i c h e F o r m (der Dinge) genannt." Und ähnlich bezeichnet er denn auch an anderen Orten die Natur als einen „ E n d z w e c k und ein solches, um desswillen etwas ist", oder als einen „ U r g r u n d der Bewegung und Veränderung" und als eine „ U r s a c h e der O r d n u n g für Alles" (ARISTOTELES, Phys. S. 59. 65. 103. 385. 391 [PBANTL]). — In gleichem Sinn sagt Leibnitz: „Es ist den Dingen eine W i r k s a m k e i t , F o r m oder K r a f t eingepflanzt, wie solche unter dem Namen »Natur« verstanden zu werden pflegt, und daraus die Reihe der Erscheinungen zu erfolgen hat" (LEIBNITZ [Ed. ERDMANN] S. 156). — Ebenso Kant. „Wir haben" — sagt er — „zwei Ausdrücke: W e l t und N a t u r , welche bisweilen in einander laufen. Das erste bedeutet die genaue einheitliche Zusammenfassung der G e s a m m t h e i t a l l e r Ers c h e i n u n g e n in einem gemeinschaftlichen Ganzen (das mathematische Ganze aller Erscheinungen und die Totalität ihrer Synthesis). Eben dieselbe Welt wird aber »Natur« genannt, sofern sie als ein t h a t k r ä f t i g e s (dynamisches) Ganzes betrachtet wird, und man nicht auf die bloss äusserliche Zusammenhäufung (auf die blosse Aggregation) im Raum oder in der Zeit Rücksicht nimmt, um sie als (bloss räumlich-körperliche) G r ö s s e zu Stande zu bringen, sondern auf die E i n h e i t im (lebendig-wesenhaften) D a s e y n " (KANT II. S. 338. 339). — Reimarus sagt: „Wer klare Begriffe sucht, kann durch das Wort N a t u r nichts anderes verstehen als die w e s e n h a f t e

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K r a f t eines jeden wirklich wesenhaften Naturdaseyns (einer jeden wirklichen Substanz). So haben Sonne, Mond, Sterne, Steine, Pflanzen, Thiere, ja jedes Stäubchen in der Welt, ihre b e s o n d e r e N a t u r oder eine einem jeden eigene und von anderen unterschiedene K r a f t zu wirken. Weil jedoch alle diese Kräfte in der Welt durch eine weise (d. i. ordnungsund gesetzmässige) Verknüpfung zur Ubereinstimmung gebracht sind und in sofern auch die g a n z e W e l t zum Eins gemacht und als solches erhalten ist: so nimmt man auch die ganze Sammlung aller besonderen Kräfte in der Welt wegen dieser Übereinstimmung, f ü r E i n s und nennt sie entweder schlechthin N a t u r oder auch die ganze N a t u r " (REIMABUS, Natürl. Religion S. 257. 258). — „Insofern wir das G a n z e alles Vorhandenen (der Objecte)" — sagt S c h e l l i n g — „nur als den Inbegriff des Seyns (oder alles Daseyenden) kennen, ist uns dieses Ganze als blosse W e l t . " Ali einem andern Ort bezeichnet er sodann dieses gesammte „ W e l t g e b ä u d e (Universum) als E i n G a n z e s von wohlgeordneten Weltgebieten (Systemen), die alle von einem pulsirenden Punkt aus sich einst gebildet haben." Und von diesem Weltganzen sagt er dann weiterhin, dass es sich „zur N a t u r erhebe", und zwar insofern als die Natur, im Gegensatz zu dem blossen Weltbegriff, als „schlechthin t h ä t i g angesehen werden muss. Denn in ihr ist alles ununterbrochen (continuirlich) im W e r d e n begriffen. Sie muss in beständiger Bildung begriffen seyn, und alles muss in jenen allgemeinen Entwickelungsgang (Bildungsprozess) eingreifen. Daher ist die Natur ursprünglich nur h e r v o r b r i n g e n d e K r a f t und W i r k u n g s v e r m ö g e n (nur Produktivität), und alles, was in ihr ist, muss angesehen werden als ein G e w o r d e n e s . Diese Gemeinschaftlichkeit des Hergebrachten mit dem Hervorbringenden (Identität des Produktes mit der Produktivität) ist selbst im gemeinen Sprachgebrauch durch den Begriff der »Natur« bezeichnet." Und in eben diesen Verhältnissen beruht denn auch für SCHELLING

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„die Gleichmässigkeit und Einheit alles Wirklichen mit dem innersten Grundbegriff seines Wesens (die Identität des Reellen und Ideellen)," wie solche „in dem Begriff eines jeden Naturdaseyns (Naturproduktes) gedacht wird. Denn wenn in der Kunst" — so fügt er hinzu — „der Begriff der That vorangeht, so sind in der Natur vielmehr Begriff und That gleichzeitig und Eins. Der Begriff geht unmittelbar in die hervorgebrachte Wirklichkeit (in das Produkt) über und lässt sich davon nicht trennen" (SCHELLING II. S. 125. 284. III. S. 14. 32. 33. 283. 284). — Endlich sagt S e n g l e r : „Das Wort Wesen und N a t u r ist bis in die neueste Zeit nicht bestimmt unterschieden worden. N a t u r im allgemeinen Sinn ist dem durch Entwicklung, Bildung u. s. w. Erworbenen entgegengesetzt, und weiter dem Zufälligen, Veränderlichen, und heisst so die bleibende E i g e n t h ü m l i c h k e i t , die feste Bestimmtheit des Wesens. In diesem Sinn wurde es mit Wesen gleichbedeutend genommen, und so als der b e h a r r l i c h e Grund der Dinge in ihren Erscheinungen angesehen. Aber schon in den ältesten Zeiten wurde doch das Wesen von der Natur, auch in diesem allgemeinen Sinn des Wortes, unterschieden, und jenes als das die Natur bestimmende Seyn und so als Urseyn, diese dagegen nur als die wesentliche Bestimmung desselben gefasst. Wesen blieb somit immer der Bestimmungsgrund der Natur, wenn auch diese als die wesentliche d. h. bleibende Bestimmung des Wesens gefasst wurde. Dieser B e s t i m m u n g s g r u n d , an sich bestimmt oder als ein bestimmter gefasst, ist dann die ursprüngliche (primitive) oder Urbestimmung, die N a t u r die in zweiter Linie stehende (secundäre) oder abgeleitete bleibende Bestimmtheit oder G r u n d e i g e n t h ü m l i c h k e i t " (SENGLEE, Idee Gottes II. S. 2 0 0 . 2 0 1 ) .



Alle diese Anführungen bestätigen somit die vorhin dargelegte Ansicht, dass das den beiden Begriffen von Wesen und von N a t u r G e m e i n s c h a f t l i c h e darin besteht, dass Ein und

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derselbe innerste Urgrund der Dinge es ist, dessen unmittelbarer Kraftwirksamkeit dieselben wie ihr Daseyn, so damit zugleich auch ihren Bestand im Daseyn zu verdanken haben: ihre begriffliche U n t e r s c h e i d u n g dagegen darin, dass wir, wie bereits vorhin erwähnt, in dem Begriff des W e s e n s dieses ausschliesslich nur von dem Gesichtspunkt aus wollen betrachtet wissen, wie es an sich ist, ohne alle und jede Rücksichtnahme auf irgendwelche sonstige Vorgänge, welche von aussen her in denselben angeregt werden könnten, wogegen in dem Begriff Natur gerade diese letzteren Verhältnisse stets vollgültig mit in Betracht gezogen sind. Daher verbindet sich mit dem Begriff des W e s e n s mehr die Vorstellung eines in sich selber ruhenden r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e n B e s t a n d e s im Daseyn, wogegen der Begriff der N a t u r auch jederzeit den wirklichen Z e i t b e g r i f f unmittelbar in sich einschliesst. Nirgends in der ganzen uns umgebenden Weltordnung tritt jenes von innen h e r a u s T r e i b e n des innersten Wesensgrundes der Dinge im Verein mit dem steten Wechsel in den äusseren Erscheinungsweisen augenfälliger uns entgegen als in dem weiten Gebiete der gestalteten Natur. Wie tritt hier, wenn wir die Entstehung von Angehörigen des Quarzreiches mit Hülfe starker Vergrösserungen belauschen, das Gepräge eines von innen heraustreibenden Grundes und eines von einheitlichen Kraftpunkten ausgehenden gemeinsamen und ordnungsmässigen Gestaltens in bewunderswürdiger Weise zu Tage; wie in der P f l a n z e n w e l t die dieselbe vorherrschend kennzeichnenden Triebe des Keimens, Sprossens und Wachsens, sowie des Blüthe-, Früchte- und Samen-Treibens; unterdess wir im T h i e r l e b e n auch ausserdem noch die Triebe zu möglichst freier willkürlicher Bewegung im Verein mit einem wirklich seelenvollen Gemüthsleben augenfällig uns entgegentreten sehen. Daher hat denn auch ein alter wohlbekannter Gebrauch eben diese drei verschiedenen Bereiche des allgemeinen Gestaltungslebens einheitlich zusammengefasst unter

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der gemeinsamen Bezeichung der „drei R e i c h e d e r N a t u r " , um dieselben eben hierdurch zugleich als das gemeinsame natürliche Mittelglied anzuerkennen zwischen der noch ungestalteten K ö r p e r w e l t und der eigentlichen G e i s t e r w e l t . Bereits an einem früheren Orte haben wir darauf hingewiesen, wie wir im Allgemeinen, selbst bei an sich e n d l i c h e n Dingen, sobald wir unsere Aufmerksamkeit ausschliesslich nur deren s t o f f l i c h e m W e s e n s i n h a l t zuwenden, die eigentliche oberflächliche B e g r ä n z u n g dieses Letzteren meist gänzlich unberücksichtigt lassen, und somit, wenn auch unter dem nöthigen Vorbehalt in unserem Denken, dem allgemeinen S t o f f b e g r i f f leicht eine an sich s c h r a n k e n l o s e B e d e u t u n g zuschreiben; wogegen bei dem Begriff des K ö r p e r s , bei welchem die äusserliche Wesensumschränkung eine Hauptrolle zu spielen hat, ein derartiges Missverständniss in keiner Weise statthaben kann. Ein ganz gleiches Verhältniss findet nun aber, der ganzen Sachlage nach, auch in Bezug auf den Allgemeinbegriff der N a t u r im Grossen und Ganzen statt. Wenden wir in unserer Betrachtungsweise nur den an sich rein innerlichen Vorgängen unsere Aufmerksamkeit zu, so geschieht es nur zu leicht, dass wir die einem jeden Naturdaseyn naturnothwendig zukommende äussere Wesens- und Daseynsumschränkung mehr oder weniger ausser Acht lassen, und in Folge dessen denn auch uns versucht fühlen, dem a l l g e m e i n e n N a t u r b e g r i f f die Bedeutung eines völlig s c h r a n k e n l o s e n N a t u r d a s e y n s fälschlich unterzuschieben. Wie dort bei dem Begriff des K ö r p e r s , so liegt auch hier hinsichtlich des Begriffes eines thatsächlichen W e l t g e b ä u d e s eine solche Gefahr nicht vor; denn einem Gebäude, das nicht auch unter Dach und Fach, d. h. als völlig in sich abgeschlossen vor uns dasteht, würde das Wesentlichste abgehen, was begrifflich zu einem wirklichen Gebäude gehört. In diesem Sinne allein dürfen wir es daher auch auffassen, wenn z. B. Schölling die Natur als „das von aussen Unbeschränkte" darstellt (SCHELLING III.

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S. 250). — T a u r e l l u s , indem er von dem gegenseitigen Verhältniss spricht, in welchem die einzelnen Dinge und Wesen dieser Welt zu dem gemeinsamen Weltganzen stehen, sagt, dass die Welt eine w e s e n h a f t e (substanzielle) V i e l h e i t und nur eine ä u s s e r l i c h e (formale) E i n h e i t bilde; diese wesenhafte Vielheit ergebe sich aus der V i e l h e i t der vorhandenen Naturwesen (der Substanzen), welche die T h e i l e der Welt sind. In dieser Weise ist für ihn die Welt ebensowohl E i n h e i t wie auch V i e l h e i t , und ihre äussere Einheit besteht darin, dass die Dinge bestimmt zusammengehörige (constitutive) Bestandtheile Einer Welt sind, ebenso wie viele Einheiten Theile sind E i n e r Zahl. Und eben diese gesetzmässige Zusammengehörigkeit (diese Constitution) der Theile ist es denn auch, welche nach TAUKELLÜS jene wohlgeordnete (harmonische) Zusammensetzung ermöglicht, durch welche erst die E i n h e i t d e r Welt bewirkt und hervorgebracht werde (F. H . SCHMID, TAUKELLÜS. S. 62. 63). Es ist klar, dass TAUKELLÜS hier den Begriff der W e l t in der mehr innerlichen Bedeutung von „ W e l t a l l " in das Auge fasst. Denn das All bedeutet hier das G a n z e dieser Welt, wie es als solches aus wirklichen T h e i l e n innerlich zusammengesetzt ist, ähnlich wie auch eine jede kleinere oder grössere körperliche Masse der noch ungestalteten Natur ebenfalls als Ganzes aus körperlichen Einzeldingen, als seinen bestimmten Bestandtheilen, sich zusammengefügt zeigt. W e l t a l l und W e l t g a n z e s erscheinen somit in dieser Beziehung als einander gleichlaufende und gleichwerthige Begriffe. Doch berücksichtigen wir in dem Begriff des W e l t a l l s mehr die G e s a m m t h e i t jener i n n e r l i c h e n K r ä f t e , durch deren wechselseitiges Zusammen- und Ineinanderwirken die einzelnen Dinge zu einer gemeinsamen Einheit sich zusammenfügen und äusserlich an einander anschliessen, wogegen dem Begriff des W e l t g a n z e n zwar auch diese äusserliche Aneinanderreihung der einzelnen Bestandtheile desselben zu Grunde liegt, aber o h n e dass dabei auch auf die besonderen inneren Gründe

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eben dieser Aneinanderreihungen oder Aneinanderlagerungen eine besondere Rücksicht genommen werde. Ganz in diesem Sinn bezeichnet daher auch S c h e l l i n g die „Welt" als ein „blosses Ganzes", die „ N a t u r " u n d d a s „ W e l t a l l " aber als die „Gesammtlieit aller Kräfte (Potenzen)" (SCHELLING III. S. 2 8 4 . I V . S. 3 7 9 ) .

N o . 135.



Kant und dessen Anschauungen in Bezug auf die Begriffe von Raum und Zeit.

Der R a u m ist nach Kant „kein Begriff der Erfahrung (kein empirischer Begriff)", kein Begriff, der von der äusseren Erfahrung abgezogen worden. Denn „die Vorstellung des Raumes kann n i c h t aus den Verhältnissen der äusseren Erscheinung durch Erfahrung geborgt seyn, sondern diese äussere Erfahrung ist selbst n u r d u r c h g e d a c h t e V o r s t e l l u n g allererst m ö g l i c h " . Daher ist für KANT der Raum „eine n o t wendige Verstandesvorstellung (Vorstellung a priori), die allen äusseren Anschauungen zu G r u n d e l i e g t . Man kann" — sagt er — „sich n i e m a l s eine Vorstellung davon machen, dass k e i n R a u m sey, ob man sich gleich ganz wohl d e n k e n kann, dass k e i n e G e g e n s t ä n d e darin angetroffen worden". Und ebenso sagt KANT auch von der Z e i t , dass sie „ k e i n Erfahrungsbegriff (kein empirischer Begriff)" sey, „der irgend von einer Erfahrung abgezogen worden; denn" — so fügt er hinzu — „das Zugleichseyn und Aufeinanderfolgen würde selbst nicht in die Wahrnehmung kommen, wenn die Vorstellung der Zeit nicht von vornherein (a priori) zu Grunde läge". Daher ist sie auch für KANT „eine nothwendige Vorstellung, die allen Anschauungen zu Grunde liegt. Man kann" — fügt er hinzu — „in Ansehung der Erscheinungen überhaupt die Zeit selbst n i c h t a u f h e b e n , ob man zwar ganz wohl die E r s c h e i n u n g e n aus der Zeit w e g n e h m e n kann. Die Zeit" — so folgert er hieraus — „ist also von vornherein (a priori)

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gegeben. I n ihr allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinungen möglich. Diese können insgesammt w e g f a l l e n ; aber sie s e l b s t , als die allgemeine Bedingung ihrer Möglichkeit, kann n i c h t wegfallen". Und an einem späteren Ort sagt K A N T : „Wir haben hinreichend bewiesen, dass Alles, was im R a u m oder in der Z e i t angeschaut wird, mithin alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung, n i c h t s als E r s c h e i n u n g e n , d. i. b l o s s e V o r s t e l l u n g e n sind, die so, wie sie v o r g e s t e l l t werden, als ausgedehnte Wesen oder Reihen von Veränderungen, a u s s e r u n s e r e n G e d a n k e n keine an sich g e g r ü n d e t e W i r k l i c h k e i t (Existenz) haben. Unsere übersinnliche Vernunftanschauung (transscendentaler Idealismus) erlaubt uns, dass die Gegenstände äusserer Anschauung, ebenso wie sie im R a u m angeschaut werden, auch w i r k l i c h seyen, und in der Zeit alle V e r ä n d e r u n g e n so wie sie der i n n e r e Sinn v o r s t e l l t . Denn da der Raum schon eine Form (oder Erscheinungsweise) derjenigen Anschauung ist, die wir die äussere nennen, und ohne G e g e n s t ä n d e in demselben es gar k e i n e V o r s t e l l u n g der Erfahrung geben würde, so können und müssen wir darin ausgedehnte Wesen als wirklich a n n e h m e n , und ebenso ist es auch mit der Zeit. Jener R a u m s e l b e r aber, sammt dieser Z e i t , und zugleich mit beiden alle E r s c h e i n u n g e n sind doch an sich selbst k e i n e D i n g e , sondern n i c h t s als V o r s t e l l u n g e n , und können gar n i c h t a u s s e r unserem G e m ü t h w i r k l i c h v o r h a n d e n seyn (existiren), uns selbst ist die innere und sinnliche Anschauung unseres Gemüthes — als Gegenstand des Bewusstseyns •— dessen Bestimmung durch die Aufeinanderfolge (Succession) verschiedener Zustände in der Zeit vorgestellt wird, auch n i c h t das eigentliche S e l b s t , so wie es an sich besteht (existirt), sondern nur eine Erscheinung, die der Sinnlichkeit dieses uns unbekannten Wesens gegeben worden. Das Daseyn dieser inneren Erscheinung, als eines an sich bestehenden (existirenden) Dinges, k a n n n i c h t e i n g e r ä u m t w e r d e n , weil ihre Bedingung die Z e i t

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ist, welche k e i n e Bestimmung irgend eines Dinges an sich selbst seyn kann" (KANT II. S. 63. 64. 69. 70. 389. 390. SCHELLING X . S. 3 1 5 . 3 1 6 . 3 3 4 . 3 3 5 .

[KANT]). —

Neben eben dieser an sich rein innerlich-geistigen Darstellungs- nnd Erklärungsweise der beiden natürlichen Zwillingsbrüder R a u m und Z e i t begegnen wir jedoch, wie wir bereits ersehen haben, in der Geschichte des Denkens auch noch einer anderen und zwar geradezu entgegengesetzten Auffassung. Diese sucht den eigentlichen Grund und die wirkliche Entstehung von Raum und Zeit nicht sowohl in dem Gebiet des bloss geistigen D e n k e n s und V o r s t e l l e n s , als vielmehr in der eigentlichen, d. h. in der w e s e n h a f t e n und darum sichtbaren, handgreiflichen und überhaupt sinnlich-wahrnehmbaren N a t u r w i r k l i c h k e i t , wie solche nicht allein allenthalben uns umgibt, sondern zu der wir uns auch selbst erfahrungsgemäss zu zählen haben. Sagt in dieser Beziehung doch auch selbst Kant an einem anderen Orte: „Alle Erscheinungen sind in d e r Z e i t . Nur in dem B e h a r r l i c h e n (also nur in dem in sich selber wesenhaft D a u e r n d e n ) sind also Z e i t v e r h ä l t n i s s e m ö g l i c h , das heisst: das Beharrliche ist der T r ä g e r (das Substrat) der Erfahrungsvorstellung (der empirischen Vorstellung) der Zeit selbst, an welchem alle Zeitbestimmung allein möglich ist. Die Beharrlichkeit" — so fährt KANT fort — „drückt überhaupt die Zeit als die beständige Wechselbeziehung (das Correlatum) alles Daseyns der Erscheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung, aus. Denn der Wechsel trifft die Zeit selbst n i c h t , sondern nur die Erscheinungen in der Zeit. Ohne das Beharrliche ist also k e i n Zeitverhältniss. Nun kann aber die Z e i t an sich selbst n i c h t wahrgenommen werden; mithin ist dieses Beharrliche an den Erscheinungen die U n t e r l a g e (das Substratum) aller Zeitbestimmungen, und es kann auch an diesem Beharrlichen alles Daseyn und aller Wechsel in der Zeit nur als eine A r t u n d W e i s e d e s Bes t a n d e s (als ein Modus der Existenz) dessen, was b l e i b t und

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b e h a r r t , angesehen werden" (KANT II. S. 191. 192). Nach diesem Ausspruch KANT'S dürfte es wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass unter eben diesem allein B l e i b e n d e n und B e h a r r e n d e n in allem Wechsel der Erscheinungen und eben damit auch unter diesem T r ä g e r aller Veränderungen im zeitlichen Verhalten der Dinge kein Anderes dürfte verstanden haben, als eben jene i n n e r e W e s e n h a f t i g k e i t , welche allem wirklichen Naturdaseyn ausnahmslos zukommen muss. Diese Annahme wird aber ausserdem noch unterstützt durch die Art und Weise, in welcher KANT über eben diesen Gegenstand sich ursprünglich in der e r s t e n Ausgabe seiner „Kritik der reinen Vernunft" ausgesprochen hat. Hier sagt er nehmlich: „Alle Erscheinungen sind in der Zeit. Diese kann in zweif a c h e r Weise das Verhältniss im Daseyn derselben bestimmen, entweder insofern sie n a c h e i n a n d e r oder z u g l e i c h sind. In Betracht der ersteren wird die Zeit als Z e i t r e i h e , in Ansehung der zweiten als Z e i t u m f a n g betrachtet" (KANT II. S. 191). Unter „ Z e i t r e i h e " dürfte KANT hier wohl kaum ein Anderes im Auge gehabt haben als jene Gewohnheit, den allgemeinen Verlauf der Zeit sich geistig unter dem Bilde einer an sich zeit-, räum- und wesenlosen L i n i e vorzustellen, von welcher wir bereits früher schon gesprochen haben. Was sollte er aber nun — so dürfen wir wohl fragen — unter dem, jener Zeitreihe gegenüber gestellten „ Z e i t u m f a n g " wohl verstanden haben? Wir möchten in Folge der hier von KANT selbst gewählten Ausdrucksweise der Vermuthung Raum geben, ob nicht auch ihm bereits eine geheime Ahnung davon vorgeschwebt haben dürfte, dass der eigentliche und wahre Z e i t b e g r i f f nicht sowohl aus dem bloss äusserlich-oberflächlichen Wechsel in den äusseren Erscheinungsweisen seinen ersten natürlichen Grund und Ursprung herleite, sondern vielmehr aus denjenigen zeitlichen Vorgängen und Verhältnissen, welche naturgesetzmässig zuerst in dem w e s e n h a f t e n I n n e r e n der räumlich-körperlichen Einzeldinge und Einzelwesen

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statthaben müssen, bevor von einem Wechsel in den äusseren Erscheinungsweisen überhaupt die Rede seyn kann. Denn wie anders vermöchte der denkende Geist überhaupt zu dem Gedanken oder zu der geistigen Vorstellung eines wirklichen Z e i t u m f a n g e s zu gelangen, wofern nicht bereits ein dunkel ahnendes Gefühl davon in ihm läge, dass nur der innere, räumlich-körperliche W e s e n s u m f a n g der Dinge es seyn könne, den wir als den eigentlichen n a t ü r l i c h e n S c h a u p l a t z eben jener i n n e r l i c h e n Z u s t a n d s w e c h s e l zu betrachten hätten, auf deren stetiger Aufeinanderfolge ja in erster Linie der gesammte Z e i t b e g r i f f sich gründet? Alle äusserlichen Erscheinungsweisen dagegen, auf deren stetem Wechsel der gesammte ä u s s e r e Z e i t v e r l a u f sich gründet, stellen nur als die an sich w e s e n l o s e n A b b i l d e r eben jener i n n e r e n Wesens Vorgänge sich dar, und in diesem Sinn mögen wir denn auch ihre an sich ebenfalls völlig w e s e n l o s e n , äusserlich-oberflächlichen Aneinanderreihungen immerhin, wie K A N T an der angeführten Stelle sich ausdrückt, als Z e i t r e i h e n , d. i. als ebenfalls in w e s e n l o s e n L i n i e n verlaufend, uns vorstellen. Aber der eigentliche und wahre Zeitbegriff, wie solcher nur allein in der i n n e r e n W e s e n h a f t i g k e i t alles wirklichen Naturdaseyns uns geboten ist, vermag in jenen blossen Z e i t r e i h e n oder Z e i t l i n i e n keinen sachgemässen Ausdruck zu finden. Als einen solchen können wir nur jene, das g a n z e w e s e n h a f t e I n n e r e der Dinge s e l b e r ergreifenden und allseitig durchwaltenden innerlichw e s e n h a f t e n Z e i t v o r g ä n g e anerkennen, welche nach unserem Dafürhalten wohl auch bereits K A N T bei seiner Bezeichnung von Zeitumfängen möchten vorgeschwebt haben. Wenn nun aber K A N T in den oben angeführten Stellen „alles, was im Raum und in der Zeit angeschaut wird, mithin alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung", als „Vorstellungen" unseres geistigen Denkens bezeichnet: so kann diese seine Anschauung durchaus nicht als unbedingt unrichtig

D i e räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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verworfen werden. Denn R a u m und Z e i t gehören in der That zu den Verstandesbegriffen, die in einer jeden geistigen Anschauung der gegebenen Naturverhältnisse eine grundwesentliche Rolle spielen. „Alles i s t im Raum" und „alles ges c h i e h t in der Zeit", pflegen wir vielfach zu sagen. Aber dürfen wir nicht auch ebensowohl sagen, „alles, was i s t , ist in der Z e i t " , und „alles, was g e s c h i e h t , geschieht im R a u m ? " Beides ist unzertrennlich von einander, weil beides gleich richtig ist; in sofern nehmlich als alles, was in dieser Welt vorhanden ist, sowohl seinen eigenen Raum wie seine eigene Zeit w e s e n h a f t in s i c h s e l b e r besitzt und in sich selber trägt. Dies ist denn auch wohl der tiefere Grund dafür, dass wir, wie K A N T richtig sagt, die Begriffe von Raum und Zeit von v o r n h e r e i n , d. h. in einer völlig uranfänglichen Weise, in unserem eigenen Wesen und damit auch zugleich in unserem eigenen geistigen Denken vorfinden. Denn schlummern sie auch anfänglich noch unthätig und demgemäss noch unentwickelt und nur keimartig in dem Seeleninnern des Kindes: mit dem Erwachen und der weiteren E n t w i c k l u n g des geistigen Denkens treten sie mehr und mehr auch in dessen Bewusstseyn ein und bieten sich damit auch ungesucht zur Benutzung auch für das weitere Nachdenken dar. Daher ist es von diesem Standpunkt aus auch ganz richtig, wenn nach KANT alle Dinge einer sinnlichen Wahrnehmung von uns zuerst in unserer g e i s t i g e n A n s c h a u u n g oder in unserem g e i s t i g e n V o r s t e l l e n unwillkürlich mit den Begriffen von Raum und Zeit in eine nähere Beziehung, z. B. des Zugleichseyns und des Nacheinanderseyns, gebracht werden. Wenn nun aber K A N T von hier aus auch einen Schritt weiter zu der Behauptung wagt, dass wir alle Dinge und Erscheinungen a u s Raum und Zeit w e g z u d e n k e n vermöchten, aber nicht ebenso auch den R a u m und die Z e i t selber: so müssen wir zugestehen, dass wir, so lange es sich nur um ein an sich rein w i l l k ü r l i c h e s Denken und Vorstellen handelt, uns allerdings

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

gar manches als m ö g l i c h innerlich v o r s t e l l e n können, was dennoch in der Naturwirklichkeit als u n s t a t t h a f t sich darstellt. Wir erinnern beispielsweise nur an die angebliche unendliche Theilbarkeit des Stoffes oder der in sich selbstständigen stofflich-körperlichen Einzeldinge. Auch an dieser Vorstellung hat man früher lange Zeit geglaubt festhalten zu müssen: und dennoch beruht dieselbe auf einer Verkennung der thatsächlichen inneren Wesensverhältnisse der betreffenden Dinge und musste demzufolge schliesslich als Irrthum sich erweisen. Selbst L E I B N I T Z hatte, als Kind seiner Zeit, noch unter dem Banne eben dieser irrthümlichen Anschauung gestanden, und dadurch bekanntlich zur Annahme von an sich räum- und wesenlosen Monaden, als den letzten Grundbestandteilen alles Naturdaseyns, sich veranlasst gefunden. In einem ähnlichen Verhältniss befand sich nun auch K a n t hinsichtlich seiner Annahme, dass die Begriffe von Raum und Zeit nur allein durch unsere geistigen Vorstellungen begründet und demgemäss auch nur auf diese zu beziehen seyen. Auch er sab hierbei von der Naturwirklichkeit ab, und demzufolge musste auch seine Anschauung schliesslich als eine irrthümliche sich erweisen. Denn hatte K A N T überhaupt einmal die Begriffe von Raum und Zeit nur auf die Vorgänge unseres geistigen Denkens und Vorstellens gegründet ohne alle und jede Beziehung auch auf die uns umgebende wesenhafte Natur: so konnte es nicht fehlen, dass auch alles, was wir im Allgemeinen unter den Begriffen von Raum und Zeit uns vorzustellen pflegen, ihm schliesslich für sein Denken als etwas an sich ebenso W e s e n l o s e s sich darstellen musste wie auch jene geistigen Vorstellungen, welche unsere Verstandesthätigkeit sich innerlich von allem ausser uns Befindlichen und ausser uns sich Zutragenden bildet. Woher aber sollten jene wesenlosen inneren Gedankenbilder, die wir als geistige Vorstellungen zu bezeichnen pflegen, in uns entstehen, wenn die in sich wesenhafte Aussenwelt durch ihre Einwirkungen auf unsere äusserlich-

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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leiblichen Sinneswerkzeuge und durch deren Vermittelung auch auf unser eigenes Seelenwesen diesem nicht thatsächlich K u n d e sowohl von ihrem wirklichen räumlich-körperlichen D a s e y n , wie auch von allem dem, was zeitlich in und an ihnen geschieht, zu geben vermöchte? Durch sein geflissentliches Absehen von aller Naturwirklichkeit scheint er eben diesen zu einer richtigen Beurtheilung aller Raum- und Zeitverhältnisse so wichtigen Naturthatsachen allerdings weniger seine Aufmerksamkeit zugewendet zu haben, als dem blossen Denken und Vorstellen dessen, worin nach seiner Ansicht die Begriffe von Raum und Zeit nur allein eine wirkliche Begründung finden konnten. Daher denn auch sein Ausspruch, dass wir alles Räumliche und alles Zeitliche h i n w e g d e n k e n könnten, o h n e dass darum auch R a u m und Z e i t selber ebenfalls mit verschwinden würden. Es ist dies, wie wir sehen, jene alte Vorstellung von einem an sich l e e r e n und w e s e n l o s e n W e l t r a u m wie einer an sich ebenso l e e r e n W e l t z e i t (VI. § 22, No. 119 und 120), in welche die wirklichen Dinge gleichsam nur wie in einen leeren Behälter hineingestellt sich finden sollten, unter deren Banne auch KANT sich damals noch befunden. Von solchem Standpunkt aus vermochte KANT dann allerdings, scheinbar vollkommen folgerichtig, den Satz aufzustellen, dass wir wohl in Gedanken a l l e G e g e n s t ä n d e aus dem R a u m und a l l e E r s c h e i n u n g e n aus der Z e i t h i n w e g d e n k e n könnten: n i c h t aber den R a u m und die Z e i t selber. Aber eben damit sind wir denn auch an die Kreuzprobe der gesammten, in dieser Beziehung von KANT dargelegten Anschauung herangetreten. Wenn alle wesenhaften Dinge als nicht seyend hinweggedacht werden, Raum und Zeit aber selber nur wesenlose Begriffe darstellen, denen ebenfalls nur ein wesenloses Daseyn kann zugeschrieben werden: was bleibt da für unser gesammtes Denken und Nachdenken übrig? N i c h t s , oder noch besser gesagt: g a r N i c h t s ; denn alsdann müssen wir auch uns s e l b e r mit hin wegdenken, in welchem Fall es Wandersmann. III.

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyna.

alsdann folgerichtig auch mit allem unserem Denken gleichfalls ein für allemal a u s seyn würde. Schon dies Schlussergebniss, zu welchem jene Anschauungen K A N T ' S uns nöthigen, darf als ein sicherer Hinweis auf deren Irrthiimlichkeit gelten. Aber auch noch eine andere Frage bleibt uns hier zu berücksichtigen. Wenn der gesammte gemeinsame Weltraum und die gesammte gemeinsame Weltzeit n i c h t gebildet sind durch die G e s a m m t h e i t aller in dieser Welt wirklich vorhandenen r ä u m l i c h k ö r p e r l i c h e n D i n g e , und durch die Gesammtheit alles dessen, was während der gesammten Weltdauer an und in eben diesen Dingen s i c h z u t r ä g t , und wenn in Folge dessen nach K A N T eben dieser Weltraum und diese Weltzeit als b e r e i t s f r ü h e r v o r h a n d e n müssen gedacht werden als die jetzt darin befindlichen Dinge: welcher Ursache werden in solchem Fall beide, der leere wesenlose Weltraum und die leere wesenlose Weltzeit überhaupt ihr Daseyn zu verdanken haben? Dieser Frage kommt K A N T selbst zuvor, indem er sagt: „Der R a u m wird als eine u n e n d l i c h e g e g e b e n e G r ö s s e vorgestellt." Und weiterhin: „Die U n e n d l i c h k e i t d e r Z e i t bedeutet nichts weiter, als dass alle bestimmte Grösse der Zeit nur durch Einschränkungen einer einzigen zu Grunde liegenden Zeit möglich sey. Daher muss die ursprüngliche Vorstellung » Z e i t « als u n e i n g e s c h r ä n k t gegeben seyn" ( K A N T II. S. 64. 70). Ob diese Anschauung jedoch eine richtige sey, darüber können wir hier noch kein Urtheil abgeben: es wird die Aufgabe einer nächsten Untersuchung bilden. H e r b a r t sagt in Bezug auf eben diese Sätze K A N T ' S : machte d e n R a u m und d i e Z e i t zu Gegenständen (Objecten) seines Denkens. Kein Wunder, dass seine Antworten sich auf den W e l t r a u m beziehen, der übrig bleibt, wenn die Körper w e g g e d a c h t werden: und auf die Z e i t , worin die W e l t b e g e b e n h e i t e n geschehen, dergestalt, dass dieser Raum und diese Zeit die nothwendigen V o r a u s s e t z u n g e n der Sinnenwelt selbst auszumachen scheinen. So wird das „KANT

D i e räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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L e e r e dem V o l l e n vorausgeschickt: das N i c h t s wird zur Bedingung des Etwas. Gewiss die seltsamste aller Täuschungen. In der That ist der R a u m nur die Möglichkeit, dass Körper da seyen, und die Z e i t nur die Möglichkeit, dass Begebenheiten geschehen. Diese Möglichkeiten lassen sich nicht mehr ableugnen, n a c h d e m einmal w i r k l i c h e Körper w i r k l i c h als ein Räumliches, Ausgedehntes und Begränztes aufgefasst, und n a c h d e m einmal wirkliche Begebenheiten als dauernd eine bestimmte Zeit und als solche, die gerade nicht früher eintraten und nicht später endigten, sind vorgestellt worden. Und gerade dasselbe gilt von a l l e m , was sich jemals in der Wirklichkeit vorgefunden hat. Wie das Ich auf die P e r s ö n l i c h k e i t (Individualität) sich bezieht, so der Raum auf das R ä u m l i c h e ' , die Zeit auf das Z e i t l i c h e ; und die kantische Untersuchung, die e h e r von R a u m als vom Räumlichen redet, behandelt die l e e r e F o r m als eine (wirkliche) S a c h e , zerreisst Beziehungspunkt und Bezogenes: sie kehrt das Hinterste nach vornen und klebt an n i c h t i g e n Hirngespinsten. Und ebenso unkritisch war auch die Übereilung, d a r u m , weil Raum und Zeit F o r m e n u n s e r e s A n s c h a u e n s sind, zu behaupten, sie kämen den Dingen an sich n i c h t zu." Dagegen wird es aber auch von der anderen Seite unumwunden von H E B B A B T anerkannt, dass „ungeachtet aller Mängel" die erwähnte Darlegung K A N T ' S „ihr grosses Verdienst durch die einfache Bemerkung behalte, dass Raum und Zeit » F o r m e n d e s V o r s t e l l e n s « seyen" (HERBABT V. S. 505—507).— Auch S c h e l l i n g schliesst diesem Urtheil HERBART'S sich an, wenn er Raum und Zeit als „nothwendige Formen des Endlichen" bezeichnet (SCHELLING IV. S . 348). — Ahnlich M o l i t o r , Oersted, F r o h s c h a m m e r und Andere. FBOHSCHAMMEB nennt R a u m und Zeit „Grundformen alles Seyns und Wirkens" (MOLITOB, Gesch. d. Phil. I . S. 88. OEBSTED, Geist d. Natur I . S. 28. FBOHSCHAMMEB, Naturphil. S. 125). — Dadurch

dass Kant

die Begriffe von Raum 10*

und

Zeit

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Raum und Zeit als Grundbedingungen alles natürlichen Daseyns.

einzig und allein n u r für unsere g e i s t i g e n Anschauungen und Vorstellungen gelten lassen will, dass er ihnen dagegen alle Naturwirklichkeit ausser unseren Vorstellungen abspricht: dadurch ist er eben in eine E i n s e i t i g k e i t in seinem Gedankengang verfallen, welche nothwendig allen wirklichen Naturthatsachen widersprechen muss. Alle Einseitigkeit aber, wie sie von der einen Seite als das Kind eines irgend vorangegangenen Irrthums sich darstellt, muss nach der anderen Seite hin, solange ihr Irrthum nicht erkannt und ausgeglichen ist, als eine stete Quelle für immer weitere Irrthümer sich erweisen. Daher denn auch der Widerspruch, welchen KANT'S Darstellungsweise sehr bald von den verschiedensten Seiten her nothwendig erfahren musste. Schon bei einer früheren Gelegenheit (V. § 22, No. 120) haben wir ausführlicher angeführt, wie nachdrücklich S e n g l e r auf die U n m ö g l i c h k e i t hingewiesen hat, dass Raum und Zeit jemals s e l b s t s t ä n d i g f ü r s i c h , d. h. o h n e w i r k l i c h v o r h a n d e n e und in sich selber sowohl r ä u m l i c h e wie z e i t l i c h e D i n g e oder sonstige Naturwesen sollten zu bestehen im Stande seyn. Daraus geht aber, wie dies von SENGLEE ebenfalls ausdrücklich hervorgehoben wird, zugleich auch hervor, dass von einem Vorhandenseyn eines in sich k ö r p e r f r e i e n und darum w e s e n l o s e n R a u m e s oder einer in sich k ö r p e r f r e i e n und ebenfalls w e s e n l o s e n Z e i t , bereits vor dem Vorhandenseyp natürlicher räumlich-zeitlicher Naturwesen, in keiner Weise die Rede seyn könne. Aber eben damit muss denn auch jene vermeintliche „unendliche Grösse des Raumes" und „uneingeschränkte Zeit" KANT'S als eine rein begriffliche Täuschung ebenso in sich selbst zerfallen, wie solches aus allen diesen Gründen nach SENGLEB auch nothwendig der Fall seyn muss in Bezug auf die Behauptung KANT'S, dass Raum und Zeit nur als blosse A n s c h a u u n g e n unseres geistigen Denkens sollten zu betrachten seyn, ohne weitere Rücksicht auch auf die wirklich räumlich-zeitlichen Dinge, welche wir um uns her wahrnehmen (SENGLEB, Idee Gottes II 11 - S. 391).

Die räumliche und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen. 149

Ähnlich sagt Schölling: „Die Z e i t , vom Standpunkt unseres geistigen Denkens (der Refiection) angesehen, ist ursprünglich nur eine Anschauungsweise (Anschauungsform) des i n n e r e n S i n n e s , da sie nur in Ansehung der A u f e i n a n d e r f o l g e (Succession) u n s e r e r V o r s t e l l u n g e n statt hat, welche von diesem Standpunkt aus b l o s s in u n s i s t ; anstatt dass wir das Z u g l e i c h s e y n der wesenhaften Dinge (der Substanzen), was Bedingung des i n n e r e n und des ä u s s e r e n S i n n e s ist, n u r a u s s e r u n s anschauen können. Dagegen ist vom Standpunkt der Anschauung aus die Zeit u r s p r ü n g l i c h schon ä u s s e r e Anschauung, weil nehmlich auf demselben zwischen V o r s t e l l u n g e n und G e g e n s t ä n d e n kein Unterschied ist. Wenn also die Zeit für das Nachdenken (die Refiection) nur i n n e r e Anschauungsweise (Anschauungsform) ist: so ist sie für die A n s c h a u u n g (selbst) b e i d e s z u g l e i c h . " Und an einem anderen Orte sagt er: „KANT sagt, der Raum sey k e i n der äusseren Erfahrung entnommener (kein empirischer) Begriff, der bloss von ä u s s e r e n Erfahrungen abgezogen wäre. Denn damit ich gewisse Empfindungen auf etwas a u s s e r m i r beziehe, ferner damit ich v e r s c h i e d e n e Empfindungen auf Gegenstände als ausser- und nebeneinander seyende beziehe: dass ich dies k a n n , dass mir dies m ö g l i c h ist, dazu muss die Vorstellung des Raumes s c h o n in m e i n e m G e i s t v o r h a n d e n seyn. K A N T schliesst hieraus weiter, dass der Eaum nur eine Bestimmung ist, die an der Art und Weise (Form) u n s e r e r Anschauung a l l e i n haftet, d. h. dass sie den Gegenständen an sich, und u n a b h ä n g i g von unserer Anschauung, n i c h t zukommt. Allein dieses folgt n i c h t aus seinem Beweise. Es würde vielmehr folgen, dass, weil wir äussere Gegenstände n i c h t a n d e r s vorstellen k ö n n e n als im R a u m , der Raum zu d e n G e g e n s t ä n d e n s e l b s t ein u r s p r ü n g l i c h e s (apriorisches) V e r h ä l t n i s s hat, sodass dieselbe N o t wendigkeit, welche uns auferlegt ist, ä u s s e r e Gegenstände v o r z u s t e l l e n , es eben darum auch mit sich bringt, und zwar

150

Raum und Zeit als Grundbedingungen allea natürlichen Daseyns.

nothwendig mit sich bringt, sie im R a u m vorzustellen" (SCHEI,LING I I I . S. 517. X. S. 315. 316). — So sagt auch H e g e l : „Wenn wir gesagt haben, dass das Empfundene vom a n s c h a u e n den G e i s t die Erscheinungsweise (Form) des R ä u m l i c h e n und Z e i t l i c h e n erhalte: so darf dieser Satz nicht so verstanden werden, als ob Raum und Zeit n u r Denkweisen unseres eigenen Vorstellens (nur subjective Formen) seyen. Zu solchen hat KANT den Raum und die Zeit machen wollen. Die Dinge sind jedoch in Wahrheit s e l b e r räumlich und zeitlich: jene doppelte Erscheinungsweise (Form) des Aussereinander wird ihnen n i c h t e i n s e i t i g e r w e i s e von unserer Anschauung ang e t h a n , sondern ist ihnen schon u r s p r ü n g l i c h eigen (angeschaffen)" (HEGEL V I I u S. 317). — Ähnlich J. H. F i c h t e : „Da im wirklichen Weltzusammenhang kein bestehendes (reales) Wesen in Abgeschlossenheit, sondern alle in W e c h s e l w i r k u n g sich befinden: so kann nunmehr, als Folge davon, der Erfahrungssatz aufgestellt werden, dass alle Weltwesen im R a u m vorhanden sind (existiren), und in ihren Wirksamkeiten an den R a u m gebunden sind" (J. H. FICHTE, Anthrop. S. 195). — Ritter sagt: „Beide Arten der Wahrnehmung (nehmlich der inneren wie äusseren oder Empfindung und Vorstellung), so verschieden sie sich zeigen mögen, stellen doch nur Erscheinungen dar, an welche der Gedanke sich anschliessen muss, dass ein G e g e n s t a n d in ihnen sich uns zu e r k e n n e n gebe. Die bestimmte Weise, in welcher die Erscheinung w a h r g e n o m m e n wird, kann nur aus der bestimmten Weise, in welcher ein Gegenstand i s t , abgeleitet werden, und desswegen lassen die durch sinnliche Wahrnehmung (empirisch) aufgefassten Thätigkeiten einen Schluss zu auf die Wahrheit (oder vielmehr auf die W i r k l i c h k e i t ) der Gegenstände in ihrem bestimmten Vorhandenseyn. Alle Wahrheit der Erfahrungswissenschaften beruht auf diesem Grund" ( R I T T E E , Erk. Gottes. S. 309). — Auch dieser Ausspruch, obgleich er keinen unmittelbaren Bezug nimmt auf die oben erwähnten Anschauungen KÄNT'S,

Die räumlichp und zeitliche Endlichkeit alles natürlich Vorhandenen.

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enthält nichtsdestoweniger ein unverkennbares und unwiderlegbares Zeugniss gegen jegliche Begründung derselben durch die wirklichen Naturverhältnisse. Und somit müssen wir denn auch nach allem diesem Bertling zustimmen, wenn er sagt, dass „KANT sich einer Übertreibung schuldig mache, wenn er behauptet, dass die allgemeine Grundbestimmung aller uns erscheinenden Dinge, nehmlich die Räumlichkeit und Zeitlichkeit, l e d i g l i c h unserer persönlichen (subjectiven) Auffassung angehöre, dass die sinnliche Wahrnehmung erst r ä u m l i c h und z e i t l i c h m a c h e ; an sich aber dürfe man beides ihnen n i c h t zusprechen. Oder mit anderen Worten: „er behauptet, dass Raum und Zeit n i c h t w i r k l i c h e D a s e y n s w e i s e n (Existenzformen) seyen, sondern n u r Denkweisen (Formen) der m e n s c h l i c h e n A n s c h a u u n g " (BERTLING, Erkennbarkeit Gottes. S. 11). —

vn. Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit. §. 24. Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit der auf eine vermeintliche zeitliche Unendlichkeit oder Ewigkeit der stofflichkörperlichen Ur- und Einzelding-e gestützten Weltanschauung-. No. 136.

Entgegenstehende Ansichten in Bezug auf die

Ergebnisse unserer bisherigen Untersuchungen sowohl von Seiten namhafter Senker des griechischen Alterthums, wie auch von späteren Denkern bis in die jetzige Zeit. nsere bisherigen Untersuchungen und deren Schlussergebnisse können uns in erster Linie in keinem Zweifel darüber lassen, dass alle jene einzelnen, in sich

selbstständigen

und darum auch ihrem inneren Wesen

nach völlig untheilbaren stofflich-körperlichen Ur- und Grundbestandteile dieser Welt, sowohl hinsichtlich ihrer natürlichen Wesensaüsbreitung

im R a u m

(oder ihrer

körperlichen

G r ö s s e ) , um die es sich dabei handelte, wie auch hinsichtlich ihres z e i t l i c h e n B e s t a n d e s im Daseyn (oder ihrer z e i t l i c h e n W e s e n s d a u e r ) als thatsächlich e n d l i c h e , d. h. als in beiden Beziehungen ihrem gesammten Wesensinhalt nach sowohl innerlich b e s c h r ä n k t e

wie äusserlich bestimmt b e g r ä n z t e

Da-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

153

seynsweisen anerkannt werden müssen. Aber um so weniger dürfen wir es nunmehr verhehlen, dass bereits seit den frühesten Zeiten von einer nicht unbedeutenden Reihe namhafter Denker aus mannigfachen Gründen an einer geradezu entgegengesetzten Weltanschauung festgehalten worden ist, ja dass diese Letztere selbst bis in die neueste Zeit ihre wissenschaftlichen Vertreter auch bei uns fortwährend gefunden hat und noch findet. Unter diesen Umständen dürfte es daher wohl als geboten erscheinen, eben diese entgegenstehenden Ansichten sowie die Gründe, auf welche dieselben sich stützen, einer eingehenden Prüfung zu unterwerfen. Bereits im Früheren haben wir gesehen, wie einzelne der alten griechischen Weltweisen, von einem richtigen Wahrheitsgefühl geleitet, es als einen unumstösslichen Wahrheitssatz erkannt haben, dass nur allein solche Dinge als naturgemäss befähigt zu irgendwelcher T h e i l u n g oder Z e r l e g u n g in eine M e h r h e i t von E i n z e l b e s t a n d t h e i l e n sich erweisen können, welche auch wirklich in ihrem Inneren aus i r g e n d w e l c h e r V i e l h e i t von E i n z e l d i n g e n b e s t e h e n oder z u s a m m e n g e s e t z t sind (III. §. 12, No. 55 und 56). Wir haben ferner gesehen, dass dieselben Denker hieraus aber auch noch den weiteren Schluss gezogen haben, dass alle wirklich theilbaren Naturgegenstände folgerichtig, wenn diese Theilung eine vollständige seyn soll, g e n a u in e b e n s o v i e l e E i n z e l h e i t e n unter günstigen Verhältnissen müssen zerlegt werden können, als thatsächlich die A n z a h l oder Menge aller dieser Einzelbestandtheile beträgt. Freilich, die genaue natürliche Menge oder Anzahl solcher Einzeldinge, wie solche nothwendig in einer jeden beliebig grossen oder kleinen körperlichen Masse enthalten seyn müssen, auch nur annähernd richtig angeben zu können: dazu sind wir in Folge der für unser leibliches Wahrnehmungsvermögen völlig verschwindenden K l e i n h e i t aller dieser ersten Ur- und Grundbestandtheile aller iür uns sinnlich wahrnehmbaren Dinge gänzlich ausser Stande. Denn das an sich

154

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

U n w a h r n e h m b a r e vermag keiner wirklichen Z ä h l u n g unterworfen zu werden. Aber auch ohne eine solche lehren uns schon die allgemeinen Denkgesetze, dass durchaus nichts in eine g r ö s s e r e A n z a h l von Theilen zerlegt werden k a n n , als eben die A n z a h l der Einzeitheile b e t r ä g t , aus welchen etwas thatsächlich zusammengesetzt i s t : mag diese Zahl nun auch immerhin so gross oder so klein seyn, als sie will. Diese naturgemäss gesetzte Zahl kann daher auch von keiner Seite jemals irgendwie überschritten werden. In unserem blossen Denken mögen wir freilich noch immer weiter mit solchen Theilungen fortfahren; denn mit wesenlosen Gedankenbildern lässt sich bekanntlich alles Mögliche anfangen, was für die Naturwirklichkeit dennoch als eine Unmöglichkeit muss betrachtet werden. Und aus allen diesen Gründen muss es denn auch als etwas unzweifelhaft ein für allemal Feststehendes von uns anerkannt bleiben, dass durchaus keine, weder grössere noch kleinere für uns sinnlich wahrnehmbare körperliche Masse, noch auch das gesammte Weltganze selbst, aus einer an sich u n e n d l i c h e n Z a h l solcher ursprünglichen Einzeldinge gebildet seyn kann. Nun haben aber meist schon in früherer Zeit jene alten Denker an diese eben erwähnten an sich unwiderleglichen Grundwahrheiten auch noch die weitere Ansicht angeschlossen, dass alle diese ersten stofflich-körperlichen Grundwesen als an und in sich völlig u n e n t s t a n d e n und ewig müssten in das Auge gefasst werden, da dieselben, um als erste Grundlagen dieser Welt betrachtet werden zu können, nothwendig auch n i e m a l s einen wirklichen A n f a n g könnten genommen h a b e n , noch auch jemals ein wirkliches E n d e sollten nehmen können. Nur allein in Bezug auf die aus den stofflichen M i s c h u n g e n oder äusserlich-körperlichen A n e i n a n d e r l a g e r u n g e n derselben hervorgehenden grösseren oder kleineren M a s s e n b i l d u n g e n sollte überhaupt von einem wirklichen E n t s t e h e n oder Verg e h e n , von einem wirklichen A n f a n g und E n d e jemals die

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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Rede seyn können: jene örsten stofflich-körperlichen Grund wesen aber sollten von eben jenen bloss v o r ü b e r g e h e n d e n V e r e i n i g u n g e n und dem darauf folgenden W i e d e r a u f h ö r e n dieser Letzteren in keiner Weise irgendwie in Mitleidenschaft gezogen werden können. Der hauptsächliche Grundsatz, auf den man sich hierbei berufen zu dürfen glaubte, war bekanntlich der Satz: „Aus N i c h t s wird n i c h t s " . Das heisst mit anderen Worten: aus E t w a s , dem selber k e i n e w e s e n h a f t e W i r k l i c h k e i t zukommt, vermag auch kein in sich wirklichw e s e n h a f t e s D a s e y n jemals h e r v o r z u g e h e n , zu ents t e h e n ; denn ein an sich w e s e n l o s e s reines N i c h t s kann auch nimmermehr im Stande seyn, jemals in irgend einer Weise zu einem thatsächlichen w e s e n h a f t e n E t w a s z u w e r d e n oder von sich aus sich in dasselbe u m z u w a n d e l n : ein jedes hierzu erforderliche eigene innere Vermögen würde ihm von Haus aus abgehen, da in dem wirklichen Nichts auch niemals eine eigene Kraft zu Hause seyn kann. „Was schon die frühesten Denker" — sagt in dieser Beziehung Aristoteles — „am m e i s t e n f ü r c h t e t e n , ist, dass Etwas aus n i c h t v o r h e r schon V o r h a n d e n e m entstehe" (ABISTOTELES, Entstehen und Verg. S. 867). — Daher hat denn auch bereits Anaxagoras jenes Satzes sich bedient, um seine Ansichten in Betreff einer vermeintlich ewigen und zugleich auch aus einer u n e n d l i c h e n V i e l h e i t von besonderen Einzeltheilen bestehenden allgemeinen stofflich-körperlichen Weltgrundlage, oder eines allgemeinen Grundstoffes für alles in dieser Welt Vorhandenen, darauf zu stützen (TIEDEMANN, Geist d. spek. Phil. I . S . 3 1 6 [ANAXAGOBAS]. SCHWEGLER, Gesch. d. Phil, in Umrissen. S. 2 1 . BRANDIS, Gesch. d. griech. Phil. I . S. 1 2 2 . 123. ABISTOTELES, Phys. S. 2 3 . 3 5 . 1 1 7 ) . — Und in ganz ähnlicher Weise bekannte auch Empedokles sich zu dem gleichen Gedankengang. Auch er leugnete ein eigentliches Entstehen und Werden von Dingen, ausser von denjenigen, welche ihren Ursprung aus einer Mischung oder sonstigen

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Vereinigung von bereits wirklich vorhandenen Dingen herleiten, und welche daher auch früher oder später in diese Letzteren sich wieder zersetzen werden. B r a n d i s sagt in dieser Beziehung: „ W e r d e n aus dem Nichtseyenden war nach EMPEDOKLES u n m ö g l i c h , gleichwie völliges Sterben und Vergehen: „nur die Thoren wähnten, dass das w e r d e , was vorher n i c h t g e w e s e n , oder es sterbe und vergehe etwas ganz und gar. Nur Mischung und Trennung des Gemischten gibt es, von den Menschen als »Werden« bezeichnet" (ARISTOTELES, Metaphys. IV. S. 7 5 . BRANDIS, Gesch. d. gr. Philos. I. S. 1 0 7 . 108. 109). Von diesen nehmlichen Grundgedanken ausgehend, war es dann bekanntlich L e u k i p p , welcher jenen Lehren seiner Vorgänger eine vielfach erweiterte und dadurch auch gewissermassen neue Fassung gab. Ahnlich wie ANAXAGORAS nahm auch er eine u n e n d l i c h e V i e l h e i t verschwindend k l e i n e r , in sich völlig u n t h e i l b a r e r , u n e n t s t a n d e n e r und darum auch u n v e r g ä n g l i c h e r Ur- und G r u n d k ö r p e r chen an, welche er als die alleinigen und eben darum auch von E w i g k e i t her vorhandenen Grundlagen der gesammten Weltordnung betrachtete. Diese uranfänglichen Grundkörperchen, welche er bekanntlich wegen ihrer unbedingten Untheilbarkeit A t o m e , d. i. Unzerstörbare oder Unzerschneidbare nannte, sollten nach ihm den ebenfalls als u n e n d l i c h vorgestellten und angeblich völlig l e e r e n W e l t r a u m in der Weise bevölkern, dass auf dem Wege zeitweiser wechselseitiger M i s c h u n g e n und E n t m i s c h u n g e n die besonderen Erscheinungsweisen aller in sich zusammengesetzten Dinge zu vorübergehender natürlicher Darstellung gelangen. Und somit pflegt denn auch LEUKIPP bekanntlich von jeher als der erste und eigentliche Begründer der sogenannten a t o m i s t i s c h e n W e l t a n s c h a u u n g betrachtet zu werden. Sein Schüler Demo kr it folgte, der Hauptsache nach, den Anschauungen seines Lehrers. Ebenso auch E p i k u r (ARISTOTELES, Phys. S. 1 1 7 . Himmelsgeb. I. S. 135. 136.

DIOGENES LAEBTIÜS I I . S . 1 9 1 . 2 5 5 .

TIEDEMANN I .

Irrthümlichkeit und Unlialtbarkeit etc.

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S. 226. 231. 232. II. S. 371). — Und in ganz demselben Sinn spricht L u c r e t i l l S C a r u s sich dahin aus, dass „die uranfänglichen Körperchen nothwendig „ e w i g seyen". Denn „wäre der Grundstoff nicht von e w i g e r D a u e r , so wäre jegliches Ding schon längst in d a s N i c h t s versunken." Von dieser Grundanschauung ausgehend, konnte denn auch die weitere für ihn hieraus zu ziehende Schlussfolgerung von vorneherein allerdings keine andere seyn, als dass „die Ursprungstheile ewig seyn m ü s s e n , f o r t d a u e r n d d u r c h ewige Zeiten." Und auf eben diese ewige Natur ihres inneren Wesens begründet er denn auch die natürliche Einfachheit (und damit also zugleich auch die innere Untheilbarkeit) dieser Letzteren. Denn „einfacher Natur" — sagt er —• ,,sind die ersten der Körper d u r c h die K r a f t i h r e s ewig e i n f a c h e n W e s e n s " (LUCBETIUS CARUS, Natur d. Dinge I. S. 47. 51. 53). — J a selbst unter den altindischen Weltweisen begegnen wir, wie z. B. bei K a n a d a (dem Atomgeber), ganz ähnlichen Anschauungen wie die eben erwähnten (BÖHNEE, Naturforschung und Kultur. S. 91. 92). — Fassen wir alle diese hier dargelegten Natur- und Weltanschauungen nunmehr aber auch noch nach deren besonderen einzelnen Gedankenverbindungen etwas eingehender in das Auge: so wird es uns kaum entgehen können, dass sie alle eine eigentliche und wirkliche B e w e i s f ü h r u n g in Bezug auf die vorgetragenen Lehren ganz und gar vermissen lassen. Es sind kühn ausgedachte Behauptungen und Gedankenverbindungen, welche in einzelnen Punkten durch die neuere Naturforschung zwar, als vollkommen r i c h t i g und den thatsächlichen Naturverhältnissen e n t s p r e c h e n d , sind anerkannt worden, wogegen aber dieselbe Weltanschauung in anderen Beziehungen nichtsdestoweniger als völlig i r r t h ü m l i c h und darum auch u n h a l t b a r sich erweisen muss. Zu den e r s t e r e n P u n k t e n gehört jedenfalls der unzweifelhaft richtige Gedanke, dass alles, was in irgend einer Weise unserer sinnlichen Wahr-

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

nehmung zugänglich ist, in Folge seiner unleugbaren Theilbarkeit als aus an sich für uns verschwindend kleinen, ihrem eigenen inneren Wesen nach aber unter allen Umständen völlig untheilbaren Naturkörperchen gebildet und zusammengesetzt muss gedacht und anerkannt werden. Zu den z w e i t e n dagegen gehört die hieran geknüpfte weitere Behauptung, dass eben diesen in sich einfachsten körperlichen Wesenheiten nicht nur eine u n e n d l i c h e A n z a h l , sondern ebenso auch eine u n e n d l i c h e z e i t l i c h e D a u e r zugesprochen werden müsse. In Betreff der vermeintlich „unendlichen Zahl" eben jener Einzeldinge tadelt bereits A r i s t o t e l e s die Vertreter jener Weltanschauungen, weil sie behaupteten, es seyen jener einfachen Grundkörperchen ihrer Menge nach „unbegränzt viele"; ja er rügt es geradezu als einen F e h l e r von ihrer Seite, dass sie dieselben „ n i c h t in b e g r ä n z t e r Zahl erfassen". Als inneren Grund für diese seine eigene feste Überzeugung, dass jene „Grundeinheiten der Natur (Elemente) nothwendig in beg r ä n z t e r Z a h l vorliegen müssen", fügt er an einem anderen Orte hinzu: „Wenn das Unbegränzte als Unbegränztes auch u n e r k e n n b a r ist: so ist auch das der M e n g e oder G r ö s s e nach U n b e g r ä n z t e ebenfalls u n e r k e n n b a r , und zwar ebenso in Bezug auf seine Menge und Grösse (in seiner Quantität), wie auch das s e i n e r A r t n a c h Unbegränzte unerkennbar ist in Bezug auf seine E i g e n s c h a f t e n (in seiner Qualität). So ist ein (eigentliches) W i s s e n in Bezug auf das aus ihnen Bestehende u n m ö g l i c h . Denn (bei einem wirklichen und thatsächlichen Wissen) nehmen wir an, dass wir das daraus Zusammengesetzte a u f die W e i s e wissen, dass wir auch w i s s e n , aus w a s und aus wie v i e l e n es bestehe" (ARISTOTELES, Phys. S. 25. 213. 215). — Diese Beweisführung schliesst einen unverkennbaren Wahrheitsinhalt in sich ein.. Denn müssen wir uns auch sagen, dass es ausser dem Bereich unserer menschlichen Befähigung liegt, alle in einer beliebigen körperlichen Masse enthaltenen einzelnen körperlichen Grund-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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wesen in Wirklichkeit zu z ä h l e n und auf diesem Wege aus eigener Selbsterfahrung deren wirkliche A n z a h l irgendwie näher anzugeben: so liegt, was die Sache des Zählens als solche betrifft, der n a t ü r l i c h e G r u n d hiervon doch keineswegs in einer etwaigen thatsächlichen n a t ü r l i c h e n U n z ä h l b a r k e i t jener Einzeldinge, sondern vielmehr allein nur darin, dass die natürliche Sehkraft unserer Augen nicht die erforderliche Schärfe besitzt, um derartige verschwindend kleine Körperchen, selbst mit den stärksten Yergrösserungsmitteln, unserer sinnlichen Wahrnehmung zugänglich zu machen. Aber ungeachtet aller dieser, an sich rein äusserlichen und nicht in einer inneren Unmöglichkeit der Sache selber begründeten Hindernisse dürfen wir uns jederzeit sagen, dass wir, falls die zur sinnlichen Wahrnehmbarmachung eben jener kleinsten UrTheilchen erforderlichen künstlichen Hülfsmittel noch sollten erfunden werden, alsdann auch völlig im Stande seyn werden, z. B. die in einem Sandkorn enthaltenen letzten Einzelbestandtheile desselben auch in Wirklichkeit zu z ä h l e n . Denn da die wirkliche Anzahl dieser Letzteren jedenfalls als eine g a n z b e s t i m m t e und wirklich z ä h l b a r e Z a h l von uns betrachtet werden muss: so kann auch deren thatsächliche Z ä h l u n g in keiner Weise als eine an und in sich selbst begründete n a t ü r l i c h e U n m ö g l i c h k e i t betrachtet werden, sobald wir nur in den Besitz der zu einer solchen Zählung erforderlichen äusseren Hülfsmittel gelangt seyn werden. J a selbst bei solchen körperlichen Massen, deren thatsächliche Grösse, in Folge ihrer überwältigenden Ausdehnung, eine jede wirkliche Ausmessung vermittelst menschlicher Grössenmaasse als thatsächlich unmöglich könnte erscheinen lassen, würde dennoch, was eine wirkliche Z ä h l u n g der in ihnen enthaltenen Einzeldinge betrifft, diese Letztere keineswegs als u n b e d i n g t u n m ö g l i c h sich darstellen können. Denn da einer jeden räumlichkörperlichen Grösse, wie g r o s s wir uns dieselbe auch denken mögen, doch immer nur eine ganz bestimmte e n d l i c h e G r ö s s e

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

zukommen kann: so kann folgerichtig auch die wirkliche A n z a h l der darin enthaltenen einheitlichen Grundkörperchen ebenfalls nur eine ganz bestimmte e n d l i c h e G r ö s s e , d. h. nur eine ganz bestimmte e n d l i c h e Z a h l bilden. Eine jede e n d l i c h e Z a h l aber muss unter allen Umständen auch als eine unbedingt z ä h l b a r e Z a h l von uns anerkannt werden. In der That, so eigenthümlich der oben angezeigte Weg im ersten Augenblick auch erscheinen möchte, auf welchem A R I S T O T E L E S seine Überzeugung von der natürlichen wie begrifflichen Unmöglichkeit einer angeblich u n e n d l i c h e n A n z a h l von einzelnen Grundwesen dieser Welt näher zu begründen suchte: so müssen wir doch, bei genauerem Eingehen in den eigentlichen Grundgedanken, es anerkennen, dass jener Beweisführung eine ihr innewohnende W a h r h e i t und daher auch eine ihr innewohnende wirkliche B e w e i s k r a f t in keiner Weise abgesprochen werden kann. Übrigens begnügte sich A R I S T O T E L E S auch keineswegs mit nur diesem Einen Beweise: sondern an einem andern Orte bezieht er sich zu deren weiterer Begründung auch noch ausdrücklich auf den inneren begrifflichen W i d e r s p r u c h , in welchen wir in unserem Denken durch die Annahme einer angeblich u n e n d l i c h e n A n z a h l von Einzeldingen versetzt werden. Wir haben bereits bei Gelegenheit einer unserer vorigen Untersuchungen (VI. § 23, No. 132) auf eben diese Darlegung von Seiten des A R I S T O T E L E S hingewiesen, wollen jedoch nicht verfehlen, dieselbe auch hier, der Wichtigkeit der Sache wegen, in ihren Hauptpunkten nochmals anzuführen. Schon aus dem B e g r i f f der Z a h l , nach welchem dieselbe jedenfalls etwas wirklich Z ä h l b a r e s uns versinnlichen soll, folgert A R I S T O T E L E S mit vollem Recht, dass es in Wirklichkeit k e i n e u n e n d l i c h e Z a h l geben könne. Denn wäre eine solche möglich, dann müsste auch die Z ä h l u n g (oder Messung) des U n b e g r ä n z t e n möglich seyn und also auch wirklich zu E n d e g e b r a c h t werden können ( A R I S T O T E L E S , Phys. S. 125). — Eben darin bestand denn auch der grosse

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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Irrthum und Missgriff von Seiten LEUKIPP'S und seiner Nachfolger, dass sie schon gleich von vornherein von zwei Grundanschauungen ausgingen, die sie gewissermassen als durch sich selbst begründet und als sich von selbst verstehend betrachteten, ohne vorher auch mit sich selbst darüber zu ß a t h e gegangen zu seyn, ob ihre Annahmen überhaupt mit den Gesetzen eines vernünftigen Denkens übereinstimmen möchten oder nicht. E s waren dies, wie wir eben gesehen, die beiden gleich willkürlichen Annahmen einer sowohl u n e n d l i c h e n und u n b e g r ä n z t e n A n z a h l wie einer ebenso u n e n d l i c h e n und u n b e g r ä n z t e n z e i t l i c h e n D a u e r , welche sie, nach dem damaligen Stand der allgemeinen Naturerkenntnisse, geglaubt hatten, jenen ersten und ursprünglichsten Grundbestandteilen alles sinnlich wahrnehmbaren Naturdaseyns nothwendig zuerkennen zu müssen, um alsdann mit noch um so grösserer Zuversicht ihre weitere Welt- und Naturanschauung auf dieselben gründen zu können. Als so richtig aber auch ihr hauptsächlichster Grundgedanke, nehmlich die bestimmt ausgesprochene Anerkennung einer unbedingten U n t h e i l b a r k e i t des an sich einheitlichen inneren Wesens eben jener kleinsten Grundkörperchen, im Allgemeinen musste anerkannt werden: als ebenso i r r t h ü m l i c h und in sich v e r f e h l t mussten die denselben noch weiter willkürlich angedichtete unbegränzte Anzahl und unbegränzte W e s e n s d a u e r bei genauerer Prüfung sich erweisen. Akistot e l e s ist mit lobenswerthem Scharfsinn diesen Yerirrungen des menschlichen Denkens mit einer solchen Entschiedenheit entgegengetreten. Ein weiteres und nicht weniger bedeutungsvolles Versehen von Seiten jener atomistischen Weltanschauung muss aber ausserdem auch noch darin gefunden werden, dass eben jene einfachsten Naturkörperchen als an sich so gut wie völlig t o d t e und l e b l o s e Dinge waren aufgefasst worden. Wohl sollten sie in dem als völlig leer gedachten Räume in einer ununterbrochenen Bewegung sich befinden; allein dass der Grund dieser Bewegung auch etwa als Folge einer von Wandcremann. III.

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innen heraus lebendig wirksamen Kraft wäre aufgefasst worden: davon scheint sich, ausser etwa bei Lucrrtius Carus, keine Spur zu finden. Und eben darin liegt denn auch wohl der Grund dafür, dass die Anhänger jener Lehre sich selber des Missgriffes gar nicht bewusst wurden, den sie dadurch begingen, dass sie jenen ersten körperlichen Urwesen zwar folgerichtig nur eine fast verschwindend k l e i n e r ä u m l i c h e G r ö s s e , dessungeachtet aber gleichzeitig eine an sich völlig u n e n d l i c h e W e s e n s d a u e r zuschreiben zu dürfen geglaubt haben. Und eingehender hierüber nachzudenken: dies ist ihnen in Folge der Einseitigkeit ihres Standpunktes so wie der Unklarheit, in der sie selber in gar manchen Beziehungen sich noch befanden, nicht in den Sinn gekommen. Aber auch bei späteren Denkern begegnen wir, selbst bis in die Jetztzeit, vielfach ähnlichen, wo nicht ganz gleichen Naturanschauungen. So sagt z.B. Hugo V. St. V i c t o r : „Das W e s e n der Dinge vergeht n i c h t , sondern nur ihre äussere Gestaltung (Form); d. h. ein Ding, das wesentlich und wirklich besteht, v e r l i e r t nicht sein Daseyn, sondern wird nur verändert"

(Liebneb:

Hugo

v.

St.

Victob.

S.

104).



In

eben diesem Ausspruch findet sich zwar nur eine zeitliche U n v e r g ä n g l i c h k e i t des einfachsten Naturdaseyns behauptet, n i c h t aber zugleich damit ein zeitliches U n e n t s t a n d e n s e y n derselben. Unvergänglichkeit und Unentstandenseyn bilden jedoch zwei ebenso untrennbar zusammengehörige Gränzpole wie E n t s t a n d e n s e y n und V e r g ä n g l i c h s e y n . Eines ohne das Andere ist begrifflich ebenso u n m ö g l i c h für dasselbe und gleiche Daseyn, wie eine in räumlicher Beziehung zwar endl i c h e , in zeitlicher Beziehung dagegen u n e n d l i c h e Wesensausdehnung. ' — L e i b n i t z sagt zwar in Bezug auf seine, freilich von ihm als an sich völlig raumlos gedachten natürlichen Ureinheiten oder Monaden, dass „bei ihnen eine Auflösung in Theile niemals zu befürchten sey", und dass demgemäss auch keine mögliche Art und Weise sich denken lasse,

Irrthümlichkeit und U u h a l t b a r k e i t etc.

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„auf welche ein einfaches Wesen (einfache Substanz) dem Naturlauf gemäss zu G r u n d e gehen könne." Und als „gleich undenkbar" bezeichnet er es „aus demselben Grunde, dass ein einfaches Wesen (Substanz) auf natürlichem Wege i r g e n d e i n e n A n f a n g nehme; weil ein solches einfaches Wesen ja nicht durch Zusammensetzung gebildet wird" ( L E I B N I T Z [Edit. E K D M A N N ] S. 7 0 5 . Z I M M E R M A N N , L E I B N I T Z Monadolog. S. 11). — Auf an sich räum- und wesenlose blosse Kraftpunkte gegründet, muss eben diese Darstellungsweise von Seiten L E I B NiTz'ens zwar als ganz folgerichtig anerkannt werden: aber bei der natürlichen Unmöglichkeit, dass derartige blosse Kraftpunkte jemals wechselseitig sich berühren könnten, sowie anderseits in Folge der gleichen Unmöglichkeit irgendwelcher Art von Kraftwirksamkeiten in die Ferne durch einen an sich leeren Raum hindurch (V.. § 20, No, 113) muss es von vornherein als eine Sache der Unmöglichkeit betrachtet werden, dass aus derartigen an sich raumlosen Kraftpunkten jemals ein wirklich wesenhaftes Naturdaseyn, selbst von der noch einfachsten Wesensart und Wesensbeschaffenheit, sollte hervorgehen können. Aber ohne irgendwelche, sowohl in r ä u m l i c h e r wie in z e i t l i c h e r Beziehung thatsächlich vorhandene wirkliche Wesenhaftigkeiten, denen die Begriffe von Raum und Zeit im eigenen Inneren wesenhaft zukommen, kann überhaupt weder von wirklich räumlichen noch von wirklich zeitlichen Naturverhältnissen die Rede seyn. Eben damit musg dann aber auch, bei solchen Grundvoraussetzungen wie bei L E I B NITZ, eine jede Frage nach einem etwaigen A n f a n g oder etwaigen E n d e , sowie nach einem etwaigen U n e n t s t a n d e n s e y n oder einer etwaigen U n v e r g ä n g l i c h k e i t wirklicher räumlich-zeitlichen Daseynsverhältnisse, sobald ihnen mehr als eine bloss begriffliche Bedeutung ohne irgendwelche Rücksichtnahme auch auf die thatsächliche Naturwirklichkeit zugeschrieben werden soll, nothwendig von vornherein in sich selbst zerfallen. — Kant dagegen spricht, wie bereits an Ii*

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einem früheren Ort erwähnt, ausdrücklich dahin sich aus, dass „alles, was an sich e n d l i c h ist, also einen wirklichen U r s p r u n g und A n f a n g haben muss, auch das M e r k m a l seiner eingeschränkten Natur in sich tragen, d. h., dass es auch v e r g e h e n und ein E n d e haben müsse" (KANT VII. S. 327). — Bei Herbart begegnen wir in Bezug auf dessen angeblich ebenfalls völlig raumlose Urwirklichkeiten oder Realen ganz der gleichen Grundanschauung wie bei LEIBNITZ in Bezug auf dessen Monaden. Es darf uns daher auch nicht wundern, wenn wir ihn, ebenso folgerichtig wie LEIBNITZ, auch zu derselben Schlussfolgerung gelangen sehen wie diesen. „Die Seele" — sagt er — „ist n i c h t i r g e n d w a n n . Dennoch muss sie in dem Denken, worin sie mit anderen Wesen zusammengefasst wird, in die Zeit und zwar in die g a n z e E w i g k e i t gesetzt werden", wobei er jedoch sofort auch weiter noch hinzusetzt: „ohne dass jedoch diese Ewigkeit und überhaupt zeitliche Dauer eine wirkliche Eigenschaft (ein reales Prädikat) der Seele abgäbe." Mit Recht macht Franz H o f f m a n n in Bezug auf eben diesen Gedankengang von Seiten HERBART's darauf aufmerksam, dass Glauben und Wissen in dessen allgemeiner Weltanschauung nicht in Einklang ständen. Denn vom Standpunkt des W i s s e n s aus seyen seine Realen u n b e d i n g t und müssten in die g a n z e E w i g k e i t gesetzt werden; während für den Standpunkt des Glaubens der Satz unangefochten stehen bleiben soll, sie seyen dem Wesen nach irgendwann und irgendwie e n t s t a n d e n (HEEBART V. S. 1 0 9 . F R . HOFFMANN, BAADER IV. S. 39). — Das Gleiche, was HOFFMANN hier in Bezug auf die H E R B A R T ' s e h e Weltanschauung sagt, dürfte wohl auch in ähnlicher Weise von der Weltanschauung ]. H. Fichte's gelten. Denn bei beiden bezeichnen deren U r w i r k l i c h k e i t e n oder R e a l e n , wie dies namentlich von FICHTE ausdrücklich hervorgehoben wird, nicht sowohl als wirklich s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e Wesenheiten als vielmehr als an sich u n - o d e r ü b e r s i n n l i c h e und eben darum u n -

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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s i c h t b a r e und b e h a r r l i c h e Wesen, Gründe oder Ursachen der an sich sichtbaren und unveränderlichen Naturkörper. Und in eben diesem Sinn ist es denn auch aufzufassen, wenn J. H. Fichte sagt: „Nichts w a h r h a f t W i r k l i c h e s (Reales) e n t s t e h t in der Zeit und v e r g e h t in derselben, sondern es wechseln nur seine Beschaffenheiten, was vom Sinnenbewusstseyn als s c h e i n b a r e s Entstehen und Vergehen gefasst wird, welchen S c h e i n jedoch die gründliche Erkenntniss beseitigt. Die allgemeine Wesenlehre (Metaphysik) hat den Beweis geführt, dass, um den endlosen und zugleich streng gesetzmässigen Wechsel vergänglicher Erscheinungen zu erklären, wie die Sinnenwelt ihn darbietet, und wie er auch in dem Bereich des Bewusstseyns stattfindet, eine g e s c h l o s s e n e Anz a h l u n v e r g ä n g l i c h e r und u n z e r s t ö r b a r e r W e l t w e s e n (Weltsubstanzen) a n g e n o m m e n w e r d e n m ü s s e , welche durch ihre wechselnden Verbindungen und Trennungen die Erscheinung (das Phänomen) jener Vergänglichkeit erzeugen, während sie an sich selbst u n z e r s t ö r b a r und unvergänglich beh a r r e n " (J. H. FICHTE, Seelenfortdauer. S. 79. 89. 100. 102. 103. 106). — Im Allgemeinen schliesst somit auch F I C H T E , in ähnlicher Weise wie H E E B A K T , dem Hauptgedanken nach der atomistischen Weltanschauung sich an, wenn er gleich jenen ersten und in sich untheilbaren Grundkörperchen ein durchaus anderes begriffliches Gepräge gibt. Wodurch er dagegen in einem sehr wichtigen Hauptpunkt von dieser Weltanschauung wesentlich abweicht, ist, dass er seinen einheitlichen ersten Grundwesen in ihrer Gesammtheit nur eine „ g e s c h l o s s e n e " , d. h. keine an sich u n e n d l i c h e , sondern nur eine ganz bestimmte, wenn uns gleich unbekannte, e n d l i c h e Z a h l zuerkennt. Ob aber nach seiner Ansicht jenen unoder übersinnlichen Ur- und Grundwesen alles Vorhandenen auch eine wirkliche räumliche Wesensausdehnung zuerkannt werden darf, und worauf überhaupt deren angeblich unbedingte, d. h. völlig anfangs- und endlose Ewigkeit sich gründen soll:

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

dies scheint nicht bestimmt ausgesprochen zu seyn. Der alleinige Begriff der Un- . oder Übersinnlichkeit dürfte wohl schwerlich einen ausreichenden Erklärungsgrund dazu bieten. — Auch bei Schelling findet sich die Anschauung vertreten, dass n u r die „zufälligen Zustandsveränderungen (Accidenzen) der Dinge es seyen, welche entstehen und vergehen können, n i c h t aber das W e s e n (die Substanz) selber" (SCHELLING III. S. 474). — S i n t e n i s spricht über diese Fragen in folgender Weise sich aus: „Dass der U r s t o f f der Welt ewig sey, glaube ich zugeben zu müssen. W a s sollte g e w e s e n seyn, e h e e r w a r ? W o h e r sollte er gekommen seyn? Da ich auf diese Fragen nicht antworten kann: so scheint es mir wenigstens vernünftiger, dass ich die E w i g k e i t des Körperlichen einräume" (SINTENIS, Elpizon I. S. 42). — Und in verwandtem Sinn sagt der ungenannte Verfasser der Sieben Weisen Griechenlands: „Unsere Vernunft lässt uns erkennen, dass kein Ding, was in der vorhandenen Welt ein Daseyn hat, in N i c h t s verwandelt werden kann, oder kürzer, dass es ebenso unmöglich ist, dass E t w a s ein N i c h t s werde, als dass ein N i c h t s Etwas h e r v o r b r i n g e . Zermalmen können wir das kleinste Sandkorn, d. h. es in immer kleinere Theilchen zerlegen; aber diese (Letzteren) nie vernichten. Das gilt von allen in der sichtbaren Welt vorhandenen Dingen, welche zwar einer beständigen Auflösung und Umbildung unterworfen sind, aber deren Grundstoffe, welche man S t o f f (Materie) nennt, n i e zu seyn a u f h ö r e n " (Sieben Weisen Griechenlands II. S. 67). — Ähnlich D r o s s b a c h und W i l m a r s h o f (DKOSSBACH, Harmonie d. Ergebnisse d. Naturf. S. 78. WILMARSHOF, Jenseits III. S. 83). — Und so sagt auch Oppel mit Bezug auf die altaegyptische Weltanschauung: „Nichts von Allem, was da ist (existirt), kann a u s N i c h t s entstanden seyn. Alles um uns her e n t s t e h t und v e r g e h t wieder nach kürzerer oder längerer Zeit. Aber das E n t s t e h e n ist nur ein Bilden a u s s c h o n v o r h a n d e n e n S t o f f e n , wie das V e r g e h e n nur ein

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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W i e d e r a u f l ö s e n in diese Stoffe ist; d i e s e S t o f f e s e l b s t aber entstehen und vergehen n i c h t " (OPPEL, Kemi. S. 31). — In dem s. Z. in Paris herausgekommenen Werke „Système de la Nature" von M. MIRABAUD heisst es: „Ausserhalb des gesammten Weltalls (hors de l'enceinte qui renferme tous les êtres) ist n i c h t s und k a n n n i c h t s seyn. Die Annahme, dass der Stoff einen Anfang habe nehmen können, ist eine Annahme (hypothèse), welche bis jetzt durch keine gültigen Beweise dargethan ist. Wenn man daher fragt: Woher ist der S t o f f (la matière) gekommen? so antworten wir, dass er immer bestanden habe. Und wenn man fragt: W o h e r die B e w e g u n g in dem Stoff gekommen sey? so werden wir antworten, dass er aus demselben Grund sich von a l l e r E w i g k e i t h e r hat bewegen m ü s s e n , weil die Bewegung eine n o t h w e n d i g e F o l g e des Daseyns des Stoffes, seines innersten Wesens (de son essence) und seiner uranfänglichen Eigenschaften (de ses propriétés primitives) ist" (L. MIEABAUD, Système de la nature I. S. 2. 21. 23). — Ebenso bezeichnet es L. B ü c h n e r als „eine der anerkanntesten Thatsachen der Naturforschung, dass d e r S t o f f a l s s o l c h e r u n e n t s t e h b a r (unerschaffbar) und u n s t e r b l i c h oder u n v e r n i c h t b a r ist, und dass das sogenannte A t o m die u n z e r s t ö r b a r e G r u n d l a g e aller Dinge bildet, welche n i e aus dem Daseyn verschwinden, aber auch n i e neu erzeugt werden kann. Gerade so wie mit dem S t o f f ist es auch mit der demselben unzertrennlich verbundenen K r a f t oder, was dasselbe besagen will, mit der B e w e g u n g des Stoffs. Bekanntlich hat die schon seit langem anerkannte und durch die allgemeine Stoffkunde (Chemie) auch im Einzelsten n a c h g e w i e s e n e U n s t e r b l i c h k e i t des S t o f f e s ihre nothwendige Ergänzung gefunden in der sogenannten E r h a l t u n g oder U n s t e r b l i c h k e i t d e r K r a f t , welche gegenwärtig einen der anerkanntesten Grundsätze (Principien) der Naturforschung bildet. Die B e w e g u n g in der Welt hat daher n i e m a l s einen A n f a n g genommen, sondern

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Endlichkeit und Unendlichkeit

— Zeit und Ewigkeit.

sie ist e b e n s o e w i g , wie diese selbst. Der S t o f f mit seinem nothwendigen Merkmal der Gestaltung (Attribut der Form) einerseits, die K r a f t mit ihrem ebenso nothwendigen Merkmal (Attribut) der B e w e g u n g anderseits sind ewig und werden e w i g seyn: daher a n f a n g - , e n d - und u r s a c h l o s ! Der e w i g e S t o f f und die e w i g e K r a f t sind u n e r s c h ü t t e r l i c h e Begriffe" (BÜCHNEK, Gottesbegriff. S. 15. 16. 17. 44. 45). — Und in gleichen Sinne sprechen bekanntlich Vogt und Mol fis c h Ott

sich

aus

(VOGT,

Thierleben.

S. 3 1 1 .

MOLESCHOTT,

Kreisl. S. 395). — Desgleichen Spill er: „Die Stoffatome sind das u r s a c h l o s e Erste im unendlichen Raum. Jedes Körperatom i s t nicht bloss, sondern w a r in e w i g e r B e w e g u n g und wird auch in ewiger Bewegung b l e i b e n . Die Kraft ist e w i g wie der Stoff" (SPILLEK, Urk. d. Weltalls. S. 108. 188. 280. 311). — Endlich sagt auch Haeckel: „Die Naturforschung hält d e n S t o f f (die Materie) für ewig und u n v e r g ä n g l i c h , weil durch die E r f a h r u n g noch n i e m a l s das Entstehen oder Vergehen auch nur des kleinsten T h e i l c h e n s des Stoffes n a c h g e w i e s e n worden ist. Noch n i e m a l s ist ein Fall b e o b a c h t e t worden, dass auch nur das kleinste Stofftheilchen a u s d e r W e l t v e r s c h w u n d e n oder nur Ein solches (nur ein Atom) zu der bereits vorhandenen Masse h i n z u g e k o m m e n ist. Die Naturforschung kann sich daher ein E n t s t e h e n des Stoffes ebenso wenig als ein V e r g e h e n desselben vorstellen, und betrachtet deshalb die in der Welt vorhandene M e n g e der Stofftheilchen (Quantität der Materie) als eine gegebene Thatsache" (HÄCKEL, Natürl. Schöpfung S . 8).



In allen diesen Anführungen aus neuerer Zeit treten in mannigfacher Weise die unverkennbarsten Anklänge an die Weltanschauungen der altgriechischen Denker, und zwar ebensowohl von Seiten der wissenschaftlichen Naturforschung wie der wissenschaftlichen Vernunftforschung, uns entgegen. Wie sollen wir diese Erscheinung, als unleugbare Thatsache, uns erklären?

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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Oder sollen wir uns von den mitunter beigebrachten Scheinbeweisen ebenfalls hinreissen lassen und diesen Letzteren unsere Zustimmung geben? Gewiss nicht. Im Gegentheil müssen wir alle für die behauptete Ewigkeit des Stoffes, oder vielmehr seiner unendlich vielen stofflich-körperlichen Einzeitheile, beigebrachten angeblich wissenschaftlichen Beweise als blosse Scheinbeweise auf das Entschiedenste zurückweisen. Aber eine Frage, die wir in diesem Fall unwillkürlich an uns selber richten müssen, können wir nicht mit Stillschweigen übergehen. Wie kommt es, dass eben diese Anschauungen unerachtet der mannigfachen Bekämpfungen, die sie von Anfang an erfahren, sich dennoch nicht nur fortwährend erhalten haben, sondern dass sie auch stets, sowohl auf Seiten der Naturwissenschaften wie auf Seiten der Vernunftwissenschaften, so namhafte Vertreter gefunden hat? Jedem I r r t h u m , sagt man, liegt irgend eine missverstandene W a h r h e i t zu Grunde, und dieser Ausspruch findet auch in dem gegenwärtigen Fall seine Bestätigung. Trügen nicht selbst jene Weltanschauungen Leukipp's, Demokeit's, und Epikuk's irgendeinen bestimmten wirklichen Wahrh e i t s i n h a l t in sich, der ihnen auch selbst dann noch unverkürzt verbleiben muss, wenn im Übrigen die unhaltbarsten weiteren Lehrgebäude darauf errichtet würden: das Widerspruchsvolle dieser Letzteren würde schon längst, trotz aller willkürlichen Behauptungen und Scheinbeweise, durch die man sie zu stützen sucht, in sich selbst zerfallen seyn. Und fragen wir, welches eben jener an sich unantastbare Wahrheitsinhalt seyn mag: so ist dies kein anderer, als derjenige, auf welchen wir bereits weiter oben hingewiesen haben, nehmlich die richtige Erkenntniss, dass das, was als Ganzes in besondere Einzeitheile getheilt werden kann, auch thatsächlich in seinem Inneren aus wirklichen Theilen bestehen und zusammengesetzt seyn muss, und zwar in seiner letzten Zusammensetzung aus lauter Theilchen, welche an und in sich selber zu jeder noch weiter gehenden Theilung, ihrer ge-

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

sammten inneren Natur und Wesensbeschaffenheit nach, in keiner Weise mehr befähigt seyn können. Die unzweifelhafte R i c h t i g k e i t eben dieses bereits altgriechischen Lehrsatzes hat die neuere Naturforschung durch die Entdeckungen, welche namentlich innerhalb des Gebietes der allgemeinen Stofflehre gemacht worden sind, auf das Vollgültigste bestätigt: und zwar ist dies in erster Linie der Fall durch die weittragende Entdeckung, dass alle Vereinigungen von an sich einfachen körperlichen Stoffen zu neuen, an sich aber zusammengesetzten Stoffarten nur allein auf Grund ganz bestimmter und ein für allemal für jede besondere Stoffart unabänderlich feststehender A t o m g e w i c h t e vor sich zu gehen im Stande sind. Als ganz ebenso unzweifelhaft r i c h t i g , weil ebenfalls durch thatsächliche naturwissenschaftliche Untersuchungen und Beobachtungen bestätigt, muss sodann folgerichtig auch jener zweite, aus jener ersten Grundwahrheit gleichsam von selbst sich ergebende naturwissenschaftliche Lehrsatz seine volle Geltung behaupten, dass nicht nur alle die, aus den stofflichen Verbindungen und Vereinigungen eben jener ersten stofflich-körperlichen Grundeinheiten hervorgehenden z u s a m m e n g e s e t z t e n S t o f f a r t e n , sondern ebensosehr alle grösseren oder kleineren stofflich-körperlichen M a s s e n b i l d u n g e n nur als in zeitlicher Beziehung v o r ü b e r g e h e n d e E r s c h e i n u n g s w e i s e n des allgemeinen Naturlebens dürfen aufgefasst werden, von deren besonderem Entstehen und Vergehen eben jene ersten allgemeinen Weltgrundlagen, jene in sich untheilbaren stofflich-körperlichen Ur- und Einzelwesen in Bezug auf deren eigenen Bestand im Daseyn völlig u n b e r ü h r t b l e i b e n . Was aber dann die auf eben diese beiden natürlich-begrifflichen ersten Grundwahrheiten noch weiter aufgebauten Lehren von einer angeblich u n e n d l i c h e n A n z a h l und einer vermeintlichen unbedingten zeitlichen U n e n t s t a n d e n h e i t und E w i g k e i t eben jener ersten wesenhaften Ur- und Grundeinheiten der Natur betrifft: so wird es nunmehr unsere

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

nächste Aufgabe seyn,

171

auch auf diese Fragen in einer noch

gründlicheren Weise einzugehen,

No. 137.

Vermeintliche Erfahrungsbeweise für die angebliche

Ewigkeit der stofflich-körperlichen Einzeldinge. Alle bisher erwähnten, sowohl älteren wie neueren Denker haben, wenigstens in den bis dahin angeführten Auszügen aus deren

Schriften,

herrschend sich

nur

bezogen.

zur

Begründung

ihrer

Anschauungen

auf

Vernunft-

und

Yerstandesgründe

In

neuester Zeit

hat

man jedoch

sich auch auf thatsächliche E r f a h r u n g s g r ü n d e sollen,

um auf diese Weise

die Lehre

vor-

geglaubt,

beziehen zu

von der sogenannten

E w i g k e i t des S t o f f e s oder, richtiger gesagt, der behaupteten E w i g k e i t

aller

in

körperlichen E i n z e l d i n g e sache

wirklicher

glaubte allen

durch

vorhandenen

stofflich-

auch als eine unzweifelhafte That-

Erfahrung

eben

weiteren,

dieser Welt

hinstellen zu können.

diese angeblichen

auf Vernunftgründe

Man

Erfahrungsbeweise

sich stützenden

Einwen-

dungen jeglichen Einfluss auf die in Rede stehenden Fragen ein für allemal abgeschnitten zu haben.

Eben desshalb muss

es nunmehr als nur noch um so gebotener erscheinen, den auf diese Verhältnisse Bezug nehmenden Aussprüchen, sowohl Seiten der Vernunft-

wie der Naturwissenschaft,

auf

noch etwas

tiefer auf den Grund zu sehen und zu prüfen, in wie weit den beigebrachten

Beweisen auch in der That eine wirkliche

Be-

w e i s k r a f t zukommen mag oder nicht. Schon „Bei

Dumas

sagt

in

allen Naturerscheinungen

seiner Philosophie gegenwärtig

der S a u e r s t o f f

der Chemie:

und unaufhörlich

in Bewegung,

nimmt

Gestalten an:

aber dennoch verliere ich ihn nie aus dem Ge-

tausend

verschiedene

sicht, denn ich kann ihn stets nach Gefallen wieder erscheinen lassen, wie verborgen er auch sey.

In diesem e w i g e n ,

unver-

g ä n g l i c h e n S e y n , welches seine Rolle verändern, aber nichts

172

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

gewinnen noch verlieren kann, welches meine W a g e verfolgt und immer als dasselbe wiederfindet, mag man das Bild des Stoffes (der Materie) im Allgemeinen erblicken. Denn alle Arten des Stoffes (der Materie) theilen mit dem Sauerstoff diese Grundeigenschaften und sind gleich wie er e w i g , u n v e r g ä n g l i c h : sie können ihren Platz verändern, n i c h t aber ihr G e w i c h t , und die Wage folgt ihnen leicht durch alle, selbst die überraschendsten Veränderungen (Modifikationen)" (DUMAS, Philos. d. Chemie. S. 167). — Noch weit entschiedener spricht über diese Verhältnisse Louis Büchner sich aus. „Der Stoff" — so lesen wir in seinem ersten Hauptwerk »Kraft und Stoff« — „ist u n s t e r b l i c h , u n v e r n i c h t b a r ; kein Stäubchen im Weltall kann verloren gehen, keines hinzukommen. Nicht das kleinste Atom können wir uns hinweg- oder hinzudenken, oder wir müssten zugeben, dass d i e W e l t d a d u r c h in V e r w i r r u n g gerathen müsste. Die Gesetze der körperlichen Schwere (Gravitation) müssten eine Störung erdulden: das nothwendige und unverrückbare Gleichgewicht der Stoffe müsste Noth leiden. Es ist das grosse Verdienst der allgemeinen Stofflehre (Chemie) in den letzten Jahrzehnten, uns aufs Klarste und Unzweideutigste darüber belehrt zu haben, dass die ununterbrochene Verwandlung der Dinge, welche wir tagtäglich vor sich gehen sehen, das Entstehen und Vergehen von Bildungen sowohl des noch ungestalteten wie des naturgesetzmässig gestalteten Daseynsgebietes (organischer wie unorganischer Formen) n i c h t auf einem Entstehen oder Vergehen vorher nicht dagewesenen Stoffes beruhen, sondern dass diese Verwandlung in nichts anderem besteht, als in der beständigen und unausgesetzten Umgestaltung (Metamorphosirung) derselben Grundstoffe, deren Menge und Eigenschaft (Qualität) an sich stets dieselbe und für alle Zeiten unabänderlich bleibt. M i t H ü l f e d e r W a g e i s t m a n d e m S t o f f e a u f s e i n e n vielf a c h e n und v e r w i c k e l t e n W e g e n gefolgt, und hat ihn ü b e r a l l in d e r s e l b e n M e n g e a u s i r g e n d e i n e r V e r b i n -

173

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

dung wieder heraustreten t r e t e n sah.

sind,

richtig

Wir

erwiesen.

haben

sich

verbrennen

seine B e s t a n d t e i l e

gangen und verzehrt worden seyn. (Chemikers) dagegen Gewicht

in d i e m a n i h n

ein-

Die Berechnungen, die seitdem auf dieses Gesetz

gegründet worden als müssten

sehen,

lehrt,

überall

ein Holz

in F e u e r

als

vollkommen

und es scheint,

und Rauch

aufge-

Die W a g e des Stoffkundigen

dass nicht nur n i c h t s v o n

jenes Holzes v e r l o r e n

worden,

sondern

dem

dass das-

selbe im Gegentheil v e r m e h r t worden ist; sie zeigt, dass die aufgefangenen und gewogenen Produkte nicht nur genau

alle

diejenigen Stoffe wieder enthalten, aus

vor-

denen

das Holz

dem bestanden hat, wenn auch in anderer Weise (Form) und Zusammensetzung, sondern dass in ihnen auch noch diejenigen Stoffe enthalten sind, welche die Bestandtheile des Holzes bei der Verbrennung

aus

der L u f t an sich gezogen haben.

Holz hat bei der Verbrennung sein Gewicht n i c h t sondern

vermehrt.

Der

Kohlenstoff,

Das

vermindert,

der in dem Holze

w a r " , sagt VOGT, „ist u n v e r g ä n g l i c h , er ist e w i g und ebenso unzerstörbar,

als der W a s s e r s t o f f

und der S a u e r s t o f f ,

mit welchem er verbunden in dem Holze bestand.

Diese Ver-

bindung und die A r t und Weise (Form), in welcher sie auftrat, ist z e r s t ö r b a r , der S t o f f (die Materie) n i e m a l s . " etwas weiterhin: Einzeldinge)

Und

„Die A t o m e (d. i. die stofflich-körperlichen

selbst . sind

unveränderlich,

unzerstörbar;

heute in dieser, morgen in jener Verbindung, bilden sie durch die Verschiedenartigkeit ihres Zusammentritts die unzählig verschiedenen

Gestalten, in denen der Stoff unseren Sinnen sich

darstellt, in einem e w i g e n und F l u s s dahin eilend.

und

unaufhaltsamen

Wechsel

Dabei bleibt die M e n g e der Einzel-

bestandtheile (Atome) eines einfachen Grundstoffes im grossen Ganzen

unveränderlich

dieselbe:

kein

einziges

Stofftheilchen

kann sich neu bilden, keines, das einmal vorhanden, aus dem Daseyn

verschwinden.

Die B e i s p i e l e

Hessen sich in e n d l o s e r

und B e w e i s e

M e n g e beibringen.

Es

hierfür

genüge zu

174

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

bemerken, dass die Wanderungen und Wandlungen, welche der Stoff im Seyn des Alls durchläuft, und welchen der Mensch zum Theil mit W a g e und M a a s s in der Hand gefolgt ist, m i l l i o n e n - und a b e r m i l l i o n e n f a c h , d. h. dass sie o h n e Z i e l und E n d e sind. N i e u n d n i m m e r m e h r k a n n ein A t o m neu e n t s t e h e n o d e r aus dem D a s e y n v e r s c h w i n d e n . Aus diesen Gründen ist der Stoff unsterblich. Der S t o f f m u s s e w i g g e w e s e n s e y n , ewig s e y n , u n d e w i g bleiben. Heute ist demnach die U n s t e r b l i c h k e i t d e s Stoffs eine w i s s e n s c h a f t l i c h festgestellte und nicht m e h r zu l e u g n e n d e T h a t s a c h e . Den B e w e i s dafür konnten uns aber erst unsere Wagen und die Verflüchtigungskolben (die Betörten) liefern" (BÜCHNER, Kraft und Stoff. S. 8—14). — Und in einem anderen Werk, „Natur und Geist", sagt derselbe Verfasser: „Der S t o f f allein ist b e s t ä n d i g , u n v e r n i c h t b a r und u n v e r g ä n g l i c h , und was an ihm wechselt und sich verändert, sind nur seine Erscheinungsweisen (Formen). Thats a c h e , u n w i d e r s p r e c h l i c h e T h a t s a c h e , welche sich unseren S i n n e n und unserer Uberzeugung unabweisbar aufdrängt, ist, dass der S t o f f das e i n z i g U n v e r g ä n g l i c h e im Daseyn ist. Überall, wo sie nur sucht, findet die Naturforschung den Grund der Bewegung nur in den Dingen selbst, und zwar zuletzt in den kraftbegabten Stoffen und dem gegenseitigen Spiel der kleinsten Theilchen. Das A t o m oder das kleinste einfache Grundbestandtheil des Stoffes (der Materie) ist es, dem a l l e s D a s e y n , das niederste wie das höchste, seine Entstehung verdankt. V o n E w i g k e i t h e r b e s t e h e n d (existirend) und i n E w i g k e i t h i n u n v e r n i c h t b a r , nimmt es in e w i g e m r a s t l o s e n W a n d e l heute an dieser, morgen an jener Bildung Theil und bleibt selbst in allem Wechsel der Erscheinungen doch immer dasselbe, unveränderlich. Das Atom ist e w i g , ohne A n f a n g und ohne Ende. Die genauesten wissenschaftlichen Untersuchungen lassen über die sogenannte U n s t e r b l i c h k e i t des S t o f f e s in seinen Grundbestandteilen,

Irrthümlichkeit und Unlialtbarkeit etc.

175

einerlei in welcher Gestalt er auftreten mag, n i c h t d e n l e i s e s t e n Z w e i f e l . Die Beständigkeit oder Unvernichtbarkeit des Stoffes ist eine schon an sich einleuchtende Sache und so sehr durch die tägliche Erfahrung geboten, dass dieselbe zu allen Zeiten von philosophischen Denkern eingesehen und zu wichtigen philosophischen Schlussfolgerungen (zwar nicht von der eigentlichen Naturwissenschaft, wobl aber von Seiten der Naturforschung) benutzt wurde. Die heutige Wissenschaft hat diese grosse Wahrheit nicht nur in ihren allgemeinen Umrissen, sondern bis auf das E i n z e l s t e und K l e i n s t e herab b e s t ä t i g t : sie hat die U n s t e r b l i c h k e i t des Atoms n a c h g e w i e s e n . W a s aber k e i n E n d e haben kann, kann auch k e i n e n A n f a n g haben. Was h e u t e nicht neu entstehen kann, konnte n i e m a l s neu entstehen. Denn der Stoff folgt bestimmten Gesetzen, welche, wie alle Naturgesetze, ewig und unabänderlich sind" (BÜCHNEK, Natur und Geist. S. 4. 7. 90. 91. 92. 100. 165). — Ganz die gleichen Anschauungen vertreten bekanntlich auch Vogt, Moleschott, Czolbe, Benecke, Burmeister und viele Andere. — „Der Grundsatz von der E w i g k e i t des Stoffes (der Materie)" — sagt Vogt — , , b e d a r f k e i n e s B e w e i s e s m e h r , nur der A u s p o s a u n u n g als unverbrüchlicher W a h r h e i t s s a t z (Axiom). Das ganze irdische und allgemeine Weltleben (das tellurische und kosmische Leben) ist auf diesem Grundsatz erbaut, dass der S t o f f (die Materie) ewig d e r s e l b e b l e i b t , seine Erscheinungsweisen (Formen) aber ewig wechseln. Die Gestalt, in welcher er dir entgegentritt, die Verbindungen, in welcher du ihn findest, kannst du zerstören und lösen, aber den S t o f f (die Materie) an sich mit seinen Grundeigenschaften der S c h w e r e , A n z i e h u n g u. s. w. kannst du n i e m a l s v e r n i c h t e n , n i e m a l s v e r s c h w i n d e n m a c h e n " (VOGT, Bilder a. d. Thierleben. S. 356. 357). — „Wie das Vergrösserungsglas (Mikroskop) die Verwandtschaft zwischen Pflanzen und Thieren und Menschen aus •der Verwandtschaft der Keime herleitet", —sagt Moleschott —

176

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit u n d Ewigkeit.

„so hat die W a g e die U n s t e r b l i c h k e i t d e s S t o f f s b e w i e s e n . Die Unsterblichkeit des Stoffs offenbart sich in der V e r w i t t e r u n g d e r F e l s e n , und selbst der T o d ist nichts als die U n s t e r b l i c h k e i t d e s K r e i s l a u f s (der Stoffe)" (MOLESCHOTT, Kreislauf. S. 30. 44. 87). — „Die Kräfte, welche in und am Erdkörper noch jetzt thätig sind" — sagt B u r meister — „ h a l t e n einander die W a g e ; m i t h i n besteht ein Zustand, welcher die B ü r g s c h a f t (Garantie) der E w i g k e i t in s i c h s e l b s t t r ä g t . Der Stoff (Materie) ist n i c h t u n v e r ä n d e r l i c h , und darum, weil er v e r ä n d e r l i c h e r s c h e i n t , hält der kurzsichtige menschliche Blick, den wissenschaftliche Forschungen noch nicht aufgeklärt haben (?), ihn auch für e n d l i c h und v e r g ä n g l i c h . Der Stoff stirbt n i c h t , er geht n i c h t u n t e r , er ist vielmehr u n z e r s t ö r b a r und ewig; er ist von A n f a n g d a g e w e s e n und ist ü b e r a l l e z e i t l i c h e B e g r ä n z u n g e n hinaus" (BUKMEISTER. Geol. Bilder I. S. 2 4 3 . HETTINGER, Apolog. I. S. 1 6 7 ) . — „Bei unzähligen Gruppen von Naturerscheinungen" sagt C z o l b e — „ist es unzweifelhaft, dass sie e n t s t e h e n oder W i r k u n g e n von U r s a c h e n sind. Daraus hat man den Schluss gezogen, dass auch die N a t u r selbst, dass » A l l e s « eine Ursache habe. Es f e h l t aber nicht nur j e d e r E r f a h r u n g s g r u n d dafür, dass Stoff (Materie) und Eaum e n t s t a n d e n sind, und verändert (?) oder z e r s t ö r t werden können: man kann sich davon auch durchaus k e i n e n B e g r i f f machen. Die N i c h t v o r s t e l l b a r k e i t oder U n b e g r e i f l i c h k e i t darf wenigstens beiläufig gegen gewisse Behauptungen gelten, und d e s h a l b m ü s s e n wir Stoff und Raum f ü r ewig h a l t e n " (CZOLBE, Sensualism. S. 145). — Ebenso Haeckel: ,,Die Naturforschung h ä l t den Stoff (die Materie) für ewig und u n v e r g ä n g l i c h , weil durch die E r f a h r u n g n o c h n i e m a l s das Entstehen oder Vergehen auch nur des kleinsten Stofftheilchens n a c h g e w i e s e n worden ist" (HAECKEL, Natürl. Schöpfung. S. 8). — „Was eine etwaige E n t s t e h u n g des Stoffes anbelangt", sagt WIENER — „so müssen

177

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

wir a n n e h m e n , class er n i e e n t s t a n d e n ist, sondern dass er s t e t s , d. h. von E w i g k e i t h e r v o r h a n d e n war. Denn da wir bei jedem E n t s t e h e n oder V e r s c h w i n d e n , beim Entstehen des Krysta-lls, der Pflanze, des Thieres, beim Auflösen des Krystalles in einer Flüssigkeit, beim Verbrennen des Diamanten ohne sichtbaren Rückstand, beim Verwesen der Pflanze und des Thieres, doch immer nur ein Entstehen und Verschwinden der äusseren Erscheinungsweise (der Form), d. h. die Art des Zusammenhanges erkennen, — da wir finden, dass alle diese Dinge beim Entstehen irgendwoher ihren Stoff nehmen, wo er schon vorhanden war, und dass sie beim V e r s c h w i n d e n ihn irgendwohin, in die Erde oder in die Luft, wieder abgeben, dass die kleinsten Theilchen des Stoffes dabei sich aber nicht ändern und auch i h r e r M e n g e n a c h g a n z d i e s e l b e n b l e i b e n , dass also Stoff nie aus Nichts entsteht oder in Nichts verschwindet: so s c h l i e s s e n wir, dass der Stoff a u c h zu a l l e n a n d e r e n Z e i t e n n i e a u s N i c h t s e n t s t a n d e n sey, u n d n i e zu N i c h t s w e r d e n k a n n , d. h. dass der Stoff in Vergangenheit und Zukunft ewig sey." Und an einem späteren Ort: „Wir haben gesehen, dass wir uns den S t o f f als von E w i g k e i t h e r v o r h a n d e n denken müssen, u n e r s c h a f f e n und u n e n t s t a n d e n . Die von der menschlichen Bildungsthätigkeit entnommene Vorstellung der S c h ö p f u n g mussten wir verwerfen, weil ein Erzeugen des Stoffes a u s N i c h t s n o c h n i e b e o b a c h t e t wurde, vielmehr allen strengen Beobachtungen widerspricht" (WIEHEE, Weltansch. S. 786. 796). — „Wenn wir wahrnehmen, dass ein gewisser, nach der Menge sehr genau bestimmter S t o f f " — sagt Spiller — „nach seiner Verbindung mit einem anderen seine Eigenschaften, mit Ausnahme seines Gewichts, vollständig aufgegeben zu haben scheint, so dass er in dieser Verbindung durchaus nicht wieder zu erkennen ist, und wenn er dennoch aus ihr in seiner ursprünglichen Wesenheit wieder darzustellen ist o h n e j e d e n G e w i c h t s v e r l u s t : so ist dies ein u n m i t t e l W andersmann. ITT.

12

178

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

b a r e r B e w e i s für die U n z e r s t ö r b a r k e i t des S t o f f e s und seiner E i n z e l b e s t a n d t h e i l e (Atome). Ist der Stoff aber u n z e r s t ö r b a r , so ist er auch n i c h t e n t s t a n d e n (nicht geschaffen). Die E w i g k e i t der Körperstofftheilchen und die U n V e r ä n d e r l i c h k e i t d e s W e s e n s eines jeden einzelnen Stoffes ist eine u n a n t a s t b a r e n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e T h a t s a c h e , welche die Alten schon als G r u n d w a h r h e i t (Axiom) behaupteten, ohne unsere jetzigen Kenntnisse zu besitzen" (SPILLER, Urk. d. Weltalls. S. 66). — ,,Der A t o m i s m u s (d. h. die Lehre von der Ewigkeit der einzelnen stofflich-körperlichen Urwesen)" — sagt D r o s s b a c h — „beweist das e w i g e L e b e n in dem bisher t o d t Gehaltenen. Mein eigenes persönliches (mein individuelles) Wesen hat ein Wahrnehmungsvermögen für die räumlich wie für die zeitlich verschiedenen Einwirkungen. Dieses Vermögen i s t e i n e e w i g e K r a f t , weil es zu der Natur und Beschaffenheit eines e w i g e n Wesens gehört. Das menschliche Wesen ist v o n E w i g k e i t h e r u n d in E w i g k e i t f o r t in inniger Verbindung mit allen anderen Wesen, und nur von der Art der Verbindung (der Verbindungsform) mit diesen hängt es ab, ob es zeitweilig bewusst oder unbewusst ist. So wie das wirkende und wahrnehmbare Wesen in seiner allgemeinen Beschaffenheit ewig und u n v e r ä n d e r l i c h bleibt, so ist auch der allgemeine Zusammenhang desselben m i t a l l e n ü b r i g e n W e s e n , mit der ganzen Natur, ewig und unaufhebbar. So wie die Wesen sämmtlich im u n e n d l i c h e n R a u m zusammenhängen, einander durchdringen und umschliessen, so stehen sie auch in der z e i t l i c h e n A u f e i n a n d e r f o l g e ihrer Entwicklungsstufen (Entwickelungsformen) in der u n e n d l i c h e n V e r g a n g e n h e i t wie in d e r u n e n d l i c h e n Z u k u n f t in einem nothwendigen Zusammenhang, der sich als ewige A u f e i n a n d e r f o l g e von U r s a c h e u n d W i r k u n g kund gibt. Die W e s e n (d. i. die in sich untheilbaren Einzelwesen) sind das (allein) w a h r h a f t S e y e n d e : sie s i n d •ewig, weil sie sind. Von dem H e r v o r b r i n g e n (Erschaffen)

179

Irrtliiimliclikeit und Uulialtbarkeit etc.

oder V e r n i c h t e n des E i n z e l n e n gibt es k e i n e E r f a h r u n g und k e i n e V o r s t e l l u n g . Daher sind die Einheiten die letzten Ursachen der Natur, welche (selbst) durch n i c h t s v e r u r s a c h t sind, und i h r e n G r u n d in s i c h s e l b s t h a b e n " DKOSSBACH, Genes, d. Bewusstseyns. S. 70 (Anmerk.) S. 162. 163. 182. 183). — Endlich sagt C a r u s mit Bezug namentlich auf die höheren Lebewesen, wie Pflanzen und Thiere, sowie auf deren körperliche Leiblichkeit: „Jeglicher stofflich-körperliche Grundbestandtheil (jedes Element) hat stets seine eigenthümliche Bildungskraft (Plastik), und bei der U n v e r g ä n g l i c h k e i t aller Einzeldinge (Elemente) an sich, welche, s o w e i t u n s e r e E r f a h r u n g r e i c h t , von Jahrtausenden zu Jahrtausenden bestehend, niemals wieder ganz v e r s c h w i n d e n und s i c h v e r l i e r e n , bleibt der stete Wechsel in den Zuständen oder das Verschiedenartige ihrer Darstellungsweisen (ihrer Plastik) allenthalben und überall das Wesentlichste, was wir an ihnen zu beobachten haben. Das Erste, wodurch jeder belebte endliche leiblich-körperliche Gliedbau (jeder endliche Organismus) vom u n e n d l i c h e n sich wesentlich absondert, ist sein E n t s t e h e n und V e r g e h e n , welches beides vom Letzteren im Ganzen niemals ausgesagt werden könnte. Jeder e i n z e l n e l e b e n d i g e G l i e d b a u (wie bei Quarzen, Pflanzen und Thieren) hat also einen A n f a n g und hat ein E n d e . Als das Erste dieser beiden begrifflichen Bedeutungen (dieser beiden Momente) ist aber anzuerkennen, dass A l l e s , was wir im Kreise unserer Erfahrungen A n f a n g und E n d e , E r z e u g e n und S t e r b e n nennen, w e d e r ein w a h r e r A n f a n g n o c h ein w a h r e s E n d e ist. Nicht das E r s t e nelmilich, weil alles, was u n s als Anfang einer l e i b l i c h - b e l e b t e n K ö r p e r l i c h k e i t höherer Lebewesen (eines Organismus) vorkommt, an und für sich nur die F o r t b i l d u n g eines bereits von einem anderen derartigen Lebewesen (von einem" anderen Organismus) Gegebenes ist, und zwar ein Gegebenes, welches zuerst ein zum G a n z e n jenes Lebewesens gehöriger Theil 12*

180

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

(ein integrirender Theil jenes Organismus) war; und auch n i c h t das Z w e i t e , weil bei dem Vorgänge, den wir E n d e nennen, theils n i c h t s von diesem leiblich-körperlichen Lebewesen (Organismus) v e r s c h w i n d e t , da die Urbestandtheile (Elemente) stets in andere Lebenskreise ü b e r g e h e n , theils in vielen Fällen irgend ein Theil des verschwindenden Lebewesens (Organismus) immer wieder sofort zu einem dem (bisherigen) Ganzen ähnlichen lebendigen Gliedbau (Organismus) werden wird; dergestalt, dass wir also zunächst zu bekennen haben, dass sowohl vom wahren e r s t e n E n t s t e h e n als vom letzten und wahrhaften V e r g e h e n eines besonderen leiblichkörperlichen Lebewesens (Organismus) wir s c h l e c h t e r d i n g s k e i n e K e n n t n i s s h a b e n , ja dass beides, streng genommen, überhaupt n i c h t b e s t e h t (existirt), n o c h b e s t e h e n k a n n , eben vermöge der U n e n d l i c h k e i t des gemeinsamen Weltganzen (Makrokosmos), aus welchem sich n i c h t s verlieren kann, sondern alles n u r u n e n d l i c h e U m b i l d u n g e i n e s an s i c h E w i g e n seyn muss. Wissen wir aber nun somit auch, dass ein wahrer A n f a n g und ein wahres E n d e der einzelnen leiblich-körperlichen Lebewesen (Organismen) n i r g e n d s und n i e m a l s n a c h z u w e i s e n ist, so fragt es sich dagegen doch, nach welchen G e s e t z e n das scheinbare Entstehen eines solchen, sowie sein scheinbares Vergehen und Sterben oder Verschwinden erfolgt? Ein w a h r e s E n d e , ein wirkliches V e r g e h e n oder Z u - N i c h t s - W e r d e n gibt es nicht und k a n n es n i c h t geben. Es handelt sich hier wie dort nur um V e r w a n d l u n g (Metamorphose). Wie nehmlich j e d e s e n d l i c h e L e b e w e s e n (Organismus) e n d l i c h i s t im R a u m , so i s t es a u c h n o t h w e n d i g e n d l i c h in der Zeit. Die Nothwendigkeit dieses E n d l i c h s e y n s wird gesetzt durch die M e h r h e i t oder V i e l h e i t der einzelnen Lebewesen (der Organismen) selbst. "Denn M e h r e r e z u g l e i c h k ö n n e n n i c h t r ä u m l i c h u n e n d l i c h seyn; denn schon zwei würden s i c h g e g e n s e i t i g d e n B e g r i f f d e r U n e n d l i c h k e i t a u f h e b e n , als welcher da-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

181

her immer n u r E i n e s , d a s g e m e i n s a m e W e l t g a n z e (der Makrokosmos) passt, und so beschränkt denn auch in der Z e i t d a u e r eines stets das andere" (CAEUS, Natur und Idee. S. 52. 106. 107. 108). — N o . 138. Innere Unzulänglichkeit und Irrthümlichkeit der vermeintlichen Beweise für eine innere Wesens-Ewigkeit der räumlich-körperlichen Grundbestandteile dieser Welt. Wir haben absichtlich die in dem Vorstehenden enthaltenen Auszüge so ausführlich gegeben, um dem Leser ein möglichst deutliches und anschauliches Bild eben des allgemeinen Gedankenganges vorzuführen, auf dessen vorgebrachte Gründe wir nunmehr noch weiter einzugehen uns genöthigt sehen; aber gleichzeitig haben wir auch ebensosehr die Uberzeugung, dass der aufmerksame und nach wirklichen Y e r n u n f t g r ü n d e n fragende Leser, der in seinem eigenen Urtheil nicht durch blosse S c h e i n g r ü n d e sich mag bestechen lassen, schon beim blossen Durchlesen der angeführten Stellen mehr und mehr eine Ahnung davon erhalten haben dürfte, auf welch schwachen Füssen diese ganze angebliche Beweisführung steht. Betrachten wir daher nunmehr zuerst, was es mit den vermeintlichen E r f a h r u n g s b e w e i s e n für die vorgetragenen Lehrsätze auf dem Wege t h a t s ä c h l i c h e r B e o b a c h t u n g e n wohl eigentlich bei genauerer und eingehender Prüfung auf sich haben dürfte. Die auf dem Gebiete der allgemeinen Stofflehre beobachtete Thatsache, dass alle in der sinnlich wahrnehmbaren Natur wirklich vorhandenen und wirklich von uns nachzuweisenden Stoffe einerseits n u r in g a n z b e s t i m m t e n G e w i c h t s v e r h ä l t n i s s e n , die auf unabänderliche Naturgesetze zurückweisen, sich mit einander v e r b i n d e n oder vereinigen, dass wir anderseits aber bei ihrem nachmaligen Wiederauseinandertreten oder bei ihrer stofflich-körperlichen Z e r s e t z u n g aus dieser ihrer bisherigen Verbindung wieder ganz die g l e i c h e n S t o f f e in ganz denselben S t o f f m e n g e n und G e -

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

w i c h t s v e r h ä l t n i s s e n , in denen sie vorher zusammengetreten waren, wieder zum Vorschein kommen sehen: diese Thatsache, die von niemanden, der nur einigermassen in der allgemeinen Stofflehre bewandert ist, in Zweifel gezogen wird, soll den e r s t e n A u s g a n g s p u n k t bilden, um daraufhin ohne Weiteres die behauptete v ö l l i g e U n e n t s t a n d e n h e i t und v ö l l i g e U n v e r g ä n g l i c h k e i t eben jener einzelnen Stofftheilchen zu gründen. Und wird eben dies Letztere dann ausserdem auch noch für eine begriffliche oder natürliche N o t w e n d i g k e i t erklärt, also für etwas, das sich von selbst versteht: dann glaubt man, alles dies bereits vollgültig gegen alle Einreden des Zweifels sicher gestellt zu haben. Was haben aber, so dürfen wir wohl fragen, eben jene beobachteten Thatsachen, von denen uns die allgemeine Stofflehre Bericht erstattet, bei Licht betrachtet, eigentlich mit der Frage nach einer u n b e d i n g t e n E w i g k e i t , einer u n b e d i n g t e n A n f a n g s - u n d E n d l o s i g k e i t ihrer einzelnen körperlichen Bestandtheile zu thun? Alle jene Versuche, Beobachtungen und Thatsachen betreffen einzig und allein nur Dinge, die aus keinem anderen Grund den Anschein eines ewigen und anfangslosen Vorhandenseyns in uns erregen, als nur allein dadurch, dass es n i c h t in u n s e r e r M a c h t l i e g t , mittelst unserer beschränkten körperlichen und geistigen Kräfte d e n w i r k l i c h e n Z e i t p u n k t n ä h e r zu b e s t i m m e n , in w e l c h e m e b e n j e n e s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e n E i n z e l d i n g e dereinst ihren wirklichen wesenhaften Anfang mögen genommen haben. Aber eben darum vermögen alle jene Beispiele auch nur über solche Vorgänge und Verhältnisse wirklich auf Beobachtung gegründete wissenschaftliche Auskunft zu geben, welche innerhalb eben jenes Rahmens unserer gegenwärtigen Natur- und Weltordnung liegen. Alles, was a u s s e r h a l b dieser natürlichen zeitlichen Gränzpunkte liegen oder nicht liegen mag, möglich seyn oder nicht möglich seyn mag: dies Alles liegt, dem Begriff oder der Natur der Sache nach, vollständig a u s s e r h a l b d e s n a t ü r l i c h e n A r b e i t s -

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

183

f e l d e s d e r e i g e n t l i c h e n N a t u r f o r s c h u n g . Denn diese ist, wie schon die Bezeichnung „Naturforschung" solches darthut, nur allein auf die wissenschaftliche B e o b a c h t u n g und E r forschung dessen gerichtet, was i n n e r h a l b d e r n a t ü r l i c h e n G r ä n z e n des v o r h a n d e n e n N a t u r g a n z e n t h a t s ä c h l i c h vorhanden ist oder thatsächlich innerhalb derselben s i c h z u t r ä g t . Nur dies allein kann daher als ihren wissenschaftlichen Untersuchungen thatsächlich zugänglich sich erweisen oder als thatsächlich vernunftgemäss betrachtet werden. Aber eben deshalb müssen denn auch nothwendig alle solche Fragen, welche Verhältnisse betreffen, die a u s s e r h a l b diesesnatürlichen Arbeitsfeldes der Naturforschung als solcher liegen,, nothwendig als solche sich darstellen, ü b e r w e l c h e d i e s e L e t z t e r e f ü r sich allein d u r c h a u s keine auch nur i r g e n d wie s i c h e r e u n d z u v e r l ä s s i g e A u s k u n f t zu e r t h e i l e n im S t a n d e ist. Ob jene natürlichen einfachsten Grundbestandtheile dieser Welt, und damit zugleich unsere gesammte gegenwärtige Weltordnung überhaupt, z e i t l i c h a n f a n g s - und z e i t l i c h e n d l o s s e y n m ü s s e n oder auch nur seyn k ö n n e n o d e r n i c h t : über diese Frage hat die N a t u r f o r s c h u n g keine Aufschlüsse zu geben, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil in Bezug auf diese Fragen alles wissenschaftliche Forschen m i t t e l s t W a g e u n d Y e r f l ü c h t i g u n g s k o l b e n oder mittelst Fernröhren, L u p e n oder s o n s t i g e n V e r g r ö s s e r u n g s g l ä s e r n ein für allemal von selbst aufhört. Wenn also die Naturforschung die Frage aufstellt, was v o r dem Vorhandenseyn der jetzigen Weltordnung etwa hätte sonst noch da seyn können, woraus sie naturgemäss hätte hervorgehen sollen? oder in was nach einem etwaigen Ablauf dieser Weltordnung die in ihr vorhandenen Dinge dereinst sollten übergehen oder ihrem gesammten Wesen nach sich sollten auflösen können? da bekanntermassen aus N i c h t s auch n i c h t s hervorgehen und kein wesenhaftes E t w a s je wieder zu n i c h t s werden könne: so ist es allerdings nicht zu verwundern, wenn die Naturforschung

184

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

auf diese ihre eigenen Fragen keine auch nur einigermassen befriedigende Antwort zu geben weiss. Die zu einer genügenden Lösung jener Fragen erforderlichen wissenschaftlichen Untersuchungen liegen zu sehr j e n s e i t s des Bereiches menschlicher Sinneserfahrungen und menschlich-sinnlicher Beobachtungen, als dass wir erwarten dürften, es werde der Naturforschung jemals gelingen, auf diesem Wege eben jene Fragen einer endgültigen Lösung entgegenzuführen. Es ist dies für die Naturforschung ganz ebenso unmöglich, wie es anderseits auch den Vertretern entgegenstehender Ansichten jemals möglich seyn könnte, auf dem gleichen Wege bloss sinnlicher Erfahrungen und Beobachtungen für ihre eigene Weltanschauung irgendwelche entscheidende Beweise beizubringen. Aber eben darum kann es auch kaum wundern, wenn eben jener einseitigen Richtung der Naturforschung, in E r m a n g e l u n g a l l e r u n d j e d e r t h a t s ä c h l i c h e n E r f a h r u n g s b e w e i s e , zu einer, wenn auch nur scheinbaren Begründung der von ihr vertretenen Anschauungsweise schliesslich kein anderer Ausweg bleibt als der, allen jenen einfachen körperlichen Urwesen aus eigener Machtvollkommenheit frischweg nicht nur ein in z e i t l i c h e r B e z i e h u n g v ö l l i g a n f a n g s - u n d e n d l o s e s D a s e y n anzudichten, sondern gleichzeitig damit auch die weitere Behauptung zu verknüpfen, dass dies Alles d u r c h t h a t s ä c h l i c h e w i s s e n s c h a f t l i c h e B e o b a c h t u n g e n ein für allemal a l s v o l l g ü l t i g e r w i e s e n e , u n a n f e c h t b a r e T h a t s a c h e , a u s s e r a l l e m Z w e i f e l g e s t e l l t sey. Was übrigens nicht wenig dazu beigetragen haben mag, die Naturforschung auf eben diese Irrwege zu führen, ist wohl der Umstand, dass von Seiten dieser Letzteren der begriffliche Unterschied zwischen N a t u r f o r s c h u n g und N a t u r w i s s e n s c h a f t meist gänzlich ausser Acht gelassen wird. Während nehmlich die Erstere dieser beiden Schwesterbegriffe, die N a t u r f o r s c h u n g , für ihre wissenschaftlichen Forschungen, der Natur der Sache nach, sich ausschliesslich an das engere Gebiet des d e r s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g Z u g ä n g l i c h e n

Irrthttmlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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gebunden sieht: steht dagegen der Zweiten, der N a t u r w i s s e n s c h a f t , ein in dieser Hinsicht vielfach erweiterter Spielraum zu Gebot. Die N a t u r f o r s c h u n g vermag, von ihrem besonderen Standpunkt aus, den natürlichen Wechsel in den, dem leiblichen Auge unzugänglichen inneren Wesenszuständen der Dinge nur allein nach dem diesen inneren Vorgängen genau entsprechenden Wechsel in deren, der leiblichen Sinneswahrnehmung zugänglichen äusseren Erscheinungsweisen zu bemessen. Und eben hierfür steht dann auch der N a t u r f o r s c h u n g nur allein die n a t u r g e s e t z m ä s s i g e V e r k e t t u n g zwischen den jene inneren Vorgänge b e w i r k e n d e n U r s a c h e n und den aus diesen hervorgehenden, der sinnlichen Erfahrung anheimfallenden W i r k u n g e n zu Gebote. Die N a t u r f o r s c h u n g erkennt es selber ganz ausdrücklich an, dass sie nur allein mit der s i n n l i c h e n S e i t e der Natur sich beschäftigt: alles dagegen, was als irgendwie ü b e r - o d e r n i c h t s i n n l i c h pflegt bezeichnet zu werden, ist, selbst wo es in thatsächlichen Beziehungen zu wirklich Sinnlichem steht, grundsätzlich von ihrer Mitbeachtung ausgeschlossen. Nichtsdestoweniger sind die tiefgehenden Einblicke anzuerkennen, welche sie an der Hand der blossen Verkettungen von U r s a c h e n und W i r k u n g e n in das allgemeine innere Triebwerk der Natur, namentlich in den letzten Zeiten, gethan hat. Aber trotz alledem vermag sie nicht, als blosse Naturf o r s c h u n g von diesem ihrem besonderen Gesichtskreis aus zu höheren Standpunkten sich zu erheben, zu Standpunkten nehmlich, welche die vorhandenen Weltverhältnisse nicht einzig nur nach den natürlichen Verkettungen von U r s a c h e n u n d W i r k u n g e n beurtheilen und bemessen, sondern welchen zu eben diesen letzteren Z w e c k e n auch ausserdem noch h ö h e r e B e u r t h e i l u n g s w e i s e n jener Verhältnisse zu Gebote stehen. Und eben diesen Standpunkt nimmt nun in erster Linie die eigentliche N a t u r w i s s e n s c h a f t oder, was ziemlich dasselbe sagt, die sogenannte N a t u r p h i l o s o p h i e ein. Denn sie urtheilt nicht bloss nach Verkettungen von Ursachen und Wirkungen:

186

Endlichkeit und Unendlichkeif. — Zeit und Ewigkeit.

sie beurtkeilt alles, was in der Natur i s t und v o r g e h t , auch ausserdem noch auf Grund der geistigen V e r k e t t u n g e n z w i s c h e n g e i s t i g e n V e r n u n f t g r ü n d e n und den aus diesen nach ganz ebenso unabänderlich feststehenden D e n k - u n d V e r n u n f t g e s e t z e n sich ergebenden v e r n u n f t g e m ä s s e n Schlussfolgerungen. Und eben damit eröffnet sich denn auch für alle eigentlichen Vernunftwissenschaften und namentlich für die Naturwissenschaft als solche ein ganz neues Forschungsgebiet, welches der blossen Naturforschung ganz und gar verschlossen ist. Wohl urtheilt auch diese nach geistigen Schlussfolgerungen: aber diese Schlussfolgerungen der Naturforschung bewegen sich immerdar nur innerhalb der sinnlichwahrnehmbaren Seite des Vorhandenen, und über diese streng gezogenen Gränzen hinaus auch in das Gebiet des eigentlichen N i c h t - u n d U b e r s i n n l i c h e n durch geistige Schlüsse sich zu erheben; dies überschreitet nicht nur das unmittelbare Forschungsgebiet, sondern auch die ganze Forschungsweise der eigentlichen Naturforschung. Wir haben bereits an einem früheren Ort das gegenseitige Wechselverhältniss zwischen den natürlichen Verkettungen von U r s a c h e n und W i r k u n g e n und denen von geistigen V e r n u n f t g r ü n d e n und deren v e r n u n f t g e m ä s s e n F o l g e n ausführlicher besprochen (IV. § 17, No. 82). Und eben in Folge hiervon erscheint denn auch gerade die N a t u r w i s s e n s c h a f t als solche recht eigentlich dazu berechtigt und befähigt, selbst solche Fälle und Fragen, auf welche eine wirklich befriedigende Antwort zu geben die Naturforschung ausser Stand ist, nach allen Seiten und Richtungen hin einer noch um so eingehenderen und um so umfangreicheren, aber eben damit auch noch um so gründlicheren Untersuchung und Prüfung zu unterwerfen. Und zu eben diesen Fragen gehört dann namentlich auch die Frage, ob die von der Naturforschung behauptete unbedingte E w i g k e i t oder zeitliche A n f a n g s - und E n d l o s i g k e i t eben jener uranfänglichen Ur- und Einzeldinge sich auch durch wirkliche V e r n u n f t g r ü n d e e r w e i s e n lasse

187

Irrthümlichkeit und Unlialtbarkeit etc.

oder nicht:

mit anderen Worten,

ob sie nach den Gesetzen

des vernunftgemässen Denkens auch wirklich als d e n k b a r - m ö g l i c h sich darstelle oder nicht. Auch

selbst

die längste und beständigste

Erfahrung



sagt R i t t e r — kann uns nicht d a v o n ü b e r z e u g e n , ob etwas einen

wirklich

ewigen

Unsterblichk. S. 34). hierüber behaupten, wortung

Bestand

habe

oder n i c h t

(RITTEE,

— Denn mag auch die Naturforschung was

dieser F r a g e

sie will: die z u v e r l ä s s i g e

Beant-

liegt ganz und gar a u s s e r h a l b

des

G e b i e t e s m e n s c h l i c h - s i n n l i c h e r W a h r n e h m u n g und E r fahrung.

Hier also vermögen

zu entscheiden. absichtlich

Wo

bei Seite

allein nur

Vernunftgründe

diese mehr oder weniger geschoben

werden:

bewusst und

da kann

eine

den

wirklichen Naturverhältnissen entsprechende Beantwortung jener Fragen auch nicht erwartet werden. der Hauptsätze, haupteten

Nun besteht aber einer

worauf die Naturforschung

anfangs-

und

endlose

die von ihr

Ewigkeit

der in

beRede

stehenden Einzeldinge glaubt gründen zu können, darin, dass in der gegenwärtigen Weltordnung, wie sie jetzt vor unseren Augen dasteht, noch von Niemanden weder ein V e r s c h w i n d e n von irgend einem bereits v o r h a n d e n e n Grundstoff noch auch das H i n z u t r e t e n irgend nicht

vorhandenen

eines

jemals

neuen sey

und

bis

beobachtet

dahin

noch

worden,

noch

irgendwie erfahrungsgemäss habe nachgewiesen werden können. Und hieraus glaubt

sie denn ohne

Weiteres

und ohne jede

weitere Begründung ihrer Ansicht den Schluss ziehen zu dürfen, dass

überhaupt

ein wirkliches E n t s t e h e n

derselben niemals

habe stattfinden können, und dass ebensowenig ein wirkliches V e r g e h e n der jetzt vorhandenen einfachen Stoffe jemals werde stattfinden können.

Die Richtigkeit

eben jenes

aus

wirklich

beobachteten Thatsachen hervorgehenden Erfahrungssatzes wird wohl von niemanden in Abrede gestellt. verbrennen,

zerlegt

sich

in

seine

Das Holz,

einzelnen

das wir

Bestandtheile,

und neue stoffliche Verbindungen sehen wir diese nehmlichen

188

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

vorherigen Bestancltheile des Holzes nunmehr eingehen. Kein Stofftheilchen, dies bezeugen die Versuche mit der Wage, gehen dabei im Haushalte der Natur verloren. Ebenso sind wir im Stande, eine gewisse, auf ihr Gewicht genau bestimmte Menge Wassers durch den elektrischen Strom in ihre Einzelbestandtheile, Sauerstoff und Wasserstoff, zu zerlegen, und zugleich wissen wir auch, dass das Gewicht des aus dem Wasser austretenden Sauerstoffs zusammen mit dem Gewicht des am anderen Pol austretenden Wasserstoffs zusammen genau dasselbe Gewicht bilden, welches vorher auch dem Wasser für sich allein zugekommen war. Umgekehrt sind wir nun aber bekanntlich auch ebenso im Stand, den durch den erwähnten Versuch gewonnenen Wasserstoff und Sauerstoff mit Hülfe des elektrischen Funkens wieder zu Wasserdampf zu vereinigen. Nichts Neues ist bei diesen Vorgängen hinzugetreten, und nichts vorher bereits Vorhandenes ging dabei verloren. Diese Erfahrungen sind nun aber nicht hinreichend, um auf sie hin jeden besonderen Einzelstoff und dessen einfache Bestandtheile für thatsächlich u n e n t s t a n d e n und u n v e r g ä n g l i c h zu erklären. Denn alle Vorgänge der eben erwähnten Art beziehen sich einzig und allein nur auf Verhältnisse, welche innerhalb der b e r e i t s b e s t e h e n d e n Weltordnung statthaben: mit der Frage aber, ob die bei jenen Versuchen in Betracht kommenden Einzelbestandtheile der jetzt vorhandenen verschiedenen Stoffarten überhaupt irgend einmal mögen entstanden seyn oder nicht, oder ob sie irgend einmal wieder aus dem gegenwärtigen Dasevn werden verschwinden können oder nicht: mit allem diesem stehen sie durchaus in keiner näheren Berührung. Jene Versuche können von Seiten der Wissenschaften fortwährend wiederholt und neu geprüft und dadurch in Bezug auf ihre Zuverlässigkeit immer mehr bestätigt werden: jene bloss willkürlichen Behauptungen dagegen sind zu keiner Zeit und von keinem Menschen durch eigene Selbsterfahrung jemals als richtig zu bestätigen. Denn weder das Entstandenseyn noch Nicht-

Irrthümlichkeit und Unlialtbarkeit etc.

Igy

entstandenseyn der Einzelbestandtheile, weder deren einstiges Vergehen noch deren Nichtvergehen, ist Menschen jemals möglich, aus eigener Anschauung irgendwie zu bejahen oder zu verneinen. Wir haben bereits mehrfach auf jene Thatsache der Erfahrung hingewiesen, dass alle kleineren oder grösseren körperlichen Massen auf den dazu geeigneten Wegen in immer kleinere Theilstücke sich zertheilen und zerlegen lassen. Diese Theilbarkeit, soweit wir sie auch in Wirklichkeit oder in Gedanken fortzusetzen vermögen, kann dennoch k e i n e an sich unbedingte oder ins Unendliche gehende seyn, weil "unsere Vernunft uns sagt, dass kein zusammengesetztes Ganzes in eine grössere Zahl von Einzeltheilen zerlegt kann werden, als eben die w i r k l i c h e A n z a h l der wirklichen Einzeitheile beträgt, aus denen ein solches Ganzes thatsächlich zusammengesetzt ist. Da nun eine jede natürliche Massenbildung in Folge ihrer unleugbaren r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e n B e s c h r ä n k t h e i t jedenfalls eine wirklich e n d l i c h e G r ö s s e darstellt, so muss auch allen den körperlichen Einzeldingen, aus denen die ganze Masse innerlich zusammengesetzt ist, ebenfalls irgend eine g a n z b e s t i m m t e r ä u m l i c h - e n d l i c h e G r ö s s e zukommen. Daraus folgt nun aber zuverlässig, dass die wirkliche A n z a h l eben jener, die Gesammtmasse bildenden natürlichen Einzeldinge in keinem Fall eine an sich u n e n d l i c h e A n z a h l seyn oder irgendwie darstellen kann. Im Gegentheil sind wir genöthigt anzuerkennen, dass eine jede derartige Gesammtmasse nur genau so viele solcher Einzelbestandtheile in sich einzuschliessen vermag, als die räumliche Grösse und Ausdehnung nicht nur der Gesammtmasse selbst, sondern auch die besondere räumliche Grösse und Ausdehnung eines jeden in ihr enthaltenen Einzeldinges gemeinschaftlich gestatten: keines mehr und keines weniger. Eben hieraus ist nun aber auch weiter ersichtlich, dass die gesammte Anzahl eben jener besonderen Einzeldinge, welche die Gesamnitheit der betreffenden Masse bilden, keine unendliche A n z a h l , sondern nur eine ganz be-

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Endlichkeit und Unendlichkeit.. — Zeit und Ewigkeit.

stimmte e n d l i c h e Zahl zu bilden im Stande ist. Und wie die A n z a h l dieser Einzeldinge in der betreffenden Gesammtmasse nur eine ganz bestimmte e n d l i c h e Z a h l seyn und darstellen kann: so kann und muss auch die n a t ü r l i c h e r ä u m l i c h e G r ö s s e o d e r k ö r p e r l i c h e A u s d e h n u n g eines jeden Einzelnen der betreffenden Einzel dinge als eine, wenn auch noch so kleine, wirkliche e n d l i c h e Grösse sich darstellen. Nun haben wir bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass keinem in sich selbstständigen Naturdaseyn, und wäre es auch das allerklöinste jener ersten stofflich-körperlichen Einzeldinge, ein wirklich w e s e n h a f t e s D a s e y n und ein thatsächlicher B e s t a n d in diesem seinem natürlichen Daseyn irgendwie m ö g l i c h seyn könnte, wofern ihm nicht allewege ein ganz bestimmtes M a a s s von e i g e n e r i n n e r e r D a s e y n s k r a f t thatsächlich zukäme, deren unausgesetzter unmittelbarer Wirksamkeit ein jedes solches Einzelding gleichzeitig mit seinem wesenhaften D a s e y n auch seinen gesammten zeitlichen B e s t a n d im D a s e y n zu verdanken hat. Nun kann aber jene innere Daseinsgrundkraft der betreffenden Dinge dem Auge des Geistes nur allein als eine unter allen Umständen und Verhältnissen vollkommen e i n h e i t l i c h e K r a f t sich darstellen, d. h. als eine K r a f t , welche durch ein und dieselbe in sich ebenfalls völlig einheitliche Wirksamkeit im Innern der Dinge gleichzeitig ebensowohl deren w e s e n h a f t e k ö r p e r l i c h e G r ö s s e o d e r r ä u m l i c h e A u s d e h n u n g wie auch deren w e s e n h a f t e z e i t l i c h e G r ö s s e oder z e i t l i c h e W e s e n s d a u e r ohne Unterlass bewirkt und erhält. Und auf eben diese an sich rein innerlichen und darum auch in sich selber selbstständigen Verhältnisse gründet sich denn auch jener weitere, ebenfalls bereits erwähnte Wahrheitssatz, dass alles, was erfahrungsgemäss als e n d l i c h in r ä u m l i c h e r Beziehung s i c h e r w e i s t , auch nothwendig e b e n s o e n d l i c h in z e i t l i c h e r Beziehung vernunftgemäss muss anerkannt werden. Und aus eben diesen, vollkommen folgerichtig wechselseitig aus einander sich ergebenden Gründen kann denn

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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auch die von der Naturforschung jenen ersten und letzten Einzeldingen dieser sichtbaren Welt so vielfach zugeschriebene A n f a n g s - und E n d l o s i g k e i t ihrer zeitlichen D a u e r oder i h r e s z e i t l i c h e n B e s t a n d e s im D a s e y n , ohnerachtet die Naturforschung selber deren r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e E n d l i c h k e i t thatsächlich seit den ältesten Zeiten unbedingt und unumwunden a n z u e r k e n n e n pflegt, nur als im hohen Grad i m W i d e r s p r u c h m i t s i c h s e l b e r stehend, und darum auch nur als ein sehr bedauerlicher w i s s e n s c h a f t l i c h e r I r r t h u m u n d F e h l g r i f f von uns betrachtet werden. Freilich müssen wir dabei auch von unserer Seite bekennen, dass wir für jetzt ausser Stand sind, auch einen W e g anzugeben, auf welchem ein derartiger z e i t l i c h e r A n f a n g aller jener ersten Weltgrundlagen sich einstens könnte vollzogen haben. Allein da wir glauben, jedenfalls die t h a t s ä c h l i c h e U n m ö g l i c h k e i t der behaupteten zeitlichen Anfangs- und Endlosigkeit jener ersten Grundkörperchen durch hinreichende Gründe sicher gestellt zu haben: so dürfen wir uns wohl der Hoffnung hingeben, dass mit der Zeit auch diese Schwierigkeit noch ihre befriedigende Lösung finden dürfte. Aus dem bis hierher Dargelegten ergibt sich nun aber iiuch weiterhin noch der grosse M i s s g r i f f , welchen eben jene einseitige Richtung der Naturforschung dadurch begeht, dass sie völlig den begrifflichen Unterschied zwischen blosser U n ^ e r s t ö r b a r k e i t und eigentlicher U n v e r g ä n g l i c h k e i t ganz und gar unberücksichtigt lässt, ohnerachtet beide Begriffe, obgleich nahe verwandt, doch keineswegs einander vollständig und vollgültig decken. Alles, was für die Unzerstörbarkeit und damit zugleich aber auch für eine thatsächliche U n v e r g ä n g l i c h k e i t jener Einzeldinge pflegt als Erfahrungsbeweise angeführt zu werden, bezieht sich der Natur der Sache nach nur allein auf die allgemein anerkannte Naturthatsache, dass kein in der gegenwärtigen Weltordnung überhaupt einmal thatsächlich v o r h a n d e n e s E i n z e l d a s e y n durch anderweitige, ihm selber

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

f r e m d e und bloss ä u s s e r l i c h e N a t u r k r ä f t e jemals in Wirklichkeit kann zerstört oder seines eigenen w e s e n h a f t e n D a s e y n s k a n n b e r a u b t werden. Daher kann eben diese eigene innere W e s e n s u n z e r s t ö r b a r k e i t der betreffenden Dinge nur allein i n n e r h a l b der zeitlichen Gränzen dieser unserer gegenwärtigen Weltordnung eine natürlich-vernünftige Geltung haben und behaupten. So sehr also eben diese innere Wesensunzerstörbarkeit innerhalb dieser ihrer natürlichen Gränzen ihre volle Geltung zu beanspruchen b e r e c h t i g t ist: ebensosehr muss ein jeder Versuch einer Erweiterung derselben über jene naturund vernunftnothwendigen Gränzen h i n a u s als ein ebenso bedeutender wie bedauerlicher w i s s e n s c h a f t l i c h e r M i s s g r i f f bezeichnet werden. Anders dagegen verhält es sich hinsichtlich des Begriffes der eigentlichen W e s e n s u n v e r g ä n g l i c h k e i t . Diese bezeichnet an sich keine blosse natürliche Widerstandsfähigkeit von etwa bedrohlichen äusserlich-feindlichen Naturgewalten, sondern n o c h m e h r als diese: ihr Begriff bezeichnet eine thatsächliche i n n e r l i c h e U n m ö g l i c h k e i t und innerliche U n f ä h i g k e i t , den gegenwärtigen Besitz eines wirklich-wesenhaften Daseyns jemals zu v e r l i e r e n . Während wir daher die von der Naturforschung vertretene innere U n z ' e r s t ö r b a r k e i t der vorhandenen Einzeldinge innerhalb der oben angegebenen Gränzen nicht nur als vollkommen in den gegebenen Naturverhältnissen begründet anerkennen, sondern auch als in denselben vollkommen begründet anerkennen müssen, so müssen wir dagegen jene gleichzeitig damit behauptete vollständige und unbedingte W e s e n s u n v e r g ä n g l i c h k e i t derselben Dinge aus den eben angegebenen Gründen, als u n v e r t r ä g l i c h mit deren thatsächlich r ä u m l i c h - k ö r p e r l i c h e n Wesensendlichkeit und der nothwendig damit verbundenen ä u s s e r l i c h e n W e s e n s u m s c h r ä n k u n g , auf das Entschiedenste z u r ü c k w e i s e n . Wenn daher D r o s s b a c h von der „Feuerfestigkeit" der Stoffe spricht und diese zugleich als Grund auch für deren w e s e n h a f t e U n v e r w ü s t l i c h k e i t u n d U n z e r s t ö r b a r k e i t angibt: so

193

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

können diese letzteren Begriffe eben doch immerhin nur auf jene natürlich-innerliche W e s e n s b e s t ä n d i g k e i t sich beziehen, welche allen Naturwesen als unveräusserliches Eigenthum f ü r die g a n z e D a u e r ihres natürlich-wesenhaften D a s e y n s innerhalb der Gränzen dieser unserer gegenwärtigen Weltordnung zukommt. Jede weitere Hinausschiebung dieser Wesensunzerstörbarkeit über diese natürlichen Daseynsgränzen hinaus kann nach unseren obigen Auseinandersetzungen nur als ein sogenannter „kühner Griff" gelten, durch den der Knoten wohl willkürlich z e r h a u e n , nicht aber wissenschaftlich g e l ö s t werden kann. Sehr wahr und richtig sagt in dieser Beziehung der ungenannte Verfasser der Schrift „ M e i n e B e r u h i g u n g " (EKNST ROHMEK), „dass die stofflich-körperlichen Einzeldinge (Atome) von E w i g k e i t h e r bestanden hätten, ist eine willk ü r l i c h e , weil g a r n i c h t n a c h z u w e i s e n d e B e h a u p t u n g . Soll der in den betreffenden Schriften vorkommende Satz: So wie der Stoff (die Materie) u n z e r s t ö r b a r ist, so ist er auch u n e n t s t e h b a r (unschaffbar) d. i. e w i g " , etwa den Sinn haben, dass der Stoff von E w i g k e i t her sey, weil er u n z e r s t ö r b a r sey, so würde dieser Schluss n i c h t r i c h t i g seyn, indem daraus, dass w i r sie nicht vernichten, sondern nur in andere Gestalten bringen können, ihre U n z e r s t ö r b a r k e i t ü b e r h a u p t n o c h k e i n e s w e g s f o l g t " (EKNST ROHMEK, Meine Beruhigung. S. 20. 21). — Sollte für jene Behauptung einer wirklichen anfangs- und endlosen Ewigkeit des Stoffes, oder richtiger gesagt der stofflich-körperlichen Einzelbestandtheile dieser Stoffe, eine w i r k l i c h s t i c h h a l t i g e B e g r ü n d u n g geliefert werden: so hätte vor allem der Nachweis geliefert werden müssen, dass ihnen auch wirklich eine thatsächliche u n e n d l i c h e e i g e n e i n n e r e K r a f t f ü l l e zukommen müsse oder auch nur zukommen könne, in deren Folge ihnen eine wirklich i n n e r l i c h e B e f ä h i g u n g u n d i n n e r l i c h e M ö g l i c h k e i t zu einem derartigen wirklich e w i g e n oder z e i t l i c h - u n e n d l i c h e n D a s e y n denn auch w i r k l i c h V e r n u n f t - u n d n a t u r g e m ä s s z n Wandersmann. III.

Ii?

194

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

g e s p r o c h e n w e r d e n k ö n n t e . Aber gerade ein solcher Nachweis findet sich in allen jenen Schriften in keiner Weise gegeben ; ja es ist nicht einmal auch nur irgendwelcher Versuch dazu gemacht worden; denn gerade diese, für die Entscheidung der Frage so wichtige V o r f r a g e ist auch nicht im entferntesten in irgend einer Weise jemals w i r k l i c h g e s t e l l t worden. So lange aber gerade d i e s e r N a c h w e i s nicht in Wirklichkeit g e l i e f e r t worden: kann auch von einer wirklich z u v e r l ä s s i g e n w i s s e n s c h a f t l i c h e n B e g r ü n d u n g eben jener Behauptungen in keiner Weise die Rede seyn. Warum ist aber dieser Nachweis n i c h t gegeben? Weil er einfach n i c h t geg e b e n w e r d e n kann. Er kann aber nicht gegeben werden, weil es ein offenbarer Widerspruch in sich selbst wäre, anzunehmen, dass eine und d i e s e l b e W e s e n s - u n d D a s e y n s k r a f t , welche zufolge des ihr innerlich-zukommenden jedenfalls b e s c h r ä n k t e n K r a f t m a a s s e s nur ein r ä u m l i c h - b e s c h r ä n k t e s k ö r p e r l i c h e s D a s e y n durch ihre Wirksamkeit hervorzubringen im Stande ist, d e m s e l b e n k ö r p e r l i c h e n D a s e y n in z e i t l i c h e r B e z i e h u n g eine w i r k l i c h u n e n d l i c h e oder ewige D a s e y n s d a u e r sollte zu verleihen im Stande seyn. Der n a t ü r l i c h e K r e i s l a u f der Stoffe mit seinen unausgesetzten Verbindungen und Lösungen dieser Letzteren, wie solcher innerhalb des Rahmens des einheitlichen Naturganzen durch die allgemeine Stofflehre thatsächlich festgestellt ist, kann von niemanden bezweifelt werden, >der sich nur einige richtige Einblicke in eben diese Verhältnisse verschafft hat; ebensowenig auch der Satz, dass innerhalb desselben Kreislaufes kein an ihm theilnehmendes Stofftheilchen jemals aus ihm zu verschwinden im Stande seyn könnte. Aber daraufhin nun auch sofort auf eine thatsächliche E w i g k e i t d i e s e s K r e i s l a u f e s selbst zu schliessen: dies ist ein ganz ebenso ungerechtfertigtes Beginnen, als die Behauptung ungerechtfertigt ist, dass „die Welt in Verwirrung gerathen müsste",

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

wenn

wir

auch nur das kleinste jener

195

stofflich-körperlichen

Einzeldinge aus ihr hinwegdenken wollten.

Und dasselbe gilt

auch für den F a l l , dass im Verlauf der gegenwärtigen Weltordnung etwa neue, bis dahin noch nicht vorhandene Einzeldinge zu den bereits vorhandenen nachträglich noch hinzutreten sollten.

Ob

möglich

seyn

schränkten wissen.

das

Eine

oder

das Andere

kann:

darüber

können

Standpunkt

aus

überhaupt

überhaupt

jemals

wir von unserem nicht

das

be-

Geringste

Warum aber, wenn wirklich ein solcher F a l l jemals ein-

getreten wäre oder aus irgendwelcher uns unbekannten Ursache im Verlauf der Zeit noch eintreten sollte, die ganze Weltordnung

unbedingt in

oder vielleicht gar völlig

darum nun sofort

Verwirrung

aus den Fugen

gehen

gerathen

sollte:

von

einer hierauf bezüglichen u n b e d i n g t e n N o t w e n d i g k e i t

uns

zu überzeugen, sind wir keineswegs im Stande. auch

unsere eigene

leibliche Körperlichkeit,

Nimmt nicht

die ebenso

ein

ordnungsmässig in sich zusammenhängendes Ganze bildet wie das

gesammte

aussen

Weltgebäude,

h e r in s i c h

auf,

fortwährend

fremde Stoffe

von

die bisher noch nicht an unserer

Leibesbildung theilgenommen haben, ohne dass diese Letztere deshalb

nothwendig

in Verwirrung

und Unordnung

geriethe?

Und treten nicht umgekehrt auch fortwährend Stoffe, die bisher zu unserer Leiblichkeit gehört haben, wieder aus derselben aus, ohne dass dadurch ein ähnlicher Verfall dieser Letzteren mit unbedingter Nothwendigkeit daraus erfolgen müsste?

Frei-

lich, wenn eine Kugel auf einem zugespitzten Stabe in wohlberechneter nunmehr

Gleichgewichtslage

ein wenn auch noch

sich befindet,

und wir legen

so winzig kleines

Körperchen

auf eine nicht senkrecht über dem Mittelpunkt der Kugel befindlichen

Stelle der Kugeloberfiäche: so muss diese sofort aus

ihrem bisherigen Gleichgewicht gerathen und die Kugel muss in Folge dessen sofort von der Spitze des Stäbchens herabfallen. Legen wir dagegen dasselbe Körperchen genau senkrecht über den Mittelpunkt

der Kugel,

also genau

auf

die 13*

Mitte

der

196

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

oberen Kugelfläche, und zwar dergestalt, dass der natürliche Schwerpunkt dieses Körperchens genau senkrecht über, den Mittelpunkt der Kugel zu liegen kommt: so wird das natürliche Gleichgewicht dieser Letzteren n i c h t gestört, und die Kugel fällt in Folge hiervon nicht von dem Stäbchen herab. Auch in solchem Fall kann von einer Störung dieses Letzteren nicht die Rede seyn. Wir glauben durch diese Beispiele hinlänglich dargethan zu haben, wie ungerechtfertigt es ist, aus den oben erwähnten, an sich allerdings als unzweifelhaft richtig zu betrachtenden Thatsachen nun auch sofort auf eine unbedingte A n f a n g s - u n d E n d l o s i g k e i t eben jenes allgemeinen K r e i s l a u f e s der Dinge, die unserer gegenwärtigen Weltordnung angehören, zu schliessen. Bereits S i m p l i c i u s führt an, dass Einige behaupten, „es gäbe von E n t s t e h e n und V e r g e h e n k e i n e E r k e n n t n i s s " (LASSALLE, Heracleitos II. S. 20). — So gibt auch D r o s s b a c h zu, dass es „von einem Erschaffen (oder vielmehr Entstehen) und Vernichten des Einzelnen k e i n e E r f a h r u n g gebe"; aber er fügt auch gleich darauf noch weiter hinzu, „und k e i n e V o r s t e l l u n g " (DROSSBACH, Genes, d. Bewusstseins. S. 3 2 2 ) . — In gleichem Sinn sagt CZOLBE: „Es fehlt ein j e d e r E r f a h r u n g s g r u n d dafür, dass Stoff (Materie) und Raum e n t s t a n d e n sind, oder verändert und zerstört werden können: man kann sich davon durchaus k e i n e n B e g r i f f machen. Deshalb müssen wir Stoff und Raum für ewig halten" (CZOLBE, Sensualism. S. 1 4 5 ) . — Aber umgekehrt muss, wenn man der Wahrheit die Ehre geben will, auch zugestanden werden, dass es'allewege ganz ebensowenig möglich ist, die E w i g k e i t oder das behauptete N i c h t e n t s t a n d e n s e y n eben dieser Einzeldinge aus e i g e n e r E r f a h r u n g jemals zu erhärten und zu begründen. Auch V o l g e r spricht sich ähnlich aus: „Es gibt Dinge" — sagt er — „deren U n m ö g l i c h k e i t sich n i c h t beweisen lässt, weil unsere E r f a h r u n g e n nie die Grundlage für den Beweis zu liefern vermögen, während ander-

Irrthümlichkeit und Unbaltbarkeit etc.

197

seits die M ö g l i c h k e i t derselben sich vernünftiger Weise n i c h t v o r s t e l l e n lässt. Zu diesen Dingen gehört die V e r m i n d e r u n g oder V e r m e h r u n g des vorhandenen Stoffes, von welchem wir e r f a h r u n g s g e m ä s s keineswegs behaupten, dass seine Menge sich n i c h t vermehre oder vermindere. Denn alle Erfahrung beschränkt sich auf eine kurze Spanne der Zeit: aber es ist u n d e n k b a r , dass der Stoff e n t s t e h e oder v e r g e h e . Ebenso u n d e n k b a r ist es, dass jemals die Menge des Wassers auf der Erde grösser gewesen sey, als sie es jetzt ist. Auch die Annahme, dass jemals das Land im Verhältniss zum Wasser geringer gewesen, vollends, dass die Erde gleichmässig mit Wasser bedeckt gewesen sey, zwingt nothwendig zur weiteren Annahme der vollständigen Aufhebung des ganzen Getriebes der Natur (?), führt somit zum U n s i n n (?)" (VOLGER, Erde u. Ewigkeit. S. 310. 311). — Dass wir uns von einem E n t s t e h e n und V e r g e h e n überhaupt k e i n e V o r s t e l l u n g sollen machen können oder k e i n e n B e g r i f f davon haben sollen: dies mag wohl in dem Sinn zugestanden werden, dass wir uns keine Vorstellung machen können von allen den mit einem solchen Vorgang verbundenen besonderen Einzelverhältnissen. Dass wir aber nichtsdestoweniger doch auch hiervon uns immerhin einen B e g r i f f und also in gewissem Sinn auch eine Art von g e i s t i g e r V o r s t e l l u n g zu bilden vermögen, dies geht doch augenscheinlich daraus hervor, dass wir, ohne irgendwelchen Begriff von der Sache als solcher zu haben, auch ganz und gar ausser Stand seyn würden, von einem Entstehen oder Vergehen überhaupt, auf welche besonderen Verhältnisse dieselben sich auch beziehen mögen, irgendwie zu r e d e n . Ohne Begriffe vermögen wir in keiner Weise zu denken: was wir aber aus Mangel an jeglichem Begriff der Sache nicht einmal zu denken im Stande sind: davon vermögen wir auch um so weniger nach aussen hin zu sprechen. Das Eine steht und fällt mit dem Anderen. Da wir aber z. B. bei dem Übergang des Eises in Wasser in dem Augenblick des Schmelzens oder bei dem

198

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Übergang des Wassers in den luftförmigen Zustand im Augenblick der Verdunstung, unbeanstandet durch irgendwelche Bedenken von einem E n t s t e h e n des Wassers aus Eis oder des Wasserdunstes aus Wasser, zu reden pflegen: so dürfen wir wohl auch ebenso ohne alles Bedenken von einem E n t s t e h e n oder V e r g e h e n jener ersten Ur- und Einzeldinge reden; gewiss also der sicherste Beweis dafür, dass in unserem geistigen Ich ein thatsächlicher Begriff davon allewege sich vorfinden muss, welcher stets bereit ist, zur rechten Zeit und Stunde sich unserem Denken unaufgefordert zur Verfügung zu stellen Hätte der menschliche Geist überhaupt keine Begriffe von einem Entstehen und Vergehen, oder vermöchte er es in keiner Weise, uns diese Begriffe zu bilden: woher sollte dann die merkwürdige Erscheinung kommen, dass alle nur einigermassen gebildeten Völker schon seit dem frühesten Alterthum in ihren Sprachen ganz bestimmte W o r t e als begriffliche Bezeichnungen für eben diese Verhältnisse besitzen? Für das, wovon dem menschlichen Geist aller Begriff und alle Vorstellung a b g e h t : dafür hat seine Sprache auch kein Wort, denn es wäre etwas vollkommen Überflüssiges. Wo es aber selbst von namhaften Vertretern der Wissenschaft, wie wir eben gesehen, offen anerkannt wird, dass es ausser allem Bereich menschlicher Möglichkeit liegt, uns von dem wirklichen E n t s t e h e n oder Vergehen eben jener ersten und ursprünglichsten Ur- und Einzeldinge d u r c h eigene Beobachtung und Erfahrung zu überzeugen: sollte es da nicht der ganzen Sachlage nach als vollkommen gerechtfertigt erscheinen, umgekehrt auch die von der Naturforschung behauptete U n e n t s t a n d e n h e i t und U n v e r g ä n g l i c h k e i t derselben Einzeldinge für noch um so w e n i g e r e r w e i s b a r auf dem Wege thatsächlicher Beobachtung und Erfahrung zu halten? Und wenn dem so ist: sollten wir dann nicht alle jene V e r n u n f t g r ü n d e , welche so unverkennbar Zeugniss ablegen gegen jene Behauptungen, als das unter solchen Umständen in erster Linie Massgebende betrachten?

199

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etQ.

Sollte

es nun aber

überhaupt

als m ö g l i c h

erscheinen,

dass es in Wirklichkeit ein an sich E w i g e s gäbe,

so könnte

dies jedenfalls nur Etwas seyn, das nicht bloss in z e i t l i c h e r , sondern auch in r ä u m l i c h e r Beziehung sich für das Auge des Geistes sich

als g l e i c h

endliche

unendlich

Kraft

erwiese.

allewege

auch

Denn

nur

wie

ein in

eine

an

zeitlicher

wie in r ä u m l i c h e r Beziehung e n d l i c h e s D a s e y n durch ihre natürliche

Wirksamkeit

zu

verwirklichen

im

Stande

ist:

so

würde umgekehrt ein thatsächlich U n e n d l i c h e s und E w i g e s jedenfalls eine an sich u n e n d l i c h e Wirklichkeit

darauf

K r a f t erfordern, um dessen

zu begründen.

Ein

solches

thatsächlich

Unendliches und Ewiges würde also für das Auge des Geistes, wenn

es irgendwie

allen als

und jeden völlig

müssen.

wirklich bestehen sollte, jedenfalls als in

Beziehungen

unbegränzt

ohne

und

alle

und jede

unbeschränkt

eingeschlossen

liegen

Unendliches

sich

darstellen

hieraus

muss, als

hervorgehen,

dass

nehmende Vielheit

ein

mit

ein E i n z i g e s

derartig

denkbar und

möglich

derartiges

nothwendig

dingt Einheitliches anerkannt

dass nur

vernunftgemäss

unabweislich

können: so würde auch noch des Weiteren

Unendlich-Ewiges müsste

erweisen

D a es aber ausserdem auch jedenfalls schon in dem

Begriff eines an und in sich U n e n d l i c h e n

würde

Ausnahme

sich

und in sich u n b e d i n g t

werden.

Eine

Zusammensetzung

oder Mehrheit

Einziges

in

sich

auch als ein in sich u n b e jede

desselben

von irgendwie

Untheilbares

etwa in

von uns

aus

anzu-

irgendwelcher

sich endlichen und

beschränkten Daseynsweisen müsste das Nachdenken sofort für die

reinste

Unmöglichkeit

erklären;

denn

durch eine der-

artige Annahme würde geradezu der wahre Grundbegiff eines an

sich Unendlichen,

heit

werden. liche

nehmlich

der Begriff unbedingter

und innerer E i n h e i t l i c h k e i t , Schon der Umstand,

Daseyn

als

ein

Ding,

Ein-

sofort wieder aufgehoben

dass wir alles räumlich-körperein

pflegen, weist uns unausweichlich

Naturding

zu

bezeichnen

darauf hin, dass eine j e d e

200

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Anwendung des Begriffes der U n e n d l i c h k e i t auf Verhältnisse, welche die natürlichen Dinge und Wesen dieser Welt betreffen, als begrifflich unstatthaft, von uns muss verworfen werden. Denn der Begriff eines D i n g e s ist gleichbedeutend mit dem eines n u r b e d i n g u n g s w e i s e n oder eines nur b e d i n g t e n D a s e y n s , d. h. also eines Daseyns, w e l c h e s n u r u n t e r g e w i s s e n B e d i n g u n g e n oder begrifflich-wesenhaften B e s c h r ä n k u n g e n denkbar-möglich ist. Und da diese natürliche Bedingtheit oder naturnothwendige D a s e y n s b e s c h r ä n k t h e i t selbstverständlich auf das g e s a m m t e einheitliche Wesen der betreffenden Dinge sich beziehen muss o h n e a l l e u n d j e d e A u s n a h m e : so geht demgemäss auch unabweisbar aus allem diesem hervor, dass eine jede Anwendung des Begriffes U n e n d l i c h k e i t auf Verhältnisse, welche das innere Wesen der natürlichen Dinge dieser Welt betreffen, ein für allemal völlig u n s t a t t h a f t sich erweisen muss. Denn eine jede Bei- oder Einmischung des Unendlichkeitsbegriffes in Verhältnisse, denen der Begriff und der Stempel natürlicher B e d i n g t h e i t , E n d l i c h k e i t und Beschränktheit mit innerer Nothwendigkeit anhaften m u s s , würde sofort auch eben diese Verhältnisse unausbleiblich in den grössten W i d e r s p r u c h mit ihnen selbst versetzen. Dass die Vertreter eben jener Richtung der Naturwissenschaft, um welche es sich handelt, allen diesen soeben behandelten Thatsachen durchaus keine Rechnung getragen haben: dies ist es eben, worin der Hauptgrund aller jener Widersprüche zu suchen ist, welche in dem von ihnen aufgestellten Lehrgebäude nothwendig zu Tage treten müssen, sobald man nur mit der Leuchte wirklicher Vernunftbegriffe näher an sie herantritt. Denjenigen, welche den im Vorigen mitgetheilten Auszügen aus den Schriften einiger der namhaftesten Vertreter eben jener wissenschaftlichen Gedankenrichtung einige Aufmerksamkeit zugewendet haben, dürfte wohl kaum die d o p p e l t e Art und Weise entgangen seyn, in welcher bald von „ d e m " Stoff in der E i n z a h l und bald von „ d e n " Stoffen in der M e h r -

Irrthümliclikeit uud Unlialtbarkeit etc.

201

z a h l gesprochen wird, und mit welcher Leichtigkeit von der einen dieser Bezeichnungsweisen zur anderen übergesprungen wird, als ob beide Ausdrucksweisen begrifflich völlig gleichbedeutend und daher auch völlig unterschiedslos und wechselseitig für einander zu gebrauchen wären. So begegnen wilder Versicherung, dass „der S t o f f unvergänglich ist", oder wir lesen auch von dem „ewigen Kreislauf des Stoffes." Aber unter der Hand geht im weiteren Verlauf der Darstellung die anfängliche E i n z a h l meist in die M e h r h e i t über. Allein zwischen Einzahl und Mehrzahl besteht eben doch eine Verschiedenheit, welche namentlich in Bezug auf die Verhältnisse, um die es sich in jenen Darstellungen handelt, nicht ohne Bedeutung ist. Wir haben in dem Vorstehenden bereits darauf hingewiesen, ob nicht vielleicht unter Umständen irgend ein uns unbekanntes. Etwas als denkbar-möglich erscheinen könnte, denn die beiden Begriffe der U n e n d l i c h k e i t und der E w i g k e i t zuzuerkennen seyn dürften, wofern ihm nur eine an sich u n e n d l i c h e u n d u n b e s c h r ä n k t e K r a f t zu seyn in einer ähnlichen Weise zuerkannt werden möchte, wie wir ja auch den endlichen Dingen und Wesen dieser Welt eine an sich e n d l i c h e D a s e y n s k r a f t innerlich zuzuschreiben genöthigt sind. Haben doch bereits manche der alten griechischen Denker, namentlich P l a t o , an die Möglichkeit eines derartigen, an sich unendlichen und ewigen einheitlichen Weltstoffes gedacht, um das Daseyn unserer Welt und der dazu gehörigen Dinge darauf zu gründen. Wenn wir also auch jetzt von einer „Ewigkeit des Stoffes", als von einer durch die Wissenschaft zweifellos erwiesenen Thatsache, hören oder lesen: sollten da nicht gar manche auf den Gedanken kommen, dass auch bei diesen jetzigen E w i g - E r k l ä r u n g e n des S t o f f e s es sich um ein ganz ähnliches Verhältniss handeln könnte? Dies würde aber eine grosse Täuschung seyn. Denn die heutige, auf Grundlage der angeblichen „Ewigkeit des Stoffes" aufgebaute Wissenschaft versteht unter dieser ihrer einheitlichen Aus-

202

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

drucksweise keineswegs einen derartigen allgemeinen einheitlichen Weltstoff, den es nicht gibt noch geben kann, sondern in Ubereinstimmung mit den ersten Begründern dieser Weltanschauung, L E U K I P P , DEMOKKIT und E P I K U K , ausschliesslich nur jene u n ü b e r s e h b a r e Z a h l s t o f f l i c h - k ö r p e r l i c h e r E i n z e l d i n g e , welche erst in ihrer G e s a m m t h e i t jenen allgemeinen Weltstoff darstellen sollen. Es verhält sich also in diesem Fall ganz ähnlich, als ob wir in Bezug auf das Quarzreich, das Pflanzenreich und das Thierreich von dem Quarz (im Allgemeinen), oder der Pflanze (im Allgemeinen), oder dem Thier (im Allgemeinen) redeten. So wenig die uns umgebende Naturwirklichkeit einen derartigen allgemeinen Quarz oder eine derartige allgemeine Pflanze oder ein derartiges allgemeines Thier kennt, welche alle Kennzeichen und Merkmale sämmtlicher bekannte Quarzarten, oder sämmtlicher bekannten Pflanzenarten, oder sämmtlicher bekannten Thierarten in irgend einem bestimmten allgemeinen Quarz, in irgend einer bestimmten allgemeinen Pflanze oder in irgend einem bestimmten allgemeinen Thier e i n h e i t l i c h an sich t r ü g e : ganz e b e n s o w e n i g kennt die uns umgebende Natur auch irgend einen ähnlichen a l l g e m e i n e n S t o f f , welcher einheitlich die sämmtlichen Eigenschaften, Kennzeichen und Merkmale aller uns bekannten besonderen Naturstoffe in sich vereinigte. Alle diese Ausdrücke wie d e r Stoff, der Quarz, die Pflanze, d a s Thier beziehen sich also nicht auf die thatsächliche Naturwirklichkeit, sondern finden Platz und Raum nur innerhalb des Gebietes unseres Denkens, indem sie nichts anderes bezeichnen als einheitliche begriffliche Zusammenfassungen der Angehörigen eben jener verschiedenen Daseynsgebiete zum Zweck der Vereinfachung unserer Denkthätigkeit. Von einer eigentlichen Naturwirklichkeit dieser Allgemeinbegriffe im oben angedeuteten Sinn kann also nicht im entferntesten die Rede seyn. Nur in dem Sinn einer einheitlichen und darum übersichtlicheren Z u s a m m e n f a s s u n g aller in dem gemeinsamen Weltganzen vorhandenen Einzeldinge

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

203

ohne alle und jede Bezugnahme auf deren besondere Wesensarten dürfen daher auch in den angeführten Schriftstellen die Ausdrücke wie „ d e r Stoff", „ d i e Materie" u. s. w. von uns aufgefasst werden. Dass dies ganz im Sinn und Geist der Verfasser selbst ist, dies geht augenscheinlich aus dem Umstand hervor, dass an den meisten der betreffenden Stellen, nachdem eben erst „ d e r Stoff" für u n e n t s t a n d e n , u n v e r g ä n g l i c h und e w i g erklärt worden ist, sehr bald darauf, j a man kann sagen wie im Handumdrehen, nach dem Grundsatz „der Mohr hat seine Arbeit gethan, der Mohr kann gehen", im weiteren Verlauf der Stoff in der Einzahl verschwindet und d i e Stoffe, oder vielmehr die stofflich-körperlichen E i n z e l g r ' u n d l a g e n der Natur oder die sogenannten Atome, an dessen Stelle treten. So sagt z. B. Büchner an einer der im Vorigen angeführten Stellen: „ D e r Stoff ist unsterblich, unvernichtbar: k e i n S t ä u b c h e n im Weltall kann verloren gehen, keines hinzukommen, nicht das k l e i n s t e A t o m können wir uns hinweg- oder hinzudenken." Und an einer anderen Stelle: „Es besteht nichts wirklich als d e r sinnliche Stoff. Das Weltall ist eine zufällige Zusammenwirkung einei u n e n d l i c h e n M e n g e von e w i g e n A t o m e n . " — Einer ähnlichen Darstellungsweise begegnen wir auch bei Beneke: „In einem e w i g e n K r e i s e bewegen sich d i e G r u n d s t o f f e (Elementarstoffe) und i h r Kreislauf bezeichnet den Weg, auf welchem die Erhaltung des Gewordenen ermöglicht wird. Denn d e r Stoff ist u n v e r g ä n g l i c h " (BENEKE, Physiol. Vorträge. S. 203. 204. 229). — Einem wirklich einheitlichen Grundstoff würden wir allerdings, wenn er überhaupt als wirklich vorhanden angenommen werden könnte, auch eine innere Wesensunendlichkeit und innere Wesensewigkeit zuerkennen müssen, ohne irgend einen Verstoss gegen die Gesetze des vernunftgemässen Denkens zu begehen: das Gleiche muss aber, wie wir bereits' weiter oben dargethan, als völlig unstatthaft sich erweisen gegenüber von eben jenen, in Bezug auf ihre räumlich-körperliche Grösse und Ausdehnung fast ver-

204

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

schwindend kleinen Einzelkörperchen, die allgemein als „Atome" bezeichnet zu werden pflegen. Würde es daher einem Leser oder Zuhörer begegnen, dass er im Vertrauen auf die erhaltenen Zusicherungen geneigt wäre, nun auch von seiner Seite jene angebliche Unendlichkeit und Ewigkeit d e s Stoffes für etwas sehr wohl Denkbares und darum auch für etwas sehr wohl M ö g l i c h e s zu halten: so könnte er doch auf sehr bedenkliche Irrwege gerathen, wenn er jenen Begriff d e s Stoffes im Allgemeinen dann auf einmal in eine unübersehbare V i e l h e i t von besonderen einzelnen Stofftheilchen übersetzt findet, und er in Folge dessen unbedachter Weise geneigt seyn sollte, eben jene Begriffe der Unendlichkeit und Ewigkeit nun ebenfalls ohne weitere P r ü f u n g auf diese Letzteren zu übertragen. Wenn daher H a f f n e r in seiner Schrift über den „modernen Materialismus" dieser gesammten Weltanschauung den Vorwurf m a c h t , dass sie in ihren Beweisführungen „Taschenspielerei mit den Thatsachen treibe": so dürfte ein solcher Vorwurf allerdings wohl kaum als ohne jede Begründung erscheinen. Diese begrifflich so bedeutsame Unterscheidung zwischen jener allgemeinen Bezeichnung als „ d e r Stoff" und der bestimmteren Bezeichnung als „ d i e Stoffe" wird auch von Oersted ausdrücklich anerkannt. „Es ist ein uraltes, man könnte sagen ursprüngliches Vorurtheil des Menschengeschlechts" — sagt er — „das Einzelne und Unveränderliche in dem Körperlichen als solchem zu suchen. Man sah freilich bei dem geringsten Nachdenken, dass alle Körper vergänglich sind; aber man nahm seine Zuflucht z u m S t o f f (d. h. also zu d e m Stoff). Es ist wahr, dass dieser nach aller Erfahrung sich als u n v e r g ä n g l i c h erweist, d o c h w o h l z u m e r k e n , nicht die m a n n i g f a l t i g e n u n d g l e i c h a r t i g e n Stoffe, sondern das w ä g b a r u n d r a u m e r f ü l l e n d e E t w a s , das allen Stoffen gemeinsam ist, oder mit anderen Worten: d e r Stoff (die Materie) als das A l l g e m e i n e in den Körpern" (OEKSTED, Geist in d. Natur I. S. 126). — Wie bedeutungsvoll dieser Ausspruch eines so an-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

205

erkannten Naturkundigen jedenfalls für unseren oben dargelegten Gedankengang seyn muss, ist wohl kaum zu verkennen. Und das Gleiche darf auch von einem ähnlichen Ausspruch B a u m a n n ' s gesagt werden. „Man will wissen" — sagt derselbe — : „Sind die Atome an sich ewig und » u n z e r s t ö r b a r ? « Ein in sich selbstständiges einfaches Wesen (eine Substanz), sagt man, entsteht und vergeht n i c h t . Allein das sind lauter Einbildungen: was v e r b i e t e t uns, ein solches (eine Substanz) entstehend und vergehend zu denken? Unsere Vernunft, d. h . eine thatsächlich feste und gewisse Vorstellung unseres Geistes? D u r c h a u s n i c h t . Der Satz »Aus Nichts wird nichts« (de nihilo nil fit) ist bloss auf Grund der Erfahrung gewonnen, und sobald er da ist, heisst er: »In d e r g e g e b e n e n W e l t entsteht alles aus einem vorher schon irgendwie Vorhandenen«; über die Entstehung dieser Welt (und der in ihr enthaltenen Einzelwesen) sagt er n i c h t s aus, nicht einmal darüber, ob selbst sie überhaupt entstanden ist oder nicht. Da bleiben eine Menge Möglichkeiten vor der Hand. Ebensowenig ist aus Vernunft oder Erfahrung bis jetzt etwas darüber auszumachen, ob die Atome, e i n m a l v o r h a n d e n , unzerstörbar seyn werden. Das durch Erfahrung belehrte Denken erkennt bloss, dass die Atome sich b i s j e t z t unzerstörbar bewiesen haben, und dass sie daher, solange d e r g e g e n w ä r t i g e W e l t l a u f d a u e r t , ewig (in der Bedeutung von »Weltdauer«) seyn werden. Aber wie l a n g e dieser jetzige Weltlauf dauert: darüber gibt es keine Gewissheit. Das thatsächlich Feste ist bis jetzt bloss: i n n e r h a l b des b e s t e h e n d e n Weltlaufs sind Atome als in sich bestehende Naturwesen (als Substanzen) e w i g " (BAUMANN, Philos. S. 336. 337). — Einem eigentlichen Widerspruch begegnen wir in diesen Beziehungen auch noch bei V o g t , wenn er sagt: „Mit der Gränze der s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g i s t auch die G r ä n z e d e s D e n k e n s gegeben" (HETTINGEB, Apol. I . S. 1 4 9 [VOGT, Köhlerglaube und Wissenschaft. S. 107]). Liegen aber, so

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

möchten wir fragen, nicht auch die A t o m e h i n t e r d e n G r a n z e n der s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g ? Noch niemand hat dieselben je mit eigenen leiblichen Augen zu erschauen vermocht: wie kann man sie also nichtsdestoweniger zu Grundlagen des eigenen Denkens machen, indem man sie selber als die ersten naturnothwendigen Ausgangspunkte für die eigene naturwissenschaftliche Weltanschauung betrachtet? Liegt darin nicht der unbegreiflichste Widerspruch? Und wenn B ü c h n e r sagt: „Der Naturkundige kennt n u r K ö r p e r und Eigenschaften von Körpern: w a s d a r ü b e r ist, betrachtet er als V e r i r r u n g d e s m e n s c h l i c h e n G e i s t e s " (Dr. J . BERGER: Naturwissenschaft, Glaube und Schule [Programm der Selektenschule in Frankfurt a/M.] BÜCHNER, Kraft und Stoff. 5. Aufl. S. 247): muss nicht diesem Ausspruch entsprechend, die gesammte Denkthätigkeit des Verfassers als in das Gebiet der „Verirrungen des menschlichen Geistes" gehörig betrachtet werden? Gehören die Denkthätigkeiten des Geistes nicht auch, in einer ähnlichen Weise wie die uns unsichtbaren körperlichen Atome, zu jenen Dingen, von denen wir uns keine sinnlich-wahrnehmbare Anschauung zu verschaffen vermögen? Denn nach VOGT muss j a alles, was ausser den Gränzen unserer sinnlichen Wahrnehmung liegt, auch gleichzeitig ausser den Gränzen des Denkens liegen. Diese Widersprüche zu l ö s e n , dürfte in der That schwierig seyn; es sey denn etwa in der Weise, auf welche B ü c h n e r selbst am Schlüsse seiner Schrift über „Kraft und Stoff" seine Leser hinzuweisen scheint, indem er, gleichsam als Verabschiedung von denselben, ihnen hier noch ausdrücklich die „ s c h ö n e n W o r t e COTTA'S" zuruft: „Die auf Erfahrung gegründete (empirische) Naturforschung hat keinen' anderen Zweck, als die W a h r h e i t zu finden, ob dieselbe, nach menschlichen Begriffen, beruhigend oder trostlos, den Denkgesetzen e n t s p r e c h e n d oder w i d e r s p r e c h e n d (logisch oder inconsequent) v e r n ü n f t i g oder ^.lbern ist (BÜCHNER, Kraft und Stoff. S. 249. 250). — In der That ein eigen-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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thümliches Selbstbekenntniss von Seiten einer Naturforschung, welche sich vorzugsweise gerne als eine „vorurteilsfreie" zu bezeichnen gewohnt ist! Wer sich selbst das Zeugniss ausstellt, dass es ihm g l e i c h g ü l t i g sey, ob dasjenige, was er Anderen als untrügliche Ergebnisse seines wissenschaftlichen Forschens vorträgt, an sich v e r n ü n f t i g o d e r a l b e r n sey. oder von A n d e r e n dafür gehalten werde: der muss nicht nur von der W a h r h e i t , sondern auch von dem einer w i r k l i c h e n W i s s e n s c h a f t sich eine eigenthümliche Vorstellung gebildet haben. Denn es dürfte wohl kaum noch sonst jemand es wagen, Anderen gegenüber den Satz aufzustellen, dass U n g e r e i m t h e i t e n oder A l b e r n h e i t e n und w i r k l i c h e W a h r h e i t jemals mit einander sollten Hand in Hand gehen und dass sie somit beide jemals gemeinsame Sache mit einander sollten machen können (BÖHNER, Naturforschung und Kultur. S. 292). Doch auch noch eines anderen Grundes zum M i s s t r a u e n gegen eben diese wissenschaftliche Richtung müssen wir schliesslich gedenken. „ W a h r e s W i s s e n " — sagt Büchner — „lehrt b e s c h e i d e n seyn" (BÜCHNER, Kraft u. Stoff. S. 245). — Wie stimmt es nun aber mit eben diesem Ausspruch überein, wenn wir gerade in den Schriften der bekanntesten und nahmhaftesten Vertreter jener Richtung, sobald sie auf Solche zu sprechen kommen, welche aus Vernunftgründen nicht glauben, den in jenen Schriften vorgetragenen Ansichten und Lehren beipflichten zu können, diese mit Aussprüchen wie die folgenden beehrt finden: „ A l l t ä g l i c h e U n w i s s e n h e i t " — „ D e n k f a u l h e i t " — „ A l t w e i b e r g e s c h w ä t z " (BÜCHNER, Kraft und Stoff. S. 11. 47. 54) — h a n d g r e i f l i c h e r (palpabler) U n sinn" — „Bursche oder Kerle mit angestammter Born i r t h e i t " — „ K ö h l e r g l a u b e n " (VOGT, Thierleben. S. 355. 359. 367) — „ b l ö d e s A u g e des G e d a n k e n l o s e n " — „köhlergläubige Leute" — „Köhlerglaubensbekenntn i s s " — „ V o r u r t h e i l d e r A f t e r w i s s e n s c h a f t " (VOLGER:

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Erde und Ewigkeit, S. 13. 528. 529. 553)? — Wo, gegenüber von Lesern oder Zuhörern, derartige Mittel als zweckmässig erachtet werden, um jene zu den vorgetragenen Ansichten zu bekehren: sollte es da nicht den Anschein gewinnen, als ob die Vortragenden selber den von ihnen für ihre Ansichten hervorgebrachten Beweisgründen in der That keine sehr tiefgehende innere Überzeugunskraft zuschreiben dürften? Aber trotz allen diesem sind wir weit entfernt, allen Vertretern des Stoffglaubens ein aufrichtig gemeintes Streben nach Wahrheit unbedingt absprechen zu wollen. Den Vorwurf dürfen wir aber wohl dem Stoffglauben im Allgemeinen nicht ersparen, dass er über die ersten Anfangsgründe und über die ersten Ausgangspunkte, auf welchen er glaubt sein Lehrgebäude aufrichten zu sollen und aufrichten zu können, mit sich selbst noch nicht gehörig im Klaren ist, und ebensowenig über die begriffliche Bedeutung und Tragweite eben der Ausdrücke, deren er glaubt zur Begründung seiner Anschauungsweise sich bedienen zu dürfen. Daher denn auch die bedenkliche Zuversicht auf eine gewisse U n f e h l b a r k e i t seiner eigenen Anschauungen, welche ihn zu einer eigenen eingehenderen Prüfung eben dieser Letzteren gar nicht kommen lässt.

§. 35. Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit einer vermeintlichen räumlichen Unendlichkeit des gemeinsamen Weltg-anzen. N o . 1 3 9 . Scheinbare Begründungen einer angeblichen räumlichen Unendlichkeit der Welt von Seiten der die Endlichkeit der Welt leugnenden und bekämpfenden Weltanschauungen. Im Vorigen haben wir ersehen, wie schon die ersten Begründer der Lehre von dem Zusammengesetztseyn aller sowohl grösseren wie kleineren körperlichen Massen aus einer uns völlig unbekannten Vielheit von stofflich-körperlichen Einzel-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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dingen gleichzeitig damit auch einstimmig an der Ansicht von einer r ä u m l i c h e n U n e n d l i c h k e i t d e r W e l t festgehalten haben. Da sie von der Grundanschauung ausgegangen waren,, dass die G e s a m m t z a h l eben jener uranfänglichen Einzeldinge nur eine völlig u n b e g r ä n z t e und darum u n e n d l i c h e seyn könne: so war die daraus gezogene Schlussfolgerung in Bezug auf die räumliche Grösse und Ausdehnung des gemeinsamen Weltganzen im Grunde nur eine ganz folgerichtige. Nach den bereits von vornherein aufgestellten Vordersätzen musste dieser Schlusssatz sich gewissermassen ganz natürlich und von selbst ergeben; denn wie alles, was aus einer e n d l i c h e n Anzahl von lauter an sich e n d l i c h e n Einzelbestandtheilen zusammengesetzt ist, nothweiidig ebenfalls nur als ein in räumlicher Beziehung e n d l i c h e s G e s a m m t d a s e y n sich darzustellen vermag: so dünkte ihnen nichts selbstverständlicher, als dass umgekehrt einem aus einer u n e n d l i c h e n und u n b e g r ä n z t e n A n z a h l solcher Einzeldinge zusammengesetzten G a n z e n mit gleicher Nothwendigkeit eine u n e n d l i c h e räumliche Grösse und Ausdehnung zukommen müsse. Versetzen wir uns aber im Geiste inmitten des hier dargelegten Gedankengangs: so ist nicht zu leugnen, dass derselbe in manchen Beziehungen etwas Verführerisches an sich hat. Die Dinge in ihren mannigfachen Erscheinungsweisen, in denen wir sie in jedem Augenblick um uns her wahrnehmen, erwecken in uns unwillkürlich den Gedanken des R a u m e s , und zwar ebensowohl in Bezug auf jeden einzelnen Gegenstand für sich und im besonderen, wie auch in Bezug auf deren Gesammtheit, und zwar dergestalt, dass diese Letztere für unser leibliches wie geistiges Auge gleichsam einen e i n z i g e n , ununterbrochen in sich verlaufenden g r o s s e n R a u m zu bilden scheint. Und weil wir in unserer rein geistigen Anschauung alles in diesem weiten Raum Enthaltene, uns selbst gewissermassen mit inbegriffen, h i n w e g zu denken vermögen, so ergibt sich für uns hieraus gleichsam wie von selbst die Wandersmann. III.

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begriffliche Vorstellung eines an sich l e e r e n R a u m e s , in welchen alles in dieser Welt Vorhandene uns gleichsam wie h i n e i n g e s t e l l t erscheint. Die weitere Folge einer derartigen Vorstellung kann aber selbstverständlich keine andere seyn als die, dass wir eben diesen von uns als ursprünglich völlig l e e r vorgestellten Raum demgemäss nunmehr auch als völlig una b h ä n g i g von dem Vorhandenseyn oder Nichtvorhandenseyn wirklicher Naturdinge und Naturgegenstände glauben in das Auge fassen zu dürfen. Für einen solchen, von den in ihm vorhandenen Dingen scheinbar völlig unabhängigen und darum auch in unseren Gedanken von diesen scheinbar völlig abtrennbaren leeren Raum ist es nun allerdings kaum möglich, irgend einen triftigen Grund für eine räumliche B e g r ä n z u n g desselben aufzufinden, und der Gedanke an eine wirkliche Une n d l i c h k e i t desselben muss in Folge dessen uns so n a h e ger ü c k t , aber eben dadurch auch so v e r f ü h r e r i s c h erscheinen, dass wir, in ähnlicher Weise wie jene alten Atomistiker, nur zu leicht dem Gedanken uns hingeben, zur Erklärung der gesammten Weltverhältnisse eines derartigen u n e n d l i c h e n und zugleich völlig l e e r e n R a u m e s gar nicht entbehren zu können. Nichtsdestoweniger aber hat eben dieser Gedanke einer u n e n d l i c h e n v ö l l i g e n L e e r e , d. h. eines völligen N i c h t s , in welchem nicht einmal f ü r uns s e l b s t der allergeringste Raum mehr zu denken wäre, etwas uns unwillkürlich W i d e r s t r e b e n d e s in seinem Gefolge: ein inneres Gefühl widersetzt sich ihm, sobald es sich darum handelt, alle diese Verhältnisse nicht als etwas bloss willkürlich E r s o n n e n e s zu betrachten, sondern im Gegentheil als in Wirklichkeit t h a t sächlich bestehend. Kann es unter solchen Umständen daher wundern, wenn eben jene alten Denker es für das Schicklichste gehalten haben, jenen von ihnen ersonnenen unendlichleeren Raum auch zugleich als von E w i g k e i t h e r mit einer u n e n d l i c h e n A n z a h l jener stofflich körperlichen Einzeldinge, wenn auch nur tlieilweise, e r f ü l l t und b e v ö l k e r t darzustellen?

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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Eben hierin dürfte nun aber zu einem guten Theil auch ein natürlicher Schlüssel zu der sonst vielfach unerklärlichen Thatsache liegen, dass eben jene Weltanschauungen der alten Atomistiker, unerachtet gar mancher schon frühzeitig erkannten Mängel, dennoch, wenn auch hin und wieder mit Abweichungen in einzelnen Punkten, im Grossen und Ganzen ihre wissenschaftlichen Vertreter und Anhänger selbst bis auf den heutigen Tag gefunden haben, und zwar nicht etwa bloss auf Seiten der ausschliesslich auf Beobachtungen innerhalb des sinnlich gegebenen Daseyns gerichteten Naturforschung, sondern auch von Seiten anderer namhafter Denker. Unter diesen Letzteren müssen wir in erster Linie G i o r d a n o B r u n o hervorheben. Von ihm sagt Wagner in seiner Vorrede zu den von ihm herausgegebenen Werken BBUNO's, dass er das U n e n d l i c h e (infinito) innerhalb des Bereiches des E n d l i c h e n (finito) zu gewinnen suche. Hiernach könnte es den Anschein haben, als stehe BBUNO in Bezug auf seine Weltanschauung auf gleichem Standpunkt mit den alten Atomistikern L E U K I P P , DEMOKBIT und EPIKUE. Dies ist jedoch nur theil weise der Fall, indem er in anderen Punkten sehr wesentlich von jenen abweicht. Dahin gehört namentlich, dass er, ähnlich wie auch PLATO, für unser gesammtes W e l t a l l eine einheitliche W e l t s e e l e annimmt, welche dasselbe aammt allem, was zu ihm gehört, nicht allein bewirkt und hervorbringt, sondern auch alles, was in ihm geschieht, ordnet und leitet. Diese Weltseele, welche er als U n i v e r s u m bezeichnet im Gegensatz zu dem eigentlichen Weltall, betrachtet BBUNO nun als ein in sich selbstständig bestehendes, von der Welt als solcher daher an sich unabhängiges U n e n d l i c h e s , und zwar als das einzig und allein w a h r h a f t und w e s e n h a f t U n e n d l i c h e . Es ist dasselbe für BBUNO nicht etwa ein bloss der Z a h l nach Unendliches, wie solches von den meisten eigentlichen Atomistikern pflegte angenommen zu werden: sondern es stellte dasselbe für BBUNO vielmehr eine wirkliche, von Ewigkeit her allseitig in sich 14*

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v o l l e n d e t e , in sich u n g e t h e i l t e und darum auch u n t h e i l b a r e U r - E i n h e i t dar, welche er daher auch kurzweg als das allein wahrhaft E i n e oder das ausschliessliche E i n s bezeichnete. Das E i n s , das E i n e , das U n e n d l i c h e , das U n i v e r s u m sind für BRUNO alles völlig gleichbedeutende Begriffe. Nur in diesem allein vermag nach BRUNO der wahre und wirkliche Grund auch alles in dieser Welt vorhandenen V i e l e n gesucht und gefunden zu werden. Die G r ö s s e und A u s d e h n u n g (grandezza magnitudine) dieses an sich U n e n d l i c h - E i n e n ist eine solche, die in Wirklichkeit alles dasjenige i s t , was sie s e y n k a n n ; daher sie auch weder g r ö s s e r noch auch k l e i n e r seyn kann, als sie thatsächlich ist. Ausdrücklich fügt BRUNO hier noch den Ausspruch hinzu: „Seine Grösse und Ausdehnung ist n i c h t g r ö s s e r , um die kleinste zu seyn, und n i c h t die k l e i n s t e , um d i e s e l b e g r ö s s t e G r ö s s e zu seyn (non e maggiore, per esser minima, non e minima, per esser quella medesima massima)." Wir müssen gestehen, dass, wenn es wirklich ein derartiges in sich selbstständiges U n e n d l i c h e s geben sollte, wie BRUNO solches voraussetzt, demselben aus allgemeinen Vernunftgründen nothwendig auch alle die besonderen Eigentümlichkeiten würden zuzuerkennen seyn, welche in dem Vorstehenden sich erwähnt finden. Nur den letzten Schlusssatz möchten wir, in Folge einer gewissen Unklarheit in der Abfassung, hiervon ausnehmen. Von eben diesem unbedingten Unendlichen nun, von diesem Ur-Eins oder Universum, unterscheidet BRUNO aber ausdrücklich unsere sinnlich wahrnehmbare Welt, das eigentliche W e l t a l l oder einheitliche W e l t g a n z e (mondo), und zwar als das eigentliche R e i c h d e s V i e l e n , das nur in Jenem seinen alleinigen Grund und Boden und daher auch nur in ihm seine natürliche Erklärung finden kann. Jenes allein wahrhaft E i n e und U n e n d l i c h e kann nach BRUNO weder w a c h s e n n o c h a b n e h m e n , kann sich weder v e r m i n d e r n n o c h v e r m e h r e n , eben weil es alles das, was es seyn kann, auch wirklich bereits

Irrthümliclikeit und Unbaltbarkeit etc.

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i s t . Daher kann es auch niemals weder selbst g e m e s s e n w e r d e n , noch als M a a s s für irgend ein Anderes dienen, noch T h e i l e u n d a n d e r e T h e i l e haben, d. h. es kann aus Theilen auch nicht zusammengesetzt seyn. Man kann es mit einer K u g e l vergleichen: aber es ist k e i n e Kugel. Denn in einer wirklichen Kugel sind Länge, Breite und Tiefe d i e s e l b e n , weil sie sämmtlich e i n e r l e i körperliche Grösse oder eine vom einheitlichen Mittelpunkt g l e i c h w e i t entfernte äusserlich-körperliche U m g r ä n z u n g haben. In dem U n e n d l i c h - E i n e n dagegen sind Länge, Breite und Tiefe zwar ebenfalls von derselben gleichen Ausdehnung, aber dadurch, dass denselben hier überhaupt g a r k e i n e äussere Begränzung (termine) zukommt, sie also sämmtlich t h a t s ä c h l i c h u n e n d l i c h sind. Wo k e i n M a a s s ist, da sind auch keine Verhältnisse noch überhaupt T h e i l e , welche sich vom Ganzen unterscheiden Hessen. Denn ein gedachter Theil eines Unendlichen würde selbst ein Unendliches seyn. Da nun aber ferner einem jeglichen Seyn, und •zwar ebensowohl dem bloss als u n e n d l i c h vorgestellten, wie dem thatsächlich e n d l i c h e n , irgend eine bestimmte, für dasselbe völlig a u s r e i c h e n d e K r a f t zu seyn und zu bestehen mit innerer Nothwendigkeit zukommen muss; so erkennt Bkuno eben jenem von ihm als unendlich angenommenen U r - E i n s folgerichtig auch eine eben diesem Verhältniss entsprechende u n e n d l i c h e S e y n s - u n d W i r k u n g s k r a f t (vigore infinito) zu: wobei er aber freilich sofort auch den allerdings etwas voreiligen Schluss anfügt, dass eine u n e n d l i c h e W i r k u n g s k r a f t , als eine an sich u n e n d l i c h e U r s a c h e , unter allen Umständen auch nur eine ebenso u n e n d l i c h e W i r k u n g zu ihrer Folge haben könne. Insofern Bruno diese unendliche Wirkung nur allein auf das unendliche Urseyn und dessen eigenen inneren Bestand im Daseyn bezieht, muss dieser Schlussfolgerung allerdings volle Richtigkeit zugesprochen werden, und Bruno sagt daher auch ganz in diesem Sinn, dass er das Universum, d. h. eben jenes unendliche Ur-Eins, ganz v o l l e n d e t (tutto finito)

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nenne, weil es weder Umgränzung noch ä u s s e r e O b e r f l ä c h e habe. Ganz anders aber gestalten sich diese Verhältnisse, sobald jene u n e n d l i c h e U r s a c h e und ihre ebenso u n e n d l i c h e W i r k u n g nicht bloss ausschliesslich auf die Begründung und Erhaltung eines an sich unendlichen Seyns sollen zu beziehen seyn, sondern ausserdem auch noch mit der Hervorbringung einer s i n n l i c h - w a h r n e h m b a r e n Welt und ihrer E i n z e l dinge sollen in Verbindung gebracht werden. Denn alles, was wir in dieser Welt um uns her wahrnehmen, erweist sich erfahrungsgemäss allewege als k ö r p e r l i c h - e n d l i c h und r ä u m lich b e g r ä n z t , und ein innerliches Wahrheitsgefühl lehrt uns. dass eine jede, wenn auch noch so gross angenommene Menge von räumlich-körperlichen Grössen, von denen eine e i n z e l n e nur eine e n d l i c h e G r ö s s e darstellt, auch in i h r e r G e s a m m t h e i t nie und n i m m e r m e h r eine an sich u n e n d l i c h e G r ö s s e oder Ausdehnung zu bilden im Stande ist. Unter so bewandten Umständen konnte nun aber freilich für BEUNO nichts Anderes übrig bleiben, als zu demselben Hülfsmittel wie das der alten Atomisten seine Zuflucht zu nehmen, und jene E n d l o s i g k e i t eines au sich unendlichen Seyns mit Hülfe einer vermeintlich u n e n d l i c h e n Z a h l e n d l i c h e r E i n z e l d i n g e , wenigstens dem Anscheine nach, auszufüllen, TIEDEMANN macht bei Besprechung eben dieser Lehren die ganz richtige Bemerkung, dass BRUNO hier den W i d e r s p r u c h übersehen habe, an welchem eine derartige Auffassung des Unendlichkeitsbegriffes thatsächlich krank liege. Doch auch BEUNO hat diesen Widerspruch, wenigstens theilweise, selbst gefühlt; denn unmittelbar nach dem hier angeführten Ausspruch fügt er demselben ausdrücklich noch hinzu: „Ich sage, dass das U n i versum (oder jenes an sich unendliche Urseyn) v o l l k o m m e n u n e n d l i c h (tutto infinito) ist, weil es weder U m g r ä n z u n g noch O b e r f l ä c h e besitzt: ich sage aber auch, dass es n i c h t gänzlich u n e n d l i c h (non totalmente infinito) sey, weil ein jeder Theil, den wir (in Gedanken) von -ihm nehmen können,

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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und eine jede der zahllosen Welten (mondi), die es einschliesst, endlich sind." Sein Universum, als das nach ihm von Ewigkeit her vorhandene unendliche Urseyn, ist somit für BBUNO unendlich an sich und in ihm selbst: die in diesem Universum enthaltenen und durch ihre stete Gegenwart es erfüllenden Welten mit ihren Einzelbestandtheilen sind zwar in ihrer Gesammtheit ebenfalls unendlich, aber nur der Zahl oder, wie man auch sagt, nur der Möglichkeit nach. Rufen wir uns nun aber nach allem diesem nochmals die bereits oben erwähnte Darlegung BBUNO'S in das Gedächtniss zurück, in welcher er das Unendliche ebensowohl als die grosste wie auch die kleinste u n t h e i l b a r e Grösse oder Ausdehnung bezeichnet: dürfen wir da, bei BBUNO'S vielfach unklarer Darstellungsweise, nicht der Vermuthung Raum geben, dass er, wie von der einen Seite unter dem u n t h e i l b a r e n Unendlich-Grossen jenes eigentliche und wahre, d. i. völlig Schrankenlose-Unendliche, sein sogenanntes Universum, d. h. die von ihm angenommene unendliche Weltseele: so von der anderen Seite unter dem untheilbaren Unendlich-Kleinsten (grandezza massima, minima, infinita impartita) die ganze unbekannte Zahl jener an sich ebenfalls untheilbaren stofflich-körperlichen Einzeldinge, der Atome, als der n a t ü r l i c h - e n d l i c h e n Abbilder eben jenes an sich Unendlichen, könnte vor Augen gehabt haben? Was uns in dieser Vermuthung bestärkt, ist einerseits der Umstand, dass diesem Kleinsten ausdrücklich die Kreis- oder vielmehr die Kugelgestalt zuerkannt ist: sowie anderseits auch eine Bemerkung JACOBI'S, in welcher dieser ausdrücklich darauf hinweist, dass man BBUNO sehr missverstehen würde, wenn man ihm die ungereimte Meinung beimessen wollte, als könnten Linien, Flächen oder schliesslich ganze Körper aus blossen Punkten (als gewissermassen Alleruntheilbar-Kleinsten) zusammengesetzt seyn (GIOEDANO BBUNO, E d . WAGNEB I . S. 23. 205. 206. 2 1 0 . 211. 238. 242. 262. 280.

281. 282.

II. S. 4. 18. 21. 24. 25. 27. 30. BBUNO, de minimi

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existentia. S. 9. 10. 22. 23 [nacli TIEDEMANN]). — So abweichend also BBUNO'S Ansichten, namentlich in Betreff des von ihm von vornherein U n e n d l i c h - E i n e n , von denen der alten Atomistiker auch seyn mögen: so fehlt es bei ihm, wie wir gesehen, auch keineswegs an Anknüpfungspunkten, durch welche er sich nicht nur an diese Letzteren anschliesst, sondern gleichzeitig damit auch die Irrthümer und Fehlschlüsse sich aneignet, welche an jenen zu rügen sind. Was aber die Frage betrifft, ob es ein derartiges in sich untheilbares u n e n d l i c h e s E t w a s oder eine derartige in sich selbstständige unendliche U r - E i n h e i t , wie solches BRUNO sich denkt, auch in Wirklichkeit geben mag oder, nach Vernunftgründen zu urtheilen, überhaupt geben könne: auf diese Untersuchungen können wir nicht eingehen, da sie uns für jetzt zu weit führen würden. Jedenfalls aber würde BEUNO, wenn diese seine Anschauung in irgend einer Weise sich als richtig bewähren sollte, in diesem nicht unwichtigen Punkt wesentlich über die Anschauungen L E U K I P P ' S , DEMOKEIT'S und E P I K U B ' S hinausgegangen seyn. Wie übrigens die Anschauungen eben genannter Denker der Hauptsache nach bis auf den heutigen Tag noch ihre Vertreter finden: so auch in ähnlicher Weise diejenigen BBUNO'S. So sagt z. B. Carus: „Das grösste Hinderniss, zu einer reinen Entscheidung zu gelangen, ob das A l l als G a n z e s (in seiner Totalität) als e n d l i c h oder u n e n d l i c h zu fassen sey, ist hier jedenfalls unsere e i g e n e e n d l i c h e P e r s ö n l i c h k e i t (Individualität) selbst, als welche, durch und durch auf e n d l i c h e Bedingungen ruhend und überall nur als E n d l i c h e s sich bethätigend, überhaupt nur erst durch den höchsten Grad der Selbstentäusserung den G e d a n k e n der Unendlichkeit wirklich zu fassen vermag. Nichtsdestoweniger wird der menschliche Geist nach dem Gedanken der U n e n d l i c h k e i t gedrängt, und betrachtet es mit Recht als die wesentlichste Bürgschaft seiner höheren Natur, dass er, trotz seiner eigenen Endlichkeit, ein U n e n d l i c h e s zu d e n k e n , ja R e c h n u n g e n

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auf den Begriff des Unendlichen zu ziehen im Stande sey, folglich in der Zahlen- und Grössenlehre (Mathesis) selbst in der schlechterdings u n b e g r ä n z t e n F o r t s e t z u n g d e r Z a h l e n r e i h e den Nachweis dafür erkennen dürfe, dass die Anerkennung (das Prädikat) der U n e n d l i c h k e i t dem All nothwendig zukommen müsse. Vorauszusetzen ist indess, dass die U n e n d l i c h k e i t d e r W e l t n i e als eine ä u s s e r e , sondern stets als reine i n n e r e Unendlichkeit gedacht werde, indem nur hierin allein die Möglichkeit geboten ist, den Gedanken eines G a n z e n (der Totalität) mit dem einer U n e n d l i c h k e i t wahrhaft zu v e r e i n i g e n . Ist doch auch hier wieder der genaue (mathematische) Begriff der Z a h l das vollständigste Sinnbild (Symbol) und die angemessenste Erläuterung! Die Z a h l nehmlich, für sich und als solche (abstrakt) genommen, ist allerdings ein in s i c h B e s c h l o s s e n e s und somit E n d l i c h e s , während in eben diesem Begriff aber anderseits allemal eine U n e n d l i c h k e i t w i r k l i c h e r Z a h l e n unleugbar (?) gegeben ist. Haben wir somit die Nothwendigkeit (?), die G e s a m m t h e i t a l l e s B e s o n d e r e n (und Einzelnen) als ein in sich U n e n d l i c h e s (?) zu denken, vollständig erkannt (?), so führt uns dies nun unmittelbar weiter auch zu der Vorstellung der W e l t als einer u n e n d l i c h e n K u g e l , da eine V i e l h e i t , in welcher ich in jeder Stelle einen Mittelpunkt annehmen darf und von welcher ich weiss, dass in jedem Fall alle ihre Durchmesser vollkommen gleich, d. h. an sich stets gleich unendlich sind, nie anders als k u g e l a r t i g (sphärisch) vorgestellt werden kann" (CARÜS, Natur u. Idee. S. 100. 101. 102). Wohl ist es richtig, dass wir, soweit es sich um unser bloss willkürliches Denken und Vorstellen handelt, in Bezug auf eben diese Geistesthätigkeiten uns an keine äusseren Gränzen gebunden fühlen, und dass wir in Folge dessen uns denn auch geistig an solche Fesseln für unser Denken in keiner Weise für gebunden erachten. Aber es ist noch in keiner Weise gesagt, dass, unabhängig von unserem bloss willkürlichen Denken und Ein-

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bilden und ausserhalb desselben in Bezug auf die uns umgebende Natur Wirklichkeit, solche G r ä n z e n nicht dennoch thatsächlich vorhanden seyn k ö n n e n , ja vielleicht sogar als wirklich vorhanden anerkannt werden m ü s s e n , falls wir durch unabweisbare anderweitige V e r n u n f t g r ü n d e uns zu einer Anerkennung solcher Gränzen sollten genöthigt sehen. Und wenn es uns in einem solchen Fall, in Folge unserer menschlichen Kurzsichtigkeit in Verbindung mit der Unzulänglichkeit unser künstlichen Hülfsmittel, auch nicht möglich ist, den eigentlichen O r t , wo diese Gränze sich befinden mag, genauer anzugeben: so wird dadurch in der Sache an sich doch nicht das Geringste geändert. Denn das Wo ist hier augenscheinlich nur Nebensache, sobald das D a s s und das W a r u m , als der H a u p t s a c h e , um die es sich handelt, überhaupt einmal durch unabweisbare Vernunftgründe sicher gestellt sind. Sehr eingehend und in der Hauptsache ganz im Sinn der alten Atomistiker, spricht in Bezug auf unsere Frage B ü c h n e r sich aus. „Das Auge der Wissenschaft" — sagt er — „blickt vorwärts durch W e l t r ä u m e , welche so u n e n d l i c h und unm e s s b a r sind, dass die Anhaltspunkte, welche wir zu ihrer Beurtheilung aus unserer täglichen Erfahrung herzunehmen im Stande sind, uns fast im Stiche lassen, und jene U n e n d l i c h k e i t e n u n s e r e r V o r s t e l l u n g beinahe ebenso unzugänglich werden, als die U n e n d l i c h k e i t s e l b s t . Jene Z a h l e n aber, bei deren Betrachtung unser Verstand schwindelt, beruhen n i c h t auf blosser Grübelei und Einbildung (Speculation und Phantasie), sondern auf wissenschaftlicher Erfahrung und Berechnung, und ich dächte, dass sie für jeden Einsichtigen ein hinreichender Fingerzeig seyn müssten, um die U n b e s c h r ä n k t lieit des Raumes anzuerkennen." Und an einem anderen Ort: Wie das Vergrösserungsglas (das Mikroskop) uns im k l e i n e n Weltall führt, so führt uns das Fernrohr im g r o s s e n Weltall. Auch hier dachten die Himmelskundigen (Astronomen) an das E n d e der Welt vorzudringen; aber je mehr sie ihre

Irrthttmlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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Hülfswerkzeuge (Instrumente) vervollkommneten, um so u n e r m e s s l i c h e r , u n e r r e i c h b a r e r dehnten sich neue Welten von Sonnen- und Planetensystemen vor ihren Blicken aus. Die Entfernungen, welche die Sternkundigen im Weltall berechnet haben, sind so m a a s s l o s , dass unser Verstand schwindelt und sich zu verwirren beginnt. Sobald aber eine E n d l i c h k e i t der W e l t angenommen wird, so findet die Anziehung nach dem vermuthlichen (imaginären) S c h w e r p u n k t dieser Welt, also nach deren Mittelpunkt hin statt, und das Ergebniss dieser Anziehung müsste eine Vereinigung alles stofflich-körperlichen Daseyns (aller Materie) zu einem einzigen W e l t k ö r p e r seyn. Da dieses nun aber n i c h t geschieht oder geschehen ist, obgleich die Welt seit u n e n d l i c h e r Z e i t besteht, so kann ein solcher Zug nach der Mitte in Wirklichkeit nicht bestehen (nicht existiren). Und dieser Zug nach der Mitte kann nur dadurch aufgehoben werden, dass j e n s e i t s der uns sichtbaren Weltkörper wieder andere befindlich sind, welche eine Anziehung nach aussen ausüben, und so f o r t bis ins U n e n d l i c h e . Jede gedachte B e g r ä n z u n g v e r n i c h t e t demnach die Möglichkeit des Daseyns (der Existenz) der Welt. Können wir also k e i n e G r ä n z e f ü r den Stoff im K l e i n e n finden, so sind wir noch weniger im Stande, an eine solche im G r o s s e n zu gelangen. Wir erklären ihn daher für u n e n d l i c h nach beiden Richtungen, im Grössten wie im Kleinsten" (BÜCHNER, Natur u. Geist. S. 168. 169. Kraft u.Stoff. S. 25. 26. 27). Diese Darstellung eines der eifrigsten Vertreter der atomistischen Weltanschauung kann uns zugleich, der Hauptsache nach, als Muster gelten auch für die Anschauungen aller übrigen Anhänger dieser Gedankenrichtung. Daher können wir eben diese Darlegung aber auch nicht verlassen, ohne einige besondere Punkte derselben einer noch etwas eingehenderen Prüfung zu unterziehen. So ist namentlich in Bezug auf den Raumbegriff Folgendes zu berücksichtigen. Wie es nehmlich nach den Erfahrungen und Beobachtungen der Natur-

220

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

forschung k e i n e selbstständig von sich aus bestehende W ä r m e noch ein ebensolches L i c h t gibt noch geben kann, weichte unabhängig von stofflich-körperlichen Dingen in eine natürliche Wirksamkeit einzutreten vermöchten, sondern wie wir allewege nur allein von w a r m e n und darum auch w ä r m e n d e n , oder von l e u c h t e n d e n und darum auch ihre Umgebung b e l e u c h t e n d e n wirklich und wesenhaft vorhandenen k ö r p e r l i c h e n S t o f f e n oder s t o f f l i c h e n K ö r p e r l i c h k e i t e n zu reden berechtigt sind: ebensowenig können wir aus den gleichen Gründen dazu berechtigt seyn, von wirklichen R ä u m e n oder R ä u m l i c h k e i t e n zu sprechen, welche, u n a b h ä n g i g von w i r k l i c h v o r h a n d e n e n k ö r p e r l i c h e n D i n g e n , selbstständig f ü r s i c h a l l e i n zu bestehen vermöchten, wie solches in der oben erwähnten Darstellung angenommen ist. Wenn wir daher von einem gemeinsamen W e l t r a u m reden, so kann und darf dies keineswegs, wie wir auch früher bereits darauf hingewiesen haben, in dem Sinn eines an sich k ö r p e r f r e i e n oder sogenannten l e e r e n R a u m e s von uns aufgefasst werden, in welchen die natürlichen Dinge etwa nur wie in einen vermeintlich „leeren Kasten" oder sonstigen „leeren Behälter" hineingestellt wären: sondern allein nur in dem Sinn einer e i n h e i t l i c h e n G e s a m m t h e i t aller der E i n z e l r ä u m e , wie solche einem j e d e n e i n z e l n e n der vorhandenen körperlichen Einzeldinge zukommt. Wie der blosse L i c h t - oder blosse W ä r m e b e g r i f f , abgesehen von allen l e u c h t e n d e n oder w ä r m e n d e n wirklichen K ö r p e r n oder Körperlichkeiten, auch nicht den allergeringsten Anspruch auf eine wesenhafte Natur Wirklichkeit zu machen berechtigt ist: so wenig auch der an sich leere blosse R a u m b e g r i f f . Alle diese von jeglichem natürlich wesenhaften eigenen Inhalt absehenden Begriffe dürfen nur in dem Sinn von blossen G e d a n k e n b i l d e r n von uns aufgefasst werden, welche der menschliche Verstand sich ersinnt zur Vereinfachung und Erleichterung seiner eigenen Denkthätigkeit: dieselben aber ohne Weiteres ebenso, wie wir uns dieselben in unseren

221

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

Gedanken

gebildet

wesenhafte

Naturwirklichkeit

naturum

haben,

nun

auch

zu

auf

übertragen,

wie vernunftgemässe Berechtigung.

endliche

oder angeblich

die

thatsächliche

dazu fehlt

Ob

unendliche

alle

es sich dabei

Räume

handelt,

kommt hierbei gar nicht in Betracht; denn das eben Gesagte gilt sowohl für den einen wie für den anderen F a l l . die weitere Bemerkung, lichkeit

Auch

dass, im Falle einer räumlichen End-

und äusseren räumlichen Beschränktheit des gemein-

samen Weltganzen, lichen

Einzeldinge

alle sich

in ihm vorhandenen nach

den Gesetzen

stofflich-körperder

allgemeinen

Weltschwere schliesslich zu einem e i n z i g e n ungeheuren Weltkörper

zusammenballen

eine Behauptung,

müssten,

ist beim Lichte

betrachtet

welche einer jeden auch nur einigermassen

überzeugenden und auf innere Naturnothwendigkeit begründeten Erklärung Schwere allein

entbehrt.

Wohl

spielt

eine wichtige Rolle

die

natürlich-körperliche

in dem Haushalte

der Natur:

sie ist deshalb innerhalb dieser Letzteren doch durch-

aus nicht jener alleinige unumschränkte Regent, sich

in

durch

jener die

Darstellung

Wirkungen

der

geschildert Schwere

wie solches

findet. nicht

Dafür, alle

dass

stofflichen

Körper in einen e i n z i g e n grossen Weltkörper sich zusammendrängen, an

ist

in

hinreichend

der Naturwirklichkeit gesorgt.

Denn

bereits

von

alle Erfahrungen

Urzeiten

der

Natur-

forschung weisen unzweifelhaft darauf hin, dass in allen stofflichen Körpern zwar eine von der Oberfläche nach dem Mittelpunkt

gerichtete

und in Folge dessen auch nach aussen hin

als allgemeine A n z i e h u n g s k r a f t

in die Erscheinung tretende

Kraftwirksamkeit sich allewege als thätig erweist: aber gleichzeitig eine

damit lernen andere

dieser

entgegengesetzte dem M i t t e l p u n k t

wir durch die Naturforschung auch noch anziehenden

Kraftwirksamkeit

Wirkungsrichtung nach

kennen,

der O b e r f l ä c h e

geradezu

welche

von

als- innerlich a u s -

d e h n e n d e , in der äusseren Erscheinung aber als a b s t o s s e n d e Kraft

sich

ebenfalls jederzeit geltend macht.

Von der Mit-

222

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Wirkung fremder äusseren Umstände bleibt es dabei bekanntlich abhängig, welche von diesen beiden Wirksamkeitsrichtungen unter den gegebenen äusseren Verhältnissen dem Grad ihrer Stärke nach jeweilig die Oberhand gewinnt. So finden sich durch alle Räume der Naturwirklichkeit hindurch, gleichviel ob wir solche als endlich oder unendlich in das Auge fassen, beide Kraftwirksamkeiten, A n z i e h u n g wie A b s t o s s u n g , allenthalben in völlig untrennbarer Weise mit einander v e r g e s e l l s c h a f t e t . Wäre es in der Natur wirklich so, wie jener Aufsatz es an dem angegebenen Ort schildert, d. h. wäre die anz i e h e n d e K r a f t die a l l e i n w i r k s a m e Kraft in unserm Weltall, so wäre es allerdings gar nicht anders möglich, als dass alle in Letzterem vorhandenen stofflich-körperlichen Dinge nur einen einzigen allgemeinen W e l t s t o f f - K l u m p e n darzustellen vermöchten: ja wir dürfen sogar noch um einen Schritt weiter gehen. Wenn es wirklich an dem wäre, dass in den Dingen dieser Welt, und durch sie also auch innerhalb der gesammten Weltordnung, die i n n e r l i c h - a n z i e h e n d e und darum auch i n n e r l i c h - z u s a m m e n z i e h e n d e , d. h. von der O b e r f l ä c h e nach dem M i t t e l p u n k t gerichtete Kraftwirksamkeit die a l l e i n i g e Herrscherin wäre, so würde weder an ein n a t ü r l i c h - r ä u m l i c h e s noch irgendwie n a t ü r l i c h w e s e n h a f t e s D a s e y n w i r k l i c h e r N a t u r d i n g e überhaupt jemals gedacht werden können: denn alle Kräfte und deren Wirkungen würden, für das Auge des Geistes, schliesslich nur als auf völlig r ä u m - und w e s e n l o s e P u n k t e , die Mittelpunkte der jetzigen körperlichen Dinge, sich beschränkt zeigen. Dass aber unter so bewandten Umständen nie und nimmermehr an eine Weltordnung wie die unsrige würde gedacht werden können: dies versteht sich von selbst. Aber eben darum brauchen wir auch, selbst für eine räumlich b e g r ä n z t e W e l t , den in jener Darstellung der allgemeinen Natur- und Weltverhältnisse gleichsam als Popanz in Aussicht gestellten Einen ungeheuren Weltklumpen nicht zu fürchten.

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

223

Was nun aber den noch weiter aufgestellten Satz betrifft, dass, „wenn wir k e i n e Gränze für den S t o f f im K l e i n e n finden, wir noch w e n i g e r im Stande seyen, an eine solche im G r o s s e n zu gelangen": so finden sich hier zwei Verhältnisse in gleicher Weise zusammengestellt, welche unmöglich in den unmittelbaren Zusammenhang gebracht werden können, wie solches hier der Fall ist. Die Richtung nach dem K l e i n e n oder r ä u m l i c h K l e i n s t e n führt uns schliesslich zu jenen u n t h e i l b a r e n e r s t e n u n d l e t z t e n s t o f f l i c h k ö r p e r l i c h e n G r u n d w e s e n , den Atomen. Wenn also gesagt wird, wir vermöchten k e i n e G r ä n z e zu finden: so ist dies einzig und allein nur r i c h t i g in Bezug auf unsere geistige Vorstellung und auf unser willkürliches Einbildungsvermögen, welches auch Dinge oder Verhältnisse a l s w i r k l i c h sich geistig vormalen kann, ohne dass solche deshalb auch in der Naturwirklichkeit thatsächlich begründet seyn müssten. In unseren blossen G e d a n k e n können wir allerdings jede beliebige Grösse, z. B. durch Halbiren, in immer kleinere Grössen theilen, ohne dass wir dabei jemals ein thatsächliches E n d e oder einen wirklichen A b s c h l u s s eben dieser blossen Gedankenarbeit voraussehen könnten. Wie aber K A N T eagt, dass wir uns ganz wohl in Gedanken eine goldene Insel vorstellen könnten, ohne dass dieselbe sich darum auch in der Naturwirklichkeit thatsächlich vorfinden müsse: so verhält es sich auch hier. Denn die Vernunftgesetze des geistigen Denkens belehren uns, wie wir früher bereits gesehen, dass n i c h t s g e t h e i l t werden kann, was nicht auch thatsächlich in seinem Innern a u s w i r k l i c h e n T h e i l e n z u s a m m e n g e s e t z t ist, und zwar allewege auch n u r a l l e i n in g e n a u so v i e l T h e i l e , als die Z a h l der Theile beträgt, aus denen es zusammengesetzt ist, aber u m k e i n e i n z i g e s m e h r . Es muss also nach V e r n u n f t - wie N a t u r n o t w e n d i g k e i t e i n e t h a t s ä c h l i c h e G r ä n z e in der Richtung nach dem Kleinen und immer Kleineren geben, auch wenn wir dieselbe mit

224

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

unseren leiblichen Augen zu sehen und zu finden nicht im Stande sind: auch ungesehen von uns muss sie ohne Widerspruch vorhanden seyn. Die Behauptung also, dass wir in der Richtung nach dem Kleinen k e i n e Gränze finden könnten, erweist sich bei gründlicherer Betrachtung in ganz ähnlicher Weise als eine bloss willkürliche R e d e n s a r t oder leere inhaltslose P h r a s e , wie jene vermeintliche Gefahr eines Zusammenballens alles Weltstoffes zu einem einzigen grossen Weltkörper. Auch die Behauptung, dass wir hier im Hinzufügen beliebiger räumlicher Grössen an keine bestimmte Gränze zu kommen vermöchten, hat nicht mehr Werth und Geltung wie die soeben zurückgewiesene. Denn das G a n z e , das aus lauter e n d l i c h e n und b e g r ä n z t e n Grössen gebildet wird, kann nun einmal, was auch Gegentheiliges gesagt und behauptet werden mag, n i e s e l b s t zu einer wirklich u n e n d l i c h e n G r ö s s e werden, und das in solchen Fällen meist Hinzugefügte „und sofort ins Unendliche" kann als nichts Weiteres gelten, denn als eine künstliche Verschleierung des an sich U n m ö g l i c h e n , damit es den S c h e i n einer wirklichen Möglichkeit wenigstens auf diesem Wege gewinnen möge. Die Richtung nach dem i m m e r K l e i n e r e n führt schliesslich zu dem K l e i n s t e n , was die Natur unserem Denken zu bieten im Stande ist: zu dem in sich nicht weiter mehr theilbaren natürlichen Einzelwesen, dem A t o m , aber damit auch zu der Anerkennung einer für uns zwar u n b e s t i m m b a r e n , aber doch n i e u n d n i m m e r m e h r w i r k l i c h u n e n d l i c h e n V i e l h e i t eben dieser Einzeldinge. Die Richtung nach dem i m m e r G r ö s s e r e n und in Folge dessen denn auch schliesslich diejenige zu dem thatsächlich G r ö s s t e n , was die Natur als solche zu bieten vermag, führt uns zu der Anerkennung des E i n e n g e m e i n s a m e n W e l t g a n z e n , und in Folge dessen denn auch zur Anerkennung seiner ebenso naturwie vernunftnothwendigen äusserlich-körperlichen G e s a m m t u m g r ä n z u n g , d. i. zu einer thatsächlichen, und durch kein

225

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

„und sofort ins Unendliche" zu verschleiernden oder wegzuschaffenden G e s a m m t g r ä n z e desselben. Von gleichem Standpunkt ausgehend wie BÜCHNEK, und darum auch in demselben Sinn und Geist spricht denn auch T a u s c h i n s k y in dem s. Z. von ihm herausgegebenen „ V o l k s b o t e n " sich aus. „Das e r s t e und u n b e d i n g t e Merkmal der W e l t " — sagt er —„ist deren u n e n d l i c h e A u s d e h n u n g dem R ä u m e n a c h . Es bedarf nur einer kurzen (!) Beschäftigung mit den Verhältnissen der Himmelskunde und mit den Verhältnissen der Weltkörper zu einander, um sich klar zu werden, dass das ganze Sonnengebiet keineswegs zu den grösseren gehört, sondern selbst nur wieder ein kleineres neben anderen ist; dass es Gestirne gibt, deren Entfernungen n a c h M i l l i o n e n u n d M i l l i a r d e n von S o n n e n w e i t e n gerechnet werden müssen. Es gibt sonach Entfernungen, w e l c h e ü b e r j e d e V o r s t e l l u n g h i n a u s r e i c h e n ; aber Eins ist sicher: wir mögen im Raum n o c h so weit g e h e n , wir mögen uns auch die g r ö s s t e n E n t f e r n u n g e n d e n k e n , jedenfalls wird die thatsächlich vorhandene Welt sich n o c h w e i t e r a u s d e h n e n u n d n o c h w e i t e r e E n t f e r n u n g e n in sich f a s s e n . N i e m a l s wird es uns gestattet seyn, an die ä u s s e r s t e G r ä n z e u n d S c h r a n k e zu gelangen. Die W e l t ist d a h e r u n e n d l i c h a u s g e d e h n t dem R a u m nach. Diese u n e n d l i c h e A u s d e h n u n g i s t ein L e h r s a t z , r e i n g e s t ü t z t auf u n s e r D e n k e n " (Volksbote No. 17. l.Sept. 1871. S. 121. 122). —

N o . 1 4 0 . Innere Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit der scheinbaren Begründungen einer räumlichen unendlichen Welt. Die Auszüge, welche wir im Bisherigen bemüht gewesen sind, aus den Schriften solcher Naturforscher und Denker der älteren und neueren Zeit zusammenzustellen, welche die von ihnen behauptete r ä u m l i c h e U n e n d l i c h k e i t d e r W e l t auch noch weiter wissenschaftlich zu begründen suchen, musste uns WANDERSMANN. III.

15

226

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

sofort erkennen lassen, welche bedeutende Rolle bei diesen ihren versuchten Begründungen die angeblich u n e n d l i c h e Z a h l oder Menge der in dieser Welt thatsächlich vorhandenen E i n z e l d i n g e zu spielen pflegt. Wir haben bereits darauf hingewiesen, mit welcher Gründlichkeit und Entschiedenheit schon A r i s t o t e l e s diese irrthümliche Anschauung bekämpft und deren begriffliche U n g e r e i m t h e i t , und also auch deren thatsächliche U n m ö g l i c h k e i t an den Tag gelegt hat. ARISTOTELES ist durch diese seine streng wissenschaftlich durchgeführten Darlegungen in Bezug auf die angebliche Möglichkeit einer wirklich unendlichen Zahl, Anzahl oder Menge von Einzeldingen für alle Zeiten ein steter Vorkämpfer geblieben: alle noch weiteren Beweisführungen fussen auf eben jenen Auseinandersetzungen des ARISTOTELES, und haben dieselben daher auch zu ihrer Grundlage und zu ihrem eigentlichen Ausgangspunkt. Wir dürfen daher auch an diesem Orte nochmals auf jene Auszüge aus den Schriften des ARISTOTELES zurückweisen. Das an sich wahrhaft U n e n d l i c h e , wenn es ein solches geben mag, hat A r i s t o t e l e s bereits vollkommen vernunftgemäss dahin bestimmt, dass es durchaus „ k e i n e G r ä n z e " haben könne. Denn alles dasjenige, dem irgend eine bestimmte r ä u m l i c h e und also in räumlicher Beziehung e n d l i c h e G r ö s s e zuerkannt werden muss (wie z. B. die untheilbaren, stofflich-körperlichen Einzeldinge, die Atome), kann selbstverständlich n i c h t als ein an sich U n e n d l i c h e s bezeichnet werden. Aber ebensowenig auch dasjenige, was aus irgend einer z ä h l b a r e n M e n g e solcher Einzeldinge besteht; denn eine jede daraus zusammengesetzte Grösse muss (wenigstens in unserer Vorstellung) thatsächlich in seine Einzelbestandtheile z e r l e g t oder g e t h e i l t werden können. Aus eben diesen Gründen geht also augenfällig hervor, dass ARISTOTELES dem gemeinsamen W e l t g a n z e n in k e i n e r Weise eine räumliche U n e n d l i c h k e i t und U n b e g r ä n z t h e i t zugesprochen haben kann. Denn hat er die eben angeführte Auseinandersetzung auch nicht bestimmt auf unser Weltall bezogen:

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

227

so fügt er derselben weiterhin doch ausdrücklich noch hinzu, dass ein wahrhaft Unendliches unbedingt „ u n t h e i l b a r und unz e r t r e n n b a r " seyn müsse. Auch ZENO sagt in gleichem Sinn, dass, wenn es ein V i e l e s gebe, dieses der Z a h l nach b e g r ä n z t seyn müsse, weil es immer n u r s o v i e l sey, was es e b e n i s t . Durch die ihm zukommende Z a h l werde dies bezeichnet: w e d e r m e h r n o c h w e n i g e r (SCHWEGLER, Gesch. d. Philos. S. 13). — Ausserdem sagt aber A r i s t o t e l e s auch noch in seiner Schrift über das „Himmelsgebäude", dass es „im U n e n d l i c h e n k e i n e K r e i s b e w e g u n g geben könne, weil das Unendliche k e i n e n M i t t e l p u n k t habe", alles „sich im K r e i s Bewegende aber u m e i n e n M i t t e l p u n k t bewegt werde" (ARISTOTELES, Metaphys. IV. S. 1 9 7 . 1 9 8 . Phys. S. 1 2 1 . 1 2 3 ) . — Lehren uns aber nicht alle Beobachtungen am Himmelszelt, dass alle Umwälzungen der Himmelskörper in k r e i s f ö r m i g e n oder k r e i s ä h n l i c h e n Bahnen vor sich gehen? J a , wenn wir bedenken, dass die neueren Entdeckungen in den weitentlegensten Himmelsräumen zu der Uberzeugung berechtigen, dass selbst die ganze unübersehbare Menge einzelner Sonnen- und Sterngebiete sich in ähnlicher Weise in ihrer Gesammtheit um irgend einen bestimmten gemeinsamen Mittelpunkt bewegen: sollten wir unter solchen Verhältnissen nicht berechtigt seyn, auch eben diese, bereits von ARISTOTELES erwähnten Thatsachen als einen nicht zu verwerfenden oder zu unterschätzenden E r f a h r u n g s b e w e i s für die thatsächliche r ä u m l i c h e E n d l i c h k e i t und B e g r ä n z t h e i t auch für die Gesammtheit unseres gemeinsamen Himmelsgebäudes zu betrachten? Dass die namhaftesten Denker der christlichen Zeitrechnung sich ebenfalls dem hier dargelegten Gedankengang des ARISTOTELES anschliessen, und in ähnlicher Weise wie er jenen alten Irrthum einer angeblichen r ä u m l i c h e n Unendlichkeit der Welt, auf Vernunftgründe sich stützend, zu widerlegen und zu bekämpfen bemüht sind: dies darf uns von Seiten der Betreffenden nicht wundern. So weist AUGUSTINUS ganz im Sinn des 15*

228

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

ausdrücklich darauf hin, dass es in Wirklichkeit k e i n e Z a h l geben könne, welche als I n b e g r i f f a l l e r Z a h l e n von uns dürfen betrachtet werden (STENTRUP , Zeitl. Weltschöpfung. S. 27). — Und auch Anselm von C a n t e r b u r y erklärt die Annahme einer u n e n d l i c h e n Z a h l für ungereimt (TIEDEMANN, Geist d. spek. Philos. IV. S. 255). — Sind die Begriffe von R a u m und von K ö r p e r auch nahe verwandt: so sind sie nach Thomas von Aquino doch auch verschieden. Der R a u m ist nehmlich auch nach THOMAS n i c h t a u s s e r h a l b der Körper, sondern bezeichnet nur die U m g r ä n z u n g ihres körperlichen Inhaltes. Einen wirklich l e e r e n R a u m kann es demnach nicht geben und ebensowenig einen u n e n d l i c h e n R a u m , da es ausserhalb der Körperwelt k e i n e n R a u m , nach der eben angegebenen eigentlichen Bedeutung des Raumbegriffes, geben kann. Die K ö r p e r w e l t selbst aber erkennt auch THOMAS ausdrücklich als e n d l i c h und b e g r ä n z t an, weil ein jeder einzelne K ö r p e r schon seinem Begriff nach als etwas nach aussen hin B e g r ä n z t e s muss anerkannt werden. Und ebenso verwirft er denn auch eine jede Annahme einer u n e n d l i c h e n M e n g e solcher Körper, da es eine u n e n d l i c h e V i e l h e i t überhaupt nicht geben kann ( W E E N E R , THOMAS V. AQUINO II. S. 265 bis 268): ein Ausspruch, welcher unleugbar seine vollkommene Richtigkeit hat. Denn eine unendliche M e n g e würde gleichbedeutend seyn mit einer u n e n d l i c h e n Z a h l , diese aber muss unter allen Umständen als in offenbarem Widerspruch stehend mit dein wahren und eigentlichen Z a h l b e g r i f f , als eine begriffliche und darum auch thatsächliche U n m ö g l i c h k e i t betrachtet werden. Bezeichnend ist die Art und Weise der Beweisführung, durch welche von Seiten F £ N £ L O N ' S die Unmöglichkeit einer unendlichen Zahl dargethan wird. „ W a s (wirklich) u n e n d l i c h ist" — sagt derselbe — „kann n i c h t n a c h u n d n a c h seyn, n o c h in Theile sich t h e i l e n lassen. Man gebe nun eine Z a h l , die man wollte für u n e n d l i c h ausgeben, so werde ich stets ARISTOTELES

Irrthiimlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

229

zweierlei thun können, wodurch augenscheinlich dargethan wird, dass sie in der That n i c h t s w a h r h a f t U n e n d l i c h e s ist. Erstlich kann ich von der Zahl e i n s a b n e h m e n (oder sie um ein Eins verringern); also wird sie k l e i n e r werden, als sie vorhin war, und also g e w i s s e n d l i c h seyn. Denn alles, was k l e i n e r a l s u n e n d l i c h ist, hat ein E n d e da, wo es aufhört. Nun kann aber eine Zahl, welche a u f g e h ö r t hat unendlich zu seyn, nachdem man Eins davon abgenommen hat, auch v o r h e r n i c h t u n e n d l i c h g e w e s e n seyn, e h e man das Eins davon genommen hatte. Das E i n s (welches von der angeblich unendlichen Zahl war abgenommen worden) ist aber ausser Zweifel eine e n d l i c h e Z a h l . Wenn aber zum E n d l i c h e n etwas E n d l i c h e s liinzugethan wird, so kann daraus n i c h t s U n e n d l i c h e s werden, und wenn E i n s zu einer e n d l i c h e n Z a h l diese u n e n d l i c h m a c h e n könnte, so müsste man sagen, dass das Endliche dem Unendlichen b e i n a h e g l e i c h sey (weil das E n d l i c h e alsdann nur um Eins k l e i n e r a l s d a s U n e n d l i c h e oder das U n e n d l i c h e n u r um E i n s g r ö s s e r a l s d a s E n d l i c h e wäre), was die u n g e r e i m t e s t e Sache von der Welt seyn würde. Zum Anderen aber kann zu solcher (angeblich unendlichen Zahl) Eins l i i n z u g e t h a n werden und sie folglich v e r m e h r e n . Was aber v e r m e h r t und g r ö s s e r werden kann, ist n i c h t u n e n d l i c h ; denn was wirklich u n e n d l i c h ist, hat k e i n E n d e ; alles a b e r , was v e r m e h r t und g r ö s s e r w e r d e n kann, das h a t ein Ende d a , wo man Eins h i n z u f ü g e n kann. Also ist offenbar, dass nichts, was aus v i e l e n T h e i l e n besteht, etwas w a h r h a f t U n e n d l i c h e s seyn kann. Es kann also auch n i e m a l s ein Körper, welcher (wie unser gemeinsames Weltganze) a u s T h e i l c h e n besteht, wahrhaft u n e n d l i c h ausgebreitet seyn, und auch keine Z a h l (die man durch Hinzuthun nach und nach v e r g r ö s s e r n kann) kann man wahrhaft u n e n d l i c h nennen. Daraus folgt aber auch, dass n i e m a l s e i n e u n z ä h l i g e Z a h l seyn kann von nach und nach sich fügenden Zusammen-

230

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

stossungen (oder Aneinanderreihungen)

der Atome" (DE LA

MOTTE-FISNÜLON, Augenscheini. Beweise u. s. w. S. 228 bis

230). — Eine gründliche und allseitig erschöpfende Beweisführung, die wohl von niemanden vernünftiger Weise angefochten werden kann! — Über den gleichen Gegenstand sagt Hobbes: „Eine unendliche Z a h l nennt man diejenige, bei der nicht gesagt worden ist, welche sie sey. Denn wenn gesagt worden wäre: Zweizahl, Dreizahl, Tausendzahl u. s. w.: so ist sie immer endlich. Da aber nichts gesagt worden ist, „als die Z a h l ist unendlich": so muss man denken, es sey dasselbe gesagt worden, als wenn gesagt würde, das Wort Zahl ist ein unbestimmtes Wort. Dem Vermögen nach endlich nennt man einen R a u m oder eine Zeit, wenn die Zahl der endlichen Räume oder Zeiten, z. B. der S c h r i t t e oder Stunden, angegeben werden kann, und eine g r ö s s e r e Zahl derselben in diesem Raum oder in dieser Zeit n i c h t seyn kann. Dem Vermögen nach unendlich ist aber das, wobei eine Zahl der genannten Schritte oder Stunden gegeben wird, die grösser als j e d e gegebene (oder von uns aussprechbare) Zahl ist. Man muss aber merken, dass, wenn schon in diesem Räume oder in dieser Zeit, welche dem Vermögen nach unendlich ist, mehr Schritte oder Stunden gezählt werden könnten, als jede beliebig angebbare Zahl ausdrückt, doch jene Zahl immer endlich seyn wird; denn j e d e Zahl ist endlich. Alles, was wir in einem, wenn auch unendlichen Raum annehmen oder im Geist bezeichnen, das ist um einen endlichen Raum von uns entfernt. Denn eben dadurch, dass wir den Ort desselben bezeichnen, machen wir dort ein Ende des Raumes, dessen Anfang wir selbst sind, und was wir von dem Unendlichen von beiden Seiten aus (in unsern Gedanken) a b t r e n n e n : das enden wir, d. h. das machen wir endlich. Von dem unbegränzten Raum oder der u n b e g r ä n z t e n Zeit kann man auch nicht sagen, es sey ein Ganzes oder Eines, und zwar nicht ein Ganzes,

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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weil es a u s k e i n e n T h e i l e n z u s a m m e n g e s e t z t werden kann, und weil beliebig v i e l e Theile, wenn sie e i n z e l n endlich sind, auch zusammengenommen, ein e n d l i c h e s G a n z e s ausmachen: n i c h t E i n e s aber, weil man Eines nicht sagt, ausser im Vergleich mit einem Anderen. Dass es aber z w e i u n e n d l i c h e R ä u m e o d e r Z e i t e n gebe, kann nicht gedacht werden. Endlich wenn man fragt, ob die W e l t e n d l i c h oder u n e n d l i c h sey, so ist bei dem Worte endlich oder unendlich nichts im Geiste, denn a l l e s , was wir uns v o r s t e l l e n , ist eben dadurch e n d l i c h , mögen wir nun bis zu den F i x s t e r n e n oder bis zum 9ten, lOten oder tausendsten Weltkreis (Sphäre) rechnen" (BAUMANN, Raum u. Zeit I. S. 278. 279). — Dass alle V o r s t e l l u n g e n , die wir uns von etwas machen, nur Anschauungen von wirklich E n d l i c h e m seyn können: darin müssen wir HOBBES vollkommen beistimmen, wenngleich wir uns auch ein wirklich U n e n d l i c h e s recht wohl d e n k e n können, weil wir uns von diesem insofern einen g e i s t i g e n B e g r i f f bilden können, als wir sehr wohl einsehen und begreifen, dass es ein Etwas seyn müsse, dem durchaus g a r k e i n e G r ä n z e oder S c h r a n k e zukommen oder zugeschrieben werden kann. Denn die Worte D e n k e n oder G e d a n k e , insofern sie gemeinschaftlich ebensowohl auf ein äusserlichoberflächliches K e n n e n des äusserlich Gegebenen, wie auf eine jede eigentliche und wahre, auf tiefe innere Einsicht abzielende geistige E r k e n n t n i s s sich beziehen, schliessen, nach der einen Seite hin, ebensowohl das Vermögen eines geistigen V o r s t e l l e n s in sich ein, wie nach der anderen Seite hin das Vermögen des geistigen B e g r e i f e n s . Daher vermögen wir auch recht wohl uns von einem U n e n d l i c h e n einen richtigen B e g r i f f zu bilden, wenngleich wir nicht im Stande sind, uns eine eigentliche Vorstellung von ihm zu machen. Locke spricht über unseren Gegenstand sich folgendermassen aus: „Bei der Z a h l ist zu beobachten, dass sie dasjenige ist. was der Geist anwendet beim M e s s e n der Dinge, die durch uns.

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

m e s s b a r sind, welches hauptsächlich (räumliche) A u s b r e i t u n g und D a u e r sind. Unser Begriff (idea) vom U n e n d l i c h e n , hierauf angewendet, scheint nichts zu seyn als die U n e n d l i c h k e i t der Z a h l . Denn was sind unsere Begriffe von E w i g k e i t und U n e r m e s s l i c h k e i t anderes, als die wiederholten Z u s a m m e n r e c h n u n g e n (additions) gewisser Vorstellungen (ideas) von in unserem Geiste angenommenen (imagined) Theilen der Dauer oder Ausdehnung mit der U n e n d l i c h k e i t der Z a h l , bei der wir zu k e i n e m E n d e der Hinzufügungen (additions) kommen können. Denn mit einem so unerschöpflichen Yorrath versieht uns von allen unseren übrigen Vorstellungen die Zeit am k l a r s t e n . Denn mag man eine Anzahl (von Dingen), so g r o s s man sie auch annehmen mag, in eine e i n z i g e Summe vereinigen, so vermindert diese Menge, so gross sie seyn mag, nicht um ein Iota das Vermögen, zu ihr noch weiter hinzuzufügen, und bringt uns nicht irgend n ä h e r zu dem E n d e des unerschöpflichen Vorrathes der Zahl, wo noch ebensoviel hinzuzufügen bleibt, als wenn nichts weggenommen worden wäre. Diese e n d l i c h e H i n z u f ü g b a r k e i t (addibility) der Z a h l e n ist, denke ich, das, was uns die klarste und deutlichste Vorstellung (idea) der U n e n d l i c h k e i t (wie wir solche der geistigen Betrachtung der Welt und ihrer besonderen Einzeldinge verdanken) uns bietet. — Ein jeder, der eine Vorstellung (idea) von irgend einer festgestellten G r ö s s e des R a u m e s hat, z. B. von einem F u s s , findet, dass er diese Vorstellung w i e d e r h o l e n und sie zu dem früheren h i n z u f ü g e n d , dadurch die Vorstellung von zwei F u s s bilden kann, und sofort, ohne je zu einem Ende seiner Hinzufügungen zu gelangen. Ebenso die Vorstellung einer Meile, eines Erddurchmessers u. s. w. Denn welche von d i e s e n er nimmt und wie o f t sie verdoppelt oder sie irgendwie anders vervielfältigt: so findet er, dass er, wenn er die Verdoppelung in seinen Gedanken fortsetzt, so viel er Lust hat, doch k e i n e n Grund hat, einzuhalten, denn er ist um

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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kein Iota dem E n d e solcher Verdoppelung oder Hinzufügung (such addition) näher, als er bereits im ersten Ansatz gewesen. Sein V e r m ö g e n , seine V o r s t e l l u n g des R a u m e s zu erw e i t e r n , bleibt das nehmliche. Davon gewinnt er den Gedanken (idea) des u n e n d l i c h e n Raumes. — Die U n e n d l i c h k e i t der Z a h l e n , bei denen jeder wahrnimmt, dass es keine A n n ä h e r u n g zum E n d e ihrer Hinzufügung zu einander (addition) gibt, ist leicht augenscheinlich für einen jeden, der darüber nachdenkt (darauf reflectirt). So k l a r aber auch diese Vorstellung (idea) der Unendlichkeit der Zahl seyn mag (oder zu seyn scheint), so ist doch nichts e i n l e u c h t e n d e r als die U n g e r e i m t h e i t (absurdity) der wirklichen Vorstellung (actual idea) einer u n e n d l i c h e n Zahl. Was wir auch für festbestimmte (positive) Vorstellungen in unserem Geiste in Bezug auf R a u m , Dauer oder Z a h l haben mögen so sind sie doch, wie g r o s s wir sie auch d e n k e n mögen (in der Wirklichkeit) i m m e r endlich. Denn" — so fügt L O C K E hinzu — „eine wie weite Vorstellung des Raumes ich auch in meinem Geiste habe, so ist sie doch um n i c h t s w e i t e r , als sie in dem Augenblick i s t , in welchem ich sie h a b e . " Und wenn L O C K E dann noch weiter hinzusetzt: „Obwohl ich schon im nächsten Augenblick f ä h i g bin, sie (abermals) zu verdoppeln", und zwar mit dem ausdrücklichen Zusatz „und so f o r t ins U n e n d l i c h e (in infinitum)": so dürfen wir dies doch wohl keineswegs in dem Sinn auffassen, als ob L O C K E damit behaupten wollte, eine solche stetig fortgesetzte Verdoppelung oder sonstige Art von räumlicher Vergrösserung vermöchte auch in W i r k l i c h k e i t derartig bis ins Unendliche h i n e i n fortgesetzt zu werden, dass dadurch irgend ein in sich s e l b e r t h a t s ä c h l i c h U n e n d l i c h e s oder irgendwelche in sich b e s t e h e n d e w e s e n h a f t e U n e n d l i c h k e i t jemals thatsächlich könne e r r e i c h t oder zu einer natürlichen Darstellung gebracht werden. Im Gegentheil dürfen wir eben jenen Ausspruch L O C K E ' S , um ihn richtig zu verstehen, wohl

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

nur in dem Sinn auffassen, dass wir in unserem eigenen Denken den eigentlichen O r t , wo in der Naturwirklichkeit eine bestimmte G r ä n z e u n s e r e s W e l t a l l s sich nothwendig vorfinden muss, in Folge der natürlichen Beschränktheit sowohl unserer leiblichen Sinnesvermögen wie unseres geistigen Denk- und Vorstellungsvermögens nicht im Stande sind, irgendwie genauer anzugeben. Dass wir eine solche Auffassung in der That als richtig betrachten dürfen, geht wohl augenscheinlich aus dem Nachsatz hervor, welchen LOCKE selbst jenem oben erwähnten Ausspruch noch weiter hinzugefügt hat, und in welchem er ausdrücklich hervorhebt, dass „allein nur d a s j e n i g e (wahrhaft) u n e n d l i c h sey, dem g a r k e i n e G r ä n z e n z u k o m m e n (which has no bounds)", sowie von der anderen Seite nur dasjenige als der „wahre B e g r i f f eines wirklich U n e n d l i c h e n (the idea of infinity) seyn könne, „in welchem unser Denken (our thoughts) keine G r ä n z e n zu finden im Stande ist." Denn in der That können in einem in Wahrheit U n e n d l i c h e n w e d e r G r ä n z e n v o r k o m m e n , noch irgendwie von uns angenommen oder für unsere geistige Anschauung gefunden werden, weil durch eine jede derartige Annahme der B e g r i f f eines an sich U n e n d l i c h e n , als einen unbedingten Widerspruch gegen sich selber in sich einschliessend, sofort als ungereimt in sich selbst zerfallen müsste (LOCKE S. 3 3 0 — 3 3 6 . BAUMANN, Raum u. Zeit I . S. 4 1 3 . 4 1 4 . 4 1 6 . 4 2 0 . 4 2 1 ) . — Der Sache nach sagt denn auch Tiedemann in demselben Sinn: „Die Z a h l e n sind n i c h t an Anzahl u n e n d l i c h , so dass alle mögliche Zahlen sich wesenhaft verwirklicht vorfänden (in konkreto existirten) und irgendwo beisammen wären: das ist W i d e r s p r u c h . Sie sind (oder scheinen uns vielmehr) u n e n d l i c h dadurch, dass der Verstand immer mehr hinzuzudenken vermag" (TIEDEMANN, Geist d. spek. Philos. I I I . S. 4 6 4 . 465). Kant stellt in den einander entgegenstehenden Streitfragen (Antinomien) der reinen Vernunft als ersten Satz auf: „Die Welt hat einen A n f a n g in der Zeit, und ist auch dem

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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R a u m nach in G r ä n z e n eingeschlossen". In Bezug auf die in diesem Satz behauptete r ä u m l i c h e E n d l i c h k e i t d e r W e l t sagt er dann: „Nehme ich das G e g e n t h e i l an, so wird die Welt ein u n e n d l i c h e s g e g e b e n e s G a n z e s von zugleich bestehenden (existirenden) Dingen seyn. Nun können wir die G r ö s s e einer Menge (eines Quanti), welche n i c h t innerhalb gewisser G r ä n z e n jeder Anschauung gegeben wird, auf keine andere Art, als nur durch die Z u s a m m e n f a s s u n g (Synthesis) der T h e i l e , und die G e s a m m t h e i t einer solchen Grösse (die Totalität eines solchen Quanti) nur durch die v o l l e n d e t e Z u s a m m e n f a s s u n g (Synthesis) oder durch w i e d e r h o l t e H i n z u s e t z u n g der E i n h e i t zu sich s e l b s t gedenken. Demnach, um sich die Welt, die alle Räume e r f ü l l t , als ein G a n z e s zu denken, müsste die nacheinander erfolgende Zusammenfassung (successive Synthesis) der Theile einer une n d l i c h e n Welt als v o l l e n d e t angesehen, die eine u n e n d l i c h e Z e i t müsste in der D u r c h z ä h l u n g aller gemeinsam vorhandenen (coexistirenden) Dinge als a b g e l a u f e n angesehen werden, welches u n m ö g l i c h ist. Demnach kann auch eine u n e n d l i c h e S u m m e (Aggregat) w i r k l i c h e r D i n g e n i c h t als ein gegebenes Ganzes, mithin auch n i c h t als z u g l e i c h gegeben angesehen werden. Die Welt ist also der A u s d e h n u n g im R a u m nach n i c h t u n e n d l i c h , sondern in i h r e n Gränzen eingeschlossen." Zu diesem Satz macht K A N T weiterhin noch die Bemerkung, „dass wir, um die G e s a m m t h e i t einer u n e n d l i c h e n Menge zu denken, da wir uns nicht auf Gränzen berufen können, welche diese Gesammtheit (Totalität) von selbst in der Anschauung ausmachen, von unserem Begriff Rechenschaft geben müssen, der in solchem Fall n i c h t von dem G a n z e n zu der bestimmten Menge der Theile gehen kann, sondern die Möglichkeit eines Ganzen durch die n a c h e i n a n d e r e r f o l g e n d e Z u s a m m e n f a s s u n g (successive Synthesis) der Theile darthun muss. Da diese Zusammenfassung (Synthesis) nun eine nie zu v o l l e n d e n d e

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

R e i h e ausmachen müsste, so kann man sich n i c h t vor i h r , und mithin auch n i c h t d u r c h sie eine G e s a m m t h e i t (Totalität in der Bedeutung einer wirklich vollendeten unendlichen Grösse) denken. Denn der Begriff der Gesammtheit (Totalität) selbst ist in diesem Fall die Vorstellung einer v o l l e n d e t e n Zusammenfassung (Synthesis) der (d. h. aller) Theile, und diese V o l l e n d u n g , und mithin auch der B e g r i f f derselben, ist unmöglich." So sagt auch KANT an einem anderen Ort noch ganz ausdrücklich in Bezug auf die Frage wegen der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer angeblich u n e n d l i c h e n Z a h l ; „Wenn der Satz, »die Welt ist an sich u n e n d l i c h « , so viel bedeuten soll, dass sie g r ö s s e r , ist als a l l e Z a h l in Vergleichung mit einem gegebenen Maass: so ist der Satz f a l s c h . Denn eine u n e n d l i c h e Z a h l ist ein W i d e r s p r u c h " . Und weiterhin: „Der Begriff einer g r ö s s t e n e n d l i c h e n Z a h l ist ein allgemeiner (abstrakter) Begriff der Vielheit schlechthin, welche e n d l i c h ist, zu welcher aber gleichwohl m e h r h i n z u g e d a c h t werden kann, ohne dass sie aber deshalb a u f h ö r t , e n d l i c h zu seyn; in welcher also die E n d l i c h k e i t der G r ö s s e k e i n e b e s t i m m t e n , sondern nur a l l g e m e i n e S c h r a n k e n setzt, weswegen k e i n e r von solchen Zahlen das Zeugniss (Prädikat) der g r ö s s t e n zukommen kann. Denn man mag eine bestimmte Menge denken, wie man will, so kann diese eine jede endliche Zahl, ohne N a c h t h e i l der E n d l i c h k e i t , durch Hinzuthun v e r m e h r e n " (KANT II. S. 344. 346. 350. III. S. 451. VI. S. 7). — Mit Bezug auf diesen Gedankengang von Seiten KANT'S macht S c h e l l i n g darauf aufmerksam, dass KANT den Satz, der die Welt als eine in G r ä n z e n e i n g e s c h l o s s e n e behauptet, als e r s t e n H a u p t Satz (Thesis) aufstellt, den entgegengesetzten, welcher deren gränzenlose Ausdehnung annimmt, dagegen erst in zweiter Linie, d. h. nur als Satz des AViderspruchs (Antithesis) behandelt (SCHELLING X. S. 340). — „Eine Z a h l von endl i c h e n Dingen" — sagt ReimariiS — „die w i r k l i c h sind,

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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kann n i c h t unendlich seyn, und folglich k e i n u n e n d l i c h e s G a n z e s ausmachen, weil noch immer eine g r ö s s e r e Z a h l a l s d i e w i r k l i c h e g e d a c h t werden kann. Gesetzt, dass auch die Zahl der wirklichen Dinge a l l e s M ö g l i c h e befasste: so muss doch die Z a h l d e r e n d l i c h e n m ö g l i c h e n D i n g e ebenfalls e n d l i c h , e i n g e s c h r ä n k t und e r s c h ö p f l i c h seyn. W e n n also in der Welt auch alle möglichen Dinge w i r k l i c h wären, so würde doch ihre A n z a h l b e s t i m m t und e n d l i c h seyn. Wie kann also die W e l t , als eine b e s t i m m t e A n z a h l von lauter endlichen möglichen Dingen und Naturkräften, ein u n e n d l i c h e s G a n z e s ausmachen? W a s ist also klarer und deutlicher, als der B e g r i f f von Z a h l e n und von Z ä h l b a r e m , dass k e i n e s derselben u n v e r g r ö s s e r l i c h und also u n e n d l i c h seyn könne?" (REIMAKUS, Nattirl. Religion. S. 219. 682). —• In ganz demselben Sinn sagt Baader, dass , ; jede A n z a h l (collection) von E n d l i c h e n " darum noch „ k e i n e U n e n d l i c h k e i t ergebe" (BAADER X I V . S. 211). — Und ebenso spricht auch S c h ö l l i n g sich dahin aus, dass der Begriif einer u n e n d l i c h e n Z a h l „nothwendig ein sich w i d e r s p r e c h e n d e r Begriff ist. Denn die w i r k l i c h e (aktuelle) Unendlichkeit," fügt er hinzu, „ist n i c h t eine solche, der nur eine u n e n d l i c h e , sondern der überall k e i n e Z a h l vollständig entsprechend (adäquat) ist, die also ü b e r a l l e r Z a h l ist" (SCHELLING VI. S. 273). — Auch Dalton sagt in Bezug auf die luftförmigen K ö r p e r , dass, wenn irgend ein b e s t i m m t e r R a u m von Luftarten erfüllt ist, man überzeugt seyn dürfe, dass die Z a h l ihrer einzelnen T h e i l c h e n , mögen dieselben auch noch so klein seyn, eine ebenso e n d l i c h e Zahl darstellen müsse, wie auch in einem jeden Theil des Weltalls die Zahl der in ihm enthaltenen Sterne k e i n e u n e n d l i c h e seyn könne (SMITH, Memoir. of DALTON. S. 233). — „Der Materialismus" — sagt Franz H o f f m a n n — „schlägt sich mit begrifflichen Vorstellungen herum. I h m ist nichts g e w i s s e r als eine anfangsund endlose Zeit, ein e n d l o s e r R a u m und eine unbedingt

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

u n e n d l i c h e Z a h l stofflich-körperlicher Einzeldinge (der Atome). Als ob diese s c h l e c h t e n U n e n d l i c h k e i t e n , um mit HEGEL zu reden, sich nicht selbst widersprächen" ( F B . HOFFMANN, Widerlegung der absoluten u. bedingten Atomist. S. 22. HETTINGER,

Apolog. I.

S. 170).



Ahnlich

Hettinger:

„Es

wird" — sagt er — „eine u n e n d l i c h e Z a h l von Urgründen, von Atomen, angenommen; aber eine u n e n d l i c h e Zahl ist undenkbar, ist eine U n m ö g l i c h k e i t ; denn jede Zahl als solche kann g e m e h r t werden, und jeder S u m m e kann noch eine neue Einheit hinzugefügt werden (wenigstens in Gedanken). Was aber g e m e h r t werden kann, ist n i c h t u n e n d l i c h ; sonst könnte das U n e n d l i c h e i m m e r n o c h u n e n d licher werden. Die Atome können daher höchstens als eine (wenn auch der Zahl nach uns unbekannte) V i e l h e i t angenommen werden, als eine Vielheit aber, die immer nur in (irgend) einer b e s t i m m t e n Z a h l vorhanden ist." — Kirschmann äussert sich in Bezug auf den gleichen Gegenstand folgendermassen: „Die Nothwendigkeit, Eaum und Zeit ohne E n d e und ohne A n f a n g vorzustellen, ist nur Folge davon, dass uns in unserem Vorstellen die Vorstellung eben dieser G r a n z e n fehlt. Da wir solche nicht fassen können, da wir sie weder wahrnehmen noch erdichten können, so muss natürlich f ü r u n s Raum und Zeit o h n e E n d e seyn, sowohl nach der Grösse als nach der Kleinheit. Aber beides entspringt doch n u r aus dem Umstände, dass w i r M e n s c h e n keine Gränze w a h r g e n o m m e n haben: der S c h l u s s aber, dass desshalb auch k e i n e b e s t e h e , ist u n g e r e c h t f e r t i g t . Die Wahrnehmung gibt uns nur E n d l i c h e s : das unendlich Grosse aber, wie das unendlich Kleine ist unerreichbar" (KIRSCHMANN, Unsterblichkeit. S. 36. 37). — „Die N a t u r des A t o m i s t e n " — sagt Drossbach — „ist kein wirkliches, kein in sich bestehendes (substanzielles) Wesen, sondern ein B e g r i f f , der diejenigen Dinge in Ein Wort z u s a m m e n f a s s t , welche (durch ihre Gesammtheit) d i e W e l t a u s m a c h e n . Es gibt daher

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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(nach der Anschauung der Atomisten) keine Welt an sich, sondern nur (einzelne) Wesen, und diese Wesen bilden erst die Welt. Die atomistischen Wesen sind somit das Wirkende, sind die U r s a c h e n d e r W e l t ; die W e l t hingegen ist das (durch sie) B e w i r k t e , ist nur die Summe, Ordnung und Gesammtgrösse (die Form) derselben. Die Dinge also sind nicht etwa, weil die Welt ist, sondern die W e l t ist, w e i l d i e D i n g e sind. Und so wird also die grossartige Erscheinung der g a n z e n W e l t durch diese Wesen gebildet, und ihre Staunen erregende (imponirende) Grösse und Macht nur durch die (angeblich) u n e n d l i c h e Z a h l dieser Wesen hervorgebracht." Und an einem anderen Ort: „Das U n e n d l i c h e ist dasjenige, was das E n d e , die Gränze a u s s c h l i e s s t : es ist das gerade G e g e n t h e i l d e s Endlichen. E s enthält die V e r n e i n u n g (Negation) einer Eigenschaft (oder vielmehr E i g e n t ü m l i c h k e i t ) , welche das E n d l i c h e besitzt. So ist das u n e n d l i c h K l e i n e das Kleine, welches k e i n E n d e , k e i n e G r ä n z e besitzt (d. i. der raumund grössenlose Punkt), während das e n d l i c h K l e i n e oder e n d l i c h K l e i n s t e (d. i. das in sich untheilbare letzte Körpertheil, das Atom) ein E n d e , eine G r ä n z e , hat. Hieraus geht hervor, dass nur m e s s b a r e (also nur wirklich e n d l i c h e ) Grössen durch V e r m e h r u n g oder V e r m i n d e r u n g (ihrer Anzahl) Grosses und Kleines (oder G r ö s s e r e s und K l e i n e r e s ) hervorbringen, n i e aber unmessbare (oder vielmehr u n e n d l i c h e ) " (DROSSBACH, Genes, d. Bewusstseins. S. 266—268. Harmonie d. Ergebn. d. Naturforsch. S. 53. 54). — So sagt auch Huber: „Ob es u n e n d l i c h v i e l e Dinge gibt, wissen wir nicht. Die strenge (positive) Wissenschaft neigt wenigstens bezüglich der H i m m e l s k ö r p e r , zu der Ansicht einer e n d l i c h e n Z a h l derselben, welche die Folge auch der E n d l i c h k e i t der Materie (oder vielmehr der stofflich-körperlichen Dinge in ihrer Gesammtheit) in sich zu schliessen scheint. E s äussert z. B. KLEIN (Handbuch der allgem. Himmelsbeschreibung I I . S. 7): „Auf dem Gebiete der beobachtenden Himmelskunde

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

(Astronomie) zwingt k e i n e e i n z i g e T h a t s a c h e zur Annahme einer u n e n d l i c h e n M e n g e , vielmehr verlangt die Ubereinstimmung und Gleichmässigkeit (die Harmonie) der himmlischen Bewegungen weit e h e r eine b e g r ä n z t e , wenn auch immer u n f a s s b a r g r o s s e Menge von Himmelskörpern." In der That aber bedeutet U n e n d l i c h k e i t für unser Erkennen doch nichts anderes als U n f a s s l i c h k e i t und U n b e r e c h e n b a r k e i t , so dass dort, wo das U n e n d l i c h e behauptet (statuirt) wird, nur die G r ä n z e oder das A u f h ö r e n der (auf die Erforschung des sinnlich Gegebenen gerichteten) Wissenschaft ausgesprochen wird. Mit u n e n d l i c h e n W e i t e n des Raumes vermag die Raum- und Grössenlehre (Mathematik) n i c h t s anzufangen. Eine neueste Richtung eben dieser Wissenschaft (der Mathematik) hat, von GAUSS angeregt, die U n e n d l i c h k e i t des R a u m e s im gegenständlichen (objectiven) Sinn geradezu in F r a g e gestellt" (HUBEE, Forschung n. d. Materie. S. 31. 32. 40). — Und endlich spricht auch S t e n t r u p über diese Frage sich eingehend folgendermassen aus: ,,Eine u n e n d l i c h e Vielh e i t w i r k l i c h e r D i n g e " — sagt er — „mögen sie nun ein gleichzeitiges oder ein aufeinanderfolgendes Daseyn haben, ist u n m ö g l i c h . Dieser Satz ist es, von welchem die ganze Kraft des Beweises abhängt, und den wir somit einer eingehenden und, so viel geschehen kann, allseitigen Prüfung unterziehen müssen. Man unterscheidet von jeher ein z w e i f a c h e s U n e n d l i c h e s , nehmlich das U n e n d l i c h e d e r W i r k l i c h k e i t nach und das U n e n d l i c h e d e r b l o s s e n M ö g l i c h k e i t (Potenz) nach. Diese Letztere ist nichts Anderes als eine Vielh e i t , die zwar, inwieferne sie w i r k l i c h ist, immer e n d l i c h und b e s c h r ä n k t ist, die jedoch durch s t e t i g e Z u n a h m e i h r e G r ä n z e n w e i t e r u n d w e i t e r h i n a u s s c h i e b t , ohne je auf einen Punkt zu stossen, mit dem die M ö g l i c h k e i t zu fernerem Fortschreiten erschöpft wäre. Wir glauben den Satz aussprechen zu dürfen, dass eine d e r W i r k l i c h k e i t n a c h u n e n d l i c h e (kategorematisch-unendliche) Z a h l einen offen-

Irrthiimlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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baren W i d e r s p r u c h enthält. Denn da jede Zahl ihrem Begriff nach der u n m i t t e l b a r v o r h e r g e h e n d e n + 1 gleicht, so müsste auch die u n e n d l i c h e Z a h l der der u n m i t t e l b a r v o r h e r g e h e n d e n + 1 gleich seyn. Nun kann aber diese u n m i t t e l b a r v o r h e r g e h e n d e Z a h l n i c h t u n e n d l i c h seyn, nicht allein weil sie der Voraussetzung gemäss e r s t zur une n d l i c h e n werden soll, sondern auch, weil überhaupt nur eine einzige Z a h l u n e n d l i c h seyn kann. Die u n e n d l i c h e Z a h l würde also einer e n d l i c h e n Z a h l + 1 gleichen, und nur d u r c h eine E i n h e i t sich von einer e n d l i c h e n Z a h l unterscheiden. Ist dies aber nicht u n g e r e i m t ? Zum nehmlichen Schluss gelangen wir durch eine andere Erwägung. Die u n e n d l i c h e Z a h l muss nicht weniger eine u n e n d l i c h e Summe von Z e h n e r n (Decaden) und Vielheiten von Z e h n e r n (Multiplen von Decaden) seyn, als sie eine u n e n d l i c h e Summe von E i n h e i t e n ist. Denn wo die Summe der Zehner und ihrer Vielheiten endlich ist: da kann auch die Summe ihrer Einheiten nur e n d l i c h seyn. Wer sieht nun aber nicht in einer Zahl, die z u g l e i c h eine u n e n d l i c h e Summe von E i n h e i t e n und eine u n e n d l i c h e S u m m e von Z e h n e r n und ihren V e r v i e l f ä l t i g u n g e n ist, eine g a n z e E e i h e von W i d e r s p r ü c h e n ? Machen wir wenigstens einen oder den anderen derselben namhaft. Die unendliche Summe der Zehner und ihrer Vielfachen ist entweder gleich der unendlichen Summe von Einheiten, oder sie ist u n g l e i c h . Ungleich kann sie ihr offenbar n i c h t seyn, da nicht nur beide Summen d e r s e l b e n u n e n d l i c h e n Z a h l g l e i c h e n , sondern auch b e i d e u n e n d l i c h sind, und u n e n d l i c h e S u m m e n sich gleich seyn müssen. Es muss folglich die unendliche Summe der Zehner und i h r e r V i e l f a c h e n als gleich der unendlichen Summe von E i n h e i t e n angenommen werden. Diese Annahme aber steht und fällt mit der Behauptung, dass der Zehner und jede seiner Vervielfältigungen der E i n h e i t gleiche. Ferner: da die Z e h n e r , welche in der u n e n d l i c h e n Z a h l Waudersmann. III.

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enthalten sind, nothwendig u n e n d l i c h sind, so ist es möglich, jeden Zehner um eine E i n h e i t zu v e r m i n d e r n , ohne dass die Zahl aufhöre u n e n d l i c h zu seyn. Nun ist aber die auf solche Weise gewonnene Summe von Einheiten, weil sie die Darstellung der in der unendlichen Zahl eingeschlossenen Summe von Zehnern ist, nothwendig u n e n d l i c h . Wir können also aus einer u n e n d l i c h e n Z a h l durch A b s t r a c t i o n eine u n e n d l i c h e Z a h l , d. h. eine Zahl, die jener gleich ist, gewinnen, und es bleibt nicht nur ein R e s t , sondern sogar ein R e s t , der selbst wieder u n e n d l i c h e Z a h l ist. Das ist doch wohl ein W i d e r s p r u c h , dem man die Bezeichnung der Unl ö s b a r k e i t nicht streitig machen kann. Der u n b e d i n g t e n u n d e i g e n t l i c h e n (kategorematischen) U n e n d l i c h k e i t ist es wesentlich, n i c h t v e r m e h r t und n i c h t v e r m i n d e r t werden zu können. Der Z a h l hingegen ist es wesentlich, durch Hinzufügen und Vervielfältigen v e r m e h r t und v e r g r ö s s e r t werden zu können. Es besteht also zwischen der u n b e d i n g t e n (kategorematischen) U n e n d l i c h k e i t und der Z a h l ein w e s e n t l i c h e r W i d e r s p r u c h , d. h. es ist u n m ö g l i c h , dass eine Z a h l im wahren Sinn des Wortes u n e n d l i c h sey. Da also die u n e n d l i c h e Z a h l u n m ö g l i c h ist, muss auch die thatsächlich u n e n d l i c h e V i e l h e i t w i r k l i c h e r D i n g e für u n m ö g l i c h gehalten werden. Und ebensowenig also, als das U n e n d l i c h e durch das E n d l i c h e jemals e r s c h ö p f t werden kann, vermag das U n e n d l i c h e aus der M e h r u n g des Endlichen h e r v o r z u g e h e n " (STENTBUP, Weltansch. S. 27. 31. 45). — Aus allen diesen angeführten Darlegungen geht als gemeinsames Schlussergebniss hervor, dass die Annahme sowohl einer e i n z i g e n an sich u n e n d l i c h e n Z a h l wie auch diejenige einer u n e n d l i c h e n R e i h e von E i n z e l z a h l e n nur als ein aus einer ersten irrthümlichen Grundanschauung hervorgegangener, sehr bedauerlicher T r u g s c h l u s s kann betrachtet werden, durch welchen der menschliche Geist sozusagen sein

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Irrthümliclikeit und Unhaltbarkeit etc.

eigenes vernunftgemässes Denken b e s t i c h t und auf diesem Wege also gewissermassen sich selber h i n t e r g e h t . Denn wäre nicht jene angeblich in sich s e l b s t u n e n d l i c h e Z a h l , jene Zahl also, die alle nur irgendwie d e n k b a r möglichen Z a h l e n gemeinsam und einheitlich in sich e i n s c h l i e s s e n soll, jenem in früheren Zeiten vielfach geträumten und vielfach gesuchten räthselhaften G r u n d s t o f f zu vergleichen, der ebenfalls einheitlich alle die mannigfachen s t o f f l i c h e n E i g e n s c h a f t e n ausnahmslos in sich einschliessen sollte, die in der thatsächlichen N a t u r w i r k l i c h k e i t erfahrungsgemäss nur u n t e r s ä m m t l i c h e uns bekannten b e s o n d e r e n S t o f f a r t e n sich vertheilt finden? Als ebenso n a t ü r l i c h u n m ö g l i c h , als solch ein allgemeiner einheitlicher G r u n d s t o f f sich unserm Denken gegenüber darstellen muss: als ganz ebenso natur- wie vernunftgemäss u n m ö g l i c h muss auch jene geträumte einheitlich in sich u n e n d l i c h e Z a h l sich erweisen. Und nicht besser ergeht es in dieser Hinsicht auch den als ebenso u n e n d l i c h angenommenen Z a h l e n r e i h e n . Denn muss nicht in der That eine Z ä h l u n g von E i n z e l h e i t e n , die in aller Ewigkeit nie zu einem wirklichen A b s c h l u s s und E n d e g e l a n g e n soll, als völlig g l e i c h b e d e u t e n d zu betrachten seyn mit einer ewig u n a u s f ü h r b a r e n , d. h. mit einer an sich und in sich rein u n m ö g l i c h e n A r b e i t ? Denn was stellt im Grunde der Begriff einer u n e n d l i c h e n Z a h l e n r e i h e für das Auge des Geistes dar? Ein Z ä h l b a r e s , das nie v o l l g ü l t i g gezählt kann werden: also ein eigentlich u n z ä h l b a r e s Z ä h l b a r e s . Ist dies aber nicht der reinste Widerspruch? Sind, wie in dem gegenwärtigen Fall, z w i n g e n d e Y e r n u n f t g r ü n d e dafür vorhanden, eine b e s c h r ä n k t e A n z a h l jener in sich untheilbaren und jedenfalls in räumlich-körperlicher Hinsicht selber endl i c h e n und b e s c h r ä n k t e n Einzeldinge dieser Welt als eine unumstösslich feststehende V e r n u n f t - wie N a t u r n o t w e n d i g k e i t anzuerkennen: so versteht es sich von selbst, dass auch die G e s a m m t z a h l aller in unserer Welt thatsächlich vor16*

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

handenen derartigen Einzeldinge und Einzelwesen ebenfalls nur als eine thatsächlich e n d l i c h e und b e s c h r ä n k t e sich darstellen kann. Ist aber diese G e s a m m t h e i t der Z a h l nach eine an sich e n d l i c h e und beschränkte: so muss diese selbe Gesammtheit auch ihrer G e s a m m t g r ö s s e und G e s a m m t a u s d e h n u n g nach ebensowohl als eine e n d l i c h e und bes c h r ä n k t e von uns anerkannt werden. Und wie daher nicht bloss in unseren Gedanken, sondern, wenn wir die natürliche leibliche Fähigkeit und die erforderlichen künstlichen Hülfsmittel dazu besässen, auch selbst in der vorhandenen Naturwirklichkeit das gesammte W e l t a l l sich thatsächlich müsste a u s m e s s e n lassen: ganz ebenso müsste auch die dem Umfang dieser räumlichen Grösse desselben entsprechende G e s a m m t z a h l der in dem gemeinsamen Weltganzen eingeschlossenen Einzeldinge und Einzelwesen sich wirklich bis zum l e t z t e n E i n z e l g l i e d der durch diese Gesammtzahl gebildeten Eeihe .vollgültig d u r c h - und a u s z ä h l e n lassen. Ist diese G r ä n z e aber in Wirklichkeit e r r e i c h t : dann kann von einem noch w e i t e r e n Messen oder noch weitergehenden Z ä h l e n in keiner Weise mehr die Rede seyn. Alles Messen und alles Zählen hat hier sein E n d e . D e n n j e n s e i t s der G r ä n z e des n a t ü r l i c h M e s s b a r e n hört auch das Messen auf, wie j e n s e i t s der G r ä n z e des natürlich Z ä h l b a r e n das Z ä h l e n , mögen wir in unseren Gedanken uns auch noch sosehr die Möglichkeit eines Gegentheiles einbilden. Diese bisherigen Betrachtungen hinsichtlich der U n m ö g l i c h k e i t einer u n e n d l i c h e n Z a h l oder u n e n d l i c h e n Z a h l e n r e i h e haben uns gleichzeitig bereits auf eine weitere Annahme vorbereitet, durch welche man ebenfalls vielfach geglaubt hat und auch noch glaubt, die Möglichkeit einer r ä u m l i c h e n U n e n d l i c h k e i t unseres gesammten Weltgebäudes darthun zu können. Es ist dies die ziemlich weit verbreitete Meinung, dass durch eine f o r t w ä h r e n d e V e r g r ö s s e r u n g einer jeden beliebigen räumlich-körperlichen Ausdehnung ü b e r d e r e n g e g e n -

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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w ä r t i g e s n a t ü r l i c h e s M a a s s h i n a u s diese anfänglich thatsächlich e n d l i c h e und b e g r ä n z t e Ausdehnung zu einer u n e n d l i c h e n und u n b e g r ä n z t e n werden müsse. Lehrt uns doch die wissenschaftliche Beobachtung und Erfahrung, dass körperliche Stoffe in ihrem luftförmigen Zustand unter der Mitwirkung bedeutender Wärmegrade einen weit g r ö s s e r e n R a u m thatsächlich einnehmen, als solches bei den nehmlichen Stoffen in ihrem festen Zustand der Fall ist. Und hierzu kommt noch der weitere Umstand, dass wir uns ganz ausser Stand fühlen, auch nur annähernd irgend eine Gränze anzugeben, wo eine derartige räumliche Ausdehnung oder Ausweitung ihr natürliches Ende erreichen könnte, namentlich wenn ausserdem möglicher Weise auch noch ein jeder natürliche Gegendruck von aussen völlig aufhören sollte. Darf es uns wundern, wenn man vielfach sich dem Gedanken hingibt, eben diese Verhältnisse und Thatsachen als angebliche Erfahrungsbeweise benutzen zu können für eine wirkliche räumliche U n e n d l i c h k e i t auch unseres g e m e i n s a m e n W e l t g a n z e n ? So v e r f e h l t und t r ü g e r i s c h aber bereits jener vermeintliche Beweis auf dem Wege angeblich u n e n d l i c h e r Z a h l e n r e i h e n sich ergeben hat: als ganz ebenso v e r f e h l t und t r ü g e r i s c h muss er nothwendig auch auf dem Wege einer fortgesetzten r ä u m l i c h k ö r p e r l i c h e n Y e r g r ö s s e r u n g oder U m f a n g s e r w e i t e r u n g sich darstellen. Denn wir sind gar nicht im Stande, irgend welche Grössen Veränderungen anders mit einander zu vergleichen und näher zu bestimmen, als durch Messen mittelst irgend eines bestimmten räumlich-körperlichen M a a s s es. Ein jedes Messen ist aber unmöglich ohne ein thatsächliches Z ä h l e n der einzelnen Wiederholungen der zu Grunde gelegten M a a s s e i n h e i t , und daraus folgt, dass alles dasjenige, was in Bezug auf die angebliche u n e n d l i c h e E e i h e von Z a h l e n seine unleugbare Geltung hatte, auch ebenso unleugbar diese seine Geltung behaupten muss in Bezug auf die Annahme eines unendlichen r ä u m l i c h e n W a c h s t h u m s oder einer u n e n d l i c h e n

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

r ä u m l i c h e n G r ö s s e n s t e i g e r u n g , sollte dieselbe auch nicht in Wirklichkeit, sondern nur in unseren Gedanken sich vollziehen. So wenig U n e n d l i c h e s d u r c h E n d l i c h e s zu m e s s e n ist: so wenig vermag E n d l i c h e s i n s U n e n d l i c h e zu w a c h s e n : Das eine beruht auf ebenso trügerischen Voraussetzungen wie das andere, und in dem einen Fall werden die Verhältnisse der thatsächlichen Naturwirklichkeit wie die begrifflichen Unterschiede von Endlich und Unendlich ebensosehr verkannt, wie im anderen. Bereits A r i s t o t e l e s hat an sich die Frage gerichtet, in welchen Fällen und in welchen Bedeutungen demnach im Allgemeinen von einem U n b e g r ä n z t e n und also auch U n e n d l i c h e n gesprochen zu werden pflege? Und er beantwortet diese Frage dahin, dass dies in allen den Fällen zu geschehen pflege, in welchen etwas u n m ö g l i c h zu E n d e g e b r a c h t werden könne, oder nicht zu einem e n d g ü l t i g e n A b s c h l u s s zu gelangen vermöge, indem er sich dabei wörtlich des Ausdrucks bedient, „dasjenige, was ein nicht zum Abschluss gelangendes Ende hat oder was k a u m oder n u r z u r N o t h ein solches hat." Beide Begriffsbestimmungen stehen demnach in vollem Einklang mit dem, was vorstehend in Bezug auf die angeblich unendlichen Z a h l e n r e i h e n und über die Möglichkeit eines unendlichen W a c h s t h u m s gesagt ist. Und an einem weiteren Ort sagt A r i s t o t e l e s : „Das Verhalten in Folge eines H i n z u s e t z e n s (oder Vergrösserns) ist gewissermassen das Nehmliche wie dasjenige in Folge des T h e i l e n s . Denn bei dem B e g r ä n z t e n entsteht in Folge eines H i n z u s e t z e n s , nur in umgekehrter Ordnung, das Nehmliche, wie wenn etwas ins Unbegränzte g e t h e i l t werden soll." Dies heisst mit anderen Worten: so u n m ö g l i c h es ist, selbst bei einem noch so langen T h e i l e n einer bestimmten Grösse jemals bis zum v ö l l i g r a u m l o s e n P u n k t , als dem auch selbst in Gedanken nicht mehr Theilbaren, zu gelangen: ehenso u n m ö g l i c h ist es auch von der anderen Seite, durch noch so lange fortgesetztes V e r -

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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g r ö s s e r n von irgend etwas r ä u m l i c h B e g r ä n z t e m zu einem thatsächlich U n b e g r a n z t e n als einem in sich ebenfalls thatsächlich u n t h e i l b a r e n U n e n d l i c h e n zu gelangen. Daher fügt denn ARISTOTELES dem obigen Ausspruch auch sogleich noch weiter hinzu, dass „es in Folge eines H i n z u s e t z e n s selbst nicht der M ö g l i c h k e i t (Potenz) nach ein U n b e g r ä n z t e s gebe, weil in solchem Fall d a s Z u n e h m e n ü b e r d a s (natürliche) M a a s s h i n a u s u n d i n s U n e n d l i c h e zu gehen s c h e i n e . " Dieser gewiss vollkommen richtigen und in jeder Hinsicht von ihm wohlbegründeten Anschauung entsprechend, fügt denn ARISTOTELES weiterhin auch noch den sehr beachtungswerthen Ausspruch hinzu: „Als w o h l b e g r ü n d e t ergibt sich demnach, dass das in Folge von H i n z u s e t z e n (oder Vergrössern) U n b e g r ä n z t e n i c h t von d e r A r t zu s e y n s c h e i n t , dass es (in Wirklichkeit) ü b e r a l l e G r ö s s e h i n a u s g e h t ; " woraus e r denn weiter den ebenso folgerichtigen Schluss zieht, dass es „in der Richtung z u m G r ö s s e r e n h i n k e i n e u n b e g r ä n z t e G r ö s s e gibt", und, so fügen wir hinzu, nicht geben kann. Zwar „lässt sich in der Richtung zu dem Mehreren (und Grösseren) das D e n k e n " — bemerkt ARISTOTELES — „immer noch f o r t s e t z e n , sodass also das U n b e g r ä n z t e der M ö g l i c h k e i t (Potenz) nach wohl ist (oder zu seyn scheint), in d e r T h a t (dem Actus nach) a b e r n i e e r r e i c h t wird." Denn da. es „in der Richtung zum Grösseren" nach ARISTOTELES „kein Unbegränztes gibt" und es also auch „ k e i n e unbegränzte sinnlich wahrnehmbare Grösse geben kann: so ist es auch nicht möglich, dass es ein H i n a u s g e h e n ü b e r a l l e b e s t i m m t e G r ö s s e gebe." Ausserdem bezieht sich ARISTOTELES zum Schluss dieser seiner Darlegungen auch ausdrücklich noch auf das Zeugniss der Raum-, Grössen- und Zahlenlehre, indem diese bekanntlich des Begriffes des U n b e g r ä n z t e n oder U n e n d l i c h e n nur in dem Sinn eines u n b e s t i m m t wie G r o s s e n sich bedient, so dass er eintritt, falls man jeden Augenblick an die Stelle eben dieses unbestimmt wie Grossen oder U n -

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

endlichen eine wirkliche Zahl von jeder beliebigen Grösse treten lassen kann (AEISTOTELES, Phys. S. 121. 135. 137. 141. 143. 145). — In eben diesem Sinn sprechen denn auch die meisten Denker des Mittelalters sich aus. So sagt z. B. N i c o l a u S V. C u s a : „Da ein H i n a u f s t e i g e n zum schlechthin G r ö s s t e n wie Hinabsteigen zum Kleinsten u n m ö g l i c h ist, weil sonst ein u n e n d l i c h e s A u f - u n d A b s t e i g e n entstände, so lässt sich bei jedem gegebenen e n d l i c h e n Ding immer noch ein grösseres oder kleineres geben (oder denken). Denn da jeder T h e i l des U n e n d l i c h e n (ebenfalls) u n e n d l i c h ist, so schliesst es einen Widerspruch in sich ein, dass sich ein Mehr oder W e n i g e r da finden sollte, wo man zum Unendlichen gelangt, da ein Mehr oder Weniger dem Unendlichen n i c h t zukommen und auch kein Verhältniss zu demselben haben kann. Denn in der u n e n d l i c h e n Z a h l wäre zwei n i c h t w e n i g e r (sondern e b e n s o v i e l ) wie hundert" (SCHAEHF, Nie. v. CUSA. S. 36). — D e s c a r t e s , indem er die EYage aufwirft, „ob die u n e n d l i c h e Z a h l eine g e r a d e oder eine u n g e r a d e Zahl sey", weist eben hierdurch auf die natürliche wie begriffliche U n g e r e i m t h e i t einer jeden angeblich unendlichen Zahl oder Anzahl hin. Aber ebenso gedenkt er ausserdem auch noch ausdrücklich der weiteren Ungereimtheit, in welche das Denken durch die Annahme einer u n e n d l i c h e n Z a h l oder u n e n d l i c h e n G r ö s s e nothwendig auch in anderer Hinsicht gerathen muss. „Du sagtest" — so heisst es nach BAUMANN in Epp. II. S. 104 — „wenn es eine u n e n d l i c h e L i n i e gebe, so werde sie eine unendliche Zahl F u s s und K l a f t e r (perticae) haben, und demnach wird eine u n e n d l i c h e Z a h l der F u s s e 6 mal g r ö s s e r seyn, als die (gleichfalls u n e n d l i c h e ) Z a h l d e r K l a f t e r . Aber E i n U n e n d l i c h e s k a n n n i c h t g r ö s s e r seyn als ein a n d e r e s . Die Vervielfältigung (Multiplication) mit 6 betrifft hier ein e n d l i c h e s V e r h ä l t n i s s , was das U n e n d l i c h e (als solches) n i c h t s angeht." Daher

Irrthümlickkeit und Unhaltbarkeit etc.

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sagt auch DESCASTES an einem anderen Ort: „Das U n e n d liche, insofern es u n e n d l i c h ist, wird zwar in keiner Weise (vollständig von uns Menschen) b e g r i f f e n , wird aber nicht destoweniger e i n g e s e h e n , sofern wir nehmlich klar und deutlich einsehen, es sey etwas so b e s c h a f f e n , dass gar keine S c h r a n k e n darin können g e f u n d e n werden, d. h. sofern wir klar einsehen, es sey u n e n d l i c h . Und zwar u n t e r s c h e i d e ich hier zwischen u n g e e n d e t (indefinita) und u n e n d l i c h (infinita), und nenne nur allein das e i g e n t l i c h u n e n d l i c h , in dem sich in k e i n e r Weise Schranken finden. Das aber, an dem ich nur in gewissem B e t r a c h t kein E n d e e r k e n n e , wie die Ausdehnung des eingebildeten (leeren) Raumes, die Menge der Zahlen u. s. w., nenne ich zwar u n g e e n d e t , aber n i c h t unendlich, weil es n i c h t in j e d e r H i n s i c h t ohne Ende ist." Und ganz in dem gleichen Sinn sagt DESCARTES auch noch anderwärts: „Was uns betrifft, so werden wir, wenn wir Dinge oder Verhältnisse (des choses) sehen, darinnen wir in gewissem Sinn keine G r ä n z e bemerken, desshalb n i c h t fest versichern, dass sie u n e n d l i c h seyen, sondern wir werden sie nur als u n v o l l e n d e t bestimmen. Also, da wir keine Ausdehnung so g r o s s denken können, dass wir nicht gleichzeitig auch annehmen dürfen, es könne auch eine noch g r ö s s e r e geben: werden wir sagen, dass die r ä u m l i c h e Ausd e h n u n g der möglichen Dinge eine (für uns) u n b e s t i m m b a r e sey. Und weil wir uns nicht so viel Sterne vorzustellen vermögen, dass es deren nicht auch noch m e h r geben könnte, so setzen wir voraus, dass auch deren Z a h l oder Menge (nombre) für uns u n b e s t i m m b a r wie g r o s s (indéfini) sey." Und aus allen diesen Gründen und in Folge aller diesen unleugbaren Verhältnisse sagt DESCARTES denn auch namentlich in Bezug auf das gemeinsame W e l t g a n z e : „Wir begreifen (nous saurons), dass unsere Welt, als eine G e s a m m t a u s d e h n u n g aller in ihr enthaltenen körperlichen Dinge, keine Gränzen habe; weil, wo wir uns auch dergleichen Gränzen d e n k e n mögen,

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

wir uns j e n s e i t s derselben noch immer weiter ausgedehnte Räume nicht nur vorstellen k ö n n e n , sondern auch begreifen, dass es wirklich so seyn m ü s s e , eben weil wir uns dies vorzustellen im Stande sind." Und somit gelangen wir denn zufolge aller dieser hier zusammengestellten Darlegungen von Seiten DESCARTES' ZU dem gemeinsamen Schlussergebniss, dass, wenn wir aus Vernunftgründen uns einerseits auch n i c h t für berechtigt halten dürfen, unserem gemeinsamen W e l t g a n z e n eine wirklich u n e n d l i c h e G r ö s s e und A u s d e h n u n g in der eigentlichen Bedeutung des Wortes zuzuschreiben: wir von der anderen Seite doch gleichzeitig auch ganz ausser Stande sind, die thatsächliche E n t f e r n u n g , in welcher eine solche nothwendige W e l t g r ä n z e sich von uns befinden muss, irgendwie genauer anzugeben. Oder, wie SPINOZA mit Bezug auf DESCARTES sich ausdrückt: „Unendlich ist das, dessen E n d e n , wenn es solche hat, von der menschlichen Erkenntniss n i c h t a u f g e f u n d e n werden können" (DESCARTES Oeuvres. S. 1 0 3 . 2 9 4 . 3 1 0 . SPINOZA I . S. 9 0

[DESCARTES].

LEIBNITZ

[Ed.

ERDMANN].

S.

241.

[Ed.

S. 2 9 1 ) . — „Die Frage über das U n e n d l i c h e " — sagt S p i n o z a — „ist stets Allen als die schwierigste, ja sogar als unlösbar erschienen, weil sie n i c h t u n t e r s c h i e d e n haben zwischen dem, was seiner N a t u r oder seiner b e g r i f f l i c h e n B e s t i m m t h e i t (Definition) nach als U n e n d l i c h e s sich ergibt, und zwischen dem, was k e i n e G r ä n z e n hat, was also n i c h t v e r m ö g e s e i n e s W e s e n s unendlich ist, sondern vermöge seiner U r s a c h e . Sodann, weil sie auch nicht zwischen dem unterschieden haben, was unendlich g e n a n n t wird, weil es k e i n e Gränzen hat, und dem, dessen T h e i l e , obgleich wir ein G r ö s s t e s und ein K l e i n s t e s (Maximum und Minimum) davon haben, wir doch d u r c h k e i n e Z a h l bestimmen und ausdrücken können; und weil sie endlich zwischen dem, was wir bloss e r k e n n e n und n i c h t v o r s t e l l e n , und dem, was wir e r k e n n e n und a u c h v o r s t e l l e n können, nicht unterschieden haben. Hätten sie, sage ich, h i e r a u f geachtet, so ULRICH] I .

Irrtkümliehkeit und Unhaltbarkeit etc.

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wären sie nie einer so grossen Masse von Schwierigkeiten unterlegen; denn sie hätten dann klar erkannt, wie das U n e n d l i c h e n i c h t in Theile g e t h e i l t werden oder k e i n e Theile h a b e n kann, wie es hingegen andererseits ist, und zwar ohne inneren Widerspruch." Und so weist denn SPINOZA weiterhin, zu einem noch klareren Yerständniss seiner Anschauung, ausdrücklich darauf hin, „dass M a a s s , Z e i t und Z a h l nichts als Daseynsweisen des Denkens oder vielmehr des Vorstellens sind. Es ist kein Wunder" — setzt er hinzu — „dass alle, die mit solchen Gemeinbegriffen, die sie noch dazu schlecht erkannten, den Fortgang der Natur zu erkennen versuchten, sich so wunderbar v e r s t r i c k t e n , dass sie sich nicht mehr herauswinden konnten, ohne alles über den Haufen zu werfen, und Unsinn auf Unsinn zu begehen. Denn da es Vieles gibt, was man auf keine Weise mit der Vorstellung, sondern n u r mit der E r k e n n t n i s s fassen kann (wie eben die Begriffe von Unendlichkeit, Ewigkeit u. s. w.), so ist es ebensoviel, wie wenn jemand Dinge d i e s e r A r t mit solchen G e m e i n b e g r i f f e n (wie Zahl und Maass) zu erklären sucht, die doch blosse H ü l f s m i t t e l für unsere Vorstellung sind. Da nun aus dem eben Gesagten sich genugsam ergibt, dass w e d e r Zahl, n o c h Maass, n o c h Zeit, die blosse Hülfsmittel der Vorstellung sind, u n e n d l i c h seyn können; denn sonst wäre Zahl n i c h t Zahl, Maass n i c h t Maass, Zeit n i c h t Z e i t : so ist hieraus klar zu ersehen, warum Viele diese drei mit den Dingen selber vermengen, weil sie, die wahi e Natur der Dinge nicht kennend, das U n e n d l i c h e , a l s w i r k l i c h b e s t e h e n d (infinitum actu) l e u g n e t e n (SPINOZA V. S . 134. 135. 139. 140. 141. — LOCKE spricht über denselben Gegenstand sich folgendermassen aus: „In unserem G e i s t vermögen wir eine jede bestimmte L ä n g e oder ein jedes bestimmte M a a s s von R a u m nach Belieben, selbst ü b e r die äussersten Gränzen alles körperlichen Daseyns (of all bodies) h i n a u s , zu w i e d e r h o l e n , und indem wir eben diese wiederholt gedachten Räume (in Gedanken) zusammen anein-

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und E w i g k e i t .

anderfügen (add one to another), sind wir vermögend, unsere g e i s t i g e V o r s t e l l u n g d e s R a u m e s nach Belieben zu e r weitern. Dieses Vermögen (power), eine jede Vorstellung irgendwelcher E n t f e r n u n g durch Wiederholung oder Verdoppelung zu erweitern, o h n e dabei (in unserem Denken) im Stande zu seyn, an irgend einem b e s t i m m t e n H a l t - o d e r E n d p u n k t anzukommen: ist es, wodurch der Begriff und die Vorstellung (idea) der U n e r m e s s l i c h k e i t (immensity) in uns erregt wird." Daher stellt denn auch LOCKE weiterhin mit aller Bestimmtheit den Satz auf, dass die W e l t nicht (und zwar weder räumlich noch zeitlich) u n e n d l i c h sey; wenn gleich (wie er ausdrücklich hinzufügt) „die ä u s s e r s t e n G r ä n z e n von R a u m wie von D a u e r ü b e r das Bereich unseres Denkens (und Vorstellens) h i n a u s g e h e n , so gut wie auch die ä u s s e r s t e n G r ä n z e n d e r Z a h l über das weiteste Begreifen des Geistes hinausgehen." „Darauf aber, dass wir »trotz beständiger E r w e i t e r u n g eines R a u m e s oder einer Z a h l doch n i e m a l s eine u n e n d l i c h e Z a h l oder einen (unendlichen) R a u m zu e r r e i c h e n « wirklich im Stande sind, beruft sich LOCKE, um zu zeigen, dass eine wie weite Vorstellung (idea) des Raumes man auch im Geiste habe, dieselbe doch immerhin n i c h t w e i t e r gehe, als sie gerade in d e m A u g e n b l i c k i s t , in welchem man dieselbe (thatsächlich) h a b e , obwohl man schon i m n ä c h s t e n A u g e n b l i c k fähig ist, sie (von neuem) zu verdoppeln, und so w e i t e r o h n e E n d e (in infinitum)." „ D e n n " — so fügt LOCKE ausdrücklich hinzu — „das a l l e i n ist u n e n d l i c h , was keine Schranken h a t , und dasjenige ist (nur) die V o r s t e l l u n g d e s U n e n d l i c h e n , worin (bloss) unsere Vorstellungen (ideas) k e i n e f i n d e n k ö n n e n " (LOCKE, S. 284. 285. 313. 336. 337). — Auch L e i b n i t z folgt dem gleichen Gedankengang. „Ich glaube mit LOCKE" — sagt er — „dass, eigentlich zu reden, man sagen kann, es gebe keinen Raum, keine Zeit, keine Zahl, welche u n e n d l i c h wäre; sondern es ist nur wahr, so g r o s s immer ein R a u m , eine Z e i t , eine Z a h l

Irrthümliclikeit und Unhaltbarkeit etc.

253

seyn mag, so gibt es immer eine andere, welche n o c h g r ö s s e r a l s sie ist: und so findet sich das w a h r h a f t Unendliche n i c h t in einem G a n z e n , das aus T h e i l e n zusammengesetzt ist. Um genau zu reden, so muss man anstatt »unendliche Zahl« sagen, es sey m e h r da, als durch i r g e n d w e l c h e Z a h l kann ausgedrückt werden, oder anstatt einer »unendlichen geraden Linie«, es solle eine gerade Linie gezogen werden ü b e r j e d e a n g e b b a r e G r ö s s e h i n a u s , so dass immer noch eine grössere da ist (oder möglicher Weise da seyn könnte). Zum Begriff einer Z a h l , einer L i n i e , eines G a n z e n gehört es aber, b e g r ä n z t (terminatum) zu seyn. Denn wie von der u n e n d l i c h e n Z a h l nicht gesagt werden kann, ob sie g e r a d e oder u n g e r a d e sey, so auch nicht von einer u n e n d l i c h e n G e r a d e n , ob sie mit irgend einer gegebenen Geraden messbar (cominensurabel) sey oder nicht, so dass diese Redeweisen vom U n e n d l i c h e n als E i n e r Grösse nur u n e i g e n t l i c h sind, weil nur in Ahnlichkeitsverhältnissen (aliqua analogia) begründet, die aber, näher geprüft, n i c h t stichhaltig sind (subsistere non possunt). Genau (philosophisch) zu reden, behaupte ich (statuo) e b e n s o w e n i g u n e n d l i c h k l e i n e wie u n e n d l i c h g r o s s e Grössen. Indessen haben diese Ausdrücke einen grossen Nutzen zur Abkürzung des Denkens, ohne zum Irrthum verleiten zu können, da es ausreicht, für das »unendlich Kleine« zu setzen »so k l e i n a l s m a n will« (und umgekehrt also auch für das » u n e n d l i c h G r o s s e « : »so gross als man will«)." Leibxitz betrachtet — und gewiss mit vollem Recht — diese begriffliche Unterscheidung zwischen dem nur s c h e i n b a r U n e n d l i c h e n und einem in der w a h r e n u n d e i g e n t l i c h e n B e d e u t u n g d e s W o r t e s U n e n d l i c h e n für so w i c h t i g zur Begründung einer allseits richtigen Weltanschauung, dass er in seinen einzelnen Schriften vielfach auf diesen Gegenstand zurückkommt, und wenn auch an allen solchen Stellen der allgemeine Grundton des Gedankens stets derselbe bleibt, so sind doch die in Einzelheiten der Abfassung vorkommenden Ver-

254

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

schiedenheiten wohl geeignet, den eigentlichen Grundgedanken, welchen er bei allen solchen Gelegenheiten im Auge hat, in ein noch um so deutlicheres Licht zu stellen. So spricht er sich z. B. in seiner T H È O D I C É E an einer Stelle, welche von „den Z a h l e n r e i h e n handelt, welche i n s U n e n d l i c h e g e h e n " , folgendermassen aus: „Man nimmt ein l e t z t e s Z i e l an (conçoit), eine u n e n d l i c h e Z a h l oder ein u n e n d l i c h K l e i n e s ; aber alles dies sind nur Erdichtungen. J e d e Z a h l i s t e n d l i c h u n d angebbar (assignable), jede Linie gleichfalls, und die U n e n d l i c h e n oder U n e n d l i c h - K l e i n e n bezeichnen hierin nur Grössen, die man so g r o s s oder so k l e i n annehmen kann, wie m a n will." Auch in seinen „Nouveaux essais" findet sich eine ähnliche Darlegung. „Einer der w i c h t i g s t e n B e g r i f f e " — sagt er hier — „ist derjenige des E n d l i c h e n und des U n e n d l i c h e n , welche beide als blosse Eigenthümlichkeiten (modes) der G r ö s s e betrachtet werden. Genau zu reden, so ist es wahr, dass es eine U n e n d l i c h k e i t von D i n g e n gibt, welches sagen will, dass es deren i m m e r mehr g i b t , als man im Stande ist a n z u g e b e n . Allein es gibt k e i n e u n e n d l i c h e Z a h l und k e i n e a n d e r e u n e n d l i c h e G r ö s s e (quantité infinie), wenn man w i r k l i c h e G a n z e unter dieser Bezeichnung versteht. Das w a h r h a f t U n e n d l i c h e im strengen Sinn des Wortes kann sich nur in einem Unbedingten finden, welches aus k e i n e r Z u s a m m e n s e t z u n g (addition) von T h e i l e n besteht. Man war stets der Meinung, da das Vermögen unseres Geistes, unsere V o r s t e l l u n g des Raumes durch stets neue Hinzufügungen o h n e E n d e zu e r w e i t e r n , s t e t s d a s s e l b e b l e i b t , dass hierin der eigentliche Grund unserer Vorstellung von einem u n e n d l i c h e n R a u m liege. Denn nehmen wir eine gerade Linie und verlängern dieselbe, bis sie doppelt so lang ist. Nun ist es klar, dass diese zweite Linie, welche doppelt so lang als die erste, im Übrigen dieser aber ganz ähnlich ist, ebenfalls wieder verdoppelt werden kann. Da nun ein und derselbe Grund (zu möglicher Verlängerung) i m m e r v o r h a n d e n b l e i b t ,

Irrthiimlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

255

so kann eine derartige Verlängerung auch n i e m a l s aufgehalten werden. Daraus ergibt sich aber, dass die Linie (wie es scheint) bis ins U n e n d l i c h e verlängert werden k a n n . Allein man t ä u s c h t sich, indem man einen u n b e d i n g t e n R a u m sich einbilden will, der ein aus T h e i l e n zusammengesetztes une n d l i c h e s G a n z e darstelle. Es gibt kein D e r a r t i g e s . Es ist dies eine Vorstellung (notion), welche einen W i d e r s p r u c h in sich einschliesst und diese (angeblichen) u n e n d l i c h e n G a n z e n , sowie die ihnen entgegengesetzten unendlichen Kleinen, sind nur anwendbar (de mise) für die Berechnungen der Raumund Grössenlehre, wie solches auch in Bezug auf die sogenannten e i n g e b i l d e t e n W u r z e l n der Buchstabenrechnung der Fall ist. Und eben deshalb ist auch nichts u n g e r e i m t e r als die Annahme einer »unendlichen Zahl.« Dies kommt indessen nicht etwa daher, dass wir von einem Unendlichen keinen Begriff haben könnten, sondern vielmehr daher, dass das U n e n d l i c h e kein w a h r e s G a n z e s ausmachen kann." Und endlich weist er auch noch in einem Schreiben an BOTTRGET auf das eigentümliche Verhältniss hin, wonach es den Anschein hat, als ob, nach der Lehre von den unendlichen Zahlenreihen, es allerdings Une n d l i c h k e i t e n von u n t e r s c h i e d e n e n G r ö s s e n oder von verschiedenen W e r t h e n geben könne. Und als Beweis dafür führt er folgende Zahlenreihen an: — + - - + — + - - + — und 5 1

2

3

4

5

s o f o r t ins U n e n d l i c h e , indem er dabei ausdrücklich sagt, dass „die Summe dieser Reihe u n e n d l i c h (infinie) sey, weil sie eine wirklich nennbare Z a h l (nombre assignable) ü b e r s c h r e i t e ; aber" — so fährt er fort — „diese andere Reihe: - + — + -•• + ---- + — und s o f o r t ins U n e n d l i c h e , ist un1 1 1 1 1 e n d l i c h g r ö s s e r als die vorige" (LEIBNITZ [Ed. EBDMANN], S. 138.

244.

436.

499. 744.

[ E d . ULKICH] I .

S. 3 0 5 b i s

370.

[Ed. PEKTS] III. 4 , S . 2 1 8 . III. 5 , S. 3 8 9 ) . — Es geht also auch aus dieser Darstellung derselbe W i d e r s p r u c h hervor, in

256

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

welchen eine jede Annahme unendlicher Zahlenreihen oder unendlicher Grössenzunahme sich verstrickt, wie in dem früher erwähnten Beispiel, wonach eine u n e n d l i c h e A n z a h l von K l a f t e r n eine um das s e c h s f a c h e g r ö s s e r e r ä u m l i c h e L ä n g e ergeben müsste, als eine u n e n d l i c h e A n z a h l von F u s s e n . Das Eine ist so widersinnig als das andere. Auch der von Seiten der sogenannten Unendlichkeits-ßechnung (Infinitesimal-Rechnung) aufgestellte Satz, dass j e d e e n d l i c h e Z a h l , durch 0 g e t h e i l t ,

gleich

2 100 ebenso — = oo, - - = oo, 0 0

u n e n d l i c h sey, also ~ = oo, 1000 = oo 0

. und

, ebenso

iedes

X

beliebige — = oo, —: alles dies gehört zu jenen Widersprüchen, zu welchen die vermeintlich unendlichen Zahlenreihen die Veranlassung geben. Daher sagt auch Berkeley, gerade mit Bezug auf diesen Lehrsatz, dass er „gegen den guten Verstand Verstösse" (BAUMANN, Baum und Zeit II. S. 453). — Und in gleichem Sinn wird es auch von Seiten Wolff's bestätigt, dass die ganze Lehre von den U n e n d lichen E e i h e n und dem sogenannten F o r t g a n g ins Une n d l i c h e , auf welche diese Lehre sich gründet, nur „von der Grössen- und Zahlenkunde (den Mathematikern) erdichtet sey zu bequemeren Messungen und Berechnungen, an sich aber n i c h t s W a h r e s oder Mögliches vorstelle. Diese Erdichtung" — fährt WOLFE 1 fort —' „besteht darin, dass aus einem vern e i n e n d e n Begriff ein b e j a h e n d e r gemacht wird. Wenn »unendlich« heisst, dem k e i n e G r ä n z e n zu setzen sind, über welche es nicht (noch weiter) könnte v e r g r ö s s e r t werden: so ist n i c h t sowohl d a s Ding s e l b s t u n e n d l i c h , als vielmehr sein M a n g e l an noch g r ö s s e r e r W i r k l i c h keit. Ich mag eine Z a h l , L i n i e oder G r ö s s e so g r o s s annehmen als ich will, so hat doch die M ö g l i c h k e i t ihrer Vermehrung kein E n d e , und sie bleiben in der That ohne

257

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

E n d e e n d l i c h . Aber die Raum- und Grössenlehre macht einen b e j a h e n d e n Begriff daraus, als ob die U n e n d l i c h k e i t in der Wirklichkeit d e r D i n g e liege, als ob eine Zahl, Linie, Grösse sey, welche a l l e m ö g l i c h e Zahl, Linie, Grösse in sich befasst, und darum n i c h t w e i t e r vermehrt werden kann. Hieraus erhellt, dass dieser Begriff etwas U n b e s t i m m t e s vorstellt, welches in keinem Verhältniss mit anderen Begriffen steht. Ein S t ä u b c h e n z. B., das von der Spitze eines Berges weht, ist gegen den B e r g und dessen Höhe ein u n e n d l i c h k l e i n e r T h e i l , dessen Verhältniss gegen den Berg n i c h t zu b e s t i m m e n ist, daher der Berg und dessen Höhe dagegen u n e n d l i c h g r o s s erscheint. Es erhellt demnach, dass u n e n d l i c h g r o s s oder u n e n d l i c h k l e i n nur v e r g l e i c h u n g s weise gesagt werde, soferne eines Dinges Grösse und Vielheit durch das andere nicht kann gemessen oder berechnet werden" ( R e i m a e u s , Natürl. Religion. S. 69. 70 [ W o l f f ] ) . — Auch R e i m a r u s schliesst ganz derselben Anschauungsweise sich an. Und ganz in gleichem Sinn sagt auch J a c o b i : „Aus lauter m a n g e l h a f t e m S t o f f kann etwas M a n g e l l o s e s nie hervorgehen: so kann aus e n d l i c h e n T h e i l e n auch k e i n u n e n d l i c h e s G a n z e s zusammengesetzt werden." Und ebenso sagt er an einem andern Ort, „dass es an und für sich u n m ö g l i c h sey, aus dem sich uns darstellenden E n d l i c h e n das U n e n d l i c h e zu erfinden (oder zu gewinnen), und durch irgend eine Formel auszudrücken" ( J a c o b i II. S. 3 8 7 . IV 1 . S. 7 5 . Briefwechs. I. S. 72). — Ebenso H e r b a r t , wenn er sagt, dass wir „die Menge und Mannigfaltigkeit der Stoffwelt (der Materie) in G e d a n k e n n i c h t begränzen können, dass wir sie aber auch n i c h t f ü r u n e n d l i c h erklären dürfen, sondern dass das leere G e d a n k e n d i n g d e r U n e n d l i c h k e i t hier, wie überall, wo von Dinglichem (von Realem) die Rede ist, v e r m i e d e n werden muss." Mit Bezugnahme auf das angebliche Fortschreiten ins Unendliche stellt H e b b a b t weiterhin die Frage auf: „Gelangen wir durch solches F o r t s c h r e i t e n nun wirkWandersmann. III.

17

258

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

lieh jemals zu einer Vorstellung des U n e n d l i c h e n , so als ob es uns wie eine gegebene Grösse vorschwebte?" Und seine Antwort darauf lautet: „ S i c h e r l i c h n i c h t ! Wir bleiben irgendwo s t e h e n , wissen aber, dass wir w e i t e r , und wohin wir auch gelangen möchten, doch n o c h weiter fortschreiten k ö n n t e n . Dieser allgemeine Begriff v e r t r i t t die S t e l l e der Vorstellung des U n e n d l i c h e n . " Und ähnlich sagt HEEBABT auch noch an einem andern Ort: „Die Menge der vorhandenen wirklichen Dinge (das Quantum der Realen) kann n i c h t u n e n d lich seyn. Keine Vorstellung kann das Unendliche e r s c h ö p f e n : es bleibt immer noch etwas nachzuholen. Man darf daher auch n i c h t sagen, dass j e t z t oder in irgend einem bestimmten Zeitpunkt die W e l t u n e n d l i c h gross sey im Raum. Was erst in u n e n d l i c h e r Z e i t geschehen kann (oder soll geschehen können), das geschieht n i e m a l s . Daher ist in jedem Zeitpunkt die W e l t g r ö s s e e n d l i c h . Gleichwohl ist die Welt n i c h t in (bestimmbare) Gränzen eingeschlossen; denn die Bewegungen (der Dinge unter sich) nehmen soviel R a u m ein, als sie brauchen" (HEHBART II. S. 1 9 3 . IV. S. 2 6 0 . 2 6 2 . VI. S. 328). — Auch hier weist der Schlusssatz darauf hin, dass, so gross wir den Weltraum auch denken mögen, er allewege thatsächlich e n d l i c h seyn muss. — Auch J. G. Fichte schliesst der gleichen Anschauung sich an, wenn er sagt, dass „das E n d l i c h e , auch durch unendliche Steigerung und Erhöhung, sich nie in das U n e n d l i c h e umwandele" (J.G.FICHTEII. S. 304). — Von eben jenem „ U n e n d l i c h g r o s s e n und Une n d l i c h k l e i n e n " sagt Hegel, „es seyen B i l d e r der Vorstellung, die bei näherer Betrachtung als n i c h t i g e r N e b e l und Schatten erscheinen." Daher bezeichnet er denn auch weiterhin den vermeintlichen Ubergang aus dem sogenannten U n e n d l i c h - K l e i n e n in ein wirklich U n e n d l i c h - G r o s s e s als die „ s c h l e c h t e U n e n d l i c h k e i t des F o r t g a n g e s (Progresses)": ein sehr bezeichnender Ausdruck, durch welchen die Irrthümlichkeit und Verkehrtheit jener Anschauung bei ihrem,

259

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

richtigen Namen genannt ist.

„Die u n e n d l i c h e R e i h e "

so sagt HEGEL bei dieser Gelegenheit — die

schlechte

Unendlichkeit,

weil

„enthält nehmlich

das,

was

ausdrücken s o l l , ein (stetes) Sollen b l e i b t , was sie a u s d r ü c k t ,



mit einem J e n s e i t s

die Reihe

und weil

das,

behaftet ist, das

nicht verschwindet und (ganz) v e r s c h i e d e n von dem ist, was a u s g e d r ü c k t werden soll. um der G l i e d e r weil

willen,

sie u n v o l l s t ä n d i g

Sie ist nehmlich unendlich n i c h t die gesetzt sind, sondern darum,

sind,

und weil das A n d e r e ,

wesentlich zu ihnen gehört, j e n s e i t s i h r e r ist. (in dieser Reihe) da ist, der g e s e t z t e n

das

Was in ihr

Glieder mögen so

v i e l e seyn als sie wollen, ist nur ein E n d l i c h e s , im eigentlichen Sinn, g e s e t z t

als E n d l i c h e s ,

d. i. als solches, das

n i c h t i s t , was es (angeblich) seyn soll.

Diese (angeblich)

u n e n d l i c h e Reihe ist in Wahrheit S u m m e . das, was an sich (blosses) V e r h ä l t n i s s (Form)

einer S u m m e

darzustellen,

Ihr Zweck ist,

ist, in der Gestalt

und die

vorhandenen

Glieder der Reihe sind nicht als Glieder eines Verhältnisses, sondern als Glieder einer A n h ä u f u n g (eines Aggregates).

Die

Reihe ist daher vielmehr der e n d l i c h e A u s d r u c k ; denn sie ist die u n v o l l k o m m e n e Anhäufung (das unvollkommene Aggregat) und bleibt demnach wesentlich ein M a n g e l h a f t e s .

Sie

ist nach dem, was in i h r da ist, eine b e s t i m m t e Menge (Quantum), zugleich aber ein g e r i n g e r e s als sie seyn soll. Alsdann ist aber auch d a s ,

was ihr f e h l t ,

eine b e s t i m m t e

M e n g e (Quantum), und eben dieser f e h l e n d e T h e i l ist in der That d a s , was das U n e n d l i c h e

an der Reihe heisst, nach

der nur äusserlichen (formellen) Seite, dass er ein F e h l e n d e s , ein N i c h t s e y n ist; nach seinem (wirklichen) I n h a l t aber ist er eine e n d l i c h e G r ö s s e (Quantum).

Das, was in der Reihe

da ist, z u s a m m e n mit dem, was ihr f e h l t , macht das, was der Bruch

nehmlich

die b e s t i m m t e Grösse oder Menge (Quantum), die sie gleich17*

260

Endlichkeit und Unendlichkeit.

falls seyn s o l l ,

— Zeit und Ewigkeit.

aber zu s e y n n i c h t v e r m a g .

Das Wort

„ U n e n d l i c h " pflegt, auch in der u n e n d l i c h e n R e i h e , etwas Hohes und Hehres zu seyn; es ist dies (eben in Bezug auf diese Letztere) eine Art von A b e r g l a u b e n ,

der Aberglaube

des Verstandes: man hat gesehen, wie es sich vielmehr auf die Bestimmung der M a n g e l h a f t i g k e i t beschränkt (reducirt)." Ausserdem bezeichnet HEGEL,

an einem anderen Ort,



auch

ausdrücklich noch den Ausdruck „ u n d so f o r t ins U n e n d liche",

womit die angebliche Möglichkeit eines sogenannten

F o r t g a n g e s ins U n e n d l i c h e soll dargethan werden, so recht eigentlich als den A u s d r u c k und das äussere M e r k m a l für dasjenige,

was

er

als

die

„schlechte

(negative) U n e n d l i c h k e i t "

oder

verneinende

zu bezeichnen pflegt.

Es ist"



so fügt er hier noch weiter hinzu — »von grosser Wichtigkeit, den Begriff des w a h r e n U n e n d l i c h e n gehörig zu fassen, und nicht bloss bei der s c h l e c h t e n U n e n d l i c h k e i t des u n e n d l i c h e n F o r t g a n g e s (Progresses) stehen zu bleiben. Wenn von der Unendlichkeit des R a u m e s oder der Z e i t

die Rede ist,

so ist es zunächst der u n e n d l i c h e F o r t g a n g , man sich zu halten pflegt.

an welchen

So sagt man z. B. » d i e s e Z e i t «

oder » J e t z t « , und über diese Gränze hinaus wird dann fortwährend hinausgegangen, r ü c k w ä r t s und v o r w ä r t s . ist es mit dem R a u m ,

Ebenso

über dessen (vermeintliche) U n e n d -

l i c h k e i t selbst von Himmelskundigen viele leere Worte (Deklamationen) gemacht werden.

Eine Gränze wird gesetzt,

über

wird

und

so f o r t ins E n d l o s e .

hinausgegangen,

dann

eine

Gränze,

Wir haben hier also

nichts,

wie eine oberflächliche Abwechselung, lichen

stehen bleibt." —

abermals

dar-

die i m m e r im E n d -

Und aus eben diesem Grund be-

zeichnet HEGEL denn auch namentlich „die g e r a d e

Linie,

die h i n a u s und i m m e r w e i t e r h i n a u s g e h t , als das eigentliche Sinnbild für die v e r n e i n e n d e (negative) s c h l e c h t e Unendlichkeit."

Und endlich sagt HEGEL auch noch an einem

anderen Ort mit besonderer Bezugnahme auf SPINOZA'S Ge-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

261

dankengang: „Das U n e n d l i c h e hat die Z w e i d e u t i g k e i t , als ob es als u n e n d l i c h Viele oder als an u n d f ü r s i c h U n e n d l i c h e s gewonnen wird. In demselben Sinn unterscheidet SPINOZA das U n e n d l i c h e b l o s s in u n s e r e r Einbildung (Imagination) von dem U n e n d l i c h e n d e s D e n k e n s , d. h. dem w i r k l i c h (actu) U n e n d l i c h e n . Die meisten Menschen kommen nur zum Ersten, indem sie erhaben seyn wollen: dies ist das s c h l e c h t e U n e n d l i c h e , wenn man sagt, „und so fort ins Unendliche", z. B. die Unendlichkeit des Raumes von Stern zu Stern, ebenso die der Zeit. Die u n e n d l i c h e n R e i h e n d e r Z a h l in der Rechenkunst (Mathematik) sind dasselbe. Diese schlechte Unendlichkeit hat man gewöhnlich vor sich, wenn von U n e n d l i c h k e i t gesprochen wird. Dem SPINOZA aber ist das U n e n d l i c h e n i c h t diese s i n n l i c h e Unendlichkeit, n i c h t dies Setzen und Hinausgehen über das Setzen (oder über das Gesetzte), sondern 'die u n b e d i n g t e (absolute) Unendlichkeit"

(HEGEL I I I . S . 2 7 9 . 2 9 2 . 2 9 3 . 2 9 4 . I V . S. 1 8 4 .

185. XV. S. 341). — Der Ausspruch Goethe's: „Willst du i n s U n e n d l i c h e schreiten, geh' im E n d l i c h e n nach a l l e n S e i t e n " (GOETHE X L . S. 418), verräth uns demnach nicht den Weg nach einem wahrhaft U n e n d l i c h e n , sondern nur den Weg nach eben jener bloss s c h e i n b a r e n und f a l s c h e n Unendlichkeit, bei der wir trotz allem, wenn auch noch so weiten Fortschritte doch immerdar aus dem e n d l i c h e n W e s e n dieser Welt nicht h e r a u s k o m m e n , sondern nach wie vor darin s t e c k e n bleiben. — So sagt auch Schelling, „dass ein jedes Endliche im Einzelnen nur wieder auf ein anderes E n d l i c h e zurückgeführt werden kann, und folglich auch das E n d l i c h e im G a n z e n nie unmitttelbar auf das Unendliche zurückführbar ist", und demgemäss auch umgekehrt nicht im Stande seyn kann, auf ein w a h r h a f t E n d l o s e s oder U n e n d l i c h e s hinzuführen. Daher bezeichnet SCHELLING denn auch weiterhin eben diese, nur a u f E r f a h r u n g e n im A u s s e r e n g e g r ü n d e t e (empirische) U n e n d l i c h k e i t " — ähnlich ~wie

262

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

HEGEL —

„als d a s f a l s c h e S c h e i n b i l d

thatsächlichen blosses

(actuellen)

Erzeugniss

unserer

dukt der Imagination). SCHELLING

hinzu



Denn „ist

der w a h r e n

Unendlichkeit,

und

Einbildung

(als

die E i n b i l d u n g "

eine solche

oder

als ein



ein Pro-

so fügt

Betrachtungsweise,

in

der etwas, das n i c h t ist, angesehen wird als etwas, d a s i s t . " Daher kann nach SCHELLING auch nur eine solche Unendlichkeit als welche

die allein „wahre Unendlichkeit" betrachtet werden, als

„völlig

unabhängig

von Raum

und Z e i t "

könnte

gedacht werden; wogegen er deren blosses Gegenbild, d. h. die bloss willkürlich von uns erdachte f a l s c h e Unendlichkeit als diejenige bezeichnet, „welche durch blosse Hinzufügung (Addition) von Endlichem zu Endlichem (in unseren Gedanken) gesetzt wird, wie solches bei dem Hinzufügen im Raum gedacht werde."

„In jeder möglichen R e i h e " —

drücklich,



„die

durch. H i n z u f ü g u n g

in der (angeblichen) u n e n d l i c h e n

sagt SCHELLING ausentsteht,

Ausdehnung,

durch zu einer bloss e i n g e b i l d e t e n

wie z. B. welche da-

(imaginären) wird,

dass

Körper auf Körper gehäuft werden, oder in der R e i h e , welche durch Hinzufügen

des Eins zu sich selbst i n s E n d l o s e ent-

steht,

aber n i e

ist — :

deren

Unendlichkeit

in einer jeden solchen Reihe beruht auf

dem

bloss

äusseren

Umstand,

der e n d l o s e n H i n z u f ü g u n g , also viel mehr auf der blossen endlosen

Verneinung

(Negation) der wahren

als auf deren Anerkennung (Position). ist ein e n d l i c h e s ,

die R e i h e

Unendlichkeit

Jedes G l i e d der Reihe

s e l b s t aber ist eben desshalb

gleichfalls i n s U n e n d l i c h e e n d l i c h .

Diejenigen daher, welche

nur das n a t ü r l i c h (empirisch) U n e n d l i c h e

kennen (oder im

A u g e haben), v e r w e c h s e l n denn auch das i n d e r T h a t endliche

(actu infinitum) damit, und gerathen

sprüche,

indem sie d i e s e s d u r c h B e g r i f f e d e s

bestimmen

wollen.

auf

Un-

WiderErsteren

Diejenigen also, welche die n a t ü r l i c h e

(empirische) Unendlichkeit mit der w a h r e n verwechseln, sehen in der Letzteren

nur

eine U n e n d l i c h k e i t

der Z a h l

nach,

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

263

welche es allerdings n i c h t g i b t , da sie vielmehr (ihrem Begriff nach) eine Unendlichkeit ist, die überhaupt n i c h t d u r c h die Z a h l b e s t i m m b a r ist und jede Bestimmung durch dieselbe ü b e r t r i f f t " (SCHELLING V I . S. 100. 232. 233. 234. 390. VII. S. 225). — Ahnlich sagt Drossbach: „Eine e n d l i c h e Z a h l (oder Grösse) kann v e r m e h r t werden, eben weil sie e n d l i c h ist; eine u n e n d l i c h e Z a h l (oder Grösse) kann n i c h t weiter vermehrt werden, weil man ü b e r das U n e n d l i c h e nicht h i n a u s gehen kann" (DKOSSBACH, Genes, d. Bewusstseins. S. 318). — Liegt aber ein Widerspruch in jeder u n e n d l i c h e n V i e l h e i t , so liegt ein gleicher Widerspruch in jedem u n e n d l i c h e n F o r t s c h r i t t . „Kein F o r t s c h r i t t " — sagt daher K. P. Fischer — „ist möglich, wenn das Z i e l in u n e n d l i c h e F e r n e sich rückt. Ein F o r t s c h r i t t nach einem Z i e l , das nie e r r e i c h t werden kann, ist daher k e i n Fortschritt" (K. P. FISCHER: Syst. d. spek. Theol. S. 43. 393). — Und in ganz gleichem Sinn und Geist spricht endlich auch Baumann sich aus, indem er sagt: „Sobald wir R a u m setzen in Gedanken, so finden wir, dass wir ihn stets f o r t s e t z e n können in freier Beweglichkeit des Denkens von uns aus, ohne Hinderniss und ununterbrochen. So ist unsere Vors t e l l u n g des R a u m e s eine Quelle der U n e n d l i c h k e i t d e s s e l b e n : angeschaut, d. h. unmittelbar gefunden als seyend und thätig, wird das Vermögen dieses Fortsetzens. Die Setzung des Raumes a l s u n e n d l i c h geschieht n a c h e i n a n d e r , aber so, dass vom ersten Augenblick an die Ausführung des Geschäftes durch alle folgenden uns gewiss ist, daher die Unendlichkeit wie eine g e g e b e n e erscheint, n i c h t aber wie eine e r p r o b t e " (BAUMANN, Raum u. Zeit. S. 514). —

264

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

N o . 141. Unendlichkeit, Unermesslichkeit und die sogenannten Unendlichkeits-Rechnungen. Ahnlich wie unser deutsches Wort „ h e u t e " nach Gbimm zusammengezogen ist aus dem altdeutschen „hiu tagu", d. i. „am Tag hier" oder „an diesem Tag": so ist nach Gkimm auch das in manchen Gegenden noch gebräuchliche Wort „ h e u e r " ursprünglich zusammengezogen aus dem altdeutschen „hiu järu", d. i. „im Jahre hier" oder „in diesem Jahre". Wie aber das Wort „heute", in einem weiteren Sinn, auch häufig im Gebrauch ist in der Bedeutung von ,,in jetziger Zeit": so ist das Ahnliche der Fall auch in Bezug auf den Begriff von „ h e u e r " , wodurch demselben zugleich der Begriff des „uns Nahen" oder des für uns „ G e w ö h n l i c h e n " , daher auch „ n i c h t U b e r r a s c h e n d e n " und n i c h t in E r s t a u n e n V e r s e t z e n d e n " sich ebenfalls beigesellt. Und in eben dieser begrifflichen Nebenbedeutung des Wortes „ h e u e r " liegt denn auch wohl der Grund, dass dem von ihm abgeleiteten „ g e h e u e r " , die eigentliche Bedeutung von „heuer" ganz verloren gegangen ist, so dass demselben mehr der Begriff eines gewissen „in O r d n u n g S e y n s " oder ,,in d e r R e i h e S e y n s " und also auch, ganz ebenso wie dem Worte „heuer", vorherrschend die Bedeutung von etwas, das „ n i c h t v e r w u n d e r t " und daher auch „ n i c h t w e i t e r ü b e r r a s c h t " , zukommt. Umgekehrt dagegen sehen wir folgerichtig auch dem Begriff von „ n i c h t g e h e u e r " den natürlichen Nebenbegriff eines „ p l ö t z l i c h e n U b e r r a s c h t w e r d e n s " und eben darum auch eines „ u n w i l l k ü r l i c h e n E r s c h r e c k e n s " innewohnen. So sagt z. B. Göthe von einer gewissen Gegend in seiner Vaterstadt, dass sie mit Recht den Namen „schlimme Mauer" führe, weil es dort n i e m a l s g a n z g e h e u e r sey. — In allen diesen hier dargelegten begrifflichen Verhältnissen haben wir aber zugleich auch den tieferen Grund dafür zu erblicken, weshalb

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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namentlich in dem Worte „ u n g e h e u e r " eben jener begriffliche Beigeschmack des „ U n g e w o h n t e n " und „ U n e r w a r t e t e n " und eben darum auch nicht selten der des „ S c h r e c k e n E r r e g e n d e n " in bedeutsamer Weise zu Tage tritt: in den Ausdrücken „ u n g e h e u e r g r o s s " und „ u n g e h e u e r k l e i n " z. B. liegt diese Bedeutung des U n g e w ö h n l i c h e n und dadurch Ü b e r r a s c h e n d e n , weil „ a l l e s g e w ö h n l i c h e Maass U b e r s c h r e i t e n d e n " unverkennbar ausgesprochen. Dasselbe gilt bekanntlich in ganz gleicher Weise von den meisten Wörtern wie Unwetter, Ungewitter, Unzahl, Unmaass u. dergl.: ihnen allen liegt der Begriff des „ d a s g e w ö h n l i c h e Maass U b e r s c h r e i t e n d e n " , aber eben darum auch der Begriff eines „ u n b e s t i m m b a r wie G r o s s e n " zu Grunde, wodurch der Begriff des U n g e h e u r e n denn auch geradezu dem Begriffe des „ U b e r w ä l t i g e n d e n " , des „ G r o s s a r t i g e n " und „ E r h a b e n e n " sich mehr und mehr nähert. So bedeutet denn auch eine „ U n z a h l " nicht etwa eine Zahl, welche, wie die angeblich u n e n d l i c h e Z a h l , gar keine Z a h l mehr ist, weil sie vermeintlich alle nur irgendwie denkbar möglichen Zahlen in sich einschliessen soll, sondern nur eine so u n g e h e u e r g r o s s e Z a h l oder A n z a h l , dass wir dieselbe in unserem Denken und Vorstellen gar nicht mehr zu überblicken, zu fassen oder geistig näher zu bestimmen im Stande sind. Und somit hätte denn ein schon unserer Sprache innewohnendes richtiges Gefühl uns hingeführt zu dem wahren Sinn und der eigentlichen Bedeutung eben jener f a l s c h e n U n e n d l i c h k e i t , die nicht hält, was sie verspricht, und die daher von Hegel, wie wir bereits gesehen, kurzweg als eine „ s c h l e c h t e Une n d l i c h k e i t " bezeichnet wird. Für die bloss oberflächliche Betrachtung hat es anfangs allerdings den Anschein, das Versprochene zu bieten: allein bei näherem Eingehen in die Sache wird die Unhaltbarkeit einer solchen Ansicht vollgültig dargethan. Der dieser f a l s c h e n Unendlichkeit zu Grunde liegende Begriff ist demnach nicht der wahre und eigentliche

266

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Begriff einer U n e n d l i c h k e i t als solcher, sondern nur allein der Begriff einer ins U n ü b e r s e h b a r e und damit in das für uns scheinbar Maass- und E n d l o s e gesteigerten Ausdehnung an sich e n d l i c h e r Grössen. Wollen wir daher jene falsche Unendlichkeit auf ihren eigentlichen und wahren, d. h. der natürlich gegebenen Sachlage entsprechenden Begriff zurückführen: so kann dies allein nur der Begriff der U n e r m e s s l i c h k e i t seyn, wie sie denn auch bei LOCKE sich richtig bezeichnet findet. Von ganz ähnlichen Gesichtspunkten ausgehend, hatte bekanntlich auch bereits D e s c a r t e s für diesen Begriff des für uns U n e r m e s s l i c h e n einerseits denjenigen eines „ u n b e s t i m m t wie G r o s s e n " oder eines „ u n b e s t i m m t wie Vielen", d. i. eines „ i n d e f i n i t u m " , sowie anderseits denjenigen eines von uns bloss „ e i n g e b i l d e t e n U n e n d l i c h e n " oder eines „ i n f i n i i m a g i n a i r e " in Vorschlag gebracht. Beide Ausdrucksweisen bezeichnen somit der Sache nach ziemlich das Gleiche (DESCABTES, S. 1 1 4 ) . Alle diese Verhältnisse enthalten augenscheinlich einen nicht zu übersehenden Wink für uns, wie sehr wir, als an sich endliche Naturwesen, selbst in unserem eigenen Denk- und Vorstellungsvermögen an die allgemeine E n d l i c h k e i t des gesammten Wesens dieser Welt, im Ganzen wie im Einzelnen gebunden sind. Der Begriff des E n d l i c h e n oder der E n d l i c h k e i t ist derjenige, welcher im Verkehr mit der Aussenwelt z u e r s t in uns erweckt und erregt wird, und erst von hier aus werden wir, durch den Begriff des U n e r m e s s l i c h e n sowie den damit verbundenen Begriff des E r h a b e n e n , hinübergeleitet auch zu dem Begriff eines wahrhaft und an sich Unendlichen und in sich völlig S c h r a n k e n l o s e n , als des einzig wahren, weil allein vernunftgemässeri begrifflichen Gegensatzes zu allem an sich thatsächlich endlichen und beschränkten Wesen dieser Welt. Aber wir werden auch einzig und allein nur darauf h i n g e l e i t e t oder hingewiesen als durch eine an sich wenigstens b e g r i f f l i c h e Möglichkeit eines derartigen

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

267

wahrhaft U n e n d l i c h e n , ohne in Bezug auf dessen etwaige W i r k l i c h k e i t oder N i c h t w i r k l i c h k e i t , wenigstens von dem jetzigen Standpunkt unserer geistigen Anschauung aus, uns auch nur im entferntesten irgendwelche befriedigende Rechenschaft geben zu können. Nur in weiter Ferne erschauen wir diese Möglichkeit, unterdess wir selbst, trotz aller Unermesslichkeit und Erhabenheit der weiten, für unser leibliches Auge scheinbar völlig gränzenlosen Räume unseres Weltganzen, uns selber als an sich e n d l i c h e Wesen auch an dessen Endlichkeit mit gebunden wissen und fühlen. In Folge aller dieser Verhältnisse, muss es uns denn auch in gewissem Sinn als ganz b e g r e i f l i c h erscheinen, wie leicht das Denken in die Versuchung kommt, eben jenen Begriff eines „ U n g e h e u e r g r o s s e n " oder „eines u n v e r h ä l t n i s s m ä s s i g G r o s s e n " und in Folge dessen auch den Begriff einer bloss s c h e i n b a r e n und damit f a l s c h e n U n e n d l i c h k e i t häufig mit demjenigen einer wirkl i c h e n und w a h r h a f t e n in der eigentlichen Bedeutung des Wortes zu verwechseln. Dass wir aber durch eine jede derartige, wenn auch noch so unbewusste Verwechselung zweier einander so entgegengesetzten Begriffe nothwendig in die grössten inneren Widersprüche unvermeidlich verwickelt werden müssen: dies kann wohl kaum entgehen, und an Versuchen, derartige Widersprüche in irgend einer Weise, wenn auch nur dem Anschein nach, zu lösen, hat es begreiflicher Weise denn auch nicht gefehlt. Zu solchen Versuchen schien besonders die Raum-, Grössenund Zahlenlehre mannigfache Gelegenheiten zu bieten. Diese Lehre schien aber dabei den Begriff einer bloss s c h e i n b a r e n und darum f a l s c h e n U n e n d l i c h k e i t mit wirklicher und. w a h r h a f t s c h r a n k e n l o s e r U n e n d l i c h k e i t im eigentlichen Sinne des Wortes zu v e r w e c h s e l n . Ein beliebtes Beispiel dieser Art ist bekanntlich den Verhältnissen des g l e i c h s c h e n k l i g e n D r e i e c k s entnommen. Wird nehmlich die obere S p i t z e desselben immer weiter nach

268

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

oben gerückt und damit von der Grundlinie desselben immer weiter e n t f e r n t : so hat dies zur natürlichen Folge, dass die beiden einander stets gleichen Winkel an den beiden Seiten dieser Letzteren immer mehr dem r e c h t e n Winkel oder dem Winkel von 90° sich n ä h e r n . Was dürfte auf den ersten bloss oberflächlichen Blick nun wohl als natürlicher erscheinen, als dass, je weiter und immer weiter man die Spitze von der Grundfläche entfernt, die beiden Winkel zu beiden Seiten der Grundlinie dem

r e c h t e n Winkel so weit sich nähern, dass sie schliesslich ganz und gar zu einem thatsächlich rechten Winkel werden? Eine derartige Annahme würde jedoch auf einer argen Selbsttäuschung beruhen. Denn vermöchten wir die Spitze des Dreiecks auch selbst bis zur äussersten Weltgränze, ja selbst noch über dieselbe hinaus zurückzuschieben: die beiden Winkel an der Grundlinie würden nie und nimmermehr zu wirklich rechten Winkeln werden. Eine wenn auch noch kleine und selbst fast verschwindend kleine Winkelgrösse wird am wirklich r e c h t e n Winkel immerdar noch fehlen, und zwar wird dieser Unterschied stets genau der H ä l f t e des oberen spitzen Winkels entsprechend seyn: d. h. der Winkel dca wird stets als gleich dem Winkel cab sich erweisen, und gerade um

Irrthümliclikeit und Unhaltbarkeit etc.

26»

diese Winkelgrösse werden die betreffenden Winkel der Grundlinie hinter dem Maass eines rechten Winkels zurückbleiben. Man hat zwar gemeint, auf eben diese Verhältnisse den Satz gründen zu dürfen, dass, wenn diese stetige Entfernung der Spitze von der Grundlinie wirklich bis ins U n e n d l i c h e fortgesetzt werde, jener schliesslich immer verschwindend kleiner werdende Bruchtheil zuletzt, d. h. in der U n e n d l i c h k e i t gänzlich v e r s c h w i n d e n d und also jene beiden Winkel wirklich r e c h t e W i n k e l darstellen würden: welch ein bedeutender, nur auf der reinsten Selbsttäuschung beruhender F e h l s c h l u s s dies aber seyn würde, dies geht aus dem Bisherigen wohl bereits auf das Unzweifelhafteste hervor. Mögen wir das Hinausschieben der Spitze also noch so lange fortsetzen als wir wollen oder als es überhaupt denkbar möglich seyn mag, wir bleiben damit immer i n n e r h a l b des B e r e i c h e s des w i r k l i c h E n d l i c h e n : die Pforten zu irgendwelcher Art eines thatsächlich u n e n d l i c h e n Seyns bleiben, wenigstens auf diesem Wege, ein für allemal v e r s c h l o s s e n . Durch k e i n e wenn auch noch so lange fortgesetzte Verg r ö s s e r u n g eines an sich E n d l i c h e n und B e g r ä n z t e n vermag daher jemals ein U n e n d l i c h e s und U n b e g r ä n z t e s weder erreicht noch irgendwie begründet zu werden, und eine jede Annahme einer derartigen Möglichkeit muss vor dem prüfenden Auge des Geistes als eine reine U n m ö g l i c h k e i t und darum als ein blosses T r u g g e b i l d e einer auf falsche Fährte gerathenen Einbildung in sich selbst zerfallen. Werden wir nun aber, so müssen wir fragen, in Bezug auf eben diese Behauptung, dass durch keine noch so lange fortgesetzte Vermehrung oder Erweiterung von an sich endl i c h e n Grössen jemals ein wirklich U n e n d l i c h e s gewonnen werden kann, nicht durch Thatsachen widerlegt, welche von Seiten der allgemeinen Eaum-, Zahlen- und Grössenlehre in anderer Weise uns könnten entgegengehalten werden? Kennt

270

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit

dieselbe nicht thatsächliche U n e n d l i c h k e i t s r e c h n u n g e n , in welchen, wie man sagt, mit u n e n d l i c h e n G r ö s s e n und Z a h l e n gerechnet wird? Wohl gibt es derartige U n e n d l i c h k e i t s - oder sogenannte I n f i n i t e s i m a l - K e c h n u n g e n , mit deren Hülfe sogar die schwierigsten und erstaunlichsten Aufgaben gelöst werden, welche zu lösen durch keine sonstigen Rechnungsweisen möglich sind. Aber wir würden sehr irren, wenn wir uns dem Gedanken hingeben wollten, als sollte durch eben diese sogenannten Unendlichkeitsrechnungen wirklich jemals eine an sich thatsächlich s c h r a n k e n l o s e U n e n d l i c h k e i t s e l b e r irgendwelcher Berechnung unterworfen werden. Der Begriff des U n e n d l i c h e n , dessen diese Berechnungsarten allerdings zu ihren besonderen Zwecken mit grossem Nutzen sich bedienen, ist nur ein augenblickliches H ü l f s m i t t e l zu grösserer Vereinfachung der Gesammtrechnung, welches Hülfsmittel aber alsbald wieder bei Seite gesetzt wird, sobald mit seiner Hülfe der eigentliche Zweck, um desswillen man desselben sich bedient hatte, so weit erreicht ist, dass man einer solchen Hülfe zur weiteren Durchführung der Rechnung nicht mehr benöthigt ist. Nehmen wir z. B. die Zahlenreihe 1+1 + 1+ 1 oo, d. h. und so fort ins Unendliche; oder 1 + 2 + 3 + 4 oo, d. h. und so fort bis ins Unendliche, so bedeutet in allen derartigen Fällen eine solche Reihe keineswegs, dass dieselbe etwa ohne a l l e s E n d e solle f o r t g e s e t z t werden; sondern das Unendlichkeitszeichen oo soll nur andeuten, dass die Reihe bis zu einer jeden b e l i e b i g e n Anzahl von G l i e d e r n oder bis zu einer jeden b e l i e b i g e n grossen Z a h l oder sonstigen e n d l i c h e n G r ö s s e dürfe fortgesetzt werden. Von einer wirklichen Berechnung der Grösse oder Ausdehnung eines thatsächlich g r ä n z e n l o s e n U n e n d l i c h e n ist also hier in k e i n e r "Weise die Rede, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil das wahrhaft Unendliche sich, wie bereits bemerkt, überhaupt g a r k e i n e r Art von Berechnung unterwerfen lässt. Die eben beispielsweise

Irrthümlichkeit und Ulihaltbarkeit etc.

271

angeführten Reihen gehören übrigens zu den einfachsten und eben darum auch zu den für uns am leichtesten zu überschauenden. Jedenfalls aber können wir auch aus ihnen bereits ersehen, dass eine jede derartige Reihe unter allen Umständen mit einer ganz bestimmten endlichen Zahl oder Grösse ihren A n f a n g nehmen muss. Was aber mit einem bestimmten A n f a n g begonnen hat, das muss, wie wir uns bereits bei einer früheren Gelegenheit überzeugt haben, auch ebenso gewiss irgend einmal ein diesem Anfang entsprechendes und darum ebenso bestimmtes E n d e erreichen. Ob wir den eigentlichen Ort im Raum, wo dieses Ende in Wirklichkeit eintritt, im Voraus genauer anzugeben vermögen oder nicht: dies kommt hierbei in keiner Weise in Betracht. Aber eben hieraus ist uns auch bereits ersichtlich, dass k e i n e derartige Reihe jemals ohne alles Ziel und Ende bis ins U n e n d l i c h e , wie man zu sagen pflegt, fortgesetzt zu werden von Haus aus die Bestimmung haben kann; an irgend einem, wenn anfangs noch unbestimmt gelassenen Punkt muss sie ihren thatsächlichen Abschluss finden. Denn ohne einen solchen Schlusspunkt oder Endabschluss würde eine jede Berechnung des Gesammtbetrages einer derartigen Reihe als eine Sache der reinsten Unmöglichkeit sich darstellen. Betrachten wir z. B. die Reihe „ 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6". Dieselbe ist durch ein bestimmtes Anfangs- und Endglied vollständig in sich abgeschlossen, und für solchen Fall gilt das Gesetz, dass der G e s a m m t b e t r a g aller Einzelglieder gleich sey dem durch die h a l b e A n z a h l s ä m m t l i c h e r G l i e d e r vervielfältigten Gesammtbetrag des e r s t e n und des l e t z t e n Gliedes. Darnach

ist also die Gesammtsumme dieser ganzen Reihe g

= (1 + 6) x —- d. h. = 7 x 3 = 21.

Es bleibt eben dieses

Gesetz aber auch für den Fall in seiner vollen Gültigkeit, wenn das letzte Endglied noch nicht im Voraus durch eine bestimmte Zahl kann ausgedrückt werden, für welchen Fall

272

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

dasselbe daher auch durch eine u n b e s t i m m t e Zahlengrösse, also etwa durch n pflegt bezeichnet zu werden. Auf diese Weise nimmt die vorstehende Reihe und deren Endergebniss nunmehr diese Gestalt an: 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 +« 71 = (1 + n) X —, wobei also zum Zweck einer wirklichen Be2 rechnung die unbestimmt gelassene Zahlengrösse n durch irgendwelche beliebige b e s t i m m t e Zahl als wirkliches Schlussglied der gesammten Reihe zu ersetzen ist. Mag dieses letzte noch unbestimmte Schlussglied, sobald wir es durch irgend eine bestimmte Zahlengrösse ersetzen, auch bis in die Milliarden von Milliarden verlaufen: immerhin bleibt die an seine Stelle getretene bestimmte Zahl eine wirklich e n d l i c h e Z a h l ; und die ganze Zahlenreihe besteht demnach aus lauter e n d l i c h e n Grössen. Von der Berechnung eines an sich Unendlichen kann hierbei in keiner Weise die Rede seyn. Und ganz das Gleiche findet nun aber auch in dem Fall statt, wenn wir das unbestimmte n, als Sinnbild des bloss „unbestimmt wie Grossen" oder des für unser menschliches Erkenntnissvermögen „Unermessliche" durch das eigentliche Unendlichkeitszeichen, nehmlich durch oo, ersetzen. Die Gesammtreihe lautet alsdann: oo . 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6.... +oo = (l+oo)X — Diesem gemäss abgeändert, erscheint jene Formel allerdings noch weit verwickelter als im vorigen Fall. Aber trotz des hier in Anwendung gebrachten Zeichens oo, als des Sinnbildes für den Begriff eines wirklich und thatsächlich U n e n d l i c h e n , kann doch auch hier von einer B e r e c h n u n g eines solchen ebensowenig die Rede seyn, als im ersten Fall. Denn welche Anforderungen werden in dieser letzten Formel an uns gestellt? Einem bereits a n s i c h U n e n d l i c h e n und a l s v ö l l i g s c h r a n k e n l o s von u n s G e d a c h t e n soll noch irgend eine w e i t e r e E i n h e i t hinzugefügt, das an sich schon Unendliche also durch eben diese Einheit noch weiter v e r g r ö s s e r t oder v e r m e h r t

273

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

werden. Schliesst aber eine derartige Zumuthung nicht den offenbarsten W i d e r s p r u c h in sich ein? Überall also, wo noch soll hinzugefügt werden können: da hat man es mit keiner wirklichen und thatsächlichen Unendlichkeit zu thun, sondern nur mit jener bereits mehrfach erwähnten falschen oder bloss vermeintlichen Unendlichkeit, also nur mit jenem für uns unbestimmbar wie Grossen und für uns Unermesslichen, welches namentlich im gemeinen Leben so vielfach mit dem wirklich Unendlichen pflegt verwechselt zu werden. Ganz dasselbe gilt aber auch von der weiteren Zumuthung, ein an sich Unendliches zu h a l b i r e n und jenes um Eins vermehrte Unendliche dann auch noch mit diesem h a l b e n Unendlichen zu vervielfältigen. Das wirklich an und in sich Unendliche besteht nicht aus Theilen und kann also auch weder halbirt noch sonst irgendwie getheilt werden. Also auch hier nichts als Widersprüche auf Widersprüche, welche uns in keinem Zweifel darüber lassen können, dass wir es hier in der ganzen Formel keineswegs mit einem wirklich Unendlichen zu thun haben können. Wenn die Rechenkunst nun aber auch einen womöglich noch kühneren Schritt weiter geht, und in anderen derartigen Formeln uns sogar zumuthet, das an sich schon Unendliche auch noch d u r c h sich selbst zu v e r v i e l f ä l t i g e n oder, wie man sich auszudrücken pflegt, dasselbe auf sein eigenes G e v i e r t oder Q u a d r a t zu erheben: so weisen uns alle diese Widersprüche nur noch um so nachdrücklicher darauf hin, dass alle derartigen Formeln im Grunde gar nicht zu dem Zweck ersonnen und aufgestellt worden sind, um wahrhaft Unendliches mit ihrer Hülfe einer wirklichen Berechnung zu unterwerfen: sondern dass dieselben vielmehr nur als geistreich ersonnene künstliche Hülfsmittel zur Bewältigung und Ausführung von Rechnungsaufgaben zu betrachten sind, welche wir auf dem Wege unserer gewöhnlichen Rechnungsarten in keiner Weise zu lösen im Stande sind. Alle diese gegen den gesunden Menschenverstand so augenscheinlich verWandersmann. III.

18

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

274

stossenden Ungeheuerlichkeiten und die daraus hervorgehenden unvermeidlichen Unrichtigkeiten werden dann später, im Verlaufe solcher Rechnungen, am richtigen Ort und zur richtigen Zeit auf anderen Wegen und durch andere ähnliche, jedoch entgegengesetzte Hülfsmittel, bekanntlich wieder ausgeglichen. F ü r unsere gegenwärtige Untersuchung aber muss aus eben diesen hier angeführten Thatsachen auf das unzweideutigste hervorgehen, wie u n g e r e i m t und v e r f e h l t es seyn würde, wenn wir derartige Rechnungsformeln als einen wirklichen B e w e i s dafür auffassen wollten, als sey es jemals möglich, durch noch so lange fortgesetztes H i n z u f ü g e n von E n d l i c h e m zu Endlichem, und sollte dem äusseren Anschein nach auch nie ein Ende dafür abzusehen seyn, zu etwas thatsächlich U n e n d l i c h e m zu gelangen. Solcher widerspruchsvollen Formeln besitzt die höhere Rechenkunst noch gar manche andere, welche bei genauerer Betrachtung aber alle in dieselbe Klasse gehören wie die besprochenen. W i r haben bereits an einem etwas früheren Ort der Formel erwähnt, nach welcher j e d e b e l i e b i g e G r ö s s e , mag sie so gross oder so klein seyn als sie will, d u r c h u n e n d l i c h g e t h e i l t gleich N u l l ist: also a n — = 0, OO

b a — = 0, OO

x — = 0, 00

1 — 00

- 0,

Derselbe Satz umgekehrt, heisst sodann: x

00

= 0

u. s. w.

= oo, — =

oo,

100000 ^ . = oo, = oo. r assen wir diese Jt! ormeln 0 0 ' 0 oder Gleichungen nach ihrem Wortlaut auf, so stellen sie den gewiss überraschenden Satz auf, dass eine jede beliebig grosse oder beliebig kleine Zahl oder Grösse, d u r c h n i c h t s get h e i l t , u n e n d l i c h sey! Nun sagt aber ein bekannter Wahrheitssatz, dass, wenn zwei Grössen einer dritten g l e i c h sind, auch j e n e beiden Grössen einander g l e i c h seyn müssen. Es müsste also, wenn folgerichtig a = oo, b = oo, x = oo, 1 = oo, 100000 = oo u. s. w., nach dem eben erwähnten unanfecht= oo,

1

100000

275

Irrthümliclikeit und Unhaltbarkeit etc.

baren Lehrsatz nach a = b = x = 1 = 100000 seyn, d. h., es müsste nach obigem Satz — = oo, — = oo u. s. w., sobald wir 5 0 ' 0 ihn beim Worte halten wollten, a l l e r und j e d e r oder Grössenunterschied

Zahlen-

als n i c h t v o r h a n d e n von uns

betrachtet werden, und alles in dieser Welt Vorhandene müsste einander vollkommen gleich seyn! spruch auf Widerspruch!

Also abermals Wider-

Aber eben deshalb haben auch schon

die ersten Erfinder eben dieser höheren Rechnungsarten, um einem jeden Missverständnisse in Bezug auf die von ihnen aufgestellten Formeln vorzubeugen, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle diese Formeln und Rechnungsweisen als nichts Anderes zu

betrachten

seyen,

denn

allein

als

Rechnungserleich-

t e r u n g e n , sinnreich ersonnen zu bequemerer Bewältigung und Ausführung solcher Fälle, in welchen Grössen oder Zahlenwerthe eine Rolle spielen, die entweder wegen ihrer für uns u n ü b e r s e h b a r e n G r ö s s e scheinbar an den Begriff des une n d l i c h G r o s s e n , oder durch ihre für uns f a s t v e r s c h w i n dende K l e i n h e i t an den Begriff des unendlich Kleinen sich anzuschliessen scheinen. gang uns klar machen.

Ein Beispiel wird diesen GedankenFassen wie jene bereits vorhin erwähnte

Formel 1 + 2 + 3 + 4 + 5 + G

+ oo = (1 + oo) X

— 2

nochmals etwas schärfer als bis dahin in das Auge, so werden wir finden, dass in dem zwischen Klammern befindlichen Ausdruck l + oo der E i n e r im Vergleich mit dem U n e n d l i c h e n , dem er hinzugefügt werden soll, als f a s t völlig v e r s c h w i n dend k l e i n darf betrachtet werden, und dass ein H i n w e g lassen

dieser Einheit auf das Ergebniss der gesammten Be-

rechnung ebenfalls nur einen fast v e r s c h w i n d e n d Einfluss

auszuüben

im

Stande seyn wird.

kleinen

Und insoferne

würde denn obige Formel sich wie folgt vereinfachen: OO X oo + 3 + 4 + 5 + 6 . . . . + oo = —

oder,

was 18*

1 + 2

dasselbe

276

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

002 besagt = ——. Das heisst mit anderen Worten nichts Anderes, als dass in einer jeden beliebig lange fortgesetzten Reihe dieser Art der G e s a m m t b e t r a g a l l e r i h r e r e i n z e l n e n G l i e d e r dem h a l b e n G e v i e r t (oder Quadrat) i h r e s l e t z t e n G l i e d e s u m so n ä h e r komme, j e g r ö s s e r eben dieses letzte Glied in Wirklichkeit genommen wird. Oder — wie Dr. Karl Fresenius in seiner Schrift über die Differentialrechnung sagt —: „oo heisst hier weder irgend eine grosse Zahl, denn dann wäre das Ergebniss der Berechnung (das Resultat) unrichtig, noch eine endlose Zahl, denn diese lässt sich nicht denken; sondern es liegt in dem Zeichen oo die Bedeutung: J e g r ö s s e r die Zahl a n g e n o m m e n wird, desto n ä h e r k o m m t die Gleichung der W a h r h e i t , hier also die Summe der Glieder dem halben Quadrat ihrer Anzahl" (FRESENIUS, Einf. in die Differentialrechnung [Jahresb. über das Grossh. Karl-FriedrichGymnasium z. Eisenach] S. 4). — Wo es sich aber um Verhältnisse handelt, bei denen alles sich um ein , , J e m e h r oder j e w e n i g e r dreht: da kann an eine wirkliche Unendlichkeit eines derartigen Verhältnisses in Wahrheit n i c h t zu denken seyn. Daher hat auch Albert d e r G r o s s e in diesem Sinne gewiss nicht Unrecht, wenn er einen jeden derartigen sogenannten Fortgang ins Unendliche für eine Unmöglichkeit erklärt, weil die N a t u r , d. i. alles in sich Endliche und Begränzte „das Unendliche f l i e h e " und somit gewissermassen einen „ A b s c h e u vor dem Unendlichen (horror infiniti)" an den Tag lege (FOBTLAGE, Beweis f. d. Dasein Gottes. S. 159. 162).

Und so sollen denn auch jene Ausdrücke wie ™ = oo

, 2 , 100000 . . ... . , oder — = oo oder = oo, wenn wir richtig verstehen 0 0 wollen, nichts anderes aussagen, als dass bei derartigen Brüchen, „ j e k l e i n e r der Nenner bei sich g l e i c h b l e i b e n d e m (constantem) Zähler wird, d e s t o g r ö s s e r hierdurch der Werth

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

des Bruches wird" (K. wir umgekehrt

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a. a. 0 . S. 4). Und so haben 1 2 auch die Sätze = 0, oder = 0, oder 00 00 FBESENIUS

100000 _ Q e i3 e n f a ii s n u r allein in dem Sinn aufzufassen, oo dass der Werth eines solchen Bruches um so m e h r dem Werth von 0 sich n ä h e r t , also um so k l e i n e r wird, j e g r ö s s e r d e r N e n n e r des Bruches angenommen wird. So weisen uns denn alle bisherigen Betrachtungen darauf hin, dass, wenn wir auch in unseren Gedanken einem jeden gegebenen Endlichen unausgesetzt Endliches hinzuzufügen vermögen, ohne dabei eine genau bestimmte Gränze angeben zu können, wo dieses Hinzufügen einmal sein naturnothwendiges Ende finden muss, wir doch bei noch so lange fortgesetztem Hinzufügen allewege im Bereich des Endlichen verbleiben. Es führt uns durchaus keine Brücke über dies Gebiet hinaus und hinüber in ein wirklich Unendliches hinein. Und eben darum entpuppt sich denn auch jener, selbst in wissenschaftlichen Schriften so häufig vorkommende Satz „und so fort ins Unendliche", trotz seines im ersten Augenblick so verführerischen Scheines, immer mehr als eine bloss l e e r e R e d e n s a r t , welcher alle wirkliche Bedeutung abgeht. Daher weist auch Bau mann mit Recht darauf hin, dass das U n e n d l i c h e der Raum-, Grössen- und Zahlenlehre, „soferne es durch k e i n e (wirkliche) Z a h l e r r e i c h t werden kann", im Grunde nur ein noch „ U n g e e n d e t e s " bedeute (BAUMANN, Raum u. Zeit I. S. 184). — In ähnlichem Sinn sprach auch schon Kant sich aus, wenn er sagt, dass die Raum- Grössen- und Zahlenlehre zwar „lediglich von einem F o r t g a n g ins U n e n d l i c h e (progressus in infinitum)" spreche, dass die Erforscher der „Begriffe oder die Philosophen statt dessen aber nur den Ausdruck von einem F o r t g a n g i n s U n b e s t i m m t e oder von einem progressus in indefinitum wollen gelten lassen." J a selbst in Bezug auf eine g e r a d e L i n i e sagt er, dass wenn es heisse „ziehet eine Linie

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

fort", es r i c h t i g e r lauten würde, „wenn man hinzusetzte i n s U n b e s t i m m t e " , als wenn es heisse „ins U n e n d l i c h e " , weil das Erstere nicht mehr bedeute als „verlängert sie soweit ihr wollt", das Zweite aber, „ihr sollt n i e m a l s a u f h ö r e n , sie zu verlängern", welches jedoch hierbei n i c h t die Absicht ist" (KANT I I . S. 4 0 2 . 4 0 3 ) . Ganz in gleichem Sinn sprechen auch D r o s s b a c h (Harmonie d. Ergebnisse d. Naturf. S. 54) und R i t t e r (RITTEE, Unsterblichk. S. 2 5 6 . 2 5 7 ) sich aus. Eine jede Arbeit, die nie und nimmermehr zu irgend einem bestimmten Ziel und Ende, zu irgend einem bestimmten Abschluss kann gebracht werden, ist eine an sich u n a u s f ü h r b a r e A r b e i t . Und eben dahin würden demnach auch alle jene sogenannten Unendlichkeitsrechnungen gehören, wenn deren Sinn überhaupt in der Weise sollte zu nehmen seyn, dass mit denselben thatsächlich irgendwelche e n d l o s e Rechnungsweise verbunden seyn sollte. Zu bedauern bleiben dabei nur die B e g r i f f s v e r w i r r u n g e n und begrifflichen S e l b s t t ä u s c h u n g e n , welche aus den mannigfachen Verwechselungen und Vermengungen hinsichtlich der Begriffe von „ u n e r m e s s l i c h " oder „ u n b e s t i m m t wie g r o s s " und dem Begriff eines eigentlichen und wahren „ U n e n d l i c h e n " noch immer hin und wieder vorkommen. Daher gehört denn auch eine jede Annahme, als ob eben diese Begriffe, als einander völlig g l e i c h w e r t h i g , sich auch wechselseitig völlig in der Weise zu decken vermöchten, dass ohne Nachtheil für ein richtiges Verständniss oder für ein richtiges Schlussergebniss der eine beliebig durch den andern könnte ersetzt werden, nach allem Bisherigen gewissermassen zu einer Art von w i s s e n s c h a f t lichem A b e r g l a u b e n , der, so lange er nicht überwunden ist, in seiner Weise nothwendig ebenso vielen Schaden anstiften muss, wie ein jeder andere Aberglauben. Hegel sagt mit Bezug auf eben diesen Aberglauben: „Das U n e n d l i c h e hat die Z w e i d e u t i g k e i t , ob es als u n e n d l i c h Viel oder als ein an und für sich Unendliches genommen wird. In demselben

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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Sinn unterscheidet auch SPINOZA das U n e n d l i c h e der E i n b i l d u n g (Imagination) von dem w i r k l i c h (actu) U n e n d l i c h e n . Die meisten Menschen kommen nur zu dem ersten, indem sie e r h a b e n seyn (oder sprechen) wollen. Dies ist aber das s c h l e c h t e Unendliche, nehmlich wenn man sagt »und so fort ins Unendliche«, z. B. die Unendlichkeit des Raumes von Stern zu Stern. Auch die u n e n d l i c h e n R e i h e n der Z a h l in der Zahlenlehre (Mathematik) sind d a s s e l b e . Diese s c h l e c h t e U n e n d l i c h k e i t hat man nun g e w ö h n l i c h vor sich, wenn von U n e n d l i c h k e i t gesprochen wird." Und an einem anderen Orte sagt er: „Die u n e n d l i c h e R e i h e enthält die s c h l e c h t e Unendlichkeit, weil das. was die Reihe ausdrücken soll, ein S o l l e n bleibt. Denn das, was in der Reihe d a ist, zusammen mit dem, was ihr f e h l t , macht erst das aus, das sie seyn soll. Das Wort » u n e n d l i c h « pflegt, auch in der u n e n d l i c h e n R e i h e , in der (gewöhnlichen) Meinung etwas H o h e s und H e h r e s zu seyn: es ist dies eine Art von A b e r g l a u b e , nehmlich der A b e r g l a u b e des V e r s t a n d e s " (HEGEL XV. S. 341. III. S. 298. 294). — Wohl kann es nicht in Abrede gestellt werden, dass in dem Begriff nicht nur eines wahrhaft Unendlichen, sondern auch in dem des bloss Unermesslichen, als der an sich falschen Unendlichkeit, etwas H e h r e s und E r h a b e n e s mit eingeschlossen liegt. Aber eben weil diese u n ü b e r s e h b a r e U n e r m e s s l i c h k e i t keine wahre, sondern nur eine s c h e i n b a r e Unendlichkeit darzustellen vermag, und doch durch ihre häufig ü b e r w ä l t i g e n d e G r o s s a r t i g k e i t uns in hohem Grade — wie man sich vielfach ausdrückt — zu „ i m p o n i r e n " im Stande ist: eben hierin liegt für unser Denken das G e f ä h r l i c h e eben dieser immerhin etwas zweifelhaften Erhabenheit. Müssen wir aber nicht anerkennen, dass eben diese doppelsinnige Bedeutung gerade für unsere gegenwärtige Untersuchung auf das Zutreffendste sich bestätigt zeigt? Ist nicht eben dieses G r o s s a r t i g e und dadurch im gewissen Sinn auch E r h a b e n e , das in jenen scheinbar u n e n d -

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

l i e h e n F o r t g ä n g e n , in jenen angeblich u n e n d l i c h e n R e i h e n uns entgegentritt, auch gerade d a s j e n i g e , wodurch wir unser Urtheil b e s t e c h e n und unvermerkt uns t ä u s c h e n , oder gleichsam uns h i n t e r g e h e n und b e t r ü g e n lassen, und in Folge dessen nun dem ungegründeten Wahn uns hingeben, als hätten wir es in allen derartigen Fällen mit einer w i r k l i c h e n und t h a t s ä c h l i c h e n U n e n d l i c h k e i t zu thun? Jeder Wahn aber ist ein A b e r g l a u b e , in wissenschaftlichen Gebieten ebensowohl wie in anderen.

§. 26. Irrthümliehkeit und Unhaltbarkeit einer vermeintlichen zeitliehen Unendlichkeit oder Ewigkeit des gemeinsamen Weltg-anzen. N o . 142. Wahre und falsche Ewigkeit. — Irrthümliche Anschauungen von Seiten der namhaftesten Weltweisen des griechischen Alterthums. In ähnlicher Weise wie wir im Vorigen in Bezug auf die räumliche Ausdehnung der Welt auf eine f a l s c h e U n e n d l i c h k e i t haben hinweisen müssen, im Vergleiche mit jener allein wahren Unendlichkeit, die wir nur nach ihrem blossen Begriff zu erkennen vermögen, ohne dass diese Welt, zu der wir gehören, uns jemals auch nur im Entferntesten ein Beispiel davon aufzuweisen im Stande wäre: in ähnlicher Weise dürfen wir, bei dem innigen Verhältniss, in welchem nicht nur die Begriffe von Raum und Zeit, sondern ganz ebenso auch die Begriffe von U n e n d l i c h k e i t und E w i g k e i t zu einander stehen, im Voraus schon vermuthen, dass auch in Bezug auf die beiden letzteren Begriffe ein ganz ähnliches Verhältniss bestehen möge. Und in der That ist dieses auch der Fall. Denn wie wir dort im Gebiete der räumlichen Ausdehnung dieser Welt uns völlig ausser Stand finden, die

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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r ä u m l i c h e n G r ä n z e n derselben auch nur irgendwie näher zu bestimmen: so befinden wir uns auch in ganz dem gleichen Unvermögen gegenüber einer jeden genaueren Angabe ihrer z e i t l i c h e n G r ä n z e n . In beiden Fällen begegnen wir also gemeinsam nur allein jenem Begriff des „ u n b e s t i m m t wie G r o s s e n " und damit aber zugleich auch des „ f ü r uns u n b e s t i m m b a r wie Grossen" oder des für uns „ U n e r m e s s l i c h e n " . Und wie in Folge einer trügerischen Verwechselung dieses bloss s c h e i n b a r Unendlichen mit dem Begriff einer wahren und wirklichen Unendlichkeit die irrthümliche Vorstellung jener f a l s c h e n Unendlichkeit in räumlicher Beziehung hervorgegangen ist: so konnte es nicht fehlen, dass demgemäss auch der Begriff einer thatsächlichen z e i t l i c h e n U n e r m e s s l i c h k e i t schliesslich ebenfalls in den einer f a l s c h e n und darum ebenfalls trügerischen E w i g k e i t sich umgestalten musste. Schon die Anwendungen, welche wir im gewöhnlichen Leben so vielfach von den Worten „ e w i g " oder „ E w i g k e i t " zu machen gewohnt sind, weisen uns unzweideutig auf jene doppelsinnige Bedeutung dieser Worte hin. Wie häufig sagen wir z. B. „ich habe dich ja in einer E w i g k e i t nicht gesehen" und dergl. mehr. Dass wir es aber in allen derartigen Fällen nicht mit einer Ewigkeit in der reinen begrifflichen Bedeutung des Wortes zu thun haben; sondern nur allein in jener f a l schen Bedeutung einer „ u n b e s t i m m t wie l a n g e n Z e i t d a u e r " : dies ist für jedermann von selbst ersichtlich. Alle derartigen begrifflichen Verwechselungen betreffen stets nur solche Fälle, welche wohl auch S u a r e z bereits im Auge gehabt hat, wenn er sagte, es gebe ausser dem richtigen auch „einen u n g e n a u e n Gebrauch des Wortes ewig" (BAUMANN, Raum u. Zeit I. S. 36). Ganz ebenso untrennbar daher, wie die Begriffe von R a u m und Z e i t stets mit einander sich verbunden zeigen, dergestalt, dass beide auch in Bezug auf die Begriffe von A n f a n g und E n d e gemeinschaftlich von den gleichen inneren Grundbedingungen und namentlich von einem

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

gleichen i n n e r e n K r a f t m a a s s sich abhängig erweisen müssen: ganz ebenso muss auch ganz ein Gleiches der Fall seyn in Bezug auf die Begriffe von U n e n d l i c h k e i t und E w i g k e i t , und zwar ebensowohl für die falsche Unendlichkeit und Ewigkeit wie für die wahre. Eben daraus wird es denn auch ersichtlich, wie sowohl in Bezug auf r ä u m l i c h e G r ö s s e und A u s d e h n u n g wie auf zeitliche D a u e r , wie gross oder wie klein dieselben auch in Wirklichkeit seyn mögen, b e i d e G r ö s s e n allewege einander vollkommen die Wage halten und darum auch unter allen Umständen als einander völlig g l e i c h w e r t h i g anerkannt werden müssen. Wie daher Hegel, wie wir gesehen (VII. § 25, No. 141), von einer „falschen Unendlichkeit" in räumlicher Beziehung spricht, so erwähnt er auch einer solchen in z e i t l i c h e r B e z i e h u n g . Er bezeichnet eben dieses Verhältniss zwar nicht selber als eine „falsche Ewigkeit"; allein es kann keinem Zweifel unterliegen, dass er eine solche im Auge hatte, wenn er sagt: „Die Frage nach einer E w i g k e i t der Welt, wie man es heisst, hat den Sinn der Zeitvorstellung, als einer u n e n d l i c h l a n g e n Z e i t , sodass sie keinen Anfang (und also auch kein Ende) in der Zeit hat." Denn dass HEGEL hier den Ausdruck einer „unendlich langen Zeit, die keinen Anfang" habe, nicht im eigentlichen buchstäblichen Sinn verstanden, sondern demselben vielmehr nur eine sinnbildliche Bedeutung beigemessen haben kann: dies erhellt daraus, dass er an einem anderen Orte selber eben diese u n e n d l i c h l a n g e oder „ewige Z e i t " geradezu als eine „ U n g e r e i m t h e i t " bezeichnet (HEGEL I. S. 60. VII 1 . S. 25). Unsere Sprache hat zwar nur für den Begriff der z e i t l i c h e n Unendlichkeit den besonderen Ausdruck „ E w i g k e i t " : für den Begriff der Unendlichkeit in r ä u m l i c h e r Beziehung nur den gemeinsamen Ausdruck „ U n e n d l i c h k e i t " , welcher Ausdruck seinem umfassenderen begrifflichen Inhalt nach ebensowohl im räumlichen wie im zeitlichen Sinn seine ganz be-

Irrthümlichkeit und Unhaltbavkeit etc.

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rechtigte Anwendung findet. Es kann hieraus übrigens wohl kaum eine das Yerständniss störende Verwechselung hervorgehen, und wo dies etwa zu befürchten seyn könnte, da kann durch Beifügung der Bezeichnungen „in räumlicher Beziehung" oder „in zeitlicher Beziehung" leicht vorgebeugt werden. Nachdem wir uns somit über den zwischen f a l s c h e r und w a h r e r E w i g k e i t bestehenden begrifflichen Unterschied hinlänglich klar gemacht haben, wird unsere nächste Aufgabe nunmehr darin bestehen, zu untersuchen, wie und in welcher Weise das menschliche Denken überhaupt zu der Vorstellung jener falschen Ewigkeit in Bezug auf unser gemeinsames Weltganze gelangt seyn mag? An einem früheren Orte (VII. § 24, No. 136) haben wir bereits auf den grossen wissenschaftlichen Missgriff hingewiesen, welchen schon die alten Denker Leukipp, Demokrit und Epikur sowohl als auch deren spätere Nachfolger bis in unsere gegenwärtige Zeit hinein dadurch begangen haben, dass sie als erste und nothwendigste stofflich-körperliche Grundlagen für unsere Welt stofflich-körperliche G r u n d k ö r p e r che n annahmen, denen sie gleichzeitig nicht nur eine an sich u n m ö g l i c h e u n e n d l i c h e A n z a h l , sondern auch eine an sich ebenso u n m ö g l i c h e u n e n d l i c h e D a u e r zuschrieben. Sowohl auf die Unmöglichkeit einer une n d l i c h e n Z a h l , wie auf diejenige einer u n e n d l i c h e n D a u e r in Bezug auf Dinge, denen in räumlich-körperlicher Beziehung nur eine f a s t v e r s c h w i n d e n d e K l e i n h e i t zuzuerkennen seyn soll, haben wir ebenfalls bereits früher hingewiesen (VII. § 24, No. 136 und VI. § 23, No. 131). Ein jeder Irrthum aber, so lange er nicht seiner Irrthümlichkeit nach vollgültig erkannt und dargelegt ist, kann allewege nur den Grund zu immer weiteren Irrthümern in sich einschliessen. Und wie daher von der einen Seite jene vollkommen willkürliche und darum auch vollkommen ungerechtfertigte Annahme einer unendlichen Anzahl jener Einzeldinge kaum anders als zu einer ebenso irrthümlichen und ungerechtfertigten U n e n d l i c h k e i t s -

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

e r k l ä r u n g des gesammten W e l t a l l s in räumlicher Beziehung hinzuleiten vermochte: so konnte es nicht ausbleiben, dass sie auch zu jener ebenso grundlosen und unberechtigten Ewigk e i t s e r k l ä r u n g auch des gesammten W e l t g a n z e n mit innerer Nothwendigkeit eine unmittelbare Veranlassung bieten musste. Denn wo einmal alles E i n z e l n e als u n e n t s t a n d e n und ewig u n v e r g ä n g l i c h soll anerkannt werden: da muss nothwendig auch der ganzen G e s a m m t h e i t aller dieser Einzelheiten eine ganz ebenso unentstandene und unvergängliche E w i g k e i t beigemessen werden. Das Eine würde undenkbar seyn ohne das Andere. Denn wie die Theile als solche sind: so muss auch das aus ihnen gebildete Ganze sich darstellen. Wie jedoch schon die beiden Begrifie von Raum und Zeit, so mussten auch die ihnen entsprechenden beiden Begriffe von U n e n d l i c h k e i t und E w i g k e i t , bei aller inneren Verwandtschaft und untrennbaren Gemeinschaftlichkeit, doch durch unverkennbare begriffliche Unterschiedenheit einander gegenüber stehen. Und eben diese Verschiedenheit musste denn auch schon in jenen frühesten uns bekannten Weltanschauungen zu Tage treten. Während man nehmlich dem gemeinsamen Weltganzen eine ewig unbegränzte Ausdehnung im R a u m zuschrieb, gelangte man dagegen hinsichtlich der zeitlichen Verhältnisse unseres Weltganzen zu ganz anderen Vorstellungen. Es erschien nehmlich jenen Denkern die von ihnen hehauptete Ewigkeit der Welt unter dem Bilde einer a n f a n g s - und endlosen A u f e i n a n d e r f o l g e von abwechselnd e n t s t e h e n d e n u n d v e r g e h e n d e n W e l t e n , welche an sich, d. h. jede für sich im Besonderen und Einzelnen betrachtet, für das Auge des Geistes, weil durch ein wirkliches Entstehen und Vergehen, also durch Anfang und Ende begränzt, nothwendig als in zeitlicher Beziehung unbestreitbar e n d l i c h sich darstellen musste. So lehrte z. B. D e m o k r i t , dass ,,das All aus den (an sich unentstandenen) untheilbaren körperlichen Ur- und Grundwesen dieser Welt entstanden sey: aus ihnen und ihrer

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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unendlichen Zahl erzeuge sich alles Zusammengesetzte, Feuer, Wasser, Luft, Erde, sowie die Sonne und der Mond." Da aber jene, die uranfänglichen Grundlagen unserer Jetztwelt bildenden und an sich angeblich ewigen und u n v e r g ä n g l i c h e n stofflich-körperlichen Ur- und Einzeldinge bereits Tor dem E n t s t e h e n unseres gegenwärtigen Weltgebäudes müssten v o r h a n d e n gewesen seyn: so sprechen sowohl Leukipp als auch Demokrit folgerichtig n i c h t von einer einzigen unendlichen und ewigen Welt, sondern sie sprechen überhaupt nur ganz im Allgemeinen von „ W e l t e n " , d. h. von einer unbestimmten V i e l h e i t von k o m m e n d e n und g e h e n d e n , ents t e h e n d e n und v e r g e h e n d e n , und eben deshalb aber auch zeitlich auf e i n a n d e r f o l g e n d e n W e l t e n , welche sämmtlich in r ä u m l i c h e r Beziehung „ u n b e g r ä n z t " , in z e i t l i c h e r Beziehung als e r z e u g t und v e r g ä n g l i c h gedacht wurden (TIEDEMANN, Geist d. spek. Phil. I . S. 2 2 6 . 2 3 1 . 2 3 2 . 2 3 6 . [LEUKIPP]

S.

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[DEMOKKIT] DIOGENES LAEBTIUS I I . S .

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[LEUKIPP]). — Und in ähnlicher Weise spricht auch Epiklir von „ W e l t e n " , die er als vergänglich bezeichnete, weil ihre T h e i l e v e r ä n d e r t würden. Eine r ä u m l i c h e G r ä n z e spricht auch er unserem Weltgebäude ab, wogegen auch er in Übereinstimmung mit LEUKIPP und DEMOKEIT in z e i t l i c h e r Beziehung das einstige E n t s t a n d e n s e y n desselben lehrte (TIEDEMANN, Geist d. spek. Philos. I I . S. 3 7 2 . 3 7 3 . DIOGENES LAEBTIUS I I . S . 2 5 3 . 2 6 8

[EPIKUK]).

Bei der, wie wir sehen, im Ganzen ziemlich unbestimmten Darstellungsweise eben jener Anschauungen müssen wir selbstverständlich immerhin in einigem Zweifel darüber bleiben, welche besonderen Weltverhältnisse die Betreffenden unter ihrer Bezeichnung von „Welten" wohl eigentlich im Auge gehabt haben mögen. Ob eine unendliche Vielheit von auf einanderfolgenden, der Reihe nach entstehenden und vergehenden wirklichen und vollständigen Weltgebäuden wie das Unsrige, oder ob lediglich nur gewisse untergeordnete Theile dieses

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Letzteren, wie z. B. nur einzelne besondere Sonnen- oder Sterngebiete: darüber bleiben wir im Unklaren. Wie dem nun aber auch seyn mag: soviel steht ein für allemal fest, dass in Bezug auf unsere eigene gegenwärtige Jetztwelt die Annahme einer wirklichen U n e n d l i c h k e i t derselben in r ä u m l i c h e r Beziehung bei gleichzeitiger Annahme einer einstigen E n t s t e h u n g und eines einstigen W i e d e r v e r g e h e n s derselben in z e i t l i c h e r Beziehung nothwendig als eine vollständig aus der Luft gegriffene V e r i r r u n g des menschlichen Denkens muss betrachtet werden. Denn eine jede derartige Weltanschauung muss bei nur einigermassen genauerem Zusehen als in vollständigstem W i d e r s p r u c h sich erweisen mit eben jenem bereits mehrfach erwähnten allgemeinen G r u n d g e s e t z der N a t u r , dass alles, was als e n d l i c h in der Z e i t muss anerkannt werden, mit innerer Nothwendigkeit auch gleichzeitig als- ganz ebenso e n d l i c h in Bezug auf dessen Ausdehnung in räumlicher Beziehung anerkannt werden muss. Denn allenthalben, wo in einem grösseren Ganzen dessen einzelne Bestand theile in der E i n e n dieser beiden Beziehungen als endlich sich erweisen, da muss die ganz gleiche E n d l i c h k e i t auch hinsichtlich der anderen Beziehung ihre Geltung behaupten, und zwar aus dem einfachen Grund, weil, wie erwähnt, in einem jeden Einzelnen dieser Einzelbestandtheile sowohl die r ä u m l i c h e wie die z e i t l i c h e Wirksamkeit desselben auf ein und d e r s e l b e n e i n h e i t l i c h e n G r u n d k r a f t beruht, aus deren unmittelbar-innerlicher Wirksamkeit eben beide, sowohl die r ä u m l i c h e n wie die z e i t l i c h e n Bethätigungen, ihren gem e i n s c h a f t l i c h e n und" u n a b l ö s l i c h mit e i n a n d e r verb u n d e n e n Ursprung nehmen. In Bezug aufPlato gehen die Ansichten sehr auseinander, ob derselbe, seiner eigenen persönlichen Meinung nach, eigentlich ein E n t s t a n d e n s e y n und also die N i c h t e w i g k e i t der Welt gelehrt habe, oder im Gegentheil das N i c h t e n t s t a n d e n seyn und also die E w i g k e i t derselben. Es liegt eine gewisse

Irrthümlichkeit und Unlialtbarkeit etc.

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nicht zu verkennende U n b e s t i m m t h e i t und demgemäss auch eine gewisse U n k l a r h e i t in der äusseren Ausdrucks- und Darstellungsweise, in welche er seine eigenen Gedanken eingekleidet hat, dadurch das richtige Verständniss dieser Letzteren mitunter sehr erschwert, wo nicht geradezu gestört wird. Und eben in Folge hiervon kann es denn auch nicht zu verwundern seyn, wenn selbst bedeutende Forscher nicht selten über den eigentlichen und wahren Sinn mancher Stellen sehr im Zweifel sind. Es betrifft dies namentlich den Punkt, ob PLATO nach der Darstellung, welche er im Timäus gegeben hat, mehr zu der Annahme eines wirklichen A n f a n g s und eines wirklichen E n d e s dieser unserer gegenwärtigen Jetztwelt dürfte hingeneigt haben, oder ob es nicht etwa vielmehr die Annahme eines ohne allen und jeden bestimmten Anfang und ohne alles und jedes bestimmtes Ende sich vollziehenden u n u n t e r b r o c h e n e n V e r l a u f e s eines e w i g e n , an s i c h a n f a n g s - und e n d l o s e n W e r d e n s seyn möge, was ihm vor Augen möchte geschwebt haben. Zum Zweck einer besseren Beurtheilung, in wie weit derartige Zweifel in Bezug auf gewisse Aussprüche PLATO'S gegründet seyn dürften oder nicht, möchte es wohl nicht unpassend seyn, den eigentlichen Gedankengang PLATO'S, sowie derselbe im Timäus sich niedergelegt findet, hier in kurz gedrängter Ubersicht soviel als möglich im Wortlaut vorzuführen. Bereits an einem früheren Ort (VI. § 23, No. 133) haben wir Veranlassung gehabt, auf eine Stelle hinzuweisen, in welcher P l a t o sich folgendermassen ausspricht: „Der ganze H i m m e l oder die ganze W e l t , oder welcher Namen sonst dafür belieben mag, ist e n t s t a n d e n . Denn er ist durch die Sinne w a h r n e h m b a r , und alles Derartige erscheint als e i n W e r d e n d e s und G e w o r d e n e s . " Hierbei müssen wir jedoch einschalten, dass PLATO, als natürliche Grund- oder Unterlage für ein derartiges Werden, bekanntlich einen in r ä u m l i c h e r Beziehung u n e n d l i c h e n und in zeitlicher Beziehung ewigen, an sich selbst aber völlig u n b e s t i m m t e n und

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

in sich u n t e r s c h i e d l o s e n allgemeinen Ur- und G r u n d s t o f f angenommen hat, welchen er zwar an und in sich selber als völlig g e s t a l t l o s dachte, dem er aber doch gleichzeitig auch unter Umständen eine gewisse natürliche Befähigung zur Annahme aller der b e s o n d e r e n Wesensgestaltungen zuschrieb, welche überhaupt in unserem gesammten Weltgebäude sich eingeschlossen finden. Dabei nahm P L A T O aber auch weiterhin noch an, dass eben dieser allgemeine Ur- und Grundstoff für alles Gewordene dermaleinst in einem Zustand „ungehöriger und ordnungsloser Bewegung" sich befunden habe, aus welcher er erst nachträglich in einen g e o r d n e t e n Zustand übergegangen sey. Und in solcher Weise b e g a n n denn nach P L A T O für unsere Welt „der A n f a n g eines e n d l o s e n Lebens für a l l e Z e i t . " Da aber — wie P L A T O selbst solches hervorhebt — einem selbst erst E n t s t a n d e n e n oder Erzeugten k e i n e unb e d i n g t e U n v e r g ä n g l i c h k e i t zukommen kann: so besitzen wir nunmehr in der „ Z e i t " ein „in Z a h l e n f o r t s c h r e i t e n des B i l d " des in sich unbedingt Unendlichen und Unvergänglichen. Da es nun aber, „bevor der Himmel entstand, keine Tage und Nächte, keine Monate und Jahre gab", so entstanden dieselben zugleich mit dem Himmel „als T h e i l e d e r Z e i t , und das „es war" und das „es wird seyn" sind demzufolge ,,in das Daseyn getretene Z e i t b e g r i f f e , die wir, uns selbst dessen unbewusst, auf das u n v e r g ä n g l i c h e und ewige Seyn (eben jenes an sich ewigen Grundstoffes) übertragen. Denn der richtigen Ausdrucksweise zufolge kommt jenem nur das »Ist« zu. Das »War« und das »Wirdseyn« ziemt dagegen nur, von dem in der Z e i t f o r t s c h r e i t e n d e n E n t s t e h e n zu sagen. Dem stets sich s e l b e r gleich V e r h a r r e n d e n aber kommt es n i c h t zu, in der Z e i t jünger oder älter zu werden, noch überhaupt irgend einmal g e w o r d e n zu seyn. Vielmehr sind dies Begriffe der die U n v e r g ä n g l i c h k e i t nachbildenden und nach Z a h l e n v e r h ä l t n i s s e n Kreislaufe beschreibenden Zeit. Die Zeit e n t s t a n d also mit dem Himmel nach dem Vorbild

Irrthümlichkeit und Unkaltbark eit etc.

289

des durchaus unvergänglichen Wesens, damit sie diesem so ähnlich wie möglich sey. Denn das Vorbild (jener ewige Grundstoff) ist die ganze E w i g k e i t hindurch s e y e n d , die Z e i t hingegen f o r t w ä h r e n d und zu a l l e r Zeit geworden seyend u n d im W e r d e n b e g r i f f e n . (PLATO [MÖLLER] VI. S. 146. 148. 149. 1 5 3 — 1 5 5 . STEINHABD, Einleit. i. d. Timäus. S . 3 3 . 106. 118. 120.

TIEDEMANN

a.

a. 0 .

II.

S. 77.

102. 281).



Steinhard drückt sich in seiner Einleitung zum Timäus über die mancherlei in demselben vorkommenden Unbestimmtheiten folgendermassen aus: „Den Einwurf, dass n i c h t s G e w o r d e n e s u n v e r g ä n g l i c h sey, schiebt PLATO bei S e i t e , statt ihn zu widerlegen. Er stellt das i m m e r von n e u e m W e r d e n d e als ein irgend einmal in einem bestimmten Augenblick (Moment) G e w o r d e n e s dar. Wie er nun die Z e i t e n t s t a n d e n seyn lässt, so gibt er allerdings auch a n s c h e i n e n d die Möglichkeit ihres dereinstigen A u f h ö r e n s zu, da ihr Daseyn an das Daseyn der e b e n f a l l s n i c h t u n v e r g ä n g l i c h e n Welt gebunden war. Dass er in der That aber U n e n d l i c h k e i t und Zeit annahm, sieht man aus seinem zwar bildlichen, aber höchst tiefsinnigen Ausdruck, dass die Z e i t ein Bild der E w i g k e i t sey, womit einerseits auf das bestimmteste ausgesprochen wird, dass die Z e i t in gleicher Weise die allgemeine Form des W e r d e n s sey, wie die E w i g k e i t die des Seyns; dann aber auch, dass die Z e i t an sich, gleich der Ewigkeit, ohne A n f a n g und E n d e sey (PLATO [MÖLLEE] VI. S. 92. 106. Einleitung i. d. Timäus v. STEINHABD). — In ähnlichem Sinn spricht auch Brandis sich hierüber aus: „Die W e l t " — sagt er — „muss nach PLATO g e w o r d e n seyn, weil sinnlich wahrnehmbar, d. h. körperlich. Wenngleich das W e r d e n als ewig bezeichnet wird, so möchte es doch wohl unserem Weltweisen (Philosophen) mit der Annahme eines W e l t a n f a n g s , wenn auch nicht eines u n b e d i n g t e r s t e n , Ernst gewesen seyn. Er fasst die Welt als die Bestimmtheit des Daseyenden, mag er v o r a n g e g a n g e n e Weltbildungen für wahrscheinlich gehalten Wandersmann. III.

19

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

haben oder nicht, und u n t e r s c h e i d e t davon das Werden als ewigen G r u n d d e r Welt (BRANDIS, Gesch. d. griech. Philos. I . S. 338. 339). — Auch Aristoteles spricht in seiner Schrift über das Himmelsgebäude über die hier angeregte Frage in ausführlicher Weise folgendermassen sich aus: „Jene Aushülfe" — sagt er — „welche einige yon denjenigen für sich beizubringen suchen, die da sagen, das Himmelsgebäude sey u n v e r g ä n g l i c h , aber doch einmal e n t s t a n d e n , ist keine r i c h t i g e . Sie behaupten nehmlich, wie PLATO im Timäus, dass aus U n g e o r d n e t e m einmal G e o r d n e t e s e n t s t a n d e n sey: z u g l e i c h aber kann das Nehmliche unmöglich u n g e o r d n e t und g e o r d n e t seyn; sondern es muss nothwendig ein W e r d e n und eine Z e i t dies beides t r e n n e n . Dass also u n m ö g l i c h das Himmelsgebäude z u g l e i c h ein i m m e r w ä h r e n d e s und ein e n t s t a n denes sey, ist augenfällig; es aber abwechselungsweise zus a m m e n t r e t e n und a u f g e l ö s t werden zu lassen, heisst nichts anderes thun, als einen wirklichen (positiven) Beweisgrund dafür erbringen, dass es zwar i m m e r w ä h r e n d sey, aber in s e i n e r G e s t a l t u n g sich v e r ä n d e r e , so dass der g a n z e Körper bald so, bald a n d e r s eingerichtet und angeordnet ist, und dass n i c h t das Weltall es ist, welches entsteht und vergeht, sondern nur das E i n g e r i c h t e t s e y n desselben (ARISTOTELES, Himmelsgeb. S. 79. 81). — Sehr entschieden endlich tritt Tiedemann dafür in die Schranken, dass allenthalben, wo P L A T O scheine, eine Ewigkeit der Welt behauptet zu haben, er dies nicht im wahren und eigentlichen Sinn verstanden habe, sondern nur in einer uneigentlichen und mehr sinnbildlichen Bedeutung des Wortes. Die N i c h t e w i g k e i t der Welt bildet nach TIEDEMANN vielmehr den eigentlichen Kernpunkt von PLATO'S gesammter Weltanschauung. Doch erkennt auch er immerhin die Gefahr von Missverständnissen an, welche manchen seiner Aussprüche unverkennbar anklebt. „In a l l e n vorhandenen Schriften P L A T O ' S " — sagt er — „kommt keine Stelle vor, woraus, auch nur durch Folgerungen, ein Hang zur

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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Annahme einer W e l t e w i g k e i t erhellte. ARISTOTELES, indem er dieser Lehre gedenkt und die mancherlei Meinungen aufstellt, macht den platonischen Timäus als V e r t h e i d i g e r des W e l t a n f a n g e s namhaft. Gegen diese Deutelei erklären sich spätere Schriftsteller sehr bestimmt. Zwar bemühen sich einige, spricht P H I L O , durch Spitzfindigkeiten (Sophistereien) die Weltewigkeit in PLATO zu legen; allein es ist besser und der Wahrheit gemäss, dies zu v e r w e r f e n , namentlich da ARISTOTELES, der doch am besten davon unterrichtet seyn musste, dem n i c h t beitritt. Einigen Schein" — fährt T I E D E MANN dann weiter fort — „gibt bloss der Umstand, dass PLATO sagt, die Welt sey nach dem Muster (oder Vorbild) des ewigen U r s t o f f e s (der ewigen Substanz) gemacht, um diesem Muster möglichst zu gleichen: das Muster nehmlich sey und bleibe stets das nehmliche, die Welt hingegen sey d u r c h alle Z e i t e n t s t a n d e n und werde stets dauern. Allein auch dieses s c h l i e s s t n i c h t , weil nach P L A T O die Z e i t selbst e n t s t a n d e n ist, mithin »durch a l l e Z e i t e n t s t e h e n « n i c h t heissen kann »von E w i g k e i t her entstehen«. »Durch alle Zeit entstehen« bedeutet also mehr nicht, als »entstehen s o l a n g e die Z e i t ist«, d. h.: s t e t s im W e r d e n und nie in einem d a u e r n d e n Zustand des Bleibens seyn" (TIEDEMANN, Geist d. sp. Ph. I I . S. 182). — Und so dürfte es denn auch wohl derartigen Unklarheiten in PLATO'S Darstellungsweise zuzuschreiben seyn, dass selbst sein Schüler Xenophanes die A n f a n g s l o s i g k e i t oder E w i g k e i t der Welt für seines Lehrers wirkliche Meinung erklärt hat, wogegen P I u t a r c h dieser Meinung des XENOPHANES nicht beigetreten ist (PLATO [ M Ö L L E R ] VI. S. 1 2 0 . TIEDEMANN II. S. 180. 181). — Jedenfalls geht aus allem diesem hervor, wie vielfach PLATO, selbst schon zu seinen Lebzeiten, in Bezug auf seine eigentliche Weltanschauung bald nach dieser, bald nach jener Seite hin muss missverstanden worden seyn. Und eben aus diesem Grund sagt denn auch B a u r , dass die Lehre von der E w i g k e i t der W e l t nicht nur ganz im Geiste der pla19*

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

tonischen Schule (Philosophie) gelegen habe, sondern dass dieselbe namentlich auch bei den Neuplatonikern einen stehenden Lehrsatz gebildet habe (BAUE, Dreieinigkeit II. S. 27. 28). — Mag diesem Allem nach es nun aber auch seyn, wie ihm wolle, E i n e s steht für uns fest, und eben dieses betrachten wir für unsere Aufgabe als die Hauptsache. Wenn nehmlich PLATO, dem Wortlaute nach, auch von einer U n v e r g ä n g l i c h k e i t , also von einer zeitlichen Unendlichkeit oder E w i g k e i t des gesammten Weltganzen spricht, so kann er doch keineswegs darunter eine Ewigkeit in der eigentlichen und wahren Bedeutung des Wortes im Sinn gehabt haben, sondern nur allein jene f a l s c h e E w i g k e i t , die so vielfach mit wirklicher Ewigkeit verwechselt wird. Es kann dies um so weniger zu bezweifeln seyn, als PLATO selbst dieselbe als eine Z e i t des W e r d e n s bezeichnet, das Werden aber seiner begrifflichen wie natürlichen Bedeutung nach nur allein dem Gebiet des e n d l i c h e n Daseyns zukommen kann, unterdess die eigentliche und wahre Ewigkeit schon ihrem Begriff nach als vollkommen e r h a b e n über alles zeitliche Werden muss anerkannt werden. Denn in dem Augenblick, wo wir derselben irgend ein derartiges Werden innerlich zuschreiben oder andichten wollten, würde sie für uns aufhören, eine wirkliche Ewigkeit in der reinen Bedeutung dieses Wortes darzustellen. Hat Aristoteles, wie wir vorhin gesehen, gegenüber der Ansicht PLATO'S, dass das Weltgebäude wohl entstanden, dann aber immerwährend fortdauernd sey, mit vollem Recht auf das Irrthümliche einer solchen Anschauung hingewiesen, weil alles, was entstanden ist, auch nothwendig einmal ein Ende nehmen müsse: so ist dagegen er selbst, in Bezug auf unseren Gegenstand, in einen anderen nicht weniger gewichtigen Irrthum verfallen: er hat der Welt auch eine r ä u m l i c h e E n d l i c h k e i t und B e s c h r ä n k t h e i t bestimmt zuerkannt; aber von der anderen Seite hat er dieselbe in z e i t l i c h e r Beziehung für vollkommen a n f a n g s - u n d e n d l o s , also für vollkommen ewig erklärt, was,

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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wie wir gesehen, mit r ä u m l i c h e r E n d l i c h k e i t als völlig u n v e r e i n b a r und u n v e r t r ä g l i c h muss bezeichnet werden. „Es ist klar" — sagt A r i s t o t e l e s in dieser Beziehung — „dass, wenn etwas ein E n t s t e h e n hat oder v e r g ä n g l i c h ist, es n i c h t ein I m m e r w ä h r e n d e s ist; denn zugleich müsste es dann die Möglichkeit haben, i m m e r zu seyn und n i c h t i m m e r zu seyn. Dass aber dies unmöglich ist, ist gezeigt worden. Muss also nun auch, wenn etwas ein E n t s t e h u n g s l o s e s , aber ein Seyendes, ist, dies nothwendig ein I m m e r w ä h r e n d e s seyn, und ebenso auch, wenn es ein U n v e r g ä n g l i c h e s , aber ein S e y e n d e s , ist? Oder ist es etwa nicht nothwendig, dass, wofern diese (das entstehungslos Seyende und das unvergänglich Seyende) einander f o l g e n , und sowohl das E n t s t e h u n g s l o s e u n v e r g ä n g l i c h als auch das U n v e r g ä n g l i c h e e n t s t e h u n g s l o s ist, dann auch das I m m e r w ä h r e n d e einem jeden jener beiden folge, und sowohl, wenn etwas e n t s t e h u n g s l o s ist, es ein I m m e r w ä h r e n d e s sey, als auch, wenn u n v e r g ä n g l i c h , ein I m m e r w ä h r e n d e s ? Klar aber ist dies aus den begrifflichen Bestimmungen (der Definition) derselben. Es muss nehmlich nothwendig, wenn etwas v e r g ä n g l i c h ist, es auch ein E n t s t e h e n haben; ist es aber e n t s t e h u n g s l o s , so ist es nach unserem Grundsatz auch u n v e r g ä n g l i c h . Davon also nun, dass das ganze H i m m e l s g e b ä u d e w e d e r ein E n t s t a n d e n e s sey, n o c h j e v e r g e h e n k ö n n e , sondern dass es i m m e r w ä h r e n d ist, indem es o h n e A n f a n g u n d E n d e seiner gesammten Dauer ist, und in sich selbst die u n b e g r ä n z t e Z e i t enthält und umfasst, kann man aus dem Gesagten die Uberzeugung gewinnen. Daher hat auch" — wie ARISTOTELES an einem anderen Orte anführt — „die D a u e r des gesammten Himmelsgebäudes (d. i. die gesammte Weltdauer oder Weltzeit) die sprachliche Bezeichnung eines A e o n (atöv) erhalten, um dadurch anzuzeigen, dass es, von ccti (d. i. immer), i m m e r d a r ist und i m m e r d a r d a u e r t . " Dass aber die gesammte Weltdauer oder Weltzeit in der That als eine i m m e r -

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

w ä h r e n d e , als eine wirklich a n f a n g s - und e n d l o s e , d. i. ewige müsse betrachtet werden, sucht ARISTOTELES folgenderweise darzuthun: Wenn es u n m ö g l i c h ist, dass ohne das J e t z t die Zeit sey, das Jetzt aber eine M i t t e ist, welche sowohl einen A n f a n g als ein E n d e in sich hat, nehmlich einen Anfang der k ü n f t i g e n Zeit und ein E n d e der v e r g a n g e n e n : so muss nothwendig i m m e r eine Zeit seyn. Denn das äusserste Ende der letzten immer angenommenen Zeit wird in irgend einem der e i n z e l n e n Jetzt seyn, weil man Nichts in der Zeit a u s s e r h a l b dem J e t z t annehmen kann. Folglich muss, da dieses J e t z t sowohl A n f a n g als E n d e ist, nothwendig n a c h b e i d e n S e i t e n desselben hin i m m e r eine Z e i t seyn. Aber nun, wenn eine Z e i t , so ist augenfällig, dass auch eine Bew e g u n g , wenn anders die Z e i t irgend eine Art Zustand einer B e w e g u n g ist" (ABISTOTELES, Himmelsgeb. S. 7 5 . 93. 1 0 7 . Phys. S. 383). — Und was nun weiter die Darlegungen betrifft, durch welche ARISTOTELES die von ihm behauptete E w i g k e i t der Z e i t und damit also auch die E w i g k e i t der W e l t mit Hülfe einer ewigen Bewegung zu begründen sucht, so fasst B r a n d i s dieselben folgendermassen übersichtlich zusammen: „Ist S t o f f und G e s t a l t u n g (Form), V e r m ö g e n und K r a f t t h ä t i g k e i t nach ABISTOTELES als ewig zu setzen, so auch die Bewegung. Denn anzunehmen, Bewegendes und Bewegtes sey zwar (von Ewigkeit her) gewesen, B e w e g u n g jedoch i r g e n d w a n n — und warum nicht früher oder später? — hinzugetreten, ist in sich widersprechend; wie vermöchte man Bewegendes und Bewegtes o h n e B e w e g u n g (als bloss ruhende Bestimmtheit) zu denken? Und wollte man es versuchen, so wäre dann auch ihnen — den ewigen — eine sie verwirklichende Bewegung v o r a n g e g a n g e n . Ebenso, wollten wir voraussetzen, Bewegendes und Bewegtes sey e r s t geworden, auch da müsste die Bewegung ihrem Entstehen vorangegangen seyn. Gleichwie aber die Bewegung k e i n e n A n f a n g haben kann, so auch kein E n d e , da die Aufhebung der Bewegung von neuem eine

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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Bewegung v o r a u s s e t z t . Mithin kann die Welt weder e n t s t a n d e n seyn, noch vergehen. Nicht minder widersprechend ist es, zwar Anfang der B e w e g u n g , aber ewige Dauer ihrer wie der Welt vorauszusetzen. Auch müssen wir ja der Z e i t E w i g k e i t b e i l e g e n , und die Zeit ist ohne Bewegung undenkbar. Setzt nun jede Bewegung ein Bewegendes voraus, so müssen wir entweder annehmen, das Bewegende werde ins Unendliche hin wiederum von einem Bewegenden bewegt und damit, wie bei allem Fortgang ins Unendliche, die vorausgesetzte Ursache der Bewegung wieder aufheben, oder einen letzten Beweger gelten lassen; denn g e g e n s e i t i g e B e w e g u n g des B e w e g t e n können wir n i c h t voraussetzen, da das Bewegende immer schon seyn muss, was das Bewegte e r s t wird, daher dasselbe nicht in gleicher Beziehung bewegen und bewegt werden kann" (BBANDIS, Gesch. d. griech. Philos. S. 480. 481). — Was bei Aristoteles übrigens, ungeachtet seiner im Allgemeinen scheinbar folgerichtigen Beweisführung, dazu beigetragen habe, dass er selbst das Irrthümliche seiner ganzen hier zu Grunde gelegten Anschauung nicht gewahrte, dürfte vielleicht in dem Umstand liegen, dass ARISTOTELES in dieser seiner Beweisführung mehr den D a u e r b e g r i f f im Auge habe, als den eigentlichen Z e i t b e g r i f f . Denn der Unterschied zwischen Zeit- und Dauerbegriff besteht, wie wir früher gesehen (VI. § 21, No. 115 und § 22, No. 121), eben darin, dass wir alle die mannigfachen Wechsel in den inneren Zustands- und äusseren Erscheinungsverhältnissen, welche die natürlichen Dinge in ihrem gegenseitigen Wechselverkehr fortwährerd an sich erfahren, bei dem blossen D a u e r b e g r i f f gänzlich a u s s e r A c h t lassen, dieselben jedoch bei dem Z e i t b e g r i f f , als das eigentlich Bes t i m m e n d e für denselben, jederzeit im Vordergrund stellen. Daher bildet auch der Zeitbegriff bekanntlich so recht eigentlich den G r u n d b e g r i f f für alle E n t w i c k e l u n g s v o r g ä n g e ohne Ausnahme, welche ohne einen thatsächlichen zeitlichen Verlauf gar nicht können gedacht werden. Wohl hat ABISTOTELES zu

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seiner Beweisführung den Begriff der Bewegung mit zu verwerthen getrachtet; allein da bei diesem Letzteren der Begriff einer wirklichen und eigentlichen E n t w i c k e l u n g noch keineswegs so entschieden hervortritt, wie solches für die vollgültige Begründung des eigentlichen Z e i t b e g r i f f e s erforderlich ist: so möchten wir wohl kaum irren, wenn wir vermuthen, dass in eben diesem Umstand der tiefere Grund zu jener irrthümlichen Weltanschauung des ARISTOTELES möchte zu suchen seyn. Denn ohne einen ganz bestimmten zeitlichen A n f a n g und ohne ein ebenso bestimmtes E n d e , .als letztes E n t w i c k e lungsziel, vermag überhaupt ein für allemal gar keine Entwickelung in der eigentlichen und wahren Bedeutung des Wortes, gedacht zu werden (VI. § 23, No. 133). Eine wirklich anfangs* und endlose, d. i. in sich ewige E n t w i c k e l u n g , würde gleichbedeutend seyn mit einem begrifflichen W i d e r spruch in sich selbst, und hiermit muss denn auch die ganze Beweisführung, wie solche ARISTOTELES zum Zweck der von ihm behaupteten W e l t e w i g k e i t durchgeführt hat, schliesslich in sich selbst zerfallen. Was aber hier von der begrifflichen Unmöglichkeit einer ewigen Entwickelung gesagt ist, das muss in gleicher Weise seine Geltung haben auch in Bezug auf die Annahme einer u n e n d l i c h e n Bewegung; denn wie die Entwickelung, so gehört auch die Bewegung zu dem eigentlichen Zeitbegriff. Daher sagt auch T i e d e m a n n mit vollem Recht, dass der G r u n d i r r t h u m von LEDKIPP'S atomistischer Weltanschauung in der Annahme einer ewigen Bewegung für seine stofflich-körperlichen Ur- und Einzeldinge bestanden habe. Alle derartigen Beweisführungen können somit einzig und allein nur bis zu jener f a l s c h e n E w i g k e i t oder f a l s c h e n zeitlichen U n e n d l i c h k e i t hinführen, welche wir bereits als den naturnothwendigen Gegenpol zu eben j e n e r f a l s c h e n r ä u m lichen U n e n d l i c h k e i t anerkannt haben, die in Bezug auf eine richtige Anschauung betreffs der räumlichen Ausdehnung unseres gemeinsamen Weltganzen fortwährend eben soviel Ver-

Irrtliümlichkeit und Unlialtbarkeit etc.

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wirrung und Unheil angestiftet hat und thatsächlich leider noch immer anstiftet, als wie in Bezug auf dessen zeitliche Verhältnisse diese f a l s c h e z e i t l i c h e U n e n d l i c h k e i t . Auch die Gründe, mit welchen P l o t i n (KIRCHNER, PLOTIN S. 9 7 . TIEDEMANN II. S. 29. 287. 289. 291), sowie alle späteren Denker die Ewigkeit der Welt zu erweisen oder zu stützen vielfach bemüht sind, fallen bei genauerer Prüfung unter die gleichen Gesichtspunkte wie die soeben erörterten.

N o . 143. Begründungen der Unmöglichkeit einer ewigen Welt von Seiten der namhaftesten Denker der älteren und neueren Zeiten. Wir haben bereits aus dem Vorigen ersehen, welch eine bedeutende Rolle der Begriff des W e r d e n s spielt in Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer ewigen Welt. Bevor wir . aber auf diesen Gegenstand selbst übergehen, wird es nicht unpassend seyn, uns in Kürze die begrifflichen U n t e r s c h e i d u n g s m e r k m a l e zu vergegenwärtigen, welche gewöhnlich für die Begriffe der E w i g k e i t und der Z e i t pflegen angeführt zu werden. Zu dem Begriff eines wirklich wahrhaft E w i g e n in der eigentlichen Bedeutung des Wortes gehört: 1) dass es in sich ganz und gar E i n e s sey, d. h. in seinem Innern aus k e i n e n besonderen Theilen zusammengesetzt sey, also auch k e i n e T h e i l e in sich enthalte und demgemäss in sich völlig u n t h e i l b a r sey, und 2) dass es, alle Z e i t l i c h k e i t und damit alle V e r ä n d e r l i c h k e i t an und in ihm selber unbedingt von sich a b s c h l i e s s e n d , o h n e alles Vor und N a c h , o h n e alles F r ü h e r und S p ä t e r , in unbedingter G e g e n w a r t als ein beständiges J e t z t o h n e allen A n f a n g und ohne alles E n d e in sich selbst beharre, und 3) kann ein wahrhaft E w i g e s auch in r ä u m l i c h e r Beziehung ebenfalls allewege nur ein in sich unbedingt E i n h e i t l i c h e s , U n t h e i l b a r e s , U n v e r ä n d e r l i c h e s und Z e i t l o s e s

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seyn und begrifflich darstellen. Der Z e i t b e g r i f f dagegen findet seine Anwendung ausschliesslich nur i n n e r h a l b des Gebietes unserer s i c h t b a r e n W e l t und auf die in diesem enthaltenen Einzeldinge und Einzelwesen. Er bezeichnet das weite Gebiet alles an und in sich V e r ä n d e r l i c h e n und Verg ä n g l i c h e n : das F r ü h e r und das S p ä t e r sowie die ausnahmslose E i n s c h r ä n k u n g innerhalb der Gränzen ganz bestimmten A n f a n g e s und ebenso bestimmten E n d e s bilden seine hauptsächlichsten Kennzeichen (TIEDEMANN IV. S. 3 4 7 . [ W I L H . v. AUVEBGNE] S. 3 8 3 [ALBERT d. Grosse]. KRAUSE: Vorl. S. 1 0 . 1 0 3 . 1 0 6 . 1 2 5 . 1 7 6 . 1 9 0 . WESSENBEBG, Gott u. Welt I . S. 2 4 . SCHELLING VI. S. 1 5 8 . 1 6 0 . H E G E L VII 1 . S. 25).



Gehen wir nunmehr nach dieser vorbereitenden Einleitung zu dem Begriff des eigentlichen W e r d e n s über. Derselbe schliesst zwei verschiedene, wenn gleich verwandte Bedeutungen in sich: eine engere und eine weitere. So pflegen wir z. B. im gewöhnlichen Leben häufig zu sagen: „Das Wetter wird schön." Damit wollen wir ausdrücken, dass das bisherige schlechte Wetter a n g e f a n g e n habe, eine Wendung zum Besseren zu nehmen, und dass somit in der uns umgebenden Natur ein Zeitabschnitt von irgendwelcher kleineren oder grösseren Dauer seinen A n f a n g genommen habe, während dessen wir voraussichtlich schönes Wetter haben werden. Die weitere begriffliche Bedeutung des W e r d e n s umfasst dagegen den g e s a m m t e n stetigen Verlauf von naturgemäss auf einander folgenden V e r ä n d e r u n g e n , welche überhaupt jemals innerhalb des natürlichen Bestandes unseres gemeinsamen Weltganzen sich zutragen können. Dass nur dieser allgemeinere und allumfassendere Begriff des Werdens es ist, welcher in Bezug auf unsere gegenwärtige Untersuchung vor allem in Frage kommt, liegt in der Natur der Sache. Und in diesem Sinn sehen wir denn auch den Begriff des W e r d e n s ganz in Eins zusammenfallen mit dem Begriff einer allgemeinen N a t u r , wie ja auch in

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räumlicher Beziehung unsere gesammte Welt stets als ein in sich einheitliches Naturganzes pflegt betrachtet zu werden. Nun zeigt sich aber mit dem Begrifl der N a t u r allenthalben auch gleichzeitig der Begriff des L e b e n s auf das engste verbunden: die frühere Vorstellung einer an sich todten und leblosen Natur hat vor einer tieferen Einsicht in das innere Wesen der Dinge weichen müssen. Alles N a t u r l e b e n aber ist gleichbedeutend mit i n n e r e r wie ä u s s e r e r W e s e n s e n t w i c k e l u n g , wie solche allen Dingen und Wesen dieser Welt in deren innersten W e s e n s g r u n d b e g r i f f für die ganze Dauer ihres Bestandes im Daseyn ein für allemal unausweichlich vorgezeichnet liegt (IV. § 15, No. 69). Und eben dieser Begriff und die mit ihm verbundene Thatsache eines durch die gesammte Natur sich hindurchziehenden innerlich -äusserlichen E n t w i c k e l u n g s g a n g e s , im Grossen und Ganzen wie im Einzelnen, ist es denn auch, welcher, wie bereits im Vorigen erwähnt, der Sache nach ebenfalls völlig in Eins zusammenfällt mit dem Z e i t b e g r i f f in dessen eigentlichster und wahrster Bedeutung. Damit haben wir aber auch nunmehr den K n o t e n p u n k t vor Augen, um welchen es sich bei der ganzen hier angeregten Frage und damit auch namentlich in Bezug auf den Begriff des W e r d e n s als solchen ein für allemal dreht. Ohne Werden k e i n e Zeit; und ohne Zeit kein Werden. Und wo W e r d e n ist, da ist auch Z e i t , und wo Z e i t ist, da ist auch Werden. Zum Zweck einer besseren Anwendbarkeit dieses Begriffes des W e r d e n s , behufs einer Beweisführung zu Gunsten der so vielfach behaupteten E w i g k e i t der Welt, pflegt dieser Begriff nun aber meist gleich von vornherein als der eines an sich „ u n e n d l i c h e n W e r d e n s " dargestellt zu werden, und, anknüpfend an die angeblich ebenfalls unendlichen Reihen von lauter an sich endlichen Zahlen, pflegen uns meist R e i h e n eines angeblich unendlichen allgemeinen F o r t s c h r i t t e s , oder Reihen von angeblich unendlichen natürlichen E n t w i c k e l u n g e n , oder auch R e i h e n von ebenso un-

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endlichen V e r k e t t u n g e n von U r s a c h e n und W i r k u n g e n vorgeführt zu werden. Mit welchem Erfolg, das werden die weiteren Darlegungen uns zeigen. Denn bei genauerer Betrachtung werden wir finden, dass alle diese sogenannten unendlichen Eeihen des Werdens u. s. w. uns n i e bis in das Gebiet einer eigentlichen und wahren Ewigkeit führen, sondern allewege einzig und allein nur in das Gebiet f a l s c h e r E w i g k e i t . Uberhaupt so oft in Bezug auf unser Weltganzes, auch wenn keine Weltewigkeit dadurch bewiesen werden soll, von „ u n e n d l i c h e m F o r t s c h r i t t " oder von „ u n e n d l i c h e r E n t w i c k e l u n g " u. s. w. die Rede ist, werden wir jedesmal finden, dass solche Aussprüche im Allgemeinen immer nur im Sinne jener falschen Ewigkeit zu nehmen sind, weil wir trotz allem unendlichen Fortschritt u. s. w. doch eben immer nur im Gebiete des E n d l i c h e n bleiben und aus diesem nicht herauskommen. Betrachten wir z. B. den folgenden Ausspruch von Krause. „Sofern ich die Zeit" — sagt er — „als ein s t e t s W e r d e n d e s betrachte, ist sie d a s , was sie n o c h n i c h t ist, und das n i c h t , was sie ist. Denn im gegenwärtigen Augenblick ist die Zeit n o c h n i c h t , was sie seyn w i r d , und ist n i c h t m e h r , was sie g e w e s e n ist, d. h. die Zeit v e r f l i e s s t . Also im Inneren ist die Zeit ein W e r d e n d e s , ein stets E n t s t e h e n d e s und V e r g e h e n d e s wie dasjenige, was die Zeit in s i c h hat." Nun sagt aber KRAUSE weiter: „Sie s e l b s t aber, die g a n z e Z e i t , entsteht und vergeht n i c h t . Ist nun aber die Zeit vor- und r ü c k w ä r t s u n e n d l i c h , so verhält sich der f l i e s s e n d e Punkt der G e g e n w a r t zu der u n e n d l i c h e n V o r z e i t und u n e n d l i c h e n Z u k u n f t auf ganz dieselbe Weise, d. h. er ist vom A n f a n g und vom E n d e immer u n e n d l i c h w e i t entfernt. V o r s t e l l e n kann niemand die unendliche Zeit, denn alles, was wir v o r s t e l l e n , ist e n d lich. Aber d e n k e n , d . h . in Vernunft schauen kann ein jeder die u n e n d l i c h e Z e i t , wie sich jeder schon dadurch beweist, dass er es sofort versteht, wenn die unendliche Zeit g e n a n n t

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wird. Der Begriff der G e g e n w a r t kann somit ohne E n d e nach rückwärts und nach vorwärts e r w e i t e r t werden. Und wenn wir überlegen, dass die Z e i t bloss A r t und W e i s e (Form) des A n d e r n s , nur Art und Weise des L e b e n s und G e s t a l t e n s ist, dass also in der E i n e n Zeit das E i n e Leben und Gestalten (der gemeinsamen Natur) erscheint, so dürfen wir sagen: die Z e i t ist E i n e G e g e n w a r t , deren E i n e H ä l f t e verflossen ist, und deren a n d e r e H ä l f t e noch verfliessen wird" (KBAUSE, Vorl. 1 0 7 . 1 0 8 . 110). — Dass hier trotz noch so häufiger Anwendung des Wortes „ u n e n d l i c h " auf die angeführten Verhältnisse doch keineswegs an eine w i r k l i c h e z e i t l i c h e U n e n d l i c h k e i t in der eigentlichen begrifflichen Bedeutung des Wortes „unendlich" darf gedacht werden, sondern allein an jene f a l s c h e und nur in missb r ä u c h l i c h e r weil u n e i g e n t l i c h e r Weise also benannte: dies ist zweifellos ersichtlich schon durch die Verquickung des Zeitbegriffes mit den Begriffen des W e r d e n s , des E n t s t e h e n s , des V e r g e h e n s , des L e b e n s und G e s t a l t e n s , als des an und in sich V e r g ä n g l i c h e n . Es wird jedoch auch ausserdem noch ausser allen Zweifel gesetzt durch die Art und Weise, in welcher KRAUSE über die gleichen Verhältnisse auch noch an einigen anderen Orten sich ausspricht. So sagt er z. B. ausdrücklich: „Ich verstehe unter dem Worte »ewig«, dem Sprachgebrauch und der Ableitung zufolge, n i c h t das » u n e n d l i c h l a n g e Z e i t l i c h e « , was innerhalb der u n e n d l i c h e n Z e i t sich e n d l o s erstreckt, sondern ein (in sich selber wirklich) U n z e i t l i c h e s , ein U b e r z e i t l i c h e s " (KBAUSE, Vorl. S. 125). — An einem anderen Ort bezeichnet er das Z e i t liche als das S i n n l i c h e , E n d l i c h e und sich Ä n d e r n d e ; das Ewige dagegen als das N i c h t s i n n l i c h e und U n v e r ä n d e r l i c h e (Ebendas. S. 1 7 6 ) . J a weiterhin spricht KRAUSE sogar von einer „ W e l t b e s c h r ä n k u n g " , ohne jedoch sich deutlicher auszudrücken, in welcher Beziehung und welcher eigentlichen Bedeutung er dieselbe im Auge hat (Ebendas.

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

S. 5 1 8 . 520). Wie und wodurch nun aber KRAUSE ZU solchen Widersprüchen, wenn auch wohl nicht in seinem eigenen Gedankengang, so doch in dessen äusserer Darstellungsweise mag veranlasst worden seyn: dies dürfte daraus ersichtlich werden, dass er den R a u m als ein „im Innern u n e n d l i c h T h e i l b a r e s " betrachtet (Ebendas. S. 336). Freilich, wenn wir eine an sich wesenlose, aber durch einen ganz bestimmten Anfangs- und einen ebenso bestimmten Endpunkt begränzte und an sich völlig w e s e n l o s e L i n i e betrachten, wie solche ja gewöhnlich als ein Beweisstück für eine u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t nicht nur von an sich wesenlosen Gedankenbildern, sondern auch für in sich wesenhafte wirkliche Dinge pflegt in das Feld gestellt zu werden: dann müssen wir allerdings zugestehen, dass bei blossen Gedankendingen, wie die wesenlose Linie, jede einmal in Gedanken begonnene Theilung in G e d a n k e n auch bis ins E n d l o s e fortgesetzt kann werden. Denn wir können solch ein Gedankending halbiren und wieder halbiren, theilen und die Theilstücke wieder theilen, so oft es uns nur belieben mag: aber an ein wirkliches E n d e , an einen wirklichen A b s c h l u s s werden wir dabei niemals kommen. So klein diese in unseren Gedanken auf solchem Wege zu gewinnenden Theilstückchen bei fortgesetzter Theilung auch werden mögen: sie werden immerhin eine, wenn mit fortgesetzter Theilung auch immer zunehmende K l e i n h e i t , d. h. eine ganz bestimmte wesenlose Längenausdehnung beibehalten, ganz ähnlich wie eine solche auch der ganzen Linie im verlängerten Maass zugekommen ist. Nun aber können wir vernünftiger Weise nicht hoffen, auf diesem Wege fortgesetzter Theilung, es jemals dahin zu bringen, dass die neu entstehenden, immer kleiner werdenden Theilchen jemals bis auf einen völlig ausdehnungslosen P u n k t könnten zurückgebracht werden. In diesem Sinn, aber n u r a l l e i n in diesem, mögen wir allerdings von einer M ö g l i c h k e i t unendlicher oder vielmehr e n d loser Theilung reden. Was wollen eben diese Bezeichnungen

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von „unendlich" oder von „endlos", genauer beim Licht betrachtet, aber eigentlich sagen? Nur allein dieses, dass eben jene endlose Theilung als etwas völlig U n e r r e i c h b a r e s , und die darauf zu verwendende Gedankenarbeit als etwas völlig U n a u s f ü h r b a r e s , von uns muss betrachtet werden. Im blossen Denken, in unserer blossen E i n b i l d u n g , können wir uns dies alles sehr wohl vormalen: dass es darum aber auch in der wirklichen, w e s e n h a f t e n Natur, mit wirklich w e s e n h a f t e n Naturdingen sollte in W i r k l i c h k e i t der Fall seyn können, dies kann k e i n e s w e g s ohne Weiteres hieraus geschlossen werden. Wir haben bereits an einem früheren Ort (III. § 12, No. 45 bis 55) auf die i n n e r e U n m ö g l i c h k e i t irgendwelcher inneren Theilbarkeit eben jener ersten und letzten stofflichkörperlichen Einzeldinge hingewiesen, welche wir als die natürlichen Grundlagen unserer gesammten Weltordnung zu betrachten haben. Sind wir einmal, wenn auch nur in Gedanken, in unserer Theilung bis zu diesen vorgedrungen: dann muss eine jede noch w e i t e r gehende Theilung an der natürlichen i n n e r l i c h e n U n t h e i l b a r k e i t und U n z e r s t ö r b a r k e i t eben dieser natürlichen Einzeldinge oder Einzelwesen von selbst aufhören, und damit muss denn auch begreiflicher Weise ein jeder Gedanke an eben jene angeblich u n e n d l i c h e oder endlose T h e i l u n g alles in dieser Welt Vorhandenen, als eine natürliche U n m ö g l i c h k e i t , in sich selbst zerfallen. Eine jede irrthümliche Grundanschauung aber, von welcher wir in unserem Denken ausgehen, muss im weiteren Verlauf unseres Denkens zu einer Quelle immer neuer Irrthümer und neuer unrichtiger Anschauungen sich gestalten. Wer an die wissenschaftliche Fabel einer vermeintlichen u n e n d l i c h e n T h e i l u n g glaubt, und meint, auf diesem Wege bis zu einem thatsächlich u n e n d l i c h K l e i n e n , dem blossen Punkt, gelangen zu können: der wird umgekehrt auch dem Wahne sich hingeben, durch fortgesetztes H i n z u f ü g e n von Endlichem zu Endlichem schliesslich zu einem thatsächlich u n e n d l i c h G r o s s e n , d. h. zu

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

einem wirklich U n e n d l i c h e n oder zu einer wirklichen U n e n d l i c h k e i t im räumlichen Sinne zu gelangen. Von hier aus ist es dann nur noch ein Schritt zu dem unmittelbar an jenen sich anschliessenden Wahn, nun in ähnlicher Weise durch unausgesetztes Aneinanderfügen von Zeitgrössen an Zeitgrössen, sowohl in der Richtung der Vergangenheit wie in der Richtung der Zukunft, es schliesslich ebenfalls bis zur thatsächlichen Erreichung eines wirklich, d. h. in sich z e i t l i c h U n e n d l i c h e n oder einer wirklichen E w i g k e i t und eines wirklich E w i g e n zu bringen. Nur die unausbleiblichen W i d e r s p r ü c h e , in welche das menschliche Denken in Folge solcher Irrgänge sich schliesslich verwickelt findet, sind im Stande, darauf aufmerksam zu machen, dass in derartigen Gedankengängen irgend etwas stattgefunden haben muss, das nicht in Ordnung ist, sey es nun in Folge unrichtiger Schlussfolgerungen oder sonstiger unrichtigen Gedankenverbindungen, oder seyen die ersten Grundanschauungen, von denen man ausgegangen ist, nicht hinlänglich fest begründet. Den Sitzen solcher Unrichtigkeiten nachzuspüren, muss daher auch für eine Hauptaufgabe einer jeden wirklich wissenschaftlichen Forschung erachtet werden, und ist nur einmal der Ort, wo eine solche Unrichtigkeit in unserem Denken sich eingeschlichen hat, richtig erkannt: erst dann ist auch die Möglichkeit gegeben, an die Stelle einer bis dahin i r r t h ü m l i c h e n Anschauung die ihr entgegenstehende r i c h t i g e , d. h. den gegebenen Naturthatsachen wie den Gesetzen des vernünftigen Denkens wirklich entsprechende Anschauung zu setzen. Und so müssen wir denn auch in dem vorliegenden Fall zu der Uberzeugung gelangen, dass auch KRAUSE, unerachtet seiner mehrfach wiederholten Anwendung der Bezeichnung von „unendlich und ewig" oder von „Unendlichkeit und Ewigkeit", allenthalben, wo es sich um natürliche zeitliche Verhältnisse, wie z. B. das natürliche W e r d e n , handelt, eben jene Bezeichnungen n i c h t im buchstäblichen Sinn genommen habe, sondern dass

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Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

wir es auch hier nur mit einer Verwechselung des nur s c h e i n b a r Ewigen mit dem w a h r h a f t Ewigen in der äusseren Darstellung zu thun haben. Auch Caril$ spricht in einer ähnlich unbestimmten Weise sich aus. „Die Natur" — sagt er — „ist das ewig W e r d e n d e . Darin ist zugleich ausgesprochen das Inbegriffenseyn ewiger B e w e g u n g im Wesen der Natur überhaupt; denn" — sagt er anderweitig — „ a l l g e m e i n e s L e b e n und fortwährendes Werden ist ein und dasselbe." Und von diesem Gesichtspunkt aus spricht er denn auch weiterhin von einer allgemeinen „Notwendigkeit einer unbedingt unendl i c h e n M a n n i g f a l t i g k e i t der W e l t e r s c h e i n u n g e n , die ins schlechthin U n e n d l i c h e fort und fort wechsele." Und an noch einem anderen Ort, nachdem er eines Ausspruches von GOETHE erwähnt, welcher dahin lautet, dass „alles W e r d e n d e ein ewig W i r k e n d e s " sey, sagt er, hieran anknüpfend: „Denn was ist die Natur anderes, als das s t e t s W e r d e n d e , das, was keinen Stillstand kennt, und was in u n e n d l i c h wechselnden Bildungen der Eine ewige Grund der g e s a m m ten W e l t e r s c h e i n u n g e n wird" (CAKUS, Natur und Idee. S. 54. Physiol. I. S. 22. Erdenleb. S. 11). — Auch also Verquickung des zeitlich Unendlichen und also E w i g e n mit Verhältnissen, welche anerkanntermassen ausschliesslich nur dem wirklichen Z e i t l e b e n zukommen können. Das angeblich „unendliche Werden" darf demnach auch hier nur in der engeren Bedeutung eines „unbestimmbar wie lange dauernden Werdens" von uns aufgefasst werden. — D r o s s b a c h , um noch eines dritten Beispiels ähnlicher Art zu erwähnen, sagt: „Ein jedes Wesen umfasst und durchdringt (durch seine ununterbrochene Wirksamkeit nach aussen) nicht bloss seine nächste Umgebung, sondern die ganze Welt. Es umfasst und durchdringt die Welt nicht etwa eine bestimmte Zeit lang, sondern von E w i g k e i t her und in E w i g k e i t f o r t , und steht, bewusst oder unbewusst, in ewiger ununterbrochener W e c h s e l w i r k u n g mit der ganzen Natur. So wie demnach das wirkende Wesen WANDERSMANN. III.

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seiner allgemeinen Beschaffenheit nach ewig und u n v e r ä n d e r l i c h bleibt, so ist auch der allgemeine Zusammenhang desselben mit allen übrigen Wesen, mit der ganzen Natur, ewig und u n a u f h e b b a r . Der Z u s a m m e n h a n g ist ewig, nur die A r t , die Form, desselben wechselt fortwährend. So wie die Wesen aber sämmtlich im u n e n d l i c h e n R a u m zusammenhängen, einander durchdringen und umschlingen, so stehen sie auch, in der z e i t l i c h e n Aufeinanderfolge ihrer Entwickelungsformen, in der u n e n d l i c h e n V e r g a n g e n h e i t wie in der u n e n d l i c h e n Z u k u n f t in einem nothwendigen Zusammenhang, der sich als ewige A u f e i n a n d e r f o l g e von U r s a c h e und W i r k u n g kundgibt." Und an einem späteren Orte sagt er: „Es gibt keine Welt an sich, sondern nur Wesen (d. h. Atome als untheilbare stofflich-körperliche Einzeldinge von fast verschwindender Kleinheit), und diese Wesen bilden erst die Welt. Sie sind ewig und feuerbeständig, und die Welt ist nur in sofern ewig, als die einzelnen Dinge ewig sind" (DKOSSBACH, Gen. d. Bewusstseins. S. 182. 183. 266. 267). Wenn nun aber DKOSSBACH an einem anderen Orte „das L e b e n als das Streben nach Einem b e s t i m m t e n Ziel, nach V o l l k o m m e n h e i t " bezeichnet (Ebendas. S. 186): so ist dieser letztere Ausspruch mit dem soeben erwähnten schwer zu vereinbaren. Wir haben hier gewissermassen die alten Anschauungen L E U K I P P ' S , DEMOKRIT'S und E P I K U R ' S in einem gegenwärtig zeitgemässen Gewände vor uns. Jene alten Denker waren in ihren Anschauungen indes in soferne folgerichtig, als sie den gesammten Entwickelungsgang der Welt, im Ganzen wie im Einzelnen, dem blinden Z u f a l l anheim stellten, wie solches übrigens auch heute noch bei allen denen der Fall ist, welche glauben, in ihren Weltanschauungen jenen alten Denkern in allen Beziehungen, und also auch selbst in ihren Irrthümern, durch Dick und Dünn blindlings folgen zu müssen. Wie nun aber jenes von DKOSSBACH erwähnte Streben der Natur, sowie alles dessen, was zu

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ihr gehört, nach V o l l k o m m e n h e i t als deren eigentliches Z i e l , und mithin auch als deren eigentlicher Zweck, in Einklang soll gebracht werden mit der von DEOSSBACH ebenfalls angenommenen „ e w i g e n V e r g a n g e n h e i t und ewigen Z u k u n f t " alles Daseyenden: dies ist schwer ersichtlich. Denn wenn ein Z i e l , ein bestimmter Z w e c k , in keinem einzigen bestimmten Augenblick jemals wirklich soll e r r e i c h t werden, sondern immer nur t h e i l w e i s e bis in alle Ewigkeit hinein: wie soll unter solchen Verhältnissen jemals von einer thatsächlichen Erreichung der zu erstrebenden V o l l k o m m e n h e i t auch nur im Entferntesten in einer wirklich v o l l g ü l t i g e n Weise die Kede seyn können? In solch einem anfangs- und endlosen „ewigen Fluss der Zeit" vermag kein Daseyn dieser Welt, weder im Einzelnen noch als Ganzes, jemals sich zu rühmen, das ihm vorgesteckte Ziel von Vollkommenheit, d. h. eine w a h r e , g a n z e Und w i r k l i c h e V o l l k o m m e n h e i t , die auch wirklich das ist und das erfüllt, was sie ihrem Wortlaut nach seyn soll, weder je thatsächlich erreicht zu h a b e n , noch kann sie hoffen, dasselbe jemals thatsächlich erreichen zu k ö n n e n . Alles, was sie wirklich erreicht und unter solchen Umständen wirklich zu erreichen im Stande ist, sind und bleiben immer nur einstweilige A b s c h l a g s z a h l u n g e n , deren letzte vollständige E e s t z a h l u n g , ähnlich wie bei einem zahlungsunfähigen Schuldner, in die nie e r r e i c h b a r e F e r n e einer endlosen Ewigkeit v e r s c h o b e n bleibt. Aber eben darum hat es auch für einen allgemeinen Vernunft- und Wahrheitssatz zu gelten, dass eine A r b e i t , welche, wie beispielsweise auch die angebliche u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t alles räumlich körperlichen Daseyns, in alle Ewigkeit nicht zu E n d e und also auch zu keinem wirklichen A b s c h l u s s kann gebracht werden, ein für allemal als u n m ö g l i c h zu e r f ü l l e n d e A u f g a b e und demgemäss als eine v e r g e b l i c h e A r b e i t , ein v e r g e b l i c h e s S t r e b e n , muss bezeichnet werden. Daher hat denn auch Aristoteles bereits den Satz ausgesprochen, dass 20*

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„ein Zweck unmöglich ins E n d l o s e gehen könne" (AKISTOTELES, Metaphys. IV. S. 28). — Wenn er aber, wie wir im Vorigen ersehen haben, nichtsdestoweniger unserem Weltall Une n t s t a n d e n h e i t und U n v e r g ä n g l i c h k e i t zugeschrieben, so dürfen wir wohl annehmen, dass auch er unbewusst die thatsächiiche U n e r m e s s l i c h k e i t mit thatsächlicher zeitlicher A n f a n g s - und E n d l o s i g k e i t desselben verwechselt hat. Auch bei ihm lässt die Art und Weise seiner Begründung ein solches vermuthen. Aber auch noch ein weiteres Bedenken in Bezug auf die soeben hier dargelegten Weltanschauungen dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Drossbach spricht an den angeführten Stellen zwar nur von einer „von Ewigkeit her und in Ewigkeit fort" laufenden u n e n d l i c h e n Zeit. Krause dagegen, tiefer eingehend in die eigentliche Sachlage, bezeichnet jene angeblich „unendliche Zeit" als eine zeitliche „Gegenw a r t ohne E n d e " , deren „Eine H ä l f t e bereits verflossen ist, und deren a n d e r e H ä l f t e noch verfliessen wird." Somit hätten wir also nach eben dieser Darstellung zwei h a l b e E w i g k e i t e n oder zeitliche U n e n d l i c h k e i t e n vor Augen, von denen KRAUSE überdies noch ausdrücklich die Eine als eine „ u n e n d l i c h e (also ewige) V o r z e i t " oder V e r g a n g e n h e i t , die andere dagegen als eine „ u n e n d l i c h e (d. h. ewige) Zuk u n f t " bezeichnet. Denken wir uns nun im Geiste inmitten dieses unendlichen Flusses der Zeit hinein, so schauen wir von dem Z e i t p u n k t aus, in welchem wir uns eben gegenwärtig befinden, nach rückwärts in eine ewige V e r g a n g e n h e i t hinein und nach vorwärts in eine ewige Z u k u n f t . Eben der Zeitpunkt aber, in welehem wir uns, als in demselben zeitlich gegenwärtig, soeben befinden, bezeichnet zugleich auch den V e r e i n i g u n g s p u n k t , in welchem V e r g a n g e n h e i t und Zuk u n f t sich unmittelbar berühren, unmittelbar mit einander zusammenstossen und demgemäss auch unmittelbar in einander übergehen. Somit hätten wir es also thatsächlich in diesem gegenseitigen Verhältniss von Vergangenheit und Zukunft mit

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zwei E w i g k e i t e n zu thun, welche in unleugbarer unbedingter Zusammengehörigkeit nothwendig eine einzige E w i g k e i t von d o p p e l t so g r o s s e r zeitlicher Grösse oder Ausdehnung bilden müssen, als einer jeden dieser beiden Ewigkeiten, der Vergangenheit und Zukunft, f ü r sich allein zukommen kann. Zum unveräusserlichen begrifflichen Vorrecht eines w a h r h a f t E w i g e n gehört aber vor allem, wie wir gesehen haben, der Begriff unbedingter i n n e r e r E i n h e i t .und U n t h e i l b a r k e i t . Muss daher schon die Vorstellung einer h a l b e n E w i g k e i t als ein Hohn auf den Vernunftbegriff wirklicher Ewigkeit gelten; um wieviel mehr eine Vorstellung von Ewigkeiten von v e r s c h i e d e n e r A u s d e h n u n g oder von v e r s c h i e d e n e r zeitlicher Dauer, d. h. von Einer Ewigkeit, — die d o p p e l t so g r o s s seyn müsste als j e d e e i n z e l n e der beiden Ewigkeiten, aus denen sie nothwendig bestehen müsste, falls jene Annahme eine wirklich begründete seyn könnte. Es dürften daher eben diese drei Beispiele wohl genügen, um uns einen Einblick zu gewähren in die W i d e r s p r ü c h e und U n g e r e i m t h e i t e n , in welche eine jede Weltanschauung unausbleiblich sich verwickeln muss, welche auf die Annahme einer angeblich u n e n d l i c h e n oder ewigen Z e i t gegründet ist. Aber ebenso weisen diese Widersprüche uns gleichzeitig auch darauf hin, dass in allen solchen Fällen, wo von einer „unendlichen Zeit-' geredet wird, diese Bezeichnung nie in ihrem eigentlich-wörtlichen Sinn von uns darf genommen werden, sondern immer nur in dem einer für uns u n b e s t i m m b a r wie g r o s s e n und eben darum auch einer für unsere geistige Anschauung u n e r m e s s l i c h e n Z e i t , bei welcher wir, so gross wir uns dieselbe auch denken mögen, doch allewege aus dem Bereich des thatsächlich E n d l i c h e n , in zeitlicher wie in räumlicher Beziehung n i e m a l s heraustreten. Wie man nun aber geglaubt hat, zum Beweise für eine räumliche Unendlichkeit der Welt auf die Möglichkeit u n e n d l i c h e r Z a h l e n r e i h e n sich berufen zu dürfen (VII. § 25,

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No. 140): so findet ein sehr Ähnliches statt in Bezug auf die z e i t l i c h e U n e n d l i c h k e i t der Welt. Für diese pflegt man, wie wir bereits aus obiger Darstellung von DBOSSBACH ersehen haben, vorzugsweise die angeblich ebenfalls u n e n d l i c h e und ewige V e r k e t t u n g n a t ü r l i c h e r U r s a c h e n m i t i h r e n Wirk u n g e n in das Feld zu schicken. Dass ein solcher wechselseitige Weltverkehr alles Vorhandenen durch das gemeinsame Naturgebiet hindurch . in der That, als in der allgemeinen Weltordnung begründet, statthaben muss, dies haben wir bereits früher als das allgemeine Naturmittel zu einer von Stufe zu Stufe immer höher sich steigernden inneren wie äusseren Wesensentwickelung, sowohl im Grossen und Ganzen wie für alles Einzelne, dargethan (V. § 19 und § 20). So wenig diese Anschauung als eine allgemeine Naturthatsache kann bezweifelt werden: so sehr muss von der anderen Seite die behauptete anfangs- und endlose U n e n d l i c h k e i t und E w i g k e i t eben dieser Naturverhältnisse nicht nur bezweifelt, sondern vielmehr, als eine thatsächlich ebenso begriffliche wie natürliche Unm ö g l i c h k e i t , wirklich v e r n e i n t werden, und zwar aus ganz den gleichen Gründen wie auch eine jede anfangs- und endlose Z a h l e n r e i h e als begrifflich und natürlich unmöglich muss bezeichnet werden. Denn wie Letztere von Glied zu Glied nach bestimmten Z a h l e n g e s e t z e n voranschreitet, so schreiten auch diese von Glied zu Glied durch entsprechende Keihen innerer wie äusserer Z u s t a n d s v e r ä n d e r u n g e n ebenfalls nach ganz bestimmten N a t u r g e s e t z e n voran. Was dort die Zahlen, sind hier Z u s t a n d s w e c h s e l , und diese müssen also, wenn sie geistig sollen unterschieden werden können, ebensowohl einer bestimmten geistigen Z ä h l u n g zu unterwerfen seyn, wie jene Z a h l e n r e i h e n , wenn diese, ihrem Wortlaut entsprechend, ein thatsächlich Z ä h l b a r e s darstellen sollen. Aus den gleichen Gründen also, aus welchen wir angeblich unendliche Zahlenreihen, als einen Widerspruch in sich selbst einschliessend, haben verwerfen müssen (VI. § 23, No. 132 und VII. § 25, No. 14),

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muss nothwendig ganz das Gleiche nunmehr der F a l l seyn in Bezug auf die behauptete Unendlichkeit von Reihen natürlicher Ursachen und ihrer Wirkungen. Auch hier heisst es: Gleiche Ursachen, gleiche Wirkungen. Aus allen diesen Gründen darf es uns denn auch nicht wundern, wenn schon seit früheren Zeiten eben diese angebliche Möglichkeit von u n e n d l i c h e n R e i h e n a u f e i n a n d e r f o l g e n d e r U r s a c h e n und Wirkungen ihre W i d e r s a c h e r gefunden hat. Und so war es denn auch hier wieder namentlich A r i s t o t e l e s , welcher mit derselben Entschiedenheit und aus denselben Gründen, mit welchen er den unendlichen Zahlenreihen entgegengetreten, auch gegen eine jede Möglichkeit unendlicher Reihen von Ursachen und Wirkungen sich ausgesprochen hat. „Dass es" — sagt er — „ e i n e l e t z t e U r s a c h e oder einen l e t z t e n U r g r u n d (HQ&TOV ainov . . . dg/it) gibt, und dass die Ursachen der Dinge n i c h t i n s U n e n d l i c h e gehen, weder in gerader Linie noch der A r t nach, ist klar. Denn weder bei dem Stofflichen (Materiellen) ist es möglich, dass das W e r d e n des Einen aus dem Anderen i n s U n e n d l i c h e fortgehe, noch kann der Z w e c k ins U n e n d l i c h e gehen. Und gleicherweise verhält es sich auch mit dem Wesensgrund. Denn bei dem M i t t l e r e n , ausserhalb dessen ein L e t z t e s und ein F r ü h e r e s ist, muss nothwendig das F r ü h e r e U r s a c h e d e s S p ä t e r e n seyn. Müssten wir nehmlich E i n e s von den dreien U r s a c h e n nennen, so würden wir das E r s t e also nennen, doch natürlich n i c h t d a s L e t z t e . Denn dasjenige, was am E n d e steht, ist Ursache von Nichts (d. h. von keiner weiteren Wirkung); aber auch n i c h t d a s M i t t l e r e , denn es ist Ursache nur von Einem (nehmlich dem Dritten oder Letzten). Nun macht es aber nichts aus, ob man nur Eines als ein solches M i t t l e r e s setzt oder V i e l e , und zwar ob b e g r ä n z t oder u n e n d l i c h v i e l e . Von allen diesen sind a l l e G l i e d e r bis auf das letzte herab m i t t l e r e Glieder. Wenn es daher k e i n e r s t e s G l i e d gibt, so gibt es überhaupt

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keine U r s a c h e . Ferner ist das »Weswegen« Endzweck. E n d z w e c k aber ist dasjenige, das n i c h t um eines A n d e r e n willen, sondern nur um d e s s w i l l e n (d. h. um eines bestimmten Z w e c k e s willen) das Andere ist. Ist nun ein solches das l e t z t e Glied, so kann die R e i h e des W e r d e n s n i c h t u n e n d l i c h seyn; gibt' es aber k e i n solches, so gibt es auch k e i n Weswegen (und also auch keinen vorausbestimmten Zweck). Diejenigen, welche einen u n e n d l i c h e n Verlauf (Process) des W e t d ens sehen, heben eben damit, ohne es zu wissen, den Begriff des G u t e n (d. i. des Zweckes, der verwirklicht werden soll) auf. Und doch würde niemand die Hand anlegen, etwas zu thun, wenn er nicht zu einem Ziel zu gelangen gedächte. Auch wäre k e i n e V e r n u n f t in solchem Thun; denn das Vernünftige handelt immer nach einem » W a r u m « . Und eben dieses W a r u m ist aber das L e t z t e ; denn der E n d z w e c k ist immer ein L e t z t e s . Auch wäre in dem Falle, wenn die Arten der Ursachen der Z a h l nach u n e n d l i c h wären, keine E r k e n n t n i s s möglich. Denn zu wissen glauben wir nur d a n n , wenn wir die U r s a c h e erkannt haben, ein u n e n d l i c h Vieles aber kann man nicht in begränzter Zeit ermessen." Und aus ganz denselben Gründen sagt er auch anderweitig noch, „dass das Bewegtwerden durch ein anderes Bewegendes nicht ins Unendliche fortgehen könne" (ARISTOTELES, Metaphys. IV. S. 27 — 29. Phys. S. 339. 407. 409). — Zu diesen Auseinandersetzungen macht Tiedemann, indem er dieselben im Auszug anführt, die Bemerkung; „Sehr t i e f s i n n i g und im Grunde ü b e r e i n s t i m m e n d mit dem, was hernach fast alle anderen Weltweisen mit verschiedener Einkleidung zum Beweise gebracht haben" (TIEDEHANN , Geist d. spek. Phil. II. S. 238). — Die Gründe, welche AKISTOTELES in Bezug auf eben diese Punkte, wie wir sehen, vorgebracht hat, konnten unmöglich ohne nachhaltige Wirkung bleiben. So verwarfen auch die muhamedanisch-arabischen Weltweisen von der Sekte der Redenden (der lauteren Brüder?) ausdrücklich

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eine jede Annahme eines Unendlichen, in sofern dasselbe durch die Z a h l sollte erwiesen werden. Ein jeder, auf an sich e n d l i c h e Verhältnisse gegründeter e n d l o s e r F o r t g a n g war daher auch in ihren Augen etwas an sich U n s t a t t h a f t e s . Denn wäre die Welt e w i g — so schlössen sie — so müsste auch die Z a h l der Seelen unendlich seyn; da es aber keine unendliche Zahl geben könne, so könne auch die W e l t n i c h t ewig s e y n (TIEDEMANN a. a. 0 . IV. S. 1 5 3 . 1 5 4 ) . Ähnlich auch A v e r r o e s und Andere (TIEDEMANN IV. S . 1 5 4 . SPINOZA V. S. 1 4 4 .

[ R O B B I GHASDAI]).

Auch die namhaftesten Vertreter der alten christlichen Schule traten den Beweisführungen des ARISTOTELES in ihren Hauptpunkten bei. So erklärte Anselm von C a n t e r b u r y ebenfalls die Möglichkeit unendlicher Zahlenreihen für eine u n g e r e i m t e Annahme: damit ist also auch die Annahme unendlicher Reihen Entwickelungsstufen, von Ursachen und Wirkungen u. s. w. ebenfalls hinfällig (TIEDEMANN IV. S. 2 5 3 ) . — Albert d e r G r o s s e , indem er gleichfalls die Beweisführung des ARISTOTELES sich aneignet, fügt dann weiter noch hinzu, wenn die Welt und die Bewegungen des Himmels seit unendlichen Zeiten seyen: dann müsste es vor dem heutigen Tag bereits u n e n d l i c h v i e l e U m k r e i s u n g e n gegeben haben. Aber das Unendliche — fügt er hinzu — g e h e n i c h t v o r ü b e r , also könne auch der h e u t i g e T a g , der doch erst auf jene unendlich vielen Umkreisungen f o l g e n solle, unter solchen Voraussetzungen g a r n i c h t k o m m e n (TIEDEMANN IV. S. 4 1 4 . 426. FORTLAGE, Daseyn Gottes. S. 5 1 9 . W E E N E R , THOMAS v. AQUINO I. S. 3 3 4 . 3 3 6 ) . — T h o m a s v o n A q u i n o , ebenfalls von gleichem Standpunkt wie ARISTOTELES ausgehend und ebenso auch der Darlegung ANSELM'S der Hauptsache nach zustimmend, macht zu letzterer dann weiter noch folgende Bemerkung. Ein thatsächlich Unendliches (infinitum) ist (in Bezug auf unsere Welt) u n m ö g l i c h : ein Unendliches in allmählich auf einander folgender (successiver) Darstellung seiner

314

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

selbst sey aber wohl möglich, müsse sich aber alsdann als etwas B e g r ä n z t e s und Endliches darstellen. Demnach wird nach THOMAS jede wirkliche (actuelle) Zeit etwas Vorübergehendes seyn, und zufolge dieses Vorübergehens bleibe auch Raum für den Eintritt des heutigen Tags. Oder man könne auch sagen: die Yergangene Zeit ist nur nach rückwärts unbegränzt, wie die zukünftige nur nach vorwärts. Ist also die vergangene Zeit in solchem Fall vorwärts b e g r ä n z t , so könnte der heutige Tag, trotz ihrer Unendlichkeit nach rückwärts, allerdings eintreten, und ihre Unendlichkeit besagt alsdann nach THOMAS nur soviel, dass wir nicht auf den ersten Tag zurückzählen und demgemäss also auch den wirklich ersten Tag nicht angeben können ( W E E N E S , THOM. v. AQUINO. S. 335. 336). Eine Zeit aber, von der wir nur den wirklichen Anfang nicht genauer bestimmen und näher angeben können, ist eben, so unendlich wir sie uns auch vorstellen mögen, keine wirkliche, sondern auch hier wieder nur eine falsche Ewigkeit. — Bonaventura (TIEDEMANN I V . S . 4 9 6 ) , R i c h a r d VON S T . VICTOE (TIEDEMANN I V . S.

555.

S. 135),

556),

Durand

DunsScotus

VON

ST.

POUECOING

(TIEDEMANN I V .

(TIEDEMANN

S. 6 3 2 . 6 3 3 .

V.

FOETLAGE,

Dasein Gottes. S. 160) sprechen sämmtlich ebenfalls für die Unmöglichkeit einer wirklich unendlichen Welt sich aus, meist unter Benutzung der bereits erwähnten Gründe. — In gleichem Sinn sagt auch Spinoza, dass „die Ewigkeit weder durch die Zeit bestimmt werden könne, noch auch irgendwelche Beziehung zur Zeit habe" (SPINOZA III. S . 444. BAUMANN, Raum u. Zeit. I. S. 180). — Descartes spricht über den gleichen Gegenstand sich folgendermassen aus: „Da der Geist endlich ist, so kann ich nicht erkennen, ob die Reihe der Ursachen unendlich ist, ausser sofern er die Vorstellung (Idee) einer ersten Ursache in sich enthält. Durch jene Aufeinanderfolge von Ursachen glaubte ich auf nichts anderes zu kommen, als darauf, die Unvollkommenheit eines Verständnisses

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

315

(Intellekts) einzusehen, nehmlich dass ich nicht begreifen könnte, wie u n e n d l i c h e U r s a c h e n von Ewigkeit einander so g e f o l g t wären, dass keine die erste gewesen ist. Denn sicherlich folgt daraus, dass ich dies nicht b e g r e i f e n kann, n i c h t , dass eine die e r s t e seyn muss, sondern es folgt nur, dass mein Yerständniss, welches endlich ist, das U n e n d l i c h e n i c h t fasst. Daher will ich zuvorderst hier sagen, das U n e n d l i c h e , sofern es u n e n d l i c h ist, wird zwar auf keine Weise begriffen, aber nichtsdestoweniger eingesehen, und zwar unterscheide ich hier zwischen ungeendet (indefinita) und nenne nur das e i g e n t lich u n e n d l i c h , in dem sich in keiner Weise Schranken finden; das aber, Sn dem ich nur in gewissem Betracht kein Ende finde, wie die Ausdehnung des eingebildeten (imaginären) Baumes, die Menge der Zahlen, die Theilbarkeit der Theile einer körperlichen Grösse (der Quantität) u. s. w., nenne ich zwar u n g e e n d e t , aber n i c h t u n e n d l i c h , weil es n i c h t in j e d e r H i n s i c h t unendlich ist." — Die räumliche Ausdehnung der Welt, mit ihrer (zeitlichen) Dauer verglichen, scheint mir nur Anlass zu geben zu denken, dass keine Z e i t vor einen Anfang der Welt vorgestellt werden kann. Es ist kein Grund, weshalb jemand daraus schliessen möchte, die Welt sey wirklich vor einer u n g e e n d e t e n Z e i t entstanden; weil das wirkliche und wahre Daseyn der Welt mit deren möglichem oder e i n g e b i l d e t e m (imaginären) Daseyn, welches sie vorher hätte haben können, keine nothwendige Verknüpfung hat. Wir werden nicht fürchten, durch das Nachdenken (Philosophiren) über die u n g e e n d e t e (zeitliche) Ausdehnung der Welt den Schein zu erwecken, als ob wir ihre u n e n d l i c h e D a u e r behaupteten, weil wir nicht sagen, die Welt sey unendlich. Dass aber ihre D a u e r , rücksichtlich unserer, u n g e e n d e t sey, d. h. dass von uns durch natürliche Vernunft nicht könne bestimmt werden, wann sie habe anfangen müssen, ist ganz gewiss." Zu dieser Darstellung von DESCABTES' Gedankengang bemerkt Baumann: „Schliesslich entscheidet sich DESCAKTES

316

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

über die Ewigkeit der Welt ganz wie die frühere Schule (Scholastik), die b e w e i s b a r e M ö g l i c h k e i t derselben z u g e b e n d , die T h a t s ä c h l i c h k e i t derselben aber a b l e h n e n d ' 1 (BAUMANN, Raum u. Zeit. I. S. 106. 109. 110. 112). — Ähnlich wie DESCARTES zwischen w a h r e r und f a l s c h e r U n e n d l i c h k e i t unterscheidet, so auch Locke. „Ich möchte gern den denkenden Menschen finden" — sagt er — „welcher in seinen Gedanken dem R a u m mehr als der D a u e r Gränzen setzen kann, oder der im Denken hoffen kann, an das Ende von einem von beiden zu kommen. Nachdem wir nehmlich die V o r s t e l l u n g (idea) der D a u e r gewonnen haben, ist das Nächste, was dem Geist natürlich ist zu thun, ein M a a s s dieser gemeinsamen Dauer zu finden, durch welches er über ihre verschiedene Länge urtheile und die unterschiedene Ordnung betrachten kann, in der mehrere Dinge vorhanden sind (existiren). Diese Betrachtung der D a u e r , als abgesteckt nach gewissen Zeiträumen (Perioden) und gekennzeichnet durch gewisse M a a s s e , ist das, was wir eigentlich Z e i t nennen. Durch dieselben Mittel und aus derselben Quelle aber, wie wir dazu kommen, die Vorstellung der Z e i t zu haben, haben wir auch die Vorstellung, welche wir » E w i g k e i t « nennen, wenn wir nehmlich die Vorstellung der A u f e i n a n d e r f o l g e (Succession) und D a u e r gewonnen haben durch Nachdenken über den Zug (train) unserer G e d a n k e n . Und wenn wir dann von der Umdrehung der Sonne die Vorstellung einer gewissen Länge von Dauer gewonnen haben, so können wir in unseren Gedanken solche L ä n g e n von D a u e r eine zur anderen hinzufügen, so oft es uns beliebt, und sie, auf diese Weise zu einander gefügt, anwenden sowohl auf v e r g a n g e n e wie auf z u k ü n f t i g e Dauer. Und dies können wir fortsetzen o h n e Gränzen oder Schranken, und so i n s U n e n d l i c h e (in infinitum) damit fortfahren. Hat der Geist nun die Vorstellung von einer L ä n g e d e r D a u e r gewonnen, so kann er diese verdoppeln, vervielfältigen und erweitern, nicht nur über sein

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

317

eigenes Daseyn hinaus, sondern auch über das aller körperlichen Wesen und über alle Maasse der Zeit, die von den grossen Weltkörpern und ihren Bewegungen genommen sind. Jedoch räumt jeder gerne ein, dass wir die Dauer zwar (scheinbar in unseren Gedanken) g r ä n z e n l o s machen, aber doch n i c h t ü b e r alles Seyn h i n a u s ausdehnen können. Hieraus, denke ich, kann man den Grund lernen, warum jedermann geläufiger Weise und ohne das geringste Zögern von E w i g k e i t spricht, sie voraussetzt und kein Bedenken trägt, der Dauer Ewigkeit zuzuschreiben, während es mit mehr Zweifeln und Zurückhaltung geschieht, dass viele die Unendlichkeit des R a u m e s zulassen oder voraussetzen: dagegen die Menschen müssen, wenn sie ihre Gedanken von Raum verfolgen, an den G r ä n z e n der Körper anhalten, als ob der Raum da auch am Ende wäre und n i c h t w e i t e r reichte. Wenn wir die E w i g k e i t nun aber in ihrem bereits v e r f l o s s e n e n T h e i l (a parte ante) betrachten, was thun wir anders, als dass wir, von uns s e l b s t und von der g e g e n w ä r t i g e n Zeit anfangend, in der wir sind, in unserem Geist die Vorstellungen von Jahren oder Zeitaltern oder von einer anderen angebbaren Abtheilung der vergangenen Dauer w i e d e r h o l e n mit der Absicht, f o r t z u f a h r e n in solchem Hinzufügen mit der ganzen U n e n d l i c h k e i t der Z a h l ? Und wenn wir die E w i g k e i t in ihrem z u k ü n f t i g e n T h e i l (a parte post) betrachten, so fangen wir ganz in demselben Verhältnis mit uns an und rechnen mit vervielfachten noch k ü n f t i g e n Zeitabschnitten, diese Linie der Zahlen immer weiter ausdehnend, wie vorher. D i e s e zwei, zusammengefügt, sind aber jene u n e n d l i c h e D a u e r , welche wir E w i g k e i t nennen, die, je nachdem wir unseren Blick nach e i n e r von beiden Richtungen wenden, v o r w ä r t s oder r ü c k w ä r t s . , unendlich erscheint, weil wir immer nach jener Richtung das u n e n d l i c h e E n d e der Z a h l , d. h. das Vermögen, immer n o c h m e h r hinzuzufügen, wenden. Und somit, denke ich, ist es einleuchtend, dass die H i n z u f ü g u n g e n d l i c h e r D i n g e

318

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit,

n i e m a l s die Vorstellung eines U n e n d l i c h e n anders hervorbringen könne als wie es die Z a h l thut, die aus Hinzufügung e n d l i c h e r E i n h e i t e n zu einander besteht, und die Vors t e l l u n g des U n e n d l i c h e n uns bloss zuführt durch ein Vermögen, in dessen Besitz wir uns finden, die S u m m e i m m e r m e h r zu v e r g r ö s s e r n , ohne d a s s wir dem E n d e eines solchen Weiterschreitens (progressus) näher kommen" (LOCKE I. S . 2 9 4 . 3 0 7 . 3 1 4 . 3 1 8 . 3 1 9 . 3 3 3 . 3 3 7 . 3 3 8 . BAUMANN,

Raum u. Zeit. I. S. 380. 388. 395. 396. 400. 401. 422. 423). — Aus dieser ganzen Darlegung LOCKE'S geht augenscheinlich hervor, dass auch er unter jener „Ewigkeit", die nur auf dem Wege immer weiter fortgesetzter Vergrösserungen von lauter e n d l i c h e n Zeitabschnitten vermittelst weiterer e n d l i c h e r Zeitabschnitte erreicht werden soll, ohne doch je im Stande zu seyn, es zu einer wahren und wirklichen Ewigkeit, in der e i g e n t l i c h e n begrifflichen Bedeutung des Wortes, zu bringen, in der That kein anderes versteht als eben jene u n e i g e n t l i c h e und f a l s c h e Ewigkeit, von welcher wir bereits mehrfach gesprochen haben, und welche, der Natur der Sache nach, mit der falschen Unendlichkeit unseres Weltalls in räumlicher Beziehung völlig in Eins zusammenfällt. LOCKE, um einem jeden Missverständniss in dieser Hinsicht vorzubeugen, sagt daher an einer anderen Stelle ausdrücklich: „Wenn mir sollte vorgeworfen werden, dass ich bei dieser Art, die Zeit zu erklären, v o r a u s g e s e t z t hätte, was ich nicht dürfte, nehmlich dass die Welt weder ewig noch unendlich sey, so antworte ich: es ist für mein gegenwärtiges Vorhaben nicht nöthig, Gründe dafür vorzubringen, um zu beweisen, dass die Welt sowohl in D a u e r als in A u s d e h n u n g wirklich e n d l i c h ist" (LOCKE I . S. 313). Und ebenso macht auch LOCKE, um in gar keinem Zweifel darüber zu lassen, welches in dieser Beziehung seine eigene feste Uberzeugung sey, ausserdem noch auf die unvermeidlichen Widersprüche aufmerksam, welche aus einer ganz unberechtigten Ü b e r t r e i b u n g des Begriffes einer blossen U n e r m e s s -

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

319

l i c h k e i t schliesslich mit Nothwendigkeit hervorgehen müsse, und zwar namentlich durch das „Zusammenfügen zweier Unendlichkeiten", nehmlich einer v e r g a n g e n e n und einer zuk ü n f t i g e n , „wodurch E i n Unendliches u n e n d l i c h g r ö s s e r gemacht werde als ein a n d e r e s " , welchen Widerspruch gegen einen jeden wahren Begriff eines wirklich Unendlichen und Ewigen er geradezu als eine Ungereimtheit bezeichnet, welche „zu gross sey, um Widerlegung zu erfordern" (LocKe I. S. 343). LOCKE hat also in dieser Stelle bereits den nehmlichen Widerspruch hervorgehoben, dessen weiter oben auch wir bei Gelegenheit der Anführungen von DROSSBACH Erwähnung gethan haben. — Auch L e i b n i t z unterscheidet zwischen wahrer und falscher Ewigkeit. „Eine wahre U n e n d l i c h k e i t " — sagt er — „findet sich nur bei einem U n e n d l i c h e n der K r a f t , welches ohne alle Theile ist." Mit anderen Worten: eine wahre Unendlichkeit, ohne alle räumliche und zeitliche Gränzen und Einschränkungen, kann nur eine solche seyn, welche allseitig auf die ununterbrochene Wirksamkeit einer e i g e n e n , i n n e r e n , in sich völlig e i n h e i t l i c h e n , völlig u n t h e i l b a r e n und an sich u n e n d l i c h e n G r u n d k r a f t sich stützt, und zwar in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung. Und von eben diesem allein wahren Begriff eines wirklich Unendlichen und Ewigen sagt LEIBNITZ an einem anderen Ort: „Wir haben einen vollständigen B e g r i f f von der E w i g k e i t , weil wilderen begriffliche Erklärung (Definition) besitzen, obwohl wir uns k e i n e V o r s t e l l u n g (aucun image) davon bilden können. Denn ich glaube, dass wir den bestimmten Begriff von Ewigkeit haben, und dass dieser Begriff w a h r seyn wird, sobald man sich dabei nicht ein unendliches G a n z e s vorstellt, sondern ein U n b e d i n g t e s ohne G r ä n z e n u n d ohne von T h e i l e n a b z u h ä n g e n , und ohne dass man diesen Begriff durch ein Hinzufügen von Z e i t zu Z e i t bildet." In Bezug auf die f a l sche Vorstellung von Ewigkeit sagt LEIBNITZ an einem anderen Ort: „Man kann n i c h t sagen, dass eine gewisse Dauer ewig

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

320 ist.

Aber man kann sagen, dass die D i n g e , welche immer

dauern, (insofern) ewig gewinnen.

Alles

sind, als sie immer neue D a u e r

was von Z e i t

und D a u e r

wirklich vor-

handen ist, v e r g e h t , da es a u f e i n a n d e r f o l g e n d (successiv) fortwährend

(continuirlich)

anderen Ort: werden.

„Die Z e i t

ist."

Und

wieder

kann ins U n e n d l i c h e

an

einem

fortgesetzt

Denn da die ganze Zeit dem Theile ähnlich ist, so

wird sie sich zu anderer Zeit verhalten, wie sich ein T h e i l zu ihr selbst verhält, und so wird sie gedacht als in einer anderen grösseren Zeit f o r t g e s e t z t (continuirt)." kennt

denn LEIBNITZ

schliesslich

zu

nach

Und so be-

allen diesen Betrachtungen sich

der in diesen Beziehungen auch bereits von

LOCKE ausgesprochenen Ansicht.

„Ich glaube mit LOCKE" —

sagt er —• „dass, eigentlich zu reden, man sagen kann, es gibt keinen Raum, k e i n e Zeit, keine Zahl, welche unendlich sey, sondern es ist nur wahr, dass, so gross immer ein Raum, eine Zeit, eine Zahl auch seyn m a g , es immer eine andere gibt, welche noch g r ö s s e r als sie ist, und dies ohne E n d e , so dass das w a h r h a f t U n e n d l i c h e aus T h e i l e n

zusammengesetzten G a n z e n

somit in einem

sich nicht

findet.

W i r haben keine Vorstellung eines unendlichen Raumes (oder einer unendlichen Zeit), und nichts ist fühlbarer, als die U n gereimtheit

der

Vorstellung

einer

unendlichen

(LEIBNITZ [ E d i t . EEDMANN] S. 138. 244. 292. 769. [ E d .

III.

S. 7. 22.

[RASPE] S. 220.

Zahl" HERTZ]

BAUMANN, Raum u. Zeit I I .

S. 96. 273. 314). — Wohl nicht ganz im Sinn von LEIBNITZ, und auch wohl nicht in Gemässheit seiner eigenen Vorstellung vom Entstehen aller Dinge, bemühte sich W o l f (wie TIEDEMANN anführt),

die U n m ö g l i c h k e i t

eines endlosen

Rück-

ganges von Ursachen und Wirkungen, welche, wie WOLF ausdrücklich sagt, gemeinhin nicht kräftig genug widerlegt werde, genauer

festzustellen.

trachtet WOLF

als

f ä l l i g e n Wesen,

Einen solchen endlosen Fortgang be-

eine so

unbegränzte Reihe

dass

die Reihe

selbst

von lauter weder

zu-

erstes

321

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

noch l e t z t e s Glied habe. Ein solcher Fortgang ist nun nach W O L F u n m ö g l i c h , weil die Ursachen immer z u f ä l l i g seyen, und keine den G r u n d ihres Daseyns in sich s e l b s t enthalte. Ein blosser Zufall aber sey in der Welt nicht vorhanden: mithin liege der Grund des Daseyns der Reihe auch n i c h t in der ganzen Reihe, was aber u n g e r e i m t sey. Zu eben diesen Auseinandersetzungen von Seiten W O L F ' S bemerkt ausserdem auch Philippi, dass eine u n e n d l i c h e Zeit mit der e i g e n t l i c h e n E w i g k e i t nicht einerlei sey. Daher gebe es nach W O L F eine eigentliche und eine u n e i g e n t l i c h e Ewigkeit. Denn die W e l t , sage er, könne in e i n e r u n e n d l i c h e n Z e i t ewig seyn, welches jedoch n i c h t als e i g e n t l i c h e Ewigk e i t gelten könne; daher sey sie eigentlich nicht ewig. Wäre also die Welt ewig, so wäre sie auch ohne zeitliche Aufeinanderfolge (Succession). Denn bei einer jeden Folge sey ein A n f a n g derselben zu begreifen möglich: bei einer w i r k l i c h e n Ewigkeit aber sey dies zu begreifen unmöglich. Daher sey eine ewige Aufeinanderfolge in der Zeit ein W i d e r s p r u c h (TIEDEMANN, Geist d. spek. Philos. V I . S. 5 5 7 . P H I L I P P I , Unmöglichkeit e. ewig. Welt. S. 86. 152). Hiernach dürfte demnach auch W O L F in den Hauptpunkten den Standpunkt von L E I B N I T Z beibehalten haben. — Auch K a n t hat jene Unterscheidung zwischen eigentlicher und uneigentlicher Ewigkeit, wie solche namentlich von Seiten von DESCARTES und von L E I B N I T Z , wie wir gesehen, aufgestellt worden ist, seinen eigenen Untersuchungen in Bezug auf die Frage, ob überhaupt eine eigentliche W e l t e w i g k e i t anzuerkennen sey oder nicht zu Grunde gelegt. „Die Kenner der Raum-, Grössenund Zahlenlehre (die Mathematiker)" — sagt derselbe — „sprechen lediglich von einem F o r t g a n g ins U n e n d l i c h e (progressus in infinitum). Die Forscher der Begriffe aber, die Philosophen, wollen an dessen Statt nur den Ausdruck von einem F o r t g a n g ins U n b e s t i m m t e (progressus in indefinitum) gelten lassen." Hierauf geht K A N T ZU der Bemerkung Wandersmann. III.

21

322

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

über, „man könne von einer geraden Linie wohl mit Recht sagen, sie könne ins U n e n d l i c h e v e r l ä n g e r t werden, und hier würde die Unterscheidung des Unendlichen und des unbestimmbar weiteren Fortganges (progressus in indefinitum) eine leere Spitzfindigkeit (Subtilität) seyn. Denn, obgleich, wenn es heisst: ziehet eine Linie fort, es freilich r i c h t i g e r lautet, wenn man hinzusetzt: ins U n b e s t i m m t e , als wenn es heisst: »ins U n e n d l i c h e « ; weil das Erstere nicht mehr bedeutet als: verlängert sie, soweit i h r wollt, das Zweite aber: i h r s o l l t n i e m a l s a u f h ö r e n zu verlängern, welches hierbei eben nicht die Absicht ist: so ist doch, wenn nur von K ö n n e n die Rede ist, der erstere Ausdruck ganz r i c h t i g ; denn ihr könnt sie (wenigstens in Gedanken) immer grösser machen. Und so verhält es sich auch in allen Fällen, wo man vom Fortgang, von der Bedingung zum Bedingten spricht; denn dieser Fortgang geht in der Reihe der Erscheinungen ins U n e n d l i c h e (wenigstens kann er in unseren Gedanken ins Unendliche fortgesetzt werden). Ganz anders aber ist es mit der Aufgabe bewandt, wie weit der Rückgang (regressus), der von dem gegebenen B e d i n g t e n zu den B e d i n g u n g e n in einer Reihe aufsteigt, sich erstrecke; ob ich sagen könne, er s e j ein R ü c k g a n g ins U n e n d l i c h e , oder nur ein u n b e s t i m m b a r weit (in indefinitum) sich erstreckender Rückgang. Ich sage demnach: wenn das Ganze in der Anschauung aus Erfahrung (in der empirischen Anschauung) gegeben worden, so geht der Rückgang (Regressus) in der Reihe seiner inneren Bedingungen ins U n e n d l i c h e . Ist aber n u r ein Glied der Reihe gegeben, von welchem der Rückgang zum unbedingt Ganzen (zur absoluten Totalität) allererst fortgehen soll, so findet nur ein Rückgang in u n b e s t i m m t e r W e i t e (in indefinitum) statt. So muss von der T h e i l u n g eines zwischen seinen Gränzen gegebenen K ö r p e r s gesagt werden, sie gehe ins U n e n d l i c h e . Denn dieser Körper (Materie) ist ganz, folglich mit allen möglichen Theilen, in der Anschauung durch Erfahrung (empirische

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

323

Anschauung) gegeben. Da nun die Bedingung dieses G a n z e n sein T h e i l , und die Bedingung dieses T h e i l s der T h e i l vom Tkeil u. s. w. ist, und in diesem R ü c k g a n g der Z e r t h e i l u n g (Decomposition) n i e m a l s ein unbedingtes, d. i. u n t h e i l b a r e s Glied dieser Reihe von Bedingungen angetroffen wird, so ist nicht allein n i r g e n d s ein Erfahrungsgrund (empirischer Grund), in der Theilung aufzuhören, sondern die ferneren Glieder der fortzusetzenden Theilung sind selbst dieser weitergehenden Theilung erfahrungsgemäss (empirisch) gegeben, d. i. die Theilung geht ins U n e n d l i c h e " (KANT I I . S. 402. 403. 404). Wenn KANT an dieser Stelle sagt, wenn das G a n z e in der Erfahrungsanschauung (empirischen Anschauung) gegeben sey, so gehe der R ü c k s c h r i t t in der Reihe seiner inneren Bedingungen ins U n e n d l i c h e , und diesen Fall mit der T h e i l u n g eines in bestimmte Gränzen eingeschlossenen K ö r p e r s vergleicht und hieraus den Schluss zieht, die Theilung dieses Körpers gehe ins U n e n d l i c h e , so gewinnen wir hierdurch erst den Schlüssel zum eigentlichen Verständniss dieser ganzen Anschauung von Seiten KANT'S. Denn wie er darauf hinweist, dass eine L i n i e sich bis ins Unendliche verlängern lasse, so geht selbstverständlich hieraus hervor, dass wir in einer jeden Linie, einer unendlichen wie einer endlichen, u n e n d l i c h viele T h e i l u n g s p u n k t e annehmen können, woraus denn mit Nothwendigkeit erfolgt, dass sie auch ins Unendliche muss getheilt werden können. Aber die Naturwirklichkeit kennt keine wesenlosen leeren Räume, und wenn wir denselben auch äusserlich eine bestimmte Umgränzung und eine bestimmte räumliche Grösse in unseren Gedanken zuerkennen wollen: so bleiben sie doch immer wesenlose Dinge unserer eigenen Einbildung, mit denen wir in unseren Gedanken zwar alles uns Beliebige, in der wirklichen und wesenhaften Natur aber durchaus n i c h t s anfangen können, und zwar aus dem einfachen Grund, weil diese Letztere durchaus keine leeren wesenlosen Räume noch irgendwelche Naturkörper kennt, die in ihrem 21 *

324

Endlichkeit uud Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Innern etwa nur aus an sich wesenlosen Punkten gebildet und zusammengesetzt seyn könnten, sondern allewege nur allein in sich wesenhafte Körperlichkeiten, als deren r ä u m l i c h k l e i n s t e wir eben jene in sich u n t h e i l b a r e n letzten .Grundbestandtheile unseres gesammten Naturdaseyns zu betrachten haben, auf deren thatsächliches, naturnothwendiges Vorhandenseyn die triftigsten Vernunftgründe und Naturthatsachen uns hinweisen (III. §. 12). Bis zu i h n e n mag eine jede Theilung vor sich gehen: bei i h n e n a n g e l a n g t , muss jede weitere Theilung aufhören. Und eben damit fällt auch aller Rückgang von räumlich Grösserem zu immer Kleinerem ohne a l l e s E n d e von selbst weg. Hierin, dass K A N T die wesenlose Linie ebenfalls zum Vorbild und zur Grundlage für seine Darlegungen gemacht hat, liegt auch wohl der Grund des Schwankenden in seinen Auseinandersetzungen, indem er, selbst für e n d l i c h e Grössen, den Fortschritt wie den Rückschritt von der einen Seite als bis ins U n e n d l i c h e gehend bezeichnet, von der andern Seite aber, da diese letzten und kleinsten körperlichen Theilchen nicht mehr g e z ä h l t werden können, nur einen Rückgang ins U n b e s t i m m t e anerkennt. Was nun aber in räumlicher Beziehung die R e i h e n jener u n z ä h l b a r e n k l e i n s t e n K ö r p e r c h e n sind, das sind für alle Z e i t v e r h ä l t n i s s e die Reihen der inneren und äusseren Z u s t a n d s - und E r s c h e i n u n g s w e c h s e l , welche, wie wir wissen, gerade in und an jenen einfachsten und k l e i n s t e n N a t u r k ö r p e r c h e n unausgesetzt nach einander vor sich gehen. Gerade an d i e s e , als die natürlichen Grundbestandtheile aller grösseren wie kleineren körperlichen Massen, ist aller W e c h s e l v e r k e h r in der Natur gebunden, und eben desshalb sind gerade sie, und nur allein sie, als die e i g e n t l i c h e n n a t ü r l i c h e n T r ä ger aller und jeder Zeitverhältnisse zu betrachten, also auch aller jener unübersehbaren Reihen fortschreitender Wesensentwickelungen und ununterbrochen fortschreitender Verkettungen von Ursachen und Wirkungen, wie solche durch das ganze

Irrthümlichkeit und Unhaltbavkeit etc.

325

Weltall sich hindurchziehen. Besteht nun aber auch die Ges a m m t z a h l aller jener k l e i n s t e n , an sich für uns gänzlich u n s i c h t b a r e n Grundkörperchen wohl aus einer uns thatsächlich gänzlich u n b e k a n n t e n , weil für unser menschliches Wahrnehmungsvermögen gänzlich u n z u g ä n g l i c h e n und darum auch völlig u n b e s t i m m b a r e n Z a h l : so stellt eben diese für uns unbestimmbare Zahl nichtsdestoweniger eine an sich ganz b e s t i m m t e Z a h l dar, welche ein für allemal fest bestimmt ist durch die allgemeinen Naturverhältnisse selber. Wie nun aber dife innere U n m ö g l i c h k e i t e i n e r r ä u m l i c h u n e n d lichen W e l t auf eben diese U n m ö g l i c h k e i t einer an sich völlig u n b e s t i m m t e n Anzahl eben jener einzelnen Grundkörperchen sich gründet: so muss folgerichtig eben hierin auch die natürliche U n m ö g l i c h k e i t einer in z e i t l i c h e r Beziehung unendlichen d. i. einer ewigen Welt Vernunft- und naturgemäss mit i n b e g r i f f e n und m i t b e g r ü n d e t liegen. Denn wenn wir eben jene verschwindend kleinen Körperchen als die a l l e i n i g e n natürlichen T r ä g e r a l l e r Z e i t v e r h ä l t n i s s e haben anerkennen müssen: so dürfen unzweifelhaft auch alle jene Reihen eines ununterbrochenen z e i t l i c h e n F o r t s c h r i t t e s oder ununterbrochener V e r k e t t u n g e n von U r s a c h e n und W i r k u n g e n unmöglich auch fernerhin noch als aus einer an sich u n e n d l i c h e n A n z a h l von Einzelgliedern bestehend von uns aufgefasst werden. Im Gegentheil muss die G e s a m m t h e i t aller ihrer einzelnen Glieder ganz ebenso genau an die ein für allemal n a t ü r l i c h g e g e b e n e A n z a h l eben jener einzelnen stofflich-körperlichen Grundlagen dieser Welt g e b u n d e n seyn, wie auch die räumliche Grösse und Ausdehnung des gemeinsamen Weltganzen ebenfalls als abhängig sich erweisen müsste von ganz derselben und gleichen Zahl. Kann nach allem diesem demnach in keiner Weise an die Möglichkeit einer wirklich unendlichen Anzahl jener einzelnen zeitlichen Gliederreihen gedacht werden: so geht folgerichtig hieraus hervor, dass in Wahrheit und Wirklichkeit ebensowenig von

326

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

„ u n e n d l i c h e n Reihen in der Richtung der V e r g a n g e n h e i t " wie von „ u n e n d l i c h e n Reihen in der Richtung der Z u k u n f t " darf gesprochen werden. Die Reihe in die V e r g a n g e n h e i t z u r ü c k kann nur in einer ganz b e s t i m m t e n Z a h l von einzelnen Zeitgliedern bestehen, wie auch die Reihe in die Zuk u n f t hinein. Beide Zahlenreihen, g e m e i n s c h a f t l i c h gewonnen, werden aber nie und nimmermehr die G e s a m m t z a h l aller in dieser Welt vorhandenen Ur- und Einzelwesen jemals ü b e r s c h r e i t e n können, und wie im allgemeinen Zeitverlauf, im Einzelnen wie im Ganzen, die Zahl der b e r e i t s v o r ü b e r g e g a n g e n e n und darum der V e r g a n g e n h e i t anheimgefallenen Einzelglieder beständig z u n i m m t : so muss, um ganz die g l e i c h e A n z a h l von Gliedern, die Zahl der noch von der Z u k u n f t umschlossenen Glieder a b n e h m e n , sodass die Ges a m m t z a h l derselben im allgemeinen Fluss der Zeit doch allewege u n v e r ä n d e r t d i e s e l b e wie von Uranfang an bleiben muss. Aber eben in Folge hiervon haben wir denn auch keine derartigen W i d e r s p r ü c h e mehr zu befürchten, wie solche, wie wir gesehen, die Annahme einer u n e n d l i c h e n Zeitreihe in der V e r g a n g e n h e i t und einer ganz ebenso u n e n d l i c h e n Zeitreihe in der Richtung der Z u k u n f t nothwendig in ihrem unausbleiblichen Gefolge haben muss. Auch die U n g e r e i m t h e i t , dass durch A n e i n a n d e r r e i h e n einer u n e n d l i c h e n V e r g a n g e n h e i t an eine ebenso u n e n d l i c h e Z u k u n f t schliesslich eine U n e n d l i c h k e i t sich ergibt von doppelt so grossem U m f a n g als eine j e d e der beiden Une n d l i c h k e i t e n , aus welchen sie besteht: auch diese Widersprüche in sich selber sind nach den eben angeführten, in der gesammten Naturordnung begründeten Thatsachen nicht mehr zu befürchten. Wohl gelangen wir auf diesem Wege ebenfalls zu einer für uns völlig u n b e s t i m m b a r e n zeitlichen Dauer unseres Weltalls und der in ihr enthaltenen einzelnen Daseynsweisen; aber nur zu einer u n b e s t i m m b a r wie g r o s s e n , welche, eben in Folge der bestimmt begränzten Gesammtzahl

327

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

aller Einzelverhältnisse, immerdar an das Gebiet des an sich Endlichen

gebunden

bleibt,

und,

den

einmal

gegebenen

Naturverhältnissen zufolge, auch nie und nimmermehr im Stande seyn kann, eben diese Gränzen zu ü b e r s c h r e i t e n und in solcher Weise in das Gebiet eines an und in sich wirklich U n b e g r ä n z t e n U n e n d l i c h e n und E w i g e n jemals in Wirklichkeit einzudringen.

So gross wir also auch die Gesammtdauer

unseres gemeinsamen Weltganzen sowie die Dauer der in ihm vorhandenen besonderen Daseynsweisen denken mögen, und so sehr wir uns auch einbilden können, durch endlos fortgesetzte Yergrösserungen derselben nach rückwärts wie nach vorwärts zu nicht wirklicher Ewigkeit sie aufbauschen zu können: so kommen wir mit alledem nicht aus dem an sich u n e r m e s s l i c h und darum u n b e s t i m m b a r wie G r o s s e n heraus, d. h. eben aus dem Gebiet einer thatsächlichen räumlichen wie zeitlichen

Unermesslichkeit

bietes.

Und

diese

unseres

denn

auch

gesammten

vollgültig

Weltge-

anzuerkennen,

dagegen alle erdichtete w i r k l i c h e Unendlichkeit und Ewigkeit desselben ein für allemal bestimmt zu v e r n e i n e n : dazu sehen wir uns durch die vor uns liegenden Natur- und Weltverhältnisse unbedingt genöthigt. — Gehen wir nunmehr aber auch zu

KANT'S

„Widersprüchen

(Antinomien) der reinen Vernunft" über, so lautet hier der Beweis für den ersten Hauptsatz (Thesis), dass „die W e l t e i n e n A n f a n g in d e r Z e i t h a b e " , also:

„Nehme man an, die Welt,

habe der Zeit nach k e i n e n Anfang, so ist bis zu jedem gegebenen Zeitpunkt e i n e E w i g k e i t abgelaufen und mithin eine u n e n d l i c h e R e i h e von a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n Z u s t ä n d e n der Dinge v e r f l o s s e n .

Nun besteht aber eben darin die Un-

e n d l i c h k e i t e i n e r R e i h e , dass sie durch fortschreitende Zusammenfassung (successive Synthesis) n i e m a l s v o l l e n d e t werden kann.

Also ist eine u n e n d l i c h e v e r f l o s s e n e

Weltreihe

u n m ö g l i c h , mithin ein A n f a n g d e r W e l t eine n o t h w e n d i g e Bedingung ihres Daseyns."

Und weiterhin macht

KANT

hierzu

328

Endliclikoit

und Unendliulikoit.



Zeit und

Ewigkeif.

noch die Bemerkung: „Der w a h r e Begriff der U n e n d l i c h keit ist, dass die fortschreitende Zusammenfassung (successive Synthesis) der Einheit in Durchmessung einer gegebenen Grösse (eines Quantums) n i e m a l s vollendet seyn kann. Hieraus folgt ganz sicher, dass eine E w i g k e i t w i r k l i c h aufeinanderfolgender Z u s t ä n d e bis zu einem gegebenen, nehmlich gegenwärtigen Zeitpunkt n i c h t v e r f l o s s e n seyn kann, die Welt also einen A n f a n g genommen haben muss." Der G e g e n s a t z (Antithesis) zu diesem ersten Hauptsatz lautet nun aber: „Man setze: sie habe einen Anfang. Da der Anfang ein Daseyn ist, wovor eine Z e i t v o r h e r g e h t , darin das Ding n i c h t ist, so muss eine Zeit vorangegangen seyn, worin die Welt n i c h t war, d. i. eine leere Zeit. Nun ist aber in einer leeren Zeit kein E n t s t e h e n irgend eines Dinges möglich; weil kein Theil einer solchen Zeit vor einem anderen irgendeine unterscheidende Bedingung des Deseyns, vor der des N i c h t s e y n s an sich hat, mag man annehmen, dass sie von sich selbst ist oder durch eine andere Ursache entstehe. Also kann zwar in der Welt manche Reihe von D i n g e n anfangen, die W e l t s e l b e r aber kann k e i n e n Anfang haben, und ist also in Ansehung der vergangenen Zeit u n e n d l i c h . " Und zu dieser angeblichen Beweisführung folgende Bemerkung: „Der Raum kann für sich allein n i c h t als etwas B e s t i m m e n d e s in dem Daseyn der Dinge vorkommen, weil er g a r kein G e g e n s t a n d ist, sondern nur die Umgränzung (Form) möglicher Gegenstände. Dinge also, als Erscheinungen, bestimmen wohl den Raum, aber umgekehrt kann der Raum, als etwas, welches f ü r sich besteht, die Wirklichkeit der Dinge in Ansehung ihrer Grösse oder Gestalt n i c h t bestimmen, weil er an sich n i c h t s W i r k l i c h e s ist. Eben dieses gilt auch von der Z e i t . Alles dieses nun zugegeben, so ist gleichwohl u n s t r e i t i g , dass man diese zwei U n d i n g e , den l e e r e n R a u m a u s s e r und die l e e r e Z e i t vor der Welt, durchaus annehmen müsse, wenn man eine W e l t g r ä n z e , sey es dem Raum oder der Zeit nach, annimmt."

329

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

In eben dieser Wendung, welche K A N T dem Schlusssatz gibt, ist hinreichend ersichtlich, dass er den angeführten vermeintlichen Beweis für eine behauptete Ewigkeit der Welt in Folge der in ihm enthaltenen Widersprüche als v e r f e h l t betrachtet. Daher sagt er auch weiterhin: „Ob in dem R ü c k s c h r i t t (Eegressus) zu der unbedingten Grösse des W e l t g a n z e n , der Zeit und dem Raum nach, dieses niemals begränzte Aufsteigen ein R ü c k g a n g ins U n e n d l i c h e heissen könne, oder nur ein u n b e s t i m m t fortgesetzter Rückgang (Regressus in indefinitum)?" Und diese Frage beantwortet er mit dem Ausspruch: „Der R ü c k g a n g in der Reihe der Welterscheinungen, als eine Bestimmung der W e l t g r ö s s e , geht n i c h t ins Unendliche (in infinitum), welches ebensoviel sagt als: die S i n n e n w e l t hat k e i n e u n e n d l i c h e (absolute) Grösse." Und bei einer anderen Gelegenheit sagt K A N T endlich auch noch in Bezug auf ein in Folge des unbestreitbaren W e l t a n f a n g e s dereinst zu erwartendes W e l t e n d e : „Alles, was e n d l i c h ist, was einen A n f a n g und einen U r s p r u n g hat, hat damit das Merkmal seiner eingeschränkten Natur in sich: es muss v e r g e h e n und ein E n d e haben. Die D a u e r eines W e l t b a u e s hat durch die Vortrefflichkeit ihrer Einrichtung eine Beständigkeit in sich, die unseren Begriffen nach einer u n e n d l i c h e n D a u e r n a h e kommt. Vielleicht werden Tausende, vielleicht Millionen Jahrhunderte sie nicht vernichten; allein weil die E i t e l k e i t (d. i. die Vergänglichkeit), die an den endlichen Naturen haftet, beständig an deren Z e r s t ö r u n g arbeitet, so wird die (scheinbare) Ewigkeit alle möglichen Zeiträume (Perioden) in sich halten, um durch einen allmählichen Verfall den Z e i t p u n k t i h r e s U n t e r g a n g s doch herbeizuführen ( K A N T II. S. 344. 345. 348. 349. 407.

409.

III.

S.

449.

VII.

S.

327.

HEGEL

III.

S.

277).



Diese eben mitgetheilten Darlegungen von Seiten K A X T ' S müssen als so k l a r , v e r s t ä n d l i c h und ü b e r z e u g e n d anerkannt werden, dass in Folge hiervon über dessen bestimmte eigene Stellung in Bezug auf die eben behandelte Frage, ob Ewigkeit

330

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

oder Nichtewigkeit der Welt? auch nicht der geringste Zweifel obwalten kann. Und eben aus diesem Grund muss denn auch dieses sein unumwundenes Eintreten für die thatsächliche Unm ö g l i c h k e i t e i n e r ewigen Welt in Bezug auf eine endgültige Entscheidung dieser Frage nicht hoch genug angeschlagen werden. U n e r m e s s l i c h k e i t ist eben weder Unendlichkeit noch blosse Ewigkeit, so leicht der menschliche Geist durch sie auch mag verführt werden, bei nur oberflächlicher Betrachtung sie mit wirklicher Unendlichkeit und Ewigkeit zu verwechseln. — In ähnlicher Weise hat auch R e i m a r u s über alle diese Verhältnisse sich ausgesprochen, und zwar namentlich in Bezug auf die vermeintlich unendlichen Reihen. „Vor Allem" — sagt derselbe — „muss ich entdecken, woher einige Menschen sich noch jetzt aus solcher Verwirrung nicht herausfinden können. Man denkt sich nehmlich, insonderheit in der höheren Rechenund Messkunst, einen Fortgang von Z a h l e n , L i n i e n , G r ö s s e n ins U n e n d l i c h e , weil keines derselben so gross kann angegeben werden, dass nicht immer noch ein grösseres zu denken wäre. Und ebenso verfährt man mit der Verkleinerung ins Unendliche, weil sich alle die abgesonderten Begriffe von Zahlen und Grössen ins Unendliche d. h. ohne Aufhören theilen lassen. Aus diesem verneinenden und abgesonderten Begriff des ins Unendliche zu Vermehrenden oder zu Verkleinernden dichtet sich die Zahlen- und Grössenlehre etwas u n e n d l i c h G r o s s e s und u n e n d l i c h K l e i n e s , im b e j a h e n d e n Sinn (Verstand), als ob dergleichen w i r k l i c h e oder wenigstens m ö g l i c h e Dinge wären, die in keinem Verhältniss mit b e s t i m m t e n Zahlen und Grössen stehen; und wo eins gegen das andere für nichts zu rechnen ist (siehe VII. § 25, No. 141). Ich will nur zweier schädlicher V e r w i r r u n g e n gedenken, welche aus solcher Vorstellung des Unendlichen entstehen. Einestheils m e i n t man, ins Unendliche fortgehen und unendlich seyn oder werden, sey e i n e r l e i , welches aber g r u n d f a l s c h ist. Anderntheils zieht man den Schluss: was aufs K ü n f t i g e oder in seinem

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

331

Fortgange ins Unendliche scheinbar f o r t l a u f e n kann, das könne auch in v e r g a n g e n e r Zeit ins Unendliche g e d e h n t werden, und also ohne Anfang gewesen seyn, welches eine ganz verkehrte Folgerung ist." — Und an einem anderen Orte: „Den A n f a n g der Welt bestätigt ihre D a u e r und ihre fortwährende W i r k l i c h k e i t , welche in einer beständigen F o l g e von mancherlei Zuständen und Begebenheiten besteht. Wenn nun eine Folge von Begebenheiten eine Z e i t ausmacht, so ist folglich auch die Wirklichkeit der Welt ohne Zeit n i c h t zu denken, und ihre ganze D a u e r oder das A l t e r der Welt ist mit der ganzen Folge ihrer Begebenheiten einerlei: eins ist dem andern gleich und misst das andere aus. Nun ist aber dasjenige, dem sich immer noch etwas hinzusetzen lässt, n i c h t unendlich und kann eben darum, weil es ins Unendliche verm e h r t w e r d e n k a n n , n i m m e r u n e n d l i c h w e r d e n , sondern ist und bleibt i m m e r endlich. Demnach sind die Begebenheiten in der Welt und die Folgen derselben, mithin auch die Z e i t i h r e r W i r k l i c h k e i t , n i c h t u n e n d l i c h , können auch n i m m e r u n e n d l i c h w e r d e n , sondern sind und bleiben allewege endlich. Es ist also vor der bestimmten Zahl ihrer wirklichen Jahre und vor allen ihren wirklichen Begebenheiten ein Zustand zu denken, da sie n i c h t w i r k l i c h war, d. i.: sie ist n i c h t ewig w i r k l i c h ; sie hat einen A n f a n g ihrer Wirklichkeit. — Wollte nun einer behaupten, N i c h t s wäre der Stoff, woraus alles geworden, oder N i c h t s wäre Ursache alles Vorhandenen, so würde er das N i c h t s zu E t w a s machen und einen W i d e r s p r u c h begehen, sofern er nehmlich glaubte, ein N i c h t s hätte die Welt aus einem Stoff (Materie), der ein N i c h t s war, erbaut. Wer aber vor der Wirklichkeit der Dinge n i c h t s W i r k l i c h e s setzt, und diesen Zustand des Nichtseyns nur als die G r ä n z e oder den P u n k t denkt, von welchem aus die Wirklichkeit den A n f a n g genommen, der widerspricht sich n i c h t , sondern dessen Gedanken stimmen vielmehr gar genau überein. Er denkt sich n i c h t das N i c h t s

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

332

als ein E t w a s ,

sondern im Gegentheil vielmehr so, wie es

ist, als N i c h t s , d. i. als einen M a n g e l der W i r k l i c h k e i t " (REIMARÜS, Natürl. Religion. S. 67. 68. 69. 74. 217. 218. 220. 221).

— Was ARISTOTELES ZU seiner Zeit nur erst in grossen

allgemeinen Zügen richtig erkannt und zu geistiger Anschauung gebracht hat, nehmlich die grosse Wahrheit von der begrifflichen wie natürlichen Unmöglichkeit endloser Reihen von Ursachen und Wirkungen, dasselbe hat REIMARUS, indem er diesen seit ARISTOTELES unbestreitbaren Wahrheitssatz

zugleich auch

auf den engeren Kreis der in dieser Welt wirklich und wesenhaft vorhandenen natürlichen E i n z e l d i n g e

bezog, und gleich-

zeitig damit Beispiele aus der uns unmittelbar ErscheinungsLesern so

in

klaren,

geführt,

und

einer

anschaulichen,

deutlichen

dass wohl

setzungen

Erfahrungswelt

so

und

hieran aber

knüpfte,

der

seinen

eben darum auch

überzeugenden

kaum jemand,

zugänglichen

seinen

mit Aufmerksamkeit gefolgt ist,

Weise

vor-

Auseinander-

sich den in sei-

ner Darstellung enthaltenen Beweisgründen völlig dürfte entziehen können. — Auch J a c o b i spricht sich ganz bestimmt dafür aus, „dass keine (wahre) E w i g k e i t durch Z e i t hervorgebracht, dargestellt oder erfüllt werden kann."

Daher be-

zeichnet er auch anderwärts den „Gedanken eines sich von Ewigkeit

her

allmählich entwickelnden Weltalls" als einen

„durchaus u n g e r e i m t e n Gedanken." er daher auch:

„In

In demselben Sinn sagt

dem Begriff einer unendlichen

und eines in ihr sich enthüllenden

unendlichen

Zeit

Naturver-

laufes (Naturmechanismus), einer nothwendigen Verkettung fortlaufender Erstes

Ursachen

und

Wirkungen

und kein L e t z t e s ,

kein Wozu.

(Causalreihe)

kein W a s

ist

kein

(d. h. Woher) und

Ja der Begriff eines unendlichen Naturverlaufes

selbst muss dem Verstand bei schärferem Nachdenken als unm ö g l i c h erscheinen." Brief an W I E L A N D :

Endlich sagt JACOBI auch noch in einem „AUS

endlichen Theilen kann kein un-

endliches Ganzes zusammengesetzt werden; eine

bestimmte

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

333

A n z a h l von Veränderungen kann k e i n e E w i g k e i t a u s f ü l l e n , und an und für sich b e s t i m m e n muss diese Anzahl sich lassen, weil eine aus der anderen sich entwickelt. Es leugnet kein Mensch, dass ein fortschreitendes endliches Wesen (Geschöpf) (als solches) nie die z u k ü n f t i g e Ewigkeit ausleben könne: wie ist es also möglich, dass ein nach und nach fortschreitendes (progressives) Ding eine v e r g a n g e n e E w i g k e i t (ab ante) z u r ü c k g e l e g t habe? Mein Verstand v e r w i r f t diesen Gedanken als die augenscheinlichste U n g e r e i m t h e i t (JACOBI I . S. 249. IL S. 79. 80. 118. Briefwechs. I. S. 72). — In ähnlicher Weise spricht auch Herbart sich aus: „Wo wir im täglichen Erfahrungskreis von U r s a c h e n reden, da pflegen dieselben nicht Principien, d. h. nicht A n f a n g s p u n k t e des W i r k e n s zu seyn, sondern sie selbst, diese Ursachen, sind zu ihrer Wirksamkeit durch a n d e r e U r s a c h e n angetrieben worden. Es wäre eine V e r ä n d e r u n g in ihrem eigenen Zus t a n d , dass sie wirkten. Wie nun zu aller Veränderung eine Ursache hinzugedacht wird, so auch zu dieser; und wie zu der Veränderung des Z u s t a n d e s der nächsten Ursache, so auch bei der entfernteren Ursache; und so rückwärts fort ins Unendliche. Allein hier entsteht eine U n g e r e i m t h e i t . Keine der Ursachen wird gedacht als eine solche, die von s e l b s t wirkte, jede nur als eine solche, die wirken würde, wenn sie einen Anstoss bekäme. Die ganze, wenn gleich u n e n d l i c h e R e i h e ist daher in R u h e ; es geht in ihr keine Wirkung hervor, und kann aus ihr k e i n e erklärt wérden. Und doch hatte man zum Behuf solcher E r k l ä r u n g die ganze Reihe angenommen. Gibt es dagegen eine w i r k e n d e e r s t e U r s a c h e (wirkendes Princip), so fällt die obige Schwierigkeit weg. Bei dieser gehört das W i r k e n zu ihrer N a t u r , und ist keineswegs eine V e r ä n d e r u n g in ihr, die noch einer äusseren Ursache (zum Wirken) bedürfte" (HEBBART I . S. 197. 198). — Desgleichen Schölling. „Das, was u n a b h ä n g i g von aller Zeit u n e n d l i c h ist" — sagt er — „schöpft k e i n e Z e i t aus, und

334

Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

keine U n e n d l i c h k e i t , die sich auf die Z e i t b e z i e h t , kann jenem gleich oder a n g e m e s s e n werden. — Wenn auch eine das E n d l i c h e als E r s t e s setzende Weltweisheit zum Unendlichen g e l a n g e n will: so ist dies nicht möglich ohne folgenden W i d e r s p r u c h , nehmlich dass sie, da sie an der K e t t e des E n d l i c h e n fortgeht, auch kein a n d e r e s G e s e t z befolgen kann, als dasjenige, welches i n n e r h a l b d i e s e r K e t t e gilt. Entweder nimmt sie nun an, dass jenes Gesetz aus der R e i h e des E n d l i c h e n ins U n e n d l i c h e hinüberreiche, oder nicht. Im ersten Fall begeht sie den W i d e r s p r u c h , das, was bloss E n d l i c h e s mit E n d l i c h e m verknüpft, zu einem V e r m i t t e l u n g s g l i e d zwischen dem E n d l i c h e n und seinem unbedingt E n t g e g e n g e s e t z t e n , dem U n e n d l i c h e n zu machen; oder sie nimmt dies n i c h t an, so ist sie dadurch im W i d e r s p r u c h , dass sie eine E r k e n n t n i s s des U n e n d l i c h e n d u r c h das E n d l i c h e sucht. Der natürliche und nothwendige Gang dieser vernunftwissenschaftlichen Umwandlung (philosophischen Metamorphose) ist daher dieser: die e r s t e Stufe ist das E n d l i c h e . Unmittelbar auf dieses tritt die vollkommene E n t z w e i u n g und der G e g e n s a t z des U n e n d l i c h e n hervor, welche so lange dauert, bis sich die Weltweisheit zu einem schlechthin U n e n d l i c h e n erhebt." Was will eben dieser Ausspruch, mit andern Worten, aber wohl Anderes andeuten, als dass der Begriff des natürlich E n d l i c h e n der E r s t e ist, welcher bereits in dem frühesten Kindesalter, in welchem wir nur mit den nicht bloss sichtbaren, sondern zugleich auch handgreiflichen Dingen unserer allernächsten Umgebung verkehren, in uns zu erwachen beginnt? Erst mit dem späteren Jugendalter, wenn der Geist, in Folge zunehmenden Verkehres mit der Aussenwelt und in demselben Maasse, als gleichzeitig hiermit auch seine sinnlichen Wahrnehmungen in immer weitere Entfernungen zu schweifen vermögen: erst von da an beginnt nun auch jene ursprünglich noch enge Vorstellung eines ausser uns befindlichen, augenscheinlich e n d l i c h - b e s c h r ä n k t e n Naturdaseyns sich,

IiTthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

335

bewusst oder unbewusst, mehr und mehr zu e r w e i t e r n . Und in solcher Weise wird es denn auch begreiflich, wie von da an nun auch der Begriff eines thatsächlich U n e r m e s s l i c h e n , als eines für uns u n ü b e r s e h b a r G r o s s e n , ebenfalls immer mehr in uns erwachen, und mit immer grösserer Deutlichkeit und Unterscheidbarkeit unmittelbar an jenen ursprünglichen Begriff einer noch einfachen blossen Endlichkeit sich anschliessen muss. Erst mit der zunehmenden geistigen Reife vermag dann auch von eben diesem Begriff des Unermesslichen aus, als des s c h e i n b a r Unendlichen, und als des begrifflichen V e r m i t t l e r s zwischen den beiden Gegensätzen eines thatsächlich E n d l i c h e n und eines e i g e n t l i c h U n e n d l i c h e n , der menschliche Geist nun schliesslich zu dem Begriff dieses L e t z t e r e n sich zu erheben. Daher spricht SCHILLING denn auch von einer ged o p p e l t e n , d. i. von zwei verschiedenen Arten von Unendlichkeit, deren E i n e wir nur dem zuschreiben, dessen genaue Gränze wir nicht anzugeben wissen, während der a n d e r e n das U n e n d l i c h s e y n ihrer B e g r i f f s b e s t i m m u n g nach zukommen müsse. Von diesem thatsächlich (actu) Unendlichen und Ewigen sagt SCHELLING daher auch weiterhin, dass es überhaupt „nicht durch Zahl, auch durch keine u n e n d l i c h e Zahl, bestimmt werden könne." Und ebenso hebt er an einem anderen Ort auch ausserdem es noch ganz ausdrücklich hervor, dass es „keinen end-, das heisse zweck- und ziellosen Fortschritt geben könne, wie manche sich vorstellten" (SCHELLING IV. S. 248. VI. S. 160. 390. 2. Abth. III. S. 10). — L a m e n a i s und W e s s e n b e r g gründen beide die natürliche Unmöglichkeit einer ewigen Welt mit Recht auf die U n m ö g l i c h k e i t einer in r ä u m l i c h e r Beziehung u n e n d l i c h e n Welt (LAMENAIS, Philos. I. S. 9 4 . 1 2 8 . WESSENBEBG, Gott u. Welt I. S . 2 8 ) . — Es kann dies unmöglich anders der Fall seyn, da ja beide, die räumlichen Verhältnisse wie die zeitlichen, die räumliche Grösse wie die zeitliche Dauer, wie wir bereits mehrfach hierauf hinzuweisen Veranlassung genommen haben, aus einem gemeinsamen

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

und in sich völlig untheilbaren Grund hervorwachsen, nehmlich aus der natürlichen Wirksamkeit eben derselben einheitlichen inneren Wesensgrundkraft der Dinge, darauf auch das gesammte Wesen und Daseyn der Dinge vollkommen einheitlich erbaut ist. — »Die E w i g k e i t " — sagt Schwane — „lässt sich ebensowenig durch eine endlose Wiederholung eines in die Zeit fallenden G e s c h e h e n s (Aktes) als durch endlose Aneinanderreihung der Z e i t e n darthum (construiren), weil alles, was T h e i l e hat oder g e z ä h l t werden kann, n i c h t etwas Ewiges ist. Die Ausdehnung im R a u m wie in der Z e i t ist der Wirklichkeit nach daher stets eine e n d l i c h e und bes c h r ä n k t e und kann nur auf dem Gebiet des Möglichen oder des D e n k b a r e n als bis ins E n d l o s e (oder vielmehr das Maasslose) hinein sich erstreckend gedacht werden; aber selbst dann haben wir erst den Begriff des (für unsere geistige Anschauung scheinbaren) A n f a n g s - und E n d l o s e n , jedoch noch nicht den des unbedingt U n e n d l i c h e n gewonnen (SCHWANE, Dogmengeschichte. S. 182). — So sagt auch Sengler: „Hat das W e r d e n sein bestimmtes Z i e l , so kann es auch n i c h t in die unbestimmte Unendlichkeit fortgehen, sich nicht_immer bloss dem Ziel n ä h e r n , ohne es je zu erreichen. Wie es daher keinen unbestimmten, unbegränzten R a u m gibt, so gibt es auch keine unbestimmte und in diesem Sinn gränzenlose Zeit" (SENGLEE, Idee Gottes II11. S. 392. 720). — Ebenso sagt K. P. Fischer, dass „kein F o r t s c h r i t t oder k e i n e A n n ä h e r u n g möglich ist, wenn das Z i e l sich in eine unendliche F e r n e entrückt." Und ebenso, „dass kein Unendliches durch den u n e n d l i c h e n F o r t g a n g , mithin durch k e i n e Ausdehnung oder Vermehrung des E n d l i c h e n ins U n e n d liche erkannt (oder gewonnen) werden kann. So wenig jemand also durch die Ausdehnung oder Vermehrung des Endlichen oder endlicher Grössen zum Begriff (der Idee) eines (wahrhaft) U n e n d l i c h e n sich erhebt: so wenig vollzieht er durch die Fortsetzung der Z e i t ins Unendliche, und folglich durch den

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Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

unendlichen R ü c k g a n g und F o r t g a n g in Z e i t r e i h e n , den Begriff (die Idee) des E w i g e n , der sich von allem Zeitlichen wesentlich u n t e r s c h e i d e t . Da aber ein a n f a n g s l o s e s W e r den kein W e r d e n , d. h. kein Ubergehen vom S e y n k ö n n e n in das D a s e y n ist, welcher Ubergang eben den A n f a n g der W e l t bezeichnet: so ist weder die lebendige (organische) E n t w i c k e lung des Weltsystems ohne Anfangspunkt denkbar, noch lassen sich bestimmte Stufen seiner Verwirklichung ohne ein Ziel (und einen Zweck) derselben begreifen. Denn schreitet die Entwickelung der Welt in geordneter Weise (systematisch) fort, so setzt dieselbe ebensowohl ein E n d z i e l (terminus a quo) voraus, wie diese durch bestimmte Stufen fortschreitende Entwickelung einem durch ihr Wesen bestimmtes Ziel, nehmlich der allseitigen vollkommenen Verwirklichung ihres Grundgedankens (ihrer Idee) sich nähert oder entgegenschreitet. Dagegen verfolgt die ins E n d l o s e zurück- und vorwärtsgehende V o r s t e l l u n g von Z e i t r e i h e n nur ein v e r w o r r e n e s (chaotisches) W e r d e n , einen g r u n d - und zwecklosen V e r l a u f , der sich n i m m e r m e h r als gesetzmässige, durch die stufenweise Verwirklichung eines sach- und ordnungsmässigen Zusammenhanges (eines objectiven Systems) bestimmte Entwickelung einer wohlgeordneten Welt (eines Kosmos) d e n k e n lässt. Vielmehr w i d e r l e g t sich dieser ebenso b e g r i f f s l o s e wie u n v o l l z i e h b a r e , und n u r v o r a u s g e s e t z t e (postulirte) Versuch, eine sogenannte ewige d. h. a n f a n g s - und ziellose W e l t e n t w i c k e l u n g wissenschaftlich zu bestimmen, s e l b e r , da der Satz, »das W e r d e n der W e l t hat k e i n e n Anfang« sich selbst a u f h e b t , wie der Satz »sie e r r e i c h t kein Ziel« oder »sie schreitet ihrer Vollendung n i c h t entgegen«, der Vorstellung (Idee) einer v o l l k o m m e n e n Welt w i d e r s p r i c h t , indem schon jeder F o r t s c h r i t t , mithin jede A n n ä h e r u n g ihrer stufenweisen Entwickelung zu jenem Ziel u n m ö g l i c h wird, wenn das W e r d e n der Welt kein Z i e l hat oder dieses n i c h t e r r e i c h t wird, sondern sich in eine u n e n d l i c h e F e r n e entrückt" (K. P . FISCHER, Grundzüge Wandersmann. III.

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

d. spek. Theolog. S. 43. 172. 173). — In gleichem Sinn sagt auch Ulrici: „Eine anfangslose unendliche Reihe b e w e g t e r E i n z e l d i n g e (Atome), von denen jedes nur auf den A n s t o s s eines a n d e r e n sich bewegt, also eine endlose R e i h e e i n z e l ner B e w e g u n g e n (oder ZustandsVeränderungen), von denen eine die a n d e r e hervorruft, ist so gewiss u n d e n k b a r wie eine Reihe von W i r k u n g e n ohne U r s a c h e n " (ULKICI, Gott u. Natur. S. 638. 639). — „Das an sich Z e i t l i c h e " — sagt Hettiliger — „kann nicht das E w i g e , das bloss Endliche n i c h t das U n e n d l i c h e aus sich zeugen. Die Natur rings um dich her, der Himmel mit seinen Millionen Gestirnen, diese ganze Natur ist e n d l i c h und ihrer (räumlichen wie zeitlichen) Grösse ist eine G r ä n z e gesetzt" (HETTINGEB, Apol. I. S. 345). — Stentrup spricht über diese Verhältnisse sich folgendermassen aus: „Suchen wir den Begriff der Z e i t ein wenig näher zu bestimmen, und nach ihm die Beweisführung (Argumentation) der Vertheidiger einer ewigen Weltentwickelung zu prüfen. Da die Dauer nichts anderes ist als ein f o r t g e s e t z t e s D a s e y n , und ihr Begriff nur darin von dem Begriff des Daseyns sich u n t e r s c h e i d e t , dass er das Daseyn n i c h t s c h l e c h t h i n , sondern als ein vor dem Zeitpunkt (Moment) der Erfassung schon w i r k l i c h e s darstellt: so muss offenbar der Begriff und die Natur der D a u e r der Natur des Seyns entsprechen. In den e n d l i c h e n (geschaffenen) Dingen tritt uns ein z w e i f a c h e s Seyn entgegen: ein b e h a r r l i c h e s und ein f l i e s s e n d e s . Dieses ist immerwährender Gegenstand der Erfahrung, der äusseren sowohl als der inneren; jenes verbürgt uns nicht nur die Erfahrung, sondern auch das Denken der Vernunft, welche ein b e h a r r l i c h e s Seyn als nothwendige V o r b e d i n g u n g , als G r u n d und als T r ä g e r des f l i e s s e n d e n Seyns fordert. In der That, f l i e s s e n d e s Seyn findet sich nur da vor, wo es eine Seynseinheit gibt, die aus T h e i l e n zusammengesetzt ist, unter denen die Beziehung der zeitlichen A u f e i n a n d e r f o l g e (der Succession) besteht. F l i e s s e n d e s Seyn werden wir folglich

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Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

nur da haben, wo Seyn und W e r d e n z u s a m m e n f a l l e n . Es ist dies nichts anderes, als was die Denker (Philosophen) des Mittelalters B e w e g u n g (motus) d. i. F o r t s c h r e i t e n aufeinanderfolgender V e r ä n d e r u n g e n nannten. Offenbar kann aber solches W e r d e n ohne Grund und Träger n i c h t gedacht werden: wir sind daher gezwungen, es als W e r d e n am Seyn zu denken. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass das f l i e s s e n d e Seyn, und folglich, weil die Dauer dem Seyn entsprechen muss, dass das Seyn ein b e h a r r l i c h e s Seyn voraussetzt, welches Grund und Träger fortschreitend aufeinander folgender (successiver) V e r ä n d e r u n g e n seyn könne. Nun ist aber die f l i e s s e n d e D a u e r gerade dasjenige, was wir mit dem Namen Z e i t belegen. Also ist es offenbar, dass wirkliche (reale) Zeit u n m ö g l i c h ist, wenn n i c h t D i n g e w i r k l i c h vorh a n d e n sind (existiren), die der Veränderung unterworfen sind; und ist somit von ihr die Rede, so müssen wir denen vollkommen beistimmen, welche die W e l t e n t w i c k e l u n g als n o t wendige V o r a u s b e d i n g u n g der Z e i t betrachten. Können wir aber hieraus den Schluss ziehen, dass die Zeit überhaupt ohne Weltwirklichkeit nicht möglich sey? Ganz und gar nicht. Ebensowenig als die blosse geistige V o r s t e l l u n g (die objective Denkbarkeit) der Welt von deren W i r k l i c h k e i t abhängt, (?) ist die geistige V o r s t e l l u n g (objective Denkbarkeit) der Z e i t durch die Weltwirklichkeit bedingt. Es ist ja auch eine unbestreitbare Thatsache, dass wir in unserem Denken den B e g r i f f einer Z e i t vorfinden, die als v o r a u f g e h e n d dem Daseyn der Dinge und als b l e i b e n d selbst in der Annahme (Hypothese) der V e r n i c h t u n g alles Vorhandenen, als a n f a n g s und endlos vorgestellt wird. Aber diese (letztere) Z e i t ist eben n i c h t w i r k l i c h e (reale) sondern bloss g e i s t i g g e d a c h t e (ideale) Z e i t , die zwar in der geistig von uns vorgestellten (objectiven) Seynsordnung einen (wenn auch nur scheinbaren) Grund, n i c h t a b e r ein w i r k l i c h e s Seyn hat. Sie hat, als g e d a c h t e Z e i t , auch nur ein b e g r i f f l i c h - v o r g e s t e l l t e s 22*

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

(ideales) Seyn, und ist ausserhalb des Begriffes (der Idee) nichts anderes als eine unbegränzte, d. h. durch keinen bestimmten Anfang und kein bestimmtes Ende eingeschränkte (begriffliche) M ö g l i c h k e i t der w i r k l i c h e n Zeit. Wer immer sie als eine w i r k l i c h e Z e i t betrachten würde, verdiente den Vorwurf, dass er von aller Wirklichkeit absehende blosse Vorstellungen (Abstraktionen) seines Geistes als w i r k l i c h betrachte (realisire) und ein bloss geistig vorgestelltes (ideales) Seyn der Dinge von ihrem w i r k l i c h e n Seyn n i c h t zu unterscheiden wisse" (STENTEUP, Zeitl. Weltanschauung. S. 22. 23. 24). — „Nach den Gesetzen des Denkens wie des Vorstellens" — sagt J. H. Fichte — „ist die Bedingung alles Daseyns (Existenz) an die Erscheinungsweisen (Formen) des z e i t l i c h e n und r ä u m l i c h e n Daseyns geknüpft. Erfahrungsgemäss (empirisch) sehen wir die ganze Natur, d. h. die g e s a m m t e E r s c h e i n u n g s w e l t in unablässigem E n t s t e h e n und V e r g e h e n begriffen. Alles zeitlich Erscheinende ist irgend einmal auch zeitlich entstanden; darum ist es sicherlich auch dem U n t e r g a n g geweiht. Und wie gross auch die Z e i t m a a s s e seyn mögen, in denen sein Leben abläuft, wie sehr auch die Z e i t l ä n g e n (Zeitdimensionen), wie bei den Weltkörpern und den himmlischen Sonnen- und Sterngebieten (astronomischen Weltsystemen), gegenüber unseren eigenen irdisch kurzen Zeitmaassen als E w i g k e i t e n erscheinen mögen: dennoch sind auch sie e n d l i c h e Wesen, denen einmal die Stunde des V e r s c h w i n d e n s schlagen wird" ( J . H . FICHTE, Seelenfortdauer. S. 53. 76). — Diese Auszüge aus den Schriften der bedeutendsten Wahrheitsforscher dürften wohl ausreichen, uns vollgültig von der thatsächlichen Unmöglichkeit einer wirklich ewigen Welt nach der vollen Bedeutung des Wortes zu überzeugen.

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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N o . 1 4 4 . Innere Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit der scheinbaren Begründungen einer zeitlichen Ewigkeit der Welt von Seiten der neueren Naturforschung. Es bleibt uns nun noch übrig, die Ansichten auch der neueren Vertreter der Lehre von der E w i g k e i t der W e l t , sowie die G r ü n d e , auf welche dieselben ihre Anschauungen stützen, näher kennen zu lernen und dieselben ebenfalls auf ihren Inhalt genauer zu prüfen. „Aus der E w i g k e i t des S t o f f e s (der Materie)" — sagt B ü c h n e r — „folgt die E w i g k e i t d e r W e l t , und aus deren E w i g k e i t ihre U n e n d l i c h k e i t . Diese Beweisführung ist, denke ich, k l a r , e i n f a c h und e r f a h r u n g s g e m ä s s , und daher ihr Ergebniss (Resultat) nichts weniger als ein wissenschaftlicher (philosophischer) Widerspruch." Wir sehen, es ist dies auch heute noch dieselbe Art und Weise, in welcher bereits L E U K I P P , DEMOKBIT und EPIKUK die von ihnen behauptete Weltewigkeit zu begründen gesucht haben. Denn waren überhaupt einmal alle Theile dieser Welt von ewiger Dauer, so musste selbstverständlich auch dem aus ihnen gemeinsam gebildeten Weltganzen die gleiche ewige Dauer zukommen. Den Wahrheitssatz, dass alles, was endlich ist im R a u m , auch endlich seyn müsse in der Zeit, kannte man damals noch nicht, und so darf es uns denn auch nicht auffallen, wenn jene alten Denker keinen Anstand daran genommen haben, ihren allerkleinsten Grundkörperchen, trotz ihrer fast verschwindenden K l e i n h e i t in räumlicher Beziehung, nichts destoweniger eine unbedingt ewige Dauer in zeitlicher Hinsicht zuzuschreiben. Freilich haben seit jenen Zeiten sowohl Naturforschung wie Naturwissenschaft bedeutende Fortschritte gemacht, und namentlich ist es die Erstere, welche glaubt, mit der Wage und der Kolbenflasche in der Hand, sich vollkommen davon ü b e r z e u g t zu haben, dass thatsächlich k e i n Stoff, k e i n noch so kleines Stofi'theilchen, jemals entstehen und vergehen

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

könne. In Folge dessen hält sie sich denn auch, wie wir aus dem oben angeführten Ausspruch BÜCHNER'S ersehen, auf diese vermeintlichen Erfahrungsbeweise sich stützend, für um so mehr berechtigt, an ihrer Anschauung in Betreff der von ihr behaupteten unbedingten Anfangs- und Endlosigkeit jener einzelnen Grundkörperchen sowie des von ihnen gebildeten gemeinsamen Weltganzen entschieden festhalten zu dürfen. Zwar kennt BÜCHNJIB recht wohl die erheblichen Einwände, welche von anderen Seiten gegen diese seine Behauptungen erhoben werden; so namentlich die Einwendung, dass man „ k e i n R e c h t dazu habe, aus Erfahrungen, welche an e n d l i c h e n , durch Raum und Zeit b e s c h r ä n k t e n Dingen gemacht werden, auf das Ewige und U n v e r g ä n g l i c h e zu schliessen; noch daraus, dass h e u t e kein Stoff von u n s v e r n i c h t e t werden kann, zu schliessen, dass er ewig gewesen und daher auch n i c h t geworden und entstanden seyn könne." Wie beantwortet aber BÜCHNEB diese so berechtigten Einwürfe? „Weil man nicht begriffen hat" — antwortet er — „dass die Natur ein einziges, durch unabänderliche und ewige Gesetze geleitetes und daher von einer vollkommenen inneren Nothwendigkeit getragenes Ganze ist, aus dessen Einzelerscheinungen wir mit vollem Rechte auf die Gesammtheit schliessen. Für den N a t u r f o r s c h e r , der sich einmal von der U n v e r n i c h t b a r k e i t des S t o f f e s auf t h a t s ä c h l i c h e m Wege überzeugt hat, ist derselbe ewig und u n v e r n i c h t b a r für alle Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" (BÜCHNER, Natur und Geist. S. 166. 167). — Was ist mit dieser Entgegnung jedoch gesagt? Ist dadurch ein wirklicher Beweis für die Richtigkeit der eigenen Ansicht geliefert? Oder sind die von anderen Seiten entgegengehaltenen Gründe dadurch entkräftet? Keineswegs. Dass die Natur ein einheitliches Ganze sey und dass sie von unabänderlichen Gesetzen geleitet sey, dies wird wohl von niemanden bezweifelt: aber ist durch die angeführten Versuche denn auch in Wahrheit und Wirklichkeit vollgültig d a r g e t h a n , dass die Einzel-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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dinge und Einzelstoffe dieser Welt wirklich n i e m a l s e n t s t a n d e n und auch in alle Ewigkeit u n v e r n i c h t b a r und u n v e r g ä n g l i c h seyn müssten? Mit nichten. Es ist durch jene Versuche nur allein dargethan, dass wir, so weit u n s e r e E r f a h r u n g r e i c h t , kein Beispiel dafür anführen können, welches zu behaupten uns berechtigte, dass bereits vorhandene Stoffe oder natürliche Einzeldinge völlig aus dem Bereiche des allgemeinen Naturdaseyns v e r s c h w u n d e n seyen, noch auch dafür, dass man bis jetzt noch n i c h t v o r h a n d e n e Stoffe oder natürliche E i n z e l d i n g e durch eigene Selbstbeobachtung jemals habe in Wirklichkeit e n t s t e h e n sehen. Aber in welchem Zusammenhang stehen diese Erfahrungsthatsachen, die wir an thatsächlich v o r h a n d e n e n an sich e n d l i c h e n Dingen zu machen Gelegenheit haben, mit der Frage, ob solchen Dingen überhaupt ein ewiges, d. i. völlig a n f a n g - und e n d l o s e s , ein völlig une n t s t a n d e n e s und u n v e r g ä n g l i c h e s N a t u r d a s e y n darf zugeschrieben werden? In gar keinem. • Denn es ist sehr wohl und vollkommen Vernunft- und naturgemäss denkbar, dass Dinge, welche n i c h t von Ewigkeit her dagewesen, sondern erst mit einem gewissen Zeitpunkt in das wesenhafte Naturdaseyn e i n g e t r e t e n sind, während der g a n z e n D a u e r dieses ihres natürlichen Daseyns durch keine a n d e r e , d. h. ihnen fremde Naturgewalt jemals könnten z e r s t ö r t oder ihres Daseyns ber a u b t werden, dass sie aber dennoch, wenn die ihnen natürlich zugemessene eigene Daseynskraft v e r b r a u c h t und damit die Zeit ihrer natürlichen Dauer v o r ü b e r ist, auch wieder aus ihrem bisherigen Daseyn heraustreten und demgemäss, unbeschadet ihres gegenwärtig unbehinderten Daseyns, dereinst ein wirkliches Ende nehmen müssen (VII. § 24, No. 138). Es kann in einer solchen Anschauung durchaus n i c h t s Vernunft- noch Naturwidriges gefunden werden, und so lange daher die entgegenstehende Natur- und Weltanschauung für die Richtigkeit ihrer Behauptung keine v o l l g ü l t i g e r e n Beweise und Zeugnisse beizubringen im Stande ist als die im Obigen von BÜCHNEK

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

vorgebrachten: solange darf dieselbe auch, als auf völlig unerwiesenen Grundlagen erbaut und in Folge dessen als in sich selber völlig h a l t l o s , betrachtet werden. Oder sollte etwa der Schlusssatz, dass „für den N a t u r f o r s c h e r , der sich einmal von der Unvernichtbarkeit des Stoffes auf thatsächlichem Wege überzeugt hat, derselbe nun auch ewig und u n v e r g ä n g l i c h sey für alle V e r g a n g e n h e i t , G e g e n w a r t und Z u k u n f t " : — sollte dieser Ausspruch die Stelle eines thatsächlichen Beweises in Wirklichkeit vertreten? Falls dieses etwa der tiefere Sinn dieser Darstellung seyn sollte: so dürfte dieselbe in der That weit eher wohl als eine Art stillschweigenden Armuthszeugnisses aufgefasst werden, denn als eine ernstlich gemeinte Beweisführung. J a ungeachtet der ausdrücklichen Verwahrung von Seiten BÜCHNER'S, dass jene Äusserung durchaus nicht als ein wissenschaftlicher „Machtspruch" dürfe betrachtet werden, möchte doch wohl die ganze Darstellung, so wie sie wörtlich vorliegt, den Stempel eines solchen Machtspruches ziemlich unverkennbar an sich tragen. Jedenfalls aber kann ein wirklicher Beweis nicht darin erkannt werden. — In ganz ähnlichem Sinn wie B Ü C H N E B spricht auch Haekel sich aus. „Einen e r s t e n A n f a n g " — sagt er — „können wir uns für die ewigen Bewegungserscheinungen des Weltalls ebensowenig denken als ein schliessliches E n d e . Das W e l t a l l ist nach Kaum und Zeit u n b e s c h r ä n k t und u n e r m e s s l i c h . Es ist ewig und es ist u n e n d l i c h . Aber auch für die ununterbrochene ewige B e w e g u n g , in welcher sich alle Theilchen des Weltalls beständig befinden, können wir uns keinen Anfang und kein Ende denken. Die grossen Gesetze von der E r h a l t u n g der K r a f t und von der E r h a l t u n g des S t o f f e s , die Grundlagen unserer ganzen Naturanschauung, lassen keine andere Vorstellung zu. Jede besondere Erscheinungsweise (Form), als das zeitweilige Ergebniss (Resultat) einer Summe von Bewegungserscheinungen, ist als solche vergänglich und von beschränkter Dauer. Aber in dem beständigen Wechsel der Ge-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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staltungen (Formen) bleibt der Stoff (Materie) und die davon unabtrennbare K r a f t ewig und u n z e r s t ö r b a r " (HAEKEL, Natürl. Schöpfungsgesch. S. 288. 289). — Auch hier also dieselbe machtsprecherische Darstellungsweise, wie solches auch im vorigen Beispiel der Fall war. Z u e r s t werden die Welt und die in ihr vorkommenden Bewegungen aller ihrer Theilchen von vornherein aus eigener Machtvollkommenheit für an sich ewig erklärt; dass man aber, nach solchen Voraussetzungen, nachträglich auch k e i n e n A n f a n g für derartige, an sich bereits ewige Dinge und Verhältnisse sich vorstellen kann: dies ist wohl begreiflich. Nicht so begreiflich aber dürfte es seyn, dass bloss deshalb, weil „die grossen Gesetze von der Erhaltung des Stoffes und von der Erhaltung der Kraft die Grundlage jener ganzen Naturanschauung" bilden, dies ebenso ohne Weiteres als ein wirklicher Beweis auch für eine thatsächliche Unentstandenheit und Ewigkeit eben dieser S t o f f e und der ihnen zu Grunde liegenden K r ä f t e zu gelten habe. Als der irdischen Menschheit angehörig, welche nach unzweifelhaften, von der Naturforschung selbst als richtig anerkannten Thatsachen, erst in späterer Zeit auf unserer Erde aufgetreten, ist kein Mensch im Stande, sich jemals in Bezug auf seine e i g e n e V e r g a n g e n h e i t als wirklich ewig zu betrachten. Aber eben deshalb kann und darf auch kein M e n s c h von sich behaupten, dass er aus e i g e n e r A n s c h a u u n g und aus e i g e n e r E r f a h r u n g sich davon ü b e r z e u g t habe, ob die Welt und die in ihr enthaltenen Stoffe wirklich einmal einen A n f a n g genommen haben oder nicht. Das Gleiche gilt aber von dem z u k ü n f t i g e n E n d e . Denn da wir nur noch in der Gegenwart, aber noch n i c h t in der Zukunft uns befinden, so können wir auch in Bezug auf das, was dereinst die Zukunft bringen wird oder nicht, ebensowenig aus eigener Erfahrung reden. In diesem unserem natürlichen Unvermögen, das an sich U n m ö g l i c h e für uns m ö g l i c h zu machen, scheint uns nun kaum ein anderer Ausweg zu bleiben, als jenen Ver-

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

Sicherungen einer vorurteilsfreien Naturforschung Glauben zu schenken, welcher — aber welcher auch nur a l l e i n — es ja gelungen seyn soll, auf dem für alle Anderen völlig verschlossenen Wege eigener sinnlicher W a h r n e h m u n g und B e o b a c h t u n g , also durch eigene selbst erlebte E r f a h r u n g s t a t s a c h e n , sich vollgültig überzeugt zu haben nicht nur von der thatsächlichen Ewigkeit und dem wirklichen U n e n t s t a n d e n s e y n der in dieser Welt vorhandenen G r u n d s t o f f e , sondern gleichzeitig damit auch von der Ewigkeit des gemeinsamen Weltganzen

selber.

Doch

mässig

erscheinen,

dürfte

bevor

es wohl nicht ganz' unzweck-

wir

diese

kühnen

Behauptungen

so ohne Weiteres auf Treu und Glauben hinnehmen, den

weiteren Verlauf unserer gegenwärtigen

abzuwarten.

Gehen

wir

daher

unterdessen

auch

noch

einigen anderen Vertretern ähnlicher Richtungen über. tet

man"

der

Dinge



Wiener

sagt

zu

erforschen,

rück, so kann man doch vergangenen

Zeit

nie



in

wegen zu

„um den

immer

zuerst

Untersuchungen

letzten

Grund

Zeiten

zu-

der U n e n d l i c h k e i t

der

einem

frühere

zu

„Schrei-

Abschluss

gelangen."

Und unmittelbar hieran anschliessend, fährt WIENEB dann weiter fort: „Kommt man aber beim Rückwärtsschreiten zu Zuständen, die ihrer Art nach von immer g r ö s s e r e r D a u e r werden, so ist es m ö g l i c h , dass man endlich auf einen Zustand kommt, der seiner Art nach der l e t z t e war, indem er keinen Zustand anderer Art vor

sich hatte.

Dieses mag wohl der Zustand

des im W e l t r a u m f e i n v e r t h e i l t e n Stoffes seyn" (WIENEK, Grundg. d. Welt-Ordnung. S. 5). — Auch hier Anklänge an die alte Anschauung von den ewigen stofflichen Einzelkörperchen, welche von Ewigkeit her im endlosen leeren Raum sich zerstreut

befinden

sollten.

Doch

bleibt

es in dieser Dar-

stellung gleich von vornherein sehr räthselhaft, wie die beiden hier erwähnten Ausführungen, welche u n m i t t e l b a r auf einander folgen, sich sollen vernunftgemäss mit einander vereinigen lassen.

In dem ersten Fall wird in dem Tone bestimmtester

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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und unzweifelhaftester Zuversichtlichkeit von einem „ N i e - z u m A b s c h l u s s - K o m m e n " im Rückwärtsverfolgen jener angeblich u n e n d l i c h e n V e r g a n g e n h e i t g e s p r o c h e n : in dem zweiten Fall aber, der freilich von der vorigen Bestimmtheit und Zuverlässigkeit bereits bedeutend eingebüsst hat, und dafür mit einem sehr zweideutigen „So ist es m ö g l i c h " und mit einem ebenso zweifelhaften „So mag es wohl seyn" ausgestattet ist, wird dagegen geradezu von einem „in s e i n e r A r t l e t z t e n Z u s t a n d " gesprochen, in welchem die im Weltraum zerstreuten Weltstoffe sich befunden haben dürften. Hier ist also im Schlusssatz thatsächlich von einem wirklichen l e t z t e n A b s c h l u s s im Rückwärtsschreiten die Rede, welcher im Vordersatz ausdrücklich als an sich u n m ö g l i c h ist bezeichnet worden. Was aber im R ü c k w ä r t s s c h a u e n uns als das L e t z t e erscheint, das muss, wenn wir uns auf den Standpunkt eben dieses „Letzten" versetzen und von ihm a u s nun nach v o r w ä r t s schauen, nach dieser umgekehrten Richtung hin als das E r s t e sich darstellen, d. h. als ein thatsächlich e r s t e s Glied einer mit ihm beginnenden allgemeinen W e l t e n t w i c k e l u n g s r e i h e . Woher aber ein solcher e r s t e r A n f a n g zu einer derartigen ununterbrochen voranschreitenden Weltentwickelung gekommen seyn soll, was seine n a t ü r l i c h e U r s a c h e gewesen, oder in welchen sonstigen inneren oder äusseren Verhältnissen die eigentliche V e r a n l a s s u n g dazu gelegen haben mag: . über alles dieses bleiben wir ohne näheren Aufschluss. Auch einer näheren Andeutung, dass ein solcher Aufschluss etwa in anderen, bis dahin vielleicht noch nicht berührten und besprochenen Verhältnissen zu suchen seyn könnte oder gesucht werden müsse, begegnen wir ebensowenig. Wie eine solche Darlegung aber als ein wirklich wissenschaftliches F o r s c h e n nach den l e t z t e n u n t e r s t e n G r ü n d e n soll betrachtet werden: dies ist jedenfalls unerfindlich und geheimnissvoll. Denn wo von vornherein gesagt ist, dass man nach rückwärts überhaupt nie zu einem wirklichen Abschluss gelangen könne: da sollte man doch

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

denken, daas dies auch im zweiten Fall nicht möglich seyn könne, und dass in Folge dessen in Bezug auf jenen „seiner Art nach l e t z t e n Z u s t a n d " ebenfalls nach noch immer weiter zurückliegenden Ursachen zu fragen seyn dürfte. Ohne eine thatsächlich richtige Erkenntniss erster und letzter G r ü n d e kann es jedoch keine wahre und wirkliche Erkenntniss geben; denn alles Erkennen besteht ja allein nur in einer klaren und deutlichen geistigen Einsicht in die innersten und letzten Gründe, auf denen eine W a h r h e i t beruht, gleichviel ob dieselbe in einer bloss geistigen Anschauung und Schlussfolgerung besteht, oder in einer wesenhaften Naturwirklichkeit und deren natürlich gegebenen Verhältnissen. Der blosse Hinweis auf die etwaige M ö g l i c h k e i t eines an sich stets gleichartigen Zustandes der von vornherein für ewig erklärten Weltstoffe, und dies bloss während eines unbestimmt wie langen Zeitraumes, ist aber keinesfalls genügend, um ein wirkliches Forschen und Fragen nach den letzten Gründen unserer gesammten Weltordnung irgendwie befriedigen zu können. Dazu würde vor allem der Nachweis der Gründe gehören, in deren Folge überhaupt räumlich e n d l i c h e n Dingen eine ewige D a u e r vernünftiger Weise zuerkannt werden dürfte. Die blosse, wenn auch mit noch so vieler Bestimmtheit ausgesprochene B e h a u p t u n g , sie seyen eben nun einmal ihrer Natur nach ewig, u n e n t s t a n d e n und u n v e r g ä n g l i c h , reicht hierzu durchaus n i c h t aus, und so lange dieser Nachweis von Seiten derer, welche die Ewigkeit der Welt und ihrer Einzeldinge gewissermassen als den ersten unumstösslichen H a u p t s a t z und G r u n d s t e i n ihres gesammten wissenschaftlichen Glaubensbekenntnisses betrachten oder dafür ausgeben, n i c h t in Wirklichkeit v o l l g ü l t i g geliefert ist: so lange vermag auch diese ganze Ewigkeitserklärung keinen anderen Anspruch zu erheben, als allein nur den einer w i l l k ü h r l i c h e n E r f i n d u n g oder A n n a h m e m e n s c h l i c h e r E i n b i l d u n g . Auf eine wirkliche Glaubwürdigkeit kann sie keine Ansprüche machen, und dieses um so weniger, als

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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die augenfälligen W i d e r s p r ü c h e , in welche das menschliche Denken durch deren Annahme verstrickt wird, mit innerer Nothwendigkeit noch um so mehr und um so zuverlässiger auf die innere U n h a l t b a r k e i t und I r r t h ü m l i c h k e i t einer solchen Grundanschauung hinweisen. — Volper spricht über eben diese Verhältnisse sich folgendermassen aus: „Jegliches Ding hat seinen A n f a n g und jedes sein E n d e ! — geläufiger, als dieser Satz, ist uns keiner, und keiner ist mehr, als dieser, in der Erfahrung begründet. Und dennoch ist er ein Trug. Was in unseren Gesichtskreis tritt, von dem sagen wir, es wird, was ihn verlässt, das s c h e i n t uns zu v e r g e h e n ; so lange es in unserem Gesichtskreis weilt, halten wir es für b e s t e h e n d . Aber es b e s t e h t nur im ewigen W e c h s e l , und das Seyn wird verschlungen vom W e r d e n und Vergehen. Denn was in unseren Gesichtskreis fällt, ist n i c h t das Wesen der Dinge, n u r ihre E r s c h e i n u n g , und in der Welt der Erscheinungen findet nur das blöde Auge des Gedankenlosen mit j ä h e m Anf a n g sich erhebendes und mit s c h r o f f e m E n d e abgeschnittenes B e s t e h e n : des F o r s c h e r s Auge aber r a s t l o s e V e r ä n d e r u n g in e n d l o s e r V e r k n ü p f u n g . Und des Forschers Blick folgt der Kette der Veränderungen r ü c k w ä r t s ü b e r die G r ä n z e h i n a u s , auf welcher wir glaubten, das Werden b e g i n n e n zu sehen, und v o r w ä r t s ü b e r die G r ä n z e h i n a u s , an welcher das Vergehen nun v o l l e n d e t schien. Und n i r g e n d s zeigt sich ein E n d e dieser Kette. Was uns der A n f a n g schien, führt rückwärts Glied um Glied zu dem Glied, was wir das E n d e nannten, und Glied um Glied führt vorwärts und das E n d e zum A n f a n g s e l b s t zurück. Die Kette ist geschlossen zum Ring: kein D i n g hat einen A n f a n g und k e i n s ein Ende." Und an einem anderen Ort sagt derselbe Forscher: „Die Ewigkeit ist uns u n b e g r e i f l i c h : doch nicht minder unbegreiflich, ja noch f ü h l b a r e r in seiner Unbegreiflichkeit, ist ein A n f a n g und ein E n d e des G a n z e n der Natur. Die Natur aber ist, denn wir sind," Weiterhin sagt VOLGEB: „Der Z e r s t ö r u n g

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

und der N e u b i l d u n g der Dinge ist kein A n f a n g und kein E n d e denkbar. Mit dem ewigen Gange der Z e r s t ö r u n g ist der ewige Gang der V e r j ü n g u n g unzertrennlich verbunden. Wir kennen keine U r b i l d u n g auf der Erde; ebensowenig kann eine N e u b i l d u n g die l e t z t e , ewig j ü n g s t e bleiben. Die W i s s e n s c h a f t sieht rückwärts k e i n e n T a g des A n f a n g s und bringt nicht vor einem »jüngsten« Tage. Der K r e i s l a u f des ewigen W e r d e n s in der Natur erscheint uns nicht als ein einfacher, sondern als ein u n e n d l i c h v i e l f a c h vers c h l u n g e n e r : man könnte versucht seyn, denselben durch e n d l o s e Y e r s c h l i n g u n g e n von kreisenden Wechseln zwischen Z e r s t ö r u n g und N e u b i l d u n g darzustellen." Und endlich beschliesst er die Darlegung seiner Anschauungen in Bezug auf die hier in Frage stehenden Verhältnisse mit folgendem Ausspruch: „Ewig k r e i s e n d kommt der Mond, kommt die Erde, kommen alle Gestirne doch nie an den g l e i c h e n Ort zurück, wie der Nagel im umlaufenden Rade mit jedem Umlauf zum Aufgang und zum Niedergang zurückkehrt, aber nie den g l e i c h e n O r t zum zweitenmal durchschneidet. Alles B e s t e h e n ist somit ein S c h e i n , alle W i e d e r h o l u n g nur eine T ä u s c h u n g ! Die Welt ist u n e n d l i c h , ohne die Schranken des R a u m e s ; die Welt ist u n e n d l i c h , ohne die Schranken der Zeit. Unerschöpflich sind die Stellungen ihrer Sterne, — ewig neu ist sie in ewiger W i e d e r k e h r " (VOLGEB, Erde u. Ewigkeit. S. 13. 14. 311. 333. 334. 577. 578). — Auch gegen diese Darlegungen, welche von ganz denselben und gleichen Grundanschauungen ausgehen, wie die bisher besprochenen, müssen selbstverständlich auch dieselben Bedenken und Anstände in Geltung bleiben, deren wir bereits Erwähnung gethan haben. Auch der Gedanke eines „ewigen K r e i s l a u f e s " des L e b e n s und des W e r d e n s , wie er hier unter den Bildern eines in sich geschlossenen Ringes und der in ihren Bahnen ewig kreisenden Himmelskörper dargestellt liegt, ist hiervon nicht ausgeschlossen. — M o l e s c h o t t , in seiner sehr eingehenden Schrift

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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über diesen „Kreislauf des Lebens," sagt über denselben: „Die U n v e r ä n d e r l i c h k e i t des Stoffes, des V o r r a t h e s und der E i g e n s c h a f t e n (desselben), sowie die gegenseitige V e r w a n d t s c h a f t der Grundstoffe (Elemente), d. h. ihre durch Gegensätze bedingte N e i g u n g , sich mit einander zu verbinden, b e g r ü n d e n die E w i g k e i t des K r e i s l a u f e s . Die Unsterblichkeit des S t o f f e s offenbart sich in der Verwitterung der Felsen" (MOLESCHOTT, Kreisl. S. 44). — In gleichem Sinn sagt S p i l l e r : „Wir haben erkannt, däss die Welt, als solche, ohne A n f a n g g e w e s e n und auch ohne E n d e seyn wird. Es findet in ihr aber ein ewiger K r e i s l a u f von Bilden, von Bestehen in ihren wesentlichen Gestaltungen (Formen), von Wandlungen und Tod statt, ohne dass dabei ein einziges Stofftheilchen (Stoffatom) entsteht oder verloren geht." Und an einem andern Ort: „Die e r k e n n b a r e W e l t hat den Grund ihres Seyns und Werdens entschieden nicht in sich selbst; sondern sie ist e n t s t a n d e n aus ewig vorhanden gewesenen Stoffen durch ewig wirkende Naturkräfte: sie war, ist und bleibt in einem ewigen W e r d e n " (SPILLER, Urk. d. Weltalls. S . 3 0 6 . 3 1 0 ) . — Einen weiteren kühnen Schritt, durch welchen selbst der ewige Kreislauf des Werdens noch bedeutend überholt ist, hat bekanntlich Czolbe gethan. Uber alle wissenschaftlichen Ergebnisse der Erdkunde sich hinwegsetzend, schreibt er nicht nur unserer E r d e und allen übrigen H i m m e l s k ö r p e r n , sondern auch allen auf ihnen vorkommenden Q u a r z - , P f l a n z e n - und T h i e r g e s c h l e c h t e r n , die M e n s c h h e i t mit eingeschlossen, thatsächliche E w i g k e i t zu. Ebenso selbstverständlich auch allen einzelnen G r u n d s t o f f e n dieser Welt, aus deren zeitweisem Zusammentreten alle die mannigfachen Einzelgestalten der drei Naturreiche im anfangs- und endlosen Kreislauf der Natur hervorgehen, um, nach kürzerer oder längerer Dauer, mit dem Auseinandertreten der ihnen zu Grunde liegenden Stoffarten aus ihrer bisherigen Daseynsweise wieder zu verschwinden. Die ganze E n t w i c k e l u n g s g e s c h i c h t e unseres Erdkörpers mit ihrem allmählichen

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

und stufenweisen Auftreten von immer höher und vollkommener gearteten Pflanzen und Thiergeschlechtern, und mit dem schliesslichen Auftreten des Menschen, als des letzten Schlusssteines der ganzen uns bekannten Erdentwickelung, ist hier v e r n e i n t : alles dies ist eitel Trug und Täuschung, und was andere Zweige der Naturforschung über jene frühesten urweltlichen Verhältnisse unseres Erdkörpers zu Tage gefördert haben, ist eitel Fabel und Mährchen. Denn nehmen wir CZOLBE'S Schrift über den Sensualismus zur Hand, so begegnen wir darin, im Einklang mit dem gemeinsamen Grundgedanken, folgenden Überschriften: § 17: „ E w i g k e i t der a l l g e m e i n e n (chemischen) G r u n d s t o f f e und des K a u m e s " , — § 18: „ E w i g k e i t der H i m m e l s k ö r p e r " , — § 19: „ E w i g k e i t der E r d e " , — § 2 0 : „ E w i g k e i t der K r y s t a l l f o r m e n und d e r O r g a n i s m e n " . — Ferner spricht CZOLBE in einem der „ W i d e r l e g u n g der Annahme (Hypothese) von einer E n t s t e h u n g der W e l t " gewidmeten Abschnitt, sich ausführlicher in folgender Weise aus: „Bei unzähligen Gruppen von Naturerscheinungen ist es unzweifelhaft, dass sie e n t s t e h e n , d. h. die W i r k u n g e n von U r s a c h e n sind. Daraus hat man den Schluss vom Besonderen auf das A l l g e m e i n e (den inductiven Schluss) gezogen, dass auch die N a t u r s e l b s t oder dass »Alles« eine Ursache habe. Bei einer jeden derartigen unvollständigen Schlussfolgerung sind wir aber in Gefahr, dass eine solche Schlussfolgerung zu weit geht oder dass sie von uns auf Dinge ausgedehnt wird, in denen sie k e i n e G e l t u n g hat. Ebenso ist bekannt, dass die wissenschaftliche Denklehre (Logik) keine Unterscheidungsmerkmale hat für eine r i c h t i g e und a n g e m e s s e n e oder eine zu weite derartige (inductive) Schlussfolgerung. Wenn ich also behaupte, dass die Schlussfolgerung, die N a t u r s e l b s t oder »Alles« habe eine Ursache, viel z\i weit a u s g e d e h n t und deshalb eine u n r i c h t i g e wissenschaftliche Yermuthung oder Annahme (Hypothese) ist, dass ferner i n n e r h a l b der Natur allerdings ungemein vieles entstehe,

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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dies aber k e i n h i n r e i c h e n d e r G r u n d sey, dass sie

selbst

einen A n f a n g genommen oder eine U r s a c h e habe: wenn ich somit das Daseyn (die Existenz) oder die D a u e r der Natur von E w i g k e i t

h e r behaupte: so lässt sich vom Standpunkt

der Denknothwendigkeit (Logik) durchaus n i c h t s dagegen einwenden.

Dass E r f a h r u n g s g r ü n d e für die E n t s t e h u n g der

natürlichen (chemischen) Grundstoffe sowie des R a u m e s (darin sie sich befinden) vorhanden seyen, ist entschieden in Abrede zu stellen.

Es fehlt aber nicht nur jeder Erfahrungsgrund da-

für, dass Stoffe und Raum e n t s t a n d e n sind, dass sie v e r ä n d e r t und z e r s t ö r t werden können, sondern man kann sichdavon

auch

durchaus

keinen

Nichtvorstellbarkeit wenigstens gelten

beiläufiger

darf,

Begriff

machen.

Dass

die

oder die T J n b e g r e i f l i c h k e i t als ein Grund gegen gewisse Behauptungen

ist früher bemerkt.

Desshalb müssen wir die

S t o f f e und den Raum für ewig halten."

Und weiterhin:

„Es

könnte die Vorstellung von der E w i g k e i t der Weltordnung in folgender Weise als ein Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine erscheinen.

Denn so weit sichere Nachrichten aus der

Vergangenheit reichen, war im Wesentlichen der h e u t i g e Z u s t a n d der Natur: daraus folgt, dass dieselbe i m m e r bestanden (existirt) habe.

Dagegen ist einzuwenden, dass das Schliessen

seinem Wesen oder seinem Begriffe nach sich nur in -Gruppen ähnlicher

Dinge oder Erscheinungen bewege.

Es ist aber

kein zwingender Grund anschaulich denkbar, weshalb das, was für den b e k a n n t e n T h e i l der Z e i t gilt, auch für die g a n z e ü b r i g e Zeit gelten soll.

Die Vorstellung von der E w i g k e i t

der W e l t o r d n u n g ist deshalb kein Schluss von dem Besonderen auf das Allgemeine, k e i n e auf falsch gedeutete Thatsachen

gegründete Vermuthung (Hypothese) wie die Ansicht

von einer Weltentstehung (Kosmogenie): Vorstellung des r e i n e n T h a t b e s t a n d e s

sie ist vielmehr die (???),

in welchem

k e i n G r u n d zur Annahme eines A n f a n g s oder eines E n d e s ist.

Es geht hieraus hervor, wie t h ö r i c h t das Verlangen nach

Wandersmann. III.

23

354

Endlichkeit und Uneadlichkeit — Zeit und Ewigkeit.

einem u n m i t t e l b a r e n (direkten) B e w e i s e für die Ewigkeit der "Weltordnung wäre, da sich T h a t s a c h e n nie w e i t e r b e w e i s e n lassen, sondern u n m i t t e l b a r durch die S i n n e anerkannt werden. Jeder B e w e i s besteht ja in der Z u r ü c k f ü h r u n g auf eine T h a t s a c h e , die selbst aber stets unbew i e s e n bleibt. Wohl hört man, da die meisten Menscheh von Jugend auf sich an die ganz unwillkürliche Folgerung einer E n t s t e h u n g der W e l t g e w ö h n t h a b e n , den Einwurf, dass man sich die Ewigkeit der Welt n i c h t v o r s t e l l e n könne. Die Vorstellung, dass in der Welt kein Grund zur Annahme eines Anfanges oder Endes ist, ist ja eben die Vorstellung ihrer e w i g e n D a u e r . Meint man aber, dass man sich die E w i g k e i t der Z e i t nicht denken könne, so muss im Gegentheil gesagt werden, dass eine Gräiize der Z e i t oder ein Aufhören derselben an irgend einer Stelle der Vergangenheit oder Zukunft e b e n s o w e n i g d e n k b a r ist als eine G r ä n z e des R a u m e s . Die Vorstellung einer e w i g e n W e l t o r d n u n g wird auch durch eine allgemeine Betrachtung des Wechselverhältnisses von Ursache und Wirkung (des Causalverhältnisses) g e s t ü t z t . Das Verhältniss von Ursache und Wirkung fordert doch schon von vornherein (a priori) eine G r ä n z e ; man käme wenigstens n i e zu Ende, Wenn jede Ursache wieder eine Ursache hätte, und es k e i n e l e t z t e Ursache gäbe. Als solche, als- die G r ä n z e aller Verkettungen von Ursache und Wirkung (des CausalVerhältnisses), haben wir die im R a u m b e f i n d l i c h e n G r u n d s t o f f e in ihrer Z u s a m m e n s t e l l u n g zu H i m m e l s k ö r p e r n und denen auf ihnen befindlichen natürlichen Lebewesen (Organismen) zu betrachten. Dies ist der e r n s t e , u n e r s c h ü t t e r l i c h e H i n t e r grund für den bunten Wechsel der Erscheinungen" (OZOLBE, Ereisl. S. 144.145.152.168. Sensualism. S. 144.145.181—183). — Auch hier also die folgerichtige Denk- und Urtheilsweise wie in den vorigen Beispielen, nur noch folgerichtiger in ihrer weitern Durchführung. Ist die Welt sammt ihren stofflich-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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körperlichen Grundlagen überhaupt einmal für ewig und une n t s t a n d e n erklärt: warum schon hierbei stehen bleiben? Sind die noch weiter gehenden Folgerungen, welche CZOLBE aus eben diesen Urverhältnissen zieht, nicht ganz ebenso folgerichtig und vernunftnoth wendig gedacht und durchgeführt, wie die bereits von anderen Seiten gelieferten Beweisgründe für die Ewigkeit der Welt und ihrer Einzeldinge? Denn sind diese einmal unentstanden und ewig: warum nicht auch die Erde und alle übrigen Welt- und Himmelskörper sammt allem, was auf diesen befindlich ist? Und wenn CZOLBE sich darauf beruft, dass die Vorstellung einer ewigen W e l t o r d n u n g nur die Vorstellung eines r e i n e n T h a t b e s t a n d e s sey, T h a t s a c h e n aber keiner weiteren Beweise mehr b e d ü r f t e n : steht er damit nicht ganz auf demselben felsenfesten Grund und Boden wie seine übrigen Glaubensgenossen? Lehren nicht auch diese, dass sie sich von der Unentstandenheit und Ewigkeit der Welt und ihrer Dinge durch eigene S i n n e s w a h r n e h m u n g e n so vollkommen überzeugt haben, dass solchen r e i n e n E r f a h r u n g s t h a t s a c h e n gegenüber noch weitere Beweisführungen gar nicht verlangt werden können Dies alles? ist so folgerichtig gedacht, dass die ersten Grundlagen und Ausgangspunkte überhaupt einmal zugestanden — wohl niemand weitere Einwendungen dagegen vernünftiger Weise wird erheben können. Nur Ein Punkt ist bei der ganzen Darstellung von Seiten CZOLBE'S etwas bedenklich. Er bezeichnet es nehmlich als einen allgemein angenommenen G r u n d s a t z einer jeden nur auf die s i n n l i c h e Seite der Natur hingerichteten und darum auch nur diese allein berücksichtigenden Naturanschauung (des sogenannten Sensualismus), alles Ü b e r s i n n l i c h e (als ausser deren natürlichem Forschungsgebiet) von ihren Betrachtungen a u s z u s c h l i e s s e n " (CZOLBE, Sensualis. S. 183. 229). Wie kommt es aber unter diesen Umständen, dass doch CZOLBE selber ohne Bedenken von einer „ewigen Dauer", einer „Ewigkeit der Zeit" und ähn23*

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

liehen n i c h t - oder ü b e r s i n n l i c h e n , an sich rein g e i s t i g e n B e g r i f f e n spricht, welche der s i n n l i c h e n Wahrnehmung durch die allgemeine Weltordnung selbst ein für allemal entzogen sind? Oder werden dieselben etwa von seiner Seite ebenfalls zu jenen „reinen Thatbeständen" gezählt, welche trotzdem, als sinnliche E r f a h r u n g s t a t s a c h e n , keiner weiteren Vernunftbeweise mehr bedürfen? Und wenn CZOLBE selbst sagt, dass „Erfahrungsgründe für die Entstehung der ersten Grundstoffe nicht vorhanden und daher entschieden in Abrede zu stellen seyen": (CZOLBE, Ebendas. S. 144) sollte man da nicht umgekehrt annehmen dürfen, dass auch deren E w i g k e i t ebensowenig durch Erfahrungsgründe könne erhärtet werden? Und doch wird die Ewigkeit der Welt und ihrer Einzelstoffe, wie wir eben gesehen, zu den r e i n e n E r f a h r u n g s t h a t s a c h e n gerechnet, die sich allein durch sich selbst beweisen sollen. Wie diese beiden Gegensätze sich mit einander sollen vereinigen lassen, scheint doch schwer begreiflich. Doch hören wir schliesslich auch die Urtheile anderer Schriftsteller über eben diese von CZOLBE aufgestellten Natur- und Weltanschauungen. H e t t i n g e r bezeichnet dieselben als ein „Geständniss der v ö l l i g e n R a t h l o s i g k e i t . " „Denn" — fügt derselbe hinzu — ,.nach ihm kann man sich von einem ersten Ursprung natürlicher Lebensformen (organischer Formen) ebensowenig als von jenem der Krystalle einen Begriff machen, man kann n i c h t b e g r e i f e n , was die form- und planlosen Kräfte nöthigen könnte, die Grundstoffe in die Formen des Pflanzenund Thierreiches (der Organismen) zusammenzufügen, und ebenso vermag man auch nirgends einen Ursprung der Thierheit zur Menschheit nachzuweisen. Nach ihm hat daher, da ein anderer Ausweg sich nicht bietet, Alles schon von E w i g k e i t h e r bestanden, j e d e G a t t u n g und A r t , bis zur niedrigsten Form des Krystalls, und wird immer bestehen (existiren). Die S t o f f v e r h e r r l i c h u n g (der Materialismus) hätte ihren vollständigen B a n k e r o t t nicht offenbarer erklären können, als es hier ge-

Irrthümlichkeit und Unhaltbarkeit etc.

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schieht" (HETTINGEK, Apol. I. S. 188). — In ganz ähnlicher Weise spricht auch F r a n z Hoff mann sich aus: „Indem CZOLBE" — sagt er — „in kläglicher Weise sich i r r e n d , der E w i g k e i t und der U n e n d l i c h k e i t der stofflich-körperlichen Einzeldinge (Atome) der Zahl nach sicher seyn zu können meint, folgert er kühnen Muthes nicht nur die E w i g k e i t sämmtlicher Himmelskörper sammt ihrer Unvergänglichkeit und somit auch der Erde, sondern auch, was an K ü h n h e i t n i c h t w e i t e r ü b e r t r o f f e n werden kann, nichts Geringeres als die Ewigkeit der Krystallformen sammt denen des Pflanzen- und Thierreichs (der Organismen) und sammt den Menschen auf der Erde. Mit Einem Worte, alle Arten der Krystalle, Pflanzen, Thiere und Menschen sind nach CZOLBE ewig, d. h. also: sie haben seit u n e n d l i c h e r Z e i t auf Erden bestanden (existirt), und wie weit man auch in der Zeit zurückgehe, z. B. heute rückwärts die Zahl von einer Milliarde von Millionen Jahren, sind sie doch seit u n e n d l i c h e r Z e i t schon dagewesen" (BAADEE X . Einl. v. FEZ. HOPFMANN X L V I , X L V I I ) . — Desgleichen sagt Zoll m a n n : „CZOLBE nimmt durchaus folgerichtig die E w i g k e i t nicht bloss für die einfachen Grundbestandtheile der Welt (die Atome) in Anspruch, sondern ebensosehr für alle Himmelskörper und für die Erde; ewig sind die Krystallformen und die Lebewesen des Pflanzen- und Thierreichs (die Organismen). Mit diesem k ü h n e n S p r u n g ist er über alle Schwierigkeiten, die das »Woher« dem denkenden Menschen macht, glücklich hinweg. Woher die Welt, woher die Anordnung der Himmelskörper, woher die Gestaltung der Erde, woher das wunderbare Anschiessen der Körperchen zu Krystallen, woher der noch wunderbarere Bau von Pflanzen und Thieren? Alle diese Fragen sind ganz ungehörig. Jeder, der den Versuch ihrer Beantwortung wagt, verfällt unrettbar dem Ü b e r s i n n l i c h e n . Wer daher das Ubersinnliche mit Stumpf und Stiel aus der Welt ausrotten will, muss die gegenwärtige Weltgestaltung für unveränderlich feststehend (für stabil), für

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Endlichkeit und Unendlichkeit. — Zeit und Ewigkeit.

ewig erklären. Seine Lehre (Theorie) weiss CZOLBE mit scharfsinnigen Gründen zu stützen und die aus der Natur hergenommenen Gegengründe zu widerlegen. Aber eben diese Lehre (die Stabilitätstheorie) bezeichnet in der That nur die V e r z w e i f l u n g an allem Erklären und Begreifen der Welt; denn alles Begreifen geht auf den näheren oder entfernteren G r u n d der Dinge zurück. CZOLBE selbst erklärt »die Vorstellung von der Ewigkeit der Weltordnung« für »die Vorstellung des reinen Thatbestandes«, d. h. mit anderen Worten: was wollen wir uns darüber den Kopf zerbrechen! Die Welt ist, wie sie ist, und was sie ist. Damit ist alles Fragen gründlich todtgeschlagen, und der ungestüme Drang des Menschen, in das Wesen der Dinge einzudringen, zum Schweigen gebracht. Aber damit ist auch der W i s s e n s c h a f t das T o d e s u r t h e i l g e s p r o c h e n : der Mensch ist fortan vom Wissensdrang g e h e i l t " (ZOLLMANN, Bibel u. Natur. S. 65. 66. 67). — Sehr entschieden spricht auch Vogt in diesen Beziehungen sich aus. „Dass es einen langen Zeitraum gab" — sagt er — „wo weder Eicheln noch Eichbäume vorhanden waren, das können wir mit ebensoviel Sicherheit nachweisen, als man überhaupt eine wissenschaftliche Wahrheit feststellen kann. Die gleiche Schlussfolgerung gilt für das Thier. Die ganze ßeihe der Wesen (die ganze Schöpfung), welche uns jetzt umgibt, hat in einer früheren Zeit der Erdgeschichte n i c h t bestanden: sie muss also einmal ins Leben getreten seyn, d. h. es muss ein Zeitpunkt vorhanden gewesen seyn, wo die Grundstoffe, welche die (Pflanzen- und) Thierkörper bilden, in dieser Gestalt zusammentraten." Und so sagt er auch an einem anderen Ort: „Dass nichts Widersinniges in der Annahme liege, dass zu gewissen Zeiten k e i n e L a n d t h i e r e und k e i n e L a n d p f l a n z e n vorhanden waren, da wir nicht vergessen dürfen, dass die Entwicklung des natürlichen Lebens wirklich in verschiedener Weise stattgefunden hat. Auch der Mensch entwickelt sich allmählich, das Kind z a h n t erst zu e i n e r

Irrtkümlichkeit und Umbaltbarkeiit ete..

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b e s t i m m t e n Zeit." Und aus diesem Grund spricht aoeh V O G T sich in sehr entschiedener Weise gegen die Annahme aus, dass „von Anfang an natürlich beseeltes Leben auf der Erde bestanden haben müsse, dass aber die S p u r e n desselben gänzlich v e r t i l g t seyen." Freilich ist es uns jetzt nicht mehr möglich, vollgültig nachzuweisen, wie und in welcher Weise die ersten natürlich beseelten Lebewesen ohne älterliehe Zeugung entstanden seyn mögen; „aber" — fügt VOGT hinzu — „wir sehen doch (in der Entwicklungsgeschichte unserer Erde) pflanzliche und thierische Gestalten auftreten, die wir. mit dem besten Willen n i c h t aus dem bereits Vorhandenen ableiten können. Wir sehen Arten v e r s c h w i n d e n und müssen also auch nothwendig annehmen, dass n e u e A r t e n e n t s t e h e n können. Am Ende" — so sagt er ausdrücklich und gewiss mit vollem Recht — „muss doch die Sache e i n m a l einen A n f a n g g e n o m m e n h a b e n , wenn wir auch das Wie nicht ergründen können." — Gegen die Stichhaltigkeit dieser Auseinandersetzungen wird wohl kaum etwas Gegründetes eingewendet werden können. Dieselben fallen aber noch um so mehr ins Gewicht, als sie von einem so eifrigen Vertreter und Verfechter der auf die Ewigkeit der stofi lieh-körperlichen Grundwesen gegründeten Weltanschauung herrühren, für welchen V O G T jedenfalls zu gelten hat. Die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer jeden ersten Grundanschauung, von der man ursprünglich ausgegangen ist, muss immerdar in dem l e t z t e n E n d e r g e b n i s s zu Tage treten, in welchem eine jede regelrecht durchgeführte Reihe von Schlussfolgerungen zuletzt ausmünden muss. Die sogenannten v e r n e i n e n d e n Beweise der allgemeinen Raum- und Grössenlehre liefern uns, wie wir bereits an anderen Orten darauf hingewiesen, den deutlichsten Beleg. Denn die thatsächliche R i c h t i g k e i t des E n d e r g e b n i s s e s regelrecht vollzogener Schlussfolgerungen bestätigt allewege auch die Richtigkeit der e r s t e n A u s g a n g s p u n k t e ; eine thatsächliche V e r k e h r t h e i t und F a l s c h h e i t des End-

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ergebnisses dagegen die V e r k e h r t h e i t und U n r i c h t i g k e i t des e r s t e n A u s g a n g s p u n k t e s oder der ersten G r u n d l a g e der gesammten Beweisführung. So auch hier. Aber, so dürfen wir wohl auch fragen, warum bei der Ewigkeitserklärung bloss der Himmelskörper und der Erde mit ihren einzelnen Quarz-, Pflanzen- und Thierarten, sowie des Menschengeschlechtes stehen bleiben? Warum nicht muthigen Schrittes noch weiter vorangehen und auch alle einzelnen Pflanzen und Thiere, jeden einzelnen Menschen und darunter uns s e l b s t ebenfalls für unentstanden und ewig erklären? Das Eine dürfte hier wohl ebenso folgerichtig seyn als das Andere. Und bei allen übrigen Naturverhältnissen sollte nicht ebenfalls ganz das Gleiche obwalten müssen? „Hüten wir uns" — sagt daher Vogt im weiteren Verlauf seines vorhin erwähnten Aufsatzes — „vor derartigen Schlüssen. Denn wenn man sie bis zu dem ä u s s e r s t e n , am entgegengesetzten Ende liegenden Punkt verfolgen will, so k o m m t man z u l e t z t zu der Behauptung einer u n e n d l i c h e n U n V e r ä n d e r l i c h k e i t und Unb e w e g l i c h k e i t (Stabilität)" alles überhaupt einmal von Ewigkeit her Vorhandenen. Und so dürfen wir denn gerade bei dieser Veranlassung auch noch auf einen Ausspruch S c h i l l e r ' s hinweisen, der gerade in Bezug auf die hier behandelten Fragen als vollkommen zutreffend muss anerkannt werden. „Wir gelangen nur selten" — sagt er — „anders als durch Gegensätze (Extreme) zur Wahrheit. Wir müssen den I r r t h u m und oft (auch) den U n s i n n zuvor e r s c h ö p f e n , ehe wir uns zu dem schönen Ziel der ruhigen Weisheit hinaufarbeiten." Irrungen und Täuschungen kann der Mensch sich nicht entziehen: dies liegt in der Beschränktheit alles Endlichen, und damit auch unseres eigenen menschlichen Denkens. Daher „irrt der Mensch, so lang er strebt." Durch Irrthum geht der Weg zur Wahrheit: diesen aber von den begangenen Irrthümern zu reinigen und diesen auf jede Weise nachzuspüren: dies ist daher auch namentlich für jede Wissen-

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schaft und jedes wissenschaftliche Streben und Forschen eine der ersten Pflichten. Nur so wird die Bahn geebnet auch für die kommenden Geschlechter, und somit werden auch diese für ihre weiteren Forschungen der W a h r h e i t , als ihrem eigentlichen Ziele, näher geführt. Aber sollten wir in dem Bisherigen nicht vielleicht doch zu viel. gesagt haben? Kann Büchner für die behauptete E w i g k e i t der Welt nicht auf einen sehr guten Gewährsmann sich berufen? Denn an die Spitze eines besonderen Abschnittes seiner Schrift über „Kraft und Stoff" setzt er einen Ausspruch dieses seines Gewährsmannes, welcher kein geringerer ist als der weise König Salomo. Und dieser Ausspruch lautet: „Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt: die E r d e aber bleibt e w i g " . Ausdrücklich hat Büchnee diesem Ausspruch noch beigefügt, dass derselbe der „Bibel" entnommen sey. Ist aber nicht in diesem Buche gerade die E n t s t e h u n g nicht nur der Erde, sondern überhaupt des ganzen Weltgebäudes, vom ersten Anfang bis zum Ende, mit aller Bestimmtheit und Entschiedenheit gelehrt und vertreten? Und muss also nicht eben jener Ausspruch aus dem „Prediger Salomo" die in allen übrigen Büchern vertretene Anschauung geradezu Lügen strafen? Dem einfachen Wortlaut nach könnte dies wohl so scheinen. Aber nichtsdestoweniger muss es als etwas vollkommen Räthselhaftes erscheinen, wie ein Schriftsteller, dem es wirklich um ein aufrichtiges Forschen nach Wahrheit zu thun ist, und nicht etwa um ein blosses Irreführen noch unbefangener Leser, gerade d i e s e s Ausspruches als einer besonderen Stütze für seine eigenen Ansichten sich bedienen mag. Denn gänzlich u n b e k a n n t kann es ihm doch wohl kaum geblieben seyn, mit welchem N a c h d r u c k gerade die Lehre von einer N i c h t e w i g k e i t der Welt und ihrer Dinge in der gesammten damaligen jüdischen Weltanschauung die allgemein herrschende war. Selbst wenn man annehmen wollte, dass der Verfasser jener Schrift über Salomo als Prediger in Bezug auf eben diese Fragen etwa

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anderer Ansicht könnte gewesen seyn als der Verfasser der Mosaischen Weltentstehungsgeschichte: so bleibt doch, bevor man ohne weitere Prüfung der wahren Sachlage jenes scheinbar gegentheiligen Ausspruches sich bedient, immerhin zu bedenken, wie wenig es wahrscheinlich seyn dürfte, dass solch ein anerkannt tiefer Denker, wie Salomo, in einen so groben Widerspruch mit der allgemeinen Volksanschauung absichtlich oder unabsichtlich sich hätte setzen sollen. Und wenn der angeführte Spruch auch nicht der Urschrift, sondern nur der deutschen Ubersetzung entnommen ist, so hätte man wohl um so mehr erwarten sollen, dass jemanden, dem es wirklich um Erforschung der Wahrheit zu thun ist, es nicht versäumt hätte, bevor er eines solchen Ausspruches zu Gunsten seiner eigenen Ansicht sich bedient, den wahren Sinn und die wahre Bedeutung eben des Wortes, welches an jener Stelle mit „ewig" übersetzt ist, auch in der U r s p r a c h e genauer zu erforschen und zu ergründen. Es wäre dies wohl um so mehr am Platze gewesen, als bekanntlich ja auch in unserer eigenen Sprache, namentlich im gewöhnlichen Leben, die Worte „Ewigkeit" und „ewig" sehr häufig nicht in ihrer buchstäblichen Bedeutung, sondern in einem engeren Sinn gebraucht werden, nehmlich in dem einer uns „ s e h r l a n g e " scheinenden Zeit, von welcher wir aber nicht genauer sagen können, wie l a n g e sie eigentlich gedauert haben mag. Die Ermittelung lag nahe, ob das im Worttexte gebrauchte Wort „ o l a m " (obiy) nicht vielleicht eine ganz ä h n l i c h e Bewandtniss haben könnte wie mit unserem deutschen Worte „ewig"? Im chaldäischen und im jüdischen Talmud ist nach G e s e n i u s jenes hebräische Wort olam geradezu in der Bedeutung von W e l t oder W e l t d a u e r gebraucht, wie ja bekanntlich auch das griechische Aion, namentlich in seiner Mehrzahl als A i o n e n ganz in dem gleichen Sinn von altersher pflegt in Gebrauch zu seyn. • Zahlreiche Stellen aus den althebräischen Schriften liefern hierfür die Belege. Liest man nun jene ganze Stelle in ihrem Zusammenhang, so

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wird alsbald ersichtlich, wie wenig gerechtfertigt es seyn würde, wenn man jenes Wort hier in dem Sinn von A n f a n g s - und E n d l o s i g k e i t wollte auffassen. Es handelt sich an jener Stelle um eine Darlegung der V e r ä n d e r l i c h k e i t , V e r g ä n g l i c h k e i t und F l ü c h t i g k e i t aller menschlichen Verhältnisse und namentlich des menschlichen Lebens selber, gegenüber der u n ü b e r s e h b a r l a n g e n D a u e r unserer Erde. Wohl hat im dichterischen Schwung der Verfasser der fraglichen Schrift sich hier des Wortes „ e w i g " auch in seiner Sprache in einer uneigentlichen und sinnbildlichen Weise bedient: dass aber hiermit, gegenüber der gesammten jüdischen Weltanschauung der damaligen Zeit, ein Zeugniss für eine thatsächliche Anf a n g s - und E n d l o s i g k e i t unserer Erde sollte abgelegt seyn: eine solche Behauptung wird wohl sicherlich kein Ausleger jener Stelle auf sich nehmen, ebensowenig ein jüdischer wie ein nichtjüdischer. Für diese unsere gegenwärtige Untersuchung kommt aber schliesslich auch noch ein anderer Punkt in Betracht, die Frage nehmlich, ob eben jene Richtung der Naturforschung, deren Hauptergebnisse ihrer Forschungen wir soeben kennen gelernt haben, überhaupt berechtigt seyn mag, e i n s e i t i g bloss von sich a l l e i n a u s , über Fragen wie unsere gegenwärtigen e n d g ü l t i g zu e n t s c h e i d e n und überhaupt e n d g ü l t i g a b z u u r t h e i l e n . Dieselbe rühmt sich ganz ausdrücklich, bei allen ihren wissenschaftlichen Untersuchungen sich einzig und allein n u r auf Thatsachen zu stützen und nur von solchen sich leiten zu lassen, welche der s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g , der sinnl i c h e n B e o b a c h t u n g und der s i n n l i c h e n E r f a h r u n g zugänglich sind: dagegen eine jede Rücksichtsnahme auf etwaige n i c h t - oder ü b e r s i n n l i c h e Verhältnisse oder Beziehungen grundsätzlich vollständig von dem Gebiete ihrer Forschungen auszuschliessen. Wo es sich aber um E w i g k e i t oder N i c h t e w i g k e i t der Welt sowie um eine b e r e c h t i g t e oder u n b e r e c h t i g t e Annahme jener einfachsten stofflich-körperlichen

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Grundwesen dieser Welt handelt, als w i r k l i c h v o r h a n d e n e r N a t u r d i n g e , oder um eine ewige oder n i c h t ewige Wesensd a u e r derselben: da muss uns doch sowohl die begriffliche wie thatsächliche U n m ö g l i c h k e i t klar in die Augen leuchten, unter den oben angegebenen Verhältnissen jemals irgendein e n t s c h e i d e n d e s U r t h e i l fällen zu können. Es ist dies, der Natur der Sache nach, ganz gleich u n m ö g l i c h sowohl nach der einen wie nach der anderen Seite der betreffenden Fragen. Denn die bloss s i n n l i c h e Erfahrung vermag über diese Verhältnisse nie und nimmermehr eine entscheidende Gewissheit zu verschaffen. Sie vermag weder über ein anfangs- und endloses ewiges D a s e y n der Welt und ihrer Dinge uns zuv e r l ä s s i g e n Aufschluss zu geben, noch über ein wirkliches einstiges E n t s t a n d e n s e y n und ein einstiges thatsächliches E n d e derselben. Und dasselbe gilt auch in Bezug auf einwirkliches V o r h a n d e n - oder N i c h t v o r h a n d e n s e y n jener an sich unsichtbaren kleinsten u n t h e i l b a r e n G r u n d k ö r p e r c h e n dieser Welt, der sogenannten Atome. Alles dies liegt völlig a u s s e r h a l b des Bereiches der mit Hülfe von Lupe, Wage und Kolbenflasche festzustellenden und in Folge dessen der s i n n l i c h e n Wahrnehmung und Beobachtung wirklich zugänglichen Naturthatsachen. Aber das Gleiche gilt auch, wie bereits erwähnt, von den rein geistigen Anschauungen von Ewigk e i t , von U n e n d l i c h k e i t , von Z e i t , von D a u e r u. s. w. Diese gehören schon an und für sich zu den an sich n i c h t und ü b e r s i n n l i c h e n B e g r i f f e n , an welche keine bloss s i n n lich-gegebene Erfahrung und Beobachtung jemals heranzureichen im Stande ist. Eine wissenschaftliche B,ichtung also, welche grundsätzlich alles Übersinnliche vom Kreise ihres Forschens a u s s c h l i e s s t , begibt sich schon hiermit a l l e r und j e d e r B e r e c h t i g u n g in derartigen Fragen überhaupt ein e n t s c h e i d e n d e s W o r t mitzureden. Wohl versichert uns zwar Czolbe, dass „die elektrischen und magnetischen Erscheinungen, ebenso wie die von Licht und Wärme, e r f a h r u n g s -

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g e m ä s s durch g e g e n s e i t i g e V e r h ä l t n i s s e der K ö r p e r , der K ö r p e r t h e i l c h e n (Atome) und der (aus diesen gebildeten) M a s s e n t h e i l c h e n (Moleküle) e n t s t e h e n . " — Ob es demselben aber wirklich geglückt seyn mag, eben jene k l e i n s t e n K ö r p e r t h e i l c h e n (Atome) und die V e r ä n d e r u n g e n , welche in deren wechselseitigen Verhältnissen eintreten mögen, jemals seiner eigenen s i n n l i c h e n W a h r n e h m u n g zugänglich zu machen, um mit solcher Bestimmtheit darüber aburtheilen zu können: dies möchte eben doch aus sehr triftigen Gründen r e c h t zu bezweifeln seyn. Gesteht doch selbst Büchner es zu, dass „noch n i e m a n d jene kleinsten Körpertheilchen je gesehen hat, und dass alle Aussicht fehlt, dass dies je geschehen werde." Dabei fügt BÜCHNER eine Stelle aus V a l e n t i n ' s Lehrbuch der Physiologie an, worin derselbe sagt: „Die stärksten Vergrösserungen werden uns nie die G e s t a l t und die L a g e der M a s s e n t h e i l c h e n (Moleküle), ja nicht einmal diejenigen der k l e i n e n G r u p p e n der einfachen Körpertheilchen (Atome) zur A n s c h a u u n g b r i n g e n . " In allen solchen Fällen sind es also n i c h t die Erfahrungen durch.sinnliche Wahrnehmung und Beobachtung, welche den Ausschlag zu geben vermögen, sondern nur wirkliche V e r n u n f t g r ü n d e können es in erster Linie seyn, durch welche derartige Fragen in wirklich befriedigender Weise mögen gelöst werden. Und eben darum kann aber auch nicht die N a t u r f o r s c h u n g , sondern vielmehr nur die eigentliche und wahre N a t u r w i s s e n s c h a f t es seyn, von welcher eine wirkliche Lösung eben dieser Frage darf erwartet werden. Denn die Naturwissenschaft schliesst die wirklich wissenschaftlich bewährten Entdeckungen der Naturforschung n i c h t von sich aus, sondern stützt sich vielmehr auf dieselben in ihren weiteren Schlussfolgerungen auf Grund vernunftgemässen Urtheilens: wogegen gerade die Naturforschung es ist, welche grundsätzlich alles von sich ausschliesst, was nicht dem Gebiet des sinnlich Wahrnehmbaren angehört. „ B e g r i f f e " — sagt Kant — „blosse Gedankenbilder (Ideen), die ihrem ganzen

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Inhalt nach g a r n i c h t in der Erfahrung g e g e b e n werden können, können durch E r f a h r u n g auch nie w i d e r l e g t werden. Denn wie wollten wir es durch Erfahrung ausmachen: ob die Welt von E w i g k e i t her sey, oder einen Anfang habe? ob die Stoffe (Materie) ins U n e n d l i c h e t h e i l b a r seyen, oder aus e i n f a c h e n T h e i l e n bestehen? Diese Begriffe lassen sich in keiner, auch nicht in der grösstinöglichen Erfahrung geben." — Auf einen anderen Widerspruch, wie sich deren in den Schriften des Stoffglaubens und der Stoffverherrlichung ja so manche finden, macht B Ö H N E R aufmerksam. „Wir sind n i c h t im Stande" — sagt nehmlich B ü c h n e r in seiner Schrift über Kraft und Stoff — „uns einen a u c h n u r e n t f e r n t e n Begriff von »Ewig« oder von » U n e n d l i c h « zu machen, weil unser V e r s t a n d , in seiner s i n n l i c h e n B e g r ä n z u n g durch Raum und Zeit, eine u n ü b e r s t e i g b a r e G r ä n z e für jene Vorstellungen findet." B Ü C H N E R erklärt sich hiernach auch sich s e l b s t für u n f ä h i g , sich auch nur annähernd einen r i c h t i g e n B e g r i f f von dem zu bilden, was unter E w i g k e i t und U n e n d l i c h k e i t denn eigentlich, ihrem wirklichen I n h a l t nach, zu verstehen sey. Nichtsdestoweniger aber sagt B Ü C H N E R an einem früheren Ort desselben Werkes: „Der S t o f f muss ewig gewesen seyn und ewig bleiben: der Stoff ist ewig und wechselt nur seine Formen." Wie sollen beide Aussprüche sich zusammenreimen? Doch gehen wir auch noch zu einem anderen Gegenstand über. „Die H y p o t h e s e (d. i. die bloss wissenschaftliche Verm u t h u n g ) kann nimmer zur Grundlage eines wissenschaftlichen Lehrgebäudes (Systems) dienen", sagt B ü c h n e r . Aber was ist die von ihm und seinen wissenschaftlichen Freunden behauptete E w i g k e i t d e r W e l t und ihrer Einzeldinge anderes als eine wissenschaftliche V e r m u t h u n g , eine wissenschaftliche A n s i c h t , also eine blosse H y p o t h e s e , welche wissenschaftlich zu begründen bis jetzt noch in keiner Weise gelungen ist? Wohl sind auch wissenschaftliche Vermuthungen nicht ohne

Iirthümlichkeit ttnd Ußhaltbarkeit etc.

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Berechtigung. Denn es gibt wohl kaum ein Gebiet des in enschlichen Wissens, in dem nicht zahllose Wahrheiten, die heute Von niemanden bezweifelt Werden, ursprünglich in Gestalt blosser V e r m u t h u n g e n , ja wir möchten sagen bloss in Gestalt von gewissen dunkeln Ahnungen irgend einer zu Grunde liegenden tieferen Wahrheit aufgetreten wären. So dürfen wir z. B. wohl annehmen, dass PYTHAGOEAS seinen bekannten Lehrsatz nicht sofort von vornherein in seiner vollständigen Beweisform im Geiste vor Augen hatte, Sondern dass derselbe anfänglich nur in Gestalt irgend einer derartigen dunkeln Ahnung seinem Geiste vorgeschwebt habe, und dass er dann erst in Folge hiervon nun auch nachträglich nach einem wirklichen Beweis für die Richtigkeit der von ihm vermutheten Verhältnisse gesucht habe. Und ähnlich dürfte es wohl auch E U K L I D bei gar manchen seiner Lehrsätze ergangen seyn. Aber etwas ganz Anderes ist es, wenn eine derartige blosse Vermuthung den ihr in der Wissenschaft gebührenden Standpunkt überschreitet, und ohne durch wirklich beigebrachte thatsächliche Beweise ihre Berechtigung sich hierfür erworben oder erkämpft zu haben, nun den Versuch macht, auf ihre eigene Faust hin ihre blossen Vermuthungen als unumstössliche und nicht zu bezweifelnde Wahrheiten hinzustellen. Es muss ein solches Verfahren aber noch um so mehr gerügt werden, wenn derartige noch völlig unsichere, weil noch völlig unerwiesene Und unfertige blosse Vermuthungen einer wissenschaftlichen Partei, nur um denselben eine möglichst grosse Anzahl von Anhängern zu verschaffen, in öffentlichen Wandervorträgen oder in sogenannten Volks Schriften vor einen Hörer- und Leserkreis gebracht werden, welchem in seiner grösseren Mehrheit die zu einer eigenen selbstständigen Beurtheilung und Würdigung des Vorgetragenen erforderlichen Vorkenntnisse wohl kaum in genügender Weise zukommen dürften. Dass auf solchen Wegen schwerlich etwas wirklich Gutes, eine wirklich gesunde Aufklärung, sondern meist nur ein bedenkliches

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Scheinwissen kann befördert werden: dies unterliegt wohl kaum einem Zweifel. Und wenn, wie es gerade in Bezug auf unsere gegenwärtige Frage vielfach der Fall ist, Verhältnisse, welche der Natur der Sache nach völlig ausserhalb des Bereiches menschlicher Beobachtungen und menschlicher Wahrnehmungen liegen, nichtsdestoweniger als thatsächliche und demgemäss unzweifelhafte Ergebnisse w i r k l i c h e r B e o b a c h t u n g e n und E r f a h r u n g e n pflegen dargestellt zu werden: dann müssen alle jene Gefahren als noch um so bedenklicher sich darstellen. Zur Schärfung unseres eigenen Denk- und Erkenntnissvermögens, sowie zum Zweck einer richtigeren Auffassung und Unterscheidung gewisser Begriffe, und gleichzeitig damit eines allseitig tieferen Eindringens in das eigentliche innere Wesen der Natur, hat es unbestreitbar seinen Nutzen, Begriffe wie z. B. diejenigen von Kraft und Stoff, von Seele und Leib, von Geist und Körper oder von Geist und Natur u. s. w. vorübergehend von einander zu trennen und zu unterscheiden und einem jeden derselben, zu genauerer und bestimmterer Feststellung dessen, was zu ihm im Besonderen gehört, auch eine besondere und eingehendere Aufmerksamkeit zuzuwenden. So mag der menschliche Geist in seinem Forschen nach Wahrheit auch das Gebiet und den Begriff des Sinnlichen vorübergehend von dem eines Ubersinnlichen trennen und in solcher Weise einem jeden dieser beiden Begriffe, in Bezug auf deren besonderen begrifflichen Inhalt, eine noch um so eingehendere Aufmerksamkeit zuwenden, um in Folge dessen dann auch die Gränzen und die eigentlichen Unterscheidungsmerkmale beider Begriffsgebiete noch um so genauer und zuverlässiger feststellen zu können. Denn das Erstere, das Gebiet des sinnlich Gegebenen in der Natur, will in erster Linie auf sinnlichen Wegen und durch sinnliche Beobachtung und Erfahrung mittelst Lupe, Wage, Lanzette, Fernrohr u. s. w. erforscht werden; mit Bezug auf die Begriffe und Gebiete des Ubersinnlichen oder Nichtsinnlichen dagegen sind

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alle jene künstlichen äusseren Hülfsmittel für unsere Forschungen völlig werthlos, weil völlig unbrauchbar; denn in diese Gebiete vermag nur allein unser Geist auf dem Wege vernunftgemässer Schlussfolgerungen einzudringen. Aber über diese, nur um der Schwäche unserer menschlichen Erkenntnisse willen nothwendige Trennung und Theilung beider Daseyns-, Wissens- und Erkenntnissgebiete die über ihnen stehende höhere, weil völlig naturgemässe E i n h e i t und Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t eben dieser beiden Begriffe zu ü b e r s e h e n oder absichtlich gänzlich zu v e r n e i n e n : dieses kann sicherlich nur als ein sehr bedauerlicher Missgriff zu betrachten seyn. Die Natur selber kennt derartige willkührliche Trennungen nicht. Sie kennt nur kraftund lebenserfüllte Wesenheiten, mögen wir dieselben nun Körper-, Seelen- oder Geisteswesen nennen, die alle g l e i c h z e i t i g und mit E i n e m Male ebensowohl K r a f t wie S t o f f , G e i s t wie Seele, K e r n wie S c h a l e sind. Wer dieses Verhältniss leugnen wollte, müsste die thatsächliche und erfahrungsmässige Naturwirklichkeit selber leugnen. Wo daher von Seiten der Naturforschung, im Gegensatz zu der eigentlichen Naturwissenschaft, es als von vornherein feststehender Grundsatz gilt, alles Ü b e r s i n n l i c h e , und damit also auch alles N i c h t s i n n l i c h e , als unvereinbar mit wirklicher Naturforschung zu betrachten: da bleibt sie auch allein haften an der ä u s s e r e n S c h a l e , d. h. an den äusseren Erscheinungen der Natur und ihrer Dinge, ohne auch je zu dem K e r n — wie GOETHE sagt — d. h. zu dem eigentlichen inneren W e s e n , als dem eigentlichen G r u n d der Erscheinungen zu gelangen. Aber eben damit hat auch die Naturforschung der eben in Rede stehenden Richtung, so werthvolle Entdeckungen sie auch sonst gemacht hat, sich den Weg zu einer jeden eigentlichen wissenschaftlichen Erklärung, sowohl in Betreff des inneren Zusammenhangs zwischen innerem Wesen und äusserer Erscheinung, wie auch des wechselseitigen inneren Zusammenhangs aller Naturerscheinungen überhaupt, selber abgeschnitten. Wandersmann. III.

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Wie das menschliche Denken und Erkennen, von dem Begriff des E n d l i c h e n ausgehend, von diesem aus zu dem des Une r m e s s l i c h e n , dann aber, von diesem aus, auch zu dem eines wirklich Unendlichen hinübergeleitet wird: so auch hier. Der Begriff des ä u s s e r l i c h - s i n n l i c h G e g e b e n e n soll uns hinüberleiten zu dem des N i c h t s i n n l i c h e n , d. h. zu dem in keiner Weise mehr sinnlich-anschaubaren i n n e r e n Leben und Weben der Natur und ihrer Dinge: und eben hierin besitzt der menschliche Geist die n a t ü r l i c h e , wenn gleich für unsere sinnliche Wahrnehmung ebenfalls unzugängliche B r ü c k e , durch welche derselbe nun auch hinübergeleitet werden mag zu dem Begriff eines thatsächlich Ü b e r s i n n l i c h e n in der eigentlichen Bedeutung dieses Wortes. In dem Bereich der natürlichen Vielheit der Dinge und ihrer sinnlich wahrnehmbaren E r s c h e i n u n g s w e i s e n ist dasselbe ganz e b e n s o w e n i g zu finden, wie das Reich eines wahrhaft U n e n d l i c h e n und E w i g e n in der vollen und eigentlichen Bedeutung dieser Worte. Daher bezeichnen auch die Begriffe von Üb e r s i n n l i c h k e i t , U n e n d l i c h k e i t und E w i g k e i t , dem eigentlichen inneren Kern der Sache nach, im Grunde ganz E i n und dass e l b e : wir bedienen uns dieser verschiedenen Ausdrucks weisen nur je nach den besonderen Gesichtspunkten, von denen aus wir in unserem Denken ausgehen, oder je nach den besonderen Zielpunkten, auf welche sich dasselbe gerade vorzugsweise gerichtet hat. Vermag aber ein solch wahrhaft Übersinnliches, Unendliches und Ewiges überhaupt in dem engen Rahmen des sinnlich Wahrnehmbaren, d. h. in dem engen Rahmen unseres gesammten Naturganzen, ein für allemal nicht gefunden zu werden: so bleibt uns nichts Anderes übrig, als eine thatsächliche W i r k l i c h k e i t dieser von einander unabtrennbaren Begriffe in irgend einem Gebiete zu vermuthen und zu suchen, welches als völlig u n a b h ä n g i g von allem sinnlich Wahrnehmbaren dieser Welt und als hocherhaben über demselben stehend dürfte zu betrachten seyn. Für eben diese Untersuchungen

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aber erklärt sich die N a t u r f o r s c h u n g als solche, ihren eigenen bündigen Erklärungen gemäss, als völlig u n f ä h i g , und es kann daher nur allein Sache der eigentlichen und wahren N a t u r w i s s e n s c h a f t seyn, welche eben jene oben erwähnten Begriffe n i c h t von ihren Forschungen ausschliesst, — dasjenige zu ergänzen, was die Naturforschung als solche in ihrer einseitigen Selbstüberhebung n i c h t zu leisten im Stande ist. Nur sie vermag durch die ihr zu Gebote stehenden umfassenderen Erkenntnissmittel, bei richtigem Gebrauch derselben in ihren eigenen Schlussfolgerungen, schliesslich L i c h t und K l a r h e i t in diese Verhältnisse zu bringen, und sey es auch nur in rein begrifflicher Beziehung. Nur auf solchem Wege haben wir daher Aussicht, der W a h r h e i t , wenigstens in der Bedeutung einer w a h r e n , weil der W i r k l i c h k e i t entsprechenden Natur und Welterkenntniss allmählich immer näher zu kommen. Lassen wir nun in unseren Gedanken aber nochmals das ganze Wirrsal von einander widerstreitenden und einander bekämpfenden Anschauungen in Bezug auf die Frage, ob E w i g k e i t , ob N i c h t e w i g k e i t der Welt und ihrer Dinge, an unserem Geiste vorüberziehen: wem sollte es da, wenn auch nur für den Augenblick, nicht s c h w i n d e l n bei dem Gedanken, auf welcher von beiden Seiten wohl eigentlich die W a h r h e i t , und auf welcher der I r r t h u m und die S e l b s t t ä u s c h u n g zu suchen' seyn möchten ? Mag da nicht gar mancher mit einer wahren Tantalusqual jene angeblich endlosen Reihen zu durchwandern suchen, immer hoffend, schliesslich doch vielleicht in seinem Ringen und Streben nach wahrer Erkenntniss es noch zu einem befriedigenden Ende und Abschluss zu bringen; und wenn die Erfüllung dieser seiner Erwartungen und seines Hoffens fortwährend in eine immer weitere und damit immer trostloser erscheinende, weil nie zu erreichende Ferne sich ihm entrückt: mag er da in seinem eigenen Inneren nicht schliesslich daran verzweifeln, dass es überhaupt jemals zu einer befriedigenden Lösung eben dieses Wirrsals werde 24*

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kommen können? Und wenn in solchem Eingen nach Wahrheit nirgends ein befriedigender Ausweg aus solchem Wirrsal sich zu bieten scheint, sollte es da wundern, wenn gar mancher schliesslich glaubt, den verzweiflungsvollen Worten seine Zustimmung geben zu müssen, welche C h a m i s s o in seinem Faust dem bösen Feind desselben in den Mund legt: „Der Z w e i f e l nur ist menschlichen Wissens G r ä n z e " ? Aber dieser innere Z w i e s p a l t in den sich wechselseitig so sehr widersprechenden Ansichten ist auch der tiefere G r u n d gewesen, weshalb wir gerade bei der gegenwärtigen Untersuchung — selbst auf die Gefahr hin, dadurch vielleicht zu ermüden — es für geboten erachtet haben, uns so eingehend als nur möglich mit beiderlei Anschauungen sowie auch mit den Gründen, welche für dieselben beigebracht werden, zu beschäftigen. Daher haben wir es uns denn auch angelegen seyn lassen, die verschiedenen Schriftsteller von beiden Seiten soviel als möglich mit ihren eigenen Worten und nach ihren eigenen Gedankengängen vorzuführen, damit ein jeder dadurch in den Stand gesetzt seyn möge, sich ein eigenes selbstständiges U r t h e i l nicht nur über diese Anschauungen selbst zu bilden, sondern ebensosehr auch über die G r ü n d e , welche von einer jeden Seite dafür beigebracht werden. Denn eben die Beantwortung jener beiden Fragen, je nachdem unsere Entscheidung nach der einen oder der anderen Seite sich hinlenkt, muss nothwendig zu einer so e i n s c h n e i d e n d e n W i c h t i g k e i t für den ganzen weiteren Verlauf unserer Untersuchungen sich gestalten, dass wir in ihr gewissermassen den entscheidenden K n o t e n p u n k t dafür erblicken, welche Richtung unser ganzer Gedankengang von nun an überhaupt zu nehmen haben wird. Nur nachdem wir uns, nach sorgsamer Prüfung aller Gründe, f ü r die e i n e oder die a n d e r e dieser beiden Weltanschauungen werden entschieden haben, vermögen wir in unseren weiteren Untersuchungen sicheren Schrittes voranzugehen; denn nun erst besitzen wir hierfür nicht nur den

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nothwendigen U n t e r b a u und den f e s t e n S t a n d p u n k t , von welchem wir auszugehen haben, sondern wir haben gleichzeitig auch ein f e s t e s Ziel gewonnen, auf welches hier der weitere Verlauf unserer Untersuchungen sich zu richten haben wird. Was nun aber unser eigenes Urtheil in dieser Sache betrifft, so müssen wir offen bekennen, und aus dem ganzen Verlauf unserer bisherigen Untersuchungen ist dies auch bereits immer ersichtlicher hervorgetreten, dass, je weiter wir in unseren Untersuchungen vorangeschritten sind, und je umfassendere Einsichten wir in beide Gedankenrichtungen und in die G r ü n d e gewonnen haben, auf welche sie sich stützen, um so gew i c h t i g e r auch die Gründe gegen die behauptete Weltewigkeit von der einen, sowie die Gründe f ü r die N i c h t e w i g keit der Welt von der anderen Seite, für uns in die Wagschale gefallen sind. Und somit wären wir denn, mit dem nunmehr gewonnenen Standpunkt, auch zugleich an der G r ä n z s c h e i d e angekommen, an welcher, da die Welt nun einmal nicht von Ewigkeit her da seyn kann, unausweichlich die Frage an uns herantritt, wo und nach welcher Richtung hin wir nicht allein den wahren G r u n d und den wahren Urs p r u n g der Welt und ihrer Dinge zu suchen haben dürften, sondern wo und nach welcher Richtung hin wir denselben auch wirklich zu finden hoffen dürfen. Eine Lösung dieser Frage herbeizuführen, wird nunmehr unsere nächste Aufgabe bilden.

Zweites Hauptstück. Die Natur und ihr einzig möglicher Urgrund. VIII.

Die innere TJn Selbstständigkeit aller natürlichen Dinge. §. 27. Natürlicher Hinwels des endliehen Daseyns der Welt und ihrer Dinge auf eine von ihnen unabhängige Weltursache oder auf irgendwelchen sonstigen denkbar möglichen Weltgrund. N o . 145.

Die Welt und ihre Dinge als bloss zufällige Daseynsweisen.

nsere im vorigen Hauptstück unternommenen Untersuchungen haben damit begonnen, dass wir ausgegangen sind von den Hauptgebieten der uns umgebenden Natur und dass wir, namentlich von den höheren und edleren Daseynsweisen des Thier- und Pflanzenreiches, immer tiefer herabgestiegen sind zu den niedrigeren und einfacheren Daseynsweisen beider Reiche. Dabei zeigte es sich, dass die hauptsächlichsten Unterscheidungsmerkmale zwischen Thier und Pflanze, w.elche anfänglich allenthalben scharf und bestimmt hervorgetreten waren, um so mehr an Bestimmtheit und Zuverlässigkeit eingebüsst haben, je mehr wir uns jenen einfachsten Gebilden näherten, welche schliesslich, wie scharfe

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

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Vergrösserungen uns dies zeigen, in einem einzigen Wassertropien sich bald mehr bald weniger lebhaft herumtummeln. Denn hier kommen bekanntlich Fälle vor, bei welchen selbst die namhaftesten Naturforscher ausser Stand sind, zu entscheiden, ob wir es mit thierischen oder mit pflanzlichen Gebilden zu thun haben. Wie die von einer einheitlichen Lichtquelle ausgehenden Strahlen, je mehr sie sich von ihrem ersten Ausgangspunkt entfernen, immer weiter auseinandertreten, dagegen umgekehrt, je näher sie an diesen herantreten, sich einander wechselseitig immer mehr nähern: so wurden auch wir, durch die soeben geschilderten Verhältnisse immer mehr auf ein noch tiefer stehendes Daseynsgebiet hingewiesen, welches in einer ganz ähnlichen Weise, als ein allgemeiner Urgrund oder als eine erste Ausgangsquelle für alle, niedrigeren wie höheren, Daseynsstufen sowohl des Pflanzen- wie des Thierreiches von uns betrachtet werden durfte. Denn zu einer solchen Annahme schienen wir um so mehr berechtigt, als erfahrungsgemäss auch die Angehörigen des untersten der drei Naturreiche, des Quarzreiches, naturgemäss aus Angehörigen eben jenes noch tiefer stehenden Naturgebietes hervorgehen, und als wir hieraus, wohl nicht ohne guten Grund, darauf schliessen dürfen, dass ein ganz ähnliches Yerhältniss auch in Bezug auf die Angehörigen des Pflanzen- wie des Thierreicbes stattfinden möchte. Wir haben hier das weite Gebiet der a l l g e m e i n e n S t o f f - und K ö r p e r w e l t oder der noch u n g e s t a l t e t e n N a t u r im Auge. Als wir hierauf unser Augenmerk auf eine weitere ebenso erfahrungsmässige Thatsache richteten, dass nehmlich alle grösseren wie kleineren körperlichen Massen sich in immer kleinere Bruchstücke zertheilen lassen; als wir aber gleichzeitig auch dem unanfechtbaren Vernunft- und Wahrheitssatz Rechnung trugen, dass nichts in Theile kann zerlegt werden, was nicht, als ein thatsächlich G a n z e s , auch innerlich aus wirklichen T h e i l e n zusammengesetzt sey: so mussten wir folgerichtig hieraus

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schliessen, dass eine jede grössere wie kleinere körperliche Masse, soweit wir dieselbe überhaupt unserer sinnlichen Wahrnehmung noch zugänglich zu machen im Stande sind, innerlich aus einer ganz bestimmten A n z a h l solcher Einzeitheile nothwendig zusammengesetzt seyn müsse. Ein jeder Gedanke an eine etwaige u n e n d l i c h e T h e i l b a r k e i t vorhandener Massen musste demnach als wissenschaftlicher Irrthum von uns zurückgewiesen werden. Und auf diesem Wege waren wir denn schliesslich auch zu der Anerkennung des ebenso unumstösslichen Wahrheitssatzes gekommen, dass eine körperliche Masse, welches auch immerhin ihre körperliche Grösse oder ihr räumlicher Umfang seyn mag, in keiner Weise und unter keinen Umständen in eine g r ö s s e r e Anzahl von Theilen kann zertheilt oder zerlegt werden, als überhaupt die A n z a h l der T h e i l e beträgt, aus denen die betreffende Masse innerlich in Wirklichkeit b e s t e h t . Muss aber eine jede derartige Theilung körperlicher Massen an einer ganz bestimmten Anzahl der in ihr enthaltenen Theile ihre natürliche Gränze finden, die nicht weiter mehr überschritten werden kann: so mussten wir mit innerer Nothwendigkeit nun auch weiterhin die volle Eichtigkeit eines bekanntes Satzes anerkennen, dass alle jene letzten Einzeltheilchen gegebener körperlichen Massen, bei deren gegebener Zahl jede weitere Theilung ein für allemal aufzuhören hat, in sich s e l b e r , d. h in ihrem eigenen stofflich-wesenhaften Inneren, als völlig u n t h e i l b a r für jede äussere Kraft oder Gewalt sich darstellen und demnach vernunftgemäss auch geistig von uns anerkannt werden müssen (III. § 12, No. 45—55). Alle diese, einer jeden sinnlichen Wahrnehmung selbst unter den allerstärksten Yergrösserungen in Folge einer fast verschwindenden Kleinheit völlig unzugänglichen Grundkörperchen wurden bekanntlich lange Zeit als in sich völlig todt und leblos betrachtet. Da jedoch alle aus solchen Theilchen zusammengesetzten körperlichen Massen erfahrungsgemäss unter sich in natürlichen

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'Wechselverkehr von gegenseitigen Kraftaus- und Krafteinwirkungen zu treten im Stande sind: so hat bekanntlich die neuere Naturforschung sich mehr und mehr der wohlberechtigten Überzeugung hingegeben, dass eben jene kleinsten und in sich wesenhaft einfachsten Grundkörperchen der Natur keineswegs für an sich todte und leblose Dinge zu gelten haben, sondern dass wir sie im Gegentheil für Dinge anzuerkennen haben, welche in ihrem Inneren jederzeit von ihnen eigenthümlich zukommenden, l e b e n d i g w i r k s a m e n K r ä f t e n der Natur durchwaltet, durchfluthet und durchwest seyn müssen. Mögen diese Kräfte innerhalb ihres besonderen, noch niedrigsten Naturgebietes, den gesammten einfachen Naturverhältnissen desselben entsprechend, immerhin als von noch einfachster Art und Wirkungsweise zu gelten haben: alles eigene innere Leben darf eben den Dingen, denen sie gehören, darum doch in keiner Weise völlig abgesprochen werden (IV. § 1 4 — V. § 1 9 und § 20). Ausserdem lehrte uns aber auch eine immer gründlichere und eingehendere Naturforschung, dass alle jene stofflich-körperlichen Grundkräfte der Natur, in ihrem gegenseitigen Wechselverkehr mit einander, allewege, je nach ihrer besonderen stofflichen Art, nicht nur an ganz bestimmte M a a s s v e r h ä l t n i s s e , sondern auch an ganz ebenso bestimmte N a t u r g e s e t z e sich jederzeit gebunden erweisen (IY. § 15, No. 19). I n Folge aller dieser unverkennbaren Naturverhältnisse wurden wir im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen, indem wir uns in das wesenhafte Innere eben jener Einzeldinge versetzten, immer mehr zu der Uberzeugung hingedrängt, dass nur allein die räumlichen M i t t e l p u n k t e derselben es seyn können, welche wir als die örtlichen U r - und G r u n d sitze dieser ihrer innerlichen Grundkräfte zu betrachten haben. Von hier aus haben wir eben jene innersten und uranfänglichsten Grundkräfte, als ihre Wirksamkeit beginnend, in das Auge zu fassen: von hier aus breiten und weiten sie nach allen Seiten und Richtungen hin sich aus, begründen und er-

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halten den durch ihre unmittelbare Wirksamkeit ins Daseyn gestellten inneren wesenhaften Raum der körperlichen Dinge, und durchwirken und durchwalten denselben, ohne jegliche Unterbrechung, bis zur äussersten Wesensgränze, d. h. bis zu deren körperlicher Oberfläche hin. Erst von hier aus sahen wir sodann die körperlichen Dinge an ihren oberflächlichen Berührungsstellen auch mit anderen Dingen ihrer nächsten Umgebung in gegenseitigen, sowohl innerlich-äusserlichen, wie äusserlich-innerlichen Wechselverkehr eintreten durch gegenseitige Aus- und Einwirkungen lebendig wirksamer Kräfte, welche sämmtlich aus jenen einheitlichen Wesensmittelpunkten der Dinge ihren ersten Ursprung und Ausgang herleiten. In derselben Weise aber und aus denselben Gründen, aus welchen wir jene Wesensmittelpunkte als die natürlichen Ursitze der von ihnen ausgehenden Kraftwirksamkeiten haben betrachten müssen, haben wir sie auch als die ebenso naturaothwendigen Ursitze nicht nur jener innersten M a a s s b e s t i m m u n g e n zu betrachten, durch welche eine jede besondere Wesensart sich von Uranfang an ein für allemal festgestellt zeigt, sondern auch jener innersten G e s e t z e s b e s t i m m u n g e n , durch welche gemeinschaftlich mit der besonderen W e s e n s a r t auch die gesammte innere und äussere W i r k u n g s w e i s e jener Grundkräfte ein für allemal als unabänderlich geordnet und geregelt sich erweist, und zwar dergestalt, dass diese Wirkungsweisen ausnahmslos allen besonderen Fällen sich anzupassen vermögen, welche im allgemeinen Weltverkehr der Dinge überhaupt jemals einzutreten im Stande sind. Müssen wir in unserem Denken eben jene eigentlichen G r u n d k r ä f t e aber auch allezeit von den ihnen zu Grunde liegenden M a a s s b e s t i m m u n g e n und den ihre Wirksamkeit regelnden G e s e t z e s b e s t i m m u n g e n begrifflich unterscheiden, so liegt es doch in der Natur der Sache, dass sie in Wirklichkeit allewege als derart unabtrennbar mit einander verbunden betrachtet werden müssen, dass für eine und dieselbe W e s e n s a r t auch deren besonderes ihr

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zu Grunde liegendes K r a f t m a a s s sammt dem seine besondere W i r k u n g s w e i s e regelnden W i r k u n g s g e s e t z nur als an sich und der Sache nach völlig in E i n s zusammenfallend von uns ins Auge gefasst werden dürfen. Hatten wir aber hiermit überhaupt einmal bis zu diesem geistigen Standpunkt uns erhoben : so war es nur noch ein einziger und gewissermassen sich von selbst ergebender Schritt, in eben jenem innersten Ursitz einer jeden besonderen natürlichen W e s e n s g r u n d k r a f t auch gleichzeitig damit den gemeinschaftlichen Ursitz eines geistverwandten natürlichen W e s e n s g r u n d b e g r i f f e s zu erblicken, welchen wir ebenfalls bereits früher schon als den l e t z t e n , unserem geistigen Auge zugänglichen n a t ü r l i c h e n H i n t e r g r u n d eines jeden besonderen, in sich einheitlichen Naturdaseyns haben anerkennen müssen. Es bezeichnet derselbe die ä u s s e r s t e n a t ü r l i c h e G r ä n z e , bis zu welcher wir, in der Richtung nach dem unbestimmten und unermessbar K l e i n s t e n , auf dem Wege geistiger Schlussfolgerungen bis dahin überhaupt vorzudringen im Stande gewesen sind (IV. § 15, No. 69 und IV. § 18, No. 86). An einer ganz ähnlichen, jedoch entgegengesetzten ä u s s e r s t e n G r ä n z e für unser Denken sind wir aber auch angelangt, als wir im Vorigen unsere geistigen Blicke in der Richtung nach dem für uns unbestimmbar und unermesslich G r ö s s t e n hinschweifen Hessen, nehmlich bis zu der, unserer sinnlichen Wahrnehmung ebenfalls völlig unzugänglichen äussersten, sowohl zeitlichen wie räumlichen G r ä n z e unseres gemeinsamen Weltganzen. Aber eben damit sind wir denn auch nunmehr vor einem gebieterischen, in den allgemeinen Naturverhältnissen aber mitbegründeten „Bis hierher und nicht weiter" angelangt, welches uns unverkennbar daran mahnt, dass wir von dem bis dahin von uns verfolgten Weg nunmehr keine noch tiefer gehenden Einblicke und Aufschlüsse in Bezug auf die inneren Geheimnisse der Natur zu erwarten haben dürften. Im Gegentheil finden wir uns in Folge dessen darauf hingewiesen, unsere Blicke nunmehr nach

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einer anderen und zwar entgegengesetzten Richtung hinzulenken und zu sehen, ob nicht diese etwa, an der Stelle unseres bisherigen beengteren Standpunktes für unsere Forschungen, einen erweiterten Gesichtskreis für dieselben zu bieten im Stande seyn könnte. Bevor wir jedoch an diese unsere nunmehrige Aufgabe näher herantreten, dürfte es sich empfehlen, nochmals den uns zunächst stehenden Naturverhältnissen unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, um Fragen näher in das Auge zu fassen, welche wir bis dahin mehr ausser Acht gelassen haben, von denen wir aber gerade im gegenwärtigen Augenblick manche Aufklärungen erwarten dürfen, die nicht ohne Einfluss seyn möchten auf den ferneren Verlauf unserer Untersuchungen. Nichts in dieser Welt ist beständig bleibend. Alles, was uns umgibt und so weit wir unsere Blicke senden mögen, ist stetem Wechsel, steter Veränderung, stetem Anders werden unterworfen. Alles schwankt hin und her zwischen Entstehen und Vergehen, zwischen Geborenwerden und Absterben: da ist kein Zustand, der wahrhaft dauernd oder wahrhaft vollkommen wäre. Von unserer Welt im Grossen und Ganzen haben wir uns überzeugen müssen, dass ihr kein ewiger Bestand im Daseyn zukommen kann, sondern dass sie einmal einen Anfang genommen haben muss: und dasselbe gilt ebenso auch von allen ihren Einzeldingen; und wie alles, was uns umgibt, sich eingeschlossen zeigt in den mehr oder weniger engen Rahmen zeitlich-räumlicher E n d l i c h k e i t , so muss dies alles dermaleinst auch seinem natürlichen E n d e entgegengehen. Von Allem aber, was überhaupt einmal nach Zeit wie Raum erst a n g e f a n g e n hat zu bestehen und was demgemäss sein Ende erreicht haben wird, müssen wir anerkennen, dass es vor seinem Anfang noch n i c h t dagewesen seyn konnte, ebenso wie es n a c h seinem Ende auch n i c h t m e h r da seyn wird. Sein D a s e y n wie sein N i c h t d a s e y n erweist sich uns demnach als abhängig von gewissen b e s o n d e r e n B e d i n g u n g e n und

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V e r h ä l t n i s s e n . Sind dieselben v o r h a n d e n , so vermag es zu seyn: sind sie n i c h t v o r h a n d e n , so vermag es n i c h t zu seyn. Oder mit anderen Worten: sein Daseyn kann n u r unter ganz bestimmten Bedingungen möglich seyn; in allen anderen Fällen dagegen muss es als an sich unmöglich bezeichnet werden. Alles Seyn oder G e s c h e h e n aber, welches ebensowohl wirklich als nichtwirklich, ebensowohl möglich als nichtmöglich seyn kann, bezeichnen wir im allgemeinen Sprachgebrauch, als von ganz besonderen Möglichkeiten und Zufälligkeiten abhängig, nicht allein als ein bloss „ m ö g l i c h e s " , sondern ebenso auch als ein bloss „ z u f ä l l i g e s " Seyn oder Geschehen; eben weil dasselbe allewege sich abhängig erweist von mitunter ihm völlig f r e m d e n und von ihm selber ganz u n a b h ä n g i g e n , weil an sich rein ä u s s e r l i c h e n Umständen, Bedingungen und Verhältnissen. Ganz in diesem Sinn bezeichnet es daher auch A b ä l a r d als „keineswegs zu der N a t u r der Dinge gehörig, dass sie seyen, da sie ebensogut auch n i c h t seyn könnten." — So sagt auch D e s c a r t e s , dass „in dem Begriff eines b e g r ä n z t e n Dinges nur ein mögliches oder z u f ä l l i g e s Seyn enthalten sey." — Desgleichen L e i b n i t z : „Dinge, welche b e s c h r ä n k t sind, wie a l l e s ist, was wir sehen oder erfahren, sind z u f ä l l i g , und haben n i c h t s in sich, was ihr Daseyn nothwendig machte." Und ähnlich sagt er an einem anderen Ort von der Z e i t , dass sie „in der Z u f ä l l i g k e i t " bestehe. — „Alles B e d i n g t e " — sagt K a n t — „ist z u f ä l l i g " ; und an einem anderen Ort fügt er noch weiter hinzu, dass „alle Dinge, welche irgend da sind, auch n i c h t da seyn könnten", weshalb auch er dieselben als nur „zufällige Dinge" bezeichnet. — So sagt auch J a c o b : „In der Sinnenwelt erkennen wir nichts unbedingt Nothwendiges: alles in ihr ist z u f ä l l i g . " — Desgleichen J. G. F i c h t e : „Das thatsächliche (factische) Daseyn in der Zeit erscheint als a n d e r s seyn k ö n n e n d und ist daher z u f ä l l i g . " — Denselben Gedanken, wenn auch im Wortlaut etwas verändert,

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spricht auch Schölling aus, wenn er sagt: „Jedes Ding ist z e i t l i c h , welches die Möglichkeit seines Seyns n i c h t in sich selber hat." Und an einem anderen Ort bezeichnet er die Welt, im gleichen Sinn, als eine „Welt z u f ä l l i g e r Wirklichkeiten (Existenzen)." — Und ebenso spricht auch Hegel von der „ Z u f ä l l i g k e i t der weltlichen Dinge." Es liegt erfahrungsgemäss in der Natur des Menschen, als eines natürlichen Geisteswesens, in Bezug auf alles, was in dieser Welt um ihn her ist und geschieht, sich, so weit seine geistigen Mittel solches zulassen, Aufschluss darüber zu verschaffen, wie und in welcher Weise nicht nur das D a s e y n der Welt und alles in ihr Vorhandenen, sondern ebensosehr auch alles, was wir erfahrungsgemäss in der Welt, d. h. an den in ihr vorhandenen Dingen v o r g e h e n sehen, eine ebensowohl natur- wie vernunftgemässe und eben dadurch auch den Geist mehr und mehr befriedigende E r k l ä r u n g finden möge. Nun muss es aber als selbstverständlich betrachtet werden, dass kein in sich b e d i n g t e s und b e s c h r ä n k t e s , also an sich in allen Beziehungen e n d l i c h e s D a s e y n — wie Wessenb e r g solches ausdrücklich hervorhebt — für das Auge des Geistes als ein, im wahren und eigentlichen Sinn des Wortes, in sich s e l b s t s t ä n d i g e s D a s e y n kann betrachtet werden. Es bleibt immer, in irgendeiner Weise oder in irgendwelcher Beziehung, a b h ä n g i g von d e m j e n i g e n , wodurch es bedingt ist, mag dasselbe für uns nun auch zu suchen und zu finden seyn, wo es wolle. Daher bezeichnet auch Sengler sowohl „die E n t s t e h u n g und die E n t w i c k e l u n g der Welt", und damit auch aller ihrer Einzeldinge und Einzelwesen, als „das grosse B,äthsel, welches zu lösen von jeher das eifrigste Bestreben der Menschheit durch alle Jahrhunderte (und Jahrtausende) ihrer Geschichte" gewesen sey. Denn sich s e l b e r das Daseyn zu geben: dies könnte weder der Welt als Ganzem noch ihren einzelnen Theilen jemals möglich seyn; es wäre dies ein W i d e r s p r u c h gegen alle natur- wie vernunftgemässen

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Bedingungen und Verhältnisse ihres Daseyns gewesen. Denn ein jedes von bestimmtem, räumlichem wie zeitlichem Anfang und Ende umschlossenes Daseyn, das selber erst in und mit dem Augenblick seines ersten Entstehens b e g i n n t , und welches vor eben diesem Augenblick also auch noch gar n i c h t da war, kann unmöglich sein eigenes Daseyn jemals sich selber gegeben haben: es muss dasselbe mit unumgänglicher Nothwendigkeit irgend einmal von irgend einem von ihm v e r s c h i e d e n e n anderen Seyn oder Daseyn in irgend einer Weise e r h a l t e n haben. Aber eben darum muss auch dies als ein unumstösslicher Wahrheitssatz von uns betrachtet und festgehalten werden, wenn Thomas von Aquino sagt, dass „Etwas, was n i c h t i s t , nur anfangen kann zu seyn durch Etwas, was ber e i t s ist." Alle diese hier dargelegten Verhältnisse gehen so folgerichtig eines aus dem anderen hervor, dass in der That der Eifer nicht Wunder nehmen kann, mit welchem der menschliche Geist, und zwar in den bedeutensten und namhaftesten Forschern auf dem Gebiete menschlichen Wissens und Erkennens, von jeher bemüht gewesen ist, sich immer tiefere, aber eben dadurch auch immer klarere und befriedigendere Einblicke in alle diese Geheimnisse und Eäthsel der Natur zu erschliessen. Dass hierbei namentlich aber auch die Frage nach der eigentlichen Quelle und dem wahren U r s p r u n g nicht nur unserer Welt im Grossen und Ganzen, sondern ebensosehr, ja noch mehr, auch die Frage nach der Quelle und dem Ursprung aller jener stofflich-körperlichen Einzeldinge sich richten musste, auf deren thatsächliches Vorhandenseyn auch das Vorhandenseyn des gemeinsamen Weltganzen sich gegründet erweist: dies liegt, wie wir bereits früher ausführlicher dargethan (VII. § 24, No. 138. VII. § 25, No. 140. VII. § 26, No. 142, 143, 144), in der Natur der Sache. Denn wie es als ein unumstösslicher Wahrheitssatz gelten muss, dass nichts in Theile getheilt werden kann, was nicht selber innerlich auch aus w i r k l i c h e n

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Theilen bestellt und zusammengesetzt ist, d. h. aus Theilen, die selber in ihrem eigenen Innern n i c h t w e i t e r m e h r getheilt werden können: so ist es auch ein ebenso unbestreitbarer Wahrheitssatz, das kein G a n z e s , als solches, jemals in Wirklichkeit vorhanden seyn kann, bevor nicht auch alle jene Einzelbestandtheile, aus denen es besteht, in Wirklichkeit ebenfalls v o r h a n d e n sind. Aber ebenso unmöglich wäre es auch, dass irgend ein G-anzes jemals als solches zu bestehen vermöchte ohne seine Einzeitheile und u n a b h ä n g i g von denselben. „Woher also stammt das All? w o h e r stammt die Welt?" Diese Frage bezeichnet Dieterici mit Recht als „eine uralte Frage an das Menschengeschlecht, auf welche jeder denkende Mensch sich irgend eine Antwort geben muss." Aber eben diese Frage nach einem befriedigenden „Woher" der Welt und ihrer Dinge ist, der Sache nach, auch gleichbedeutend mit der Frage nach der „ U r s a c h e " oder nach dem „ G r u n d " , aus welchen dieselben dereinst gemeinschaftlich hervorgegangen seyn mögen, und ohne welche dieselben überhaupt gar nicht vorhanden seyn könnten. Weigand bestimmt den Begriff der U r s a c h e im Allgemeinen als „die Beziehung, in welcher das B e w i r k t e zu dem des B e w i r k e n d e n steht", und zwar derart, dass, in eben dieser wechselseitigen Beziehung beider aufeinander, das B e w i r k t e bereits schon in dem es Bewirkenden als mit eingeschlossen gedacht wird. Bereits an einem früheren Orte (IV. § 17, No. 78 und IV. § 18, No. 90) haben wir auf diese Verhältnisse hingewiesen. Betrachten wir nun aber den eigentlichen Sinn des Wortes „ U r s a c h e " von Seiten der Art und Weise, wie es sprachlich gebildet und zusammengesetzt ist: so zeigt sich uns derselbe augenscheinlich in der Bedeutung einer u r s p r ü n g l i c h e n , u r a n f ä n g l i c h e n oder E r s t e n S a c h e , von welcher irgend Etwas a u s g e h t und d u r c h welche oder in F o l g e von welcher dasselbe naturgesetzmässig v e r u r s a c h t , b e w i r k t oder h e r v o r g e b r a c h t ist oder wenigstens hervorgebracht seyn könnte. Das Wort „ S a c h e " dagegen weist uns

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hin auf jenen geheimnissvollen i n n e r s t e n K e r n eines jeden besonderen Einzeldaseyns, auf welchen wir ebenfalls bereits früher hingewiesen haben, und welchen wir damals als den U r s i t z jener einheitlichen U r - und G r u n d k r a f t kennen gelernt haben, auf deren unmittelbarster und uranfänglichster Wirksamkeit die erste und ursprüngliche V e r w i r k l i c h u n g des gesammten D a s e y n s und W e s e n s eines jeden derartigen Einzeldinges für das Auge des Geistes sich erbaut zeigte (IV. § 14, No. 62 bis 65 und IV. § 18, No. 90). Und eben jene innerste U r - S a c h e , als innerste wesen- und daseynbildende natürliche Ur- und G r u n d k r a f t eines jeden besonderen Einzeldaseyns, ist es denn auch, in welcher wir, als einen thatsächlichen inneren N a t u r d r a n g und N a t u r t r i e b zu ununterbrochener eigener Kraftwirksamkeit, zugleich auch die eigentliche natürliche U r s a c h e des wirklichen Daseyns eines jeden solchen natürlichen Einzeldinges zu erblicken haben. Denn eine K r a f t , welche nicht thatsächlich auch als w i r k s a m und w i r k e n d sich erweist, ist im eigentlichen und wahren Sinn des Wortes n i c h t das, was gemeinhin unter wirklicher, d. i. w i r k l i c h w i r k e n d e r K r a f t pflegt verstanden zu werden; sondern so lange dieselbe nicht auch wirklich in eine thatsächliche Wirksamkeit übergetreten ist, betrachten wir sie, dem Verhältniss thatsächlicher N i c h t Wirksamkeit entsprechend, als ein blosses, an und in sich noch unthätiges „Vermögen", aber als ein Vermögen, welches in demselben Augenblick befähigt und vermögend ist, zu einer thatsächlich w i r k e n d e n K r a f t , d. i. zu einer wirklichen U r s a c h e in der eigentlichen Bedeutung des Wortes zu werden, in welchem die hierzu erforderlichen inneren wie äusserlichen Vorbedingungen vollgültig dazu gegeben sind. Aber aus eben dieser Darlegung der hier in Betracht kommenden Verhältnisse ersehen wir auch, wie und weshalb der Begriff' der U r s a c h e ein Begriff ist, welcher in seiner eigentlichsten und uranfänglichsten Bedeutung ausschliesslich dem Naturleben dieser Welt angehört, und demgemäss denn auch in erster Wandersmann.

III.

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Linie nur auf die allgemeinen Naturverhältnisse dieser Letzteren Bezug nimmt. Ganz in diesem Sinn lässt denn auch schon Plato den Sokrates in seinem Philebos sagen, „dass alles W e r d e n d e aus einer U r s a c h e werde, und dass der Begriff des B e w i r k e n d e n nur dem N a m e n nach von dem der Ursache verschieden sey, indem das B e w i r k e n d e und das U r s ä c h l i c h e mit Recht E i n e s genannt würden. Und ebenso seyen auch das B e w i r k t e und das W e r d e n d e nur dem Namen nach verschieden." Dann aber lässt er, um auch auf den begrifflichen U n t e r s c h i e d zwischen „Ursache und Wirkung" oder zwischen „Ursache und Werdendem" aufmerksam zu machen, den Sokrates also fortfahren: „Doch führt das B e w i r k e n d e seiner Natur nach immer an: das B e w i r k t e aber f o l g t demselben a l s ein W e r d e n d e s , wodurch denn auch die U r s a c h e als hinlänglich v e r s c h i e d e n vom W e r d e n d e n (als dem zu Bewirkenden) anerkannt ist." Gehen wir nun aber von dem Begriff der „Ursache" auf denjenigen des „ G r u n d e s " über: so können wir schon aus dem Umstand, dass man sich nicht nur im gewöhnlichen Leben, sondern auch in wissenschaftlichen Schriften ohne Anstand beider Ausdrücke vielfach wechselseitig für einander bedient, darauf schliessen, wie sehr nahe verwandt beide mit einander seyn müssen: allein anderseits weist doch auch ein anderer Umstand, nehmlich derjenige, dass die meisten gebildeten Sprachen für einen jeden dieser beiden Begriffe eine besondere Wortbezeichnung besitzen, uns darauf hin, dass nichtsdestoweniger doch auch ein tiefer liegender, ganz bestimmter begrifflicher Unterschied zwischen beiden nicht ganz und gar ausser Acht zu lassen ist. Wenn Weigand den Begriff der „ U r s a c h e " dahin bestimmt hat, dass sie „ G r u n d der Wirklichkeit" sey: so unterscheidet er zwar dem Wortlaut nach beide Begriffe von einander, aber der Sache nach setzt er sie nichtsdestoweniger einander gleich. Denn man könnte auch umgekehrt ebensowohl sagen, dass der G r u n d die U r s a c h e der

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Wirklichkeit sey. Daher kann es auch nicht wundern, wenn auch W E I G A N D an einem anderen Orte selber die U r s a c h e als „den G r u n d " angibt, „warum etwas ist", und wenn er beide Begriffe, in ihrer gemeinsamen allgemeineren Bedeutung, zugleich in dem Satz zusammenfasst, dass sie dasjenige anzeigen, „woraus etwas Anderes f o l g t . " Den Begriff des G r u n d e s , als solchen und in der eigentlichen Bedeutung des Wortes in das Auge gefasst, erklärt W E I G A N D dann mehr in bloss sinnbildlicher Weise, indem er denselben mit dem festen „Grund und Boden" vergleicht, auf dem Häuser und dergleichen sich sicher aufbauen lassen. Und von dieser Anschauung ausgehend, bezeichnet W E I G A N D denn auch beide, den Begriff des naturwissenschaftlichen Grundes wie den des Grundes zu baulichen Zwecken, gemeinschaftlich als „das U n t e r s t e eines Dinges, insofern dieses Unterste das d a r a u f B e f i n d l i c h e (oder Erbaute) t r ä g t , oder dieses auf jenem b e r u h t , oder als darauf beruhend g e d a c h t werden kann." — Von demselben Gesichtspunkt ausgehend sagt denn auch Krause*. „Der Sinn des Wortes « G r u n d » ist bildlich hergenommen von dem, was stofflich (oder körperlich) auf der Erde zum Grunde liegt, — vom Grund und Boden. Es zeigt also dieses Wort dasjenige an, worauf ein Anderes ist und beruht. Es bezeichnet also ursprünglich nur das U n t e r e , das B l e i b e n d e , worauf etwas ist, also nur den unteren Grund, wofür man auch G r u n d l a g e oder F u n d a m e n t sagt." „Mit diesem Wort « G r u n d » " — fährt K R A U S E dann weiterhin fort — „ist, der Bedeutung nach, zunächst verwandt das Wort « U r s a c h e » , d. h. eigentlich: die höhere, obere oder e r s t e (d. i. ursprüngliche) S a c h e . Sofern nun der G r u n d das B e g r ü n d e t e bestimmt, dass dieses mit ihm übereinstimmt, insofern nennen wir den Grund: U r s a c h e . " Und in der That: ersetzen wir in diesen beiden Darlegungen, von W E I G A N D und von K K A U S E , den Begriff des Grundes oder des Bodens, als des U n t e r e n oder des U n t e r s t e n , durch den Begriff des I n n e r s t e n , als des eigentlichen W e s e n s . 25*

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und D a s e y n s g r u n d e s , auf welchem alles in dieser Welt Vorhandene beruht und gegründet ist: so stehen wir, um uns ebenfalls jenes sinnbildlichen Vergleiches zu bedienen, auf ganz demselben wissenschaftlichen Boden, auf welchem auch die beiden Begriffe von ,,Ursache" und von „Grund" der Sache nach beruhen. Bei dem Begriff der U r s a c h e fragen wir nach dem W o h e r , dem W o r a u s oder dem W o d u r c h etwas i s t oder g e s c h i e h t : bei dem Begriff des G r u n d e s fragt man gemeinhin auch namentlich nach einem W o z u , W a r u m oder W e s h a l b . Auf den ersten Anblick mag es vielleicht manchem als unwichtig und nebensächlich erscheinen, welches von diesen verschiedenen Ausdrücken wir uns vorkommenden Falles im Besonderen bedienen. Aber in solchen Fällen, wo es sich darum handelt, ob wir es mit einer U r s a c h e oder mit dem G r u n d von etwas zu thun haben, dürfte eine richtige Unterscheidung auch dieser Verschiedenheiten in der sprachlichen Bezeichnungsweise wohl kaum als ganz und gar unwichtig zu betrachten seyn. Aber auch in dieser Beziehung darf der Begriff des „ B o d e n s " als ein sinnbildliches M i t t e l g l i e d betrachtet werden zwischen den beiden verwandten Begriffen der „Ursache" und des „Grundes." Denn der Begriff des „Bodens", als der einer „festen und nicht wankenden G r u n d l a g e " , welche alles darauf Erbaute sicher trägt, antwortet uns, dem ganzen Sachverhältniss gemäss, aul die Frage, „ w o r a u f " etwas beruht, und zwar gleichviel ob es sich dabei um die Ursache oder um den G r u n d in ihren eigentlichen Bedeutungen handelt, w o r a u s oder in F o l g e d e s s e n überhaupt etwas ist oder geschieht. Denn bei etwas genauerem Ziisehen werden wir finden, dass eben dieses „ W o r a u f " in seiner weitesten und umfassendsten, d. h. sowohl in seiner sinnbildlichen wie in seiner buchstäblichen Bedeutung, auch Alles, w o h e r , w o r a u s und w o d u r c h die Welt und ihre Dinge überhaupt da sind und bestehen, in sich einschliesst. Aber in ganz ähnlicher Weise schliesst dasselbe „ W o r a u f " auch alles W o z u , W a r u m und W e s h a l b in sich

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyna etc.

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ein. Denn wie in dem Begriff und dem Wesen der U r s a c h e auch stets schon der Begriff und das Wesen ihrer W i r k u n g bereits keimartig mit enthalten und eingeschlossen liegt, als des natürlichen Z i e l s dessen, w o r a u f eine jede thatsächliche Ursache in ihrer Wirksamkeit h i n g e r i c h t e t ist: ganz ebenso bezieht auch umgekehrt eine jede W i r k u n g sich zurück a u f i h r e U r s a c h e , als den natürlichen Grund und Boden, aus welchem sie erwachsen und hervorgegangen ist. Einem ganz ähnlichen Verhältniss begegnen wir aber auch hinsichtlich des G r u n d e s , sobald wir diesen Begriff nicht bloss in sinnbildlicher, sondern in wirklich wissenschaftlicher Bedeutung in das Auge fassen. Denn wie die Ursache in ihrer Wirkung gleichsam schon, wenn wir so sagen dürfen, das Z i e l vor Augen hat, auf welches sie sich hinzurichten hat: so liegt im Begriff eines jeden eigentlichen G r u n d e s schon von vornherein der Z w e c k mit enthalten und eingeschlossen, w o r a u f sein ganzes W o z u , W a r u m und W e s h a l b sich unter allen Umständen hingerichtet erweist. Aber in eben dieser Beziehung des Begriffes des „Grundes" auf einen ganz bestimmten „Zweck" nimmt denn auch der Begriff des G r u n d e s in gewissem Sinn eine, wir möchten sagen v e r g e i s t i g t e r e Stellung und Würde für das Auge des Geistes ein, als der Begriff der blossen U r s a c h e . Denn indem der Begriff des Grundes auch zugleich allewege durch die Frage nach einem Wozu, Warum und Weshalb auf irgend einen ganz bestimmten Z w e c k hinweist, weist er gleichzeitig damit auch auf ein g e w i s s e s E t w a s hin, von dessen richtiger Erkenntniss nicht nur eine um so richtigere Einsicht auch in die Natur und ihre Dinge im Allgemeinen, sondern gleichzeitig damit auch eine um so richtigere Erkenntniss selbst in Betreff der wirklichen U r s a c h e uns ermöglicht wird, aus welcher alles natürliche Wesen dieser Welt dereinst hervorgegangen seyn dürfte. Im Vorstehenden haben wir bereits auf jenen innersten geistigen oder wenigstens geistverwandten natürlichen G r u n d b e g r i f f der Dinge hingewiesen,

390

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

durch welchen ein jedes Einzelne derselben auf das Genaueste und in vollkommen uranfänglicher Weise in Bezug auf dessen besondere Wesensart ein für allemal genau vorausbestimmt ist, wie dasselbe unter allen äusseren Umständen und Verhältnissen, in die es mit der Zeit kommen mag, seinen übrigen Mitwesen gegenüber sich naturgesetzmässig zu verhalten hat. Eben diesen geistverwandten innersten G r u n d b e g r i f f der Dinge, welchen wir als a n t r e i b e n d e n B e s t i m m u n g s g r u n d für eine jede Kraftwirksamkeit des betreffenden Einzeldinges zu betrachten haben, mussten wir bereits als den letzten n a t ü r l i c h e n H i n t e r g r u n d anerkennen, bis zu welchem unser geistiges Denken und Forschen überhaupt in diese innersten Geheimnisse der Natur vorzudringen im Stande ist. Der Sache nach fällt, wie bereits bemerkt, dieser innerste W e s e n s g r u n d b e g r i f f mit der ihn verwirklichenden W e s e n s g r u n d k r a f t in Eins zusammen. Und fassen wir demgemäss beide nunmehr gemeinsam als innersten, l e b e n d i g t r e i b e n d e n N a t u r g r u n d in das Auge: so haben wir in jener innersten U r - K r a f t , als einer thatsächlicheu U r - S a c h e , den wirklichen und eigentlichen N a t u r g r u n d zu erblicken, auf dessen unmittelbarer Wirksamkeit das gesammte wesenhafte Daseyn der betreifenden Dinge, für die ganze Dauer ihres Bestandes in demselben, als auf festem und umwandelbarem Grund erbaut sich darstellt. Vergegenwärtigen wir uns dagegen eben jenen einheitlichen innersten N a t u r g r u n d der Dinge weniger in seiner Bedeutung als natürliche Ur-Kraft und Ur-Sache, als vielmehr von Seiten seiner b e g r i f f l i c h - g e i s t i g e n G r u n d l a g e in jenem innersten W e s e n s g r u n d b e g r i f f der betreffenden Dinge: so tritt derselbe nunmehr weniger als wirklicher Naturgrund in der Bedeutung eines natürlichen Verwirklichungsdranges und Verwirklichungstriebes uns entgegen, als vielmehr als b e g r i f f l i c h - g e i s t i g e r U r g r u n d , d. h. als wirklicher und eigentlicher V e r n u n f t g r u n d für das Daseyn der betreffenden Dinge. Der Sache nach stellen somit jener innere N a t u r g r u n d

Natürlicher Hinweis des endlichen Daaeyns etc.

391

oder, wie man gemeinhin zu sagen pflegt, die natürliche U r sache

der Dinge,

grund,

als

der

sowie dessen geistverwandter

Vernunft-

für unsere geistige Anschauung letzte

und

darum eigentlich wahre G r u n d der Dinge, als völlig E i n

und

D a s s e l b e sich dar: sie erscheinen uns v e r s c h i e d e n nur allein nach Maassgabe des eigenen geistigen Standpunktes, von welchem aus

wir

eben

Auge fassen.

dieses einheitliche

Gesammtverhältniss

in

das

Die „ U r s a c h e " , von ihrer geistigen und darum

vernunftgemässen

Seite

betrachtet,

bezeichnet der

allgemeine

Sprachgebrauch als „ G r u n d " : den „ G r u n d " aber, von seiner natürlich-wesenhaften Seite betrachtet, bezeichnet derselbe, von richtigem Wahrheitsgefühl

geleitet,

als „Ursache".

Folgende

Stelle aus P l a t o ' s „ S t a a t " dürfte wohl ungezwungen,

als in

vollem Einklang mit dem soeben Dargelegten stehend, von uns aufgefasst

werden.

PLATO sagt hier nehmlich,

dass

unsere

„Vernunft", um die eigentlichen und wahren ersten und letzten Gründe der Dinge zu erforschen, von dem an ihnen sinnlich Wahrnehmbaren,

ohne

bei

demselben

zu verweilen,

immer

tiefer in deren Innerstes „hinabsteigen" müsse, um in solcher Weise am Ende b i s zu den B e g r i f f e n (Ideen) „an und für s i c h " , und damit bis zu eigentlichen „ A n f ä n g e n " oder ersten begrifflichen Anfangspunkten, d. h. also bis zu den eigentlichen V e r n u n f t g r ü n d e n „der Dinge zu gelangen". Schon A r i s t o t e l e s bezeichnet die U r s a c h e als dasjenige, „ w o r a u s etwas wird", oder „überhaupt als das Bewirkende des Bewirkten und das Verändernde des Veränderten".

Aber ferner

— so fügt er hinzu — gebraucht man U r s a c h e auch „in dem Sinn von E n d z w e c k , um d e s s w i l l e n (oder weshalb) etwas ist." Obgleich AKISTOTELES somit die beiden Begriffe der U r s a c h e und des G r u n d e s gemeinsam in dem der Ursache v e r e i n i g t , so hat

er sie doch der Sache nach wohl unterschieden,

wie

dies übrigens noch deutlicher auch aus folgendem Satz hervorgeht, in welchem er sagt:

„ D a unsere Untersuchung um des

W i s s e n s willen ist, wir aber ein J e d e s nicht eher zu wissen

392

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

(oder vielmehr richtig zu erkennen) glauben, als bis wir das W a r u m bei einem Jeden erfasst haben, was aber soviel heisst, als die e r s t e U r s a c h e erfassen: so ist klar, dass auch wir dieses sowohl in Betreif des Entstehens und Vergehens als auch der gesammten natürlichen Veränderungen thun müssen, damit wir die ersten Anfangs- und Ausgangspunkte (die Principien) kennen, und auf d i e s e l b e n ein Jedes von dem, was wir suchen, z u r ü c k z u f ü h r e n versuchen. — Und in ganz gleichem Sinn sagt auch Plotin, dass „auch das Geringste eine bestimmte Ursache habe, w a r u m es so und nicht anders sey." — Desgleichen Erigena, indem er auch anerkennt, dass die Welt (und also auch die in ihr enthaltenen Dinge) schlechterdings k e i n in sich selbstständiges Daseyn (Existenz) habe. — Sehr bezeichnend in Bezug auf alle diese Verhältnisse ist auch eine Stelle in Heinrich von Fritzlar's Heiligenleben. „Die heidnischen Meister" — heisst es daselbst — „sprechen, dass keine S a c h e zu w i r k e n vermöge, sie habe denn ein W a r u m , das (d. h. dadurch) sie wirke. Ob aber das W a r u m entweder die S a c h e t r e i b e , oder ob das Warum in den W e r k e n (d. i. in dem Bewirkten) sey, oder ob das Warum ein E n d e (d. i. Ziel und Zweck) des Werkes (oder des von ihm Bewirkten): das sprechen sie nicht völlig (d. h. nicht klar und nicht deutlich) aus. Darum sprechen sie auch, dass kein Werk (d. i. kein durch eine Ursache Bewirktes) ein edleres W a r u m habe, denn die e r s t e S a c h e (d. i. als seine eigentliche U r - S a c h e ) , von der (aus) und zu der (als zu ihrem Zweck und Ziel hin) alle Dinge sich bewegen. Auch spechen sie, dass einer jeglichen wirkenden Sache ihr Werk und ihr Ziel z u g e m e s s e n (d. h. also in seinem G r u n d b e g r i f f genau vorher b e s t i m m t ist), über das h i n a u s sie n i c h t zu wirken vermag; und wenn sie das e r r e i c h t hat (begrlfen), so ist sie darin in B,uhe. Denn w i r k e n d , wirkt es n i c h t , und n i c h t wirkend w i r k t es. Denn es hält sich s t i l l als das Wesen, und wird gewirkt von seinem Wirker und von der helfenden Hülfe und der

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

393

teilnehmenden Fürsorge (von der mitephlicht) seiner Sache. Und so nimmt (oder erhält) es seine V o l l k o m m e n h e i t nicht theilweise (in teilunge) noch stückweise (in stucken), sondern in E i n h e i t (in voreinigunge) und in V o l l k o m m e n h e i t . " — Etwas dunkel ist hierbei wohl jedenfalls die Stelle, an welcher gesagt ist: „Denn wirkend wirkt es n i c h t , und nichtwirkend w i r k t es." Berücksichtigen wir jedoch das vorher, und namentlich auch das gleich zu Anfang gesagte: so dürfte es wohl kaum einem Zweifel unterliegen, dass gerade die erste Entstehung der ersten Grundbestandteile unseres gemeinsamen Weltganzen, sowie namentlich auch deren gegenseitiger Wechselverkehr im Verlauf der gemeinsamen Weltentwickelung, es gewesen seyn dürften, welche dem Verfasser beim Niederschreiben jener ganzen Stelle vor Augen geschwebt haben möchte. Auch der letzte Schluss derselben scheint hierfür zu sprechen. Jedenfalls darf aber jener Ausspruch nicht in dem Sinn von uns aufgefasst werden, als hätte der Verfasser dem Gedanken Ausdruck geben wollen, als ob ein an und in sich thatsächlich W i r k e n d e s zugleich auch thatsächlich n i c h t wirkend seyn, oder umgekehrt ein thatsächlich N i c h t w i r k e n d e s doch auch zugleich w i r k e n d seyn könnte. Der scheinbare Widerspruch in dieser Stelle dürfte in der Bedeutung eines begrifflich-natürlichen G e g e n s a t z e s in das Auge gefasst, wie solcher namentlich in den Begriffen von U r s a c h e und W i r k u n g , als der beiderseitigen Anfangs- und Endpole ihres gemeinsamen Wechselverhältnisses, zu Tage tritt, sofort das Anstössige verlieren. Versetzen wir uns daher im Geist in den innersten W e s e n s m i t t e l p u n k t eines jener einzelnen Grundbestandteile unseres Weltalls: so befinden wir uns gleichzeitig auch in dem eigentlichen U r s i t z eben jener innersten W e s e n s g r u n d k r a f t , auf deren natürlicher Wirksamkeit das natürliche Daseyn und Wesen des betreffenden Dinges beruht. Eben dieser natürliche Ursitz jener Kraft bildet aber gleichzeitig auch den e r s t e n A n f a n g s p u n k t , von dem aus diese Letztere ihre natürliche

394

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Wirksamkeit b e g i n n t . F ü r diesen Standpunkt also, sobald wir denselben rein nur als solchen, d. h. nur allein als Grundsitz und ersten Ausgangspunkt einer natürlichen Kraftwirksamkeit in das Auge fassen, ohne alle und jede weitere Rücksicht auch auf die durch diese Wirksamkeit zu bewirkende W i r k u n g , — ist das Auge des Geistes nur allein g e ö f f n e t für den Begriff der U r s a c h e , und nur dieser allein kann daher auch als ihm geistig g e g e n w ä r t i g betrachtet werden: der Begriff der W i r k u n g dagegen, als von dem Auge des Geistes völlig a u s s e r A c h t gelassen, liegt für dieses völlig a u s s e r h a l b des geistigen Gesichtskreises, und ist demgemäss für d i e s e n Standpunkt der Betrachtung des Gesammtverhältnisses so gut wie g a r n i c h t v o r h a n d e n . Und hiernach dürfte denn auch, von solchem Standpunkt aus jener Ausspruch HEINBICH'S VON FKITZLAB „denn w i r k e n d wirkt es n i c h t " sich sehr wohl rechtfertigen lassen. Gehen wir aber nunmehr auch zu dem zweiten Theil jener Stelle über, nehmlich zu dem Ausspruch „und n i c h t wirkend w i r k t es:" so findet auch dieser in ganz ähnlicher Weise seine natürlich-begriffliche Lösung, nur mit dem Unterschied, dass alle vorhin geschilderten Verhältnisse nunmehr in gerade u m g e k e h r t e r Weise und Richtung sich darstellen. Der G e g e n s a t z und G e g e n p o l der U r s a c h e liegt in dem Begriff ihrer W i r k u n g . Die natürliche W i r k s a m k e i t , durch welche die Ursache ihre Wirkung bewirkt und hervorbringt, bildet gewissermassen die natürliche A c h s e , durch welche Ursache und Wirkung jederzeit untrennbar mit einander verbunden sind. Nimmt der diese Verhältnisse betrachtende Geist daher seinen Standpunkt innerhalb der soeben erfolgten W i r k u n g , und zwar ebenfalls rein nur als s o l c h e r , so erscheint in diesem Fall dessen Aufmerksamkeit ebenfalls ausschliesslich nur auf diesen E r f o l g der wirkenden Ursache gerichtet. Was dagegen die U r s a c h e als solche betrifft, durch welche eben dieser Erfolg erzielt worden, so ist es nunmehr d i e s e , welche, von dem nunmehrigen beschränkten Standpunkt aus, für die geistige

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

395

Anschauung völlig ausser A c h t bleibt: sie ist dem Geiste in keiner Weise gegenwärtig und eben darum auch f ü r i h n in diesem Fall so gut wie n i c h t v o r h a n d e n . Und somit dürfte also auch für die Stelle „und n i c h t wirkend w i r k t es," wie es uns scheint, eine für das Verständniss derselben genügende begrifflich-natürliche Lösung und Rechtfertigung sich hiermit geboten haben. — Doch gehen wir nunmehr zu dem ersten Vertreter einer neuen Gedankenrichtung im Gebiete des Denkens und Forschens, zu D e s c a r t e s , über. Wenn wir bei ihm dem Ausspruch begegnen, „es gebe nichts in der Welt Vorhandenes, an welches man nicht die Frage nach der U r s a c h e richten könne, w e s h a l b es bestehe:" so ist augenscheinlich, dass in dieser sehr allgemeinen Fassung der Begriff „Ursache" ebensowohl verstanden werden darf in dem Sinn, von N a t u r u r s a c h e wie in dem von V e r n u n f t u r s a c h e , d. h. ebensowohl in dem von „Ursache" in der e i g e n t l i c h e n Bedeutung des Wortes, als auch in dem von G r u n d in seiner eigentlichen Bedeutung als V e r n u n f t g r u n d . Daher gibt auch S p i n o z a diesen Ausspruch von D E S C A R T E S in etwas veränderter Weise mit den Worten wieder: „Kein Ding ist vorhanden (existirt), von dem man nicht fragen kann, was die U r s a c h e oder der G r u n d ist, warum es besteht." Und ebenso an einem andern Ort: „Von jedem Ding muss eine Ursache oder ein Grund angegeben werden, warum es da ist." — So sagt auch L e i b n i t z : „Alles ist vollkommen verbunden in der Ordnung der Dinge, weil nichts geschehen kann, ohne dass eine U r s a c h e daist, welche geeignet ist, die Wirkung hervorzubringen. Dies hat nicht weniger statt bei freiwilligen Handlungen wie bei allem andern." Und in Gemeinschaft mit diesem Begriff der Ursache erwähnt er dann weiterhin auch ausserdem noch den Begriff des „bestimmenden G r u n d e s " , nehmlich dass nichts sich zuträgt, ohne dass eine U r s a c h e oder ein b e s t i m m e n d e r G r u n d dafür vorhanden ist, d. h. etwas, was dazu dienen kann, schon von vornherein (a priori) anzugeben, warum dies ist oder

396

Die innere Unselbstständigkeit aller Dinge.

vielmehr nicht ist, und warum so oder nicht in jeder anderen Weise. Es hat dies statt bei allen Ereignissen, und wiewohl uns oft die bestimmenden Gründe nicht hinlänglich bekannt sind, so erkennen wir darum doch, dass es solche gibt." „Denn" — so fügt er weiterhin hinzu —• „der grosse Grundsatz (Princip), dass nichts ohne Ursache geschieht, geht nicht bloss auf die Körperwelt." — Ennemoser sagt: „Es ist ein angeborner Trieb der menschlichen Natur, die Dinge nicht nur a n - sondern auch e i n z u s e h e n , und zu fragen nicht nur W a s , sondern auch W i e und W o h e r ? Und sonderbarer Weise geht die Frage mehr auf das W o h e r und W o h i n , auf den Ursprung und den Z w e c k , als auf die blosse Erscheinung, die den Wenigsten, auch dem Ungebildetsten n i c h t , genügt." — „Alles, was entsteht oder geschieht," — sagt H. Wedewer (der Jüngere) — „setzt Etwas voraus, w o d u r c h es entsteht oder geschieht. Dieses E t w a s , welches G r u n d des Daseyns eines anderen Dinges ist, nennt man seine U r s a c h e . Jede W i r k u n g also muss eine U r s a c h e haben. Denn eine Wirkung nennen wir etwas Bewirktes, und ein Bewirktes setzt ein Bewirkendes, d. h. eine U r s a c h e voraus, weil es sonst ein B e w i r k t e s gäbe, das zugleich n i c h t bewirkt wäre." — Baumann spricht über diesen Gegenstand sich folgendermassen aus: „Hat ein Ding k e i n e Ursache, so hat man keinen Grund, seine Entstehung gerade zu einer b e s t i m m t e n Z e i t anzunehmen: es könnte mit ebensoviel Grund zu a l l e r Z e i t entstanden seyn. Da dies nicht möglich ist, so muss man eine besondere U r s a c h e annehmen oder es als ewig erklären. Hier ist der Begriff der U r s a c h e bewiesen aus dem des G r u n d e s : denn wir fragen allemal nach einem G r u n d und zwar nach einem bestimmten Grund, und würden auf diese Frage keine genügende Antwort erhalten, wenn es nicht b e s o n d e r e U r s a c h e n für jedes einzelne Ereigniss gäbe. Dass das Suchen nach dem G r u n d oder nach der U r s a c h e , obwohl beides k e i n e s w e g s das Nehmliche ist, der Trieb der W i s s e n s c h a f t ist, wird niemand in Abrede

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns.

397

stellen. — In demselben Sinn sagt FrohSChammer: „Das endliche Ziel der eigentlichen (theoretischen) N a t u r w i s s e n s c h a f t e n ist, die l e t z t e n v e r ä n d e r l i c h e n U r s a c h e n der Natur aufzufinden. Der N a t u r f o r s c h u n g aber ist als Aufgabe gestellt: Aufsuchen bestimmter feststehender (constanter) T h a t s a c h e n durch Beobachtung und Erkennen des zu Grunde liegenden Gesetzes. Endlich aber" — fügt FBOHSCHAMMEB an einem späteren Ort noch hinzu — „ist auch noch eine (andere) Forschung möglich nach G r u n d und W e s e n der ganzen die Natur beherrschenden Gesetzmässigkeit selbst, jener der Natur innewohnenden (immanenten) Unveränderlichkeit und N o t wendigkeit, die für die eigentliche (exacte) Naturforschung als letzte, selbst nicht weiter zu begreifende Macht, als letzter, als selber nicht weiter zu begreifender Erklärungsgrund gilt." — Schon aus dem Bisherigen hat es deutlich für uns hervorgehen müssen, dass für alles Naturdaseyn ohne Ausnahme der Begriff der U r s a c h e auch allezeit den eines ganz bestimmten A n f a n g s , sey dies in Bezug auf den Anfang irgend eines neuen Daseyns, oder sey es in Bezug auf den Anfang irgend eines neuen Zustandes, naturgemäss in sich einschliesst. Das Gleiche gilt aber auch für den Begriff des G r u n d e s . Wie die wissenschaftliche Erforschung der n a t ü r l i c h e n U r s a c h e n alles Daseyns und Geschehens innerhalb der uns umgebenden Natur das natürliche Untersuchungsfeld bildet für die gesammte eigentliche N a t u r f o r s c h u n g : so gehört die Erforschung der v e r n u n f t g e m ä s s e n Gründe oder der eigentlichen V e r n u n f t g r ü n d e für alles, was unserer eigentlich geistigen Ergründung sich darstellt, zu dem Forschungsgebiet der eigentlichen V e r n u n f t w i s ß e n s c h a f t e n . Wenn daher Jacobi sagt, „eine v e r n ü n f t i g e E r k e n n t n i s s werde allgemein so erklärt, dass sie eine Erkenntniss aus G r ü n d e n sey:" so hat JACOBI in diesem Ausspruch nicht nur den Begriff und den Inhalt aller wahren Wissenschaft mit wenigen Worten, aber in kräftigen Zügen gekennzeichnet: sondern

398

Die innere UnSelbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

gleichzeitig damit hat er auch, wenngleich nur von Ferne schwach andeutend, auf den begrifflichen Unterschied hingewiesen zwischen N a t u r w i s s e n s c h a f t im eigentlichen Sinn und V e r n u n f t w i s s e n s c h a f t in der wahren Bedeutung des Wortes. Denn die N a t u r f o r s c h u n g , rein nur als solche, vermag wohl immer ausgebreitetere K e n n t n i s s e der Welt und ihrer Dinge, sowie des natürlichen Zusammenhangs dieser letzteren unter sich, uns zu bieten, aber keine eigentlichen E r k e n n t n i s s e eben dieser Verhältnisse. Wirkliche E r k e n n t n i s s e vermögen nur allein die nicht ausschliesslich auf die Erforschung natürlicher U r s a c h e n sich beschränkenden, sondern nur vornehmlich auch auf die Erforschung wirklich g e i s t i g e r G r ü n d e abzielenden Wissenschaften, wie N a t u r w i s s e n s c h a f t und V e r n u n f t w i s s e n s c h a f t , dem menschlichen Forschen zu erschliessen. Doch wenn auch der N a t u r w i s s e n s c h a f t als solcher in gewissem Sinn eine höhere wissenschaftliche Stufe zuerkannt werden muss als der blossen N a t u r f o r s c h u n g : so haben sie beide doch das gemein, dass sie, als ihre Forschungen ausschliesslich nur auf das Gebiet dieser sinnlich wahrnehmbaren Welt beschränkend, noch nicht als eigentliche V e r n u n f t w i s s e n s c h a f t e n im wahren Sinn des Wortes, sondern nur als V e r s t a n d e s w i s s e n s c h a f t e n gelten können. Denn wenn auch die N a t u r w i s s e n s c h a f t dadurch über das Forschungsgebiet der blossen Naturforschung sich erhebt, dass sie ausdrücklich auch auf V e r n u n f t g r ü n d e , als wissenschaftliche Beweismittel zur Erhärtung ihrer Aussagen, Rücksicht nimmt: so nehmen doch immerhin alle ihre wissenschaftlichen Gründe, deren sie sich bedient, einzig und allein nur Bezug auf Erscheinungen der sinnlich wahrnehmbaren Natur. Sobald die Naturforschung sich jedoch vor Fragen hingestellt sieht, für deren befriedigende Lösung die Gesetze des sinnlichen Daseynsgebietes k e i n e Antwort zu geben im Stande sind; und sobald sie, in Folge dessen, durch Vernunftgründe genöthigt ist, zu deren Beantwortung sich

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

399

geistig über das gesammte Gebiet dieser sinnlich-wahrnehmbaren Welt zu erheben, um zu prüfen, ob nicht etwa hier, a u s s e r h a l b desselben und u n a b h ä n g i g von demselben, irgend ein unbekanntes, weil unserer sinnlichen Wahrnehmung unzugänglichen Etwas sich finden möchte, bei welchem etwa weitere Aufschlüsse über das Gesuchte sich hoffen Hessen: erst von diesem Augenblick an ist für die Naturwissenschaft der Zeitpunkt gekommen, in wirkliche V e r n u n f t w i s s e n s c h a f t , in der ganzen Bedeutung des Wortes, sich umzugestalten. Denn hier, wohin kein leibliches Auge mehr zu dringen im Stande ist, vermag allein das geistige Auge durch V e r n u n f t g r ü n d e einzudringen, welche nur auf dem Wege vernunftgesetzmässiger S c h l u s s f o l g e r u n g e n zu gewinnen sind. — „Aus N i c h t s wird n i c h t s " , sagt ein allbekannter W a h r heitssatz. Der R u h m , denselben zuerst hervorgehoben und klar hingestellt zu haben, gebührt, nach Tiedemann, dem Xenophanes. — Empedokles sagt, in Bezug auf eben diesen Satz, dass „Werden aus Nichtseyendem u n m ö g l i c h sey: nur Thoren, fügt er hinzu, wähnen, dass das w e r d e , was vorher nicht gewesen sey." — E r s t Plato spricht jedoch darüber eingehender sich aus. „Alles E n t s t e h e n d e " — sagt er — „niuss aus einer U r s a c h e hervorgehen: denn alles o h n e U r s a c h e (d. h. aus einem thatsächlichen Nichts) ist u n m ö g l i c h . Ob der Himmel (oder die Welt) stets war, und kein Anfang seines Entstehens stattfand? E r e n t s t a n d . Denn er ist sichtbar und tastbar und somit etwas Körperliches. Alles Derartige ist durch die Sinne wahrnehmbar. Es ist ein G e w o r d e n e s , und von dem Gewordenen behaupten wir, dass es nothwendig aus einer Ursache h e r v o r g e g a n g e n i s t . — So sagt auch Anselm von Cantekbuey: „Woraus etwas wird, das ist U r s a c h e des aus ihm Werdenden. Ist also a u s N i c h t s E t w a s geworden, so ist das N i c h t s dessen U r s a c h e . Nun kann aber dasjenige nicht U r s a c h e eines Dinges seyn,

400

P i e innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

was selber g a r n i c h t i s t . Daher kann auch d u r c h d a s N i c h t s nichts hervorgebracht seyn. Das N i c h t s bezeichnet e t w a s , oder es bezeichnet n i c h t etwas. I m ersteren Fall wäre Alles a u s N i c h t s geworden: im anderen Fall aber kann aus dem, was gar nicht ist, auch nichts w e r d e n . Demnach muss alles a u s E t w a s werden (oder geworden seyn)." — Und in demselben Sinn sagt D e s c a r t e s : „Kein Ding und keine Vollkommenheit eines vorhandenen Dinges kann das N i c h t s oder ein N i c h t s e y e n d e s zur U r s a c h e seines Daseyns haben." — Ebenso Spinoza. — P h i l i p p i sagt: „Könnte man sich vorstellen, es sey einmal N i c h t s gewesen, so könnte man sich auch vorstellen, es sey ein (wirkliches) U n d i n g , d. h. g a r n i c h t s gewesen. Man müsste folglich annehmen, das N i c h t s habe nachher s i c h s e l b e r zu E t w a s gemacht, und habe also a u s s i c h s e l b e r den U r s p r u n g genommen, dass es E t w a s geworden sey. Da es aber ausgemacht w a h r und unwidersprechlich ist, dass aus dem, was N i c h t s ist, nicht von selbst E t w a s werden könne, und dass zudem auch nichts ohne genügsamen Grund zu seiner Wirklichkeit gelangen kann: so ist es leichter, sich selber zu dichten (oder einzubilden), es sey etwas o h n e solchen genügenden Grund, als dass in der N a t u r der Dinge selbst etwas wirklich ohne zureichenden Grund zu entstehen vermöchte. Eben diesen ersten Grundwahrheiten aber steht es e n t g e g e n , zu sagen: ein Nichts habe sich zu Etwas gemacht, oder ein Ding, das einmal ein N i c h t s gewesen, habe v o n s e l b s t angefangen, zu bestehen." — Und in gleichem Sinn sagt auch S w e d e n b o r g : „ J e d e r , der aus klarer Vernunft denkt, sieht ein, dass das Weltall n i c h t aus N i c h t s entstanden seyn k a n n , weil er begreift, dass aus N i c h t s kein E t w a s werden kann. Denn N i c h t s ist N i c h t s und E t w a s aus N i c h t s (oder N i c h t s zu E t w a s ) machen, ist sich selbst w i d e r s p r e c h e n d . " — Ebenso sagt fleimarus: „ W e n n Einer behaupten wollte, N i c h t s wäre die U r s a c h e , welche alles hervorgebracht hätte: so

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

401

würde er das N i c h t s zu einem E t w a s machen und einen Widerspruch begehen, insofern er glaubte, ein N i c h t s hätte die Welt aus etwas erbaut, das ein N i c h t s war. Aber wer vor der Wirklichkeit der Dinge n i c h t s W i r k l i c h e s setzt, und diesen Zustand des Nichtseyns als die G r ä n z e oder den P u n k t denkt, von welchem aus die Wirklichkeit der Dinge ihren A n f a n g genommen: der widerspricht sich nicht, sondern dessen Gedanken stimmen vielmehr gar genau überein. Denn er denkt sich das N i c h t s nicht als Etwas, d. h. n i c h t als eine w i r k e n d e U r s a c h e , sondern im Gegentheil, wie es ist, nehmlich als Nichts, d. h. als einen M a n g e l an Wirklichkeit." — Endlich sagt auch der Verfasser der Sieben Weisen Griechenlands: „Jede U r s a c h e muss n o t wendiger Weise das zur Hervorbringung ihrer Wirkung erforderliche V e r m ö g e n besitzen. Wäre nur ein Theil dieser Letzteren n i c h t in der Ersteren begründet, so müsste eben dieser Theil a u s N i c h t s hervorgegangen seyn, was von der Vernunft, unserem höheren Wahrnehmungsvermögen, für ebenso u n m ö g l i c h gehalten wird, als dass aus zwei geraden Linien ein Dreieck gebildet werden könne." — Diese wenigen Beispiele dürften für unseren Zweck genügen, da die vollgültige Richtigkeit eben dieses Wahrheitssatzes wohl von keiner Seite einen Widerspruch erfahren dürfte, und wir ausserdem im Folgenden noch weitere Veranlassung haben werden, auf denselben Gegenstand zurückzukommen.

N o . 1 4 6 . Sie Welt und ihre Dinge können nicht sich selber das Daseyn gegeben haben. Notwendigkeit einer ihnen fremden Ursache ihres Daseyns, als zureichender Grund für deren Vorhandenseyn. Schon an einem früheren Ort (VI. § 23 No. 131) haben wir darauf hingewiesen, wie alles, was e n d l i c h und b e s c h r ä n k t ist dem R a u m , d. h. seiner körperlichen G r ö s s e Wandersinann. III.

26

402

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

und A u s d e h n u n g schränkt

nach,

auch

ebenso

endlich

und

seyn muss in Bezug auf seine zeitliche

Dauer,

d. h. in Bezug auf seine z e i t l i c h e Wesensausdehnung. ftaturdaseyn wirklicher

ohne Ausnahme, körperlicher

mag

Massen

beAlles

dasselbe in der Gestalt

unserer sinnlichen

Wahrneh-

mung gegenüberstehen, oder mag es unter der Gestalt jener verschwindend kleinen stofflich-körperlichen

Ur- und Grund-

bestandteile dieser Welt nur allein als für die geistige Anschauung erfassbar sich erweisen (III. § \2 No. 53. 54. 55): sie

alle

müssen

wir,

Schlussfolgerungen,

nach

den

Gesetzen

vernunftgemässer

als räumlich wie zeitlich an und in sich

wesenhaft e n d l i c h e und b e s c h r ä n k t e , und darum auch nur allein als thatsächlich v o r ü b e r g e h e n d e , stimmtem

zeitlichen

lichen E n d e

Anfang

und

d. h. von ganz bebestimmtem

zeit-

eingeschlossene Daseynsweisen anerkennen.

ebenso

Mit

eben diesem Augenblick ihres wirklichen A n f a n g e s

müssen

somit alle Dinge dieser Welt, nachdem sie vorher noch n i c h t gewesen, i r g e n d e i n m a l in irgend einer Weise in das natürliche räumlich-zeitliche Daseyn e i n g e t r e t e n

oder, wie man

gewöhnlich sagt, wirklich e n t s t a n d e n seyn.

Aber eben hier-

aus geht denn auch weiter noch als ganz ebenso zuverlässig hervor, dass allem solchen, erst in einer gewissen Zeit und nur

unter

denen,

ganz

bestimmten

vor Eintreten

eben

gar nicht Vorhandenen, diges D a s e y n

äusseren Umständen dieser Verhältnisse

unmöglich

zukommen kann.

ein irgendwie

Entstanaber

noch

notwen-

Denn ebensowohl wie Et-

was, das n o c h n i c h t i s t , wie wir eben gesehen, unter Umständen muss e n t s t e h e n oder in das wesenhafte Daseyn e i n t r e t e n können: als ganz ebenso g e w i s s muss es, in Bezug auf unser gemeinsames Weltganze und dessen Einzeldinge, von uns anerkannt werden, dass, wenn nicht irgend einmal die hierzu

erforderlichen

Bedingungen

thatsächlich

vorhanden

gewesen wären, auch von allen diesen nicht das Allergeringste jemals hätte e n t s t e h e n , noch g e g e n w ä r t i g irgend etwas da-

Natürlicher Hinweis des endlicbea Daseyns etc.

403

von würde v o r h a n d e n seyn können. Allem daher, von dem unser vernunftgemässes Denken uns bezeugt, dass es unter gewissen Umständen und Verhältnissen zwar s e y n , unter anderen veränderten Verhältnissen aber auch n i c h t s e y n kann, darf von uns in keiner Weise ein wirklich nothwendiges Daseyn zugeschrieben werden, sondern einzig und allein nur ein u n t e r U m s t ä n d e n m ö g l i c h e s , d. h. ein nur z u f ä l l i g e s D a s e y n . Es ist dies in seiner Weise ein ganz gleiches Verhältniss, als wenn wir auch irgend ein Geschehen oder irgend ein Ereigniss, das nach unserem Dafürhalten ebensowohl eintreten als auch nicht eintreten kann, als ein bloss z u f ä l l i g e s G e s c h e h e n oder als ein bloss z u f ä l l i g e s E r e i g n i s s bezeichnen. So sagt z. B. D u n s S c o t u s , dass „jedes Daseyn, welches nicht ein an sich nothwendiges ist, ein nur m ö g l i c h e s Daseyn sey." Diesem auf vollgültigen Vernunftschlüssen beruhenden Wahrheitssatz werden wir im weiteren Verlauf unserer gegenwärtigen Untersuchung noch gar manchmal begegnen. Wenn aber alles natürlich-endliche Daseyn, ohne Ausnahme, überhaupt einen ganz bestimmten zeitlichen Anfang genommen haben muss, so sind wir nach dem Vorigen berechtigt, auch nach deren W o h e r zu fragen, aus welchem dies Alles dereinst seinen U r s p r u n g und A n f a n g genommen haben mag. Hier aber treten drei verschiedene Möglichkeiten oder, wenn wir so sagen dürfen, drei verschiedene Richtungen uns entgegen, nach welchen wir unsere bisherige Untersuchung nunmehr weiter zu verfolgen haben dürfen. Die e r s t e Frage, welche wir an die betreffenden Dinge zu richten hätten, wäre die: „Kann der U r s p r u n g und also der G r u n d oder die U r s a c h e , welchen die vorhandenen Dinge ihr Daseyn zu verdanken haben, in i h n e n s e l b e r liegen?" Diese Frage t mussten wir bereits, als einen Widerspruch in sich selber einschliessend, unbedingt v e r n e i n e n . Es würde dies dasselbe seyn als wenn wir annehmen wollten, ein Geldstück oder der26*

404

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

gleichen vermöchte durch sich selbst zu entstehen. Da somit der Grund oder die Ursache des wirklichen Daseyns der Welt und ihrer Dinge unmöglich in ihnen kann zu suchen seyn, sondern mit innerer Notwendigkeit nur allein i r g e n d w o a u s s e r h a l b derselben, so würde die zweite Frage sich nunmehr folgendermassen gestalten: „Wo und nach welcher besonderen Sichtung hin dürften wir einen solchen, a u s s e r h a l b der Welt und ihrer Dinge gelegenen wahren G-rund und Ursprung derselben vermuthen? Wo und nach welcher Richtung hin dürften wir wohl mit irgend einer Aussicht auf Erfolg hoffen, denselben innerhalb dieser Welt in Wirklichkeit zu finden? Dürfen wir ihn in einem irgendwo ausserhalb unserer Welt gelegenen w e s e n l o s e n N i c h t s vermuthen? Und wenn nicht: wo s o n s t ? " Auch hier ist der erste Theil der Frage bereits im Vorhergehenden beantwortet. Einem Nichts muss auch selbst die allergeringste Spur von eigener werkthätiger Kraft ein für allemal abgesprochen werden: auch nicht das Allergeringste vermöchte daher jemals aus ihm hervorzugehen. Es vermöchte daher auch nie als wirklicher Grund oder Ursprung für irgend ein Anderes zu gelten. Es kann eine Wirkung nun einmal nicht grösser sein als ihre Ursache. D. h.: ein selber K r a f t l o s e s , wenn es wirklich jemals etwas aus sich hervorbringen könnte, würde im höchsten Fall immer nur ein ganz e b e n s o K r a f t l o s e s , als es selber ist, hervorzubringen im Stande seyn. Nichts ist und bleibt eben Nichts, von welcher Seite wir es auch ins Auge fassen. Und damit wären wir denn vor dem eigentlichen Knotenpunkt, um den es sich handelt, angekommen, d. h. vor dem für uns so bedeutungsvollen, aber für uns zugleich auch so dunkeln und so räthselhaften „Wo sonst?" J e nachdrücklicher dasselbe aber in solcher Weise uns entgegentritt, um so eindringlicher auch zugleich die in ihm mit enthaltene Mahnung, mit allen dem Geist zu Gebote stehenden Mitteln Umschau darnach zu halten, ob nicht doch noch ausserhalb unseres Weltganzen irgend

Natürlicher Hinweis des

endlichen Daseyns etc.

405

ein Etwas sich vorfinden könnte, dessen natürliche Beschaffenheit uns nicht nur die Vermuthung gestattete, in ihm dasjenige zu finden, was wir suchen, sondern welches auch Anhaltspunkte dafür zu bieten vermöchte, dass wir in ihm wirklich den wahren Grund und Ursprung unserer W e l t , sowie alles dessen, was ihr angehört, zu erblicken haben dürften. So sagt denn auch schon A r i s t o t e l e s , dass „nichts s i c h s e l b s t erzeuge". Und weiterhin sagt er an einem anderen Ort, „dass die Meinung der Naturphilosophen, dass aus dem N i c h t s e y e n d e n auch N i c h t s werde, schon nach ANAXAGOEAS als richtig anerkannt sey. Wenn nehmlich alles E n t s t e h e n d e nothwendig entweder a u s S e y e n d e m oder aus N i c h t s e y e n d e m entstehen müsse, hiervon aber das Entstehen aus Nichtseyendem u n m ö g l i c h sey: so ergebe sich nothwendig, dass das Entstehende a u s S e y e n d e m und b e r e i t s V o r h a n d e n e m entstehe." — Ahnlich sagt auch R i c h a r d von St. VICTOE, dass Alles, „was i s t oder seyn k a n n , entweder v o n s i c h oder von einem A n d e r e n als sich" herstammen müsse. Und hieraus folgert er dann auch mit Recht weiter, dass „ n i c h t s an sich E n d l i c h e s v o n s i c h s e l b s t seyn könne." — Demselben Gedankengang begegnen wir bei T h o m a s VOnAquinO'. ,,Da kein (in sich endliches) Wesen s i c h s e l b e r verwirklichen kann" — sagt er — „so muss das Daseyn eines jeden Wesens, dessen Seyn nicht v o n i h m s e l b e r abhängt (cujus esse est aliud a natura sua), von einer a n d e r e n U r s a c h e abgeleitet werden." — Ebenso, wenn auch in etwas veränderter Gestalt, bei R a y mund von S a b u n d e , wenn er es als „schlechterdings u n m ö g l i c h " bezeichnet, „dass die Dinge ihre Vollkommenheiten sich selber ertheilt und zugleich auch selber abgemessen und geordnet hätten." — T a u r e l l l l S sagt, dass alles, was zu dieser Welt gehört, alles also, was „ n i c h t d u r c h s i c h ist," gewissermassen „aus S e y n und N i c h t s e y n zusammengesetzt sey; diese theilweise V e r n e i n u n g (diese Negation) des Seyns sey aber nicht ein Nichts, sondern nur Beschränkung des Seyns (der

406

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Affirmation)." Aus eben diesem Begriff der „Beschränktheit" (res est affirmatione, finita negatione) seyen alle anderen Bestimmungen der Dinge abzuleiten; und eben desshalb, dass alle Dinge nur ein b e s c h r ä n k t e s Seyn darstelten, das n i c h t d u r c h sich s e l b s t sey, eben desslialb besässen sie auch nur ein z u f ä l l i g e s Daseyn. — „Wo nichts i s t " — sagt Jacob Böhme — „da wird auch nichts. Alles Ding muss eine U r s a c h e oder W u r z e l haben, sonst wird nichts." — So sagt auch Spinoza, dass es „von dem vorhandenen Ding nothwendig eine b e s t i m m t e (positive) U r s a c h e geben muss, wodurch es besteht. Diese Ursache gehört entweder zur N a t u r des Dinges, oder sie muss a u s s e r h a l b des Dinges gesetzt werden." — Desgleichen ReimarilS. — Alles E r s c h e i n e n d e " — sagt J. G. Fichte — „ist e n d l i c h . Ich bin n i c h t d u r c h mich s e l b s t entstanden. Es wäre die höchste Ungereimtheit, anzunehmen, dass ich g e w e s e n sey, ehe ich war, um mich s e l b s t zum Daseyn zu bringen. Ich bin daher durch eine a n d e r e (nicht in mir selbst gelegene) Kraft wirklich geworden." — M ö g l i c h k e i t und Z u f f ä l l i g k e i t " — sagt Hegel — „sind Bestimmungen der Wirklichkeit, d. h. I n n e r e s und Ä u s s e r e s als blosse Erscheinungsweisen (Formen) gesetzt." Der Begriff der M ö g l i c h k e i t entspricht in sofern allerdings ganz richtig dem Begriff des I n n e r e n , der Begriff des Z u f ä l l i g e n dagegen dem Begriff des Ä u s s e r e n , als der Begriff der M ö g l i c h k e i t von Etwas mehr auf einen i n n e r e n G r u n d , der in den Dingen selber liegt, hinweist; wogegen der Begriff der Z u f ä l l i g k e i t , d. b. der zufälligen Verwirklichung jener Möglichkeit, nicht als etwas in den Dingen selbst Begründetes erscheint, sondern vielmehr als Etwas, dessen wirkliches Daseyn als von irgendwelcher f r e m d e n und ä u s s e r e n Ursache Bewirktes sich darstellt. H E G E L selbst bezeichnet daher auch das Z u f ä l l i g e überhaupt als ein Solches, welches den G r u n d seines Seyns n i c h t in sich s e l b s t , sondern „in einem Anderen" hat. Das Z u f ä l l i g e — fügt er hinzu — ist das Wirkliche in „der Be-

407

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

deutung eines bloss Möglichen. Wir betrachten demgemäss das Z u f ä l l i g e als ein Solches, welches sowohl seyn oder auch n i c h t seyn, oder welches so oder auch a n d e r s seyn kann, und dessen Seyn oder Nichtseyn, dessen So- oder Andersseyn n i c h t von ihm selbst, sondern von einem Anderen begründet ist." — „Nichts E i n z e l n e s (innerhalb dieser sichtbaren Welt)" — sagt Schelling — „hat den Grund seines Seyns in sich selbst. Jedes Einzelne ist bestimmt durch ein a n d e r e s einzelnes Seyn: es ist etwas durchaus E n d l i c h e s . " Und weiterhin: „Jedes E n d l i c h e als solches hat den Grund seines Daseyns n i c h t in sich selbst, also nothwendig a u s s e r sich: es ist also eine W i r k l i c h k e i t , von welcher die M ö g l i c h k e i t in einem A n d e r e n liegt. Hinwiederum enthält es von vielem Anderen (wie z. B. von natürlich inneren Wesensentwickelungen und Wesenssteigerungen) n u r die M ö g l i c h k e i t ohne die W i r k l i c h k e i t in sich, und ist eben dadurch nothwendig ins Unendliche u n v o l l k o m m e n (oder vielmehr nur bedingungsweise vollkommen)." Ferner: „Jedes Ding ist z e i t l i c h , welches die vollkommene Möglichkeit (seines Daseyns) n i c h t in sich s e l b s t , sondern in einem A n d e r e n hat, und die Zeit die n o t h w e n d i g e D a s e y n s w e i s e (Form) aller N i c h t - W e s e n (oder, mit anderen Worten: aller in sich nur möglichen, nicht aber aus sich selber auch nothwendigen Wesen)." — „Der Satz «aus N i c h t s kann nie E t w a s entstehen», beruht" — so heisst

es

in

den S i e b e n

Weisen

Griechenlands



„auf

zuverlässiger Augenfälligkeit (mathematischer Evidenz), welche wir nicht durch sinnliche Wahrnehmung auffassen, sondern von v o r n h e r e i n (a. priori) durch unser höheres Wahrnehmungsvermögen (auf dem Wege geistiger Schlussfolgerungen). Wie könnte das N i c h t s , welches ganz und gar n i c h t s i s t , und folglich auch kein Vermögen enthält, ein E t w a s oder (wirklich und wesenhaft) S e y e n d e s hervorbringen? Eine zweite Vernunftwahrheit lässt aber auch einen jeden mit diesem höheren Erkenntnissvermögen (höheren Organ) versehenen Menschen er-

408

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

kennen, dass k e i n in dieser Welt vorhandenes Ding s i c h s e l b s t habe hervorbringen können. Denn jedermann sieht ein, dass jedes vorhandene Ding, e h e es entstanden ist, n i c h t war, und als solches weder s i c h noch A n d e r e s hervorzubringen im Stande war. Als N i c h t s kam ihm k e i n hervorbringendes Vermögen zu. Eine dritte Vernunftwahrheit endlich ist die, dass jedes in der Welt hervorgebrachte, mithin seyende Ding ein anderes, vor ihm Vorhandenes und mit der nöthigen K r a f t zu dessen Hervorbringung versehenes Ding v o r a u s s e t z t ; oder noch kürzer: dass jede W i r k u n g eine U r s a c h e erfordere. Dies ist uns ebenso gewiss, als es uns unmöglich ist zu glauben, dass ohne Linie irgend eine Raumfigur entstehen könne. Ein jeder möge nur versuchen, ob es ihm möglich sey, eine U r s a c h e wahrzunehmen, welche ihrer W i r k u n g in der Zeit erst n a c h g e f o l g t wäre." — Und ebenso ist es auch nach B a a d e r ' s Naturanschauung u n m ö g l i c h , dass die U r s t o f f e und U r k r ä f t e dieser Welt sich jemals selber hätten hervorbringen können. — Auch M o l i t o r sagt in demselben Sinn, dass „alles in dieser Welt Vorhandene sich n i c h t a u s sich s e l b e r hervorbringt, sondern eine H e r v o r g e b r a c h t h e i t (durch ein Anderes) ist." — Kann somit d e wahre Grund und Ursprung unserer Welt und ihrer Dinge n i c h t in diesen selber, sondern nur allein in irgend einem denselben an sich f r e m d e n E t w a s liegen: so hätten wir uns nunmehr, nach den bereits vorhin gegebenen Andeutungen, in erster Linie darnach umzusehen, wo und nach welcher Richtung hin wir ein solches Etwas wohl zu suchen und zu finden hoffen dürften, welchem wir alle die wesentlichen K r ä f t e sowie alle die mannigfachen sonstigen Vermögen und Eigenschaften Vernunft- und naturgemäss zutrauen dürften, wie solche, zur Begründung, Bewirkung und Hervorbringung einer Welt wie die unsrige, jedenfalls erforderlich seyn müssten. Auch liegen wieder für unseren weiteren Gedankengang drei Richtungen vor uns:

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

409

E r s t e n s : „Kann der Grund und Ursprung unserer Welt und ihrer Dinge in einem Etwas von g e r i n g e r e m eigenen K r a f t m a a s s oder von g e r i n g e r e m S e y n s i n h a l t liegen, als wir aus Vernunftgründen der Gesammtheit alles in dieser Welt Vorhandenen zuerkennen müssen?" Oder z w e i t e n s : „Kann derselbe in einem Etwas liegen, dessen eigenes Kraftmaass oder dessen eigener Seynsinhalt dem gesammten Kraftmaass und der gesammten Seynsfülle unseres eigenen Weltganzen gleichkommt"? Und endlich d r i t t e n s : „Kann der Grund der Welt und ihrer Dinge in einem Etwas liegen, dessen eigenes Kraftmaass und dessen eigene Seynsfülle jedenfalls das Kraftmaass und den Seynsinhalt unseres eigenen Weltganzen in jeder Beziehung ü b e r s t e i g t ? " Die Entscheidung über eben diese drei Fragen oder begrifflich-natürlichen Möglichkeiten kann nicht schwer seyn. Denn so alt der Wahrheitssatz ist, dass aus Nichts auch nichts werden kann: so alt ist auch, wie wir ebenfalls bereits im Vorigen darauf hingewiesen haben, der ihm so sehr nahe verwandte und ebenfalls bekannte Wahrheitssatz, dass k e i n e U r s a c h e eine W i r k u n g hervorzubringen im Stande ist, welche das natürliche Kraftmaass eben dieser ihrer Ursache ü b e r s t e i g t . Denn wollten wir das Gegentheil hiervon annehmen: so würden wir in der durch jenes g e r i n g e r e Kraftmaass bewirkten W i r k u n g einen thatsächlichen U b e r s c h u s s von W i r k u n g anzuerkennen haben, welcher in keiner Weise von jenem, als g e r i n g e r wie seine Wirkung angenommenen Kraftmaass herrühren könnte, und f ü r w e l c h e n daher in eben jenem angeblich geringeren Kraftmass der wirkenden Ursache durchaus k e i n genügender Erklärurigsgrund vorhanden seyn würde. Es kann also finden Fall einer derartigen Annahme kein anderer Ausweg bleiben, als für diesen sich ergebenden Wirkungsüberschuss das verdächtige N i c h t s als einen günstigen Erklärungsgrund für eine derartige Ungereimtheit zu betrachten. Eben dieser W i d e r s p r u c h , den eine solche Annahme in sich einschliesst,

410

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

ist denn auch bereits von Xenophanes in seiner ganzen Richtigkeit erkannt und ausgesprochen worden. „Wenn einem gewissen Ding" — sagt er — „ A n d e r e s h i n z u w a c h s e (d. h. also, wenn die W i r k u n g der einem Ding zu Grunde liegenden Kraft sich als grösser oder inhaltsreicher erweise, als eben dieser ihr zu Grunde liegenden Kraft an sich zukomme): so werde eben dieses Eine (oder Ding) m e h r und g r ö s s e r . Das aber, worin es mehr und grösser werde, das e n t s t e h e doch wohl aus N i c h t s . Denn in dem W e n i g e r sey doch nicht das M e h r , in dem K l e i n e r e n nicht das G r ö s s e r e enthalten." — In ganz dem gleichen Sinn lehrt auch Zeno der Eleate, dass „ n i c h t aus U n g l e i c h a r t i g e m Ungleichartiges entstehe. Denn wenn das stattfände, dann entstünde aus dem S c h w ä c h e r e n das S t ä r k e r e , oder aus dem K l e i n e r e n das G r ö s s e r e , oder aus einem G e r i n g e r e n das B e s s e r e , aus N i c h t s ein S e y e n d e s , was u n m ö g l i c h sey." — Und ganz ebenso, nur in unserer jetzigen Sprechweise ausgedrückt, sagt Kant, dass „die W i r k u n g e n das Vermögen der w i r k e n d e n U r s a c h e n i c h t ü b e r s t e i g e n können." — Ebenso sagt Herbart in dem gleichen Sinn, dass „nichts m e h r und auch nicht A n d e r e s (und Höheres) erzeugen könne als was es (selber) ist." — Wir sehen hieraus, wie auch dieser Wahrheitssatz von altersher bis in die Jetztzeit sich erhalten hat. Aber um so mehr muss es auffallen, dass gerade in unseren eigentlichen L e h r b ü c h e r n der Physik, d. h. der eigentlichen N a t u r l e h r e , dieser Wahrheissatz ganz mit Stillschweigen übergangen zu seyn scheint. Unsere zweite Frage ist diejenige, ob der Grund und Ursprung unserer Welt vielleicht in einem Etwas gesucht werden könne, dessen eigenes inneres K r a f t m a a s s , oder dessen eigener gesammte S e y n s i n h a l t , dem natürlichen Kraftmaass oder dem natürlichen Seyns- und Wesensinhalt unseres gesammten Weltalls und aller von diesem umschlossenen Einzeldinge und Einzelwesen zum wenigsten g l e i c h k ä m e ? Aber auch für diesen Fall kann unsere

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

411

Entscheidung nicht zweifelhaft sein. Freilich ist die Hauptschwierigheit des vorigen Falles für den gegenwärtigen gehoben. Denn die Frage, ob eine Wirkung das natürliche Kraftmaass der sie bewirkenden Ursache überschreiten könne oder nicht, kommt hier nicht mehr in Betracht. Dafür ist aber eine andere Schwierigkeit in der Vordergrund getreten. Denn wenn wir auch jenem Etwas, nach welchem wir suchen, in unseren Gedanken die g l e i c h e Kraftfülle beigelegt haben wie diejenige, welche auch in der uns umgebenden Natur und der Gesammtheit der zu ihr gehörigen Einzeldinge ihren natürlichen Ausdruck hat: so würde doch selbst ein s o l c h e s Kraftmaass nicht im Stande seyn, uns einen genügenden Erklärungsgrund für das thatsächliche Vorhandenseyn unserer Welt zu bieten. Wohl haben wir, sowohl in dem vorigen Fall wie in dem jetzigen, diesem von uns gesuchten Etwas einen Standort a u s s e r h a l b unserer eigenen Weltordnung angewiesen und damit einem der ersten Haupterfordernisse zur Erklärung unseres Weltdaseyns Rechnung getragen: aber dafür befinden wir uns nunmehr vor einer anderen Schwierigkeit. Denn käme eben jener a u s s e r w e l t l i c h e n W e l t u r s a c h e , als solcher, überhaupt k e i n e g r ö s s e r e Kraftfülle zu als das in unserer eigenen d i e s s e i t i g e n W e l t vertretene n a t ü r l i c h e K r a f t m a a s s : so würde jedenfalls auch jene ausserweltliche Ursache oder jener ausserweltliche Urgrund unserer Welt als an und in sich, in Bezug auf das eigene Seyn und Wesen, als ganz ebenso e n d l i c h und b e s c h r ä n k t sich darstellen, wie solches naturnothwendig auch für unsere eigene Weltordnung der Fall ist. Auch für diese in solcher Weise von uns angenommene äussere Weltursache werden wir, ganz ebenso wie auch für unsere eigene Welt, den Satz in Anwendung bringen müssen, dass „kein an sich Endliches und Beschränktes sich jemals s e l b e r das Daseyn kann gegeben haben". Und eben damit bleibt uns denn auch für unseren gegenwärtig angegebenen Fall kein anderer Ausweg, als entweder auch für eben

412

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

diese jetzt angenommene Weltursache ebenfalls wieder nach einem weiteren befriedigenderen Erklärungsgrund für sich selber zu suchen, oder aber unsere ganze gegenwärtige Annahme, als eine in sich v e r f e h l t e , ganz und gar aufzugeben, weil sie sich bei näherer Prüfung ausser Stand erwiesen, uns für das eigene Weltdaseyn irgend einen genügenden Erklärungsgrund zu bieten. In eben dieser Beziehung hat die Geschichte des menschlichen Forschens nach den letzten Gründen der Natur uns einen Ausspruch von Z e n o dem Eleaten aufbewahrt, der gerade für unsere jetzt behandelte Frage nicht ohne Bedeutung ist. „Entsteht etwas" — sagt er — „aus etwas ihm G l e i c h a r t i g e m : so ist kein Grund vorhanden, warum vielmehr das G l e i c h e von d e m i h m G l e i c h e n solle h e r v o r g e b r a c h t seyn, als dass das G l e i c h e das H e r v o r b r i n g e n d e seyn solle f ü r das ihm Gleiche. Denn alles dies" — fügt Z E N O hinzu — „muss dem Gleichen oder Gleichartigen g e g e n s e i t i g zukommen". — Auch in diesem Ausspruch ist ein wohlberechtigter Hinweis auf das Unbefriedigende nicht zu verkennen, welches einer Annahme, wie der eben von uns versuchten, nothwendig jederzeit ankleben muss. Alle unsere bisherigen Versuche, uns das grosse Räthsel des Weltdaseyns in einer den Geist wirklich befriedigenden Weise aufzuhellen, sind uns somit fehlgeschlagen. Es lag dies in der Natur der Sache und war daher gewissermassen schon vorauszusehen. Doch möchte selbst das Misslingen der soeben versuchten Wege nicht ohne Nutzen für unsere weiteren Untersuchungen gewesen seyn. Denn diese misslungenen Wege zeigten uns die Richtung, nach welcher hin eine befriedigende Lösung unserer Frage ein für allemal n i c h t zu erhoffen sein kann. Die beiden soeben versuchten Wege hielten sich eben ganz und gar innerhalb des Gebietes des zeitlich wie räumlich Endlichen und Beschränkten, aber eben darum auch ganz innerhalb des Gebietes des s i n n l i c h W a h r n e h m b a r e n : sie gingen nicht allein von diesem Gebiet

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

413

aus, sondern auch die weitere Richtung, welche sie von da an einschlugen, ist ganz und gar innerhalb des gleichen Gebietes des Endlichen, Beschränkten und s i n n l i c h geblieben.

Wahrnehmbaren

Denn eben jene innere Seyns- und Wirkungskraft,

welche wir als Ursache einer durch ihre Wirksamkeit hervorgebrachten Wirkung in das Auge gefasst haben, musste als an ein ganz bestimmtes K r a f t m a a s s gebunden, unter allen Umständen

als

endliche sich

eine

an

und

und b e s c h r ä n k t e

darstellen,

aber

in sich räumlich wie zeitlich Kraft

dem Auge

des Geistes

dadurch auch als eine der sinnlichen

Wahrnehmung z u g ä n g l i c h e Kraft.

Denn da ihr, als einer

an und in sich e n d l i c h e n Kraft, unmöglich eine in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung u n e n d l i c h e

Wirksamkeit

zukommen kann: so ist es begreiflich, dass auch alles, was aus dieser ihrer endlich-beschränkten Wirksamkeit hervorgeht, ebenfalls nur allein als dem Gebiete des Endlich und s i n n l i c h W a h r n e h m b a r e n angehörig in das Auge gefasst werden kann.

Zwar ist jene innerste, das Wesen und Daseyn der

Dinge verwirklichende Kraft, a l s K r a f t , allerdings der sinnlichen Wahrnehmung u n z u g ä n g l i c h ; indem sie aber bei den durch

ihre

unmittelbare

Wirksamkeit

ins Daseyn

gestellten

Naturdingen an deren äusserlich-oberflächlichen, d. i. k ö r p e r lichen

Wesensumschränkungen

und Wesensumgränzungen in

die natürliche ä u s s e r e E r s c h e i n u n g eintritt, tritt sie gleichzeitig damit auch allewege ein in das Gebiet des s i n n l i c h w a h r n e h m b a r e n Naturdaseyns. sind

wir

suchung,

dem

eigentlichen Ziel

nehmlich

einen

Auch auf diesen Wegen also und Zweck unserer Unter-

wahren

und

eigentlichen

festen

G r u n d für den Ursprung unserer Welt zu finden, um keinen Schritt näher gekommen.

Dessenungeachtet haben auch selbst

diese Misserfolge den nicht zu unterschätzenden Yortheil für den weiteren Verlauf unserer Untersuchungen, Irrthümliche

und Verkehrte

der

dass sie das

bisher von uns versuchten

Wege nicht allein noch um so klarer und deutlicher uns vor

414

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Augen gestellt haben, sondern dass sie uns auch namentlich noch um so eindringlicher auf eine der bisherigen entgegengesetzte Richtung hingewiesen haben, von welcher aus wir voraussichtlich, so weit wir solches von unserem bisherigen Standpunkt aus zu beurtheilen vermögen, möglicherweise einer günstigeren Wendung für unsere Untersuchung entgegensehen dürften. Und eben diese Richtung weiter zu verfolgen, wird nun unsere Aufgabe seyn. Um eben dieser Aufgabe nun aber auch, soweit es an uns ist, gerecht zu werden, wird dieselbe vor Allem darin bestehen, dass wir uns in erster Linie klar zu machen suchen, was wir, sowohl seiner begrifflichen wie natürlichen Bedeutung nach, als den eigentlichen und wahren G e g e n s a t z dessen zu betrachten haben, was wir gemeinhin als s i n n l i c h - w a h r n e h m b a r zu bezeichnen gewohnt sind. Es kann dies selbstverständlich nur an einem s o l c h e n E t w a s sich Vernunft- und naturgemäss vorfinden, in Bezug auf welches wir uns für berechtigt halten dürfen, demselben alle und jede äussere Begränzung und Umschränkung, sey es in räumlicher, sey es in zeitlicher Beziehung, ein für allemal vollständig a b z u s p r e c h e n . Denn da alles äusserlich Beschränkte und Begränzte, als in sich endlich, auch unbedingt als nach aussen hin sinnlich wahrnehmbar muss bezeichnet werden, so kann umgekehrt auch nur ein an und in sich in jeder Beziehung U n b e g r ä n z t e s und U n b e s c h r ä n k t e s als ein vollgültiges N i c h t s i n n l i c h e s und darum auch als ein wahrhaft und wirklich n i c h t s i n n l i c h W a h r n e h m b a r e s dem geistigen Auge sich darstellen. Aber haben wir nicht soeben erst es selber anerkannt, dass selbst in dem Gebiet des sinnlich Wahrnehmbaren natürliche Verhältnisse sich vorfinden, welche wir, als in das unseren leiblichen Augen unzugängliche eigentliche I n n e r e der Dinge eingeschlossen, allerdings als etwas an sich N i c h t s i n n l i c h e s anerkennen müssen? Allerdings. Aber eben dieses N i c h t s i n n l i c h e gehört allewege noch dem

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

415

Gebiet dieser endlichen und darum sinnlichen Welt an. Und demgemäss kann es auch nicht dasjenige seyn oder darstellen, welches zu suchen wir uns eben angelegen seyn lassen. Aber in eben dieser Überzeugung müssen wir ausserdem auch noch dadurch uns bestärkt finden, dass wir aus unumstösslichen Yernunftgründen bereits haben anerkennen müssen, dass der wahre und eigentliche Grund und Ursprung dieser Welt allein nur a u s s e r h a l b unseres gemeinsamen Weltganzen kann gesucht werden. Gerade d i e s e r Wink muss somit fortan der Hauptführer für unsere weiteren Untersuchungen bilden. Und damit hätten wir demnach zwei wichtige A n h a l t s p u n k t e für den weiteren Gang unserer Untersuchung gewonnen: 1) der wahre und eigentliche G r u n d und U r s p r u n g unserer Welt kann und darf n i c h t innerhalb der endlichen Dinge dieser endlichen Welt gesucht werden, und 2) nur an das Daseyn und an die Gränzen dieser unserer sinnlichen Welt n i c h t g e b u n d e n e s N i c h t s i n n l i c h e s kann die begriffliche wie natürliche Möglichkeit eines wirklichen G r u n d e s und einer wirklichen U r s a c h e unserer gemeinsamen Weltordnung in sich enthalten und einschliessen. Dass eben dieser n i c h t s i n n l i c h e Daseynsgrund unserer Welt aber nicht etwa in einem leeren und kraftlosen N i c h t s bestehen kann: davon haben wir uns bereits vollgültig überzeugt; denn ein reines N i c h t s kann nie und nimmermehr als ein h e r v o r b r i n g e n d e r G r u n d oder als eine hervorbringende U r s a c h e für irgend welches wesenhafte Naturdaseyn gelten. Wir müssen somit nothwendig annehmen, dass a u s s e r h a l b der Gränzen unserer Welt irgend ein von derselben unabhängiges E t w a s sich in Wirklichkeit vorfinden m ü s s e , das in Folge seiner eigenen Beschaffenheit alle Vorbedingungen in sich einzuschliessen vermag, welche als erforderlich müssen betrachtet werden, um einen einstigen Ursprung der Welt und ihrer Dinge vernunftgemäss aus demselben herleiten zu können. Welches allgemeine begriffliche Grundgepräge sollen wir aber eben diesem, aus Vernunft-

416

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

gründen wohl von uns zu a h n e n d e n , der Hauptsache nach aber bis jetzt uns noch so gut wie völlig unbekannten E t w a s beilegen? Und welche Bezeichnung sollen wir ihm geben? Folgen wir in dieser Beziehung dem Wink, welchen unsere eigene Welt in dieser Hinsicht uns bietet. Vermag unsere s i n n l i c h w a h r n e h m b a r e W e l t uns das Erforderliche zu einer richtigen Erkenntniss ihres wahren und eigentlichen U r s p r u n g e s und U r g r u n d e s nicht in sich selbst zu bieten: so dürfen wir wohl kaum einer Gefahr zu irren unterliegen, wenn wir eben jenes unbekannte Etwas nicht nur einfach als ein an und in sich N i c h t s i n n l i c h e s , sondern, wegen der Doppelsinnigkeit eben dieses Begriffes, vielmehr geradezu als ein wirklich U b e r s i n n l i c h e s , aber eben damit gleichzeitig auch als ein, in allen und jeden bei ihm in Betracht kommenden Beziehungen an und in sich völlig s c h r a n k e n l o s e s E t w a s bezeichnen. Denn in der That dürfen wir von einem Solchen hoffen, bei und in ihm alle und jede Bedingungen vorzufinden, welche als erforderlich für die Hervorbringung und Erklärung einer Welt wie die unsrige sich erweisen dürfte. Bereits P l a t o sagt in Bezug auf die soeben besprochenen Verhältnisse, dass wir „vor allem zu unterscheiden haben, was das s t e t s S e y e n d e und a l l e s E n t s t e h e n s E n t b e h r e n d e sey, und was das s t e t s W e r d e n d e und nimmer (wahrhaft) Seyende. • Jenes gilt es" — fügt er hinzu — „durch N a c h d e n k e n und V e r n u n f t zu erfassen; von dem Anderen dagegen mittelst S i n n e s w a h r n e h m u n g eine Meinung sich zu bilden, als von einem Entstehenden und Vergehenden, n i e aber wirklich (im wahren Sinne des Wortes) S e y e n d e n . " - — Zwischen bloss S i n n l i c h e m und wirklich U b e r s i n n l i c h e m ist also hier ausdrücklich und in klarer Weise unterschieden. Und eine ähnliche Anschauung findet sich auch bei A r i s t o t e les. „Alles S i n n l i c h e " — sagt er — „vergeht und ist in Bewegung. Gibt es aber nichts U n v e r g ä n g l i c h e s und E n t s t e h u n g s l o s e s (nichts Ewiges), so kann es auch k e i n

Natürlicher Hinweis des endlichen D a s e y n s etc.

417

W e r d e n geben. Denn zum Werden gehört nothwendig Etwas, d a s wird, und Etwas, w o r a u s dasselbe wird. Und so kommt man zuletzt auf Etwas, das selber ungeworden ist, da doch das Werden irgenwo aufhört, und es unmöglich ist, dass etwas aus dem Nichtseyenden werde. Wenn es also ein Werden und eine Bewegung gibt, so müssen sie nothwendig auch eine G r ä n z e haben: denn k e i n e Bewegung ist u n e n d l i c h , sondern jede hat ein Ziel; und zur Wirklichkeit gelangen kann unmöglich etwas, was nicht vermögend ist zu werden." — ,,Von dem U n z w e i f e l h a f t e n " — sagt R i c h a r d VON St. VICTOR — , „d. h. von den durch die E r f a h r u n g uns b e k a n n t e n Gegenständen muss man ausgehen, um von diesem aus auf das, was ü b e r uns ist, zu schliessen. Alles Zeitliche hat das geniein, dass es nicht von Ewigkeit ist und auch nicht von sich aus ist. Aus dem Z e i t l i c h e n nun, das sein Seyn n i c h t aus sich s e l b s t hat, schliessen wir auf E t w a s , was von sich s e l b s t i s t , weil sonst das, was nicht von sich selbst ist, gar n i c h t v o r h a n d e n seyn könnte." — Denselben Gang wie RICHARD VON St. VICTOR — sagt BAUER — verfolgt auch H u g o VON St. VICTOR, indem er aus der Veränderlichkeit der Natur und aus dem steten Entstehen und Vergehen des Einzelnen auf einen Anfang des Ganzen und auf eine a n f a n g s l o s e U r s a c h e schliesst. — In einem ähnlichen Sinn, wie RICHARD und H U G O bestrebt sind, aus dem sinnlich und erfahrungsmässig Gegebenen auf eine übersinnliche Ursache desselben zu schliessen, sagt auch Thomas von Aquino: „Es ist in der natürlichen Einrichtung des Menschen begründet, dass er durch das S i c h t b a r e auf das U n s i c h t b a r e geführt werde, und deshalb muss (umgekehrt) auch das U n s i c h t b a r e dem Menschen durch S i c h t b a r e s offenbar werden." — Zu eben dieser Grundanschauung, dass wir nur durch die tägliche Wahrnehmung einer uns umgebenden sinnlichen und eben darum in allen Stücken auch endlichen und nur zufallig daseyenden Welt naturgemäss zur Anerkennung auch von etwas Wandersmanii.

III.

27

418

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

an und für sich Ü b e r s i n n l i c h e m zu gelangen vermögen, darf auch ein Ausspruch S p i n o z a ' 8 gezählt werden, in welchem er sagt, dass wir „zur Erkenntniss und Gewissheit eines u n s unbekannten

Dingen

(oder Sejns) nicht anders

gelangen,

als durch die Erkenntniss und die Gewissheit eines A n d e r e n , dessen

Gewissheit

und

Erkenntniss

wir

bereits

besitzen.

Wir können" — so fügt er weiter hinzu — „keines Dinges unbedingt g e w i s s seyn, so lange wir nicht unseres eigenen Daseyns

gewiss

selbst

sind.

Das

«Ich bin» kann nur durch

sich

erkannt werden." — In ganz demselben Sinn dürfen

wir es auch auffassen, wenn T a u r e l l l l S darauf hinweist, wie falsch es sein würde, wenn wir annehmen wollten, dass dasjenige, was nicht auf natürliche Weise (d. h. also auf übernatürliche

oder

übersinnliche Weise)

vorhanden

(„gemacht")

ist, überhaupt gar nicht vorhanden („gemacht") seyn könne. — „Weil

der Grund der Welt und jedes Weltwesens" —

GÖSChel

—,

„als

eines

an sich Z u f ä l l i g e n ,

sagt

nicht in

der

Welt selbst zu suchen seyn kann: so weist dieselbe auf einen Grund

und A n f a n g

hin,

welcher

ausser

und

über

der

Welt liegen muss, und welcher selber n i c h t zufällig, sondern nur in sich vermittelt seyn kann." — E s ist selbstverständlich, dass auch

hier

unter

diesem Ausser-

Anderes kann gemeint seyn,

und Übel-weltlichen

nichts

als dasjenige, was auch als ein

U b e r n a t ü r l i c h e s oder Ü b e r s i n n l i c h e s pflegt bezeichnet zu werden. Im Bisherigen haben wir uns angelegen seyn lassen, uns nach etwas ausserhalb der Gränzen unserer Welt Befindlichem umzusehen,

von welchem wir aus Vernunftgründen

annehmen

dürften, dass in ihm der wahre Grund und Ursprung für alles Wesen dieser Welt zu suchen und zu finden seyn könnte.

Wir

sind zugleich zu der Erkenntniss oder vernunftgemässen Überzeugung hingeführt worden,

dass es nur allein ein

wirklich

ü b e r s i n n l i c h e s Etwas seyn könne, bei und in welchem wir uns Hoffnung machen dürfen, diejenigen Vorbedingungen ver-

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

419

einigt zu finden, welche erforderlich seyn dürften, um einer Welt wie die unsrige das Daseyn zu geben. Zu eben diesen Vorbedingungen aber mussten wir vor Allem rechnen, dass dem eigenen Seyn und Wesen eben dieses übersinnlichen Etwas auch thatsächlich d a s j e n i g e M a a s s von eigener innerer K r a f t f ü l l e innewohne, welches nothwendig und erforderlich seyn muss, damit eine Welt wie die unsere auch wirklich durch deren Wirksamkeit ihre thatsächliche Verwirklichung finden könne. Nun haben wir uns aber bereits davon überzeugen müssen, dass zu solchem Zweck ebensowenig ein Kraftrnaass als genügend sich darstellen kann, welches u n t e r demjenigen stände, das innerhalb unseres eigenen Weltganzen in den darin vorhandenen Daseynsweisen sich vertheilt findet, wie in einem solchen Kraftrnaass, welches der in unserer Welt vorhandenen Kraftfülle gleichkäme. Nun ist aber begreiflicher Weise das G e s a m m t m a a s s aller dieser in unserer Welt vertretenen Naturkräfte uns vollkommen u n b e k a n n t , und zwar derart, dass selbst eine jede auch nur annähernde Abschätzung derselben von vornherein als ein Ding natürlicher Unmöglichkeit uns erscheinen muss. Nur soviel können wir, auf Grund unumstösslicher Vernunftsätze, mit aller Bestimmtheit wissen, dass selbst die Ges a m m t h e i t a l l e r innerhalb dieser Welt vorhandenen E i n z e l k r ä f t e in keinem Fall eine im eigentlichen Sinn u n e n d l i c h e K r a f t f ü l l e darzustellen im Stande ist. Aber, um wenigstens den Versuch einer annähernden Feststellung der zur Hervorbringung unserer Welt und ihrer Dinge etwa erforderlichen Kraftfülle zu wagen, müssen wir vor Allem auch die verschiedenen G r a d e und H ö h e s t u f e n von Kraftwirksamkeiten uns geistig zu vergegenwärtigen suchen, welche nur allein innerhalb unserer irdischen Daseynskreise von allen Seiten uns entgegentreten. Denn von jenen einfachsten Grundkörperchen dieser Welt an, durch die gesammten weiten Gebiete des natürlichen Seelenlebens hindurch bis hinauf zu dem des menschlichen Geisteslebens, müssen alle die in denselben als wirksam und 27*

420

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

thätig sich erweisenden Kraftmengen, von Seiten ihrer natürlichen Möglichkeit in das Auge gefasst, ihren wirklichen Ursprung und Anfang, der Natur der Sache nach, aus eben jenem ü b e r s i n n l i c h e n W e l t g r u n d herzuleiten im Stande seyn, auf dessen immer tiefere und inhaltsreichere Ergründung nunmehr alle unsere Aufmerksamkeit gerichtet ist. Aber auch für alle jene geheimnissvollen N a t u r g e s e t z e und N a t u r g r ü n d e , durch welche alles natürliche Wirken, Thun und Walten eben jener Kräfte des körperlichen, des seelischen und des geistigen Daseyns allezeit zu ganz bestimmten Daseynszwecken natur- und vernunftgemäss sich hingelenkt zeigen: auch für sie alle muss deren erster und letzter Grund und Ursprung in jenem von uns geahnten ü b e r s i n n l i c h e n E t w a s vollgültig zu finden seyn, wenn dasselbe überhaupt als dasjenige sich bewähren soll, wonach wir suchen. Aber auch selbst dann, wenn die Möglichkeit für den Grund und Ursprung von diesem Allem wirklich vollgültig in jenem von uns vermutheten übersinnlichen Etwas gefunden wäre: müssten wir nicht auch selbst dann noch immer weiter nach dem Grund und Ursprung auch von allem dem fragen, was sonst noch in unserer Welt vorhanden ist? Auch alles dieses kann seinen Grund und Ursprung unmöglich aus sich selber nehmen, es muss ihn ebenfalls von a u s s e r h a l b unseres Weltganzen herleiten. Lassen wir unsere Blicke z. B. nur unser eigenes Sonnengebiet durchschweifen, müssen wir nicht annehmen, dass auch alle jene Himmelskörper, welche in immer weiteren Kreisen ihre Bahnen um die Sonne beschreiben, ähnlich wie unsere Erde von lebenden Wesen mannigfachster Art bewohnt seyn dürften? Und wenn wir jener unzähligen Schaar hellleuchtender Sterne gedenken, welche aus den weitesten Fernen des nächtlichen Himmels ihre Strahlen zu uns herabsenden: müssen nicht auch sie alle, als Mittelpunkte besonderer Sonnengebiete, noch unserem gemeinsamen Weltganzen angehören? Denn wäre dem nicht so, wie vermöchten sie durch ihr Licht uns Kenntniss von ihrem Daseyn zu geben? Zertheilen die

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

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weisslichen Nebelflecke der Milchstrasse und sonstiger Orte des Himmels sich nicht für die Beobachtung des Himmelsforschers in kaum zählbare Gruppen leuchtender Sterne, welche wir sämmtlich als Mittelpunkte von noch immer weiter entfernten Sonnengebieten zu betrachten haben? Aber auch noch einen weiteren Umstand dürfen wir nicht unerwähnt lassen. So unermesslich gross unsere eigene Welt auch seyn mag: sie ist immerhin zwischen ganz bestimmten äusseren Gränzen eingeschlossen, d. h. sie kann unmöglich weder dem Raum noch der Zeit nach als unendlich von uns betrachtet werden. Dürfen wir aber unter solchen Verhältnissen nicht der Vermuthung Raum geben, dass es auch ausserhalb der Gränzen unserer Welt, über denselben hinaus, doch vielleicht auch noch andere Welten geben dürfte, von deren wirklichem Daseyn wir aber selbstverständlich keine Kenntniss haben können? Müssen aber nicht auch alle diese, und zwar aus ganz den gleichen Gründen und Ursachen wie unsere eigene Weltordnung, uns ebenfalls auf die innere Nothwendigkeit eines derartigen ü b e r s i n n l i c h e n W e l t g r u n d e s hinweisen? In der That, wenn wir allen diesen Verhältnissen die gehörige Rechnung tragen: dürfen wir es dann überhaupt wohl wagen, eben jenem übersinnlichen Weltgrund irgendwelche, dessen Seyn beschränkende Gränzen oder sonstige beschränkende F e s s e l n zuzuschreiben oder irgendwie andichten zu wollen? J a widerspricht nicht schon der Begriff eines U b e r s i n n l i c h e n , als Solchen, der Vorstellung irgendwelcher B e g r ä n z u n g , von welcher Art wir dieselbe auch denken möchten? J a kann nicht alles s i n n l i c h W a h r n e h m b a r e überhaupt n u r d a d u r c h als für uns sinnlich-wahrnehmbar uns gegenübertreten, dass es in räumlich-körperlicher Hinsicht als e n d l i c h und b e s c h r ä n k t sich erweist: muss nicht schon hieraus unmittelbar folgen, dass umgekehrt ein wahrhaft U b e r s i n n l i c h e s dem Auge des Geistes als ein in aller und jeder Beziehung völlig S c h r a n k e n - und G r ä n z e n l o s e s sich darstellen muss? Und haben wir uns nicht auch davon überzeugen müssen,

422

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

dass selbst ein derartig U b e r s i n n l i c h e s , sobald ihm, seiner inneren Beschaffenheit nach, nur ein solches eigenes inneres K r a f t m a a s s und nur eine solche eigene innere S e y n s f ü l l e zuerkannt werden dürfte, wie solche auch der G e s a m m t h e i t aller der aus ihm hervorgegangenen sinnlich-wahrnehmbaren Daseynsweisen naturgemäss zukommen, um desswillen doch durchaus noch n i c h t als eigentlicher und wahrer E n t s t e h u n g s g r u n d für dies Alles darf betrachtet werden? Schon hieraus also geht doch wohl jedenfalls mit voller Sicherheit hervor, dass demselben, um als w i r k l i c h e r Entstehungsgrund f ü r a l l e s e n d l i c h e D a s e y n ohne A u s n a h m e gelten zu können, — gleichviel ob wir dasselbe von Seiten seiner thatsächlichen W i r k l i c h k e i t oder nur von Seiten seiner blossen Möglichkeit in das Auge fassen — ein für uns gänzlich unbestimmbar wie g r o s s e s eigenes inneres Kraftmaass und eine nur ebenso unbestimmbar wie g r o s s e eigene innere Seynsfülle zukommen müsste. Berücksichtigen wir hierbei aber namentlich auch noch den Umstand, dass wir, nach dem Obengesagten, durchaus nicht berechtigt sind, unsere eigene Welt für die unbedingt a l l e i n bestehende zu erklären, sondern dass wir allezeit auch die Möglichkeit im Auge behalten müssen, dass über den Gränzen unserer eigenen Welt hinaus auch immerhin noch andere, uns völlig unbekannte Welten von ebenso unbekannter Zahl sich vorfinden dürften: müssen wir uns da nicht unwillkürlich noch um so eindringlicher zu der Uberzeugung hingedrängt fühlen, dass überhaupt nur allein ein in aller und jeder' Beziehung völlig s c h r a n k e n l o s e s , in Folge dessen aber auch nur allein ein wahrhaft und im vollen Sinne des Wortes ü b e r s i n n l i c h e s E t w a s es seyn kann, in welchem der eigentliche und wahre E n t s t e h u n g s g r u n d für a l l e s e n d l i c h e D a s e y n überhaupt in Wirklichkeit kann gefunden werden? Und somit wären wir abermals an einem neuen und in Folge seiner vernunftgemässen vollgültigen Berechtigung auch allgemein anerkannten W a h r h e i t s s a t z angelangt, dem Wahrheitssatz nehm-

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

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lieh, dass wir für Alles, was überhaupt ist oder geschieht, nicht etwa bloss ganz im Allgemeinen nach den Gründen und Ursachen forschen und fragen dürfen, wodurch und wozu überhaupt etwas ist und geschieht; sondern dass wir vielmehr auch gleichzeitig nach ganz bestimmten „zureichenden G r ü n d e n " und ganz bestimmten „zureichenden U r s a c h e n " dafür zu fragen und zu suchen haben. Zu aller nur einigermassen richtigen und befriedigenden Erkenntniss und Beurtheilung gegebener Verhältnisse bildet der Satz vom zureichenden Grund eine der ersten und nothwendigsten Voraussetzungen. Auf Grund des von Xenophanes aufgestellten Satzes, dass „aus Nichts auch nichts »werde«", glaubte dessen Schüler Parmeilides, unserem Weltall ein unentstandenes und ewiges Vorhandenseyn zuschreiben zu sollen. Zur Begründung dieser seiner Anschauung sagt er unter anderem: „Aus vielen Gründen muss das wirklich Bestehende für anfangs- und endlos erklärt werden, d. h. für etwas, das ohne Vergangenheit und Zukunft das ist, was es ist. Entstanden kann es nicht seyn: denn wo sollte es anfangen zu wachsen (oder zu entstehen)? Beim Nichts? Aus Nichts wird nichts. Und aus welcher Nothwendigkeit kam ihm zu, f r ü h e r oder später, oder zu einer Zeit mehr als zu anderer Zeit zu entstehen?" Zu diesem Ausspruch macht Tiedemann folgende Bemerkung: „Ist aus Nichts alles ohne Ausnahme hervorgegangen, dann wird mit Recht gefragt, warum nicht früher oder nicht später?" Aber gleichzeitig fügt er auch noch weiter hinzu, dass hier der Satz vom zureichenden Grunde zum ersten Mal, wenn auch noch dunkel und unklar, sich angewendet finde. — Unter den Neueren hat auch Descartes bereits darauf hingewiesen, dass bei Allem, was ist und geschieht, nicht bloss nach einer Naturursache, sondern ebensosehr auch nach einer V e r n u n f t u r sache oder einem V e r n u n f t g r u n d (raison) gefragt werden müsse; davon aber, dass hierbei vor allem auch ein wirklich a u s r e i c h e n d e r und ein wahrhaft vollgültiger Grund

424

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

von diesem allem erkannt werden müsse: davon spricht DESnicht. — Erst L e i b n i t z bezeichnet diesen Satz, dass überhaupt „nichts geschehe ohne einen z u r e i c h e n d e n G r u n d " als einen „ H a u p t e r k e n n t n i s s g r u n d (un grand principe)", ohnerachtet gemeinhin nur wenig Gebrauch von ihm gemacht werde. Denn er zeige uns, „dass nichts stattfinde, ohne dass es demjenigen, welcher hinreichende Kenntniss der Dinge besitze, nicht möglich wäre, zu bestimmen, w a r u m etwas so ist oder geschieht, und n i c h t a n d e r s . Diesen Grundsatz festgestellt" — fährt er fort —, „so wird es nun unsere erste Frage seyn: » W a r u m gibt es E t w a s und nicht vielmehr N i c h t s ? « Denn das Nichts ist einfacher als irgend ein Etwas. Dann aber, vorausgesetzt dass etwas wirklich bestehe, bleibt immer noch die Frage: »Warum ist und besteht es gerade so und n i c h t anders.«" — Daher bezeichnet auch SCHOPENHAUER es ausdrücklich als ein Verdienst von LEIBNITZ, dass er es gewesen, welcher diesen Satz „ z u e r s t als einen H a u p t g r u n d s a t z aller Erkenntniss und Wissenschaft förmlich aufgestellt habe." — „Es ist" — sagt R e i m a r u s — „vernünftig, dass man die W i r k u n g e n aus sicheren Erfahrungen kennen lerne, und dass man den nächsten G r u n d der W i r k u n g e n in den sie wirkenden Ursachen, nehmlich in deren Kräften und Gesetzen suche. Aber es ist auch nicht weniger vernünftig, wenn die wirkenden Ursachen und deren Gesetze nicht durch sich s e l b s t verständlich sind, dass man eine B e d i n g u n g voraus setze, w a r u m sie so wirken, und dass man hiernach forsche, weil unserem Verstand k e i n e G e n ü g e geschieht, sobald er keinen z u r e i c h e n d e n G r u n d (für alle diese Verhältnisse) findet." — In gleichem Sinne sagt auch J a c o b : „Wir betrachten die Welt, und finden unzählige Wirklichkeiten und Vollkommenheiten in ihr zerstreut. Wir fühlen zugleich die U n m ö g l i c h k e i t , diese Vollkommenheiten a u s e i n a n d e r vollständig zu erklären. Wir bedürfen also einer U r s a c h e , welche als ein h i n r e i c h e n d e r G r u n d für die unübersehbare CAKTES

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

425

(unendliche) Mannigfaltigkeit der Dinge in der Welt gedacht werden muss. Da wir nun jede U r s a c h e gemäss ihrer W i r k u n g denken müssen: so reicht k e i n e r unserer Begriffe von den natürlichen Dingen zu, um eine solche Ursache zu denken. Vielmehr müssen wir uns diese Ursache als i r g e n d ein E t w a s (einen Gegenstand) denken, welches z u r e i c h t , um Alles, was da ist, hervorzubringen." — N o v a l i s , von dem richtigen Grundsatz ausgehend, dass alles Fragen nach einem z u r e i c h e n d e n G r u n d , der Sache nach, nur als ein Fragen nach einem eigentlichen Y e r n u n f t g r u n d kann betrachtet werden, spricht sich über diesen Gegenstand folgendennassen aus: „Die Frage nach dem Grund" — sagt er — „oder nach dem Gesetz einer Erscheinung u. s. w., ist (als Frage) ein von der gegebenen Naturwirklichkeit absehendes oder abgezogenes G e d a n k e n ding (ein Abstraktum), d. h. eine von dem Gegenstand weg- und dem G e i s t e z u g e r i c h t e t e Frage. Sie geht auf (geistige) A n e i g n u n g und auf (geistige) V e r ä h n l i c h u n g (Assimilation) des Gegenstandes: denn durch die (auf diesem Wege gewonnene) E r k l ä r u n g hört der Gegenstand a u f , uns fremd zu seyn." — In Bezug auf eben jene allgemeine W e l t u r s a c h e , jenen allgemeinen W e l t g r u n d , nach welchem wir eben suchen, sagt S i n t e n i s , dass, wenn dadurch „alle rechtmässigen und gegründeten Forderungen der Vernunft, und mit ihnen das grösste und dringendste Bedürfniss unserer geistigen Natur hinlänglich b e f r i e d i g t " seyn sollen, wir uns denselben als das denkbar „ E r h a b e n s t e " vorstellen müssen, „durch dessen Vollkommenheiten wir nicht allein den G r u n d und die U r s a c h e von u n s e r e m und der W e l t D a s e y n , sondern zugleich auch unseren und der Welt E n d z w e c k einsehen und begreifen können. Denn" — so fügt er hinzu — „das ist ja nicht die einzige Frage, welche einem jeden im Nachdenken über sich einfällt: woher bist du und woher ist die ganze Sinnenwelt? Sondern mit ihr ist diese Frage auch unmittelbar verbunden: w a r u m (und wozu) bist du, und was ist der E n d z w e c k der

426

Die innere U n s e l b s t ä n d i g k e i t aller natürlichen Dinge.

Sinnenwelt?" — Ist in diesem Ausspruch auch nicht des Satzes vom zureichenden Grund ausdrücklich Erwähnung gethan: so ist es doch aus der ganzen Art und Weise der Gesammtdarstellung sehr leicht ersichtlich, dass nur allein dieser Wahrheitssatz es hat seyn können, welcher dem Verfasser beim Niederschreiben dieser Stelle vor Augen geschwebt hat. Eine sehr ähnliche Darstellungsweise eben dieses Wechselverhältnisses zwischen dem gesammten Weltdaseyn und dem durch die Vernunft dafür zu suchenden Weltgrund findet sich auch in der Schrift die „ S i e b e n W e i s e n G r i e c h e n l a n d s . "

Der

Sache

nach ist auch sie aus ganz den gleichen Grundanschauungen hervorgegangen. — „Sobald uns" — sagt Krause — „irgend etwas B e s t i m m t e s , E n d l i c h e s , ins Bewusstseyn kommt: so fragen wir, selbst absichtslos, nach dem G r u n d , warum es ist. J a noch mehr: wir setzen ohne Weiteres nicht nur voraus, dass es gewiss einen solchen Grund davon geben werde, sondern ebenso auch, dass ein z u r e i c h e n d e r G r u n d dazu wirksam gewesen seyn müsse." — „Die Frage nach dem W a r u m (und dem zu ihm gehörigen W o d u r c h ) " — sagt Schopenhauer — „will immer einen z u r e i c h e n d e n G r u n d . " Aber eben diesen Satz vom zureichenden Grund will SCHOPENHAUER ausschliesslich n u r auf das Gebiet des endlichen Daseyns dieser sinnlichwahrnehmbaren Welt beschränkt wissen. Denn er sagt ausdrücklich, dass er „den Satz vom zureichenden Grund, als ein Gesetz der Verkettung von U r s a c h e n und W i r k u n g e n (der Causalität), einen Satz vom z u r e i c h e n d e n G r u n d des W e r d e n s nenne," oder, wie er an einem anderen Ort sich ausdrückt, von „Veränderungen". Denn das W e r d e n , mit seinem steten Wechsel von Entstehen und Vergehen, und mit seinen steten Orts- und Zustandsveränderungeu zwischen in gegenseitigem Wechselverkehr stehenden Dingen, gehört ausschliesslich dem Gebiet des Endlichen und sinnlich Wahrnehmbaren au. Wenn also SCHOPENHAUER anderweitig allerdings anerkennt, dass „alle W i s s e n s c h a f t e n auf dem Satz vom Grunde be-

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

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ruhen, indem sie durchweg Verbindungen von G r ü n d e n und F o l g e n seyen": so ist eben doch, aus den eben erwähnten Aussprüchen, deutlich zu ersehen, dass er unter der Bezeichnung von „Wissenschaft" keinen anderen Zweig geistigen Forschens im Auge hat, als allein die Erforschung der uns umgebenden sinnlich-wahrnehmbaren Naturverhältnisse. Zugleich unterscheidet S C H O P E N H A U E R aber, in Bezug auf den Satz vom „zureichenden Grund," bekanntlich vier verschiedene Arten desselben, welche aber sämmtlich auf einer gemeinsamen Grundanschauung beruhen. Die e r s t e derselben bezeichnet er als eine l o g i s c h e Nothwendigkeit nach dem Satz vom E r k e n n t n i s s g r u n d , vermöge dessen man, wenn man den vorausgesetzten Vordersatz (die Prämisse) hat gelten lassen, auch „die daraus sich ergebende Folgerung (Conclusion) unausweichlich zugestehen muss". Die zweite Art bezeichnet S C H O P E N H A U E R als „die p h y s i s c h e Nothwendigkeit nach dem Gesetze der natürlichen Verkettungen natürlich gegebener Ursacheii mit ihren natürlichen W i r k u n g e n (nach dem Gesetze der Causalität), vermöge welcher, wenn die Ursache eingetreten ist, die W i r k u n g derselben nicht ausbleiben kann." Die dritte Art nennt er die m a t h e m a t i s c h e nach dem Satz vom Grunde des Seyns, vermöge welcher ein jedes von einem wahren g e o m e t r i s c h e n L e h r s a t z ausgesagte Verhältniss so ist, wie es b e s a g t , und eine jede richtige K e c h n u n g unwiderlediglich bleibt." Die v i e r t e Art endlich bezeichnet S C H O P E N H A U E R als „die m o r a l i s c h e , wonach ein jeder Mensch oder ein jedes Thier nach eingetretenem B e w e g g r u n d (Motiv) diejenige Handlung vollziehen muss, welche seinem angebornen und unveränderlichen Wesensgepräge (Charakter) allein gemäss ist, und welche jetzt ebenso unausbleiblich e r f o l g t , wie eine jede andere Wirkung einer Ursache, wenn sie gleich nicht so leicht vorherzusagen ist wegen der Schwierigkeit der Ergründung und vollständigen Kenntniss des besonderen persönlichen Wesensgepräges (des individuellen empirischen Charakters) und des ihm beigegebenen

428

'Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

(oder in ihm mitbegründeten) Erkenntnissinhaltes (Erkenntnisssphäre)." Eben diese v i e r t e Art der Verkettungen von Ursachen und Wirkungen bezeichnet S C H O P E N H A U E R dann anderwärts auch noch als den Satz vom z u r e i c h e n d e n G r u n d „des H a n d e l n s . " Gerade in Bezug auf eben diesen „zureichenden Grund des Handelns" spricht S C H O P E N H A U E E , um durchaus kein Missverständniss hinsichtlich seiner persönlichen Ansicht hierüber zuzulassen, noch im Besonderen folgendermaassen sich aus: „Bei einem jeden wahrgenommenen E n t s c h l u s s , sowohl Anderer wie unserer selbst, halten wir uns berechtigt, zu fragen «Warum»? d. h. wir setzen nothwendig voraus, es sey ihm etwas (zeitlich) vorhergegangen, daraus es erfolgt, und welches wir den G r u n d , oder genauer den Bewegg r u n d (das Motiv), der jetzt erfolgenden H a n d l u n g nennen. Ohne einen solchen ist dieselbe uns so undenkbar wie die Bewegung eines todten Körpers ohne Stoss oder Zug. Demnach gehört auch der (geistige wie sinnliche) B e w e g g r u n d zu den (natürlichen) U r s a c h e n . Denn die ganze Verkettung von Ursachen und Wirkungen (Causalität) ist nur die Gestalt des Satzes vom Grunde in der ersten Klasse der Gegenstände (Objekte), d. h. in der Klasse der in äusserer Anschauung gegebenen Körperwelt. Dort ist sie das Band der Ver-' änderungen unter einander, indem die U r s a c h e die von a u s s e n hinzugetretene B e d i n g u n g jedes Vorganges ist. Das Innere solcher Vorgänge bleibt uns hingegen ein G e h e i m n i s s ; denn wir stehen selbst immer d r a u s s e n . Nicht besser würde es mit unserem Verständniss der Bewegungen und Handlungen der Thiere und Menschen stehen, und wir würden auch diese auf unerklärliche Weise durch ihre Ursachen, die Beweggründe hervorgerufen sehen, wenn uns nicht hier die Einsicht in das I n n e r e des Vorganges eröffnet wäre. Wir wissen nehmlich aus der an uns selbst gemachten i n n e r e n E r f a h r u n g , dass dasselbe eine W i l l e n s t h a t ist, welche durch den Beweggrund, welcher in einer blossen V o r s t e l l u n g besteht, hervor-

N a t ü r l i c h e r H i n w e i s d e s e n d l i c h e n D a s e y n s etc.

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gerufen wird. Die Einwirkung des Beweggrundes wird also von uns nicht bloss, wie die aller a n d e r e n Ursachen, von a u s s e n her und daher bloss mittelbar, sondern zugleich von i n n e n , ganz unmittelbar und ihrer ganzen Wirkungsart nach, erkannt. Hieraus ergibt sich der wichtige Satz, dass das Thun oder Handeln nach Beweggründen (die Motivation) dieselbe Verkettung von Ursachen und Wirkungen (die Causalität), jedoch von i n n e n g e s e h e n , ist." — Aus allen diesen hier dargelegten Auseinandersetzungen SCHOPENIIAUEK'S geht es deutlich hervor, dass er das Gebiet des „zureichenden Grundes" ausschliesslich nur auf die natürlich gegebenen Verhältnisse dieser sinnlichwahrnehmbaren, endlichen Welt bezieht. Der v ö l l i g zur e i c h e n d e G r u n d f ü r diese Anschauung liegt in SCHOPENHAUER's rein m a t e r i a l i s t i s c h e m Standpunkt, für welchen es, — wie ja auch für CZOLBE und die übrigen Anhänger dieser Richtung (VII. § 26, No. 144) — nur ein U b e r s i n n l i c h e s in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, nur einen undenkbaren Begriff darstellt, welcher aus dem Gebiete alles menschlichen Forschens, ein für allemal und ohne Ausnahme, ausgeschlossen bleiben muss. Denn für diese Anschauung besteht die Welt bekanntlich von Ewigkeit, und ein jedes Fragen und Forschen nach G r ü n d e n kann demnach folgerichtig nur allein auf jene Veränderungen sich beziehen, welche alles in dieser Welt Vorhandene unausgesetzt an sich erfährt. Fassen wir nun aber eben diese von SCHOPENHAUER erwähnten verschiedenen Arten des zureichenden Grundes auch im Einzelnen noch etwas näher in das Auge, so werden wir schon gleich bei dem e r s t e n oder l o g i i s c h e n G r u n d ersehen, dass wir nach dem eben Gesagten darunter keineswegs jenen allein wahrhaften, weil allein v o l l k o m m e n e n z u r e i c h e n d e n G r u n d zu verstehen haben, von welchem wir befriedigenden Aufschluss namentlich auch darüber erwarten dürfen, wie und in welcher Weise wir uns das wirkliche Daseyn dieser Welt und ihrer Dinge auf eine wirklich vernunftgemässe Weise zu erklären im Stande seyn möchten. Zu einem

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Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

solchen Zweck bedarf weder S C H O P E N H A U E R , nocli irgend ein sonstiger Anhänger dieser Gedankeneinrichtung, der Vernunft. Die Schlussfolgerungen, zu welchen diese uns befähigt, beschränken sich für sie allein nur auf das sinnlich-wahrnehmbare Daseynsgebiet, und wenn es dennoch vorkommt, dass auch des Begriffes eines U b e r s i n n l i c h e n Erwähnung geschieht, so ist unter diesem Ubersinnlichen doch immerhin nur jenes an sich unserer sinnlichen Wahrnehmung einzugängliche geheimnissvolle Wirken und Walten endlicher Naturkräfte zu verstehen, wie solches unausgesetzt in dem Inneren eben der natürlichen Einzeldinge und Einzelwesen statthaben muss, welche durch die unmittelbare Wirksamkeit jener Kräfte ins natürliche Daseyn dieser Welt sich gestellt finden, und durch dieselben auch fortwährend in demselben erhalten bleiben. Auf ein jenseits der Gränze unserer eigenen Weltordnung zu vermuthendes Gebiet wirklicher und wahrer U b e r s i n n l i c h k e i t kann dasselbe also in keiner Weise sich beziehen, sondern allein nur auf das, noch ganz und gar unserer diesseitigen Welt angehörige Gebiet eines n a t ü r l i c h - N i c h t s i n n l i c h e n , von welchem wir weiter oben bereits gesprochen haben. Denn nur hier allein kann von einer wirklichen und wahren Verkettung von natürlichen Ursachen mit ihren natürlichen Wirkungen die Eede seyn, und was S C H O P E N H A U E R somit als „logischen Grund" bezeichnet: das stellt im eigentlichen Sinn nichts Anderes dar, als die ganz natürliche ßückbeziehung der äusseren, sinnlich-wahrnehmbaren E r s c h e i n u n g der Dinge auf die für uns n i c h t s i n n l i c h - w a h r n e h m b a r e i n n e r e U r s a c h e derselben. — Was sodann den z w e i t e n oder den p h y s i s c h e n Grund betrifft: so weist schon die Bezeichnung „physischer Grund" uns darauf hin, dass wir darunter kein Anderes zu verstehen haben, als eben jenes Verhältniss wechselseitiger N a t u r n o t h w e n d i g k e i t , wie solches namentlich in den noch untersten Daseynsgebieten in der unabänderlichen Zusammengehörigkeit und den unabänderlichen Wechselbezeichnungen zwischen natürlichen Ur-

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

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Sachen und ihren natürlichen W i r k u n g e n allenthalben so augenscheinlich uns entgegentritt. Dort, im ersten jener vier Gründe, also immerhin noch Anerkennung einer gewissen Vern u n f t t h ä t i g k e i t durch Riickbeziehung von natürlichen Wirkungen auf ihre natürlichen Ursachen auf dem Wege vernunftgemässer Rückschlüsse nach der Weise unserer g e i s t i g e n S c h l u s s f o l g e r u n g e n zwischen geistigen G r ü n d e n und ihren ebenfalls geistigen F o l g e n . Hier dagegen blosse Wechselbeziehungen zwischen natürlichen U r s a c h e n mit ihren natürlichen W i r k u n g e n , und umgekehrt, auf dem Wege ausschliesslicher V e r s t a n d e s t h ä t i g k e i t . S C H O P E N H A U E R ' S d r i t t e Art des zureichenden Grundes, die „mathematische," nach welcher aus der richtig vollzogenen B e w e i s f ü h r u n g irgend eines von der Raum-, Grössen- und Zahlenlehre aufgestellten L e h r s a t z e s zurückgeschlossen wird auf die R i c h t i g k e i t und Z u v e r l ä s s i g k e i t eben dieses Lehrsatzes selbst, oder aus dem richtigen E n d e r g e b n i s s einer Rechnung auf die R i c h t i g k e i t der angestellten Berechnung, — alle diese Fälle können, dem eigentlichen Kern der Sache nach, nur als besondere Unterabtheilungen des e r s t e n oder l o g i s c h e n Grundes in das Auge gefasst werden. Denn hier wie dort haben wir es, der ganzen Sachlage nach, mehr mit wirklichen V e r n u n f t s c h l ü s s e n zu thun als mit Verstandesschlüssen, wie solches bei S C H O P E N H A U E R ' S zweitem oder rein p h y s i s c h e m Grund der Fall ist, welcher ausschliesslich nur Verhältnisse im Auge hat, die dem Bereich natürlicher U r s a c h e n und ihrer natürlichen W i r k u n g e n angehören. In beiden Fällen, dem ersten wie dem dritten, sind es R ü c k s c h l ü s s e oder R ü c k b e z i e h u n g e n geistiger F o l g e r u n g e n auf bestimmte g e i s t i g e G r ü n d e , auf deren zuverlässige W a h r h e i t und R i c h t i g k e i t , als auf einen sicheren und geistig f e s t s t e h e n d e n G r u n d , eben diese Folgerungen sich erbaut zeigen, oder aus deren ebenso zuverlässigen geistigen Verkettung sie auf dem Wege ganz bestimmter Vernunftthätigkeit gezogen sind. Dass in dem logischen Schluss in Folge der

432

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

ihm von S C H O P E N H A U E R willkührlich beigelegten Beschränkung auf ausschliesslich nur natürliche Verhältnisse dieser sichtbaren Welt nur Rücksicht genommen ist auf Verhältnisse, welche an sich und als solche eigentlich dem Gebiet natürlicher Ursachen und Wirkungen angehören: dies kann an der Sache selbst in sofern nichts ändern, als S C H O P E N H A U E R zur näheren Bezeichnung und Darlegung der betreffenden Fälle selbst des Weges geistiger Schlussfolgerungen sich bedient. — Und lassen wir nunmehr auch noch die v i e r t e Art des zureichenden Grundes, nehmlich den Grund in seiner m o r a l i s c h e n , d. i. s i t t l i c h e n Bedeutung, in das Auge, welchen S C H O P E N H A U E R auch als den zureichenden Grund des H a n d e l n s bezeichnet: so dürfen wir auch hier keineswegs dem Gedanken Raum geben, als sey damit etwa jene p e r s ö n l i c h - f r e i e und in sich s e l b s t s t ä n d i g e W i l l e n s e n t s c h e i d u n g gemeint, welche durch eigenes Fragen nach dem sich lenken und leiten lässt, was an sich R e c h t oder U n r e c h t , e r l a u b t oder u n e r l a u b t ist. Was S C H O P E N H A U E R hier im Auge hat, das betrifft alles nur jene, durch augenblicklich erregte Gefühle von innerer L u s t oder U n l u s t beeinflusste innere N a t u r g e t r i e b e n h e i t , wie wir solche auch bereits den Thieren, namentlich den dem Menschen näher stehenden zuerkennen. So entspricht demnach die gesammte ScHOPENHAUEit'sche Auffassung seines Satzes vom „zureichenden" Grund keineswegs dem, was man dem Wortlaute nach darunter vermuthen sollte: sondern dieselbe entpuppt sich vielmehr als das gerade G e g e n t h e i l hiervon. Denn da S C H O P E N H A U E R , gemäss seiner Grundanschauung von einer unbedingten Anfangs- und Endlosigkeit der Welt und ihrer Einzeldinge, vollständig darauf verzichtet, auch nur im Entferntesten nach einem v e r n u n f t n o t h w e n d i g e n Grund nicht nur für das wirkliche D a s e y n , sondern eben damit auch nach dem einer vernunftgemässen M ö g l i c h k e i t von diesem allem zu fragen: so konnte ihm auch natürlich ebensowenig in den Sinn kommen, nach einem noch tieferen Grund auch für die in dieser Welt und ihren Dingen sich offenbarenden

433

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

N a t u r k r ä f t e und N a t u r g e s e t z e sich folgerichtig umzusehen. Daraus ist es dann aber auch hinlänglich ersichtlich, warum und weshalb s e i n zureichender Grund nur einzig und allein auf den Wechsel in den inneren Wesenszuständen und äusseren Erscheinungensweisen der betreffenden Einzeldinge, oder auf den steteii Wechsel innerer Gemüthsstimmungen und des aus diesen, nach den Gesetzen einer dunklen inneren Naturgetriebenheit, sich ergebenden Thuns und Handelns höherer Daseyn'skreise Bezug nehmen konnte. Für eine auf eigene innere Wahlfreiheit zurückzuführende Willensentscheidung nach dem übersinnlichen B e g r i f f von Recht oder Unrecht findet sich in der ScHOPENHAUER'schen Weltanschauung demgemäss ebensowenig Raum wie für ein Fragen nach einem ausserhalb der Welt und ihrer Dinge zu suchenden ü b e r s i n n l i c h e n G r u n d für deren wirkliches Daseyn. Und daraus ergibt sieb denn auch folgerichtig, dass selbst das, was nach SCHOPENHAUER's äusserlicher Darstellung auf den wirklichen Satz vom G r u n d und die aus diesem sich ergebenden F o l g e n sich zu beziehen den Anschein haben könnte, schliesslich eben doch auch auf nichts Anderes seine Anwendung finden kann, als auf natürliche Verkettungen von natürlichen Ursachen mit ihren naturgesetzmässigen Wirkungen, und zwar gleichmässig ebensowohl im Gebiet des seelischen und geistigen, wie in dem des rein körperlichen Daseyns. F ü r alles, was in das Gebiet eines Ubersinnlichen hinüberstreift, fehlt bei SCHOPENHAUER ebenso der natürlich-geistige Sinn, wie bei den übrigen Anhängern seiner Gedankenrichtung. — In ähnlichem Sinn und von gleichen Gesichtspunkten ausgehend wie SCHOPENHAUER, sagt auch D r o s s b a c h : „Haben die Dinge k e i n e e i g e n e K r a f t , k e i n s e l b s t s t ä n d i g e s D a s e y n (Existenz), so muss man zu einer a u s s e r h a l b ihrer stehenden Ursache seine Zuflucht nehmen, d. h., da die Dinge die Welt ausmachen, zu einer a u s s e r h a l b d e r W e l t stehenden; und da unsere Erkenntniss n i c h t ü b e r d i e W e l t , h i n a u s reicht, zu einer unerkennbaren AVandersraann. III.

28

434

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

und v e r n u n f t w i d r i g e n (irrationalen) Ursache. Es ist daher weder die Welt noch ihre Ursache zu erkennen und vern ü n f t i g zu erklären, wenn man den Dingen die eigene vern ü n f t i g wirkende Kraft, die eigene S e l b s t s t ä n d i g k e i t und U r s p r ü n g l i c h k e i t abspricht." — Dass auch den räumlich wie zeitlich-endlichen Dingen dieser Welt eine eigene innerliche D a s e y n s k r a f t und mit dieser auch eine'eigene innere K r a f t w i r k s a m k e i t zukommt, durch welche sie auch naturgemäss nach aussen hin auf ihre Mitwesen einzuwirken im Stande sind: dies wird wohl niemand in Abrede stellen, er stehe denn noch in dem Wahn einer in sich todten und leblosen Körperwelt. Dies also ist nicht die Frage, um die es sich hier handelt. Die Frage dreht sich vielmehr darum, ob Dinge, welche, wie die Einzeldinge dieser Welt, als k ö r p e r l i c h e und eben deshalb in r ä u m l i c h e r Beziehung jedenfalls als e n d l i c h e und b e s c h r ä n k t e natürliche Wesenheiten sich darstellen, in z e i t l i c h e r Beziehung für u n e n d l i c h und ewig vernunftgemäss dürfen erklärt werden oder ob n i c h t ? Wenn man sich geistig vergegenwärtigt, wie unter allen Umständen allewege nur E i n e und d i e s e l b e i n n e r l i c h e W e s e n s g r u n d k r a f t es seyn kann, auf deren unmittelbarer natürlichen Wirksamkeit g e m e i n s c h a f t l i c h und g l e i c h z e i t i g sowie das W e s e n , so auch das Da seyn der betreffenden Dinge allein naturgemäss gegründet seyn kann; wenn man bedenkt, dass. aus eben diesem Grund, immerdar nur E i n und d a s s e l b e n a t ü r l i c h e K r a f t m a a s s es seyn kann, aus dessen in sich e i n h e i t l i c h e r W i r k s a m k e i t sowohl die r ä u m l i c h e G r ö s s e wie die z e i t l i c h e D a u e r eines jeden solchen Einzeldinges g l e i c h m ä s s i g hervorgeht: muss man da nicht sofort sowohl das N a t u r w i d r i g e wie das V e r n u n f t w i d r i g e einsehen, welches nothwendig mit eben jener behaupteten E w i g k e i t s e r k l ä r u n g des natürlichen A l l e r k l e i n s t e n dieser Welt, was wir überhaupt in räumlicher Beziehung zu denken vermögen, unmittelbar Hand in Hand geht? Würden die Anhänger jener Lehre von einer unbedingten Ewig-

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

435

keit der Welt und ihrer Dinge eben diese Verhältaisse auch nur einmal ernstlich von d i e s e m Gesichtspunkt aus in das Auge fassen: sie würden sicherlich gar bald von der naturwie vernunftgemässen Unhaltbarkeit ihrer eigenen Grundanschauung sich überzeugen, und diejenigen nicht einer V e r n u n f t w i d r i g k e i t zeihen, welche auf Grundlage eben dieser Naturverhältnisse die natürliche Unmöglichkeit davon erkannt haben, dass ein wirklich z u r e i c h e n d e r Grund für das Daseyn dieser Dinge und der durch sie gebildeten Welt i n n e r h a l b d i e s e r e n d l i c h e n W e l t und ihrer e b e n f a l l s e n d l i c h e n E i n z e l d i n g e jemals kann gefunden werden, und welche demgemäss denn auch darnach streben, den wahren und eigentlichen Grund und Ursprung der Welt und ihrer Dinge a u s s e r h a l b der n a t ü r l i c h e n G r ä n z e n dieser Letzteren in irgendwelchem ü b e r n a t ü r l i c h e n und darum ü b e r s i n n l i c h e n W e l t g r u n d auf die Spur zu kommen. — Ganz richtig sagt daher auch Franz Hoffmann, ,,die V e r n u n f t könne n i c h t einräumen, dass b e s c h r ä n k t e Wesen u r s a c h l o s e , u n e n t s t a n d e n e und u n b e d i n g t e (und also ewige) Wesen seyn könnten." — Aus ganz demselben Grund sagt daher auch Baader, dass „das Z e i t l i c h e nur aus einem E w i g e n begriffen werden könne." — Und wir dürfen mit derselben Zuversicht hinzufügen: und das S i n n l i c h e nur aus einem wirklich U b e r s i n n l i c h e n . So sagt auch Wessenberg: ,,Der Geist des Menschen fühlt sich vom Sichtbaren zu einem U n s i c h t b a r e n , vom Vergänglichen zu einem U n v e r g ä n g l i c h e n unwiderstehlich hingezogen, und n u r in d i e s e m kann er Befriedigung finden. Das Thier lebt immer nur in der Gegenwart: der Mensch weit mehr in der Vergangenheit und Zukunft. Seine Sehnsucht, sowohl nach bereits Entschwundenem und Verlornem, als auch nach neuer Erwerbung, strebt immer über die Gegenwart hinaus, und bei aller eigenen Veränderlichkeit weisen ihn die endlichen Dinge durch die geregelte Ordnung, welcher ihre Bildungen und ihr Gang unterworfen sind, auf S t e t i g k e i t und U n v e r ä n d e r 28*

Die innere UnSelbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

436

l i c h k e i t hin." — „ W i s s e n " — sagt befriedigende Uberzeugung, von dem wirklichen Daseyn

Baumann — „ist: eine

einen b e f r i e d i g e n d e n G r u n d

(der Existenz) von Etwas

Aber w a n n ist eine Überzeugung begründet? Grund befriedigend? dir,

einem Dritten

grund

zusagt? für

und

(eine ratio

sind Gründe,

W a n n ist ein

I s t ein Grund befriedigend, weil er mir,

friedigenden Grund zureichenden,

haben.

Man hat

das Wissen

zwar einen

sufficiens).

daher nicht bloss be-

verlangt,

sondern

zureichenden

Oder man

wenn sie allgemein

sagt:

und wenn

einen

Vernunftzureichend

sie

nothwendig

sind, d. h. wenn jeder Mensch als Mensch sie knnimmt, sobald er sie nur hört,

und gar nicht anders kann,

stimmen, sie als gültig zulassen

als ihnen zu-

zur Entscheidung der F r a g e :

ob Wissen? ob G l a u b e ? ob Willkührannahme? Belang

ist

vor

der Hand

stammen, ob von a u s s e n , i n n e n , aus dem G e i s t e ?

die F r a g e ,

Gar nicht von

woher

aus der E r f a h r u n g ,

eines Grundes

was sie sollen.

nicht

Gründe

oder ob von

Auf jeden F a l l müssen sie auf den

Geist den nöthigen (überzeugenden) E i n d r u c k leisten sie nicht,

diese

machen:

sonst

Wenn wir uns der Gewalt

zu entziehen im Stande sind, wenn wir

bei den übrigen Menschen dieselbe Erfahrung machen, dass sie ihn

zulassen,

zureichend,

sobald

sie ihn verstehen:

so erscheint

er uns

und das, wofür er geltend gemacht wird, wird

dann nicht mehr Glauben genannt, sondern W i s s e n . "

D. h.

mit anderen W o r t e n : nicht mehr Glauben in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes, wie wenn man z. B . sagt: „Ich glaube, dass er da i s t " u. dergl. verlässiger

Aljer als ein Wissen in Folge zu-

und zureichender V e r n u n f t g r ü n d e ,

d. i. als ein

Wissen in der Bedeutung einer zureichenden Einsicht in den inneren

vernunftnothwendigen

Zusammenhang

mit ihren auf sie gegründeten F o l g e r u n g e n

von

Gründen

zur Begründung

einer vernunftgemässen E r k e n n t n i s s , beziehe sich dieselbe nun auf den inneren Zusammenhang natürlicher U r s a c h e n mit ihren natürlichen W i r k u n g e n , oder sey es in Bezug auf den inneren

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

437

Zusammenhang von g e i s t i g e n G r ü n d e n mit den aus ihnen gezogenen g e i s t i g e n F o l g e r u n g e n . Daher bezeichnet B A U M A N N „den Satz oder das Gesetz vom zureichenden Grunde" denn auch als einen der „ H a u p t s ä t z e der D e n k l e h r e " oder der Gesetze des vernunftnothwendigen Denkens überhaupt, d. i. „der L o g i k " . N o . 147. Die Unmöglichkeit endloser Verkettungen von natürlichen Ursachen und Wirkungen als Hinweis auf einen dieser endlichen Welt nicht angehörigen ü b e r s i n n l i c h e n W e l t g r u n d Bereits bei einer früheren Gelegenheit (VII. § 2 5 , No. 139. 140. 141) haben wir auf die thatsächliche U n h a l t b a r k e i t jener irrthümlichen Weltanschauung hingewiesen, welche meint, vermittelst einer unaufhörlichen äusserlichen Aneinanderfügung von E n d l i c h e m zu E n d l i c h e m , d. h. von r ä u m l i c h b e s c h r ä n k t e n K ö r p e r g r ö s s e n zu ebenfalls r ä u m l i c h - b e s c h r ä n k t e n K ö r p e r g r ö s s e n , schliesslich ein in räumlichkörperlicher Beziehung wirklich U n e n d l i c h e s zu gewinnen und somit einen vollgültigen Beweis zu liefern für eine gemeinschaftliche r ä u m l i c h e U n e n d l i c h k e i t unseres gesammten W e l t g a n z e n . Einer sehr ähnlichen, weil sehr nahe verwandten Erscheinung begegnen wir nunmehr auch bei unserer jetzigen Untersuchung. Es ist dies die ganz ebenso unhaltbare, weil von ganz ebenso unhaltbaren Grundanschauungen ausgehende Annahme, als ob man jemals auf dem Wege einer o h n e Aufh ö r e n fortgesetzten Aneinanderreihung von natürlichen U r s a c h e n und ihren W i r k u n g e n an unmittelbar vorangehende U r s a c h e n mit ihren W i r k u n g e n schliesslich zu einem zeitl i c h . U n e n d l i c h e n , d. h. zu einer thatsächlichen E w i g k e i t unserer gesammten Weltordnung zu gelangen vermöchte. Eine derartige Annahme hat auf den ersten Anblick wohl insofern etwas Bestechendes, als wir nicht nur an uns selbst, sondern auch an allen übrigen uns umgebenden Dingen und Wesen dieser Welt tagtäglich die Wahrnehmung machen, wie fortwährend ein jeder gegenwärtiger Wesenszustand oder ein gegen-

488

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

wärtiges Naturverhältniss aus bereits früher vorhandenen Wesenszuständen oder Naturverhältnissen sich hervorentwickelt und hervorbildet, um nachher nach ganz denselben Naturgesetzen in wieder andere und neuere Wesenszustände oder Naturverhältnisse allmählich überzugehen. Etwas sehr Ahnliches liefert uns zugleich auch das Gebiet des natürlichen Seelenlebens in der Erhaltung und Fortpflanzung der einzelnen Pflanzen- und Thierarten auf dem Wege der Zeugung. Auch hier sehen wir fortwährend aus einer jeden Mutterpflanze und aus einem jeden Alternpaar neue Naturwesen derselben Art entstehen, um mit der Zeit auch aus diesen wieder immer weitere Reihen von Nachkommen derselben Art hervorgehen zu lassen. Und in solcher Weise scheint allerdings der natürliche Verlauf dieser Welt und der ununterbrochen stetige Wechsel ihrer besonderen Verhältnisse und Erscheinungsweisen in seiner Gesammtheit uns eine ohne alle und jede Unterbrechung sich dahinziehende V e r k e t t u n g von innigst mit einander verbundenen und wechselseitig in einander übergehenden natürlichen U r s a c h e n und W i r k u n g e n darzustellen. Denn eine jede neue W i r k u n g , wie sie in einer früheren Ursache begründet ist, erscheint uns sofort auch wieder als U r s a c h e für eine folgende noch neuere Wirkung, ohne dass wir, bei bloss oberflächlicher Anschauung dieser gegenseitigen Wechselverhältnisse, weder einen bestimmten Anfang noch irgend ein vorauszusehendes Ende desselben genau anzugeben im Stande wären. Ahnlich hat auch die Himmelskunde nicht versäumt, zur Stütze derartiger Vermuthungen ihr Gewicht mit in die Wagschale zu legen. Denn nicht nur, dass sie es für wahrscheinlich hält, dass wir in jenen merkwürdigen und für uns vielfach Doch so räthselhaften Himmelskörpern, welche wir als S t r o b e l s t e r n e , als H a a r s t e r n e oder K o m e t e n zu bezeichnen pflegen, nichts Anderes vor Augen haben als entweder neu entstandene und noch in ihrer eigentlichen Entwickelungszeit begriffene, oder auch als bereits absterbende und sich wieder in ihre stofflich-

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

439

körperlichen Ur- und Grundbestandtheile auflösende Weltkörper, so hat sie auch in Bezug auf jene, an gewissen Stellen des Himmels befindlichen und oft nur durch die allerschärfsten Vergrösserungen dem Auge zugänglich zu machenden sogenannten N e b e l f l e c k e bekanntlich die Ansicht ausgesprochen, dass wir auch diese Gebilde in ganz ähnlicher Weise als erste noch unentwickelte Anfänge von im Entstehen begriffenen vollständigen Welt- oder Sonnengebieten zu betrachten haben dürften. Dass nun aber, unter solchen Verhältnissen, in dem Geist des Menschen der Gedanke an eine w i r k l i c h e A n f a n g s u n d E n d l o s i g k e i t aller derartigen V e r k e t t u n g s r e i h e n n a t ü r l i c h e r U r s a c h e n und W i r k u n g e n nicht allein auftauchen, sondern mit der Zeit auch immer tiefer sich darin einwurzeln konnte: dies ist wohl keineswegs sehr zu verwundern. Hat man sich überhaupt einmal daran gewöhnt, die Z e i t als solche als etwas an sich A n f a n g s - und E n d l o s e s zu betrachten — wie solches namentlich in Bezug auf jene 'vermeintliche sogenannte „leere Zeit" (VI. § 22, No. 120) der Fall ist —: dann müssen allerdings mit einer gewissen Naturnothwendigkeit auch alle jene Verkettungen von natürlichen Ursachen mit ihren Wirkungen, wie solche erfahrungsgemäss durch die gesammte sichtbare Natur nach allen Seiten und Richtungen hin ohne alle und jede Unterbrechung sich hindurchziehen, unserem geistigen Auge als ganz ebenso anfangs- und endlos sich darstellen. Dass aber bei einer derartigen Auffassung der vorhandenen Natur- und Weltverhältnisse es eine reine U n m ö g l i c h k e i t seyn muss, jemals aus dem Gebiete des an sich Endlichen und sinnlich Gegebenen auch bis in das Gebiet eines an sich thatsächlich Ü b e r s i n n l i c h e n sich zu erheben: dies liegt vollständig in der Natur der Sache. Sobald man einmal den Weg vernunftgemässer Rückschlüsse von dem sinnlich Gegebenen auf ein an sich Ubersinnliches sich selber willkührlich verschlossen hat: dann kann von einem thatsächlichen Vordringen des Geistes bis zu einer thatsächlich E r s t e n , d. h.

440

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

unserer sinnlichen Welt nicht angehörigen U r s a c h e , von einem wirklich E r s t e n U r g r u n d alles Endlichen in keiner Weise die Rede seyn. Denn bei allem Vordringen von Ursache zu Ursache bleibt man doch immer nur bei blossen M i t t e l u r s a c h e n stehen, ohne dass sich jemals eine Aussicht dazu böte, auf diesem Wege nun auch bis zu einer wirklichen E r s t e n Ursache zu gelangen, welche zu ihrer e i g e n e n B e g r ü n d u n g keiner weiteren, i h r s e l b e r f r e m d e n U r s a c h e mehr bedarf. Nur allein eine s o l c h e kann aber überhaupt im Stande seyn, das grosse Räthsel des gesammten Welt- und Naturdaseyns auf eine irgendwie befriedigende Weise zu lösen. Bereits Z e n o der Stoiker, sowie seine Nachfolger, haben auf die Nothwendigkeit irgend einer derartigen wirklich e r s t e n U r s a c h e hingewiesen, welche allen anderen natürlichen Ursachen v o r a n g e h e n muss, damit überhaupt irgendwelche Naturwirklichkeit thatsächlich v o r h a n d e n seyn könne. — Und in ganz ähnlichem Sinn fasst, in Bezug auf eben diese Frage, auch STEINHAKT in seiner Einleitung zu PLATO'S Timäus die allgemeine Anschauung Plato's dahin zusammen, dass a l l e s W e r d e n d e , als ein von fremden und darum äusseren Bedingungen A b h ä n g i g e s , in einer (scheinbar) unendlichen Verkettung von Ursachen und Wirkungen zwar unter sich verbunden sey, dabei aber nichtsdestoweniger seinen l e t z t e n (oder uranfänglichen) G r u n d in E t w a s haben müssen, welches als die h ö c h s t e u n d l e t z t e U r s a c h e aller Dinge, d. h. als ein Alles W i r k e n d e s , aber selber n i e m a l s G e w i r k t e s , müsse betrachtet werden. Daher hat PLATO, an einem anderen Orte, es auch zu einer der Hauptthätigkeiten der menschlichen Vernunft gerechnet, ohne bei dem sinnlich Gegebenen zu verweilen, hinaufzusteigen bis zu den ersten Anfängen und letzten Urgründen der Dinge. Denn — so fügt er hinzu — V e r n u n f t w a h r h e i t e n gehören dem o b e r s t e n Theil der menschlichen Geistesthätigkeit an. Auf diese Weise wird von Seiten PLATO'S die V e r n u i i f t e r k e n n t n i s s denn auch in unmittelbaren Zu-

Natürlicher Hinweis des endlichen D a s e y n s etc.

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sammenhang gesetzt mit wahrer W i s s e n s c h a f t , als dem natürlichen Mittel zur Erkenntniss auch der W a h r h e i t selber. Und von diesen Gesichtspunkten ausgehend, bestimmt er denn auch weiterhin den Begriff der Wahrheit als eine Erkenntniss des ein für allemal Feststehenden, aber nicht bald Entstehenden, bald Vergehenden. — So auch A r i s t o t e l e s . In Bezug auf eine vermeintliche räumliche Unendlichkeit der Welt war er es gewesen, welcher zuerst mit unanfechtbaren Vernunftgründen dem Wahn einer angeblich „unendlichen Zahl" entgegengetreten ist und vollgültig deren begriffliche Unhaltbarkeit dargelegt hat. Und zwar gilt dies einerseits ebensowohl in der Bedeutung einer an s i c h unendlichen Zahl, d. h. eine Zahl, welche alle nur denkbar möglichen Zahlen, so gross oder so klein sie auch seyn mögen, gemeinsam in sich zusammenschliessen soll, wie anderseits auch in der Bedeutung einer u n e n d l i c h e n A n z a h l von Einzelzahlen, wie solches der Fall seyn soll bei den angeblichen unendlichen R e i h e n von Einzelzahlen (VI. § 26, No. 143). Nicht weniger aber muss es auch als ein bedeutendes Verdienst von ARISTOTELES anerkannt werden, dass er in einer noch bestimmteren und eingehenderen Weise als seine Vorgänger nicht nur auf die U n h a l t b a r k e i t angeblich u n e n d l i c h e r R e i h e n von natürlichen U r s a c h e n und W i r k u n g e n hingewiesen hat, sondern gleichzeitig damit auch mit aller Entschiedenheit auf die u n u m g ä n g l i c h e N o t h w e n d i g k e i t einer einheitlichen a l l g e m e i n e n e r s t e n u n d o b e r s t e n W e l t u r s a c h e , welche nur allein a u s s e r h a l b dieser sichtbaren Weltordnung zu suchen und zu finden seyn kann. Schon bei einer früheren Gelegenheit (VII. § 26, No. 143) haben wir, gerade in Bezug auf diesen letzteren Punkt, die denselben behandelnde Stelle aus der Metaphysik des ARISTOTELES in ihrer ganzen Ausführlichkeit wörtlich mitgetheilt, und dürfen wir daher hier nur einfach darauf zurückweisen. Hierbei dürfen wir jedoch auch nicht die Art und Weise ausser Acht lassen, in welcher ARISTOTELES jener e r s t e n U r s a c h e

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Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

a l l e r U r s a c h e n auch in der Bedeutung eines ersten Ausgangspunktes in Bezug nicht nur auf Bewegungen im Allgemeinen gedenkt, sondern namentlich in Bezug auf die Bewegungen der an unserem Himmelszelt in immer weiteren Kreisen ihre Bahnen beschreibenden Himmelskörper. „Alles B e w e g t w e r d e n d e " — sagt er — „muss nothwendig von E t w a s bewegt w e r d e n . Denn wenn es nicht in s i c h s e l b s t den A n f a n g der Bewegung hat, so ist augenfällig, dass es von einem A n d e r e n bewegt wird. Da also alles Bewegtwerdende von Etwas bewegt werden muss, und da wiederum auch dies letztere Bewegende von einem A n d e r e n , e b e n f a l l s B e w e g t e n , b e w e g t w i r d , und dieses wieder v o n e i n e m A n d e r e n und so immer fort: so muss es nothwendig ein e r s t e s B e w e g e n d e s geben und es darf dies n i c h t ins Unbegränzte fortgehen." — T h e o d o r , Bischof von C A E A , meisthin unter dem Namen ABUCARA bekannt, schliesst ebenfalls, von der Unmöglichkeit einer unendlichen Menschenreihe aus, und gleichsam, um durch ein recht handgreifliches Beispiel die Beweisführungen des AKISTOTELES noch zu verstärken, auf die Nothwendigkeit einer ausserweltlichen höheren und ersten Weltursache. „Die Z a h l der M e n s c h e n — so schliesst derselbe nach TIEDEMANN — ist e n d l i c h , weil sie Vergrösserung zulässt. Demnach sind alle Menschen durch Zeugung entstanden, und es muss einen e r s t e n M e n s c h e n geben, der n i c h t von seines Gleichen abstammt. Derselbe muss also e w i g oder irgendwie h e r v o r g e b r a c h t seyn. Weil der erste Mensch nicht mehr lebt, wie es seyn müsste, wenn er keinen Anfang hätte, so kann er n i c h t e w i g seyn; denn was keinen Anfang hat, kann auch kein Ende nehmen. Also ist der erste Mensch e n t s t a n d e n , und es gibt eine e r s t e Ursache." — Und in ähnlicher Weise kommt auch A n s e l m von CANTERBUBY durch die Betrachtung der S t u f e n l e i t e r , welche wir unter den Naturwesen wahrnehmen, zu dem gleichen Schlussergebniss. Hier hat eine jede Stufe, welche eine andere u n t e r s i c h hat, doch auch wieder eine andere ü b e r sich. Nun aber ist es nach

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ein unerträglicher Gedanke, dass diese Stufenleiter ins Endlose fortlaufe, und so schliesst er mit Recht auf ein H ö c h s t e s und E r s t e s , welches zwar alle Stufen des Daseyns u n t e r s i c h , aber selber k e i n Weiteres ü b e r sich hat." — Dagegen sucht AI a n U S von RYSSEL die Nothwendigkeit einer E r s t e n U r s a c h e für alles in dieser Welt Vorhandene aus der untrennbaren Einheit des in der Natur G e s t a l t e n d e n mit dem von ihm G e s t a l t e t e n (der Form mit der Materie) näher zu erhärten. Nichts kann — nach ihm — sich selber zusammengesetzt oder zum Daseyn gebracht haben; denn sonst müsste es eher und vollkommener g e w e s e n seyn, als es in seinem thatsächlichen Vorhandenseyn ist. Rechnet man hierzu, dass das G e s t a l t e t e (die Materie) nicht ohne das G e s t a l t e n d e (die Form), noch umgekehrt das Gestaltende nicht ohne ein von ihm Gestaltetes seyn kann: so ergibt sich aus beiden Sätzen gemeinschaftlich, dass die Zusammensetzung (oder die natürlich- wesenhafte Einheit oder Zusammengehörigkeit) des Gestaltenden mit dem Gestalteten die Ursache des wesenhaften Daseyns (der Substanz) der Dinge ist. Denn dies Letztere besteht jedenfalls gleichzeitig ebensowohl aus G e s t a l t e t e m wie aus G e s t a l t e n d e m : also ist auch deren Zusammensetzung (oder naturgesetzmässige Zusammengehörigkeit) die Ursache des wesenhaften Daseyns der Dinge (oder ihrer Substanz). Gestaltetes und Gestaltendes, da sie abgesondert von einander nicht bestehen können, bestehen also nur durch ihre Zusammensetzung, d. h. nur durch ihre untrennbare Einheit und unmittelbare Zusammengehörigkeit. Ein jedes wesenhaft bestehende Daseyn (oder Substanz) hat somit d r e i U r s a c h e n ; Gestaltendes, Gestaltetes und deren gemeinsam untrennbare EinheitDiese Drei aber haben wiederum eine U r s a c h e oder müssen nothwendig eine solche haben. Da k e i n natürlich endliches Daseyn seine e i g e n e Ursache seyn kann, die Reihen von Ursachen aber n i c h t ins Unendliche fortgehen können: so folgt hieraus, dass eine wirklich E r s t e U r s a c h e auch wirklich v o r ANSELM

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D i e innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

h a n d e n seyn muss. — Albert d e r G r o s s e geht in Bezug auf die Behandlung der gegenwärtigen Frage ebenfalls von dem Satz des ARISTOTELES aus, dass alle Arten von natürlichen Ursachen eine E r s t e U r s a c h e haben müssen, weil andernfalls ein F o r t g a n g i n s U n e n d l i c h e und demgemäss eine endlose Zahl von Ursachen angenommen werden müsste. Ein Fortgang ins Unendliche sey aber schon deshalb unmöglich, weil, wie bereits früher erwähnt, „die Natur das Unendliche f l i e h e " , oder mit anderen Worten: weil das an sich Endliche, auch durch noch so lange fortgesetztes Hinzufügen von ebenfalls Endlichem, es doch niemals zur Darstellung eines wirklich und thatsächlich Unendlichen zu bringen im Stande sey. Alle Naturwesen, als an sich endliche Wesen, bedürfen somit, und zwar im Einzelnen wie in ihrer Gesammtheit, einer a u s s e r h a l b ihres eigenen wie ihres gesammten Daseyns liegenden a l l g e m e i n e n Ersten Ursache. Wessen Daseyn von einer anderen ihm fremden Ursache abhängt, von dem gilt, dass es n i c h t ist und auch n i c h t s e y n k ö n n t e , falls diese ihm selber fremde Ursache nicht auch in Wirklichkeit b e s t ä n d e und also thatsächlich irgendwie v o r h a n d e n wäre. Nun kann aber jene E r s t e U r s a c h e , ohne welche kein anderes Daseyn überhaupt möglich wäre, unmöglich selber wieder von einer anderen ihr fremden Ursache abhängen, aus dem ganz einfachen Grund, weil sie sonst überhaupt k e i n e wirklich Erste Ursache seyn würde, sondern auch für sie wieder nach noch einer anderen sie bewirkenden Ursache gesucht werden müsste. Muss also überhaupt einmal das wirkliche Vorhandenseyn einer derartigen thatsächlicli E r s t e n U r s a c h e für alles endliche Daseyn dieser Welt, als auf eine unumstössliche F o r d e r u n g d e r V e r n u n f t sich gründend, als eine ebenso unbedingte und unumstössliche F o r d e r u n g der N o t w e n d i g k e i t von uns anerkannt werden: so geht auch gleichzeitig hieraus hervor, dass eben jene E r s t e U r s a c h e folgerichtig auch von durchaus g a r k e i n e r sonstigen noch weiteren Ursache mehr abhängig seyn kann, von welcher

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besonderen Art oder Beschaffenheit wir uns dieselbe auch denken mögen. Aber eben desshalb kann es auch durchaus k e i n Wesen geben, aus dessen etwaigem N i c h t v o r h a n d e n s e y n auf ein wirkliches N i c h t s e y n eben jener Ersten Ursache selber irgendwie geschlossen werden könnte. Nun ist aber v o r eben jener Ersten Ursache durchaus n i c h t s W e i t e r e s mehr anzunehmen, weder als ein wirklich V o r h a n d e n e s , noch als ein irgendwie für uns etwa denkbar M ö g l i c h e s . Mithin kann auch deren w i r k l i c h e s V o r h a n d e n s e y n weder von dem Vorhandenseyn noch von dem Nichtvorhandenseyn anderer Dinge als irgendwie a b h ä n g i g betrachtet werden. Gleichviel also, ob Welten da seyn mögen oder nicht; die thatsächliche W i r k l i c h k e i t eben jener allgemeinen E r s t e n U r s a c h e kann davon n i c h t berührt werden. Wohl ruht in ihr die M ö g l i c h k e i t aller Welten und ihrer Einzeldinge; aber ohne dass sie selber in ihrem eigenen Bestand jemals abhängig seyn könnte von dem wirklichen Vorhanden- oder Nichtvorhandenseyn dieser Letzteren. Hat ALBEKT selbst seinen Gedankengang auch nicht bis zu eben dieser letzteren Folgerung ausgedehnt: so liegt sie doch unverkennbar in demselben mit eingeschlossen. Und so gelangt denn auch ALBEET zu dem vernunftnothwendigen Schluss, dass eine derartige E r s t e U r s a c h e für alles in dieser Welt Vorhandene mit innerer Nothwendigkeit vorhanden seyn müsse, weil andernfalls überhaupt g a r n i c h t s vorhanden seyn könnte. BAIER fasst diesen gesammten Gedankengang ALBEET'S folgendermassen zusammen: „Jede R e i h e von U r s a c h e n muss einen ersten Ausgangspunkt (erstes Princip) haben und ein letztes Ziel. Hat der Fluss der Dinge nicht seinen bestimmten A n f a n g , so kann er auch nicht sein bestimmtes E n d e erreichen. Alles ist s o w o h l U r s a c h e und W i r k u n g als auch w e d e r U r s a c h e n o c h W i r k u n g , und alles verfliesst so in das Endlose, ins Unbestimmte. Muss es also ein unbedingt E r s t e s geben, v o r welchem n i c h t s ist: so darf man sich eben dieses N i c h t s e y n vor jenem E r s t e n doch nicht so denken, als ob es

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selber aus dem N i c h t s hervorgegangen wäre. Denn alles, was aus dem Nichts hervorgeht, ist nur m ö g l i c h , so dass es ebensogut seyn als nicht seyn kann. Alles aber, was möglicher Weise auch n i c h t seyn kann, hängt in seinem Seyn von einem Anderen ab, das die Ursache seines Daseyns ist, und es ist von sich selbst n i c h t s . Wäre also jene Erste Ursache (erstes Princip) ein S e y n n a c h N i c h t s : so würde das Seyn der ersten Ursache von einem Anderen abhängen, und eben deswegen n i c h t die E r s t e Ursache seyn. Wenn daher von jener ersten Ursache gesagt wird, dass v o r ihr n i c h t s ist, so darf dies n i c h t so gedacht werden, als ob sie n a c h d e m N i c h t s wäre, sondern es soll hiermit nur gesagt werden, dass es schlechthin nichts gibt, was zu ihr als ein F r ü h e r e s sich verhalten könnte. Sie ist also das a l l e m A n d e r e n u n b e d i n g t V o r a n g e h e n d e (das absolute prius), und kann von keinem anderen Seyn (oder Daseyn) jemals abhängig seyn. Eben deswegen kann jene E r s t e U r s a c h e auch nur eine n o t h w e n d i g e seyn. Denn wäre sie n i c h t nothwendig, sondern b l o s s m ö g l i c h , so könnte sie ebensogut auch n i c h t s e y n ; wollte man sich dies aber so denken, dass d a s , was, a l s U r s a c h e , d a s E r s t e ist, n i c h t ist: so gibt es auch n i c h t s A b h ä n g i g e s , und überhaupt n i c h t s . — Auf ähnlichen Wegen ist auch T h o m a s V 0 n A q u i n 0 bestrebt, auf die Nothwendigkeit einer wirklich E r s t e n U r s a c h e für alles endliche Daseyn überhaupt mit allem Nachdruck hinzuweisen. Im Allgemeinen folgt er darin den Beweisführungen von AKISTOTELES, und zwar ebensowohl in Bezug auf diejenige, welche auf den Begriff der B e w e g u n g und die Nothwendigkeit eines E r s t e n B e w e g e r s sich gründet, wie auch in Bezug auf diejenige, welche AKISTOTELES aus der U n m ö g l i c h k e i t u n e n d l i c h e r R e i h e n von U r s a c h e n m i t i h r e n W i r k u n g e n hergeleitet hat. Einer dritten Form der Beweisführung möchten wir jedoch hier ausdrücklich noch gedenken, für welche THOMAS die Begriffe des M ö g l i c h e n und des N o t l i w e n d i g e n als erste Anfangspunkte benutzt hat. BAUE gibt den hierauf bezüglichen

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Oedankengang von THOMAS folgendermassen wieder. Wir finden in den Dingen Manches, was ebensogut s e y n als n i c h t s e y n kann. Es gibt so vieles, was entsteht und vergeht, somit seyn und auch nicht seyn kann. U n m ö g l i c h aber ist, dass Alles dieser Art i m m e r sey, weil, was n i c h t seyn kann, auch wirklich einmal n i c h t g e w e s e n ist. Wenn es nun m ö g l i c h wäre, dass A l l e s n i c h t i s t , so w a r auch einmal wirklich n i c h t s . Ist dies aber w a h r : so müsste a u c h j e t z t n i c h t s s e y n , weil, was n i c h t i s t , nur durch Etwas, was i s t , anfangen kann zu seyn. Gab es also nichts Seyendes (d. i. keine wirklich bestehende Erste Ursache alles Daseyenden), so kann auch nichts angefangen haben zu seyn, und es müsste sonach auch j e t z t N i c h t s seyn, was offenbar f a l s c h ist. Also hat n i c h t a l l e s Seyende ein b l o s s m ö g l i c h e s Seyn, sondern es muss auch etwas N o t h w e n d i g e s seyn. Alles Nothwendige aber hat entweder die U r s a c h e seiner Nothwendigkeit a n d e r s w o h e r oder n i c h t anderswoher. U n m ö g l i c h aber kann die Eeihe des Nothwendigen, das eine a n d e r w e i t i g e Ursache seiner Nothwendigkeit hat, eine u n e n d l i c h e seyn, wie es ja auch keine unendliche Eeihe wirkender Ursachen geben kann: also m u s s es Etwas geben, das an s i c h nothwendig ist und welches die Ursache seiner Nothwendigkeit n i c h t von anderswoher hat, sondern welches auch f ü r A n d e r e s Ursache seiner Nothwendigkeit seyn kann. Und ganz von diesen Gesichtspunkten ausgehend, bezeichnet denn auch WEENER, in seiner eingehenden Arbeit über THOMAS, die Anerkennung einer Ersten und obersten Weltursache, welche selber hocherhaben über dieser sichtbaren Welt steht, als unumgängliche Forderung einer „nothwendigen V e r n u n f t w a h r h e i t " , welcher ein auf wahre und wirkliche Vernunfterkenntniss gerichtetes Denken in keiner Weise sich entziehen kann. — So auch Duns ScotllS. Nach ihm gibt €s etwas B e w i r k b a r e s . Dies Bewirkbare ist entweder durch s i c h s e l b e r , oder durch n i c h t s , oder durch ein A n d e r e s bewirkt. Durch ein N i c h t s bewirkt zu werden, ist u n m ö g l i c h ,

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weil dem Nichts auch keine Kraft zukommen kann, etwas zu bewirken. Auch nicht durch sich selber, weil kein Ding im Stande ist, sich selber hervorzubringen. Alles Bewirkbare kann also n u r durch ein A n d e r e s bewirkt seyn. Ist dies Andere nun das s c h l e c h t h i n E r s t e oder die a l l e r e r s t e U r s a c h e , die selber n i c h t hervorgebracht und n i c h t von einem Anderen bewirkt ist: dann hat man was man sucht; denn alsdann gibt es eine wirkliche E r s t e U r s a c h e . Ist dies aber n i c h t der Fall, d. h. ist dies Andere n i c h t die schlechthin Erste Ursache: so gilt von ihm wieder derselbe Schluss, und zwar ebenfalls so lange fort, bis man zu einer solchen wirklich E r s t e n Ursache kommt, da ein Fortgang ins Unendliche u n m ö g l i c h ist. Eine solche wirklich E r s t e U r s a c h e kann aber von k e i n e m Anderen hervorgebracht seyn: mithin muss auch ein wirklich E r s t e s und alles Übrige b e w i r k e n d e s E t w a s thatsächlich bestehen. Und zwar muss diese Erste und oberste Ursache von Allem m i t N o t h w e n d i g k e i t bestehen (weil, wenn es eine solche nicht gäbe, überhaupt gar nichts vorhanden seyn könnte, was der thatsächlichen Erfahrung wiberspräche). — Ebenso Wilhelm Occam. — Desgleichen I r i r a (RABBI ABB,: COHEN HEEREBA): Was i s t , ist entweder n o t h w e n d i g , dass es auf k e i n e Weise nicht seyn kann, oder es ist z u f ä l l i g , so dass es sowohl s e y n als auch n i c h t s e y n kann und folglich von einem A n d e r n sein Daseyn hat. N i c h t a l l e s ist nothwendig vorhanden; denn mancherlei entsteht und vergeht; es ist aber auch n i c h t a l l e s zufällig; denn sonst würde n i c h t s vorhanden seyn, weil das Z u f ä l l i g e von einem Andern zum Daseyn gebracht werden muss. Demnach ist Alles, was besteht, t h e i l s nothwendig, t h e i l s zufällig, und es m u s s also ein (an sich) wirklich N o t h w e n d i g e s geben. — Auch D e s c a r t e s erklärt ausdrücklich, dass er „nicht begreifen könne, wie eine Unendlichkeit von wirkenden Ursachen von Ewigkeit her in einer solchen Weise auf einander gefolgt sey, dass k e i n e derselben eine E r s t e gewesen". — L e i b r t i t z , nachdem er auf

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die N o t w e n d i g k e i t eiiies z u r e i c h e n d e n G r u n d e s hingewiesen f ü r alles, was ist oder geschieht, sagt weiterhin: „Obgleich die gegenwärtige Bewegung, welche einem körperlichen Stoff zukommt, von einer anderen, derselben vorangehenden Bewegung herstammt, und diese ebenfalls wieder von einer ihr vorangehenden: so ist man damit (in Bezug auf das Auffinden jenes zureichenden Grundes der Bewegung) doch in keiner Weise vorangekommen, wenn man damit auch noch so weit fortschreitet, als man will. Denn in Bezug auf die Frage, um die es sich handelt, befindet man sich immer auf derselben Stelle. Hieraus folgt, dass der z u r e i c h e n d e G r u n d zur Erklärung dieser Erscheinungen nicht i n n e r h a l b , sondern nur a u s s e r h a l b der Reihe der z u f ä l l i g e n Thatsachen liege, und dass er nur in irgend einem Etwas (dans une substance) sich finden kann, welchem ein an sich n o t h w e n d i g e s S e y n in. der Weise zukommt, dass es in dem Besitz eines vollgültigen zureichenden Grundes seines Seyns sich in Wirklichkeit befindet. Denn andernfalls würde man noch k e i n e n zureichenden Grund g e f u n d e n haben, bei dem wir in Wirklichkeit H a l t machen können." — So bezeichnet auch N e w t o n es als die Hauptaufgabe der Naturwissenschaft, durch Eückschliessen von den W i r k u n g e n auf ihre U r s a c h e n so lange fortzugehen, bis wir endlich bei Einer E r s t e n U r s a c h e ankommen. Dieser Fortschritt in unserer Erkenntniss der Natur führt uns nach NEWTON zwar nicht sogleich zur Erkenntniss auch dieser ihrer Ersten Ursache: aber er führt uns sicherlich „immer n ä h e r u n d n ä h e r zu derselben hin. — C l a r k e geht davon aus, dass, wenn überhaupt irgend etwas (Endliches und Zeitliches) v o r h a n d e n ist, auch Etwas von E w i g k e i t her vorhanden seyn müsse. Denn wäre g a r n i c h t s von Ewigkeit her gewesen, so müsste man einräumen, das Vorhandene sey a u s N i c h t s hervorgegangen und habe k e i n e thatsächliche U r s a c h e seines Daseyns. Aber alles, was besteht, muss auch eine U r s a c h e seiner Entstehung haben, worauf sein geWandersmann. III.

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sammtes Daseyn sich stützt (und welche daher gleichzeitig als der vollgültig zureichende Grund für sein Vorhandenseyn muss betrachtet werden können). Und eben dieses von Ewigkeit her vorhandene ausser- und überzeitliche, aber eben darum auch jedenfalls ausser- und überweltliche Etwas wird von Seiten CLARKE'S denn auch als die unzweifelhafte E r s t e U r s a c h e betrachtet, ohne deren Wirklichkeit überhaupt gar nichts irgendwie natürlich Vorhandenes würde vorhanden seyn können. — Ahnlich R e i m a r u s . Wir haben bereits an einem früheren Ort (VII. § 26, No. 143) erwähnt, wie entschieden derselbe gegen die Irrthümlichkeit der sogenannten „unendlichen Reihen" sich ausspricht. Namentlich gilt dies selbstverständlich auch in Bezug auf die vermeintlich unendlichen Verkettungen der natürlichen Ursachen mit ihren Wirkungen. „Wie b e t r ü g l i c h und f a l s c h " eine jede derartige Vorstellung sey — sagt er weiterhin —: dies erhelle schon daraus, dass sie „ k e i n e n z u r e i c h e n d e n G r u n d " für die entstandenen Dinge enthält; denn sie schiebt die Erklärung der Ursachen nur immer von einer zur anderen auf und gibt doch nimmer eine zureichende. „Wenn also Weltweise" — fügt er hinzu — „den G r u n d der Dinge zu geben v e r s p r e c h e n , aber durch beständige Anweisungen auf u n z u l ä n g l i c h e Ursachen denselben nur ins Unendliche (d. h. mit anderen Worten: nur ins Blaue und Unbestimmte hinein) v e r s c h i e b e n : können sie sich dann wohl rühmen, dass sie uns mit Gründen bezahlen? Es ist demnach mit den unendlichen Reihen der Ursachen ein blosses B l e n d w e r k : sie gelten alle zusammen soviel als k e i n e , wenn man nicht bis zu einer E r s t e n und z u r e i c h e n d e n aufsteigt. Dergleichen Einbildungen kann man mit einer vom H i m m e l h e r a b h ä n g e n d e n u n e n d l i c h e n K e t t e vergleichen. Wenn aber k e i n Glied der Kette sich in der Luft erhalten kann, wofern es nicht von dem n ä c h s t o b e r n gehalten wird: hilft es da etwas, dass ich mir den Fortgang der Glieder in die Höhe bis i n s U n e n d l i c h e vorstelle? Die

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g a n z e K e t t e hängt doch an n i c h t s und fällt in meiner eigenen Vorstellung zu.Boden." — Desgleichen Kant. Auch er geht von dem Grundsatz aus, dass Alles, was geschieht, einen vorigen Z u s t a n d v o r a u s s e t z t , auf den es unausbleiblich folgt. Aber dieser vorige Zustand muss etwas seyn, was in der Zeit erst g e w o r d e n ist, und so fort durch alle die unzählbaren Einzelzustände hindurch, welche wir an den vorhandenen Dingen nach und nach zu unterscheiden und wahrzunehmen im Stande sind. „Wenn also" — fügt K a n t hinzu — „Alles nach blossen Gesetzen der Natur geschieht: so gibt es auch jederzeit nur u n t e r g e o r d n e t e (subalterne) Ursachen, aber niemals einen E r s t e n A n f a n g , und also überhaupt auch keine V o l l s t ä n d i g k e i t der Reihe der von einander abstammenden Ursachen." Als einen weiteren Beleg dafür, wie es ein der Vernunft innewohnendes Bedürfniss sey, „in der Reihe der Naturursachen sich auf einen E r s t e n A n f a n g zu berufen", führt er weiterhin auch noch an, wie mit Ausnahme E p i k u k ' s und seiner Nachfolger „alle Weltweisen des Alterthums sich gedrungen fühlten, zur Erklärung der Weltbewegungen einen E r s t e n B e w e g e r anzunehmen, von welchem die ganze Reihe von Zuständen z u e r s t ausging." — In ganz demselben Sinne sagt auch Jacob: „Man sagt: da die Zeit unendlich ist, so muss auch die V e r k e t t u n g der Ursachen mit ihren Wirkungen (das Causalitätsgesetz) als ins U n e n d liche fortgehend angenommen werden, und es kann also von keinem Sinnesgegenstand auf eine unbedingt E r s t e U r s a c h e geschlossen werden, sondern immer nur auf eine Ursache, die einer Wirkung v o r a n g e h t , die aber wieder in der vorhergehenden ihre Ursache hat, und so ins Unendliche. Allein ich frage: ist es nicht ebenso gewiss, dass dieser Begriff einer unendlichen Reihe ein blosser Begriff unserer E i n b i l d u n g s k r a f t ist? Und ist es nicht ein wesentliches Gesetz, dass die Reihe der Ursachen doch irgend einmal a u f h ö r e n , dass es eine E r s t e oder L e t z t e U r s a c h e geben müsse? Und ist 9*

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also der Schluss von einer gegebenen Reihe von Wirkungen auf eine E r s t e Ursache nicht gegründet? — Wenn nun aber das (bloss) Zufällige doch einer h i n r e i c h e n d e n U r s a c h e bedarf: wo sollen wir dieselbe suchen? Wollen wir nicht in die Ungereimtheit einer unendlichen Reihe von zufälligen Dingen (oder Zuständen) verfallen: so bleibt nichts übrig, als eine Ursache a u s s e r dieser R e i h e zu suchen. Wenn wir uns nun gleich eine solche n i c h t durch die S i n n e vorstellen können, so können wir dieselbe doch durch das Merkmal (d. h. durch Schlussfolgerungen) des Verstandes bestimmen. Untersuchen wir den Begriff des Z u f ä l l i g e n näher: so werden wir finden, dass er weiter nichts bedeutet, als das, was zu seinem wirklichen Vorhandenseyn (Existenz) eines A n d e r e n b e d a r f . Natürlich kann also in dem B e g r i f f des Zufälligen kein hinreichender letzter G r u n d des Z u f ä l l i g e n s e l b s t angetroffen werden. Und da also der G r u n d des Zufälligen n i c h t in ihm selbst liegen kann: so muss er a u s s e r ihm gedacht werden. Wenn also auf ein Ding (oder einen Zustand oder ein Geschehen) das Merkmal des Zufälligen passt: so ist in demselben nicht der Grund seines Daseyns (oder Geschehens) enthalten, sondern man muss den G r u n d seiner Zufälligkeit selbst in einem (an sich) n o t h w e n d i g e n Etwas suchen." — Ebenso bekennt sich Hegel zu dem Satz, dass man bei jedem sogenannten F o r t s c h r i t t ins U n e n d l i c h e stets im E n d l i c h e n stehen bleibe: es „werde beständig eine Gränze gesetzt und wieder aufgehoben, sodass man nicht von der Stelle komme." Daher bezeichnet er bekanntlich einen jeden solchen Fortschritt ins Unendliche als eine „ s c h l e c h t e U n e n d l i c h k e i t " (gleichviel ob in Bezug auf die Ausdehnung im Raum, wie auf die Dauer in der Zeit). Und weil auch alles an sich Endliche seinen ganz bestimmten „zureichenden Grund" haben muss (der nicht in ihm selbst liegen kann): so muss es auch seine Wirklichkeit (oder thatsächliche Verwirklichung) stets von einem A n d e r e n empfangen. — Auch Herbart vertritt die im

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

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Bisherigen besprochenen Standpunkte. — Ebenso S e d e r h o l m . Zuletzt muss man auch nach ihm auf eine E r s t e U r s a c h e und eine e r s t e U r k r a f t kommen. — W e s s e n b e r g bezeichnet es als ebenso u n m ö g l i c h , eine Reihe von Ursachen o h n e eine höchste und Erste Ursache zu denken, „wie einen F l u s s o h n e U r s p r u n g " , d. h. ohne eine bestimmte Quelle, von welcher er seinen Ursprung herleitet. „Wir nehmen nirgends den Uranfang eines Seyns wahr: wir sehen überall nur ein W e r d e n . Ein Werden o h n e A n f a n g aber, eine Folgenreihe von Ursachen o h n e Erste Ursache, d. h. ohne einen U r a n f a n g , ist u n d e n k b a r . " — U n d in ganz gleichem Sinn sagtauch B ö h n e r : „Wenn wir in dem Strom des Lebens aufwärts dringen bis zu dessen Quelle, indem wir die Glieder des Gewordenen rückwärts durchprüfen, kommen wir nothwendig — wenn auch Myriaden von Zwischengliedern wären — auf ein E r s t e s G l i e d , als die G r u n d u r s a c h e und Quelle a l l e s W e r d e n s . Diesen e r s t e n G r u n d der gewordenen Dinge kann kein gesunder Mensch leugnen, ohne im Denken stille zu stehen und sein eigenes Denkgesetz zu verleugnen." — So auch U l r i c i . „Zunächst und vornehmlich" — sagt er — „ist es das wissenschaftliche (logische) Denkgesetz der naturgesetzmässigen Verkettungen von Ursachen und Wirkungen (das Causalgesetz), das j e d e n wissenschaftlichen Forscher n ö t h i g t , nach den Gründen und Ursachen der erscheinenden Veränderungen zu forschen und nicht eher zu rasten, als bis er bis zu den l e t z t e n Gründen vorgedrungen zu sein glaubt oder nachzuweisen vermag, dass ein weiteres Vordringen u n m ö g l i c h sey." Und im Hinblick auf eben diese Thatsachen sagt er daher auch ausdrücklich an einem früheren - Ort, dass die g e g e n w ä r t i g e „Wissenschaftlichkeit nur die K e h r s e i t e der früheren U n w i s s e n s c h a f t l i c h k e i t " bilde. „So gewiss" — fährt er fort — „die Reihe von Wirkungen und Ursachen schlechthin undenkbar ist ohne eine E r s t e G r u n d u r s a c h e , d. h. ohne einen e r s t e n , alles Folgende (im Voraus schon) bestimmenden A u s g a n g s -

454

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

p u n k t : so gewiss ist es für die Wissenschaft nicht gleichgültig, w e l c h e n B e g r i f f von dieser Grundursache, diesem primum movens, sie zu ihrer Forschung hinzubringe." — Und ebenso findet sich auch von Seiten S e n g l e r ' s ganz die gleiche Anschauungsweise vertreten, wie die im Bisherigen allgemein dargelegte. — B e r t l i n g endlich geht in Bezug auf die gleichen Verhältnisse von dem Standpunkt aus, dass dem Menschen ein angeborenes „ ü b e r das Gebiet" der bloss sinnlichen Wahrnehmung h i n a u s g e h e n d e s " Erkenntnissvermögen zukommt, und dass eben das Gesetz der natürlichen Verkettung der Ursachen mit ihren Wirkungen es ist, welches uns ein W i s s e n von einem U b e r s i n n l i c h e n eröffnet und ermöglicht. Daher fügt er auch ausdrücklich hinzu, dass gerade ,,die Betrachtung des g e s a m m t e n W i r k l i c h e n " innerhalb dieser sinnlich wahrnehmbaren Welt es ist, durch welche wir mit unabweisbarer (logischer) N o t h w e n d i g k e i t auf ein Etwas geführt werden, welchem wir die grundbestimmenden (constitutiven) Merkmale eines thatsächlichen Ubersinnlichen beizulegen uns gezwungen sehen. — Sehr beherzigenswerth ist in eben diesen Beziehungen auch der folgende Ausspruch S c h & l l i n g ' s im 6. Band seiner W e r k e S. 112. und 113. „Eine jede Weltweisheit (Philosophie)" — sagt er — „die vom E n d l i c h e n ausgeht, verwickelt sich nur zu leicht in Widersprüche. Denn wenn auch das Endliche ihr A n f a n g s p u n k t ist: so ist er es doch nur, um v o n i h m a u s zum Unendlichen (und also auch zu einem thatsächlich U b e r s i n n l i c h e n ) zu gelangen. Eine Weltweisheit, welche überall das Unendliche (und Ubersinnliche) a u s s c h l ö s s e , wäre überhaupt k e i n e Weltweisheit. W e n n daher eine das E n d l i c h e als E r s t e s setzende Weltweisheit zum Unendlichen g e l a n g e n will, so ist dies nicht möglich, ohne folgende Widersprüche zu begehen, nehmlich dass, da sie an der Kette des Endlichen f o r t g e h t , sie auch k e i n a n d e r e s G e s e t z , als dasjenige, welches innerhalb eben dieser K e t t e gilt, befolgen kann. Entweder nimmt

Natürlicher Hinweis des endlichen Daseyns etc.

455

diese Weltweislieit nun an, dass jenes Gesetz aus der R e i h e d e s E n d l i c h e n wirklich in d a s U n e n d l i c h e h i n ü b e r r e i c h e oder n i c h t . Im ersten Fall begeht sie d e n Widerspruch. das, was b l o s s E n d l i c h e s m i t E n d l i c h e m verknüpft, zu einem wirklichen V e r m i t t e l u n g s g l i e d zwischen dem E n d l i c h e n und seinem unbedingt E n t g e g e n g e s e t z t e n , dem an sich U n e n d l i c h e n zu machen; oder sie nimmt dies n i c h t an, alsdann ist sie d a d u r c h im Widerspruch, dass sie eine (vollgültige und allumfassende) E r k e n n t n i s s des U n e n d l i c h e n allein durch das E n d l i c h e (und seine nur für die Endlichkeit dieser Welt gültigen Gesetze) s u c h t . Der natürliche und nothwendige Gang dieser vernunftwissenschaftlichen Ubergänge (philosophischen Metamorphosen) ist daher dieser: Die erste Stufe ist das E n d l i c h e . Unmittelbar auf dieses tritt aber vollkommene E n t z w j i u n g und der G e g e n s a t z des (Endlichen mit dem an sich) U n e n d l i c h e n hervor, welcher Gegensatz so lange fortbesteht, bis die W e l t w e i s h e i t z u m s c h l e c h t h i n U n e n d l i c h e n (und demgemäss zu einem thatsächlich U b e r s i n n l i c h e n ) sich wirklich e r h e b t . " Eben diesen Darlegungen verdanken wir unzweifelhaft einen genügenden Einblick in das ernste Bestreben, mit welchem schon seit den ältesten Zeiten die gründlichsten Denker darauf bedacht gewesen sind, ihre besten geistigen Kräfte daran gesetzt haben, in eben jene dunkeln Verhältnisse und Fragen, mit denen wir uns bisher beschäftigt haben, — soweit als solches endlichen Geistern überhaupt möglich seyn kann — eine immer weiter gehende und immer gründlichere und eben hierdurch den Gesetzen des vernunftgemässen Denkens immer mehr entsprechende, aber eben dadurch auch immer klarere und immer befriedigendere Einsicht zu ermöglichen.

Verzeichniss der in dem dritten Bande citirten Autoren.

A b ä l a r d 381. A b u c a r a ( T h e o d o r Bischoff v. Cara) 442. A l b e r t d. Grosse 276. 444. A n a x a g o r a s 155. Anselm v. C a n t e r b u r y 442. A r i s t o t e l e s 34. 79. 96. 102. 110. 132. 155. 158. 227. 246. 290. 308. 311. 405. 441.

D r o s s b a c h 166. 178. 192. 196. 238. 263. 278. 305. 308. 433. D u m a s 171. D u n s Scotus 403. 407. E n n e m o s e r 83. 296.

F e n e l o n 230. F i n g e r 85. B a a d e r 60. 61. 71. 237. 408. 435. Fischer (K. P.) 93. 263. 336. B a u m a n n 54. 74. 77. 84. 205. 248. F i c h t e 15Ö. 164. 258. 340. 381. 406. F o r t l a g e 276. 313. 263. 277. 281. 314. 315. 396. F r e s e n i u s 277. B a u r 291. F r o h s c h a m m e r 125. 397. B e n n e c k e 203. B e r g e r 206. B e r k e l e y 256. Grfrörer. 102. 112. B e r t l i n g 57. 151. 454. Göschel 418. B ö h m e 102. 124. 406. B ö h n e r 97. 157. 207. 366. 453. Goethe 261. B r a n d i s 109. 121. 123. 155 289. 294. B ü c h n e r 167. 172. 203. 206. 218. 341. H ä c k e l 168. 176. 345. B u r m e i s t e r 176. H a f f n e r 204. H a m b u r g e r 125. H e g e l 35. 72. 94. 150. 258. 278. 282. C a r u s 179. 216. 305. 329. 382.'406. 452. Carus (Lucretius) 123. 157. H e r b a r t 103. 146. 164. 257. 333. 410. C l a r k e 449. 452. Cousin 113. H e t t i n g e r 93. 238. 338. 356. C u s a (Nie. y.) 248. H o b b e s 230. Czolbe 176. 196. 351. H o f f m a n n 122. 125. 164. 238. 357. 435. D a l t o n 237. H u b e r 239. D e s c a r t e s 248. 266. 314. 381. 395. 400. 423. 448. Diogenes L a e r t i u s 102. 109. 121. 123. J a k o b 381. 424. 451. J a k o b i 257. 332. 389. 285.

Verzeichniss der in dem dritten Bande citirten Autoren. K a n t 103. 132. 138. 163. 234. 277. Schelling 62. 83. 91. 96. 97. 100. 113. 132. 136. 138. 147. 150. 381. 410. 451. 236. 261. 298. 333. 381. 407. Kirschmann 238. Krause 60. 79. 81. 89. 103. 300. 308. Schmidt (H.) 69. Schleiermacher 84. 386. 426. Schopenhauer 426. Schwane 336. Schwegler 109. 121. 155. 227. Lammenais 94. 97. Sederholm 453. Lassalle 96. 123. 196. Leibnitz 53. 82. 91. 125. 132. 162. Sintenis 166. 425. Spiller 168. 177. 351. 319. 396. 424. 448. Spinoza 76. 104. 113. 250. 314. Leukipp 156. 406. 418. Locke 15. 96. 125. 231. 251. 316. Steinhard 289. 440. Stentrup 228. 240. 242. 338. | Suabedissen 54. Martin St. 114. 147. I Swedenborg 401. Mädler IIb. Mirabaud 167. Moleschott 168. 175. 350. Taurellus 137. 406. Molitor 114. 147. 408. Tauschenski 225. Tiedemann 108. 120. 155. 228. 285. 289. 312. 423. Newton 449. Thomas v. Aquino 383. 405. 417. Novalis 425. Thophail 112. Oken 97. 114. Oerstedt 105. 204. Oppel 166.

Ulrici 114. 338. 453. Victor (Hugo v. St.) 162. Victor (Richard v. St.) 405. 417. Vogt 168. 175. 205. 358. Volger 196. 349.

457 104. 166. 454.

395.

234. 446

Parmenides 423. Pfaff 112. Philippi 321. 400. W e d e w e r 64. 396. Plato 34. 110. 123. 201. 286. 289. Weigand 386. 391. 416. Werner (Thomas v. Aquino) 112. 124. Plotin (Kirchner) 297. 392. 228. 314. Wessenberg 298. 335. 435. 453. Wiener 176. 177. 346. Itavmund v. Sabunde 406. Wilmarshof 98. 166. Eeimarus 62. 120. 132. 236. 257. 330. Wolff 256. 401. 424. 450. Ritter 55. 150. 187. 27*8. Xenophanes 410. Rohmer 193. Rudlof 126. Zeno 410. 412. Sengler 93. 105. 125. 134. 336. 381. Zollmann 357.

Verlag von VEIT & COMP, in L e i p z i g .

GEHIRN UND SEELE. Rede, gehalten am 31. Oktober 1894 in der Universitätskirche zu Leipzig von

Dr. Paul Flechsig, o. ö. Professor der Psychiatrie an der Universität Leipzig. Zweite, verbesserte, mit Anmerkungen und fünf Tafeln versehene

Ausgabe.

Erster und zweiter unveränderter Abdruck.

Roy. 8.

1896.

geh. 5 Jt.

WIRTSCHAFT UND RECHT N A C H DEK

MATERIALISTISCHEN

GESCHICHTSAUFFASSUNG.

Eine sozialphilosophische Untersuchung von

Dr. Rudolf Stammler, Professor an der Universität Halle a. S.

Vitam impendere gr. 8.

1896.

vero.

geh. 14 Jt, geb. in Halbfranz 16 Jt.

. . . . „Niemand wird in Zukunft über sozialphilosophische Probleme mitreden dürfen, der nicht Professor R u d o l f S t a m m l e r s ,Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung' wirklich kennt." Werner Sombart in „Die Zeit". 1896. Nr. 7. „Stammler's Buch ist eins von jenen seltenen Originalwerken, die von Anfang bis zu Ende auf einem durchaus selbständigen und individuellen Gedankengang beruhen und so der Denkkraft und Eigenart ihres Urhebers ein monumcntum, aere perennius setzen. Darauf beruht nicht nur der, von Zustimmung und Ablehnung im einzelnen oder selbst in den Grundgedanken vollkommen unabhängige W e r t des hervorragenden Werkes, sondern auch der seltene Reiz der Lektüre . . . . Nur in knappen Andeutungen "und in stark verdünntem Aufguß kann das Referat von dem schier unendlichen Reichtum des Inhaltes Kunde geben, aber dafür hoffe ich auch, daß kein Leser das Buch nur aus diesem kennen lernen, daß vielmehr jeder es selbst zur Hand nehmen werde, um sich daraus eine Überzeugung zu verschaffen über die grundlegenden Probleme des sozialen Lebens." Deutsche Litteraturzeitung. 1896. Nr. 41.

Verlag von VEIT & COMP, in Leipzig.

REDEN von

Emil du Bois-Reymond. Erste und zweite Folge. 2 Bände (erste und zweite Folge),

geh. 17 Jl\ eleg. geb. 21 Jh.

Erste Folge.

Litteratur, Philosophie, Zeitgeschichte. gr. 8.

1886.

geh. 8 Jt\ eleg geb. 10 JL

I n h a l t : Voltaire als Naturforscher. — Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft. — Aus den Tagen des Norddeutschen Bundes. — Der deutsche Krieg. — Das Kaiserreich und der Friede. — Ueber die Grenzen des Naturerkennens. — Ueber eine kaiserliche Akademie der deutschen Sprache. — La Mettrie. — Darwin versus Galiani. — Culturgeschichte und Naturwissenschaft. — Ueber das Nationalgefühl. — Friedrich II. und Rousseau. — Die sieben Welträthsel. — Goethe und kein Ende. — Friedrich II. in englischen Urtheilen. — Die Humboldtdenkmäler vor der Berliner Universität. — Diderot. Zweite Folge.

Biographie, Wissenschaft,

Ansprachen.

gr. 8. 1887. geh. 9 Jt\ eleg. geb. 11 Jl. I n h a l t : Ueber die Lebenskraft. — Ueber thierische Bewegung. — Gedächtnissrede auf Paul Krman. — Eduard Hallmann's Leben. — Ueber lebend nach Berlin gebrachte Zitterwelse aus Westafrika. — Gedächtnissrede anf Johannes Müller. — Ueber Universitätseinrichtungen. — Ueber Geschichte der Wissenschaft. — Der physiologische Unterricht sonst und jetzt. — ,Aus den Llanos'. — Ueber die Uebung. — Ueber die wissenschaftlichen Zustände der Gegenwart. — Die Britische Naturforscherversammlung zu Southampton im J a h r e 1882. — Darwin und Kopernicus. — Die Berliner Französische Colonie in der Akademie der Wissenschaften. — Akademische Ansprachen. und

Die Reden von Emil du Bois-Reymond Gelegenheitsgeschenken.

eignen

sich

in

hervorragender

Weise

zu

Fest-

DIE

GRUNDBEGRIFFE DER GEGENWART. Historisch und kritisch entwickelt von

Rudolf Eucken, P r o f e s s o r in J e n a .

Z w e i t e , völlig u m g e a r b e i t e t e A u f l a g e , gr. 8.

1893.

geh. G Jl, geb. in Halbfranz 7 Jl 50 S}.

Die „Grundbegriffe" wollen die Voraussetzungen klar legen, welche die Urteile und Meinungen der Gegenwart beherrschen. Die „Grundbegriffe" kämpfen gegen die Unklarheit und Verschwommenheit der Zeit, sie enthalten nicht bloße Reflexionen über die Zeit. Sie ruhen auf der Überzeugung, daß heute ein weiter Abstand besteht zwischen dem, was die Zeit bedarf und im Grunde auch will, und dem Thun und Treiben, was in die äußere Erscheinung tritt. Diesen Abstand zu verringern, dazu möchten sie beitragen. D r u c k von M e t z g e r & W i t t i g in Leipzig.