Der ewige, allgegenwärtige und allvollkommene Stoff, der einzige mögliche Urgrund alles Seyns und Daseyns: Band 4 [Reprint 2022 ed.] 9783112670644, 9783112670637

121 78 84MB

German Pages 366 [384] Year 1897

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Der ewige, allgegenwärtige und allvollkommene Stoff, der einzige mögliche Urgrund alles Seyns und Daseyns: Band 4 [Reprint 2022 ed.]
 9783112670644, 9783112670637

Table of contents :
Vorwort zum vierten Bande und Nachruf
Inhalt
28. Der erste und letzte Urgrund der Welt und ihrer Dinge kann nicht Innerhalb des Bereiches dieser Welt gefunden werden: nur in irgend einem in sieh urnothwendigen und darum über allem bloss zufälligen Weltdaseyn erhabenen Etwas dürfen wir hoffen, ihn zu finden
29. Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn
30. Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes
31. Das an sich Unbedingte und Allvollkommene in seiner dreifachen begrifflichen Bedeutung- von unendlichem Urstoff, unendlicher Urseele und unendlichem Urgeist
32. Weitere begriffliche Bestimmungen des an sich Unbedingten und Allvollkommenen, wie solche aus dem Bisherigen sich unmittelbar ergeben.
Verzeichniss der in dem vierten Bande citirten Autoren

Citation preview

DER EWIGE, ALLGEGENWÄRTIGE UND ALLVOLLKOMMENE

STOFF, DER EINZIGE MÖGLICHE URGRUND

A L L E S S E Y N S UND D A S E Y N S . VON

EINEM FREIEN WANDERSMANN DURCH DIE GEBIETE

MENSCHLICHEN

WISSENS, DENKENS UND FORSCHENS. VIERTER

BAND.

LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1897.

v

)

DER EWIGE,

ALLGEGENWÄRTIGE

UND

A L L VOLLKOMMENE

STOFF, DER EINZIGE MÖGLICHE URGRUND

A L L E S S E Y N S TOD D A S E Y N S . VON

EINEM FEEIEN WANDERSMANN DÜRCH DIE GEBIETE

MENSCHLICHEN

WISSENS, DENKENS UND FORSCHENS. VIERTER BAND.

LEIPZIG, VERLAG

VON

VEIT

1897.

&

COMP.

Druck von M e t z g e r A W i t t i g In Leipzig.

Vorwort zum vierten Bande und Nachruf. Die Vorrede zu dem im Jahre 1895 erschienenen ersten Bande giebt über das geistige Streben des Verfassers Aufschluss. Er hatte das Werk vollständig entworfen und würde es für die Veröffentlichung ausgearbeitet haben, wenn nicht andauernde, schwere Krankheit ihn daran verhindert hätte. Ein treuer Freund und Verwandter desselben unterzog sich deshalb der Herausgabe unter strenger Festhaltung der in den Aufzeichnungen des Verfassers niedergelegten Gedanken und unter Beibehaltung seiner Schreibweise. Leider hat der Urheber das vollständige Erscheinen seines Werkes im Drucke nicht erlebt. Am 16. Februar dieses Jahres ist er seiner Krankheit erlegen. — Wenn er auch die Veröffentlichung ohne Nennung seines Namens anordnete, so halten doch wir, seine Neffen, uns für berechtigt und verpflichtet, dem letzten Bande ein kurze Lebensgeschichte unseres unvergesslichen Oheims beizufügen. Die Darstellung dieses Lebens ist eine Erklärung und Ergänzung des Werkes. Wie dieses nach der Absicht des nun Verewigten erbauend und veredelnd wirken soll, so ist der ganze Lebensgang unseres seligen Oheims ein erhebendes Vorbild edler Nächstenliebe, des selbstlosen Hinstrebens nach den höchsten Zielen des Menschen, unentwegter Erfüllung desjenigen, was er sich zu seiner Lebensaufgabe gesetzt hatte. Paul August Kesselmeyer ist am 10. September 1813 zu Frankfurt a. M. als der Sohn vermöglicher, angesehener Eltern geboren. Er besuchte die Musterschule seiner Vaterstadt und bildete sich nebenher noch durch Privatunterricht in den verschiedenen Sprachen und Wissenschaften aus. Diese Studien setzte er fort, auch nachdem er im Juli 1828 in das Seidenwaarengeschäft der Gebrüder Passavant in Frankfurt als Lehrling eingetreten war, wo er dann auch als Handlungsgehilfe verblieben ist, bis er im Juni 1835 mit rühmendem Zeugnisse ausschied. Nachher war er in Lyon und Paris kauf-

IV

Vorwort zum vierten Bande und Nachruf.

männisch thätig, gründete im Dezember 1840 in seinem elterlichen Hause ein eigenes Geschäft in Pariser Blumen- und Modewaaren und trat sodann im Jahre 1851 in das Seidenwaarengeschäft von Bernus und Cie. als Gesellschafter ein. Nach seinem Ausscheiden unternahm er Reisen nach England, Frankreich, nach den Donauländern und bis nach Montenegro, besuchte Italien, besonders Corsika, und die verschiedensten Gegenden Deutschlands und der Schweiz. Mit regem Eifer gab er sich dabei den Wissenschaften hin, legte bedeutende Sammlungen von Pflanzen und Mineralien an, die er später an Anstalten verschenkte. Mehr und mehr vertiefte er sich in religiöse, philosophische und naturwissenschaftliche Studien und entstand so in ihm der Drang, die Ergebnisse seines Forschens und eigenen Nachdenkens in dem Werke niederzulegen, das von der Tiefe und Gründlichkeit zeugt, womit er einen reichen Schatz des Wissens nicht nur sich verschaffte, sondern auch selbstständig prüfend durcharbeitete. Mit unausgesetztem Fleisse widmete er Jahre seines Lebens in stiller Zurückgezogenheit seinen Forschungen und seinem Werke, dieses stets ergänzend, verbessernd und umarbeitend. Bescheiden und anspruchslos nur für seine Arbeit lebend und unverheiratet, spendete er nach allen Seiten reichliche Wohlthaten, unterstützte Verwandte und Fremde; dabei hielt er strenge darauf, dass seine Wohlthaten im Verborgenen blieben, denn Wohlthun war ihm Christenpflicht, darin wirkte seine fromme Gläubigkeit. Alle, die ihn kannten, verehrten seinen religiösen und sittlichen Ernst, seine Herzensgüte und erfreuten sich an seiner heiteren, bescheidenen Liebenswürdigkeit im Umgange. Mit dankbarem Herzen, in treuer Verehrung widmen wir dem Entschlafenen diese Vorrede zugleich als Nachruf. Möge sie zur richtigen Würdigung, zum vollen Verständnisse seiner Lebensarbeit beitragen. Dem oben erwähnten treuen Freunde unseres seligen Oheims, der sich der Veröffentlichung dieses Werkes in so liebevoller Weise hingegeben hat, sprechen wir unseren tiefgefühlten Dank aus. Bowdon bei Manchester, im Mai 1897.

"William Johannes Kesselmeyer. Charles Augustus Kesselmeyer.

Inhalt. § 28.

Der erste und letzte Urgrund der Welt und ihrer Dinge kann nicht

Seite

innerhalb des Bereiches dieser Welt gefunden werden: nur in irgend einem in sich urnothwendigen und darum Uber allem bloss zufälligen Weltdaseyn erhabenen Etwas dürfen wir hoffen, ihn zu finden

No. 148. No. 149.

No. 150.

§ 29.

No. 152. No. 153. § 30.

Das Urnothwendige als das in keiner Weise Nichtseyn-Könnende

1

Das Urnothwendige als das Urwirkliche, als das Allgegenwärtige und Ewige, das Unräumliche und Unzeitliche, das ewig Ungewordene und Unvergängliche.

5

Das Urnothwendige als alleiniger Grund und Ursprung seiner selbst; als reine Allgegenwart, Unendlichkeit und Ewigkeit; als Einheit und Einzigkeit, sowie als innere Einfachheit und innere U n t e i l barkeit

11

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn

No. 151.

1

.

.

.

.

25

Das an sich ewig Unendliche und das reine Nichts, das reine Nichtseyn

25

Das Unendliche als unendliche Urkraft und unendliche Urwirksamkeit

33

Die unendliche Urkraft als unendliches Urseyn

.

43

.

50

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes

.

No. 154.

Das Urseyn als Urwesen

50

No. 155.

Das Urseyn als Urseyendes

66

No. 156.

Das Urseyende als das Unbedingte

No. 157.

Das Unbedingte als Urleben

76 105

Inhalt.

VI

No. 158. No. 159.

Seite 110

D a s Unbedingte als das Allvollkommene . . . . Das unbedingt Allvollkommene als innerliche Wesensunveränderlichkeit und Wesensgleichheit, als in sich selber ruhende Bewegung, Thätigkeit und Leben, als Selbst- und Allgenugsamkeit, als Selbstzufriedenheit und Seligkeit

§ 31.

140

Das an sich Unbedingte und Allvollkommene in seiner dreifachen begrifflichen Bedeutung von unendlichem Urstoff, unendlicher Urseele 174

und unendlichem Urgeist

No. 160.

Das

an sich Unendliche

und Allvollkommene

Hinsicht auf dessen stoffliche Wesensseite No. 161.

Das

an

sich Unendliche

Das

an sich Unendliche

.

und Allvollkommene

Hinsicht auf dessen seelische Wesensseite No 162.

.

in

.

. in

.

und Allvollkommene

.

256

in

Hinsicht auf dessen geistige Wesensseite . . . . § 32.

174

259

Weitere begriffliche Bestimmungen des an sich Unbedingten und Allvollkommenen,

wie

solche

aus

dem

Bisherigen

sich

unmittelbar 289

ergeben

No. 163.

Verneinende Begriffe

289

No. 164.

Bejahende Begriffe

321

§ 28. Der erste und letzte Urgrund der Welt und ihrer Dinge kann nicht Innerhalb des Bereiches dieser Welt gefunden werden: nur in irgend einem in sieh urnothwendigen und darum über allem bloss zufälligen Weltdaseyn erhabenen Etwas dürfen w i r hoffen, ihn zu finden. N o . 148.

Das Urnothwendige als das in keiner Weise Nichtseyn-Könnende.

ie W e l t , wie wir dieselbe um uns her durch unsere Sinne wahrnehmen, ist in Wirklichkeit wesenhaft da und thatsächlich v o r h a n d e n . Es ist dies kein bloss wesenloser T r a u m , kein bloss trügerischer Schein, wie mitunter irrthümlich wohl angenommen worden ist. Denn wenn wir auch alles um uns her für nichtig und alle unsere Sinneswahrnehmungen für bloss flüchtigen Sinnesreiz erklären wollten, von dem wir keine Gewissheit hätten, dass er uns nicht trüge: Eines bleibt für uns doch unumstösslich feststehend; denn an der Wirklichkeit u n s e r e r e i g e n e n P e r s o n können wir in keiner Weise zweifeln. „ W i r haben" — sagt J a c o b i — „keine grössere G e w i s s h e i t als die Gewissheit u n s e r e s D a s e i n s . " Und ebenso spricht S c h ö l l i n g von der „blinden G e w i s s h e i t der E r f a h r u n g , die wir von dem eigenen Seyn haben." Und ebenso bezeichnet er auch weiterhin das „ I c h b i n " als eine „untrügliche Gewissheit". — Daher sagt auch D e s c a r t e s mit vollem Recht: „Ich d e n k e , also b i n ich." Das Denken ist der Ausdruck unserer höchsten geistigen Thätigkeit: in ihm Wandersmann.

IV.

1

2

Die innere Unselbatständigkeit aller natürlichen Dinge.

finden wir den höchsten Ausdruck unseres Selbstbewusstseyns und unserer eigenen S e l b s t g e w i s s h e i t , wie die kräftigste Anregung, nicht nur über die Verhältnisse dieser Welt im Allgemeinen, sondern namentlich auch über den Grund und Ursprung unseres eigenen Ich und Selbst noch immer gründlicher nachzuforschen. Und somit dürfen auch wir wohl mit dem gleichen Rechte, mit welchem DESCABTES jenen Satz „Ich denke, also bin ich" zum Ausgangspunkt für alle seine weiteren Forschungen gemacht hat, eben diese unzweifelhafte Gewissheit unseres eigenen Daseyns als die naturgemässeste Grundlage für den weiteren Verlauf unserer Untersuchungen ohne Bedenken aufstellen. Bevor wir jedoch damit beginnen, dürfte es nicht unangemessen erscheinen, uns noch einige nähere Aufklärung über einen Begriff zu verschaffen, dem im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen eine wesentliche Rolle zukommen wird: es ist dies der Begriff des „Nothwendigen". Wir bedienen uns dieses Begriffes sehr häufig schon im gewöhnlichen Leben; doch werden wir finden, dass ihm sehr verschiedene Bedeutungen zukommen. Weigand gibt hierzu zwei Erklärungen; die eine und allgemeinere lautet: was „von unabänderlicher Unentb e h r l i c h k e i t " zu etwas ist; die andere, stärkere-dazu, lautet: „was nicht anders seyn kann, als es ist". — Im ersteren Fall also nimmt der Begriff der Nothwendigkeit oder des Nothwendigen Bezug auf einen fremden und äusserlichen Gegenstand, ohne dessen Vorhandenseyn und Mitwirkung etwas nicht seyn oder geschehen kann; im zweiten Fall dagegen liegt der Begriff der Nothwendigkeit im inneren Wesen des betreffenden Gegenstandes selber. Wir werden finden, dass beide Begriffsbestimmungen für unsere gegenwärtige Untersuchung zugleich in Betracht kommen. Suchen wir nach einem allgemeinen Weltgrund, um das Vorhandenseyn dieser Welt in genügender Weise zu erklären: so suchen wir nach einem Etwas, welches alle die Bedingungen in sich einzuschliessen verspricht, die zur

Der erste und letzte Urgrund der W e l t etc.

3

Erklärung des Weltdaseyns überhaupt e r f o r d e r l i c h und also für dieselbe u n e n t b e h r l i c h und n o t h w e n d i g sind. Handelt es sich dagegen um eben dieses zur Erklärung der Welt unentbehrliche und darum für sie nothwendige Etwas s e l b e r : so bedürfen wir, zu einer richtigen Beurtheilung desselben, des zweiten Begriffes, nehmlich desjenigen des in sich selber F e s t s t e h e n d e n und F e s t b e g r ü n d e t e n , „das gar n i c h t a n d e r s seyn kann, als es i s t " , oder — wie wir uns nunmehr noch richtiger ausdrücken dürfen — welches gar nicht anders seyn d a r f , als es seyn m u s s , um das Daseyn dieser Welt auch wirklich in einer v o l l g ü l t i g e n Weise zu erklären. Es werden demnach eben diesem Urnothwendigen Vernunft- und naturgemäss alle diejenigen Eigenschaften wirklich innerlich zukommen m ü s s e n , demgemäss aber auch von unserer Seite demselben zuerkannt werden d ü r f e n , welche erforderlich sind, damit dasselbe auch thatsächlich als v o l l g ü l t i g e r G r u n d für das Daseyn einer Welt wie die unsrige zu gelten vermag. Zu jenem „ n i c h t a n d e r s seyn Können, als es i s t " — gehört aber in begrifflicher Hinsicht zweierlei: einmal, dass eben jenes urn o t h w e n d i g e E t w a s in keiner Weise im Stande seyn kann, bald so und bald a n d e r s zu seyn, als es seinem Grundbegriff gemäss s e y n muss; zum Anderen aber auch, dass es, ohne in einen W i d e r s p r u c h mit sich zu gerathen, auch niem a l s g a r n i c h t seyn kann, und somit vernünftiger Weise auch g a r n i c h t als n i c h t in Wirklichkeit b e s t e h e n d von uns gedacht oder aufgefasst werden kann. In der ersteren dieser beiden Bedeutungen sagt bereits A r i s t o t e l e s : „Wir sagen von dem, was sich n i c h t a n d e r s verhalten k a n n (als es sich wirklich verhält), es verhalte sich n o t h w e n d i g e r W e i s e so, und diese Bedeutung ist es, die gewissermassen allen anderen Bedeutungen des N o t h w e n d i g e n zu Grunde liegt." — K a n t unterscheidet, ganz in demselben Sinn, noch im Besonderen drei verschiedene Arten von Nothwendigkeit, welche jedoch der Sache nach ziemlich das Gleiche aussagen. Nehmlich 1) „das l*

4

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

ist schlechterdings n o t h w e n d i g , selbst

unmöglich

schlechterdings Gegentheil

ist";

2)

unmöglich

dessen G e g e n t h e i l an sich

dasjenige, ist";

„dessen

Nichtseyn

und 3) dasjenige,

sich selbst w i d e r s p r i c h t " .



„dessen

Die erste und

dritte dieser drei Ausdrucksweisen hat auch H e r b a r t sich angeeignet. — Die zweite Ausdrucksweise findet sich bei H o b b e s und S c h ö l l i n g vertreten.

„Nothwendige Wirklichkeit" —

sagt der Erstere — „ist diejenige, von welcher es u n m ö g l i c h ist, dass sie n i c h t sey", und SCHELLING bezeichnet „das n i c h t n i c h t s e y n K ö n n e n d e " als das „ n o t h w e n d i g Seyende".



Der Ersteren begegnen wir auch bei M o l i t o r . — Und endlich sagt B a u m a n n :

„Die N o t w e n d i g k e i t

ist nichts als eine

u n a b ä n d e r l i c h e T h a t s ä c h l i c h k e i t des Vorstellens, und zwar eine u n a b ä n d e r l i c h f e s t e (und ein für allemal in sich selber feststehende) Thatsächlichkeit."



In eben diesen wenigen Beispielen haben wir die wesentlichsten Gesichtspunkte vor Augen, unter welchen der Begriff und das Wesen eines wirklich und thatsächlich N o t h w e n d i g e n im Allgemeinen

von Seiten der namhaftesten

Forscher sind

aufgestellt worden, und wie diese aus eben jenen

Gesichts-

punkten hervorgegangenen Anschauungen denn auch, wenngleich unter den mannigfachsten,

jedoch meist unwesentlichen

änderungen, sich bis in die Jetztzeit erstrecken.

Ab-

Doch einer

Darstellung von Seiten L e i b n i t z ' möchten wir hier noch gedenken.

„In der ganzen Reihe der Dinge, welche die Ge-

sammtheit (congregatum) dieser Welt bilden, kann der r e i c h e n d e G r u n d ihres Daseyns nicht gefunden werden.

ausIn

den vorhergehenden Zuständen der Welt (und ihrer Dinge) liegt nach

gewissen

Gesetzen

der Veränderung

die Ursache

der

folgenden Zustände: aber nie der v o l l e Grund, warum (und wodurch) überhaupt eine Welt da ist.

Demgemäss würde, selbst

wenn die W e l t ewig w ä r e , deren Grund anderweitig gesucht werden müssen, weil sie eine Aufeinanderfolge von Zuständen darstellt.

Auch in diesem Fall also würde ein letzter a u s s e r -

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

5

w e l t l i c h e r Grund nicht vermieden werden, und man wird demgemäss von der Welt aus zu Etwas hingedrängt, was schlechthin übernatürliche Nothwendigkeit dergestalt darzustellen vermag, dass schon dessen B e g r i f f sein nothwendiges \

V o r h a n d e n s e y n mit in sich e i n s c h l i e s s t (cujus essentia sit esse existentia)." Und weiterhin sagt LEIBNITZ, dass, wenn „man nicht zu einem solchen an sich nothwendigen Etwas zu gelangen vermöchte, man auch keinen zureichenden Grund zur Erklärung hesässe, bei welchem man enden könnte. Sobald man aber" — fügt er anderweitig hinzu — „überhaupt einmal zugeben dürfe, dass ein solcher Grund m ö g l i c h seyn könne: dann müsse auch zugestanden werden, dass er w i r k l i c h bes t e h e , und zwar, dass er auch n o t h w e n d i g bestehen müsse." — Auch wir können aus allen diesen Gründen eben jenem, unserer geistigen Anschauung bis jetzt nur in den allgemeinsten Zügen zugänglich gewordenen ü b e r s i n n l i c h e E t w a s , bei dem gegenwärtigen Standpunkt unserer Untersuchungen wohl kaum eine dem Ganzen entsprechendere Bezeichnung beilegen als diejenige eines thatsächlich U r n o t h w e n d i g e n . Wie und in welcher Weise wir uns nun aber für berechtigt halten dürfen, in demselben den wahren und eigentlichen U r g r u n d , die wirklich-zureichende E r s t e U r s a c h e für das Gesammtdaseyn unserer Welt zu erblicken: dies vermag erst der weitere Verlauf unserer Untersuchung zu ergeben. NO. 149. Das Urnothwendige als das Unwirkliche, als das Allgegenwärtige und Ewige, das Unräumliche und Unzeitliche, das ewig Ungewordene und Unvergängliche. Es liegt an sich in dem Begriff des N o t h w e n d i g e n , dass es allewege begrifflich m ö g l i c h seyn muss, d. h. dass sein Begriff keinen Widerspruch in sich selbst enthalten darf. Dies ist aber keineswegs in dem Sinn aufzufassen, als ob es lediglich als eine rein willkürliche Bildung oder Vorstellung

6

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

unseres menschlichen Denkens dürfe betrachtet werden, dem möglicherweise alle thatsächliche Wirklichkeit abgehen könnte. Eine derartige Auffassung würde wohl für Vorstellungen ihre Geltung haben, die wir uns willkürlich in Bezug auf Dinge bilden, welche der sichtbaren Welt angehören. So mögen wir uns z. B. recht wohl eine goldene Insel denken, voll von goldenen Bäumen mit lauter goldenen Früchten u. s. w., was aber alles, bloss desshalb, weil wir es uns so vorstellen können, doch keineswegs auch wirklich zu seyn braucht. Aber ganz anders verhält es sich damit in Bezug auf jenes s c h l e c h t h i n N o t w e n d i g e , ohne welches ein jeglicher Vernunft-und Naturgrund uns fehlen würde, um irgend ein endliches Daseyn überhaupt darauf gründen oder daraus erklären zu können. Eben diesem schlechthin Nothwendigen muss schon aus dem Grund eine thatsächliche W i r k l i c h k e i t zuerkannt werden, weil es schon seinem eigenen vernunftgemässen G r u n d b e g r i f f nach in keiner Weise als n i c h t s e y e n d kann gedacht oder als auch nur möglicher Weise n i c h t w i r k l i c h s e y e n d darf bezeichnet werden. Seine eigene thatsächliche Nothwendigkeit muss ihm schon an und für sich B ü r g s c h a f t seyn auch für die unumgängliche N o t h w e n d i g k e i t seiner e i g e n e n W i r k l i c h k e i t . Denn käme ihm k e i n e eigene Wirklichkeit in allererster Linie zu, wie sollte es den Grund abgeben können für noch andere Daseynsweisen? Somit sind also U r n o t h w e n d i g k e i t und U r w i r k l i c h k e i t Begriffe, welche wechselseitig einander fordern und demgemäss sich gar nicht von einander trennen lassen. Die Nothwendigkeit des Einen hat auch die Nothwendigkeit des Andern in seinem unmittelbaren Gefolge: sie decken einander vollständig, und derselbe begriffliche Werth, welcher dem E i n e n von beiden zuerkannt werden muss, muss allewege und mit beiderseitiger Urnothwendigkeit auch dem A n d e r e n zuerkannt werden. Das U r n o t h w e n d i g e vermöchte n i c h t zu bestehen, wäre es nicht zugleich auch ein thatsächlich U r w i r k l i c h e s : sein Begriff wäre ein leerer Schall ohne Sinn und Be-

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

7

deutung. Aber auch kein U r w i r k l i c h e s vermöchte jemals zu bestehen, läge ihm nicht eine eigene i n n e r e N o t h w e n d i g k e i t zu Grunde, vermöge welcher es dem Auge des Geistes auch thatsächlich als ein schlechthin U r w i r k l i c h e s sich darzustellen im Stande ist. Auch hier heisst es also, wie in so manchen anderen Fällen: das Eine steht oder fällt mit dem Anderen. Was nun aber, wie wir gesehen, in keiner Weise jemals irgendwie, irgendwo oder irgendwann als n i c h t w i r k l i c h und n i c h t t h a t s ä c h l i c h vorhanden, d. h. was niemals und unter keiner Bedingung als w i r k l i c h n i c h t seyend oder als n i c h t w i r k l i c h seyend darf betrachtet werden, was also als die reinste U r n o t h w e n d i g k e i t und U r w i r k l i c h k e i t als solche dem Auge unseres Geistes sich darstellt: das muss unter allen Umständen und Verhältnissen auch unausweichlich als mit innerer Nothwendigkeit ü b e r a l l und i m m e r d a r vorhanden sich ausnahmslos bewähren. Während die Begriffe von R a u m und von Z e i t nur allein dem Gebiet des Endlichen und sinnlich Wahrnehmbaren angehören, und also auch in dieser ihrer natür= lieh endlichen Bedeutung in keiner Weise auf das Gebiet des Ü b e r s i n n l i c h e n dürfen übertragen werden: sind es nunmehr, im Gegensatz zu den Begriffen des Raumes und der Zeit, die Begriffe der A l l g e g e n w a r t und der E w i g k e i t , zu welchen wir, von ihren beiden Schwesterbegriffen des Urnothwendigen und des Urwirklicben aus, unausweichlich hingeleitet werden. Wie R a u m und Z e i t unabtrennbar an das Gebiet des s i n n l i c h e n Daseyns gefesselt sind: ebenso untrennbar sind A l l g e g e n w a r t und E w i g k e i t an das Gebiet des U b e r s i n n l i c h e n gefesselt. Und wie Raum und Zeit gemeinsam in dem Allgemeinbegriff der E n d l i c h k e i t dieser sichtbaren Welt aufgehen: ebenso A l l g e g e n w a r t und E w i g k e i t in dem beiden gemeinschaftlich zukommenden Allgemeinbegriff der U n e n d l i c h k e i t oder der U n b e g r ä n z t h e i t . Eben hierin haben wir aber zugleich auch den tieferen Grund dafür zu erblicken, wie

8

Die innere Uliselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

es kommt, dass nicht etwa bloss im gewöhnlichen Leben, sondern in wissenschaftlichen Arbeiten so vielfach von einem „unendlichen Raum" und von einer „unendlichen Zeit" gesprochen wird, nicht darauf achtend, dass ein bloss von lauter endlichen Dingen gebildeter Raum, sowie eine nur aus dem steten Wechsel von lauter an sich endlichen Verhältnissen hervorgehende Zeit n i e m a l s , weder an sich unendlich seyn, noch bis ins Endlose sich zu erstrecken im Stande seyn können. Wäre es daher jenem an sich Urnothwendigen und Urwirklichen überhaupt möglich, irgendwo oder irgend einmal n i c h t zu seyn: so befände es sich im W i d e r s p r u c h mit sich selber; denn sobald es vermöchte an irgend einem Ort oder zu irgend einer Zeit n i c h t zu seyn: so würde es seinen eigenen Ur- und Grundbegriff verleugnen und also das in keiner Weise mehr sein und darstellen, was es eben einmal seinem Begriff nach seyn soll und seyn muss. Es würde also auch nicht mehr als der erste Urgrund und die erste Ursache für irgend ein Anderes gelten können. „Das, dessen Nichtseyn ein W i d e r s p r u c h ist" — sagt C r o u s a z — „ist nothwendig zu a l l e n Z e i t e n und an a l l e n Orten. — Das Urwirkliche und Urnothwendige kann, wie keine äusseren G r ä n z e n , so auch keine L ü c k e n in seinem Innern kennen. Wie wir jenes schlechthin U r n o t h w e n d i g e und Urwirkl i c h e bereits als ein vollständig Un- oder U b e r s i n n l i c h e s , damit zugleich aber auch als ein thatsächlich U b e r n a t ü r l i c h e s , in der eigentlichsten Bedeutung dieser Worte kennen gelernt haben: so nunmehr als ein an sich schlechthin A l l g e g e n w ä r t i g e s und E w i g e s , auch als ein ebenso schlechthin Un- oder Überräumliches und U n - oder U b e r z e i t l i c h e s , d. h. mit anderen Worten als ein ebenso ewig U n g e w o r d e n e s wie Unvergängliches. Und ganz in diesem Sinn sagt auch K r a u s e : „Ich verstehe unter »ewig«, dem Sprachgebrauche zufolge, n i c h t das u n e n d l i c h - l a n g Z e i t l i c h e , was (vermeintlich) innerhalb einer u n e n d l i c h e n Z e i t sich e n d l o s

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

9

erstreckt, sondern ich verstehe darunter das U n z e i t l i c h e , das Ü b e r z e i t l i c h e . " — Alle diese begrifflichen Verhältnisse schliessen sich so unmittelbar an einander an, sie gehen so sachgemäss aus einander hervor, dass wir schon aus diesem Grund eine gewisse Vorahnung davon haben dürfen, dass wir nach der bis jetzt eingeschlagenen Richtung hin uns wohl auf einer richtigen Fährte in Bezug auf den Zweck unserer gegenwärtigen Untersuchungen befinden dürften. Denn wie das Vorhände nseyn eines an sich bloss Z u f ä l l i g e n auch gleichzeitig das Vorhandenseyn eines an sich N o t h w e n d i g e n und U r w i r k l i c h e n bedarf, um sein eigenes Vorhandenseyn zu erklären: ebenso verlangt ein jedes E n d l i c h e nach einem an sich U n e n d l i c h e n , in dem es den vollgültigen Erklärungsgrund auch seines eigenen Daseyns finden kann. Ganz in diesem Sinn soll, nach BBANDIS, bereits Anaximander für eben dieses Urnothwendige der Bezeichnung „ccgxi¥' oder des U r g r u n d e s sich bedient haben, indem er mit diesem Begriff eben jenes U r - E j - s t e jenes U n e n d l i c h e und U n v e r g ä n g l i c h e , jenes schlechthin V o r a u s s e t z u n g s l o s e und eben darum auch zugleich U r w i r k l i c h e und U r n o t h w e n d i g e verstand und bezeichnete, v o r welchem und ü b e r welches hinaus überhaupt gar nichts Anderes mehr vernunftgemäss denkbar oder irgendwie vorstellbar seyn kann. — „ D a s Nothwendige" — sagt A r i s t o t e l e s — „beherrscht nicht Alles auf gleiche Weise. Die (durch besondere Umstände) bedingte Nothwendigkeit beherrscht alles Entstehende; die u n b e d i n g t e (oder schlechthinige) N o t h w e n d i g k e i t dagegen beherrscht das E w i g e . Wovon es daher schlechthin nothwendig ist, dass es s e y , von dem ist es auch unmöglich, dass es n i c h t sey: folglich, wenn Etwas m i t N o t h w e n d i g k e i t ist, so ist es ein I m m e r w ä h r e n d e s . " Und an einem anderen Ort: „Alles U n v e r g ä n g l i c h e (d. i. Ewige) ist w i r k l i c h . Auch das an sich N o t h w e n d i g e ist nicht blosse Möglichkeit, sondern es i s t durch seine e w i g e W i r k s a m k e i t " , welchem Ausspruch er dann weiterhin hinzufügt:

10

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

„Gäbe es nicht ein E w i g e s , für sich B e s t e h e n d e s , Bleibfnd e s : wie könnte Ordnung stattfinden?" — So sagt aich R i c h a r d V. St. V i c t o r : „Das E w i g e kann du:chius n i e m a l s nicht seyn, wie es niemals nicht war und riemals nicht seyn wird: i m m e r ist es, was es ist, und kam lie etwas Anderes oder auf andere Weise seyn." — Und Locte, von dem zeitlich Gegebenen ausgehend, sagt: „Wer etvas j e t z t Vorhandenes betrachtet, muss nothwendig auf ein Ewiges kommen." — Auch C l a r k e sagt in ganz gleichem Shn: „Wäre nichts von E w i g k e i t gewesen, so müsste man einräumen, dass alles jetzt Vorhandene aus dem Nichts hervorgegangen sey. Die E w i g k e i t ist mit der zeitlichen (successiven) Dauer n i c h t zu vereinbaren, und beide können schlechterdings nicht zusammen gedacht werden." — Kant bezeichnet es als einen sicheren Schluss, dass „der e r s t e Grund (das erste Subject) alles Entstehens und Vergehens s e l b e r nicht e n t s t e h e n noch v e r g e h e n könne. Das an sich Nothwendige ist ewig, und sein N i c h t s e y n ist schlechterdings unmöglich: mithin auch sein U r s p r u n g und Untergang. — „Das E n d l i c h e " — sagt Hegel — „ist ein solches, das bestimmt ist, seinen Grund (sein Seyn) nicht in ihm selbst zu haben, sondern das, was es ist, in einem Anderen hat. Und dieses Andere ist das U n e n d l i c h e . " Und ebenso bezeichnet er an einem anderen Ort auch das in sich selber N o t h w e n d i g e als das U n e n d l i c h e . — Und in ähnlicher Weise wird von Seiten der K a b b a l a h das schlechthin U n e n d l i c h e als „das E r s t e und o b e r s t e Glied alles Werdens" bezeichnet als „der Alte aller Alten", und als die „Ursache aller Ursachen". — „Die wahre U n e n d l i c h k e i t " — sagt S c h ö l l i n g — „ist völlig u n a b h ä n g i g von Raum und Zeit. „ K e i n e Z e i t , auch keine unendliche, schöpft es jemals aus. Daher können wir uns die unbedingte E w i g k e i t nur a u s s e r a l l e r Z e i t vorstellen." Und an einem anderen Ort: „Die wahre E w i g k e i t kann nie ein Glied der Zeit werden, weil sie durch die Zeit gar nicht berührt wiird,

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

11

sondern, von der Zeit u n a n g e r ü h r t , selbst durch die Zeit hindurch, bleibt und besteht." — Ähnlich B a a d e r : „Die Z e i t hat nur Bestand im N i c h t b e s t a n d . Im U b e r s i n n l i c h e n (Ubermateriellen) fallen H i e r und U b e r a l l , J e t z t und I m m e r d a r in E i n s zusammen. Denn nicht das J e t z t und das I m m e r , nicht das H i e r und das Ü b e r a l l hören im r ä u m - und z e i t f r e i e n Gebiete auf; sondern es ist nur ihr Gegensatz (oder ihre beiderseitige begriffliche Entgegensetzung), welcher aufhört als V e r n e i n u n g " , d. h. als Aufhebung und Ausserachtlassung eben jener begrifflichen Einheit und Gleichwerthigkeit, welche ihnen im Gebiet des U n e n d l i c h e n und E w i g e n schlechthin zukommen muss. — N o . 1 5 0 . Das Urnothwendige als alleiniger Grund und Ursprung seiner selbst; als reine Allgegenwart, Unendlichkeit und Ewigkeit; als Einheit und Einzigkeit, sowie als innere Einfachheit und innere Untheilbarkeit. Schon aus dem blossen Grundbegriffeines an sich U r n o t h w e n d i g e n , als solches auch immerdar U r w i r k l i c h e n und E w i g e n , das nie entstanden seyn kann, muss es mit unzweifelhafter Gewissheit hervorgehen, dass es nur allein unmittelbar a u s s i c h s e l b s t und d u r c h s i c h s e l b s t besteht und nur allein auf diese Weise zu bestehen im Stande seyn kann. Denn was seinen eigenen Daseynsgrund aus gar nichts Anderem herzuleiten vermag, und darum als ein schlechthin E w i g e s unbedingt von uns anerkannt werden muss, das vermag nach den Gesetzen vernunftgemässen Denkens auch nur dadurch von E w i g k e i t her zu bestehen, dass es, und zwar ebenfalls von Ewigkeit her, den ganzen und vollen G r u n d seiner Wirklichkeit v o l l g ü l t i g in s i c h s e l b s t besitzt. Mögen wir auch die Art und Weise, wie solches thatsächlich der Fall seyn mag, für jetzt noch nicht näher darzuthun im Stande seyn: so sind doch die bereits eben geschilderten thatsächlichen Verhältnisse hinlänglich im Stande, jenem an sich urnothwendigen E t w a s vor

12

Die innere Unselbstatändigkeit aller natürlichen Dinge.

dem Richterstuhl der alles prüfenden Vernunft die wahre Beglaubigung und Anerkennung seiner thatsächlichen U r w i r k l i c h k e i t und U r s e l b s t s t ä n d i g k e i t in vollgültigster Weise zu sichern. Denn dasjenige, was der l e t z t e G r u n d alles A n d e r e n seyn soll, muss doch nothwendig und selbstverständlich v o r A l l e m den G r u n d auch s e i n e r s e l b s t von Ewigkeit in vollkommen anfangsloser Weise in sich tragen. Die Wahrheit und Richtigkeit, die innere Yernunftnothwendigkeit eben dieses Satzes wird von jeher von allen namhaften Denkern, welche nach einer richtigen Erkenntniss des wahren Ursprungs aller Dinge strebten, in seiner ganzen Bedeutung anerkannt und ausgesprochen. Die besonderen Benennungen, welche sie mitunter diesem ewig nothwendigen Urgrund alles Vorhandenen beizulegen pflegten, bleiben für unsere eigene gegenwärtige Untersuchung gleichgültig: es ist allein die Sache selbst, und deren unumstössliche Wahrheit, die wir im Auge haben und um die es sich handelt. Schon A r i s t o t e l e s gelangte durch die Betrachtung des Weltgebäudes zu der Uberzeugung, dass zur Erklärung der Bewegungen, welche in denselben unausgesetzt wahrzunehmen sind, es „eines E r s t e n B e w e g e n d e n oder B e w e g e r s " bedürfe, der „in sich selber G r u n d aller Bewegung" sey. — So sagt auch A v i c e n n a , dass „das an sich N o t h w e n d i g e keine U r s a c h e habe. Denn was an sich nothwendig ist, kann von keinem Anderen das Daseyn haben." — Ahnlich bezeichnet H u g o V. St. V i c t o r „dasjenige, was weder Anfang noch Ende hat, das Ewige", als dasjenige, „bei welchem U r s a c h e und W i r k u n g nicht verschieden sind", d. h. in dessen Innerem also Ursache und Wirkung ewig in E i n s zusammenfallen. — So sagt auch R i c h a r d V. St. V i c t o r : ,,Ein wirklich Vorhandenes hat entweder sein Vorhandenseyn von E w i g k e i t u n d v o n s i c h , oder es hat es w e d e r von Ewigkeit n o c h von sich, oder es hat es von E w i g k e i t aber n i c h t von sich. Nichts aber kann von sieb selbst seyn, als was von Ewigkeit

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

13

ist. Denn was einmal in der Zeit a n g e f a n g e n hat zu seyn, war einmal nichts und hatte somit auch nichts, konnte also w e d e r s i c h noch A n d e r e m das Seyn und Können geben. Also kann auch nichts von s i c h s e l b s t s e y n , was nicht selber von E w i g k e i t h e r i s t . Von dem Unzweifelhaften aber, d. h. von den uns bekannten Gegenständen muss man ausgehen und von ihnen auf das schliessen, was ü b e r uns ist. Nun hat alles Z e i t l i c h e aber dasjenige gemein, dass es n i c h t von E w i g k e i t ist, und eben deshalb auch n i c h t v o n s i c h s e l b s t . Aus dem Zeitlichen nun, das sein Seyn n i c h t aus sich selbst hat, schliesst man auf dasjenige, was von s i c h s e l b s t und daher von E w i g k e i t ist. — Der gleichen Grundanschauung begegnen wir bei T h o m a s V. A q u i n o . Auch nach ihm weist alles Z u f ä l l i g e auf ein N o t h w e n d i g e s zurück, als letzte Ursache alles Zufälligen. Und so muss es auch nach ihm zuletzt ein Nothwendiges geben, welches den G r u n d seiner Nothwendigkeit in s i c h s e l b e r hat. — I n seiner Entgegnung auf die ihm gemachten Einwendungen in Bezug auf seine „Erste Betrachtung über die Dinge, die man in Zweifel ziehen kann", bemerkt D e s c a r t e s , ,,er sage n i c h t , es sey u n m ö g l i c h , dass Etwas die m i t w i r k e n d e U r s a c h e von s i c h s e l b e r seyn könne. Denn thatsächlich sey dies m ö g l i c h in allen den Fällen, in welchen die Ursache ihrer Wirkung der Zeit nach v o r a n g e h e . " Es muss dies bekanntlich stets der Fall seyn, wo zwei oder mehrere Körper in gegenseitigem Wechsel verkehr sich befinden: der E i n e Körper tritt auf als w i r k e n d e U r s a c h e , und ein a n d e r e r , mit ihm in Berührung stehender Körper nimmt die W i r k u n g jener wirkenden Ursache in sich auf. In allen derartigen Fällen treten also Ursache und Wirkung nicht in Einem und demselben Gegenstand ins Eins zusammen, sondern finden sich von einander g e s c h i e d e n in zwei von einander verschiedenen Körpern. Daher sagt DESCARTES denn auch ausdrücklich, dass es n i c h t zulässig erscheine, die F r a g e , um die es sich hier

14

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

handelt, nur allein auf derartige Fälle zu beschränken. Denn — so fügt er hinzu — »wer weiss nicht, dass Ein und dies e l b e S a c h e unmöglich v e r s c h i e d e n seyn kann von sich s e l b e r , noch dass sie sich s e l b e r in der Zeit vorausg e h e n kann? Unser natürlicher Verstand (lumière naturelle) sagt uns n i c h t , es gehöre (mit innerer Nothwendigkeit) zu den Eigentümlichkeiten der w i r k e n d e n U r s a c h e , ihrer Wirkung der Zeit nach v o r a u s z u g e h e n ; im Gegentheil, wenn wir genau reden wollen, so kommt ihr weder der Name noch das Wesen (la nature) einer w i r k e n d e n U r s a c h e zu, wofern sie nicht auch (unmittelbar) von i h r e r W i r k u n g b e g l e i t e t ist. In gleicher Weise sagt uns der natürliche Verstand, dass es n i c h t s gibt, in Bezug auf welches wir nicht nach dem Grund zu fragen und zu forschen berechtigt sind, d u r c h welchen es ist, oder, wenn es k e i n e n solchen Grund hat, darnach zu fragen, warum es keines solchen bedarf? Aber ich gestehe offen, dass es in der That etwas geben kann, in welchem eine so grosse und so unerschöpfliche eigene innere Wirksamkeit (puissance) vorhanden ist, dass es nie einer sonstigen Hülfe bedarf, um zu bestehen, und welches daher im vollen Sinn des Wortes als die U r s a c h e seiner s e l b s t bezeichnet werden darf." — „Erheben wir uns" — sagt St. Martin — „bis zu jenem h ö c h s t e n und o b e r s t e n U r g r u n d von Allem (à ce principe suprême), so werden wir wahrnehmen, dass alles, was zu ihm gehört (tontes ses facultés), ihm mit N o t h w e n d i g k e i t zukommt (est constitué par sa propre essence), so dass dies Alles für immer über jede Zerstörung erhaben ist (est soustrait à jamais à toute destruction)." — So sagt in ähnlichem Sinn auch Hegel: „Von dem (an sich) N o t h w e n d i g e n verlangen wir, dass es das, w a s es ist, d u r c h sich s e l b s t sey: es ist die einfache Beziehung auf sich." — Desgleichen Schelling: „Der letzte Grund aller Wirklichkeit ist nur ein E t w a s , das allein d u r c h sich s e l b s t ist." — Ebenso Molitor: „Eine schlechthin anfanglose E w i g k e i t besitzt nur dasjenige, was a u s s i c h

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

15

s e l b e r urständet und seinen Grund in s i c h s e l b e r trägt." — Franz Hoffmann spricht (nach KOTZENBEBGEB) in Bezug auf den allgemeinen Grundsatz der Denklehre, „man solle nichts denken ohne Grund", sich dahin aus, dass ,,es auch Wahrheiten gebe, die eines Beweises weder bedürftig noch fähig seyen." Daher bringt HOFFMANN statt dessen die Formel in Vorschlag: „Jede deiner Annahmen muss einen Grund haben, und du musst deshalb so lange von Grund zu Grund aufsteigen, bis du zu einem Grund gelangst, der k e i n e r w e i t e r e n B e g r ü n d u n g m e h r b e d a r f , sondern nur begründet ist, weil er den Grund seiner W a h r h e i t (und seiner Wirklichkeit) in s i c h s e l b e r hat. — Es liegt in der Natur der Sache, dass eben jenes U r n o t h w e n d i g e , jenes U r w i r k l i c h e und E w i g e , nach allem bis dahin Erörterten schlechthin nur E i n e s , d. h. der Zahl nach ein E i n z i g e s seyn kann. Denn wollten wir auch nur den Versuch machen, uns eine Mehrheit oder Vielheit derselben als möglich zu denken, so würden dieselben sofort als in einem inneren W i d e r s p r u c h mit sich selber, d. h. mit ihrem eigenen Grundbegriff sich befinden, und kein Einziges von diesen Mehreren vermöchte wirklich das zu seyn oder darzustellen, was es seinem Begriff nach seyn soll. Sollten m e h r e r e solcher an sich unendlichen und ewigen Urgründe angenommen werden, so müssten dieselben entweder sämmtlich g l e i c h z e i t i g , aber dem Räume nach n e b e n einander, oder bei gleich unendlichem Räume in der Zeit a u f e i n a n d e r f o l g e n d gedacht werden. In beiden Fällen aber könnten sie ebensowenig gegenüber dem Begriff des Raumes für u n e n d l i c h und a l l g e g e n w ä r t i g , wie gegenüber dem Begriff der Zeit für u n e n d l i c h und e w i g gelten. Denn kein Einziger derselben vermöchte dem Auge des Geistes als ü b e r a l l und i m m e r d a r s e y e n d sich darzustellen, und ein jeder derselben müsste sowohl durch die Anderen, wie auch in sich selber, als ebenso b e e i n t r ä c h t i g t von aussen wie als b e s c h r ä n k t im Innern sich erweisen.

16

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Keiner von ihnen allen vermöchte in Wahrheit in seinen einzelnen Sonderbestimmungen für ein vollkommen Unendliches oder Ewiges zu gelten und Keiner befände sich also in der M ö g l i c h k e i t , weder für sich s e l b s t noch für A n d e r e den zureichenden G r u n d ihrer Gesammtwirklichkeit in sich selber zu besitzen. Wo aber eine jede Vielheit als Vernunft- und n a t u r w i d r i g sich erweist: da bleibt auch nur die wirkliche E i n h e i t , d. i. die thatsächliche E i n z i g k e i t , als alleinige M ö g l i c h k e i t übrig. V e r n u n f t - M ö g l i c h k e i t und in sich selbst begründete W i r k l i c h k e i t sind — wie wir uns später noch genauer davon überzeugen werden — in Bezug auf die Verhältnisse, mit welchen wir uns in diesem Augenblick beschäftigen, ganz das Gleiche. Denn im Urnothwendigen und an sich Ewigen fallen sie schlechthin in E i n s zusammen. Es sind eben auch dies nur b e g r i f f l i c h e U n t e r s c h e i d u n g e n unseres menschlichen Denkens je nach den Gesichtspunkten, von denen aus wir jenes schlechthin U r - E i n e in das Auge fassen; aber keineswegs sind es wirkliche U n t e r s c h i e d e , welche in diesem selber ihre Begründung fänden. Dieser Wahrheitssatz, dass es nur ein E i n z i g e s U r n o t h w e n d i g e s und U r w i r k l i c h e s , als ewig-unendlichen Urgrund für alles sonstig Vorhandene geben könne, ist denn auch schon seit den frühesten Zeiten von allen jenen Denkern richtig erkannt worden, welche in ihrem Forschen nach Wahrheit nicht durch falsche Scheingründe vom richtigen Weg sich ablenken liessen. Mögen dieselben auch immerhin in Bezug auf sonstige hierher gehörige Verhältnisse sich geirrt haben: in diesem Punkt haben sie das R i c h t i g e getroffen. So sagt L A S S A L L E schon in Bezug auf die Weltanschauung des H e r a k l i t ganz ausdrücklich, „dass demselben das Allgemeine n i c h t eine Vielheit oder (bloss) ä u s s e r t i c h e A l l h e i t gewesen sey (wie solches bei der Welt und ihren Dingen der Fall ist), sondern ein schlechthin E i n e s . " — Ebenso lehrten bekanntlich auch die P y t h a g o r ä e r , das E i n s oder die E i n h e i t sey der An-

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

17

fang und Urgrund aller Dinge. — P l a t o sagt im PABMENIDES: „Wenn das E i n s ist, so kann doch wohl das Eins (als solches) n i c h t Vieles seyn. U n b e g r ä n z t ist das Eins, wenn es weder Anfang noch Mitte noch Ende hat. Ohne Eins ein V i e l e s vorzustellen ist also unmöglich. Wenn also E i n s nicht ist, so ist auch alles Andere n i c h t , d. h. wenn Eins n i c h t ist: so ist überhaupt n i c h t s . " Und in gleichem Sinn spricht P L A T O auch im TIMAEUS von dem „ E i n e n verharrenden U n e n d l i c h e n . " — Auch P l o t i n bestimmt (nach KIBCHNEB) jenen höchsten Urgrund, jenes U r - E r s t e von Allem, was ist, nicht sowohl als ein Eins, sondern vielmehr schlechthin als „ D a s E i n s " , d. h. das Eins in seiner E i n z i g k e i t , in welcher es allein nur durch sich selber ist. — Ebenso kann nach ProklllS das, was schlechthin E i n s ist, an der Vielheit keinen Theil haben. Denn hätte es Theil an der V i e l h e i t , so würde es v e r v i e l f ä l t i g t , und somit muss E t w a s angenommen werden, welches an sich Eins ist, und aus welchem alle Vielheit entspringt. Zu dieser Darlegung des Gedankenganges von Seiten von P B O K L U S fügt TIEDEMANN zur näheren Erläuterung hinzu: „In gewöhnlicher Sprache lautet dieser Schluss' des P B O K L U S so: Wo V i e l h e i t ist, muss vorher E i n h e i t angenommen werden, weil ohne Einheit auch keine Vielheit denkbar ist. Diese aller Vielheit v o r a n g e h e n d e Einheit muss rein, d. h. mit keiner Mehrheit vermischt seyn, weil sonst immer wieder Vielheit ohne Aufhören zum Vorschein kommt. Vor aller zusammengesetzten Vielheit muss also nothwendig die E i n h e i t vorhergehen." — A v i c e n n a geht nach TIEDEMANN vom N o t w e n d i g e n aus, das keine Ursache hat, also von dem eigentlich Urnothwendigen, das von keinem Anderen hervorgebracht seyn kann. Indem er von diesem aus zugleich auf dessen Ewigkeit schliesst, gelangt auch er folgerichtig ebenfalls zu der begriff lich-noth wendigen Schlussfolgerung, dass es nur E i n solches schlechthin Nothwendiges geben könne. — In ähnlicher Weise kann auch nach Albert dem Grossen jenes UrWandersmann. IV.

2

18

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

E r s t e , welches schlechthin nothwendig ist, nicht von einem Anderen, als seiner Ursache, abhängen; denn wäre es von einem Anderen abhängig, so müsste es vor dem seyn, von welchem es a b h ä n g i g wäre. Es kann also n i c h t zwei oder mehrere solcher Urnothwendigen geben, sondern nur E i n s kann als die E r s t e Ursache von allem möglich seyn. — Und ebenso muss man auch nach Thomas von Aquino, von der Betrachtung des an sich Endlichen und nur Zufälligen ausgehend, zuletzt zu einem Ersten N o t h w e n d i g e n kommen, welches den Grund seiner Nothwendigkeit in sich selber hat, und dieses kann auch nach ihm nur E i n e s seyn. — „Weil wir unwillkürlich zu allem Endlichen einen Grund voraussetzen und nach diesem Grund fragen" — sagt Krause — „so werden wir dadurch zur Voraussetzung eines g e m e i n s a m e n Grundes aller endlichen Dinge veranlasst. Es zeigt sich an dem Gedanken des Grundes selber, dass die Frage nach dem Grunde nur dann beantwortet ist, wenn ein e i n z i g e r Grund von Allem angenommen wird. Denn wenn mehr als E i n solcher (unendlicher und ewiger) Grund gedacht würde, wovon jeder der Grund dessen wäre, was an und in ihm ist, von welchem s e l b e r aber die Frage nach dem Grund n i c h t gelten sollte: so müsste ein J e d e s derselben u n e n d l i c h und u n b e g r ä n z t seyn, also auch A l l e s an und in sich enthalten, und ein J e d e s d e r s e l b e n müsste mithin der E i n e Grund von Allem seyn. Da aber dieses nur E i n e s seyn kann, so wird hierdurch eingesehen, dass die Annahme von mehr als Einem solchen Urgrund, welcher selber u n b e g r ü n d e t , aber selber auch Grund von Anderem wäre, u n m ö g l i c h ist. Daher gelangte auch schon das vorwissenschaftliche Bewusstseyn in den gebildeteren Völkern, durch den Begriff des G r u n d e s vermittelt, zu der Ahnung eines E t w a s , welches, selber u n b e g r ü n d e t , der (wahre) Grund von Allem sey, was da ist und lebet. Mit welchem Fug aber das alles vorausgesetzt und ahnend angenommen wird, das ist eine höchst wichtige Frage. Denn die

19

Der erste und letzte Urgrund der Welt.

Möglichkeit der Wissenschaft beruht darauf, ob E i n U r g r u n d von Allem e r k e n n b a r sey oder nicht." .— Und in ähnlichem Sinn sagt Hettinger: „Eine V i e l h e i t von n o t h w e n d i g e n , unendlichen und ewigen Urgründen widerspricht dem Denken. Denn die Denknothwendigkeit weist uns zur Erklärung des Alls nur auf E i n e n nothwendigen Urgrund, nur auf E i n e letzte Ursache hin, n i c h t auf eine V i e l h ö i t von Urgründen." J e d e V i e l h e i t würde nach H E T T I N G E B immer nur eine b e s t i m m t e Z a h l bezeichnen; aber gerade die V i e l h e i t , die ihren Ausdruck in der Z a h l hat, weist auf ein Gebiet des bloss e n d l i c h e n und z u f ä l l i g e n Daseyns hin, nicht aber auf das eines wirklich Unendlichen und Ewigen. — Auch jene stofflich-körperlichen Ur- und Grundbestandtheile dieser Welt, welche wir in unseren früheren Untersuchungen als die naturnothwendigen ersten stofflich-wesenhaften Grundlagen für unser gesammtes Weltgebäude kennen gelernt haben, bilden zwar in sich ebenfalls untrennbare und für fremde Naturkräfte unzerstörbare N a t u r e i n h e i t e n , daher sie denn auch schon seit den frühesten Zeiten von Seiten der Wissenschaft als „ A t o m e " , d. h. als die in sich „ U n z e r s c h n e i d b a r e n " oder n i c h t w e i t e r T h e i l b a r e n pflegen bezeichnet zu werden (III. § 12, No. 54, 55, 56). Wohl müssen auch sie, als körperlich-wesenhafte Dinge, in Folge ihrer, ihnen etwa nicht bloss willkürlich zugeschriebenen, sondern naturnothwendigen inneren W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t als thatsächliche N a t u r e i n h e i t e n von uns anerkannt werden; aber als Einheiten, zu welchen jenes U r - E i n e , mit dessen tieferer Begründung wir uns eben beschäftigen, sich verhält wie die Begriffe von U n e n d l i c h und E w i g zu den Begriffen von E n d l i c h und Z e i t l i c h , oder wie der Begriff einer wahren und wirklichen E i n z i g k e i t der Zahl nach zu dem einer unübersehbaren und unzählbaren V i e l h e i t . Trotz dieses für eine richtige Weltanschauung so wichtigen und tief einschneidenden Unterschiedes, durch welchen die beiden Gebiete des U b e r 2*

20

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

s i n n l i c h e n und des S i n n l i c h e n für die blosse oberflächliche Anschauung sich getrennt und geschieden zeigen, muss nichtsdestoweniger auch eine gewisse verwandtschaftliche Gleichheit oder Ähnlichkeit zwischen denselben statthaben. Wie nehmlich ein jedes E i n z e l n e jener stofflich-körperlichen Einzeldinge eben als „Einzelnes", darauf hindeutet, dass es an, in und für sich selber vollständig in der „ E i n z a h l " steht, oder dass es, mit anderen Worten, nur „ E i n " , d. h. nur „ E i n e i n z i g e s " Naturdaseyn bildet, welches keine in sich getrennte V i e l h e i t in sich zulässt: so haben wir im Obigen bereits ein ganz gleiches Yerhältniss für jenes E i n e U r n o t h w e n d i g e und Urw i r k l i c h e anerkennen müssen. Denn auch dieses haben wir an sich und in sich anerkennen müssen als ein wahrhaftes ü b e r s i n n l i c h e s U r - E i n s , d. h. als E i n e einzige unendliche und ewige U r w i r k l i c h k e i t , ausser und neben welcher eine noch weitere M e h r h e i t oder V i e l h e i t von ganz g l e i c h e n , d. h. ebenfalls unendlichen und ewigen Urwirklichkeiten geradezu für eine begriffliche U n m ö g l i c h k e i t zu gelten hätte. Aber wir müssen, um die angedeutete verwandtschaftliche Ähnlichkeit oder verhältnissmässige Gleichheit zwischen jenen U r - E i n h e i t e n dieser s i n n l i c h e n Welt und jenem U r - E i n s im Gebiet des Ü b e r s i n n l i c h e n vollgültig klar zu legen, auch noch einen Schritt weiter gehen, und beide Arten von U r - E i n h e i t e n auch noch von einem anderen Gesichtspunkt aus in das Auge fassen. Eben jene E i n h e i t und E i n z i g k e i t beider, welche wir als E i n h e i t der Z a h l nach bezeichnet haben, dürfen wir gewissermassen in soferne als eine ä u s s e r e E i n h e i t bezeichnen, als wenigstens die räumlich-zeitlichen Einzeldinge dieser Welt durch ihre äusserlich-körperliche Oberfläche als vollständig in sich selber abgeschlossene Einheiten vor dem Auge unseres Geistes dastehen, und als, sobald wir diese äusserliche Umgränzung der körperlichen Endlichkeit hinwegdenken, wir im Übrigen die gleichen Grundbedingungen für beide Theile vor Augen haben. Nun gibt es aber auch noch einen anderen

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

21

Gesichtspunkt, von dem aus wir beide Arten von Einzelheiten in das Auge fassen können, nehmlich den i n n e r e n , den wir gewinnen, wenn wir in Gedanken in das eigentliche I n n e r e beider Ur-Einheiten, sowohl der vielen e n d l i c h e n wie auch der E i n e n u n e n d l i c h e n uns versetzen. Beginnen wir mit jenen Ureinheiten dieser räumlich-endlichen Welt, so dürfen wir schon von vornherein aus ihrer vollkommenen e i n h e i t l i c h e n A b g e s c h l o s s e n h e i t in s i c h s e l b e r schliessen, dass der wahre Grund eben dieser ihrer Abgeschlossenheit nach aussen allein nur im I n n e r n eines jeden dieser Dinge liegen kann, und zwar nur allein in jener inneren W e s e n s u n t h e i l b a r k e i t , welcher sie den Namen der U n z e r s c h n e i d b a r k e i t verdanken. Denn sehen wir genauer zu, so liegt es schon in der Natur der Sache, dass dasselbe, was hier nach aussen als eine einzige vollgültig in sich abgeschlossene E i n h e i t und E i n z i g k e i t der Zahl nach in die Erscheinung tritt, auch innerlich einen entsprechenden Ausdruck finden muss. Und eben diesen inneren Ausdruck, oder vielmehr diesen i n n e r e n Grund der ä u s s e r l i c h e n E i n h e i t der Zahl nach, dürfen wir aber, ohne Gefahr zu irren, wohl kaum anderswo suchen oder vermuthen, als nur allein in einer diesem ä u s s e r e n E i n h e i t s v e r h ä l t n i s s entsprechenden i n n e r l i c h e n E i n h e i t oder i n n e r e n E i n f a c h h e i t in Bezug auf das gesammte innere Wesensgepräge eben jener natürlich-endlichen Einzeldinge. Wenn gleich aber dem unendlich und ewig U r - E i n e n und Urnothwendigen durchaus keine äusserlich-oberflächliche Umschränkung und also auch keine Unterscheidung zwischen Ä u s s e r e m und I n n e r e m , in der eigentlichen Bedeutung dieser Worte, zukommen kann, so liegt es doch selbstverständlich in der Natur der Sache, dass ihm immerhin ein thatsächlich I n n e r e s als eine an sich und in sich u n b e g r ä n z t e und darum u n e n d l i c h e r e i n e I n n e r l i c h keit keineswegs abgesprochen werden kann. Wenn aber jenem stofflich-körperlichen Ur- und Grundwesen eine vollkommen

22

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

e i n h e i t l i c h e i n n e r e W e s e n s e i n f a c h h e i t aus Vernunft- und Naturgründen nicht abgesprochen werden kann: sollten wir uns da nicht für berechtigt halten, in gleicher Weise auch jener ü b e r s i n n l i c h e n , ewigen und u n e n d l i c h e n U r - E i n h e i t ebenfalls eine entsprechend gleiche Einfachheit in Bezug auf ihre gesammte in sich vollkommen einheitliche I n n e r l i c h k e i t zuzuschreiben? Fragen wir nun aber des Weiteren auch noch darnach, wie und in welcher Weise wir uns eben diese i n n e r l i c h - e i n h e i t l i c h e E i n f a c h h e i t eben jenes unendlichen U r - E i n e n wohl vorzustellen haben dürften: so liegt wohl auch hierfür der natürliche Schlüssel in jenen e n d l i c h e n U r e i n h e i t e n selber, nehmlich in deren eigener, ebenso natur- wie vernunftgemässer k ö r p e r l i c h e n U n t h e i l b a r k e i t . Zwar ist es allgemeiner Gebrauch, sowohl im gewöhnlichen Leben wie von Seiten der Wissenschaft, grössere oder kleinere körperliche M a s s e n , welche, sey es durch die Natur selbst, sey es auf künstlichem Wege, durch Aneinanderlagerung irgend einer uns unbekannten Vielheit von wirklich einheitlichen Grundkörpern sich bilden, ebenfalls als E i n e Masse sprachlich zu bezeichnen, wie z. B. als Eine gemeinschaftlich-einheitliche Felsmasse oder als einen für sich bestehenden Felsen und dergl. Aber alle derartigen Einheiten sind keine wirklichen Einheiten an sich und als solche, sondern nur allein S a m m e l - E i n h e i t e n oder E i n h e i t e n bloss dem N a m e n n a c h : als w i r k l i c h e E i n h e i t e n der S a c h e n a c h kennt unsere sichtbare Welt einzig und allein nur jene ersten und uranfänglichen stofflich-körperlichen Ur-Einheiten, auf welche Höhenstufe eigener innerer Wesensentfaltung sie im Verlaufe der allgemeinen Weltentwickelung sich auch innerlich emporgeschwungen haben mögen. Es darf nun aber hiernach als selbstverständlich gelten, dass einzig und allein nur die inneren Verhältnisse eben jener thatsächlichen stofflich-körperlichen Ur-Einheiten es sind, welche wir, unter Ausserachtlassung ihrer räumlich-zeitlichen Beschränktheit, auch auf jene an sich u n e n d l i c h e U r - E i n -

Der erste und letzte Urgrund der Welt etc.

23

h e i t übertragen dürfen: keineswegs aber die inneren Verhältnisse jener blossen Namens-Einheiten, welchen in k e i n e r Weise ein wirklich e i n h e i t l i c h e s Innere zukommt, sondern deren Inneres nur aus einer unbekannten Menge von wirklichen Natureinheiten zusammengesetzt ist. Bei den ächten natürlichen Ur-Einheiten haben wir daher schon früher eine thatsächliche U n t h e i l b a r k e i t ihres ganzen Wesens anerkennen müssen; und eben dieselbe vollgültige i n n e r e U n t h e i l b a r k e i t ist es, welche wir nur allein berechtigt sind, auch auf die an sich u n e n d l i c h e U r - E i n h e i t zu übertragen. Haben wir daher im Obigen diese innerliche Untheilbarkeit der stofflich-körperlichen Dinge, im Gegensatz zu deren bloss äusserlicher Einheit der Zahl nach, als eine innerlich-einheitliche W e s e n s e i n f a c h h e i t bezeichnen müssen: so dürfen, ja müssen wir folgerichtig nunmehr diese gleiche i n n e r l i c h - e i n h e i t l i c h e U r - E i n f a c h h e i t auch auf die ewig-unendliche U r - E i n h e i t vernunftgemäss übertragen. Jeder Gedanke an die Möglichkeit irgend einer Art von etwaiger Theilbarkeit derselben ist somit davon ausgeschlossen. Wohl sämmtliche Schriftsteller, welche die E i n h e i t des ewig-unendlichen Urnothwendigen in der Bedeutung von E i n z i g k e i t in der Zahl vertreten, vertreten dieselbe äuch in der Bedeutung von innerer E i n f a c h h e i t und U n z e r t r e n n l i c h k e i t . Hier nur einige Beispiele: andere, ausführlichere, werden an einem späteren Ort nachfolgen. So lehrte z. B. schon Zeno der Eleate, ein wirkliches E i n s , d. h. ein E i n f a c h e s , welches nicht selber wieder eine Vielheit ist, sey nur das U n t h e i l b a r e . — Der gleichen Anschauung begegnen wir auch bei A r i s t o t e l e s : „Das U n e n d l i c h e ist u n z e r t h e i l b a r , u n z e r t r e n n b a r : auch ist es keine getrennt bestehende unendliche Zahl." Denn — so fügt er anderweitig hinzu — „das im ursprünglichen und eigentlichen Sinn des Wortes N o t h w e n d i g e ist das E i n f a c h e : dieses kann nicht auf vielfache Weise sich bald so bald so verhalten." Und an einem andern Ort sagt

24

Die innere Unaelbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

er: „Wenn das Unbegränzte weder eine Grösse noch eine Menge ist, sondern selber eine eigene E i n h e i t (ein eigenes Wesen), so wird es u n t h e i l b a r seyn, da das Theilbare entweder Grösse oder Menge ist. Wäre das U n b e g r ä n z t e jedoch wirklich z e r l e g b a r , so müsste ein jeder Theil desselben ebenfalls u n b e g r ä n z t seyn." — Aus diesen Aussprüchen des ABISTOTELES ergibt sich also deutlich, dass nur allein dasjenige eine w a h r h a f t e E i n h e i t seyn kann, was in keiner Weise aus Theilen besteht, was also schlechthin als t h e i l - l o s muss betrachtet werden. Eben diese unbedingte T h e i l - l o s i g k e i t , in ihrer höchsten Bedeutung des Wortes, kann also nur dem an und in sich u n e n d l i c h e n E i n e n , auch der Z a h l nach, zukommen. Dass dies wirklich die Anschauung auch von A B I S T O TELES ist: dies geht augenscheinlich aus seinem eigenen Hinweis darauf hervor, dass kein wirklich und wahrhaft Une n d l i c h e s schon aus dem Grund jemals als in sich zertheilbar kann gedacht werden, weil in solchem Fall auch ein jeder einzelne Theil desselben ebenfalls als an sich u n e n d l i c h müsste betrachtet werden, eine jede Vorstellung einer Vielheit von an und in sich selber s e l b s t s t ä n d i g e n U n e n d l i c h k e i t e n aber einen Widerspruch gegen den U n e n d l i c h k e i t s b e g r i f f überhaupt in sich einschliessen würde. — Philo sagt daher auch in ganz demselben Sinne von dem Unendlichen schlechthin, dass es, in sich abgeschlossen und ohne Beziehung auf etwas Endliches gedacht, die r e i n s t e und e i n f a c h s t e E i n h e i t sey. — Und ebenso deutet auch Plotin die reine Einheit auf die vollkommenste E i n f a c h h e i t . Vielheit, fügt er hinzu, könne n i c h t seyn, gäbe es nicht E t w a s , was k e i n e Vielheit ist, d. h. also, was in sich selber die wirkliche reinste E i n f a c h h e i t darstellt. — Auch Albert der Grosse und die meisten Denker seiner Zeit legen dem Ur-Einen, Urnothwendigen und Urwirklichen E i n f a c h h e i t , d. h. untheilbare Einheit bei: es ist ohne alle Zusammensetzung. — Weitere Belege aus noch anderen Schriftstellern folgen an einem etwas späteren Ort.

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

25

§ 29. Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn. N o . 151.

Das an sich ewig Unendliche und das reine Nichts, das reine Nichtseyn.

Wir haben an einem früheren Ort darauf hingewiesen, dass, wenn wir uns die ganze Welt sammt allem, was ihr angehört, h i n w e g d e n k e n , wir doch meistenteils uns s e l b e r von dieser allgemeinen Hinwegräumung alles sinnlich Gegebenen ausnehmen. Unser eigenes Ich und Selbst war es allein gewesen, was für unsere geistige Anschauung innerhalb jenes unermesslichen Raumes zurückgeblieben war, welcher bis dahin von dem gesammten Weltganzen war eingenommen worden. Unter diesen Umständen konnte es aber nicht fehlen, dass wir uns mit Einem Male inmitten des Bereiches des rein U b e r s i n n l i c h e n versetzt glaubten; denn der G e g e n s a t z alles sinnlich Gegebenen kann kein Anderes bedeuten, als allein das Gebiet des Ubersinnlichen. Doch gehen wir noch einen Schritt weiter. Versetzen wir uns nunmehr in das Gebiet des rein U n e n d l i c h e n und U b e r s i n n l i c h e n selber, und denken uns dabei nicht bloss dieses hinweg, sondern gleichzeitig auch uns s e l b e r hinweg: was wird nunmehr unserer geistigen Anschauung sich bieten? Nichts Anderes mehr, als das r e i n s t e N i c h t s , die völligste Oede und L e e r e , kurz das N i c h t s e y n oder N i c h t s s e y n in der nacktesten und trostlosesten Bedeutung dieser Worte. Hier kann an k e i n e n s i n n l i c h - f e s t e n G r u n d , an keine, einen f e s t e n H a l t b i e t e n d e S t ä t t e mehr gedacht werden. Für alles Derartige würde selbst ein l e e r e r R a u m in keiner Weise mehr vorhanden noch irgendwie auch nur denkbar seyn. Denn das reine thatsächliche N i c h t s kennt weder Raum noch Zeit: es ist der alles vernichtende A b g r u n d , in welchem a l l e r R a u m und a l l e Z e i t in Nichts verschwinden, selbst der vermeintlich l e e r e R a u m und die vermeintlich l e e r e

26

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Zeit. Da ist an kein Oben und an kein U n t e n , an kein R e c h t s und an kein L i n k s , an kein Vorn und an kein H i n t e n mehr zu denken. Da waren Leukipp, Demokkit und Epikub in der That noch allzukühne Denker, wenn sie ihre untheilbaren stofflich-körperlichen Grundbestandtheile dieser sichtbaren Welt als in einem unendlichen leeren Räume schwimmend sich vorstellten. Denn eine an sich leere Weite ist ein todtgeborner Begriff, eine grund- und bodenlose Vorstellung. Alle W e i t e , aller Raum, mögen sie als endlich oder als unendlich gedacht werden, verlangen eine in die Weite wirkende K r a f t . Wie sollte eine derartige Kraft dem reinen Nichts jemals zukommen können? Dies reine Nichts wäre der reinste Gegensatz, die entschiedenste Verneinung eben jenes ewigen und unendlichen übersinnlichen Urnothwendigen und Urwirklichen, welches wir bis hierher als den einzig möglichen Urgrund nicht allein seiner selbst, sondern auch alles und jeglichen wirklichen Weltdaseyns erkannt haben. Der reinste und nackteste Gegensatz und Widerspruch eines an sich Un endlichen ist aber allein der räum-, k r a f t - und wesenlose P u n k t . In ihm haben wir das reinste vollgültigste Nichts, als den allein wahrhaften Gegensatz und als die thatsächliche V e r n e i n u n g jenes Einen unendlichen Urwirklichen. Hier u n e n d l i c h e Weite, unendliche Ausdehnung: dort dagegen die gränzenloseste Enge und schlechthinige Ausdehnungslosigkeit. Mussten wir daher im Vorigen die N o t h w e n d i g k e i t eines wirklich Unendlichen anerkennen: so haben wir nunmehr ein jedes thatsächliche N i c h t s als die reinste Unmöglichkeit zu bezeichnen. Mit vollem Recht bezeichnet daher Büchner das Nichts, in seiner vollen, hier angedeuteten Bedeutung, als ein sowohl vernunftwidriges (logisches) wie erfahrungswidriges (empirisches) Unding. — Xenophanes lehrte bereits, dass das Leere nichts sey. — Und ähnlich bezeichnet es Plato im Sophisten als

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

27

eine U n m ö g l i c h k e i t , das, was n i c h t s i s t , „richtig auszusprechen oder etwas von ihm zu sagen, oder dasselbe auch nur an und für sich zu denken", da es „etwas U n d e n k l i c h e s , U n b e s c h r e i b l i c h e s und U n e r k l ä r l i c h e s " sey. — Nach Anselm von Canterbury ist das, woraus etwas w i r d , die „ U r s a c h e des aus ihm W e r d e n d e n . Ist also" — fügt T I E D E MANN nach A N S E L M weiter hinzu — „ a u s N i c h t s Etwas geworden, so ist das Nichts dessen Ursache. Nun kann aber nichts U r s a c h e eines Dinges seyn, was selber g a r n i c h t s ist: daher kann aus N i c h t s auch n i c h t s hervorgebracht seyn. Das Nichts bezeichnet entweder Etwas oder n i c h t Etwas. Im ersteren Falle wäre Alles aus Nichts geworden; im anderen Fall kann aus dem, was g a r n i c h t s ist, auch nichts werden". — In gleicher Weise wie P L A T O im Sophisten sagt auch S p i n o z a von dem N i c h t s , dass ihm „ k e i n e E i g e n s c h a f t e n " zukommen. — Was gar keine Eigenschaften besitzt, von dem lässt sich auch n i c h t s a u s s a g e n : es ist, wie P L A T O sagt, ein geradezu U n d e n k l i c h e s , U n b e s c h r e i b l i c h e s und U n e r k l ä r l i c h e s . — „Von dem Raum aber" — sagt Berkeley — „welcher zurückbleiben, und der nach Vernichtung aller Körper fortbestehen würde, können wir uns keine Vorstellung (Idee) bilden: er ist also (für uns) n i c h t s . Wir sind aber gewöhnt, dadurch irre geleitet zu werden, dass, wenn alle anderen Körper in der Einbildungskraft weggethan sind, wir annehmen, unser e i g e n e r Körper bleibe übrig. Und dieses annehmend, bilden wir uns die freieste Bewegung unserer Beine nach jeder Richtung ein: B e w e g u n g aber kann n i c h t vorgestellt werden ohne Raum. Wenn wir die Sache jedoch genauer betrachten, so ist klar, dass wir hierbei erstens einen verhältnissmässigen (relativen), d. h. durch die T h e i l e u n s e r e s K ö r p e r s bezeichneten Raum vorstellen; und zweitens, dass wir uns ein f r e i e s , durch nichts gestörtes Vermögen, unsere Beine zu b e w e g e n , uns vorstellen, und ausserdem sonst n i c h t s . Dennoch nehmen wir i r r t h ü m l i c h e r Weise an, es bestehe in Wirklichkeit auch

28

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

noch etwas Anderes, u n e n d l i c h e r (und zwar leerer) R a u m genannt, was uns eben jenes freie Vermögen, unseren Körper zu bewegen, verstatte. Denn hierzu wird nichts Anderes erfordert, als die Abwesenheit anderer Körper. Diese Abwesenheit, oder dieses blosse Hinwegdenken (Privation) von Körpern ist, das müssen wir gestehen, durchaus nichts Gewisses und Thatsächliches (nichts Positives). Durchschlagend aber ist es hierbei, dass Alles, was vom r e i n e n (d. i. l e e r e n ) R a u m ausgesagt wird, auch vom N i c h t s ausgesagt werden kann. Alle Aussagen, welche dem unendlichen l e e r e n R a u m gelten, sind auch Aussagen in Bezug auf das Nichts. Denn das N i c h t s hat keine Gränzen, kann nicht bewegt noch verändert werden, nicht getheilt werden und kann weder entstehen noch vergehen (und zwar alles dies ganz ebensowenig wie auch das wahrhaft unendliche und ewige U r - E i n e , das U r n o t h w e n d i g e und U r w i r k l i c h e ) . " — Aus der ganzen Darstellung dieses Gedankenganges, sowie namentlich aus der damit verbundenen Vergleichung des angeblichen leeren Raumes mit einer leeren Wasserflasche, in welcher statt Wasser nur unsichtbare Luft sich befindet, sowie anderseits aus B E R K E L E Y ' S Hinweis darauf, dass A l l e s , was von dem vermeintlich l e e r e n R a u m pflegt ausgesagt zu werden, ganz ebensosehr auch auf ein thatsächliches N i c h t s seine Geltung hat: aus diesem Allem geht augenscheinlich hervor, dass auch nach B E R K E L E Y ' S Anschauung jede Annahme eines wirklich l e e r e n R a u m e s nur aus irrthümlichen Grundanschauungen hervorgehen kann. Denken wir die ganze Welt sammt allem zu ihr Gehörigen hinweg, so bleiben uns nur zwei Möglichkeiten. Entweder ist der bisher von ihr eingenommene Raum sammt allem, was sonst noch a u s s e r unserem Weltraum und ü b e r denselben h i n a u s liegt, von irgend einem anderen und zwar n i c h t s i n n l i c h e n , also thatsächlich ü b e r s i n n l i c h e n , ewigen und unendlichen E t w a s wirklich e r f ü l l t , welches den G r u n d seines eigenen Vorhandenseins vollgültig in sich s e l b e r b e s i t z t : oder es beruht

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

29

dies Alles nur auf I r r t h u m und T ä u s c h u n g , in welchem Fall dann aber auch, wenn keine Welt v o r h a n d e n wäre oder in unserer geistigen Anschauung alles, was zu ihr gehört, vollständig h i n w e g g e d a c h t würde, weder Etwas v o r h a n d e n seyn könnte, das einer Welt wie der unsrigen das Daseyn zu geben vermöchte, noch Etwas, was im Stande wäre, einer wirklich v o r h a n d e n e n W e l t einen wirklich f e s t e n H a l t und S t ü t z p u n k t für deren fortdauernden B e s t a n d im Daseyn zu bieten. Denn wie dem reinen r ä u m - , k r a f t - und w e s e n l o s e n N i c h t s ein für allemal auch n i e m a l s die allergeringste T r a g k r a f t zukommen kann, um als wirklicher T r ä g e r irgend eines wesenhaften Daseyns gelten zu können, ganz e b e n s o w e n i g kann selbstverständlich eine K r a f t in ihm liegen, um jemals durch seine eigene M a c h t l o s i g k e i t auch nur das allergeringste wesenhafte Etwas hervorzubringen. Wir müssen aber gestehen, dass nach unserem Dafürhalten auch nur der r e i n s t e W a h n s i n n einer solchen Annahme seine Zustimmung geben kann, und so bleibt uns denn auch nichts andere sübrig, als in Ubereinstimmung mit B E E K E L E T die Anerkennung nicht nur der schlechthinigen N o t h w e n d i g k e i t , sondern gleichzeitig auch die ebenso schlechthinige W i r k l i c h k e i t eben jenes ü b e r s i n n l i c h e n E t w a s als eine unumgängliche Forderung der Vernunft zu betrachten. Ganz in diesem Sinn sagt denn auch Reimarus: „Wenn Einer behaupten wollte, N i c h t s wäre der U r g r u n d (die Materie), woraus Alles e n t s t a n d e n ist, oder das N i c h t s wäre dessen U r s a c h e , so würde er das N i c h t s zu einem E t w a s machen und somit einen W i d e r s p r u c h begehen." — So bezeichnet auch Kant sowohl den l e e r e n R a u m wie die l e e r e Z e i t (im eigentlichen Sinn der Worte) als U n d i n g e , d. h. als Etwas, was vernünftiger Weise nicht einmal kann gedacht werden. Aus seiner weiteren Anfügung, dass man beide jedoch annehmen müsse, sobald man eine W e l t g r ä n z e im Raum oder in der Zeit annehme, geht jedoch augenscheinlich hervor, dass auch für ihn eben jener vermeintlich von allem thatsächlich in

30

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

ihm wirklich Vorhandenen völlig e n t b l ö s s t e und demgemäss mit dem räum- und wesenlosen Nichts vollständig auf gleichen Fuss zu stellende leere E a u m nur als die reinste Unmögl i c h k e i t zu gelten hat. Eben hieraus ergibt sich aber sodann mit begrifflicher wie naturgesetzmässiger Notwendigkeit, dass jener bloss s c h e i n b a r leere Raum und jene bloss s c h e i n b a r leere Zeit, zu denen wir gelangen, wenn wir die Welt mit ihren körperlich-endlichen Dingen und Wesen hin wegdenken, durchaus für keine L e e r e , kein Nichts in ihrer begrifflich vollgültigen Bedeutung zu halten seyn können, sondern dass, wie oben gesagt, irgend ein überweltliches, überräumliches und überzeitliches, überhaupt über alle Welt-, Raum- und Zeitverhältnisse erhabenes und an sich unendliches und ewiges u r n o t h w e n d i g e s und u r w i r k l i c h e s E t w a s bestehen muss, welches an, in und durch sich selber die ganze schrankenlose Unendlichkeit und Ewigkeit erfüllt. Ganz übereinstimmend hiermit sagt Kant daher auch an einem andern Ort ganz ausdrücklich: „Alles Mögliche ist etwas, was g e d a c h t werden kann. Wenn nun alles Daseyn a u f g e h o b e n wird, so ist nichts schlechthin gesetzt; es ist überhaupt gar n i c h t s gegeben zu irgend etwas Denklichem, und alle Möglichkeit (für irgend Etwas) fällt gänzlich weg. Denn es w i d e r s p r i c h t sich, dass irgend eine Möglichkeit sey und doch g a r n i c h t s W i r k l i c h e s ; denn, wenn gar n i c h t s b e s t e h t , so ist auch n i c h t s g e g e b e n , das da d e n k b a r wäre, und man widerstreitet daher sich selber, wenn man gleichwohl will, dass Etwas m ö g l i c h sey. Demnach zu sagen, es besteht n i c h t s , heisst ebensoviel als: es ist ganz und gar nichts; und es widers p r i c h t sich offenbar, dessenungeachtet hinzuzufügen, es sey etwas möglich. Daher ist es schlechterdings u n m ö g l i c h , dass g a r n i c h t s bestehe. Denn wodurch a l l e M ö g l i c h k e i t überhaupt a u f g e h o b e n wird, das ist schlechterdings unmöglich. Dieses aber ist n i c h t der Fall, in welchem wir die g ä n z l i c h e B e r a u b u n g (oder Verneinung) a l l e s D a s e y n s

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirkaamkeit und Urseyn.

31

(ohne Ausnahme) zu betrachten haben. Denn darin liegt kein innerer Widerspruch. Denn wodurch das thatsächlich Erforderliche (das Materiale und die Data) zu a l l e i n Möglichem a u f g e h o b e n wird, dadurch wird auch alle M ö g l i c h k e i t verneint. Dies geschieht aber durch die Aufhebung a l l e s Daseyns. Also, wenn a l l e s Daseyn v e r n e i n t wird, so wird auch a l l e Möglichkeit aufgehoben. Mithin ist es s c h l e c h t e r d i n g s u n m ö g l i c h , d a s s g a r n i c h t s in W i r k l i c h k e i t b e s t e h e (existire)." — In gleicher Weise bezeichnet auch H e r b a r t es als eine schwierige Sache, sich den „unendlichen Raum und die unendliche Zeit als ein l e e r e s N i c h t s " zu denken. — Ebenso sagt Ulrici, dass der sogenannte „ r e i n e B a u m , die gränzenlos ins Unendliche ausgedehnte L e e r e in Wahrheit u n d e n k b a r ist, weder als Anschauung, noch als Vorstellung, noch als Begriff." — Und in dem gleichen Sinn sagt auch F r o h s c h a m m e r , dass, wenn irgend einmal g a r n i c h t s gewesen wäre, auch j e t z t nichts da seyn würde, da das Nichts auch Nichts hervorbringen noch von selbst oder zufällig zu E t w a s werden könne. Daher könne man auch schon aus dem Daseyn eines Strohhalms darauf schliessen, dass i m m e r E t was gewesen seyn müsse, und dass also auch nicht irgend einmal N i c h t s gewesen seyn könne. — Dagegen sagt BauIIIann in Bezug auf die Vorstellung, welche wir gewinnen, wenn wir uns alle Gegenstände im Raum hinwegdenken, dass „diese Vorstellung des Raumes zugleich die Vorstellung (Idee) des r e i n e n l e e r e n R a u m e s ist. Dass wir eine solche Vorstellung haben," — fügt er hinzu — „ist unzweifelhaft; denn sie ist wesentlich dieselbe wie die Vorstellung des g e o m e t r i schen Raumes. Der M ö g l i c h k e i t eines solchen Raumes steht somit nichts e n t g e g e n . Gehen wir vom e r f ü l l t e n R a u m aus, und denken uns a l l e Erfüllung weg, so bleibt uns in jedem Fall die Vorstellung, nicht bloss dass Welten, die früher waren, auch wieder seyn könnten, der begrifflichen (logischen) M ö g l i c h k e i t nach, und zwar ebenso gut, wie sie

32

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

früher gewesen waren, sondern dass auch da, wo sie vorher gewesen waren, sie w i e d e r seyn könnten. Dieses , , d a " , welches wir so n i c h t wegbringen können, schliesst eben den Raum ein. Wenn man fragt, was ist denn dieser l e e r e R a u m , falls er eine Wirklichkeit seyn sollte?, so ist die Antwort: f ü r u n s e r V o r s t e l l e n ist er ewig, hat die übrigen Eigenschaften (des an sich Ewigen); wesenhaft (Substanz) ist er in dem Sinn, dass er E t w a s ist, was aber n i c h t w e i t e r e r f a s s t o d e r b e s c h r i e b e n werden kann." — In Bezug auf eben diese Darlegung möchten wir darauf aufmerksam machen, dass der sogenannte „geometrische Raum", d. i. diejenige Anschauung von Raum, welche wir gewinnen, wenn wir alles Endliche ohne Ausnahme hinwegdenken, nicht den gleichen Raumbegriff darstellt noch darstellen kann, wie derjenige ist, welchen wir als den ewigen und darum auch allein wahrhaft u n e n d l i c h e n R a u m betrachten und als solchen auch vielfach zu bezeichnen pflegen. Wie die Welt als solche in ihrer Gesammtheit nur ein räumlich wie zeitlich b e s c h r ä n k t e s Daseyn darzustellen im Stande ist: so bleibt auch die allgemeine Raumwissenschaft (die Geometrie) in der Nutzanwendung der von ihr aufgestellten Formeln und Berechnungen, auch wenn sie sich bei Letzteren häufig des Unendlichkeitszeichens (oo) bedient, doch immerdar im Bereich des Endlichen (vergl. VII. § 25, No. 141). Denken wir alle Dinge dieser Welt hinweg, so ist es noch k e i n e s w e g s die r i c h t i g e Vorstellung jenes „reinen leeren Raumes", welche wir auf diesem Wege gewinnen; sondern es ist n u r die Vorstellung desjenigen reinen leeren Raumes, welcher an sich E i n s ist mit dem r e i n e n N i c h t s , oder mit anderen Worten: diejenige*Vorstellung, welche in Eins zusammenfällt mit der Vorstellung, dass überhaupt gar n i c h t s W i r k l i c h e s vorhanden ist. Wie wir gesehen, vermögen wir einen geistigen Einblick in eben diese Verhältnisse nur dadurch uns auf künstlichem Wege zu bereiten, dass wir überhaupt alles W i r k l i c h e ohne Ausnahme, welche Namen

Das Urnothwendige als Urkraft, UrWirksamkeit und Urseyn.

33

wir demselben auch im Allgemeinen beilegen mögen, ein für allemal, d. i. für alle Zeit und Ewigkeit und an allen nur irgendwie denkbaren Orten uns selber mit eingeschlossen, so vollgültig und so ausnahmslos hinwegräumen, dass eben nur allein das nackte N i c h t s , das reine nackte N i c h t - und N i c h t s s e y n übrig bleibt. Dass eine solche Vorstellung, auch wenn wir sie uns irgendwie als möglich denken mögen, dennoch nichts weiter darstellen kann, als ein an sich u n m ö g l i c h e s U n d i n g und als eine an sich widersinnige W a h n v o r s t e l l u n g , und dass auch B A U M A N N , wenn er von dem unendlichen Raum der allgemeinen Raumlehre spricht, diese Leere, welche mit dem völligen Nichts, dem völlig undenkbaren „Gar nichts" in Eins zusammenfällt, n i c h t im Auge hat, sondern einzig und allein nur jenen bloss v e r m e i n t l i c h leeren Raum, den wir nur irrthümlicher Weise als l e e r zu bezeichnen pflegen, weil wir die darin befindlichen sinnlich-endlichen Dinge daraus hinwegdenken: dies geht aus seiner ganzen Darstellungsweise augenscheinlich hervor. Wie könnte er sonst diesen Raum als ein „ w e s e n h a f t E w i g e s " bezeichnen mit allen E i g e n s c h a f t e n des Ewigen, und als ein „ E t w a s , was (auf sinnlichwahrnehmbarem Wege) nicht weiter erfasst noch beschrieben werden kann."? —

N o . 152.

Das Unendliche als unendliche Urkraft und unendliche Urwirksamkeit.

Es gibt kaum einen allgemeineren Wahrheitssatz, den die menschliche Vernunft ohne weitere sonstige Beweisgründe sofort als s i c h von s e l b s t v e r s t e h e n d betrachtet, wie den Satz: „ A u s N i c h t s wird n i c h t s . " Selbst der ihm sehr verwandte und ihm sehr nahestehende Satz „Alles hat seine Ursache" kommt ihm hierin nicht gleich. Denn hierin gehen die Ansichten, wie wir gesehen, mitunter sehr auseinander. Handelt es sich nehmlich um das au sich U r n o t h w e n d i g e , Wanderemann. IV.

3

34

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

U r w i r k l i c h e , U n e n d l i c h e und E w i g e an sich, so stimmt man wohl allgemein darin überein, dass es keine ihm f r e m d e oder ihm in diesem Sinn ä u s s e r e Ursache seyn kann, auf welche dessen thatsächliche W i r k l i c h k e i t sich gründet. Aber darin gehen bekanntlich die Ansichten auseinander, ob man zur geistigen Veranschaulichung dieses Verhältnisses sich des Ausdruckes bedienen soll, jenes Urnothwendige habe oder besitze seine nothwendige Ursache „ i n s i c h s e l b e r " , oder ob man nicht richtiger sagen soll, es habe „ k e i n e U r s a c h e " und sey somit als an sich g r u n d - und u r s a c h l o s zu bezeichnen. Es beruht diese Unterscheidung augenscheinlich auf dem Unterschiede, welcher entsteht, ob man den allgemeinen Begriff von „Ursache" in der Bedeutung von ' „ N a t u r u r s a c h e " auffasst, oder in der Bedeutung von „ V e r n u n f t u r s a c h e " oder von „ V e r n u n f t g r u n d " . Wenden wir den Begriff einer N a t u r u r s a c h e oder eines N a t u r g r u n d e s , im Gegensatz zu dessen Anwendung auf die Gebiete des e n d l i c h - b e s c h r ä n k t e n Daseyns, auf das Gebiet des U r n o t h w e n d i g e n , Ewigen und U n e n d l i c h e n an: so liegt die Bezeichnung nahe, dass dieses Letztere die thatsächliche N a t u r u r s a c h e nur allein in sich s e l b e r besitzen könne, weil die in dem endlichen Daseyn zu Tage tretenden Ursachen und Verursachungen im Allgemeinen nur in dem Sinn von ä u s s e r e n oder von a u s s e n her stammenden Ursachen in das Auge gefasst werden können. Gehen wir dagegen in unserem Denken von dem an sich rein geistigen Standpunkt der V e r n u n f t u r s a c h e oder eines V e r n u n f t g r u n d e s , d. h. von dem Standpunkt eines v e r n u n f t g e m ä s s e n E r k l ä r u n g s g r u n d e s für die hier in Betracht kommenden Verhältnisse aus: so dürfen wir allerdings auch der Ausdrucksweise uns bedienen, das an sich U n e n d l i c h e und E w i g e habe „ k e i n e n G r u n d " , „ k e i n e U r s a c h e " , und sey demgemäss als an sich „ g r u n d - und u r s a c h l o s " zu betrachten. Die Berechtigung auch zu dieser Ausdrucksweise liegt in der Natur der Sache,

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

35

eben weil das an sich Unendliche und Ewige als allewege völlig u n e r r e i c h b a r von uns muss betrachtet werden für alle jene e n d l i c h - ä u s s e r l i c h e n U r s a c h e n und V e r u r s a c h u n g e n , wie solche im gegenseitigen Wechselverkehr zwischen den endlichen Dingen dieser Welt jederzeit statthaben. Daher ist es denn auch, ebenso Vernunft- wie naturgemäss, vollkommen begreiflich, dass wir, in diesem Sinn und von diesem Gesichtspunkt aus in das Auge gefasst, jenes an und in sich E w i g - U n e n d l i c h e als von allen weltlichen Naturursachen v ö l l i g f r e i und u n a b h ä n g i g anerkennen. Aber in Folge von diesem Allem wird es dann auch für uns um so erklärlicher, wie es kommt, dass eben jener Wahrheitssatz „aus N i c h t s w i r d n i c h t s " von jeher die allgemeine Zustimmung gefunden hat, während in Bezug auf den ihm so nahe verwandten Satz „ A l l e s h a t s e i n e U r s a c h e " allerdings Verschiedenheiten in den Ansichten zu Tage getreten sind. Doch betreffen diese Verschiedenheiten, wie eben gesehen, nicht sowohl den Kern der Sache, als sie vielmehr nur die äusserlichwörtliche Abfassung des Gedankens berühren. Alle diese Thatsachen dürfen wir wohl als Zeugnisse für die hohe Wichtigkeit betrachten, welche dem Satz, dass aus Nichts auch nichts werden könne, im Allgemeinen in Bezug auf das menschliche Denken zukommt. Denn gerade dieser Satz weist uns, wie kaum ein anderer, mit knappen und doch höchst bündigen und klaren Worten darauf hin, dass das reine thatsächliche N i c h t s , das eigentliche N i c h t s e y n und N i c h t s seyn a u s sich heraus oder aus e i g e n e r i n n e r e r M a c h t v o l l k o m m e n h e i t es nie und nimmermehr zu etwas Anderem zu bringen vermag, als zu dem, was es selber ist, d. h. zu überhaupt g a r n i c h t s , nie und nimmermehr aber zu irgend einem wahrhaften E t w a s , wie und in welcher Weise wir uns dasselbe auch denken mögen. N i c h t s b l e i b t N i c h t s in alle Ewigkeit. Denn in seiner vollen und eigentlichen Bedeutung vermag es, wie wir soeben gesehen haben, nur allein unter 3*

36

Die innere Unselbatständigkeit aller natürlichen Dinge.

der Vorstellung eines vollständigen Zusammengeschrumpftseyns alles thatsächlich räumlichen Ausgedehnten bis zum völlig n a c k t e n , weil völlig r a u m l o s e n , P u n k t unserer geistigen Anschauung einigermassen zugänglich gemacht zu werden. Stellen wir in Gedanken dieses r e i n e , an und in sich völlig k r a f t - und s e l b s t l o s e N i c h t s jenem an und in und durch sich a l l g e g e n w ä r t i g e n , u n e n d l i c h e n und ewigen u r n o t h w e n d i g e n E t w a s gegenüber, welches wir bereits als die e i n z i g und allein m ö g l i c h e U r s a c h e , als den einzig möglichen U r q u e l l und den einzig möglichen U r g r u n d wie f ü r sich s e l b e r , so auch für a l l e s e n d l i c h e D a s e y n erkannt haben: welch ein Ergebniss mag eine nähere Yergleichung beider unserem geistigen Nachdenken bieten? D o r t völlige S e l b s t l o s i g k e i t und völlige K r a f t l o s i g k e i t , welche ein für allemal alles dessen entbehrt, was erforderlich wäre, um es von sich aus jemals zu etwas wirklich Bestehendem zu bringen oder ein solches irgendwie aus sich hervorgehen zu lassen: h i e r dagegen ein u r w i r k l i c h e s und thatsächliches E t w a s , welches sich uns aus immer unabweislicheren Vernunftgründen als allein m ö g l i c h e r und eben darum auch als an sich u r n o t h w e n d i g e r U r g r u n d und U r q u e l l für alles w e s e n h a f t e D a s e y n dieser e n d l i c h e n W e l t darstellt. So gewiss diese Letztere in Wirklichkeit besteht, ebenso gewiss muss auch J e n e s , als deren allein möglicher Urgrund b e s t e h e n . Aber für eben den durch unsere bisherigen Untersuchungen bereits gewonnenen Standpunkt eröffnet sich uns nunmehr mit einem Male durch die eben angestellte Vergleichung mit dem an sich völlig n i c h t i g e n und darum auch völlig k r a f t l o s e n N i c h t - und N i c h t s s e y n ein neuer und für unsere weitere Untersuchung höchst wichtiger Einblick in die inneren Verhältnisse eben jenes urnothwendigen und urwirklichen Etwas, auf dessen immer tiefere Ergründung unser Denken noch immer mehr gerichtet seyn muss. Sollte nun aber eben jenes k r a f t - , s a f t - und v e r m ö g e n l o s e N i c h t s

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

37

nicht ein b e g r i f f l i c h e r H i n w e i s für uns seyn, dass in Bezug auf jenes an sich U r n o t h w e n d i g e und U r w i r k l i c h e ein gerade e n t g e g e n g e s e t z t e s Yerhältniss stattfinden müsse, wie bei jenem reinen Nichts? Wenn wir also den Begriff völligster K r a f t l o s i g k e i t als unabtrennbar verbunden mit dem des n i c h t i g s t e n N i c h t s haben anerkennen müssen: sollten wir hieraus nicht den Schluss ziehen dürfen oder vielmehr den Schluss ziehen m ü s s e n , dass in Bezug auf das Gebiet jenes U r n o t h w e n d i g e n und U r w i r k l i c h e n das gerade G e g e n t h e i l von diesem Allem stattfinden muss? Das heisst mit anderen Worten: gehört es unausweichlich zu dem Begriff des reinen Nichts, dass es, als ein solches, auch thatsächlich ein unbedingt K r a f t l o s e s seyn müsse: so muss es mit gleicher Denknothwendigkeit auch zu dem Begriff eines an, in und durch sich selber U r w i r k l i c h e n und U r n o t h w e n d i g e n gehören, dem Auge des Geistes mit zwingender Nothwendigkeit als ein allewege thatsächlich U r k r ä f t i g e s sich darzustellen. Denn in der That, ein Urwirkliches, welches nicht zugleich, und unabtrennbar von dessen Grundbegriff, als ein ewig ganz e b e n s o U r k r ä f t i g e s sich erweisen würde, könnte nur als der völligste W i d e r s p r u c h in sich selber bezeichnet werden. Kann dem an sich unbedingt K r a f t l o s e n auch nicht das geringste Maass von eigener thatkräftiger Wirksamkeit vernünftiger Weise zuerkannt werden: so muss dem wahrhaft U r n o t h w e n d i g e n und eben darum auch ewig U r w i r k l i c h e n dagegen ebenso widerspruchslos nicht nur die s c h r a n k e n l o s e s t e K r a f t f ü l l e , sondern zugleich mit dieser auch die schrankenloseste B e t h ä t i g u n g derselben als reinste schrankenloseste K r a f t w i r k s a m k e i t in alle Ewigkeit zukommen. Denn so gewiss eine in allen Beziehungen u n e n d l i c h e W i r k l i c h k e i t , welche den G r u n d ihrer Wirklichkeit nur allein in sich s e l b e r finden kann, zu diesem Ende in ihrem Inneren eine gleich u n e n d liche K r a f t erheischt: ganz ebenso gewiss muss dieselbe unendliche Kraft auch wiederum eine gleich unendlich e i g e n e

38

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

W i r k s a m k e i t in sich einschliessen, wenn unser Geist im Stande seyn soll, sich ein thatsächliches Vorhandenseyn eines derartigen U r w i r k l i c h e n in vollgültig befriedigender Weise zu erklären. Daher fasste auch schon Aristoteles das in sich E w i g e als ewige T h a t k r a f t (Energie), d. h. als ewige T h ä t i g k e i t auf, und zwar gleichzeitig auch in der Bedeutung einer ewig vollendeten Wirklichkeit. Der Begriff einer u n b e g r ä n z t e n S t ä r k e (oder unbegränzten Kraft) ist gleichbedeutend mit demjenigen des U n b e g r ä n z t e n selber, weil die Stärke (oder Kraft) des Unbegränzten s e l b e r unbegränzt seyn muss. — Den ähnlichen Anschauungen begegnen wir auch bei Plotin. Das U r - E i n e ist auch für ihn blosse K r a f t und zwar ebenfalls t h ä t i g e K r a f t (Energie), als die ewige Grundlage seiner W i r k l i c h k e i t . Und eben diese E i n e ewige U r k r a f t ist es denn auch, in welcher der alleinige Grund und Ursprung alles Endlichen zu suchen und zu finden ist. — Ahnlich sagt auch Descartes von dem wahrhaft Ewigen, dass dasselbe nur allein „durch seine e i g e n e K r a f t " bestehe. — Und in demselben Sinne sagt Leibnitz, „nur das wahrhaft U n e n d l i c h e sey auch ein u n t h e i l b a r E i n e s , jedoch k e i n G a n z e s . Diese (wahrhaft innerliche) E i n h e i t finde sich nur bei dem U n e n d l i c h e n d e r K r a f t , welches ganz ohne Theile ist." — Ebenso Wolff: „Ein wahrhaft Selbstständiges besteht nur durch seine e i g e n e K r a f t . " — Sulzer sagt in seinen vermischten philosophischen Schriften, dass dasjenige, was von j e h e r , also von Ewigkeit her, bestanden hat, nicht hervorgebracht, d. h. von keiner anderen ausser ihm befindlichen Ursache bewirkt seyn kann. Und aus eben diesen Verhältnissen folgert auch er, dass dies Ur-Ewige durch seine e i g e n e T h a t k r a f t , d. h. durch die K r a f t s e i n e r e i g e n e n Natur besteht, oder, mit anderen Worten, dass es n o t h w e n d i g e r W e i s e besteht, weil eben dies Bestehen a u s e i g e n e r K r a f t zu seiner e i g e n e n N a t u r gehört. „Es ist aber" — so fügt SULZEK hinzu — „widersprechend, an-

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

39

zunehmen, es sey etwas n i c h t w i r k l i c h (existire nicht), was doch n o t h w e n d i g ist. Die Voraussetzung also, dass dasjenige, was wirklich seyn muss, n i c h t wirklich sey, muss einen Widerspruch enthalten, weil jedenfalls Ein Urwirkliches da ist, das auf nothwendige Weise (d. h. also durch seine eigene T h a t k r a f t ) in Wirklichkeit besteht." — So bezeichnet auch J. G. F i c h t e das unmittelbar U n e n d l i c h e als das, „was schlechthin und unmittelbar durch sich s e l b s t ist." Das heisst also mit anderen Worten ebenfalls, was nur allein auf Grund seiner eigenen i n n e r e n K r a f t f ü l l e und deren ununterbrochener i n n e r e n W i r k s a m k e i t besteht. — „Wenn wir bei der Anschauung des an sich U n e n d l i c h e n " — sagt Lamennais — „die noth wendigen Eigenschaften zu entdecken suchen, so finden wir, dass dessen B e g r i f f (Idee) vor allem anderen den Begriff von K r a f t oder von Vermögen in sich fasst: denn um zu seyn, muss man zu seyn vermögen. Das wirkliche Bestehen (die Existenz) erfordert eine K r a f t , wodurch jenes ewig v e r w i r k l i c h t ist." — „Das w i r k l i c h (actu) U n e n d l i c h e " — sagt Schölling — „ist ein Unendliches k r a f t seiner unmittelbaren und in sich selber nothwendigen Wirklichkeit (kraft unbedingter Position), und nicht durch Zahl. Es ist nicht von einer Unendlichkeit die Rede, welche etwa durch eine unendliche Zahl, sondern von einer solchen, die überall nicht durch Zahl bestimmt werden kann." — So sagt auch J. P. Lange: „Die Zahl E i n s , als die Zahl der K r a f t , des Urgrundes (Princips) und der K r a f t w i r k u n g , ist die Zahl in ihrer höchsten E i n h e i t . " — „Wäre zuerst das N i c h t s " — sagt Melchior Meyr — „d. h. in k e i n e r Weise Etwas gewesen, k e i n e M a c h t des Anfanges, kein Boden und kein Baum in keinem Sinn, also nur das r e i n e N i c h t s : dann wäre es immer beim Nichts geblieben und n i e Etwas geworden. Nun aber ist in der Welt und in uns selber unbestreitbar E t w a s vorhanden: also muss ewig Etwas gewesen seyn", und zwar als thatkräftiger und urmächtiger Grund und

40

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Ursprung für alles Andere, das jetzt vorhanden ist. — „Die Ursache von aller Bewegung im All" — sagt D r e c h s l e r — „muss ein Bewegendes seyn, welches nicht erst von einem Anderen bewegt wird. D i e s e s Bewegende finde ich n i c h t in der sichtbaren Welt. Es muss also eine K r a f t seyn, a l l e Bewegung zu erzeugen, welche aber keine Ursache ihres Daseyns ausser sich hat. Diese Kraft finde ich n i c h t in dieser Welt. Da ich nun diese U r k r a f t im All selbst nicht gefunden habe, und da ich doch das Yorhandenseyn derselben zu denken durch das Wesen meines Geistes genöthigt bin: so nehme ich a u s s e r dem All eine K r a f t an, welche Ursache von aller wirklichen Bewegung sowohl, als auch von der im All vorhandenen bewegenden Kraft ist. Diese U r k r a f t kann nicht etwa dadurch erst geworden seyn, dass sie die Bewegung und bewegende Kraft im All erzeugt hat, sondern sie muss von E w i g k e i t her von und a u s sich s e l b s t seyn. Diese Urs a c h e a l l e r K r a f t , diese U r k r a f t , ist die w a h r e K r a f t , und sie ist nur E i n e . Sie ist w a h r e U r k r a f t dadurch, dass sie aus sich selber ist, und sie ist nur Eine, weil a l l e Kraft nur aus i h r hervorgeht. Sie ist a n d e r e r N a t u r als die Kraft im All, da sie in und von sich selber ewig ist, und aus ihr alle andere Kraft geworden ist. Diese i h r e N a t u r kann die Urkraft n i c h t an die Kraft im All abgegeben haben: es muss dieselbe ihr, sowie sie ihr von Ewigkeit her i s t , auch bis in Ewigkeit b l e i b e n , und mit und in dieser ihrer Natur ist und bleibt sie sie s e l b s t . " — In welcher Weise mögen wir uns nun aber eben jene ewige U r k r a f t wohl zu denken haben, auf deren Wirksamkeit nicht nur die gesammte u n e n d l i c h e W i r k l i c h k e i t , sondern zugleich damit auch die gesammte innere Beschaffenheit eben jenes e w i g - u n e n d l i c h e n U r - E i n e n sich gründet? Und von welcher Art und Weise deren gesammte innere Wirksamkeit als solche? Uber die Beantwortung dieser Fragen können wir wohl kaum in Zweifel seyn, sobald wir uns die

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

41

Verhältnisse wieder vergegenwärtigen, unter denen wir allein im Stande sind, den schlechthinigen W i d e r s p r u c h eben jener unendlichen und ewigen Urkraft, nehmlich das an sich völlig k r a f t l o s e N i c h t s oder N i c h t s e y n uns geistig zu vergegenwärtigen. Jenes reine nackte Nichts haben wir kennen gelernt sowohl als vollkommenste K r a f t l o s i g k e i t , wie zugleich auch ebenso vollkommene R a u m l o s i g k e i t . Beide Begriffe sind auf das Innigste mit einander verbunden: die Letztere ist die unmittelbare und nothwendige Folge von Ersterer. Das begriffliche S i n n b i l d der Letzteren, der vollkommenen Raumlosigkeit, können wir aber wohl kaum in etwas anderem erblicken als in dem an sich ebenfalls völlig r a u m l o s e n P u n k t . Nun vermögen wir aber den begrifflichen Gegensatz und Widerspruch eines solchen raumlosen, d. h. völlig a u s d e h n u n g s l o s e n P u n k t e s in nichts anderem zu erblicken als in einer an sich unendlichen Ausdehnung. Dies ist nicht bloss der begriffliche, sondern urnothwendige Vernunftgrund, weshalb schon gleich von Anfang an jenem unbekannten, ü b e r s i n n l i c h e n E t w a s , welches wir näher zu ergründen von Anfang an bestrebt waren, wir eine thatsächliche e w i g - u n e n d l i c h e A u s d e h n u n g zuzuschreiben genöthigt waren. Denn wie vermöchten wir eine Unendlichkeit und eine Ewigkeit uns anders geistig vorstellbar zu machen, denn unter dem Bilde einer unendlichen A u s d e h n u n g , sowohl nach der Richtung des Raum- wie des Zeitbegriffes hin? Daher auch die alte Vergleichung des an sich Unendlichen als eines e n d l o s A u s g e d e h n t e n mit einer Kugel, deren Umgränzung nirgends, deren Mittelpunkt aber überall ist. Und somit werden wir denn durch alle diese unmittelbar mit einander verbundenen und mit begrifflicher Nothwendigkeit wechselseitig sich ergebenden Verhältnisse zu der ebenso natur- wie vernunftgemässen Schlussfolgerung hingedrängt, dass eben jene ewig-unendliche und auch ewig urEine U r k r a f t vernunffcgemäss nicht anders zu denken seyn kann, denn allein nur als eine von Ewigkeit her allein in sich

42

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

selber begründete und in sich selber völlig einheitlich wirksame u n e n d l i c h e A u s d e h n u n g s k r a f t , die jeden Gedanken an die Möglichkeit einer etwaigen Zusammenschrumpfang jenes Ewig-Unendlichen zu einem raumlosen Punkt, an irgend welches Vergehen und Aufhören desselben in einem reinen Nichts nothwendig ausschliessen muss. Daher bezeichnet denn auch bereits A r i s t o t e l e s „das U n b e g r ä n z t e " als „das g r ä n z e n los A u s g e d e h n t e " . — In Bezug auf das vermeintliche Nichts in der Bedeutung einer u n e n d l i c h e n L e e r e sagt B e r k e l e y : „Wir wollen uns einbilden, es wären alle Körper zerstört und vernichtet. Was dann übrig bleibt, nennen sie den unendlichen (absoluten) Raum, da alle Wechselbeziehung, welche aus der Lage und den Umständen der Körper entspringt, so gut wie die Körper selbst hinweggethan ist. Nun ist dieser Raum unendlich, unbeweglich, untheilbar, kein Gegenstand der Sinnes Wahrnehmung, d. h. alles, was wir ihm beilegen, schliesst eine Ausschliessung, eine Verneinung in sich. Darnach scheint es, dass er ein reines N i c h t s sey. Die einzige S c h w i e r i g k e i t dabei entsteht aber daraus, dass er a u s g e d e h n t ist (und als ausgedehnt gedacht wird). Denn A u s d e h n u n g ist eine f e s t b e s t i m m t e B e s c h a f f e n h e i t (positive Qualität)". — Eine festbestimmte Beschaffenheit vermag eben selbstverständlich einzig und allein nur einem ebenso fest bestimmten und thatsächlich bestehenden E t w a s zuzukommen, nicht aber einem wesenlosen Nichts. Im gleichen Sinn sagt auch Bau m a n n , dass es k e i n e n leeren Raum geben kann, weil dem Nichts k e i n e A u s d e h n u n g zukommen könne. — Nur allein dadurch, dass eben jenem Einen Unendlichen und Ewigen allewege eine solche unendliche K r a f t i n n e r l i c h e r A u s d e h n u n g zukommt, welche wir von der Einen Seite nur als ewig-unendliche A l l g e g e n w a r t zu denken, anderseits aber auch nur unter dem Bilde einer unendlichen S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g s - und S e l b s t e r h a l t u n g s k r a f t (in menschlicher Weise zu reden) unserem Geiste anschaulich zu

Das Urnothwendige als Urkraft, UrWirksamkeit und Urseyn.

43

machen vermögeii: nur allein in Folge eines derartigen Verhältnisses kann es für uns als möglich erscheinen, dass dasselbe auch im Stande seyn kann, eine ganze Welt wie die unsrige unter Umständen in sich zu bergen und zu tragen. Eine derartige i n n e r e T r a g k r a f t für eine ganz andere und besondere Weise des Daseyns müsste für das reine r a u m und k r a f t l o s e N i c h t s geradezu als ein Widerspruch in ihm selber erscheinen. Sollte das Nichts wirklich Träger von irgend einem Anderen seyn: so würde auch dies Andere ebenfalls ein Nichts seyn können. N o . 153.

Die unendliche Urkraft als unendliches Urseyn.

Das begriffliche Geg e n t h e i l des N i c h t s , als des wahren N i c h t - und N i c h t s s e y n s , ist das Seyn. Dem reinen und eigentlichen N i c h t s , in der wahren Bedeutung des Wortes, d. h. dem an und in sich r ä u m - und k r a f t l o s e n P u n k t , kann demnach, als dessen eigentlichstes Gegentheil, nur allein ein in sich selber u n b e g r ä n z t e s , u n e n d l i c h e s und ewiges W i r k l i c h s e y n gegenüberstehen, und daher auch in unserer geistigen Anschauung demselben, vernunftgemäss, nur allein entgegengestellt werden. Was heisst dies aber anderes, als •dass einzig und allein nur jenes übersinnliche, weil überweltliche, u r n o t h w e n d i g e und darum auch u r w i r k l i c h e E t w a s es seyn kann, zu dessen unausweichlicher Anerkennung wir im Verlaufe unserer Untersuchung immer mehr hingedrängt uns fühlen, weil ohne dessen Anerkennung auch das gesammte Daseyn dieser Welt, unser eigenes nicht ausgeschlossen, ein unerklärbares Räthsel für all unser Denken bleiben müsste. Nur ein solches thatsächliches U r - S e y n vermag daher für das Auge des Geistes zugleich auch als der wahre und wirkliche, weil an sich u r k r ä f t i g e U r - und U n g r u n d (wie J A C O B B Ö H M E sich ausdrückt) alles Vorhandenen sich darzustellen. Der Begriff dieses reinen U r - s e y n s schliesst jedes N i c h t s e y n ,

44

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

ja jeden Gedanken auch nur an die blosse Möglichkeit eines solchen, als ein an sich Ungereimtes schlechthin von sich aus. Es kann ein solches weder .vor, noch mit, noch n a c h ihm jemals gedacht werden, ohne es in Widerspruch mit sich selber zu bringen. Denn als das wahre Seyn, als das Seyn an, in und durch sich selber, vermag allein nur das durch seine e i g e n e i n n e r e K r a f t f ü l l e bestehende an sich U n e n d l i c h e und Ewige, und eben darum auch nur allein U r w i r k liche sich darzustellen. Es ist das in sich A l l e r f ü l l t e und darum auch allein A l l e s e r f ü l l e n d e . Da bleibt kein Raum und keine Stätte übrig für ein wirkliches Nichts. Denn N i c h t seyn ist, wie wir bereits gesehen, gleichbedeutend mit V e r n e i n u n g alles Seyns: denn ein Seyn, das n i c h t i s t , wäre überhaupt kein Seyn. Es kann aber k e i n e V e r n e i n u n g gedacht werden ohne ein wirklich B e s t e h e n d e s und durch dieses sein t h a t s ä c h l i c h e s V o r h a n d e n s e y n in sich selbst B e j a h t e s . Gäbe es kein Solches: es gäbe auch niemals weder die geringste Gelegenheit noch auch die geringste Möglichkeit zu irgend welcher Verneinung desselben. Aber eben hieraus geht denn auch im Weiteren unzweifelhaft hervor, dass die ganze V o r s t e l l u n g und der ganze B e g r i f f eines „Nichtseyns" in dem menschlichen Geiste gar nie hätte entstehen können, wofern es nicht in Wirklichkeit ein Seyn in der wahrsten und eigentlichsten Bedeutung g ä b e , d. h. ein thatsächlich in und durch sich selber von Ewigkeit her u r w i r k l i c h e s , weil in sich selber begründetes und durch sich selber bestehendes U r s e y n , welches als ewige U r - T h a t s a c - h e jede blosse M ö g l i c h k e i t , sowie jede blosse Z u f ä l l i g k e i t schlechthin von sich a u s s c h l i e s s t . Als eben dieses innerlich T h a t s ä c h l i c h e , dieses, nach dem Bisherigen, nur schlechthin E i n e und E i n z i g e Urseyn, vermag aber für das Auge des Geistes nur ein Solches sich darzustellen, was in Wirklichkeit auch alles das in sich v e r e i n i g t , was es seinem eigenen Grundbegriff nach seyn soll und seyn muss. Denn da es, als

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

45

ein in sich e i n h e i t l i c h e s Seyn, auch nothwendig als auf Einem in sich selber e i n h e i t l i c h e n U r g r u n d beruhend sich darstellen muss: so kann folgerichtig auch nur eine in sich selber ganz ebenso e i n h e i t l i c h e U r - und G r u n d k r a f t es seyn, deren e w i g - t h a t k r ä f t i g e W i r k s a m k e i t als die innerliche U r s ä c h l i c h k e i t eben jenes urnothwendigen und darum auch e w i g - t h a t s ä c h l i c h e n U r s e y n s darf betrachtet werden. Eine derartige Grundkraft muss aber mit innerer Notwendigkeit auch den völlig ausreichenden Grund zu allem dem in sich enthalten und einschliessen, was dem durch sie von Ewigkeit her H e r v o r g e b r a c h t e n nach dessen eigenem Grundbegriff mit gleicher Nothwendigkeit innerlich zukommen muss. Denn wie für das Bereich dieser endlichen Welt allen darin enthaltenen Einzeldingen und Einzelwesen für die ganze Dauer ihres Daseyns allewege ein vollgültiges Maass von e n d l i c h e r D a s e y n s k r a f t innerlich zu Grunde liegen muss: so muss aus den gleichen Gründen auch in dem Bereich jenes an sich ü b e r w e l t l i c h e n und darum ü b e r s i n n l i c h e n U r s e y n s in seiner Weise ein ganz ähnliches Ur- und G r u n d v e r h ä l t n i s s obwalten. Nur eine an sich u n e n d l i c h e S e y n s k r a f t ist daher im Stande, die wahre und nie wankende G r u n d l a g e zu bilden für jenes an sich e w i g - u n e n d l i c h e Urseyn. Und da wir den Begriff eines thatsächlich U n e n d l i c h e n unserem Geiste nur allein unter dem Bilde einer an sich u n e n d l i c h e n A u s d e h n u n g , als des einzigen wahren Gegensatzes zu dem an sich völlig a u s d e h n u n g s l o s e n N i c h t s , anschaulich zu machen im Stande sind: so vermögen wir demgemäss auch jene u n e n d l i c h e S e y n s k r a f t , wie im Vorigen bereits erwähnt, nur als eine in ihrer unmittelbaren Wirksamkeit ins Unendliche a u s g e d e h n t e K r a f t uns zu denken, als eine Kraft also, welche nur allein in sich selber sowohl ihre begriffliche wie thatsächliche Begründung finden kann. Daher denn auch der bekannte und allgemein als vollkommen gültig anerkannte inhaltsreiche Wahrheitssatz: „Das wahre, reine Seyn

46

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

i s t " , das heisst: weil es von Ewigkeit den allein möglichen Grund seiner Wirklichkeit ganz und gar in sich s e l b e r besitzt, und keines anderen ihm fremden Seyns oder Daseyns zu diesem seinem eigenen Seyn bedürftig ist. Bei dieser Darlegung kann es uns jedoch kaum entgehen, dass dieselbe im Grunde, wenn auch in etwas erweiterter Ausführung in Einzelnem nur ganz dasselbe aussagt, was wir auch bereits beim Anfang unserer Untersuchung von dem Einen an sich U r n o t h w e n d i g e n und eben darum auch allein U r w i r k l i c h e n ausgesagt haben. Es liegt dies in der Natur der Sache. Damals, im ersten Anfang unserer bisherigen Untersuchungen, standen wir gewissermassen noch auf dem Standpunkt von mehr nur begrifflichen Anschauungen, durch welche wir zwar im Allgemeinen auf die Anerkennung eines U r n o t h w e n d i g e n und darum auch U r w i r k l i c h e n , welches den Grund seiner Wirklichkeit in sich selber besitzen müsse, hingeleitet wurden: allein alles dies hatte, wie gesagt, mehr statt in vorherrschend b e g r i f f l i c h e r Beziehung. Daher konnten wir auch damals nur erst sagen: ein U r n o t h w e n d i g e s muss zugleich auch ein U r w i r k l i c h e s seyn; denn sonst wäre es n i c h t dasjenige, was es seinem B e g r i f f nach seyn soll. Nunmehr aber, nachdem wir uns auf einen wesentlich h ö h e r e n geistigen Standpunkt erhoben haben, dürfen wir uns nicht mehr der vorigen Ausdrucksweise bedienen, „das Urseyn muss seyn", denn dieselbe würde als eine für unseren gegenwärtigen Standpunkt bereits überholte Anschauungsweise betrachtet werden müssen. Und eben darum kann nunmehr .denn auch allein der Satz gelten: „Das Seyn i s t " . In ihm liegt schon sprachlich die Thatsache auch eines wirklichen und thatsächlichen B e s t a n d e s im Seyn ausdrücklich mit enthalten und anerkannt. Schon Plato sagt: „Das E i n s , sagen wir, habe S e y n an sich, weil es ist. So ist also, vermöge des seyns, weder das E i n s von dem Seyn verschieden, vermöge des Seyns, das Seyn von dem E i n s : das

sein Einsnoch, Seyn

Das Umothwendige als Urkraft, UrWirksamkeit und Urseyn.

47

verlässt weder das Eins, noch das Eins das Seyn". — Und von einem ähnlichen Standpunkt ausgehend, bezeichnet Duns S c o t u s die blosse Anschauung, dass überhaupt „ E t was sey" als das „noch Allgemeinste (und eben darum auch noch Unbestimmteste und Ärmste), was überhaupt von ihm ausgesagt werden kann." — Wie P l a t o an der erwähnten Stelle das Seyn von dem Begriff des Eins aus in das Auge fasste: so Richard v. St. Victor gegenüber vom Begriff der Ewigkeit. Den allgemeinen Gedankengang Richabd's fasst Baue folgendermassen zusammen: „Das an sich Ewige kann niemals nicht seyn; wie es aber niemals nicht war, so wird es auch niemals nicht seyn. Denn immer ist es, was es ist, und kann niemals etwas Anderes oder auf andere Weise seyn. Alles, was ist oder seyn kann, hat sein Seyn entweder von Ewigkeit, oder es hat in der Zeit empfangen. Es hat dasselbe also entweder von sich, oder von einem Anderen als sich. Es sind nun drei Fälle möglich. Es hat Etwas entweder sein Seyn von Ewigkeit und alsdann von sich, oder es hat es weder von Ewigkeit noch von sich, oder es hat es von Ewigkeit aber nicht von sich. Nichts aber kann von sich selbst seyn, was nicht von E w i g k e i t ist. Von dem Unzweifelhaften aber, d. h. von den durch die E r f a h r u n g uns bekannten Gegenständen, muss man ausgehen, um von ihnen aus auf das, was ü b e r uns ist, zu schliessen. Alles Zeitliche hat das gemein, dass es nicht von Ewigkeit und deshalb auch nicht von sich selber ist. Aus dem Zeitlichen nun, das sein Seyn nicht aus sich selber hat, schliesst man auf das, was von sich selber und daher von Ewigkeit ist, weil sonst dasjenige, was sein Seyn nicht von sich selber hat, auch nicht vorhanden seyn könnte." — Einen ähnlichen Gang verfolgt auch Hugo V. St. Victor. — Albert der Grosse spricht nach Tiedemanx sich wie folgt aus: „Es ist undenkbar, dass Nichtsein vor dem Seyn hergeht, weil die V e r n e i n u n g nur aus dem B e j a h t e n

48

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

erkannt wird, mithin das W i r k l i c h e (Positive) vor dem N i c h t w i r k l i c h e n (dem Negativen) da seyn muss. Wer nun aber l e u g n e t , es gebe ein r e i n e s U r w i r k l i c h e s (reine absolute Existenz), der gibt zu, d a s s ein solches v o r h a n d e n ist. Denn auf die Frage: was leugnest du, wenn du sagst »Nicht-seyn«? kann er nicht umhin zu erwidern: ich l e u g n e das Seyn. Er setzt also das Seyn, bevor er es l e u g n e t . Ein solches reines schlechthiniges Seyn muss also nothwendig und wirklich b e s t e h e n . " — Den Gedankengang B o n a v e n t u r a ' s gibt TIEDEMANN folgendermassen wieder: „Das S e y n , ganz rein und abgesondert betrachtet, schliesst alles N i c h t s e y n und mithin alle M ö g l i c h k e i t , nicht zu seyn, gänzlich aus. Es ist ein n o t h w e n d i g e s Seyn. Wie das N i c h t s vom Seyn n i c h t s in sich enthält: so auch das Seyn n i c h t s vom N i c h t - s e y n und seinen Eigenschaften (d. h. nichts von allem dem, was wir dem Nichts zuschreiben); mithin auch k e i n blosses Vermögen (potentiam), sondern blosse r e i n e W i r k l i c h k e i t (actum). Dies S e y n wird zu a l l e r e r s t gedacht; denn alles wird entweder als N i c h t s , oder als etwas M ö g l i c h e s , oder als etwas W i r k l i c h e s vorgestellt. Nun kann aber das N i c h t s nicht anders d u r c h irgend E t w a s gedacht werden, und das M ö g l i c h e ebenfalls nicht anders denn durch ein W i r k l i c h e s : mithin ist das Seyn der a l l e r e r s t e Begriff, und zwar das r e i n s t e S e y n , weil nur das W i r k l i c h e dem Möglichen D e n k b a r k e i t gibt. Das r e i n e Seyn kann somit n i c h t gedacht werden als von einem A n d e r e n hergenommen: mithin ist es n o t h w e n d i g das A l l e r e r s t e . Es kann ferner auf k e i n e r Weise n i c h t seyn: es ist mithin ewig und u n v e r g ä n g l i c h , denn es ist nichts als W i r k l i c h k e i t . Und zwar ist es h ö c h s t e Wirklichkeit, welcher n i c h t s abgeht. Daher wird es durch nichts verändert und ist folglich einfach und unveränderlich. Eben desshalb ist es auch u n e r m e s s l i c h und erfüllt alle Dauer (d. i. die ganze Ewigkeit). Es ist ganz i n A l l e m und ganz a u s s e r Allem. Es ist die (endlose)

Das Urnothwendige als Urkraft, Urwirksamkeit und Urseyn.

49

Kugel (Spähre), deren Mittelpunkt ü b e r a l l und deren Umkreis n i r g e n d s ist. Es ist in A l l e m , jedoch n i c h t einges c h l o s s e n : es ist ausser Allem, jedoch n i c h t ausges c h l o s s e n . " — „Das Seyn" — sagt J. G. F i c h t e — „ist durchaus e i n f a c h . Es gibt n i c h t mehrere Seyn, sondern nur Ein Seyn. Nur das Seyn ist. Dieses Seyn ist ganz e i n f a c h , u n v e r ä n d e r l i c h . Es ist in ihm kein Entstehen und kein Untergehen." — „ W e r d e n ohne S e y n " — sagt H e r b a r t — „ist ein innerer W i d e r s p r u c h . Was (wahrhaft) i s t , kann nichts werden, was es nicht (von Ewigkeit her) war. Es könnte aber gefragt werden: ob denn ü b e r a l l etwas sey? Aber woher diese Frage nach dem Seyn, wenn nichts w ä r e ? Der Versuch, sich nichts zu d e n k e n , hebt sich selber auf. Denn N i c h t s d e n k e n hiesse gar n i c h t denken. Nichts also vernichtet sich selber. Das Nichts ist n i c h t , das Seyn hingegen ist. Es selbst, das Seyn, ist durch sich s e l b e r begründet. Es ist E i n s und nicht Vieles. Wären deren Viele, so wäre j e d e s der Vielen, und alles übrige wäre n i c h t . Aber das Nichtseyn ist nicht: das Seyn muss f r e i bleiben von dem Nichtseyn, welches die Gegensätze in dem Vielen herbeifuhren würden. Nach dieser Erklärung mag man also sagen: das Seyn sey E i n s . Aber dabei denke man nicht E i n s aus einer Reihe, auch nicht einmal das Erste in der Reihe, das Oberste und Höchste, sondern E i n s o h n e Gegens a t z . " — „Der letzte Grund aller Wirklichkeit" — sagt S c h ö l l i n g — „ist ein Etwas, das nur d u r c h sich selber, d. h. durch sein Seyn denkbar ist." Und anderwärts: „Das Seyn ist nur T h ä t i g k e i t " , und zwar bezeichnet er an wieder einem anderen Ort das Seyn als die „ K r a f t und S t ä r k e des Ewigen." —

Wandersmann. IV.

4

50

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

§ 30. Das an sich urnoth wendige Seyn als Urwesen und Urseyendes. N o . 154.

Das TJrseyn als Urwesen.

Hatten wir beim ersten Ausgangspunkt unserer Untersuchung, dem noch allgemeineren und einfacheren Begriff eines an sich U r n o t h w e n d i g e n und U r w i r k l i c h e n gemäss, einen im Ganzen noch mehr äusserlichen oder mehr nur begrifflichwissenschaftlichen Standpunkt eingenommen: so hatten wir, durch den darauf folgenden Übergang zu dem Begriff eines r e i n e n U r s e y n s doch bereits einen wesentlich höheren Standpunkt für unsere weiteren Untersuchungen gewonnen. Denn während, von jenem noch ersten und ursprünglicheren Standpunkt aus, wir zu der Einsicht zu gelangen vermochten, dass eben jenes an sich Urnothwendige und Urwirkliche, schon seinem unmittelbaren Grundbegriff nach, nur allein ein an sich Unendliches und E w i g e s seyn könne, und dass es demgemäss den eigentlichen G r u n d hiervon nothwendig in sich s e l b e r besitzen müsse: so vermochten wir, von dem Standpunkt des reinen U r s e y n s aus, bereits die weitere Einsicht zu gewinnen, dass mit eben diesem letzteren Begriff nothwendig auch der eines thatsächlichen f e s t e n B e s t a n d e s oder d a u e r n d e n Bes t e h e n s im Seyn Hand in Hand gehen müsse, und zwar für alles e n d l i c h e Daseyn ein an sich e n d l i c h e s , für das an sich u n e n d l i c h e Seyn dagegen ein u n e n d l i c h e s und ewiges Bestehen. Aber wie und auf welche Weise sich dies Alles so verhalten müsse: dies blieb uns damals noch verschlossen, wenngleich die Einsicht, dass die einem jeden endlichen wie dem unendlichen Seyn nothwendig zu Grunde liegende innerlich-einheitliche S e y n s k r a f t , der Natur der Sache nach, nur als eine in ihrer unmittelbaren Wirksamkeit sich a u s b r e i t e n d e oder sich a u s w e i t e n d e K r a f t zu betrachten seyn kann, sehr geeignet seyn musste, uns auf den eigentlichen Kern der Sache hinzuweisen. Denn was wir im Allgemeinen, in sinnbildlicher

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

51

Weise, als den „ K e r n einer Sache" bezeichnen, was will dies Anderes ausdrücken als den Begriff von Etwas, was für irgend eine bestimmte Art und Weise zu s e y n und zu bestehen als unumgänglich nothwendig oder, wie man zu sagen pflegt, als „ w e s e n t l i c h " muss bezeichnet werden? Denn sobald irgend einem bestimmten Etwas auch nur das Geringste a b g e h t , was für dasselbe, seinem Grundbegriff nach, als ihm „ w e s e n t l i c h zukommend", allgemein anerkannt ist, so ist es in Wirklichkeit n i c h t das, was es seyn sollte. Und somit darf denn auch schon in diesem Begriff eines an sich W e s e n t l i c h e n ein Hinweis auf die hohe Wichtigkeit liegen, welche dem eigentlichen Wesensb e g r i f f selber in Bezug auf unsere weiteren Forschungen zukommen muss. Die wichtigere und bedeutungsvollere Stellung, welche dem W e s e n s b e g r i f f , dem blossen S e y n s b e g r i f f gegen9

über, im Allgemeinen zukommt, können wir uns namentlich dann deutlicher vergegenwärtigen, wenn wir das Wort Wesen nicht bloss als H a u p t w o r t in das Auge fassen, sondern auch als Z e i t w o r t , nehmlich in der Bedeutung von „ w e s e n " . Ist dies auch gegenwärtig nur sehr selten im Gebrauch, so hat es sich doch seit alter Zeit in dem ziemlich bekannten Satz: Alles, was da weset und i s t " bis auf den heutigen Tag erhalten. Dabei dürfen wir nicht ausser Acht lassen, dass, wie aus dem Zeitwort „ s e y n " augenscheinlich das Hauptwort „ S e y n " hervorgegangen ist, und nicht umgekehrt, ein ähnliches Verhältniss stattfindet in Bezug auf „ w e s e n " und „ W e s e n " . Bevor wir jedoch näher hierauf eingehen, dürfte es als zweckdienlich erscheinen, den eben angeführten Satz „was da w e s e t und i s t " noch etwas genauer in das Auge zu fassen. In diesen wenigen Worten tritt nehmlich bei genauerer Betrachtung in unverkennbarer Weise eine ganz bestimmte Anerkennung eben der bevorzugten Stellung zu Tage, welche dem Begriff des W e s e n s vor dem Begriff des S e y n s zukommt. Denn da der W e s e n s b e g r i f f eine höhere und inhaltsreichere E r w e i t e r u n g und W e i t e r e n t w i c k e l u n g des Seynsbegriffes darstellt, so muss er auch 4*

52

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

dem Seynsbegriff v o r a n s t e h e n . Und gerade dieses Verhältniss ist es auch, welches in dem angeführten Satz schon durch die wechselseitige äussere Stellung der beiden Worte „weset" und „ist" in einer bezeichnenden Weise zu entsprechendem Ausdruck gebracht ist: der Begriff des W e s e n s nimmt die e r s t e , der Begriff des Seyns die, jenem gegenüber, ihm gebührende zweite Stelle ein. Doch gehen wir nunmehr in unseren sprachlichen Untersuchungen auch noch um einen Schritt weiter. Durch das Sprechen offenbart sich der Gedanke. Denken und Sprechen gehören untrennbar zusammen. D e n k e n ist lautloses unhörbares S p r e c h e n : S p r e c h e n ist lautes, hörbares Denken. Und wie es in dieser Beziehung für den einzelnen Menschen sich verhält, so verhält es sich in ähnlicher Weise auch in Bezug auf die verschiedenen Völker. Der einzelne Mensch offenbart in seiner ganzen Art und Weise zu s p r e c h e n , den geistigen Standpunkt, welchen er persönlich einnimmt: und ebenso tritt in der S p r a c h e eines Volkes auch der geistige Standpunkt zu Tage, welchen das betreffende Volk, das diese Sprache spricht, im Grossen und Ganzen einnimmt. Daher sprechen wir auch nicht mit Unrecht von dem G e i s t einer jeden Sprache im Vergleich mit dem G e i s t , welcher in Sprachen zu Tage tritt. Wenn nun irgend eine Sprache für zwei nahe mit einander verwandte Begriffe auch zwei v e r s c h i e d e n e W o r t e besitzt, eine andere Sprache dagegen nur ein einziges W o r t : so dürfen wir mit Sicherheit daraus schliessen, dass in ersterem Fall von Seiten der Angehörigen des betreffenden Volkes jene beiden Begriffe in der Regel auch im Denken k l a r e r und d e u t l i c h e r u n t e r s c h i e d e n werden, als im zweiten Fall. So hat z. B. unsere deutsche Sprache für Z e i t und W e t t e r zwei verschiedene Worte, durch welche die begrifflichen Unterschiede beider ihren zutreffenden sprachlichen Ausdruck finden. Die französische Sprache dagegen hat für beide nur den gemeinsamen Ausdruck „ t e m p s " . Erst durch den Gesammtinhalt eines Satzes oder einer Rede muss es sich herausstellen, um welche der beiden 4.

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

53

Bedeutungen von „ t e m p s " es sich handelt, ob um zeitliche Verhältnisse oder ob um Witterungsverhältnisse. Ein ganz ähnliches findet nun aber auch statt in Bezug auf die beiden Begriffe von „Seyn" und „Wesen", für welche die französische Sprache ebenfalls nur den gemeinsamen Ausdruck „un ê t r e " besitzt. Wohl bedient man sich, und zwar namentlich in wissenschaftlichen Abhandlungen zum Zweck genauerer Unterscheidung des Wesens b e g r i f f e s von dem blossen Seynsbegriffe, für Ersteren auch der Bezeichnung „essence"; allein der eigentliche Sinn von essence deckt sich nicht genau mit dem unseres deutschen Wortes „ W e s e n " . Es ist mit ihm mehr noch der Begriff eines gewissen G e i s t i g e n verbunden, wie solches z. B. in dem innersten geistigen Wesensgrundbegriff der Dinge seinen Ausdruck findet: ein Nebenbegriff, welcher jedoch im Allgemeinen unserem deutschen „Wesen" abgeht. Dagegen schliesst eben dieses Letztere einen anderen, für eine richtige Auffassung des eigentlichen W e s e n s i n h a l t e s sehr werthvollen Nebenbegriff in sich, welcher sowohl dem französischen „être" wie dem Begriff von „essence" mangelt. Fragen wir nach dem natürlichen Grund hiervon, so wüssten wir in der That als Erklärung hierfür nichts Anderes anzuführen als den Umstand, dass die französische Sprache den W e s e n s b e g r i f f überhaupt nur in der Gestalt eines H a u p t w o r t e s kennt, nicht aber gleichzeitig auch, wie die deutsche, in der Gestalt eines Z e i t w o r t e s . Denn die französischen Worte „existence" und „exister" entsprechen weit mehr dem eigentlichen Seynsbegriff als dem eigentlichen Wesensbegriff. Gerade in diesem deutschen Wort „wesen" liegt aber die zauberhafte Nebenbedeutung mit eingeschlossen, welche in unserem Hauptwort „Wesen" unbemerkt verklingt und daher auch nicht in derselben Weise zu Tage treten kann, wie solches im Z e i t w o r t „ w e s e n " der Fall ist. — Wir haben der uns aus früheren Zeiten überkommenen Ausdrucksweise „was da weset und ist" Erwähnung gethan. Genauer wiedergegeben heisst es aber: „Alles, was da l e b e t , weset und ist." In eben dieser

54

Die innere Unselbstatändigkeit aller natürlichen Dinge.

dreifachen Begriffs-Aneinanderreihung liegt nun, namentlich durch die Hinzufügung des L e b e n s b e g r i f f e s , ein sehr bedeutsamer Wink auch in Bezug auf ein allseitigeres und darum auch richtigeres Yerständniss des eigentlichen W e s e n s b e g r i f f e s selber. Jener Satz „was da l e b e t , w e s e t und i s t " , führt uns nehmlich nicht allein die sehr nahe V e r w a n d t s c h a f t klar vor Augen, in welcher eben diese drei Begriffe zu einander stehen, sondern gleichzeitig weist er uns auch ebenso deutlich auf die fortschreitende S t e i g e r u n g hin, welche der an sich noch allgemeinere und einfachere S e y n s b e g r i f f von Stufe zu Stufe durch diese Reihe an sich erfährt, und in welcher der Begriff des L e b e n s , als die höchste dieser drei Stufen, demgemäss auch die erste Stelle einnimmt. Der Begriff des W e s e n s dagegen gibt sich sofort zu erkennen als die v e r b i n d e n d e M i t t e oder die begriffliche M i t t e l s t u f e zwischen den beiden Begriffen des S e y n s und des L e b e n s . Und aus eben diesem Verhältniss geht denn auch ferner unzweifelhaft hervor, dass das W e s e n , wie es Theil hat an dem S e y n , als seiner begrifflichen U n t e r l a g e , auch ebenso nothwendig Theil haben muss an dem Begriff des L e b e n s , als einer höheren Entwickelung sowohl des Wesens- als des Seynsbegriffes. Wir dürfen uns daher nunmehr dahin aussprechen, dass der eigentliche und tiefere Begriff des W e s e n s uns gewissermassen den K e r n des Wesens vor Augen stellt, oder, wenn wir so sagen dürfen, das Wesen von Seiten seiner inneren l e b e n s v o l l e n W e s e n s h a f t i g k e i t . Eben dieses Verhältniss ist es aber auch, welches schon in dem Zeitwort „ w e s e n " , sobald wir dessen begrifflichen Inhalt genauer in das Auge fassen, in unverkennbarer Weise zu Tage tritt. Denn der Begriff des „wesens" schliesst bei näherer Betrachtung sich enge an den Begriff eines i n n e r l i c h e n W i r k e n s und W a l t e n s von Seiten l e b e n d i g - w i r k s a m e r K r ä f t e , welche das gesammte wesenhafte Innere eines Dinges oder Seyns in ihrer unausgesetzten Wirksamkeit in lebenskräftiger Weise d u r c h w a l t e n und d u r c h f l u t h e n . Namentlich in wissenschaftlichen Arbeiten

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

55

wird, in ähnlicher Weise wie in allen mit dem Lateinischen verwandten Sprachen, der Begriff des W e s e n s häufig auch bei uns durch das aus dem Lateinischen stammende Wort „ S u b s t a n z " ersetzt. Es ist abgeleitet von dem lateinischen Wort „subsistere", d. i. b e s t e h e n oder im S e y n b e h a r r e n . Das lateinische „substantia" bezeichnet daher nach F A B B I ' S Thesaurus (Leipzig 1717) im Allgemeinen ein „ b e s t e h e n d e s W e s e n " , und zwar namentlich ein solches, welches w e s e n h a f t d u r c h s i c h s e l b e r besteht (quae per se subsistit, essentia). Zugleich schliesst der Begriff des W e s e n s , als S u b s t a n z , auch noch bestimmter den Begriff der W e s e n s b e s c h a f f e n h e i t in sich ein, während von einer Beschaffenheit des Seyns wohl kaum die Rede ist. Dagegen ist es bezeichnend, dass dem zu substantia gehörigen Zeitwort s u b s i s t e r e einerseits in r ä u m l i c h e m Sinn ebensowohl die Bedeutung von „ s i c h e r s t r e c k e n " zukommt, wie in z e i t l i c h e m Sinn diejenige von „ a u s h a l t e n " : beides also Begriffe, welche mit denen von „ s i c h a u s d e h n e n " , „ s i c h a u s b r e i t e n " und „ s i c h a u s w e i t e n " sehr wohl in Einklang stehen, und zwar ebensowohl in Bezug auf den Seyns- wie Wesensbegriff. Das griechische „ O u s i a " (ovgice) bezeichnet nach P A P E sowohl das W e s e n und das wahrhafte S e y n , wie bei ABISTOTELES auch eine jede bestehende W i r k l i c h k e i t ; wogegen dem damit verwandten „ E X O U S I A " (igovgice) der Begriff von M a c h t zukommt. Auch hierin liegt somit schon ein sprachlicher Hinweis darauf, dass beide, die Begriffe des S e y n s wie des W e s e n s , ihrem tieferen begrifflichen Gehalte nach, gemeinsam die Bedeutung einer e i g e n e n i n n e r e n K r a f t f ü l l e , als einer inneren M a c h t zu s e y n , mit Notwendigkeit in sich einschliessen. Denn eben das innerliche W i r k e n und W a l t e n jener inneren Kraft- und Wesensfülle ist es j a , auf welchem der ganze B e s t a n d , im unendlichen Seyn sowohl wie in allem endlichen Daseyn, damit aber zugleich auch unsere ganze geistige Anschauung des Wesensbegriffes von dem Standpunkt der S u b s t a n z aus, ursprünglich wurzelt und gründet. Nach

56

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Krause ist es daher auch gerade dieses Verhältniss, welches wir, im Gegensatz zu dem Begriff des W e s e n s , sprachlich als die eigentliche „ W e s e n h e i t " des Wesens zu bezeichnen pflegen. — Ein natürliches Daseyn, welchem seine räumliche Ausdehnung nur für einen Augenblick zukäme, d. h. ein Daseyn, dessen Entstehen mit einem sofortigen Wiederverschwinden aus dem Daseyn in Eins zusammenfiele, und dessen eigene innere Daseynskraft nicht gleichzeitig eine vollgültige zeitliche D a u e r k r a f t darstellte, würde nie und nimmermehr als ein wirkliches D a s e y n , niemals als etwas wirklich V o r h a n d e n e s betrachtet werden können. Denn es wäre, wenn wir es uns auch denken wollten, der reinste Widerspruch in sich selber, demgemäss ein an sich Gedanken-Unding. Das Gleiche wäre aber auch der Fall in Bezug auf ein in räumlichem Sinn u n e n d l i c h e s Seyn. Das heisst mit anderen Worten: eben jener an sich unendlichen Seynskraft, welche wir als eine Kraft von thatsächlich u n e n d l i c h e r A u s w e i t u n g und A u s b r e i t u n g erkannt haben, muss, menschlich gesprochen, mit gleicher Nothwendigkeit auch eine ganz ebenso unendliche und unbeschränkte D a u e r k r a f t zukommen. Nur allein in Folge hiervon kann daher auch in Bezug auf jenes ewig-unendliche U r s e y n von einem wirklich u n e n d l i c h e n und ewigen B e s t a n d im Seyn die Rede seyn; denn nur unter der Bedingung einer ihm unbedingt zukommenden ewig-unbeschränkten D a u e r sind wir im Stande, dasselbe n i c h t als einen bloss willkürlich von uns ersonnenen, in sich aber n i c h t s s e y e n d e n Begriff, sondern im Gegentheil als ein t h a t s ä c h l i c h e s und w e s e n h a f t e s W i r k l i c h s e y n in das Auge zu fassen. Nur allein unter eben dieser Ur- und Grundbedingung vermag aber jenes urnothwendige U r s e y n auch als eine wirklich und thatsächlich b e s t e h e n d e U r w e s e n h e i t , als ein wirkliches und thatsächliches U r w e s e n in der vollen und eigentlichsten Bedeutung dieses Wortes dem Auge des

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

57

Geistes sich darzustellen. In eben diesen Verhältnissen dürfen •wir dann gleichzeitig auch den tieferen Grund dafür erblicken, dass auch im Deutschen in gewissen Fällen der Ausdruck „ S u b s t a n z " demjenigen des „ W e s e n s " vorgezogen wird. Denn gerade der Begriff des in sich s e l b e r F e s t s t e h e n s und d u r c h sich s e l b e r B e h a r r e n s und A u s d a u e r n s findet sich, wie schon vorstehend darauf hingewiesen, noch weit entschiedener durch den Begriff der. S u b s t a n z ausgedrückt, als durch den des Wesens. Gilt diese Unterscheidung von Substanz und Wesen aber auch gleichmässig sowohl für das e n d l i c h e wie für das u n e n d l i c h e Seyn, so liegt es doch in der Natur der Sache, dass ein gewisses bewusstes Festhalten an eben dieser begrifflichen Unterscheidung, namentlich in Bezug auf jenes Eine urnothwendige U r s e y n und U r w e s e n , von besonderer Wichtigkeit seyn muss. Dagegen kommt von der anderen Seite, wenn wir die Begriffe von Substanz und Wesen noch genauer mit einander vergleichen, dem Begriff des Wesens eine nicht unwichtige Nebenbedeutung zu, welche dem der S u b s t a n z ganz und gar abgeht. Denn es liegt mit in dem Begriff des W e s e n s , dass dasselbe uns zugleich Antwort darüber gebe, was ein jedes Ding oder Wesen seiner besonderen inneren Wesensart nach ist oder seyn soll. Eben darum gehört es denn auch zum Begriff des Wesens, dass er uns Auskunft gebe nicht nur über den allgemeinen W e s e n s i n h a l t eines jeglichen Dinges und Wesens je nach seiner besonderen W e s e n s a r t , sondern dass er ebensosehr auch Auskunft gebe über die einzelnen W e s e n s b e s c h a f f e n h e i t e n und W e s e n s z u s t ä n d e , welche ihm je nach den besonderen äusseren Umständen und Verhältnissen zukommen, in welche dasselbe im Verlauf der Zeit eintritt. Daher denn auch die naturwissenschaftliche Unterscheidung von Körperwesen, Seelenwesen und Geisteswesen. Aus allen diesen bis dahin geschilderten Verhältnissen geht demnach mit innerer Nothwendigkeit auf das zuverlässigste hervor, dass wir Allem, d. h. sowohl

58

D i e innere Unselbstatändigkeit aller natürlichen Dinge.

jedem in sich endlichen Daseyn wie dem unendlichen Urseyn, einen bestimmten unveräusserlichen inneren Daseyns- oder Seynsgrund thatsächlich zuerkennen m ü s s e n , auf welchem aller wirklich w e s e n h a f t e B e s t a n d im Seyn oder Daseyn beruht. Wie es aber in unserer eigenen Seele, oder in unserem eigenen, in sich e i n h e i t l i c h e n , i n n e r e n W e s e n s g r u n d durchaus keine w e s e n l o s e L ü c k e , keine wesenlose L e e r e , von welcher Art wir sie uns auch vorstellen möchten, der Natur der Sache nach, geben kann: ebensowenig, ja noch unendlich viel weniger, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, kann dies der Fall seyn in Bezug auf jenes Eine unendlichewige U r s e y n und U r w e s e n selber, in welchem allein wir den einzig möglichen Urgrund auch für alles endliche Daseyn zu erblicken vermögen. Daher auch der natürliche Grund dafür, dass wir uns ganz ausser Stand finden, eine jede Annahme irgend welcher Art von thatsächlicher w e s e n l o s e r L e e r e , sey es nun unter der Gestalt einer an sich u n e n d l i c h e n L e e r e , oder unter dem Begriff eines völlig r a u m l o s e n N i c h t s , mit den Gesetzen eines vernunftgemässen Denkens in irgend einer Weise zu vereinbaren. Doch gehen wir nunmehr, in Bezug auf die eben behandelten Verhältnisse, auch noch auf die Anschauungen einiger Denker über, welche mit den gleichen Fragen sich beschäftigt haben. In Bezug auf die Anschauung Albert's des Grossen sagt B A U E : „Der E r s t e G r u n d von Allem, weil schlechthin nichts vor ihm ist, hat seine Wurzel nur in sich selber, und Seyn und W e s e n sind daher für ALBEET g l e i c h b e d e u t e n d . Eben desswegen kann er aber auch nur n o t h w e n d i g seyn." — In gleichem Sinn sagt Meister Eckhart: „ W e s e n ist einfach, ist Seyn. Es ist über allen Dingen ein S t e h e n in sich s e l b e r , und dieses sein Stehen in sich selber erhält Alles. Das W e s e n wird n i r g e n d s von dem Nichts berührt: es ist ursprüngliche S u b s t a n z . Es ist ein einiges E i n s von ihm selber und n i c h t von einem Anderen." — „Unter S u b s t a n z "

Das an aich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

59

— sagt in gleichem Sinn D e s c a r t e s — „können wir nichts Anderes verstehen als Etwas, das in einer solchen Weise besteht, dass es zu seinem Bestand k e i n e s A n d e r e n bedarf. Und zwar kann nur Ein solches Wesen gedacht werden, das wirklich g a r keines Anderen hierzu benöthigt ist. Denn von allem Anderen wissen wir, dass es nur unter dessen Mitwirkung bestehen kann." — Ebenso S p i n o z a . Auch nach ihm gehört zum Begriff des W e s e n s (der Substanz) der Begriff des Seyns. Denn das W e s e n schliesst nothwendig auch das Seyn in sich. Das Wesen muss nothwendig bestehen; denn Alles, was ist, kann ohne dasselbe n i c h t bestehen. — So sagt auch L e i b n i t z : „Der letzte Grund der Dinge muss sich in einer n o t h w e n d i g e n S u b s t a n z vorfinden, in welcher sämmtliche Veränderungen als in ihrem Urquell ihren Grund haben. Weil nun diese Substanz der zureichende Grund des Ganzen, und d eses in allen seinen Theilen auf das innigste verbunden ist, so gibt es nicht mehr als E i n e U r s u b s t a n z , und diese genügt. Ferner kann man schliessen, dass diese Substanz e i n z i g , a l l u m f a s s e n d und n o t h w e n d i g so ist, wie sie i s t , da sie nichts ausser sich hat, das von ihr unabhängig wäre und selbst nichts ist, als die Folge der Möglichkeit ihres eigenen Wesens. Und ebenso muss man schliessen, dass sie k e i n e r Gränze fähig seyn darf, und dass sie alle nur mögliche W i r k l i c h k e i t besitzen muss." — Wolff spricht — nach TIEDEMANN —• sich folgendermassen aus: „Wir sind vorhanden, haben also einen z u r e i c h e n d e n G r u n d unseres Daseyns; und zwar haben wir diesen entweder in uns oder in einem a n d e r e n von uns verschiedenen Wesen. Wenn in uns selber: so sind wir nothwendig vorhanden; wenn in einem A n d e r e n , das k e i n e s Grundes zu seinem Daseyn bedarf: so besteht d i e s e s nothwendig. Bedarf aber dieses Andere ebenfalls eines neuen Grundes, um zu seyn: so geht dies n i c h t ohne Ende fort, sondern hat bei einem Wesen Stillstand, welches diesen Grund in ihm selber hat. Demnach b e s t e h t

60

Die innere U n s e l b s t ä n d i g k e i t aller natürlichen Dinge.

auf alle Fälle ein n o t h w e n d i g e s W e s e n . " Zu dieser Begründung macht TIEDEMANN noch folgende weitere Bemerkungen: „Diesem sonst vortrefflichen Beweis klebt die Schwäche an, dass ein n o t h w e n d i g e r S t i l l s t a n d in der Reihe der Bedingungen oder Gründe n i c h t streng e r w i e s e n , sondern mehr nur, als in sich seiher klar, a n g e n o m m e n ist. Nicht weniger ist auch das ausser Acht gelassen, ob die Annahme eines nothwendigen Wesens, die wir in u n s e r e m D e n k e n (subjectiv) nicht umgehen können, darum auch in Wirklichkeit (objectiv) unumgänglich i s t ? " — Gegen diese Einwendung in Bezug auf die Gültigkeit oder Unzulänglichkeit eben jener Beweisführung möchten wir jedoch auf die thatsächliche U n m ö g l i c h k e i t hinweisen, jemals, sey es auf dem Wege von e n d l i c h e n oder auch von vermeintlich u n e n d l i c h e n Reihen oder Aneinanderreihungen von E n d l i c h e m zu E n d l i c h e m , aus dem thatsächlichen Gebiet des Endlichen, dem wir selber angehören, herauszukommen und auf diesem Wege unmittelbar in das Gebiet des ausschliesslich U n e n d l i c h e n zu gelangen. Vermöchten wir es, wenn auch nur in unserer geistigen Anschauung, solche Reihen von Naturwesen, oder von natürlichen Ursachen und Wirkungen, von ihrem ersten Ausgangspunkt aus bis zu ihrem allerletzten Endglied uns vollgültig von Glied zu Glied zu vergegenwärtigen, sie gleichsam im Geiste zu durchwandern, also dass wir selbst in den Stand gesetzt würden, die ganze Zahl ihrer Einzelglieder auf das genaueste zu bestimmen, so dass wir, bei dem letzten Endglied angelangt, sagen dürften, wir hätten nunmehr nur noch dies Eine letzte Glied, diese äusserste Gränze alles endlich Gegebenen, zu überschreiten, um uns unmittelbar im Gebiet des thatsächlich U n e n d l i c h e n zu befinden: so würde eine solche Annahme doch nur auf einer Selbsttäuschung von unserer Seite beruhen. Denn jene grosse K l u f t , welche das Gebiet des an sich E n d l i c h e n von dem des an sich U n e n d l i c h e n ein für allemal, und zwar ebensowohl in begrifflicher wie in thatsächlicher wesenhafter

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

61

Beziehung für das Auge des Geistes trennt und scheidet, haben wir in dieser unserer geistigen Anschauung ausser Acht gelassen. Von keinem dieser beiden Seynsgebiete aus gibt es aber einen in natürlicher Weise vermittelten Übergang in das andere, noch kann es der Natur der Sache nach einen solchen geben, selbst nicht für unser Denken. Aber trotz der Schwierigkeiten, welche von dieser Seite uns entgegentreten, besitzen wir gerade in unserem Denk- und Erkenntnissvermögen ein, wenn auch nicht natürliches, so doch v e r n u n f t g e m ä s s e s , d. i. g e i s t i g e s M i t t e l , diese Schwierigkeiten (wir möchten sagen vermittelst eines gewissermassen geistigen Kunstgriffes) zu umgehen. Und dieses eben ist denn auch der Weg, welchen W O L F E in seiner Anschauung unverkennbar im Auge hatte. Es ist dies der Weg v e r n u n f t g e m ä s s e r S c h l u s s f o l g e r u n g e n . Für eine jede nur einigermassen schwierige Untersuchung gilt es nun aber als R e g e l , von etwas an sich vollgültig Gewissem oder zweifellos F e s t s t e h e n d e m auszugehen, um von hier aus Schritt für Schritt durch weitere vernunftgemässe Folgerungen auch an die Lösung schwieriger Fragen heranzutreten. Indem daher W O L F F einerseits von der unumstösslichen Erfahrungstatsache ausgeht, dass wir, als Menschen, unleugbar da sind und wesenhaft b e s t e h e n : so bleibt er sich von der anderen Seite doch auch ebensosehr des ebenso unanfechtbaren Wahrheitssatzes bewusst, dass weder die Gesammtreihe der ganzen Menschheit noch aller sonstigen natürlich-endlichen Daseynsweisen jemals den ausreichenden Grund für ihr eigenes wesenhaftes Daseyn vernunftgemäss in sich s e l b e r besitzen können. Nun lehren uns aber eben jene Gesetze des vernunftgemässen Denkens gleichzeitig in einer ebenfalls nicht zu bezweifelnden Weise, dass nur allein ein s o l c h e s S e y n und W e s e n im Stande seyn kann, nicht nur den Grund seines eigenen wesenhaften Seyns und damit zugleich den ausreichenden Grund auch für alles an sich endliche Daseyn begrifflich wie wesenhaft in sich einzuschliessen, welchem, als im

62

D i e innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Besitz einer e w i g - u n e n d l i c h e n K r a f t - und W e s e n s f ü l l e , auch nothwendig alle diejenigen Grundbedingungen in unerschöpflichem Maasse zugeschrieben werden dürfen, welche an sich erforderlich sind, um in vernunftgemässer Weise auch das wesenhafte Daseyn aller nur irgendwie möglichen Welten herleiten zu können. Und so gelangt W O L F F denn auch zu der an sich vernunftnothwendigen Schlussfolgerung, dass, in Folge unseres e i g e n e n unzweifelhaften w e s e n h a f t e n D a s e y n s , mit ebenso zuverlässiger Gewissheit auch eben jenem an sich une n d l i c h e n und ewigen U r s e y n eine ganz ebenso thatsächliche, d. i. w e s e n h a f t e W i r k l i c h k e i t mit innerer Urnothwendigkeit zukommen müsse wie uns selber. Denn wie es für ein jedes wesenhafte Wirklichseyn eines ausreichenden inneren N a t u r g r u n d e s bedarf: so bedarf auch unser geistiges Denken und Erkennen gewisser V e r n u n f t - und W a h r h e i t s g r ü n d e welche ihre eigene Begründung theils ebenfalls von anderen Wahrheitsgründen herleiten, theils aber auch, einer solchen Rückbeziehung ermangelnd, das Zeugniss ihrer Gültigkeit in sich s e l b e r besitzen müssen. Zu Ersteren gehören alle diejenigen Fälle, welche — wie TIEDEMANN sich ausdrückt — zwar „nicht streng erwiesen werden können", wohl aber „in sich s e l b e r k l a r " sind, oder welche, wie man im gewöhnlichen Leben sagt, sich von s e l b s t v e r s t e h e n . Und eben dieses „in sich s e l b e r K l a r - und d u r c h sich s e l b e r V e r s t ä n d l i c h s e y e n d e " hat W O L F F denn auch aus guten Gründen benutzt, um eben jene in anderer Weise nicht zu umgehende Schwierigkeit aus dem Weg zu räumen, welche ihm in der Gestalt jener nicht zu überbrückenden Kluft zwischen allem an sich Endlichen und dem in sich Unendlichen wohl kaum hat entgehen können. — Einem sehr ähnlichen Gedanken, wie der hier erwähnte, begegnen wir auch bei Philippi. — Und wenn S i n t e n ¡ 8 sagt, dass wir erst wissen müssen, d a s s Etwas i s t , „ehe wir untersuchen können, was es ist": so liegt auch diesem Ausspruch augenscheinlich der Gedanke zu Grunde

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

63

dass für unser Denken, um beide Begriffe in ihrem gegenseitigen Verhältniss zu einander richtig aufzufassen, der Seynsb e g r i f f dem eigentlichen W e s e n s b e g r i f f nothwendig vorausgehen muss. Denn eben weil der S e y n s b e g r i f f , rein noch als solcher betrachtet, in begrifflicher Beziehung die noch einfachere und darum auch unentwickeltere G r u n d l a g e auch für den Wesensbegriff darstellt: so ist hieraus ersichtlich, wie wir umgekehrt den Letzteren, den W e s e n s b e g r i f f , als eine höhere, u m f a s s e n d e r e und i n h a l t r e i c h e r e E n t w i c k e l u n g s s t u f e des Seynsbegriffes, rein nur als solchen, zu betrachten haben. — S c h e l l i n g spricht in Bezug auf die verschiedenen hier in Betracht kommenden Fragen sich an verschiedenen Stellen wie folgt aus. „Was i s t , das ist nur dadurch, dass es W i r k l i c h k e i t (Reellität) hat. Sein Wesen (Essentia) ist W i r k l i c h k e i t . Denn es verdankt sein Seyn (Esse) nur der u n e n d l i c h e n W i r k l i c h k e i t , und es ist nur insofern, als die U r q u e l l e a l l e r W i r k l i c h k e i t auch ihm Wirklichkeit gegeben hat." Während ,,das Endliche d a u e r t " , sagt er von dem u n e n d l i c h W i r k l i c h e n oder von der „ S u b s t a n z " schlechthin, dass sie „schlechthin i s t " , und zwar „durch ihre (eigene) u n e n d l i c h e M a c h t , zu seyn." Und somit ist für SCHELLING in eben diesem unendlichen Urseyn (dem Absoluten) „das W e s e n auch zugleich das S e y n : Seyn und Wesen sind unbedingt E i n s mit demselben." Und in demselben Sinn sagt er anderweitig: „Das W e s e n (oder das Wesentliche) der S u b s t a n z ist allein, dass sie s e y " als die unbedingte Bejahung ihrer W i r k l i c h k e i t (Existenz). „Alles Seyn" — fügt SCHELLING hinzu — „ist, als Seyn, nothwendig e i n f a c h ; denn es ist die unbedingte Setzung (Position) s e i n e r selbst. Die S u b s t a n z , an und für sich, ist daher n i c h t ein Seyn und ein anderes Seyn, sondern nur E i n und d a s s e l b e Seyn." Und somit bezeichnet S C H E L L I N G dies allein „wahrhaft S e y e n d e " zugleich als das allein „ n o t h w e n d i g S e y e n d e " , d. h. als das „ n i c h t - n i c h t s e y n - K ö n n e n d e " . — Es kann

64

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

kaum entgehen, dass SCHELLING, in dieser Darstellung seines eigentlichen Gedankenganges, für unsere drei deutschen Begriffe des U r w i r k l i c h e n , des U r s e y n s und des U r w e s e n s auch drei entsprechende lateinische Bezeichnungsweisen erwähnt, nehmlich als „ E x i s t e n z " oder „Existentia", d. h. als thatsächliche W i r k l i c h k e i t , als „ E s s e " oder als das Seyn in der eigentlichen Bedeutung des Wortes, und als , , E s s e n z " oder „Essentia" zur Bezeichnung des eigentlichen W e s e n s b e g r i f f e s , und zwar, wie dies schon aus der geistigeren oder geistverwandteren Nebenbedeutung des lateinischen Wortes Essentia oder Essenz hervorgeht, in der Bedeutung als innerster geistverwandter W e s e n s g r u n d b e g r i f f . Es sind dies somit hier dieselben drei, begrifflich zwar genau und deutlich unterschiedenen, in Wirklichkeit aber allewege untrennbar mit einander verbundenen Stand- und Gesichtspunkte des A u s s e r l i e h e n , I n n e r e n und I n n e r s t e n , welche im Verlauf unserer gegenwärtigen Untersuchungen bereits einigemal uns entgegengetreten sind. Der Begriff der blossen „ E x i s t e n z " , als eines vor unserem leiblichen oder geistigen Auge wirklich D a s e y e n den oder D a s t e h e n d e n , bezeichnet uns, wie bereits erwähnt, gewissermassen den noch allgemeinsten, aber eben darum auch, in gewissem Sinn, noch mehr ä u s s e r l i c h - o b e r f l ä c h l i c h e n Standpunkt, von welchem aus wir irgend ein w i r k l i c h und thatsächlich V o r h a n d e n e s in das Auge fassen. Der Begriff des „ E s s e " dagegen versetzt uns mehr in das, wir möchten sagen, seelenhafte I n n e r e dieses Existierenden, und der Begrifl der „ E s s e n z " endlich in das tiefste, geistverwandte Innerste desselben. Dass jedoch in diesem Fall, d. h. in Bezug auf das in sich u n e n d l i c h e Seyn und W e s e n , in keiner Weise ,an irgend einen b e s o n d e r e n i n n e r s t e n W e s e n s m i t t e l p u n k t kann gedacht werden: dies liegt in der Natur der Sache. Das U n e n d l i c h e als solches kann, wie überhaupt keine besonderen räumlichen Orte, so auch k e i n e n besonderen Wesensmittelpunkt kennen: sein Wesensmittelpunkt ist allenthalben u n e i n -

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

65

g e s c h r ä n k t e A l l g e g e n w a r t , und somit ist auch dessen I n n e r s t e s allewege ein thatsäclilich u n e n d l i c h - a l l g e g e n w ä r t i g e s I n n e r s t e s . So sagt auch L a m e n n a i s in Bezug auf das Eine unendliche U r w e s e n , dass für dasselbe „ w e d e r Raum noch Zeit ist. „In seiner E i n h e i t unendlich, schliesst es j e d e Gränze und j e d e Zeitfolge aus. E s ist: dies ist seine Dauer. E s i s t in s i c h s e l b e r : dies ist sein Ort. Und an diesem unveränderlichen (und unveräusserlichen) Ort, den keine Strecke zu messen vermag, ist es ü b e r a l l und überall ganz: ewig, unendlich, allgegenwärtig. Es hat im Grunde nur Eine Art zu seyn, die unser schwacher Verstand jedoch zerlegt, um sie besser zu begreifen." Und weiterhin: „Das Wahre ist, dass nur E i n e e i n z i g e U r s u b s t a n z besteht und bestehen kann, welche der gemeinschaftliche Grund und die nothwendige Wurzel von A l l e m ist, was ist." — Und endlich sagt auch S e n g I e r in Bezug auf die thatsächliche und wesenhafte W i r k l i c h k e i t eben dieses ewig-unendlichen Urseyns und Urwesens, dass „dessen S e y n seinem W e s e n nicht vorausgehe, sondern in und durch dasselbe gesetzt sey; nur für uns, für unsere Erkenntn i s s , gehe dessen Seyn seinem Wesen voraus. Das Seyn in diesem Sinn" — fügt S E N G L E B hinzu — „ist die Frage nach dem D a s s , das W e s e n ist die Frage nach dem Was. D a s s Etwas ist, ist für unsere Erkenntniss desselben die e r s t e , und was es ist, die z w e i t e Frage." Und anderwärts: „Das Wesen ist nicht bloss das b e h a r r e n d e , sondern vielmehr das in sich s e l b s t und durch s i c h s e l b s t beharrende Seyn. Es ist das, was in sich selbst Bestand hat, was Bestehen in sich selbst ist, und durch sein Bestehen in und durch sich selbst auch allem Anderen in sich Bestand verleiht, Bestehen gibt. Es ist also das u r s p r ü n g l i c h e , aus, durch und in sich bestehende Seyn selbst, von dem deswegen allein gesagt werden kann: es ist. Alles Andere ist kein ursprüngliches, sondern von ihm abgeleitetes Seyn, das nur in gewisser Hinsicht ist, während das W e s e n in diesem Sinn, d. h. in Bezug auf das Wauderswami. IV.

5

66

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

in dem und durch das Wesen bestehenden Seyn das w a h r e (das absolute) Seyn ist." — N o . 155.

Das TJrseyn als Urseyendes.

Fassen wir den Begriff des Seyns in der Bedeutung eines durch die u n a u s g e s e t z t e Wirksamkeit einer eigenen inner e n Seyns- oder Daseynskraft w e s e n h a f t b e s t e h e n d e n Seyns in das Auge: so pflegt man dasselbe meist nicht mehr als Seyn, sondern vielmehr als „ein S e y e n d e s " zu bezeichnen. Dabei bleibt es sich ganz gleich, ob es sich um ein natürlich endliches Daseyn handelt oder um das an sich ewig-unendliche Urseyn. Im Grunde und der Sache nach zeigen uns demnach die drei begrifflichen Unterscheidungen von Seyn, W e s e n und Seyendem nur ebensoviele von Stufe zu Stufe sich steigernde Standoder Gesichtspunkte an, von welchen aus wir Ein und dasselbe Seyn uns geistig zu vergegenwärtigen suchen, und von welchen wir denn auch in entsprechenden Steigerungen nicht allein immer t i e f e r e g e i s t i g e Einblicke, sondern in Folge dessen auch gleichzeitig einen i m m e r r e i c h e r e n b e g r i f f l i c h e n I n h a l t in Bezug auf ein jedes gegebene Seyn für unsere geistige Vorstellung zu gewinnen im Stande sind. Hat uns daher der Begriff des „ S e y n s " anfänglich das Seyn nur von Seiten seiner an sich noch allgemeinsten und darum, in begrifflicher Beziehung, auch noch ä r m s t e n Bedeutung vorgeführt, vermochten wir dagegen in dem Begriff des „ W e s e n s " dasselbe Seyn auch bereits von Seiten seines d a u e r n d e n w e s e n h a f t e n Bes t a n d e s im Seyn zu erschauen: so ist es nunmehr der Begriff des „ S e y e n d e n " , welcher uns die Geheimnisse auch jenes an sich rein innerlichen thatkräftigen W i r k e n s und W a l t e n s eben jener einheitlichen Seyns- oder Daseynskraft enthüllt, auf deren ununterbrochener Wirksamkeit alles wirklich wesenhafte Seyn sich ohne Ausnahme gegründet zeigt. Nun sagt uns aber ein bekannter Wahrheitssatz, dass, wenn zwei Grössen einer dritten g l e i c h sind, eben diese beiden Grössen auch e i n a n d e r

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

67

ebenfalls g l e i c h seyn müssen. Was aber in solcher Weise in Bezug auf Gleichheit im Allgemeinen, und also auch in Bezug auf W e s e n s g l e i c h h e i t , gilt, das muss in ähnlicher Weise auch seine Geltung behaupten in Bezug auf gegenseitige W e s e n s v e r w a n d t s c h a f t . Sind also die Begriffe von Seyn und Wesen einerseits, sowie die Begriffe von Seyn und Seyende m anderseits, wechselseitig verwandte Begriffe: so müssen, nach obigem Wahlheitssatz, nothwendig auch die Begriffe von W e s e n und von Seyndem in einem ähnlichen wechselseitigen Verwandtschaftsverhältniss zu einander stehen. Fragen wir nunmehr aber auch darnach, worin die eigentliche begriffliche Unterscheidung zwischen „ W e s e n " und „ S e y e n d e m " bestehen möchte, und zwar ebensowohl auf Grund ihrer gegenseitigen begrifflichen Verwandtschaft, wie auch auf Grund ihrer gemeinsamen Abstammung von dem an sich allgemeineren Seynsbegriff: so wüssten wir diese Frage in der That kaum in anderer Weise zu beantworten als dadurch, dass wir auf die Unterscheidung hinweisen, welche auch dem gegenseitigen Wechselverhältniss von Ä u s s e r e m und I n n e r e m zu Grunde liegt. Versetzen wir uns nehmlich im Geiste a u s s e r h a l b irgend eines Naturdinges oder Naturwesens, und werfen wir von diesem äusserlichen Standpunkt aus unsere Blicke nach demselben hin, so dürfte in solchem Fall unsere Aufmerksamkeit wohl kaum durch irgend ein anderes äusseres Verhältniss mehr noch in Anspruch genommen seyn, als durch dessen f e s t e n B e s t a n d in seinem natürlichen Daseyn. Gerade dieser f e s t e B e s t a n d im Seyn, namentlich wenn wir dabei auch den Begriff des Wesens in der Bedeutung von S u b s t a n z nicht ausser Acht lassen, ist es aber, womit wir in erster Linie auch den Begriff des W e s e n s in seiner eigentlichsten Bedeutung verbinden. Versetzen wir uns im Geiste nun aber auch in das wesenhafte I n n e r e desselben Naturwesens: so werden wir sofort ein ganz anderes Bild vor Augen haben, gleichzeitig damit aber auch eine ganz andere geistige Anschauung von dem betreffenden 5*

68

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Naturdaseyn gewinnen. Was nunmehr in erster Linie unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen wird, das wird nicht mehr, wie von unserem vorigen bloss äusserlich oberflächlichen Standpunkt aus, die bloss ä u s s e r l i c h e E r s c h e i n u n g des F e s t s t e h e n d e n im Seyn, sondern vielmehr der Eindruck jenes steten, an sich rein i n n e r l i c h e n W i r k e n s und W a l t e n s eben jener einheitlichen i n n e r e n K r a f t - u n d W e s e n s f ü l l e seyn, von welcher wir eben bereits gesprochen haben, und zwar als von der eigentlichen inneren W e s e n s g r u n d l a g e für alles thatsächlich Bestehende. Eben dieser Begriff eines stets einheitlichen Waltens eigener innerlicher Kraftwirksamkeiten ist es aber, worauf der eigentliche und wahre Begriff eines in sich fest und wesenhaft begründeten „ S e y e n d e n " sich sachgemäss gegründet zeigt. Gegen eben diese hier dargelegte Betrachtungsweise könnte jedoch vielleicht der Einwand sich erheben, dass eine derartige Unterscheidung der beiden Begriffe des W e s e n s und des Seyenden wohl als zulässig erscheinen könne in Bezug auf alles e n d l i c h e Daseyn, n i c h t aber auch in Bezug auf jenes ewig - u n e n d l i c h e U r s e y n und U r w e s e n selber, welches, als ein in sich völlig schranken- und gränzenloses Seyn, auch nicht im entferntesten einen Gedanken an irgend etwas ihm A u s s e r l i c h e s aufkommen lassen könne. So begründet ein solcher Einwand aber einerseits auf den ersten Anblick auch erscheinen mag, so dürfen wir anderseits doch kaum annehmen, dass in Bezug auf das in sich u n e n d l i c h e Seyn, was den Begriff des S e y e n d e n und dessen vernunftgemässe Deutung gegenüber dem Begriff des W e s e n s anbetrifft, ein a n d e r e s Verhältniss statthaben könne, als wie dasjenige, welches wir soeben auch in Bezug auf das e n d l i c h e Daseyn kennen gelernt haben. Versuchen wir daher, dieser Sache und damit auch unserem Ziele auf anderem Wege näher zu treten. Einen, dem reinen Wortlaut nach, ä u s s e r l i c h e n Standpunkt können wir in Bezug auf das U n e n d l i c h e allerdings nicht einnehmen: wir kämen dadurch in einen unverzeihlichen

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

69

Widerspruch mit dessen unabänderlichem Grundbegriff. Dagegen erlaubt der Unendlichkeitsbegriff, uns sofort in unserer geistigen Anschauung innerhalb seines eigenen schrankenlosen I n n e r e n zu versetzen. Was wird in solchem Fall aber unserem geistigen Auge sich darbieten? Wird es uns ein anderes Bild darstellen als dasjenige, welches sich uns auch vorhin schon geboten hatte, als wir, unseren äusseren Standpunkt verlassend, im Geiste in das wesenhafte I n n e r e eines e n d l i c h e n Naturdaseyns uns versetzt hatten? Im Allgemeinen gewiss nicht. Denn die Standpunkte sind in beiden Fällen die gleichen geblieben, nehmlich in dem wesenhaften Innern eines wirklich und wesenhaft Seyenden. Die Unterschiede, welche zwischen beiden Fällen aber dennoch nothwendig uns entgegentreten müssen, können in Bezug auf unsere Frage sich allein nur darauf beschränken, dass alles dasjenige, was in dem einen Fall in u n e n d l i c h e r Weise uns entgegengetreten war, im andern Fall in e n d l i c h e r Weise uns entgegentreten musste: im an sich endlichen Daseyn also ein an sich e n d l i c h e s Wirken und Walten an sich e n d l i c h e r Naturkräfte und ihrer ebenfalls e n d l i c h e n Wirksamkeiten; im u n e n d l i c h e n Seyn dagegen ein in sich völlig gränzenloses u n e n d l i c h e s Wirken und Walten einer in sich einheitlichen e w i g - u n e n d l i c h e n Seynskraft und ihrer in sich ebenso e w i g - u n e n d l i c h e n Kraftwirksamkeit. Wie daher dort, nachdem wir uns geistig in das I n n e r e der betreffenden Dinge versetzt hatten, vor dem Bilde, welches nunmehr vor unserer geistigen Anschauung sich entfaltete, jener erste, an sich noch rein ä u s s e r l i c h - o b e r f l ä c h l i c h e Eindruck eines w e s e n h a f t e n Bestandes im Daseyn fast völlig in den H i n t e r g r u n d getreten war: sollte nunmehr, wo wir unseren geistigen Standpunkt in einer ganz ähnlichen Weise, ebenfalls in der r e i n e n I n n e r l i c h k e i t des an sich U n e n d l i c h e n , eingenommen haben, nicht auch in Bezug auf eben dieses unendliche Seyn ein ganz ähnliches, ja wir möchten fast sagen ein ganz g l e i c h e s Verhältniss stattfinden

70

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

wie vorhin? Sollte nicht auch hier schon gleich von vornherein der Gedanke an ein. bloss einfaches B e s t e h e n im Seyn noch um so mehr in den H i n t e r g r u n d treten vor jenen a u s den i n n e r s t e n T i e f e n d e r w e s e n h a f t e n U n e n d l i c h k e i t selber an uns herantretenden Eindrücken. durch welche gewissermassen die i n n e r s t e n U r g r ü n d e und die von Ewigkeit her allein nur in sich s e l b e r b e g r ü n d e t e n G r u n d u r s a c h e n eben dieses an sich Einzig dastehenden ewig-unendlichen U r s e y n s dem Auge des Geistes in ihrem unmittelbaren Wirken und Walten sich offenbaren? Was anders ist aber mehr geeignet, den Begriff eines wahrhaft in, aus und durch sich selber bestehenden Urseyns schärfer und richtiger zu bestimmen, als der Begriff eines wirklich und wesenhaft S e y e n d e n , welcher eben jenes, dem leiblichen Auge unzugängliche geheimnissvolle Wirken und Walten an sich rein innerlicher Seynskräfte unserem geistigen Auge zugänglich macht? Denn dürfen wir eben diesen Begriff oder die Vorstellung eines Ausserlich-Oberflächlichen auch n i c h t in buchstäblich-wörtlichem Sinn auf das an sich Unendliche anwenden: so dürfen wir doch immerhin in den geschilderten ähnlichen Verhältnissen aus dem Gebiet des endlichen üaseyns einen deutlichen Hinweis darauf erblicken, dass, wenn auch nur in begrifflicher Bedeutung, auch für das Gebiet des U n e n d l i c h e n ein entsprechend verwandtes Verhältniss in Wirklichkeit angenommen werden muss. Jedenfalls aber dürfte, in Folge aller dieser Betrachtungen, kaum noch ein Zweifel darüber obwalten, dass dem Begriff des U r s e y e n d e n , gegenüber von dem ihm verwandten Begriff des U r w e s e n s , nicht nur eine vergleichungsweise h ö h e r e S t e l l u n g , sondern in Folge dessen auch ein weit u m f a n g r e i c h e r e r begrifflicher W e s e n s i n h a l t zuerkannt werden darf, als solches dem Wesensbegriff gegenüber, der Fall seyn kann. Und eben dieses ist auch der Punkt, um den es sich bei unserer gegenwärtigen Untersuchung vorzugsweise gehandelt hat. Doch gehen wir nunmehr auch noch um einen Schritt weiter. Eben weil das

Das an sich uinotliwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

71

an sich U n e n d l i c h e keinen thatsächlichen Gegensatz von Innerem und Äusserem kennt, noch kennen kann: so kann in dessen unendlichem Inneren auch an keinen Unterschied zwischen dessen Seyn und dessen B e s t a n d im Seyn zu denken seyn, also kein Unterschied zwischen dessen Seyn und dessen W e s e n . Wie die beiden Begriffe von Seyn und von Bestand im Seyn hier unbedingt in E i n s zusammenfallen müssen, so müssen hier ebenso unbedingt auch die beiden Begriffe von Seyn und W e s e n in E i n s zusammenfallen. Und was für die beiden Begriffe von Seyn und Wesen der Fall seyn muss, das muss auch ganz ebenso unbedingt seine Geltung behalten in Bezug auf die drei gemeinsamen Begriffe von Seyn, W e s e n und S e y e n d e m . Denn alle diese begrifflichen Unterscheidungen betreffen nur allein unser eigenes geistiges Urtheil und unsere eigene geistige Anschauung, k e i n e s w e g s aber das an sich U n e n d l i c h e selber. In diesem ist alles in untrennbarer Einheit auf das Innigste wesenhaft mit einander verbunden und in einander verschmolzen. Alles, was dem an sich u n e n d l i c h e n U r s e y n , als solchem, wesentlich zukommt, das muss in ebenso unendlicher Weise ihm auch als U r w e s e n oder als U r s e y e n d e m zukommen, und ebenso umgekehrt. Denn alle drei sind, der Sache nach, E i n und d a s s e l b e ewig Unendliche", in sich selber ewig u n g e t r e n n t und ewig u n g e s c h i e d e n . Es ist Alles Ein und dieselbe, in sich wesenhafteinheitliche U r w i r k l i c h k e i t , über deren thatsächliches B e s t e h e n nach allem Bisherigen auch nicht der geringste Zweifel seyn kann. Schon M e Ü S S U S sagte — nach ABISTOTELES — „das S e y e n d e sey u n b e g r ä n z t . " Demzufolge sagt BRANDIS in Bezug auf den Gedankengang von MELISSUS, „er schliesse, gleichwie PARMENIDES, dass das (wahrhaft) S e y e n d e weder aus dem Seyen den noch aus dem Nichtseyenden g e w o r d e n seyn könne. Ist aber das Seyende ewig" — so schliesst MELISSUS weiter — „so ist es auch u n e n d l i c h , weil ohne Anfang und Ende. Es kann ja n i c h t ewig seyn, was nicht ganz (d. h. unbeschränkt) ist."

72

Die innerliche Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

— Plato unterscheidet bestimmt zwischen einem v e r g ä n g l i c h e n , d. h. entstehenden und vergehenden E i n s oder S e y e n d e n , und einem n i c h t v e r g e h e n d e n , d. i. völlig anfang- und endlosen E i n s oder S e y e n d e n . Davon pflegt er das Erstere, das v e r g ä n g l i c h S e y e n d e , im Gegensatz zu dem Letzteren, dem e w i g S e y e n d e n , als ein ,,/jiyövlk zu bezeichnen, d. h. als ein n i c h t s e y e n d e s E i n s , oder als ein n i c h t w a h r h a f t S e y e n d e s , weil für ihn das vergänglich und n i c h t ewig S e y e n d e kein wahrhaftes wirkliches E i n s oder einheitlich S e y e n d e s darstellt, sondern nur ein Eins und Seyendes dem oberflächlichen Anschein nach. Nur das wahrhaft ewige E i n s , das wahrhaft ewig S e y e n d e , bildet auch bereits für P L A T O das allein w a h r h a f t S e y e n d e in der vollen und eigentlichen Bedeutung des Wortes. Daher dasselbe auch im Gegensatz zu dem „(ii)8v", dem bloss scheinbar Seyenden, einfach nur als „TOOV" bezeichnet, d. h. als d a s S e y n oder d a s S e y e n d e kurzweg. Das eigentliche Begriffliche Gegentheil dieses Letzteren, das an sich räum- und wesenlose N i c h t s dagegen, pflegt er bekanntlich als „TOOVTÖV", d. h. als das g a n z u n d g a r N i c h t s e y e n d e zu bezeichnen. In diesem Sinn sagt denn auch P L A T O im Parmenides, dass „das n i c h t s e y e n d e E i n s , als verändertes, wird und vergeht; als n i c h t v e r ä n d e r t e s aber wird es weder, noch vergeht es. Wenn das Eins aber n i c h t i s t , so fragen wir, was muss sich alsdann mit ihm zutragen? Dies N i c h t s e y n , wenn wir es aussprechen, was bedeutet es aber anders als eine (völlige) A b w e s e n h e i t des S e y n s für dasjenige, von dem wir sagen, es sey n i c h t ? Wenn wir also sagen, dass Etwas n i c h t s e y , so bedeutet „ n i c h t i s t " ganz einfach, dass eben das N i c h t s e y e n d e n i r g e n d s u n d auf k e i n e A r t i s t , und also auch a u f k e i n e A r t ein S e y n an s i c h h a t . Weder also kann das N i c h t s e y e n d e s e y n , noch kann es irgend mit dem Seyn G e m e i n s c h a f t haben. Und das W e r d e n und V e r g e h e n , ist das etwas anderes, als jenes ein E i n g r e i f e n ,

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwescn und Urseyendes.

dlieses ein F a h r e n l a s s e n

des S e y n s " ?

73

Daher werden wir

aiuch n i c h t sagen: dass das N i c h t s e y e n d e irgendwo bestehe, moch dass es irgendwie wechsele."

In einer ähnlichen Weise

liässt PLATO auch im Philebos den SOKRATES die Frage aufwerfen, ob eine Erkenntniss vorzüglicher seyn könne im Vergleich mit einer anderen, nehmlich wenn die Eine, als auf das Werdende auf

das

und V e r g e h e n d e

weder

Werdende

sehend, die andere aber, als noch

Vergehende,

sondern

einerlei und auf gleiche Weise i m m m e r S e y e n d e sehend in das Auge gefasst werde.

„Das Letzte nun" — lässt PLATO den

SOKRATES hinzufügen — „hielten wir, wenn wir auf das Wahre sehen wollen, für W a h r e r als das Erste." — In ganz ähnlichem Sinn sagt auch A r i s t o t e l e s

in seiner Physik,

dass

„das i m m e r Seyende, insoferne es immer seyend ist, nicht in der Z e i t

ist,

denn es wird nicht von der Zeit umfasst,

noch wird sein Seyn von der Zeit gemessen! hiervon

ist

wirkung

aber

das', dass es

auch

Ein Kennzeichen

durchaus

keine

Ein-

von der Zeit erfährt, als eben nicht in der Zeit

S e y e n des."

Und in gleichem Sinn sagt ABISTOTELES in dem

Himmelsgebäude: ein Seyen des währendes

„Wenn Etwas ein E n t s t e h u n g s l o s e s aber

ist,

seyn.

so muss

dies noth wendig

ein

Immer-

Und ebenso auch, wenn es ein U n v e r -

g ä n g l i c h e s , aber ein Seyendes ist.

Denn ist es etwa nicht

nothwendig, dass, wofern das Entstehungslose u n v e r g ä n g l i c h , also auch das Unvergängliche entstehungslos ist, dann auch das I m m e r w ä h r e n d e und

dass

sowohl,

Immerwährendes

aus einem Jeden jener beiden folge,

wenn

Etwas

grifflichen Bestimmung beider. vergänglich

ist,

dieses

Es muss nehmlich, wenn Etwas

nothwendig

Ist es aber entstehungslos,

Entstehen,

es ein

Klar ist dies auch aus der beauch

so ist

ein

Entstehen

so muss es nach dem-

selben Grundsatz auch u n v e r g ä n g l i c h seyn. ein

ist,

sey, als auch, wenn Etwas unvergänglich

ist, ein I m m e r w ä h r e n d e s ?

haben.

entstehungslos

Hat es demnach

es nothwendig auch

vergänglich.

74

D i e innere UnSelbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Denn das E n t s t e h u n g - H a b e n

und

das

Vergänglicli-Seyn

folgen aus einander." — „ D a s eigentliche und wahre S e y n " sagt J. G. F i c h t e —

„wird nicht,

hervor aus dem Nichtseyn. wir genöthigt,

Denn allem,

was

da wird, durch

sind

dessen

A b e r i m m e r müssen wir zuletzt auf ein Seyn

das n i c h t

geworden ist, und welches eben darum

keines Andern für sein Seyn bedarf, durch sich selber, von sich ist." —



nicht, geht nicht

ein S e y e n d e s vorauszusetzen,

K r a f t es wird. kommen,

entsteht

S e h e Hing

sondern

das schlechthin

s e l b e r und a u s s i c h

selber

sagt in Bezug auf das gegenseitige

Ver-

hältniss, in welchem die beiden Begriffe des W e s e n s und de6 Seyenden

zu

einander

stehen:

„Es

sind zwei

ganz

ver-

schiedene Sachen, zu wissen, w a s ein S e y e n d e s ist (quid sit), und zu wissen, Antwort

dass

es ist (quod sit).

auf die F r a g e :

das W e s e n

w a s es ist,

des Dinges,

J e n e s , nehmlich die

gewährt mir Einsicht in

oder es macht,

dass ich das Ding

v e r s t e h e , dass ich einen V e r s t a n d , einen B e g r i f f v o n i h m , oder mit andern W o r t e n , Andere aber,

die Einsicht,

den blossen B e g r i f f , gehendes, Existenz)

welches ist."

e s s e l b e r i m B e g r i f f habe. es ist, gewährt

mir n i c h t

sondern etwas über den Begriff Hinausdas

Weiterhin

Natur nach g a n z

dass

Das

wesenhafte

Wirklichtseyn

sagt SCHELLING, dass

Seyende",

„das

(die seiner

das Eine unendliche und ewige

U r s e y n also, „ n i c h t blosse M ö g l i c h k e i t (Potenz) ist, sondern eine W i r k l i c h k e i t (Actus), während

alles Andere,

nehmlich

das von der Möglichkeit zur Wirklichkeit U b e r g e h e n d e , Möglichkeit und Wirklichkeit g e m i s c h t ist."

aus

Und eben dieses

U r s e y e n d e , in welchem an sich gar keine Mischung von Möglichkeit

und

Wirklichkeit

von

uns

kann

gedacht

bezeichnet SCHELLING nicht nur als das „reine

werden,

thatkräftige

S e y n " {¿veyystce öv) des ARISTOTELES, sondern gleichzeitig damit auch als das „am meisten der Erkenntniss W e r t h e wesenhaften

Wirklichkeit

allein W ü r d i g e . "

(der Existenz) am

und einer

meisten,

ja

Und eben desshalb bezeichnet SCHELLING

Das im sich urnothweiidige Seyn als Urwcscn und Urseyendcs.

75

an einem andern Ort denn auch die W e l t w e i s h e i t (Philosophie), richtig verstanden, als eine „Wissenschaft des S e y e n de n " , eben weil sie sich mit dem unserer inneren tieferen Erkenntniss w ü r d i g s t e n Gegenstand, dem in sich selber unendlich und ewig Seyenden, in erster Linie beschäftigt. — In dem gleichen Sinn sagt Ulrici: „Die U r k r a f t und U r t h ä t i g k e i t ist nothwendig das schlechthin E r s t e , U r a n f a n g l i c h e , U r s e y e n d e , und, als dies Erste gefasst, ist sie das einzige, alleinige S e y e n d e , dem der Begriff des S e y n s zukommt, und mit welchem dieser Begriff in E i n s z u s a m m e n f ä l l t . " — Endlich sagt auch J. H. Fichte: „Das wahrhaft S e y e n d e kann nur E i n e s seyn. Das Mannigfache, Vereinzelte (Individuelle) ist nur eine vorübergehende und an sich u n s e l b s t s t ä n d i g e Erscheinung dieses E i n e n , und wenn es für sich selbst gedacht werden sollte, ist es der sich selber aufliebende W i d e r s p r u c h . " — Schon der Begriff der inneren W e s e n s e i n h e i t weist uns darauf hin, dass, sowohl in Bezug auf das Gebiet des endlichen Seyns wie in Bezug auf das wahrhaft u r s e y e n d e e w i g - u n e n d l i c h e S e y n dem innerlichen W e s e n desselben nothwendig das Gepräge einer reinen, ununterbrochenen S t e t i g k e i t zukommen muss. Die innere K r a f t f ü l l e , welche alles wahrhaft und wesenhaft Seyende innerlich d u r c h w i r k t und d u r c h w e b t , d u r c h w e s e t und d u r c h f l u t h e t , gestattet keine, auch nicht die allergeringste Lücke oder Leere noch irgendwelche sonstige Unterbrechung. Schon die Alten deuteten dies, wie wir gesehen, durch den Satz an, dass das wahrhaft S e y e n d e keine Mischung noch Gemeinschaft mit dem Kichtseyn dulde. J a selbst das Vorhandenseyn einer wirklich bestehenden W e l t und der in ihr vorhandenen Einzeldinge könne nicht im Entferntesten vermögend seyn, diese innere W e s e n s s t e t i g k e i t oder die innere u n e n d l i c h e A u s b r e i t u n g und A u s w e i t u n g der dieselbe bedingenden einheitlichen Grundkraft, auf deren l ü c k e n l o s e r Wirksamkeit der gesammte wesenhafte Bestand jenes thatsächlich U r s e y e n d e n gegründet

76

D i e innere Unselbstständigkeit aller natürlichen D i n g e .

ist, jemals irgendwo zu unterbrechen, welches Hinderniss oder irgend setzen.

Denn

wäre

jenes

noch derselben irgend-

einen Aufenthalt

Urseyende,

als

entgegenzu-

das

Urnoth-

w e n d i g e , das allerorten und immerdar nirgends und niemals fehlen kann, nicht allewege ein ganz ebenso i n n e r w e l t l i c h e s wie zugleich a u s s e r w e l t l i c h e s S e y n : so wäre es an ä u s s e r e Schranken

gebunden;

es

wäre kein wahrhaft

unendliches,

kein wahrhaft ewiges S e y n : es wäre nichts weiter als der reinste Widerspruch

gegen

seinen eigenen Grundbegriff und damit Daher sagt R i c h a r d

gegen sich selber.

V. St. V i c t o r

Bezug auf eben dieses u n e n d l i c h u r s e y e n d e W e s e n ,

in

dass

es, „wie es von k e i n e m Anderen e i n g e s c h l o s s e n oder u m s c h l o s s e n ist, so auch von k e i n e m jemals a u s g e s c h l o s s e n . " —

Und in demselben

Sinn

sagt U l r i c i :

„Wir

werden von

allen Seiten zur Anerkennung einer a l l g e m e i n e n K r a f t hingedrängt.

Diese K r a f t

und

ihr

(zu ihr gehöriges)

Wesen

können wir nur als schlechthin u n u n t e r b r o c h e n u n d s t e t i g (continuirlich) denken.

Zugleich muss sie alle Einzeldinge und

Einzelwesen dieser Welt (Atome) und somit alle Stoffmassen durchdringen. unendlich

Sie

ist

mithin

als

allgegenwärtig

zu denken, weil sie schlechthin Alles,

und

d. h. das

ganze Weltall u m f a s s t und d u r c h d r i n g t , mithin an nichts Anderem eine Gränze haben kann.

Ihr, die Alles durchdringt,

vermag nichts zu widerstehen, nichts sie abzuwehren." N o . 156.



Das Urseyende als das Unbedingte.

Allem, was dieser sichtbaren Welt angehört, und was wir gemeinhin

als „ D i n g e "

in der weitesten Bedeutung

dieses

Wortes, zu bezeichnen pflegen, kommt, als einem an sich e n d lichen

Naturdaseyn,

Seyn zu,

k e i n in sich selber

sondern allein nur ein —

zeichnend ausdrückt — Anderen a b h ä n g i g e s

selbstständiges

wie SENGLER sich be-

a b g e l e i t e t e s , weil von irgend einem Seyn.

Diese Abhängigkeit bezieht sich

nicht allein auf dessen äusserliches D a s e y n , sondern ebensowohl

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

77

auch auf dessen gesammten inneren W e s e n s i n h a l t . Dieses Merkmal einer wesenhaften A b h ä n g i g k e i t und eigenen Uns e l b s t s t ä n d i g k e i t , welches mit dem Begriff eines Dinges untrennbar Hand in Hand geht, tritt schon in sprachlicher Beziehung sehr deutlich uns entgegen in dem Ausdruck „sich v e r d i n g e n " in der Bedeutung von „sich v e r m i e t h e n " oder „in die D i e n s t e eines Andern treten", welchem gegenüber man sich fortan in eine mehr oder weniger abhängige Stellung begibt. .Tn ganz ähnlichem Sinn ist und bleibt ein jedes natürliche D i n g und W e s e n , vom ersten Augenblick seines Entstehens bis zum letzten Augenblick seines einstigen Vergehens, d. h. für die ganze Dauer seines zeitlich-räumlichen B e s t a n d e s im Daseyn, ein, im eigentlichsten Sinn des Wortes, in sich b e d i n g t e s Wesen, d. h. ein Naturwesen, welches nur unter ganz bestimmten, von ihm selber völlig u n a b h ä n g i g e n Umständen und Verhältnissen zu entstehen und zu bestehen im Stande ist. Eben diese an sich äusserlichen Umstände und Verhältnisse sind es, welche die an sich nothwendigen Bed i n g u n g e n bilden, unter welchen allein für ein derartiges Naturdaseyn ein Entstehen und ein wirklicher Bestand im Daseyn sich als denkbar möglich darzustellen vermag. Alle Bed i n g u n g e n aber sind, der Sache nach, gleichbedeutend mit ganz bestimmten B e s c h r ä n k u n g e n , und somit kann alles Wesen dieser Welt nur betrachtet werden als allewege ganz bestimmten und unausweichlichen Beschränkungen u n t e r w o r fen. Daraus ergibt sich aber auch, dass, gleichwie alle die mannigfach verschiedenen Wesensarten, welche in dieser Welt vorhanden sind, nach diesen ihren besonderen Wesensarten wesentlich von einander v e r s c h i e d e n sind, so auch bereits in dem innersten W e s e n s b e g r i f f einer jeden einzelnen W T esensa r t alle diejenigen inneren W e s e n s b e s c h r ä n k u n g e n von Uranfang an mit enthalten und eingeschlossen, oder mit anderen Worten, schon innerlich darin vorbereitet liegen müssen, durch welche erfahrungsgemäss eine jede natürliche Wesensart von

78

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

allen übrigen sich unterscheidet. Alle diese hier angedeuteten Verhältnisse müssen uns aber, wenn wir uns nach deren besonderem G r u n d und U r s p r u n g umsehen, nothwendig auf irgend ein bestimmtes E t w a s hinweisen, welches wir vernunftgemäss als das B e g r ü n d e n d e , als das V o r a u s b e s t i m m e n d e , und voraus F e s t s e t z e n d e nicht nur für eben diese ihre inneren wie äusseren W e s e n s v e r s c h i e d e n h e i t e n , sondern ebenso auch für die diese Verschiedenheiten b e d i n g e n den G r u n d b e s t i m m u n g e n , vernunftgemäss betrachten dürfen. Wo aber sollten wir eben dieses so bedeutungsvolle E t w a s zuverlässiger zu finden hoffen dürfen, als in eben jenem ewigunendlichen U r s e y e n d e n selber, zu dessen Anerkennung, als eines in urnothwendigster Weise thatsächlich und wesenhaft w i r k l i c h V o r h a n d e n e n , wir uns bereits durch die gewichtigsten und unabweisbarsten Vernunftgründe hingeführt gesehen haben? Alles B e d i n g t e und B e s c h r ä n k t e verlangt zu seiner vernunftgemässen Begründung und Erklärung ein an sich U n b e d i n g t e s und U n b e s c h r ä n k t e s , denn ohne ein Solches würde alles bedingte und beschränkte Daseyn ein unlösbares R ä t h s e l für uns bleiben. Aber eben weil die geistige Anschauung dieses u n b e d i n g t U r n o t h w e n d i g e n , gleichviel ob wir dasselbe in der Bedeutung von U r s e y n , U r w e s e n oder U r s e y e n d e m in das Auge fassen, kein bloss willkürlich von uns ersonnener Begriff ist, sondern ein Begriff, mit welchem vonEwigkeit her eine thatsächliche und wesenhafteUrwirklichk e i t unmittelbar verbunden ist: eben dadurch ist dasselbe auch im Stande, dem Auge des Geistes als die wahrhaft „ E r s t e U r s a c h e " , und damit als die „ U r s a c h e a l l e r U r s a c h e n " überhaupt, schon allein durch die unleugbare W i r k l i c h k e i t dieser Welt und unserer selbst sich thatsächlich zu offenbaren und zu erweisen. Denn nur allein als eben dieser unbedingte und ewige Urgrund seiner selbst vermag jenes U r s e y e n d e auch die vollgültige M a c h t , und mit dieser die vollgültige, sowohl vernunftgemässe wie auch thatsächliche M ö g l i c h k e i t in sich

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

79

einzuschliessen, nicht allein als vollkommen a u s r e i c h e n d e r G r u n d für alles b e d i n g t e Daseyn ohne Ausnahme sich darstellen, sondern gleichzeitig damit auch als der ebenso vollkommen zureichende Grund selbst für alle die besonderen G r u n d b e d i n g u n g e n und G r u n d b e s t i m m u n g e n , unter welchen an sich endliche Wesenheiten der mannigfachsten Wesensarten vernunftgemäss allein in ein endliches Daseyn einzutreten vermögen. Wir sind vielfach gewohnt, die Begriffe des Seyns oder des Seyenden durch die fremden Worte E x i s t e n z , E x i s t i ren oder E x i s t i r e n d e s zu ersetzen, ähnlich wie den Begriff des W e s e n s , wie bereits erwähnt, durch S u b s t a n z , oder den des S t o f f e s oder des S t o f f l i c h e n durch M a t e r i e . Es soll dies nicht getadelt werden. Denn jene deutschen und fremden Bezeichnungsweisen sind zwar sehr nahe verwandt, jedoch ohne sich wechselseitig vollständig zu decken. Es liegt dies in der Natur der Sache. Eine jede besondere Sprache wird, wie bereits im Vorigen erwähnt, durch einen besonderen und ihr allein eigenthümlichen G e i s t durchweht, in Folge dessen sie ihre Worte nach ihrer eigenen Weise, d. h. je nach der besonderen Denkart und je nach den besonderen geistigen Anschauungen der diese Sprache Sprechenden, gewissermassen sich selbstständig schafft und bildet. Und eben darin liegt denn auch der ganz natürliche Grund dafür, dass wohl eine jede nur einigermassen geistiger gebildete Sprache in gewissen Fällen sich veranlasst findet, auch Wörter fremden Ursprungs bei sich einzubürgern. Es sind dies, in wissenschaftlicher Beziehung, namentlich solche Worte, welche unter Umständen einen Gedanken in einer bestimmteren oder in irgend einer Hinsicht genaueren und deutlicheren Weise zum sprachlichen Ausdruck bringen, als solches in gleicher Weise durch das einheimische Wort möglich ist. In einem derartigen Fall befinden wir uns auch jetzt wieder in Bezug auf den Begriff des „ U n b e d i n g t e n " , welchen wir in wissenschaftlichen Werken häufig durch den des „ A b s o l u t e n " wiedergegeben finden. Beide

80

Die innere Un Selbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Bezeichnungsweisen haben das mit einander gemein, dass sie alles B e d i n g t - oder B e s c h r ä n k t - oder B e e n g t s e y n d u r c h A n d e r e s schlechthin von sich ausschliessen. Sehen wir jedoch noch genauer zu, so werden wir finden, dass in dem Begriff des U n b e d i n g t e n oder des U n b e d i n g t s e y n s im Grunde ganz dasselbe Verhältniss sich ausgeprägt zeigt, wie auch in den Begriffen des B e d i n g t e n oder des B e d i n g t s e y n s , nur mit dem Unterschied, dass jene Begriffe nur allein Anwendung finden auf das an sich ü b e r s i n n l i c h e und in sich u n e n d l i c h e Seyn, die letzteren Begriffe dagegen nur allein auf das Gebiet des s i n n l i c h e n und darum e n d l i c h e n Daseyns. Aus eben diesen sprachlichen Verhältnissen dürfen wir aber augenscheinlich abnehmen, dass der deutschen Wortbildung zufolge der Standpunkt i n n e r h a l b dieser e n d l i c h e n W e l t , welcher wir selber angehören, die e r s t e f e s t s t e h e n d e G r u n d l a g e bildet, von welcher aus das deutsche Denken bis zu dem Gedanken auch eines in sich U n e n d l i c h e n und U b e r s i n n l i c h e n , und in Folge dessen denn auch weiter bis zu dem Begriff eines U n b e d i n g t e n sich erhoben hat, als einer sprachlichen V e r n e i n u n g eben jenes E n d l i c h k e i t s b e g r i f f e s , wie solcher ausnahmslos allem dieser sichtbaren Welt Angehörigen anklebt. Ganz anders aber verhält es sich in dieser Beziehung hinsichtlich des Begriffes des A b s o l u t e n . Während unser Geist durch unsere deutschen Ausdrücke „ b e d i n g t " und „ u n b e d i n g t " erst von dieser unserer endlichen Welt aus, als dem eigentlichen Gebiet alles wesenhaften B e d i n g t s e y n s , hinüber geleitet wird in das Gebiet eines thatsächlich U n b e d i n g t e n : findet in Bezug auf den dem Lateinischen entnommenen Begriff des „ A b s o l u t e n " ein geradezu u m g e k e h r t e s Verhältniss statt. Das lateinische „ a b s o l u t " hängt sprachlich zusammen mit „ a b s o l v e r e " , und dieses bezeichnet ein A b l ö s e n , ein L o s l ö s e n oder ein L o s s p r e c h e n von irgend Etwas. Aus eben diesem Ursprünge geht aber augenscheinlich hervor, dass in E r s t e r L i n i e der Gedanke an ein wesenhaftes B e f r e i t -

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

81

seyn von allen F e s s e l n und B a n d e n der E n d l i c h k e i t dieser sichtbaren Welt es ist, welcher in dem Begriff des A b s o l u t e n seinen sprachlichen Ausdruck gefunden hat. Daher finden wir uns denn auch durch eben diesen Begriff s o f o r t und von v o r n h e r e i n im Geiste ganz und gar versetzt in die reine I n n e r l i c h k e i t , in das durch nichts behinderte I n n e r l i c h s e y n des wesenhaft U n e n d l i c h e n : wir schauen dasselbe, gleichsam wie von Angesicht zu Angesicht, in seiner ganzen inneren Wesens u n b e s c h r ä n k t h e i t und unbedingten W e s e n s u n a b h ä n g i g k e i t , gleichviel ob Welten als solche da seyn mögen oder nicht. Und in solcher Weise ist es denn auch geradezu der Begriff des A b s o l u t e n , in welchem das an sich U n e n d l i c h e und U n b e d i n g t e uns so recht eigentlich auch als das an sich ewig V o r a u s s e t z u n g s l o s e entgegentritt. Alles B e d i n g t e ist das thatsächlich V o r a u s s e t z u n g s b e d ü r f t i g e . Denn ohne eine unbedingte W i r k l i c h k e i t eines an sich U n b e d i n g t e n vermöchte auch kein b e d i n g t e s D a s e y n jemals in Wirklichkeit zu bestehen. Aber eben in Folge hiervon fallen auch in dem A b s o l u t - U n b e d i n g t e n ewige V o r a u s s e t z u n g s l o s i g keit und ewige U r n o t h w e n d i g k e i t , als zwei der Sache nach wechselseitig sich deckende Begriffe, völlig in E i n s zusammen. Ganz das G l e i c h e aber muss aus gleichen Gründen folgerichtig ebenso der Fall seyn auch in Bezug auf den Begriff einer v e r n u n f t g e m ä s s e n Möglichkeit und den einer t h a t s ä c h l i c h - w e s e n h a f t e n W i r k l i c h k e i t des an sich u n b e d i n g t Seyenden. — Auch diese Begriffe sind im A b s o l u t - U n b e d i n g t e n ewig u n g e t r e n n t und u n g e s c h i e d e n : sie bezeichnen an sich Ein und Dasselbe, und nur allein unser menschliches Denken ist es, welches beides, als besondere Begriffe zur Erleichterung seiner eigenen Denkthätigkeit, von einander durch besondere Bezeichnungsweisen unterscheidet. Und ganz ebenso verhält es sich auch in Bezug auf die räumlichen Verhältnisse des Da und D o r t , wie auch bezüglich der zeitlichen Verhältnisse des D a n n und Wann. Nur die e n d l i c h e Welt kennt Wandersraann.

IV.

6

82

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

diese Unterscheidungen der Sache nach; denn nur in ihr allein kommt diesen Begriffen thatsächliche G e t r e n n t h e i t zu. Das an sich U n b e d i n g t e und U n e n d l i c h e kennt solche Trennungen nicht: hier fallen auch sie in einem ausnahmslosen A l l g e g e n w ä r t i g und A l l z u m a l völlig in E i n s zusammen. Daher hat auch bereits Aristoteles darauf hingewiesen, dass in dem Unb e g r ä n z t e n es kein Oben, kein Unten und keine Mitte, also überhaupt keinen räumlich bestimmten Ort geben könne. — Die Anschauungen Anselm's v. Canterbury in Bezug auf alle diese, den Begriff des Unbedingten betreffenden Punkte, fasst HASSE wie folgt zusammen. „Uberall ergiebt sich, dass eine U r - E i n h e i t , ein U r - E i n s sey, d u r c h welches Alles ist. Dies Eine kann nur d u r c h sich s e l b e r sein, denn alles Andere ist durch es. Da nun das a b h ä n g i g e Seyn jedenfalls das G e r i n g e r e ist gegen das u n a b h ä n g i g e E i n e : so muss dasjenige Seyn, welches durch sich s e l b e r ist, während alles Andere, was ist, d u r c h dasselbe ist, das u n b e d i n g t e Seyn seyn. Gibt es also ein b e d i n g t e s e n d l i c h e s Seyn: so muss es auch ein u n b e d i n g t e s geben." Und anderweitig sagt ANSELM, indem er einestheils von dem Begriff des W e s e n s ausgeht, zugleich anderseits aber auch das Yerhältniss des Lichtes zu seinem Leuchten, als einer Wirkung seiner eigenen Leuchtkraft, mit in Betracht zieht —, dass ebenso auch „das U n b e d i n g t e ein sich selber Setzendes sey, daher auch sein Seyn zugleich sein W e s e n , und sein Wesen zugleich sein Seyn ist. Es selber" — fügt ANSELM hinzu — „ist das E i n e wie auch das A n d e r e . " In Bezug auf Raum- und Zeitverhältnisse spricht er dann weiterhin sich folgendermassen aus: „Dem Üb er all und I m m e r steht einerseits das N i r g e n d s und Nie, sowie anderseits das I r g e n d w o und I r g e n d w a n n gegenüber. Dass Ersteres n i c h t von dem U n b e d i n g t e n gesagt werden kann, ist klar: weil n i c h t s ohne dasselbe ist, und weil also, wenn es selber n i r g e n d s und n i e m a l s wäre, auch n i r g e n d s und nie irgend etwas

Das an sich umothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

seyn

könnte.

Nicht

minder

ist

aber

auch

das

83

bestimmte

I r g e n d w o und I r g e n d w a n n in Bezug auf das Unbedingte zu verneinen.

Denn wäre

es

nur an irgend einem bestimmten

O r t oder zu irgend einer bestimmten Z e i t : so würde auch nur da oder d a n n , oder nur wo oder w a n n das Unbedingte wäre, überhaupt irgend Etwas seyn k ö n n e n , wann aber n i c h t s . einen

anderswo und anders-

Und auf solche Weise würde es jedenfalls

O r t und e i n e Z e i t

geben,

danke, der sich selbst aufliebt.

wo n i c h t s wäre:

ein Ge-

Zwar könnte man sagen, dass

das U n b e d i n g t e seiner M a c h t n a c h überall und immer seyn könne, wenn und

zu

es auch für sich nur an einem bestimmten Ort

einer

bestimmten

ist nichts Anderes Uberall

als

es

und das I m m e r ,

Unbedingten

selber,

sagen,

das

Unbedingte

Ort

und zu j e d e r

zu

sey

bleiben.

zieht Ha886

„dass

„ f ü r das U n b e d i n g t e

bare,

seyn.

Denn

sie

Macht

kann

des

muss

also

gesprochen)

an

eben dieser Darnun den

das U n b e d i n g t e

weiteren

überhaupt

an

Denn" — f ü g t er hinzu

es k e i n e

also können auch Raum und Zeit k e i n e selbe

seine

scheint nur das Man

— Aus

k e i n e m O r t und in k e i n e r Z e i t ist. —

Allein

Folglich

(menschlich

Zeit."

von Seiten ANSELM'S

folgerichtigen Schluss,

wäre.

und zwar als B e s t i m m t h e i t

übrig

jedem stellung

Zeit

selber.

Schranke

geben:

S c h r a n k e n für das-

sind überhaupt nur für das b e g r ä n z -

d. h. nur für das

endliche

Seyn.

Nur da also kann

von Raum und Zeit überhaupt die Rede seyn, n i c h t aber bei dem U n b e d i n g t e n , muss,

und

welchem

können, was

das zugleich daher

Raum

sie dem b e d i n g t e n

das U n b e s c h r ä n k t e und Zeit

nicht

und e n d l i c h e n

seyn

anhaben Seyn

an-

haben, nehmlich dass sie es b e s c h r ä n k e n und e i n s c h l i e s s e n . " Sodann sagt HASSE weiterhin: was

schlechthin

ist, während ist.

selbstständig

alles Andere

Zweierlei

„ U n b e d i n g t ist nach ANSELM,

schliesst

Unbedingten in sich ein:

von also

und

durch

ihm a b h ä n g t

sich

selbst

oder durch es

der ANSELM'sche

Begriff

es bildet ihm nehmlich n i c h t 6*

des

bloss

84

Die innere Unselbstatändigkeit aller natürlichen Dinge.

das D u r c h s i c h s e l b s t s e y n den Begriff der U n b e d i n g t h e i t , sondern auch dies, dass alles A n d e r e d u r c h das Unbedingte ist. Nicht nur eigene Unbedingtheit macht ihm daher das Wesen des U n b e d i n g t e n aus, sondern auch die B e d i n g t h e i t alles A n d e r e n d u r c h das U n b e d i n g t e . Ferner unterscheidet ANSELM d r e i e r l e i in Bezug auf das Unbedingte: 1) Was das Unbedingte ist, d. i. sein W e s e n ; 2) dass es dies Wesen ist, sein Seyn, und 3) E s s e l b s t , als die E i n h e i t (die Copula) beider. Das heisst: Wesen, Seyn und S e l b s t werden als das Selbe oder als (an sich) n i c h t v e r s c h i e d e n bestimmt. Folglich kann da auch von k e i n e r M ö g l i c h k e i t , im Unterschiede von der W i r k l i c h k e i t , und auch von k e i n e m Unterschied von U r s a c h e und von W i r k u n g , die Rede seyn. Denn ist das Wesen des Unbedingten eben dieses, d u r c h sich s e l b s t zu seyn, so i s t es auch unmittelbar, was es ist. Und somit kann es sich zu nichts machen, was es n i c h t schon wäre, sondern es kann einfach nur seyn. In dem D u r c h s i c h s e l b s t s e y n liegt die vollkommenste G l e i c h h e i t (Identität) mit sich, welche jeden Gedanken an ein W e r d e n von demselben a u s s c h l i e s s t . Daher bestehen auch R a u m und Z e i t für das U n b e d i n g t e (an sich und als solches) g a r n i c h t , nehmlich nicht als B e s c h r ä n k e n d e s , und eben desshalb kann es in u n b e s c h r ä n k t e r , d. i. in ü b e r r ä u m l i c h e r und ü b e r z e i t l i c h e r Weise, als das E i n e Selbe und als das Eine selbe Ganze, in jedem Raum und in jeder Zeit seyn. Und eben darum, weil das U n b e d i n g t e nichts Anderes ist als sein W e s e n , und dieses ist und n i c h t wird, was ja unmittelbar den Begriff des U n b e d i n g t e n ausmacht: eben desshalb ist es ewig, und eben darum ist es stets das E i n e reine Selbe.". Einem ganz ähnlichen Gedankengang begegnen wir auch bei Thomas V. Aquino. — „Die Cartesianer" — sagt Leibnitz — „betrachten mit Recht das Unendliche als v o r a u f g e h e n d dem Endlichen und als Etwas, von dem das Endliche nur eine E i n s c h r ä n k u n g ist. Das wahrhaft Unend-

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

85

liehe findet sich darum nur in dem U n b e d i n g t e n . Da also das wahrhaft (positiv) U n e n d l i c h e nichts Anderes ist als das Unbedingte, so kann man sagen, dass es in diesem Sinn einen wahrhaften Begriff und eine wirklich bestimmte Vorstellung (eine positive Idee) des U n b e d i n g t e n gibt, und dass diese dem Begriff des Endlichen v o r a u f g e h t . Denn im Grunde kann man sagen, dass in der Natur der Dinge die Vorstellung des U n b e d i n g t e n voraufgeht der Vorstellung der G r ä n z e n , welche man der Vorstellung des Unbedingten (als des an sich Unbegränzten) h i n z u f ü g t . Wir bemerken aber den Begriff des U n b e d i n g t e n (oder Unbegränzten) n u r , wenn wir (in unserem Denken) mit demjenigen a n f a n g e n , was b e g r ä n z t ist und was demgemäss u n s e r e S i n n e trifft." Die Unterscheidung des Begriffes des A b s o l u t e n , als dem Standpunkt im Innern des Unendlichen entsprechend, und des Begriffes des U n b e d i n g t e n , zu welchem wir durch das E n d l i c h e hingeleitet werden, liegt hier unverkennbar angedeutet. — „Aus der E w i g k e i t (eines einheitlichen Urwesens)" — sagt TIEDEMANN — „folgert C l a r k e dessen U n a b h ä n g i g k e i t und U n v e r ä n d e r l i c h k e i t , da unendliche Reihen von Ursachen ungereimt sind. Diese Ewigkeit führt ihn zur Folgerung, dass dies Wesen n o t h w e n d i g , d. h. durch eine u n b e d i n g t e , ihm selbst beiwohnende N o t h w e n d i g k e i t besteht. Denn da es von keiner (anderen) Ursache sein Daseyn empfangen hat: so besteht es durch sich s e l b s t und durch s e i n e e i g e n e N a t u r . Ein n o t h w e n d i g e s Wesen muss aber schlechterdings ü b e r a l l oder a l l g e g e n w ä r t i g seyn. Können körperliche Stoffe (die Materie) aber von E i n e m Orte abwesend seyn, so können sie dies auch von allen Orten: also sind sie n i c h t nothwendig." — W o l f f ' s Gedankengang fasst B A U E folgendermassen zusammen: „Da alles Bestehende (Existirende) einen zureichenden Grund seines Daseyns (Existenz) haben muss, so muss dies auch von der Seele wie vom Weltall (Universum) gelten. Nun können aber beide, als z u f ä l l i g e Wesen, den G r u n d ihres

86

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Daseyns n i c h t in sich selber haben; der Grund ihres Daseyns kann somit nur a u s s e r ihnen seyn. Es muss dieser Grund selbst aber ein n o t h w e n d i g e s Wesen sein, da man, um auf einen zureichenden Grund zu kommen, n i c h t ins Endlose zurückgehen kann. Es b e s t e h t also ein nothwendiges Wesen oder ein Seyn d u r c h sich s e l b s t , d. h. ein solches Wesen, welchem durch seine blosse M ö g l i c h k e i t auch thatsächlich W i r k l i c h k e i t (Existenz) zukommt, oder vielmehr ein W e s e n , dessen B e g r i f f —, da es nichts Anderes zu seiner Voraussetzung, sondern vielmehr den zureichenden Grund seiner Wirklichkeit in sich selber hat, unmittelbar auch d e s s e n W i r k l i c h k e i t ist. Weil also eine Zufälligkeit und Endlichkeit b e s t e h t , so besteht auch das U n b e d i n g t e und U n e n d l i c h e . " Gegen diese Darlegung äussert BAUE das Bedenken, dass für diesen von W O L F F wie auch von LEIBNITZ eingenommenen Standpunkt, „das U n e n d l i c h e nur als die nothwendige Vora u s s e t z u n g des Endlichen bestehe, und somit den W i d e r s p r u c h in sich schliesse, dass es — während es dem Begriff nach dasjenige seyn soll, was n i c h t s A n d e r e s zu seiner V o r a u s s e t z u n g hat — dennoch n i c h t o h n e d a s E n d l i c h e gedacht werden könne, das E n d l i c h e also selbst wieder zu seiner V o r a u s s e t z u n g habe." — Sollte eben dieser Einwurf (ähnlich wie in voriger Nummer derjenige von Seiten TIEDEMANN'S) nicht auf einem blossen M i s s v e r s t ä n d n i s s beruhen? Sollte der von BAUE erwähnte Widerspruch in W O L F F ' S Darstellung nicht gleichfalls als ein bloss s c h e i n b a r e r gelten dürfen? Allerdings hat es seine Richtigkeit, dass wir durch das thatsächliche Vorhandenseyn dieser unserer e n d l i c h e n Welt, wie auch durch unser e i g e n e s , ebenfalls den Bedingungen und Beschränkungen der Endlichkeit unterworfenes Daseyn in u n s e r e m e i g e n e n D e n k e n hingewiesen werden auf die innere Nothwendigkeit eines an sich u n b e d i n g t e n , u n e n d l i c h e n und u r n o t h w e n d i g e n Urseyns und Urwesens, welches als solches zugleich auch den G r u n d seines eigenen

Das an sich umothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

87

Seyns und Bestehens mit unbedingter Notwendigkeit nur allein in sich s e l b e r besitzen kann. Und in Bezug auf eben diesen natürlichen Hinweis, wie solchen der menschliche Geist von Seiten des thatsächlich vorhandenen Endlichen auf ein n o t wendiges und ebenso tatsächliches Vorhandenseyn eines an sich E w i g e n und U n e n d l i c h e n , als der einzig möglichen Grundlage auch für alles endliche Daseyn, erhält und von jeher erhalten hat, mag man allerdings in gewissem Sinn sagen, es gehe hier das E n d l i c h e dem Unendlichen v o r a u s , oder auch: das Endliche bilde nach dieser Darstellung die n o t h w e n d i g e V o r a u s s e t z u n g für das U n e n d l i c h e . Doch sehen wir auch hier genauer zu, bevor wir ein derartiges Urtheil fällen. Eine jede S c h l u s s f o l g e r u n g , ein jedes U r t h e i l , muss notwendig von einem ersten A u s g a n g s p u n k t aus beginnen, und in Folge dessen steht in u n s e r e m D e n k e n eben dieser erste Ausgangspunkt der darauf zu gründenden S c h l u s s f o l g e r u n g nicht nur der S a c h e nach unter allen Umständen v o r a n , sondern er muss auch der Z e i t n a c h dem ganzen Verlauf einer solchen Schlussfolgerung notwendig v o r a u s gehen. Denn wie unser ganzes Daseyn und Wesen an die Bedingungen der E n d l i c h k e i t und damit auch der Z e i t gebunden ist, so auch unser D e n k e n . Darf nun aber aus eben diesen Verhältnissen, welche an sich nur allein i n n e r h a l b u n s e r e r e i g e n e n D e n k t h ä t i g k e i t statthaben, mit irgend einer begründeten Berechtigung darauf geschlossen werden, dass eben diese mit unserem D e n k e n verbundene z e i t l i c h e A u f e i n a n d e r f o l g e nun auch ohne Weiteres auf die tatsächlichen G e g e n s t ä n d e u n s e r e s N a c h d e n k e n s dürfe ü b e r t r a g e n werden? Wenn also, um auf den Gegenstand, um den es sich handelt, zurückzukommen, W O L F F in seinem Gedankengang von dem e n d l i c h e n D a s e y n dieser Welt a u s g e h t , und in seiner S c h l u s s f o l g e r u n g zu dem Ergebniss gelangt, dass zu einer vernunftgemässen Begründung und Erklärung des unzweifelhaft vorhandenen Weltdaseyns es n o t h w e n d i g eines von E w i g k e i t her ebenfalls t h a t s ä c h l i c h

88

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Ding«.

und w e s e n h a f t bestehenden u n e n d l i c h e n U r s e y n s u n d U r w e s e n s bedarf, welches nicht nur den G r u n d seiner e i g e n e n W i r k l i c h k e i t , sondern zugleich damit auch den vollkommen a u s r e i c h e n d e n G r u n d für alles endliche Weltdaseyn ohne Ausnahme vollgültig in sich selber trägt: darf man hieraus wohl den Schluss ziehen, als sey W O L F F ' S eigene Ansicht dahin gegangen, weil er das Daseyn dieser e n d l i c h e n W e l t als e r s t e n A u s g a n g s p u n k t für seine weiteren Schlussfolgerungen benützt hat, so müsse deshalb nun notliwendig auch das D a s e y n dieser e n d l i c h e n Welt dem thatsächlichen Bestand eines ewig-unendlichen U r s e y n s ebenfalls der Z e i t nach v o r a u s g e g a n g e n seyn? Oder darf aus eben diesem Verhältniss, in welchem für diesen besonderen Fall in unserem D e n k e n der Begriff des Endlichen dem des Unendlichen v o r a n s t e h t und demgemäss auch v o r a u s g e h t , nun irgendwie gefolgert werden, dass das D a s e y n dieser e n d l i c h e n Welt als eine n o t h w e n d i g e B e d i n g u n g oder als eine n o t h w e n d i g e V o r a u s s e t z u n g auch für die thatsächliche W i r k l i c h k e i t eines an sich u n e n d l i c h e n u n d e w i g e n U r s e y n s in dem Sinn müsse aufgefasst werden, dass in gleicher Weise, wie eine e n d l i c h e W e l t in ihrem thatsächlichen Yorhandenseyn nothwendig an das g l e i c h z e i t i g e V o r h a n d e n s e y n eines u n e n d l i c h e n Seyns g e b u n d e n ist, so umgekehrt nun auch dies L e t z t e r e ganz ebenso nothwendig an das Vorhandenseyn einer e n d l i c h e n Welt g e b u n d e n seyn müsse? Muss ein solcher Schluss nicht als ein völlig u n b e r e c h t i g t e r sich darstellen, und muss demgemäss nicht auch der Vorwurf, als ob W O L F F in seinem Gedankengang in einen Widerspruch mit den Grundbedingungen eines an sich u n e n d l i c h e n und e w i g e n S e y n s und demgemäss auch mit den Gesetzen eines vernunftgemässen Denkens gerathen sey, thatsächlich in sich selbst zerfallen ? Die Art und Weise, wie BAUE im Vorstehenden den allgemeinen Gedankengang von W O L F F wiedergibt, weicht in der äusseren Darstellung von derjenigen TIEDEMANN'S, deren wir in der vorigen Nummer

Das an sieh iirnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

89

eingehend gedacht haben, in manchen Beziehungen etwas ab. Daher auch (der Grund, dass beide in ihren Ausstellungen in Bezug auf W O L F F ' S Gedankengang an verschiedenen Punkten dieses Letzteren anknüpfen. Eben darum erschien es aber nicht unpassend, auch die Einwendungen BAUR'S einer ebenso eingehenden Prüfung zu unterwerfen, als im Vorigen die Bedenken T I E D E M A M N ' S , zumal da uns dadurch Gelegenheit geboten wurde, auch unseren eigenen Gedankengang noch um so eingehender zu entwickeln. — Auch bei Kant begegnen wir einem im Ganzen ähnlichen Gedankengang wie bei W O L F F . Auch er sagt, dass „die Vernunft nothwendig und mit allem Recht zu allem B e d i n g t e n auch das U n b e d i n g t e verlange. Es findet sich" — fügt er an einem anderen Ort hinzu —, „dass in Raum und Zeit alles b e d i n g t , das U n b e d i n g t e aber in der aufsteigenden Reihe der Bedingungen schlechterdings u n e r r e i c h b a r ist. Den Begriff eines u n e n d l i c h e n (absoluten) G a n z e n von l a u t e r B e d i n g u n g e n sich als u n b e d i n g t zu denken, enthält einen W i d e r s p r u c h . Das U n b e d i n g t e kann also nur als (ein solches) G l i e d der Reihe betrachtet werden, welches diese Reihe a l s e i n e n G r u n d begränzt, der selbst k e i n e F o l g e aus einem a n d e r e n Grunde ist." Durch die Worte „der selbst keine Folge aus einem anderen Grunde ist", deutet K A N T augenscheinlich an, dass eben der Grund, welcher durch eine solche Reihe von Gründen gesucht und erschlossen werden soll, durch k e i n e Reihe von bedingten Gründen und ihren ebenso bedingten Folgen kann erreicht werden, und, dass daher das wahrhaft U n b e d i n g t e den G r u n d seines eigenen S e y n s nur allein in sich s e l b e r haben kann. •— „ U r s a c h e " — sagt Krause — „nennen wir den G r u n d , sofern das Beg r ü n d e t e seinem Grund gemäss b e s t i m m t ist, sodass das eigenthümlich W e s e n t l i c h e des Begründeten seinen Bestimmungsgrund eben in dem G r u n d e hat. Wenn also gedacht wird, dass die ganze Mannigfaltigkeit des zu Erkennenden seiner Wesenheit nach b e s t i m m t ist in und durch einen E r s t e n

90

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

U r g r u n d (das Princip), so wird eben dieser Urgrund gedacht als U r s a c h e von A l l e m , was ist. Wird demnach gedacht, dass dieser Urgrund G r u n d und U r s a c h e alles verschiedenen Mannigfaltigen ist, so ist darin die Möglichkeit gedacht, alles Mannigfaltige in der E i n h e i t j e n e s U r g r u n d e s zu e r k e n n e n . Dieses Verhältniss des Mannigfaltigen zu seinem Grunde und zu seiner Ursache zeigt sich nun in der Erkenntniss als das Verhältniss des Beweises. Die Wissenschaft nun soll beweisen: sie soll alles e n d l i c h B e s t i m m t e nachweisen in der W e s e n h e i t des U r g r u n d e s . Was nun aber den U r g r u n d (selbst und als solchen) betrifft, so kann diese Forderung, bewiesen zu werden, von dem U r g r u n d s e l b s t n i c h t g e l t e n . Denn dieser U r g r u n d wird gedacht als das E i n e U n b e d i n g t e , das U n e n d l i c h e , welches mithin n i c h t an und in einem A n d e r e n , als in seinem Grunde, seyn kann. Würde also der Urgrund e r k a n n t , so müsste er zugleich erkannt werden als keines G r u n d e s noch B e w e i s e s b e d ü r f t i g noch f ä h i g , als das an und in ihm s e l b s t unmittelbar Gewisse." Daher bezeichnet KRAUSE es an einem späteren Orte als ebenso i r r i g , wenn behauptet wird, das u n e n d l i c h e , u n b e d i n g t e Wesen werde gedacht als G r u n d und U r s a c h e s e i n e r s e l b s t , als u n e n d l i c h u n b e d i n g t e s Wesen; denn das Ganze als Ganzes steht zu sich selbst, als Ganzem, g a r n i c h t im Verhältniss des G r u n d e s und der U r s a c h e : es ist vielmehr u n b e g r ü n d e t und u n v e r u r s a c h t . " Wenn KRAUSE von der anderen Seite aber nichtsdestoweniger „die A u f s u c h u n g eines E r s t e n Urg r u n d e s (Principes)" als eine H a u p t a u f g a b e der Wissens c h a f t bezeichnet, ja wenn er weiterhin auch ausdrücklich noch hinzufügt, „dass wir gezwungen sind, einen h ö h e r e n G r u n d unserer selbst, sofern wir e n d l i c h sind, zu s u c h e n " : wie sollen wir die in solcher Weise an uns gestellte Forderung zusammenreimen mit dem gesammten Inhalt der voranstehenden Auseinandersetzung? Sehen wir nun genauer zu, so kann es uns kaum entgehen, dass jene ersten Auseinandersetzungen von

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

91

seinem ganz entgegengesetzten Stand- und Gesichtspunkt ausgehen, als derjenige ist, von welchem aus seine nachträglich an uns gestellte Forderung an uns herantritt: der e r s t e r e Standpunkt ist sofort derjenige im u n e n d l i c h e n , s c h r a n k e n l o s e n r e i n e n I n n e r e n j e n e s u n b e d i n g t e n U r s e y n s und U r w e s e n s , und zwar ohne alle Rücksicht auf ein etwaiges Vorhandenseyn oder Nichtvorhandenseyn irgendwelcher an sich e n d l i c h e n Welt. Im zweiten Fall dagegen stellt KRAUSE — zufolge seiner Forderung, als e n d l i c h e Wesen nach einem Urgrund für a l l e s e n d l i c h e Daseyn überhaupt zu suchen — sich gleich von vornherein mitten in das Gebiet der zeitlichräumlichen E n d l i c h k e i t dieser sichtbaren Welt. Darf aber eben dieser letztere Standpunkt, als von der E n d l i c h k e i t dieser sichtbaren Welt und ihrer Einzeldinge ausgehend, nicht im Vergleich mit jenem Stand im I n n e r e n des U n e n d l i c h e n , rein nur als solchen in das Auge gefasst, als ein in gewissem Sinn ä u s s e r l i c h e s betrachtet werden? Denn obgleich alles e n d l i c h e Seyn allewege nirgends anders sich befinden kann als nur allein i n n e r h a l b jener unbegränzten Wesenheit des an sich U n e n d l i c h e n : so bildet dasselbe dennoch für unsere geistige Anschauung, dem u n b e d i n g t e n Urseyn und une n d l i c h e n U r g r u n d alles Seyns und Daseyns gegenüber, ein demselben gewissermassen F r e m d e s und demgemäss Ä u s s e r l i c h e s , beides in begrifflicher wie in wesenhafter Beziehung. Und eben hierin haben wir denn auch den tieferen Grund für den scheinbaren W i d e r s p r u c h , welcher in KRAUSE'S Gesammtdarstellung seines Gedankenganges uns entgegentritt. Und eben daher denn auch der scheinbar unversöhnliche Zwiespalt zwischen den beiden entgegengesetzten Standpunkten, welche KRAUSE in seiner Darstellung gleichzeitig einnimmt, je nachdem er sich u n m i t t e l b a r und von v o r n h e r e i n in die reine I n n e r l i c h keit des U n b e d i n g t e n und U n e n d l i c h e n versetzt, oder die naturgemässe Forderung an unser geistiges Denken stellt, als e n d l i c h e Wesen von dem Gebiet des e n d l i c h e n Daseyns

92

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

aus, als eines u n z w e i f e l h a f t G e g e b e n e n , durch Vernunftschlüsse auch das Gebiet des an sich U n e n d l i c h e n uns geistig zu erschliessen, um in ihm und seiner unergründlichen Seynsfülle die allein vernunftgemässe Erklärung und den e i n z i g m ö g l i c h e n U r g r u n d und U r s p r u n g auch für alles e n d l i c h e Daseyn zu finden. Es ist dies derselbe Weg, welchen, wie wir gesehen, auch bereits W o l f f und Andere aus guten Gründen eingeschlagen haben. Denn einen anderen Weg, vom Gebiet des e n d l i c h e n Seyns aus in das Gebiet des U n e n d l i c h e n zu gelangen, kann es der Natur der Sache nach n i c h t geben; denn die tiefe Kluft, welche beide Seynsgebiete nicht nur begrifflich von einander unterscheidet, sondern auch dem Wesen nach von einander allewege t r e n n t , vermag vernunftgemäss nur allein auf d i e s e m Wege für unsere geistige Anschauung ü b e r b r ü c k t zu werden. Aber eben dieser Weg, eben diese Überbrückung jener Kluft, wird nur m ö g l i c h vermittelst des Satzes vom „ z u r e i c h e n d e n G r u n d " für Alles, was ist und besteht, sey es E n d l i c h e s oder das U n e n d l i c h e selber. Denn auch dieses kann in Bezug auf die Frage nach einem zureichenden Grund k e i n e Ausnahme machen. Indem Kbause aber in der oben erwähnten Darlegung seines Gedankenganges, seinen geistigen Standpunkt gleich von vornherein i n n e r h a l b des unendlichen Seyns und Wesens des U n b e d i n g t e n genommen hat, dabei gleichzeitig aber die Frage nach einem zureichenden Grund in Bezug auf dieses Letztere absichtlich ausser Acht gelassen hat: so kann es nicht fehlen, dass ihm eben dieses u n b e d i n g t S e y e n d e , weil von keinem ihm f r e m den Daseyn beeinflusst oder abhängig, in sich selber als u n b e g r ü n d e t oder g r u n d l o s erscheinen musste. Und eben darum durfte er denn auch, von diesem gewissermassen j e n s e i t i g e n Standpunkt aus, das U n b e d i n g t e sofort als das in und d u r c h sich s e l b s t Gewisse bezeichnen, das eines sonstigen Beweises w e d e r fähig noch bedürftig ist. Hätte Kbaubk durch sein absichtliches Beiseiteschieben des Satzes

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

93

v o m z u r e i c h e n d e n G r u n d e den Weg zur Frage nach dem Grund auch des an sich U n e n d l i c h e n sich nicht selbst verschlossen: so hätte es ihm wohl kaum entgehen können, dass der Satz, „das Unendliche hat den G r u n d seines Seyns in s i c h s e l b e r " , der Sache nach n i c h t s A n d e r e s besagt, als sein eigener Ausspruch, das Unbedingte sey „ g r u n d l o s oder unb e g r ü n d e t . " Denn beide Ausdrucksweisen sagen gemeinsam was den Kern der Sache betrifft, ganz das G l e i c h e aus, nehmlich, dass das an sich U n e n d l i c h e und U n b e d i n g t e , als durch keine ihm f r e m d e n oder ä u s s e r l i c h e n U r s a c h e n oder Einflüsse in seinem eigenen Seyn bedingt, begründet oder beeinflusst, ein vollgültig in s i c h s e l b e r f e s t s t e h e n d e s und darum auch in sich selber u r g e w i s s e s S e y n darstellt. Gehen wir daher von der Grundanschauung aus, dass das U n e n d l i c h e zu seiner eigenen Begründung k e i n e s Anderen, keines ihm F r e m d e n bedarf: so erscheint es uns in sofern u n b e g r ü n d e t und g r u n d l o s ; gehen wir dagegen von einem demselben ä u s s e r l i c h - f r e m d e n und darum e n d l i c h e n Standpunkt aus: so haben wir so lange nach wirklich z u r e i c h e n d e n G r ü n d e n zu fragen, bis wir bei einem Seyn und Wesen anlangen, von welchem wir auf die gleiche Frage die Antwort erhalten, dass es den v o l l g ü l t i g e n G r u n d seines S e y n s allein nur in s i c h s e l b s t , d. h. in seinem e i g e n e n i n n e r e n S e y n s - und W e s e n s g r u n d besitze. Haben wir diese Antwort erhalten, so haben wir auch gefunden, was wir suchen. Denn das wahrhaft U n e n d l i c h e und U n b e d i n g t e ist vermögend, alle für sein wesenhaftes Wirklichsein erforderlichen Grundbedingungen in sich s e l b e r vollgültig zu besitzen. Nur dieses allein i s t , in der wahrsten und eigentlichsten Bedeutung dieses Wortes, einfach weil es i s t . Und eben hierdurch dürfte denn auch der in KKAUSE'S Darstellung im ersten Augenblick scheinbar zu Tage tretende Zwiespalt in dessen Anschauung in vollkommenem E i n k l a n g und in vollkommener U b e r e i n s t i m m u n g mit den thatsächlich gegebenen Verhältnissen sich befinden. —

94

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

„Das U n e n d l i c h e " — sagt Hegel — »gilt schlechthin für unb e d i n g t , das heisst: das Unendliche i s t , es ist d a s Wesen. Diese begriffliche Bestimmung (Definition) ist insofern dieselbe als die, dass es das Seyn ist, indem das Seyn gleichfalls die einfache (wenn auch noch allgemeinste) Beziehung auf sich ist. Aber sie ist zugleich h ö h e r , weil das Wesen das in sich gegangene Seyn ist." In gleichem Sinn bezeichnet er auch weiterhin die u n b e d i n g t e N o t h w e n d i g k e i t als völlig g l e i c h w e r t h i g mit dem U n b e d i n g t e n , indem auch sie ein „Beruhen in sich s e l b e r , ein Bestehen n i c h t in, oder aus, oder durch ein Anderes" anzeigt. Und indem HEGEL an einem andern Orte auf das an sich „ U n b e d i n g t e " hinweist, „welches nach dem tiefen Ausdruck des ARISTOTELES (alles Andere) b e w e g t " , fügt er hinzu, dass in dieser Weltanschauung „das E i n e , das Seyn, und zwar das Seyn auch in allem Daseyn, bestimmt ist als das u n b e d i n g t e Wesen, als das n i c h t durch Anderes, sondern a l l e i n als das an und f ü r sich nothwendige Wesen, als die U r s a c h e und als die W i r k u n g seiner selbst." Eben dieses In-Eins-Zusammenfallen von Ursache und Wirkung im Bereiche des an sich Unendlichen und Unbedingten bezeichnet HEGEL als die „sich selbst aufhebende Vermittelung" beider Gegensätze, also gewissermassen als eine ewig-innerliche S e l b s t v e r m i t t e l u n g und S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g im Gegensatz zu den verwandten Verhältnissen innerhalb dieser endlichen Welt, in welcher im gegenseitigen Wechselverkehr, wie wir früher gesehen, jederseits die Ursache von dem Einen Körper ausgeht und von diesem aus auf einen anderen einwirkt. Und endlich bezeichnet HEGEL das W e s e n , in der Bedeutung von S u b s t a n z in das Auge gefasst, und zwar in der Bedeutung von u n e n d l i c h e r S u b s t a n z , als „ u n b e d i n g t e s und f ü r sich bestehendes Wesen insoferne, als es u n m i t t e l bare W i r k l i c h k e i t (Existenz) hat. Die S u b s t a n z " — so fügt HEGEL ausdrücklich hinzu — „ist ihre eigene U r s a c h e , nehmlich dasjenige, was d u r c h sich s e l b s t b e g r i f f e n wird,

Das an sich urnothwendigc Seyn als Urwesen und Urseyendes.

95

und dessen Begriff zugleich die w e s e n t l i c h e W i r k l i c h k e i t in sich einschliesst (Substantia est c a u s a sui, id quod per se c o n c i p i t u r sive cujus c o n c e p t u s i n v o l v i t existentiam). Die (begriffliche) Möglichkeit der w a h r e n Substanz ist daher auch ihre W i r k l i c h k e i t . Denn ihre W i r k l i c h k e i t ist eine (vernunf'tgemäss) n o t h w e n d i g e : daher ist sie auch u n b e d i n g t (und ewig) wirklich." — In gleichem Sinn wie in den eben niitgetheilten Anschauungen sagt auch Fortlage: Der zur e i c h e n d e G r u n d ist der Grund, wobei man nicht noch weiter fragen kann, folglich das sich von s e l b s t Vers t e h e n d e , welches weder geleugnet, noch a n d e r s g e d a c h t werden kann, als es ist. Dieses sich von selbst Verstehende ist daher zu denken als der letzte Grund von Allem, oder als das alles Andere B e d i n g e n d e , folglich selber Unbedingte." — Und wenn B a a d e r nach JACOB BÖHME von einem „Un- und A b g r u n d " , von einer „ U n t i e f e der T i e f e " des an sich unendlichen U r g r u n d e s aller Dinge spricht: so ist es augenscheinlich, dass auch er hierbei nur allein das an sich U n b e d i n g t e , das Eine unbedingt U r s e y e n d e , dabei im Auge hat. — So sagt auch Schölling: „Wir mussten von dem B e d i n g t e n auf die B e d i n g u n g schliessen. Es war also unvermeidlich, dass wir uns schliesslich auf ein U n b e d i n g t e s hingetrieben sahen." Von diesem Unbedingten sagt dann SCHELLINC weiter: Das U n b e d i n g t e kann n u r durch das U n b e d i n g t e s e l b e r gegeben seyn. Daher kann auch der l e t z t e G r u n d aller Wirklichkeit nur ein E t w a s seyn, das nur durch sich selbst, d. h. nur d u r c h sein Seyn denkbar ist, und welches n u r in sofern gedacht wird, als es ist. Es i s t , bloss weil es i s t , und es wird gedacht, bloss weil es gedacht wird." Und eben weil „das Unbedingte nur durch das Unbedingte s e l b s t gegeben seyn kann, so muss dasselbe, wenn es wirklich u n b e d i n g t seyn soll, selbst allem Denken und Vorstellen v o r a u s g e h e n , und (von Ewigkeit her) d u r c h sich s e l b s t verwirklicht" seyn. Denselben Gedanken gibt SCHELLING an

96

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

einem späteren Ort nochmals in folgender Weise wieder: „Das Unbedingte ist dasjenige, welches unmittelbar durch seinen Beg r i f f (seine Idee) auch i s t , oder dasjenige, zu dessen Begriff es g e h ö r t , zu seyn. dessen Begriff also die unmittelbare Bestätigung (Affirmation) des Seyns ist, d. h. weder Begriff noch Seyn j e d e s ins b e s o n d e r e . Dasselbe ist auch so ausgedrückt worden: In Ansehung des Unbedingten ist der Beg r i f f (das Ideale) unmittelbar auch das W i r k l i c h e (Reale). Auch bei diesem Ausdruck des Begriffs des U n b e d i n g t e n lässt sich der Gegensatz aus dem N i c h t u n b e d i n g t e n vollkommen nachweisen. In Ansehung des N i c h t u n b e d i n g t e n ist das Seyn nie mit dem blossen B e g r i f f desselben schon gesetzt. Es muss hier immer etwas von dem Begriff U n a b h ä n g i g e s hinzukommen, damit der Gegenstand sey." Das U n b e d i n g t e ist somit auch für SCHELLING „die unmittelbare B e j a h u n g oder V e r w i r k l i c h u n g (Affirmation) s e i n e r s e l b s t " , und als solche zugleich „schlechthin ewig." Dabei bezeichnet SCHELLING, als zum reinen Begriff der Ewigkeit des Unbedingten gehörig, dass es an und in sich nicht nur „schlechthin u n a b h ä n g i g von der Z e i t sey, sondern auch ohne alle Beziehung zur Zeit. Wäre also das Unbedingte nicht schlechthin ewig, so stände es in einer Beziehung zur Zeit." In eben diesem Verhältniss gründet auch der Satz, dass das U n b e d i n g t e , allein nur an und für sich und als solches ohne Rücksicht auf jegliches Weltdaseyn in das Auge gefasst, wie als schlechthin r a u m f r e i , so auch als schlechthin z e i t f r e i , als r ä u m - und z e i t l o s muss betrachtet werden. Und somit stellt nach allem Bisherigen das Unbedingte für das Auge des Geistes nicht nur als das ewig d u r c h sich s e l b s t V e r w i r k l i c h t e sich dar, sondern auch vielmehr als das zugleich „ s i c h s e l b s t V e r w i r k l i c h e n d e (Affirmirende) und d u r c h sich s e l b s t V e r w i r k l i c h t e (Affirmirte)": d. h., in dem in und durch sich s e l b e r S e y e n d e n fallt beides, das G e w i r k t s e y n und das W i r k e n , unbedingt in E i n s zusammen. Daher ist „das Un-

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

97

b e d i n g t e , das überall n i c h t auf b e d i n g t e Weise seyn kann, ebenso n o t h w e n d i g als es u n b e d i n g t ist, und diese s e i n e A r t zu seyn ist von seinem W e s e n , d. h. von seiner Unb e d i n g t h e i t , unzertrennlich." Und somit „ist dem U n b e d i n g t e n das Seyn allewege w e s e n t l i c h , oder es ist vielmehr s e l b e r w e s e n t l i c h das Seyn." Daher ist das U n b e d i n g t e , ,,so g e w i s s es w e s e n t l i c h das Seyn ist, auch das a l l e i n W i r k l i c h e : es erfüllt a l l e i n und g a n z das ganze unendliche Gebiet (die Sphäre) der W i r k l i c h k e i t . Etwas Wirkliches a u s s e r ihm zu denken, ist ebenso u n m ö g l i c h , als eine Wirkl i c h k e i t a u s s e r der W i r k l i c h k e i t zu denken." — Herbart's Grundanschauung von dem Begriff und dem Wesen des U n b e d i n g t e n fasst S C H W E G L E B in foldenden Sätzen zusammen: „Das w a h r h a f t e S e y n ist ein u n b e d i n g t e s S e y n , das als solches jede A b h ä n g i g k e i t (von einem Anderen) a u s s c h l i e s s t . Es ist u n b e d i n g t e W i r k l i c h k e i t (Position), die n i c h t wir setzen, sondern welche wir nur a n z u e r k e n n e n haben. Insoferne also dieses Seyende einem Etwas b e i g e l e g t wird, kommt diesem W i r k l i c h k e i t zu. Das wahrhaft Seyende ist also allemal ein E t w a s , welches als s e y e n d betrachtet wird. Damit nun dieses (als wirklich) Gesetzte den Bedingungen entspreche, die im Begriffe der u n b e d i n g t e n W i r k l i c h k e i t (Position) liegen, so muss das Was dieses Wirklichen gedacht werden als schlechthin b e j a h e n d (affirmativ), d. h. o h n e a l l e V e r e i n i g u n g oder B e s c h r ä n k u n g , welche dessen Unbedingtheit wieder a u f h ö b e ; sodann als schlechthin e i n f a c h , d. h. auf k e i n e Weise mit einer V i e l h e i t oder mit sonstigen Gegensätzen behaftet. F e s t z u h a l t e n aber ist immer, dass dieses Seyende oder diese unbedingte Wirklichkeit n i c h t bloss eine g e d a c h t e , sondern eine s e l b s t s t ä n d i g e , auf sich selber beruhende und darum vom D e n k e n b l o s s a n z u e r k e n n e n d e ist." — Hettinger, nachdem auch er von dem Daseyn dieser endlichen Welt ausgegangen und von hier aus auf das n o t wendige Vorhandenseyn eines an sich Unendlichen und U b e r WandcrBmanu. IV.

7

98

Die innere UnSelbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

s i n n l i c h e n geschlossen, macht dann weiterhin darauf aufmerksam, dass die einzelnen stofflich-körperlichen Grundbestandteile dieser Welt, die sogenannten A t o m e , keineswegs als die eigentlich ersten und letzten Urgründe (Principien) alles Werdens, sowie überhaupt des wirklichen Daseyns unseres gemeinsamen Weltganzen gelten können, sondern dass sie im Gegentheil „ g e g e n s e i t i g durch einander b e d i n g t sind: „Demnach kann" — fügt HETTINGEK hinzu — „die B e d i n g u n g dieser gegenseitigen Bedingtheit n i c h t in ihnen selber liegen, weil sonst das B e d i n g t e selber ein U n b e d i n g t e s seyn müsste." Hieran schliesst HETTINGEK dann weiterhin folgende Bemerkungen an: „Wir ersehen hieraus, dass die Lehre von einer thatsächlichen U n b e d i n g t h e i t eben jener natürlich-körperlichen Grundstoffe (derMaterialismus) nur der g e d a n k e n l o s e s t e n O b e r f l ä c h l i c h k e i t sich empfehlen kann, und wie sie mit ihrer Behauptung in die unlöslichsten W i d e r s p r ü c h e sich verwickelt. Es ist eine bedenkliche Ausrede, wenn man sich dabei auf »Unbegreiflichkeiten« beruft. Denn was sich geradezu w i d e r s p r i c h t , das ist nicht bloss u n b e g r e i f l i c h : das ist geradezu u n d e n k b a r und u n m ö g l i c h . Ohnedem steht es jener Weltanschauung (dem Materialismus) schlecht zu, zu Unbegreiflichkeiten ihre Zuflucht zu nehmen, nachdem sie die Alleinberechtigung (das Monopol) der »Klarheit und Einfachheit«, sowie der »Wissenschaftlichkeit« ausschliesslich für sich in Anspruch genommen hat." — In ähnlichem Sinn wie HETTINGEK sagt auch U l r i c i : „Das U n b e d i n g t e ist die n o t h w e n d i g e V o r a u s s e t z u n g der Atome. Es ist u n m ö g l i c h , den Begriff des Atoms zu vollziehen, und das Daseyn der Atome in voller Klarheit und Bestimmtheit zu denken, ohne das w i r k l i c h e V o r h a n d e n seyn eines U n b e d i n g t e n , als ihre Voraussetzung, m i t zu denken. Die B e d i n g u n g ist der G r u n d (das Prius) des Bed i n g t e n , wie auch seiner B e d i n g t h e i t : beide (die Bedingung und die Bedingtheit) stehen in dem Verhältniss von G r u n d und F o l g e , beziehungsweise von U r s a c h e und W i r k u n g .

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

99

Es ist nun klar, dass lauter Folgen ohne Grund, lauter Bedingtes ohne Bedingung (und ohne Bedingendes) ein Widerspruch in sich seyn würde, wenn nicht der l e t z t e Grund n u r Grund und k e i n e Folge, die l e t z t e Bedingung n u r Bedingung und selbst n i c h t wieder bedingt wäre, d. h. wenn es k e i n e n (an sich) g r u n d l o s e n G r u n d , keine an sich u n b e d i n g t e B e d i n g u n g gäbe. Der g r u n d l o s e G r u n d ist aber offenbar der w a h r e , alleinige Grund, die letzte unbedingte Bedingung, die w a h r e a l l e i n i g e Bedingung, weil ihm gegenüber alles Andere n u r Folge, n u r Bedingtes ist. Denn jede b e d i n g t e B e d i n g u n g ist, als selber b e d i n g t , in Wahrheit keine Bedingung, sondern nur ein Zwischenglied zwischen der letzten Bedingung und einer entfernten Folge: die Bedingung, r e i n als solche, hat keine andere Beziehung, als die zu ihrem Bedingten, und da sie von diesem n i c h t bedingt seyn kann, so ist sie nothwendig u n b e d i n g t . Liegt es aber sonach in dem B e g r i f f der Bedingung, dass sie ein U n b e d i n g t e s sey: so kann von g e g e n s e i t i g sich bedingenden Atomen mit ihren nur b e d i n g t e n K r ä f t e n , als dem l e t z t e n , ewigen Grund der Naturerscheinungen n i c h t die Rede seyn. Die gegenseitige Bedingtheit der Atome f o r d e r t vielmehr das D a s e y n einer Bedingung, die n i c h t in den Atomen selber liegen kann, weil die Bedingung nothwendig u n b e d i n g t , jedes Atom dagegen ein B e d i n g t e s ist, und weil, was von j e d e m Atom gilt, auch von a l l e n z u s a m m e n gelten muss. Die g e g e n s e i t i g e Bed i n g t h e i t der Atome ist daher nur dann d e n k b a r , wenn ein U n b e d i n g t e s , als Bedingung (und zugleich Bedingendes) derselben, v o r a u s g e s e t z t wird. Dies U n b e d i n g t e , als G r u n d ihrer B e d i n g t h e i t , ist aber nothwendig auch Grund ihres Seyns (oder wesenhaften Daseyns). Denn das Seyn der Atome k a n n n i c h t von ihrem A t o m s e y n abgetrennt werden: nur als b e d i n g t sind sie A t o m e . " Weiterhin sagt ULBICI: „Als das, was Allem, was ist, v o r a u s g e h e n d ist (als das absolute Prius von Allem), können wir das U n b e d i n g t e nur denken, 7*

100

Die innere UnselbststSndigkeit aller natürlichen Dinge.

wenn wir dasselbe als u n b e d i n g t e U r k r a f t fassen. Denn diese U r k r a f t und U r t h ä t i g k e i t ist zunächst nothwendig das schlechthin E r s t e , U r a n f ä n g l i c h e , U r s e y e n d e , und, als dies E r s t e erfasst, ist sie das e i n z i g e , a l l e i n i g e S e y e n d e , dem die Bestimmung (das Prädikat) des S e y n s zukommt, und mit dem diese Bestimmung in Eins zusammenfällt. „Denn als Grund und Ursache alles Mannigfaltigen ist sie eben das vor allem Daseyn S e y e n d e (das Prius): eine andere Art des Seyns kann es nur geben, wenn und nachdem sie (jene erste uranfängliche und erste Urkraft nehmlich) es gesetzt hat. Als eben dieses allem anderen Daseyn V o r h e r g e h e n d e ist sie zugleich schlechthin u n b e d i n g t , weil u n m ö g l i c h von irgend einem Anderen a b h ä n g i g : mithin das schlechthin S e l b s t s t ä n d i g e und in sich F r e i e : d. h., sie ist das von unserem Denken geforderte U n b e d i n g t e , U r s ä c h l i c h e , U r g r ü n d l i c h e selbst. Endlich aber kommt ihr auch die Bestimmung (das Prädikat) der u n b e d i n g t e n E i n h e i t zu. Denn sie ist n i c h t eine Mannigfaltigkeit (oder eine Zusammengesetztheit aus verschiedenen Kräften), sondern die E i n e , mit sich stets gleiche (identische) und sich stets gleichbleibende U r k r a f t und U r t h ä t i g k e i t . " — „Wir glauben" — sagt S t e n t r u p — „annehmen zu dürfen, dass niemand in dem Begriff einer u n e n d l i c h e n M a c h t und eines u n b e s c h r ä n k t e n W i r k e n s einen Widerspruch finden wird. E s genügt, darauf hinzuweisen, dass von der Möglichkeit und Wirklichkeit einer solchen M a c h t die Möglichkeit und Wirklichkeit jeder endlich begränzten und darum v e r u r s a c h t e n Thätigkeit u n b e d i n g t bedingt ist. Weil das unbedingte Wesen d u r c h s i c h , d. h. durch seine eigene W e s e n h e i t ist, so ist es nothwendig auch das S e y n s e l b e r : es ist in höchster Einfachheit, die F ü l l e a l l e s S e y n s , und darum nothwendig alle blosse Möglichkeit (Potentialität) von sich (und seiner eigenen Wesenheit) ausschliessende r e i n e W i r k l i c h k e i t . Da aber nach einem allbekannten und augenscheinlich richtigen Grundsatz (evidenten Princip) etwas nur

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

101

in sofern w i r k e n d seyn kann, als es selber w i r k l i c h ist, so entspricht das Wirken eines jeden Wesens, oder besser seine M a c h t (zu wirken), seiner W i r k l i c h k e i t . Wo also r e i n e W i r k l i c h k e i t , d. i. die F ü l l e a l l e r W i r k l i c h k e i t ist, da ist auch die Macht r e i n e M a c h t , die Fülle a l l e r M a c h t mit Ausschluss aller Verneinung und Beschränkung (Negation und Limitation)." Und weiterhin: Das u n b e d i n g t e Seyn ist r e i n e s Seyn ohne alle Beimischung des Nichtseyns. Im u n b e d i n g t e n Wesen ist demnach das E r s t e , das wir von ihm denken, zugleich das E i n z i g e , was wir von ihm denken d ü r f e n , wenn es sich darum handelt, was das unbedingte Wesen in sich sey, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Art und Weise, in der das unvollkommene und beschränkte m e n s c h l i c h e Denken sich den I n h a l t des e r s t e n G e d a n k e n s vom unbedingten Wesen k l a r machen muss. Denn das Seyn, welches wir als das E r s t e von ihm denken, ist seine eigene W e s e n h e i t , und folglich ist es (an sich) n u r Seyn, nur F ü l l e des Seyns, d. h. Seyn, in welchem zwar u n e n d l i c h e B e s t i m m t h e i t (des Seyns und Wesens), aber keine B e s t i m m b a r k e i t (durch Anderes als nur allein durch sich selbst) angetroffen wird." — Schon in dem Begriff des U n b e d i n g t e n , als eines ewig U n g e w o r d e n e n liegt es somit eingeschlossen, dass die Begriffe von M ö g l i c h k e i t und W i r k l i c h k e i t , von blossem Möglichseyn und von thatsächlichem wesenhaften W i r k l i c h seyn mit innerer Nothwendigkeit schlechthin in E i n s zusammenfallen müssen. Der ganze Verlauf unserer bisherigen Untersuchungen hat uns hierauf hinweisen müssen. Von dem Begriff eines U r n o t h w e n d i g e n sind wir ausgegangen. Was kann solch ein unvermeidlich Nothwendiges, ohne welches nichts Anderes wirklich seyn könnte, aber schliesslich anderes seyn, als ein in sich selber u n b e d i n g t N o t h w e n d i g e s ? Oder vermöchten wir uns ein Solches zu denken als eine blosse Mögl i c h k e i t , welche ihrer thatsächlichen V e r w i r k l i c h u n g noch e n t b e h r t e , und solche gewissermassen erst von der Z u k u n f t

102

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

zu e r w a r t e n hätte? Das ist ja gerade der Begriff eines aus, durch und in sich selber U r n o t h w e n d i g e n , dass es in k e i n e r Weise jemals n i c h t w i r k l i c h oder n i c h t w i r k l i c h seyend seyn kann. Ein jeder Gedanke an irgendwelche, wenn auch nur begriffliche Möglichkeit eines derartigen Verhältnisses, aber eben damit zugleich auch ein jeder Gedanke d a r a n , als ob ein derartiges in sich u n b e d i n g t e s U r n o t h w e n d i g e s jemals als ein bloss willkürlich und grundlos von uns E r s o n n e n e s und bloss E i n g e b i l d e t e s dürfte zu betrachten seyn, dem eine jede thatsächliche und wesenhafte W i r k l i c h k e i t ebensowohl auch a b g e h e n könnte: ein jeder derartige Gedanke müsste, als allen Gesetzen eines vernunftgemässen Denkens widersprechend, mit unbedingter Nothwendigkeit in sich selbst zerfallen. Eine solche bloss g e d a c h t e oder bloss e i n g e b i l d e t e N o t h w e n d i g k e i t könnte in der That nichts Anderes darstellen, als eine in sich gänzlich n i c h t i g e , weil im N i c h t s , im N i c h t w i r k l i c h s e y n , d. h. im N i c h t seyn schwebende blosse S c h e i n w i r k l i c h k e i t , als ein ebensolches G e d a n k e n u n d i n g also, wie das r e i n e N i c h t s selber. So oft daher in Bezug auf das U n b e d i n g t e und U r n o t h w e n d i g e von einer blossen M ö g l i c h k e i t desselben die Rede ist, darf demgemäss der Begriff der Möglichkeit allewege nur allein in der Bedeutung einer „ V e r n u n f t m ö g l i c h k e i t " von uns aufgefasst werden, d. h. nur allein in der Bedeutung einer Möglichkeit, welche mit den Gesetzen eines vernunftgemässen Denkens in keiner Art von W i d e r s p r u c h sich befindet. Dagegen würde es allen Anforderungen an ein vernunftgemässes Denken völlig widersprechen, wenn man jemals annehmen wollte, es könne unter Umständen über das wirkliche und wesenhafte V o r h a n d e n s e y n eines derartigen in sich U n b e d i n g t e n , U r w i r k l i c h e n und U r n o t h w e n d i g e n auch nur der allergeringste Z w e i f e l oder die allergeringste U n g e w i s s h e i t obwalten. Denn was aus wirklichen Vernunftgründen überhaupt einmal als u n b e d i n g t und u n t e r allen Umständen n o t h w e n d i g

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

103

anerkannt werden m u s s , das kann auch u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n n i e m a l s als n i c h t w i r k l i c h oder als n i c h t w i r k l i c h s e y e n d von uns aufgefasst werden. Das unbedingt U r n o t h w e n d i g e ist demnach das unbedingt U r g e w i s s e s t e , welches überhaupt zu denken möglich ist. Ganz in diesem Sinn sagt denn auch bereits schon A r i s t o t e l e s : „ E s gibt etwas b l o s s der V e r w i r k l i c h u n g nach Seyendes und etwas bloss der M ö g l i c h k e i t nach Seyendes, und etwas s o w o h l der Möglichkeit a l s a u c h der Verwirklichung nach Seyendes." Und weiterhin: „Ein bloss bewegen K ö n n e n d e s ist Etwas bloss durch die M ö g l i c h k e i t dazu; ein w i r k l i c h Bewegendes aber ist es durch die T h a t s a c h e . " Und in Bezug auf das an sich Ewige sagt er: „Bei dem E w i g e n ist k e i n Unterschied zwischen M ö g l i c h s e y n und W i r k l i c h s e y n . " — Ebenso sagt T h o m a s von Aquino: „ D a s M ö g l i c h s e y n hat zu seiner V o r a u s s e t z u n g das W i r k l i c h e . Das zuerst Bewegende, das primum movens, ist daher die u n b e d i n g t e W i r k l i c h k e i t , in welcher k e i n e blosse Möglichkeit ist, sondern in welcher Möglichkeit und Wirklichkeit E i n u n d d a s s e l b e sind. E s kann daher auch in dem ewigen Urseyn k e i n e M ö g l i c h k e i t geben, die nicht z u g l e i c h auch W i r k l i c h k e i t wäre." — Und in ganz ähnlicher Weise spricht auch N i c o l a u s v o n C u s a sich aus. — So sagt auch D e s c a r t e s : „ E s ist zu unterscheiden zwischen m ö g l i c h e m und n o t h w e n d i g e m S e y n (Existenz). Im Begriff von allem dem, was klar und deutlich eingesehen wird, ist m ö g l i c h e s Seyn enthalten." Nur allein von dem an sich e w i g und u n b e d i n g t S e y e n d e n sagt DESCABTES, dass ihm im vollen und wahren Sinn des Wortes „ n o t h w e n d i g e s S e y n " zukomme. — Ebenso Leibnitz: „Sobald man voraussetzt, dass ein höchstes, unbedingtes Seyn m ö g l i c h ist, so muss man auch z u g e s t e h e n (admettre), dass es n o t h w e n d i g e r W e i s e besteht. Und ebenso, sobald man voraussetzt, dass es w i r k l i c h b e s t e h t (existe), so muss man ebenfalls zugestehen, dass es n o t h w e n d i g besteht. Daher, sobald man voraussetzt (suppose),

104

Die innere Unsclbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

dass ein höchstes unbedingtes Seyn w i r k l i c h b e s t e h t : so muss man auch annehmen (¡mpposer), dass es nicht nur mögl i c h ist, sondern dass es auch n o t h w e n d i g b e s t e h t . " — Desgleichen Krause. Auch nach ihm sind innere M ö g l i c h k e i t , N o t h w e n d i g k e i t und W i r k l i c h k e i t in Bezug auf das Eine unbedingte und urnothwendige U r s e y n und U r w e s e n , was den tieferen Grund der Sache betrifft, unbedingt „ E i n u n d D a s s e l b e . " — Es vergegenwärtigt uns somit innerhalb eben jenes ewigen Urseyns und Urwesens der Begriff seiner thatsächlichei. U r n o t h w e n d i g k e i t so recht eigentlich die thatsächliche verbindende Brücke zwischen dessen vernunftgemässer U r m ö g l i c h k e i t und dessen wesenhafter U r w i r k l i c h k e i t : in seiner unbedingten Urnothwendigkeit liegen alle drei ewig ungetrennt und ungeschieden in unbedingter Einheit enthalten und eingeschlossen. — Schölling spricht ebenfalls an verschiedenen Orten in ähnlichem Sinn sich aus: „Für das e n d l i c h e S e y n " — sagt er — „gibt es Möglichkeit und Wirklichkeit. F ü r das u n b e d i n g t e S e y n dagegen gibt es k e i n e (thatsächlich unterschiedene) Möglichkeit, Wirklichkeit und Nothwendigkeit. Denn im Unbedingten sind B e g r i f f (Idealität) und W i r k l i c h k e i t (Realität) E i n s , das heisst: u n b e d i n g t e M ö g l i c h k e i t ist gleich u n b e d i n g t e r W i r k l i c h k e i t . Die Frage nach einer W i r k l i c h k e i t , wie sie im gem e i n e n B e w u s s t s e y n gestellt wird, hat in Ansehen dessen, was u n b e d i n g t ist, gar keine Bedeutung. Denn d i e s e Wirklichkeit ist k e i n e w a h r e W i r k l i c h k e i t , vielmehr im wahren Sinn N i c h t w i r k l i c h k e i t . " Und anderwärts: Im U n b e d i n g t e n ist nichts m ö g l i c h , was nicht eben deswegen auch w i r k l i c h wäre. Der Gegensatz von M ö g l i c h k e i t und W i r k l i c h k e i t liegt hier n u r im e n d l i c h e n Erkennen. Ebenso sind die Begriffe der U n m ö g l i c h k e i t , des N i c h t s e y n s , der Z u f ä l l i g k e i t gleich u n d e n k b a r in Bezug auf das u n b e d i n g t e S e y n : sie sind blosse Ergebnisse unserer Einbildungskraft. Der Begriff der U n m ö g l i c h k e i t setzt die Möglichkeit eines

Das an sich urnotlhwendige Seyn als Urwcsen und Urseyendes.

105

Begriffs voraus, dem das Seyn widerspricht; ein solcher aber ist im Unbedingten! u n d e n k b a r . Der Begriff des Nichtseyns dagegen setzt die Möglichkeit eines Begriffs voraus, der nicht im Seyn ausgedrückt, also wieder unmöglich ist; denn alle Begriffe des U n b e d i n g t e n sind als solche auch wirklich (real). Z u f ä l l i g k e i t endlich setzt voraus, dass die Wirklichkeit n i c h t durch die Möglichkeit bestimmt sey: im Unbedingten also wieder u n d e n k b a r . " Und endlich: „Das ganz Seyende ist n i c h t blosse M ö g l i c h k e i t (Potenz), sondern ganze, reine W i r k l i c h k e i t (Actus), während »lies Andere, aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit Übergehende, eben darum nur aus N i c h t s e y n und Seyn (Potenz und Actus) gemischt ist." — Auch Stentrup sagt in gleichem Sinn: „Das reine, d i. unb e d i n g t e Seyn ist reine Wirklichkeit. Seyn und Wirklichkeit sind hier nur verschiedene Namen für dieselbe Sache. Keine W i r k l i c h k e i t schliesst jede blosse Möglichkeit (Potenz) von sich aus. Und da das unbedingt Seyende in vollkommenem Gegensatz zu dem Nichtseyn steht: so muss von ihm alles das, aber auch n u r alles das gedacht und ausgesagt werden, was B e j a h u n g (Affirmation) enthält ohne jegliche Verneinung, das heisst: was Wirklichkeit ohne j e g l i c h e B e s c h r ä n k u n g ist." — N o . 157.

Das Unbedingte als Urleben.

Alles auf eigene innere Kraftwirksamkeit gegründete Wesen ist, wie wir bereits an früheren Orten gesehen, L e b e n , ist innerlich l e b e n d i g e s Wesen, und zwar Leben in der weitesten und allgemeinsten Bedeutung dieses Wortes (I. § 5, No. 16 und 18. V. § 20, No. 107 und 110). Es muss dies ebensosehr seine Geltung haben für das ewig-unendliche Seyn und Wesen, wie für alles endliche Daseyn dieser Welt. Und so müssen wir denn auch das Eine und einzig wahre, weil allein völlig u n b e d i n g t e Urseyn, als unbedingtes Urwesen, auch als

106

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

das E i n e allein wahre und allein ewig-unendliche U r l e b e n anerkennen. Ein an und in sich t o d t e s , s t a r r e s , r e g u n g s l o s e s S e y n , so unendlich und ewig wir uns ein solches auch vorstellen mögen, wäre k e i n Seyn, sondern ein in sich ebenso t o d t g e b o r e n e r B e g r i f f , wie eine t o d t e N a t u r oder eine vermeintlich t o d t e K ö r p e r w e l t . Es wäre dies ein W i d e r s p r u c h gegen sich selber, und insofern völlig gleichbedeutend mit dem vermeintlichen ewig-unendlichen N i c h t s . Denn ebenso wie dies Letztere würde es nichts weiter bezeichnen als die reinste U n m ö g l i c h k e i t . Wo w e s e n h a f t e s S e y n ist, da ist allewege auch eine K r a f t zu s e y n , und wo eine K r a f t zu seyn ist, da ist mit eben dieser Kraft zu s e y n auch allewege eine, dem M a a s s dieser Kraft entsprechende K r a f t w i r k s a m k e i t unmittelbar verbunden. Eben diese Letztere ist es aber, welche von uns als die eigentliche i n n e r e B e g r ü n d e r i n eines jeden wesenhaften Seyns oder Daseyns muss betrachtet werden. Wo also ein wirklich w e s e n h a f t e s Seyn ist, sey es ein bedingtes oder ein unbedingtes, da ist in Wahrheit auch wirkliches L e b e n : im e n d l i c h e n Seyn ein e n d l i c h e s Leben in räumlicher wie in zeitlicher Beziehung, im u n e n d l i c h e n Seyn ein u n e n d l i c h e s und e w i g e s Leben. Das Eine ist nie ohne das Andere, und wo das Eine ist, da ist auch das Andere untrennbar mit gegeben. Daher sehen wir auch, dass alle die Bezeichnungen, wodurch schon die ältesten Denker ein ewiges oder unendliches Urseyn oder Urwesen im Geiste sich zu vergegenwärtigen gesucht haben, solche gewesen sind, welche ein gewisses Gepräge des L e b e n d i g e n u n d des L e b e n s auch äusserlich schon an sich tragen. Denn wenn Heraklit das von ihm geahnte einheitliche Urseyn als F e u e r bezeichnet, oder wenn A r i s t o t e l e s von einem E r s t e n B e w e g e r spricht, so deuten eben diese Bezeichmungsweisen deutlich darauf hin, dass beiden hierbei das Bestreben zu Grunde lag, eben jenem einheitlichen U r s e y n , jenem einheitlichen U r g r u n d , auch selbst für alles Geschehen, f ü r alles Entstehen und Vergehen

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

107

innerhalb dieser sichtbaren Welt, den Stempel eines e i g e n e n i n n e r e n L e b e n s möglichst unverkennbar zu verleihen. So sagt schon Plato in den Gesetzen, dass wir dasjenige, „was sich selber in Bewegung setzt, L e b e n nennen." — Es ist dies augenscheinlich der Grundgedanke, welchen Aristoteles später in seiner bekannten Lehre von dem „ s i c h s e l b e r bew e g e n d e n U n b e w e g t e n " noch weitere Ausführung gegeben hat. Dessen „ T h ä t i g k e i t (Energie)" bezeichnet er ausdrücklich als „ i m m e r w ä h r e n d e s L e b e n " , welchem „nothwendig auch i m m e r w ä h r e n d e B e w e g u n g zukommen müsse." Und in seiner Metaphysik hebt ABISTOTELES auch ausdrücklich weiter noch hervor, dass eben jenes urlebendige und immerwährende Urseyn in seiner „ u n b e d i n g t e n T h ä t i g k e i t " als ein „ l e b e n d i g e s und ewiges W e s e n " sich erweist; denn „ L e b e n komme ihm zu und s t e t i g e ewige Dauer: das i s t sein W e s e n . " — Der gleichen Grundanschauung begegnen wir bei Plotill. „Das Erste ist" — nach ihm — „das Seyn, d. h. das in Wirklichkeit getretene E i n e , dessen eigene innere T h a t k r a f t (Energie) und endlich das L e b e n . Doch alle diese drei sind n i c h t verschieden, sondern E i n u n d d i e s e l b e Sache." Und anderweitig sagt er: „Wenn man nicht ins Endlose zurückgehen will, so muss man ein u r s p r ü n g l i c h e s L e b e n anerkennen, das der Quell des Lebens für alles Andere ist." — Erigena's Anschauung fasst H Ü B E E folgendermassen zusammen: „Es ist nur E i n S e y n , und dieses E i n e Seyn zerfällt in U r s a c h e und W i r k u n g (d. h. als ewige Ursache seiner Selbst fallen Ursache und Wirkung in ihm in Eins zusammen). Es ist demnach t h ä t i g e s , l e b e n d i g e s S e y n . " — Und über Anselm von Canterbury's Anschauungen in Bezug auf unsern gegenwärtigen Gegenstand sagt H A S S E : „Mit Recht werden wir das U n b e d i n g t e , als den Grund und die Urquelle alles Seyns, bezeichnen dürfen als L e b e n , und zwar als das u n b e d i n g t e , d. h. als dasjenige Leben, welches an u n d f ü r sich Leben i s t , während alles Andere von ihm das Leben h a t . " —

108

Die innere Unselbstatändigkeit aller natürlichen Dinge.

Nach Raymund von Sabunde geht „das L e b e n " — wie TIEDEMANN RAYMOND'S Gedankengang zusammenfasst — „dem N i c h t l e b e n vor, weil aus Nichtleben nie L e b e n werden kann, mithin muss Leben und Seyn ewig seyn. L e b e n und Seyn sind demnach von Ewigkeit her v e r e i n t , und das ewig höchste Wesen ist l e b e n d . Und es hat darum das Leben, weil es alles Lebens Urquell ist. Das L e b e n aber kann n i c h t aus L e b l o s i g k e i t entspringen." — Was das u n b e d i n g t e Seyn ist, das ist es schlechthin d u r c h und von sich — sagt J. G. Fichte. „Nur auf diesem seinem k r ä f t i g e n und l e b e n d i g e n B e s t a n d (Existiren) beruht sein unmittelbares Seyn (Existenz)." Und an einem andern Ort: „Das Seyn, durchaus und schlechthin als Seyn, ist l e b e n d i g und in sich t h ä t i g , und es gibt kein anderes Seyn als das L e b e n : keineswegs aber ist es t o d t . Das einzige L e b e n aber, durchaus von sich, aus sich und d u r c h sich, ist das L e b e n des U n b e d i n g t e n , und wenn wir sagen: das Leben des Unbedingten", so ist dies nur eine Weise zu reden; denn in Wahrheit ist das Unbedingte das L e b e n , und das Leben ist das U n b e d i n g t e . " — Und von eben diesem Leben des U n b e d i n g t e n sagt Krause, in ihm sey das Unbedingte „ s e i n s e l b s t i n n e als eines L e b e w e s e n s . " Und anderwärts fügt K R A U S E noch hinzu: „Der Eine I n h a l t dieses Einen L e b e n s ist die eigentliche W e s e n h e i t des W e s e n s , die eigentliche (d. i. die innerste) U n b e d i n g t h e i t des Unb e d i n g t e n . So stellt dasselbe in unbedingter Freiheit in une n d l i c h e r G e g e n w a r t , in seiner unendlichen W e s e n h e i t sich dar, und ist, als ewig sich selber darlebend und als Grund und Ursache a l l e s L e b e n s , unbedingte, unendliche K r a f t , M a c h t und T h ä t i g k e i t . " In gleichem Sinn sagt Suabedissen: „Der Begriff des L e b e n s ist die Auffassung des W i r k l i c h e n in seiner von ihm s e l b e r ausgehenden T h ä t i g keit. Denn das L e b e n ist das W i r k l i c h e als das sich s e l b s t B e t h ä t i g e n d e und von sich a u s sich s e l b e r Verw i r k l i c h e n d e . Als Wesen gedacht, welches zugleich das

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

109

U r s e y n und das Urwirken ist, ist es das U r w i r k l i c h e , welches der G r u n d aller Dinge ist. Und nur als L e b e n gedacht, wird das U r w e s e n begriffen als der Alles durchwirkende Trieb und als die K r a f t , welche U r - S a c h e ist (von sich selbst und von allem Anderen)." — So bezeichnet auch S c h ö l l i n g das „ U n b e d i n g t e " als ein „ u n b e d i n g t e s L e b e n , das unbedingt in sich selber ist." Und weiterhin bezeichnet er dessen innere Wesenseinheit als eine „von Ewigkeit her l e b e n d i g e E i n h e i t , eine w i r k l i c h (und wesenhaft) b e s t e h e n d e E i n h e i t , welche gar n i c h t a n d e r s als w i r k l i c h seyn kann:" daher er diese Einheit denn auch an einem anderen Ort noch näher bestimmt als eine „ l e b e n d i g e E i n h e i t von K r ä f t e n . " — „Geht unsere Betrachtung" — sagt M o l i t o r — „von dem e n d l i c h e n Seyn und Leben aus, so werden wir auf den Gedanken (Idee) einer u n e n d l i c h e n , e w i g e n , s e l b s t s t ä n d i g e n , zugleich aber l e b e n d i g e n U r e i n h e i t geführt, in und durch welche alles mannigfaltige und besonderheitliche Leben besteht. Jene u n b e d i n g t e E i n h e i t ist aber kein bloss wesenloser Begriff (blosse abstrakte Idee), sondern sie ist eine l e b e n d i g e W i r k l i c h k e i t (Realität). Denn das w i r k l i c h L e b e n d i g e kann nur aus w i r k l i c h L e b e n d i g e m entspringen." — So sagt auch Oleen: „Ohne L e b e n gibt es k e i n Seyn. S e y n und L e b e n sind unzertrennliche Begriffe." — Ahnlich S e n g l e r : „Das u n b e d i n g t aus, durch und in sich seyende Wesen ist, als die u n b e s c h r ä n k t e , unbedingt freie W i r k s a m k e i t und W i r k l i c h k e i t , unbedingtes L e b e n . " — Desgleichen sagt K. P. F i s c h e r , dass „das U n b e d i n g t e , als U r s a c h e oder U r g r u n d seiner selbst, d. i. seines w e s e n h a f t e n B e s t a n d e s und seines L e b e n s (causa sive prineipium sui. i. e. existentiae oder vitae suae), auch erwiesen sey als das U r l e b e n d i g e . " —

110

Die innere Unselbstetändigkeit aller natürlichen Dinge.

N o . 158.

Das Unbedingte als das Allvollkommene.

Das U n e n d l i c h e als solches, sobald wir dasselbe in seiner reinen Innerlichkeit in das Auge fassen, kann nicht etwa als u n e n d l i c h sich darstellen bloss in dieser oder jener Beziehung oder bloss für diesen oder jenen Gesichtspunkt: es muss als gleich unendlich und gleich ewig in sich vollendet von uns anerkannt werden in aller und jeder Beziehung ohne Ausnahme. Wie dessen unendliche innere K r a f t f ü l l e und deren unmittelbare, ebenso unendliche K r a f t w i r k s a m k e i t weder die geringste K r a f t v e r m i n d e r u n g noch die geringste K r a f t s t e i g e r u n g jemals an sich erfahren können: ganz ebenso muss das gleiche Verhältniss statthaben in Bezug auf dessen gesammte innere Wesenheit. Das U n e n d l i c h e ist somit, als das in aller und jeder Hinsicht ewig in sich w e s e n h a f t V o l l e n d e t e , zugleich das von Ewigkeit her „zu s e i n e r v o l l g ü l t i g e n V o l l e n d u n g und zu seinem vollgültigen inneren A b s c h l u s s G e k o m m e n e " , d. h. mit anderen Worten, das an sich Une n d l i c h e , das U n b e d i n g t e und unbedingt B e d i n g u n g s lose ist auch das A l l v o l l k o m m e n e oder die w e s e n h a f t e A l l v o l l k o m m e n h e i t selber. Aus allem Diesem geht nun aber gleichzeitig auch hervor, dass in dem Begriff des All vollk o m m e n e n ein weit bedeutungsvollerer und inhaltsreicherer, aber darum auch ein weit h ö h e r e r und u m f a n g r e i c h e r e r Seyns- und Wesensbegriff uns entgegentritt als früher in dem noch ursprünglicheren und darum auch allgemeineren und einfacheren Begriff des blossen U r n o t h w e n d i g e n , rein nur als solchem betrachtet. Aber eben weil dieser Begriff eines Urnothwendigen uns vernunftgemäss hinweisen muss auf etwas, was thatsächlich „ n i r g e n d s und n i e m a l s n i c h t seyn kann", ohne seinen eigentlichen Grundbegriff Lügen zu strafen; so werden wir dadurch nothwendig gleichzeitig zu der Erkenntniss hingeführt, dass jenes U r n o t h w e n d i g e auch thatsächlich ein

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

Hl

in sich und durch sich U n e n d l i c h e s seyn müsse. Denn das Unendliche, als das an sich wesenhaft E n d l o s e , bezeichnet begrifflich ja gerade das, was „ n i r g e n d s u n d n i e m a l s n i c h t seyn kann." Wie nun aber in.den Begriffen des Unendlichen und des E n d l o s e n , und so auch in dem Begriff des Unbedingten als eines in sich Bedingungslosen schon in sprachlicher Beziehung die thatsächliche V e r n e i n u n g aller und jeder Schranken der natürlichen Endlichkeit dieser sichtbaren Welt mit enthalten liegt: so ist es nunmehr recht eigentlich der an sich höhere und inhaltreichere Standpunkt einer in sich unbedingten A l l v o l l k o m m e n h e i t , durch welchen eine vollgültige B e j a h u n g und Anerkennung eben jenes U r n o t h w e n d i g e n als eines zugleich auch wesenhaft U r w i r k l i c h e n , selbst in sprachlicher Beziehung, unumwunden uns entgegentritt. Und somit dürfen wir denn auch, im Gegensatz zu den an sich e n d l i c h e n Raumund Zeitverhältnissen dieser Welt, die gesammte innere Wesenheit eben jenes an sich U r e i n e n , U r n o t h w e n d i g e n , U r w i r k l i c h e n und A l l v o l l k o m m e n e n nunmehr, und zwar in sprachlich ebenfalls vollgültig b e j a h e n d e r Ausdrucksweise, als ewig wesenhafte A l l g e g e n w a r t desselben bezeichnen. In Bezug auf die natürlichen Verhältnisse dieser sichtbaren Welt pflegen wir freilich ebensowohl wie von einer r ä u m l i c h e n Gegenwart, so auch von einer z e i t l i c h e n Gegenwart zu sprechen, indem wir sachgemäss den Begriff der G e g e n w a r t für b e i d e Verhältnisse gleichmässig zu gebrauchen gewohnt sind. Dagegen pflegen wir in Bezug auf das Gebiet des U b e r w e l t l i c h e n , des U n e n d l i c h e n und des U b e r s i n n l i c h e n bekanntlich den Begriff der A l l g e g e n w a r t im Allgemeinen nur in einer unseren diesseitigen R a u m v e r h ä l t n i s s e n verwandten Bedeutung aufzufassen, für die unseren diesseitigen z e i t l i c h e n Verhältnissen entsprechende Bedeutung dagegen uns ausschliesslich den Begriff der E w i g k e i t vorzubehalten, unbeschadet jedoch, dass wir unter Umständen wohl auch von einer „ e w i g e n A l l g e g e n w a r t " sprechen, wogegen wir uns der Ausdrucksweise einer

112

Die innere Unselbstatändigkeit aller natürlichen Dinge.

„allgegenwärtigen Ewigkeit" wohl nur in besonderen Ausnahmsfällen bedienen. Fassen wir nunmehr den Begriff der All Vollkommenheit noch etwas näher in das Auge, so kann uns nicht entgehen, dass derselbe von Ewigkeit her alles dasjenige mit Notwendigkeit in unbegränzter Weise in sich einschliessen muss, was Vernunft gemäss von uns nur irgendwie als einer unbedingten und unendlichen Allvollkommenheit zukommend kann gedacht werden. Und eben darin müssen wir denn auch den tieferen Grund dafür erblicken, dass ein jeder Gedanke auch selbst nur an die Möglichkeit irgend einer ü b e r den von Ewigkeit her verwirklichten Gesammtbegriff eines unendlich A l l v o l l k o m m e n e n etwa noch h i n a u s g e h e n d e n weiteren V e r v o l l k o m m n u n g von vornherein als ein völlig verfehlter muss betrachtet werden. Ganz im Einklang hiermit steht aber zugleich der Umstand, dass in Bezug auf den Begriff des an sich Allvollk o m m e n e n an eine V i e l h e i t oder M e h r z a h l von einzelnen Vollkommenheiten ebenfalls in keiner Weise kann gedacht werden. Denn wenn wir auch in unserem Denken und Vorstellen eine jede besondere Vollkommenheit, welche wir als solche zu denken vermögen, zum Zweck unserer geistigen Unterscheidung von allen übrigen denkbar möglichen Vollkommenheiten, auch mit einem besonderen N a m e n bezeichnen: so bilden doch alle diese von uns durch besondere Namen unterschiedenen einzelnen Vollkommenheiten, innerhalb jenes, in sich vollkommen einheitlichen A l l v o l l k o m m e n e n , allewege nur eine e i n z i g e in sich w e s e n h a f t e A l l v o l l k o m m e n h e i t . Oder mit anderen Worten: ebenso wie es nur ein e i n z i g e s a l l v o l l k o m m e n e s W e s e n geben kann, so kann es auch nur eine e i n z i g e w e s e n h a f t e A l l v o l l k o m m e n h e i t geben. An irgend welche wirkliche V i e l h e i t von Einzelvollkommenheiten, aus denen das an sich Allvollkommene etwa könnte g e b i l d e t oder z u s a m m e n g e s e t z t seyn, ist daher ebenfalls in keiner Weise zu denken, wenn nicht durch solche Annahme der ganze Be-

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

113

griff eines an sich Allvollkommenen geradezu v e r n i c h t e t und a u f g e h o b e n werden soll. Das an und in sich wirklich und wesenhafte A l l v o l l k o m m e n e kennt daher an sich auch nur eine e i n z i g e Z a h l , und diese ist die demselben begrifflich wie wesenhaft nur allein mögliche Zahl „ E i n s " . Und eben desshalb muss denn auch von dem thatsächlich Allvollkommenen selbst eine jede Vorstellung einer etwaigen u n e n d l i c h e n Z a h l von inneren Wesensbeziehungen und Wesensvollkommenheiten unbedingt ferne gehalten werden. Nach T I E D E M A N N muss unter den alten griechischen Weltweisen Parmenides als derjenige bezeichnet werden, bei welchem, wenn auch vorerst mehr noch als dunkele Ahnung, der Begriff eines a l l e r w i r k l i c h s t e n und v o l l k o m m e n s t e n W e s e n s zum Erstenmal hervortritt. Auch durch B R A N D I S findet dies Urtheil von T I E D E M A N N seine Bestätigung, insofern B B A N D I S ausdrücklich hervorhebt, dass das wahrhaft Seyen de nach P A B M E N I D E S nicht nur allem W e r d e n , allem E n t s t e h e n und V e r g e h e n völlig e n t r ü c k t sey, sondern dass dasselbe auch alles Mehr- oder S c h l e c h t e r s e y n völlig von sich a u s schliesse. Denn als an sich ohne allen Mangel dürfe es auch n i c h t als in sich u n v o l l e n d e t betrachtet werden. — Bestimmter und deutlicher scheint der Begriff eines e r h a b e n sten und vollkommenen W e s e n s — wie T I E D E M A N N sagt — bei Sokrates hervorgetreten zu seyn. Den Standpunkt, welchen derselbe in Bezug auf seine Lehre und gesammte Weltanschauung einnahm, erläutert und begründet F B A N Z H O F F M A N N in eingehender Weise dahin, dass namentlich der Begriff des G u t e n es gewesen, durch welchen SOKEATES sich hat leiten lassen. Doch blieb er dabei — wie H O F F M A N N solches noch besonders hervorhebt — nicht bloss bei dem blossen wesenlosen B e g r i f f stehen, als einer an sich leeren Vorstellung unserer menschlichen Einbildungskraft, sondern dieser Begriff des Guten war für S O K B A T E S vielmehr gleichzeitig verbunden mit der geistigen Anschauung und Anerkennung eines in sich Wandersmann. IV.

8

114

D i e innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

l e b e n d i g e n und w e s e n h a f t e n U r g u t e n , welches in seiner weiteren Ausführung denn auch die geistige Grundlage für seine gesammte Weltanschauung gebildet hat. Die Bezeichnung eben dieses Urguten als eines zugleich „allvollkommenen Wesens" scheint SOKBATES selbst freilich noch nicht gebraucht zu haben; doch ist er jedenfalls, und zwar eben durch den Begriff eines an und in sich G u t e n , bereits so nahe an denselben herangetreten, als dasselbe, ohne das Wort selbst noch ausgesprochen zu haben, überhaupt möglich seyn dürfte. — Erst bei SOKBATES' Schüler P l a t o finden wir jenes ewig lebendige und wesenhafte G u t e , welches seinem Lehrer im Geiste vorgeschwebt, noch genauer bestimmt durch die ausdrückliche Beilegung auch des Begriffes wirklicher und wesenhafter Vollk o m m e n h e i t , indem P L A T O dasselbe im „Staat" als „in j e d e r H i n s i c h t v o l l k o m m e n " bezeichnet, da man „ n i c h t von ihm sagen könne, dass es an irgend einer Tugend (oder besonderen Vollkommenheit) Mangel leide." — Aristoteles sagt im „Himmelsgebäude", dass „es a u s s e r h a l b des Weltgebäudes (also im Gebiet des Ausser- und Uberweltlichen) weder einen Ort, noch eine Zeit, noch ein Leeres gebe: daher bewirke auch keine Zeit, dass es altere." Und diesem gemäss bezeichnet ABISTOTELES eben jenes ausser- und überweltlicb Seyende als das „ E r s t e und H ö c h s t e ; " denn „es gebe ihm gegenüber w e d e r ein M ä c h t i g e r e s , noch enthalte es etwas S c h l e c h t e s in sich, noch habe es einen Mangel an irgend einem ihm eigenen Vorzug." Bedient sich gleichwohl auch ABISTOTELES hier keineswegs zur näheren Bezeichnung dieses „Ersten und Höchsten" des Ausdruckes eines Allvollkommenen, so legt doch seine ganze Darstellungsweise Zeugniss dafür ab, dass wirklich die Vorstellung eines wesenhaft A l l v o l l k o m m e n e n es ist, welche er dabei im Auge hatte. Zudem erwähnt BRANDIS auch einer verlorenen Schrift des ABISTOTELES „über das Gute", in welcher derselbe sage: „Da in der Welt der Dinge eine „ S t u f e n r e i h e der V o l l k o m m e n h e i t e n sich findet,

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

115

so müsse, als A b s c h l u s s dieser Reihe, ein B e s t e s vorausgesetzt werden", welches „Beste" BRANDIS denn auch (in Klammern) geradezu in ein „schlechthin V o l l k o m m e n e s " übersetzt. — Ganz in diesem Sinn bezeichnet, nach GFRÖRER, denn auch Philo das u n b e d i n g t e W e s e n als „das G u t e an sich" und demgemäss auch als das „ a l l e r v o l l k o m m e n s t e W e s e n . " — Und ebenso versteht — nach TIEDEMANN — auch P l o t i n , in Ubereinstimmung mit P L A T O , das E w i g e und U n v e r ä n d e r liche als den Inbegriff wie aller W i r k l i c h k e i t so auch aller V o l l k o m m e n h e i t , d. h. als das Wesen, welches zu seinem Wirklichseyn keines Anderen bedarf. — Ausführlicher spricht — nach TIEDEMANN — B o e t h i l l S über diesen Gegenstand sich aus. „Wofern es u n v o l l k o m m e n e und n i c h t im Besitz alles Guten befindliche Wesen gibt: so muss auch ein d u r c h a u s v o l l k o m m e n e s und in keiner Weise Mangel habendes Wesen v o r h a n d e n seyn. Alles Unvollkommene aber ist durch V e r r i n g e r u n g des Vollkommenen unvollkommen. Wäre also das Vollkommene n i c h t : so könnte auch das Unvollkommene n i c h t seyn. Und ü b e r diesem d u r c h a u s v o l l k o m m e n e n Wesen kann kein noch V o l l k o m m e n e r e s gedacht werden. — Den Gedankengang A n s e l m ' s v o n C a n t e r b l i r y fasst HASSE wie folgt zusammen: „Wir müssen eine E i n h e i t voraussetzen, um uns die V i e l h e i t (der Dinge dieser Welt) zu erklären. Denn daran zunächst muss das Denken sich stossen, dass der gegebenen Güter (oder Dinge) u. s. w. viele sind. Hierin liegt nehmlich, dass das eine Gut n i c h t (zugleich auch) das a n d e r e , sondern dass jedes ein e i n z e l n e s (und besonderes) ist. Nichts destoweniger beziehen wir die Einzelnen auf einander, vergleichen sie u. s. w. Dies aber ist rein u n m ö g l i c h , ohne dass wir eine E i n h e i t setzen, nehmlich die Einheit: Gut. Diese Einheit kann aber kein bloss wesenloser Begriff (kein Abstractum) seyn. Denn denken wir dieselbe hinweg, so müssen wir sofort auch die e i n z e l n e n Güter, als Güter wenigstens, ebenfalls h i n w e g d e n k e n . Folglich muss es, so gut wie die einzelnen 8*

116

D i e innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

Güter, auch diese E i n h e i t geben, d. h. mit anderen Worten: es muss E i n Gut geben, welches (schlechthin) d a s G u t ist. Dies

» d a s Gut« aber besagt soviel als das

Gut.

Alle e i n z e l n e n Güter sind nur beziehungsweise, d. h.

nur unvollkommene Güter.

vollkommene

Jenes E i n e G u t dagegen, welches

d a s Gut ist, muss, als E i n h e i t , alles dasjenige Gute in sich beschliessen, was in den einzelnen Gütern zerstreut oder vertheilt ist.

E s muss, jenen gegenüber, das Volle,

Gediegene,

das Ganze (oder das in sich Fertige) seyn, d. i. d a s kommene

Gut.

Als dies Eine vollkommene

voll-

Gut muss

es

aber auch das U r g u t seyn, d. h, dasjenige, was an u n d f ü r s i c h oder d u r c h s i c h s e l b s t G u t ist, während alle anderen Güter dies erst durch dasselbe sind.

Und so muss dies selber,

als das die bedingten Güter Bedingende, das u n b e d i n g t e G u t seyn." — Und in ähnlicher Weise wie ANSELM geht — LIEBNEB

nach

— auch H u g o v o n St. V i c t o r in seinem Gedanken-

gang von dem Grundsatz der „ h ö c h s t e n u n b e d i n g t e n

Voll-

k o m m e n h e i t " als des Einen höchsten Gutes aus. — So auch T h o m a s von Aquino.

Das minder Vollkommene entspringt

nach ihm aus dem Vollkommenen; daher muss es zuletzt ein Allervollkommenstes Allem.

geben, welches die Ursache ist von

Dies allervollkommenste Seyn und Wesen aber ist kein

Anderes als das u n b e d i n g t e Seyn, das u n b e d i n g t e G u t e . — „Was

den G r u n d

Kraft

und den U r s p r u n g seines Seyns in sich

sagt Descartes —

selber trägt" —

„und was demzufolge die

und die M a c h t (la vertu) zu s e y n und zu b e s t e h e n

durch s i c h s e l b s t besitzt: dies muss ohne Zweifel auch die Macht

haben,

heiten

zu

gemäss

auch

thatsächlich

besitzen, zu

welche

dessen

jenigen Vollkommenheiten,

alle

diejenigen

Vollkommen-

zu dessen B e g r i f f

Wesen)

gehören,

(und

d. h.

dem-

alle

von denen ich begreife,

die-

dass sie

einem durch seine eigene Kraft und Macht bestehenden Wesen mit in

begrifflicher

Nothwendigkeit

zukommen

gleichem Sinn sagt DESCABTE? weiterhin:

müssen." „Wenn

Und wir in

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

H7

unserem Denken die verschiedenen Begriffe, welche wir in uns vorfinden, an unserem Geist vorübergehen lassen, und wir finden unter denselben denjenigen eines alles v e r m ö g e n d e n , und also auch in jeder Hinsicht v o l l k o m m e n e n W e s e n s , so urtheilt unsere Vernunft leicht, dass ein solches allvollk o m m e n e s W e s e n auch in Wirklichkeit ist und b e s t e h t . Denn wenn sie auch deutliche Vorstellungen oder Begriffe (des idées) von mannigfachen anderen Dingen hat, so findet sie unter diesen Letzteren doch n i c h t s , was uns zugleich auch eine Gew i s s h e i t gibt in Bezug auf das wirkliche und thatsächliche V o r h a n d e n s e y n (existence) ihres Gegenstandes; wogegen meine Vernunft in jenem an sich a l l v o l l k o m m e n e n Wesen nicht allein eine thatsächliche M ö g l i c h k e i t seiner unbedingten Wirklichkeit erblickt, sondern gleichzeitig damit auch eine unbedingte und ewige N o t h w e n d i g k e i t seines wirklichen Bes t e h e n s . Wie meine Vernunft es aber anerkennen muss, dass in dem Begriff eines D r e i e c k e s es nothwendig mit eingeschlossen liegt, dass dessen d r e i W i n k e l allewege gleich zwei R e c h t e n seyn müssen, und wie meine Vernunft in Folge dessen auch unbedingt davon ü b e r z e u g t ist, dass dem D r e i e c k auch w i r k l i c h drei Winkel zukommen, welche thatsächlich gleich zwei R e c h t e n sind: ganz ebenso m u s s meine Vernunft daraus, dass ein an sich n o t h w e n d i g e s und ewiges Seyn und Bes t e h e n bereits in dem B e g r i f f mit e i n g e s c h l o s s e n liegt, welchen sie von einem a l l v o l l k o m m e n e n Wesen thatsächlich in sich v o r f i n d e t , auch den weiteren (vernunftnothwendigen) S c h l u s s ziehen, dass e b e n d i e s e s a l l v o l l k o m m e n e W e s e n auch in Wirklichkeit b e s t e h t . " Unsere Vernunft — fügt DESCARTES ausserdem noch hinzu — wird sich noch um so leichter von der (Richtigkeit und) Wahrheit dieser S c h l u s s f o l g e r u n g überzeugen können, wenn sie im Auge behält, dass sie in sich durchaus keinen B e g r i f f noch irgendwelche Vorstellung (idée ou notion) von irgend etwas A n d e r e m vorfindet, aus welchen sie auf ein u n b e d i n g t n o t h w e n d i g e s Seyn desselben schliessen

118

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

könnte.

Denn nur allein in Folge hiervon kann sie wissen, dass

der B e g r i f f e i n e s a l l v o l l k o m m e n e n W e s e n s , welchen sie in sich trägt, auf keiner blossen T ä u s c h u n g von unserer Seite beruht, stellung (chimère);

wie jede

oder E i n b i l d u n g

andere blosse

Wahnvor-

sondern dass ein solcher Begriff (eines an

sich vollkommenen Seyns) uns nur allein eingeprägt seyn kann durch

ein

unveräusserliches

und

thatsächliches

Seyn

(une nature immuable et vraie), welches n o t h w e n d i g bestehen m u s s , weil es von uns überhaupt gar nicht anders begriffen werden k a n n , als nur allein mit E i n s c h l u s s einer demselben mit u n b e d i n g t e r N o t h w e n d i g k e i t zukommenden l i c h e n und w e s e n h a f t e n W i r k l i c h k e i t nécessaire)." — folgendermassen

Spinoza aus:

thatsäch-

(avec une existence

spricht über diese Gegenstände sich

„Je

vollkommener

ein

Ding

seiner

Natur nach ist, um so grösseres noth wendiges Seyn (Existenz) schliesst es in sich ein; und umgekehrt: diges Seyn

es seiner Natur

v o l l k o m m e n e r ist es. wendige

Seyn

nach in

j e mehr

notwen-

sich schliesst,

um so

Hieraus folgt, dass das, was das

in sich schliesst, das h ö c h s t

not-

vollkommene

W e s e n ist. A l l e Vollkommenheit aber, die sich in diesem höchst vollkommenen Wesen findet, ist v o n i h m s e l b s t .

Denn seine

Machtvollkommenheit

Wesenheit

unterschieden werden.

kann n i c h t von seiner

E s gibt aber nur E i n W e s e n , das aus

seiner M a c h t v o l l k o m m e n h e i t oder aus seiner e i g e n e n K r a f t besteht; was ich nicht nur bejahe, sondern auch zu beweisen auf mich nehme, und zwar daraus, dass seine Natur ein

not-

w e n d i g e s S e y n in sich schliesst.

not-

wendiges

Seyn

einschliesst,

Alles aber, was ein

kann k e i n e Un Vollkommenheit

an sich haben, sondern es muss eine r e i n e V o l l k o m m e n h e i t ausdrücken.

Weil es aber nur aus der Vollkommenheit kommen

kann, dass ein Wesen aus seiner K r a f t und Machtvollkommenheit i s t (existirt): so folgt hieraus — nur e i n Wesen,

das n i c h t

vorausgesetzt, dass auch

a l l e Vollkommenheit

ausdrückt,

dennoch seiner Natur nach wirklich besteht (existirt) — ,

dass

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

119

wir auch d a s j e n i g e Wesen als w i r k l i c h b e s t e h e n d annehmen m ü s s e n , das a l l e V o l l k o m m e n h e i t e n in sich fasst. Denn wenn ein mit g e r i n g e r e r Macht Ausgestattetes aus seiner Machtvollkommenheit wirklich b e s t e h t : um wieviel m e h r ein anderes, das mit g r ö s s e r e r (ja mit der denkbar grössten) Macht ausgestattet ist. Um also zur Sache zu kommen, so behaupte ich, dass dasjenige Wesen, welches keine Unvollkommenheit in sich enthalten darf, dagegen alle V o l l k o m m e n h e i t ausdrücken muss, nur ein E i n z i g e s Wesen seyn kann." — „Ich gestehe zu" — sagt Leibnitz — „dass wir die Vorstellung eines an V o l l k o m m e n h e i t e n wie an A u s d e h n u n g U n e n d lichen haben; denn dazu braucht man nur das U n b e d i n g t e vorzustellen, indem man alle E i n s c h r ä n k u n g bei Seite setzt. Und wir haben die Wahrnehmung dieses U n b e d i n g t e n , weil wir Theil an ihm haben, in soweit als wir Theil an dessen V o l l k o m m e n h e i t haben." Und anderweitig: „Der letzte Grund aller Dinge muss in einem in sich n o t h w e n d i g e n Wesen liegen. Wir können sodann weiter schliessen, dass eben dieses h ö c h s t e Wesen, welches einzig, a l l u m f a s s e n d (universal) und u r n o t h w e n d i g ist, das auch n i c h t s ausser sich hat, das von ihm unabhängig wäre, selber aber nichts Anderes ist als die (naturgemässe) Folge seiner eigenen (vernunftgemässen) Möglichkeit, auch k e i n e r G r ä n z e n fähig seyn darf, und dass dasselbe daher alle nur irgendwie denkbare Wirkl i c h k e i t in sich einschliessen muss. Aber eben hieraus folgt gleichzeitig, dass eben dieses in sich u r n o t h w e n d i g e Wesen zugleich auch ein u n b e d i n g t v o l l k o m m e n e s Wesen seyn muss, da die V o l l k o m m e n h e i t nichts anderes ist, als die h ö c h s t e aller thatsächlichen W i r k l i c h k e i t (la grandeur de la realité positive prise précisément) mit B e i s e i t e s e t z u n g a l l e r G r ä n z e n und S c h r a n k e n , welche den endlichen Dingen zukommen. Nur da aber, wo es durchaus k e i n e Schranken gibt, ist die V o l l k o m m e n h e i t eine u n b e d i n g t e und u n e n d liche." — So sagt auch Reimarus: Da ein jedes Ding seine

120

D i e innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

wesentliche Vollkommenheit hat, so ist offenbar, dass namentlich dem in sich s e l b s t s t ä n d i g e n , n o t h w e n d i g e n und ewigen W e s e n die a l l e r g r ö s s t e V o l l k o m m e n h e i t eigenthümlich gebühre. Wenn dasselbe k e i n e e i g e n e i n n e r e V o l l k o m m e n h e i t hätte, so könnte es w e d e r f ü r sich b e s t e h e n , noch könnte anderen Dingen irgendwelche eigene Vollkommenheit zukommen." — Kant, von der thatsächlichen Wirklichkeit alles endlichen Wesens dieser Welt ausgehend, gelangt zu folgendem Gedankengang. „Alle Möglichkeit der D i n g e wird als a b g e l e i t e t , und nur allein die Möglichkeit von dem wird als u r s p r ü n g l i c h angesehen, was zugleich auch a l l e W i r k l i c h k e i t in sich schliesst. Denn alle V e r n e i n u n g e n , welche die einzigen Aussagen (Prädicate) sind, durch welche sich alles Andere von dem w a h r h a f t w i r k l i c h e n W e s e n unterscheiden lässt, sind blosse E i n s c h r ä n k u n g e n einer grösseren und endlich der h ö c h s t e n W i r k l i c h k e i t : mithin setzen sie alle diese Letztere v o r a u s , und sind, dem Inhalte nach, von diesem a b g e l e i t e t . Alle Mannigfaltigkeit der Dinge aber ist nur eine ebenso vielfältige Art, den Begriff der h ö c h s t e n Wirklichkeit, welche deren gemeinschaftliche G r u n d - und U n t e r l a g e (deren Substrat) ist, e i n z u s c h r ä n k e n , sowie alle Figuren nur als verschiedene Arten, den Raum einzuschränken, zu betrachten sind. Daher wird auch der bloss in unserer Vernunft befindliche G e g e n s t a n d jenes Begriffes (eines höchsten Wirklichen) W e s e n a l l e r W e s e n genannt. Weil man aber n i c h t sagen kann, dass ein U r w e s e n aus vielen a b g e l e i t e t e n Wesen b e s t e h e , indem ein jedes derselben jenes Urwesen v o r a u s s e t z t , es mithin n i c h t ausmachen kann, so wird der G e g e n s t a n d (das Ideal) dieses Urwesens auch als e i n f a c h gedacht werden müssen. Die Ableitung aller a n d e r e n Möglichkeiten von diesem Urwesen wird daher, genau zu reden, auch n i c h t als eine E i n s c h r ä n k u n g seiner eigenen höchsten Wirklichkeit (Realität) und gleichsam als eine T h e i l u n g derselben angesehen werden können: vielmehr würde der M ö g l i c h k e i t aller Dinge die

Das an sich umothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

121

h ö c h s t e W i r k l i c h k e i t als ein Grund und n i c h t als I n b e g r i f f zum Grunde liegen, und die Möglichkeit aller (endlichen) Dinge würde n i c h t auf einer E i n s c h r ä n k u n g des U r w e s e n s selber beruhen. Wenn wir nun dieser unserer Vorstellung (Idee), indem wir dieselbe zu einem Gegenstand unseres Denkens machen (die Idee hypostasiren), und derselben noch weiter nachgehen: so werden wir das Urwesen durch den blossen Begriff d e r h ö c h s t e n W i r k l i c h k e i t als ein einiges, einfaches, allgenugsames und ewiges Wesen in seiner u n b e d i n g t e n Volls t ä n d i g k e i t (d. i. in seiner ganzen u n b e d i n g t e n Allvollk o m m e n h e i t ) durch alle ihm zukommenden Eigenschaften (alle Prädicamente) bestimmen können." — Und so bezeichnet auch Saint-Martin „jenen E i n e n ewigen U r g r u n d und U r s p r u n g (principe)" von Allem, was ist, als die alleinige „Quelle des L e b e n s " , welcher „ a l l e i n die wahre und wesenhafte) V o l l k o m m e n h e i t und (wahres) Leben zukommt. Denn das eigentliche und wahre Hecht, welches dieser ewigen Quelle des Lebens zukommt, nie a u f z u h ö r e n zu seyn, liegt darin begründet, dass sie selbst nie einen A n f a n g genommen hat." Und weiterhin fügt S A I N T - M A R T I N noch hinzu, dass es „ k e i n e b e s t i m m t e n Bezeichnungsweisen (dénominations positives) für jenes a l l u m f a s s e n d e Seyn u n d Wesen (cet Etre universel) gibt, welche nicht zugleich auch eine thatsächliche Eigenschaft oder V o l l k o m m e n h e i t desselben darstellten. Und wenn die M e n s c h e n " — so hebt S A I N T - M A R T I N ausdrücklich hervor — „ihm zuweilen Bezeichnungsweisen in v e r n e i n e n d e m Sinn beilegen, wie u n a b h ä n g i g , u n b e d i n g t , u n e n d l i c h u. s. w.: so wird man, wenn man deren wahre Bedeutung untersucht, bald finden, dass dieselben s ä m m t l i c h sehr b e s t i m m t e und t h a t s ä c h l i c h e E i g e n s c h a f t e n (des attributs très positifs) eben jenes Urseyns und Urwesens bezeichnen; denn dieselben dienen in der That nur dazu, um anzuzeigen, dass dasselbe f r e i ist von allen S c h r a n k e n , welchen das endliche Daseyn (la matière) unterworfen ist." — „Jede

122

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

E n t w i c k l u n g " — sagt Sintenis — „zerstört den Begriff des n o t h w e n d i g e n Wesens g a n z u n d g a r . Denn entwickelt es sich selber zu allem Möglichen ins Unendliche, so ist es der V e r ä n d e r u n g fähig und muss also schlechterdings unter der Bedingung der Z e i t gedacht werden. Es kann aber auch das n o t h w e n d i g e und a l l e r v o l l k o m m e n s t e W e s e n an und für sich schon mit e i n g e s c h r ä n k t e n und z u f ä l l i g e n Wesen als E i n und d a s s e l b e schlechterdings gar n i c h t gedacht werden, weil es sonst auch mit diesen den Gesetzen des B e d i n g t e n und A b h ä n g i g e n unterworfen, also auch selber bed i n g t und a b h ä n g i g seyn müsste. Soll es wirklich s e y n , was es seyn soll, und wofür man es ausgibt, so muss es von allen eingeschränkten und bloss zufälligen Wesen schon an u n d f ü r sich wirklich v e r s c h i e d e n seyn, und es ist überflüssig, wenn diese Verschiedenheit unter dessen Merkmalen als ein b e s o n d e r e s angeführt wird. Dieselbe ist vielmehr nur eine Folge und Wirkung seiner A l l v o l l k o m m e n h e i t und Nothwendigkeit. Dieser Begriff ist schon deswegen der r i c h t i g e r e , weil er das a l l e r v o l l k o m m e n s t e und n o t w e n d i g s t e Wesen a u s d r ü c k l i c h von d e r W e l t u n t e r s c h e i d e t , und also die Vernunft sich nicht selber widersprechen lässt." — Krause drückt über die gleichen Verhältnisse sich folgendemassen aus: „ W e s e n ist W e s e n h e i t . Was ist aber die W e s e n h e i t des W e s e n s ? Antwort: W e s e n s e i n h e i t . Dieser Gedanke kann jedoch ebensowenig bestimmt erklärt werden, als der Gedanke »Wesenheit« selber. Doch können wir sagen: »Einheit« ist d a s , was die »Wesenheit des Wesens« ist. Hieraus ergibt sich: 1) die Wesenheit des Wesens ist (innere) E i n h e i t , und 2) die u n b e d i n g t e und a l l v o l l k o m m e n e U r w e s e n h e i t ist E i n e , oder das E i n e , die (unendliche und allvollkommene) M o n a s . Es ist hier jedoch n i c h t die Rede von der E i n h e i t d e r Z a h l (unitas numerica), sondern von der E i n h e i t der W e s e n h e i t (unitas essentiae). An dieser W e s e n h e i t des W e s e n s als Einheit sind aber iugleich weiter noch

D a s an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

123

zu unterscheiden die S e l b h e i t und die G a n z h e i t (d. h. mit anderen Worten, die innere S e l b s t s t ä n d i g k e i t und die innere A l l v o l l e n d e t h e i t oder A l l v o l l k o m m e n h e i t ) " , für welche Begriffe KBAUSE auch die Bezeichnung gebraucht als „Selbwesen" und als „Ganzwesen". Übrigens bezeichnet KBAUSE auch selber dieses Eine und in sich nothwendige Urwesen noch ausdrücklich als „ u n e n d l i c h und u n b e d i n g t v o l l k o m m e n " , d. h.: „es h a t u n e n d l i c h e V o l l k o m m e n h e i t , oder es i s t u n b e d i n g t und u n e n d l i c h . „Erheben wir das Auge" — sagt O e r s t e d — „zu dem A l l v o l l k o m m e n e n , um so tief, als wir dies nach den Gränzen unserer Kräfte vermögen, in sein W e s e n hineinzuschauen, so stellen sich uns darin drei Grundeigenschaften dar. Seine S e l b s t s t ä n d i g k e i t , die wesentliche Weise, wie es a u s s i c h s e l b s t entspringt und auf sich selbst beruht, muss als die unbegreifliche Grundlage das Erste seyn. Unabtrennbar hiervon ist dessen W i r k s a m k e i t , welche wir mit einem anderen Ausdruck auch sein L e b e n nennen können. Aus b e i d e n endlich entspringt die innere U b e r e i n s t i m m u n g (Harmonie) des g a n z e n W e s e n s , welche nicht bloss eine Eigenschaft ist, sondern ein l e b e n d i g e s , w i r k e n d e s S e y n . " — „Nur ein Wesen, das s i c h s e l b e r w i r k t " — sagt M o l i t o r — „ist ein w i r k l i c h e s W e s e n . Denn vernichten wir in Gedanken alles durch Beschränkung bedingte Daseyn, so bleibt uns, wenn wir auch das gesammte endliche Daseyn hinwegdenken, E i n e s übrig, dessen wir uns durchaus n i c h t zu entschlagen vermögen, und zu dessen Annahme sich unsere Vernunft unbedingt g e n ö t h i g t fühlt. Dieses ist das s c h l e c h t h i n V o l l k o m m e n e , welches allein nur d u r c h u n d f ü r s i c h s e l b e r in seiner e i g e n e n i n n e r e n N o t h w e n d i g k e i t besteht." — „ D a s reine S e y n " — sagt S e n g l e r — „ist das eigentliche, u n b e s c h r ä n k t e , v o l l k o m m e n e Seyn, während alles Übrige nur ein bezügliches, beschränktes Seyn hat." Und in demselben Sinn bezeichnet er auch anderweitig „das u n b e d i n g t e Wesen" als den u n g e t e i l t e n Inbegriff a l l e r V o l l k o m m e n h e i t "

124

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

und eben damit zugleich auch als den G r u n d aller Vollkommenheit a u s s e r ihm", unterdess es selber „in keiner Weise seinem Seyn nach b e s c h r ä n k t und a b h ä n g i g ist." „Als v o l l k o m m e n s t e s Wesen ist dasselbe somit keineswegs ein Unbestimmtes, sondern das (durch seine Vollkommenheiten) A l l e r b e s t i m m t e s t e . " Und wie es „unbedingtes Seyn ist: so ist es auch unbedingtes L e b e n . " Denn nur allein dadurch, dass es thatsächlich in sich selber Seyn und Leben ist, vermag es auch als „der Grund aller möglichen Vollkommenheiten" zu gelten, weil dieser eben „nur möglich ist in der wirklichen, unbedingten Vollkommenheit." „ N i c h t das Allvollkommene nimmt Theil an den anderen (bedingten) Vollkommenheiten, sondern Alles ausser ihm nimmt nur Theil an dessen e i g e n e r V o l l k o m m e n h e i t . Aber eben deshalb ist es auch j e d e Vollk o m m e n h e i t in u n b e d i n g t v o l l k o m m e n e r Weise (Form), oder (mit anderen Worten) j e d e derselben ist in ihm u n b e d i n g t wirklich. Seine Vollkommenheiten sind u n e n d l i c h und jede ist (begrifflich) von der anderen u n t e r s c h i e d e n , d. h.: die U r v o l l k o m m e n h e i t stellt sich in den m a n n i g f a c h s t e n Weisen (Formen) dar, aber jede ist nur in vollk o m m e n u n b e d i n g t e r Weise wirklich." Oder mit anderen Worten: jede einzelne Vollkommenheit, die wir im Allvollkommenen in unserer geistigen Anschauung, als eine besondere, in unserem Denken u n t e r s c h e i d e n , ist doch nur w i r k l i c h in ihrer u n a b t r e n n b a r e n , weil u n b e d i n g t e n E i n h e i t , auch m i t allen den ü b r i g e n V o l l k o m m e n h e i t e n , welche wir überhaupt in unserer geistigen Anschauung in dem Einen Allvollkommenen jemals im Einzelnen zu unterscheiden im Stande seyn mögen. Und somit bezeichnet SENGLER jenes unbedingtall vollkommene Seyn und Wesen zugleich auch als die wahre und „allein wirkliche und herrschende E i n h e i t . " Selbst „zwei Unbedingte sind u n m ö g l i c h . " — Und ebenso bezeichnet auch K. Fischer „das U n b e d i n g t e " als „schlechthinnige Vollk o m m e n h e i t . " — Im Anschluss an die BAADEN'sche Welt-

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

125

anschauung sagt Franz Hoffmann: „Die Vernunft befriedigt sich keineswegs mit dem allgemeinen und unb etimmten (vagen) Zugeständniss, dass es E t w a s geben müsse, was nicht von einem Anderen sey; sondern die Vernunft kann nur einem solchen Wesen die U r s a c h l o s i g k e i t zuschreiben, welches sich zu seinem Daseyn s e l b s t genug, und eben von keinem anderen Seyn b e s c h r ä n k t ist, welches folglich das ganze Bereich (die Sphäre) des unbedingten Seyns selber e r f ü l l t und somit u n b e d i n g t u n e n d l i c h , s c h r a n k e n l o s und von unermesslicher F ü l l e , desshalb auch nur E i n e s und einzig ist, sowie es vermöge der A l l v o l l k o m m e n h e i t seines Seyns zugleich Ursache von beschränkten, bedingten, endlichen Wesen seyn kann. Dagegen kann die Vernunft n i c h t einräumen, dass es auch nur zwei ursachlose Wesen geben könne; sie kann n i c h t einräumen, dass b e s c h r ä n k t e Wesen, wie die A t o m e , ursachelose, unentstandene und unbedingte Wesen seyn können, welche a n f a n g s l o s bestehen und in ihrer Gesammtheit der Zahl nach unendlich seyn könnten." — Die Kluft, durch welche die beiden Seynsgebiete des Unendlichen, Unbedingten und Allvollkommenen einerseits, und des Endlichen, Bedingten, und darum auch nur bedingungsweise Vollkommenen anderseits, sowohl begrifflich wie auch ihrer eigenen Natur nach, von einander v e r s c h i e d e n sind, kann wohl kaum klarer und eindringlicher dargelegt werden, als dieses im Obigen der Fall ist. Auch bei Wessenberg begegnen wir derselben Grundanschauung wie bei F B . H O F F M A N N , nur mit dem Unterschied, dass, während Letzterer von den einzelnen stofflich-körperlichen Grundlagen dieser Welt, den sogenannten Atomen ausgeht, WESSENBERG die Welt als Ganzes, als Grundlage für seine weiteren Schlussfolgerungen nimmt. Indem derselbe aus der nothwendigen Endlichkeit des gemeinsamen Weltganzen ebenfalls auf die unausweichliche Notwendigkeit eines an sich une n d l i c h e n Urwesens schliesst, und dies Letztere dann auch weiterhin als „ u n e n d l i c h - v o l l k o m m e n e s Wesen" bezeichnet,

126

D i e innere Unselbstständigkcit aller natürlichen Dinge.

sagt er: „Fragen wir uns, wie die Vorstellung eines unendlichvollkommenen Wesens in dem Menschen entstanden sey, so ist es klar, dass n i c h t s Endliches, und auch die Gesammtheit a l l e r endlichen Dinge, für sich allein sie in uns hat hervorbringen können. Nur von dem u n e n d l i c h vollkomm e n e n W e s e n s e l b e r können wir dieselbe erhalten haben. Nun kann aber nur E i n E i n z i g e s unendlich vollkommenes Wesen Urheber alles Endlichen seyn. Denn wollte man sich ihrer auch nur zwei denken: so würden zwei Fälle möglich seyn. E n t w e d e r : die Vollkommenheiten des einen würden mit denen des anderen in E i n s zusammenfallen, und es wären mithin die zwei doch nur E i n e s ; oder das eine würde das andere b e g r ä n z e n , wo dann k e i n e s von beiden weder unendlich noch vollkommen wäre. O d e r aber: das eine Wesen müsste der G r u n d des a n d e r e n seyn, während doch das une n d l i c h - v o l l k o m m e n e Wesen seinen Grund n u r in sich s e l b e r haben kann. Ausserhalb des Weltalls ist daher nichts als dieses u n e n d l i c h e W e s e n . " — „Das E n d l i c h e " — sagt Hettinger — „ist der Urgrund, die Quelle und der Vollbesitz alles Seyns, d. i. das h ö c h s t e Seyn, die r e i n s t e T h ä t i g k e i t : es ist die F ü l l e a l l e r V o l l k o m m e n h e i t ohne j e g l i c h e U n v o l l k o m m e n h e i t , was jedoch das Daseyn auch eines endlichen Seyns neben sich (oder vielmehr i n n e r h a l b seiner selbst) nicht ausschliesst, indem es nicht durch dasselbe begränzt wird", sondern dasselbe im Gegentheil „mit seinem Wesen und mit seiner Macht d u r c h d r i n g t . " — Und so sagt auch von v. Brucken in Bezug auf eben dieses an sich unendliche U r s e y n und U r w e s e n , dass es, „als allein durch sich selbst, nichts in seinem Wesen enthalten kann, was zu irgend einer Zeit n i c h t v o l l k o m m e n w i r k l i c h wäre. Es würde sonst, wenn auch durch sich selbst, ein W e r d e n in sich haben, und würde also anfangs n i c h t so v o l l k o m m e n seyn als zu einer s p ä t e r e n Zeit. Und in eben dieser Hinsicht muss jenes ewig in sich selbst begründete Urseyn und Urwesen

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

127

die a l l e r r e i c h s t e und v o l l k o m m e n s t e i n n e r e W e s e n h e i t (Natur) haben; denn sein Wesen selbst ist das reichste und vollkommenste. Diese innere W e s e n h e i t des allvollkommensten Wesens besteht demnach in einem widerspruchslosen (harmonischen) Nebeneinanderseyn (oder vielmehr in einem gemeinsamen widerspruchslosen Z u s a m m e n - und I n e i n a n d e r w i r k e n ) aller möglichen V o l l k o m m e n h e i t e n , in der engsten und reichsten Vermittelüng aller untereinander, zu E i n e r grossen und u n b e d i n g t e n V o l l k o m m e n h e i t eben jenes E i n e n unendlichen U r w e s e n s . Und weil dies Wesen selbst kein Werden, sondern ein ewig v o l l e n d e t e s Seyn hat: so hat auch sein besonderer Inhalt kein W e r d e n in der Zeit, und auch k e i n e in die Zeit fallende Nachfolge n a c h dem Wesen. Es muss schon vor aller Zeit in seiner Allvollkommenheit ewig sich s e l b e r g e g e n w ä r t i g seyn. Und so muss denn auch jenes ewige Wesen vor aller Zeit, s e i n e m g e s a m m t e n I n h a l t nach, ebenso (vollständig entwickelt und in sich selber vollendet von Ewigkeit her) a u s e i n a n d e r gelegt seyn wie das Wesen s e l b e r . " — Oder mit anderen Worten: wie eben jenes Wesen selbst, welchem dieser unendlich-allvollkommene W e s e n s i n h a l t und W e s e n s b e g r i f f , vermöge dessen ewig in sich vollendeter Selbstverwirklichung, von Ewigkeit her in seiner gesammten innerlichen W e s e n b e s c h a f f e n h e i t e i g e n t ü m lich und u n v e r ä u s s e r l i c h zukommt. Schon der Begriff einer A l l v o l l k o m m e n h e i t im Allgemeinen, sobald derselbe seinem Inhalt nach in seiner ganzen Reinheit aufgefasst wird, bringt es — wie bereits einige der eben mitgetheilten Auszüge aus früheren Schriftstellern solches darthun — mit sich, dass von eben diesem Begriff eines in und durch sich selber A l l v o l l k o m m e n e n , als einer thatsächlichen und ewig in sich vollendeten wesenhaften W i r k l i c h k e i t , die nie und nirgends jemals erst zu entstehen braucht, eine jede Vorstellung eines thatsächlichen i n n e r e n E n t w i c k l u n g s g a n g e s oder irgendwelcher zeitlich-unendlichen S e l b s t v o l l e n -

128

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

d u n g und S e l b s t v e r v o l l k o m m n u n g mit unbedingter N o t wendigkeit fern gehalten werden muss. Denn eine jede derartige Anschauung, in welcher Weise dieselbe auch vorgetragen werden mag, kann nur aus einer vollständigen V e r k e n n u n g des Gesammtbegriffes eines in, durch und aus sich selber Allv o l l k o m m e n e n hervorgehen, und kann daher nur als eine bedauerliche V e r i r r u n g unseres menschlichen Denkens sich darstellen, welche unausbleiblich nur noch immer weitergehende Irrthümer in ihrem Gefolge haben kann. Denn ebensowenig, als durch eine angeblich ins Endlose gehende Aneinanderfügung von endlichen Grössen an immer wieder endliche Grössen ein thatsächlich U n e n d l i c h e s jemals könnte erreicht werden: ganz e b e n s o w e n i g durch eine angeblich ebenfalls ins E n d l o s e gehende Entwickelung oder S e l b s t v e r v o l l k o m m n u n g jemals eine thatsächliche A l l v o l l k o m m e n h e i t . Was dort aus r ä u m l i c h e n Gründen eine natürliche U n m ö g l i c h k e i t seyn würde, das ist hier u n m ö g l i c h aus z e i t l i c h e n Gründen. Denn auch die Begriffe von R a u m und Z e i t , obgleich wir in unserem Denken genöthigt sind, dieselben von einander zu unterscheiden, sind nichtsdestoweniger, als auf Einer und derselben in sich vollkommen einheitlichen und darum in sich untheilbaren G r u n d k r a f t und deren natürlicher Wirksamkeit beruhend, der S a c h e , d. h. ihrem eigenen Wesen nach, unbedingt E i n und d a s s e l b e . Ein von allen zeitlichen Verhältnissen völlig unabhängiger R a u m würde eine ebensolche Missgeburt unseres Denkens darstellen wie eine von allen Raumverhältnissen unabhängige Zeit. Wie daher die U n e n d l i c h k e i t , als solche, nur allein von uns begriffen werden kann als eine von Ewigkeit her a l l s e i t i g in sich v o l l e n d e t e und demgemäss als eine an sich, d. h. ihrem Wesen nach, allewege völlig unentwickelbare: so muss aus denselben Gründen auch das g l e i c h e Verhältniss statthaben in Bezug auf den Begriff und das Wesen der A l l v o l l k o m m e n h e i t , als die begrifflich natürlichen G e g e n p o l e der wesenhaften U n e n d l i c h k e i t . Es muss dies

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

129

als eine Sache innerer Nothwendigkeit von uns aufgefasst werden, wenn beide, U n e n d l i c h k e i t und A l l v o l l k o m m e n h e i t , für uns in Wirklichkeit und Wahrheit dasjenige seyn und bedeuten sollen, was sie ihren eigenen Grundbegriffen nach seyn müssen. Ihre begriffliche E i n h e i t oder ihre natürliche wechselseitige Yermittelung dagegen finden beide Begriffe in ihrer beiderseitigen, d. h. beiden gemeinsam zukommenden U n b e d i n g t heit. So wenig das an sich U n e n d l i c h e jemals kann erreicht werden auf dem Wege endloser Reihen von natürlichen Raumgrössen, so wenig das U n b e d i n g t e durch ähnliche Reihen von lauter unbedingten B e d i n g t h e i t e n : ebensowenig vermag dies auch das wahrhaft in sich A l l v o l l k o m m e n e auf dem Wege angeblich anfangs- und endloser S e l b s t e n t w i c k e l u n g , S e l b s t v o l l e n d u n g und S e l b s t v e r v o l l k o m m n u n g . Denn so sehr auch ein derartiger endloser Verlauf der Sache stets auf dem Wege nach immer grösserer Vollendung seyn würde, so würde er doch immerhin nur u n t e r w e g s seyn, und das vorgesteckte Ziel h ö c h s t e r Vollendung und h ö c h s t e r Vollkommenheit würde nur in immer weitere F e r n e gerückt, aber in Wirklichkeit n i e m a l s erreicht werden. Dass aber eine solche immerdar nur u n t e r w e g s sich befindliche Allvollkommenheit ihrem wahren und eigentlichen Grundbegriff in keiner Weise entsprechen kann: dies darf wohl ohne Bedenken zu den sich von s e l b s t v e r s t e h e n d e n Wahrheiten gerechnet werden. Wollen wir demnach der Wahrheit die Ehre geben, so müssen wir sagen, dass eine jede sogenannte ewige V o l l e n d u n g , sobald sie auf dem Wege einer derartigen ewigen Entwickelung soll erreicht werden, ein ebensolcher sich selbst widersprechender und darum todtgeborener Begriff ist, wie derjenige einer u n e n d l i c h e n , d. h. ewigen Zeit. Wenn nichts destoweniger der menschliche Geist unter Umständen sich genöthigt sieht, derartige Ausdrucksweisen auch auf das an sich U n e n d l i c h e , U n b e d i n g t e und A l l v o l l k o m m e n e ausnahmsweise zu übertragen: so ist dies allein der Unzulänglichkeit unserer, zu einer Wandersmann. IV.

9

130

Di® innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

völlig entsprechenden Darstellung eben jener Verhältnisse unzureichenden sprachlichen Ausdrucksweise zuzuschreiben, n i c h t aber der Sache selbst, um die es sich dabei handelt. Und wenn wir daher gelegentlich dem Ausspruch begegnen, dass das, „was v o l l e n d e t ist, n i c h t ewig seyn könne": so hat dies zwar in gewissem Sinn eine Berechtigung in Bezug auf die Verhältnisse dieser endlichen Welt, k e i n e s w e g s aber, wenn hieran die weitere Schlussfolgerung geknüpft wird, dass in Folge dessen nun u m g e k e h r t auch das an sich E w i g e , U n e n d l i c h e und also A l l v o l l k o m m e n e , als solches, nur als ein n i e m a l s thatsächlich in sich V o l l e n d e t e s , sondern immerdar, ohne irgendwelchen wirklichen Abschluss, nur allein als ein in e n d l o s e r S e l b s t v o l l e n d u n g u n d S e l b s t v e r v o l l k o m m n u n g B e g r i f f e n e s zu betrachten sey. F r i e d r . B ö h m e r gibt seinen gesammten hierauf bezugnehmenden Gedankengang folgendermassen wieder. „Das E i n e S e y n ist u n e n d l i c h e E n t w i c k e l u n g aus u n b e g r ä n z t e r A n l a g e . Die Eigenschaft dieses unendlichen Seyns ist daher u n e n d l i c h e r F o r t s c h r i t t , n i e m a l s V o l l e n d u n g . Denn für den u n e n d l i c h e n F o r t s c h r i t t kann es k e i n Z i e l , d. h. k e i n E n d e geben. Das unendliche Wesen schreitet daher u n e n d l i c h f o r t , weil es k e i n Z i e l a u s s e r s i c h , wohl aber die u n b e g r ä n z t e K r a f t in sich hat. U n e n d l i c h e s L e b e n und u n e n d l i c h e r F o r t s c h r i t t ist ganz d a s s e l b e . Wir haben als begränzte und endliche Wesen n i c h t den unendlichen, sondern nur den e n d l i c h e n Fortschritt. Auch der Menschheit, als Gattung, kommt n u r e n d l i c h e r Fortschritt zu; denn da sie eine b e g r ä n z t e Anlage hat, so ist die v o l l s t ä n d i g e Entwickelung dieser Anlage, und daher ihre V o l l e n d u n g denkbar. Dagegen kann der Fortschritt des u n e n d l i c h e n W e s e n s niemals Vollendung, sondern muss u n e n d l i c h seyn. Die U n t e r l a g e des Einen Seyns also ist V o l l k o m m e n h e i t ; denn die unerschöpfliche Anlage, in der alle Kräfte in u n b e g r ä n z t e r F ü l l e ruhen, ist v o l l k o m m e n e A n l a g e . Es ist dies Eine unendliche Seyn

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

131

also V e r b i n d u n g der e w i g e n V o l l k o m m e n h e i t , als Anlage, mit u n e n d l i c h e r V e r v o l l k o m m n u n g als Entwickelung." Zu eben diesem Satz gibt ROHMEB im Weiteren noch folgende Erklärung. „Bei dem Ausdruck » V o l l k o m m e n h e i t « gehen wir gewöhnlich von der Betrachtung des e n d l i c h e n S e y n s , insbesondere des Menschen und seiner Werke aus. Menschlich bestimmt sind daher die Ausdrücke »vollkommen« und »volle n d e t « gleichbedeutend, wie sie auch sprachlich ganz ähnlich gebildet sind. Denn » V o l l - k o m m e n « heisst, was v o l l a u s g e w o r d e n , also v o l l e n d e t ist. Jedermann sieht aber, dass d i e s e Vorstellung von Vollkommenheit eine b e g r ä n z t e und e n d l i c h e und insofern selbst eine im höheren Sinn u n v o l l k o m m e n e ist, indem diese Vollkommenheit, an ihre äusserste Gränze gelangt, k e i n e n Fortschritt mehr machen kann, also von der »unendlich f o r t s c h r e i t e n d e n Zeit« irgendwann überholt und zurückgelassen wird (!?), d. h. u n t e r g e h e n muss. Daher: »Was v o l l e n d e t ist, kann n i c h t ewig seyn.« Demgemäss müssen wir also, wenn wir die Vollkommenheit in une n d l i c h e r W e i s e , d. h. dem u n e n d l i c h e n W e s e n entsprechend, denken, das Wort »Vollkommenheit« anders verstehen. Indem wir die u n e n d l i c h e A n l a g e und die ewige E n t w i c k e l u n g des unendlichen Wesens als seine beiden Ur-Theile (oder Ur-Gegensätze) unterscheiden, so können wir unbedenklich das Wort V o l l k o m m e n h e i t auf die A n l a g e desselben beziehen. Auch in menschlichen Dingen heissen wir diejenige Anlage v o l l k o m m e n , die alle Fähigkeit in sich hat, welche zu dem begränzten Zweck, dessen Vollendung wir anstreben, nöthig ist. U n v o l l k o m m e n h e i t der Anlage ist also M a n g e l an der nothwendigen Fähigkeit. Nun ist beides klar, nehmlich 1) dass die Vollkommenheit einer m e n s c h l i c h e n Anlage zwar im Vergleich mit ihrem Ziel v o l l s t ä n d i g und m a n g e l l o s seyn kann, aber im Vergleich mit dem une n d l i c h e n Seyn immer u n v o l l k o m m e n seyn muss, weil sie n i c h t in sich allmächtig, sondern beschränkt und abhängig 9*

132

Die innere Unselbststfindigkeit aller natürlichen Dinge.

ist. Und 2), dass die u r s p r ü n g l i c h e und w a h r e Vollk o m m e n h e i t nur in der u n b e g r ä n z t e n A n l a g e , die alle denkbaren Kräfte unermesslicher Fülle in sich birgt, d. h. nur in der Anlage des u n e n d l i c h e n Wesens gefunden werden kann. U n b e g r ä n z t h e i t und V o l l k o m m e n h e i t der A n l a g e bedeuten somit dasselbe. Aber a n d e r s verhält es sich mit der E n t w i c k e l u n g dieser Anlage. Wäre auch für das une n d l i c h e Wesen Vollkommenheit und Vollendung g l e i c h b e d e u t e n d , wie für unsere menschlichen Bestrebungen: so wäre seine V o l l k o m m e n h e i t ebenso endlich wie die unsrige, also im höheren Sinn des Wortes ebenso u n v o l l k o m m e n wie die unsrige. Könnte diese Eigenschaft des unendlichen Wesens keinen Fortschritt mehr machen, weil es schon an die äusserste Gränze seiner V e r w i r k l i c h u n g gekommen wäre: so wäre es kein u n e n d l i c h e s Wesen. Die im höchsten Sinn vollk o m m e n e Eigenschaft des unendlichen Wesens kann daher n i e m a l s Vollkommenheit im Sinn der V o l l e n d u n g seyn, sondern muss g l e i c h b e d e u t e n d seyn mit u n e n d l i c h e r V e r v o l l k o m m n u n g . Die U n f ä h i g k e i t , noch w e i t e r fortzufahren, wäre u n v e r e i n b a r mit der u n b e g r ä n z t e n F ä h i g k e i t , die in dem G r u n d e des unendlichen Wesens ewig ruht und eben in der u n e n d l i c h e n E n t w i c k e l u n g sich offenbart." — Wir haben absichtlich fast den ganzen Verlauf des ßoHMER'schen Gedankenganges vorgeführt, überzeugt, dass eben diese Darstellung seiner gesammten Anschauungsweise in Bezug auf die darin behandelten Verhältnisse die beste und gründlichste S e l b s t w i d e r l e g u n g in sich einschliesst. Denn in der vollkommen unberechtigten Übertragung wirklicher Z e i t v e r h ä l t nisse auf das Gebiet des an sich E w i g e n und U n e n d l i c h e n , verbunden mit ebenso irrthümlichen blossen S c h e i n g r ü n d e n zum Zweck einer vermeintlichen Begründung der dargelegten Ansichten: nur allein hierin haben wir ohne Zweifel die Hauptgrundlage für diese geistige Verwirrung zu erblicken. F o r t s c h r i t t , E n t w i c k e l u n g und wirkliche V o l l e n d u n g sind

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

133

ohne einen thatsächlich damit Hand in Hand gehenden wirklichen Z e i t v e r l a u f nicht zu denken. Dass dieser Erfahrungssatz für die Verhältnisse dieser e n d l i c h e n Welt als allgemein gültig anerkannt werden muss, hat seine Richtigkeit. Als ein bedauerlicher Fehlschluss muss es dagegen betrachtet werden, wenn der Verfasser glaubt, eben d i e s e V e r h ä l t n i s s e , bloss auf Grund ihrer unzweifelhaften Geltung für das e n d l i c h e Daseynsgebiet, nun ohne Weiteres auch auf das Gebiet des an sich u n e n d l i c h e n und ewigen Seyns übertragen zu dürfen. Was ihn zu diesen irrthümlichen Schlussfolgerungen veranlasst haben mag: dies dürfen wir wohl unbedenklich seiner von ihm erwähnten Vorstellung von einer vermeintlich „ u n e n d l i c h f o r t s c h r e i t e n d e n Z e i t " zuschreiben. Denn in eben dieser irrthümlichen Auffassung der Verhältnisse dieser e n d l i c h e n Welt, gegenüber von denen des jenseitigen u n e n d l i c h e n Seyns, dürfen wir wohl den tieferen Grund dafiir erblicken, dass der Verfasser in seinen Auseinandersetzungen jene bedeutungsvolle K l u f t gänzlich ausser Acht gelassen hat, welche das an sich E n d l i c h e von dem an sich U n e n d l i c h e n , namentlich hinsichtlich der Bedingungen von B a u m und Z e i t , allewege trennt und scheidet. So sehr wir daher eben jene räumlichzeitlichen Verhältnisse als vollständig begründet und massgebend anerkennen müssen in Bezug auf alles e n d l i c h e Wesen dieser Welt: als ebenso u n v e r e i n b a r müssen wir dieselben betrachten, und zwar ebensosehr aus Natur- wie Vernunftgründen, mit allen begrifflichen wie wesenhaften Grundbedingungen eines in sich u n e n d l i c h e n und ewigen Seyns. Sobald wir daher dieses Letztere, nur rein in sich selbst und in seiner vollen U n a b h ä n g i g k e i t von allem Daseyn oder Nichtdaseyn einer e n d l i c h e n Welt, geistig uns vergegenwärtigen: so werden wir uns sagen müssen, dass eine bloss innere V e r v o l l k o m m n u n g s a n l a g e , so u n e n d l i c h wir dieselbe auch denken mögen, und sosehr dieselbe auch im Verlauf der Zeit in ihrer Vervollkommnung v o r a n s c h r e i t e n mag, doch nimmermehr in

134

Die innere Unselbstst&üdigkeit aller natürlichen Dinge.

einem wirklichen E i n k l a n g sich befinden kann mit den urnothwendigsten inneren Grundverhältnissen eines an sich u n e n d l i c h e n und ewigen, aber eben darum auch ewig und unendlich a l l v o l l k o m m e n e n Seyns. Selbst die jener angeblich u n e n d l i c h v o l l k o m m e n e n Anlage oder Entwickelungsfähigkeit zugeschriebene unversiegbare und unerschöpfliche K r a f t f ü l l e vermag n i c h t , diesem Übelstand abzuhelfen. Denn wo anstatt einer wirklich ewig-unendlichen A l l v o l l k o m m e n h e i t immerdar nur eine u n e n d l i c h e M ö g l i c h k e i t zu noch immer weiteren Vervollkommnungen geboten wird: da ist, wie wir bereits früher darauf hingewiesen, eine derartige Vertröstung auf ein nie zu erreichendes Ziel in der That um nichts mehr zu achten denn ein W e c h s e l , ausgestellt mit der Bedingung: „ z a h l b a r in der E w i g k e i t " . Eine V o l l k o m m e n h e i t , die in nichts Anderem bestehen soll, als in einer blossen A n l a g e zu endloser Vervollkommnung, wäre jedenfalls in begrifflicher Beziehung nur eine höchst e i n s e i t i g e Vollkommenheit. Denn sie würde immer nur auf Seiten eines angeblich u n e n d l i c h e n oder, besser ausgedrückt, eines völlig a n f a n g s losen A n f a n g s liegen, wogegen anderseits nur die trostlose Aussicht bleibt auf ein nie erreichbares Zahlungsziel, an welchem der in jener ewig-unendlichen Vervollkommnungsanlage ausgestellte Wechsel zur wirklichen Einlösung v e r f a l l b a r seyn soll. Eine jede derartige e i n s e i t i g e , also in gewissem Sinn allewege nur h a l b e oder wenigstens nur t h e i l w e i s e Vollkommenheit vermöchte demgemäss, dem eigentlichen und wahren Begriff eines A l l v o l l k o m m e n e n gegenüber, allewege nur ein sehr widerspruchvolles Z e r r b i l d desselben darzustellen. Alles angebliche ewige W e r d e n ist nichts Anderes als der thatsächlichste Widerspruch gegen den gesammten natur- wie vernunftgemässen B e g r i f f des Werdens. Denn ein jedes W e r d e n , in der wahren und eigentlichen Bedeutung dieses Wortes, verlangt einen ganz bestimmten e r s t e n A n f a n g s p u n k t , von welchem das betreffende Werden, oder irgend eine Entwickelung

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

135

überhaupt, auszugehen hat; dann aber, als natürlichen G e g e n p o l zu eben diesem ersten Anfangs- und Ausgangspunkt, auch ebenso nothwendig, ein ganz ebenso bestimmtes Z i e l , als den naturnothwendigen E n d p u n k t , worauf das betreffende Werden oder die betreffende Entwickelung allewege h i n g e r i c h t e t seyn muss. Aber eben hieraus geht denn auch weiter noch hervor, dass nur a l l e i n eben jener erste A n f a n g s - und A u s g a n g s p u n k t des Werdens es ist und seyn kann, welcher zugleich auch als der U r s i t z eben jener innersten G r u n d k r a f t muss bezeichnet werden, durch deren natürliche Wirksamkeit auch die gesammte R i c h t u n g , d. i. der gesammte natürliche E n t w i c k e l u n g s g a n g , welchen irgend ein bestimmtes Werden zu nehmen hat, sich von Anfang an v o r a u s b e s t i m m t zeigt. Denn nur auf diese Weise vermögen wir es uns zu erklären, wie irgend ein natürliches W e r d e n im Verlaufe seines natürlichen Entwickelungsganges auch wirklich dem ihm in seinem innersten Wesensgrundbegriff vorgesteckten Z i e l e , als seinem letzten endgültigen A b s c h l u s s , zugeführt werden kann. Es erscheint uns somit ein jedes Werden, wofern es nicht durch entgegenstehende äussere Hindernisse in seinem natürlichen Entwickelungsgang gehemmt ist, sobald es das ihm vorgesteckte Ziel, und damit den thatsächlichen Schluss- und Endpunkt seiner Entwickelung erreicht hat, so recht eigentlich als ein wesenhaft in sich V o l l e n d e t e s und A b g e s c h l o s s e n e s , d. h. als ein nunmehr vollständig und vollkommen in sich A u s g e w i r k t e s . Welche treffendere und allgemein verständlichere Bezeichnung vermöchten wir aber wohl einer derartigen, in aller und jeder Beziehung in sich vollendeten inneren Wesensbeschaffenheit zu geben, als diejenige eines in sich selber F i x und F e r t i g e n ? Was aber in dieser Beziehung für alles e n d l i c h e Daseyn und dessen z e i t l i c h e s Werden in seiner an sich e n d l i c h - b e s c h r ä n k t e n Weise gilt: das muss ebenso, wenngleich in u n und ü b e r z e i t l i c h e r , d. h. in wirklich zeit- und raumfreier Weise, auch für das u n e n d l i c h - e w i g e Seyn seine, den ver-

136

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

änderten inneren Wesensverhältnissen entsprechende Geltung haben. Was dort in z e i t l i c h e r A u f e i n a n d e r f o l g e vor sich geht: das muss h i e r , in ewig in sich bewirkter Weise, als eine von Ewigkeit her in sich vollzogene ewige T h a t s a c h e bestehen. Denn nur das R ä u m l i c h - Z e i t l i c h e kennt die Unterschiede von D a und von D o r t , von D a n n und von W a n n : im U n e n d l i c h e n , wo ein j e d e r für uns nur irgendwie denkbarer Punkt als ein thatsächlicher M i t t e l p u n k t desselben darf betrachtet werden, fallen jede nur etwa denkbaren A n f a n g s - und E n d p u i r k t e unbedingt in E i n s zusammen. Dass unter eben diesen hier angedeuteten Verhältnissen, welche einzig und allein nur für ein thatsächlich und wesenhaft u n e n d l i c h e s und ewiges Seyn und Wesen ihre Geltung haben können, demgemäss in k e i n e r Weise von irgendwelcher E n t w i c k e l u n g , und demgemäss auch von keinem V e r l a u f einer Z e i t f o l g e oder eines W e r d e n s , in der eigentlichen endlichzeitlichen Bedeutung dieser Worte, die Rede seyn kann: dies liegt in der Natur der Sache. Zwar sind wir auch hier wieder, um der natürlichen Beschränktheit unseres eigenen Denkvermögens willen, genöthigt, derartige, den irdischen Daseynsverhältnissen entnommenen begriffliche Unterscheidungsweisen auf das Gebiet des an sich U n e n d l i c h e n zu übertragen; allein wenn wir nicht in unserem Denken auf die bedenklichsten Abwege gerathen wollen, so kann dies doch allewege nur unter dem ganz bestimmten geistigen Vorbehalt geschehen, dass dies alles nur in b e g r i f f l i c h - s i n n b i l d l i c h e r Weise darf verstanden werden, keineswegs aber in einer buchstäblichwörtlichen Bedeutung. Und somit haben wir denn auch in diesen soeben hier besprochenen Verhältnissen den eigentlichen Grund dafür vor Augen, weshalb eben jenes in sich ewig-unendliche, aber eben darum auch u n b e d i n g t e und a l l v o l l k o m m e n e U r s e y n und U r w e s e n , und zwar in unmittelbarer Folge eben dieser seiner ewigen A l l v o l l k o m m e n h e i t , zugleich allewege als ein sich ewig in sich s e l b e r A l l g e n u g -

Das an sich urnothwendige Seyn als Urwesen und Urseyendes.

137

s a m e s und A l l g e n ü g e n d e s sich darstellen muss. Eben diese innerlich-wesenhafte A l l g e n u g s a m k e i t des an sich U n e n d l i c h e n und E w i g e n kann aber nicht etwa bloss auf dessen e i g e n e s Seyn und Wesen sich beziehen: es muss dies auch ebenso der Fall seyn in Bezug auf alles von seiner unbedingten Macht mit abhängige Daseyn dieser endlichen Welt. Bezeichnet aber eben dieses Verhältniss nicht g e n a u d a s s e l b e , was, von einem noch allgemeineren Standpunkt aus, gewöhnlich durch den bekannten und mehrfach erwähnten Satz ausgesprochen zu werden pflegt, dass „das in sich U r n o t h w e n d i g e und darum auch in sich E w i g e und U n e n d l i c h e den vollgültigen Grund seines Seyns a l l e i n nur in s i c h s e l b s t besitzen kann"? Denn nur allein in Folge davon, dass es für sein eigenes Seyn und Wesen sich ewig s e l b e r g e n u g ist: ist es möglich, dass wir in ihm auch den alleinigen a u s r e i c h e n d e n G r u n d selbst für alles e n d l i c h e Daseyn anerkennen dürfen. Schon Plato weist, wie bereits erwähnt, im Parmenides und im Timäus darauf hin, dass das E i n e Urseyende unter keinen Bedingungen den Verhältnissen der Zeit unterworfen seyn könne, und dass es in Folge dessen denn auch niemals w e d e r ä l t e r werden noch jemals j ü n g e r seyn könne, als es thatsächlich von Ewigkeit her ist. — Und in ähnlicher Weise spricht in dieser Hinsicht auch A r i s t o t e l e s sich aus. — Und ebenso vertritt auch Philo die Erhabenheit jenes e w i g E i n e n über allen R a u m und über alle Z e i t , fügt aber auch ausdrücklich noch hinzu, dass es keiner anderen Sache bedürfe und im höchsten Sinn „ s i c h s e l b e r g e n u g " sey. — In ähnlichem Sinn sagt auch P l o t i n : „Alles bedarf des Guten; nur dieses selbst (das unendliche und allvollkommene Gute) ist vollkommen u n b e d ü r f t i g und in sich beschlossen" (d. i. „ewig in sich vollendet"). So ist es das V o l l e n d e t s t e und M ä c h t i g s t e . — „Die Z e i t " — sagt A u g u s t i n u s — „besteht aus vielen vorübergehenden Bewegungen. Im E w i g e n aber geht nichts vorüber, sondern das Ewige ist ganz G e g e n w a r t . Wie

138

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

aber in der Ewigkeit nichts vorübergeht, so ist auch n i c h t s in ihr z u k ü n f t i g , des Seyns,-

und

weil das V o r ü b e r g e h e n

das Z u k ü n f t i g s e y n

g e f a n g e n h a b e n bedeuten würde. Vergangenheit

vorher

durch

ein A u f h ö r e n

ein n o c h n i c h t

An-

Das E w i g e aber geht aller

seine

immerwährende

Gegen-

w a r t und es ü b e r s t e i g t alle Zukunft, weil die Zukunft auch herankommt, sobald sie aber gekommen ist, zur Vergangenheit wird. —

Und ebenso bezeichnet auch A l b e r t

allein dasjenige Seyn als das v o l l k o m m e n e

der

Grosse

Seyn,

welches

in seiner G a n z h e i t (d. i. Vollendetheit) z u g l e i c h (d. i. allenthalben gegenwärtig) ist.

Denn von ihm ist nichts w e d e r in

der Vergangenheit n o c h in der Z u k u n f t , sondern es ist ein (in sich) durchaus v o l l e n d e t e s S e y n . " — unbegränztes Zweck es

in

sich

selber von

nicht

ausser

vollendet

Allem

seyn,

aller Dinge in sich schliessen, h ö h t e m Grade. Weise

unbedingt

S e y n kann nach T h o m a s v o n A q u i n o

seines Seyns

kommenste

„Ein

sich

seyn. und

haben:

Es die

den

also

muss das

muss Voll-

Vollkommenheiten

und zwar in (unendlich) e r -

Es muss daher unbedingt, d. h. in j e d e r

v o l l k o m m e n sein mit A u s s c h l u s s j e d e n

Mangels

und j e d e r B e s c h r ä n k u n g . — B a a d e r spricht sich über die gleichen

Verhältnisse,

folgendermassen aus. ewigen

Urseyns

und

unter Bezugnahme „Der Begriff eines Urwesens

fiel

auf JACOB BÖHME, allvollkommenen schon

den

ältesten

Völkern zusammen mit jenem Begriff des S i c h s e l b s t g e n ü g e n d e n und u n b e d i n g t I n n e r l i c h e n (Absolutimmanenten).

Jene

Denker dagegen z e r s t ö r e n den eigentlichen Begriff eben jenes U r s e y e n d e n , welche dasselbe, wie immer dies auch der F a l l seyn mag, in seinem eigenen Seyn für a b h ä n g i g erklären von dem gleichzeitigen Daseyn endlicher Naturwesen, eine A b h ä n g i g keit, wesen

welche HEGEL jedoch

nur auf die vernünftigen Natur-

(die Intelligenz) übertrug, indem er behauptete,

dass

diese, nehmlich die Menschen, es seyen, welche eben jenes allvollkommene und sich selbst genügende Urseyn erst in

der

Das an Bich urnothwendige Seyn a h Urwesen und Urseyendes.

189

Geschichte auszudenken hätten. Ein solches höchstes Urwesen aber, welches durch endliche Naturwesen sich selber erst f e r t i g zu machen hat, dem gebricht es an seiner S e l b s t g e n ü g s a m k e i t , an dem R e i c h t h u m seines S e y n s ; denn es hätte seine e i g e n e V o l l e n d e t h e i t erst von jenen zu e r w a r t e n . " — Und in gleichem Sinn sagt auch Molitor in Bezug auf das „schlechthin V o l l k o m m e n e , welches bloss allein durch und f ü r s i c h s e l b e r in e i g e n e r i n n e r e r N o t w e n d i g k e i t wesenhaft besteht (existirt)", dass es „in dem unendlichen Genuss seiner m a n g e l l o s e n V o l l k o m m e n h e i t sich auch allewege s e l b s t g e n u g ist." — „Um v o l l k o m m e n zu seyn" — sagt Cousin in Bezug auf jenes unendliche Urseyn — , „darf dasselbe nichts in sich enthalten, was nicht v o l l e n d e t wäre. Die wahre E i n h e i t desselben ist somit keine bloss begriffliche Einheit (unité abstraite): sie ist die vollgültige Einheit (l'unité précise) des a l l v o l l k o m m e n e n S e y n s , in welchem Alles v o l l e n d e t , Alles b e s t i m m t und Alles (vollständig) e n t w i c k e l t ist. Alles ist (in begrifflicher Hinsicht) in ihm ebenso bestimmt u n t e r s c h i e d e n , wie es (wesentlich) E i n s ist. Der Reichthum seiner Bestimmungen ist das zuverlässige Zeichen der F ü l l e seines Wesens. Unser Nachdenken u n t e r s c h e i d e t zwischen diesen Bestimmungen; allein es kann k e i n e B e s c h r ä n k u n g e n in denselben erblicken." — Und in gleichem Sinn bezeichnet J. P. Lange jenes unendliche allvollkommene Urseyn, „als unbedingtes Ich", und gleichzeitig damit auch als „ewig in sich v o l l e n d e t und ^in sofern auch als (an sich) w e l t f r e i " , d. h. als ewig unbedingt ü b e r jeglichem Weltdaseyn stehend, gleichviel ob ein solches in Wirklichkeit vorhanden seyn mag oder nicht. — Und in ähnlicher Weise sagt auch Stentrup in Bezug auf dasselbe urnothwendige Urseyn: „ E s ist d u r c h s i c h , d. h. es ist, w e i l es i s t , und es ist folglich mit unbedingter N o t w e n d i g k e i t . Also müssen wir von ihm nicht nur sagen, dass es o h n e A n f a n g und E n d e thatsächlich sey, sondern auch, dass

140

Die innere Unselbstständigkeit aller natürlichen Dinge.

•es keinen Anfang und kein Ende h a b e n k ö n n e , da Anfangslosigkeit und Endlosigkeit nicht weniger zu seiner Wesenheit .gehören, wie das D u r c h - s i c h - s e y n und das U n b e d i n g t n o t h w e n d i g - s e y n . Es muss daher, eben weil es d u r c h sich s e l b s t ist, die F ü l l e des Seyns und r e i n e s Seyn seyn, im -Gegensatz zu jedem N i c h t s e y n . Es kann daher nur als unb e d i n g t e W i r k l i c h k e i t a l l e r V o l l k o m m e n h e i t ohne j e d e M ö g l i c h k e i t (Potenz) zu noch w e i t e r e r V e r v o l l k o m m n u n g von uns gedacht werden. Nun ist es aber offenbar u n m ö g l i c h ,