Der Bär.Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben [25]

  • Author / Uploaded
  • coll.

Table of contents :
volume
title_page
contents
7.Januar 1899 Nr, 1
14.Januar 1899 Nr, 2
21.Januar 1899 Nr, 3
28.Januar 1899 Nr, 4
4.Februar 1899 Nr, 5
11.Februar 1899 Nr, 6
18.Februar 1899 Nr, 7
25.Februar 1899 Nr, 8
Wandgemälde im Künstlerhause, von Prof. Koch ; Wandgemälde im neuen [Künstlerhause?], von Prof. Koch
25.Februar 1899 Nr, 9
11.März 1899 Nr, 10
18.März 1899 Nr, 11
25.März 1899 Nr, 12
1.April 1899 Nr, 13
8.April 1899 Nr, 14
15.April 1899 Nr, 15
22.April 1899 Nr, 16
29.April 1899 Nr, 17
6.Mai 1899 Nr, 18
13.Mai 1899 Nr, 19
20.Mai 1899 Nr, 20
27.Mai 1899 Nr, 21
3.Juni 1899 Nr, 22
10.Juni 1899 Nr, 23
17.Juni 1899 Nr, 24
24.Juni 1899 Nr, 25
1.Juli 1899 Nr, 26
8.Juli 1899 Nr, 27
15.Juli 1899 Nr, 28
22.Juli 1899 Nr, 29
29.Juli 1899 Nr, 30
5.August 1899 Nr, 31
12.August 1899 Nr, 32
19.August 1899 Nr, 33
26.August 1899 Nr, 34
2.September 1899 Nr, 35
9.September 1899 Nr, 36
16.September 1899 Nr, 37
23.September 1899 Nr, 38
Das Manövergeschwader im Nordweststurm in der Ostsee
30.September 1899 Nr, 39
7.Oktober 1899 Nr, 40
14.Oktober 1899 Nr, 41
21.Oktober 1899 Nr, 42
28.Oktober 1899 Nr, 43
4.November 1899 Nr, 44
11.November 1899 Nr, 45
18.November 1899 Nr, 46
Schiffstypen der englischen Flotte
25.November 1899 Nr, 47
2.Dezember 1899 Nr, 48
9.Dezember 1899 Nr, 49
16.Dezember 1899 Nr, 50
23.Dezember 1899 Nr, 51
Heilige Nacht!
30.Dezember 1899 Nr, 52

Citation preview

Bär.

25. Jahrgang. (Von Januar

^899 bis Ende Dezember ^899.)

Berlin 1899. Verlag,ron Friedrich Schirmer.

Inhaltsverzeichnis.

Wald.409

Illustrationen.493

Hirschfeld.359

Illustrationen.754

Die Schlaraffia. Don Karl Pauli. Mit Berlin im Jahre 1799. Von Prof. Dr. W. aus Liebe zur Kunst. Novelle von 822 Die stärkste Flotte der Welt. Von H. de 305, 321, 33T, 353 Berlin im Jahre 1899 Ernst Wichcrt Mävillc. Mit neuesten Entwickelungsge¬ Berlin in der 645, 629, Rudolf Elcho von Blendwerk. Roman Die Usambara-Eisenbahn in Deutsch-OstPaul Von schichte der Photograpbie. 741. 725, 661, 677, 693, 709, afrika. Mit Die Blumen-Maric. sokizzc von Teo v. Tor« 768 Moritz von Egidy f. Von M. F. Dr. Von K. Berlin vor hundert Jahren. Das Ehetandcm. Eine moderne Hochzeits-e Eine Berliner Skizze aus dem Jahre 1852. Mischke. Mit einem Plan Humoreske von Heinrich Vollrat reise. Von Eugen 479, 496j, 610 Das Beweinen der Toten im Völkerglauben. Eine . 753 Der einzige Berliner. Brief aus einer . Von F. Ein französisches Urteil über Berlin . . . y 468 Ein Mehrer der Mark. Von Emil Göritz. aus Neu-Berlin. Bilder Eine Entführung. Humoreske von Manuel Ein militärischer Brückenbau über die Oder. Von Oscar Der Straßcnverkänfer. Schnitzer Mit Illustrationen nach photogr. Auf¬ 674 Wagner. Mit Illustrationen Manöver-Humoreske Foüricr-Offizier. Der nahmen von Georg Schoppmcyer, in Auto-Heil! Von Walter Grosse. Mit 576 . . 558, . von Frcihcrrn v. Schlicht Die Graphologin. Novelle von C. v.Dornau 649 Ein Reisebericht über Berlin aus dem Unsere Sahara. Von Karl Mischke. Mit 565, 581, 597. Jahre Das Heiratsjahr. Ein Lustspielroman in Ein Stück „Alt-Berlin." Mit Bild, für den Karl Mischke. Von Sprectunnel. Der zwölf Kapiteln von Fedor v. Zobcltitz 1, 17, „Bär" gemalt von Carl Langhammer . Mit 88, 49, 65, 81, 97, 118, 129, 145, 161,1 177, Laubcnstadt. Von Walter Grosse . 634 Elektrische Eine 193, 209, 225, 241, 257, 273, 289. Elektrizität contra Gasglühlicht. Neues und Bismarcks Eltern. Von Hermann Jabnke Gedichte des Fürsten Hohenlohe . . 236, 300 altes aus der Beleuchtungs-Technik. Von 295, 310 813. Warncke. Paul Gedicht von Heilige Nacht. Franz Bendt. Mit Illustrationen. . . Bohnenfcste am preußischen Königshofe. C. Jochimken. Don „Et fehlt noch eene lumpigte Person!" . . Heinrich Von Kammergerichts. Nach¬ Die Kastanien des Brand der Patria. Mit Illustration . .755 Festlichkeiten auf dem Gesundbrunnen vor erzählt von Karl hundert Jahren. Von Carl Luche . . Brand des Raubtierhauses im Berliner Ein Karn ermissest auf Jschia. Novelle von Von 707. Das großstädtische Feuerlöschwesen. Zoologischen 332, 344 August Dr. Rudolf Ein Er¬ Charlottenburg. Schloß in Das Lieschens letzte Puppe. Eine Wcihuachtsinnerungsblatt. Von Richard George . 445 Fünfundzwanzig Jahre Weltpostverein . . gcschichtc von Heinrich Vollrat Schumacher. 814 Fünfzig Jahre elektrischer Telegraphie . . Eberhard von Dauckelmauns Erhebung und Im Morgendämmern. Genrebild aus dcnl Sturz. Von Emil Göritz. Mit Illustration 766 Fürst Chlodwig Hohenlohe. Zu seinem acht¬ dreißigzährigen Kriege von C. Kühns . 613 zigsten Geburtstage. Von Alex. Meyer und Erinnerungen an die SchweMaiua. Erzählung von Luise Westkirch 591, 607 Denkmale Professor Doktor August Garcke. Von Emil . . 653 dcnzcit. Don Dr. Gustav Albrecht Martina. Erzählung von Rudolf Elcho. . 399 Deutschlands Göritz. Mit Von erste Kriegsdampfer. 414, 430 Der neue Generalstabschef. Mit Porträt . Dr. Max Der Normalhund. Humoreske von C.WendtStiftungsfest im Deutschen Frauenklnb 317 Der siebente internationale Geographcn773, 789, 805 Das land 643, Deutsche Kaiserpaar in England. Mit Das Opfer des Herzens. Roman von O. Elster 369 Geographische 389,405,421, 437,458, 469, 485, 501, 517, 533 Das deutsche Kolonial-Musemn in Berlin. 698 Gobclinweberei in Berlin. Von Dr. Gustav Strohfeuer. Eine Spreewaldgeschichte Von Albrecht. Mit vier Illustrationen . . . Fischzug. Mit Illustrationen Paul Kunzcndorf . . . .' . . . 782, 799 Der Stralauer nach einer Zeichnung von Th. Hosciuann 523 Der „Goldene Anker". Von Hans Mützel. Mit . . . 168 Zoologische Garten in Berlin n. Geschichtliche, kulturgeschichtliche Der Otto Graben zum Stein. Eine Skizze aus Die Ansichtspostkarten-Sammlung des Mär¬ Aufsätze. der Zeit der kischen Provinzial - Museums. Von Ge¬ . 476 Abtstab und Kurhut. Von Emil Göritz heimrat E. Friede!. Mit Illustrationen . 474 Grabstcinpoesie auf Berliner Friedhöfen. Von P. Der Alchimist des Großen Kurfürsten. Von Die Berliner Gesellschaft in den letzten fünf¬ Großstädtische Verkehrsmittel. Von Dr. Rudolf Von Ludwig Prof. W. undzwanzig Jahren. 6, 21, 37, 53, 72 „Aller Deutschen Edelstein." Von Paul 133, Großstadtpoesie. Von L. I. Die Berliner Markthallen. Mit Illustration Als der Großvater die Großmutter »ahm. Altberlinisches. Von Ferdinand Meyer. . 557 nach einem Bilde von Prof. Ludwig Von Dietrich Augcnblicksbildcr vom Ballfest des Vereins Gymnasialdirektor Geheimer Regierungsrat Berliner Presse. Von Georg Malkowsky 75 Die Bronzeschale von Dr. Wilhelm Schwartz Aus alter Zeit. Von Freiherr von Schlicht 527 Die erste brandcnburgische Besitzergreifung Aus alten Zcitnngsblättcru. Von SB. Wald 110 in Ostfrieslaud. Von Fritz Bayer . . 461 Hubertusjagd im Grunewald. Mit Illu¬ strationen 126 Die Erziehung Kaiser Friedrichs III. Nach Der erste deutsche Kabeldampfer. Mit Illu¬ Aus dem Gebiete der unveröffentlichten Quellen und nngcstration Aus der Entwickelungsgeschichte der Berliner drucktcu Briefen. Von Hermann MiillerIndustrie. Von Paul Hirschfeld 12, 26, 40 490 Der Kaiserturm in Lübeck. Bon Dr. Fr. Schulze. Mit Berliner Die Familie Kaiser Wilhelm-Gedächtnisturm bei Ebers¬ Berliner . 253 Die Fenersbrunst in Maricnburg. Mit walde. Mit Berliner Feuerwehr. Von Adolf Bliesener, . . 630 Karikaturen Napoleons König!. Brandmeister. Mit Illustrationen. 655 Die Freilegung der Nicolaikirchc. Mit Gencral-Feldniarschall Henning Alcrandcr Illustrationen nach Aurateuraufnahmcn Berliner Kaffeehäuser und Verwandtes. Von von Kleist-Raddatz. Mit Illustration. . Karl Mischte. Mit Illustrationen . . . 505 des Herrn Otto Hassclkampf in Potsdam 150 Das Köllnische Rathaus. Von Dr. Gustav Berliner in Von Die „Herbst-Saison" der Natur. 665, 682, Albrecht. Mit Illustrationen Berliner Spaziergänge. Erlebnisse und Ein¬ F. Kolonialpläue des alten Nettelbeck. Von fälle Die Hvchwasserkatastrophe in Bayern. Mit Georg Berliner Straßenbcobachiungen . . . .312 Illustrationen von O. Hasselkampf. . . 626 Königliche Porzellanmanufaktur Berliner 823 Die Jubelfeier der technische» Hochschule Berliner Verkehrsvcrhältnijse in statistischer Von Richard George. Mit Illustrationen 689 Kribi in Kamerun. Mit Illustrationen . . . 718 Krieg im Beleuchtung. Von Dr. E. Hirschberg Die kaiserliche Familie im Jagdschloß Knrbrnndenbnrg am Cap St. Vincent. Von Berliner Vororte. Von Dr. Rudolf G ratz er. 794 Hnbertusstock. Von P. Kunzcndorf. Mit Berliner Wandclbilder. Von Dr./Gevrg H. de Msville. Mit Illustration . . . Laubenhäuser in der Ncumark. Von Haus Malkowsky 681, 697. 713, 729, 745, 759, Die Königliche Porzellan-Manufaktur unter Mützel. Mit Jlliistrationcn nach eigenen 778. 793, 808, 821 Friedrich dem Großen. Von Hans Marfchall 38 photographischen Aufnahmen Berlin im Jahre 1699. Von Ferdinand Die Martinsgans^in mittelalterlicher Poesie. 124 Das Von F.

I. Erzählungen, Romane, Novell»«.

Auch

....

Schumacher.

..625

Sommerfrische.

.

Kühns.757

Pauli.449

Kopisch.

.732 Kunze. ....

Illustration.585

Illustrationen.601

Illustrationen.633

Meisner.2Ü3

Garten.

Baunlgart.109 Illustrationen.777

Dcttmann.553 Guben.530

Bohn. Lette.332

Aberglauben.253 Dienstboten.. Illustrationen.'.

.181

Amerika.236

Sekt.

Kunze.672

Illustration.615

Meyer.

.91,

...

15

Jsolani.763

Hundertjahr-Feier.738 380 278

Küstrin.578 1617.293 328

Schlcppschifsabrt.722 650 237 31

Grätzer.878

674 640 197

Illustration.684

kongreß. Eigennamen.236 563

658

619

Illustration.684

Wald.342 Pietsch. Warncke.30 Hygiene.285

Illustrationen.735

Hofnarren.524 Kunzendorf.750

Grätzer.473 ... 149

Hafner.810

.730 .801 ch.831

Illustration.800

1.317

Illustrationen.749 798 700

Eschmann.46 ....

705 784

Frieden.428 685

.... Kunze.722 Leibamt.521

761

IV

;

l

Langhammer.43

Das Maicusest ini Künstlerbanse. Don Carl

Manöverbildcr von der deutschen Flotte. Don H. de Msville. Mit Illustrationen nach einer Skizze des Marinemalers Haus

.569 .58

Hürnigk.604

Das neue Marstallgebäude in Berlin.

Mit

Illustration Ter Messias von Berlin.

Ein Kulturbild Bon Karl fridcricianischer Zeit.

WUJi

l

:.341

los; und Park Rheinsben; Von Richard George. Mit Illustrationen nach Auf¬ nahmen von H. Ventzke in Rathenow 357, 381 Bäder und Sommerfrischen. Von Ewald 1. Soolbad Salzdetfurth bei Hildcshcim 288 Dcs Spree, oälders Heim. Müller . 2. Sanatorium Jnsclbad bei Paderborn . 304

III.

3.

Slädke- und Lsndschaftsbilder.

Warnemünde.368

Bilder aus der Südsec. Deutschlands neuester Kolonialerwcrb

866

Zincke.251 .

Ticndal. Don Carl Langhammer. Mit Illustrationen nach photographischen Auf¬

Berlin.86

nahmen dcs Herrn Geheimsekretärs Rich. Köhler inStransberJ am Strauß. Po» C. Richter.

Ruine Brandenburg im Werrathal. Bon W. aus Mit Illustrationen nach photographischen Felix v. Schlichtegroll Aufnahmen des Herrn ’ Geheimsekretärs Ueber Neubraudenburg nach Rügen 364, 882 — Rich. Köhler in Richter, Berlin, Schuld¬ Die Buckower Berge. Von C. Mittenwalde, Gläubiger Von Cc.rl Langhammer. Strausberg. Mit Illustrationen . . . 666 Tangcrmünde. ner. Don Ernst Mit Illustrationen nach photographischen Die wüste Kirche bei Drehua im Kreise Mvltke als Privatmann. Nach persönlichen Aufnahmen des Herrn Gehcimsekretärs . 298 . Erinnerungen. Bon Hermann MüllerLuckaii. Von vr. Gustav Albrecht Rich. Köhler in Bohn. Mit Illustrationen . . . 668, 746 Gramzow. Von Carl Langhamincr. Mit lleckci münde. Von Carl Langhammer. Mit Jllttstration nach einer' photographischen Das Museum für deutsche Volkstrachten und Illustrationen nach photographische» Auf¬ Aufnahme des Herrn Gehcimsekretärs Erzeugnisse des Hausgewerbes in Berlin. nahmen dcs Herrn Geheimsekretärs Rich. Rieh. Köhler in Von vr. Gustav Albrecht. Mit Abbil¬ Kö hier in dungen nach eigenen photograhischc» Auf¬ Grost-Bchnitz im West-Havelland. Von Rich. Villa Brenzoni am Gardasee. Mit Illustration. nahmen George. Mit Illustrationen nach photo¬ Weninsch - Drehua. Von Ewald Müller. graphischen Ausnahmen von H. Ventzke Der Park von Berlin dl. Ein Zukunfts¬ Met Illustrationen nach photographischen 14 in bild von Slndtrat Ernst Friede! Aufnahmen des Herrn Geheimsekretärs Rich. Köhler in Parks und Schmuckplätzc. Von vr. Rudolf Schlosst Gruncwald und Hundckehle. Mit ie Kirche zu 'Zcrnitz in ’ der Ostpricgnitz. Illustrationen nach photographischen Auf¬ ~ B cjn ~ vr. Gustav Albrecht . nahmen des Herrn Geheimsekretärs Rich. . . 649 Polarforschungen. Mit zwei Skizzen Wust. Von Carl Laiighammer. Mit Illu¬ in Köhler Posthornklänge aus dem Rcichspostmuscum strationen »ach photographischen Aufin Berlin. Von P. Kunzcndorf . . . 478 Guben. Von P. Kunzendorf. Mit Illu¬ nalhmeu dcs Herrn Geheimsekretärs Rich. strationen nach photographischen Auf¬ Altertümer der Stadt Prenzlau im Mär¬ Köhler in Berlin. nahmen von H. Rosenthal in Guben. . 716 kischen Provinzial-Mnseum. Von vr. Gustav Eine Pfingstfahrt in den Harz. Von Carl Albrecht Langhamincr. Mit Illustrationen nach IV. Kunst und Wissenschaft. Julius v. Queis. Mit Illustration . . . 802 photographischen Aufnahmen des Herrn Generalleutnant von Rami», ein fridcriciGcheimsckrctärs Rich. Kühler in Berlin 400 Am Grabe einer Dichterfrenndin nnischcr Held. Von Ernst Friede!. . . 189 Aus dem Nachlaß von Willibald Alexis . 416, 432. Terz Bcethovcusaal in der Philharmonie. 134 Hciligengrabc. Von P. Kunzendorf. Mit Rolande. Von C. Laughainmer Von Hans Sagen aus dem Kreise Teltow. Mitgeteilt Das Berliner Couplet. Von vr. Hans Taft Aus Heringsdorf. Von Willibald Alexis. von P. ^ Ein Berliner Schöncbcrgs Entwickelung. Bon CarlLaugdem Nachlasse des Dichters herausgegeben 702, 714 von vr. Max Elvert . . . 609, 628, 641 Eine Berliner Schneidcrmamsell. Von E. Fr. Die Berliner Hermann Schulze-Delitzsch. Von vr. Rudolph Jüterbog. Von vr. Gustav Albrecht. Mit Das Berliner Theater in den Jahren 1827 Illustrationen nach Aufnahmen des Photo¬ und 1828. Von Eugen v. Jagow . . 796 Gymuasialdirektor Geh. Rcgierungsrat vr. graphen Krause in Jüterbog Die Gelehrtcn-Galerie in der Aula der Ber¬ Wilhelm Schwartz ch. Mit Illustration 381 Kleiu-Machnoiv. Von P. Kunzendorf. Mit Souderaue.sjilluug von Webereien im Kunst» liner Universität. Von P. Kunzendorf . Fernand Le geiverbe-Mliscum zu Berlin. Von Hans Abschied vom Kaninchenberg und von der Wulwc - Lanke in Berlin. Von Ernst F. Brunold, ein märkischer Dichter. Von Friedrich Backschat. Mit Illustrationen Ans Süd-Afrika. Mit Illustrationen . . 687 Friede!. I. Der Kauinchenbcrg. II. Tic nach eigenen photographischen Aufnahmen 101 Das älteste Buch der Deutschen Typographie. Bunseu, Robert Wilhelm Von Prof. Th. Von unseren neuesten Kolonien. NachPrivatFriedrich Rudolf Ludwig von Canitz. Von milteiluugeu und Briefen. Von Paul Das Fürstenhaus von Thnrn und Taxis. Paul Mit Illustrationen nach Anfnahmen der Warncke. Mit Abbildungen nach OriginalZum fünfzigjährigen Hof-Photographen Herren G. Schmidtskizzen von Herniann Grösser 373, 570, 635 Chopin in Berlin. TodestagcChopins. ch am 17.Oktober 1849. bauer und Aug. Brockcsch in Regensburg 348 Vom „Krügel." Von Carl Langhammer. Von Eugen Jsolani. Mit Illustration . Ueber die Errichtung einer Zentralbehörde Mit Die moderne Dekorationsmalerei (Mit für technische Angelegenheiten. Von Franz Lagow. Von Carl Laiighammer. . Die Dichterhermen im Viktoriapark . . . 688, 704 . 827 Spezialzeichnnngen für den „Bär) Döbbeliii und sein Theater. Von Oscar Das Sommerfest der Unfallstationen. Mit Kloster Lehnin. Von Carl Laiighammer. Wagner. Mit Illustrationen Mit Illustrationen »ach photographischen Zur Geschichte des neuen Domes zu Berlin. Aufnahmen des Herrn Gehcimsekretärs Unser Getreidefeld im Volksglaube» . . . 513 Von P. Walln Unsere neueste Kolouialeriverbung. Mit Rich. Kühler in Fünfundzwanzig Jahre Berliner KunstLicbcrofe. Von Carl Laiighammer. Mit Von Georg Malkowsky. entwickelung. Illustrationen nach photographischen Aus¬ Vieux Saxc. Von M. Becker. Mit Illu¬ strationen I. Architektur. II. Malerei. III. Bild¬ nahmen des Herrn Gehcimsekretärs Rich. 8, 23, 53, hauerei Vvlksbibliotheken in Berlin und CharlottcnKöhler in bnrg. Von Rudolf Das rote Luch., Von Emil Böhm . . . 495 Fünfundzwanzig Jahre Theater in Berlin Landau . 10, Vom südafrikanischen Kriegsschauplatz. Mit Der Dom zu (1874—1899). Von Geibcl in Berlin. Von Paul Warncke . . . . 670, 734, 770, 785, 826 Illustrationen Ein neuer märkischer See Voti der chemischen Industrie in der Mark. Märkisches Provinzial - Museum. WanderGewitternach! von Ernst v. Wildcnbruch. Erst-Aufführnng im Berliner Theater am fabrtcu der Pflegschaft 288, 318, 564, 596 Von Paul Hirfchfcld 88, 103, 121, 136, 151

Berlin..522

Friedei.215

.441 Grätzer.393 .460 ...

Berlin.752

Berlin.69 Berlin.761

Rathenow.603

Berlin.482

"

hanimer. Grätzer.542

Pyl.56

Bcndt. Illustrationen.562

....

Illustrationen.544 Wulwe-Lankc.90,

Illustrationen.446

.560

Berlin.154

Illustrationen.754

Berlin.216

Grätzer.308

.

186, 396, 447. Waldmeister rind

..

Maitrank.267 Jahndenkmal in Berlin

Was die steine am reden. Von P.

Kunzendorf.102

Wenn der Frühling auf die Berge steigt . Wie die deutschen Stämme sich beurteilen . Wie sah Berlin nach den Freiheitskriegen aus? Von Ernst Friede! . . 229, 245, Wo ist Berlin? . 285, Hans Joachim von Zicten. Ein Gedenk¬ blatt zum 200jährigen Geburtstage. Von vr. Gustav Albrecht

328 200 261 300

.280 Göritz.607

Zur Erinnerung an Franz I. Naunyn. Von Emil Zur Hundertjahrfeier der Technische» Hoch¬

Illustrationen.Mit schule.

Von

Richard

George.

Kunze.464

Zur

Geschichte

des Badclebens.

654

Von F.

Zur Geschichte des Botanischen Gartens in Berlin. Von Richard George. Mit Illu¬ strationen

.

.

457

stichcn.277

Zur

Geschichte

des

Illustrationen nach

Kvnigsplatzcs.

äljit

zeitgenössischen Kupser-

....

.254

Magdeburg.61

612, 786.

Nürnberger

Bilder.313

413

248

204 264

Marshall.29

Kunzcndorf.202 Illustrationen.780

Marscball.73

Berlin.617

....

....

783

165

Künstlerheim.172 157 „Sezession".173

.

425

Borne.269 184

ch. Seliger.508 .... ....

489 547

667 118 174

.213 I.

3l. Januar

1899

637

85

24 44

77

Göihc in seine» Lcbcnsbezichungc» zu Lili Schöncmnnn und Gräfin Auguste von 540 Stolbcrg. Von A. Matches Goethe und Friedrich der Große. Von Paul

....

Non Dr. Gustav Albrecht. Mb nach plioivgraphischcn A»snahmen des Herrn E. Panther, Lehrer 537 572 in Oderberg - 826 Karl Ans den Potsdamer Parks. Von Carl Klaus Langhamiuer. Mit Illustrationen nach Kaiser Fricdrich-Brunncn'z» Uerdingen a.Rh. 706 photographische» Ailfnahme» des Herrn Geheimsekretärs Rich. Köhler in Berlin . 182 Körncr-Eriuncrnngen ans Wittenberge . . 314 August Kvpisch. (Geboren am 26. Mai 1796.) Potsdam. Von Carl Langhammer. Mt Illustrationen nach photographischen Auf¬ Von Prof. Vr. Ludwig Geiger. . . . 324 Gustav Kühne 1843 in Berlin. Vonvr.Hans nahmen des Herrn Geheimsekretärs Rich. 292, 809 Taft Köhler in Lewes und George Eliot in Berlin. Von Prende». Von vr. Gustav Albrecht. Mit Abbildungen nach photographischen Auf¬ W. Duucan Das LiebcSwerk einer deutschen Künstlerin. nahmen des Märkischen Provinzial-Mu394 Von Wilhelm Asmus. Mit Illustration 736 Malerei u. Prenzlau. Von Carl Laughainmer. Mit 63, 94, 141, 158, 238, 287, 802, 850, 434 Jlinstrationen nach der Natur gezeichnet 546. 626, 658, 705, 737, 755, 770 786. von H. Der Meiücilrunk von Rothenburg . . .363 Die Rauenschen Berge und die Markgrafcn809 Riccolo Pagnniui in Berlin. Von Richard stcine. Kon R. Mt George. Mit zwei Illustrationen . . .765 An der Pforte des Saalethals. 737 498, 512 Palast der Exportfirma Staudt Oderberg.

Illustrationen

..........

Berlin.

scums.

Warncke. Helmerding.

Groll,..253

..250 Child.298 Bildhauerei.46

Kiekebnsch.588

Baltin.

Illustrationen.

....

.

. ....!..... V

Pattini.301 „Bildstöckl".

Der Thronsaal im Palazzo Caffarelli . . Raffaöla Die Erstaufführung von Schillers Picco¬ lomini in Berlin. (18. Febr. 1799?, Bon Fr. Katt Ludwig Geheimrat Henry Pierson Ludwig Rcllstab. Von Richard George 219, Aus Schlüters letzten Lebensjahre». Von P. Von Dr. Ludwig Friedrich Spielhagen.

Die Besoldung eines Baumeister?.... Die öffentliche Bibliothek und Lesehalle . . Das Die „Bismarck"-Vrücke im Grunewald . . 104 Wie sich Bismarck einmal einen Korb holte Die Errichtung eines Bismnrckmuseums in 171

Berlin. Walzer. Pille. Walls.138 Jacobowski.117 Pietsch.826 ......

Stephandenkmal..

. Das Standbilder in der Sicgesallee. Profcffor Brütts „Otto der Faule." . . Karl Begas „Otto mit dem Pfeil." . . . . . Gustav Ebcrlein und sein Werk Herters Gruppe Ludwig Markgraf Otto mit dem Pfeil als Minne¬

157 233

Boerenenthnsiasten.

300

166 190 198

1.205

sänger

.

.

Mit Illustrattonen

Berlin

.

-

nach photographischen

....642

von Zander & Lnbisch in

.

.

.

.

.

.

.

.

586

Schapcrs Großer Kurfürst Theater 47, 63, 110, 127, 142, 158, 173, 190, 206, 222, 238, 254, 270, 287, 802, 318, 546, 578, 594, 611, 626, 642, 658, 674, 691, 723, 738, 755, 770, 786, 802, 818. Ludwig Deck am Hofe Friedrich Wilhelms IV.

George.92

Von Richard Ein Totgeglaubter aus dem Friedrichshain. Episode aus dem Jahre 1848. Nach einer 466 Zeichnung von Th. Hosemann

....

...... ..450 Pietsch.108

Praktische Ergebnisse des Tuberkulose-Kon¬ gresses in Berlin. Ein Rückblick von

Dr. med. Julius Lang Aus Weimar. . . Zwei berühmte Frauen.

862

Von

Ludwig

V. Berliner und Märkische Chronik. Berliner und Märkische Chronik 64, 78, 95, 111 142, 158, 174, 191, 207, 223, 287, 302, 819, 836, 851, 385, 451, 467, 483, 499, 515, 531. 594, 611, 627, 643, 659, 675, 728,. 788, 755, 771, 787, 802, 818, Berliner Totenschau des Jahres 1899

127, 270, 435, 578,

238, 403, 547, 691, 826. .

.

255 419 563 707 827

VI. Kleine Mitteilungen. Ein vergessener preußischer Armecorgnnisator 208 „Die Arme rechts, die Beine links!" . . . 564 Arndt und Stein über die Märker . . . 143 Ernst Moritz

Arndt.256 Eduard.579

•.143 ..580 Viktoria.564 Artillerie. Definition.143

Arnd, Karl

Reitende Auch eine Auch schön.

.532 Unstrut.

Köpenick.740

°.. Kanal.64 ..-388 Wilhelm.239

....

.........

.... Kartoffel.628 Katte.352

Brandenburg..

..222 Fürsten.

.

Friedrich II. der Eiserne von Prof. Calandrelli. Photographische Aufnahme von Otto Kemnitz, Charlottenburg . . .269 Die neuen Standbilder in der Sieges-Allee. Aufnahmen

steller.420 Hohenzoller.78 von.288

628 Hildebrandt, Theodor, Historienmaler . . 611 707 Hirt, Aloys, Archäolog und Knnstschrift420 207 Ein bartfcindlicher 256 Humboldt, Alexander Huudekchle 208 Uber Jaczo von 303 Das Jahn-Mnscum zn Freybnrg an der Bismarcks letzter 468 176 Eine bittere 387 Iffland, August Enttäuschte 420 Eine deutsche Schule in Johannesburg . . 756 Bötticher, Karl, Archäolog 468 Im Berliner Kadcttcnhause vor hundert Hans Georg von dem Borne 579 Jahren . . 436 Borsig, der „Lokomotiven-König" . 836 . . Archiv der Stadt Brandenburg a. H. . . 78 Kalckstci», Christoph Wilhelm von Die Markgrafen von Brandenburg undLeipzig 239 Am 319 Preußische Kaperschiffe . . Brandenburg 1641 303 660 Ein groß angelegtes Karteniverk Das Bistum Am Dom zu Brandenburg a. d. Havel . . 32 Die Hans Hermann von Tie Grabstätten der brandeuburgischcn 32 Treffen von 48 Humor im Brandenburgische Die Bkandcnburgischen Mönchsklöster . . 320 Kleidung der Aerzte des vorigen Jahr¬ hunderts Die Brandenburgischen Nonnenklöster . . 303 Ewald des preußischen Majors Die Viktoria auf dem Brandenburger Thor 676 Tod Christian von Kleist Brandenburg an der Havel erhält Zollfreiheit 436 803 388 Die Umgestaltung von Alt-Kölln Die älteste Berliner Briefmarke 468 739 Die Komthnrmühle an der Plane Nene deutsche Das Brunold-Denkmal in Joachimsthal . 95 Koffak, Karl Ludwig Die feierliche Enthüllung des Denkmals für den märkischen Dichter F. Brunold . . 386 Kranzlers 128 Verband der Kriegsfreiwilligen von 1870 Bülows Autograph 692 bis 1871 420 Vultmann, Plilipp, Die Stadt Krossen a. Ausgrabung der Leiche des frauz. Grafen Lazare Nicolas Marguerite Carnot . . 500 Auch ei ne Ursache derKuncrsdorfcr Niederlage 111 531 Der Große Kursürst in K. G. von Hilles Vom alten Cers. . „Teutscher Palm bäum" 419 Der Spuk von 111 Ei» vierfacher Chorin Johann Ciceros Politisches Testament . . 499 Ledebur, Leopold Karl Wilhelm August 500 Freiherr Clnuren, H. . 191 Lette, Wilhelm Coligny und die DaS letzte Die Bedeutung des Namens Cölln an der 207 Das Lord-Marshall-Haus Spree . Albert Herzog Franz von Dessau über das deutsche 595 Das Stadtsiegclund Siadtwappcnvon Luckau 175 Reich Der „alte Dessaucr" uud die Spielleute . 78 Der Schwancnverein in Lübbenau . . . 9c> 628 Stiftung des preußischen Luisenordens . . 500 Das Deutsch des alten 64 Zur Erinnerung an die Königin Luise . . 159 Ein deutscher • 128 . Deutsche Prätendenten in Frankreich. . . 240 Märkischer Deutscher Unternehmerfleis; tut- Auslande . 643 Märkische Dorfkirchcn in romanischem Stil 756 547, 771 772 Märkische Tie 320 Neue Funde in der Mark 256, 271, 404, 467 Lamprecht 611, 627, 728. Das Hans Dorotlicenstr. 10 . . . . . 78 In der Schloßkirche zu Drobrilugk . . . 515 Märkische Muscheln und ihre Verwendung . 271 111 Märttsche Die beiden 595 303 Von den westphülischcu Maires Die beiden 563 Mangel an 144 Seiten für 100 78 Manpertuis, Pierre Louis Moreau de . . 484 176 Medizinische Es fehlt noch ein • 563 239 Meister Menzels Feldherren als Redner . 676 Mendelssohn, Französsisch und Deutsch 436 Zur Geschichte der preußischen Meffen . . 483 Französische Meteor am 18. Oktober Eine Frau, die bei Lebzeiten ihres Mannes 579 804 Moabit 1773 dessen Gedichte herausgiebt 128 627 Der alte und der junge Moltkc Frauenthätigkcit Eine Oper „Mndarra" vor hundert Jahre» 288 Eine merkwürdige Erinnerung an die 515 Nagler, Altenstein nnd 95 420 Napoleons Abschied von Leipzig Friccius, Karl Friedrich Eine hübsche Anekdote von Kaiser Friedrich 256 78 Verein Patentschutz in „Unser Fritz" als 452 „Unser Fritz" beim alten Nignet . , . . 48 Großfürst Paul von Rußland Friedrich Wilhelm III. Dankadresse . . . 836 Eine Anzahl pommerscher Sicdeliiiigen. . 128 351 Praktische Friedrich Wilhelm III. landet in Dover Preußen und Die Fingerringe ,a». den Händen König 176 Der Professor als Haarschncidcr Friedrichs des Großen während seiner 452 .740 Frau von letzten 516 78 Ritter, . . . Taktgefühl Friedrichs des Großen Friedrich der Große und Ulm . . . . . 595 Rosenkranz, Johann Karl Friedrich . . . 368 239 Die Rousseau Insel im Tiergarten . . .724 Menschenfreundlichkeit des „alten Fritz" Das Fürstenhaus in der Kurftraße 52/53 . 707 Russiische Kolonien in Deutschland . . . 532 548 Ein Gagern, Heinrich Der Friede von St. Germain-en-Laye . . 420 Schcrcnbcrg, Gcschäftsfindigkeit der alten guten Zeit . . 804 Schill, Major Ferdinand 435 Wilhelm August von Eine Gcschichtsfälschung Der letzte Rest der „Schmalen Gasse." . . 255 Eine Gedenktafel für den russischen Kom¬ 404 Haar-Opfer der Ferdinande von Schmettau 484 ponisten Glinka 436 Schnell Goldbarren im 303 der Kugel auf der Spitze des Kirchturms Das geheimnisvolle Grab 95 • in Grolmanu, Karl Wilhelm Georg von . . 484 452 Ein sonderbarer Schule zum Grauen Sonderbares Das Kurfürsten-Denkmal im Walde bei 419 Ein Grünau . . .. Das Sportdenkmal bei Grünau . . . . 581 Die erste Svnntagsfchnle in Berlin 1799 . 208 676 Der besorgte Gute . 660 Das Grabdenkmal Heinrich von Stephans 255 . Der böse 176 Stieglitz, Heimgeschickt 222 Das Verzeichnis der Straßennamen Berlins 78 Heinzclmann, Karl Hildebrandt, Karl, Freiherr v. Canstein. . 532 Streckfuß, Adolf Friedrich

676

.

Aufhebung der Soldatenwerbung im Ans¬ lande Angnsta und Aurillon, Charles, Historiograph und Po-

436 lizcidirektor. Wilhelm.579

Barthold, Friedrich

Daniel.484 Alt-Berlinische Grabschristen.808 Wassermann, Friedrich

Berliner!.532 Berliner.208 Berlin.176

Die Berliner und. die Militärpflicht

.

.

.

628

Oh, diese Ein lustiger Eine Oase bei Berlin nnd seine Umgebung im Anfange

Jahrhunderts.631 .319 Berlin und das vierte Armeecorps Die Farben der Stadt Berlin.239 Berliner Ferienkolonien.707 192 unseres

.

.

........ Teil.516 ......

Die Fünfstadt Berlin

Der Bericht über die Gcmeidc-Bcrwaltnng der Stadt Berlin in den Jahren 1889 bis 1895, ziveiter Zur Geschichte der Berliner Möbel-Tischlerei 287 95 Berliner Oberbürgermeister Berliner Ostcrfcicrtags-Verguugcn vor 50 Jahren Berliner Sagen . . . Berliner Schulen im vorigen Jahrhundert 564 Berliner Studenten in den Befreiungskriegen 628 DaS Berliner Theater im Jahre 1848 . . 319 Berliner Theater-Zustände vor 100 Jahren .128 . . . .111 Die Berliner Vorortgemeiuden Das Bernstcin-Kabiuet . Ein Stück . Sein Bescheid . .

..128 ..143

..111 Bernstein.143 ..176

Kay.467

.660 .516 ....

Kirchenbau.820

Landmiliz......

.... Briefmarken.

Karl.

... „Kongsnäs".207 Ernst.500

Ecke.819

. .....

0.111 .803 Lebensretter.320 von.436 Adolf.288 Geschäft..48 .772 Lortzing.159

....Charlottcnburg.

Hohcnzollern.

Dessauers.... Kleinstaat.

Ade!..

Funde.. Totcnbräuche.755 .... Kindesliebe.548

Dienstbotenfräge..

Distelmeyer.

,.

Eiben. Mark!. Ephraimiten.

Eibenbäume. Kommando!.

Examinatoren.532

...... 1818.

1814.660

Erzieher.

.....

Modell.■ Moses.580

....... Okkupation.

.... Bcymc.628 Freiheitskriege.. .... ....... Rcttclbcck.404 Berlin.740

Aushilfe.175 Marokko.388 Ouitzow.....

Karl.

Lebenstage.

von.

...

Juliusturm.

Kloster. Beköstigung. Hans..

Ludwig.

Säkulartag.724 Ernst.467 von.271 Schlegel.256

In

gefaßt.148

Sembten. ... Rat.128 Zusammentreffen.127 Sonntagskind.820 ■

Staatskanzler.48

Heinrich.548 Karl.484

VI

Tabakskollegium.532

Buckow.

Aus dem 661, Auf dem Telegraphenberg bei Potsdam . 564 Groß-Behnitz im Westhavclland. Tbielmaun, Johann Adolph Freiherr von 627 Kirche und Friedhof von Groß-Behnitz . Ticdge in Im Park von Der Berliner Till Eulcuspiegel 175 Blick auf das Schloß in Groß-Behnitz . Die Trauung der Tochter des österreichischen Schloß Grunewald und Hundekehle. Illustrationen nach photographischen Auf¬ Trefflicher nahmen des Herrn Gehei,nsekretärs Rich. Trenck, Fra».;, Freiherr von der . 628 Köhler in 469, 481, Trenck, Friedrich, Freiherr von der . . . 484 Heilige Ueber den Trompeter von Mars la Tour . 256 Hubertusjagd im Grunewald. Vermählung der Prinzessin Ulrike von Der Eber durchschwimmt den Grnnewald-

Berlin.739 ....

Botschafters.48 Bescheid.143

...

.467

Empfang.48 Unterschrift.176

Preußen Unbequemer

.256 .819

Gründung der Berliner Universität . . . 532 Die' Aus der Vergangenheit der preußischen Volksschule

Vier neue Vizeadmirale

Voigts-Nhctz, Constantin Bernhard von . 452 Volkstypen aus dem vormärzlichen Berlin 78 Der Markgraf Waldemar von Brandenburg . 532 Wallenstcin in Der Vermählung des Prinzen Wilhelm von Preuße» und der Prinzessin Augnstc von

667 Fcucrsbrunst in Maricnburg. Der Markt mit den „Hohen Lauben". . 528 597 Die Brandstätte von der Roaatseite ans

Groß-Behnitz.603

604

Oderberg. Blick auf Oderbcrg vom Gcisberg aus. 565 Der Albrcchtsberg bei Oderbcrg . . . 572 483 Westlicher Teil von Oderberg 573 Oderberg mit Albrechtsberg von der Oder¬

Berlin. Nacht!.813

..725 Gäste.731

.... Turm.716 Lubstberge.716

.718

Goslar.389 .399 1.27, .... Wilhelm.351 Harzburg.401 ... Harzburg.402 Forelle.405 Baircuth.436 Hohne.409 Wilms.580 Hohne.410 Wilhelmshafen.404

Sachsen-Weimar.388

Der Sarg Kaiser Wilhelms Kronprinz Kaiser Wilhelm II. als Prinz Fritz Prinzessin Wilhclmine, Markgräfin Robert

.239 ..820

Kriegshasen Woher stammt die Bezeichnung

braut?"

64

von

„Winds¬

„Charakteristischer Wohnungsanzeigcr

der

August.516

Stadt Berlin." . Wolf, Friedrich Das zerstörte Der Zoologische Garte» in Berlin . . .887 Ein Zug von seltener Herzensgütc . . . 208 Zuuipt, Karl Zur rechten Stunde und am rechte» Orte . 111

Zigeunergrab.436

Gottlob.420

Zutreffende

Dcfinierung.176

VII. Verrinsnachrichkeir.

.....

Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 466 Verein für die Geschichte Berlins 32, 48, 96 192, 255, 272, 692, 740. „Brandenburgia" Gesellschaft für Heimat¬ kunde der Provinz Brandenburg zu Berlin 32, 112, 144, 160, 192, 223, 255, 272. 352, 367, 403, 419, 515, 547, 596. 612, 692, 708 772, 787, 804, 828. Touristen-Klub für die Mark Brandenburg Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg 16, 112, 144, 192, 368, 708, 788. Der historische Verein zu Frankfurt a. O. 452, 644. Programm der Generalversammlung des Gesammtvcreins der deutschen Geschichts-

....

brücke

aus.573 Paderborn.

Jnselbad bei see . . . Der Eber wird von der Meute gedeckt . 730 Potsdam. Mit Illustrationen nach photo¬ graphischen Aufnahmen des Herrn GcheimUngebetene sckretärs Richard Köhler in Berlin. Guben. Heilandskirche bei Von Kaminskys Berg aus aufgenommen Matrosenstation von der Wasscrseite . . von H. Rosenthal in Gilben 709 S. M. Fregatte Royal Louise Dicker Glienickcr Das Stadtschloß in Potsdam Rathaus, Kaiserbrunnen und Kirche . .717 Babelsberg, Alte Gcrichislaube.... Tie Nikolaikirche in Potsdam Unter-Neiße Schloß Pfingstfahrt in den Harz. Mit Abbildungen nach Photograph. Aufnahmen des Herrn Sanssouci mit Geheimsekretärs Rich. Köhler in Berlin. Potsdamer Parks, Ans den. Goslar: Der Zwinger Sanssouci: Sizilianischcr Garten . . . Forellensprung bei Harzburg 400 Schloß Panorama von Partie am Radau fall bei Eingang zum „Nordischen Garten" . . Ilsen bürg, Rote Prenzlnu. Taufstein bei Preuzlnu vom Ukcrsee Ottofrls bei Stadtwappen von Wernigerode, Partie am Wernigerode, Marienkirche von der Seufzerallee . . . Wernigerode, Bor der Wasscrpforte. Johanns Einlaß Wernigerode, Baulichkeiten des ehemaligen Domini¬ Wernigerode, Christianenthal 416 kanerklosters Blankenburg An der Gegensteine, Blankenburg 417 Durchgang zur Blankenburg, Blankenburg, Schloß Trescburg Rheinsberg. Nördlicher Seitenflügel des Schlosses Bodethal,

Wahrsager.95 Schützenhaus.717 Berlin.95 Weihnachtsmann.819

gesehen.529 Stallstraßc.629

Die

.

Sacrow.

.... Brücke. ....

.... Sanssouci. Saussouci-Muschclgrotte.

Ruineubcrg. Marmor-Palais.

177 181 182 183

Panorama.411 Schloß.412 Rathaus.413 Mühlenthal.414

Prenzlan. Mittclgraben.

581 588 588 589 590

.425

Traußcnmühle. Seufzerallee. 592

.... ..416 ......

Regcnstcin.418 Großvater.419

Ballenstedt.421

aus.

Mittelturm. Hexeuturm. Schwcdtcrthorturm.

Bodcthal.426 Kronentempel.427 Rhcinsberg. Bodckesscl.428 Mark. .... Grienerick-Sec. .... '.431 .... Hcuschcuersehen im Bodcthal Hexeutanzplatz am Hirschgruud

429 430

Rhcinsberg in der Partie am

590 591

592 593 598

353 857 358 358 859

Platz vor dem Schlosse Rheinsberg . . Ballenstedt, Schloßpark Muschclsaal im Schlosse zu Rheinsberg . Partie aus dem Okerthal 432, 433 Südlicher Haupteingang des Parkes zu Burg Falkenstein bei Ballenstedt . . . 434 16 381 303 Die Raueuschen Berge und die MarkgrafenDer Salon im Park zu Rheinsberg . . 882 steinc. Von R. Baltin. 644 Grabstätte des Prinzen Heinrich im Park An der Fürstenwalder Schleuse . . 809 . zu 383 Am Fürstenwalder 660 Unsere Sahara. Kirche in Die Kaiserpappel auf dem Tcmpclhoser Großer 451

Rheinsberg.

Rathaus.810 Rauen.810 Markgrafenstein.811 Markgrafenstein.811

....

819

Rhcinsberg.

Felde. Fußball.

Franzosenpfuhl.

Berlin.49 Lcistikow. Sprccwalddorf. Spreewaldhaus.

Altrrtumsvereine.580

Berlin.225

Soraus.... Volkskunde.223

......

(Karolinen).373 Strausberg-Vorstadt. Strausberg. Capstadt. von Kafscrntypcn.

Uap.877 Karolinen).378 .... Uap.880 Apia.762 Apolina.753

Ansicht Kusaie (östliche

Illustrationen.

Dorf auf Saypan (Marianen)

379

Begräbnisplatz auf

I. Landschaften. in Bayern. Die Prinz-Regcutenbrückc in München vor

Hochwasserkatastrophe

Einsturz.620

Unsere neueste Kolonialcrtverbung. Ansicht von

Einfahrt zur Insel Ein Eingeborcnendorf auf Upolu . . , 753 . 620 Teil der Hauptstraße von 753 Die übcrschwcinmtcn Elektrizitätswerke an Kongsnäs. Nach photographischer Aufder nahnie des Geheimsekretärs Rich. Köhler Wolfratshausen bei München unter Wasser 623 in dem Die eingestürzte Prinz-Regentcnbrücke

Isar.622 Berlin.205 Tegernsee.624 Tegernsee.625

Dahlem.826 Berlin.337 Rottach am

Apia....

Kribi in Kamerun.

17

.... Transvaal. ....

gesehen.

Burcuoffizicre.

Missiousgebäudc.784

326, 327, 328 Mauövergeschwader int Nordweststurm in der Ostsee. (Nach einer Skizze von Hans

Hörnigk.).606

601 602 602 33

341 843

517 522 523 671 671 672 673 674 675 768 769

An der Seelüfte bei Capstadt Kaffernkraal in Frühmarkt in Johannesburg Die Stromschncllcn des Tugelaflusics Ein Kaffernkraal am Tugelafluß . . . Panorama des Thals von Glcucoe, von 786 Süden Panorama von Ladysmith und Umgebung 787 Ein gepanzerter Eiseubahnzug auf der 735 Strecke Kimberlcy-Mafcking .

Pritchard-Strect in Johannesburg Die Südsee, Bilder aus der. Das Innere der Missionskirche.... 785 Urwaldtypus von Mikronesien Wasserfall und Brücke über den Kribifluß 785 Frnutuiypeu aus Mikroucsicn

.321 Lagow.

Gruncwald.193

BiSmarckbrückc im Am Dom zu Brandenburg a. d. Havel. Nach

einer Radierung von Beruh. Mannscld

291 292 292 293 294 295 305 309 310 311 312

Klein-Glinicke. Juugfernsce.

Kleiner Der Studie aus der Jungfernheide. Nach einem Zuschauer beim Aquarell von Franz Skarbina 53 Am Kanal. Nach einer photographischen Am Schlachtcnsee. Gemälde von Walter Aufnahme des Herrn Gcheimsekretärs Rich. Kühler in Spreewälders Heim. und Klein-Machnow. Nach einer photographischen Die Niedcrlausitzcr Gesellschaft für Anthro¬ Aufnahme des Herrn Gcheimsekretärs pologie und Altertumskunde 319, 368, 515 Rich. Köhler in Strausberg am Strauß. Photographische Verein für die Geschichte 612 Kolonieen, von unseren neueste». Aufnahmen des Herrn Geheimjckretärs Verein für Dorf Nollok auf Iap (Karolineninscln) . 369 Rich. Köhler in Berlin. Faktorei der Jaluit - Gesellschaft auf Ansicht von Strausberg VIII. Büchertisch. Ponape Der Pilz bei Büchertisch 16, 82, 96, 128, 160, 176, 192, 224 Typen aus unseren neuesten Kolonien . 373 240, 256, 272, 288, 304, 352, 368, 388, 420 Frauen ans Langnr (Karolinen) . . . 874 Vom südafrikanischen Kriegsschauplatz. 468, 500, 548, 644, 660, 692, 708, 724, 740 Männer aus Langur (Karolinen) . . . 375 Kafferu auf dem Wege zur Stadt . . . 756, 772, 788, 804, 820, 828. Kanal im Mangrovesumpf auf Ponape . 376 Berg Liouhead bei

Am Landwehrkanal in Ein Stück „Alt-Berlin"

304

Küstculaudsckast.

Karte von Mikronesien. . . Doppelfahrzcug in der Südsee Fahrzeug in der Südsee . .

827 827

366 366 866 367 367 867

..

thal. Choriii.

VII

Berlin. Berlin.81

Sanflermiinbc. Photographische Aufnahmen dcS Herrn Geheimsekretärs Rich. Köhler in

65, 69 DaS alte Forsthaus im Thiergarten. Nach einer photographischen Aufnahme des Herrn Gcheimsekretärs Rich. Köhler in

78

. le.

1

788

II. Porträts.

Tritheim. von.

Abtstab und Kurhut. Kurfürst Joachim I. Nestor Achenbach, Heinrich

r.

Albrecht, Major, Kommandeur der Artillerie

Oranje-Freistaates.

Bismarcks Eltern. Luise Wilhelmine v. Bismarck, geb. Menken Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck. v. Bock und Polnch, der neue Gencralstabschcf Borne, Fernand Bunscn, Robert Wilhelm Chopin, Dauckelmanri, Eberhard Distelmeyer, Döbbelin und sein Theater. Carl Theophilus Demoiselle Schauspieler . G.

greberic. von.

Lamprecht. Döbbelin. Döbbelin. Fleck. Hantlet. ....

Koch.

rockmann als

Evans, Marian. (George Elioii Kapitän Fröhlich, Führer der „Palria" . . Fünfundzwanzig Jahre Berliner KuustenrWickelung.

Menzel. Becker. Dettmann. Knaus. Liebermann. Schapcr.

Anton von Werner Adolf von

Karl Ludwig Ludwig Max

er.

Begas. Brütt.

Friedrich Reinhold Nikolaus G egg

Adolf Fünfundzwanzig Jahre Theater in Berlin. Lebrun als Beethoven. Original des Por¬ trätmalers Hugo Danz in Berlin . . Helmerding als Aktienbudiker Graf von

.... Hochberg. Wegcner. Hülsen. L'Arronge. Lebrun.

Ernestine

Botho von Ad. Theodor Agnes Ludwig Josef Georg

Sorma. Barnay. Kainz. Engels. Hauptninnu.

Hermann ©übernimm Gerhart Ernst von Wilde»

Halbe. Lindau. Zobeltitz.

Oscar Max

August.

Link. Neander. Müller.

gebor von Garcke,

.

Blumenthal.

Ludwig

Paul

bruch. Fulda.

Prof. Dr.

Stolbcrg.

Goethe Auguste v.

in

.... Chlodwig. Amalie. von.

Paris.

Grimm. Fichte. Such.

818 197

108 852

Kleist-Raddatz.

Alexander

Lette. Student.

Fischer). Paul.

Moltke. Niccolo. Rafsaela.

489 97

.... Windsor. Thronsaal. .... Salon. Speisesalou. Königin. Orangerie. Saudringham. Jork. Wales. Alelier.

198 201

1

Prinz Albert-Mausolcuui Der Rote

Eingang zu den Prival-Gemnchcrn

I.

Henry. Oncis.

778

.

Tammthor. Lübeck.

Friedrich.

Grunewald.

White..

Turm.

Ludwig.

....

Joseph.

Thurn und Taxis, Fürstenhaus von. Erbprinz Franz 344 Wandgemälde in der Trinkhalle . . . Fürst Albert und Fürstin Margarete Klein-Machnow. Klementine von Thurn und Taxis. . 344 Das neue Herrenhaus und der alte Turm Das Jubiläum des Fürstenhauses von Die Kirche in Klein-Machnow Thurn und Taxis 845, 346, 347, 348, 349 Altar in der Kirche von Klein-Machnow Tieck, 93 Kanzel in der Kirche von Klein-Machnow Vier neue Vizeadmirale. Epitaph und Büste des Generals Friedrich Vize-Admiral Prinz Heinrich v. Prcusieu 814 von Vize-Admiral 815 Köllnischc Rathaus, Das. Vize-Admiral von Senden Bibran. . . 816 Das Köllnischc Rathaus vom Köllnischen Vize-Admil Bendemann 817 Fischmarkt Das Köllnische Rathaus von der GerZielen, Hans Joachim von. traudtenstraße Porträt nach einem Stahlstich aus dem 4 Hof des Köllnischen Rathauses Märkischen Provinzial-Museum . . . 278 5 Treppcnflur im Märkischen ProviuzialGrabmal, 284 10

Hake. aus. ans. ....

Tirpitz.

Museum. vinzial-Museums.

Gedenktafel.

10 10 10

III. Architektur, Skulptur, Malerei.

10 Die Akademischen Bierhallen am Hegelvlntz Von Prof. Vital 11 Apotheose Beethovens. Schmidt 118, 119, 122, 123, 11 11 Der Beethovensaal in der Philharmonie . Berlin. 11 Dom, der neue. Domausichten 213, 214, 215, 25 25 Berlin nach den Freiheitskriegen. Das Brandenburger Thor im Jahre 1815 25 Der Wilhelmsplatz tut Jahre 1815 . . 25 Das 27

.... ....

27 27 27

684

Direktionszimmer

386 125 29

216

Märkischen

Ratsmage. ....

Der kleine Hof im Köllnischen Rathaus . Die alte Märkisches Proviuzial-Museuni Straf-, Folter- und Richtwerkzeuge . . Mittelalterliche Gruppen 7oo, Waffen- und Bücherwerke aus dem 16. und

....

Jahrhundert.

Münzgebäude.245 Börse.245

„Krügel".

....

Mütze!. .267 .261 .... .264 Kirche.217,

Kaiserliches

7

Kaufhaus Ascher »ndMünchow.Leipzigerstr. 9 Wohnhaus Wilhelmstrasie 21 Wohnhaus Thiergnrtenstraßc 22 Villa Lessing, Kolonie Grunewald . . 23 Berlin vor hundert Jahren. Plan von Berlin aus dem Jahre 1799 . 782 Das Haus Kochstrasie 67 iRanmer-Haus) 739 648 Ruine Brandenburg im Werrathal . . .251

537

741 781

789

793 796 796 796 797 797 801 403 705

748 749 533 544 o4o 545 546

665

666 666 682

■.

683 683 683 699 700 701 701

277 278 447

764

155

219

220 Dvrsftraße . Lortzings Grabstein. Nach einer Amaleuranfnahme von Herrn O. Hnsselkampf in

Potsdam. .... Magdeburg.59, Patentamt.8 ..... Villa.172, .... Knust-

778 778 779 779 779 779 780 780 780

Pro-

17. 229 Köuigsplatz. Zur Geschichlc desselben. 230 Das Krollsche Etabllsscmcnt im Jahre 1855 Das Raczinskyschc Palais im Jahre 1855 Friedrichsbrücke und Vom 438, 446, Das Kommandanturaebändc 247 Laubenhäuser in der Neumark. Nach photo¬ Eisbahp hinter dem ^ZcltNr. 2 . . . 247 graphischen Aufnahmen des Herrn Hans Dic/Aelte im Tiergarten nach den Frei¬ 762, 763, heitskriegen Kloster Lehnin. Nach einer photographischen DerGcndarmenmarkt mit dem alten Schau¬ Aufnahme des Herrn Gcheimsekretärs Rich. spielhause 145, 154, Köhler in Berlin Die neue Willi Licberose. Die Börse mit Blick auf den neue» Packhof 263 218,

elmstrasie.262 Theater.265

187 187 187

des

1

de

Hciligcngrabe.

F.'. ..

1

777 777

....... Litdwig. Jüterbog. Sontag. Rathaus. aus. aus. Neumarktthor. Zinuaerthor.

Schlciermachcr. Saviquy.

Wilhelm Gottlieb Jacob Grimm Hervorragende Geographen der Gegenwart. Ferd. Frhr. von Richthofen. — Georg Nenmayer. — Sir John Murray. — Albert de Lapparent. — Eliscc Reclus. Nils Ad. Erik Nordcuskjöld. — Fridtjos Nansen. — Ed.

540 Kloster 541 Eberlein Gustav. 542 Gustav Eberlein in seinem 253 Adam- und Eva-Cyklus

Groth, Klans, im achtzigsten Lebensjahre Heinrich Heine und Berlin. Das deutsche Kaiserpaar in England. Jitgendbild von Heinrich Heine 808 Schloß Das Heine-Denkmal nufdem Psre-Laichaise

Gelehrtengalerie i» der Aula der Berliner Universität. 185 H. F. August 185 Johannes 185 Das Leipziger Thor 185 F. Das Köuigstädtische Friedrich Karl v. 185 C. W. Hufeland 185 Fünfundzwanzig Jahre Berliner entwickelnng. Dr. Albrecht v. 185 Meininger Bank, Behrensteaste Karl 185

Gräfe. Ritter.

Sterbehans und Denkmal in Jvaclnms-

799 830 Lette, Die Familie. Garten von Schloß Saudringham Wilhelm Adolf Lette nebst Gattin . . . 332 Vorsaal in Schloß Saudriugham . . Marie Fischer geb. 332 Salon in Schloß Saudriugham . . Lette als 383 Schloß Jnstincnhof, Besitztum der Familie Leite. Prinz Eduard von (Nach einer Zeichnung von Marie Prinzessin von 470 333 Marlborough-Haus in London. . . 477 Lettes Grab 333 467 Mcperhcini, 161 Göthe auf den Ruinen des antiken Rom Gemalt von H. Tischbein . . 668. 669 770 Paganini, Ruine des Pränionstratcuser765 Gramzow. klosters. Illustration von Herrn GeheimPattini, 311 297 Pierson, Geheimrat sekretärs Rich. Köhler in Berlin 158 297 Leutnant 773, 802 Kloster Julius von 563 Prof. Julius Rnschdorff 209 Jüterbog. Nach Aufnahmen des Photo¬ 270 Rellstab, graphen Krause in Jüterbog. 221 547 Rellstab, Ansicht von Ludwig. 645 Henriette 233 767 St. Nikolai von S.W. Jenny Lind 234 279 St. Nikolai von 8.0. Wilhelmine Schröder-Devricnt . . . . 235 Ludwig Rcllstabs Grab 235 638 Schwartz, Geh. Regierungsrat Dr. Wilhelm 331 638 Skarbina, 94 639 Spielhagen, 113 Der Kaisertum! in 639 Vom südafrikanischen Kriegsschauplatz. Kaisertum! im 640 Oberst Schiel . . . 734 Kaiser Friedrich-Brunn eil zu Uerdingen a. Rh. 299 Generalmajor W. P. Symons . . . . 734 Kaiser Wilhelm-Gedächtnisturm bei Ebers¬ 784 General George 734 walde.

Werbellinsee.613

t

Lili

Hohenlohe, Fürst 677 Joachim, Frau Kntte, Hans Hermann General-Feldmarschall Henning. 380 von

Apollinaris-Kirche.329

des

Schoneniann.

Brnnold, ein märkischer Dichter. Wohn- und

Stolbcrg.

. . . . . .

Partie aus dem Tiergarten. Nach einer photographischen Ausnahme des Hcrrr Gcheimsekretärs Rich. Köhler in Berlin Ansicht von Garda mit San Vigilio . . Seeschlacht am Cap St. Vincent. (Nach einem Aquarell von Hans Hörnigk.j . . Wenn der Frühling auf die Berge steigt. Die Kloster und Pensionat „Calvaricnberg" Das iveitze Kreuz und Altenahr . . . Am

Abt

Goethe in seinen Lcbeusbeziehungcn zu Litt Schönemann und Gräfin Auguste von

Dom zu

Magnussen, Harro, und sein Werk . Das neue Marstallgebäude in Berlin

.

.

.

.

Segcr. 1.316,

Mcycrhcim, Moltke-Denkmal in Schweidnitz. Von Ernst

159 61

63 569 173 747

317 Karrikaturen Napoleons Freilegung der Nikolaikirchc. Nach Amateurausnahmen von Herrn Otto Hassclkampf

in

Potsdam.150,

151, 153

.

..650 .... Trocknen.650

VIII «.Nürnberger Silber.

Aus Südafrika. Der Monumentalbrnmien auf dem Plerrer 313 Das Parlameutsgebäude in Bloemfoutein Das Martin Behaim-Deiikinal . . . .313 Artillerie des Oranje-Freistaates . . . Das Das Präsidentengebäude in Bloemfontein Der Hof des Das Stadthaus in Pietermaritzbtirg (Natal) Palast der Exportfirma Staudt. Ausmarsch einer Boeren-Kompagnie durch Die alte Die neue Jubelfeier der Technischen Hochschule. Thron und Kandelaber für den Palazzo Tie Künste, der Technik huldigend. Gruppe von Ernst Prenden. Werner v. Kirche zu Alfred Krupp 395 Altar und Kanzel zu Prenden . Geh. Regiern» gsrat Prof. A. Siebte Taufschüssel und Altarlenchter in der Kirche Hermann zu Technische Hochschule, zur Hundertjahrfeier. Der Teufelstein bei Die technische Hochschule in CharlvttenRamin, Generalleutnant von, ein fridericianischer Die Schinkelsche Bauakademie Nolande. Ein Totgeglaubter aus dem FricdrichShain Roland in Ueckermünde. Mit Illustrationen nach pho¬ Roland in tographischen Aufnahtnen des Herrn GeRoland in Perle heimsekretärs Rich. Köhler in Berlin. Roland in An der Pforte des Saaletbals. Blick auf Naumburg a. S. vom Bürger¬ garten Der Dom zu Naumburg n. D. . . 497, 498 . . . 499 Das Marienthor in Naumburg Dichterhermen int Viktoriapark. Panorama der Heinrich v. Kleist Schloß Neuenburg bei Freibnrg . . . 511 Theodor Körner Doppel-Kapelle im Schloß zu Neuenburg 512 Max v. Das Ludwig Sekt-Kellerei Kloß & Wandgemälde im neuen Künstlerhause von Bad Prof. Schlaraffia, die. Wendisch-Drehna. Mit Illustrationen nach 493 Portal der Schlaraffen-Burg photographischen Aufttahmen des Herrn Der Geheimsckretärs Rich. Köhler in Berlin. Wappen des Oberschlarafsen.494 Bauerngehöft Oberschlarafse „Louis Grazienheim." «Leon Die Kirche zu Wendisch-Drehna . . . Wust. Schloß, Kirche, Erbbegräbnis der Der große Festsaal der Schlaraffenburg. 495 Der Rittersaal der Schlaraffenburg . . 495 Wustrau. Kirche, Schloß. . . 281, 282, Schlüters, Andreas, Reliefporträt. Nach Zoologische Garten in Berlin, der 168, 169, einem Medaillon aus dem Nachlaß des Hauptportal des Zoologischen Gartens . kgl. Hofbildhauers Schlüters letzte Lebensjahre. Schlüters erster Entwurf für das Schloß Sommerfest der Unfallstationen im Zoologizu scheit Garten. Prunksarg Friedrichs I. im Dome zu Berlin 140 Das neue Wiener Das alte Kaiserliche Sommerpalais in Das Elephantenhaus in bengalischer Be¬

Pellerhaus.314 Pellerhauses.315

Welt.736 Welt.737

686 686 686 687

Johannesburg.687

.690 Wiebe.691

Herter.689 Siemens.690

Elektrizität contra Gasglühlicht. Glasbläser Herstellung der Cellulosefäden Aufspannen der Cellulosefäden

650

zum

bonisierofen.651

Verkohlung der Cellulosefäden im'Kar-

Einführen und Einschmelzen der Kohlen¬

Glnsballons.651

fäden in die

.651 .... .... Prenden.396 Prenden.397 glühIichl-Gesellschaft.653 burg.655 Held.189 .... Gewitternacht. .723 Prenden.394 ....

Brandenburg.134 Stendal.135 borg.136

691

Die elektrische Schleppschiffahrt

656 466

Jahn-Museum.513 Förster.513

Kosen.514 .... Burggarten.493

.174 Uhland.175

Schenkendorf.175

Koch.120

.616

Treptow.).494

..619 Mützel.).685 ..795 Jahren.).819

Ausrüstung. . Kranzlers Ecke. (Nach einer Karikatur aus den vierziger Mnienfcst int Künstlerhause. Der obere Saal im Künstlerhause... Gruppenbild vom Maicnfest im Künstlcr-

Jn

42

der Berliner Zentralmarkthalle. (Nach einemBildevottProf.LudwigDettmann.) 653

Meister Menzels

Modell.563

Militärischer Brückenbau über die Oder 578, 579

Motorwagen-Ausstellung.595

617 Museum

für

Elsässer

283 170 386

79

Volkstrachten. Bauernstube.441 Hochzeitsbitter aus deutsche

. 442 Hessen Bauer und Bäuerin und Hummelbauer aus Bayern 442

Betzinger

Bauer.448 Stube.443

Tassaert.129 Uechtritzbrnnnen.387

387

Lüneburger Paradehnudtuch ans Schleswig-Holstein 444 . 444 . . Schmucksachen aus Ostfriesland

Cafe.562

Mangelbretter und Ellen aus Friesland 445 Der Weihnachtsverkehr im Berliner Paket¬

Berlin.139

Petersburg.141 Kirche.738

Schmöckwitz.

Dörnbeck.157

Eine Schneidermamsell.

B.

Gezeichnet von

........ Schömberg.698

Schönebergs Entwickelung. Die alte Dorfkirche Die Apostel

Rathaus iit

74, 75, 78,

Gvbelinweberei in Berlin. Polnischer Gobelin aus dem 17. Jahr¬ hundert . . 618 Flandrischer Teppich aus dem 16. Jahr¬ hundert Der „goldene Anker." (Nach einem Aquarell von Hans Der erste deutsche Kabeldampfer nach seiner

..

Schloß.760 .485 Kirche.761 Markt.761 .174

Zerbst.137 Hafeneinfahrt.757 Ueckerstraße.760 Rudelsburg.501

Luftentleerung der Glasballons und Abschmelzung der Stengel 652 Nähe» der Auer-Glühstrümpfe Abbrennen der Auer-Glühstrümpfe . . 652 652 Montieren der Auer-Apparate Phvtometrische Station der deutschen Gas-

693

Begasgruppe.

Garten.

.

Schöneberg

.

IV. Diverse.

702

.

Denkmäler in der Siegesallee. Markgraf Otto der Faule von Prof. Brütt. (Thilo von Brügge. Thilo von Warden¬ berg.) Markgraf Otto IV. mit dem Pfeil von Karl Begas. (Geh. Rat Joh. v. Buch. Droiseke von Kröcher.) . . . . . . König Friedrich Wilhelm III. von Gustav Eberlein. (Freiherr v. Stein. Fürst Blücher.) Markgraf Ludwig I. von ömer. «Burg¬ graf Johann von Nürnberg. Johann von Kurfürst Friedrich der Eiserne von Prof. Calandrelli. (Bischof Friedr. Sesselmann v. Lebus. Wilke Blankenfelde.) Kaiser Karl IV. von Ludwig Cauer. (Dietrich v. Portitz. Klaus v. Bismarck.) Friedrich II. von Joseph Uphues. (Graf Kurt v. Schwerin. Sebastian Bach.) Der Große Kurfürst von Schaper. (MinisterOttov.Schwerin. Feldmnrschall

bereit.549 .555

Rauchholms.556

Berlin.12

.199 Bucht).206 .507 .507 Zelten.509 Konzert.766 Wie die Berliner zum Stralauer Fischzuge 587 ziehen. Nach einer Zeichnnng von Th.

Stendal.

87.

89.

Stephans Tenkinal tut Lichlhofe des Rcichs-

postamts Stephans, Heinrich von, Grabdenkmal

.

.

.

Das

Genius.37 ...

russische

dem

Wappen mit Kranz tragen¬

Trophäe mit gefesselten Sklaven Gesamtaufbau des Tafelaufsatzes der Kai¬ serin

Hosemann..

Katharina.41

.

.

Tauber.360

Tilly.363

531

361 361

364

Lagerleben.865 Schön.... 733

.633 .........

629

Tunnels.634 635

574

Blech-Automatenhändler..674

....

Hunde-Verkäufer.575 675 Der „fliegende" Buchhändler Der Mann mit der Heiratszeitung

.... Jahren..... Chamissolaube.457 .... .

39

.

.

576

Blumenverkäuferinneu.577

Huldigung der Berliner Stttdentenschaft am Die Wurstfrau an der Schloßbrückc . . 677 Güthedenkmal im Tiergarten 771 Trauung des Fräulein v. Szögysnyi-Marich Berliner Thorwagen aus den dreißiger mit dem Grafen Somssich de Saürd. . 47 .237 Usambara-Eisenbahn in Deutsch-Ostafrika 750, 751 Botanischer Garten in Berlin. 71 453 Vienx Sare. Partie aus dem Palmetihaus 91 Die 560 458 Vase und Das Haus der Victoria regia Tafelaufsatz und Das Alpinum im Botanischen Garten . 459

.289

Sport-Denkmal in Stendaler Thor

Berlin.13

586

nllee.713 Grünau.525 .70.

Die verstümmelten Denkmäler in der Stcges-

475 754 106, 107

Anlegen des Rothenburg, der Meistertrunk von Feuerwehrmann im Ranchschutzappnrai . 557 Rothenburg ob der . . Ans der Entwickelungs-Geschichte der Ber¬ Der weiße Thurm in Rothenburg. liner Industrie. Das Rathaus in Rothenburg ob d. Tauber Sofarücklehne in Gobelin-Weberei. Von Altbürgermeister Nusch leert seinen Humpen W. Ziesch, 190 Sofasitz in Gobelin-Weberei. Von W. Szenen aus dem Ziesch, Schiffstypen' der englischen Flotte. Nach Berliner Kaffeehäuser und Verwandtes. einer Zeichnung von G. Cafs Josty, am Potsdamer Platz . . . 505 Spreetunnel, der. Cafö Kranzier, Unter den Linden . . . 506 . . . . Die Stralauer Tunnelrampe Eine Ecke im Kaiser Kaffee in der FriedrichPreßluft-Kasten straße Querschnitt des Auf dem Balkon des Casv Bauer, Unter Fertiger Tunnel den Linden Der Slraßenverkäufer. 269 In den Der Panama-Fleckeustiftverkäufer . . . Begeisterung der Berliner bei einem Paganüii-

Dcrsstiuger.).642

462

drich dem Großen.

. . 205 „Alexandra", Kaiserliche Dampfyacht Berliner Feuerwehr. 715 Zur Ausfahrt Die Feuerwehr in Thätigkeit Uebungen mit dem Sprungtuch.... 556

.166

Schulze-Delitzsch

807

Schillers Piccolomini in Berlin Polarforschungen.649 Königliche Porzellan-Manufaktur unter Frie¬ .

Alt-Schöneberg.703 Reform-Gymnasium in .714 Das Pestalozzihaus........ Denkmal.543 Seebach-Stift.737 .

Gürtel.445

805, postamt . 562 Alterthümer der Stadt Prenzlau im Mär¬ leuchtung ; Der beleuchtete Vierwaldstätter See . . 562 kischen Provinzial-Museum. . 460, 461, Brand des Ranbtierhauses im Berliner Ansichtspostkarten - Sammlung des Mär¬ 707 Zoologischen . . 474, kischen Provinzial-Museums . Brand der „Patria". Von H. Hörnigk. .

Pauluskirche.697

Aelteste Urkunde über Schöneberg

Tiroler

Gestickte

241

Neue deutsche

Briefmarken.739

Nippesfiguren.560 Leuchter. Meißener

Statuetten.561 Gruppen.561

25. Jahrgang.

Ur.

Sonnabend» 7. Januar 1899.

1.

Hss ¥{

Der Park von Berlin Ein Zukunftsbild

von

^as

aus hartem, schwerem Moränenmergel bestehende nördliche Berlins, auf dem die rechtsseitige Oberstadt Hochplateau M liegt, dacht sich vom Gesundbrunnen nach Westen zu ab. Dort setzt das Muvium mit leichtem sandigen Boden ein, der zur Dünenbildung neigt und von Wasserschlenken, Wiesengründen u. dgl. durchzogen wird, die sich vom Schäfersee in Reinickendorf bis zum Fließ und See von Tegel hinziehen. Dies wellige, sandige Gefilde hat „den Berlin" die urälteste Ansiedelung slavischer Herkunft, aus welcher unsere Hauptstadt sich vom Fischerdorf zur Weltstadt entwickelte, gegen Nordwesten Jahr¬ hunderte lang abgeschnitten, mindestens den Verkehr „to dem Berline" bedeutend erschwert. Vom 14. Jahrhundert ab taucht dies sandige Vorland Berlins im Nordwesten als ein Teil der Kirchhaide oder Großen Berliner Stadthaide in den Urkunden auf, welche sich über den Wedding-Stadtteil und Moabit bis Monbijou, bis zur Einmündung der Panke in die Spree und bis zu der dem Spandauer Nonnenkloster gehörigen Jungfernhaide

a

erstreckte.

Das Eingangs bezeichnete wellige Gelände führt seit Alters Rehberge. Es reichte früher nördlich bis zur Weich¬ Namen den bildgrenze, westlich bis zum Langen Fenn und der Jungfernhaide, östlich bis zu der Reinickendorfer Niederung am Schäfersee und wurde durch einen abscheulich sandigen Weg, den Schrecken der Fuhrleute, durchschnitten, welche zwischen Bötzow (Oranienburg) und weiter zwischen Ruppin und Gransee bezw. Berlin verkehrten. Nach Spandau zu wurde die zwar längere, aber wegsamere Land¬ straße nahe dem rechten Spreeufer, welche heut durch die Thurm¬ straße und die Straße Alt-Moabit markiert ist, bevorzugt. Mit der Aufnahme der Verehrung des Wunderbluts zu Wilsnack, also von 1383 ab, wurde die sandige Straße quer durch die Rchberge mehr aufgesucht, so zwar daß ein Teil der heutigen Müllerstraße und ihrer Fortsetzung im Forstschutzbezirk Tegel den Namen „der Heilige Blutsweg" führte. Immer aber, Jahrhunderte hindurch, waren die Rehberge bewaldet, in der Weise der Jungfern¬ haide, in der Hauptsache Kiefernwald mit eingesprengten Eichen. Zunächst wurden die in der Bebauungszone Berlins belegenen Teile der Stadthaide bis zu den Rehbergen abgeholzt, diese letzteren aber immer noch einigermaßen geschont, obwohl sie ihr Bauholz bereits längst abgegeben hatten. Dann erfolgte die Aufteilung der Rehberge und die Vergebung der Aufteile in Erbpacht. Dies hatte eine gänzliche Entblößung derselben selbst von niedrigem Nadelholz, den sogen. Kuseln, im

N.

Skadkrak Ernst Friede!. Gefolge. Bei Nachforschungen, wie ich sie für die Zwecke des Märkischen Provinzialmnscnms sowohl auf den westlich als auch auf den östlich der Bküllerstraße belegenen Zügen der Rehberge in den letzten zwanzig Jahren wiederholt unternommen, bin ich an den verschiedensten Stellen, aus alten Haideboden gestoßen. Es sind dies unter dem Flugsand etwa ein Meter tief liegende grau¬ schwarze, etwas härtliche, unter den Fingern krümelnde Sand¬ schichten, die vielfach Kohlenreste enthalten. Wenn man auch im Allgemeinen geneigt sein wird, diese 10 bis 30 cm dicken Schichten auf Haidebrände, die durch Blitzschlag oder Fahrlässigkeit entstanden köhlige sein mögen, zu beziehen, so zeigen sich doch auch nicht selten germanische Gefä߬ welche Lieutenantsbergen, den auf Stellen, so künstlich reste von Kochtöpfen, geplatzte Steine von Feuerherden und zugeschlagene Feuersteinsplitter u. dgl. enthalten, ansprechbar als Zeugen der jüngeren Steinzeit, also vielleicht bis 3000 Jahr zurück¬ reichend. Solche schwarze Schichten wechseln mitunter, unterbrochen von Hellen Flugsandschichten, was so zu deuten, daß eine Wald¬ flora hier vergangen ist, wonächst der Flugsand sich ablagerte; dann trat eine neue Haidegeneration ab, und nachdem diese zu Grunde gegangen, folgte wieder Treibsand u. s. f. Auf den nord¬ westlichsten Teilen der Berliner Weichbildzone, welche sich, durch¬ schnitten von der Müllerstraße, nach Nordwesten ausreckt, sindeu sich verköinmende Reste von Maulbeerbäumen, die bekunden, daß zur Zeit des großen Preußenkönigs, hier Futterlaub für Seiden¬ raupenzüchtung gewonnen worden ist. Als der Berliner Magistrat die Rehberge in Erbpacht austhat, ließ er im Grundbuch bei den einzelnen Trennstücken eintragen, daß für die Besitzer verpflichtet seien, die Rehberge aufzuforsten und

„Dämpfung des Sandfluchs" zu sorgen, widrigenfalls der Magistrat

berechtigt sein soll, die Trennstücke zum Verkaufspreis zurück zu nehmen. Wie nachlässig diese Vorschriften befolgt worden sind, ist männiglich bekannt. Der Volksausdruck „Berliner Schnee", womit das Treiben des Flugsandes gemeint wird, schreibt sich von den Rehbergen her. Auf dem westlichen Zuge der Rehberge hat man in den letzten Jahren begonnen den Sand abzukarren. Man hat ihn u. A. auf das Land an der Scharnwebcrstraße zur Aufhöhung geworfen, Kirchbof welches die Dorotheenstädtische Kirche zu einem neuen wählte, das aber so tief lag, daß die Särge andernfalls bei der vorschriftsmäßigen Versenkung von zwei Meter unter der.Oberfläche ins Grundwasser geraten sein würden. Daß der übrige Teil dieser

16

westlichen Rchberge eine Aufforstung erfahren werde, muß als aus¬ Bebauungszone von der Seestraße her, an der demnächst die neue Kapernaum-Kirche für die St. Nazareth-Außengemeinde sich erheben wird, immer mehr nach Norden zu, ebenso geht man diesen Teil der Rehberge von der Müllerstraße mit neuen Straßen zu Leibe, in denen, wie die neuesten Benennungsvorschläge Kameruner Straße, Togo-Straße rc. bezeugen, der deutsche Kolonialbesitz verewigt werden soll. Aus allen diesen Gründen ist man in denjenigen städtischen Verwaltungskreisen, welche für den löblichen Gedanken einer Auf¬ forstung der Rehberge und den künftigen Berliner Nordpark Stimmung empfinden, von dem Gedanken abgekommen, diese Ver¬ besserungen und Verschönerungen zum Besten von Berlin N auf der linksseitigen westlichen Seite entstehen zu lassen. Dagegen ladet der östliche, rechtsseitig der Müllerstraße belegene Zug der Rehberge recht eigentlich zur Anlage eines Natur¬ parks an. Das gilt insbesondere von dem höchsten Teil der Hügel¬ kette, welche den Flurnamen, „die Wurzelberge", führt. Aeltere Berliner erinnern sich, daß auf denselben noch vereinzelte Kuselkiefern und verkümmerte Pappeln standen, verzaust von Wind und Wetter, von spielenden Kindern geschunden und gekröpft, mehr Wurzeln wie Stamm. Im Sande beim Abgraben zeigte sich noch mehr Wurzelwerk als letzter Zeuge des früheren Waldes, zum Teil verrottet und mit schneeweißen krümelichen Kalkbildungen umgeben, welche im Volksmunde Beinbruchsteine, bei den mittelalterlichen Aerzten Osteocolla heißen und zu allerhand Heilmitteln gegen Knochenfraß, Geschwüre, Fieber und andere Gebresten, vielleicht mitunter nicht ganz unnützlich, verwendet worden sind. Von diesem Wurzelwerk stammt der Name Wnrzelberge. Wenn der Sand hier nicht so arg stäubt, bei ruhigem Wetter, hat man geschlossen gelten- auch rückt die

-

1

eine prächtige Umschau von der verhältnismäßig ansehnlichen Höhe dieser Hügelkette, deren einer Teil sich bereits im städtischen Eigentum befindet, weit über Berlin und Umgegend. Es ist ein dankenswerter und rühmlicher Beschluß, den eine große Anzahl angesehener Stadtverordneter gefaßt hat, die Wurzelbcrge zur Anlage eines städtischen öffentlichen Parks für den vernachlässigten Norden Berlins in Vorschlag zu bringen. Kommt außerdem eins der neuen Amtsgerichte, wie zu erhoffen, in die Nähe der neuen Nazarettirche, so werden beide Neugründungen, der PaU und das Gericht, mächtig zum Aufschwänge des äußersten

Teils vom Wedding beitragen. Gewissermaßen vorgearbeitet für den neuen Park ist durch die riesenhafte städtische Müll- und Dungablagerung, welche sich in nächster Nähe der Wurzelberge, zu einem mächtigen Wall auf¬ getürmt hat. Dies Material soll zur ersten Befestigung und Düngung der Wurzelberge treffliche Dienste leisten. Das bislang ziemlich wertlose Land zwischen den Wurzelbergen und der Müüerstraße wird wertvolle Baustellen abwerfen, in dem Maße, als die aus etwa 6 Jahre zu schätzende Herstellung des Parkes fortschreitet. In dem Gartendirektor Mächtig besitzt die Stadt, wie die schwierige, dabei sowohl gelungene Herstellung des Viktoria-Parkes zeigt, gerade für die Herstellung des Nordparkes den rechten Fach¬ mann, dem der als Dendrologe und praktischer Botaniker in weiten Kreisen hochgeschätzte Bürgerdeputierte Dr. Carl BolleScharfenberg als kundiger Berater und eifriger Mitarbeiter helfend zur Seite stehen wird. Möge das erste Jahr- des hereinbrechenden 20. Jahrhunderts den ersten Ansang der Pflanzungen im Berliner Nordpark-Gelände entstehen sehen.

Worih von Egidy der bekanntesten Persönlichkeiten Berlins, ein lauterer Charakter und übcrzeugungsttcucr Mann ist am 29. Dezember 1898 in die Ewigkeit abberufen worden. Moritz von Egidy, der Mann der ernsten Gedanken, der furchtlose Känipfer für seine Ueberzeugung, weilt nicht mehr unter den Lebenden- eine Herzbeutelentzündung, die im Gefolge eines heftigen Gelenkrheumatismus aufgetteten war, machte seinem bewegten Leben ein Ende. Egidy hatte wohl ein bewegtes,' aber kein ereignisreiches Leben hinter sich: denn des Dienstes immer gleichgestellte Uhr hatte ehemals das Thun des Offiziers geregelt: das erste folgenreiche Ereignis war der militärische Abschied gewesen. Allein wie rcichbcwegt muß die Gedankenwelt dieses Mannes gewesen sein, welche schwere

Fehden mochte er wohl mit sich selbst ausgefochten haben, ehe er sich entschloß, seine „Ernsten Gedanken" zu veröffentlichen, der Welt — und seinen Vorgesetzten sein Inneres zu offenbaren. Es gehörte dazu ein großer moralischer Mut, der Mut der Ueberzeugung,- denn Egidy wußte sehr wohl, daß er sich die Gesellschaftskreise, in denen er sich bewegte, für immer entstcmdete, und daß er sich einen neuen Wirkungskreis, neue Freunde werde erwerben müssen. An Freunden hat es ihm allerdings nicht gemangelt. Auf der Pfingstversammlung vom Jahre 1890, wo er einer begeisterten Gemeinde seine ernsten Gedanken vortrug, wurden ihm Huldigungen dargebracht: im geistigen Berlin war diese Vcrsammlnng ein Ereignis gewesen. Und doch war er kein Refornmtor, kein Schöpfer gewesen: seine Gedanken waren nicht neu, auch nicht allzu tief: aber erfüllt von einem heiligen Ernst, entströmten sie seiner innersten Ueberzeugung und der Vortrag niachte des Redners Glück. Seine Ueberzeugung begeisterte ihn und man fühlte es, daß er bereit war, für sic zu sterben. Er war ein Idealist und machte sein Thun und Lassen von einem abstrakten Ge¬ danken abhängig. Diese Absttaktion war es aber, die ihm Gegner rechts und links erstehen ließ. Egidy predigte ein Christentum ohne Dogmen. Das mußte notgedrungen die kirchlich gesinnten Kreise gegen ihn ausbringen. Und sie hatten von ihrem Standpunkte aus Recht: denn eine Religon ohne Dogmen und Mysterien ist ebenso wenig denkbar wie ein Staat ohne Gesetze. Diejenigen aber, die ihren religiösen Zweifeln längst ein Ende gemacht hatten, waren verwundert, daß ein Mann, der sich einen Denker nannte, auf halbem Wege hatte stehen bleiben können und sich

eine Religion zu formen suchte, während sie selber den konfessionellen Kontroversen in einem weiten Bogen- aus dem Wege gingen. So wurdc dcnn naturgemäß der Kreis seiner absoluten Anhänger immer be¬ schränkter. In der Theorie konnte ihm wohl jedermann zustimmen: denn wer möchte es nicht als wünschenswert erachten, daß ein geeinter und einheitlicher Glaube die gesamte Christenwelt, ja sogar die ganze Welt beherrsche? Indessen ist der Mensch kein Heerdenvieh, er besitzt eine Kampfesnatur: selbst der Letzte im Troß ist ein Parteigänger, ein Käinpfcr, gleichviel ob er weiß, wofür er kämpft oder es nicht weiß. Daher war Egidys „Einiges Christentum" ebenso wie sein „Edelarnarchismus" eine Utopie. Das eine wie das andere war eine Ideologie, wenn auch eine gutgemeinte.

Gleichwohl verdiente Egidy vollauf die Achtung, die ihm von allen Seiten entgegengebracht wurde. Man ehrte in ihm den Mann bei auft-ichttgen, unerschrockenen Ueberzeugung: deswegen übersah man die Mängel und Einseitigkeiten seiner Meinungen und Ansichten. Man liebte ihn, weil er Rang und Stand von sich geworsen, um frei und unabhängig lehren zu können. Und dieser Liebe hat er sich stets würdig zu zeigen gesucht, indem er jedesmal seine Stimme erhob, so oft er glaubte, daß irgend jemandem Unrecht geschehen sei. Auch die sozialerr Ungleichheiten erachtete er als ein äußerliches Unrecht, das durch inncre Einkehr aus der Welt geschafft werden könnte, und in diesem Sinne lehrte er in Wort und Schrift.

Moritz von Egidy hat ein Lebensalter von einundsünszig Jahren Eine zahlreiche Familie ttaucrt uni ihr Haupt: mit der Witwe weinen zehn Kinder, fünf männlichen, fünf weiblichen Geschlechts. Die beiden ältesten Söhne sind Marineoffiziere, der dritte ist Einjähriger in Potsdam, die übrigen zwei sind unerwachsen: die beiden äücstcn Töchter haben einen Beruf erwählt, während die drei jüngeren noch im Kindes¬ alter stehen. Frau von Egidy ist die Tochter einer Prinzessin von Schwarzburg-Rudolstadt. erreicht.

Die irdische Hülle des Verblichenen ist in Potsdam der Erde über¬ geben worden, aber die Erinnerung an Egidy wird fortleben. Er ist zwar kein Schöpfer, kein Gedankenrcvolutionär gewesen, aber als ein Wahrzeichen der modernen Kultur mit ihren sozialen Kämpfen und ihrem Ringen nach Erkenntnis verdient er ein liebevolles Gedenken. M. F.

10

verschiedene Konzile verboten.

Veremsnachrichten. Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung vom 14. Dezember 1898. Unter den Druckschriften der Universität Upsala, die mit dem Verein steht, erregte die Arbeit Emil Olmers über den Streit zwischen Dänemark und dem Hanse Gottorp (1(595—1697) besondere Aufmerksamkeit. Herr Amtsgerichtsrnt Dr. Holtze spendete nicht nur den eingehenden archivalischen Forschungen dcS Verfassers, durch die er unsere Kenntnis von der damaligen brandenbnrgischen Politik vertieft hat, sondern auch der Vornrtcilsfteiheit, mit welcher der schwedische Gelehrte diese Staatsknnst würdigt, die verdiente Anerkennung. Herr Archivar Privatdozent Tr. Meineckc sprach über die „Ge¬ danken und Erinnerungen" Bismarcks. Er charakterisierte die historiographischcn Eigentümlichkeiten des Werkes. Bismarck ist, wie im Verein kürzlich noch hervorgehoben wurde, über 3 Jahrzehnte hindurch ordent¬ liches Mitglied des Vereins gewesen. Herr Archivrat Dr. Baillen machte im Anschluß an die in der legten Sitzung von Prof. Schiemann vorgelegten Korrespondenzen Mitteilung von einigen Aktenstücken russischen Ursprungs zur Geschichte der Kapitulation von Tauroggcn. Ans dem Schreiben Kaiser Alexanders an seinen Kanzler Rnmiantzow scheint hervorzugehen, daß der russische Kaiser selbst den Entschluß Uorks für eine Folge der aus Berlin erhal¬ tenen Weisungen angesehen hat. Die Berichte Dolgoruckis ferner voni Januar 1813 ans Königsberg zeigen, daß Jork durch König Friedrich Wilhelm III. selbst von den gegen ihn ergriffenen Maßregeln, Ver¬ haftung, Absetzung usw. im geheimen unterrichtet wurde und den Wink erhielt, sich nötigenfalls unter russischen Schutz zu stellen. Herr Professor Schmoller erörterte die Ursachen der Ersetzung des Finanzministers Grafen von Bülow im Jahre 1817 durch Klcwitz) er legte einige neue Aktenstücke vor, welche aus den höchsten Kreisen des Beamtentums gegen Bülow gerichtet, unzweifelhaft zu seinem Sturze beitrugen, den Sturz aber doch nocb nicht eigentlich erklären. Herr Staatsarchivar Dr. Meineckc teilte hierauf aus feinen Untcrsnchungen über Boyens Leben mit, daß wahrscheinlich die Gefügigkeit Bülows gegenüber den Feinden der neuen Armccvcrfassung dazu bei¬ getragen habe, die Zahl seiner Gegner zu vermehren. Daß Bülow dieser Gruppe von Staatsmännern, welche die Rückkehr zu dem Hcercsshslem von 1800 predigten, bcitrat, erklärt sich dadurch, daß er glaubte, hiermit wesentliche Summen im Erat zu sparen.

in Schriftcntausch

Gefellschaft

In

für Heinratlnrndr der Provinz Brandenburg ;u Berlin.

der am 14. Dezember 1898 durch Herrn Oberbürger¬ meister Zelle eröffneten Sitzung teilte Herr Stadtrat Friede! mit, daß das Ehrenmitglied Herr Gchcimrat Prof. Schwach den Wunsch aus¬ gesprochen habe, neben Anlegung eines Werkes über brandenburgischc Volkskunde auch eine Sammlung von Volkstrachten in unserer Mark, von denen einzelne Stücke im Märkischen Provinzialmuseum schon vor¬ handen sind, zu veranlassen. Diesem Wunsche ist Frau Rentier Burk¬ hardt durch Stiftung von drei Fraucnkappcn und eines Mieders, wie solche noch 1790 in unserem Nachbarorte Lichtenberg getragen wurden, nachgekommen. Ebenso hat Herr Geheimrat Virchow das Sammeln von Postkarten mit Volkstrachten in Anregung gebracht. Von dem Mär¬ kischen Museum waren 31 solcher Karten ausgelegt. Als Kuriosität ivurdc eine in Britz durch einen Mctallring gewachsene — Mohrrübe vorgezeigt. Zwei alte metallene, mit getriebenem Bildwerk und Umschriften versehene Taufbecken ans der Sammlung des Museums gaben Herrn Cnslvs Bnchholz Veranlassung, auf die zumeist vorkommenden Dar¬ stellungen der zahlreich vorhandenen Becken hinzuweisen, die seit dem 15. und noch während des 17. Jahrhunderts namentlich in Nürnberg angefertigt wurden. Ihr Gegenstand ist im allgemeinen der Bibel ent¬ nommen: die „Erschaffung der Eva", der „Sündenfall", die „Rückkehr der beiden Kundschafter Josua und Kalcb mit der mächtigen Weintraube ans dem gelobten Lande", die „Verkündigung Mariä" u. a. m. Schivierig dagegen sind die jene Darstellungen umgebenden Inschriften mit ihren zumeist ganz ungewöhnlichen Schriftformen zu deuten, die den Gelehrten ein Gegenstand der Untersuchung gewesen sind, jedoch ohne erheblichen Erfolg. Erwähnt sei nur, daß auf einem solchen Becken mit neun Buchstaben sieben derselben sich auf „M. Luther" beziehen. Jetzt nun hat Professor Kleinschmidt in Posen mit Erfolg eine Anzahl von sicheren Erklärungen in seiner „Denkschrift über Tauf¬

womit derselbe fortfahren wird. Ten Lchlnßvortrag hielt Herr Geh. Medizinalrat Professor Dr. Gurlt über „Geschichtlich-Medizinisches und Chirurgisches aus BrandenburgPreußen". Bis zu Ende des dreizehnten Jahrhunderts lagen im Norden Europas, wie alle anderen Wissenschaften, so auch die Medizin und die Chirurgie allein in den Händen der Geistlichen, namentlich der Klostergeistlichen. Bon da ab wurde ihnen die Ausübung derselben durch

becken" gegeben,

Die Geistlichen und die größten Ritter¬ orden (Templer, Johanniter) gründeten auch Hospitäler, besonders tür die Aussätzigen (Leprosorien, St. Jürgen-Hospitale). Neben den Georgen- entstanden auch Heiligegeist-Hospitäler. An Stelle der Geist¬ lichen traten dann die Barbiere oder „Scherer", welche die früheren Gehilfen jener gewesen und auch als Feldchirurgen sich einige Kenntnis in der Medizin erworben hatten. Neben ihnen standen die mit ihnen häufig rivalisierenden Bader. Außerdem gab es als anerkannte Heilkünstler: Staarstcchcr, Bruch- und Steinschneider, die als Landfahrer, Schreier oder Marktschreier auf den Jahrmärllen herumzogen) außerdem einige Aerztinnen und Hebeammen, aber auch eine große Anzahl von Kurpfuschern. Die erste Apotheke in Berlin wurde 1488 dem Hans Zehender pri¬ vilegiert. Gebildete Aerzte und Chirurgen waren in ganz Rorddcntschland sehr selten. Eine Verbesserung öcs Zustandes trat" erst seit Be¬ gründung von Universitäten ein, beginnend mit Prag 1348, Leipzig 1409 und Frankfurt a. d. Oder 1506. Jedoch war der medizinische Unterricht noch sehr dürftig. Von brandenbnrgischen Leibzärzten ist zu erwähnen der Alchimist Leonhard Thurncisscr zum Thurm, 1571 bis 1584 beim Kurfürsten Johann Georg, hervorragend durch Einführung von chemischen Industrien in der Mark. Das Feldsanitätswesen bei den Landsknechtshccren des 16. Jahrhunderts war ein ziemlich geord¬ netes) an seiner Spitze stand ein oberster Fcldarzt, als Vorgesetzter der Feldscherer) die eigentliche Krankenpflege lag in den Händen der zahl¬ reich beim Troß vorhandenen Weiber. Unter dem Großen Kurfürsten wurden Garnison-Medici und -Feldscherer eingesetzt, nnd als ZentralMedizinalbchörde 1685 das Collegium med’icum begründet. Unter Kurfürst Friedrich III. erging eine Medizinalordnnng, welche die Grund¬ lage des Mcdizinalcdiktes von 1725 bildete. Durch die im Jahre 1700 von Lcibniz begründete Sozietät der Wissenschaften, durch das von Friedrich Wilhelm I. 1713 errichtete Theatrum anatomieum, das 1724 begründete Collegium medieo-chirurgicum nnd den klinischen Unter¬ richt in der 1709—1710 als Pcsthaus errichteten Charitce war die Gelegenheit zu einer gründlicheren Ausbildung in der Naturwissenschaft, der Medizin und Chirurgie gegeben. In den Kriegen Friedrichs des Großen erschienen zum erstenmale Feldlazarethe, denen es aber noch an Transportmitteln für die Verwundeten fehlte. Um die Wende des Jahr¬ hunderts wurde die Kuhpockenimpfung bei uns eingeführt, und 1802 das Jmpfungsinstitnt in Berlin begründet. Bei der Erhebung des Volkes im Frühjahr 1813, nach dem Auf¬ ruf der Freiwilligen und der Landwehr, wurden durch die Prinzessin Wilhelm, die Schwägerin des Königs, Vereine ins Leben gerufen sowohl zur Ausrüstung der ins Feld ziehenden Streiter, als auch zur Ver¬ pflegung der Verwundeten und Kranke». Unter den einzelnen Schlachten des Jahres 1818 ist bezüglich des Transportes von Verwundeten die Vautzcncr Schlacht erwähnenswert, dcnit in Ermangelung aller anderen Transportmittel wurden die Blessierten auf — Schubkarren bis nach Dresden befördert. Nach der Schlacht bei Großbeeren bewirkten die hinaus geeilten Berliner die Versorgung der Verwundeten auf dem Schlachtfelde selbst. Im Oktober desselben Jahres befanden sich über 24000 Verwundete und Kranke in den zu Lazarethen eingerichteten Berliner Kasernen und wurden durch die weiblichen Mitglieder der zahlreichen Vereine gepflegt. Der Typhus, der durch die aus Rußland zurückgekehrten Bundestruppen in Berlin eingeschleppt und nach der Leipziger Schlacht noch vermehrt worden war, ergriff auch die Bcvülkcrtmg nnd forderte viele Opfer. Im Jahre 1815 wurden die in den Rheinlandcn errichteten Lazarcthe der Schau¬ platz gleicher aufopfernder Thätigkeit, wie 1813 und 1814 in Altpreußen, Sachsen und Thüringen. Zum Schluß gedachte der Vortragende auch der zahlreichen Opfer, welche Militär- und Zivilärzte an Leben und Gesundheit während jener drei Kriegsjahre gebracht hatten. Großartig lvaren die von England ans den Notleidenden aller Gegenden Deutschlands und den Kriegswaiscn zugegangenen Spenden) sie beliefen sich im Jahre 1814 allein aus .

vier Mllioncn Mark!

Büchertisch. Der Rappoltsteiner. Eine Erzählung ans der Vergangenheit des Elsaß von F. W. Vredt. Köln, Verlag von Albert Ahn.

Preis 3 Mark. Ein frischer Zug der Hcimatsliebe geht durch diese historische Er¬ zählung, die in das schöne Elsaß und in die Zeit versetzt, in welcher Luther in kernigen und mächtigen Worten die Schäden der römischen

Kirche aufdeckte nnd die Geister in allen Gauen Deutschlands aufrüttelte. Der Verfasser ist ein tüchtiger Lokalhistoriker, vor allem aber auch ein phantasievoller Schriftsteller: er hat es verstanden, in diesem Buche eine Fülle kulturhistorischer Einzelheiten aus der gährenden Zcit der Reformation vorzuführen und mit die)en eine spannende, psychologisch interessante Fabel zu verknüpfen. Wir lernen Menschen von Fleisch und Blut kennen, deren Lebensschicksale zu Herzen gehen, da sie mit einem warm fühlenden Herzen geschildert werden. R. G.

Inhalt: Das Heiratsjahr. Ein Lustspiel-Roman in zivölf Kapiteln von Fcdor von Zobeltitz. — Die Berliner Gesellschaft in den fünfundzwanzig Jahren. Von Ludwig Pietsch. — Fünfundzwanzig Jahre Berliner Knnstcntwickelnng. Von Georg Malkowsky. (I. Archi¬ tektur.) — Fünfundzwanzig Jahre Theater in Berlin. (1874 bis 1899.) Von I. Landau. — Aus der Entwickelungs-Geschichte der Berliner Industrie. Von Pani Hirschfeld. — Der Park von Berlin dl. Ein Zukunftsbild von Stadtrat Ernst Friedcl. — Moritz von Egidy f- — Vereins¬ nachrichten. — Büchertisch. letzten

Abonnement: Ter

Abonnements-Preis betrügt

vierteljährlich

dircliem Bezüge unter Streifband vierteljährlich 3

Mark 15 Pf.;

Pränumerando mit Bestellgeld 2 Mark 50 Pf., jährlich 10 Mark. Die Verlagsbuchhandlung bercchnei bei außerhalb des dcutjch.österreich. PostgcbietS 3 Mark 80 Pf. ; außerhalb des Weltpostvereins 4 Mark 50 Pf.

bestimmten Nummer Ausnahme finden, ivcml sic 14 Tage vor dem Erscheine» in der Expedition ciinreficn. Beilagcgcbühr: 0 Mart pro 1 000 Stück inklusive Postgebühren Inserate nnd Beilagen werden cmgegengenomnicii von der ExpeLitioii dieses Blattes: 81V., Neuenvurger Straße 14 a, sowie von allen AnnoncemErveditionen. Fernsprecher:'.Amt IV. Nr, Alibi. Dcrantworilicher Redakteur:

vr. M. Folticincano, Berlin.

— Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

81V., Rencnbnrger Straße 14a.

25. Jahrgang.

Ur. 2.

Sonnabend, 14. Januar 1899.

Wss

-

§in Lustspiel-Roman in zwölf Kapiteln von ^edor von Aobeltitz. .

(Forljehnng.)

eder der Ankömmlinge wurde zunächst von den Hunden be¬

grüßt — sehr stürmisch von Cäsar, Lord nnd Mohrchen, und in bedeutend gemessenerer und vornehmerer Weise von Cosp. Cosy sprang nämlich nur aus seinem Korbe, strich rasch mit seinem SchnüffelnüSchcn über Kleidersaum, Hosenrand oder Stiefelspitzcu, versuchte mit dem Schwanzfrag¬ ment zu wedeln und kehrte sodann, in dem Bewußtsein, daß es sich einer weiteren Anstren¬ gung nicht lohne, in sein Körbchen zurück, wo er sich wieder zusammen¬ ringelte. Die Zwillinge und Benedikte küßten den, Großpapa die Hand, der seine Enkeltochter mit einem ernsten und strafen¬ den Blicke maß, worauf

~-

(Nachdruck verboten.)

Wenigstens solltest Du Dir Mühe geben, eine solche zu werden. Ich bin überzeugt, Miß Milton ist sehr böse über diese Unart gewesen, denn in England giebt es derlei Vorfälle gar nicht. Nicht wahr, liebe Miß Milton?" Miß Milton errötete nun ebenfalls und begnügte sich, mit dem Kopfe zu nicken. Zum guten Glück trafen jetzt die Eltern ein: auch Graf Tcupen hätte sonst seine Rede wahrscheinlich wiederaufgenommen. So aber lenkte das Interesse, das Herr und Frau von Tübingen derSchmückung der Veranda zuwandten, auch die Gedanken des Großvaters ab, der mit anderen aus die den solche

willst Du

doch

sein?

Veranda hinaustrat. Hier waren Stupps und zwei Dienstmädchen die beschäftigt, großen weißen Säulen mit Guirlanden zu um¬ winden. „Sehr hübsch," sagte Tübingen und nickte be¬ friedigt. „Mehr ist gar

that, rot wurde und den Kopf diese sehr zerknirscht

damit

senkte.

»Ja, Herr, nur, das

alte

der

sagte

„schäme Dich

Am Dom

Branvrnburg

Rach einer Radierung gar nichts! Du bist nun bald achtzehn Jahre, und in diesem Alter sind andere Deines Gleichen schon Hofdamen. Nun bitte ich Dich, was würde Deine gnädige Herrin sagen, wenn man sich bei Hofe erzählen wollte, Du hättest einer

schadet

Jungfrau heimlich eine große und dicke Erdbeere in Glaubst Du denn, das würde Dein Ansehen erhöht haben? Ich bin überzeugt, selbst die Lakaien hätten sich über Dich lustig gemacht, und auch der Portier würde Dich viel weniger respektvoll gegrüßt haben als sonst. Nein, liebe Dikte, man muß immer die Dehors zu wahren wissen. Was man ansonst als mutwilligen Streich auffassen könnte, gewinnt ein anderes.Ansehen, schlummernden den

Mund

wenn es

gesteckt!

sich

um eine junge Dame von Welt handelt.

Und eine

von

a. v. Havel.

Beruh. Mannseld.

nicht nötig. Baron bei

Das will

Ich höre, daß die Sänger im Dorfe dem Herrn seiner Ankunft ein Ständchen bringen wollen.

ich nicht,

Ricdecke:

sage

es den Leuten,

natürlich

so,

gekränkt fühlen. daß sie sich das kann ich nicht Aufsehen unnötiges kein möchte nur haben: Ich leiden. Die Guirlanden genügen. Ist die Posttasche noch nicht da?" „Sie. muß jeden Augenblick kommen, Herr Baron", erwiderte

für ihren guten Willen nicht

noch

Riedeckc.

„Na, schön — da wollen wir in Ruhe frühstücken! Bernd und. Dieter,, wenn. Ihr hübsch artig seid, könnt Ihr Eucrn Bruder von der Station abholen."

18

Beide Jungen erhoben ein Jubelgeschrei. „Papa/' sage Dietrich, „ob mir der Max wohl eine Löwen¬ haut mitbringt? Versprochen hat er es mir."

„Und mir einen Elephantenzahn/' fügte Bernd hinzu. „Wer Großpapa meint, die Afrika¬

glaube nicht, daß er Wort hält. reisenden schnurrten alle." ich

„Schnurren habe ich keinesfalls gesagt, meine Junge," er¬ widerte Graf Tenpen, während man allseitig am Frühstückstische Platz nahm. „Aber allerdings, die Afrikareisenden übertreiben gern, und nicht nur diese, sondern überhaupt alle Reisenden. Das liegt so in ihrer Natur."

„Ja, Großpapa?" wird er wohl auch übertreiben."

„Gerstäcker auch?" fragte Dieter.

„Ein

bißchen

— ja,

ein bißchen

„Großpapa, in dem Buche von Gerstäcker", begann Bernd wieder, „das Du uns zum Lesen gegeben hast, kommt eine pracht¬ volle Geschichte vor von einem Indianer, der ans einer Reihe lebendiger Krokodile über den Fluß gegangen ist — auf ihrem Rücken, ohne daß sie ihn gebissen haben. Ich möchte gern wissen, ob das wahr ist. Glaubst Du das?" „Es waren vielleicht zahme Krokodile", warf Tübingen ein. „Nein, ganz wilde", entgegnete Bernd. „Der Indianer wurde verfolgt, aber den andern haben sie totgebissen! Großpapa, das ist doch merkwürdig, daß sie gerade den Indianer nicht gebissen haben!"

Der Großpapa versuchte, die Seltsamkeit dieser Thatsache durch einen glücklichen

Zufall

zu erklären.

sich der Expedition des Dr. Haarhaus nach Usagara angeschlossen hatte, bevorzugte Teupen die Kolonialpolitik. Sie interessierte ihn mächtig. Das war ganz sein Fall: ein Kreuzzug gegen Sklaverei und Heidentum und zugleich eine Mehrung des Reichs. Er schnitt aus der „Kreuz-Zeitung" alle Notizen und Artikel, die koloniale Fragen betrafen, heraus und hob sie auf und studierte außerdem sämtliche, Afrika behandelnde Bücher, die er in der Hausbibliothck vorfand. Allzuviel waren es nicht

Seit Max

und die neuesten gleichfalls nicht.

Hin und wieder verschrieb er sich übrigens auch ein neueres Reisemerk, um Max bei seiner Rückkehr durch seine Kenntnisse zu überraschen. Das machte ihm Spaß und füllte seine freie Zeit aus, die er im Uebermaß besaß. Im Grunde genommen grollte er der Regierung bitter, daß sie ihm „im besten Mannesalter" den Laufpaß gegeben hatte, denn daß er niemals ein hervor¬ ragender Vertreter der Diplomatie, sondern eigentlich immer nur ein gewandter Repräsentant gewesen war, wollte er selbstver¬ ständlich nicht wahr haben. Wie er in allen seinen Neigungen für die moderne Zest wenig übrig hatte so wurzelte er auch in seinen staatsmännischen Anschauungen ganz im Vergangenen und Ueberlebten, gewisser¬ maßen im Hofton der Allonge. Das „ehrliche Maklertum" dünkte ihn ziemlich brutal, die politische Intrigue Mittel zum Zweck. Und diese Vorliebe für die kleine Intrigue, die derzeitig der Grund für seine Verabschiedung gewesen war, hatte er auch mit in den Ruhestand übernommen. Er intriguierte heute noch gern ein bißchen — „für den Hausgebrauch", wie sein Schwiegersohn meinte — glatt lächelnd, händereibend, liebenswürdig und Phrasen aus¬ streuend, wie eine Scribesche Lustspielfigur . . .

Die Ankunft der Posttasche unterbrach die Frühstücks arbeit. Das war immer ein Moment von einer gewissen Feierlichkeit. Man hörte draußen aus der Veranda den schweren Stapfschritt des alten Inspektors Bruhse, der die Mappe brachte. Der Wagen, der jeden Morgen mit den plombierten Milchkannen nach der Station fuhr, holte die Mappe auf der Post ab. Dann wurde sie Bruhse überliefert, wenn er zum Morgenrapport antrat, und wieder, auf der Veranda wartend, dem alten Riedeckc, der sie mit seinem feinen Lächeln Teupenscher Abstammung nnd kurzer Verneigung Tübingen präsentierte.

Bruhse überreichte

sie

Aller Augen ruhten auf der schwarzen Ledertasche mit ihren Ecken und ihrem runzlig geivordenen Ueberzug. Tübingen pflegte dadurch die Spannung zu verlängern, daß er abgescheuerten

die Mappe zuerst mit langsamen Bewegungen vor sich hinlegte und dann in allen feinen zahlreichen Taschen nach dem Schlüssel suchte und regelmäßig fand sich dieser Schlüssel erst in der letzten Tasche. Aber ehe der Baron aufschloß, pflegte er die Mappe jedesmal noch genau zu besichtigen, wobei er nie zu bemerken unterließ: „Könnten uns auch mal bald eine neue gönnen!" Dann erst wurde sie geöffnet und ihr Inhalt dem Tageslicht übergeben.

immer höchst interessant. Da gab es die hintereinander erbrochen und bei Seite gelegt wurden: Ankündigungen von erprobten Dünge¬ nutteln, von Lotterien, von landwirtschaftlichen Maschinen, Säme¬ reien, Dachpappefabriken, Fischbrutanstalten, Ziegeleien u. dgl. m. Hierauf kamen die Zeitungen: die „Neue Preußische" und das „Wochenblatt der Johannsterballey Brandenburg" für den Grafen Teupen, die „Post" für den Hausherrn, „Dies Blatt gehört der Hausfrau!" und „Ouellwasser für das Deuschte Hans" für Frau Eleonore. Endlich die Briefpost — das war die Hauptsache. Trudchen Palm rückte bereits ungeduldig aus ihrem Stuhle hin und her. Sie hatte eine ausgebreitete Korrespondenz. Mit ihren Pensionsfreundinnen schrieb sie sich wöchentlich, und es ver¬ ging kaum ein Tag, an dem sie nicht selbst einen Brief erhielt, auf rotem, gelbem, safranfarbigem, grünem und blauem Papier und zuweilen in ganz winzigen Couverts, zuweilen auch in schmalen und länglichen, von der Form eines geplätteten Glacec-

Der war nun

auch

stets zahlreiche Kreuzbandsendungen,

handschuhs. So ein Brief kam beispielsweise heute an, und er war auch leicht parfümiert und die Marke darauf saß nicht an gewöhnlicher Stelle sondern hinten auf der Verschlußseite, guer geklebt.

„I

Gott bewahre", sagte Tübingen, Trude den Brief über reichend, „was ist das wieder für ein unbändiges Format! klud dann möchte ich wohl wissen, warum Ihre Freun¬ dinnen so eine besondere Vorliebe für ein irreguläres Aufkleben der Freimarken haben! Manchmal rechts und manchmal links nnd manchmal in der Mitte des Couverts und heute gar hinten. Das muß doch notgedrungen den abstempelnden Postbeamten in Verwirrung bringen, was im Interesse des königlichen Dienstes den

Tisch

und auch der briefempfangenden Menschheit eigentlich vermieden werden sollte . . ." Trudchen erwiderte nichts, dachte sich aber ihr Teil. Was verstand Herr von Tübingen denn von der Briefmarkensprache, die ihr eine unsägliche Freude bereitete! Zum Beispiel: die guergeklebte Marke hinten bedeutete einfach „in Treue fest"' gab es etwas sinnigeres und reizvolleres als dieses? Was ließ sich durch die Briefmarken nicht alles sagen, auch manches sehr Süße und äußerst Geheimnisvolle, das man dem indiskreten Papier nur

ungern anvertraute. Miß Delly erhielt einen Brief aus England und dann blieben noch zwei Briefe für den Baron liegen, beide nicht ohne Wichtig¬ keit. Tübingen erzählte: schreibt mir der alte Amtsrat Kielmann aus Schnitt¬ sein Neffe, der Dr. Haarhaus, bereits vorgestern bei daß lage, sei und ein lebhaftes Verlangen habe, Maxen eingetroffen ihm begrüßen zu können. Ob Max schon hier sei und ob wir nicht alle zusammen am Nachmittag auf ein paar Stündchen zu ihm Na, das fehlte mir gerade! Kielmann mit kommen wollten.

„Da

seinen ostindischen Bowlen und seinem kalten Punsch liegt mir im Magen. Da kneipt man sich jedesmal fest und am andern Morgen hat man einen dicken Kopf." „Es würde mich lebhaft interessieren, den berühmten Afrikaner kennen zu lernen", sagte Teupen, — „lebhaft! Sein erstes Buch hat mir außerordentlich gefallen; ä propos, ich hoffe, daß Max sich auch zu einer schriftlichen Darlegung seiner Reiseerlebnisse ent¬ schließen wird. Das kann ihm für seine weitere Carriere nur

förderlich sein." „Ueberlassen wir es ihm, lieber Papa", entgegnete Tübingen. „Wie ich Maxen kenne, wird es ihm einige Mühe kosten, seine Antipathie gegen Tinte und Feder zu überwinden" — „Du darfst nicht ungerecht sein, Eberhard", fiel die Baronin „Seine Briefe waren immer inhaltreich nnd sehr unter¬ ein. haltend" —

19

„Sehr unterhaltend", bekräftigte

auch

Graf Teupen.

„Das

auf den Gedanken gebracht, Max solle ein Buch tiber seine Reise veröffentlichen. Er besitzt zweifellos eine gewisse schriftstellerische Ader — vielleicht kann ihm der kleine Kletzel auf Grünau dabei behülflich sein."

hat mich

eben

„Auch noch", warf Tübingen ein, und seine Frau wehrte energisch ab.

„Nein,

bester

Papa",

sagte sie, „ich habe

mir neulich aus der

Leihbibliothek einen Roman von Herrn von Kletzel schicken lassen, um doch auch einmal von ihm etwas zu lesen, und ich kann Dir ich habe einen horreiu’ bekommen. Das war ein höchst unmoralisches Buch, voller frivoler Liebschaften, und unsere guten braven Bauern hat er geschildert, als ob das alles Spitzbuben und Verbrecher wären. Ich meine, dieser Herr von Kletzel thäte besser, er widmete sich mehr seiner Landwirtschaft, als daß er solche Bücher in die Welt setzte."

sagen,

„Wahrscheinlich bringen ihm seine Bücher mehr als seine Felder," erwiderte Graf Teupen, während Tübingen den zweiten

Brief erbrach und überflog. „Aha", sagte er. „Np, Jungen, freut Euch: Ihr kriegt endlich einen neuen Hauslehrer! Bernd, mach' nicht ein. so mürrisches Gesicht — potztausend, Ihr müßt doch selbst froh sein, das nun wieder der geregelte Unterricht beginnt! Ehre im Leibe?"

Habt

Ihr

denn gar keine

Das schien in diesem Falle wirklich zweifelhaft zu sein, denn sowohl Bernd als auch Dieter zeigten sehr betrübte Mienen.

„Wie heißt „Reinbold.

Papa?" fragte Dieter. Das ist ein sehr hübscher Name und wehe

er,

Euch,

wenn Ihr ihn wieder so verhunzt, wie bei Doktor Kleiucchen! . . Eleonore, sieh' Dir einmal die Zeugnisse durch) sie sind vortrefflich. Der Mann ist allerdings Theologe, nicht Philologe" —

„Das

erwiderte die Baronin. „Theologen gewähren eine größere Garantie für die Sittlichkeit ihrer Lebens¬ führung. Dabei fällt mir ein: mit unserem Pastor geht es doch gar nicht mehr! Er muß sich schon auf einem Stuhle in die Kirche tragen lassen. Wir müssen wirklich ernsthaft an einen Ersatz für den alten Mann denken." schadet

nichts,"

„Ich werde einmal mit ihm Rücksprache nehmen," antwortete Tübingen. „Ich möchte gern, daß er selber den Wunsch äußert, sich emeritieren zu lassen. Ein Glück noch, daß er keine Familie besitzt, für die er zu sorgen hat! Schwer genug wird es uns ankommen, uns erst wieder an einen neuen Pfarrer zu gewöhnen. Aber es geht wirklich nicht länger) es muß sein." Ein

Räuspern auf der Veranda machte den Sprechenden darauf aufmerksam, daß draußen noch immer der Inspektor wartete. Tübingen erhob sich) das war das Zeichen, daß sich auch die Kinder entfernen durften. schüchternes

Die Jungen stürmten in den Garten. Benedikte ging mit ihren Freundinnen auf den Geflügelhof, das war ihr Bereich, und es gab dort viel zu thun. Ein paar Hühner brüteten) junge Enten wurden erwartet, und die eine Pfauhenne war krank. Tübingen hatte seine Uhr gezogen. „Mütze und Stock, Riedecke," befahl er. „Ich gehe nach Schlag vierzehn, Frauchen, bin aber um zehn wieder hier. Sorge dafür, daß der Max ein ordentliches Frühstück vorfindet. Ein Glas Wein dazu) man muß anstoßen können. Bin nur neugierig, ob er sehr braun gebrannt aussieht und sich einen Kolonialbart hat wachsen

Na, adjö!" Er ging und stieg in belehrendem Gespräch mit seinem In¬

lassen.

spektor die Verandatreppe hinab.

Gras Teupen nahm seine beiden Zeitungen unter den Arm. „Hast Du ein Viertelstündchen für mich übrig, Eleonore?" fragte er seine Tochter, die schon nach ihrem Schlüssclkörbchen gegriffen hatte, um sich an ihr Regiment zu begeben. „Sebstverständlich, Papa.

„Nun ja — gewissermaßen.

Gilt's etwa Sekretes?" Gehen wir in den Obstgarten)

revidiere bei dieser Gelegenheit gleich meine Pfirsiche und neuen Okulierungen." ich

die

Die Baronin schloß ihr Schlüffelkörbchen in den Wandschrank und rief mit zärtlicher Stimme ihren geliebten Cosy, der aus seinen Kissen hüpfte und in zierlichem Trippelschritt dicht an ihrer Seite blieb. Der Obstgarten lag hinter dem Schlosse, dicht an den Park grenzend, in dessen Wiesen und Bosketts er sich in quadratischer Form hineinschob. Die Baumblüthe war vorüber) die Frucht Zwischen den dichten Buschreihen der setzte an oder reifte bereits. Himbeer-, Johannis- und Stachelbeersträucher erstreckten sich sauber geharkte Wege. Die Obstbäume standen in langen Fronten, wie zum Parademarsch ausmarschiert. ans, ein Pslaumenemporwuchs, ein Birnbaum, dessen baum, der wie ein Fragezeichen Astwerk sich kngelförnrig zusammenrankte, ein anderer, der so seltsam gewachsen war, daß er wie eine riesige, zum Sprung Das war die Züchtung des ausholende Heuschrecke aussah. Grasen Teupen, der gern die Natur korrigierte und die jungen Bäume durch allerhand Fesselungsmittel zuweilen zu den wider¬ sinnigsten Fonneu und Auswüchse zwang. Er „korrigierte" auch noch in anderer Weise, pfropfte zum Beispiel einen Apfelzweig auf einen Kirschbaum und einen Birnbaumast aus einen Wei߬ dorn und was derlei Kuriositäten mehr waren.

Nur hie und da fielen Sonderexemplare

des Gartens, hat Aber den Erdbeeren in „die Kirschen werden schon rot. wieder jemaikd herumgetrampelt und gerade in meinen König Alberts. Da ist Dikte die Urheberin gewesen. Uebrigens alle Achtung vor Deinen Melonen! Es war gut, daß Du sie so lange in den Warmbecten ließest. Die rötlich genetzte da drüben ist die Cantaloupe Konsul Schiller, auf die mich der Amtsrat Kielmann aufmerksam gemacht hat. Also nun höre Eleonore: es ist Zeit, daß wir uns der Frau von Seesen wieder ein wenig mehr zu nähern

„Sieh da, Eleonore,"

sagte er beim Betreten

versuchen."

Frau von Tübingen weg

hinabschreitend

und

nickte,

dabei

dem alten Herrn den Mittel¬ scharfäugig den Garten über¬

mit

schauend.

„Ich konnte mir denken, daß das kommen würde, Papa," erwiederte sie mit leichtem Lächeln. „Aber laß' den Mar nur erst wieder einmal festen Fuß fassen" — „Kann er ja und soll er," fiel Teupen eifrig ein. „Indessen, liebes Kind, ich muß Dich doch darauf aufmerksam machen, daß nicht viel Zeit zu verlieren ist. Wie lange wollt Ihr den Jungen denn hier behalten?"

„Er mag bleiben, so lauge er will. Sein Urlaub läuft erst im Herbst ab. Dann soll er aus das Auswärtige Amt zurück. Unter uns, Papa, von seiner Carriere halte ich nicht viel. Ich ängstige mich auch darum nicht) will er noch zu Lebzeiten Eber¬ hards Hohen-Kraatz übernehmen — was schadet es? Wir ziehen uns dann nach Drake zurück." „Schön, schön) ich hätte nichts dagegen; ich fühle mich auf Drake ebenso wohl wie hier. Wenn ich nur meine paar Bücher und meine Bäume und Erdbeeren habe, dann bin ich schon zu¬ frieden. Aber ich meine, die enteilte cordiale zwischen HohenKraatz und Langenpfuhl muß angeknüpft werden, eh' uns der Max wieder nach Berlin entwischt. Herrgott, liebe Eleonore, die 'mal an: dieses prachtvolle Sache ist doch von Wichtigkeit. Denke Langenpfuhl! Und war zweihundert Jahre Tübingenscher Besitz, bis das thörichte Testament des alten Carl August dies Paradies an die Seesens brachte. Und daun Frau von Seesen selbst! Giebt es denn auf hundert Meilen im Umkreise ein weibliches Wesen, das besser zu Maxen paßt?!"

„Ilun ja, nun ja," erwiderte die Baronin kopfnickend, „ich hätte wahrlich nichts gegen eine solche Verbindung — das weißt Du ja auch. Frau von Seesen ist mir in hohem Grade sympatisch, hübsch, vornehm, elegant, aus guter Familie —* „Aus

Sie ist eine Komtesse Pleydenwulsf." „Gewiß, und die Pleydenwulffs gehören, ich glaube, zum fränkischen Uradel. So sagtest Du mir wohl einmal. Finalement — ich bin durchaus für diese Partie. Indessen — vorderhand erster.

'

,

mir Frau von

macht

Seesen nicht den Eindruck,

als ob

sie

gewillt

kehr

.

des

verlorenen Sohnes — da wird die Seesen natürlich

—"

wäre, zum zweitenmale zu heiraten."

auch geladen

Graf Tenpen warf heftig den Kopf in den Nacken. „Diable, mein Herz, sie kann doch nicht ewig ledig bleiben?! Eine blutjunge Frau — und kinderlos! Was soll denn aus

Eberhard wird allerdings schimpfen. Er haßt Aber es hilft ihm nichts. Besser wär's freilich schon, man hätte die Marinka öfters einmal und in kleinerem Kreise, vielleicht eil famille, bei sich."

Langenpfuhl werden? Au einen ihrer glcichgiltigen Vettern fallen?

Das kann

sie selber

nicht wünschen!

.

.

."

Man war am Ende

des Gartenwegs angelangt und machte Zuweilen blieb die Baronin stehen, um nachzusehen, ob die Artischocken reichlich angesetzt hätten oder wie die Tomaten

nun kehrt. trieben.

„Lieber Papa," sagte sie; „Frau von Seesen hat, denke ich, nicht in allzu glücklicher Ehe gelebt. Seesen war, Gott hab' ihn selig, ein ziemlich roher Patron. Nun ja, das war er. Ein Nimrod, ein arger Spieler und lief auch den Weibern nach. der Kirche sah man ihn nie und auf der Synode niachte er seine Witzchcn. Der Superintendent hat es mir erzählt. Dabei eifer¬ süchtig wie ein Othello. Erst nach seinem Tode hat die arme Marinka ein bischen ausatmen können."

In

Tübingens haben

„Das ist die Frage, Papa. Für Marinka vielleicht nicht. Max hat überdies doch auch mitzusprechen. Ich weiß zwar, daß er

die Seesen

gern hat, aber es ist fraglich, ob er von völlig kuriert ist, ob er nicht immer noch an

sehr

die Warnow denkt."

„Da

sei

Gott vor," entgegnete der Graf

„Er.

erschrocken.

kennt unsern Willen. Nur der Warnow wegen haben wir ihn auf die Weide nach Afrika geschickt. Er hat sie nie wiedergesehen, und er wird sic auch nie wiedersehen. Hast. Du je etwas von

ihr gehört?" „Nein — nichts. Stellung — irre

ich

„Die Schweiz nu

*

Frau von Seesen verschaffte nicht, in der Schweiz."

ist

weit."

ihr.eine

"

,

neue

„Sie wird sicher ihr gutes Fortkommen finden. Ich habe viel Sympathien für sie übrig gehabt, ihr auch ein

glänzendes Zeugnis mit auf den Weg gegeben."

Ich halte strich

mit

Aber

sie

müssen

recht von

Dir,

Eleonore.

Es ging mir wie Dir.

sehr gern. Sie erinnerte mich immer" — Teupen der Rechten über seine Stirn ■— „ich weiß nicht an wen. sie

hätte Marens Bewerbung mit größerer Energie abweisen — hätte einsehen müssen, von vornherein, daß eine Ehe

mit ihm eine Unmöglichkeit sei!" „Du lieber Gott, Papa —

sie

war geblendet —"

„Ja, sie war sozusagen hypnotisiert. Gattin eines zukünftigen Majoratsbesitzer, Frau von Tübingen, vermögend, in glänzender sozialer Stellung — das Alles mag das arme Mädchen gelockt haben. Trotzdem — sie hat sich sehr vernünftig benommen. Ich trage ihr keinen Groll nacht" auch nicht

— gewiß nicht.

In

Herzensdingcn verzeihen wir Frauen manches. Wir können übrigens auch Max nachsagen, daß er sich taktfest und richtig aufgeführt hat. Er ist nicht mit dem Kopf durch die Wand gerannt, sondern hat sich schließlich gefügt. Teupensches Blut! Die Ueberlcgung siegte."

„Ich

Der Graf war

stehen geblieben und

kratzte

„Aber, Eleonore,

-ft;

,

mit

Die Tenpens

sind

feinfühliger.

Die

ihre guten Seiten,

aber sie sind aus derberem Holze. Gerade bei heiklen Angelegenheiten merkt man das recht. Eine affaire d’amour ist ihnen wie ein Roggenhandel. Der zartere Sinn geht ihnen ab und, ich kann mir nicht Helsen, auch der feste Glaube an unsere- Eigenstellung in der Gesellschaft und an die Weihe der Tradition. Max konnte sich einmal etwas vergeben, aber er kehrte doch reuevoll zur Familie zurück. Er hat Pietätsgefühl und ist stolz auf seinen Namen) er ist eben ganz Tenpensch. Bernd und Dieter sind noch zu jung, aber siehst Du, die Dikte, die macht mir Kummer. Das ist das Tübingensche Holz. Du streitest Dich öfters einmal mit Eherhard, weil er Dir zu mittelparteilich ist und politisch zu wenig rückgratfest, und die Dikte ertappte ich sogar zuweilen, auf förmlich demokratischen auch

Neigungen."

konck

„War nur

„Das soll später kommen. Zuerst ist eine Beschnupperung notwendig, um mich waidmännisch auszudrücken. Selbstverständlich halten wir älteren uns diplomatisch zurück, aber wir arrangieren es so, daß Max und die Seesen zuweilen allein sind. Das laß mich nur machen) ans derlei Schiebungen verstehe ich mich. Also wir sind uns einig, Eleonore: zuerst die Gesellschaft, vielleicht schon in nächster Woche. Mach' das mit Eberhard ab! Ja—apropos — von unseren gelegentlichen Rücksprachen, Ideen und Kombinationen braucht Eberhard nichts zu wissen — nicht zu viel. Er hat eine Die Tübingens waren nie Diplomaten. Er zu feste Hand. würde da zerstören, wo wir aufzubauen suchen. Das ist kein Mißtrauensvotum, aber die Vorsicht gebietet eine gewisse Diskretion. Nicht wahr, Eleonore?" „Jawohl, Papa.

„Aber drei Jahre Freiheit sind genug," bemerkte der Graf. Frau Eleonore zog die Schultern hoch.

seinem Liebesschmerz

„Natürlich.

die Gesellschaften.

den Nägeln

an der Rinde eines Spalierpfirsichs.

„Ein Wurm, ich möchte wetten," sagte er. Man muß den Gärtner immer mit der Nase- drauf stoßen — der Gellrich fängt an, schlafmützig zu werden. Aber zur Sache! Ihr müßt nächster Zeit doch eine Gesellschaft geben — das Kalb schlachten zur Heim-

ein

bitte Dich —

ich

sie

ist doch

auch

noch

Kind!"

„Mit achtzehn Jahren und ihrer Ausgewachsenheit und ihrem hellen Kopfe! Rein, Papa, sie hat tausend unnütze Raupen hinter der Stirn und ist ein mutwilliges Ding ■— das täuscht uns. Aber sie ist doch auch schon ein ganz fester Charakter, nnd wenn sic über sogenannte Standesvornrteile lacht, so kommt das von innen. Ich habe die größte Angst, sie wird uns einmal ein Schnippchen schlagen und sich Hals über Kops in einen verlieben, der uns gar nicht paßt."

„So halten wir ihr die fern, die uns nicht passen! Das ist Das ist ja das Angenehme auf dem Lande,

doch ganz einfach.

daß man nicht vom Verkehr überschwemmt wird. Die paar Bürger¬ lichen, die dann und wann zu uns kommen, sprechen nicht mit. Wie denkst Du denn über den Grafen Semper?"

Die Baronin schüttelte

den Kopf.

„So, so, Papa. Es eilt mir mit der Dikte auch nicht) sie kann getrost noch ihre paar Jährchen warten. Aber ich muß in das Haus) die Wirtschafterin weiß nicht aus noch ein, sobald sie allein ist.

Bleibst Du noch im Parke?"

'

„Ja, Eleonore. Ich will meine Bäume einmal gründlich revidieren. Ich träne dem Gellrich nicht mehr. Wir sind uns ja klar. Allerwege echt Tenpensch! Addio!" Er warf

seiner Tochter ein Kußhändchen auf zwei Fingern sich sodann mit Eifer und Emsigkeit seinem

wandte Spalierobst zu.

nach

und

(Fortsetzn,>g folgt.)

Die Berliner Gesellschaft in den letzten fünfundzwanzig Jahren. Von

Ludwig Pietsch. l^Iine

besondere, ganz eigentümliche Form der Geselligkeit innerhalb der vornehmsten Kreise Berlins war die, erst durch den Reichskanzler Fürsten Bismarck eingeführte, der „parlamentarischen Abende". Während der Dauer der Reichstagssession wurden die hohen Würdenträger wie'auch die Reichstags abgeordneten, mit Ausschluß der Sozialdemokraten, an verschiedenen Abenden ins Kanzlerpalais zu Herrengesellschaften eingeladen. Sehr bald nach dem Eintreffen und nach der Begrüßung durch den Fürsten begab man sich in den großen Saal, in dessen Mitte das riesige Büffet aufgestellt war, während längs der Wände gedeckte

diesen Abenden

eingeladen.

Aber jener Schlußakt der Bismarck-

Soireen mit der Corona um den rauchenden und plaudernden Kanzler ist bei dem von seinen Nachfolgern veranstalteten Abenden in Wegfall gekommen. Der erste Minister, der in den siebziger Jahren Herren¬ gesellschaften im Stil der kanzlerischen veranstaltete, war der'Land¬ wirtschaftsminister Herr Friedenthal. Er befleißigte sich immer liberaler Allüren im Gegensatz zu seinem Chef und bewies den Vertretern der Presse ein damals bei unsern hohen Staats¬ beamten

noch

sehr

ungewöhnliches

Entgegenkommen.

kleine Tische standen,

Zu

an denen man sich mit den dort erober¬ ten, auf den Tellern gehäuften, nach Be¬ lieben ausgewählten kalten Speisen, in Gruppen mit guten Bekannten, politischen Freunden und Ge¬ gnern niederließ, wäh¬ rend die Diener be¬ ständig Bier und Wein präsentierten. dazu Das Brausen der leb¬ haftesten Unterhal¬

zendsten schaften

tung, zu der die po¬ litischen Tagesfragen, die parlamentarischen Vorgänge, die Vor¬ lagen der Regierung, die Meinungen, Ab¬ sichten und Entschlüsse der Parteien und

Fraktionen

uner¬ schöpflich reichen Stoff

hallte

bald durch den Saal und dieNachbarräume.Zu vorgerückter Stunde ließ sich der Reichs¬ kanzler in einem der

boten,

Rebensäle zu einem

intimeren Kolloquium

in einen Sessel nieder, zündete seine Pfeife an und plauderte in aller Gemütlichkeit und von originellem Geist sprühend mit den Herren der sich

ihn »scharenden „Corona", die ge¬ bannt und gefesselt von allem, was der Fürst bald in staatsum

den glän¬ Abendgesell¬ in den hoch¬

aristokratischen Krei¬ gehörten die Soi¬ reen des später ge¬ fürsteten Grafen von sen

Stolberg-Wernigerode während der Zeit sei¬ ner Stellvertretung des Reichskanzlers und seiner winter¬ lichen

Residenz

zu

Berlin in dem schönen Palais in der Wil¬ helmstraße. In ihrer Form, ihrem Verlauf und auch inbezug auf die bei solchen Ge¬ erschei¬ legenheiten Gesellschaft nende glichen sie übrigens denen der fremden Botschafter ziemlich genau; nur oaß die

Räume bergschen

StolPalais die des

in den Wohnungen jener edlen Herren an Reichtum der Aus¬ stattung und Eleganz

wohl

noch überböte». Einzelne vielbe¬ weibliche wunderte Schönheiten leuch¬ teten damals in diesen

Gesellschaften des Ho¬ fes und der vorneh¬ men Welt Berlins be¬ sonders hervor: Prin¬ zessin Karolath, die durch ein herrliches Bildnis in ganzer lebensgroßer Gestalt von Gustav Richter verewigt wurde und später in der sich Absicht und Hoffnung eines andern, aber schließlich von höherer

männifchem Ernst, Wohnhaus Wilhelmstrahe. bald mit prächtigem Erbauer: Ebr und Bends. Humor gewürzt er¬ (Zu den, Artikel: „Fünfundzwanzig Jahre Berliner Knnftentwiikelung .") zählte, andächtig Gewalt verhinderten, lauschte und — wie Ehebundes, von ihrem Gatten trennte; Gräfin Karolyi, die Gattin „jedes Ohr" in dem Hofkreise der seligen -Dido „an Aenäas Richter, Munde" — an den schnurrbärtigen Lippen des gewaltigen Mannes des österreichisch-ungarischen Botschafters, ebenfalls von G. erreichten und wieder nicht seitdem und bevorzugtesten dem damals hing. der hohen nicht ersetzten, Lieblingsmaler der aristokratischen und Diese Sitte der parlamentarischen Abende ist auch von Fürst ver¬ Bildnis berühmten einem in Reichshauptstadt, der Finanzkreise dem Bismarcks Nachfolgern im Amt, dem General Caprivi und an spater Karl, Prinzessin der Hofdame Seydewitz, Fürsten Hohenlohe, beibehalten und während jeder Reichstags¬ herrlicht. Komteß achtziger Jahren den Grafen Dönhoff verheiratet, und in den ersten session in ähnlicher Weise ausgeübt worden. unvergleichlicher, voll¬ von Gustav Richter gemalt, eine Dame von Auch Herr von Bötticher, als er Staatssekretair des Innern durch den um Schönheit welche Wuchses, war, hat das Beispiel befolgt. Wer Unterschiede zwischen diesen endeter Schönheit des die sogenannte Soireen und denen zu Bismarcks Zeit wurden dennoch bemerkbar 1874 in Mode kommenden Schnitt der Damenroben, unffchmieeng minder kaum Unterkörper den die und Panzertaille, genug. Die Presse sieht sich weit mehr als damals hinzugezogen; Die wurde. gebracht Geltung zur wirksainste qende Robe aufs die Chefredakteure und Hauptmitarbeiter der wichtigsten Berliner talentierte Gemahlin Zeitungen und die bekanntesten hiesigen Korrespondenten der großen junge, geistreiche, musikalisch ungewöhnlich (fpäter Grafen) auswärtigen deutschen und fremdländischen Journale werden zu des damaligen königlichen Hausministers Baron

22

v. Schleinitz, der im Ministerium der „neuen Aera" das aus¬ wärtige Amt leitete und vom Fürsten Bismarck während des Grafen ganzer Amtsführung auf seinem neuen Posten als einer der Hauptleiter aller Hosintrigucn gegen ihn beargwöhnt mit nur zu wohl begründetem Mißtrauen, ja mit grimmigem Haß angesehen

teristik aller einzelnen Persönlichkeiten, unter denen nur Eckert und Richter fehlen, höchst lebensvoll geschildert. Die interessante Gräfin, eine eminente Meisterin des Klavierspiels, die sich als solche auch in Wohlthätigkeitskonzerten und Soireen der vornehmsten Gesellschaft hören ließ, war die mächtigste Protektorin R. Wagners, und eifrigste Agitatorin für seine Sache am kaiserlichen Hos zu Berlin. Sie erniöglichte die von dem Meister selbst geleiteten ersten Konzerte, in denen znm erstenmal Stücke aus seiner noch nie aufgeführten Tetralogie „Der Ring des Nibelungen" im hiesigen Konzertsaal und im Kgl. Opernhausc im Frühling 1871, zu Gehör gebracht wurden, und die Wagner zum Besten seines großen Bayreuther Unternehmens veranstaltete. Und sie, die Gräfin Schleinitz, war es, der es gelang, den greisen Kaiser, trotzdem ihm jede Neigung für des Meisters neue Kunstwcise sehr fern lag, dessen Person ihm sogar nichts weniger als sympathisch war, zu bestimmen, daß er wenigstens an einem Abend der ersten Aufführung des Nibelungenringes im Festspielhause zu Bayreuth (August 1876) in Person beiwohnte. Als eifrige Mitarbeiterin zum Zweck der Einwirkung auf den Kaiser zugunsten des von diesen großen Damen fast vergötterten Meisters stand der Gräfin Schleinitz die Gräfin Dankelmann, die schönste der berühmten drei Schwestern, geborenen Komtessen Moltke (von den beiden anderen war die eine mit dem Oberhofmarschall Grafen Perponcher, die andere mit dem als Sportsmann bekannten Kannnerhcrrn von Prillwitz vermählt) treulich zur Seite. Nach dem Hinscheiden des Gemahls und dem Schluß ihrer Trauerzeit heiratete Gräfin Schleinitz den österreichischen Botschafter am St. Petersburger Hof Grafen Wolkenstein-Trostburg. Der Gatte der schönen Gräfin Dankelmann machte seinem Leben selbst ein Ende. Ueber die Beweggründe dieser That ist nie etwas Sicheres bekannt geworden. Der Gemahl einer anderen in den siebziger und achtziger Jahren ebenfalls viel genannten und ebenfalls von G. Richter gemalten Hofschönheit, Kammcrherr und Zeremonienmeister v. Schräder, fiel bekanntlich vor einigen Jahren im Duell durch die Kugel seines Kollegen Herrn v. Kotze' ein Opfer der berüchtigten, bis heute noch unaufgeklärten Skandal¬ affaire der in der Hofgesellschaft zirkulierenden anonymen Schmähbricfe, als deren Urheber Herr v. Kotze ungerechter Weise bezeichnet, verhaftet und angeklagt worden war. Es den hoch aristokratischen Häusern im Glanz ihrer Feste nicht nur gleich zu thun, sondern sie noch möglichst weit darin zu überbieten, war das eifrige Bestreben der Finanzgrößen der Gründer¬ jahre gewesen. Sie alle aber wurden, wie an solidem, fest ge¬ gründetem Reichtum, auch inbezug auf den großen vornehmen Stil ihrer Winterfeste übertrosfen durch den Baron, Geheimen Rat und Generalkonsul v. Bleichröder. seinem neuerdings nieder¬ gerissenen, vom Architekten Cohn erbauten, prächtigen Palais in der Behrenstraßc, fanden außer zahlreichen diplomatischen Diners, ein- oder zweimal in jeder Wintersaison große Ballfeste statt, die immer mit zwei Stunden dauernden Konzerten eröffnet wurden. Die ersten Meister und Virtuosen, des Flügels, der Geige, des Cello, die gefeiertesten Sänger und Sängerinnen wurden mittels jedes von ihnen geforderten Honorars gewonnen, darin mitzuwirken. Nicht ganz und nicht immer von ebenso glücklichem Erfolg gekrönt waren die Bemühungen des Festgebers und seiner Gattin, ihre herrlichen Räume mit einer möglichst hocharistokratischen Gesellschaft und besonders ntit einer brillanten Schaar vornehmer Gardeoffizierc zu schmücken. Man kolportierte damals in Berlin mit boshaftem Behagen manche scherzhafte und pikante, natürlich meist erfundene oder übertriebene Geschichte inbezug auf diese Bemühungen und ihre teilweise Vergeblichkeit. Aber wenn die Prinzen, die Fürst¬ lichkeiten, die Gardeoffiziere auch ausblieben, so verleugnete die Familie des Reichskanzlers nicht ihre Wertschätzung und wohlbegründete Anerkennung der ehrenwerten Persönlichkeit des großen Finanzmannes, feiner ungewöhnlichen Geistesgaben und der außer¬ ordentlichen Dienste, welche er der Rcichsregierung im französischen Kriege gelegentlich der Liontributionszahlungen der Stadt Paris und der Abwickelung anderer finanzieller Angelegenheiten geleistet hatte. Die Fürstin Bismarck erschien fast auf jedem dieser Feste im Bleichröderschen Hause. Auch die Söhne, Grafen Herbert und Wilhelm, blieben nicht ganz aus. Die Gesellschaft setzte sich aus Herren und Damen des diplomatischen Korps, illustren Fremden, Finanzmännern, Aerzten, Schriftstellern, Künstlern, ihren Damen und Offizieren, wenn auch nicht aus solchen der Elite-Regimenter, zusammen. Nach dem Genuß der auserlesensten musikalischen Vorträge, der nur durch das Zuviel der Gaben einigermaßen gemindert wurde, begann in dem zweiten Saal der Ball, den, wie im Schloß und bei den Botschaftern, das Busfetsouper unterbrach, das inbezug auf Fülle des Allerbesten und Köstlichsten, was dabei den Gästen geboten wurde, wohl noch den am üppigsten ausgestatteten in Fürstenpalästen über war. Bei Kaffee, Liqueuren, Bier und Zigarren wurde der letzte Akt der Feste in den unteren Räumen des Palcris oft noch bis gegen 3 Uhr morgens ausgedehnt. — Aus den Festen der, durch Gründungen und glücklich gelungenen Börsenkoups plötzlich zu Reichtum gelangten, neugebackenen Finanz.

In

Wohnhaus Thiergartenflrahe. Erbauer: Alfred Messel. (Zu dem Artikel: „Fimfuridzivqnzig Jahre Berliner Kunstentivickelung."

wurde. Seinen Empfindungen für diesen Minister und seiner wenig schmeichelhaften Meinung über ihn hat der Fürst in den hinterlassenen „Gedanken und Erinnerungen" den rückhaltlosesten Ausdruck gegeben. Das Gräflich Schleinitzsche Ehepaar bewohnte das für das Haus- und Hofministerium von der Staatsregierung erworbene, ehemals Reimersche Palais, jenen vornehmen Rokokoban entre cour et jardin, Wilhelmstraße 73, dessen weiter Borhof durch ein barockes Gitter zwischen den gegen die Straße hin vorspringenden beiden Flügeln abgeschlossen wird, und hinter dessen Rückfront sich ein prächtiger Garten mit Alleen der schönsten allen Linden- und Kastanicnbäume bis zu der Mauer an der Königgrätzer Straße Die im ersten Geschoß gelegene Wohnung dieses ausbreitet. Palastes, der einzig in feiner Art im modernen Berlin ist, blieb säst bis zum Tode des Grasen der Schauplatz einer in unserer Hofgesellschaft einzigartigen Geselligkeit. Unvergeßlich sind jene intimen Soireen der Gräfin Schleinitz, bei welchen der Kron¬ prinz und seine Gemahlin mit einer Hofdame erschienen. Mit ihnen fanden sich dort zusammen: Graf Pourtalcs, der Sammler und Kunstfreund, Gras Harry Arnim, Hofkapcllmeister Eckert und seine noch immer die unverwischten Spuren ihrer einstigen außer¬ ordentlichen Schönheit tragenden, temperamentvollen Frau Kathi, der geborenen Wienerin und — wie die Hausherrin — leidenschaft¬ lich begeisterten Bekennerin und Verbreiterin des künstlerischen Evan¬ geliums Richard Wagners; die Maler H. von Angeli, Anton von Werner, Adolf Menzel, Gustav Richter und seine Gattin, die jüngste und schönste Tochter Meyerbeers, aber trotzdem jenen Wagnerianerinnen innig befreundet. A. Menzel hat einmal die Hauptgruppen einer solchen Abendgesellschaft im Hause des Schleinitzschen Paares in einer genialen Feder- und Tuschzeichnung mit schärfster Charak¬

grüßen ging es, dem Geschmack der Gastgeber, wie dem Charakter der sehr viel bunter gemischten Gesellschaft entsprechend, weit, un¬ gebundener als im Hotel Bleichröder oder in den Soirsen im Hause eines Socius, des Geh. Rat Schwabach und dessen um ihres seinen Geistes, ihrer kühlen Anmut und vornehmen Eleganz willen viel gefeierten Gattin und des ebenfalls mit einer so vor¬ nehm schönen als geistvollen Gemahlin gesegneten, Kommerzienrats Hugo Pringsheim am Königsplatz, zu. Man prunkte mit un¬ sinniger Verschwendung bei den Gelagen, mit herausfordernder Ueppigkei inbezug auf Speisen und Weine. Artisten, Grotesktänzer, Taschenspieler, Cafs-Konzertsänger und Chansonettensängerinnen aus gerade in Mode gekommenen „Tingel-Tangeln" wurden engagiert, um im Salon die Gäste während der Tanzpausen mit ihren fragwürdigen Kunstleistungen zu amüsieren, Maskenfeste wurden veranstaltet, bei denen die ganze Gesellschaft als Dienst¬ boten jeder Gattung, oder als Bauern und Bäuerinnen, Mägde und Knechte gekleidet erschien, sich als solche so echt wie möglich zu benehmen bestrebt und der Fest- und Speisesaal zu einer Dorf¬

umgewandelt war. Die Herrengesellschaften in diesen Gründerhäusern begannen ewöhnlich mit späten, raffiniert luxuriösen Mahlzeiten, und an

schenke

Lese schloß sich das Hazardspiel, bei dem Zehntausende gewonnen und verloren wurden. Von manchen dieser verschwenderisch gast¬ freien Herren ging das Gerücht, sie hätten ein so ausbündiges Glück, daß es ihnen während des immer erst in der Morgenfrühe endenden Hazardspiels gelänge, ihren Gästen im Tempel, Roulette und Baccarat all das Geld wieder abzunehmen, welches sie selbst, die Wirte, das Fest gekostet habe. Für unsere Modemaler war es damals eine goldene Zeit. Die mühelos an der Börse reich gewordenen Herren stießen sich nicht an die Höhe der geforderten Preise. War es für sie doch eine ihren Kredit erhöhende gute Reklame, Gemälde, die so viel Geld gekostet hatten, zu besitzen. Die Vermittler bei diesen, beide

Teile, oder genauer: alle drei Teile befriedigenden Geschäften zwischen glücklichen Spekulanten und Malern waren die Kunsthändler Brüder Sie kauften den beliebtesten Lepke, Unter den Linden Nr. 4. Künstlern die neuesten und gelungensten Gemälde für jeden gefor¬ derten Preis noch frisch auf der Staffelei ab und nahmen die so erworbenen Bilder in ihren eleganten Gemäldesalon auf, der kein öffentliches Ausstellungslokal bildete und neben den Werken der belieb¬ testen deutschen auch mit solchen von den besten Pariser, hollän¬ dischen und belgischen Meistern gefüllt war. Die -Kunden der Lepkes wußten, daß sie dort sicher fänden, was sie für ihre Säle und Kabinets brauchten. Richt selten kam es vor, daß einer jener neuen Kunstliebhaber und Sammler direkt von der Börse, wo er eben einen großen Gewinn gemacht hatte, und im Bewußtsein, daß die steigende Tendenz noch lange herrschend bleiben werde, in Lepkes Gemäldesalon eintrat und kaufte, was die Brüder ihm als besonders köstlich und wertvoll empfahlen. Die Mühe des Wählens und Beurteilens blieb ihm dadurch erspart. Die Besitzer dieser blühenden Gemäldehandlung fühlten sich den Künstlern und den Börsianern gleich verpflichtet und pflegten das von Zeit zu Zeit in der eigentümlichen Form von wahrhaft gründerhaften Diners und Soupers in ihrer mit feinstem Geschmack und edelstem, künstlerischem Luxus eingerichteten, mit kostbaren alten und modernen Kunstwerken jeder Art geschmückten Wohnung auszudrücken, zu denen sie die beliebtesten Maler wie die kauflustigsten und kauffähigsten Matadore der Börse einluden, um sie miteinander Fühlung gewinnen zu lassen. Der „große Krach" jenes finanzielle Erdbeben, das im Mai des Jahres 1873 in Wien plötzlich und schrecklich ausbrach, sich weithin fortpflanzte, tausende von schwindelhaften Gründungen über den Hausen warf, aber damit auch ungezählte Existenzen ruinierte, übte auch in Berlin seine verheerenden Wirkungen. Die großen, soliden Häuser freilich überdauerten meist den Stoß. Aber ganz ohne Spuren zu hinterlassen, ging er auch an ihnen nicht vorüber (Ein dritter Artikel folgt.)

Fünfundzwanzig Jahre Berliner Kunstentwickelung. Von

Georg Malkowsß I. Architektur. er wunde Punkt in der Architektur Berlins waren von jeher die Brückenbauten. Die Spree ist, soweit sie durch die Stadt ihren Lauf nimmt, kein Fluß, der zu besonderen An¬ strengungen nach dieser Richtung hin verlockt, und die Schmkelschc Schlyßbrücke wird in ihrer gewaltigen Breitenausdehnung bei aller Schönheit stets den Eindruck einer Straßenverlängerung machen, unter der zufällig ein Gewässer dahinfließt. Die Kurfürstenbrücke verdankt ihre malerische Wirkung dem Schjüterschen Denkmal und dem nahen Schloß. Rechnet man noch die Herkulesbrücke hinzu, so hat man alles beisammen, was bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein an monunientalen Flußübergängen in Berlin vor¬ handen war. Hier haben die letzten fünfundzwanzig Jahre eine erhebliche Wandlung geschaffen, wenn auch nicht immer zum Besseren und Besten. Vor allem gewöhnte man sich daran, den Brückenbau der architektonischen Gesamtanlage seiner Umgebung"der bewußt anzupassen. Wo es sich um ganze Häuserfluchtcn wie in Kaiser Wilhelm¬ straße handelte, war die Aufgabe keine übermäßig schwere. Bau¬ meister Hobrecht brauchte nur den Schlütcrschen Geist im Sinne von Cremer und Wolffenstein nachzuempfinden, um seine Kaiser Wilhelmbrücke mir ihrem ganzen protzenhaften Aufwande von Riesenobelisken mit Traphaeen und Feuerbecken zustande zu bringen. |

Lehnte man sich hier an vorhandene Architekturen an, so erinnerte man sick bei dem Umbau der Fischerbrücke au ein Stück ent¬ schwundener Vergangenheit und versuchte mittelalterlich-malerisch zu werden. Die städtische Sparkasse im Normannenstil, das Schlcusenmeisterhäuschen mit Schieferdach und Treppengitter, das sich aus Krabben, Scorpionen und anderem Getier zusammensetzt, sind ein Produkt Blankenstein-Stahnschcr Phantasie, die sich nicht ohne Mühe nach Alt-Berlin und Kölln an der Spree versetzte. Anheimelnd in ihrer Schlichtheit wirkt die Gertraudtenbrücke mit Siemerings Standbild der Hl. Gertrud, die einem fahrenden Schüler den Willkomnienstrunk darreicht. Eine Auferstehung feierten die Herkulesgruppen des alten Schadow auf der Brücke am Lützowplatz, die das Geheimrats¬ viertel mit dem Tiergarten verbindet, wie denn Baumeister Stahlt überall da glücklicher zu sein scheint, wo er aus dem Architektonischen tzrauskommt und sich dem Landschaftlichen nähert. So vor allem in der Bendlerbrücke derselben Stadtgegend. Hier ist cs trefflich gelungen, in auf stilisierten Wellen am Schiffbug aufsteigenden

Tritonen und Nixen Gelän¬

derausläufer zu gestalten, die vom Tek¬ tonischen zum

Statuarischen überleiten, während die

Moltk

brücke selben Archi testen im we¬ sentlichen auf Begasdie schen

Kande¬

laber ihren uno phäen Waffen schlep¬ penden Put¬ ten gestimmt ist und eine Aehnlichkeit in den Mo¬ tiven nur in den vier die Ballustrade abschließenden

Greifen zeigt. Ueber die

Potsdamer Brücke ein Wort zu ver¬ lieren, ist un¬ Hof¬ nötig. fentlich

ge¬

Villa Lesstns. Kolonie Grunrtvald. Erbauer: M. Jaffoy.

lingt es, wenn auch mit großen materiellen Opfern,

eine Anlage zu oejeiligen, praktischen die ein Muster der Phantasielosigkeit, nicht einmal den

Verkehrsbedürfnisscii entspricht und wohl noch keinen einigermaßen berufenen Verteidiger gefunden hat. Im allgemeinen werden Berliner Brückenanlagen stets an einem Mißverhältnis der angewandten Mittel zu dem Zweck der Ueberbrückung leiden. Die Spree ist nun einnial innerhalb der Stadt ein wenig bedeutender Wasserlauf, und der Kanal muß für die Frachtkähne genügen. Monumentale Brücken in der Reichshaupt¬ stadt erscheinen deplaciert, weil ihre mäßige Bogenspannung niemals dem architektonischen Aufbau entsprechen kann. Einen wesentlich bestimmenden .Einfluß auf den baulichen Charakter Berlins haben die in den letzten Jahrzehnten ent¬ standenen Bierpaläste ausgeübt. Mit ihnen ist der bunte Fassadenschmuck der süddeutschen Renaissance der Reichsstädte bei uns eingezogen. So lange es sich noch um die Herstellung möglichst prunkvoller Schenkhallen handelte, auf deren Unterbau sich die ge¬ wöhnliche Mietswohnungsnüchternheit renaissanceartig aufgeputzt breit machte, war eine einheitliche Baugestaltuug unmöglich. Spaten- und Tucherbräu in dem oberen Teil der Friedrichstraße mit ihren mit Freskomalereien bedeckten Putzflächen, mit ihren malerischen Fensteranlagen, von Seidl-München und Walther-Nürnberg erbaut, haben hier bahnbrechend gewirkt, indem sie durch die ganze nach außen hin bemerkbare Ranmanlage den Charakter der durch alle Stockwerke gehenden Trinkstuben betonen. Dagegen tragen die Patzen Hofer Bierhallen mit ihrer aus farbigen Verblendsteinen und Majülikaziegeln hergestellten Fayade wieder das Gepräge des märkischen Backsteinbaues und ver¬ schaffen so der heimischen Eigenart zu ihrem' Rechte. Es mag zweifelhaft erscheinen, ob sich die bunte Putzfassade so ganz harmonisch in die Straßenflucht einfügt, jedenfalls bildet sie eine erfreuliche Abwechselung unter all den mißverstandenen Atlanten, Säulen und Pilastern, hinter denen sich die Masse der Alltagswohnungen birgt. Sie ist ein Fortschritt ans,dem.Wege, den zuerst Ende und Benda mit dem Prsngsheimschen Wohnhause zu allgemeiner kopsschnttelnder Verwunderung einschlugen. Die gefälligen Formen der oberitalischen Spätreuaissance erscheinen hier durch die polychrome Behandlung gemildert und zusammen¬ gehalten. Aus den bräunlich abgetönten Quadern des Erdgeschosses wachsen die mit dunkelroten, ein . Tepp ich inuster bildenden Mett¬ lacher Fliesen, verkleideten Flächen des, ersten Stockwerks empor, die durch den reich gestalteten Erker und die prunkvoll mit Terra¬ kotta-Brüstungen, Umrahmungen und Bekrönungen ausgestatteten Fenster unterbrochen werden. Ueber den ganzen Bau spannt sich unter dein Kranzgesims das von A. von Werner eutworefene Glas¬ mosaik auf Goldgrund. Diese farbige Dekoration konnte' uItürlich schon aus materiellem Grunde keine Nachahmung in größerem Maßstabe finden. Nur im fernen Westen, in den uöus» nach Schöucberg und Wilmersdorf hinauSliegeuden Stadtteilen findet man abgeschwächte Nachklänge, die in Buntheit ausarten, oder sich mit billigeren Surrogaten, wie Sgraffito-Jmitatiou n. s. w. be-

gnügen. Im Großen und Ganzen ist man in der vornehmeren Wohnhausarchitektur wieder zum Haustein zurückgekehrt und bewegt sich meist in den schwereren Formen der Spätrenaissance. Wenig betretene schlägt in neuerer Zeit Alfred Messel ein, von dessen Wege^ eigenartigem Formensinn wir mannigfache Anregungen erwarten dürfen. Das umgebaute Haus des Herrn V. Weisbach in .der Tiergartenstraße weist überaus gefällige Formen auf, die in den konstruktiven Gliedern wie in der anmutigen Ornamentierung überall die innere Raumgliederung andeuten und sich niemals in nichtssagenden Schmuck verlieren. Eine lokale Stilbildung ist von der Berliner Wohnhausanlage nicht zu erwarten. Sie könnte nur von dem Einfamilicnhause ausgehen, das in einer koutiitentalen Weltstadt immer vereinzelt bleiben wird. Die Mietskaserne wird so lange nüchtern und stillos bleiben, als man sich nicht entschließen kann, sie als Schon in der solche auch in der. Fassade zu charakterisieren. Frontgliederung- müssen die gemeinsamen Eingangs- wie die ge¬ teilten Wohnräume als solche hervortreten, statt sich verschämt hinter einem unwahren Architekturoorhang zu verbergen. Das Einfamilienhaus findet seine Stätte nur in den Vororten nnd hier sind denn auch die Ansätze einer lokalen Stilbildung zu

suchen. In Wannsee und Babelsberg werden daS hügelige Terrain und die Seeeu und Wasserläufe maßgebend für eine

.

In

der Grün eschloßartige, auf einer Höhe gelegene Bauanlage. dagegen treten überall die Keime einer neuen kräftigen Formeugebuug zu Tage im Anschluß an die märkische Ebene und die aus ihr schlank aufsprossende Kiefernwaldung. Hier sind die Holzbauten der norddeutschen Niederung und des süddeutschen Gebirges, der sächsischen und der fränkischen Anlage vorbildlich ge¬ wesen. Das sächsische Dorfhaus mit seinem hohen Giebel und seiner Diele hat unerkennbar auf die Phantasie der Architekten gewirkt. Der von Holland importierte Ziegelrohbau mit den Zier¬ formen der Spätreuaissance und des Barock hat seiner Zeit in Deutschland eine Neubildung nach der Richtung farbenfreudiger Phantastik erfahren, und der aus dem Orient überkommene Erker ist zu einer nationalen Bauform geworden, die, aus der Intimität der Jnnenräume vorspringend, die Fassade belebt. Wer die Zeichen seiner Zeit bis in die Gruncwaldkolouie zu beobachten sich die Mühe nimmt, kann sehen, wie die neue Archi¬ tektur diese durch die Freude am heimische» Material und auch den Geschmack für sinnige Zierkunst bedingten Traditionen aufzunehmen und zu verarbeiten sucht. Hier erkennt »lau die Spuren des urdeutschen Holzfachwcrks, der Diele, um die sich die übrigen Räume verteilen, des Giebels und des Erkers. Ilcberall schmiegen sich die Familienhäuser mit roten Satteldächern, zierlichem Schnitzwerk, braunen Balkenlagen und diskreter Farbeuanwenduug malerisch in das.Kieferdunkel hinein und legen stummen Protest ein gegen die nüchternen Straßeufluchteu und prunkvollen Reklamefassaden der Weltstadt.

wald-Kolonie

Fünfundzwanzig Jahre Theater in Berlin. (J874 bis H899.) Von

I.

Landau.

mit einem einzigen Satze den Inhalt der fünf¬ undzwanzig Jahre Berliner Theatergeschichte erschöpfen, den Unterschied von einst und jetzt kennzeichnen will, wird man sagen sagen müssen: Das Kunstleben Berlins ist mustergebend und be¬ stimmend geworden für die gesamte deutsche Bühnenwelt. Nicht gern, nicht willig gönnt man der Reichshauptstadt diesen enn man

Vorzug. Versuche zu heftiger Auflehnung sind häufig zu verzeichnen. Mancher auswärtige Bühnenleiter hat sich schon an die Autoren gewendet, um sie der Reichshauptstadt abwendig zu machen, so vor einiger Zeit der liebenswürdige und beliebte, selbst erfolgreich schriftstellernde Chef des Frankfurter Theaters, Intendant Emil Claar. Mehr als einmal hat auch der eine oder andere Dra¬ matiker, im augenblicklichen Groll über eine schmerzende Ablehnung» gefaßt, seine Werke an anderen Kunststätten die Feuerprobe.bestehen zu lassen. Einzelne sind sogar von Berlin Sudermann und Fulda, Wolzogen und Philippi, fortgezogen. Halbe und Olden, aber sie sind fast alle wiedergekehrt. Persönlich und mit ihren Werken. Was irgend dem heutigen Theater einen wesentlichen Zug seiner Physiognomie giebt, hat von Berlin aus seinen Weg ins Reich genommen. Von Berlin aus gaben die „Meininger" vor gerade fünfundzwanzig Jahren das Signal zur Reform des Bühnenbildes. den Entschluß

Eine arge Zerfahrenheit war eingerissen. Der Regisseur hatte weder eine bemerkenswerte Aufgabe noch eine genügende Autorität. Die Stellungen anzugeben, die dürftige Ausstattung der Szene innerhalb der schäbigen Dekorationsleinwand zu bestimmen, das war seine Aufgabe. Jeder Schauspieler sprach und spielte wie er es persönlich gewohnt war, ohne sich um die andern zu kümmern. Ueber die Ausstattung verfügten Garderobier und Theatermeister, also technische Hilfskräfte, und maßgebend war der heilige „Fundus". Mit etlichen Römerhelmen, Lanzknechtstrachten, spanischen Mäntelchen und Hüten, Rittersticfcln und Schilden wurden alle Anforderungen des Repertoires bestritten. Da kamen die Meininger nach Berti» und öffneten uns die Augen, verschafften der Einheitlichkeit des Stils, dem lebensvollen Zusammenwirken, verschafften der Echtheit des Bühnenbildes Achtung und setzten den Regisseur in seine natür¬ lichen Rechte ein. Acht Jahre später begründete Adolph L'Arronge, damals mit Friedrich Haase, August Förster, Ludwig Barnay, Ernst Possart, Siegwart Friedmann im Bunde, das „Deutsche Theater". Albert Hofmann, der witzige Mitbegründer und Herausgeber des „Kladderadatsch", der langjährige Besitzer und kluge Leiter des „Friedrich Wilhelmstädtischen Theaters", war gestorben. Es war sein Wille gewesen, daß das Haus, oder eigentlich die Häuser-

gruppe, in der Schumannstraße verkauft werde, und jene Zeit auf dem Felde der Operette einige Dürre stärkte dies die Erben und Testamentsvollstrecker in absichten. Kurz vorher war Adolph L'Arronge aus

da gerade um herrschte, be¬ den Verkaufs¬ Breslau nach

Berlin

zuriickgekehrt. Eine schmerzliche Erfahrung hatte ihn von hier vertrieben. Unsere dramatischen Schriftsteller waren in der ersten Hälfte der Siebziger Jahre noch nicht auf Rosen gebettet. Auch die erfolgreichen nicht. L'Arronge im Besondern hatte schwer zu ringen und zu kämpfen. Am Tage nach, der erfolgreichen ersten Aufführung von „Mein Leopold" verkaufte er nun das Volksstück, das eine neue Epoche der Berliner Posse eröffnet, das ihr höhere Ziele ge¬ geben

cs insgesamt den ganzen dichterischen Gehalt eines Dramas zu erschöpfen und zur vollsten Wirkung zu bringen, im Einzelnen die schauspielerischen Kräfte aufs Zweckmäßigste zu verwerten und aufs Höchste zu entwickeln. Was Kainz, was die Sorma heute ist, das konnten sie nur unter Verhältniffen werden, wie das Deutsche Theater sie schuf. Nun war es „eine Lust zu leben", zu gestalten für die Bühne. Die Dichter fühlten einen neuen Anstoß zu kräftigem Schaffen. Besaßen sie doch eine Bühne, die, von allen beengenden Rücksichteleien losgelöst, ihnen freien Raum geben konnte. Neben den alteingebürgerten Dra¬ matikern regten sich aber

junge, revolu¬ tionäre Talente im Ueberschwang des Kraftgefühls. Was sie zunächst schufen, dasrannte zu heftig gegen alle Bühnentradi¬ tion an, um auf der ständigen Bühne auch

für

hat,

2000 sage

und zweitau¬

schreibe send Thaler, gleich sechstausend Mark. „Mein Leopold" ist aber agch insofern theatergeschichtlich be¬ merkenswert, als es das Stück ist, welches

Platz finden zu können. Einige junge, wage¬ mutige Schriftsteller kamen auf die Idee, das Pariser „T he atr e

die Aera der großen Tantiemen einleitete. Daß ein einziges Büh¬

Libre“

nenwerk schon ein Ver¬ mögen, einen gewissen Wohlstand einbringen kann, das war vordem einfach unbekannt, undenk¬ bar. „Mein Leopold" ist nun wahrscheinlich das¬ jenige Stück, das am meiste« von allen erfolg¬ reichen Dramen einbrachte und bis auf den heutigen Tag, nach mehr als fünf¬

undzwanzig Jahren, ein¬ trügt. L'Arronge mußte nun zusehen, wie die goldenen Früchte seines und Fleißes unausgesetzt, in üppi¬ ger Fülle, den beiden TheateragentenRoeder und Michaelfon, den Käufern, indenSchoß regneten. Diese Er¬ fahrung vertrieb ihn

Talents

aus Berlin.

Theater"

zu schaffen.

leidenschaftlichen Kämpfen ertrotzte Barnay den Austritt — beide mußten sich auch verpflichten, durch zwei Jahre nicht in Berlin aufzutreten — Förster verlangte bald dringend seine Entlassung, als das Wiener Burgtheater ihn zu seinem Leiter berief. Aher auch ohne Sozietäre, unter LÄrronges sicherer, zielbewußter Führung, setzte das „Deutsche Theater" die von den Meiningern begonnene Theaterreform kräftig fort. Hier kam es nun nicht nur auf Stilreinheit und auf Echtheit des Bühnenbildes an. Hier galt

zu

Bretterwelt, hier wurden einige vernach¬ lässigte Stücke von Anzengruber für die Bühne gerettet. Leo Tolstoi, dieGoncourts, GeorgHirschfeld,Ernst Rosmer die Gattin des Dramatikers und Rechtsanwalts Dr.

Mit

Am Sonnabend, 29. September 1883, wurde das „Deutsche Theater" mit einem von Hedwig Niemann - Raabe gesprochenen Prolog und einer Aufführung von „Kabale und Liebe" eröffnet, in der Barnar, als Präsident, Förster als Miller, Haase als Hofmarschall Kalb, Friedmann als Wurm, Kainz als Ferdinand nebeneinander wirkten. Der Tag ist einer der denkwürdigsten in der deutschen Theater-Geschichte geworden. Das Sozietär-System bewährte sich freilich nicht. Possart hatte noch vor der Er¬ öffnung die Gemeinschaft verlassen, Haase folgte bald' unter

Berlin

der

den Einnahmen von

„Mein Leopold" hatte Theodor Lebrun, der Direktor des Wallnertheaters, das Bres¬ Hermann Sudrriuaun. lauer Lobe-TheaGrrhark Hanxkmann. tergekaustunddas übernahm nun Adolph L'Arronge als -Pachter. Nach einigen Jahren harten, unergiebigen Mühens kehrte L'Arronge nach Berlin zurück. Er¬ brachte ein Stück mit, das an Erfolg und Ertrag kaum viel hinter „Mein Leopold" zurückblieb: „Dr. Klaus". .Diesmal erntete er selbst die reichen Früchte und konnte nun daran gehen, das „Friedrich-Wilhelmstädtische Theater" zu kaufen, um da nach dem Muster des „Nbsatrv Dranyais" ein „Deutsches

nach

verpflanzen, einige an¬ dere Publizisten führten den Gedanken praktisch aus, mieteten das Lessing¬ theater für eine Anzahl von Sonntagen des Win¬ ters 1889—90, und hier wurde unter gewaltigen, schmerzhaften Wehen das moderne Drama geboren. Hier wurde das IbsenVerständnis gepflegt, hier erblickten die ersten Werke von Gerhart Haupt¬ mann das Lampenlicht

Drug v. Wildrnbruch.

'

Ludwig Fulda.

MaxBernstein,wur¬ den durch den Verein „Freie Bühne" ein¬ geführt, der nach¬ mals das „Re¬ sidenztheater" und später das „Neue

Theater" für seine stark besuchten Sonntaguachmittags-Aufsühruugen pachtete. Aber nicht blos ein neues Geschlecht dramatischer Dichter führte die freie Bühne ein, an großen Aufgaben erzog sie auch Der derzeitige Leiter des Regisseure, Direktoren, Schauspieler. „Deutschen Theaters", Dr. Otto Brahm, der jetzige Direktor des Burgtheaters in Wien, Dr. Paul Schlenther, beide haben als Vorstands-Mitglieder der „Freien Bühne" ihre bühnentechnischen Kenntnisse und ihre persönlichen Beziehungen zum Theater ge¬ wonnen- während der nunmehrige Pächter des „Lessing-Theaters", Otto Renmann-Hofer, in einer gleichartigen jüngeren Vereinigung, in der „dramatischen Gesellschaft" Gelegenheit fand, sich für den Beruf des Bühnenleiters vorzubereiten. Die „Freie Bühne" führte Hans Meery, der jetzt unter dem Intendanten v. Puttlitz das Stuttgart leitet, und Cord Hachmann als Hofschauspiel in 'Schauspielerische Kräfte von besonderem Ansehen Regisseure ein. lenkten von der „Freien Bühne" aus in die größere Carriere ein, so u. A. Else Lehmann, die sich mit ihrem Erfolg in „Vor Sonnen¬ aufgang" den Weg vom „Wallner-" zum „Deutschen Theater" bahnte. Hatte die „Freie Bühne" ein junges Geschlecht von Dramatikern herangezogen, so bot ihnen nun die Vermehrung der Theater großen Stils die Möglichkeit sich zu bethätigen. Das „Deutsche Theater" zeugete das „Lessing-" und das „Berliner Theater", diese wieder zeugeten das „Reue Theater", das „Metropol-Theater" und das „Theater des Westens". Oskar Blumenthal hatte mit zwei großen

26

Erfolgen im „Victoria-Theater", mit „Frau Venus" und dem Text für „Excelsior", den Grund zu einem hübschen Vermögen gelegt. Im „Deutschen Theater" erzielte er mit dem „Probepfeil", dem Lustspiel, das er von Wien aus unter dem Pseudonym Otto Guhl eingereicht hatte, mit dem „Tropfen Gift", der „großen Glocke", dem „schwarzen Schleier" litterarisch höher geartete Er¬ folge und Einnahmen, die sein Vermögen sehr ansehnlich steigerten. Hier fand er Freude an der Inszenierung der eigenen Werke und die Zuversicht, daß er als Bühnenleiter etwas zu leisten vermöchte. So waren denn die Vorbedingungen für die Begründung eines eigenen Theaters gegeben und es konnte nicht überraschen, als er eines Tages ankündigte, er gehe daran ein „Theater der Den 11. September 1888 wurde das Lebenden" zu schaffen. Lessing-Theater mit „Nathan dem Weisen" eröffnet; Ernst Possart, der erste Regisseur des Theaters, spielte die Titelrolle. Wenige Tage später, am Sonntag, den 16. September, eröffnete Ludwig Barnay mit Schiller-Laube's „Demeterius", sein neuerstandenes „Berliner Theater" und der Erfolg rang ihm das Geständnis ab, mit dem er dem Publikum dankte: „Ich bin glücklich!" Die Erfahrungen im „Deutschen Theater" hatten ihn in dem alten Vorsatz bestärkt, ein eigenes volkstümliches Theater in Berlin zu begründen, und Kommissionsrat Großkopf schuf ihm dieses Theater, indem er das aus seinen, früheren Spezialitäten-Etablissement hervor¬ gegangene „Walhalla-Operetten-Theater" einem gründlichen Umbau Im „Lessing-Theater" konnten sich die „Lebenden" unterzog. tummeln. Hier machten Sudermann und Fedor und Zobeltitz, Baron Roberts und Jaffb ihre ersten dramatischen Versuche, hier begegneten uns so manche Werke von Ibsen und Anzengruber zum ersten Male, hier erschienen die Düse und die Res ane, hier machte im Rahmen der „Freien Bühne" Gerhart Hauptmann seine ersten, noch unsicheren Schritte auf der Bühne. Das „Berliner Theater" dagegen

bot den vernachlässigten Werken unserer Klassiker eine

Freistatt, zog breite Massen der Bevölkerung zu Theaterbesuchern heran und führte die Sonntags-Nachmittags-Aufführungen in Berlin wieder ein. Aehnliche Aufgaben wie diese älteren Bühnen wollten sich die seither entstandenen Schauspielhäuser, das „Neue Theater" und Das „Neue Theater" das „Theater des Westens" widmen. konnte es noch zu keiner rechten, ausgeprägten Physiognomie bringen. Nach mancherlei harten Schicksalen leitete es Direktor Lautenburg durch niehrere Jahre mit gutem Erfolg; jetzt führt hier Frau Direktor Nuscha-Butze das Szepter; ein sehr harmloses Lustspiel „Hofgunst", brachte dem Hause den ersten Zugstück-Erfolg. Der Erbauer des Hauses, Bauunternehmer Simon, wurde Durch unglückliche Spekulationen in einen tragischen Tod gekrochen. Tragische Schicksale waren auch dem „Theater des Westens" beschieoen, dessen erster Direktor, Blumenreich, mehr vielleicht noch bedauernswert als verdammensrvert, mittellos nach Amerika sich flüchete, während ein späterer Mitbesitzer, Prof. Dworak, in'Untersuchungshaft sich befindet. Ern zumeist wohl freudloses Dasein in seinem goldstrotzenden Heim führte auch das Theater „Unter den Linden", in dem Direktor Julius Fritzsche mit einer Art vornehmer Ruhe und der Würde eines Großkaufmanns einen bedeutenden Teil seines Ver¬ mögens einbüßte. Jetzt steht das Haus unter dein Namen „Metropol-Theater" unter Leitung des Direktors Richard Schultz imDienste des Ausstattungsstückes und des Pracht-Ballets, gelegentlich auch der Operette. Im Sommer dürften Probaten auf der schicksalsreichen Bühne ihr Glück versuchen. Sind die AbendAufführungen und insbesondere die Maskenbälle des MetropolTheaters ein Tummelplatz des „pikanteren" Publikums, so ziehen die Sonntags-Nachmittags-Konzerte eine solid-bürgerliche Gesellschaft an. Eine bestimmte Physiognomie soll das „Metropol-Theater" jedenfalls erst noch gewinnen. Stellen wir nun das vielbewegte, gestaltenreiche Bild des heutigen Theaterwesens neben das nüchterne von vor fünfund¬ zwanzig Jahren, so sehen wir einen Aufschwung, eine Wandlung auf allen Gebieten. Den alten, von der Zeit hinweggefegten, morschen Kunstbuden, dem „Stadtthcater", das in der zweiten Etage eines Hinterhauses

dem etwas dumpfen „National-", dem öden verwinkelten „Viktoria-Theater", den „Borussia-, „Variete- rc. -Theater" folgten die Pracht-Bauten des „Lessing-Theaters", des „Reuen-" und „Metropol-Theaters" und des „Theater des Westens", Bauten die dem Stadt-Bilde manchen Reiz verleihen und eine Rolle spielen in der Architektur Berlins. Neu und gefällig ist auch das schmucke „Luisen-Theater" in der Reichenbergerstraße. Chronologisch wäre

lag,

das „Ostendtheater" hier an erster Stelle zu nennen gewesen, das mit großen Hoffnungen eingeweiht wurde. Die merkwürdige Gruppe der Sonderlings-Direktoren, die zur Litteratur und Kunst keinerlei Beziehung hatten, oft auch keine zur deutschen Grammatik und Orthographie, wich dem modernen Typus des litterarischen Direktors. Ehedem war der Chef unserer Königlichen Bühnen nur eine Hofcharge oder kam unmittelbar aus dem Offiziers rock ins Amt. Nicht jedem war es vergönnt, sich so gut hineinzuleben wie Hülsen. Von Cerf, der dem Theater völlig fremd gewesen, wurden ergötzliche Anekdoten erzählt, deren besondere Würze die Verwechslung von Dativ und Accusativ bilden. Woltersdorf war Jurist; Albert Hofmann. Verlagsbuchhänder; Rosenthal, der Leiter des Residenz-Theaters, war Kaufmann; Deich¬ mann, Engel rc., alle waren der Bühnenlitteratur fremd. Wie ist das alles so völlig anders geworden! An der Spitze unserer Königlichen Theater steht Bolko Graf v. Hochberg, ein Musiker, der nach sehr ernsten Studien seiner Kunst wie einem Beruf sich gewidmet und durch Organisation der Schlesischen Musikseste in Görlitz einen Namen sich gemacht hat. Ehss er zur Leitung des König!. Theaters in Berlin berufen wurde, ließ er eine eigene Oper, der viel musikalischer Reiz nachgerühmt wird, über die Bühnen gehen, und erst als er selbst oberster Leiter mehrerer großen Bühnen wurde — in der ersten Zeit seiner Amts¬ führung standen die Hoftheater in Hannover, Wiesbaden, Cassel, noch nnter seiner Leitung — zog er sein Werk zurück. Dr. Otto Brahm, Dr. Oscar Blumenthal, Otto Reumann-Hofer nahmen durch litterarische Studien, durch langjährige berufsmäßige Be¬ schäftigung mit dem Theater im Dienste der Kritik und durch praktische Regie-Thätigkeit ihren Weg in die Direktionsbureaus. Zugleich ausübender Künstler und dramatischer Schriftsteller ist Intendant Aloys Prasch, der Leiter des Berliner Theaters, und aus den Schauspielerkreisen ging Siegmund Lautcnburg hervor, der hier der französischen Lustigkeit ein geschmackvolles Heim schuf, ebenso Max Hofpauer, Nuscha Butze, Richard Schultz, Kommissions¬ rat Hasemann. Auch das Publikum hat in den fünfundzwanzig Jahren eine Wandlung erfahren. Das Theater ist ihm nicht mehr blos eine Stätte, an der man Zerstreuung für müßige Stunden findet. Ein Bewußtsein der thätigen Anteilnahme an unserer litterarischen und künstlerischen Entwickelung- ein Gefühl der Mitverantwortlichkeit erfüllt unsere Theaterbesucher, und sie walten ihres Amtes als Thürhüter des Parnaß oft wie der Cherub mit dem stammenden Schwert an des Paradieses Pforte. Man hat dieses Publikum oft gescholten, am häufigsten hat es den Zorn zurückgewiesener Autoren und ihrer Freunde auf sich geladen — aber man wird ihm doch nicht die Anerkennung versagen dürfen, daß es Von die wahre Begabung stets erkannt und gefördert hat. Berlin und nur von Berlin aus haben alle dramatischen Dichter unserer Zeit ihren Weg über die Bühnen genommen. Der Schlesier Gerhard Hauptmann und der Ostpreuße Hermann Sudermann, der im Orient geborene Vertreter unseres vater¬ ländischen Dramas Ernst v. Wildenbruch, der Frankfurter Ludwig Fulda, wie die Oesterreicher Schnitzler, Bahr, Fr. v. Schönthan, Kadelburg, sie suchten alle von Berlin aus die Bühnenwelt zu erobern, ebenso Halbe, Skowronnek, die aus der Ostmark kommen, sogar Blumenthal, der ein — Berliner ist. Einzig der Berliner Philippi kam neuerdings zuweilen über München oder Hamburg zu Weihnachten 1877

nach

Stil

Berlin. Der Darstellung hat Berlin neuerdings einen bestimmten

aufgeprägt, dessen Hauptmerkmale -Natürlichkeit und Charak¬ teristik sind. So ist denn Berlin in Bezug auf das Theater in Wirklichkeit des Deutschen Reiches Hauptstadt.

Nus der Entwickelungs-Geschichte der Berliner Industrie. Von

Paul Mirschfeld. ^Mine

weitgehende Fürsorge offenbarte der große König gleich seinem Regierungsantritt für das Aufblühen der Seidenindustrie in seinem Staate. Da Frankreich, das einst ton¬ angebende Land auf dem textilen Gebiete, durch die Auswanderung der Hugenotten einen starken wirtschaftlichen Rückgang erlitten hatte,

Wnach

so setzte

der geniale Monarch einen Stolz darein, seinem Preußen

in dieser industriellen Wirksamkeit die Führerschaft zu erringen. Er ließ nicht nur den Eingangszoll auf Rohseide fallen, sondern gewährte auch den Seidenfabrikanten und deren Arbeitern Werbeund Accisefreiheiten. Um Berlin neben Krefeld, der altberühmten

MWWW

Metropole der Seidenweberei, zum Mittelpunkte dieser Manufaktur zu erheben, sorgte er für einen neuen Zuzug kunstgeübter Weber und Spinner aus Lyon, der Schweiz und Holland. Gleichzeitig -an Domänenämter, Magistrate und aber erließ er Verfügungen Kolonisten, Anpflanzungen von Maulbeerbäumen zu veranlafsen oder selbst p' bewirken, um die bereits im Lande begonnene Seidenraupenzucht zu der von ihm angestrebten hohen Ent¬ faltung zu bringen. Im Jahre 1782 waren ,in Preußen, haupt¬ sächlich jedoch in der Mark Brandenburg, schon mehr als drei

Millionen laubbare Maulbeerbäume vorhanden, von deren Raupen gegen 14000 Pfund Seidegewonnenwurden. Trotz¬ dem diese Emte nur einen winzigen

Die Seidenindustrie der preußischen Hauptstadt, die den Wettbewerb mit der französischen Manufaktur ohne Scheu auf¬ zunehmen vermochte, bekundete dagegen bis zum Beginn der fünfziger Jahre einen steten Aufschwung. Bereits 1786 beschäftigte diese Manufaktur in Berlin über 2300 Webstühle, trotzdem sie durch das mehr und mehr zur Geltung gelangte Bevormundungs¬ system, dem der große König in seinen letzten Lebensjahren ergeben war, in der Freiheit der Bewegung äußerst begrenzt war. Um die Bestrebungen der kurmärkischen Züchter zu unterftützen, wurde nämlich ein Königliches Seidenmagazin er¬ richtet, dem die Aufgabe zufiel, die Er¬ gebnisse der heimischen Zucht fest¬ zustellen und unter Berück¬ sichtigung derselben die Einfuhr der Rohseide

Prozentsatz des Be¬ heimischen darfs bildete, so war sie doch dazu angethan, dieZüchter zu erneuter Ar¬ beit anzuregen. Als dann aber ungünstige Jahre sowohl die Kultur des Maulbeer¬ baumes, als der Rau¬ ungeahnte penzucht Schwierigkeiten entge¬ genstellten, trat unter den Züchtern eine solche

für denBedarf

'

tere waren dann genötigt, das Pro¬ dukt zu bestimmten von Preisen nur dem genannten In¬ stitute zu beziehen. Die Berliner Seiden¬ industrie, deren hervorragenste Vertreter die

Seidenbau Einbuße

Baudonin, Gebrüder Bernhard, welchen Unter¬

erlitt Das im Jahre 1810

nehmern der Phi¬ losoph Moses Men¬

Kammer¬

zirkular, durch wel¬

delssohn als Teil¬ haber angehörte, und in neuerer Zeit das schon erwähnte Haus A. Heese dar¬ von beendete jedoch stellten, 'Dasein,

die früheren Verfügungen in Be¬ zug auf die Pflan¬ zung und den Schutz Maulbeerbäume der ches

zurückgenommen wur¬ den, trug natürlich da¬ zu bei, die Kultur des

Seidenbaues vollständig zu lähmen.

Den

rastlosen und erfolgreichen Be¬ mühungen einzelner kur¬ märkischer Lehrer, die un¬ aller hemmenden geachtet Schranken die Seidenzncht fortsetzten, ist es zuzuschreiben, daß die Aufmerksamkeit Sach¬ kundiger sich von neuem dieser Kultur zuzuwenden begann. Der berühmte Gartendirektor Leims legte in den zwanziger auch

Mi-

chelet & Co., Gebrüder

eine

schwere lassene

Girard

Firma

Entmutigung ein, daß der

der Manufak¬ turen zu bewerkstelligen. Letz¬

I.

als die ihr preußische Hauptstadt im¬ mer mächtiger emporwuchs und die Arbeitslöhne in diesem Schaffen eine Höhe erreichten, die einen Wett¬ bewerb mit den rheinischen Industriestädten nicht mehr ernröglichten. Noch vor dem Ansbruch des langwierigen Krieges hatte der große König die Genug-

thung, die

in

erste

erstehen

zu

seiner

Hauptstadt

Zuckerraffinerie sehen.

Ihr

Be¬

gründer, David Splittgerber, der das indische Rohprodukt aus Frankreich, Dänemark und Hol¬ mx ^ att,E ‘ TE6ot DDn 3o6lKa?land bezog, hatte zwar anfangs dam an und trug mit Eifer dafür (S>‘ dem Artikel: „Fünfundzwanzig Jahre Theater m Berlin«) mit erheblichen Betriebs- und Ab¬ Sorge, daß die Pflänzlinge derselsatzschwierigkeiten zu kämpfen) da¬ ben zur weiteren Aufzucht in der Aufschwung, daß seine nach nahm jedoch sein Unternehmen einen solchen Ukermark und in anderen Provinzen vielumfassende Benutzung ergänzten. Zu dieser Zeit Fabriken neue zwei dasselbe durch Erben fanden. Als die neuen Bestrebungen günstige Resultate erzielten, wurde der und noch bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurden hier und dort im Lande Bereinigungen zur Hebung raffinierte Zucker nur als ein Luxusartikel betrachtet, deffen sich des heimischen Seidenbaues oder in den damals bestehenden bedienen „ver¬ ausschließlich die begüterten Gesellschaftsklassen zu landwirtschaftlichen Vereinen besondere Sektionen für diesen zum Süßen benutzte Bevölkerung mochten. Die große Masse der Zweck ins Leben gerufen, die auf die Entwickelung dieser Kultur Zucker, die sogenannte ungereinigten rohen, den Speisen der es, war erkennbaren dieser Zeit einen Einfluß ausübten. Zu gewonnenen Syrup. Wohl als der Berliner Seidenfabrikant Johann Adolf Heese auf Moskovade, oder den in der Rafstnerre Andreas MargApotheker wies im Jahre 1747 der Berliner einem von ihm erworbenen Terrain in Steglitz eine eigene heimischen Runkelrübe hin, der Zuckergehalt auf den großen graf Seidenzucht mit der Anpflanzung von 35000 MaulbeerbaumRohrzuckers deren Kultur er in Anbetracht der hohen Preise des stämmchen eröffnete. Doch wiederum zeigte es sich, wie wenig Allem i» zum Zwecke der Zuckergewinnung bringend empfahl. sich unser wechselvolles Klima für ein dauerndes Emporkommen derselben Verwertung Vorfchlägen zur seinen Entdeckung und seiner Industrielle der Seidenzucht eignet. Auch dieser verdienstvolle erschien. unausführbar als das Phantasiegebilde, fah man nur ein konnte schon nach einer verhältnismäßig kurzen Thätigkeit die Er¬ Schüler Marggrafs, fahrung machen, daß seiner mühevollen Arbeit als Seidenzüchter Erst nach fünfzig Jahren unternahm es ein Kamern der Chemiker Franz Achard, indem er auf dem Gute ein lohnender Erfolg nicht ersprieße. Durch die erwähnte Vereins¬ Ideen die errichtete, Rübenzuckerfabrik in Niederschlesien die erste thätigkeit angeregt und m Anbetracht des sich fortgesetzt steigernden praktischen Versuch seines Lehrers zu verwirklichen. Diesem ersten Seidenbedarfs trösteten sich die Züchter immer mit neuen Hoff¬ entgegen, nungen. Als aber in Folge einer verheerenden Raupenkrankheit stellten sich jedoch so zahlreiche technische Schwierigkeiten Ereig¬ geschichtlichen die nicht wenn daß derselbe gescheitert wäre, die Ertragsfähigkeit der Seidenkultur völlig zu schwinden drohte, nisse das Vorgehen Achards begünstigt hätten. stellten die Züchter fast insgesamt das fruchtlose Mühen ein. welche Durch die von Napoleon I. dekretierte Kontinentalsperre, Seitdem erinnern nur noch einzelne Maulbeerbäume, die wir in verschloß, Kontinents des den tropischen Erzeugnissen die Häfen manchen Gälten der Berliner Vororte oder auf alten Kirchhöfen raffiniertem steigerte sich nämlich der Preis eines Pfundes von finden, an die Spuren der untergegangenen Berliner Seidenzucht.

l‘/

Zucker aus und gleichzeitig auch der Wert der von 2 Thaler dem Volke konsumierten Moskovade und Syrupsorten in beträcht¬ licher Weise. Diesem wichtigen Momente ist es zuzuschreiben, daß die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Rübenzuckerproduktion gelenkt wurde und man dem Beispiele Achards nicht nur auch in anderen Teilen Deutschlands, sondern auch in Frankreich zu folgen begann. Die rastlosen Bemühungen der chemischen Forschung, die geeigneten Mittel ausfindig zu machen, um die Salze und organischen Bestand¬ teile der Rübe auszuscheiden und damit den unangenehmen Bei¬ geschmack des erzielten Fabrikats und besonders seine Nebenprodukte Folge dessen zu beseitigen, schlugen jedoch vollständig fehl. führte der Sturz der napoleonischen Herrschaft auch den Untergang dieser jungen Industrie herbei. Erst als am Ansang der zwanziger Jahre eine'neue Aera in der chemischen Wissenschaft anbrach und der chemischen Technologie sowie der fortgeschrittenen Mechanik weltbewegende Errungenschaften entsprangen, da wurde die Rüben¬ zuckerfabrikation allmählich den Bahnen zugeführt, die ihren Auf¬ schwung ermöglichen, so daß Europa sich bald von dem tropischen Produkte unabhängig machen konnte und der Zucker zu einem Nahrungsmittel der Allgemeinheit wurde. Der Rübenzucker, der heute in einer solchen Reinheit zur Darstellung gelangt, daß er von dem Kolonialzncker sich in nichts mehr unterscheidet, hat über¬ dies auf die Hebung der Volkswohlfahrt durch die enge Ver¬ bindung seiner Industrie mit derLandwirtschaft einen tief eingreifenden Einfluß ausgeübt. Allerdings hat diese Industrie, die überall dort ihr Heim aufschlug, wo die Rübenkultnr eine Pflegestätte fand, den alten Berliner Zuckerraffinerien den Garaus gemacht. Der von Friedrich dem Großen mit bewundernswerter That¬ kraft begonnene Aufbau dech gesamten wirtschaftlichen Lebens in

In

Preußen wurde wädrend des siebenjährigen Krieges fast vollständig vernichtet. Die Einwohnerzahl Berlins, die bereits die Höhe von über 126000. erreicht hatte, ergab nach dem Hubertsburger Frieden einen beträchtlichen, vielsagenden Rückgang. Handel und Gewerbe lagen völlig darnieder: weite Landstrecken in allen Provinzen des Staates waren verwüstet und von Menschen verlassen. Mit einer beispiellosen Ausdauer und Energie ging nun der König an Pas schwierige Werk, die wirtschaftlichen Wunden, welche der Krieg geschlagen, durch die segensvollen Wirkungen der Betriebsamkeit, des ruhigen Handelsverkehrs und des regen Kunstfleißes wieder zu heilen. Wie er zur Neubelebung der landwirtschaftlichen Verhältnisse den Zuzug von Kolonistenfamilien anordnete, Kanäle und Deiche anlegen ließ, vor allen: aber ein geregeltes landschaftliches Kreditund Pfandbriefsystem ins Werk setzte, so begründete er zur Hebung und Unterstützung des Handels und der Industrie 176$ die preußische Bank und 1772 die Seehandlungsgesellschaft. Um dem zerstörenden Rückgänge der Wollwarenfabrikation entgegenzutreten, hob der König die drückenden Privilegien des Königlichen Lagerhauses auf und übergab dieses Institut einem Aachener Industriellen in Erbpacht. Auch diesem bedeutungsvollen textilen Gebiete wollte er einen größeren Absatz nach dem Auslande zuwenden und in den Erzeugnissen dieses vielumfassenden Schaffens sein Land von der fremden Arbeit unabhängig zu machen. Trotzdem ging er nur höchst zögernd vor, die Industrie und den Handel von dem beengenden Absperrungssystem -zu Wohl ließ er zur Veredelung der heimischen Wollbefreien. produktion mit beträchtlichen Kosten spanische Merinoschafe nach Preußen kommen. Doch die Wirkung dieses wichtigen Schrittes konnte natürlich erst in späterer Zeit Geltung erlangen. Wohl teilte er ferner in großherziger Weise beträchtliche Snbsidien an die der Hilfe bedürftigen Industriellen dieses Schaffens aus. Da jedoch die Einfuhr des feinen ausländischen Rohproduktes noch immer verboten war, so vermochte die inländische Wollwarenfabrikätion mit der anderer Länder in keiner Weise den Wettbewerb aufzunehmen. Als im Jahre 1775 die Stadt Gera, die schon damals in der Wollspinnerei und Weberei einen ruhmvollen Namen errungen hatte, von einem verheerenden Brande heim¬ gesucht wurde, bot der König den dort abdachlos gewordenen Behufs Arbeitern in Luckenwalde eine neue Heimstätte an. Zentralisation dieser Kolonien ließ er daselbst unter dem Namen „Wollenzeugfabrik nach Geraer Art", ein ausgedehntes Etablisse¬ ment erbauen, dessen Leitung dem Kaufmann Thomas de Veies aus Frankfurt a. M. übertragen wurde. Nach Erfüllung aller Bedingungen, die ihm von staatlicher Seite oblagen, sollte dem Genannten nach Verlauf einer zehnjährigen guten Verwaltung das Obgleich ganze Unternehmen als erbliches Besitztum zufallen. ihm das wichtige Privileg zuerkannt wurde, die zum Weben erforderlichen feinen Garne aus fremden Ländern beziehen zu dürfen, so war er andererseits bezüglich bestimmter Verpflichtungen den Kolonisten gegenüber und auch durch andere Vorschriften in seinen Dispositionen so beschränkt, daß ihm die königliche Spende



zum Danaergeschenk wurde. außer Stande, die Fabrik zu station und ging für das den Besitz des Luckenwalder über. Dieses Unternehmen,

Nach seinem Tode waren die Erben übernehme». Sie kam zur Subha-

Meistgebot von 2000 Thalern in Tuchfabrikanten Gottlieb Busse das später die Firnrenbezeichnung Busse & Sohn erhielt, war die erste größere Jndustriestätte der heute so betriebreichen märkischen Stadt. Im Jahre 1852 wurde das altehrwürdige Etablissement von einem Berliner Fabrikhause, der heute weit über Deutschland und Europa hinaus rühmlichst bekannten Firma Tannenbaum, Pariser & Co., durch Kauf erworben. Dieses Haus, dessen Erzeugnisse nunmehr feine Tuch¬ stoffe für die Zwecke der Herrenkonfektion umfassen, hat wesentlich dazu beigetragen, den Ruhm Luckenwaldes als Heimstätte der brandenbnrgischen Tuchfabrikation zu fördern und zu befestigen. Als der König endlich die Wollindustrie seines Landes von den lästigsten Schranken des Prohibitivsystems befreite, begann sie, vornehmlich in der Hauptstadt, in zukunftsverheißender Weise aufzublühen. Die größeren Etablissements dieses textilen Gebietes von rund erzielten bereits 1782 einen Gesamtjahresnmsatz Statistische Zusammenstellungen des Jahres 1 785 000 Thalern. 1786 ergaben, daß in der Berliner Textilindustrie damals mehr als 6500 Arbeiter thätig waren, worunter ein wesentlicher Teil dem Dienste der Wollwarenfabrikation angehörte. Die während des letzten Jahrzehntes des vorigen Jahrhunderts erfolgte Einsührnng der in England erfundenen Spinnmaschine und der maschinellen Apparate für die Appretur ließen eine neue Epoche der märkischen Wollmannfaktur erstehen. Als jedoch infolge des rapiden Wachstums der Hauptstadt nach dem Befreiungskriege die Arbeitslöhne und Betriebskosten auch in diesen textilen Zweigen eine Höhe erreichten, durch welche der Wettbewerb mit den Fabriken der Provinzialstüdte in hohem Grade bedroht wurde, siedelte ein großer Teil dieser Unternehmungen, insbesondere aber die eigentliche Tuchfabrikation, 'nach den verschiedensten Städten der Mark über. Luckenwalde, Kottbus, Guben, Spremberg, Forst, Sorau und Brandenburg erhielten durch diesen industriellen Zuzug ihre Bedeutung als hervorragende Heimstätte der märkischen Tuchfabrikätion. Erlitt auch die industrielle Wirksamkeit Berlins durch das Eingehen dieses wichtigen Zweiges der Wollwarenmanufaktur eine empfindliche Einbuße, so wurde dieser Verlust durch das Aufsprießen anderer Zweige bald wieder eingeholt. Zu diesen gehörte in vor¬ nehmster Reihe die in den zwanziger Jahren hier eingeführte Shawlfabrikation, die durch die Intelligenz und Thatkraft ihrer Vertreter zur mächtigsten Entfaltung gelangte. In älterer Vergangenheit trugen bekanntlich die Frauen und Mädchen zur Bekleidung des Halses und zur Umhüllung des Oberkörpers gestreifte oder gewürfelte farbige Wolltücher, die, ihrer Be¬ stimmung entsprechend, kleiner oder größer hergestellt wurden. Wollte man sich einer eleganteren Umhüllung bedienen, so wühlte man mit Franzen besetzte Seidentücher. Als nun an: Anfang dieses Jahrhunderts Soldaten der napoleonischen Armee aus dem ägyptischen Feldzuge die aus der flaumartigen Unterwolle der tibetanischen Ziege in Verbindung mit Seide er¬ zeugten Kachemir-Shawls nach Frankreich brachten, begann, ange¬ regt durch die Schönheit und Eigenart dieser Fabrikate, eine neue Epoche für diesen Teil der Trkkcht. Da man btc orientalische Technik in der Herstellung dieser Gebilde nicht beibehalten konnte, kam man in Frankreich auf den Gedanken, statt der in Indien und Persien zu diesen überaus zeitraubenden Produktion gebräuch¬ lichen primitiven Webstühle die Manipulation des Wirkens mit dem sogenannten Lancierverfahren, bei welchen: die das Muster machenden Fäden über die ganze Breite des Zeuges hinlaufen, in Anwendung zu bringen. An die Stelle des Kachcmirgespinnstes trat bei den mittleren und geringeren Gattungen Wollengarn, und zun: Grundschuß benutzte mau in späterer Zeit zumeist Baumwolle. Aus Frankreich wurde alsdann dieser neue textile Industrie¬ zweig nach Deutschland, vornehmlich aber nach Berlin, verpflanzt, wo er, wie oben hervorgehoben, eine ganz besondere Pflege fand. Von der preußischen Hauptstadt aus wurden die ihrer Kleidsamkeit •

und Nützlichkeit wegen außerordentlich begehrten Erzeugnisse nach fast allen europäischen Ländern und auch in bedeutendem Ma߬ stabe nach Amerika versandt. Teils durch die außerordentlich ge¬ steigerten Arbeitslöhne, teils aber durch das Emporblühen der Berliner Konfektions-Industrie erfuhr die Shawlfabrikation all¬ mählich einen Rückgang, der schließlich fast ihren vollständigen Verfall herbeiführte. Einige Jndustriestätte», der deutschen Reichshanptstadt, namentlich in der Straße „Grüner Weg", dem ehe¬ maligen Mittelpunkte dieses Schaffenszweiges, bilden noch die allerdings beachtenswerten Reste der entschwundenen Macht. (Ein Schlnßartikel folgt.)

29

7

Der Beeihovensaal in der Philharmonie. Von

Hans Marshall. ^KVerlin nimmt immermchr auch für nslc (Müctc öcr freien Künste an. Ten Pulsschlag des gesamten Wff\ den Charakter einer Zentrale zu fühlen, ist die Reichshauptstadt die (SSBI. künstlerischen

Lebens

geeignetste Stelle. Das ganze Jahr über vermitteln Ausstellungen, die neuerdings auch dem Fassungsvermögen der breiteren'Volksschichten Rech¬ nung tragen, und eine beängstigende Anzahl von Kunstsalons die Kenntnis

und das Verständnis der zeitgemäßen Bestrebungen auf dem Gebiete mancherlei Unternehmungen suchen den Segen der bildenden Künste,' 'den Bewohnern der Millionenstadt nach des der heiteren Tonkunst Tages Last und Plage mitzuteilen und der Pflege der Musik mehr Tiefe und mehr Breite zu verleihen. Wen» durch eine solche, die Anlage der Philharmonie mit ihrem ctiva 900 qm großen Konzertsaale, vor 10 Jahren dem Mangel an Raum, der sich in Berlin bisher bei großen musikalischen Aufführungen häufig genug fühlbar gemacht hatte,

abgeholfen war, so ist cs ein erstenliches Zeichen für die Zunahme des Interesses, wenn jetzt schon die Räumlichkeiten der Philharmonie nicht mehr genügten und ihre ivescntliche Erweiterung geboten erschien. Mit allen technischen und künstlerischen Mitteln ist sie durch die Herrn Besitzer und Direktoren der Philharmonie L. Sacerdoti und S. Landeckcr ins Werk gesetzt worden: Tas Etablissement trägt in seiner schönen und zweckniäßigen Umgestaltung allen Wünschen der Musiker und ihrer Hörer Rechnung und darf für die größte Konzertanlage der Welt gelten; denn im ganzen bietet die Philharmonie jetzt der Benutzung eine Fläche von nicht weniger als 70ü0 qm. In erster Linie imponiert sic alp vornehme architektonische Schöpfung. Den Architekten, Herrn Banrat Heim und Baumeister Wirth, in dessen Händen die spezielle Leitung lag, ist es gelungen, durch die gediegene Ausstattung der Räume, ihre schönen Verhältnisse und den edlen Stil

musikalischen

Der Berkhovensaal in Vor Philharmonie. den Eintretenden der Sphäre des Alltagslebens zu entheben und in eine weihevolle Stimmung zu versetzen. Namentlich der von der Köthencrstraße ans erreichbare neue Beeihovensaal, der eigentlich für besondere Musikaufführnngen und Vorträge bestimmt ist, wirkt schon durch seine Architektur und künstlerische RÜsschmückung erhebend

und vorbreitcnd auf die seelische Läuterung durch die Tonkunst. Palastartig hebt sich ans der Häuserreihe der Köthencrstraße eine int Empirestil gehaltene Fassade hervor, die in ihrem Fries den Namen des Saales enthält. Eine Freitreppe führt in das weite Vestibül. Von weißgclbcm Napolconmarmor ist der Sockel, über dem große Spiegel in die Wände eingelassen sind. In zwei Armen steigt zwischen zwei Säulen, sanft eine mit vergoldetem, schmiedeeisernem Gitter ver¬ sehene Treppe auf, der Zugang zu den Garderoben. Stufen und Säule» sind aus weißem Marmor gefertigt. Von den Garderoben endlich gelangt man zu zwei sich an den Längsseiten des Saales hinziehenden Korridoren, von denen ans je sieben Thüren aus Mahagoniholz die Zugänge zu dem prächtigen Inneren bilden. Aus demselben tiefbraunen Material wie die Thüren besteht auch die untere Holz¬ verkleidung der Saalwände, über der an den Längsseiten die Brüstung des Balkons vorspringt, diese ist in lichtem Ton gehalten und mit vergoldetem Stuck geschmückt. Die Sphinx und die von zwei Schwänen getragene, von Lorbeer umrankte Lyra deuten symbolisch hin auf das Wesen der Musik. Sie reihen sich abwechselnd aneinander und sind durch Roscnguirlanden verbunden. Die Schäfte der freistehenden, durch Bogen überbrückten Balkonsäulen sind dunkel gefärbt und stehen mit der in weiß und Gold gehaltenen Dekoration des Saales in wirksamem

An der einen Schmalseite verlieft sich die Galerie zu einer mit amphitheatralich aufsteigenden Sitzreihen. Ihr gegenüber

Einklang. Nische

befindet sich das eine Fläche von 7ü qm einnehmende Orchester, das noch um 2 m vorgeschoben werden kann. der Höhe des Balkons stehen noch in den vier Ecknischen weibliche Gestalten, welche die vier

In

Arten des Liedes verkörpern. Gattungen der Musik und ihre Ein¬ wirkung auf das Gemüt des Menschen bilden auch die Themata der farbenprächtigen Deckengemälde von Professor Vital Schmidt. Das große Mittelvild ist zugleich eine Apotheose Beethovens. Bon Sonnen¬ glut durchleuchtet steht aus lichter Wolkcnhöhc der verklärte Astralleib des gewaltigen Meisters. Neben ihm gruppieren sich drei allegorische Frauengestalten, die hier ihrer Zahl nach am ehesten die Deutung auf die Grazien zulassen, die drei von Beethoven hauptsächlich gepflegten Arten der Musik. Das Licht, das der Verklärte ausströmt, wirkt zunächst künstlerisch anregend ans den Menschen. Ein männlicher Genius mit Geißel und Notenblatt versinnbildlicht die Inspiration des schaffenden Künstlers, ein anderer mit einer Geige die Verkündigung von Beethovens Geist durch die Kunst der Interpretation. Die beiden tiefer stehenden Gruppen stellen iit zwei Kontrasten allgeniein menschliche Empfindungen beim Klange der Musik dar, ans der einen Seite die reine Freude an ihrer Schönheit, die Verjüngung des Alters, die Erquickung des Leidenden, die Begeisterung der Jugend; auf der anderen Seite die Macht der Tonkunst auch über verdüsterte und .verrohte Gemüter der Lasterhaften, die sich erschüttert und zur Rene bewegt den sittlich erhebenden Einfluß der hohen Kunst trotz aller Verhärtung nicht entziehen können. Tie beiden Seitenbilder neben

30 dem großen Hauptgcmälde verkörpern die dramatische Musik als alten Barden, der die Harfe schlägt, und die lyrische als sich küssendes Paar. Die sechseckigen kleineren Felder der Decke geben in entsprechenden Gestalten die Stimmungen wieder, welche die Musik bisher versucht hat, zum Ausdrucke zu bringen, ivie Verzweiflung, Freude, Furcht, Mut, Liebe, Hoffnung, Glaube u. s. w. Die Stichkappen und Lünetten sind nicht farbig gehalten sondern Ton in Ton. Alles in allem macht der Becthovensaal einen vornehmen und echt künstlerischen Eindruck und verdient volle Anerkennung, namentlich wenn man das beschränkte Maß von Zeit in Betracht zieht, das für die Ausführung einer so großen und schwierigen Arbeit geboten war. Von den Dimensionen des Saales dürsten Zahlen einen annähernden Begriff geben. Er mißt, den Raum des Orchesterpodiums abgerechnet, in der Breite 20,5 w und in der Länge 30 in. 1066 Sitzplätze enthält er im ganzen. Es sind durchweg Klappsitze, die mit Pcgamoidledcr gepolstert sind. Einen besonderen Vorzug, ohne den er seiner Be¬ stimmung allerdings nicht würde dienen können, erhält der schöne Raum noch durch die geschickte und tadellose Lösung eines schwierigen Problems, das den springenden Punkt in der Bauaufgabe eines Konzertsaales bedeutet, nämlich des Problems der Akustik. Alles Material, das eine Dämpfung des Tons veranlaßt, jede Bauform, die

„Aller


in Schlesien ^brauchbare Porzellanerde zu finden, entgegnete: „Ja, er kann haben. Ich er¬ innere mich, daß ich in Schlesien an verschiedenen Orten, und besonders auf dem Wege, der von TannRecht

Trophäe rnit gefesselten Sklaven. Aufzeichnungen. Zum Jlrttfcl: „Die Königliche Porzcllan-Mainifakiur itutcv Friedrich dem Grobe»." heißt cs: „Die hansen — hat Er eine damals noch anhalten¬ Schreibtafel? Schreibe den Kriegsunruhen, diebeständige Fnrchtund Gefahr, inderJedermann Er sich den Namen ans! — nach Charlottenbrunn und weiter besonders in Sachsen lebte, und der Geldmangel veranlaßten auch nach Langcnwoltersdvrf führt, ungefähr '/, Meile von Tannhausen, manchen, sich von der Meißener Porcellain-Manusaktnr zu entfernen. eine schöne weiße Erde wahrgenommen habe. Er tnuß an meinen Unter diesen war Friedrich Elias Meyer, der 1761 nach Berlin Minister von Schlabrendorf schreiben und aus Schlesien kam und sich verbindlich machte, bei der tiencn Pvrcellain-MannProben kommen lassen." Von allen Proben, die verschiedene faktur seine Dienste zu leisten." Behörden ans eine königliche Ordre hin einsandten, erwies sich nur Als Gricninger durch unermüdliche Versuche endlich Herr die Erde von Sträbel am Zobtenberge als brauchbar. Da sie aller technischen Schwierigkeiten geworden war und die Fabrik sehr mager ivar, konnte sie bei Anfertigung größerer Stücke allen Ansprüchen nachkommen konnte, stellte Gotzkowski 1763 freilich nur als Zusatz zur Passauer Erde verwandt werden. seine Zahlungen ein und bat den König um Verstaatlichung seiner 1771 wurde endlich bei dem Dorfe Brachwitz unweit Halle a. S. Manufaktur. Diese erfolgte am 24. August desselben Jahres für ein vorzügliches Kaolin entdeckt, das schön weißes und sehr festes die ganz beträchtliche Summe von 225Ö00 Thalern altbrandcn- Porzellan ergab; 1787 fand man noch nälwr, nämlich in den burgischen Kourant. Durch bedeutende Zuwendungen und Ver¬ Feldmarken bei Beidersee, Morl und Sennewitz ein vorzügliches günstigungen wurde nun die Fabrik in den Stand gesetzt, die Material. Von dorther bezieht seitdem noch heute die Fabrik Konkurrenz mit anderen Unternehmungen aufzunehmen. 140000 ihren Bedarf. vollen

Dort

Schon 1763 war der Ruf der Berliner Manufaktur ein so hoher, das; selbst hohe, exotische Gäste, wie der türkische Gesandte Achmet Effendi, sie als Sehenswürdigkeit besuchten und dort Einkäufe machten. Ilm den Absatz noch zu heben, wurden Nieder¬ lagen in Königsberg, Breslau, Magdeburg, Stettin, Halle, Minden und Emmerich für Rechnung der Fabrik eingerichtet und Geschäfts¬ verbindungen mit London, Paris, Petersburg, Amsterdam anzu¬ bahnen versucht, allerdings ohne wesentlichen Erfolg, da die dor¬ tigen Handelshäuser in der Regel nur gegen einen höheren Ortes untersagten Kredit Waren entnehmen wollten. Der bedeutendste Abnehmer seiner Manufaktur war und blieb der König selbst. Freilich war er nicht immer in der Lage, seine Zufriedenheit mit den Leistungen durch entsprechende Anzahlung zu bethätigen. „Sieht Er, das ist schön", äußerte er einmal zu Grieuingcr, „und schöner, als ich's zu Meißen gesehen habe; aber ich kann's nicht kaufen, ich habe kein Geld." lieber den Ertrag eines wert¬ vollen Geschenkes, das der König für die Kaiserin Katharina II. von Rußland hatte anfertigen lassen, berichtet der gewissenhafte Direktor in seinen Auszeichnungen: „So allgemeinen Beifall dieses Service erhielt, so war es doch der Porzellan-Manusaktur-Kasse eben nicht sehr einträglich. Der König ließ nur eine sehr mäßige Dumme dafür zahlen. Die größte Belohnung für die Manufaktur war des Königs Zufriedenheit über die getroffene Ausführung seiner Gedanken." Dieses Geschenk war die schwierigste und kostbarste Arbeit, die damals in der Fabrik hergestellt worden ist; es bezeichnet zu¬ gleich den Gipfelpunkt ihrer Leistungsfähigkeit, denn ein Werk von so hoher künstlerischer Bedeutung ist nie wieder ans der Ber¬ liner Manufaktur hervorgegangen. Auch in Petersburg erregte cs ungeheures Aussehen; um so unbegreiflicher ist es, daß dieser Tafelaufsatz spurlos verschwinden konnte. In den sechszigcr Jahren unseres Jahrhunderts wollte man für eine Ausstellung in London einige seiner Figuren nach den alten, restaurierten Modellen farblos herstellen, stand aber aus irgend welchen Gründen davon ab. Bisher wußte mau nur von dem einen für die Kaiserin selbst angefertigten und im Peterhose verschollenen Exemplare; es befindet sich aber noch ein zweites, früher nnbekannntes im Besitze des König¬ lichen Kommerzienrates, Herrn Seeger, Berlin. Rach ihm geben wir den ungefähren Ausbau des Ganzen und ein paar Einzelfiguren wieder. Der rhythmisch gegliederte, pyramidale Aufbau des fünf Fuß hohen und ebenso breiten Tafelaufsatzes ist im Barockgcschmack gehalten. In den einzelnen Figuren aber kommt das Roeocv mit seiner Grazie und zierlichen Eleganz zum Ausdruck. Unter pur¬ purnem, reich vergoldeten, von zwei Säulen getragenen Baldachin trohnt die Kaiserin Katharina in triumphierender, selbstbewußter Repräsentationspose. Ein mit Hermelin gefütterter Pnrpurmantel fällt bauschig von ihren Schultern. Ihr en biscuit gearbeiteter und reich mit Gold bestickter Reisrock bauscht sich weit aus. Fünf Stufen führen rings um den Thron im Kreise zu diesem empor. Bier malachitartig emaillierte Podeste springen in der Höhe der ganzen Treppe als Ausläufer der obersten Fläche bis über die Kante der untersten Stufe vor und durchschneiden diametral den kreisförmigen Grundriß des Treppeuaufbaus. Auf ihnen sitzen als Verkörperungen der Herrschcrmacht und Fürstentugend die mythologischen Figuren des Mars und Herkules, der Minerva und der Bellona, deren musterhafte Rococofrisur einem Haar¬ künstler als Vorbild dienen könnte. Unten nur den Thron sind in ihren Nationaltrachten als Repräsentanten der von Katharina II. regierten Völker, Unterthanen der Kaiserin geschaart, vom elegant und zeremoniell sich verbeugenden Kavalier in Hoftracht, bis zum einfachen, malerisch gekleideten Bauer, der demütig mit der Stirn

fast den Boden berührt. Ein anmutiger, geflügelter Genius des Ruhmes hält einen Kranz über dein russischen Kaiserwappcn. Der unterste, größte Kreis von Figuren, russische Soldätentypen mir erbeuteten Waffen und um sechs Siegestrophäen gruppierte Gefangene, die zum teil an die gefesselten Sklaven um Schlüters Standbild des großen Kurfürsten erinnern, spielt au auf die Kämpfe zwischen Russen und Türken. Bilder aus diesen Kriegen waren auch von Borrmann in die Mitte aller zu dem Aufsatz gehörigen Teller und Schüsseln gemalt. Die Ränder letzterer waren durchbrochen, reich vergoldet und mit dem Monogramm der Kaiserin in einem natürlich staffierten Lorbeerkranze geschmückt. ^ der Entstehungszeit dieses Meisterwerkes der Rokokokunst waren 10 Garöfcn in Betrieb und 400 Arbeiter beschäftigt. Der jährliche Absatz betrug über 100,000 Thaler. Nur einmal im Jahre 1778 nach Ausbruch des bayerischen Erbfolgekrieges trat in der Weitercntwickelung der Fabrik eine merkliche Stockung ein, Im Ganzen be¬ so daß 54 Arbeiter entlassen werden mußten. trugen die Brutto-Einnahmen während der ersten 24 Jahre ihres Bestehens 2,188,339 Thaler 23 Silbergroschen 6 Pfennige. Der für je sechs Jahre berechnete Reingewinn wuchs von einer Periode zur anderen um 44 resp. 46 °/0 , sodass das gegenseitige Verhältnis der Durchschnittssummen von einem erfreulichen Fort¬ gang des Unternehmens zeugt. In den Jahren 1763—S6 wurden an Holz 510 Hansen, au Thon 12,691 Zentner und au Gold für 3452 Thaler verbraucht. Der König bewahrte der Anstalt sein Interesse bis an sein Lebensende und ließ sich auch aus seinem Krankenlager genauen Bericht über Produktion und Verkauf erstatten. Seine Inspektionen freilich wurden seltener und wiederholte» sich nur in größeren Unterbrechungen. Am 4. Januar 1784 besuchte er die Manufaktur, die ihren Gönner seiner geschwächten Gesundheit wegen seit dem 9. Januar 1781 nicht wieder bei sich gesehen hatte, zum letztenmale. Am 14. August 1786 trug Grieuingcr mit tiefem Schmerz in sein Tagebuch ein: „Schon seit vielen Monaten waren alle Einwohner der königlich preußischen Staaten zwischen beständiger Furcht und Hoffnung über das nicht hoch genug zu schätzende teuerste Leben ihres allgeliebtesten, höchst gefährlich krank darnieder liegenden Monarchen, und heute Vormittag zwischen 7 und 8 Uhr kam von Potsdam die höchst traurige Nachricht nach Berlin von seinem ans die schmerzhafteste Krankheit an diesem Morgen er¬ folgten Tode. Mein Gott: welche düstere Stille! Ueberall nichts als Seufzer und Thränen. Und welcher Anblick! so viele unter den Waffen grau gewordene tapfere Krieger ihren geliebtesten Friedrich, unter dessen Befehlen sic so oft gesieget haben, be¬ weinen sehen. Niemals ist wohl ein König von seinem Heere und von seinem Volke so wehmütig beklaget und betrauert worden. Er war ja auch der Einzige." Des großen Königs universeller Geist, dessen Ucberschuß vor allem auch de» schönen Künsten in überaus förderlicher Weise zu Gute kam, hat in der Berliner Porzellanmanufaktur ein bedeuten¬ des Denkmal seiner Schaffenskraft hinterlassen. Sie ist, da Gotzköwskis Unternehmen nur das letzte Stadium ihrer Vorgeschichte bedeutet, die Schöpfung Friedrichs II. und hat sich als einzige lebensfähige Anstalt neben der Meißener Manufaktur in Deutsch¬ land halten können. Wenn sic sich seitdem auch kräftig weiter entwickelt und manches Gute geliefert hat, der Tafelaufsatz für Katharina II. ist ihre, wenn nicht überhaupt Deutschlands, höchste Leistung geblieben. Sonnt ist auf Friedrichs II. Anregung und unter seiner Leitung ein Hauptwerk unserer Porzellankunst ge¬ schaffen worden, das dem deutschen Kunstgewerbe im Anslande Ruhm und Ansehen erwarb.

In

Ans der Entwickelungs-Geschichte der Berliner Industrie. Won

Paul Mirschfeld. in. ^E^otzdcm

die Wirtschaftspolitik Friedrich des Großen dem kaufmännischen und gewerblichen Leben die Freiheit und Selbständigkeit der Bewegung entzog, trotzdem das unter franzö¬ sischer Regie gestellte Tabak- und Kaffee-Monopol wie ein Alp auf der preußischen Bevölkerung lastete, so ist dennoch während der friedericianischen Herrschaft sowohl der Gewcrbefteiß wie der Handel im Lande, namentlich in der Hauptstadt desselben, zu einem verheißungsvollen Aufblühen gelangt. Die unablässigen Bestre¬ bungen des Königs, seinem Staate neue Handelsverbindungen zu erschließen und der industriellen Betriebsamkeit neue Kräfte zuzu¬ führen, zeitigten Früchte, deren weittragende Bedeutung erst die Zukunft zu erfassen und zu würdigen vermochte. Die Zahl, der in damaliger Zeit, zu einem wesentlichen Teile in Folge direkter Anregung des großen Königs, emporgesprossenen neuen gewerblichen

Schaffenszweige ist weit beträchtlicher, als man gewöhnlich, ohne näheren Einblick in die Entwickelungsgeschichte des wirtschaftliche» Leben des preußischen Staates, anzunehmen pflegt. So ward im Jahre 1755 die erste Berliner Wachstuchnnd Papier-Tapeten-Fabrik errichtet. Diese beiden mit ein¬ ander innigst verwandten Industriezweige sind, besonders seit ihrer Vervollkommnung, als echte Sprößlinge der Zeugdruckerei zu be¬ trachten. Obgleich letztere Kunst schon im grauen Altertum von den Indern und Chinesen ausgeübt wurde, so ist sie dennoch erst mit dem Ende des siebzehnten Jahrhunderts auf europäischem Boden heimisch geworden. Wir hoben bereits hervor, welche Be¬ günstigungen die Berliner Kattundruckercien durch Friedrich den Großen erfuhren, und daß die preußische Hauptstadt sich allmählich zur Metropole dieser allerdings in neuester Zeit fast völlig ein-

41

t

.

'

s

s -

'muß als gegangenen industriellen Wirksamkeit entfaltet hatte. Es naturgemäß erscheinen, daß gar bald der Gedanke auftauchte, den geschnittenen Holzmodel, der zur Herstellung der mit buntfarbigen Blumen und anderen Mustern geschmückten Kattunstoffe diente, auch als Druckwerkzeug zur malerischen Verzierung des Wachstuches in Anwendung zu bringen. Seitdem wurde und wird auch noch dieses Erzeugnis in Form der Schürze als Schutz der Tracht im Hause oder als Tischdecke im bürgerlichen Heim, ferner auch als dekorative Bekleidung für Paneele und Fußböden in weitgehender Weise benutzt. Für letzteren Zweck werden allerdings in neuerer Zeit fast aus¬ schließlich Linoleum-Gebilde verwendet. der Erzeugung der Tapete» ist, wie in de» meisten >ebieten des Kunstgewerbes, Frankreich unser Lehrmeister gewesen. diesem Lande waren bereits im sechzehnten Jahrhundert reich bemalte Seiden- und Leinengewebe zur wirkungsvollen Bedeckung der Wände in den Wobnränmen der Vornehmen in Gebrauch.

In

II In I f [

als das Maschinenwesen und die hieraus resultierende Massen¬ produktion auch diesen Schaffenszweig umgestaltete, kam derselbe auch ans deutschem Boden zu einer blühenden Entwickelung. Zeigt doch heute selbst die bescheidene Wohnung des Landmannes den das Auge erfreuenden Schmuck der farbigen Tapeten. Um auch den künstlerischen Geist in der Keramik zu pflegen und zu fördern, erwarb Friedrich der Große im Jahre 1763 die von dem Handelsherrn Goykowsky wenige Jahre vorher in der Leipzigerstraße begründete Porzellan-Manufaktur. Wie wohl allgemein bekannt, wurde das Porzellan, das allerdings ursprüng¬ lich, und zwar schon in dunkelster Vergangenheit, dem erstaunlichen Erstnduugssinne derChinesen entsprossen ist, von dem Alchymisten Job. Fried. Böttger bei seinen fortgesetzten Versuchen, Gold zu erzeuge», neu entdeckt und damit der europäischen Kultur erschlossen. Von dem damaligen Kurfürsten von Sachsen 1710 beauftragt, ans der Albrechts¬ burg der alten Markgrafenstadt Meißen eine Porzcllanmannfaktnr

Gefamkaufbau dos Tafelaufsatzes der Kaiserin Katharina. (Zum Artikel: „Die Königliche Porzellan-Manufaktur unter Friedrich dem Groben.")

diesen textile» Schöpfungen gingen später die gewirkten, I Aus dann die künstlerisch ornamentierten Leder-Tapeten und schließlich die so¬

Papier-Tapeten hervor, welche, trotzdem sie schon vor undenk§ lichen Zeiten in China und Japan bekannt waren, von Frankreich « niis,_ woselbst ihre Herstellung mittelst des Druckmodels eine be¬ deutsame Ausbildung erfuhr, ihren Weg in die Welt antraten. Zwar hatte die erste Berliner Papier-Tapeten-Fabrik einen gar l schweren Kampf gegen das Borurtheil zu bestehen, welches damals knoch in Deutschland gegen diese neue Art der Wandbekleidnng »vorherrschte. Einen größeren Erfolg erzielte das von dem ans »Paris eingew änderten Fabrikanten Benoit in Berlin errichtete k Unternehmen, welches Papier-Tapeten nach französischem und »englischem Geschmack produzierte. Dennoch verging mehr als ein 1 halbes Jahrhundert, che auch in den weiteren Kreisen des Volkes lder Tapetenschmnck der Wände im Heim zu einem dringenden »Bedürfnis wurde. Bis dahin war es noch allgemeiner Brauch, die » Wände in den Wohnrüumcn deS einfachen Bürgers mit einem » eintönigen, farbigen Anstrich zu versehen; und der Aermere mußte »sogar den trostlosen Blick aus weiß getünchte Wände ertragen. Erst .

zu errichten, bewahrte Böttger sein Schaffen daselbst als strengstes Geheimnis. Doch durch Vertraucnsbrnch verschiedener seiner Ge¬ hilfen wurde der Schleier, der diese Errungenschaft verhüllte, gar bald gelichtet. Bereits nach Verlauf eines Jahrzehnts entstand die Porzellanfäbrik in Wien, 1734 die ehedem so berühmte Knnsistätte auf dem Schlosse Capo di Monte bei Neapel, 1745 das Unternehmen zu Ehesten und 1750 die Manufaktur zu Sstvres.

Eine Ausnahme bezüglich ihrer Entstehung machte einzig und allein dem Staatsminister Friedrich von Garne bereits im Jahre 1713 in dem märkischen Städtchen Plane eröffnete Porzellan¬ fabrik. Allerdings erhielt auch Görnc durch einen von der Albrechtsburg geflüchteten Arbeiter die Anregung zu den ersten Ver¬ suchen, die an den Ufern der Havel lagernden Thonschichten zur Erzeugung von Porzellan zu benutzen. Doch als sich bald ergab, daß der betreffende Arbeiter von dem geheimnisvollen Wirken Böitgers nicht die leiseste Ahnung hatte, ging Görnc selbstschöpserisch vor. Nach rastlosem Mühen gelang es ihm auch, porzcllanartige Gebilde in bestimmten Farbentönnngcu herzustellen, die ihrer mannigfachen Vorzüge wegen ein weit über die Mark hinaus sich eine von

i

4L

eroberten. Trotzdem mußte diese Fabrik infolge ihrer geschäftsunkundigen Leitung bereits 1740 den Betrieb

erstreckendes Absatzgebiet

einstellen. Auch die im Jahre 1750 von deni Kaufmann Wegely in der Neuen Friedrichstraße ins Leben gerufene Porzellan-Manufaktur konnte sich, ungeachtet ihrer kunstreichen Werke, nur wenige Jahre halten. Erst als das von Gotzkowsky geschaffene Unternehmen unter dem Namen „Königliche Porzellan-Manufaktur"*) in den Besitz des großen Königs überging, erhielt Berlin eine sich zur höchsten Meisterschaft entfaltende keramische Kunststätte Durch den Bund, den liier die Wissenschaft, die Technik und die Kunst der Malerei und Plastik schlossen, wurden und werden in diesem Institute Schöpfungen hervorgebracht, die sowohl durch Formenschönheit

statten eine Malerschule, welche die Aufgabe verfolgte, dem jungen deutschen kunstgewerblichen Schaffenszweige, dessen Erzeugnisse selbst im Auslande reichen Absatz fanden, stetig neue kunsterfüllte Jünger zuzuführen. Was er begonnen und erreicht hatte, wußte seilt hochbeanlagter Sohn Christian Heinrich Stobwasser, der Begründer der ehemaligen weltberühmten Berliner Firma C. H. Stobwasser & Co., in erfolgreichster Weise weiter auszubauen. Nach Vollendung einer längeren Studienreise durch Frankreich und England reorganisierte er lticht nur, den Forderungen der fortschreitenden Zeit folgend, seine Lackierwarenfabrik, sondern begann er auch seinem ganzen Wirkungskreise ein wesentlich erweitertes Ziel zu stecken. Die Gebilde der von ihm errichteten Werkstätten für Bronze- und Zinkguß, für Zinnkompositionen und kunstvolle Metallbearbeitung, besonders aber die mannigfachen Lampen, die er als erster in Deutschland in fabrikmäßiger Weise zur Erscheinung brachte, wurden bald Objekte eines vielver¬ zweigten Weltverkehrs. Die seinem er¬ finderischen entsprossenen Jdeengange Schiebelampen eroberten sich ebenso im Fluge die Welt, wie die in seinen Werkstätten konstruierten Lantpen für Mineral¬ öl. Mit dem Siegeszuge des im Jahre 1859 aus den erschlossenen Quellen Pennsylvaniens gewonnenen Petroleums und der damit beginnenden neuen Aera des Lichtes wurde Berlin der Mittelpunkt der heute so bedeutsamen Lampen¬ industrie für die ganze zivilisierte Erde. Als eigentlicher Schöpfer dieser Industrie hat sich Stobwasser in der Geschichte des deutschen Wirtschaftslebens ein un¬ vergängliches Denkmal gesetzt. Für die Entwickelung der gra¬

phischen

Künste

seinem Staate als bedeutsamer Aufklärungsphilosophie

in

zeigte der große König

Der vliere Saal iur Künstlertzause.

Vertreter

der

seiner Zeit ein weitgehendes Interesse (Zum Artikel: „Tao Maienfest im Knnstlerhausc". Für den „Bär" aufgenommen von Zander & Laliiich, Berlin.) Sah er doch in dem „redenden Blatt, das die Gedanken durch der Jahrund berückende Farbenpracht, als auch durch die Vollkommenheit hunderte Strom trägt", den Vermittler derKultnr in ihrem Eroberungs¬ des Materials überall in der Kulturwelt als ruhmreiche Muster¬ zuge durch die Welt. Die hervorragendsten Offizinen der preußischen gebilde gelten. Hauptstadtwurden damals durch das noch heute bestehende,angesehene Die ebenfalls aus den ostasiatischen Kulturländern stammende Institut von Trowitzsch & Sohn, das im Jahre 1711 eröffnet Kunst, die mannigfachsten Holz- und Mctallgegcnstände mit einem ward, und die Firma Georg Jakob Decker repräsentiert. glänzenden Lacküberzug zu schmücken, hatte zur friedericianischen Der gleichnamige Begründer dieses Hauses war 1750 aus seiner Zeit in Frankreich eine solche Bedeutung erlangt, daß der König Heimatstadt Basel nach Berlin gezogen und erwarb hier die seit 1713 betriebene Buchdruckerci von Arnold Dufsarot. Er beschloß auch in Berlin die Fabrikation von Lackarbeiten in Gestalt von Etageren, Schmucksachen, Schalen, Dosen u. s. w. zur wußte dieses alte typographische Unternehmen, mit dem er Einführung zu bringen. Auf seine Veranlassung begründete 1766 eine nach französischem Muster angelegte Schriftgießerei, ferner ein Franzose, Sebastian Chcvallier, die erste Judustriestätte dieser eine buchhändlerische Thätigkeit für den Verlag hervorragender Art in Berlin. Ein anderer Franzose, namens Gucrin, der französischer und deutscher Werke vereinigte, zu einer so bereits in einem deutschen Unternehmen die überzeugenden Proben blühenden Entfaltung zu bringen, daß er die Aufmerksamkeit des seines meisterlichen Könnens dargethan hatte, folgte 1775 dem Königs erregte. Derselbe verlieh dem strebsamen, thatkräftigen gegebenen Beispiele. Das gedachte deutsche Unternehmen betrifft Manne das Privilegium für die Arbeiten der Akademie der die im Jahre 1750 von Johann Friedrich Stobwasser in Wissenschaften und den Titel und die Rechte eines königlichen Hof¬ seinem Heimatsorte Lobcnstcin errichtete kleine Fabrik für die buchdruckers, Diese Auszeichnung wurde 1789 noch dadurch Erzeugung bemalter und lackierter Tabatiären und ähnlicher erweitert, daß dem Schöpfer der Firma das erbliche Prädikat Galanteriewaren. Da dieses unbedeutende, abseits von der großen eines Geheimen Oberhofbuchdruckers zuerkannt ward. Sein Sohn, Verkcbrsstraßc gelegene Städtchen die Bestrebungen des bahn¬ Georg Jakob Decker der jüngere, führte die Technik der brechenden Meisters nicht begünstigte, siedelte er 1760 nach Braun¬ Stereotypie und die Steindruckerei in Berlin ein und muß schweig über, woselbst es ihm gelang, für seine Wirksamkeit ein als der erste Buchdrucker des Kontinents bezeichnet werden, der größeres Absatzgebiet zu erzielen. Als er 1770 starb, übernahm die von Lord Charles Stanhope erfundene erste Schnellpresse sein Sohn Sigismund Stobwasser und sein bisheriger in seinen Werkstätten zur Anwendung brachte. Allerdings wurde befähigtester Mitarbeiter itnd Schwiegersohn Guerin die Leitung dieses epochemachende Werk bald durch die von dem deutschen Mechaniker Friedrich König unter Beihilfe seines Freundes des damals schon weit über das Land hinaus angesehenen kunst¬ gewerblichen Fabrikwerks. Letzterer ivollte jedoch eigene Wege A. F. Bauer 1810 in London konstruierte erste Cylinderdruck¬ Immerhin mußte es damals als eine verfolgen, trennte sich deshalb von seinem Schwager, und rief wie maschine. verdrängt. bemerkenswerte That gelten, einer Neuerung von so tief ein¬ oben erwähnt, in der preußischen Hauptstadt ein eigenes Unter¬ nehmen ins Dasein. Dieses errang bald durch seine von echtem greifendem Einfluß die Wege zu bahnen. Nach dem Ableben des künstlerischem Geiste beseelten Leistungen einen so ehrenvollen Ruf, Sohnes und Geschäftsnachfolgers dieses hervorragenden Buch¬ druckereibesitzers und Verlegers ging die typographische Abteilung daß nach dem hu Jahre 1796 erfolgten Ableben dieses verdienst¬ vollen Meisters der damalige Minister von Strucnsee sich bemühte, der Finna, die als Geheime Oberhofbuchdruckerei sR. v. Decker) dem verwaisten Institute einen würdigen Nachfolger zu gewinnen. nunmehr erlosch, in den Besitz und die Venvaltung des Deutschen Er bestimmte schließlich den Schwager des Dahingeschiedenen, den Reiches über. Sie wurde bekanntich mit der 1851 zur Ausführung Inhaber des damals gleichfalls rühmlichst bekannten Braun- geldwerter Papiere errichteten preußischen Staatsdruckerei zur Reichsdruckcrei vereinigt. schweiger Instituts, Sigismund Stobwasser, nach Berlin überzusiedeln und die Gucrin'sche Fabrik zu übernehmen. Dieser Wie die gewaltigen Fortschritte in der Technik der Buchdruckerei Industrielle setzte nun seine volle Kraft ein, das Etablissement zu die Geistesbildung erweiterten, so hat die fortgesetzte Entwickelung einer Pflegestätte seiner vielnmfassenden technischen und künst¬ des Maschinenwesens im Dienste des Gewerbefleißes eine voll¬ lerischen Bestrebungen zu erheben. Er verband mit seinen Werkständige Umgestaltung des gesamten wirtschaftlichen Lebens ver¬ ursacht. Die wundersame Beschleunigung des Verkehrs, das mit *) Ausführliches hierüber in dem Artikel „Die Königliche Porzcllan- dem mechanischen Betriebe eng verbundene Prinzip einer weit¬ gehenden Arbeitsteilung, die hieraus sich ergebende Massenproduktion manusaktnr unter Friedrich dem Großen." in der vorliegenden Nummer. .

,

•13

in allen Verhältnissen des menschlichen Lebens Um¬ wälzungen hervorgerufen, durch welche alle Gesellschasts- und Staatseinrichtungen mit ihren beengenden sozialen Schranken — die letzten Reste aus mittelalterlicher Zeit — allmählich beseitigt wurden Durch die Erfindung der Spinnmaschinen in England, die es er¬ möglichten, mit einem Schlage tausende von Fäden zu Garn zu gestalten, durch die Errungenschaft des mechanischen Webestuhls, des zaubergleichen Werkes der Jacquard-Maschine und alle der anderen maschinellen Apparate zur Ausführung der vorbereitenden textilen Arbeiten und der Appretur war man nun in den Stand gesetzt, wenigstens bezüglich der Tracht einen gewissen sozialen Ausgleich herbeizuführen. Hierdurch begann der „Standard of life" auch für die untersten Klassen der Bevölkerung, begannen die all¬ gemeinen Ansprüche, die an ein „menschenwürdiges Dasein" gestellt werden, in erheblicher Weise zu steigen. Den wunderbaren Er¬ gebnissen der angewandten Naturwissenschaften, dem mächtigen Aufschwünge der Technik im neunzehnten Jahrhundert ist es zu danken, daß diesen Anforderungen zu einem großen Teile entsprochen werden konnte. Der gewaltig vorwärts drängende Geist der neuen Zeitströmung kam jedoch erst durch die Nutzbarmachung der Dampfkraft im Dienste der Mechanik zur vollen Geltung. Mit der Erfindung der Dampfmaschine war man nun im Stande, die mechanische Be¬ wegung an jeder Produktionsstätte in einem weit großartigeren und regelmäßigeren Betriebe, als dies bisher bei der Wasserkraft möglich gewesen, ins Werk zu setzen. Bereits 1788 ließ man ans Veranlassung des damals an der Spitze des schlesischen Hütten¬ wesens stehenden Oberbergrats, späteren Staatsmiiristers v. Reden die erste Dampfmaschine von England nach Deutschland kommen und in der Friedrichsgrube bei Tarnowitz als Betriebs¬ motor der Wasserpumpen in Wirksamkeit treten. Ein Jahrzehnt später hatte auch die Stadt Berlin Gelegenheit, diese staunenerregende Schöpfung als Betriebskraft eines Pochwerkes in der haben fast

Königlichen Porzellan-Manufaktur in Thätigkeit

zu sehen.

Der damalige Intendant der königlichen Schauspiele, dessen Wohnung an die genannte Manufaktur grenzte, erhob gegen das dämonische Ungetüm, wie er es nannte, das ohne Hülfe von Pferden, ohne Unterstützung der Hände sich plötzlich zu bewegen

begann, einen energischen, aber natürlich vergeblicher Protest. Dieser Motor, der anfänglich die Bezeichnung „Feuermaschine" erhielt, vermochte nur etwa 20 Hub in der Minute zu vollführen. Ein wesentliches Verdienst um die Verbreitung der Dampf¬ maschine auf dem Kontinente, insbesondere aber in Deutschland, erwarben sich die Gebrüder James und John Cockerill, die infolge einer Anregung der königlichen Regierung im Jahre 1815 in der Neuen Friedrichstraße zu Berlin eine Maschinenbauanstalr begründeten, deren Schöpfungen nach allen Teilen des Landes ge¬ liefert wurden. Mit ihrem Unternehmen verbanden sie gleichzeitig eine mustergiltig ausgerüstete Wollspinnerei, in welcher die Werke ihrer Maschincnbauanstalt im Betriebe waren und die Proben ihrer vollkommenen Leistungskraft ablegten. Der Thätigkeit dieser Firma ist es zu einem wesentlichen Teile zuzuschreiben, daß eine neue Aera der Entwickelung in der märkischen Wollenmannfaktnr erstand. Fast zur selben Zeit, als die Gebrüder Eockerill ihr längst entschwundenes, damals weit berühmtes Unternehmen eröffneten, errichtete der Maschineningenieur C. Freund in der preußischen Hauptstadt ein ähnliches Fabrikwerk. Eine der ersten Dampf¬ maschinen, welche seinen Werkstätten entsprossen war, brachte im Jahre 1816 die rühmlichst bekannte Berliner Gold- und Silbcrwaren-Manufaktur von Henscl & Schumann zur Nutzanwendung. Noch heute versieht dieser Dampfmotor, der niit eisernem Balancier versehen ist, in einer Abteilung dieser in der NiederwaUstraßc 34 gelegenen altehrwürdigen Fabrik in nngeschwächter Kraft den Dienst. Im Jahre 1822 ward die Maschinenbauanstalt von F. A. Egells ins Dasein, gerufen, die in dem damals in jugendlicher Kraft auf¬ strebenden August Borsig und später in Earl Hoppe höchst beanlagtc und erfindungsreiche leitende Ingenieure gefunden hatte. Dem kühnen und ingeniösen Vorgehen eines Freund, eines Egells, eines Borsig, Hoppe, Wöhlert und Schwartzkopss muß es gedankt werden, daß sich Berlin zu einer Zentrale des deutschen Maschinenbaues erhob und zu einem industriellen Leben sich entwickelte, dessen Verbindüngsfäden die nunmehr ganze Kulturwelt umspannen. In späteren Schilderungen werden wir ans die nnverwclklichen Verdienste dieser bahnbrechenden Pioniere der

I.

deutschen

Arbeit näher eingehen.

Das Mairnftst int KünMerhanle. HM, leichsam,

um sein schönes neues Heim vorzustellen, beschloß der

/MsX Verein Berliner Künstler ein Kostümfest zri feiern, zu dem er alle IZM? seine Freunde einlud. Den Stil des Hauses für die GesamI-

stimmung des Festes auszunutzen, wurde es.ein Fest aus der Zeit der Hohenstaufen, der Zeit, wo sich Gothik und romanischer Stil mischten. Die starken Farbe» und die großformige Ornamentik der Zeit, die sich anch in den Trachten und Stoffen wieder¬ holte, verbürgte herrliche Bilder von glühender Farbenpracht, in denen sich dabei die herben Linien in großen Zügen zeigen, die dem allcrmodernstcn Stilempfinden so verwandt sind. Die besten Quellen für die Kostüme und alle Einzelheiten gaben die viele» Miniaturen her, in denen die Träger der geistigen Bildung der Zeit, die Mönche be¬ schaulichen, geduldigen Fleißes voll, i» Psalterien und anderen geistlichen und weltlichen Büchern die Menschen und Dinge

Wir

steigen die halbe Treppe empor zu dem Taal, der sonst der Wie verzaubert kommen wir uns vor. Wir Links und im Rücken haben wir die mit Moos und Ephcit überwachsenen Zinnen und Mauern der Burg: über uns erste der Ausstellung ist. stehen in einem Burghof.

ihrer Zeit in einem naiv primitiven, dabei äußerst sachlichen Stil abkonterfeiten. Den Ort des Festes mußte man natürlich _ da suchen, wo sich zur Zeit der Hohenstaufen

das Kulturleben, höfische, ritterliche Feste und bürgerliche Regsamkeit allein in Deutschland sanden: in Sübdeutschland oder der Rhein¬ gegend. Man wählte die letztere und zwar die Gegend der Rheiupfalz bei Caub. Nachdem so Ort und Zeit feststanden, ging es an ein rühriges Arbeiten; die historischen Quellen wurden eifrig studiert, Kostüme gezeichnet und geschneidert, die ein¬ zelnen Gruppenführer hielten Vorträge und überwachten ihre Schutzbefohlenen, als ge¬ strenge Herren alles Entstehende prüfend und das stilwidrige und unkünstlerische zurück¬ weisend.^ Die Dekorationsmaler bereiteten die Ausschmückung des Hauses vor, ganze Panoramen und weite Prospekte malend.' D asGruppenbild vom Maienfest im Künftlerhsuse. schöne Ergebnis der reichen Arbeit war nun das Maien- und Minnefcst am 14. Januar. Wenn man durch die Winternacht durch die nasse Kälte der Straßen wölbt sich die Laubkronc einer alten Linde, au deren rissigen Stamm gefahren war und Schwelle und Schranken im Hause überschritten wir uns lehnen, rechts öffnet sich der Wald; in dessen Grunde ein schilshatte, fühlte man sich plötzlich in eine Welt sonnigen Frühlings und vcrivachseucr Sec verblaut. Gerade vor uns zwischen gewaltige, alte heiterer Poesie versetzt: ein Ausblick üsfnet Tannen hindurch blicken wir auf den sonncnbestrahltcn Rhein: in der sich zwischen Baumriesen hindurch weit in die lachende Landschaft. Mitte des Stromes die alte Pfalz, jenseits die von Licht überfluteten

44

Rebenbcrgc. Gleichsam tut Tanncngewttchcr versteckt steht ein orientalisches Zelt, die luftige Behausung all des wilden Sarazenen- und Muhamcdanervolkes, das die kreuzfahrenden Ritter mit ins Abendland geschleppt hatten. Wir wenden uns nun in die Burg zurück, und über die große, in zwei Fluchten aufsteigende Freitreppe steigen wir in die Vorhalle empor und in den großen Festsaal. Auch er ist verwandelt, die Wandflächen sind mit dunkelgrünem Stoss in der Weise verhängt, wie es uns die mittelalterlichen Bilder zeigen. Die Bühncnwand ist in die Minneburg gewandelt, deren Zinnen hoch in die Lust ragen. Gerade dem Eingang zum Saal gegenüber öffnet sich ein Altan, zwischen dessen romanischen Doppelsäule» man wieder hinabschaut ans de» Rhein, die Siadt Oberwescl und das rege Leben der Frachtschiffen auf ihren Fahrzeugen. Ueber dem Ganzen die gleißende, leuchtende Maiensonne. Tenn ein Maienfest

Doch die Minnekünigin weist ihn stolz zurück:

Schönheit ist meine Heeresmacht, Tie Tugend hält getreue Wacht, Meine Burg ist edle Sitte. Mein Schclmenknabe, schußbereit. Trifft durch das schwerste Eisenklcid Bis in des Herzens Mitte.

!

! !

z

Es kommt also zum Sturm. Aber ein Hagel von Rosen über¬ schüttet die Angreifer, sie sind abgeschlagen. Doch der zweite Ansturm gelingt. Tie kühne Schaar dringt in die Burg. Hier werden aber die Eroberer zu Sklaven: mit Roscnketten gebunden werden sie von den ininniglichen „vrouwen" hinabgeleitet. Paarweise schreitet man im Reigentanz weiter, mit frohen Liedern den Preis der Minne singend.

Inzwischen hat im unteren Ge¬ ein ganz anderes Leben begonnen. Der große Kneip¬ saal ist ein romanischer Rittersaal geworden, die Wände sind mit Fresken streng im Stil der Zeit von den Malern Knötel, Röchling und Seinem ur¬ Engelhard bemalt. sprünglichen Zweck ist der Raum aber gewahrt geblieben: ein lustiges Knciplebcn hat hier begonnen. Da¬ neben ist durch Agthes »tid Krosterotlv Kunst ein Refektorium entstanden aus dem sonst als Billardsaal dienen¬ den Raum. Durch romanische Bogen¬ fenster sieht man ins Land hinaus, über die Büchereien und das Holzgctäfcl der Wände hinweg. Tie eifrigen Klosterbrüder sind hier beschäftigt Miniaturen auszumalen, die nachher in die .mittelalterliche Schriftrolle mit schoß des Hauses

den Lederschnüren verpackt als Damen¬ spende dienen sollen. Daß ihnen bei ihrer Thätigkeit nicht zu heiß wird,

dafür sorgt der nahe Duell braunen Gerstensaftes, der hier tintcit fließt. Doch da schallen wieder Fansarentöne aus dem Festsaal. Ein Wunder bat sich begeben. Klingsvr, dcr zaubcrliasle Recke, der nur alle Mcnschenalter einmal seinen wunderbaren Spiegel beul, ist erschienen. Auf ein Flammen¬ zeichen läßt er die Bilder der ger¬ manischen Sage erstehen. Da sehen ivir zuerst die Rheintüchter tief unten im Strome um das gleißende Rhein¬ gold schweben. Dann erscheint Sieg¬ fried, wie ihm die Burgunden den Gruppenbild vvm Waieitfest im trünstlerhansr. Willkommentrunk bieten. Tic Loreley sehen wir darauf hoch oben ans ihrem Toren, Parzival, wie er in Klingsors reinen den schließlich itnd Felsen Bürger, die gesammelt hat, das sich allerlei Volk, und das ist's ja, und der Blumenmädchen wider¬ Kundrys den'Lockungen Zaubcrgarlen Mönche und und fahrendes Volk Mägde, auch Bürgerinnen, Bauern, ' steht. Ein Skalde (Herr Hofschanspieler Harkmann) begleitete mit schönen Gaukler, reichgcklcidete Rittcrsdamen und ivürdige Städterinnen und Worten, die den Zusammenhang alldeutschen Wesens mit deutscher Sage Ratsherren und Nachtwächter haben sich gesammelt, um ein Frühlingszeigten, das Erscheinen der einzelnen Bilder, die Maler Hendrich, der fest zu begehen. Tn schallt Musik herein: vom Burghof heraus kommt mit fröhlichen Klingsor, gestellt hatte. Inzwischen waren auch Singweisen verteilt worden und öfter verLiedern eine lustige Schaar gezogen, Ritter in Rüstung und Kettenhemd, eiittcn sich alle Anwesenden zu gemeinsamem Chorgesang, den Musik¬ dann ein Bauer, der den Maienbanm trägt, »nd junge Frauen, mit direktor Krause geschickt anzuregen und zu leiten wußte. Rosen bekränzt. Fiedler und Flötenbläser begleiten sie, fröhlicher Ge¬ sang erschallt. Ich wil den meycn grnezcn, so ich besten kan Der wider hat mir hinre leides viel getan Rn süln wir alle srüde bau. Des wil ich nun ihn rufen laut in der vroen bau. Die zil mit fange wol began. Ich sih die lichte Heide in gruener varwe stau Wir sehen üluonien, bluomcn stahn, Da süln wir alle gasten die meyenzcit cmphnn Tic Heide wnnnechlich getan Des tanzcs ich beginnen sol, völlt es nit vcrstnahn. Tanzen, regen, springen wir mit fröde un mit schalle * (um 1275 gedichtet.) Das ziemt guotcn Kindern wohl und shimpsen mit dem Bälle! Min vronwc, min vrouwe ist ganzer tagend voll vorüber war, schlang Festes deS Nachdem so der „offizielle" Teil Ich wetz tviez ju gevalle, ich wetz wiez jn gevalle. der Tanz ein einigendes Band um Ritter und Bettlerinnen, um Orientalinnen und Ordensbrüder, um Klingsors Blumenmädchen und Inzwischen hat der Burgherr und sein Gemahl ans erhöhtem Sitz die nltgermanijchcn Recken. Oft forderten die wunderschönen Bilder, Plast genommen. Ter Zug begrüßt das edle Paar, Reisige bahnen die sich durch den Farbenzanbcr der Kostüme boten, den Vergleich den Weg und sperren den Plast vor der Minneburg ab, die nun ge¬ mit unserer Zeit, in der der uniformierende englische Schneider die stürmt werden soll. Ein Herold kündet die Fehde, der Frühlingskönig Welt beherrscht: ein Bedauern mochte einen überkommen, daß wir so fördert Ergebung: eintönig und farblos gekleidet gehen. £, hochgemutste Franc, Der Verein Berliner Künstler und der Leiter des Festes, Maler Tie Sonne ist mein Seneschall, Blnnk, konnten jedenfalls zufrieden sein. Es war eine würdige, echt Mein Herold ist die Nachtigall, Carl Langhammer künstlerische Einführung in das neue Heini. Mein Reich die blühende Aue. .

Geibel in Berlin. LUZAmanucl Geibel kam im Frühjahr,163

P. Kunzendorf. Berlin findet so selten eine genauere Betrachtung/ wie dasjenige des Turnvaters Iahn auf dem Turnplatz in der Hasenhaide; nicht weil mau kein Interesse daran nimmt, sondern weil der Zugang zu dem nicht öffentlichen Turnplatz mit großen Umständlichkeiten verknüpft ist. Nach der Vorschrift soll niemand den Platz betreten, ohne bei dem dortigen Wächter sich zu melden. Wer hat dazu immer Lust, zumal die Wohnung des Mannes weit hinter dem Denkmal liegt? Wie weit aber die Ver¬ waltung des Turnplatzes in ihrer Engherzigkeit diesem öffentlichen, aus freiwilligen Beiträgen errichteten Denkmal gegenüber geht, ergiebt die Thatsache, daß der Eingang zum Turnplatz mit einer Tafel verunziert ist, auf welcher die Worte zu lesen sind: „Achtung, Hunde!" Alle Bemühungen der leitenden Turnkreise Berlins, hierin Wandel zu schaffen, waren bisher vergeblich, und so ist das Jahndenkmal das einzige Monument in der Reichshanptstadt, das meist nur aus der Entfernung betrachtet werden darf, weil es that¬ sächlich unter Ausschluß der Oeffentlichkeit steht. Aus diesem Grunde dürfte sich auch noch Niemand eingehend mit dem Studium der zahlreichen Inschriften beschäftigt haben, welche die aus aller Welt gespendeten Steine am Postament und an der dahinter stehenden Pyramide zieren. Und doch enthalten diese Steine eine ganze Geschichte, die wert ist, in allen Kreisen ein Denkmal in

bekannt zu werden. Manche Inschrift ist stark verwittert und un¬ leserlich geworden, und auch aus diesem Grunde dürfte es sich empfehlen, das, was die Steine am Jahndenkmal reden, festzu¬ halten und es schwarz ans weiß der Nachwelt zu überliefern. Da ist vorn am Postament der Stein des Turnvereins zu St. Louis mit der Inschrift: „Dein Andenken Jahns gewidmet. Am Tage der Abschaffung der Sclaverei in Missouri, am 11 . Januar 1865. Motto: „Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte." Daneben liegen noch zwei andere Steine von jenseits des Großen Oceans, ein solcher vom New-Iorker Turnbezirk und einer vom Turnverein Fort Scott Kansas (Bereinigte Staaten) mit der Widmung: „Gut Heil! Auch in der Ferne denkt mau sein." Eben¬ falls an dieser Stelle sieht man weiter, von außereuropäischen Turnern gestiftet, einen Stein aus Manila und einen solchen „von den Turnern zu Tannnda in Süd-Australien dem edlen Jahn". Sehr bemerkenswert ist ferner der Stein vom Saarbrückener und St. Johanner Turnverein mit dem Datum „3. Februar 1863". diesem Stein ist ein Konsol von der am 7. Januar 1814 durch Napoleon I. gesprengten Saarbrücke eingesetzt, und darunter steht folgende Inschrift: „Zwanzig Jahre trug ich den Gallier über den Saarstrom, dann ans stürmischer Flucht hoch schleudert er mich in

In

Nieder kam ich jedoch auf wieder befreietes Ufer und Run sandten die Turner vom fernen Saar¬ gau mich her, den Vater zu ehren, auch allen Brüdern Gruß zu bringen und herzliche Mahnung, daß nimmer wiederkehre der Tag, wo straflos der Fußtritt des Fremden deutsche Erde entweiht und der Bruder versäumte den Bruder." Ebenfalls an der Vorderseite des Postaments liegen Steine von der Burg „Hohenzollern", von der „Düppeler Schanze Nr. 2 ", vom „Steckelberg, der Stammburg Ulrich's von Hutten", von der „Burg Sickingen" mit der Jahreszahl „1549", vom „Hohenstaufen", aus dem Teutoburger Walde, ein Stein ans den Appeninen, von der Societä equestra ginnastica di Torino gewidmet, und endlich eine Kanonenkugel vom Linienschiff „Christian XIII." mit der In¬ schrift „Eckernfördc, den 5, April 1849. Dem Jahndenkmal ge¬ widmet vom Eckeruförder Turnverein." Unter den Steinen an der Westseite des Postaments befinden sich wieder einige aus weiter Ferne, so vom „Pacific-Tnrnerbund Californica", vom Turnverein Riga u. a., ferner ein Stein aus Jahns Geburtsort, Lanz bei Lenzen, von Turnsreunden in Witten¬ berge gestiftet, und von einem Hünengrabe zu Sunderhof bei die

Wolken.

da

ruht'

feld, vom mittelrhemischen Turnbezirk, vom Berliner MännerTurnverein „Einigkeit", vom Männer-Turnverein „Vater Jahn" zu Rixdorf u. a. Aber auch die hinter dem Denkmal stehende Steinpyramidc _ weist manche bemerkenswerte Inschrift, manches Felsstück von historischer Stätte auf. Der Stein der Turngemeinde zu Cincinnati in Ohio trägt die Inschrift: „Freiheit, des Kampfes Preis", der Stein vom Geraer Turnverein die Worte: „Schieß', wen Du willst, nur meinen Bruder nicht! Gera, im Bruder¬ kriege 1450'" eine steinerne Ehrentafel vom Turnverein zu Hörde in Westfalen zeigt den Wahlspruch: „Geist, Herz und Hand fürs Vater¬ land". Da liegen ferner Steine vom Turnverein zu Philadelphia, vom Deutschen Turnverein zu Buenos-Aires, zu Prag und Graz, Steine aus dem Jahnhause zu Freyburg an der Unstrut, vom Hause Ernst Moritz Arndts in Bonn, aus dem Lessingsaal zu Wolfenbüttel, vom Kysfhäuser, vom Kynast und endlich die Stein¬ waffen aus der Steinzeit, in der Schweiz gefunden und von Schweizer Turnern gewidmet. Wenn Menschen schweigen, werden Steine reden. Selten nur vernimmt man menschliche Stimmen am Denkmal Jahns, denn es ist vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen und „Unbefugten" ist der Zugang versagt. Aber eine desto deutlichere Sprache reden die Steine am Monnment, die Sprache der Liebe und Anhänglich¬ keit, die man auf der ganzen Erde dem Altmeister der Deutschen Turnerei und seinem großen nationalen Werke bewahrt. Hoffent¬ lich ist die Zeit nicht mehr fern, wo auch das Denkmal des kern¬ deutschen Mannes in der Reichshauptstadt der Oeffentlichkeit ebenso zugänglich ist, wie das Werk seines Lebens dem Herzen des ganzen Deutschen Volkes.

ich seitdem.

Osnabrück. Auch die Ostseite und der Hintergrund des Denkmals sind mit seltenen Steinen geschmückt, die der Turnverein „Vorwärts" von

Kansas City in Missouri, die Turngemeinde von Chicago, Illinois, der Deutsche Turnverein Rio de Janeiro u. a. gewidmet haben. Vom deutsch-österreichischen Turnverein zu Krems au der Donau rührt ein Stein her mit der Inschrift: „Das ganze Deutschland soll es sein"' ferner befinden sich unter den Sendlingen von nah und fern Steine vom Heidelberger Schlosse, vom Leipziger Schlacht¬

Von der

chemischen

Industrie in der Mark. Von

Paul Mrschfeld. II.

^^edenkt man all der großen Errungenschaften, welche der ZW? Spürkraft der modernen Naturforschung entsprossen sind, namentlich der erstaunlichen Ergebnisse der chemischen Wissenschaft in der Nachbildung so mancher Arbeit, die bisher uur der ge¬ heimnisvollen Werkstätte der Natur gelungen war, so müssen wir uns vor dem menschlichen Ingenium bewundernd beugen. Dennoch besitzt, wie der vor kurzem dahingeschiedene hochverdiente Botaniker Ferdinand Cohn sich zutreffend äußert, die einfachste Pflanzen¬ zelle, deren Dasein erst das Mikroskop dem Menschenauge enthüllt, eine Kunst, welche die gelehrtesten Chemiker ihr noch nicht ab¬ zulernen vermochten. Diese Zelle hat nicht nur die Fähigkeit, „die einfachen Verbindungen der unlebendigen Natur in lebensfähige Materie zu veredeln," sondern auch die Macht, die Sonnenstrahlen, die sie aufnimmt, zu bewahren, um sie später in anderer Form wieder frei zu geben. Das Feuer, das uns beim Genuß des Weines durchdringt, die behagliche Wärme, welche der mit Holz geheizte Ofen ausströmt, sie sind nichts anderes, als die von den betreffenden Pflanzenzellen aufgehäuften und nun von neuem zur Geltung gelangten Sonnenstrahlen. Doch die Kraft des in den Zellen der Gewächse aufgespeicherten Sonnenlichtes vermag selbst dann noch in die Erscheinung zu treten, wenn von diesen Gewächsen nichts weiter als die im Schoße der Erde ruhenden, verkohlten Reste übrig geblieben sind. So ist die Steinkohle, die übrigens schon in alter Zeit von verschiedenen Völkerschaften als Brenn¬ material benutzt ward und bereits im zwölften Jahrhundert einen iiicht unwesentlichen Handelsartikel bildete, nur als versteinertes Sonnenlicht zu betrachten. Wenn mit den schwarzen Diamanten, wie diese Spenden der Erde in unserem Zeitalter der Dampfkraft und Elektrizität genannt werden, die Kessel in den Fabriken oder der Lokomotive geheizt werden, dann wird eben die Sonnenglut der Vorwelt in Arbeitskraft umgewandelt. Erzeugen wir jedoch aus den Steinkohlen das Leuchtgas, so genießen wir ein Ueberbleibsel des Sounenlichtes, das einst vor "Millionen. Jahren ans¬ gestorbene Pflanzengeschlechter in sich aufgenommen hatten. Es bedurfte erst der Entdeckung des Gaslichtes, um, aller¬ dings nach etlichen Jahrzehnten, zu erkennen, datz die Steinkohle auch noch den Baustoff birgt, aus dem die Flora iir jener Zeit vor des Menschen Erdenwallen ihre Farbenpracht gewann. Der Erste, welchen ein glücklicher Zufall beobachten ließ, daß ein ans dem Steinkohlentheer gewonnenes leichtes Oel blaue und violette Färbungen hervorbringe, wenn es mit Chlorkalk verbunden werde, war der in den dreißiger Jahren in Berlin und Oranienburg wirksame Chemiker Runge. Er veröffentlichte seine wundersame Entdeckung, ohne sie irgendwie verwerten und ihren geheimnisvollen Schleier lüften zu können. Kurze Zeit darauf fand der Chemiker oritzsche eine ähnliche Farbenreaktion bei dir Destillation von

Indigo mit Kalihydraten'

er gab diesem Farbstoffe nach der portu¬ Wortes „Indigo" den Namen „Anilin". Im Jahre 1845 wies nun August Wilhelm Hofmann, der bahnbrechende Pionier in der Erschließung der prunkvollen Theer¬ farben, die Jdenditität dieser beiden Beobachtungen nach, ohne daß er jedoch einen Vorschlag machte, wie diese erzielten färbenden Produkte praktisch zu verwerten wären. Doch seine weitgehenden Untersuchungen über die Natur der Bestandteile des bei der Destillation des Leuchtgases ausgeschiedenen Steinkohlenthcers setzte er ununterbrochen fort. Eine wichtige Frucht dieser Arbeiten war die Auffindung von Benzol im leichten Theeröl, worauf der Engländer Mansfield diesen flüssigen Kohlenwasserstoff ohne ein Verfahren fand, Schwierigkeit und in großen Mengen aus dem Steinkohlentheer zu gewinnen. Das Benzol, das im Jahre 1825 von Faraday unter den Produkten der trocknen Destillation von fetten Oelen entdeckt wurde, erzielte 1833 Eilhard Mitscherlich, der seit 1821 an der Berliner Universität als Lehrer der Chemie eine erfolgreiche Thätigkeit entwickelte, aus der Destillation der Benzossäure mit Kalk. Er zeigte sodann, wie sich ans diesem Produkte, wenn es mit starker Salpetersäure behandelt wird, unter teilweiser Ab¬ gabe des gebundenen Sauerstoffs demselben, eine gelbliche Flüssig¬ keit ergiebt, die einen dem Bittermandelöl höchst ähnlichen Geruch ausströmt und süßlich schmeckt. Er verlieh diesem Produkte die Bezeichnung „Nitrobenzol", das gar bald als Ersatz des Bitter¬ mandelöls unter dem Namen „Mirbanessenz" in der Parfümerie und auch in der Kochkunst zur Anwendung kam. Hofmann, der spätere Nachfolger Mitscherlichs in Berlin, erzielte das Nitrobenzol aus der Nitrierung des aus dem Theeröl gewonnenen Benzols und benutzte es zur Umwandlung in Anilin, jener ölartigen, stickstoffhaltigen Base, welche die Grundlage eines neu erstehendeu Gebietes der Färbenindustrie werden sollte. Während man den bei der Darstellung von Holzkohle als Nebenprodukt erzielten Holztheer schon längst zum Anstrich der Schiffstaue und zur Erzeugung von Pech und Ruß benutzte, hatte man für den Steinkohlentheer eine geraume Zeit hindurch keine rechte Verwendung. Selbst als der Engländer John Bethell 1838 die Imprägnierung der Cisenbahnschwellen mit schwerem Theeröl als erfolgreiches Konservierungsmittel vorschlug und ins Werk setzte, ging noch fast ein Jahrzehnt dahin, ehe man sich entschloß, die zu diesem Zwecke erforderliche Destillation des Steinkvhlentheers vor¬ zunehmen. Es war im Jahre 1846, als man zuerst in England diese Destillation zur Gewinnung von karbolsäurehaltigem Theeröl einführte. Obgleich das erlangte Produkt alle Vorzüge eines Imprägnierungsmittels für Holz besag, so vermochte es die bereits gebräuchlichen Methoden der Imprägnierung nur schwer zu vergiesischen Benennung des

Es muß als das unbestreitbare Verdienst des Herrn des Begründers des gleichnamigen Berliner Welthauses, bezeichnet werden, in dieser Hinsicht bahnbrechend vor¬ angegangen zu sein. Er wies durch weitgehende Versuche die voll¬ kommene Wirksamkeit des Theeröls als Holzkonservierungsmittel nach, zeigte, wie die Eisenbahnschwellen behufs ihrer Imprägnation behandelt werden müssen, damit sie gegen alle Einflüsse der Natur vor Zerstörung möglichst lange bewahrt bleiben. Bezog er bisher das für seine hier und dort errichteten Imprägnierungs-Anstalten benötigte Theeröl aus England, so faßte er 1860 den bedeutsamen Entschluß, eine eigene Steinkohlentheer-Destillation ins Leben zu, rufen. Das bald darauf in der Ortschaft Erkner bei Berlin er¬ öffnete Etablissement von Julius Rütgers wurde die erste größere Fabrik in Deutschland, welche die Verarbeitung des Stciukohlentheers unternahm. Zu dieser Zeit galt noch immer das bei der Destillation des Steinkohlentheers abgeschiedene leichte Theeröl, das fast aus¬ schließlich zur Herstellung des Brönner'schen Fleckwassers benutzt wurde, als lästiges Nebenprodukt. Trotzdem hatte schon imJahre1856 der Engländer Perkins die Entdeckung gemacht, daß die vonHofmann aus dem leichten Oel des Steinkohlentheers erzielte Base, das Anilin, durch Oxydation mittels chromsaureu Kali und Schwefelsäure Er einen schönen Farbstoff in violetter Tönung hervorbringe. stellte diesen Stoff, dem er die Bezeichnung „Mauvein" gab, fabrik¬ mäßig her und brachte ihn in den Handel. Doch bereits nach zwei Jahren konnte auch der unermüdliche Forscher A. W. Hofmann der Großen Chemischen Gesellschaft in London und der Akademie der Wissenschaften. in Paris die epochemachende Mitteilung zustelle», daß ihm unter der Einwirkung von Chlorkohlenstoff auf Anilin bei drängen.

Julius Rütgers,

einem bestimmten Hitzegrad die Erzeugung eines karmoisinroten Farbstoffes geglückt sei. Unter dem mächtigen Eindrucke dieser Entdeckung begann man nunmehr von verschiedenen Seiten den Versuch zu wagen, die industrielle Darstellung dieses Farbstoffes zu bewirken. Doch alle dahin zielenden Unternehmungen ergaben vorerst eine absolute Erfolglosigkeit. Der erste, der es erreichte, diesen neuen Farbstoff in fabrikmäßiger Herstellung zur Erscheinung zu bringen, war der französische Chemiker Vergütn. Er rief dieses Produkt, unabhängig von der Hofmannffchen Entdeckung, mit Hilfe von Ziunchlorid hervor und verlieh ihm den Namen „Fuchsin". Nun betrat wieder Hofmänu die Arena des wissenschaftlichen Wettbewerbes und gab nicht nur eine vollständige Aufklärung über die Natur des Fuchsins, sondern eröffnete der staunenden Welt, daß er bei der Erforschung dieses Stoffes einen neuen Körper, das sogenannte Ros anilin, entdeckt habe, aus welchem sich eine Reihe farbiger Derivate gewinnen ließen. Das eine derselben, Hofmann's Violet, errang bald durch die Schönheit seiner Farbentönung einen Weltruf. Nun waren die Pforten zur Entwickelung der Anilinfarben-Fabrikation erschlossen, nun entstandffene großartige Industrie, die umgestaltend und befruchtend auf eine Reihe der wichtigsten gewerblichen Schaffenszweige eingewirkt und ein Wesentliches dazu beigetragen hat, den Geschmack und Farbensinn des Volkes zu veredeln. Zwar muß man England als die Heimstätte der Stciukohlentheer-Destillation bezeichnen, zwar wurde in Frankreich, wie wir

bereits hervorhoben, das erste industrielle Unternehmen zur Erzeugung der Theerfarben ins Leben gerufen. Dennoch ist es ein Deutscher, ein Bewohner der Mark gewesen, welcher das erste Saatkorn aus¬ gestreut hat, aus dem allmälich diese weltbewegende Errungenschaft

hervorgegangen ist,' war cs ein Berliner Hochschule, durch dessen

deutscher Forscher, ein Lehrer der klassische Untersuchungen und ziel¬

bewußte Entdeckungen der fruchtbare Boden

für die mächtige Ent¬

faltung der Industrie der künstlichen Farbstoffe geschaffen wurde. Ueberdies wurde die preußische Hauptstadt gar bald der Sitz eines der bedeutendsten Etablissements dieses neuen Gebietes der Farbenindustrie, eines Unternehmens, das mit rastlosem Eifer und durch selbstschöpferische Jdeeen daran mitgearbeitet hat, die von ihm ge¬ pflegte» Zweige der Theerfarbenindustrie in erfolgreichstem Maße weiter auszubilden. Unsere Worte beziehen sich aus die weit über Europa hinaus rühmlichst bekannte Aktiengesellschaft für Anilin-Fabrikation zu Berlin. Der Ursprung derselben ist auf das Jahr 1867 zurückzuführen, zu welcher Zeit die beiden

Dr. Mendels so hn-Bartholdy verdienstvollen Chemiker

C.

21.

Martins

und

Dr.

Paul

zur Errichtung einer Industriestätte für Anilinfabrikation vereinigten. 2lus einer Fusion dieses Etablissements mit der bereits seit längerer Zeit betriebenen Farben¬ fabrik von Dr. Jordan am damaligen Wiesenufer, der heutigen zur Ortschaft Treptow gehörenden Lohmühlenstraße, entstand ani Ende des Jahres 1872 die betreffende Aktiengesellschaft. Das von Tübner gewonnene Malachitgrün mit seinen prächtigen Abstufungen, ein wirkungsvolles Ponceau, mit welcher Farbe die Firma ihre so ersprießliche Thätigkeit in der Herstellung der sogenannten Azofarbstoffe eröffnete, bildeten die ersten Ergebnisse im Schassen dieser Jnduslriestätte, welche ihren Ruf begründeten. 2lls sie dann später das Patent Böttigers zur Erzeugung der nunmehr in ausgedehntem Ai aßstabe eingeführten Kongofarbstvffe erwarb, begann für sic eine neue Aera der Entwickelung. Die genannten Farbstoffe bilde» eine Gruppe von Azofarben, welche sich, den eigentlichen Anilinfarben entgegen, in der denkbar einfachsten Weise ohne vorherige Beizung auf Baumwolle fixiren lassen. Wir werden in der nächsten Schilderung es versuchen, auf die einzelnen Vorgänge in den wechselreichen Arbeitsprozessen dieser wichtigen Industrie näher einzugehen. Wenn man die fast unbegrenzt zu Nennende Fülle der herr¬ lichen Farbenerscheinungen, welche durch die Zauberkraft der Wissenschaft dem Steinkohlenthcer entzogen werden, zu überblicken versucht, dann empfängt mau erst eine Anschauung von der welt¬ bewegenden Bedeutung dieser Industrie. Das mächtige Gebiet des textile» Schaffens, die Industrie der künstlichen Blumen und der Putzfedern, die Kunst des Färbens von Pelzwerken, Leder, Papier und Holz, alle diese industriellen Zweige haben durch die Her¬ stellung der Theerfarben einen Aufschwung von größter Tragweite genommen. Zum . Färben gewisser Nahrungs- und Genußstoffe, namentlich aber als Hilfsmittel in der Mikroskopie — wir erinnern nur an alle bakteriologischen Untersuchungen — können die Anilin¬ farben kaum mehr entbehrt werden. Naturgemäß nahm nun auch die Theerdestillation in Erkner durch den sich fortgesetzt steigernden Begehr nach Benzol, Toluol und den anderen leichten Theerölen einen ungeahnten Aufschwung. Ihre Bedeutung wuchs noch in beträchtlicher Weise, als Joseph Lister mit seiner antiseptischeu und aseptischen Wundbehandlung eine neue Epoche der Chirurgie begründete und nun die. schwerer flüchtigen Theeölbestaudteile, wie Karbolsäure und Phenol, das namentlich zur Darstellung von Salicylsäure dient, weitgehende Nutzanwendung fanden. So konnte die chemische Forschung gerade durch die weitere Ausbildung der Theerölindustrie Triumphe feiern, die man als unvergänglich bezeichnen darf. sich

Die Erstaufführung von Schillers Piccolomini in Berlin.

t

(1.8.

Februar 1799).

wei Jahre hatte Jffland die Direktion des Königlichen Natioualtheaters bereits geführt. Ein neuer Geist schien seitdem in das Haus auf dem Gensdarmenmarkt, dem alten französischen Komödienhaus, eingezogen zu sein. Junge, frische Talente ver¬ liehen den Aufführungen Glanz und Leben. 2luch die älteren Kräfte thaten sich ganz außerordentlich hervor, so entstand denn ein Ensemble, an welchem die kunstsinnigen Berliner gewiß ihre Freude haben konnten. — Vor allen Dingen war es die realistisch wunderbar wirkende Friederike Unzelmanu, in tragischen Rollen sowohl als in der Komödie gleich groß, das unordentliche Genie Fleck, wie Jffland diesen Künstler späterhin mißbilligend zu nennen Jffland selbst, der ruhige, pflegte, welche Unerreichtes schufen. strebsame Künstler, Mattausch, Liebhaber und Held in der Voll¬ kraft urwüchsiger Jugend und Schönheit. Das Berliner Publikum hatte sich ziemlich schnell an das neue, taktvolle Auftreten Jfflands gewöhnt. Das junge Herrscherpaar zeigte ihm ebenfalls freund¬ liches Wohlwollen, mit einem Worte, die Klärung war da, das Deutsche Schauspiel, bis dahin etwas vereinsamt, sollte von nun an in ein neues, würdiges Stadium treten, künstlerische Erfolge im wahrsten Sinne des Wortes erringen.

jetzt au, die Komödianten zu Jene Skandalosa, die ein Czechtitzky noch vor neun Jahren heraufbeschwor, indem er durch seine bodenlose Spielwut den Ber¬ linern genug Stoff zum Reden und Lachen auf offener Szene gab — sprach man doch davon, daß er sich einstens thatsächlich im Golde gewälzt hätte, als er einmal 200 000 Friedrichsdor im Hause gehabt, um seinen Freunden ein neues ergötzliches Schauspiel vor¬ zuführen — die Abenteuer der schönen Baranius, welche in glück¬ lichster Weise, mit Prinzessin Ananas, der Lichtenau, in der Gunst hoher und höchster Herren konkurriert hatte — nun alles tempi passati. Jene Verordnung des Königlichen Hof- und Kammer¬ gerichtes: den bei der Oper und Komödie beschäftigten Personen weder Geld noch an Waren etwas zu borgen, da etwa darauf bezügliche Einklagungen doch nichts fruchten würden, war schon lange aus den öffentlichen Blättern verschwunden, der Komödianten¬ rummel hatte sein Ende erreicht. Selbst Herr Fleck, der verzogene Liebling der Berliner, beugte Als Regisseur verstand er es, sich alsbald dem strengen Regime. den neuen Direktor für sich zu gewinnen, wenigstens in der ersten Zeit, späterhin traten alte, unverbesserliche Gewohnheiten wieder

Das Berliner Publikum fing

achten.

Heute Montags,

den

>8. Februar

,79?.

wird auf

dem hiesigen

Königlichen

National-

Theater

Mit AllerglMgsier Bewilligung Sr. MG. des Königs für

Herrn Regisseur Fleck, zum Erstenmale gegeben:

zum Benefiz

den

ittulsmini. Ein Schauspiel in fünf Aufzügen, von Herrn Schiller.

(Wallenstetus Erster Theil) Personen: zu Friedianv, Kaiserlicher Generalissimus im dreißigjährigen Krieg Herzogin von Friedland, WaNensteins Gemahlin Thecla, Prinzessin von Frievland, ihre Tochter ■OctslBio Piccolomini, Generallieuienanr Max Piccolomini, sein Sohn, Oberst bev einem KLrastierregimenk GrasTerzky, WaUenstein« Schwager, Chef mehrerer Rcgimmter Gräfin Terzky, der Herjogin Schwester Jllo, Feldmarschall, Wallensteins Vertraut« Jsolaal, General der Kroaicn BuNler, em Inländer, Chef «ne« Dragoncrregrmenlck Tiefenbach,

Wallenstein, Herzog

'

DonMaradaS,

Wall-nst-in

Kolalw, Knegsrakh von Questenberg, vom Kaiser gesendet Oberst Wränget, von den Schweden gesender Rittmeister Neumann, Terzty'« Adjutanr

Ern Cornel Dabtista Sem, Astrolog Kellermeister des Grafen Terzty Kammerdiener de« Herzog« Kammerdiener de« Piccolomiat Bediente de« Grafen Terzk» Mehrere Generale und Obersten.

Heute

gilt

Hr.

Fleck.

Mad. Bihelm. Mad. Fleck.

Hr. Jffland. Hr. Maitausch. Hr. Beschort. Mad. Eunike.

Hr. BLheim. Hr. Unzelmann. Hr. Kaselitz. Hr. Reiuwalb. Hr. Amdrosch. Hr. Beffel. Hr. Franz. Hr. Schwadk. Hr. Berger. Hr. Rau. Hr. Beffel d. jüng. Hr. Labe«. Hr. Grrlbe. Hr. Zimmerlr. Hr. Benda. Hr. Rüchlmg. Hr. Holzsecherrc.

Hr. terdcl. Friedlänblsche Pagen „1,0 Bediente,

Haurdvisttn.

kein Abonnement.

Der Anfang iß um

halb Sechs Uhr.

Verkleinertes Fakstmile des Theaterzettels vorn 16. Februar 1799. (Original nn Besixc der General-Intendantur der Köntgiichen Schmispietc.)

106

in ihre

Rechte.

Höchste Kunst,

Wahrheit, vor allen Dingen, ist Jsflands Genre eigentlich nie Etwas Pedantisches, gewesen. haftete dem neuen Herrn Direktor an. Sein Spiel war bis ins Feinste aus¬ geklügelt, das Wesen der Rolle, welche er darstellte, durchaus Schulmeisterliches

individuell aufgefaßt, und doch von Genialität keine Spur) schon der Franz in den Räubern hatte dies bewiesen. Sein Franz

warein vollendeter Schurke, aber leer, farblos, ausgeklügelt, ein Theater-Franz, nicht das erbärm¬ liche, und doch niederträchtig welches Geschöpf, großartige Schiller sich gedacht hatte. Außerhalb des Theaters dieselbe Pedanterie. Seitenlange Briefe wurden eines GarderobeRolle wegen, einer stückes, zwischen ihm und den Mit¬

In

der gliedern gewechselt. ein lautete Theaterordnung Paragraph, den er eingeführt: „Der geschäftliche Verkehr zwi¬ schen Direktion und den Bühnen¬ mitgliedern findet nur schriftlich statt." Wie dem aber auch sei, Jsfland hat sich das große Ver¬ dienst erworben, Friedrich Schil¬

lers Tragödien auf dem Königlichen Rationaltheater, in wahr¬ haft vollendeter Besetzung, dein Geiste des Dichters Rechnung tragend, zur Darstellung zu bringen. Am 18. Februar 1799 erschien als erste dieser ausgezeichneten Vorstellungen zum überhaupt erstenmale in Berlin: „Die Piccolo¬ mini", ein Schauspiel in fünf Akten, welches bereits am 15. Oktober in Weimar, mit „Wallensteins Lager" zusammen, unter jubelndem Beifall ihre Premiere erlebt hatten. Ganze 60 Friedrichsd'or hatte Schiller für seine Trilogie er¬ halten. Die Kostümfrage war ebenfalls zur Zufriedenheit erledigt worden, nun ging man frisch ans Werk. „Wallensteins Abfall und Tod", wie Schiller den letzten Teil seines gewaltigen Werkes in seinem ersten Schreiben an Jffland (15. Oktober 1798) nennt, sollte erst drei Monate später folgen, das Lager, politischer Bedenken halber, im Jahre 1802. Endlich benachrichtigte Jffland Schiller am 10. Februar 1799: „Daß die Piccolomini, wie ich hoffe, gut, mit Anstand, wenigstens gewiß mit all dem Anfwande, gegeben wLllrustri«, Herzog

zu

Friedlond.

.

werden, den wir diesem Meisterwerke mit Freuden widmen." Für das Lager lehnt er dankend ab und teilt Schiller die Gründe mit, welche ihn dazu veranlassen. Es scheint Jffland bedenklich, in einem militärischen Staate ein Stück zu geben, wo über die Art und Folgen eines großen stehenden Heeres so treffende Dinge in so hinreißender Sprache gesagt werden n.s.w. Der bescheidene Dichter (Teichmann). äußert sich ganz freimütig darüber, daß „Der Jffland insofern recht habe: Skandal wird genommen und nicht ge¬ geben, aber das ist es eben, was ein solches Wagestück bedenklich Mögen dafür die zwey macht, andern Stücke Sie entschädigen

können." Endlich, am 18. Februar 1799, findet die Aufführung der Piccolomini auf der Bühne des Königlichen Nationaltheaters statt. Der Erfolg übersteigt alle Er¬ wartung. Etliche Tage vorher liest man in den öffentlichen Blättern (Voß und Spenersche Zeitung): Königliches Rationaltheater: Mit allergnädigster Bewilligung Seiner Majestät des Königs wird Mon¬ tags, den 18. Februar, zum Benefiz für den Herrn Regisseur Fleck zum Erstenmale gegeben: Die Picco¬ lomini, ein Schauspiel in fünf Akten, von Herrn Schiller. (Wallen¬ Billets auf steins erster Teil.) ganze Logen sind bei Herrn Re¬ .

Thekla.

gisseur Fleck,

wohnhaft Mark¬

grafenstraße, unweit der Ecke der Mohrenstraße, in des BronceurHerrnErntsch Hause, eine Treppe hoch, zu haben." Der Abend war ein Triumph für den Dichter und Wenn wir die Darsteller. die Besprechungen lesen, er¬ fahren wir das Nähere da¬

Von Fleck, dem Dar¬ steller des Wallenstein, wird darin gesagt: Mit Genialität meisten die nahm Fleck Seiten in Wallensteins Cha¬ rakter auf. Die geheimnis¬ volle Verschlossenheit, die Zweifelsucht, den Stolz hat er in Gebärde und Dekla¬ mation ganz gegeben. dem angezogenen Tone, in dem gleichsam träumenden Auge, nahm man oft die

raus.

In

innern Visionen wahr. („Schil¬ ler im Urteile seiner Zeitge¬ nossen" vonJulinsW. Braun). — Auch Jffland als Oktavio,

Mattausch, Max, allerdings zu sehr, wie es heißt, den Zögling des Lagers hervor¬ Madame Eunike, kehrend, H-rzogi» von Frirdl-nv. Gräfin Terzky, den Geist der Intrigue, des durchaus von seinem Willen nicht ablassenden Weibes, nicht verfehlend, Madame Fleck als rührend schöne Thekla, waren vorzüglich. Jsflands Ausspruch: „Die Franzosen geben Vorstellungen, die Drei Deutschen Darstellungen," hatte sich glänzend bewährt. Monate später folgte Wallensteins Tod, Flecks letzte große Bühnenfchöpfnng. Roch nicht 45 Jahre alt, starb er ani 20. Dezember 1801. „Sein hoher Genius," heißt es von ihm in einer Besprechung dieser unvergleichlichen Schöpfung, „verläßt ihn nimmer, er vollendete das Bild des Wallenstein, wie er es in den Piccolomini begann. Groß in jedem Momente, war er es vorzüglich im zweiten Akt, dem Triumphe seiner Kunst, und — in dem fünften, dem an Fr. Katt. tiefer Erschütterung nichts gleich kommt." * * * Die Kostüme, welche um die Wende des vorigen Jahrhunderts auf den deutschen Bühnen bei der Darstellung historischer Stücke ver¬ wendet wurden, hatten blutwenig von historischer Treue an sich. Si'e waren phantastisch und willkürlich gemahlt. Jeder trug, was er gerade auftreibcn konnte, und selbst in den königlichen Theatern in Berlin herrschte ein wilder Geschmack in der Auswahl von Kostümen. Die Trachten zu Don Carlos bilden ein diesen

abschreckendes Beispiel Mangel an Geschmack.

für Nur

Schillers Wallen¬ bildet eine rühmliche Aus¬ nahme: hier war. man in Berlin stein

getreu, historisch da mau Porträts benutzen konnte: indessen versagte es sich nicht, in Farbenzusammen¬ der stellung schreiende Dis¬

man

harmonien hervorzubrin¬ gen, die auf unseren Bil¬ dern allerdings nicht zu sind. Die erkennen KupferstichKönigliche sammlung zu Dresden hat zur Anfertigung der Kostüme mehrfache An¬

deutungen geliefert, indeni sieb dort eine Menge Portraits der Helden jener merkwürdigen Zeit finden, und sic sind, wenn auch die Be¬ stimmung der Farben willkürlich geblieben, doch in Hinsicht auf die Form

Max pirrolvmini.

107

strengste nachgeahmt worden. Das Kostüm des Wallenstein ist teils deni nach¬ gebildet, welches , fich auf einem Bildnisse dieses Helden, im Schlosse Friedland in Böhmen befindet, teils haben einige andere Bilder zum Leitfaden gedient. Unsere Abbildung zeigt den

Wallenstein

Staatskleidnng

in mit

glänzender dem

rot-

sammctncn Herzogshute, sowie er in der Versammlung der Generale und vor Onestenberg erscheint. Es hat notwendig geschienen, den stolzen, pracht- und glanzlicbcndcn Herzog, da, wo er in jedem Fall

imponieren zu kleiden.

,

will,

Das

auch imposant meiste Collct, mit

Gold gestickt, wird durch die pur¬ purfarbenen Aufschlitze in den Aermeln und die purpurfarbenen, gebauschten Beinkleider gehoben, Aermel und Bauschhose» sind von geblümtem Sammet mit Gold durch¬ wirkt, welcher in jener Zeit vor¬ züglich zu Pruukklcidcrn gewählt wurde. Das Schwert, weiches in Hinsicht der Forni ganz demjenigen ähnlich sieht, das noch gegen¬

wärtig in der Rüstkammer zu Dur in Böhmen aufbewahrt wird, hängt au einem breiten, mit Gold gestickten Bandelier, wie es denn

überhaupt bei Kostümen ans denr 30jährigen Kriege charakteristisch ist, das; Degengehänge .und Schärpe nicht um den Leib als Gurt, son¬ Vklavio Pirrotoinini. dern jederzeit über die Schultern getragen worden. Das Feldzeichen der Kaiserlich-Oesterrcichischen Armee bestand srühcrhin aus einer roten Feldbiude über der Schulter, deshalb müssen es auch alle Kaiserlichen Osstzierc tragen, Kleid ist von wcistcm Atlas mit Purpursammet und Gold Theklas ’ Als Tochter des stolzen Herzogs von Friedland trägt sie die besetzt, fürstliche Auszeichnung, nämlich einen Hermelinstreif um das Kleid. Ter Hut von purpurfarbigem Sammet ist mit kleinen weißen Strau߬ weißem Atlas, darunter federn ringsum "Spitze, belegt. Das Mützchcn von welche mitten auf der Stirn endigt, ist mit Perlen mit einer eingefaßt und mit einer goldenen Schleife geziert. Das Kostüm des Max Piccolomini besteht ans einem schön ponccauroten Sammet-Manchester, Die Federn auf dem Helme sollten eigentlich schwarz und gelb sein nach den kaiserlichen Wappen-Farben. Oktavio Piccolomini trägt ein Wamms von schwarzem geblümten Sammet-Manchester, Die gebauschten Beinkleider und Aufschlitze an den Aermeln sind von violettem, gleichfalls geblümten Sammet-Manchester Ter schwarze Mantel ist „so wie das Collct mit Gold verziert. Die Form des Hutes war bei diesem, wie bei allen übrigen Figuren, überein¬ stimmend, nämlich ein nicht zu hoher Kopf und eine breite Krempe, bei Personen von höherem Range mit Gold verbrämt: im Innern der Krempe lag eine Straußfeder (sogenannte Plumc). Der Busch von Strau߬ federn mußte mehr liegend als aufrecht stehend am Hute befestigt sein. Buttlcrs Kleidung ist rot gewählt worden, da er selbst als geborner Irländer ein Regiment irländischer leichter Reiter befehligte. Man hat deshalb nicht zu fehlen geglaubt, ihm die Farbe der englischen Kriegs¬ kleidung zu geben. Im Schnitt ist diese Kleidung einem Bildnisse des sächsischen Ge¬ nerals Arnheim nachgeahmt, welches sich sächsischen gleichfalls in dev königlichen Kupferstichsammlung zu Dresden befindet. Er und alle übrigen Generale tragen eiserne Ringkragen. Diese leichte Schußwaffe war im 80jährigen Kriege bei den Offizieren von höherem Range fast allgemein eingeführt worden, da sie wenigstens Schultern und Brust bedeckte und nicht so beschwerlich zu tragen war wie der gewichtige Panzer. Die leichten Reiter, damals schon Dragoner genannt, welche ihre Entstehung dem Könige Gustav Adolf von Schweden verdanken, trugen vorzüglich dergleichen Ringkragcn. Es erschien zweckmäßig und mit dem Cha¬ rakter des Bnttlcr passend, die Farbe seiner Kleidung grell zu wählen, darum ist sein rotes Sollet schwarz besetzt, _ sein ledernes llnterwamms schwarz gestreift, und sogar schwarze Handschuhe sind ihm gegeben worden. Graf Terzky trägt hier, als Ehef eines Karabiniers-Regiments, ein ledcrgelbcs Collct. Rach der früheren. Entstehung dieses Collets sollte dasselbe hier von wirklichem Leder sei», denn so trug sie gewöhnlich die Reiterei in toulUrv .

jener Zeit. Beinkleider und Aernrcl sind von rotem geblümten SammetManchester. dieser Kleidung die Eigentümlichkeit, zeigt sich welche in vielen Abbildungen vor¬ kommt, daß das lederne Collct keine Aermel hat, sondern nur über ein anders farbiges Wamms von beliebigem Stoffe übergezogen ist. Man kann in der Regei an¬ nehmen, daß bei Offizieren höheren Ranges die Unterkleider gewöhnlich von Sammet und selbst oft von reicherem Zeuge waren, Knöpfe und silberne Knopflöcher von oben bis unten zieren das Collct, der dem rotsammctncn Besatz ans Aermel besteht aus einer breiten, silbernen Tresse, welche in gleich¬ mäßigen Abteilungen eingebogen oder geknifft ist, und ans einer jeden Abteilung sitzt ein kleiner metallener Knopf. Diese Art Berzicrnng ist einem alten Bilde wirklich entlehnt. Terzkq trug zwar eine goldene Kette, jedoch durfte das keine bestimmte Ordenskette sein; denn das goldene Bliest gehört nur für Wallciistein und Picco¬

In

lomini,

Zur Kleidung des Feldmar¬ Jllo sind mit Absicht bunte

schalls

Farben gewählt, da sein ganzer Charakter sich so äußert, daß ihm äußerer Glanz und Lebenslust Das als Hauptsachen gelten. Collct von grünem geblümten Graf Trrxky. Sammet, reich mit Silber besetzt, die orangefarbenen Aermel und Beinkleider sind von eben diesem Zeuge. Zu bemerken ist, daß bei dieser Abbildung, wie bei allen übrigen, die langen Collets vom Zeichner nach unten hin zu eng angedeutet sind, indem sie die Form des Körpers zu sehr bilden. Bon der Brust bis zu den Hüften wurden diese Collets knapp anliegend, nach unten hin aber weit und faltenreich gemacht. Als Feldmarschall ist ihm eine weiße sogenannte Plumc in die Hutkrempe gelegt worden, welche Tcrzkr; nicht trägt. Es ist nicht überflüssig zu bemerken, daß die eigentlichen bestimmten Uniformssarbcn in dieser Zeit noch nicht durchaus eingeführt waren, und daß nament¬ lich die Generale die Farben ihrer Kleider oft ganz willkürlich wählten. Gustav Adolf fing zuerst an, seine Regimenter nach den verschiedenen Farben zu kleiden und zu benennen, — In der Kaiserlichen und fast allen übrigen Armeen dienten bloß die Schärpen, die Feldzeichen am Hut und oft die Farben der Federn zur Unterscheidung der verschiedenen Truppen. Die kurzen Stiefeln mit weiten Stulpen, oben herum mit einem weißen Spitzenbesatz, wurden in jener Zeit schon häufig getragen, und sind deshalb der leichten Reiterei des Bnttlcr sowie dem Feldmarschall Jllo gegeben worden.

Onestenberg trug die ZivilKleidung damaliger Zeit, d. h. ein kürzeres Wamms als die KricgSleutc und ivcitc Beinkleider, welche bis unter das Knie gingen. Das Ganze war von violettem geblümten Sammet mit hellgrünen, seidenen Aufschlitzen in den Aermel». Das Wamms warmit schwarzsammetncn

Ouerstreifen besetzt, und eben so wie der schwarze pelzvcrbrämtc Mantel reich mit Goid verziert. General Jsolan spielt darauf an, indem er im ersten Akte der Piccolomini, ans den Kriegsrat Onestenberg hindeutend, spottweisc bemerkt: noch sei nicht alles Gold gemünzt! Die Kleidung der Fürstin Fried land ist genau einem alten Bilde nachgeahmt. Das Unter¬ kleid von Silbcrstoff, das Oberkleid ist von karmoisin Sammet mit

Hermelin und reich mit Gold be¬ setzt; das Unterkleid mit schwarzem Sammet und Stickerei von bunter Folio und Gold verziert. Glän¬ zende Stcinknöpfe zeigen sich aus den schwarzen, vorn herunter¬ laufenden Streifen, Gräfin Tcrzkh trug das Unterkleid von eben so dunkler Violctfarbe wie das Obcrklcid, nur mit dem Unterschiede, daß cs ans einem reiche», mit Goldlahn durch¬ zogenen seidenen Stoff gemacht war. Schivarze Sammctstrcisen, mit Gold gestickt, faßten das ganze Kleid ein. Das Obcrklcid war von violettem Sammet, mir Gold-

slittcrn reich

besetzt.

3»°.

Zwei berühmte Frauen. Non

Ludwig Pietsch. nnerhalb einer Woche sind in Berlin zwei Kranen durch den Tod abberufen worden, die ans zwei sehr verschiedenen Gebieten des geistigen Lebens sich eine hervorragende Stellung durch ihre Talente und Leistungen errungen statten.*) Die eine war bereits seit ciitigen Jahren durch die sich immer fühlbarer machenden Gebrechen des Hohen Greisenaltrrs deut thätig wirkenden Dasein entzogen: und der nun wirklich erfolgende physische Tod, der ihm sein letztes Ziel setzte, ivar längst erwartet und für die ihm Erliegende eine Erlösung. Die andere mähte der Schnitter dahin, als sie anscheinend noch in der Fülle ihrer Kraft dastand und sich noch in jedem Augenblick befähigt zeigte, Tausende durch die Macht ihrer Kunst zu begeistern und zu entzücken, mit Wonne und Wehmut, mit Schmerz und Lust zu erfüllen. Die erste dieser beiden Frauen war die Schriftstellerin Frau Elise von Hohenhausen. Am ». d. M. wurde ihr irdisches Teil zum einigen Schlummer in die winter¬ liche Erde des Kirchhofs auf Westend gebettet. Die andere ist die große Sängerin, Frau Amalie Joachim, eine der populärsten Künstlerinnen Berlins, die von einer Gemeinde von Kunstsreundeu noch immer Ganz unerwartet, zur enthusiastisch bewundert und verehrt wurde. schmerzlichen Uebcrraschung aller, ist sie am 4. Februar den Folgen einer Gallenstein-Operation er¬

M

legen.

In

meinen Mitteilungen aus der Geschichte der Berliner Gesell¬ schaft wahrend der letzten fünfund¬ zwanzig Jahre in dieser Wochen¬ schrift erwähnte ich auch des Salons der Frau von Hohenhausen, dessen Blüten- und Glanzzeit freilich in die sechsziger und siebziger Jahre fiel. Frau von Hohenhausen — sie batte nach dem 1862 erfolgten Tode

Mannes, des Obcr-Regierungsrats Rüdiger, ihren Vaters¬ namen wieder angenommen — war 1812 zu Münster geboret«. Ihre Mutter, eine geborene Ochs, die Gattin des RegierungsratS von Hohenhausen, war eine litterarisch vielfach thätige Dame, die sich als Ueberfetzcrin Lord Byrons wie durch eigene poetische Produktionen einen geachteten Namen in der Litteratur jener Tage erworben hat. Sie versammelte in ihrem Hause zu Münster die litterarisch hervor¬ ihres

ragenden

Persönlichkeiten

West-

phalens, an deren Spitze Annette von Drostc-Hülshoff und ihrFreund Lcwin Schücking standen, und schuf dort ein Vorbild jenes litterarisch-

Brcitetfien sind unter diesen die beiden Bücher: „Berühmte Liebespaare" und „Berühmte Freundschaften" geworden. Darin ihrem priizzlichen Freunde und Gönner ähnlich, besaß sie eine ausgedehnte und vertraute Kenntnis der Memoirculitteratur und der intimen Geschichte der vor¬ nehmen Gesellschaft aller Nationen: eine Kenntnis, die ihr bei der Abfassung dieser Bücher trefflich zu statten kam. Freilich war ihr poetisches Empfinden stärker als ihr kritischer Sinn, und die Wärme des Herzens stärker als der sichtende, prüfende, skeptische Verstand. So erscheinen die von ihr in diesen Büchern gezeichneten Männer- und Frauengestalten meist in verklärendem Licht uttd wie durch rosafarbige Brillett oder gar „durchs Augenglas der Liebe" angeschaut und so dargestellt. Aber sicher ist gerade dadurch für viele Leser und besonders für Leserinnen der Reiz und die Wirkung dieser Schilderungen nur noch gesteigert worden. Bis zu ihrem vicrundachtzigsten Jahr bewahrte sich Frau von Hohen¬ hausen eine erstaunliche geistige Frische, Freude an« Leben und Teilnahme an den Dingen. Sie empfing noch immer Gäste bei sich und besuchte Gesellschaften, «vobei sie noch lebhaftes Interesse an Personen und Er¬

eignissen bekundete und sich im Vollbesitz der seelischen Kräfte zeigte. Dann aber begann allmählich das Greisenalter seine Rechte geltend zu machen. Mit der Schärfe der Sinne ging auch die geistige Regsamkeit

und Klarheit dahin. Run ist sie säst unbewußt hiiiüdergeschlummcrt. Sie bürste sich sagen, daß sic in diesem langen, reich erfüllten Leben niemals einem Mitmenschen etwas zu Leide gethan, ivisicutlich nie jemanden gekränkt und geschädigt habe. Jeden«, der zu ihr und ihrem gastlichen Hanse in Beziehung ge¬ treten ist, hat sie das Wohlwollen ihrer gütigen neidlosen Natur bcwicscii. Sv hinterläßt sic ein An¬ denken, das durch «nchts getrübt ivird, und ihr freundliches Bild lebt in den Seelen ihrer Bekannten, durch keinen häßlichen Wcsenszug entstellt, «veitcr. —

Frau Amalic Joachim —

welch eine Flut von Erinnerungen an die höchsten und edelsten Genüffe, welche die göttliche Kunst des Gesanges Menschcnseelen zu spenden vermag, erweckt dieser teure Name! Wie oft, „wenn uns des Lebens wilder Kreis umstrickt, hat sie das Herz zu heil'ger Lieb ent¬ zündet, hat uns in eine bcssrc

Welt entrückt!" den die künstlerischen Salotts, Sie entstammt der sangcsTochter später in Berlin ins Lebet« frohen Steiermark. Zu Marburg rief. Dichterische Begabung zeigte ist sie 1839 geboren, als Tochter die Tochter, die auch den müllcrdes kaiserlichen Rates Schneeweiß. lichen Vornamen Elise führte, schon Aber, wie so manches künstlerisch Jran Amalie Joachim. frühe. Die Neigung zu litterarischer reich begabte Kind Oesterreichs hat Thätigkeit sog sie gleichsam mit der auch sie festen Fuß in Berlin ge¬ Luft des elterlichen Hauses ein. Rach faßt und hier die Stelle gefunden und behauptet, auf der sic ihre ihrer Verheiratung lebte sic in Minden und Frankfurt a. £. Erst nach vollste Kraft entfalten, ihre mächtigsten Wirkungen ausüben konnte. dem Tode ihres Gatten übersiedelte sie dauernd nach Berlin, wohin sie Eine schöne Stimme, große musikalische Begabung und Schönheit der besonders durch ihre hier wohnende nächste Freundin, die Generalin körperlichen Erscheinung ivarcn die köstlichen Geschenke, die ihr die von Treskow, die Mutter der phantasievollen, geistreichen und originellen gütigen Feen mitgegeben haben, um sie selbst zu beglücken und „vieler Schriftstellerin Adda von Treskow-Rinelli «Günther von Freyberg) Tausend Lust" zu werden. gczogeti wurde. Dieser Generalin war der dichterisch so reich veranlagte Prinz Georg von Preußen nahe besrenndci. Durch sie wurde er mit Dies gesangliche und musikalische Talent reifte so rasch in dem Frau von Hohenhausen bekannt, und dieser wendete der liebenswürdige Mädchen, daß Amalie Schneeweiß bereits im vierzehnten Lebensjahr hohe Herr bald die gleiche Gunst zu wie ihrer Freundin. Er erschien eine Opernbühne betreten und in kleinen Rollen mitwirken konnte. gern in ihrem Salon, in welchem er gewiß sein durfte, interessante, Diese Bühne war die in Troppau. Von dort wurde die junge Künstlerin geistvolle Männer und Frauen, den anregendsten geistigen Verkehr und nach Herrmannstadt in Siebenbürgen verschlagen, und nach mehrjähriger ein feines, richtiges Verständnis dafür zu finden, was er selbst zu Thätigkeit auf diesem Provinzthcatcr gelangte sic an die Hofopcr, das bieten hatte. Jeder, der diesen Salon besucht hat, als Frau von alte „Kärnter Thor-Theater", zu Wien. Aber es scheint, daß man in Hohenhausen noch in der Dorotheenstraße, dann in der Rauchstraße der Musikstadt pur excellence die ganze Größe des Talentes der wohnte, aber auch noch, als sie, itt den ersten siebziger Jahren, in die Sängerin nicht erkannt hat. Man verwendete sie nur zu unwichtigen Landgrafenstraße gezogen war, wird die Erinnerung an dort verlebte Nebenrollen, für welche sie nicht geeignet war. Sie nahm daher mit hochinteressante Stunden bewahren, die durch Vorträge gewürzt wurden. Freuden das ihr angebotene Engagement für die Hosbühne zu Han¬ Die Dame des Hauses wurde bei dem Empfang der Gäste durch ihre nover an, wo damals unter dem Schutz des musikliebenden KönigsRichte, Fräulein von Türing-Oetken, unterstützt, die bis zur letzten paarcS auch die musikalische Kunst sich der sorglichsten Pflege erftcutc Lebcnsminutc der Taute eine treu ausdauernde, liebevolle Pflegerin und herrliche Blüten trieb. An der Oper, deren Orchester von Bernhard geblieben ist. Frau von Hohenhausen entwickelte während jener Jahr¬ Scholz geleitet wurde, wirkte Albert Niemann, damals in der frischesten zehnte eine außerordentlich regsame litterarische Thätigkeit. Für zahlreiche Kraft der Jugend, mit ungeheurem Erfolge mit. Das große ungarische bedeutende Zeitungen schrieb sie fleißig Feuilletons, für welche ihr die - Geigergenie, Joachim, war als Konzertmeister für Hannover gewonnen. Berliner Gesellschaft, in der sie sich bewegte, mit ihren immer wieder Mit Amalie Weiß, «vie sic sich damals nannte, ging ein neuer Stern neuen, einander ablösenden Erscheinungen und Vorgängen unerschöpf¬ erster Größe lichtstrahlend an diesem Kunsthimmel auf. Ihre Stimme lichen Stoß bot. Aber sic konzentrierte ihre schriftstellerische Kraft daun war ein umfangreicher, bedeutend in die Tiefe reichender Mezzosopran. auch auf größere litterarische Erzeugnisse. Am bekanntesten und vcrJt« Glucks „Orpheus" verkörperte die damals noch schlanke, herrliä« gewachsene junge Künstlerin die hohe, edle, rührende Gestalt des götl-- Vgl. die „Berliner Chronik" in Nr. 0 des „Bär."

lichen Sängers in selten erreichter Vollendung. Auch ans des „Geigerkönigs" menschliches und künstlerisches Herz machte sic einen tiefen und mächtigen Eindruck. Was vorauszusehen war, geschah. Joachim warb um ihre Hand, und sie wies ihn nicht ab. Eine ans der innigsten Sympathie, Verwandtschaft der Charaktere, Uebereinstimmung der künst¬ lerischen Sinnesart und Geschmacksrichtung basierende Ehe schien cs zu sein, welche dies, das Niveau der großen Menge so weit überragende Menschenpaar vereinigt hatte. Nie hat eines großen Musikers Gattin in ihren Kunstleistungcn sich so vollkommen dem Stil derer ihres Mannes anzupassen verstanden wie Frau Joachim. Mau muß es iu den ersten Jahren ihrer Ehe gehört haben, wenn sie mit der, ich möchte sagen monumentalen, Größe ihres Vortrags Bachsche Arien sang, und Joachim Ein herrlicherer Eindruck ist ans diesem sie ans der Geige begleitete. Gebiet nie hervorgerufen worden. Beider Klänge schienen der gleichen Seele entströmt zu sein — und welch einer Seele voll Hoheit, reinstem Adel, heiliger Begeisterung — und die Kraft des Genies, die erhabensten musikalischen Gedanken der größten, im Tiefsten sinnigen Meister in Klängen zu verwirklichen. — Als das Königshaus von Hannover iu den Stürmen des deutschen Krieges hinweggefegt war, wandte sich das Joachimsche Paar, ebenso wie Albert Niemann und Bernhard Scholz, der ersterem auss innigste be¬ freundet ivar, nach Berlin, dessen musikalische Kreise sich zu der Erwerbung solcher neuen Größen für das Kunstleben Berlins aufrichtig Glück wünschten. Bon der Bühne aber hatte Frau Joachim, ich glaube, schon seit ihrer Verheiratung, Abschied genommen. Sie widmete ihr Talent seitdem nur noch den Gesangsvorträgen in öffentlichen Konzerten und kirchlichen Oratorien. In jeder Art solches Konzertgesanges vollbrachte sie hohe und reizende Wunder. Jeder ernstesten und jeder heitersten Gat¬ tung zeigte sie sich gleich gewachsen. Tic Stimme war von unvergleich¬ licher Gesundheit und .Fülle, die Kunst ihrer Behandlung zur reifsten Meisterschaft entwickelt. So wußte sie Bach, Händel und Gluck, Schubert, Schumann und Brahms, aber nicht minder auch die einfachsten, heiter» und schwermütigen Volkslieder so zu singen, daß der Hörer immer die Empfindung hatte, so und nicht anders könnten sie von ihren Kom¬ ponisten gemeint und mit dem inneren Ohr gehört worden sein, als sie ihrer Seele aufgingen. Aber selbst dem Vortrag der beitern und scherz¬

haften Lieder fehlte nicht der eigentümliche Zug von Grüße, welcher der eigensten Natur der Sängerin entsprang. — Das schöne menschliche Glück, das sie in der Ehe mit dem kongenialen Meister genossen hatte, währte rur bis zum Anfang der achtziger Jahre. Beider Naturen schienen Aber es wiederholte sich auch hier: so ganz für einander geschaffen. „Es flieht von uns, was erst sich uns ergab, wir lassen los, was wir begierig faßten. Es giebt ein Glück: allein wir tennen's nicht. Wir kcnnen's wohl und wisscn's nicht zu schätzen." Nach langen peinlichen Verhandlungen, öffentlichen gegenseitigen Bezichtigungen und Anklagen, die in der Berliner Gesellschaft schmerzliche Sensation erregten, wurde die Ehe gerichtlich getrennt. Aber der unliebsame Eindruck, den diese Vorgänge hervorrufen mußten, war bald verwischt und verschwunden und blieb ohne Einfluß auf die Wertschätzung und die hohe künstlerische Bewunderung jedes der beiden Künstler. Amalie Joachims Erfolge und Ruhm blieben immer noch im Wachsen. Sie zeigte sich so außerordentlich als Lehrerin ihrer Kunst wie in deren Ausübung. Die jungen Sängerinnen, die sich ihrer Lehre anvertrauten, lernten sie zugleich wie eine gütige Mutter verehren. Wenn sie ihre Liederabende im großen Saal der Philharmonie veran¬ staltete, saßte der enorme Raum mit seinen Logen und hunderten von Stehplätzen in den bedeckten Seitenteilen unter den Galerien seiner West- und Südseite kaum die Masse der herbeiströmenden Hörer und Hörerinnen, von deren jubelnden Beifallsstürmen nach jedem Liede das Haus erbebte. Ganz originelle und tief eindrucksvolle Vorführungen der großen Künstlerin waren die historischen Konzerte: da ließ sie die Entwickelung des deutschen Liedes an ihrem Publikum vorüberziehen, indem sie die nicist charakteristischen Proben deutscher Liedkomposition aus den verschiedensten Epochen dieser Entwickelung in unübertrefflicher Stilechtheit den entzückten Hörern vortrug. Nun ist diese anscheinend unverwüstliche Stimme für immer verhallt, der liedersüße Mund für immer geschlossen. Aber denen, welche dessen Gesängen einst gclaüschi haben, klingen die Töne wohl zeitlebens in der Seele nach, und in der Ueberlieferung lebt für alle kommenden Geschlechter der Nance Amalie Joachim als der einer der größten Meisterinnen fort, die je mit der bolden und heiligen Kunst des Gesanges Mcnschenherzcn gerührt, erhoben und beglückt haben.

Deutschlands erste Kriegsdampfer. /Eine Flotte!

Eine Flagge!

So rief man in deutschen Landen von

Meeresküsten bis zu den Alpen, von der Memel bis zur Volks¬ Maß und Mosel während des deutsch-dänische» Krieges. versammlungen wurde überall die Flottenfrage erörtert, die Zeitungen besprachen die Notivendigkeit, und zahlreiche Broschüren forderten die Schaffung einer deutschen Flotte, als im ereignisvollcn Sturmjahre 1848 Dänemark cs wage» durfte, mit seiner geringen, aber doch aus¬ reichenden Seemacht unsere Häfen zu blockieren und damit unseren Sechandel zu hemmen, ohne die wohlverdiente blutige Abfuhr befürchten Zwar liefen schon damals zahlreiche Schiffe ans de» zu müssen. Häfen der langgewundenen Meeresküsten vom Tollart bis zur Memelmündnttg: zwar zeigten diese Schiffe ihre Flaggen schon damals ans allen Meeren. Aber die Küsten waren nicht durchweg deutsch, die Schiffe waren unbewaffnet, diese Flaggen zeigten nicht die deutschen Farben. Siebenfach waren die Flaggtücher wie die Landesfarben der vier Strandstaaten und der drei See-Hansastädte Deutschlands: Hannover, den

In

Oldenburg, Breinen, Hamburg, Lübeck, Mecklenburg, Preußen. Es waren nur die Flaggen ihrer Kauffahrer. Und das von Heiden Meeren „umschlungene" deutsche Land Schleswig-Holstein wurde von „Kjobenhavn" aus regiert. So war es vor rund fünfzig Jahren! So war es zur Zeit des deutschen Bundes! Muß es uns aber nicht seltsam verwunderlich erscheinen, daß das großc römische Reich deutscher Nation trotz seines ausgedehnten Küsten¬ besitzes die Notwendigkeit einer Kriegsflotte niemals erkannt hatte? Nachdem die Flotte jahrhundertelang ein schöner Traum der Teutschen geblieben, war cs dem Jahre 1848 beschieden, an verschie¬ dene» Punkten des Vaterlandes und fast zu gleicher Zeit Flotlenkeime zu pflanzen und zu pflegen. Es erschienen die deutsche Bundesflotte, die schleswig-holsteinsche Flottille, die preußische Marine an der Nordsee und an der Ostsee, die Schiffe der deutschen Bundesflotte (1848—1852), das Wesergcschwadcr, die Hamburger Flottille, die Ostsecschiffe, die Bundcsflagge, die Uebungsfahrt, Duckwitz und Brommy, Flottcneude. Während die Marinen der längst sccuiächtigeu Nationen zu jener Zeit zum allergrößten Teile aus Segelschiffen bestanden.und der Dampf¬ kraft zögeriid nur den Zutritt gestatteten, weil sic mit Segelschiffen jahr¬ hundertelang ihre Schlachten geschlagen, ihre Sccsiegc erkämpft hatten, ist cs sehr bemerkenswert, daß mau in Deutschland sofort bestrebt war, im Gegensatz zu den anderen, eine Dampferfloltc anzuschaffen. Raddampfer waren cs zu jener Zeit, welche seit acht Jahren von Europa aus die regelmäßige ozeanische Postverbindung mit Nordamerika unterhielten. Raddampfer waren es auch, die hier und da begannen, in den Kriegs¬ flotten eine Nolle zu spielen. Raddampfer waren cs gleichzeitig, welche Deutschland für seine Flotte zu erwerben trachtete, obgleich der Sieg der Schraube über das Rad bereits entschieden war. Schwerfällig nur, wie einst dei Indienststellung des Dampfes statt des Segels, gingen die Marinen trotz „Archiinedcs" daran, sich der Schraube zu bedienen. Und wieder war es, wie damals, die Handels¬ flotte, welche die Vorteile der Propcllcrschraube schnell erkannte und für sich zu gewinnen bestrebt war.

Die Zeit war deshalb günstig für den Ankauf von Ozeandampfern: die Dampfergesellschastcn, die Eunard Kompagnie voran, waren bemüht, sich ihrer Radschiffe zu entledigen, um fortan ausschließlich Schraubenfchiffe zu bauen rind iu Fahrt zu stellen. Als im Fünfziger-Ausschuß, April 1848, in Frankfurt die Flotten¬ sache zur Sprache kam, trug Duckwitz-Bremen darauf an, das in Liver¬ pool liegende Raddampfersiyiff „United States" zu kaufen: ein Beschluß Nach Jahresfrist wurde dieses Schiff dennoä, kam nicht zustande. für die Bundesflotte angekauft. Ter Bundestag ernannte aber einige Tage nachher eine Kommission für Mariucangelegcnheitcn und beauf¬ tragte Banks-Hamburg, in England sich »ndi anzukaufenden Kriegs¬ schiffen umzuschauen. I» Hamburg.hatte sich inzivischeu ein Ausschuß zur Annahme von freiwilligen Beitragen gebildet, um einige Handelsschiffe anzukaufen und als Kriegsschiffe zu bewaffnen. Am 18. Mai eröffnete die Rational-Versarnmlnng ihre Sitziuigeit in Frankfurt, bildete einen Marine-Ausschuß und beivilligte auf dessen Bericht sechs Millionen Thaler zur Begründung einer Flotte. Leicht war die Bewilligung, schwer die Einziehung der Gelder. Wie vieles damals aus Rand und Band ging, so ivar nncli der Bundes¬ tag der Zeutralgcwalt gewichen: Minister wurden ernannt: am 5. August trat Duckwitz als Handelsministcr ein. Am 5. September trat das Ministerium ab, am 18. September ein neues an. Im Oktober erinnerte man sich der Marine, und Duckwitz, Marineminister im Nebenamt, wurde beauftragt, eine passende Persönlichkeit für die Flottensache zu

gewinnen.' Ter Rcichsverwescr Erzherzog Johann wurde veranlaßt, den Prinzen Adalbert um Rat zu ersuchen. Endlich fand Duckwitz unter den Marineoffizieren des Auslandes den Kapitain Brommy, Sachse von Geburt, in griechischen Diensten, für die Leitung der Marinesache. Es handelte sich nun um den Erwerb von Schiffen. Der öster¬ reichische Lloyd in Triest war die einzige Rhederei, welche eine größere Dampfcrflottille besaß. Die Anfrage wegen Ucberlassung von Dampf¬ schiffen für den deutschen Bund wurde abgelehnt. Die österreichische Regierung, in der Adria beansprucht, war „ver¬ hindert", am Seekriege sich zu beteiligen. Am 31. Mai trat in Hamburg der vom Fünfziger-Ausschuß bean¬ tragte Marine-Ausschuß zusammen. Die Kommission, ein früherer See¬ offizier und einige Schisssbaucr saßen auch darin, fand in vier Tagen schon, was nötig sei: daß die gesamte Flotte in beiden Meeren zu be¬ stehen habe aus acht schweren, vier leichten Fregatten, sechs Dampfkorvetten, fünfzig Kanonenbooten für die Nordsee, hundert Kanonenbooten für die Ostsee, im ganzen hundcrtuudachtundsechzig Fahrzeugen. Und folgender Kostenanschlag wurde aufgestellt: Anschaffungskostcu 9850000 Thaler, jährliche Unterhaltungskosten 1500000 Thaler, für Mannschaften der Schiffe 1590000 Thaler. Dieser leicht gefundene Antrag ist Projekt geblieben. Gleichfalls am 31. Mai wählte das Frankfurter Parlament einen Marine-Ausschuß.

110

„Was ist in Tentschland n»

Schissen vorhanden, die z» Kriegs¬ zu gebrauchen sind?" Das war die Frage. Es gab eine preußische Segclkorvetlc „Amazone", einen holsteinischen Zollknttcr, und, vom Hamburger Ausschuß für das Reich übernommen, drei Dampfschiffe und zwei Segler. Das war alles! Man mußte also im Auslande Umschau halten, da nicht daran zu denken war, in vier Wintermonaten — bis zum Ende der Waffenruhen — Kriegsschiffe selbst zu bauen. Man wußte weder wie noch wo? Es fehlte an Häfen, an Werse n, an Schiffsbanern, an Maschinenbauern. Also war nur der Ankani möglich, weshalb nach Bildung der Marinebehörden ein Schiffszimmernieislcr — Ullrichs-Vegesack — und ein Maschinenbauer — Werner-Tarmstadt — nach England gesandt wurden, um nach fertigen Schiffen Umschau zu halten. Neue Schisse waren nicht zu haben, man mußte ältere kaufen und für den Kriegszwcck einrichten. Die technische Kommission war mit der Marine-Abteilung einig, daß es zweckmäßig sei, große Dampfschiffe zu kaufen, die bis März 1849 nach einem deutschen Hafen zu leiten seien, und dazu noch drei Dampfer zu bestellen, die als Muster für den Bau aus deutschen Werften zu dienen hätten, um damit die deutsche Flottille zu verstärken. Zwei dieser Dampfer sollten unarmicrt als Handelsschiffe einlaufen, um ans der Weser bemannt und armiert zu werden. Da die Anwerbung von Seeoffizieren und Mannschaften auf der Weser nicht als schwierig angesehen wurde, hatte man Aussicht, anfangs zwecken

April drei schivcre „Dampfsregatten", zwei bis drei „Dampfkorvettcn" und ein mangelhaftes, aber mit 32 Kanonen armiertes Segelschiff schlagfertig vor den Feind zu führen, um ihn bei etwaigem Wiederausbruch des Krieges in der Nordsee zu bekämpfen. Der Kauf von drei Dampffregatten gelang endlich, wie auch der Bauvertrag für die neuen Schiffe. Unter den als Dampffregatten bezeichneten Schiffen waren die amerikanischen Postdanipfer „Britannia" und „Acadia". Die „Britannia" hatte eine berühmte Vergangenheit. Sic ist das erste Dampfschiff der Cunard-Kompagnic, welches die transatlantischen Fahrten dieser Dampfergcsellschaft, die zu den ältesten und berühmtesten zählt, von Liverpool aus am 4. Juli 1840 begann, Halifax anlaufend, Boston als Bestimmungshafen erreichte. Wegen der großen Regelmäßigkeit ihrer Reisen wurde sie wie die „Acadia" und die beiden anderen Ozeandampfer derselben Linie, „Caledonien" und „Columbia", berühmt. „Britannia" war auch be¬ rühmt als erster Dampfer, der an einem Ozeanrenncn teilnahm. Im Juni 1847 starteten „Britannia" und „Washington" in New-Uork zu gleicher Zeit: „Britannia" unter der St. Georgsflagge für Liverpool, „Washington" unter der Sternenflagge für Southampwn bczw. Bremer¬ haven, als erstes Schiff der New-Aork—Bremen-Linie. So sah es mit der deutschen Flotte vor fünfzig Jahren aus! Und heute haben wir eine stolze, kräftige und mächtige Flotte, die sich auf allen Weltmeeren sehen lassen kann und sich sehen läßt!

Dr. Mar Vaumgart.

Mm allen Zeitungsblättern. Weder Einblick in ein altes, vergilbtes Zcitnngsbtart, das durch Zufall

Beethovcnfaal der »eiten Philharmonie.)

Gesimse, sowie die Begrenzung des Raumes aufzuheben. Vergleicht man mit diesem barocken Gemälde die Freskomalerei des Tuchcrbräus in der Friedrichstraße, eine Wiederaufnahme der süd¬ deutschen Renaissance im Fassadenschmuck, oder die von Anton von Werner entworfenen Glasmosaiken des Pringsheim'schcn Wohnhauses in der Wilhelmstraße, und endlich die Wand- und Deckengemälde der Schinkelschule im Museum, zn denen Pompeji und die italienische Hochrenaissance die Vorbilder gaben, so erhallen wir als ein auffälliges Kennzeichen der dekorativen Malerei unseres

Jahrhunderts entsprechend den architektonischen Stilwandliingen die Verwendung der verschiedensten Stilarten. Seit der Hebung des Kunstgewerbes in den sechziger Jahren hat sich in einer Folge, die in ihrer Unmittelbarkeit fast einem Nebeneinander gleicht, die Zeit mit dem Gewände der Gothik, der deutschen Renaissance, des Barock und Rokoko maskiert, so daß wir in 4 Jahrzehnten glücklich ver¬ braucht haben, was uns 4 Jahrhunderte an Vorbitdern hinterließen.

120

Der im vorigen Sommer auf so tragische Weise aus dem geschiedene Friedrich Geselschap, einer der wenigen Künstler unserer Zeit, die, überzeugt von der Notwendigkeit monn¬ mentaler Kunst, die Hauptstärke der drei Schwesterkünste in ihrer Vereinigung erblicken, ist bei Raffael und Mantegna in die Schule gegangen und bildete durch Vertiefung in die Werke dieser beiden Großen seine Eigenart aus als eine Vereinigung von Anmut und Strenge. Die fünf, die Kunstepochen darstellenden Mosaikbilder an der Fassade des Kunstgewerbemuseums sind nach seinen Entwürfen angefertigt. Sein Haupt- und Lebenswerk aber ist die in den Jahren 1879—1890 ausgeführte malerische Aus¬ schmückung der Kuppel der Ruhmeshalle im Zeughause. In Glasmosaik zusammengesetzte allegorische Darstellungen aus Goldgrund, Leben

Bezug nehmen ans wirtschaftliche und industrielle Unter¬ nehmungen, schmücken noch die Fassaden des Hauses Leipziger¬ straße 124 und der Erz- und Bildgießerei Schaffer und Walcker in der Lindenstraße. Mit solchen Arbeiten für die Öffentlichkeit tritt die Kunst noch würdiger in den Dienst des Handels als mit dem Plakat, das, in den letzten Jahren von Frankreich und England nach Deutschland verpflanzt, auch bei uns so üppig in Blüte geschossen ist. Wo dieses, bis ins Riesenhafte vergrößert, als Illustration der bekannten Im¬ perative „Schlafe patent!" „Wasche mit Luft!" „Koche mit Gas!" re. ans kahle Wände ausgemalt ist, vereinigt es mit einer für eine wirksame Reklame erforderlichen Aufdringlichkeit leider zu wenig künstlerische Vorzüge, um als Bethätigung dekorativer Malerei freudig begrüßt werden zu können. Als künstlerischer Schmuck können solche Riesenbilder, wenn sic auch durch ihre Farbigkeit frischer wirken als eine schmutzig graue oder gar schwarze Fläche, jedenfalls nicht unbedingt gelten. An neuen Privathäusern im die

Westen

Berlins, in

den

Straßen Charlottenburgs, Wilmersdorfs

und Schönebergs macht sich, wenn auch noch schüchtern, das Streben bemerkbar, in das eintönige Bild einer gleichmäßigen Häuserflucht Abwechslung und Leben zu bringen durch Bemalen der Fassaden mit farbigen Ornamenten, Emblemen, tierischen und menschlichen Gestalten oder wie vergrößerte Holzschnitte wirkende Sgrafittoimitationen. Tie Treppenhäuser sind schon fast durchweg mit Decken- und Wandgemälden geschmückt und erheitern durch die Helligkeit ihrer Farben. Hie und da ist auch, wenngleich noch mit Beschränkung aus den Flur, an eine künstlerische und farbige Be¬ handlung der Fenster gedacht. So finden sich überall schon An¬ sätze zu einem farbigen, freudigen, Straßenbilde und einer Einkehr der veredelnden Malerei in unsere Wohnhäuser, . einer Rückkehr also zu den löblichen Geflogenheiten unserer Vorfahre». War doch etwa von 1580 bis 1640 in ganz Deutschland die Titte all¬ gemein verbreitet, Hausdiclen zu bemale» und besonders die Fenster mit rankendem Cartouchenwcrk zu umgeben. Bayern und Schwaben, im Elsaß, Franken und Hessen erstreckte sie sich sogar bis aus die Bauernhäuser. Für höhere Ansprüche hat sich, z. B. durch seine malerische Ausschmückung der von der Heidt-Villa, der Farbenpoet Ludwig von Hosmann als echter Dekorations¬ künstler bethätigt. Reicht auch die malerische Dekoration unserer bürgerlichen Wohnhäuser nicht an seine arkadischen Landschaften, in denen zarte Juugfrancn und Jünglinge in paradiesischer Be¬ schaulichkeit wandeln, heran, so versteht sie cs doch, durch stärkere Betonung des Malerischen gegenüber früherem Wand- und Decken¬ schmuck eine harmonische, anmutige Stimmung zu wecken. Leider widmen sich die Kunstmaler noch nicht mit Ernst und Liebe der Pflege dieses Zweiges ihrer Kunst, der sich unter ihren Händen zu einer segensreichen Blüte entfalten könnte. Nur daff wo mit der Ausschmückung von Gebäuden, die dem öffentlichen Leben oder Zwecken der Kunst dienen, größere und einträglichere Aufgaben gestellt sind, erscheint es erprobten und künstlerisch geschulten Meistern dekorativer Malerei nicht unter ihrer Würde, al fresco oder in Tempera, Geschichte, Mythologie oder allegorische Bilder¬ rätsel zu malen. jüngster Zeit ist manches große Dekorationsstück geschaffen resp. vollendet worden, das immerhin Zeugnis ablegt von einem Weiterbestehen und Gedeihen monumentaler Malerei. Im Sommer vorigen Jahres konnte das Treppen¬ baus des Rathauses nach löjähriger Sperre in seiner «Gesamtheit dem Verkehr wieder übergeben werden, da das dritte und letzte von Mühlenbruchs Wandge¬ mälden fertiggestellt war. lieber hundert Personen, be¬ rühmte und auch nur bekannte Staatsmänner, Beamte, Gelehrte, Schriftsteller und Künstler scharen sich als Re¬ präsentanten des Friedens »m den Kaiser. Dem figuren¬ reichen Bilde hat man seiner Komposition und Auffassung wegen nach einem berühmten Analogon, dessen Heran¬ ziehen man kaum falsch auffassen kann, die schöne Be¬ zeichnung verliehen: „Die Schule von Berlin". Der Neubau des Abgeordnetenhauses enthält in der dem Sitzuugssaale vorgelegten Wandelhalle zwei von Hans Koberstein gemalte Wandbilder. Sie sollen das ge¬ sprochene und das geschriebene Wort versinnbildlichen. Bei der Darstellung moderner Abgeordneter geriet der

In

In

Maler in Konflikt mit

dem Stil der Architektur; er wußte sich aus ihm dadurch herauszuhelfen, daß er seine Gestalten in prächtige Gewänder der Renaissancezeit steckte. Man kann sich diese Mas¬ kerade der Gegenwart ihres der Stimmung des Raumes an¬ gepaßten Farbenreichtums wegen immerhin gefallen lassen. Andere Künstler fanden willkommene Ge¬ legenheit, ganz in ihrem idealen Elemente zu bleiben mit der Ausschmückung von der Kunst geweihten Räumen. Max Koch hat Wandmalereien für das neue Künstlerhaus geschaffen. Da in der von Hofsack er entworfenen Ornamentik nordische Elemente vorherrschen, sah sich der Maler auf entsprechende Motive hingewiesen. Er

ist diesem

Hinweis mit

Darstellungen aus dem germanischen

Mythus

gefolgt und damit dem Zuge, national zu schaffen

frei nach

Wagner und in der Art Prells, dessen

Wandge¬

mälde im Thron¬ saal im Palazzo

Casarelli

rade

ge¬

zur rechten Zeit in noch

der großen' Kunst - Ans¬ stellung ein¬ getroffen sein mochten, um Koch in seiner Germanisierung .

Wundarmäldr

bisher hellenisch drappierter Göttergestalten zu bestärken. Apoll ist entthront. An seiner Stelle schwebt aus dem großen Gemälde in der Gewölbekuppe des Festsaales vor goldig strahlender Sönne Baldur und bringt den vom Schlummer der Nacht erwachten staunenden

Menschen das freudige Licht. In Wetterwolken fliehen die Dämonen der Finsternis, liebliche Lichtesten schweben in heiterem Tempo durch strahlende Luft. Donar, seinen Hammer schwingend, aus einem -anderen Bilde, sieht aus wie ein Herakles und kann dabei mit nerviger Faust kaum zwei Ziegenböcke zügeln. Walküren, die Wolkeujungsrauen, als Regen und Donner, jagen daher auf wild sich aufbäumenden, schnau¬ benden Gäulen. Wnotau in

Gesellschaft seiner Raben und treuen Doggen sitzt ans seinem Throne. Holde Jungfrauen kre¬ denzen ihm sein Frühstück. der Bogenkappe über dem Büh¬ nenraum kitzelt der heilige Georg lächelnd mit seiner Lanze ein drciköpsiges Drachennngetüm.

In

121

Professor Vital Schmidt fiel die Aufgabe zu, im neuen Beethoven¬ saal der Philharmonie die Macht der Tonkunst zu verherrlichen. Wie er sie gelöst hat, ist bereits in Nr. 2 des „Bär" in einem Bericht über die Neubauten der Philharmonie eingehend besprochen worden. Unsere Bilder, die für den „Bär" gezeichnet worden sind, zeigen die Hauptmotive . aus der i'kpotheose Beethovens. Aus dem

hüllter weiblicher Genius, die kirchliche Musik darstellend, die Geige spielt.

wir den Astralleib des Meisters im Talar mit einer Rolle in

einen Bilde sehen

der Hand.

Der Genius, der mit

dem Stift eine Weise festhält, blickt verzückt zum Meister aus' zwei Putten halten das Notenbuch. *■

Ein anderer Genius verkündet begeistert der Welt den

In

Ruhm Beethovens.

dem Motiv kommt die Begeisterung der Genien beiden in edelster Weise zum

Der Ge¬ nius mit Notenbuch

Ausdruck.

und Griffel ver¬ sinnbildlicht die

Inspiration

des schaffenden Künst¬ lers. Unser zwei¬ tes Bild stellt die

lrrhansc, von

Musik auf Wolken thronend dar, die zum Bleister hinüberschaut, als sei sie seines Winkes gewärtig, die Sai¬

Prof. Loch.

Lyra zu schlagen. Ihr zu Füßen schwebt ein Genius mit Schmetterlingsflügeln, wohl die Psyche, mit der Flöte am ten der

Munde, während im Hintergründe ein in weite Gewänder

ge¬

Unsere drei Aktstudien sind Figuren aus den Gruppenbildern, die die Macht der Musik über das menschliche Gemüt zum Aus¬ druck bringt. Da sehen wir die Verzweiflung; ein kräftig gebauter Manu, der düster zu Boden starrt, die Hände aus dem Knie ringend. Haltung wie Gesichtsausdruck lassen kein Zweifel über den Gemütszustand des Mannes zu. Nicht minder charakterisch und naturwahr ist der Haß. Während bei der Verzweiflung die Muskulatur schlaff ist und dadurch die geistige Niedergeschlagenheit verkörpert, bäumt sich beim Haß jedes Muskelbündel aus. Das scharsgezeichnete Antlitz blickt feindlich empor. Arme und Hände scheinen zu beben vor verhaltenem Ingrimm, und die Linke greift an die Brust als wollte sie sich in diese einkrallen. Die spitze Nase wie auch das hervortretende Kinn sind Merkmale der Kain¬ figur. Professor Vital Schmidt bewies an diesen beiden Figuren, daß er wirkungsvoll und eindringlich zu charakterisieren versteht. Dagegen ist die lyrische Musik etwas verschwommen und weichlich im Ausdruck; es fehlt ihr die jugendliche Begeisterung; auch scheint die Haltung keineswegs eine glückliche zu sein. Das Endresultat der Betrachtung über unsere moderne Deko¬ rationsmalerei wäre nach der Aufzählung jüngst entstandener Arbeiten ein verhältnismäßig günstiges, handelte es sich nicht vor¬ zugsweise um die Ausstattung bedeckter Räume. Eine solche mag schon genügen, die Erwerbsbedinguugcn unserer Künstler günstiger zu gestalten, der vollen Bedeutung der Dekorationsmalerei aber werden diese erst dann gerecht, wenn sie sich mit gleicher Liebe der Ausschmückung von Fassaden zuwenden, um in den staubigen Straßen der Stadt einen dauernden bunten Frühling sprießen zu lassen und überall dem Auge aller den Labetrunk der Farbe zu bieten. Hier zeigt sich den Künstlern das geeignetste Mittel, für die Kunst zu werben. der Fassadeumalerei haben wir die Kunst aus der Straße, mit der sie den organischen Zusammenhang verloren hatte. Der richtigste Weg, das Volk zum Schönen zu erziehen und dadurch die Kunst volkstümlich zu machen, ist, in der Straßenkunst die höhere Kunst in ihrer Vollendung anzustreben, in einer Vereinigung aller Künste, in der sie am mächtigsten ans das Gemüt wirkt.

Mit.

Vor: der chelnischen Industrie in der Mark. Lou

Pani Hirschfeld. lil. einmal die Gelegenheit sich darbot, die techuischen Vorgänge in einer Gas¬ anstalt zu verfolgen, wird es beobachtet haben, wie durch den hier vollzogenen ersten Schaffens¬ prozeß — die Erhitzung der. Steinkohlen in Retortenöfen — em

die wesentlichste

Scheidung der

Bestandteile des Rohproduktes bewirkt wird. Während der nicht flüchtige Rückstand als Koks zurückbleibt, nimmt ein vielverzweigtes Röhrensystem das entweichende Gemisch heißer Dämpfe und Gase auf. Aus diesem Wege verdichtet sich ein Teil dieses Gemenges zu einer dickflüssigen, schwarzbraunen Masse, dem Steinkohlentheer. Der in luftförmiger Beschaffenheit verbleibende andere Teil zieht dagegen weiter und tritt aus den Reinignngsapparatcn als Leucht¬ gas in die Erscheinung. Als am Ende des achtzehnten Jahrhunderts in England der Gedanke auftauchte, mit dein den Steinkohlen zu entziehen¬ den Gase die Straßen der Städte und die Wohuräume zu beleuchten, hielt mau, selbst in gebildeten Kreisen, alle dahin zielenden Projekte für hohle Träumereien. Die nämliche Anschauung hatte wohl jeder, der vor ettva vier Dezennien die Kunde vernahm, daß mau das Werk vollbringen wolle, aus dem Steinkohlentheer die Farbenvracht des Lenzes zu gewinnen und aus diese Weise nie wundersame, geheimnisvolle Arbeit der pflanzlichen Farbstoffzellen nachzubilden. Allerdings hatte mau da¬ mals fast allgemein den Glauben, mau beabsichtige, die dicke, dunkle Theermassc direkt in Farbstoffe umzuwandeln. Daß es hierzu noch der vermittelnden Rolle eines vieluntfassenden Industriezweiges, der Theerdestillation, be¬ dürfe, war eben der Allgemeinheit nicht bekannt. Wir Haien bereits in unserer vorigen Betrachtung darauf hingewiesen, daß die unweit von Berlin gelegene Ort¬ schaft Erkner,den Vorzug hat, die Heimstätte des ersten Unternehmens dieser Art zu sein, das auf deutschem Boden ins Leben trat. Der Begründer dieses Etablissements, der später seine Schaffenskraft einzig und allein der Holz¬ imprägnierung widmen wollte, veräußerte aus diesem Grunde seine industrielle Anlage in Erkner an die ,

/Theer- und Erdöl-Aktien-Gesellschast, die den ^Betrieb wesentlich erweiterte und vervollkommnete. Außer ! diesem Etablissement hat auch ein anderes, das von der

Sfr/sc/spf 1

'

Firma Landshoff & Meyer in dem Vororte Grün au bei Berlin errichtete industrielle Unternehmen in der Dar¬ stellung der primären

Produkte des Steinkohlentheers

122

Zwecke der Bereitung künstlicher Farben und mannigfacher Präparate im Dienste der Heilkunde und der Technik eine hervor¬

für die

ragende Bedeutung erlangt. In den Werkstätten dieser Fabriken nstrd die Theermasse zunächst in mächtigen, mit Abzngsröhren ausgerüsteten Apparaten einer sorgsamen Destillation unterworfen. Das Ergebnis eines bestimmten Hitzegrades bei dieser Prozedur bilden Dämpfe, die sich zu einer dünnen Flüssigkeit, dem leichten Theeröl, verdichten. Die Bestandteile dieses im Wesentlichen ans Kohlenstoff und Wasserstoff zusammengesetzten Oels stellen hauptsächlich das Benzol, das durch fraktionierte Destillation gewonnene Toluol und die bei einer erhöhten Siedetemperatur sichergebenden Pp lote dar. Erfolgt nun eine weitere Steigerung des Hitzegrades ans 150° bis 200° C, so entstehen Destillate, die durch Abkühlen zu einer eigenartigen Masse erstarren. Sie bildet das Phenol oder die rohe Karbolsäure, die durch Rektifikation jenes wichtige

als ein Zersetzungsprodukt der im Krapp enthaltenen RuberythrinMan gab diesem Stoffe nach den: sänre festgestellt wurde. orientalischen Namen der Krappwurzel „Alizarst die Bezeichnung Alizarin. Es war im Jahre 1868, als die genannten Berliner Forscher in dem Alizarin ein sogenanntes Bioxyanthrachinon er¬ kannten, dessen Quelle sie nun sofort im Anthracen, dem erwähnten des Steinkvhlcntheers, zu suchen begannen. Kohlenwasserstoff Durch Oxydation dieses Stoffes mit Salpeter- oder Chromsäure erzielten sie zunächst Anthrachinon, aus welchem sie dann des weiteren nach einer Rektifikation und Behandlung mit konzentrierter Schwefelsäure und Aetznatron das küifftliche Alizarin gewannen. Kaum war diese Errungenschaft in die Oessentlichkeit gedrungen, als auch sogleich die Industrie sich ihrer bemächtigte und den Ver¬ such unternahm, das Werk des Laboratoriums in ihre Schaffens¬ stätten zu verpflanzen. Natürlich musste sie, um die Darstellung des künstlichen Alizarins im großen zu ermöglichen, die ursprüng¬ liche Methode der Entdecker verlassen und anderen Verfahrensweisen sich zuwenden. Als sie aber die richtigen Wege gefunden, errang sie mit ihren Farbstosferzcngnissen so glänzende Siege, daß sic das Naturprodukt, das in Bezug ans die Wohlfeilheit mit dem künstlichen. nicht zn wetteifern vermochte, völlig ans deut Felde schlug. Seit dieser Zeit hat der Krappban in Deutschlands der besonders in Thüringen und Schlesien sehr verbreitet war, fast ganz auf¬ Auch in Frankreich ist die Kultur gehört. dieser Pflanze, mit welcher im Jahre 1862 noch 20 500 im Bodcnsläche bebaut war, überaus zurückgegangen. Der ans ihrer Wurzel erzetigte Farbstoff wird jetzt dort ausschließlich zur Be¬ reitung von Künstlerfarben benutzt, in welchen Fabrikaten jedoch die deutsche Reichshauptstadt schon seit langer Zeit mit Frankreich den Wett¬ bewerb aufzunehmen vermag. Die seit dem Jahre 1828 bestehende Berliner Firma G. B. Moewcs war die erste deutsche Jndustriestätte, welche Oelfarben für die Kunstmalerei nach französischer Art herstellte und zn diesem Zwecke den damals unentbehrlichen Wurzelkraxp in Anwendung brachte. Zur Er¬ zeugung ihrer weitbekannten und in Künstlerkreisen allgemein geschätzten Pnrpnrinlacke ge¬ braucht sie noch heute die Krappwnrzel, aus deren Farbstoffe sie nicht weniger als einige siebzig Nüancen zur Erscheinung bringt. Da die Farbe bei der Oelmalerei nur die Oberfläche der Lein¬ wand decken und den Stoff selbst nicht dnrchdringen soll, überdies durchaus lichtbeständig sein muß, so eignen sich die künstlichen Farblackc, so prunkend auch ihr Kolorit erscheint, für diese Bestimmung weniger, als die aus dem be¬ treffenden Pflanzenteile dargestellten. Doch kehren wir wieder zn denjenigen Derivaten des Steinkvhlcntheers zurück, welche die eigentliche Quelle der Anilinfarben bilden. Zn diesem Behufe bitten wir den geneigten Leser, uns im Geiste in das am Rummelsbnrger See gelegene Fabrikbereich der Berliner Aktien -

Gesellschaft für Anilin-Fabrikation

zn

folgen. Hier können wir nun betrachten, wie die leichten und auch einzelne schwere Theeröle, die dem Etablissement in eigenartigen Cylindern übermittelt werden, einer vielnmfaffenden chemi¬ Da das Anilin schen Bearbeitung unterliegen. eine ans Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff zusammengesetzte Substanz darstellt, den be¬ Dev Rah. Stubic au? der Apotheose Beethovens von Prof. Lital Schmidt.) treffenden Oclen jedoch der Stickstoff fehlt, so muß man, um das Anilin hervorzuzaubern, diesen Mangel durch den Prozeß der Nitrierung beseitigen. Um pharmazeutische Produkt erzielt, das als desinfizierendes Mittel, diesen Zweck zu erreichen, wird das geläuterte Benzol in kessel¬ namentlich aber in schwacher Lösung bei dem autiseutischen Ver¬ förmigen Gefäßen, die mit Rührvorrichtungen versehen find, mit bände die ausgedehnteste Verwendung findet. Wie das Phenol einer Mischung von Salpetersäure und Schwefelsäure innigst ver¬ auch zur Herstellung der Pikrinsäure, des bekanntes, Wolle und einigt. Hierdurch wird dem Benzol der in der Salpetersäure Seide intensiv gelb färbenden Stosses, benutzt wird, ö dient auch enthaltene Stickstoff, allerdings in gebundenen Zustande, zugeführt, das bei einer Temperatur von etwa 216 Grad aus dem Steinund es entsteht das Nitrobenzol, das zunächst von der kohlentheer sich verflüchtigende Schweröl Naphtalin, das sich zu Abfallsäurc befreit und gereinigt werden muß. Nach erfolgter prächtigen nadelsörmigen Krystallen verdichtet, teils „nr Erzeugung Reinigung gelangt ein Teil des gewonnenen Produktes, dessen künstlicher Farbstoffe, teils seiner antiseptischen Eigenschaften wegen als bewährtes Heilmittel. Erhöht man die Glut des erhitzten Dust nach Bittermandelöl in ausfälliger Weise hervortritt, in die Arbeitsstätten der Parfüm- und Seifenfabrikation, wo es als Theers bis zu feiner Verkohlung, dann erhält man noch eine grünlich-gelbe Masse, ans der man durch einen Filtrationsprozeß Mirbanöl weitgehende Anwendung findet. Soll aber das Nitro¬ benzol den Anilinstoff spenden, so muß es in erster Reihe von und durch Pressung das Anthracen gewinnt, in welck em Stoffe dem Sauerstoff befreit werden, der mit dem ihm einverleibten die Berliner Chemiker Gräbe und Liebermann die MutterStickstoff verbunden ist. Da, wie bekannt, das Eisen eine ganz substanz des Alizarins entdeckten. Bereits in den zwanziger Jahren hatte die chemische Forschung besondere Neigung besitzt, sich mit dem Sauerstoff zu vereinigen, so wird das Produkt einem Rührwerke übergeben, wo es mit ge¬ bei der analytischen Untersuchung der ehemals für die Färberei so mahlenen Eisenspäncn unter Vermittelung von Salzsäure einer überaus wichtigen Krappmnrzel einen Farbstoff abgeschiei.cn, der

Mischung und Erwärmung unterliegt. Hierbei entzieht das Eisen dem Nitrobenzol den Sauerstoff, und die beim Erhitzen entweichenden Dämpfe verdichten sich nach erfolgter Abkühlung zu Anilinöl, das entweder einer sorgsamen Destillation unterworfen wird und dann als klare Flüssigkeit zur weiterer Verarbeitung kommt, oder nach einer Behandlung mit Salzsäure zur Krystallisation gebracht wird, um in Gestalt schneeweißer Krystalle als salzsaures Anilin ebenfalls die Grundlage zur Erzeugung der wechselreichstcn Farbcnkompositionen zu bilden. Vermittelst derselben Bearbeitung, wie solche das Benzol erfährt, wird das Toluol durch Nitrierung zunächst in Nitrotoluol und alsdann durch den Reduktionsprozeß und einer hierauf folgenden Destillation in Toluidin umgewandelt. Letzteres dient nicht nur zur Mischung mit Anilin, um Farben von besonderer Schönheit und reichen Tonabstusungen hervorzurufen, sondern besitzt auch die Eigenschaft, ohne die angegebene Verbindung die Erzielung blauer und violetter Farben zu ermöglichen. Auch das reine Anilin bildet einen wichtigen Grundstoff zur Darstellung ge¬ wisser Tönungen, namentlich des gegen Licht, Luft und Seife höchst beständigen Anilinschwar¬ zes und einzelner blauer Farben. TaS der Theerdestillation ent¬ stammende Nylol unterliegt ebenfalls der Nitrierung, und wird sodann zu Nylidin ver¬ arbeitet, welches Produkt nach seiner unter hohem Druck durch Erhitzung mit Methyl¬ alkohol erfolgten Umgestaltung zu Cnmidin eine wichtige Nutzanwendung zur Herstellung von Azofarbstoffen findet. Während bei der chemischen Reduktion des Nitrobenzols zur

Prozessen eine allerdings nur oberflächliche Anschauung. Tenn wir halten es für fast unmöglich, dem Laien alle die mannigfache» Gesetze von der Wirkung der Stoffe auf einander, von den Folgen der Trennung gewisser Bestandteile einzelner Körper und den Beränderungcn, die sie bei neuen Verbindungen erfahren, in kurzen Zügen zu erklären. Je nach der Mischung des einen Rohproduktes mit dem anderen, je nach der Art der Oxydation dieses Gemenges und den Hitzegraden des notwendigen Schmelzverfahrens treten die mannigfachen Farbentöne an das Tageslicht, die nach dem zuerst entdeckten Grundstoffe die allgemeine Bezeichnung „Anilinfarben" erhalten haben. Sv pflegt man auch die ans den Nylidinen und den Derivaten des Naphtalins gebildeten Azofarbstoffe, ferner die aus

Benzidin, das durch eine Einwirkung von Zinn und Salzsäure auf Azobenzol gewonnen wird, sowie aus verschiedenen Naphtalinverbindungen erzeugten Kongosarben als Anilinfarben zu bezeichnen. Die bedeutsamen Forschungen A. W. Hofmanns über die Bildung und das Wesen des Anilinblaus sehen mir hier in

Bildung des. Anilins, oder des Toluols zur Darstellung des Toluidin bei Anwendung einer sauren Lösung sogenannte Amidokörper entstehen, ergicbt die Re¬ duktion vermittelst alkalischer Substanzen, z. B. Natronlauge, Azokörpcr, d. h. chemische Ver¬ bindungen, welche statt eines StickstvffatomS, wie dies beim Anilin der Fall ist, wenigstens zwei Atome dieses Gases ent¬ halten. Das Studium dieser Körper und der mit ihnen eng

verwandten Diazogruppe führte zur Entdeckung der Azofarb¬ stoffe, durch welche die Theerindustrie einen erneuten Auf¬ schwung erhielt. Durch eine Verbindung von salzsaurem Anilin mit salpetrigsaurem Natron wurde 1859 das salzsaure Amidoazobenzol, ein aus gelben Nadel» bestehender Körper gewonnen, der 1863 unter dem Namen „Anilingelb" als erster Azofarbstoff in den Handel kam. Im Jahre 1865 stellte daun Dr. Martins, der Mitbegrün¬ der

der

Aktie »-Gesellschaft

für Anilinfabrikation

Die lyrische Wustlr.

zu

Berlin, das sogenanntePhenylen-

(Culdie ans der Apvtlieolc Beethovens von Prof.

vder Bismarckbraun her, und als man hierauf Körper erzeugte, welche die Diazogruppe zweimal in sich tragen und deshalb weit reaktionsfähiger sind als ihre gewöhn¬ lichen Verwandten, wurde »tau auf die Entdeckung der Kongofarbstoffe gebracht, denen die Kraft inncwohnt, die gegen Farben so empfindlichen Bauinwollfaserii ohne Beize direkt zu färben. Das bei der Theerdestillation geivonnene Naphtalin wird durch Behandlung mit Schwefelsäure in Naphtalinsulfosüure um¬ gewandelt, welche in einem Schmelzprozeß unter Einwirkung von llspiinnfri'm SnÄ ,1 n si + n f nraii'fif Produkt dient in der Actznatron ergicbt. Dieses Vrodllkt das Raphtol Hauptsache gleichfalls zur Erzeugung wirkungsvoller Azofarbstoffe in den wechselvollsteu Tonabstufungen. Obgleich das farblose Anilin sich an der Lust gelb, rot md braun färbt, so bedarf es doch noch vielumfassender Operatioi >u, um aus diesem Stoffe oder den anderen Derivaten des Ste >kvhlenlheers jenes Reich der Farbentöne zu erschließen, dessen s.,h nunmehr die ganze Kulturwelt zu erfreuen vermag. Ei» Rundgaiitz durch den in der Lohmühlenstraße, unweit der Treptower Brücke, ge¬ legenen älteren Fabrikbereich der Aktien-Gesellschaft fürAnilinsalrikation giebt uns von diesen chemisch tcchnstchen Schaffens-

Viral

Schmidt.)

weitestgehender Weise verkörpert und zur Nutzauweudnug gebracht. So betrachten wir, wie durch Erhitzung eines Rosanilinsalzes mit Anilin oder Toluidin violette, sodann aber blaue Farbstoff eerzieli werden, je nach der Einwirkung der Temperatur ans diese Mischung und je nach der Dauer des Prozesses. Eine Verbindung des

tolnidinhaltigen Anilins mit Chlorkalk bringt das in violetter Tönung glänzende Mauvein zur Erscheinung; durch Behandlung des Rosanilins mit Ouccksilberlösungeu gewinnt man das Fuchsin oder Rubin in reinster Beschaffenheit. Es liegt in der Hand des Chemikers, die Tönung des Fuchsins beliebig zu ändern. Eine geringe Modifikation des Hitzegrades vermag schon einen staunens¬ werten Wechsel der Nuance hervorzurufen. Sv sehen wir denn hier die mannigfachsten Rubinsorten, die wechselreichsten blauen, gelben, grünen, grauen und schwarzen Farbstoffe entstehen, die für de» Dienst in der Textilindustrie bestimmt sind. Der Gewinnung der künstlichen Theerfarben muß es zugeschrieben werden, daß die farbenprächtigsten Gewebe den weitesten Schichten des Volkes zu¬ gänglich geworden sind, und der Sinn für Farbenschönheit eine bemerkenswerte Veredelung erfahren hat.

124

Berlin im Jahre 1699. (Schlich.)

_

STNic dramatische Kunst stand, wie bereits ermähnt, damals auf-einer iWy ziemlich tiefen Stufe. Nur Schauspiele und Possen der niedrigsten

Art füllten das Repertoire der ambulanten Bühnen und wurden der Geistlichkeit ein Dorn im Auge, so daß ihr Zorncseifer auf der Kanzel und in Schriften sich gegen die „stündliche Theaterlust" richtete. So führten einige der seit dem Jahre 1699 erschienenen Traktate den Titel: „Das in unsern Comoedien Bühnen siechende Christenthum und siegende Heidenthum") „Die an die Kirche Gottes angebaute Satanskapellc,

darinnen dem Jehova Zebaoth zu Leid und Verdruß und dem BeelZebub zu Freud und Genuß: 1. die Operisten und Comödianten ihren Zuschauern ein Bbsoloxiain gentilium aus den griechischen und lateinischen Fabel-Mätzen, und eine Moral aus des verlornen Sohnes Oatsabiswo vorbringen, und 2. die Menschliche, Welsche, Wallachen und Amadis-Sirencn aus dem hohen Liede Ovidii liebliche Venuslieder dabei singen, 3. die Jubalisten mit Geigen und Pfciffcn nach des alten Adams Lust und Wust darzu klingen und 4. Sylvester mit seiner Hcrodias Schwester, und Arlequin in einem französischen Kälber-Tanz hcrumspringen." Jene „Satanskapellc" befand sich schräg gegenüber der Nikolaikirchc, in dem ehemaligen „Großen Canitzschen Hanse", Poststraße 5, das in

heutigen'mit den Büsten der Hohenzollcrnsürsten geschmückten Neubau zu Unrecht als „Kurfürstenhaus" bezeichnet wird, Das frühere Gebäude, dessen einziger Zugang ursprünglich nur auf einer 2^ Fuß breiten Sandsteintreppe in einem sechseckigen Turm am Ende des lang¬ gestreckten Hofes sich ermöglichen ließ, reichen bis ans das Jahr 1540 zurück. Vor 200 Jahren befand sich das Haus im Besitze des kurfürst¬ lichen Kammerdieners Hessig, welcher hier für das Publikum eine Opernbühne errichten ließ, auf welcher, einer archivalischen Rachricht zu¬ folge, 75 Personen gleichzeitig Tänze aufführten. Es war dies das erste stehende Theater in Berlin, denn das im Marstall bcfindlid)e blieb auf den Besuch des Hofes beschränkt. Ersteres scheint denn auch infolge jener Angriffe auf einige Zeit geschlossen worden zu sein,' wie lange, ist indessen nicht bekannt. Die untergeordnete Stellung, welche die Schauspieler als „aus der Gesellschaft Ausgestoßenc" einnahmen, währte noch bis in die Regierungs¬ zeit des nunmehrigen Königs Friedrich I. Anno 1707 war Jakob Scheller der erste in Berlin mit einer christlichen Bestattung be¬ gnadigte Schauspieler) er wurde am äußersten Rande des die Nikolai¬ kirche umgebenden Kirchhofes „ehrlich" bestattet. Jenen Vorkommnissen gesellte sich der Rcligionssrrcit zwischen den Reformierten und Lutheranern hinzu, der seinen Höhepunkt erreichte, als Johann Caspar Schade das erledigte Diakonat bei der Nikolaikirche erhallen hatte. Schon als Magister der Philosophie in Wittenberg durch seine geistreichen Schriften bekannt geworden, trat er nunmehr mit bedeutenden Neuerungen im Kirchenwejen hervor, die namentlich auch die Aufhebung des Beichtstuhles in der lutherischen Gemeinde seinem

bezweckten.

Ein derartiger Eingriff mitten hinein in den religiösen Widerstreit wurde als Greuel betrachtet, und so beschloß das Konsistorium die Entsetzung des ncuerungssüchtigen Predigers vom Amte. Ein solcher Schritt aber war nicht so leicht gethan) denn and) Sdiade hatte eine starke Partei für sich gewonnen, an deren Spitze der Magistrat und l)r. Spener standen, die sid) auf das nad)drücklid)stc für ihn ver¬ wendeten. Sdiade, ermutigt durch seine Anhänger, ging nun in den Zusammenkünften, die er in feinem Hause abhielt, so weit, daß er den¬ jenigen die Seligkeit absprad), welche nidit ,vic er daditen. Ties zog ihm einen Verweis vom Hofe und das Verbot zu, jene Versammlungen abzuhalten. Indessen hatte der Kurfürst das Reskript vom 20. Juli 1698 erlassen, wonach es der Bürgersd)aft freistehen sollte, nad) ihrer Ueberzeugung sich der Ohrcnbcid)tc zu enthalten. Schade hatte sid) die ihm widerfahrene Behandlung dermaßen zu Gemüte gezogen, daß er an einem hitzigen Fieber erkrankte, bis am 25. Juli jenes Jahres der Tod ihm den Frieden und die Ruhe bradite, die er im Leben nicht gefunden hatte. Der Haß seiner Gegner aber währte nod, über das Grab des mutigen Glaubensstreiters hinaus: man entwendete sein auf Kupfer gemaltes Bildnis von dem an der äußeren Kirchenmancr errid)teten Epitaphium. Die von Sd)adc verbreiteten Flugschriften veranlaßten nun das Konsistorium, zur Sicherung vor Angriffen der Presse, beim Kurfürsten darauf anzutragen, daß alle im Druck ersd)ienenen Schriften einem eigens dazu bestellten Manne vorgelegt und von den damaligen zehn privilegierten Buchdruckern nicht eher verbreitet werden sollten, bis jener die Erlaubnis dazu erteilt habe. So wurde denn im Jahre 1699 ein Sekretär beim Ober-Konsistorium, Namens Fisd)er, zum ersten Zensor Berlins ernannt. Im Gegensatz zu den bildenden Künsten blieb die Musik, bei der geringen Vorliebe des Kurfürsten für dieselbe, weniger kultiviert. Zwar unterhielt Friedrich HI. eine aus zwölf Mitgliedern bestehende Kapelle, doch war die Gage nur eine geringe. Dagegen begünstigte die Kur¬ sürstin Sophie Charlotte, weldjc selbst musikalische Kenntnisse besaß, vic Tonkunst in weit höherem Grade. Was den gescllsd)aftlid)en Verkehr anbetrifft, so sd)eint bei dem damals noch herrschenden religiösen Zwiespalt, ungeachtet der angestammten Gemütlid)kcit des Berliners, kein recht harmonischer gewesen zu sein. Mehr oder weniger abgeschlossen für sid) lebte die im Jahre 1699 aus nur 110 Familien bestehende jüdisd)c Einwohnerschaft. Sie hatte ihren eigenen israelitischen Atzt, Namens Löbcl, weld)cr sid) eines großen Rufes erfreute, so daß selbst christliche, von ihren Aerzten aufgegebene Patienten seine Hilfe in Ansprud) nahmen. Hierzu be¬ durfte cs jedoch einer besonderen Genehmigung des Kurfürsten.

Sitten

und Moden standen nach wie vor unter französischem Ein¬ Zwar fehlte es nie an Eiferern, wcld>e in Wort und Schrift da¬ gegen zu Felde zogen, doch blieb ihr Bestreben ohne mcrklid)cn Erfolg. So heißt es in einer dieser Schriften:

fluß.

„Leider ist es mehr als zu bekannt, daß so lange der Franzosentcufel unter uns Deutschen regieret, wir uns am Leben, an Sitten und Gebräuchen also verändert haben, daß wir mit gutem Recht, wo wir nid)t gar naturalisierte Franzosen wollen sein und heißen, den Namen eines neuen, sonderlichen und in Franzosen verwandelten Volkes be¬ kommen können. Sonsten wurden die Franzosen bei den Deutschen nidit estimieret) heutzutage können wir nicht ohne sic leben — alles muß französisch sein: französische Sprndje, Kleider und Speisen) fra»zösisd)cr Hausrat, französisch Tanzen, französische Musik und Krankheiten) bald darauf wird auch ein französisd)er Tod erfolgen, weil ja die hierdurch verübten Sünden nichts anderes prognosticieren. Die mehrstcn deutsd)cn Höfe sind st'anzösisch cingerid)tct, und wer an denselben versorgt sein will, muß Französisch können, besonders aber in Paris, der Universität aller Leichtfertigkeit, gewesen sein. Wenn die Kinder kaum das 2id)t der Welt erblickt und nur vier oder fünfi Jahre zurückgeleget, werden sie glcid) dem französischen Moloch geopfert, denn die Eltern sind schon ans den Sprach- und Tanzmeister bedacht. Jst's nid)t wahr, _ daß die meisten Eltern, so etwas von Condition oder, daß id) deutsch rede: Krämerchcn und Mist-Juwelierer sein, alles was sic ennauschclt, zum Verderb an ihre Kinder wenden, sollten sie and) gleid) hcrnachmals so darüber herunterkommen, daß sic den ganzen Kram in einen Kober stecken, zum Thore hinauslaufen und zu Schelmen darüber werden müßten? Sehen wir uns aber audz ein wenig in Kleidungen um, so müssen wir ebenfalls gestehen, daß hierin kein Unterschied zwischen den Deutschen und Franzosen sei. Die Köpfe einer Jungfer oder Näh- und Klöppelmagd sehen aus, daß man dafür crsd)recket und nicht weiß, ob es Schweinsköpfe, oder ob sic Rußbutten tragen. Wie viel hundertmal sind die Hauben bisher wohl geändert worden? Bald trägt man Standarten, bald Kornettcnhaubcn, bald fliegende Fahnen, bald Wicdehopfnester. Und ist das allcrärgste, daß nid,t nur das Frauenzimmer selbst nad> Frankrcid) reiset, sondern and) nod) Modelle oder angekleidete Puppen für viele Thaler ans Frankrcid) bringen lässet, damit man ja genug des Teufels Hoffarth mad>en könne. Hören Sie, daß es dem Frauenzimmer wohl anstehe, wenn es hohe Hüften habe, so sind sie gleid) bemüht, dergleid,cn, wenn es ihnen nad) ihrem Verstand die Natur verjaget, sid) selbst zu machen) und da müssen denn bald alle Schnupftücher und Servietten herhalten, damit sie den vermeinten Defekt der Natur ausfüllen. Zwar dieses möchte nod, hingehen, wenn sic nur bei ihrer Wcibcrtracht verblieben und sid) nidst in Mannshabit ver¬ kleideten, ingleichen selbst Sd)litten führen und Liebhaberinnen von vielen Hunden waren, ja dieselben gar zur Beid)te und zum Abendmahl mitbrächten." Aud) Magister Sd)adc giebt in der ersten seiner drei, unter dem Titel „Bedenk's Berlin" erschienenen Predigten in etwas starken Farben folgende Schilderung: „Hier in der Stadt gehet im Sd,wange Hoffarth und Kleidcrprad)t) dem geb id) nod) die Ehre, da cs obenan als eines der vornehmsten Laster stehet, denn es fällt gerade in die Augen und wird in der Hölle nod, den Vorzug vor anderen Sünden haben. Wer sieht nidst and) in unsern Kird,en und beim Abendmahl, ,vie fast ohne allen 1lntersd,ied bei Hohen und Niederen alles aufgespitzt, hod, gcthürmt, gesd)wänzt, mit Gold, Silber und Perlen, Kanten und wie die Phantasie alle heißt, von oben bis unten bedangen, befränzelt, bctroddelt und beschmieret ist! Was zeigt das — ein recht dcmüthigcs Herz? Der Teufel lchr's einem Andern glauben — mir nicht! — Gemein und offenbar ist die Sünde des Schweigens, Prassens, Fressens und Sauscns, das bei vielen im Sd)wangc gehet) von einem Tag zum andern herrlich und in Freuden leben, seinen Leib mästen als auf einen Sd)lad)ttag: mit überflüssigem Gesöff Leib und Seele beschiveeren) in Fresserei und Völlerei dahinleben: aus Tag Nad)t und aus Nad)t Tag machen, wird Manchem ein gemeines Handwerk und fast nid)t mehr als Sünde gendjtcl. Eure Wein- und Bicrkeller, Schänken, Trink-, ja Freß- und Sanshänscr, wenn sic reden sollten, ivürden ein Mchrcrcs bezeugen. Wer ivill es leugnen, daß das sdiändlidic Fluchen und Schwören auch so allgemein, 'verübet daß fast in allen Häusern dergleichen von Jungen und wird, zumal bei dem heftigen Sd,clten und Hadern der Alten Ehegatten, Eltern und Nachbarn! Welche unerhörten Flüche, Vermnledciungen und Lästerungen werden and, auf öffentlichem Markt und Gassen nusgestoßen, darüber einem das Herz erkalten möd,tc. Wie viel meint Ihr Häuser anszunehmen und zu finden, da nid)t die Sünde der Un ciingleit und des Zankes, des Haders und der Feindschaft zwischen Eheleuten, Eltern und Kindern, Geschwistern und Freunden, Gesinde und Nad)barn beständig unterhalten wird?!" Einen Hauptgegcnstand des Luxus bildeten bei den Männern die Perrückcn? „Je vornehmer der Mann, desto größer die Perrücke!" Die Einführung der Perückensteuer gehörte zu den zahlreichen ähnlidjeu Erfindungen des Ministers Grafen von Wartcnbcrg, und sic brachten der Staatskasse eine nicht unerhebliche Einnahme. Jeder Beamte hatte vor 200 Jahren für seine Perücke 1 Rthlr., der Bürger oder Kaustnann 16' Grosdien, der Handwcrkcrgesellc und überhaupt der dritte Stand 12 Groschen jährlich zu zahlen. Als zwei Jahre später (1701) diese S euer an einen französischen Rcfugiä, Elic Papus de Lavcrdaugc, ; .rpachtet wurde, fand eine bedeutende Erhöhung der auf spanischem Lack gestempelten Perücken statt, so daß beispielsweise die Minister und höheren Militärs 2% Rthlr. jährlich zu entrichten hatten. Einen trüben Einblick in die Sittcngesd)ichte Berlins und in die oft noch barbarische Strafgesetzgebung gewähren die Aufzeichnungen des

125

Christian Wendland, eines zur „guten Bürgerklasse" gehörigen Ein¬ wohners, welcher im Jahre 1701 daS Zeitliche segnete. Die liach ihm benannte „Chronik" beschränkt sich nur aus Tagesbegcbcnheitc», zu denen auch Hinrichtungen und Strafvollstreckungen gehören, welchen er als Augenzeuge beigewohnt hatte. Seine diesbezüglichen Aufzeichnungen 'Jahre 1699 lauten wörtlich: im „Den 17. Februar» ward ein Soldat von der Garde, weil er 3 mahl eutlauffcn, des Morgens um 7 Uhr aufm hiesigen Neuen Markte am (Soldatcu-)Galgen gehangen; Abends um 4 Uhr ward er wieder abgenommen. Noch den 17. Februarii, um 9 Uhr, ward ein Weib, welches einen Churfe silbernen Teller gestohlen, aufm Neuen Markte enthauptet. Ward begleitet von Herr (Prediger) Pape». Den 3. Martii ward, zuni crstenmahl in der Dorothcenstadt, ententhauptet ein Weib. Ihr Berbrechen war, weil sie vorher oft a»ßgcwiesen und -gestrichen worden und doch wiederkommen und aufs neue allerhand Diebstahl verübet; ward begleitet von Herr R ausleben.

Friedrich Rudolf Ludwig von Canitz, auf den der Ausspruch in einer seiner Poesie: „Er hat der Welt genützt, — sic ist ihm hold ge¬ wesen!" bezeichnend für ihn selber ist. Am 27. November 1654 erblickte er in dem schon besprochenen „Großen Canitz'schcn" Hause Nr. ö der Poststraßc als der Sohn des Erbherrn auf Mchdenekcn und Danelkain, kurfürstlichen Hof- und Kammcrgerichtsrats, auch Haupt,nanns Ludwig von Canitz, wenige Monate nach dem Tode desselben, das Licht der Welt. Als Siebenzehnjähriger bezog er die Universität zu Leyden und demnächst die Leipziger, von wo er sich nach Venedig begab und über Frankreich, England und die Niederlande nach Berlin zurückkehrte. Zum kurfürstlichen Kammerjunker ernannt, nahm er teil an der Belagerung Stettins, doch nötigten ihn die dort ausgebrochencn grassierenden Krank¬ heiten zur Rückkehr. Gegenüber dem elterlichen Hause wohnte (Nr. 27) der Obermarschall von Canitz mit seiner liebreizenden Tochter Dorothea. Ein lebhafter stummer Verkehr entwickelte sich nun zwischen den beiden altersgrauen Patrizierhäusern: zunächst durch die Fensterscheiben ein Grüßen und

Motiv aus der Apotheose Beethovens. («uS den, Deckengemälde von Prof.

Vital Schmidt

Den 16. May, Morgens um 6 Uhr, Ivard ein entlauffencr Soldat von der Garde aufm Neuen Markt gehangen; ivard den 17. dito, Abends um 4 Uhr, abgenommen. Den 23. Juny ward ein Weib vor dem Spandowschen Thore ersäuft, weil sic nach ihres Mannes Tode . . . ihr (außereheliches) Kind umbracht. Ward begleitet von Herr Schindler». Den 12. December ward ein Weibstück vorm St. Gürgen-Thor bcyin Galgen enthauptet und nochmals der Kopf auf eineiig Pfahl ge¬ nagelt und der Cörper unten begraben. Sie hatte zu Spando im Spinnhause wegen Diebstahl pp. gesessen und ein ander Weib, so bey ihr gefänglich gescßen, mit dem Spinne-Wocken todt geschlagen. Ward begleitet von Herr Conoco, daun den Armen-Predigcr." Leider macht die Unbeknnntschaft mit der damaligen Einivohncrzahl Berlins eine Vergleichung illusorisch. Ferner entnehmen wir der Wendlandschen Chronik, daß in dem¬ selben Jahre drei Geistliche das Zeitliche segneten: der Garnison-' Prediger Nagel und die beiden Prediger von St. Nicolai, Fritschc und Ästmann. . , . Dagegen vermissen wir in den Aufzeichnungen jenes Jahres das Hinscheiden eines Mannes, dessen Gedächtnis fortleben wird in dcr Geschichte:

des

Frciherrlichen Staatsmannes und Dichters

im Bcethovensan, dcr »cum Philharmonie.)

Verschwinden,, dann ein längeres Verweilen, „wenn die Herrliche sich zeigte", bis es endlich zum Verlöbnis kam. Hierauf begleitete Canitz den Großen Kurfürsten auf seinem Zuge nach Stralsund und Rügen, und führte dann, mit der Amtshauptmannschaft dcr Domänen Trebbin und Zossen belehnt, im Februar des Jahres 1681 seine „Doris" zum

Traualtar.

Nach sünfzchujähriger glücklicher Ehe entriß ihm der Tod die hei߬ geliebte Gattin. Untröstlich über den Verlust, wich die „natürliche Ge¬ lassenheit seines Geistes" von ihm, er erbat und erhielt eine Gesandtschaft zur Beilegung dcr Erbfolgestreitigkeiten in Mecklenburg. Dann zum Geheimen Rat ernannt, entschloß er sich auf Anraten seiner Freunde in, Jahre 1696 zu einem neuen Ehebündnis mit dcr Tochter des berühmten Erbkämmercrs und Statthalters Otto von Schwerin. Kaiser Leopold erhob ihn in den Rcichsfreiherrnstand. Aber erschüttert von den großen Anstrengungen und seelischen Leiden, machte nach längerer Krankheit ein Herzschlag am 11. August des Jahres 1699 seinem Leben ein Ende. Seine sterbliche Hülle wurde in dcr Gruft dcr mit ihm verwandten Familie von Röbel in St. Marien, beigesetzt. Dort ruht der Staats¬ mann und Dichter neben dem Sarkophage seiner „Doris", die er in seiner bedeutendsten Ode auf den Tod dcr Gattin: „Soll ich meine Doris missen?" verewigt hat. Ferdinand Meyer.

Ans alten Zeitungsblättern. (Schlich.)

tccfbriefc

werden damals erlassen zumeist unter der Ueberschrift „Echappierte Personen, welche anzulialten verlangt werden,"(!> Die Personalbeschreibung ist immer eine buchst genaue, der Wortlaut des Ganzen viel umsangreicher als heutzutage. Das wird am besten solgender, „Steckbrief" betitelter Erlaß des Direktors und der Richter der Stadtgerichte hiesiger König!, Residenzien, „Berlin, den 7, April 179t," beweisen:

I,

G, L , , , ., ein Weber seiner „Ein Arbcitsman», Namens Prosession, ist gestern srüh mit 589 Thlr, 4 Gr, Kour., welche ihm, um dafür 100 Stuck Frsdor, einzuwechseln, anvertraut wurden, treuloser Weise entwichen. Alle und jede resp. Gcrichtsobrigkeitcn ersuchen wir daher zu Hilfe Rechtens ergebenst, auf diesen Flüchtling, welcher ans O ber-Wrydl im Eisenachscheu gebürtig, 26 Jahre alt, etwas langer, mehr magerer als korpulenter Statur, starken Knochen ist, schwarzes, rund abgeschnittenes und über der breiten Stirn abgeschorenes Haar hat, etwas länglichten, magern, glatten, schwarzbraunen und tückischen Gesichts ist, starke schwarze Augenbrauen, mehr große als kleine braune Augen, eine große, breite Nase, einen großen Mund, ein spitziges Kinn, einen schwachen, schwarzen Bart hat, und bei seiner Entweichung mit einer schwarzen Pudelmütze, einem schwarzseidenen Halstuch, einer grautuchenen Jacke mit dergleichen Knöpfen, einem cattunenen und hellblautnchenen Brusttuch, schwarzen Beinkleidern von Serge de Berry, großen weißwollcncn Strümpfen und Schuhe» mit runden, weichen, glatten Schnallen bekleidet gewesen ist) in ihren Gerichtsbezirken ein wachsames Auge zu richten, sorfältigst nach ihm forschen, und falls er darin angetroffen werden sollte, ihn sofort zum gefänglichen Verhaft bringen zu lassen, llebrigcns hat derjenige, welcher dessen Habhaftwcrdung mit' dem gestohlenen Gute bewirkt, eine Belohnung von 10 Stück Frsdor, zu gewärtigen, und wir werden, diese Rechtswill'fähriglcit zu erwidern, jederzeit hinwiderum ebenso bereit als willig sein," — Bon einer „Steckbrieferlcdigung' verlautet in den folgenden Nummern nichts. Es scheint, als ob der Verbrecher mit dem „schwarzbraunen, tückischen Gesicht" wirklich „echappierl" sei. Von Familien anzeigen kommen nur Mitteilungen über Todes¬ fälle vor. Eigentümlich ist immer in diesen der Schluß. Folgende Fassungen bestätigen die Verbelung jeder Kondolenz: „Ueberzeugt von der wahren und tröstenden Theilnahme eines jeden, der diesen redlichen Mann kannte, an meinem gerechten und tiefen Kummer verbitte ich mir die gewöhnlichen Trancrbriefe, R. N," — Eine Witwe zeigt den Tod ihres Mannes folgendermaßen an: „Mit gerechtem und lebhaften» Schmerz mache ich meinen sämtlichen Verwandten und Freunden bekannt, daß es der Vorsicht (!) gefallen hat, meinen von mir zärtlich geliebten Gatten, Herrn — —, in seinem 42. Lebensjahre durch den Tod von meiner Seite zu nehmen und mich mit 8 unerzogenen Kindern in den Witwcnsiand zu versetzen. Von ihrer (?!) wahren Thcilnchmung au meinem harten Schicksal überzeugt, verbitte ich alle Kondolenz," — Ein Sohn macht den Tod seines Vaters „allen Verwandten, Freunden Diese und Bekannten hiermit gehorsamst und ergebenst" bekannt. Anzeige schließt mit den Worten: „Von ihrer gütigen Teilnehmung versichert, verbittet alle schriftlichen Beileidsversicherungcn dessen hinter¬ lassener einziger Sohn," — Es berührt doch recht befremdend, daß »»nmittelbar ans die Todesanzeigen Theater- oder Lottcrieanzeigcn folgen. Aus der Bühne des Königlichen Nationaltheaters werden hauptsächlich Stücke von Jffland (z, B,: „Die Jäger" und „Der Herbst !ag"j gcgcbei», — Eine Konzertanzeige lautet: „Herr Lolli und sein Sohn von 8 Jahren, die das Glück gehabt, sich bei Sr, Majestät dem Könige verschiedene Mal mit dem allerhöchsten Beifall ans dem Violon¬ cello hören zu lassen, werden auf Verlangen Montags, den 4, April, im Concertsaal des Herrn M, ein großes wohlbesetzteS Concert geben, Billets zu 1 Thaler bei Herrn Belitz unter den Linden zu haben." Das Eintrittsgeld erscheint für die damaligen Verhältnisse recht theuer. Unter den Miels- und Periuietsannonren spielt die „stille Familie" Tie angebotenen Wohnungen sind schoi» damals eine große Rolle, meistens beneidenswert geräumig. So heißt es z. B,: „Es ist in der Zimmerstraße im Wcidncrschcn Hanse zum 1. Oktober die 2. Etage, bestehend aus 1 Saal, 11 Stuben, 2 Kammern, 2 Küchen, (nebst) 2 Keller, ingl, zu 5 Pferden Stallung und 2 Wagcnremiscn auch guten Heu- und Futterboden zu vcrmiethen," — Fraglich muß wohl erscheinen, ob folgendes Mietsgesuch zur Zufriedenheit des Auftraggebers erledigt ist: „Ein vornehmer Herr verlangt ein an einem guten Orte belegcues Logis, bestehend in 8 großen menblirtcn Zimmern, ein apartes zu seinem beständigen Aufenthalte, und >vv noch besonders 15 oder 16 (!) Personen logiren können, eine Wagenreniisc und Stallung für 6 Pferde, Der Kaufmann G, in der breiten Straße hat die Besorgung, die Be¬ dingung davon einzugehen." — Ob dieser vornehme Her oft Besuch

--

aus der „Provinz" gehabt hat? — Der Mictsprcis ist in derRcgel nicht angegeben, Nnreinmalist mitgeteilt, daß „in der Pvstftraßc in der goldenen Kugel, 2 Treppen hoch, ein Logis von 8 Stube», 2 Kamluern, 2 Küchen, Holzboden und Keller für eine jährliche Miete von 100 Thalern in Gold zur Beziehung an eine stille Familie" ledig sieht, — Hinsichtlich der Mietspreisc haben sich die Zeiten doch sehr geändert. Die Büchcranzeige» berichten von neu erschienenen, wie man sich damals ausdrückte, fertig gewordenen Schriften und Büchern. Säumige Pränumerantcn werden dringend gemahnt, Zeitschriften, Bücher u.siw., auf welche sie abonniert babeu, sich abholen zu lassen, — Eine Dichterin ladet zum Abonnement ans ihre Gedichte durch eine „Ankündigung" folgenden Inhalts ein: „Da verschiedene hier und dort abgedruckte Gedichte von mir eine Ausnahme gefunden haben, die über meine kühnsten Erwnrtungen geht, so mach! mich dies dreist genug, den gcsammten Kunst¬

richtern und den nrthcilsfähigstcn Stimmen de§ Publikums eine Samm¬ lung von dem vorzulegen, was ich in diesem Fache bisher ausgearbeitet habe. Ich will dadurch lediglich anfragen, ob ich in der poetischen Laufbahn bleiben kann, oder ob ich mich ihrer ivcnigstens öffentlich einschlagen und die bisherigen gütigen Aufmunterungen für die Frucht parteiischer Gesinnungen ansehen muß. Blos dies, nicht die stolze Anmaßuiig, mich an die kleine auserlesene Schaar meiner mit Ruhm ge¬ krönten Vorgängerinnen anzuschließen, hat mich zu jenem Schritte be¬ wogen, Ich werde cs bei den herauszugebenden Gedichten an der sorgfältigsten Bearbeitung und der strengste» Prüfung nicht fehlen lassen. Nicht bloß kleine Lieder,' deren Deutschland gerade genug aufzuweisen hat, sondern auch einige Stücke von längerem Odem (!), deren Stoff weniger erschöpft und anziehender ist, sollen den Inhalt der Sammlung ausmachen, die in der diesjährigen Osteruicffc unter dem Titel „Gedichte von Ernestine Krüger," erscheinen werde». Ich bediene tuich dazu des Weges der Pränumeration, und bin überzeugt, daß cS in meinem Vaterlande nicht au edelgesiirnten Personen fehlt, die aufkeimendes Talent in liebevolle Pflege nehmen und äußerst beflissen sind, zu desseil Ent¬ wickelung beförderlich zu sein. Die Webcrschc Buchhandlung allhier nimmt 18 Gr, Pränumeration hierauf an; der Ladenpreis wird nachher 1 Thlr. sein," — Daß die Buchhandlungen damals auch mit Sachen, die nicht in ihr Fach schlugen, sich abzugeben geneigt waren, beweist diese Anzeige: „Sollte jemand noch einen brauchbaren Ofen mit einem viercckigtcn ciicrncii Kasten zu verkaufen haben, der beliebe sich in der Nicolaischen Buchhandlung in der Brüderstraßc zu melden," Ferner schließt ein Wohnungssuchender seine Anzeige mit dem Hinweis: „Wer eine solche Wohnung zu vcrmiethen hat, beliebe seine Anzeige davon in der Pitraschen Buchhandlung abgeben zu lassen," — Au anderer Stelle ivird ein Bedienter gesucht; „die näheren Bedingungen kann derselbe in Sonach der Buchhandlung des Hallesche» Waisenhauses erfahren." muß mau annehmen, daß die Buchhändler damaliger Zeit sich zugleich mit allerhand Kommissionsgeschäften befaßten, — Auch ärztlichen Anzeigen begegnen wir. - Der Königliche HofChirurgns und Wundarzt Dcriquchem inacht bekannt, „daß er sich wieder hier befindet und beständig hier aufhalten ivird. Seine außerordentliche und besondere Geschicklichkeit in der Bruchheilungskunst ist schon lange bewiesen und bekannt, es mögen auch die Brüche Namen haben, wie sic ivollen, wahre oder falsche, adhärcnte, oder ivic man zu sagen pflegt, ganz unheilbare, Personen beiderlei Geschlechts, sic mögen jung oder alt sein, können sich von ihm die (!) besten und unerwartetsten Dienste ver¬ sichert halten. Er logirt Unter den Linden im goldnen Hirsch." — Aus dem Geldmarkt werden Kapitalien zur Verleihung durch¬ gängig zu 4 % angeboten. Die Verhältnisse in der Residenz müssen damals recht unsicher geivesen sein. Darauf deuten die zahlreichen Anzeigen von „Sachen, so gestohlen worden." Bcispielsiveisc heben »vir folgende Bekanntmachnng hervor: „In der Nacht vom 30. bis zum 31, März sind auf der Neustadt in Palais des Prinzen Heinrich Königl. Hoheit durch Einbruch in einem Küchenfeuster gestohlen worden: 9 Stück Kastrolls, 6 Stück Kastrolldcckcl, 3 Tortieres, 2 Bouillonlöffel, ein leinen Bonilloutuch (?), sämmtlich P. H. gezeichnet und eine Krone darüber; auch ein roth gestreift leinen und etil blautuchen Kamisol,, Da nun hauptsächlich an der Entdeckung der Thäter gelegen, so erhält derjenige, »velchcr selbige dem Prinzlichcn Mundkoch Seydlcr anzeigt, 4 Thlr, auf Verlangen mit Vcrschiveigung seines Namens," Ter „Marktgängige Getreide-Preis zu Laude" zeigt inner¬ halb eines Zeitraums von 8 Tagen ein recht bedenktiches Schwanken, Im Durchschnitt kostete der Scheffel Weizen 1 Thlr, 20 Gr., Roggen 1 Thlr, 10 Gr., Gerste 1 Thlr. 5 Gr„ Hafer 22 Gr. 5 Pf, Für die Feststellung des Preises von Lebens- und Genußmitteln u, dergl. sind'folgende Anzeigen ergiebig: „Der Wcinhändler Nillich in der Königstraßc ohuwcit der Post in der Madauic Moritzen ihrem Hause macht einem hohen und geneigten hiesigen und auswärtige» Publikum bekannt, daß bei ihm alle Sorten fremde Weine zu haben sind, worunter auch vorzüglich guter Mcdoc das Quart 10 Groschen, Malaga 14 auch 16 Gr.; bei 24 Boutl. giebt es die 25. obenein. Auch ist bei ihm franz. Weinessig zu habe», das Quart 5 Gr. Vou der Güte — dieses Essigs sollte sich ein jeder durch einen Versuch überzeugen."

„Beim Kaufmann Convcr in der Heil. Geiststraße ist Pflaumenmus ä Pfd. 1 Gr. 6 Pf., centncrweisc noch billiger, zu haben." — „Das be¬ kannte, feine Räucherpnlver, ivomit ivährend denen Königl, Opern ge¬ räuchert werden, das Glas zu 8 Gr. »vie auch Gesundhcits- und GeivürzChokolndc das Pfd. 1 Thlr, ist ivie gcivöhnlich in Berlin beim Apotheker Pnntzow am Dönhoffschcn Platz um bcnicrktc Preise zu haben," — „Bei dem Kaufmann Andersen n» der Taubenstraßenecke im goldenen Schiff ist frisch angekommen beste Sorte englisch Ocl (also Ale!) die ganze Boutl, 8 Gr.', Braunschweiger doppelte Schiffsmumme ä Boutl. 8 Gr., feinster engl. Kaffee ü Pfd. 10 u. 9 Gr. Die Waare ist außerordentlich schön," — Des Vergleichs halber, indem wir jetzt einen Zeitraum von 20 Jahren überspringen, führen wir aus N. 27 der „Berlinischen

Im Verlage der Haude- und Spcnerschcn Buch. Handlung" von Sonnabend den 2. März 1811 folgende Annonce an: „Mit gutem Kaffee a 18,20 bis 22 Gr, Kurant, feinem Zucker Nachrichten.

ä 23 ii. 24 Gr., gelbem Farin ä 12 Gr,, feiner Chokolade ä Pfd. 1 Thlr, 1 Thlr, 8 Gr„ guter Butter das Pfund 6 Gr. bis 8 Gr. enipfiehlt sich bestens der Kaufmann Sandow in der Kirchstraßc." Der ungewöhnlich hohe Preis für Zucker und Kaffee erklärt sich aus der damals bestehende» Kontinentalsperre.

bis

127

Der Getreidcprcis tn Berlin vom 20. Februar ist in derselben Nniniiier folgcnderinaßcu angegeben: Ter Scheffel Weizen I Thlr. 22 Gr., Roggen 22 Gr. 0 Pf., Gerste 1 Thlr., Hafer 1«; Gr. 8 Pf., Erbsen 1 Thlr. 8 Gr. 4 Pf. — Von den Bücheranzeigen ist von Interesse: „Bei dem Buchdrucker Ernst LittfaS in Berlin (Adlcrftraste N. 0) ist soeben fertig geworden und für 8 Gr. Conrant zu haben: „Der Prosessionist auf Reisen" oder: Vernünftige und heilsame Lebensrcgcln, ivic sich derjenige Wanderer jeder Profession und jeden Gewerbes, es möge Namen haben, wie es wolle, auf Reisen zu benehmen hat, um solche mit Nutzen zurückzulegen und dereinst zu Brod und Ehren zu gelange». Von einem'aufrichtigen Freunde des ehrcuwcrthen Bürgcrstandcs^ Mit hundert Reiserouten durch Deutschland in verschiedenen Richtungen. Nebst den Hauptsehcns-

würdigkcitcn einiger Städte." — An anderer Stelle wird die Ausgabe der Lonetti e Caiizoni di Petrarca in Musik gesetzt von G. F. Reichardt, dem bekannten Cvinponisten Goethischer Lieder in recht überschwenglicher Weise empfohlen: „Es ist dies das erste Heft, enthaltend 8 Melodien aus den Canzvncn des göttliche» Petrarca, denen der wohlbekannte Coinpvuist ivciche, an¬ mutsvolle Melodien und eine ungemein leichte Begleitung des Fortepiano gegeben hat. — Dies ist aber noch nicht das ganze Verdienst dieses lehrreichen Merkchens: Wenige Musikfreunde nur mögen mit dem lebendigen Ansdrucke so

einer zarten Leidenschaft des liebenden Dichters

vertraut sein, ihn tief genug empfinden zu können, und für

diese

hat der Conlponist eine ganz wörtliche deutsche Uebcrsctzung untergelegt, die vollkommen zu dieser Musik passend ist. — Möchte es doch Herrn Reichardt gefallen, bald das zweite Heft dieser vortrefflichen Sanimlung folgen zu lassen, um auf diesem angenehmen Wege den unsterblichen Petrarca 'mehr und mehr kennen zu lernen." —

Kunst und Wissenschaft. Thraker. „Das fünfte Rad", das am vorigen Sonnabend im Königlichen Schauspielhaus«: zum erstenmal aufgeführt wurde, bot Herrn Vollmer Gelegenheit, seine Kunst als vollendeter.Charakterkomiker zu entfalten. Sein Anton Gecring war in jeder Beziehung tadellos, und Lubliner hat es ihm in erster Reihe zu verdanken, daß er ivicderholt vor dem Vorhang erscheinen durste. Jede Bewegung dieses Künstlers ist gemessen und vornehm, und sein Humor baut auch schwerfälligen Stücken eine sichere Brücke über die Kluft des Mißerfolges. „Das fünfte Rad" ist,allerdings nicht schwerfällig, es ist sehr vergnüglich und bei näherer Prüfung könnte man es sogar als zu leicht befinden: cs leidet an einer inneren Unwahrscheinlichkeit, über die nur Herrn Vollmers Jnterpretierungskunst hinwegtäuschen konnte. Da ist ein Mann, der Fabrikant Anton Geering, der in seiner Jugend „Messing gekloppt" hat. Durch Fleiß und einen reichen Schatz von

ä

ugo Lublincrs Lustspiel

soliden technischen Kenntnissen hat er sich herausgearbeitet, ist Millionär geworden, hat sich eine Prachtvilla gebaut in Berlin 0. auf dem Grund¬ stück seiner Fabrik. So weit ist alles in Ordnung. Warum soll ein Mann, der früher „Messing gekloppt" hat, wie sich ein Nichtsthuer aus Berlin "W. ausdrückt, nicht ein reicher Mann geworden sein? Daß er eine etwas überspannte Gpinnasiallehrerstochter geheiratet hat, ist eben¬ falls nicht unmöglich: auch daß dieser Ehe ein Tüchtcrchcn entsprossen ist, kann nicht bezweifelt werden, weil der Augenschein diese Thatsache beweist. Allein der energische, thatkräftige Mensch hat nun einmal die Manie, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Seine Frau gilt all¬ gemein nicht als die Hausfrau, sondern als die Hausherrin, und Anton Gecring wird als das fünfte Rad betrachtet. In Wirklichkeit leitet er aber alles nach seinem Willen. Die Frau möchte Fräulein Gecring mit einem jungen Maler verheiraten. Beim ersten Besuch ist aber der Maler, dem Frau Gecring ästhetisch kommt, sehr abstoßend: nicht einmal die Kunstgeschichte ihres Vaters kennt er! Sic giebt deshalb die Partie auf: doch da legt sich Anton Gecring ins Zeug, da erfährt inan erst, daß der scheinbar langweilige Mensch ein interessanter, energischer Charakter ist, und die Partie kommt zu Stande, was sich Frau Gecring als ihr eigenes Verdienst zuschreibt, stcilich ohne daß der Zuschauer merkt, daß' sie die Heirat überhaupt noch zu Stande bringen will. Wenn es im Leben wirklich einen energischen Menschen geben sollte, der zu den Kniffen und Pfiffen GccringS greift, um seinen Willen durch¬ zusetzen, so spielte er nur Lubliner zuliebe Komödie. Herr Vollmer hat auch die Unmöglichkeit wahrscheinlich gemacht und die Lacher ans die Seite des Verfassers gebracht. Jni übrigen ist das Lustspiel amüsant, der Dialog witzig und pointiert, die Rührszcncn diskret, die Technik einwandfrei bis auf einige Längen, so daß die Herren vr. Vlninenthal und Kadelburg, die im Parkett saßen, ihren Kollegen mit gutem Ge¬ wissen hervorklatschen durften. Während man sich im Schauspielhause über Mutter Gecring amüsierte, gab es im Deutschen Theater eine regelrechte Keilerei. Riete wnrs Panier und Nirdorf der Kriegsschauplatz. Tie Ricke hieß eigentlich Pauline und war auch eine kreuzbrave Haut, trotz der vier oder fünf „Bräutijams", aber in die Hnscnhaidc ging sic doch gern. Wenn nun eine Köchin fünf Bräutijams hat, so darf sie sich nicht wundern, wenn sic sozusagen zum Zankapfel wird und sich ihre Anbeter gegenseitig ver¬ holzen. Diese große Keilerei bildete am letzten Sonnabend das Helle Entzücken des Publikums im Deutschen Theater: cs wurde minutenlang Beifall geklatscht und gejubelt, als sei der Welt ein neuer „Könrg Heinrich IV." mit einem neuen Falstaff geschenkt worden. „Pauline" ist nämlich eine Komödie und die Heldin keineswegs so ein Dortchen ja, Lakcnrcißcr, sondern eine tugcndsame Köchin, und was sie erlebt was erlebt sie denn eigentlich ? Sie ist bei kreuzbraven Leuten im Dienst und da sic bei der Familie Sperling nicht viel zu thun hat, ist ihre Küche eine wahre Sperlingslust. Da kommen allerhand Männer zusammen, die Paulinchen den Hof machen, sogar ein richtiger Herr

Was gerade dies Blättchen vom 2 . März 181L besonders wertvoll macht, ist der Umstand, daß au 2 Stellen Beziehungen aus den Geburts¬ tag (den 10. März) der an, 19. Juli 1810 (also des vorhergehenden Jahres) Heimgegangenen Königin Luise sich finden. Tie Direktion des FriedrichS-StifteS zeigt an: „Künftigen 17. März, Mittags zwischen 12 und 2 Uhr, wird, zur würdigen Begehung des unvergeßlichen 10 . März und znm Besten des au diesem letzteren Tage vor 4 Jahren gegründeten Friedrichslifts eine angemessene lyrisch-nmsikalische Feier veranstaltet werden, und bleibt die nähere Anzeige hiervon den nächsten öffentlichen Blättern vorbehalten.

An hervorragender Stelle desselben Blattes ist zu lesen: „Einem hiesigen verehruiigswürdigcn Publikum habe ich die Ehre hierdurch vorläufig anzuzeigen, daß sic zum Andenken der Höchstseligen Königin Majestät von dem Herrn Tiedge gedichtete und von mir in Musik Cantate „Tie Wanderer" betitelt, Sonnabend, den 9. März, im großen

Himmel." Opcrnhanse aufgeführt werden wird. Ter Unterzeichnete ist der durch mancherlei Kompositionen berühmte Kapellmeister Himmel. Derselbe teilt nach vorstehender Anzeige noch des Weiteren mit, daß des Königs Majestät Allergnädigst genehmigt, die Einnahme von der aufzuführenden Cantate zum Besten der hiesigen Luisenstiftung und des Luisenstists zu verwenden." Auch hinsichtlich der alten Zeitungsblätler kann der bekannte Spruch gelten: „Einer acht's, der Andere vcrlachts, der Dritte betracht's!" Wer dergleichen Ucberbleibsel und Zeugen vergangener Zeit zu betrachten und zu achten gewohnt ist, wird aus ihnen mancherlei Be¬ lehrung schöpfen und die Frage entscheiden können, ob es heutzutage anders, zumal besser geworden sei. W. Wald.

Gras, kein Talmi, sondern ein ganz echter. Auch ein Schlosser kommt dessen Liebe so echt ist, wie der Adelstitel des Grafen, und der führt sie auch richtig heim, nachdem er die anderen bei Klinisch in der Hasenhaide ordentlich vermöbelt hat. Mein (sott, wozu hat man denn Schlosser gelernt, wenn man so einen windigen Schneider oder einen Packetfahrtschaffner nicht verbauen soll? Und da er Sieger ist, führt er die Braut heim. Es passiert zwar noch manches, aber das ist nur Beiivcrk. Da kommt auch noch Panlinens Mutter vor, der Maler Sperling findet auch eine Köchin „als Mensch interessant" und dergleichen mehr. Der Verfasser der „Pauline", Georg Hirschfeld, ist mit seinem Küchennatnralisnius etwas rückständig, und er darf überzeugt sein, daß diejenigen, die den „Beifallssturm" machten, wohl seine Anhänger, aber nicht seine Freunde sind. Tie Zischer meinten es ehrlicher mit ihm. Hirschfeld hat zweifellos ein echtes dramatisches Talent, eine feine Beob¬ achtungsgabe, indessen bedürfen beide einer strengen Schulung, damit er unterscheiden lerne, was schön und was unschön ist. Es steht außer aller Frage, daß eine Köchin die Heldin eines Lustspiels sein darf, nur muß man von' ihr auch etwas interessantes zu sagen haben. Ein Theaterstück soll doch schließlich kein dramatisierter Ncuruppiner Bilder¬ bogen sein. Und daß Hirschfeld etwas zu sagen hat und was sagen kann, bewies er in seinem letzten Stück trotz der Unzulänglichkeit des Inhaltes.

vor,

Berliner Chronik. Am 1ö. Februar starb zu Potsdam im 81. Lebensjahre der Pro¬ Dr. Otto Schönermark, der von 1808—1880 die königliche

fessor

Elisabethschule zu Berlin leitete. Am 15. Februar starb der Bildhauer Hermann Friedrich Wittig. Der Künstler wurde am 20 . Mai 1819 zu Berlin geboren, besuchte die Akademie seiner Vaterstadt und das Atelier von Friedrich Seine Ticck, und vollendete seine Studie» 1840—1848 in Rom. Schöpfungen sind teils ideale Kompositionen in Gruppen und Einzclsiguren, teils Bildnisse hervorragender Persönlichkeiten. Von den erstere» nennen wir die überlebensgroßen Marmorstatnen der Flora und Pomona im Orangcriegebüude zu Potsdam, einen Friedensengei ans dem Dreifaltigkeitskirchhof zu Berlin und die Gruppe des Kriegers, der in den Kampf hinauszieht und von seinem Weibe Abschied nimmt (Alsenstraße zu Berlin). Für die Rational-Galerie führte Willig im großen Gicbelselde in Sandstein die Statuengrnppc aus, welche die Germania als Beschützerin der Künste darstellt, und zwar nach einem Entwürfe von Moritz Schulz. Unter den Portraitbüsten Wiltigs, der eine große Anzahl von plastischen Werken geschaffen hat, sind die Kölossnlbüste von Ludwig Ticck, die von Knesebeck, Palkul und Müssling hervorzuheben. Am 10 . Februar vollendete Dr. Moritz 65nmbinner, der lang¬ jährige Vertreter der „Kölnischen Zeitung" in Berlin, sein 70. Lebens¬ jahr: er ist ein geborener Berliner und ist für das Kölnische Wcllblatl als Theaterkritiker und Leiter des parlamentarischen Büreaus thätig gewesen. Am 18. Februar wurde Fräulein Elsa Neu mann an der Uni¬ versität ihrer Vaterstadt feierlich 311111 Doktor der Philosophie promoviert. Die Dame ist am 23. August 1872 zu Berlin geboren und stndicrie in Göttingcn und Berlin Philosophie und Naturwissenschaften: sie ist der Ihre Dissertation erste weibliche Doktor der Berliner Universität. handelt „über die Polorisationskapazität umkehrbarer Elektroden".

Kleine Mitteilungen. Svndvrbarvs Zus'ÄMmrntrrffen. Karl Scpdclmann, der be¬ rühmte Charakterdarsteller des Berliner HoftheatcrS, ivar sehr aber¬ gläubisch. Am Freitag spielte er sehr ungern: nie und nimiuerinebr hätte er an einem Freitage wo gastiert. In der letzten Nacht seines Lebens fragte er sehr oft nach der Uhr. Gegen vier Uhr Morgens sragtc er plötzlich: „was ist für ein Tag?" Als er Hörle: Freitag', schauderte er zusammen — eine Stunde daraus war er eine Leiche. Ein Nervenschlag endete seine ruhmreiche irdische Laufbahn.

128

Büloin's Aukograpli. Schmeichelhaft. In

wird man Ihn für einen reichen Mann halten, und Er wird seine — dn — Tochter bald los werden."

einer Gesellschaft der berühmte Musikkünstler Hans von Bülow sich befand, bereitete die Hausfrau den Gästen den zweifelhaften Genuß, ihnen etwa eine Stunde lang die Schubert'schcn „Müllerlieder" mit falscher und unreiner Stimme vorzusingen. Bülow hatte bereits wegen des Vvrtrags verschiedene Zeichen hochgradigster Ungeduld gegeben, die aber den Höhegrad erreichst, als die Dame mit einem Album aus ihn zutrat und ihn mit süßflötender Stimme um ein Autograph bat. Mit höflicher aber kalter Verbeugung ergriff der berübmte Musiker die Feder und schrieb folgende Variante auf Tcll's Worte: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben. Wenn es dem musikalischen Nachbar nicht gefällt." Der alte und der junge Moltke. Im Quartier des Grafen Bismarck in Versailles hatte sich 1870 eine kleine Zahl Gäste um den Abendtisch versammelt. Im Laufe der Unterhaltung bemerkte Jemand, der anwesende Moltke sehe jetzt so wohl und frisch ans. „Ja", erwiderte Bismarck, „auch ich habe mich lange nicht so gut befunden wie jetzt. Das macht der Krieg — und besonders bei Moltke. Der Krieg ist sein Gewerbe. Ich erinnere mich, wie er, als die spanische Frage brennend wurde, gleich zehn Jahre jünger aussah. Dann, wie ich ihm sagte, der Prinz von Hohenzollcrn habe verzichtet, wurde er sofort ganz alt und müde. Und als die Franzosen sich damit nicht zufrieden gaben,

in Berlin, in der

war Moltke auf einmal wieder

frisch und

Märkischer Adel.

Die im Sand und die im Luche, Jhlow's, Rochow's, Schenken, Buche; Die im Busch und die im Felde:

Arnim, Rohre, Winterfeld c;

Die im Sumpf und die im Sande: Kröcher, Zielen, Jagow, Brande, Marwitz, Redern, Jtzenplitze Keiner ist der Welt was nütze; Alle sind vom selbem Holze: Kalten, Hacke, Groeben, Goltze, Beuste, Königsmark und Schliebcu Das ist unsere böse Sieben; Hagen, Erx- und Wartensleben Nehmen seliger als geben. Die im Wald und die im Dorfe: Waldow's, Burgs- und Holtzendvrfse,

jung."

Berliner Vsterfeirrtags-Vergniigcn vor 50 Jahren.

Die Weltstadt Berlin 1899 und das Berlin vor 50 Jahren — welcher Unter¬ schied zwischen beiden, auch in Bezug auf die Auswahl der Erholungen und Vergnügungen, die damals und jetzt den Berlinern zur Verfügung standen! Sehen wir einmal, wie man sich in den Qstcrfeiertagcn 1848 amüsieren konnte! Bei Kroll Konzert, Anfang 4 Uhr, Entree 5 Silbergroschen, freier Eintritt für die Abonnenten des Dienstags-Konzerts. Tadle d'hütc, das Couvert 15 Sgr., im Hofjägcr „großes" Mililär,Konzert, ausgeführt vom Musikchor des 9. Infanterie-Regiments (Colbcrg) unter Leitung seines Direktors, Entree 1 Sgr. In „Sommers Salon" Konzert von Joseph Gungl, Entree 5 Sgr., Loge 10 Sgr.' — das Denn mochten wohl damals die feineren Vergnügungsorte sein. oder bei denen Konzerte, die für 2 Sgr. von 5—10 Uhr dauerten, man an einer Blumenverlosung teilnehmen konnte, oder die sich bescheiden nur als „Tronipclenmusik" ankündigten, oder Bälle, auf denen uni 12 Uhr große Polonaise durch den Garten stattfand, wobei jeder Herr und jede Dame eine „Freiheilsschleifc" erhielt, oder wo Entree tiach Belieben zu zahlen war oder Biere und Speisen durch „fahrende Kellnerinnen" in einem Rationalkostüm verabreicht wurden, oder wo Bedienung durch „Feen" stattfand, oder wo eine „freundliche Dänin" in „dortigem" Volkskostüm die Aufivartung übernommen hatte, ivaren doch wohi nicht gerade zu den feineren Verguügnnsarte» zu zählen. Außerdem konnte der Berliner den „Zanberpalast" des Herrn Robin aus Paris, am Spittelmarkt, das mechanische Museum und anatomische Kabinett von George und Frechor, auf dem Gendnrmenmarktc, sich ansehe», wo auch die Laucousouschc Eule zu bewundern ivar, ferner die Tulpen- und Hyazinthcn-Ausstellung in der Fruchtstraße, ivo er ein Blumenbouquet gratis erhielt, das Diorama von Karl Gropius oder das „große mechanische Kunstwerk, durch 29 automatische Figuren belebt", zu herabgesetzten Preisen besuchen oder auch mit der „konzessionierten Omnibus-Compagnie" die Chausseestraße hinausfahren. Außerdem standen drei Theater zu seiner Verfügung (Opernhaus: Don Juan,' Sätauspielhaus: Eniilia Galotti; Königslädtisches Theater: Das bemooste Haupt von Rodcrich Bcnedir, am Montag im Schauspielhause: Götz von Berlichingen von Goethe; im Königstädtischen Theater: Einmal hunderttausend Thaler, von Kalisch, eine damals ungemein beliebte Passes. Endlich war in der königl. Gießerei, Münzstraßc 10, in der Stunde von 10 bis 5 Uhr gegen ei» beliebiges Eintrittsgeld zum Besten der Wadzeck-Austalt, die von Ranch modellierte, von Friebel gegossene und ciselicrte koUossale Reiterstatue Friedrichs des Großen D. ausgestellt, die erst im Jahre 1851 ihren jetzigen Platz erhielt. Berliner Theater-Zustände vor 100 Jahren. Einen in¬ teressanten Einblick in das Verhältnis, in welchem ehedem in Berlin die Schauspieler zu ihrem „Prinzipal" standen, giebt uns ein Kries, der bei dem alten, bekannten Berliner Theater-Direktor.Theophil Töbellin engagierten Schauspielerin und Sängerin Temoisellc Kneisel an ihren Direktor. Derselbe lautet: „Bester Vater! Ta diesen 21. der Adreßzcttel von meinen Brillanten fällig ist, welches Sic vielleicht ver¬ gessen könnten, so habe ich Ihnen hiermit daran erinnern wollen, damit Sie bey zeiten ihre Maßregeln darnach nehmen können. Ich bitte also recht sehr, init der Kommission dcrowegen zu reden, damit die Sachen nicht verfallen und ich sie zur rechten Zeit wieder bekommen. Wenn die Herren den schein etwa wollen erneuern lassen, so sage ich ihnen nur, daß ich das schlechterdings nicht wollte, und auf alle Fälle meine Sachen noch vier Wochen vor meiner Abreise wieder haben müsse. In Henriette Kneisel." Erwartung dieses verbleibe Ihre ergebenste Dieser Bries klingt nicht so, als ob die Schauspielerin und Sängerin sehr zuversichtlich darauf rechnete, ihre Brillante» auch „rechtzeitig" wieder zu erlangen. Auch scheint es fast, als ob die trotz der damaligen kleinen Gagen mit Brillanten gesegnete „Kneiseln" ihrem Direktor und ben M. M. Herren von der Kommissiou gelegentlich ausgeholfen hätte. Ein sonderbarer Rat. Den Juwelier Reclam in Berlin, mit welchem sich Friedrich der Große oft herablassend unterhielt, ft'agte letzterer, als er gerade bei guter Laune war: „Na, mein lieber Reclam, wieviel Kinder hat Er eigentlich?" „Vier, Ew. Majestät," antwortete der Gefragte, „und zwar drei Söhne und eine Tochter." „Hm, Töchter sind leichte Ware; die muß Er baldigst loszuwerden suchen." „Das ist leichter gesagt als gethan, Ew. Majestät", erwiderte der Juwelier, „ich bin kein reicher Mann". „Ach was, das thut nichts! Ich will Ihm einen guten Rat geben: Er muß fleißig spazieren gehen, daniit die Leute aus ihn aufmerksam werden, dabei die Nase recht hoch tragen, die Hände auf den Rücken legen und die Backen aufblasen. Tann

l'/

Verantwortlicher Redakteur:

I)r. M. Folticiueauo, Berlin. —

! ! >

'

Görtzke, Kanitz, Ouitzow, Quaste Blühen all auf einem Aste; Die zur Rechten, die zur Linke», Alle wollen essen, trinken. Die zur Linken, die zur Rechte», Alle wollen tapfer fechten. Sitzen fest in Sumpf und Heide. Aber trotz dem seidenen Kleide, Aber trotz der großen Klunker — Bleiben's unsere märkschcn Junker. (Hcsekicl „Kurprinzenbraut"). Eine Anzahl pommrrschrr Siedrlunzren, die unter Friedrich dem Großen gegründet wurden, kragen die Namen ihrer Gründer: Der Kommandeur der Zicten-Hnsareu Reinhold von Krockow erbaute das Vorwerk Reinholdsfelde; der Lieutenant Franz Joachim von Puttkamer auf Viartlum, ein Ahne der Fürstin Bismarck, das Vorwerk Joachimsthal und die Kolonie Franzdorf, während Anton von Puttkanrer die auf seinem Gut Linden dusch 1772 gegründeten Kolonien nach sich und seiner Gemahlin Antonswalde und Charlottenthal benannte. Das von dem Major von Schweder auf Morzin gegründete Etablissement an der Radne empfing nach dem ältesten Sohne den Namen Friedrichsheide; die Vorwerke eines Herrn von Kamccke die Namen Wilhelmshof und Carlshof. Peter Christian von Kleist aus Kl. Cröchhin und Gr. Tychow nannte drei neue Vorwerke nach seiner Gemahlin Charlottenau und nach seinen Söhnen Wilhelmshof und Johannisberg. Genug, es ist überall die Familienliebe und Die oben Familiciitreue, die hierbei ihren Namen gefunden hat. genannten Etablissements sind sämtlich in Hinterpommern zu suchen, namentlich in den Kreisen Fürstentum, Schlnwe und Stolp. Diese Beispiele mögen das Gesamtbild der dortigen Anlage» vertreten.

Büchertisch. Das

XIX.

Jahrhundert in Wort und Bild. Politische und Kulturgeichichtc von Hans Krämer, in Verbindung mit

hervorragenden Fachmännern. Berlin, Deutsches Vrr!agshaus Bong & Co. 60 Lieferungen a 60 Pfennig. Von diesem Prachtw erst liegt jetzt der erste Band, der 21 Hefte Zu demselben hat die Verlagsbuchhandlung zwei umfaßt, vor.

Original-Einbanddecke» herstellen lassen, die eine in eleganter Leinwand (Halbfranz-Imitation) nach einer Komposition von M. Tutzoner, sie kostet 1,50 M., die andere, in echtem Pracht-

Halbfranz mit echter E. Döpler d. I, zum

Vergoldung, nach einer Komposition von Prof. Preise von 2,50 M. Von dem zweiten Bande liegen bereits die Lieferungen 22 u. 23 vor. Dieselben geben den früheren Lieferungen an Gediegenheit des Inhalts und Reichtum der künstlerischen Ausstattung nichts »ach. Der 22. Lieferung ist ei» interessantes Buntbild „Justus Liebigs chemisches Laboratorium auf dem Scltcrsberg zu Gießen um das Jahr 1840" (nach einer gleichzeitigen Darstellung von Wil¬ helm Trautscholdj beigcgebcn. Das' 23. Heft führt uns in fesselnden Bildern die wichtigsten Parlamente zur Zeit der deutschen Berfnssungskämpfe, insonderheit die denkwürdige Nationalversamm¬ lung in der Frankfurter Paulskirchc (nach einer Zeichnung von Paul Bürde) vor Augen. Außerdem ist cs mit einem hervorragenden Kunstblatt „Ruinen eines pompejanischen Hauses" geschmückt.

Felix Dahns sämtliche Werke poetische» Inhalts. Breitkopf & Härtel. 75 Lieferungen zu je 1 M. Auch in

21 Bänden

Band.

Mit

dem

für

96

M.

Leipzig, gebunden Monatlich 3—4 Lieferungen oder ein

vor kurzem erschienenen VIII. Band dieser Gesamt¬

Felix Dahns Werken

ist der bedeutendste Roman Kamps um Rom" in der billigen dieses deutschen Dichters Ausgabe abgeschlossen. Ueber die Hälfte sämtlicher Bände ist bis jetzt erschienen, darunter Baitd I—VIII, enthaltend sieben Romane, ein¬ Der Preis dieser schließlich des vollstäitdigcn „Kampfes um Rom". 8 Bände ist gebunden 36 M., also kosten dieselben nur wenig

ausgabe von

„Ein

mehr als die Einzelausgabe des Kampfes um Rom allein.

Außer den genannten 8 Bänden sind bereits erschienen: Band IX: Gelimcr, Die schlimmen Nonnen von Poiticrs; Band XV: Kleine nordische Erzählungen: Baud XVI u. XVII: Gedichte I u. II; Band XIX: Dichtungen; Band XX: Schauspiele. Die zweite kleinere Hälfte der Bände erscheint im Lause dieses Jahres, und zwar so, daß sämtliche Bände bis zum August vorliegen werden.

Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

8^V., Neueuburger

Strafe Na..

♦ Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leden. 25. Jahrgang.

Sonnabends 4.

Ur. 9.

Mar; 1899.

Was

--

Lin Lustspiel-Roman in zwölf Rapiteln von Hedor von Zobeltitz. (Fortsetzung.)

as trau' ich ihm zu. Und ich Esel bin auf diese Ver¬ wechslung hereingefallen. Ich habe ihm bloß gesagt, er hätte falsch betont. Irgend etwas mußte ich doch sagen. Ich bin lediglich auf Suaheli geaicht. Bis Mitternacht hab' ich in Deiner Grammatik studiert, um mich nicht allzusehr zu blamieren. Die Werke von Stanley und Juncker und Peters und Capati hab' ich im Kleiderschrank eingeschlossen, damit man sie nicht findet.

Schlafen kann ich auch nicht mehr. Useguha und Wagindo und Uhehe und Aruscha, Puscha, Nuscha, das schwirrt mir alles im Kopfe herum, und schlafe ich wirk¬ lich einmal, dann träume ich von Kannibalen und Hottentotten. Adolf, bemitleide mich!" „De tont mon coeur, mein Junge. Aber bedenke: Du hast Dich selbst in diesen Zwiespalt der Natur hineingeritten — und ich bin kein Oerindur. Ach nein — auch über meinems chnldlosen Haupte gewittert es. Wenn die Bombe platzt, weisen auch ans mich die Finger der Ankläger. Wie der Stehler, so der Hehler. Jst's nicht am besten, kurzen Pro¬ zeß zu machen? Du weißt, ich

bin für kurze Prozesse. Man lernt das da drunten." Max war stehen geblieben und faltete die Hände.

(Nachdruck verboten.)

und in der Folge hab' ich die Seesen in alle Verhältnisse ein¬ geweiht." „Was Du sagst! Und wie nahm sie die Sache auf?" „Sie unterstützte sie lebhaft und amüsierte sich königlich darüber. Sie hat lange an der Kette gelegen und ist deshalb sehr für Freiheit des Herzens." „Ein interessantes Frauenzimmer. Ich freu' mich, sie kennen zu lernen." „Sie wird Dir gefallen. Und nun noch eins, Adolf. Laß mir

Anfang Deiner Tagebuch¬ blätter heraus, damit ich weiß, wie wir eigentlich marschiert sind. Die Gegend um den Kilimand¬ scharo kenn' ich noch gar nicht." wieder. lachte Haarhaus „Soll geschehen, my boy. Wer den

erst muß ich eine

mit

Partie Croquet Da Bist Du nicht

den Backfischen spielen!

kommen sie schon!

dabei?"

„Ich werd' den Teufel thuen. Cantonncmentsquartierspiele find mir ein Grcul. Ich geh' ans mein Zimmer und studiere. Auf Wiedersehn!

Die

.

."

Backfische

waren mit

dem Croquet einverstanden. Bene¬

und Nelly schleppten den Kasten auf den freien Platz unter den Kastanien und packten aus,

dikte

Krliefportrat Andreas Schlütrr's. (Rach einem Medaillon aus dem Nachlaß des Igl. Hofbttdhauers

„Adolf, thu' mir die Liebe und red' nicht solchen Unsinn. Du kennst die Verhältnisse nicht, kennst nicht die Mama und den Großpapa. Sie sind die Macht¬ haber auf Hoben-Kraatz, die Tyrannen meines Glückes. Hier heißt es einfach strategisch zu Werke gehen" — „Diplomatisch, sagt Graf Großpapa." — „Allerdings; sondieren und langsam das Terrain erobern. Und dabei muß mir die Seesen helfen."

„Du willst Nachmittag zu ihr?" „Nein. Nachmittag will ich in

——-

den Erlenbruch.

In

diesem

Falle war die Seesen ein Vorwand. Aber vielleicht fahr — morgen nach Langenpfuhl. Die Seesen liebt mich."

ich

„Na, na!" „Cum grano falls natürlich. Es ist nämlich von jeher Gro߬ — papas glühender Wunsch gewesen, mich mit ihr zu verheiraten denn sie mich nahm Da aus Familienrücksichten. Und sie merkte das. eines Tages vor und sagte mir: ,wir wollen einen Pakt schließen, Baron. Schwören wir uns, daß wir uns nie kriegen. Schwören wir uns ewige Untreue.' Und das haben wir denn auch gethan,

Tassaerl.)

während Trude Palm mit Haar¬ haus englisch sprach. Vor ihm glänzte sie gern. Tie schwärmte für England, weil sie wußte, daß Haarhaus einen Teil seiner Jugend in London verlebt hatte. War Graf Brada anwesend, dessen Geschlecht sich von irgend einem lombardischen Baron aus der Zeit Barbarossas ableitete, so schwärmte sie für Italien. Das Spiel begann. Haarhaus war in allen diesen Sport¬ spielen Meister — elegant, kraftvoll und sicher. Er fühlte sich Laut seinem Vertrage mit sichtlich behaglich in Hohen-Kraatz. einem bekannten Leipziger Verleger mußte er sein Werk über seine Neuentdeckungeu im Pare- und Kilimandscharogebirge bis zu einer bestimmten Frist abliefern — und bei seinem Onkel Kielmann kam er wenig zur Arbeit. Der Alte war in seiner Liebenswürdigkeit so beständig um ihn herum, daß Haarhaus froh gewesen war, ausrücken zu können. Hier aber hatte er Ruhe und zugleich Abwechslung. Die drei hübschen Mädchen boten sie ihm zur Genüge. Alle drei machten ihm gleichmäßig Spaß. Sie schwärmten ihn an, bewunderten ihn und fanden ihn reizend — nnd das that seiner Gottähnlichkeit wohl.

„Wer ist d'ran?" fragte Benedikte. döst

„Trude!



Trude, Du

wieder!" Trudchen machte

ihr Spiel,

schwenkte

Rocksaum und zeigte ihre gelben Bottinen.

dabei kokett mit dem Währenddessen unter¬

sie sich mit Haarhaus. „Mister Hanrhans, wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, nach Afrika zu gehen?" fragte sie. Sic nannte ihn gern Mister" Benedikte fand das albern, und Relly spleenig. „Ra, wie man so auf etwas kommt, Gnädigste. Ich dachte mir: den Kilimandscharo kennt man nur von unten. Da willst Du doch mal sehen, wie er oben aussieht. Und da fuhr ich denn hin; das heißt, halb fuhr ich, halb lief ich." „Ach, Mister Haarhaus, Sie machen immer bloß Unsinn mit uns! Meine Frage war doch ganz vernünftig." „Natürlich war sie das. Aber was soll ich Ihnen sonst ant¬ worten?!" „Sic müssen doch einmal etwas anderes gewesen sein, ehe Sie Asrikasorscher wurden," sagte Benedikte, den Doktor, der ihr sehr imponierte, von der Seite betrachtend. „Oder kommt man als solcher gleich auf die Welt?" „Ich möchte das eigentlich bejahen, gnädiges Fräulein. Der

hielt

Forschertrieb ist etwas Angeborenes. Aber freilich hab' ich die Asritareiserei nicht studiert, wenigstens nicht von vornweg. Ich bin von Hanse aus Jurist. Wissen Sie, was das ist?" „Ja natürlich. Gott, was halten Sie uns für dumm! Ein

Jurist

zu spielen. So recht eigentlich war das Trotzdem schoß er hinter den Mädchen her. Doch sie waren flinker als er; er mußte sich Mühe geben, sie einzuholen. Endlich war er Benedikte dicht auf den Fersen. Er wußte nur nicht, wie er sie fassen sollte — an den Zöpfen ging nicht und an den Röcken war nicht recht passend. So nahm er sie denn um die Taille und ries dabei: „Viktoria!" . . . Erhitzt, lachend und nach Atem ringend lag Benedikte einen Augenblick in den Armen des Doktors. Dann riß sic sich los, blutrot werden, und auch er ward ein wenig verlegen. Durch Trudes Herz aber zuckte es empört und schmerzlich. „O diese Diktc!" sagte sie sich; „sie hat sich absichtlich von ihm fangen lassen!" . . . sischchen Huschekätzchen

seiner nicht würdig.

ist ein Rechtsprecher."

„Leider nicht immer." „Ein Vernrteiler," sagte Trudchen. „Ich wollte nun g'rade Verteidiger werden, Fräulein Palm Aber dabei verstaut der Charakter. Das ganze Menschheitsbild verschiebt sich. Tugend und Laster quirlt durcheinander. Man wird irre an sich selbst. Alan soll einen Lumpen zu einem Gentleman stempeln, und innerlich wehrt man sich dagegenSchließlich machte es mir kein Vergnügen mehr, schwarze Menschen weiß zu wasche», und da ging ich denn lieber ganz zu den Schwarzen." „Wie weit ist eigentlich Mar mit hinaufgeklettert," fragte Benedikte, „ich meine auf den Kilimandscharo?" „Rur ein Stückchen," erwiderte Haarhans mit kühner Stirn. „Dann blieb er am Wege fincn; es war ihm zu beschwerlich. Es ist nämlich ziemlich steil, und oben liegt Schnee." „Relly — schwarzrot! Deine Kugel! . ." Und da Haarhaus sich in diesem Augenblick Umwandte, am Rondel eine Rose für sein Knopfloch zu pflücken, flüsterte Benedikte Trudchen zu: „Du — der ulkt uns an!" „Ach nein, Diktc — glaubst Du?" „Ganz gewiß, aber es schadet nichts. Er ist doch ein pracht¬

voller Mann." Und nun wandte sich Haarhaus zurück und reichte jeder der jungen Tnnicn eine Rose, nachdem er sich selbst eine in das Knopfloch gesteckt hatte. Miß Relly, die er am wenigsten beachtete, erhielt eine blaßrosa, Benedikte eine dnnkelrote, und Trude zu ihrem grenzenlosen Aerger eine gelbe. Die Mädchen dankten und zogen die Rosen durch ihre Gürtel. Aber Trudchen leuchtete die dunkelrote Benediktes in Herz und Seele hinein; dunkelrot hieß brennende Liebe, und gelb war die Farbe des Neides. Trudchen schäumte heimlich vor Wut, und als äußeren Ausdruck ihres Grimms hieb sie, da sie gerade am Spiel war, so gewaltig mit dem Hammer gegen ihren Ball, daß dieser lustig hüpfend die Allee hinunterrollte, immer weiter und weiter, bis er am Rande der Fliederbosketts liegen blieb. , „Aber Trudel!" rief Relly. Dann setzten sich die drei Grazien in Trab, den Ball wiederzuholen. Kaum sah das Haarhans, so trabte er gleichfalls los. Jetzt wurden die Mädchen von Uebermnt ergriffen. Sie flogen wie bunte Pfeile über den Kiessand, 'mal und Trudchen rief: „Wollen Wette laufen, Mister Haarhans!" „So läuft man in Europa, Herr Doktor!" setzte Benedikte hinzu und ihre Zöpfe flatterten hinter ihr her. Der Ball blieb liegen; es gab jetzt wirklich ein Wettrennen. Haarhaus war ein ausdauernder Marschierer, aber kein Schnellläufer. Die Sache strengte ihn an. Es kam ihm auch albern vor, mit den Back-

Achirs Kapitel. Erzählt von cincni sehr wilden Ritte, den Herr Freese unternimmt, und einem Harrassprunge, der merkwürdige Folgen nach sich zieht. Um drei Uhr war der Nachmittagsunterricht von Bernd und Dieter beendet. Freese wollte sich soeben auf sein Zimmer zurück¬ ziehen, um an Reinboldt zu schreiben und ihm die Wünsche der Baronin zu unterbreiten, als ihm Miß Relly oben auf der Diele begegnete. Die kleine Engländerin blieb stehen und schaute in leichter Verlegenheit zu dem Kandidaten ans. „Ach, Herr Freese," sagte sie, „seien Sie mich nix bös: ich habe einen großen Bitte an Ihnen." „Es wird mir ein Vergnügen sein, sie erfüllen zu können. Miß Milton," erwiderte Freese höflich; „womit kann ich Ihnen

dienen?" Relly betrachtete einen Augenblick ihre rosigen Fingernägel und hob dann wieder den Kopf. „Sehen Sie, Herr Freese," begann sie von neuem, „ich sprecken so ein fürchterlich miserables Deutsch ■— und Grammatik gar nicht — ich thu alles durckeinander verwechseln, mir und mich und die und das — und da wollte ich Ihnen einmal fragen, ob Sie mir nicht etwas weniges deutsches Sprackunterricht geben würden wollten. Und namentlich in die Grammatik." In Freeses Herz schlich sich bei dieser Bitte ein warmer Hauch. Man war ihm, der nichts oder wenig zu vergeben hatte, im Leben noch nicht oft bittend entgegen getreten. „Aber natürlich, Miß Milton — sehr gern," entgegnete er; „sogar von Herzen gern. Ich frische dabei meine englischen Kennt¬ Wir können gleich morgen beginnen. Welche nisse ein bißchen auf. Zeit paßt Ihnen am besten?" „O — jeder Zeit, Herr Freese! Es hängt auf Ihnen ab." „Sagen wir von vier bis fünf."

„All right, Herr

Freese."

„Und wo? — In meinem Zimmer?" Relly überlegte rasch. War das auch schicklich? Und wo sonst? In ihrem Zimmer? Das war erst recht nicht schicklich. Außerdem war ihr Zimmer so klein; die große Badewanne, das Symbol angelsächsischer Reinlichkeit, nahm zu viel Raum in An¬

So

nickte sie denn. gut, Herr Freese. Ich danke Ihnen very much indeed." Sie gab ihm die Hand. War das ein warmes, weiches, kleines Pfötchen! Es quoll dem Kandidaten wieder ganz heiß im Herzen auf. Und als er sich in seinem „kleinen Handtuch" an den Tisch setzte, um an Reinboldt zu schreiben, konnte er merkwürdiger Weise gar nicht seine Gedanken zusammenfinden. Die Feder schien sich sträuben zu wollen; er fühlte noch immer das warme, weiche, kleine Pfötchen in seiner Hand. Gegen die Thür polterte und donnerte es. „Herr Freese! Herr Freese!" schrieen draußen Bernd und Dieter. Der Kandidat sprang auf. „Ja?! Was denn?! „Herr Freese — die Pferde stehen vor der Veranda!"

spruch.

„Ist

„Herr Freese — wir wollten doch ausreiten!" Das hatte Freese vergessen. Die Jungen hatten ihn so ge¬ quält, und da hatte er zugesagt. Er hätte ja auch ganz gern reiten gelernt, aber — nun klopfte ihm doch das Herz. Es war sich vor seinen Schülern ungeschickt zu zeigen. komme schon," sagte er resigniert und setzte seinen Hut auf.

ihm peinlich,

„Ich

131

Vor der Rampe stand August und hielt einen unförmlich marode und schläfrig aussehenden Braunen an der Kandare, während Stupps die Zügel der Ponys über den Arm geschlungen hatte. Die Ponys hießen Jnle und Christian und gingen ge¬ wöhnlich im Wagen, waren aber für die Jungen auch eingeritten

— in der That, eine vornehme Passion. So ritten die Kreuz¬ fahrer den Sarazenen entgegen, und die Troubadoure der Provence zum Liebeshof. Guadalquivir klang so ritterlich und romantisch — schade, daß die mächtigen Wampen des dicken Braunen bei jedem Schritt hin- und herschaukelten — das störte die hochfliegenden

worden.

war unangenehm! . . . Bernd und Dieter blickten mit einem gewissen Stolz ans ihren Lehrer. Sie freuten sich darüber, daß ihm daS Reiten augen¬ scheinlich Spaß machte. Aber im Walde wurden sie ungeduldig. „Wollen wir es nicht einmal mit einem kleinen Trabe ver¬ suchen, Herr Freese?" fragte Bernd. „Ach ja, Herr Freese," fiel Dieter ein, „bloß so ein ganz

dicken,

Gedanken und

Braunen mit unverhohlenem Mißtrauen. In der Art, wie das Thier mit den Augen blinzelte, schien ihm eine versteckte Tücke zu liegen. Cs machte den Ein¬ druck, als ob Mensch und Pferd sich gegenseitig durchaus nicht Freese

betrachtete

den

dicken

gefielen.

Aber Freese verlor den Humor nicht. „Ist das der Guadalquivir?" fragte er. „Das ist ja ein Elefant." August lachte gutmütig und gab dem dicken Untier einen Klapps aus den Hals.

„Zum Beispiel, Herr Doktor," antwortete er (er fing gern Auseinandersetzungen mit dem einleitenden „zum Beispiel" an), „das war mal ein wiewes Pferd, wie's noch jünger war. Da haben der Herr Baron mit dem Gallquir über alle Gräben gehoppst' aber der Herr Baron war dunnemals auch noch behendiger. Er frißt zu viel und hat zu wenig Bewegung, und da ist er so'n Unflat geworden." Er meinte natürlich den Guadalquivir. In diesem Augenblick erschien auch der Baron in der Veranda. „Ra nu man rauf, Kandidatus!" rief er. „Der dicke Spa¬ niole thut Ihnen nichts! Den möcht ich mal zu Schwenniger schicken. Können Sie sich denken, daß das einmal ein bildhübsches Vieh war? Aber es ist fünfzehn Jahr her. Meine Frau hat ihn mir geschenkt, und weil mein Schwiegervater damals g'rade einen spanischen Orden bekommen hatte, nannten sie das Biest Guadalquivir. Eigentlich hieß es anders' jetzt könnte man es seine

Mastodont benamsen" . . . Die beiden Jungen saßen bereits in den Sätteln, während Freese nach dem Bügel zu angeln begann. August half ihm dabei, und plötzlich flog Freese in die Höhe und fiel dann schwerfällig in den Sattel zurtick. „Bravo!" rief Tübingen. „Rur die Schenkel mehr anlegen, lieber Freese! Und den Candarenzügel fester! Fäuste nur eine Handbreit über dem Widerrist!. Dem Kandidaten war gar nicht wohl auf der Höhe des Guadalquivir. Bei diesen feisten Flanken hätten seine Beine die Formen eines Kurvenlineals haben müssen, um das „Anlegen" zu ermöglichen. Und wo war denn der Kandarenzügel? Und wo war denn der Widerrist? Bernd und Dieter ritten heran und halsen. Der Guadal¬ quivir hob den Kopf und ließ ein mißbilligendes Schnaufen hören. Christian wollte ihm die Mähne beknabbern, und Jule drängte sich so dicht neben ihn, daß Freese seinen linken Bügel verlor, schließlich kam aber doch alles in Ordnung. Tübingen ermahnte nochmals zu Schrittreiten oder höchstens einem „sanften Kochäppel", und dann setzte sich die Kalvalkade in Bewegung. Anfänglich hatte der Guadalquivir keine Lust dazu) doch als August von hinten nachschob und Bernd den Kandarenhaken packte und das dicke Tier ein paar Schritt weit mit sich zog, fügte sich der Braune. Run ging es ganz gut. Der Guadalquivir trottete dicht neben den Ponys her, hob auch den Kopf etwas freier und wedelte sich mit dem buschigen Schweife die Fliegen vom Fell. Tübingen, August und Stupps schauten den dreien lange nach. „Wenn's man gut abgeht, August," meinte der Baron. „I, es wird schon, Herr Baron," antwortete August. „Zum Beispiel, mit dem Gallquir, der macht alles nach, was die Ponys machen" . . . Anfänglich schien es wirklich so. Auf dem grünen Anger, wo tausende von Gänseblümchen blühten, - stoben die weidenden

....

Gänse schnatternd

auseinander, und die Dorfkinder, die Ringel¬ ringelrosenkranz spielten, blieben mit offenen Mäulchen stehen und bewunderten die drei Reiter. Freese hatte sich im Sattel gereckt und begann sich zu fühlen. Das war wirklich gar nicht so schlimm mit dem Reiten! Wenigstens

ging es noch

glatt genug.

Und es war auch hübsch, sehr hübsch

kleines bißchen!" Und da dem Kandidaten der Mut gewachsen war, so nickte er. „Probieren wir es einmal," meinte er. „Aber nicht zu hitzig, Kinder, nicht zu gewaltsam. Vergeht nie, daß ich zum ersten¬ mal einen Vierbeiner unter mir habe!" Die Jungen juchzten, legten die Schenkel fest und griffen straffer in die Zügel. Die Ponys wieherten ans und trabten lustig davon. Aber der ritterliche Spanier wollte nicht. Guadal¬ quivir blickte ihnen träumerisch nach, schlug ein Rad mit seinem Schwänze und blieb in seinem alten Tempo. Bernd und Dieter schauten sich um. „Hämmern Sie ihm mit den Absätzen in die Seiten!", schrie

Bernd. „Hanen Sie ihn einmal über beide Ohren!" schrie Dieter. Freese bearbeitete den Dicken mit Schenkeln und Stiefelhacken so lebhaft, daß die schwarzen Pantalons immer höher rutschten. Aber den Guadalquivir störte das gar nicht. Da hob sich Freese ein wenig aus dem Sattel' heraus und schlug ihn auf Dieters Rat hin mit der flachen Hand über die Ohren. Guadalquivir schüttelte den Kopf, als wolle er eine Fliege abwehren, und trottete sänftiglich weiter. Jetzt fing der Kandidat an zu schimpfen. Er hatte keine Lust, sich vor den Kindern zu blamieren. Sie sollten wenigstens sehen, daß es ihm nicht an Mut fehlte. Er drängte den Gaul dicht an den nächsten Baum heran und riß eine schmiegsame Gerte vom Stamme. „So, mein königlicher Guadalquivir," sagte er, „mm kann es losgehen!" Hui — pfiff die Gerte durch die Luft und sauste klatschend auf das Fell des Brauneu hinab! Einen Augenblick schien der Dicke völlig erstarrt zu sein — dann aber machte er einen sp gewaltigen Luftsprung, daß Freese fast aus dem Sattel geworfen worden wäre, wenn er dies Geschehnis nicht erwartet hätte. So flog er nur nach vorn, dann aber wieder zurück, während der Guadalquivir, tödlich erschreckt, die Ohren zurücklegte und mit quirlendem Schweife davonjagte — an den beiden Jungen vorüber — immer tiefer in den Wald hinein. „Richt so schnell, Herr Freese!" schrie Dieter. „Wir kommen ja nicht mit, Herr Freese!" schrie Bernd. Der Kandidat wollte sich umwenden rmd etwas zurückrufen, aber er gab den Versuch wieder auf. Er fühlte sich doch etwas locker im Sattel und fürchtete, bei der leisesten, unvorsichtigen Bewegung in den Sand zu fliegen. Der Rutenschlag schien das Ehrgefühl in dem Guadalquivir mächtig aufgestachelt zu haben' auch eine dicke Bremse, die um seinen wie ein Windmühlenflügel Er war arbeitenden Schweif neckend herumflog, ärgerte ihn. nicht mehr zu halten. Er brauste den Weg hinab — an einem Grenzpfahl vorüber mit der Aufschrift „Dominium Langenpfuhl" — dann rechtsum und eine breite Schneise in lang ausholendem Galopp hinunter Das Geschrei der beiden Jungen verstummte hinter dem wilden Reitersmann. Freese legte sich hintenüber und riß mit aller Gewalt an den Zügeln. Aber nun hatte sich auch noch die Bremse festgesetzt — und immer mächtiger griff der Guadalquivir aus. Da packte den Kandidat eine unsinnige Wut. „Bestie!" schrid er, „ich will Dich Mores lehren! . . ." und von neuen: sauste seine Gerte über das Fell. Das war dem Dicken noch nicht vorgekommen. Einen Moment stutzte er, als wolle, er erst den Wegweiser „Erlenbruch, 3 Klm." lesen; dann warf er den Kopf

...

132

Erregung, der Herr ruhiger, doch auch eilenden Fußes. Und plötz¬ lich prallte der Harr zurück) Erstaunen und tödliche Verlegenheit malten sich auf seinem Gesicht.

zurück, und die fetten Beine flogen nur so über die Erde, daß der Sand rechts und links ausstob und die Schaumperlen umher¬

sprühten

in

.

. .

„Herr Freese-Sie —?!" Der Kandidat verbeugte sich tief vor dem Sohne seines Hausherrn. „Ja, Herr Baron," antwortete er. „Aber ich bin unschuldig an dem Schrecken, den ich hier verursacht habe. Ich bin mit den Knaben ausgeritten, und mein Pferd ging durch . . ." Die Dame hatte der Amme inzwischen das Kind abgenommen

Freese hatte sich der Sicherheit halber mit beiden Händen fest die Mähne des Guadalquivir eingekrampft. Ein Gefühl unend¬

Seine Gedanken machten licher Gleichgiltigkeit überkam ihn. wilde Sprünge. „Stürzt das Biest, so brech' ich den Hals," sagte er sich. „Das thäte mir leid) ich habe doch der Miß Nelly Sprachunterricht versprochen. Wenn sie mich so sähe! Ich muß mich gut ausnehmen. So hab' ich mir den Rodensteiner immer Sitzenbleiben ist die gedacht — aber etwas fester im Sattel. 'mal mit einem gutmütigen Zuruf ver¬ Hauptsache. Ich werde es suchen . . ." Und er schrie mit weithin schallender Stimme:' „Oh — oh — ruuhig — riut—hig! . . ." Aber der Guadalquivir nahm keine Rücksicht auf den Gemütsumschlag seines Reiters. Er raste unverdrossen weiter — keuchend, prustend, schäumend. Einmal begegneten ihm ein paar Kinder, die Erdbeeren im Walde suchten. „Haltet ihn ans!" rief Freese. Aber die Kinder flüchteten kreischend hinter die Bäume. Und dann kam ihm ein Tagelöhner mit Reisig auf dem Rücken entgegen. „Aufhalten — aufhalten!" schrie Freese. Doch der Mann sprang nur in höchstem Erschrecken beiseite, und der Guadalquivir stürmte weiter. Er stürmte weiter, als wären hippische Erquicken hinter ihm. Freese gab jede Hoffnung auf. xUasoiato ogni speranza“, dachte er mit Dante) „dagegen war ja Mazeppa ein Herrenreiter. Ich bin gar kein Mensch mehr. Noch fünf Minuten, und ich laß mich selbst von diesem Walroß fallen. Es wäre vielleicht das Beste. Breche ich das Genick, muß ich mich auch darein ergeben. Und das soll ein ruhiges Tier sein! Freilich — ich habe den Satan in ihm gereizt — und das hat er übel genommen . ." „Hollah!" schrie er plötzlich laut auf. „Aufpassen! heda! Aufpassen!

es geherzt und geküßt und sich davon überzeugt, daß der Harras¬ sprung Freeses dem Kleinen nichts geschadet hatte.

„Gott sei gelobt," sagte sie, unter Thränen lächelnd. „Max, was für ein Todesschreck hat mich gepackt! Ich glaubte, ohn¬ mächtig werden zu müssen, als ich den Buben schreien hörte und das Pferd daoongaloppieren sah —" „Das ist der Engel der Kinder, mein Herz. Kindern geschieht selten ein Unglück. Aber warum ist die Kathi nicht am Wagen geblieben?!"

Die Spreewälderin begann wieder zu heulen. Der kleine Eberhard habe so fest geschlafen — und sie hätte nur ein paar Waldblumen pflücken wollen — und das wilde Pferd sei so plötzlich hervorgebrochen — und dann heulte sie von neuem los und hielt sich ihre Schürze vor das Gesicht. :

„Nun

„Den Guadalquivir, Herr Baron." „Du meine Zeit, lebt der immer noch!? Und der ist gegangen?" „Ich muß es zugeben, Herr Baron. ein bißchen zu kräftig angefaßt."

Das Kritische der Sachlage hatte seinen Höhepunkt erreicht. Der Wald lichtete sich zu einer Wiesenniederung. Links erstreckte sich der blau schimmernde Spiegel eines von Binsen umbuschten

.

Ich habe ihn vielleicht

ob er sich geschmeichelt fühlen sollte. abermals dankend verbeugen, aber der Rücken that

Freese wußte nicht recht,

Er wollte

sich

ihm zu weh. Die Dame hatte ihren Arm in den Maxens gehängt und sich mit zärtlicher Bewegung dicht an ihn geschmiegt. „Liebling — wer ist der Herr?" flüsterte sie.

...

.

durch¬

„Und dicht vor den Wagen hat er Sie abgeworfen?" „Im Sprunge, Herr Baron. Er setzte über den Kinder¬ wagen hinüber." Max war wie staxr. „Alle Achtung, Herr Freese," meinte er, „da müssen Sie aber ein brillanter Reiter sein, den dicken Braunen zu einem so mächtigen Sprunge heranzukriegen — sapperlot, das ist ein Kunststück, das nicht jeder kann!"

kleinen Sees, an dem ein Gehöft lag. Und mitten auf dem Wege stand ein Kinderwagen — und gerade auf diesen Kinderwagen raste der Guadalquivir los. „Aufpassen!" schrie Freese noch einmal und zerrte wie ein Verzweifelter an den Zügeln. Die Angst verdoppelte seine Kräfte, doch auch ein Roland hätte den hartmäuligen Braunen in diesem Augenblick nicht bezwingen können . . . Weit und brest wär kein Mensch zu sehen — und immer näher brauste der Guadalquivir an den Kinderwagen heran Da kani dem Kandidaten ein milder Gedanke. Noch hatte er die Weidcngcrte in der Hand! Er ließ mit der Rechten die Mähne frei und peitschte von neuem auf den Gaul los, während er ihm zu gleicher Zeit mit den Ab¬ sätzen wütend in die Flanken schlug. „He — he — hopp!" schrie er dabei, und gab unwillkürlich die Zügel locker . . . Mit einem mächtigen Satz flog der Guadal¬ quivir über das Wägelchen und sauste aufwiehernd weiter. Freese aber fühlte sich plötzlich in freier Luft und wurde dann unsanft

„Ach so!" — und Max wurde wieder etwas verlegen. „Herr Kandidat Freese, Lehrer von Bernd und Dieter . . . Herr Freese, ich bitte' um Verzeihung, daß ich Ihnen meine Begleiterin nicht namentlich vorstellen kann. Ich werde mir erlauben, Ihnen — Vorläufig später die Gründe für mein Verhalten mitzuteilen. kommen Sie bitte mit uns in das Haus. Sie werden sich wahr¬ scheinlich etwas angegriffen fühlen." — „Ein wenig — ja, Herr Baron. Ungefähr so, als wär ich

.

Eine kleine Minute lang war es ihm schwarz vor den Augen, und an seinen Ohren rauschte und siedete es wie fern brandende See. Dann kehrte langsam die Besinnung zurück. Neben sich hörte er das-Geschrei des aus süßem Schlummer erweckten Kindes, gleichzeitig eine laut jammernde Weiberstimme. Eine Dienstmagd oder Amme — denn die Person trug die Tracht der Spree¬ wälderinnen — stürzte mit schreckhaft erhobenen Armen vom Walde aus näher und riß das Kind aus dem. Wagen. Freese hatte sich indessen vom Boden aufgerafft. Aber es kostete ihm Mühe. Jedes Glied an ihm schien gebrochen zu sein) er war wie gerädert. Dennoch wollte er sich mit einigen beruhigenden Worten an die Spreewälderin wenden, als seine Aufmerksamkeit durch ein paar neue Erscheinungen in Anspruch genommen wurde. Aus dem Vorgarten des kleinen Gehöfts stürmten ein Herr und eine Dame herbei; die Dame mit Augstrufen und in großer

Sie gefälligst Ihr Jammern!" befahl Max daß Gott sei dank nichts Schlimmes Gaul haben Sie denn geritten, Herr

Freese?"

..."

zu Boden gesetzt

lassen

„Sie sehen ja, endlich. passiert ist! — Welchen

geradbrecht worden.

Aber vorher auch noch geschunden."

Max lachte. „Ich hätte eigentlich geglaubt, auf den dicken Polstern müßte es sich ganz bequem sitzen." Guadalquivir des „Im Schritt ja. Aber wenn der Guadalquivir temperament¬ voll wird, ist der Sitz schon unangenehmer. Sitz war es zuletzt überhaupt nicht mehr, sondern ein Auf- und Niederwippen, doch kein sanftes und regelmäßiges, vielmehr ein sehr wildes. Ich wundere mich, daß ich noch gehen kann.' Ich habe doch wohl eine zähere Natur, als ich selbst vermutete" . . . Nun war man in dem kleinen und freundlichen, wie es schien ganz einsamen Häuschen. Max ließ den Kandidaten in ein ein¬ -

doch sehr behaglich ausgestattetes Zimmer treten und wies auf das bequeme Sofa den Fenstern gegenüber.

fach, !

(Forrsktzuiig solgt.)

--xW-x.-

133

Großstadt-Poesie. ist falsch, zu behaupten, daß unsere Zeit keine Volkspoesie dÜS) hervorbringe, daß unser Volk in der Stadt und auf dem Lande unpoetisch sei, kein Bedürfnis nach Poesie habe, keine pro¬ duktiven Fähigkeiten mehr besitze. Oder um den vageu Begriff „Volk" auszuscheiden, ob die große Masse nicht unter sich Dichter hervorbringe, die singen und sagen, wie ihnen ums Herz ist, um unbekannt und ungenannt die Augen zu schließen, indeß ein paar ihrer Gedichte weiterleben und zu Volksdichtungen werden. Gewiß ist es richtig, daß die Vorbedingungen zur Entstehung einer städtischen Poesie, einer Großstadt-Volkslyrik ungemein un¬ günstig sind. Das Milieu der Großstadt mit der Fülle seiner Gassenhauer und zuchtlosen Lieder erstickt in vielen den Trieb zum eigenen Schaffen. Wie Dienstmädchen, Arbeiter, Handwerker lieber zum Briefsteller greifen, um anstatt die einfache Sprache natürlicher Empfindung zu reden, möglichst „gebildet" zu erscheinen, so greifen diese untersten Stände der Stadtbevölkerung nach den uächslgchörten

oft ausgesprochenen Anschauung, das Volk sei poetisch unfruchtbar geworden. Das Stadtvolk freilich ist es bis heute gewesen. Man wird sich mit der Thatsache abfinden müssen, daß die vielen Millionen Großstadtbewohner unvergleichlich äriner in der Schöpfung von Volkspoesie sind als die gleiche Anzahl Landbewohner. Und das ist begreiflich und erklärlich. Wenn wir die Fülle volkstümlicher und kunstgemäßer Poesie überschauen, die Deutschland besitzt, so erkennt man in dem Leben der Natur die Hauptquelle aller Poesie. Man nehme dem deutschen Volkslied die Linde, die Eiche, den ganzen Wald, die Nachtigall, die Drossel, den Finken und so fort, die reiche Fülle der Feldblumen, kurz, seine unendliche Vielheit der Naturempfindungen, die der Nicht-Städter bei genügender

Liedern, die Leierkasten, Harseuweiber, Betteljungen u. a. m. ans den Höfen vorragen oder die sie ans dem Tanzboden hören; vermehren Tingeltaugelbesuche das unfeine und triviale Repertoire und die völlige Unmöglichkeit, ein wirklich gutes Lied zu hören, vervollständigt die Verbildung des Bolksgeschmacks und verkrüppelt zumeist die Lust zur eigenen Produktion. Dazu kommt, daß die schwere Arbeitslast, die der Kampf ums Leben den niederen Ständen auferlegt, ihnen die Lust an der Poesie zumeist verkümmert. Was an intellektuellen Werten über¬ schüssig ist, der Rest von geistiger Kraft, wird ans Politik verwandt, und nicht gering ist die Zahl der Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich heimlich zu Rednern ausbilden und in Arbeiterschulen und Volksversammlungen glänzen. Sie finden in ihren Kreisen Wider¬ hall und Teilnehmer; Vorträge über Lassalle, das Reich der Inkas in Peru, die Entstehung der Dampfschifffahrt u. s. w. werden von be¬ scheidenen Intelligenzen gehalten und von noch bescheideneren dankbar aufgesogen. Aber noch ist kein Arbeitcrpoet aufgestanden,- ans dem Milieu' der Maschinen des großstädtischen Proletariats heraus. Diese stumpfe Umgebung, diese jede Individualität mordende Be¬ schäftigung, diese nivellierende Thätigkeit duckt poetische Begabungen erbarmungslos zu Boden. Anders ist es mit der Entstehung neuer Volkspoesie in der reinen Luft des Landes. Ich spreche hier nicht als Schüler Rousseaus, obschon ich den Genfer Träumer, diese Mischung von Narr und Genie innig liebe. Aber auf dem Lande nehmen die Sinne nicht jene unzähligen Eindrücke wahr, wie in der Großstadt. Zwar werden sie nicht so empfindlich differenziert, wie .die von Großstädtern, dafür aber auch nicht so überangestrengt, zermartert, vernichtet. Der Städter lebt intensiver, aber der Dörfler tiefer. Des einen Ohr hört in einer Stunde hundert Wagen rollen, der andere sieht an vielen Tagen keinen einzigen. Und doch, wie ver¬ schieden sind diese Eindrücke in ihren Folgen, in ihrer Kraft! Was lösen sie in beiden für verschiedene Empfindungen aus! Die innere Sammlung, diese eine Vorbedingung volkspoetischen Schaffens, ist auf dem Laude vorhanden. Und dieselbe Reichhaltig¬ keit deS Erlebens wie vor Jahrhunderten und die Möglichkeit, es festzuhalten, auch. Der Winter mit seiner Abgeschlossenheit, die Abende mit ihrer Schönheit, die Tagarbeit in der freien Natur, lösen noch heute soviel Volkspoesie aus, wie jemals in früheren Jahrhunderten. Nichts verkehrter und irriger, fern von jeder Ein¬ sicht in das Seelenleben des Landvolkes ist die Ansicht, als ob es jetzt unpoetisch sei und nicht mehr Lyrik produziere.

spielen die Eindrücke ans der Kindheit eines Poeten zeitlebens eine große Rolle. Gustav Freytag behauptet zwar von sich: „Das heitere Licht, welches durch glückliche Häuslichkeit und durch die Zärtlichkeit guter Eltern über das ganze Dasein des Kindes ver¬ breitet wurde, bewahrt der ältere Mann in der Erinnerung als das höchste Glück seiner Jugend, aber schildern läßt sich davon nur wenig," — jedoch die Beobachtungen und Bekenntnisse anderer Dichter widersprechen dem ganz und gar. Gerade die Jugend ist ausschlaggebend für die Geistesrichtnng einer dichterischen Natur. So gesteht Goethe noch als alter Mann: „Ja, wenn man in der Jugend nicht tolle Streiche machte, und mitunter einen Buckel voll Schläge mit wegnähme, was wollte man dann im Alter für Betrachtungsstoff haben?" Und Friedrich Hebbel spricht es noch offener aus: „Ich bleibe dabei: die Sonne scheint dem Menschen nur einmal, in der Kindheit und der früheren Jugend. Erwärmt er da, so wird er nie wieder völlig kalt, und was in ihm liegt, wird frisch herausgetrieben, wird blühen und Früchte tragen. Tieck sagt in diesem Sinne irgendwo: Nur wer Kind war, wird Mann; ich erbebte, als ich dies zum erstenmal las." Und Alphonse Daudet, der große französische Dichter, dem deutsches Gemüt nicht fremd war, sprach einmal mit seinem Sohne von seiner Kindheit, um dann fortzufahren: „Für die, die der Genius mit seinem Finger berührt hat, sind solche Empfindungen ein unerschöpflicher Schatz. Sieh, wie die Goethe, die Hugo, die Chateaubriand und Renan immer wieder mit traurigem Lächeln das Haupt rückwärts wenden. Sieh, wie sie sich über ihre Wiege beugen. Im Innersten ihres Wesens giebt es unerforschte Gegenden, aus denen wunderbare Träume über sie kommen. Was einst ihre kleinen Hände berührt,

sie festzuhalten sind schwerer geworden. sie drucken zu lassen, ist nur scheinbar ein für die

Gewiß, die Bedingungen,

Die Möglichkeit,

Verbreitung günstiges Moment. Vorhandene, bereits gesungene, Volkspoesie, die von Lippe zu Lippe fliegt, gedruckte Lieder, die von Hand zu Hand gehen, fördern vielleicht den Nachahmungstrieb, aber nicht den Trieb zur originalen Produktion. Alle Naturvölker erzeugen Poesie aus dem Augenblick für den Augenblick. Sowie — sei cs durch mündliche sich bestimmte Formeln gebildet haben Tradition festgelegt oder schriftlich fixiert — erlahmt die poetische Thätigkeit jedes einzelnen und benutzt die bereits vorhandene episch erstarrte Poesie. Genau so wie einzelne Negerstämme es aufgaben, sie im sich ihre nationalen Schurzbekleidungen herzustellen, als Kattun einen Ersatz fanden, dessen Ankauf ihnen viel Arbeit ab¬ nahm, also ihre Faulheit bestärkte. So scheint cs mir gewiß, daß die bereits vorhandene Stofffülle von Poesie einer reichen Neuschöpfuug hinderlich ist. Der Bauernbursch, der ein Abschicdslied dichten könnte, wenn er wollte, der aber von der in ihm schlummernden Kraft keine Ahnung hat, singt lustig die Lieder, die er vom Vater, dem Nachbar, oder der Liebsten gelernt hat. So ist es begreiflich, daß die Produktion von Volkspoesie in diesem Jahrhundert spärlich ist, aber sie berechtigt nicht zu der

Kultur der Seele besitzt, und die ganze Poesie ist nicht mehr. Die namenlosen unbekannten Verfasser der Volkslieder, die Kunst¬ poeten, sie alle operieren mit dem Material, das sie in der Naturgesehen, und aus der Natur herausgeholt haben. Namentlich

ihre Augen gesehen hatten, läßt ihnen, wie uns allen, keine Ruhe. schönsten Saiten sind von Jugend durchtränkt." Jugend uuh „was ihre Augen gesehen haben." Was sieht ein Großstadtkind? Berlins Kinder können daraus Antwort geben. Eine Anzahl Lehrer, die die Berliner Schulkinder in den ersten Schuljahren zu unterrichten hatten, unterzogen sich der Mühe, zu prüfen, welchen Dorstclluugs- und Anschauungskreis das kindliche Gemüt in die Schule mitbringt. Die „Blätter sür Knabcnhaudarbeit" haben unlängst sehr interessante Mitteilungen darüber gemacht. In diesem Bericht heißt es: „Wenn man mit den zur Osterzeit in die Schule eintretenden Kleinen die ersten

Ihre

...

Untcrrichtsversuche macht, treten einem, neben geistig regen, eine große Anzahl solcher Schüler entgegen, von denen man annehmen möchte, sie seien bis dahin blind und taub gewesen. Auch später wo immer wieder au die als vorhanden vorausgesetzten Anschauungen der Kinder angeknüpft wird, macht man dieselbe Wahr¬ nehmung. Besonders den Kindern der Großstädte mangelt es an solchen Naturauschauungen, die die Grundlage unseres geistigen Lebens bilden: an Wahrnehmungen aus Wald und Feld, von Bergen, Thälern und Gewässern, von den einfachsten Beschäftigungen der Menschen rc. So ergab sich z. B. bei einer in mehreren Schulen Berlins veranstalteten Prüfung, daß von sämtlichen ge¬ fragten Schülern von sechs und mehr Jahren gegen 70 pCt. keine Vorstellung von Sonnenaufgang und 54 pCt. keine von Sonnen¬ untergang besaßen, ferner hatten 76 pCt. keinen Tau gesehen, 75 pCt. keinen lebendigen Hasen, 64 pCt. kein Eichhorn, 60 pCt. keinen Kuckuck, 82 pCt. haben keine Lerche gehört, 49 pCt. keinen Frosch, 53 pCt. hatten keine Schnecke gesehen, 87 pCt. keine Birke, 59 pCt. kein Aehrenfeld, 66 pCt. kein Dorf, 67 pCt. keinen Berg und 89 pCt. keinen Fluß. Mehrere Schüler. wollten einen See gesehen haben, bei genauerer Nachforschung ergab sich jedoch, daß sie einen Fischbehälter auf dem Marktplatz meinten." Berlin wurde probeweise einmal auch eine höhere Klasse einer Mädchenschule, die nahe dem Rosenthaler Thor lag, ausgegefragt, wer schon auf einem Berge gewesen sei. Da wurde von ■

In

134

allen der Pfefferberg, von einigen noch der Windmühlenberg nnd der Kreuzberg genannt. Die Kinder betrachteten ein Vergnügungs¬ lokal als wesentliches Merkmal des Begriffes „Berg". Wenn man sich klar macht, das; die Hauptvorstellungskreise des Landlebens, die zumeist den Stoff für die Poesie abgegeben haben, den großstädtischen Kindern fast ganz oder meist fremd

einer

deren regen Anteil nimmt, ist öfter die der Roland wirklich existiert, wo

Entstehung der deutsche Kaiser so Frage ausgeworfen worden: Hat hat er gestanden, wie sah er ans? Nun, daß Berlin eine Rolandssäule wirklich besessen hat, ist historisch unanfechtbar bewiesen. Im alten „Berlinischen Stadtbuch" steht bei Auszählung der Häuser um die St. Nikolaikirche, die den Martini Zins bezahlen: „Das fünfte Haus gegen den Rnlaud — die alte Schreibweise — gelegen, zahlt 10 Schilling Pfennige" und an einer späteren Stelle bei der Auszählung der zum Ruthen und Wäden Zins verpflichteten Häuser: „Auf dem alten Markte das nächste Eckhaus bei dem Anlande hat hinten 12 Ruten. Von den beiden Eckhäusern au der Lappstraße hat dasjenige au der Ecke, welche dem Rulande zunächst liegt, hinterwärts 10 Ruten und die andere Ecke 5 Ruten." Mit dieser urkundlichen Notiz ist nun nicht nur die Existenz eines Berliner „Rolandes" erwiesen, sondern wir können uns hier¬ nach sogar ziemlich genau, den Standplatz desselben rekonstruieren. Der erwähnte „alte Markt" ist nämlich der Molkenmark't, und die Stelle, an der die Bildsäule gestanden haben muß, etwa an der Ecke der Molkenstraße, gerade gegenüber

dem

Hauptportal

des

ehe¬

maligen Polizei-Präsidialgebäudes. Wie und wann die Rolandssäule in Berlin g,'endet, darüber laufen wohl sagenbaste Gerüchte, jede ans historischen Wert Anspruch machende Angabe fehlt indessen. Daß Kurfürst Friedrich II., nachdem er die halsstarrigen Berliner, die sich von 1142—1448 trotzig gegen die Zollernaufgelehnt hatten, gänzlich Herrschaft unterworfen und ihre Ltadt eingenommen hatte, ihnen auch das Symbol ihrer Frei¬ heit, die Rolandssäule nahm, ist wohl möglich, jedoch findet sich nirgendwo ein urkundlicher Beleg für diese Annahme. Eine Sage giebt au, man habe später bei baulichen Arbeiten im kurfürstlichen Schloß im Keller die steinerne Bildsäule -

eines riesenhaften Ritters gefunden und dies sei der alte Roland gewesen, den Friedrich II. habe den Bürgern wegnehmen und aus sei» festes Schloß an der Spree bringen lassen; aber es ist eben eine Sage. Willibald Alexis läßt in seinem „Roland von Berlin" die Bildsäule nach der langen Brücke schleifen und dort in die Spree stürzen, er hat aber für diese, wie für alle Angaben seines Romans keine andere Deckung als die poetische Freiheit des Dichters.

Wie der Roland ausgesehen haben mag, darüber kann man Vermutungen anstellen, an der Hand der noch vor¬ handenen Standbilder dieser Art, soweit sie ans der Zeit von 1442, wo der berliner Roland zum letzten mal er¬ wähnt wird stammen. An¬ genommen hat man dies vom Brandenburger Roland. Die anderen Bildsäulen sind meist später, oft an Stelle voll¬ kommen verrotteter hölzerner

Standbilder entstanden. Annahme

Fidicins

I.

land r.

Bo ^^eitdem der italienische Dichterkomponist Leoucavallv mit MH neuen Oper der „Roland von Berlin" beschäftigt ist, an

bleiben, so erscheint es klar, daß eine Poesie, die. ans der Gro߬ stadt und ihrem Milien ihre Stoffe nimmt, sich ganz anderer Mittel nnd, Ausdrucksformen bedienen muß, um ihrer Probleme Herr zu werden. Bon der Poesie dieses Lebens speziell des berliner Lebens im L. nächsten Aufsatz.

Die

daß auch

der Berliner Roland von Holz gewesen sei, hat also viel für sich. Es würde sich bei dieser Annahme auch das vollkommen spurlose Verschwinden des Stand¬ bildes leicht dahin erklären lassen, daß bei den politisch mißlichen' Zeiten, den Bürgern ein Wiederaufrichten des verfallenen und von der Zeit zerfressenen alten Standbildes nicht ratsam erschien.

Unland in Brandenburg.

.

Jedenfalls kann man aber für den Berliner Roland die den anderen Rolandssäulen eigenen Charakteristika ohne weiteres auch annehmen: übermenschliche Größe, hoch erhobenes Schwert, Ritter¬ rüstung aber das Haupt ohne Helm. Wir haben uns keinesfalls ein hervorragendes Kunstwerk vorzustellen, es würde sonst eine leuchtende Ausnahme bilden, da alle sonst vorhandenen Rolands¬ säulen recht rohe Skulpturen sind, bei denen sogar meist die ein¬ fachsten Proportionen vollständig verfehlt sind. Ueber den Brandenburger Roland schreibt Gottfchling in seiner 1732 erschienenen Beschreibung der Stadt Alt-Brandenburg: „8 V. Hart an dem Rath Hause steht nunmehr der Rnlaud oder Roland. Dieser steinerne und geharnischte Mann stand vor diesem mitten auf dem Markt, bei der vorigen Corps de Garde. Allein i. J. 1716 ward er auf hohen Befehl, den 27. Oktober von seinem vorigen Ort weg, und' an die Thür des Rath Hauses gerücket, wo er noch stehet und das Gesicht gegen das Stein Thor zukehret. Er ist acht und eine halbe Elle lang und drei Ellen dick, hält in der rechten Hand ein langes Schwert und in der linken ein Dolch Gefäß, welches einige für einen Dolch, andere aber für ein Horn, Olivant, ansehu. Bei seiner Fortrückung hatte er das Glück, daß er mit einem neuen Kleide beehret, das ist mit _ dauerhaftiger Aschersarbe überstrichen und der Küraß mit Gold ausstaffieret ward. An der Stütze, gegen die sich die Rolandsfigur lehnt, ist hinten eine Inschrift angebracht 1474 — Renovata est haec statua anno 1556—1709. Die erste dieser Zahlen ist oft falsch gelesen worden; denn sowohl Heffter in seiner 1840 herausgegebenen Geschichte Brandenburgs, sowie Adler in den „Mittelalterlichen Backsteinbauten des preußischen Staates" geben 1404 für Errichtung des Rolands an; an anderer Stelle wird 1454 genannt; die neuere Forschung hat aber dargethan, daß das rätselhafte Zeichen, das bald als 0, bald als 5 gedeutet wird, ein nach unten geöffneter spitzer Winkel, nur die Zahl 7 sein kann. Diese Angabe für die Errichtung des heutigen Standbildes widerspricht auch gar nicht der Behauptung, die durch einen von Heffter abgedruckten lateinischen Vers aus dem „alten Brandenburger Stadtbuch" unterstützt wird, daß 1404 ein Rolandsbild errichtet wurde. Man wird da eben das verfallene Holzbild durch ein steinernes ersetzt haben. Die er¬

mähnte Veränderung des Standortes hat König Friedrich Wilhelm II. 1716 auf eine Eingabe des vereinigten Bürgermeisters und Rats der Stadt hin angeordnet. Daß im Jahre 1404 schon ein Roland gestanden hat, als der neue errichtet wurde, ist unzweifelhaft; denn urkundlich wird er schon im Jahre 1315 erwähnt. Andererseits weist aber die Tracht des jetzt stehenden Standbildes auf das Ende des 15. Jahrhunderts hin; denn erst da verstanden es die Waffenschmiede, derartige Halsbergen, wie sie hier sehr ausgearbeitet vorhanden ist, zu fertigen. Wir sehen also bei genauerer Unter¬ suchung, daß auch der Brandenburger Roland in seiner jetzigen Gestalt höchstens für das allgemeine, sicher aber nicht für die Einzelheiten der Rekonstruktion eines Berliner Rolandsbildes brauchbar wäre. Der ästhetische Gesamteindrnck der Bildsäule, die in ihrer ganzen Höhe beinahe 6 m mißt, ist, wie unsere Abbildung zeigt, mehr merkwürdig als schön. Die Dimensionen des Kopfes, der zu groß erscheint, und der lächerlich kleinen Hände paffen gar nicht zu den anderen Maßen und trotzdem die einzelnen Stärkemaße, iz. B. Wadenstärke fast 1 in) recht groß sind, genügen sie doch nicht für die Proportionen des Riesenbildes, so daß das Ganze überschlank wirkt. Die senkrechten Maße neben den Bildern bedeuten Manneshöhe. Denselben Eindruck übergroßer Schlankheit hat man vom Stendaler Roland. Götze in seiner „Urkundlichen Geschichte der Stadt. Stendal" 1873 beschreibt ihn folgendermaßen: „Der Roland steht unter freiem Himmel auf dem Markt vor der Gerichtslaube auf einem steinernen Piedestal von 1,308 in Höhe. Er ist eben¬ falls aus Stein gemeißelt; vorher hat er ohne Zweifel, wie alle Rolande, über welche unsere Nachrichten weiter hinaufreichen, aus Holz bestanden. An Größe gehört er zu den ansehnlichsten seines Geschlechts und wird nur von den Rolanden zu Bremen und Wedel übertroffen; denn er mißt von der Sohle bis zum Scheitel 5,414 in, und mit der eisernen Feder auf der Kappe oder Sturm¬ haube 5,963 in. Die technische Ausführung gereicht seinem Ver¬ fertiger nicht zur Unehre. Sein Kostüm ist das des vornehmen Kriegers im spätesten Mittelalter: schwere Plattenpauzer am ganzen der Rechten hält er das mächtige gerade Schwert, das Körper. allerdings nicht, wie in einem sonst schätzenswerten Buche zu lesen

In

135

ist, 12 Ellen mißt, aber doch immerhin mit dem Griffe die re¬ spektable Länge von 4,394 m zeigt. Er hält es so, daß er die rechte Faust steif gegen die Brust kehrt und das Schwert schultert, gleichwie eine versteinerte riesige Schildwacht: dazu paßt auch die ganze Stellung der Figur und die etwas gespreizten Beine, wodurch man den Totaleindruck gewinnt, als sei dem steinernen Recken be¬ wußt, daß er recht lange hier zu stehen haben werde, und als habe er deshalb eine recht ruhige, aber auch recht feste und sichere

Stellung angenommen. Seine linke Hand faßt den verhältnis¬ mäßig kleinen Schild mit dem brandenburgischen Adler. Das ernste, biderbe Gesicht trägt einen Schnurrbart." Die Statue lehnt gegen eine steinerne Stütze, welche etwas höher ist als die Beine und rückwärts die eiugehaueneu Jahres¬ zahlen zeigt: 1525 — Renov. 1698 — 1837 — An dieser Stütze befindet sich rückwärts ein lachendes Narrenbild, der sogenannte Eulenspiegel, und am vorderen Teil, zwischen den Beinen des Rolands sichtbar, eine menschliche Figur, die einen Strick zu halten scheint: darunter auf einem Stcinwürfel eine Figur, wie ein Affe mit einer Scheibe oder einem Spiegel. Im Verhältnis zu ihrer bedeutenden Länge ist die Figur schmächtig, doch nicht so sehr als es scheint: es hat daher schon mancher ungläubig den Kopf geschüttelt und siegesgewiß, aber nicht siegreich dagegen gewettet, wenn ihm gesagt wurde, daß die Wade des Roland stärker sei, als ein sehr kräftiger Mann um die Brust. Das Stendaler Standbild kann ebenfalls nur die Erneuerung eines andern Rolands sein, der schon vorher an derselben Stelle ge¬ standen hat. Denn wenn auch 1518 Joachim I. den Stendalern die 1488 von Johann Cicero genommene eigene Gerichtsbarkeit wieder erteilt hatte, so war doch gerade die Halsgerichtsbarkeit ausgeschlossen. Es ist also kaum anzunehmen, daß 1525, dem in die Statue eiugehauenenJahre,ein Roland neu ausgerichtetwordenist. Daßdieaugenblicklich noch stehende Bildsäule aus dem angegebenen Jahre 1525 stammt, ist andererseits ganz unzweifelhaft, denn sie weist in ihrem Kostüme die ganz bezeichnenden Merkmale dieser Zeit auf, den kannelierten Maximiliansharnisch mit dem sogenannten Bärenfuß als Fußpanzer, den starkentwickelten Brechrändern der Achselstücke, die bestimmt waren, seitliche Angriffe gegen Kopf und Hals ab¬ zufangen, und der Brayette zwischen den Beinen. Auf einem Doppelthaler von 1509 ist Kaiser Max, der Erfinder dieser Har¬ nische, genau in einem solchen abgebildet. Aus dieser Tracht des Rolandes geht aber anch hervor, daß sein Verfertiger sich wenig oder garnicht um das Aussehen des alten Standbildes, das sein Werk zu ersetzen bestimmt war, gekümmert hat, denn der MaximiliansHarnisch ist nicht vor 1495 aufgetaucht, während das alte Bild sicher einer sehr viel früheren Zeit, wahrscheinlich der Wende vom 13. znm 14. Jahrhundert entstammt haben muß. Anders steht es mit dem Zerbster Rolandsbild. Hier hat sich der Künstler höchstwahrscheinlich nach dem alten Rolandsbilde

sagt in seinen „Deutschen Rechts Altertümern": „Der gegenwärtig noch vorhandene, aus Stein gehauene Roland ist nach der Angabe von Pnttrich*) im Jahre 1445 neu errichtet worden, wahrscheinlich, um ein älteres aus Holz geschnitztes Bild zu ersetzen." Äirschner in seiner „Urknndcnsammlung der Ge¬ schichte von Anhalt Zerbst" behauptet daß dieser schon 1385 aus seinem heutigen Platz gestanden habe. Die Tracht des Standbildes ist nun eine Mischung von Ringpanzer und Plattenpanzer. Der Platienpanzcr begann in der Mitte des 14. Jahrhunderts den Ringpanzer zu verdrängen, und in dieser Uebergaugszcit muß wohl das alte Standbild errichtet worden sein: indem er diese Bekleidung auf das neue mit herübernahm, gab der Künstler diesem eine Tracht, die 1445 nicht mehr für die streng ritterliche gelten konnte, die doch für ein RolaudSbild Bedingung tvar. Nur der voll¬ ständige Handschuh, nicht, wie beim allbekannten Bremer Rolande, der nur halbgefingerte, wie der Schnabelschuh, der in dieser niedrigen Spitzbvgcnform von 1440—1470 getragen wurde, ist vom Künstler dem Kostüm seiner eigenen Zeit entlehnt. Mit dem Bremer Rolande hat der Zerbster viel Aehnlichkeit: jener ist aber typisch in die Tracht der Mitte des 14. Jahrhunderts gekleidet. Sie haben außerdem beide das Gemeinsame des Baldachinartigen Es ist also wohl anzunehmen, daß der Zerbster Ueberbaus. hölzerne gleichzeitig mit dem Bremer steinernen Rolande aufgestellt

gerichtet.



Zoepfl

worden ist.

Der spätest Entstandene ist der Perlebcrger Roland. Zoepfl sagt über ihn: „Der Roland lehnt mit dem Rücken an eine Säule, welche die Jahreszahl 1546 trägt, wahrscheinlich das Jahr der Erneuerung eines älteren, beziehungsweise der Errichtung dieses steinernen Standbildes, jedoch ist über das Vorhandensein eines älteren keine Nachricht vorhanden." Indessen stellt Stoppen deck in seinen „märkischen Forschungen" in Abrede, daß sich im des Mittelalters in herzoglich auhaltlscheu Lande,,. ») Puttlich, Deukmät« der Baukunst

16. Jahrhundert irgend Rolandssäulen finden. die Zeit der Errichtung, Jahr 1546: sie ist eine

welche Spuren der ersten Errichtung von Die Tracht ist hier gar kein Anhalt für höchstens bestätigt sie das eingemeißelte

Phantasietracht, wie sie nie und nirgends in dieser Form getragen worden ist: der Perleberger Bildhauermeister hat sie ganz im Geist seiner Zeit, der Hochrenaissance, ge¬ schaffen. Der ornamentale Schmuck der Panzerung ans der Brust wie am Schurz ist ganz im Stil dieser Zeit gearbeitet und in den Formen der Panzerung zeigen sich mit altrömischen Elementen die bezeichnenden Merkmale des Eindringens der Kenntnisse von der

„wiedergeborenen" Antike. Wenn man nun nicht annehmen will, den Perleberger Künstler, wie es damals oft geschah, seine Wanderjahre nach Italien geführt und ihm so das Wipen und den Ursprung des neuen Stils erschlossen hatten, so kann man das Standbild sogar nur in eine noch spätere Zeit, vielleicht das Ende des 16. Jahrhunderts datieren. Wie abweichend die ganze Erscheinung des Perleberger Rolandsbildes von den anderen ist, zeigt unsere Abbildung. Es ist übrigens schon Beckmann ausgefallen, der in seiner „Beschreibung der Mark" sagt: (die Rolands-Säule) hat darin etwas Sonderliches, daß sie bärtig ist, da die anderen Das Piedestal gehört mit sich mehrenteils ohne Bart darstellen. seinen sehr verwitterten nackten Kindergestalten in den acht einzelnen Feldern unzweifelhaft einer viel früheren, kaum genau bestimm¬ baren Zeit an. Lange hat der Kamps der Meinungen hin und her gewogt über die wahre Bedeutung der Rolandssäulen. Nirgendwo findet Die Bedeutung muß sich eine Urkunde, eine Inschrift darüber. daß

jedenfalls unseren Altvordern so selbstverständlich gewesen sein, daß urkundliche Festlegung nirgends Bedürfnis war. Der neueren Forschung Resultat ist, daß der steinerne Recke überall vor dem Rathause auf dem Markt der Stadt stehend als das Symbol der selbstherrlichen Gerichtsbarkeit jeder Stadt über Leben und Gut ihrer Bewohner, als Palladium ihrer po¬ litischen Freiheit anzusehen sei. Die Tra¬ dition des Rolands wurzelt hauptsächlich im niedersächsischen Volksstamm, und wo sich heut noch Rolandssäulen finden, ist es hauptsächlich in Städten mit ursprüng¬ lich niedersächsischer Bewohnerschaft. Aber auch in die slavischen Gegenden, die von ihnen kolonisiert wurden, pflanzten die Elb- und Wesersachsen ihre Rolande. Die größten sind die zu Bremen, Vedel, Stendal, Perlcberg, Belgern, Zerbst. Doch auch nach Osten bis Polzin in Pommern, Elbing und Königsberg in Preußen hat Roland sein Reich ausge¬ dehnt. Auch in Herrmannstadt in Sieben¬ bürgen haben die ausgewanderten Sachsen

in zähem Festhalten an heimatlichem Gebrauch und Sitte ihren Roland auf¬ gerichtet. Ganz unerklärlich ist das Vor¬ kommen des Standbildes allerdings in

Ragnsa in Dalmatien.

Man hat in den Rolandsbildern ein Bildnis Kaiser Otto ll. sehen wollen und in den oft zu seinen Füßen und am Postament abgebildeten rätselhaften kleinen Gestalten einen der überwundenen Heidentonige, die der Kaiser „mit Füßen tritt", — mit wieviel Berechtigung, sei dahin¬ gestellt.

Daß zur Zeit der Errichtung des Bremer Rolandsbildes schon eine der heutigen Auffassung ähnliche Bedeutung darunter verstanden wurde, beweist die Inschrift auf seinem Schild: vryheit do ik ju openbar De Karl und mamiick vorst vorwahr Dcper stedc geghevcn hat Des danket Gode is min

radt.

Freiheit

thu

Luch offenbar, Die Karl und mancher Fürst fürwahr gegeben Dieser Stadt hat, Des danket Gott, so ist mein Rath! ich



Roland in Stendal.

136

Von der chemischen Industrie in der Mark. Von

Paul Mirschfeld.

^Ln

der Vorrede zu seinen chemischen Briefen hat Justus den Ausspruch gethan, daß jeder einzelne an den Fragen beteiligt sei, die sich an die Anwendung der in den Naturwissenschaften erworbenen Gesetze knüpfen, daß diese Gesetze den zukünftigen geistigen und materiellen Fortschritt im gesamten Staatsleben der Völker beherrschen. Das Zutreffende dieser Worte des großen Reformators auf dem Gebiete der Chemie, Physiologie und Landwirtschaft tritt heute, wo die Wissenschaft in ihrem Eroberungszuge der Natur mehr und mehr die Waffen abnimmt und die schaffenden Kräfte der Menschheit dienstbar macht, in über¬ Noch vor fünfzig Jahren hatte zeugender Weise zu Tage. man im Volke von dem mächtigen Einfluß der Naturforschung auf das Kulturleben nur eine dunkle Vorstellung. Der Glaube an die Macht der Wissenschaft war noch nicht erstarkt. Man hörte wohl, daß die Chemie den Wunderschlüssel besitze, der das geheimnisvolle Reich der stillen Kräfte erschließe; aber da die Nutzbarmachung dieser Kräfte für das menschliche Dasein noch eine äußerst be¬ schränkte war, so schenkte mau den einzelnen Errungenschaften keine rechte Beachtung. Man begnügte sich eben nicht mit den Erfolgen im Laboratorium, sondern wollte die Wirkung dieser Erfolge und ihren Nutzen im praktischen Leben sehen. Daher kann es auch nicht Wunder nehmen, daß die während der zweiten Hälfte des achtzehnten

von Liebig

Jahrhunderts

erfolgte

Kohlen¬ säure und des Sauer¬

Entdeckung der

stoffs,

welche zur Er¬ kenntnis der Zusammen¬ setzung der Atmosphäre, des Wassers und der festen Erdrinde führte, die All¬ gemeinheit völlig unbe¬ rührt ließ. Vermochte man doch selbst in gelehrten Kreisen nicht zu ahnen, LebenSwelche reichen früchte diesen Errungen¬

entsprießen, daß die Grundlage der sich

schaften sie

bald

daraus

als

selbst¬

ständige Wissenschaft von der Physik trennenden Chemie bilden würden.

Bekanntlich betrach¬ teten die Alten die atmo¬ sphärische Luft, welche die Erde in steter Bewegung um¬

flutet, als etwas Ganzes, Unteil¬ bares, als das Leichte, Unwäg¬ bare und nach oben Strebende, kurz, als eine

Elementarkraft, die

mit der Erde,

dem Wasser und dem Feuer aus dem Urstosf her¬

Roland in Pcrlrborg.

Torricelli

vorgegangen sei. Während die von Aristoteles her¬ rührende Lehre von den vier Ele¬ mentarkräften sich bis in die neueste

Zeiterhielt, konn¬

um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts unwiderleglich nachweisen, daß die Lust nichts Wesenloses, sondern einen Körper darstelle, der sich wiegen lasse und, wie er in dem von ihm erfundenen Barometer offenbarte, einen meßbaren Druck ausübe. Trotz dieser bedeutsamen Entdeckung, deren Nutzanwendung beute so allgemein ist, daß man in dem Gesetze, auf welchem sie te schon

beruht, etwas völlig Selbstverständliches sieht, trotzdem bald darauf Robert Boyle den gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen dem Druck und dem Volumen der Gase aufdeckte, verging noch mehr als ein Jahrhundert, ehe man völlige Klarheit über das Wesen der atmosphärischen Luft erlangte. Es war im Jahre 1755, als der Chemiker Joseph Black in Edinburg bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die Wirk¬ samkeit der Magnesia, des Kalkes und anderer Basen ein Gas gewann, dem er, weil es von den Alkalien gebunden oder fixiert wird, die Bezeichnung „fixe Luft" gab. Er hatte nicht die geringste Idee von der Wichtigkeit seiner Entdeckung, keine Ahnung davon, daß das von ihm erschlossene Gas einen allerdings winzigen Be¬ standteil der Atmosphäre bilde, ohne welchen die Pflanzen nicht zu leben und sich nicht zu verjüngen vernrögeu, daß es gelöst in allem Ouellwasser enthalten sei und diesem seine erfrischende Kraft verleihe. Erst dem Genie eines Lavoisier blieb es vorbehalten, das Wesen dieses Gases, der Kohlensäure, sowie eines 1774 von dem englischen Naturforscher Joseph Priestley entdeckten anderen Gases von wundersamer Wirkung wissenschaftlich fest¬ zustellen und daraus die Fundamente für seine weltbewegende Oxydationstheorie zu gewinnen. Priestley machte nämlich die Beobachtung, daß man durch starkes Erhitzen von Ouecksilberkalk eine farblose Lustart erziele, welche bie erstaunliche Eigenschaft besitzt, dem Verbrennungsprozesse eine weit lebhaftere Feuererschcinung zu geben, als unter der Ein¬ wirkung der gewöhnlichen Luft. Lavoisier erkannte nun, daß dieses Gas denjenigen Bestandteil der Atmosphäre bilde, von dem die Entstehung und Entwickelung des organischen Lebens abhänge, und dessen Dasein auch die Verbrennung bedinge, und ging sodann, wie wir dies bereits in einer früheren Schilderung ausführten, mit den unbesiegbaren Waffen der exakten Forschung gegen die aus reiner Vermutung ausgebaute Phlogiston-Theorie zum Kampfe vor. Diesem Gase, dessen Ergründung ihm die Unsterblichkeit verlieh, gab er, weil er es auch in hervorragendem Maße in den meisten damals bekannten Säuren vorfand, nach dem griechischen Worte „oxys", sauer, den Namen „Oxygen" oder „Sauerstoff". Obgleich durch die neue Oxydationslehre die Ursache der chemischen Umwandlungen erschlossen wurde, und die Chemie sich zu ihrer heutigen Bedeutung emporschwingen konnte, so gewann die Errungenschaft der Entdeckung der beiden Gase erst dann die volle Popularität, als man die Mittel gefunden hatte, sie dem Dienste der Allgemeinheit zu widmen. Wie dies allmählich geschah, wollen wir versuchen in Kürze wiederzugeben. Nachdem schon Black gelehrt hatte, wie die Kohlensäure von den Basen, an welche sie gebunden ist, gelöst werden kann, gelang es 1823 dem Forschergeiste Faradays, den Weg zu entdecken, durch welchen die Kohlensäure aus dem gasartigen Zustande in den flüssigen gebracht und so in ihrer absolut reinen Beschaffen¬ heit als farblose, bewegliche Flüssigkeit aufgespeichert werden kann. Er fand nämlich, daß dieses Gas, wenn es in einer dickwandigen Glasröhre, die an einem Ende hermetisch verschlossen, mit dem andern Ende in ein mit Salz und Eis gefülltes Gefäß gesenkt wird und einer fortgesetzten Entwickelung unterliegt, sich durch den eigenen Druck so verdichtet, daß es bei einer Spannkraft von 36 Atmosphären in dem durch die Eiskühlung erkalteten Schenkel als tropfbare Flüssigkeit in die Erscheinung tritt.- Das höchst überraschende, aber mit einer großen Explosionsgefahr verbundene Experiment regte 1834 den französischen Chemiker Thilorier an, dasselbe für den wissenschaftlichen Bedarf im Großen mit metallenen Apparaten zu vollführen. Doch auch diese Verbesserung vermochte ein gefahrloses Schaffen nicht zu ermöglichen. Erst als man auf den Gedanken kam, die in einem besonderen Gefäße erzeugte Kohlensäure mit Hilfe einer Druckpumpe in einen mit einem Hahn versehenen, starken schmiedeeisernen Cylinder zu pressen, gelangte man in weniger gefahrdrohender Weise zum Ziele. Durch die Oeffnung des Hahns läßt sich die Flüssigkeit ableiten, die aber infolge des aufhörenden Druckes beim Ausströmen sofort die Gas¬ form wieder annimmt und bei dieser Umwandlung dem noch flüssig gebliebenen Teile so viel Wärme entzieht, daß dieser erstarrt und in Gestalt von Schneeflocken sich niederschlägt. Trotzdem diese Er¬ scheinung den Gedanken erweckte, die Kohlensäure in ihrem flüssigen .Aggregatzustande zur Bereitung des künstlichen Eises zu verwenden, verblieb die Darstellung dieses komprimierten Gases auch eine ge¬ raume Zeit hindurch nur ein Experiment für den Dienst im wissen¬ schaftlichen Laboratorium. Ein Versuch der Firma Krupp in Essen, flüssige Kohlensäure im Großen für ihre Betriebszwecke zu produzieren, erwies sich jedoch

137

die Einwirkung dieses Gases die bisher nicht ausführbare Schmelzung des Platins ermöglichte, gingen dennoch Dezennien dahin, ehe der Gedanke des großen Forschers in vollem Maße verwirklicht werden konnte. Da man nicht die Kunst besaß, das Gas seiner eigentlichen Urquelle, dem atmosphärischen Luftmeere, zu entziehen, so war man genötigt, dasselbe für die Zwecke wissen¬ schaftlicher Arbeiten im Laboratorium und auch zur Darstellung des 1826 von Drummond erfundenen Hydrooxygenlichtes in schwieriger und höchst kostspieliger Weise teils nach der alten Methode Priestleys durch Erhitzen von Ouecksilberoxyd, teils nach dem von Scheele angegebenen Verfahren durch Behandeln von Braunstein mit Schwefelsäure, teils aber auch mit Hilfe von chlorsaurem Kali zu erzeugen. Da fand in den fünfziger Jahren der französische ChemikerBoussingault, daß das Baryum, ein von Scheele entdecktes, zur Gruppe der alkalischen Erdmetalle ge¬ hörendes Element, in seiner Verbindung mit Sauersioff, also als Baryumoxyd, die Eigenschaft besitze, beim Glühen an der atmosphärischen Luft den Sauerstoff derselben aufzunehmen und sich dadurch in Baryumsuperoxyd zu verwandeln. Als er nun dieses Produkt einem bestimmten Hitzegrad aussetzte, so entwickelt sich aus ihm ein reiner, völlig stickstofffreier Sauerstoff, bis es wieder zu Baryumoxyd geworden und der Kreislauf von neuem beginnen könne. Boussingault wähnte, daß man durch einen solchen Prozeß das Oxygen in unermeßlichen Mengen zu gewinnen imstande wäre. Da sich aber herausstellte, daß das Baryumoxyd nach kurzem Gebrauche seine wirkende Kraft verliert, also die Sauerstoffquelle versiegt, so wurde dieser Vorschlag nur als eine geistvolle, aber nicht zu ver¬ wirklichende Idee betrachtet. Erst im Jahre 1884 erkannten zwei in England lebende Franzosen, die Gebrüder Brin, daß der Boussinganltsche Gedanke

als so erfolgreich, daß man nun hier und dort das ernste Be¬ streben erkennen ließ, diesen Stoff behufs praktischer NutzanwcndtGst in fabrikmäßiger Weise herzustellen. Neben dem Chemiker Dr. R aydt in Hannover gebührt der Fabrik von Kunheim & Co. in Berlin das große Verdienst, die Erzeugung der flüssigen Kohlensäure auf der Basis des industriellen Großbetriebes zuerst ins Werk gesetzt zu haben. Sie gab, um diesem jungen Industrie¬ zweig zu einer gedeihlichen Entwickelung zu verhelfen, die Anregung zu der im Jahre 1883 erfolgten Begründung der Aktien-Gesellschaft für Kohlensäure-Industrie in Berlin, der nun die Aufgabe ward, die flüssige Kohlensäure mehr und mehr zu einem lag deshalb ursprünglich Objekt des Welthandels zu erheben. nur der Vertrieb des in der Fabrik von Kunheim & Co. in Niedcrschönweide bei Berlin hergestellten Produktes ob. Doch schon nach zwei Jahren errichtete die Gesellschaft in der im vulkanischen Eifelgebicte gelegenen Ortschaft Burgbrohl ein eigenes Werk, in welchem sie das kohlensaure Gas nicht durch einen chemischen Prozeß oder als Zwischenprodukt eines anderen chemisch-industriellen Vorganges, sondern auf natürlichem Wege durch Bohrlöcher aus vulkanischen Formationen gewinnt. Das Gas wird sodann durch Kompression in den eisernen Cylindern zur Verdichtung gebracht. Für die Zwecke der Versendung nach den nordwestlichen Gegenden Deutschlands, besonders aber nach den überseeischen Ländern, er¬ richtete daö Unternehmen 1896 in Hemelingen bei Bremen ein leichten, gezogenen stählernen, mit einer neuen drittes Werk. Ventil-Konstruktion ausgerüsteten Flaschen bis zu 25 kg Ranmgehalt, die vor ihrer Füllung einem unter amtlicher Kontrolle statt¬

durch

Ihr

In

findenden Probedruck von 250 Atmosphären unterzogen werven, nach allen Kulturländern der Welt hinansdie Aktien-Gesellschaft für Kohlen¬ säure-Industrie, deren Jahresabsatz bereits die Höhe von zwei Millionen kg weit überschritten hat, in Niederschönweide er¬ zeugte flüssige Kohlensäure wird durch eigene Transportdampfschiffe dem in Berlin am Schiffbauerdamm, unmittelbar an der Spree gelegenen Geschäftshause der Gesellschaft zugeführt. Den bedeutsamsten Erfolg errang die Industrie mit dieser Errungenschaft durch deren Einführung in den Dienst des Bier¬ ausschankes. Noch sind keine fünfzehn Jahre dahin, da bestand die allgemeine Verzapfnngsmethode des nunmehr volkstümlichsten aller Getränke, des Gerstensaftes, ans einem einfachen Ausschänken von den Fäffern in die Gläser. Natürlich entwich schon beim Oeffnen des Spundes ein bedeutender Teil der im Bier enthaltenen Kohlensäure, der wesentlichsten Grundbedingung seines erfrischenden Wohlgeschmackes. Durch seine stete Verbindung mit der ver¬ unreinigten Luft des Schenkraumes wurde das Bier noch mehr dem Verderben ausgesetzt, so daß sein völliges Schalwerden nicht verhindert werden konnte. Der Gebrauch der Komprcssionspumpe, mit deren Hilfe man das Bier ans dem Fasse im Keller in die Schenkstube leitete, änderte diesen Mißstand in nur winzigem Maße. Durch die Anwendung der Kohlensäureflaschen, die bereits ihren Einzug selbst in die Schenken auf dem Lande gehalten haben, bleibt das Bier von der Luft völlig abgeschlossen und, unter dein Drucke des einwirkenden Gases, selbst in einem angebrochenen Fasse wochenlang frisch und deshalb bis zum letzten Tropfen trinkbar. Ja, ein an Kohlensäure armes Bier erlangt durch die flüssige Kohlensäure eine stete Aufbesserung, so daß gerade die letzten Gläser des Fasses das beste Getränk darbieten. Welche hohe Bedeutung die Benutzung der Kohlensäureflaschen mit-ihrem absolut reinen Stoffe für die Herstellung des Selterswassers und der künstlichen Säuerlinge, sowie zu der oft erforderlichen Sättigung natürlicher Mineralwässer erreicht hat, bedarf wohl kaum einer näheren Erläuterung. Wenn man Flüssigkeiten mit Kohlensäure imprägnieren will, ist die An¬ schaffung kostspieliger Apparate für die Entwickelung, die Reinigung einfachster und und Kompression des Gases nicht mehr nötig. vollkommenster Weise bietet die Kohlensäureflasche alles dar, was man zur Ausführung dieses Prozesses bedarf. Auch die Anwendung der flüssigen Kohlensäure zur Bereitung des künstlichen Eises und zur Erzeugung kalter Luft für Kühlräume hat, infolge der hygienischen Vorzüge dieses Stoffes dem Ammoniakverfahren gegen¬ über, bedeutsame Fortschritte gemacht. Wenn man erwägt, daß man noch vor nicht viel mehr als zwei Jahrzehnten einen Tropfen Kohlensäure mit Gold aufwog, so wird man dem Geiste unserer Zeit, der die chemische Technologie zur mächtigsten Entwickelung gebracht hat, die höchste Bewunderung zollen müssen. Wie die deutsche Reichshauptstadt in diesem wichtigen Zweige der chemischen Industrie bahnbrechend vorangegangen ist, so besitzt sie auch seit dem Jahre 1890 das einzige Unternehmen in unserem Vaterlande, welches sich die ebenfalls bedeutende Aufgabe gestellt hat, den Sauerstoff in reinster Beschaffenheit zu erzeugen und in komprimiertem Zustande zur Versendung zu bringen. Ungeachtet ihres kaum zehnjährigen Bestehens hat die Sauerstoff-Fabrik von Dr. Theodor Elkan in Berlin bereits einen Weltruf in des Wortes bester Bedeutung errungen. Obwohl bereits Lavoisier den ersten erfolgreichen Schrstt that, den Sauerstoff der Technik dienstbar zu machen, indem er

wird das Produkt Die für gesandt.

In

ausführbar sei. Sie fanden nämlich,

doch

der Sauerstoff, welcher dem Baryumoxyd aus der atmo¬ sphärischen Luft zu¬

baß

^

auch geführt wird, Kohlensäure, Wasserorganischen dampf, Staub und Keime der

Kleinverschiedensten wesen enthalte, die alle an dem Produkte haf¬ ten bleiben

oder

sich

mit ihm verbinden und seine Kraft dadurch Auf Grund lähmen. dieser Erkenntnis kon¬

struierten sie in ihrer zu London errichteten

Sauerstofffabrik,



der ersten, welche auf der Welt eröffnet wur¬ de, einen Apparat zur

gründlichen Reinigung der Luft vor ihrem Gebrauche, und die absolute Richtigkeit ihrer Voraussetzungen bestätigte sich in glän¬ zender Weise. Da es ihnen aber auch ge¬ lang, den erzielten

Sauerstoff, ähnlich wie Kohlensäure, in

die

metallenen

Gefäßen

—er

Roland in Zerbst. derart zu komprimieren, daß dieses Gas nicht nur die Fähigkeit zur Versendung in die Ferne, sondern auch zu einer be¬ quemen, sicheren Nutzanwendung erlangte, so ist seitdem die Frage einer billigeren, fabrikmäßigen Herstellung des reinen Sauerstoffes für die Dienste des praktischen Lebens als völlig gelüst anzusehen.

138

Herrn Dr- Theodor Elk an gebührt nun das Verdienst, den neuen Zweig der chemischen Industrie durch die Begründung seines Berliner Etablissements nach Deutschland verpflanzt und die Metodc dieser Fabrikation aus der Grundlage des Brin'schen Patentes wesentlich vervollkommnet zu haben. Seine im äußersten Norden der Stadt, in der Tegelcrstraße, angelegte Fabrik entrollt dem Beschauer ein höchst fesselndes Bild dieses eigenartigen Schaffensprozesses. Wir betrachten daselbst, wie die der Atmosphäre ent¬ nommene Lust vermittelst einer Pumpe durch ein System von großen gußeisernen Reinigungsapparaten, kastenartiger Form, gepreßt wird. Diese Apparate sind mit festem Aehnatron gefüllt, das nicht nur begierig den Wasserdampf und die Kohlensäure der durchstreichenden Luft aufnimmt, sondern auch alle anderen Beimengungen derselben zurückhält. Die so völlig gesäuberte Luft wird nunmehr unter einem Ueberdruck voneiner Atmosphäre in eine Kolonne von Stahlretorten gedrückt, welche in senkrechter Lage in einem mächtigen Generatorosen angeordnet und mit körnigem Barynmoxyd gefüllt sind. Letzteres, durch die Regenerativ-Gasfeuernng bis zur mäßigen Rotglut erhitzt, verwandelt sich, wenn es durch die Luft gestreift und gekühlt wird, in Baryumsuperoxyd. Da es sich nur mit dem Sauerstoff der Luft verbindet, so ist natürlich der durch ein Abla߬ ventil entweichende Teil derselben reich mit Stickstoff beladen. Nach Beendigung der Oxydation sperrt ein mit dem Mechanismus des Pumpwerkes zusammenhängendes Uhrgetriebe die weitere Ein¬ führung der Luft in die Retorten selbstthätig ab. Die Temperatur in denselben beginnt wieder zu steigen, während die Pumpe in Folge einer automatisch eingetretenen Umsteuerung den nun vom Baryumsuperoxyd sich wieder trennenden Sauerstoff absangt und in einen Gasometer leitet. Nach Beendigung der Sauerstosfabgabe vollzieht sich mit dem znni Barynmoxyd gestalteten Produkt von

Aus Schlüters

im fortgesetzten wundersamen Kreis¬ Das Gas wird mit einer Kraft von 100 Atmosphären in die aus einem Stahlstück nahtlos gezogenen Flaschen gedrückt und aldann in diesen Hüllen dein Transporte übergeben. Die Dienste, für welche das Sauerstofsgas ausersehen ist, sind so weitgehender Natur, daß sie mit wenigen Worten kaum umfaßt werden können. Spielt es hier im Dienste der Heilkunde als neuem der geschilderte Prozeß

lauf.

Lebenserwecker bei Vergiftungen durch Leuchtgas oder Kohlenoxyd, nach Narkosen oder bei Störungen des Blutkreislaufes eine be¬

deutungsvolle Rolle,

so

wird

es

dort in Verbindung mit

Wasser¬

stoff zur Erzeugung des blendenden Drummond'schen Kalklichtes der und des wirkungsvollen weißen Zirkonlichtes verwendet. Photographie, bei mikroskopischen Arbeiten, zur Bedienung des Projektionsapparates, bei physikalischen Messungen und gewissen ärztlichen Untersuchungen ersetzt bekanntlich das Zirkonlicht die volle Tageshelle. Läßt man den Sauerstoff durch eine Gasflamme aus der Stahlflasche strömen, so erreicht man einen Wärmegrad, mit dessen Hilfe man in wenigen Minuten Platin und Gold zu schmelzen, die voll¬ kommensten Lötungen und die schwierigsten Verbesserungen an Gußfehlern zu bewirken vermag, ohne durch eine lästige Wärme¬ ausstrahlung oder durch Kohlendunst und Dämpfe behelligt zu werden. Hier bildet der reine Sauerstoff, wie ihn die Stahlflasche darbietet, ein unentbehrliches Hilfsmittel im chemischen, physikalischen und physiologischen Laboratorium, dort wird er wieder in vielumfassender Weise für die mannigfachsten technischen Zwecke im

In

industriellen Schassen benutzt. So sehen wir, wie fast alle Errungenschaften der Naturforschung, welche fortgesetzt bestrebt ist, die geheimnisvollen Schleier der Natur zu lüften, in deren verborgenste Werkstätten zu dringen, zu Bausteinen für die Kulturentwickelnng werden.

letzten Lebensjahren. Von

P.

©alle.

wir ans Marpergers „Historie

der berühmtesten eurovom Jahre 1711 erfahren, war Andreas Schlüter, che er in brandenburgische Dienste trat, eine Zeit lang in Polen thätig gewesen, wo ihm an dem Bau mehrerer Warschauer Paläste ein hervorragender Anteil zugeschrieben wird. Vielleicht hat das, neben einer Empfehlung durch Leibniz, dazu bei¬ getragen, daß man ihn nach dem Ableben seines Königlichen Gönners Friedrichs I. (im Jahre 1713) nach Rußland zog, wo eben die junge Residenz an der Newa mit dem Aufgebot unbegrenzter Mittel zu der eigentlichen Hauptstadt des Landes erhoben werden sollte. In der vor etwa zehn Jahren erschienenen Geschichte der Stadt Petersburg (von P. N. Petrowj wird in Uebereinstimmung damit erzählt, daß Schlüter im Jahre 1713 als. „Obcrbandirektor" zu Berlin für die Leitung der großen Ausführungen in Petersburg gewonnen worden sei, was wohl mit dem Besuche des Zars am Preußischen Hofe (Ende Februar jenes Jahres) in Verbindung gebracht werden darf. Für Schlüter war ja ohnedies nicht viel mehr in Berlin zu thun, da er seit den gefahrdrohenden Er¬ scheinungen beim Münzturme*) im Jahre 1706 sich fast aus¬ schließlich auf die Skulptur beschränkte, an der — wie man weiß — Friedrich Wilhelm I. keinen besonderen Gefallen fand.**) Die letzte Berliner Arbeit Schlüters war der vielbewunderte, prachtvolle Sarkophag für den ersten König, dessen Modelle ihn längere Zeit in Anspruch nahmen.***) Der Entschluß, Berlin den Rücken zu kehren, mag dem genialen Manne nicht leicht geworden sein, der nach langen, unruhigen Wanderjahren hier erst unter eineni knnstliebenden Monarchen ein behagliches Heim gefunden hatte, und der als Bildhauer, Architekt tind Lehrer sich Ruhm und Anerkennung errungen. Und nun sollte er fort von hier, aberinals hinaus in die unwirtliche Ferne ■— los von Haus und Familie, los von der Stätte eines reichen, zwanzig¬ jährigen Wirkens. Eine Wahl aber gab es nicht) denn wohin sollte er sich wenden, wo konnten damals ihm wahrhaft große monumentale Aufgaben gestellt werden, wie sie allein seiner genialen Veranlagung entsprachen? In dieser Hinsicht war Peter der Große sein Mann, da dieser seit den Siegen über die Schweden an die Errichtung eines gewaltigen, der Trajansäule nachgebildeten Mo¬ numentes dachte, und aus dessen Befehl Paläste und Schlösser nur so ans der Erde schießen sollten. Mil dem Gelde wurde dabei nicht gekargt, und die Architekten erhielten Jahres-Honorare von 20 000 bis 30 000 Francs, was für die damalige Zeit als eine päischen

Baumeister"

*) „Bär" l&bö, P. Wallv, Einsturz des Münzturmes. **) Hans Müller erzäljlt in der Jnbiläumsschrift der

Kunsrakademie (!8ll6), das; Friedrich Wilhelm I. selbsr keine Denkmäler ausführen ließ, mit Ausnahme eines einzigen, Grenadiere das einem seiner gewidmet war. ***) Ter Sarkophag ist schon 1717 in dem großen Werk über die Beisetzung des Königs abgebildet worden mit einer lateinischen Inschrift, die Schlüter ausdrücklich als den • Urheber angiebl.

recht ansehnliche Besoldung gelten darf. Schlüter hatte alle Ursache, aus eine auskömmliche Entschädigung zu sehen. Friedrich I. hatte ihn zwar in jeder Weise ausgezeichnet und geehrt, ihm 1704 auch den Adel verliehen; er war aber dabei im Allgemeinen auf sein Bildhauergehalt von 1200 Thalern angewiesen geblieben, erhielt von der Akademie der Künste nur sehr wenig und setzte die ihm als Schloßbaudirektor bewilligten Gelder bei der Unterhaltung seiner Leute wieder zu. So hatte er schließlich auch sein Haus in der Brüderstraße 40 wieder verkaufen müssen und sah sich sogar gezwungen, das für die Reise nach Petersburg nötige Geld von dem in besseren Verhältnissen lebenden Erzgießer Johann Jacobi als Darlehen aufzunehmen.*) Man kann sich denken, mit welchen Empfindungen der Meister, der seine Familie hier in einer trüben Lage zurückließ, den Weg nach dem fremden Lande im hohen Norden antrat, wo er nach Anwerbung von Handwerkern und Künstlern jeder Art an verschiedenen Orten erst im Sommer an¬ gelangt sein kann. Da der Zar selbst nach seinem Tagebuch für die Rückreise von Berlin nach Petersburg über Stargard, Marien¬ burg, Elbing, Mitau und Riga 20 Tage gebrauchte, muß Schlüter, der mit einer allmählich immer mehr anwachsenden Karawane auf einer anderen Linie durch Sachsen und Polen nachfolgte, über zwei Monate unterwegs gewesen sein. Von seiner Ankunft in Petersburg unterrichtet uns ein Jngenicuroffizier Namens Bruce, der trotz seines schottischen Namens von deutscher Herkunft ist, und den seine vornehmen'Verwandten anfänglich zum Pagen am Hofe Friedrichs I. ausersehen hatten. Als dieser Plan sich verzögerte, fand er Gelegenheit, de» General Jacob Bruce nach Rußland zu begleiten, wo er im Mai 1711 bei der heimlichen Vermählung des Zars in Jäweroff das Patent als Capitain der Artillerie erhielt. Dieser interessante junge Mann, der nachher große Reisen durch Rußland, die Türkei und Westindien unternommen hat, kam mit dem Oberbaudircktor Schlüter in Petersburg in nähere Beziehung, indem er ihm wegen großen Mangels an Technikern seine Hilfe beim Aufträgen von Zeich¬ nungen und Plänen anbot, wofür er von dem berühmten Meister llnterricht in der Baukunst erhielt. Er berichtet uns aus¬ drücklich, daß Schlüter, um in möglichster Nähe des Zars zu

fein, im kaiserlichen Sommmerpalaste untergebracht wurde, und daß er selbst ihn zur Aushilfe täglich besuchte. Zugleich hören wir, daß der Zar öfters persönlich nach den Plänen für Paläste, Der bciveiskrästige Bries Jacobis ist schon >882 in einer Studie von mir über die Petersburger Bauleu veröffentlicht worden und zwar in, „Wochenbl. s. Arch. II. Aug.". Schlüler bewohnte, wie ich nach den in de» Archiven vorhandene» Urkunden und Listen vor zwei Jahren seststrllic, das Laus Brüderstraffe 40, nicht aber dasjenige Brüderstroßc Nb, an dem man eine Gcdenkiafel hat irrtümlich anbringen lasten. Da Fidicin in der historischtopographischen Beschreibung von Berlin das Schlülerhaus in der Brüdcrstratze noch nicht kennt, must der Irrtum erst später entstanden sein und er wäre am besten durch die An¬ bringung jener Tascl an dem richtigen Hanse baldigst wieder zu beseitigen.—

139

Wohngebäude und Akademien schaute, die — wie er sagt — Schlüter zu bauen hatte*) Dieser war von schwächlicher Konstitution und ward infolge der andauernden Ueberbürdung krank, beschäftigte sich aber noch bis zuletzt mit dem Zar insgeheim mit der Erfindung eines Perpetuum mobile, das er auch wirklich in Gang brachte,**) Nach Bruce, der als ein Zeitgenosse und Mit¬ arbeiter, sowie seiner ganzen Stellung nach sicher allen Glauben verdient, starb Andreas Schlüter nach kurzer Krankheit, nachdem er etwa ein Jahr lang in Petersburg gewesen (1714), — Schlüter kam also in jene bewegte Periode hinein, da Peter der Große sich entschlossen hatte, Petersburg, das im Jahre 1703 nur provisorisch und unter Errichtung zahlreicher Holzbauten an¬ gelegt worden, zu seiner eigentlichen Kaiserlichen Residenz zu machen, zu einer Pflanzstätte der Kultur, wo in zielbewußter Konkurrenz gegen das westliche Europa Kunst und Wissenschaft, Handel und Industrie mächtig erblühen sollten. Unmittelbar nach der Schlacht von Pultawa schrieb der Zar an Apraxin: „Nun ist mit Gottes Hilfe der Grundstein zum Anbau von Petersburg gelegt" — doch dauerte es noch einige Jahre, ehe die Riesenarbeit auf der ganzen Strecke aufgenommen werden konnte, Waren doch nicht nur Paläste für die Großen des Landes auszuführen, die ebenso wie die Gro߬ kaufleute aus Moskau und aus den Provinzen hier sich ansiedeln mußten, auch Manufakturen und Druckereien sollten sich er¬ heben, und die früher aus Holz erbauten Kirchen und Wohn¬ gebäude gleichzeitig großartiger in Stein und anderem Material erbaut werden. Leider sind bis heute alle Untersuchungen über Schlüters nach¬ weisbaren Anteil an den damaligen Ausführungen ergebnislos

aus -dem Vollen, in freierer Erfindung, dabei dem malerischen Das Königliche Schloß in Berlin, Palais Wartenberg und die Kameke'sche Villa zeigen wesentlich verschiedene Auffassungen, wonach der Meister alle Aufgaben vollkommen selbst¬ ständig in den Formen löste. Darum werden wir erst noch lange danach zu suchen haben, was Schlüter in Danzig und Warschau wirklich geschaffen, ehe wir in Petersburg sicherere Schlüsse ziehen können, Beweisführungen wie die, womit man dem berühmten Bildhauer in seinem 15. oder 16, Lebensjahre einen selbstständigen Anteil an der Johanneskapelle zu Danzig zuweisen will, sind für die Kunstgeschichte ohne Bedeutung, Mangelt es also nach allem an völlig unumstößlichen Belegen, so giebt es doch mancherlei Nachrichten, die mittelbar die An¬ wesenheit unseres großen Landsmannes an der Newa als eine segensreiche erkennen lassen. Zwar hatte der Zar an Tressini, dem Erbauer der Festung, einen vielseitigen Mann zur Seite, dem auch der Plan der Peter-Paulskirche zugeschrieben wird) doch dürfen wir annehmen, daß viele der von Jenem oder von den Architekten Menschikoffs aufgestellten Projekte bis zur Ankunft des nordischen Meisters verzögert und diesem alle gleichzeitig zur Prüfung und Besserung vorgelegt wurden. So fällt in das Jahr 1713 die Anlage der prächtigen Perspektivstraße mit zwei großen Triumphbogen, ebenso die der Paläste für den Gouverneur von Sibirien, Fürsten Gargarin (nachher dem heil, Synod ein¬ geräumt), und für den Vizekanzler Baron Peter^ Schaffirow, in welchem später die Akademie der Wissenschaften ihre Ver¬ sammlungen abhielt. Am Ende des Jahres 1714 zählte man weit über dreißig neue derartige Paläste, von denen viele eben zur Zeit

Prinzip huldigend.

Schlüter's erster Entwurf für das Schloff ;u Berlin. (Rach BlesendorffS Zeichnung gestochen non Kraus,

geblieben, und die Hoffnung, jetzt noch zuverlässige Anhaltspunkte ist um so geringer, als bei der außerordentlichen Beschränktheit an Zeit in jenen Jahren vermutlich keine genaueren Pläne, sondern nur flüchtige Skizzen entstanden sein können, Apraxin und Golowkin hatten beide bereits ihre Paläste, ebenso Fürst Menschikow, der Günstling des Zars, dem nach einer Mitteilung des Hofarchitekten des Kaisers (Victor Schröter in Petersburg) die Baumeister Schlüter, Tressini, Creanton (?) und andere unterstellt waren. Gleichwohl weist die Architektur des ehemaligen Palais Apraxin in dem großartig empfundenen Mittelban mit seinen hohen Säulen und den flott gezeichneten Kartuschen der Attika vielleicht auf ein nachträgliches Eingreifen Schlüters hin. Auch das Sommcrpalais erscheint in den älteren Bildern mit einem guten Trophäen- und Figurenschmuck von ausfallendem Reichtum, sodaß, da das Tagebuch der kaiserlichen Akademie von 1862 ein Mitwirken Schlüters beim Sommergarten erwähnt, auch hier an den großen deutschen Meister gedacht werden darf, Schlüter war, zu wenig Architekt im strengen, schulmäßigen Sinne, als daß man seine Hand nach gewissen Rezepten überall sofort heraus erkennen könnte. Als Bildhauer, der er der Haupt¬ sache nach war, schuf er auch seine Bauten mit Lust und Liebe zu gewinnen,

für seine Familie *) Sic wichtige», von P, H, Bruce, einem geborenen Westfalen, „Erinnerungen", licsj diese 1782 unter dem Titel erscheinen: Memoirs of Peter Henry Bruce Exqu, a military oftteer in the servicces of Prussia, Russist and great britain. Containing an accouut of his travels in Gcrinany, Russin, Tartary, Turkey, the Westtndia etc. — Rtcoiai kannte danach schon eine >784 erschienene deutsch geschriebenen

UeLersetzung.

spricht

**) Gurltttö nicht

Annahme, daß der betreffende Apparat nicht-ganz fertig geworden, ent¬

den von Brnee gemachten Angaben,

des Aufenthaltes Andreas Schlüters entstanden find. Wahrscheinlich wurde damals auch ein neuer Bebauungsplan von Petersburg aufgestellt, da mit Beginn des Jahres 1714 die kaiserliche Ver¬ ordnung herausgegeben wurde, daß von da ab nur „nach preußischer Art" gebaut werden solle. Zar Peter, der von den Franzosen nicht viel wissen wollte, schätzte überhaupt nächst den Holländern die Deutschen am höchsten. Er zog mit großen Opfern- deutsche Künstler und Gelehrte ins Land, damit sein Volk von ihnen etwas lerne. Er selbst über¬ setzte sogar deutsche Bücher und ließ gute Werke auf seine Kosten verbreiten. War Andreas Schlüter, wie wir aus seinen Eingaben au König Friedrich I. wissen, beim Schloßban in Berlin mit Arbeit überbürdet, so war er es in Petersburg sicher in nicht geringerem Grade, und die unmittelbare Nähe des Zars, der in seinen Lieblingsideen bekanntlich sehr lebhaft vorging, mochte ihm manche unruhige Stunde bereiten, Peter der Große, der selbst zimmerte, drechselte und schmiedete, und der sich einst von dem Erlös seiner ersten Schmiedearbeit in Olonetz mit großem Stolze eine neue Mütze gekauft hatte, liebte ungemein die mechanischen Künste, die ihm

wohl

auch den Gedanken eines Perpetuum mobile nahe gelegt haben. Er hatte auf einer seiner letzten Reisen im Jahre 1712 ein solches Wunderding in Dresden gesehen und es ist sehr möglich, daß Schlüter aus der ihm anbefohlenen Reise durch „Sachsenland" eine Zeichnung davon für den neuen Herrn an¬ gefertigt hat. Darum sah er sich nun verurteilt, hinter ver¬ schlossener Thür selbst an die Ausführung einer solchen Maschine mit Hand anzulegen, weil der Zar sonst Niemanden in das große

140

Geheimnis

wollte. Das bei Bruce erwähnte Zu¬ Zars mit Schlüter, kann übrigens doch nicht ein

einweihen

sammensein des

allzu häufiges gewesen sein, da der unermüdlich thätige Monarch seinem Tagebuch zufolge sehr oft von seiner Residenz abwesend war. So ging er am 3. Juli 1713 nach Kronschloß zum Flotten¬ manöver ab, machte nachher andere Ausflüge nach Kistina Misa, nach Helsingfors u. s. w. und kehrte Mitte August unter feierlichem Empfang nach Petersburg zurück. Im Oktober war Stapellauf der „Katharina", im November beschäftigte ihn die Anlage des neuen Hafens in Reval, dann folgten längere Besuche in Peterhof und Oranienbaum) im Januar 1714 eine Reise nach Reval und im Februar eine solche nach Riga, von wo der Zar am 15. Fe¬ bruar zurück war, um nun bis zu den Maimanövern der Flotte diese Zeit muß die hauptsäch¬ in Petersburg zu bleiben. lichste Arbeit für den Ausbau der Hauptstadt gefallen sein, ebenso die innere Ausschmückung mehrerer Paläste, der Entwurf

In

Wahrheit zu meiner Subsistence wenig oder gar keine Mittel vor¬ Weil aber, Allerdurchlauchtigster, großmächtigster Zaar, Allergnädigster Herr, mein nun seeliger Ehemann gleichwohl sein Leben in Euer Groß-Zaarl. Majcst. hohen Dienste geendiget, und wenn es Gott dem Allmächtigen gefallen hätte, dasselbe ihm länger zu fristen, deroselben sonder Zweifel viele ersprießliche Dienste würde geleistet haben, mich auch in meiner äußersten Be¬ trübniß nicht wenig consolirt, daß dieselben nur ihm die kurze Zeit über viele Gnade geheget, welches er in allen seinen Brieffen nicht genug hat bekunden können, als lebe der dieselben wollen allergnädigst allernnterthänigsten Hoffnung mich mit einem gewissen Wittwen Gnaden Gehalt geruhen handen.

.... allergnädigst

....

zu bedenken." dieses Schreiben,

das durchs eine weitere Eingabe der Witwe an die Kaiserin Katharina und ein Gesuch des Gießers Joh. Jacobi an den Zar selbst vervollständigt wird, mit den Angaben des Obersten P. H. Bruce zusammen,

Hält man

sich zweifellos, Schlüter 1713 von Berlin nach Petersburg gegangen, daß er dort mancherlei Bauten aus¬ zuführen hatte, und daß so

ergiebt

daß

.

er etwa ein Jahr .nach seiner Ankunft in der Fremde gestorben ist. Wenn demgegenüber der Verfasser einer neue¬ ren Geschichte der Stadt

Petersburg, Peter Nicola-

jewitsch Petrow, 1885 die Ansicht aufstellte, daß Schlüter bereits auf der

Hinreise nach Petersburg

in der Quarantäne bei Narwa der Pest erlegen, also gar nicht nach Petersburg gekommen sei, so thut man jedenfalls gut, vorab doch den Be¬ weis für diese über¬ raschende Behauptung ab¬ zuwarten. An der Hand mitgeteilten oben der Aeußerungen der durch¬ aus glaubwürdigen Zeit¬

Schlüters hat genossen diese Mitteilung nichts umso¬ beunruhigendes, weniger, als ebenderselbe Petrow in einer im Jahre 1888 erschienenen Liste historischerPersönlichkeiten (für die Sammlung der historischen Gesellschaft in Petersburg) unseren Mei¬ ster nicht mehr in Liv¬

in Esth¬ läßt, auch die erwähnten Eingaben und Briefe in den Akten des Geh. Staatsarchivs offenbar gar nicht gekannt hat. Der kürzlich ver¬

land, sondern land zu Berlin (1713). vr. M eydenbauer.)

Prunksarg Friedrichs I. im Dome (Nach einer Original-Aufnahme von Geheimrat

von Skulpturen und Gegenständen der Kleinkunst, die Herstellung des sogenannten Perpetuum mobile. Bald nachher ist Andreas Schlüter gestorben, denn schon im Juni machte seine in Berlin verbliebene Witwe ein Eingabe an den Zar, aus der wir die näheren Umstände kennen lernen. Der Brief, dessen Original L. Schneider vor etwa 20 Jahren im Russischen Geh. Staatsarchiv gefunden hat, beginnt folgender¬ maßen: „Euer großkaiserlichen Majestät kann in tiefster Erniedrigung mit zitternder Feder, so mehr mit Thränen als Tinte genätzet, nicht verhalten, wie ich leider allzu früh die höchst schmerzliche und Geist und Seel durchdringende Traucrpoft vernommen, daß der bisherige Oberbaudirektor Schlüter, mein im Leben liebgewesener Ehemann, ohnlangst in St. Petersburg den Weg aller Welt gegangen, mich aber und meine Kinder in einen inconsolablen Zustand versetzt hat, gestalt deren ich meine schöne Meublen der jetzigen Zeit nach um ein Spottgeld verkauft und auf dem Point gestanden, von hier nach St. Petersburg zu gehen, dahero in

sterben

hervorragende storbene, Historiker E. Kunik in Petersburg begleitete die Abschrift der Petrowschcn Nachrichten mit der Bemerkung, daß derselbe nicht wissenschaftlich für sein Fach vorbereitet gewesen, und auch von anderer Seite wird er nicht als unbedingt zuverlässig be¬ zeichnet. Wir dürfen daher der Petrowschen Angabe vorab wohl widersprechen und für unseren Landsmann Schlüter jenen Platz in der Kunstgeschichte des Zarenreiches beanspruchen, den er in einer wenn auch nur kurzen künstlerischen Thätigkeit für Peter den Großen sich errungen hat. Auch an der Newa wird man gewiß lieber diesen Standpunkt einnehmen und gerne lebhafter wieder eines so gut, wie vergessenen Mannes sich erinnern, der, nachdem er in Polen und Preußen, in glanzvollen Königreichen, zum höchsten Ruhm schon gelangt war, seine hohen Talente und seine reiche Erfahrung in den Dienst des mächtigsten und willens¬ kräftigsten Herrschers jener Zeiten gestellt hat?) °) Setßt. hierzu „Bär" 1885: Der Einsturz des Müiizturmes von P. Walle; desgt. 1885: „Eine Bittschrist der Witwe Schlüter". Neue Nachrichten über Audr. Schlüter („Boss. Ztg." 1808, 28. Juni). Schlüter und Peter d. Große („Bert. R. Rachr.", 7./12. 1807).

„Bär"

141

Kunst und Wissenschaft. Die Neuerwerbungen der Nsiionslgalrrir. Im zweiten Corneliussaale der Nationalgalerie sind die Neu¬ erwerbungen der Sammlung ausgestellt. Sie erfreuen als erneutes Zeugnis von dem Verständnisse des Direktors v. Tschudi für zeitgemäße künstlerische Bestrebungen und seinem Grundsätze, die Nationalgalerie als eine „Galerie der Lebenden" weiter zu erhalten. Ein Museuni für moderne Kunst muß mit der Zeit gehen und darf sich anerkannten Meistern der Gegenwart, als Vertreterin für die Entwickelung der Kunst wichtiger Bewegungen oder Richtungen, nicht verschließen, wenn es Anspruch auf Vollständigkeit machen will. Wo die Ergänzung der Sammlung die Erwerbung von Kunstwerken einer früheren Periode noch zuläßt, werden dabei immer auch übcrstandcnc Entwickclungsstadicn berücksichtigt werden. Auch hierfür enthält die Ausstellung Belege, zugleich aber sind einige Geschenke unter den Neuerwerbungen eine erfreuliche Kundgebung selbstlosen Kunstintercsses und der Anteilnahme an dem Wachsen der Sammlung als Erziehungsorgans von Seiten des Publikums. AIs Werke, die als Wiedergabe der eigenen äußeren Er¬ scheinung ganz besonders charakteristisch sind für zwei bedeutende Meister, müssen zwei Selbstporträts gelten. Das grau verschleierte, des nervös abgespannten Anselm Feucrbach, das vor kurzem bei Gurlitt aus¬ gestellt war, und das farbenfreudige Arnold Vöcklins. In der Blüte des Lebens, in voller Schaffensfreude und Schaffenskraft steht der Meister, Palette und Pinsel in der Hand vor der Staffelet. Wohl lauscht er dem Liede vom Vergehen, das der Tod ihm auf einer Saite der Geige spielt, aber begeistert und lebensfroh schaut er dabei auf. Es blitzt in den Augen und zuckt durch die Gestalt wie der Entschluß zu einer Verneinung der Vergänglichkeit. Der Kunst ist sic möglich. Der Maler hält die flüchtige Erscheinung fest zur Dauer über die Grenzen irdischen Daseins hin¬ aus. Dort Lebensmüdigkeit, grau ver¬ schleierte Decadence, hier Lcbcnsfrische, Lebenstrop, farbenfreudiger Aufschwung. Wie Böcklin war auch Hans von Marses ein Phantastckünstler. Mit der Erwerbung seines „heiligen Georg mit dem Drachen" hat die Nationalgalerie eine Ehrenschuld abgetragen, wenn die Skizze auch nur eine unzulängliche Probe von der Art seines Schaffens giebt. Als Debütant erscheint auch Hans Thoma dank der Zuwendung eines Gemäldes seiner Hand durch Professor Trübn er in Frankfurt a. M. Er gesellt sich zu Böcklin und Marses als Dritter im Bunde und wird, als deutschester der Mäler der Gegenwart, hoffentlich noch einmal einen ähnlichen Platz in der Nationalgalerie einnehmen wie Böcklin. Seine poetische „Schwarzwaldlandschaft" aus dem Jahre 1872 befriedigt auch tech¬ nisch. Ein Bild älteren Datums ist ebenso H. von Habcrmann's „Konsultation". Vielen wird dieser Habermann lieber sein, als der Darsteller des modernen Weibes in seiner seelischen Entartung. Das Gemälde ist entstanden in einer Zeit, da ein Bild

Das alte Kaiserliche Soinmerpalais in Petersburg. Schlüters Wohnung in den Jahren 1713 u. 1714. (Nach der Abbildung von Truskow und Cokolow in

noch etwas erzählen und durchgearbeitet sein durfte. Eine verhärmte Mutter und Witwe schaut angstvoll gespannt nach dem Arzte, der sein Ohr ans den Rücken des kranken Knaben gelegt hat. Sie hascht nach einem Zuge in seinem Gesicht, der ihr Gewißheit, vielleicht Trost giebt; aber cs verrät nichts. Von einem anderen Münchener, L. ist eine sein gestimmte, in Pastell gemalte Landschaft

Dill,

aus Dachau angekauft worden. Das Bild von W. Lcibl's Eigenart ist vervollständigt worden durch das Geschenk eines Berliner Kunst¬ freundes. Ein prächtiger „Jäger", der, den Stutzen über dem Rücken, am Sec steht und Ausschau hält, ist zur „Dachaueria" hinzugekommen. Die beiden Gemälde genügen, um die Eigenart des ehrlichen Realisten zu kennzeichnen. Skarbina's „Abend" und des verstorbenen Bild¬ hauers und Malers Nikolaus Geiger „Sünderin" sind von der Mit einer letzten großen Berliner Kunstausstellung her bekannt. Kollektion flotter Kreidezeichnungen und Pastelle „Landschaftsstudicn aus Obcrbayern und der Maingegend" von Longley S. Wen bau (1848 bis 1897) ist das Ausland vertreten. Ein ivertvolles Geschenk ist der mit staunenswerten: Geschick und ungeheurem Fleiß in Nadelmalerci ausgeführte japanische Wandschirm. Fast unglaublich ist die technische Fertigkeit, mit der eine Gebirgslandschaft mit waldigen Hohen und schäumenden Wasserfällen in dekorativer Stilisierung und doch stimmungs¬

voll wiedergegeben

„Abend" heißt das Haupthcma der Ausstellung; individuelles Können allein bringt Wechsel in seine Darstellung, persönliche Neigung und Auffassung variieren es als „Abendsonne", „Mondaufgang", „Wenn der Nebel steigt", „Sommerabend", „Scheidende Sonne", „Abendwolken", „Feierabend". La saison, Theure, le nioment sind zwar ziemlich gleich, aber doch mannigfaltig genug empfunden und aus¬ gedrückt, um Eintönigkeit nicht auskommen zu lassen. Oskar Frenzel und Georg Schmitgen betonen besonders die koloristischen Luftrcize des Abends. Schmitgen malt „Abcnüwolkcn", die gclbleuchtend über einer Flnßlandschast hinziehen. Am Ufer liegt, von Bäumen umgeben ein niederes Haus. Im Wicdcrschein der Luft blitzen seine Fenster hell aus dem Dunkel. Mar Ulh hat ein strohgedektes Bauernhaus ganz mit Abcndglut übergössen. Feldmann's Bild „Wenn der Nebel steigt" ist in der Stimmung Lenau'icher Schilflieder gehalten und ei» Gemälde ohne Abendrot. Zwischen hohen, dunklen Bäumen, die in der Dämmerung verschwimmen, liegt still ein Sec. Das Spiel der Fische zieht silberne Kreise auf seinem glatten Spiegel. Phil. Frank ist Leistikow's Spuren nach dem Gruncwald gefolgt, der ihm in einem bescheidenen Motiv nicht seine ganze Poesie offenbart har. Nach Norden führt A. Normann mit seiner großen, glühenden Landschaft „Bodü, Sommernacht". Es ist Helle, norwegische Sommernacht. Bunt leuchten die Häuser Bordös am Strand. Roter Schein liegt aus Höhen und Kähne, Segelboote und Felsen; das Wasser spiegelt Himmclsglut. Dampfer beleben die klippenreiche Bucht. Das Flirren der Luft ist mit technischer Fertigkeit zum Ausdruck gebracht, noch wirkungsvoller fast auf dem Sommernachtbild „Balestrand", wo die lichte aus Roigclb in helles Grün übergehende Lust durch ihren Kontrast zu der ini Dämmer¬ schatten liegenden Fjordlandschaft die Stimmung wesentlich erhöht. Auch Heu brich hat nordische Landschaften gemalt. Seine Aquarelle „Nachtlandschaft"' und „Dünenlandschaft", und das Oelbild „Meeresstille"

ist.

Der Künstlrr-West-Rlub im Künstlerhaus. Man kann nicht gerade behaupten, daß ein ausgesprochen sezcssionistischcr Geist die Ausstellung des Künstler-West-Klubs besonders her¬ vorhöbe aus dem Rahmen der übrigen Darbietungen des Bcrlmer Künstlcrhauscs. Die West-Klubisten füge» sich sittsam ein in die Reihe anderer Gäste; sie haben in die zahlreiche Gesellschaft eine friedliche und beruhigende Stimmung gebracht, deren rosiger Schimmer als Ausdruck einheitlichen Empfindens traulich und beschaulich, wie Spitta in gleicher Stimmung reimt, verkündet, daß „alles ruht an seinem Ort".

Gurlitts „Schlüter".)

find kräftig im Kolorit' in der „Brandung an der norwegischen Küste" schließt er sich enger an die Natur an und emanzipiert sich von Böcklin. Bor einem Oclbilde Carl Langhammer's ist man von Norden plötzlich nach Süden versetzt unter „Italienische Eichen". Die Hellen Sonnenlichter ans den grauen Stämmen und die kupfcrigcn auf dem Waldbodcn ergeben in ihrem Gegensatz einen schönen Lichlesfckt. Ludwig Dettmann's „Mondaufgang" ist ein stimmungsvolles Pastellbild. Durch hohes Korn wandelt ein Liebespaar, aufschauend zum Abendstcrn, der silbcrm in dunkelblauer Suft blinkt. Während am Abend der Feldarbciter nach Hause schreitet, um auszuruhen vom Tage¬ werk, wie Paul Hüniger in seinem „Feierabend" es schildert, beginnt für manchem erst die Zeit des Schaffens. In schlichten Zimmer sitzt auf Eichstädts großem Gemälde „Beethoven" beim traulichen Schein der Lampe und komponiert. Der Symbolist und Stilist des Westklubs

Hans Looschcn

zeigt sich in seinen Skizzen „Frühling", „Sommer" uns „Prinzeßchen" stark beeinflußt von Ludwig von Hvfmann. Zu dem bengalischen Feuer der meisten Abendbilder kommt noch ein bengalischer Tiger von Kuhnert. Der Grausame schleicht lauernd durch hohes Rohr und macht in seiner geschniegelten Toilette einen recht kultivierten Eindruck. Vor G. L. Mayer's „Dr. Pohl" könnte man sich eher fürchten. Der Mime ist mit dem finsteren Ausdruck eines tragischen Helden und in der Pose des bedeutenden Künstlers porträtiert. Das in Pastell gezeichnete Doppelbildnis zweier Knaben ist eine leben¬ dige, ftischc Wiedergabe eines schelmischen Brüderpaares. Eigenartiger und sprechend in der Charakterisierung sind die lithographierten und gezeichneten Porträts des Großhcrzogs von Weimar und des Humoristen Raabe von H. Fcchner. F. Jüttner's humorvolle, zum Teil bos¬ hafte Karrikaturen, das wie im Hohlspiegel gesehene Zerrbildnis Gerhart Hauptmann's, der Gottesdienst n. a. m., machen das Zimmer der Schwarz-Wcitz-Abteilung zum Lachkabinet. M.' Schlichtiug's. Illustrationen zu einem Roniane dienen diesem nicht gerade als Empfeh¬ lung. Georg Barlösins hat sich für seine ex lidris ein gutes Vor¬ bild gewählt. Wenn er auch Sattler nicht erreicht, hat er doch

142

manches iw» ihm gelernt. Die Ausstellung des Westklubs macht ebenso wie die der XI bei Keller und Reiner den Eindruck, als behielten sich beide ihr Bestes für das Debüt der Sezession im eigenen Aus¬ stellungslokale vor zu Gunsten des ersten Eindrucks.

nicht ins Schwarze getroffen hat: trotzdem war es aber ein respektabler Treffer. Die Ouvertüre ist ein liebenswürdig feines Orchesterstück: auch der Ansatz zur Melodienbildung neben der deklamatorischen Rezitation erwies sich als geglückt. Das Publikum nahm diesen ersten Versuch, das Konversalionslustspiel in Musik zu setzen, sehr freundlich aus und rief den Komponisten fünf- oder sechsmal vor den Vorhang.

Thraker. Es ist ein Schuß gefallen, aber weder zwei Spatzen, noch ein Schneider sielen von dem Schuß, sondern ein Mägdelein, welches in seiner Unerfahrenbeit erkennen mußte, daß die Liebe auch etwas anderes als Götterwonne sein kann. Was wollte den» eigentlich Lotte Burwig, die kleine Provinzlerin, in Berlin? Nicht der Drang zur Kunst war es, der die Heldin in Halbes „Heimatlosen", die am 21. Februar im Lessingtheater gegeben wurden, aus der Heimat trieb, sondern der Wunsch, modern zu sein, der Zucht der Mutter zu entlaufen, die noch an der Moral hängt, welche einst Geltung hatte, als der Gro߬ vater die Großmutter nahm. Alte Menschen sind nun einmal so, sie können sich in das moderne Uebermcnschentum nicht hineindenken und betrachten die Ehe mit einem braven, kleinen Beamten für besser als einen unsicheren Wechsel auf eine unsichere Zukunft. Das Sprichwort vom Spatzen in der Hand und der Taube aus dem Dach stammt ja auch von Großmuttcrs Zeiten her. Lottchen Burwig aber will eine große Sängerin werden. Der "vermutlich Ruhm von Sudermanns Magda ist bis in ihr stilles Kämmerlein in Danzig gedrungen, "Westpreußin und was der Ostpreußin gelungen ist, warum sollte es der versagt bleiben? Königsberg und Danzig liegen ja nur eine Eisenbahnfahrt von wenigen Stunden aus¬ einander. Und richtig, Lottchen erlebt in Berlin dasselbe Schicksal wie die stolze Magda. Auch ihr naht sich der Verführer, sie fällt, aber sie erhebt sich nicht, wie ihr ostpreußischcs Vorbild, sondern schießt sich mausetot, was sehr traurig ist, für Lottchen sowohl, die nun keine große Sängerin mehr.werden kann, als auch für die bedauernswerte Mutter, die ihr schlecht erzogenes Kind verliert. Die Zuschauer aber nehmen die traurige, jedoch höchst moralische Gewißheit mit nach Hause, daß schuldbeladene Liebe mit Selbstmord gesühnt werden muß. Immer¬ hin ein lobenswerter Zweck, für dessen Erreichung Halbe die nicht mehr ganz neue Fabel seines neuesten Stückes frisch erfunden hat. Halbe ist weil mehr Finder als Erfinder. Was er gesehen hat, schildert er ausgezeichnet. Daher sind auch seine Momentaufnahmen der „Heimatlosen", jenes namenlosen Gciftcsproletariats von Schau¬ spielern, Künstlern, verbummelten Genies aus der Pension Beaulieu über alles Lob erhaben: eine Handlung jedoch tadellos durchzuführen, sind Halbes Kräfte zu schwach. Und wenn er das Fazit seiner drama¬ tischen Thätigkeit zieht, so wird er sich sagen müssen, daß er außer seiner „Jugend" nichts Bleibendes geschaffen hat. Selbst die „Jugend" ist mehr eine dramatisierte Novelle, als ein Drama. Gerade die „Heimatlosen" beweisen, daß Halbes dramatischem Können enge Grenze» gezogen sind. Die einzelnen Figuren sind korrekt gezeichnet. Der Frau Burwig begegnet man auch in der Großstadt täglich auf der Straße: auch das Lottchen mit der Musikmappe ist ein alltägliches Geschöpf, das sich, wie viele hunderte Kunstjüngerinnen, eine Patti dünki und am Ende froh ist, Musikunterricht für fünfzig Pfennig die Stunde geben zu können. Wirbelt indessen Halbe seine Figuren durcheinander, setzt er sich in Positur, und beginnt er „Schicksal" zu spielen, dann erkennt man, daß cs keine Menschen, sondern nur naturgetreue Figuren sind. Daher auch der Erfolg in der Exposition und der Abfall bei der Lösung des Knotens. Fürst Wrcde ist ein geschickter Dilettant: der cs bei einiger Aus¬ dauer zum erfolgreichen Schriftsteller bringen kann. Ob gerade das Drama ihm liegt, ist nach seinem Schauspiel „Das Recht auf sich selbst" zu urteilen, das am 24. Februar im Berliner Theater ge¬ geben wurde, keineswegs unbedingt zu bejahen. In „La Gosse", einer, liebenswürdigen kleinen Novelle, offenbarte sich der junge Aristokrat als ein guter Beobachter und vortrefflicher Erzähler: in seinem Schauspiel dagegen hal er die Naiurlichkeü verloren. Nicht was er mit Augen gesehen oder hätte sehen können, schildert er, sondern er klügelt sich einen Fall ans, von dem er sich theatralische Erfolge verspricht. Ein Mädchen, das unschuldig im Gefängnis gesessen hat, wird von einem Arzt in einer Kleinstadt geheiratet, und cs verschweigt dem werbenden Manne die interessante Vergangenheit. Ein Zufall bringt cs an den Tag, daß die Frau eine Gefängnisstrafe erlitten hat: daraus folgt ein Zerwürfnis: der Mann ist weder von der Schuld noch von der Unschuld seiner Frau überzeugt. Er verlangt ein Wiederaufnahmeverfahren, ist eifersüchtig auf den Mann, um dessentwillen sie in den Verdacht des Diebstahls gekommen war, und sie greift zum Schierlingsbecher oder einem modernen Giftflüschchen: sic wird aber noch glücklich daran ver¬ hindert. Ein ganzer Dichter würde aus diesem abenteuerlichen und doch trivialen Stoff, wenn er ihn überhaupt behandelt hätte, eine er¬ schütternde Tragödie gemacht haben. Fürst Wrcde dagegen läßt das Paar nach Amerika auswandern. Der Autor ist noch jung genug, um zuzulernen, und bei Ausdauer und Fleiß wird er es wahrscheinlich auch zu einem wirklichen Erfolg bringen. Eugen d'Albert bereitete an demselben Tage dem Publikum im Königlichen Opernhause einen Genuß inil seiner einaktigen Oper „Die Abreise". Das Libretto ist ein harmloses Lustspielchen im Rokogeschmack und dazu noch in Alexandrinern. Ein junges Ehepaar ist sich im Laufe der Zeit glcichgiltig geworden, und der Gatte beschließt auf Reisen zu gehen. Sein Freund Trott zeigt sich aber zu geflissent¬ lich, den Ehemann fortzubringen, worauf dieser erst recht zu Hause bleibt und den Honigmond von neuem durchzuleben beginnt. Die Blößen des Textes deckte d'Albert mit dem buntschillernden Mantel der Musik zu. Der Komponist hal den Versuch gemacht, neben die anspruchs¬ volle komische Oper das musikalische Lustspiel zu stellen. Tic Mängel der Dichtung tragen jedoch die Hauptschuld daran, daß der Komponist

Berliner Chronik. Am 18. Februar starb im 65. Lebensjahre der Kgl. Kommerzien¬

rat Otto Dellschau, der Inhaber der bekannten Berliner Essenfirma. Am 29. Februar starb im »9. Lebensjahre der König!. GartenbauDirektor Gustav Adolf Schultz in Lichtenberg. Am 20. Februar starb in Potsdam der König!. Oberstabsarzt a. D. und Schriftsteller Karl Lange im 86. Lebensjahre. Der Verstorbene,

der unter dcni Pscudomim Philipp Galen zahlreiche Romane.verfaßt hat, war bis vor einem Mcnschenaltcr einer der bekanntesten Roman¬ schriftsteller in Deutschland, um dessen Bücher man sich vor 40 bis 50 Jähren in den Leihbibliotheken förmlich riß. Den großen, äußeren Erfolg, den Galen mit seinen Romanen, namentlich mit dem „Irren

von St. James", „Andreas Burns", „Jnselkönig" und „Walter Lund" erzielte, verdankte er seiner Geschicklichkeit, die Fäden der Erzählung spannend zu gestalten und Land und Leute anschaulich zu schildern. Galen war 1813 als Sohn eines Potsdamer Hofwundarztes geboren, studierte unter dem alten Wiebe an der Berliner Pcpiniere und pro¬ movierte 1839 mit einer Arbeit über den Kropf zum Doktor. Er machte 1848 den Feldzug in Schleswig-Holstein mit, lebte feit 1857 in Potsdam und trat 1878 in den Ruhestand. Ani 23. Februar wurde in der Hedwigs-Kirche ein Trauergottesdienst zum Andenken an den am 16. d. M. verstorbenen Präsidenten der französischen Republik, Felix Faure, veranstaltet. Am 23. Februar waren 150 Jahre verflossen, seit in Kassel die berühmte Sängerin Gertrud Elisabeth Schmeling, die spätere Madame Mara, in Kassel geboren wurde. Die Mara hat in dem Kunstleben Berlins unter Friedrich dem Großen eine bedeutende Rolle gespielt. Sie war die erste deutsche Sängerin an der Berliner Oper. Ihr Engagement war ein Verdienst des Grafen Zierotin. Dieser setzte die Anstellung bei dem König durch, der von deutschen Sängern und Sängerinnen bis dahin nichts wissen wollte, und der gesagt haben soll, er lasse sich lieber „von seinem Leibpferde eine Arie vorwichern", als daß er eine deutsche Primadonna für seine Oper engagiere. Als der König aber den Gesang der Jungfer Schmeling in Sanssouci gehört, war er so entzückt von ihrer Kunst, daß er sie sofort niit einem Gehalt von 8000 Thalern für die Berliner Oper anstellte. (März 1771.) Die Sängerin trat zuerst in Potsdam in Hasses Oper „Pyramus und Thisbe" auf. Ihre Verheiratung mit dem liederlichen Kammermusiker Mara führte schließlich zu einem völligen Bruch niit dem König: die Sängerin fürchtete den Zorn des letzteren und floh August 1779 nach Paris. In Berlin sang sie zum letzten Male im Jahre 1803. Am 25. Februar waren 100 Jahre seit der Geburt des Musik¬ theoretikers Siegfried Dehn verflossen, der von 1842 bis zu seinem am 12. April 1858 erfolgten Tode als Kustos der musikalischen Ab¬ teilung der königlichen Bibliothek zu Berlin thätig war. Dehn war einer der hervorragendsten Musiktheorctiker, und hat eine Reihe von Schülern gehabt, die den Ruhm ihres Lehrers weiter über Deutschlands Grenzen getragen haben. Zu ihnen gehören Friedrich Kiel, Anton Rubinstein, Theodor Kullak und Martin Blummer, von seinen Lehr¬ büchern ist die „Lehre vom Kontrapunkt" das wichtigste. Ani 27. Februac feierte Or. Ernst Salkomski, Vorsteher des chemischen Laboratoriums im pathologischen Institut von Rudolf Virchow, sein 25jähriges Prvfessoren-Jubiläum. Ernst Salkowski, geboren 1844 zu Königsberg i. Pr., hal sich vorzugsweise ans dem Gebiete der medi¬ zinischen" Chemie ausgezeichnet. Nach Berlin wurde er im Jahre 1874 aus Heidelberg berufen, nachdem er zum außerordentlichen Professor befördert war". Er hat in seiner Stelle am hiesigen pathologischen Institut zahllose junge Mediziner in die Elemente der medizinisch¬ chemischen Technik eingeführt. Von seinen wissenschaftlichen Arbeiten stehen seine Studien über die Eiweißfäulnis im Darm und die Bauchspeichelabsonderung obenan, ebenso auch seine Beiträge zur chemischen Harnanalyse. Der Berliner Magistrat hat der Stadtverordnctcn-Versnmmlung mitgeteilt, daß er cs nicht für angezeigt hält, an dem gegenwärtigen Zustande der Potsdamer Brücke Aenderungen vorzunehmen, und die künstlerische Ausschmückung derselben umzugestalten. Die GelchrtenStandbilder, um welche sich die Berliner Grundbesitzer-Vereine bereits verschiedentlich bemühten, werden daher ihren gegenwärtige» Standort auf der Potsdamer Brücke behalten. Ende Februar feiert die älteste Berliner Heidcn-MissionsGcsellschaft (Berlin I), welche in Südafrika, Südost- und DeutschOstafrika, in Süd-China (Kanton) und in Nord-China (Kiautschau) arbeitet, ihr 75jähriges Bestehen. Tic Berliner Akademie der Wissenschaften wählte den Botaniker Professor Eugcnius Warm in g von der Universität Kopenhagen zuni Mitglicdc der mathematisch-physikalischen Klasse. Unter den. wissen¬ schaftlichen Veröffentlichungen Warminas stehen sein Sammelwerk über die brasilianische Flora und sein „Handbuch der systematischen Botanik" obenan.

Franz v. Liszt, der bekannte Lehrer des Strafrechts an der Universität Halle, hat einen Ruf an die Unversität Berlin erhalten, dem er im Oktober d. I. Folge leisten wird. Cs handelt sich bei der Be¬ rufung v. Liszts, der ein Better des gleichnamigen Klavicroirtuosen und Komponisten ist, um die Schaffung, einer Lehrkraft, die sich neben dem greisen, jetzt 80jährigen Fr. A. Berner ausschließlich dem Strafrecht

143

wid.net. Liszt, der 1851 zu Wie» geboren ist, gehört zu den Führern der Strafrechtswissenschaft in Deutschland. Der Berliner Akademie der Künste hat der iin April d. Js. zu Leipzig verstorbene Komponist Ludwig Theodor Gouvy ein Kapital von 10 000 Mk. vermacht, dessen Zinsen jährlich alS außerordentliche Unterstützung an einen armen Musiker, vornehmlich an ein Mitglied eines Orchesters gezahlt werden sollen. Auf dein Gebiete der Musik ist diese Stiftung die erste, welche der Akademie zuteil geworden ist. Gouvy, geb. 21. Juli 1822 zu Gaffeutaine bei Saarbrücken, studierte seit 1840 in Paris, wandte sich aber 1848 nach Berlin und bildete sich besonders nach Meudclssohn'schen Mustern. Der Berliner Akademie gehörte Gouvy eist 1895 an. Ende Februar blickt Arthur Vollmer, der Humor- und tem¬ peramentvolle Komiker, auf eine. 25jährige Thätigkeit am Königlichen Schauspielhause zurück. Der hochbegabte Künstler, eine der ersten Kräfte der Königlichen Buhne, kam im Jahre 1874 vom Lnndestheatcr

in Prag nach Berlin. Er wirkte in den ersten Jahren neben Theodor Döring, Georg Hirtl und Paul Dehnicke als Komiker. Nun ist er seit Jahren als erster Komiker am Königlichen Schauspielhause thätig, sowohl im „alten Fache" wie in Moliöres „Eingebildeter Kranker", als auch im jugendlichen, wie Kühne Finke in Wildenbruchs „Ouitzoms".

Friedrich Spiclhagen, der gefeierte Romanschriftsteller, der seit 1862 in Berlin ansässig ist, trat am 24. Februar in sein 70. Lebensjahr. Im Schauspielhause wurde zur Feier seines Geburtstages sein seit 1876 nicht gegebenes Schauspiel „Liebe um Liebe" aufgeführt. Tic Berliner Schriftsteller und Künstler veranstalteten am 26? Februar im Obcrlichtsaal der Philharmonie ein Festmahl zu Ehren des Jubilars, bei welchem ein kostbares „Spiclhagen-Albnm" zur Verteilung gelangte. „Der Bär" hat den großen Romandichter bereits in der vorigen Woche in Wort und Bild gefeiert. Professor Georg Schweinfurth in Berlin hat von der Stock¬ holmer Gesellschaft für Anthropologie und Geographie die Bega-Medaille erhalten.

Märkische Chronik. In Charlottenburg storbenen Reichskanzlers

will mau au dem Geburtshause des ver¬ von Caprivi sOrangenstraße 5) eine Gedenk¬

Der Magistrat von Charlottenburg beabsichtigt ferner, eine der vier neuen Spreebrücken, welche die Stadtgemeinde baut, dem Kaiser den Namen Caprivibrücke vorzuschlagen. Herzfeldc sKreis Niedcr-Barnimj wurde nach der „Voss. Ztg." ein anscheinend wertvoller Fund gemacht. Beim Pflügen auf einem zur Ziegelei Nollcnberg gehörigen Acker stießen zwei Knechte auf mehrere Behälter mit gut erhaltenen Münzen, sowie auf alte Waffen und sonstige Geräte. Unter den Münzen soll sich ein Golddukateu von König Ottokar von Böhmen befinden. Vermutlich handelt es sich bei dem Funde um einen zur Hussiteuzeit vergrabenen Schatz. Krehnc bei Werder a. H. wurde das alte von Rochowfchc Schloß am 13. Februar ein Raub der Flammen. Salzwcdcl sprengten am 17. Februar Pioniere aus Magde¬ burg die Ueberreste der markgräflichen Burg, die derart baufällig waren, daß die Decken und Mauern eingestürzt waren oder einzustürzen drohten. Rur die Umfassnngmauern der alten Burgruine widerstanden jedem Abbruchsversuche, so daß mau zum Dynamit seine Zuflucht nehmen mußte. Die älteste Burg zu Salzwcdcl wurde um 780 von Karl dem Großen gegründet als ein Stützpunkt im Kampfe gegen die Wenden, 1131 belagerte Kaiser Lothar die Burg, welche er N34 Albrecht dem Bür als erbliches Besitztum überließ. Aus der Zeit dieses großen Fürsten sind die Reste der Burgruine, die jüngst gesprengt worden ist. Erhalten geblieben ist von der Burg Albrechts des Bären der hohe, ehemalige Vcrteidigungsturm, dessen Abbildung der „Bär" im 18. Jahrgang Seite 189' brachte. Dieser Turm, der seit 1786 seiner Spitze beraubt ist, diente der alten Burg als Citadelle, aus welcher man bis zur Erfindung des Schießpulvers dem andringenden Feinde den kräftigsten Widerstand leisten konnte, da die Mauern des Turmes zwölf Fuß dick sind. Der Turm ist das älteste Bauwerk der Stadt Salzwedel, und darf nach der Verfügung der königlichen .Hof¬ kammer nicht zerstört werden. Albrecht der Bür scheint sich nur vorüber¬ gehend in Salzwedcl aufgehalten zu haben. Von seinen Nachkommen tafel anbringen.

für

In

In In

nahmen Johann I. (1220—1266) und Otto III. (1220—1267) dauernd und mit Vorliebe ihren Aufenthalt in der Burg. Die letztere gelaugte 1667 in Privatbcsitz, nachdem sic zuletzt den kurfürstlichen Hauptleutcn als Aufenthaltsort gedient hatte. Im Jahre 1864 kaufte sie der Staat für 17000 Thaler von dem Kreisgerichtsdirektor von Hitzackcr. In Stendal soll ein Bismarck-Archiv, eine Sammelstätte von Bismarckurkundcn, begründet werden. Fürst Herbert von BiSinarck hat erklärt, daß er der beabsichtigten Ehrung seines Vaters wohlwollend gegenüberstehe. Ferner ist gegenwärtig der kunstvoll gearbeitete Silberkranz ausgestellt, den die Offiziere des ehemaligen 26. LandwehrRegiments (Bataillone Stendal und Burg) für das Bismarck-Mausoleum

in Friedrichsruh stiften.

In Süd ende bei Berlin ist der Bau einer Kirche beschlossen worden, der noch in diesem Sommer in Angriff genommen werden soll. In Wriczcn feiert die Bäcker-Innung in den Osterfeiertagen ihr 300jähriges Bestehen.

Die Einweihung des Kaiser Wilhelm-Aus¬ kann erst Mitte Mai erfolgen, da das Bauwerk bis zum 22. März, der ursprünglich zur Einweihung in Aussicht genommen war, nicht fertiggestellt werden kann. Potsdam. Das Kaiser Wilhelm-Denkmal der Provinz Brandenburg wird in Potsdam bei der langen Brücke aufgestellt werden. Professor Hcrtcr hat die Herstellung desselben für 185000 Mark übernommen. Die Enthüllung soll am 22. März 1901 erfolgen. In Wansdorf (Kr. Osthavelland) ist ein Thonlagcr von einer Stärke von 18 m und einer Ausdehnung von 2000 Morgen entdeckt

Gruncwald.

sichtsturmes

Die Oualität soll den» Veltcner Thon in keiner Beziehung sich in Wansdorf eine neue Stätte für die Ofenfabrikation entwickeln dürfte. worden.

nachstehen, sodaß

Kleine Mitteilungen. § Ein Stück Vrrnltvin von der Größe einer Kinderfaust wurde kürzlich nach dem „Uckcrm. Cour." in der städtischen Sandgrube in Prcuzlau gefunden. Derartige Funde kommen in der Mark häufiger vor, sie stammen aus der Eiszeit und sind in grauer Vorzeit gleich den vielen Felsblöcken, die wir als Findlinge bezeichnen, auf den Rücken der riesigen Gletscher zu uns gewandert. Im Jahre 1880 wurde bei Prcuzlau von einem Arbeiter ein Stück Bernstein im Gewichte von 210,5 gr gefunden, 1855 sogar ein „Depot" von mehreren Scheffeln Bernstein, darunter Stücke bis zur Faustgröße. Dieses „Depot" hatte vor vielen hundert Jahren ein Bernsteinhändler angelegt, der von der Ostsee nach Süden zog und auf seiner Wanderung das kostbare Konifcrcnharz auf dem Prenzlauer Sandberge verscharrte, und der dann nicht mehr Gelegenheit fand, seinen Schatz zu heben, oder die Stelle desselben nicht wiedererkannte. Arndt und Stein über die Märker. In einer Vorlesung sagte Ernst Moritz Arndt über die Märker: Die über Völkergeschichtc "Meer südlich Wohnenden, z. B. die in den brandenburgischen weiter vom Marken, haben etwas Ernstes und Geschlossenes. Der Minister Stein, der für alle Tinge des Lebens und Staates wie fein Freund Ntebuhr einen scharfen und treffenden Blick hatte, sagte von den Bauern der Marken, diesen werten, stillen Männern, die oft ein viel trotzigeres Gesicht machten als die Mccranwohner, sie guckcit mit finsteren Augen wie der Wolf aus der Sandgrube. Definition. Ter bekannte Humorist Glasbrenner, Auch der vielfach humoristische Kalender unter dem Pseudonym Brcnnglas schrieb und allen älteren Berlinern wohlbekannt ist, befand sich einst in einer Gesellschaft. Eine Dame fragte ihn scherzhaft, ob er wohl wisse, worin sich Frauen und Bücher gleichen? „O gewiß," antwortete Glas¬ brenner, „beide haben gute und schlechte Seiten, selten durchgelcscn, sondern fast immer nur flüchtig durchblättert: beide kosten viel Geld, lieben die Vorreden. Sic werden beide gebunden, damit sie nicht ver¬ loren gehen. Hymen ist der Buchbinder und die Ehe gewöhnlich ein langweiliger Pappdeckel." Die Dame lächelte und war zufriedengestellt. Schnell gesagt An einem größeren Provinzialtheater würd eine Novität gegeben, welche am Abend der Premiere glänzend durchficl, obschon der Berliner Schauspieler Theodor Döring darin gasttertc. Als im zweiten Att, während des Monologs, den Döring hielt, das Fiasko seinen Höhepunkt erreichte, fiel unglücklicherweise ein großes Stück Kalk von der Decke, mitten unter das aufgeregte Publikum, und sicher wäre noch eine Panik ausgcbrochen, wenn sich Düring nicht schnell gefaßt und mit gewaltiger Stimme ins Publikum gerufen hätte: „Be¬ ruhigen Sic sich, meine Herrschaften, das ist nicht das Stück, was hier

rinr

abfällt!"

Trefflicker Bescheid. Moses Mendelssohn war einst Buchhalter in einer Handlung in Berlin und zwar bei einem jüdischen Kauftnann von ziemlich beschränkter Fähigkeit: „Das Schicksal ist doch sehr unungerecht," sagte eines TageS jemand zu ihm, „Sie, ein so geschcidter Mann, müssen einem so beschränken Kopf dienen?" „Ich finde das febr verständig von dem Schicksal," versetzte Mendelssohn: „denn wenn ich Herr wäre, ich könnt' ihn nicht brauchen." Auck sckölt. Der deutsche Kaiser Wilhelm I., damals noch König von Preußen, sah eines Tages, aus einer Steinbank der Karlsbader Promenade sitzend, einen Ungar auf sich. zukommen, welcher ruhig den Sitz ttebeu ihm einnahm und eon aruore rauchte, ohne sich um ihn zu bekümmern. „Wer ist denn — er?" fragt der König, ein wenig ver¬

über diesen achtlosen Gleichmut. „Bin N. Odry, ungarischer Comitats-Vicegespan." „Schön," antwortete der König mit gedämpftem Unmut. Nach kurzer Weile hub auch Odry an: „Und wer ist denn — er?" „Der König von Preußen." „Auch schön," bemerkte der ungarische —dn— ComitatS-Viccgespau, gleichgiltig wciterrauchend. Berliner Sagen. Ein Basrelief über einem Hause der Wall¬ straße stellte einen Mann vor, der eine Thür auf dem Rücken trug. Ta bis zum Jahre 1735 hier das Köpenickcr Thor stand, auch die eisernen Haspen desselben in diesem Hause aufbewahrt wurden, so war das Basrelief vielleicht nichts anderes als ein Andenken an daS ehemalige Thor. Die Sage erklärt das Bild so: Ein armer Schuster habe ein Los iit der Lotterie gekaitst, au seine Stubenthür geklebt, um es nicht zu verlieren, das große LoS gewonnen und die Thür auf das Rathaus getragen, ui» sich das Geld auszählen zu lassen. Zum Andenken daher hat er über der Thür des von ihm gebauten Hauses jenes Basrelief anbringen lassen. — Zuerst in der Kunstkammer des Schlosses zu Berlin, dann in den oberen Räumen des Museums wurde ein zersprungener Würfel aufbewahrt. Zwei des Mordes Angeklagte sollten auf Befehl des Kurfürsten um ihr Lebe» würfeln. Ter Säiuldigc würfelte zwölf, der Unschuldige aber dreizehn, als der eine Würfel zerbrach und so sechs und eins zeigte. — Ein Goldschmied bekam von Friedrich Wilhelm I. den Auftrag, ei» Goldmoiu zu fertigen (das bis 1807 im Gebrauche des königlichen Hauses gewesen sein soll). Darüber ivurdc ein ihm gegenüber wohnender Zunstgcnoffe neidisch, und zeine Frau und seine Tochter fanden Vergnügen daran, dem Goldschmiede, wenn er von seiner Arbeit aufsah, Gesichter und Fratzen zu schneiden. Der König ließ dem Goldschmiede sein Haus auf der Heiligengeiststraße neu aufbauen und zwischen dem zweiten und dritten Stockwerke in einer Vertiefung ein weibliches Brustbild fast in Lebensgröße anbringen, dessen Gesicht ab¬ scheulich verzerrt war, das Schlangen statt der Haare hatte und die Zunge aus deut Munde streckte. — Friedrich Wilhelm I. soll, aufgebracht über die vielen in Berlin vorkommende» Hausdiebstähle, den Befehl gegeben haben, jeden Hausdicb vor dem Hause, in dem er gestohlen, aufzuhängen. Dieses Schicksal traf auch das Dienstmädchen eines drossen

144

Ministers in der Vrüderstraße, die einen silbernen Löffel entwendet haben sollte. Nach einem Jähre kam ihre Unschuld an den Tag: eine Ziege hatte den Löffel fortgeschleppt. Vergebens bot der Minister sein Haus zum Verkaufe ans. Niemand wollte das „Galgenhans" kaufen, bis der König es durch Vermittelung des Magistrats an sich brachte. — Kurfürst Johann Georg soll drei Brüdern, die des Mordes angeklagt waren, befohlen haben, auf dem Heiligengeistkirchhofe je eine Linde, mit der Wurzel nach oben, zu pflanzen: wenn sie fortwüchsen, wolle er an ihre Unschuld glauben. Die Bäumchen fingen an, Keime zu treiben und bald prangten alle drei in frischem, grünen Laube, die drei Brüder waren gerettet.' Eine ähnliche Sage wird in Arnsberg im sächsischen Erzgebirge erzählt. — Ein Steinkreuz auf dem Marienkirchhofe soll nach den meisten Chronisten Berlins ein Wahrzeichen der 1385 hier geschehenen Ermordung des Probstes Nikolaus von Bernau fein; die Sage gab ihm eine andere Bedeutung. Der böse Feind ärgerte sich über die frommen Melodien, die der Türmer der Marienkirche blies, ergriff ihn in gewaltigem Sturme und warf ihn vom Turme herunter. Doch der Wind verfing sich in den Falten seines Mantels und trug ihn sanft zur Erde herab. An dieser Stelle, wo er den Boden erreichte, wurde das Kreuz ausgerichtet. — Am Müggelsee und an den Müggelbergcn lies; sich in der Vorzeit eine schöne Jungfrau sehen, bald in ein¬ fachen Kleidern, bald in fürstlichen Gewändern. Sie sollte die Tochter König' Ottoberts von Böhmen und aus ewige Zeilen hierher verbannt sein. Alle dreimal sieben Jahre erschien sie als ein sehr liebliches Seesräulcin und bat flehentlich, ein Mann solle sie aus dem Banne befreicn, dafür werde er große Schätze erhalten. Ihre Erlösung solle erfolgen, wenn sic jemand dreimal um die Hilbcrtskirche in Köpenick herumtrage, ohne sich durch drohende Gefahren und grausenhafte Er¬

Nur wenige fanden sich, die dieses scheinungen beirren zu lassen. Abenteuer zu bestehen wagten, und keiner vollbrachte das Erlüsungswerk. Unter ihnen war auch ein fremder Ritter, der die Jungfrau bereits zweimal um das Gotteshaus getragen hatte, als beim dritten Umgänge riesige Schlangen und feuersprühende Ungeheuer ihm Todes¬ furcht einjagten und er ohnmächtig zu Bode» stürzte. Noch jetzt soll der Schatz der Prinzessin zwanzig Klafter tief unter _ einem weißen Steine liegen, bewacht von einem schwarzen Geiste, der seine Wohnung im „Teufelssce" hat. Jäger und Holzschläger wollen auch zuweilen ein grausiges Hundegebell und Hörnerton in der Eichenwaldung gehört haben und meinen dann, der schwarze Geist suche die D.

Jungfrau.

Vereinsnachrichten. „Brandrnburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Tic Mitglieder der Gesellschaft hatten sich am Sonntag, 20. Februar, mittags 12 Ühr, zur Besichtigung der Königlichen Landwirtschaftlichen Hochschule recht zahlreich eingcfunden. Herr Professor Dr. Witlmack wies auf die Anfänge des Museums in dem nur bescheidenen Gebäude unweit der Potsdamer Brücke hin, und auf die Einweihung der jetzigen Hochschule durch die große Fischereiausstellung im Jahre 1880. Tie Gesellschaft betrat zunächst die große Ausstellungshalle landwirtschaft¬ licher Geräte im Erdgeschoß. Hier ist cs insbesondere der mit dem Ackerbau wohl gleichzeitig entstandene Pflug, welcher Zeugnis ablegt von den außerordentlichen Fortschritten in der Vervollkommnung dieses zur Bearbeitung des Bodens unentbehrlichen Gerätes. Ein Exemplar primitivster Art, wie es seit den ältesten Zeiten und noch jetzt in Palästina, ja selbst bei uns im Mecklenburgischen noch heutigen Tages benutzt wird, hat Herr Professor Orth von seiner Reise nach Jerusalem mitgebracht und dem Museum einverleibt. Es ist ein sogenannter Hakenpflug, bestehend aus einem schlanken Baumstamm, an dessen Ast ein scnsen förmiger Haken zur Aufwühlung des Erdreichs befestigt ist. In der Zoologischen Ilbteilung befindet sich unter den ausgestellten Unter den Geweihen ein prächtiges Exemplar des Riesenhirsches. Skeletten der wilden und zahmen Säugetiere aus allen Weltteilen nimmt den ersten Platz das vollständig erhaltene Gerippe unserer heimat¬ lichen ausgestorbenen Urkuh ein: es wurde bei Guhlen in der Niederlansitz aufgefunden und ist das größte und schönste Exemplar in ganz Europa. Aus Tibet macht sich ein großer Schafskopf durch seine mächtigen Hörner bemerkbar: aus Aegypten sind einige der vergötterten und einbalsamierten Katzen vertreten. Andere Abteilungen umschließen modellierte Kürperformcn von Haustieren und bildliche Darstellungen, die sich u. a. auch auf das Reiten, Fahren und Anspannen seit dem vienen Jahrhundert unserer Zeitrechnung beziehen. Zahlreich vertreten sind die Getreidcarten aus allen Weltteilen; eine besondere Abteilung enthält die in Pfahlbauten vorgefundenen Ueberrcste. Interessante Erörterungen So veranlaßten die verschiedenen Gemüscarten und Hülsensrüchte. enthält die aus Peru stammende weiße Bohne den meisten zuttäglichcn Nahrnngswcrt, während Erbsen (24 v. H. Eiweiß und 31 v. H. Stärke¬ mehl enthaltend) schwer verdaulich sind und deshalb am liebsten mit dem fast nahrungslosen Sauerkraut verspeist werden. Die Pflanzenwelt ist hier auch mit einem von Loeser u. Wolfs gestifteten „Tabakmuseum" vertreten, in dessen unmittelbarer Nähe die vermeintliche „hundertjährige Alod" ans dem ehemaligen Hcckmannschcn Garten vor dem Schlesischen Thore sich befindet. Es ist dies jedoch, wie Herr Professor Wittmack bemerkte, eine zur Familie der Agavccn gehörige Agave, amerieana, die bei uns erst nach langer Zeit zur Blüte gelangt und deshalb auch „hundertjährige Alod" genannt wird. Ein seltenes, stattliches Exemplar ist die ini Museum aufgestellte Korkeiche, deren starke, aus einer schwammigen Korkschicht bestehende Außenrinde erst behutsani entfernt werden mußte. Den Abschluß der anderthalbstündigen Besichtigung bildeten verschiedene Sttoh- und Pilzarten, sowie die aus ersteren hergestellteu Papierprobcn. Lerannvortlicher.Redakteur:

Dr. M.

Folticineano,

Verein für dir Geschichte der Warft Vralldenbnrg. Sitzung vom 8. Februar 1899. Die Generalversammlung ernannte den langjährigen Vorsitzenden Wirkl. Geh. Rat Dr. v. Levctzow, den Landesdirektor der Provinz Brandenburg v. Manteuffel und den nach fast 40jähriger Amtsführung zurückgetretenen General-Sekretär Professor Holtze zu Ehren-Vorsitzcnden des Vereins und wählte den Professor Dr. Schm oller zum Vorsitzenden, Dr. Fr. Holtze zum General-Sekretär, Archivar Dr. Erhardt zum Bibliothekar, Geh. Archivrat Dr. Hcgert zum Schatz¬ meister, sowie Archivrat Dr. Vaillcu, Dr. Hintze und Oberlehrer Dr. Tschirch zu Beisitzern des Vereins. Es wurde darauf in die Beratung der Satzungen des Vereins eingetreten, die am 1. Januar 1900 in Kraft treten sollen und im Entwürfe einstimmig genehmigt wurden. Nach diesen neuen Satzungen ist für die wissenschaftliche Thätigkeit des Vereins der breiteste Raum geschaffen und die Hoffnung wohl berechtigt, daß die Städte und Kreise der Provinz diese Thätigkeit des Vereins unterstützen werden. Es ist zunächst die weitere Bearbeitung der Grnndkartcn, die Herausgabe der Landtagsaktcn, die Sammlung der in Stadtarchiven, Kirchenbibliothcken, Schlössern u. s. w. zerstreuten Archivalien in Aussicht genommen und bürgt die gesicherte Mitarbeit des Archivars Dr. Meinecke, der Pro¬ fessoren Dr. Brecher und Dr. Breyssig, vorab die des Direktors der Staatsarchive Geh. Ober-Regierungsrats Dr. Kos er für den erstrebten Erfolg. Herr Dr. Freiherr v. Schroetter gab nunmehr eine kurze Dar¬ stellung der Entwickelung des Begriffes „Servis" in der preußischen Militärverwaltung. Er suchte besonders zu zeigen, wie der Große Kurfürst die „Servitien" beschränkte, Friedrich Wilhelm I. sie bis auf das Naturalquartier oder dessen Ablösungssumme in Geld beseitigte, des Vereins

wie der seit dem siebenjährigen Kriege geförderte Kasernenbau die Stellung von Naturalquartier immer seltener machte, und endlich im Lause des darauffolgenden Jahrhunderts auch das alte Charatteristikum einer unentgeltlichen Leistung der Ouarticrslcllung oder Scrviszahlung genommen wurde. Herr Oberstleutnant Sch ackenburg machte folgende, von ihm in den „Annales Berolino-Marchicae" (Manuskr. boruss. in Fol. 29) der Königl. Bibliothek gefundene Mitteilung aus dem Jahre 1526: „In diesem Jahre (1526) starb zu Valencia der Spanische Gou¬ verneur Markgraf Johannes von Brandenburg, Fridcrici Sohn, welcher Darüber neideten sich bei Kaiser Carolo V. sonderbare Gnade verdienet. ihm die Spanier, dursten sich's doch nicht öffentlich merken lassen, bis einer sonderlich mit großen Injurien herausfuhr. Als ihn nun Mark¬ graf Johannes deswegen herausforderte und ihm eine „schwere Lanze" zuschickte, erschrak der Spanier dergestalt, daß er sich entschuldigte, er bätte vor dieses Mal nicht Zeit, ein ander Mal wolle er erscheinen. Aber er suchte nur Gelegenheit sich fort zu machen. Indeß erschien Markgraf Johannes auf dem Platze und hielt mit seiner Lanze, daß Endlich sprach er in Gegenwart vieler sich alle darüber verwunderten. Leute, er sei da, seine Sache auszufcchten, aber der Spanier scheue das Licht, man sollte urtheilen, was von ihm zu halte». Da Solches der Kaiser erfahren, hat er den Spanier am Hofe verstoßen." — Besagter Markgraf Johann war ein Sohn des Markgrafen Friedrich des Aelteren von Anspach, der wiederum der zweite von den Hinter¬ bliebenen Sühnen des Kurfürsten Albrecht Achilles war, von den Er war geboren am 17 Kindern seines Vaters war er das 10. 2. Januar 1493, vermählt seit 1522 mit Germaine de Foix, der Witwe des Königs Ferdinand, des Katholischen von Spanien, und starb am 5. Juli 1526 als Vizckönig von Valencia an Gift. Herr Oberlehrer Dr. Tschirch aus Brandenburg a. H. teilte ein von Herrn Obcrpfarrer Timann in dem Pfarrarchiv von St. Katharina ebendaselbst aufgefundenes, merkwürdiges Schriftstück mystischen Inhalts mit, das nach der Unterschrift aus dem handschriftlichen Sammlungen des bekannten Martin Fricdr. Seidel stammt. Es enthält neben einem Teufclsspuk, der Moritz von Sachsen und Albrecht Alcibiades bei einem Trinkgelage in Dresden erscheint, ein vollständiges Pactum Joachims II. mit einem Geiste, der sich in der Schwurformel einen Sonnen-Engcl nennt. Er verspricht dem Kurfürsten während seines ganzen Lebens treuen Gehorsam, will auf verabredeten Anruf eines göttlichen Namens allzeit erscheinen und seinem Herrn zu Diensten sein, der christlichen Religion ihn nicht entfremden, ihn auch niemals im Traun: schrecken und wenn nicht früher verabschiedet, 30 Tage vor seinem Tode den Abschied fordern. Das seltene Schriftstück bezieht sich jedenfalls nicht auf Joachim II., sondern dies ist ein Irrtum des Abschreibers, da an: Ende des Textes angeführt wird, dieser Fürst habe die Magie von den Abt Tritheim gelernt, der doch nur in Beziehungen mit dein ersten Joachim stand. Uebrigcns ist der Pakt wohl ein Phantasieprodukt aus späterer Zeit und verfolgt die Tendenz, die Gcistcrbannerei des Kur¬ fürsten als eine zwar unheimliche, aber harmlose Beschäftigung darzu¬ stellen, die sich mit dem Christentum wohl vcrttägt. Daher ist der Satan in einen Sonnencngel verwandelt. Aber cs scheint ihm doch nicht ganz zu trauen zu sein; denn er muß versprechen, die Träume seines Herrn nicht zu ängstigen und seinem Totenbette fern zu bleiben. Herr Professor Dr. Brecher machte auf verwandte Archivalien im Königlichen Hausarchiv aufmerksam, die Joachim I. magische und astro¬ logische Steigungen und seinen Verkehr mit Trithein: und Carion betreffen. Jnbczug auf den letzteren, der damals als Hofastrolog in Berlin eine einflußreiche Rolle spielte, bemerkte Dr. Tschirch, daß er wahrscheinlich auf der Universität Tübingen, die seiner Heimat nahe lag, studiert, und dort die Unterweisung des berühmten Astronomen Stoffler genossen habe. Der Nachweis in der Tübinger Matrikel ist dadurch erschwert, daß der uns bekannte Name Carion offenbar eine Uebersctzung des ursprünglichen ins Griechische ist. Doch ist unter den zahlreichen Namen aus Bietigheim, seinem Geburtsorte, vielleicht Johann Näglein, unser Carion, da Caryophyllon die damals aus dem Pliiftus bekannte wissenschaftliche Bezeichnung für das Gcwürznäglcin war. D.

Berlin. — Truck und Berlagr

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenburger Straße 14a.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben.

25. Ikstvgang.

Sonnabend, 11.

Nr. 10.

Mär; 1899.

jDss Uewshsjshp.

- -

Lin Lustspiel- Roman in zwölf Kapiteln von Hedor von Aobeltitz. —

(Fortsehnng.)

">

Sie sich zunächst einmal ein halbes Stündchen nieder, Herr Freese," sagte er. „Liebste Elise, sorge, bitte, für ein >(§) -Glas ,P Wein — Sherry oder Atadeira — damit wir den unglücklichen Rittersmann wieder ein wenig zu sich bringen Und ängstige Dich nicht,. Herz — ich werde nachher schon mit Herrn Freese egen

^

,

.

Rücksprache neh¬

Er wird

men.

diskret sein. — Aengstige Dich

...

nicht!" Die jungeDaverschwand, und Max setzte während sich, me

Freese seine zer¬

schlagenen Glie¬ der auf dem Sofa streckte, neben den

Kandidaten auf

Stuhl. „Wo sind die

einen

Jungen geblie¬ ben?" fragte er.

„Ich weiß

eS

nicht, Herr Ba¬ ron. Ich verlor sie aus den Au¬ gen.

mir,

Ich

denke

werden nach Hause zu¬ rückgekehrt sein." sie

.

.

„Mein Ehrenwort Herr Baron!"

(Nachdruck verboten.)

und

hier auch meine Hand daraus,

Max atmete erleichtert aus und erhob sich. „Haben Tic herzlichsten Dank, Herr Freese!

Ich kann Ihnen tut Augenblick keine weiteren Erklärungen geben und Ihnen nur versichern, daß Sie sich der kleinen Notlüge nicht zu schämen Der brauchen. Zwang der Ver¬ hältnisse bringt sie

mit

sich



aber auch dieser

Zwang wird ein¬ mal weichen." „Noch eine Fra¬

Herr Baron. Wie darf ich die liebenswürdige Dame, die mir Gastfreundschaft gewährt hat, an¬ ge,

reden?" „Nennen Sie sie — gnädige

Frau." DiejungeDame trat wieder ein, ein Tablett der Hand,

in

Städte- und landschaftsbitder: Klostrr Lehnin. aus dem eine (Rach einer photographischen Ausnahme des Herrn Geheimsekretärs Rich. Köhler in Berlin.) „Daswärschon Flasche Sherry das Vernünftig¬ und ein Glas Nun hören Sie standen. Sie füllte das Glas und reichte es Freese. ste. Der Guadalquivir findet seinen Pfad allein. „Stärken Sie sich, mein Herr," sagte sie lächelnd. „Es ist mich einmal an, Herr Freese. Ein Gentleman spricht zum andern. Ich habe Sie schon einmal sozusagen am Wege aufgelesen. Wir leider kein Sattcltrunk, aber wenn Sie einmal wieder zu Pferde in den Erlenbruch kommen, will ich Ihnen auch einen solchen müssen das Geschehnis wiederholen lassen, wenn auch in anderen Formen; es darf niemand — niemand wissen, daß Sie mich hier spenden." „Tausend Dank, gnädige Frau. Ich fürchte nur, der Guadal¬ im Erlenbruch getroffen haben. Niemand darf wissen, daß die — quivir läßt mich gar nicht mehr in den Sattel. Ich habe ihn zu Dame, die Sie vorhin gesehen haben, hier wohnt. Ich habe zu schlecht behandelt." Hause gesagt, daß ich der Frau von Seesen auf Langenpfuhl „O, wie gesund ist ihm das," fiel Max heiter ein. „lind einen Besuch abstatten wollte. Dabei bleibt es, aber mit der Modifikation, daß ich kehrt gemacht habe, weil ich Sie im Walde nun versuchen Sie ein Stündchen zu schlummern, Herr Freese, fand — vom Pferde gestürzt — und nach Hohen-Kraatz zurückbringen oder wenigstens zu ruhen. Um fünf Uhr rufe ich Sie. Ich kutschiere selbst,' spanne die Gäule auch mit eigener Hand an. wollte. Haben Sie alles verstanden?" Der Kandidat nickte. „Jawohl, Herr Baron — ich habe Sie sehen, wie vorsichttg ich bin, um das ,Geheimnis des Erlen¬ bruch 8 ‘ zu wahren!" verstanden." Er ging und öffnete die Thür zum Nebenzimmer vor seiner „Und wollen Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß Sie dabei Dame. bleiben und mich nicht verraten werden?"

146

Freese blieb allein.

Das war ihm vorläufig

sehr angenehm.

Er war nicht nur angegriffen, sondern auch merkwürdig erregt. Das ,Geheimnis des Erlenbruchs', wie Baron Max sich scherzhaft ausgedrückt hatte, beschäftigte seine Phantasie in lebhafter Weise. Um was für ein Geheimnis handelte es sich hier? War die Dame die Geliebte des jungen Herrn? Sie war eine schöne Person — goldblond, mit dunkelgrauen Augen, eineni blütenzarten Teint und von prachtvoller Figur. Freese hatte gut beobachtet. Er schaute sich forschend im Zimmer um. Es machte den Eindruck einer Försterwohnung. Zahlreiche Geweihe hingen an den Wänden, dazwischen eine leise tickende Kuckucksuhr und ein paar kolorierte englische Sportbilder. Weiße Gardinen an den beiden Fenstern, und überall auf den Tischen Vasen und Gläser mit Waldgrün und Feldblumen, hier und da auch ein paar Bücher, Journale und Zeitschriften. Es war ein hübsches Waldidyll, in Aber das Versteck hatte doch auch seine gefährlichen Seiten. So ab¬ gelegen von aller Welt war es nicht, daß nicht ein Zufall hätte leicht, sehr leicht eine Entdeckung herbeiführen können. Wie nannte Baron Max das kleine Gehöft? — Den Erlenbruch. Freese hatte den Namen noch nicht gehört, aber der Erlenbruch konnte nur etwa zwei Stunden von Hohen-Kraatz enffernt sein . . . Freese mußte

dem

Baron Max

lächeln.

seine heimliche Liebe untergebracht hatte.

Der Kandidat wurde müde; das gleichförmige Ticktack der Uhr wirkte einlullend auf die Gedanken. Unwillkürlich schloß er die Augen. — Das Zimmer, in das Max mit der jungen Dame getreten war, gewährte einen ähnlich behaglichen Eindruck wie das Nebeugemach. Es war einfenstrig, und das Fenster stand weit offen. Man konnte von hier aus über den See schauen, dessen Ufer allseitig vom Buchenwald umschlossen wurde. Nur dicht am Wasser standen ganze Reihen von Birken, deren Gezweig tief herabhing und sich in der Flut netzte. Unmittelbar unter dem Fenster lag ein schmaler Streifen Gartenland, etwas verwildert und das Häuschen wie mit einem bunten Rande umsäumend. Der frische Hauch des Sees, der Duft blühender Rosen und der würzige Atem des nahen Waldes füllten das Zimmer.

Die junge Dame hatte sich mit einem leichten Seufzer in dem niedergelassen, der vor dem kleinen Schreibtische dicht ain Fenster stand. Max rückte einen zweiten Sessel in ihre Nähe. „Ein Seufzer, Elise," sagte er. „Wem galt er? Mir?" „Nein, Liebling, nicht Dir," erwiderte sie. „Dir gilt immer nur mein Blick. Und der klagt nicht. Warum seufzte ich? Wahr¬ Sessel

haftig, ich weiß es selber nicht. Vielleicht doch Deinetwegen. Weil Du so bald wieder fort willst." „Ich wollte, ich könnte immer hier bleiben. Ja, weiß Gott, immer. Man wird so selbstsüchtig in der Liebe. Auch so genüg¬ sam. Das mit dem Raume in der kleinsten Hütte hat doch viel Wahres für sich." „O ja — aber nur in der Abwechslung. Ich selbst bin minder verwöhnt, leide nur zuweilen an einem Ueberschuß von Freiheitsdurst. Doch Du, mein armer Max — ich fürchte, die .kleine Hütte' würde Dir sehr bald nicht mehr genügen!" „Mir genügt alles, wenn ich Dich um mich weiß, Siesel."

„Nein, Max — nein, mein Junge! Das klingt sehr hübsch, und bis zu einer gewissen Grenze ist es auch wahr. Aber die Grenze ist nun einmal da. Sie ist nicht fortzuleugnen. Deine Erziehung hat sie Dir gesteckt und auch Dein Temperament. Wenn wir uns für ewig aus der großen Welt zurückziehen und .in irgend einem stillen Erdemvinkel vergraben wollten, so würdest Du das zuerst ganz entzückend finden —" „Ja, ganz entzückend," warf Max ein) „denke an das kleine Gebirgsncst bei Nizza!" „Ich denke daran. Wenn wir drei Tage laug allein gewesen waren, fuhren wir nach Nizza hinein oder nach Monte-Carlo. Nein, Liebling,' die Ruhe ist auf die Dauer nichts für Dich. Hub das ist recht gut. Ein Mann gehört in die Welt. Und siehst Du: das ist auch der einzige Grund, weshalb ich die Klärung unserer Angelegenheit nach Möglichkeit beschleunigt Halen möchte. Ich sage natürlich nur: nach Möglichkeit! beim ich sehe sehr wohl ein, daß

uns beiden mit einem Gcwaltstreich nicht gedient ist — obwohl wir den eigentlich schon hinter uns haben." Max erhob sich und schritt unruhig im Zimmer auf und nieder.

„Haarhaus riet mir erst heute wieder, den gordischen Knoten mit einem Schlage zu zerhauen," sagte er. „Er hat gut reden. Es steht immerhin Gewichtiges auf dem Spiel. Ja — wenn dieser thörichte Majoratscodex nicht wäre! Der ist zu einer Zeit entworfen worden, wo der Adel noch alles war und das Bürgertum zur Plebs zählte. Nun ließe sich ja möglicherweise durch eine Kabinettseingabe der betreffende Paragraph umgehen. Ich habe auch schon an eine nachträgliche Nobilitierung gedacht. Ein Freund von mir, ein Graf A)singen, hat gleichfalls eine Bürgerliche ge¬ heiratet, nimm an, ein Fräulein Schmidt, und die hat irgend ein Herzog zu einem Fräulein von Schmidthausen gemacht." Elise lächelte ein klein wenig trübe. „Ich würde schließlich auch das über mich ergehen lassen," erwiderte sie, „obwohl mir der brave schlichte Name meines Vaters ohne notgedrungenes Anhängsel schon lieber ist. Wahrscheinlich würde ich zu einem Fräulein von Warnowska werden! das klingt polnisch an, und man könnte dahinter ein im Mannesstamm ver¬ storbenes Starostengeschlecht wittern. Aber lassen wir den Scherz ruhen. Wenn Du dem Majorat entsagen müßtest,' würde Bernd oder Dieter in den Besitz von Hohen-Kraay kommen. Entsagen ist immer schwer, das weiß ich wohl! aber ist es in diesem Falle nicht das — Zweckmäßigste?" „Ich würde nicht zögern, Dir beizustimmen ; denn ich fühle mich immerhin Manns genug, für mich und die Meinen allein Aber ich habe an die Zukunft aussorgen zu können. Jedenfalls eilt es auch mir, die Sache ins Eberhards zu denken. reine zu bringen. Ich sage Dir, Darling, die Situation im Hause ist nicht beneidenswert für mich. Ich tanze nicht nur auf einem Vulkan, um mich einer immer noch verwendbaren Roman¬ phrase zu bedienen; ich schreite sogar beständig über glühende Kohlen. Ich kann mir recht wohl vorstellen, wie dem heiligen

Laurentius seiner Zeit zu Mute gewesen sein muß — oder den drei Männern im feurigen Ofen oder den Opfern der Inquisition. Gegen Großpapa und sein Kolonialfieber ist Sankt Peter Arbuss gar nichts. Er lernt sogar schon die ausgefallensten afrikanischen

Dialekte, um mich in Verlegenheit zu setzen." „Maxerle, ich bemitleide Dich von Herzen," rief Elise lachend. „Komm' her, kniee nieder und küß' mich! O, was sind wir dock alle beide für Feiglinge! Warum haben wir nicht von Paris aus unsere Heiratsanzeige nach Hohen-Kraatz geschickt? Dann wären wir heute aus allen Nöten." „Oder säßen erst recht drinnen. Diplomatie, mein Kind —" „Das sagt Dein Großpapa auch. Eine, die das Leben besser kennt als wir, lacht Euch aus mit Eurer Diplomatie." „Frau von Seesen natürlich —" „Ja, Marinka! Und ich kann ihr nur recht geben. Sie war von Anbeginn an für offenes Spiel. Hättest Du vor fünfviertel Jahren versucht, Deinen Willen durchzusetzen —" „Ach, Liefet, quäl' mich nicht so!" bat Max, noch immer zu Füßen der jungen Frau. „Ich bin wirklich kein Feigling, aber auch kein Cyklop an Charakter. Ich gehe gern allen Unannehm¬ lichkeiten, allen rüden Auseinandersetzungen aus dem Wege. Ich bin der Enkel meines Großvaters und liebe tausend Umwege zum Ziel, wenn sie sich bequemer marschieren als die direkte Straße. Ich komme nicht über mich selbst hinaus. Sage dummer Junge zu mir, um mich zu strafen!" Sie sagte das nicht, sondern schloß nur seinen Mund mit ihren Lippen. „Also gut, Max, ich bin zufrieden," fuhr sie sodann fort. „Darf ich wenigstens Deine nächsten Umwege kennen lernen?" „Selbstverständlich. Die Seesen muß sich zuvörderst an Gro߬ papa heranschlängeln und ihm tropfenweise das Gift einflößen. Oder nenne es Honig. Den Papa nehme ich auf mich. Die Mama wird überrumpelt. Wann hast Du Marinka zum letzten¬

mal gesehen?" „Sie war nähme

gestern

hier. Sie kommt öfters. Am liebsten Laugenpfuhl. Aber das geht natürlich

sie mich zu sich nach

147

nicht. Ich fühle mich schon hier nicht mehr ganz sicher. Es war immerhin eine Kühnheit, mich halbwegs zwischen Längenpfühl

und Hohen-Kraatz unterzubringen." „Bah — der Erlcnbruch liegt abseits der Heerstraße! Und Du weißt, die Hohen-Kraatzer meiden den See, seit sich Onkel

Konrad hier ertränkt hat. bei

Man hält

sehr

auf die Tradition

uns."

„Ist

dieser Lehramtskandidat da

drinnen eine zuverlässige

Persönlichkeit?"

Max zuckte mit den Achseln. „Ich hoffe es, Elise. Aber ich muß fort. Leg' Deinen Kopf noch einmal an meine Brust. Das ist die falsche Seite — hier schlägt das Herz. Für wen schlägt es? Für Liesel?" „Nicht ganz allein. Auch °für — es."

„Ja,

für

auch

,es?

Hüt' mir

den Jungen, Schatz!

Die Kathi

scheint ein Schaf unter den Ammen zu sein."

Du siehst, wie der Junge aus; kavalleristische Attacken wie heute ja nicht alle Tage. Adieu, mein Lieb!" „Ach, wie das klingt! Du mußt es dreimal sagen. Lächle wenigstens noch einmal; ich möchte die Erinnerung an das Grübchen mit nach Hause nehmen. Und nun den Kirschenmünd! O wie graule ich mich vor Hohen-Kraatz! Hier die Sprache der Liebe Und drüben die der BagiriS . . ." Herr Freese war wirklich eingeschlafen. Er fuhr aus wilden Träumen jach in die Höhe, als Max ihn weckte. Aber seine schmerzenden Glieder erleichterten ihm die Rückkehr zur Wirklichkeit. „Es ist Zeit, edler Don," sagte Max. „Seien Sic so gut und helfen Sie mir die Rosse schirren. Aber seien Sie vorsichtig dabei; das rechte Stangenpferd beißt." „Aber

erfüllt ihre Pflicht.

sie

gedeiht. Ich ereignen sich

passe

schon

Freese warf sich in die Brust. „Wer auf dem Guadalquivir Carriere geritten und Hindernisse genommen hat, Herr Baron," erwiderte er heiter, „der fürchtet kein beißendes Stangenpferd ." Zehn Minuten später ging es durch den Wald zurück. Ans .

.

Max nochmals um und winkte. „Sehen Sie das iveiße Tuch da unten am Fenster, Herr Freese?" fragte er. „Und wissen Sie, was das ist?" „Ein Schnupftuch, vermute ich, Herr Baron." „Mag es in der Alltäglichkeit auch sein. Aber für mich ist es die Fahne des Friedens, die mich zum Abschied grüßt. Und nun geht es wieder hinein auf kriegerisches Gebiet. Es ist znm Teufel holen!" . . Freese antwortete absichtlich nicht. Der leichte Wagen ratterte über den Weg. Durch die Stämme glühte das Sonnenlicht und nmtanzte mit goldenen Flocken Farren, Wachholderkrant und Bär¬ lapp, Waldanemonen und Crocus. der Höhe schaute sich

Nach einer Panse hob Max die Peitsche und deutete ans die flott -trabenden Pferde. „Die beiden Schimmel sind mir besonders sympathisch," meinte er. „Alte Biester, aber sie heißen zufällig Herv und Leander. Das rührt mich." „Doch der Leander beißt, Herr Baron!" „Ja, er beißt, aber nie seine Hero, sondern nur die, die ihm eine Last aufbürden wollen. Ich kenne einen Leander, für den iväre cs ganz gut, wenn er auch zuweilen etwas energisch um sich bisse, statt sich alles Mögliche und nicht Nötige aufhalsen zu lassen

.

.

."

Run merkte Freese wohl, daß es dem Baron Max mitteilsam ums Herz war. Aber er munterte ihn nicht auf. Er schwieg wieder. Und Max schwieg auch. Er war sehr in Gedanken und nur dann und wann knallte er, wie in aufkochendem Aerger, mit der Peitsche. Erst dicht vor Hohen-Kraatz begann er nochmals: „Also es bleibt bei unserer Abmachung, Herr Freese?" „Ich habe Ihnen Handschlag und Wort gegeben, Herr Baron," erwiderte dieser.

wurde der Wagen mit großem Geschrei empfangen. Alles war versammelt. Bernd und Dieter brüllten ohrenbetäubend, als sie ihren Lehrer wieder glücklich bei sich hatten. Sie hatten ihn noch lauge im Walde verfolgt, aber schließlich seine Spur verloren. Vor einer Viertelstunde hatte sich der Gua¬ dalquivir herrenlos, doch in gemütlichster Laune im Wirtschafts¬

Vor

dem Schlosse

Und da hatte man es allseitig mit der Angst August und drei Knechte waren ausgeschickt worden,

hofe eingefunden. bekommen.

Freese zu suchen.

„Wetter noch eins — seid endlich still, Bengels!" rief Tübingen Jungen zu, die sich an den Händen gefaßt hatten und Freese schreiend umtanzten, so wie sie es bei Gerstäckcr gelesen hatten, wenn die „Schwarze Schlange" der Apachen siegreich von einem Sind all „Freese, jetzt erzählen Sie. Kriegszuge heimkehrte. Ihre Knochen heil? Kein Schlüsselbeinbruch? Keine Gehirner¬ schütterung? Nicht einmal eine Sehnenverzerrung? Nickit einmal den

eine leichte Verstauchung?"

Freese verneinte und begann

dann loszulügen.

Wie er den

Guadalquivir hätte Mores lehren wollen und dieser empfindlich geworden wäre und ihn abgeworfen hätte, und wie zufällig, ganz zufällig der junge Herr Baron des Weges dahergefahren wäre und ihn aufgelesen hätte, und was der Schnurren noch mehr waren. Daß man ihn bemitleidete, that ihm nicht wohl; er hätte viel lieber mit dem Harrassprunge renommiert, aber das ging nicht. Er mußte lügen und auch das Bedauern in Empfang nehmen. Die Baronin wollte ihn sogar in das Bette stecken und ihm Thee kochen lassen. Tübingen riet kalte Umschlüge an; Tcupen war für Blcisalbe, Haarhaus für eine Einreibung mit einer Arnikalösung. All das wurde dem Kandidaten endgiltig genierlich. Er reckte mächtig empor und sagte, er fühle sich wie ein Fisch im Wasser. Aber er wäre beinahe wieder zusammengeklappt; denn in Wahr¬ heit schmerzte ihn jedes Glied.

sich

Als er auf sein Zimmer gehen wollte, huschte Nelly Milton hinter ihm her und hielt ihn auf. „O, Mister Freese," sagte sic (dies „o" brachte sie immer besonders niedlich hervor, mit zierlich gespitztem Mäulchen), „ich wollte Sic bloß sagen, daß ich mir so sehr gefreut haben, daß Sie wieder gesund hier sein. O, ich habe so srecklicke Angst gehabt!" Freese schaute auf den hellen blonden Scheitel hinab und griff nach der warmen kleinen Patschhand. „Vielen Dank, liebe Miß Nelly," antwortete er, und es war, als töne ein ganz leises Zittern durch seine Stimme. „Denken Sie, wie merkwürdig — als das Pferd mit mir durch den Wald raste und ich jeden Augenblick gewärtig sein mußte, mir im Sturze den Hals zu brechen oder den Kops an einem Baumstamm zu zerschmettern

— da

habe

ich

an nichts anderes denken können

als — an Sie." Nelly neigte das blonde Haupt mit dem zausigen Haar über der

Stirn

tiefer.

„O — an mir?" sagte sie leise. „Ja, an Sie. Seltsam, nicht wahr? Ich dachte: wie nun ist es mit dem Sprachunterricht auch nichts! Und mich so

ich



hatte

darauf gefreut!"

„Wir fangen mir

schade

morgen mit die Sprachunterricht an!

Ich freue

auch so sehr.."

„Gut. Morgen nachmittag." „Ilnd — Mister Freese, versprecken Sie tnir, daß Sie sich nie wieder auf das grause Guadalquivieh oben heraus setzen wollen!" „Wir wollen sehen. Miß Nelly. Vorläufig nicht. Vorläufig erhalt' ich mich Ihnen. Erst müssen Sie Deutsch gelernt haben — dann versuch's ich vielleicht doch noch einmal —" Benedikte und Trude sprangen vorüber; der Kandidat brach deshalb ab, grüßte und ging auf sein Zimmer. „Dikte," wisperte Trtide ihrer Freundin zu: „die Nelly bündelt an!" „Ach wo!" „Verlaß Dich d'rauf. Sie macht immer ganz verliebte Angen, wenn sie Herrn Freese sieht, und seit drei Tagen trägt sie ein goldenes Herz als Brosche." „Trude, was Du alles siehst! Vor Dir muß matt sich wirklich in acht nehmen." „Natürlich seh' ich mehr als aitd're! Weil ich die Augen aufmache." „Na — bei mir wirst Du nichts sehen!" 'mal „Oho — wollen's abwarten!"

148

Benedikte schaute dem Apothekerstöchterlein groß und erschreckt Dann wurde sie so roh daß sie sich abwenden

in die Augen.

mußte.-

An diesem Abend ging man allseitig früher zu Bett als ge¬ wöhnlich. Doktor Haarhaus hatte nach dem Essen noch ein Kapitel aus seinem Manuskript vorgelesen und kaum geendet, als Max sich erhob, um sich zurückzuziehen. Er fühle sich ein wenig erkältet. In Wahrheit wollte er nur der Sturmflut neugieriger Fragen entgehen, die sich aller Voraussicht nach an die Vorlesung anknüpfen würde. Graf Teupen schien nur darauf zu warten, eine interessante Kolonialdebatte zu entfesseln. Mit besonderer Spannung hatte wieder Benedikte zugehört. Haarhaus war übrigens nicht nur ein vortrefflicher Vorleser, sondern auch ein brillanter Schilderer. Er verstand es, zu packen ; man lebte mit ihm. Und bei aller anscheinenden Objektivität wußte er doch seine Person immer und immer wieder in den Vordergrund zu schieben. Er war der Held, er, der kühne Aben¬ teurer, der allen Gefahren trotzte' seine Expedition verschwand neben ihm; über allen stand er — er ganz allein. Leider war er in seinem Werke noch nicht so weit vor¬ geschritten, um seine gemeinsamen Erlebnisse mit Max an den Hängen des Kilimandscharo schildern zu können; aber er hatte versprechen müssen, auch diese Kapitel vorzulesen. Und er versprach Vor dem es in der That, ohne eine Miene zu verziehen. Schlafengehen suchte er indessen Max noch einmal ans. „Max," sagte er, „wenn ich noch länger in diesem Hause weile, werde ich zum Verbrecher an mir selbst. Ich vergelte die Von Gastfreundschaft der Deinen durch schnödesten Undank. meinen Lügen spreche ich schon gar nicht mehr. Aber nun soll ich sie auch noch niederschreiben und einer ganzen Corona von Gläu¬ bigen vorlesen. Und wenn Du nun nicht bald reine Tafel machst, werden die Deinen alle diese Lügen auch noch gedruckt sehen wollen. Ich frage Dich allen Ernstes: wie soll das enden?" „Darüber wollte ich auch noch ein Wörtchen mit Dir sprechen," eNtgegnetc Max. „Setz' Dich da drüben in den ledernen Großvaterstuhl. Er hat drei Generationen überlebt und ist wie geschaffen zum Nachdenken. Und hier sind Cigarren. Du kannst sie ruhig rauchen; es sind nicht die langen Holländer Papas." „Das ist mir lieb," sagte Haarhaus; „bei der größten Wert¬ schätzung Deines Papas bringe ich seinen Holländern eine nicht Der Kilimandscharo ist noch zu sagende Verachtung entgegen. nicht hoch genug, sie dort zu rauchen . . . Also, meine Cigarre brennt; nun sprich!" Und Max begann. — Beim Schlafengehen der jungen Mädchen herrschte auch eine ziemlich lebhafte Stimmung. Die Thür zum Zimmer Nellys stand, wie gewöhnlich, offen; man konnte also herüber und hinüber sprechen. Trude Packn saß vor dem Spiegel und wickelte ihre Stirnlöckchen ein. Sie nannte dies „Natur", während sie die Brenneisen als „Kunst" verdammte. „Nelly!" rief sie, „möchten Sie lieber einen Deutschen oder einen Engländer heiraten?"

„Was mir nimmt," antwortete die Miß aus dem Nebenzimmer, in ihrer riesigen Badewanne planscherte. „Ich möchte am liebsten einen Russen haben," fuhr Trude fort. „AIs ich mit der Mama im Winter in Montreux war, saß an der Table d'hüte neben mir ein Gras ans ky, der mir sehr die Cour machte. Er war unverheiratet und trug auf dem linken Daumen einen Brillantring, was ich noch nie gesehen hatte. Ich

wo

sie

glaube, der hätte mich ganz gern genommen, aber ich ließ ihn ab¬ fallen, iveil er immer zwei Glas Kognak in seinen Kaffee goß." „Die Russen sein alle Säuflinge," rief Miß Nelly zurück und planscherte stärker; „sie säufen alle Juchten." Benedikte lachte hell auf. „Aber, Nelly, aus Juchten werden Stiefel gemacht! Wuttki meinst Du." „Doktor Haarhans trinkt auch zu viel", begann Trudchen 'mal Champagner gab, habt Ihr da von neuem; „als es neulich gesehen, wie Doktor Haarhaus das Glas immer nur an den Mund setzte und mit einem Zuge geradezu hinunterschüttete?"

„Ach, rede doch nicht immer, Trude," rief Benedikte, in ihr Bett schlüpfend, „das macht Graf Brada ebenso. Das ist Mode." „Na, weißt Du, Dikte, das muß man sehr geübt haben, um es so gut zu können."

„Du

hast an allen etwas auszusetzen!"

„Nein, nicht an allen. Aber Doktor Haarhaus thut immer 'was sagen, Das ist ein Blender. Und ich will Dir so, als ob. Dikte, er ist auch ein Mörder." „Du bist wohl verrückt, Trude!"

„Er

ist ein Herzensmörder. Das ist ihm ganz wurscht, ob er unglücklich macht oder nicht; da lacht er noch drüber. Der wird auch nie heiraten. Der knickt die Lilien, und dann trampelt er darauf 'rum. Wüstling nennt man solche Leute oder auf französisch ein Ronst." eine

Und da Benedikte nicht antwortete, fuhr

sie

fort:

„Ich habe ihn gleich erkannt. Ihr kennt die Welt noch nicht. Aber in Montreux liefen solche Menschen haufenweise herum. Ein Armband trägt er auch; das ist das erste Erkennungszeichen. Ich wette, er trägt auch einen Fußring. Diese Leute sind im Geheimen alle miteinander verbündet und geben sich einen Wink, wenn sie wieder ein armes, junges Mädchen unglücklich machen wollen. Augen hat er wie ein Tiger, und wenn er lacht, sieht man alle Zähne .wie bei einem Leoparden. Ich sage Euch bloß: ich kenne die Welt •— das ist ein entsetzlicher Mensch. Dem ist nichts heilig, das weiß ich so gewiß . . . Dikte, dem ist nichts heilig . . . Dikte!" Ich will schlafen." Trudchen drehte zufrieden ihre Locken fertig. Der Dikte hatte „Ach, laß' mich in Ruh!

gegeben!-

gehörig

sie es

Die Baronin hatte ihr Bücherpaket aus der Leihbibliothek mit auf ihr Zimmer genommen. Tübingen hatte bei ihr an¬ geklopft, um sich zu beklagen, daß ihm sein viertes Handtuch fehle. Bei derlei Anlässen blieb er gewöhnlich noch ein Viertelstündchen im Schlafzimmer seiner Frau sitzen. Jetzt sah er zu, wie sie die Bücher auspackte.

„Das machst Du zu niedlich, Eleonore," sagte er, „wie Du Bindfaden ausknüpperst. Ich schneide ihn einfach durch." „Dafür bist Du auch ein Verschwender, und ich bin eine spar¬ same Hausfrau. Bei mir kommt kein Bindfaden fort . . . Was hat mir der Moldenhauer da nun wieder alles geschickt! Spiel¬ hagen, der den Adel immer so herunterreißt, und Fritz Mauthner, ich glaube, daS ist ein Jude — und natürlich etwas neues von Theo von Kletzel, und einen Roman von Jda Boy-Ed — die bürgerlichen Doppelnamen kommen mir immer recht komisch vor — und ,Kaktus* von Otto Julius Bierbaum. Der Moldenhauer ist wirklich nicht recht klug. Gott, Eberhard, was schrieb man früher für schöne Romane, die doch auch nachhaltig wirkten! Zum Bei¬ spiel die Paalzow — und .Goodwy-Castel* — das hab' ich als Mädchen verschlungen; aber ich weiß gar nicht mehr, von wem es ist — und die Engländerinnen: die Wetherell und die FlygareCarlsn — daS war, glaub' ich, eine Schwedin oder Dänin — heute giebt's so etwas gar nicht mehr! Wenn ich heute schon die Titel lese! Die können einem von vornherein die ganze Stimmung den

verderben." ist richtig," entgegnete Tübingen. „Früher waren die Titel länger und die Geschichten kürzer. Und gewöhnlich hatten die Titel etwas Geheimnisvolles, was gleich die Neugier reizte. Jetzt sagen sie gar nichts, oder wenn sie etwas sagen sollen, dann sindet man es nicht 'raus. Oder erst ganz am Ende des Buches,

„Das

gar nichts mehr d'raus macht." auch etwas für Papa mit darunter!" — und die Baronin wickelte einen schweren Folianten ans dem umhüllenden „Natürlich wieder Koloniallitteratür: Stanley ,Jm Papier. dunkelsten Afrika*. Gieb ihm das Buch morgen früh, Eberhard, ohne daß die andern es sehen. Sonst neckt ihn Haarhaus wieder 'mal, da mit seiner Schwärmerei für England. Und nun sage größeres dreiundzwanzigsten ein Du gerade hier bist: soll es am Souper werden oder nur drei Gänge? Ich muß das wissen, damit ich nötigenfalls die Kochfrau in Zornow rechtzeitig benachrichtigen kann."

wenn man

„Da

lForychmig solgt.)

sich

ist

ja

143

GroWadt-Poesie. strömt aus dem Empfindungs- und Vorstellungslebcu der Dichter. Aber ihre Empfindungen und Vor¬ stellungen gehören ihrer Zeit, ihrem Lande, ihrer Erziehung, ihrem Milieu an, und so ist es klar, daß das Empfindungsleben eines vom Dorfe stammenden und im Dorfe lebenden Dichters anders geartet sein muß als das eines großstädtischen Poeten. Das Empfindungsleben der Großstadt vibriert unvergleichlich leichter und hastiger. Hier strömen die Gedanken aller Länder und Zeiten zusammen, hier prallen die politischen Gegensätze aus¬ einander, hier hat eine empfangsfreudige Seele ungleich mehr Eindrücke an einem Tage als ein Landbewohner in einem Monat. Man weiß, daß der stille Dörfler, der zum erstenmale eine gro߬ städtische Straße passiert, etwa die Friedrichstraße Berlins, wie trunken dahintaumelt, sein Gehirn arbeitet nicht rasch genug, um die Vielheit der Eindrücke in sich aufzunehmen, und schließlich ist er nach einigen Stunden Großstadttreibcns müder, als wenn er zwölf Stunden in der freien Luft am Pfluge gearbeitet hätte. Andererseits empfindet es der übermüdete Großstädter wie eine Wohlthat, wenn er ans einige Wochen dem Lärm der Stadt ent¬ fliehen und sich auf dem Lande erholen kann. Hier hat sein Auge und sein Ohr nur eine geringe Anzahl Eindrücke in sich aufzunehmen, die er gemütlich verarbeiten kann, so daß es ihm scheint, als wäre der Lärm des Lebens weit hinten irgendwo zurückgeblieben. Ist schon die großstädtische Seele nicht dazu angethan, länd¬ liche Poesie selbstschöpferisch hervorzubringen, so wird gerade die Physiognomie der Großstadt eine Unzahl neuer Motive für den Dichter bieten. Ein Beispiel: Auch hier geht die Sonne auf, aber wer sieht sie? Die meisten schlafen bis in den Morgen hinein und haben fast nie einen Sonnenaufgang in der Stadt gesehen. Nur Nachtschwärmer, die schweren Schrittes nach Hanse taumeln, leichtsinniges Volk, das im Grauen des frühen Tages noch nicht seine Lustigkeit verloren hat, findet sich hierzu. Ab und zu rasseln Wagen durch die Stadt, die Waren nach den Markthallen bringen; die Straßenreiniger warten ihres schweren Amtes mitten im fröstelnden Frühnebel; dann werfen sich immer hellere Lichtstreifen in die Straßen; hie und da flackert ein Licht ansst ein schläfriger Bäcker rollt die Jalousien seines Ladens empor und beendet dann erst die halbfertige Frühtoilette. Dann überschwemmt eine Horde Knaben und Mädchen die Straßen, um Zeitungen und Morgengebäck auszntragen. Heller und heller treten die Dachfirste der Häuser in die geklärte Luft hinaus; gelblich und rötlich breitet sich der Himmel aus, die ersten Pferdebahnen rasseln mit jungem Eifer über die Schienen, immer höher hebt sich das Tagesgestirn, Vögel flattern von der Regenrinne zum Dach; unten schwillt der Lärm an, und bald hat Berlin ausgeschlafen und sein Tagewerk braust durch Millionen Hände weiter. So Morgen für Morgen. Alles Leben ist Poesie; man muß nur Augen haben, sie zu sehen. Und so ist dieser Sonnenaufgang tiefste Poesie wie jener auf dem Lande, der tausende von Gedichten aller Zeiten und Völker Hp Poesie

veranlaßt hat.

Das Tagewerk des Dörflers ist schlicht und einfach. ES sind nicht komplizierte Vorgänge, die sein Fleiß hervorruft. Im harten Kampf mit dem Boden ringt er ihm den Schweiß und Fleiß seiner Arbeit ab; dazu kommt die Zucht von Vieh, Milch¬ wirtschaft u. s. f., Arbeitsgebiete,-die seit Jahrtausenden die idyllische Poesie angeregt und Bewunderung und Liebe hervorgerufen haben. Wie reich, wie vielgestaltig ist dagegen das Leben der Großstadt! Welche Motive für die Poesie! Auch auf dem Lande tobt der Kampf ums Dasein, aber nicht in so gigantischen Formen wie hier, nicht so eng und bedrückend wie in den Stadtkolossen mit ihren Millionen Einwohnern! Die mächtigen Fabriken, die Be¬ siegung der widerspenstigsten Naturkräfte, die Benutzung gewaltiger Erfindungen zu grinsten des Fortschrittes der Menschheit, die unerhört schnelle Verbindung von Land zu Land, von Erdteil zu Erdteil, die Versorgung von Millionen mit Arbeit und Bedürfnissen, aus Schritt und Tritt kann das empfängliche Herz hier Schauer der Bewunderung empfinden und die Größe menschlicher Intelligenz und Willenskraft anstaunen; aber auch ihre Kehrfeite mit Schauer des Schreckens wahrnehmen: den Verbrauch von Menschenmaterial in diesem ungeheuren Kampf von Kräften und Maschinen; den finsteren Kampf ums tägliche Brot, der so schwer ist, weil hinter jedem arbeitenden Individuum ein Ersatzmann steht, dessen Arbeits¬ kraft ihm Brot und Lohn streitig macht. Ueber diesen Bildern gro߬ städtischen Erwerbslebens hinweg dann die grandiosen Kämpfe zwischen den Industrien untereinander, zwischen den Industrien der einzelnen Länder, die Entwickelung vom städtischen Absatzgebiet zum Weltmarkt! Und doch fehlt diesen harten Bildern nicht der idyllische Zug. Alle Empfindungen des Familienlebens, der Liebe, des Mitleids äußern sich zwischen grauen Mauern ebenso tief wie in der Hütte des Dorfes. Der Banersknecht, dem sein Vesperbrot von der Frau zugetragen wird, ist der Bruder des städtischen Maurers,

der im Schatten des Baugerüstes seinen Teller auslöffelt, umgeben von Weib und Kind, ist der Bruder des Droschkenkutschers, der am Halteplatz sich in seinen Wagen setzt, um sich auszuruhen im heißen Brande der Sonne. Dieselbe Gefühle, nur andere Menschen und ein anderes Milien, das demgemäß nach anderer dichterischer Behandlung verlangt. Indes der Bauer mit Sonnenuntergang seine Arbeit schließt, um den Abend im Freien vor der Thür zu genießen und sich einem totenähnlichen Schlaf hinzugeben, hört der Lärm der Stadt nicht ans. Ihr Tagewerk begann etwa 3—4 Stunden später, und so verlängert der Tag seine Thätigkeit um die gleiche Zeit. O diese Sommerabende in Berlin! Mag die Luft grau und schwer sein, so dick, daß die Laternen Mühe haben, hindurch zu blitzen, es liegt ein unsäglicher Reiz in dieser langsam verlosenden Die Häuser, namentlich in der Geschäftigkeit der Riesenstadt. Peripherie der Stadt, scheinen alle offen zu stehen, denn unendliche Scharen strömen heraus und füllen Straßen, Plätze und Fluren mit ihrem Geschwätz. Die Luft ist voll von Getön, der letzte rosenrote Rest Sonnenlichts kämpft mit den ersten flimmernden Strahlen des Mondes, Sterne blitzen hier und da auf, die Mauern stehen reglos in der dampfenden Glut, und überall trotz¬ dem ein Hauch von Sommer, Glück, Fröhlichkeit, lind da legt sich dann wohl Reim ans Reim zu einem „Sommcrabend in Berlin": Sommcrabend. — Weich und warm die Luft; Fern von Gärten ein verirrter Tust, Mattheit noch die weiten Himmelsfluren, Hie und da von Sternen blasse Spuren. Auf der Straße Peitschenknall und Lärmen, Knaben, die um junge Mädchen schwärmen; Dor den Thüren spielen Kinder Reisen; Kutscher klopfen ihre Tabakspfeifen. Stahlroyrittcr, die auf Liebe sinnen, Mühen redlich sich um Radlerinnen, . . . Und um alle weiche, warme Luft, Und von Gärten ein verirrter Tnfi! — Die Physiognomie der Großstadt ist nicht überall die gleiche. Der Westen schließt den Hauptteil seiner Bewohner in seinen Mauern ein und fast nie dringt ein Laut seines Lebens auf die Straße hinaus. Anders die genügsame Peripherie der Stadt. Hier kennt der Nachbar den Topf des Nachbars, hier hilft der eine dem andern ans; hier leben die Kinder auf dem Hof und spielen auf der Straße im Sonnenschein; hier hallt die Straße vom freudigen Lärm der Bewohner wieder, hier weiß cs dacganzc Stadtviertel, wenn der Schuhmacher Friedrich Wilhelm Piefke Zwillinge bekommen hat. Das ist wirkliches Berliner Leben, das diese hnnderttansende kleiner Handwerker, Beamte, Arbeiter leben, Der Salon von nicht jenes in Prnnkpalästcn .in Berlin W. Berlin W. und Paris und Petersburg hat die gleiche Schablone für Salon-Empfindungen, und ein Gedicht der Chansonette Ivette Gnilbert findet ai? allen drei Orten gleichen Beifall und gleiches Verständnis. Ein Gedicht mit dem Motiv „Träumerei am Kamin" wird in jenen drei Knltursprachcn so ziemlich mit denselben Nüancen an Empfindung und epischen Mitteln operieren. Unvergleichlich echter steckt die Poesie der Großstadt in den Erlebnissen und Gefühlen der Masse als in denen der kleinen Zahl seiner vornehmen Bewohner. Und wie abwechslungsreich ist dieses Leben! Zwischen Morgen und Abend, welche Erlebnisse, zwischen Abend und Morgen, welche finsteren Erfahrungen! Zwischen Leben und Sterben, welch reiches Erleben! Eine Unzahl Stände haben ihre Interessen und Wirknngosphären für sich; jeder einzelne erlebt in Minuten seltsame und seltene Dinge. Der große soziale Kampf, der seine Wellen um und über die ganze Erde wirst, spült eine Welle an jedem empor. Der Gegensatz zwischen Handel und Adel, zwischen Militär und Bürgertum, zwischen den freien Künsten und dem Beamtentum, überall ist eine Unsumme von Konflikten, Idyllen, Tragödien, Epen n. s. f. vorhanden, die nach ihrem Dichter verlangen. Die Bühne, der Roman, die Novelle, sic alle haben sich bereitedieser überreichen Fülle bemächtigt. Wo sich großstädtisches Leben entwickelt hat, ist ihr die Poesie gefolgt und hat ihr Schöpfnngsgebiet mächtig erweitert. Richt nur Berlin und Wien, auch Ham¬ burg, München, Leipzig rc. haben ihre Romanciers und Dramatiker gefunden. Das Stiefkind der modernen Litteratur bleibt aber die Großstadt-Lyrik, speziell die Volkspoesie. Gerade wo die Stoffe auf der Straße liegen, wo das Volk sich mit schlimmen Gassen¬ liedern begnügen muß, während es nach guter, schlichter, volks¬ tümlicher Poesie stets gehungert hat, sollte man die Erwartung hegen, daß eine Volkspoesic mit großstädtischen Motiven wohl eines Tages kommen wird. Alles will aber zur Reife Zeit haben. Die modernen Großstädte sind erst das Ergebnis weniger Gene¬ rationen, und damit die Fülle ihrer Erscheinungen sich in schlichte, echte Poesie umsetze, bedarf es jener schönen inneren Ruhe, die die so hastig wachsenden Städte zur Zeit noch kaum gewähren. L.

I.

Die Freilegung der Nikolaikirche. „Alt-Berlin" dahingesunken. Die Neuzeit und ihr Verkehr fordern ihr Recht. Die Häuser zwischen Rikolaikirchhvf und Spandauerftraße, die Eiergasse und die QuerDie alle „Koopmannskirche to dem gäßchen sind niedergelegt. olden Berlin" kann aus einige Zeit ungehindert mit den Fenstern ihres Hochchors nach dem „roten Hause", der Hochburg der Ber¬ liner Stadtverwaltung hinüberschauen. „St. Nikolai auf dem Berge" war so recht das Herz der Niederlassung, die uiedersächsische Handels¬ leute am llfer der Spree gegenüber dem wendischen Fischerflecken Köln gründeten. Der Mvlkenmarkt war der „alte Markt", die Centrale für den Verkehr, wo der Roland und wahrscheinlich auch das erste Rathaus stand. Die Eiergasse und die „Bollengasse", wie damals die Molkenstraße hieß, erinnern an die Stände der Händler mit diesen Lebensmitteln, die hier ihre Plätze hatten. Die Molkenstraße und die Seile des Rikolaikirchhoss zwischen Molkenmarkt und Kirche bleibt einstweilen noch erhalten. Altehr¬ würdige Häuser stehen hier noch: das jedem Berliner Kind be¬ kannte Raturalieukabinct von Keitel Rr. 9 und das Rebenhaus, in dem einst Lessing 1755 gemeinsam mit Reumann eine Stube und eine Kammer iune hatte. Hier gingen Mylius, Gumpertz, Snlzer, Ramler, Breitenbach bei ihnen ein und aus. Die ehrwürdige alte St. Nikolaikirche ist ungefähr 1220—1240 gebaut, d. h. nicht etwa die heut stehende! Diese ist erst um die Wende des vierzehnte:: Jahrhunderts entstanden, teilweise sogar erst im Neubau.von 1460. Vom ursprünglichen Gebäude stammt nur noch der granitene Unterbau der beiden gewaltigen Türme, der allein den entsetzlichen -Fcuersbrünsten vom St. Laurentius- und St. Tiburtiustage 1380 widerstanden hat. Einst stieg man Ttufeipempor zur Kirche, heut steigt mau hinab. Das Hauptportal und der Boden der Kirche liegen unter dem Straßenniveau, das durch de» Brandschntt der ebeuerivälinten Feuersbrünste um soviel erhöht worden ist. Die Berliner buuten aber ihre Markt- und Pfarrkirche präch¬ tiger wieder aus, als sie gewesen. Ablaßbriefe und Stiftungen brachten die nötigen Mittel für Bau und Verschönerung zusammen. „Als sie.das Betteln nicht mehr nötig hatten, waren sie es so

ÄM^ieder

ist ei» Stück

Dir Frrilrguüg der Niiwlaikrrrhe. Mach ein«' Amaienrauiiiahme von Herrn

gewohnt, daß sie es nicht mehr lassen konnten," sagt Küster in feinem seltenen Buch über „das alte und neue Berlin," damit den Schlüssel gebend für das Anwachsen all des Reichtums, den die St. Rikolansparochie besitzt. Der schöne gotische Bau ist seiner Grundrißanlage nach eine dreischiffigc Hallenkirche mit Umgang um den hohen Chor und Kapellenkranz. Das schlichte Aeußere verrät kaum den Adel der Verhältnisse in den zum Himmel strebenden Pfeilern, über die sich kühn berechnete Sterngewölbe spannen; man ahnt kaum den Reichtum an Bildern, herrlich gemeißelten Grabsteinen, Epitaphien, Kapellen, und dabei ist in pietätloser Zeit vieles zerstört worden. Altarkelch und Patene sind berühmte Kunstwerke der frühgvtischen Silberschmiedeknnst.

Augenfällig ist neben dem Turm ein Anbau, die Kapelle heiligen Kreuz, deren schönes gotisches Portal unsere Ab¬ bildung zeigt. In den runden Feldern über demselben befinden sich die Wappen der Geschlechter Distelmeier, ein rvtröckiger, die Disteln des Feldes abmähender Landmann, und von Kötte¬ witz sch ein vom Schwert durchstoßener Wolf. Die Wappen sind unzweifelhaft einst mit Farben und Gold verziert gewesen und haben so einen reichen farbigen Schmuck der Portalwand gebildet. Die Kapelle, die im Volksmund „Die Klause bei der Thür von St. Nicolai" hieß, war dem heiligen Kreuz und der Jungfrau Maria geweiht. Am 25. August 1452, am Freitag nach St. Bartho¬ lomäus, erklärt Churfürst Friedrich der Eiserne, daß mehrere Leute seines Hofgesindes, eine Marienbrüderschaft, der sie angehörte: auch in der Mark verbreiten wollten. Diese Brüderschaft war von Margarethe, der Gattin des Vetters des Churfürsten,

Otto Hasicltampf in PlDrain.)

zum

.

Johanns von Nürnberg

zu

Mangersreuth

bei

Kulmbach

gegründet worden; ihre Angehörigen zahlten einen bestimmten Jahresbeitrag und mußten sich eines durchaus ehrbaren Lebensivandels befleißigen; sie trugen als Abzeichen ein silbernes Schildlein, auf dem ein Abbild der Jungfrau Maria „im Gebirge vor einem Spinnrocken sitzend" ausgeprägt war. Für diese Brüderschaft hatte nun der chnrfürstliche Küchenmeister Ulrich Czeuschel die Gnadenkapelle neben dem Turm der Nicolaikirche gestiftet und zugleich mit einer Summe ausge¬ stattet, daß zivei Priester und drei Chorschüler täglich zu den verschiedenen Tageszeiten sieben Messen lesen konnten. Bischof Stephan von Branden¬ burg bestätigte die Stiftung. Es erscheint auffällig, daß ein „churfürstlicher Küchenmeister" in den Verhältnissen war, so reiche Dotationen machen zu können, wo man doch weiß, wie knapp damals dem Churfürsten selbst oft baares Geld war. Mit Ulrich Czeuschel hatte es aber eine eigene Bewandnis: Er war nicht nur Küchenmeister, er beherrschte das ganze Hofgesinde und ist als eine Art Haushofmeister des Chur¬ fürsten zu betrachten. Er war in Bayreuth „von frommen Leuten" geboren. Friedrich brachte ihn mit nach Berlin, und Czeuschel scheint von Haus aus wohlhabend gewesen zu sein, denn der Chur¬ fürst wandte sich oft in Geldnöten an ihn. Schon im ersten Quartal seines Amtes mußte er 528 Schock, 42 Groschen, 3 Pfennige „verlegen", wie die alte Urkunde sagt. Da Friedrich kaum in die Lage kam, baar zurückzahlen zu können, so gab er ihm das Lehngut Alt-Ranfft und einen Anteil am Dorf Dannenberg, die Einkünfte Spandaus an Mühlen und Heiden, die Orbede, Mühlen und Zölle von Berlin, Trebbin, Saarmund. Außerdem mußte ihm die „Spandauer Haide" Bau- und Brenn¬ Die „Spandauer Haide" ist der holz liefern. heutige Grnnewald, der diesen Namen erst nach

Erbauung des Jagdschlosses im vorigen Jahr¬ hundert erhielt. Da nun der landläufige Zinsfuß damals 10% betrug, so wuchs Ulrich Creuschels Vermögen natürlich sehr bald an. Es wurde auf 70000 Goldgulden geschätzt, was für die damalige Zeit, wo die Gemahlin des Laudesherrn nur 19 000 Goldgulden als Mitgift — schriftlich zu¬ gesichert bekam, eine sehr große Summe bedeutete. Gleichwohl erklärte Albrecht Achill 1479 aus¬ drücklich schriftlich, „daß Ulrich Czeuschel in feiner langjährigen Dienstzeit keinen Groschen mit Untrene erworben habe." Czenschels Wohnung war gleichfalls in einem Lchenshaufe feines Uebrigens zog der Herrn, Klosterstraße .35. Landesherr, als die direkten Abkommen Czenschels sehr bald ansstarben und nachher Erbstreitig-

151

keilen

ausbrachen,

fast

das

ganze

Vermögen

als

Lchngnt ein.

Die Stiftung des frommen „Küchenmeisters" bestand, bis mit Einführung der Reformation in der Mark die St. Nicolaikirche protestantisch wurde, Ter reiche Silberschmuck des Altars und die kostbaren Geräte der heiligen Kreuzkapelle wurden nun an die „churfürstlichen Silberknechte", abgeführt. Nachmals wurde die Kapelle dann Begräbnisstätte des braudenburgischcn Kanzlers Distelmeyer, feines Sohnes und seiner Enkel, und der Kötteritzsch, mit denen seine Familie sich verschwägert hatte. Die in all der Gotik sich seltsam ausnehmende Kapellenfassade im Barockstil, die unsere andere Ab¬ bildung zeigt, ist die Außenseite der Schindlerschen Begräbniskapelle. Innen erhebt sich über der Gruft selbst ein Marmorwerk, die Himmelfahrt Christi. Das Ganze zeigt einen ziemlich freien Barockstil. Be¬ merkenswert sind die eigentümlichen Pilasterkapitäle an der Außenseite, in denen Totenschädcl in die Ornamentik eingeschlungen sind. Es ist erstaunlich, daß in dieser nüchternsten Zeit Berlins, unter dem sparsamen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. ein so reiches Werk entstehen konnte. Indessen Severin Schindler, Gold- und Silberschmied seines Zeichens, hatte soviel Gutes in seinem Leben gethan, daß sich kaum eine Stimme gegen den Aufwand erhob. Schon bei Leb¬ zeiten hatte er das Schindlersche Waisenhaus gestiftet, 1707 starb er, und als 1746 seine Frau ihm folgte, fand man im Testament noch eine Fülle von Ver¬ mächtnissen: 10 000 Thaler für llnivcrsitätsstipendien, 6000 Thaler für arme Schüler, 10 000 Thaler für Freitische am Grauen Kloster-Gymnasium, 3000 Thaler für die Armenschule, 3000 Thaler für Erziehung armer Mädchen, 8000 Thaler zur Besoldung zweier Prediger am Hofgericht, die die armen Sünder trösten sollten. Wenn man die Grabsteine in St. Nicolai durchgeht, findet man eine Fülle der bekanntesten Namen: Rücker, der Begründer des Berliner Ge¬ meindeschulwesens, Pufendors, Caspar Theiß, Hände, Spencr, Dieffcnbach, Blankenfelde, Wins Matthias. Sie bilden ein wahres eampo santo für die Berliner Geschichte. Aber auch aus der Zahl der Pröpste, die hier gewirkt haben, leuchtet eine Reihe berühmter Namen, da ist Paul Gerhard, Spener, Propst Müller, der berühmte Kenner des Chinesischen, dann in unserem Jahrhundert Porst und Spalding. Die jetzt niedergerissenen Häuschen bildeten Dir frrigrlrgtr Dilrolailrirctxr. (Nach einer Amateuraufnahme von Herrn Otto Hassel kämpf in Potsdam.) keine schlechte Umgebung für das mächtige Gottes¬ haus, sie hoben in ihrer Winzigkeit die Größe und emporwachsen, die an dieser kielte doch wohl nur Kauf- und Mächtigkeit des ehrwürdigen Baudenkmals nur umsomehr hervor. Warenhäuser werden können. Hoffen wir, daß es nicht verliert, wenn erst die Rendanten

Von der

chemischen

Industrie in der Mark» Bon

Paul Mirschfeld. v. s^Äshne die verborgenen Fäden zu kennen, an welche sich die dem PöPs Leben und der Wissenschaft zugewachsenen Erwerbungen

knüpfen, durste es auch dem aufmerksamsten Beobachter nicht ge¬ lingen, zum Verständnis der gegenwärtigen Zeit in ihrer materiellen und intellektuellen Gestaltung zu gelangen." An diese Worte Justus von Liebigs werden wir stetig gemahnt, wenn wir auf das gewaltige Gebiet blicken, das die chemische Forschung dem Dienste des Daseins erschlossen hat, und dann beobachten, wie die Früchte dieser Forschung von der Allgemeinheit so angesehen und benutzt werden, als handle es sich um Dinge, welche die Natur der Menschheit freiwillig gespendet habe. Muß es auch als ein Triumph der Wissenschaft bezeichnet werden, daß so viele ihrer Errungen¬ schaften der Menschheit zur Alltäglichkeit geworden sind, so verdient es die Wissenschaft gerade deswegen, daß alle an der Bewegung teilnehmen, die von ihr ausgeht, daß sich jeder der Ursachen und Kräfte bewußt wird, welche den zur praktischen Nutzanwendung gebrachten Ergebnissen der Naturforschung zu Grunde liegen. Wohl nennt man mit Stolz unsere heutige Kulturepoche das Zeitalter des Lichtes. Wohl erscheint bereits der Sonnenglanz der elektrischen Beleuchtung, durch welche das Dunkel der Nacht besiegt worden ist, selbst dem einfachsten Manne aus dem Volke als etwas durchaus Selbstverständliches. Aber nur wenige gedenken

der forschenden Geister, welche an die geheimsten Tiefen der Natur drangen, der Stoffe Gewalt prüften, die Gesetze erschlossen, um diese Stoffe dienstbar machen und der Technik für ihre gewaltigen Aufgaben die Wege ebnen zu können. Nur wenige wissen es, welch weitgehender Studien, welch einer langen Kette von Ent¬ deckungen es bedurfte, um den elektrischen Strom, -gleich der Dampf¬ kraft, zu einem gefügigen Sklaven des Menschen zu machen, ja, um die uns heute säst belanglos erscheinende Errungenschaft der

Stearinkerze

erstehen zu lassen.

Wer aber sich jener nicht zu weit entrückten Vergangenheit zu erinnern vermag, als noch die flackernden Talglichter mit ihrem stets verkohlenden Dochte die gebräuchliche Leuchtkraft in den Wohnräumeu bildeten, wer es noch weiß, wie das trübselige Licht der Oellaternen die einzige Oncllc der Straßenbeleuchtung dar¬ stellte und vergeblich gegen die nächtliche Finsternis ankämpfte, der muß aus die Kulturhöhe der Gegenwart mit Bewunderung blicken. Zu den unentbehrlichsten Dingen im wirtschaftlichen Heim gehörte damals das eigenartige Gerät, das unter der Bezeichnung die in kurzen „Putzschere" die wichtige Bestimmung hatte, Intervallen abgebrannte Dochtspitze der Talgkerze abzuschneiden und so dem ohnehin trüben Lichte auf geringe Zeit neue Lebens¬ kraft zu geben. Der widerlichen Störung, unter welcher dadurch der >

i f

152

bei einer solchen Kerze Arbeitende fortgesetzt zu leiden hatte, gab Goethe einen bezeichnenden Ausdruck in den Worten: „Wüßte nicht, was sie Besseres erfinden könnten. Als wenn die Lichter ohne Putzen brennten!" Der große Dichter erlebte zwar noch die Einführung der Gas¬ beleuchtung in einzelnen deutschen Städten' aber die Genugthuung, die Putzschere als entbehrlich oerschwinden zu sehen, sollte ihm nicht werden. Doch schon wenige Jahre nach seinem Tode hielt die

Stearinkerze, allerdings noch in unvollkommener Gestaltung, ihren Einzug in die Welt. Man erkannte sogleich in diesem neuen Lichte ein bedeutsames Zeichen fortgeschrittener Technik, und bis auf den heutigen Tag ist es, ungeachtet des verbesserten Lampen¬ wesens sowie der in den Wohnräumen der Städte eingeführten Gasnnd elektrischen Beleuchtung, ein wichtiger Faktor im Dienste des Hauses geblieben. Durch ihre bequeme Handhabung, ihr leichtes Anzünden, ihr zuverlässiges, mildes Licht ist die Stearinkerze im Heim durch keine andere Beleuchtungsquelle zu ersetzen. Auch in dieser Errungenschaft ist die märkische Industrie derjenigen des gesamten Vaterlandes bahnbrechend vorangegangen. Wie später von Berlin ans die elektrische Bogenlampe ihren Eroberungszug durch die Welt antrat, so bildete auch, wie wir näher ausführen werden, die preußische Hauptstadt den eigentlichen Aus¬ gangspunkt der gesamten Stearinindnstrie. Doch gehen wir zunächst auf die eigenartige Entwickelungsgeschichte dieses Schasfenszweiges zurück.

Es war im Jahre 1779, als

Karl Wilhelm

Scheele in

dem Laboratorium seiner Apotheke zu Köping in Schweden beim Kochen von Bleisalben einen unkrystallisierbaren, gährungsunfähigen Stoff ausschied, der ihm bis dahin völlig fremd gewesen. Zwar

vermochte er bald festzustellen, daß dieser Stoff, dem er seines süßen Geschmackes wegen den Namen „Oelsüß" gab, einen Be¬ standteil der verschiedensten animalischen und vegetabilischen Fette bilde, aber im übrigen konnte er sein Wesen nicht erforschen, auch keinen Weg finden, ihn irgendwie dem Leben dienstbar zu 'machen. Erst am Anfang unseres Jahrhunderts gelang es dem berühmten französischen Chemiker Chevreul bei seinen Forschungen über die Zusammensetzung der Fette und die Natur der Verseifung nach¬ zuweisen, daß das Oelsüß, das er nach der griechischen Bezeichnung des Wortes „süß" „Glycerin" nannte, ein beständiges Ergebnis der Verseifung von Fetten sei und letztere durchweg in zwei Haupt¬ bestandteile, in Fettsäuren und Glycerin, zerlegt werden können. Diese Erkenntnis, die erst später durch die epochemachenden Unter¬ suchungen Berthelots über die eigentliche Natur des Glycerins und seine Verbindungsverhältnisse mit den Fettsäuren die gesetzliche Grundlage erhielt, wurde die Brücke, welche zur Erfindung der

Stearinkerzen führte.

Chevreul fand nämlich, daß das Glycerin im Fett der Tiere an drei Fettsäuren gebunden sei, denen er die Namen „Stearin¬ säure" nach dem griechischen Worte „stear" Talg, Palmitinsäure nach dem fettreichen Palmbaume, und Oelsäure verlieh. Als er nun das von dem Glycerin befreite Gemisch dieser Säuren durch Abpressen auch noch von der Oelsäure zu trennen suchte, gewann er ein Material, das ihm zur Herstellung von Kerzen überaus ge¬ eignet erschien. Er ließ sich im Jahre 1825 hierauf ein Patent geben, kam aber über Laboratorienversuche nicht hinaus. Erst als es sein Schüler und Assistent, Adolphe Motard, erreichte, die Verseifung der Fette und ihre Trennung von dem Glycerin unter hohem Druck durch Kalkmilch zu ermöglichen, als er ferner den Dochten durch die Manipulation des Beizens eine bessere Brennkraft verschaffte, erhielt die Erfindung Chevreuls eine praktische Bedeutung. Motard, der in Paris einen Herrn de Milly, einen ehe¬ maligen Kammerherrn des durch die Julirevolution gestürzten Königs Karl kennen gelernt hatte, bei welchem er für seine melnmfassenden Versuchsexperimente ein volles Verständnis fand be¬ gründete 1831 in der französischen Hauptstadt in Gemeinschaft mit dem Genannten die Fabrique de bougies de L’Etoiie zur Erzeugung von Stearinkerzen nach der von ihm wesentlich ver¬ vollkommneten Methode seines großen Lehrers. Dieses Vorgehen 'rast zur regte natürlich auch in anderen Ländern die Schaffens Nacheiferung an: Nachdem in Berlin durch Oemichen eine Stearinkerzenfabrik ins Leben gerufen wurde, deren Ergebnisse allerdings nicht vielversprechende waren, veranlaßte der ChemikerRunge in Oranienburg, der erste Pfadfinder in der Erschließung der Steinkohlentheer-Farbstoffe, den in dieser Stadt ansässigen Lichtfabrikanten Hempel mit Hilfe von Kalk ans Palmöl und Talg Stearinkerzen herzustellen. Obwohl die 1835 unter der Be¬ zeichnung „Palmwachskerzen" dem Handel zugesührten Erzeugnisse Anerkennung errangen, so waren sie doch nid)t im eigentlichen Sinne des Wortes das Fabrikat, das man in Paris als Stearin¬ kerze betrachtete.

Infolge eines Zwiespaltes mit

seinem

Gesellschafter

schied

Motard 1838 aus der genannten Pariser Firma aus und siedelte nach Berlin über, um hier die erste deutsche Stearinkerzen¬ fabrik auf der Basis des von ihm ersonnenen Verfahrens zu er¬

öffnen. Doch auch nunmehr bedurfte es noch eines Zeitraumes von mehr als einem Jahrzehnt, ehe in Deutschland die Stearin¬

kerze die volle Popularität erlangen und das Talglicht verdrängen konnte, ehe demnach die rastlosen Bestrebungen der Fabrik von A. Motard & Co. die erhofften lohnenden Früchte erzielten. Die Aera des Aufschwunges in diesem jungen Zweige der chemischen Industrie trat erst ein, als man am Beginn der fünfziger Jahre durch die Einführung des Destillationsprozesses behufs Läuterung der gewonnenen Fettsäure ein reineres Material für die Kerzenfabrikation erlangte, als ferner die bei der Stearinerzengnng abgeschiedenen Nebenprodukte eine günstigere Verwertung fanden, und als endlich die neuen maschinellen und chemisch-technischen Errungenschaften auch in diesem Schaffen zu einer weitgehenden Anwendung kamen. dem bescheiden angelegten Grundstücke in der Brüderstraße, das noch gegenwärtig, als Gedenkzeichen des Ursprunges der Finna, ein Verkaufsmagazin derselben enthält, begann einst der hochverdiente Begründer des Hauses seine damals eng begrenzte Wirksamkeit. Die durch das fortgesetzte Wachstum seines Geschäftes bedingten Betriebserweiterungen veranlaßten ihn dann später, einen stattlichen Fabrikbereich in der Gitschinerstraße anzulegen, der heute bereits, da er sich für eine weitere Vergrößerung als ungeeignet erwies, den Blicken verschwunden ist und einer Reihe imposanter Wohngebäude Platz gemacht hat. Die Firma erwarb dagegen im Jahre 1887 ein an der Spree unweit Spandau gelegenes Terrain, das sie durch weitere Ankäufe zu dem nunmehr im Areal von etwa 200 Morgen umfassenden Besitztum Sternseld erweiterte. Auf diesem ausgedehnten Bezirke hat sie zwei umfangreiche Fabrik¬ etablissements im Betriebe, von denen das eine ausschließlich der Erzeugung des Stearins und der bei diesem Schaffensprozesse sich ergebenden Nebenprodukte dient, das andere dagegen die eigentliche

In

Stearinkerzenfabrik repräsentiert. In den Arbeitsstätten der einen Fabrik sehen wir, wie die beiden Hauptprodukte, die hier zur Verarbeitung gelangen, das aus dem westlichen Afrika, insbesondere aus den deutschen Kolonien, importierte Palmöl und der aus dem In- und Auslande bezogene Talg, zunächst einem Reinignngsprozeß unterzogen und hieraus innigst mit einander vermischt werden. Die so entstandene Fettmasse wird nun in eine Batterie von Autoclaven gepumpt und in diesen Apparaten bei hoher Temperatur und unter hohem Druck durch Einwirkung von Kalkmilch und anderen Ingredienzien zur regelrechten Verseifung gebracht. Infolge dieser Prozedur spaltet sich die Mischung in Fettsäure und Glycerin. Wir deuteten bereits an, daß es das Verdienst des französischen Chemikers B.erthelot gewesen, die eigentliche Natur des Glycerins erschlossen und dadurch seine vielumfassende Nutzanwendung er¬ möglicht zu haben. Dieser Forscher erkannte in dem Glycerin nach weitgehenden synthetischen Prüfungen einen dreiatomigen Alkohol, und stellte überdies seine llnveründerlichkeit in der Kälte, seine Beständigkeit an der Luft, sowie seine Widerstandsfähigkeit gegen den Einfluß von Fermenten fest. Alle diese Eigenschaften, welche die ausgedehnte Verwertung des Produktes-im Dienste des wirtschaftlichen Lebens und der Heilkunde erklärlich machen, ge¬ winnen an Bedeutung, wenn das" Glycerin durch eine gründliche Bearbeitung von allen fremden Beimengungen, die ihm mehr oderweniger -,och anhaften, völlig befreit und einer vollständigen Läuterung unterzogen wird. Ans diesem Grunde unterliegt auch in d'.jem Etablissement das abgeschiedene Glycerin zunächst einer Ve> oampfiing, sodann einer Filtration und schließlich einer sorg¬ fältigen Destillation. Die von dem rohen Glycerin befreite Fettsäure wird nun zunächst durch eine chemische Prozedur von dem ihr noch an¬ haftenden Kalke getrennt und alsdann in eingemauerten Blasen einer Destillation unterzogen, deren Ergebnis noch eine Klärung durchzumachen hat. Die auf diese Weise geläuterte Fettsäure wird mittelst Pumpwerke in Blechgefäße knchenbrettartiger Gestalt eingerichtet und angeordnet sind, daß die so geleitet, die Masse von dem einen in das andere der Gefäße übergehen muß, bis sie erstarrt und ihre Verwandlung in feste Platten Letztere werden in Haartücher eingeschlagen und erfolgt ist. in diesen Hüllen in hydraulischen Pressen einem Drucke bis zu 250 Atmosphären ausgesetzt. Hierdurch wird der Fettmasse der letzte flüssige Bestandteil, das sogenannte Olein, entzogen, das ebenfalls eine ausgedehnte industrielle Verwertung findet, besonders in der Seifenfabrikation wichtige Dienste leistet. Die den Pressen entnommenen

Fettknchen

werden,

nachdem

sie

noch

eine

letzte

Läuterung erfahren haben, in Kufen geschmolzen und gestalten sich sodann zur fertigen Stearinmasse, die behufs der Kerzen¬ fabrikation dem neueren, mustergiltig eingerichteten zweiten Eta¬ blissement der Firma zugeführt wird. Hier unterliegt die Masse noch einer kurzen chemischen Be¬ handlung, worauf sie mit Hilfe eines Rührwerkes diejenige Be¬ schaffenheit erhält, die für die nun beginnende Gießprozedur erforderlich ist. Die Gußapparate besitzen einen geschlossenen eisernen Kasten, in welchem die Formen verschiedener Größe Aufnahme finden, die durch eine Dampfleitung die notwendige Wärme erhalten, und deren Abkühlung eine Kühlwasserleitung bewirkt. Das einen milchartigen Brei bildende Stearinmaterial wird ans Kannen in einen mit dem bewußten Kasten verbundenen

163

Gießtrog gegossen, von dem es in die Formen fließt. Letztere mit eigenartigen beweglichen Pistonröhren versehen, welche einen Mechanismus gehoben werden können und dabei der eine den aus einem unteren Kasten des Apparates, Gießformen analoge Anzahl von Spulen mit chemisch prä¬ pariertem Baumwollengarn enthält, den sich abhaspelnden Docht in die gefüllten Formen leiten. Durch eine Hebevorrichtung werden die von einer Klemme ge¬ haltenen Kerzen aus den Formen gehoben und mit Hilfe einer kleinen elektrisch betriebenen Kreissäge am unteren Ende abgeschnitten und vom sind durch

Dochte getrennt. Nachdem den Kerzen durch Fräsmaschinen die letzte Feile gegeben worden ist, werden sie noch¬ mals geputzt, in einer je ihrer Stärke entsprechenden Anzahl in Seidcnpapier gewickelt, in die allgemein bekannten blauen Futterale gesteckt und dann den vielverzweigten Ka¬ nälen des Handels zugeführt. Die Thatsache, daß die Fabrik von A. Motard & Co. täglich gegen 600000 Strick Stearinkerzen aller Art zu erzeugen vermag, stellt der

Jafffi

im Jahre 1867 errichtete Glyccrinfabrik, die 1872 nunmehr rühmlichst bekannte Firmenbezeichnung Benno Jaffa L Darmstaedter erhielt. Durch bedeutsame technische Verbessernngen der Fabrikationsmethoden haben die Erzeugnisse der Firma eine so einhellige Anerkennung errungen, daß sie auf dem Weltmärkte die erste Stellung zu behaupten vermögen. In einer jährlichen Menge von mehr als zwei Millionen Kilogramm werden die Produkte der Firma nicht nur fast nach allen europäischen Län¬ dern, sondern auch weit darüber hinaus, namentlich nach Canada, Mexiko, den südamerikanischcn Staaten, nach Australien und Japan, exportiert. Ein Rnndgang durch diese Jndnstricstätte offenbart dem Beschauer, was die wissenschaftliche Technik unter die

dem einfachen Wörtchen „Läuterung" versteht, welch eines vielverzweigten Schaffens ein solcher Prozeß in seinen mannigfachen Gestaltungen bedarf. Soll z. B. ans dem Rohglycerin, das am Orte seiner Gewinnung ge¬ wöhnlich nur einer oberflächlichen Reinigung unterliegt, ein chemisch reines Produkt zu pharmazeutischen Zwecken, das den in der Pharma¬ kopoe vorgesehenen strengen Anfor¬ derungen entspricht, dargestellt wer¬ den, so tritt bei seiner Bearbeitung eine mehrfache Destillation in Kraft. Dieselbe wird mittelst überhitzter Wasserdämpfe in einer Reihe von Destillierblasen vollführt, die Tag und Nacht in dauerndem Betriebe sind und sorgsam Übermacht werden tnüssen. Das sich in den sogenann¬ ten Dephlegmatoren verdichtende Gly¬ cerin tritt schließlich als eine mehr oder weniger stark mit Wasser ver-

zanbergleichen Massenproduktion un¬ seres Jahrhunderts der Technik ein beredtes Zeugnis ans. Wer aber mit aufmerksamem Sinn die Ent¬ wickelungsgeschichte dieser Industrie verfolgt hat, wer cs erwägt, wie viele Entdeckungen und Erfindungen geschehen mußten, che dieser Schaffens¬ zweig am Stamme der angewandten Chemie entsprießen und gedeihen konnte, der wird auch in der winzigen Stearinkerze eine bedeutsame Er¬ rungenschaft unseres Zeitalters des Lichts erkennen.

Die gewaltige Steigerung des

Dcr Uückrrlche GraiillrM.

portal zur hriligrn Kriugiaprllr.

Dir Schiiidlrrschr Kaprllr.

Dir Freilegung der Nikolaikirche.

(Nach Amateurauftiahmcn von Herrn O. H as

an Glycerin hat dazu beigetragen, bic Anforderungen an seine Darstellungsweise wesentlich und fortgesetzt zu erhöhen. Infolgedessen entstanden hier und dort in der Kultnrwelt eigene Jndustriestätten, welche cs sich zur Aufgabe stellte», das in den Seifen- und Stearinfabriken bei der Spaltung der Fette erzielte Rohglycerin einer, je nach seiner Bestimmung auszuführenden, auf einer wissenschaftlichen Grundlage beruhenden Rektifikation zu unterwerfen. Auch in diesem Zweige der chemischen Industrie hat die Mark den Vorzug, die Heimstätte des größten deutschen, ja vielleicht europäischen Unternehmens zu sein. Es ist dies die am Salznfer in Charlottenburg gelegene, von vr. Benno

Bedarfs

s

el! a mp f

in Powdam.)

in die Erscheinung, die deshalb noch einer be¬ deutsamen Konzentration bedarf. Vaknumapparatcn wird letztere in verschiedener Art, je nach der ausersehenen Bestimmung des Produktes, zur Ausführung gebracht. Während dao für die Zwecke der Pharmarzie erwählte Glycerin je nach den Ländern, welchen es zugesandt werden soll, ein spezifisches Gewicht von 1,23 bis 1,25 ergeben muß, beansprucht das für die Dynamit¬ fabrikation bestimmte Produkt eine so starke Eindickung, daß es von allen technisch zu entfernenden Wasserbestandteilen befreit wird und ein spezifisches Gewicht von 1,262 erreicht. Bekanntlich entsteht bei einer Nitrierung des Glycerins, also mischte Flüssigkeit

In

154

hei seiner Berbindung mit Schwefelsäure und Salpetersäure, das Nitroglycerin, eine Flüssigkeit, deren explosive Gewalt von so mächtiger Wirkung ist, das; sic 1862 durch Alfred Nobel in Hamburg als Sprengmittel in die Praxis eingeführt wurde. Da aber der Versand und auch die Anwendung dieses Stosses höchst gefahrdrohend war, so sann man auf ein Mittel, ihm einen weniger gefährlichen Charakter und auch eine feste Form zu geben. Der Zufall wollte es, das; Herr Nobel eine Sendung dieses Sprengöls, in Kieselgur verpackt, zurückerhielt, bei welcher während des Transportes eine der den explosiven Stofs enthaltenen Flaschen Schaden erlitten hatte, wobei deren Inhalt sich über das be¬ treffende Verpackungsmaterial ergoss und von ihm fast vollständig absorbiert worden war. Er begann nun sogleich die Kieselgur, diese in der norddeutschen Brannkvbienformativn unweit der Stadt Celle und in der Lüneburger Heide sich vorfindenden mächtigen Ablagerungen von Infusorienerde, und ihr Verhalten zu anderen

mar die Erfindung des Dynamits, mit dessen Hilfe nun dem Dampfrosse die: Wege durch die Felswände der Alpen gebahnt und andere große Schöpfungen des die Völker mit einander ver¬ knüpfenden Verkehrs ins Werk gesetzt wurden. Der dadurch herbei¬ geführte gewaltige Aufschwung der Sprengmittelindustrie hat naturgemäß den Wert des Glycerins in beträchtlicher Weise gesteigert. Doch kehren wir wieder zu der Fabrikation dieses Produktes zurück. Ilm das Glycerin vollständig zu entfärben und ihm die Krystallhelle zu verleihen, wird es noch in einer Anzahl eiserner Cylinder über Knochenkohle filtriert, die in der Fabrik durch die Einwirkung von Glühöfen immer wieder zur Regeneration gelangt. Alle diejenigen Glycerinsorten, die ausschließlich dem Dienste der Technik, namentlich in der Appretur, in der Spinnerei und Weberei, in der Papier- und Lederfabrikation, in der Buchdruckerei und Färberei, gewidmet sind, erhalten ihre Gebrauchsfähigkeit nur durch eine sorgsaine Raffinierung, durch welche ihnen alle färbenden und riechenden Beimengungen entzogen werden. Dasjenige Glycerin, das in der Bierbrauerei, in der Weinküferei, zur Konservierung gewisser Speisen, in der Kosmetik und Parfümerie Verwendung findet, bedarf dagegen einer eingehenderen Läuterung. suche

st a

Kloster Lehnen: Der Königsbau. r.Vrtcii einer photographischen Aufnahme des Herrn Geheimsekretärs

in Berlin.)

Nlch. Köhler

Stoffen genauen Untersuchungen zu unterziehen und fand, das; eigenartige Spende der Natur ihres äußerst porösen Cha¬ rakters wegen die Kraft besitzt, dem Nitroglycerin seine verhängnis¬ volle explosive Macht zu entziehen. Dagegen ergab es sich, daß durch eine solche Verbindung ein neues Sprengmittel entsteht, welches durch eine geeignete Entzündung die mächtigsten Felsblöcke zu zertrümmern vermag. DaS Resultat dieser Studien und Ver¬ diese

Den Weltruf, den die Firma Benno Jaffs & Dar ni¬ edier errungen hat, verdankt sic jedoch nicht nur ihrer bedeu¬

tungsvollen Leistungskraft in der Darstellung der mannigfachen Glycerinprodukte, sondern auch ihrer am Ende des Jahres 1885 im äußersten Nordwcsten Berlins, in dem ehemaligen Martinikenfelde, errichteten Lanolinfabrik, der einzigen, welche als neuer Zweig der chemischen Technologie entsprossen ist. Schon in den ältesten Zeiten galt das Wollfett der Schafe, wie ans den Schriften des klassischen Altertums hervorgeht, als ein viel benutztes Kosmetikum und Heilmittel für den äußeren Gebrauch. Allein diese durch den Zufall gewonnene Erkenntnis geriet in Vergessenheit und sollte erst nach zweitausend Jahren durch die Wissenschaft wieder zu neuem Leben erweckt werden. Der berühmte Pharmakologe der Berliner Universität Professor I)r. Oskar Liebreich stellte nämlich fest, daß das Fett der menschlichen Haut eine dem Wollfette ganz analoge Zusammensetzung habe, woraus er den Schluß zog, daß kein Fett in höherem Maße zur Resorption durch die Haut befähigt sein müsse als das gereinigte Wollfett. Er erforschte nun die geeignetsten Wege, die zu einer gründlichen Läuterung des Produktes führen, und entdeckte dabei, daß es die Eigenschaft besitze, sich mit Wasser oder wässrigen Flüssigkeiten in beliebigem Verhältnis mischen zu lassen, also alle Vorzüge zur Verarbeitung für kosmetische und pharmazeutische Zwecke in sich vereinige. Das hierauf von ihm erlangte Patent wurde zu industrieller Verwertung von der Firma Benno Jaffa L Darmstaedter erworben, durch deren technische Meisterschaft die auf. der Basis dieser Errungen¬ schaft erzeugten Lanolinpräparate eine ungeahnte Bedeutung erhielten. Das zu dieser Fabrikation dienende Rohprodukt bildet das bekannte Rohwollfett, das in den Wollwäschereien aus den abfließenden Waschwässern gewonnen und durch chemische Behand¬ lung in die Form einer festen, braunschwarzen, sauer reagierenden Masse gebracht, und so dem Handel zugeführt wird. Diese Masse wird nun in den Arbeitsstätten der Firma einem vielumfassenden Reinigungsprozeß unterworfen und dadurch von seinen übelriechenden, gefärbten und sauren Beimengungen absolut befreit. Es tritt als hellgelbes, geruchloses, geschmeidiges und durchaus neutrales Prä¬ parat ans Tageslicht, und findet zur Herstellung von Cremes, Seifen, Pomaden und anderen kosmetischen, sowie auch pharma¬ zeutischen Mitteln zur Pflege der Haut eine in der ganzen Kultur¬ welt eingeführte, wirkungsvolle Nutzanwendung. Wer ein Lalolinpräparat betrachtet, der wird es für kaum denkbar halten, daß es ursprünglich dem Produkte entstammt, aus dem ein wesentlicher Teil unserer Kleidung geschaffen wird. Ebenso vermag ein in der Chemie Uneingeweihter es kaum zu fassen, daß zwischen der harmlosen Stearinkerze und dem die Felsen zer¬ schmetternden Dynamit irgend eine verwandschaftliche Beziehung bestehe. Die chemische Industrie bildet eben eine Kette, die sich endlos verlängert, und deren Glieder in alle Kreise des gewerblichen Schaffens eingreifen.

Städte- und Landschastsbilder»

8

Rloltrr Lxhnin.

er böhmische Schristsleller Pulcava beschreibt, wie er selbst sagt, „nach einer brandcnbnrgischen Chronik" die Gründung Lehnins folgendermaßen: „Otto L, der Sohn Albrechts des Bären, jagte einen Tag lang in den dichten Wäldereien der Zauche und warf sich endlich müd und malt an eben der Stelle nieder, wo später Kloster Lehnin erbaut wurde. Er schlief ein und hatte eine Vision. Er sah im Traum eine Hirschkuh, die ihn ohne Unterlaß belästigte. Endlich ergriff er Bogen und Pfeil und schoß sie nieder. Als er erwachte und seinen Traum erzählte, drangen die Seinen

in ihn, daß er an dieser Stelle eine Burg gegen die heidnischen Slaven errichten solle; — die andrängende, immer lästiger werdende Hirschkuh erschien ihnen als ein Sinnbild des Heidentums, das in diesen Wäldern und Sümpfen allerdings noch eine Stätte hatte. Der Markgraf erwiderte: „eine Burg werde ich gründen, aber eine Burg, von ver aus unsere teuflischen Widersacher durch die Stimmen geistlicher Männer weit fortgescheucht werden sollen, eine Burg, in der ich ruhig den jüngsten Tag erwarten will." Und sofort schickte er zunr Abt des Cistercienser Klosters Sittichenbach. im Maus-

155

feldischen, und ließ ihn bitten, daß er Brüder ans seinem Konvente zur Gründung eines neuen Klosters senden möchte. Die Brüder amen. Markgraf Otto aber gab dem Kloster den Namen Lehnin, denn Lehnije heißt Hirschkuh im Slavischen."*) Wenn man sich den Stand der Kulturentwickeluiig und das Aussehen des Landes und seiner Bewohner vergegenwärtigt, wird inan oft an die gegenwärtigen Verhältnisse im schwarzen Erdteil erinnert. Es war nicht gar so anders. Hier wie dort hat die christliche Kultur das Anit des Lichtträgers in die unbekannte Wildnis übernommen. Hier wie dort wehrt sich eine Bevölkerung, die eine primitive Kultur besitzt, bald passiv, bald mit höchster Energie widerstehend, gegen das aufgedrungene Neue. Hier wie dort wurden an der weit vom Kulturzentrum abliegenden Grenze heiße Kämpfe geführt. Hier wie dort ist die terra incognita ein wildes Urlaub, kaum je planmäßig von seinen Bewohnern bebaut, die sich fast ausschließlich von Jagd, Fischerei und Viehzucht er¬ nährten, die fortwährende Kämpfe zu einem Volk von Kriegern mit schnellbereiter Waffe machten. Die Blutbäder aber, die die Wenden unter den Deutschen, ebenso wie die Deutschen unter den Wenden anrichteten, erinnern direkt an die afrikanischen Verhältnisse der Gegenwart) man denke nur an das Schlachten, das Markgraf Gero unter den Häuptern der wendischen Stämme vornahm, nach¬ dem er sie erst zum Gastmahl zn sich geladen und sinnlos trunken gemacht hatte) an das Morden nach der großen Wendenschlacht bei Lnkini sLenren), wo alle Gefangenen an einem Tage geköpft wurden, ivie der sächsische Chronist Widukind zu berichten weiß. An Wildheit und Falschheit gaben hier die Deutschen den Wenden nichts nach, wie man sich überhaupt die Wenden, wenn man sie unabhängig von der Färbung, die ihnen die zeitgenössischen Schriftsteller geben, betrachtet, als ein Volk von großer Ritterlichkeit zu denken hat, denen als größter Schimpf die Verletzung des Gast¬ rechts bedeutete. Wer sich eine solche zu schulden kommen ließ, war entehrt für alle Zeit. Wenn man ans diesen Gesichtspunkte» dann die Thaten der Deutschen prüft, so wird einem der wütende Haß gegen die Eindringlinge, das „Auge um Auge, Zahn um Zahn" sehr verständlich. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet wird einem auch die Er¬ mordung des ersten Abtes von Lehnin Siebold, der von 1180, dem Jahr der Gründung des Klosters ab etwa 10 Jahre lang das Regiment führte, begreiflich; ein alter verwitterter Stein in der Klosterkirche zeigt die Inschrift: „Lsbolclus, primus abbas in Lenyn, a Slavica gente oce isns.“ Die Sage erläutert diese kurze Eilschrift: Abt Siebold ging oft mit seinen Mönchen über Land, um in fernen Wendendörfern das Christentum zu künden. Emst hatte er im Dorfe Prützke gepredigt. Nur von einem Mönch Nahmitz, einem Dorfe begleitet kehrte er nach Lehnin zurück. nicht weit vorn Kloster, traten beide zu kurzer Rast und um der Erquickung .zu heischen in ein wendisches Haus. Der Anblick die ängstlich in deutschen Gottesmänner ließ die Kinder beiden entferntesten Winkel flüchten, während die Hausfrau, deren Eheherr zum Fischfang aus war, unter einem ausgehöhlten Eichenstamm, der sonst als Backtrog diente, sich verkroch. Der Abt, um wenigstens in dem menschenleeren Hause etwas zn rasten, setzte sich ohne eine Ahnung davon auf diesen Backtrog. Die Kinder wurden schließlich dreister kamen hervor und liefen an den See, den Vater und das ganze Dorf zu alarmieren: Der Abt ist da! Die Wenden verstanden iinn die ihnen von den Kindern geschilderte Situation falsch und rückten drohend gegen das Haus vor. Mit Mühe gelang es dem Abt und seinem Begleiter in den nahen Wald zu entkommen; der Abt erkletterte einen Baum; der Mönch eilte nach dem Kloster, Hilfe zu holen. Ein am Fuße des Baumes verlorener Schlüssel¬ bund verriet den Wenden des Abtes Versteck. Umsonst versprachen die inzwischen herbeigeeilten Mönche Geld, der Abt Erlas; des Zehnten, Feld und Haide; da er nicht vom Baume herunter kam, schlugen sie schließlich die Eiche um und töteten den Abt. Die Mönche kehrten unter Mißhandlungen seitens der ausgebrachten Wenden ins Kloster zurück. Die That hatte einen solchen Eindruck aus sic gemacht, daß sic im Begriff waren, dasselbe'auf immer zu und habe verlassen) da fei ihnen die Jungfrau Maria erschienen ihnen zugerufen: Redeatis! Nihil deerit vobis! (Kehret zurück! Es soll Euch nichts mangeln): Das flößte der furchtsamen Schar neuen Akut und Glauben ein. Sie blieben. Ob diese Sage einen nennenswerten historischen Hintergrund bleiben. Die Inschrift, wie ein den Vorgang besitzt, muß dahingestellt 'in der Kirche, sind dem Charakter der angewandten schilderndes Bild Schrift nach jedenfalls viel später zu datieren, etwa um 1400, und beweisen höchstens, daß man sich zu dieser Zeit den Tod Siebolds im Klo.stcr auf die geschilderte Art vorstellte.

etwa Schuldigen vor den päpstlichen Stuhl zu nämlich beim Papst in Avignon ein Lehniner von Ruppin erschienen, der in Gegenwart des richtete, daß in Lehnin „durch Anschirrung des

citieren. Mönch

Es war

Dietrich

Konsistoriums be¬ alten Feindes des Menschengeschlechts" seit 15 Jahren sich die Klosterinsassen in zwei Parteien gespalten hätten, von denen die stärkere, die sich „die Loburgische" nenne, eine vollkommene Herrschaft über die schwächere anmaße. Die Führer der stärkeren Partei, Theodorich von Harstorp, Nicolaus von Lützow und Herrmann von Pritzwalk, hätten, ohne sich an den kanomisch vorgeschrie¬ benen Wahlmodus zu kehren, mit Hilfe ihrer Anhänger sich nach¬ einander zu Aebten des Klosters aufgeworfen. Unter ihrem Re¬ giment seien dann die schauderhaftesten Verbrechen begangen worden. Unter Nicolaus von Lützow sei ein Ritter Falko, der im Kloster Nachtlager genommen habe, überfallen und niedergemacht worden, wobei Herrmann von Pritzwalk und sein

In

Ein scharfes Schlaglicht wirft eine Urkunde vom Jahre 1339 auf einen Abt Hermann von Pritzwalk und damit auf die inneren Verhältnisse des Klosters, ja auf das ganze öffentliche Leben in der Mark. Diese Urkunde von 1339 ist ein Breve des Papstes Benedikt XII. an die Aebte von Colbatz, Stolp und Neu¬ kam pen, die Verhältnisse des Klosters zu untersuchen und die *)

f. Fviminc.

Mäch Wtnld- IN.

Kloster Xrtjnin: Die Kirche. (Rach einer photographische» Ansuahme de» Herrn SehrimsekrelärS

Riq. suilil-cr

in Berlin.)

Anhang besonders beteiligt gewesen sei. Dieser habe dann auch die Waffen des Ritters an sich genommen und fernerhin getragen. Eine zehnjährige Fehde sei daraus mit den Anhängen des Ritters Falko entbrannt, die viele Klosterleute ermordet hätten und durch Raub, Brand und Plünderung dein Kloster Schaden gethan hätten, der mindestens auf 60000 Goldgulden zu schätzen sei. Die Mönche erschienen selbst im Schlafsaal und Refektorium in Waffen. Einen Laienbruder aber, der es gewagt habe zu sagen: die Ermordung Falkos fei auf Befehl des Äbtes und seiner Partei geschehen, habe man ins Gefängnis geworfen und vor Ablauf von zehn Tagen ermordet. Herrmann von Pritzwalk sei jetzt Abt, ver¬ schleudere die Klostergüter und führe unter Verachtung aller Ordens¬ Ihn, den Dietrich regeln ein höchst verworfenes Leben. von Ruppin habe er an den Papst wegen Dispens und Ab¬ solution geschickt, habe ihn aber, da er sich erst an den Abt eines anderen vorgesetzten Klosters gewandt habe, in Eisen legen und nenn Monate lang einkerkern lassen. Einen anderen Konversen des Klosters, Geraldus, habe Abt Herrmann ermorden lassen. Man muß, um sich ein Urteil bilden zu können, bedenken, wie leicht man mit Freiheit und Leben des lieben Nächsten in dieser wilden Zeit umging. ES war die Zeit der baierischen Markgrafen, die Zeit, wo die Berliner den Propst von Bernau vor der Marien¬ kirche erschlugen, die Zeit des dreißigjährigen päpstlichen Interdikts in der Mark. Wildeste Parteikämpfe tobten. Lehn in war bairisch, der märkische Adel antibairisch. In den Mitteln zur Bekämpfung

156 des Gegners war man nicht wählerisch. Die Ermordung Falkos, der sich vielleicht noch dazu mit Gewalt als ungebetener Gast im Kloster einquartiert hatte, wird so verständlich. Jedenfalls spricht für die Partei des Abtes Herrmann, daß er einen Bruder als Abgesandten an den Papst abordnete, um direkt von diesem Dispens und Absolution zu erflehen. Und eingekerkert wurde Dietrich von Rn pp in nur, weil er seinen Auftrag nicht getreulich aus¬ führte, sondern sich erst an den Abt eines anderen, vielleicht riva¬ lisierenden Klosters wandte. Wie die Sache ausging, darüber ist nichts bekannt. Jedenfalls scheint Abt Herrmann von Pritzwalk noch viele Jahre das Kloster regiert zu haben, denn erst um 1552 ist ein neuer Abtname verzeichnet. Besonders interessant ist die Abtszeit des Heinrich Stich, 1399—1430, der die Jahre 1401—1419 in einem Gedenkbnch selbst beschreibt. Man lernt hier da§ gewaltthätige Hausen der Ouitzowschcn Sippe in der Mark kennen, man sieht dann aber auch, wie dem Zollcrnfürsten, der mit eiserner Hand Ordnung schuf, alles zuflog, das nicht davon lebte, im Trüben zu fischen. Die Ouitzows suchten Hast an dein Kloster. Sie verklagten zuerst den Abt beim Convent seines eigenen Klosters. Als das begreiflicherweise nichts nutzte, klagten sie das Kloster an, ihnen zweimal den „Landschoß" verweigert zu haben, obwohl sie doch „Statthalter in Mark Brandenburg" seien, ferner habe das Kloster den Onitzowschen Knechten das Einlager verweigert, schließlich, als wichtigstes, nahmen sie das Eigentumsrecht auf der Havel bei Schloß Plane in Anspruch, da dieses Schloß ihnen gehöre — und nicht umsonst den Namen „Schloß Plane an der Havel" trage. Der Abt erwiderte unter Vorweisung der Urkunden, daß das Kloster nach seinen verbrieften Gerechtsamen von Landschoß und Einlage auf ewige Zeit befreit sei, die Havel ihm aber so lange gehöre, „daß Niemand dessen anders gedenken möge." Er schlug ein Schiedsgericht vor. Bei diesem wurden die Mandatare der Ouitzows, Henning von Groeben und Henning von Stcchow so von der gerechten Sache des Klosters überzeugt, daß sie selbst an Johann von Onitzow die Mahnung richteten, „daß er um Gottes und seiner eigenen Seeligkeit willen mit dem Abte nicht hadern und das Kloster samt seinen Gütern und Besitzungen nicht anfechten möge." Indessen Macht ging vor Recht, es kam dahin, daß Lehnin nicht nur ans sein Flußrecht verzichtete, es mußte auch noch 100 Mark Silber an die Ouitzows zahlen. Doch nicht lange währte dieser Zustand. Beim Erscheinen Friedrichs in der Mark schloß sich das Kloster ihm sofort an. Die Klosterleute lagen mit vor Schloß Beuthen und als in kaum drei Jahren der Trotz des märkischen Stcgreifrittertums gebrochen war, konnte das Kloster, fest iu der Gnade seines Laudesherrn stehend, sich gesichert in ruhigeren Tagen weiter entwickeln.

Ein wehmütig stimmendes Bild bietet die Zeit, die das Kloster unter seinem letzten Abt Valentin (1409—1542) erlebte. Als er seine Herrschaft antrat, war das Kloster im Besitz von 2 Markt¬ flecken, 64 Dörfern, 54 Fischereien, 6 Wasser- und 9 Windmühlen, 14 Forsten, ferner ausgedehnten Aeckern, Wiesen und Weinbergen. Alan sieht, die Fratres hatten in den 330 Jahren seit Bestehen des Klosters klug und umsichtig gewirtschastet. Der Kurfürst Joachim I. nanute den Abt seinen Gevatter, seit dieser bei der Taufe des zweiten Prinzen Pate gestanden hatte, er befreite das Kloster „auf immer" von kurfürstlicher Einlage und wünschte auch iu der Lehnincr Kirche begraben zu sein. Der Abt saß auf den Land¬ tagen gleich hinter dem Bischof von Brandenburg und Havclberg, und 1450 verlieh diesem der Papst sogar Pallium und Krummstab und erhob ihn in Bischofsrang. Als Luther seine Thesen an die Thür der Wittenberger Domkirchc geschlagen hatte, erschien er im Anstrage des Bischofs Hieronymus Scultetus von Branden¬ burg dort, um den kühnen Mönch zu warnen und Luther schreibt an Spalatin, „wie er ganz beschämt gewesen sei, daß ein so hoher Geistlicher einen so hohen Abt so demütig an ihn abgesandt habe." Man sieht, welch ein Ansetzn Lehnin und sein Abt in der Welt genossen.

Abt Valentin lebte wohl mehr im Stadthause des Klosters iu Berlin und bei Hofe als im Kloster, aber doch schmiickte er dieses und seine Kirche mit Werken der deutschen Kunst, die eben unter Dürer, Kranach, Holbein in ihre höchste Blütezeit in der Renaissance

trat.

Lange war das Rauschen der neuen Zeit an Lehnin und Abt Valentin so vorübergegangen, doch kaum war Joachim II, seinem Vater gefolgt, da wurde die Reformation in die Mark eingeführt. Der Abt versucht einen leisen passiven Widerstand, doch schon 1542 bittet er den Kurfürsten, „ihm und seinem Kloster auch bei veränderten Zeitläufen allezeit ein gnädigster Herre zu sein." Er stirbt dann im selben Jahre und an die Mönche ergeht der kurfürstliche Befehl keinen neuen Abt zu wählen, sic selbst mögen bleiben oder wandern, wie sie wollen. Damit war das

Schicksal des Klosters besiegelt. Die meisten und thatkräftigsten aus, von den bleibenden „Priors, Subpriors, und Seniors so zu Lehnin verharren" ergeht die Bitte an den gnädigsten Herrn und Kurfürsten ihnen (unter anderem) zu gewähren an Mittagessen: 4 Gerichte) Abendessen: 3 Gerichte) Bier: 1 Tonne wöchentlich) Wein: 8 Tonnen jährlich) außerdem zu Neujahr und zu Mitfasten einen Pfefferkuchen. Fürwahr ein kläglicher Abschluß für eine so glänzende ge¬ schichtliche Entwickelung. Die Mönche, die wenige Jahre vorher noch große Herren waren, betteln um ihren Unterhalt, ihrem Bitt¬ gesuch noch anfügend, daß sie es den Räten ihres gnädigsten Herrn Churfürsten anheim stellen, an den obgcmeldeten Artikeln zu re¬ formieren nach ihrem Gefallen. Wenig im Vergleich zu dem, was vorhanden war, ist von der alten Baupracht des Klosters erhalten. Ein paar gotische Backsteingebände nur außer der Kirche. Da ist das jetzt in die Schule umgewandelte sogenannte Patronatshaus, dann der „Königsbau", ein zweistöckiges Gebäude mit spitzbogigen Fenstern und reich gegliedertem gotischen Giebel, seiner Bauart nach iu das 15. Jahrhundert zu datieren. König Friedrich Wilhelm IV. kaufte es an, um cs vor dem Untergang zu bewahren. Dann im Anschluß an die Südseite der Kirche das ehemalige Konventsgebäude, das noch am ehesten einen Schluß auf die Gro߬ artigkeit der Anlage zuläßt. Wir finden darin noch ein paar Klosterzellen und einen Saal, der jetzt in zwei Schulzimmer geteilt ist. Die Kirche war eines der wenigen erhaltenen Beispiele ro¬ manischer Baukunst in der Mark, eine dreischisfige Pfeilerbasilika

wanderten

mit kreuzförmigem Grundriß und halbrunder Apsis.

An das Mittelschiff hatte man, da wahrscheinlich der Raum nicht ausreichte, in späterer Zeit eine Verlängerung im gotischen Stil angebaut. Diese Zeit indessen baute offenbar viel weniger gediegen, als die romanische, denn während sich der ursprüngliche Teil der Kirche leidlich brauchbar erhielt, stürzte der gotische nach und nach in sich zusammen, sodaß man schließlich die Kirche durch eine trennende Ouermauer gegen den mehr und mehr zur Ruine werdenden Teil abschloß. 1872—1877 hat mau dann schließlich den gesamten Ban restauriert. Es wäre wohl nicht geschehen, wenn die Kirche nicht eine so viel benutzte Fürstengruft darstellte, elf Askanier wurden hier heigesetzt, und später drei Hohenzollern: Friedrich der Eiserne, Johann Cicero und Joachim I, die dann allerdings nach dem Berliner Dom überführt wurden. Wie der gesamte Klostcrban nach und nach ausgeraubt wurde, Die umwohnenden Dörfler benutzten die Klosterso auch die Kirche. gebäude einfach als Steinbruch und vermendetenJahrhnnderte lang so¬ weit nicht die Festigkeit der Mauern ihnen unüberwindlichen Trotz bot, das herrliche Material zur Errichtung ihrer Kathen und Hütten. Aus der Kirche wurde der Schmuck bis auf die Grabsteine zer¬ stört und weggeschleppt, die farbige und goldene Pracht der Wandund Deckenmalereien einfach mit weißer Kalktünche überstrichen. Der herrliche Altarschrein den Abt Valentin 1518 stiftete, kam 1723 nach Brandenburg. Nur ein Mal aus ältester Zeit hat alles überdauert: Im Chor ragt zu den Füßen des Altars ein alter, halbversteinter Eichstummen ans) es soll der Stamm der Eiche sein, unter der Otto den Traum hatte, der ihn zur Gründung des Klosters veranlaßte. Er hat alle Pracht und Herrlichkeit und allen Jammer und Verfall mitangesehen und überdauert. Eine seltsame litterarische Erscheinung knüpft sich an Lehnin: es ist das Vaticinium Lehnincnse, die sogenannte Lehninsche Weissagung. Im Anfang des vorigen Jahrhunderts tauchte sie plötzlich au verschiedenen Druckorten teils selbständig, teils als Einschaltung in größere Werke auf: 100 lateinische Hexameter, die in' mystisch-prophetischem Stil die Schicksale der Mark, ihrer Fürsten, speziell aber Lehnin behandelten. An ihrem Kopf stand: „Weissagung des seligen Bruders Hermann, weiland Lehniner Mönches, der ums Jahr 1300 lebte und blühte." Die Schrift machte viel Aussehen, da namentlich das Untergehen der Hohenzolleru im elften Geschlecht nach Joachim I. und die Rückkehr der Mark in den Schooß der allein selig machenden Kirche prophezeit wurde. Nun, die Prophezeiung ist von der Geschichte längst über¬ holt. Friedrich Wilhelm III. war bereits die elfte Generation nach Joachim L, und von einer Rückkehr der Mark zum Katholi¬ zismus scheint auch noch nicht viel vorhanden zu sein. Man hat viel hin und hergestritten über Echtheit und Unechtheit der Schrift. Theologen, Paläographen und Sprachgelchrte haben für und wider gekämpft. Eine zuverlässige Entscheidung wird kaum zu fällen sein, da nirgendwo ein Original-Manuskript, sondern nur Nachdrucke existieren. Die jetzige Forschung ist der Ansicht, daß die ganze Weissagung erst um 1690 entstanden sei. Nun, jedenfalls ist das Unheil kündende Vaticinium vom glän¬ zenden, blühenden Leben Lügen gestraft worden und von Lehnin werden die fpärlichen Reste einstiger Herrlichkeit nun wohl erhalten bleiben.

Carl Langhammcr.

157

Eine Berliner Schneider-mamsell. ^ibwohldas

Karrikaturenwesen, die Witzblätter und die humoristischen Zeichnungen in mancher Beziehung eine technische Vollendung erlangt haben, welche die Jetztzeit diesbezüglich weit über die Vergangenheit stellen, so ist der Einfluß dieser modernen Publi¬ kationen auf die große Menge der Gebildeten den¬ noch unvergleichlich geringer als derjenige der verwandten Blätter, welche in den zwan¬ ziger bis vierziger Jahren bei uns herumflatterten.

M

Kunstanstalt von Wiuckelmann und Söhne, zeigt uns eine typische Figur der damaligen Zeit, eine Berliner Schneidermamsell, die gegen den Wind ankäinpft tlnd dabei ihrem Unmut mit den Worten sprecathenischen Idioms Ausdruck verleiht:

„Jott wie unausstehlig

der eklige Wind!"

Leider können wir das papageiartig bunte, dabei aber doch wohlgefällige Kolorit des Anzuges nicht wieder geben: schwarzer Rock mit Falbalas, grünes Ueberkleid. Der rote flie¬ gende Mantel mit breiten grünen und schmalen weißen Streifen. Mantel und Mantelkragen hellblau ge¬ füttert. Uni den Hals eine weiße Tüllkrause. Der große Schäferhut, den die junge Schöne mit der rechten Hand festhält, ist grün, mit Rosaband garniert. Die Haare sind nach der Mode der dreißiger Jahre ge¬ pufft. Hellgelbe Handschuhe. Der linke Arm trägt ein strohernes Pompadour-

Dies liegt daran, daß gegen¬ wärtig die Massenhaftigkeit derartiger Erscheinungen keinen ruhigen und deshalb keinen nachhaltigen Eindruck mehr auskommen läßt und selbst die launigsten und witzigsten Sachen zu Ein¬ tagsfliegen stempelt, die

überaus schnell werden. Es liegt daran, daß unsere hinsichtlich der

vergessen

aber auch

Voreltern Unterhal¬

tungslitteratur viel genüg¬ sanier und harmloser waren, daß sich auch die Spaltung in religiöse, soziale und politische Feldlager nicht

Körbchen besatz.

Scheere am Bande herunter und charakterisiert den Stand, zu welchem das Fräulein sich bekennt. Die

entfernt so scharf ausgeprägt zeigte, wie das heutzutage der Fall ist, wo jede Partei auch zur Befriedigung der Satyre und des Humors Blätter von mehr eigener, besonders aus¬

zierlichen hellgelben Schuhe haben lilafarbigen Zeughesatz mit kleitten Franzen und darüber die sind weißen Strümpfe ange¬ deutet. dem frischen, nicht unebenen Gesichtchen paart sich der Ausdruck von

geprägter Tendenz besitzt. Gerade der Mangel an einem wirklich öffentlichen

In

Leben brachte es mit sich, daß witzige oder scherzhafte

Darstellungen, damals viel mehr gewürdigt wurden. Man verwendete deshalb auch größere Sorgfalt auf die Darstellung, man kaufte die einzelne» Blätter oder ganze Serien gern,' Künstler,

Verleger und Publikum wurden dabei gleichmäßig zufrieden gestellt. Ein solches Blatt von künstlerischer Ausstattung, gezeichnet von B. Dörnbeck und lithographiert in der einst so berühmten Berliner

Eine Sehne idermam seil .

Kunst und Wissenschaft. Grheimrai Henry Pierson.

In

unserem ganzen öffentlichen Leben ist kaum eine Persönlichkeit zu finden, von der man so viel spricht und so wenig ivciß wie von dem Intendantur-Direktor der König!. Schauspiele, dem Geheimen Regierungs-

Rat Henry Pierson, der als Mil-Begründer der Verlagsbuchhandlung Pierson in Dresden, von Hause aus Buchhändler gewesen ist. Henry Pierson war aber entfernt kein Dilettant auf dem Gebiete des Theater-Wesens als er in die Intendantur der Königl. Schauspiele eintrat. Im Gegenteil. Wenn man die Preisfrage gestellt hätte, wie der Ge¬ schäftsführer der Königl. Theater für fein schwieriges Amt vorzubilden geivescn wäre, man hätte ganz nnniöglich ein zweckmäßigeres und gründ¬ licheres System langsamer, allgemeiner Einschulung ersinnen können. Henry Pierson ist zunächst so zu sagen Theater- oder doch MusikKind, einer Künstlerfamilie entsprossen und in einer Kunstatmosphärc groß geworden. Henry Piersons Vater war ein bekannter Komponist von großen Gaben und großem Streben, seine Mutter, mit ihren achtundachtzig Jahren heute noch von erstaulicher Geistesfrische, ist eine Schriftstellerin, deren Erzählungen sehr viel Verbreitung und Anerkennung fanden. Hamburg, gleichsam im Schatten des Stadttheatcrs geboren, das er später einmal übernehmen und leiten sollte, wuchs Pierson in einer ANnosphärc. von Litteratur und Kunst auf, mit einem früh aus¬ Eine besonders entschiedene gesprochenen Interesse fürs Theater. Neigung führte ihn zunächst der Musik zu und er trat mehrfach als Geiger öffentlich auf, wirkte auch verschiedentlich im Orchester mit. Die

In

mit hellem Seiden¬ Vorn hängt eine

Unmut und Besorgnis. Wenn nur das Wetter nicht noch ärger wird, der Regengolt sich unliebsam merkbar macht oder gar — was man im frühen Lenz bei uns auch schon erlebt hat — Frau Holle die Betten schüttelt! Es wäre doch schade um die sonn¬ tägliche Frühlingsgarnitur, die noch im Tiergarten und den Zelten paradieren soll. E. Fr.

In

spätere gründliche Ausbildung zum Buchhändler gab ihm ein reiches, litterarisches Wissen. Der mit Geschmack geleitete Verlag in Dresden brachte Pierson früh irr persönliche Beziehung zu unserer SchriftstellerWelt. Die Vorliebe fürs Theater führte ihn in den Kreis der vor¬ nehmsten Kunftangehürigen Dresdens, in die tägliche Gesellschaft von Hugo Müller und Schuch, von Max Maria v. Weber und WaldmüllerDuboc, von Rudolf Gcnöc, von Reinhold Becker, Marie Seebach rc. Dresden war es auch, wo Henry Pierson zum nunmehrigen GeneralIntendanten Grafen Hochberg in Beziehung kam. Die Vermählung mit Bertha Brcthol, einer Sängerin von glänzen¬ den Gaben und großer, internationaler Karriere, brachte Pierson ganz in sein eigentliches.Element. Er übergab die Buchhandlung seinem älteren Bruder inid begleitete seine Gattin auf ihren Gastspielreisen durch Italien, Spanien Amerika re., das Theater ernst und gründlich studierend und ivertvolle Anknüpfungen mit den Komponisten, Bühnenleitern, Künstlern, insbesondere mit der internationalen Opernwelt suchend. An der Seite seiner Gattin, die eine Künstlerin, aber keine Theaterprinzessin war, eine Sängerin, aber keine selbstocrgötterndc Diva, ein ernster,

In

klarer Charakter, konnte Henry Pierson in Nord und Süd das Theater und seine Elemente, Kunst wie Geschäft im Bühnenleben, gründlich kennen lernen. Als vor nun über ein Dutzend Jahren Graf Bolko von Hochberg von Kaiser Wilhelm I. an die Spitze der königlichen Bühnen gestellt wurde, da war es einer seiner ersten Gedanken, Frau Bertha PiersouBrcthol zu berufen, die er als Künstlerin kennen und sehr hoch schätzen zu lernen mehrfach Gelegenheit gefunden. Mit ihr kam auch ihr Gatte, Henry Pierson, hierher, dessen große] Theaterwclt - Klugheit und liebenswürdige Eigenschaften Graf Hochberg lange vorher erprobt hatte, als er an die Leitung der Berliner Hostheater noch garnicht denken konnte. Was war natürlicher, als daß Henry Pierson der Vertrauens-

158

mann des neuen Bühnenchefs wurde, der sich in seiner Amtsführung zunächst noch garnicht recht behaglich fühlte und dem manchmal schwül werden mochte bei den mannigfachen Einflüßen, die über ihn Macht zu gewinnen suchten. Da war denn der erfahrene und einsichtige Dresdener Freund ein ganz erwünschter Berater. War er doch so" ziemlich der Einzige der für sich nichts wünschte, der nichts erstrebte, der weder protegieren noch intri-

Ob das gleiche von der Komödie „Tie neue Richtung", die Marco Brociner und noch einen Wiener Schriftsteller zum Verfasser hat, zu erwarten ist, darf man wohl bezweifeln, trotzdem die Einfälle und Aus¬ fälle nicht unter dem Niveau der Mittelmäßigkeit stehen. Am 8. März wurde sie zum erstenmale im Berliner Theater aufgeführt und mir dem Beifall mischte sich ziemlich lebhaftes Zischen.

gnieren wollte.

In den Bureaus der Generalintendantur fing man an den Einfluß des fremden Herrn, der oft stundenlang beim „Chef" verweilte, mit einigem Unbehagen zu empfinden. Dem Grafen Hochberg wie Henri, Pierson mochte

bald klar wer¬ daß, wer Einfluß besitzt und geltend macht, wer innerhalb der Ver¬ es auch

den,

waltung mit Rat und That sich wirksam zeigt, dies im Rahmen eines bestimmten Amtes offen

und verantwortlich thun Was irgend wie Günstlings - Wirtschaft aussieht, mußte beiden in

muß.

gleichem streben.

Maße

wider¬

So wurde denn Henry Pierson in die Verwaltung der König¬ lichen Bühnen berufen, wo er bald alle Fäden in seiner Hand vereinte. Wie das Leben ihn zufällig systematisch für die Theater-Verwaltung vorgebildet hatte, so hatte ihn das Schicksal wie absichtslos in seine neue Stellung geführt. Er hatte nicht als Beamter nach und nach das Vertrauen des Chefs sondern umgekehrt als Vertrauensmann nach und nach das Amt gefunden, in dem er sich nun so ungewöhnlich tüchtig erweisen sollte.

Die Verwaltung des Hof-Theaters lag bis dahin in Händen von Beamten, die, dem praktischen »nd modernen Leben fremd, in den Überkommenen Bureau-Traditionen die Geschäfte leiteten. Mit Pierson kam nun kaufmännischer Sinn, praktische Erfahrung in die Verwaltung und dieses Element erwies sich überaus zuträglich für den großen künstlerischen Organismus. Die königlichen Theater waren nicht mehr die einzigen, die in Berlin für die vornehmere Gattung der Bühnen¬ kunst vorhanden waren. Das „Deutsche Theater" hatte sich unter Führung von L'Arronge im Schaiispiel eine hervorragende Stellung gesichert, das „Lessing- und Berliner-Theater" erstanden gleichzeitig und unterwarfen Unter Führung von Angelo Neumann brachen von sich weite Gebiete. Zeit zu Zeit Operntruppen erobernd in Berlin ein, bald mit der Nibelnngen-Tetralogie, dam, wieder mit „Cavalleria Rusticana" und den „drei Pintos" oder dem „Barbier von Bagdad". Von der Gründung einer zweiten Oper war immer eifriger die Rede. Da war denn ein TheaterDiplomat ganz am Platze, der, wie Pierson, einerseits erhöhte Rücksicht ans die Wünsche, die Bequemlichkeit und de» Geschmack des Publikums zum GesehäftSgrnndsatz erhob, andererseits meitausschauenden Blicks größere Unternehmungen plane», den Ankauf eines zweiten Opernhauses betreiben, die Heranziehung interessanter künstlerischer Kräfte ins Auge fassen, Sänger von internationalem Ruf nach Berlin führen konnte. Als vor Jahr und Tag Hofrat B. Pollini starb, da dachte man in Hamburg sofort an Pierson, der im weitreichenden Blick und wagemutigen Unternehmersinn großen Stils ganz die Pollinische Art hatte und ihm dabei litterarisch wie künstlerisch überlegen war. So glänzende Aussichten Hamburg in einem selbstständigen Bethätigungsbereiche bot, Pierson gab sie aus, als man von ihm forderte, daß er aus dem hiesige» Posten ausharre, wie seine Gattin vorher, die mit einem glänzenden Einkommen verbundene Stellung an der Oper aufgab, als sie sich mit dem Direktor¬ posten des Gatten nicht vertrug. Tie Ernennung zum Geheimen Regiernngsrat, eine seltene Auszeichnung, war der Ausdruck der kaiserliche» Anerkennung dafür. Nunmehr erscheint Pierson unzertrennlich verknüpft mit der Jntendantur-Aera Hochberg. Henry Pierson ist ganz der Mann, den das moderne Theater braucht, ganz der Mann, den General-Intendant Graf Hochberg braucht, und wenn die Königlichen Theater zur Zeit dennoch nicht überall ans wünschens¬ werter, künstlerischer Höhe sind, so ist doch sicher, daß der gute Wille vorhanden ist, sie dahin zu führen. Und diesem mit den nötigen Mitteln und der rechten Einsicht verbundenen guten Willen wird es ja wohl schließlich glücken! L.

Thrairr. Eine ärmliche Theaterwoche! Das Neue Theater brachte am Februar das Schauspiel „Tie Pflicht" von Richard Landsberger, das an theatralischen Effekten reich genug ist, aber auf eine literarische Schätzung wohl keinen weitergehenden Anspruch erhebt. Da Frau Nuscha Butze ihre Kunst in de» Dienst des Stückes gestellt und die Rolle einer liebenden Braut übernommen hat, deren Vater sich einst an der Stadtkasse vergriffen hatte, so wird sich das Schauspiel wohl ans dem Repertoir erhalten. 28.

Aus dru Kuustsslvus. Die Salons von Keller & Keiner und der Gebrüder

Lallirer

haben ihre Ausstellungen gewechselt. Es ist wieder eine ganze Anzahl ausländischer Künstler, die den Berlinern vorgeführt werden. Nur Fritz Rumps und der Bildhauer Segers bei Keller & Reiner sind Deutsche. Segers zeigt eine große technische Geschicklichkeit in seinen Büsten und Statuette»' sie verführt ihn manch¬ mal, ein wenig oberflächlich zu sein. Fritz Rumpf bringt eine Anzahl sehr interessanter Werke. Keines von ihnen ist ein in sich harmonisch ausgeglichenes Kunstwerk. Aber es ist ein solcher Ernst, eine solche Ehrlichkeit des Ringens, die sich hier ausspricht, daß man gepackt wird. Was Rumpf schildern will, ist Potsdam — aber nicht das Potsdam von heute, sondern das von vor hundert Jahren. Das Potsdam der Lichten au, der Bi schoss werd er und Wölkn er. Das Potsdam, in dem das „Roccoco" zum „Zopf" wurde, in dem die gewaltige und doch graziöse Dsbauche der letzten französischen Königshöfe im Kleinen nachgemacht wurde — mit brandenburgischer Nüchternheit und Spar¬ samkeit. Es ist ja wirklich so gar kein Talent da beim Märker mit Eleganz liederlich zu sein. — Rn mpf hat nun in seinen Aquarellen und Pastellen mit mehr oder weniger Gelingen gesucht, für diesen Stoff die charakteristische Sprache zu finden. Es wird ihm einstweilen noch sehr schwer, zu vergessen, was er von anderen gelernt hat. Es muß ihm gelingen, wen» er konsequent denselben Weg verfolgt, sich nur an geschichtliche Studien einerseits und an die Maler andererseits wendend. Vielleicht wird er dann einer unserer interessantesten Künstler.

Das norwegische Künstlerpaar Bernt und Minka Grönvold eine ganze Reihe von Zeichnungen und Wasserfarbenblättern. Bernt Grönvold schildert Menschen und Eckchen von Gehöften und Kirchhöfen aus Tirok — sehr charakteristisch, ernst, herb, ein wenig trocken in der Auffassung; seine Gattin weibliche Wesen sich möchte nicht „Menschen" sagen, sie haben alle etwas „aetherisches"), die bald im Bade nur noch den Kopf oder ein bischen mehr aus dem Wasser stecken, oft im Kostüm der vierziger Jahre — dasitzen, sich zu räkeln und zu langweilen scheinen, bald als Märchenprinzessin auf hoher Warte sich in die Weite sehnen. Es ist aber alles blos Verkleidung: was darinnen steckt, ist immer eine künstlerische Uebersetzung vom sehr nervösen und hysterischen Weibe unserer Zeit. Das ganze Werk der Minka Grönvold ist sehr künstlerisch, aber auch sehr „angekränkelt", was um so merk¬ würdiger scheint, da sie einen so gesunden Mann hat. Wenzel giebt Bilder von norwegischem Landleben im Winter, kern¬ gesund und frisch, dabei mit reifem Können gemacht und mit reifen Augen geschaut. Hagemanns gibt technisch sehr gute Wasserfarbenblätter, die unter einer Ausstellung von holländischen Aquarellen ohne Eigenart erscheinen würden. Gebr. Cassirer fahren fort, von anerkannten Meistern der „neuen" Richtung gute Werke auszustellen. Wer die Kunstbewegung in der Welt verfolgt, kennt diese Werke meist schon, wenn nichi im Original, so aus Nachbildungen. Diesmal ichs Eduard Mauer, Claude Monet und Segantiui, von denen wir Bilder ge¬ nießen können. Von Manet ist eine „Musikantenfamilie" aus seiner Velasquerzeit und der berühmte „Lömenjäger" da, von Claude Monet unter anderem eine zauberhafte „Sonne im Nebel", von Segantiui Hocbalpenbilder und einige symbolistische Zeichnungen. Es ist gewiß ein Verdienst, das alles in Berlin zu zeigen, wo des schon so lange toten Manets Bilder ja noch absolut „neu" sind. zeigen

Berliner Chronik. Am 28. Februar feierte der Nestor der Berliner Akademie der Künste, Professor Adolf Henning seinen 90. Geburtstag. Der Künstler ist ein Berliner von Geburt. Schon im 14. Jahre wurde er Schüler von Professor Wach. 1838 ging er zu Schadow nach Düsseldorf, bald darauf nach Italien. Eine Frucht seines dortigen Aufenthaltes waren die in der National-Galerie befindlichen Gemälde „Mädchen aus Frascati" und der „Leichenzug in der Campagne". 1836 vermählte sich der Künstler mit einer Schwester des verstorbenen Düsseldorfer Professors Rudolf Jordan, mit der er 1896 die diamantene Hochzeit feiern konnte. Besonderer Gunst erfreute sich Henning unter Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. Sein „Familienbild des Grafen Naczinsky" trug dem Künstler 1839 die Mitgliedschaft der Berliner Akademie ein, der er mithin jetzt volle 60 Jahre angehört. Für Friedrich Wilhelm IV. führte Henning verschiedene Wandgemälde im Niobideusaale des Neuen Museums und in der Schloßkapelle aus. Der greise Künstler wohnt bei seinem Sohne, dem Abgeordneten, in der Motzsiraße, und ist noch von seltener Regsamkeit. Am 28. Februar feierte die Missions-Gesellschaft Berlin I ihr 75jäbriges Bestehen in der festlich geschmückten Bartholomäuskirche. Missionsdirektor Gensichen erstattete den Bericht. Elf Herren waren es, die 1824 die Mission begründeten, die nach 25 Jahren erst 8 Sta¬ tionen mit 600 bekehrte» Heiden auszuweisen hatte. 1874 bestanden 83 Stationen mit 5500 Heidenchristen. Gegenwärtig sind 67 Stationen vorhanden, die sich über vier selbständige Missionsgebiete, zwei in China und zwei in Afrika, verteilen.

fi¬ stln 26. Februar feierte Dr.

Jubiläum als Leiter

169

Eduard Engel

sei»

25jähriges

des stenographischen Bureaus der Stadtverordncten-

Versammlung. Am 1. März wurde der Tunnel unter der Spree zwischen Stralau und Treptow vollendet,' es ist der erste Tunnel, der in ganzer Länge in schwimmcmdcm Gebirge unter einem Flußlauf erbaut ist. Am 1. März feierte Dr. zur. ot phil. Hülse, Syndikus der Große» Berliner Pferdeeiscnbahn- (jetzt Straßenbahn-) Gesellschaft sein Löjäbrigcs

Jubiläum.

Am 8. März feierte Dr. Heinrich Dernburg seinen 70. Geburts¬ Deruburgs Vaterstadt ist Mainz: er habilitierte sich 1851 in lag. Heidelberg, wurde 1852 außerordentlicher, 1855 ordentlicher Professor der Jurisprudenz in Zürich, ivurde 1862 nach Halle, 1873 nach Berlin berufen, wo er Nachfolger von Rudorfs auf dem Lehrstuhl des Pan¬ dektenrechts wurde. Dernburg ist Mitglied des Herrenhauses und ivar 1884/85 Rektor der Berliner Universität. Bon seinen Schriften sind in erster Reihe das „Lehrbuch des preußischen Privatrechts" und die „Pandekten" zu nennen. Am 4. März waren fünfzig Jähre seit dem Tode der Schauspielerin Henriette Händel-Schütz verflossen, die am 4. März 1849 in Köslin starb. Diese Künstlerin (geboren am 13. Dezember 1772 zu Döbeln als Tochter des Schauspielers Schüler) war unter Jfflands Direktion zehn Jahre (1796—1806) hindurch eine Zierde des königlichen RationalTheaters. Sie glänzte im gleichen Maße als Tragödin wie als Dar¬ stellerin im sentimentalen Fache. Am 4. März feierte der Präsident der Berliner Akademie der Ende wurde zu Künste Gehcimrat Ende seinen 70. Geburtstag. Landsbcrg a. 23. geboren, bezog 1849 die Berliner Bauakademie, wo er zu den Schülern Stiers gehörte. Nach vollendetem Studium wandte Zu den älteren Bauten des sich Ende der Privat-Architektur zu. Künstlers gehören in Berlin die Villen v. d. Heydt und Ravens. Gemeinsame Schöpfungen Endes mit dem Baurat Böckmann sind in Berlin das Museum für Völkerkunde, das Geschäftshaus Ravens, die Darmstädter Bank, das Ständehaus in der Matthäikirch-Straßc und viele andere. In Tokio bauten Ende und Böckmann für die japanische Regierung monumentale Parlamcntsqebäude. Eine bedeutsame Wirk¬ samkeit hat Baurat Ende auch als Üehrer ausgeübt: er bekleidet seit zwanzig Jahren eine Professur der Baukunst. Die Berliner Baugeschichte der letzten Jahrzehnte ist aufs innigste mit dem Namen des Jubilars verknüpft, dem die deutsche Reichshauptstadt eine ganze Reihe monu¬ mentaler Bauten von künstlerischer Vornehmheit und schöpferischer Erfindungskraft verdankt. Die theologische Fakultät der Berliner Universität hat dem MissionsInspektor Alexander Werensky und dem Senatspräsidenten des Kammergerichts Heinrich Rath mann die Doktorwürde bonoris eausa verliehen. Der Magistrat von Berlin hat bei der Stadtverordnctcn-Versammlung den Ankauf des von Hans Fechner gemalten Porträts von Theodor Fontane für 3000 Mk. beantragt.

Salzwedel. Der „Turnverein Iahn"

hat beschlossen, an dem

Nr. 24, in welchem der Turnvater Friedrich Ludwig Jahn acht Jahre seiner Kindheit verlebte, eine bronzene

Gedenktafel anbringen zu lassen. Joachimsthali. U. Die Enthüllung des Brunold-Denkmals soll am 18. Juni stattfinden. Wcißensee bei Berlin. Mit dem Erweiterungsbau der allen Kirche wird in diesem Monat begonnen. Der Bau ist dem Baurat Leithold unterstellt. Wildpark bei Potsdam. Die allen Berlinern wohl bekannte

Frau Schupke wohnt in diesen Tagen fünfzig Jahre im Bayrischen

Häuschen, dem idyllisch gelegenen Jagdschlößchcu des Wildparkes. Bor fünfzig Jahren zog sie an der Seite ihres Mannes, der Förster und gleichzeitig Kastellan des Bayrischen Häuschens war, in das letztere ein. Nach dem Tode ihres Mannes erhielt sie vom Könige die Er¬ laubnis, Bier und Kaffee an die Besucher des Wildparkes verabreichen zu dürfen. Das Bayrische Häuschen ivurde im Sommer 1847 von Friedrich Wilhelm IV. erbaut, der es seiner Gemahlin, der Königin Elisabeth, zu ihrem Geburtstage (13. November) schenkte.

Kleine Mitteilungen. Albert Lvrhlttg. Atif dem im Norde» Berlins, unsern des Stettiner Bahnhofs gelegenen Sophienkirchhof, der Begräbnisstätte so mancher Berliner Patrizierfamilie, ist auch der bekannte Tondichter Lortzing zur ewigen Ruhe gebettet. Im Jahre 1803 zu Berlin ge¬ boren, trat Lortzing anfangs als Säuger an verschiedenen Theatern auf und gab während dieser Thätigkeit am Stadtihcater i» Leipzig von 1833 ab seine ersten größeren Tonschöpfungen heraus. Von 1844 ab war er nur noch als Kapellmeister thätig, um schließlich im Jahre 1850 als solcher am Fricdrich-Wilhelmstädtischeu Theater in Berlin zu wirken, leider nur zu kurze Zeit, da er am 21. Januar 1851 verstarb. Der sein Grab schmückende Denkstein, in den Formen der damaligen Zeit gehalten, wurde ihm von den Mitgliedern des herzoglichen Hofthcaters zu Braunschwcig im Jahre 1859 gesetzt und der Verband deutscher Musiker, Lokalvercin Berlin, hat die Instandhaltung der Grabstätte

., Zur Erinnerung an die Königin Luise.

und eine,reichhaltige

Sammlung von Schriften über die Königin. Auch in anderer

Lvrenztirchc

übernommen.

gegeuständen mit seltenem Fleiße zusammengebracht hat. Wir finden in diesem Buhrig-Museum das Manuskript des Kirchengebets, das nach dem Hinscheiden der Kö¬ nigin Luise von den Kanzeln abge¬ lesen wurde,

Märkische Chronik. Hause

des Breslauer Magdaleneum, in seiner „Geschichte des preußischen Staates seit dem Hubertusburger Frieden", und so hätte er auch Noch Wer die Gruft Kaiser heute, 79 Jahre später, schreiben können. Wilhelms l. betritt, läßt auch den Blick ruhen auf dem von stillem Frieden verklärten Antlitz der Eltern des Kaisers. Und den Gedanken, die ihn da umschweben, giebt eine Amerikanerin, Harrtet Elisabeth Bccher-Stowe, schönen Ausdruck, die im Jahre 1853 auf ihrer Reise durch Europa auch das Mausoleum von Charlottenburg besuchte und sich darüber in ihren „Sonnigen Erinnerungen aus fremden Ländern" folgendermaßen äußert: „Ich weiß mich nicht zu erinnern, irgendwo anders in meinem Leben tiefer und inniger ergriffen worden zu sein, als hier, und zwar nicht sowohl durch die süße, dem Leben so ähnlich nachgebildete Stakuc der Königin, als vielmehr durch die des Königs, ihres Gatten, welche von derselben Hand geschaffen ist. Solch ein Ausdruck von langerwünschter Ruhe nach langem Leid und schweren« Tagewerk liegt über seine Züge ausgegosscn, und so himmlisch, so selig ist oieser Ausdruck, daß ich den Blick gar nicht davon wegzuwenden vermochte. Ta, wo er Jahr für Jahr gebetet, hoffend, sehnend, ver¬ langend, da ruht er nun zuletzt, nachdem der Schmerz des Lebens vor¬ über. Mein Herz schmolz in Wehmut, als ich aus diese beiden nieder¬ sah, die so lange getrennt — er als ein Trauernder, sie eine so lange Betrauerte ■— nun eins neben dem andern im einigen Schlummer liegen." Wie die Königin Luise schon bei Lebzeiten gefeiert wurde, bei ihrem Einzug in Berlin am 22. Dezember 1793, zeigt eiri Gedicht Jean Pauls, künftigen das mit den prophetischen Worten schloß: „Heil Dir! Ter Welt wirst Du Monarchen geben, Beglückter Enkel Mutter sein!" Wie Jean Paul, August Wilhelm von Schlegel n. a. sie ver¬ herrlichten, so brach der Schmerz eines ganzen Volkes ans und ergoß sich in Trauerliedern und Nachrufen, als ein frühzeitiger Tod die könig¬ liche Dulderin dahingerafft, hatte. Solche gleichzeitige Trauerlieder und Nachrufe aus dem Sterbe¬ jahre der Königin Luise oder kurz darauf enthält ein Museum in Menge, das sich noch nicht dem Publikum geöffnet hat und nnbcknnuter ist, als es nach seiner Reichhaltigkeit und sorgfältigen Ausscheidung des Un¬ bedeutenden und Wertlosen verdient. Es ist dies die Sammlung des Herrn Hermann Buhrig (Leipzig, Reichsstraßc, Kochs Hof), der aus eigenen Mitteln, ohne fremde Unterstützung, nur ans Liebe zur Sache Originale von Kupferstichen, Bildern, Büsten, Porträts, Dosen, Schmuck¬ gegenständen, Kriegsmcdnilleu, Militärkostümiverken, überhaupt mili¬ tärischen Schriften, Handschriften, Karikaturen, Waffen, Tschakos, Helmen und sonstigen Ausrüstungs-

D. H.

„Wie nur wenige

Königinnen gleich ihr geliebt worden sind im Leben, so sind wenige gleich ihr beweint worden im Tode. — Heute noch, so oft in den Sommermonaten ihr Denkmal in dem Schloßgartcu zu Charlottenburg geöffnet ivird, wallfahrtet man zu ihm wie zum Grabe einer Heiligen". So schnob im Jahre 1820 Johann Kasper Friedrich Manso, der Rettor

Weise noch kam der Schmerz,

die

Trauer des Volkes zum Ausdruck. Man trug jetzt und später eiserne Ringe mit dem Bilde Luisens, man goß Medaillons, die ihr Bild zeigten, man legte schwarzen Trauerschmuck um den Hals, an dem ihr Bild hing. Auch hiervon besitzt Herr Buhrig viele Exemplare iu allen Größen. Das Mausoleum von Charlotten bürg wurde dargestellt auf einer Medaille, die auf der Rück¬ seite die Worte zeigt: „Ihrer Ruhe

geweiht seit dem 28. Dezember 18l0i" Es fehlen auch nicht gleich¬ zeitige Berichte von der Beisetzung der Königin. Das Buhrig-Muscuin enthält die „Berlinischen Nachrichten Von Staats- und gelehrten Sachen. Im Verlage der Hände- uitd Spcuerschcn Buchhandlung" vom Don¬ nerstag, den 26. bis Dienstag, den 31. Juli 1810, den „Preußischen Hausfreund" vom Sonnabend, den 21. bis Dienstag, den 81. Juli 1810, ferner die „Vollständige Beschreibung des traurigen Zuges der hohen Leiche Ihrer Majestät der hochscligen Königin Luise von Hvhcnzicritz nach Berlin und des am 27. Juli 1810 erfolgten feier¬ lichen Einzugs in die Stadt nach dem königlichen Schlosse (darunter ein Bild mit einen Leichenwagen,

von Dienern umgeben und von acht Lorhings Grabstein. Pferden gezogen) nebst zwei darauf (Nach einer Amatcuranfnalnnc von Herrn O. Hasselkampf in Potsdam.) stehenden schönen Gedichten. Berlin, zu haben in der Zürngicbischen Buchdruckercy, an der Spaudauer Brücke Nr. 2," „Nachricht über den am 19. Juli 1810 erfolgten traurigen Tod unserer allgeliebten Königin Luise Amalie Wilheliuiue Augusta. Nebst einem Trauergedicht auf den Tod unserer verewigten Königin, nach der Melodie: Klaget, Preußen, ach, er ist gefallen!" viele andere Schriften und natürlich auch einen Abdruck der bekannten Totenmaske.

mtm

ICO

Von sonstigen Bildern der Königin Luise im Bnhrig-Mnseum ist das interessanteste und seltenste ein kolorierter großer Holzi'chnitt, der sic zu Pferde darstellt. Selbst das Hohenzollern-Museum hat diesen Holz¬ Ein anderes Bild hat der „Verfertiger", schnitt nicht auszuweisen. C. Hampe, nebst dem Friedrich Wilhelms. III. „Ihrer königl. Hoheit der verwitweten Prinzessin Ludwig von Preußen unterthänigst gewidmet." Andere Bilder stachen F. G. Endlcr, W. Sander und M. Voigt. Wir berücksichtigen nur diejenigen, die aus der Zeit Luisens herrühren, nicht die späteren. Interessant ist auch der große Stich, der die bekannte Szene an Friedrichs des Großen Gruft darstellt, interessant deshalb, iveil Napoleon I. sich darüber in seinem aus Potsdam am 25. Oktober 1806 erlassenen 17. Bulletin in folgender unverschämter Weise ausläßt: „Das Ergebniß des berühmten Gelübdes, welches am 4. November 1805 über dem Grabnial Friedrichs des Großen beschworen wurde, war die Schlacht von Austerlitz und die Räumung Deutschlands durch das russische Heer in Rciscmärschcu. Achtundvierzig Stunden nachher verfertigte man ein Bild jener Szene, das man in allen Schaufenster» sicht, und das selbst Man sieht da den schönen Kaiser von bei Bauern Lachen erregt. Rußland, neben ihm die Königin und auf der andern Seite den König, der die Hand über das Grab des großen Friedrich ausstreckt. Die Königin ist in einen Shaw! gehüllt, etwa wie aus dem Londoner Stich, der Lady Hamilton darstellt (!!!); sic hat die Hand aufs. Herz gelegt und blickt de» Kaiser von Rußland an. Man begreift kaum, wie die Berliner Polizei die Verbreitung einer so jämmerlichen Satire erlauben konnte. Jedenfalls hat der Schatten Friedrichs des Großen nur Em¬ pörung über diese skandalöse Szene empfunden." Nachdem wir die kostbaren Luisen-Erinnerungen des BuhrigMuseums besprochen haben, werfen nur noch einen kurzen Blick auf die übrigen Schätze. Wir betrachten die Kollektion der Kriegsdenkmünzen, von denen die stattliche Zahl von 85 seltenen Exemplaren vorhanden ist, darunter viele seltene, wie z. B. die von Anhalt-Köthen (Preis: 40 Mark), die von Anhalt-Bernburg (ebenso teuer), Sachsen-Saalseld, Sachsen - Koburg, Schwarzburg - Sondershausen und SchwarzburgRudolstadt, Sachsen-Hildburghausen, die ivürttembergischcn in Silber für den Sieg am 1. Februar und 25. März 1814 und die französische auf die Schilderhcbung (laut Abbildung auf der Rückseite) von 1813 (Untschrist le genie et le . . . . .). Wir mustern Napoleons I. Büsten, Statuen, Statuetten, Dosen, Karikaturen und Schmuckgegenstände mit seinem Bilde, die drei cchien eisernen Ringe mit der bekanmen Umschrift: GOLD GAB ICH FÜR EISEN 1813, die Uniform-Werke, die an und für sich schon einen bedeutenden Wert repräsentieren, die zahlreichen Darstellungen der.napolconischcn Feldzüge, besonders der Völkerschlacht, und zuletzt blättern wir noch in den Schriftstücken, aus deren Unter¬ schriften wir in bunter Reihe Namen herausgreifen wie Lucadon, Hellwig (dem einst das im Bnhrig-Mnseum befindliche Tagebuch des königl. preußischen Armeekorps unter Jork, Magdeburg 1823, gehört lint),' Norman, Hcuckcl von Tonncrsmarck, Herzog Karl von Mecklenburg, Graf Grünau, Grolmaiiu, Goltz u. a. m.

Vereinsnachrichten. März 1899 ihre 20. Versammlung des 7. Vcreinsjahres unter Vorsitz des Herr» Gehcimrat E. Friede! im Bürgersaalc des Rathauses ab. Ter Vorsitzende teilte nach Eröffnung der Sitzung zunächst mehrere Einzelheiten von allgemeinem Interesse mit. Die Enthüllung des Lrunolddenkmals findet am 18. Juni dieses Jahres in Joachimsthal statt, bei welcher Feier die „Brandcn¬ burgia" durch eine Abordnung vertreten sein wird. Ueber die bereits 1.

mehrfach erivähnteu Wasserspeier au einem Hause in Oderberg machte der Vorsitzende die Angabe, daß diese sich früher a» dem Kommandanturgebäude in Oderbcrg befunden hätten, wo sechs solcher Drachenköpfe angebracht waren. Von Neuerscheinungen auf dem Gebiete der ein¬ schlägigen Litteratur wurden vorgelegt: der Bericht des Konservators für die Mark Brandenburg, Geh. Obcrbaurat Bluth, über die Denkmalspflege im verflossenen Jahre, eine neue Zeitschrift „Denkmalspflege", ivelche iiii Interesse der Erhaltung deutscher Bau- und Kunstdenkmülcr von der Redaktion des Ccutralblaltcs für Bauverivaltung herausgegeben wird, eine Landeskunde des Kreises Luckau, die sehr viele Un¬ richtigkeiten und veraltete Anschauungen aufweist, und eine Landes¬ kunde der Neumark, die ini Gegensatz dazu als interessante, wohl¬ unterrichtete Arbeit zu bezeichnen ist. Schließlich legte der Vorsitzende noch ein Panorama von Berlin vom Kreuzberg aus vor, das von Reinh. Schmidt gezeichnet ist und einen hübschen Ueberblick über die Hauptstadt gewährt. Herr Kustos Buchholz teilte der Versammlung mit, daß die kgl. Akademie der Künste eine Nachbildung der zum 200jährigen Jubiläum dem Kaiser überreichten Bronzetafel dem mär¬ kischen Museum geschenkt habe, und erklärte die Bedeutung der auögestellten Tafel. Darauf wies Herr Dr. Pniowcr aus die im Verlage von Alex Duncker erschienenen Radierungen von B. Manuscld hin, welche neu hergestellt worden und einzeln zum Preise von 1.50 Mk. zu beziehen sind. Von märkischen Landschaften befinden sich darunter Ansichten von Berlin lSchloß, Borsighaus), Potsdam (Sanssouci), Labelsberg (Gerichtslaube), Köpenick (Hcidcmühlc), Brandenburg und vom Müggelsee. „Zur Ge¬ Den Hauptvortrag hielt Frl. Elisabeth Lemke. schichte der Fischerei" halte sie denselben betitelt, und dem entsprechend gab sic nicht eine einheitliche historische Entwickelung des Fischfangs von Ansang an, sondern nur lose aneinander gereihte Berichte über verschiedene Funde, Auszüge aus Fischereiurkundcn und Mitteilungen aus dem Gebiete des Aberglaubens der Fischer. Seit den ältesten Zeiten haben die Menschen stch mit Fischfang beschäftigt und sich dem Lcramworilicher Redakteur: vr. M.

Folticineano,

Fifchercigeräte zu Tage gefördert, einfache Haken aus Knochen oder Fischgräten, Speerspitzen und Harpunen aus Knochen mit Widerhaken von Feuersteinsplittern und daneben zahllose Flossen, Gräten und Wirbel von Fischen. Andere Fundstücke in den Pfahlbauten der Schweizer Seen zeigen, daß die Kunst den Flcchtens und Webeus den Insassen derselben bereits bekannt war, und die in Torfmooren der Mark aufgefundenen Fischerkähne (Einbäume) und Urnen, die mit Gräten eingeritzte Verzierungen zeigen, lassen auch' für diesen Bezirk auf ein hohes Alter der Fischerei schließen. Die Germanen beschäftigten sich im allgemeinen wenig mit Fischfang. Die Wenden dagegen betrieben fast ausschließlich Fischerei. In ihren Pfahlbauten und Burgwällen haben sich zahlreiche Reste von Fischmahlzeiten und Fischereigeräte gesunden, und die noch vielfach erhaltenen Kietze in märkischen Städten geben den Ort an, wo sich die wendischen Fischerhütten am Wasser entlang zogen. Mit der Abnahme der wendischen Bevölkerung und der Steigerung des Ackerbaus wurde das Ansehen der Fischerei hiuabgcdrückü und Raubfischcrei und Mangel an Fischen war die Folge davon. Vielfache kurfürstliche Verordnungen suchten dem Unwesen zu steuern, jedoch ver¬ geblich, erst durch das 1794 erlassene allgemeine Landrecht wurde daS Fifchereiwescu geregelt. Die Vortragende führte zur Beleuchtung dieser Zustände vielfache Beispiele aus Urkunden an und verbreitete sich dann über die bei den Fischern von Zoppot üblichen Gewohnheiten und Gebräuche. Mancherlei Aberglaube aus alter Zeit hat sich dort erhalten und Frl. Lemke wußte viel von Amuletten und Glücksknochen, von Retzweihcn und Wettcrprophezeiungen, von Sccungcheucrn und See¬ gespenstern zu erzählen. Nachdem die Vortragende darauf mancherlei Kuriosa aus des alten Colerus Hausbuch in Bezug auf die Fische mit¬ geteilt, und verschiedene Sagen und Sitten der Fischer aus dem Spreewalde angeführt hatte, schloß sic mit einer kurzen Schilderung der im Mittelalter beliebten Tierprozesse und Verwünschungen mißliebiger Fische. Nach der Sitzung vereinigten sich über 200 Mtgliedcr in der öst¬ lichen Hälfte des Rathauskellers zu einem altberlinischen Fischessen, welches, nach dem Rezept des Herrn F. Kretschmer zubereitet, allen Teilnehmern vortrefflich mundete. G. A.

Büchertifch. Das Februar-Heft der Brandenburgia bringt einen auf Archiv¬ studien beruhenden Aufsatz über das Kloster Ziuna bei Jüterbog von Friedrich Backschat, der mit zahlreichen Illustrationen geschmückt ist und ein erschöpfendes Bild giebt von der Geschichte dieses Cistercienscr-Klosters, dessen altehrwürdige Kirche bereits am 15. Mai 1226 eingeweiht wurde. •— Ein zweiter Artikel des Heftes behandelt die Seifen- und Kerzcufabrikatiou im Anschluß an einen Besuch, welchen die „Brandcn¬ burgia" jüngst der Seifenfabrik von Franz Spielhagen abstattete.

„Brandenburgis", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Tie „Brandcnburgia" hielt am

Fluß- und Seebcwohner mit List genaht, um ihn zu fangcu oder zu tüten. Funde bei Oliva und beim Frischen Haff haben die ältesten

tz

Die evangelischen Kirchen und Kapelle»» i»» Berli,» und seiner »»ächsten llrngebu»»g. Von Max Kühnlein. Berlin 1898. Verlag von Otto Nahmmacher. Preis 75 Pf.

Bei der Fülle von Kirchen, die im letzten Jahrzehnt in der deutschen Reichshauptstadt entstanden sind, ist das obige Büchlein, das ein Führer durch die Gotteshäuser Berlins sein will, als eine Bereicherung der Berliner Spezial-Litteratur nicht überflüssig. Das Kühnleinjche Buch bringt kurze Notizen über die Zeit der Erbauung, teilt den Namen des Erbauers mit und macht Angaben über das Patronat, die Orgel, den Baustil, die Glocken, die Turinhöhc, die Baukosten u. s. w. und giebt eine kurze Geschichte sämtlicher Berliner evangelischen Kirchen. Ausfallend ist, daß der Verfasser die beiden Türme auf dem Gcnsdarmenniarkt, den sogenannten deutschen und französischen Dom, unter den Kirchen aufführt. Das ist nicht richtig, da die Türme lediglich Dekorativnsbautcu sind und ausschließlich profanen Zwecken dienen. Die Spittelkirche wäre besser als selbständiger Artikel aufgeführt worden, da schwerlich jemand die Notizen ühcr dieselbe in dem Artikel über die Friedrich Werdcrsche Kirche suchen wird, in deren Parochie die 1881 abgerissene Spittelkirche stand. Bei den Angaben über die Baustile hätte der Verfasser, der Architekt ist/ besser gethan, wenn' er die Kirchen selbst besichtigt hätte. Die Angaben, die er von den betreffenden Pfarrern über die Baustile erhalten hat, rufen in einigen Artikeln ein falsches Bild von der be¬ R. G. treffenden Kirche hervor. Die Glocke vo»r Falkeuried. Geschichte eines märkischen Schulhauses. ■

Von Ludwig Kübel. Berlin, Verlag von Otto Janke. Preis 1 Mark. Die flott geschriebene Erzählung spielt in der Zeit der schweren Not, in den Jahren 1807—1812, als die Hand des Korsen schwer auf Preußen lastete und sich in dem Lande Friedrichs des Großen die innere Wiedergebürt vollzog, die Vorbedingung zur Abschüttclung des französischen Joches. In Briefen und Tagcbuchblättern wird das erschütternde Schicksal eines märkischen Schulmeisters und seiner Familie geschildert, dessen Frau getötet wird, als sie die Tochter der Gutsherrschast vor der brutalen Lüsternheit eines französischen Obersten schützen will, und dessen eigenes Kind den Verstand verliert, weil es sehen muß, wie der fremde Unhold die Mutter zu Tode mißhandelt. Der Schulmeister aber ist einer der Helden, die bei Leipzig für Deutsch¬ lands Befreiung starben. Das Zeitkolorit, das Milieu, die Erniedrigung des Vaterlandes, die sich in den Eiuzelschicksalen der Schulnicisterfamilie und der Gutshcrrschaft widerspiegelt, sind überaus anschaulich und packend gezeichnet. Schwerfällig ist dagegen die Einkleidung der eigent¬ lichen Erzählung, die ausführliche Schilderung eines Ferienbesuches in dem märkischen Schulhause, auf dessen Boden der Verfasser die Briefe R. G. und Tagebuchblätter entdeckt haben will.

Berlin. — Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Ncnenburger Slratze 14a.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Ur.

Mär; 1899.

Sonnabend, 18.

11.

Wss ^eirafsjabt . 3

(£in

Lustspiel-Roman in zwölf Kapiteln von ^eöor von Aobeltitz.

sForlftlnuig.)

—--

——-

das ist eine Frage, die Du Dir selbst am wirst. Ich kann Dir nur sagen, daß es mir ans einen Gang mehr oder weniger nicht ankommt. Einen feineren Wein geb' ich, da es ein Abendbrot ist, nicht) aber gern ein Glas Sekt. Der kann schon vor dem Braten eingeschenkt werden, damit die Stimmung nicht ein¬ schläft. Natürlich bloß Siliern Monssenx, nicht etwa Pommery." „Da wird Haarhans wieder in aller Heimlichkeit die Nase rümpfen. Der Mann ist schrecklich verwöhnt. Sorge, bitte, wenigstens für anständige Cigarren und einen guten Kognak." „Es bleibt alles beim alten, liebe Eleonore. Um Haarhans mache ich keinerlei Umstände. Henry Clay und Hennessy mit drei Sternen führe ich nicht. Meine Gastcigarre ist rauchbar, und mein Kognak läßt sich schon trinken. Ich bin kein Berliner Kommerzienrat oder Generalkynsnl —"

(Nachdruck verboten.)

Und sie wies die Allee hinab. Da trabte Graf Semper Brada aus seiner ,Tante BoltA gemütlich dem Herrenhause zu. Aber was vorher erfolgt war, hatten die meisten nicht gesehen. Der Leutnant war nämlich mit seinem Gaule in schlankem Sprunge über das geschlossene Parkthor gesetzt. Freese, der sich mit Dieter und Bernd gleichfalls auf der Veranda

iebe Eleonore,

besten beantworten

befand,

schauerte

leicht

er

zusammen)

Guadalquivir und seinen Harrassprung. Er fühlte sich noch dachte an den

immer etwas kreuzlahm. Inzwischen war Brada

näher

ge¬

kommen.

„'Tag, meine Herrschaften," ries er vom Pferde herab. „Bin ich für ein

paar Stunden willkommen?!" Alles rief ihm begrüßende Worte zu. Tübingen schrie nach Stnpps, der die Tante Bolte in den Stall bringen sollte. Er war die Veranda hinab¬ gestiegen, hatte dem Grasen die Hand gereicht und klopfte der Stute ans den.Hals. „Wieder ganz ans dem Posten?" „Na ja doch, ja doch," fiel die fragte er. Baronin begütigend ein, „ich teile Deine „Ganz und gar, Herr von Tübingen. Ansichten durchaus. Ich bin auch keine Der Jsaaksohn ist ein Prachtkerl. Ver¬ Freundin der Völlerei. Aber nun noch steht mehr von der Pscrdebehandlung als ein Wort wegen der Tafelordnung. Die ein halb' Dutzend Roßärzte. Er hat Klctzel zwischen Kielmann und dem mir die Tante in ein paar Tagen kuriert. Apotheker) da kann sie ihre Batterien Haben Sie nicht gesehen, >vic ich mit ihr springen lassen, so viel sie will. Und die über die Gartenthür setzte? Sie spürt Seesen zwischen Max und Haarhaus, die Verwundung gar nicht mehr . . ." dachte ich." Paul Mryerhrim. Er war abgestiegen, küßte der Ba¬ Tübingen stand lachend ans und die Hand, begrüßte die übrigen ronin gab seiner Frau einen Kuß. merke und hatte für die Mädchen sofort ein paar scherzhafte denn, ich jungen sagte er, glaubst Du Schlankopf," „0 Du Worte. Dann zog er aus der Tasche seiner Attila ein Kouvert nicht, daß Ihr von neuem Eure Netze nach Langenpsnhl auswerft! und überreichte es Benedikte. Kinderchen, wenn Euch das gelingt, die Seesen für Max An¬ „Was ist das, Herr Graf?" zufangen, dann — soll es mir auch ans einen Hennessy mit drei „Ein Beitrag für Ihre Sammlungen, gnädiges Fräulein: Sternen nicht ankommen! Ich glaube, Eleonore, Du willst absolut Dein Heiratsjahr zu seinem Recht kommen lassen. Gute Nacht, Ansichtspostkarten ans Zornow. Jawohl, Zornow wird Weltstadt, obwohl es nur sechstausend Einwohner hat. Sie sehen hier das mein Kind!" — Rathaus mit der Apotheke, und hier einen Ausblick auf den so¬ Neuntes Kapitel. genannten Ring. In dem kleinen Hanse rechts mit dem schiefe» seinen feiert Semper Dache wohne ich. Der Photograph wird das Haus in richtiger Graf und ein, treffen Die afrikanischen Geschenke Vorahnung mit aufgenommen haben. Geburtstag bei einerBowle mitMondscheinbeleuchtnng, die ihre Folgen hat. Wenn ich erst einmal Geschenke Kriegsminister afrikanische bin, werden diese Postkarten im Preise steigen) also Maxens trafen Tage später Ein paar aus bewahren Wiedehopf Sie sie sorgfältig auf, Fräulein dem Benedikte." mit Kisten die hatte glücklich ein. August Benedikte kn ixte. Plehningcn abgeholt. Als man sie ans der Veranda auspacken „Schönsten Dank, Graf Brada. Die Karten sollen den ehren¬ wollte, schrie Benedikte plötzlich auf. „Allmächt'ger, was hab' ich für einen Schreck gekriegt!" rief vollen Schlußstein meiner Sammlung bilden) denn ich sammle nicht weiter. Doktor Haarhans hat neulich erklärt, das Sammeln von sie. „Schaut doch einmal dorthin!" .

.

>

162

Ansichtspostkarten wäre so ungefähr das dümmste, was die Kultur am Ende unseres Jahrhunderts hervorgebracht hätte." Haarhaus erhob lebhaften Einspruch. Er habe keine Ahnung von der Passion des gnädigen Fräuleins gehabt, sondern nur im allgemeinen gesprochen. Er sei ein Feind jeglichen Sammelns. Das erziehe zur Einseitigkeit und beschränke den Gesichtskreis, statt ihn zu erweitern. Jeder fanatische Sammler iverde schließlich znm Egoisten. . . Und dabei packte man weiter ans. Mar schien nicht recht bei der Sache zu sein. Er machte einen gedruckten und verstimmten Eindruck. Um so interessierter war seine Umgebung. Wunderdinge schälten sich aus dem Heu und Stroh der Verpackung: Schilder, Lanzen und Speere, Ge¬ weihe, Felle und greuliche Kriegsmasken. Bei jedem neue» Stück erhoben Bernd und Dieter auch ein erneutes Gebrüll. Bernd wollte alles anfassen, und der Papa klopfte ihm auf die Finger. Gras Tcupcn malmte zur Vorsicht: die Waffen seien zuweilen vergiftet' er erinnerte au das Curare der Indianer und den Saft des sagenhaften Upasbnnms ans den malaiischen Inseln. Haarhaus bestritt die Vergiftung der Waffen. In Afrika sei das ungebräuchlich. Er schien für Max sprechen zu wollen und gab allerhand Erklärungen ab. „Sehen Sie hier, Herr von Tübingen, das ist die Keule eines

Bernd wurde eine Suahelitrommel ausgehändigt und. Dieter ein pfeifenähnliches Instrument. Beide liefen damit sofort in den Park, und ein entsetzlicher Lärm bewies, wie sehr diese Geschenke ihren Wissensdurst förderten. Graf Brada blieb den Nachmittag über in Hohen-Kraatz. Bei der ersten Gelegenheit, als er Max allein erwischen konnte, schoß er auf ihn los und nahm ihn am Arm. 'mal,

Häuptlings von llgogo. mit Nägeln gespickt, wie unsere mittelalter¬ lichen Morgensterne. Die dunklen Flecke sind Blut." „Gräßlich," sagte die Baronin. „lind hier — das ist etwas für die jungen Damen: eine eiserne Halskette, wie sie die Bantu-Damen als Schmuck tragen. Die schwarzen Frauen sind sehr kokett. Sie stecken sich Rohrhalme durch die Ohrläppchen, schminken sich die Backen mit Ocker und schlagen sich die mittleren Schneidezähne aus. Letzteres gilt für besonders sein. Zuweilen flechten sic auch das Haar in zahllose kleine Zöpfe oder wickeln es mit Papillotcn zusammen. . ."

niemals!" „Aber um Himmels willen, das ist ja eine tolle Geschichte! Wo haben Sie denn die ganze Zeit über gesteckt?" „Ich war auf der Hochzeitsreise, Brada." Der kleine Gras sah aus, als ob er an dem Verstände des

sagen Sic Max," begann er, „was ist denn das geheimnisvolle Geschichte? Einen Zettel hab' ich noch gefunden und abgerissen." — Max blieb stehen und faßte den Grafen an einem Knopf

„Nun

.

für

eine

seiner

eingeschlagen. . . Ueberhaupl nicht — gar nicht?" — nicht und überhaupt nicht — weder jetzt, noch früher —

„Was? Max! Mensch!

„Gar

anderen zweifle. „Auf der . . . erlauben Sie, lieber Tübingen, ich muß Sie mißverstanden haben. Sagten Sie wirklich: auf — der — Hoch¬

zeitsreise?"

.

Benedikte puffte Trndchen heimlich in die Seite, und Trndchen wurde verlegen. Da die Tiertelle sehr staubten und einen unangenehmen Kampsergeruch verbreiteten, so hatte sie Graf Brada unter die Kastanien vor der Veranda geschleppt. Hier besichtigte er sie. „Max!" ries er plötzlich' „kommen Sie doch bitte einmal her! Das ist sehr interessant!" Max sprang die Treppe hinab.

dann

„Das sagte Paris."

ich.

Riviera, Italien

bis

unten

hin

und

Brada strich sich über die Stirn. „Ich weiß wahrhaftig nicht: wache ich oder träume ich? Sind Sic Max von Tübingen oder nicht? Bor allen Dingen: wenn man auf die Hochzeitsreise geht, muß man doch verheiratet sein. Das scheint mir klar zu sein."

„Ganz klar, Brada." „Und wo haben Sic, wenn ich fragen darf, denn auf einmal eine Frau herbekommen?" „Das kann ich Ihnen zu meinem Bedauern noch nicht sagen, weil es vorläufig mein Geheimnis ist und auch bleiben muß. lind deshalb würden Sic mir einen ganz besonderen Gefallen erweisen, lieber Brada, wenn Sic alles thäten, was nur irgendwie in Ihrer Macht steht, um auch Ihrerseits die Fiktion aufrecht zu erhalten, daß ich thatsächlich in Afrika gewesen sei. Schwer genug wird cs mir, bei dieser Llige nicht ans der Rolle zu fallen •— das können Sie mir glauben." ft „Aber, bester Freund — ich muß mich wirklich erst ein bißchen beruhigen, ich bin noch ganz konfus . . . bester Freund, Sie haben doch nur über mich zu befehlen! Ich bin mit tausend Freuden bereit, Ihnen zu helfen.— ich weiß nur nicht wie. Ich kann doch nicht sagen, daß ich Ihnen am Viktoria-Nyanza begegnet sei — aber ich könnte zum Beispiel erzählen, daß Sie mir mehrfach ans Uhuhuhu geschrieben hätten; wenn ich nur ein paar afrikanische Namen wüßte! Lieber Max, die Sache interessiert mich kolossal. Ich bin Feuer und Flamme. für sie. Es liegt ein Duft des

„Was denn, Semper?" „Wo haben Sie eigentlich die Sachen her?" „Ueberall zusammengekauft und eingetauscht — in Uh ehe, Makata, Chutu, teilweise auch in Sansibar — was weiß ich!" „Das ist närrisch. Run denken Sic 'mal an, wie doch auch schon da unten der Schwindel blüht! Die Leute tu Uhuhu, oder wie Sie die Ortschaft nannten, haben ihre Einkäufer in Paris!"

lind er zeigte Max ein hübsches Leopardeufell, an dem ein etikettiertes Zettelchen hing, das die Aufschrift trug) „Charles Ferner, .Magazin orientale, Paris, 117 Faubourg'-Montmartre.“ Max wurde blaß. Er warf einen raschen Blick ans die Veranda, wo mau gar nicht ans ihn achtete, riß hastig das Zettelchen ab und steckte es in seine Tasche. „Das ist ein Versehen," sagte er halblaut, „das ist . . ." und dann wurde seine Stimme noch leiser: „Halten Sie reinen Mund, Brada! Ich erkläre Ihnen späterhin alles. Jetzt dampfartig zurück ans die Veranda! Helsen Sie mir die Sachen durchkramen, und wo Sie noch irgendwo so ein Zcttelchen finden, reißen Sie es heimlich ab. Wenn es entdeckt wird, bin ich blamiert. Der Spediteur ist ein Esel . . ." Brada war ein heller Kopf. Er fragte nicht erst zurück und dachte auch nicht lange über das Vernommene nach, sondern sprang die Verandatreppe ivieder hinauf und stürzte sich mit wildem Eifer aus die Geschenke. Sein scharfes Auge spähte überall hin . . . Haarhaus erklärte mit seiner gewohnten kühnen Stirn immer weiter. Endlich wurden die Geschenke verteilt. Jeder Einzelne wurde bedacht, auch die drei Mädchen, die allerhand Schmnckgegcnstände erhielten, und Freese, der einen schauderhaft bemalten Topf bekam. Am ehrlichsten freute sich der alte Tenpen über seine Galla-Waffen, die in seinem Zimmer im ersten Stock aufgehängt werden sollten.

Attila.

„Semper, Sie sind ein Ehrenmann," sagte er ernst. Brada schaute den Sprechenden erstaunt au. „Ich meine ja, Max, und wer es bezweifeln sollte" — „Es bezweifelt niemand. Können Sie schweigen?" „Wenn es sein soll: wie das Grab." „Na also, da hören Sie: ich bin überhaupt nicht in Afrika gewesen!" Graf Brada zuckte zusammen, als sei der Blitz vor ihm

Mysteriösen über der ganzen Geschichte wie über dem bekannten verschleierten Bild zu Dingskirchen. Ich liebe so etwas. Also sagen Sie mir: in welcher Weise kann ich mich Ihnen dienstbar erzeigen?" Semper war förmlich aufgeregt. Nie war ihm eine so in¬ teressante Abwechslung in der Einförmigkeit seines Garnisondienstes geboten worden. Max heimlich verheiratet — gar nicht in Afrika gewesen — aller Welt ein T für ein U gemacht — es war märchenhaft! Sein Auge hing begierig an den Lippen des Freundes. Aber Max dämpfte die Erregung seines Freundes nieder. „Wenn ich Ihrer Hilfe benötige, Semper," antwortete er, „werde ich es Sie wissen lassen. Vorläufig verlange ich nichts -



168

Ihnen und verständnisvolles Eingehen ans Das ist alles." „Sehr schade. Ich wäre gerade in der Stimmung gewesen, irgend etwas ganz Ungeheuerliches für Sie thun — das heißt, nicht nur für Sie allein, sondern auch für Ihre . Silentium! . Ich schweige schon. Aber ich muß mich abkühlen. Ich werde durch den Park stiefeln und die Mädchen suchen ." Als er an der westlichen Seitenfront des Herrenhauses vor¬ überschritt, hörte er über sich seinen Namen rufen. Er schaute in als Schwelgen non meine Intentionen.

.

.

.

die Höhe und sah Benedikte aus dem Fenster ihres Zimmers lugen. „Ich rangiere eben Ihre Ansichtskarten ein, Graf Semper," sagte Benedikte'

„wollen Sie

sich

einmal meine Sammlung

an¬

gucken?"

„Ei natürlich!" — und Brada sprang die hintere Treppe hinaus. Erst als er in den „Backfischkasten" trat, wie Tübingen das Zimmer der Mädchen getauft hatte, fiel cs Benedikte ein, daß es vielleicht nicht ganz passend sei, den Grafen in ihr und Trudes gemeinsames Schlafgemach einzulassen) auch die Thür zu Nellys Kabinett stand sperrangelweit offen. Aber Benedikte verscheuchte in sorgloser Naivetät sofort ihr Bedenken) Brada war wie „Kind im Hause" — die beiden redeten sich dann und wann sogar mit den Vornamen an) sie standen wie Geschwister zueinander. „Habe die Ehre," sagte der kleine Husar beim Eintritt und schaute sich, ähnlich naiv wie Benedikte, neugierig um) „also das ist die Kemenate der. jungen Dcfinen! Sehr hübsch. Aber eine Puderbüchse auf dem Toilcttenfisch — das ist verderbter, als ich für möglich gehalten hätte!" „Pardon — sie gehört Trude." „Dann ist es etwas anders. Fräulein Trude hat einen Apotheker zum Vater und darf sich demzufolge mit chcmikalischeu Produkten befassen. Herrgott, ist das eine unziemlich große Bade¬ wanne! Da geht ja eine ganze Schwadron hinein." „Trotzdem geilügt sie Nelly immer noch nicht. Nelly plailschert auch noch den Fußboden naß, morgens und abends." „Ich habe den höchsten Respekt vor so viel Gründlichkeit. Es ist sehr gemütlich hier. Darf ich denn weiter rauchen? In einem Boudoir ist eigentlich nur Parfümdnft gestattet."

„Auch über solchen verfügt Trude allein. Sie sehen, Graf Semper, ich habe es noch sehr weit bis zur Modedame." „Ach, wie gut ist das, Fräulein Benedikte! Ich bin auch nicht für das Modische. Vielleicht nur, weil ich mir keinen Luxus

darf. Wir haben einen einzigen reichen Offizier bei unserm „armen Grafen-Regiment", den Grafen Kirkhusen, für den Zornow gewissermaßen Strafwache ist. Der geht nun allerdings auf in Parfüms und läßt sie sich sogar direkt kommen. Er läßt sich überhallpt alles direkt kommen, zum Beispiel seine Wäsche aus London. Denn das Weiteste ist natürlich immer das Feinste. Postkartenbilderbuch." Nun zeigen Sie mir mal Brada aus, der sehr begeistert that. Benedikte breitete es vor Fräulein Benedikte," sagte weiter, Sie ruhig „Sammeln nur gestatten

Ihr

er; „Doktor Haarhans versteht wohl etwas vom schwarzen Erdteil, aber nicht von Ansichtskarten. Ist er sonst ein netter Mensch?" „O ja. Ich wenigstens — habe nichts gegen ihn." „Sie sagen das so etwas gedehnt, dächte ich." — „Inwiefern? Nein — er gefällt mir ganz gut) wie so einer .

einem gerade gefällt." Dann schlug sie das Kartenbuch wieder zu, und in diesem Augenblick fiel zwischen den Blättern eine Photographie heraus und auf den Boden. Brada bückte sich, sie aufzuheben und Benedikte auch, und unwillkürlich berührten sich dabei beider Köpfe.

„Pardon," sagten beide zugleich und lachten. „Kennen Sie die?" fragte Benedikte und zeigte dem Grafen das auf die Erde gefallene Bild. Brada wiegte den Kopf hin und her. „Ja — wenigstens kommt mir die Dame bekannt vor. Ist das nicht — warten Sie 'mal — ist das nicht —"

„Sie kriegen es ja doch nicht heraus! Das ist Fräulein Warnow, die vor Miß Relly im Hause war." „Richtig! Die Hübsche — mit dem wundervollen Haar! Ich hab' sie ein paarmal gesehen. Aber warum verstecken Sie denn das

Bild?"

„Wenn Sie diskret und artig sein wollen, will ich es Ihnen Weil Papa und Mama und Großpapa nicht wünschen, daß' Max es sieht. Nämlich" — sie zögerte — „na, es ist ja nichts weiter dabei: Max war nämlich einmal heimlich in Fräulein Warnow verliebt, und ich glaube, er hat sie auch heiraten wollen, sagen.

aber es ging nicht.

.

.

hätte bei einem Haar einen Ausruf des Staunens ausgestoßen. Es riß plötzlich ein Schleier vor seinen Augen. Er zweifelte keinen Moment mehr: Fräulein Warnow mar die Auserwählte Maxens, war seine Gattin! . . Und unwillkürlich kräuselte sich seine Nase. Ein simpler Gouvcrnantenronian! Er hatte viel mehr erwartet, irgend etwas ganz Absonderliches, keine Geschichte von heute und gestern. Es interessierte ihn höchstens noch, wo Max seine Frau versteckt hielt. . . . Aber die Gedanken arbeiteten rasch weiter. Ein Teufelskerl war der Max doch. Pfiff aus die Welt und folgte seiner Liebe. Das mar sozusagen schneidig, und für das Schneidige hatte Semper immer etwas übrig. Er versuchte Benedikte vorsichtig ein klein wenig auszuforschen. Sie hatte eine große Schwärmerei für Fräulein Warnow und sprach in überschwänglichen Ausdrücken von ihr. „Wissen Sic, Semper, eigentlich war es unrecht von den Eltern, daß sie Maxen gewißermaßen zwangen, Fräulein Warnow sitzen zu lassen. Nun ja, so war es doch? Sie wurden alle beide fortgeschickt, er nach Afrika und sie Gott weiß wohin. Freilich handelte es sich dabei um eine unangenehme Bestimmung im Fainiliengesetz — bei, uns giebt es das noch, aber nur für den Majoratserben. Für mich, Gott sei Dank, nicht. Existieren in Ihrer Familie auch solche Bestiinmiingen?" „Ich glaube nicht. Wir sind ja eigentlich Italiener" — „Ja, das hört' ich. Marquis oder so etwas" —

Graf Semper

„Conte di Brada, Marchese Piatti dei Stramone e Bismanta eilt paar Namen hinterher. Die Namen habe ich alle

und noch behalten, gangen. hunderte

aber die Grafschaften, die dazu gehörten, sind flöten ge¬ Es ist merkwürdig, wie sich so etwas im Laufe der Jahr¬ verläppert." „Nun, mit einem so furchtbar langen Namen werden Sie schon eine reiche Frau bekommen, Graf Semper" — „Aber pfui, Benedikte, wie können Sie so sprechen! Schämen Sie sich denn nicht bis in die Tiefen Ihrer Seele hinein?! Ich bin doch kein Handelsmann!" Benedikte erschrak itnd streckte dem Grafen die Hand entgegen. „Verzeihen Sie mir," sagte sie bittend) „ich meinte es ja nicht böse."

es

Er behielt ihre Hand eine kurze Weile in der seinen. „Wie sollt' ich Ihnen zürnen, Benedikte," antwortete er, und fiel ihr auf, daß seine Stimme so warm klang. „Es kränkte

mich

nur-aber

auch das ist schon wieder

vorbei! Gehen wir

in den Park!" „Herrsch —

ja! Ich sollte ja Blume» für den Abendtisch Dabei können Sie mir helfen." . Als sie über die Diele schritten und an dem Zimmer Freeses vorüberkamen, hörten sie drinnen laut sprechen, fast im Kommandopflücken!

.

.

tone.

„Der Kandidat repetiert wohl das Exerzierreglement,"

sagte

Brada.

„Stille 'mal. Gras Semper) das ist Nellps Stimme!" Nun hörte man aber wieder Frecse sprechen: „Das ist ein Gaumenlaut, Miß Milton. Sagen Sie einmal ,ma—chen'!" „Mack—ckcn! Nein — mack . . nein — ma . . . ich kann's nicht, Mister Frcese, ich thn's nie nicht lernen!" Benedikte pruschte leise auf. „Nelly nimmt deutschen Unterricht," tuschelte sie. „Das ist nicht zum Anhören. Flüchten Im Parke trafen sie Trude, die ihre Freundin bereits suchte, und nun begannen die drei die Blumen zu pflücken, die den Tafel¬ .

wir!"-

aufsatz am Abend schmücken sollten. Benedikte benutzte die Ge¬ legenheit, da Graf Brada ein paar Schritte voran war, sich an Trude für die Verunglimpfung des Doktor Haarhaus zu rächen.

„Der Graf war in uns'rer Stube," flüsterte „Was hat er denn da gewollt?"

sie

ihr

zu.

164

„Ach — ich hab' ihm nur mein Ansichtskartenalbnm gezeigt. Er hat aber auch Deine Puderbüchse gesehen. Und die Schachtet mit Mandelkleie. Und die kleine Schminkdose für Deine Fingernägel. Und alles andere. Und hat immer den Kopf geschüttelt und vor sich

hingelächelt." Trude erstarrte fast.

Semper wehrte sich; er bäte um keinerlei Umstände. Tübingen hieß ihn 'schweigen.

„D — Dikte!"

zischte sie; denn sie ahnte irgend eine boshafte Aber da trat Graf Brada mit einer ganzen Hand voll Wiesenblumen näher, und Trude verstummte. Nachher suchte sie jedoch heimlich ihr Taschentuch hervor und mischte sich energisch über ihr ganzes Gesicht, um auch die letzte kleine Spur der Morgcnpnderung zu tilgen. Sie schämte sich gründlich.

Hinterlist.

Währenddessen wurde der Sprachunterricht in Frceses Zimmer unter erschwerenden Umständen fortgesetzt. Es war wirklich merk¬

würdig, wie ungeschickt sich Miß Relly benahm. Und dabei gab sie sich die größte Mühe, den Weisungen Freeses zu folgen. Na¬ mentlich

die Aussprache

des

ch

ihr unendliche Schwierig¬

machte

Manchmal gelang es spielend; bei anderen Worten aber brachte sie es überhaupt nicht heraus, sondern sprach es immer wie ck. Das erregte ihre Verzweiflung. Tic wurde rot im Gesicht und das aschblonde Gckränsel über ihrer Stirn begann zu zittern; und einmal brach sie sogar in Thränen ans. Das aber konnte nun Freese gar nicht sehen. „Liebe Miß Milton," sagte er, „ich bitt' Sie um Gottes willen — es kommt ja doch wirklich nicht so genau ans das un¬ glückselige ch an — jedenfalls find diese beiden Buchstaben Ihrer Thränen nicht wert." „O doch," erwiderte Nelly, halb lachend, halb weinend; „ich ärgere mir so furchtbar. Sonst sprech' ich den ch ganz gut ans, aber g'rade bei ma— ma— mn—cken . ich kann's wieder nicht! Ich sterbse vor Aerger." . . Schließlich tröstete sie sich aber doch und kehrte zur Grammatik zurück. Für Freese waren die Unterrichtsstunden Nellys die Sonnenblicke des Tages. Die Nähe dieser niedlichen kleinen Engländerin mit ihrem blonden Krauskopf und den taubengrauen Augen durchwärmte und durchleuchtete ihn von Grund aus und bis in seiner Seele Tiefen hinein. Er kannte die Liebe noch nicht, gab sich selbst auch keine Rechenschaft darüber, ob er Nelly liebte; er fühlte nur, daß er sich nie im Leben so wohl und so glücklich gefühlt hatte wie hier in Hohen-Kraatz. Seltsamerweise fing er in dieser Zeit auch an, eitel zu werden. Er gab mehr als sonst auf sein Aeußeres, kleidete sich mit ungewohnter Sorgfalt und steckte dann und wann — was ihm früher lächerlich vorgekommen wäre — sogar ein Blümchen ins Knopfloch. Seine Jugend war öde und langweilig gewesen; nun schien sie noch nachträglich ihre Rechte fordern zu wollen. — Beim Abendessen war heute — zu Ehren Bradas — ein warmer Gang eingeschoben worden. Als man sich nach kurzem Tischgebet, das abwechselnd eines der jungen Mädchen sprach, niedersetzte, schlug die Baronin die Hände vor Erstaunen zusammen. „Run sagt einmal, Kinder," rief sie aus, „Ihr habt ja eine ganze Blnmenausstellung arrangiert!" „Daran ist Graf Semper schuld," entgegnete Benedikte. „Er konnte nicht genug kriegen. Die Butterblumen stammen auch von ihm." „Ich bekenne mich gern schuldig, gnädige Frau," sagte Semper. „Ich bin ein poetisches Gemüt und ziehe die Feldblumen der Gartenzucht vor. Außerdem ist heute —" keiten.

.

.

.

Er stockte. „Na, was denn?" fragte Tübingen.

„Eleonore, ich kann mir

nicht helfen. Deine Karpfen haben mehr Gräten als sonst üblich ist." „Was ist heute, Graf Brada?" fragte nun auch Benedikte. „Eigentlich wollte ich es nicht sagen. Aber warum soll man Heute ist mein Geburtstag." sich nicht einmal ehren lassen?

Ein allgemeiner Aufstand erhob sich. Von allen Seiten streckten Semper die Hände entgegen, und die Glückwünsche regneten auf ihn herab. Nur die Baronin that verzweiflungsvoll. „Lieber Brada, das ist eine Tücke von Ihnen. Was nützt mir jetzt ihr Geständnis? Ich hätte Ihnen so gern eine Torte

sich

backen lassen, und mit dem einen Fischgericht würde ich mich auch nicht begnügt haben." „Wir wollen gut machen, was noch gut zu machen ist," bemerkte Tübingen. „Es fragt sich nur: Bowle oder reinen Sekt?"

„In

Aber

Falle haben Sie nicht mitzureden, Semper. Sie Bekenner, wir die Richter. Ich bin für das mildeste Strafmaß: eine Bowle — und zwar deshalb, weil •— wie mir meine liebe Frau soeben zuflüstert — frische Walderdbeeren im Hanse sind. Wer einstimmt, der hebe die Hand empor." sind

diesem

der

Alle thaten es; die Jungen unter wildem Gejanchze.

mir

noch ein Amendement erlauben," sagte haben Vollmond und die Luft ist wunderbar. Können wir nicht mit der Bowle in den Gärten wandern? Dann scheint der Mond in die Goldflut des Weines hinein, ein Effekt, den ich schon mehrfach erprobt habe und als den Höhepunkt der Genüsse preisen kann."

möchte

„Ich

Haarhaus.

„Wir

„Bravo!" rief Graf Teupcn.

„Das ist epikuräisch; das ist Eine Vereinigung des Aesthetischen mit dem Halb Vitellins, halb Ovid. Ich bin für das

äußerst vornehm.

Materiellen.

Amendement Haarhaus." Auch die jungen Damen, die diese

Idee sehr poetisch fanden, Trude wollte Kränze flechten, die man sich in das Haar drücken sollte. So eine Art Symposion schwebte ihr vor. Aber Tübingen war gegen solche Uebergrisfe in das Heidnische. „Wenn der Inspektor mit dem Abendrapport kommt," sagte er, „und sieht mich mit einem Kranz aus Butterblumen, Schafgarbe und Rosen auf dem Kopfe, so hält er mich für verrückt oder angednselt. Und beides verringert den nötigen Respekt." zollten Beifall.

Run schlug Benedikte ein Feuerwerk vor. Man hatte noch ein paar Raketen und Schwärmer und einige bengalische Leuchten von Kaisers Geburtstag her im Hause. Doch auch dafür war Tübingen nicht.

„Was habt Ihr für Cäsarenlannen, Kinder! Erst Kränze ins Haar, und nun Feuerwerk. Das konnte sich Nero erlauben, der steckte sogar Rom in Brand. Aber ich bin zu schlecht versichert. Riedecke, hier hast Du den Kellerschlüssel. Vier Sillery monssenr, sechs Moselblümchen und ein Rauenthaler; das wird vor der Hand genügen. Und dann Eis

..."

mit dein Wein zurückkam, hatte man beinahe abgespeist. Das war allen recht. Draußen lockte der Mond, und auch eine verspätete Nachtigall schlug noch im Flieder. Riedecke brachte die Bowle, ein riesiges Gefäß, das in einer noch riesigeren Bronceschaale stand, die mit Eisstückchen gefüllt wurde. Die Bowle war das Abschiedsgeschcnk der Kameraden

Als

Riedecke

von der Garde du Corps an Tübingen, und jedesmal, wenn der dicke Baron sie sah, ward er wehmütig und begann in Erinnerungen zu schwelgen.

„Kinder, was trank man damals zusammen," erzählte er, während er den Mosel einfüllte. „Ich kann mir nicht verhehlen, daß die Zeiten geordnetere geworden sind. Es geht auch ein leichterer Zug durch die Welt. Dunnemals mußte alles schwer und kräftig sein; das nannte man gediegen. Auch die Bowlen. Die waren so ähnlich, wie die vom alten Kielmann. Wir nahmen immer ein paar Flaschen Portwein dazu. Und wenn wir uns dann am nächsten Morgen beim Schwadronexerzieren guten Tag sagten, fragte Einer den Andren: „Brummt Dir der Schädel auch denn so?" Und freudig bejahte man das, denn so mußte es sein. Man mußte die Gediegenheit auch spüren . . . „Riedecke, nun mach'

auf!" Der alte war unvorsichtig. Er ließ einen Pfropfen springen. Es gab einen Knall und dann flog der Pfropfen zuerst an die Decke, und an das Knie der Plafondnymphe, das Benedikte auf niederländische Art übermalt hatte, und sprang hierauf zurück und zwar mitten auf den Tisch. Die Jungen brüllten vor Uebermut, den Sekt

und der Mousseux schäumte lustig ans dem Flaschenhalse. Dabei fiel Benedikte etwas besonderes ein.

(Fortsetzung folgt.)

165

Das Berliner Couplet. geistreicher Franzose hat sich einmal den Scherz geleistet, die Geschichte seines Landes im 19. Jahrhundert in Pariser Straßenrufcn und Couplet-Refrains zusammenzustellen. Da war das überraschende Ergebnis herausgekommen, daß in der That jedes politische Ereignis, von dem Wechsel der Staatssormen bis zu den privaten Eigenheiten der Präsidenten der französischen Republik ein launiges, witziges Echo in den Pariser Chansons, in französischen Couplets rc. gefunden hatte.

Wie anders in Deutschland, wie anders in Berlin! Gewiß fordern unsere politischen Zustände bei weitem nicht den gleichen Witz heraus wie die jenseits der Vogesen, gewiß ist die Polizei nicht so nachsichtig politischen Versen gegenüber wie am Seine¬ strand, gewiß ist das Temperament des Deutschen Volkes nicht leicht genug, um über ernste Dinge leicht plaudern und leichtsinnig singen zu können, dennoch, diese Loslösung vom Leben der Nation, wie das moderne Berliner Couplet sie zeigt, ist ein Zeichen eines geradezu erschreckenden geistigen Tiefstandes. In der Zeit von 1870 bis aus die Gegenwart ist kaum ein einziges Berliner Couplet entstanden, das von dem Sturm der Zeit ernsthaft oder fröhlich auch nur einen Hauch in sich aufgenommen hätte. Nur die ödesten Motive ödester Philisterei werden aufgegriffen; sie wandern humor¬ los von einem Lied ins andere, von einem Tingeltangel ins zweite, von Lippe zu Lippe, nie von Herzen zu Herzen. Man sehe sich nur das ganze Sturzbad von Trivialitäten an, das die letzten Jahrzehnte in Form schlecht gemachter, elend kom¬ ponierter, geistloser Couplets über Berlin ausgegossen haben. Zuerst der Spott über die Vorstädte und ihre Bewohner, obschon man selber Ursache spöttischster Couplets sein könnte. Der „Schlorndorfer" (Charlottenburger) wird seiner Sprechweise wegen verulkk, vom Grunewald wird behauptet, daß da immer Holzauktion ist, und die ganze Fuhre nur einen Thaler kostet; der Rixdorfer wird verhöhnt, weil er pöbelhaft tanzt und ebenso rüdig singt, und Pankow und Rummelsburg sind weitere Motive für die ordinärsten Couplets, die je Berlin verunziert haben. Dazu kommen Unanständigkeiten, die kaum für Herrenabende geeignet sind, die, von einer leichten Melodie getragen, rasch populär werden. Nicht selten in einem Deutsch vorgetragen, das über alle Maßen erbärmlich ist, z. B.: „Ach Ernst, ach Ernst, ach Ernst, was Du mir allens lernst!" Oder Verse, die für kleine Kinder zu läppisch sind, und die das höchste Entzücken Erwachsener bilden, z. B.: 'ne Maus, die muß raus! Hört doch, wie sie „Hinterm Ofen sitzt piept! Schockschwerenot, schlagt das Biest doch tot." Oder ein Couplet, dessen ganzer Witz in einem originellen Reim besteht, Oder das Neueste: „Hulda, Stuhl z. B.: „Olga, Ja woll' ja!" da!", welcher Reim das Rückgrat zu dem jetzt so beliebt gewordenen Couplet geworden ist: „Ist denn kein Stuhl da, für meine Hulda!" Die Motive des modernen Berliner Couplets sind so ab¬ gedroschen, witz- und geistlos, daß man sich wundert, wie der Berliner Geschmack dieses Zeug verträgt. Ta ist die Schwieger¬ mutter, der man ein seliges Ende wünscht, das Droschkenpferd, das zu Wurst verarbeitet wird, das Dienstmädchen, das seinen Grenadier bewirtet, der Liebhaber, der über Rcinfälle jammert, der jüdische Hausierer, der die Treppe runterslicgt, der Student, der nie Geld hat, der Leutnant, der die Tänzerin umschwärmt u. s. s. Es ist föinnlich ein festes Repertoire geworden, dessen Langeweile nur durch neue mehr oder weniger sinnlose Tricks aufgefrischt wird. So erinnere ich mich eines Couplets, das ein Komiker von un¬ geheuerlicher Dicke vortrug, und das den Refrain hatte: „Nein, das kann ich nicht!" Die Schlußstrophe erzählte, wie ein Floh auf der Schulter einer jungen Balldame herumhüpfte, worauf das dicke Ungetüm von Komiker sang: „Nein, da—s kann ich nicht!" Oder cs werden die Leiden einer „ganz kleinen Frau" erzählt, um ein Jahr später von den Freuden eines „kleenen dicken Witwers" ab¬ gelöst zu werden, der den geschmackvollen Refrain singt: „Rach Weibern bin ick jar zu doll; ich kriej' de Nase jar nich voll!" Oder der Tante aus Polziu, — früher war's der Onkel aus Kyritz an der Knacker — wird erzählt, was die gute Kaiserstadt Berlin für „dolle Zicken" (Streiche) macht. Dabei spielt die Beschreibung von Berliner Nachtlokalen, in denen der Provinziale tüchtig gerupft wird, eine wichtige Rolle. Diese Couplets, Straßenlieder und Gassenhauer tauchen all¬ jährlich in stattlicher Anzahl auf und lösen einander ab. Irgend ein Unbekannter „dichtet" sie auf Verlangen einem beliebten Komiker, gestohlene Melodien werden dem Texte untergelegt, und die Lieder machen ihre Wanderung, gleichgültig, ob sie aus einem großen Variets-Theater, einer Spczialitäten-Bühue oder einem kleinen versteckten Tingeltangel hervorgehen. Sämtliche Leierkasten nehmen sie auf, alle Coupletsänger in und außer dem Hause ver¬ leiben sie ihrem Repertoire ein, und ehe ein Monat um ist, hämmert

die Geheimratstochter den Gassenhauer auf dem Klavier, spielt ihn die Militärkapelle, die durch die Straßen Berlins marschiert, pfeif! ihn der Bäckerjunge früh am Morgen, summt ihn das Dienst¬ mädchen, wenn es zu Bette geht. Dieses Schuudzeug von Couplets ist für viele Tausende und Abertausende so ziemlich die einzige Poesie, die sie genießen. Kein Wunder, wenn die Flut von Trivialität dazu beiträgt, auch das Leben und die Weltanschauung dieser Leute trivial zu machen. Die poetische Aufnahmefähigkeit wird schwach, der Sinn für Humor, ohnehin im Deutschen Volke so verkümmert, wird stumpf. Man sage nicht, daß ein Mensch ohne Poesie gut auskomme. Selbst ein so real denkender Naturforscher wie Darwin gesteht ein: „Wenn ich mein Leben noch einmal zu leben hätte, so würde ich es mir zur Rege! machen, wenigstens alle Woche einmal etwas Poetisches zu lesen . . . Der Verlust der Empfänglichkeit für derartige Sachen ist ein Verlust an Glück und dürfte möglicherweise nachteilig für den Intellekt, noch wahrscheinlicher für den moralischen Charakter sein, da er den gemütlich erregbaren Teil unserer Natur schwächt." Eine so elende Kost von Poesie, wie cs die modernen Berliner Couplets sind, wirken schlimmer als die von Darwin so überaus beklagte vollständige Vernachlässigung der Poesie. Aber diese Wirkung bleibt nicht aus Berlin und auf die Großstädte beschränkt. Sie ist auf auch dem Lande stark zu spüren. Von den Großstädten ans ergießt sich wie eine mächtige Sturzwelle eine Flut von Gedichten und Melodien niedrigster Art über die kleinen Städte und das bäuerliche Land. Die Großstadt mit der Fülle ihrer verlockenden Reize, mit der gesteigerten Kultur ihrer Vergnügungen, als Hauptsitz der Intelligenz und Zivilisation hat in den Augen des Kleinstädters und des Bauers die Wucht einer Autorität, sie wirkt förnilich suggestiv auf die außerhalb ihrer Kreise lebenden und wirkenden Individuen. Mag auch der fern von Berlin. München, Hamburg, Breslau u. s. f. lebende deutsche Bürger nicht ohne pharisäisches Behagen die großstädtischen Schmutzgeschichten lesen und ein paar Kreuze über die „Gottlosig¬ keit und Sündhaftigkeit der Großstädte" schlagen, hinter diesem Hochgefühl kleiner Seelen steckt doch eine naive Bewunderung und eine schüchterne Sehnsucht, teilzunehmen an der glänzenden Kultur großstädtisch eleganten Lebens. Unwillkürlich dehnt sich seine heimliche Achtung vor dem gro߬ städtischen Können auf alles aus, was ans jenen fremden Fernen und ihrem hinreißend schönen Leben kommt. Er wird ein plumper Nachahmer, der, unfein an den Parvenü-Manieren der Großstadt seine alte gefestigte brave treue Kultur zu Grunde gehen läßt, der Talmi mit rührigen Händen hinnimmt und echtes Gold aus achtlosen Fingern gleiten läßt. Dem Uebergewicht der Großstadt setzt er nicht vorsichtiges Abwarten entgegen; er prüft nicht, wägt nicht, schaut nicht, sondern greift zu und gebärdet sich in seiner öden Nachahmungssucht komisch-enthusiastisch. Und so steht seine Seele stumpf und dumpf der trüben Schlammwelle des hauptstädtischen Liedes entgegen. Das Lied spielt ja bei ihm eine ganz andere Rolle als beim Großstädter. Diesem ist das Lied nur ein Ansdruck künstlerischen Gestaltens und Könnens neben vielen anderen. Für de» Kleinstädter, der selten ein Theater besuchen kann, der ab und zu nur durch ein paar Holz¬ schnitte von dem Wesen der Malerei, der Bildhauerkunst und der graphischen Künste einen Begriff erhält, für den Bauer, der nie ein Theater sieht und nur ab und zu einen schlechten Farbendruck in einem Kalender, für diese Leute ist Musik die einzige Kunst, die ihrer Seele Aufschwung, Tiefe, inneres Leben verleiht. Und in erster Linie das Lied, das gesungene Lied. Was von den Großstädten und Provinzzentren an Couplets, kindischen Liedern, Operettcngedndel u. s. f. nun in die Kleinstadt und auf das Land verschleppt wird, läßt sich freilich nicht be¬ rechnen, nicht einmal abschätzen. Sowohl der leicht in die Ohren fallende Tanzrnthmus des modernen Couplets wie auch namentlich die geheime Achtung des Landbewohners vor den Erzeugnissen der Großstadt sichern diesen Liedern die weite Verbreitung. Schon in den vierziger Jahren klagte der kundige Sammler Anhalt-Dessanischer Bolksreimc und Volkslieder, Eduard Fiedler, über die Verbreitung der Arien und Lieder aus Opern und Singspielen, über Zephyr- und russische Salatwalzer und besonders über die Berliner Eckensteher-, Höke¬ rinnen- und Köchinnenlieder. Und der Schweizer Sprachforscher Prof. Winteler betont: „Es muß alles, was Gnade finden soll, ein bißchen nobel und fremd, womöglich in Paris, Leipzig, Berlin, Wien approbiert und mindestens hochdeutsch und hoffähig sein." Das hübsche Wort F. Th. Wischers, daß der Musik gegenüber alle Menschen Wiener seien, trifft besonders beim modernen Gassen¬ hauer zu. Richard Andrer, der beste Kenner braunschweigischen Volkstums, behauptet: „Mit dem Einzüge städtischer Einrichtung,

166

mit dem modernen billige» Tand in Kleidung und" Gerät ist eine bedenkliche Geschmacklosigkeit ans Licht getreten." Freilich dars man ein sozialpolitisches Element nicht außer Acht lassen, das die Verbreitung moderner Couplets gefördert hat. Die Ausbreitung weltlicher Musik hat auch schuld daran. Die Gewerbefreiheit nahm den Kirchenchören das Privilegium, und nun ent¬ standen rasch und zahlreich weltliche Kapellen: MnsiktrnppS thaten sich zusammen, „Dorsmusikantcn" boten sich für geringes Geld den Wirten an, oder die Gasthofbesitzer ließen sich zur Kirmes; Stadt¬ oder Militnrmnsikcr kommen, die sich bemühten, leichte Ware zu liefern, das neueste „ans Berlin" herunterzuspielen, was dann seitens der dörflichen Mnsikbeflisscncn sofort nachgeahmt wurde. Man hat den Staat und die Polizei zu Hilfe rufen wollen, um wenigstens die unzüchtigen Lieder von einer schnellen Ver¬

breitung auszuschließen. So brachte im vorigen Jahre der-Justizminister in Brüssel in der Kammer einen Gesetzentwurf ein, wonach das Absingen unsittlicher Lieder im Beisein von Kindern unter 16 Jahren mit Gefängnis von 1 bis 3 Monaten oder mit Geld¬ strafen von 100 bis 1000 Francs bestraft werden soll. Ebenso verbot das Generalkommando des Gardekorps in Berlin, inner¬ halb und außerhalb der Kaserne das Schamgefühl der Zuhörer verletzende Lieder zu singen; Zuwiderhandlungen würden mit Arrest und kleineren Disziplinarstrafen bedroht. Solche Maßregeln können gewiß Gutes stiften. Um aber das großstädtische Couplet von Grund aus umzugestalten, dazu bedarf es einer Gesundung von innen heraus.

vr. Hans Taft.

Professor Brutto „Otto der Faule". ie einzelnen

Standbilder, welche

der Bank in der Siegesübertragen ist, sind sodaß das genannte Werk

sich

allec einfügen werden, die Pros.

Brütt

nun in Marmvranssübrung vollendet, nunmehr bald aufgestellt werden kann. Meisterhaft hat Brütt den Charakter der Zeit wiedergegeben in diesem gepanzerten Mark¬ grafen Otto dem Faulen und dem trotzigen, bewußten, sich selbst getreue» Ratmannen Thilo von Brügge, dem Schultheiß und Münzmeister, und Thilo von Wardenberg, dem Oldermann von Berlin. Es war eine Zeit unaufhörlicher Kämpfe: bezeichnend findet man in zeitgenössischen Tiegeln den Berliner Bären mit einem Panzer gerüstet. Die Zeiten des falschen Waldemar mit ihren Wirren, ihrer Untergrabung von Treu und Glauben in der Mark waren kaum vorüber gezogen. Diesen Äänipsen folgten neue, durch die Kaiser Karl IV., der Lützelbnrger, die Mark an sich und sein Hans zu bringen suchte. Markgraf Ludwig hatte 1365 das Zeitliche gesegnet, und nun fiel die Knrfürstenwürde, die seit 1356, dem Erlaß der „goldenen Bulle", mit der Markgraf¬ schaft verbunden war, an seinen jüngeren Bruder. Otto der „Finner", — der Faule wurde dieser nachmals genannt, wenngleich seine ersten Jahre nichts von Lässigkeit und Gehenlassen answeisen. Das kam erst später, als er, seine völlige Ohnmacht einsehend,, zurücktrat und sich iti die Obersalz zurückzog.

auch die

walde.

Er erhielt hierfür 3000 Mark Silber. Drei Tage später nahm er noch 6500 Mark Silber vom Müuzzyser (Münzbezirk) Berlin aus. Zu diesem Münzbezirk gehörten damals die vier¬

Berlin, Kölln, Frankfurt, Spand.au, Bernau, Ebcrswalde, Landsberg, Stranßberg, Müncheberg, Trossen, Fürstcnwaldc, Mittenwalde, Wrietzen, Freien-

zehn Städte

waldc. "heutigen 6500 Mark Silber entsprechen ungefähr 900000 Mark unserer Währung; es war also immerhin eine beträchtliche Summe. Der Fürst verlieh dafür den Städten das Münzrecht, er begab sich also eines der integrierenden Rechte des Landesherrn. Fürwahr ein gewaltiges Opfer, das er da brachte. Da nun Berlin und Kölln erklärten, diese für die damalige Zeit gewaltige Summe nicht sogleich aufbringen zn können, so erließ er ihnen noch ans zwei Jahre die Abgaben. Aber alles war umsonst, der Kaiser verlangte völlige Abtretung der ganzen Mark Brandenburg. Da lehnte sich Otto ans. Der Kaiser kam nun mit einem gewaltigen Heer und wandte sich zuerst gegen Frankfurt, das ihm seiner Treue für Ludwig I. und seines Wider¬ standes um 1348 wegen,

ein

noch

Dorn im Auge war.

Tie Energie und

Aber gleichwie da¬

mals wurde es um¬ sonst bcrannt. Die wilden Czcchenhordcn, die der Kaiser als böhmischer König in seinem Heere führte, wand¬ ten sich nun gegen das eine Meile nörd¬

verlangten, hat er allerdings wohl nie besessen. In ruhigen Zeiten wäre er aber sicher ein sorglicher, gewissenhafter Landesvatcr geworden.

Das

was ihm der Kaiser anthat, war, daß er ihm zur Gemahlin nicht, erste,

wie er versprochen batte, seine jüngste Tochter Elisabeth gab, sondern die ältere Katharina, die Witwe Herzog

Rudolfs von

Oesterreich. Otto ließ es sich in un¬ begreiflicher Indo¬ lenz gefallen. Auch

als Kaiser

Karl

Lausitz 1368 von der Mark trenn¬ die

te, leistete er keinen

Widerstand. Seine größte Sorge war, _ ^ die Kriegsschuld an Sachsen zu decken, die noch von 1348 aus den Kämpfen, die das Auftreten des „falschen Waldemar" hervorgernsen hatten, stammten, und sich so nach dieser Seite hin frei zu machen. Geld mußte aufgebracht werden, koste es, was es wolle. Otto veräußerte am 21 . Juni 1369 den Städten Frankfurt, Berlin, Kölln und Spandau das Schloß und die Feste Boitzen-

Stadt und Burg Oderberg. Als Bürgen traten

Straußberg, Bernau, Ebcrswalde, Landsberg, Mittenwalde, Fürstenwalde, Trossen, Wrietzcn und Frcicn-

Thatkraft, die eine solcheZeit und solche Gegner von ihm

ci-hilv von Brügge.

bürg, wie

ein die Städte

lich von Frankfurt auf den steilen Userhöhen gelegene Bis¬

tum Leb ns. wurde alles

Es ver¬

wüstet, die altehr¬

würdige Kathedralkirche

zum Pferde¬

stall entwürdigt.

Zu gleicher Zeit kamabernoch andere Not über Otto. Die wilden Pommern¬ herzöge warteten jeden Moineut der Schwäche ab, um einen räuberischen Einfall in die Mark zn wagen. Lw jetzt auch Casimir

vouPommern. Er zog gegen Königs¬ berg in der Renmark

Thilo von Wardenberg

und begann die Belagerung. Es aber schlecht. Ein „freier Schuhknccht", also ein ehrsamer Schnhmachergesell, schon ihm mit seiner Armbrust einen Pfeil durch den Hals. Mit seinem Tode war der Kriegszug zu Ende. Die herrlichen alten Befestigungen Königs¬ bergs, die es sich ja noch lis in unsere Tage erhalten hat. bekam

ihm

batten ihm

aber

auch

so

einen kaum zu brechenden Widerstand

entgegengesetzt.

Inzwischen war der Kaiser nach Fürstenwaldc vorgerückt und hatte dort ein großes befestigtes Lager bezogen. Ueber Otto scheint aber nun die Mutlosigkeit gekommen zu sein- denn am 15. August 1373 geht er, nachdem zuvor ein Waffenstillstand ver¬ einbart war, selbst nach Fürstenwalde und verzichtet für sich und sein Haus, für alle Herzöge von Bayern auf die Mark. Der Kaiser gewährt ihm dafür 500 000 Gold¬ gulden und einige Schlösser in der Oberpfalz. Dahin zieht sich Otto nun zurück und sucht Vergessenheit in den Armen der schönen Müllerin der Grethlmühle bei Schloß Wolfstein. Dort starb er zwei Jahre später.

den Aeltesten der Stadt daran, einen treuen und mächtigen Vasallen hier sitzen zu haben, der mit dem Besitz ja auch die Pflicht der dieser Zeit, wo die Rosse Heerfolge ohne Weiteres übernahm.

In

des Rats stets gesattelt standen, wo das Rathaus von Waffen strotzte, wo Niemand das Bürgerrecht erwerben konnte, der nicht den Besitz von Schutz- und Trutzwaffen nachwies, war eben ein solcher Vasall kostbar. Ans sein Betreiben hauptsächlich hin bot wohl auch Berlin-Kölln dem Kaiscr noch Trotz, als sich Otto selbst schon

unterworfen hatte. Wir finden ihn auch mit dem Kämmerer Albertus

von Rathenow zusammen an der Spitze des Berliner Heeres, das sich nach

Sie waren im Gegcnihrem Fürsten starke kühne

berg mit. zu

Naturen. Nur der Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Kaiser, ver¬ Tie Städte band sic mit Otto. strebten damals nach völliger Unab¬ hängigkeit, der schwache Fürst war ihncn für ihre republikanischen Ge¬ lüste lieber, als die starke Hand des Kaisers, deshalb hielten sie zu Otto. Dieses Streben nach republikanischer Selbständigkeit der Städte lag im Geiste der Zeit; es war die höchste des hanseatischen Ttädtebundcs Thilo von Brügge entstammte einer Familie, die ihrem Namen nach zu urteilen aus Westdeutsch¬

Blüte

in Berlin eingewandert war. Sie führten auch ein echt rheinisches Zeichen im Wappen: ein Drachenland

haupt von Sternen umgeben.

Thilo

trat zuerst unter Ludwig dem Aelteren in die Erscheinung. Dieser

hatte nach Zurückweisung des Angriffs durch die Böhmen sich nach Nürn¬ berg begeben müssen, um von dort aus, während der Kaiser nach Rom zog, das Reich zu verwesen. Am 25. Juli 1345 belehnt nun Ludwig von der Nürnberger Burg aus Thilo v.on Brügge mit .dem Stadtgericht in Berlin. Statthalter der Mark würde während dieser Zeit Burggraf

zu küren." Außerdem berg seine Güter

1345 ist dieser Burggraf Johann wohl als erster Zoller in die Mark und Berlin eingeritten, die Stätte»,

mußte

Thilo von Brügge

Kaiser

Sigismund,

Karl IV.,

Otto der Faule.

Otto von Buch, der für seinen Abfall und Untreue zu büßen hatte. Er verurteilte ihn zu hoher (Geld¬ strafe und Verbannung. Thilo von Brügges Stellung war setzt die angesehenste, ja, eine beinahe fürstliche. Er sonnte sich in der Gnade seines Landcsherrn, der ihn zum Ordner seiner Finanzen machte, und ihn zum Vogt über den Barnim, das Land Teltow, die Städte Spandau, Rauen, Rathenow, ernannte. Er hatte der in Berlin ein prächtiges Haus in der „media platea" „Mittelstraßc" — einer Straße, die etwa der jetzigen Spand au er straffe zwischen Rathaus und Molkenmark entspricht. Sei» Fall war eng mit dein seines Freundes Thilo von Wardenberg, des Öldcrmanues (Bürgerineistersh verflochten. Von Thilo von Wardeubcrg hören wir zuerst 1372, daß er vom Rath der Stadt das Torf Pankow und dazu 13 Hufen Landes für 42 Mark Silber kauft, das heißt für die Hälfte dessen, was der Rat her Stadt selbst dafür gezahlt hatte. Es lag eben auch Gericht halten über

ivnrbenWarden¬ Pankow, Rei¬

aber noch Vermögen gerettet zu haben, denn 1375 sind schon wieder einige der Güter in seinem Besitz; er muß also im Stande gewesen sein, die Pfandsumme zu zahlen. Der un¬ verwüstliche Mann weiß sich auch bei

aus der fränkischen Linie des Hauses.

Berlin

den

nickendorf, Falkenberg, GroßGlasow, Ho heuMachnow, Schönhansen, Mühlenbeck und Heckelwcrk gepfändet. Er scheint

Johann von Nürnberg, Sohn FriedrichsIV. von Hohenz ollern

wo nachher sein Haus sich zu so geivaltiger Größe entwickeln sollte. In seinem Amt als Stadtschulze von

gegen

Als dann aber das

zweite Berliner Heer die Schlacht im Havellande gegen das Hilfsheer, das unter Wedigo von Plotho von Magdeburg aus für K arl IV. heran¬ zog, verlor, unterwarfen sich dieStädte und NUN mußten der Oldermann Thilo von Wardeubcrg und dcr Schultheiß Thilo von Brügge fliehen, wenn sie nicht in die Hände Sie des Kaisers fallen wollten. wurden in „Berfestung", die Acht ge¬ than, und die Anklage gegen sic in ein libor excessuum, ein „Buch eingezeichnet. llebertretnngen" der Diese Urkunde ist noch erhalten; sie wirst helle Schlaglichter aus die beiden Thilos sowohl wie aus ihre Mit¬ bürger. In strenger Zucht und Herr¬ schaft hielten sie ihre Berliner, die ihren Oldermann und Schultheiß mehr fürchteten, als den Kurfürsten. Als der Rat sich auflehnte, suchte Wardcnberg Boden im Volke, indem er den „gemeinen Bürgern" Steuerfreiheit versprach. Also eine echte Demagogenuatnr, die aber durch die Selbständig¬ keit der Stadt nur ihre eigene Herr¬ schaft zu gründen basste. Außer der Acht erfolgte noch ein Verbot de» Kaisers, ihn je wieder „in den Rat

Ottos Fall riß Thilo von Brügge und Thilo von Warden¬ satz

Fürstenwalde

Kaiser wandte.

bald

so

dem Nachfolger

in Gnade zu

setzen,

daß dieser am 13. September 1382 von Preßbnrg einen Erlaß au Berlin

sendet: „Es ist vor uns euer Mitbürger Thilo von Wardeubcrg erschienen und hat uns wohl geklaget, daß ihr ihm Ungnade und Ungunst bereitet, so daß er in eure Stadt nicht ein und anszuzichn vermag, wie jedweder andre Mitbürger von euch. Wir gebieten euch ernst¬ lich und haben Herrn Jan von Wulkow, sowie den Rathmanncu

Henning Dobler

und

Bastian Mertens von Brandenburg

da» verweisen und euch vermahnen sollen, ihm zu seinem Rechte zu verhelfen, denn wir wollen durchaus nicht, daß sich jemand an ihm oder au seine» Gütern vergreise." — Die Wardenberge sind dann auch in Berlin geblieben. 1412 taucht der Name wieder auf: Klaus und Ludwig von Wardenberg. Später finden wir sie im Rate der Stadt

befohlen, daß sie

euch

und im Landadel des Havellandes. Diesen. trotzig eigenmächtigen Charakter hat Professor Brüll auch seinen Darstellungen der beiden alten Berliner meisterhaft

Spandau

aufzuprägen gewußt.

168

Der Zoologische Garten in Berlin. in unvordenklichen Zeiten sollen, wie aus allen Werken der Dichtkunst hervorgeht, in China, dem von der übrigen Welt streng abgesonderten Reiche mit der eigenartigen, uralten Kultur, Parkanlagen bestanden haben, in denen Tiere aller Art Ueber den Zweck dieser Einrichtung ist der Nach¬ gehegt wurden welt nichts eröffnet worden. Doch läßt sich wohl annehmen, daß diese Tiergärten mir dazu bestimmt waren, die Macht des Dynasten

über alles Lebende in seinem Reiche zur Anschauung zu bringen. des Aztekenreiches einzog, waren er und seine Begleiter, insbesondere aber der Geschichts¬ schreiber Bernal Diaz, nicht wenig erstaunt, unter den wunder¬ samen Merkzeichen einer weit fortgeschrittenen Kultur auch gärt¬ nerische Anlagen zu finden, die mit ihrem baulichen Beiwerke einen märchenhaften Eindruck ans die Fremden ausübten. Diaz erzählt in seiner lebendigen, anregenden Weise, daß die blumenreichen Gärten des königlichen Schlosses Vogelhäuser und Tierhöfe ent¬ hielten, die mit den herrlichsten buntfarbigen Geschöpfen der gefiederten Welt und andererseits mit allem wilden Getier des mächtigen Landes bevölkert waren. Vielen hundert Menschen, so schildert er weiter, lag die Pflege dieser Fauna ob, die ihm und seinen Genossen wie das neu erstandene Paradies erschien. Diese Tierhöfe bildeten im Aztekenreiche ein hervorragendes Merkmal des königlichen Glanzes. — Seit der Periode der geographischen Entdeckungen, durch welche für die europäische Bevölkerung die Werke der Schöpfung verdoppelt wurden, und die, wie Humboldt es treffend ansspricht, der Intelligenz neue und mächtige Anregungsmittel zur Vervollkommnung der Naturwissenschaften in ihren physischen und mathematischen Teilen darbot, seit dieser denkwürdigen Zeit hatte man in Europa hin und wieder Gelegenheit, Tiere aus trans¬ atlantischen Ländern, vornehmlich ans den Tropen, bewundern.zu können. So wurde am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts auf der Messe zu Frankfurt a. M. der erste lebende Elephant, den das Abendland gesehen, öffentlich ausgestellt. Ferner kamen um diese Zeit wiederum Papageien nach Europa, die während der Krcuzzüge hier und dort schon eingeführt waren, dann aber ällmälich aus dem Abendlande verschwanden. Menagerien im eigentlichen Sinn des Wortes entstanden erst im 16. Jahrhundert mit dem Aufschwünge des überseeischen Verkehrs; sic gehörten lange Zeit hindurch zu einem dekorativen Zngehör des fürstlichen Hofstaates. Während diese Tiergärten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts nur einzig und allein der Schaulust dienten, wurde zuerst in Paris eine solche stehende Menagerie zu wissen¬ schaftlichen Zwecken im Jardin des Plantes eröffnet. Dieser von den günstigsten Erfolgen begleitete Versuch regte zur Begründung des Londoner zoologischen Gartens an, der 1828 seine Pforten

Als Ferdinand Cortez in die Hauptstadt

-

Erst fünfzehn Jahre später wurde aus Ver¬ berühmten Berliner Zoologen Martin Heinrich Lichtenstein, der den König Friedrich Wilhelm IV. dazu bestimmte, ihm zur Anlage eines zoologischen Gartens ein Terrain im Ber¬ liner Tiergarten anzuweisen, das erste derartige Unternehmen in Deutschland ins Leben gerufen. Der König überließ diesem Institut nicht nur die Tiere der Fasanerie aus der Pfaueninsel, sondern gewährte ihm auch eine wesentliche finan¬ zielle Staatsunterstützung. So sehr man auch die Verdienste Lichtensteins um das erste Werden des Berliner Zoologischen Gartens anerkennen muß, so trat doch erst dann eine merkliche Entwickelungs¬ phase des Instituts ein, als der Vorstand seines im Jahre 1869 konzessionierten Aktienvereins den damaligen Organisator des Kölner zoologischen Gartens, Dr. Hein¬ rich Bodinus, zum Direktor des Unter¬ nehmens erwählte. Mit einer vom vorwärtsstrebenden Geiste der Zeit beseelten Thatkraft ging Bodinus alsbald an das große Werk, den Garten einer vollständigen Umgestaltung zu unterziehen. Begann er einerseits mit glücklichem Erfolge die mannigfachsten Akklimatisations- und Züchtungsversuche auszuführen, und dadurch das Institut zu einem Anziehungspunkte für Fach¬ gelehrte und alle Naturfreunde zu er¬ heben, so war andererseits sein eifriges Bestreben dahin gerichtet, den Zoologischen Garten gleichzeitig zu einem begehrten Erholungsorte der Berliner- Gesellschafts¬ kreise umzugestalten. Durch vielumfassende, erschließen

konnte.

anlassung

des

mit künstlerischem Geschmack vollführte gärtnerische Anlagen, durch den Neubau eines der Zeit entsprechenden Restaurants, durch die Einrichtung von Konzerten der in Berlin garnisonierenden beliebten Militär¬ kapellen ward der Zoologische Garten das, wozu ihn die Reorganisation des Vorstandes bestimmt hatte: ein zoologisches Musterinstitut und zugleich eine erfrischende Erholungsstätte nach Mühen. Natürlich wurde durch den fortgesetzt wachsenden Besuch des Gartens auch das Interesse für seine eigentlichen gemeinnützigen wissenschaftlichen Zwecke stetig mehr und mehr erweckt Die zahl¬ reichen wertvollen Spenden seltener Tiere, welche seitdem dem Institute von den verschiedensten Gönnern dargeboten wurden — wir nennen unter den vielen nur den allbekannten Namen des vor kurzem dahingeschiedenen warmherzigen Freundes aller natur¬ des Tages Last und

wissenschaftlichen Bestrebungen, William Schönlank —, sie bezeugen dies in sprechender Weise. Mehr und mehr begann man einzusehen, wie durch die Beobachtung des Lebens und Wesens der Tierwelt unser Gesichtskreis sich erweitert, unsere Beurteilung aller Dinge der belebten Natur vorsichtiger, gedankenreicher und auch liebevoller wird. Wenn wir schauen, welch zärtliche Mutter¬ liebe fast ein jedes Tier bewegt, welch ein trautes Familienleben sich hier und dort abspielt, mit welcher rührenden Fürsorge, besonders in der gefiederten Welt, das Männchen für das Wohl der Gattin und seiner Kleinen bedacht ist; wenn wir ferner betrachten, wie auch bei den Tieren der Hunger und die Liebe die Leidenschaften wachrufen, wie dagegen fast jedes Geschöpf, selbst das verrufenste Raubtier, durch wohlwollende Behandlung unbedingtes Vertrauen, ja Liebe zu seinem Pfleger

und seine Natur vollständig ändert, dann lernen begreifen, daß das Seelenleben der Tiere denselben Gesetzen unterworfen ist wie das menschliche. Muß es nicht einen jeden mit einer gewissen ethischen Weihe berühren, wenn er sieht, wie der mächtige Königstiger, uneingedenk seiner physischen Gewalt, mit erkennbarer Freude die Liebkosungen seines Wärters entgegennimmt und sie erwidert? Muß es nicht das Gemütsleben eines jeden Menschen läutern, der betrachtet, mit welcher Treue der wilde Bewohner des Urwaldes, der OrangUtan, seinem Wärter ergeben ist? Wird uns nicht vor unserer Gottähnlichkeit bange, wenn wir beobachten, wie dieses merkwürdige Geschöpf mit den sinnenden Blicken die Annahme der Nahrung veriveigert, sobald es solche nicht von dem ihm liebgewordenen Pfleger empfängt? Solch ein Beispiel treuer Liebe zeigte auch ein junger Leopard aus den deutschen Kolonien Ost-Afrikas, welchen der Herzog-Regent Johann von Mecklenburg-Schwerin dem

gewinnt

wir

169

Berliner Zoologischen Garten gespendet hat. Das schöne Tier war von solcher Sehnsucht? nach seinem alten Heim erfüllt, daß es jede ihm dargebotene Nahrung unberührt ließ. Als es dann den Wärter aus dem herzoglichen Schlosse wiedersah, war es urplötzlich wie umgewandelt. Mit fröhlichem Knurren lief es ihm entgegen, schmiegte sich an ihn und ließ sich mit innigster Befriedigung füttern. Dieses Wiedersehen und ein liebevoller Zuspruch des neuen Pflegers trugen dazu bei, das Gemüt des Tieres zu beruhigen und zu erfrischen, so daß es seitdem in seiner neuen Heimstätte sich vortrefflich akklimatisiert hat. Um alle diese fesselnden idealen Momente auch der Kinderseele einprägen zu können, geben die Berliner Gemeindebehörden der Verwaltung des Instituts einen bestimmten jährlichen Beitrag zum Zwecke des unentgeltlichen Besuches des Gartens seitens der Gemeindeschüler in Begleitung ihrer Lehrer. Ueberdies ist den höheren Lehranstalten ein wesentlich ermäßigtes Eintrittsgeld bewilligt worden. Bietet doch der zoologische Garten Berlins mit seiner erstaunlich reichen Sammlung seltener Tiere, die in ihren sachgemäß angelegten Gehegen und Käfigen kaum mehr die Freiheit entbehren und ihr natürliches Wesen enthüllen können, eine

Gelegenheit zum Anschauungsunterricht dar, wie er vollkommener nicht denkbar ist. Anbetracht der hohen erzieherischen Aufgaben der Naturkunde wäre es nur zu wünschen, daß die Lehrer sich stets mit voller Hingebung und dem richtigen pädagogischen Ver¬ ständnis dieser so dankbaren Führerschaft unterzögen. Die einfache Musterung der Tiere ohne erläuterndes Wort ist absolut zwecklos. Der Berliner Zoologische Garten, der nach der kurzen ver¬ dienstlichen Leitung des leider im besten Manncsalter dahin¬ geschiedenen Direktors Dr. Schmidt in der Person des Dr. Ludwig Heck einen wissenschaftlichen Leiter gefunden hat, der mit jugendfrischer Begeisterung an das Werk einer vollständige» Reorganisation des ganzen Instituts ging, ist nunmehr zu dem größten und reichhaltigsten Unternehmen dieser Art in der Welt cniporgediehen. Von dem durchaus richtigen Gedankengange ausgehend, daß ein solches Institut möglichst alle Gruppen der Säugetiere und Bögel in den verschiedensten Arten vereinigen muß, schiff Heck mit Unter¬ stützung der zahlreichen Gönner des Gartens und durch das ent¬ gegenkommende Verständnis seines Vorstandes eine Tiersammlnng, wie sie eben einzig m der Welt dasteht. So birgt jetzt das stattliche Raubtierhaus des Instituts nicht weniger als sechs Varietäten des Königstigers, deren ver¬ gleichende Betrachtung erkennen läßt, welche sichtbaren Rassennnterschiedc bei einer Tierart durch de» Einfluß der klimatischen Verhältnisse ihrer verschiedenen Wohngebiete sich allmählich ausbilden. Der präch¬ tige, kraftvolle Tiger Bengalens ist, wie wir hier wahrzunehmen ver¬ mögen, von durchaus anderer Ge¬ staltung und Färbung als der Tiger Ostsibiriens oder der im Altai¬ gebirge heimische. Eine wiederum andere Erscheinung tritt uns in dem Tiger aus dem südlichen China, oder in der schlanker und kleiner gebauten Art entgegen, welche auf einzelnen Sundainseln lebt. Bon iinponierender Schönheit ist das aus den: nördlichen Persien, dem Ländergebiete des Aralsees, stammendc Tigerpaar mit dem nament¬ lich bei dem inännlichen Tiere her¬ vortretenden löwenartigen Mähnenschmuck. Die beiden mächtigen Tiere eine verständnisvolle sind durch Pflege so überaus zahm geworden, daß sie in nichts mehr den ihnen angeborenen wilden Charakter ver¬ raten. Sie kommen auf den Ruf

In

die in Nord-Persien heimische, kräftig gebaute Spielart. Während der persische Leopard, der allerdings direkt aus der Freiheit und auch in einem schon etwas gereifteren Alter dem Institut zugegangen ist, ein äußerst wildes, stetig zum Jähzorn gereiztes Wesen zur Scharr trägt, bekunden die anderen Varietäten, was durch eine liebevolle Behandlung und eine sorgsame Pflege erreicht werden kann, wenn das Thier noch im zarten Jugendalter der Wildnis entrissen wird. Diese Leoparden verdienen durchweg das Vertrauen, das man ihnen entgegenbringt; sie sind zahm fast wie Hauskatzen, folgsam, lassen sich von ihrem Pfleger gern streicheln, kurz, zeigen, daß sie eine gute Erziehung genossen haben. Allerdings giebt es bei den Tieren, wie bei den Menschen, Exemplare, die sich, aller Mühen ungeachtet, absolut nicht erziehen lassen und ihrer Raubgier und Heimtücke treu bleiben. Im großen und ganzen aber hat die Erfahrung gelehrt, daß die katzenartigen Raubtiere doch weit besser sind als ihr uns aus Büchern bekannter Ruf. Bei ver¬ ständiger Pflege erkennen jung eingefangene Raubtiere fast durch¬ gehend die Oberhoheit des Menschen an.

Dies offenbart sich auch bei den Löwen des Berliner zoologischen Gartens, die uns hier ebenfalls in verschiedenen Rassen entgegentreten, deren wesentlichster Unterschied die sehr veränderliche Mähne ergiebt. Wir finden hier neben dem Wüstenkönig des Sudans den Löwen aus dem Somaliland, neben dem Perser- den stolzen Berberlöwen mit der dichten, schwärzlichen Mähne und den mächtigen Pranken. Alle diese edlen Tiere, vornehmlich aber die in dem Institute selbst zur Welt gekommenen, haben infolge der mustergiltigen Wartung ihren wilden Charakter fast völlig über¬ wunden. Sie bezeigen ihrem Pfleger Anhänglichkeit und offen¬ baren für empfangene Wohlthaten ein ebenso treues Gedächtnis wie für irgend eine erlittene Unbill. Daher hat selbst der mit ihnen vertrauteste Wärter sich zu hüten, sie einmal durch Schläge zu. reizen, sie während des Essens zu stören oder sie bei der Fütterung zu necken. Dies vergißt ein Löwe nicht und kann im Wiederholungsfälle das bereits zur Geltung gelangte ErziehnngsBeruht doch die wundersame resultat vollständig zerstören. Zähmungskunst Hagenbecks und seiner Gehilfen im Wesentlichen darauf, den Tieren Vertrauen zu ihrem Pfleger einzuflößen. Es muß als ein besonderes Verdienst des Direktors Dr. Heck hervor¬ gehoben werden, daß er für die liebevolle Behandlung und sach¬ gemäße Pflege aller Tiere des Institutes die thatkräftigste Sorge trägt. Die eine der dieser Betrachtung beigefügten Abbildungen giebt eine photographische Angenblicksanfnahnte des noch im blühendsten

ihres Wärters, für den sie die treueste Anhänglichkeit offenbaren, ivie ei» folgsames Haustier an das Gitter ihres Käfigs und nehmen mit Genugthuung die ihnen zu teil werdende Liebkosung entgegen. Die Gruppe der Panther¬ katzen ist nicht nur durch den Jaguar aus den gemäßigten

^,

Lin Hirschgehrge im Ooolvgitchen Garten.

Teilen Südamerikas, den Schw arzPanther, dessen Heim die Großen _

indischen Leopard-Panther, sondern Varietäten des eigentlichen Leopards

öundainseln

bilden, de»

auch durch höchst segelnde

vertreten.

Da

erblicken

wir das von uns bereits erwähnte noch junge Tier ans den deutschen Kolonien Ostafrikas, den vom Grafen von Zech dem zoologischen Garten gespendeten Leopard aus dem -rogolande, also aus den westafrikanischen Besitzungen Deutschlands, die süd¬ afrikanische Art, die ans der Mandschurei stammende Spezies und

Mannesalters stehenden Direktors in dem Momente wieder, wie er gerade vor einem Gitter des großen Bärenzwingers einem Wärter Instruktionen erteilt. Der imposante Bärenzwinger bietet uns fesselnde Bilder von dem eigenartigen Wesen der mannigfachen Arten ans der Familie der Großbären dar. Wenn ein Besucher sich den einzelnen Käfigen naht, erheben sich sofort die braunen zottigen Gesellen, nur mit einer drolligen, bittenden Bewegung der Vordertatzen und

170

mit ungemein harmlosen Blicken, die in nichts an ein Raubtier gemahnen, eine Gabe zu erbetteln. Der in seiner nordamerikauischen Heimat mit Recht gefürchtete Grislybär zeigt in seiner ganzen Erscheinung, daß er keine gutartige Natur hat und einen Scherz durchaus nicht versteht. Dasselbe läßt sich auch von dem ihm benachbarten Polarbär und dem Grisly der japanischen Insel Jcsso sagen. Während die braunen und grau-braunen Bären zumcist Bewohner der mehr nördlichen Breitegrade sind, kann man ihre schwarzen Vettern als Geschöpfe der südlichen Zonen be¬ zeichnen. einem anderen, älteren Zwinger haben diese schwarzen

In

Königlichcn Baurat Böckmann, einen ihm gleichgestimmten, that¬ kräftigen Genossen. Mit warmherziger Energie unterstützte er im Vorstände des Zoologischen Gartens die weitgehenden Reformvvrschlägc des von seinen bedeutsamen Aufgaben tief durchdrungenen Direktors und setzte zur Verwirklichung derselben die Erhöhung des Aktienkapitals um eine Million Mark durch. Der erste große Neubau, welcher nach dem Idceugange Hecks zur Ausführung kam, war das von den rühmlichst bekannten Architekten Kayser und von Großheim mit hohem künstlerischem Geschmack errichtete Vogelhaus, das nun in einem mustcrgiltig geordneten System ein lebensvolles Bild von der erstaunlich reichhaltigen Vogclsammlung des Institutes dar¬ bietet und dem Ornithologen mannig¬

Stoff zu vergleichenden Studien Architekten giebt. Die von denselben 'reizvollen ja¬ einem überaus in panischen Stil aufgeführte neue Wohn¬ stätte für die wohl einzig in der Welt dastehende Sammlung der sel¬

fachen

tensten

andere,

Stelzvögel,, neueste,,

welche den

bildet

eine

wichtige Schöpfung,

Ideen des Direktors

ent¬

sprungen ist. Die beiden letzten unserer Abbildungen geben eine Änschannng von dem Aeußeren und

Inneren dieses Bauwerkes wieder. Den wirkungsvollen Eindruck, den diese bauliche Schöpfung auf alle ausübte, Vorstand, auch das tnngsgebäude au der ain Kurfürstendamm,

Besucher

Das neue Stelzvvgelhaus.

.

bestimmte neue

den

Vcnval-

Eingangspforte

sowie die ver¬ schiedenen dazu gehörigen BanlichEin demkeiten in dem nämlichen ckil aufführen zu lassen. nächst, unweit des alten Bärenzwingers, zu errichtender Backsteinbau wird dazu ansersehen sein,,dein Naturfreunde.ein Gesamt¬ bild von der.heimischen Tanna, insbesondere von .unseren Sing¬ vögeln, den Raubtieren der gefiederten Welt und von den heimatlichen kleineren Raub-Säugetieren, zu entrollen. Wenn wir erwägen, .wie gering die Zahl derer ist, die eine Kenntnis von der Fauna der nächsten llmgebung besitzen, die z. B. eine Schwarzdrossel von

Gesellen, unter denen der ans Nordamerika stammende Baribal, ein leicht zähmbares Tier, sowie der muntere und gutartige Kragen¬ bär aus Korea die besondere Aufmerksamkeit des Beschauers fesseln, in Gemeinschaft mit dem hellfarbigen syrischen Bär ei» ihren Be¬ dürfnissen angepaßtes Asyl gesunden: Daß überhaupt der gesamten Fauna des Berliner Zoologischen Gartens Wohnstätte» eingeräumt sind, die nicht nur der Lebens¬ weise und den Gewohnheiten der verschiedenen Tiere nach Möglich¬ keit entsprechen, sondern auch durch ihre architektonische Ausführung dazu beigetra¬ gen haben, die Schönheit des herrlichen Parkes und den Weltruf des Institutes zu erhöhen, muß in erster Reihe dem energischen Einschreiten des Dr. Bodin ns zugeschrieben werden. Neben einer Reihe kleinerer Bauwerke sind seiner Initiative die Errichtung des eigenartigen Ele¬ phanten-, des prächtigen Antilopen- und auch des neue» Raubtierhauses zu danken. Diese baulichen Schöpfungen stellen dem künstlerischen Geschmack der bekannten Firma Ende & Bvckmnnn ein glänzen¬ des Zeugnis aus. Doch auch die anderen der Tierwelt dieses Gartens errichteten Heimstätten geben der ganzen Anlage ein höchst anziehendes Relief. Wir brauchen wohl nur ans unsere Abbildung hinzu¬ weisen, die einen Teil der Hirschgehege mit den ansprechend gebauten Stallungen iviedergiebt, um dies sogleich bestätigt zu finden. Als Bvdinus diese vielumfassende Reorganisation ins Werk zu setzen begann, bestand das Aktienkapital des Zoologischen Gartens nur aus dem verhältnismäßig winzige» Betrage von 300 000 Mark. Der Vorstand sah infolgedessen sich ver¬ anlaßt, um die von ihm anerkannten Gedanken des Direktors durchführen zu kön»cit, eine Summe von 1866 600 Mark in jährlich zu amortisierenden PrioritätsDas Innere des neuen Stelzvogelhauses. Obligationen zu emittieren. Welche reichen Früchte dem Institute durch diese tinanziclle That entsprossen find, bedarf wohl kaum einer weiteren einem Star zu unterscheiden vermögen, so können wir diese in Erläuterung. Erst jetzt vermochte der Berliner Zoologische Garten Aussicht stehende neue Errungenschaft des Berliner Zoologischen zu offenbaren, daß er im Boden der fortschreitenden Zeit wurzle. Gartens nur mit hoher Genugthuung begrüßen. Erst jetzt hatte er die Reife erlangt, in de» Wettbewerb mit den Doch Direktor Heck war in seinen Reformen nicht nur allein größten und berühmtesten Tiergärten des Auslandes treten zu darauf bedacht, der zoologischen Wissenschaft zu dienen, er wollte können. auch der anderen Bestimmung des Instituts, eine Sehenswürdigkeit Nun, sein jetziger Direktor, Dr. Ludwig Heck, ist gleichfalls auch als Erholungsstätte zn sein, vollauf Rechnung tragen. Und tief beseelt von dem Geiste der vorwärts drängenden Zeit. Auch auch hierin fand er beim Vorstande/vornehmlich aber bei dessen für ihn ist ein Stillstand gleichbedeutend mit einem Rückschritt. Vorsitzenden, ein weitgehendes Verständnis. Der im edelsten Stil Glücklicherweise fand er in dem Vorsitzenden des Institutes, dem der italienischen Renaissance erfolgte Ausbau des imposanten

171

Konzertsaales, sowie die vielnmfassenden Neuanlagen im Parke bezeugen dies in sprechender Weise. Wenn in wenigen Wochen der herrliche Park mit seinen alten rauschenden Eichen und seinen lieblichen, von anmutigen Wasservögeln bevölkerten Seen im Früh¬

lingsschmucke prangen

mit Bewunderung

wird, dann werden die Besucher desselben waS alles in der Winterszeit

schauen können, geschaffen worden ist.

-p

Der Thronsaal im Palayo Caffarelli. himmelansteigende Alpenwand hat die germanischen Bölkerstämme niemals von Europas ewigem Garten getrennt; sie weckte vielmehr die Sehnsucht nach dem tiefblauen lachenden Himmel, den gesegneten Thälern Italiens. Mit der großen Bölker-

Die geistige Zusammengehörigkeit der germanischen und latei¬ nischen Rasse erhält neuerdings einen sichtbaren Ausdruck durch den Prunk, mit dem der Palast der deutschen Botschaft in Rom, der ehemalige Palazzo Eafsarelli, ausgeschmückt wird. Eine Schar

Thron und Kandelaber für den Palazzo Laffarelli in Rom. Nach einer photographischen Aufnahme von

Wanderung hat der Strom der Schönhcits- und Wissenstrniiteneii Germanen, die aus ihrer nebligen Heimat trotz der Schwierigkeiten der Wegcreise die Alpen überschritten, nie zu fließen aufgehört. Als das Mittelalter noch auf Europa lastete, pilgerten Fromme nach Rom, die Hochschule der Stadt Bologna war der Sammel¬ punkt der lernbegierigen deutschen Jünglinge und das^ Wieder¬ erwachen der Künste und Wissenschaften erhöhte noch die Sehnsucht. Gerade Deutschland, die Pflegestätte der altrömischen Kunst und Litteratur, steht Italien weit näher, als irgend ein anderes zivili¬ unseren Tagen sind die Bande noch enger geknüpft siertes Volk. worden und es ist wahrhaftig nicht übertrieben, wenn man be¬ hauptet, daß Rom die geistige Heimat jedes gebildeten Deutschen st. Horaz gehört sozusagen zu den deutschen Klassikern, und Cicero hat einen weit größeren Einfluß auf die geistige Durch¬ bildung der Jugend, als mancher'beutschc Dichter.

In

Zander

& Labisch in Berlin.

auserlesener deutscher Künstler hat sich in die schöne Ausgabe gekeilt, ein der Machtstellung des deutschen Reiches entsprechendes Heim für die Botschaft herzurichten. Der Palazzo Eafsarelli ist in der Blütezeit der italienischen Renaissance entstanden und sein Prnnksaal ist ein stattlicher Raum. Allein den Zwecken, denen er in Zukunft dienen soll, genügt er nicht; er muß ein monumen¬ tales Gepräge erhalten. Unser Kaiser stellte Alfred Messel in Berlin und Hermann Prell in Dresden vor eine große Ausgabe, und diese beiden Künstler, die mit Verständnis die Wünsche und Absichten des Kaisers erfaßt hatten, lösten die Aufgabe in angemessener Weise. Prell führte die Wandgemälde aus, die den Wechsel der Jahreszeiten und Einzelheiten aus der nordischen Sage schildern. Alfred Messel dagegen übernahm die architektonische Ausschmückung des Prunksaales; außerdem überwachte er die Ausführung der Prunkstücke der Einrichtung. Nach Messeischen .

Ideen ist der von Taubert-Berlin prächtig in Holz geschnitzte Thronsessel ansgeführt. Als ruhende Löwen, denen die vor¬ springenden glatten Seitenwangen des Sessels als Postamente dienen, sind die Armlehnen gebildet, zwischen die sich die in blaßgriiner Seide gestickten Polster des Sitzes einfügen. Aufrecht stehende, nach rechts und links schauende stilisierte Adler ragen als Abschlüsse der mit Mosaik eingelegten Pfosten der Rücklehne aus, die ein von der Kaiserkrone überhöhtes schildartiges Medaillon mit dem Namenszug „W. II.“ einfassen. Klar und bestimmt, knapp und wuchtig sind die Formen dieses Aufbaues; in monu¬ mentaler Geschlossenheit heben sic sich vor dem nach Messels An¬ gaben von Max Seliger gezeichneten und von Jda Seliger in reichster Applikationsstickerei ausgeführten Baldachin ab, der in der teppichartigen Musterung einen riesigen Reichsadler mit dem um ihn sich schlingenden Spruchband ..Lud umbra alarum tuarum protege nos“ lDcr Schatten deiner Flügel sei »ns Schutz!"I zeigt, während die vorspringenden oberen Lambrequins die preußischen Devisen „Vom Fels znm Meer", „Gott mit uns" und „Simm euique“ enthalten. Auch die vier monumentalen Kandelaber, die an der Längsseite des Thronsaalcs ausgestellt werden sollen, sind nach Messels Ent¬

würfen von Karl Taubert in Holz geschnitzt; die oberen Aufsätze dagegen sind in Alnminiumbronze gegossen. Drachenähnliche Un¬ geheuer, die eine menschliche Figur gepackt halten, tragen in Ver¬ bindung mit kräftigen Voluten den auf drei Kugeln ruhenden dreiteiligen Fuß. Aus einer ausgespreizten Adlerkralle, die beider¬ seits je eine sich windende weibliche Gestalt festhält, entwickelt sich nach oben hin der mittlere Kern der dekorativen Architektur im Anklang an die Form eines dreiseitigen Obelisken, der jedoch völlig frei und eigenartig behandelt und ornamentiert ist. Bekrönt wird er von der helmbeschatteten Büste eines Kriegers, und um sic schlingen sich, zu einem unlösbaren Knäuel ineinander verstrickt, die Leiber metallener, schimmernder Schlangen, aus deren offenen Rachen die elektrischen Flammen hervorfuukelu. Die Kandelaber find phantastisch gehalten und erstreben eine Verschmelzung der Formen nordischer Kunst mit den Formen italienischer Spätrenaissance, die bereits an das Barock anklingen. Der Thronsaal im Palazzo Caffarclli in Rom wird ein Prunkranm und eine hervorragende Sehenswürdigkeit werden, die von deutschen Künstlern für die Urheimat der Kunst geschaffen worden ist.

Ein Berliner Wnstlerhenn

»

bekannte Sprichwort leicht und nicht ohne Berechtigung variieren in: „Zeige mir, wie Du wohnst, und ich will Dir sagen, wer Du bist." Der Charakter und persönliche Geschmack eines Bewohners prägt sich in der Regel in der Wahl seiner Wohnung, in der Art, wie er sich mit Gebranchsmöbeln nicht nur, sondern auch mit Luxnsgegenständen und Kunstwerken, dem edelsten Wohnungsschmuck des Hauses, umgeben oder auch nicht umgeben hat, sehr erkennbar aus. Meist entsteht das aus dem unbewußten Trieb, Angenehmes vor Augen zu haben, Un¬ angenehmes fern zu halten. Die Wohnungseinrichtung im Sinne des Mübelhändlers und in treuer Gefolgschaft für den kategorischen Imperativ, „Schmücke Dein Heim", die ja leider oft auch in sehr wohlsituiertcn deutschen Bürgerhäusern zu finden ist, bezeichnet mit ihrer für jeden geläuterten Geschmack unerträglichen Art gerade so die absolute Unempfänglichkeit der Be¬ wohner für alles, was sich über das Niveau des rein Praktischen und des von der augenblicklichen Tagesmode Diktierten erhebt, seine Unfähigkeit, selbst Schönes zu finden und sich da¬ an könnte das

>

Bildern.

Zwischen dem allen stehen dann ganz moderne, zierliche Stühlchen, Theetische, moderne Bibclots, chinesische Porzellane. — lind das Ganze? Ein voller Klang intimster Wohnlichkeit! Wohlbehagen und Traulichkeit empfindet man hier. Wie ist das nun erreicht? Ein feinstes Gefühl für Farbenstimmung hat den fahlblauen Perser Teppich zu den sattbraunroten Wänden gelegt, die blauweißen Delfter Porzellane, die fein metallisch grauen Zinn¬ stücke zu den Holztönen gestimmt, hier prickelnde Accente in glitzernden, funkelnden Metall- und Goldgegenstünden aufgesetzt, da ruhige Flächen gelassen, wo das Auge ausruht, dann grüne Pflanzen und Palmengruppen dazwischen gebaut, die dem ganzen webendes Leben einhauchen. Manchmal, wo die dekorative Be¬ ziehung nicht offen liegt, stellt sich der sonnige Humor des Künstlers ein und hat gegenständliche Verbindungen geschaffen. Das Vestibül

mit seinem plätschernden Springbrunnen und der umlaufenden Galerie im ersten Stock steigt durch die Höhe des ganzen Hauses und hat durch Skulpturen und Pflanzenschmuck ganz den Charakter des bewohnten Jnnenranmes erhalten. Steigen wir die anstoßende Treppe empor und treten in das Atelier, so sind wir beinahe überrascht, wie ein¬

mit zu umgeben, wie im Gegensatz bierzn die mit reinem Kunstsinn ge¬ schaffene Einrichtung eines Künstlers wie Paul Meyerheim das tiefste Ver¬

im Verhältnis zu den Wohnräumen es hier ausschaut. Der Cha¬ rakter der Werkstatt des Künstlers prägt sich aus, und wenn auch ein paar be¬ queme Florentiner Stühle zum ruhigen Verweilen einladen, der Maltisch mit dem Schleifstein, dem Spachtel und Messerarsenal, der Flaschenbatterie, dem Farbenmagazin zeugen ebenso davon, daß hier gearbeitet wird, wie die Reihe der Bilder auf den Staffeleien. Kunst ist ernste Arbeit! Wie stimmungsvoll wird aber der Raum durch den Behang der Wände, eine Reihe kostbarer Gobe¬ lins, die mit ihren stumpfen Farben den leuchtenden Bildern einen herrlichen fach

ständnis zeigt, mit dem bei höchster Empfänglichkeit und feinstem Gefühl für das Schöne, welcher Zeit und welchem Stil es auch angehören mag, Werke der Kunst und des Knnsthaudwerks von der Antike bis in die Neuzeit nebeneinander gestellt sind. Aber kein Wirrsal ist entstanden, auch nicht ein Museum, in dem jeder Gegenstand

würdigen ist.

als

Katalvgnnmmcr zu Der ganz persönliche

Geschmack des großen Künstlers hat jedes einzelne zu einem Klang in einer großen Harmonie einzustimmen ge¬ wußt. Da stehen Renaissance-Möbel auf orientalischen Teppichen, dazwischen orientalische Stühle; ein Barockaltan ist in den großen Salon eingebaut,

Hintergrund geben. So müßte man glauben, ein Ein¬ druck der Stillosigkeit sei der einzige, der hier erreicht worden sein könne.

Villa Meyrrheim.

eine eichengeschnipte Wendeltreppe führt zu ihm empor. Jüt den Wänden hängen wunderbare alte Gemälde, Porträts und Stillleben in reichgeschnitztcn schweren Goldrahmen, dazwischen ans Konsolen an den Wänden pompejanische Bronzen.

Dan» im Mnsikzimmer bemalte Thüren, in der Mitte ein riesiger Flügel, der in diesem Hause, wo auch die Kunst der hörbaren Töne, nicht nur der sichtbaren, ein Heim hat, Lebensbedingnng ist; in einem anderen Salon ein von reichem, goldprangenden Schnitz¬ werk umrahmter, gemalter Deckenspiegel, der einen Ausblick in lachenden blauen Himmel darstellt. Ein plastischer Vogel scheint herabzuschweben. An den Wänden dann Bilder von Ed. Hilde¬ brand, Bracht, Menzel, Knaus, Passim, Bartels. Dann bauen sich im Speisesaal wunderbare Porzellane, Zinn¬ trüge, Fayencen, Delfter Teller und Schalen aus tiefdunkeln Eichenschränkcn undBüfsets auf. DieWände sind bedeckt mit altholländischen

aber im Gegenteil Stil, den ausgesprochenen Stil seiner Bewohner. Es ist „ein echter Meyerheim", und wahr¬ scheinlich einer der schönsten, die er je geschaffen hat. Für Berlin aber ist es hocherfreulich, daß seine Künstler so anfangen, ein leuchtendes Beispiel zu geben, wie mau sein Heim gestalten soll. Paris, München, London war dies längst der Fall. Daß es an Berlin bisher nicht so war, lag allerdings oft daran, daß hier die Künstler nicht materiell über die genügenden Mittel verfügten, um in eigenem Hanse schalten und walten zn können, wie es ihnen ihre Persönlichkeit gebot. Paul Meyerheims Werke haben aber seit lange einen solchen Wert auf dem inter¬ nationalen Kunstmarkt besessen, daß sie ihren Schöpfer fähig machen, zn leben und zu wirken, wie es ihm fein Kunstempfinden eingiebt.

Das Ganze hat

In

Kunst und Wissenschaft. Die Berliner „Sereslwn". Seit einigen Monaten taucht in den Spalten der Berliner Tages¬ zeitungen öfter das Wort „Berliner Sezession" auf. Meist erscheint es in Nachrichten, denen der kundige Thcbancr sofort ansieht: „Was Ge¬ wisses weiß man nicht"'. Der Herr Berichterstatter bat ivas munkeln hören, er läßt einen „Versuchsballon" steigen. Ans allem geht aber hervor, es giebt doch eine „Berliner Sezession". Im Frühjahr vorigen Jahres, kurz nach Eröffnung der Berliner Jahres-Kunstausstellung, that sich eine Anzahl von Berliner Künstlern zusammen und verpflichtete sich solidarisch, nur noch ans diesen großen Ausstellungen mit ihren Werken zu erscheinen, wenn ihnen eigene Räume und eigene Aufnahmejury bewilligt würde. Es mußte gleich ausfallen, daß in der Vereinigung eine große Zahl von anerkannten Namen, In¬ habern der großen goldenen Slaatsmedaille und Mitgliedern der Akademie waren. Man war gewöhnt, deren Werke an bevorzugten Plätzen auf den Ausstellungen zu finden, und ihre Inhaber genossen alle Ehren. Es mußte also wohl das Faule im Staate Dänemark, das be¬ kämpft werden sollte, nicht darin liegen, daß persönliche Empfindlich¬

Run trat ganz unerwartet ein großes Interesse für die Sache bei Publikum und Presse hervor. Man erinnerte sich wohl plötzlich des Sprichworts von den Wespen. Um so vornehmer wirkte die Art, die der Vorstand der Sezession zeigte: einfache Berichtigung falscher That¬ sachen, sonst stillschweigendes Ignorieren all der Angriffe, Verleumdungen und persönlichen Verunglimpfungen, die in Masse folgten. Aus aller Welt flössen aber die Solidaritätserklärungen der entsprechenden künst¬ Und dieses lerischen Körperschaften für den Fall einer Ausstellung. Endziel einer eigenen Ausstellung ist jetzt nahe gerückt. Sie ist geplant auf der Terrasse des Theaters des Westens, wo .ein eigenes Gebäude errichtet werden soll. Die Pläne und Zeichnungen liegen schon zur Ge¬ nehmigung der Baupolizeibehördc vor. Jeder, der nicht von vornherein allem Leben und Streben grund¬ Wird sätzlich entgegentritt muß diesen Ausgang freudig begrüßen. man hier auch oft fehlgehen und in allzu kühnen Versuchen die Kritik herausfordern, es soll immer eine Kunstausstellung bleiben. Ob es gelingt, ob nicht, dazu tragen ja unendlich viele Nebenumständc bei, das Streben ist aber auf alle Fälle zu begrüßen. Kaum wird man 'das Publikum bringen; der Begriff heut noch tolle Auswüchse vor „sezessionistischc Kunst", der in diesem Sinne vor einigen Jahren etwas

keiten dieser Führer, mit denen doch eine Sezession in Berlin steht oder

Daß man cs mit ernsten, reifen Leuten zu thun hatte, zeigte auch die ruhige Art, mit der nicht eine sofortige Trennung, sondern „ein getrennt marschieren, vereint

füllt, vorlagen.

schlagen"

mait

Seit unwürdige

wurde.

angestrebt

Jahren hatte

die

der Juricrung und der Ausstellungen Werke, die schmerzlich empfunden. in den großen Kunstzcntrcn München und Paris Namen und Anerkennung

Wirtschaft der

bei

Anordnung

genossen, wurden hier ausgeschlossen,

eine schrankenlose Protcktionswirkschast war eingerissen; selbst die hier aner¬

kannten Meister der gegenwärtigen Kunstrichtung kamen in die Lage, ihre Werke zuerst auswärts ausstellen zu müssen. Alles, ivas nicht in den Stil paßte, den einige sehr einflußreiche Leute wollten, wurde an die Wand gedrückt. Seit Jahren war ein stiller Kampf in der Künstlerschaft geführt worden. Jetzt suchte die Minorität, der, im Gegensatz zu den geschäftlichen Interessen der andern Partei, das

Villa Meyerhrim: Prof. Wrgrrhriins Atelier.

rein künstlerische die Hauptsache bildet, einen Weg zur Erreichung ihrer Ziele in dieser gegenseitige» Verpflichtung. Die Eingabe, die in diesem Sinne an die Aussiellungskommission gerichtet wurde, fand nach einer unannehmbaren, verklausulierten Ant¬ wort eine Ablehnung. Damit wäre nun wahrscheinlich die Sache zu Ende gewesen. Dieser kleine Künstlerkreis hätte sein Wirkungsfeld von Berlin wegverlegt; damit wäre dann allem frischen Leben und Fort¬ eingekehrt. schreiten hier ein Ende bereitet gewesen. Kirchhofsruhe wäre gewachsen; Doppelte das beinahe um Inzwischen ivar die Zahl aber eine Anzahl leuchtender Künstlernamen stand jetzt auf der Liste. Andere versicherten im geheimen ihre Neigung für die Lache, erklärten ihr Fernbleiben nur aus dem Abhängigkeitsverhältnis, das ihnen bald eine Professur, bald irgend eine andere Stellnng offizieller Art auferlegte.

Ironie Bewegung in

des Schick¬

Tie in dieser Sitzung des Vereins Berliner Künstler

beschlossene

Es ist eine wundervolle

Es kam aber anders! den Lattel sals, daß gerade ihre heftigsten Gegner der Künstler, geholfen haben. In einer Bersamnilung des Vereins Berliner anging, griff nichts eigentlich solche als den nebenbei bemerkt die Sache Sezession aufs die Werner, von Anton Hochschule, der der Direktor schärfste an.

Kunstkürper¬ Eingabe an die Akademie gab dieser höchsten preußischen Gelegenheit ztl erklären, schaft, wie auch dem Kultusministerium aber nichts Rechts- oder daß die Bestrebungen der Sezession absolut Statutenwidriges enthielteit, daß tnau also gar keine Beranlaffnitg habe,

ihr irgendwie in

die Zügel zu fallen.

bedeutete, ist ja heut vollkoinmen inhaltslos. Reife und Können ist an die Stelle des Snchens und Wagens getreten, auf den Ausstellungen

gilt nicht mehr, der „Schlager", sondern das harmonisch vollende»' Kunstwerk als das Höchste. Trägt die Berliner Sezession dazu bei, einer Kunst die Wege zu bereiten, die von Deutschen gemacht, deutsches Em¬ pfinden in deutscher Art wiederspiegelt, dann wird sie ein Denkstein werden in der geistigen Entwicklung unseres Volkes. Gelingt ihr das nicht, so wird sie vergehen; aus alle Fälle aber verkündet sie auch für Berlin den Ruf in die Pnlästra.

Theater. Einen eigenartigen litterarischen Versuch stellt Fedor v.

mit seinem dreiaktigen Schwank „Tam-Tnm" an, der am

Berliner Theater

8.

Zobeltitz März iin

znm erstenmal ausgeführt wurde. Zabeltitz rückt den eigenartigen Winkelschulcn in Kunst und Litteratur mit der Satyre zu Leibe; er verspottet die Maler, die ihre Bäume violett und de» Himmel grün malen, die Musiker, die die Musik in ein höchst unan¬ genehmes Geräusch verwandeln und die Poetastcr, die ihre Unfähigkeit hinter irgend einen ,,-ismus", den Symbolismus, den Arithmo-Berismus rc. verstecken. Doch nein, der Arithmo-Verismus ist eine Erfindung des Autors. Zobeltitz ist zweifellos ein -begabter Humorist, ein Manu', dem der Schalk iin Nacken sitzt; doch erweist sich sein Talent noch nicht kräftig genug, alle Unarten der geistig produzierenden Jugend mit Mußte er denn die „vertonte" einem einzigen Schlage zu treffen. Medizin mit Sezicrtisch-Begleitung ans die Bühne bringen, nachdem sich die Verspottung des dichtenden Duftlings als so wirksam erwiesen hatte? Was ein Tuftling ist? Das Wort'stammt nichl von Zobcltitz;

es joD einen decadcntcn Dichter bezeichnen, dessen Empfindungsvermögen in seinem Geruchssinn sich konzentriert bat. Der Dichter Gero r>, Mahyr ist eine prächtige Schivnnksigur, nnd Basserniann verhalf ihr zn voller Wirksamkeit ^— allerdings nur bis ^»in Beginn des letzten Aktes, In den beiden ersten Akten schillert der brave Decadent ins gaunerhafte hinüber, ein betrogener Betrüger, allerdings mehr Betrüger, als Betrogener, Ter Mann spricht von seinem Genie, aber er hütet sich, Proben seines Genies zu geben, und das ist gut so, Jni dritten Akt jedoch laßt Zabeltitz diesen prächtigen Menschen eins seiner Erzeugnisse vorlesen — nnd der feine Kopf, der sich in den ersten Akten über seine Mitmenschen lustig zn machen schien, erweist sich als ein kompletter Narr, Im Leben mögen die Dekadenten barmlosc Narren fein; ans der Bühne dürfen sic es nicht sein, denn ein Trottel ist kein künstlerisches Objekt, TaS war entschieden ein Mißgriffe das hätte Zobeltitz nicht thun sollen. Was er mit Geschick nnfgebaut hatte, riß er durch diese eine Szene erbarmungslos nieder. Durch das Vorschieben der dccadcntcn Dichter, Musiker nnd Maler löste er die Satyre von der eigentlichen Fabel los, die hübsch erdacht nnd gut ausgeführt war — bis zn dem verhängnisvollen dritten Akt, Mit köstlichem Humor führt Zobeltitz drei Galeerensklaven vor, die an das schwindelhafte Kreditinstitut „Phönix" geschmiedet sind. Der eine, der Baron, dient als Lockmittel, der zweite, ein italienischer Kunstschütze, soll Zudringliche dlirch seine Pistolenkünste in Schach halten, nnd der dritte ist das Faktotum, bald ehrwürdiger Prokurist mit schwarzer Brille, bald Diener in Livree, Ter Direktor dieses Instituts, ein abgefeimter Schwindler, läßt die Nachricht lancieren, sein erster Sklave, der Baron, babe die Millionen seines indischen Onkels geerbt. Das ist das TamTnm! Dem jungen Manne, der von Hause aus Maler ist, fliegen die Herzen, der Kredit, Baargeld, Anerkennung, kurzum alles zu, was er Da er aber ein ehrlicher Charakter ist, läßt er sich nur wünschen mag, Tic die Nachricht dementieren, freilich ohne den erhofften Erfolg. einen glauben ihm nicht, nur die Stiefmutter seiner Geliebten will nichts mehr von ihm wissen: nun bevorzugt sic Gero von Mahyr, der im bürgerlichen Leben Mayr heißt. Endlich kommt der Onkel aus Indien, der allerdings kein Nabob ist, nnd der Konflikt löst sich in Wvblgesallen ans, Fedor von Zobelkitz bat noch tiicht sein letztes Wort gesprochen. Das nächste mal wird er einen elegant geschürzten Knoten

auch elegant lösen.

Er wird

Berliner Chronik. Am 4, März feierte der berühmte Germanist der Berliner Uni¬ versität, Professor Or, Karl Weinhold sein KOjähriges PrvfessorenJnbiläum. Der Gelehrte ist am 23. Oktober 1823 zu Rcichcnhach in Schlesien geboren: er studierte unter Lachmann und Jakob

Grimm germanische Philologie und Altertumskunde und wurde 1889, nachdem er vier Jahr¬ zehnte hindurch an fünf Hoch¬ schulen als Lehrer gcivirkt, als Nachfolger Müllenhoffs nach Wcinholds Berlin berufen, Forschungen umfassen die ver¬ schiedensten Epochen von der Edda bis zu den Dichtern des Göttinger Hainbundes, von den Göttern Walhallas bis zum Volksaberglauben der Gegen¬ wart, Unten den kultur¬ historischen Werken Wcinholds

obenan: „Die deutsche Frau im Mittelalter" und seine Schrift über altnordisches Leben, die von Grund legender Be¬ deutung für die Kenntnis des skandinavischen Altertums ist. stehen

Große Verdienste hat sich Pro¬ fessor Weinhold, der mit Erich Schmidt das germanische Se¬ minar in Berlin leitet, auch um den Verein für Volkskunde erworben, 1893/94 war Wein¬ hold Rektor der Berliner Uni¬ versität. Am 5. März feierte der Prediger Or, Bitt Horn an der Andreas-Kirche sein 25jähriges

die Scharte auswetzen.

Dir Vichirrhrrmrn im Virkoriapark.

Amtsjubiläum, Am 8, März feierte Pro¬

Seit langer Zei! sind in Berlin nicht soviel Bildhancrwcrke für den Schmuck der Stadt zur öffentlichen Aufstellung gekommen, wie in den letzten zehn Iabrcn, Dem leuchtenden Beispiel des Kaisers folgen Es wird dabei auch die Lenker des Stadtwescns getreulich nach.

der Acltcrc, seinen 75, Geburts¬ tag, Docpler, der seit 1870 in Berlin lebt, ist als Historien¬

manchmal gehörig daneben ge¬ schossen, wie die Ausschmückung derPotsdamerBrncke beweist, da¬ für ist aber an vielen Stellen in der Stadt und, was besonders zu loben ist, auch an bisher bild¬ recht vernachlässigten, nerischer Schmuck errichtet wor¬ den, Nun sind auch die Dichtcrhermen, die im Victoriapark zu Füßen des Krcnzberg-Tenkmals ihre Stätte finden werden, für die Aufstellung bereit. Man hat sechs nrdeutschc Dichter hier darstellen lassen, unter diesen Heinrich von Kleist svon Bildhauer Pracht), den Dichter

„Prinzen von Hom¬ burg", Theodor Körner des

svon Bildhauer Wcnck), Max v o n S ch en k e n d o rs, svon Bild¬ hauer Reichel), die Barden der

Freiheitskriege, und Uh land, svon Mar Kruse), der das Sehnen nnd Ahnen der Volks¬ seele vom Wiedererstehen der alten deutschen Rcichshcrrlichkeit besang. Es sind die Sänger des

8 'WZW

4!--',

Teutschen

Patriotismus.

Kein schönerer Platz konnte ihnen werden als beim Denk¬ mal, das an die Wiederausrichtung aus tiefster Schmach und nationalem Elend durch Ernst nnd Tüchtigkeit und Begeisterung für den Vaterlandsgcdanken erinnert. Außer den vier Dichtern, deren Hermen wir nnserenLcscrn im Bilde vorführen, werden auch die Hermen Friedrich Rückerts nnd Ernst Moritz Arndts Aufstellung finden.

'
3 ‘ V V-fi;

Heinrich von Kleist.

Zwar stehen Rückert undUhland zu den Befreiungskriegen in

einem sehr losen Zusammen¬ hange, allein ihre Einwirkung auf den deutschen Geist war doch eine sehr nachhaltige gewesen: sie waren die Förderer des deutschen Einheitsgedankens, Friedrich Rückerts Büste war dem Bildhauer Ferdinand Leycke, diejenige Arndts dem (Von Bildhauer Pracht.)

Bildhauer Hans Latt übertragen worden.

fessor

maler,

Karl Emil Docpler, Architektnrmaler

und

Kostünizeichner hervorgetreten. Um die historische Behandlung des Kostüms hat er sich durch öOOZeichnungen zur Aufführung von Wagners, „Ring der Ni¬ (1876).

Für Berlin malte

belungen" verdient gemacht er die vier Hanptfeste des Jahres sim Haufe

Ravens) und zahlreiche dekorative Wandgemälde in der Philharmonie und im Ecntral-Hotel, Am 20, März d, I, feiert der Künstler mit seiner Frau, geb, Schertl, die goldene Hochzeü. Am 9. März waren fünfzig Jahre seit der ersten Aufführung von

Otto Nicolais komischer Oper, „Die lustigen Weiber von Windsor", verflossen. Der Komponist sgcborcn am 9, Juni 1810) war

Kapellmeister am Berliner Opernhause: er überlebte die Erstaufführung seiner Oper nur kurze Zeit, da er bereits am 11, Mai 1849 am Gehirn¬ schlage starb. Bei der ersten Aufführung sang Leopoldine Hcrrenburg-Tuczck die Partie der Frau Fluth, durch welche die Oper in den Glanzzeiten der Pauline Lucca zu großer Volkstümlichkeit gelangte. Von de» Künstlern, die bei der Erstaufführung mitwirkten, lebt nur noch die jetzt 75jährige Frau Luise Köster (geb, Schlegel), welche die Partie der Jungfer Anna sang. Am 12, März waren 100 Jahre seit der Geburt Ferdinand Dxems verflossen, eines bedeutenden Pädagogen aus dem Anfange dieses Jahrhunderts, der von 1822—1858 am Friedrich WilhelmsGymnasium als Lehrer wirkte nnd sich namentlich um die Hebung des Unterrichts in der deutschen Litteratur und um die Förderung der Mein starb nach langem Schulbibliotheken verdient gemacht hat, Siechtum am 14, April 1867, Vormalige Schüler des Friedrich WilhclmsGymnasiums begingen an seinem hundertjährigen Geburtstage an seinem Grabe ans dem Matthäikirchhofe eine Gedenkfeier, In der Aula der Berliner Universität ist eine jMarmorbüste des Germanisten Karl Müllenhoff aufgestellt worden, der nach einer 26 jährigen Lehr-Thätigkeit an unserer Hochschule am 19. Februar ver¬ Die Büste ist ein Werk des verstorbenen Bildhauers storben ist. R, Schweinitz und stellt den Gelehrten im Talar der Professoren dar. Der zur Jiistizabteilung des Kriegsministeriums kommandierte Geheime Oberjustizrat Weisfcnbach, Honorar-Professor der Berliner Universität, wurde von der juristischen Fakultät der Universität Marburg zum Doktor zuris üonoris causa promoviert. In den Lehrkörper der Berliner Universität ist in diesen Tagen vr, Rudo lf Helm eingetreten. Er stellte sich der philosophischen Fakultät mit einer Probevorlesung über „Statius und die Rhetorenfchule" vor. Die städtische Park-Deputation hat sich mit der Anlegung eines Parkes auf den Rchbcrgen lvergl. „Bär" 1899, S. 14) einverstanden erklärt. Der Park soll nach dem vom Garten-Direktor Mächtig ent¬ worfenen Plane ausgeführt würden.

Ho

Zutreffende Dehnierung. Der Berliner

Märkische Chronik. In Charlottenburg starb nin 2. März die einst hochgefeierte ehemalige Primadonna der Wiener Hofoper Luise T u st m n n n geborene Meyer, die Freundin Richard Wagners und Johannes Brahms. Tic Künstlerin, die sich schon 1875 von der Hofoper verabschiedete, hat ein Älter von 67 Jahren erreicht. Ihre Schwester ist die bekannte Schauspielerin Marie Meyer am Lessing-Theater. Wcstend

lottenburg.

Possendichter David

wurde einstmals in einer Gesellschaft gefragt, ob er wohl zutreffend und in lakonischer Weise sagen könne, was der Mensch fciV* Kalisch bejahte dies, und nach einer kurzen Pause sagte er: „Ter Mensch ist im Postwagen und in der Eisenbahn ein Platz, im Gasthof eine Nummer, bei Tische ein Couvert, im Theater ein Billet, in der Kirche ein Stuhl, beim Schneider ein Maß, beim Lotterie-Kollekteur ein Los, im Leihhaus eilt Pfandzettel, im Hospital ein Bett und auf dem Kirch¬ hof ein Grab." Der Berliner u.ill Eulrnfpirgel. Zur Zeit des Kurfürsten Joachims II. von Brandenburg und Zache.

Verein für dir Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung vom 8. März 1899. Herr Dr. Hintzc erörterte auf, Grund archivalischcr Forschungen die bisher noch ungelöste Frage nach dem Ursprung des Ober-Revisionstollegiums, jener Behörde, die im 18. Jahrhundert als Oberinstanz der

in erster Instanz anfangs

Verivakungsgerichtsbarkeit funktionierte, ivic

sie

durch die Kriegs- und Domänenkammern,

später

Berautwortlicher «edakieiir: Dr. M.

durch die Kammer-

Folticineano,

Justizdeputationen ausgeübt wurde. Als Ausgangspunkt ist eine Kommission von Kammcrgcrichtsräten zu betrachten, die im Jahre 1724 zur Bearbeitung der Revisionen niedergesetzt wurde, die von dem Königsbergcr Tribunal nach Berlin „an den Hof" gelangten. Diese Kommission ist 1725 auf Coccejis Antrag auch mit der Revision von Erkenntnissen des Königsbergischcn Koiumerzienkollcgiums, das als Handels- und Schiffsahrlsgericht diente, beauftragt worden. Dadurch kam sie in dauernde Beziehungen zum Gencraldirektorium, da die von ihr in diesen kommerziellen Angelegenheiten erstatteten Rechtsgutachten nicht (wie die in den eigentlichen, vom Königsberger Tribunal kommenden Justizsachen) an den Justiz-Staatsrat, sondern eben an das GeneralDirektorium als oberste Behörde in allen Konnnerzialsacheu, zur Be¬ stätigung gingen. An diesen Spezialauftrag haben sich im Laufe der Zeit noch eine größere Reihe von anderen Aufträgen angeschlossen, die in der Hauptsache das ganze Gebiet der administrativen Justiz umfaßten. Ter Vortragende wollte den Anstoß zu dieser Ausdehnung in einer bisher unbekannten königlichen Entscheidung aus dem Jahre 1731 erkennen, die eine ganze Reihe von Gegenständen der administrativen Justiz der unmittelbaren Bearbeitung der Geh. Finanzräte im GeneralDirektorium entzieht und dem „Kammergericht" überträgt. Er ging dabei von der Voraussetzung aus, daß das Kammergericht mit diesen seinem ordentlichen Kompctcnzkreisc meist ganz fremden Sachen nur „inculo eommissionis“ habe befaßt werden können, und daß diese Sachen der bereits für ähnliche Zwecke bestehenden Kommission von Kammergerichtsräten gewissermaffen von selbst zufallen müßten. Der starken Vermehrung der Geschäftslast, die den Mitgliedern der Kommission dannt aufgebürdet wurde, würde es entsprechen, daß bald darauf die „Königsbergischcn Revisionssachen" (die Revisionen vom'Königsbergischcn Tribunal), die den Ausgangspunkt ihrer Thätigkeit gebildet hatten, dem Ober-Appcllationsgericht in Berlin zur Erledigung überwiesen wurden. 1772 ist daun aus der Kommission ein „Kollegium" formiert worden. In der sich daran schließenden Diskussion wurde namentlich die von Herrn Geh. Ober-Regicrungsrat Dr. E. v. Meier aufgeworfene Frage behandelt, inwiefern' die administrative Justiz des 18. Jahrhunderts als eine Verwaltungsgerichtsbarkeit in neuerem Sinne d. h. als eine Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts betrachtet werden darf.

Verein für die Geschichte Berlins. Am Sonnabend, de» II. März 1899, hielt Lehrer Robert Miclke einen längeren Vortrag über die kulturgeschichtliche Entwickelung des deutschen Hauses. Er ging von der Bedeutung des Herdes bei den allen Teutschen aus, um den die junge Frau vor der Besitz¬ ergreifung dreimal herumging, und der mit dem erhöhten Sitze den Kern des Hanfes bildete. Von der einfachsten Forni desselben enNvickclu sich im Laufe der Jahrhunderte mehrere ganz verschiedene Typen des Grundrisses, nach dem sich die Stämme leicht von einander unterscheiden lassen. Zur Zeit der Völkerwanderung glich das Haus etwa dem säch¬ sischen Bauernhause, wie es sich in Westfalen, Hannover und Oldenburg noch findet. Auch die gekreuzten Pfcrdeköpfe auf der First sind ein uraltes Wahrzeichen. Obwohl die innere Einrichtung des Hausesbei, den Skandinaviern, den Franken, und Gothen stammesarlliche Ab¬ wandlungen zeigt, hat sie übereinstimmend im Anschluß an den Wohuraum Stall und Scheune, vielleicht auch schon eine Art Arbeits¬ oder Spinnstube für die Frauen. Lang und rechtwinklig umschlössen die Block- oder Fachwerkwände den einzigen großen Raum, der nur durch Thür und Rauchloch im Dache Lust und Licht erhält. Zur Zeit Karls des Großen entstehen Wirtschaftshilfe, die eine selbständige Trennung nach Wohn- und Wirtschaftszwccken aufwciseu und dem eigentlichen deutschen Hause eine höhere Stufe sichern. Für das Leben im mittelalterlichen Hause war in kultureller. Hinsicht die Teilnahme der Frau au den geselligen Zusammenkünften von größter Bedeutung: doch behält neben den sousügcn Räumlichkeiten auch dann die alte große Halle ihre herrschende Stellung. Dafür sprechen kleinere Burganlägcn, deren Grundzug auch bei den Palästen zu Goslar, aus der Wartburg und bei der Burg Dankwarderode sich nur reicher ent¬ wickelt findet. In den älteren Städten, deren Bewohner früher Ackerbau trieben, wuchs sich das- ursprüngliche Bauernhaus mit der Zeit zum Bürgerhausc aus, dessen behaglicherer Anlage und freierer Gestaltung die Zeiten der Renaissance und der Reformation mit einer lebensfrohen und offenen Auffassung zu gute kamen.

Büchertisch. Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins. Verlag des Vereins für die Geschichte Berlins. bei E. S. Mittler und Sohn. 8". 123 Seiten.

Heft XXXV.

In Vertrieb

Das neueste „grüne Heft" des Geschichtsvcreins bringt zwei Bei¬ träge zur Berliner Geschichte, welche von höchstem Interesse sind. Professor Holtze plaudert indem Aussätze: „Bilder aus Berlin vor zwei Menschenaltern", in sehr anziehender Form über das vormärzlichc Berlin, das er nach jeder Richtung hin beleuchtet. Das Leben aus der Straße, die Spiele der Kinder, die Vergnügungen der Er¬ wachsenen, die Berliner Garnison, die Verkehrs- und Postvcrhältnisse — alles dies ivird im leichten Feuilletonstil behandelt. Wir erfahren, wie der Berliner der dreißiger Jahre sich aus dem Eise vergnügte, wie und ivo er badete, welche Biere er trank, ivie er beim Feuerlöschcn hals u. a. m. Das ganze damalige Berlin tritt plastisch vor unser geistiges Auge, eine Fülle kulturhistorischer Erinnerungen wird vorgeführt, die frisch aus dem Leben gegriffen sind. — Ein streng wissenschaftlicher, auf archivalischcu Studien beruhender Beitrag ist der zweite Aufsatz des Heftes, in dem Oberlehrer Dr. Eduard Wintzer dic Wegelyschc Porzellanfabrik in Berlin behandelt.

Berlin. — Druck und »erlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Keiienburger Straße 14a.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Tellen. 25. Jahrgang.

-

Sonnabend. 1.

April 1899.

Nr. 13.

Wns Ueirsisjgbr. Lin Lustspiel-Roman in zwölf Kapiteln von ^edor von Zobeltitz.

-— —-

(Fortsetzung.)

Zehntes Kapitel.

(Nachdruck verboten.)

erkläruug geniacht.

Erzählt, was man alles im Erlenbruch an einem Regentage erleben kann.

war in all ihrem Herzensweh, mit feuchten Augen und öligen Bäckchen, endlich glücklich entschlummert. Doch sie wachte zu früher Stunde wieder auf. Die Uhr auf ihrem Nachttisch zeigte erst auf fünf. Unter dem Fenster zwitscherten Schwalben und enedike

Zuerst mußte doch die Liebeserklärung kommengewesen. Unmöglich in Gegen¬ wart Trudes und Sempers' da hatte man sich verstellt, hatte mau einfach Komödie gespielt. . . Also die Liebeserklärung mußte ab¬ gewartet werden' dann kam das Anhalten an die Reihe. Oder kam erst das Anhalten? . Benedikte wußte nicht recht Bescheid. Ihr wurde schon wieder Gestern abend

war das unmöglich

.

warm, und ein

Sperlinge' die draußen Natur

wisses

jauchzte dem Tage

ihrer Kehle.

entgegen.

versuchte

Benedikte schaute sich

nach

Sie

ihr Herz

zu sondieren.

Trude

Es

war zu merk¬ würdig: sie hätte

um, die mit offenem noch Mäulchen

doch

selig schlief. Wer heute dachte Bene¬ dikte au keinen

„unsäglich

glücklich"

sein

wie sie erst neulich wieder in einem Roman gelesen hatte — und sie hatte ei¬ gentlich nur Angst. Und wovor denn Angst?! Sie be¬ griff das nicht. Vielleicht war das immer so. Oder — müssen,

Unfug. Sie streckte wieder im Bette aus und wollte überlegen Sie fühlte, daß sich

sie ganz ruhig ge¬ worden war. Also zunächst: Haarhaus hatte ihr einen Kuß ge¬ Benedikte geben. wurde unwillkür¬

lich rot bei diesem Gedanken — aber es ließ sich daran nun einmal nicht

ge¬

ängstliches Gefühl pochte an

Ein entsetzlicher Gedanke

durch¬

bebte sie.

Liebte

Haarhaus nicht?! . . Sie

sie

Vismarck-Brücke im Grunmvald.

.

dachte

den

Ge¬

danken nicht aus,

rütteln. Es war Thatsache. Was mußten die Folgen sein? . . Ganz einfach: Haarhaus würde um sie anhalten! Natürlich war das einfach, doch Benedikte wurde trotzdem plötzlich ungewöhnlich warm im Bett. Sie richtete sich auf und grübelte im Sitzen weiter. Die Eltern! Was würden die sagen?! Das war eine ängst¬ liche Geschichte — fast so wie Maxens Liebesepisode — nur um¬ gekehrt. Haarhaus war nicht von Adel. Der Papa dachte ja sehr vernünftig in dergleichen, aber die Mama — und der Gro߬ .

.

papa! Allerdings war Doktor Haarhaus ein berühmter Mann. Das fiel in die Wagschale. Das war vielleicht auch beruhigend für Mama und Großpapa. . . „Frau Doktor und ein leichtes, sinnendes Lächeln zuckte um den Mund des jungen Mädchens. Es gab ja schönere Namen. Aber die Berühmtheit! Plötzlich warf sich Benedikte wieder in das Bett zuriick. Unsinn! — Haarhaus hatte ihr ja noch keine ordentliche Liebes-

Haarhaus"-

. fast ohne zn wissen, was sie that, war sie mit einem Satz aus dem Bette und stürzte an die Waschtoilette und begann mit Schwamm und Seisenläppchen ihren hübschen frischen Mund zu bearbeiten, als wolle sie den Kuß von gestern abend

dachte nicht weiter

.

.

wieder abwaschen. Dann fiel ihr Blick in den Spiegel über der Toilette. O pfui, wie sah sie aus! Bleich, übernächtig und die Wangen glänzend von dem Provenccröl Trudes. Das war im Leben nicht das Gesicht einer glücklichen Braut. Sie wusch sich nochmals . . .

Als

in ihr Bett zurückgekehrt war, begann

sie von neuem aus. Es war ja selbst¬ verständlich, daß sie Haarhaus liebte. Dies eigentümliche Empfinden, das sie durchbebt hatte, als er sic gestern nur ein paar Schritte weit in seinen Armen getragen — das war doch die Liebe! Oder nicht? Aber wie gab sich denn sonst die Liebe kund?! . . . Sic

sie

zu überlegen.

Heimlich lachte

sic sich selbst

194

hätte gern Trude gefragt. Trude hatte ihren Erzählungen nach schon häufig geliebt: den Zeichenlehrer in ihrer Pension, den Provisor in der Apotheke ihres Vaters und einen Unbekannten, den sie bei einem Besuch in Berlin am Leipziger Platz hatte in eine Pferdebahn steigen sehen, und der ein bildschöner Mann ge¬ wesen war. Also Trude mußte es wissen. Aber Benedikte wollte sic nicht befragen. Trude war indiskret. Und Benedikte grübelte weiter. Tie sagte sich, daß Haarhaus vom ersten Augenblick an, da sie ihn kennen gelernt, Eindruck aus sie gemacht hatte. Nicht als verschnupfter Handwerksbursche — nein, da nicht — am nächsten Morgen. Er war viel mehr Held als Mar; man wußte sofort, daß er ein großer Mann war. Er imponirte ihr — sie fürchtete ihn sogar ein bißchen. Ja, sic fürchtete ihn — sie wiederholte sich das. Und ärgerlich schlug sie mit der flachen Hand aus die Tcckbette und rief laut: „Donnerwetter, das ist doch aber noch keine Liebe!" „Wie meinst Du?" Fragte Trude, reckte den Kopf aus den Kissen hervor und gähnte. „Jst's denn schon sieben?" „Nein," erwiderte Benedikte, „schlaf' nur iveiter!" Trude legte sich auf die andere Teste. „Wie geht'S heute mit Deinem Reißen, Diktc?" „Danke, gut. Es ist ganz vorbei." „Siehst Du! Heißes Del" . . . und dann schlief Trude wieder ein. Benedikte zuckte mit den runden Schultern. Heißes Oel — lächerlich! Tic hatte an anderes zu denken. Und auf einmal fielen ihr die gräßlichen Beschuldigungen Trudes von neulich abend ein. Haarhaus ein Herzensmörder! Er knickte die Lilien und zertrampelte sie dann! Er trug ein Armband! Vielleicht auch einen Fußring! . . Tiedend heiß schoß ihr das Blut in das Gesicht. Wenn die Trude nun recht hatte?! Wenn Haarhaus wirklich . . . oho! — und sie fuhr wieder im Bett empor. sollte er nur kommen! Tie ließ

Ihr

sich

nicht zertrampeln

.

.

.

Dieser Elende!

.

.

.

Jetzt hielt sie es nicht länger im Bette ans. Tie stand auf und begann sich anzukleiden. Davon erwachte Relly im Neben¬ zimmer. „Diktc," ries sie, „was mackst Du?" Ein guter Gedanke blitzte Benedikte durch den Kops. Tie huschte in Nellys Zimmer und setzte sich bei ihr aus den Bettrand.

„Ich kann nicht mehr schlafen, Relly," sagte sie. „Ich habe verrücktes Zeug geträumt. Denke Dir, ich habe geträumt, daß ich verliebt märe." Relly war sehr erschreckt. „Aber, Diktc — von so etwas träumt

„Ich kann Relly, bist Du

doch nichts

schon

„Ru' ja

so

.

.

einmal verliebt gewesen?" versteckte sie

ihr

Benedikte sah dies mit Verwunderung. Tie gab ihrer Freundin einen Kuß aus den Racken. „Rellychen — Darling — Jeeses, Du kannst mir doch Antwort

einmal verliebt gewesen?" sich Relly um, und Benedikte sah mit wachsendem Erstaunen, daß die Augen der kleinen Engländerin in Thränen schwammen. Relly umschlang den Hals der Freundin und drückte

Bist Du Run wandte

geben!

an

sie fest

schon

sich.

„D Dikte," schluchzte sie, „woher weißt Du allens?!" Benedikte ivar sich ganz unklar darüber, was im Herzen Rcllys vorging. „Rellychen — um Gottes willen, warum heulst Du denn?" sragre sie.

„Ich kann

sa nix anders,"

immer fester an lehre

sich

pressend;

schluchzte

Relly weiter, Benedikte

„ich lieben ihn

ja

so sehre



so

—"

„Aber, Relly — wen denn? Wen denn bloß?!" „Ach — Du weißt ja schon allens, liebe, liebe, gute, süße . und ich weiß es auch ganz genau, er liebt mir Dikte wenn ich auch so stecht deutsch spreckc." . . . wiederum . „Ah!" . und Benediktes Augen leuchteten auf, „— Herrn .

.

.

.

.

Freese?!"

." und Relly ließ ihre Freundin los und

Das hätte sie sich denken können. Sic froh¬ Gott sei Dank, nun hatte sie jemanden, den sic ausfragen konnte! . Sie streichelte Relly über den Blondkopf und küßte sie Benedikte nickte. .

nochmals.

„Ich gratuliere, Rellychen,"

sagte sie sanft; „ich freue mich Seid Ihr Euch denn schon einig?" „O nein!" rief Miß Milton, mit starker Betonung des o. „Aber einen Kuß habt Ihr Euch schon gegeben?" „D pfui!" — und das o klang noch viel amerikanischer. Benedikte wurde verlegen und kleinlaut. „Aber woher wißt Ihr denn, daß Ihr Euch lieb habt?" fragte sie. „An die Augen — und an die Stimme — und an allens! D!" Benedikte fieberte vor Neugier. Sie rückte näher. „Aber, Rellychen — aber, Rellychen. . . Rellychen, das ver¬ stehe ich nicht. . . Rellychen, wie ist das denn eigentlich, wenn man liebt? — Ich meine, wie fühlt man das? Ist man sehr glücklich?" „O — gräßlich!" „Aber, Rellychen, Du hast doch vorhin geweint?" ich weiß „Man ist glücklich — und auch unglücklich nicht . . man ist allens — allens durcheinander gemengselt!" . . Run wurde auch Trude wieder lebendig. Benedikte erhob sich, doch Relly hielt sie noch einmal zurück. „Diktc," flüsterte sie, „aber nix sagen! Gieb mir Deine heilige Ehrcnhand — nix sagen!" Und Benedikte versprach es. Jetzt wußte sie Bescheid. Alles durcheinander gemengselt — Weinen und Frohempfinden, seltsame Seligkeit und kehleinschnürende Angst: es stimmte. Sie liebte. Eigentlich war das entsetzlich. Wenn nun Trude recht hatte mit dem Herzensmörder? Dann war doch das Unglück da. . . Trude war beim Ankleiden sehr aufgeräumt. Sie begann unaufgefordert von selbst von Haarhaus zu sprechen. „Du, Dikte, höre einmal," sagte sie, vor dem Spiegel sitzend und ihr Haar ringelnd; „Du warst wohl gestern abend ein bißchen böse, als der Doktor mir den Arm bot und nicht Dir?" „Weshalb sollte ich denn da böse gewesen sein, Trude? Ich frage Dich bloß, warum? Haarhaus hat doch gar keinen Grund, gegen Dich nicht gerade so liebenswürdig zu sein wie gegen mich." „Das ist freilich wahr, aber ich dachte. . . . Weißt Du, ich

furchtbar.

.

.

.

...

.

habe mich doch getäuscht."

wiefern?"

so schlimm. Ich habe ihn gefragt, warum er das Armband trägt, und da hat er mir erklärt, das sei ein Andenken an seine Großmutter." Benedikte, die den rechten Fuß auf einen Stuhl „Ah!" gestellt hatte, um sich den Schuh zuzuknöpfen, hielt in ihrer Be¬ schäftigung innc. „Du bist also von Deiner Ansicht abgekommen, daß Haarhaus ein — Herzensmörder ist?" „Ja, Dikte, das bin ich. Er ist ein sehr lieber Mann. Man täuscht sich manchmal. Er hal auch gute Augen." Benedikte war innerlich empört über Trude. Was schwatzte .

Relly wurde blaß, dann rot und schließlich Gesicht im Kopfkissen.

.

„Der Doktor ist nicht

doch keiner

dafür! Tei nicht

.

lockte.

„In nicht!" komisch, Relly!

doch

verkroch sich wieder zwischen den Bettzipfeln.

.

.

.

zusammen! Heute so, morgen so. . . . Das Schlimme war nur, daß Benedikte selbst nicht recht wußte, was sie von Haarhaus halten sollte. Es blieb nichts anderes übrig, als ab¬ Schließlich regte sich eine gewisse Neugier in ihr. zuwarten. Die revoltierende Bewegung von gestern abend, die Trude irriger Weise durch die Oeleinreibung hatte dämpfen wollen, war gänzlich Benedikte war in der That neugierig geworden, geschwunden. was nun kommen würde. Denn etwas mußte kommen . . . eine feierliche Erklärung des Doktors vor ihr oder dem Papa. Das die alles

war gewiß. Sie machte sich heute ganz besonders hübsch, schmückte sich mit einer frischen Blouse und legte einen breiten Gürtel aus Cbevrauleder um. Dann zog sie auch rasch die derben Alltags¬ schuhe wieder aus und dafür ein paar elegantere an. Aber ihr blasses Gesicht gefiel

ihr

nicht.

„Trude, hast Tu keine rote Schminke?" fragte sie. „Dikte, auf was für Gedanken kommst Du bloß! Und wozu denn Schminke?"

195

„Das will

ich

Dir

sagen.

wegen der Zahnschmerzen — und

das merkt, und sie schleichende

wird

Erkältung und

es

Ich habe sehe

merken,

steckt mich

blaß aus. so

— Wenn Mama

schlecht geschlafen

wittert

sie

wieder inS Bette.

sofort eine Dagegen

„Papa — Du flößest mir Augst ein." — „Angst — nein. Aber ich sorge mich. Und das böseste ist: um ctivas Ungewisses. Entsinnst Du Dich noch jenes außergewöhn¬ lich langen nnd ausführlichen Brieses, den uns Max aus Kimwani

möchte ich mich schützen."

schrieb?"

Trude hatte sofort ein anderes Mittel in Vorschlag. „Sehr einfach, Diktc. Setz' Dich 'mal hin) ich werde Dir die Backen rubbeln. Paß' auf, wie rot sie datwcrden." Benedikte saß schon, und Trude frottierte ihr mit beiden Händen die Wangen. Die Kur schlug an. Benedikte sah nach drei Mi¬ nuten rosig aus wie der junge Tag. „Danke schön, Trude," sagte sie, das Köpfchen vor dem Spiegel hin- und herwendend, „es ist werkwürdig. Du weißt doch in allem

„Ich behalte die afrikanischen Namen absolut nicht, Papa." — „Es war derselbe Brief, Eleonore, den ich im Kreisblatt ab¬ drucken lassen wollte, weil er so hübsch und lebendig geschrieben war. Aber Eberhard fürchtete, es würde Max vielleicht nicht recht sein, und da unterließ ich das. Gütiger Himmel, welch Glück —

Bescheid."

Das Frühstück verlies wie alltäglich.

Die Jungen wollten

gern wieder einmal ausreiten, und Freese war auch, trotz des bittenden Schreckblicks der Miß Relly, bereit dazu, es von neuem aus dem Guadalquivir zu versuchen. Haarhaus war heiter und wohlgemut wie immer, worüber sich Benedikte nicht genug wundern konnte. Er that so, als ob gestern abend gar nichts passiert sei,

was ihm aus der Seele läge und war sofort dabei, als Max ihm vorschlug, einen größeren Spaziergang durch die Buchensorst zu unternehmen. „Ein seltsamer Mann," sagte sich Benedikte) ist das Komödie oder Weltgewandheit oder Absicht? Oder wartet er viel¬ leicht nur auf den geeigneten Augenblick, sich mit mir auszusprechen? Sie war verstimmt, hielt sich tagsüber möglichst abseits von Relly und Trude und streifte viel im Parke umher. Sie ging auch auf die Insel und blieb längere Zeit vor dem Denkstein Traugotts stehen. Und ein leises Frösteln rieselte ihr durch die Glieder. Sie wußte nicht, was ihr fehlte . . . Anders als sonst erschien heute nur der alte Teupen beim Frühstück. Er war ziemlich still und zuweilen glitt sein Auge wie forschend über Max. den ersten Vormittagsstunden blieb er aus seinem Zimmer, wo Stupps, der die Dielen reinigte, ihn ans und niederschreiten hörte. Gegen elf Uhr trat er in Mütze und Eapc — er trug gewöhnlich ein ganz kurzes leichtes Mäntelchen über den Schultern —, den Stock in der Hand, vor die Thür und fragte nach der Frau Baronin.

In

Die Frau Baronin sei im Milchkeller, sagte man ihm. Frau Eleonore hatte sich eine neue Buttermaschine kommen lassen, die sie erproben wollte. Sie war sehr ärgerlich; das Ding war kompliziert eingerichtet, und man hatte vergessen, eine Beschreibung der Mechanik beizulegen. Run hatte die Mamsell bei der ersten Kurbeldrehung eine Schraube zerbrochen.

„Man hat nichts als Aerger.

'mal,

Willst Du was, Papa? Run

Papa, die Maschine kostet ein ungeheures Geld. Glaubst Du, man respektiert das? Gott bewahre — man ruft mich erst, nachdem man den neuen Apparat gründlich verdorben hat. Was giebt es denn wieder, Papa? Du siehst ein bißchen erregt aus." nein, ich hätte Dich nur gern einmal gesprochen, Eleonore. Kannst Du nicht ans ein Viertelstündchen mit mir in den Obst¬ sieh

„I

garten kommen?" . . Rnn mußte die Baronin sofort, daß cs sich wieder um eine Rücksprache in Familienangelegenheiten handelte. Dazu pflegte Graf Teupen stets den Obstgarten zu wählen. Es war, als müsse er die stummen Zeugen seiner okulierenden Thätigkeit bei derlei Anlässen immer um sich sehen. Eleonore sagte auch sofort zu, gab der Mamsell und ihren beiden Mägden noch einige Weisungen, hakte das große Schlüsselbund im Gürtel fest und folgte dem Grafen, der vorsichtig die Kellerstufen emporklomm. „Also — was ist los, Papa?" „Etwas Wichtiges, beinahe etwas Unfaßliches, jedenfalls etwas, das unsere größte Aufmerksamkeit in dringendem Maße erfordert. Ich habe mich absichtlich an Dich zuerst gewendet, Eleonore. Tübingens rasche Art ist nicht immer am Platze." — „Ich weiß, Papa," fiel die Baronin ein, „ich verstehe Dich. Es ist eine Angelegenheit, die Teupensche Rnhe erfordert." — „Und Teupensche Diplomatie, mein Kind. So ist es". . Er zertrat eine Raupe, die über den Weg kroch und rollte sich dann eine Cigarette. „Ich muß ein paar Züge rauchen," fuhr er fort) „das wird mich kalmieren. Ich bin recht erregt."

welch Glück!"

„Jetzt erinnere ich mich. Der Brief aus deni Lager im Ur¬ wald — wo das junge Rhinozeros die Kochkessel umgeworfen und sich ein Affe die eine Pfote an glühenden Kohlen verbrannt hatte." — „Ganz recht — dieser Brief war es! Aber, Eleonore, und nun erschrick nicht über das, was ich Dir sage, und vor allem, fall' nicht in Ohnmacht: der Brief stammt gar nicht von Max." Die Baronin blieb stehen. „Was heißt das, Papa? Don wem war er denn?" „Von Stanley, Eleonore." Die Baronin verstand noch immer nicht. Sie schüttelte den Kops.

„Von Stanley? Dem Engländer? Aber Du mein je — der ist ja doch gar nicht mit Maxen zusammengetroffen!" Teupen nahm seine Tochter unter den Arm uttd schritt weiter mit ihr, die Meloneubeete entlang, auf denen zwischen grünen Blättern kleine gelbgrüne Kugeln lagen. „Ich werde Dir die Erklärung geben. Ich konnte gestern abend nicht gleich einschlafen) die Bowle hatte mich aufgeregt. Und da nahm ich mir denn Stanleys Buch „Im dunkelsten Afrika" vor, um noch ein halbes Stündchen zu schmökern. Ich kann Dir das Kapitel sagen: das vierunddreißigste im zweiten Band. Das ent¬ hält Maxens Brief — wortgetreu — ich habe es verglichen) dao heißt also: Max hat jenen Brief verbotenus aus Stanleys Werk abgeschrieben!"

Die Baronin war etwas schwerfällig; in der Tragweite dieser Enthüllung fand sie sich noch nicht zurecht.

„Das

ist unrecht von

Max,"

sagte sie.

„Ein Held der Feder

war er ja nie." — „Darum handelt

es sich auch nicht, Eleonore," fiel Teupen eifrig ein; er fing an, ungeduldig zu werden. „Er hatte nicht nötig, uns interessante Reiseerlebnisse vorzuschwindeln. Und hat

dennoch gethan, so hatte er vermutlich die Absicht, un» etwas — anderes zu verheimlichen. Warum geht er denn jedem Gespräch über seine Expedition so ängstlich aus dem Plege? Warum muß denn der Haarhaus immer für ihn sprechen? Warum versteht er denn kein Wort von der Bagirisprache? Warum blieben seine Geschenke so lange ans, und warum sehen die alle so neu aus, lackiert und sauber aufpoliert und gebürstet? Und wie kommt es, daß er mir ein Stück Elephantenzahn geschenkt hat, das gar nicht von einem Elephanten stammt? — Jawohl, Eleonore — es ist mir heruntergefallen nnd mitten durchgebrochen; es ist gar kein Elfenbein, sondern eine Komposition, eine Masse! Und das wollte er bei den Wambuttis eingetauscht haben! . . . Eleonore, drücke beide Hände auf das Herz und raffe alle Deine Kraft zusammen! Ich glaube, Max ist gar nicht in Afrika gewesen." Aber die Baronin taumelte doch und wurde schreckhaft blaß. Das war zu viel für sie. Unglücklicherweise tauchte in diesem Augenblick der Kopf Gellrichs, des Gärtners, hinter dem grünen Geschlinge der japanischen Klettergnrken ans) der Mann grüßte tief und ehrerbietig. Aber Teupen beachtete das kaum) er stellte er es

sich

mir

dicht vor die Baronin hin und hauchte: „Achtung und Mäßigung, Eleonore! Sei eine Teupen! Gieb wieder den Arm und lächle! Da drüben steht Gellrich. Lääile,

Eleonore!" Und Frau Eleonore versuchte im Geiste ihrer diplomatischen Erziehung heiter zu lächeln. Aber es sah aus, als ob sie in eine Citrone gebissen hätte. „Papa," flüsterte sie, „um des Erbarmens willen — das ist ja ganz schrecklich! Das ist ja geradezu abominable. O mein

196

armer Kopf! Und sage mir doch nur: wo soll er den gewesen sein, der

Max?!" Der Graf zog die Schultern hoch. „Ich weiß nicht. Ich stehe vor tausend Rätseln.

Ich tappe im Dunkeln. Aber ich bin in London einer Verschwörung gegen Lord Palmerston aus die Spur gekommen, und ich werde auch dies Geheimnis an das Tageslicht fördern. Ich werde es, Eleonore." Die Baronin zitterte noch immer so, daß ihr Schlüsselbund klirrte. „Ich kann es mir noch gar nicht denken, Papa! Es ist zu unglaublich. Und dann wäre ja Doklor Haarhaus sein Helfers¬ helfer! Und" — ein glückliches Lächeln huschte plötzlich über ihr sorgenbeschwertes armes Mutterantlitz — „nein, Papa, Du täuschest Dich doch! Du täuschest Dich sicher. Brada hat gestern abend noch von den netten Briefen gesprochen, die Max ihm aus Afrika

hat!" „Was will das

geschrieben

sagen, mein Kind?! Können nicht auch diese Briefe dieselben Umwege gemacht haben wie jene Kopie aus Stanley? O Eleonore, ich täusche mich nicht so leicht! Es giebt Ahnungen in der Brust jedes gut geschulten Diplomaten, die immer zutreffen. Als die alte Gräfin Kisseleff mich in Baden-Baden einmal der Hatzfeld und Lassalle vorstellte, da wußte ich aus der Stelle: der Mann nimmt kein gutes Ende. Warum? — Meine innere Stimme sprach. So spricht sic jetzt auch, und sie sagt: Max war nicht in

Afrika." „Und wenn das Schreckliche Wahrheit ist, Papa — wenn er irgendwo anders herumgebummelt ist: Tübingen wird schäumen, er enterbt ihn, er verstößt ibn — es wird zu entsetzlichen Szenen kommen!" „Dem müssen wir eben vorbeugen, Eleonore. Eberhard ist mit Blindheit geschlagen. Lassen wir ihn vorläufig dabei. Wir operieren — Du und ich — wir Teupens. Max soll seiner Strafe nicht entgehen, doch auch nicht zu hart verurteilt werden — wenn es sich nämlich wirklich nur um einen Streich handelt. Das aber muß zuerst klüglich sondiert werden. Mir schwant noch anderes. Du fragtest vorhin: wenn Max nicht in Afrika war — wo war er dann? Und ich zuckte mit den Achseln. Zucke auch noch, doch ich sage mir dabei: ein Bummelgenic ist Max eigentlich nie ge¬ wesen; er muß seine Gründe gehabt basten, nicht nach Afrika zu gehen. Und ganz naturgemäß füge ich hinzu: vst est la komme? Wie, wenn er die Gelegenheit benutzt hätte, feine Flirtation mit Fräulein Warnow fortzusetzen?"

Die Baronin

erschrak von

neuem,

beruhigte

sich

aber rasch

wieder.

„Rein, Papa. Tu gehst zu weit. Deine eminente Kombinatitznsgabe führt Dich auf Abwege. Ich kenne die Warnow. Tie hätte nie etwas Unehrenhaftes gethan, niemals. Auch Max nicht." „Liebes Kind — .Unehrenhaftes', was heißt denn daS?! So ein paar junge warmblütige Menschen na, lassen wir das Thema fallen! Ich werd' schon dahinter kommen. Und zwar auf dem einfachsten Wege: ich werde mich hinter die Seesen stecken!" Die Baronin nickte erfreut. „Sehr gut, Papa! Das ist eine luminöse Idee." „Richt wahr? Ein bißchen regt sich ja noch der alte Kopf! Ich nehme die Seesen nach unserm Souper beiseite und plausch' mich liebevoll mit ihr aus. Sie hat sich seinerzeit für die Warnow interessiert; sie nimmt auch Interesse an Max — ah ja, ich habe meine Augen! Tie wird Maxen ausforschen, so ganz freund¬ schaftlich — sie muß sich quasi zu seiner Vertrauten machen — das führt die beiden auch noch ein Stücke! näher zueinander, und am Ende erwächst uns aus dieser pseudo-afrikanischen Extratour Maxens vielleicht eine glückliche Hochzeit!" „O wollte es doch!" seufzte die Baronin. Teupen legte den Zeigefinger auf den Mund. „Rur still, Kind! Da kommt Semper — er wird sich ver¬ abschieden wollen. Kein Wort mehr über die Sache! Lächle, Eleonore!" . .

...

Und diesmal gelang das Lächeln besser als vorhin. — Haarhaus und Max waren in den Wald gegangen, in Loden¬ joppe und Lodenhut, jeder einen strammen Spazierstock in der Hand. Und stramm schritten sie aus. „Zackri, Max, Du läufst, als ob Du es bezahlt bekämst," sagte Haarhaus, schob seinen Hut von der Stirn und trocknete sich den Schweiß ab. „Das ist doch im Leben kein Spaziergang!" „Soll's auch nicht sein, Adolf. Wir wollen nach dem Erlenbruch. Da wartet die Seesen auf mich." „Aber das ist ja ewig weit, soviel ich weiß! Wir wollen doch zu Mittag zurück sein." „Kommen wir etwas später, so sagen wir, wir hätten uns verlausen." „Ganz einfach. Das Lügen wird Dir immer geläufiger." „Ach du lieber Gott — ja! Ein ganzes Retz von Lügen hält mich umsponnen. Aber noch ein paar Tage — dann wird es x reißen." „Das hast Du schon vor vier Wochen gesagt." „Ich konnte aber der Seesen nie so recht habhaft werden. Run hab' ich ihr geschrieben. Bei der Gesellschaft am Montag muß es zum Klappen kommen — respektive die Minen müssen ge¬ legt werden. Die Gefahr wird immer drohender; die Mitwisser mehren sich. Freese und Semper gehören auch schon zu den Ver¬ schwörern. Freese ist still und muckt nicht. Aber dieser Semper! Ein Schwadrouör erster Klasse. Seine Rede gestern abend — ich versank fast vor Verlegenheit! Bei den anzüglichen Stellen wollte er mich unter dem Tisch heimlich mit dem Fuße berühren und hat statt dessen dem Kandidaten das Schieubein blau gestoßen. Ein entsetzlicher Mensch — versteht sich, als Mitwisser — sonst ein lieber Kerl." Man schritt wieder tapfer weiter. Es war Leben im Buchen¬ wald. Rauschen in den Kronen, Singen und Zwitschern und das Hämmern der Spechte. Dazwischen aus der Ferne der tönende Axtschlag von arbeitenden Holzfällern und irgend woher aus einem Dorfe, wo Begräbnis oder Taufe sein mochte, ein leises und zartes Glockenklingen. „Wie ist Dir die Bowle eigentlich bekommen, Max?" begann Haarhaus von neuem die Unterhaltung. „Gut. Dir nicht?" „Ich weiß nicht recht. Ich hatte heut früh einen Anstug von Kater. Aber es war wohl mehr ein moralischer." „Warum ein moralischer?" „Weil" . . . Haarhaus hieb mit seinem Stock durch die Luft. „Max, ich habe Dir geholfen — nun hilf Du auch mir einmal. Ich habe eine gräßliche Dummheit gemacht. Ich hatte gestern zu rasch getrunken, und diese labbrigen Bowlen steigen mir regelmäßig zu Kopf. Dann weiß ich nie, was ich thue — ohne daß ich gerade betrunken bin. Das passiert mir nur bei dem Gebräu in Schnittlage. Also, wie gesagt: ich war auch gestern abend etwas mobiler als nötig und außerordentlich waghalsig, war übermütig Und nun sollte ich doch Deine Schwester Benedikte holen, die heiter auf der Insel im Mondschein herumschwirrte. Da war sie aus den Denkstein des alten Dagobert geklettert, der bei Tauroggeu gefallen ist." —

„Gott bewahre, was bringst Du alles durcheinander! Traugotl hieß der alte Onkel und fiel bei Eylau." — „Auch gut —• und aus beit Traugott war sie geklettert und 'runter wollte wieder und konnte nicht. Ich machte die Arme auf, und sie sprang los. Und denke Dir — ich weiß selber nicht, wie ich dazu gekommen bin — da hab' ich ihr einen Kuß gegeben!"

Mit

einem Ruck blieb

„Ra, da hört

Max

stehen.

alles auf," schimpfte er, halb ernst, halb etwas leichthin; „bist Du ganz des Deibels, Adolf?! Man küßt doch nicht gleich jedes junge Mädchen, wenn man ein Glas Bowle getrunken hat! . . Was sagte denn die Dikte dazu? Sie hat sich's doch hoffentlich nicht gefallen lassen!? Hat Sie Dir nicht —" Und Max machte eine nicht mißzuverstehenve Bewegung m der Hand. Doch der Doktor schüttelte wehmütig den Kopf.

(Fortsetzung folgt.)

doch

197

Fürst Chlodwig Hohenlohe. Zu

seinem achtzigsten

Geburtstage.

Von

Alexander Metzer.

8

Stuhle im Reichstage, auf welchem vor Zeiten Fürst Bismarck häufig gesessen, sieht man setzt zuweilen — nicht eben häufig — einen kleinen Mann sitzen, der uns kaum in die Augen fallen würde, wenn uns nicht der Stuhl, auf dem er sitzt, in die Augen fiele. Nicht allein klein von Figur ist dieser Mann, sondern auch schmächtig' es ist fast, als wollte er uns zeigen, wie wenig Körper der Mensch ge¬ braucht, um zu leben. Das Gesicht ist verwittert, denn der ns dem

Mann ist achtzig Jahre alt; nur die Augen glänzen lebhaft, und man sieht ihnen an, daß sie durchdringen. Es ist Fürst Chlodwig von Hohenlohe-Schillingssürst, der Kanzler des Deutschen Reichs. Wenn er spricht, was noch seltener vorkommt, als daß er erscheint, so horcht die Welt auf, wie sie in früherer Zeit aus Bismarcks Reden horchte, obwohl Fürst Hohen¬ lohe mit leiser Stimme spricht und vom Blatte abliest. Fürst Chlodwig ist kein Recke, wie es Bismarck war, das sieht man. Er ist auch kein Uebermensch wie es Bis¬ marck war, das ergiebt der Inhalt seiner Reden. Aber er ist ein grundgescheidter Mann. Und das ist auch heute in der

Zeit der Uebermenschen eine recht seltene Eigenschaft. Wer mit achtzig Jahren noch im¬ stande ist, eine hochverantwort¬ liche Stellung zu bekleiden, muß sich hoch über dieMenge erheben. Schon das ist eine an¬ erkennenswerte Leistung, achtzig Jahre alt zu werden. Manchem sieht es leicht aus; aber niemand weiß, ob er es nachahmen

zu folgen, sie zu billigen oder zu widerlegen, sind außerordentlich selten. Zu diesen Seltenen gehört Fürst Hohenlohe. Von früher Jugend ab hat er die Kunst geübt, andere zu hören, und das, was sie sagen, zu erwägen. Ein ganz unbedeutender Mensch, der mir sehr genau bekannt ist, hatte vor kurzem das Glück, mit ihm in eine Unterredung zu geraten und war höchst überrascht, zu bemerken, daß der Fürst ein Gespräch, das er mit ihm

zwanzig Jahre früher geführt, noch in allen seinen Wendungen im Gedächtnisse hatte. Wer die Mühe giebt, vieler sich Menschen Gedanken anzuhören und zu erwägen, der sammelt einen reichen Schatz von Er¬ fahrungen und gewöhnt sich, die Dinge nach allen Seiten hin zu betrachten. Ehe Hohenlohe Fürst Reichskanzler wurde, hatte er schon drei wichtige Stellungen ausgefüllt und sich in allen Verdienste erworben. Er ist bayerischer Ministerpräsident, deutscher Botschafter in Paris und Statthalter von ElsaßAls Lothringen gewesen. bayerischer Ministerpräsident hat er die Annäherung Bayerns an Preußen durchgesetzt und den

Einfluß des Ultramontanis-

mus gebrochen. Als Botschafter in Paris hat er auf einem wichtigen Beobachtnngspostcn gestanden, alles gesehen und die Politik des Fürsten Bismarck erfolgreich unterstützt. Als Statthalter von Elsaß-Loth¬ ringen hat er die Fehler gut gemacht, die sein Vorgänger begangen. Und jetzt lenkt er seit fünf Jahren die Polstik des deutschen Reiches an der hervorragendsten Stelle. Man hat sehr häufig die Thätigkeit eines Staatsmannes mit der eines Steuermannes verglichen, und es giebt in der

kann. Es ist ein Irrtum, an¬ zunehmen, ein hohes Alter sei eine Gabe des Glücks. Man erwirbt sich ein hohes Alter; es gehört dazu, daß nian un¬ verdrossen und ununterbrochen Atemzüge thut, um den stets drohenden Tod vom Leibe zu That keinen treffenderen VerFürst Chlodwig Hohenlohe. halten. Ein Alter von achtzig gleich. Wenn S türme drohen, (Rach einer Photographie von Hofphotogravh Scharwächter, Berlin.) Jahren bedeutet eine halbe dann sucht der Steuermann Milliarde Atemzüge. dem Wind auszuweichen; er zieht die Segel ein und sucht den Hafen. Diese Steuermannskunst Aber bei manchem, der achtzig Jahre alt geworden, ist die Kraft, über die er zu verfügen hat, mit dem Atemholen erschöpft. versteht Fürst Hohenlohe in hohem Grade. Das Verdienst seiner Es bleibt ihm keine Kraft übrig, zu denken und zu handeln. Unter fünfjährigen Verwaltung darf man weniger in dem suchen, was er positives geschaffen, als in den Fehlern, die er vermieden hat. den Achtzigjährigen ist ein großer Teil altersschwach; er hat auf¬ Mit dieser Steuermannskunst kann man vieles erreichen. Aber gehört, klar zu denken. Ein Mann wie Kant war ein Meister sie reicht nicht immer aus. sowohl in der Kunst zu denken wie in der Kunst Atem zu holen, Es giebt Zeiten, in denen der Steuer¬ mann trotz drohenden Sturmes alle Segel spannen muß, um das über die er ein Buch geschrieben hat. Aber die Kunst Atem zu Vorgebirge zu umschiffen und dort die Windstille zu genießen. holen hat bei ihm die Kunst zu denken überdauert. ^Er hat die Diese Steucrmannskunst zu üben hat der Fürst nie Gelegenheit letzten Jahre seines Lebens in einem Zustand geistigen Schlummers gesunden, und niemand kann wissen, ob er ihrer fähig wäre. zugebracht. Diejenigen, welche mit achtzig Jahren noch fortfahren Vielleicht kommt die Zeit, in welcher wir einen Steuermann zu denken, werden zum großen Teile alterssteif, das Wort in dieser anderen Art gebrauchen. Einstweilen können wir keinen geistigem Sinne genommen. Sie wissen sich nicht mehr in die Zeit zu schicken und sich ihr anzuschmiegen. Die Leute, die mit besseren finden als den Fürste» Hohenlohe, und wir sehnen uns nach seinem Nachfolger nicht. achtzig Jahren noch imstande sind, den Gedanken anderer Menschen

Gustav Ekerlein mtb sein Werk für die Siegesallee, die dem Anfang dieses Jahrhunderts geweiht ist, wird eine der interessantesten von allen, die bis jetzt zur Aufstellung gelangt sind. Professor Gustav Ebcrlein, der Schöpfer dieser Gruppe, hat seinem Talent ein Werk abgewonnen von einer Grazie, wie sic eben nur seiner Hand entfließt. Zur Darstellung gelangt ist Friedrich Wilhelm III. in der Mittelstatue) in den Hermen, die sich in die Rundbank selbst einfügen, die markantesten Persönlichkeiten im preußischen Staatsleben unter seiner Regierung: der Minister Freiherr vom Stein und „Marschall Vorwärts", der Fürst Blücher. Man hat zuerst eine Ileberraschung beim Anblick der Königsio Bankgrnppe

statne. sehen,

Wir sind so sehr gewöhnt, Friedrich Wilhelm III. zu wie er nach den Freiheitskriegen aussah, bekleidet mit dem

langen Waffenrock und der breitschinnigen Mütze, daß wir kaum glauben wollen, daß diese jugendliche Mannesgestalt in ihrer Schlankheit und im Kostüm der Wende des Jahrhunderts, das hohe Spazierrohr in der Hand, denselben Monarchen darstellt. (5s giebt verschiedene Porträts des Königs ans dieser Zeit. Eines

— also

kein Preuße. Das Haus seiner Eltern war eines der¬ jenigen, in denen der Voltairesche Geist, der Geist des ver¬ neinenden, vernichtenden Spottes, der Geist der Philosophie, keine Stätte fand, wenngleich er in dieser Zeit ganz Europa erfüllte. Streng religiös ward Stein erzogen; als dann dieZeit derEntscheidung kam, als er eine Hochschule beziehen und die Fakultät wählen sollte, entschied er sich für die Jurisprudenz. Bier Jahre lang, von 1773—77 studierte er in Göttingen. Dann kam er an's Reichs-Kaimnergericht nach Wetzlar. Doch nur kurze Zeit blieb er. Er ging ans Reisen, und entschloß sich nach seiner Rückkehr, die kammergerichtliche Laufbahn mit dem preußischen Staatsdienst 1780 trat er unter Minister Heynitz, noch unter zu vertauschen. der Regierung des großen Friedrich, in das Bergdepartement Seine hervorragenden Leistungen wendeten bald die Auf¬ ein. merksamkeit der entscheidenden Stelle ans ihn) er machte sehr schnell Karriere. Lchon 1784 war er Leiter der westfälischen Bergämter. Im folgenden Jahre wurde er zum erstenmal zu einer diplomatischen Mission verwendet: er wurde als preußischer Sendbote an den kurmainzischen Hos geschickt, um diesen für den Fürstenbnnd zu gewinnen, was ihm auch glänzend gelang. Er kcbrte daraus in seine Stellung in

der Grafschaft Mark zurück und rückte 1795 zum Präsidenten der Kriegs- nndTomünenkammer auf. Die Schiffbarmachung der Ruhr, die Verbesserung des die Anlage Kohlenbergbaus, neuer Straßen sind die Kenn¬

seiner

zeichen

Verwaltungs-

Periode; als er 1797 zum Oberpräsidenten aufrückte, setzte er seine

in dem

ver¬

Schaffensgebiet

mit

Thätigkeit

größerten

glücklichstem Erfolge fort. DaS war die Zeit der Vorbereitung. Im Jahre 1804, nachdem er eine ehrenvolle Berufung in den hannoverschen Staatsdienst abge¬ lehnt hatte, wurde er als Chef des Accise-, Zoll-, Fabriken- und

Kommerzial - Departements ins Ministerium berufen, und damit an die Stelle gebracht, die seinen geradezu staatsrettenden Einfluß erst möglich machte. Zunächst konnte er seine segensreiche Wirk¬ samkeit nur in Bezug auf alles, was direkt in seinem Ressort lag, Gustav Everlein in seinem Atelier. geltend machen. Seinem klugen (Nach einer vlwloqraphischen Aufnahme von Zander & Labisch, Berlin.) Sinn und scharfen Auge entging nicht, auf wie abschüssiger Bahn der interessantesten ist das im Schlosse Reu-Hardenbcrg auf¬ sich die Politik Preußens bewegte) jeder Versuch, auf die Leitung bewahrte, das einst dem bekannten Minister gleichen Namens gehörte) Einfluß zu gewinnen, scheiterte aber. Die Revolutions-Gesinnungen, es stellt den König in österreichischer Husarenuniform dar. wie sie sich in Deutschland geltend machten, geradeso wie der Eberlein hat aus dem vorhandenen Onellen-Material das Aus¬ Bonapartismns, mußten ihm ein Greul sein seiner ganzen Anschaunng sehen des Herrschers rekonstruiert. Es ist ein ganz von persönlicher nach. Er war ebenso konservativ religiös, wie er allem BureanAuffassung beseeltes Porträt geworden. Elastischen Schrittes schreitet kratismus abgeneigt war. Er sah in der Selbstregicrung von der König einher, eine (Gestalt von jugendlich männlicher Schönheit, Provinz und Gemeinde das Heil, wie ihm als deutschem Reichs¬ sehr großer Schönheit. Wie wundervoll muß der Anblick gewesen freiherrn die Kleinstaaterei und der Partikularismus zuwider sein, diese schlanke Offiziersgestalt in der kleidsamen Uniform neben waren. Als die Katastrophe von 1806 eintrat, und alles zusammen¬ der Königin Luise wandeln zu sehn. «o können wir ihn uns stürzte, hatte er das traurige Bewußtsein, als einer der Wenigen denken als den Gutsherrn von Paretz, der bei Erntefesten sich mit nicht blind der Zukunft entgeugesehen zu haben. Als der Hos seiner hohen Gemahlin ganz ohne irgend welche Schranken frei nach Ostpreußen geflüchtet war, sah man nun wohl ein, daß in der Menge bewegte, auch den obligaten Tanz nicht verabsäumte, manches anders werden müsse. Man suchte ein neues Ministerium die erschienenen fremden Gäste einlud, nur ja im nächsten Jähr zusammenzustellen. Stein machte seinen Eintritt davon abhängig, wieder zu kommen, beglückend durch Liebenswürdigkeit, die, von daß mit dem Kabinetschrcibersystem gebrochen und die oberste Ver¬ einem Könige ausgehend, diesen stets den Herzen seines Volkes nahe waltungsbehörde von Grund ans reorganisiert werde. Darauf bringt. Er ist eine Gestalt, die jeden für sich gewinnen muß, der erhielt er vom König im Januar 1806 in tiefster Ungnade den sie nur anschaut. Es ist gewiß etwas Hohes, wenn es einem Abschied. Er ging nach Nassau aus seine Güter zurück. Künstler glückt, das so ganz zum Ausdruck zu bringen. Inzwischen vollzog sich das Geschick der preußischen Monarchie. Die Figur Steins legt den Vergleich nahe mit dem Stand¬ Man hatte wohl noch Hoffnungen gehegt; der Tilsiter Friede bild ans dem Dönhofsplatz: ist es dort der Minister, der frei und zerstörte jede. Die eiserne Hand des korsischen Eroberers schnitt sicher um sich blickend, die Menge betrachtet, so ist hier in der Preußen mitten durch. Alles, was westlich dev Elbe war, wurde Eber lein scheu Darstellung der Sinner und Denker dargestellt, abgetrennt. dem Preußen so recht eigentlich verdankt, was es jetzt ist. Man Rnn kam man zur Besinnung. Schon im Juli 1807 erhielt muß sich Steins Leben und Wirken vergegenwärtigen, um Eber¬ Stein eine neue Berufung ins Ministerium. Merkwürdigerweise leins Werk gerecht werden zu können. Er war um die Mitte des ward er auch von Napoleon empfolen, der wohl sein großes Vervorigen Jahrhunderts 1 TöT zu Nassau an der Lahn geboren waltungstalent erkennen mochte, aber sicher keine Ahnung hatte,

welchem Feind er zur Macht vcrhalf. Stein vergaß die erlittene Kränkung, der Patriot siegte in ihm. Er nahm das Ministerium an und all sein Sinnen und Denken, all seine Arbeit galt nun nur noch der Wiederaufrichtn ng Preußens. Als Chef der Jmmediatkommission und mehrerer Einzeldepartements war sein Wirkungs¬ kreis nunmehr fast unbeschränkt. In dem einem Jahr vom September 1807 bis November 1808 wirkte er gewaltiges. Ein Neuaufbau aller Verhältnisse begann. Die Erbunterthänigkeit wurde aufgehoben, ebenso die Beschränkungen im freien Gebrauch des Grundeigentums, die gesamte Staatsverwaltung wurde in ein neues kollegialisches System gebracht. Dabei hatte er die unend¬ liche Schmierigkeit, den beinahe bankerotten Staat, an dem der Feind immer noch unaufhörlich sog, finanziell aufrecht zu erhalten. Mit allen Mitteln arbeitete er daran, einen neuen Geist in das ganze Volk zu pflanzen, einen Geist freiheitlichen Denkens und und persönlicher Verantwortlichkeit jedes einzelnen. Doch die Napoleonischen Spione waren wachsam. Jetzt erkannte man, wen man vor sich hatte. Im Jahre 1808 mußte er auf Napoleons Betreiben zurücktreten. Daß er sich auch Feinde im Staate selbst hatte machen müssen, ist klar. Sie vereinigten ihre Intriguen mit den napoleonischen. Als dann gar 'in ein Brief von Stein aufgefangen wurde, dem er sich über Napoleon nicht sehr freund¬ schaftlich äußerte, ward er von diesem ge¬ achtet und seiner Güter beraubt. Doch das

und Sieg Deutschlands Mitbefreier."

Am 29. Juli 1831 Augen zum ewigen Schlafe. War Stein das „Wägen", so war Blücher das „Wagen". Es ist charakteristisch, daß von Stein kaum eine Anekdote erzählt wird, von Blücher dagegen unzählige. Jeder seiner Schritte hat etwas unvermitteltes, frisch entschlossenes, Haudegenhaftes. Kaum hat er als Junge Soldaten gesehen, so ist sein Entschluß fertig: er wird Husar, und zwar in schwedischen Diensten. — Er war 1742 in Rostock, damals einer schwedischen Stadt, geboren. — Aus Rügen gefangen genommen, tritt er ins feindliche Regiment, das Husarenregiment von Belting, ein, dasselbe, das er später so ruhmreich befehligte. Er fühlt sich übergangen: kurz entschlossen schreibt er dem König einen groben Brief: „Der von Jägersfeld, der kein anderes Verdienst hat, als der Tobn des Markgrafen von Schwedt zu sein, ist mir vorgezogen: ich bitte um meinen schloß er die

Abschied."

Doch

der

„alte Fritz" war ihm gewachsen: „Der Rittmeister Blücher kann sich zum Teufel scheren", war die Antwort. Erst unter Friedrich Wilhelm II. wurde er wieder in die Armee eingereiht. In der Rheinkampagne benahm sich Blücher ziemlich ge¬ schickt. 1806 war aber seine ungeschickte Führung die Hauptursache zu Hohen¬

lohes Kapitulation in Prenzlan.

Er

selbst mußte sich bald darauf bei Lübeck ergeben. Er that es nicht, ohne daß unter

die Kapitnlationsurkunde der Zusatz kam: „daß ihm die Kapitulation von: Prinzen

machte sein Ansehen und seine Popularität in dem gefunden Sinn des Volkes nur wachsen. Er ging zunächst ans der napo¬ leonischen Machtsphäre nach Oesterreich. 1812 ließ ihn dann Zar Alexander nach seinem Bruch mit dem Corsen zu sich an seinen Hof kommen. Von hier aus begann Stein eine eifrige Wirksamkeit. Er war es, der den Zaren immer wieder zum Kriege

von Pontecorvo angetragen und von ihm nur wegen Mangels an Munition, Proviant und Fourage eingegangen wor¬ den sei". Er wurde bald gegen den fran¬

General Victor ausgewechselt. Tein Hauptverdienst in den Freiheitskriegen liegt wohl in dem Ungestüm, mit dem er vorwärts drängte, in der Zähigkeit, mit zösischen

Freiherr vom Stein.

Fürst Blücher.

der er sich jeder Milde oder gar dem Zurück¬ trieb, der England zuin Anschluß an die weichen widersetzte. „Hier liegt Paris — kontinentalen Mächte zu bewegen suchte. das nehmen wir", war seine Losung. Eine Als Napoleon dann in Rußlands Schnee¬ König Friedrich Wilhelm III. grimmige Verachtung beseelte ihn gegen die wüsten seinen Meister gefunden hatte, kam Stein nach Deutschland zurück*). Er richtete Photographische Ausnahme von Zander & Labisch, Berlin. Diplomaten: „Was die Schwerter uns er¬ werben, laßt die Federn nicht verderben," sagt die provisorische Verwaltung ein und hatte er in dem berühmt gewordenen Toast aus dem Feste des Herzogs nun bis 1815 auf alle wichtigen Entscheidungen großen Einfluß. von Wellington, sich gegen Castlereagh wendend. Wie er Nach dem Friedensschluß zog er sich zurück auf seine nassauischen Güter. Sein Leben gehörte nun dem Kampf gegen Absolutismus und sich genau seiner Qualitäten und der seiner Generalstabschefs Partikularismus, die jetzt ansingen sich in Deutschland breit zu bewußt war, zeigt sein Ausspruch: „Was ist's, das Ihr rühmt? Es ist meine Verwegenheit, Gueisenans Besonnenheit und des machen. Stets kämpfte er für die dem Volke gegebenen Verfaffnngsgroßen Gottes Barmherzigkeit". versprechnngen. Seine Briefe hierüber mit Humboldt, Gneiscnan, Niebnhr, Eichhorn, Gagern sind ein köstlicher Schatz reinsten Was ihn stets beseelte, war die leidenschaftliche Begeisterung Patriotismus, höchster politischer Weisheit. Daneben widmete er für die Befreiung Preußens, der glühende Haß gegen Napoleon ein eifriges Studium den Oncllen der deutschen Geschichte, und und das Streben diesen so niederzuwerfen, daß an ein Wiederauf¬ das Zustandekommen unseres wichtigsten Gcschichtswerkes, der stehen nicht zu denken war. Ans diesen Motiven entsprang jeder ..lstonumentu Germania« historica“, ist znm^größten icil sein seiner Gedanken, jede seiner Thaten. Und weil sich diese Empfin¬ Werk. Es giebt keine treffendere Charakteristik Steins, als die dungen, die Blücher nicht müde wurde zu betonen, mit dem seines Grabsteins: Demüthig vor Gott, hochbcrzig gegen innersten Sehnen und Empfinden des Volkes deckten, weil seine Menschen, der Lüge und des Unrechten Feind, hochbegabt rauhe, offene Art so leicht verständlich war, deshalb fand er die in Pflicht und Treue, unerschütterlich in Acht und Bann, große Popularität, die ihn zu einer der bezeichnendsten Gestalten

des gebeugten *) Vgl.

de»

Vaterlandes ungebeugter Lohn, in Kampf

Artikel „Aller Teutschen Edelstein" in Nr.

2 des

„Bär".

seiner Zeit machte.

Meisterlich hat Eberlein die Charaktere Steins und Blüchers in seinen Halbsignrcn ausgeprägt. Man kann ihnen ihren ganzen

200

Lebenslauf ablesen. Gustav Eberlein steht jetzt im 52. Lebens¬ jahre in der Vollkraft seines Schaffens. Eine erstaunliche Frucht¬ barkeit seines Talents hat ihn befähigt, uns bis jetzt schon mit einer Fülle köstlicher Werke zu beschenken. Am bekanntesten von seinen Idealfiguren sind wohl die verschiedenen PsycheDarstellungen und der „Dornauszieher". In diesen Figuren spricht sich die Begabung des Meisters am reinsten aus. Es gilt hier gerade die Anmut und zarte Schönheit, das Jung¬ fräuliche zu schildern und nichts gelingt Eberlein so vollendet wie das. Aber auch an großen umfangreichen Arbeiten hat er schon eine Fülle geboten: da ist der Fassadenfries am Kultusministerium in Berlin, die Kaiser Wilhelm-Denkmäler in Mannheim, Elberfeld, Ruhrort, ein Kaiser Friedrich-Denkmal in Ruhrort. In seinen Arbeiten offenbart sich immer ein Zug zur dekorativen Schönheit,

es scheint das dem Meister im Blute zu stecken: oder ist's ein Einstuß seiner frühesten Lehrzeit? Er begann gleich Beuvenuto Cellini als Goldarbeitcr. Ueberrascht war man allgemein, als Eberlein gelegentlich der Berliner Rathauskonkurrenz mit Male¬ reien hervortrat, und gar mit Malereien großen monumental dekorativen Stils. Es ist eben ein fortwährendes Schaffen und Werden in diesem Künstlerherzen, das sich gar nicht genug bethätigen und aussprechen kann. Aus diesem Drange erstand wohl auch das Bändchen Poesie „Aus eines Bildners Seelenleben", das Eberleiu vor einigen Jahren veröffentlichte. Zu seinen neuesten Schöpfungen gehören die Adam und Eva-Gruppen, von denen wir drei in Abbildungen bringen, in denen er herber und ernster ist als sonst. Aber auch sie tragen das Signum aller Eberleinscheu Arbeiten: Knnstschönheit des Linieuflnsses, Anmut der Auffassung.

Wie die Deutschen Stämme

Ä

der lateinischen Sprache und in manchen anderen Sprachstämmen giebt es nur ein Wort für „Fremder" und „Feind". Das ist für den Bölkerpsychologen von starkem Reiz. Der Völkerhaß äußert sich oft in Charakteristiken der einzelnen Völker untereinander. Dem Fremden werden schlimme Eigen¬

n

!

schaften

nachgesagt, dem

Landsmann die edelsten zugeschrieben.

Humoristisch gefärbt, weniger gehässig, boshaft oder bewundernd sind die Charakteristiken, die einzelne Stämme unseres Volkes untereinander erfunden haben, um sich zu necken, zu kränken, zu amüsieren. Eine unerschöpfliche Quelle von Spott- und Schimpf¬ namen, Scherz- und Lobworten bilden die Eigenheiten der einzelnen Stämme: sie sind oft gesammelt worden, am reichhaltigsten unlängst von M. Plaut.

Interessant ist eS zu beobachten, welch eine Rolle der Deutsche in Europa spielt. Sehr feine Urteile finden sich hier neben Geistreichigkeiten, denen die geschichtliche Wirklichkeit widerspricht. „Unter drei Deutschen findet man zwei Soldaten, unter drei Franzosen zwei Köche, unter drei Italienern zwei Pfaffen, unter drei Spaniern zwei Windmacher." Bis vor ein paar Jahrzehnte dürfte das Wort auch seinen Wert gehabt haben: „Der Deutsche denkt es aus, der Franzose macht's nach zu Haus, der Brite kommt hinterdrein und steckt den Nutzen ein." Geteilt sind die Meinungen über die Frauen Deutschlands. Häuslich, kaltsinnig und wirtschaftlich, —• diese drei äußerlichen Eigenschaften scheinen den fremden Beurteilern am meisten ins Auge gefallen zu sein. Nicht ohne Anmut sagt das eine Urteil: „Die Frauen der Deutschen lieben mit dem Herzen, die der Fran¬ zosen mit Verstand, die der Engländer mit Geist, die der Italiener mit dem Leibe, die der Spanier mit Leib und Herz, die der Russen zum Vergnügen." Und ein Tscheche gießt seinen ganzen Haß in die Worte: „Die tschechische Frau paßt in die Küche, die deutsche in den Stall!" Die Polen haben ein anderes hübsches Wort geprägt: „Der Teufel hat Eva welsch verführt, die Eva den Adam böhmisch regiert, der Herrgott schalt sie deutsch, dann stieß der Herrgott sie ungarisch aus dem Paradiese." Ein Franzose wieder hat die Völker anders charakterisiert: „Betrunken wie ein Pole, diebisch wie ein Amerikaner, eifersüchtig wie ein Spanier, frech wie ein Araber, hochmütig wie ein Schotte, kalt wie ein Holländer, rachsüchtig wie ein Italiener, streitsüchtig wie ein Deutscher." Ein galliger Beobachter menschlicher Sitten erzählte einmal: „Wenn eine Fliege in einem Glase Wein ist, gießt der Engländer das Glas aus, der Franzose entfernt die Fliege zierlich mit der Gabel, der Deutsche benutzt den Finger dazu, und der Russe trinkt den Wein mit Fliege ans." Was der Deutsche ißt und trinkt, wird von Ausländern weid¬ lich bespöttelt. Qhne das Wort „Sauerkraut-Fresser" kommt kein revanchelustiger Leitartikel der Pariser Presse zustande. Der Russe meint: „Den Teutschen bringt nichts auf, wenn er Kartoffeln hat und Tabak rauchen kann." Allgemeine Charakteristiken des Deutschen schwanken zwischen Haß und Liebe. Der eingebildete Lithauer meint: „Der Deutsche will kluger sein als der Lithauer." Und der slavische Hochmut des Russen schießt den Vogel ab: „Wer als Deutscher geboren wird, den hat Gott hinlänglich gestraft." Ungleich liebenswürdiger behandeln sich natürlich die deutschen Stämme untereinander. Das allen gemeinsame Hochgefühl, Glieder eines großen Volkes zu sein, läßt es nie zu Haß kommen. Deutsch mit jemandem reden, heißt offen, klar, verständlich, ohne Hinterhalt, geradezu reden. „Der Deutsche ist schwer in Harnisch zu bringen, aber noch schwerer wieder heraus." „Die Deutschen kriegen mit Eisen, nicht mit Gold." Die deutschen Flüsse werden gelobt, und an ihre Namen knüpfen sich stolze Erinnerungen und stolze Worte. Vor allen wird der Rhein gepriesen, dann die Donau, aber auch die anderen Stämme haben Ehrgeiz: „Ohne Mosel und Main wäre der Rhein klein." Biel ausführlicher ist die Charakteristik der einzelnen Stämme unter einander. Sie ist in großen groben

sich

beurteilen.

Linien gehalten, aber Wahrheit und Dichtung, Ernst und Spott, Bewunderung und Bosheit haben diese Worte knappster Stammes¬ und Menschenschilderung geprägt, und niemand wird wagen, diese kurzen Auszüge von Volks-Sympathien und Antipathien zu ver¬ treten: die Preußen sind hell, sie haben aber zwei Magen und kein Herz. Preußen und Wanzen bringt man nicht wieder heraus, sagen die Sachsen. Ein preußisches Dorf macht sich immer über das andere lustig, doch die Rolle Schildas und Schöppenstedts scheint das Städtchen Mühlhausen zii^vertreten, „wo sie mit dem Langholz quer hereinkommen". An Spottnamen ist kein Mangel. Die Königsberger heißen Glanznickels oder Sperlingsschlucker, die aus Fischhausen Gildekrüger s-Znnftpfuscher) und Möckeprötscher sMückenspritzer). Die Pommern gelten für oberschlau. Ein ein¬ äugiger Pommer sieht mehr als drei Kassuben. An eine lange Leidenszeit erinnert das Wort, das ein Stückchen sozialer Rot enthüllt: „In Pommern dienen die Bauern nur sechs Tage in der Woche, denn am siebenten müssen sie der Herrschaft die Briefe austragen." Flunderköppe heißen die Kamminer, während die Bewohner Gollnows sich mit dein Namen Pomusselsköppe (Dumm¬ köpfe) abfinden müssen. Jakobshagen wird auf Schafskopfshagen gereimt, Grabow'sch ist gleichbedeutend mit „unverschämt". Die sandige Umgebung wird hübsch mit den Worten charakterisiert: „Wer bei- Gollnow hundert Morgen Land hat, dem fliegen neun¬ undneunzig"der in der Luft herum." Provinz Posen wird besonders ein fürchterlicher Aus Heranieter zitiert, der die sieben schrecklichsten Rester der Provinz — Meseritz, Bomst, Krotoschin, Filehne rc. — „feiert". „In Polen ist nichts zu holen", heißt es von der armseligen Provinz. Ueber Gemlitz und Wilatan wird gespöttelt, daß dort die Gänse das Ttraßenpflaster aufgefressen hätten. In Gnesen soll's „blaue Räsen" geben, in Tremessen nichts zu essen, in Benschen nur schlechte Menschen u. s. f. Die Schlesier sind Eselsfresser, lautet ein Scherzwort, das an eine Sage anknüpft, dcrzusolge die Schlesier in alter Zeit eine Eselin für einen großen Hasen gehalten und verspeist haben. Auf den klassischen Boden der Gelegenheitspoesie weist das Sprichwort hin: „Der Schlesier kann ohne Reim den Sonntagsrock nicht an¬ ziehen". Die ärmliche Bevölkerung von Obernigk hat das schlichte und ergreifende Wort geprägt: „Obernigk liegt zwischen Sorge und Kummernigk". Ein Volkswitz: „Wer in Militsch einen Prozeß ge¬ winnen will, muß sich hinter den Strauch stecken, Luchsaugen haben und bar bezahlen", bedarf einer Erklärung. Im ersten Viertel dieses Jahrhunderts gab es dort zwei Justizräte, namens Lux und Bahr, der Stadtrichter hieß Strauch. Ueber Brandenburg berichtet der Volksmund allerlei Boshaftes. „Berliner Kind, Spandauer Wind, Charlottenburger Pferd sind alle drei nichts wert." Und „Knödclland nichts als Sand". Mehr Gerechtigkeit erfährt Sachsen. Bei mapchem gelten die Sachsen fürfalsch, bei allen für höflich, „poliert". Halle wird gelobt, Wittenberg als Mutter der Reforniation gepriesen; wen der Herr lieb hat, dem giebt er eine Stelle in der ihres Reichtums wegen berühmten Grafschaft Mansfeld. Hannover und der Harz bleiben auch nicht unversehrt vom Spott benachbarter Bewohner. Die Goslarer Gose wird bespöttelt, Hameln gilt für ein Rattennest, Einbeck für ein Rabennest, Nörten für einen Enteupfuhl. Stolz sagt der Harzer von sich: „Harzer Kind, äußerlich arm und gedrückt, innerlich reich ausgeschmückt." Roch stolzer steht der kernige Friese da: Lieber tot als unfrei: „levver dnad als Slaaw" heißt es in dem Gedichte „Pidder Lüng" von Liliencron: jeder ist ein Freiherr: Gesang ist ihm unbekannt, er liebt nur das Ein starkes Heimatsgefühl Recht und haßt die rohe Gewalt. zeichnet ihn aus, und treu und knapp ruft sein Spruch aus: „Ost't West, Huus best." Mit friesischer Treue kommt man so weit wie mit holländischen Dukaten. Auch von den Schleswig-Hol¬ steinern gilt das Herrenwort, sie verteidigen ihr Recht mit dem Schwerte. Herren wollen auch die Dithmarschen sein.

201

Von Westfalen wird in erster Reihe sein dünnes Bier, sein grobes Brot und die Länge seiner Meilen bespöttelt. Der Westsäle spricht nicht, wo er schlagen kann. Eine Flut non Spott wird über Arnsberg ergossen: Wer sich sattessen will, muß die Schüssel mitessen: ist der Referendar ins Kaffeehaus gegangen, ist die Stadt nicht zu Hause. Ueber die Christ¬ lichkeit der Stadt Attendorn haben die Sauerländer den Scherz er¬ funden, der einzige Christ in jenem Ort sei der Jude Moses!

Der

Hesse

wird als „blind"

gekennzeichnet. Rach Arndt soll nicht seine „Blindheit" verhöhnt werden, sondern seine derbe, feste, unerschütterliche Art, die keinem Wechsel unterworfen ist. Neuer¬ dings hat man eine andere Er¬ klärung für dieses seltsame Epi¬ theton gefunden. Für „Gaul" soll auch das Wort „Hesse" gebräuch¬ lich sein und das Sprichwort

Das Königreich Sachsen steht im allgemeinen in gutem Ruf. Redlichkeit und schöne Mädchen wachsen dort, und auf ihr Elb¬ florenz Dresden sind die Sachsen nicht wenig stolz. Auch Leipzig hat hübsche Beinamen, wie „Pleiße-Athen" oder „Klein-Paris". Aber

in Schandau „hat meißnische Ehr' und Redlichkeit ein Ende". schon

Mit Bayern und der Eigen¬ art seiner Bewohner hat sich die

Volksmeinung gern und ausführ¬ lich beschäftigt. „Lieber bayerisch sterben, als österreichisch verder¬ ben," heißt ein stolzes Wort, das politische Atmosphäre hat. Frei¬ lich ist der Bayer als grob und „ungebacken" bekannt, aber jeder Franke gilt doch als ein Edel¬ mann. Nürnberg wird für die Perle des deutschen Reiches ge¬ halten, und die Stadt selbst hält sich für den Mittelpunkt Europas, für das Vaterland der Klugheit und das Wohnhaus der Künstler. Die Pfälzer dagegen werden tüchtig

„Blinder Gaul geht gradezu" an¬ gewendet werden. Danach hätte also das Wort „Blinder Hesse" keine Stammesbedeutung. Die Rheinprovinz überschüttet der Volksmund mit reichem Lob. Aachen und Rom sind herrliche Städte; Köln ist das deutsche Rom, Aachen gilt für die vornehmste Reichsstadt. Wer Köln nicht ge¬ sehen, hat Deutschland nicht ge¬ sehen, hieß es im fünszebnten Jahrhundert, aber die Kölner

gehänselt. „An dem Pfälzer ist nichts als ein großes Maul!" be¬ haupteten die Bayern. Das baye¬ rische Bier muß natürlich her¬ halten, um den Trinker zu charak¬ Saphir machte einst terisieren.

den billigen Wortwitz: Wenn dei Münchener morgens aufsteht, ist er ein Bierfaß, wenn er zu Bett geht, ein Faß Bier." Der Volks¬ JRtiam und Lva vor dom Snndrnks mund hat die Sprüchlein geformt: „Der Bayer duldet alles, selbst das Fegefeuer, wenn er dabei nur gutes Bier trinken kann." — selbst galten früher als Betrüger. Die Armut des Westerlandes findet „Ter Bayer ohne Bier ist ein gefährlich Tier." — „Drei Dinge in kleinen Sähe» schlichten Ausdruck: Hungern wie ein Westerländer. hat der Bayer in seinem Brevier: Paternoster, Würfel und Bier." Einen oldcnburgischen Marschlandbauer bat Johann Heinrich /Mir Württemberg und seine Schwaben hat der Volksmund Voß einst sagen hören: „Sieh, Jung, hier is de Marsch, nn de sowohl Spott wie auch ganze (innere Welt is Bewunderung. „Schwa¬ man (nur) Geest." Diese benherz ein treues Herz" naive Freude am HeimatFür seine Wanderlust hat hoben findet man' an MW» „Schwabenspiegel" der die be^n eine sehr seine Wendung Landstrichen,^ gesunden: Wenn der Schwab das Licht (der Welt) erblickt, wird er aus ein Sieb gedrückt und Vater und Mutter „annereu Welt" erinnert

graphisches Erlebnis. Als Dr. Kaue zum erstenmal

0

sprechen: „Soviel Löcher als da sind in dem Siebe,

V^

liebes Kind, soviel Län¬ der sollst Tu sehen, dann magst Du zu Grabe ge¬ hen." Oft freilich heißt es auch: „Ein dummer Schwab", der als„Schivätzer"gilt. „Schwaben und Schaben verderben Land und Gewand". Nur iw „Reinekc lateinischen

wären die einzigen

Fuchs", im Reiuardus, gellen sie für treulos Aber vielleicht ist hier der Ausdruck „Sänvabe" für „Deutscher" über¬ Ein haupt gebraucht.

burger Bauern liegt nicht

Dichter österreichischer um 1220 wünscht bei¬ Mädchen haben keinen guten Ruf. „Wenn's Kirschkuchen regnet und

spielsweise einem alter Weibe einen „Schwaben" an den Hals. Diese Sammlung ließe sich ungemein vermehren Sie ist ein liebenswürdiger Beitrag zur Spottiust des Volkes und zu seiner Charakterisierungs-Fähigkeit. Aus Wahrheit wird sie nur ganz bedingt Anspruch erheben können, denn wer vermöchte präg¬ nante und sichere Urteile über ganze Völkerstämme zu fällen?

Adam und Ena im Rltrr. Aus Gustav Ebcrlein's Adam und Eva - Zyklus. (Rach photographischen Aufnahmen von Otto Kemnitz, Charlottenburg.)

Adam und Lva nach dem Sündrnfall.

Bratwürste schneit, dann werden dieJenenserMädchen gescheit." Der kleinliche Partikularismus der Duodezstaaten wird niedlich verspottet: Man bittet den Herrgott um Sonnenschein für Reuß-Greiz-Schleiz und Lobenstein, „wollen die andern auch ivas hau, mögens dem Herrgott selber sa'n."

202

Sagen ans dem Kreise Teltow. Mitgeteilt von

P. Kunzendorf. 1.

Die SeuKerbrücke in Köpenick.

lange Brücke, die über die Dahme zum Köpenicker Schlosse

führt, hat früher die Seufzerbrücke geheißen. Damit hat es folgende Bewandtnis. Eine bildschöne Fürstentochter aus dem Hause der Askanier soll einst im Schlosse ihren Wohnsitz gehabt und in den angrenzenden Forsten gar eifrig das edle Waidwerk betrieben haben. Ein schmucker Jäger entbrannte in heißer Liebe zu dem anmutigen Fürstenkinde, das in fleckenloser Unschuld das innige Werben erwiderte. Allnächtlich in des Sommers Tagen gaben sich die beiden Liebenden ein Stelldichein im Schloß oder im an¬ grenzenden Park, und nach dem Abschiednehmen trat der Jäger, um unentdeckt zu bleiben, seinen Rückweg schwimmend durch die Fluten des Flusses an, um bis zur Brücke zu gelangen. Dann blickte er noch einmal zu in Schlosse zurück, und jedesmal winkte ihm der weiße Schleier der Fürstentochter den letzten Gruß zu. Aber der Schleier wurde der Verräter der stillen Liebe. Den strengen Brüdern des liebenden Mädchens wurde das Geheimnis offenbart, und sie übten eine furchtbare Rache. Die Sage erzählt, sic hätten ihre Schwester zur Strafe für die ihrem Hause an¬ gethane Schmach im Burgverließ am Flußufer lebendig einmauern und den Jäger an einem Pfeiler der Brücke aufhängen lassen. Seit jener Zeit habe man allnächtlich um die Geisterstunde ein langes Seufzen von der Brücke her vernommen, und über dem Wasser zwischen Brücke und Schloß habe man gespensterhaft einen weißen Schleier schweben sehen. Endlich, nach langen hundert Jahren, hätten die beiden Liebenden ihre Ruhe gefunden; man habe kein Stöhnen mehr gehört, und auch der Name Seufzerbrücke sei nur noch selten über eines Sterblichen Lippen gekommen.

2. Die Befreiung vom wilden Jäger. war in dem dichten Walde bei Königs-Wusterhausen, da

8?

hatten Bauern aus der Umgegend, als gerade die volle Mond¬ scheibe zur Mitternachtszeit am Himmel stand. Holz geholt für die Wirtschaft daheim. Als sie gerade dabei waren, mit ihrer Ladung abzufahren, kam plötzlich ans des Waldes Dickicht eine Jagd¬ gesellschaft herangesprengt, welche einen weißen Hasen verfolgte. Der kam gerade auf die Pferde der Bauern losgerannt, sah auch gar nicht aus wie ein gemeiner Hase, sondern war viel größer, und, je näher er kam, desto schlimmer anzusehen, daß die Bauern glaubten, er würde die Pferde scheu machen. Ta faßte sich ein Bauer ein Herz, fing den Hasen mit den Händen und gab ihn den Hunden, die ihn bald in Stücke rissen. Mit einem Mal aber war der ganze Spuk verschwunden, Hase und Hunde, Pferde und Reiter, und nur aus der Ferne hörte man das Jagdhorn wehklagende Töne ausstoßen. Ein schmucker Junker aber stand vor den Bauern, gab diesen die Hand und sagte voll Dankbarkeit: „Ihr wackeren Leute habt mich errettet aus dreihundertjähriger Gefangenschaft. Sv lange mußte ich dem Hasen nachjagen, jetzt, da er tot ist, bin ich von dem wilden Jäger befreit."

f

3.

Das ßrhu'rnE Medufenhaupt in Klein-Machnow.

as war einer aus dem Geschlecht derer von Hake, der ans seiner Burg zu Klein-Machnow residierte und ein gar trotziger Herr war. Sind einmal gegen ihn aufgestanden alle Bewohner seiner Lande und haben, von Hunger gequält, seine Kornmagazine plündern wollen. Ehe er das zuließ, hat er lieber den Fenerbrand in die Getreidekammern schleudern lassen, daß alles verzehrt wurde von des Feuers Gewalt und die arnwn Leute Hungers starben. Aber nvch in derselben Nacht ist der Schandthat die Vergeltung geworden. Da sind an die Lagerstatt des grimmen Herrn v. Hake giftige Schlangen gekommen, die der erstickende Rauch aus ihren dumpfen Höhlen herausgetrieben halte. Die haben den Misse¬ thäter zu Tode gepeinigt, daß er noch in derselben Nacht seinen Geist aufgab. Am anderen Morgen war nur noch ein Skelett übrig von des Ritters einstiger Herrlichkeit, denn die Schlangen hatten ihm das Blut geraubt und das Fleisch zernagt. Vertrieben wurden die bösen Geister der Vergeltung, als die gut geartete Ge¬ mahlin des Sünders den Armen Speise und Trank in großen Mengen reichte. Zur Erinnerung an jenes Unheil in der Familie des Burgherrn von Klein-Machnow wurde am großen Steinthor des Burghofes, gegenüber vom Kirchlein, ein Medusenhaupt, von Schlangen umrahmt, angebracht: und darüber sieht man ein freundliches Frauenantlitz, das ist die damalige Schloßherrin, die als Geist der Versöhnung gewaltet und weiteres Unheil fern ge¬

halten hat.

4. Die Vrsutkrone in der Kirche zu Klein-Machnow. aus dem Geschlecht derer von Hake, Margarethe genannt, hatte ihr Herz einem märkischen Edelmanne geschenkt, der Liebe erwiderte. Beide lebten glückliche Tage, und ihre Herzen gehörten treu zu einander. Da rief die Kriegsnot den Geliebten fort von Margarethens Seite. Es war ein bitterer Abschied, als ahnten Beide, daß es für die Ewigkeit sei. Nachher ist der tapfere Krieger nicht wiedergekehrt, denn er war im Kampf gegen die Türken gefallen. Margarethe konnte den Schmerz nicht ertragen und fiel in Wahnsinn. Und statt der erhofften Myrthenkrone schmückte sic sich mit einer anderen, die sie aus Kornähren formte. Das ist die Brautkrone, die noch heute in der Kirche zu

s inihreFräulein

Klein-Machnow aufbewahrt wird.

5. Kohlhasenbrück.

„Kongsnäs". Wenn mau von der Glinicker Brücke kommend, den Weg aus der großen Havelbucht, den Jungfernsee entlang, weiter verfolgt, so bietet sich plötzlich dem überraschten Auge ein unerwarteter malerischer Anblick: spitzgiebeligc Holzhäuser, im Stil typischer nordischer Ornamentik gebaut. Von den Spitzen der Giebel ragen hoch in die Lust die zu Grcifenküpfcn ausgebildeten Firstbalken. Es ist Kongsnäs — die Königsspitze auf deutsch. Ein Stück Marineleben auf der Havel thut sich' hier auf. Hier liegt die Tampspacht für die kaiserlichen Herrschaften, die „Alexandra". Mit Frcudeit begrüßt man das schlankgebaute Fahrzeug, wenn es zu Luftfahrten seinen in schneeigem Weiß blinkenden Körper auf der Havel zeigt: brausende Hurrahrufc schallen ihm entgegen, wenn es alljährlich das Herrscherpaar zu den Grünaucr Ruderregatten die Oberspree hinauf trägt. Aber auch ein wirklich see¬ tüchtiges als Dreimaster getakeltes Schiff liegt hier als fremdartige Erscheinung auf der Havel. Es ist die ganz aus Mahagoniholz gebaute Fregatte, die einst der cngliche Prinzgemahl dem preußischen Königshause verehrte. Und um das Bild ganz echt zu machen, sehen wir unsere „Blaujacken", die hier zum Dienst auf diesen Fahrzeugen kommandiert sind. Ein Matrosendetachement ist ständig hier untergebracht. Die Bedeutung des Namens Lölln an der Spree ist, wie man vielfach annimmt, auf ein slavisches Wort zurückzuführen, das Pfahl bedeutet. Wäre es aber zur Zeit der Begründung Cöllns all¬ gemeiner üblich gewesen, bei neucntstehendcn Ortschaften, die nahe an Flüssen lagen, regelrechte Pfahlbauten auszuführen, so müßten aus der Periode der große» Ansiedlung in der Mark mindestens 20 oder 30 Dörfer und Städte wohl eben denselben Namen bei uns erhalten haben. Es ist darum gewiß zu beachten, daß der Archivar der Stadt Berlin, Dr. P. Clauswitz, in seiner Einleitung zu Borrmanns Werk über die Kunstdenkmäler Berlins der Vermutung Raum giebt, daß der Name Cölln von den ueucn Einwanderern nach ihrer Heimatstadt am Rhein gewählt worden sei. Clauswitz sagt wörtlich folgendes: „Die Benennung Colonia für die Ansiedelung ist wohl auf Colonia am Rhein zurückzuführen, deren vornehmste Kirche auch den Namen deffelben Schutzheiligen trägt, wie die Pcterskirche in Köln an der Spree." — Da Dr. Clauswitz, der Neu-Herausgeber des Berliner Stadtbuchs (1890) von Hause aus Historiker ist, so verdient die Frage wohl,einmal von diesem Gesichtspunkte aus weiter untersucht zu werden, um allen mehr oder minder willkürlichen Annahmen über die Herleitung des Namens Cölln vorzubeugen. Zollte der Name mit einer größeren Uebcrsicdclung von Auswanderern aus Cöln am Rhein wirklich im Zusammenhang stehen, so müßten die dortigen gm ge¬ ordneten Archive sicher Näheres ergeben. Es mag daraus hingewiesen sein, daß im Norden auch Namen wie Coblenz und Sinzig vor¬ kommen, die wohl nur von den älteren Orten gleichen Namens am Rhein sich herleiten lassen. P. W. Die „Bisniarckt" -Brückte im Grunewald. Vor 10 Jahren noch war an eine „Villcnkolonie Grunewald" nicht zu denken. Eine Kette von moorigen, teilweise mit Knieholz, namentlich Birken, durch¬ wachsenen „Fenns" zog sich im Thal durch die Kiefern Heide, zwischen Halensee und Hundekehlensee die Lage des uralten Flußbettes markierend.

208

doppelt schädlich sein. — Ocffentliche Bestrafungen erzeuge» Verachtung, gegen den einzelnen sowohl als gegen den ganzen Stand. — Dicnstvcrgehungcn und Liederlichkeit können gerechter Weise nicht mit gleicher körperlicher Züchtigung belegt werden. — Wenn ein Gesetz zu hart ist, so wird es leicht übertreten, denn das menschliche Gefühl sträubt sich solange dagegen, bis man cs am Ende einschlafen läßt. — Unbcfolgte Gesetze verleiten zu einer Geringschätzung des Ganzen. — Mißhand¬ lungen, sowohl körperliche als auch mit Worten, ersticken alle Ehr¬

Da ging der anregende Gedanke zur Gründung der Villenkolonic von Bismarck aus. Sein weitschaucnder Blick hatte längst erkannt, daß in nicht ferner Zeit der Gruncwald zu dem für Berlin werden mußte, was solange der Tiergarten war. Man ging mit Energie an die Verwirk¬ lichung des Planes. Die „Fenns" wurden ausgestochcn und zu Seen umgestaltet) zwischen de» einzelnen Becken Vcrbindungskanäle angelegt. Durch Anpflanzungen und Ausschüttungen einerseits und Durchforstung andererseits schuf nian Ausblicke von überraschender landschaftlicher Schönheit. Ein solcher ist die Ansicht der „Bismarckbrücke": sie führt die große Straße über den Kanal zwischen „Hcrthasee" und „Köuigssce". Ein glänzendes Bild bietet sie Sonntags, wenn all die Tausende nach Hundekehle wallfahrten, Droschken, Equipagen, Bicpclcs, Automobile, ein Bild, das an ähnliche Punkte im 8ois cls Louloxne erinnert.

Dir Errichtung rinrs Bismsrckmufrums in Berlin

begierde. —

be¬

schäftigt gegenwärtig die Blätter, nachdem es bekannt geworden, daß die Stadt Stendal in ihren Mauern ein „Bismarckhaus" anlegen will. Es ist nun natürlich, daß nach dem Tode des eisernen Kanzlers man sich überall regt, die Erinnerungen an Bismarck zu sammeln und daß schließlich Göttingen, wo er studierte, Hamburg, das ihm be¬ nachbart war, Frankfurt, wo er als Bundestagsgesandtcr wirkte, Stendal, wo einstens Angehörige der Familie niilde Stiftungen machten bczm. noch andere nahe Beziehungen obwalten, und außerdem andere Städte möglichst große Sammlungen von mehr örtlicher Be¬ deutung anlegen. Darüber aber kann doch kein Zweifel sein, daß

ebenso wie das Hohenzollcrnmuseum, auch das eigentliche Bismarck¬ museum nur in denkbar ist. Sobald der Gedanke eines solchen ausgesprochen ist, werden sicher Tausende seiner Verehrer Bau¬ steine, groß oder klein, in Geschenken, Stiftungen und Zuwendungen bestehend, beitragen zum Ganzen, damit das Bild des ersten Reichs¬ kanzlers möglichst vollständig den späteren Geschlechtern überliefert '

Berlin

j !

(

j

'

!

j

Dir erste Sonntagsschnle in Berlin 17SS. Jahren nahm der Lehrer 'I. F. Kobike den Gedanken auf, zur besseren Ausbildung der Lehrlinge eine Sonntagsschule einzurichten, die die besondere Billigung des Königs fand. Friedrich Wilhelm III., gewiß ein gotlesfürchtiger Monarch, erklärte, daß die Vorschläge zur Errichtung einer Sonntagsschille für die Umstände der an diesem Tage ganz Vor hundert

müßigen Lehrlinge der Professionisten

den gerechtesten Anspruch

auf seinen Beifall hätten. Tic erste Aufforderung, wonach die Lehr¬ linge in Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet werden sollten, regte auch mehrere Gesellen an, sich zu daß im Januar schon unter der Vorstandschaft des Buchdruckers Hayn

j

—11—

werde.

Ein jedes Zeitalter verlangt

dasjenige Heer wird die beste Disziplin haben, welches die menschlichste Gesetzgebung hat. — Ein Bataillon guter Menschen nutzt mehr als ein Regiment Falstaffscher Rekruten. — Der Lasterhafte ist brav, wo es etwas zu plündern giebt, und solange er im Glücke die Gefahr nicht kennt: der Tugendhafte bleibt sich im Glück und Unglück gleich. — Als Friedrich Wilhelm III. 1806 gegen Frankreich ins Feld rückte, hatte er die Idee, von den Offizieren, die seine nächste Umgebung bilden wollten, ein Gutachten über den zu erwartenden Krieg zu verlangen: Bogen sandte das seine am 21. August ein und hatte die Ehre als^ Offizier ü la suite angenommen zu werden. In der Schlacht bei Jena am Fuße verwundet, wartete er seine Heilung zu Weimar im Hause des bekannten Oberforstmeisters von Stein ab und eilte dann wieder zur Armee. Am 22. Juni 1807 avanzierte er zum wirklichen Kapitän, attachicrt und dem Generalstab im Januar 1808 wurde er am 31. Januar desselben Jahres zum Major befördert. Nun nahm er an den Arbeiten der Reorganisations-Kommission lebhaften Anteil, führte die Scharnhorstsche Idee des Krümper-Systems weiter ans und trat in einen noch größeren Wirkungskreis, als er am 3. Februar 1810 zum Direktor der ersten Division des Allgemeinen Kriegs-Departements ernannt wurde. Blutenden Herzens bai er bei Beginn des russischen Krieges am 11. März um seine Entlassung. Er erhielt sie als Oberst und ging 'ihn nach Rußland. Die Erhebung Preußens aber im März 1813 fand in Breslau. Er trat wieder in das preußische Heer ein, wurde am 9. März Oberst im Generalstabe, am 22. März Generalmajor und wohnte als Chef des Generalstabes des dritten (Bülowschen) Armeekorps dem Feldzüge gegen Napoleon bei. Am 3. Juni 1814 zum Wirklichen Geheimen Staats- und Kriegsminister ernannt, veranlaßte er das Gesetz über die allgemeine Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 3. September 1819, welches notwendig war, da die alte KantonKonferenz mit ihren Exemptionen sich wieder geltend machte. Am 2. April 1818 zum Generalleutnant ernannt, erhielt er am Weihnachtstage desselben Jahres auf sein Ansuchen den Abschied. Jetzt widmete er'die ihm zu teil gewordene Muße der Geschichte und der Poesie. In seinen Gedichten sprach sich eine glühende Vaterlandsliebe und eine hohe Verehrung des preußischen Herrscherhauses aus: „Schwert, Licht und Recht, die heil'ge Drei, Die Losung und das Feldgeschrei In Glück, wie in Gefahren galt ihm als „unser Rcichspanier, Der Hohenzollern ew'gc Zier Auf ihren Herrschcrbahneu." Friedrich Wilhelm IV. berief ihn bald nach seiner Thronbesteigung durch ein eigenhändiges Schreiben vom 14. Oktober 1840 in den aktiven Kriegsdienst zurück, damit er „als Gründer der Landwehr" bei

!

!

der Huldigung ohne die Dienstabzeichen der Jnaktivität erscheinen könne. Am 22. November wurde von Doyen zuni General der Infanterie (mit Patent von! 15. Oktober) befördert, am 1. März 1841 zum Wirklichen Geheimen Staats- und Kriegsminister und zwar nach seinem früheren Ministerpatente als ältestes Mitglied des Ministeriums. Sein Amt verwaltete er mit großer Lebendigkeit und Geistesfrische bis zum 76. Lebensjahre. Als Feldmarscha'll und Gouverneur des Berliner Jnvalidenhauses starb er am 15. Februar 1848. Nach seinem Namen aber ist eine kleine in Ostpreußen gelegene Festung genannt. Vier Bastionen derselben heißen: Schwert, Recht, Licht und Hermann, und in zwei Flügclsaillarts sind seine beiden anderen Vornanien, Leopold und Ludwig, verewigt. Das deutsche Volk aber sollte, wenn es sich erinnert an Gncisenau und Scharnhorst, auch seiner gedenken, der als Mitbegründer der volkstümlichen Heeresorganisation nicht geringere DVerdienste hatte als jene. Ein lustiger Berliner. Während des dreißigjährigen Krieges lebte in Berlin der Ratsherr Johann Schönbrunn, dem der Humor trotz der schweren Zeit nicht ausging. Mochten die Schweden oder die Kaiserlichen vor den Thoren sein, er saß im Wirtshause zum schwarzen Bären ani Molkenmarktc, aß und trank und erheiterte die Gäste durch seine Witze. Eine witzige Antwort gab er einst einem Zimniermann, der ihn fragte, warum es üblich sei, das Bauholz viereckig zu behauen. „Das geschieht nur deshalb, damit Ihr Tagediebe etwas zu thun habt: wäre das Holz viereckig geivachsen, dann würdet Ihr cs rund machen." Als er beim Ratsherrn Joachim Spalt zu Mittag eingeladen war, neckte ihn der Herr von List wegen seiner Bartlosigkcit und sagte: „Ihr seil gewiß mit den Ohnebarts in Breslau verwandt!" „Gewiß," entgegnete Schönbrnnn, „fast so sehr wie Ihr mit dem Meister Hans List."' Das war der Name des Berliner Scharfrichters, mit dem ver¬ wandt zu sein damals für eine große Schmach galt. Dem Kurfürsten Georg Wilhelm, der ihn schon kannte, legte er einst eine Bittschrift vor, in der er sich darüber beklagte, daß ihn die schweren Kriegsleistungcn in drückende Geldverlegenheit gebracht hätten. „Wie," fragte der Kur¬ fürst, „Ihr beklagt Euch und habt weder Weib noch Kind, und besitzt ein schönes, von Euren Eltern ererbtes Vermögen? „Gnädigster Herr," war die schalkhafte Erwiderung, „der Bär hak mir alles weggekratzt." „Der Bär? Habt ihr denn alles im schwarzen Bären verpraßt und und vertrunken?" „Ach, gnädigster Herr, nein, aber diese Bären hier habe ich mir nicht vom Leibe halten können." Und damit zeigte er ein ganzes Paket Exekntionsbefehle vor, aus denen der Bär, das Wappenv. zeichen Berlins, zu sehen war.

— Truck »nd Bering:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Reuenburger Straße

Ua.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Sonnabend, 8.

Ur. 14

April 1899.

Das Hwatsjabt .

--

-

3

Lin Lustspiel-Roman in zwölf Kapiteln von Fedor von Zobeltitz. (Fortsetzung.)

sie es nur gethan," antwortete ers dann wären wir wenigstens quitt gewesen. Aber sie war wohl auch so ein klein wenig alkoholisiert — in allen Ehren gesagt. Und da schrie sie denn nur ganz leise auf, und da kamen uns auch schon Brada und Fräulein Palm in die Quere ... Mer ich habe die halbe Nacht

ätt'

(Nachdruck verboten.)



schichte, als ich anfangs glaubte. Ja, lieber Adolf, ich kann Dir sogar nicht verschweigen, daß ich so etwas nicht von Dir erwartet hätte! Wenn Dikte sich nun bli ihrer Mama beklagt? Wenn Papa Rechenschaft von Dir fordert? Oder ich als Bruder des unglücklichen Mädchens?"

Haarhaus wischte

sich

mit

den-Kopf Und wie ich mich

Stirn. „Hör' mir bloß auf, Max! Hör' mir bloß auf!" rief er.

Deiner Schwester gegenüber ver¬ halten soll, weiß ich gar nicht."

„Jeder Mensch kann sich einmal vergaloppierey. Ich habe eine

wach

ist

gelegen.

mir

Die

Geschichte

doch sehr durch

gegangen.

„Ja,

lieber Freund, dasmache gefälligst alleine mit Dir und mit ihr ab. Gott sei Dank ist sie noch ein halbes Kind — es wird ihr also wohl nicht all¬ zusehr zu Herzen gegangen sein. Ich freue inich wenigstens, daß

Du Dir Deiner Niedrigkeit be¬ wußt bist, Du mauvais sujet, und daß Du Dich zu schämen scheinst."

„Äußerlich nicht, aber inner¬ lich sehr.

Ich habe mich sogar

mit

dem Gedanken vertraut

schon

gemacht, Benedikte zu heiraten, wenn sie den Kuß vielleicht ernst¬ haft aufgefaßt haben sollte."

„Und was denn sonst noch alles! Du bist überhaupt nicht

dem Taschentuch über die

Dummheit gemacht —

schön



wieder gut zu machen suchen. Schaff' mir am Nachmittag oder am Wend Ge¬ legenheit, ein Viertelstündchen ich werde sie auch

mit Deiner Schwester allein sein zu können — das ist vorläufig alles, um was ich Dich bitte. Nicht viel im Vergleich zu dem, was ich für Dich gethan habe. Aber Du bist ein undankbarer Du selbst häufst Sünde auf Sünde, und wenn ich ein¬ mal in der Weinlaune einen kleinen Schwupper mache, dann Mensch.

bauschst

Du ihn zu einem Ver¬ Pfui über Dich!"

brechen auf.

Der Ton der Unterhaltung

wurde allmählich scherzhafter und unbefangener. In Wahr¬ für die Ehe geboren." heit regte das Geständnis „Das will ich nicht sagen. Haarhaus' Max nicht im min¬ Aber ich fürchte. Deine Schwester desten auf. In seinen Augen und ich — wir passen herzlich war Benedikte noch ein voll¬ wenig zusammen." kommenes Kind. Es war keine „Gar nicht, mein Sohn. Gefährlichkeit, ihr einen Kuß zu Geheimer Regierung-oral Prof. Julius Raschdorff, der Meister Außerdem. . . halloh, jetzt weiß rauben. Richt in der Ordnung des Domes ju Berlin. — selbstverständlich — aber ich, was Du zu thun hast! Du erzählst Brada die Geschichte' war's einmal geschehen, so war der fordert Dich, schießt Dich über den Haufen und läßt sich über es schon am besten, man wischte sich den Mund und schwieg. Daß Deiner Leiche mit Benedikte trauen!" ein einziger Kuß zuweilen auch verhängnisvoll werden könne — „Sei so gut! Zunächst bin ich auch ein ziemlich treffsicherer daran dachte Max nicht. Er kannte ja auch Haarhaus zur Genüge. Schütze." — Die Sache war nicht der Rede wert. „Im Ernst, Adolf. Ich weiß aus mancherlei kleinen In den Buchenwald schob sich nun ein breiter Keil Tannen¬ Aeußerungen, daß Brada Absichten auf die Dikte hat. Bitte sie forstung hinein. Max schien hier Weg und Steg zu kennen. Er bei Gelegenheit um Entschuldigung, schmähe Dich selbst, klage Dich blieb nicht auf der breiten Landstraße, die in ziemlich gerader an, schlag' Dich ans Kreuz und bringe die Sache wieder in Richtung das Dunkel des Tannenwaldes durchquerte, sondern Ordnung, ehe jemand anders etwas davon erfährt. Vor allem schlug schmale Fußpfade ein, die sich in zahllosen Windungen über Brada nicht . . Im Grunde genommen ist es eine fatalere Ge- das Moosgrün schlängelten. Von Zeit zu Zeit öffnete sich,die

...

210

Forst zu breiten Lichtungen, aus denen die Holzfäller arbeiteten oder die neu angeschont wurden. Geraume Weile führte der Weg an

Drahtgitter eines Wildparks entlang) ein Baumgarten schloß an, in dem junge Eichenheister ihr erstes Grün entfalteten. Dann kam lichtflimmernder Birkenbestand und dann wieder Buchen¬ wald mit seinem metallisch leuchtenden, lauen Düster. Endlich machte Max vor einer sich plötzlich inmitten der Forst weit öffnenden Schlucht Halt) sie war mit Felstrümmern gefüllt, und an dem trcppenartigen Aufbau auf der einen Seite sah man, daß sie als Steinbruch benutzt wurde. dem sich

„So," sagte Max und ließ sich erschöpft nieder) „nun fünf Minuten Pause. In einer Viertelstunde sind wir in Erlenbruch." „Gottlob," erwiderte Haarhaus) „Deine Spaziergänge sind von unangenehmer Weitläufigkeit. Außerdem verdurste ich beinahe, spüre auch Appetit. Hoffentlich giebt es im Erlenbruch etwas zu essen und zu trinken." „Beruhige Dich, Schwächling. Man wird Dir ein Frühstück vorsetzen, lind Du willst Afrika erobern helfen!" „Da läuft man nicht so wahnsinnig. Man reitet oder läßt tragen. Allons — marschieren wir weiter! Eine Ruhepause sich ermüdet nur noch mehr, llebrigens scheint mir ein Gewitter in der Luft zu liegen. Ich glaube nicht, daß wir heute überhaupt noch nach Hause zurückkehren werden. Es kommt alles auf Deine . Kappe, mein Sohn. Ich lüge nicht mehr." .

Max antwortete gar nicht.

Er war

.

wieder emporge¬ sprungen und kletterte nun die Schlucht hinab. Das war ein beschwerlicher Weg zwischen den umhergestreuten Fels splittern. Haarhaus schimpfte und fluchte. Aber jenseits des Steinbruchs öffnete sich eine Schneise im Walde, die bequem zu passieren war — und in zehn Minuten sah man wirklich den Erlenbruch vor sich liegen: den blauen See mit seiner grünen Umfassung und das von Blumen umbuschte Jägerhäuschen. schon

Die „Friedensfahne" flatterte Max bereits entgegen. Zwei Damen standen am Zaun und ließen ihre Taschentücher wehen. Max versuchte zu jodeln, und ein schöner, Heller Jodler tönte zurück.

„Das

ist die Seesen, Adolf. Sie jodelt wie eine Sennerin. Singt auch, malt, reitet wie eine Amazone, jagt, macht Gedichte und ist eine vorzügliche Hausfrau. Diese Frau kann alles." . .

Die Dameu näberten sich den Herren. Max flog Elise ent¬ gegen und umarmte sie stürmisch, während Frau von Seesen Haarhaus die Hand reichte.

„Doktor Haarhaus — nicht war?" sagte sie. „Ich konnt' es mir denken. Ich hätte Sie zwischen hundert anderen als Doktor Haarhaus erkannt. Nicht an Ihrem tropischen Exterieur, das sich halten läßt, aber als Mitbeteiligter an den verschiedenen Verbrechen Max Tübingens. Sie machen durchaus den Eindruck eines Bundes¬ genossen."

Haarhaus antwortete in ähnlich scherzhafter Weise und küßte Seesen die Hand. Während mau dem Hause zuschritt, fand er Zeit, sie mit einem raschen Seitenblicke zu mustern. Eine famose Frau, sagte er sich. Sie trug ein taubengraues Reitkleid, das ihre schlanke und biegsame Figur zu vorteilhafter Geltung brachte. An dem fest geschloffenen Kragen blitzte eine einfache goldene Broche: zwei in einander verschlungene Ringe. Das Ge¬ sicht war mehr interessant als hübsch, aber vornehm in den Linien und auch pikant im Ausdruck: ein schmales, etwas längliches Oval mit sehr kräftigem Kinn und köstlich feiner Nase, über der sich die dunklen Braunen fast berührten. Dazu graue Augen mit grün¬ lichen Reflexen, ein lichtbrünetter Teint und ein paar Sommer¬ sprossen auf den Wangen; das Haar kastanienbraun und schlicht koifsürt. Die ganze Erscheinung elegant, geschmeidig und eine

Frau von

gewisse herzerquickliche Frische ausstrahlend.

In

demselben Zimmer, in dem sich Freese von seinem wilden

Guadalquirir ausgeruht hatte, stand schon ein Früh¬ ländliche Kollation — Wurst, Schinken, Eier, Wein und Bier. Ehe man sich niedersetzte, präsentierte die Spreewälderin noch den kleinen Eberhard. Max that väterlich, küßte ihn ab und wollte mit ihm schäkern) aber Eberhard war schlechter Laune,, fing an zu schreien und wurde daher schleunigst wieder hinausgebracht.

Ritt

stück:

ans dem

eine

Run begann man zu frühstücken. Mit einer gewissen Feier¬ lichkeit hatte Max Elise dem Doktor als seine Frau vorgestellt, und dieser hatte Elise ebenso feierlich gratuliert. Der Glückwunsch kam aus dem Herzen) Elise nahm Haarhaus sofort gefangen, wenn sie seiner Meinung nach — er sagte sich das nur in den Tiefen seiner Seele — auch keinen Vergleich mit Frau von Seesen aushielt. „War das ein Weib! Sie frühstückte nicht mit, sondern saß im Schaukelstuhl, wippte gleichmäßig auf uud ab und spielte dabei mit ihrer Reitgerte. Sie trug keinen Ring an den Händen, auch kein Arm¬ band. Aus Koketterie vielleicht, sagte sich Haarhaus, denn ihre Hände sind wunderschön: schlank und voll, edel und nervig. Und ähnlich der Fuß) nicht zu klein, aber schmal und fein — „vollendet aristokratisch" fügte Haarhaus in Gedanken hinzu. Lächerlich, wie diese

Frau ihn beschäftigte! . . Die Kuckucksuhr rief die zwölfte Stunde aus.

„Wenn die Herren sich von ihrem Marsche durch die Wälder, die Auen hinlänglich erholt und gekräftigt haben," sagte Frau von Seesen, „können wir vielleicht zur Tagesordnung über¬ geben. Alles, was zur Verschwörung gehört, ist beisammen. Nur Eberhard fehlt noch. Da er aber nur als Corpus delicti figuriert, können wir ihn draußen lassen." durch

„Zur Sache,"

sagte auch Max, seine Serviette auf den Tisch ein legend und sich neues Glas Wein einschänkend. „Darf ich Vortrag halten? — Die Entscheidung drängt. Afrika ist mir über den Kopf gewachsen. Haarhaus unterstützt mich auch nicht in dem

Maße, wie es nötig wäre." —

„Erlaube," warf dieser ein, „ich habe bereits vor mir selber Welt belogen!" „Still, Adolf! Das Lügen macht's nicht allem. Deine seelische Unterstützung fehlt mir. Du fassest humoristisch auf, was tragisch Abscheu, so fürchterlich habe ich alle

Also, ich wiederhole: es muß ein Ende gemacht werden, sonst reißt das ganze Gewebe früher als gut ist. Aber ich kann die Entdeckung nicht herbeiführen) ich kann es nicht auf ein biegen oder brechen ankommen lassen. Deshalb müssen Sie vorgehen, ist.

Frau Mariuka!" Elise hatte sich erhoben und gab Frau von Seesen einen Kuß. „Liebe Mariuka — erbarm' Dich unser," sagte sie. „Du hast uns bis hierher geholfen — nun vollende Dein Werk. Was kann ich für meinen Teil thun? — Gar nichts. Ich muß mich im Hinter¬ gründe halten, so zu sagen hinter den Coulissen — bis der Souffleur das Stichwort giebt. Wir hätten ja schon früher energisch vor¬ gehen können, Max und ich — aber es ist doch nun einmal nicht geschehen. Und nun sitzen wir erst recht fest."

Ihr,"

antwortete Frau von Seesen habt Euch selbst in den Hohl¬ weg verrannt) denn die ganze Komödie, die Ihr da angezettelt habt, war gar nicht vonnöten. Ich wenigstens hätte es an Euerer Stelle anders angefangen. Diplomatie ist gut, aber sie muß auch am Platze sein. Ueberlegen wir, wie wir den Knoten entwirren können!" „Ja, überlegen wir," wiederholte Max, aber er selbst dachte nicht gar an eine Ueberleguug. Er war glücklich, neben Elise sitzen Hand streicheln zu können. ihre und

„Ja, Kinder, das

gelassen.

fitzt

„Und das schlimme ist,

Ihr

„Ich denke so," fuhr Frau von Seesen fort; „das nächste ist, Ihren Großvater für uns zu gewinnen, lieber Tübingen. Ich werde mich

demgemäß hinter den Grafen Teupen stecken und ihn

Er liebt meinem Vertrauten zu machen suchen. Spaß, cs ihm vielleicht macht Verschwörungen; kleine Intriguen und wenn er in die Konspiration hineingezogen wird und selbst mit¬ wirken kann. Sie, bester Max, müssen sich indessen Ihres Papas versichern." — „Ach herrsch," sagte Max und leerte hastig sein Glas. sozusagen

zu

gar nichts in Ihrer gefälligst einmal Ihre eigenen Angelegenheit thuen? Lassen Sie allgemeinen dem Bequemlichkeit schießen und beteiligen Sie sich an „Ja, verehrter Freund, wollen Sie

denn

Sturm gegen den Feind!" Max faltete die Hände. „Seien Sie gut, Frau Mariuka! Denken Sie daran, wie sehr ich mich dagegen gewehrt habe, Sie zu heiraten

211

„Du warst

gebunden/ warf Haarhaus ein, „sonst würde mir diese Abwehr vollständig unbegreiflich sein." Frau von Seesen lächelte. „Das war ein Kompliment, Doktor Haarhaus, nicht wahr? — Merci! Indessen, schweifen wir nicht von der Sache ab. So, wie nun einmal die Verhältnisse liegen, scheint es mir geboten, Papa Tübingen und Großpapa Teupen zunächst einzeln vor¬

In

schon

zunehmen und einzuweihen. Man muß sie gewissermaßen aufein¬ ander hetzen. Versteht mich recht! Man muß jeden von ihnen die Ueberzeugung beizubringen suchen, daß dem kalt accompli gegen¬ über ein vernünftiges und verzeihendes Sichfügen das einzig richtige ist, und man muß jedem vor dem übereifrigen Zorn des anderen warnen. Es muß dahin gebracht werden, daß jeder der beiden maßgebenden Herren sich um des häuslichen Friedens willen bemüht, bei dem anderen ein Vergeben und Vergessen der Sünden

Maxens zu erwirken." „Geradezu genial," sagte Haarhaus.

„Fehlt aber noch die Mama," warf Mar dazwischen. „Die muß Doktor Haarhaus übernehmen." „Gnädigste Frau, wenn ich nur politisch genug zu Werke gehe!" entgegnete dieser. „Ganz abgesehen von der Blamage. Bedenken Sie, daß ich mich selber Lügen strafen muß!" „Darüber wird sich die Baronin am meisten freuen, verehrter Herr Doktor. Ein Sünder, der Buße thut, hat immer die

Sympathien der Frauenwelt für sich." „Und ich bleibe abermals im Hintergründe," sagte Elise in klagendem Tone. „Liebe, gute Elise, das

hilft

nun einmal nichts! Vielleicht führt man Dich schon am Tage nach der Gesellschaft in HohenKraatz im Triumph in Deine neue Heimat!" Elise schwieg. Sie drängte tapfer das Empfinden zurück, daß in diesem ganzen Spiel etwas Entwürdigendes für sie lag. Und auch Max mochte das fühlen' er zog sie an sich, legte seinen Arm über ihre Schulter und raunte ihr in das Ohr: „Es ist die letzte Prüfung, mein Lieb — die letzte!" Frau von Seesen erhob sich. Sie war viel zu fein organisiert, um Elise nicht zu verstehen, auch ohne daß diese sich ausgesprochen hätte. — „Das alles ist wenig nach Deinem Geschmack, Elise," sagte sie. „Ich begreife Dich vollkommen. Heimliche Liebe hat etwas Süßes — eine heimliche Ehe kann leicht etwas Beschämendes haben. Aber vergiß nicht, daß wir mit Verhältnisien zu rechnen haben, die stärker sind als das Gefühl des guten Rechts. Hättet Ihr nach Eurer Flucht nach Italien — ich kann ruhig von Flucht sprechen — alle Brücken hinter Euch abgebrochen und den Stürmen im Vaterhause mutig getrotzt, dann hätten wir uns die Kniffe und Schliche, die sich jetzt als erforderlich erweisen, ersparen können. Im übrigen, Elise, sieh' nicht schwärzer als nötig ist! Wir thun nichts Unrechtes, wenn wir versuchen, einem scharfen und vielleicht schwer wieder zu heilenden Bruche vorzubeugen. Ich meine sogar, daß wir in Anbetracht der eigentümlichen Ver¬ schiebung der Sachlage lediglich unsere Pflicht thun, wenn wir in Hohen-Kraatz eine versöhnliche Stimmung vorbereiten. Pflicht nicht nur in Eurem Interesse, sondern vor allen Dingen in dem Eures Sohnes." Zwei Händepaare streckten sich Frau Marinka entgegen. „Sie haben recht, Frau von Seesen," ries Max, und mit thränenersticktcr Stimme fügte Elise hinzu: „Ja, ja, Marinka — doch

Du hast recht! Ich will auch nicht klagen — o Gott, ich klage ja nicht! Ich will ausharren, bis sich alles zum Guten gewendet hat, und bis wir uns ehrlich vor aller Welt als Mann und Weib bekennen dürfen! Ich sehe ein, daß wir die Hinterthüren brauchen, um zum Ziele zu kommen — ja, auch das sehe ich ein! Ich bitte nur noch um eins: kein Zögern mehr, sondern rasches Handeln!" Haarhaus war an das Fenster getreten und hatte dem auf¬ steigenden Gewitter entgegengesehen. Nun wendete er sich um. „Zweifellos, gnädige Frau," sagte er, „jedes weitere Zögern kann nur die Gefahr erhöhen. Frau von Seesen, Sie sehe» mich zum Siegen oder Sterben bereit. Geben Sie mir Ihre Befehle, und ordnen Sic den Schlachtplan an. Sei's als Stratege, sci's als Kanonenfutter — ich füge mich."

der Ferne begann es zu donnern.

„Du hast richtig prophezeit, Adolf," meinte Max) „es giebt ein Gewitter. Hoffentlich zieht es rasch vorüber." „Sonst übernachten wir hier — im Pserdestall wird ja noch Platz sein — und erzählen daheim irgend eine Räubergeschichte.

Im

Erfinden sind wir ja groß, und aus eine Handvoll Noten mehr oder weniger kommt's auch nicht an . . ."

Das Wetter

stieg rasch herauf.

Elise hatte

sich

erhoben, sah

nach Eberhard und schloß dann die Fenster im Hanse. Während¬ dessen winkte Frau von Seesen Haarhaus zu sich heran, um ihm

Am Gesellschaftsabend in Hohengeführt werden. Es war nur daraus Hauptschlag Kraatz sollte der Bedacht zu nehmen, daß die drei Verschworenen sich zu ungefährgleicher Zeit des Barons, der Baronin und des Grasen Teupen einzeln bemächtigten, um jedem in besonderer Art und Weise das „Geheimnis des Erlenbruchs" beizubringen. Als Zeit wurde die Stunde nach dem Souper gewählt) man erhoffte da eine entgegen¬ kommendere Stimmung. Frau von Seesen als Leiterin der Ver¬ schwörung wollte im geeigneten Moment geheime Winke austeilen und bat Max wie Haarhaus, sie nach Möglichkeit wenig aus dem Auge zu verlieren. die letzten Instruktionen zu geben.

„Das hätte

ich sowieso

nicht gethan,

gnädigste

Frau,"

be¬

merkte Haarhaus.

„Sieh da — abermals etwas Schmeichelhaftes, verehrter Herr Doktor! So schöne Phrasen hält' ich aus dem Munde eines mo¬ dernen Konquistadoren gar nicht vermutet." 'mal Konquistador. Ach nein — kaum Eroberer, „Erstens

Wüstendnrchquerer und Bergerkletterer! Ilnd zweitens: Phrasen. Ist denn alles, was dem anderen schmeichelhaft klingt, Phrase? Kann es nicht auch Wahrheit sein?" höchstens schöne

„Eine Schmeichelei ist immer etwas Liebenswürdiges, HerrDoktor, oder soll es wenigstens sein. Aber die Wahrheit ist nie liebenswürdig." „Deshalb kann eine Liebenswürdigkeit doch wahr sein, gnädige

Frau." gut.

„Streiten wir nicht darüber. Sie gefallen mir auch so ganz Ich meine, auch ohne daß Sie sich besondere Mühe geben,

liebenswürdig zu erscheinen."

„Darf ich Ihnen daraufhin die Hand küssen?" „Ja. Aber setzen Sie sich bitte wieder hin. llnd nun

erzählen

Sie mir einmal: war Ihnen die Mission, die Max Ihnen aus¬ trug — er ist ja nicht hier — nicht eigentlich recht fatal?" „Rein, gnädige Frau. Im Gegenteil: die Sache hat mir viel Freude gemacht. Um so mehr, als ich Max ein so energisches Handeln im Grunde genommen gar nicht zugetraut hätte. Habe immer geglaubt, Vorurteile und sogenanntes Ueberliefernngsempfinden wären stärker in ihm als das warme Herz. Und es war mir lieb, daß ich mich getäuscht hatte. Deshalb ging ich auch mit Vergnügen auf alle seine Vorschläge ein." „Sie sind verlobt, Herr Doktor?" „Um alle Welt nicht, Gnädigste! Wie kommen Sie darauf?" „Ich glaubte-weil Sie einen Armreis tragen." Haarhaus lächelte. „Auch gestern abend wurde ich nach dem Charakter dieses Armbands gefragt, gnädige Frau. Und da ein kleines Mädchen jene Frage stellte und ich aus längere Auseinandersetzungen mich einzulassen keine Lust und Laune hatte, so erzählte ich der jungen Dame, ich trüge den Armreis als Andenken an meine Großmutter. Ich habe aber meine Großmutter nie gekannt, und nie bin ich einer ihrer Armreifen durch Erbschaft teilhaftig geworden. Es war nur eine Gelegenheitsschnurre. Ihnen, gnädigste Frau, sage ich dagegen gern die Wahrheit, sehr gern." —

Ich will aber „Ich begehe

keine

Indiskretionen, lieber Doktor." —

auch keine. Schauen Sic sich den Reisen an! Es ist ein silberner, aber ganz schlicht gearbeitet, ohne Schloß und Mechanik, und locker um das Gelenk zu spannen. Die Snayeliweibcr trage» derlei zuweilen um Arme und Fußknöchel. Dies hier war ursprünglich ein Fußring, aber die Enkel, die er umschloß, waren so zart und sein und zerbrechlich, daß ich ihn bequem als

212

Armband adoptieren sonnte. Ich trage es als Erinnerung an eine mir unvergeßliche Episode in Afrika — unvergeßlich wohl haupt¬ sächlich deshalb, weil ein eigener Zauber poetischer Romantik sie durchwehte."

.

.

schein

kein Lächeln, sondern glich mehr dem Reflex eines plötzlich auf¬ tauchenden lustigen Gedankens; aber er mußte rasch wieder ver¬ schwunden sein; denn das Gesicht der Frau von Seesen wurde gleich darauf ernster.

.

Draußen erwachte nun auch der Sturm, und mit ihm hatte das Gewitter zu voller Heftigkeit entwickelt. Es rollte und grollte fast unaufhörlich, und zuweilen bewies ein krachender Donnerschlag, daß der Blitz irgendwo in der Nähe eingeschlagen hatte. Der ganze Himmel stand in Flammen: es zuckte und sprühte in falben Lichtern durch das gelbgrüne Gewölk, das sich in schweren Massen vom Horizont aufwärts schob. Gewaltig tobte im Walde der Aufruhr der Natur. Vom Fenster aus sah man, wie sich die Bäume neigten und bogen, wie zersplittertes Astwerk und ab¬ gerissenes Laub die Luft durchquirlte. Selbst der kleine See gebärdete sich unwirsch, warf Schaumguirlanden auf und ließ seine erregten Wogen weit über den grünen Ufergrund rollen; seine lichtblaue Farbe war einem dunklen grau gewichen. sich

,

Elise beschäftigte sich noch immer mit ihrem Kinde, das infolge Gewitters unruhig geworden war. Max war in den Stall gegangen, wo das Reitpferd der Frau von Seesen lau! wieherte und mit der Kette klirrte. Im Zimmer aber hatte Marinka ihren Stuhl dicht ans Fenster gerückt; sie liebte die Gewitter und konnte mit hellem Auge, ohne zu zucken, in die Blitze schauen. des

„Der Sturm draußen hilft mir

die Erinnerungen anknüpfen," Haarhans weiter. „Wir verfolgten von Madschame aus Weg, den Baron Decken schon anfangs der sechziger Jahre

sprach den

zur Ersteigung des Kilimandscharo eingeschlagen, hatten aber das Hochplateau noch nicht zur Hälfte erreicht, als uns ein Tropengcwitter von ungeheurer Wucht überraschte. Ich mußte dabei nicht die nötige Vorsicht bewahrt haben; denn am folgenden Morgen ergrisi mich das Fieber. Das war mir um so unangenehmer, als mir von der Rordseite aus die Expedition eines amerikanischen Touristen entgegenrückte, mit dem ich mich treffen wollte. Ich mußte meine Leute vorausschicken und gab ihnen den Befehl/ mich abzuholen, wenn die Verbindung mit dem Amerikaner hergestellt worden. Bei mir blieben nur mein Diener, ein verlumpter Kerl aus Sansibar, und ein baumlanger Dschagganeger mit seiner Tochter, die sich Assa nannte. Die Frauen der Dschaggastämme sind im allgemeinen nicht hübsch, aber Assa war es; sie hatte ein schönes, stolzes Prosil, wie ich es zuweilen bei den Gallawcibern gefunden habe, und wie aus Erz gemeißelte Formen. Die Damen¬ toiletten da unten, gnädigste Frau, sind, wie Sie sich denken können, noch etwas primitiver Natur; man geniert sich auch weniger als bei uns Ich hatte Unglück. Schon am ersten Tage meines Krankseins — wir hatten es uns in einer Felsenhöhle leidlich bequem eingerichtet — verschwand mein Diener, auf Nimmerwieder¬ sehen, und am zweiten Tage legte sich der Vater Assas gleich mir hin und starb nach wenigen Stunden — wie ich vermute, infolge einer Vergiftung durch Grubenwasser, von dem er leichtsinniger¬ weise getrunken hatte. Ich blieb nunmehr allein mit Assa. Meine Lage war wenig beneidenswert. Mein schurkischer Diener hatte bei seiner Flucht geraubt, was er rauben konnte, hatte auch den größten Teil meiner Konserven mitgehen lassen; ich selbst aber war so schwach, daß ich mich kaum auf den Füßen zu halten vermochte. Ich war also lediglich aus die Hilfe Assas angewiesen — und sehen Sie, gnädige Frau, eigentlich hat mich erst dies Mädchen, hat mich erst diese kleine Wilde das Weib achten gelehrt . . . Nun ja, ich gebe zu, das klingt merkwürdig genug. Aber eine unkritische Ueberschäyung meiner selbst hat nie zu meinen Fehlern gehört. Ich glaube, ich bi» eine ziemlich kraftvolle Natur; doch zu zügeln hab' ich mich nie recht verstanden; der schäumende Ueberschuß meines Kraftbewußtseins wurde zur Brutalität. Ach ja — schütteln Sie nicht den Kopf, teure gnädige Frau — ich war ein ziemlich wüster Gesell, als ich nach Afrika auszog — und wahrhaftig, wenn ich heute sehr, sehr viel zahmer geworden bin, so danke ich das zum größten Teil dem Einfluß holder Weiblichkeit, den ein — Niggermädel auf mich ausgeübt hat!" . .

...

Frau von Seesen starrte noch immer, die Arme auf das Fensterbrett gestützt, in das Zucken der Blitze hinein, deren Wieder¬

und zu auch über ihr Antlitz rosig leuchtende Tupfen Ein eigentümlicher Zug spielte um ihren Mund; es war

ab

streute.

„Sie hatten,"

sagte sie, etwas langsamer sprechend als vor¬

wohl — sehr lieb?" Ein helles Rot flackerte über die Wangen des Doktors.

dem, „das kleine Geschöpf

!

„Ja, gnädige Frau," antwortete er. „Und auch das hatte etwas Merkwürdiges. Assa war meine erste Liebe. Ich hatte sie auf dem Marsche gar nicht beachtet. Ich lernte sie erst während meiner Krankheit kennen. Sie war mir alles: Freundin, Geliebte und Pflegerin. Ohne sie wäre ich umgekommen — verhungert oder vor Erschöpfung gestorben. Sie war unermüdlich thätig um mich; fing oder schoß wilde Hühner und briet sie, lief meilenweit, um mir ein paar Bananen zu beschaffen, die sie in Wasser kochte oder über glühenden Kohlen röstete . . aber mehr noch als all ihr Bemühen, mich am Leben zu erhalten, wirkte ihr Wesen auf mein Gemüt ein. Ich möchte sagen, sie war der Typus des Weiblichen im elementarsten Sinne. Nichts Gekünsteltes an ihr — frei von jeder Kultur — das spröde, angekündigte und un¬ erzogene Gottesgeschöpf — und doch ganz Weib! So Weib in jeder Regung ihres Empfindens, wie ich es Ihnen, gnädige Frau, gar nicht beschreiben kann. Rohstoff der Natur, aber von wunder¬ bar feiner Art. Ich habe gefühlt, wie mir das Herz aufging, wie meine Seele sich läuterte, wie ich weicher wurde, wie sich der Mensch in mir wandelte. Wahrhaftig — wie ich besser wurde! Damit verbindet sich keine Sentimentalität. Es ist alles Thatsache — unbestreitbares Faktum, um mich wie ein gebildeter Preßmensch auszudrücken. Und deshalb trage ich diesen silbernen Arm¬ .

reif!" . . Max trat ein, und Frau von .

Seesen

erhob sich

Ein

ge¬

waltiger Regenguß löste die Wucht des Gewitters auf „WaS ist aus der Kleinen geworden?" fragte Marinka

Haarhaus

strich

über

seine

Stirn,

als

noch

wolle er etwas

Schmerzendes verscheuchen.

„Tie ertrank infolge einer Unvorsichtigkeit in einem GebirgsWir konnten nicht einmal mehr ibren Leichnam finden."

wasser.

Max wies aus dem Fenster. „Seht, seht, seht! Wenn das ein paar Stunden so fort geht können wir wahrhaftig hier übernachten. In Hohen-Kraatz pflegt man sich um diese Zeit zu Tisch zu setzen. Wir müssen wieder fabulieren, Haarhaus!" . . Das Wetter hatte allerdings nicht den Anschein, als wolle es binnen kurzer Frist aufbessern. Es rauschte vom .Himmel herab, der sich dunkelgrau umsponnen hatte, plätscherte über Weg und Steg und brauste in vollen Güssen aus den Dachtraufen an den Hausecken. Der Sturm hatte sich gelegt; eS war. als presse und drücke der Jupiter Pluvius mit feuchtem Arm den gebändigten Boreas voll unwiderstehlicher Gewalt zu Boden. Die gellen Auf¬ schreie der empörten Natur waren verstummt; man hörte nichts als das rythmische Geräusch des fallenden Regens

sich

Es blieb den Herren nur übrig, ruhig abzuwarten. Und war es recht. In Hohen-Kraatz mußte man doch wieder mit einer Notlüge vor das Publikum treten, wie Haarhaus sich ausdrückte; da war es schon gleichgiltig, ob man noch ein Stündchen länger im Erlenbruch verblieb. Die Parteien hatten sich getrennt. Haarhaus und Frau von Seesen unterhielten sich im ersten Zimmer, und Max spann mit seiner Gattin im Rebengemache rosige Zukunftsträume. Es war wie ein schweigendes Uebereinkommen. Man wollte sich gegenseitig nicht stören. beiden

Aber aus dem „Stündchen" wurden zwei Stunden und drei. Es regnete weiter, nicht mehr in so mächtig rauschenden Fluten wie vordem, sondern ein wenig linder, dafür aber gleichmäßiger. Ein fröhlicher Landregen, den die Wiesen brauchten, konnte sich entwickeln.

(Fortsetzung folgt.)

213

Zur

Geschichte des neuen Domes zu

Berlin.

Don

x. wall«. -^Zweihundert Jahre sind gerade vergangen, seitdem Schlüters Eintritt beim Schloßbau zu Berlin den Nachfolger des Großen Kurfürsten ermunterte, auch den Plan eines vornehmeren, würdigen Domes für seine in der Verschönerung begriffene Residenz ins Auge zu fassen. Die Lange Brücke zwischen den beiden Städten Berlin und Kölln war neu ans -Quadern errichtet, einen fürstlichen

Herrscher wohl schon vorgelegen haben muß. Er erinnert an die großen italienischen Kuppelbauten, die ja auch für die Parochialkirche in der Klosterstraße das Vorbild abgegeben haben. Damals nahmen Schloßbau und Zeughaus, wie wir wissen, zunächst alle künstlerischen Kräfte in Anspruch, und auch die Finanzen des jungen Königreiches, das noch nicht einmal so viel Einwohner zählte, wie heute die Stadt Berlin allein, waren einem so bedeutsamen neuen Unter¬ nehmen nicht günstig. So ruhte vorläufig der Plan' doch berichtet (178i) Herr von Wangenheim in einem wichtigen Brief an Erman (?), daß Friedrich I. während seines letzten Krankenlagers seinem Eidam, dem berühmten Baumeister Jean de Bodt eine große Summe Geldes (40 000 Dukaten) für den Dombau persönlich überwiesen habe. Friedrich Wilhelm I., der oft zu unrecht als ein Barbar und Kunstfeind dargestellt wird, gab nach Besteigung des Thrones ganz bedeutende Mittel zur Vollendung des Schlosses, für den Fortbau des Zeughauses, für die Garnisonkirche in Potsdam und andere Werke her, begnügte sich aber in seiner schlichten Frömmigkeit mit dem alten, etwas abständigen Dom

Der alte Dom. (Dom Zeughaus geseh en.)

Hetzgarten nach Art der römischen Theater hatte mau 1693 mit schon großen Tierkämpfeu eingeweiht; zwei Jahre nach¬ her wurden das Zeughaus und die Parochial-

kirche in Angriff genommen, gleich darauf die Aka¬ demie gestiftet. Wie nahe lag es da dem kunst¬ sinnigen Herrscher, die unschöne Kirche an der Westseite des Schloßplatzes zu beseitigen und durch

seinen

Westseite des Doms Friedrichs des Grosten

mit der neuen Anlage des Lustgartens.

ge¬

nialen Hofarchitekten ein glänzenderes Werk im Sinne des neuen Schlosses aufführen zu lassen. Mitte März hat nian jetzt das Richtefest des neuen Domes am Lustgarten, wenn auch in einfachster Weise, begangen, und der Meister des Gotteshauses konnte darauf hinweisen, daß der Knaus der Kuppel nicht nur der höchste in Berlin sei, sondern daß er auch den bedeutendsten Neubau einer Kirche evan¬ gelischen Bekenntnisses kröne. — Und das ist die Wahrheit! Die ersten Pläne für einen evangelischen Dom in Berlin fallen in das Jahr 1698 oder 1699, denn schon bald nachher ist die Idee in Berlin, am Hofe selbst sowohl, wie bei der Bevölkerung, so ein¬ gebürgert, daß bei der Rückkehr Friedrichs I. von der Krönung zu Königsberg au einer der vornehmsten Ehrenpforten der neue Dom zu Berlin abgebildet war

Zwei Gedichte des Fürsten Hohenlohe. b)er

Reichslanzler Fürst Chlodwig Hohenlohe ist kein Fremdling auf In seinen Mußestunden schrieb er manch hübsches Gelegenheitsgedicht, so das Sonett an August Daniel von Binzer, den alten Burschenschafter und Autor des Burschenliedes: „Wir hatten ge¬ baut ein stattliches Haus". Das Sonett ist 1866 entstanden und paßt heute auf den Verfasser selber. Ans dem zweiten Gedicht spricht eine gewisse Sclbstironic, die nicht ohne Interesse ist.

Es

dem Parnaß.

A n A.

von B i n z e r.

Den frohen Sin» der Jugend zu erhalten Wenn auch das Alter schon die Locken bleicht. Das ist's, was Jeder wünscht, doch schwer erreicht. Weil nur'dem Glücklichen cs vorbehalten. Ob wir nun fröhlich mit den Stunden schalten. Ob ihr phlegmatisch durch die Tage schleicht. Und ob's im Busen stürmet oder schweigt. Es muß das Herz doch nach und nach erkalten. Doch seh' ich Dich, so schwindet all' mein Zagen; Denn ungebeugt im Kampfe mit der Welt Hast Tn das Alter aus dem Feld geschlagen.

Wer sich den Mut in diesem Kampf erhält, Ter bleibt, mag auch das Herz ihm leiser schlagen.

Von ew'ger Jugend Sonnenschein erhellt.

Der alte Dichter im Frühling. Wieder scheint die Frühlingssvnnc die Straßen hell hinein. Mich durchdringct Frühlingswonne Bei dem lang entbehrten Schein.

In

Wie die Bäume bei der neuen

Frühlingswärmc Saft durchdringt. Wie sic sprossen, sich erneuen Also fühl ich mich verjüngt.

Wenn ich drum nach Tichtcrweise

„Wonne", „Sonne" heul gereimt. So vergleich' es neuem Reise, Das aus altem Baume keimt.

Berliner in Amerika. einem der ersten deutsch-amerikanischen Blätter wurde vor einiger Deutschen in Chicago eingehend geschildert und dabei besonders der Männer gedacht, die vor mehreren Jahrzehnten von Deutschland hinübcrgekonimcn waren und inzwischen zu Rang und Würden in der „Neuen Welt" emporgestiegen sind. Aus der großen Zahl derselben greifen wir heute zwei heraus, „echte Berliner Kinder", die ihre Jugend und Ausbildung hier genossen und einen großen Kreis

710 Meilen langen Eiscnbahnstrcckc. Nachdem Otto H. Matz eine sehr erfolgreiche Privatpraxis ausgeübt hatte, trat er bei Ausbruch des Krieges im Jahre 1861 als Oberleutnant in das Genie-Korps des Ge¬ nerals Frcmont ein, kam später in das Hauptquartier des Generals Halleck und nach der Einnahme von Korinth in Mssijsippi in das Hauptquartier des Generals Ulysses Grant. 1868 wurde er zum Major befördert und als solcher wohnte er im Stabe Grants der Ucbcrgabe von Vicksburg durch Pembarton bei. Voni Jahre 1864 an widmete er sich aufs Neue seiner Privatpraxis, verwaltete nebenbei das Amt eines Architekten des städtischen Schulrates und erbaute in dieser Zeit die deutsch-lutherische Kirche, die Kirche auf der Westseite, die reformierte Kirche, die Kirche an der Garsicld-Aveuue und die St. Pauls-Kirche, ferner das Alcxianer-Hospital und das Frauen- und Kinder-Hospital. Im Jahre 1873 wurde ihm bei einer Konkurrenz um den Bau des neuen Rathauses der erste Preis unter 54 eingegangenen Entwürfen in Höhe von 5000 Dollars zuerkannt. Jni Jahre 1892 wurde er aus den schwierigen und verantwortungsvollen Posten eines County-Architekten berufen. In dieser Stellung schuf er das neue Kriminalgcrichtsgcbäudc von Chicago, das Hospital für ansteckende Krankheiten und andere öffentliche Bauten. Auch als eifriger Förderer der Musik genießt Otto H. Matz in Chicago einen bedeutenden Ruf, und namentlich seine hervorragende Mitwirkung bei Gründung der Philharmonischen Gesellschaft hat ihm einen Namen gemacht in der ganzen musikalischen Welt des amerikanischen Kontinentes. — Als ein Pionier der Deutschen Architekten in Chicago kann auch Herr Friedrich Bamnann gelten, der als vierzehnjähriger Knabe im Jahre 1840 die Berliner Gewerbeschule besuchte, wo er die erste prak¬ tische Anleitung im Bauwesen erhielt. Daun trat er als Stipendiat in das Gewerbe-Institut und vervollständigte seine Fachkenntnisse während eines zweijährigen Kursus auf der Berliner Akademie der Künste. Im Frühjahr 1856 wanderte Banmann, mit reichen Fachkenntnissen ausge¬ stattet, nach Amerika aus und wählte ebenfalls Chicago als die Stätte seiner Thätigkeit. Der erste Mayor von Chicago, M. W. Ogden, der die Fähigkeiten und Talente bes jungen deutschen Architekten alsbald erkannt hatte, beauftragte Baumaun, einen Bericht über die erste zu erbauende Drehbrücke in Lakestreet zu erstatten, welchen Auftrag der junge Architekt mit größter Gewissenhaftigkeit ausführte. Ter Bericht fand solchen Anklang, daß das System der Drehbrücken allseitig gut¬ geheißen wurde, sodaß dessen vielfache Anwendung hauptsächlich Herrn Baumann zu verdanken ist. Von demselben rühren auch die ersten Entwürfe zu den sogenannten Officegebäudcn, in denen zum erstenmal das System der Fahrstühle zur praktischen Anwendung kam, her. Tic bedeutendsten dieser von Baumann geschaffenen Ricsen-Geschäftshäuser in Chicago sind der Metropolitan-Block und der BryanBlock. Auch dieser Deutsche wurde in das ehrenvolle Amt eines CountyArchitekten berufen, und während seiner dreijährigen Thätigkeit in diesem Amte fertigte er besonders die Pläne für das Cottage-System der County-Irrenanstalten in Tunning an, und schuf nebenbei eine große Anzahl hervorragender öffentlicher und privater Gebäude. Herr Baumann, der in diesem Jahre seinen dreiiindsiebzigsten Geburtstag be¬ geht, steht noch in voller geistiger und körperlicher Frische und hofft noch Gelegenheit zu weiteren großartigen, baulichen Anlagen zu finden. — Diese beiden Männer und mit ihnen noch viele Andere ans dem Gebiet der Kunst und Wissenschaft, der Industrie und des Handels, haben dcni deutschen Namen auch jenseits des Ozeans Ehre gemacht, sie haben in ihren bürgerlichen Stellungen die höchste Stufe, in ihrer Berufsarbeit die größten Erfolge erzielt, und die Stadt Berlin kann es mit gerechtem Stolze erfüllen, daß die Männer, die einst vor vierzig und fünfzig Jahren in ihren Mauern ihre Ausbildung genossen, z» solchen einflußreichen Stellungen „drüben" emporgestiegen find.

P. Kz.

einem dringenden Bedürfnis geworden war. hat im Verein mit der Feier des 25)ührigen Amtsjubiläums des um Rirdorf hochverdienten Gemeinde-Vorstehers Hermann Boddin dem Verfasser den äußeren Anlaß gegeben, eine Geschichte dieser jüngsten, märkischen Stadt zu veröffentlichen. Das Brodesche Buch ist jedoch weit mehr als eine Festschrift im üblichen Sinne; es stützt sich auf eingehende Forschungen und gründliche archivalische Studien und giebt ein er¬ schöpfendes Bild der Entwicklungsgeschichte Rixdorfs von der ültesten Zeit bis zur Gegenwart. Die älteste Urkunde, welche Rixdorf erwähnt, datiert vom 26. Juni 1360. In derselben spricht der Johanniterorden die Umwandlung seines Hofes „Richardsdorp" in ein Dorf mit 25. Hufen aus. Es ist jedoch anzunehmen, daß Rixdorf schon lange vor 1360 entstanden ist, und daß der in diesem Jahre in ein Dorf umgewandelte „Hos Richardsdorf" schon früher einmal Dorf-Verfassung besessen hat. Der Name Rirdorf dürste auf einen Ordensmeister oder Komlhur des Johanniterordens Namens Richard zurückzuführen sein, doch läßt sich dies urkundlich nicht nachweisen. Im Jahre 1435 kauften die Städte Berlin und Köln Rirdorf nebst Tempelhof, Mariendorf und Marienfelde für 2400 Schock Böhmische Groschen (1 Schock gleich etwa 90 Mark) vom Johanniter-Orden. Das Kirchlehen hatte sich der letztere vor¬ behalten: erst 1546 ging das Recht der Pfarrbesetzung auf die Städte Berlin-Köln über. Die im Winkel des Richardsplatzes stehende Kirche dürfte um 1400 erbaut sein und ist jedenfalls das älteste Gebäude des Ortes. Ter dreißigjährige Krieg hemmte das Gedeihen Rixdorfs wie der meisten märkischen Ortschaften »nd verminderte die Einwohnerzahl von 150 (im Jahre 1624) auf 100 (im Jahre 1650). Von großer Be¬ deutung für die Entwicklung Rixdorfs war die Gründung einer böhmischen Kolonie im Jahre 1737, die sich der besonderen Fürsorge Friedrichs des Großen zu erfreuen hatte, so daß Böhmisch-Rixdorf 1750 etwa 300 Ein¬ wohner hatte, während Deutsch-Rixdorf im Jahre 1771 nur etwa 200 Einwohner zählte. Die eingeivanderten Böhmen waren um ihres pro¬ testantischen Glaubens willen aus ihrem Vaterlande vertrieben worden. Eine Vereinigung von Deutsch- und Böhmisch-Rixdorf fand erst iiu Jahre 1873 nach Einführung der neuen Kreisordnung statt. Rixdorf zählte 1875 15000, 1890 35700, 1895 59900, 1898 79922 Einwohner. In diesen Zahlen prägt sich das ungeheure Anwachsen Rixdorfs aus, welches als jüngste Stadt der preußischen Monarchie sofort in die Reihe der bevölkertsten Städte derselben getreten ist. Die Brodesche Geschichte Rixdorfs giebt von der eigenartigen Entwicklung dieses Berliner Vor¬ ortes ein überaus anschauliches Bild; sie ist mit gründlicher Sachkenntnis und in anziehender Form geschrieben und bildet inen schätzenswerten Beitrag zur brandenburgischen Spezial-Forsch cg. R. G.

— Druck und Verlag :

Friedrich Schirmer,. Berlin SV.,

Reuenburg.i

U;a.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Sonnabend, 22.

Nr. 16.

April 1899.

Was l^eiFatsjabr. (Ein

Lustspiel -Montan

(Fortsetzung.)

B

--

in zwölf Kapiteln von

s war wirklich ein Tagebuch und lag in dem einzigen verschließbaren Schubfach, über das Benedikte zu verfügen hatte. Dort ruhten noch andere Geheimnisse. Zum Beispiel verschiedene Briefe Trudes aus Montreux, die vor der Mutter ver¬ borgen werden sollten, ein kleiner Kalender, den ihr Graf Brada einmal als Vielliebchen geschenkt, und die bereits völlig verwelkte Rose, die Hvarhaus neulich für sie gepflückt hatte. Ferner ein merk¬ würdiges Unding aus Blei, das Benedikte am letzten Sylvesterabend gegossen und das nach Ansicht des Großpapas einen Blütenkranz vor¬ stellte' bei einiger Phantasie konnte man es, wenn man es gegen die Wand hielt und den Schatten be¬ trachtete, aber auch für eine Riesen¬ spinne oder eine junge Tarantel halten. Viel stand noch nicht in dem Tagebuch, das nur einen Groschen kostete. Auf der ersten Seite las man als Titelschrist mit lateinischen Lettern: „Erinnerungen aus meinem Leben/' Dann kam ein Klecks, der schlecht abgeleckt worden war und nunmehr der blaß gewordenen Dar¬ stellung eines Kometen glich. Auf der nächsten Seite aber fing das Tagebuch folgendermaßen an: . . . „Ich greife zur Feder, um hiermit das Wichtigste aus meinem Leben zu Papier zu bringen, damit meine Nachkommen

Hedor

von Aobeltitz. (SslditmicT vcrbo(cu )

heilig gelobt habe. Doch dem geduldige» Papiere will ich meine Gedanken anvertrauen. Trude schläft schon, wo ich dieses schreibt. Ich habe ihr gesagt, ich wollte noch den englischen Aufsatz beenden, und sie hat es geglaubt. Sie ist nicht so klug, wie sie immer thut) sie behauptet zwar, viel erlebt zu haben, aber was ist das alles und die Geheimnisse, hineingezogen worden bin!!! Das Atmen wird mir or¬ dentlich schwer, wenn ich zurück¬ denke. Zuerst neulich Abend auf der Insel hinten, wo Doktor HaarWas halte ich von dem Manne? Soll ich über¬ haupt etwas von ihm halten? — Semper hat mir einmal ins Ohr getuschelt, er hielte ihn für einen Schwätzer und Aufschneider, aber ich glaube doch, halb und hast hatte Trude recht, nämlich in dem, was sie zuerst über Haarhaus sagte. Nachher war er ja wieder gegen

in die

mich ich

haus-.

lieb' Kind, weil er ihr den Arm gereicht hatte. Trude versteht davon gar nichts. Hätte sie nur in den tief verworfenen Abgrund geschaut so wie ich! Aber ich habe ihn ab¬ fallen lassen und bis auf die Knochen wie Papa blamiert, manchmal sagt. Heintlich wird der

Mann über

sich selbst erröten, und das ist meine Rache; denn ich bin nicht herzlos, sondern strafe nur den, der eS verdient. Ueber die wahre Liebe zer¬ einmal wissen, was ich schon in breche ich utir nicht weiter den jungen Jahren alles habe durch¬ Kopf. Relly kann sich nicht so machen müssen. Bisher ist mir recht ausdrücken; ich glaube, es Heinrich von Stephans Grabdenkmal. nicht viel passiert, als wie vielleicht fühlt auch jeder anders. Relly (Rach einer photographischen Anfnahme von Ottomar Anschütz in Berlin.) das Ungemach an meinem Kon¬ fühlt auf englisch, und an Freese firmationstage, wo mir Bernd einen Tintenspritzer ans das weiße will ich mich nicht wenden. Ich könnte ja Max befragen, aber Kleid machte, und ich deshalb in der Kirche immer die Hand darauf der behandelt mich noch als Gänschen. Ich verzeihe es ihm. Es halten mußte, damit man ihn nicht sehe. Doch war dieser Klex braucht niemand tief hinab in meine Seele zu sehen und dort zu eine Allegorie (Symbol) für mein zukünftiges Dasein, denn von lesen, was geschrieben steht in goldenen Lettern, unauswischbar dem Tage ab häuften sich die Merkwürdigkeiten. Besonders gestern und wie ein Stern in dunkler Nacht. Ich leide lieber still. Max und vorgestern werden mit brennenden Buchstaben ewig in meinem leidet ja auch und ebenso die arme Elise. Es ruht ein furchtbarer Herzen geschrieben stehen." . . Hier folgten drei Reihen sehr starker Fluch auf uns, und wer weiß, ob er gehoben wird. Roch ein paar und fester Gedankenstriche, und dann ging es weiter: Tage soll es dauern, dann will Max sprechen. Ich weiß, daß es „Was soll ich zu allem sagen! Ich darf ja gar nichts sagen, entsetzlich werden wird, aber ich werde ihm treu zur Seite stehen, weil es mir verboten worden ist, und ich unverbrüchliches Schweigen als einzige Schwester, die ihm des Lebens Last tragen hilft in

Ewigkeit. Ich werde auch den Zorn der Eltern nicht scheuen; denn weiß ich auch nicht so recht Bescheid, so fühle ich doch ans mir selbst heraus, daß die Liebe das beste ist, was man in der Art hat. Außerdem giebt es für die beiden lein Rückwärts mehr wie im Cid von Herder (von 1740 ungefähr bis 1800), sondern sie sind über Leben und Tod für einander gebunden und haben auch

kleinesKind.

schon ein

weil

Letzteres habe ich aber noch nicht gesehen,

es gerade schlief, und ich nicht

hineindurfte.

.

.

Roch zittert mir die Feder in der müden Hand. Beinahe hätte Maina mich überrascht. Aber iviedcrnm rettete mich meine Geistesgegenwart. Ich glaube, ich irre mich nicht, ich werde jetzt sehr geistreich. Auch der Mut iibt seine Spannkraft in meiner jungen Brust. Die großen Ereignisse der letzten Tage stärken mich unbewußt. Als ich heute früh die kleine Milchkanne ans Versehen umwarf und über die Hosen von Dieter, schimpfte mich Dieter in der Roheit seiner Jahre Tolpatsch. Ich lächelte stumm und weh. Was thut mir das! Ich habe mich in edler Weise verändert. Früher wäre ich grob zu Dieter geworden oder hätte ihm vielleicht eine heruntergehauen' jetzt aber schwieg ich. Ich könnte noch viel mehr erdulden. Rur aufsprechen möchte ich mich manchmal sehr gern, Doch ich bin einsam und verlassen auf dieser Welt: denn mit Trude ist nicht zu reden, viel eher noch mit Temper, aber der ist mir nicht zur Hand. Er ist viel ritterlicher als Doktor Haarhans, wenn er auch kleiner isl und nicht in Afrika war. Wie sagte doch Goethe: ,Komm den Frauen zart entgegen/ aber es kann auch Heine sein. Ich werde einmal im König nachsehen, ob eS d'rin steht.

.

.

.

. . . Im König konnte ich es nicht finden: Trude sagte Goethe. Es ist egal, aber der Endvers, den Trude mir vordeklamiert hat, macht mich wieder irrig. Kühn und verwegen kann am Ende jeder sein. Bon Goethe ist auch nicht alles wahr. Mama ist jetzt immer so hinter inir her, und Papa sagte heute mittag, als von dem afrikanischen Tagebuch des Doktor Haarhaus gesprochen wurde: 'was

Ja, ja,

ein Tagebuch ist schon Schönes, und dabei guckte Ich zitterte und wurde rot und sagte rasch mit meiner Geistesgegenwart: Es ist heute so heiß. Aber Angst habe ich doch. so

er mich an.

Ob die Eltern etwas gemerkt haben? — Ich will lieber drei Tage nicht schreiben: erst nach der Gesellschaft wieder." . . . Es war ein wunderschöner Sommersonntag, an dem Reinbold seine Probepredigt halten sollte. Der junge Mann hatte schlecht geschlafen; die ungeheuer vollgestopften Federbetten beim Pastor Strimonius verwandelten sein Nachtlager in einen Backofen, und die innere Unruhe kam dazu. Er war schon in aller Frühe auf den Beinen und schlüpfte hinaus in den Garten, während der greise Pfarrer und die sich auch schon dem biblischen Alter nähernde Haushälterin noch friedlich schlummerten. Was war das für ein herrlicher Morgen! — Ueber dem Dorfe lag heilige Festtagsruhe: selbst in den Ställen schien es friedvoller als sonst. Nur die Hähne krähten, und das Schnattern und Glucksen des Federviehs lieferten die Begleitmusik zu diesen Fanfaren. Da¬ zwischen erscholl zur Vervollständigung der Morgenonvertüre der volle Chorgesang der Vögel in den Bäumen. Reinbold hatte das Haus durch den rückwärtigen Ausgang verlassen. Hier lagen der Obst- und Gemüsegarten des Pastorats und daran schloß sich, bis an das Ufer der Wilde hinabreichend, ein langgestrecktes Stück Wiesenland. Alles war sauber gehalten und stand in bester Kultur. Reinbold freute sich darüber: er nahm gewissermaßen schon Besitz von seinem neuen Heim. Und deniwch zagte seine Seele. Der Patron hatte das Machtwort zu sprechen. Run war Herr von Tübingen ihm allerdings mit jener etwas rauhen Liebenswürdigkeit entgegen gekomnicn, die ihm eigen war» dafür hatte sich aber die Baronin, und das war dem neuen Pfarramtskandidaten nicht entgangen, sichtlich zurückhaltend gezeigt. Reinbold konnte sich sogar der Auffassung nicht verschließen, daß sie häufig mit prüfendem Interesse sein Gesicht und vor allem seine unselige Nase gemustert hatte. Das war ihm schrecklich unan¬ genehm gewesen. „Mulier taceat in ecclesia“ sagte allerdings der alte Konzilsspruch, aber in diesem Falle sprach die Patronsgattin Das war überall so. Vor Frau doch sicher ein Gewichtiges mit. von Tübingen hatte Reinbold Sorge und eine heimliche Angst.

!

!

j

j

!

Er schritt den schmalen Wiescupfad hinab zum Flusse. Roch lag der Tan auf den Gräsern, aber auch hier im feuchten Grün erwachte bereits daS Leben. Schmetterlinge taumelten über den Rispen, und große Hummeln, Libellen und Bienen; die ganze Käfer¬ welt zog ans, ihren Morgenimbiß einzusammeln. Die Erlen und jungen Weiden am Flusse schwankten im erfrischenden Frühwind wie in rythmischer Tanzbcwcgnng hin und her; auf den silbern schimmernden Birken, die als Grenzwacht zwischen den Pfarrwiesen und dem Parke des Herrenhauses standen, hatte sich ein Schwarm Krähen niedergelassen und lärmten dort in ihrer ruhelosen Art. Jenseits des Flusses setzten sich die Wiesen, hier zum Majorate ge¬ hörig, bis znm Waldessäume fort. Sie strahlten in der Morgenbeleuchtung ein bläuliches Grün aus, in das sich der Glanz des Taus mischte. Ein paar Störche stolzierten zwischen den Gräsern umher. . . Es war so schön — so schön! Reinbold hob die Arme und breitete sic weit ans, als wollte er die ganze Gottesnatur an sein Herz ziehen. Er war in hoher und festlicher Weihestimmung. Er dachte nicht mehr an seine llnglücksnase — ein wundersames Wohlbefinden überschlich ihn und teilte ihm eine so sonnige Freudig¬ keit mit, daß er dadurch auch an Sicherheit gewann. Selbst die Erinnerung an das strenge Gesicht der Baronin verblaßte und milderte sich. Im Auf- und Riederschrcsten rekapitulierte er seine Predigt. Er hatte sie sorgsam ausgearbeitet und sich dabei Mühe gegeben, auch in das Wesen und das Begriffsvermögen der Bauern ein¬ zudringen. Das war ihm nicht leicht geworden, denn er kannte die ländlichen Verhältnisse wenig; aber er ging sp mit Herz und Seele in seiner großen und schönen Aufgabe auf, daß er gutes Gelingen erhoffte. Ein Viertelstündchen vor Beginn des Gottesdienstes fand sich Freese noch einmal bei ihm ein. „Wie haben Sic geschlafen, lieber Herr Reinbold?" fragte er, nachdem er den alten Pfarrer Strimonius begrüßt hatte, Reinbold herzlich die Hand schüttelnd. „Schlecht, Herr Freese — unruhig und von allerhand bösen Träumen verfolgt. Aber mit dem neuen Morgen ist mir auch neuer Mut gekommen." „Recht so," sagte Freese.

„Ich meine. Sie können außer Die Stimmung im Patronatshause ist Ihnen günstig. Der Baron ist ein vortrefflicher Mann, noch einer aus der alten Sorge sein. Schule

—"

„Aber die Frau Baronin," fiel Reinbold in klagendem Tone ein. „Der Baronin sind Sic lediglich zu jung und zu unverheiratet," entgegnetc Freese lächelnd.

„Das

erstere bessert sich täglich,

und

wird im Laufe der Zeiten ja auch abzuhelfen sein. Es weht Verlobn ngslnft in Hohen-,Kraatz; auch ich habe mich ihr dem letzteren

Schließlich haben Sie auch noch die jungen Fräulein Benedikte ist der Ansicht, daß sie bei wachsendem Vollbart die richtige Mischung von heiterer Lebens¬ freude und würdigem Ernst repräsentieren würden — so ungefähr wenigstens drückte sic sich aus — und in Fräulein Trude Palm besitzen Sie eine besonders warme Fürsprecherin. Ich darf Ihnen allerdings nicht verhehlen, daß Sie auf dieses Fräulein einen Eindruck gemacht, den Sic selbst wahrscheinlich am wenigsten er¬ wartet haben, nämlich — einen pikanten." „Machen Tie sich nicht lustig über mich, Herr Freese!" bewahre, lieber Freund. Auch Fräulein Palm, die man nehme» muß, wie sie ist, hat das völlig im Ernst gemeint. Sie dürfen den Ansdruck pikant natürlich nicht im Sinne des Frivolen nicht entziehen können.

Damen für

sich.

„I

auffassen,

sondern mehr nach der materiellen Geschmacksrichtung

hin." — „Versteh' schon; wie Mixpickel ungefähr und geschmorte Gurken.". — „So ungefähr," schloß Freese lachend. „Die junge Dame ist nicht für das Alltägliche. Mehr für das Absonderliche. Sie ist sehr neugierig, wie Sie sich im Talare ausnehmen werden." „Nun — diese Neugier wird ja bald gestillt werden. Daß ein Pastor seiner Gemeinde auch als Mensch gefallen muß, ist klar; in anderem Falle wird ein gedeihliches Handinhand- um Rebeneinandergehen immer unmöglich sein. Ich verüble es Fräuleii

I

243

Palm also nicht, daß

sie von meinem Menschen außen und innen pikante Kontraste erwartet. Denn anch mich wird sie nehmen müssen, wie ich bin. lind sicher ist es immer das beste, sich nicht anders zu geben, als man ist. Das will ich anch ihn», lieber Herr Frecse, und mit Gottes Hilfe wird Patron wie Gemeinde Einsehen haben, daß man anch trotz eines jungen Dtndentengesichts und einer überflüssig lustigen Rase ein guter, treuer und ehrlicher Lehrer der Schrift sein kann. Jetzt leben Sie wohl; cs läutet zum letztem»ale, und ich muß in meinen Talar."

erforderte ihre Vorbereitungen. Bernd und Dieter waren in solcher Aufregung, daß sie im Geschichtsunterricht alle Zeitalter durchein¬ ander warfen und im Lateinischen eine greuliche Barbarei ent¬ wickelten. Der Papa hatte ihnen versprochen, daß sie bis elf Uhr ausbleiben dürsten, wenn sie recht artig wären; hatte ihnen anch weiterhin versprochen, beim Fischen zusehen zu dürfen, wenn sic recht artig wären. Zugesagt hatten sie diese Artigkeit, sogar beschworen. Aber wieder war das Fleisch schwächer als der gute Wille. Bernd siel in den Fischkasten und mußte triefend nach Hanse geschafft werden, und Dieter hatte sich, als er eine Schilspfeiie fabrizieren wollte, den halben Danmcn abgeschnitten. Run lag der eine im Bette und trank Mamas Allheilmittel, Fliederthee — und der andere saß daneben und machte Umschläge um seinen Daumen;

j

gewisse

Heute erschien die ganze Gemeinde in der Kirche. Der alte Pastor Strimonius, der sich auf seinem Sorgenstnhl hatte in das Gotteshaus tragen lassen, war ganz verwundert. Er hatte die Kirche noch niemals so voll gesehen. Sogar die alte Rabitschen war gekommen, die sonst nur jährlich einmal zum Abendmahl zu erscheinen pflegte und dann immer zwei blanke Pfennige als Opfer aus die Altarecke legte. Und alles war in größter Spannung. Reinbold merkte das wohl, sah anch, wie sich hie und da die Köpfe zueinander neigten und man sich gegenseitig Bemerkungen in die Ohren tuschelte, und in seiner Erregung vermeinte er sogar ein kritisches Urteil aufzufangen: „He seiht nuch ze jung nt! Un wat hat e vor ernte gluupsche Rase ins Gesichte!" .

.

Doch die Erregung legte sich bald; wie Reinbold vor dem stand, kam auch die innere Sammlung, kamen Ruhe und Frieden über ihn. . . Oben auf dem herrschaftlichen Chor saßen

Altar

Tübingen, die Baronin und Graf Teupen in der ersten Reihe, dahinter Mar, Haarhaus, die drei Mädchen und Freese mit Bernd und Dieter. Auch hier fehlte niemand. Aber statt der Andacht sah man allüberall nur neugierige Gesichter. . . Reinbold hatte nunmehr die Kanzel bestiegen und begann seine Predigt. Sein Organ klang voll, warm und schön, und es sprach Seele aus dem Ton seiner Stimme. Ter Sonntag war der vierte nach Trinitatis und das Evangelium des Tages handelte von dem Balken und Splitter im Auge. Reinbold zog auch noch die Fort¬ setzung in das Bereich seiner Betrachtungen: die Worte vom guten Baum und seinen Früchten und versuchte seiner Gemeinde ans der

Praxis

des täglichen Lebens heraus den tiefen Sinn jener Weis¬ heit klar zu machen. Und es war seltsam: aus den Gesichtern der Zuhörer verschwand allmählich der Ausdruck der Rengierde und sinnender Ernst und gespannte Aufmerksamkeit traten an seine Stelle. Aller Augen richteten sich noch immer ans den jungen Geistlichen — aber die übermütige Rase, die eine satyrische Laune der Ratnr dem nach tiefinnerstem Strebenden als Pathengescheuk in die Wiege gelegt hatte, sah niemand mehr, denn alles Aeußerliche trat zurück, da Reinbold sprach. Er wurde zur Vcrkörpernng des heiligen Wortes, das er lehrte und deutete.

Selbst die Baronin schien zufrieden zu sein. Ihr Antlitz wurde weich. Rur einmal schüttelte sie unwillig den Kops, als Tübingen, der während der Predigt häufig vor sich hin nickte, ihr zuflüsterte: „Ra, Eleonore? Kann der Mann was?! Das ist ein Juwel, sage ich Dir. Ich sage Dir, der Mann bleibt." . . . Die Baronin wollte in ihrer Andacht nicht gestört sein. Rach beendetem Gottesdienst ging Tübingen in die Sakristei, »m Reinbold zu beglückwünschen. Er reichte ihm die Hand.

„Haben Sic Dank für ihre Predigt, mein lieber Herr Reinbold," „Sie hat mir vortrefflich gefallen. Sehen Sie, das ist das rechte: einfach und schlicht, ohne Schönrednerei und auch ohne lyrisch-elegische Sentimentalitäten. Es giebt Leute, die einem immer die Pistole ans die Thränendrüse setzen. Das kann ich nicht leiden. Es ziemt sich nicht für einen Geistlichen, ans billige Effekte hinzu¬ arbeiten. Die Wirkung muß eine unmittelbare und soll keine künstlich herbeigeführte sein. Also, es ist abgemacht: Sie bleiben bei uns! Ich werde gleich den Superintendenten benachrichtigen, dann kann in vierzehn Tagen die Ordination erfolgen. Morgen abend sind Sie mein Gast. Kleiner Kreis, Frack ist nicht nötig." Und dann drückte er Reinbold noch einmal überaus kräftig die Hand und ging rasch davon, ehe der überselige und tiefbewegte junge Geistliche noch eine Entgegnung des Dantes stammeln sagte er.

konnte. noch



Am folgenden Tage ging es von früh ab im Herrenhause erheblich lebhafter zu als sonst. Die Gesellschaft am Abend

!

j

j

und beide heulten.

-

!

In der Backstube wurden Plätzchen, Kringel, Rosetten und Sterne gebacken — znm Thee. Dabei halfen die drei jungen Mädchen. Tie hatten große weiße Schürzen um und jede ein buntes Tuch um den Kopf und sahen sehr niedlich ans. Die Mamsell als Oberhosmeisterin war zwar der Ansicht, daß die Mädchen nur störend seien, denn cs verstand keine von ihnen so recht etwas von der edle» Kunst des Teigmischens und der Bäckerei; aber die Mamsell war an die dreißig Jahre im Hause und wußte sich zu fügen, wenn es dann und wann anch ein wenig wild zu¬ ging. Zum Beispiel, als Miß Relly ihren neuen und blitzblanken Verlobungsring beim Kneten des Teigs verloren hatte, was allgemein als böses Omen aufgefaßt wurde; sechs Hände, doch es waren weiße und höchst saubere kleine Pfötchen, wühlten gleichzeitig im Teig umher, um den Ring zu suchen, und es dauerte lange, bis man ihn fand. Er hatte sich lies verkrochen, und dabei hatte sich auch noch eine dicke Rosine in den schmalen Goldreif festgeklemmt, was Trude wiederum Gelegenheit zu allerhand symbolischen Deu¬ tungen gab. lieber die Form der Theeknchcn entspann sich ein längerer Streit. Vorgesehen waren nur Plätzchen, Kringel, Rosetten und Sterne, aber Trude wünschte anch Herzen, und nun utußte die Mamsell erst nach der geeigneten Form suchen. Dafür buk Trude anch die gesamten Herzen allein und setzte ans jedes noch Ein paar Herzchen erhielten sogar drei kleine Rosinen. fünf Rosinen; dabei erklärte Trude: „Das ist für Doktor Haarhaus, das ist für Gras Brada, das ist für Baron Max, und das ist für unsern neuen Pastor" Dies letztere erhielt aber sechs Rosinen. „Trude, was giebst Du alles an!" ries Benedikte. „Die Kuchen kommen doch alle durch einander ans die Teller; wie sollen denn die Herren ahnen, welche Herzen Du für sie gebacken hast!?" Die Sympathie wird ihnen schon die Hände führen," cntgegnete Trude; „das ist nämlich der Zug von Herzen zu Herzen." .. Etwas später gab es noch recht schmerzliche Augenblicke. Es sollten acht junge Hähnchen geschlachtet werden, und jedes einzelne war Benedikte an das Herz gewachsen, lim diese Zeit fand sich anch Gras Brada ein. Er hatte am Nachmittag wieder einmal keinen Dienst und kam schon so früh, um den Tisch decken zu helfen, wie er erklärte. Das mache ihm immer ein besonderes Vergnügen und, wie Benedikte wisse, habe er speziell im Arrangement des Blumenschmuckes für die Tafel eine sehr glückliche Hand. „Jawohl, geehrter Herr Gras," entgcgnctc Benedikte lachend, „das weiß ich. An Ihrem Geburtstage haben Sie so viel Grün¬ zeug über den Tisch gestreut, daß es aussah, als feiere König Rebnkadnezar sein Hochzeitsmahl. Indessen, die Blumen haben noch Zeit. Zuvörderst handelt es sich darum, acht junge Hähnchen zur Tötung auszusuchen. Ich bin tief unglücklich. Warum ist bloß der Mensch ein Fleischfresser!" Darauf wußte Semper keine Antwort, oder aber er verschwieg sie. Doch folgte er Benedikte willig aus den Hühnerhof, wo die alte Pntenfrau schon ans der Jagd nach den Opfern des Abends ivar. Die Görbitschen war schlechtester Laune. Sie erklärte dem aufmerksam zuhörenden Grasen Brada,. daß man Hühner, die znm Schlachten bestimmt, des Morgens nicht ans dem Stalle zu lassen pflege; ihr habe man aber nichts gesagt, und nun könne sie sick) jetzt die Beine ablausen, um das flinke Viehzeug einzufangen. Es ging so auch wirklich nicht; Trude, Relly und Stupps wurden zur Hilfe herbeigeholt. Run begann ein wildes Haschen und Greisen, an dem sich anch Brada beteiligen wollte, die Jagd aber wieder

I

244

aufgab, da er unter dem umherflatternden Hühnervolk für feine gute Attila fürchtete. Doch schlug er vor, man solle sich in diesem Falle eine Wild-West-Angewohnheit zu eigen machen und mit dem Lasso arbeiten. Der Gedanke wurde freudig ausgenommen, nur nicht von der Görbitschen, die sich aus eine altbewährte List be¬ schränkte. Sie streute tückisch Futter aus, und wenn sich dann das Federvieh um sie versammelte, um die Körner aufzupicken, dann warf sie plötzlich ihre Schürze über ein ahnungsloses Opfer und sing es ans diese Weise. So hatte man schließlich mit Aufwendung vieler Mühe sieben Hähnchen zusammengebracht und in einen Weidenkorb gesperrt; aber das achte wollte sich nicht greifen lassen. Und gerade auf einen besonderen Liebling Benediktes hatte es die Görbitschen abgesehen: auf ein entzückendes kleines Tierchen mit weißen Federn und einem kohlschwarzen Schwanzstntz, mit dem es beständig kokett wackelte. „Lassen wir es doch am Leben," bat Benedikte; „sieben sind ja genug." „Nee, gnä'ges Fräulein," antwortete die Görbitschen, „wat mir besohlen wird, dat tlm ick ook. Und wenn's glei' dat ganze Geflügel gilt." . . Und sie raste wieder mit ihrer Schürze hinter dem Schwarzweißen her. „Ist es nicht schrecklich?" wandte sich Benedikte an Brada. „Das ist wie mit den Katakomben im alten Griechenland oder Rom." „Hekatomben," verbesserte Brada. „Na also — ans omden war es etwas, und schrecklich bleibt es immer. Ich esse nichts von den Hähnchen. Ich würde fürchten, noch ans dem Teller ihr freundliches Glucksen zu hören. Sic haben wohl gar kein Mitgefühl mit der Kreatur, Gras Semper?" „Ein Krieger mutz an Blut gewöhnt sein, Miß Benedikte. Und wenn Sie einmal eine wackere Soldatenfrau werden wollen, müssen Sie auch noch ein bißchen härter werden." Benedikte zuckte mit der Oberlippe. „Wer sagt Ihnen denn, daß ich eine Soldatenfrau werden will — he? Kann ich nicht ebensogut einen Landwirt oder einen Oberlehrer heiraten, wenn es schon einmal sein muß?" „O nein — ganz gewiß o nein! Ein Landwirt hat heute viel zu sehr mit Sorgen zu kämpfen und könnte sich daher nicht so um Tie bekümmern, wie es jedwede Gattin von ihrem Gatten verlangen kann. Und über den Oberlehrer muß ich lachen. Ich denke dabei gleich an rote Tinte und dreißig Fehler im Extemporale." „Das will gar nichts sagen. Je älter ich werde, desto mehr Und ein Lehrer der Jugend imponiert achte ich die Wissenschaft. mir sehr. Sehen Sie sich einmal Herrn Freese an! Leider ist er schon gebunden." Brada lachte lustig auf. „Streiten wir nicht mehr. Sie werden doch eine Offizierssrau. Schon weil sie so viel auf Kameradschaft halten, und weil Sie selber so ein famoser Kamerad sind. . . Weil Sie überhaupt so ein prachtvolles Mädel sind, Benedikte. . . Weil Sie gewisser¬ maßen die geborene Leutnantsfrau vorstellen — von der leichten Kavallerie. Letzteres selbstverständlich; denn als Gattin eines Kürassiers könnte ich Sie mir per exemplum gar nicht denken. . . Ach, Benedikte . ." Bei diesem letzten Seufzer schaute Benedikte betroffen auf. „Herr Gott, Semper," sagte sie, „Sie werden mir doch nicht hier mitten auf dem Hühnerhofe eine Erklärung machen wollen?!" Etwas in seinem hübschen Gesicht und im Ausdruck seiner Augen machte sie stutzig. Sie wandte sich rasch um und lief mit wildem Lachen davon. Worüber sie lachte, wußte sie selbst nicht. Aber ein anderes wußte sie nun ganz genau: Semper war nicht mehr der alte getreue Kamerad. Es schrie fortwährend in ihr: Semper ist verliebt in Dich! Sein ganzes Herz guckte ihm aus den Augen! Temper will Dich zur Frau haben! . . Und dann weiter: Doktor Haarhaus, nun gieb einmal acht! Jetzt kommt der zweite Trumpf auf Deine Unverschämtheit! Hüte Dich, frecher Afrikaner! In Hohen-Kraatz werden keine Herzen zertrampelt! Hier wird blutige Rache genommen! . . . Brada war stehen geblieben, und sein Gesicht hatte den GlücklichkeitSansdruck verloren. Plötzlich stürzte ihm die alte Görbitschen mit wehender Schürze entgegen.

'nn

j

nick, vor¬ „Husche, husche, husche!" ries sie. „Lassen Sc 'nn bei, gnä'ger Herr Gras! Lassen Se nich vorbei, gnä'gcr Herr

Graf! Husche, husche, husche!" Brada sprang zur Seite. „Was wollen Sie denn eigentlich zum —" „Das weiße Hähnecken, gnä'ger Herr Graf!

Husche, husche,

husche."

Und die Görbitschen raste wie Frau Holle an ihm vorüber, während von der anderen Ecke des Hühnerhofs Relly, Trude und Stnbbs herbeistürmten. Aber Brada hatte im Augenblick anderes im Kopfe als das schwarzweiße Hähnchen. Aus Liebenswürdigkeit für Nelly und Trude lief er ein Weilchen mit und machte gleich¬ falls „husche, husche, husche," und dann verschwand er plötzlich. — Als im Eßzimmer der Tisch gedeckt war, führte der Zufall den Grafen Teupen und die Baroüin hier zusammen.

„Ah, sieh' da, Eleonore," sagte der Graf, „ich wollte noch einmal die Tischordnnng revidieren. . . . Cs ist doch alles beim alten geblieben?!" „Alles, Papa. Frau von Seesen zwischen Haarhaus und Max. Tübingen scheint ganz damit einverstanden zu sein."

„Sehr gut vor.

Ich

Nach dem Souper nehm' ich mir die Seesen werden schon heute abend Aufklärung darüber wirklich in Afrika gewesen ist oder wo sonst."

so.

denke,

wir

Max Die Baronin stieß einen tiefen und kummervollen Seufzer aus. „Ach, Papa," antwortete sie, „was bringt uns das Leben doch alles! Enttäuschungen über Enttäuschungen! Bei Max hätte ich darauf geschworen, daß das Teupensche Blut in ihm viel stärker wäre als der Tübingensche Zusatz. Aber ich fürchte, nein. Das

haben, ob

gute beiden Tübingens in Ehren; doch das Revolutionäre überwiegt. Eberhard ist heute bei Jahren, aber ehemals that er mit Vorliebe

das, was der Title und der Ordnung direkt widersprach.

Ich

die ersten Jahre unserer Ehe, wo wir öfters einmal nach Berlin kamen. Da wollte er in grauen Hosen ans den Opernball gehen, und als man ihn zurückwies, machte er solchen Spektakel, daß sich Herr von Hülsen, den er kannte, persönlich ins Mittel legen mußte." denke noch

mit

„Ja, ja,"

Schrecken an

nur zerstreut zuhörte, weil er die Namenskarten studierte, „er war schon liegenden auf den Tellern ein bißchen krakehlig." — sagte Teupen, der

„Und war sehr für das weibliche," fuhr die Baronin fort, und wiederum hob ein ganz leiser Seufzer ihre Brust. Er kannte die meisten Schauspielerinnen, und mit der Trebelli, die damals eine berühmte Sängerin war, hatte er zusammen gefrühstückt. Die Meyer, die das Lied von der kleinen Handschuhmacherin im .Pariser Leben' sang, nannte er immer bloß die Lina, und die Schramm Anneken. Er that ganz intim mit den Herrschaften. Hast Du die

David gekannt?" nun natürlich — die kleine David vom Opernhausballet?! Hör' mal, das war ein reizendes . . ." Und dann brach der sehr lebendig gewordene Graf plötzlich ab und beugte sich tiefer über den nächsten Teller und sagte dabei: „Ja, Eleonore, die hab' ich auch gekannt; wenigstens von Ansehen."

„I,

„Und der hat Eberhard von der Loge aus zugenickt, Papa. Er bestritt es natürlich, aber ich habe es deutlich gesehen. Es war im Dezember siebenündsechzig; ich habe mir den Tag notiert. Und damals war Eberhard doch schon Vater! Bei der Garde-du-Korps standen lauter leichtsinnige Menschen. Von Potsdam aus fuhren Aber ich hätte nie sie immer mit einem Extrazuge nach Berlin. geglaubt, daß Max einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten wtirde. Jcl^ hätte meinen Gegeneinfluß für stärker gehalten. Ich kann Dir sagen, ich bin auf das tiefste betrübt." Graf Teupen ging um den Tisch herum.

„Du darfst nicht übertreiben, „Die Jugend will nun einmal ihr durchaus noch nicht fest, daß Max

liebe Eleonore," antwortete er. Recht haben. Uebrigens steht wegen irgend welcher Weiber¬

uns mit Afrika bemogelt hat. Es wird schon alles ins reine kommen. Er weiß, was er seinen Namen schuldig ist. Und schließlich ist die Tübingensche Ader auch keine schlechte." geschichten

(Fortsetzung folgt.)

Me

sah

Berlin

nach den

Freiheitskriegen aus?

Non (Fortsetzung.)

ErnK Friede!.

^Reitdem

^

ist daS Straßeupflaster auf alleinige städtische Kosten derartig verbessert worden, daß Berlin den Vergleich mit sämt¬ lichen Großstädten der Erde aushält. Das war aber nur möglich durch Beseitigung der oberirdischen Entwässerung, d. h. der übelriechenden, häßlich aussehenden, offenen

8

Rinnsteine, über welche sich viele Berichterstatter und Reisende während unserer Berichtsperiode in Klagen und in Spötteleien

die kleinen, dreieckigen Laternen, welche auf Holzpfählen standen, in die entlegeneren Gassen und die Vorstädte versetzt, in den leb¬ hafteren Straßen aber durch größere Laternen mit Reverberen ersetzt. Jeder Beleuchtungskörper enthielt zwei Lichter und war auf eisernen Stangen an den Häusern oder auf Granitpfählen oder an quer über den Damm gezogenen Stricken, in dessen Mitte hängend, angebracht. Die eisernen Träger für letztere Belcuchtungsform hatten sich an der älteren Weidendammer Brücke bis etwa 1843 erhalten. Dennoch erkannten allmählich selbst die konservativsten Altberliner die heilsamen Folgen des polizeilicherseits mit der Imperial Con¬

tinental Gas-Association zu London 1825 abgeschlossenenB eleu ch tun gsvertrages an. „Am 19. Sep¬

Das Münzgrbändr. mit vollem Recht ergehen. Diese Besserung wurde bekanntermaßen ermöglicht durch Uebernahme der Englischen Wasserwerke in städtischen Betrieb, und durch die von James Hobrecht ein¬ geführte unterirdische Kanalisation Berlins mit Abführung der Spühljauche re. nach Rieselfeldern in der weitern Umgebung unserer Hauptstadt. Das Wasserbedürfnis wurde um 1815 und noch lange nachher durch Pumpcnbrunuen einfachsten Aussehens bestritten. Das Wasser war je nach der Beschaffenheit des Untergrundes besser oder schlechter. Als vorzüglich galt das Wasser des öffentlichen Brunnens, welcher am Königlichen Schloß nach der Lustgartenscitc angebracht war: aus großen Entfernungen ließen manche

tember 1826 verbreiteten die ersten Gasflammen ihr magisches Licht unter dem langen Laubendache unserer Linden" schreibt S.H. Spiker (Berlin 1833, S. 21 ) und gewiß erschien unseren damaligen Vätern das GaS ebenso lange magisch, wie uns die erste elektrische Straßen¬ beleuchtung, nämlich bis das Auge sich daran gewöhnt. Denn all der¬ gleichen ist Gewohnheitssache. Der veredelnde Einfluß des genialen Bauküustlers Friedrich Schinkel erstreckte sich bis auf die Formgebung der Beleuchtungsgcgenstände. So rührte die Zeich¬ nung zu dem mit neun schönen Gaslaternen geschmückte gußeiserne Kandelaber ans dem Schloßplatz, 1830 gegenüber von Portal I des Schlosses errichtet, von ihm her. Erst vor wenigen Jahren ist dieser Kandelaber aus Verkehrs-Gründen, und um einer noch besseren Erhellung Platz zu machen, versetzt worden. Infolge der Städteordnung vom 19. November 1808 und der schärferen Trennung zwischen den polizeilichen, durch den Staat wahrzunehmenden Aussichtsrechten und der Kämmerei-Verwaltung

Berliner

sich von hier das köstliche Raß holen. Allmählich trat aber infolge der durch die Wirtschaftsabgänge bewirkten Verjauchung der Höfe, auf der Straße infolge der durchlässigen Rinnsteine und der undichten Gasleitungen eine solche

Verschlechterung der Brunnen ein, daß der durch das Polizei-Präsidium

auf Drängen des Feuerwehr-Di¬ rektors Scabell mit einer Englischen Gesellschaft abgeschlossene Vertrag wegen Einführung einer öffentlichen Wasserleitung in der Bürgerschaft lebhaft begrüßt wurde. Trotzdem hat man die öffentlichen Straßeuchrunnen nicht nur beibehalten, sondern sogar vermehrt, um im Falle einer Störung iin Betriebe der Wasserleitung einen Ersatz zu haben.

Frirdrichsbrücke und Börse. Die jetzigen gußeisernen

Brunnengehäuse zeichnen sich vor den hölzernen aus den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durch weit gefälligere, künstlerisch empfundene Gestaltung aus. Man versteht es vom heutigen Standpunkt nicht, wenn man liest, wie die Oel- und Thranlampen-Beleuchtung unserer Straßen mitunter vo>l enthusiastischen Schriftstellern geradezu ge¬ priesen wurde. Die Verbesserung der Beleuchtung des Lustgartens ist bereits erwähnt. In demselben Jahre, wo sie eintrat, wurden

wurde auch die vernachlässigte Straßenreinigung zur Verbesserung des Straßenbildes eine gründlichere. Die Hausbesitzer hatten nicht bloß, wie noch jetzt, ihre Bürgersteige von Schnee und Eis zu be¬ freien, sondern sie auch sonst, sowie die Dämme und den Rinnstein zu reinigen. In einigen Straßen fing man au, die Bürgersteige mit Granitplatten in 6 Fuß Breite zu belegen. Schließlich ist das Verhältnis der Art geregelt worden, daß bei allen Neubauten der Unternehmer die Bürgersteige zu regulieren und mit einer 2 m breiten Granitplattenbnhn zu belegen haben. Daneben werden

246

ältere Straßen zur Bürgersteig-Regulierung aufgerufen, wobei die Stadtkasse */, jener Plattenbahn, den Rest der Anlieger zu tragen hat. Anfänge einer Straßenbesprengnng wurden im Wege frei¬ williger Bereinigung der Anwohner mehrerer Hauptstraßen zur Dämpfung des in Berlin besonders lästigen Staubes durch Be¬ gießen gemacht. Die Mittelpromenade der Elitestraße Unter den Linden wurde auf öffentliche Kosten bewirkt. Achtzehn StraßenKarrenknochte unter drei Schirrmeistern hatten die Abführung des Schmutzes und Eises von den Plätzen nnd Brücken zu besorgen. Das waren Fortschritte in der zuerst durch den Großen Kurfürsten energisch in die Hand genommenen öffentlichen Straßen¬

übt der Magistrat bei der Namensgebung nur ein Vorschlags¬ recht aus. Nachdem König Friedrich Wilhelm II. während seiner kurzen Regierung von 1786 bis 1797 viel für die Baukunst gethan, ent¬ wickelte sein jugendlicher Nachfolger in den ersten glücklichen Re¬ gierungsjahren einen ähnlichen rühmlichen Eifer in Berlin. Auf dem Gendarmmarkt war an Stelle des französischen Komödieuhanses seit 1788 ein deutsches Rational-Theater getreten, welches Friedrich Wilhelm III. durch das von Langhaus 1800 bis 1802 erbaute deutsche Schauspielhaus ersetzte. Die Eröffnung fand am 1. Januar 1802 in Gegenwart des Hofes unter der Direktion des berühmten Jffland statt. Man rühmte die Pracht des ansebnlichen Gebäudes, in welchen 2000 Zuschauer bequem Play fanden. Man rühmte auch die Feuersicherheit des Gebäudes, gleichwohl brannte es 1817 in wenigen Stunden vollständig nieder. Das an Stelle des abgebrannten Friedrich Werderschen Rat¬ hauses errichtete, in ägyptisierenden Motiven ausgestattete, nach Gottfried Schadows Angaben von mehreren Künstlern mit einem 5 F. 9 Z. breiten und 116 F. laugen figürlichem Fries geschmückte neue Münzgebäude, welches gleichzeitig dem Oberbergamt und Ober-Ban-Departement diente, erhielt hieraus bezüglich die Inschrift

rein ignug.

Auch dadurch veränderte sich das Straßenbild vorteilhafter, daß die nunmehr königlich gewordene Straßeupolizei eindringlicher auf die Forträumung der ungezählten Buden, Schrägen, Scharren und ähnlichen Verkehrshindernissen drang, welche die Plätze und breiteren Straßen verunzierten. Gründlicher Wandel ist hierin allerdings erst mit vielen Kosten und Mühen seit der Uebernahme der fiskalischen Straßenbaulast seitens des Magistrats geschaffen worden. Freilich dürfen wir hierbei iticht übersehen, wie das moderne Leben mancherlei verkehrshinderliche Einrichtungen, als öffentliche Uhren, Miueralwasserbudcn, Zeitungskioske, Anschlagesänlen, Aborte :c. selbst neu geschaffen hat; immerhin sind diese notwendigen Uebel thunlichst mit ästhetischen Formen bekleidet

Friedericus Guilelmus III. Rex rei monetariae, mineralogieae, areliitectonicae MDCCC. Vor ungefähr 10 Jahren ist dieser ansehnliche Bau nebst dem anstoßenden Friedrich Werderschen Gym-

worden.

Ein großer Uebelstand für die Entwässerung Berlins ist die vertiefte Lage der alten Stadt zwischen den Hochplatten des Barnim und Teltow. Obwohl man viele Straßen, darunter die Friedrichstraße, aufhöhte, blieben sie immer noch zu niedrig im Falle von Hochwasser, nnd nicht selten traten ausgedehnte Ueberschwemmuugcn der niedrigst gelegenen Stadtteile ein. Unseren Lesern wird in dieser Beziehung das humoristische Bild der Ueberschwemmuug des Belle Alliance-Platzes vor Augen schweben, wo einzelne Personen in Waschtienen hernmrudern und die Begleiter eines Leichenzuges sich auf den Leichenwagen geflüchtet haben. Mir ist noch ans den fünfziger Jahren der Anblick einer Droschke erinnerlich, die sich auf den überschwemmten Schiffbauerdamm, nahe der Weideudammer Briicke, wagte, wobei das Wasser in den Wagen drang. Viele Kellerwohnungen, z. B. Unter den Linden, in der Rahe des Pariser Platzes, mußten vor dem steigenden Grundwasser von den Bewohnern geräumt werde» und es verstand sich bei diesem Amphibienleben der Berliner fast von selbst, daß jeder hier das kalte oder Wechselfieber, allerdings meist in milder Form, durchmachte. Roch gelegentlich deö Baues der Stadtbahn protestierte in meinem Beisein ein älterer Baudirektor im Ministerium der öffentlichen Arbeiten wegen der Ueberschwemmungsgefahr gegen die Verschüttung des Königsgrabens. Der verbesserten Wasser¬ bautechnik scheint es allerdings jetzt gelungen zu sein, die Ueberschwemmnngsgefahr aus Berlin zu verbannen, auch das Wechselfieber ist als endemische Krankheit inzwischen bei uns verschwunden, aber selbst in unseren Tagen mahnt die bei heftigen Regengüssen zeit¬ weilig eintretende Ueberschweminnng einzelner Stadtteile, nament¬ lich der Markgrafenstraße, daran, daß, wenn das Innere Berlins ans Sumpf und Sand ruht, das erstere Element noch immer nicht völlig gebändigt ist, wenn auch durch die selbstthätige Oeffnuug der Kanalisations-Rotauslässe eine ernsthafte Wassersnot wenigstens in den meisten Fällen abgewendet wird. Zum Verständnis des Bebauungsplans und zur Sicherung des öffentlichen Verkehrs dient vor Allem auch die Anbringung von Namensschildern an den Straßenecken und von Polizeinummern an den Häusern. Sollte man es für möglich halten, daß diese selbstverständlichen Erleichterungsmittel bei allen Städten erst ziemlich spät, zumeist erst in diesem Jahrhundert eingeführt worden sind?*) Im Jahre 1800 wurden die Straßennamen an den Eckhäusern, und an den Häusern die Polizeinnmmern angebracht, mit goldenen Ziffern aus blauem Grunde, später mit weiße» Zeichen ans dunkelblauem Grunde, jetzt seit etwa 5 Jahren mit schwarzer Schrift auf weißem Grunde. Im Jahre 1799 gab der Leutnant Reander v. Petersheiden einen Wohnungsanzeiger heraus, worin er sagt: „Da die Häuser in Berlin bis jetzt mit keinen bestimmten Nummern versehen sind, nnd ich den Streit über die beste Art, wie solches geschehen könnte, nicht abwarten mochte, so habe ich in meinen Tabellen jede Straße, und in derselben jede Seite derselben besonders nach den darin befindlichen Gebäuden nummerieret, und dienet dieses Verfahren besonders dazu, um jedes aufzusuchende Haus genauer abzuzahlen, und alsdann auch bequemer zu finden. Zugleich kan» man schnell übersehen, wie viel Häuser in jeder Straße, und wie viel auf jeder deren Seiten stehen." Die nächste 1801 erschienene Ausgabe Reanders enthält bereits die verliehenen Polizeinummern. Es sei noch erwähnt, daß der Magistrat das Straßen¬ benennungsrecht, das er früher als Polizeiherr geübt, bald nach der Städteordnung verlor, die ans die Freiheitskriege bezüg¬ lichen Straßennamen hat bereits der König verliehen nnd seither *>

’)■

I.

B. erhielt Rom erst feil der französischen Beseimiiq i. IS4H StraßennamenIn russischen Städten nein« man die Häuser noch jetzt nach

sciiilder und Hausnummern. den Besitzern.

!

nasinm und dem Fürstenhaus niedergerissen, die Straßenflucht ver¬ bessert und die danach verbleibende Grundfläche an Bauunter¬ nehmer verkauft worden. Auch die im Bvlksmund vielfach sogenannte „reitende Ar¬ tillerie-Kaserne, Ecke Friedrichstraße und Hannöversche Straße 1800—1802 ebenfalls in ägyptisierenden Motiven erbaut, 1894 abgerissen und seither durch einen Mietskasernenban ersetzt, gehört in diese Epoche, ebenso das nicht minder vor kurzem niedergelegte Kgl. Friedrich Wilhelms-Gymnasium (1803 und 1804). Auf dem Gelände, wo im Jahre 1710 ein Pesthaus stand, das Friedrich Wilhelm I. 1727 in ein Krankenhaus unter dem Namen Ch aritee veränderte, führten von 1785 ab drei preußische Könige Anbauten aus, deren Fortführung in der Unglückszeit auf¬ hörte, bis im Jahre 1831 wiederum ein neues vierstöckiges Haupt¬ gebäude mit zwei nach dem älteren Charitee-Hause zu vorspringenden Flügeln in Angriff genommen wurde. Nachdem bereits in den letzten Jahren zwischen-dem Alexander-Ufer und der Chariteestraße das neue Pathologische Institut errichtet worden, steht der Abbruch der beiden Eharitee-Krankenhänser zwischen der Lnisenund Ehariteestraße, und die Aufführung eines großartigen Ersatzbaues bereits in den ersten Jahren des 20 . Jahrhunderts bevor. Roch ein stattlicher Bau, die damalige neue Börse, muß ermähnt werben. Dieselbe wurde an der Stelle, wo zur Ver¬ schönerung des Lustgartens nnd seiner Umgebung ein phantastischer Ban, die Grotte, gestanden hatte, von 1801 bis 1805 auf Kosten der Kaufmannschaft, nach den Plänen des Geheimen Ober-Banrats Becherer nnd unter Leitung des Banrats Simon aufgeführt. Die wechselvollen Schicksale des Gebäudes, das zuletzt, bis es den neuesten Tombauten weichen mußte, noch der Akademie für die orientalischen Sprachen als Unterkunft diente, sind bekannt. Auch die Reitakademie, Breitestraße 32—34, im Jahre 1805 aufgeführt, darf unter den größeren Reubanteu der Zeit nicht übergangen werden. Hier nnd auf den Rachbargrundstücken, bis die Königliche Hofkammer die Gebäude zwischen der Breitestraßc nnd Kurfürstenbrücke am Schloßplatz erwarb, ist fortdauernd anund neugebant worden, und erst in einigen Jahren darf auf einen völligen Abschluß der Bauten für das Marstallwesen gerechnet werden. Auch zwei Nützlichkeitsbauteu, die Anlage des neuen Pack¬ hofs sowie des 1802—1805 von Becherer an der Köpenickerstraße nahe dem Schlesischen Thor errichteten gewaltigen GetreideMagazins, welches, 290 F. lang, 103 F. tief und 59 F. hoch, zehntausend Wispel Korn aufnehmen konnte, wollen wir zu erwähnen nicht vergessen. — Während der sieben Unglücksjahre und der daraus folgenden drei eisernen Jahre finden wir begreiflicherweise keine größeren Hochbauten ausgeführt. Woher sollten die Mittel dazu auch fließen, wo das Land kaum imstande war, die Kriegsausschreibungen nnd der französischen Zwingherren zu erschwingen? es ist bezeichnend für den Geist des Widerstandes gegen die Unterdrückung und des sich anbahnenden Aufschwunges, daß das Palais, welches Boumanu der Aeltere für Friedrichs des Großen Bruder, Prinz Heinrich, erbaut hatte, für die neue Universität nnd die iveitlänftigen Gebäude an der Burgstraße Nr. 19 als allgemeine Kriegs¬ schule im Jahre 1809 eingerichtet wurden. Das war für den Lehrstand und den Wehrstand. Für den Nährstand, speziell den Gewerbefleiß, mar bereits seit 1804, auf dem Grundstück, wo sonst die Schleifmühle an der Pauke lag, Jnvalidenstraße 92, die Königliche Eisengießerei erbaut nnd auch in der kritischen Periode unterhalten worden. „Leider hat der preußische Staat sich bestimmen lassen, in die Hekatombe, ivelche dem Moloch der die Kontributionen

Nur von größeren Umbauten hören wir, und

.

!

,

247

Gründerzeit geopfert worden ist und die beinahe auch die Königliche Porzellanmanufaktur in Berlin verschlungen hätte, die Eisen¬ gießerei einzuschlachten. Als doktrinärer Vorwand galt das volks¬ wirtschaftlich sehr zweifelhafte Axiom, daß der Staat kein Gewerbe betreiben soll. Allenfalls hätte man die Grobeisenfabrikation preisgeben, den im Anslande so hochgeschätzten Eisen-Kunstguß aber erhalten sollen, und so viel steht fest, daß, wenn diese Staats¬ industrie die Gründerzeit überdauert hätte, man gegenwärtig nicht an ihre Auflösung denken würde." Diesen Ausspruch, den ich in

Immerhin ist den beschränkten Mitteln entsprechend Achtbares geleistet worden. Allerdings spielte dementsprechend auch in dieser Periode der Umbau als Ersatz des Neubaus, wie wir sehen werden, eine hervorragende Rolle, und der größte bauliche Genius des damaligen Preußens, Friedrich Schinkel, mußte sich derselben wohl oder übel anpassen. Es entsprach der frommen Gesinnung des Königs, mit dem Umbau des Doms, der unter dem Alten Fritz ein ganz annehm¬ liches Barockgewand angezogen hatte, den Anfang zu machen. Ter Zeitrichtung entsprechend mußte dieses Gotteshaus sich im Jahre 1817 ein hellenisierendes Gewand anbequemen. Die Kuppel ward erhöht und mit korinthischen Pilastern verziert. Auf dem geräumigen Portal „Eigen¬ wurden zwei kleinere Kuppeln ausgeführt. tümlich ist," bemerkt Spikcr, Berlin, 1833, S. 40, „das Zusammentreffen dieser Anordnung mit dem Plane Schlüters zur Verzierung des (alten) Doms, der nach seiner Angabe, eine Kuppel und zwei Türme zu beiden Seiten des Hauptportals erhalten sollte. Beyer hat in seinem Thesaurus Brandcnburgicus, Teil 2, S. 799 eine Abbildung davon gegeben, von Kalender welcher in dem Berliner hist, genealog. f. 1822 (Willens Geschichte von Berlin) eine Kopie zu finden ist. Roch näher kommt indes dieser Idee die Gestalt der Domkirche, wie sie nach Schlüters Plan ganz neu erbaut werden sollte, und zwar da, wo gegenwärtig die Stechbahn ist. Wäre dieser Plan ausgeführt worden, nach welchem nicht allein die Domkirche neu aufgeführt, sondern auch der ganze Teil des Schloßplatzes,

dem Schlosse gegenüber, eine einzige diese, da, wo itzt der K. Marstall

Front erhalten, und

Das LoinmÄNdantur-Gebündr. meinem Buch „Die deutsche Kaiserstadt Berlin" im Jahre 1884, S. 64, gethan, muß ich noch heut vollinhaltlich aufrecht erhalten. Unsere zweite Abbildung zeigt ums Jahr 1815 links der von der Friedrichsbrücke überspannten Spree die Becherersche Börse, dahinter den fridericianischen Dom und einen Teil des Schlosses; auf der rechten Flußseite die Burgstraße mit deni Joachimsthalschen Gymnasium und der Kriegsschule. So also präsentierte sich das bauliche Berlin nach den sieg¬ reichen Feldzügen der Jahre 1813 bis 1815, an welche uns das beifolgende Bild erinnert, das einen von Bürgermilitär geleiteten Zug französischer Kriegsgefangener darstellt. der Mitte zeigt sich das Kommandantur-Ge¬ bäude, welches sich mit unwesentlichen Abänderungen im großen und ganzen unverändert erhalten hat. Die Schloßbrücke erscheint noch in der Verfassung vor dem im ersten Abschnitt unseres Aufsatzes erwähnten Schinkelschen Neubaus. Wie es im Winter in der vielbesuchten Umgebung Berlins um 1815 vor dem Brandenburger Thor aus¬ sah, zeigt uns eine Schneelandschaft und die viel¬ besuchte Eisbahn hinter dem Zelt Nr. 2. Ganz im Hintergründe das Charitee-Gebäude. Links hat man sich die später Rosenau getaufte Landzunge zu denken, auf welcher sich gegenwärtig das große Vergnügungs-Etablissement von Kiftenmacher be¬ findet. Das hier befindliche Altwasser der Spree, auf welchem man gefahrlos dem Eissport fröhnen konnte, wurde in den siebziger Jahren verschüttet und in die

steht, am Flusse weitergeführt werden sollte, so würde dieser Platz allerdings einer der schönsten in Europa geworden sein, der Bau aber vielleicht noch Millionen gekostet haben Bröbes hat, nach Schlüters Zeichnung, eine Ansicht dieses grandiosen Baues stechen, ans klein¬ lichem Neide aber den Namen des genialen Baumeisters aus der Platte auskratzen lassen. (Vgl. Nicolais Berlin, Teil 3, Anhang S. 76 u. 110 .)" Es ist zu bedauern, daß die Schlüterschen Ideen nicht zum Ausdruck gekommen find; wie anders würde sich der Schloßplatz ansnehmen, wenn anstatt des sogenannten Roten Schlosses mit seiner breitspurigen Schnciderakademie der neueste Tom stände, .während der letztere jetzt an seiner Stelle so¬ wohl das Schloß wie das Alte Museum drückt. Wir müssen uns damit trösten, daß die Schlütcrsche Idee wenigstens annähernd am

In

Richard Wagner st raße verwandelt. — Obwohl der Preußische Staat als Sieger aus den Freiheitskriegen hervorgegangen, so waren die moralischen Errungenschaften derselben weit größer als die materiellen. „Denn was die Schneiden der Schwerter erworben,

jetzige

Das haben die Spitzen der Federn verdorben." Der alte Marschall Vorwärts, der Feind der Feder¬ fuchser, welcher dies dem Sinne nach wiederholt unverholen ausgesprochen, hatte vollkommen recht. Nicht einmal die französischen Kontributionen von 1806 bis 1812 hat man den Feinden abzunehmen vermocht, und noch nach den Kriegen von 1870/71 zahlten preußische Gemeinden und Kreise, beschämender Weise in den Provinzen, wo die größten Opfer gebracht wurden, in Ostpreußen und Brandenburg „Franzosensteuer", noch dazu ausdrücklich unter dieser beschämenden Bezeichnung. Kein Wunder, daß weder der Preußische Staat noch die Kommune Berlin die Mittel aufwenden konnten, um großartige Bauten und Verschönerungen -— wenigstens in dem Sinne und Umfange, die mit dergleichen Bezeichnn »gen

heut verbunden werden

— in der Hauptstadt auszuführen.

Schloßplatz zwischen der Breitenstraße und Kursürstenbrücke ver¬ körpert worden ist. Als achtbare Leistungen der Zeit, unmittelbar nach den Freiheitskriegen, sind noch die zwei kolossalen, nach F. TieckS Modellen von der hiesigen Fabrik der Firma Werner und Neffen in Erz getriebenen geflügelten Engel, Glaube und Religion symbolisierend, zu erwähnen, welche in den Nischen des DomVorbaus rechts und links standen. Daß der gewaltige Mittclturm kein unvcrächtliches Bauwerk war, zeigte die Aufwendung beträcht¬ licher Massen von Dynamit, die notwendig wurden, um den Turm vor einigen Jahren zu sprengen und niederzulegen.

(Lchlutz foiflt.)

248

Städte- und Landschastsdilder. W u das Kriegsrecht dem Kalten die Sentenz publizieret, soll ihm gesagt werden, das; es Sr. Königlichen Majestät leid thäte; es wäre aber besser, daß er stürbe, als das; die Justiz aus der Welt käme." Dieses Wort Friedrich Wilhelms I. ist gewißlich eines der ergreisendsten Herrscherworte, die je gesprochen worden sind. Das „suum cuique“ der Hohenzoller» spricht in schrecklichem Ernst daraus. Das Kriegs¬ gericht hatte allerdings in seinem Schlußurteil aus lebenslängliche Festungshaft entschieden, in den Separat-Sprüchen der einzelnen Rangklassen waren aber schon neun Stimmen für Todesstrafe und sieben für Festung gefallen. Der König erwiderte auf den Bericht: „Und da denn dieser Meiste mit der künftigen Sonne trainieret, auch mit fremden Ministern und Gesandten allemal durcheinander gestecket, er aber nicht davor geseßet worden, mit dem Kronprinzen zu komplottieren, au contraire es seiner Königlichen Majestät hatte angeben sollen, so wissen Se. Majestät nicht, was vor kahle raisonS das Kriegsrecht genommen und ihni das Leben nicht abgesprochen hat." Der König stieß das mildere Urteil um und verwandelte es in Todesstrafe. Uns den oben angeführten Worten geht her¬ vor, mit welchen Gefühlen das geschah. Man hat viel Sympathien für den „armen Katt" gehabt. Diese Sym¬ pathien hat dieser hauptsächlich dem zu danken, daß er das, was er gethan hat, für den späteren „großen Friedrich" that, daß man sich kaum je

wfcjl

so

st.

borgen werden konnte, wurde geborgen, ein Rest der Haare des Enthaupteten beispielsweise in einer Kapsel verwahrt. Fontane, der die Gruft besuchte, beschreibt, wie er die Leiche fand: „der Diener faßte den Deckel und schob ihn beiseite. Noch verbarg sich dem äußeren Sarge stand ein uns sein sdeS Sarges) Inhalt. zweiter, der eigentliche, vielleicht der, in den man ihn zu Küstrin gelegt hatte, eine bloß zugeschrägte Kiste mit einem flachen Deckel. Run hoben wir auch diesen und blickten auf das Irdische, was von dem unglücklichen Katt noch übrig ist. Ein hellblauer Seiden¬

In

mantel umhüllt den Körper. Da, wo dieser Mantel nach oben hin aufhört, liegt ein Schädel, neben dem Schädel eine blaue, kunst¬ voll zurechtgemachte, mit Spitzenüberresten geschmückte Schleife, die früher das schöne Haar des Toten zusammenhielt." — Ergreifend erscheint uns die Gestalt von Hans Hermanns Vater. Einst hatte er, ein Liebling König Friedrichs I., als Oberst in den Niederlanden gegen den Marschall Billeroi ge¬ fochten und in der Schlacht bei Ramillies an der Spitze seines Regiments fünfzehn Geschütze dem Feinde abgenommen. Seine Gemahlin war ihm in den Krieg gefolgt, aber in Brüssel starb sie. Er ließ ihre Leiche nach Wust überführen und in einem prächtigen Marmor-Sarkophag beisetzen. Als dann 23 Jahre später das Verhängnis über seinen einzigen Sohn von der angebeteten ersten Gattin herein¬ brach, war er selbst zum Ge¬ neralleutnant ausgerückt und Aus stand in Königsberg. zwei uns erhaltenen Briefen ist ersichtlich, wie das Geschick über den alten ehrenfesten Offi¬ zier hereinbrach. Der erste ist

mit

seinen persönlichen Eigen¬ schaften beschäftigt, dann aber

besonders, weil man fast nie erwägt, worin eigentlich seine Vergehen bestanden. Daß der König die Rücksicht auf den Freund seines Sohnes nicht als eine solche nahm, muß ihm hoch angerechnet werden. Dadurch aber werden die wirk¬ lichen Vergehen Katts zu ge¬ meinen Verbrechen, die bei ihm, wie bei jedem anderen Unter¬ thanen, nur mit dem Tode ge¬ sühnt werden konnten. Es war

vom

25.

August

1730 aus

Königsberg an seinen Bru¬ der, den Kammerpätidenteu von Katt in Magdeburg, gerichtet, also zwanzig Tage nach dem Fluchtversuch des

Kronprinzen.

Er lautet:

Mein lieber Bruder! Mit was Betrübniß ich diese Das Schlotz von Wirst. Feder ansetze, ist Gott bekannt. Hoch- und Landesverrat Ihr werdet von Eurem Sohn im buchstäblichen Sinne, was er begangen hatte, und dafür konnte der König keine andere Strafe ans dem Reich leider erfahren haben, wie unsere gottlosen Kinder sich in das größte Labyrinth gesetzet, und hat Euer Sohn solches finden. Daß Katt Garde-Gensdarmes-Ofsizier war, mußte nur dem Major von Rochau geschrieben. Dieser hat mir dessen Brief verschärfend ins Gewicht fallen. Für den Vater Friedrichs mit der Ordonance anhero gesandt, da ich eben anitzo hier in kamen die anderen Vergehen in Betracht, daß Katt den Kron¬ Königsberg sein und bleiben muß. Ich hab es als meine Pflicht prinzen zum Schnldenmachen und zu Debauchen verleitet hatte, erachtet, meinen Sohn zu abandonnireu, meinen Eid und meine ihn im Unglauben stiiytc und den Zwischenträger bei den HofSchuldigkeit vorzuziehen und Eures Sohnes Schreiben dem Könige intriguen des Kronprinzen machte. Der Tod wäre aber für das mit einer Estafette zu senden. Hat mein Sohn in seinem Dessein alles nicht gefallen. Für den Hochverräter aber gab es keine nicht renssirct, so wird ihm der König wohl arretiren lassen. Ich Gnade. Es hat gewiß etwas Furchtbares, daß der König das kann nichts weiter thun, als seufzen, ihn Gott und des Königs herrliche Monarchenrecht der Begnadigung in sein Gegenteil um¬ Erbarniung überlassen. Adieu, mein lieber Bruder. Gott stärke wandelte. Es ist sicherlich das einzige Mal, daß dies ein Hohen¬ uns in unserem Elend. Ich bin Euer treuer Bruder zoller that, und wird es hoffentlich bleiben. Gewiß hat ihm aber dabei das Herz geblutet, das Wort „daß es Sr. Königlichen H. H. Katt. Majestät leid thäte" zeigt cs. Aber etwas Großes liegt in dem Der Vater nimmt hier entschieden Stellung gegen seinen Sohn. „es wäre besser, daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Welt Er erwartete eben doch wohl nicht, daß es der König zum Acußersteu käme." kommen lassen würde. Als dieses Aenßerste dann aber eingetreten Wust ist altes Kattsches Familiengut; in der an die Kirche ist, haben doch seine Vatergefühle die Oberhand. Der zweite Brief angebauten Erbgruft ruht auch Hans Hermann von Katt. Die zeigt es uns; er ist gleichfalls an den Kammerpräsidenten gerichtet: Familie hatte vom Könige den Leichnam des Gerichteten losgebeten Hochwohlgeborener Herr, werthester Herr Bruder! und lies; ihn nach Wust überführen und in der Gruft, wo schon der prächtige steinerne Sarkophag seiner Mutter, einer geborenen Ich bin Euch unendlich obligiret für Euer herzlich bezeigtes von Wartensleben stand, beisetzen. Wust hat schlimme Jahr¬ Mitleiden. Ja, mein lieber Bruder, Trost ist mir bei diesen be¬ trübten Umständen höchst nöthig; und obwohl der barmherzige zehnte schrecklicher Vernachlässigung durchgemacht, und während dieser Zeit ist dem Leichnam übel mitgespielt worden. Die Kuriositäten- Gott mir viel Gnade gethan und bei meinem schweren Kreuz wut pietätloser Besucher der Gruft hat sich vor der offenbaren soviel Tröstliches gegeben hat, so will doch die natürliche Liebe sich noch nicht brechen, kann sich auch sobald nicht geben! Entweihung der Leiche nicht gescheut. Ein Engländer nahm den vom Richtschwerte durchschnittenen Halswirbel mit, andere nahmen Ich weiß nicht, wie Gott mir alles solchergestalt zuführet, daß es mir zum Trost und Soulagement dienen muß. die Zähne aus dem Schädel als Ändeukeu. Ein junger Oekonom 1 Mein lieber Bruder, ist es nicht tröstlich, dieses schöne und soll gar gewettet haben, daß er den Schädel des Enthaupteten um exempelwürdige Ende? Mitternacht aus dem Sarge holen und wieder hintragen werde. 2. Ist es nicht tröstlich, daß die Execntion in Cüstrin hat ge¬ Er soll eS auch ausgeführt, nachher aber erklärt haben: nie wieder. schehen müssen, um allen Leuten begreiflich zu machen, warum er 4850 kam endlich wieder ein pietätvollerer Besitzer nach Wust, ein Katte n»S der uckermärkische» Linie der Familie. Was noch ge¬ ein saerifiee? .

3. Ebenso, daß das Kriegsgericht ihm nicht das Leben ab¬ gesprochen, sondern des Königs Machtsprnch. 4. Daß mein Sohn so generalement von aller Welt geklaget und bedauert wird. (Es ist etonant, was man hier für ihn thut. Die Menschen sprechen nur von ihm. Sein Portrait haben hier zwei Leute, eines davon der Maler, wo er zeichnen lernte. Dies Bildniß

Er lebte indessen kauin dort, da er an durch sein Staatsamt gefesselt war. 1760 starb er und hinterließ die Herrschaft seinem ältesten Sohne Ludolph August von Katt. Unter ihm sah Wust seine glänzendsten Tage. Die Gnadensonne Friedrichs leuchtete über ihm; der König suchte an der Familie gut zu machen, was einst der Jugendfreund für ihn gelitten hatte. Durch seine Bermittelung, indirekt wenigstens, kam Ludolph August auch zu der Gattin, die ein großes Ver¬ mögen nach Wust brachte. Der König hatte diese, ein geborene Rolas du Rosey für den jüngeren Bruder ausgesucht: die Fainilie sandte Ludolph August, um die Braut wenigstens erst einmal anzuschauen. Man mißtraute dem König als Ehestifter. Es war bekannt, daß er, wenn ihn die pekuniären Verhältnisse zn passen schienen, etwaige körperliche Gebrechen durchaus nicht als Ehehindernis ansah. Run, in diesem Falle lagen solche so wenig vor, daß Ludolph August schleunigst sich in die für den Bruder bestimmte Braut verliebte und als verlobter Bräutigam nach Wufi heimkehrte. Der Bruder fand sich ohne Widerstand in die lleberraschung. Besitzer

von

Wust.

Magdeburg

Und nun begann eine Epoche der Verschönerung für Wust. seltene Bäume, aus England eingeführt, wurden geplauzt, künstliche Teiche angelegt, Statuen aufgestellt: man suchte es den prinzlichen Hofhaltungen gleich zu thun, und da die Herrin mit der Gattin des Prinzen Ferdinand, einer Prinzessin von Brandenburg-Schwedt, intim befreundet war, so war die Anwesenheit von Mitgliedern deß Königshauses nichts Seltenes. Der Aufwand wurde aber zu groß: auch der Rolas du Roseysche Reichtum hielt das nicht ans, und so übernahmen die Söhne beim Tode Ludolph Augusts

Der Garten wurde in einen Park umgewandelt,

total verschuldeten Besitz. Der Aelterc, Hermann,, war nun am allerwenigsten der Mann, das Verlorene wieder zu gewinnen. Er führte ein ziemlich wüstes Leben und trug den bezeichnenden Spitznamen „der Spieler". Schließlich kam er in Schuldhaft und wurde nach Stettin auf die einen

Festung gebracht.

Dann trat der jüngere Bruder Ferdinand die Herrschaft in Wust an. Er trug den Beinamen „der Stiefel-Kattc". Er muß

Dir Kirche von

Wust.

wird oft abgeholet, um copirt zu werden. einige Studienblätter, ans denen der Name Sie kaufen alles weg und zahlen, was er größten Häusern wird er bedauert, als ob

Der Maler hat

noch

meines Sohnes steht. haben will. In den ihnen ein Verwandter

gestorben wäre).

Der Kronprinz soll so wehmütig Abschied von ihm genommen haben. Endlich schreibt mir der König soviel gnädige Briefe und bittet mich recht, mich zufrieden zu geben. Aber, mein lieber Bruder, hart ist es für einen Vater sein Kind auf solche Art zu verlieren. Der König hat mir eine information aus den Akten schicken lassen. Anfänglich habe ich sie nicht lesen wollen, aber nun möchte ich um nichts in der Welt, daß ich diese information nicht halte. Mein Herz möchte manchen Morgen in Thränen vergehen, wenn ich an meinen lieben Sohn gedenke. Manche Zeit geht es, aber dann kommt wieder ein Stoß, so daß ich mich nicht fassen kann. Und doch mein lieber Bruder, lasset uns den barmherzigen Gott und seine Zuchtruthe in Demuth Mein Sohn -hat mich einige Stunden vor seinem Ableben gebeten, unsern Albrecht nach Halle zn schicken, und ein Päddagogio in Gottesfurcht erzielen zu lassen. Er hätte Freylinghausens Theologin viermal durchgchöret: die thäte ihm an seinem Ende wohl. Ich möchte mich nicht sosehr betrüben über seinen Abschied. Er versicherte mir, daß er gewiß selig werde und hat dem Prediger zum Zeugniß seines Glaubens die Hand gegeben. Run, mein lieber Bruder, lebt wohl. Ich bin Euer getreuer Diener H. H. Katt, Königsberg, den 19. Dczbr. 1730.

küssen..

...

Während der zehn Jahre, die Friedrich Wilhelm I. noch lebte, hat er den alten Vater Katts mit Gnadenbeweisen überhäuft. Es ist ihm aber nicht gelungen, vergessen zu machen, daß eS seine Hand war, die ihm den Sohn genommen hatte. Es ist der schmerzliche Aufschrei seines Baterherzens, wenn er an seine Schwägerin, die Gattin des Kammerpräsidenten, schreibt: „— Aber morgens und Abends quälet mich sein Tod. DeS Königs gnädige Briefe können ihn mir nicht wiedergeben." Da der Generalleutnant ebenso wie seine zweite Gattin und deren beide Söhne bald starb, so wurde der Kammerpräsident

Das Erbbegräbnis der Familie Katt. vollkommen geistig unzurechnungsfähig gewesen sein, denn seine einzige Leidenschaft bestand darin, unzählige Stiefeln jeder Art und aus allen möglichen Ledersorten zn besitzen. Darin' ging das letzte aus, was noch vom Kattschen Vermögen vorhanden war. Wust wurde unter ihm auf das grauenhafteste verwüstet: die Statuen wurden zerschlagen und von den Bauern als Bausteine

l 250

benutzt; was an Dokumenten vorhanden war, zum Ofenheizen verwandt, aus den Gemälden wurden Schürzen für die Knechte gemacht. Schließlich, als alles verwüstet war, wurde das Herren¬ haus geschlossen und damit, ganz unfreiwillig, wenigstens das ge¬ rettet, was auf Böden und in Kellern vergessen und versteckt stand. 1850 kam dann endlich die Wiederaufrichtung. Mit dem neuen Besitzer, der jetzt in Wust lebte, zog der Geist der Ordnung

und der Pietät für die Vergangenheit und ihre Spuren Namentlich Fra» von Katt machte es sich zur Lebensaufgabe, was sie irgend fand zu konservieren und vieles aus Trümmern und Bruchstücken wiederherzustellen. Endlich waltete wieder historischer Sinn und ihm verdanken ivir, was heut Wust reizvoll macht. ein

Carl Laughammer.

Gustav Kühne 1843 in Berlin AM»rennpunkt deutscher Gesinnung, Kunst und Wissenschaft?" Sollte man für Berlin nicht lieber Brennessel 3 x 55 . „Wirklich? sagen, weil Berlin so stechend nab brennend ist," so ungefähr leitet Gustav Kühne sein Werk „Fasching in Berlin 1843" ein, das das bekannte Mitglied des jungen Deutschlands im gleichen Jahre veröffentlicht hat. Gustav Kühne war damals 37 Jahre alt und nicht zum erstenmale in der Hauptstadt Preußens. Er war ein geborener Magdeburger, hatte als junger Mensch in Berlin studiert und namentlich Philosophie unter Hegel und Schleiermacher. Run stand er der Großstadt, die damals (1843) etwa 300000 Einwohner hatte, als gereifter Mann gegenüber, der eine Anzahl Werke
is die Wartburg versetzte. Diese dem Hause Branden¬ burg verliehene Würde war die Veranlassung, daß die Träger dieses Namens sich nun zumeist „Grafen von Wartburg" nannten. Standen sie doch als solche (nicht aber als Grafen von Branden¬ burg! dem Range nach vor den Grafen von Mühlberg. Als weiterer Beweis ihrer Machtstellung mag gelten, daß sie das sogenannte „Geleit von der Brandenburg" hatten: d. h. sie geleiteten gegen Bergütnug die von der hessischen Grenze kommenden Kauf¬ leute bis in das Geleitshans nach Eisenach. Amt und Ansehen des Vaters erbte sein Sohn Burkhard'. (Greve Borghart), der 1184 ein jähes Ende fand. Gelegentlich der vom Kaiser Rotbart angesetzten Schlichtung eines Streites zwischen Erzbischof Konrad von Mainz und Landgraf Ludwig III. von Thüringen, die am 26. Juli 1184 in Erfurt stattfinden sollte, brach der Fußboden des Saales, in welchem sich die Versammlung befand: die meisten Teilnehmer kamen zu Tode, darunter Burkhard von Brandenburg. Von seinen zwei Söhnen, deren im Sänger¬

krieg ans der Wartburg gedacht wird, erbte der ältere, Albert, die Würde des Burggrafenamtes auf der Wartburg und wird als „oomes" bezeichnet, während der jüngere, Ludwig, einfach „nobilis" heißt. Er begleitete den Landgrafen Hermann 1196 auf seinem Kreuzzug nach Jerusalem. Sein Name bleibt ver¬ schollen, und man darf annehmen, daß er sein Leben verlor. Dann nennt die Geschichte zwei weitere Brandenburger, von denen aber nicht nachgewiesen werden kann, wessen Söhne sie sind: Ludwig und Burkhard, von denen „oornes de ersterer wieder Wartperg", letzterer „eomes de Brandenberg" heißt. Beide schlossen sich 1227 dem Kreuzznge Ludwigs des heiligen, Elisabeths Gemahl, an, der aber bekanntlich schon 1228 in Otranto dem Fieber erlag. Ludwig starb kinderlos im heiligen Lande, nur Graf Burkhard sah die Heimat wieder. Aber er war des Kriegsgetümmels müde geworden und sehnte sich nach beschaulicher Lebensfreude und Ruhe. Daher entschloß er sich, das fast ein

Jahrhundert lang, mit Ruhm und unter Anerkennung verwaltete Burggrafenamt auf der Wartburg niederzulegen, das nun in andere

Hände überging. Das alte Stammschloß aber, die Brandenburg oberhalb der Werra sah jetzt wieder fröhliches Leben in seine Mauern einziehen, denn Burchard hatte drei Söhne und eine Tochter, die sich 1272 mit Gerhard von Salzungen vermählte. Eine auffallende Erscheinung ist es, daß der alte Graf Burkhard plötzlich das Wappen der Brandenburger Grafen in einen Adler mit zwei Köpfen änderte, vielleicht um damit die beiden Grafschaften Brandenburg und Wartburg anzudeuten. Der in der Mitte horizontal geteilte Schild zeigt im Schildhaupte den zwei¬ köpfigen Adler, die untere Hälfte besteht aus mehreren Quer¬ balken. Er führte dieses Wappen schon um die Mitte des

Jahrhunderts. Gegen Ende seines Lebens aber war der einst so wackere Haudegen ein „gar frumber Mann" geivorden, der in christlicher Demut das stille Glück seines Lebensabends genoß und den selbst Papst Alexander V. als „seinen geliebten Sohn, Edelmann Graf von Brandenburg" bezeichnet. Kein Wunder, daß die Kirche sich ihn zum Liebling erkor, und Burkhard gleiches mit gleichem vergalt, indem er ihr „auf Antrieb der Frömmigkeit fürVergebung der Sünden" freigebig „einen Teil seines Eigentums" schenkte. Dem ersten Teil folgte ein weiterer und dann noch fernere, seltsamerweise unter Zustimmung seiner Kinder und seines Eidams. Als ihm 1275 sein „Filius et heres“ Albert II. folgte, hatte die römische Kirche bereits ihren Arm soweit ausgestreckt, daß Albert genötigt war, den Stammsitz des Geschlechts, die starke Veste Brandenburg an Landgraf Albrecht von Thüringen (den Entarteten, Unartigen) zu überlassen, der sic für seinen würdigen Sohn Apitz käuflich erstand. 1284 verzichtete Albert II. auf einen großen Teil seines Erbes, 1306 versetzte er die Brandenburg (daz nedirhuz — das Nieder¬ haus) an den Rat und die Stadt Erfurt. Die hereinbrechende Armut des Hauses ließ den Stern dieses edlen Geschlechtes schnell sinken. Albert war der der letzte Brandenburger, welcher noch den Grafentitel führte. 1288 wird er nlir noch als ein indes aufge¬ führt. sein Helmschmuck trug sieben Federn und sein Siegel zeigte nur die schlickte Umschrift „Albert von Brandenburg." Rasch ging es nun immer weiter bergab mit dem einst so

edlen Geschlechte. Noch einmal leuchtete auf kurze Zeit ihr Stern auf, als ein Reinhard wieder zum Burgvogt der Wartburg er¬ nannt wurde (1360), bis Landgraf Friedrich („der Strenge") an dessen Stelle Albert zum Bnrgvogt ernannte. Reinhard verkauste dann noch seine letzten Zinsen und Güter der einstigen Grafschaft Brandenburg, und obgleich er vier Söhne, sein Bruder Albert drei besaß, verschwindet der Name Brandenburg immer mehr, das Grafenhaus geht seinem Ende entgegen. 1435 taucht noch einmal flüchtig ein Name auf: Reinhard ist der letzte Brandenburger, mit ihm verschwindet das Geschlecht vom öffentlichen Schauplatze und aus der Geschichte. Ueber die späteren Besitzer der Brandenburg erfahren wir daun noch, daß das „Niederbans" oder das vordere (nach Westen gelegene) Schloß besaßen: 1306 die Stadt Erfurt (als Pfand), von Heringen, 1388 abermals die Stadt Erfurt, 1322 die Herren 'Marschalle von Thomasbrück, 1392 die Herren von 1390 die und außer manchen anderen die Herren von Boynebnrg-Anstein, ' Rcckrodt. Durch Lehnsbrief vom 10. März 1575 wurde durch Friedrich, Pfalzgraf bei Rhein und Herzog in Bayern, von Augnstns, Herzog zu Sachsen, Landgraf in Thüringen und von

Hans Georg, Markgraf zu Brandenburg als Vormündern

der Herzoge Johann Casimir und Johann Ernst zu Sachsen, dem Hermann von Rcckrodt die Brandenburg, „das fordere Schloß" samt allen seinen Dörfern, Leuten u. s. w. zu Lehen gegeben. Der letzte ansässig gewesene Adam Ludwig von R. starb 1703. Auf seinem Leichenstein wird er „Herr aus Brandenburg" genannt.

In

letzter

Zeit ist der zerstückelte Reckrodtschc Anteil durch die

Freiberren von Riedesel fast ganz iviedcr vereinigt worden, an den Weimarschen Staat gekommen und von diesen 1881 an den Freiherrn von Rotenhan-Nenenhof.

Das „Oberhaus", die «nach Osten gelegene) Hinterburg^ jeden¬ falls die interessantere, ging durch zahlreiche Hände: 1359 Scheide-

1374 von Sitzlcbcn, von Balken, 1375 von Wcberstädt, 1373 findet sich ein „Herda zu Brandenburg". Ihm folgte 1396 (sein Sohn?) Fritz von Herda, von dem ein Lehensbrief sagt: „mit dem Haus Brandcnburgk belehnet". Aus der Brandenburg in der alten Burgkapclle schlummern zwei Herdas: Hans, Konrad, Philipp, kaiserlicher Botschafter und Bastian. Eberhard v. Herda bekannte sich znm evangelischen Glanbrn. Sein Sohn Sigmund, Wöls von Herda liegt in der evangelischen Kirche zu Lauchröden be¬ graben. Man' darf wohl annehmen, daß um diese Zeit also die Brandenburg'Erschon im Zerfall war. Der letzte Herda starb 1892 vermachte testamentarisch sein ganzes Besitztum, kinderlos. einschließlich der Brandenburg, seinem Renntmcister Wölbing, der Hoffentlich währt es sie 1895 dem wcimarischen Staat abtrat. nicht lange, bis auch das Nicderschloß in die Hände des Staates übergeht und so die Krone Weimar die Doppelburg ganz besitzt. kops,

W. Zinckc.

P

258

peoülekoy des Hsp. Klans Groth. (Zu (einem uchtrigken Geburtstag.)

®n

demselben Jahre, da Fritz Reuter seine „Lauschen un IUmcls" hatte ersckieine» lassen, trat auch ein anderer plattdeutscher Dichter vor die Oeffcntlichkeit: 1853 schenkte Klaus Groth seiner engeren Heimat den „Ouickboru", der in der That zu einen, Erfrischungsquell geworden war. Der Lebensgang Reuters war verschieden von dem des Sängers Mit tausend Masten war Reuter ins Leben der Dithmarschen. hinausgeschifft, hatte Schiffbruch gelitten und war späterhin glücklich, eine bescheidene Stellung gefunden zu haben, Groth dagegen hatte sich aus kleinen Verhältnissen em¬ porgearbeitet, die politischen Stürme hatten seinen Lebensgang nicht be¬ rührt, und aus dem ehemaligen

M

übertreiben und vielleicht „»bewußt entstellen, einseitige Urteile fällen, voreilig generalisieren. Tic Wahrheit aber kann nur eine sein. Keinen anderen Ma߬ Lassen wir daher die Thatsachen sprechen. stab erkennen wir als berechtigten an, denn die uncrbitterliche, genaue, freilich etwas langweilige Statistik, welche in ihren stummen Ziffern auch diese vielfach verschlungenen Zusammenhänge aufzuhellen vermag. Auf dem Lande, in den Kleinstädten mag die „Tienstbotensrage" Was aber die Reichs¬ anders liegen als in den Großstädten. hauptstadt angeht, so sei zunächst eine Thatsache festgestellt, die manchem befremdlich klingen dürfte: Unter den 28 deutschen Gro߬ städte», die bei der letzten Berufszählung im Jahre 1895 über 100 OOu Einwohner besaßen, steh! die Zahl der Dienstboten in Berlin durchaus nicht hoch. Auf je 1000 Einwohner entfielen in der reichen Handels¬ welche

stadt Frankfurt a. M. 73 Dienst¬ boten, in Stuttgart 71, in unserer Schwesterstadt Eharlottenburg 70 in Berlin jedoch nur 38. Weniger

Schreiber und Schullehrer war ein Ehrendoktor der Philosophie und Universitätsprofessor geworden. Wenn auch Klaus Groths Ruhm sich nicht so rasch die Welt erobert hat wie Reuters, wenn auch sein

Dienstboten zählte man im wesent¬ lichen nur in den großen Industrie¬ städten des Westens und in Sachse». Dieser Umstand ist bezeichnend sowohl für die Wohlhabenheit wie für die Zusammensetzung der Be¬

bescheidener ist als die poetische Kraft des Mecklenburgers, so ist Groth doch zu de» besten Poeten der Gegenwart zu zählen; er gehört zu den hervorragendsten

Talent

völkerung. Es wird daraus er¬ sichtlich, ein wir großer Zusammen¬ hang zwischen der Zahl der in¬ dustriellen Arbeiter und der Zahl der Dienstboten besteht. Je mehr die eine Schicht der Bevölkerung vor¬ wiegt, desto geringer ist die andere.

Lyrikern, und nur wenige trafen glücklich den Ton des Volks¬ liedes wie er, Klaus Groth wurde am 24. April 1819 zu Heide in Dithmar¬

so

schen

geboren,

er

besuchte

Noch offensichtlicher

wird

dieser

Zusammenhang, wenn wir die einzelnen Teile dieser Riesenstadt bezüglich der Dienstbotenzahl durch¬

das

Schullehrer-Seminar zu Tondern, und erhielt dann in seinen, Ge¬ burtsorte eine Stellung als Mäd° cheulehrer. Seine Mußestunden

mustern. Ta begegnen wir unge¬ heueren Verschicücnheilcn. In einem Arbeiterviertel, der östlichen Luisen¬ stadt jenseits des Kanals, entfallen auf je 10 000 Einwohner nur 501 Dienstboten, dagegen im Wohnsitz der oberen Zehntausend, i», Ticrgartcnvicrtel, nicht weniger als 4222, also fast die Hälfte. Hier ist die körperliche Arbeit so gut wie ausschließlich durch die Dienstboten vertreten. Allein noch viel Bedeutsameres plaudern diese stummen Zahlen ans. Tie Zahl der Haushaltungen mit Dienstboten ist in ununter¬ brochenem und beträchtlichen Rück¬ gänge befindlich. Im Jahre 1875 besaßen noch über ein Fünftel, da¬ gegen im Jahre 1890 nur noch ein

benutzte er zu philosophischen, mathematischen, und naturwisscnschaftlichcn Studie». 1847 begab er sich zur Wiederherstellung seiner angegriffenen Gesundheit nach der Insel Fehmarn, wo er während eines fünfjährigen Aufenthalts die meisten seiner Gedichte schrieb. Im Jahre 1858 ging Groth nach Kiel, bereiste später Deutschland und die Schweiz und „ahm dann, nach einem zweijährigen Aufenthalt zu Bonn, wo er zum Ehrendoktor der Universität ernannt wurde, seinen Wohnsitz zu Dresden, von ivo er 1857 wieder nach Kiel über¬ siedelte. Hier habilierte er sich 1858 als Dozent für deutsche Sprache echstel aller Berliner Haushal¬ und Litteratur, und wurde 1866 tungen Dienstboten, und im Jahre zum Professor ernannt. 1895 knapp ein Siebentel. Aber Seinen Ruf als Dichter begrün¬ selbst im Tiergartenviertel war es dete er vor allem durch „Ouickboru", nur wenig über die Hälfte aller eine Sammlung von Gedichten in Haushaltungen, die Dienstboten lUans Groth im achtxigflcn Lebensjahre. dithniarfischcr Dtundart, von denen hielten, in der Lniscnsiadl gar nur sowohl die kleineren, rein lyrischen der zwanzigste Teil. wie die romanzenartigcn den Ton des Volksliedes glücklich treffen, und „Verteil»", eine Reihe von dithDabei ist in Betracht zu ziehen, daß gerade in letzter Zeit vielfach »inrsischen Dorfgeschichten, die sich durch die einfachste Lebcnswahrheil Familien Dienstboten halten, deren Mittel ihnen eigentlich derartigen auszeichnen. „Luxus" nicht gestatten. Es geschieht das bei „kleinen Leuten" der Handhabung der plattdeutsche» Sprache bekunde, Klaus Groth eine Meisterschaft und Sicherheit, wie vor ihm kein anderer Handwerkern, Kaufleuten rc. — mehr zur Unterstützung im Geschäft, zu Botengängen u. s. s. als zu voller Beschäftigung in der Hauswirtschaft. Dialektdichtcr. Fiele deren beträchtliche Ziffer hinweg, so würde die Dienstbotenschar Da die Vorzüge seiner Poesien zum Teil vom Material der Sprache unzertrennlich sind, so vermag keine llcbcrtragung ihren ganzen Zauber noch mehr zusammenschrumpfen. Wie alles in der Welt hat diese Erscheinung ihre Ursache, die jedoch wiederzugeben. Eine Sammlung hochdeutscher Gedichte, „Hundert Blätter", folgte dem „Ouickboru". Von seinen übrigen Werken in platt¬ keine einfache ist, sondern einen Komplex verschiedenartig wirkender deutscher Sprache verdienen noch „Voer de Goer»", und die Dichtung Motive in sich begreift. Es kann nicht davon die Rede sein, daß die „Rvthgerbcr-Meister Lamp un sin Dochdcr" Hervorhebung. Wohlhabenheit der Berliner Haushaltungen annähernd im gleichen Maßstabe abgenommen habe. Liegt doch für entgegengesetzte Schlüffe Klaus Groth feiert am 24. April seinen achtzigsten Geburtstag; unsere besten Glückwünsche begleite» ihn bei dem Eintritt in das neunte genügendes Thatsacheumatcrial vor. Eher ist die Annahme berechtigt, das; Jahrzehnt seines Lebens. die unseligen Wohnungsverhältnisse der hauptstädtischen Bevölkerung ein vollgerüttcltes Maß von Schuld an der Abnahme der Dienstboten tragen. der That hat die Dichtigkeit des Wohnens in Berlin leider im Laufe der Jahre zugenommen, und damit wächst die Schwierigkeit der Unterbringung von Dienstboten, zumal polizeiliche Vorschriften de» ärgsten Mißbräuchen der Mädchengelassc aus Hängeböden k. ein Ende bereitet haben. Jedenfalls aber ist das kein ausschlaggebendes Moment „The greatest plague in life“, das grösste Uebel im Leben, für die Verminderung. ueuncii unsere Vettern jenseits des Kanals die Dienstboten, „HansEs kommt nun weiter die Konkurrenz derjenigen Bernfssklave»" heiffcn sic »ach einem modernen Schlagwort. Wo ist da zweige in Frage, welche den betreffenden Mädchen in der Reichsbanptder richtige Standpunkt zu finden? Man begebe sich zu einem Tamcnstadt offen stehen. Die Zahl derartiger Berufszweigc >vie der in ihnen knsfec mit oder ohne Herren oder in eine Agitationsvcrsammlung der beschäftigten Arbeiterinnen und Angestellte» ist in jortdnuerndem AnEmanzipierten — immer wird man Parteien, Interessenten vernehmen.

In

Berliner Dienstboten.

In

\

254

Ganz tiriir Erwerbsarien sind in den letzten Jahren entstanden oder doch gewaltig ausgedehnt worden, die so gut wie aus¬ schließlich auf weibliche, zumeist wenig vorgebildete Arbeitskräfte ange¬ wiesen sind. Und mit auswärtsgehender Geschüftskonjunktur der letzten Periode verstärkt und verschärft sich natürlich diese Konkurrenz besonders für die ne» in den Dienst tretenden Mädchen. Diese wechseln gar häufig die Herrschaft. Mitunter ist ihnen damit das ganze Dienstver¬ hältnis verleidet, sie glauben sich als Verkänferinne» oder als Arbeite¬ rinnen materiell besser und jedenfalls ungebundener zu stehen, oder sie folgen dem Rat von Freundinnen und Agenten, die gerade solche Kräfte suchen und dafür klingenden Entgelt erhalten. Mitunter sind die außer Stellung befindlichen Dienstmädchen direkt zu derartiger Arbeit zeitweilig gezwungen und bleiben dann bei derselben. Vergleicht man die Lage der Arbeiterinnen mit der der Dienstboten, so ist allerdings der Geldlohn der letzteren keineswegs ein hoher zu nennen, wenn er auch, dem Zuge der Zeit folgend, beträchtlich gegen ftüher gesttegen ist. Sonderbarerweise hat sich in diesem Punkte die Thalerwährung hartnäckig behauptet. Nach den Angaben des Statistikers I>r. E. Hirschberg*), denen wir mancherlei Fingerzeige verdanken, stellt sich der mittlere Lohn der Mädchen für Alles auf 55 Thaler und steigt bis 80, während Kindermädchen etwas niedriger, Hausmädchen etwas hoher entlohnt werden, dagegen Köchinnen auf 70—100 Thaler, Ammen noch besser sich stehen. Dazu kommt die reichliche, jedenfalls vollauf genügende Kost, eine Reihe von Ncbcneinnahmen, das übliche Weih¬ nachtsgeschenk ungerechnet, twic Trinkgelder, Ostergeschcnkc, bei Bade¬ reisen, Festen re.). Vor allem aber fällt ins Gewicht, daß die Dienst¬ boten von der schlimmsten Plage der ,,freien" Arbeiterin, der Arbeits¬ losigkeit geschützt sind, da bei Tienslausiritt eine neue Herrschaft sich zumeist sofort findet. Im Krankheitsfälle ist nach der Gesindeordnnng die Dienstherrschaft einzutreten verpflichtet, wofern sie sich nicht bei dem dafür bestehenden Verein freiwillig versichert. Ebenso werden die Kosten und mehr noch die Unbequemlichkeiten der Alters- und In¬ validenversicherung wohl durchgängig seitens der Dienstherrschaft ge¬

Ter Hauptteil dieser vollständigen Revolutioniern»:) des Haus¬ haltes entfällt jedod, auf die Anpassung und Gewöhnung, an die sid) vorbereitende Aenderung des Dienstverhältnisses. Diese kann nur lang¬ sam erfolgen. Und weil wir uns zur Zeit in einem Uebergangsstadium befinden, ist die Dicnstbotensrage eine so quälende und brennende. Rudolf Grätzer.

nmdijeii Iirgrijfcn.

Ein neuer märkischer See. dem Dorfe Halbe im Kreise Teltow hat sich seit kurzem ein neuer Sec gebildet. Halbe liegt ungefähr 70 Kilometer von Berlin entfernt an der Berlin-Görlitzer Bahn und beherbergt in seinen kleinen, nod) nii: Stroh gedeckien Häuschen haliptsächlid) Ziegelciarbeiter denn die ziemlich öde und sandige Gegend ist reid) an Thon, und die Ausbeutung der reichen Thongruben hat mehrere Ziegeleien dicht beim Orte entstehen lassen. In einer dieser Thongruben wurde nun im vorige:: Jahre von Arbeitern eine Ouellc angcsdslagen, weldze alsbald mit crheblidser Gewalt hervorsprudelte und sowohl die bctresscndc Grube sowie mehrere benachbarte unter Wasser setzte. Die in der Grube befiudlidse» Arbeiter konnten sid, damals nur mit großer Mühe vor dem Ertrinken retten. Ter leidste Sandboden begünstigte die Aus¬ breitung des Wassers sehr, und da die Onelle beständig hervor¬ sprudelte, so sank ein Stück Land nad> dem anderen in die Wassermasse hinein. Vergebens versuchte nian durch Ausschüttungen der weiteren Ausbreitung des Sees Einhalt zu thun, das Wasser wühlte weiter und weiter und eines Tages sank ein breiter Streifen des südlidien Ufers mit der darauf befindlidscn Feldbahn, weldsc das Ansd)üttungsmaterial herbeischaffte, in die Fluten. Auch dies¬ mal konnten Menschen und Pferde nur mit knapper Rot ge¬ rettet werden. Nicht lange darauf stürzte did,t neben dieser Stelle ein weiterer Teil des Ufers ins Wasser. Wiederum suchte man durd) ver¬ mehrte Anschüttung den Sec in bestimmte Grenzen einzuschränken, jedoch vergebens — was in mochenlanger Arbeit errungen war, vernidftete ein einziger Absturz. Tie Arbeiten sind durd) den leichten Fließsand sehr ersd)wcrl und selbst Fasd>incn und eingerammte Pfähle können in demselben der gewaltigen Kraft des sprudelnden Wassers nicht Wider¬ stand leisten. Trotz aller üblen Erfahrungen ist man dod) immerfort bemüht, neue Anschüttungen vorzunehmen, um einige Häuschen bei den Ziegeleien, die gefährdet sind, zu schützen. In den letzten Wod)en ist es wieder gelungen, dem See ein Stück Land abzugewinnen, aber wie lange diese Aufschüttung bestehen wird, läßt sid) nicht voraussehen. Zur Zeit bedeckt der neue Sec eine Fläche von zehn Morgen, stellen¬ weise ist er acht Meter tief und auf seinem Grunde gurgelt es un¬ heimlich, die Ouellc sprudelt beständig weiter und die trüben Wasser¬ massen wühlen Tag und Nacht in dem leichten Ufersande. G. A.

Up« et

tragen.

So kann cs keinen: Zweifel unterliegen, daß durchschnittlich die Lage der Dienstboten materiell eine günstigere ist als die der Arbeite¬ rinnen. Allein es zeigt sich, daß durchaus nicht allein das Ergreifen eines Berufs von seiner materiellen Ergiebigkeit abhängig ist, wie eine moderne, oft gehörte, aber irrige Theorie lehrt. Die Gebundenheit an das Haus und seine Ordnung, die stete Dicnstbercitschaft, mit einem Worte die im Wesen dieses Berufes nun einmal begründete Abhän¬ gigkeit haben durchaus unberechtigterweise eine Mißachtung des Ticnstbotcnstandes erzeugt. unserer sozial so außerordentlich fein¬ fühligen Zeit wird dies gar sehr tief empfunden. Man vergleicht hier diese stete Dicnstbercitschaft mit der durch Technik, Sitte und den Zwang der Gesetzgebung zumeist begrenzten festen Arbeitszeit. Gerade weil sie ihm versagt ist, erscheint die „goldene Freiheit" dem Dienstmädchen weit mehr in hellerem Licht. Das ist echt menschlich. Malt sich doch ein jeder die ihm versagten Freuden eines anderen Berufes doppelt schön aus. Und n:an vergesse nicht, es handelt sich hier um zumeist sehr junge, aus Landstädten oder Dörfern eingewanderte Mädchen, welche die „Großstadtluft", von der sie jo viel Geheimnisvolles gehört mit doppelt geschärften Sinnen und unverdorbenen Nerven cinsaugen, und die nun sich unglücklich wähnen, wenn sie die Genüsse nicht „voll und ganz" empfinden können. Dazu kommt ein weiteres, ebenfalls psychologisches Moment. Ueberall, wo ein engeres Zusammenleben von Menschen erforderlich ist, die sich nicht seil langem kennen, ist ein gewisser Konfliktstoff bei an sich unbe¬ deutenden Anlässen von selbst gegeben. Kommt nun aber, wie in: Ver¬ kehr mit den Dienstboten hinzu, daß diese Fremden der untergebene Teil sind, so entsteht mangels der seltenen Kunst, Menschen behandeln und sich in ihre Individualität schicken zu können, häufig ans beiden Seilen eine Spannung, ein Gefühl der Gegensätzlichkeit, das innerlich nicht be¬ gründet ist, aber trotzdem existiert und schlimme Früchte zeitigt. Die Schattenseiten des Verkehrs treten in den Vordergrund. Dem wäre abgeholfen, wenn die Dienstboten lange bei einer und derselben Herrschaft blieben. Allein das ist nicht der Fall. Sieben bis neun Monate bilden die Regel in Berlin. Diese Durchschnitlsziffer des Stellenwechsels bedeutet viel mehr, als sie scheint' denn da immerhin eine nicht unbeträchtliche Zahl von Dienstboten in der nämlichen Haus¬ haltung verbleibt, so ist bei der übrigbleibenden Mehrzahl der Wechsel eigentlich das Beständige, „der ruhende Pol in der Erscheinungen

In

Flucht". Die Dienstzeugnisse sind ebenso wie die sechswöchige Kündigungs¬ frist aus Wohlthat Plage geworden. Denn entweder stellt die Herr¬ schaft ein günstiges Zeugnis aus, um den Mädchen nicht zu schaden, auf die Gefahr hin, w:e das schon geschehen ist, gerichtlich wegen wissentlich falschen Zeugnisses belangt zu werden. Oder das Mädchen verliert das Sud); über 1000 Bücher müssen jährlich dergestalt er¬ neuert werden. Im ganzen ergiebl sid) aus den vorstehenden Betrachtungen, daß die Dienstherrschaft nictjt im Vorteil ist. Es ist das nämliche Verhält¬ nis, wie der König in Grillparzers „Esther" es von seiner Umgebung

in

-Ich Euer Herr?

aussprid)t:

klassischer Weise

Ihr

seid's, Ihr seid die meinen" — Damit kommen wir auf den Punkt, wo die dargelegten Mißstände

sid) in Reformvorschläge verdichten. Es hat unmcrklich aber thatsächlich, wenigstens in den Großstädten, eine vollständige innere Veränderung des Verhältnisses zn den Dienstboten Platz gegrisien. Das patriarchalische System löst sich auf, was sich schon darin zeig:, daß viclfad) anstatt der Kost eine Geldenlsd)ädigung gegeben wird.

*) Tie stehe besonders

soziale Lage der arbeitende:: Klassen

E. 274 ff.

in Berlin. O. Liebman», Berlin

1897,

Kirnst und Wissenschaft. Theater. ;

qL eiratet nicht aus Liebe! Das war die Moral von dem Schauspiel ggf „Eine Liebesheirat" von A. Baumberg, das am 15. April im Neuen Theater gegeben wurde. Soll man denn überhaupt heiraten? Tie Verfasserin bleibt die Antwort darauf schuldig. Hagestolze würden diese Frage verneinen, und heiratsfähige Mädchen dürften derartige Fragen thöricht finden. Die Autorin hat es sd>lcd,t getroffen, indem sie in eine Ehe Einblick that, wo der Mann ein Taugenichts, und die Frau ein Engel war. Es giebt indessen auck) Liebesheiraten, bei denen das Umgekehrte der Fall ist oder die im allgemeinen gut aussd)lagen. In¬ dessen wäre es das gute Rcd,t der Verfasserin, eine verkrachte Liebes¬ heirat zu schildern; nur müßte sie auck, wirkliche und wahrhaftige Menschen anführen. A. Baumberg will aber das Theater zu einer moralischen Schaubühne machen, von der herab sie bewegen will, daß es nur dann tunlidi sei zu heiraten, wenn man entweder ein reiches Mädchen ist, oder einen reichen Mann bekommt oder aber, wenn beide Licbcsleute reid) sind. Sonst aber scheint cs nad> der Ansicht der Ver¬ fasserin besser ledig zn bleiben. Frcilid) so schled,t wie das Viviscktionsobjekt der Verfasserin trifft es nicht jedes arme Mädchen, und er giebt Die bedauernswerte Frau, deren auck) lcidlid) anständige Männer. Eheleben in der „Liebesheirat" seziert wird, ist ein vollkommener Pechvogel; sie trifft nur auf Männer, die in ihr aussd)ließlich das Weib sehen. Ihr Ehegatte war einst Obcrleutenant und sic ein armes, adeliges Fräulein gewesen. Da die and) in Oesterreich notwendige Kaution — das Stück spielt in Oesterreich — nicht aufzutrcibe» ist, nimmt er seinen Abschied, geht zur Post über und heiratet die Geliebte. Wäre das Mädchen ebenso scharfsinnig gewesen wie die Verfasserin der „Liebes¬

heirat", so hätte es sich gesagt, daß ein Mann, der der Liebe wegen seinen Lebcnsbcruf aufgicbt, nickst immer ein Charakter, sein :nuß, daß er auck) aus unüberlegtem Leichtsinn handeln kann, daß er aber nack) dem Abschied vom Militär auf alle Fälle ein Deklassierter wird und daß es eines tiefen, sittlichen Ernstes bedarf, um sid) in die neuen ärmlichen Verhältnisse zu schicken.

255

In

der jungen Ehe geht es auch recht kümmerlich her, aber sie büll eine Reihe von Jähren vor. Ta naht das Verhängnis. Ein ehemaliger Regimentskamerad, der Karriere gemacht hat. schneit eines Tages in die ärmliche Häuslichkeit hinein, der Ehemann lägt sich verleiten, Karten zu spielen und sogenannte Ehrenschulden zu machen, die er nicht bezahlen kann. Und die Ehrenschulden will er mit der Ehre seiner Frau bezahlen. Ob es solche Männer giebt? Eine französische Anekdote weiß von einem Ehemann zu berichten, der von der Schande seiner Frau in Herrlichkeit und Freuden lebte. Die Frau wollte ihn auf die Probe stellen, um zu erfahren, ob er wisse, woher der Lurns käme und ließ ihm mehrere Tage hinter einander nichts anderes als einige gekochte Eier zuni Mittag vorsetzen. Anfangs würgte der Ehe¬ mann das kärgliche Mahl hinab ; schließlich wurde es ihm aber zu viel. Er warf die Eier an die Wand und rief wütend: ..Est-ce. que c'est uh diner pour un cocu?" Es mag demnach auch solche Männer gebend die Frau aber ist besser als ihr Mann: sie verläßt den Lump. A. Baumberg hat entschieden eine feine Beobachtungsgabe. Tie Einzelheiten sind treu nach der Natur gezeichnet: die ganze Misere eines ärmlichen Hausstandes grinst dem Zuschauer entgegen. Das Stück ist auch geschickt aufgebaut, und doch ist die „Liebesheirat" kein wirksames Drama: es fehlt ihm der ethische Kern, den auch ein naturalistisches Stück haben muß. Es ist kein einheitliches Bild, sondern eine Aneinanderdoch

reihung von vielen Momentaufnahmen. Die Autorin wird zweifellos wertvolle Werke liefern, wenn sie sich gewöhnt, keine ausgetüftelten Ver¬ hältnisse zu schildern. Die Zeiten des Naturalismus sind vorüber: die Detailmalerei ist ja an sich recht hübsch, aber sie darf die Hauptsache nicht überwuchern, sie darf sich nicht in den Vordergrund drängen. Wird A. Baumberg erst Bühnenerfahrungen gesammelt haben, so wird sie schon von selbst dabinter kommen, was ein Drama lebensfähig und litterarisch wertvoll macht.

Berliner Chronik. Am 7. April dieses Jahres feierten im Südosten Berlins eine Reihe von Straßen ihren 50jährigen Geburtstag. Es sind dies das Bethanien-Ufer, die Brandenbnrgslraße (nach dem Ministerpräsidenten benannt, das Elisabeth-User, das Engel-Ufer, der Heinrichsplatz (nach dem am 30. Dezember 1781 geborenen Prinzen Heinrich benannt), die Jakobikirchstraße, der Kaiser Franz Grenadierplatz, die Mauteuffelstraße (nach dem Ministerpräsidenten genannt), der Mariannenplatz, die Mariannenstraße, das Mariannenufer, die Mathieustratze inach dem Gärtner Charles Louis Mathieu genannt), Michaelkirchstraße und -Platz, Oranienplatz, Pücklerstraße, Wrängelstraße, Zeughofstraße, ferner die Annen-, Melchior-, Schund-, Waldemarstraße und der Lausitzer Platz. Mt dieser Namengebung am 7. April — die Kabinetsordre, die aü diesem Tage veröffentlicht wurde, trägt das Datum vom 24. März 1849 — kam die im Jahre 1841 begonnene Separation des Kvpenicker Feldes zu einem gewissen Abschluß. Das letztere umfaßte das Gebiet zwischen der Köpenickerstraße, der Alexandrinen- sdamals Feld-) straffe und der Stadtmauer, die im Zuge der Gitschiner- und Skalitzerstratze lag. Das Dreieck, das durch diese Straßen gebildet wird, war noch im Jahre 1831, abgesehen von der Dresdenerstraße und der Stall¬ schreiberstraße, die beide in Landstraßen zum Kottbuser Thor endigten, völlig unbebaut. Erst in den vierziger Jahren begann mit der Sepa¬ ration des Köpeniker Feldes, in welcher der 7. April 1849 einen Mark¬ stein bildet, die ungeheure Bauthätigkeit, aus der das moderne Berlin 8.0. hervorgegangen ist. Am 10. April feierte der Hofbuchbindermeister Georg Collin, Mitinhaber der Firma W. Collin, sein 25 jähriges Meisterjubiläum. Ter Jubilar hat vor einem Bierteljabrhundert den Prinzen Heinrich, der wie alle preußischen Prinzen ein Handwerk erlernt hat, in der Buch¬ binderei unterrichtet. Das Meisterstück, welches er dem damaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm vorlegen muhte, wurde auf Wunsch des Kronprinzen dem Kunstgewerbe-Museum einverleibt. Am 10. April übernahm Oberstleutnant von Knobelsdorfs, bisher beim Stabe des Infanterie-Regiments Nr. 94 in Weimar, das Kommando des Garde-Füsilier-Regiments. Am 12. April waren 125 Jahre seit der ersten Aufführung von Goethes „Götz von Berlichingen" in Berlin verflossen, welche im Jahre 1774 in der Behrenstraße an derselben Stätte stattfand, an welcher gegenwärtig der Palast des Metropol- (Linden-) Theaters steht. Das Stück wurde von der Kochschen Gesellschaft aufgeführt und erlebte bis zum Jahre 1777 24 Wiederholungen. Der Aufführung am 24. November 1774 wohnte der Dichter selbst bei, der um diese Zeit mit dem Herzog Karl August nach Berlin gekommen war. Im könig¬ lichen Hof- und National-Theater, dem jetzigen Schauspielhause, ging Goethes „Gütz" am 8. Februar 1795 zum erstenmale in Szene. Die Titelrolle war mit Ferdinand Fleck, die Rolle der Maria mit Friederike Unzelmann besetzt. Im Viktoria-Park ist jetzt die Ausstellung der Hermen- Denk¬ mäler der Dichter aus der Zeit der Befreiungskriege vollendet.

Vereinsnachrichten. „Brandenburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Als Mitglieder sind aufgenommen: Herr Konsul Ernst Vohsen, Königgrätzerstraße 110, Herr Oberlehrer Wilhelm Reuter, Weinstraße 27.

Eintritt

sind gemeldet: Herr Fuhrherr E. Beck, SW., Einführende: die Herren Euler und E. Friede!. Herr Kausmann Paul Hanck, Lützowstraße 41. Einführende: die Herren Wilh. Ritter und O. Pniower. Herr Kgl. Kreis-Bauinspektor Franz Jaffü, Neue Winterseldtstraße 45. Einführende: die Herren E. Friede! und Eugen Körner. Frau Olga Künne geb. Reiche, Charlottenburg, Einführende: die Herren R. Buchholz und Englische Straße 12. E. Friede!. Herr Oe. Walther Schacht, Apothekenbesitzer, NW., Friedrichstraße 153a. Einführende: die Herren Callies und E. Friede!.

Zum

Kochstraße 57.

Die Gesellschaft unternimmt am 11. Juni einen Ausflug nach Guben und dem benachbarten Buderose, Besitztum des Herrn Or. Kräusel. In Guben hat sich ein Ausschuß, an dessen Spitze der Oberbürger¬ meister und unser Ehrenmitglied Prof. vr. Jentsch stehen, gebildet, um die Mtglieder der „Brandenburgia" zu empfangen und ihnen Gelegen¬ heit zu geben, die sehr interessanten Sehenswürdigkeiten der alten Stadt unter sachkundiger Leitung in Augenschein zu nehmen. Nach Buderose, einem idyllisch gelegenen, alten Rittergut mit schönem Park und Herren¬ haus, das von Guben aus in einer anmutigen Wasiersahrt zu erreichen ist, hat Herr Or. Kräusel die Gesellschaft freundlichst eingeladen.

Verein für dir Geschichte Berlins. Vereinsjahres: Sonnabend, den 1899, abends 7 1 /., Uhr, im Ralhause, Zimmer Nr. 63. (Ein¬ gang von der Jüdenstrahe.) Vortrag des Herrn Kammergerichtsrates Or. L. Metzel: „Wie man zur Zeit König Friedrich Wilhelms I. in Berlin Häuser baute." 13. (5. außerordentl.) Sitzung des 35. Vereinsjahres: Mittwoch, den 26. April 1899, nachmittags 3 Uhr. Besichtigung deS Königlichen Stadtschlosses und der Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam. Die Mitglieder benutzen den Borortzug 2" Uhr vom Hauptbahnhof 22.

12. (4. Arbeits») Sitzung des 35.

April

der Potsdamer Eisenbahn. Ankunft in Potsdam 2“ Uhr. (Der Stadt¬ bahnzug vom Bahnhof Friedrichstraße 2" Uhr trifft erst 3 12 Uhr in Potsdam ein.) Spaziergang über die Lange Brücke zum Königlichen Schloß. Der Eintritt in den Schloßhof erfolgt von der Humboldtstraße. 3 Uhr Besichtigung des Schlosses in Gruppen von 30 Personen. 4 Uhr Vortrag über die Geschichte des Schlosses im großen Saal. Danach begeben sich die Teilnehmer durch den Lustgarten und die Breitestraße zur Garnisonkirche, deren Besichtigung um 5 Uhr beginnt. Herr Hofprediger vr. Rogge hat sich freundlichst bereit erklärt, in der Kirche die Führung zu übernehmen und die erforderlichen Erläuterungen zu geben.

Hierauf Wanderung durch die Stadt zum Hotel Zimmermann, Brandenburgerstraße 81, woselbst gegen 7 Uhr das Abendessen ein¬ genommen wird.

Teilnehmerkarten zu beiden Besichtigungen einschließlich Abendessen für Mitglieder ä 1,50 Mark, für Gäste ä 2 Mark spätestens kur¬ zum 25. April, abends 6 Uhr, bei Herrn Hofjuwelier Otto Rosenthal zu entnehmen. Der Eintritt in das Schloß sowie in die Kirche erfolgt nur gegen Vorzeigung der Einlaßkarte. sind

Kleine Mitteilungen. Das Grabdenkmal Heinrich von Stephans, des ehemaligen Staatssekretärs im Reichspostaml, wurde am 8. April auf dem Treifaltigkeitskirchhof in Gegenwart seiner Angehörigen und eines engen Kreises von früheren Freunden enthüllt. Das Denkmal stellt einen Obelisk dar, vor dem ein trauender Genius mit einem Lorbeerkranz in der Linken steht. Die hohe Gestalt neigt das feingeschnittene verhüllte Haupt in Trauer. Auf der einen Seitenfläche des Obelisken ist das Geburtsdatum, auf der anderen der Sterbetag eingemeißelt. Auf dem Sockel verbreitet eine aufgehende Sonne ihre Strahlen. Die Umschrift lautet „Ewiger Friede". Das Denkmal macht einen künstlerisch vor¬ nehmen Eindruck. Der letzte Rest der „Schmalen Gaffe" wird demnächst vom Erdboden verschwinden, und mit ihrer Vernichtung wird wieder ein Teil des malten Berlin zu Grabe getragen. Die „Schmale Gasse" be¬ findet sich am nördlichen Ende der Rosenstraße, zwischen Neue Friedrichstraße und Heidereutergasse, und ist eine Sackgasse, die eher einem schmutzigen Hofe als einer öffentlichen Straße gleicht. Die östliche Hälfte der Gasse verschwand bereits beim Ban der großen Warenhäuser in der Rosenstraße, sie führte zur Klosterstraße hindurch und bildete einen Teil des in der Geschichte der Berliner Prostitution berüchtigten Viertels „Rosenstraße-Künigsniauer". Demzufolge wurde sie in früheren Zeilen auch als „Frauengäßlein" bezeichnet und trug eine Zeit hindurch, gleich der Rosenstraße, den Namen „Rosmariengasse", außerdem wurde sie auch „Bullenwinkel" genannt. Jetzt werden nun die letzten Häuser der „Schmalen Gasse" abgerissen, um einem großen Warenhause Platz zu machen, und mit ihnen auch die angrenzen¬ den Häuser in der Neuen Friedrichstraße, Rosenstraße und Heidereutergasse. Unter den Gebäuden in der letztgenannten Gasse, ivelche die Nummern 6—8 umfassen, ist besonders dir. 8 von geschichtlicher Be¬ deutung, weil sich hier ehemals die städtische „Büttelei", die Wolmuug des Berliner Scharfrichters befand. Dieser hatte die Aussicht über die „Fräulein so an der Unebre saßen" zu führen und wohnte deshalb mitten unter ihnen. Später befand sich hier auch die Wohnung des Aufsehers über die städtischen Waldungen, des „Heidereuters", von dem

256 Nachdem die Scharfrichterei im die ©risse ihren Namen erhielt. Jahre 1725 vor die Thore der Stadt verlegt worden war, erbaute ein gewisser Meyersheim an Stelle der niedergerissenen Abdeckereigebäude ei» Brauhaus, das nachmals zu einem Wohnhaus umgebaut wurde und jetzt bei dem Abbruch verschwindet. Zur Zeit Friedrich Wilhelms IV. war der Name der Heidereutergasse nach der dort erbauten jüdischen Schule bezw. Synagoge in den Namen „Schulstraße" umgewandelt worden, als der König aber davon Kenntnis erhielt, billigte er diese Neuerung nicht, und der alte Name wurde wieder beibehalten.

Neue Funde in der Mark. In der fürstlichen Heide bei Horno er>ai,er wäre nunmehr vollauf berechtigt, über seinem Lustspiel

290 den Vorhang fallen zu lassen. Denn es ist modische Sitte, ein Theaterstück, das einen kleinen Lcbensausschnitt wiedergeben soll, mit einem Fragezeichen abzuschließen. Die Zuhörer sollen immer 'mit nach Hanse nehmen, wo sie es noch etwas nicht ganz Gelöstes sodann nach eigenstem Gutdünken auseinander fädeln können. Da dieses Lustspiel sich aber nicht auf der Bühne abspielt, und der

Verfasser auch durchaus nicht zu den ganz Modernen zählt, so wird man es möglicherweise nicht ungern sehen, wenn der Vorhang noch ein klein wenig oben bleibt. Alles, was Leserin und Leser viel¬ leicht noch wissen wollen, wird der Autor freilich auch nicht sagen können . . . aber doch mancherlei . . .

Die Gäste des Hauses begannen in der That bereits Im Herrenzimmer lag der Amtsrat ungeduldig zu werden. Kielmann in einer Sofaecke und brummte. „Herr von Kletzel, wissen Tie vielleicht, was eigentlich los ist!?" „Tübingen ist verschwunden, Tenpen ist verschwunden, schrie er. Haarhans ist verschwunden, alles ist verschwunden! Herr von Gries, ist Ihnen je solche Wirtschaft vorgekommen?! Herr von Kahlencgg, wenn Sie rauchen wollen, rate ich Ihnen, probieren Sie einmal die Bock. Aber gehen Sie raus damit. Ein Kerl, der Tübingen! Will mich an der Rase herumführen! Ich gut¬ mütiges Schaf koklc mir auch wirklich seine Musfrika an . . . ich habe noch den Geschmack im Munde! . . Giebt's hier denn keinen Kognak?! Graf Dachsberg, haben Sie nicht gesehen, ob sich hier irgendwo ein Kognak herumtreibt?! Der Riedecke ist auch ver¬ schwunden: alles ist verschwunden. Kinder, es ist kein Zug im .

.

.

Hause!" . . Natürlich war Riedecke verschwunden: jedoch aus guten Gründen und gemeinsam mit Stupps. Denn beide hatten einen Befehl 'runter erhalten, der sie in große Erregung versetzte. „Vorwärts, in den Keller!" hatte Baron Tübingen ihnen zugerufen: „noch sechs Flaschen Champagner herauf! Aber nicht Sillery, sondern von dem Cliguot England — zweites Regal, links oben! Kalt genug ist er. lind frische Gläser! Aber dally, dally!". .

Stupps raste die Treppe hinab, und kopfschüttelnd kletterte der alte Riedecke hinterher. Was war denn passiert?! Nicht Sillery moussenx, sondern Cliguot! Seine Marke?! — die er höchstens einmal gab, wenn der Oberpräsideut zu Gast in Hohen-Kraatz war?! . . Inzwischen hatte Tübingen die gesamten Herrschaften in den

Saal gebeten. „Nanu?" meinte der alte Kielmann. „Soll etwa getanzt werden? Der Tübingen hat manchmal solche Schnurren im Kopf!".. Aber die Sprache versagte ihm, als Riedecke und Stupps mit dem Cliguot erschienen. Dann dämmerte eine schreckliche Ahnung in ihm aus. „Kinder, seid vorsichtig!" schrie er. „Das ist wie mit

großen

'nem

Cliquotetikett! Riedecke, Das ist Weißbier mit den Pfropfen her! Stupps, zeig' mir mal den Pfropfen! Ich will erst dran riechen! Ich will erst den Brand sehen!". . „Meine lieben Gäste," begann Tübingen, während der Amtsrat die Pfropfen beschnupperte und sich zu seinem angemessenen Er¬ staunen von der Richtigkeit deS Brands auf de» Korken überzeugte, „Ihr wißt, ich liebe so kleine Ueberraschungen. Na — und heute habe ich auch eine für Euch. Ihr seid doch jedenfalls alle der Ueberzeugung, Max sei in Afrika gewesen — nicht wahr? Pro ste¬ in ablzeil — er war nicht da — ich hab' ihn einfach auf die Hochzeitsreise geschickt! Aber — nämlich" — ganz glatt wickelte — „das sollte sich die Rede vor dem erstaunten Publikum nicht ab den Bocks!

verborgen bleiben, und deshalb haben wir eine niedliche kleine Komödie gespielt, bei der unser Freund Doktor Haarhaus sozu¬ sagen den Regisseur machte. Max hat sich mit einer jungen Dame aus gut bürgerlichem Hause, mit Fräulein Elise Warnow, ver¬ heiratet, und da mußten erst die verschiedenen Familicnbestimmungen in Bezug auf die Erbfolge nn Majorat in Ordnung gebracht werde». Es sollte vorher kein unnötiges Gerede geben — unnötiges Gerede

verbitte

ich

mir überhaupt! Wer unnötig

redet

—"

„Eberhard," flüsterte die hinter Tübingen stehende Baronin mahnend: denn sie fürchtete, ihr Gatte würde heftig werden und Aber den Gästen ein paar liebensmürdige Grobheiten sagen. Tübingen lenkte sofort ein.

„Na — nun

können wir aber frei von der Leber fort reden," „Morgen zieht meine Schwiegertochter in HohenKraatz ein, und meinen kleinen Enkel bringt sie auch gleich mit. Eberhard heißt er und hat blaue Augen, lind als Anhängsel zu diesem freudigen Ereignis habe ich die Ehre, den Herrschaften zu¬ gleich mitzuteilen, daß ich soeben meine Tochter Benedikte mit dem Grafen Semper Brada verlobt habe. Die heiraten aber erst in anderthalb Jahren. Ich bitte die Gläser zur Hand zu nehmen: ich als Schwieger- und Brautvater bringe ein donnerndes Hoch aus meine beiden jungen Paare aus!" . . Das Hoch brauste wirklich donnernd durch den Saal. Dann schrie er weiter.

wogte alles durcheinander; Händeschütteln, Umarmungen, Schulter¬ klopsen, Lachen und Gratulieren . . . Frau von Lohusen machte ein Gesicht, als ob sie alles viel besser wisse und nur darauf warte, ihr Wissen an den Mann zu bringen. Reinbold raunte Freese zu: „Lieber Freese — wahrhaftig . . . es weht Verlobungsluft in Hohen-Kraatz" . . . und Trude, die in der Nähe stand, wandte Der alte Kielmann räsonnierte ans seinen Neffen sich errötend ab. Haarhaus, weil dieser ihn nicht in das Geheimnis gezogen habe, und packte dann Herrn von Kletzel an einen Rockkuops.

„Lieber Kletzel, merken Sie was?" wisperte er. „Ganz klar ist die Geschichte nicht. Ist sie nicht, sage ich Ihnen. Schnüffeln Sie 'mal ein bißchen herum — das giebt einen Roman. Vielleicht auch ein Lustspiel. Ich klatsche." „Das wird Frau von Lohusen schon besorgen," antwortete ■

Herr von Kletzel, und der Amtsrat

meckerte

lustig.

.

.

Die Baronin vergoß unausgesetzt Thränen, während Tübingen, der vergeblich seine Aufregung zu meistern suchte, sehr laut war, und Graf Teupen kopfnickend von Gruppe zu Gruppe wanderte, ohne sich viel an der Unterhaltung zu beteiligen. Es ging ihm doch etwas wider den Strich, daß man ihm bei all seiner feinen Diplomatie eine so ungeheuer lauge Nase gedreht hatte. Und daß Frau von Seesen im Mittelpunkte der Verschwörung gestanden — das setzte allem die Krone auf! Trotzdem war Teupen durchaus nicht bei schlechter Laune: er lächelte und rieb sich die Hände, und als er an Frau von Seesen vorüberkam, nickte er ihr zu und sagte: „Hätt' mir's ja denken können, Marinka, daß Sie nicht wieder

heiraten werden!" diese mit leicht gekräuselter Lippe erwiderte: Mensch ist unvernünftig, lieber Gras. Wer weiß, ob ich

Worauf

„Der

nicht doch noch einmal. . ." Haarhaus hatte Benedikte und Brada in eine Ecke genommen. „Sie haben mich „Liebes gnädiges Fräulein," sagte er. — Ihnen zu: rechtmäßig. aber ich gesteh' neulich böse gestraft Doch nun reichen Sie mir die Hand, damit ich weiß, daß wieder alles in Ordnung zwischen uns ist. Ja —?" Sie that es und wies dann aus ihren Bräutigam, dessen rosiges Gesicht so glücklich aussah wie das eines Schnlknaben, der eine gute Zensur bekommen hat. „Schön, Herr Doktor," entgeguete sie;

„es sei vergessen und vergeben! Aber Sie müssen auch dem da die Patsche geben; .denn der hat im Grunde genommen mehr zu verzeihen als ich" . . . lind kräftig drückte Haarhaus die ihm entgegengestreckte Hand

Bradas. Eine Stunde später waren die Lichter im Parterregeschoß des Herrenhauses von Hohen-Kraatz erloschen. Als letzter Wagen rollte der Langcnpfuhler aus dem Parkthor. Max saß Frau von Seesen gegenüber, die ihn im Erlcnbrnch „abladen" sollte. Er sprach nicht viel. Sein Herz war übervoll. Ob die Kabinettseingabe betreffs der Aenderung in den Bestimmungen über die Erbfolge

Majorats Erfolg haben, oder ob er einem der Zwillinge den Platz würde räumen müssen — im Augenblick war ihm das völlig des

gleichgiltig. Denn im Augenblick dachte er an nichts anderes als an Weib und Kind, denen er endlich die Heimat erobert hatte . . . So bald schlummerte man auch im Herrenhause noch nicht ein. In den Zimmern der Mädchen ging es noch längere Zeit recht lebhaft zu. Zwar war Benedikte gleich ihrem Bruder stiller als gewöhnlich. Doch ihre glänzenden Augen sprachen an Stelle der' Lippen. Sie brauchte nun keinen Menschen mehr danach zu

291

fragen, wie man die Liebe empfinde. Run wußte sie es . . Trude schwatzte dagegen unaufhörlich. „O, Dikte, welch ein Tag!" sagte sie, in ihr Bett schlüpfend. „Es war ein großer Tag. Daß Dein Bruder verheiratet ist, hat mich am wenigsten aufgeregt. Er sah schon seit längerer Zeit stark verheiratet aus. Aber Deine plötzliche Verlobung! Freilich — so etwas kommt immer plötzlich. Relly, nicht wahr?! Eine Verlobung kommt immer plötzlich?! — Sie sitzt schon wieder in der Badewanne. O, Dikte, ich weiß nicht, wie mir ist! Ich habe solch' Herzklopfen. Du, Dikte — Pastor Rcinbold hat prachtvolle Zähne. Wenn sein Vollbart erst mächtig über die Brust herabwallt, wird er wie ein Apostel aussehen. Die Rase wird dann gar nicht mehr auf¬ fallen. Er hat etwas sehr Liebes . . . Dikte, schläfst Du schon? — Hast Du beobachtet, was Doktor Haarhaus für Augen macht, wenn er in die Nähe der Frau von Seesen kommt? Dikte, mir ahnt allerlei. Ich wette, daß . . . nein, ich wette nicht! Relly, sind Sie schon im Bette? Dikte, sag' doch ein Wort! O, seid Ihr langweilig! Ich habe solch Herzklopfen!" . . Im Schlafzimmer der Baronin schritt Tübingen auf und ab, während sich seine Gattin aus dem Sessel vor dem Schreibtische niedergelassen hatte. .

Seiten überrumpelt worden. Und nichts ist gerade so gekommen, wie ich erwartet habe. Der Max hat sich echt Tübingensch aus¬ geführt statt Teupensch, und von der Dikte habe ich eine viel

Wahl vorausgesetzt." „Es kommt immer anders, als man glaubt, Eleonore.

demokratischere

Rur

eins hat Dich nicht im Stiche gelassen, etwas ganz Teupensches: das berühmte Heiratsjahr Deiner Familie. „Auch das; ich betrüge mich niemals selbst. Max hat ja doch schon vor anderthalb Jahren geheiratet. Es stimmt also wieder nicht" . . . Tübingen beugte sich lachend über seine Frau und küßte sie. „Laß Dir's nicht nahe gehen, Alte. In dieser Stunde kann ich schon einmal „Alte" sagen; es hört ja sonst keiner. Ich bin ganz zufrieden; ja, ich bin sogar recht glücklich, Eleonore; denn ich sehe, die Kinder sind's auch. Und wachsen Bernd und Dieter einmal heran, und es kommt ihr Heiratsjahr, so denke ich, wir lassen auch sie frei wählen, wie es ihnen um das Herz ist. Es ist doch nun einmal etwas Schönes um das Recht der Selbst¬ bestimmung, und nimm mir's nicht übel, etwas Barbarisches um unseren Majoratskodex."

„Nimm ein Brause¬ pulver, Eleonore," sagte Tübingen, „ich bitte Dich darum. Das schlägtnieder, und ich verstehe ja, dag Du erregt bist. So etwas passiert einem nicht alle Tage. Und siehst Du, ich freue mich doch über den Max. Du magst sagen

was Du willst:

es

war

ehrenwert, daß er seinem Herzen gefolgt ist!" „Aber das Majorat," klagte die Baronin und

führte ihr Riechfläschchen an die Rase.

„Das Majorat — na

ja! Läßt

sich

die Erbbe¬

stimmung nicht auf gesetz¬ lichem Wege ändern, so wird Max eben Verzicht leisten müssen." — „Aber, liebster Mann,

dann erwachsen uns ja HcilsndsKirrhr bri Sarrotv. doch neue Verwickelungen! (Zum Artikel „Städte- und Landschaftsbilder.") Keine Menschenseele weiß, ob Dieter oder Bernd der Der ist aber Tübingensch, Eberhard ältere der Zwillinge ist! Wer soll denn Hohen-Kraatz einmal erben?!" Tübingen fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Ist er. Aber auch die Tübingenschc Tradition kann einmal „Donnerwetter — das ist eine infame Geschichte! Da hast ausgeklopft werden. Und deshalb werde ich mir Audienz beim Du recht. Die Zwillinge sind gleich alt. Ganz egal — dann Könige erbitte», damit seine Gnade uns den Staub aus der tonnen sie sich die Erbschaft ausknobeln! Eleonore, das hat alles Ueberlieferung bringt. Einverstanden Eleonore?" noch Zeit. Kommt Zeit, kommt Rat. Vorläufig bin ich Gro߬ „Ja, mein Freund, — aber mit schwerem Herzen. Was Du vater, und Du bist Großmutter. Großmutter, Eleonore! Eberhard Staub nennst, ist für mich Patina: die ehrwürdige goldene Hülle heißt er und hat blaue Augen. Morgen früh können wir schon der Zeit. Trotzdem — das Glück der Kinder steht mir über mit unserem Enkel spazieren gehen." jeglichem persönlichen Empfinden." „Aber, Eberhard, er kann ja noch gar nicht laufen!" „Recht so, Eleonore! Dem Glück der Kinder opfert man selbst „So fahr' ich mit ihm spazieren!" „Du hast Dich ganz närrisch mit dem Jungen! . . Gott, ein Stückchen eigenes Herz. Run brauchst Du auch kein Brause¬ pulver zu nehmen. Die Ueberzeugung, daß Du richtig gehandelt wenn er doch schon hier wäre!" „Ra, siehst Du, Eleonore, nun hast Du Dich wieder närrisch hast, wird Dich ohne kalmiercndes Schaumwasser schlafen lassen. mit ihm, und ich denke, daß wird immer so abwechselnd gehen, Gute Rächt, mein Lieb! Morgen vormittag haben wir ihn. Ich und hat bis . . . Nämlich, bei dem einen wird es ja wohl nicht bleiben. denke, ich werde von ihm träumen. Eberhard heißt er zur Paris in Aber daß er Tübingensch. ist Das Augen. blaue Reihe." In zwei Jahren kommt Dikte an die Diplomatie. höherer von zeugt Hohen-Kraatz, nicht in kam und Welt Verlobung Die doch man nicht! „Ach, Eberhard, davon spricht der Dikte kam auch

so

aus dem Hinterhalt.

Ich bin von allen

Und das ist alleweil Teupensch"

.

.

.

292

Städte- und Landschaftsbitder. Potsdam. jppjfon Ausländern, die Potsdam und Versailles kennen, habe ich oft Potsdam den Vorzug geben hören. Der Vergleich

noch mehr zur Geltung bringt. 1841—44 ließ der König die Kirche durch Persius bauen, der es verstand, den Charakter der italienischen Hochrenaissance-Basilika mit ihrem freistehenden Glockenturm (campanile) wahrhaft genial den ört¬ lichen VerhäÜnissen anzupassen. Vor uns links liegt nun Klein-Glienicke, einst des Prinzen Karl Fürstensitz: rechts heben sich die grotesken nor¬ wegischen Dächer der kaiserlichen Matrosenstation Kongsnäs, umgeben vom satten Grün der hohen Bäume, vom Himmel ab. In der Mitte liegt die Verbindung der beiden Ufer, die lange Glienicker Brücke, deren Westende schon in die Berliner Vorstadt Potsdams mündet. Vor uns schaukelt die „Royal Louise" auf den Wellen, die Fregatte, die der englische Hof dem preußischen Hofe schenkte. Der Prinz-Regent sandte sie einst Friedrich Wilhelm UI., doch das damalige schiff zerfiel bald, und 1832 wurde deshalb eine zweite, ganz aus Mahagoniholz gebaut, von Lord Fitz Clarence überbracht. Wir passieren die Glienicker Brücke, die 1834 dem Verkehr übergeben wurde. Rechts liegt nun die Potsdamer Vor¬ stadt, links der Park von Babelsberg. Es gehört zu dem In¬ teressantesten, zu sehen, mit was für Stätten der Erinnerung und kleineren Bauwerken der pietätvoll feine Sinn Wilhelms l. diesen Park übersäet hat. Da ist der Flatowturm, die von den Büsten der 1870er Heerführer umgebene Bank, das Bildstöckl, das nach dem Gefecht bei Waghäusel am 29. Juni 1849 hierher versetzt wurde, und eines der merkwürdigsten, der Bau der

seinem Charakter

■ji®

liegt in der That sehr nahe. Schon der Charakter der Stadt, die Lage in der Rahe der gewaltigen Metropole, die Anlagen der Schlösser als königliche Ruhesitze inmitten gewaltiger, parkartiger Gärten, fordert dazu auf. Aber wen ermüdete nicht die endlose Fensterreihe des Versailler Schlosses, die zahllosen Räume, die am Ende gar keirien eigenen Charakter mehr zu haben scheinen,

Matroscnltation von der Walserseite. ivo eines dem anderen gleicht, weil eben der Auffassungsfähigste schon stumpf wird, wenn er kaum die Hälfte gesehen hat. Und dann die „g-randes eaux“, das „bain des Dames“ und am letzten Ende die kleinen „Trianon"-Schlösser. Es imponiert im ganzen, ist gewaltig selbst noch im einzelnen, aber es läßt kalt. Wenn man es einmal gesehen hat, ist man damit fertig. Dagegen Potsdam! je mehr man sich umschaut, umsomehr wird man angezogen. Auf Schritt und Tritt neue Bilder: jedes einzelne in sich vollendet und, trotzdem sie so bald einander folgen, stören sie einander nicht, sondern heben sich eher in der Wirkung. Und dann das momentan pulsierende Leben überall, das Gefühl: der Herrscher und der Hof benutzt diese Gärten und Schlösser fortwährend, das Empfinden des steten Verbundenseins des Mo¬ narchen mit seinem Volk, das die Hohenzollern stets und immer in den Vordergrund gerückt haben! Sonntag und Wochentag sind Gärten und Park gefüllt von Besuchern, Spaziergängern, Kindern. Und um Versailles: Alle vier Wochen im Sommer eine Massen¬ wanderung von Paris dorthin, um die Wasserkünste springen zu sehen, die auf Kosten der Sonderzüge stellenden Eisenbahnverwaltnng dann in Thätigkeit gesetzt werden: sonst nur die Paar Fremden, die, mit einem Büdecker bewaffnet, hier und da auftauchen und die Leere und das Kolossale nur noch mehr zur Empfindung bringen. Und dann, wie ist dort alles in der Anlage schon darauf zugeschnitten, die misera ecmtribuens plebs abzuhalten. Die französischen Könige lebten eben in steiler Höhe, fern von ihrem Volk, und als dann das gegenseitige Verständnis gänzlich ge¬ schwunden war, mußten sie die Folgen ihres Jahrhunderte lang fortgesetzten Fehlers erdulden. Das Hohenzollernsche, „ich bin der erste Beamte des Staates", hat eben keiner von ihnen gefühlt und berhätigt. Und so ist auch die ganze gewaltige Schloßund Gartenanlage von Versailles eine Welt für sich. Wie anders in Potsdam: Wie greift da überall die Stadt mit Winkeln, Vor¬ städten, Anlagen in die Parks des Königshauses hinein! Wie hat alles intime Beziehungen zu einander! Und das ist es un¬ zweifelhaft, was auch die fremden Besucher dauernd fesselt, die nicht einmal die persönlichen Empfindungen ahnen können, die in uns das Philosophenheim unseres „alten Fritz", der Sommerwohnsitz des ersten Kaisers im neuen Reich, der so ganz die schlichte Vor¬ nehmheit seines Charakters atmet, wecken. Schon wenn man mit dem Dampfer die Havel herab kommend an der Pfaueninsel vorbei sich Glienicke nähert, fällt einem in die Augen, wie all¬ überall die Könige mitten in ihr Volk treten, nicht eifersüchtig Schönheiten in einem umgrenzten, nur für Ausgewählte zugäng¬ lichen Gebiet zu ihrem ganz alleinigen Privatvergnügen schaffen, sondern überall das ihrige thun, um durch Bauwerke an der rechten Stelle die ganze Landschaft zu verschönern. Sacrow taucht zu unserer Rechten auf mit einer der Kirchen, die der Künstler König Friedrich Wilhelm IV. mit feinstem Geschmack und Stilgefühl um Potsdam herum an der Havel errichten ließ, überall dadurch einen feinen Reiz in die schlichte märkische Flußlandschaft bannend. Unsere Abbildung zeigt, wie gerade diese Kirche mit ihrem vier¬ eckigen Turin und der graziösen Säulenhalle sich einfügt in das Gesamtbild und es dabei doch durch die feine Kontrastwirkung in

!

Berliner Gerichtslaube. Jahrhunderte lang hatte diese Stätte der Berliner Gerichtsbarkeit, der alte berliner „Schöppen¬ stuhl" an der Ecke der Spandauer- und Königsstraße in Berlin gestanden, und als sie dann fiel, war es der Kaiser, der voll historischen Sinns das Bauwerk genau in der alten Form und teilweise auch aus dem ursprünglichen Material 1872 hier in seinem Park wieder aufbauen ließ. Alle Eigentümlichkeiten des ursprünglichen, wohl Ende des XIII. Jahrhunderts entstandenen Bauwerks finden wir wieder; auch den „Kaak", die seltsam groteske Figur am Eckpfeiler, unter der sich der Pranger befand. Bald hinter der Glienicker Brücke teilt sich nun die Havel und läßt die Freundschafts-Insel zwischen ihren beiden Armen liegen, über die Potsdams „Lange Brücke" führt, die geradezu auf den Paradeplatz vor dem Stadtschloß mündet. Vom Potsdamer Stadtschloß ist die ganze Bedeutung Potsdams ausgegangen. Damit daß der große Kurfürst sich dieses Schloß von de Chieze errichten ließ, wurde die Stadt zur Residenz erhoben, und seitdem ist sie der Lieblingsaufenthalt aller Hohenzollernfürsten geblieben. Philippe de la Chieze war 1660 ans schwedischen in brandenburgische Dienste getreten. Er entstammte einer piemonteser Familie und war im „Schönbau" wie im „Festungsbau" wohl erfahren. Der große Kurfürst schätzte und ver¬ alten

wandte seine Kraft bei den mannigfachsten Bauwerken seiner Regie¬ rungszeit, u. a. sogar auch für denBau des Friedrich Wilhelms-Kanals.

S. W. Fregatte Royal Louise.

Man muß sich das von de Chieze errichtete Schloß jeden¬ falls in viel anspruchsloserer Form vorstellen, _ als wir es jetzt sehen. Dafür aber reichten die Bäume des Lustgartens bis an seine Mauern. Erst Friedrich Wilhelm I, der seine „blauen Kinder" unter seinen Augen exerzieren sehen wollte, ließ ihn abholzen und so den jetzigen Exerzierplatz Herstellen. Das ursprüngliche Gebäude war schon unter König Friedrich I. durch die runden Flügel und Anbauten von Rehring und de Bodt nach dem

203

Marktplatz zu erweitert worden, und erhielt dann seine heutige Gestalt durch einen vollständigen Ilmbau unter Friedrich dem Großen. Knobelsdorfs, deS Königs Baumeister hatte die Gesamtanlage allerdings viel großartiger geplant. Er hat aber auch so in den beengten Verhältnissen, die ihm die Abstriche seines Bauherrn auszwangen, einen der schönsten Rokokvbanten der Welt geschaffen. Namentlich in der Dekoration einzelner Jnnenränme,

wie des Schlafzimmers und des Arbeitszimmers des Königs. Eine Zierlichkeit und Grazie spricht hier aus jeder Farbenstellung, jedem Ornament, wie sie nur erlesenstem Geschmack entspringt. Und wie artet der Stil zu jener Ueberladung und geschmacklosen Ueppigkeit aus, die gerade das Rokoko in einen unverdienten

Verruf gebracht haben.

Carl Langhammer.

(Ein zweiter Artikel folgt.)

Ein Reisebericht über Berlin ans dem Jahre Üjwfiii Jahr vor Beginn

des dreißigjährigen Krieges wurde

Berlin

Augsburger Gelehrten und Patrizier Philipp Hainhofer (geboren 1578, gestorben 1647) besucht. Hainhofer berührte Berlin aus der Durchreise nach Stettin, wohin er fuhr, um dem Herzog Philipp II. von Pommern, dessen Korrespondent und Berater in Kunstsachen er war, einen kostbaren zweimal

von

dem

Kunstschrank und andere Kunstgegenstände für seine Kunstkammer persönlich zu überbringen. Ueber seine Reise von Augsburg nach Stettin führte der süddeutsche Gelehrte, der nach der Sitte der da¬ maligen Zeit mit vielen Fürsten in Briefwechsel stand, ein Reise¬ tagebuch, welches davon Zeugnis ablegt, daß Hainhofer ein guter Beobachter war, der mit offenen Augen durch die Welt reiste. Aus diesem Reisetagebuch, das 1834 im 2. Bande der „Baltischen Studien" erschien, folgen im Nachstehenden die Aufzeichnungen Hainhofers im Auszuge, soweit sie sich auf die damalige brandenburgische Hauptstadt beziehen, über welche auS jener Zeit nur spärliche Nachrichten vorhanden sind. Philipp Hainhofer verließ seine Vaterstadt Augsburg am 3. August 1617. Nach einer beschwerlichen Reise von siebzehn Tagen traf er am 30. August in der Schwesterstadt Ber¬ lin-Kölln ein, die da¬ mals etwa 15000

Spital"),

so

1617.

hart am Thor bei der Vogelstangen liegt; das so Stralow heißt und eine Meile

Stralowsche vom nächsten Dorf, davon liegt.

Philipp Hainhofer war

ein frommer, überzeugter Protestant, interessierten ihn besonders die kirchlichen Verhältnisse Ber¬ lins. Er notiert, daß die Marienkirche, „so auf dem Reuen Markt steht", drei Prediger hat, die Nikolaikirche sogar vier; die dritte sKirche) ist im Kloster') und wird auch wöchentlich darin gepredigt. Ueber die Gebäude dieser Gotteshäuser spricht sich der Reisende leider nicht aus; sie konnten dem kunstverständigen Süd¬ deutschen, der in Italien gewesen und die herrlichen Dome und Münster des Südens gesehen, offenbar nicht imponieren. Gefallen hat im dagegen die Umgebung der Heiligen-Geistkirchech. Von ihr sagt Hainhofer: „Die vierte (Kirche) liegt am Spandowschen Thor, in der Stadt, gehet bis in die Heilige-Geiststraße, bei der ein Spital. An diesem liegt ein Kirchhof, auf welchem drei Linden stehen, die so artig gepflanzet sind, daß sie denselben ganz und gar bedecken. Unter den Linden wird Sonntags und in der Woche durch einen eigenen Priester geprediget." Bei dieser Gelegenheit

und

so

Einwohner zählte und deren damalige Grenzenmitderheutigen Neuen Frie¬

drich-Straße, dem Schloßplatz und den Straßenzügen zu¬ sammenfielen, die heute die Namen

„An der Schleuse" und „Friedrichs¬ gracht" führen. Hainhofer stieg in der jetzigen Königstraße bei Peter (Zum Artikel Kerschberg in der Herberge „zum gol¬ din Hirschin" ab, die dem Ratbanse gegenüberlag. Am Tage seiner Ankunft besichtigte er zunächst das „Hohe Haus"') in der Klosterstraße, in dem „vor Zeiten die Kurfürsten von Branden¬ burg gewohnt;" es wohnte 1617 in demselben der kurfürstliche Rat Dr. Neig, „ein westfälischer Nobilis". „Neben diesem Haus steht ein Kloster, aus dem man eine freie Schule') gemacht hat, in welcher die Schüler ohne pretio, weil ein Rat die'Pracceptorcn besoldet, gratis instituiret werden." „Zwischen obigem Haus und Kloster sind viele Lofamenter, darinnen jetzt nur Bier, so zu Hof verbraucht, gebrauet wird. Vor diesem hat es Kurfürst Joachim Friedrich") seligen Gedächtnisses zu einem Zuchthaus bestimmt, damit darin mutwillige Leute oder Kinder, die auf der Straße das Volk mit Betteln molestieren, und doch gesund wären, darin zur Arbeit angehalten werden sollen, zu welchem Zweck auch schon von Hamburg und ans Holland allerlei Handwerker verschrieben waren. Als aber Se. Kurfürst!. Durch¬ laucht unverhofften Todes verblichen, ist es verblieben" (ist der Bau

Stadt*

des Zuchthauses unterblieben).

Diese *) hat drei Thore, eins wird das Spandowsche, das andere das St. Georgen und das dritte das Stralowsche Thor genannt. Das Spandowsche hat den Namen wegen der Festung Spandow, weil man dahin reiset"), das Georgen vom Das jetzige „Lagerhaus", der älteste Sitz der Laudesherrschaft i» Berlin. ") Das jetzige Gymnasium rum Grauen Kloster, welches im Jahre 1574. Dom Kurfürsten Johann Georg gegründet wurde. Mit ihm waren die Parochialschnlrn der Rikolai- und Marienkirche samt ihren Einkünften ans den Kirchenkasleu vereinigt worden. 3 Kurfürst Joachim Friedrich regierte von 1598 bis 160S; er wurde am 18. Juli 1808 ) in der Gegend von Köpenick unvcrnuüet vom Schlage getroffen. *) Gemeint ist Berlin ohne Kölln, d. h. das Gebiet zwischen Spree und der heutigen Reuen Fricdrichstratze. Die drei Thore lagen in den Schitittvnnkten der letzteren mit der Spandaner-, der König- und der Stralauer-Straßc. l ) Die Oranienburger Strage ist der „alte Spandauer Heerweg", dessen Bebaititng >:» Jahre 1891 begonnen wurde. >)

Gtienickrr Brücke. „Städte- und Landschastsbilder.")

erinnert sich Hainhofer, daß er in Italien Gottesdienste unter freiem Himmel gesehen, und daß ihm erzählet worden, es habe einmal „ein Pfaff" auf einem Faß gestanden, und habe bei seiner Predigt sehr stark „gestikulieret" und dabei gesagt: „lieber ein flehte*

Ihr

Ihr

mich litt mich sehen, und über ein kleines werdet sei dem Faß der Boden auSgebrocheu, und der Pfaff sei hineingefallen, da mau ihn denn ein kleines nit gesehen, bis daß er wieder „heraußer" gezogen. Am 21. August suchte Hainhofer den kurfürstlichen Boteumeister Christoph Frischmann auf, der ihm die Stadt Kölln, die Schwesterstadt Berlins zeigte. Der süddeutsche Reiselide schreibt darüber: „lieber die Spree gehen zwei Brücken von einer Ltadi zur andern; die eine ist beim Schloß,') die andere auf dem Mühlendamm, ans dem zu beiden Seiten stattliche Mühlen stehen, so der Herrschaft gehören, und nit allein in das Hoflager alles Brot, sondern noch einen ansehnlichen Uebcrschuß geben. Was übrig, wird auf den Mühlenhof *“) darauf der kurfürstlich brandenburgische Mühlenhauptmann, einer von Adel wohnt, aufgeschüttet. Der Mühlenhof ist ein altes großes "mau Gebäude. Dahin wird auch au Diktualien oder sonsten zu alles von den Aemtern, was Hofe benötigt, gebracht und hernach zu Hofe geschafft." dieser Stadt") sind zwei Kirchen, die eine ist der Dom,")

werdet

sehen."

Da

„In

«) Das Georgs-Spital, „ein Haus der Aussätzigen", wird 1272 zuerst erwähnt! vergl. 21. Jahrg. S. 235: „Zur Geschichte der Georgeukirche." Die Klosterkirche, der wertvollste und gediegenste mittelalterliche Bau Berlins, wurde Ende des 13. Jahrhunderts erbaut. 3 Um 1300 erbaut. )

„Bär"

')

•) Die jetzige Kurfürsten-Brücke. Holtze 1S93 >») Ter sehr interenante WirtjchastSbetrieb des MühlenhoieS ist von Franz tu einer Monographie behandelt worden. (Schriften des Berliner GeschichtSvereinS.. gemeint ist Kölln. ") K ) In den damalige» Schriften und ans der ältesten Saite Berlins der „Thumb" ge¬ nannt, der älteste Berliner Tom stand auf der Westseite des heuttgen Schlotzplages und

294

Dreifaltigkeit, die andere St. Peter genannt, mit drei Predigern und einer Schule von vier Prüceptoren versehen. Der Tom liegt hart am Schlosse;") er ist eine hübsche, große, lichte Kirche, aus welcher alle Altäre, Tafeln, Bilder und Kruzifixe entfernt sind, und welche jetzt ganz weiß ist, außer den grünen Gittern und Teppichen, auf welchen die fürstlichen Personen stehen. In dieser Kirche predigen Dr. Fiselius") und M. Menzelius auf reformierte"» Art mit Singung des Lobwassers Melodie in den Psalmen. Tahcro es jetzt wegen zweierlei Religionen unter den Eiferern immer Pique und heimlichen Neid „An dieser Kirche war ein Kloster, da jetzo das Konsistorium und das Kammergericht ist, welcher Ort auf den ersten Play (Hof) des Schlosses sieht. Dieser Platz hat auf zwei Seiten gar lange Altane, zwei Gaden, (Stockwerke) hoch; ans dem obersten Gaden geht man in die Kirche. Diese Gänge haben auf zwei Seiteu heilster und an den steileren hängen allerhand schöne hübsch ge¬ In dem unteren Gange sind faßte Hirsch- und Rehgeweihe. Stallungen, im anderen auswärts Wohnungen der Soldaten, daran noch ein besonderes Hans für ihre Kapitäne und Befehls¬ leute ist". Das kurfürstliche Schloß") besichtigte Hainhofer, der be¬ reits am 22. August nach Stettin weiterfuhr, erst auf der Heim¬ fahrt von Pommern, welche ihn vom 7. bis 10 Oktober 1617 zum zweiten Male nach Berlin führte. Hainhofers Mitteilungen über das Schloß, die nachstehend in ihrem ganzen Umfange folgen, sind von besonderem Interesse, obgleich sich unser Reisender nicht immer mit der wünschenswerten Anschaulichkeit und Deutlichkeit ausdrückt. „Rach der Mahlzeit hat mich von Schlieben") im Schloß herumgeführt, in welchem ich die zwei schönen, großen, gevierten Plätze") oder Höfe bewundert hahe, namentlich aber im innern jetzt zur heiligen

giebt.

Personen wohnen können, ohne die andern beigebauten Stuben. Unten herum sind meistenteils Hofstuben; unter dem großen Thor wohnen die Wächter, und daneben ist der Schatz in einem Gewölbe. einem ganz goldenen Altar (darinnen viel Reliquien und Edel¬ steine vor der Zeit gestanden, teils ausgeschlagen und verschenkt wurden, wie denn der Kurfürst kürzlich dem florentinischen Ge¬ sandten einen ganzen Hut voll Reliquien verehrt hat) sind die zwölf Apostel in Lebensgröße, von getriebenem Silber, Bischofs¬ hut, Stola, Stab, alles mit Perlen und edlen Steinen versetzt; es wird aber garnichts konserviert, und es ist schade, daß alles so verdirbt. Daneben ist die Kanzlei und Kammer zu den Archiven, dann folgt die Rentei. Unter dem großen Saal sind zwei große Hosstuben, auf der anderen Seite daran die Silber-Kammer, die Kapelle oder Kirche, zwischen der Küche der große Wendelstein, da man bis in die andern Gaden reiten kann. Durch den großen Schnecken oder Wendel kommt man auf den großen Saal"), der so lang und breit ist, als das Schloß auf derselben Seite und ohne Säulen ist, auf Art der Saals oder Palatii in Padua und des Lusthauses zu Stuttgart, wo alles am Dachziegel hängt. Darüber sind im dritten Tabulat"), zu dem man auch auf der offenen Wandelstiege oder Schnecke kommt, Stuben und Kammern, aus welchen man, ebenso wie aus dem Saale, beide Städte Berlin und Kölln übersieht. Das vierte Tabulat oder Gaden ist unter dem Dach, aber in den Erkern sind viele Gemächer, von jungen Herren und Fräuleins bewohnt. Ueber der Kirche, Küche und Silberkammer sind die kurfürstlichen Losamenter; sie haben eme hübsche Aussicht auf der einen Seite ans das Wasser, die Spree hinaus und über Berlin. ihrer kurfürstlichen Gnaden Ouartier hängen kaiserliche, königliche und kurfürstliche Konterseis, alle in Lebensgröße. Die Decke ist mit Emblemen be¬ malt, andere Losamente mit historiis et virtutibus, in denen hin

In

In

Das Stadtschlotz in Potsdam. ar 1613 zum reformierten Bekennt¬ nis übergetreten, wodurch in Berlin und nanicntlich im Herzogtum Preußen Unruhen hervor¬ gerufen wurden. i«) Ta? kurfürstliche Schloß war unter dem vrachlliebenden Kurfürsten Joachim II. (1535—157 ) au? einem mittelalterlichen Burgbau in einen glänzenden Fürstensitz verwandelt worden. Kaspar Theiß hatte im Renaissancestil das sog. zweite Haus errichtet, das am Schloßplatz lag und bi-? zum jetzigen zweiten (westlichen) Hauvtportal reichte. Unter Johann Georg (1571—1598) entstand das sog. dritte Haus, das westlich im rechten Winkel sich an den Bau des Kaspar Theiß anlehnt, noch jetzt im alten Zustande erhalten ist und die beiden großen Cchloßl vf.' trennt. Erbauer ist der Gras Rochus zu Lynar. Ferner ent¬ standen damals: der flirrn der Wasserkunst (an der Stelle, wo jetzt die Lustgartensronl einen Vorsprung bildet; das lange Hans, Wohnung der kurfürstlichen Prinzen, ein Parallel-Bau zum dritten Hanse, der sich bis zur Tomkirche erstreckte; endlich die neuen Gauqqe bände, eine Gallerie über den Pferdeställen, an der jetzigen Lustgartenseite, 1604- 1607 unter dem Kurfürsten Joachim Friedrich errichtet. Bergt. Woltmann, „die Bau¬ 1

geschichte

Berlins."

K ) Kurfürstlicher Hof-Kammerrat. ,9 Die Höfe wurden und werden durch den Lynarschen Bau, das sog. dritte Haus' ) gebildet, das parallel zu den ältesten Teilen am Wasser liegt. *•) „Der Schnecken" war eine Wendeltreppe ohne Stufen, so daß man auch emporreiten konnte: sie war in einem achteckigen Turm enthalten und ruhte auf freistehenden Säulen; vergl. Woltmann, „die Baugeschichte Berlins."

und wieder hübsche Tafeln") von Lukas Cranach, auch Konter¬ Bergwerk, Pferde, Hirsche, Wildschweine und dergleichen hängen. Gleich über dem kurfürstlichen Zimmer hat der junge Prinz Mark¬ graf JoachimSigismund"), sein Testament, aus dessen Stube mau den ganzen Garten übersehen kann, das Borwerk der Kurfürstin, daneben etliche Handwerker wohnen, die täglich bei Hofe gebraucht werden. Dabei ein Wagenhaus nebst den Stallungen für die Kutschpferde, ein großes, neues Reithaus"), etliche hundert Schuh lang, hoch und breit; das Jägerhaus") und das Ballhaus. Dieser Ort wird „auf dem Werder" genannt. Man gehet über die Hundebrücke"), über welche man die Hunde führt. An diesem Wasser ist eine große Schleuse, ein Arm aus der Spree, durch welchen die Ham¬ burgischen Schiffe mit vielen Lasten schiffen; dabei die Wasserkunst, welche an die Altane des Schlosses stößt, ferner ein eingefaßter Platz zur Bärenhatz. Aus oben gedachten Zimmern wird auch das Tier- und Fasanenhaus gesehen. Das neue Gebäude, über dem Thor, wo auch die Ratsstuben sind, hat fünf Stockwerke oder Gaden übereinander mit sehr schönen Gemächern für fremde Herrschaften, von denen man auf beide Plätze (Höfe) sieht. Bon dem obersten Stockwerk hat man eine schöne Aussicht.

feis,

'->) Das oberste Geschoß enthielt einen einzigen großen Saal mit hängender Decke; daher der Ausdruck: Es hängt alles am Dachziegel." ->> Stockwerk.

E ) Gemälde.

i

ftn* 1625 =>) Joachim Sigismund war der zweite Sohn Johann Sigismundsim 22. Lebensjahre. *) Lag nach dem Mcmhardschen Plan von Berlin, dem ältesten d: "ovi'o. n ist, südlich der „Linden". ®) Lag in der Gegend der Reichsbank. Tie heniige Schloßbrncke.

295

bleiben, bis ihr Herr Gemahl, so schon auf dem Weg, heimkomme, oder gar bis auf ihrer Enkelin") Kindtaufe, auf daß er sich mit ihrem Gemahl auch bekannt mache und Gnade und Ehre empfinge." Da Hainhofer sich in Pommern länger aufgehalten hatte und aus der Heimreise noch Dresden besuchen wollte, mußte er die ihm zu¬ Am nächsten Tage, dem gedachte Ehre mit Dank ablehnen. 10. Oktober, hat er noch Zeit gefunden, dem „jungen Prinzen," dem Markgrafen Joachim Sigismund, einen Besuch abzustatten) bei diesem erhielt er auch sein Stammbuch wieder, in dem die Kurfürstin, Prinz Joachim Sigismund und zwei der jungen Mark¬ gräfinnen sich nach der Sitte der damaligen Zeit verewigt hatten. Ten jungen Prinzen Joachim Sigismund, der damals vierzehn Jahre alt war, nennt Hainhofer „wohl studieret" und rühmt ihm nach, daß er in der Schule „schon seine Argumente" macht und „sich zugleich im Schreiben übet." „Man sicht bereits, daß es ein wackerer Fürst werden wird, dessen Herr Vater auch ein lieblicher, frommer und ansehnlicher tapferer Kurfürst und Herr sein soll." Am Tage der Abreise ( 11 Oktober 1617) hat der kurfürstliche Rentmeister Hainhofers Herbcrgswirt angezeigt, daß der kurfürst¬ liche Hof bezahlen wolle, was der Gast und seine Leute in der Herberge verzehrt hatten. Mit Befriedigung konstatierte Hainhofer

Vor dem Schlosse draußen ist eine hübsche Rennbahir Hinter dem Schloß habe ich bei einem Bernsteinarbeiter, dessen Vater zu Stettin arbeitet, eine schöne Truhe von Bernstein in einem schönen Spiegel, alles von trophaeis historiis et figuriis geschnitten, ge¬ sehen, welche zwei Stück Ihre Kurfürstliche Gnaden dem Grafen Moritz von Nassau verehren wollen." Eine überaus freundliche Aufnahme fand der Augsburger Patrizier während seines zweiten Aufenthaltes in Berlin am kur¬ fürstlichen Hofe. Der Kurfürst") war freilich nicht in Berlin anwesend, aber seine Gemahlin"") und die jungen Herrschaften"") hat Hainhofer auf das „Losament" der ersteren begleiten dürfen. Im Vorzimmer haben die fürstlichen Personen ihm alle die Hand gereicht. Die Frau Kurfürsten hat ihn gefragt, wie ihm Pommern gefallen, hat sein Stammbuch durchgesehen, ihm, „ihres herzliebsten Herrn Gemahls" und „ihr Gedächtnis" für das Buch, sowie ein Bildnis des Kurfürsten versprochen. „Es ist eine gar beredte, ver¬ ständige, belesene, gottesfürchtige Fürstin, welche auch fast alle lustorias im Stammbuch auszulegen gewußt und gekannt. Ueber ihre Kinder hält sie gute Disciplin, zieht sie gar einfach in der Kleidung auf, sagend: man weiß dennoch wohl, daß sie Kurfürsten Kinder seien, welchen die Tugend und Gottesfurcht'") eine viel

.

Babelsbrrrr, Alte Gerichkslsubr. (Zum Artikel

„Städte- und Landschaftsb Uder.")

größere Zierde, als die Kleidung gebe. Und sie ist eine gar kluge Haushälterin, die, wcnns nötig ist, auch Ernst machen kann." Die Kurfürstin Anna hat an deni vielseitig gebildeten und weitgereisten Gelehrten Hainhofer, der zu den Berühmtheiten jener Zeit zählte, großes Gefallen gefunden, sic hat „ein paar Stunden" mit ihm geplaudert und hat ihn gebeten, er solle „solange bei Hof ) Johann Sigismund (1608—1610. w) Anna, Tochter des Herzogs Albrecht Friedrich in Preußen. 2 ") Hainhofer erwähnt den jungen Markgrafen, Joachim Cigisniund (geb. 1608 ) und 2t

drei Priuzcssinnen. M Die Kurfürstin war eine strenge Lutheranerin, die über den Ucbcrtritl ihres ) Gemahls zum reformierten Bekenntnis tief betrübt war.

bei seiner Abreise aus Berlin, daß er „au diesem kurfürstlichen Hof," „ob er gleich noch unbekannt und ol»ie Rekommaudaiivn hinkam, dennoch sehr geehrt und von der Herrschaft und ihren Dienern gnädigst und freundlichst excipieret worden." Wir aber müssen dem Augsburger Patrizier dankbar sein, daß er in seinem Reisetagebuch auch seinen Aufenthalt in Berlin ausführlich ge¬ schildert hat) denn wenn seine Aufzeichnungen auch kein er¬ schöpfendes Bild von der brandenburgischen Hauptstadt vor Beginn des dreißigjährigen Krieges geben, so enthalten sie doch viele iiitcr—e essante Einzelheiten über dieselbe.

Ci,arlotte.

31 ) Diese Enkelin war Luise 1617—1«7»5 lebte und mit dem Herzog Jakob

eine Tochter Georg Wilhelms, die von von Kurland vermahlt war.

Bismarcks Eltern. Von

Hermann Iahnke. cii Verhandlungen des Wiener Kongresses war im Frühjahr 1815 durch die Rückkehr Napoleons von der Insel Elba ein jähes, unerwartetes Ende bereitet worden. Tie deutsche Staatskunst jener Zeit hatte sich in ihrer ganzen Schwäche und Erbärmlichkeit gezeigt, die deutschen Erbübel, kleinliche Eifersüchtelei, Zwietracht untereinander, sich Bücken und Beugen vor dem Fremden, waren, von der Glut vater¬ )

ländischer Begeisterung während der Kriegsjahre keineswegs ausgebrannt, aufs neue in ihrer alten Verderblichkeit hervorgetreten. Ta wurde am 1. April des genannten Jahres der Mann geboren, der jene Schäden zu heilen und das Deutschtum in seiner höchsten Vollendung zu verkörpern ^-berufen war: Otto von Bismarck. Die Mutter, welche uns diesen Mann gebar, gehörte zu den

296 preußischen Frauen, die gleich allen wahren Patrioten das Weh und den Zorn über den schmählichen Verrat, der damals durch eine klein¬ liche und arglistige Politik an Volk und Vaterland verübt wurde, tief im Herzen fühlten, Ihr Schmerz wuchs, als die Federn der Diplomaten im zweiten Pariser Frieden und im Abschluß des Wiener Kongresses abermals und

gründlich verdarben, was das Schwert der Helden so ruhmreich ge¬ wonnen hatte, „Mein Otto soll einmal ein Staatsmann werden," Mit diesem Worte, das die Mutter unseres Bismarck in jenen Tagen ge¬ sprochen, gab sie dem Sehnen und Verlangen Ausdruck, das damals Millionen deutscher Herzen erfüllte: „Möchte unserem Volke doch ein Held des Geistes erstehen, der den ruhmgekrönten Helden des Schwertes gleich, das Vaterland erlöst aus den Bauden, unter denen es so lange geseufzt, und in die man es wieder aufs neue gefesselt," Alle ahnten, daß es noch einen harten Kampf kosten werde, damit Deutschland einig, frei und groß werde, Schenkendorf sang in seinem Frühlingsgruß an das Vaterland: Aber einmal müßt ihr ringen Roch

in ernster Geistcsschlacht,

Und den letzten Feind bezwingen, Der im Innern drohend wacht, Haß und Zwietracht müßt ihr dämpfen, Geiz und Neid und böse Lust: Dann nach schweren, heißen Kämpfen Kannst Du ruhen, deutsche Brust! Dasselbe Verlangen sprach Emanuel Gcibcl dreißig Jahre später aus, indem er den Retter des Vaterlandes aus den Wirren der Parteikämpfe also kennzeichnete:

Ein Mann

ist not, ein Ribelungenenkcl, Daß er die Zeit, den wild gewordenen Renner, Nit ehrner Faust bezwing' und chrncm Schenkel! Dieser Nibelungenenkel, der neue Siegfried, der den Drachen der Zwietracht siegreich bekämpft hat, ist uns in Otto von Bismarck er¬ standen, Es ist wohl kein bloßes Spiel des Zufalls, vielmehr einer der merkwürdigsten Vorgänge in der Weltgeschichte, daß dieser Held just der Zeit entsprossen ist, da unser Volk die Schmach seiner ohnmächtigen Staatskunst im Gegensatz zu der höchsten Ritterlichkeit seiner Schwertkraft am tiefsten empfand. Es war im Hochsommer des Jahres 1806, als der damals fünsunddreißigjährige Rittergutsbesitzer und Leutnant Ferdinand von Bismarck feine junge Gattin in das Schloß seiner Väter zu Schönhausen an der Elbe in der Altmark heimführte. Die Vermählung des Paares hatte am 7. Juli in Potsdam stattgefunden. Der Ehegatte hatte sich, wie alle Glieder des altmärkischen Adelsgeschlechts früh dem Militärstande gewidmet, war als Körnet im Leib - Karabiniers - Regiment 1792 mit ins Feld gegen Frankreich gezogen, wo er sich im persön¬ lichen Dienst des Prinzen Louis Ferdinand durch Mut und Ent¬ schlossenheit namentlich in der Schlacht bei Kaiserslautern so rühmlich ausgezeichnet hatte, daß er zum Leutenant befördert wurde. Die Wünsche seines siebzigjährigen Vaters und das kindliche Verlangen, bei der Bewirtschaftung zweier Güter zu helfen, hatten ihn veranlaßt, nach Abschluß des Friedens den Abschied zu nehmen und einem Stande zu entsagen, „dcrn er sonst leidenschaftlich ergeben war," Nach dem Tode seines Vaters war er durch Vergleich mit seinen drei älteren Brüdern, die als Offiziere im preußischen Heere dienten, Erbe der Familiengüter geworden. Einige der langen Wintcrmonate pflegte der Gutsherr von Schönhausen in Berlin zu verleben, wo er in freundschaft¬ licher Beziehung zu dem schöngeistigen Prinzen Louis Ferdinand stand. Hier in den Berliner Hostreisen hatte er seine junge Gattin kennen gelernt. Die Auserwählte des altmärkischen Edelmannes war bürgerlicher Abkunft, Ihr Vater, der Königliche Kabinetsrat Ludwig Menken, stammte aus einer Gelehrtenfamilie, Er war ein nicht unbedeutender Staatsman und bereits unter Friedrich dem Großen mit wichtigen diplomatischen Aufträgen betraut worden, — Der junge König Fried¬ rich III, schenkte ihm sein besonderes Vertrauen. Cr war der Verfasser der ersten königlichen Erlasse, die durch ihren volksfreundlichen, frei¬ sinnigen Charakter auf das preußische Volk einen so günstigen Eindruck niachicu, Üebcrhaupt war Menken ein feinsinniger edler Mann, „der Einzige in des jungen Königs Umgebung, dem", wie der Freister von Stein bezeugte, „mit einer ausrichtigen Liebe für seinen Monarchen die Größe und Bildung des Volkes am Herzen lag/' Er starb 1801 zu Potsdam, wo er ein Haus und einen durch seine Schönheit berühmten Garten besaß,*) Die Adelsvcrleihung, welche ihn: König Friedrich Wihlelm III. angeboten, hatte er abgelehnt. Wilhelmine Menken, die einzige Tochter des verstorbenen Kabinctsrates, war zur Jungfrau erblüht, eine feingebildete, geistvolle, viclumworbene Schönheit, die mit ihrer Mutter, einer geborenen Johanna Elisabeth Böckel, zu den Hof¬ kreisen Beziehungen hatte, Ei» älterer Bruder des Gutsherrn von Schönhausen, der spätere Gcnerallcutenant Friedrich von Bismarck, hatte sich ebenfalls um die schöne Kabinetsratstochter beworben, war aber zurückgewiesen worden, was indes dem guten geschwisterlichen Verhältnis der beiden Bewerber später keinen Abbruch gethan hat, sodaß der so berühmt gewordene jüngste Sohn der Umworbenen, Otto von Bismarck, während seiner Schulzeit in Berlin viel im Hause des Onkels Friedrich verkehrte. Wahre Herzensneigung mußte es wohl sein, die das erst sieb¬ zehn Jahre zählende, verwöhnte Kind der Großstadt und eines aus¬ erlesene» Gesellschaftskreises bewogen, dem um das Doppelte älteren Manne in die Einsamkeit seines Landsitzes zu folgen, Herr von Bis¬ marck war ein Landedclmann nach seiner Zeit, schlecht und recht. Seine militärische Ausbildung hatte ihm keine Gelegenheit geboten und wenig

*) Die Nachforschungen beS Verfassers haben.ergeben, daß das Menkensche Hans in Potsdam, Bsckcrstrcrtze 2 gestanden hat. Bon dem einstmaligen schönen Garten ist heute keine Spur mehr, auch ist jedes Andenken des verdienstvollen Mannes in der Stadt Potsdam, elvst bei den höchsten Behörden der Stadt, erloschen.

Zeit gelasien, große Geistcsschätze zu sammeln. Nach seinem eigenen Zeugnisse war der Militärdienst zuweilen so anstrengend gewesen, daß er „aus Mangel an Zeit Bücher, welche ihm geliehen, ohne sie selbst gelesen zu hallen, dem Vater übersandte, da er den auf Remonte für längere Zeit abwesenden Wachtmeister vertreten mußte und keine Viertel¬ Wenn ihm daher eine höhere stunde für sich verwenden konnte." Geistesbildung abging, so ersetzte er diesen Mangel durch soldatische und edelmännischc Ritterlichkeit, Er war von schöner, kraftvoller Gestalt: in seinem Gesichte herrschten die Züge heiteren Lebensmutes, Die großen vaterländischen Ereignisse, welche sich noch vor Ablauf der Flitterwochen des Paares vollzogen, brachten auch Schönhausen in Mitleidenschaft und nahmen die junge Schlohhcrrin in eine ernste Schule des Lebens, in welcher ihr Charakter sich früh festigte und aufs beste

bewährte.

Das preußische Heer, mit ihm drei Brüder Ferdinand von Bismarcks zogen in den Kampf gegen Napoleon. Der König, begleitet von seiner Gemahlin, folgte dem Heere, Die Siegeszuversicht, mit welcher man überall dem Kampfe zugejubelt hatte, verwandelte sich bald in Schrecken und Angst, welche die vom Kriegsschauplätze eintrcsicnden Hiobsbotschaften Am 10. Oktober fiel der der Gutsherrschast von Schön¬ hausen so nahestehende ritterliche Prinz Louis Ferdinand, Vier Tage daraus brachte die furchtbare Niederlage von Jena und Auerstädt das preußische Heer an den Rand des Verderbens. Die Königin Luise ver¬ weilte auf ihrer Flucht vor dem Feinde am 18. Oktober in Tangermünde, Schönhausen gegenüber an der Elbe gelegen. Die junge Gutsherrin von Schönhansen begrüßte nebst anderen Frauen der Gegend die un¬ glückliche Königin, und weinte mit ihr Thränen um das Unglück, das Heer und Vaterland betroffen hatte. Bald brach das Unglück auch über Schönhausen selbst herein. den Tagen vom 19, bis 24, Oktober zogen die sturmverschlagenen Trümmer des preußischen Heeres bei Tangcrmünde über die Elbe, Die Franzosen folgten ihnen auf dem Fuße und letzten die Gegend in Schrecken, Am 26, Oktober zeigten sich die ersten Feinde in der Um¬ gegend von Schönhausen, Am 28. Oktober wurde der Ort von einer Marodeurhorde überfallen und geplündert. Die Bewohner des Dorfes flohen mit ihrer Habe, die sie in der Eile erraffen konnten, dem Walde zu. Auch der Gutsherr mußte mit seiner jungen Gattin das Heil in der Flucht suchen. Sein mit vier schönen Falben bespannter Wagen aber ivurdc, kurz bevor er den Wald erreichte, von den Franzosen an¬ gehalten. Mit Mühe gelang es, sich mit den schönen Pferden in den Wald z» retten. Der Wagen samt zwei Rollen Goldstücke, die der Gutsherr beim Anblick der Feinde in die Rinnen der Wagcnthüren hatte gleiten lassen, fielen den Plünderern in die Hände. Eine angstvolle, schauerliche Nacht verlebte das Gutshcrrcnpaar und die Dorfgemeinde „im Trüben," einem sumpfigen Erlenwalde bei Schönhausen, in steter Furcht, daß Feuerschein ihnen den Brand ihrer Heimstätten verkünden werde. Und wie fanden sie nach ihrer Rückkehr das Dorf! Die Wohnhäuser ausgeplündert, die Hausgerätc'zerschlagen, verwüstet! Auch das Schloß hatten die Feinde heimgesucht und furchtbar darin gehaust. Bon Glück konnte Herr von Bismarck freilich noch sagen, das er sein Geld, welches er unter der Schwelle eines Gartenhauses vergraben, wiederfand und auch später seinen Wagen samt den beiden Rollen mit Goldstücken, die die Feinde nicht gefunden, in dem benach¬ barten Rathenow wiedererhielt. Bei einem zweiten Ueberfallc geriet die Gutshcrrin abermals in Gefahr, Von den Feinden noch im Schlosse überrascht, suchte sie nach der Gartenseite aus dem Hause zu entfliehen, während sic die Thüren der von ihr durcheilten Zimmer hinter sich verschloß. Die Verfolger brachen die Thüren mit Bajonetten auf, ereilten aber die Fliehende nicht mehr, die von ihrem Gatten glücklich durch den Park in Sicherheit ge¬ bracht wurde. Mit Spannung folgten die Bewohner von Schönhausen den weiteren Ereignissen des für Preußen so unglücklichen Krieges, Die Flucht der königlichen Familie bis in den äußersten Winkel des Reichs, die neuen Niederlagen des Heeres, der unheilvolle Abschluß des Friedens zu Tilsit versetzten sie in tiefste Trauer. Doch hatte man die Genug¬ thuung, daß die Glieder der Bismarckfamilic sich in den Kämpfen rühmlichst ausgezeichnet hatten. Besonders tapfer hatte sich Friedrich von Bismarck, der als Major im Hohenlohcsche» Heere diente, erwiesen, Ter schmachvollen Kapitulation Hohenlohes bei Prcnzlau hatte er sich durch eine gefahrvolle Flucht bei Nacht und Nebel zu entziehen gewußt, war über die Inseln Usedom und Wollin nach Ostpreußen entkommen und dort wieder zum Hauptlager gestoßen, wo er, im Hoflager des Königs bedienstet, den Friedensverhandlungen in Tilsit beiwohnte. Von hohem historischen Interesse und wahrhaft rührend ist ein Brief, den er von Tilsit aus an seinen Bruder in Schönhausen schrieb*). Darin heißt cs: „Den 25. Juni 1807 sahen sich beide Kaiser auf einem dazu ein¬ gerichteten Schiffe mitten auf der Memel, Die Stadt Tilsit ward nun in drei Teile geteilt, für Franzosen, Russen und Preußen, Der Kaiser Alexander nebst Konstantin, sowie Napoleon nahmen ihre Quartiere in Tilsit, Der König blieb in seinem Hauptquartier in Picktupöhnen, ritt alle Nachmittage um 4 Uhr nach Tilsit und begab sich dann zum Kaiser Alexander. Wenn er zurückritt und in Picktupöhnen ankam, hatte er (nach den Demütigungen im Verkehr mit dem Sieger) auch den Kummer, die Klagen der Landleute zu hören und die unerhörten von den Russen verübten Verwüstungen zu sehen. Jedem rechtschaffenen Preußen muß das Herz bluten über das Unglück und Elend, welches König, Armee und das ganze geplagte Land betrifft," — Die viclumstrittene Begegnung der Königin Luise mit Napoleon schildert der Brief in folgender Weise: „Nach einigen Tagen kam die Königin in Picktupöhnen an. Man sagte, Napoleon hätte ihr seine Aufwartung in Memel machen wollen. Run schickte der französische Kaiser sogleich ins preußische Hauvtquartier und ließ sich erkundigen,

hervorriefen.

In

.

*) Das Original des vom Familienarchiv zu Schönhausen.

14.

Juli

1807 datierte» Brieses befindet sich

im BiSmarckschcn

2'J7

Ihre Majestät wohl angelangt wären und die Einladung nach Tilsit annehmen würden. Tic Königin nahm an und fuhr in Be¬ gleitung der Gräfin Bog und Gräfin Tauentzien um 5 Uhr nach Tilsit,

ob

non 30 Garde du Korps eskortiert. Daß diese Reise unter Thränen und den bittersten, wchmühtigsten Gefühlen gemacht wurde, wirst Du

wohl

selbst

hinzusetzen.

Ter König war

schon

vorausgcrittcn.

An

Luise Wilhelmine v. Bismarck, geb. Menkrn. der Memel empfing die Königin der Marschall Besfiers, Kommandant der französischen Garden, und meldete sich bei ihr zur Ausivartnng. Eine Ehrenwache begleitete sic, das Militär paradierte, die Kanone» wurden gclöfit. Uebcrhaupt ward sie mit den möglichsten Honneurs und der allergrößten Hochachtung empfangen. „Außerdem huldigten alle Herzen der betrübten Schönheit, den Grazien — und — dem Unglück! Sir war ein wenig echauffiert und sehr schön, sehr schön. Alle Hüte waren herunter, alle Herzen flogen ihr entgegen. Die Ausrufungen der Bewunderung der Franzosen nahmen kein Ende."

man erwägt, in welch' nahen Beziehungen dasselbe zu der königlidzen Familie stand. Alte Sdiönhauser Dorfbewohner berich¬ teten dem Verfasser, daß sie von ihren Eltern erzählen gehört: die junge schöne Gutsherrin sei in jenen Tagen oft mit Thränen in den Augen Sie sei die Milde und Sanstnmt selbst gewesen. einhergegangen. Außerordentliche Ehrenbezeugungen seitens ihrer Untergebenen habe sie „Laßt, laßt Kinder, das Unglück sie mit den Worten zurückgewiesen: macht uns Menschen alle gleich." Ein Trost blieb den treuen Patrioten von Schönhausen bei allem vaterländischen Unglück, daß sie,, da die Elbe die Grenze bildete, durch den unh.ilvollen Friedensschluß zu Tilsit nicht von Preußen und dem geliebten Königspaare getrennt wurden, obgleid, die aus der rechten Seite der Elbe gelegenen Bismarckgüter durch frühere besondere Regu¬ lierungen der Altmark zuertcilt worden waren. Seines jungen Eheglücks wurde das Bismarksche Paar auch während der nun folgenden Friedensjahre nid)t recht froh. Zu dem Kummer über das allgemeine Unglück gesellte sid, oft auch der Schmerz über besondere Heimsuchungen im Familienleben. Im Frühjahr 1807 wurde das Paar durch die Geburt eines Sohnes und im November 1808 durd, das Geschenk eines Töchterd,cns erfreut: allein beide starben im Das Knäblein Alexander Friedrich Ferdinand, zartesten Kindesaltcr. wurde seinen Eltern 2 Tage vor Weihnachten 1809 entrissen. Die Trauernden betteten es an einer Stelle des Parks in die kühle Erde und setzten auf das Grab ein Eisenkreuz mit der sinnigen und zugleich ergreifenden Inschrift: „Er war die Freude und Hoffnung seiner Eltern, die er nur durch seinen Tod betrübte." — In den Trau erlagen, da das Preußenvolk den Tod der geliebten Königin Luise beweinte, am 24. Juli 1810 wurde das Bismarcksche Paar abermals mit einem Söhnlein beschenkt, das am Leben blieb, heranwuchs und gedieh. Es war Bernhard von Bismarck, der ältere und einzige Bruder des großen Kanzlers, später als Landrat und Königlicher Kammcrherr im Stargardter Kreise wirkend. In die genannten Jahre füllt eine verdienstvolle, patriotisd,e That, wcld,e der Gutsherr von Schönhausen vollbrachte und an welcher seine Gattin sicher großen Anteil hat. 1809 erschien Schill mit seiner von den Franzosen hart bedrängten Freischar in der Altmark. Die westfälische Regierung erließ von Halle aus ein Rundschreiben, worin es hieß: „Es ist zur Kenntnis der hohen Behörden gekommen, daß mehrere Maires bcnad,barter Departements ihrer Pflichten gegen Sc. Majestät (den König Hyronimus) und gegen den Staat so wenig eingedenk sind, daß sic sogar einzelnen Marodeurs der jetzt zerstreuten Sd,illsd,en Truppen Aufenthalt in ihren Kommunen gestatten, ;a, daß einzelne Bewohner sogar die Flüchtlinge versteckt haben, um sie dem Auge der Gerechtig¬ keit zu entziehen. — Sollten hier oder da sich dergleichen Marodeurs verborgen halten, so sind selbige gleid, zu arretieren und auszuliefern." Durd, geheime Kunde halte mau in Schönhansen erfahren, daß ein Offizier der Schilld,en Schar, Major von Lützow, der bei Doden¬ dorf schwer verwundet worden, in einem Orte jenseits der Elbe liege und in höchster Gefahr sei, von de» Franzosen entdeckt zu werden. Trotz des strengen Erlasses der westfälichen Regierung zauderte Herr von Bismarck, von seiner Gattin ermuntert, keinen Augenblick, die Rettung des Gefährdeten zu versud,cn, im Verein mit seinem Vetter, dem Be¬ sitzer des Schönhauser Teilgutes, brachte er den Major von Lützow ermessen, wenn

„Voilä la belle reine de Prusse! ob mon Dien, qu’elle est belle! qu’elle a de gräce!“ u. s. w. „Es liegt ein unwiderstehlicher Zauber in der Betrübnis eines So fuhr die Königin durch die Stadt und trat im Ouartier des Königs ab. Hier empfing sic der russische Kaiser, hals ihr aus deut Wagen und führte sic herauf. Bald darauf kam ein Oberkammcrhcrr des französischen Kaisers, um für seinen Herrn die Erlaub¬ nis zu erbitten, ihr aufwarten zu dürfen. Er kam auch bald in seinem ganzen Pomp angeritten, obwohl er nur einen schlichten dunkelgrünen Rock, weiße Unterkleider, schwarzen Hut und das kleine Kreuz der Ehren¬ legion trug. Er unterhielt sid) mit ihr über eine halbe Stunde und soll uon ihrer Person wie von ihrer Unterhaltung ganz bezaubert ge¬ schönen Weibes!

wesen sein. Wenigstens versichert die Umgebung, daß noch keine Dame solchen Eindruck auf ihn gemacht hätte. Dies glaube ich gern, denn eine solche wird er wohl noä) nickü gesehen haben. Um sieben Uhr fuhr die Königin zur Tafel bei Napoleon. Die Tischgesellschan bestand nur aus den obengenannten Fürstlichkeiten. Marschällc mußten sichend vorschneiden. Die Königin saß zwischen den beiden mächtigsten Herren der Welt, aber leider nicht zu ihrem Glück nnd ihrer Freude. Auch werden ihr die köstlichsten Speisen schlecht geschmeckt haben, wenn sie davon gegessen hat. Trotz ihrer Anstrengung will man doch zuweilen den inneren Kummer bemerkt haben und wie sie genötigt gewesen, eine hervorquellende Thräne im Auge zu zerdrücken! Ueber Tafel ruft der Kaiser den Marschall Bcrthicr, schickt ihn ins Nebenzimmer zu der Gräfin Tauentzien und läßt ihr sagen, daß er soeben einen Kurier abgesandt hätte, um ihrem Vater, (der mit dem hohenlohesdien Korps gefangen) die Freiheit anzukündigen. Trotz aller dieser Höflichkeiten ist das Ende

ganz )d)Icd)t für uns!" „Nach dem" heißt cs an anderer Stelle weiter, „was wohlunter¬ richtete Leute von den Fricdensbcdiugungcn wissen wollen, und woran leider nicht mehr zu zweifeln ist, verliere» wir ganz Neu-Ostpreußen, Südpreußen und einen Teil von Wcstprenßcn. Auf der anderen Seite, das Härteste von allem, bildet die Elbe, die Grenze. Verloren ist Magdeburg (um dessen Erhaltung die Königin vergebens gebeten), Halbcrstadt, Hannover, Westfalen, Ostfriesland und ad,/unser Vaterland, die gute Altmark! Es ist schrecklich und ganz niederdrückend! Zerrissen der prcußisd,e Staat, gekränkt, gedemütigt alles, >vas preutzsch heißt, gesunken der Ruhm, fast der Stolz von ganz Europa! — Unser vor¬ treffliches Königliches Paar fühlt dies sehr tief. Sie leiden sehr viel. Jede ihrer Mienen drückt ihr Gefühl und den nid)t zu verfehlenden Schmerz aus, von allen hintcrgangen zu sein!" Einen wie tief schmerzliche» Eindruck dieser Brief aus das gutshcrrlichc Paar in Schönhausen gemacht hat, läßt sich um so leichter

Karl Wilhelm Ferdinand v. Bismarck. bei Tangcrmünde glücklid) über die Elbe und nahm ihn in sein Haus aus, wo die Schloßherrin seine Pflege unter ärztlicher Behandlung persönlich übernahm. Diese Rcttungsthat war für die Ausführende»

größerer Gefahr verbunden, als das Schloß und Dorf seit dem Jahre 1807 fast beständig französische Ein¬ quartierung hatte, wie denn französische Späher die patriotischen Be-

mit um

so

Schünhausen

wolmer jener Geilend überhaupt scharf überwachten, Der Verwundete blieb in Schönhausen, bis sein Zustand eine Weiterbeförderung gestattete. Dann geleitete ihn sein Retter auf sicheren" Wegen, daß seine Flucht nach Dänemark gelang. Auf diese Weise wurde der wackere Mann dem Vaterlande erhalten, der sich dann 1813 durch die Bildung der berühmten Lützowschcn schwarzen Schar so großes Verdienst erwarb. Schwer hat der Druck jener Unglücksjahre auf Schönhausen auch in sonstiger Beziehung gelastet, Herr von Bismarck gab im Jahre 1809 die durch die erwachsenen Schäden und Unkosten für seinen Besitz auf 7997 Thaler an, Tic Verpflegung eines französischen Offiziers, 1062 Tage lang,^kostete allein schon 3106 Thaler, die einer französischen Dame, 100 Tage lang, 200, eines Bedienten, 509 Tage lang, 254 Thaler' Dazu kam die durch die Plünderung erlittene Einbuße, 1071 Thaler

Kriegssteuer, die nach dem Westfälischen abgeführt, und 2233 Thaler, die von der Königssteuer-Repartitions-Kommisflon eingezogen wurden. Es läßt sich ermessen, mit welchem Aufatmen man auch hier die Kunde vom Untergange der französischen „Großen Armee" in Rußland und die Erhebung Preußens zum Befreiungskampf aufnahm, Hoffnungs¬ freudig schlugen die Herzen, begeistert wurden die Erlasse des Königs begrüßt, jeder bereit, opferwillig Gut und Blut für die Rettung des Vaterlandes darzubringen. Frau Wilhclminc von Bismarck war eine der ersten, welche nach dem Aufrufe der preußischen Prinzessinnen Wilhclminc und Marianne dem vaterländischen Franenvcrein beitraten, Sic errichtete in Schönhansen eine Sammclstelle und organisierte die Fraucnthätigkeit zum Zwecke des Samariterdienstes. (Schluß jolgt.)

Die wüste Kirche bei Drehna im Kr. Luckau. Von

Dr. Gustav Albrecht. häufig schreitet des Menschen Fuß über ehemalige Kulturstatten hinweg, ohne daß der Wanderer es ahnt, daß dort einst Leute gewohnt und gearbeitet haben, und nur durch Zufall, durch einen Fund oder dergleichen, wird das Vorhandensein einer solchen wüstliegenden Wohnstätte aufgedeckt. Rorddeutschland giebt es viele solcher wüsten Dorf- oder Stadtstellen, und die Mark Brandenburg ist der vielen früheren Kriege und Epidemien wegen besonders reichlich damit gesegnet. Von manchen dieser Stätten hat sich noch der Name erhalten, ihre ehemalige Lage kennt man aber nur aus sagenhaften Ueberlieferungen und hält diese auch für Sagen, bis durch irgend welche Funde das Bestehen des Ortes nachgewiesen wird. Bei manchen wüsten Ortschaften haben sich auch Ueberbleibsel von Gebäuden in Gestalt von Grundmauern, Turm- oder Kirchenruinen erhalten, und diese Reste erleichtern dann wesentlich das Auffinden der Lage des Ortes, Ein solches wüstes Dorf ist Drehna im Kr, Luckau, wo sich mitten im freien Felde eine mächtige Kirchenruine mit massivem Turm erhebt. Kein Haus ist im näheren Umkreise zu erblicken, erst r/s bis 2 km nach Südwesten zu liegt eine Ortschaft, welche aber ihre eigene Kirche besitzt, und so ist denn die Kirchenruine als Rest eines untergegangenen Dorfes zu betrachten. Dieses Dorf, über welches nur spärliche Nachrichten vorhanden sind, da sämmtliche Urkunden darüber vernichtet zu sein scheinen, ist vermutlich in der Zeit der Hussiteneinfälle im 15. Jahrhundert vernichtet worden. Es war slavischen Ursprungs, wie sein früherer Name Drjenjow, d, i, holzfreier Platz bezw, Lichtung im Walde, andeutet, und diesen wendischen Namen haben die deutschen Be¬ wohner des Ortes in Dannenrode verdeutscht. Urkunden des 14, Jahrhunderts wird einige Male eine „curia Dannerode“ mit Kalau zusammen erwähnt und diesen Gutshof hält man für identisch mit dem Dorf Drehna, Falls dies richtig ist, wäre die deutsche Bezeichnung später wieder ausgegeben und der alte wen¬ dische Name angenommen worden. Drehnow, wie es dann genannt wird, hat sich verschiedenen Nachrichten zufolge eine Wall¬ fahrtskirche befunden, die im 13, und 14, Jahrhundert sehr besucht wurde. Dieses alte Kirchlein hat sich nicht erhalten, denn die jetzt als Ruine vorhandene Kirche in Drehna ist erst im Anfang des 15, Jahrhunderts erbaut worden, und zwar, wie eine Nachricht besagt, aus den Mitteln des Luckauer Klosterfonds. Berücksichtigt man, daß diese Kirche aus so festem Material errichtet wurde, daß sie eine Verheerung, welche eine ganze Ortschaft hinwegraffte, zu überstehen vermochte, ferner, daß sie in sehr edlen Formen erbaut ist, was bei einer Dorfkirche immerhin auffällig sein dürfte, so kann man daraus schließe», daß für den Kirchenbau reichliche Mittel zur Verfügung gestanden haben. Diese Mittel flössen aber, wie erwähnt, aus dem Fonds des Klosters in Luckau; die dortigen Dominikaner, welche auch eine Terminei in Drehnow besaßen, müssen also ein Interesse daran gehabt haben, die Kirche so fest und so stattlich aufzubauen. Da es eine Wallfahrtskirche war, liegt die Annahme nahe, daß sich hier eine heilkräftige Reliquie

In

l

In

^

In

oder ein wundcrthätiges Heiligenbild befand, welches einen so großen Zuspruch von seiten der Gläubigen hatte, daß die Einkünfte aus Ablaß- und Bußgeldern hinreichende Mittel zum Neubau der Kirche gewährten. Genaues läßt sich indes nicht feststellen, da urkundliche Nachrichten fehlen, doch scheint die Herrlichkeit nicht lange gedauert zu haben, da die Kirche bereits seit Mitte des 15. Jahrhunderts als wüst bezeichnet wird. Vermutlich haben die Hussitcn, welche im Jahre 1429 die Städte der Niederlausitz, besonders Kalau, Luckau und das Kloster Dobrilugk, heimsuchten, auch Drehna mit seiner Kirche vernichtet. Während das Dorf vom Erdboden verschwand, spottete die Festigkeit der Kirchenmauern allen Zerstörungsversuchen, so daß eher die Steine als der Mörtel zerbrachen. Diese Festigkeit rührt der Sage nach daher, daß der Kalk mit Eiern und Milch angerührt wurde, welche als Abgabe von den umwohnenden Landleuten zum Kirchenbau beigesteuert werden mußten. Diese sagenhafte Ueberlieferung scheint auf historischer Grundlage zu beruhen, da in einer Chronik berichtet wird, daß die Klostergeistlichen aus Luckau alljährlich auf dem Platze vor der Kirche in Drehna den Zehnten entgegenzunehmen pflegten. Eine andere Sage erzählt, daß ein unterirdischer Gang von der Kirche zum Schlosse des nahebelegenen Dorfes FürstlichDrehna geführt habe, und verschiedentlich hat man versucht, diesen Gang zu untersuchen, ja die kotholische Geistlichkeit soll im Mittel¬ alter mit Kruzifix, Weihrauchkessel und Kerzen vorgedrungen sein, um die im Gange hausenden Geister zu bannen, aber niemand hatte Erfolg gehabt. Jetzt soll der Gang verfallen sein. Soweit Ueberlieferung und Sage, Die Ruine der Kirche liegt im freien Felde auf dem Abhange eines sauft aufsteigenden Hügels und macht mit ihrem kastellartigen Turm einen imposanten Ein¬ druck, Sie ist im gotischen Stil aus runden Feldsteinen erbaut, welche schichteuweise i» Mörtel gebettet sind; in der Höhe des ein¬ schiffigen Langhauses zieht sich ein Backsteinsries herum, Feustcrund Thüreinfaffungen sind aus Backstein hergestellt. Auf der Nord¬ seite der Kirche befindet sich ein Anbau, welcher die früher gewölbte Sakristei und darüber eine kapelleuartige Nische enthielt. Das Vorhandensein dieser Nische, welche augenscheinlich zur Aufstellung eines Heiligenbildes bestimmt war, hat die Annahme, daß es sich um eine Wallfahrtskirche handelt, bestärkt. Die Decke ist herab¬ gefallen und dickes Gestrüpp wuchert im Innern und auf den Mauern, Spuren ehemaligen Kalkbewurfs sind an den Wänden und Fenstereinfassungen noch sichtbar. Der Turm, welcher sich über der Vorhalle in drei Geschossen aufbaut, ist am besten erhalten. Er ist viereckig und zeigt im unteren, etwas abgesetzten Geschoß an der Vorderseite und den beiden Seitenflächen je ein Fenster, in den beiden anderen aus Backstein errichteten Geschossen verschieden¬ artige Fensteröffnungen an allen vier Seiten, Zu oberst befindet sich ein ringsumlaufender Zinnenkranz und hinter demselben der etwas zurückgesetzte pyramidenförinige Backsteinhelm, Die Ruine wird in dankenswerter Pietät von dem Patron von FürftlichDrehna als historisches Bauwerk dauernd erhalten.

Lewes und George Eliot in Berlin. Von

W. Kunrau Ehild.

ä

-

sagt einem, daß Berlin eine uninteressante, moderne Stadt mit breiten, monotonen Straßen sei, und wenn man

cder

kann man durchaus eine Bewegung der Ueberraschung nicht unterdrücken!" — so beschrieb George Eliot ihren ersten Eindruck von der preußischen Hauptstadt, Man hatte ihr großes Mißtrauen gegen den äußeren und inneren Charakter Berlins ein¬ geflößt, und als sie im Herbst 1854 nach dreimonatlichem Auf¬ enthalt in Weimar mit Lewes nach der östlichen Residenz kam, dauerte es ein Weilchen, bis sic sich von ihren Vorurteilen befreit es sieht,

Zwar war damals noch an keine der großartigen Ver¬ schönerungen zu denken, für die eine spätere Regierung gesorgt. Der Tiergarten beherbergte noch keinen Monumcntcnschatzj wild lag der Park um den neuen See, und als lichter Punkt hob sich aus dem Geäst der Bäume allein Krolls Etablissement, Aber die Hauptstraßen der Stadt zeigten im wesentlichen denselben Charakter wie heut, und „Unter den Linden" drängte sich im Glanz der klaren Herbsttage auch eine bunte Schar schaulustiger Flav-mrs beiderlei Geschlechts, hatte.

299

Der Tag nach der Ankunft George Lewes', der in Berlin Goethe-Biographie fortsetzen wollte, und Marian Evans' (dies ist der richtige Name von George Eliot), war ein Sonn¬ tag — der 6 . November 1854. Die Sonne schien hell, und seine

beide genossen das köstliche Wetter auf einem Spaziergang durch die belebteste Straße der Stadt, „indem wir uns mit unseren Ellbogen einen Weg durch die promeneurs endimanehes bahnten, die merkwürdig chic und hübsch nach den Thüringern aussahen", sagt G. Eliot in den Auszeichnungen über ihre Reise, die in ihrer Biographie später von Croß veröffentlicht wurden. Sie waren noch nicht weit Unter den Linden gegangen, „als wir," fährt sie fort, „einen nett aussehenden alten Herrn mit einem Orden um den Hals und einem goldknöpfigen Spazierstock in der Hand begegneten. Als er Georges ansichtig wurde, rief er aus: „Jst's möglich!" und hieß ihn darauf herzlich willkonimcn". Dies war Varnhagen, von dem sie schon oft gehört hatte. Varnhagen stand damals in der Blütezeit seines Ruhmes und war allgemein beliebt, nicht nur als einflußreicher Litterat, sondern auch als angenehmer Wirt und

brillanter Unterhalter.

In

den ersten sechs Wochen unternahmen sie häufige und lange Wanderungen durch den Tiergarten, wo die „geraden und uniformen Alleen mit unbedeutenden Bäumen sehr nachteilig gegen die reizende Abwechselung im Weimarer Park abstachen," obgleich sie gelegentlich ein schöner winterlicher Effekt in den entfernten Teilen der Anlagen entzückte. Der kleine Kreis von Freunden, in dem sie verkehrten, war angenehm und interessant. Als wahrer Schatz erwies sich ihnen Barnhagen, dessen herrliche Bibliothek alle Mängel der öffentlichen ersetzte, bei welcher die Nach¬ frage nach Büchern wie das „Ver¬ senken von Eimern in leere Brunnen" war. Miß Evans spricht von Varn¬ hagen als einem Mann von wirklicher Bildung, Liebenswürdigkeit und „Ver¬ feinerung", und mit „jenem erschöpfen¬ den sozialen, religiösen und politischen Freisinn, welcher das Gemüt erleichtert und die Konversation vor der Gefahr, auf Vorurteile zu stoßen oder unver¬ mutet kleinlicher Beschränktheit zu be¬

gegnen, bewahrt".

Es wurde viel über Carlylc ge¬ Eliot hörte mit großem Vergnügen, daß Carlylc sich nicht vorstellen konnte, daß man in sprochen, und George

Berlin

sterben

könne,

denn

„welcher

Der Kunstgelehrte Waagen, ein „sehr intelligenter und unter¬ haltender" Mann, erzählte ihnen eine neue Geschichte von Goethe, der zu jemandem von sich selbst gesagt haben soll, daß er „kein dummer Mann" sei, und jene, heute längst als lokaler Witz ver¬ breitete Anekdote von der den großen Dichter bewundernden Dame, die sich mit ihm über sein Meisterwerk: „Festgemauert in der Erden" unterhielt. Eduard Magnus, der berühmte Maler, feierte Lewes und Eliot glänzend und machte sie mit vielen Berliner Persönlichkeitene bekannt, unter anderen auch mit Johannes Müller und den Professoren Rose und Ehrenberg, die mit Humboldt zusammen Asien bereist hatten. Er erzählte ihnen, daß Carlyle sich in einer Gesellschaft, die ihm zu Ehren von Magnus gegeben worden, und bei der auch Wiese, der Pädagog, und Cornelius anwesend waren, sehr ungemütlich fühlte, als man über Goethes Mangel an evangelischem Gefühl klagte. Er zupfte lange an seiner Serviette umher und fuhr endlich auf: „Meine Herren, kennen Sie die Anekdote von dem Manne, der die Sonne lästerte, weil sie ihn seine Cigarre nicht anstecken ließ?" — Aber der „bei weitem distinguierteste Mann, den wir in Berlin trafen," heißt es in den Eliotschen Aufzeichnungen, „und überhaupt in Deutschland, mit Ausnahme Liszts, war der Bildhauer Rauch." Schöll, der Bibliothekar in Weimar, hatte Lewes an den alten Herrn einen Empfehlungsbrief gegeben, von dem das Dichterpaar ausgiebigen Gebrauch machte. Schon der erste Anblick des rüstigen Sechsundsiebenzigers, „seine schöne Er¬ scheinung und der Reiz seiner gütigen, intelligenten Unterhaltung" eroberte ihre Herzen im Sturm. — „Er ist wirklich der schönste alte Mann, den Leine Haltung ist ich je gesehen habe. stattlich, die Gesichtsfarbe von zartester Frische; sein seidenweiches, weißes Haar lockt sich anmutig um die hohe Stirn, und die braunen Augen strahlen in Güte und Klugheit. Er ist über Mittel¬ größe, und seine Statur und Schön¬ heit zusammen verwandeln den grauen Arbeitskittel und die Mütze, die er in seinen: Atelier trägt, in ein malerisches und ungewöhnliches Gewand". — Auch zu seinem Atelier hatten sie Zutritt, wo sie unter anderem die Kantsche Kolossalstatue für Königsberg unter seinen Händen sahen und eine Büste Schleiermachers besonders bewunderten. Der letzte und keineswegs geringste unter den Berliner Freunden war der große Dessoir. Er erweckte in ihnen eine unbegrenzte Bewunderung seiner hohen schauspielerischen Kunst, teils durch seine innige Hingabe an den er¬ wählten Beruf, teils durch die hervor¬ ragende Feinfühligkeit der Empfindung, mit welcher er sich auch kleinster Auf¬ gaben entledigte. „Von geringer Her¬ kunft und ein vollkommener Autodidakt, ist er von Natur ein Gentleman. Ohne eine einzige physische Gabe zum Schau¬ spieler, erreichte er durch dieMacht seiner Begeisterung und gewissenhaftes Stu¬

Christ möchte seinen Geist in einen: Bett ohne Vorhänge aufgeben?" Bei Barnhagen traf das Paar unter anderen Professor Stahr und Fanny Lewald, Or. Ring, vr. Vehse (den Historiker), die gefeierte Gräfin von Kalckreuth und Direktor Wilhelm Schadow von der Akademie in Düssel¬ dorf, den Sohn des berühmten alten Schadow. Anläßlich ihrer Gespräche Marian Evans (George Eliot). über Goethe zeigte ihnen Varnhagen dium eine Darstellungsweise, welche die seine Autographen- und PorträtAufmerksamkeit und das Mitgefühl ge¬ Sammlung, unter welcher sich auch ein Bild Kleists befand. Das fangen nimmt." Sehr gefiel George Eliot die Einfachheit, mit Blatt, auf dem er und seine Todesgefährtin gemeinschaftlich von der er eines Tages gestand: „Shakespeare ist mein Gott, ich habe den Ihrigen Abschied nahmen, befand sich in Barnhagens Besitz. keinen andern Gott!" Du Bois-Reymond, der zu dem Zirkel gehörte, unterhielt sich Dessoir verschaffte den Reisenden auch Eintrittskarten zum viel mit ihnen und sprach sich zum Nachteil der deutschen Civi¬ Theater. Sie sahen „Nathan" und hatten eine aufrichtige Freude lisation gegen die damalige englische aus. Auch bei einem Fräulein daran, „denn das elegante Theater" war ihnen „noch neu und Solmar wurde viel verkehrt. „Fräulein Solmar," so heißt es in die Dekoration herrlich". Mit einem Anflug von Sentimentalität den persönlichen Notizen, „ist eine hochgebildete Dame zwischen setzt George Eliot hinzu: „Unsere Herzen schlugen höher, und 50 und 60 Jahren. Sie spricht fließend französisch, englisch und Thränen traten uns in die Augen, als wir den edlen Worten des italienisch," eine in jener Zeit thatsächlich hervorragende Fertigkeit lieben Lessing lauschten, dessen großer Geist unsterblich in diesem für eine Dame im Privatleben. Bei ihr trafen sie den beliebten seinem Meisterwerk lebt". Romanschriftsteller Baron von Ungern-Sternberg. Da es beiden sehr daran lag, Johanna Wagner (später Frau Eine noch interessantere Bekanntschaft war die des Professors Jachmann-Wagner) zu hören, nahmen sie sich Billets zum Orpheus, Gruppe, dessen Vielseitigkeit George Eliot folgendermaßen schildert: der für ihre beste Rolle galt, und sie waren „entzückt von ihr „Er hat große Werke über das griechische Drama und über sowohl als von ihrem Gesang". Konzerte scheint das Lewessche Philosophie geschrieben, sich als politischer Schriftsteller, als Lyriker Paar nicht viel besucht zu haben, wenigstens erwähnt George und Epiker hervorgethan; eine Art marmorierten Papiers zum Eliot nur ein einziges, veranstaltet von Vivier und Roger, bei Bücher einbinden erfunden und war ein enthusiasmierter Jäger." dem Arabella Goddard und Johanna Wagner mitwirkten. Roger Mit seiner um 30 Jahre jüngeren Frau und zwei kleinen Kindern sang Schuberts „Erlkönig". wohnte er am Leipziger Platz, eine „endlose Flucht von Treppen „Es waren glückl:ck,e Tage, die wir in Berlin zubrachten", hinauf!" Gruppe hatte eine große, schöne Bibliothek, aus welcher heißt es in den Aufzeichnungen, trotz der bitteren Kälte, welche er dem Schriftstellerpaar Lessings Laokoon lieh. Er war es auch, vom Januar bis zu ihrer Abreise im März andauerte. „Wie der ihnen zu ihrer Verwunderung gestand, daß Shakespeare mehr freuten wir uns im Gedanken an unser warmes Zimmer und den in Deutschland verkauft würde als irgend ein anderes Buch, mit Kaffee, wenn wir nach den: Mittagsessen unsern Weg durch Wind Ausnahme der Bibel und Schillers Werken. und Schnee erkämpften. Dann kam der gemütliche Abend, an dem

300

wir Shakespeare, Goethe, Heine und Macaulay lasen, mit deutschem Pfefferkuchen und Semmeln als letzte Vervollständigung der „nootoo cenaeque deüm“. Ihr Lieblingsspaziergang war auf der Mittelpromenade „Unter den Linden", am „alten Fritz" vorüber und manchmal herunter „bis zu Kroll". Zu Mittag wurde im Hotel de I'Europe gespeist, wo die Gänge in so langen Zwischenräumen auf einander folgten,

Eliot es vorzogen, die Pausen mit Lesen auszufüllen. Das Buch, das dabei als Lektüre diente, war Lessings „Hamburgische Dramaturgie". das; Lewes und George

1111 Noch

t

1

peai Iktor)

rill Gedicht des Fürsten Hohenlohe.

cr Reichskanzler, Fürst Chlodwig Hohenlohe, hing an seinem Bruder Philipp Ernst mit ungewöhnlicher Zärtlichkeit, wie das folgende Gedicht zur Genüge beweist. Philipp, Ernst von Hohenlohe, der drille Bruder des Fürsten Chlodwig, starb am 3. Mai 1845, im 25. Lebens¬ jahre. Das Gedicht stammt ans dem Jahre 1846.

Philipp

Ernst.

Vom Schlosse schau ich einsam stille Thal hinab. Da sch ich im Mondschein ein Blinken: Tie Kirche und das Grab.

Ins

Da haben sic Dich begraben, Ten ich so Heist geliebt; Ten Freund, den tapfern, treuen. Wies keinen zweiten giebt!

Sie haben viel tausend Thränen Grab Dir nachgesandt; Sie haben sich wieder getröstet,

Ins

Sic haben Dich nicht gekannt. Doch meine Thränen fliesten Noch wie au jenem Tag, Da man Dich hinuntergetragen Und mir das Herz zerbrach.

Wo ist Berlin? (Fortsetzung.)

Stärken wir uns ein wenig bei Landvogt, wo ich mit den Vcrivandten und Freunden den Abend vor meiner grosten Reise verbracht habe, und wo ich viel vergnügter Abschied genommen habe von der Heimat, als ich sic nun wiedersehe. Obwohl ich damals mit leeren Taschen auszog und nun wiederkehre, na, wie schwer glauben Sic wohl? Doch das' sind Privatsachen. Ich schlendere also zu Landvogt hin. Unter den Linden 18. Ich ivcist es noch ganz gut. Hinterhaus mit „Garten". Ich sehe Landvogt noch, den stattlichen Wirt mit dem Lohengrin - Kops. War ehedem Schauspieler, wie Weyrauch, Siechen, Wiesbeck und zuletzt Blenckc sich von der Bühne dem Gastwirtsbcruf zuwandten. Darum verkehrte auch alles, was zur Kunst gehört, bei Landvogt. Albert Niemann ist Stammgast, Oskar Blnmenthal, Helinerding. Durch die Reihen der Gäste stolziert breitbeinig, gravitätisch, wie ein amerikanischer Schwcine-Millionär oder Eisenbahn-König, der zahme Rabe. Blnmenthal pflegte damals zu sagen, Niemann suhlt sich so heimisch bei Landvogt, weil die — Rande auch immer da ist. Bon diesem Raben pflegte man zu erzählen, dast er aus dem Zcitungsregal schliefe, aber nie ans einem anderen Blatte als aus der — Rationalzcitung. Ein nationalliberaler Nogel. In diescti freundlichen Erinnerungen komme ich nach und nach zum Hanse Unter den Linden 18. O, weh! Verschwunden die alte Herrlichkeit, von Grund aus umgestaltet. Keine Spur von Landvogt! Er ivar vön hier nach der Ecke Küniggrätzer- und Bellcvuestraße ge¬ zogen, so erzählt man mir, dann nach einem grosten Bierlokal in der Tnubenftraße, dann habe er sein Geschäft aufgegeben, um Landwirt in Sachsen zu werden, und dort ist er längst gestorben. Sein Vermögen kommt zum großen Teil seinen früheren Berufsgcnossen, den Schau¬ spielern zu Gute. In das Haus zogen später statt des einen Landvorher voglschcn Raben, die „drei Raben" von Diwischowski ein, die Gespritzten in der Behrenstraße nisteten und um Gullasch, Backhändel, und „Beinfleisch" alles versammelten, was österreichisch war in Berlin, österreichisch von Geburt oder Sympathie. Aus dem Vorderhaus dieses Grundstücks hat dann eines Sonntags, am 2. Juni 1878, jener ver¬ dammte Nobiling aus den alten Kaiser Wilhelm I. geschossen. Dann wurde das Haus niedergelegt, und jetzt beherbergt es ein großes, weitgestrecktes Restaurant. Ein nniformicrter Boy üstnct die Thüre, da hinten eine Bar, wieder ein Stückchen Amerika in Berlin! Weiter also! Kranzler ist zum Glück noch an der alten Stelle. Nur dast die Stutzer fehlen, über die sich der alte Glaßbrenncr weidlich lustig gemacht hat. Und gleich gegenüber das „Cafe Bauer"! Damals, als ich von dannen zog, war es zwar noch nicht eröffnet, aber ganz Berlin war voll davon. Man lachte unbändig über die

Am 1 t. März 1855 — es war ein bitter kalter, schlosscnhagelnder Morgen — verließ das berühmte Paar Berlin, um über Köln und Brüssel nach England zurückzukehren. Während seines Aufenthaltes in Berlin arbeitete Lewes an der Vollendung seiner Goethe-Biographie, und George Eliot be¬ endigte beinahe ihre Uebersetzung von Spinozas Ethik (begonnen am 5. November), und schrieb einen Artikel über Vehses „Hof von Oesterreich". Die Lektüre beider konzentrierte sich namentlich auf deutsche Werke; dazu gehörten Goethe, Lessing, Stahrs Schriften und Fanny Lewalds „Wandlungen".

dIcs

)

Idee, eine Konditorei von Anton von Werner ausmalen zu lasten und 18 000 Thaler, man denke, achtzehntausend Thaler jährlich Miete für eine Konditorei zu bezahlen! Das Wort Wiener Cafe oder einfach „Cafe" war damals noch nicht so geläufig in Berlin, obwohl das Cafe. Bauer keineswegs das erste seiner Art war. In der Passage, die nun grade das fünfundzwanzigjährige Jubiläum ihres Bestehens ge¬ feiert haben dürfte, bestand bereits ein solches Cafe und ebenso im großen Hotel „Kaiscrhof", das 1875 fertiggebaut und kurz nach der Eröffnung niedergebrannt war. Nun, das Cafv Bauer hat sich trotz der 18 000 Thaler Miete glänzend behauptet und gerade gegenüber ist ein noch größeres entstanden, die Mieten sind gestiegen, und in allen Stadtgegcnden sind ähnliche große Cafes verstreut. Alle blühen und gedeihen, nur Bauer, der die Gattung für Berlin ins Leben ge¬ rufen, ist nach schweren Kämpfen hinübergegangen, ein Opfer seines — Glücks. In den bescheidensten Verhältnissen war er aus der österreichischen Heimat nach Berlin gekommen. In der Bellevuestraste hatte er ein vornehmes Restaurant eröffnet — es wollte nicht gedeihen, so redlich er sich auch mühte. Das Glück war nicht zu erjagen, so rastlos er auch eilte. Im Cafe Bauer stellte der Erfolg sich umso schneller ein. Heute gehört cs zumeist den Fremden, damals war es bei Schriftstellern und Künstlern in Gunst und bei der besten Gesellschaft der Rcichshanptstadt in Mode. Bauer aber schuf sich durch Spekulationen und Liebhabereien künstlich die früheren Sorgen. Jetzt lief das Glück ihm nach und konnte

ihn

In

nicht erreichen.

all diesen Gedanken gelange ich in den nördlichen Teil der Friedrichstraste, dem Schiffbauerdamm entgegen. Wie mögen sie nur jetzt aussehen, die engen, dumpfen kleinen Häuschen alle zwischen Torothecnstrastc und Brücke, in denen Bauerntücher, alte Kleider, ab¬ gelegte Uniformen und Livrces feilgehalten werden. Diese Filiale des Mühlcndamms, in deren Mitte ein reizender Kunsttcmpel sich verirrt hat, von Emil Thomas geleitet — das „Thalia-Theater"! Wie diese Häuschen aussehen? Himmelkreuzdonn — fast hätte ich geflucht! Gar nicht sehen sic ans! Verschwunden all der bunte Kram, der io absonderlich anmutete, verbreitert die Straße, über die sich eine Eisenbahnbrücke schwingt. An die Stelle der vielen Häuser ist ein Ricsen-Hotcl amerikanischen Formats getreten und daneben ein gewaltiger Bahnhof mit einem ungeheueren Verkehr, gegen den selbst derjenige der NewDorker Hochbahn nichts ist. Können Sie sich denn vorstellen, wie schnell ich entsetzt davonlief?? In meiner guten, stillen Potsdamerstraßc will ich nun Erholung suchen von all diesen Großstadtschrecken: in den Gärten, in denen ich als Junge so oft gespielt, die Bäume erklettert habe, wenn ich den Onkel besuchte. Icl> sehe sic im Geiste, die stille, ländliche Straße mit den breiten Vor¬ gärten, die .Prachtbäume, die jedem alten Forst zum Stolz gereichen würden. Im Trubel der Friedrichstraste, die mir so viel neue hochragende Häuser, in bunte Farben gehüllte Bicrpaläste zeigt, im Gewühl der Leipsigerstrastc, in der ich staunend unsere New-Aorker Warenhäuser wiederfinde, Zwillingsgeschäfte von Macy's und Stern Brothers, gedenke ich verlangend des naben Idylls in der Potsdnmerstraste. Wie frente ich mich schon auf den Kontrast. Hier am Leipziger Platz noch hastende« Leben und Treiben, wenige Schritte später: ländliche Stille, ein Idyll. der Po — Potz Eine Biegung — jetzt bin ich in der potztausend, in welcher bin ich denn plötzlich? Am Broadwap doch, am Union Square! Dieses lärmende Gewimmel, dieses Gedränge von elektrischen Wagen, Omnibus und Droschken inmitten großer Ge¬ schäftshäuser ist doch nicht etwa unsere alte Potsdamerstraßc? Laden bei Laden, Gasthaus bei Gasthaus, Pfcrdebahngcbimmel, und ringsumbcr der ganze betäubende Rummel des bewegtesten Verkehrslcbens — derlei rasche, gründliche Umgestaltungen bringen selbst meine anierikanischen Begriffe von rapider Städtecntwickclung in Verwirrung. Ein Glück, dast wenigstens in der alten Konditorei von Josty am Eingang zur Potsdamerstraßc ein Stückchen Alt-Berlin sich erhalten hat, eine letzte Erinnerung an jene Zeit, da die Spaniapani, Stehcli, Vicedomini das Äondiioreiwcsen in Berlin beherrschten. Die Romanen von Grau¬ bünden hatten Berlin mit einem Bombardement von Pasteten, Pralinees, mit einer überschwemmenden Flut von Schlagsahne eingenommen. Und nun harrt nur noch Josty aus — die einzige Säule, die von ent¬ schwundener Pracht zeugt. Aber auch diese wird „stürzen über Nacht". Jetzt frage ich mich nicht mehr, was ich von meinem alten Berlin wiederfinde, sondern nur noch, was mir verloren ist für ewige Zeiten. Durch die Königgrätzcrstraste, die bei meinem Abschied noch so jung war. jung und unentwickelt, wende ich mich meinem alten Gymnasium zu. Zwischen blinkenden Palästen der Mietskasernen ist hier eine neue Straße auf Kosten eines alten Gartens entstanden. Mitten durch den großen Park des Prinz Albrecht-Palais ist die Prinz Albrcchtstraße geführt worden, und fernher leuchtet mir ein Riesenbau entgegen, an den zu meiner Zeit noch gar nicht zu denken war: der Anhaltcr Bahnhof.

-ja

Potsda-in

301

Ich gelange in die Friedrichstraßc, aber an der Kochstragen-Ecke, wo ehedem mein Gymnasium gestanden, die Heimstätte meiner ersten Sorgen, der Mittelpunkt meiner Freuden nnd Leide», das Stelldichein meiner frischesten Erinnerungen, da reckt sich ein etwas nnruhig-buntcs Zinshaus mit einem großen Cafe, mit Türmchen nnd Zacken den Wolken entgegen. Dies Schulhaus suchte meine Phantasie da draußen im Westen fast Tag für Tag,' in seinen breiten Korridoren und hohen Klasscn-Zimmcrn gingen meine Gedanken spazieren und dabei — existierte es längst nicht mehr? Hier hörte mein inneres Ohr mit heiterem Be¬ hagen die schnarrende Stimme unseres alten Professors, der mit so drolligem Pathos den Homer deklamierte, und dabei vernahm man hier in Wirklichkeit nur das „zahl'n bitte!" „bitte, glei" der Wiener Kellner! Sie werden es verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß sich in meine Be¬ schämung auch so etwas wie ein Gefühl des Betrogenseins mischte. Wo. ich mich ehedem an den drollige» Aufführungen in Brockmanns Affentheater ergötzte, ist jetzt eine große Markthalle entstanden! die zur Lindenstraßc hindurchführt, und gleich nebenan eine zweite Passage. Wie seufzte man früher, daß die Friedrichstraße von Besselstraße bis Belle-Alliance-Platz eine undurchdringliche, verkehrhemmcnde Mauer war! Und dieses Leben in der Gemüjebörse! Zu meiner Zeit scheiterte der erste große Versuch der Einführung einer Markthalle kläglich. Der gewaltige Bau zwischen Karlstraße und Schiffbauerdamm verwandelte sich in einen Cirkus! Verändert finde ich auch den Belle-Alliance-Platz, von dem herüber die Viktoria mich schon wie einen alten Bekannten grüßte. Die Stufen sind verschwunden, die vormals hinunterführten, die Thorgebäude, die gerade bei meinem Scheiden fertig geworden waren, — „Pianinos" nannten sie die Berliner — und die sich damals so überflüssig vor¬ kamen, stehen nicht mehr leer, erscheinen nicht mehr als symbolischer Abschluß des Stadtbildes, es sind eben zwei lädenumringte Häuser mehr! Von jenseits der Brücke winkt wieder ein ungeheures Warenhaus amerikanischen Stils — mich zieht indes die Gitschinerstraßc an, mit der mich viel lustige Erinnerungen verknüpfen. Ich biege ein und pralle bald entsetzt zurück. Gespenster! Leibhaftige Gespenster aus ungeheuren Balken und eisernen Trägern. Mitten durch die Straße, die Häuserreihen scheidend, das Straßenbild zerstörend, schiebt sich das Ungetüm der Ncw-Aorker Hochbahn und scheint auch hier den Acht¬ und Luftraum drängend ausfüllen zu wollen, als ob der Straßcnrahmen eine Art Wurstpelle wäre. Die Hochbahn in der Gitschinerstraßc! Jetzt heißt es die Flucht ergreifen. Schnell ins neue Heim zurück, da das alte verschwunden ist. „Kutscher, nach Milwaukee. . . pardon, zunächst nach dem Hotel Bristol!" Auf dem Wege aber frage ich mich, an die alte Anekdote von dem fehlenden Pfund Butter und der Katze, die auch gerade ein Pfund wiegt. Lenkend: „Das alles ist also Amerika, wo aber, wo ist Berlin?" U. A. w. g. Ihr Dick Knöpcke.

Bill

Denkmal gefallen war, richtete Exzellenz Sachse an den Staatssekretär von Podbielski folgende Worte: „Im Auftrage der Stifter übergebe ich hiermit dieses Denkmal der Kaiserlichen Reichspost- und TclegraphcuVerwaltung nnd bitte Euer Exzellenz, dasselbe unter Ihre machtvolle Obhut zu nehmen, auf daß cs rede von geistigem Heldentum und deutscher Schaffenskraft auch noch zu kommenden Geschlechtern." Indem Staatssekretär von Podbielski das Denkmal übernahm, sprach er in seinem und seiner Verwaltung Namen den Herren des Denkmalkomitces und allen, die an deni Zustandekommen desselben mitgewirkt haben, den herzlichsten Dank aus. Das Denkmal solle ein Zeichen der vergangenen großen Zeiten und gleichzeitig eine Mahnung fein, im Sinne des Gefeierten an der Förderung des Verkehrs leben s in unserem geliebten deutschen Vatcrlaudc weiter zu arbeiten, >vie es Stephans Wahrspruch gcivcfcn: „Ziel erkannt, Kraft gespannt! Pflicht gethan, Herz obenan", so solle es für alle Mitarbeiter am deutschen Verkehrswesen nur das eine Ziel geben: Die deutsche Reichspostverwaltung allezeit voran! Dann fand eine Besichtigung des vom Bild¬ hauer Joseph Uphues geschaffenen Denkmals statt.

Kunst und Wissenschaft. Rskfsöla Pattini. m 27. April starb in Berlin, fern der Heimat und fast aller Sub¬ sistenzmittel entblößt, im 34. Lebensjahre die schone Koloratur¬ sängerin Raffaöla Pattini, welche Ende der achtziger Jahre Mit¬ glied unserer königlichen Oper war. Die Künstlerin wurde im Jahre 1865 zu Bukarest von italienischen Eltern geboren. Mit 18 Jahren begann sie ihre Laufbahn im Theater San Razzaro zu Neapel: Bar¬ celona, New-Aork, Montevideo und Buenos Ayres waren die weiteren Berlin fang sie im Februar 1886 ini Stationen ihrer Triumphe. Konzerthause und wurde in demselben Jahre nach einem dreimaligen Gastspiele für das königliche Opernhaus engagiert. Ihre Hauptpartien waren die Zerline in „Fra Diavolo", die Florette in „Donna Diana", der Page in den „Hugenotten" und vor allem die Violcita in „La Traviata". AIs Floretta sprach ihr der alte Kaiser Wilhelm seinen besonderen Beifall aus. Die Stimme der Künstlerin war nicht groß, und ihre gesanglichen Leistungen überschritten das Mittelmaß nicht: aber Raffaöla Pattini verfügte über eine saubere Technik, und über eine sorgfältige Ausbildung. Dieser, im Verein mit ihrer geschmackvollen Vortragsweise gewannen der zierlichen, kleinen Sängerin, deren eigent¬ liches Talent das Soubrettenfach war, die Herzen des Berliner Pu¬ blikums. Im Jahre 1889 verließ die Künstlerin das Berliner königliche Opernhaus und ging mit einem mehrjährigen Vertrage nach Frankfurt am Main an das dortige Stadttheater. In die Heimat zurückgekehrt, heiratete sie in Rom einen dortigen Arzt. Die Ehe war nicht glücklich, und Ende vorigen Jahres führten die Erinnerung an frühere und die

a

In

Das Strphandenkrnal.

s

ie Enthüllung des Denknmls

für den verewigten Staatssekretär des Rcichspostamts Dr. Heinrich von Stephan fand am 1. Mai. mittags, an der Stätte seiner langjährigen Wirksamkeit inmitten des von ihm geschaffenen Reichspostmuseums statt. Der große Lichthof zeigte ein baldachinartiges Arrangement, dessen grünscidene Vorhänge das Standbild des Reformators des deutschen Post- und Telcgrapheuwesens noch verhüllten. Heinrich von Stephan ist, wie unsere Abbildung zeigt, als Redner im Reichstag dargestellt. Die Gesichtszüge tragen den müden leidende» Charakter, wie er an dem Verblichenen in seinen letzten Lebensjahren bemerkt morden ist. Von 11 Uhr au füllte sich der Lichthof mit den geladenen Persönlichkeiten. In den ersten Sitz¬ reihen nahmen die Angehörigen des Gefeierten ihre Plätze ein, unter ihnen Frau von Stephan nebst ihren beiden Töchtern und dem Schwiegersohn, Hauptmann von Napolski vom 2. Garde-Fcld-ArtillerieRegimcnt, ferner der Schwager des Verewigten, Geheimer ObcrRegierungsrat Muyschel mit seinen Damen, der Neffe des Verstorbenen, Stadtrat und Reichstagabgeordueter Kauffmaun u. a. Ferner waren anwesend der Chef der Reichskanzlei, Geheimer Ober-Regicrungsrat Freiherr von Wilmowski, das Kollegium des Rcichspostamts, Beanitc und Uuterbeamte der Rcichspost- und Telcpraphen-Verwaltung, die Ferienkommission, bestehend aus vier Vertretern der Studierenden der Kaiserlichen Post- und Tclcgraphenschule, und zahlreiche Freunde des Verstorbenen, wie Gehcimrat Professor von Bergmann, der frühere Unterstaatssekretür vr. Fischer, Herr von Krause nnd andere. Als der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe, geführt vom Staatssekretär von Podbielski und den Herren des Dcnkmal-Komitss den Lichthof betrat, stimmte der Blüserchor unter Leitung seines Dirigenten, Pro¬ fessors Kosleck, die Gluckschc Motette „Hoch thut Euch auf, Ihr Thore der Welt" an. Dann nahm der Wirkliche Geycime Rat Sachse, der langjährige Freund und Mitarbeiter des ersten deutschen Reichspost¬ meisters, das Wort. Er erinnerte an die vor zwei Jahren in denselben Räumen abgehaltene Totenfeier. Die heutige Versammlung, so führte er weiter aus, solle nicht mehr einer Trauerkundgcbung gewidmet sein, denn nach der Wehklage sei der Genius der Dankbarkeit hier eingetreten, und van seinem warmen Hauche werde auch die heutige Gedenkfeier durchweht. Das Grabmal auf dem stillen Friedhof sei die sichtbare Erinnerung, die die Familie des Entschlafenen ihm gewidmet. Mehr als einmal habe der Verklärte bei zwanglosem Zusammensein in ver¬ trautem, kleinem Kreise es ausgesprochen: „Das, Kinder, könnt Ihr mir dereinst auf meinen Grabstein sehen, daß, wo ich konnte, ich gern meinen Beamten gutes gethan habe." „Die Antwort der dankbaren Beamtenschaft trägt dieses Standbild, das der Künstler aus einem Gusse und in voller Lebcnswahrheit zu gestalten vermochte, das mit aus¬ drucksvoller Handbewcgung darauf hinweist: „Das Wesen der Dinge ist die That — das ist unser Stephan!" Nachdem die Hülle von dem

Lajfaöla Pattini. ch

27:

April

1899 zu

Berlin.

Hoffnung auf künftige Triumphe die Sängerin nach Berlin zurück. Eine Erkältung, die' sie sich nach einer Wohlthätigkeits-Matinec iin Opernhause zuzog, warf sie aufs Krankenlager, ein Herzschlag machte im Anschluß an Influenza ihrem Leben ein vorzeitiges Ende. Während der Krankheit pochten Not und Entbehrung an die Thür der Künstlerin, sie sah sich gezwungen, die italienische Botschaft um Unterstützung zu bitten, und ihr armseliger Nachlaß reichte nicht aus zur Bestreitung der Beerdigungskosten. Als Graf Höchberg von dem tragischen Geschick der Sängerin erfuhr, ordnete er ein würdiges Leichenbegängnis auf

302 Kosten der königlichen Oper an, Einsam und verlassen ist die Künstlerin, deren Laufbahn an ihrem Beginn zu den glänzendsten Hoffnungen berechtigte, im Elend gestorben; tu fremder Erde wurde sie am 30, April auf dem katholischen Kirchhofe in Weißensee zur ewigen Ruhe gebetttet,

vovsru Raphaela!

Im Laufe der vorigen Woche hatte eine Pariser Truppe im Neuen Operntheater (Kroll) französische Stücke aufgeführt. Es ist nichts rühm¬ liches darüber zu berichten.

R, G,

Berliner Chronik.

Eröffnung drr Kunstausstellung. Am 7. Mai ist die diesjährige Kunstausstellung im LandesAusstellungspark eröffnet worden. Mit berechtigter Spannung sah man gerade in diesem Jahr dem Ereignis entgegen. Fünfzig Berliner Künstler haben sich als Sezession abgetrennt und von diesen fünfzig sind fast alle sehr vollwertige Namen, Die Berliner Künstlerschast ist nicht so zahlreich, daß eine solche Spaltung nichl ganz neue Verhältnisse schaffen mußte. Nun, in der Jahresausstellung ist das Fehlen der Sczesflonisten sehr empfindlich zu merken, um so inehr, da auch noch einige andere der gewohnten großen Namen ausgcbliebon sind, so Eugen Bracht, Noch viel mehr würden die Lücken aber ins Auge springen, wenn nicht Ausstellungs-Kommission und Jury in regster, eifrigster Thätigkeit alles aufgeboten hätten, um durch einzelne Kollektiv-Ausstellungen die Aus¬ stellung reich und interessant zu gestalten. Außerdem ist man von einer wirklich sehr großen Milde gewesen in Bezug auf die Aufnahme, Die Grenze des Fähigen scheint erheblich herabgerückt worden zu sein. Am merkwürdigsten erscheinen aber die Konzessionen an das „Moderne", die einem auf Schritt und Tritt namentlich in Bezug auf Arrangement und die Ausstattung der Räume entgegentreten. Es sind dabei Geschmack¬ losigkeiten untergelaufen, die eben nur beim Imitieren vorkommen können. Man sehe sich den Saal 10 an. Wenn man damit Saal 36 vergleicht, der immer noch in dem von Lieberman vor drei Jahren geschaffenen Decor steht und damit noch heut als einer der vornehmsten Räume der Ausstellung erscheint, muß man sofort an die Kontrastbegriffe „echt und talmi" denken. Geradezu bedenkenerregend erscheint uns der Cha¬ rakter der ausgestellten Möbel und die Palmenhalle, Das ist unbedingt nicht mehr „Kunst-Ausstellung". Diese Art Möbel sieht man in Berlin überall in den großen Schaufenstern und da gehören sie auch hin. Nun, das sind einzelne Verirrungen die hoffentlich die Ausstellung nicht schädigen werden. Die Reihe der Kollektiv-Ausstellungen einzelner großer Künstler macht sie um so interessanter. Da ist Hans Bohrdt und Josef Schcurenberg, Hausmann und der zu früh verstorbene Gehrts, Daun ein Teil der Michettischen Arbeiten, die im Aka¬ demiegebäude ausgestellt waren. Dann Max Rabes mit farbenfrohen Bildern von der Orientreise des Kaisers und von Scheunis mit seinen romantischen Landschaften, Eine Anzahl Menzelscher Blei¬ stiftskizzen und Lenbachscher Porträts. In einem Raum sind vierzehn Bilder von Teutwart Schmitson vereinigt. Wenn dieser heut interessante, in seiner Zeit bahnbrechende Künstler auch schon 34 Jahre tot ist, so muß man umso dankbarer sein, daß einmal eine solche Reihe von Bildern seiner Meisterhand neben einander zur Schau gebracht wird. Zu den interessantesten Sälen gehört aber Saal 9, in dem der Verband deutscher Illustratoren eine fesselnde Kollektivaus¬ stellung von Blättern der Schwarzweißkunst veranstaltet. Wenn nun erst der „Lenz in den Saal lacht" und draußen die heiteren Weisen der Militärkapellen ertönen, dann wird sich auch der altgewohnte Massen¬ besuch wieder einstellen.

Theater. §v>ic Märchen beherrschen die Bühne,

Wer sonst naturalistische Stücke aufs Fabuliere»! die Märchen sind Mode ge¬ worden, und Anton v, Perfall ist auch dem Modeteufel verfallen, obwohl er es nicht nötig hat, Anton v, Persall ist ein vortrefflicher Romanschriftsteller, ein beredter Erzähler und guter Beobachter: ein Dramatiker scheint er indessen nicht zu sein. Das dramatische Märchen „Eine Krone", das am 6, Mai im Königlichen Schauspielhause zum erstenmal aufgeführt wurde, ist aus einer Erzählung herausgeschält worden. Die Erzählung gesiel ihrem Versager so gut, daß er meinte, Das Ergebnis fiel ungünstig aus. Das sic dramatisieren zu müssen. Ipricht allerdings nicht unwiderleglich gegen Perfalls dramatische Be¬ gabung: der Erfahrungssatz, daß ein dramatisierter Roman kein Drama, sondern eben ein dramatisierter Roman ist, wurde nur noch einmal bestätigt, Anton v, Pcrsalls Stärke liegt in der erzählenden Dichtung, wie sein jüngster Roman „Der Frcihof" beweist, der im nächsten Herbst in der Wochenschrift „Dies Blatt gehört der Hausfrau!" erscheinen ivird und den Verfasser in die vorderste Reihe der modernen Schrift¬ steller hebt. Man darf daher behaupten, daß seine „Krone" kein Mi߬ erfolg, sondern nur ein Mißgriff war. Die Fabel des dramatischen Märchens ist bald erzählt. Der recht¬ mäßige König von Rüm ist erschlagen worden und der Usurpator bedrückt das Land, Das einzige Kind des ermordeten Königs mitsamt der echten Krone hat jedoch ein Fischer gerettet. Den Prinzen hat er zu seinem Bruder in fernen Landen geschickt und die Krone im Keller eingemauert. Seitdem sind zwanzig Jahre vergangen. Ohne Ahnung seiner Herkunft kehrt der Prinz als der Wirkerssohn Achmet in seine Heimat zurück. Seinen Freiheitsdrang weiß er dem Volke mitzuteilen, das sich gegen den tyrannischcu Usurpator erhebt. Achmet wird erst Statthalter und zuletzt rechtmäßiger König, Zwischendurch verliebt sich Achmet, oder Prinz Asr — was dasselbe ist — in die Tochter seines Lebersrelters, des Fischers Uli, und das schöne Fischermädchen wird Frau Königin, Wie man sieht, verrät das Märchen keine ausschweifende Phantasie, es fehlt ihm aber auch das schillernde Gewand der Poesie. Daher war es kein Wunder, daß die „Krone" keinen Erfolg hatte. Ein Drama muß als solches gedacht ^ind ausgearbeitet werden, wenn es aus einem Guß sein soll. Dieser Lehre sollte Perfall eingedenk bleiben. schrieb,

verlegt

sich

Am 30. April vollendete Professor Hermann Setteqast sein 80. Lebensjahr, Der Gelehrte, der sich um den wissenschaftlichen Aus¬ bau der Landwirtschaft große Verdienste erworben hat, wurde 1881 an die Berliner landwirtschaftliche Hochschule berufen,' vor etwa zehn Jahren entsagte er der Lehrthätigkeit, Am 2, Mai starb vr, Eduard von Simson im 89. Lebensjahre, Der Entschlafene hat, wie Reichstagspräsident Graf Ballestrem in dem Nachruf hervorhob, den er ihm im Reichstage widmete, „in allen Entwickclungsphasen der deutschen Einheitsbewegung eine hervorragende Stellung und Thätigkeit eingenommen". Am 3. April 1849 kündigte er (vergl, „Bär" 1899, Seite 223) als Präsident der Frankfurter National¬ versammlung Friedrich Wilhelm IV. die Wahl zum deutschen Kaiser an. Am 18, Dezember 1870 stand er an der Spitze der Deputation, welche König Wilhelm in Versailles die Adresse überreichte, durch welche ihm die deutsche Kaiserkrone angetragen wurde. Der erste deutsche Reichstag wählte Simson zu seinem Präsidenten,' 1879 wurde er zum ersten Präsidcicken des neu errichteten Reichsgerichts ernannt. Diese Daten sind Mcrksteine der deutschen Geschichte, sie erinnern an die denkwürdigsten Ereignisse dieses Jahrhunderts, an die Hauptphasen der deutschen Einigung, und mit der Geschichte des heißen Kampfes um dieselbe ist für immer der Name des Mannes verknüpft, dem es beschieden war, als Vertreter des dcntschen Volkes zwei preußischen Königen die deutsche Kaiserkrone anzutragen! — Eduard Simson wurde am 10, November 1810 in Königsberg i, P. geboren. Er studierte 1826 bis 1829 in seiner Vaterstadt Staats- und Rechtswissen¬ schaft und erhielt am 1, Mai 1829 die Würde eines Doktors beider Rechte, so daß er einen Tag nach seinem 70jährigen Doktorjubiläum gestorben ist. Mit 22 Jahren war Simson Professor der Rechte, mit 35 Jahren Rat am Tribunal zu Königsberg, Mit der Geschichte des deutschen Parlamentarismus ist Simson untrennbar verknüpft, denn er war nach einander Präsident der Frankfurter Nationalversammlung (1848/49), des Erfurter Reichstages, des Abgeordnetenhauses (1861), des konstituierenden Reichstages des norddeutschen Bundes (1867), des Zollparlaments (1868, 1869), und des ersten deutschen Reichstages

(1871—74). Große Verdienste erwarb sich Simson auch um das Reichs¬ gericht in Leipzig, dessen Präsident er von dessen Gründung (1, Ok¬ tober 1879) bis 1891 war. In diesem Jahre trat Simson in den Ruhestand und nahm seinen Wohnsitz in Berlin. Kaiser Friedrich hatte während seiner kurzen Regierung dem um das Vaterland hoch ver¬ dienten Mann den Schwarzen Adlerorden, und mit diesem den Erbadel verliehen. ■— Die Bestattung Simsons fand am 6. Mai auf dem Kirch¬ hofe der Jerusaleni-Gemcinde in der Belle Alliancestraße statt.

Am 3, Mai vollendete der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes von Bülow sein 50, Lebensjahr, Am 9. Mai vollendete der frühere Probst von Berlin, GeneralSuperintendent a, D. v. Brückner, sein 75. Lebensjahr, Am 10, Mai waren hundert Jahre seit der Geburt Wilhelm Adolf Lettes verflossen, dessen Name durch den von ihm ins Leben gerufenen

Lette-Verein

der Nachwelt erhalten blieb.

Lette ist ein

Kind der Mark) er wurde 1799 zu Kienitz in der Neumark geboren, schlug die höhere Verwaltungslaufbahn ein, machte sich aber namentlich um die Gründung, Leitung und Einrichtung gemeinnütziger Vereine verdient. Der Lctteverein wirkte für die Erweiterung der Erwerbs¬ thätigkeit des weiblichen Geschlechts bahnbrechend und hat zahlreichen ähnlichen Vereinen als Muster und Vorbild gedient. Lette starb am 3, Dezember 1868 in Berlin, Im Vorgarten der Universität haben die Fundamentierungsarbciten zum Helmholz-Denkmal begonnen, das Professor Ernst Herter in Marmor ausführt. Der Kotzoltsche Gesangverein feierte am 30. April sein oOjähriges Bestehen nnt einer „Morgenmusik" in der Singakademie.

In der Eiergasse (an der Nikolaikirche) sind bei Ausschachtungsarbeiteu unter dem Straßeudamm elf men)chliche Skelette gefunden worden. Das Pfarrhaus der St. Hedwigs-Gemeinde (hinter der katholischen Kirche Skr. 5), das seit fast 150 Jahren die Pfarrer der St. Hedwigskirchc beherbergt hat, wird abgerissen, um einem Prachtbau Platz zu machen, der demselben Zwecke dienen soll. Eine Gartenanlage wird gegenwärtig auf dcni sandigen Platz zwischen See-, Reinickendorfer- und Exerzierstraße (gegenüber dem Kaiser Friedrich-Kinderkrankenhaus und dem Georgen-Hospital) geschaffen. Als zweiter Direktor der Druckschriftenabteilung der königlichen Bibliothek ist vr. Johannes Franke, bisher Oberbibliothekar an der Landesbibliothek zu Wiesbaden, berufen worden.

303

Märkische Chronik. Frankfurt a. D. Die neue katholische Kirche „zum heiligen Kreuz und zur heiligen Rosenkranzkönigin" wurde am 3. Mai durch Probst Ncuber aus Berlin geweiht. Brandenburg a. H. In der Pfingstwoche feiert die hiesige Bücke rinnung ihr 300jähriges Bestehen. Döberitz. Zum Herbst bezieht das Wach- und Arbeitskommando, das bisher das früher Dors Döberitz bewohnt hat, die neue Kaserne an der Hamburger Chaussee. Das Dorf ist dann gänzlich verödet und dient nur noch dem Kommandantur-Gärtner und dem Förster zum Wohnsitz.

In

Mittenwalde. den Thon- und Lehmgruben der hiesigen Gegend ist außer den häufiger vorkommenden Knochen vom Mammut, Ur und anderen oorsündflutlichen Riesentieren auch ein Lüwenschädel und ein Rhinozerosschädel gefunden worden. Es ist dies der erste vorsüntfludliche Lömenfund, der in der Mark gemacht worden ist; er ist dem märkischen Museum überwiesen worden. Müggelsee. Aus Angehörigen fast sämtlicher Berliner Ruderund Segler-Klubs hat sich eine „Rettungsgesellschast der Wassersport¬ vereine Berlins und Umgegend" gebildet, welche eine Rettungs¬ station für den Müggelsee, und zwar auf der Rordmole, auf der linken Seite des Sees, wenn man von Berlin kommt, anlegen will. Prenzlau. Die Gemeindevertretung der Marienkirche in Prenzlau ivill an das Staatsministerium ein Gesuch richten, zum Wiederaufbau der beiden gotischen Türme der Marienkirche eine Lotterie zu genehmigen. Die Kosten des Baus würden sich aus 400000 Mark belaufen. Trossen. Der königliche Landrat Bohtz feierte am 28. April sein 25 jähriges Amtsjubiläum und wurde zum Ehrenbürger von Drosselt ernannt.

Ebcrswalde. Das 3. Armeekorps will in Eberswalde nesungsheim für Militärpersonen errichten.

ein Ge¬

Züllichau. AIs Bürgermeister von Züllichau ist der königliche Distrikts-Kommissarius Dr. Berger zu Kletzko non der königlichen Regierung bestätigt worden. Lindwerder, die Havelinsel in der Nähe des Kaiser WilhelmTurmes auf dem Karlsberge, ist von Oskar Blencke, dem früheren Hofschauspieler, gepachtet worden, der auf der Insel ein größeres Wirts¬ haus errichten will. Die bauliche Abnahme des Kaiser-Wilhelm-Turmes hat am 29. April stattgefunden ; die feierliche Einweihung in Gegenwart des Kaisers ist für Anfang Juni in Aussicht genommen. Stendal. Die Errichtung des Bismarck-Archivs in Stendal ist nach der „Voss. Ztg." gesichert. Der Kaiser soll dem Plane zugestimmt

amüsieren, da man kaum erwartete, Bisinarck sich unter die Jugend mengen zu sehen. Als der Graf mich nach meinem Platz zurückgeleitet hatte, zog er eine künstliche Rosenknospe aus dem Knopfloch seines Fracks und überreichte mir dieselbe mit den Worten: „Wollen Sie diese Rosenknospe als Erinnerung an die letzte Walzertour, die ich in meinem Leben getanzt habe und die ich nicht vergessen werde, entgegennehmen!"

Dir Brandenburgischen Nonnrnklöfter waren

folgende: Ein (oder Augustiner-?) Kloster gab es in Stendal (Grün¬ der und Alter unbestimmt: 1267? 1458?): Augustinerklöster in Calbe and der Milde (Sankt-Lorenz-Kloster, gegründet vor 983 von der Gräfin Oda in der Altmark), Disdorf oder Marieninsel (? gegründet 1160 von Aso und dem Grafen Hermann zu Warbeck) und in Salzwedel (SanktAnnen-Kloster, gegründet 1348 von Elisabeth Stolterogge); Bcnediktinerklöfter in Arendsee (gegründet 1184 vom Markgrafen Otto I.), Bären¬ stein, Boizenburg (gegründet 1269 von Heinrich von Steglitz), Bötzow, Crewese (? Kloster Marienthal, gegründet 1157 vom Grafen Werner von Osterburg), Darnbeck (gegründet 1224 von den Grafen von Danneberg), Gransee, Liebenwalde (gegründet um 1254 von den Markgrafen Johannes und Otto), Marienwalde in der Neumark, Neuendorf in der Uckermark bei Oderberg (gegründet vor 1232) Prenzlau (oder Cisterzienserinnerkloster? Sabiner-Kloster, gegründet vor 1250), Spandau (gegründet von 1244) und Stendal (gegründet 1456 oder 1469 vom Kurfürsten Friedrich II., seit 1481 Augustinerkloster); Cisterzienserklöster in Friedland (Mittelmark, gegründet vor 1341), Heiliges Grab (gegründet 1289 von Otto dem Langen), Himmelstädt (Doens Coeli, gegründet vor 1326), Neuendorf in der Nitmark (gegründet vor 1232 von Johannes und Otto), Rheez (gegründet 1296 von Markgraf Otto IV. mit dem Pfeil, Konrad, Heinrich, Johann und Otto), Seehausen bei Prenzlau (gegründet vor 1300), Stepenitz oder Marienfließ (gegründet 1248 oder 1256 von Johann Gans Edlen Herrn von Putlitz), Zxhden (gegründet vor 1811), Zehdenick (gegründet 1249 von den Markgrafen Johann und Otto) und Ziegesar (gegründet vor 1354); Prämonstratenserinnenklöster in Jerichow (gegründet 1144 von den Edeln von Jerichow und den Markgrafen Angelmus, Bischof zu Havelberg) und Lindow (gegründet von den Grafen von Lindow); Beginnen in Salzwedel (gegründet 1280); endlich Nonnenklöster, deren Ordensan¬ gehörigkett unbestimmt ist, in Gramzow (die Klosterjungftauen wurden 1543 wegen ihres schlechten Lebenswandels „abgeschafft"), Lebus, Prenzlau (Maria-Magdalencn-Kloster, gegründet 1520 von Herzog Barnim von Pommern, vielleicht identisch mit dem oben erwähnten Prenzlauer Sabinerkloster), Tangermünde und Wansecke.

Franziskaner-

Veremsnachrichten.

haben.

„Brandrnburgia", Gesellschaft für Brimakkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin.

Kleine Mitteilungen. Die beiden Eiben im Herrenhausgarten, die kürzlich versetzt worden sind, behandelt nunmehr eine wissenschaftliche Autorität, Pro¬ fessor I)r. Witimack in einem Aufsätze in der „Gartenflora" und kommt zu dem Ergebnis, daß dieselben höchstens 150 bis 200 Jahre alt seien. Die beiden Bäume haben auf einem über zwanzig Meter langen Fundament gestanden, das mit der alten Herrenhaussront parallel lies,' es wird ausdrücklich in dem Artikel hervorgehoben, daß es sich nicht um zerbröckeltes oder durchgesunkenes Mauerwerk handelt, sondern um ein Fundament unterhalb der Eiben, von dessen Vor¬ handensein die Anpflanzer der letzteren offenbar keine Kenntnis hatten. Die Eiben müssen bei der Anpflanzung noch jung gewesen sein, da man älteren Bäumen mit ihren Wurzeln sicher ein tieferes Bett gegraben und dann die tiefer liegende Mauer gefunden hätte. Die Anpflanzung der Bäume dürfte wahrscheinlich nach der Uebernahme des jetzigen Herrenhaus-Grundstückes durch de» Freiherrn von der Recke zwischen 1778 bis 1780 erfolgt sein, und es ist nach Professor Wittmacks Aus¬ führungen anzunehmen, daß die beiden Eiben zu dieser Zeit höchstens 20—30 Jahre alt waren. §. Das geheimnisvolle Grab. Im Berliner Tiergarten sieht mau in der Nähe des „Zoologischen" eine Granitplatte eingesenkt mit der Aufschrift: Eonsluntin von Doppelmeyer. XXVII. October MDCCCLXXI. Es befindet sich unter dieser Platte kein Grab, sondern das Denkmal wurde hierher gesetzt zur Erinnerung an den russischen General Constantin von Toppelmeyer, der hier atu 27. Oktober 1871 mit dem Pferde stürzte und infolge der erhaltenen Verletzungen starb. Ein groß angelegtes Kartenwerk wollen Professor Joseph Kürschner und der Kartograph Peip herausgeben, der allen mär¬ kischen Wanderern durch seinen vortrefflichen Taschen-Atlas bekannt ist. Das Kartenwerk, das im Selbstverläge von Joseph Kürschner erscheinen wird, soll in 690 Karten das ganze deutsche Reich so genau darstellen, daß die kleinste menschliche Ansiedelung ver¬

zeichnet wird. Die Karten sollen durch einen kurzen Text (für jede der 158 Sektionen 80 Seiten) erläutert werden. Das gesamte Werk soll ' 4740 Seiten umfassen. §..

Bismarcks letzter Walzer. Madame Carette, die einstige Vorleserin der Kaiserin Eugenie, erzählt in ihren Memoiren: Auf einem großen Balle, der in den Tuilerien mährend des 1867 er Ausstellungs¬ besuches des Königs von Prellßen diesem zu Ehren gegeben wurde, kam mir während des Kotillons die Idee, den Grafen von Bismarck, der aus einer Ecke den Tänzer» zusah, ein Riesenbouquet anzubieten, was die Bedeutung einer „Damenwahl" für eine Walzertour hatte. Bismarck, damals Gegenstand der allgenieinen Aufmerksamkeit, nahm das Bouqet an, und der Einladung entsprechend, walzte er mit mir in vortrefflichster Weise mitten durch das Gewühl der Tänzer hindurch. Dieser kleine Vorfall, der mit der Würde des Grafen und mit der Rolle, die er damals schon in Weltfrageu spielte, garnicht im Einklänge stand, schien die anwesenden Souveräne und die ganze Gesellschaft zu

Am Mittwoch, den 3. Mai, hielt die „Braitdenburgia" ihre zweite außerordentliche) Versammlung des VIII. Vereinsjahres ini Wesendonckschen Hause zu Berlin, In den Zelten 21, ab, um die dort ausgestellten Kunstschätze und die reiche Gemäldesammlung zu be¬ sichtigen. Herr Professor Dr. Galland, Mitglied der „Brandenburgia ', hatte die Führung durch die Sammlung uitd die Erläuterung der einzelnen Werke übernommen und hielt vorher einen kurzen Vortrag, in dem er aus die Reichhaltigkeit und den hohen Wert der Sammlung hinwies, welche fast von jedem hervorragenden Maler ein Werk auszu¬ (erste

weisen hätte.

Das Wesendoncksche Haus erhebt sich an der westlichen Seite des Königsplatzes, an der Ecke, wo die Straße „In den Zelten" und die Große Ouerallee sich schneiden, und ist als palastartige Villa in schönem Renaissancestil errichtet. Die Hauptfrout ist nach der erstgenannten Straße gekehrt, ein seitlicher Flügel zieht sich nach dem Königsplatz und dem hinter dem Hause liegenden Garten herum. Im Hochparterre be¬ finden sich die Wohnräume der Familie, im Obergeschoß die Gemälde¬ sammlung. Der Schöpfer dieses eigenartigen Kunstpalastes war der vor zwei Jahren verstorbene Kunstsammler und Privatgelehrte Otto Wesendonck, dessen Wittwe, Frau Mathilde Wesendonck, das Haus zur Zeit allein bewohnt. — Betritt man die Villa durch das Portal in der Straße „In den Zelten", so gelangt man in den hohen, hellen Hausflur und von dort auf einer kleinen Treppe in die mit einer Kuppel gekrönte Vorhalle, von welcher sich die Thüren in die einzelnen Zimmer öffnen. Die Mitglieder der Gesellschaft betraten zuerst den Speisesaal, wo Dr. Galland seinen Vortrag hielt. Dieser Speisesaal enthält bereits eine umfangreiche Kunstsammlung: auf den kunstvoll geschnittenen Wandschränken und Kredenzrischen, sämtlich in Renaissance¬ stil gehalten, blinken und blitzen die prächtigsten Silbergeschirre, Kannen, Humpen, Becher und Teller, an de» Wanden und auf Wandbrettern erglänzen Schalen und Teller mit italienischer, holländischer und japanischer Malerei und ringsum an den Wänden ziehen sich Blumen- und Tierstücke von italienischen, holländischen und spanischen Meistern. Schöngeschnitzte Tische und Stühle sind im Zimmer verteilt und laden zu iraulichein Verweilen ein, denn das Ganze macht nicht etiva einen über¬ ladenen Eindruck oder den Eindruck einer zur Schau gestellten Kunst¬ sammlung, sondern ruft einen behaglichen Eindruck hervor, man fühlt sich auch nicht beengt, sondern angezogen von so viel Pracht und Kunstschönheit. Aehnlich verhält cs sich mit dem sich anschließenden Arbeits¬ zimmer. Auch hier eine Fülle von Kunstwerken, von Bronzen und Elfenbeinschnitzereien, Miniaturen in kostbaren Rähmchen, Vasen und Krügen, welche auf kleinen Tischen und auf den Büchergestellen verteilt sind, aber nichts Gedrücktes, nichts Ueberladcnes. Die Bücherregale sind gleichfalls im Renaissancestil gehalten und nur so hoch, daß man jedes Buch, meist Werke kunstgeschichtlichen Inhalts, bequem heraus¬ nehmen kann. Der eigentliche Arbeitsraum in der Mille ist durch eine eichene, reich geschnitzte Balustrade umschlossen, so daß ringsum ein Gang an den Büchergestellen entlang frei bleibt. Ein großer Schreib-

304 tisch mit einem seitlichen Aufbau für die Handbibliothek und die sonstigen Hilfsmittel eines Gelehrte» steht so ziemlich in der Mitte des ninjchloffenen Raumes, an seiner Rückwand ist ein großes Ruhebett mit kostbarer Decke aufgestellt und vor diesem in malerischem Durcheinander

alles Prachtstücke einheimischen und fremden Die Wände schmücken Porträts ans der Familie Wefendonck, von berühmten Meistern, wie Th. Hildebrand und K. Sohn,

Tischchen und Sesselchen,

Kunstgewerbes.

gemalt.

Die folgenden Zimmer des Gartenflügels enthalten einen Teil der kostbaren Gemäldesammlung, in der fast jeder berühmte Meister seit dem Aufblühen der Malerei im späten Mittelalter mit mindestens einem Stück vertreten ist. Es ist unmöglich, bei einem kurzen Besuch all die herrlichen Schätze eingehend zu betrachten und zu würdigen, es dürfte ein längeres Studium erfordern, um sich nur annähernd einen Begriff von der Reichhaltigkeit der Sammlung zu machen. Ueberall ausgelegte Exemplare des zweibändigen von Herrn Wefendonck herausgegebenen Katalogs erleichtern das Auffinden der einzelnen Gemälde und geben zugleich einen Ueberblick über die mehr als 1000 Nummern umfassende Privatsammlung, der sich in Berlin wohl nur die Ravenssche an die Seite stellen läßt. Von alten italienischen Meistern sind Raffael, Corregio, Paolo Veronese, Carlo Dolce mit großen Originalen und

trefflichen Kopien, von Niederländern Rubens und Rembrandt, van Dyk, van der Velde, Ruisdael und Breughel, von Spaniern Velasquez und Murillo, von den Deutschen Lukas Cranach und Holbein vertreten. Außerdem ist der modernen Kunst ein weiter Platz in der Gallerte ein¬ geräumt^ wir finden Cornelius, Dietz, Calvine, Hildebrand, Achenbach, Canon, Makart und Boecklin in erlesenen Werken vor. Zum Ober¬ geschoß steigt man auf breiter, eicheugefchnitzter Treppe, deren Wandungen mit Gobelins und Gemälden geschmückt sind, empor. In den oberen Räumen tritt mehr der Galeriecharakter hervor, während in de» unteren Zimmern durch mannigfache Möbel ein gewisser Anstrich von Wohn¬ lichkeit und Behaglichkeit gewahrt ist. Die Sammlung im Obergeschoß schließt sich selbstverständlich der unteren würdig an. Ein kleiner Gang, der mit auserlesenen Porzellanen geschmückt ist, führt von der Treppe des Obergeschosses zur eingangs erwähnten Vor¬ halle zurück. Au diesem Gange liegt ein in orientalischem Geschmack ausgestattetes Rauchzimmer, das im Schmuck seiner persischen und türkischen Teppiche, seiner japanischen und indischen Stickereien und seiner glitzernden Bronzen und Waffen fast den Eindruck einer Kapelle macht. Von der Vorhalle aus betritt man den Musiksaal und das Wohnzimmer der Frau des Hauses, beide mit Bildern und Erinnerungen der Wesendonckschen Familie ausgestattet. Daran schließt sich dev Salon, in welchem das Barock vorherrscht und sich auf den weißen mit Gobelins überzogenen Möbel, wie auf den Wandpfeilern und Kaminverzierungen vorfindet. Drei Bilder von Hans Makart, zwei rothaarige Meermädchen i» schäumenden Wellen und ein die Flöte blasender Faun, hängen an den Wände», und bilden einen kostbaren Schmuck dieses Zimmers' außerdem steht auf einer Staffelet am Fenster ein anderes Kleinod, „Das Schweigen des Waldes" von Arnold Boecklin. Tie im Zimmer aufgestellten Tischchen tragen mannigfache Kunstsachen und Sächelchen. Tapeten und Plafonds sind gleichfalls Kunstwerke, ganz zu schweigen von den Vorhängen, Decken, Tischläusern und dergleichen. Das Wesendonckiche Haus in seiner Gesamtheit ist ein Kunstwerk, wie G. A. es in solcher Vollendung wohl selten vorhanden sein dürfte.

Bäder und Sommerfrischen. Sanatorium Inselbad bei Paderborn. Minuten entfernt von dem alten Vischossitz PaderGM born beginnt vor dem Reuhänser Thor der Park des Fuselbades, der von der Bahn ans fast ohne Berührung der Stadt Mit seinen herrlichen, alten Bäumen umfaßt er zu erreiche» ist. ein Terrain von 30 Morgen. Ueppiger . Wiesengrund am PaderflUß begrenzt die ausgedehnte Anlage; ein munterer Bach, die Rothe, durchquert den ganzen Park, und die Spie¬ gelfläche des DLwanzig

^

Teiches mit seinem Jnselchen

bringt

reiche Abwech¬

selung in das

Landjchaftsbild, das durch dichte gegen

Hecken

die

Außenwelt ab¬ geschlossen ist.

Dies alles vereint, be¬ dingt einen re¬ lativ starken Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre, und giebt zusammen mit den konstanten Temperaturverhältnissen. die ohne große Tagesschwankungen im Sommer das Mittel von 4- 16 R., im Winter von — 5 ° nur selten überschreiten, dem feuchtwarmen Klima seinen bekannten milden, beruhigenden Charakter. Diese kalmierende Wirkung kommt namentlich den mit Krankheiten der Respirationsorgane Behafteten zu gute, aber nicht minder den Nerven¬ leidenden, und daraus ergiebt sich der große Nutzen, welchen z. B. 11

Verantwortlicher Redakteur: Dr. M.

Folticincauo,

Asthmatiker hier stets gefunden haben, bei denen diese beiden genannten Organsysteme erkrankt sind. Brügelmann hat das Klima direkt als für Asthma immun bezeichnet. Das seil alters her als Heilbad bekannte Inselbad bei Paderborn war früher ein offener Badeort und ist erst seit dem Jahr 1878 als Sanatorium geleitet worden. Es stellt eine glückliche Verbindung beider Arten von Kurorten dar, indem es die reichen, natürlichen Heilfakloren des Bade¬ ortes (räumliche Ausdehnung der Anlagen, Bade- und Trinkquelle, Moor¬ bäder re.), mit den eben so wichtigen

Das Sanatorium will seinen Kranken alles das bieten, was sie zu Haus selbst unter den günstigsten Verhältnissen nicht haben können. Es will seine Kranken ferner zu gesunder, vernünftiger Lebensweise er¬ ziehen, und ihnen so auch über die Grenzen des dortigen Aufenthaltes hinaus einen segensreichen Einfluß bewahren, nachdem es in der An¬ stalt selbst gelungen ist, den Körper zu festigen und zu stählen. Körper¬ pflege in des Wortes weitgehendster Bedeutung, richtige Diät gehören zu den Heilfaktoren des Juselbades.

Büchertisch. Aberglaube und Occnltismus in Berlin und

der Provinz Branden¬ Vortrag gehalten in Berlin, Oranienburg und Lands¬ berg a. W. von Julius Müller, Direktor der gemeinnützigen Aktien-Gesellschaft Pionier in Berlin. Nebst Anhang: „Die Chiromantie in ihrer praktischen Anwendung". Preis L. Frobeen Verlag, Berlin 81V., Blücherstraße 3. 50 Pfennig. Dieser zuerst im Bürgersaal des Rathauses zu Berlin gehaltene Vortrag bietet die Resultate fleißiger Forschung und reicher Erfahrung auf de» Gebieten des Geisteslebens. Klar und nüchtern chat der Ver¬ fasser seine Aufgabe gelöst: den Volksaberglauben als solchen zu charakterisieren und ihm entgegenzutreten. Blätter für Haus- und Kirchenmusik, herausgegeben von Prof. Ernst Rabich. Verlag von Hermann Beyer & Sühne in Langensalza. Dritter Jahrgang. Preis des Jahrganges (12 Hefte

burg.

a, 16 Seiten Text und 8 Seiten Mnsikbeilagen) 6 M., des halben Jahrganges 3 M. Das vorliegende Heft 4 vom III. Jahrgang enthält im Hauptteil einen Artikel von Dr. Max Zenger: „Ueber Gesang und Gejanglehre vom praktischen Standpunkte", der in anregender Weise sein Warnwort an jene richtet, die ihr Lebensglück der allverlockenden Circe, Bühne genannt, anvertrauen wollen: „Wie manche geträumte Elsa ober Elisabeth ivar froh, den ersten Versuch als Brautjungfer im Freischütz zu machen oder im Tannhänser ,Wolfram von Eschenbach beginne' mit¬ singen zu dürfen," sagt der Verfasser — „drum prüfe, wer sich ewig bindet." In den Musikbeilagen bringt Ignaz Brüll ein reizendes Scherzo für Klavier, Jos. B. Foersler eine originelle „Serenade" für eine Singstimme uud Dr. Herzog ein Präludium im strenge» Kirchenstil für Orgel und Harmonium. Strom der ZcitV. Roman in zwei Bänden von Marie Bernhard. Dresden und Leipzig, E. Pierson's Verlag. 1899. Preis 8 Mark. Die Verfasserin von „Eva Leoni" entrollt in ihrem jüngsten Roman ein reich ausgeführtes Bild von dem Leben und Treiben in einer kleinen, norddeutschen Kreisstadt, die von dem Wogenschwall sozialistischer Forderungen und Gedanken bespült zu werden beginnt. Und ein Widerhall aus dem Kampfgetöse der großen sozialpolitischen Streitig¬ keiten unserer Tage ist hineingedrungen in das Verhältnis des Landrats Wernecke zu seiner Frau, dessen Entivickelung und Geschichte den Inhalt des Romans ausmacht. Zwei sich schroff gegenüberstehende Weltan¬ schauungen treten, verkörpert durch die beiden Gatten, einander gegen¬ über; hier die Forderung ungehindert sich enffaltender Individualität, dort das starre Festhalten an bureaukratisch sanktionierten Formen. Eine friedliche Lösung des Konflicktes ist dabei von vornherein ausgeschlossen, — mit einer schrillen Dissonanz schließt das Werk. — Die Charakteristik der einzelnen Figuren, von denen jede mit einer Fülle subtiler Details gezeichnet ist, darf als gelungen bezeichnet werden.

„Im

Berlin. — Truck uud Verlag: Friedrich Schirmer, Berlin SW., Ncnenbnrger Striche 14a,

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. £5. Jahrgang.

Sonnabend. 20.

!Ir. 20.

Mai 1809.

|\ucb aus Jfiebe zup Wuysb. Novelle von Ernst Wiehert. meiner ersten Dramen — einer Tragödie in Versen natürlich — hat die Hauptrolle ein junger Deutschordensritter. Sie bot unzweifelhaft einein jugendlichen Schauspieler von stattlicher Gestalt, leidenschaftlichem Temperament und kräftigen Ausdrucksmitteln eine nicht ge¬ wöhnliche Gelegenheit, sich aus¬ zuzeichnen, und ich hatte das n einem

Glück, bei der Aufführung in meiner Vaterstadt — der ein¬ zigen, glaube ich, die das Stück erlebte



einen Darsteller

zu

finden, der meine kühnsten Hoff¬ nungen überflügelte. Er hieß Sigmund Fischer, hatte sich aber einen voller tönen¬ den Theaternamen gegeben, den ich nicht verraten möchte, war damals wenig über zwanzig Jahre alt und mit Leib und Seele bei der Kunst, der er sich sehr gegen

den Wunsch

seines

Vaters, eines braven Subaltern¬ beamten, gewidmet hatte. Er verstand zwar von dem Hand¬ werk dieser Kunst noch nicht viel — der gewiegte Regisseur nannte ihn einen Durchgänger und rief

ernstlich aus Liebe zur Kunst, wie sie sich dem Gymnasiasten aus der Beschäftigung mit den alten und neueren Klassikern offenbart hatte, zum Theater gegangen und litt schwer unter den sich immer zwingender vordrängenden Anforderungen einer realistischen Spiel¬ weise, wie sie freilich für die

Bühnenerzeugnisse Be¬ dingung wurde. Er neigte zu sprunghaftem Pathos, zu großen

jetzigen

Bewegungen, zur Steigerung leidenschaftlicher Empfindungen durch verinnerlichtes Spiel und konnte sich sehr verzweifelt ge¬ bärden, wenn von ihm so¬ genannte natürliche Sprechweise, flinke Geste, Effekthascherei durch die üblichen immer wirksamen Mätzchen verlangt wurde. Wirk¬ lich war er im Lustspiel und bürgerlichen Schauspiel nur in Aushilserollen verwendbar und als moderner Liebhaber oft un¬

glaublich hölzern. Er las in seinen Mußestunden alles, was über die Bühnenkunst der alten und neueren Völker geschrieben war, er verbrauchte einen

Teil

seiner nicht erheblichen

Gage, um teuere Journale zu halten, während er die gewöhn¬ auch lichen Theaterzeitungen, edle Feuer, das sich von der verächtlich ihn lobten, wenn sie Begeisterung nährte, nahm mich Er sprach, zur Seite schob. für ihn ein. Ich fürchtete nicht, gern von bei mir saß, wenn er daß darin die ganze Tragödie die den Theatergründung, einer in Flammen aufgehen und mich daß es auch führen sollte, Beweis mit verzehren würde, da im veranlagten, materiell unserer in übrigen genug Wasser floß. Er auf bloße Vergänglichkeit gerich¬ hatte übrigens eine gute Schul¬ teten Zeit noch eine Bühnenkunsl bildung auf die Bühne mit¬ Dir Nicolailnrckze in Potsdam. gäbe, an der die Hochgebildeten, (Zum Artiikel „Städte- und LandschaftSbildcr.") gebracht und sah sich durch sie vor Edelgesinnten sich erfreuen könnten, geschmacklosen Ausschreitungen so und die auf die Jugend durch Begeisterung erziehend wirken müßte. ziemlich bewahrt. In den Proben riß er mich zu dem Glauben Der Eigentümer, nur der Direktor eines solchen Theaters zu sein —! an mein Werk fort. Er konnte doch nicht hindern, daß der sehr praktische Direktor Dann sanken seiner Phantasie plötzlich die Flügel. Er war ja arm, ganz arm, hatte auch kein Erbteil zu erwarten. Wie sollte er Gönner schon nach der zweiten oder dritten Vorstellung fand, die Logen finden, die ihm ein großes Vennögen anvertrauten? Welche reiche und sonstigen besseren Plätze seien auffallend schlecht besetzt. Er Stadt würde ihm ein Haus zur Verfügung stellen? Wo war der versuchte es mit etwas anderem. Sigmund Fischer aber hörte nicht Fürst, der über das Vergnügen des Hofes hinausdachte? Es gab auf zu bedauern, daß er meine Verse nicht mehr sprechen durfte. Mimen, die sich Reichtümer erworben hatten. Aber ihre Wege mich Er hatte sich mir mit herzlicher Neigung angeschlossen, besuchte oder konnte er nicht wandeln. Wie also die Mittel ge¬ gründlich mochte einmal mitunter, und schien froh, sich von Zeit zu Zeit winnen, auch nur einen Ansang wagen, eine erste Stufe erklimmen und durch, durch ein Idealist können. Er war aussprechen zu

ihm nur immer: „Stopp — stopp!" zu — aber gerade dieses

306

Das Traumblild schien ihn unaufhörlich zu verfolgen. Es war ihm offenbar eine Wohlthat, daß ich ihn anhörte. Au anderer Stelle würde er ausgelacht worden sein, und er war's wohl schon. Anscheinend allen Ernstes sagte er einmal ganz verzweifelt: wenn ich wüßte, wo eine Million läge, und wie ich unbemerkt an sie könnte — ich würde sie stehlen. Am Schluß der Saison gab er sein Engagement auf, das ihn in keiner Weise mehr befriedigte. Er versprach zu schreiben, hielt aber nicht Wort. Es mußte ihm schlecht gehen, wie dergleichen Idealisten gewöhnlich. Mehrere Jahre später traf ich ihn gelegentlich einer Reise in einer mittleren Residenzstadt als — Opernsänger. Er hatte seinen Theaternamen verändert, so daß ich erst bei der Vorstellung selbst erkannte, wen ich als Lohengrin vor mir hatte. Ich wußte, daß er über eine gar nicht üble Stimme verfügte, mehr hohen Bariton freilich als Tenor) er hatte öfters zu meinem Klavier gesungen. Aber nie deutete er an, daß er Neigung habe, zur Oper über¬ zugehen. Was er jetzt leistete, war gesanglich nicht sehr bedeutend; die hohen Töne kamen etwas gequetscht heraus, und es fehlte auch der rechte Klang. Aber er spielte vortrefflich und sah sehr gral¬ ritterlich aus. Seine Darstellung hatte etwas von den idealen Voraussetzungen der Dichtung verkörpert: die Figur erschien über¬ menschlich, obne eine Karikatur zu werden. Ich suchte ihn hinter den Kulissen auf. Er war auf diese Begegnung so wenig vorbereitet, daß er mich im Halbdunkel nicht sogleich erkannte und mich unwillig über die Störung kurz abwies. Als ich ihn bei seinem richtigen Namen anredete, stutzte er, zog mich näher an die Lampen und bewillkommte mich nun etwas verlegen¬ förmlich. „Sie hier?" sagte er, „hätte ich das ahnen können. . ." Ich hütete mich, auf seinen Uebertritt anzuspielen; es war ja unmöglich, eine so schwerwiegende Veränderung mit einigen flüchtigen Worten zu erörtern, und ich wünschte auch nicht, neugierig zu er¬ scheinen. Das Gespräch ging in den für solchen Fall üblichen Redewendungen hin und her. Ich merkte, daß er mit seinen Ge¬ danken nicht dabei war, irgend eine lleberlegung anstellte, mit der er nicht sogleich fertig werden konnte. Er fragte, wo ich logiere, aber nur so obenhin. Wie lange ich zu bleiben gedenke. Als er erfuhr, daß ich am nächsten Morgen abreisen müsse, folgte zunächst nur ein flüchtiges Wort des Bedauerns. Bei der Verabschiedung aber — er begleitete mich bis zum Ausgang — hielt er eine Weile meine Hand fest und sagte mit schnellem Entschluß: „Es geht doch nicht anders, als daß wir noch ein Stündchen vernünftig mitein¬ ander plaudern. Es ist zwar nicht meine Gewohnheit, nach einer Vorstellung das Wirtshaus zu besuchen — ich habe stets Mühe, zu können?

meine aufgeregten Nerven zu beruhigen — aber heute wird mir doch eine Ausnahme Bedürfnis. Bestimnien Sie gütigst das Lokal,

in dem ich Sie treffen kann." Es wäre unhöflich gewesen, jetzt abzulehnen. „Ich schlage Ihnen meinen kleinen Salon vor," erwiderte ich. „Für uns beide bat er Luft genug, und Sie werden da nicht durch das Geräusch der Gäste leiden. Oder, wenn Sie lieber bei sich —" Er ließ mich nicht aussprechen. „Das wäre mir freilich das liebste," griff er gleich zu. „Wenn Sie die große Güte haben wollten, drei Treppen zu mir hinaufzusteigen ich kann in dieser Höhe zwei gute Zimmer haben. Der Wagen hält am hinteren Eingang des Theaters. Ich werde mich beeilen und nehme

...

Sie mit." Damit war ich zufrieden. Unterwegs hatte er den Hals ver¬ bunden und hielt meist das Taschentuch vor den Mund. „Man muß seine Stimme sehr schonend behandeln," meinte er, „wenn man von ihr leben will. Besonders wenn sie so wenig stark ist." Er drückte meine Hand. „Aber erzählen Sie mir etwas. Wie

Ihnen ergangen? Ich spreche dann zu Hause um so mehr." Darin hielt er Wort. Nachdem wir es uns auf seinen Polster¬

ist es

sesseln

Tisch

bequem gemacht hatten und eine Flasche Wein auf den gestellt war, auf dem wir sein frugales Abendessen schon

aufgetragen fanden, brachte er das Gespräch rasch auf den frag¬ lichen Punkt. „Sie haben sich sicher gewundert, daß ich Opern¬ sänger geworden bin," begann er, „und ich konnte es nicht anders erwarten. Sie wissen es besser als das hiesige Publikum, mit wie leidenschastlichem Eifer ich Schauspieler gewesen bin".

„Es dürfte mir zu raten geben," antwortete ich kopsnickend, „wie ich Sie kannte. Sie hatten freilich schon damals eine schöne Stimme, die nur ausgebildet zu werden brauchte —" „Ach! spotten Sic nicht," fiel er ein. „Die Stimme ist leider trotz der Ausbildung wenig ausgiebig. Obgleich ich erst ein paar Jabre bei der Oper bin, muß ich mich schon gesanglich im Zaum hallen wie ein alter, nicht weit von seiner Pensionierung stehender Sänger. Ich habe nichts so herauszuschmettcrn, wie es den Leuten gefällt, und tauge auch nicht viel in den Opern, in denen der Gesang die Hauptsache ist." „Warum denn aber —" „Ja, sehen Sie, wertester Herr, das Ihnen erklären zu können, war eben mein Wunsch. Ich möchte mich nicht damit begnügen, auf die Erfahrung zu verweisen, daß ein mittelmäßiger Sänger noch immer mehr zu verdienen pflegt als ein guter Schauspieler. Auch ein Material, wie es mir zu Gebot steht, ist noch immer gesucht — vergleichen Sie dieses Logis mit der Dachstube von damals, so werden Sie mich für fürstlich eingerichtet halten müssen — uud dieser Flügel, diese Bilder und Büsten, diese Bücher und Roten sind mein Eigentum." Er zeigte an den Wänden herum und hob auch ein wenig die Lampe. „Run ja —' der¬ gleichen Beschaffungen gestattet die Gage eines Opernsängers, wenn er sonst nicht allzu unsoliden Aufwand treibt. Ich habe wirklich meine Freude daran, auch an der Garderobe von allerhand seltenen Stücken dort in den Schränken des Nebenzimmers. Aber ma߬ gebend für meinen Entschluß war das alles selbstverständlich nicht. Bestinnnend blieb einzig die Erwägung, daß in letzter Zeit eine sehr merkliche Veränderung in den Anschauungen über Schauspiel und Oper vor sich gegangen ist. Sollte sie Ihnen entgangen sein? Das Stoffgebiet hat sich verschoben. Vergleichen Cie ein Libretto von früher und von heut. Die ästere Oper wollte sich in erster Linie stimmlich zur Geltung bringen. Ihre Handlung war lyrisch oder phantastisch: der Text stellte meist nur gezwungen eine Reihe von Begebnissen zusammen, die sich nach jenen Richtungen hin musikalisch ausbeuten ließen — einen vernünftigen Zusammenhang forderte man kaum. Auch wo Sage und Geschichte stofflich ver¬ wendet wurden, blieb die Behandlung ungefähr die gleiche. Der dramatische Fortschritt erfolgte wesentlich im Recitativ, das in dürftigen Formen nur den Zweck verständlicher Ueberleitung von der einen Nummer zur andern hatte. Richard Wagner hat ebenso textlich wie musikalisch eine revolutionäre Wirkung geäußert, am meisten vielleicht durch seine Schriften. Er hat das Musikdrama geschaffen und ihm Stoffe zugewiesen, die bis dahin nur dem höheren Schauspiel verwendbar und verwertbar schienen. Er setzte das Recitativ in die herrschende Stelle und gab ihm neue Aüsdrncksmittel und eine symphonische Begleitung. Mehr oder minder ist seitdem jede neue Schöpfung durch ihn beeinflußt. Es war nun sehr merkwürdig, zu beobachten, wie diese Bewegung nicht zum wenigsten dadurch an Stärke gewann, daß der Geschmack sich gleicher Zeit dem recitierenden Drama abwendete. Seine Verssein dichterisches Pathos wurden als unnatürlich ver¬ Wirklichkeit, Wirklichkeit! Prosa, wo möglich Dialekte und selbst Jargon. Da flüchtete sich nun die Tragödie in die Oper und wurde dort. von demselben Publikum freudigst aufgenommen, obgleich ihr Realismus noch immer nicht mehr bedeutet, als die Abkehr von dem bloßen bei canto und das Streben nach dem Charakteristisch-Musikalischen. Beachten Sie. daß die Oper nach und nach alle wirksanieren poetischen Stoffe des Schauspiels über¬ nommen hat und noch immer auf dem Wege fortschreitet, das große Drama aller Völker und Zeiten zu ihren Zwecken umzuschaffe». Der Oper läßt man willig das Kostüm des sagenhaften und historischen Mittelalters, ihr giebt man-dekorative Ausstattungen, welche die Sinne erfreuen. Da denken Sie sich nun in die Seele eines Schauspielers, dessen Begabung gerade in der Richtung liegt, die man für das Drama mehr und mehr perhorresciert, für die Oper mehr und mehr begünstigt. Begaben Sie diesen Schauspieler mit einer Stimme, die auch für die gesangliche Recitation aus¬ reicht — und sein Uebertritt zur Oper wird Ihnen begreiflich sein." Ich hatte mir seine eingehende Auseinandersetzung, die schon einer kleinen Vorlesung glich, mit aller Ruhe gefallen lassen. Er sagte mir nichts Neues, aber er fand einen Gesichtspui r sprache,

schrien.

307 ich seine Handlungsweise noch nicht betrachtet batte, und jedenfalls erklärte er sich selbst. „Finden Sic nun in dieser Kunstübung Ihre volle Befriedigung?" fragte ich ihn. Seine Gesicht war entsetzt, seine Augen zeigten einen fiebernden Glanz, und die Hand, mit der er das auf dem Tisch stehende Glas hielt, machte zitternde Bewegungen. „Ah!" rief er, „volle Befriedigung? Das wäre viel mehr, als ich bei meinen doch gerade nur zureichenden Stimmmitteln erwarten dürfte. Ich schlage mich so durch, ergänze das Fehlende, so weit dies möglich ist, durch schauspielerische Vorzüge, die so vielen Gesangsgrößen ab¬ gehen. Man muß mich im ganzen nehmen, und ich selbst muß mich im ganzen nehmen. Das giebt keine volle Befriedigung. Aber ich bin mit mir zufriedener als vorher, wo ich meinen künst¬ lerischen Ueberzeugungen so oft Zwang anthun mußte. Setzen Sie das Schauspiel wieder in seine alten Rechte, und ich kehre sofort reuig zu ihm zurück." „Halten Sie eine solche Rückbildung für ausgeschlossen?" Er antwortete nicht sogleich, sondern strich mit dem Finger um den Rand des Glases und näherte sein Ohr dem schrill ver¬ nehmbaren Klange. „Ausgeschlossen?" wiederholte er sinnend. „Es widerstrebt mir, so kleingläubig zu sein. „Wenn ich der unabhängige Leiter einer Bühne wäre . . ." Er sprach die Worte mit erhobenem Ton, knipste dann plötzlich gegen das Glas, das nun einen hellen Ton gab, und griff nach der Flasche, es neu zu füllen. Dazu seufzte er aus tiefer Brust und trällerte gleich darauf, als ob er den Eindruck verwischen wollte, irgend eine Tonfolge, die nicht Melodie mar. Er blickte an mir vorüber.

born

„Run?" „Thorheit, Thorheit!" rief er. „Warum mit solchen Gedanken spielen, die uns nur um das bißchen Lebens- und Schaffensfreude bringen können. Wenn — ja wenn." Er bemühte sich zu lächeln. „Es ist vielleicht gut, daß ich kein reicher Mann geworden bin. Man kann für so ein Experiment ein hübsches Vermögen nutzlos verpulvern." „Und glauben Sie nun," forschte ich, „daß jene Entwickelung des Theaterwesens fortschreitend sein, die Oper das Schauspiel gänzlich überwinden wird?" Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube eher, daß wir bereits auf einem Höhcpnnkt angelangt sind. Ich möchte nicht den Pro¬ pheten spielen. Es kann sein, daß die Musik mehr und mehr nur noch die Begleitung der Pantomime wird und das Schauspiel in den Cirkus auswandert. Es kann auch etwas ganz anderes kommen, das noch kein Mensch vermutet. So viel ist für mich gewiß, daß heilsame Reformen immer nur von einzelnen Bühnen werden ausgehen können, die der gemeinen Sorge um die Existenz überhoben sind und durch einen glücklichen

Zufall

den

obersten

Leiter finden, der im Dienste der Kunst — einzig und allein in ihm — thätig sein will. Was da, gar nicht einmal mit riesen¬

Mitteln, geleistet werden könnte, ist ganz unabsehbar. Auch bei aller sehr wahrscheinlichen Vergänglichkeit einer solchen Schöpfung wäre schon die Thatsache des Beweises ihrer Möglickckeit eine großen

Heilstation in der Theatergeschichte. Denken Sie Und wie viel fehlte dem trefflichen Jmmermann Freiheit. —" Als ich mich nach Mitternacht verabschiedete, Ueberzeugung mit, daß hier ein sehr bedauerlicher Glücksgütern die Entfaltung einer Thätigkeit im

hinderte. —

an Düsseldorf!

an

der vollen

nahm ich die Fehlbetrag an

großen

Stil

Und wieder nach fünfhundert Jahren . . . nein, cs waren diesmal nur zehn — da kreuzten unsere Bahnen sich abermals. Ich erhielt eines Tages sehr unvermutet einen Brief von der Direktion eines mitteldeutschen Stadttheaters mit der Unterschrift: „Sigmund Fischer." Der Inhalt war mir erfreulich. Ich hatte nämlich inzwischen wieder an einem Bersstück meine Lust gebüßt und von neuem die Erfahrung gemacht, daß solche Ware in Deutschland schwer verwertbar ist. Mein „Peter Munk" lehnte sich an das bekannte Hauffsche Märchen vom kalten Herzen, nahm aber nur so viel davon auf, daß auch hier ein zu weichmütiger Mensch seines Herzens entledigt zu werden wünschte und seinen

Wunsch durch einen Hexenmeister, den ich „den Grauen" nannte, zu seinem Verderben erfüllt sah. Das Stück war freilich in

Leipzig von Max Grube trefflich inszeniert worden, und er selbst hatte die Titelrolle zu ergreifender Wirkung gebracht. Aber ein Kasscnstück konnte diese Tragödie nicht werden, und so hätte sie, wenn sie auf die deutsche Bühne rechnete, auch ungeschrieben bleiben können. Nun überraschte mich dieser Brief durch die Mitteilung, von der Direktion sei die Aufführung des „Peter Munk" in nahe Aussicht genommen. Ich dürfe mich darauf verlassen, daß das „sehr merkwürdige" Stück, soweit die Mittel irgend zureichten, den Intentionen des Verfassers gemäß zur Darstellung gebracht werden würde: deshalb ergehe an mich die Bitte, meine Wünsche rückhaltlos auszusprechen. Es folgten in bescheidenster Fassung Vorschläge zu kleinen szenischen Aenderungen, die auf die liebevolle Beschäftigung eines sehr gescheidten und sachkundigen Regisseurs mit dem Werke schließen ließen. Ich konnte unbedingt meine Zustimmung geben. Jedenfalls war Sigmund Fischer selbst dieser Regisseur. Er zeichnete aber für die „Direktion", und so wurde es sehr wahr¬ scheinlich, daß er auch der geschäftliche Leiter des Theaters war.

Ein Briefwechsel, der sich an dieses erste Schreiben knüpfte, stellte die Thatsache ganz sicher. Zur Direktion gehörten aber auch noch einige Herren, die von der Stadt und von dem UnternehmerKonsortium dazu bestimmt waren. Schließlich erfolgte eine Einladung zum Besuch der ersten Vorstellung. Ich hielt es für meine Pflicht, sie anzunehmen, schon um mich für so viel — vielleicht doch vergebliche — Liebesmühe erkenntlich zu beweisen. Ich sollte nun auch schon den letzten Proben beiwohnen und richtete mich deshalb so ein, etwa eine Woche dort bleiben zu können. Herr Fischer holte mich mit einem Wagen vom Bahnhof ab und brachte mich in ein dem Theater nahe gelegenes Hotel. Schon unterwegs informierte er mich wenigstens oberflächlich inbetreff seiner weiteren Schicksale. Tie Ueberanstrengung der Stimme in der Wagneroper — noch mehr in der seiner Nachbeter — habe üble Folgen gehabt. Die ganze Richtung sei ihm durch den Fanatismus der Wagnerschwärmer verleidet worden. So habe er sich nun bei verschiedenen Instituten — immer ein wenig seitab von der großen Heerstraße, aus der das Rennen um den Erfolg ihm Schwindel errege — als Regisseur versucht und den praktischen Dienst gründlich erlernt. Durch einen glücklicher Zufall sei er dann in den Stand gesetzt worden, diese Direktion übernehmen zu können, freilich unter Bedingungen, die ihm noch immer die Frei¬ heit des Handelns stark einschränkten. Doch habe er es mit geistig hochstehenden, und von edlen Gesinnungen für die Kunst beseelten Männern zu thun, die nicht allzu ängstlich einem Wagnis ans dem Wege zu gehen beflissen seien. So sei sein Vorschlag, meinen „Peter Munk" zu inszenieren, trotz der Bedenken, welche in der Tendenz lägen, sogleich freudigst genehmigt worden. Welcher glückliche Zufall es gewesen, der ihm den ersehnten Direktionsstab in die Hand zu nehmen erlaubte, sagte er nicht. Ich forschte auch nicht danach. Er mußte wohl einen Freund gefunden haben, der ihm eine schon recht erhebliche Summe auf sein ehrliches Angesicht, wie man zu sagen pflegt, anvertraute. Hoffentlich einen sehr uneigennützigen! Sonst war er trotz aller Anstrengungen, sich über Wasser zu halten, verloren. Am nächsten Vormittag während der Probe bemerkte ich in einen Seiteuloge des dunkeln Theaters zwei Damen, welche sehr aufmerksam den Vorgängen ans der Bühne zu folgen schienen. der

Die spärlichen Gaslampen gaben über die Rampe hinaus so wenig Helligkeit, daß es mir nicht möglich wurde, die Gesichter zu erkennen. Der Direktor, der selbst den Peter Munk spielte nmr wie er ganz glaubwürdig versicherte), schien sehr bald wohin meine Blicke sich wiederholt richteten, trat in einer Pause zu mir heran und flüsterte mir zu: „Frau vr. Esther Heinsius, eine Kunstenthusiastin, deren größtes Ver¬ gnügen darin besteht, den Proben beizuwohnen. Es geniert Sie doch nicht?" „Richt im geringsten," versicherte ich. „Und die andere Dame?" „Ihre Pflegetochter und Gesellschafterin, Fräulein Martha," antwortete er. „Eine sehr liebenswürdige junge Dame." zu Ehren, entdeckt

(Fortsetzung folgt.)

zu haben,

308

Volksbibliotheken in Berlin und Lharlottenbnrg. äs Bedürfnis nach gutem leicht verständlichen und vor allem leicht erreichbaren Lesestoff ist ein allgemeines. Es beschränkt Natür¬ sich mit nichten aus irgend eine Schicht der Bevölkerung. lich wirken äußere Umstände auf die Benutzung der jedermann zugänglichen Volksbibliotheken ein. Wer von schwerer Arbeit des' TageS abgemattet ist, wird nicht so leicht seine karge Erholungszeit durch Lektüre verkürzen. So sehr diese Thatsache als eine breite Volkskreise betreffende anerkannt und — beklagt werden muß, so muß inan sich doch hüten, ihr eine allzu große Bedeutung zuzuweisen für den in Rede stehenden Gegenstand. Lesen ist ein Kultur¬ bedürfnis, hervorquellend aus dem tiefinnerlichen Wissenstriebe der Meuschennatur. Aber wie alle Kulturbedürfnisse bedarf auch dieser Trieb der systematischen Anerziehung und Pflege, damit er sich entwickle. Ist diese aber erst vorhanden, so macht er sich auch unter den schwierigsten äußeren Verhältnissen mit elementarer Stärke geltend. Man beobachte den übermüdeten Arbeiter, wie er in seinen wenigen Mußestunden oft nicht gerade leichte Lektüre pflegt. Und nicht minder bemerkenswert ist es, den Gelehrten, der von seiner Beschäftigung her mitunter einen gelinden Abscheu vor „Gedrucktem" hat, nach abmattender Geistesarbeit wieder zu einem Buche greifen zu sehen. Er sucht lediglich in der Abwechslung des Lesestoffes diejenige Erholung, welche anderen rauschende Ver¬ gnügungen gewähren. So darf nian behaupten, daß mit dem stetig steigenden Wachs¬ tum der Volksbildung überhaupt die Benutzung der öffentlichen Bibliotheken — vor allem natürlich der Volksbibliotheken — der Gradmesser geworden ist, der Bestimmtes über den Stand der erreichten Kulturhöhe aussagt. Es besteht dabei eine Wechsel¬ wirkung. Je mehr durch bessere Vorbildung der Wissensdurst angeregt wird, desto sichere Ziele steckt er sich, desto mehr wird er zur Gewohnheit. I/axpetit vient en mangeant. Ans diesem Stande der Dinge erwachsen immer größere Auf¬ gaben für diejenigen Faktoren, welchen die Fürsorge für dieses wichtige Bedürfnis obliegt. Reben staatlichen Bibliotheken kommen hier vor allem die der Gemeindeverwaltungen, daneben die von gemeinnützigen Vereinen, Privatstiftungen hervorgerufenen und unterhaltenen in Betracht. Daß sich dieses Bedürfnis am meisten in den Städtön, und in verstärktem Maßstabe in den Großstädten einstellt, ist kein Zufall. Hier ist nicht nur der Stand des Bildungswesens am höchsten, hier wird er auch täglich, stündlich durch tausend Vorfälle, die den einzelnen mehr oder weniger bewegen, in Atem erhalten. Kommt nun die Volksbibliothek durch leichte Benutzbarkeit, durch große Auswahl für jedermann passenden Lesestoffes, durch bequeme Lage u. a. m. dem einmal geweckten Bedürfnis entgegen, so wächst dasselbe progressiv. Wie weit es gesteigert werden kann, dafür liegt ein interessanter Belag vor. Das Landstädtchen Zwittau in Mähren verdankt der Freigebigkeit eines seiner Söhne, des Deutsch-Amerikaners Ottendorfer, die verhältnismäßig größte und schönste Volksbibliothek Mitteleuropas. In einem großen, praktisch eingerichteten und eleganten Gebäude gelegen, verfügt sie über mehr denn 13000 Bände, wovon auf die Romanlitteratur gegen 5000 Bände entfallen. Während das Städtchen nur 8000 Einwohner zählt, gab es nicht weniger als 2430 eingeschriebene Teilnehmer, die im Vorjahre 53341 Bücher entliehen, also 22 jeder. Auf den Kopf der Be¬ völkerung trafen sogar 7 Ausleihungen pro Jahr. Ueber die Hälfte betrafen Romane und Erzählungen. Das prachtvoll aus¬ gestattete Lesezimmer wurde von 22327 Personen, darunter 3235 weiblichen, benutzt. Auf die umliegenden Dörfer entsandte man Wanderbibliotheken, die sich reger Benutzung erfreuten. Diese schönen Erfolge, welche sich den noch bedeutenderen in England und den Vereinigten Staaten würdig anreihen, beweisen, wie stark die Benutzung der Volksbibliotheken ins Volk ein¬ dringen kann. Von diesem hohen Ziele sind wir in der deutschen Reichshauptstadt freilich noch eine gute Wegstrecke entfernt. Immerhin sind auch hier große Fortschritte unverkennbar. Im Jahre 181)6 besaß Berlin 7 städtische Volksbibliotheken mit 27 294 Bänden, die von 7 283 Personen benutzt wurden. Damals betrug die Gesamtbevölkerung etwa 700 000 Einwohner, die Ausgabe für Volksbibliotheken noch nicht 13 000 Mark. Im letzten Berichts¬ jahre 1898/99 hatte sich die Bevölkerung seitdem um rund eine Million vermehrt, die Bolksbibliotheken aber waren auf 27 nebst 2 Lesehallen gestiegen. Die Zahl der entliehenen Bände wuchs von 145 000 auf rund 700 000 , die Zahl der Benutzer ist leider nicht mehr angegeben. Die Ausgaben beliefen sich auf 60 000 Mark. Durchweg sind die städtischen Volksbibliotheken in den schmucken Rohbauten der größeren Schulhäuser untergebracht, die Benutzungsstunden so gelegt, daß sie für jedermann passen,

schwierigere Formalitäten wurden beseitigt. Seit 1892 wird über die Zahl und den Beruf der Leser nichts mehr berichtet. Doch ist aus den früheren Ziffern soviel sicher, daß das Gros der Benutzer sich nicht mehr wie früher aus den wohlhabenderen und besser Nicht mehr bilden Lehrer, vorgebildeten Klassen zusammensetzt. Studenten, Kaufleute, Handwerker rc. die ungeheuere Mehrzahl. Das erklärt sich aus verschiedenen Umständen. Einmal ist für die sogenannten „liberalen" Berufe die Benutzung der großen Staats¬ und Fachbibliotheken immer unerläßlicher geworden, auch hat man deren Frequenz erleichtert. Dann ist der Bücherpreis allgemein-ge¬ sunken, was in Verbindung mit dem wachsenden Wohlstand selbst mäßig Bemittelten die Anschaffung von größeren Beständen an Büchern ermöglichte. Dazu gesellen sich das Aufkommen der Leih¬ bibliotheken, der Lieferungswerke, der Zeitschriften und Zeitungen, So welche zeitweise das Bücherlesen ersetzen und verdrängen. rekrutiert sich heute das Lesepublikum der Volksbibliotheken größten¬ teils aus ganz anderen Bevölkerungsschichten. Daß aber trotzdem ein noch unbefriedigtes Bedürfnis besteht, das zeigt die Einrichtung der Lesehallen, welche wir der „Deutschen Gesellschaft für ethische Kultur" verdanken. Seit 1894 hat diese in einer Reihe größerer Städte derartige Institute ins Leben gerufen. Seit Anfang 1895 besteht die Berliner Lesehalle, die im vergangenen Jahre 30 000 Bücherentleihungen und 89 000 Be¬ sucher aufwies, der Stadt aber nur einen Zuschuß von 3 000 Mark kostete. Sie ist täglich an 7 für ihr Publikum paffenden Stunden, Sonntags dagegen an 8 l 2 Stunden geöffnet. Das ist immerhin ein schöner Erfolg, der zu weiteren Leistungen anspornt, die auch zur Zeit von privater Seite bevorstehen. Sicherlich wird die Berliner Gemeindeverwaltung ihrerseits nicht dahinter zurückbleiben.

/

Einen glänzenden Aufschwung nimmt die Bolksbibliothek in unserer Schwestergemeinde Charlottenburg. Erst im vergan¬ genen Jahre konnte dort die mit einer geräumigen Lesehalle ver¬ bundene Volksbibliothek in ihrer jetzigen Gestalt eröffnet werden, wofür der Kunstverlagshändler Werckmeister zu Westcnd den Fonds schenkte. Sie enthält etwa 9000 Bünde belletristischen und populär¬ wissenschaftlichen Inhalts, in der Lesehalle liegen alle Arten von Zeitschriften mit Ausnahme der politischen ans. Die Benutzung ist unentgeltlich. Die Bibliothek ist an Wochentagen 4 Stunden, das Lesezimmer 7 7, Stunden und Sonntags 4 Stunden geöffnet. Einer außerordentlich lehrreichen detaillierten Zusammenstellung des rührigen Charlottenburger Statistischen Amtes entnehmen wir einige Angaben von allgemeinerem Interesse. Im August 1898 entliehen 909 Personen 3444 Bücher aus der Volksbibliothek, darunter 371 weiblichen Geschlechts, im Januar 1899 dagegen 1280 bezw. 469 weibliche 4240 Bücher. Im Sommer also reichte das schwächere aber schönere Geschlecht fast heran an die Hälfte aller, im Winter betrug sein Anteil ein starkes Dritteil der Gesamtzahl. Die Ehefrauen waren unter den Benutzenden in der Mehrheit gegenüber den Unverheirateten und den wenigen

Witwen. Diese Statistik giebt uns auch auf die wichtige Frage Aufschluß, welche Wissensgebiete von beiden Geschlechtern bevorzugt werden. Sowohl bei der deutschen Litteratur, welche nahezu die Hälfte aller Entleihungen ausmacht, wie bei der fremden Litteratur und den Zeitschriften, welche im weiten Abstande folgen, überwiegt im Ver¬ hältnis die Benutzung der belletristischen Werke durch das weib¬ liche Geschlecht. Freilich bleibt die Frage offen, ob daheim der gestrenge Gebieter oder sonst ein männliches Mitglied der Haus-

ballung nicht ebenfalls „schmökert", wie der schöne volkstümliche Ausdruck lautet, ob sogar nicht die Frauen bloß die BesorgungsTrotzdem ist ein lebhafter dienste im Ausleihen verrichten. Bildungsdrang bei dem weiblichen Geschlecht aus diesen Ziffern als sicher abzuleiten und eine Freude an dem Schönen, welche den Idealismus der männlichen Bevölkerung durchaus überragt. Daß bei den eigentlich fachwissenschaftlichen und praktischen Zwecken dienenden Bücherausleihungen der Anteil der Frauen zurückbleibt, ist natürlich. Ausfallend ist freilich, daß die Kriegs¬ wissenschaft so wenig Liebhaberinnen fand. Soll das andeuten, daß die Frauen für den ewigen Frieden schwärmen, oder soll es im Gegensatz dazu offenbaren, daß sie in der Kunst der — häus¬ lichen Kriegführung nichts mehr hinzuzulernen brauchen? Handel und Verkehr zieht sie noch weniger an, Jurisprudenz, National¬ ökonomie,

Sprachlehre und Technik in äußerst geringem Grade.

Boshafte Leute könnten daraus den Schluß ziehen, daß sie immer recht haben, stets das Wirtschaftsgeld für zu niedrig halten, alle

Sprachen verstehen und die Technik des Lebens beherrschen. Wir wagen nicht zu widersprechen. Unter dem Lesepnbliknm der Charlottenburger Volksbibliothek sind in der That alle denkbaren Schichten der Bevölkerung ver¬ treten. Auch die Arbeiter stellen dazu einen beträchtlichen Prozentsatz.

309

Es gewährt keinen geringen Reiz, die Bewegung in diesem Ziffernbildc zu verfolgen und zu beobachten, welche Berufsgrnppen diesen oder jenen Zweig der Gesamtlitteratur bevorzugen. Wir gewinnen damit eine Art von Momentaufnahme der geistigen Physiognomie des betreffenden Berufszweiges. Soviel dürfte sich aus diesen Betrachtungen ergeben. Der alte Satz: „Ein Volk kann nicht so gut ernährt wie unterrichtet

sein" besteht noch heute fort in seiner unbedingten Giltigkeit. Von einem Ausruhen auf den Lorbeeren kann in unseren Tagen in dem rege pulsierenden Mittelpunkt des geistigen Lebens der Nation noch weniger die Rede sein denn früher. Aber das Erreichte giebt »ns immerhin Kraft und Hoffnung, einer höheren Stufe nachzustreben — dem hohen Ideal entgegen: die Bildung Rudolf Grätzer. für alle!

Städte- und Landschastsbilder. (Schach.)

Pots d a M.

^^^atten

sich schon beim Ban des Stadtschlosses starke MeinungsVerschiedenheiten zwischen dem Könige und Knobelsdorfs geltend gemacht, so verschlimmerten sich dieselben noch mehr beim Bau von Sanssouci, und Knobelsdorfs meldete sich am anderen Morgen krank, um mit dem Ban nichts mehr zu thun zu haben. Die Grundzüge zu der Gesamtanlage der Terrassen mit dem Schloß aus der Höhe entstammen der eigensten Idee des Königs.

Schloss Noch ist seine eigene Federskizze erhalten. Sie zeigt die sechs Terrassen und darüber den langgestreckten Bau mit der flachen Kuppel über der Mitte und den Hermenpaaren, die zwischen den Fenstern an den Pilastern emporragen und das Dach zu tragen scheinen. Knobelsdorfs hatte den Plan dann im Einzelnen aus¬ zuarbeiten. Um die Wirkung zu erhöhen, wollte er dem Bau ein Untergeschoß oder doch wenigstens einige Stufen unterlegen und die Zimmerreihe nnterwölben, was zugleich auch Kälte und Feuchtigkeit ferngehalten hätte. Er fand Widerstand beim Könige, der offenbar einen eigenen Reiz darin fand, sein „Sanssouci" tief hinter Hecken versteckt in stiller Zurückgezogenheit liegen zu haben. So kam es zum Bruch mit deni Baumeister; als dann später die von Knobelsdorff vorher gesagten Folgen eintraten und recht unangenehm auf des Königs Gesundheit einwirkten, trug dieser still das Selbstverschuldete. Die Ausführung der Pläne Knobelsdorffs wurde nun Dietrichs und Boumann anvertraut, die das Werk in den Jahren 1745—47 vollendeten. Von hervorragender Schönheit ist die Entwickelung der Rückfassade zu einem kreisförmigen Säulcngang. der Mitte stoßen die beiden Halbkreise aber nicht an¬ einander, sondern lassen gerade dem Haupteingang zum Schloß gegenüber eine Lücke, durch die sich ein Blick auf den fernen

In

Ruinenberg öffnet. Knobelsdorfs war hervorragend im Finden der Maaße für solche Säulengänge' unsere Abbildung zeigt die Schönheit, die er hierdurch zu erreichen verstand. In der zeit¬ genössischen Architektur findet sich kaum ein Beispiel, das er nicht mit seiner Kunst übertroffen hätte. Er unterwarf sich eben nicht dem hergebrachten und allgemein kopierten Schema seiner Zeit, sondern suchte, wie er selbst im Text seiner im Kupferstichkabinet

Sausfouri. Berlin aufbewahrten Originakentwürfe betont, jedesmal Maaß und Verhältnis der Säule aus den Gesamtverhältnissen des Bau¬ werkes schon in der Zeichnung abzuleiten. Der Ruinenberg trägt seinen Namen von einer Tempelruine, die dort künstlich geschaffen wurde, um das große Wasserbassin zu verstecken. Die damalige Zeit liebte solche Spielereien, die uns heut oft als rechte Geschmacklosigkeiten erscheinen. Nur einmal hatte Friedrich der Große die Freude, die Wasserkünste, die in so reicher Anzahl über den Park verstreut sind, und die große Fontäne am Fuße der Terrassen in Thätigkeit zu sehen. Es war am Karfreitag 1754. Erst beinahe hundert Jahre später, unter Friedrich Wilhelm IV., gelang es, nachdem man verstanden batte, die Dampfkraft sich zur gehorsamen Sklavin zu machen, all die Springbrunnen, deren Zahl mit geistreicher Fantasie von Persius und Brise in den Jahren 1842—44 noch reich vermehrt worden war, zum Leben zu erwecken. Die Fülle der kleineren Bauwerke, Tempelchen, Fontänen, Statuen, Basen im Park ist überraschend, nicht nur durch ihre Zahl, sondern auch durch die immer neuen Formen und die geschmackvolle Art, wie sie sich hier¬ von einer Baumgruppe abheben, dort in ein Bosket einfügen. Die Mnschelgrotte im Sanssoucigarten, die unser Bild zeigt, ist ein bezeichnendes Beispiel hierfür. zu

310

Kaum batte der große König die Augen geschlossen, so begann man sebr wenig pietätvoll mit seinen Schöpfungen zu walten. Sein Schlafzimmer in Sanssouci wurde verändert und ein glänzender Kolonnadenbau Knobelsdorffs wurde abgerissen, um — das Material zum Bau des Marmorpalais herzugeben. Diese Kolonnade stand etwa halbwegs zwischen dem großen Fontänenbecken am Fuß der Sanssouciterrafsen und dem Neuen Palais und war ein Rundbau mit roten Marmorsäulen, Triumph-

eigenen Palast schuf. Ihren Charakter prägte diesen Schöpfungen der Geist der Zeit auf, in dem sich die Reaktion gegen das Rokoko, einer oft in Künstelei ausartenden Kunst, durch Rückkehr zu einfach schlichter Natürlichkeit aussprach. den weiten Wiescnanlagen

In

mit umsäumenden Lisieren und versprengten Banmgrnppen suchte man bei der Anlage des „Neuen Gartens" den Geist der Naturschlicht wiederzugeben. Ein ebenso schlichter Eindruck war beabsichtigt bei dem Ban de« Marmorpalais mit seinen roten Backsteinwänden, die eingefaßt waren von Pilastern und Säulen aus grauem schlesischem Marmor. Gontard, und, nachdem dieser in Ungnade gefallen war, Langhaus, schufen es in den Jahren 1787—90. Das gewonnene Resultat ist eine Wirkung von idyllischem Charakter. Einen seltsamen Eindruck empfängt man vom Bild dieses Schlö߬ chens inmitten der Banmgrnppen, wie es sich in der stillen Fläche des Heiligen Sees spiegelt. Seltsame Dinge hat in der That auch dieser Lieblingssitz Friedrich Wilhelms II. gesehen: Geister¬ beschwörungen und Versammlungen von Geheimbünden, Liebesgeflüster und Getändel und als tragischen Schlußakkord den Tod des

Königs.

Doch neues Leben zog hier ein und ein neuer Geist, als das dem damaligen Prinzen von Preußen, unserem Kaiser, als Wohnsitz überwiesen wurde. Der Kronprinz wurde hier am 6 . Mai 1882 geboren, und nachmals noch drei seiner Brüder. Die idyllische Ruhe des Marmorpalais zog auch, nachdem es schon den Thron bestiegen hatte, unser Kaiserpaar noch oft hierher, besonders in den Zeiten, wo es Ruhe am meisten suchte. den letzten Wochen hat man von den Plänen unseres Kaisers gehört, die sich mit weiterer Verschönerung des Potsdamer Parkes besassen: es handelt sich um Anlagen von hängenden Gärten, etwa an Stelle der jetzigen Gärtnerhäuser in der Nähe des sizilianischen Gartens. Auch Wilhelm II. schließt sich also dem überlieferten Geist an und beginnt sich und seiner Zeit hier das Gedenken zu bereiten. Bei dem hohen Sinn unseres Monarchen in künstlerischen Dingen und der frischen Initiative, mit der er solche Unternehmungen angreift, werden wir gewiß bald neue, herrliche Schönheiten hier erstehen sehen.

Marmorpalais

In

Saus souri-Muschrlgrotte. Vasen und plastischem Schmuck, in dem Knobelsdorfs ganze Künstler-schaft bewiesen hatte. Es entsprach an sich ganz der Familientradition der Hohenzollern, daß Friedrich Wilhelm II. in Potsdam eine eigene Gartenanlage und einen bögen, seine

Carl Langhammer.

Bismarcks Eltern. Von (Schlxtz.)

Hermann Iahnke.

^U^uch Ferdinand von Bismarck stellte seine Kraft in den Dienst des 323 Vaterlandes. Zwar war cs ihm zu seinem Schmerze nicht ver¬ gönnt, wie seine drei Brüder und vier nahe Anverwandte mit ins Feld zu ziehen: aber er wurde von seinem Könige auch mit einer wichtigen Aufgabe betraut. Er erhielt den Auftrag, den Landsturm der Kur- und (

Altmark zu organisieren und zu fuhren, und der Gang der Ereignisse fügte es, daß der Führer des märkischen Landsturms des „letzten Auf¬ gebots", mit seinem Lose wohl zufrieden sein konnte.

Im Mai 1813 rückte die auserlesenste Schar der verbündeten Heere, das Lützowsche Freikorps, in Schünhausen ein: dem märkischen Land¬ sturm wurde die Ehre zu teil, niit den freiwilligen Jägern, meist in erster Jugendblüte stehenden, begcisterungsvollen Kämpfern, Seite an Seite stehend, die wichtigsten Elbübergänge jener Gegend zu verteidigen. Tic altersgraue Kirche von Schünhausen wurde der Schauplatz einer ergreifenden Feier. Die Reueingetretcncn des Lützowsche» Jägerkorps, vielfach aus den noch von den Franzosen besetzten Ländern jenseits der Elbe herbeigeeilt, wurden hier feierlich geweiht. Theodor Körners ..kraft¬ voller Kriegschoral:

Wir treten hier im Gotteshaus Mit fromnicni Mut zusammen. Uns ruft die Pflicht zum Kampf hinaus Und alle Herzen flammen, ertönte auch hier bei der Einsegnungsfeicr und brauste, von den Klängen der Orgel begleitet, über die im Gewölbe der Kirche ruhenden Männer des alten Bismarckgeschlechtes hin. Es entwickelte sich nun ein reges, begeisteruugsvolles, patriotisches Leben in Schünhausen. Major von Lützow, der sein Hauptquartier in Stendal aufschlug, weilte nur vorübergehend im Hause seiner Lebens¬ retter: dagegen lag Ludwig Jahn, Kommandeur des 8. Bataillons der Lützowschen Infanterie, längere Zeit auf dem Schlosse Schönhauscn im Ouarticr, Friesen und Förster wohnten im Psarrhausc. Hier kehrte auch der Freiheilssänger Theodor Körner ein, wenn ihn seine Geschäfte als Werbekonimissar und später als Adjutant Lützows nach Schönhauscn führten. Der schöne Pfarrgarten liegt nachbarlich am Gutspark: dort standen hart an der Grenze des Parks drei mächtige Eichen, unter denen sich ein lauschiger Ruheplatz mit Tischen und Bänken befand: eine Brücke fiihrte über das kleine Gewässer, welches die beiden Gärten trennte. Hier unter diesen Eichen pflegten sich an schönen Maicnabcnden die Offiziere der Lützower zusammenzufinden, um im Kreise der Schloßund Pfarrhausbewohner schöne Stunden voll edler, vaterländischer Be¬ geisterung zu verleben. Ein hellflackcrndes Feuer wurde entzündet, ernste und heitere Unterhaltung wechselten mit feurigen Reden und glühenden Baterlandslicdern, vom Klange der Weingläser und den

Tönen der Guitarre (Leier) begleitet. „Einmal*), so ist im alten Schönhausen berichtet worden, war es besonders laut unter den Eichen. Wir Jungens hatten uns im Gebüsch versteckt, um dem Treiben zusehen zu können. Einer stand auf einer Banmwurzel, vom flackernden Feuer hell beleuchtet, und las aus einem Büchlein etwas vor, und als der Redner geendet hatte, rissen die schwarzen Jäger die Säbel aus den Scheiden, schlugen mit den Klingen aneinander und riefen dreimal Hurra. Dann reichten sic sich die Hände, einige umarmten und küßten sich." Daß der Vorleser Theodor Körner gewesen ist, ist wohl als be¬ stimmt anzunehmen. Sein Tagebuch enthält den Vermerk, daß er in Schönhauscn zum Kommissar ernannt worden: einer seiner Briefe an den Vater ist von Schönhausen, den 24. Mai 1813 datiert. Sein Gedicht „Mißmut" in „Leier und Schwert" ist in jenen Tagen und vielleicht auch an diesem Orte entstanden. Ter Prediger Petri hatte sechs Töchter, von denen die ältesten bereits erwachsen waren. Mit diesen pflegte die Gutsherrin freundschastlichen Umgang**). Es ist wohl ohne weiteres anzunehmen, daß sie im Verein mit den Pastorstöchtcrn auch den Klängen Körnerscher Vaterlandslicder gelauscht hat, wie sie sich von den glühenden Reden Jahns u. a. hat begeistern lassen. Ludwig Jahn hatte 1810 sein herrliches Buch „Teutsches Volkstum" erscheinen lassen. Die Ideen, die er darin zum Ausdruck gebracht, wurden jedenfalls in den Gesprächen unter den Eichen des Pfarrgartens oder unter den Linden des Schloßparks er¬ örtert. Mit pochendem Herzen mag die begeisterte Vaterlandsfr.cundin gelauscht haben, wenn Ludwig Jahn in seinen Reden Gedanken wie folgende zum Ansdruck brachte, und wozu die politischen Verhältnisse ja immer noch Anlaß boten: „Tic Teutschen sind nie ein Volk gewesen, sondern nur eine Menge von Völklcin, Stämmen oder Landsmann¬ schaften, die stets mehr auseinander als miteinander zu streben gesucht haben. „Alle Leiden, die seit dem Gedenken der Geschichte Deutschland be¬ troffen haben, sind aus dieser Landmannschaftssucht und Völkleincrei entsprungen. Dadurch wurden immer die Deutschen entzweit, einsied¬ lerisch von einander geschieden, mit Dünkel erfüllt. Eine gemeinsame Sache wird fast nie allgeniein begonnen und vollführt. —

*) Nach einem Artikel des Altmärkischen Intelligenz- und Leseblattes vom 5. Dez. 1897. **) Ter Verfasser hatte bei seinem Besuch in Schönhansen Gelegenheit, ein in den

Händen der Enkelinnen des würdigen Predigers Pelri befindliches Stammbuch einzusehen, in welchem Frau von Bismarck der einen Tochter neben einer hübschen Blumenzeichuung, folgenden innigen Vers widniete: Möchtest Du es liebevoll erkennen, Was Dir schweigend diese Blumen nennen, Daß mein Herz Dich warm und ewig liebt.

311

„Was im Großen

geschah, leisteten begeisterte Heilande, die das alten Snndenwuste mit Schnellkraft fortrissen. Sa ging das Allgemeine van Einzelnen aus, wenn deutsche Jnnenvölker aufstanden, sich über LandmannschaftSsucht und Völkleinerei erbobcn und als Vorkämpfer in die Schranken traten. Von Hermanns Ermordung an verfolgt uns der Fluch, daß uns LandmannschaftSsucht und Völkeincrei die Teutschen dem aussätzig waren, der nur die Einbcit ahnen ließ. So ließen sie die Brüder im Stich, die tbatbcgcislert ein großes Werk begannen. — Und dennoch, durch seine physische Grenzen ist Deutschland von der Natur zu cincni großen selbständigen Staate bestimmt, durch feine Riesenkraft gleichsam hierzu berufen. „Es bedarf keiner fremden Krone, um glücklich, keines fremden Schutzes, um von der ganzen Welt gefürchtet und geachtet zu sein. — Sicher wird und muß die Zeit, wo die deutsche Nation, durch iveise Gesetze unter einem mächtigen Monarchen vereint, als eines der herr¬ schenden Völker im großen europäischen Staatenratc seine vollwichtige Stimme wieder geben wird. — Behauptet sich die Nation in jeder moralischen Hinsicht als eine eigene Nation, so wird auch durch den Strom der Zeiten und Ereignisse endlich der Augenblick herbeigeführt

gesamte Volk aus dem

In der folgenden Zeit, da nach der Völkerschlacht bei Leipzig kein feindlicher Ucbersall mehr zu fürchten mar und die Wellen des vater¬ ländischen Gefühls höher und höher schlugen, wurde es dem Bismarck¬ paare auf seinem weltentlegencn Schlöffe zu einsam und zu enge. ES siedelte für die Wintermonate fortan nach Berlin über, wo es in der Behrenstraße 53 eine Mietswohnung bezog. Diese wurde bald zum Sammelpunkte einer auserlesenen Gesellschaft: einflußreiche und bedeu¬ tende Persönlichkeiten gingen hier ein und aus: Staatsmänner, Ge¬ lehrte, Künstler, Adlige und Bürgerliche, unter denen Freiherr von Stein, Fichte, Arndt u. a. nicht fehlten. In diesem geselligen Kreise fühlte ßch Frau Wilhelmine von Bismarck so recht in ihrem Elemente. Hier wurden nicht nur öffentliche Angelegenheiten besprochen, sondern man widmete sich auch der Sache des Vaterlandes mit eifrigstem Inter¬ esse durch Pflege der Verwundeten, durch Sammlungen, durch Kund¬ gebungen aller Art, worin man die Wünsche und Hoffnungen dcS Volkes, besonders während der Friedensverhandlungen, zum Ausdruck brachte.

Wie manch bedeutsames Wort mag die junge Frau von Bismarck in diesem Kreise gehört haben, und es darf auch von ihr wohl gesagt

Sanssouci mit Ruinenberg. (Zum Artikel

„Städte- und Landschafrsbilder.")

werden, in welchem das Glück sich mit ihr wieder versöhnen wird. Tie Periode des höchsten Flors von Deutschland dürfte dann die längste in seiner Geschichte sein*)." 'hohen Maße wahrscheinlich, das damals in SchönIst cs nicht im hausen unter den begeisterten Männern und Frauen diese Gedanken Jahns zur weiteren Erörterung gekommen sind? Einen wie tiefen itnd dauernden Eindruck der Aufenthalt der Lützoivcr in Wahrheit bei den Bewohnern von Schönhausen hinterlassen, geht ans folgendem hervor: Im Jahre 1892 schrieb Fürst Bismarck, der große Sohn jener edlen Schloßherrin, an den Verfasser der Geschichte des Lützowschen Freikorps, Major von Jagwitz: „Tie Erzählungen über die Anwesenheit der Lützowcr in Schönhausen bilden eine meiner ersten und lebhaftesten Erinnerungen." 1895 schrieb der Fürst für ein Geschenk der deutschen Turncrschaft dankend: „Tie Adresse mit ihrer kunstreichen Einfassung wird eine dauernde Zierde der Sammlung von Andenke» sein, welche ich in Schönhausen eingerichtet habe, wo der Name des Turnvaters Iahn und der Lützower noch heute in guter Erinnerung steht von^ ihrer Einquartierung in> Jahre 1813 her." Die Pfarrerfamilie von Schönhausen ehrte das Andenken der gefallenen Lützower, die unter den Eichen ihres Gartens geweilt, indem sie dort ein Kreuz errichtete mit der Widmung eines Distichons aus Schillers „Spaziergang": ' Ruhet sanft, ihr Geliebten, von eurem Blute begossen, Grünet der Oelbaum lustig die köstliche Saat! ^ Jene Eichen heißen noch heute im Munde des Volkes die Körner-Eichen**).

werden: „Sie behielt alle diese Worte und bewegte sic in ihrem Herzen." Im Winter des Jahres 1815 zog sich das BiSmarcksche Ehepaar früher nach Schönhausen zurück, als es sonst zu geschehen pflegte. ES wurde ein Familienereignis erwartet, vor dem zunächst das Interesse an den großen Dingen "trat der Welt zurücktreten mußte. Am 1. April des genann¬ ten Jahres das Erwartete ein. Um dieselbe Zeit, als Preußens Heer zum zweitenmal gegen Frank¬ reich in den Kampf ziehen mußte, ui» mit dem Schwerte die verhänguisvollen Folgen der schwachmütigen, verderblichen Politik der deutschen Staatsmänner abzuwenden, gab Frau von Bismarck ihrem jüngsten Sohne das Leben. Ihr Wunsch, daß dieser Sohn einmal ein Staats¬ mann werden möge, ist über Hoffen und Erwarten in Erfüllung gegangen: Es wird behauptet, daß die Erziehung bei einem Mcnschcnkindc wenig mehr thun könne, als die Keime, die dasselbe in sich trägt, zur Entfaltung zu bringen. Dtlo von Bismarck war der geborene Staats¬ mann. Daß seine geniale Natur gewissermassen das geistige Ergebnis jener großen eisernen Zeit der BcfteiungSkriegc war, wie sich dieselbe im Geiste der Mutter widerspiegelte, darf nach den vorausgegangenen Ausführungen behauptet werden. Frau Wilhelminc von Bismarck starb am 7. Januar 1839 im Alter von 50 Jahren. Sie hat sich im Ruhm ihres Sohnes nicht mehr sonnen dürfen, und wir stimmen wohl bedauernd mit in das Wort ein. das ein Jugendfreuud dem ans Frankreich im Triumph hcimgekchrten Reichs¬ kanzler und Fürsten zurief: „Schade, Bismarck, daß das deine Mutter nicht mehr erlebt hat!"

*) Ludwig Iahn: Teutsches Volkstum. 1810 Seite 115 u. Körner weilte hier gen," **) Ho soll auch an dem Kreuz die tznschris, „Theodor gestanden haben. Tie Enkelinnen des Predigers Pcrri aber berichten den, Verfasser. d,e Jiychrtft hotte gelautet: „Karl Pischon weine hier gern." Dieser aber war auch ein

Lützower, der im Trefkni an der

«

•>

verborgen halten. Bei großer Strafe darf hier niemand aus und ein¬ gehen, er hebe denn diese zierliche Perücke weg und schlage dem Bild auf den Scheitel! — Das Bild war auch so drollig zusammengestopft und der Scheitel unter der Perücke so einladend elastisch, das jeder¬ mann dem lustigen Gebore Folge leistete. Jeden Augenblick erhielt der

Das Jubiläum des Fürstenhauses von Lhurn und Taxis: Torso der Radfahrer. (Rach einer Aufnahme des Host-Photographen

Vivatschreien und Auslachen hingebracht hatte». Deshalb ging nun der Sturm im Hanse los. Der Haushofmeister, außer sich vor Zorn, lies schellend hin und her, und jeder wollte nun das Ver¬ säumte mit übermäßiger Eile wieder nachholen. Daher kam es, daß hie und da welche mit Schüsseln zusammen rannten, so daß die Katzen utid die Hunde manches zu lecken bekamen, das eigentlich für die Herrschaften bestimmt war. Die beiden Herren Antonio und Carlo mußten sich auch etwas am Feuer trocknen. Die Abwesenheit des Haus¬ herrn vermehrte daher die Unordnung, und unter dem mutwilligen Volke der Gäste gab es, wie wir wissen, Leute von aller Art, die gern lachten und sich an der Verlegenheit anderer ergötzten. Diese bemühten hie und da entstandene Irrtümer zu vermehren, riefen die sich, eilfertigen Diener mit fremden Stimmen, schickten sie rechts, wo sie links gehen sollten: dazwischen tobte der Haushofmeister hin und her; so wurden die tollen Verwirrungen immer drolliger, bis endlich Don Carlo wieder zum Vorschein kam. Er mußte selber über die wilde Wirtschaft und das entsetzliche hin und her Gespringe lachen, hatte jedoch seine Plage, bis er alles wieder ins rechte Gleis brachte. Die Sitzung der neun Weisen fortzusetzen und Bias' Rede von dem Throne zu hören war nun nicht mehr Zeit: denn die Throne mußten gerückt werden, weil die erhöhte Bühne, worauf man sie errichtet, die eigentliche Haupttafel aufnehmen sollte, woran Don Carlo mit seinem Antonio und Man konnte von dessen nächsten Freunden Platz zu nehmen gedachte. dort aus alles am gemächlichsten übersehen. Die Gäste wurden deshalb einstweilen in anderen Zimmern mit allerhand Erfrischungen bewirtet, und wußten sich mit allerlei kleinen Späßen sehr angenehm die Zeit zu vertreiben, wozu die vielerlei Masken reichlich Veranlassung gaben. Bias begann, trotz aller Verhinderungen immer wieder von neuem klatschen,

Aug. Brockejch in RegenSbnrg.)

nach irgend einem, den man für einen heimlichen Kahlkopf hielt, zuletzt aber, als zum Essen geblasen wurde, und alles da hindurch ging, bekam er unter dem Namen Don Ciccio solche Schläge, daß Arlekin ihn beständig wieder aufrichten mußte. Bias schlug ihn vor Zorn gar auf die Perücke selbst, ivobei er sich empfindlich in die Finger stach: er merkte zu spät, das einige

Balg einen anderen Namen,

angesteckt waren, und Solon sprach zu Perücke hebend: Alles mit Maß, lieber Freund! Alles mit Maß! und schlug so derb auf den Balg, daß Arlekin anmerkte: Wenn das Dein Maß ist, so ist O Solon, Solon, Solon! cs nicht von den kleinen: da siehe, Don Ciccio ist außer sich! — Wirklich, der Balg ist geplatzt, sprach Solon und half hineinstopfen, was herausgefallen war. Arlekin band alles mit einem Strick zu¬ sammen, und das Klopfen ging wieder los. Als die Menge sich gänzlich in die Speisesälc verteilt hatte, nahm Arlekin den Balg und setzte denselben auf eine Erhöhung hinter ein kleines Tischchen, aber vor ihn eine Schüssel Fapierschnitzcl, und schrie laut: Sehet, wie hier Don Ciccio Makkaroni speist.*) Damit schnitt er dem Balg einen Mund und stopfte in denselben nach und nach die Papierschnitzcl hinein: aber nach jedem Bissen mußte Don Ciccio sich mit Kopfnicken bedanken, worüber, die es sahen, viel zu lachen hatten. Alle Gäste nahmen nun Platz an den Tafeln, welche sie mit Wein und Speise ganz vortrefflich Mit Erstaunen sahen sie nun nicht allein ganze Vögel besetzt fanden. und Fische darauf: sondern sogar ganze Rehe, ganze Schweine, ganze Kälber waren auf Gerüsten so künstlich aufgestellt, als wollten sie ge-

Locken

ihm,

nur mit Nadeln

die

*1 Maklaroni sind eine Art Regenwnrmer, die man von Teige formt und abgesotten mit geriebenem Käse bestreut, oder sonst auf allerlei Art bereitet verspeist; ein Lieblingeessen der dortigen Einwohner, weiche danach zuweilen Makkaronistesser benannt werden.

349

braten noch davonlaufen. Alles war mit Blumen und Fruchtkränzen geschmückt und mit vergoldeten Citronen umsteckt. Bei jedem großen Braten ward Platz gelassen für die Zerleger, welche von allem reichlich

Edler Wirt, achtbare Gäste! Die Gedanken,

die Diener ermahnten überall mit lustigen Sprüchen zum Aber den ungeheuren Schwertfisch brachten acht weiß gekleidete kahlgeschorene Köche tanzend und singend hereingetragen: voran kamen die Dudelsackpseiser und bliesen. Man trug ihn erst bei allen Tafeln umher, damit ihn jeder sehen möchte: zuletzt abersetzten sie ihn keuchend auf einen Tisch nieder, welcher in der Mitte des großen Saales war. Viele Gäste standen nun auf, um das Ungeheuer in der Nähe zu 'betrachten, die Schüssel dazu war. ein mächtiges Brett, welches man mit einem reinen Tischtuch zierlich umwunden. Hier lag der gcwallige Fisch, der sonst die Tiefen des Meeres durchtobt, auf einem weichen Bett von Lorbeerblättern und grünem Salat und war mi! Schuppen von bunten Scheibchen überdeckt, die man aus Citronen, Sellerie und gelben und roten Rüben zierlich ausgeschnitten. Sein langes grautan es Schwert war nun mit blühenden Rosen umwunden, die Flossen aber so viel wie möglich ausgebreitet und mit kleinen Blümchen besteckt.

Drängen sich bei diesem Feste: Wer von Herzen

Euch zu danken,

austeilten: Essen.

_

Weiß zu scherzen, Dem gebührt die schönste Krone! Wer in Leiden, Wie in Freuden, Gleiche Huld zeigt, den belohne Licbesneigung, Gunstbezeigung, Ruhmersteigung, Kran zv erzw eigung! Ter uns diese Lust gegeben. Mein geliebter. Nie getrübter Carlo soll in Freuden leben!

!

j j

j

j

Panorama von Negensburg. schaukle To» Carlo seinen schönen Pokal von böhmischem Glase voll, stand auf und brachte folgenden Tonst aus: Ehrenfeste, teure Gäste! Wie das Fischchcn Auf dem Tstchchcn

Als der Zerleger Hand an ihn legte,

Seiner Art das größte, beste Ward erfunden In den Sunden, Also ist von allen Männern Aller Orten, Wie in Worten, So in Thaten, rechten Kennern Wohl der wahrste, Beste, klarste.

Wunderbarste, Größte, rarste

Mann Antonio.

Wer eben,

Wie

ich denke. Denkt, der schenke Voll und ruf': hoch soll

Hoch lebe

Ton Antonio!

Er leben!

scholl cs in allen Sälen wie aus einem nach, und ein Tusch von Pauken und

Munde, keine Stimme blieb Trompeten mischte sich dreimal wiederholt in das dreimalige Klingen der unzähligen Gläser. Da nahm Don Antonio seinen vollen Pokal, stand empor und sprach, sich ehrerbietig verneigend:

Bei diese» letzten Worten umarmte Ton Antonio seinen Carlo, und während das Lebehoch von allen Seite» wiedertönte, drängte sich die Erinnerung an manche Rot und manche Freude, welche die Freunde gemeinsam übertragen und genossen, vor ihre Seele, so daß in beider Pokale Thräne» inniger Rührung sielen, indem sie den duftenden Purpur des Weines schlürften. Als sich nun alles wieder gesetzt hatte, wurde die Unterhaltung bei dem so festlich besungenen Schwertfische, von dem jeder zu essen bekam, und durch den feurigen Wein immer lebhafter, und lachende Scherze flogen her und hin. Don Carlo hatte schon eher vergeblich den schönen Plato gesucht, welchen er einen Platz an Don Antonios Seite bestimnit. Er stand nun auf und ging überall umher, ihn von neuem zu suchen. Ver¬ geblich: er war verschwunden. Aber als der freundliche Wirt so durch die langen Säle ging, ward ihm von allen Seiten freundlich zugenickt und zugetrunken. Da

alte, ehrliche Mann an dem Tische, dem es sein ganzes Leben lang noch nicht so gut geworden war, und letzte den alten Gaumen an den trefflichen Speisen, und der Duft des köstlichen Weines wob süße Träume um seine Sorgen, daß er wie mit fremden Backen in die Welt hineinlachtc. Darüber freute sich der brave Don Carlo von Herzen. Auch war cs wirklich schön, zu sehen, welche reine, heitere Fröhlichkeit überall verbreitet war. Selbst als die Lust cnvas ausgelaffen wurde, ward kein Scherz übelgedeulel. Die Tugend des Wirts hatte sich über die Gäste ergossen. Auf und ab in verschiedenen saß mancher arme,

:öO

Sälen tanzten verschiedene Reimer, welche sich in neckenden Versen ans die Anwesenden zu übertreffen suchten. Besonders zeichnete sich ein rechter Kahlkopf, Namens Bennardo, aus, ein Schiffer, den man gern auf allen Barken als einen Ruderer bezahlte; obwohl er sein Ruder nur obenhin einzutauchen pflegte, so verstand er doch so lustige Lieder zu singen, das; die übrigen ihrer Plage ganz vergaßen und um so schneller ruderten. Dieser war an jenem Abende so übermütig mit Neckereien, daß ihm zuletzt etliche lustige Vögel, die er zu sehr geneckt, mit Gewalt ergriffen, und ihm die zwanzig dreißig Haare, die er noch haben mochte, völlig auszupften. Sodann trugen sie ihn mit großem Gepräge herum, setzten ihn auf einen Thron und nannten ihn Kahlkopfkünig. Trotz alle dem verlor er die gute Laune nicht, und hatte er vorher die Leute mit seinem Witze geneckt, so that er es jetzt als König noch weit verwegener und stolzer und war im Reimen ganz uner¬ schöpflich. Immer lustiger und allgemeiner ward das Treiben. Endlich kamen auch die Frauen vieler Anwesenden, in Masken, zu sehen, was ihre Männer eigentlich verhütten, und um sie tüchtig zu necken. Da gab es denn manche sehr drollige Szene, besonders wenn der Kahlkopfkönig sich mit seinem Spotte darein mischte, über welchen sich die Frauen tot lachen wollten. Don Antonio, dessen Nachbarn ebenfalls mit ihren Frauen scherzten, ward davon zuerst herzlich erfreut; er verlor sich aber darüber nach und nach in Gedanken an sich selbst und war fast ein wenig traurig, — als eine sehr natürlich nachgebildete Maske mit langem Stabe zu ihm herangewankt kam. Es war ein betagter Eremit mit langem, weißem Barte, welchem die greisen Glieder so heftig er¬ zitterten, daß Ton Antonio ihm, als er sich auf den Stuhl ihm zur Seite niederließ, fast unwillkürlich beistehen mußte. Sobald der Alte sich, wie es schien, ein wenig erholt hatte, begann er mit tremulierender Stimme zu Don Antonio: Mein teurer Don Antonio, mich will es fast wundern, daß so ernsthaft darein sehet bei diesem fröhlichen Feste, da es doch selbst mich Abgelebten, welcher bereits geraume Zeit aller Welteitelkeit entsaget, mannig¬ faltig und reichlich ergötzt hat. Sollte dieser bunte Wirrwarr Euch die Weltlust vollends verleidet haben, o, so wär ich nun zu guter Stunde von meiner Einöde herabgekommen, da ich vielleicht Gelegenheit finde, den für die wahre Einsamkeit zu gewinnen, welcher sich inmitten dieses fröhlichen Getümmels bereits einsam zu fühlen scheinet, denn einsam ist beständig die Seele, wenn sie betrübt ist. Und Ihr seid betrübt, Do» Antonio. Saget mir, was betrübet Euch? Schüttet mir altem Greise allen Kummer das Herz aus, kommt in meine Waldeinöde, da könnt den Lüften des Himmels geben, ich will Eurer Seele warten und pflege» wie eines neugeborene» Kindleins; aber sagt mir, Don Antonio, was betrübt Euch? Was betrübet Euch? —

Ihr

Ihr

Diese letzte Frage war mit so natürlicher Innigkeit gesprochen, daß der Befragte bald versucht worden wäre, den Eremiten für einen wirk¬ lichen zu halten, wenn der Greis ihm nicht bei diesen Worten die Hand gereicht hätte, welche sich zarter anfühlte wie Sammet. Verwundert streichelte Don Antonio die sanfte Hand, welche seinen Druck innig wiedergab, und sprach; Ehrwürdiger Vater, gern wollte ich Euch als einem welterfahrenen, betagten Manne mein ganzes Herz ausschütten; aber das zarte Frauenhändchen, welches Ihr mir soeben reichet, macht mich in meiner Aufrichtigkeit irre. Nun so will ich meine Hand zurückziehen! sprach der Eremit.

Nein, laßt mir das Händchen, es gefällt mir, sprach Don Antonio streichelnd. Ach, mein lieber Don Antonio, fuhr der Eremit da, wie erschrocken und sehr ernsthaft tremulierend, fort, wenn Euch, selbst bei dieser welken Hand eines greisen Mannes, Frauenhändchen in den Sinn kommen, so seid Ihr wahrlich sehr entfernt vom einsamen Leben, und ich glaube fast, daß in Eurem Herzen weltliche Liebe wohne mit ungestilltem Ver¬ langen, welches Euch selbst bei diesem fröhlichen Gelage so traurig macht. O lasset fahren die falsche Sehnsucht, denn ein Weib, das eine Person wie die Eure verschmähen kann, muß eine sehr eitle weltliche Thörin sein, welche Locken an Euch suchet, wo sie Euch fehlen, welche die Annehmlichkeit Eurer Gespräche weder zu würdigen weiß, noch Euer wohlwollendes Herz zu ehren, welche blind ist für die Schönheit Eurer Gestalt und die Anmut Eurer Gebärden und das Ansehen, in welchem Ihr bei den Bewohnern des Eilandes stehet. Darum lasset sie vergehen in ihrem eitlen Dünkel und folget mir in meine Waldeinsamkeit, wo der unschuldige Gesang der Vügelein erschallet; dort will ich Euer Herz von weltlichen Gedanken reinigen und Euch die Seele stärken mit dem Troste der Eremiten, bis Ihr den Himmel offen über Euch sehet, der Euch nunmehro von düsteren Wolken des Grams verborgen ist.

Kunst und Wissenschaft. Die Berliner Kunst-Ausstellungen. Mm Pfingstsonntag ist nunmehr die Ausstellung der Berliner Sezession Ax eröffnet worden. Mit Aufbietung aller Kräfte und Anspannung

der höchsten Energie ist unter Zuhilfenahme der Nachtzeit das Werk soweit gediehen. Wahrhaft überraschend war es, wie das Gebäude, zu dessen Grundmauern vor sechs Wochen noch nicht der erste Spatenstich gethan war, emporwuchs. Die schnelle Fertigstellung wäre auch nicht möglich gewesen, wenn das Werk im Geiste seiner Urheber nicht fix und fertig gewesen wäre, ehe man begann. So konnten, während Stein auf Stein gefügt wurde, alle anderen Arbeiten gleichzeitig geschehen. Man ließ den Rupsenstoff färben, mit dem die Wände bespannt werden sollten; am dritten Ort sammelte und jurierte man die Kunstwerke. Aber alles hätte nicht geholfen, wenn nicht durch das liebenswürdige Entgegenkommen der Behörden Charlottenburgs die gewöhnlichen Bauverzögerungen, aus ein Minimum zusammengeschrumpft wären. Die Arbeit all der vielen Einzelkräfte griff in einander, wie bei einer Maschine die Räder, und so wurde man fertig zum gewünschten Termin, was wohl

Während der Eremit solches mit großer Salbung sprach, bemerkte Don Antonio den Ring Donna Teresas an dem Finger des zarten Händchens, welches er noch beständig festhielt, wußte jedoch die Freude, welche bei dieser Entdeckung ihn überwallte, schlau zu mäßigen und sprach: Ehrwürdiger Eremit, Dein weises Gespräch überwältigt mein Herz, und das Leben, welches ich bisher geführet, wird mir davon mehr und mehr zuwider. Ich will es ändern und Dir folgen in Deine Waldeinüde; dort will ich bei dem Gesänge der Nachtigallen an den Lehren Deines Mundes hangen, gleich einem Bienchen, welches Honig aus dem Kelche der Blumen sauget. Aber beweise mir nun auch, daß auch Dich nichts mehr an die Welt bindet. — Und womit soll ich Dir solches beweisen, mein teurer Sohn? fragte der Eremit. Damit, sprach der neugeworbene Schüler, damit, daß Ihr mir das weltliche Geschmeide lasset, welches Ihr eben traget. — Hierbei blickte Don Antonio ihm nach dem Halse. Der Eremit aber, seines Ringes vergessend und nur dem Blicke Don Antonios folgend, sprach: Nehmt das Geschmeide hin, ich habe keines! Doch, doch, sprach Don Antonio, und unverwandt nach dem Halse blickend, zog er den goldenen Ring von dem zarten Fingercheu. Seht da her! Mein ehrwürdiger Vater, dieser Ring ist viel zu weltlich für

Einsiedler! Gebt ihn mir zurück, sprach der Eremit etwas betroffen, es ist der Trauring meiner Mutter. Das weiß ich, sprach Don Antonio neckhaft gestimmt, ich kenne ihn gar wohl und hatte schon lange Verlangen darnach. Es ist etwas Wunderbares um den Ring eines frommen Eremiten; denn nun ich ihn an meinen Finger stecke, fällt jede weltliche Betrübnis wie Schuppen von meinen Augen, und ich sehe den Himmel über mir offen und heiter. O, treibt den Scherz nicht zu weit, gebt mir den Ring wieder! sprach der Eremit — plötzlich mit Donna Teresas Stimme. Glaubt Ihr denn, ich scherze? sprach Don Antonio sehr ernsthaft; nein, mein ehrwürdiger Vater, es ist mein völliger Ernst, wenn ich sage: der Himmel ist mir offen, seit ich Euren Ring besitze. Ihr besitzt ihn nicht, Ihr habt ihn mir genommen, Don Antonio! Ihr habt ihn mir gelassen, er ist mein, ehrwürdiger Vater; bedenkt, als ich um Euer Geschmeide bat, sagtet Ihr: nehmt es hin! — Wohl, aber ich sagte dazu: ich habe keines; woraus Ihr sehen könnt, daß ich nur unachtsam war. Unachtsam? Ei, ei, sprach Don Antonio, wenn so fromme, betagte Lehrer noch unachtsam sind, wie sollen wir arme Schüler sein? Gebt mir den Ring wieder, sprach Donna Teresa, und wollte ihn mit Gewalt von seinem Finger ziehen; aber Don Antonio hielt ihn fest und ihre Hand dazu und sprach: Ei, ei, mein ehrwürdiger Eremit, Ihr seid schlimmer, als ich, den weltlichen Dingen ergebe», wenn Ihr so heftig nach diesem Ringe verlanget, welcher doch nun mein ist; bedenkt: anderer Eigentum begehren, ist große Sünde! Gebt mir den Ring wieder! sprach Donna Teresa und rang noch heftiger darnach: als von dieser Bewegung die Maske, welche nicht allzuwohl befestigt war, plötzlich herabfiel, so daß der entzückte Don Antonio ihr schönes Gesicht von hellen Thränen der Rührung über¬ strömt sah, welchen sie bisher unter der Maske nicht Einhalt gethan. Nun aber suchte sie, weil Don Antonio sie nicht fortließ, ihr verlegenes Erröten in den Falten des Eremitengewandes zu bergen, als Don Carlo, welcher schon ein gut Teil der Szene mit angehört, ihr in die Augen sah und sprach: Wie? Ringe werden gewechselt? Masken fallen ab und Thränen fließen? Darüber muß ich meinen Mantel breiten, bis ich den Notar geholt! — Hiemit warf er seinen weiten Pythagoras¬ mantel um die Liebenden und verschlang ihn so, daß ihn oeide nicht so bald entwirren konnten: ja das Entwirren ging so langsam, daß einige meinten, beide blieben gern so verborgen, der Philosoph sowohl als der Eremit. AIs sie endlich den purpurnen Vorhang, der sie umschloß, erhoben halten, stand ein kleines Tischchen vor ihnen, woran Cicero saß und eine Feder schnitt. Es war der Notar des Ortes, welcher den beiden Willigen einen Ehekontrakt in zwei Worten zusammensetzte, den beide mit zitternder Hand unterschrieben, während kristallene Thränen des Entzückens darauf hinabfielen. Pietro und der alte Jakob, welche de» Tisch herbeigebracht, klopften vor Freuden in die Hände, ergriffen beide den Pythagorasmantel und hielten ihn, auf zwei Stühlen stehend, als einen Baldachin hoch über die Glücklichen, während lautes Geschmetter von Trompeten und Pauken sich in ein allgemeines Iubelgeschrei und Händeklatschen mischte. Die Jybelndeu riesen einstimmig: Das ist die Krone des ganzen Festes!

ernstlich

selbst

von den Zunächstbeteiligten

kaum

jemand zu hoffen

gewagt hatte.

Wir haben bereits unseren Standpunkt dem Sezessions-Unternehmen gegenüber in einem früheren Artikel dargelegt. Jede Entfaltung neuer Kräfte ist als solche mit Freude zu begrüßen. Erweisen sich die" neuen Idee» nicht als lebensfähig, so werden sie von selbst sehr bald unter¬ gehen. Daß die großen Kunstausstellungen im Landes-Ausstellungspark seit Jahren an großen Mißständen krankten, ist allgemein bekannt. Viel Tinte und Druckerschwärze ist gerade iu den letzten Jahren geflossen bei der Erörterung von Mitteln, die Mißstände zu bessern. Bei dem wachsenden Interesse des Publikums für künstlerische Fragen hat die gesamte Presse sich bewogen gefühlt, an diesen Erörterungen teilzunehmen. Die Sezession hat nun versucht, mit einer That zu kommen, eine Aus¬ stellung zu machen, die alles marktmäßige ausschließen und nur eine „Kunstschau" sein will. Man hatte oftmals den Vorschlag gehört, alle Juri; abzuschaffen, um die vielbeklagten „Ungerechtigkeiten" zu beseitigen. Die Sezession hat im Gegensatz dazu ihrer Jury eine geradezu beispiel¬ lose Strenge zur Pflicht gemacht. Das Prinzip der Internationalität war immer freier befolgt worden. Die Sezession versucht es mit einer „deutschen" Ausstellung.

351

Und das Resultat? Eine kleine Ausstellung von nur etwa dreilmndert Kunstwerken, dafür aber kaum ein Platz, wo ein Bild „tot" gebangt wäre. So bat man Muhe und Freude, jedes einzelne Werk zu betrachte» und zu genießen, obnc der fatalen Angenmüdigkeit zu verfallen, die sich einem in den großen internationalen Ausstellungen so oft auflegt, wenn nian kaum die Hälfte der schier endlos scheinenden Saalreiben durchschritten bat. Dieser Charakter der Intimität des Raumes erzeugt ein wohliges Gefühl, das Gefühl, was der Engländer „komfortabel" nennt. In welcher Weise nun der Raum mit Kunstwerken ausgestattet ist, werde» wir später schildern. Am Tage vor der Eröffnung für das Publikum fand eine Vor¬ besichtigung für einen geladenen Kreis, die Künstler, die Freunde und Gönner des Unternehmens mit ihren Damen, statt. Diese Vorbesichtigung oder Einweihung wurde zu einem Fest von einer Eleganz, wie man Die Herren waren im Frack, die Damen in sie selten in Berlin sieht. den herrlichsten Frühjahrstoiletten erschienen. Die Menge flutete durch die Räume und füllte sie so, daß man kaum zum Bildersehen kam. Aber eine allgemeine freudige Stimmung schwebte über dem Ganzen, Man fühlte, das Werk ist gelungen, und es war ja schwierig genug gewesen, daß man über die Vollendung berechtigte Freude zeige» konnte, Viel bemerkt wurde die Anwesenheit des Präsidenten der Akademie der Künste Pros, Ende und des Prof, Mar Koner, der gegenwärtig auch So Halle der Vorstand der Ausstellung am Lehrter Bahnhöfe ist. Liebcrmann wohl recht, wenn er in seiner Rede bei der Ucbcrgabe des Hauses an die Stadt Charlottenburg von den beiden Brüdern sprach, die zwar verschiedene Wege gehen, aber doch gemeinsam au dem großen Ziele, dem Glanz ihres gemeinsamen Vaterhauses, arbeiten. Dieses gemeinsame Vaterhaus ist die Berliner Kunst: ihr wollen beide dienen. Und des wird sich jeder freuen, dem die geistige Entwickelung unseres Vaterlandes am Harzen liegt.

s

ie Perlen der Kunstausstellung im Landes-Ausstcllungspark finden sich unter den Kollektiv-Ausstellungen einzelner hervorragender Meister, Allen voran ist wohl die Sammlung von dreizehn der glän¬ zenden meisterhaften Porträts Lenbachs zu nennen. Immer wieder bewährt er seine gewaltige Kunst in der geistvollen Wiedergabe eines Menschenwesens. Er begnügt sich nicht mit den, äußeren Abbild, das Innere sucht er zu fassen. Es ist, als ob er seinen Modellen in die Seele schaut. Daraus folgt eine oft überraschende Unähnlichkeit des

Lenbachsche» Porträts: „Der ficht Was ist also das Fascinierende an ihnen? Daß ein großer Künstler und geistreicher Menschenkenner mit markanten Pinsclzügcn hinschreibt, was er über einen anderen denkt! Die Menschen, deren Charakter er so schildert, werden dabei alle aus dem Kleinlichen, Alltäglichen herausgerückt: denn er kümmert sich nicht um die kleine» Einzelheiten, das Momentane. Nur das Markante, Bleibende schält er heraus. Das genaue Gegenteil in der Auffassung enthüllt Altmeister Menzel in den sechszehn gezeichneten Studien, die er ausstellt. Neben zwei größeren Zeichnungen „Im Atelier" und „Publikum am Denkmal", die in lebensgroßen Köpfen eine Fülle allerfeinst beobachteter Charakteristika zusammenfügen, und so aus all dem Kleinen das Große schließen lassen, zeigt er in vierzehn Studien von allerlei altem Gerät, Hundehalsbändern, Futteralen, Sänften, Waffcugriffcn, Reliquienkasten und dergleichen mehr, wie ihm auch in der unbelebten Natur selbst das Geringste be¬ deutsam genug erscheint, es zu studieren. Wenn man dabei seine Art zu zeichnen analysiert, so thut sich der programmtreueste Impressionismus dar: Nie schildert er, wie die Gegenstände sind, stets wie sie erscheinen. Das Konstruktive kommt nur nebenher, aber wie das Licht über Metall gleitet, sich im Leder fängt, bald von glatten Flächen reflektiert, von rauhen aufgesogen wird, das erfaßt er mit emsigen Bemühen, Die sechszehn Bilder des schon 1863 verstorbenen, hochbegabten Teutwart Schmitson hier einmal in einer geschlossenen Kollektiv¬ ausstellung vorgeführt zu habe», ist hauptsächlich Paul Meycrheims dankenswertes Verdienst, Es ist ein hoher Genuß, diese reifen, ab¬ geklärten Kunstwerke zu betrachten. Gerade zu Bewunderung erweckt es, wenn man bedenkt, daß Schmitson diese Meisterschaft in der Widcrgabc momentanster Bewegungen der Tiere zu einer Zeit besaß, als an die durch Momcntphotographic erleichterte Beobachtung noch nicht zu denken war. Eine der hervorragendsten Sammelausstellungen bietet dann Josef Scheurenberg mit dreißig Bildern, Studien und Entwürfen. Er¬ zeigte sich uns als einen tüchtigen, ernsten Künstler, der ohne jcdwede Koketterie schlicht der Kunst zu dienen sucht. Wovon man ihm niehr wünschte, ist Temperament, Er ist bei allem ein wenig zu verständig. Zur Tugend wird diese Eigenschaft, wenn er Porträts malt. Sein Porträt Zellers ist berühmt und gehört längst der Nationalgalcrie an: die neueren Bildnisse des Dombaumeisters Raschdorff und des Akademicpräsidenten Ende gehören zweifelsohne zu den besten Bild¬ nissen, die in Berlin im letzten Jahrzehnt geschaffen morden sind, Tie Ausstellung umfaßt Werke aus allen Zeiten ihres Schöpfers, sie zeigt eines, was sehr viel ist: er ist sich stets treu geblieben, Ernst Hausmanns Ausstellung birgt Bildchen und Studien aus ,einer Pariser Zeit, die von einem Reiz der farbigen Auffassung, von einer Einheitlichkeit des goldigen Tons sind, wie er sic später als er andere Bahnen zu gehen suchte, leider nie mehr gleichwertig erreicht hat. Breitbachs Bildcrscric zeigt einen liebenswürdigen, nicht allzu Hans Meyers Aquarelle, Zeichnungen und Ra¬ tiefen Künstler. dierungen leiden an einer gewissen trockenen Nüchternheit des Vortrages und der Auffassung. , ,. , „ , , .. An Max Rabes Orientbildern fesseln namentlich die ,a letzt hoch¬ An aktuellen Motive von der Palästinareise unseres Karserpaares. Bohrdts Wasser-, See- und Marinebildern werden alle Flottenfreunde große Freude haben, . . Sehr zu bedauern ist im Interesse der Bilder von «chcnnrs die Knallrote Wände, dazu Raumes: des völlig mißlungene Ausstattung

äußeren Abbildes: oft hört man vor

doch ganz anders

aus".

,

!

ein grasgrüner Belag über den ganzen Fußboden, Diese Farbcnorgle läßt seine in dunkeln, satte» Tönen gemalten, romantisch aufgefaßten Landschaften schwarz erscheinen. Alle feinen Mitteltöne werden eben herausgefressen durch die brennend rote Umgebung

Berliner Chronik. Am 18, Mai starb im 67, Lebensjahre der Wirkliche Geheime ObcrPostrat und Professor der Rechte an der Berliner Universität und Kronsydikus Dr, Otto Dam dach. Er wurde auf dem Matthäikirch¬ hofe bestattet. Am 20, Mai fand

in Gegenwart des Kultusministers D. Bosse die feierliche Eröffnung der Ausstellung für Krankenpflege in der Philharmonie statt, an deren Spitze Professor Dr, von Leyden steht. Die Ausstellung gewährt einen Uebcrblick über alle einschlägigen Fort¬ schritte der Technik und der Barmherzigkeit: sic ist nicht allein von Firmen beschickt worden, welche an der Krankenpflege geschäftlich interessiert sind, sondern auch von Krankenhäusern, Kliniken und Diakonissenhäusern. Professor Dr, von Leyden wies in seiner Er¬ öffnungsrede auf den ungeahnten Aufschwung hin, den die Kranken¬ pflege in den letzten Jahrzeynten genommen habe und auf die funda¬ mentale Vertiefung, die sie erreicht habe, „Die Krankenpflege ist," führte er aus, „nicht bloß eine Dienerin der medizinischen Wissenschaft, sondern sie arbeitet aktiv und planmäßig an der Abstellung der Krankheiten mit, und ihre Einrichtungen sind zu einem Heilsystem angewachsen, dessen Erkundung dem Arzte ebenso wichtig und unentbehrlich ist, wie die Kenntnis der Medikamente und der chirurgischen Eingriffe," Am 24, Mai trat ini Reichstagsgebäude der internationale Tuberkulosenkongreß zusamnicn, dessen Präsidium der Herzog von Raki bor führt. Der Kongreß, der in Gegenwart der Kaiserin eröffnet wurde, hat aus der ganzen gebildeten Welt eine Reihe erster medi¬ zinischer Autoritäten nach Berlin geführt, von denen hier genannt seien: Professor Brouardel (Frankreichs, Professor Grainger Stewart lEnglandl, Profcsser Maragliano sItalien), Ritter Kusy von Dubrow (Oesterreich), Professor Koranyi (Ungarn), Dr, Bertcnson (Rußlands, Dr. Cortego (Spanien) u, v, a, Staatssekretär Graf Posadowsky-Wchner, der den Kongreß eröffnete, bezeichnete als Zweck desselben die Bekämpfung der Tuberkulose als Volkskrankheil und begrüßte die Mitglieder des Kongresses als eine Versammlung von „ärztlichen Autoritäten und auf¬ richtigen Menschenfreunden," die aus allen Teilen der Erde zusammen¬ gekommen seien, um auf Mittel und Wege zu sinnen, durch melche die verbreitetste Krankheit, welche au dem Mark und der Arbeitskraft der Völtcr zehrt, beschränkt unh geheilt werden kann, Herzog von Ratibor führte aus, es sei nicht das Ziel des Kongresses, neue wissenschaftliche Probleme aufzustellen, sondern an erwiesene Thatsachen anzuknüpfen, Tie Leitung diese zu vertiefen und dem Volksleben nutzbar zu machen, der einzelnen Kongreß-Verhandlungen führt Professor Dr. von Leyden, Das Programm verzeichnet 120 Referate und Vorträge, Das wissen¬ schaftliche Material, das der Kongreß behandelt, gliedert sich in fünf Gruppen: Ausbreitung der Tuberkulose, Aetiologie (Uebertragungl, Prophylaxe (Vorbeugung», Therapie (Heilung» und Heilstättenwesen, Am 24, Mai empfing die Stadl Berlin die Kongreß-Teilnehmer in den Festräumen des Rathauses: am 25, Mai waren sic Gäste des Reichskanzlers, Im Opernhaus hatte der Kaiser für die Vorstellung am 25, Mai Parkett und ersten Rang für die Kongreß-Teilnehmer zur Verfügung gestellt. Zum Prediger an der französischen Klosterkirche wurde der bisherige Pastor der französischen Gemeinde in Französisch-Buchholz, Debordeaux, gewählt.

Märkische Chronik. Bahnstrecke Burg-Kottbus ist am 20, Mai von seiten der Landespolizei und der eisenbahn-technischen Behörden abgenvmnlcn und zu Pfingsten dem Verkehr übergeben worden, Lindow (Mark), Am 18, Mai wurde die Kleinbahn Lindow bis Rheinsberg eröffnet: es ist durch dieselbe eine direkte EisenbahnVerbindung von über Löwenberg (Nordbahn) nach Rheinsberg, dem durch den Aufenthalt Friedrichs des Großen und seines Bruders berühmt gewordenen märkischen Idyll hergestellt worden, Arnswalde, Auf dem Arnswalder Sec finden seit dem Psingst-

Kottbus, Die

Berlin

sestc

an

fahrten

Sonn- und Feiertagen regelmäßige

Dampfer-Rund¬

statt,

Dalldorf, Am 25, Mai feierte der Amtsvorsteher P, Witte sein 25jähriges Amtsjubiläum. Spandau. Am 19, Mai fand die feierliche Einweihung des neuen städtischen Krankenhauses statt, das in der Neustadt mit einem Kostenaufwande von dreiviertel Millionen Mark errichtet ist und Raum für 300 Kranke bietet.

Kleine Mitteilungen. Kronprinz Wilhelm,

der am 6, Mai sein 17, Lebensjahr voll¬ einer alten Tradition des Hohenzollcrnhanses folgend, Handwerk erlernen: er Hai das Drechsler-Handwerk gewählt und wird zur Ausbildung in demselben bei dem Drechslermeister Heuer in Plön einen Kursus durchmachen, §. Am 6. Juni vor 85 Jahren landete Friedrich Wilhelm III, nebst seinem Bruder Wilhelm und den Prinzen Friedrich und August Ferdinand von Preußen, dem russische» Kaiser, Blücher, Jsork, Büioiv und Hardenberg mit dem englischen Linienschiffe „Jmpregnable" untergroßem Jubel in Dover, am 7. kam er in London an, wurde am 8 zum Ritter des Hosenbandordens ernannt, nahm am 13, das Arsenal und die Wersten von Woolwich und mit den Eongreveschen Raketen angestellte Versuche in Augenschein, erhielt am 14, die Oxsorder Doktorendete, wird, demnächst ein

352

würde und das Oxforder Bürgerrecht, wohnte am 20. einer Sitzung des Ober- und Unterhauses bei, verließ London am 22. wieder, hielt am 23. Parade über 80 englische Kriegsschiffe ab und schiffte sich am 25. unter dem Inkognito eines Grafen von Ruppin wieder nach Calais ein.

In

_— Hans Hermann ii. Hatte. Aufsatz über Wüst die Aufmerksamkeit auf

hingelenkt.

16 des „Bär" hat ein Hans Hermann Katte

Nr.

Die Familie v. Katte — mit einer Katze als redendem Wappenbild im Schilde — wird bereits um 1380 als im Besitze von Redeckin, Wust, Zolchow 2 C. im Kattenwinkel aufgeführt. Sie vermag eine ganze Reihe von Glie¬

dern aufzuweisen, die einen ehren¬ vollen Namen sich

errungen. 1. Der Vater

Hans Her¬ mann, Hans Heinrich Katte, des

Ihr

Ihr

Sohn

ei»

des Köpenicker Kriegsgerichts liegen im Familien-Archiv des Freiherrn v. d. Schnlcnbnrg zu Beetzendors. Der General-Leutnant der Kavallerie Achaz v. d. Schulenburg igestorben zu Berlin 2. August 1731) war nämlich vom König zum Vorsitzenden des Gerichtes berufen worden, welches über den Kronprinzen, über Katte, Ingersleben, Spän und Keith abgehalten wurde. Am 25. Oktober 1730 versammelten sich die vom König bestimmten Richter im Schlosse zu Köpenick. Am 27. Oktober fällten sie den Urteilspruch. Eine Meinungsverschiedenheit bestand nur hinsichtlich des Hans Hermann Katte. Drei Todesurteile standen zwei milderen Auffassungen gegenüber. Das Schicksal des Angeklagten hing von dem Wahrspruche des Vorsitzenden ab. Wenn durch dasselbe Stimmengleichheit eintrat, so galt nach den Kriegsrechten die mildere Anschauung als der Gesamtwillc. Achaz v. d. Schulenburg schloß sich der milderen Auffassung an, indem er auf ewiges Gefängnis erkannte. Der König, mit dem Spruche nicht einverstanden, schickte das Urteil mit der Bemerkung zurück: „ Sie sollen Recht sprechen und nit mit dem Flederwisch darüber gehen". Achaz v. d. Schulenburg, nach seiner Lcichcnpredigt ein? sromnier Mann, der keinen Tag ohne Gebet vergehen ließ, keinen Gottesdienst versäumte, in seinen Garnisonorten Schulen für die Sol¬ datenkinder auf eigene Kosten errichtete und auf seine Bitte vom Könige einen eigenen Feldprediger für sei» Regiment erhielt, schrieb über solchen Ausdruck des Königlichen Unwillens nnt zitternder Hand drei Stellen der heiligen Schrift, darunter das Wort: „Sehet zu, was thut, denn haltet das Gericht nicht den Menschen, sondern dem HErrn". Die Richter traten am 31. Oktober von neuem zusammen und beharrten bei ihrem Schiedsspruch, welchen sie als den richtigen erkannt hatten. Der König indes faßte seine Stellung als Kriegsherr und oberster Richter dahin auf, daß er das Urteil nicht nur mildern, sondern auch verschärfen könne und ließ Katte enthaupten. Was den Prinzen anbetrifft, so herrschte über seine Schuld völlige Uebereinstimmung unter den Richtern. Sie hielten sich nicht sür zu¬ ständig und bezeichneten den Gegenstand der Anklage als eine Staats¬ angelegenheit und Familiensache, „welche einzusehen und zu beurteilen ein Kriegsgericht sich nicht erkühnen darf". Dabei beruhigte sich der König. Dr. Gg. Schmidt-Sachsenburg.

des Hans, SachscnKoburgischen Hof¬ marschalls auf Wust, Scharlibbe,

Kammern und Mahlitz und der Eva Auguste v.

Stammer,waram

16. Oktober 1681 zu Wust gebore» und starb am 31. Mai 1741 zu Reckahn als Kgl. Preußischer Ge¬ nera lsel dm arsch all,

Vereins-Nachrichten.

RittcrdesSchwarzcnAdler-und des St. JohanniterOrdens, Gou¬ verneur zu Kol-

„Brandenburgs". Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Als Mitglieder sind aufgenommen: Herr Pfarrer Siemann in Brunne, Kr. Osthavelland. Herr Mittelschullehrer Karl Thürmann, Treucnbrictzen. Herr Apothekcnbesitzer Gustav Zitelmann, Pallisaden-

berg, Oberst über ein Regiment zu

Pferde, Amtshauptmann auf Zchdcnick und Liebenivalde, Erbherr auf Wust, Mahlitz, Steckelsdorf 2 C. Er war von König Friedrich II. am 6. Juni 1740 mit seiner im Manncsstamme schon 1748 erloschenen Descendenz in den Grafenstand erhoben worden. 2. Sein älterer Bruder Heinrich Christoph, geboren 24. April 1675, starb am 12. November 1743 als Magdeburgiscber Kammerpräsident, Geheimer Rat, Amtshauptmann der Aemter Kalbe, Gottesgnade ec. und Erbherr auf Kamern und Scharlibbe. Aus seiner Ehe mit Ursula Dorothea v. Möllendorff aus dem Hause Hohcngöhren stammt 3. Johann Friedrich, am 9. März 1698 geboren,, der nach rühm¬ licher Teilnahme an den Schlachten bei Hohenfriedberg, Sorr, Kesselsüorf, Lobositz, Prag, Kolli» ec. als Kgl. Preußischer General-Leutnant und Chef des Leib-Küralsier-Regiments am 29. März 1764 zu Berlin

straße 81.

Der Vorstand bittet die noch restierenden Mitgliederbeiträge für das laufende Semester zur Vcrnicidung postalischer Einziehung dem .

Schatzmeister, Herrn Bankier Ritter, einzusenden. Der Vorstand macht ferner darauf aufmerksam, daß die Gesellschaft am 11. Juni einen Ausflug nach Guben und dem benachbarten Guben Buderose, Besitztum des Herrn Dr. Kreisel, unternimmt. hat sich ein Ausschuß gebildet, an dessen Spitze der Oberbürgermeister und das Ehrenmitglied Professor Dr. Ionisch stehen. Rach Buderote, einem idyllisch gelegenen, alten Rittergut mit schönem Part und Herren¬ haus, das von Guben aus in einer anmutigen Wassersahrt zu erreichen ist, hat Herr Dr. Kreisel die Gesellschaft freundlichst eingeladen.

In

Vücherkisch.

verstarb.

mit einer Gräfin v. Truchseß-Waldburg stammte Friedrich Christoph Heinrich, geboren 1740, gestorben am 11. März 1818 als Kgl. Preußischer General-Leutnant zu Landsberg. Er war Ritter des Roten Adler-Ordens I. Klasse. 5. Ein jüngerer Bruder des unter Nr. 8 genannten war Heinrich Christoph: derselbe war geboren am 12. März 1699 und starb am 23. Oktober 1760 als Preußischer Staatsminister und Deutscher Ordensritter. 6. Dessen jüngerer Bruder Lehrend Christian, geboren 1700, starb am 5. August 1778 zu Klein-Mangelsdorf als Kgl. Preußischer General-Major, Chef eines Dragoner-Regiments, Ritter des Ordens pour le merite und Erbherr auf Wust, Scharlibbe, Kamern, KleinMangelsdorf rc. 6. Der jüngste Bruder Karl Emil, geboren 1706, gestorben 1757, war Kgl. Preußischer General-Major und Chef eines Dragoner-Regiments sowie Erbherr auf Kamern, Scharlibbe, Wust und Gottlin. Endlich sei noch von der jüngeren auf Weritz, Zolchow und RenKlitsche erbgesessenen Linie des Geschlechts Friedrich Wilhelm Gottfried genannt. Er war geboren am 10. Oktober 1785 und starb als General-Leutnant und Ritter des eisernen Kreuzes am 5. März 1866 zu Berlin, auf dem dortigen Jnvaliden-Kirchhof begraben. Mögen die Glieder der Familie in mannigfachen militärischen Chargen in der Armee, oder als Landräte, Teichgrafen rc. in der Ver¬ waltung auf den verschiedensten Gebieten des Lebens sich Verdienste 4.

Aus

dessen Ehe

errungen haben —der Name Katte ist unsterblich geworden durch das furchtbare Schicksal vom Jugendfreunde des großen Königs. Als der Erbfeind der deutschen Nation nach Wust kam, unterließ er nicht, nach den Reliquien von Hans Hermann Katte zu forschen und zu fragen. Sein Bildnis*), welches bisher noch nie veröffentlicht worden ist, befindet sich im Schlosse zu Wust. Die Original-Protokolle *) Ter Frau Marie

svreche

ich

an

von Katte, geb von Klützow zu Wusl und Herrn Schäfer zu Wust dieser Slelle meinen Tank für die freundliche Uebermiltelung der Pt,olo-

I)r.

gravyie aus.

Lcrauiworllicher Redakteur: vr. M.

Folticineano,

Gg. S.

Prof. Dr. Hilty. Glück. III.

Teil Leipzig, I. C. Hinrichssche Mt., geb. 4 Mt. nicht nur ein belesener Mann, sondern auch ein

Buchhandlung. Preis

3

Pros. Hilty ist praktischer Schriftsteller,

und als solcher befleißigt er sich einer klaren Darstellung. Allerdings darf man in dem Buche nicht eine Panacee für das Glück suchen. Wo gäbe es eine solche? Am letzten Ende findet Hilty das Glück im Glauben, ein Ergebnis, das weder neu noch über¬ raschend ist, aber trotzdem wird jeder das Buch mit Befriedigung lesen: denn Hiltys Untersuchungen sind vielseitig und bieten jedem etwas Interessantes. Berliner Verkehrslexikon. Verlag von Max Schildberger. Berlin W. 62. Preis 40 Pf. Mit seinem knappen, kurzen, und doch so außerordentlich reichen Inhalt ist dieses Büchlein ein Nachschlagebuch für das ganze öffentliche Berlin und seinen Verkehr. Besonders die nach den Bahnhöfen geord¬ neten Eiscnbahnsahrpläne sind eigens für den Berliner zusammengestellt, erstrecken sich über ganz Deutschland und weisen auf einen Blick die kompliziertesten Eisenbahn-Verbindungen nach. — Die Sommerfahrpläne der Straßenbahnen, die Dampfschifffahrten rc. weisen erhebliche Kurs¬ und Tarisänderungen nach, und namentlich bei Ausflügen sollte man nicht vergeffen, dieses „Berlin in der Westentasche" mitzunehmen. Kicfzlings Tpczialkarte vom Lprcewald 1:50000, 75 Pf. (Verlag von Alexius Kießling in Berlin SW.) erschien in sechster

Auflage.

Die bis aus die neueste Zeit ergänzte und mit ausreichendem Text versehene Karte giebt ein übersichtliches Bild der von unzähligen Flußläufen durchzogenen Wald- und Wicsengebietc. Auf dem Burger Terrain sind alle Fußwege, Brücken und Einzelgehöfte deutlich markiert, so daß bei richtigem Gebrauch der Karte ein Verirren unmöglich ist. Da die Kießlingsche Karte die offizielle Karte des Spreewaldvereins ist, bietet sie die beste Garantie für ihre Zuverlässigkeit.

Berlin. — Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Reuendurger Straße 14a.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 23. IttstrgttNY.

Ur. 23.

Sonnabend, 10. Juni 1899.

Auch sus Jfiebe zui

3

rtooellc von und Wachholdcrstränchcrn und aus dem Singen und Jubilieren oer Wald¬ vögelein ringsumher. Keine düstere, schwermütige Stimmung herrscht hier, wie sie Willibald Alexis und Theodor Foiita.ne so gern der märkischen Heide beilegen, kein dumpfes Brüstn und dämmriges Dunkel — nein, frisches, fröhliches FrühlingStriwey in Baum und Strauch, auf Stein und Weg, i im Waldesschattrab nid in der blauen Lust, es ist das Bild einer beitcren, märkit, >en Heide, das uns hier entgegenlacht. Dies Landschaft um Lanke herum ist einzig in ihrer Art: die Heil e mit ihrem lieblichen an ihre zustreben

(Nachdruck verboten.)

Wechsel von Nadelholz und Laubwald, die buchenbestanstenen Höhen und die tiefeingeschnittenen, farnenbedeckten Schluchten, die blauen Seen mit ihrer reizenden Umrahmung und schließlich in der runz¬

ligen Thalmulde das Dorf mit Schloß und Mühle, mit Park und Weiher — alles vereinigt sich zu einem Bilde, wie es sich wohl selten findet, wie es kaum schöner gedacht werden kann. Auf abschüssiger Straße sind wir in Lanke eingefahren, auf sanft ansteigendem Fahrwege verlassen wir es wieder. Höher und höher steigt der Weg — man merkt, wir befinden uns im hohen Barnim — und bald bietet sich von der Höhe ein weiter Ueberblick über das hügelige Land bis nach Biesenthal hinüber. Rechter Hand hinter Lanke hört die Heide stellenweise auf, und wenn diese oder jene Thalsenkung es gestaltet, können wir den Kirchturm von Biesenthal sehen. Linker Hand begleitet uns noch Kieferngehölz, aber es wird nach und nach lichter, und plötzlich blitzt es unten im Grunde hinter dem schmalen Heidesaum aus, der blinkende Spiegel eines Sees wird sichtbar. Es ist der Strelsee, der sich bis Prenden hinzieht. Jetzt verschwindet auch das Stangenholz, niedrige Kuscheln treten an seine Stelle, und frei schweift der Blick zum Dorfe Prenden hinüber, das sich am Ende des Sees mit seinem breitem Kirchturm und mit seinen Binsen- und Ziegeldächern in scharfer Silhouette vom dunkelen Hintergründe der Sparrheide abhebt. Zu beiden Seiten ein lichter Fleck, wo sich das Ackerland hinzieht, dahinter wieder Heide und Heide, soweit das Auge blicken kann. Das Dorf liegt tiefer als die umgebende Landschaft, auf der Thalsohle zwischen zwei Seen, dem erwähnten Strelsee und dem Bauernsee, eingebettet, nur die Kirche ragt auf einem kleinen Hügel über die Dächer hinaus. Während der Wagen dem Dorfe zurollt, haben wir Muße, das liebliche Landschaftsbild zu betrachten. Allmählich senkt sich die Landstraße, und aus sanfter Steigung fahren wir ins Dorf hinein. Dicht am Eingänge liegt der Krug, und hier sollten sich noch Ueberrcste des ehemaligen Sparrschen Schlosses finden. Aber unsere Hoffnung wurde arg enttäuscht. Ein großer gewölbter Keller und einige Mauerreste waren allein von dem stolzen Bau übrig geblieben, die anderen Baulichkeiten hatten die Prendener nach und nach abgebrochen und das Material zum Ban ihrer Häuser und Viehställe benutzt. Schon Fontane, der wohl in den sechziger Jahren in Prenden geweilt hat, bedauerte, daß so wenig von dem Schlosse erhalten war; seitdem ist aber noch mehr verschwunden. Er konnte noch mit Hilfe der nach zwei Seiten hin völlig intakt erhaltenen Fundamente die Grundform des Schlosses als eines Gebäudes von 50 Fuß Länge und halb so viel Tiefe feststellen und sah auch mehrere wohlerhaltene Keller (Wanderungen durch die Mark. Ausg. v. 1893, S. 477); heute ist das nicht mehr möglich. Das Mauerwerk läßt sich wohl noch durch mehrere Grundstücke hindurch verfolgen, selbst nach der Landstraße und dem Strelsee zu steht ein Stück Backsteinmauer, aber Lage und Größe des Schlosses läßt sich danach nicht bestimmen; denn man kann nicht sagen: dies Stück Mauer gehört zuni Schlosse, dies zu den Wirtschaftsgebäuden, dies zur Umfassungsmauer oder ähnlichem. Der erwähnte Keller ist das einzige massive Bauwerk, das sich vom alten Schlosse erhalten hat, und wohl nur aus dem Grunde erhalten hat, weil man ihn praktisch verwerten konnte, zum Auf¬ bewahren von Kartoffeln oder Bier. Der Keller befindet sich in einem turmartigen Backsteinbau von ungefähr 3 Meter Höhe, der sich im Hose der Gastwirtschaft erhebt und zu einer Art Veranda mit Laubs umgestaltet ist, und scheint das Untergeschoß eines Ecktnrmes gebildet zu haben. Auf steiler Holztreppe steigt mau zu dem von einem Tonnengewölbe überspannten Raume hinunter, dessen fast quadratische Grundfläche ziemlich 2 Meter unter dem Erdboden liegt, während die gesamte Höhe bis zum Scheitel des Gewölbes ungefähr 4 Meter beträgt. Früher scheint der Keller eine größere Tiefe besessen zu haben; denn es geht die Sage, daß ein unterirdischer Gang, dessen Eingang links neben der Holztreppe noch sichtbar ist, so hoch war, daß ein Reiter bequem hindurch reiten konnte. Dieser unterirdische Gang ist vor einiger Zeit beim Bau des Rachbargrundstückes verschüttet worden, nur der gewölbte Eingang ist erhalten geblieben. Der Gang soll von dem Keller nach einem jenseits der Landstraße nach Lanke belegenen Hügel, auf dem sich auch spärliche Reste von Mauerwerk befinden, geführt haben, niemand hat ihn jedoch, der Tradition nach, durchschritten, alle Untersuchungen scheiterten au der Aengstlichkeit der Leute, denen die dumpfe Kellerluft das Licht verlöschte. Es war nicht viel, was wir hier erfuhren, selbst wann das Schloß erbaut worden und von wem, ob von Otto Christoph von Sparr, dem ersten brandenburgischen Feldmarschall, oder von einem seiner Vorfahren oder Nachkommen, ließ sich nicht feststellen, die Leute wußten nur, daß es ein Sparrsches Schloß gewesen war.

395

Unsere Hoffnung richtete sich deshalb auf die Kirche, vielleicht, daß dort noch einige Erinnerungen an den alten Sparr zu finden waren. Freilich nach der Schilderung, welche Fontane (a. a. D. S. 476) von dem kahlen Innern und dem verödeten Kirchhof gegeben hatte, war wenig Aussicht auf Erfolg vorhanden, es stellte sich aber bald heraus, daß es nicht so trostlos war, wie jener es dargestellt hatte) denn es fanden sich verschiedene Dinge, die der Erwähnung wert waren, und vor allem ließen sich die Inschriften der drei Sparrenglocken (nicht zwei, wie Fontane angiebt), welche damals „unter einer Kruste von Schwalbenguano" verborgen waren, sehr leicht lesen. Die Kirche liegt am Südwestrande des Dorfes auf einer kleinen Anhöhe inmitten des sehr verwachsenen Friedhofes und bildet ungefähr den Mittelpunkt der sich bogenförmig dahinziehenden Ortschaft. Der nach Westen gewendete Turm ist breit und massig und bis zum niedrigen Dach hinauf aus Fachwerk erbaut, an ihn schließt sich das einschiffige weißgetünchte Langhaus an. Schlicht und einfach ist das Gotteshaus nur — aber diese Einfachheit paßt zum ganzen Charakter des Dorfes, zu den alten, vielfach noch mit Binsen gedeckten Bauernhäusern. Auch das Innere ist einfach und kahl, die Wände weißgetüncht, Balkendecke, Gestühl und Emporen von rohbehauenem Holz und auch oberflächlich wei߬ getüncht, Staub und ich beim Sinken der Sonne in das Strandhotel eingekehrt. Es lag am Waldsanme, und während ich auf der Veranda im Angesicht des weiten Meeres, das im Licht der Abendsonne wie ein goldiger Ricscnschild vor mir lag, mein Abendbrot verzehrte, kam es mir vor, als sei das Hans ausgestorben. Kein Gast war zu sehen, und der Kellner, der mir Speis und" Trank gebracht, entschwand mit einer Hast wieder, als fürchtete er, durch die Erfüllung seiner Berufspflicht ein wichtiges Ereignis zu versäumen. Als ich mich vom Tisch erhob und über den Hausflur schritt, wurde eine breite Thüre geöffnet. Ein Tongcwirr von Musik und schallendem Gelächter schlug an mein Ohr. Gleichzeitig bot sich meinen Blicken durch die Thüröffnung der Anblick eines Saales dar, in dem sich zahl¬ reiche Menschengruppen vor Lachen auszuschütten schienen. Tic Quelle dieser Heiterkeit entströmte einem Gesangsductt, und ich trat mit dem Gedanken in den Saal ein: Wo inan singt und lacht, da laß Dich ruhig nieder, böse Menschen haben weder Humor noch Lieder.

Flügeln des Gesanges zur Würde und Gage einer Primadonna zu er¬ heben trachteten und weiterhin einen Kreis von ehrpnssclig aussehende» Gästen des Hoiels, die nur lose Beziehungen zur Kunst nnd de» exotischen Familien zu unterhalten schienen; denn sie saßen etwas ab¬ seits. Bei de» Thüren aber bildeten die Kellner, Hausmädchen und Köchinnen des Hotels kleinere Gruppen. Alle schienen sich im gleichen Maße an den Vorträgen eines Künstlerpaarcs zu belustigen, dessen eine Hälfte, ein wegen seiner raphaclischen Schönheit von den Dame» des bewunderter spanischer Geiger, auf einem Stuhl stand Ticrgarlenviertels "das Miserere ans dem „Troubadour" sang, während die andere, und vor dem Flügel sitzend, die Begleitung spielte und gleichzeitig dem Jammer Lronoreus durch die Kopsstiinmc den verzweiflnngsvollsten Ausdruck gab. Nie ist Verdis „Miserere" mit so viel überwältigender Komik parodiert worden wie von diesen beiden Musikern im Rügener Strandhoicl. Der weiß geschminkte Manrico auf dem Küchcnstuhl hatte die heroische Haltung eines spanische» Hidalgo nnd verspottete die lln-

400

arten italienischer Tenoristen mit köstlichem Humor. Mit seinem unend¬ lichen Triller aber vermählte sich Leonorens Klagegesang, der vom zartesten Piano zum Gemecker überging und durch tolle Kadenzen ver¬ ziert wurde. Der Sänger aber, der die leidensvolle Geliebte Manriros markierte, bearbeitete auch die Klaviatur des Flügels zuweilen mit beiden Händen, zuweilen nur mit seiner Rechten, während er sich in schmerz¬ lichster Bewegung seinem Partner derart zuwandte, daß man behaupten konnte, er spiele die Begleitung des Duetts hinter seinem Rücken. Die Art, wie er das Experiment ausführte, ließ aus eine pianistische Virtnosenlaufbahn schließen. Mehr noch als die musikalischen Capriolen dieses Leonoren-Darstellers fesselten mich seine Gesichtszüge. Er mochte etwa im Alter von 85 Jahren stehen, und die Formen seines leicht ge¬ bräunten Gesichts erinnerten an einen Christuskopf des Guido Reni. In wirren, dunkelblonde» Locke» senkte sich sein Haupthaar zum Nacken nieder, und diese gerieten während des bald schmachtenden, bald himmel¬ schreienden Gesangs in ein Wogen und Flattern. Aus dem flockigen Bart aber hob sich ein edles Profil heraus, und dies, sowie die seltsam ehrliche Leidensmiene und der kummervolle Blick des Musikers bildeten für mich einen grellen Gegen¬ satz

der

Eine Pfingstfahi in den Bar*. i. Am Freitag vor Pfingsten kam mein Freund Bruno zu mir: „Du, komm mit in den Harz!"

„Weiter nichts?" „Na sieh mal, es ist so schönes Wetter! Neue Leinwand wirst Du gerade in den Pfingstfeiertagen doch auch nicht mit Oelfarbe zu jedem soliden Hausgebrauch unverwendbar machen wollen. Außerdem ist's billig:" — ich sah ihn erstaunt an; denn ich hatte bis jetzt immer das

Gegenteil gehört. ■— „Aber denn auch noch, — denk' mal an das obligate Frühkonzert im „Zo", mittags schlechtes Essen bei Verpuffung von unglaublichen Mengen von Geduld über die Festtagsbedienung, nachmittags Vorort-

coupe, mit sechzehn Per¬ sonen, drei Säuglingen und einem Fox-Terrier, der Dir die Wichse von den Stiefeln leckt, die

Du ihm ans Platzmangel nicht entziehen kannst." „Wir können ja per

Dampfer-"

„Das heißt drei Stun¬ auf dem Steg in

bni Buffonerien Duettisten. Kaum

zu

den

der Sonne braten und Grünau abends von nach Hause gehen — nee, danke!" „Na also — meinet¬

war das Miserere ver¬ klungen,

thaten sich sämtliche Musiker mit den Sängerinnen zusammen, um die „Schwerterweihe" so

wegen!" „Siehst

aus den „Hugenotten" parodieren. Der

Du, — es wird Dich nicht reuen!

zu

Mann vor dem Flügel, den sie Meister Martina nannten, dirigierte den närrischen Cbor. Crescendo schlug Meister die Tasten solcher so

Ich kenne die Gegend — großartig, sag' ich

Dir!"

Im

„Warst Du denn schon da?" „Nee ■— aber deshalb

der

mit

Gewalt und blickte

wütig und mit

umsomehr!"-

so er¬

Mein Freund ist einer jener jungen Rechtsan¬ wälte in Berlin, die zwar ein Bureau, darin einen Vorsteher und eine Schreibmaschine haben, beides aber einstweilen zum Kopieren von lehr¬ Moretisch ju¬ reichen ristischen Abhandlungen benutzen. Ihr großes Interesse an der reinen

Mienen auf die brüllenden und gestiku¬ regten

lierenden Verschworene»,

als wolle er alle Huge¬ notten unter seinen Hän¬ den abmurksen oder zerschmettern. Eine wahre

Berserkerwut flammte aus seinen Augen. Als sich der Uebermut der Künstlerschar im theatralischen Unsinn ausgetobt hatte, konnte "erst ich eine Dame be¬ grüßen, deren gastfreies

Wissenschaft hindert sie eben, sich mit der lang¬ weiligen Praxis durch

Haus derzeit in Berlin

Vertretung von Klienten

ctn gesellschaftliches Cen¬

zu befassen.

So hat er's mir er¬ klärt — warum soll ich es ihm nicht glauben? Er ist ja mein Freund!

trum für alle Künstler romanischen Rasse lind auch fürvieledeutsche Musiker und Schriftsteller bildete. Die liebens¬ der

Und außerdem Jurist! Und preußische Juristen verstehen doch, vom Negerknaben regieren bis zum Aufsichtsratstantiemeneinnehmen, alles.

würdige

Frau sofort mit

machte mich jeneu Musikern bekannt, deren

Proteklorin

sie

war. Zu

meiner angenehmen Ueberraschiiiig erfuhr ich nun, daß Maestro Mar¬ tina, der bald in spaiiischer, bald in italieni¬ scher Sprache gesnngeii halte, ein Berliner sei. Als ich aber eine Unter¬

Wir trafen uns also am Sonnabend auf dem Potsdamer Bahnhof. Mein Freund war pünkt¬

Forellensprung bei Harzbnrg.

haltung mit ihm anfimpfte, wurde mir eine noch größere Ueberraschung zu teil; denn der Mann, dem der Gesang so leicht und mühelos über die Lippen geflossen war-stotterte. Es war leicht ersichtlich, daß er, bei seinem feurigen Temperament, unter diesem Gebrechen sehr litt; denn sobald die Zunge vor einem schwer ausznsprechendeu Wort stutzte, verzerrte» sich seine Züge, seine Augen blitzten zornig, und er gebrauchte die Hände, um

durch heftige Gestikulationen den Sinn seiner Rede zu ergänzen. ^ Um der lustige» Gesellschaft willen rastete ich einige Tage im Strandhotel und bemerkte zu meinem Vergnügen, daß das lebhafte Interesse, welches mir Martina einflößte, von diesem durch eine freund¬ liche Zuneigung erwidert wurde, die wohl darin ihren Ursprung hatte, daß ich — wie der Stotterer schon am zweiten Tage unserer Bekanntschaft bemerkte — ein guter Hörer war. Wir unternahmen gemeinsame Spaziergänge, und am Abend, bevor ich das Strandhotel verließ, beantwortete Martina an einer einsamen Stelle der Küste die Frage, ob er als Stotterer zur Welt gekommen sei, mit der Leidensgeschichte seines Lebens. (Fortsetzung folgt.)

licher als ich, hatte auch schon zwei Billets mit

fünflindvierzigtägiger Giltigkeit genommen. „Warum denn fünfundvierzig Tage? Zehn wären doch auch genug!"

fragte

ich erstaunt.

„Wer kann denn wissen, was einem auf einer Hochgebirgstour zu¬ stoßen kann — und bloß eine Mark mehr pro Billet." Ich fügte mich — denn ich war momentan einer längeren gelehrten

Auseinandersetzung über die rechtlichen Beziehungen der preußischen Staatseisenbahnen zu den im Alpinismus möglichen Zufällen nicht ge¬ wachsen — und damit drohte er mir. Der Zug war ja etwas sehr besetzt. Schließlich gingen wir entschlossen auf ein Coups zu, dessen sämt¬ liche Gepäcknetze und Sitzgelegenheiten zwar mit Taschen, Schachteln, Paletots und verschnürten Papierpaketen belegt waren, in dem aber nur zwei richtige menschliche Personen, ein Herr und eine Dame, zu erblicken waren. Rach Umfang und Gewicht konnten dieselben gewiß auf zweieinhalb bis drei normale berechnet werden, da aber eine Frage an den Schaffner uns belehrte, daß in den Abteilen zweiter Klasse je acht Plätze seien, stiegen wir ein. Unsere höfliche Frage, wo „frei" sei, wurde mit einem Ächselzucken beantwortet. So fingen wir an, ein wenig aufzuräumen und setzten uns in die Ecken.

/ 401

Ich habe nie vorher gewußt, daß Blicke so ausdrucksvoll sei» können! Ich glaube, wenn nicht jeder von uns rasch daran gedacht hätte, was für ein mutiger Mensch der andere sei, — allein für sich wäre jeder schleunigst wieder entflohen. Bis Magdeburg wurde nichts gesprochen — wie das so in Nord¬ deutschland in der Eisenbahn zum guten Ton zu gehören scheint. Bor Hnlberstadt zeigte mir mein Freund die auftauchenden Konturen des Darauf wandte sich unser Reisegefährte plötzlich an mich: Harzes. „Spielen die Herren vielleicht Skat?" „Mein Freund ja — ich muß bedauern!" Damit war ich „drunter durch".

An Bruno: „Fahren Sie auch nach Harzburg?" „Nein — aber nach Goslar." „Na, da können Sie in Vienenburg drei Stunden liegen, der Zug hat nur nach Harzburg Anschluß." „Soviel ich weiß, auch nach Goslar." „Sie werden ja sehen,' in meinem Kursbuch steht nichts davon!"

„In

meinem doch!"

sahen also in Vienenburg und — konnten natürlich gleich Goslar weiterfahren. Inzwischen hatte mein Freund, der stets versichert, ein richtiger Jurist lasse sich niemals eine Gelegenheit zur Uebung im Kreuzverhör entgehen, angefangen, unser vls-ä-vis aus-

Wir

nach

Bürgerfehdcn gegen das Rittertum, von treuherziger Frömmigkeit und derbstem Humor, der selbst in bildlichen Darstellungen seine Bethäti¬ gung sucht. Wenn man die alte, so wohl erhaltene Befestigung entlang die Stadt umschreitet, vorbei an den einzelnen riesigen kreisrunden Befcstigungs- und Thortürmen, die nun aus vier Jahrhunderte zurück¬ blicken können, man meint, die Zeit des mittelalterliche Städteglanzes Was für ein Stolz, aber auch was für Mittel sei wieder erstanden. gehören dazu, sich so als eine Welt für sich zu fühlen und unnahbar zu machen für alle und alles, das draußen lag. Es war aber auch die Zeit kurz vor dem Fall, als die Befestigungen, die uns noch heute solche Bewunderung abnötigen, errichtet wurden, von 1494—1517 ; denn schon zehn Jahre später begann der grimmige Kampf mit Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolsenbüttel, der bis 1552 dauerte und Goslar sein Bcrgiverk und fast das ganze Territorium Die Ruinen der wundervollen Klostergebäude von St. Peter kostete. und St. Georg zeugen heut noch von der schweren Kriegsnot. Dann kam auch noch der Jammer des dreißigjährigen Krieges, und so wurde Goslar eine der ärmsten Städte des heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Erst seitdem es 1803 au Preußen, 1807 an das Königreich Westfalen, 1814 dann unter hannoversche Herrschaft und nun seit 1866 endlich dauernd unter preußische Herrschaft gekommen war, hat es sich

Panorama von Harzburg. zupumpen.

Und

so

hatten

wir

denn erfahren, daß

sie

Hausbesitzer aus

Berlin IV., Lützoivstraße, seien, eine Tochter seit dem Oktober in Harz¬ burg in Pension hätten und nun Frieda abholten. Papa schwärmte von seiner Einzigen und ihren Qualitäten — „Lederschnittarbciten macht sic, ich sage Ihnen, großartig. Sehn Sie mal die Cigarrentasche hier, ist das nicht Kunst." Mama blieb reserviert, machte nur ein paarmal den Versuch, abzuwiegeln. Unsere Bewunderung von Friedas Lederschnitt schien aber auch die Eisesrinde um ihr Herz ein wenig zu erweichen. Sie erzählte, daß sie gemeinsam mit „dem Kinde" eine kleine Pfingsttour „durchs Gebirge" machen wollten. — Doch eine Würde, eine Höhe entfernte die Vertraulichkeit. Wir hatten uns schon gewundert, daß so etwa alle dreiviertel Stunde einmal hinter der im Coups befindlichen kleinen Thür verschwunden war. Er gab uns nun leise die Erklärung: „Er mußte öfter mal ein Paar Züge thun, und Mama genierte das Rauchen". „Rauchen Sic denn nicht, meine Herren?" „Mein Freund ja — ich bedaure," rächte Bruno meinen Skatvcrrat. „Ja, die jungen Leute heutzutage rauchen ja nicht." Aber es ist ein schwerer Fehler für die ganze Nation, meine Herren." — Warum, haben wir nie erfahren; denn Bienenberg war da, und es hieß um¬

Papa

steigen.

Beim Abschied drückte Papa uns die Hand, Mama machte uns eine gletschereisige Verbeugung.

In

einer halben Stunde waren

*

-ft

wir in Goslar. *

ganz deutsche Stadt! Was offenbarst du alles von urdeutschem Wesen! Von des alten deutschen Kaiserreiches höchstem Glanz, von tiefster Schmach und Demütigung. Von stolzem Bürgersinn und Freude am Schmuck des trauten Heims, von Zunstgröße und

D du liebe, alte,

so

wieder gehoben und ist zu neuer Blüte gelaugt. Es hat mit reich¬ lichen -Geldmitteln und wirklich seinem Kunstverständnis seine allen romanischen Bauwerke, die Zeugen seiner mittelalterlichen Ruhmestage, restauriert: aber es hatte auch Grund dazu. Denn Goslar ivar eine der ersten Städte Deutschlands, das „clarlssimurn regni domicilium", wie es die alten Chronisten nannten. 1290 hatte es eine städtische Ver¬ fassung erhalten, 1348 das kaiserliche Schuldrecht und das Recht, eigene Münzen zu prägen. Es ließ auf Grund dieses Privilegs die kleinen „Silbcrpfännchen" mit dem Marienbilde, daher auch „Mariengroschcn" genannt, schlagen, und halbe Groschen mit dem Bilde seines Schutz¬ patrons St. Matthias, die sogenannten Matthiesgroschen oder „Matthies". Das damals entstandene „Goslarer Stadtrecht" galt, wie die Sprüche seines Schöppenstuhls, überhaupt als Muster weiser Rechtsgelahrtheit

in ganz

Niedersachsen.

Und doch war diese Zeil von 1290—1552 schon die zweite Glanz¬ periode der Stadt. Es war die Zeit, wo der Bürgergeist auf Grund einer beinahe republikanisch zu nennenden Verfassung sich frei entfaltet und ini emsigen Fleiß bethätigt hatte. Seinen Namen als „Kaiserstadt" verdankt Goslar der vorher¬ liegenden Zeit. Als Gründer der Stadt wird Kaiser Heinrich I. „der Finkler" genannt: der Name kommt zuerst in einer Urkunde von 1279 vor: „Actum Goslarie feliciter Amen“; er knüpft an die örtliche Lage an: Gose bedeutet Gicßbach, lar — Niederlassung, Stätte, also „die Stätte am Gießbach." Unter Kaiser Otto I. soll 968 das Roß eines Mannen des Kaisers eine Silberstuse aus dem Boden gescharrt haben. Der kai erliche Jäger hieß Ramm, daher der Rammes — oder Rammelsbei a, an den sich die Stadt leimt, und dessen Bergwerk noch heul im Be rieb ist.

402 979

ihn

schon

war Kaiser Otto II. in Goslar. Er ahnte wohl kaum, daß vier Hahre später im fernen Rom der Tod ereilen würde.

984 wurde daun hier die Neichsfürstcnversammlnng abgehalten, die den vierjährigen Otto III. zum Kaiser kürte. Dem letzten Sachsenkaiser Heinrich II. war die Erweiterung der Stadt sehr am Herzen gelegen, doch auch unter den ihm folgenden Saliern genoß Goslar alle Gunst und Vorzüge des Herrscherhauses. Konrad II. gründete die Pfalz, die sein Nachfolger Heinrich III. vollendete. Gleichzeitig ivurde auch der Dom erbaut, von dem heut nur noch das ehrwürdige Gemäuer der „Domkapclle" steht. Des Kaisers Gemahlin Agnes von Poitou errichtete in der Stadt das Stift St. Peter und gebar ihrem Gemahl auf der Pfalz de» Thronerben Heinrich IV. 1063 fand im Dom das fürchter¬ liche Blutbad zwischen Bischof Hcrilo von Hilüeshcim und dem Abt Widcradus von Fulda und ihren Reisigen statt — einer Rangstrcitigkeit wegen. Die geistlichen Herren hatten damals ein sehr lose in der Scheide steckendes Schwert an der Seite. 1065 brannte die Pfalz ab, wurde aber von Heinrich IV. glanzend wieder aufgebaut und diente ihm als ständiges Hoslager. Run kamen die schrecklichen Zwistigkeiten und Kämpfe gegen das Herrscherhaus und in diesem selbst. Heinrichs Gewaltthätigkeit seine Sittenlosigkeit und seine Charakterschwäche Er selbst erlitt seine herbste Demütigung in Canossa, rächten sich. und als er dann in Italien im Kampf gegen den Papst festgehalten war, wurden erst Rudolf von Schwaben, der aber 1080 in der Schlacht bei Merseburg siel, und dann Hermann von Salm-Luxemburg zum

steht es in seinen großartiger Maßverhältnisscn und wird hoffentlich noch lange stehen. Die Gemälde, mit denen die Wände des großen Kaisersaales ausgeschmückt sind, haben leider gar nichts von der monumentalen Größe des Hauses. Durch einen Verbindungsgang ge¬ langt man in die Hauskapellc, in der jetzt der Sarkophag mit dem Herzen Kaiser Heinrichs III. beigesetzt ist, der einst im Dom stand. Hinter der Kapelle im Garten liegen die Grundmauern der kaiserlichen Wohngcmächer zu Tage. Wo einst die langen gold- und seidengestickten Gewänder der kaiserlichen Frauen auf dem glatten Fließenboden schleiften, da sprießt nun frisches Grün aus allen Fugen. Was haben diese Kemenaten alles gesehen! Die schwere Sorge Kaiser Heinrichs, wildes Kricgsgcdröhn, aber auch zarte Minnelieder und höfisches Spiel, und dann die Vorbereitungen zu all den Festen und Reichstagen, die im großen Saal abgehalten wurden. — Es ist ein Zeichen schöner Pietät, daß das neu erstandene Reich die Wiedcraufrichtung der alten „villa regia“, des „rikes paleuze“ als ein Vermächtnis aufgesagt hat. Hier waren die Glanzstätten der „Kaiserstadt" Goßlar. Aber auch aus den Zeiten bürgerlichen Macht haben sich trotz schwerer Feucrsbrünste noch manche alte Zunft-, Gilde- und Wohnhäuser erhalten. Meist mit reichem, plastischem Schmuck, der bald in die Krag- und Eck¬ steine gemeißelt, bald in die Trag- und Fachwertbalken geschnitten ist, waren es keine „Kunstwerke" im strengen Sinne des Wortes. Der Humor, der dabei zum Ausdruck kommt, war teils fteiwillig, wie das „Dukatenmännchen" ani „Kaiserworth", und die „Butterhanne" am „Brusttuch", teils unfreiwillig; die Kaiserstatuen am „Kaiserworth", wirken auch heute noch auf die Beschauer.

zeichen,

*

*

Der Pfingstmorgen brachte eine Uebcrraschnng, die eigentlich keine war, da man das Faktum erwarte» konnte. Wo gestern beschauliche Stille geherrscht hatte und man in Ruhe sich ganz dem Zauber des Wiedererstehens der Vergangenheit hingeben konnte, war heut Menschen¬ gewühl und Lärm. Goslar ist ja auch eines der großen Einsallthore für die Harztouristen, und so kamen Züge aus Züge ans dem Bahnhof an und brachten ungezählte Psingstrciscnde. Der Mensch ist eben doch ein sehr eingebildetes Wesen, und so hatten mir unsere Idee der Pfingstharzreise für viel was Originelleres gehalten, als daß so viele daran auch denken konnten. Unsere jugendliche Spannkraft einerseits und die uns innewohnende Philosophie andererseits ließen uns aber diese eine der schwersten Enttäuschungen unseres Lebens überwinden. Jedenfalls war scheunige Flucht geboten. Zu Wagen also nach Ocker und dann ins Ockerthal und nach Harzburg. Mein Kamerad begann wieder eine Uebung im Kreuzverhör mit dem Kutscher unseres Wagens, die indessen ziemlich einseitig blieb. Endlich kam Ocker. Ein Jndustriestädchcn; Fabriken, Hütten, wieder Fabriken, und so geht's weiter noch 2 Kilometer ins Thal hinauf: Schmelzhütte, Goldscheidungsanstalt, Kupfer-Extraktionsanstall, Vitriolsiederei, Schwefelsäurefabriken, dann noch 6 Cellulosewerke und — last but not least — zwei Fabriken, in denen die „Seele der Landwirt¬

wird. Das muß man überwinden — aber dann kommt der Lohn. Düstere schwarze Tannenwälder, aus denen gigantisch durcheinander geworfene und übereinander getürmte Klippe» hoch auftageu. Da¬ zwischen schneidet sich dann immer das Flußbett ein, selbst ganz übersät mit riesigen Granitblöcken, vom Wasser schon ganz rund und blank

schaft" künstlich erzeugt ■

geschliffen. Zu unserem Glück waren wir allein. Die Erklärungen der ein¬ zelne» Klippen als „Zielen", „Madonna", „Großer Kurfürst", „Mönch und Nonne in sträflicher Umarmung", wurden uns also erst in Romkerhalle von mitleidigen Tischgenossen gegeben, wo sie ziemlich unschädlich war. Es reizt mich immer, meine gute Erziehung zu vergessen, wenn ich mich an den abenteuerlichen Linien so eines Felsgeschiebes und Ge¬ trümmers, an den stimmenden Farbkontrasten der Gesteine, der dunkeln Tannen, des frischen Grüns am Boden satt zu schauen suche, und es doch nie werde, und dann plötzlich höre: „Sehen Sie, da links die Steinwand, das ist der Kopf Napoleons — sehen Sie, ganz genau das

Profil!" —

Drei Stunden Waldwanderung und daun „Harzburg".

Radaufall bei Harzburg. Gegenkönig gewählt. Dieser wurde sogar aus der Pfalz in Goslar 1082 gekrönt. Unter Heinrich V. erlebte Goslar wohl seine glänzendste Periode als „Kaiserstadt". Reichsversammlung folgte auf Rcichsvcrsammlung mit all dem Leben, den Turnieren und Festen, die sie mit sich brachten. Auch unter Lothar von Sachsen 1134, unter Konrad III. 1l43, unter Friedrich I. Barbarossa 1154 gab es Reichs¬ versammlungen. Aber bald begannen die schweren Fehden zwischen Welsen und Ghibellincn. Gerade die Goslarsche Bogtei war ei» Zank¬ apfel zwischen Friedrich I. und Heinrich dem Löwen. 1186 sand noch einmal Reichstag statt, aber am 15. Juni 1206 siegten die Welsen, und Goslar hatte eine furchtbare Plünderung zu erleiden. Bon nun an vernachlässigten die Kaiser die Stadt. Wilhelm von Holland war 1253 der letzte, der hier gewesen ist. Aus dem Kaiserblick, dem großen freien Platz vor dem Kaiserhause, standen wir und schauten hinab in das von Sonnenschein überflutete Gewirr von Mauern, hoben, spitzen Giebeln, steilen Schieferdächern, die mit ihrem Blaugrau das Bild der Stadt ganz eigenartig machen. Ueber das alles ragen die hohen Türme der Jacobikirchc und Stephani¬ kirche und das Turmpaar der uralten Marktkirche. Wir fühlten das Leben des Mittelalters um uns; denn viel anders kann die Stadl danials nicht ausgesehen haben. Zwischen all dem ehrwürdigen Gemäuer aber sprießt das Frühlingsgrün, und der Bllucuichuee breitet sich über die Zweige der Obstbäunie. Und .nun neben uns der erhabene Bau des Kaiserhauses mit seiner Bort rrasse. Tie bauliche Restaurierung ist wahrhaft glänzend. Ein herrisches Wahr¬

Als wir's

zuerst unter uns liegen sahen, hatte sich unser schon seit einiger Zeit jene gewisse Schweigsamkeit bemächtigt, die sich gegen Ende größerer Wege und Anstrengungen einzustellen pflegt, weil wohl alle Kräfte und Gedanken nur auf das Ziel gerichtet sind. Eine lange Kette freundlicher Häuschen im Chälctstil an einer sich aus der Ebene ins Thal hinauswindenden Straße, das ist Harzburg. Freundlich — heiter — lebendig. Als wir hinabstiegen, sahen wir mehr und mehr, daß es die größte Aehnlichkeit mit einem der die Riesenstädte umziehenden Villenvorortc hatte. Auch die obligaten, so bekannte» Schilder „Sommer¬

wohnungen zu vermieten ' waren allenthalben ausgehängt. Wäre nicht der hochaufragende Burgberg und die weitere Bergkette gewesen, man hätte sich nach Wannsee versetzt geglaubt. Anders stell' ich mir aller¬ dings das elegante Modebad Harzburg vor, wenn es erst Saison hat, wenn die Rennen abgehalten werden. Heute durchflutete die Menge der Touristen die Straßen, die mit der beim Durchschnitts-Rorddeutschen vom Reisen wie es scheint unzertrennlichen Uneleganz angethan, dem ganzen Bild etwas sehr wenig Modernes, Wellbadmäßiges gaben. Ganz anders muß es sein, wenn die rauschende Seide der Toiletten über den Kies schleift, wenn tadellos gekleidete Herren und spitzcnumrauschte Damen sich um die Kurmusik sammeln und dem kleinen und großen Flirt obliegen, wenn die mail coaches die Alleen entlang rolle» und die scharsgeschnittenen, sonnengcbräunten Gesichter der Sportsmen und der Sportswomcn der Rennbahn entgegen eilen oder auf den Rasenplätzen um das große, elegante Aktienhitcl herum die Tennisbällc springen lassen. Ich schlug meinem Reisegenossen vor, noch den Burgberg zu er¬ steigen, er aber erklärte, daß mau die Hochtouristik nie zur Kraxelei und Bergfexcrci ausarten lassen müsse. Und so schleuderten wir auf bequemem Wege an der hurtig über Stock und Stein eilenden Radau entlang, durch dichten Tannenforst zum Wasserfall.

Vierund,zwanzig Meier hoch stürzt der Gicstbach mit tollem Gcbransc, Klatschen und Zischen herab. Man mag ihm nicht grollen, das; er „künstlich" durch eine Ableitung der Radau zu dieser Stelle ent¬ standen ist. Daß auch der leibliche Mensch der durch vielleicht zu angestrengten Naturgcnuß eingebüßten Kräfte nicht dauernd verlustig gehe, sondern sie gleich wieder ersetzen könne, dafür sorgt das Gasthaus am Radau¬ fall. Uns brachte cs aber auch noch eine Uebcrraschung; denn baldigst erschauten wir in dem pfingstlichen Menschengewühl vor seiner Thür unsere Eisenbahngcnossen: „Mama und Papa", mit ihnen aber waren drei Mädchenknospen in der ganzen Lieblichkeit ihrer siebzehn bis achtzehn Lenze, wie Bruno gewissenhaft und poetisch zugleich feststellte. Welche von den dreien war aber nun Frieda? Wir brachen beinahe gleichzeitig mit ihnen auf, holten sie bald au' dem Rückweg nach Harzburg ein und wurden von Papa vorgestellt, nachdem er durch Nennung seines Namens uns gezwungen hatte, auch unser Inkognito zu verlassen. Der Mann wußte offenbar zu erreichen, was er sich vornahm, das merkte man daraus, wie er dieses Manöver „deichselte", um einen seiner Lieblingsausdrücke zu brauchen. (Fortsetzung solgt.)

Berliner Chronik. Am 8. Juni starb Hierselbst der Landschaftsmaler Professor Otto v. Kamele. Der Verstorbene wurde am 2. Februar 1826 zu Stolp in Pommern geboren,' er gehörte bis 1862 dem Offizierstande an. 1862 hezog er die Kunstschule zu Weimar, wo Vöcklin und Graf Kalckrcuth seine Lehrer waren. Die Berliner National-Gallcrie besitzt voll Kamele, dessen Spezialität das Hochgebirgsbild war, das Gemälde die „St. Gotthardstraße". Die Beerdigung des Künstlers erfolgte auf dem Kaiser Wilhelm-Gedächtnis-Kirchhof zu Westend. Am 11. Juni starb im 62. Lebensjahre Landgerichtsdirektor Friedrich Wallmüller. Er war in Berlin 24 Jahre als Richtcr im Amt, seit 1891 als Direktor des Landgerichts I. Am 11. Juni waren 200 Jahre seit der feierlichen Einweihung der Akademie der Künste verflossen. Am 11. Juni starb der Bildhauer Gustav Adolf Landgrebe. Er wurde am 27. Dezember 1837 zu Berlin geboren, besuchte 1853—1858 die hiesige Akademie, errang 1865 den großen Staatspreis, der ihm eine Studienreise nach Rom ermöglichte. Für die Berliner NationalGalerie schuf Landgrebe in den Skulpturenpfeilern des ersten Geschosses mehrere Medaillons in Stuck, welche die Entwickelung der griechischen Bildhauerkunst darstellen. Von den weiteren Werken Landgrebes ver¬ dienen seine Statuetten von Beethoven, Mozart, Hans von Bülow und sein Relief die Apotheose Kaiser Wilhelms I. Hervorhebung. Am 12. Juni starb vr. Paul Vogelgesang, Oberarzt der städtischen Heilanstalt in Wuhlgarten, im 42. Lebensjahre. Am 18. Juni starb Oberrabbiner vr. Hildesheimer, ein hervor¬ ragender rabbinischer Gelehrter: er war der Führer der strenggläubige» jüdischen Gemeinde in Berlin. Am 14. Juni starb Peter Ludwig Hertel, der Komponist der Ballette „Satanella", „Flick und Flock", Sardanapal", „Fantaska" und „Die Jahreszeiten". Hertel wurde ane 21. April 1817 zu Berlin ge¬ boren. Im Jahre 1850 wurde er an die Berliner Königliche Oper berufen und gehörte derselben als Dirigent der Balletmusik bis zum Die Hertelschen Ballet-Kompositionen zeichnen sich 1. April 1893 an. durch ansprechende Melodie und flotte Instrumentation aus. Einige seiner Tänze erfreuten sich früher großer Beliebtheit. Am 15. Juni starb der Amtsgerichtsrat Johannes Hartmann im 64. Lebensjahre: er war seit 25 Jahren in Berlin als Richter thätig, zuletzt am Amtsgericht I. Am 16. Juni feierte Professor Adolf Henning das Jubiläum der 60 jährigen Mitgliedschaft der königlichen Akademie der Künste. Ter Künstler war erst 30 Jahre alt, als ihn diese Körperschaft in ihre Mitte aufnahm: jetzt ist er das älteste Mitglied der Akademie. Dr. rn eck. Georg Salomo», Privat-Dozeut der Berliner Uni¬ versität, ist zum Professor ernannt worden. Seine Hauptgebiete sind innere Medizin und medizinische Chemie. Dem ersten Rektor der technischen Hochschule, Professor Hermann Wiebe (gest. 1881), soll in dem Süulenhose der technischen Hochschule eine Marmorbüste gewidmet werden. Die Berliner Schlosser-Innung hat zum Gedächtnis des Fürsten Bismarck, ihres verstorbenen Ehrenmeisters, einen eisernen Kranz angefertigt, der im Sterbezimmer in Friedrichsruh einen dauernden Platz gesunden hat. Zum vierten Geistlichen an der Gethsemanekirche wurde Kandidat

Rewald gewählt. Auf dem Gcorgenkirchplatz wurden

bei der Beseitigung der Fundamente der alten Georgenkirche zahlreiche menschliche Schädel und Gebeine, sowie Reste verfallener Särge, gefunden. Au der Berliner Universität sind für das Sommer-Semcster 4997 Studierende immatrikuliert (gegen 4648 im Vorjahre). Von diesen gehören 324 der theologischen, 1470 der juristischen, 1093 der medizinischen und 2110 der philosophischen Fakultät an. Die Technische Hochschule umfaßt gegenwärtig 2284, die Bergakademie 140, die Land wirt¬ schaftliche Hochschule 249 und die Tierärztliche Hochschule 477 Studierende.

Märkische Chronik. Der Kaiserturm im Grunewald. Aussichtsturm im Grunewald dem

Am 10.

Juni wurde

der

Publikums frei¬ Ter Turm steht an der Straße von Schild Horn nach gegeben. Wannsee auf dem Karlsberg, dem höchstem Gruncwaldhügel. Er Besuch

des

Baurates Schmechten, der ihn in den Jahren 1897 und 1898 im Auftrage des Kreises Teltow erbaute. Der Turm ist in den Formen märkischer Backstcinbauten gehalten und erhebt sich auf einer aus Kiesbcton hergestellten Fundamentplatte zu einer Höhe von 55 m über der Bodenflächc und 105 in über dem Spiegel der Havel. Unten wird der markige Luginsland von kräftigen Ecktürmen flankiert, oben schließt der Turm mit einer offenen Laube ab, die von reizvollen Giebeln und einem massiven Helme gekrönt wird. Von dieser Laube, zu der eine bequeme, helle Treppe mit zahlreichen Podesten führt, genießt man eine herrliche Aussicht über die blaue Havel und ihre reizvollen Ufer. Bei klarem Wetter kann man die Reichstagskuppel und die kupfernen Domkuppeln in Berlin, die Kaiser Wilhelm Gedächtnis¬ kirche in Charlottenburg, die Haupt-Kadettenanstalt in Groß-Lichterfelde, den Nikolai-Kirchturm und den Pfingstberg in Potsdam erblicken. Tie im Erdgeschoß angelegte Gedenkhalle wird eine Büste oder ein Stand¬ bild Kaiser Wilhelm l. aufnehmen. Tie beiden Inschriften an den großen Flächen des Turmes lauten: „Der Kreis Teltow baute mich 1897 — König Wilhelm I. zum Gedächtnis." Das Wappen auf der der Havel zugekehrten Seite zeigt den roten brandenburgischen, das andere auf der der Chaussee zugekehrten Seite den schwarzen preußischen Adler. Ncu-Ruppin. Am 15. Juni feierte das hiesige Seminar sein 25jähriges Bestehen. Dasselbe wurde 1874 mit zwei Lehrern und 24 Seminaristen eröffnet und zählt gegenwärtig 11 Lehrer nnd 124 Seminaristen. Spandau. Die vor 50 Jahren erbaute katholische Marienkirche soll durch einen Neubau ersetzt werden. Der Eutwurs für denselben ist von Professor Hehl von der Technischen Hochschule angefertigt. Tie ist ein Werk des

Gesamtkostcn sind auf 540000 Mark veranschlagt, von denen die könig¬ liche Regierung zu Potsdam, die Patronin der Kirche ist, ein Drittel trägt.

Rixdorf. Zum zweiten Bürgermeister von Rirdorf wurde Siadirat Voigt in Danzig, zum besoldeten Stadtrat Bürgermeister Grainer in Luckenwalde gewählt. Charlottenburg wird sich ein neues Rathaus bauen, dessen Kosten aus vier Millionen Mark veranschlagt sind. Dahlem. Am 10. Juni wurde im neuen botanischen Garten das erste große Richtfest gefeiert: es wurden die beiden großen DirektorialGebäudc gerichtet, die an der Dahlemcr Chaussee liegen. Schöneberg bei Berlin. Zum Polizeidircktor von Schöneberg wurde Landrat Hammachcr in Ruhrort ernannt.

Vereins-Nachrichten. „Brandenburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Am Mittwoch, den 14. Juni, besichtigte die „Brandenburgia" den nunmehr vollendeten Sprectuunel zwischen Treptow nnd Stralau. Trotz des sehr ungünstigen Wetters hatten sich doch ungefähr 60 Teilnehmer, Damen und Herren, auf dem Bauplatz der „Gesellschaft für den Bau von llutergrundbahncn" eingefundeu, um von hier aus unter Führung des Herrn Ingenieurs Rudloff den Tunnel zu durchschreiten. Im Treptower Park, ivelcher der Gesellschaft an dieser Stelle von der Stadt Berlin überlassen worden ist, befindet sich die Einfahrt, eine abwärtsgehcndc Ranipe mit Seitenmaucrn, welche nach einer Strecke von 40 Metern zum Tunncleingang führt. Der Tunnel stellt sich als eine 4 Meter hohe Röhre dar, welche nuten durch eine Zcmentschicht ab-

geplattet ist, auf der die Schienen für die Waggons und eine Abflnßrinne für das Regenmasser entlang laufen. Die Tunnelröhre ist aus

Eisenplatten zusammengesetzt, welche mit eineni 10 Centimeter starken Zementbewurf überzogen sind. Von der Rampe an senkt sich die Sohle des Tunnels bis zur Mitte der Anlage, um dann wieder in gleicher Steigung zum jenseitigen Ufer bei Stralau emporzugehen. An der tiefsten Stelle ist eine Pumpenanlage, um das in den Tunnel gestosiene * Regenwasser wieder zu entfernen. Hier steht man 12 Meter unter dem mittleren Wasserspiegel der Spree; der Tunnel ist 4 Meter hoch, die da¬ rüber befindliche Sandschicht 4,60 Meter und der Wasserstand der Spree 3,60 Meter. Auf der Stralauer Seite führt eine ähnliche, nur viel längere Rampe zur Dorfstraße hinauf; sie wird eingefaßt von gelben Futtermauern, die mit Granitfließen bedeckt sind. Auf dieser Seite be¬ findet sich auch das Depot der Gesellschaft für Untergrundbahnen, wo sich die vor kurzem eingetroffenen Waggons für die geplante Bahn vom Schlesischen Bahnhof nach Treptow hinüber befinden. Die Bahn wird für elektrischen Betrieb mit Oberleitung eingerichtet werden und auf den Straßen zweigleisig, im Tunnel eingleisig sein. In letzterem ist an der oberen Wölbung eine Leitschiene für den elektrischen Lürom angebracht; an diese legt sich eine entsprechende Vorrichtung auf dem Verdeck der Waggons an. Die elektrische Kraft wird von der Station der Berliner Elektrizitätswerke in der Spandauerstraße bezogen. In der Wagenhalle gab Herr Ingenieur Rudlof.f an der Hand von Zeichnungen ausführliche Erläuterungen über die Art der Bau¬ ausführungen. Der Anfang mit dem Bau des Tunnels wurde anläßlich der berliner Gewerbeausstellung von 1896 gemacht, um den Zweiflern zu zeigen, daß auch im märkischen Sande solches Werk zustande kommen könnte. Dann blieben die Arbeiten ei» und ein halbes Jahr lang liegen, bis ein Uebereinkommen mit dem Magistrat von Berlin getroffen war; hierauf wurde der Tunnel in etwa acht Monaten vollendet. Die Ausführung erfolgte durch bergmännischen Vortrieb, wobei man einen äußerst finnreich erdachlen Apparat benutzte. Derselbe bestand aus einer eisernen Röhre, deren Durchmesser größer als der des Tunnels war, und welche vorn schräg abgeschnitten und hier durch eine eiserne Quer¬ wand abgeschlossen war. Dieser sogenannte „Schild" wurde durch 16 hydraulische Pressen in das Erdreich hineingetrieben und darauf durch einige in der schrägen Vvrdcrwand befindliche Klappen das gelockerte Material hineingenommen und durch einen Schleuseuranm in einen dahinter befindlichen, mit Preßluft gefüllten Arbeitsraum befördert. Ein zweiter Schleusenraum vermittelte am anderen Ende den Verkehr mit der Außenwelt. Sämtliche Räume waren elektrisch erleuchtet und telephonisch mit einander und mit der Baustelle verbunden. Hatte man de» Sand vor dem Schilde entfernt, so wurde derselbe um 60 Centinieter vorwärts getrieben und dann die Kolben der Pressen zurückgezogen; hierdurch wurde am hinteren Ende des Schildes, das etwas über das Tunnelrohr übergriff, ein freier Raum hergestellt, in welchem nun mit der Aufstellung eines weiteren Tunnelringes vorgegangen werden konnte. Das eiserne Tunnelrohr besteht nämlich aus einzelnen 60 Centi¬ nieter breiten Ringen, die wiederum aus neun Platten von 10 Centi¬ nieter Dicke zusanimengesetzt sind. Die einzelnen Ringe wurden durch Schraubenboizen mit einander verbunden und durch eiserne Rippen gestützt; der Zwischenraum zwischen Tunnelmantel und Erdreich wurde durch Einstampfen voii Cement ausgefüllt. Diese äußere Cementumhüllung, wie der innere Ceinentbewurf sollen sowohl ein Rosten der Eisenplatten wie auch ein Undichtwerden des Mantels verhüten. In der geschilderten Weise wurde der 350 Meter lange Tunnel unter der Sohle der hier 200 Meter breiten Spree langsam, aber ohne jeden Unfall, durchgebohrt. Tie Erbauung der Rampe auf dem Stralauer llfer und die Demontierung des Vortrieb-Apparates wollte man durch Tagebau vornehmen; bei Fertigstellung der Baugrube stellten sich aber so erhebliche Schwierigkeiten ein, daß man erst durch besonders abge¬ steifte Spundwände bis zu der Tiefe gelangen konnte, wo man die Betonschicht für die Rampe legen wollte. Dann erst konnte durch etage¬ weises Abbauen einer gnergezogeue» Spundwand der weitere Vortrieb des Schildes bewerkstelligt und seine Demontierung vorgenommen werden. Dieses anfänglich leicht erscheinende Werk hat demnach eine tüchtige Arbeit erfordert. Nachdem der Tunnel nunmehr fertiggestellt ist, bleibt nur noch der Ausbau der Gleise durch das Dorf Stralau übrig, dann kann der Betrieb auf der Bahnstrecke eröffnet werden. Sobald in Stralau die Kanalisation durchgeführt ist, wird das Gleis zwischen Tunnel und Stralauer Allee gelegt werden, und im August dieses Jahres wird voraussichtlich der erste Waggon unter der Spree entlang nach Treptow fahren.

Kleine Mitteilungen. Neue Juntu' in der Mark. In Guben wurden am Anfang Mai beim Abbruch eines Hauses am Zindelplatz zwei Pokale, drei Becher und ein Bronzebeil gesunden. Die Gegenstände waren in

einer Nische eingemauert und sind vermutlich als eins der bekannten Bauopfer zu berrachten. — Bei den Abbruchsarbeiten im Innern der Stadlkirche zu Zielenzig (Kr. Oftfternberg), welche einer durchgreifen¬ den Renovation unterzogen wird, wurden auf einer Empore eine Anzahl alter märkischer, polnischer und böhmischer Münzen gefunden und an der Nordwand ittehrere Bildwerke mit Inschriften in lateinischen Minuskeln aufgedeckt. Hinter dem Altare fand sich ein mit großen Buchstaben au die Wand gemalter lateinischer Vers vom ehemaligen Oberpfarrer M. Samuel Halle (1656), der den Wunsch aussprach, daß die Lehren Christi in dieser Kirche für alle Zeiten lauter und rein ver¬ kündet werden möchten. — Bei einer Exkursion des Märkischen Museums am 14. Mai wurde in Prenden (Kr. Riederbarnintj in Privatbesitz ein Fund aus der Steinzeit ermittelt, welcher bereits vor längerer Zeit auf der Feldmark des Dorfes, auf den sogenannten „Gersteplänen", beim Pflügen ausgeworfen tvurde. Es ist ein Depotfund, der aus vier Stücken besteht: einer keilförmigen Flachhacke von ea. 13 cm Länge, Beraiimwrtticher Redakteur: Dr. M.

golticnieaiui,

Meißeln von ea. 15 cm Länge und einer dach¬ Doppelart mit Durchbohrung von ungefähr 30 bis

zwei hobelförmigen

förmig gestalteten

32 cm Gesamtlänge; leider ist das letztere Stück an der Durchbohrung zerbrochen und nur eine Hülste erhalten. Die vier Steinwerkzeuge tragen den sächsischen Typus und sind aus Thonschiefer hergestellt. Alle zeigen eine seitlich schiefe Form, was nach Ansicht des Herrn Geheimrat Friede! daher rührt, daß man zu der Herstellung der Geräte Flu߬ geschiebe benutzte. Auf einer andern Exkurfion desselben Instituts am 28. Mai wurden auf der Unterseeinsel in der Nähe von Kyritz (Kr. Oftpriegnitz) zahlreiche slavische Urnenfcherben gesammelt, welche mannigfache Verzierungen — Wellen- und Zickzacklinien, Längsstriche und schnurartig hervortretende Bänder — aufwiesen. Die Insel ist schon lange als slavische Ansiedlungsstätte bekannt, mannigfache Funde befinden sich im Märkischen und im Königlichen Museum, einiges auch iu der Sammlung auf dem Rathause in Kyritz. — Ein sehr wichtiger Altertums fund wurde gegen Ende Mai in der Altmark auf dem rühm¬ lichst bekannten Urnenfelde auf der Rebenstorfer Feldmark in der Nähe von Salzwedel gemacht, indem man dort bet Ausgrabungen, außer anderen 80 meist wohlerhaltene Urnen, in einer Tiefe von einem halben Meter eine sogenannte „Fensterurne" zu Tage beförderte. Das Gefäß, welches mit Ornamenten verziert ist, hat auf dem Boden eine große, runde, mit Glas überdeckte Oesfnung und enthält Knochenüber¬ reste. Bisher hat man nur zwei ähnliche Urnen vor etwa 30 Jahren gefunden, welche sich in den Sammlungen zu Salzwedel und zu vr. G. Albrecht. Lüneburg befinden.

Eino Gedenktafel für den russischen Komponisten Glinka Juni an dem Hause Französische Straße 8

ist, wie schon erwähnt, am 1.

angebracht worden. Die auf Veranlassung der Schwester des Kom¬ ponisten gestiftete Tafel ist in zwei Exemplaren in der Höhe des ersten Stockwerkes befestigt und zeigt in deutscher und in russischer Sprache die Inschrift: „In diesem Hause lebte und verschied am 3./16. Februar 1857 der russische Komponist Michael Glinka." Der Tonkünstler wurde am 1. Juni 1804 zu Nowospask bei Selna im Gouvernement Smolensk geboren und widmete sich nach seiner Er¬ ziehung im Petersburger Adelsinstitut der Musik, in der er hauptsächlich durch den Violinisten Böhm unterrichtet wurde. Nach längerem Auf¬ enthalt in fiemden Ländern, besonders in Italien, wo er sich 1830 bis 1834 in mannigfachen Kompositionen versuchte, kam er auch nach Berlin und fand hier in dem Musiker Dehn den geeigneten Lehrer, welcher ihn zu Kompositionen in der national-russischen Mufik ermutigte. Gleich der erste Versuch, den Glinka mit der Oper „Das Leben für den Zaren" machte, gelang über Erwarten gut; die 1836 zum erstenmale ausgeführte Oper eroberte sich die Herzen des russischen Volkes und wurde die Nationaloper der Russen. Auch die folgende Oper „Ruslan und Ludmilla", welche nach einem Werk von Puschkin bearbeitet ist und im Jahre 1842 erschien, hat sich in Rußland dauernd aus dem Repertoire erhallen. Von Glinkas Kompositionen sind in Deutschland außer den erwähnten Werken noch eine „Ouvertüre über spanische Weisen" und die „Kamartnskaja", ein Varialtonsiverk für Orchester, bekannt. Nach mehrjährigen Reisen in Spanien und Frankreich, wo namentlich Berlioz stark auf ihn einwirkte, kam Glinka 1856 wieder nach Berlin, um bei Dehn weiter zu studieren. Bei diesem Aufenthalt ereilte ihn in dem genannten Hause am 3. (15.) Februar 1857 der Tod; seine Leiche wurde nach Petersburg gebracht. Glinka ist in der ntusikalischen Welt Rußlands hochgeachtet, und aus diesem Grunde hatten sich verschiedene bedeutende Musiker, meist Schüler des Tonkünstlers, zu der Einweihungsfeier eingefunden. Am Abend desselben Tages fand im Beethoven-Saal unter Leitung des Komponisten Mili Batakirew ein Konzert statt, in welchem ausschließlich Werke von Glinka zur Auf¬ führung gelangten. Nut 17. Juni vor 30 Jahren wurde der Kriegshafen Wilhelms¬ haven durch den König Wilhelm I. eingeiveiht. Am 20. Juli 1853 hatte die preußische Regierung dem Großherzogtnm Oldenburg zwei Landstreifen ant Jadebusen abgekauft, davon am 23. November 1864 Besitz ergriffen und am 18. Juli 1855 einen Kriegshafen anlegen lassen. Gleichzeitig mit dem Hasen entstand eine Militärkolonie, die sich zu einer Stadt — der jüngsten des deutschen Reiches — entwickelte. Außer dem Kriegshafen wurde auch ein Handelshafen angelegt. D. Am 19. Juni vor 75 Jahren starb der alte Nettelbeck. Aus seinem durch eine Selbstbiographie bekannten Leben heben wir hier nur einen interessanten Punkt hervor. Nettelbeck beabsichtigte, in Süd¬ amerika zwischen Surinam und Berbiee eine preußische Kolonie anzu¬ legen. Er legte einen Plan Friedrich dem Großen vor, erhielt aber keine Antwort. Dadurch ließ er sich nicht irre machen, sondern eriveiterte seine Idee noch durch die einer preußischen Niederlassung an der Küste von Guinea, wo ja schon hundert Jahre früher der Große Kurfürst festen Fuß gefaßt hätte, und von wo aus die neue Kolonie mit schwarzen Arbeitern hinreichend versorgt werden könnte. Er überreichte ein daraus bezügliches Memorial Friedrich Wilhelm II. in Köslin auf seinem Wege zur Huldigung in Königsberg und erhielt nach einigen Wochen den Bescheid, „daß Se. Majestät für den entworfenen Plan zu einer Seehcmdluug nach Afrika und Amerika auf Hüchdero eigene Rechnung zwar nicht entrieren möge, inzwischen die gemachten Vorschläge der Seehandlungs - Sozietät zugeserftgt und denselben überlassen habe, ob sie darauf sich einzulassen ratsam finde". Dann ging von dem König!. Prenffuch-Pommerschen Kriegs- und Domänen - Kammer - DeputationsKollegium zu Köslin der Bescheid ein, „da Se. König!. Majestät geruht hätten, ans jene Vorschlüge nicht zu reflektieren, so könne auch besagtes Kollegium sich at:f das weit aussehende Handelsprojekt nicht einlassen." Späterhin brachte Rettelbeck in Erfahrung, daß die Engländer ihm zuvorgekommen und in Südamerika zwischen Surinam und Berbiee eine Kolonie angelegt hätten. Trotzdem kam er im Jahre 1814 noch einmal auf seinen alten Kolonienplan zurück und schlug Gneisenau vor, Preußen solle sich von dem gedemütigten Frankreich eine Kolonie ab¬ treten lassen. Auch damit hafte er keinen Erfolg.

Berlin. — Truck und Setlag: Friedrich Schirmer, Berti» SW., Neuenburger Straf:

lia.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Sormavend, 1.

Ar. 36.

Juli 1899.

Gpfev öes Mev^eys. Berliner Roman von

--—---

(Fortsetzung.)

mit den vollen Schultern zuckend, wandte sich die Justizrätin ab. Aber ein Blick ihrer Augen hatte Ewald

erächtlich

und

sich

getroffen, daß er erschreckt und plötzlich ernüchtert aussprang grüßend verbeugte.

Die Justizrätin ignorierte den Gruß.

(D. Elster.

„Was wollen Sie? — Ich kenne Sie nicht —" stieß er hervor. Der Zählkellner trat heran und legte beschwichtigend die Hand aus die Schulter des jungen Künstlers.

„Fassen Sie mich nicht an!" rief „Ich muß bitten, mein Herr

..."

dieser.

— Koke Forelle. „Eine Pfingstsahrt in den Harz.")

Ilfenburg (Zum Artikel

„Brunhild, komm — es ist die vor Zudringlichkeiten nicht sicher." . .

höchste

Zeit — man

ist hier

Die Worte trafen Ewald wie ein Peitschcnschlag. Das Blut ihm in die Wangen. Er taumelte vorwärts. „Gnädige Frau ich — muß bitten —" stieg

...

Die Justizrätin erhob abwehrend die Hand. In demselben Augenblick stand auch schon Leutnant von Osteroth au ihrer Seite.

„Ich rate Ihnen, mein Herr,

sich

„Ewald, Junge, sei doch verständig!" legte zog Ewald zu ihrem Tisch zurück.

sich

Jasper ins

Mittel und

anständig zu betragen und

Damen nicht zu belästigen." Drohend traf sein Blick das erhitzte Antlitz Ewalds.

„Kennst Du denn die Olle?" fragte eines der Mädchen, während die anderen

„Darf

laut lachten. ich

Ihnen meinen Arm

reichen,

gnädige Frau?"

.

.

.

fragte Bernd. „Richt nötig, Herr Leutnant. Bitte, reichen Sie meiner den Arm — Brunhild, nimm den Arm des Herrn Leutnants. — Kellner, ich bitte — einen Wagen."

Tochter

Der Kellner flog davon.

406

Man

Das war ein häßlicher Die Väter brummten in den Bart von kolossaler Unverschämtheit — nicht einmal im Cafs Bauer wäre man vor Insulten geschützt — der Zählkellner entschuldigte sich — eine ganze Schar von Kellnern geleitete unter tiefen Bücklingen die Gesellschaft zur Thür. Fast ohne zu wissen, was sie that, nahm Brunhild den Arm Bernds. Sie mußte sich fest auf ihn stützen, um nicht zu Boden Abschluß

brach so rasch wie möglich auf.

des

schönen vergnügten Abends.

In

zu sinken. ihren heiligsten Empfindungen fühlte sie sich ver¬ letzt — die Welt versank um sie her — noch fand sie nicht ihren Stolz und ihre Würde wieder, um den Schlag zu überwinden, der ihr Leben, ihre Liebe getroffen. „Wie Sie zittern, Fräulein Brunhild!Fürchten Sie nichts

mehr — ich würde den frechen Schlingel gezüchtigt haben, wenn er gewagt hätte, Sie zu beleidigen." — Wie aus weiter Ferne klangen ihr diese Worte Bernds. Aber sie fühtte dennoch die Schmach, welche für sie in diesen Worten lag. Die Thränen stürzten ihr aus den Augen. „Gnädiges Fräulein — Brunhild — beruhigen Sie sich! — — ich beschwöre Sie — ach, ich kann Sie nicht weinen bitte Ich sehen! Vergessen Sie doch den unwürdigen Auftritt . . . stützen Sie sich fest auf meinen Arm." . . . Müde und matt fühlte sie sich. Wie eine Wohlthat empfand sie die Kraft des Mannes, auf die sie sich stützen konnte. Sie schloß die Augen und ließ sich von Bernd zu dem schon wartenden Wagen geleiten. Er half den Damen beim Einsteigen. Erschöpft sank Brunhild in die Ecke des Wagens zurück. Die Justizrütin reichte Berud die Hand. „Haben Sie Dank für Ihr männliches Eintreten, Herr von Osteroth, und vergessen Sie nicht: Sonntag zum Diner. Auf Wiedersehen." „Auf Wiedersehen, meine Damen." . .. Und der Wagen rollte davon.

5. Ewald Brünner

Kaxitrl.

halb angekleidet ans dem Rand seiner einfachen Lagerstatt, die Stirn in die Hände gestützt und sann über die häßliche Szene der verflossenen Nacht im Cafö Bauer nach. Wie eigentlich alles gekommen, er wußte es selbst nicht zu sagen. Ratlos blickte er sich in seinem kleinen Atelier, das zu¬ gleich Wohn- und Schlafzimmer bildete, um. Was er erblickte, war gerade nicht sehr tröstlich. Große Un¬ ordnung herrschte in dem engen Raume, die die Bezeichnung „künstlerisch" nicht verdiente. In einem Winkel stand das be¬ staubte Gipsmodell seiner Eva, auf dem Haupte einen alten Strohhut Ewalds vom letzten Sommer tragend. Auf einem rohgearbeiteten Regal lagen einige kleinere halb¬ fertige Arbeiten Ewalds umher, mehrere verstaubte Gipsmasken, Hände und Füße hingen an den getünchten Wanden oder lagen zerbrochen in den Winkeln und auf der Drehscheibe- in der Mitte des Ateliers, stand, von nassen Tüchern verhüllt, eine an¬ gefangene neue Arbeit, mit der er sich jedoch schon seit Wochen nicht beschäftigt hatte. Ein mit allerhand Utensilien bedeckter Tisch, der nicht mehr ganz sicher auf den Beinen stand, ein wurm¬ stichiger Lehnstuhl, einige Holzschemel und einige bunte, vergilbte Lappen an den Wänden bildeten die Ausstattung dieses seltsamen Künstlerateliers. Eine schmale, steile Treppe, einer Leiter nicht unähnlich, führte zu einem nur durch ein sehr kleines Fenster erhellten saß

Hängeboden, der Ewald zum Schlafgemach diente. Durch eine vergilbte Gardine konnte dieser Hängeboden von dem Atelier ge¬ trennt werden. Aber Ewald gab sich nicht mehr die Mühe, diese Gardine vorzuziehen' wer in sein Atelier kam, der durfte auch schon einen Blick in die „inneren Gemächer des Hauses" werfen.

Aus seinem Grübeln wurde Ewald durch lautes Pochen an der

Thür aufgeschreckt, die direkt auf den Hof des Gebäudes führte. „Wer ist da?" fragte Ewald mürrisch. „Halloh, alter Junge, schläfst Du denn noch?" „Ah, Jasper, Ihr seid's! Die Thür ist nicht verschlossen,

tretet nur ein."

Die rundliche, behagliche Gestalt des jovialen Bildhauers in die Thür und stellte sich breitbeinig vor die Treppe, welche zur Schlafstelle Ewalds emporführtc. „Glaubst Du etwa, mein Junge, ich sollte das Wagestück schob sich

unternehmen, diese Hühnerstiege hinaufzuklimmen, um die Ehre zu haben, Dir die Hand zu schütteln? Wenn Du mein Freund bist, so steig lieber selbst von Deinem Olymp zu mir staubgeborenen Sterblichen hernieder." Ewald erhob sich, warf ein altes Jackett über und kam langsam die Treppe herunter. „Guten Morgen, Jasper' was führt Dich schon so früh

mir?" „Früh nennt der Mensch die elfte Vormittagsstunde! — Aber wie siehst Du denn aus, Junge? Hast Du denn Deinen Rausch zu

noch nicht ausgeschlafen?"

„An den Folgen dieses Rausches, den ich Dir zu verdanken habe, werde ich wohl mein Leben lang zu tragen haben." „Na, na, nur nicht so tragisch. — Aber Du machtest mir heute morgen auf dem Heimwege schon einige dunkle Andeutungen wegen der Szene im Cafe — ich entsinne mich nicht recht mehr. Was zum Teufel trieb Dich denn auch, die alte Dame anzusprechen?" Ewald zuckte die Achseln. „Hast Du nichts Trinkbares?" fragte Jasper, sich in dem öden Raum umsehend. „Nein." „Nicht eine Tasse Mokka?" „Wenn Du einmal in dem Schrank da nachsehen willst —

Du noch Käffebohnen und etwas Spiritus." „Teufel, bei dir scheint's Matthäi am letzten zu sein. Ich will Dir was sagen, mein Junge, ziehe Dich einigermaßen ordent¬ lich au und komme mit mir zum Restaurant hinstber, dort wollen vielleicht findest

wir

frühstücken."

„Der Wirt pumpt mir nicht mehr." „Alle Wetter — wer spricht denn von Pumpen! noch bares

Ich habe

Geld."

„Gut, dann komme ich mit." Ewald kletterte wieder die Hühnerstiege empor, um

sich

an¬

zukleiden.

Der ältere Bildhauer blickte sich kopfschüttelnd in dem Atelier um. Tann nahm er die nassen Tücher von der Arbeit auf der Drehscheibe und stieß einen leisen Ruf der lleberraschung aus. Die Büste eines jungen Mädchens blickte ihm entgegen. Zu ihrer Vollendung fehlte nur noch wenig. Das Gesicht zeigte eine edle, reine antike Schönheit, ein Ausdruck leiser Melancholie lagerte über dem süßen Antlitz, und ein wehmütiger Zug schwebte um den reizend geformten Mund. Rur ein lockeres, feines Tuch bedeckte die jugendlich schwellende Brust, Schultern und Hals frei lassend, auf die das üppige Haar in herrlichen Locken niederfiel. Reben der Büste lag die Photographie einer jungen Dame, nach der die Büste entschieden gearbeitet war. „Man sollte es nicht für möglich halten," murmelte Jasper. „Dem Jungen muß geholfen werden „Sag' mal, Ewald," rief er dann laut, „was ist denn das für ein Meisterwerk, welches Du da in Arbeit hast?" „Spotte nur — die Arbeit einiger müßiger Stunden."

..."

„Porträt?" „Halb und halb." „Mir scheint, Du hast einen

künstlerischen Gedanken durch die

Büste ausdrücken wollen?" „Jawohl . . ." „Wie nennst Du die Arbeit?"

„Brunhild." „Ah, richtig. — Die trauernde Brunhild! — Sehr gut, mein Junge. Die Büste müssen wir ausstellen." „Das werden wir bleiben lassen," entgegnete Ewald, indem er jetzt fertig angekleidet aus seinem Boudoir uiedersticq. „Weshalb nicht?" „Weil ich nicht die Erlaubnis des Modells habe, die Büste auszustellen."

„Also doch ein Modell? nichts?"

Und

davon wissen

wir

anderen

407

„Cs ist kein Berufsmodell." . . Ewald ergriff die nassen Tücher und schlug ,

sie

wieder um die

Büste.

„Sprechen wir nicht mehr davon, Frühstück gehen," sagte er dabei.

sondern laß uns zum

„Wie Du willst." Sie traten auf den Hof des Gebäudes, das mit seinen Erkern, Zinnen und Türmen den Eindruck eines mittelalterlichen Schlosses oder eines Kunstmuseums machte. Und in der That, die Kunst hatte von diesem Gebäude völlig Besitz genommen. Man konnte es eine Künstlerkaserne nennen' denn vom Souterrain bis zum vierten Stock war das Gebäude

von Malern, Bildhauern und Musikern bewohnt. und spekulative Bauunternehmer hatte es nur

Der kunstsinnige für die Gemeinde der Kunstjünger erbaut und mit vielem Geschick jeder Wohnung ein größeres oder kleineres Atelier angefügt. Da waren große Ateliers für berühmte Künstler und kleine atelierartige Räume für angehende Maler und Bildhauer; prächtige Familienwohnungeu mit Balkons und Veranden und trauliche Garyonzimmer. Fan¬ tastische Erker und Zinnen schmückten die Fassade, die mit den Reliefs berühmter Männer geziert war. Der Hof glich einem mittelalterlichen Burghof, und selbst der Pförtner erschien in dem Kostüm eines mittelalterlichen Knappen.- Jeder dem Portal thronte Sankt Lukas, der Schutzheilige der Künstler, und Statuen und Büsten waren auf den Pfeilern der breiten Treppe angebracht. Selbst für das leibliche Wohl der Künstler hatte der kluge Baumeister gesorgt, indem er in den Parterreräumlichkeiten des Hofes eine Restauration eingerichtet hatte, wo die Kunstgenüssen gegen mäßige Preise speisen konnten.

Es herrschte ein fröhliches, munteres Leben und Treiben in Da drüben übte ein Musiker auf seinem Flügel einen Chopinschen Walzer; dort erscholl das lustige Pfeifen eines Malers, mit dem er seine Arbeit begleitete, und aus dem dritten Stock erklang der Jodler eines frohgelaunten, bayerischen Hauptmanns außer Dienst, der, wie das oft geschieht, den Degen mit Pinsel und Palette vertauscht hatte. Dazwischen erklang frisches Lachen von weiblichen Stimmen und ab und an das Gekläff eines Hundes. Der Pfiff der nahen Stadtbahn gellte herüber, und schnaubend und donnernd brauste ein Zug vorbei. Es hatte geschneit, und eine leichte Schneedecke bedeckte die Dächer und die steinernen Postamente auf dem Hofe, so daß sie wie von einem zarten, weißen Pelz umhüllt erschienen. Aus der Küche des Restaurants strömte ein würziger Geruch, und aus der Früh¬ stücksstube erscholl ein fröhliches Gläserklingen. Ewald atmete in der frischen, reinen Wiuterluft auf. Die Rächt mit ihren wüsten Szenen schien ihm ein häßlicher Traum; er konnte sich nicht vorstellen, daß er Bruuhild verloren haben dieser Künstlerkaserne.

sollte und vergaß den traurig-vorwurfsvollen und stolz-abweisenden Blick ihrer Augen. Der gute Kaffee belebte seine Geister aufs neue, und als er ein Gläschen vortrefflichen Kognak genossen, kehrte seine frühere Zuversicht zurück. Jasper hatte seinem jungen Freunde mit stillem Lächeln zu¬ geschaut. Als sich Ewald eine Cigarre angezündet und nachdenklich den blauen Ranchwölkchen nachschaute, legte er ihm die Hand auf den Arm und sagte: „Und nun beichte, mein Junge. Was war's mit der alten Dame und dem jungen, schönen Mädchen?" Und mit einemmale überkam Ewald eine heiße Sehnsucht danach, sich auszusprechen, und er erzählte mit fliegenden Worten und glühenden Wangen von seiner Liebe und seinen Hoffnungen. Während er sprach, kam ihm wieder zum Bewußsein, daß Brunbild Heiße ihm diese wüste Nachtszene niemals verzeihen würde. Thränen traten ihm in die Augen, er konnte nicht weiter sprechen und stützte die Stirn auf die Hand, die überquellenden Augen

verbergend.

„Beruhige Dich, mein Junge," entgcgnete der alte Bildhauer. „Wenn Dich das Mädchen wirklich liebt, wird sie Dir schon ver¬ zeihen. Du hast ja auch nichts Unrechtes begangen. Daß Du mit uns gezecht hast — nun, das ist doch kein Verbrechen."

„Du

kennst

Brnnhild nicht,

sonst würdest

Du nicht

so sprechen.

Alles Niedrige, alles Gemeine ist ihr bis in den Tod verhaßt.

Vor

wenigen Stunden hatte sie mir ihren reinen Mund zum Kuß geboten und jetzt — jetzt sah sie mich in jener Gesellschaft . . . ." „Na, die beste Gesellschaft war's freilich nicht," brummte Jasper, „und hol der Henker diesen Konrad Vollmar, daß er uns die Mädchen auf den Hals lud! Ich alter Narr hätte vernünftiger sein sollen. Aber wenn man, wie ich, seine sünfundvierzig Jahr unbeweibt sich durchs Leben geschlagen hat, dann wird man nach¬ lässig in solchen Dingen. Doch daran ist nun nichts mehr zu Jetzt heißt es wieder gut machen, was wir verfehlt" „Wenn ich nur wüßte, wie?" „Ich will Dir etwas sagen — das erste, was Du thun

ändern.

mußt, ist, daß Du Dich bei der Justizrätin entschuldigst. Ist die Mutter, versöhnt, dann wird auch die Tochter nicht unerbittich sein, und dann, mein Junge, mußt Du einmal energisch arbeiten, um zu beweisen, daß Du ein ganzer Kerl bist." „Ich habe keine Stimmung — die Gedanken zerflattern mir, wenn ich vor der Arbeit stehe." „Dummes Zeug! In Dir steckt etwas, ich hab's heute wieder an der Büste gesehen — also nun einmal fort mit allen Thor¬ heiten und an die Arbeit! Sei es, was es sei — meinetwegen eine Bacchantin oder ein Engel als Grabsigur — einerlei, nur Arbeit, Arbeit, Arbeit! Du siehst mich erstaunt an, mein Junge! Ja, ich bin nicht immer der cynische Spötter, der ich scheine. Ich habe arbeiten gelernt, und ich habe mein ganzes Leben lang ge¬ arbeitet. Auch ich habe meine Ideale gehabt — auch ich bin auf dem hohen Kothurn einhcrgeschritten und bin dabei fast verhungert. Da hab' ich denn für Steinmetzen und sonstige Handwerksleute gearbeitet, für Witzblätter gezeichnet und Ornamente für Möbel¬ tischler entworfen — und jetzt stehe ich auf eigenen Füßen, wenn ich auch nur Neger, Clowns und sonstige Fratzen modelliere. Also vorwärts, mein Junge — zuerst diese häßliche Geschichte durch ein offenes Geständnis und freimütige Bitte um Entschul¬ digung aus der Welt gebracht, und dann an die Arbeit!" Die muntere Art des alten Kollegen flößte Ewald neue Hoffnung ein. Roch ein Gläschen Kognak, und dann machte er sich auf den Weg, um sich bei Brunhildeus Mutter zu entschuldigen. Die Justizrätin war klug genug gewesen, über die häßliche Szene mit Bruuhild nicht mehr zu sprechen. Sie gab sich den Anschein, als ob sie die Sache bereits ganz vergesse» habe; sie ließ den Eindruck derselben allein auf Bruuhild wirken, sie kannte den stolzen Sinn ihrer Tochter, welche jene Szene als Erniedrigung empfinden mußte. Ganz zufrieden, daß es so gekommen, stand sie in ihrem Zimmer und stellte eben das Menü für das Diner am Sonntag zusammen, als die Zofe eintrat und ihr eine Visitenkarte überreichte. „Der Herr bittet die gnädige Frau sprechen zu dürfen." Mit Erstaunen und Entrüstung las die Rätin den Namen „Ewald Brünner". Diese Frechheit ging denn doch zu weit. Sie verdiente eine kategorische Zurückweisung. „Geben Sie dem Herrn die Karte zurück," sagte sie, indem ihr die Röte der Entrüstung in die Wangen stieg, „und sagen Sie ihm, daß ich für Menschen seines Schlages niemals zu sprechen wäre.

„Gnädige Frau . „Thun Sic, was

.

.

ich

."

Ihnen

wagen sollte, wieder zukommen,

Mit

diesen

Worten warf

sie

Wenn der Mensch eS rufen Sie den Hausknecht . . . ." der Zofe die Karte zu und wandte befehle.

so

wieder zu ihrer Arbeit. Mary kannte ihre Herrin, Widerspruch reizte sie nur noch mehr, und so nahm sie die Karte und teilte dem draußen harren¬ den Ewald so schonend wie möglich mit, daß die gnädige Frau ihn nicht empfangen wolle. Eine fahle Blässe bedeckte Ewalds Antlitz; er hatte durch die halbgeöffnete Thür die laute, heftige Stimme der Justizrätin gehört Er wurde fortgejagt wie ein und einzelne Worte verstanden. Bettler — sein Stolz empörte sich — bebend stand er da. Der Gedanke schoß ihm durch den Kopf, sich bei dem Justizrat melden zu lassen, aber sofort verwarf er ihn wieder; er wollte sich keiner neuen Demütigung aussetzen, und ohne dem Mädchen etwas zu erwidern, stürzte er davon. Ziellos irrte er in den Straßen umher. Noch eine Hoffnung hielt ihn aufrecht. Bruuhild hatte ihm versprochen, am Nachmittag sich

408

Wenn sie kam, dann konnte er gegenüber rechtfertigen, und ihr gerechter Sinn mußte ihm sich verzeihen. Er eilte nach der verabredeten Stelle. Es war noch zu früh, ruhelos wanderte er auf und ab — eine Stunde, zwei Stunden

in seinem ernsten, traurigen und bittenden Blick begegnete, da Stolz, und eine leise Sehnsucht schlich sich in ihr Herz, stets so sorgsam behütet, so zart und aufmerksam überwacht zu sein. Sie fühlte sich so müde, so kraftlos, daß sie sich nach einer kraft¬ vollen Stühe, daß sie sich nach einem Menschen sehnte, in dessen

— Brunhild kam nicht. Herz, er warf sich auf

Hände

in

den

Tiergarten zu kommen.

ihr

Ein furchtbares Wehgefühl zerriß sein in die

eine Bank, verhüllte sein Gesicht

Hände und blieb regungslos sitzen. Ein Schutzmann ging mehrere Male an ihm vorüber und beobachtete ihn scharf. Er machte den Eindruck, als ob er mit Selbstmordgedanken umginge. Der Schutzmann trat näher — da sprang er auf und floh davon. — Als am späten Abend Jasper seinen jungen Freund in seinem Atelier aufsuchte, um sich nach dem Erfolg seines Besuches bei der Justizrätin zu erkundigen, fand er Ewald vor der Büste Brun¬ hildes am Boden liegend, den Arm auf den Sockel der Büste gelegt, das Gesicht in die Arine geborgen und krampfhaft schluch¬ zend. Mit verstörtem Antlitz blickte er zu Jasper auf. „Sie hat mich verraten, in das Nichts zurückgestoßen," sprach er, die geballte Faust gegen die Büste ausstreckend, „ich werde mich rächen!"

6.

Raxiirl.

Die Justizrätin verstand es vortrefflich, ein feines Diner her¬ zurichten, das alle Delikatessen der Saison aufwies, ohne doch in seinen Genüssen überladen zu erscheinen. Dazu kam, daß die Weine des Justizrats die denkbar besten waren, so daß es kein Wunder war, wenn die kleine Gesellschaft, welche am Sonntag bei Justizrats versammelt war, in die behaglichste Stimmung geriet. Das runde Antlitz des kleinen Amtsgerichtsrats Mertens erglänzte in weinseliger Röte, während die Frau Amtsgerichtsrätin ganz ihre gewohnte steife Würde verlor und sogar zu den oft nicht ganz gesellschaftsfähigen Witzen ihres genialen Gatten lachte. Die Justizrätin war die Liebenswürdigkeit selbst, und der Justizrat machte in solch vornehmer und zuvorkommender Weise den Wirt, sich selbst klug und höflich zurückhaltend, daß jeder wenigstens der älteren Herrschaften an der kleinen Tischrunde glaubte, er sei die Hauptperson. Außer Amtsgerichtsrats war nur noch ein Kollege des Justizrats, ein etwas jüdisch aussehender Rechtsanwalt, 0r. Mandel, mit seiner stark dekollettierten, recht unbedeuten¬ den Gattin zugegen. Fron Or. Mandel glänzte vor allem durch ihre hypermoderne Toilette und ihr rotes Haar, das in einem dicken Wulst ihr nichtssagendes, aber blühendes Gesicht nmgab. Ein schwerer, goldener Pfeil hielt den üppigen Haarkuoten zusammen. Um den vollen Hals schmiegte sich eine mehrreihige Perlenkette, und den Ausschnitt ihres Kleides zierte eine blitzende Diamantagraffe. vr. Mandel hatte in letzter Zeit einige sensationelle Prozesse geführt und einen gewissen Ruf in der Juristenwelt erlangt. Mit den -Herren Staatsanwälten stand er freilich stets auf gespanntem Fuße, weil er sie in seinen PlaidoyerS scharf anzugreifen pflegte. Leutnant von Western und Elli saßen am unteren Ende des Tisches und glaubten sich vollständig unbeobachtet, wie das selt¬ samerweise bei Verliebten meistens der Fall ist. Sie trieben aller¬ hand verliebte Thorheiten, drückten sich unter dem Tisch die Hände und aßen ein Vielliebchen nach dem anderen. Natürlich bemerkte jeder in der Gesellschaft das verliebte Spiel des Pärchens) aber man ging mit stillem Lächeln darüber hinweg. Alles muß ja einmal einen Anfang haben und somit auch eine Verlobung. Still und in sich gekehrt saß nur Brunhild da. Nur mit Anstrengung vermochte sie es, auf die Scherze des Amtsgerichtsrat zu erwidern oder auf die höflichen Fragen des vr. Mandel zu antworten. Im stillen dankte sie jedoch Leutnant von Osteroth, ihrem Tischherrn, der taktvoll genug war, ihrer ernsten Stimmung Rechnung zu trage» und sie nicht mit banalen Tischgesprächen zu quälen.

Er

begegnete

ihr mit der

zartesten Aufmerksamkeit, sprach jeden Wunsch an de» Augen ab. Brunhild

nicht viel und las ihr cnipsand diese Rücksichtnahme sehr wohl; anfangs wollte sie sich verletzt fühlen, ihr Stolz empörte sich gegen das Mitleid, welches sie seinem Wesen ihr gegenüber zu verspüren meinte, doch als

sie

schwand der

getrost und sicher

sie

ihr

Schicksal legen konnte.

War Bernd von Osteroth dieser Mann? So fragte ihr Herz mit bangem Zweifel, und plötzlich hob sie das Auge in stummer Frage zu ihm empor.

Ihre gesprochen,

Blicke begegneten sich. Kein Wort wurde zwischen ihnen sie verstanden sich ohne Worte, und unwillkürlich fast

flüsterte Bernd: „Ich danke Ihnen, Brunhild . . ." und sie senkte leicht errötend das Haupt. Das Diner war zu Ende. Die Justizrätin hob die Tafel auf, und man begab sich in den Salon, wo Kaffee und Likör gereicht wurde. Gar bald zogen sich die älteren Herren in das Rauchzimmer zurück, um bei einem Glase Bier und einer echten Bock sich in ein juristisches Gespräch zu vertiefen. Die beiden jungen Offiziere blieben bei den Damen. Die Gesellschaftsräume der Justizrätin bestanden aus mehreren in einander gehenden Zimmern. An den Salon grenzte ein Musik¬ zimmer mit einem prächtigen Bechstein-Flügel, dann gelangte man in ein zierliches Boudoir und von diesem auf eine Loggia, die jetzt zum Wintergarten umgewandelt war. Trauliche Ecken und Erker waren überall gebildet; breit¬ blätterige Palmen breiteten ihre Fächer über den schwellenden Sitzen aus, und kostbare persische und indische Gewebe verhüllten die Erker und Ecken vor allzu neugierigen Blicken. Reizende Plauderwiukel waren geschaffen, in denen man ab¬ geschlossen von der Gesellschaft im traulichen Zwiegespräch sich ver¬ stecken konnte. Bruno von Western und Elli benutzten dann auch diese Gelegenheit und waren sehr bald in einem dieser Plauder¬ eckchen verschwunden. Lächelnd ließ man sie gewähren. Die übrigen Damen und Bernd begaben sich in das Musikzinuner. Frau Or. Mandel trug einige Lieder mit leidlicher Stimme aber mangelndem Verständnis und Gefühl vor; dann bat man

Brunhild, zu singen. Brunhild war jedoch nicht in der Stimmung. erkältet," wehrte

sie

„Dann spielen Sie etwas," bat man. noch besser,

„Ich bin etwas

ab.

„Sie

spielen

ja fast

als Sie singen."

Brunhild setzte sich an den Flügel und präludierte einige Augenblicke, dann ging sie in ein schwermütiges Notturno von Chopin über, das sie meisterhaft vortrug. Aufmerksam hörten die Damen zu, während Bernd am Flügel lehnte und in schweigender Bewunderung mit seinen Blicken an der schönen

Spielerin hing, die ihm heute rätselhafter denn je

erschien.

Nach der Beendigung des Notturnos spielte Brunhild weiter. sie sich dadurch doch am besten der Unterhaltung mit den

Konnte

anderen Damen entziehen. Diesen jedoch wurde das schweigende aus die Dauer langweilig. Sie begannen miteinander zu flüstern, dann zogen sie sich in den Salon zurück, wo sie sich ungeniert unterhalten konnten, ohne Brnnhilds Spiel zu stören. Brunhild und Bernd blieben allein zurück. Das junge Mädchen schien ihre Umgebung vergessen zu haben; sie spielte weiter — eine wilde, schwermütige Melodie, plötzlich brach sie ab und stützte das Haupt auf, die Augen mit der Hand Lauschen

beschattend.

Ein wehes Gefühl schlich sich in Bernds Herz. Er sah, daß Brunhild litt und vermochte ihr doch nicht zu helfen. „Fräulein Brunhild . . ." sprach er weich und bittend. Langsam erhob sie das Haupt und blickte ihn mit thränenschwercm Auge an. „Verzeihen Sie," sagte sie dann, wie aus einem Traum erwachend und sich erhebend. „Sie wollen mich wohl im Spiel ablösen?" „Ich spiele nicht, gnädiges Fräulein . . ." „Ach richtig, ich vergaß. Sie sind ja gänzlich unmusikalisch. Da habe ich Sie mit meinem Spiel wohl sehr gelangweilt?"

(Fortsetzung folg,.)

Berlin im Jahre 1799. Von

W. Wald. hnter den Zeitschriften, welche genau vor hundert Jahren in Berlin erschienen und vornehmlich sich die Aufgabe gestellt batten, über die wichtigsten Vorgänge in der Residenzstadt, das Leben und Treiben damaliger Zeit, Aufschluß zu geben, nimmt eine bedeutende Stelle ein: „Berlin. Eine Zeitschrift für Freunde der schönen Künste, des Geschmacks und der Moden. In Kommission bei Heinrich Frölich." — Der Herausgeber dieser Zeitschrift war Joh. Gottlieb Rhode. — Dem ersten Jahrgange 1799 ist ein „Plan", ein Programm, vorangestellt, dem wir entnehmen, daß die in zwangloser Folge erscheinenden Hefte der Charakteristik Berlins und seiner Einwohner dienen sollen. Der Herausgeber verhehlt sich nicht die Schwierigkeit seiner Aufgabe; denn, weist er auf die Vorzüge der Berliner hin, so wird man ihn der Schmeichelei beschuldigen. Andererseits, werden die Schattenseiten betont, so werden alle die, welche sich besser dünken, über Verleumdung klagen. Darum soll doch

i

ausschlagen läßt, so erstaunt man, in Berlin in den Häusern der ersten und reichsten Staatsmänner von alledem keine Spur zu finden. — Ferner, .wenn in London die Diode für jede Jahreszeit ein eigenes Ameublement notwendig macht, so sieht man in Berlin dasselbe simple Sofa, denselben Stuhl durch das ganze Jahr un¬ verändert stehen. Auch von der Tafel ist aller Luxus verbannt. Am deutlichsten verrät den Mangel an Reichtum der Umstand, daß öffentliche Lust¬ barkeiten, sobald sie mit größerem Aufwand verbunden sind, gänzlich fehlen. Maskeraden, Redouten und was sonst die langen Winter¬ abende angenehm macht, selbst öffentliche Konzerte, sucht man hier außer der kurzen Zeit des Karnevals vergebens. Aus diesen Gründen gefällt Berlin dem Fremden in der ersten Zeit seines Aufenthaltes nicht,' bleibt er indessen längere Zeit, so söhnt er sich mit den Verhältnissen völlig aus und ist endlich an diesen Ort mehr als an jeden anderen gefesselt. Der Grund davon

Taufllein bei Hohne. (Zum Artilel

„Eine Pfingstfahrt in den Harz.")

dem Herausgeber und seinen Mitarbeitern der Mut nicht sinken, und ihre „Feder wird keinem anderen Gott als der Wahrheit dienen." — Aus den einzelnen Abhandlungen des Jahrganges gewinnen wir folgendes Bild von ° Berlin und seinen Einwohnern: Die Zahl der Einwohner wird rund auf 150 000 angegeben. Jedem Fremden, der nach Berlin kommt und die Idee einer großen Residenzstadt mitbringt, muß nichts so sehr auffallen wie der Mangel an Luxus. Selten sieht man eine Equipage aus den Straßen. Alles fährt mit zwei Pferden, deren Geschirr höchst einfach gehalten ist. Auf dem Trittbrett hinten steht ein Bedienter' ein oder zwei Jäger zeigen eine Herrschaft vom höchsten Range an. Mit Vorliebe geht man zu Fuß. Damen, welche in London, Paris oder Petersburg nicht zu Fuß über die Straßen gingen, machen hier ohne Umstände Promenaden von Viertelmeilen mit und werden höchstens von einem Bedienten oder einem Mädchen

begleitet.

Hier in Berlin, wird weiter ausgeführt, giebt es keinen Palast, um welchen den ganzen Tag die Wagen der Besuchenden sich drängen; noch weniger hört man von Festen, welche Tausende von Thalern an einem Abend kosten. Wenn z. B. in Petersburg der mittelmäßig begüterte Kaufmann nicht anders glaubt leben zu können, als wenn er die Fußböden seiner Wohnzimmer mit Mahagoniholz oder feinen türkischen Teppichen belegt, die Böden und Wände seines Schlafzimmers mit dem feinsten englischen Tuche

liegt offenbar in dem hohen Grade geselliger Bildung, welche man in den feineren Zirkeln antrifft. Es möchte sich nickt leicht eine Großstadt — außer Paris — finden lassen, wo sich ein Gesell¬ schaftston von mehr Urbanität, Freiheit und Ungezwungenheit gebildet hätte als in Berlin. Der gänzliche Mangel an öffent¬ lichen Zerstreuungen drängt hier die Menschen zusammen und befördert den geselligen Verkehr. Hier in diesen geselligen Zirkeln, in denen Frauen und Mädchen von hoher Bildung eine bedeutende Rolle spielen, findet Ganz anders steht es mit den der Geist reichliche Nahrung. Kasinos. Fremde, Gesandte, Minister, Militärs und Gelehrte versammeln sich da. Aber man wägt vorsichtig die Worte, nimmt hundert Rücksichten und — spielt! Kaffee-Häuser giebt es in großer Anzahlt aber sie scheinen nur darin zu wetteifern, welches das schlechteste sei. Dennoch sind Es scheint sie besser besucht, als sie es in Wirklichkeit verdienen. so, als ob sich hier der Besucher doch wohl fühlte, trotz der niedrigen, wenig sauber gehaltenen Räume, trotz der dicken Wolken von Tabaksqualm und trotz des anhaltenden Geklappers der Würfel im Brettspiel! Die meisten Straßen sind geräumig, breit, die Häuser selten über vier Etagen hoch. Auch an freien Plätzen mangelt es nicht. Dagegen hat die Stadt eine Unannehmlichkeit au dem häufigen und feinen Sandstaube, den im Sommer jedes Lüftchen aus der Straße erregt.

410

Eine äußerst bequeme Einrichtung, womit sich der Präsident der Stadt, Herr Eisenberg, gewiß den Dank jedes Fremden ver¬ dient hat, ist die Bezeichnung der Namen der Straßen an jeder Man hat zu diesem Behufe große, blau angestrichene Bleche Ecke. gewählt, worauf die weiße Schrift schon in der Ferne leserlich ist. Die Bequemlichkeit wird noch größer sein, wenn die vorgeschlagene Numerierung der Häuser erst durchgeführt sein wird. Recht un¬ angenehm macht sich auch das schlechte Straßenpflaster bemerkbar: in den abgelegenen Stadtteilen haben sogar viele Straßen noch gar kein Pflaster. Der ganze Schloßplatz ist zwar neugepflastert worden, ebenso die Königstraße und die Linden: aber mit innigem Bedauern sieht und — fühlt man, daß das neue Pflaster nicht besser ist als das alte. Ein beträchtlicher Teil Berlins ist noch ohne alle Straßen¬ beleuchtung, z. B. vor dem Königsthore. Aber auch in den besseren Die Gegenden Berlins ist die Beleuchtung sehr mangelhaft. Laternen sind zu sparsam angebracht und die Scheiben aus so grünem Glase hergestellt, das durch das Licht mehr geblendet als erhellt wird. Der Fremde, der zum erstenmale in den Straßen Berlins umhcrwandelt, pflegt sich über die Menge der zum Teil auffallenden Ucberschriften der Kaufgewölbe und Buden zu amüsieren. Die Sucht, die Worte: „Königlich Preußisch privilegiert" über dem Laden anzubringen, geht so weit, das; man alle Augenblicke einen Königlich Preußisch privilegierten Bäcker- oder Weinessigladen sieht? Weiter fehlt es nicht an Beispielen unfreiwilliger Komik: hier liest man „Englisches Stuhlmacher-Magazin", dort: „Italiener-

Handlung". Der Anstrich der Häuser befriedigt im allgemeinen alle An¬ forderungen des guten Geschmacks.

Doch finden

sich

an einzelnen

tungen mit geraden und gewundenen Gängen durchschnittener Lust¬ wald vor uns. Aber ehe wir noch in seinen einladenden Schatten treten können, müssen wir zuerst über einen Weg, der an der Stadt¬ mauer sich hinzieht und, sobald es regnet, mit tiefem Schlamme bedeckt ist. Bei solchem Wetter sind dann einige arme Gassenbuben unablässig beschäftigt, schmale Steige für die Promenierenden zu fegen. Dafür nehmen sie dann einige Groschen ein, die man ihnen

für ihre Mühe zuwirft. Sobald wir unter

die ersten Bäume treten, sehen wir vor uns eine Anzahl kleiner Tische, welche mit Pfennigsemmeln, kleinen Pfefferkuchen, Würsten und großen Branntweinflaschen bedeckt sind. Zwischen diesen Tischen hat sich wohl ein armer Invalide mit einem Kuckkasten oder einem künstliche» Bergwerk placiert, dessen fingerlange Bergleute an einigen Stückchen Erz hämmern, um ihrem Gebieter einige Kupferpfennige zu verdienen. Bei der Menge der zu einem Spaziergang einladenden Alleen hält es schwer, sich zu entscheiden, wohin man zuerst seine Schritte der Mitte des Tiergartens vom Brandenburger lenken soll. Thor aus erstreckt sich eine breite Straße nach Charlottenburg, dem Lustschloß des Königlichen Hofes, wo sich die Königliche Fa¬

In

milie im Sommer einige Monate aufzuhalten pflegt. Wollen wir gehen, so steht es uns frei, uns unter eine bunte Gruppe von Fußgängern, die den verschiedensten Ständen angehören, zu mischen: denn unablässig wandelt der Strom der Passanten an schönen Tagen unter den hohen Linden, mit welchen der Weg zu beiden Seiten eingefaßt ist, hin und her. Wollen wir aber fahren, so finden wir zu jeder Tagesstunde am Brandenburger Thor eine große Anzahl von Korbwagen, mit zwei oder drei Pferden bespannt, bereit, uns und noch sechs bis siebön Personen, welche der Wagen fassen kann, für zwei Groschen nach dem Lustschloß zu fahren. Obgleich Charlottenburg zu einem ziemlichen Flecken angewachsen ist, so ist es doch nicht imstande, die Zahl der dorthin an schönen Tagen wallfahrtenden Berliner zu fassen. Die Straße ist dann an beiden Seiten mit zahllosen Tischen und Bänken besetzt, und die Berliner sitzen überall in unübersehbaren Gruppen auf den Stühlen oder Bänken oder auch auf zufällig vorhandenem Bauholz und trinken mit wohl bemerkbarem Behagen ihr Glas Bier oder ihren Kaffee: zu Wein oder Punsch, wie es anderswo vorkommt, versteigen sie sich fast nie. Rehmen wir vom Brandenburger Thor aus unseren Weg zur Linken, so führen uns hohe, schattige Gänge zu einer Reihe Häuser, welche eine kleine Straße bilden. Größtenteils sind es Kaffeehäuser, und unter diesen ist Richard der beliebteste Traiteur der Berliner. Auch viele schöne Privathäuser reicher Leute liegen hier, und in der That kann man kaum schöner wohnen. Man geht quer über einen kleinen Weg, dann ist man in dem schattigen Walde, wo über¬ all Tische und Bänke angebracht sind. Wer es nur einigermaßen gutmachen kann, wohnt hier wenigstens einige Wochen im Frühling,

Ottofels brr Hohne. (Zum Artikel

„Eine Pfingstfahrt in den Harz.")

Häusern abstoßende Farbenanstriche, so z. B. wenn der Grund rot gehalten ist, alle Borsprünge aber mit einem häßlichen Gelb über¬ tüncht sind. Biele Häuser sind im Geschmack und Geiste ver¬ gangener Zeiten mit Sinnbildern und Inschriften verziert. So steht über der Thür eines Hauses in der Friedrichstraße ein vergoldetes Schiff mit drei Masten, welches als ein Sinnbild der heiligen Dreieinigkeit gelten soll und die Neberschrift führt:

Drei

Wesen in einem Gott, Glaube mir, es ist kein Spott!

Ueber der zweiten Thür desselben Hauses ist in einem Felde ein schwarzer Adler angebracht, unter welchem in vergoldeten Buch¬ staben die Inschrift prangt: Königlich Preußische privilegirte Butter¬ handlung! liest man auch auf Schildern neben der

-Vielfach

Hausthür: Hier wird Unterricht im Christentum erteilt. Dagegen suchen Tabagieen Besucher durch ein Schild mit der Inschrift: „Au noble jeu de billard“ anzulocken. Der schönste Platz ist ohne Zweifel der Platz am Opern¬ hause mit seinem Ausblick aus Paläste, das Zeughaus, das schöne

Opernhaus und die katholische Kirche. Aber wie jammerschade, daß auf der Mitte dieses herrlichen Platzes nun schon seit Jahr und Tag eine elende Bretterbude steht, welche rund herum mit Abbildungen wilder und zahmer Tiere behängen ist! Hier sind einige wilde Tiere zu allen Zeiten des Tages für wenig Geld zu sehen. Der Herr dieser Menagerie ist ein Franzose, der seinen kärglichen Unterhalt vorzüglich zwei Affen verdankt, welche auf sein Kommando nach dem Schall einer erbärmlichen Janitscharenmusik auf dem Seile tanzen, oder vor der Thür seiner Bude die Vor¬ übergehenden durch ihre Sprünge herbeilocken müssen. — Und nun rüsten wir uns zu einem Spaziergange durch den Tiergarten. Dieser liegt, sobald wir aus dem Brandenburger Thor hinaus kommen, als ei» großer, schattiger, nach allen Rich¬ _

um den Brunnen zu trinken. Von fünf Uhr morgens an findet man hier Gruppen von Mädchen und Frauen, die bei einem Glase Pprmonter oder einer Tasse Schokolade' den Morgen verplaudern, oder sich init einem schönen Buche einsam unter einen Baum setzen, oder ungeniert umher gehen, oder sich am Arm des Geliebten in die dichten Gänge des Tiergartens verlieren. Wer hier im Frühling oder Sommer auch nicht wohnt, macht doch gern des Morgens früh eine Promenade, um in dem Hos-

jäger, d. i. in dem entferntesten Wirtshause auf dieser Seite, zu frühstücken. Man nimmt in einer der vielen Lauben Platz und genießt bei einer nicht übel» Musik das, wozu man Lust hat. Durchkreuzt man so etwa um 11 Uhr den Tiergarten auf dieser Seite, so wird mau ihn recht interessant finden. Allenthalben sieht man Mütter mit ihren Kindern, die ein Plätzchen suchen, wo die Natur Anziehendes bietet. Leider giebt es solcher Stellen nur wenig: nur eine verdient einigermaßen das Beiwort: romantisch. einem ziemlich großen Teiche liegt eine kleine Insel, mit einigen hohen Erlen bewachsen, unter welchen eine einfache Urne steht. Man hat dieser Insel den Namen Rousseau-Insel gegeben und einige Bänke als willkommene Ruheplätzchen umhergesetzt. Fast nur weibliche Personen sind hier des Vormittags zu finden. Die Männer kommen erst nach Tisch hierher. Nur einige Offiziere oder reiche junge Leute vom Civil tummeln sich in den schattigen Gängen auf mutigen Pferden. Während es vormittags auf der linken Seite des Tiergartens so aussieht, ist es auf der rechten, oder am sogenannten „Zirkel" noch ziemlich still und leer. Zu diesem Zirkel geht man in schattigen Alleen. Er hat etwa 150 Schritt im Durchmesser, in der Mitte steht ein mittelmäßiges Standbild der Flora. Rund umher laufen drei Reihen Bänke unter hohen Bäumen, und von dem Mittelpunkt aus erstrecken sich verschiedene schöne Wege nach allen Richtungen. Nach der Spree zu wäre die Aussicht offen — über das Wasser nach dem sogenannten Moabit und den Pulvermühlen — wenn sich hier an der Spree nicht drei Kaffeewirte angebaut hätten, deren Häuser den Namen Zelte führen. Der Platz vor diesen ist nach dem „Zirkel" hin mit Linden bepflanzt und von einem Staket ein¬ gefaßt. Unter diesen Linden stehen unzählbare Tische und Stühle; der Zudrang von Menschen ist hier an schönen Nachmittagen und Abenden unglaublich stark, wobei alle Stände und Altersklassen

In

411

vertreten fiub. Man drängt sich überall in den Alleen und muß fast mit Gewalt den Weg bis zu den Zelten bahnen. Hier wird man ziemlich schnell mit allem bedient, was man bestellt hat. Die höheren Stände lieben es, in offenem Wagen über den Zirkel zu fahren und so die zu Fuß gehende Menge zu mustern. So zahlreich auch dieser Erholungsort besucht sein mag, so kann sich doch der Fremde hier des Eindrucks der Dürftigkeit der ganzen Oertlichkeit nicht erwehren. Die Kaffeehäuser sind hier im ganzen genommen nur elende Hütten von nur einer Etage, die zwei bis drei kleine, elende Zimmer enthalten. Auch das Aeußere dieser Häuser ist geschmacklos. Das mittelste und geräumigste von allen ist rot angestrichen und mit Göttern und Göttinnen in Lebens¬ größe nicht bemalt, nein, mau muß sagen: bekleckst! — Stoff zur Beobachtung der Volks- und Altersklassen giebt es hier in Menge. Alte Mütterchen, in einem Kostüm, wie es vor mehr als fünfzig Jahren Mode war, und junge Mädchen, die sich jeden Morgen nach der neuesten Mode erkundigen, sitzen hier traulich und schwatzend neben einander. Bettler aller Art suchen hier gleichfalls ihr Glück zu machen, obgleich doch das Betteln von ster Obrigkeit streng geahndet wird. Ferner sieht man alle Augenblicke sich einen Kreis um jemand schließen, der mit irgend einem Kunststück auswarten will. Öder¬ es klettern einige Kinder auf eine Bank und singen eine herz¬

sich

den Vater lieben, als den Beherrscher fürchten gelernt. Die Gelehrten bilden keine abgeschlossene Kaste: eher kann man die Geistlichen als einen besonderen Stand betrachten. Unter der Mehrzahl der Berliner Geistlichkeit hat sich eine Art von Reserve erhalten, die dem Beobachter auffallen möchte. Viele von ihnen zeigen sich auch außer ihren Amtsgeschäften nie anders als in Amtskleidung, und sehr viele halten es für anstößig und

voll Wärme: er hat in seinem König eher

unter ihrer Würde, das Schauspiel, die Oper und öffentliche Bälle

zu besuchen. — Hinsichtlich der Beamten fällt eine gewisse Titelsucht auf. Da giebt es eine Menge „Geheime", die nichts als öffentliche Geschäfte treiben, und „Obere", die niemand unter sich

haben.

Den Stand der Kaufleute und Fabrikanten charakterisiert Wohlhabenheit. Leider bemerkt man einen schädlichen Mangel des Gemeinsinns, der aber, wie man hoffen kann, durch den Bau einer Börse als eines Vereinigungspunktes derGeschäftebeseitigtwerdenwird. Der Stand der Handwerker fängt an, sehr respektabel zu werden. Es giebt Männer unter ihnen, die wegen des Grades der Bildung, welche sie sich verschafft haben, alle Achtung verdienen. Der Charakter des eigentlichen Volkes in Berlin bietet folgende hervorstechende Züge: gutmütiger Frohsinn, große Neu¬ gierde und Hang zur gesetzlichen Ordnung!

Wernigerode — Panorama. (Z»m Artikel

„Eine Psingstfahit in den Harz")

brechende Ballade, um nach Beendigung derselben um eine milde Gabe zu betteln. Ein alter Mann sitzt täglich hier und spielt die Violine, wozu' seine Frau recht falsch singt. Will man vom Zirkel aus seinen Weg weiter fortsetzen, so führt dicht an den Ufern der oft mit großen Kähnen bedeckten Spree eine Promenade zu dem Lustschloß und beständigen Aufenthalt des Prinzen Ferdinand von Preußen, Bellevue, welches eine herrliche Lage hat. Hinter dem Schlosse liegt am Fluß ein Garten, der zu allen Zeiten für das Publikum offen ist. Hier finden wir einige Denkmäler, Büsten, Urnen und dgl., welche verstorbenen Auch Verwandten und Freunden des Prinzen gewidmet sind. im Tiergarten stehen überall einzelne Statuen von Sandstein, Auf dem Wege nach welche Friedrich II. dort errichten ließ. Charlottenburg kommt mau zu einem Rondel, das rings umher mit Statuen, Götter und Göttinnen vorstellend, besetzt ist. Charakteristisch für die Bewohner ist es, daß sie diesen Platz nie anders als den Puppenplatz und die Statuen selbst Puppen nennen. Was die Einwohner insbesondere anbetrifft, so beginnen wir mit der Betrachtung des Adels und der Hofzirkel. .In der ganzen Welt bilden sich die Zirkel nach dem Ton, der bei Hofe herrscht: und wer kennt nicht den geselligen, populären Ton, welcher seit langer Zeit den preußischen Hof charakterisiert, und den die jetzt regierenden Majestäten, Friedrich Wilhelm III. und unsere allgemein verehrte Kömgin Luise noch mehr befestigt haben! Wenn der Ein¬ wohner anderer Länder vor der Person seines Beherrschers nur zittert, so schlägt dem Preußen den Majestäten gegenüber das Herz

Ueber das Verhältnis zur Kirche giebt unsere Ouelle folgende Nachricht: „Während ein Teil der Bevölkerung sich über alle religiöse Gebräuche und gottesdienstliche Handlungen hinweg¬ setzt, herrscht bei dem anderen die krasseste, oft in Intoleranz aus¬ artende Orthodoxie. Im ganzen werden die Kirchen sehr wenig, und von den vornehmeren Ständen fast gar nicht besucht." Bei dem ruhigen Sinn der Bevölkerung sind Zusammen¬ rottungen, Auflehnungen gegen die TUbrigkeit ebenso selten wie wenig gefährlich. Dagegen ist das Gefühl der Unsicherheit vorherrschend, da Diebereien, Einbrüche in Häuser und Verkaussläden in unzählbarer Menge vorkommen. Der eigentliche Pöbel ist nicht anders geartet als in den anderen Großstädten. Besonders auf zwei Eigenschaften des niederen Volkes glaubt unsere Ouelle hinweisen zu müssen, auf seine

Zerstörungswut und seine Vorliebe für minderwertige

Litteratur.

Barriere an den Seiten der Lindenallee 1799 niedergerissen: steinerne Pfeiler wurden dem erste» gesetzt und diese durch eiserne Stangen verbunden. Entwurf zu jener Einfassung hatte der Architekt Ketten statt der Stangen gewählt, allein man kannte den Mutwillen des Pöbels und entschied sich doch lieber für Stangen, weil mau sie dauer¬ hafter fand — aber dennoch unterließ nicht der Pöbel, sein Mütchen daran zu kühlen. Kaum war die Einfassung vollendet, als man eines Morgens drei steinerne Kegel zerschlagen, die Stangen ausgebrochen und

Die

schlechte, hölzerne

wurde im

Juli

In

!

412

krumm gebogen fand. Man suchte den Schaden so geschwind wie möglich auszubessern' aber schon zum zweitenmale — heißt es in unserer Quelle — sind einige Pfeiler zerschlagen und umgeworfen, die Stangen sogar zerbrochen. Ueberall, wo in Berlin öffentliche Kunstwerke zu sehen sind, hat auch der Pöbel seine Hand darangelegt; aber überall zeigt es sich, daß die Zerstörungssucht nur so lauge dauert, wie der Reiz der Neuheit anhält. Die Statuen am Opernhause, an der Bibliothek haben fast alle Nasen, Hände und Füße verloren. An den Gruppen der sogenannten Herkules¬ brücke hat man an den Sphnnxen die Rasen und die Klauen, an den Kindern Hände und Füße zerschlagen — aber alles nur, so lange sie neu waren. An den Statuen im Tiergarten ist überall dieselbe Zerstörungswut sichtbar. Als Se. Majestät, unser jetzt regierender König, vergangenes Jahr den Neuen Garten zu Potsdam dem Publikum freigab, fand man einige Tage darauf zwei Statuen beschädigt, aber hernach keine weiteren Versuche der

Art.

Ferner klagt unser Gewährsmann darüber, die Polizei gebe nicht genug acht auf die umherziehenden oder in einer Bude handelnden Kunst- und Buchhändler. Erwerb besteht in dem Verkauf verschiedener, oft sehr bedenklicher Kupferstiche, oder in dem Absatz von Liedern und Brochüren für das gemeine Volk. Man erstaunt über die Menge dieses Zeuges und über den oft aller Beschreibung spottenden, nicht selten auch sittenverderbenden Inhalt. Viele hundert Dienstboten kaufen sich die hier feilgebotenen Lieder, lernen sie auswendig und singen sie bei ihren Zusammen¬ künften. Wie diese Lieder beschaffen sind, davon möge folgende Probe überzeugen:

Ihr

Heißa, Brüder, lasset uns lustig sein, Mag es beim Bier sein oder beim Wein! Die Grillen vertrieben, die Mädchen geliebt, Das bringet selten ein traurig' Gemüt! — Dies ist bei weitem nicht die fehlerhafteste und ungereimteste Stelle aus „Acht neuen Liedern", die an allen Ecken verkauft werden, und von denen einige gar keinen Sinn haben. — lleberhaupt wird au verschiedenen Stellen der Zeitschrift über den Mangel an Geschmack auch bei höheren Ständen geklagt.

Erfahrung, daß das Prinzip bei der Auswahl der Stücke mehr durch die Kasse als durch Rücksichtnahme auf die Aesthetik bedingt wird, daß der verdorbene Geschmack des Pu¬ blikums mehr ausgenutzt als an seiner Verbesserung gearbeitet wird. Die Schuld daran soll nicht der Direktion beigemessen werden; denn sie kann ihre ökonomischen Gründe haben, welche sie zwingen, so zu handeln, lleberhaupt wird die Operette häufiger als das Schauspiel besucht, und die sogenannten Spektakelstücke tragen vor allen den Preis davon. Das Haus ist nie voller, als wenn ein Ballet angekündigt ist. Wer einer solchen Aufführung beiwohnt, weiß nicht, ob er seinen Augen und Ohren trauen soll. Auf allen Gesichtern glänzt die Freude, und der schallendste Beifall übertäubt oft — zu ihrem Vorteil — die Musik' und doch sieht man auf der Bühne Dinge, die höchstens auf einer „Kreuzerbühne" verzeihlich wären. Auch bei der Beurteilung der Darstellungskunst geht's nicht viel besser. So allgemein auch der Beifall scheint, welcher unsern Jffland in jeder Rolle begleitet, so fehlt es doch nicht an Leuten, die ihn für einen mittelmäßigen Künstler und llnzelmann für einen Halbgott erklären. — Das Wohlgefallen an theatralischen Unterhaltungen scheint übrigens weit verbreitet zu sein, weil seit einigen Jahren hier zwei Liebhabertheater er¬ richtet sind, auf denen indessen der gute Geschmack keine Eroberungen machen wird. Ebenso ungünstig lautet das Urteil über den Mangel an musikalischem Verständnis. Obgleich in Berlin eine Anzahl der berühmtesten Tonkünstler leben, wie Reichard, Reghini, Himmel, Hurka und Weber, obgleich so oft die Gelegenheit sich bietet, Concialinis Stimme und Hurkas himmlischen Gesang zu bewundern; obgleich jeder von den Tönen einer Marchetti und einer Schick entzückt sein müßte, so ist es doch bisher nicht möglich gewesen, ein öffentliches Konzert zustande zu bringen, welches sich hielte, während in anderen Städten von Berlins Größe dergleichen fast alle Tage gegeben werden. Kleinere Privat - Konzerte giebt es genug, aber allen mangelt es an gehöriger Unterstützung. Virtuosen geben zwar einzelne Konzerte im Saale der Stadt Paris, oder zuweilen in dem großen Saale der Loge Royal Jork, aber darin hat Berlin ja nichts vor doch die tägliche

— Schloß. „Eine Pfingstfahrt in den Harz.")

Wernigerode (Zum Artikel

Trotzdem es in Berlin eine Akademie der Künste gäbe, Herr Hofrat Hirt Vorlesungen zur Beförderung des Geschmacks, der Philosoph Bendavid Vorträge über Aesthetik für gebildete Männer, Herr Ditmar für Damen, und Herr Professor Rambach für Künstler hielte, so habe doch dies alles auf das eigentliche Publikum gar keinen Einfluß.

Die Frage, wie es um das Theater stehe, wird dahin be¬ antwortet: Obgleich ein Jffland hier an der Spitze steht, lehrt

einer mäßigen Privinzialstadt voraus. — Was noch am meisten kultiviert wird, ist der Gesang, wozu unstreitig der würdige Fasch

seine Akademie für Liebhaber des Gesangs am meisten beiträgt. So vollkommen dies Institut auch ist, weil man darin von Liebhabern und Liebhaberinnen die schwersten Sachen mit einer bewundernswürdigen Präzision vorgetragen hört, so ist es doch nur eine bloße Privatanstalt, und der größte Teil der Berliner kennt ihre Existenz nicht einmal! — Glucks unsterbliche Jphi-

durch

418

genie findet man langweilig, man schweigt beim seelenvollsten Vortrag eines Recitativs, bei der herzerschütterndsten Deklamation, aber man zollt jedem Triller und jeder Koloratur den lautesten Beifall. — Was den damaligen litterarischen Geschmack angeht, so erfahren wir an anderer Stelle, daß alles, was der Feder Jean

Pauls

entstammte, die Modelektüre der Damen und gleichen (so heißt es wörtlich im Texte) Herren sei.

der damen¬

Wernigerode (Zum Artikel



Rathaus.

„Eine Pfingstfahrt in den Harz.")

Da nach dem Programm unserer Quelle auch die damaligen Moden berücksichtigt werden sollen, so mögen hier einige daraus bezügliche Notizen folgen. Hinsichtlich ihres Putzes werden die Berliner Damen in drei Klassen geteilt: Ein Teil entzückt durch den feinen, ausgesuchten Geschmack, welcher alles entzückt, ein anderer Teil fällt auf durch die geschmacklose Karikatur, und ein dritter schwankt zwischen beiden ersteren. Beim Kopfputz nimmt die erste Stelle eine Frisur ein, welcher man anfangs den Namen ä la Confusion gegeben hatte. Sie besteht darin, daß das Haar leicht, ohne allen Zwang und eingepudert, in die Höhe ge¬ schlagen und in regellosen Locken nach der Laune und dem Geschmack um den Kopf verteilt, oft auch mit einem Bande oder schlichtem Tuche durchflochten wird. — Hüte werden in allen Formen ge¬ tragen, aber Widersinnigeres läßt sich nicht denken als die Mode, die herrschend werden will, den Hut statt auf dem Kopfe hinten

Die Kirche

an demselben, gleichsam hängend zu befestigen und ihm, statt der natürlichen, horizontalen Lage, eine völlig perpendikuläre zu geben. Unter den Kleidern behauptet das sogenannte griechische Kleid die Oberhand, aber leider bemüht man sich, die Taille noch kürzer zu machen, als sie die Natur verliehen hat, wodurch das schöne Ebenmaß des Körpers verletzt wird. Auch der Herrenmoden wird hier und da gedacht. Die Kleidung eines „Elegant" wird folgendermaßen beschrieben: Man

zu Zernitz

^Mine interessante alte Kirche befindet sich im Dorfe Zernitz in {fa© der Ostpriegnitz, einer Station der Berlin-Hamburger Bahn. Sie stammt aus dem 14. Jahrhundert und ist ganz aus Feld¬ steinen erbaut, und zwar so fest und massig, daß sie eher einem kleinen Kastell als einem Gotteshause gleicht. Und in der That ist sie seiner Zeit zu Verteidigungszwecken so fest angelegt worden, als die beständigen Fehden und Kämpfe mit den mecklenburgischen Nachbarn die Sicherheit und das Besitztum der Dorfbewohner ge¬ fährdeten. Die Kirche in Zernitz ist eine alte Verteidigungs¬ kirche, wie sich nur noch wenige in der Mark vorfinden. Die Fenster des Turmes sind schmal und als Schießscharten gedacht, der Eingang zu demselben befindet sich ca. 4 Meter über dem Erdboden und ist auch jetzt nur auf einer hölzernen Stiege er¬ reichbar; früher benutzte man eine Leiter, die in Kriegszeiten in das Innere des Turmes hinaufgezogen wurde. Die Fenster des Kirchenschiffs waren früher sehr schmal und sind erst später ver¬

jungen Manu, der das Haar fast dicht am Kopfe hat, goldene Ringe in den Obren und ein dickes Halstuch — weiß oder bunt — trägt, dessen faltenreicher Rock dunkelblau oder grau mit schwarzem Kragen und Aufschlägen so kurz ist, daß er die Knie nicht erreicht; mit weißer Weste, Pantalons und Halbstiefeln angethan, die vorn so lang und spitz sind, daß sie sich über die Zehen hinauf krümmen! — — Ein Jahrhundert ist verflossen, seitdem jene Berichte, aus denen wir ein Bild der damaligen Zeitverhältnisse gewinnen, der Oeffentlichkeit übergeben wurden. Vieles ist seither anders und auch unzweifelhaft besser geworden. Aber einige Züge in der obigen Charakteristik der Bewohner Berlins scheinen, wie für damals, so auch für die Gegenwart ihre volle Geltung zu haben. Das Gute daran mag dauernd bleiben und das Tadelnswerte einer besseren denke sich einen

abgeschnitten

Auffassung, einem gesunderen Zeitgeiste weichen! —

in der Ostpriegnitz breitert und mit Backstcineinfassungen versehen worden. Turm und Kirchenschiff waren einst durch eine dicke Zwischenwand ge¬ trennt, damit die Verteidigung auf den Turm beschränkt wurde, wenn ein feindlicher Angriff auf das Gotteshaus erfolgte. Jetzl ist diese Wand durch zwei Spitzbogenöffnungen durchbrochen, welche von einem starken Pfeiler getragen werden. Obwohl mannigfache Veränderungen an dem alten Bauwerk vorgenommen sind, kann man sich doch einen Begriff von dem Aussehen einer solchen Ver¬ teidigungskirche machen. Ebenso interessant wie das altersgraue Aeußere der Kirche ist auch die innere Ausstattung. Vor allem fällt die alte Decken¬ malerei sofort beim Betreten des Kirchenschiffs ins Auge. Die flache Decke ist durch die hervorstehenden Deckbalken in vier Felder geteilt, welche mit bläulicher Arabeskenmalerei ausgefüllt sind. In der Mitte eines jeden Feldes erblickt man in besonderer Dar¬ stellung verschieden Attribute des Heilslebens. Im ersten über

welches das Abendmahl darstellt, wird von zwei Säulen eingefaßt, zu deren Seiten sich verschnörkelte Akanthusvcrzicrungen zur Kanzel emporranken. Die Kanzel selbst ist mit Blattornamenten reich verziert, zwei Engel, neben denen flammende Gefäße stehen, tragen den Schalldeckel, über dem sich aus einer Krone von Akanthusblättern ein gekreuzigter Christus erhebt. Die ganze Anlage ist wenig kunstvoll, paßt aber in ihrer dorfkünstlerischen Unbeholfenheit ausgezeichnet in dieses alte, massive Gotteshaus hinein. Das Kirchengestühl und die Westempore sind in ähnlichen

der Kanzel befindlichen Felde erscheint eine große, von Arabesken umgebene Blume: im zweiten ein gelber Kelch mit der Umschrift:

„Diß ist das süsse Liebes Mahl Das uns bringt zu den Himmelssak": im dritten ein rotes geflügeltes Herz, welches über einer blau haltenen Landschaft schwebt, mit der Umschrifti

ge¬

„Das Hertze sühnet sich mit einem zu verbinden Wo keine sterblichkeit noch ungemach zu finden"; im vierten ein weißes Lamm mit einem roten Kreuze auf dem Körper und darunter die Umschrift:

Formen wie die Kanzel gehalten und ehemals wohl bunt bemalt gewesen: jetzt sind sie mit Bibelsprüchen ausgestattet. Verschiedene Nischen an den Wänden und eine Nische in dem erwähnten Pfeiler der Turmhalle, in welcher sich noch Reste von bemalten Heiligen¬ bildern befinden, geben die Stellen an, wo in katholischer Zeit die Statuen der Maria und der Heiligen standen, und eine tiefere Nische mit doppelter Thür in der Ostwand ist als Aufbewahrungs¬ ort des heiligen Sakraments anzusehen. dem Turm, dessen Grundmauern ziemlich einen Meter stark sind, befinden sich drei Glocken aus dem 18. Jahrhundert mit den Wappen und den Namen der damaligen Patrone, der Herren von Rohr. Das Rittergut Zernitz gehört noch jetzt dem Herrn von Rohr-Holzhausen.

„Gott pflügt den seinigen solch merckmahl an zu brennen Damit er sie daran vor schaffe kan erkennen." Diese Malereien, welche ihrem Charakter nach aus dem An¬ fang oder der Mitte des 17. Jahrhunderts stammen, machen trotz ihrer Einfachheit gerade in dieser bäuerlichen Umgebung einen gewissen Eindruck, und man kann sich wohl denken, daß sie die Kirchenbesucher zur Andacht veranlaßten, wenn das Auge derselben zufällig auf ihnen haften blieb. Die übrige Ausstattung des Kircheninnern zeigt meist üppige Barockformen, so Altar und Kanzel, welche übereinander befindlich sind und ein Ganzes bilden. Das Altarbild, eine mäßige Malerei,

In

Or. Gust. Albrecht.

Pecrilletor) des fl|äp.

^

Erzählung von Rudolf Llcho.

«»nie*.»,,,.) ß'cft

besaß

a r>titi o.

als Kind eine

so

flinke Zunge,"

so

erzählte er stotternd,

a'll „daß nieiuc Wärterin oftmals zu niirsagte: „Martinken, Du jehörst als Advokat vorn hoben Jerichtshof!" — Dieses alte Weib, welches ineineni Onkel die Wirtschaft führte, sorgte unbewußt dafür, daß meine ciceronischc

!

j

!

s

davon war, daß ich bald eine schreckliche Furcht vor der dunklen Nacht verspürte, die ich mit Gespenster erfüllt glaubte. Dieses Grauen vor dem Dunkel, wurde noch gesteigert, als mein Onkel mit mir auf Konzertreisen ging, um mich dem ntusikbedürftigen

— Miihlrnkhal. „Eine Psingstfahrt in den Harz.")

Wernigerode (Zum Artikel

Veranlagung gründlich ruiniert wurde. Ich hatte schon als vierjähriger Knabe meine Eltern verloren und einen Unterschlupf bei meinem Onkel, einem Musiker gefunden, der den Plan faßte, mich zu einem pianistischen Wunderkind zu erziehen. Wir wohnten in einem alten Hause mit unheimlich große» Zimmern. Abends, wenn mein Onkel im Orchester die Violine spielte, glaubte unsere dumme Trine mir einen besonderen Genuß zu bereiten, wenn sie gruselige Geschichten erzählte. Die Folge

Europa als Wnnderkuabeu vorzustellen. In fremden Gasthöfcn mußte allein mein Zimmer aufsuchen und mich mit dem Bewußtsein zu Bett begeben, daß nicht eine einzige vertraute oder hilfsbereite McnschenZaghaft und zitternd kleidete ich^ mich seele in meiner Nähe weilte. dann aus und zog im Bett gewöhnlich die Decke über den Kopf, um einen Schild zu haben gegen unbekannte Gefahren. Vier Jahre lang hatte ich schon als achtjähriges Wunderkind die

ich

415

Bewohner großer und kleiner Städte durch ein Dutzend fest einge¬ paukter Klavierstücke in Verwunderung gesetzt, da schleppte mich mein Ohm nach einem rheinischen Städtchen, in dem am Tage unserer An¬ kunft gerade Kirmeß gefeiert wurde. Wir fanden die Gasthöse mit Fremden überfüllt und mußten endlich nach langem, vergeblichem Umherwandern noch froh sein, als mein Onkel in einer Portierslogc sein Nachtlager erhielt und ich in einer hochgelegenen, engen Mansarde. Da ich von den Reisestrapazen völlig erschöpft und schlaftrunken war.

j

Griffbrett auf und nieder, ohne jede mörderische Absicht. Die Wirtin gab diese Erklärung mit lachendem Munde ab, ich aber lachte nicht: denn als ich sprechen wollte, fühlte ich, daß meine Zunge gelähmt war. Von dieser Nacht ab stotterte ich." Martina, der sich neben mich auf den Dünensand gelagert hatte, schleuderte einen Stein ins Meer und fuhr dann in nervöser Hast fort: „O, wie viel Hohn, wie viele Demütigungen hat mir dies Gebrechen eingebracht, und wie viele Illusionen sind unter meiner stockenden Zunge

— LhristinnentlM. „Eine Pfiugstfahrt i» den Harz.")

Wernigerode (Zum Artikel

richtete ich, nachdem ich das Stübchen betreten batte, meine Blicke ans das Bett, entledigte mich hastig meiner .Kleider, verlöschte das flackernde Talglicht und warf mich aufs Lager, wo ich auch bald in einen tiefen Schlaf versank. Ich hatte einen wüsten Traum, der mich aufs dunkle, wogende Meer versetzte. Dort befand ich mich auf dem Verdeck eines sinkenden Schiffes unter heulenden, kämpfenden Menschen, die. einem Rettungs¬ boot zustrebten. Entsetzt klammerte ich mich an den Arm meines Onkels, der gleichfalls dem Boot zudrängte, und flehte ihn an, mich zu retten. Er aber schüttelte mich hastig ab und warf mich mit dem oft gehörten Zuruf: „Junge, sei doch nicht so furchtsam!" zu Boden. Bei diesem Sturz schreckte ich aus dem Schlaf auf und hatte im ersten Augenblick die seltsame Empfindung, als setze mein Träum sich im Wachen fort. Mir war es, als schwanke das Lager unter mir, als umtönten mich kreischende, beulende Stimmen. Der Mond schien durchs Mansardenfenster, und während ich seinem bleiche» Licht folgte, schien es, als werde neben oder unter mir in krächzenden, brummenden Töncn^ eine Walzermclodic gespielt und diese durch heftiges Stampfen und Schreien stellenweise übertönt und unterbrochen. Plötzlich rann ein Schauder des Entsetzens durch mein Blut. Ein Mondstrahl war neben meinem Bett in den dunkeln Winkel der Man¬ sarde gefallen und hier wuchs vor meinen Augen eine braune, belmarte Hand aus dem Boden, deren Finger sich wie Krallen spreizten, um einen Gegenstand zu würgen. Eine Sekunde lang starrte ich — wie gelähmt — auf diese gräßliche Erscheinung, dann stieß ich einen gellen¬ den Schrei aus, sprang aus dem Bett und stürzte auf den schwach er¬ leuchteten Gang, wo ich ohnmächtig zusammenbrach. Als ich wieder zu mir kam, vernahm ich die Worte: „Aber Marizzebillche, Du hätt'st dem junge Menschen doch sage müsse, daß 'Tanz dicht unncr ihm de Musikanten zum aufspiele". Die Erklärung jener Erscheinung, die ich unter dem Eindruck des schrecklichen Traumes und der betäubenden Geräusche für eine nach meinem Halse tastende Geisterhand genommen hatte, gab mir jetzt die gutmütige Wirtin. Unter meinem Schlasraum befand sich ein Tanzsaal, an dessen niederer Decke ein Balkon in der Weise angebracht war, daß die Musikanten, wenn sie ausrecht standen, init dem Scheitel die Decke berührten. Dies hatte zur Folge, daß der Kontrebassist seine langhalsige Baßgeige nur bearbeite» konnte, wenn ein Loch für den Gcigcnhals in die Decke gebrochen wurde. Dieser aber reichte bis in die von mir bewohnten Mansarde, und die Hand, die mich so furchtbar erschreckt hatte, gehörte dem Musikanten auf dem Balkon, der die große Baßgeige spielte: sie bewegte sich vom Tanzsaal bis in die Mansarde aus dem so

nur

zerronnen! Oft scheint es mir, als habe das Schicksal boshaften Scher; mit mir getrieben. Ich besitze — um nur einen Beweis anzuführen — ein hervorragend akustisches Gedächtnis und erlerne fremde Sprachen mit Leichtigkeit, allein ich kann das Erlernte nur stotternd gebrauchen. Bald nach jener nächtlichen Begegnung mit der unheimlichen Mnsikantcnhand starb mein Onkel, und ich kam endlich aus dem achten Jahr heraus und in ein Konservatorium für Musik hinein. Mil Eifer nahm ich nieinc Musikstudien auf, und da ich Tag für Tag seitens roher Mitschüler Neckereien ausgesetzt ivar, so zog ich mich von diesen zurück und suchte meine Kenntnisse zu bereichern. Aber auch die gewöhnliche» Vorkommnisse des Lebens boten mir Steine des Anstoßes. All die lächerlichen Mißgeschicke, die ich während meiner Wandcrjahre erlebt hatte, hab ich rasch verwunden, und wenn sie in der Er¬ innerung wieder vor mir auftauchten, konnt' ich darüber lachen: in Lissabon aber verscherzte ich durch das verwünschte Stottern" — über das Wort stolperte Martinas Zunge auch jetzt dreimal, dann fügte er ein „Donnerwetter!" hinzu und fuhr fort — „mein Lcbcnsglück, und darüber hab' ich nicht gelacht." Er sprach die letzten Worte ganz leise und betrachtete dabei ein Loch, das er mit dem Stiefelabsatz in den Sand gebohrt hatte. Nach einer Weile fuhr er lebhaft fort: „Ich war als Kapellmeister einer wandernden italienischen Opern¬ truppe nach Lissabon gekommen. Die ersten Vorstellungen unserer Gesellschaft, die weder eine besonders reizvolle Primadonna, noch Novi¬ täten besaß, waren gut besucht, daun aber erlahmte das Interesse des

Publikums. Da wir die ältesten Opern Verdis und Donizettis wiederholten, so blieb mir Zeit genug übrig, um die Kirchen und Klöster der an der Mündung des Tcjo theatralisch sich aufbauenden Hauptstadt Portugals zu besichtigen. Eines Tages, als ich zu einem der Hügel hinaufstieg, hinter denen die zackigen Felsen der Terra de Cintra sich majestätisch erheben, trat ich in eine alte von Andächtigen nur spärlich besuchte Kirche ein. Draußen schien die Frühlingssonne so heiß, daß mir der Schweiß auf der Stirne perlte, drinnen herrschte ein Schattendunkcl, dessen Kühle mich erlabte. Schon wollte ich die Kirche wieder verlassen, da sah ich vor dem grellen, goldigen Licht der Nachmitragssonnc den Schattenriß einer weiblichen Gestalt, die mir durch das offene Portal eutgegenschritt. Je mehr sie sich mir näherte, desto langsamer wurde meine Bewegung, denn die Silhouette verwandelte sich allmählich in ein formenschönes, jugendfrisches Mädchen, das mir wie eine Lichtelfe erschien, trotzdem schweres dunkles Haar ihr zartgebildetes Gesicht umfloß.

(Fortsetzung folgt.)

416

Eine Mngstfahrt in den Var;. ii. andern Morgens Frühe galt der „Harzburg", das heißt ihren iSB Resten auf dem Burgberg. Auf bequemem Wege, immer vom dichten Wald umgeben, steigt man hinauf auf die Stätte, wo einst in unserer germanischen Urväter Zeiten die Opferflammen und Rauchsäulen aus dem Altar des grausen Gottes „Krodo" emporstiegen, weit ins Land

hinaus sichtbar. Tausend Jahre später hat Kaiser Heinrich IV. auf der die Um¬ gebung beherrschenden Höhe seine Burg (1065—1069) gebaut. Hierher rettete er sich mit seinen Schätzen und den Reichsklcinodien von Goslar, als die durch seine Willkür aufgereizten Sachsen sich gegen ihn empörten. Sie belagerten 1073 zwar vergeblich die Burg, doch mußte der Kaiser mit seinen Schätzen fliehen. 1074 zerstörten sie dann die Beste, die also kaum sechs Jahre gestanden hatte. Als dann Heinrich in der Hochenburger Schlacht seine Widersacher überwunden hatte, baute er auch die Harzburg wieder auf, aber bald wurde sie ihm zum zweitenmal zerstört. Kaiser Friedrich Barbarrossa schenkte die Ruine dann seinem

großen Vasallen Heinrich dem Löwen, nahm sie demselben jedoch wieder, nachdem er durch seinen Treubruch aus einem Vasallen sein grimmiger Feind geworden war, und baute sie selbst in alter Pracht und Herrlichkeit wieder aus (1181). 1218 starb auf der Burg Kaiser Otto IV., der Sohn Heinrichs des Löwen. 1269 kam sie an die Wernigerodeschen Grafen, 1870 an den Grafen Otto den Ouadcn von Braunschweig: dieser schenkte

Inschrift. Es ist das stolze Wort, das einst am 14. Mai 1872 der eiserne Kanzler im deutschen Reichstag in die Welt hinausschleuderte. 1877, 800 Jahre nach Heinrichs IV. Fußfall in Canossa, wurde das Denkmal hier eingeweiht. Einst fuhr in den Nächten, wo die Herbst¬ stürme brausen, Hackelberg, der wilde Jäger, von der Harzburg aus und „fatschte" mit seinem schrecklichen Zuge nach dem Thüringer Wald hinüber, voran die riesige Eule, die „Tutursel", eine verfluchte Nonne, er selbst auf funkenschnaubendem Rapphengst, mit Jagdhallo und Peitschenknall und Gedröhn und Geheul, daß alle ehrlichen Christenmenschcn sich bekreuzigten und rasch ihr Sprüchlein sagten. Heut ist der wilde Jäger zur Ruhe gegangen. Ein großes Hotel hat sich aus dem Burgberg ausgcthan: unsere nüchterne Wirklichkeit bannt alle Geister — leider oft auch die guten. Eine Wanderung von einigen Stunden durch den morgen¬ Wald führte uns dann ins Gebiet der Prinzessin Ilse, nach Jlsenburg. In der malerisch am Mühlteich gelegenen „Roten Forelle" rasteten mir, und dann ging's weiter, vorbeikam Fuße des Jlsenburger Schlosses, das jetzt der Fürstin Mutter von Stolberg-Wcrningerode als Wilwensitz dient, immer das brodelnde, stürzende, sausende Flüßlein entlang ins Jlsethal hinauf. Bald verengt sich das Thal. Anderthalb hundert Meter hoch ragen auf beiden Seiten steile, jäh abstürzende Fels¬ klippen: der Jlsenstein und die Westernklippe. Einst, so geht die Sage, bildeten beide zusammen einen Berg, auf dessen Höhe in herrlicher Burg der König Jlsung mit seinen! schönen Töchtcrlein, der Prinzessin Ilse, saß. Da aber, wo heut der Flecken Jlsenburg liegt, hauste in ihrer srischen

Blankenburg. sie dem Junker Schwichelt. Das war aber einer jener Herren, denen das Stegreifreiten ein Lebensbedürfnis war. Die so zur Räuberburg entwürdigte Kaiserpfalz wurde ihm also wieder abgenommen und ging zurück an das Haus Braunschwcig. Sic hat dann keine Ruhmestage mehr gesehen, verfiel und zerfiel, und die heutige Ruine läßt nur noch ahnen, was sie einstens war. Ein ehrwürdiges Mal von unserer Alt¬ vordern technischer Tüchtigkeit ist der Brunnen, den Heinrich IV. siebenundsünszig Meter tief in den Berg treiben ließ. Die Sage erzählt, daß er durch einen unterirdischen Gang vom Brunnenschacht aus durch den Berg einst entflohen sei, nachdem er seine Krone in den Brunnen ver¬ senkt batte. Den Eingang zu diesem Stollen bewacht eine „weiße Jungfrau", die einst einen zur Untersuchung hinabgelassenen Verbrecher, dem für sein Wagnis die Freiheit versprochen wurde, den ganzen unter¬ irdische» Gang und eine große, reiche Halle im Berg gezeigt hat, in der die drei Harzburgkaiser Heinrich, Otto und Friedrich an reich mit Speise und Trank besetzter Tafel saßen. Sic zeigte ihm, auch ungeheuere Gold¬ schätze, die sie als äußersten Notgroschen für Braunschweig bewachte. Eine Jnschrifttafel am Brunnenhäuschen erzählt die Geschichte des

Brunnens: „Es grub ein deutscher Kaiser in festes Felsgestein Schon vor achthundert Jahren hier diesen Brunnen ein. Lang lag er dann verschüttet, durch manche trübe Zeit Doll Kriegs- und andrer Nöten — in Deutschlands Niedrigkeit. Doch floß er dann auss neue, als kam des Reiches Macht, Wie junge Frühlingstriebe, zu frischem Glanz erwacht. So wandelbar das Leben, so bunt der Dinge Lauf, Es kommt, was gut gegründet, doch immer wieder auf." Aber noch ein anderes Mal ragt hier in die Höhe, der Bismarckstein, weit hin über das Harzburger Thal hinaus sichtbar. Eine granitnc "ist ihre Säule von 15V, ra Höhe. „Nach Canossa gehn wir nicht"

Höhle eine böse alte Hexe mit ihrer greulichen Tochter Trulc. Eines Tages kam nun ein fahrender Ritter Rolf in die Gegend, strahlend in jugendlicher Mannesschöne. Flugs verliebte sich die häßliche Trute in ihn, und ihre alte Herenmutter bezauberte ihn mit allerlei Künsten, daß er ihrer Tochter Buhle ward: doch eines Tages riß er sich los aus den Banden der Zaubcrsprüche, die ihn gebannt hatten, und floh. So kam er auf König Jlsungs Schloß, und als nun hier Prinzeß Ilse und er in süßer, feuriger Minne zu einander entbrannten, nahm ihn König Jlsung zum'Tochtermann. Doch da käm die Walpurgisnacht. Mit Satans Hilfe schickte die alte Hexe vom Blocksberg eine Wasserflut, die den Fels unterwühlte. Der Fels spaltete sich, und alles sank in die Tiefe. Nur Prinzessin Ilse klammerte sich an einen hochragenden Fels und wurde gerettet. Der Fels wurde dann nach ihr der Jlsenstein geheißen. Aber von Liebessehnen und Gram zerrissen wandert sie nun durch den Harzwald, den versunkenen Rolf zu suchen. Nur wer aus den rechten Blumen einen Strauß zu binden weiß und diesen um Mitternacht im Maien nach dem Jlsenstein bringt, kann sic erlösen, und zum Lohn wird sie ihm dann unermeßliche Schätze schenken. Wer aber im Walde umhcrschleicht, um sie beim Bade im Bergbach zu belauschen, den verwandelt sic in eine alte, verrottete, moosbehangene Tanne, wie da schon viele umher stehen. — Hier, wo die Ilse zwischen riesigem, ganz verstricktem Tannenwald hindurch über ihr steiniges Bett hastet und poltert und braust, glaubt man sich wirklich in ein Zauberland versetzt. Märchengehcimnis und Märchenromantik sprechen uns hier aus jedem Tanncnzweig, jedem Stein an. Unser Ziel waren die Hohneklippen, dann die sogenannte Signal¬ fichte bei der Station „Drei-Anncn-Hohne" der Brockenbahn, um mit dieser nachmittags nach Wcrningcrodc zufahren. Diese Klippengruppc in der Nähe des Forsthauses Hohne zeigt Fclssormationen von einer Wildheit, wie man sie selten sicht. Fast jede, soweit sic überhaupt

417

ersteigbar sind, bietet dann Ausblicke über das Land hinaus, in die tics¬ eingeschnittenen Thäler der Bode und Holtemme nach Wernigerode hinüber, nach der anderen Seite über die finstern Tannenwaldungen der Vorberge zur Brockengruppe hinauf. Jede einzelne wächst über¬ raschend aus der Waldumgebung in die Lust empor. Da ist der „Ottofels", der „Taufstein", dann weiter bergauf die eigentlichen „Hohne-"

und „Leistenklippen".,

Als wir bei der Station „Drei Annen Hohne" die am Bahnhof gelegene Hotelterrassc erstiegen, um die Stunde bis zum Abgang unseres Zuges zu benutzen, das verbrauchte Heizmaterial für unsere Menschcnmaschine wieder zu ergänzen — so beliebte Bruno das vulgäre Wort Mittagbrotessen zu umschreiben — wurden wir plötzlich mit einem

Freudenruf begrüßt: — Papa, Mama und Frieda! Aber Papa schien heute über eine unglaubliche Machtbefugnis zu verfügen — sollte er vielleicht Geburtstag oder so etwas haben? Mit größter Wurschtigkeit gegen Mamas und Friedas hilflos empörte Gesichter kam er auf uns zu, holte uns an seinen Tisch und war von überströmender Herzlichkeit. Mir wurde allerdings gar keine Zeit oder Gelegenheit geboten, auch einen Willen zu haben: denn Bruno ging einfach mit hin •— so mußte ich auch, obgleich wir offenbar den'Damen sehr wenig willkommen waren. Und nun entpuppte sich der Grund von Papas heutigem „Herrenrecht". Frieda hatte sich hinter Mama gesteckt, und beide hatten ihn bewogen, gestern am Spätnachmittag, gleich nachdem wir uns ge-

'runter

geh'»? — Nee — Na also Tableau — der Ncunnhrzug bloß zweimal die Woche! Jetzt können Sie nich 'runter. Na wann geht er denn? Fragt Mama. — Mittags um zwei! Uebrigens um eins ist Table d’höte. — Aha, sag' ich, darum ooch! — Was konnte man nu machen? Ich hab' zehn Ansichtspostkarten geschrieben, Mama acht und Frieda an das ganze Pensionat. Das Geschäft geht da oben. Himmelfahrt sollen 5000 geschrieben worden sein. — Ra, endlich war's denn Zeit geworden, und wir fuhren mit der berühmten neuen Brocken¬ bahn los. Wir dachten natürlich wenigstens gleich nach Wernigerode durch, aber jawoll: hier sind bloß anderthalb Stunden Aufenthalt. Na, wenigstens genießen wir so noch das Vergnügen!" Mit einer Ver¬ 'mal 'ne Zahn¬ beugung gegen uns. „Uebrigens die Brockenbahn, nich — — stange hat sie. Ueberhaupt fahren Sic lieber nich! Wer ist nun aber Schuld an dem Reinsall? Mir paßte gleich die ganze Abenteurerei mit Nachtfahrt und so nicht. Aber die Damen sind eben immer fürs Romantische. Na, jetzt sind sie kuriert! —" So scholl sein Klagelied. Daher also seine heutige Machtstellung: das Schuldbewußtsein der Damen machte sie kleinlaut. Wir zogen die Sache natürlich ganz ins Scherzhafte und stiegen recht angesteundet zusammen in den Zug nach Wernigerode. Bruno war merkwürdiger¬ weise aber gar nicht mehr für uns zu haben. Er legte ganz Mama denn

seht

mit Beschlag, und beide schienen sich sehr gut miteinander zu unterhalten. Von Werningerode machten wir einen Spaziergang nach dem

Gegenyrine — Blankenburg. trennt hatten, einen Wagen zu mieten und aus den Brocken zu fahren: am andern Morgen um 9 Uhr mußte dann fahrplanmäßig der Zug hinuntergehen nach Wernigerode. Der Plan war sehr schön. Aber die Ausführung! — Man kam eben zu spät abends oben an, bekam kaum noch zu essen, schlief im seligen Vertrauen: morgen früh wirst du um 4 Uhr zum Sonnenaufgang geweckt. Ja, man wurde auch geweckt — aber leider war die Sonne schneller gegangen als die Brockcnuhr und strahlte schon seit einer Viertelstunde vom durchleuchteten Firmament herab. „Aussicht — keine Spur! Alles Nebel! Und dabei behaupteten die Brockcnleute, es sei so herrlich seit langem nicht gewesen und eine seltene Aussicht — natürlich! Ueberhaupt, wie stellen Sie sich den Brocken vor? Sie denken wohl, das ist ein richtiger Berg? Felswände, kahl — Eis — Schnee und so? Keene Spur! Ein großer Stcinbuckel mit Tannen bewachsen bis oben hin. Und wie sieht's dann da oben aus! Konservenbüchsen — Sardinenschachteln — Stullenpapier — alte Kochtöpfe — Scherben, das liegt man überall so herum um das bretterne Brockenhaus: und darin erst! Die Wände zwischen den Zimmern sind aus Leinwand mit Tapete überklebt — und kalt! Dicht am Ofen war's einigermaßen auszuhalten — aber sonst! Brrr! Und nun haben Sie sicher auch immer von der berühmten Brockenflora gehört. Jawoll! Das erste, was Sic auf einer Tafel lesen, ist: Das Blumenabpflücken ist nur mit —rode hier herum Erlaubnisschein der Oberförsterei in irgend so einem 'neu Morgen groß gestattet. Und dann haben sie so ein Stück wie eingezäunt und Steinbeetc angelegt, dadrauf züchten sie die Brockenflora. Aber am Gitter ist ein Schild: „Eintritt bei Strafe verboten." So das ist der Brocken. Sie können sich denken, daß wir nu von viere bis neune gerade genug davon hatten. Ich also um dreiviertel aus neune: Kellnehr — Rechnung. Erstaunt kommt der. Ja, wollen Sie

¬

Lindenberg, während sich unsere Reisekameradschaft von der Brockenstrapaze ausruhen wollte.

Vom Lindenberg sahen wir das reizende Harzstädtchen unter uns liegen, seine steundlichcn Häuschen weit hinausschiebend bis in das ebenere Vorgeländc. Gerade uns gegenüber aber hob sich der stolze Bau des Schlosses mit seinen Türmen und Spitzen und den breit hingelagerten Saalgebüudcn. An seinen Fuß dann angebaut die Kette der hölzernen Dienerschafts- und Leutehäuser. Das Ganze rings ein¬ geschlossen vom Grün der hohen Tannenwaldung des Tiergartens. Und alles nun getaucht in den goldigen, sich immer wärmer färbenden Schein des scheidenden Tagesgcsrirns — ein Bild von solcher Größe und Ruhe, einem so heiteren Frieden, daß einem ganz wohlig und still und ruhig und glücklich ums Herz wurde. — Langsam wandelten mir zurück, als die Sonne zur Rüste gegangen war. Der Mond, der schon lange am tiefblauen Himmel gestanden hatte, breitete sein bleiches Licht über dieses alte, traute Städchen, blickte in all die krummen Winkelchen und tauchte die alten Häuschen in silbernes Gleißen. Gar entzückend war cs aber, als er hinter dem merkwürdigen Bau des Rathauses stand, und diese eigenartige Silhouette mit dem glockenturmartigen, steilen Dach und den beiden nadelspitz emporragenden Türmen davor ganz schars sich vom lichten Nacht¬ himmel abhob. Auch am anderen Morgen war das erste, worauf unsere Augen von unserem Zimmcrfcnstcr aus fielen, der groteske Bau des alle» Rathauses. Vergeblich wird man irgend eine» der geläufigen Stile für das merkwürdige Gebäude in Anspruch zu nehmen suchen und der Baumeister, der es um 1500 errichtete, hat das auch unzwcifelliast ganz

418

genau gemistt; beim mit philosophischem Gleichmut hat er seinen Spruch über die Thür schreiben lassen: Einer acht's Der Andre verlacht's Der Dritte betracht's, Was macht's? — Beim Frühstück trafen wir unsere Reisegenossem Es wurde für den Vormittag ein Spaziergang nach dem Schloß und Christianenthal verabredet. Der Weg dorthin führte uns durch die waldigen Baumanlagen, die den Schloßberg bedecken, den Lustgarten und den Tier¬ garten. Im ehemaligen Orangeriegebäude des Lustgartens sind die be¬ deutende fürstliche Bibliothek von 107 000 Bänden und das fürstliche Archiv ausgestellt. Das herrliche gotische Schloßgebände, gewiß heut die schönste und umfangreichste aller Harzburgen, bat seine imponierende, prächtige Gestalt noch nicht lange. Es besag früher zwar auch seinen Umfang, aber mit der heutigen Pracht hat es erst der 1896 verstorbene Fürst Otto im Anschluß an die einzelnen alten hervorragenden Gebäudeflügel ausbauen lassen, und so wird es in seiner heutigen Gestalt bis in ferne Jahrhunderte hinein eins der Wahrzeichen des Harzes bleiben. Wenn man dann weiter unter den schattenspendenden Baumhgllen durch den Tiergarten wandelt, kommt man ins Christianenthal, ein Idyll im reinen Sinne des Wortes. Zwischen den hohen Waldeinsäumungen dehnen sich srischgrüne Bergwiesen, in deren Schoße sich wieder tiefe Teiche betten. Der Weg nach Wernigerode zurück geht dann durchs

Blankenburg Mühlenthal, dessen tiefste Rinne das Bett der Holtemnie bildet. Sie fließt hier ganz flach über ein Kiesbett, und die braunen Harzkühe, jede eine bimmelnde Glocke um den glänzenden Hals, suchen sich mit Vor¬ liebe die frischen Pflänzchen und Halme, die zwischen den einzelnen aus dem Wasser ragenden Felsbrocken emporsprießen. Die Stadl selbst und all ihre Umgebung ist ein Bild wahrhaften Friedens, und man versteht, daß gerade hier sich Villa an Villa von sonst fernwohnenden Sommer¬ gästen reiht, die Erholung von des Winters Plage und Aufregung suchen.

Der Nachmittag führte uns nach Blankenburg. Mit vieler List hatte wir Brunos schnellgefaßten Plan, uns im Wagen den andern anzuschließen, nicht ausführten, sondern programmgetreu marschierten. Daß Papa und Mama das auch thun konnten, war natürlich ausgeschlossen, schon weil sie zuviel an sich selbst zu tragen ich erreicht, daß

hatten.

Der Forst Blankenburg, den wir durchschritten, ist das wildeste und Waldrevier des Harzes,' wie uns versichert wurde, birgt er viel Schwarzwild. Nach eineinhalbstündiger Wanderung kamen wir beim Kloster Michaelstein, das einst den Grasen vom Regenstein als Familienbegräbnis dienie, an. Es ist ein merkwürdiges altes Gebäudes die runden, schönen Kreuzgänge sind noch heut erhalten. In der Nähe liegt der „Mönchemühlenteich' mit berühmten uralten Eichen am Ufer, verstrickteste

die schon

Karl Friedrich

für seine Landschaftsbilder gaben. Nicht weit mehr, und der Blick in die Ebene thut sich aufs zu unfern Füßen liegt hingebettet das freundliche Blankenburg, drüben aus der Ebene beben sich die bizarre Silhouette des Regensiei» und einzelne versprengte Klippen der Teufelsmauer. Neben uns in der Höhe aber Lessing Stofs

ragt das Schloß mit seinen umfangreichen Wohn- und Wirtschafts¬ gebäuden und Befestigungen. Es liegt etwa 100 Meter über der Stadt iind beherrscht durch seine Lage den ganzen Gau. Daß es infolge dessen ein sehr begehrter Fleck mar, ist wohl verständlich. Aus den Zeiten, in die keine geschichtlichen Quellen reichen, berichtet uns die -Gaugrasen Ueberlieferung, daß die sächsischen im „Hartingow" hier ge¬ sessen haben. Kaiser Lothar soll am Ansang des zwölften Jahrhunderts hier eine feste Burg errichtet haben, die er mit der zugehörigen Graf¬ schaft um 1130 au den Grafen Poppo, einen Verwandten der Kaiserin, verlieh. Dieser wurde dann der Ahnherr des Geschlechts der Grafen von Blankenburg und Reinstein. In der Vernichtungsfehde, die Kaiser Friedrich Barbarossa gegen seinen welfischen Gegner Heinrich den Löwen führte, wurde die Blankenburg, die „Alleintreue", belagert und von Grund aus zerstört. Im Jahre 1599 starb das Geschlecht der Blankeuburger Grafen aus; Burg und Grafschaft fielen an das braunschweigische Herzogshaus. Im dreißigjährigen Krieg verpfändete der Kaiser die Grafschaft an Wallenstein für ausgelegte Kriegskosten im Betrage von 50 000 Thalern. Um den Besitz wiederzuerlangen, mußte Braunschweig die Summe zahlen. Bei dieser Gelegenheit kam der Regenstein unter andere Herrschaft, zuletzt wurde er brandenburgisch. Noch heut werden Spuren von den Notzeiten der Blankenburg überliefert, so von dem großen Brande von 1546, bei dem die Gräfin von Blankenburg in den Flammen um¬ kam, daun von der Belagerung durch Wallenstein (1625), von der mau

— Kegenstein. noch einige Kanonenkugeln eingemauert hat. Zeiten des Glanzes kamen aber dann während des 18. Jahrhunderts. 1708 vermählte Christine Elisabeth, eine Tochter des Hauses, mit Kaiser Karl VI. sich Sie wurde die Mutter Maria Theresias, der großen Gegnerin des alten Fritz. Ihre jüngere Schwester wurde 1711 an den Cäsarewitsch

Alexis, den Sohn Peters des Großen, vermählt. Die Grafschaft wurde zum Fürstentum erhoben. Höfischer Glanz und Feste waren auf der Blankenburg an der Tagesordnung. Heut pflegt der Regent von Braunschweig, Prinz Albrecht, zur Jagdzeit hier zu verweilen. Gemäß seiner geschichtlichen Entwickelung ist die Ausschmückung der glänzenden Festräume des Schlosses wohl meist im Ansang des achtzehnten Jahrhunderts' entstanden. Auch die hervorragenden Bilder, unter denen Dürer, Lukas Kranach, van der Werfft, Teniers, Quentin Massys, Wouvermann vertreten sind, haben wohl zu dieser Zeit ihren Platz hier gefunden. Ueberall sieht man, daß ein Geist froher Kunst¬ liebe, ein Geist der Lebensfreude damals in des Schlosses Mauern gewaltet hat. Auch der das Schloß umgebende Wildpark, der Tiergarten, mit seinem verfallenen Luftschlößchen hat ganz den Eharakter einer Schöpfung aus dem vorigen Jahrhundert. der Stadt haben sich ebenfalls manche Reste „aus unserer Väter Tagen" erhalten, so das alte Rathaus und einige Fachwerksbauten mit dem reich geschnitzten Holzwerk aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Blankenburg hat im ganzen einen ähnlichen Eharakter wie Harzburg, einen viel ländlicheren als Wernigerode. Das Fleckchen Garten am Hause findet sich hier selbst im Herzen der Stadt.

In

419

Die seltsam sich vom Himmel abhebende Bergiuppc des Regenstcins zieht von allenthalben auf Meilen im Umkreise aus der Ebene sowohl, von Halbcrstadt und Quedlinburg her, wie aus dem Gebirge durch ihre absonderliche Form den Blick auf sich. Aber auch an Ort und Stelle bleibt diese großartige Befestigung der denkbar merkwürdigste Anblick. Sicher haben natürliche Höhlen die ersten, die sich hier im frühesten Mittelalter festsetzten, zur Ansiedelung bewogen. Im ähnlichen Sinne, wie das von der Natur Gegebene, wurde dann weiter der Stein ausgemeißelt und so eine beinahe uneinnehmbare Feste aus dem ge¬ wachsenen Fels geschaffen. Die natürliche Lage, steiler Absturz nach drei Seiten und nur von einer Seite Zugänglichkeit, machte die Kuppe zu einem beinahe sturinfreien Platz. Die Grafen vom Regenstein oder Reinstein stammen vom oben¬ erwähnten Poppo von Blankenburg ab. Sie teilten sich nachmals wieder in zwei Linien: die vom Regenstein und die von der Hcimburg. allen Fehden, die hier herumtobten, hatten sie ihre Hände und waren eines der angesehensten und mächtigsten Geschlechter der Gegend. Höchsten Glanz und tiefste Schmach für ihren Namen aber bedeutet der Name: Graf Albert von Regenstein, dessen Geschichte Julius Wolfs iu seinem „Raubgrafen" schildert. Vom Jahre 1323 an lag Graf Albert in steter Fehde mit dem Bischof von Halbcrstadt und der Stadt Quedlinburg, die beide gemeinsame Sache gegen ihn machten. 1336 geriet er bei einem dieser Kämpfe vor den Thoren der Stadt in die Hände der Ouedlinburger, die ihn in einen engen hölzernen

In

an ihm meuchlings vorbei bewerkstelligt hatte. Er rächte sich durch furchtbare Witze von seinem Höhcnthron herab. Ich suchte durch meine geologischen Kenntnisse zu imponieren, indem ich Betrachtungen anstellte über die Merkwürdigkeit der Vorlagerung so eines Zuges von Sandstein, also Sedimentärgeftein, vor einem granitncn Urgebirgsstock, wie er sich hier in dem Zuge der „Teufelsmauer", deren Anfang der „Großvater" ist, und die sich an Thale vorbei bis Ballen¬ stedt zieht, vor das Harzgebirge hinlegt. (Schluß folgt.)

Berliner Chronik. Sir George Gabriel Stokes, Profeffor an der Universität Cambridge, ist zum auswärtigen Mitglieds der Berliner Akademie der Wissenschaften ernannt worden; er ist Mathematiker und Physiker und hat sich namentlich um den Ausbau der Lehre von der Fluoressenz verdient gemacht. Am 18. Juni starb im 75. Lebensjahre Regierungs- und Baurat

Adolf Magnus.

Am 19. Juni starb im 81. Lebensjahre der frühere Prediger Er wurde am 11. Mai 1813 in Eldena Mecklenburg geboren und wirkte, nachdem er 17 Jahre Prediger Brandshagen gewesen, von 1857 bis 1883 als Geistlicher an Berliner

St. Petri August Rust.

Petrikirche._

an

in in der

Märkische Chronik. Großbeeren. An Stelle der historischen Windmühle wird ein Denkstein errichtet werden zur Erinnerung an die am 23. August 1818 stattgefundene Schlacht. Der Denkstein, ein märkischer Findling, wird von Kanonenkugeln umgeben werden, die man auf dem Schlachtfelde und auf den Grundstücken des Dorfes gefunden hat.

Vereins-Nachrichten. In dem Bericht über die 3. Versanimlung der „Brandenburgia" findet sich auf Seite 367 dieses Jahrganges die Angabe, daß der bei Grabcndorf aufgefundene Löwenschädel „auch von Professor Rehring" als solcher festgestellt sei. Seitens der Direktion des Märkischen ProvinzialMuseums wird nun darauf aufmerksam gemacht, daß der Schädel zuerst ulid allein von Herrn Professor vr. Alfred Rehring als Löwenschädel erkannt und bestimmt worden ist. G. A.

Kleine Mitteilungen.

Blankenburg



Großvater.

steckten, der hcnt noch auf dem Ouedlinburger Rathaus gezeigt wird. Zwei Jahre ließen sie ihn darin schmachten, und nur durch Ab¬ tretung der Lauenburg konnte er sich Leben und Freiheit erkaufen. Mitten im Frieden wurde er aber dann durch Rudolf von Dorstatt, einen Hauptmann des Halberstädtcr Bischofs, der ihn tödlich haßte, bei Daunstedt erstochen. Ter Regenstein kam bald darauf 1343 an die Heimburgcr Linie. Nach dem dreißigjährigen Kriege ließ Brandenburg, in dessen Hände nach wechselvollen Zwischenfällen die Burg schließlich gelangt war, am Felsen unter dem Pulverturm seinen Adler einmeißeln. Nus dem Regenstein wurde eine Festung, die, wie heute noch, eine unter dem Hohcnzollcrnaar stehende Enclave im braunschweigischen Lande bildete und im siebenjährigen Krieg einmal auf wenige Tage in fran¬

Käfig

zösischen Besitz geriet. Wir saßen oben

auf der Bergkuppc, sahen hinaus in die Ebene gen Halberstadt und besprachen, mit welchen Empfindungen wohl Graf Albert oft dort drüben die Feste seines Totfcindes angesehen haben mag. Da — niemand ist vor dem Tode glücklich zu preisen — be¬ grüßten uns die Stimmen unserer lieben Landsleute. „Sic wundern „Ja, Sic haben doch gar nichts davon sich wohl, uns hier zu sehen?" gesagt, daß Sie und Ihre Frau Gemahlin in Blankenburg eine Terrainkur beginnen wollten." „Kecne Spur! Wir haben einen großartigen Landauer und fahre» von hier nach dem Großvater. Wollen Sie mit? —" „Sie sind doch schon drei — ich und —> wenn Sic Platz haben — Bruno." „Na, wenn einer aufm Bock sitzt, jeht's." Also mir fuhren mit und zwar Bruno aus dem Bock, was ich durch schnelles Einsteigen

Der §puk von (Lstarlottenburg. Während des siebenjährigen Krieges hörte man oft in dem Hause des Chirurgs Bicrthaler auf der Charlottenburger Schloßstraße ein Geräusch, als ob jemand in der feftverschloffenen Obcrstube umherginge. Die älteste Tochter des Chirurgs, Hannchen, glaubte, ihr Bräutigam, der Feldjäger Mertens, denke jedes¬ mal an sie, wenn sie diese unerklärlichen Fußtritte vernähme. Ihr Pater war unwillig über diesen Aberglauben und versiegelte inwendig sämtliche Fenster der Spukstube und auswendig die Thür, aber das Spuken dauerte fort. Darüber freute sich Hannchen, aber noch mehr, als von Mertens die Nachricht eintraf, er hoffe bald eine Oberförsterstelle zu erhalten und werde nächstens nach Charlottcnburg kommen. In dieser Zeit hörte man die Fußtritte öfter als sonst. Aber plötzlich erhielt Hannchen die Nachricht, ihr Bräutigam sei plötzlich erkrankt, und nach wenigen Tagen wurde sein Tod im Bierthakcrfchen Hause angezeigt. Hannchen siechte seitdem dahin und starb vor Gram und Schmerz an der Auszehrung. Seitdem verschwand der Spnkgcisr spurlos. Erst viele Jahre später erzählte die jüngere Schwester Susanne dem Fcldprediger Samuel Christian Wagcner in Ralhenviv, daß sie es gewesen sei, die da¬ mals gespukt habe. „Meine Schwester," sagte sie, „hörte einmal von der Oberstube her ein Geräusch und glaubte, das sei eine „Ahndung" von ihrem geliebten Mertens gewesen. Mutwillig, wie ich damals als zehn¬ jähriges Mädchen war, beschloß ich, sie öfter durch eine solche „Ahndung" zu erfreuen und ahmte das Geräusch von Fußtritten dadurch nach, daß ich die große Zehe des rechten Fußes, verdeckt durch Röcke und Schürze und ohne Schuhe, auf ihren Nachbar setzte und gegen den Fußboden schnellen ließ. Der hierdurch hervorgebrachte dumpfe Ton klang ähnlich wie ein Fußtritt. Mir ist cs aber heute noch ein Rätsel, wie sonst ganz vorurteilsfreie Männer behaupten konnten, die Tritte kämen aus der versiegelten Oberstube." Das Kurfürsten-Denkmal inr Walde bei Grünau, das dem Andenken des an jener Stelle verstorbenen Kurfürsten Joachim Friedrich von Brandenburg gewidmet ist, steht jept fünfzig Jahre. Der Kurfürst war am 18. Juli 1608 auf der Rückkehr von der Bärenjagd bei Storkow nach seinem Berliner Schlosse begriffen, als er plötzlich an einem Schlagstusse in seinem Wagen verschied. Der Ort der Katastrophe war der damalige Kurfürstenweg, oder auch Rcichsapsclstraßc genannt, weil die prächtigen alten Bäume dieser Allee mit einem Reichsapfel ge¬ schmückt waren. Die Straße führte damals durch die Cvllnischc Haide bis dicht an die Mauern von Berlin, wo sie an der atten Jakobstratze endete. Auf ihr eilten Boten zur Stadt, um den Tod des Landesherr» zu verkünden. Wenige Jahre danach wurde auf derselben Stelle, wo das Ableben des Kurfürsten erfolgt war, ein Erdhügel aufgeschichtet und dieser mit einer steinernen Tafel auf eineni Eichcnstumpf geschmückt. Die Tafel erhielt folgende Inschrift: Auf dieser Stelle entschlief seelig im Herrn auf dem Wagen der Durchlauchtigste Fürst und Herr, Joachim Friedrich, Mark¬ graf zu Brandenburg, des heiligen römischen Reichs Erzkämmerer und Kurfürst, Hochlöblichen Andenkens, plötzlich und unversehens vom Schlage gerührt, am 18. Juli zu Mittage des Jahres Christi 1608, und ist diese Tafel, die Nachkommen daran zu er¬ innern, hierher gesetzet worden.

Diese Tafel wurde ini Jahre 1709 renoviert und blieb noch bis zum Anfang unseres Jahrhunderts erhalten. Erst auf eine Eingabe der Regierung in Potsdam befahl König Friedrich Wilhelm IV. die Er¬ richtung eines größeren und würdigeren Denkmals zum ehrenden Gedächtnis seines Vorfahren. Die diesbezügliche Verfügung des Königs datiert vom 29. April 1849, und wenige Wochen später wurde der Bau des Denkmals, wie es noch heut dem märkischen Wanderer in der Mtte des Waldes erscheint, in Angriff genommen und ohne Unter¬ brechung vollendet. Das Denkmal gleicht einer kleinen offenen Kapelle, deren rote Backsteine sich aus dem dichten Grün der Bäume hervorheben. Im Jnncnraume liegt eine grabsteinartige Platte, über welcher auf vier Pfeilern das mit ornamentierter Einfassung geschmückte Dach ruht. Die beiden offenen Längsseiten sind mit einem Gitter versehen, die Schmal¬ seiten geschlossen. An der Innenwand der einen, am Kopfende stehen¬ den ist ein gußeisernes Kreuz errichtet, welches außer dem branden-

burgischen Kurhut die einfache Inschrift trägt: Hier starb den 18. Juli 1608 Joachim Friedrich, Kurfürst

von Brandenburg. Das Denkmal ist ein Werk des bekannten Berliner Baumeisters, Professor Stier, und würde an Wirksamkeit entschieden gewinnen, wenn es von einer kleinen gärtnerischen Anlage umgeben wäre. Vielleicht giebt zur Schaffung einer solchen das fünfzigjährige Bestehen des Denkmals Veranlassung. P. Kz. Bm 21. Juni vor 10 Jahren starb in Berlin als Direktor der Skulpturengalerie des Museums der berühmte Archäolog Karl Bötticher. Er war gleichzeitig Professor an der Bauakademie. Von seinen gediegenen Schriften sind hervorzuheben: „Die Tektonik der Hellenen" (1844—1852), „Der Baumkultus der Hellenen" (1857) und der „Bericht über die Untersuchungen auf der Akropolis zu Athen" (1863). Seine Witwe Clarissa (Lohde) ist bekannt als Romanschriftstellerin. Am 21. Juni vor 70. Jahren starb in Berlin der bekannte Verfasser des „Lexilogus", Philipp Karl Buttmann. Als Sproß einer hugenottischen Familie, die eigentlich Boudemont hieß, wurde er am 5. Dezember 1764 in Frankfurt am Main geboren. Seinen ständigen Aufenthalt hatte er seit 1789 in Berlin, zuerst als Bibliothekar und Redakteur der Spencrschen Zeitung, dann auch als Professor am Joachimsthaler Gymnasium, seit 1806 als Mitglied, seit 1811 als Sekretär der Akademie der Wissenschaften. Er war der Lehrer des Kronprinzen Friedrich Wilhelms (VI.) in den alten Sprachen. Der Verlust einer geliebten erwachsenen Tochter im Jahre 1820 erschütterte seine sonst feste Gesundheit. An seinem Grabe sprach Schleiermacher tief empfundene Worte. Ueber die Veranlassung zu seinem Erstlingswerke, der griechischen Grammatik, äußert sich Buttmann so: „Die Mpliussche Buchhandlung wünschte eine kleine griechische Grammatik im Auszuge nach dem Zu¬ schnitte der kleinen lateinischen und französischen, die Gedicke als Anhang seiner Lehrbücher ausgearbeitet hatte. Seine Amtsgcschäfte verstatteten ihm nicht, auch diese Arbeit, wozu wenig Brauchbares vorgearbeitet war, selbst zu übernehmen. Sie ivard mir, wenn ich des Ausdruckes mich hedienen darf, aus den Kopf zugesagt, und ich ward griechischer Grammatiker. Zeitlebens erinnere ich mich des Winters 1791 bis 1792, während welchem ich jene 7 Bogen mühsam aus den Angaben der ganz gewöhnlichen Grammatik und den fragmentarischen Resultaten eigenen Nachdenkens über eine damals besonders noch sehr sparsame Lesung der Alten zusammensetzte. Zeitlebens gedenke ich der kopfzerbrechenden, in meinen Träumen selbst mich verfolgenden Sorgen, die mir die erste Abfassung der dritten Deklination machte, an welcher auch mein ganzes Vorhaben meiner natürlichen Disposition gemäß richtig gescheitert sein würde, wenn nicht diesmal mein förmliches lluternehmen und der begonnene Druck mir den Rücktritt unmöglich gemacht hätte." Am 28. Juni vor 80 Jahren starb in Karlsbad der Professor der römischen Litteratur an der Berliner Universität Karl Gottlob Zumpt. Am 20. März 1792 in Berlin geboren, hielt er sich von 1810 bis kurze Zeit vor seinem Tode zuerst als Lehrer am Wcrdcrschcn Gymnasium, dann als Professor am Joachimsthalschen Gymnasium, darauf als Professor der Geschichte an der Kriegsschule, endlich seit 1827 als Universitätsprofessor ebenda auf. Berühmt machte ihn vor allem feine lateinische Grammatik. Außerdem gab er Textrezensionen lateinischer Schriftsteller (Ouinctilian, Cnrtius, Cicero) und antiquarische Unter¬ suchungen heraus. Sein Leben schilderte sein Reffe August Wilhelm Zumpt (geb. in Königsberg am 4. Dezember 1815, gestorben in Berlin am 23.

April 1877) in

Am

lateinischer Sprache.

Juni Vor

140 Jahren wurde der als Archäolog und Kunstschriftstellcr bekannte Aloys Hirt geboren, der ein treuer Anhänger der berüchtigten Gräfin Lichtenau mar. An den: letzten Geburtstage 27.

Friedrich Wilhelms II. erschien letztere in griechischem, nach Angaben Hirts verfertigtem Gewände und sang folgendes, vor, ihr selbst gedichtetes und von Himmel komponiertes Lied: Glänzend war die Morgenröte, Freudig endet dieser Tag. Ja wohl, freudig, weil er heute Friedrich Wilhelm hat geschenkt. Welcher

In

Jubel! Welch Entzücken der Hütte auf dem Thron!

Vater, Sohn, so Hand in Hand die lange Zukunft blickend, Und ein edles Beispiel seiend. Söhne, schaut den Sohn hier an, Väter, folgt dem edlen Vater In der Hütte auf dem Thron! Für diese „Poesie" überreichte ihr der kunstsinnige Archäolog einen Lorbcerkranz. Hin erwarb sich Verdienste um die Gründung des Ber¬ liner Museums und schrieb u. a.: „Baukunst nach den Grundsätzen der

In

BeranttvorUicher Redakteur: Dr. M.

Faiticineana,

Berlin.

-

Alten", „Geschichte der bilden¬ bei den Alten", „Ueber den Tempel der Diana von Ephesus", „Ueber den Tempel Salomonis", „Von den ägyptischen Pyramiden" u. s. w. Am 26. Juni vor 120 Jahren wurde in Stendal der tapfere Führer der Königsbergcr Landwehr bei dem Sturm auf Leipzig am 19. Oktober 1813, Karl Friedrich Friccius, geboren. Die Streitfrage, ob es seine Landwehrleute waren, die zuerst in Leipzig eindrangen, wird sich wohl nie befriedigend beantworten lassen. Ansprüche auf diese Ehre erhoben auch der Major von Mirbach und das Füselier-Vataillon des 2. Rcseroe-Jnfanteric-Regiments (nachmaligen 14. Infanterie Re¬ giments), endlich auch die Leutnants von Hohendorfs und von Sommer¬ feld, 20 Füseliere und 10 freiwillige Jäger des Füselier-Bataillons des 1. pomnicrschen, dann das 2. preußischen Infanterie-Regiments König von Preußen, die sich rühmten, „die ersten gewesen zu sein, welche von den vielen tausend Stürmenden die Stadt Leipzig betraten". Beim fünfzig¬ jährigen Jubiläum der Völkerschlacht wurde Friccius' und der Königs¬ berger Landwehr in Leipzig ein Denkmal gesetzt und letzterem das von der Stadt Berlin geschenfte Medaillonbild des tapferen Majors ein¬ gefügt. Friccius war 1818 Oberlandesgerichtsrat und trat freiwillig ein. Außer bei Leipzig zeichnete er sich bei Dennewitz aus. Nach dem ersten Pariser Frieden stellte er, von Jork empfohlen, in Ostsriesland die preußische Verwaltung wieder her. Gleichzeitig organisierte er ein ostfriesisches Regiment, das unter seinem Befehle bei Ligny mitfocht. Hier wurde er verwundet. Bis 1819 arbeitete er in der Ablösungs¬ kommission an der Aufhebung der gutsherrlichen Rechte, dann war er bis 1829 Mitglied des neuen rheinischen Remsions- und Kassationshofes, Alten". den

„Geschichte der Baukunst bei den

Künste

trat darauf als vortragender Rat in das Generalauditoriat und wurde Chef dieser höchsten Militärgerichtsbehördc. Er schrieb über die preu¬

ßische Militärgesetzgebung, über deutsches und preußisches Kriegsrecht, eine Geschichte des Krieges von 1813—1814 und eine Geschichte der

Belagerung von Danzig (bei der er Fahrwasser verteidigt hatte). Friccius starb plötzlich am 7. November 1856 in einem Kaffeehause bei

Berlin.

Am 29. Juni vor 80 Jahrrn bemerkte der Prinz von Preußen (Kaiser Wilhelm I.) mitten im Kugelregen des Gefechts von Bischweiler ein „Bildstöckl", hielt sein Pferd an und sagte zu dein Oberstleutnant Graf Pückler: „Ein ganz ähnliches Bildwerk habe ich für meinen Park zu Babelsberg bestellt. Finden Sie nicht auch, daß dieses „Bildstöckl" ganz die von mir gewünschte Form hat?" Der Gras bejahte das. Gelassen verharrte der Prinz während des hitzigen Kampfes neben dem „Bildstöckl", während die Kanonen brüllten und die Kugeln pfiffen. Zufällig erfuhr diesen Vorfall der Großherzog von Baden. Er kaufte das „Bildstöckl" und schenkte es dem Prinzen von Preußen. Und so steht es heute noch im Babelsberger Park am Havelufer, versehen mit dem Eisernen Kreuze und der Aufschrift „29. Juni 1849". Am 29. Juni vor 220 Jahren unterzeichnete der Große Kur¬ fürst mit schwereni Herzen den Friedeit von St. Gcrinain-en-Laye, durch den er alle seine Eroberungen einbüßte mit Ausnahme eines Landstrichs rechts von der Peene, doch mit Ausschluß der Festung Damm und der Stadt Gollnow. Da ihn, wie er selbst äußerte, nicht der König von Frankreich, sondern der Kaiser, das Reich, seine Verwaitdten und Bundesgenossen zu diesem ungünstigen Frieden zwangen, wählte er zum Text der Friedensprcdigt die Worte aus Psalm 118, 8: „Es ist gut, auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Menschen". Ferner ließ er eine Denkmünze prägen mit dem Verse aus Virgils Acncidc (4, 625): „Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor“ (irgend ein Rächer soll aus unseren Gebeinen erstehen). Nach anderen ries er dies beim Unterzeichnen der Friedensurkunde aus.

Büchertisch. Straubes Spezialkartc vom Riesen- und Jscrgebirge.

Verh.

1:80000, umfassend das Bober-Katzbach-, Landeshuter-, Rehorn-

Raben-, Ucbcrschaargebirge.

Die Karte ist bis auf das Neueste ergänzt und zeichnet sich durch saubere und genaueste Ausführung, große Uebersichtlichkcit und Voll¬ ständigkeit aus. Erschienen sind 8 Ausgaben: zwei-, drei- und fünf¬ farbig mit Touristenwegen und Farbcnbezeichnung der farbig markierten Wege. Den Touristen in Schlesiens Bergen können wir die schöne Straubesche Karte, die alle bestehenden Karlen an Genauigkeit und ein¬ gehender Behandlung und Wiedergabe aller Details übertrifft, durchaus enipfehlen.

Straubes Radfahr-Karte der Provinz Brandenburg (mittlerer

Teil), 500 Hi Meilen um Berlin. Verhältnis 1:800000 in drei¬ farbiger Ausführung 1 Mk., in sünfsarbiger Ausführung 1,50 Mk. Die im Karteubild 49x63 cm große, nach neuesten Aufnahmen mit besonderer Sorgfalt bearbeitete und durch sauberste Ausführung sehr übersichtliche große Straubesche Radfahrerkarte „500 (IMcilen um Berlin" stellt den weitaus größten Teil der Provinz Brandenburg dar und reicht — Berlin im Mittelpunkt — im Süden über Dessau, Witten¬ berg, Lübbenau, Peitz, im Osten über Guben, Frankfurt a. O., Küstrin, im Norden über Fiddichow, Templin, Rheinsberg, Pritzwalk, im Westen über Havclbcrg, Genthin, Zerbst. Alle Ortschaften und irgend wichtigen Punkte, alle Chausseen, Landstraßen und Fahrwege mit genauen An¬ gaben der Entfernung von Ort zu Ort und roter Bezeichnung der für Radfahrer benutzbaren Straßen, Eisenbahnen, Gewässer, Wälder rc. sind außerordentlich zuverlässig angegeben. Der durch seine guten Karten Meilen so bekannte Verlag bietet mit Straubes Radfahrcrkartc „500 um Berlin" wieder eine vorzügliche und preiswerte Karte, die sich bald im Besitz der meisten Radfahrer befinden und sich deren ungeteilter Anerkennung erfreuen dürfte.

Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenburger Straße

lia.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Sonnabend, 8.

Gplev

Nr.

Juli 1899.

>7

^cpzcds.

cles

------

Berliner Roman von ©. Llster. (Fortsetzung.)

s klang wie Spott, wie der frühere herbe Trotz, den sie heute nicht gezeigt hatte. „Weshalb suchen Sic mich stets zu verspotten, gnädiges

Fräulein?"

entgegnete

er

mit trauriger Stimme.

ich

jetzt

Sie

senkte

den Schlüssel

mir bislang

„Verzeihen Sic mir meine Unart . . . ." Sie schritt zu einem der Eckdivans und setzte sich nieder. Er folgte ihr und nahm an ihrer Seite Platz. „Sie haben vorhin über meine Talentlosigkeit gespottet," hub . .

.

."

Im

Ihrem

Wesen

gesunden

zu

das Haupt und schwieg.

„Sehen Sie, Fräulein Brunhild," fuhr er fort, „ich bin der Sohn einer Offiziersfamilie. Meine Vorfahren waren, soweit idi verfolgen kann, alle Offiziere, viele von ihnen haben ihr Blut vergossen. Zu großem Wohlstand ist keiner von ihnen gelangt: sie sind alle in einer harten Schule aufgewachsen, und oft standen Sorge und Entbehrung an ihrer Wiege. Da war denn kein Platz für Kunst, Musik, Malerei und Dichtkunst. Ich wüßte nicht, daß sich einer meiner Vorfahren mit diesen Künsten beschäftigte. Aber, Fräulein Brunhild, wenn sie auch keine Talente, keine Genies waren, sie waren Charaktere, die in dem Kampf mit der Sorge und der Not des Lebens gefestigt wurden. Das Höchste war ihnen ihre Ehre, ihre männliche Kraft in sie

für König und Vaterland

die Hand.

„Bitte, es soll nicht wieder geschehen . „Sie haben mich nicht dadurch verletzt. Ihnen dankbar dafür."

zu

verschlossen blieb."

Schloss Ballenstedt. „Eine Psingstfahrt in de» Harz.")

nicht ohne künstlerische Begabung ein wackerer Mensch, ein rechter Mann sein?" Sie blickte wie überrascht zu ihm ans; dann reichte sie ihm

...

„Weil

haben glaube, das

„Kann man

(Znm Artikel

er an

„Wieso?"

Gegenteil, ich bin

der Ueberwindung aller möglichen Schwierigkeiten; sie sind stets wahre Männer gewesen. — Aus diesem Stamm bin ich hervor¬ gewachsen, Fräulein Brunhild. Die Genossen meiner Kindheit waren Sorge und Not. Mein Vater wurde wegen Kränklichkeit — Nachwehen einer Verwundung im Feldzuge — früh verabschiedet; er besaß uichts als seine Hauptmannspension und die Zinsen eines sehr mäßigen Vermögens,

und davon sollten

wir Söhne

standes¬

gemäß erzogen werden. Fräulein Brunhild, da war kein Platz für die Kunst — da war Arbeit und eherne Pflichterfüllung nötig. —"

„Aber

„Er

ich denke doch, daß

Ihr Herr Vater

ein

Gut

besitzt.

.

."

in späteren Jahren von einem entfernten Ver¬ Jetzt sind seine Verhältnisse ganz behagliche geworden — ein Glück für mich, daß er erst so spät zu Wohlhabenheit ge¬ langte; denn meine Bildung war schon abgeschlossen, ich hatte den verweichlichenden Einfluß des Reichtums nicht mehr zu fürchten. So, Fräulein Brunhild, bin ich geworden, wer ich bin — ein Mann ohne Talent, aber ich hoffe, ein Mann. — Und wenn ich auch selbst keine Kunst ausübe, so liebe ich die Kunst. Die Musik spricht zu mir in ihren süßen Tönen und weckt die tiefsten Gedanken in mir. Das Theater ist für mich eine Stätte, der edelsten Erholung, und ein schönes plastisches Werk, ein Bild ergreift mich aufs tiefste. Für mich ist die Kunst eine sehr heilige Göttin, die ich verehre — ich sehe oft mit tiefem Schmerz, wie diese hehre Göttin durch erbte es

wandten.

unwürdige Jünger entweiht wird." Seine Stimme hatte sich etwas erhoben und einen markigen Klang angenommen, der in ihrem Herzen einen eigenen Widerhall hervorrief. So hatte noch kein Mann zu ihr gesprochen! Die Lebensauffassung, welche aus seinen Worten hervortönte, war ihr fremd — da war nichts von Genuß, von träumerischem Sichgehenlassen, von Ansprüchen an die Welt, die mau nicht durch eigene Kraft erkämpft; da war kein Pochen auf vermeintliche Rechte, die durch Geburt, Reichtum oder Talent begründet wurden, da war kein leeres Streben nach mühelosem Genuß und Gewinn — da war alles feste Kraft, ernste Arbeit, zielbewußtes Wollen und edles

Sie kam so

„Soll

schmeichelhaft

für mich."

in dieser Stunde schmeicheln, Fräulein Brunhild? Es ist die erste Stunde, in der Sie mir eine offene Aussprache vergönnen, in der ich Ihnen mein ganzes Wesen enthüllen darf, in der sich mir Ihr ganzes Wesen enthüllt. Soll ich da schmeicheln?" ich

Sie blickte mit unendlich weichem Lächeln zu ihm auf. „Nein", entgegnete sie mit bebender Stimme, „das wäre Ihrer und meiner unwürdig."

Ihnen, Brunhild,"

sprach er tief aufatmend. Stunde über Ihr und mein Leben entscheiden. Lassen Sie mich wie ein ehrlicher Mann sprechen, und antworten Sie mir offen und frei, und fürchten Sie nicht, durch

„Ich

danke

„Und nun lassen Sie

diese

Ihre

abweisende Antwort mich zu verletzen oder mein Leben zu vernichten. Sie werden mir eine tiefe Wunde schlagen, aber Sie werden mich nicht zerschmettern können, ich werde nicht mehr glück¬ lich werden, aber ich werde weiter leben und meine Pflicht weiter erfüllen gegen meinen König, gegen mein Vaterland, gegen mein

Volk. —"

Sie beugte das Haupt tiefer und faltete die Hände in ihrem Schoß.

„Ich habe Sie geliebt, Brunhild," fuhr er mit leiser, vor innerer Erregung bebender Stimme fort, „seit der ersten Stunde da ich Sie kennen lernte. Es ist das keine leere Redensart. — Ich gestehe Ihnen auch, daß ich gegen diese Liebe gekämpft habe; denn ich glaubte, unser beider Wesen würde nie zusammen passen. Ich beobachtete Sie, ich studierte Sie — und nach und nach lernte ich

Ihr Wesen verstehen, und Ihr Wort heute abend

Traurigkeit

eine unendliche

beschlich

war nur der Schlußstein — es gab meiner Beobachtung recht. Sie können mich nicht lieben — Sie, die Künstlerin und ich der einfache Mann der Arbeit . . ." mich.

Mit

banger Frage blickte

sie zu

ihm auf.

„Sprechen Sie nicht weiter," sagte Sie hastig. „Sie thun unrecht. sich Ich bin keine Künstlerin — ich bin ein schwaches Weib, das sich willig und demütig der Kraft des Mannes beugt."

„Brunhild!?"

Streben. über

„Das ist wenig

sich

dieser ernsten, ehrlichen Lebensauffassung gegen¬

klein und schwach vor.

Ihr waren ja alle Güter des Lebens in den Schoß geworfen. Sie hatte niemals ernstlich gewollt, ernstlich gestrebt, es war ihr alles so leicht gemacht, sogar ihr künstlerisches Können war mehr eine Gabe der gütigen, verschwenderischen Natur, als der Erfolg ernsten Strebens, ernster Arbeit.

Und mit cinemmale erschien ihr auch das Ideal ihres Mädchenherzens, der „gottbegnadete" Künstler Ewald Brunner, so klein, so unendlich klein. Mit cinemmale wußte sie, was sie an ihm vermißt, ohne sich dessen bislang klar zu sein: den männlichen Ernst, die männliche Kraft, die zielbewußte Arbeitsfreudigkeit.

Er ergriff ihre Hände und preßte sie an seine heißen Lippen. „Brunhild — Sic — Sie könnten mich lieben? — Sie könnten •— o mein Gott, laß mich aus diesem Traum nicht er¬ wachen.

.

."

„Es ist kein Traum, Bernd. . ." „Kein Tranm — kein Traum!" — Er beugte sich über ihre Hände, und

sie

fühlte heiße Tropfen

auf ihre Hände niederfallen.

„Bernd" — flüsterte sie. Ein Schluchzen entrang sich seiner Brust.

„Brunhild —

Doch dann richtete

Seine Augen blitzten.

er sich straff empor.

sieh

mir ins Auge

.

.

.

willst Du mein Weib

Er hatte immer nur von seinen vereitelten Hoffnungen, seinen unerfüllten Wünschen, seinen hochkliugeuden Plänen gesprochen. Er wollte stets etwas thun, aber er that nichts — mit seinen Gedanken erreichte er die Sonne, aber mit verbrannten, matten Fittichen sank er zur Erde nieder. Er hatte keinen festen Boden unter den Füßen, er schwebte stets wie auf Wolken.

sein?"

Unwillkürlich hatte sie davor gebangt, ihm ihr Schicksal an¬ zuvertrauen; bei den Worten Bernds hatte sie die Empfindung, sich mit all ihren Schmerzen, Enttäuschungen, Wünschen und Wollen zu ihm zu flüchten, um in seinem Schutz sicher vor allen Gefahren

Er zog sie an sich, und sie lehnte das Haupt an feine Brust weinte die ersten glücklichen Thränen seit jener Stunde, da sie und an ihrer Liebe zu Ewald verzweifelte. Sie fühlte sich so sicher in seinem Arm. Die Kraft und der Wille des Mannes hatten über ihr Schwanken und Zweifeln gesiegt. —

des Lebens zu sein.

mit unsicherer Stimme, „daß Sie den Schlüssel meines Wesens gefunden hätten — und doch haben Sie nur von sich selbst gesprochen." „Meine Worte sollten Ihnen zeigen, daß ich mir über mein eigenes Wesen vollkommen klar bin — Sie sollten nur der Spiegel sein, der das Bild Ihres Wesens zurückwirft. Hier das arbeits¬ volle, pflichterfüllte Leben des Mannes — auf Ihrer Seite das in Idealen und den schönen Täuschungen der Kunst lebende Wesen der Frau, die noch keine Klarheit über Leben und Welt ge¬ wonnen hat."

„Sie

sagten

vorhin,"

sprach sie

„Ja, Bernd,

ich

will Dein Weib

sein.

.

.

."

„Willst Du mir vertrauen, was auch immer kommen möge?" „Ja, Bernd." — So halte ich Dich und lasse Dich nicht für hier und alle Ewigkeit!"

Eine freudige Erregung bemächtigte sich der Gesellschaft, als Bernd und Brunhild Arm in Arm den Salon betraten. Die Justizrätin strahlte vor Stolz, und der Justizrat schloß seine Tochter voll tiefer Rührung in die Arme.

Er allein hatte in

seines Kindes Herz gelesen.

Verlegen lächelnd brachte Bruno von Western seine Gratu¬ lation dar. Er fühlte, daß er ebenso hätte handeln müssen wie Bernd, aber ihm fehlte die Sicherheit und die Kraft des Wollens.

Elli Mertens aber weinte ihr zu: „Ach, wäre ich

flüsterte

an der Brust der Freundin und doch auch erst so

weit wie Du.

.

."

42S

7.

Raxikrl.

Die kalte Wintersonne strahlte mit bleichem Glanze über der im weißen, blitzenden Schneekleide ruhenden Erde. Freilich, in der rastlos thätigen Weltstadt merkte man von der in der Natur herrschenden Winterpracht gar wenig. Der hin und her flutende Verkehr der Tausende von Wagen und der Tauende und Abertausende von Fußgängern duldete nicht das glänzende Weiß des Winters; spiegelblank gefegt zogen sich die breiten Asphaltstraßen dahin, schwarz und staubig die Fußsteige, und selbst der Schnee aus den Dächern und Thürmen war schwärz¬ lich-grau gefärbt. Aber unmittelbar vor den Thoren — in dem Tiergarten, da blitzte und blinkte es wie von Millionen Krystallen; da rieselte der feingefrorene Schnee in dichten Staubwolken von den Bäumen, wenn der Wind sie schüttelte, und da ruhte das Auge mit Ent¬ zücken auf den weiten, weißen Flächen, die im Sommer das Auge durch ihren grünen Rasenteppich erfreuten. Freier atmete hier die Brust, uud lebhafter röteten sich die Wangen! Brunhild und Elli Mertens schritten durch den Tiergarten in Die Schlittschuhe, welche leis klirrend an eifrigem Gespräch. ihren Armen hingen, zeigten ihr Ziel an. Sie wollten nach der Rousseau-Insel, um dort Schlittschuh zu laufen. „Ach, Brunhild," seufzte Elli Mertens, „ich bin recht unglücklch. Ich weiß wahrhaftig nicht, wie es noch enden soll." „Aber Ihr liebt Euch doch, hast Du mir so oft gesagt," entgegnete Brunhild mit leichter Ungeduld in der Stimme. „Ich sehe wirklich nicht ein, weshalb Du Dich da unglücklich fühlst. Wenn Ihr auch noch einige Zeit warten müßt — das Bewußtsein der gegenseitigen Liebe allein sollte kein Unglücksgesühl in Euch aufkommen lassen." „Ach, Brunhild — hilf Du mir!" „Wie soll ich Dir denn helfen?"

„Sprich einmal mit Deinem Bräutigam über Bruno. Bernd soll ihm einmal ins Gewissen reden . . ." ich glaube kaum, daß Bernd sich dazu bereit „Aber, Elli Western muß doch selbst wissen, was er Dir erklären wird. schuldig ist." „Du hast wohl recht, Brunhild, aber Bruno ist so unent¬ schlossen. Heute verspricht er mir, zu meinen Eltern zu gehen, morgen vertröstet er mich. . ." „So würde ich ein Ende machen und ihn vor die Alternative stellen — entweder — oder." „Und wenn er dann ganz fortbleibt?" „Nun — dann ist. . ." Sie vollendete den Satz nicht, der gerade keine Schmeichelei für Bruno von Western enthielt. Sie sah die großen blauen Kinderaugen Ellis mit ängstlicher Frage auf sich gerichtet, daß sie

...

Mitleid mit ihr empfand.

„Du Närrchen,

er hat Dich

doch

lieb? — Wie wird er da

fortbleiben?"

Die blauen Angen Ellis füllten sich mit Thränen. Ihren geheimen Zweifel an der Treue des Geliebten mochte sie selbst der Freundin nicht offenbaren. Dazu war sie denn doch noch zu stolz. Wer in ihrem Herzen bohrten sich diese Zweifel immer tiefer ein, hatte sich Bruno doch seit acht Tagen nicht blicken lassen und kein Lebenszeichen von

sich gegeben.

„Weißt Du, was wir thun wollen, Elli?" nahm Brunhild „Wenn wir Western auf der nach einer Weile wieder das Wort. Eisbahn treffen, dann werde ich mit ihm laufen und einmal mit ihm sprechen. ..." „Ach, Brunhild, wenn Du das thun wolltest! Aber was wird Dein Bräutigam sagen?" „Den überlasse ich Dir." „Wird er aber damit einverstanden sein?" „Wenn ich ihn darum ersuche. . ." Es war ein eigentümlicher Ton, in dem sie von ihrem Ver¬ .

Andere junge Mädchen begriffen dieses kühle Ver¬ Brunhild und Bernd von Osterath herrschte. Noch niemand hatte eine heimliche Liebkosung zwischen den Verlobten bemerkt, wie sie doch sonst zwischen einem Brautpaar

lobten sprach.

hältnis nicht,

welches zwischen

vorkommen. Bernd behandelte seine Braut mit zarter, aber fast ernster Rücksichtnahme; er war in Gesellschaft stets an ihrer Seite und las ihr jeden Wuusch vom Auge ab. Aber er zeigte niemals die heimliche, ungeduldige Sehnsucht wie andere Verlobte, mit seiner Braut allein zu sein, und Brunhild gab ihm auch keine Gelegenheit zum trauten Alleinsein und einem zärtlichen Zwie¬ gespräch. den strengsten Formen bewegte sich ihr Verkehr, so daß sich schon der Klatsch ihrer bemächtigt hatte, und man sich erzählte, er nähme sie nur ums Geld und sie ihn um seinen hochadeligen Namen und seine Dragoneruniform.

In

Zweifelte Brunhild an seiner Liebe? Gewiß nicht. Sie war im Gegenteil von ihr felsenfest über¬ zeugt. Sie empfand die größte Hochachtung vor seinem Charakter, aber sie sühste doch oft eine Kälte und Leere in ihrem Herzen, die sie vor seinen Liebkosungen zurückschaudern ließen. Einmal, als er sich in leidenschaftlicher Aufwallung ihr ge¬ nähert, hatte sie ihn mit so seltsam erschrockenem Blick angesehen, daß er zurückwich.

Seitdem hatte er niemals wieder versucht, sie zärtlich in die Arme zu schließen und ihre Lippen zu küssen. Er warb in stolzer Zurückhaltung um ihre Liebe. Sie wußte, daß sie ihm weh gethan — aber sie konnte nicht anders handeln. Die Wunde ihres Herzens war noch nicht ver¬ harscht, und oftmals tauchte noch der dunkle Apollokopf Ewalds in ihren Träumen auf. Das Wesen ihres Verlobten war ihr so fremd; er war so ganz anders, als sie in ihren Mädchentränmen erhofft uud ersehnt. Seine Ansichten so einfach und streng, daß sie ihr, der Großstädterin, oft spießbürgerlich erschienen. Kurz vor der Eisbahn begegneten den jungen Damen Bernd und Bruno. Bernd begriißte seine Braut mit einfacher Herzlichkeit, Bruno zeigte eine gewisse Verlegenheit, die er unter einer lebhaften Fröhlichkeit zu verbergen suchte. So betrat man die Eisbahn. „Heute sollen Sie mein Ritter sein, Herr von Western," sagte Brunhild lächelnd. „Bitte, schnallen Sie mir die Schlittschuhe an." Damit setzte sie sich auf eine Bank und hielt Western den schmalen, zierlichen Fuß hin. Mit übertriebener Galanterie kniete Leutnant Western vor ihr nieder. Zwischen Bernds Augenbraunen zeigte sich eine kleine Falte, doch er sagte nichts, sondern wandte sich scherzend zu Elli und meinte: „So müssen Sie mit mir fürlieb nehmen, gnädiges

Fräulein."

„Mit großem Vergnügen," cutgegnete Elli lebhaft, einen nicht gerade freundlichen Blick auf Western werfend, der sich eben erhob, Brunhild die Hand reichte und mit ihr davon eilte. „Ich sehe es Ihnen an, daß Sie unzufrieden sind, gnädiges Fräulein, sich mit meinen Ritterdiensten begnügen zu müssen," sagte Bernd mit leisem Lächeln, indem er Elli die Schlittschuhe anschraubte. „Wie kommen

Sie auf den Gedanken, Herr Leutnant?" „Run, man ist doch nicht blind, und Brunhild hat mir

manches erzählt

„So? Hat

.

sie

.

so

."

Ihnen

auch erzählt, daß

ganz abscheulicher Mensch ist?" „Nein, entgegnete Bernd lachend,

Herr von Western ein

das höre ich eben zum

erstenmal."

„O, Sie wollen mich verspotten," schmollte Elli, indem ihr wieder die Thränen in die Augen traten. „Aber» Fräulein Elli — Thränen, wirkliche Thränen? Bitte, lassen Sie uns lausen." Er bot ihr die Hand, und eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her. Es war ein wunderbar schöner Aufenthalt auf dem rings von Wald eingeschlossenen kleinen See. Es herrschte nicht die Vollheit wie auf den großen künstlichen Eisbahnen. Die Gesellschaft war nicht so gemischt, und man merkte es, daß man sich nur in bester Gesellschaft befand. Das laute, oftmals wüste Treiben, wie es auf den großen Eisbahnen sich geltend macht, fehlte hier ganz und gar. Dazu ringsum der stille, im winterlichen Schmuck dastehende Wald — die strahlende Sonne und der feine Nebelduft, welcher

424

einem durchsichtigen Schleier über alle Gegenstände legte, das alles erzeugte eine weiche, poetische Stimmung, der sich auch

„Und in kleinen Verhältnissen

sich gleich

Elli nicht entziehen konnte. Sie vermochte die Thränen nicht zurückzuhalten. Unaufhaltsam perlten sie über ihre runden, frisch angehauchten Wangen. Bernd that das arme Kind wirklich leid. Er glaubte, sie zürne Western, weil er mit Brunhild lief. „Sollen wir die beiden einholen und changez les cavaliers spielen, Fräulein Elli?" fragte er, gutmütig lächelnd und ihr freundlich in die Augen sehend. „Nein, ich danke, ich mag nicht mit Herrn von Western laufen." „Ah, Fräulein Elli, doch nicht eifersüchtig?" „Ich — eifersüchtig ans Brunhild? O, Herr von Osteroth, dazu steht mir Brunhild zu hoch!"

Ihnen, Fräulein Elli —

doch was bedrückt Sie? Wollen Sie Vertrauen zu mir haben?" Sie senkte das Köpfchen und schwieg. Eine heiße Glut stieg ihr in die Wangen.' Rascher flog sie dahin. Doch nach und nach verlangsamte sie den Lauf und, verlegen zu ihm aufblickend, flüsterte sie: „Sie werden gewiß schlecht von mir denken . . ." „Aber, Fräulein Elli

„Ich

Kann

ich

danke

Ihnen helfen?

..."

„Ja, weil weine

ich

..."

um einen

abscheulichen,

treulosen Menschen

„Und das wäre Bruno von Western? Noch heute, als wir hierher gingen, hat er mir von einer gewissen kleinen Elli vor¬

unglücklich machen." „Das kommt darauf an.

„Ohne Frage —

ich

so

. ." . „Und deshalb weinen Sie?"

gut

„Herr von Osteroth, Sie sind ein guter, braver Mensch — würden Sie einem Mädchen untreu werden, weil es kein Ver¬ mögen besitzt?"

Bernds Antlitz nahm einen ernsten Ausdruck an. Da lag es also. Wieder das unglückselige Geld, welches in dem Leben und der Liebe der Offiziere eine so große und entscheidende Rolle spielt. Wie oft hatte er nicht schon erfahren, daß das Geld Menschen, die sich liebten, getrennt hatte, wie oft nicht schon gehört, daß dieses

den

scheulicher Mensch!"

hältnisse nicht gestatteten, es zu Liebe gesprochen haben."

heiraten, diesem niemals von

„Ah, Sie wären zu keinem Opfer fähig?" „Zu jedem, Fräulein Elli, wenn ich dem Mädchen mein Wort gegeben

hätte."

„Aber Sie würden sich bedenken, Ihr Wort zu geben?" „Gewiß . ." „Oh, Sie sind nicht besser als die anderen alle!"

ich konnte

„Sie

wahrhaftig nicht kommen — der Dienst

sich

sind ein Engel,

nur nickt, dieses Mal ist Ihnen

Elli.

.

.

noch

."

„Wenn ich Sie nicht so lieb hätte, Bruno!" Eng aneinander geschmiegt glitten sie Arm in Arm über die blitzende Eisfläche. Ihre Augen strahlten, ihre Wangen glühten, vergessen war alle Zwietracht, vergessen alle Sorge des Lebens. Die Liebe zweier junger Herzen trat in ihre Rechte. Mit lächelndem Blick verfolgte Brunhild das Paar.

„Ich glaube, ich habe meine Sache gut gemacht," meinte sie vergnügt. „Wieso?" fragte Bernd. „Hast Du etwa mit Western über sein

Verhältnis zu Elli gesprochen?" „Allerdings — und ihm tüchtig den Text gelesen." „Glaubst Du wirklich, daß Du damit das Rechte gethan hast?" „Natürlich. Die beiden lieben sich ja." „Und ist's damit abgethan?" „Ich verstehe Dich nicht." „Weißt Du auch, ob ihre Verhältnisse zu einander passen?" „Wenn sie sich lieben, kommt es aus die Verhältnisse nicht an."

„Das sind sehr romantische Anschauungen." Brunhild errötete. Fast dieselben Worte hatte ihre Mutter gesagt, als Brunhild einstmals ihr gegenüber das Recht der Liebe verteidigt hatte. Damals fühlte sie sich verletzt, und auch jetzt wallte es in ihr empor. „Mag sein," entgegnete sie empfindlich. „Jedenfalls sind es keine spießbürgerlichen Anschauungen."

„Brunhild!"

.

Er

...

— meine Arbeit —" „Entschuldigen Sie einmal vergeben."

unglückselige Geld das Lebensglück zweier Menschen vernichtet! Ernst antwortete er: „Wenn ich das Mädchen wirklich liebte, würde mich nichts von ihr trennen — oder —"

Er stockte. Seine Ehrlichkeit erweckte Bedenken in ihm. „Oder?" fragte Elli gespannt. „Oder ich würde," erwiderte er rasch, „falls mir meine Ver¬

Die Liebe ist zu jedem Opfer fähig." Opfer der Entsagung."

auch zu dem größten

Arm — ich befreie Sie von mir." Damit machte sie ihm eine neckische Verbeugung und legte ihre Hand in den Arm Bernds. „Das gnädige Fräulein befiehlt, Fräulein Elli —" sagte Western verwirrt. „Und Sie gehorchen," rief Brunhild lachend und zog ihren Verlobten mit sich fort. „Elli, darf ich es wagen," bat Western verlegen. „Ah, ich müßte Ihnen eigentlich einen Korb geben, Sie ab¬

Elli

„Elli

ich-"

und das geliebte Mädchen

„Das verstehe ich nicht." „Vielleicht werden Sie es noch einmal verstehen lernen. ^— Doch sehen Sie, da kommen Brunhild und Western auf uns zu — jetzt werden wir uns doch trennen müssen," setzte er scherzend hinzu. Bruno von Western sah sehr rot aus. Auf seinem Gesicht lag ein Zug der Verlegenheit, während Brunhild mild lächelte. „Herr von Western findet es sehr langweilig, mit der Braut eines anderen Schlittschuh zu lausen," sagte sie scherzend. „Aber, gnädiges Fräulein. . . ." „Ja, ja, Sie haben fast kein Wort gesprochen und mich die Last der Unterhaltung allein tragen lassen. Jetzt reichen Sie nur

geschwärmt."

„Wirklich? — Ah, er kann ja auch nicht so schlecht sein." „Wie schlecht denn, Fräulein Elli?" „Er hat eS mir doch so oft gesagt, daß er mich liebt, und — „Nun, und Sie?" „Ich war gar nicht böse darüber — ich — ich bin ihm ja

sich

In

lächelte.

„Verstehen Sie mich nicht falsch, Fräulein Elli. Sie sind ein verständiges, kluges Mädchen. Sie wissen, was das Leben für Anforderungen an uns stellt, welche Rücksichten wir zu nehmen haben. Gesetzt den Fall, ich liebe ein Mädchen, welches, in guten Verhältnissen ausgewachsen und erzogen, an alle feineren Bedürfnisse des Lebens gewöhnt ist, aber kein Vermögen besitzt. Ich besitze auch kein Vermögen, ich besitze nichts, als mein kleines Gehalt — ist es da nicht ein Unrecht, diesem Mädchen von Liebe zu sprechen, in ihm Hoffnungen zu erwecken, die nicht erfüllbar sind." „Muß denn jeder Mensch Offizier sein?" Er lachte auf. „Gewiß nicht — aber wenn man's nun einmal ist . . ." „So kann man seinen Abschied nehmen!"

seinen Augen flammte es fast drohend auf. Doch er bezwang sich, wie stets, wenn sie ihm widersprach. „Das Leben wird Dich schon lehren, welche Anschauung die richtige ist," sagte er ruhig. Sie antwortete nicht. Schweigend glitt sie neben ihm dahin. „Willst Du nicht meinen Arm nehmen?" fragte er. „Nein, ich danke, ich möchte gern allein laufen."

„Wie Du willst." Er sagte es ohne Empfindlichkeit. Das aber gerade reizte und trotzig warf sie das Haupt zurück.

Schweigend liefen sie dahin. In einsilbigem Gespräch geleitete Bor der Thür nahm er Abschied. „Entschuldige mich für heute abend bei Deinen Eltern," sagte „Ich habe zu arbeiten." „Es ist gut, es bedarf keiner Entschuldigung."

er sie nach Hause. er.

sie

(Fortsetzung folgt.)

426

Das Berliner Theater in den Jahren 1627 und 1828. Jempora mutantur et no 8 mutamur in illis — das gilt vor allem auch für dic dramatische Kunst, für das Bühuenwesen. „Die Nachwelt flicht dem Mimen keine Kränze," singt zwar der Dichter, aber ich will es im Nachfolgenden doch versuchen, wenigstens einige jener Kränze, welche berühmten deutschen Mimen, Schau¬ spielern und Sängern in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts gespendet wurden, wieder aufzufrischen, und ebenso die gute alte Zeit, in der unsere Großväter jung waren. Es gab im Jahre 1827 in der Hauptstadt Preußens — ich glaube keineswegs, den Lesern damit eine Entdeckung zu bieten, aber der Vergleich liegt auf der Hand! — nicht annähernd soviele Bühnen wie in der deutschen Reichshauptstadt fin de siede, aber dic wenigen, dic vor¬ handen waren, machten sich ganz wie heute eine heftige Konkurrenz, und ganz wie heute hatte das auch damals sein Diesseits der gutes. Spree gab es das Opern¬ „Königliche haus" und das „Kö¬ Schauspiel¬ nigliche haus", jenseits der Spree das so beliebte, verschwundene längst „Königsstädtische The¬ ater", das, wie unsere modernen Provinzial¬ Oper theater, und Schauspiel gleicher¬ maßen pflegte, — und damit basta! Wenn man sich in jene schon so ferne Zeit im Geist versetzt, so findet man darin einer¬ seits viele Beziehungen zur unserigen,fürwelche gleichfalls die Worte

„alles

schon

Sentenzen und Empfindsamkeit und Moral, mit einem Wort, seid ihr Sachen gewärtig, die nicht Hand noch Fuß haben, o da habt ihr Hand und Fuß, da lauft ihr und ringt um Plätze und sitzt und schwitzt stöhnend aus Stirn und Augen und fangt die Thränen noch warm mit den Händen auf und zerklatscht sie (wie sich wohl Tagelöhner, damit es besser von Händen gehe, in diese speien), und habt ihr dann zwei oder auch drei Enden des endlosen Stückes gesehen, so ruft ihr wiehernd und stampfend den Schauspieler, der am meisten so gewissenlos war, eine schlechte Rolle gut zu spielen, und seufzend geht ihr hinaus und drijckt euch auf der großen Treppe Abschied nehmend stumm die Hände oder seufzt noch einmal: o, es ist doch sublim — und auch er selbst, der Raupach! Aber wie ihr den Raupach für einen deutschen Shakespeare haltet, so ist auch der Shake¬ britischer speare ein geworden. Raupach Wer nicht die größte Langeweile hat oder ein Freibillet, der flieht auch diese höchsten

aller

Bühnenspiele, und ein Devrient, der — Gott sei Dank! — der Plann ist, um auch ganz allein ebenso groß zu sein als vor Tausenden, Devrient muß den Ko¬ loß seiner Kunst vor etwa hundert Augen aufrichten. Und was für Augen? was für Menschen? Menschen, die über den wahn¬ den sinnigen Lear, schrecklichen

Shylock

lachen, die zum Zeichen ihres Mitfühlens klat¬ schen können und bravo rufen, da, wo sie ver¬ gessen sollten, daß noch ein anderer als der Schauspieler, den sic

dagewe¬

gelten, anderer¬ seits sagt man sich un¬ willkürlich: „doch so ganz anders als heute!" Die Klage der Kritiker über Mangel an Er¬ findungskraft bei den lebenden Dichtern bei¬ spielsweise klingt so modern, daß man sich, um überhaupt einen llutcrschied zu finden, schon au die verzopfte Sprache der Rcllstab und wie die berühmten

sen!"

bewundern, Hand und

Mund

rühren darf. das seid ihr, Berliner, und das ist Und die

Stadt, die in Kon¬

versation und Konversationsblättern Kunst und Kunstgesetze giebt und bespricht, dic Stadt, in der sich alles finden läßt, nur nicht Worte, um sie hinreichend zu Trrseburg. benennen!" Ihr mo¬ Kunstrichter jener Zeiten (Zum Artikel „Eine Pftngstfahrt in den Harz") dernen Schauspieler, die sonst noch heißen,halten ihr über Mangel an Dagegen ist muß. Kunstverständnis beim Publikum klagt, erinnert euch zu eurem die heutige Theaterkritik, der Geschmack des Publikums, die Inszenierung der Stücke, deren Erstausführung und dic Zahl ihrer Trost an euer größtes Vorbild, au Devrient, der vor leeren Bänken spielen mußte und vor Leuten, die über den wahnsinnigen Lear Wiederholungen so gar nicht mehr zu vergleichen mit dem, was lachten wie ehedem die Pariser über das Taschentuch Othellos —! zu Anfang des Jahrhunderts, in einer uns ganz patriarchalisch Alle Kritiken jener Zeit eifern gegen das Publikum, weil es anmutenden Zeit, üblich war. „gerade von den besten Stücken am wenigsten ins Theater gelockt Die Klage, daß das Publikum für ernste Kunst keinen Sinn hat, ist alt. Damals schwärmte man für Rossini und Auber, für wird. „Der Prinz von Homburg beispielsweise," so heißt es in einer derselben: „wurde schon bei der dritten Aufführung vor Räupach und Ausfenberg, Kotzebue und Angely, heute für. . . doch nomina sunt odiosa! Es verlohnt sich, einige Kritiken aus jener einem schwachbesetzten Hause gespielt." Das Publikum ist heute Zeit wörtlich wiederzugeben, die übrigens auch de» Beweis liefern, entschieden kunstsinniger als ehedem. Ich erinnere nur an die Zugkraft des „Julius Cäsar" im Königlichen Schauspielhause, der daß der Kunstrichtcr damals kein Blatt vor den Mund nahm und 1828 ebenfalls vor einem nur spärlich versammelten Publikuni dem verehrten Publikum ordentlich die Leviten las. Am 4. Sep¬ gegeben wurde. Es ist wahr, daß man diesem einen von Friedrich tember 1828 wurde im Schauspielhause „Der Kaufmann von Förster, der damals die Verballhornisierung des großen Briten Venedig" gegeben. Trotzdem ein Devrient den Shylock, ein Lemm berufs- und fabrikmäßig betrieb, arg verstümmelten „Julius Cäsar" den Antonio, eine Nnzclmann die Porzia spielte, war das Haus vorführte, was denn auch in einem litterarischen Oppositionsblatt so leer, daß „in manchen Szenen mehr Menschen auf, als vor der zu der Scherzfrage Anlaß gab: „Wenn Shakespeare ein BühuenBühne sein mochten." Und nun höre man die Strafpredigt, die, gedicht von Friedrich Förster bearbeiten könnte, wie Friedrich so lang und breitspurig sie auch ist (sie erinnert an die des Ka¬ Förster eins von Shakespeare, wer würde dem anderen größere puziners im Wallenstein), doch unverkürzt wiedergegeben zu werden Rot machen?" In der Kritik heißt es: „Giebt man den Julius verdient. „Warum das Haus so leer? Könnt ihr ein Ballet sehen Cäsar, so muß man darauf rechnen, daß er kein Zugstück für das oder ein Greuel-Melodrama, ihr Berliner, dient euch ein Ausfenberg ganz gewöhnliche Publikum sein wird, man mag ihn nun zumit dialogisierten Romanen oder ein Raupach mit Metzelei und >

426

schneiden so sehr man kann und will. DaS Publikum, das sich für diese Tragödie interessiert, wird immer nur ein feines und

sein." Die Kunstkritik jener Zeit klagt fast durchweg Seichtigkeit des Vaudeville- und Melodramen-Unfugs" die „Einschlachtung der Walter Scott-Romane" durch der Lemberg, Auffenberg und Raupach. To hat jede Zeit ihre litterarische Modekrankheit. Damals stand man trotz Lessing stark unter französischem Einfluß und schwärmte für Scribe,

gebildetes über „die und über die Legion

Bodethal. (Zum Artikel

„Eine Psingstinhrt in den Harz.")

stehen wir unter nordischem Einfluß. _ auch schon wieder romantische Anwandlungen

heute

Freilich haben wir

mit ausgesprochener

Vorliebe für Märchenstücke, fast wie ii» Jahre 1828, wo man sich den Freischütz, Preciosa und Oberon fast ebenso begeisterte, wie beute für Wagners Musikdramen. Nur gab man in dem verhältnismäßig kleinen Berlin selbst die beliebtesten Stücke natürlich viel seltener, also höchstens einmal in der Woche und im ganzen wie wenig Mal! Die aus Frank¬ reich überkommene Unsitte, ein Zugstück einige hundertmal hinter¬ einander herunterzuspielen und dadurch die Schauspielkunst her¬ unterzubringen, würde streng verurteilt worden sein: denn man liebte damals einen sehr bunten Wechsel im Spielplan und nahm es noch weniger, wie heute, übel, wenn in dem vornehmen Schauspielhause nach einem klassischen Stück auch ein Schwank zur Darstellung gelangte. Die Kritik war einerseits sehr freimütig, um nicht zu sagen grob, — ich habe dafür weiter oben ein Beispiel angeführt, — andererseits in hohem Maße „gemütlich": es giebt kaum einen anderen Ausdruck dafür. Von der Tyrannei, welche die Forderung der „Aktualität" auf Form und Inhalt einer Tageszeitung aus¬ übt, hatte man damals keine Ahnung. So bringt die täglich erscheinende „Berliner Staffelte" — o wie lauge schon schläft sie den Schlaf der Gerechten! — an einem Freitag die erste Hälfte

für

einer Besprechung nicht etwa der Premiere, sondern erst der dritten Aufführung von Oehlenschlägers „Correggio", der in Deutschland hochbeliebt war, und erst am folgenden Dienstag die zweite Hälfte. Und wie oft kommt es vor, daß der Referent der im Hause herrschenden Hitze wegen — von einer gesundheitsgemäßen Ventilation war damals noch viel weniger die Rede als heute! — oder weil er sich langweilt, schon nach dein ersten Akt das Theater verläßt. den Besprechungen findet sich oft genug das, was man heute Kalauer und früher Calembourg nannte, und ebenso jene Silbenstecherei, in der es die komischen Figuren Shakespeares so herrlich weit gebracht haben, und die uns heute etwas fremd¬ artig anmutet. Dekorationen und Inszenierung ließen nach unseren heutigen, für Orts- und Zeitfarbe und sogenannte „realistische Treue" schwärmenden Ge¬ schmack so gut wie alles zu wünschen übrig, die Kunst des Maschinisten lag noch in den Windeln, von den modernen Beleuchtungseffekten keine Spur. So heißt es in einer Besprechung der Aufführung von Grillparzers „Ahnfrau" im Königlichen Schau¬ spielhause: „Als Madame Crelinger-Stich den be¬ kannten Ausruf „Räuber" gegen Jaromir geschleudert hatte, nieste jemand (wahrscheinlich die Ahnfrau) hinter der Szene so stark, daß das ganze geringe Publikum in ein lautes Gelächter ausbrach. Der¬ gleichen Schurkereien sind am unrechten Ort. Die Dekorationen scheinen nicht in guter Aussicht zu stehen, und auch heute legte sich der Himmel wieder sehr in Falten, und aus dem Monde blickten die Was würden uns da Herr Lampen heraus. Gruithnsen, Herr Nürnberger oder der Herr Apotheker Schwabe in Dessau für Merkwürdigkeiten entdeckt haben, wenn sie mit ihren Fernröhren ge¬ rade gegenwärtig gewesen wären!" Man sieht auch hieraus wieder, daß das Haus trotz eines Grill¬ parzer, und trotz der berühmten Schauspielerin Crelinger-Stich, die ich übrigens noch in den sechziger Jahren habe anstreten sehen, wenig besucht war, und daß die sturs viel weniger zogen, als es heute der Fall ist. Nur flüchtig sei darauf hingewiesen, daß die Zwischenaktmusik, die heute wenigstens aus unseren vornehmen Theatern ganz verwiesen ist, damals überall gang und gäbe war und es auch noch lange blieb. Es ist eine in der Kunstgeschichte oft fest¬ gestellte Thatsache, daß die Schauspielkunst eben¬ falls der Mode, dem Wandel unterworfen ist und Die alle Jahrzehnte gänzlich umgestaltet. sich beliebtesten Darsteller des Jahres 1827 und 1828 würden heute, wenn sie auf den Brettern wieder auferstehen könnten, vermutlich ausgezischt und aus¬ gelacht werden. Von der im Schauspielhause statt¬ findenden Ausführung von „Die Waise und der Mörder, Melodrama in drei Akten nach dem Fran¬ zösischen, Musik von Seyfried," heißt es: „Ueber die Gemeinheit des Stückes selbst noch etwas zu Trotz sagen, wäre wohl jetzt schon überflüssig. seiner Wertlosigkeit hält es sich stets noch durch die Darstellung der beiden Titelrollen. Referent sah „Die Waise" von sehr vielen Schauspielern und auf verschiedenen Bühnen spielen. Alle haben noch reichlichen Beifall darin geerntet: dieser stumme, sentimcntaleJammer gefällt einmal denDeutschen und ist um so erträg¬ licher, da er doch wenigstens nicht laut lamentiert. Der Darsteller braucht nur viel herzinniglichen und umarmenden Gestus zu machen, wenn er darin gefallen will, und das thun denn auch alle recht ehrlich." Wie drollig es wohl in unserem modernen „Deutschen Theater" wirken würde, wenn sich der Fuhrmann Hentschel oder eine seiner beiden Frauen recht oft „einen herzinniglichen und umarmenden Gestus" leisten würden! Und doch sollte man meinen, daß einige hervorragende Darsteller der ersten Hälfte unseres Jahr¬ hunderts die moderne, realistische Spielart schon vorgeahnt haben. Zum Beispiel stellte Devrient in Auffenbergs „Ludwig Xl. in

In

„Quentin Durward") den König hinein, daß man die Hälfte wenigstens nicht vernehmen konnte. Es mag das alles sehr richtig und schön gewesen sein, aber man hörte es nicht. Es mag der Moment eine solche tiefe und leise Sprache erfordert haben, aber Peronne" (nach Walter Scotts vor, und „sprach so sehr in

sich

vernehmbar muß der Schauspieler immer bleiben . . ." Verdienten, beiläufig bemerkt, diese goldenen Worte über der Loge der meisten unserer modernen Darsteller und Darstellerinnen nicht recht sichtbarlich eingegrabcn zu werden—? Uebrigens fordert die damalige Kritik im Konversationsstück auch schon den Konversationston und tadelt die Deklamation, die im klassischen Reportoire und im Melodrama die Regel war, und es noch lange blieb. So erinnere

427 ich mich, wie der berühmte Schauspieler Hendrichs in den sechziger Jahren die natürlichen Verse ans dem „Faust" mit dramatischen Pathos vortrug. „Herrn Krüger fehlt als Prinz von Homburg", so schreibt ein Kritiker, „nun einmal alle Wahrheit der Darstellung, er giebt stets dafür eine hohle, gedankenlose, singende Deklamation, Fragt man nun, warum giebt Herr Rebenstein nicht die oder jene Rolle sz, B, den Prinzen von Homburg), so erhält man die sonderbare Antwort: weil Herr Rebenstein nicht reden, sage: deklamieren kann. Es ist wahr, Herr Rebenstein spricht oft in der Hitze der Leidenschaft manche Sätze auf eine wunderbar rasche Weise, aber nichts desto weniger findet man doch auch in dieser eigenen Sprachweise noch viel Wahrheit, Und das ist, was der Gebildete immer will: eine hohle, gedankenlose Deklamation wird ihn nicht wie das gemeine Publikum täuschen. Man lasse sich daher künftig

nicht mehr durch einen äußeren Schein, einen gleißenden Firniß hintergehen, und sehe mehr auf die Sache selbst." Man sieht, auch der geniale Rebenstein, dessen Kunst ich noch von Augenzeugen habe preisen hören, hatte unsere realistischen Darsteller vorgeahnt. Freilich würden diese damals nicht gefallen, wenigstens nicht in allen Punkten gefallen haben, wiewohl beispielsweise Jsflands „Mosaikcharaktere, die aus allerlei kleinen Bemerkungen, die der freie Beobachter dem Leben abgelauscht hat, zusammen¬ gesetzt sind und in eben dem Sinne gespielt werden müssen" im Gegensatz zu den pathetischen Figuren » eines Raup ach oder Auffenberg bereits eine gewisse realistische Darstellung fordern. Aber es heißt doch in einer Besprechung des Spiels der berühmten Madame Wolff in Jsflands „Selbstbeherrschung": . Alan muß jetzt mehr ihr kunstreich-mannig¬ faltiges Gebärdenspiel schätzen, als die ausdrucks¬ volle Sprache, da ihr Sprachorgan leider jetzt etwas schwach und weichlich geworden ist. Doch immer ist noch der richtige und gefühlte Ausdruck, der gehaltene Nachtrag, die Kunst, wodurch sie jedem Wort seinen Wert und Bedeutung zu geben weiß, das Vermeiden alles Gewöhnlichen, Ge¬

Heldenkrast in der Weiblichkeit, der Fluß und die Melodie der Rede, die in der ganzen Erscheinung, Haltung und Bewegung sich abspiegelnde Göttlichkeit der Abkunft der Semiramis sind wenige, aber herrliche Züge dieser großen Darstellung," Die Plastik ihrer Posen, die Modulationsfähigkeit ihres herrlichen Organs, die Würde ihres Spiels, das ab und zu etwas kühl erschien, sind mir noch von so manchem ihrer Bewunderer gerühmt worden. Sie war die Ristori, die Rachel des Berliner Schauspielhauses. Und wie schwärmten die Berliner für das lustige Zusammenspiel der Herren Gern Sohn, Weiß, Stawinsky und Rüthling! An der Königlichen Oper wirkten Kräfte allerersten Ranges, Die „unübertreffliche Schechner", wie sie Rellstab nennt, hatte sich damals freilich in der Titelrolle von Spontinis „Vestalin" schon verabschiedet, und Madame Fink hatte sie nicht ganz ersetzt; aber ein neuer Stern, das junge Fräulein von Schätzet, spätere Gattin des Hofbuchdruckers Herrn von Decker, war den Berlinern auf¬ gegangen, Richt minder entzückte diese das anmutige Talent der Madame Seidler, Wunderbar mächtig und glockenrein war die Stimme von Madame Milder sder Milder-Hauptmann), welche Bei den u, a. als Elvira im Don Juan mustergiltig war. Sängern erinnere ich an die Namen von Bader, Stümer, Blume, Herr Bader zeichnete sich als Radori in „Jessonda", als Oktavio im „Don Juan" und in anderen klassischen. Rollen, vor allem

I

Trivialen der Konversations¬ sprache und viele andere treffliche Eigenschaften zu bewundern," Die beliebtesten Autoren jener Zeit, von denen eigentlich nur Schiller und Grillparzer, der Schiller Oesterreichs, unsterblich sind, habe ich im Vorher¬ meinen oder

gehenden schon zu nennen Gelegenheit gehabt.

Auch

Jffland, Wüllner und Holtci, der 1828 in Berlin dramatische Vorlesungen hielt, und selbst Kotzebue, Auffenberg, Raupach und Oehlenschläger besitzen immerhin noch ein litterarisch-historisches Interesse, aber wie der Spreu im Winde ist es den Blättern ergangen, in welchen sich die Muse eines Angely, eines Steigentesch, eines Schall, eines Castelli ver¬ ewigt zu haben wähnte! Die beliebtesten Opernkomponisten waren na¬ türlich die jungitalienischen, vor allem Rossini, dessen von Beethoven verwünschtes Repertoire die Glanzrollen der berühmten, gerade um der von ihr bevorzugten leichten Musik von Hans von Bülow heftig angegriffenen Henriette Sontag, der nach¬ maligen Gräfin Rossi, und der Tibaldi enthielt. Ferner Weber, Spontini, Spohr sowie auch Gluck, Boieldieu, Cherubim, vor allem auch Auber, Mozart wurde verhältnismäßig wenig gegeben, Meyerbeers Ruhm datiert aus einer späteren Zeit, Auch den heute ganz vergessenen Namen von Passiello, Caraffa, Mercadante und Onslow begegnet man ab und zu auf dem Programm des Königlichen Opern¬ hauses und des Königsstädtischen Theaters, das mehr durch seine musikalischen als durch seine schau¬ spielerischen Leistungen glänzte. An hervorragenden Darstellern, Schauspielern und Sängern herrschte überhaupt in jener Zeit ein viel größerer Ueberfluß als heute, wenigstens an¬ scheinend; denn in Wirklichkeit handelt es sich wohl nur um eine Art optischer Täuschung, Damals gab es aber viel weniger Bühnen als heute, und die Kräfte verzettelten sich darum auch weniger. Im Königlichen Schauspielhause: „Welch Ihre reicher Stern bei Stern!" Himmel! Namen kennt man glücklicherweise noch. Ich nenne nur Herrn und Madame Wolff, beide vorztiglich im klassischen Repertoire, den als komischen und tragischen Schauspieler gleich großen Ludwig Devricnt, Rebenstein, Leimn, Gern Vater, Madame Unzelmann, Demoiselle Bauer und vor allem die berühmte Crelinger, eine unvergleichliche Jungfrau von Orleans, Jphigenia, Julia und Semiramis, um nur diese vier Glanzrollen zu nennen. „Die Semiramis in Raupachs „Tochter der Lust", sagt ein Kritiker jener Zeit: „ist eine Meisterleistung der Madame Crelinger. Die

— Kronrntcmpel. „Eine Psiugftfahrt i» den Harz,")

Bodrthal (Zum Artikel

seinen „edlen und gefühlvollen Dortrag" und durch seine „männliche Art" aus. Ein sehr gefährlicher Konkurrent des Königlichen Opernhauses war das Königstädtische Theater, dessen Orchester und Chöre von den musikalischen Feinschmeckern noch böher geschätzt wurden. Das Repertoire war freilich auch ein erheblich engeres. Einen besonderen Glanz gab "und der Bühne übrigens die Mitgliedschaft der Henriette später der Tibaldi, die allerdings beide hernach auch Sontag

durch

428

weil kein Ersatz möglich ist." Der Abschied der „Tibaldi", die in der Titelrolle der damals so beliebten Rossinischen „Italienerin in Algier", der Glanzrolle von Henriette Sontag, zum letztenmal auftrat, wird so geschildert: „Das Publikum hatte sich sehr zahlreich versammelt, um die bald Scheidende für den Verlust

tm Opernhause gastierten. Außer diesen beiden Divas, die wie Kometen über den Berliner Theaterhimmel zogen, übte auch der Tenorist Jäger in der „Weißen Dame", in der „Italienerin in Algier" u. s. w. eine ungewöhnliche Zugkrasi aus. Er wirkte, wie mehr als ein Vierteljahrhundert später Theodor Wachtel, „in den höchsten Regionen Wunder." Meister Spitzeder, ,,dessen Humor

zu .

entschädigen, welchen es selber leidet.

Mit

dem anhaltendsten

Applaus ward sie empfangen. Die statt der Sortita eingelegte Arie von Calcara, welche die Künstlerin in italienischer Sprache vortrug, wurde sehr günstig aufgenommen. Die Arie Nr. 11 im zweiten Akt wurde da capo verlangt und Demoiselle Tibaldi wiederholte sie italienisch. Am Schluß rief man sie ein¬ stimmig hervor) sie erschien und stammelte einige Worte des Dankes, die der Moment eingegeben zu haben schien". Die Zeiten, wo man ausschließlich für neuitalienische Musik schwärmte und eine Deutsche vor einer deutschen Zuhörerschaft Arien und Rouladen in italienischer Sprache zum Besten gab, sind glücklicherweise vorüber. Uebrigens verabschiedete sich die Tibaldi noch ein zweites Mal im „Corradino". Am Schluß wurde sie wieder „allgemein hervor¬ gerufen. Sie erschien, aber der Ruf: hier bleiben, hier bleiben! und die aus den oberen Regionen in allen Farben herabflatternden Gedichte und Blumenkränze, das Haschen nach denselben und endlich das laute Mahnen „niedersetzen" ließen sie nicht zu Worte kommen. Endlich war die Ruhe so weit hergestellt, daß die Künstlerin dem so laut und dringend ausgesprochenen Wunsche um längeres Ver¬ weilen in unserer Mitte entgegensetzen konnte, wie schmerzlich ihr der Abschied sei, wie sehr das auch heute wieder ausgesprochene Wohlwollen des Publikums ihr die doch unerläßliche Trennung erschwere, unerläßlich, weil ihr Wirkungskreis an dieser Bühne doch allzu beschränkt sei. Nur dies und nichts anderes be¬ stimme sie, Berlin zu verlassen. . . ." Könnte dasselbe nicht auch heute noch mancher Berliner Darsteller von sich behaupten —? Die Tibaldi schloß ihre Rede mit der Versicherung, daß'ihr, „wo sic auch immer sei, das Andenken an die geliebte Königsstadt stets gegenwärtig sein werde. Das Publikum beantwortete diese mit sichtbarer Rührung gesprochenen Worte mit dem Ruf: bald wieder¬ kommen! und der Vorhang fiel." Wie viele berühmte Sängerinnen haben später fast dasselbe gesagt, die Lucca beispielsweise;- denn es ist eben immer dasselbe, und Scheiden thut immer weh. Es wird die Leser interessieren, hier auch eine kurze Schilderung der Abschieds-Vorstellung der Sontag im Opernhause, am 5. No¬ vember 1827, zu finden, die im „Barbier von Sevilla", in der „Italienerin", als Desdemona und im Tankred durch ihren süßen Sopran, ihre Vortragskunst und Virtuosität einen so armidenhaften Zauber ausübte. „Demoiselle Sontag jAmenaidel ward beim Auf¬ treten mit lange nachhallendcm Jubel begrüßt, und nach der zweiten Arie des zweiten Aktes, wo sie das Entzücken über den Sieg Tankreds mit hervorbrechender Fülle und Kraft der Stimme be¬ zeichnete, wollte der Beifall nicht enden. Kaum war der Vorhang gefallen, als er, des tumultarifchen Hervorrufens wegen, wieder aufgezogen werden mußte. Nun regnete es Blumenkränze aus den Logen ersten Ranges, und Gedichte von allen Farben aus den höheren Regionen. Als die Gefeierte endlich zu Worte kommen konnte, dankte sie und sagte: Ich scheide mit blutendem Herzen von einem Orte, wo ich meine zweite Heimat fand, und nur die Hoffnung, Sie bald, recht bald wieder zu sehen, kann mir den Schmerz der Trennung erleichtern." Als der Vorhang wieder ge¬ fallen war, trat ein kleines Kind hervor und sammelte die Kränze. Man kennt das Schicksal dieses Lieblings der Lieblinge des Berliner Publikums. Sie vermählte sich mit dem Grafen Rossi, der ihr Vermögen dnrchbrachtc, so daß sie wieder auftreten mußte. Sie feierte denn auch Triumphe im Ausland, in Paris, ja selbst in Amerika, wo sie an der Cholera starb. Eugen von Jagow.

fast

Bodelrellrl. (Zum Artikel

„Eine P fingst fahrt in

den Har.;.")

und Laune, stets frisch und neu," war ein Liebling der Berliner und, wie Schmelka, ganz der Mann, um auch „den ärgsten Hypochondristen aufzuheitern."

Die Tibaldi

ersetzte 1827 die Sontag und nahm dann später selbst Abschied von den Berlinern. „Bei dem Abgänge der Demoiselle Sontag wußten wir uns zu trösten," schreibt Rellstab: „weil wir für eine Perle durch einen Demant entschädigt wurden, die jetzige Einbuße trifft uns doppelt schmerzlich,

ein

Jahr

Krim im Frieden

®

||sptroa

10 km westlich von der Kreisstadt Calau liegt der Flecken Drehna, lange Jahre der Sitz mächtiger Geschlechter der Lausitz. Ueber drei Jahrhunderte war der Ort im Besitz der Frei¬ herren von Mönckwitz, jener Familie, aus der ein Glied es wagen konnte, mit Joachim I. anzubinden, Fürstenwalde einzunehmen und zu plündern; dann kam er in die Hände der Grafen von Promnitz, die sich gar oft mit fürstlichen Familien verschwägerten. Im An¬ fange des vorigen Jahrhunderts hielt hier die Witwe des Herzogs Friedrich von Tachsen-Weißenfels-Dahme, Emilie Agnes, geborene Gräfin Renß, ihren kleinen Hof, dem auch die Hofnärrin, Kathrin Luise genannt, nicht fehlte. Die Fürstin hielt gute und getreue Nachbarschaft mit dem Oberstleutnant von Flemming, der das nahe

Weißagk besaß. Dieser alte Soldat war eine ganz originelle Natur, über dessen Schrullen die Herzogin und ihr Hof recht oft gelacht hat. Er war nämlich sehr musikliebend, seine Bedienten spielten Waldhorn und Geige; sie begleiteten ihn, wenn gelegene

er eine befreundete Familie aussuchte, und gaben die Tischmusik. Reben seiner Mnsikliebhaberei war er aber vor allem ein leiden¬

Soldat,

so hatte er denn militärische Einrichtungen in Dorfes mitgenommen; sein Haus glich einer Festung und war mit zehn Kanonen und dreißig Toppelhaken armiert. Die dreißig Bauern, die er besaß, waren uniformiert und bewaffnet, jeden Mittag zog die Wachtparade auf, zwei Mann schilderten vor dem Schlosse, drei patroullierten um das Dorf. Der Ortsrichter und die beiden Schöffen waren die Offiziere, ein entlassener Leutnant befehligte die Flemmingsche Kriegsschar als Hauptmann. Besonders diese Soldatenspielerei mochte oft die Langeweile

schaftlicher die Stille

seines

am herzoglichen Hofe mit vertreiben haben helfen, aber sie sollte der Grund werden, daß zwischen beiden das freundschaftliche Ver¬ hältnis gestört wurde. Es war natürlich eine Grenzfrage, die den Streit herbeiführte. Zwischen beiden Gütern lag ein Wald, dessen Besitz strittig war. Ein Jäger der Herzogin hätte hier einen Hirsch geschossen. Als Herr von Flemming davon hörte, wurde er sehr zornig und ver¬ langte von der Fürstin „seinen" Hirsch und die Bestrafung des

429

Frevlers. Er bekam überhaupt keine Antwort, und die energische Frau ^beschloß, ihr Eigentumsrecht kräftig zu wahren. So zog denn am nächsten Morgen der herzogliche Aintmann Schulz mit einer Anzahl von Arbeitern nach dem umstrittenen Walde. Sie sollten einige Bäume fällen und vor das Schloß nach Drehna bringen. Sie waren in der besten Arbeit, da wurden sie plötzlich überfallen. Der Oberstleutnant kam mit seiner ganzen Kriegsmacht und zwei Kanonen, besetzte die Zugänge und erklärte den Amtmann zu seinem Gefangenen. Der mochte in allem dem nur einen neuen komischen Streich des originellen Nachbarn sehen und versuchte die ganze Geschichte als Spaß zu behandeln: da kam er aber sehr übel an. Nun protestierte er in heftigen Ausdrücken, aber er verschlimmerte damit nur seine Lage, denn nun wurde er in Ketten gelegt und Standrecht über ihn gehalten, das ihn dazu verurteilte, drei Tage nach einander auf dem hölzernen Esel zu reiten. Begreiflicherweise geriet die Herzogin nun in größten Zorn, sie ließ den Oberstleutnant auffordern, schleunigst ihren Amtmann herauszugeben, aber jetzt bekam sie keine Antwort. Nur sandte sie ihren Hofkavalier von Nüßler (den späteren Gehcimrat Friedrichs des Großen) nach Weißagk, der aber auch nichts ausrichtete. Beide gerieten so heftig aneinander, daß die im Nebenzimmer sich auf¬ haltende Frau Oberstleutnannl fürchtete, es würde zu einem Zwei¬ kampf kommen. Insgeheim gab sie wohl ihrem Manne unrecht, sie ging deshalb schnell zum Ortsgefängnis und ließ den armen Amtmann laufen, der eiligst nach Drehna flüchtete. Die Herzogin war zwar sehr froh, daß sie ihren Beamten wieder hatte, hielt aber die Angelegenheit noch nicht für abgethan: sie verlangte von der Oberamtsregierung der Niederlausitz in Lübben Untersuchung der Geschichte und Gefangennahme des Flemming und seiner Soldaten, auch sollte der hölzerne Esel niedergerissen werden. Die Regierung bestrafte den Oberstlieutenant ungemein gelinde^ sic verbot ihm nur ähnliche Gewaltthaten bei hoher Strafe

Gesanges, manchmal auch während der Predigt strich. So schwerte sich die Herzogin direkt in Dresden, und mit Erfolg.

be¬

Der schon erwähnte Feldmarschall Graf Flemming begab sich damals im Aufträge seines Herrn nach Polen und bekam den Befehl, auf seiner Reise die Streitigkeiten zu schlichten. Kaum hatte der Oberstlieutenant davon gehört, als er seinem Vetter entgegenreiste und ihn zu sich bat. Ihm waren, wohl unter dem Einfluß seiner Frau, Zweifel aufgestiegen, ob er wohl richtig gehandelt habe, darum wollte er den Feldmarschall möglichst zu gewinnen suchen. Dieser nahm die Einladung an, aber unter der Bedingung, daß er nichts von Soldaten, Kanonen, Schilderhäusern und jenem hölzernen Esel zu sehen bekäme. Das fiel dem Oberstleutenant gewiß recht schwer, denn er gedachte, seinen Geschlechts¬ vetter mit allen militärischen Ehren zu empfangen, aber er mochte ahnen, daß Gehorsam das beste sei. Als der Feldmarschall in Weißagk ankam, ließ er sämtliche Bauern — dieses Mal nicht in Uniform — antreten, suchte sich die sechs Stattlichsten aus, um sie in sein Regiment zu stecken, und verbot den anderen bei Festungs¬ strafe, je wieder Soldat zu spielen. Die Kanonen wurden nach Luckau gebracht, wo man sie vier Jahre später als altes

!

j

I

I

j

Eisen verkaufte, der „Hauptmann" bekam ein Aemtchen aus der Festung Königsstein. Der Fürstin versprach der Feldmarschall, daß der Oberstleutnant demütig abbitten werde, auch wolle er bei seiner Rückkehr aus Polen bei ihr ansragen, ob und wie er sich gebessert habe. Nun ging der Herr von Flemming nach Drehna zu dem so schwer gekränkten Amtmann Schulz und bat ihn um Verzeihung, auch erklärte er, vor der Herzogin fußfällig Abbitte leisten zu wollen. Aber die energische Fran wollte nun endlich Thaten sehen, und so bequemte sich der Oberstleutnant dazu, auf jenen Wald Verzicht zu leisten, schriftlich Abbitte zu thun und die Kosten in der Höhe von 200 Thalern zu decken. Jetzt wurde er wieder in

Heuscheuerfelfen im Vvdethal. (Zum Artikel

„Eine Psingttfahrt in de» Harz.")

und legte ihm auf, sich zu verantworten. Die Herzogin gab sich mit dieser Genugthuung nicht zufrieden, sie meinte, man sei mit Rücksicht auf einen Vetter des Beklagten, den hochangesehenen kursächsischen Feldmarschall Grasen von Flemming, so mild ver¬ fahren und ging an die höchste Instanz. Die nächste wäre wohl die Regierung in Merseburg gewesen, aber die Fürstin versprach Zunächst stand sich wenig von einer Beschwerde an diesem Orte. sie mit dem Herzog von Sachsen-Merseburg, Moritz Wilhelm, auf gespanntem Fuße, dann war auch von diesem halbblöden Herrscher nichts zu erwarten: ihn interessierte auf dieser Welt nur seine Baßgeige, die er auch in die Kirche mitnahm und während des

Gnaden aufgenommen. In höchster Gala begab er sich mit seiner Gemahlin nach Drehna zur Herzogin, die zu dem feierlichen Akte eine ganze Gesellschaft eingeladen hatte. Der schon erwähnte Hofkavalier von Rüßler führte ihn vor die Fürstin und sprach: „Ew. Durchlaucht werden dem tollen Flemming vergeben, er soll es nicht mehr thun." Diese antwortete: „Jawohl, recht toll, doch es ist alles vergeben, der Herr Feldmarschall hat alles wieder gm gemacht." Da er nun auch an die Kathrin Liese gedacht und ihr einen fetten Hammel mitgebracht hatte, so war alles wieder gut, und man ging zu Tische.

Braune.

430

Mkip^iyo. Erzählung von Rudolf Elchs.

cs°r.!-tzu«j, und Schluß.)

IHchs

unsere Blicke sich begegneten, glaubte ich etwas wie Ueberraschung und stille Verwunderung in ihren Augen zu lesen, mich aber überkam ein Gefühl der Verzückung, und als sic sich dem Hochaltar zuwandte, folgte ich ihr wie ein Nachtwandler. Die Fremde hatte sich kaum niedergelassen, so trat ein alter Herr zu ikr, dessen Erscheinung; trotz der modernen Kleidung, an die Granden aus der Zeit Philipps Ü. der Art, wie er den Kopf mit dem grauen Spitzbart erinnerte. trug, wie er auf die Beter hinabblickte und dann seinen Platz an der Seite des jungen Mädchens einnahm, waren der Stolz und die Würde des Aristokraten zu erkennen. Es wurde eine Scelennicssc cclebricrt, und da ich bald wahrnahm, daß der Abbate, welcher die Orgel spielte, ein Dilettant war, so kam

In

Beterin, deren Aufmerksamkeit ich aus meine Person lenken wollte, überrascht zu mir aufblickte, und wie auch der alte Herr au ihrer Seite aufmerksam meinem Spiel lauschte, bis der letzte Accord sah, wie die schöne

verklungen war. Als ich die Kirche Verlagen wollte, bemerkte ich vor dem Portal eine Gruppe von drei Personen, die mich zu erwarten schienen. Jener Abbate, der mir seinen Platz vor der Orgel abgetreten hatte, trat auf mich zu und tauschte einige Höflichkeitsphrasen mit mir aus, dann wandle er sich gegen den würdevollen Begleiter der von mir bewun¬ derten jungen Tanie und sagte: „Don Luis de Norancha und seine Tochter Lorenza haben, gleich mir, Ihr Orgelspiel bewundert." Bei dieser Vorstellung pochte mein Herz so heftig, und meine Erregung war so tief, das; ich kein Wort über die Lippen zu bringen imstande war. Zum Glück half mir Don Luis über diese Verlegenheit durch die Erklärung fort, daß er mich bereits als Kapellmeister der italienischen Oper gesehen und die Energie bewundert habe, mit der ich die Kapelle leite. . Er offenbarte mir dann mit der Miene eines fürstlichen Gönners, daß er passionierter Musiker sei und eine Opera busfa, „Die Höhle von

Salamanca", geschrieben habe.

Um der schönen Lorenza willen griff ich diese Mitteilung begierig auf und fragte, ob der Text aus

dem gleichnamigen Zwischenspiel des Cervantes gezogen sei. Der Don erwiderte stolz, daß er den gleichen Stoff dichterisch frei gestaltet hab:. Er gestattete mir, ihn und seine Tochter auf dem Nachhauseweg zu begleiten. Sobald wir im Schatten ron Maulbeerbäumen seiner Villa zuschritten, sprach er über den leidigen Novitätcnmangcl unserer Oper, und als wir an der Garten¬ mauer angelangt waren, fragte ich, ob er vielleicht geneigt sei, diesem Mangel durch Ueberlassung der

Hrxentanzplah am Hirschgrund. (Zinn Artikel

mir der verwegene

„Eine Pfingstsahrt in

den Harz.")

Gedanke, ihn abzulösen. Sobald die heilige Handlung dcni Ende nahte, trat ich neben den Orgelspieler und stellte leise die Frage, ob er einem Musiker gestatten wolle, das Nachspiel zu über¬ nehmen. Ter junge Priester sab mich halb verlegen, halb prüfend an und räumte mir dann lächelnd seinen Platz ein. Ich stimmte ein Präludium von Bach an, dessen brausende Accorde die Hörer sofort fesselten. Ich sich

„Höhle von Salamanca" abzuhelfen. Gütig lächelnd neigte er den stolzen Kopf und lud mich mit einer ritterlichen Bewegung ein, sein Haus zu betrete». Hier spielte er mir Teile seiner Oper ans einem alten und stark verstimmten Klavier vor, und obgleich ich erkannte, daß er sich nicht nur als Dichter, sondern auch als Kom¬ ponist stark an klassische Muster angelehnt, so heuchelte ich doch freudige Ueberraschung und stotterte mit einem sehnsüchtigen Blick auf die in holder Berivirrung auf ihren Vater blickende Lorenza: „Solch ein Meisterwerk dürfen wir der Welt nicht länger vorenthalten; Ihre Oper muß aufgeführt werden. Und der edle Don überließ mir mit der feierlichen Miene eines Meisters, der die Menschheit durch ein Gnadengeschenk beglückt, die Partitur seiner komischen Oper. Zum erstenmale in meinem Leben pries ich dem Direktor unserer Oper ein Werk an, das ich nach genauer Prüfung als einen Schmarren erkannt halte. Ich beschwichtigte mein Gewissen durch den Entschluß, „Die Hohle von Salamanca" so gründlich umzugestalten, daß ein Musikpalast daraus würde. Der Direktor aber ließ sich für die Aufführung dieser Opernnovität durch die Rücksicht gewinnen, daß der in Portugal sehr ge¬ achtete Name des Versassers ihm zwei bis drei ausver¬ kaufte Häuser verbürge. Als ich mit derNachricht, die „Höhle von Salamanca" sei zur Aufführung angenommen, in der Villa des Don de Norancha erschien, war dieser hochbeglückt und hatte die Gnade, mir wiederholt die Hand zu schütteln; so¬ bald ich aber von partiellen Umgestaltungen sprach, setzte er eine stolzabweisende Miene auf, und es be¬ durfte der ganzen Beredsamkeit Lorenzas, um ihn für meine Vorschläge zu gewinnen. Einige Veränderungen waren von mir bereits ausgeführt worden; als ich ihm die veränderten Weisen vortrug, wurde Ton Luis störrisch wie ein Maultier und beurteilte meine „Ver¬ besserungen" sehr absprechend^ Als ich spät am Abend das Haus in verzweifelter Stimmung verließ, folgte Lorenza mir heimlich. Vor den: Gartenthor hielt sie mich an und sagte leise zu mir: „Bitte, verzweifeln Sie nicht. Ich werde Papa bekehre». Ihre Melodien haben mich entzückt, und ich danke Ihnen, daß sic sich so viel Mühe mit einem Werk gegeben haben, dessen Erfolg meinen Vater sehr beglücken würde." Ich stand dem anmutigen Mädchen, dessen Worte wie Zauberklänge in mein Ohr fielen, überrascht und verwirrt gegenüber. Ihre Hand küssend, stammelte ich: „Ach, Sie machen mich so glücklich!" Ich hielt ihre Hand fest und schritt mit ihr in eine Pergola hinein, deren junges Laub vom Mondlicht in Silberglanz getaucht war. Hier

431

enthüllte ich ihr die heißen, leidenschaftlichen Gefühle, welche ihre Schön¬ heit und Anmut in mir aufgerührt hatten. Die wunderbare, von zartem Blumendust durchwehte Frühlingsnacht, ferner des holden Wesens Nähe und mein starkes Liebesgefühl hatten mich so erhoben, daß meine Zunge in hastiger Rede dahinstürmte, wie ein Renner, der jedes Hindernis nimmt. Als wir aus der Pergola heraustraten und über uns das sterncnbesäte Himmelsgewölbe erblickten, ließ gerade im blühenden Magnolienbaum eine Drossel süß und schmelzend ihren Lockruf ertönen. Nun fragte ich, ob ich jemals hoffen dürfe, Lorenzas Liebe zu gewinnen, und sie sagte freudig ja, und schmiegte sich zitternd in meine Arme. Als ich sie dann jubelnd küßte, gestand sie mir in holder Ver¬ wirrung, daß bei der Begegnung in der'Kirche mein Blick sic getroffen habe wie ein Strahl überirdischen Lichts, und daß mein Orgelspiel die wonnigsten Träume und rosigsten Zukunftsbilder in ihrer Seele erzeugt hätte. Für sic war mein Stottern kein Gebrechen; denn sie behauptete, sie könne jeden meiner Gedanken in meinen Augen lesen. Sie bewun¬ derte den Musiker in mir und war überzeugt, daß mir eine glorreiche Zukunft bcschieden sei. Sie hoffte, daß ihr Later unserer Verbindung

Ich wollte Pianisfimo rufen, allein meine Zunge

stutzte,

und der Ruf

kam erst über meine Lippen, als das Fortissimo schon begonnen. Nun wollte ich Fortissimo schreien, das Wort entfloh jedoch erst dann meinen Lippen, als das Pianisfimo beginnen sollte. Es entstand infolge meines Uebereifers ein schreckliches Tohu-Wabohu, und als ich ärgerlich mit dem Taktstock aufschlug, um den ganzen Akt noch einmal wiederholen zu lassen, rebellierten einige Orchestermitglieder, und der Konzertmeister

rief: „Und wenn wir

diese

Stelle hundertmal probieren,

so

wird nur

wüster Lärm, aber keine Musik herauskommen!" — Der Chor der Unzusticdenen schrie bravo! und ein Spaßmacher setzte hinzu: „Maöstro Martina thut wohl daran, diese komische Oper ernst zu nehmen; denn in der „Höhle von Salamanca" werden wir unseren Direktor begraben." In das Lachen und Johlen hinein, das diesem Ausruf folgte, fiel eine hartklingende Stimme. Reben meinem Dirigentenpult tauchte das bleiche Gesicht des Don de Norancha auf. „Meine Herren," rief er den Musikern zu, „dies Begräbnis soll Ihnen erspart bleiben; denn ich ziehe mein von einem Stümper mir grausam verstümmeltes Werk zurück! Ich ersuche den Herrn Direktor, mir mein Eigentum sofort wieder zuzustellen."

— Schloßpark. „Eine Pfingftfahrt in den Harz.")

Vallcnstrdl (Zum Artikel

Hindernis in den Weg stellen werde, sosorn es mir gelänge, „die Höhle von Salamanca" zum Erfolg zu führen. Wir überlegten nun, wie dies Ziel am besten zu erreichen sei und kanien darin überein, daß ich weitere Umarbeitungen au dem Werke vornehmen sollte, ohne de» Autor darüber zu verständigen. Lorenza erzählte mir so viel aus ihrem Leben, das durch den frühen Tod ihrer Mutter und durch den Verlust ihres in den Kolonial¬ dienst getretenen Bruders recht einsam geworden sei, daß ich die Billa erst heimlich verließ, als das Morgenrot den Silberglanz des Landes in Goldglanz umzuwandeln begann. Und nun kam für Renza und mich eine hoffnungsfrohe, selige Zeit, in der wir heimlich Koscworte und Küsse tauschten, in der uns holde Glücksträume umgaukclten und schöne Zukunftsbilder sich selbst in unseren Schlaf hineinstahlen. In mühevoller Arbeit hatte ich für die „Höhle von Salamanca" gethan, was irgend in meinen Kräften gestanden; allein bei der Kürze der Zeit konnte sich die Umgestaltung nur auf die Gesangspartien erstrecken. Die Einstudierung ivar bis zur Generalprobe gediehen, und Don Luis fand sich zu dieser, trotz aller Abmahnungen Lorenzas, ein. Der erste Akt ging glücklich ohne den Einspruch des Autors vorüber; allein als ich in der Pause seine Verzeihung für die ohne seine Zu¬ stimmung vorgenommenen Veränderungen erbat, runzelte er zornig die Brauen und sprach die Hoffnung aus, daß er keinen weiteren Eingriffen in sein Werk begegnen werde. Mir wurde das Herz schwer; denn die wichtigsten „Eingriffe" kamen erst. Zaghaft gab ich das Zeichen zum Beginn des zweiten Akts. Wir waren bis zu der den Akt abschließenden Streitszcne gelangt, welcher der Komponist durch grelle Gegensätze eine komische Haltung zu geben versucht hatte. Viermal ließ er auf ein kurzes Pianissimo ein Fortissimo oder Furioso folgen. Das Orchester, dessen Mitgliedern der Direktor am Gagetag nur die Hälfte des Gehalts gezahlt hatte, spielte lässig, und ich geriet in starke Erregung, als die jähen Uebergängc kamen. kein

Sprach's und verließ hoch erhobenen Hauptes das Theater. Lorenza

warf mir einen, vcrzweiflungsvollen Blick zu und folgte dem empörten Vater.

vernichtet am Dirigentenpult Ich blieb völlig"von

stehen, denn ich wußte,

Salamanca mein Glück begraben lag. Als ich Villa aussuchte, in der ganzen Hoffnung, Lorenza noch einmal sprechen zu können, fand ich die Läden des Hauses ver¬ schlossen, und der alte Gärtner sagte mir, Don Luis habe mit seiner Tochter gegen abend die Stadt verlassen, das Ziel seiner Reise sei ihm unbekannt. Ich erriet den Grund dieser raschen Abreise. Lorenza hatte dem Vater ihre Liebe zu mir gestanden. Am nächsten Tage stellte unser Direktor seine Zahlungen ein, und ich verließ Lissabon. Lorenza, der mein Herz, meine Seele gehörte, hab' ich nie wieder gesehen. — Martinas Bekenntnisse steigerten meine Sympathie für den glücklosen Mann, und als ich in dem rauhen Winter, der auf meinen -Sommer¬ ausflug nach Rügen folgte, eines Tages erfuhr, Marlino sei infolge einer Lungenentzündung schwer erkrankt, beeilte ich mich, ihn aufzusuchen. Ich fand einen Sterbenden, der eben den letzten Hustenaufall über¬ daß in der Höhle spät am abend die

standen hatte. Als er mich erblickte, belebte sich sein mattes Auge etwas, und den perlenden Schweiß mühsam von der Stirne wischend, stotterte er: „Husten ka—kann ich we—we—wenigstens ganz geläufig." Beim Anblick seines körperlichen Verfalls erschrak ich heftig, und es stahl sich der Ausruf über meine Lippen: „Mein armer Freund!" — Er aber flüsterte: „Be—be—dauern Sie mich nicht; mix wi—wird wohl sein in der Höhle von Sa —sa—salamanca." Er sank total erschöpft in die Kissen. Nach einer Weile kam wie ein Hauch der Name Renza über seinen bleichen Mund, dann versank er in eine tiefe Agonie, aus der seine Lebensgeister sich nicht wieder erhoben. Maöstro Marttno war im Lande des ewigen Schweigens.

Eine Pftngstfahrk in den Var;. in.

anderen Tafle fling es nach Treseburg, dem wie eine aufgebaute Spielzcugfchachtel aus einer Thalerweitcrunfl der Bode tief unten Hier zwischen den hohen Bcrgwaldwändcn daliegenden Fleckchen. lernten wir auch eine Spezies der Harzsportsmcn kennen) in der Bode stand bis in den Hüften im Wasser, geschützt durch riesige, bis an den Gürtel reichende Stiefeln, der Forcllenangler. Es ist reiner, sehr kost¬ Der spieliger Sport und kein Heller Gewinn bei dieser Fischerei. Forellenangler muß nämlich jeden gefangenen Fisch, ob tot oder lebendig, in der Försterei dem Gewicht nach bezahlen, denn: „das Land — und auch der Fisch — gehört dem Fürsten." Bon Treseburg ans begann nun unsere Bodethalwanderung. Es ist cm herrliches Stückchen Welt, dieses Bodethal. Ganz eng schieben sich die Bergtvände zusammen, dem tobenden, hastenden, zischenden Fluß kaum Platz lassend. Dann wieder ist das ganze Bett mit Fclstrümmern und mächtigen Granitblöcken und Kies und Schutthalden überdeckt, zwischen denen das Wasser sich durch¬ zwängt, an jedem Stein aufspritzend, so daß vom stäubenden Wasserdampf alles tropft und im Lichte glitzert. Und nun beginnen sich auf beiden Seiten bizarre Felsformationen aus dem Hochwald der Bergeshaldcn, und manchmal gar überhängend, hoch in die Luft zu recken.

hier eingruben; denn das ist erwiesen, daß der ganze Roßtrappengipfcl eine altgermanische Kulturstätte gewesen ist, die durch einen '5—8 Meter hohen und 3—5 Meter breiten Wall gegen die leicht zu¬ gängliche Westseite hin befestigt war. Man fand, als die Grundmauern des heutigen Roßtrappen-Gasthauses gelegt wurden, eine große Zahl Graburnen. Der Felsvorsprung der Roßtrappe selbst ist auch wieder noch besonders durch Gemäuer und Gräben abgesperrt gewesen, und auch hier hat man viele Graburnen gefunden. Tie Volkssage hat natürlich an diese Merkwürdigkeit auch an¬ geknüpft. Sie erzählt: In Urzeiten waren die Bewohner des Harzes Hünen und Zwerge. Da kam einst der wilde Böhmenkönig Bodo in dieses Thal und entbrannte in leidenschaftlicher Liebe zu Brunhildis — nach anderen Emma — des Riesen fürsten schönem Töchtcrlein. Doch seine Liebe fand keine Erwiderung. In wilder Brunst stellte Bodo ihr nach, und auf der Flucht vor ihm kommt sie auf die Stelle, die verrufen ist als nächtliches Tanz- und Tummelfeld der Hexen (dem gegenüber¬ liegenden Hexentanzplatz.) Ihr Pferd steigt und scheut. Sie aber stößt dem gewaltigen Tier den Sporen in die Weiche, und im mächtigen Sprunge setzt es über den weitgähnenden Abgrund. Von dem ge¬ waltigen Aufschlagen des Hufes ist nun der Abdruck im Felsen zurück¬ geblieben. Der rasende Bodo aber, der sein widerstrebendes Pferd zum Nachspringen zwang, stürzte in die Tiefe. Nach ihm ward dann der Fluß Bode genannt. Beim Fluge über den Abgrund aber fiel der Prinzessin die goldene Krone vom Haupt. Sie wird nun unten von Rostes

Partie aus dem Skerthal. Die Volksphantasic hat sie alle mit Namen behängt und Sagen an sie geknüpft, von Riesen und Recken, von schönen, unglücklichen und be¬ drängten Fürstenkindcrn und Zauberern und Hexen. Die erhabenen Gestalten Odins und Frcpas und die der anderen germanischen Götter sind eben nach der Einführung des Christentums zu Hexenmeistern und Teuseliunen geworden. Wilder und wilder türmen sich die Felsen; da feilt sich die Heuscheuergruppe in den Fluß, dann hängt hoch über der krachenden, rollenden, brodelnden Tiefe die Teufclsbrücke, Wassernebel steigen auf und nässen die Planken, dann stürzt die tosende Wasserflut hinab und hat sich den tiefen Bodckestel ins Gestein gewühlt; von links springt eine Felswand vor, und zugleich ist das Flußbett mit riesigen Fclslilücken verlegt, daß man meint, es habe nun überhaupt ein Ende. Am Fuße der Felswand, der Roßtrappc, ist dicht über der Bode ein Tempclchcn errichtet, das zauberische Ausblicke thalanfwärts und abwärts gewährt. Auf der anderen Seite türmt sich dann der Felskoloß des Hereutanzplatzcs auf. Steigt mau den steilen Zickzackweg an der Ro߬ trappe, die „Schurre", empor, so hat mau von hochoben, wo der riesige Pferdefuß im Fels abgedrückt ist, einen Blick ins Thal des brausenden Flusses hinab: das Lärmen der Waffermasten klingt bis hier herauf, und oft, wo Felsvorfprünge und Wald den Fluß selbst dem Auge entzichen. verrät ihn doch der wallende Dampf. Die vollkommene Natür¬ lichkeit des Abdruckes des Pferdefußes im Felsen hat etwas Berblüstendes, ist s doch genau wie die Spur, die man tausendmal im Boden aus¬ geweichter Wege gesehen hat. Man hat dieses Mal lange für ein unerklärliches Naturspiel gehalten. Heut neigt man mehr der Ansicht der Archäologen zu, die annehmen, ein Zeichen vor sich zu haben, das einst germanische Druiden in Bezug auf den Kult des heiligen weißen

einem schwarze» Hund mit feurigen Augen bewacht und die Stelle der „Kronensumpf" genannt. Es ist die Stelle am Fuße des obenerwähnten Tcmpelchens. Geht mau oben von der Roßtrappe weiter bis vor das Gasthaus ans die Terrasse, so öffnet sich ein überraschender Ausblick in die Ebene. Zu unseren Füßen ganz nahe liegt Thalc, und dann breiten sich die fruchtbaren Auen bis gen Halbcrstadt, dessen altehrwürdigc Domtürme hoch emporragen, bis Quedlinburg und weiter hinaus, bis sie sich in die ferne Bläue am Horizont verlieren. Diese beiden gewaltigen Gegen¬ sätze, das wilde, bizarre Thal mit feinen grotesken Felsformationen auf der einen Seite und, kaum den Rücken gewendet, das blühende, sonneuübcrstrahlte, fruchttragende Ebenland mit den freundlichen Dörfern und großen Städten, den weit in die Ferne hinausführenden Wegen und Straßen und dazwischen die regelmäßig abgeteilten Felder bilden den Zauber dieser Stelle. Wenig Flecke auf der Erde mag es geben, wo beides so dicht nebeneinander liegt, das eine so den Eindruck des andern verstärkt. Langsam stiegen wir nun nach Thale hinab. Für die Harzgüste besteht es eigentlich nur aus den am Eingang ins Bodethal sich hin¬ ziehenden Hotels; denn das eigentliche Dorf Thalc liegt etwa zwei Kilo¬ meter vom Bahnhof ab in der Ebene, und Fremde suchen es kaum aus. Den Abend benutzten wir zum Abschiedfcicrn von unfern Lands¬ leuten und Reisegenossen, die hier noch einige Tage zu bleiben gedachten, während wir planmäßig noch Ballenstedt und dem allen Falkenstein einen Besuch machen wollten. Bruno fing an alle Schleusen der Be¬ redsamkeit zu öffnen, um ihnen klar zu machen, daß sie das auch sehen müßten. Papa aber erklärte — er habe jetzt den Harz gesehen und

4ä3

wolle feilte wohlverdiente Ruhe genießen. Mir sing mein Freund Bruno an Sorge zu machen — ganz besonders aber, als er in unserem Zimmer erklärte, er habe sich die Füße wund gelaufen und würde wohl auch in Thale bleiben. Ich sagte nichts! am andern Morgen schien er sich aber doch zu schämen: denn er ging ohne weitere Einwände mit und hat auch die ziemlich ausgedehnte Fußwanderung von Thale über den freundlichen Flecken Suderode nach Ballenstedt ganz gut ohne Klage bestanden. Aber er war ein anderer, all seine Fidelität und die lieb¬ liche heimatliche Schnoddrigkeit schien er plötzlich vergessen zu haben: eine wunde Stelle schien zwar vorhanden zu sein, aber nicht an den Füßen. Ballenstedt ist im Vergleich zu Wernigerode und Blankenburg still. Freundlich und ruhig blicken einen die alten Häuserchen an. Selbst im Frühjahr und Herbst, wenn es die Ehre genießt, Residenz des Herzogs von Anhalt zu sein, stellt sich kauni mehr Leben ein. Das Schloß mit seinem umfangreichen Gebäudekomplex ist ein alter anhaltinischer Sitz. Schon im 11. Jahrhundert, als es erbaut wurde, residierten die askanischen Grafen hier, bis Albrecht der Bär die Burg Anhalt erbaute. Die Herren von Ballenstedt sind ein uraltes Geschlecht und entstammen dem Hause derer von Hellingen. Adalbert von Ballenstedt verheiratete sich mit der Erbtochter Hidda des östlichen Markgrafen, und so erhielt der Sohn beider, Esiko von Ballenstedt, 1084 nach Aussterben der Mark¬ grafen auch die Ostmark und wurde der Stammvater des anhaltinischen Fürstenhauses. 1046, nachdem der Hofhält nach Anhalt verlegt war.

hatten nämlich ihr gleichnamiges Stammschloß in ein Kloster verwandelt zur Sühne eines Mordes, den einer der ihrigen, Egeno von Konrads¬ burg, an Graf Adalbert von Ballenstedt um 1080 begangen hatte. So gründete das heimatlose Geschlecht sich mit dem Falkenstein die neue Wohnstätte. Der Nanie „Valkenstein" findet sich zuerst urkundlich um 1118 als der einer kaiserlichen Burg und 1152 als Sitz der Falken¬ steiner. Die Intriguen des Bischofs von Halberstadt vermochten den danialigen kinderlosen Herrn Hoyer von Falkenstein, seiner Schwester das Erbrecht zu entziehen und dem Bistum die Burg abzutreten. Der berüchtigte „Raubgraf" Adalbert vom Regenstein ehelichte diese Schwester und machte nun dem Bischof das Erbe seiner Gattin streitig. Nach seinem Tode durch Meuchelmord von der Hand eines bischöflichen Hauptmanns verpfändete der Bischof die Burg an den Ahnherrn des Geschlechts derer von der Asieburg, das sie heut noch besitzt: 1449 wurde sie den Asseburgern als erbliches Lehen überwacht. Was aber jeden Deutschen besonders interessieren nmß, ist, daß der älteste überhaupt bestehende deutsche Rechtskober „der Sachsenspiegel" zwischen 1224—35 von Eike von Repgow, einem rechtsgelahrten Schößen, verfaßt, hier oben niedergeschrieben wurde. Das alte Manuskript befindet sich heut ans der königlichen Bibliothek in Berlin. — In der ehrwürdigen alten Schloßkapelle hat einst schon Luther gepredigt. Johann Ludwig von der Asseburg war nämlich einer der Ritter, die Luther bei Altenstein Sein Bilbnis gefangen nahmen und auf die Wartburg brachten. hängt im Speisesaal des Schlosses. Manches merkwürdige alte Kunst-

Partie aus dem Okerthal. wurde dann Schloß Ballenstedt ein Benediktiner Mönchskloster »ud blieb es bis zu seiner Aushebung 1525 nach Einführung der Reformatio». Die Herzöge von Berubnrg schlugen 1765 ihre Residenz in ihm ans. Von der riesigen Kirche des Klosters, die 1046 geweiht wurde, ist nichts mehr vorhanden als der Unterbau der Türme und die Krypta: in ihr war die Familiengruft der Askanier. Man fand 1880 die Grabstätte unseres brandenbnrgischen Markgrafen Albrechts des Bären. Es ist also für uns Märker geweihtes Land, das wir hier betreten. Seitdem in der Mitte bes vorigen Jahrhunderts das Schloß wieder Fürstensitz geworden ist, haben sich die Räume auch mehr und mehr mit fürst¬ lichem Prunk und Komfort gefüllt. Eine stattliche Anzahl sehr guter niederländischer Bilder hängt an den Wänden der Gemächer: da ist zuerst ein Rembrandt zu erwähnen, dann Teniers, van der Werst, Wouvermann, Backhuizen, dann ein sehr schönes Bildnis Wilhelms von Oranien von Van Dyk. Einen ganz besonderen Reiz des Schlosses bildet aber auch der Ausblick in Thal und Ebene und der herrliche Schloßpark, der Tiergarten, den der große Berliner Gartenkünstler Lenns am Anfang unseres Jahrhunderts angelegt hat. Weit sieht man von der Schloßterrasse ins Land über die Stadt weg nach Quedlinburg und Aschersleben. Unten vor den Thoren der Stadt heben sich als letzte Ausläufer der Teufelsmauer die beiden merkwürdigen Felsgebilde, die „Gegensteine". Man kaun von hier aus ganz genau den Zug dieser Sandsteinablagerungen über Neinstedt und Thale verfolgen. Dem alten Gemäuer des Fallensteins hatten wir namentlich deshalb einen Besuch zugedacht, weil die Burg einer der geschichtlich merk¬ würdigsten Flecken Harzerde ist. Erbaut ist die Burg „Valkenstein" im Ansang des zwölften Jahrhunderts. Die Herren von Konradsburg

werk wird noch gezeigt, so ein Goldbild von Lukas Cranach, ein elfen¬ beinernes Kruzifix von Benvenuto Cellini, dann der Schicksalsbecher des Asseburger Grafenhauses. „Einst," so überliefert die Sage, „kam in eisiger Winternacht bei Schneetosen und Sturmgebeul ein Gnom zu der weit und breit ihrer Mildthätigkeit wegen gerühmten Frau von der Asseburg auf den Falkenstein. Er flehte sie an mit ihm zu kommen, und seinem armen Weibe, das in Kindesnüten lag, Beistand zu leisten. Die Gräfin befahl sich Gott und folgte des Gnomen Führung weit auf nie gekannten Stegen. Das Gnomenweibchen, dem sie Hilfe brachte, genas eines Knäbleins. Strahlend vor Glück schenkte der Vater nun, ehe er sie heimgeleitete, der edlen Gräfin drei krystallene Becher mit drei goldenen Kugeln und verhieß ihr, so lange einer derselben vor¬ handen sein würde, solle ihr Geschlecht blühen und Achtung genießen." in erschrecklicher Weise am Diese Familienlegende bewährte sich 9. August 1696. An diesem Tage sollen die Söhne Ludwigs von der Asseburg ihrem Gastfreuirde von Werther aus einem der Becher zu¬ getrunken und ihn dabei zerbrochen haben. Am selben Abend noch gingen beiden die Pferde durch: der jüngere stürzte sich sofort zu Tode, der ältere erlitt solchen Schaden, daß er neun Tage später seinem Bruder folgte. Einer der noch übrigen beiden Becher wird nun auf dem Falkenftein, der andere in Westfalen auf der Humen bürg auf¬ bewahrt und sorglich gehütet. Das Gesamtbild der Burg in der Landschaft erscheint überraschend friedlich und doch sehr pittoresk. Der riesige alte Burgfried rührt mit seinem Gemäuer bis zur Plattform sicher noch aus der allerersten Zeit seine» Grundmauern sollen schreckliche Verließe sich der Burg her. befinden. Aus der Plattform ist dann, sicher viel später, ein zweiter

In

434

Turm mit Laterne aufgesetzt, der mit seiner freundlichen, kirchturmähnlichen Form das ganze so friedlich erscheinen läßt. Die meisten Gebäude entstammen wohl dem Mittelalter, der Klostcrzeit: hohe spitze Dächer, Renaissancegiebel, aber kaum irgend etwas Zinnen- oder Besestigungsähnliches! Es ist nichts unerträglicher, als wenn jemand, von dem man sonst an stetes, munteres Gespräch gewöhnt ist, plötzlich beginnt zu schweigen. So ging's mir mit Bruno heut; erst lachte ich, dann wurde ich besorgt und dann ärgerlich. Ganz besonders zweifelhaft kam er mir vor, als er, jemehr wir uns wieder Ballenstedt näherten, die den ganzen Tag verlorene Laune, nur mit etwas Krampfhaftigkeit vermischt, wieder zu gewinnen schien. An seinem Verstände aber zweiselte ich, als wir am

Burg Fslkenstein bei Vallenstedt. Postgcbände vorbeigingen und er plötzlich mich stehen ließ, hineinstürzte und gleich darauf strahlend mit einem unscheinbaren Briefchen zurückkam. Als ich das dann aber gelesen hatte, war auch mir plötzlich ein strahlendes Licht aufgegangen. Darin stand ohne Ueber- und Unterschrift nur: „Ich brauch nicht mehr nach Harzburg in Pension. Kommen Sie 10 Tage nach Pfingsten in Berlin zu uns." Und die Erklärung? Er batte verräterisch nieine Nachtruhe benutzt, eine Epistel verfaßt, war am Morgen, nachdem der Hausknecht die geputzten Stiefeln wieder vor die Thüren gestellt hatte, vor Friedas Thür geschlichen und hatte ihr nebst zwei Rosen eine Epistel in die Stiefel praktiziert! Und das war nun die Antwort darauf! Ich sagte nichts! Mein ganzer Mannesstolz bäumte sich gegen diesen Verrat auf. Ein „Blick unsäglicher Erbarmung" traf ihn — das also ist Mannesfreundschaft! Nun bin ich der letzte aus einem ganzen Kreise — aber ich trage das Panier bis zu Ende! Nie! — Und das war unsere Pfingstsprixe in den Harz!

Nie!-

Kunst und WistenschaN. Die große Kunst-Ausstellung im Landessusstellungspalast. war macht

das Fehlen mancher liebgewordcner Künstlernamen, wie doch nicht zur Sezession gehören, recht schmerzlich Doch sich, wenn man die Säle durch¬ 'stattliche wandert, daß sich immerhin eine Anzahl sehr bemerkenswerter Bilder in der Ausstellung findet, auch wenn man die bedeutenden Kollektivausstellungen nicht in Betracht zieht. Gewiß wollen die Werke zum großen Teil nicht auf das „Wie" sondern auf das „Was" hin angesehen werden, aber oft kommt dem sich vordrängenden Gegenstand ein glänzender Vortrag zu Hilfe. Mit welcher technischen Vollendung ist beispielsweise die große Rochegrossesche Menschenpyramide, die „Jagd nach dem Glück", auf die Leinwaud gestrichen. Mit welcher Meisterschaft ist das große Votivbild der Familie v. Schorlemer-Alst mit den ernst erfaßten Porträtköpfen der Eltern und ihrer Kinderschar, wie sie der heiligen Jungfrau Gaben bringen, in den dreiteiligen Rahmen komponiert und gemalt. Der junge Tyroler Meister De lug, der jetzt in Wien an die Akademie berufen wurde, hat es geschaffen. Alma Tadcmas antikes Fest ist ein kleines Wunder an Technik, und das Ruskin-Porträt von Herkomereius der tiefstausgefaßten, das er je gemalt hat. Das Ausland ist überhaupt zwar nicht der Zahl nach

Hugo Vogel, die S Bracht,empfindbar. zeigt sich

sehr bedeutend, dafür aber durch einzelne ganz hervorragende Werke vertreten. Der Amerikaner holländischer Abkunft Melchers hat ein paar für ihn sehr charakteristische holländische Schlittschuhläufer geschickt, der große belgische Arbeiterschildercr Luyken eine Frau, die ächzend ein riesiges Bündel Leseholz heim trägt. Glänzend mit seinem Farbegeglitzer ist der hier selten gesehene französische Stilllcbenmaler Vollon vertreten. Segantini, der große Italiener, giebt in seiner „Kindesmürdcrin" ein symbolistisch tief zu empfindendes Bild. Ein hier kaum gekannter Franzose, Guillaume Roger, malte in einem graziös pathetischen Stil eine Liebesgeschichte Pierrots in einem Triptychon. Bemerkenswert ist, daß das Streben, in großen Bildern tiefe Empfindungen und Ge¬ danken zu verkörpern, wieder mehr und mehr auftritt. Es hat sich in mehreren bedeutenden großen Werken bethätigt. Da ist Cornelia Paczka-Wagners „Vanitas", ein Bild, das' schon durch das darin offenbarte Können Achtung fordert. Gedanklich ist vielleicht ein wenig zuviel hineingehcimnißft es könnte klarer ausgedrückt sein, was denn nun die einzelnen Gestalten, die das „Weib" umringen, ihm zuflüstern, von ihm wollen. Exter hat drei große Gemälde zu einem Cyklus vereinigt: „Gebet der Eva", „Versuchung", Verlorenes Paradies", also eine Ver¬ körperung der alttestaincntlichen Symbole, des Gedankens, wie aller Jammer durch das Weib in die Welt gekommen ist. Die Bilder packen nicht recht, und zwar liegt das wahrscheinlich an der etwas flauen Malerei. Man ist gerade von Exter viel mächtigere Accorde gewöhnt. Das große Bild von Fahrenkrug „Lucifer jagt sich mit seinem Anhang von Gott los", ist Pose, nichts als Pose. Von gewaltiger Wucht und tiefem Gedankeninhalt beseelt ist aber Christian Speyers Bild: „Die apokalyptischen Reiter"; cs hat etwas von „großer" Malerei und überrascht am meisten gerade von Speyer, von dem man sonst nur Bilder eines ganz anderen Genres, meist Pferdeschilderungen, aller¬ dings glänzend gemalt, gesehen hat. Unter den Landschaften sind cs namentlich wieder Marinen von M es dag, die hervorragen. Es ist erstaunlich, daß sich ein Künstler durch ein Menschenaltcr hindurch auf solcher Höhe so gleich bleiben kann. Wundervoll in seinem satten, tiefen Gcsamtton ist das „Abend¬ rot" über einem großen Hafen, das Hendrick Willebrord Jansen, wie Mesdag ein Holländer, auf seiner großen Leinwand schildert. Sehr schön in Ton und Stimmung sind die beiden Marinen des Münchners Leipold, und das „Blühende Feld" Peter Paul Müllers. Aehnliche Eigenschaften besitzen Eugen Kampfs (Düssel¬ dorf) Landschaftsbilder. Von ganz anderer Art sind die kleinen, so überaus delikaten Schildereien Kubierschkys (München). Ta sich für das Abmalenlassen des eigenen werten „ich" immer ein großes und beinahe größeres Publikum findet als fürs Bildcrkaufcn, so hängt natürlich auch Heuer wieder eine erkleckliche Anzahl von Bildnissen in den Ausstellungssälen. Die hervorragendsten sind: das des „Baurats Kayser" von Koner in seiner gewohnten frischen Malweise und ein wenig trockener Auffassung, dann das Bildnis des bayrischen Kriegsministers von Asch, das der geschickte Münchener Burger ausstellt. Fesselnd sind die flotten Persönlichkeitsskizzen von Schlubeck, ein wenig trocken aber grundehrlich das Bildnis einer Dame von Jeanne Bauck. Das geistreichste an Auffassung und sicherem Hinskizzicren aber leistete Heilemann in zwei Damenporträts. Die Schwarzweißabteilung ist natürlich nicht so umfangreich wie sonst, da viele der sie gewöhnlich beschickenden Künstler durch die „Sonderausstcllung des Verbandes Deutscher Illustratoren" in Anspruch genommen wird. Ganz hervorragend in ihr sind die Radierungen nach Corotschen Bildern von Krostewitz und Lüders. In der Jllustratorenausstellung, die allein für sich einen mehr¬ stündigen Besuch erfordert und sicher eines der Hauptinteressen der ganzen diesjährigen Veranstaltung bildet, sieht man einmal, wie die Zeichnungen aussehen, die man, mit all den liebgewordcnen Namen unterzeichnet, in allen möglichen Tages-, Wochen- und Monatsblättern und -Büchern in irgend einer der modernen treuen Techniken repro¬ duziert, zu suchen und zu finden gewohnt ist. Da ist der Zeichnerstab der „Münchener Fliegenden", die Ren« Reinecke, H. VogelPlauen, Mandlick, die Künstler des Simplizissimus, der Jugend, des Narren schiff, die Thöny. Edel, Jordan, Heil cm ann, Schulz, die politischen Karikaturisten Stutz und Halle. Dann findet man Buchillustrationen von Skarbina, Schlichting, Eckmann, Haus Herrmann u. v. a. Am dürftigsten ist merkwürdigerweise die bildhauerische Beschickung der Ausstellung ausgefallen. Außerdem überwuchert auch der Palmen¬ hain des Herrn Winter aus Bordighera die ausgestellten Skulpturen in der großen Ouerhalle dermaßen, daß man sich fragt, ob die Palmen für die Bildwerke da sind, oder ob die letzteren vielleicht nur eine Ab¬ wechslung in der Gartenbau-Ausstellung bilden sollen. Trotzdem finden sich einige ganz vorzügliche Werke, so der „Grabesengcl" und die „Avonne" von Martin Schauß, der wunderbare „Sieger" von Tuaillon, der gleichwohl an seine „Amazone" nicht heranreicht, dann die Tierskulpturen von Freiherrn Ernst von Hayn. Es scheint, daß unsere Bildhauer durch die vielen mit der vom Landesherrn hervor¬ gezauberten goldene» Zeit für ihre Kunst gekommenen Aufträge ganz in Anspruch genommen sind, sonst könnten nicht so viele fehlen.

Die Ausstellung der Sezession. AWenn man die Säle der kleinen intimen Ausstellung durchwandert, man mehr und mehr überrascht, wie viel ganz Hervorragendes

ist sie

bergen. Gerade bei den kleinere» Maßen der Räume kommt man zum Genuß auch kleinerer Werke, die sonst in den riesigen Sälen des Landes-Ausstellungspalastcs ganz verschwanden und erst aufgesucht werden mußten. Wir sind gottlob über die Zeit der „Ausstellungsschlagcr" schon etwas hinweg. Es kann einer heut noch so kilometer¬ weite Leinwände mit noch so absonderlichen, lächerlichen oder grauen¬ haften Szenen vollmalen: es verblüfft nichts mehr! Dagegen hat man wieder mehr und mehr Freude an einem kleinen Rähmchen, ausgefüllt mit irgend einer intimen Schilderet. Und so werden wir hoffentlich

435 dem erstrebten Zustand wieder näher kommen, wo das Publikum mehr und mehr das Bedürfnis empfindet, sich seine Wände mit Kunstwerken zu behängen) das; es wieder kaust, ohne, zu Haus angekommen, sehen zu müssen, daß sich die Leinwand, die auf der Ausstellung ganz mäßig aussah, plötzlich in eineni normalen Wohnzimmer zu einem ungeahnten Umfang ausgewachsen bat, und daß die Farbaccorde, die' auf die Plakatwirkung hin gemalt, bei dem scharfen, hohen Oberlicht sich har¬ monisch zusammenschlossen, nun zu Hause plötzlich in scheußliche Dis-

harnwnicn zerflattern. Die Zierden der Ausstellung sind die Böcklin, Leibl, Menzel, Liebermann, v. Uhde, Stuck, Wahrlich, eine stolze Namenreihc! Eine Kritik erübrigt sich bei ihnen; nur das muß und kann man sagen: Was sie ausstellen, gehört zum Besten, das sic je geschaffen haben. Man kann in ihnen außerdem den Werdegang und die Entwickelung der deutschen Kunst verfolgen: von Leibls und Menzels sachlichem Naturalismus zu Liebermanns und v. Uhdes impressionistischer Kunst, auf der anderen Seite den Weg von Böcklin zu Stuck, Daß Altmeister Menzel das Kriegsbeil begraben hat, ist hocherfreulich. Bei

künstlerischen Charakter kann man sicher sein, daß wenn er zwanzig Jahre jünger wäre, er sich an die Spitze der Bewegung gestellt tzätte, gerade wie seinerzeit sein großer Freund Meissonier an die Spitze des „Sakm du champs de Mars" trat. Man könnte die Reihe Böcklin-Stuck fortsetzen mit Ludwig von Hofmann, dem zartraziösen Poeten der heiteren Lebensfreude und Martin Brandenurg, dem leidenschastdurchglühten Mystiker, Letzterer hat auch zwei frühere Arbeiten da, einen vorzüglich gemalten Akt und einen Spreewälder Kirchgang voll lachendem Humor, Zu monumentaler Größe erhebt sich der Schweizer Hobler in seinen „Lebensmüden". Seine ganze eigenartige Persönlichkeit entfaltet Zwintscher in seinem Tilanen seinem

bevölkerten „Sturm". An Landschaften sind das Feinste wohl die wunderbaren Ton¬ das Wuchtigste hingegen die stimmungen des Dachauer Meisters Bilder von Reiniger. Meister Thoma hat zwei für ihn sehr charakteristische Landschaften ausgestellt, die seine ganze treuherzig innige Naturauffassung atmen. Die Worpswreder Binnen, Modersohn, Mackensen sandten bezeichnende Proben ihrer tiefen, herben Kunst, Die Ticrmalerei ist durch Zügel und Frenzcl glänzend vertreten, der erste süddeutsch farbenfreudiger, der andere mehr norddeutsch sachlich. Sein ganzes fabelhaft technisches Geschick entfaltet Dettmann in zivei Bildern glänzender denn je zuvor, Porträts sind merkwürdig wenig vorhanden, dafür aber zwei von seltener Turchgeiftigung der Auffassung, Lepsius und Dora Hitz sind ihre Meister, der zeichnerischen Abteilung gewähren seltene Genüffe die Originalzeichnungcn von Oberländer und Busch; das sind wahrlich zwei Künstler, die zu besitzen das deutsche Volk sich rühmen kann. Be¬ sonders glänzend zeigt sich die junge Münchener Zeichncrschule Schlittgen, Sichler, Georgi, Münzer, Zu erwähnen sind noch die Gouächebildcr von Dettmann sMondnacht) und Uth (Fabrik Borsigj, Unter den Werken der Graphiker sind besonders die Radierungen

Dill,

In

begeisterten Huldigung für Rudolf Virchow, den Altmeister der medi¬ zinischen Wissenschaft, Im Namen der Berliner Universität dankte der Rektor derselben, Geheimrat Waldeyer, für die Schaffung dieser einzig in der Welt dastehenden Sammlung und feierte in zündenden Worten den Mann, der in mehr als fünfzig Jahren dieses großartige Werk ge¬ schaffen hat, Erbauer des Museums ist der Rcgierungsbaurat Tieslel. Am 29. Juni feierte die Gesellschaft der Eharitee-Aerzte das Fest ihres 26 jährigen Bestehens, Ani 2, Juli waren 100 Jahre seit der Geburt des längjährigen Direktors der Berliner Museen, des Freiherrn Leopold von Ledebur, verflossen, Ledebur war ein geborener Berliner und hatte sich ursprüng¬ lich dem Offiziersstande gewidmet. Bei Errichtung des Neuen Museums in Berlin ward er Direktor der königlichen Kunstkammer, des Museums

der vaterländischen Altertümer und der ethnographischen Sammlungen, Er starb am 17. November 1879 zu Potsdam, Unter seinen zahlreichen Schriften verdienen das „Adelslexikon der preußischen Monarchie" (1854— 57, 3 Bändel und das „Archiv für die Geschichte des preußischen Staates" (1830—36, 21 Bände), Hervorhebung, Ledebur zählte in den Jahren 1875—77 auch zu den Mitarbeitern des „Bär", der von dem vielseitigen Forscher u. a, die Aufsätze „Friedrich I, und seine Kunstkammer" und „Thurneissers Flucht aus Berlin im Jahre 1582" veröffentlichte. Die königliche Gärtner-Lehranstalt zu Potsdam feierte in den Tagen vom 29, Juni bis 2. Juli ihr 75 jähriges Bestehen, Dieselbe wurde auf Anregung des Vereins zur Beförderung des Gartenbaues in den preußischen Staaten als Gartcnbausckiule gegründet. Zuerst befand sich die Anstalt in dem ehemaligen Schützenhause in der Potsdamerstraße gegenüber dem Botanischen Garten; im Jahre 1854 wurde sie zur königlichen Gärtner-Lehranstalt erhoben und nach Wildpark bei Potsdam verlegt. Rach der Verlegung des Botanischen Gartens nach Dahlem wird auch die Gärtner-Lehranstalt nach dort übersiedeln. Die Hauptlehrfächer der Anstalt sind Obstbau, Pflanzenkunde und Gartenkunst. Ter Maatssekretär des Auswärtigen Amtes, Staatsminister von Bülow, wurde vom Kaiser wegen seiner Verdienste uni die Erwerbung der Karolinen-Jnseln in den Grafenstand erhoben. Durch den Abbruch des Raveneschen Hauses in der Wallstraße verschwindet ein für die Baugcschichte Berlins interessantes Gebäude, Dasselbe war, wie die „Deutsche Bauzeitung" hervorhebt, ein Jugendwerk August S tülers. Später wurde das Haus von Ende & Böckmaun mit einer neuen künftlcrisdicn Ausstattung versehen. Das Rave¬ neschen Haus gehörte Jahrzehnte hindurch zu den vornehmsten Schöpfungen der Berliner Privatarchitektur. Ter Wirkliche Geheime Rat Aschenborn, Unterftaatssekretär im Reichsschatzamt, ist von der Berliner philosophischen Fakultät zum Ehren¬ doktor ernannt worden. Bei der hiesigen Universität ist vr. med. Ludwig Pick als Privaldozent zugelassen worden.

Märkische Chronik.

Hans am Ende sWorpswrcdej, Käthe Kollwitz sBerlin) und Richard Müller (Dresden) hervorzuheben. von

Die Anzahl der ausgestellten Skulpturen ist nicht groß, dafür müßte man beinahe eine jede besprechen. Es ist nichts ganz Unbedeutendes vorhanden. An der Spitze steht Meister Hildebrand, dann ist die junge Münd)ener Schule durch ihre Führer Hahn, Kaufmann, Floßmann vertreten, Berlin besonders durch Gaul (der Ziegenfrics),

Kruse-Lictzenburg, Lederer, Klimsch,

Gewiß haftet der Ausstellung manches an, das die Eile, mit der werden mußte und die Schwierigkeiten, die ihr in reichstem Maße sich entgegcntürmtcn, nur zu erklärlich macht, Aber daß sie so, wie sie ist, trotz allem zustande kam, beweist., wie ernst es ihren Schöpfern mit ihrem Werk ist. Sie bedeutet einstweilen nur die erste Saat, die nun aufgehen und reifen muß. Hoffentlich bleibt ihr die große Gunst des Publikums, die der über Erwarten zahlreiche Besuch und die vielen Verkäufe beweisen, treu, dann wird sie sich auch entwickeln zum Heile des gesamten Kunstlebens in Berlin, sie geschaffen

Berliner Clxronik. der Schriftsteller Karl Homann in der Nähe von Sakrow gelegentlich einer Segelfahrt, Er war als Mitglied des offiziösen litterarischen Bureaus mit der Berichterstattung über die par¬ lamentarischen Verhandlungen für den Kaiser betraut und schrieb für die „Tägl. Rundschau" Musik-Kritiken, Am 26, Juni starb im 81. Lebensjahe der Geheime Sanitätsrat

Am 25.

Juni ertrank

Charlottenburg,

Am 1,

Juli

wurde der Geheime Regierungs¬

rat Profcffor Ricdler in das Amt als Rektor der technischen Hochschule eingeführt, die im Herbst ihr 100jähriges Bestehen feiert. — Professor

Dr! Paalzow von

derselben Hochschule ist zum Geheimen Regierungs¬

rat ernannt worden.

Belzig. Am 25. Juni brannte die zwischen Dahnsdorf und Nicmegk belegenc Komthurmühle, die in einer Urkunde von 1248 schon eine alte Mühle genannt wird, vollständig nieder. Sie war einst Eigentum der Deutsch-Ordensritter in Dahnsdorf, Potsdam, Am 4, Juli feierte die hiesige Unteroffizicrschule

ihr 75jähriges

Bestehen,

Zehlendorf

(bei Potsdam) hat nach dem soeben erschienenen Adreßkalender 1769 selbständige Einwohner gegen 1136 im Jahre 1892; die Zahl der Straßen ist von 47 auf 79 gestiegen. Joachimsthal. Am 18. Juni fand die feierliche Enthüllung des Brunold-Dcnkmals (modelliert von H, Walger-Bcrlin statt. Aus Berlin hatten sich etwa 200 Teilnehmer eingesundcn. Am Grabe des Dick;ters sangen Gesangvereine sein ergreifendes Lied „Dann" in der Hciseschen Komposition, Die eigentliche Enthüllungsfeier begann um 10V 2 Uhr mit dem Absingen der Vogeljchen Hymne „Tausend Srerncnheere." Die Festrede hielt Gcheimrat Friede!, der Vorsitzende des Denkmal-Ausschusses, Der Platz, auf dem die Büste des märkischen Liederdichters steht, hat den Namen „Brunold-Platz" erhalten. Die Gesamtzahl der nach Joachimsthal geströmten Festleilnehmer wird aus 1500 geschätzt.

vr, Wilhelm Rintel,

einer der ältesten Berliner Aerzte, der in Berlin 1841 die ärztliche Praxis ausübte, Rintel war 1818 als Sohn eines Berliner Arztes und als Enkels Zelters geboren. Neben seinen medizinischen Fackiftudien studierte er unter Dehn und Eduard Grell Musik, Im Jahre 1854 wurde im alten Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater eine von ihm komponierte Operette „die Flitterwochen im Gebirge" gegeben. Von dauerndem Wert für die Musikgeschichte ist seine seit

Biographie Zelters (Berlin 1861). Am 27. Juni feierte Professor Albert Loeschhorn, ein geborener Berliner, seinen 80, Geburtstag. Loeschhorn ist seit Anfang der fünf¬ ziger Jahre Lehrer des Klavierspicles am königlichen Institut für Äirchenmusik. In das Berliner Musikleben trat er bereits 1847 ein, Aelteren Berlinern werden die Trio-Soireen in bester Erinnerung sein, die er mit den königlichen Kammermusikern Adolf und Julius Stahlknechl ins Leben rief. Seine Kompositionen dienen vorzugsweise Unterrichtszweckeii; volkstümlich geworden ist das Salonstück „Vu belle Amazone“, das Anfang der fünfziger Jahre entstand. Am 27, Juni wurde das pathologische Museum auf dem Eharitee-Grundstück feierlich eröffnet. Dem festlichen Akte wohnten neben den Angehörigen der Berliner Universität Vertreter fast sämtlicher deutscher Hochschulen bei, und die Eröffnungsfeier gestaltete sich zu einer

Kleine Mitteilungen. Eine Grschichksfälschung. Es ist eine zwingende, wenn auch zuweilen peinliche Pflicht der Geschichtsschreiber, stets wahr zu sein. Auch dem Volksschriftsteller sind keine historischen Lügen erlaubt. Eine solche wagte ein gewisser Werner Hahn, der im Jahre 1850 im Verlage der Dcckerschen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei unter dem Titel: „Friedrich Wilhelm III, und Luise, König und Königin von Preußen, 217 Erzählungen aus ihrer Zeit und aus ihrem Leben" ein Buch herausgab, in dem höchstens die ausführliche Schilderung des Begräb¬ nisses Friedrich Wilhelms III, wertvoll ist. Den Tod Friedrich Wil¬ helms II, und die ihn begleitenden Ncbenumstände erzählt er ganz und gar, und jedenfalls wissentlich, falsch. Freilich ist dieses Kapitel der preußischen Geschichte ein schwarzes, durch häßliche Flecken verunziertes, Friedrich Wilhelm II, starb einsam, mit Gemahlin und Sohn zerfallen; nicht einmal die Gräfin von Liä>tenau, nur der Kämmerer Rietz, ein (französischer) Kammerdiener und drei Jäger waren bei ihm. Aber Werner Hahn schreibt: „Im September des Jahres (1717) kam er noch von Potsdam nach Berlin, um bei dem Feste seines Geburtstages dort

(

436

zu fein. Da sagten auch, die ihn erblickten — sonst de» hohen, statt¬ lichen Mann — jetzt eine zusammengesunkene entkräftete Gestalt: der Tag wird wohl des Königs letzter Geburtstag sein. _ Ein Gesetz oerordnete er noch, den übertiebenen Pomp der Trauerfeierlichkeiten Dann sprach er abermal ('?): ick fühle, daß ich nun zu beschränken. scheiden must. Ich habe meine Pflicht gethan. Jedoch der Krieg hat mir am Leben gezehrt)?). Dann liest er seine Gemahlin und seinen ältesten Sohn, den Kronprinzen, zu sich kommen. Er reichte ihnen die Hände; er hielt sie lange und sah sie beide schweigend an. Zuletzt dann sprach er: Lebt wohl bis dort in jenes Leben! Und Tags darauf, am 16. November, vermehrten sich die Schmerzen. Er drückte wie in Krämpfen die Hände in die Lehnen seines Sessels. Er sprach: Der Tod ist bitter! Doch — Herr, Dir befehle ich meine Seele. Und starb. Er war vierundfünfzig Jahre alt und hatte elf Jahre lang regiert. Der König war gestorben. Der Kronprinz war nun König." So fälscht ein Volksschriftsteller die Geschichte!

Brandenburg an der Havel "welchererhält Zollfreiheit. Die

Ur¬

Markgraf Otto I. der Stadt Jahre 1170, mit Brandenburg Zollfreiheit verlieh und, wie Riedel annimmt, hiermit dieselbe zur Hauptstadt der Mark erhob, ist in Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis, A. IX, 2, int lateinischen Original abge¬ druckt und hat in deutscher Uebersetzung folgenden Wortlaut: „Im Namen der heiligen persönlichen Dreieinigkeit. Allen jetzh und in Zu¬ kunft lebenden treuen Christen sei nun und für immer folgendes be¬ kannt. Ich Otto, von Gottes Gnaden Markgraf von Brandenburg, und meine Gemahlin Judith und unsere Söhne Otto der ältere und Heinrich der jüngere, wir erkennen alle an, das; das Fürstentum und der Titel unseres Namens und Amtes dazu von Gott uns verliehen ist, damit wir Väter der Waisen und Schutzrichter der Witwen sind. Dann aber ist es auch unsere Pflicht, dast wir die Schwächen, mit welchen wir not¬ wendig infolge der weltlichen Geschäfte behaftet sind,, durch reichliche Almosenspenden wieder gutmachen. Nun haben unsere Bürger von Brandenburg sich an unser mildthätiges Herz gewandt, ihnen ist unsere Gnadenbezeugung zu teil geworden, und wir haben sie von jeder Zoll¬ abgabe von jetzt an und für immer befreit. — Hierzu kam aber auck; die Thatsache, dast der vorher genannte Markgraf aus seiner Burg Havel¬ berg seine Gerichtsversammluug abhielt, welche gewöhnlich mit Bodding bezeichnet wird, und dort vor der Gerichtsbehörde an seine Barone die Frage richtete, welche Burg seines Fürstentums besonders den fürstlichen Namen trüge? Und da erhob sich einer der vornehmsten im Rat und im Palast des Herrn Markgrafen, mit Namen Borchard, und gab für alle und vor allen, welck)e dort fasten, zur Antwort: Vor allen anderen Burgen in der ganzen Mark ist der Name Brandenburg hochgepriesen und berühmt, hier ist eine königliche Burg, eine kaiserliche Kammer, ein Bischofssitz. Deshalb wurde hierauf von dem Markgrafen und seinen Grogen eine gemeinsame Beratung abgehalten und den Bürgern von Brandenburg vollständige Zollfreiheit beim Kauf und Verkauf int ganzen unserer Herrschaft unterworfenen Land verliehen. Dock, gilt diese Zollsreiheit im allgemeinen nicht für Fische, mit- Ausnahme von Häringen, Moränen und Lachsen. Wer aber diese hier für immer festgesetzte Be¬ stimmung etwa verletzen möchte, der mag wissen, dast er der Strafe des Markgrafen von Brandenburg und seiner Nachfolger verfallen ist. Im Jahr der Geburt des Herrn 1170 unter der Regierung des Kaisers Friedrichs nnd des Herrn Brandenburger Bischofs Wilmarist vor zuständigen Zeugen diese Urkunde ausgestellt. Es schrieb dieselbe Wiricfus Franeigena, der Kaplan des Herrn Markgrafen Otto." W. A. Wegener. Das zerstörte Ziprunergrab. Das kleine, unansehnliche Dorf Clieftow bei Trebbin hat vor einiger Zeit seine einzige Sehenswürdig¬ keit verloren. Wer den nur etwa zwanzig Minuten von der Stadt entfernten Ort aufsuchte, der that es sicher nicht des Bieres wegen, das man im Dorfkrug ausschänkt, auch nicht wegen der schattenlosen Chaussee, die nach Cliestow führt, oder einer anderen Eigentümlichkeit. Den führte nur ein kulturhistorisches oder ethnögraphisches Interesse in diesen kunde vom

weltabgeschiedenen Flecken, dessen Bedeutungslosigkeit sich am besten darin dokumentiert, das Cliestow noch keine Ansichtspostkarten hat. Das einzige, was man dort sehen wollte, war das eigenartige Grab eines vornehmen Zigeunerhäuptlings, der aus dem kleinen Dorfkirchhofe seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Dorthin zogen alljährlich die modernen Nomaden, die unsteten Kinder eines sagenumwobenen Volkes, wenn sie durch die Mark ihren Weg nord- oder südwärts machten, um dem Andenken ihres grasten Führers ein stilles Gebet zu widmen. Das Zigeunergrab von Cliestow war in allen märkischen Wanderbüchern und Touristenführern besonders erwähnt, und mancher wird von dem mächtigen Steinhügel, der es überwölbte, eine der wildwachsenden Blume» als Andenken mitgenommen haben. Wer jetzt nach Cliestow kommt, jucht vergeblich nach dem Zigeunergrab. Es ist dem Erdboden gleich gemacht, und nur ein Trümmerhaufen von Steinen bezeichnet die Stelle, wo es gestanden. Die Kirchenbehörde hat die Entfernung des Zigeunergrabes kurzer Hand verfügt, angeblich, weil es dem Friedhofe von Cliestow nicht mehr zur Zierde gereicht. Freilich sieht der ganze Kirchhof nicht wie ein geweihter Ort aus; er ist von Unkraut über¬ wuchert, von Dornenhecken und Disteln umgeben, und das einzige Interessante in dieser traurigen Wildnis war das Zigeunergrab, das mit seinen Steinmassen sichtbar emporragte. Nun werden die wandern¬ den Scharen vergebens ihren Zug nach Cliestow nehmen, vergebens Umschau hallen nach dem Grabmal ihres Häuptlings, das wohl ein Jahrhundert lang dem öden Dorfkirchhof ein charakteristisches Gepräge verlieh. P. Kz. Französische Okkupation. Im Jahre 1761 entsandte der von Rostbach her genügend bekannte französische Marschall Soubise ein Streifkorps unter dem Marquis de Conflans in das preußische Ost¬ friesland. Dieser hauste dort in einer so unerhörten Weise, daß sogar der französische Feldherr sich veranlaßt sah, nach Paris zu melden, „daß die Offiziere des Korps von Conflaus sich durch Plünderung entehrt hätten". Leider bestanden die Mannschaften dieser Abteilung zumeist Verantwortlicher Redakteur:

vr. M. Folticineano, Berlin.

aus Deutschen; Conflans hatte diese Raub- und Mordgesellen von einem Rittmeister Fischer „gekauft", der für den König von Frankreich dies Freikorps angeworben hatte. Während Conflans selbst auf dem rechten Emsufer seine ehrlosen Plünderungen unternahm, hatte er das linke Emsufcr, das Reiderland, seinem Spießgesellen, dem Obersten Cambfort, überlassen. Dieser schrieb in den

allerdings sehr wohlhabenden Orten Kon¬ tributionen von unerschwinglicher Hohe aus und wendete die uner¬ hörtesten nnd grausamsten Mittel an, um seine Forderungen einzutreiben. Die wohlhabendsten Leute wurden aufgehoben und nach Weener ge¬ bracht. Eine alte Frau, die nicht mehr gut gehen konnte, wurde an

einen Pferdeschweif gebunden und so mitgezerrt. In Weener sperrte man die Unglücklichen in den Kirchturm. Dort saßen ihrer fünfzig und mehr in dem dunkeln und schmalen Raume, der durch Totenbahren noch mehr verengt wurde, ohne Fenster, ohne Luftloch. Für jeden Arrestanten wurde, ein Pfund Brot täglich gereicht; doch ward dies einmal 36 Stunden lang (wohl nicht ohne Absicht) „vergessen". Am Morgen ward ein Eimer voll Wasser in diese Höhle des Jammers ge¬ stellt, doch ohne Glas oder Becher. Die verpestete Luft — es war niemandem und unter keinen Umständen verstattet, hinauszugehen — machte das Wasser sofort faulig. Doch pflegte man des Morgens einige Arrestanten hinauszuführen: sie mußten sich auf Stroh über eins der Gräber des Kirchhofes legen und erhielten dann, je nach Laune und Belieben des Kommandierenden, eine Anzahl Hiebe. Einer der Geist¬ lichen, die im Turme saßen, soll dreimal hinausgeführt worden sein und vor den Augen seiner um Erbarmen flehenden Frau im ganzen ISO Hiebe erhalten haben. Fast acht Tage wahrten diese Scheußlich¬ keiten, veranstaltet durch zwei hohe Offiziere der französischen Armee; dann trat Ruhe ein; denn der österreichische General Wurmsee über¬ nahm den Befehl und suchte die schweren Wunden, welche die fremden Mordbrenner dem Laude geschlagen, zu lindern. Aber an hundert friedliche Einwohner waren ermordet, reichlich 500 000 Thaler offiziell als Brandschätzung eingetrieben; außerdem wurde der Verlust an per¬ sönlichem Eigentum auf 330 000 Thaler berechnet, eine wohl viel zu niedrig gegrifsene Summe, in welche die geraubten Vieh- und Pferde¬ bestände noch gar nicht einbegriffen sind. — Noch heutigen Tages ist in mehreren Gegenden Ostfrieslands der in „Kumflander" korrumpierte Conflans der Inbegriff alles Ehrenrührigen, das ärgste Schimpfwort. Im Reiderlande hieß lange Zeit des Hauses treuer Wächter, der Hof¬

F. B.

hund „Cambfort".

Am 2.

Inli vor

100 Jahren wurde der Historiker Leopold Karl Wilhelm August Freiherr von Ledebur in Berlin geboren. Nach¬ dem er bis 1829 Offizier gewesen war, führte er das Direktorium der Königlichen Kunstkammer, des Museums für vaterländische Altertümer und der ethnographischen Sammlungen bis zum Jahre 1874. Er starb am 17. November 1877 in Potsdam. Von seinen Schriften heben wir hervor: „Streifzüge durch die Felder des köuigl.-preustischen Wappens" lBerlin 1842), „Adelslerikon der preußischen Monarchie" (Berlin 1854 bis 1857, 3 Bände), „Das jüngste Gericht in der Marienkirche zu Danzig" (Berlin 1859), „Der Schulze Marsilius von Berlin" (Berlin 1870), „Die beidnischeu Altertümer des Regierungsbezirks Potsdam" (Berlin 1852). Auch gab er das „Allgemeine Archiv für die Geschichtskunde des preußischen Staats" in 21 Bänden und „Mitteilungen aus den nach¬ gelassenen Papieren eines preußischen Diplomaten" (Grafen von Schladen) heraus.

Inli

Am 8. vor 190 Jahren wurde Friedrich des Großen Lieblingsschwester, die Prinzessin Wilhelmine, Markgräfin von Baireuth, geboren. Sie war die Vertraute seiner Kinder- und Jünglmgsjahre. Am vierten Tage ihrer Hochzeitsfeier erschien er zum erstenmale wieder öffentlich nach der Begnadigung durch seinen Vater. Sie tröstete ihn in den unendlichen Wirren des siebenjährigen Krieges, aber starb zu früh für ihn am unseligen Tage der Niederlage von Hochkirch, am 14. Oktober 1758. Ihr Tod schlug den ohnehin schon tiefgebeugten König vollends nieder. Bekannt ist sie als Verfasserin der Memoires de Frederiqne Sophie Wilhelmine de Pruase. Brunswick, Paris et Londres 1812, 2 vols."

Inli

Am 3. find 25 Jahre vergangen, seit 60 Millionen Mark in barem Gold und in Goldbarren in den Juliusturm der Festung Spandau geschafft wurden, wozu sich zwei Tage darauf weitere 60 Millionen Mark gesellten. Wie dieser Turm zu seinem Namen ge¬ kommen ist, wissen wir iticht. Er liegt im westlicheit Teile der Span¬ dauer Citadelle und besteht aus roten Ziegeln, wie der ganze Festungs¬ bau. Mögen jene 120 Millionen Mark noch lauge unangerührt da¬ liegen; denn sie bilden einen Schatz, der nur bei Ausbruch eines Krieges zur Verwendung kommen soll! ■

Am 5. Juli vor 184 Jahren starb in Berlin der Königliche Historiograph und Polizeidirektor Charles Aurillon, dessen Vater nach Aufhebung des Edikts von Nantes nach Berlin gekommen war und dort 1692 als Prediger starb. Sein älterer Bruder war ein beliebter Redner in Berlin und starb daselbst 1727 als Hofprediger. Sein Enkel Ludwig Friedrich, geboren 1740 in Berlin, wurde Prediger bei der dortigen französischen Gemeinde, 1796 Rat und Beisitzer des französischen Oberkousistoriums und 1799 auch Rat beim französischen Oberdirektorium. Er starb 1814. Dessen Sohn, Johann Peter Friedrich, war der be¬ kannte Minister. Am 6. Juli vor 45 Jahren starb in Berlin der „LokomotivenKönig" Johann Karl Friedrich August Borsig. Geboren in Breslau am 23. Juni 1804, eröffnete er 1837 vor dem Oranienburger Thor Berlins eine Maschinenbauanstalt, in der am 31. August 1858 die 1000. Lokomotive vollendet wurde. Im Jahre 1847 legte er in Moabit ein Eisenwerk an, ebenda kaufte er 1850 eine Maschinenbauanstalt und Eisengießerei. Die Werke Borsigs slchrte sein Sohn August Julius Albert fort, bis er am 10. April 1878 starb. Die Berliner Maschinenbauanftalt wurde im Juni 1887 aufgelöst. D.

— Druck u»d Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenburger Straße

Ha.

Illustrierte Wochenschrift für 23. Jahrgang.

Geschichte und modernes Leben.

Sonnabend, 15.

-

Inli

Nr. 28.

1899.

Gpkev öes l^epzens.

- --

Berliner Roman von

(D. (Elfter.

-

(Fortsetzung.)

8.

Kapitel.

„Oh,

schon

vor einigen Monaten. Brunhild wollte es mir nicht Brunhild kann in

geben, aber ich fand es so sehr charakteristisch.

ernd saß in seinem Zimmer bei einer Arbeit, als es an die Thür pochte, und aus Bernds „Herein" Bruno von Western

ins Zimmer trat. „Störe ich Dich?" „Nein — nur noch einen Augenblick, dann bin stehe zu Diensten.

Da

ich

fertig und

unbewußten Augenblicken hasse diese

Bilder,

so

düster und

denen man die

„Eine gewisse Aehnlichkeit — eine zufällige Aehnlichkeit ohne Zwei¬ fel, aber man möchte schwören, die Büste sei

„Laß Dich nicht — ich habeZeit."

stören

sich

Bilde

seiner Arbeit wieder zu,

nach diesem

während sich Bruno eine Cigarre anzündete und sich dann in einen Seine Sessel warf. Blicke folgten gedanken¬ voll den blauen Dampf¬ ringeln seiner Cigarre, und ein leiser Seufzer entfloh seinen Lippen. Dann nahm er die Photographie Brunhilds, die in einem

macht worden."

Rah¬ men auf dem Tisch stand in die Hand, und besah sie aufmerksam. geschmackvollen

Mehrmals schüttelte er den Kopf, hielt die Photographie in wei¬ tere Entfernung, dann wieder nah vor die und schüttelte abermals den Kopf.

Augen

Bernd hatte die Feder hingelegt und schaute sich um. „Du scheinst ja ganz vertieft in den Anblick des Bildes meiner Braut zu sein," sagte er lächelnd.

Bruno blickte auf.

„'s sehr

ist ein hübsches,

ähnliches.

Bild,"

„Rur er. ein wenig düster im Wann ist Ausdruck. eutgegnete

es aufgenommen?"

ich

ansieht: „Bitte, nur recht freundlich." Bruno lachte kurz auf,dann stellte er dasBild wieder auf denTisch. „Seltsam ist es doch . . ." sagte er dann. „Was ist seltsam?"

sind Cigarren — bitte, bediene Dich."

Bernd wandte

aussehen, und

ernst

Mahnung des Photographen

„Welche Büste?

ge¬

Du

in Rätseln."

sprichst

„Ich kam vor einigen Tagen durch Zufall in die neueröffnete Skulp¬ turenausstellung in der Leipzigerstraße. Sie ist sehr

.

geschmackvoll ar¬

rangiert — fast nur moderne Skulpturen — da war auch eine Brunhild. ." „Was war da?" „Die Büste eines .

.

jungen Weibes, die im mit „Trau¬

Katalog

Brunhild"

ernde

be¬

Das

war.

zeichnet

altdeutsche

Gewand

war nur

angedeutet,

das

reiche

Haar

zu

einem antiken Knoten geschürzt, wie es Deine

Braut

zuweilen zu tragen das pflegt) Charakteristische aber

war der

düstere, melan¬

cholische und doch trotzig¬

sinnende Ausdruck des Gesichtes."

„Nun — und?" „Es war das Gesicht Deiner Braut — nur etwas markierter in den Zügen, etwas härter, stolzer im Ausdruck .."

„Ein Zufall."

438

„Sicherlich — das war auch meine Meinung. Wer jetzt, wo ich diese Photographie sehe, da fällt mir doch die Aehnlichkeit so sehr ins Auge, daß ich fast vermuten mußte, Deine Braut, oder doch diese Photographie, sei das Modell jener Brunhildenbüste." „Unsinn! Wie sollte meine Braut dazu kommen, einem Künstler als Modell zu dienen?" „Hab' ich mir auch gesagt. Indessen . . ." „Was soll dies „Indessen"? fuhr Bernd nervös auf. „Run, nun, beruhige Dich nur, es wäre ja nichts Unrechtes dabei, wenn der Künstler . . .?" Bernd erhob sich hastig und ging unruhig im Zimmer auf und nieder. „Ich bitte Dich, Bruno, verschone mich mit Deinen Wenns und Aber!" „Wie Du willst. — Es war ja nicht böse gemeint." Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den Freunden. Eine unbehagliche Stimmung hatte sich Bernds bemächtigt. Er wußte sich diese Stimmung selbst nicht zu erklären.

„Ich würde es nicht dulden, daß sich meine Braut oder Frau in Bild oder Büste öffentlich ausstellen ließe," stieß er nach einer Weile hervor. „Manche Damen lieben es jedoch, ihre Schönheit von aller Welt bewundert zu sehen . . ." „Bruno, willst Du damit sagen, daß meine Braut zu

diesen

Damen gehört?!" bitte Dich, Bernd, nicht im geringsten. — Ich habe Meinung von Deiner Braut — das weißt Du — aber hier in Berlin nimmt man es nicht so genau. Was liegt auch daran — Tausende und Abertausende kennen das Gesicht nicht und gehen gleichgiltig daran vorüber. — Doch laß uns von etwas Anderem sprechen." „Ja, das ist auch meine Bitte an Dich." „Run gut — so habe auch ich eine Bitte an Dich." „Heraus damit. Brauchst Du Geld?" „Geld brauche ich immer. Aber dieses Mal komm ich nicht aus diesem Grunde zu Dir, sondern . . ."

„Aber

ich

eine sehr hohe

„Ra — Du stockst? Das muß ja etwas ganz Besonderes sein. Bürgschaft übernehme ich nicht — das weißt Du — lieber stelle ich Dir meine Börse zur Verfügung."

„Ich sagte Dir schon, das; es sich nicht um Geld handelt, sondern um einen Brief, den ich Dich zu besorgen bitte."

Du

auch zu

ihren Eltern gehen — oder wissen die Eltern von

Eurem Verhältnis?" „Die Mutter ahnt sicherlich unser Verhältnis. Und das ist gerade meine Sorge! Die Alte will mich fest machen — die läßt nicht locker, und wenn ich Polizeileutnant werden muß!" „Pfui, Bruno — das ist nicht gentlemanlike gesprochen und gehandelt." „Ach was — ich kann mir doch die Kaution nicht aus der Haut schneiden! Laß doch die Alten dafür sorgen! Aber meine Carriere, meine gesellschaftliche Stellung aufgeben — nein, das vermag ich nicht. Deshalb habe ich mich in der letzten Zeit bei Mertens nicht mehr blicken lassen; die Alte geht scharf ins Zeug, neulich hätte sie mich beinah schon dingfest gemacht. Und dann weint mir Elli die heißesten Thränen vor, fällt mir um den Hals und schwört zu sterben, wenn ich sie verließe. — Wahrhaftig, wenn ich gewußt hätte . . ." „Ja — liebst Du denn Elli nicht?"

„Ja

doch

— ja doch!"

„Und Du hast ihr Deine Liebe gestanden?" „Selbstverständlich!" „Und hast sie gefragt, ob sie Deine Frau werden will?" 'ne „Natürlich — sie ist doch anständige junge Dame." „Nun, mein Bester, dann bleibt Dir nichts weiter übrig, als zu dem Amtsgerichtsrat Mertens zu gehen und ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten." „Und die Kaution?" „Das ist Nebensache. Du mußt abgehen und Dir eine andere Stellung suchen." „Nerei — vielleicht als Agent der Militärdienst-Versicherungs¬ gesellschaft? — Da werde ich dann Deine Söhne zu Anfang ver sichern."

„Mach keine dummen Witze. Es ist Deine Ehrenpflicht, Elli ans der schiefen Stellung zu befreien, in welche Du sie gebracht hast — entweder Du verlobst Dich öffentlich mit ihr oder . . ."

„Oder?"

„Du teilst ihr mit, daß Ihr Euch nicht angehören könnt, und dann läßt Du Dich nicht wieder blicken." „DaS ist leichter gesagt als gethan." „Wieso?" nicht. Sie liebt mich — und — und sie ist ein allerliebster kleiner Käfer . . ." „Bruno, so spricht man nicht von dem Mädchen, das

„Du

kennst

Elli

„Einen Brief?"

man liebt."

„Ja," fuhr Bruno in

„Na — na, thu nur nicht so. Deine Brunhild denkt anders über den Punkt." „Ich bitte Dich, laß meine Braut aus dem Spiel," entgegnete Bernd heftig. „Brunhild steht mir viel zu hoch, als daß ich ihren Namen in diese Affäre mit hineingezogen sehen möchte. Wie Brunhild denkt, weiß ich sehr genau." Ein spöttisches Lächeln umzuckte Brunos Mundwinkel. „Wenn Du Dich nur nicht täuschest . . ." „Bruno, ich muß ernstlich bitten!" „Schon gut — also Du willst den Brief nicht besorgen?" „Nein . . ." „Nun gut — dann werde ich Deine Braut selbst darum

einiger Verlegenheit fort. „Ich möchte ihn nicht gern durch die Post senden, er könnte in falsche Hände geraten — er ist an Elli Mertens gerichtet . . ." „Du stehst mit Elli Mertens in Briefwechsel?!" „Ach, so thu doch nicht so, als wenn Du nicht wüßtest, wie Elli und ich zu einander stehen!" „Und ich soll den Brief an Elli Mertens besorgen?" „Ja, Du — oder vielmehr Deine Braut, die ja die nächste Freundin Ellis ist. Sie wird den Brief gewiß besorgen, wenn Du sie darum bittest." „Das werde ich nicht thun!" „Aber, Bernd, sei doch nicht so entsetzlich philiströs!" „Willst Du mir Dein Verhältnis zu Elli Mertens etwas näher auseinandersetzen?" „Mein Gott, wir lieben uns! Ich sage Dir, Elli ist ein reizender, süßer Engel — sie liebt mich leidenschaftlich, und ich — wahrhaftig, wenn ich das Kommißvermögen hätte, würde ich sie auf der Stelle heiraten." „Und da Du das Kommißvcrmögen nicht hast, so fängst Du einstweilen eine Liebelei mit dem Mädchen an. . . ." „Bernd? . . ." „Ohne Dir klar zu sein, was aus dieser Liebelei werden soll, ohne Dir klar zu machen, daß Du den guten Ruf des Mädchens aufs Spiel setzt!" „Aber Elli hat mir gesagt, daß sie eine Erbschaft zu erwarten hätte." „Run, so warte auch Du, bis sie diese Erbschaft in der That gemacht hat. Dann magst Du ihr von Liebe sprechen, dann magst

bitten."

„Ich verbiete es Dir und werde meiner Braut verbieten, den Brief anzunehmen." „Na, es wäre ja der erste nicht!" „Der — erste — nicht —?" „Freilich" lachte Bruno . . . doch ich will Dich nicht länger belästigen. Entschuldige mein Anliegen — addio. . . „Ein Wort noch . . ." „Wozu? — Addio . . ." Er hatte seine Mütze genommen und entfernte sich rasch, Bernd in tiefer Verstimmung zurücklassend. Aufgeregt ging Bernd im Zimmer auf und ab. Er kannte den Leichtsinn Brunos, und auch Elli Mertens traute er nicht viel Standhaftigkeit zu. Seine Braut aber mußte er vor der Berührung mit diesen unklaren Verhältnissen bewahren. Rasch zog er silh an, um zu Brunhild zu gehen. Es war günstiges Winterwetter; er

m wollte

sie

zu

einem

Spaziergang durch

die

Straßen

Berlins

abholen.

An die Mitteilung Brunos über die Büste in der Kunst¬ ausstellung dachte er nicht mehr. Das war ihm ein so unwesentlicher Punkt, daß er den Gedanken daran, als er ihm beim zufälligen Anblick der Photographie Brunhildens wieder durch den Kops schoß, lächelnd bei Seite schob. Er traf Brunhild zum Ausgehen gerüstet. „Das trifft sich herrlich," sagte sie gut gelaunt, „daß Du kommst. Jetzt brauch ich doch meine Besorgungen nicht allein zu machen. Wird es Dir aber auch nicht zu langweilig, mit mir in den Läden umherzulaufen?" „Wie kannst Du denken? — Ich freue mich auf diesen Spazier¬ gang so ganz allein." Er preßte ihren Arm zärtlich an sich, daß sie leicht errötete. „Uebrigens," fuhr er fort, als sie die Wilhelmstraße entlang gingen, „habe ich mit Dir zu sprechen — ja, ja, Du hast Heimlich¬ keiten vor Deinem zukünftigen Ehemann." Sie schrak leicht zusammen. Er schien im Scherz zu sprechen, aber sie hörte seine Erregung aus den scherzenden Worten heraus, und der Gedanke an frühere Zeit fuhr ihr durch die Seele. Sollte er gehört haben — doch nein — bas war unmöglich. Er würde sonst nicht auch nur zum Schein in einem scherzenden Tone gesprochen haben; dazu kannte sie ihn zu gut. Er erzählte mit kurzen Worten, welches Ersuchen Bruno an ihn gestellt, und daß Bruno behauptet, Brunhild habe schon öfter Briefe an Elli weiter befördert. „Was sagst Du zu dieser — nun, ich will es einmal Naivetät nennen?" fragte er zum Schluß. Sie hatte ihm schweigend zugehört, die Augen zu Boden ge¬ senkt. Dann fragte sie langsam und mit stockender Stimme: „Und wenn es wirklich der Fall wäre?" Seine Stirn runzelte sich. „So müßte ich Dich wirklich tadeln und Dich bitten, derartige Zwischenträgereien für die Zukunft zu unterlassen." „Zwischenträgereien?" „So sagte ich. Ich denke, Du hast mich nicht mißverstanden." Sie schwieg trotzig. Aber nach einer Weile lächelte sie freundlich zu ihm auf. „Wie Du alles so schwer nimmst," sagte sie scherzend. „Solche Dinge kann man nicht schwer genug nehmen." „Aber sei doch nicht so kleinlich, Bernd. Die beiden Leutchen lieben sich doch — wenn Du wüßtest, wie unglücklich Elli ist, wenn sie einige Tage hindurch nichts von Western gehört hat. Die Arme thut mir so leid." „Es kann ja doch nichts daraus werden," warf er ein. „Run, so ist ihr Leben um eine schöne Erinnerung reicher," lachte sie.

„Brunhild, das war frivol!" „Ach, wieviel solche Erinnerungen habt Ihr Herren der Schöpfung!" Sie wollte keine ernste Stimmung aufkommen lassen; trug sie doch selbst eine solche schöne Erinnerung in ihrem Herzeil. Deshalb suchte sie mit einem Scherz darüber hinwegzukommen.

„Des Mannes Ehre wurzelt nicht in seinem Herzen," ent„Aber des Weibes Ehre ist ihre Herzensreinheit. Niemals würde ich ein Mädchen zu meiner Frau machen, die mit einer solchen „schönen Erinnerung", wie Du sagst, belastet ist." Sie zuckte zusammen. „So hältst Du ein solches Mädchen für ehrlos?" „Ja —" entgegnete er hart und streng, „wenn es so weit

gegnete er ernst.

zwischen

ihr und

dem Manne

gekommen

ist,

wie zwischen

Elli

Mertens und Western."

Sie sagte nichts mehr, sondern schritt hastig weiter. Wangen brannten ihr, und ihr Herz pochte ungestüm.

Die

Er

blickte seitwärts in die Schaufenster und suchte nach einem gleichgiltigen Gesprächsstoff. ES that ihm leid, daß das Gespräch eine so ernste Wendung genommen hatte.

Da erblickte er das Schaufenster der Kunsthandlung mit den Skulpturen, von denen Western gesprochen, und entsann sich der Büste, welche eine gewisse Aehnlichkeit mit Brunhild zeigen sollte.

„Weißt Du," nahm er freundlich und scherzend wieder das Wort, „daß Du hier in diesem Salon abkonterfeit sein sollst?" „Wieso?" „Nun, Western erzählte mir, daß sich eine Büste in dem Salon befinden soll, welche eine frappante Aehnlichkeit mit Dir zeige."

„Da bin

ich aber neugierig," erwiderte sie lächelnd. „Wollen wir uns die Büste ansehen?" fragte er arglos. „Gewiß. Ich bin gespannt, ob Western recht hat." Sie traten ein. Der Besitzer des Salons kam ihnen dienst¬ eifrig entgegen. Der Raum war sehr geschmackvoll ausgestattet. Von den in einem matten Graugelb gehaltenen Plüschportieren hoben sich die Marmorskulpturen wirkungsvoll ab, zumal sie von

Flut elektrischen Lichtes übergössen wurden. möchten gern die Brunhildenbüste sehen," sagte Bernd. „Wir „Ah, Sie haben auch schon von dem Meisterwerk gehört, meine Herrschaften? Ja, die Büste ist in der That originell, und einer Hellen

der junge Künstler ist durch sie rasch berühmt geworden. Sehen Sie, meine Gnädige, dort steht die Büste." Der Mann wies auf eine Marmorbüste, welche, auf einer schwarzen Konsole stehend, mit einem dunklen Plüscharrangement

wirkungsvoll umgeben war. Bernd trat näher und stieß einen leisen Ruf der Ueberraschung aus. Western hatte nicht zuviel gesagt: der Kopf der Büste zeigte eine frappante Aehnlichkeit mit seiner Braut. „Nicht wahr, ein Meisterwerk?" sagte der Besitzer des Salons wohlgefällig. „Dieser düstere, gedankenschwere Ausdruck des Ant¬ litzes — als ob sie auf Rache sänne — und dieser Hals — diese was ist Ihnen? Nicht Büste. .. ah, Verzeihung, meine Gnädige . wohl? — Fräulein, bitte, rasch einen Sessel für die Gnädige!" rief er dem Ladenfräulein zu. Brunhild hatte einen dichten Schleier vor dem Gesicht, sonst .

.

hätte der Kunsthändler die Aehnlichkeit zwischen ihr und der Büste erkennen müssen. Eine wilde Aufregung hatte sich ihrer bemächtigt. Sie hatte den Namen „Ewald Brunner" an dem Kunstwerk ge¬ lesen und wußte mit einemmale, daß diese Aehnlichkeit keine zu¬ fällige war. Ihre Wangen waren bleich wie die der Büste. Kraftlos ließ sie sich in den Sessel fallen. „Ein Glas Wasser, meine Gnädige?" Sie wehrte mit der Hand ab. Besorgt beugte sich Bernd über sie.

„Was ist Dir, Brunhild?" „Laß uns gehen . . das ist — das ist abscheulich . . ." Sie schien in Thränen ausbrechen zu wollen; doch plötzlich .

erhob sie sich, alle ihre Selbstbeherrschung zusammennehmend. „Laß uns gehen, Bernd . . ."

„Wie Du willst." Er bot ihr den Arm und führte frischen Winterluft atmete sie auf.

sie

hinaus. Draußen in der ging Bernd an

Nachdenklich

ihrer Seite. Diese wunderbare Aehnlichkeit der Büste mit seiner konnte keine zufällige sein. —

9.

Braut

Kapitel.

Nachdem das Brautpaar eine Weile schweigend nebeneinander dahingegangen war, atmete Bernd tief auf. Dieses Schweigen Brunhilds war ihm entsetzlich. Sollte er aus ihm schließen, daß sie von jener Büste gewußt hatte? Sie hatte ihm gegenüber niemals davon gesprochen, daß sie Bekannte unter den Künstlern besäße; wenn sie deren aber besaß, weshalb beobachtete sie Schweigen über

Er fand keinen Grund. „Wußtest Du von dieser Büste, Brunhild?" fragte er, ihr forschend in das Antlitz sehend. Sie blickte zu ihm auf. „Rein," entgegnete sie, indem eine leichte Röte ihr in die Wangen stieg. „Aber wie ist es möglich, daß der Künstler diese Aehnlichkeit schuf? Hast Du den Künstler gekannt?" Da war die Frage, welche sie gefürchtet hatte! Was sollte antworten? Zu einer Lüge war sie zu stolz, und die darauf sie sie?

Wahrheit sagen —?

440

Sie wußte, das war das Ende ihrer Verlobung. Hatte er nicht noch soeben gesagt, daß er ein Mädchen niemals zu seiner Frau machen würde, die eine „schöne Erinnerung" im Herzen trüge? Sie lächelte bitter, und ihr alter Trotz bäumte sich in ihr auf. Sie hätte sagen können, daß sie den Künstler zuweilen in Gesellschaft gesehen, daß er wahrscheinlich bei diesen Gelegen¬ heiten sich ihre Züge eingeprägt — vielleicht unbemerkt eine Skizze von ihr entworfen — aber sie verachtete diese Ausreden. Es sollte klar zwischen ihnen werden' schon seit langem litt sie unter dem Gefühl, daß sie nicht wahr und offen gegen Bernd gewesen war, der ihr doch, sein ganzes Herz, sein ganzes Leben offen dargelegt. Wenn sie ihm alles erzählt, dann wiirde es sich entscheiden, ob er sie wirklich liebte, oder ob er kleinlich genug dachte, an ihrem kurzen, romantischen Jugendtraum Anstoß zu nehmen. Und wenn er es that — wenn er sich von ihr abwandte? Ihr Herz erbebte doch unter diesem Gedanken, wenn sie sich auch mit dem ganzen Stolz ihres Wesens zu wappnen suchte. „Willst Du ruhig anhören, Bernd, was ich Dir zu sagen habe, und vorurteilsfrei prüfen?" fragte sie mit etwas unsicherer

Stimme. „Gewiß. Ich habe mich stets bemüht, gerecht zu sein," entgegnete er ruhig und ernst. „Laß uns einen Wagen nehmen und nach Hause fahren. .Hier in dem Menschengewühl vermag ich nicht zu sprechen." Er winkte eine Droschke heran und half Brunhild beim Einsteigen. Dann nahm er an ihrer Seite Platz, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Schweigend stärrte sie vor sich hin, in die Ecke des Sitzes gepreßt, die Lippen herb geschlossen.

Er nahm ihre Hand.

Wie er jetzt in ihr schönes, edles, blasses Antlitz blickte, das klassisch geschnittene Profil, die reine, edle Stirn, um die sich das dunkle Haar in reichen Wellenlinien schmiegte — wahrhaftig, er

Natur, aber in diesem Augenblicke konnte wohl vorstelle», daß ein Künstler sich diesen Kopf zum

keine künstlerische

sich

Modell genommen hatte. Diese edle Schönheit mußte

ja jeden Künstler anregen,

sie

im

Bild wiederzugeben! Das war ja

schließlich auch kein großes Verbrechen. Nur öffentliche Ausstellung — ohne ihre und seine Erlaubnis — das war eine Taktlosigkeit seitens des Künstlers, für die jedoch Brunhild nicht verantwortlich zu machen war.

Seine ganze tiefe, leidenschaftliche, ernste Liebe zu dem schönen Mädchen wallte in ihm empor. Ein inniges Mitleidsgefühl mit ihr schlich sich in sein Herz' er wollte ihr zu Hilfe kommen, er wollte ihr zeigen, daß er nicht kleinlich, nicht philiströs dachte.

„Weißt Du," hub er wieder an, indem er ihre Hand zärtlich „wir wollen von der dummen Geschichte gar nicht mehr sprechen. Der Künstler hat taktlos gehandelt, daß er die Büste, die Dir so ähnlich sieht, öffentlich ausstellte, ohne uns zu fragen. Ich werde zu ihm gehen und ihn ersuchen, die Büste aus der Ausstellung zurückzuziehen." streichelte,

Sie fuhr erschreckt auf. „Das wirst Du nicht thun!"

wir

schenken sie

das nicht eine famose Idee?" „Sehr gut," versetzte sie mit ironischem Lächeln. „Aber ich glaube, der Künstler wird die Büste Dir nicht verkaufen. . . ." „Weshalb nicht? Wenn ich ihm einen guten Preis biete? — Daraus kommt es ja diesen Leuten vor allem an." Wie verächtlich das klang! In ihr bäumte es sich auf. Ah, er wußte ja nicht, wie einem Künstler zu Mute war, der sein tiefstes Innerstes in seinem Werke zum Ausdruck gebracht, der mit seinem Herzblut an seinem Werke hing. Er betrachtete ja die Künstler nur als etwas höher beanlagte Handwerker. Er machte keinen Unterschied zwischen einem künstlerischen Porträt und einer auf mechanischem Wege hergestellten Photographie. — Das hatte

Ist

oft erfahren. möchte Dich bitten," entgegnete sie, „ehe Du einen Ent¬ schluß faßt, zu hören, was ich Dir zu sagen habe." „Nun, da bin ich neugierig." Sein Herz pochte erwartungsvoll. Er zwang sich zu dem scherzhaften Ton' er wollte sich selbst nicht gestehen, welch namen¬ lose, unbestimmte, innere Angst ihn quälte. Nach kurzer Zeit hielt der Wagen vor dem Hause, in dem Brunhilds Eltern wohnten. Sie sprang rasch aus dem Wagen, ohne seine Hilfe an¬ zunehmen, und eilte die breite, teppichbelegte Marmortreppe hinauf. Er lohnte den Kutscher ab und folgte ihr. Der Jnstizrat war in seinem Bureau, die Justizrätin nicht zu Hause, so waren sie ganz allein in dem großen, durch den elektrischen Kronleuchter taghell erleuchteten Salon. sie schon

„Ich

„Du fühlst Dich nicht wohl, Brunhild," sagte er gutmütig, „willst Du Deine Mitteilungen nicht auf eine gelegenere Zeit ver¬

hier-"

er

ich kaufe die Büste, und

einen Kuß auf

ihre Hand. Wiederum erschien das bittere Lächeln um ihren Mund. Sie blickte ihn nicht an, sondern drückte nur leicht und flüchtig seine Hand. „Willst Du nicht zu mir sprechen, Brunhild? fragte er sanft. „Richt „Aber ich begreife nicht . . ." „Quäle mich nicht. Du sollst alles erfahren." Er schüttelte den Kops. Welch wichtiges Geheimnis würde sie ihm anzuvertrauen haben! Er lächelte leicht. An eine Schuld ihrerseits glaubte er nicht, vielleicht an eine kleine Unvorsichtigkeit. Er begriff jetzt nicht, wie er vorhin die ganze Sache so schwer hatte nehmen können.

war



Jetzt erst fiel ihm ihr? ungewöhnliche Blässe und der unruhige Glanz ihrer Augen auf.

sie

seinigen. drückte

besser

in der

Teilnahmlos und kalt lag

„Brunhilde," flüsterte er innig und

„Oder noch

Deinem Papa zu Weihnachten.

schieben?"

„Nein," entgegnete sie kurz. „Ich versichere Dich, ich bin gar nicht neugierig." Sie lachte auf. „Ich halte es für meine Pflicht, keine Minute länger darüber zu schweigen, was ich Dir schon längst hätte mit¬ teilen müssen." „Das klingt seltsam

„Ah,

es

.

.

."

ist nicht seltsam



es ist

nur eine Probe, ob Du

mich wirklich liebst." „Du kannst daran zweifeln?"

„Nach Deinen Worten von vorhin, daß Du jedes Mädchen welches in seinem Herzen eine „schöne Erinnerung"

verachtest,

trägt —

ja-"

„Brunhild!?" „Siehst Du, jetzt

ist Deine Neugierde geweckt!" „Richt meine Neugierde — sondern mein Mißtrauen, daß Du mich nicht liebst. Doch ich will die Andeutung, die in Deinen Worten liegt, nicht verstehen. Ich wiederhole nur noch einmal, daß ich volles Vertrauen zu Dir habe, daß ich an Dich glaube, wie an mich selbst — ja, noch mehr, noch tiefer. — Du sollst mir nichts sagen — hörst Du — was Du mir auch zu sageu hast, ich ent¬ binde Dich davon — denn ich glaube an Dich und weiß, daß Du rein und schuldlos dastehst." Seine Augen flammten — seine Stimme bebte. Erstaunt, So hatte sie ihn noch nie erschrocken blickte sie zu ihm empor. gesehen' eine solche Leidenschaftlichkeit hatte sie ihm nicht zugetraut, und zum erstenmale empfand sie bei dem Gedanken, ihn verlieren zu können, einen jähen Schmerz in ihrem Innern. In tiefer Ergriffenheit reichte sie ihm beide Hände. „Ich danke Dir, Bernd, für diese Worte. . . ." Er zog sie in seine Arme. „Brunhild, meine Brunhild — wüßtest Du, wie ich Dich liebe. . . ."

Sie blickte zu ihm auf, und er küßte in leidenschaftlicher Auf¬ wallung ihre Lippen, die sich seinem Kuß nicht entzogen. Roch nie hatte er sie so geküßt — noch nie ihr seine tiefe, innerliche Leidenschaft offenbart. Sie erschauerte in seinen Armen, unter seinen Küssen, und ein süßes Glücksgefühl durchströmte sie.

(Fortsetzung folgt.)

441

Das Museum für Deutsche Volkstrachten

und Erzeugnisse des

Hausgewerbes

in Berlin. Von

vr. (Mit Abbildungen

Gustav Albrecht.

»ach eigenen photographischen Aufnahmen.)

^M^or

etwa zehn Jahren war es, als eine Anzahl Männer, meist Mitglieder der Berliner Anthropologischen Gesellschaft, unter

Virchow zusammentrat, um über die Wege zu beraten, durch welche man der gänzlichen Vernichtung ehemaliger deutscher Kultur erfolgreich entgegentreten könnte. Man kam überein, die noch vorhandenen Reste dieser Kultur, ivie Trachten und Waffen, Hausgeräte und Wirtschaftsgegenstäude, Schnitzereien und Schmucksachen, so bald wie möglich zu sammeln und dann durch sachverständige Zusammenstellung zu einer Aus¬ stellung zu vereinen, welche dem deutschen Volke ein übersichtliches Bild von dem Kulturleben seiner Vorfahren geben und zugleich zu ferneren Sammlungen anregen sollte. Die Sache fand Anklang in den weitesten Kreisen, Freunde des Volkstums unterstützten die Bestrebungen der Unternehmer durch Zuwendungen von Gegen¬ ständen oder Geldmitteln, und nach nicht allzulanger Zeit ivar eine ansehnliche Sammlung von Trachten, Haus- und Wirtschafts¬ geräten, Schmucksachen und Sticke¬ reien beisammen, welche wohl geeignet sein konnte, den Grund¬ stock für ein deutsches Volks¬ museum zu bilden. Demzufolge wurde der Vorstand des neu¬ gegründeten „Vereins für deutsche Volkstrachten" höheren Orts vor¬ stellig, die Aufstellung der Samm¬ lung in einer Abteilung des Museums für Völkerkunde zu gestatten und diesbezügliche An¬ ordnungen zu treffen. Allein die Angelegenheit Regelung dieser schien bei den umfangreichen Ein¬ richtungsarbeiten des genannten Museums aus sich warten zu lassen, und aus diesem Grunde beschloß der Verein, ein eigenes dem Vorsitz des Geheimrats

Mittel und

Museum für deutsche Volks¬ trachten zu gründen, um seiner

Sache nicht durch weitere Ver¬ zögerung zu schaden. Der da¬ malige Kultusminister von Goßler stand den Bestrebungen des Ver¬ eins sehr wohlwollend gegenüber und stellte ihm die leerstehenden Räume der ehemaligen Gewerbe¬ akademie in der Klosterstraße 36 zur Aufstellung seiner Sammlung zur Verfügung. Am 27. Oktober 1889 wurde das Museum er¬ öffnet und die Sammlungen dem Publikum zugänglich gemacht. Anfangs genügte» die beschränkten Räume für die gesanimelten Schätze: aber diese vermehrten sich beständig, sowohl durch einzelne Zuwendungen und Geschenke wie durch Ueberlassuug größerer Sammlungen, und es mangelte bald an Platz. Vergebens traten die Schöpfer des Museums mit der Regierung in Unterhandlung, um größere und geeignetere Räume bezw. ein eigenes Gebäude zur Unterbringung ihrer Sammlung zu erlangen, vergebens hofften sie, daß der Staat, wie beim Kunstgewerbemuseum geschehen, auch das Trachtenmuseum in eigene Verwaltung übernehmen oder hin¬ reichenden Zuschuß zu dem Museumsfonds gewähren würde. Alle Unterhandlungen scheiterten, und der Verein muß sich nach wie vor mit den engen Räumlichkeiten in der Klosterstraße behelfen und sieht sich bei Vermehrung seiner Sammlungen allein auf private Unterstützung angewiesen. Wenn der Verein, an dessen Spitze Männer wie Professor Virchow, Direktor Voß, Sanitätsrat Lissauer und Fabrikant Sökeland stehen, trotzdem weiter sammelt und keine Kosten scheut, um besonders interessante Stücke zu erwerben, so ist das nicht hoch genug anzuerkennen, und es wäre zu wünschen, daß der Lohn für so große Arbeitsfreudigkeit

nicht allzulange ausbleibt, daß das Museum für deutsche Volks¬ trachten recht bald in staatliche Verwaltung übergeht und in ein Die jetzigen Räume sind neues, schöneres Heim übersiedelt. wirklich zu enge, die Zimmer sind so überfüllt, daß nur schmale Gänge für die Besucher offen gelassen werden konnten, und die einzelnen Gegenstände, wie Trachtenfiguren, Porzellansachen oder Gläser, sind bei starkem Besuch beständig der Beschädigung aus¬ Außerdem find die Schränke so voll, daß die Uebersicht gesetzt sehr erschwert ist, zumal in einigen Zimmern ein beständiges Dämmer¬ licht vorherrscht, und sehr viele Gegenstände können aus Mangel an Raum überhaupt nicht auf¬ gestellt werden, sondern müssen im Keller, in Kisten und Trrihen verpackt, auf bessere Zeiten warten. wie hohem Grade die Samm¬ lungen des Museums gewinnen würden, wenn sie in Hellen, hohen Räumen ausgestellt wären, haben zwei Ausstellungen bewiesen, zu deren Beschickung der Verein im Jahre 1897 eingeladen wurde: die Nahrungsmittel - Ausstellung im Meßpalast und die historische

In

Ausstellung für Kinderpflege und Kindererziehung im Stolbergschen Palais. Auf ersterer war das Museum durch eine ZusammenstellungvonMöbeln,Küchengeräten, Zinn- und Fayencegeschirr ver¬ treten, auf letzterer durch eine reichhaltige Sammlung all der Dinge, welche auf Kinderpflege Bezug haben, und beide Aus¬ stellungen übten nicht nur durch ihren historischen Wert, sondern vor allem durch ihre dekorative

Wirkung eine Anziehungskraft auf Unter den die Besucher aus. jetzigen Umständen wird der Zweck dem deutschen des Museums, Volke eine Uebersicht über die Entwicklung der Trachten und des Hausgewerbes zu geben, nur halb erfüllt, weil eine einheitliche Aufstellung in der gewünschten Weise nicht durchgeführt werden kann, und durch diese Einschrän¬ kungen wird natürlich auch eine günstige Entwicklung des Museums Immerhin ist erheblich gestört. ein Besuch des Trachteumuseums, welches dem Publikum täglich, außer Mittwoch, von 11 bis 2 Uhr zugänglich ist, sehr interessant, und ein Rundgang durch die Räume desselben wird jeden noch so oberflächlichen Beobachter davon überzeugen, daß hier ein gro߬ artiges, wissenschaftlich wertvolles Werk geschaffen, daß der Grund¬ stein zu einem des deutschen Namens würdigen Volksmuseum gelegt ist. Wie der Name besagt, befaßt sich die Museumsverwaltuug vor allem mit der Sammlung der deutschen Bokstrachten. Höfische und kirchliche Gewänder und Bekleidungsstücke finden sich im Museum nicht, ebensowenig Nachbildungen oder Darstellungen vorgeschichtlicher Trachten: diese zu sammeln ist Aufgabe der ethno¬ graphischen und historischen Museen. Dagegen ist so ziemlich alles vorhanden, was die deutschen Volksstämme in allen Gauen des Vaterlandes und in den deutschgebliebenen Grenzgebieten in den letzten Jahrhunderten getragen habe» und zur Zeit noch tragen. Gleich im ersten Zimmer ist eine umfangreiche Sammlung von vollständigen Kostümen aus Norddeutschland, dem Schwarzwald und dem Elsaß untergebracht, teils in Schränken hängend, teils zur Bekleidung von Wachsfiguren dienend. Diese von Kastan in künstlerischer Vollendung hergestellten Trachtenfiguren geben ein anschauliches Bild davon, wie die einzelne Tracht sich auf dem

442

fiöipcr aufnimmt unb beleben zugleich ben ®e(amteinbruct;benn ein im I bei betreffenben Sanbsdjaft entfpted)enb, mit ÜSlöbeln unb fiauS* geraten ausgestattet sind, sollen zur Veranschaulichung des häus¬ Schrank hängendes Kleidungsstück bleibt nur eine tote Sadje, während lichen Lebens dienen und bilden einen reizenden Schmuck des es als Bekleidung einer dem Volkstypus genau entsprechenden Figur Leben gewinnt und viel eher das Auge des Besuchers auf Museums. Im ersten Zimmer ist es die Elsässer Bauernstube, sich zieht. So fallen gleich beim Eintritt in das erste Zimmer welche uns einen Blick in das Familienleben der dortigen Be¬ verschiedene prächtig geschmückte Bäuerinnen auf, die eine aus der wohner thun läßt. Im Hintergründe steht das große Himmelbett mit rot und weiß gemusterten Vorhängen, daneben eine altertümPropstes bei Kiel mit schwarz und rotem Rock und Jacke mit Filigranknöpfen, eine andere aus Nord-Friesland, an der westlichen Küste von Schleswig, mit rotem Mieder und Ober- und Unter¬ haube, ferner eine Bückeburgerin mit perlgesticktcm Hut und spitzen¬ besetztem Brusttuch, eine württembergische Braut mit hoher Flitterkrone, eine badische und eine pommersche Bäuerin, Reben den Frauen sind meistens die Männer aus der gleichen Gegend auf¬ gestellt, so aus Bückeburg, Pommern und Nord-Friesland, und ferner zwei Volkstypcn aus benachbarten Gebieten, ein Tyroler Weinbergshüter aus Meran in der bekannten bunten Tracht mit Federhut und Spieß und ein Senner aus Appenzell in Hemd¬ ärmeln, und in weißlicher Lederhose mit Hosenträgern über der roten Weste, In den nächsten Zimmern findet man Trachtensiguren ans Altenburg, eine Braut mit bebänderter Metallkrone und eine Bäuerin mit hosenähnlichem Rock und Rackenhaube, welche mit einem hutartigen Anhängsel versehen ist, ein Zeichen, daß die Trägerin noch ledig ist; aus Hessen ein Bräutigam und ein Hochzeitsbitter aus der Schwalm; aus Württemberg Betzinger Bauer und Bäuerin, Bauern aus Braunschweig und aus der Mark Brandenburg, Zahlreich sind die aus bayrischen Gegenden auf¬ gestellten Trachtenfiguren, die sich vor allem durch reichen Silber¬ schmuck auszeichnen, wie die Regensburger Bäuerin und die Bäuerin aus dem Labcrthale in Niederbayern, Andere bevorzugen Pelzverbrämung als hauptsächlichen Ausputz, andere wieder Flitter¬ werk oder seidene Stickereien; zu jenen gehören die Bauern aus dem badischen Franken und die Hummelbauern aus der Gegend von Bayreuth, zu diesen die Bewohner des Chiemgaus, die von Theisendorf und von Dachau, Neben Bayern ist auch das benach¬ barte Tyrol durch mehrere Trachtenfiguren vertreten, neben Holstein und Ostfriesland auch das holländische Friesland, neben Württem¬ berg und Baden alemannische Volkstypen aus der Schweiz. Die Figuren zeigen natürlich nur einen kleinen Teil der im Museum vorhandenen Trachten, welche in reicher Fülle in den Schränken untergebracht sind, und es wäre zu wünschen, daß möglichst für

Väuertn und Vummelbauer aus Bayern.

Bauer und Hochxritsbitter aus Hessen. alle Landschaften solche Figuren angefertigt würden, damit die Uebersicht erleichtert wird. Man hat zwar diesem Mangel durch kleine Modellpuppen, welche mit Nachbildungen der betreffenden Tracht bekleidet sind, abzuhelfen gesucht, aber dieser Ausweg erfüllt seinen Zweck nur unvollkommen. Einzelne Trachtenfiguren sind zu Gruppen vereinigt und in besonderen Stuben ausgestellt. Diese Stuben, welche, dem Charakter

liche Standuhr und vorn rechts ein großer Kleiderschrank aus dem vorigen Jahrhundert; die andere Seite der Stube nehmen ein von außen heizbarer eiserner Ofen mit biblischen Darstellungen und eine geschnitzte Truhe ein. Ueber dem Ofen ist ein gedrechseltes Gestell zum Wäschetrocknen angebracht, darüber hängt ein Prunk¬ Aehuliche Stickereien handtuch mit hübscher Banmwollstickerei, zeigen ein anderes Paradehandtuch an einem Eckschränkchen und die über den großen Tisch gebreitete leinene Decke, ferner Busen¬ tuch, Hemd und Mieder der am Tisch fitzenden Bäuerin mit der großen Flügelhaube, Buntbemalte Schüsseln und Teller, Heiligen¬ bilder und Weihwassernäpfchen schmücken die Wände, und hübsch geschnitzte Stühle, Schemel, Kinderstühlchen, Spinnrad, Haspelnnd Flechtgestell vervollständigen die Ausstattung der Stube, An dem großen Mitteltisch mit umlaufender Bank sitzt die erwähnte Bäuerin und lauscht nebst einer Gefährtin den Worten eines vor ihr stehenden Bauern, der die gestickte Zipfelmütze und derbe Holz¬ schuhe trägt; obwohl er sich in Hemdärmeln befindet, scheint er doch in bejonderer Mission hier zu sein, wie die erwartungsvollen Mienen seiner Zuhörerinnen andeuten. Eine gleich lebhaft bewegte Gruppe ist in einem hinteren Zimmer in der Spreewälder Bauernstube aufgestellt. Im Sprecwaldgcbiet haben sich die prächtigen bunten Trachten der Lausitzer Äenden noch am besten erhalten, und eine Auswahl der¬ selben bietet jene Gruppe dar. Am Tisch der niedrigen Stube mangelt eine Bäuerin aus Lehde ein Trauertuch und plaudert mit einer Gevatterin aus Burg, welche aus der Kirche heimkehrt und zu kurzem Besuch aus ihrem Kahn gestiegen ist. Am Himmelbett, das einen Berg von Betten unter einer rotweißen Decke mit biblischen Darstellungen beherbergt, sitzt die alte Großmutter am Spinnrocken, und neben ihr liegt in der grell bemalten Wiege ein Säugling, die tressengeschmückte Patenmütze auf dem Köpfchen. In der Nähe des großen Kachelofens steht ein junges Mädchen in Alltagstracht mit Kopftuch und blauer Schürze und schaut auf den Hochzeits¬ bitter, der, mit Dreimaster, Hochzeitsstab und Tweltuch geschmückt, eben eingetreten ist, um die Bäuerin zur Hochzeit in Schleife in der Obcrlausitz, woher er gekommen ist, einzuladen. Die Gruppe ist sehr wirkungsvoll und gewinnt in der niedrigen, dämmerigen Stube, in welcher alles, Möbel, Geschirr, Hausgeräte, Decken u, s, w,, aus den Spreewalddörfern Lehde, Leipe und Burg stammt, gleich¬ sam Leben und Bewegung. Verschiedene andere Zimmer sind ohne

443

die belebende Staffage von Trachtenfiguren einfach im Geschmacke der betreffenden Gegend hergerichtet. Vielfach sind die Einrichtungen

in ihrer Gesamtheit aus alten Häusern übernommen, andererseits auch aus verschiedenen Erwerbungen zusammengestellt. Ein solches vollständig altes Zimmer ist die Lüneburger Stube, eine Eßund Trinkstube mit Decken- und Wandtäfelung aus dem Jahre 1510,

mit nordischer Kerbschnitzerei verzierte Schränke und Truhen, Tische, Stühle und Wandbretter, Bett- und Wandbekleidungen und ver¬ schiedene Hausgeräte, Geschirr, Zinnkrüge und Leuchter bilden den Bestand dieser Stuben. Von ganz besonderem Interesse und von hohem Wert ist die Hindeloopener Stube, welche erst vor kurzem vom Museum unter beträchtlichen Kosten erworben wurde. Sie stammt aus dem altertümlichen Städtchen Hindeloopen am Zuidersee in der nieder¬ ländischen Provinz Friesland und ist das einzige Zimmer, welches in solcher Mannigfaltigkeit Möbel und Gerätschaften der west¬ friesischen Bauern aufzuweisen hat' selbst das Museum in Amsterdam besitzt nur eine geringere Zimmereinrichtung aus Hindeloopen. Es würde zu weit führen, näher auf den wissenschaftlichen Wert dieser Sammlung einzugehen, sie ist einzig in ihrer Art und giebt ein anschauliches Bild von der Lebensweise und der eigenartigen Kunstentwickelung der Westsriesen. Schwere, eichene Schränke mit wunder¬ licher Schnitzerei stehen an den Wänden, die mit Delfter Fließen getäfelt sind. Eine ganze Seite des Zimmers nimmt die Bettstatt ein, nach holländischer Art in einem schrankartigen Alkoven be¬ findlich, der nur mit Hilfe eines fünsstnfigen Trittes zu besteigen ist. Die Thüren des Alkovens, der Tritt, Tische, Stühle, Bänke und andere Hausgeräte sind mit einer bunten, fast orientalischen Malerei geschmückt, die anfangs im Gegensatz zu dem dunklen Eichengetäfel des Einganges und zu der lichten Wandbekleidung etwas seltsam wirkt, schließlich aber sich der ganzen Umgebung, da die Nationaltrachten der Bewohner auch ziemlich bunt sind, har¬ monisch anpaßt. Die Stube, welche durch ein Oberfenster der eichenen Balkendecke ihr Licht empfängt, zeigt auch eine Gruppe von Figuren, welche sämtlich mit originellen Trachten bekleidet sind. Um den bunten Tisch in der Mitte sitzt die Familie, aus Großvater, Großmutter, Frau und einer Braut, sowie zwei Kindern, bestehend, einige Kinder spielen an der Erde umher, und im Alkoven liegt eine Wöchnerin, während die „weise Frau" mit dem Säugling ans dem Arme vor dem Bette steht. Die Figuren sind nicht so schön wie die früher erwähnten' sie stammen aus Holland, und man hat sie so gelassen, wie sie dort aufgestellt waren.

Nrhinger Bauer. welche sowohl auf den Feldern und dem Fries der Täfelung wie an den Stühlen, Schränken und Tischen zierliche und teilweise künstlerische Schnitzereien aufweist. Ein Sandsteinkamin unter dem Fenster trägt eine Darstellung des heiligen Abendmahls, ans einem Büffett, in einem Abschlage mit Butzenscheiben, befindet sich mannig¬ faches Zinngerät, auf den Tischen liegen Decken mit eingewebten

Für die Beurteilung der Lebensweise der deutschen Volksstämme ist natürlich auch die Kenntnis ihrer Wohnstätten von großer Bedeutung, und die Museumsverwaltung hat es sich deshalb angelegen sein lassen, Modelle der vorzüglichsten Typen deutscher Bauernhäuser zu sammeln und im Museum aufzustellen. Eins der schönsten ist das Modell eines Schwarzwälder Bauernhauses aus dem Kinzigthale bei Hansach, welches sich durch naturgetreue Nachbildung der Gebäude und der umgebenden Landschaft aus¬ zeichnet. Das mächtige Wohnhaus lehnt sich mit der Hinterwand an eine Berglehne, vorn fließt ein Bach, über den eine steinerne Brücke führt, neben derselben steht ein Marienbild. Im Erdge¬ schoß des Hauses liegen die Ställe und Wagenschuppen, im oberen

Figuren. Eine alte Einrichtung enthält auch die

Schweizerstube,

welche,

wie die Lüneburger, seiner Zeit des deutschen einen Bestandteil Dorfes auf der Weltausstellung in Chicago bildete. Die Deckentäfelung stammt aus dem Jahre 1644, die Wandvertäfelung mit Büsfetteinrichtung und die breite Himmelbettstatt aus dem Jahre 1682, die übrigen Möbel, wie Schrank, Truhe, Tisch, Wiege, dürften ein gleich Aus hohes Alter beanspruchen. dem Jahre 1665 datiert ein Ofen aus Fayencekacheln von Winter¬ thur, der seiner bildlichen Dar¬ stellungen wegen bemerkenswert ist. Auf den Eckkacheln erblickt man die Gestalten von Glaube, Liebe, Gerechtigkeit, Hoffnung, Geduld, Treue, Fleiß und Stärke, auf den oberen Kacheln die Jahrzehnte des menschlichen Lebens mit den all¬ bekannten Berschen und auf den unteren die Darstellungen der zwölf Monate, dann folgen an der Ofen¬ bank Allegorien der vier Elemente und Darstellungen der Handwerker. Die beiden Stuben aus Schleswig-Holstein, ein Pesel und eine Dornse, d. h. eine gute Stube und ein Wohnzimmer, setzen sich aus verschiedenen einzelnen Sachen und Möbeln zu¬ sammen, gewähren aber trotzdem einen Einblick in die Häuslichkeit und den Stand des Künstgewerbes jener Gegenden. Bemalte und

Lüneburger Stube. Stockwerk, zu dem außen eine hölzerne Stiege hinaufführt, sind die Wohnräume der Familie und nach hinten die Schlafräume für das Gesinde, mit eigenem Zugang über eine Galerie; in der Mitte des Hauses befindet sich die Küche. Unter dem weit über¬ ragenden Dach liegen Scheune und Tenne, der Zufahrtsweg zu

444

denselben führt hinten am Bergabhang entlang. Die kleine Land¬ schaft ist durch mehrere Figuren in Schwarzwälder Tracht belebt, Bauer, Bäuerin und Knecht, eine alte Matrone und ein zu Besuch kommendes Braulpaar, selbst der Uhrenhändler fehlt nicht. demselben Zimmer findet man das Modell eines westphälischen Bauernhauses aus der Gegend von Osnabrück, ein Lehmfachwerkbau mit Strohdach, in der Mitte die große Diele mit der Herdstätte, zu beiden Seiten derselben Pferde- und Kuhställe, sowie

In

Parsdehandtmh aus Schleswig-Holstein. einzelne Stuben, und das eines oberbayrischen Hauses vom Salzberg bei Berchtesgaden; ein zweistöckiges Blockhaus mit flachem, stein¬ beschwertem Schiildeldach, im unteren wie im oberen Geschoß Wohnräume und unten die Küche, rings um das Obergeschoß eine zierliche Laube mit Holzschnitzereien. Weitere Modelle zeigen Wohn¬ häuser aus Mönchgut aus Rügen, aus Oberhessen (Lehmfachweckbau mit Malereien und Inschriften), aus Ostenfeld in Schleswig (nieder¬ sächsisches Bauernhaus ohne Rauchfang) und aus dem Spreewald (Blockhaus mit Wohnräumen und Viehställen). Neben den Modellen veranschaulichen zahlreiche Abbildungen und Photographien die Entwicklung des deutschen Wohnhauses von der primitiven Erdhütte bis zum modernen Steinbau, und in gleicher Weise führen

Wäsche, schuhe,

Tücher und Röcke, der eigengefertigten Hauben, Hand¬

Gürtel und Bänder, und ein flüchtiger Gang durch einzelne

Räume zeigt schon, eine wie große Verbreitung das Hausgewerbe und die Hauskunst in früherer Zeit, und zum Teil auch jetzt noch, bei den deutschen Bauern hatte. Die Art und Weise, wie all diese Volkskunstwerke entstanden sind, zeigen die Gerätschaften, welche die Bauern und Bäuerinnen zum Weben und Flechten, zum Stricken, Häkeln, Klöppeln und Sticken benutzten, und daneben finden sich dann wieder Werkzeuge zur Gewinnung des nötigen Materials, zur Herstellung des Flachses, der Wolle, des Leders u. s. w. Einen andern Zweig der Volkskunst vergegenwärtigen die zahlreich vorhandenen Schnitzereien, die sich entweder au Möbeln und Hausgeräten finden oder selbständige Kunstwerke zur Ausschmückung der Wohnräume oder zu kirchlichen Zwecken darstellen. Neben der einfachen Strichmanier ist besonders der Kerbschnitt beliebt gewesen, wie vielfache Beispiele an Truhen, Stühlen, Wandbrettern, Kästen, Mangelbrettern, Ellen, Löffeln u. s. f. beweisen, außerdem findet sich in überraschender Menge die figürliche Schnitzerei vor. Vielfach sind die geschnitzten Gegenstände nebenbei bemalt, meist in sehr grellen Farben, und diese Vorliebe der Bauern für bunte Malerei ist so ziemlich in ganz Deutschland verbreitet; selbst die harten Westfriesen schmückten, wie erwähnt wurde, ihre Gerätschaften mit bunten Verzierungen. Bauernmalerei ist überall angebracht, auf Truhen und Stühlen so gut wie auf Wiegen und Schmuckkästen, auf Töpfen, Tellern und Gläsern wie auf Tüchern und Bändern, auf Buchdeckeln, Heiligenbildern und Amuletten. Letztere führen uns zu einem neuen Gebiet der Volkskunde, dem Volksaberglauben, welchem ein großer Teil der im Museum befindlichen Gegenstände seine Ent¬ stellung verdankt. Eigentlich gehören die ans den Aberglauben bezüglichen Sachen nicht in das Gebiet einer deutsche» Volks¬ trachtensammlung; aber da sie vielfach als Schmuck getragen werden, so kamen sie nebst letzteren in die Sammlungen und mehrten sich nach und nach so sehr, daß man auch diesem Gebiet seine Beachtung schenken mußte. Und es ist gut, daß es so ge¬ kommen ist; denn da bis jetzt eine eiirheitlichc Sammelstättc für solche Sachen fehlte, kann das Volkstrachtenmuseum damit beginnen, den Grundstein zu einem deutschen solkloristischen Museum zu legen. Es ließe sich noch viel berichten von den mannigfachen Gerät¬ schaften für Jagd und Fischerei, für Bienenzucht und Vogelfang, von Postkutschen und Rollwagen, von Nachtwüchterhörnern und Polizeispießen, von Mühlen und Bäckereien, von Bettwärmeru und Holzschnhen; aber es soll ja nicht die Aufgabe dieser kurzen Skizze sein, eine erschöpfende Darstellung all der im Museum auf¬ gestapelten Schätze zu liefern. Hinweisen sollte sie nur auf das Vorhandensein eines deutschen Volkstrachtenmuseums und das Publikum veranlassen, dem wichtigen Unternehmen seine Auf¬ merksamkeit zu schenken. Einige Jahre werden ja wohl noch ins Land gehen, ehe das Museum ein eigenes, würdiges Heim beziehen kann, aber schon ein verstärktes Interesse des Publikums, ein ver¬

farbige Darstellungen und photographische Aufnahmen die Trachten und die Lebens¬ gewohnheiten der deutschen Bauern vor. Wie vorstehende flüchtige Schilderung zeigt, ist der Reichtum des Museums hin¬ sichtlich der Wohnstätten, Wohnungseinrich¬ tungen und Trachten der deutschen Volks¬ stämme bereits sehr groß, und diese Sammlung wird noch durch die unendliche Fülle von Einzelheiten, wie Möbel und Wirtschastsgeräte, Hausmarken und Jnschriftstafeln, Giebelzeichen und Schilder, einzclneKleidungsund Schmucksachen ergänzt, und er¬ weitert. In den Schränken und Pulten, an den Wänden und auf den Spinden hat sich allmählich eine Menge von Sachen und stücke

Sächelchen angesammelt, daß es schier un¬ möglich ist, sich hier durchzufinden. Zwischen den bunten Trachten verteilt liegen oder hängen gestickte Hauben und Mieder, Brautkronen mit Flitter- oder Perlschmuck, Bräutigamssträuße und Brautgürtel mit silbernen Beschlägen, schön gewebte und mit figürlichen Darstellungen verzierte Tischund Bettwäsche, gestickte Strümpfe und Handschuhe und vieles andere. Groß ist die Zahl der Stickereien sowohl in Weiß- und Buntstickerei wie in Metall-, Perlen- und Federkielslickcrei, desgleichen die der eigengewebten

mehrter Besuch der Saminlungen wird die Schöpfer des Museums erfreuen, und wenn vorliegende Skizze hierzu beitragen kann, hat sie einigermaßen ihren Zweck erfüllt.

4-45

Das Schloß in Lharlottenburg (Lin Lrinnerungsblatt.)

§

as königliche Schloß zu Charlottenbnrg, dessen Geschichte aufs engste mit der des Hohenzollerngeschlechtes verknüpft ist, blickte in diesen Tagen auf ein 200 jähriges Bestehen zurück. Im Jahre 1694 hatte das Dorf Lietzow oder Lutzow, aus welchem sich das heutige Charlottenburg entwickelte, auf einer Spazierfahrt die Aufmerksamkeit der kunstsinnigen und geistreichen Kurfürstin Sophie Charlotte erregt. Die liebliche Lage dieses Dorfes er¬ weckte in der Knrfürstin den Wunsch, hier am Ufer der Spree ein

Gründung der Akademie der Wissenschaften durchzusetzen; hier gab die philosophische Fürstin die Anregung zur Abfassung des „Essai

.

de Theodicee eur la honte de Dieu, la liberte de Hiomine et l’origine du mal", welches Werk Leibniz bekanntlich in ihrem Aufträge schrieb. Richt lange war es Sophie Charlotte vergönnt, in Lützenburg in ihrem anregenden Kreise das Dasein zu genießen. Erst vier Jahre hatte sie sich im Glanze der preußischen Königskrone gesonnt, als sie am 1. Februar 1705 das Auge für immer schloß. Der König war über den Verlust seiner Gattin untröstlich; in seinem Schmerz über ihren Tod beschloß er, um die Lützenburg eine Stadt zu gründen, die ihr zu Ehren den Namen Charlottenburg er¬ hielt. Eosandcr von Goethe baute in den Jahren 1709—1712 an der Verschönerung und Erweiterung des Schlosses fleißig weiter; so gehört z. B. das 700 Nieter lange Orangeriegebäude dieser Bauperiode an. Friedrichs I. interessierte sich bis zu seinem Tode für seine Schöpfung; noch ein Jahr vor seinem Ableben legte er (1712) den Grund zu der Stadt- und Pfarrkirche Charlottenburgs. Unter Friedrich dem Großen wurde das Charlottenburger Schloß durch einen Anbau erweitert. Schon im Jahre seiner Thronbesteigung (1740) ließ er auf der rechten Seite des Schlosses durch deu Freiherrn von Knobelsdorfs einen neuen Flügel errichten. In diesem Anbau, welcher unter den Namen des Friedrichsbaus bekannt ist, ließ der König den größten Teil der Antiquitäten aufstellen, die er

für 25000 Th li¬ ier vomKardinal Polignac gekauft hatte. Diese schöne '

fiel

Sammlung im Jahre

1760 leider dem

Vandalismus

Geflickte Tiroler Gürtel. (Zum Artikel „Das Museum

für

Deutsche Volkstrachten")

Lustschloß erstehen zu lassen. Kurfürst Friedrich UI. ging auf die Wünsche seiner Gemahlin ein; er kaufte das dem Oberhos¬ meister Baron von Dobrzinsky gehörige Landgut Ruhleben für 25 000 Thaler und ließ auf demselben nach Schlüters Plänen im italienischen Stile ein Schloß errichten. Der Bau wurde im Jahre 1695 unter der Oberleitung des Oberbaudirektors Nehriug begonnen und 1698 vollendet; er kostete im ganzen die Summe von 23 000 Thalern. Simon Godeau mußte das Schloß mit prächtigen Gartenanlagen nach Rissen des berühmten Garten¬

künstlers Andre Lenotre umgeben; das Innere wurde im Stile der Zeit mit kostbaren Möbeln, Tapeten und Gemälden ausgestattet. Am 11. Juli 1699, dem 43. Geburtstage des Kurfürsten, fand die feierliche Einweihung des Schlosses durch ein glänzendes Hoffest statt, über welches ein zeitgenössischer Chronist berichtet: „Auf den Abend des 1 . Juli falte» Stile«) des Jahres 1699 hatten Ihre Kurfürstliche Durchlaucht die Kurfürstiu Charlotte Seine Kurfürstliche Durchlaucht sowie auch den ganzen Hos geladen, den 43. Geburtstag Ihres durchlauchtigsten Gemahls daselbst zu Der feiern und mit diesem Fest ihr Lützenburg einzuweihen. Saal war mit geflochtenem Blumenwerk und mit dazwischen gesetzten Sinnbildern ausgeziert, und die Tafel darin also gesetzet, daß man ohne aufzustehen das Hernachmals angesteckte Feuerwerk nebst der Illumination sehen konnte. — Seine Kurfürstliche Durchlaucht haben sich bei diesem Feste nebst der ganzen Gesellschaft so vergnügt und freudig erwiesen, daß mau sozusagen über Tische und Bänke gesprungen ist, und Seine Kurfürstliche Durchlaucht können sich Ihrer eigenen Aussage nach nicht besinnen, sich jemals so freudig erwiesen zu haben." Diesem Uebermaße des Vergnügens ist es wohl zuzuschreiben, daß Friedrich III. schon 1700 aufs neue 10 000 Thaler für den weiteren Ausbau des Schlosses anwies. Die Ausführung wurde Eosander von Goethe übertragen, welcher im Barockstil das Schloß mit dem Kuppelbau schmückte und den Mittelbau Schlüters auf jeder Seite um einen Anbau von fünf Fenstern vergrößerte. Von nun an hielt Sophie Charlotte ihren heiteren Hof in Lützcnburg, wie sie das neue Prunkschloß nannte. Bälle, Konzerte, Maskeraden wechselten mit Schauspielen, Opern und geistreichen Unterhaltungen mit dem Philosophen Leibniz. In Lützenbnrg war es, wo dieser leinen Einfluß auf Sophie Charlotte geltend machte, um die

der plündernden Sachsen und Oesterreicher zum

Opfer. Später, als der große KönigSanssouci erbaut hatte, er¬ lahmte sein In¬ teresse

für Char¬

lottenburg.Seine Nachfolger auf dem preußischen

Königsthron hatten

dagegen stets eine beson¬ dere Vorliebe für

das Charlotten¬ burger Schloß und seinen schö¬ nen

Park.

Belvedere

Im

ließ

sichFriedrichWilhelmll. schon als Kronprinz von seinem

ling

Günst¬ Bischoffs-

werder

Geister¬ erscheinungen gaukeln; in der

Mangelbretter und Ellen aus Freesland.

Schloßkappelle

-

463

Jetzt schien dem großen Kurfürsten der geeignete Augenblick gekommen. seine großen Pläne, sein Volk in die seefatzreiiden Nationen einzu¬ reihen, war die Gewinnung eines Stützpunktes au den Gestaden der Nordsee unbedingt notwendig. Er wünschte daher von dem Kaiser die Anwartschaft auf Ostfriesland für den Fall des Aussterbens der Fürsten aus dem Hause Cirksena zu erhalten. Vor allen Dingen mußte ihm aber zu dem Zweck sehr daran gelegen sein, schon vorher in Ostfriesland festen Fuß gefaßt zu haben, um seine Absichten durch das Recht der Macht nachdrücklich unterstützen zu können. Dazu erschien gerade jetzt die Gelegenheit außerordentlich günstig: die Fürstin hatte seinen guten Rath zurückgewiesen, die Stände sahen in ihm, deni voin Kaiser bestellten Beschützer des Landes, ihren voll¬ berechtigten Schirmherr». Der Kaiser hatte durch das erteilte Konser¬ vatorium seine allcrböchste Zustimmung zu einem Einschreiten gegeben. Die Hochmögenden, besonders der Prinz von Oranten, in steter Sorge vor Ludwig XIV., würden nicht wagen, die mächtigen Freunde, den Kaiser und den allezeit thatbcrcitcn großen Brandenburger, durch weitere Einmischungen in die doch nur sehr nebensächliche ostfriesische Frage zu erzürnen. Dem Braunschwcigcr war zur Zeit ein Eintreten untersagt — also jetzt hieß cs, die Gelegenheit zu nützen. Besser konnte die Sachlage für die Pläne des großen Friedrich Wilhelm sich nicht gestalten, wohl aber konnten die günstigen Umstände sich bald wieder zu seinem Nachteil verschieben. So begann denn der kurfürstliche Rat, Herr von Dicst als eine letzte im Sommer 1682 angetragene Vermittelung seines Herrn zwischen der Fürstin und den Ständen von der ersteren cndgiltig zurückgewiesen war, geheime Unterhandlungen mit einigen Führern der Stände. Dvdo von Kniphausen, ferner der Emdencr Bürgermeister Diurko Andrer und der Administrator ter Braak waren die Vertrauten des kurfürstlichen Rates. Die Sache wurde so geheim geführt, daß die Fürstin und ihre Anhänger gänzlich ahnungslos blieben. Auf dem Turme von Greetsiel, einem Flecken, etwa 2 Meilen nördlich von Emden, an dem User der Nordsee, stand ein Wachtposten, der von dort eine» Ausblick über die Emsmündung und das Meer hatte. Am Nachmittage des 1. November 1682 sah der Soldat eine Anzahl Fahr¬ zeuge herankommen. Auf seine Meldung sandte der fürstliche Komman¬ dant des alten Greetfielcrschlosses (des Stammhauses des Fürstenfamilie Cirksena) einen Unteroffizier nach dem Hafen, um die vorschriftsmäßigen Erkundigungen über die Ladung rc. einzuziehen. Es war schon dunkel,

Für

erste Fahrzeug in de» Hafen einlief. „Ich bringe Schillc und die anderen auch!" erwiderte der Kapitän dem bangen Unteroffizier, der diesen Bescheid seinem Vorgesetzten ohne Arg überbrachte. „Schille" sind Seemuscheln, und da aus letzteren gerade in Greetsiel viel Kalk gebrannt wurde, so fühlte sich der fürstliche Kommandant Nothstein vollauf beruhigt. Aber im Dunkel der Nacht öffneten sich die Luken der Schiffe, 300 branden burgische Seesoldaten entstiegen ihrem gewiß nicht sehr behaglichen Ansenhalt und schlossen die fürstliche Burg ein. Der Kommandeur, Oberstleutnant Brand, forderte den über¬ raschten Hauptmann Nothstein zur Uebcrgabe auf. Dieser aber ver¬ langte, erst die Willensmeinung seiner Fürstin in Aurich einholen zu dürfen. Das wurde bewilligt. Christine Charlotte ließ aber den nächsten Tag, also wohl am 3. November, antworten, „sie müsse sich Sie wollte nun erst mit ihren Mitvormündern darüber besprechen." Zeit gewinnen und suchte den Führer der in Leer liegenden kaiserlichen Salvcgarde zu bestimmen, die Brandenburger wieder aus Greetsiel hinauszuwerfen. Aber der kaiserliche Oberstleutnant, Martin Gerdes, schluckte wohl gern den Sold für seine Kompagnie, doch sorgte er nicht dafür, daß selbige vollzählig und kriegsbereit war. So hütete er sich wohl, deni Wunsche der Fürstin zu folgen. — Oberstleutnant Brand,

als das

Der einzige Berliner. Brief aus einer Sommerfrische. ein Herzenswunsch meines Mannes, daß wir nach B., einem österreichisch-schlesischen Städtchen an der preußischen Grenze, reisen.

/Es war

W

Mein Man» hat nänilich hier herum das Licht der Welt erblickt. In irgend einem alten Hause der Stadt stand seine Wiege und ich

Ort kennen lernen, der für mich so verhängnis¬ voll geworden ist. Das sind wenigstens die Worte meines lieben Mannes. Da wäre ich also, im „Zigeunerwalde" bei B. Warum der schöne, weitausgedehnte Wald diesen Namen hat, weiß ich nicht, aber er heißt nun einmal so. Das Städtchen, mit dem uns eine elektrische Bahn verbindet, gleicht i» dieser Sommerhitze einem ungeheuren Backosen. Dazu wälzt sich in den frühen Morgenstunden aus den zahl¬ reichen Fabrikschloten dicker, schwarzer Qualm. Er senkt sich auf die Straßen hinab und legt sich wie Kohlendunst auf die Brust. Tic Luft in Berlin ist das reine Ambra gegen die Atmosphäre in der Vaterstadt meines Mannes, und wenn ich zufällig gezwungen wäre, in B. zu wohnen, so würde ich ganz entschieden Berlin zu meiner Sommerfrische sollte doch endlich den

wählen. Uebrigens hat mich der herrliche Zigcunerwald mit der Stadt versöhnt. O ja, hier ist es schön. Hier kann man in vollen Zügen den Harzduft der Tannen einatmen, und manchmal, so in den ersten Stunden des Nachmittags, wenn man, von Bienen eingesummt, schläfrig zum blauen Himmel emporblinzelt, ist man fast versucht, zu glauben, daß man irgendwo im Grunewald liegt, so recht faul hingestreckt und erfüllt von der süßesten Müdigkeit.

dem nach der beschwerlichen Seefahrt — er war mit seinen Leuten in Glückstadt in Holstein mit dänischer Bewilligung eingeschifft — auch gerade nicht der Sinn nach langen Unterhandlungen stehen mochte, machte nun kurzen Prozeß: in der Nacht vom 5. zum 6. November wurde geräuschlos ein Boot in den Burggraben hinabgelassen, ein Unteroffizier mit ein paar Mann ruderten unter Stnrni und Regen ungesehen an die Mauer des Schlosses, stiegen durch eine Schießscharte ein und überraschten die über die Pflichten des Nachtdienstes anscheinend nicht besonders gut unterwiesene Wache. Ohne Schwertstreich ergaben sich die tapfern Mannen, die Schlüssel der Burg wurden ausgeliefert, das Thor geöffnet und — der große Kurfürst war Herr eines festen Platzes an den Gestaden der Nordsee. Vergebens rief die Fürstin den Kaiser um Hilse an. Zwar war diesem ein derartiger Ausgang weder erwünscht, noch erwartet; er ver¬ suchte auch, den großen Brandenburger zu einem Aufgeben der ge¬ wonnenen Stellung zu vermögen, aber umsonst. Der rote Adler hielt fest, was er ergriffen, und der große Kurfürst legte im Sommer 1683 eine Garnison nach Emden, um dadurch seinen weitergehenden Plänen einen nachdrücklichen Schutz zu verleihen. Zur selben Zeit erwarb er an der afrikanischen Goldküste die erste brandenburgische Kolonie, gründete, mit dem Lix in Emde», die afrikanische Handelskompagnie und machte die alte Handelsstadt an der Ems¬ mündung zu seiner Flottenstation an der Nordsee. Unter dem Schutze der Flagge mit dem roten Adler im weißen Feld entfaltete sich der sehr zurückgegangene Handel Emdens zu neuer Blüte. Friedrich Wilhelm gestattete den Östfriesen nicht nur, die brandenburgische Flagge zu führen, sondern er gcwälirte ihnen dafür noch be¬ sondere Erleichterungen, wenn sie mit den Hafenstädten seiner pommcrschcn und preußischen Küstenlande Handel trieben. Dieser Aufschwung des Emdencr und des ostfriesischen Handels über¬ haupt erbitterte die Hochmögenden nicht wenig. Besonders war ihnen die Gründung der afrikanischen Kompagnie ein Dorn im Auge. Sie erklärten, daß der Handel an der afrikanischen Küste: lediglich Vorrecht der holländischwestindischen Kompagnie sei. Der große Kurfürst antwortete, daß die Gcncralstaaten kein Recht auf etwas hätten, das nicht ihr Eigentum sei. Ta versuchten diese ihrerseits ihre Ansprüche durch Gewalt durchzusetzen, aber sie hatten die Rechnung ohne den Hohcnzollcrn gemacht: als ein nach Oustel del Mina bestimmtes Schiff unter dem angeführten Vor¬ wände von de» Holländern aufgebracht worden war, forderte Friedrich Wilhelm sofort eine entsprechende Entschädigung. Die Hochmögendcn suchten die Sache in die Länge zu ziehen; da traf der große Kurfürst alle Vorbereitungen, um seinen Willen mit Waffengewalt zur Durch¬ führung zu bringen. Das half. Die geforderte Entschädigung — 40 000 Thaler — wurde gezahlt. Zu früh für seine großen Pläne starb der große Kurfürst. Seine Nachfolger vcrniochten das kraftvoll begonnene Werk nicht fortzusetzen, andere Interessen traten in den Vordergrund und über 200 Jahre mußten vergehen, ehe der schwarze Adler des neuen Reiches die Kraft in sich fühlte, das Vermächtnis des großen Brandenburgers zur Ausführung zu bringen. Dieses Gewinnen einer festen Stellung in Ostfriesland — unternommen, zwar nicht im Interesse des deutschen Reiches, wohl aber zum Besten des eigenen engeren Vaterlandes — wird jedenfalls immer ein leuchtendes Beispiel dafür sein, daß ein gewaltiger Wille aus kleinen Anfängen heraus Großes zu leisten vermag. Vor 200 Jahren war fremder Neid und innere Zerriffcnhcit ein böser Feind der Pläne Friedrich Wilhelms, des großen Kurfürsten, aber er wußte beides zu bannen durch die Macht seiner Persönlichkeit, durch die Macht seines von ihm geschaffenen kraftvollen Staates.

Und so liege ich hier, manchmal stundenlang, in tiefer Einsamkeit und träume. Es ist eine wunderbare Empfindung, sich einschlafen zu fühlen, langsam, ganz langsam. Ich habe das vorher nie gekannt und kann cs nicht beschreibe». Das grüne Dämmerlicht üülll mich ein wie ein Schleier, und der Duft des Waldes scheint mir fast wie etwas, das man greifen und in sein Handtäschchen stecken könnte zu künftigem Gebrauch. Tie Luft ist voll silbern schimmernder Fäden und die Stille um mich her voll feiner Töne. Es zirpt und raschelt irgendwo ganz leise, und plötzlich höre ich das Murmeln eines Baches, den ich nicht Und doch ruht sehe, und ein Raunen und Knistern in den Bäumen. der Wind. Ob man bei uns im Grunewald solchen Stimmungen sich hingeben Ta muß An Sonntagen sicherlich nicht. kaun, weiß ich nicht. man wohl schon ei» Stück Dichter oder wenigstens ein alleinstehender Rentier sein, um sich in seiner Ruhe nicht durch den Gedanken an die Rückfahrt im überfüllten Stadtbahnmagen stören zu lassen. Und dann die Leute, die vielen Berliner, und die Unmasse von Stullenpapier, das an so prosaische Tinge erinnert. Hier aber stört mich nichts, hier drängt mich niemand zur Hast und Eile. Niemand? Ach nein! Ein Wesen ist da, von dessen Willen ich ab¬ hängig bin, das mich beeinflußt und beherrscht. Und dieses Wesen ist ein — Berliner, ein richtiger Berliner, der einzige, der im Zigeuncrwalde zu finden ist. Einen anderen würde man hier vergebens suchen. Ein Berliner Junge ist das, mein Junge: ein Knirps von vier Jahren. In der Gegend des Viktoriaparks kennt man ihn als den „Schrecken des Krenzgebirges", und zwischen Tivoli und Lchmkute weiß man von seinen Heldenthaten zu singen und zu sagen. Meine Bescheiden¬

464

heit — ich bin nämlich in der deutschen Reichshauptstadt geboren — verbietet mir, ihn geradezu eine Berliner Berühmtheit zu nennen, meinen Fritz, aber Thatsache ist es nun mal, daß er hier im Zigeuner¬ walde und dessen nächster Umgebung in seiner Eigenschaft als echter und einziger Berliner eines großen Ansehens sich erfreut, und Furcht und Schrecken um sich verbreitet. Der einzige Berliner! Ich weiß nicht, ob es bereits in Fritz ahnend aufgedämmert ist, daß die allgemeine Achtung, der er sich erfreut, auf diese „Einzigkeit" zurückgeführt werden muß. Ich glaube, er macht sich überhaupt keine Gedanken darüber, sondern freut sich des Respekts, den seine österreichischen Altersgenossen ihm entgegenbringen, und den nicht einmal der Umstand zu mindern vermag, daß Fritzchen in den Stunden beschaulichen Nachdenkens zu — „lutschen" liebt. Wenn er so dasitzt in seinem Lieblingswinkel, das Däumchen der rechten Hand im Munde, während Daumen und Zeigefinger der linken das Ohrläppchen festhalten, und die großen Augen in die Lust starren, dann brütet er sein Pläne aus, seine Schlachten und Raubzüge, seine Spiele und Vergnügungen, und dann denkt er über die Unterschiede nach zwischen Berliner und hier zu Lande üblicher Art, und wie er diese jener möglichst nahe bringen könnte. So komisch es auch klingen mag, dieses einzige Kerlchen ist hier in den wenigen Wochen unseres Aufenthaltes gleichsam ein kleiner „Pionier Berliner Kultur" geworden unter seinen Kameraden. Sein Entzücken über die Reise war nicht sehr groß gewesen. An jeder Station wollte er aussteigen. „Aber wir wollen doch nach B., Fritze," wies ich ihn zurecht. „Ich mag aber nich," maulte er. „Ja, warum denn nicht?" „B. ist mir eine zu weite Stadt," meinte er mürrisch. Als die Station Oppeln ausgerufen wurde, stürzte er lebhaft ans Fenster und blickte sehr gespannt hinaus. „Was hast Du denn?" fragte ich, über sein offenbares Interesse verwundert. „Mutter, ich seh sie aber gar nicht," antwortete er, wie es schien,

und dazu folgende Worte sprechen: „Det wer ick mir mal Die Sache ging nicht ohne Schwierigkeiten ab, aber gerade diese Schwierigkeiten schienen Fritz furchtbar viel Spaß zu machen. Großen Unmut erregte Fritz bei einigen Mamas, weil ihre Söhnchcn sich angewöhnt haben, wie mein Fritzing, „Dreck" statt Straßenschmutz zu sagen. Er kam dadurch in den Ruf eines kleinen Rüpels, aber bei denen, an deren Achtung ihm liegt, schadet ihm diese Meinung nicht. Sein Ansehen ist festgewurzelt. Er ist nun einmal dazu ausersehen, Berliner Art im Auslande höchst beliebt zu machen. Vor einigen Tagen gab es hier ein Ständchen, eine Sache, die Fritz bedeutend imponierte. Er hat natürlich sofort beschlossen, diese Neuheit in sein Programm aufzunehmen, und so wurde ich eines nachniittags in meiner Waldeinsamkeit durch eine „Serenade" überrascht. Zehn kleine Strolche brachen plötzlich aus dem „Dickicht" hervor, nahmen Ausstellung, und zehn helle Stimmchen begannen unter der Direktion des Kapellmeisters Fritz das schöne Lied:

sehr enttäuscht.

t

„Wen denn?" „Na, die Hunde," sagte er ungeduldig. „Welche Hunde denn?" „Ra, die Möpse, Du weißt doch." Er stampfte mit den Füßchen aus. Die Sache war mir sehr unklar. „Wo sollen denn hier Möpse sein?" „Na," sagte er sehr unzufrieden, „der Schafftier hat doch gerufen:

Moppeln."

Es gelang mir nur sehr schwer, ihm die Geschichte verständlich zu nmchen, ich muß aber gestehen, daß meine Aufklärung ihn nicht befriedigte. Nach und nach kam aber die „zu weite Stadt" näher und näher, und als wir erst im Zigeunerwald waren und mein Sohn die ersten Bekanntschaften gemacht hatte, wurde er ganz glücklich. Am dritten Tage unseres Aufenthalts kam er freudestrahlend zu mir gerannt und berichtete:

„Mutter, das hast Du gewiß „Was denn?"

noch nicht bemerkt

. .

."

„Denk mal, hier jiebt et keine kleinen Jungens in'n janzen Zigeunerwald, nur mir, nur mir!" jubelte er. „Aber das ist doch Unsinn, Fritz." „Ree, jar nich Unsinn, Mutter. Nich einen kleinen Jungen jiebts, nur mir janz alleine", wiederholte er eifrig. „Da ist doch der Karl, der Anton, der Erich, der Fritz unterbrach mich triumphierend: „Karl ist ja kein Junge. Hat et mir selber jesagt." „Was soll er sonst sein?" „Ein Bubb," jubelte Fritz, ,,'n Bubb ist er! Anton ist auch 'n Bubb. Alle sind se Buben, lauter Buben! Und weil Emilchen noch janz kleinwinzig und dumm ist, sagen se „Buberl" zu ihm." Fritz lachte unbändig. „Aber ich bin doch 'n richtiger Junge, nicht, Mutter?" Die Sache amüsierte ihn außerordentlich, und er ist heute noch davon überzeugt, daß es außer Mädels und Jungens noch ein Drittes giebt, nämlich „Buben", diese Sorte aber nur im Zigeunerwalde. Er hat sich mit de» Buben übrigens recht gut verständigt. Ungeheuerlich erscheint es ihm, daß die Knaben das schlesische Wörtchen „ock" gebrauchen. Nach seiner maßgeblichen Meinung muß es eben „ick" heißen, und er bemüht sich sehr, seinen Kameraden be¬ greiflich zu machen, daß man nicht sagen darf „schau ock, Fritz," sondern „schau ick, Fritz." Bei dem Einflüsse, den er nun einmal besitzt, ist es ihm gelungen, einige Buben zu überzeugen. Aber „nee" statt „nein" sagen schon die Meisten, ohne daß Fritz es nötig hätte, dies besonders zu verlangen. Sein Beispiel genügte vollkommen. Kürzlich hat es ihm beliebt, zu bestimmen, daß fortab ein gewisser Teil des Waldes „als Viktoria-Park" und ein anderer Teil „als Tempelhoser Feld" „genannt" werde. Die Kinder sind sofort darauf eingegangen. In der „Wolfsschlucht" — hier übrigens eine Anhöhe — spielen sie „Zoologischer Garten," dessen Wesen Fritz ihnen eingehend erklärte, und auf dem „Tempelhofer Felde" exerzieren sie nach Fritzens preußisch-schneidigem Kommando, daß es nur so eine Art hat. Bei allen Spielen aber wählt Fritz für sich die Hauptrolle. Er ist der Räuberhauptniann, der Leutnant, der elektrische Pserdebahnschassner,

Franz-"

_

der Schutzmann, der Leichenwagen-Kutscher, er ist der Lehrer, der Schlächter, der Oberkellner, er ist die Pfeife eines Dampfschiffs oder einer Lokomotive, und wenn er einmal gestattet, daß ein Anderer „erste" Rollen spielt, dann hat er so viel Anweisungen und Belehrungen zu geben, daß die Buben die Geduld verlieren und sich mit den weniger hervorragenden Partien begnügen. Es ist ihnen durchaus nicht an¬ genehm, aus Fritzens Munde schnoddrige Tadelworte zu hören. Sehr drollig machte cs sich, als Fritz den Knaben das „Berlinische" beibringen wollte. Die Hauptrolle bei diesem Abenteuer spielte sein kleiner Kürassierhelm, den er mitgebracht hat, und der hier dem jüngsten Volke sehr imponiert. Nur ein Junge durfte das glänzende

Ding

aufsetzen,

uffsetzen!"

„Denkste denn, denkste denn

Du Berliner Ich war, wie man

Flanze-"

denken kann, ebenso überrascht wie gerührt durch diese sinnige Aufmerksamkeit und suchte die kleinen Bengel zu verscheuchen. Aber es nützte nichts. Sie sangen mit Todesverachtung sich

weiter:

„Det ick jleich Dein Breitjam bin, Weil ich mit Dir danze?" Es blieb mir weiter nichts übrig, als mit den wilden Jungen zu lachen.

Wenn ich nur wüßte, wo der Schlingel das Lied her hat! Ich muß doch mal mit meiner Anna sprechen, wenn ich nach Berlin zurück¬ komme K. S.

....

I.

Zur

Geschichte des Badeledens. Von F. Kunze.

Sommer hat begonnen und mit ihm die Zeit der goldenen Frei¬ zügigkeit, die Tage, welche so manchem wirklich und vermeintlich Kranken willkommene Gelegenheit bieten, durch Entfernung von ver¬ drießlichen Geschäften oder Familienverhältniffen, Bewegung, Luftver¬ änderung, besseren Tisch, wunderthätigcs Wasser und andere „Kur¬ mittel" die mancherlei Störungen des allgemeinen Wohlbefindens nach Möglichkeit zu korrigieren. Jeder, der es sich leisten kann, schnürt sein Bündel, füllt die Geldbörse und reist „ins Bad," ohne jedoch in jedem Falle gerade zu baden, denn Wasser thuts auch hier freilich nicht, und ivie so manches Buch wäre zu schreiben „über Bäder, die den Patienten nichts geholfen haben." Schrieb doch einst ein wahrheitliebender Witz¬ bold an ein neu angelegtes, wenig besuchtes Bad, das dem verschuldeten Städtchen viel kostete: er

„Zu

diesem Bade sieht man gar wenig Fremde wallen)

Nur einer badete, er war — hineingefallen!" Immerhin gehören Bäder und Kurortbesuche zu den gegen jene Modeübel, die

wir von

besten

Mitteln

unseren empfindlichen Nerven ab¬ leiten, und in Wirklichkeit haben schon tausende von „Nerviösen" — uni mit dem Nürnberger zu reden — dadurch, daß sie mal aus längere Zeit „ausspannten" und sich einer regelrechten „Nervenmast" unterzogen, die erwünschte Heilung und Gesundheit wieder erlangt. Daß jedes Bad eine leibliche Neugeburt ist, kann man schon im gewöhnlichen Leben erfahren, und wenn auch der gelehrte Meusel behauptete: „Ich habe diese Hautgerberei nie geübt und bin 75 Jahre alt geworden" —, so fragt es sich, ob er nicht vielleicht die volle Hundert erreicht hätte, wenn er ein Verehrer der nicht zu unterlassenden Hautkultur ge¬ wesen wäre. Fast jede

.

Familie von gutem Ton glaubt heutzutage eine kleine

Badcfahrt unternehmen zu müssen, denn der allgemeine Geschmack am Baden ist gestiegen. Deutschland allein zählt Hunderte berühmter Bäder, Kurorte, Sommerfrischen rc., und fast jedes Jahr entstehen neue. Keines¬ wegs ist aber die sogenannte „Badereise" ein ausschließliches Produkt der sich durch bessere Verkehrsmittel auszeichnenden Neuzeit, sondern auch auf diesem Gebiete ist „alles schon dagewesen." Bereits die baby¬ lonischen, assyrischen und persischen Könige hatten besondere Winter- und Sommcrresidenzen, und dem Beispiele der Herrscher folgten die Großen der Krone, sowie das begüterte Volk. Um der sengenden Glut tief¬ liegender Landstriche zu entgehen, begaben sie sich in die gemäßigte Luft der Hochebenen und erquickten den angegriffenen Körper in dem wohl¬ thuenden Wasser der hier reichlich sprudelnden Quellen. Wohl waren die Menschen des Altertums nicht so heilbedürftig wie zur Jetztzeit, und all die verschiedenen, kleinen und großen Plagegeister, welche die heutige Generation in die Bäder treibt und schon im Winter die nötigen Pläne dazu schmieden läßt, kannten die guten Alten nur in sehr geringem Maße, abgesehen von den so häufig auftretenden Hautkrankheiten, welche man, wie aus zahlreichen Bibelstellcu schon hervorgeht, in nahen Heil¬ quellen wirksam zu bekämpfen suchte. Aehnlich wie im Morgenlande war auch bei europäischen Kultur¬ völkern das Badeleben in seinem ganzen Umfange bekannt. Den mächtigsten Aufschwung nahm das solenne Badereisewesen zur Zeit der größten Ausdehnung des römischen Reiches, und auf Grund eines um¬ fangreichen geschichtlichen Materials läßt sich nachweisen, daß im alten Italien ein weitverzweigtes Netz besuchter Badeorte schon lange vor Christi Geburt bestand. An allen Grenzen des Römerreichcs waren neben Kastellen auch Badestubcn anzutreffen, und in der großen Tiber¬ stadt selbst kannte man 22 warme und 856 kalte öffentliche Bäder außer 880 Privatbädcrn. Tausende von heute noch ausgcgrabenen Inschriftsteinen, gut erhaltenen Ruinen und massenhaft auf dem schlammigen Grunde alter Heilquellen gefundener Münzen, die man ehemals den gütigen Wassergottheiten opferte, erzählen nicht minder wie verstreute Notizen in den Werken eines Pausanias, Strabo, Plinius, Aurclianus u. a. Schriftsteller „von verschwundener Pracht" des Badelebcns. Es

465 gab fast keine Gegend in den, das weite Mittclmeer einschließenden Ländern, worin nicht eine Mineralquelle, ein Heilbad oder ein durch seine belebende, nervenstärkende Lust berühmter Ort sich befunden hätte. War doch auch Griechenland mit seinen dichten Waldungen, höchst üppigen Gärten und malerischen Höhenzügen trotz seines sonstigen Wassermangels an manchen Stellen sehr quellenreich, z. B. am Berge Tomaros, wo es aus mehr denn hundert Bronnen rieselte. Wenn diese auch weniger krankheitbesiegenden Zwecken dienstbar waren, so gab es doch an vielen anderen Orten Mineralquellen und -bäder, deren Gebrauch zur Herstellung des seelischen Gleichgewichts sich in die ent¬ legenste Vorzeit verlor. Das Bad, vorzugsweise das warme, gehörte schon in der homerischen Zeit zu den stärkenden und reinigenden Mitteln, durch welche sich der Grieche nach vollbrachter Arbeit zu erquicken suchte. Auch in der historischen Zeit wurde der Nutzen des Bades, besonders vor. der Mahlzeit, allgemein anerkannt, obgleich die Griechen es in der verseinerten Kunst des Badens nie so weit gebracht haben wie die Römer. Namentlich aber war der allzuhäufigc Gebrauch von heißen Bädern in Griechenland nicht beliebt. Behufs der warmen Bäder gab es nun öffentliche und Privat-Badeanstalten, sowie auch in den Gymnasien den Badenden besondere Räumlichkeiten angewiesen waren. Zu dem großen Heer der Badegäste, die sich an den verschiedensten Punkten der benach¬ barten Insel Euböa erfrischten, stellte das alte Hellas seinen respektablen Anteil, obgleich der griechische Archipelagus, dessen vulkanische Natur bekannt ist, selbst mit Badeorten förmlich übersäet war. Nicht minder wies auch Kleinasien eine Menge von Orten auf, welcheschon wegen ihrer prachtvollen Einrichtung berühmt, das Reise- und Erfrischungsbedürfnis seiner bemittelteren Bewohner vollauf befriedigten. Unweit des idyllischen Halikarnassus sprudelte die berühmte kalte Quelle Salmacis, deren aufregende Kraft so begehrt war, daß sich hier schon zeitig ein Vergnügungsort mit Buden und mancherlei Gebäuden zu Zeitvertreib und geselliger Lust erhob. Rikomedia zählte sogar mehrere römische Kaiser, wie Diokletian, Konstantin und später Jnstinian zu seinen ständigen Badegästen. Nach dem Libanon lockte eine Bitterquellc; auch die Thermen zu Tiflis im Kaukasus übten einen gewissen Reiz aus, wie denn überhaupt Syrien und Arabien, ja sogar die Länder am Euphrat nicht unbesucht blieben. Auf afrikanischem Boden war das Baden ebenfalls eine altbekannte Gewohnheit. Die heiligen Wogen des Nil, besonders am seichten Ufcrrandc, wurden nicht nur von Männern, sondern auch von weiblichen Personen badend heimgesucht, was schon aus dem Beispiel der im Bibelbuche erwähnten Tochter Pharaos her¬ vorgeht, welche den ausgesetzten Moses fand. Das alte Karthago wies ebenfalls eine Reihe von Bädern auf, und in der Nähe von Algier reden noch heute gut erhaltene Ruinen uralter Thermen römischen Herkommens eine eindrucksvolle Sprache zu dcni Beschauer. Das hohe Alter sizilianischer Bäder wiederum beweist die von Diodor mitgeteilte Sage, der Architekt Dädalus habe nicht weit von Selinus in einer künstlichen Grotte über einer heißen Quelle ein Dampfbad eingerichtet, worin er oder gar König Minos erstickt sei. Auch die Länder des Westens und Nordens, in welche die Römer ihre siegreichen Waffen trugen, wurden von ihren praktischen Eroberern mit Bädern ausgestattet, so besonders Gallien, die iberische Halbinsel und Britannien. Ja, hier und dort scheinen sogar schon vorrömische Badceinrichtungen bestanden zu haben, denn gelegentlich einer Nach¬ grabung unter dem Römcrgrabe zu Mont Dorr, im französischen Departement Puy de Dome, machte man die interessante Entdeckung, daß unter der balneologischen Einrickilung jener alten Lateiner eine solche früheren Datums bereits bestanden hatte, die etwa ums Jahr 1000 v. Ehr. erbaut worden sein dürste. Das Leben und Treiben in den antiken Bädern war eben nicht weniger reizvoll und abwechsclungsreich, als an den heutigen Mauserungs- und Verjüngungsstätten der zivilisierten Menschheit, woher es denn auch erklärlich ist, daß die alten Badecinrichtungen und -Vcrgnügungsplätze nicht sonderlich von den gegenwärtigen verschieden waren. Der verheerende Sturm der Völkerwanderung, welcher mit unwiderstehlicher Gewalt über den weiten Boden des römischen Weltreiches dahinfegte, hatte viele Denkmäler ehemaligen Kulturlebens zerstört, obgleich auch die freizügigen Stämme, Hunnen, Gothen, Angelsachsen, Kelten u. s. w. zum Teil große Freunde des Badclebcns waren. Plutarch macht in seinem „Marius" darauf aufmerksam, daß die alten Deutschen infolge zu langen Verweilens an den laulichtcn Gewässern Südfrankreichs den feindlichen Römern eine willkommene Gelegenheit zu Ueberfall geboten hätten. Der Fürst der alemannischen Bucinobanten, Makrian (um 370), suchte Heilung von Krankheit in dem warmen Element eines Bades, welches in der Nähe Homburgs gelegen zu haben scheint, und dorthin folgte ihm in wichtigen Angelegenheiten Severus, der erste Feldherr Kaiser Valentinians. Man muß sich deshalb wundern, daß die kricgsbeflissenen Barbaren ihrer angeborenen Zerstörungslust auch hinsichtlich der Bäder in den heim¬

Lauf ließen. Eine durchgreifende Aenderung im Badcwesen führte gewissermaßen das umgestaltende Christentum herbei, dessen Bekenner auch dem körperverjüugcnden Wasser nicht abhold innren. Bischof Polykarp von Smyrna bemerkt in einem noch vorhandenen Briefe, daß der Apostel Johannes nach Ephesus ins Bäd zu gehen gedenke, und ähnliche Mitteilungen über Besucher von warmen Quellen und schwefelhaltigen Bädern sind uns von anderen Kirchenvätern überliefert worden. Wurde doch mit der Zeit die Enthaltung vom warmen Bade als ein Teil der Askese, und das Baden in der Fastenzeit, besonders in der Karwoche, mit dem Fleischgeuusse auf eine Stufe gestellt, d. h. als Sünde betrachtet. Im allgemeinen bediente sich aber die Geistlichkeit oft und gern der öffent¬ lichen Bäder, doch als in diesen am Ende des buntscheckigen Mittelalters die Zügellosigkeit sich in allen Gestalten breit machte, da wurden die Kleriker vom Besuche der Badestuben ausgeschlossen. Biele Kirchen und Klöster hatten überhaupt eigene Bäder aufzuweisen, die ihnen meistens von regierenden Fürsten und von hohen Persönlichkeiten geschenkwcise übermittelt worden waren. gesuchten Landstrichen freien

Als durch die kulturgeschichtlich wichtigen Kreuzzüge das heimatliche Abendland auch mit der schrecklichen Aussatzkraukheit in unliebsamer

Weise bekannt geworden, da suchte man unter Anwendung von Schwitz¬ bädern dieses lästige Uebel zu verscheuchen. Es wurden deshalb nicht nur die bereits bestehenden Badestuben sehr zahlreich aufgesucht, sondern auch die Gründung neuer Bäder schoß üppig ins Kraut. Im späteren Mittelalter wurde überhaupt die Badelust der Leute anscheinend immer stärker: Schwitz- und Kräuterbäder fanden ganz besonderen Zuspruch. Der ärmere Teil der Bevölkerung fand in diesen feuchten Stätten der Verjüngung fast durchgängig milde Aufnahme, indem sich die christliche Liebe der Mittellosen erbarmend annahm. Man stiftete hin und wieder für Bedürftige Freibäder, welche den Namen „Seelbäder" führten, die selbst Luther als nützliche Einrichtungen anerkannte. Als deutsche Bäder, die sich zur Zeit der Reformatiou eines besonders lebhaften Zuspruchs erfreuten, werden erwähnt: Töplitz, Gastein, Jebenhausen, Arensberg in Niederbayern, Calw, Liebenzell, Wildbad, Baden bei Wien und in der Schweiz, Baden-Baden, Ems, Pyrmont u. a. Unter diesen Plätzen wählte man auch besondere „Sommerfrischen" und Luftvcränderungsorte aus, denn während der eigentlichen „Saison" fand ebenso, wie noch heute, ein beständiges Kommen und Gehen statt. Wer eine sogen. „Badefahrt" unternahm, war entweder von den Aerzten dazu veranlaßt worden, besonders wenn es sich um Bekämpfung gewisser Leiden handelte, oder wollte seine angestammte Reiselust befriedigen und dabei zugleich das Angenehme mir dem Nützlichen verbinden. In der Regel begann das bunte Badeleben im heilkräftigen Mai, ja hin und wieder schon im frühlingbringenden Märzmonde. Der Brauch des Mineralwassertrinkens läßt sich urkundlich bis ins 16. Jahrhundert hinauf verfolgen, dürste aber zweifelsohne bedeutend älter sein. Für ein besonderes Förderungsmittel der angestrebten Kur empfahlen die Aerzte eine sorgenlose Heiterkeit des Gemüts, die denn auch „mit vollem Werk" erreicht werden sollte. Man tanzte, spielte, sang, ergötzte sich an Gauklern und Lustigmachern, tafelte, becherte und liebte nach Herzenslust. Um die Zeit zu verbringen, wurde bei dem ziemlich langen Aufenthalt im Wasser manche leckere, trunkgcwürzte Mahlzeit eingenommen, denn es kam vor, z. B. in Karlsbad, daß Personen oft wochenlang täglich mindestens 12 Stunden im Wasser blieben. So lange in gemeinsamen Bassins gebadet wurde, konnten sich höhere Stände von der „breiten Masse" nicht so leicht absondern. Die Geschlechter badeten insgemein nicht getrennt; die Frauen trugen dabei ein leichtes Kleid, während männliche Personen mit einem Schurz umgürtet waren. Von jeher war die Damenwelt in erster Linie für das vergnügungsreiche Badeleben eingenommen, ja angehende Haus¬ frauen ließen sich im Ehevertrage den Besuch gewisser Bäder zusichern. Selbst Nonnen fanden es für nötig, ins Bad zu reisen, und 1415 ver¬ kaufte eine Züricher Aebtissin einen Weierhof, um die Kosten ihrer Bade¬

fahrt bestreiten zu können.

Mt der Entdeckung Amerikas und der bald darauf folgenden Re¬ formation Luthers trat nicht nicht nur im Allgemeinen, sondern auch im hishcrigen Vadewesen ein völliger Umschwung ein. Die im Mittelalter so heliebt gewesenen „Schwitzbäder" gingen im Laufe des 16. Jahr¬ hunderts vollständig ein, während die heute noch bestehenden Dampf¬ bäder in Aufnahme kamen, mit denen man besonders den häßlichen Aussatz (Lepra) zu vertreiben sich bemühte. Die auslebenden Wissen¬ schaften, in erster Linie die Medizin, Chemie re., entdeckten auch bald die heilkräftige Wirkung gewisser Mineralquellen, so daß sich berühmte Bäder der Neuzeit (Baden-Baden, Pyrmont, Karlsbad, Ems u. a.) schon zur Zeit des 30jährigen Krieges eines ungemein regen Besuches erfreuten. Der übermäßige Luxus und Pomp, überhaupt der sinnenkitzelnde Badetauniel, verlor sich erst nach dem Ablauf des 16. Jahrhunderts, während um diese Zeit dagegen das Trinken und Versenden von innerlich wirkenden Mineralwässern in Aufnahme kam. Auch die im Altertum gern genommenen Seebäder lernte man wieder würdigen, besonders in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, seit welcher Zeit das Kur-, Bade- und Sommerfrischenwesen immer vollkommener geworden ist.

Ein Totgeglaubter aus dem Friedrichshain. ic: Ach Herrje, mein Mann! — ne, ick sage doch, wat der Mensch mir Schreck injagt. Ick denke, Du licjst janz ruhig irrn

vorn sFriedrichshain.

Er:

Re, alleweile noch nich, ick wurde man bloß durch'n Mißen bisken länger in Spandau ufjehalten! Dieses Zwiegespräch zwischen zwei Berliner Eheleuten der unteren Volksschicht, welches den Text zu der.nebenstehenden Zeichnung von Theodor Hosemann bildet, versetzt im Verein mit der humoristischen Skizze mitten hinein in das „tolle Jahr" 1848. Die Gefangenen, welche das Mlitär am 18. März in dcni erbitterten Kampfe mit den Auf¬ ständischen gemacht, wurden zunächst im Keller des königlichen Schlosses untergebracht. Es waren 500—600 Barrikadenkämpfer, welche auf der Straße, auf den Böden und in den Keller» von den wütenden Sol¬ daten verhaftet und mit Kolbenstoßen zum Schloß getrieben wurden. Hier mußten sie, eng zusammengepfercht, bis zum Morgen des 19. März, einem Sonntag, ausharren und wurden dann in aller Frühe, zwischen 4 und 5 Uhr, hon pommerschen Grenadieren und Ulanen nach Spandau eskortiert. Der Zug ging voni Schloß die Linden hinunter in eng aufgeschlossener Sektions-Kolonne zu Bieren, und die Gefangenen batten unter der Erbitterung und der Wut der sie begleitenden Soldaten, denen von den Aufständischen am Tage zuvor arg zugesetzt worden, schwer zu leiden. Die Entlassung erfolgte nach zwölfftündiger, qual¬ voller Haft. Die Angehörigen der Barrikadenkämpfer wußten vielfach nicht, ob diese in dem Straßenkampfe gefallen oder nach Spandau eskortiert waren. In der Verwirrung jener Tage war auch von den Behörden keine Auskunft zu erlangen, und so lebte manche Berliner Fantilic, in welcher der Vater oder der Sohn in den Strudel der Er¬ eignisse hineinqerissen war, in banger Sorge. Ruders die Frau aus unserem Bilde! Sie hat sich gar schnell getröstet über den Verlust ihres Mannes, den sic unter den Gefallenen glaubt, und den sie zur ewigen

verständnis

46G

Ruhe int Friedrichshain gebettet wähnt, während er nur kurze Zeit in den Kasematten non Spandau geschmachtet hat, und nun bei der Heim¬ kehr den Liebhaber vorfindet, der sich beim Erscheinen des Freibeitskämpfcrs unter den Tisch verkriecht. Der Knüttel, welchen der Barri¬ kadenmann unterm Arnre trägt, läßt für die nächsten Augenblicke das Schlimmste besitrchten, zumal der überraschte Liebhaber ein Angehöriger der bewaffneten Macht ist, wie der Säbel und die Uniform-Mütze auf dem Bette beweisen. Der Hintergangene Ehemann wird die Kolbenstoße, die er während des Transportes nach Spandau erhallen, dem ertappten Liebhaber mit Zinsen heimzahlen und seiner teuren Ehehälfte mit füblbarer Deutlichkeit klar machen, daß ihre Schwärmerei für das verhaßte Militär so weit nicht gehen dürfe! Tann aber wird der so arg ent¬ täuschte Freiheitskämpfer mit Gier über Kaffee und Kuchen herfallen und sich nach 48stündigem Fasten mit Heißhunger über die Reste her¬ machen, die ihm sein Nebenbuhler gelasien hat, Theodor Hosemann, dem wir diese humoristische Skizze aus wild bewegter Zeit verdanken, hat eine sehr große Anzahl von Blättern geschaffen, welche das Berliner Leben der Vergangenheit mit Humor und Witz schildern, und welche gleichsam eine Bilderchronik der Berliner Geschichte von den dreißiger Jahren bis in die Mitte dieses Jahrhunderts bilden. Der Künstler ist ein Sohn der Mark; in Brandenburg wurde er am 24, September 1807 geboren, verlebte aber seine Knabenzeit in Düsseldorf, Schon 1820 trat er in das dortige lithographische Institut von Arnz & Winckelmann und kolorierte Bilderbogen für dasselbe. Als

Ein Totgeglaubter aus dem Friedrichslzain. Episode aus dem Jahre 1848. (Nach einer Zeichnung von

Theodor Hosemann

(1807—1875).

Jüngling fand Hosemann Zeit, neben seiner Thätigkeit als Zeichner die von der preußischen Regierung neu eingerichtete Akademie zu besuchen, auf welcher ihm Lambert Cornelius, ein älterer Bruder von Peter von Cornelius, Unterricht im Zeichnen erteilte. Im Jahre 1828 ging der eine Prinzipal Hosemanns, Winckelmann. nach Berlin, um hier das noch heute blühende lithographische Institut von Winckel¬ mann & S ohne zu begründen; er zog den begabten Theodor Hosemann mit nach der preußischen Hauptstadt, die sich damals von den letzten Nachwelten der Napoleonischen Kriege erholt hatte, und in der in Kunst und Litteratur ein reges Leben herrschte. In der aufstrebenden Gro߬ stadt — Berlin zählte 1830 fast 248 000 Einwohner — fand der junge Künstler das geeignete Arbeitsfeld für seinen fleißigen und gewandten Zeichenstist; er hielt das Berliner Leben jener Tage in zahlreichen Blättern fest, die von Humor und künstlerischem Empfinden Zeugnis ablegen und für die Kulturgeschichte jener Epoche geradezu eine Fund¬ grube bilden. Neben seiner Thätigkeit als Zeichner und Illustrator — die Zeichnungen zu den bekannten Glaßbrennerschen Heften „Berlin, wie es ist und — trinkt" sind it. a. von Hosemann — wirkte der Künstler auch mit dem Pinsel auf der Leinwand, Es befinden sich eine größere Anzahl Hoscmannscher Oelgemülde im Privatbcsitz, zumeist Genrebilder, in denen sich der liebenswürdige Humor des Künstlers wiedcrspiegelt, Tic Nationalgalcrie besitzt von Theodor Hosemann, der 1867 auf Fürsprache des Prinzen Georg zum Professor ernannt und 1860 Mitglied der Akademie der Künste wurde, ein Oelgemälde aus dem Jahre 1865: „Sandfuhrmann in der Mark". Theodor Hosemann starb am 15, Oktober 1875 und wurde aus dem Sophien-Kirchhose zur ewigen Ruhe bestattet. Zu seinem 90. Geburtstage (1897) hat Dr. Franz Weinitz in den Schriften des Berliner Geschichtsvereins eine auf ein¬

gehenden Studien beruhende Monographie über diesen specifisch Berlinischen Künstler veröffentlicht, welche dem biographischen Teil dieser R. G. Skizze als Unterlage gedient hat.

Vrreins-Nachrichten. Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte. Die Berliner Gesellschaft für Anthropologie unternahm am Sonntag, den 25. Juni, einen Ausflug nach Wilmersdorf hei Fürstenwalde, um auf dem beim Dorfe befindlichen altgermnnischen Gräbcrfelde Ausgrabungen vorzunehmen. Ungefähr 30 Teilnehmer, unter ihnen verschiedene bekannte Anthropologen und Ethnologen, wie Prof, von den Steinen, Prof, Oppert, Dr, Ehrenreich und Dr, Häßler, hatten sich auf dem Bahnhöfe zu Fürstcuwaldc ein¬ gefunden, von wo der Ausflug unter Führung des Konservators Krause und des Werkmeisters Busse angetreten wurde. Die Wagenfahrt ging über Ketschendorf und Petcrsdorf an Braun¬ kohlen- und Mergelgruben vorüber durch waldiges Hügelland zunächst nach Forstbaus Pechhütte und dann am Ostufer des Scharmützelsecs nach Schloß Picskow, Pechhütte ist ein kleines unscheinbares Forst¬ haus, welches, am Nordzipfcl des genannten Sees gelegen, einen prächtigen Ausblick über diesen gewährt. Man erblickt die weite Wasser¬ fläche eines der größten märkischen Seen in lieblicher Umrahmung von bewaldeten Höhcnzügen, im Vordergründe auf einer Landzunge das kleine in Grün eingehüllte Dorf Saarow und dahinter einzelne Schornsteine der bei Silberberg belegenen Ziegeleien, Im Walde zwischen Pechhütte und Picskow liegt ein gewaltiger Findlingsblock tief in der Erde vergraben, auf dessen Oberfläche einige nicht mehr lesbare Verse verzeichnet stehen. Noch prächtiger ist der Ueberblick über den See von der Terrasse des Gutshauses in Pieskow aus, von welcher man nach dem durch seine Thongruben und geologischen Formationen berühmten Wcstufer des Sees hinüberblickt, Pieskow selbst hat eine schöne Lage am Ufer, namentlich der Gutshof; das dahinter land¬ einwärts liegende Dörfchen ist ziemlich unscheinbar, aber rings von Wald umgeben, der sich östlich bis dicht an Wilmersdorf heran hinzieht. In diesem Walde liegen, ungefähr 2 km von Wilmersdorf entfernt, eine Anzahl Hügelgräber mit mächtiger, unregelmäßiger Stcinpackung, Herr Busse, der diese Gräber, sowie das große Gräberfeld vor etwa 8Jahren entdeckte, hat verschiedene Hügel abtragen lassen und selbst durchsucht. Unter zahllosen rundlichen Feldsteinen fanden sich größere und kleinere Gefäße mit Strichvcrzierung, auch einige Buckelurnen, welche nur Leichcnbrand ohne irgendwelche Beigaben enthielten. Die Grabstätten sollen dem 9, Jahrh, v, Chr, Geb, angehören. Nach Besichtigung dieser Hügel und der massenhaft umherliegenden Steine begaben sich die Teil¬ nehmer der Exkursion nach dem dicht beim Dorfe in flacher Ebetie liegenden Gräberfeld, wo bereits Vorbereitungen für die Ausgrabungen ge¬ troffen waren. Die ungefähr vier Morgen große Begräbnisstätte liegt hart an der von Wilmersdorf nach Süden führenden Chaussee und wird auf der anderen Seite von einem kleinen Höhenzuge begrenzt, von dem sic früher durch einen Breiten Sumpf getrennt wurde. Die Gräber liegen dicht nebeneinander, die Gefäße etwa 1 in unter der Oberfläche in regelmäßigen Stcinpackungcn, und zwar meist ein größeres Gefäß nebst zwei oder drei Beigefäßen in einem Giabe, Herr Busse hat'seit der Entdeckung des Gräberfeldes nahe an 400 Gräber geöffnet und mehr als 1000 Gefäße zu Tage gefördert, von denen sich ein Teil im Mär¬ kischen Museum, ein Teil im Königlichen Museum und ein dritter Teil im Privatbcsitz des Herrn Busse befindet. Die Urnen weisen sehr ver¬ schiedene Formen auf, sind teils rötlich-braun, teils bläulich-grau gefärbt und enthalten gewöhnlich nur Knochentcile und Asche, An Beigaben sind bisher einige Steinbeile von verschiedener Form, etwa dreißig Bronzenadeln von ungleicher Länge und mannigsacher Ver¬ zierung am oberen Ende, eine gleiche Anzahl Bronzeringe, einige Bronzepfeilspitzen und ein Bronzekelt gesunden, entweder in der Asche oder oben auf der verdeckenden Schale des Gefäßes. Bei der Ausgrabung am Sonntag wurden sechs ncbencinandcrlicgende Gräber geöffnet und ungefähr acht große unb zehn kleine Urnen unversehrt und einige in Scherben zu Tage gefördert. Die Gefäße zeigten meist Ornamente von kurzen Strichen, die in Dreiecksform aneinander gestellt waren, andere Verzierungen von Fingernägeleindrücken und blattrippenartige Ver¬ tiefungen. Die Form war sehr verschieden, die gewöhnliche Gestalt war niedrig und weitbauchig mit geradem Rand, daneben fanden sich vasen- und topfförmige Gefäße und einige gehenkelte Schälchen. Die großen Urnen waren mit flachen, breitrandigen Deckeln geschlossen und enthielten den Leichenbrand, die kleinen Gefäße waren teilweise an die größeren angeklebt und enthielten nur Sand. An Beigaben wurden zwei Bronzeringc, das Stück einer Bronzcnadel, ein Stück Bronzcschlacke und drei rundliche, abgeplattete Steine, sogen, Käsesteine gefunden. Die Funde werden dem Museum für Völkerkunde einverleibt werden. Nach Beendigung der Ausgrabung begab man sich nach dem Nachbardorfe Lomitzsch, wo ein altes Blockhaus besichtigt wurde. Dieses Ucberbleibsel aus früherer Zeit dürfte 400 Jahre alt sein und immerhin zu den Seltenheiten in der Mark gehören. Die vordere und hintere Giebelwand ist aus rohbchauenen Blöcken aufgeführt, die Seiten¬ wände aus Fachwort, in der Mitte des Hauses steigt ein mächtiger Schlot empor, die Stuben sind klein und niedrig. In Lomitzsch wurde auch eine alte Mühle bezw, ein Mörser, aus einem Baumstamm ge¬ fertigt, entdeckt und für das Volkstrachtenmuseum erworben. Der etwa mannshohe Baumstamm ist ausgehöhlt und in diese Höhlung paßt ein Stößel mit langem Stiel, der an der Decke des Bodens oder Stalles befestigt ist. Die Mühle wurde zum Zerquetschen von Hirse und Reis benutzt. In Pfaffendorf vereinte ein gutes Mabl die Teilnehmer des Aus¬ flugs; dann erfolgte die Rückfahrt nach Fürstcnwaldc, G, A.

467 sie

Quittung fehlte!

Die nlte Simeonskirche, die sich lsintcr dem neuen Gotteshaus«: der Gemeinde auf dem Grundstücke Wasserthorstratze 21a erhebt, gelangt jetzt zum Abbruch. An Stelle derselben wird ein Prcdigersiaus erbaut. Das Bismarck-Denkmal vor dem Reichstagsgebäude (Königsvlatzs soll am 1. April 1901 enthüllt werden. Die Grabstätte Christian Bernhard Rodes auf dem alten Nikolai- und Maricnkirchhos ist in würdiger Weise wiederhergestellt worden. Das Sandsteindenkmal, ein hohes, viereckiges Postament mit einer bekränzten Graburue, an der sich ein Marmor-Reliesbildnis des Künstlers befindet, ist gereinigt und renoviert worden. Die Inschrift an der Vorderseite des Postamentes lautet: „Zu Ehren Bernhard Rodes, Direktors der königlichen Akademie der Künste, geboren zu Berlin 25. Juli 1725, gestorben 24. Juni 1797. Hergestellt von der königlichen Akademie der Künste." Rode nahm in deni Kunstleben des Fricdericianischen Berlins eine bedeutende Stellung ein. Er war Geschichtsmaler und Kupferstecher. Seine Bilder behandeln mit besonderer Vorliebe Episoden aus der brandenburgischen Geschichte und Anekdoten aus dem Leben Friedrichs des Grosic». Religiöse Gemälde von ihm besitzen unter anderen die Marien- und Garnisonkirche. Von seinen Radierungen erfreuten sich seiner Zeit seine Blätter zu seines Freundes Gcßncr „Idyllen" und zu Gellcrts „Fabeln" großer Beliebtheit und An¬ erkennung.

Märkische Chronik. Am 9. Juli starb in Potsdam nach kurzem Kranken¬ Oberpräsident der Provinz Brandenburg Heinrich von Achenbach. Der Verstorbene, der sich große Verdienste um den preußischen Staat und namentlich um die Stammprovinz desselben erworben hat, war am 23. November 1829 zu Saarbrücken geboren.

Potsdam.

lager

wußte, aber nicht nachweisen konnte, schon bezahlt war: die In dieser Verlegenheit wandte sich die Gräfin an Swedenborg. Am folgenden Tage besuchte er sie und erzählte, daß er den Grafen gesprochen und dieser ihr selbst den Ort angeben würde, der nächsten Nacht erschien an dem sie die Quittung zu suchen habe. ihr der Verstorbene, und sie fand die vermißte Quittung wirklich an der Dieser Vorfall machte Aufsehen in von ihm angegebenen Stelle. Stockholm und kam auch der Königin Ulrike zu Ohren. Sie trug den Grafen von Höpken auf, Swedenborg zu einem Besuche bei ihr einzuladen. Ter Graf fand Swedenborg schon unterwegs, wie er eben im Begriff war, nach dem königlichen Schlage zu gehen. Die Königin fragte ihn unter anderem, ob er den Inhalt eines Brieses kenne, den sic an ihren Bruder, den König Friedrich II., geschrieben habe. Swedenborg versprach, ihr nach zwei Tagen alles zu sagen, was dieser Brief enthielt, und that dies in einer geheimen Audienz. Als Ulrike nach dem Tode ihres Gemahls im Jahre 1772 nach Berlin kam ünd einige Mitglieder der Akademie zur Tafel zog, fragten sic diese gelegentlich, ob letztere Geschichte auf Wahrbcit beruhe. Tie Königin antwortete ausweichend: „Das der Gräfin Marteville Zugestoßene ist wahr!" und schwieg dann. Am 21. Juli vor 60 Jahren wurde in Swinemünde der Dichter Ernst Scherenberg geboren. Er ist der Sohn eines Kaufmanns und Schiffsrhcders. Im Jahre 1852 kain er ans das Stettiner Gym¬ nasium, 1854 auf die dortige Gewerbeschule, 1856 in eine Berliner Maschinenfabrik. Dieser Berus mißfiel bald den poetisch beanlagten Jüngling, der sich nach einem kurzen Besuche der Berliner Akademie der Künste völlig der litterarischen Laufbahn widmete. Seine ersten Gedichte erschienen im Jahre 1860 bei Heinrich Schindler in Berlin, dann, 1861, die lyrisch-epische Dichtung „Verbannt". Im folgenden Jahre trat er als Mitarbeiter in Verbindung mit der Frauenzeitung „Victoria", 1864 mit dem Braunschweigcr Buckhändler Westermann, Von 1865—1870 leitete dessen „Monatshefte" er zum Teil redigierte. er das „Braunsckweigcr Tageblatt", von 1870—1883 die „Elberselder Zeitung". Vorübergehend gab er das Düsseldorfer „Deutsche Künstleralbum" heraus. Eine Sammlung seiner Gedichte erschien 1875 bei Ernst Keil in Leipzig. Großes Aufsehen erregte auch die von ihm herausgegebene Anthologie „Gegen Rom, Zeitstimmen deutscher Dichter." Im Jahre 1882 erschienen von ibm „Neue Gedichte", 1885 die dramatische

wie

Berliner Chronik.

der

In

Dichtung „Germania".

Ain 26. Juli vor 140 Jahren verlor der preußische General von Wcdcll das Treffen von Kay. Friedrich der Große hatte ihm solgende Ordre mitgegeben: „Bei dem Heere stellt Er nunmehr meine Person vor, was Er befiehlt, geschieht in meinem Namen, als wäre ich selbst gegenwärtig. Ich habe Ihn bei Leuthen kennen gelernt und setzte in Ihn das unbegrenzte Vertrauen, Er werde ebenso, wie mancher von den Römern ernannte Diktator, auch meine Angelegenheiten an der Oder verbessern. Ich befehle Ihm daher die Russen anzugreifen, wo Er sic findet, sie tüchtig zu schlagen und dadurch ihre Vereinigung mit den Österreichern zu verhindern." Wcdell fand die Russen beim Dorse Kay in der Gegend von Züllichau und griff sic trotz ihrer Uedermacht und günstigen Stellung an. Es fehlte ihm auch an Kanonen, deren Ter Generalleutnant die Feinde eine stattliche Anzahl hatten. von Schorlemmer, der mit seiner Kavallerie die des rechte» russischen Flügels geworfen halte und nun durch die sogenannte „Zeuchc" gehen und den rechte» Flügel beunruhigen sollte, getraute sich nicht, die niorastigen Gründe zu passieren, obwohl sie die Sonne ausgetrocknet hatte. Wedell büßte beinahe den dritten Teil seines Heeres ein und wurde geschlagen. Gleich bei Beginn des Treffens fiel der Generalmajor und Chef des reitenden Jägerkorps pon Wobcrsnow, einer der anteilvollsten Offiziere Friedrichs des Großen. Er war 1752 Oberstleutnant D. und General-Adjutant und 1756 Oberst geworden. Neue Funde tu der Mark. Bei

einem Ausflug des Sorauer (Kr. Sorau! wurden mehrere prähistorische Grabstätten aufgedeckt. Außer verschiedenen kleinen Beigaben, wie Kännchen, Krüge, Näpfchen, wurden, der „Franks. Odcr-Ztg." zufolge, mehrere große Urnen mit Leichenbrand zu Tage gefördert, im ganzen wurden 26 Gefäße gestoben. Sämtliche Gräber waren Flachgräber ohne Sichtpackungen, die Gefäße mit Strichen, Stäbchenoerziernugen des Niederlausitzer Typus, vcrsestcn. Eine der großen Urnen zeigte ein Loch am Boden und war am Bodenrande nach oben hin mit Malerei versehen. Bon Bronzesachcn wurden ein mit schöner Patinn versehener Armring, zwei kleine Finger¬ ringe und zwei Nadeln gefunden. Die Fundstücke werden der prä¬ historischen Abteilung des Museums in Sorau einverleibt werden. Der in der Nähe der Grabstätten im Walde liegende Rund wall ist sehr gut erhallen. Derselben Quelle zufolge wurden ans dem Glasvwer Bahnhöfe bei Soldin bei Ausschachtungsarbeiten auf einem Acker Urnenscherben und Knochenreste und bei Trainierungsarbeitcn auf dem Rittergute Lossoiv sKr. Lebusj zahlreiche Gefäße gefunden. Bei letzterem Funde waren Urnen von 10—50 cm Höhe mit reicher Ver¬ zierung. Ein größerer Münz fund wurde beim Abbruch eines alten Hauses iti der Moritzstraße zu Spandau gemacht; stier stießen Arbeiter in den Fundamenten auf einen Schatz von 62 silbernen Thalerstücken, welche sämtlich aus der Zeit des 30jährigeu Krieges herrühren. — In Eula ni (Sfr. Landsberg) wurde, unter der Rinde eines gefällten Baumes versteckt, ein goldenes Füufthalerstück gefunden, welches die Jahreszahl 1744 und die Wcrkbezeichnuug V Thaler trägt. — Beim Abbruch des Postgebäudcs in Guben wurde bei den Erdarbciten zur Fundamentierung ein sehr wertvoller Fund gemacht. Man entdeckte stier 3 m tief unter der Oberfläche im Brandschutt auf nebeneinander liegenden, behauenen Eichcnstämmen, inmitten von Gefäßscherben und Wirtschaftsabsälle», eine bronzene Schale mit eingravierten Dar¬ stellungen. Die Schale ist von Pros. Jentsch in Guben untersucht, und als Prunkstück aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts festgestellt worden. Für die erste Besiedlung der Stadt Guben ist dieser Fund von

Geschichtsvereins nach

Heinrich von Achenbach

f.

Dem Staatsdienst gehörte er seit 1851 an: 1870 wurde er in das Reichskanzleramt, 1772 als Unterstaatssekretär in das Kultusministerium, 1876 in das Handelsministerium berufen. Das Portefeuille des letzteren übernahm er am 13. Mai 1873. Am 30. März 1878 nahm er infolge von Meinungsverschiedenheiten mit dem Fürsten Bismarck in der Leitung des Eisenbahnwesens seinen Abschied, wurde jedoch bald darauf zum Oberprüsidenten der Provinz Westprenßen ernannt. Am 15. Februar 1879 trat er als Oberpräsident an die Spitze der Provinz Brandenburg. In dieser Stelle hat er bis zum letzten Atemzuge unermüdlich gewirkt. Kaiser Friedlich erkannte seine großen Verdienste um die Verwaltung an, indem er ihm den Adclstitel verlieh. Im Jahre 1882 hatte der Verstorbene den Vorzug, den Prinzen Wilhelm, unseren jetzigen Kaiser, in die Verwaltungsgeschäfte einzuführen. Templin. Hier will man einen Bismarck-Turm errichten, welcher aus Geldspenden der ganzen Mark erbaut werden soll. Storkow. Am Dolgeuj'ee will der Berliner Buchdruckcrcibesitzer Büxenstein eine neue Villeukolonic erstehen lassen.

Kleine Mitteilungen. Am 17. Juli vor ISS Jahren fand die Vermählung der Prinzessin Ulrike von Preußen mit dem Erbprinzen, nachmalige» Könige Adolf Friedrich von Schweden statt. Im Jahre 1751 wurde sie Königin, 1771 Witwe. Sic starb am 16. Juli 1782 noch vor ihrem Bruder, Friedrich dem Großen, der schmerzerfüllt ausrief: „Müssen denn wir, die Aeltercn, aiu Grabe der Jüngeren weinen!" Merkwürdig ist ihr Zusamiueutreffcn mit dem bekannten Swedenborg. In Stockholm war ein Graf von Marteville gestorben. Nach seinem Tode verlangte man von der Witwe die Bezahlung einer beträchtlichen Summe, die.

Friedersdorf

468

großer Wichtigkeit, desgleichen für die Kenntnis der Kunstfertigkeit, der Kostümkunde und der häuslichen Einrichtung der betreffenden Zeit, — Im Knopfe der abgebrochenen Kirchturmspitze zu Triebe! (Kr, Sorau) fanden sich 27 Kupfer- und Silbermünzen aus den Jahren 1779 bis 1781 und drei Dokumente, welche nach der „Oder-Ztg." genaue Nachrichten über den 1781 erfolgten Bau des Turmes und die dazu veranstalteten Kollekten enthalten. Nach Fertigstellung des Neubaus sollen die Gegenstände nebst neuen Urkunden dem Knopf wieder ein¬ verleibt werden.

Die Komlhurmühle an der Plane

zwischen

Dahnsdorf und

Niemegk ist Mitte Juni vollständig niedergebrannt. Sie war, wie der „Voss, Ztg," geschrieben wird, Eigentum der Deutschen Ordensritter in Dahnsdorf, welche hier eine zur Ballet Sachsen gehörige Kommende besaßen. Diese mar ihnen 1229 vom Herzog Albert von Sachsen für ihre Verdienste um die christliche Kirche verliehen und mit der Befugnis zur Erwerbung von Besitzungen innerhalb des Belziger Landes aus¬ gestattet worden. Zu den Gütern dieser Komthurei gehörte auch eine Wassermühle an der Plane, welche vorher Graf Bederich von Bclzig vom Herzog von Sachsen zu Lehn gehabt und die nachher der Ritter Kegclstaff besessen hatte. Da sie in den Urkunden von 1248 schon eine alte Mühle genannt wird, so war sie nebst der Schloßmühle in Bclzig die älteste im Belziger Lande, und man vermutet, daß beide aus der Wendenzeit stammen, da bereits in einer Urkunde von 997 Mühlen

erwähnt werden,

Or, Gust, Albrecht,

zu Freyburg an der Nnstruk (preußische Provinz Sachsen) ist sehenswert durch seine vielen und verschiedenartigen Erinnerungen an den „Alten im Bart", den Vater der deutschen Turn¬ kunst, Es fehlt nicht an Porträts von Friedrich Ludwig Jahn in allen Lebensaltern, in Form von Medaillons, als Brustbilder und in ganzer Figur, gemalt, als Photographie, als Gipsrelief, aus Metall, aus Thon, als Gipsbüste, als Kupferstich, als Oeldruck, Abbildungen seiner Freunde (Arndt, Friesen, UHIand, Guts Muths, Eiselcn, Passow, Lübeck-Berlin, Maßmann), Karrikaturcn auf ihn („Turnerumtriebe" 1816? „Eselsbild", „Demokratcnvertilger", „Einstimmig zum Vizepräsidenten gewählt", „An¬ trag auf Tagesordnung", „Einst und jetzt", „Befestigung der Ostgrenze durch verschanzte Lager von Breslau bis Bromberg", „Nero der Zweite", „Hunde-Komüdie", „Aus der Reichs-Kuriositätensammlung", „Unterweltliches", „Jahn als Zappelmann"), geschriebene und gedruckte Bei¬ träge zur Geschichte seines Lebens (Jahnbriefe aus der Kerkerzeit 1819 und 1820, Verteidigungsschrift des Advokaten Schulze für Jahn, Materialien zu einer Selbstverteidigung Jahns, aus Jahns Polizei¬ akten 1819—1821, aus den Akten der Königlichen Jmmcdiat-Untcrsuchungs-Kommission, das Original der Selbstverteidigung Jahns, ein Aussatz Jahns an die Lützowcr, sein Trauschein, viele Originalbriefe von ihm, ein eigenhändig geschriebenes Gedicht Jahns an die Turner in Gotha vom 28. Juni 1849, ein Aufruf Jahns für Schleswig-Holstein an die Sänger vom 22. Juli 1850, Photographien von Stammbuchblättern seiner Hand, Briefe und Schriftstücke Jahns in betreff des GustavAdolf-Bereins u. a. m., zehn Schachteln mit Medaillen, Siegelabdrücken und von Jahn im Gefängnis aus Brot gefertigten Buchstaben, Jahns Kriegsdenkmünze, (schwarz-rot-goldene Bänder Jahns, ein Petschaft, Jahns Leben von Prohle, Euler, Schultheiß, Schramm, Neugeboren, A. Müller, Kloß, Kaiser, Goldammer, Rothenburg, Straube, Waßmanns¬ dorfs, König,', Bunge, Friedrich, Hartstcin, Jahns Staatsexamen, Hildebrandt, Jahn in Freyburg, Mcnk, von Köppcn, Arndt und Jahn, Herzog, Thurner, Zober, Angcrstein): die Schriften Jahns (Handschrift der Schwanenrede, Bemerkungen Jahns zum Strafgesetzentwurf 1848, über den Turnergruß „Gut Heil", Werke Jahns, herausgegeben von Euler, Jahn und Eiselen, Deutsche Turnkunst, Jahn, Deutsches Volkstum, Merke zum Deutschen Volkstum, Runenblätter, Reue Runcnblätter, Selbst¬ verteidigung Jahns, herausgegeben von Ernst Keil-Leipzig, Denknisse eines Deutschen, von Schöppach, Schleusingen 1835 u. s. w.). Von den

Das Iahn-Musrum

Jahndenkmälern sind vorhanden: Abbildungen von Jahns erstem und

zweitem Grabdenkmal in Freybnrg, von dem in Bochum, dem in Lanz, Jahns Geburtsorte, dem Jahnstein auf der Jahnshöhe bei Ncubrandcnburg, und mehrere Abbildungen des Denkmals auf der Berliner Hasenheide. Auch findet sich eine lederne Turnmarke, die zum Be¬ treten des Turnplatzes auf der Hasenheide berechtigte, nebst schriftlichen Urkunden vor, außerdem ein Brief von Engelbach-Berlin zu Jahns und Frieseus Bild, der Theaterzettel des Belle-Alliance-Theaters in Berlin zu „Vater Jahn oder der Alte im Barte", Bücher aus Lübecks Besitz, geschenkt von O. Göritz-Berlin, das Festprogramm zum allgemeinen 2. deutschen Turn- und Jubelfest in Berlin 1861, Geschichte des Vereins Berliner Turnerschaft (1888), Eiselen, Das deutsche Hicbsechten der Berliner Turnschule (1818), Erinnerungen an das Brandenburger Thor aus „Illustrierte Berliner Reisczeitung", Voigt, Skizzen aus dem Leben Hoffbauers, Abschriften nach Originalen der Göritz-Lübeck-Stiftung in Berlin, Jahn und die Hasenheidc, Blätter aus dem Rcisetagebuche des Kandidaten Ludwig Ferdinand Hcyd, Gedichtvon Lindenberg-Leonberg,zur Erinnerung an das Jahndenkmal in der Hasenheide (Berlin 1896), und endlich, um den Artikel nicht zu weit auszudehnen (nicht aus Mangel an Stoff) ein zu Weihnachten 1812 von Berliner Turnern Jahn geschenktes Schwingpferd, das später in der Königlichen Turnlehrer-Bildungsanstalt Berlin aufbewahrt, und, laut Erlaß des Mnisters der geistlichen An¬ gelegenheiten vom 17. Dezember 1897, dem Freyburger Jahn-Museum zur Aufbewahrung überwiesen wurde. Man sieht, ein Besuch dieses Museums in Freyburg an der Unstrut ist lohnend. Freyburg ist von Naumburg (Linie Berlin-Corbetha-Eisenach-Frankfurt) auf der UnstrutBahn leicht zu erreichen. Hans Georg von dem Borne. Nr. 20 des „Bär" werden Mitteilungen aus den „politischen und geistlichen Berat¬ schlagungen über den gegenwärtigen, betrübten Zustand der Mark Brandenburg von einem sonst unbekannten Herrn v. dem Borne" dargeboten. Hans Georg v. vem Borne, der berühmte Kurbranden¬ burgische Kanzler, ist der Bcrfaffcr der „Oonsuitatio politico

In

Deramwortltcher Redakteur: Dr. M.

Folticineano,

theologica über

den gegenwärtigen betrübten und kümmerlichen Zustand der Chur und Mark Brandenburg, vermittelst Ergründung der wahren Hauptursachen des passierten und gegenwärtigen Jammers, Elendes und Verwüstung, wie anch Eröffnung derjenigen Mittel, da¬ durch wahrem Verderben und dem totalen Ruin entgegen gegangen und vorgebauet, und der zerrüttete Status hinwiederumb redressicrt werden könne aus einem rechten politischen Wohlmeinen gestellet. Frankfurt a. d. Oder 1640. 4"/»." — Oskar Schwebe!, in einem Aufsatz (Wochenblatt des Johanniter-Ordens, Valley Brandenburg 1886), über dem Dom zu Soldin bemerkt inbctrcff jener Abhandlung: „hätte Hans Georg v. dem Borne auch nichts weiter geschrieben als jene Oonsuitatio politico theologica, welche das sittliche und wirtschaftliche Verderben in der Mark mit dem hellen, die Tiefe der Dinge erfaßenden Blicke des echten Patrioten, mit heiliger Entrüstung und mit heißem Schmerze schildert, er würde den reinsten und edelsten Männern seines Landes Wir aber danken billig Gott dem doch beigezählt werden müssen. HErrn, daß Er die Jugend des großen Kurfürsten von solchen Männern geleitet sein ließ, wie Hans Georg v. dem Borne war." — Der Verfasser bekennt in dieser Schrift, daß er, nachdem er 14 Jahre dem Vater der Kur¬ fürstlichen Durchlaucht im Dienst aufgewartet, und so viele Verwüstungen gesehen habe, aus Liebe zum Vaterlande so perplex geworden, daß er bei der großen Unbußfertigkeit zu dem Schlüße kommt: „wir müssen zu Grunde gehen." Darum hat er über den großen Jammer und über das furchtbare Elend nachgesonnen, und seine Gedanken in einem Traktätlein niedergesetzt. Das Büchlein, welches sich in einem Exemplar in der Königlichen Bibliothek zu Berlin befindet, ist für die sittlichen und religiösen Zustände im dreißigjährigen Kriege von der höchsten Bedeutung, so daß der verstorbene Kammerherr Max.v. dem Boxpe beabsichtigte, es neu herausgeben zu lassen. Hans Georg, aus der bekannten Neumärkischen Familie, deren Wiege vielleicht am Nordabhange des Harzes gestanden hat, wurde als Sohn des Wolf v. dem Borne auf Dolgen, Born und Prittcn und der Anna v. Zotzenow, aus d. H. Schlage, am Mittwoch vor Lätare 1589 geboren, und trat im März 1609 nach einem dreijährigen Besuch der Universität Frankfurt, der Sitte der damaligen Zeit entsprechend, mit mehreren jungen Edelleuten eine große Kavalierreise an. Er besuchte Elsaß und Lothringen, Paris und Orleans, Normandie und Pikardie, Calais, Dover, London, die Niederlande, Westfalen, Bremen, Magdeburg, Leipzig, Koburg, Bamberg, Nürnberg, Augsburg, Tyrol, Venedig, Rom, Neapel, Sizilien, und ging nach dem Besuch der vornehmsten Städte und Univcrsttäten Italiens, der Schweiz, Pfalz, Deutschlands und der Hansa nach den Niederlanden, wo er sich nach den Worten seiner Leichenpredigt beim Prinzen Moritz von Oranien engagierte und in der Architektur und Fortifikationskunst perfektionierte. 1613 übernahm er nach seines Vaters Tode die väterlichen Güter. Im April 1628 wurde er vom Kurfürsten Georg Wilhelm zum Regicrungsrat und -Assessor nach Küstrin berufen. In dieser Stellung wurde er mehrmals zum kaiserlichen Feld¬ marschall Torquato Conti gesandt, der zu Garz in Pommern sich auf¬ hielt. 1636 wurde er, ohne darum angehalten zu haben, durch den Geheimen Rat v. d. Knesebeck in Gegenwart des Grafen von Schwarzen¬ berg in die Stellung eines Kanzlers und Geh. Rates der Neumärkischen Regierung zu Küstrin eingeführt. Mit großem Ruhme stand er dieser 1642 sandte ihn der Große Kurfürst als Charge 21 Jahre vor. Gesandten nach Schweden, wo er zur großen Zufriedenheit seines Landcsherrn wegen Abschluß eines Waffenstillstandes verhandelte, und 1650 nach Stettin, um mit den Vertretern der Krone Schweden die pommerschen Grenztraktaten zu erledigen. In dieser Angelegenheit wurde ihm vom Kurfürsten das Direktorium übertragen. Trotz der Ueberbürdung mit zahlreichen amtlichen Funktionen und trotz der Für¬ sorge für seine durch den Krieg völlig zu Grunde gerichteten Güter widmete er sich den Wissenschaften, schrieb die oben erwähnte Konsultativ, übersetzte den Traktat vom heiligen Abendmahl ins Deutsche, und nach seinem Tode blieb noch ein Werk von ihm äs praxi mvckerna inilitiae unter der Presse. Da ihm der Kurfürst eine Dotation für seine erfolg¬ reichen Bemühungen um die pommerschen Grcuztraklaten bewilligte, so befand er sich in der Lage, 1648 und 1653 für 8000 -st 9000 Thaler von der Familie v. Kuhmese das noch heute im Besitze seines Geschlechts befindliche, in neuester Zeit durch die dort betriebene Fischzucht weit bekannt gewordene Berneuchen zu erwerben. Er starb zu Küstrin am 80. August 1656. Sein und seiner Ehefrau, Anna Maria v. Birckholz, (einzigen Tochter des Friedrich auf Schildesche und der Esther v. Horn), 7. Oktober 1653, Denkmal mit Angabe von allerlei Lebensdaten be¬ ch findet sich in der Kirche zu Berneuchcn. Obwohl seine Ehe mit 13 Kindern gesegnet war, erlosch seine Descendenz im Mannesstammc bereits in der zweiten Generation. Seine Güter kamen an eine Seiten¬

I)r. Gg. Schmidt-Sachsenburg.

linie des Geschlechts.*)

*) cf. Dr. Gg. Schmidt, yte Familie v. dem Borne,

2

Bände, 1888 und 188g.

Büchertisch. Roman von I. Haardt. Verlag von Max Kiclmann, Stuttgart. 1899. Der Kampf des Christentums mit dem zusammenbrechenden Heiden¬ tum bietet dem Kulturforscher wie dem gestaltenden Dichter eine Fülle hervortretender, interessanter Charaktere. In den Rahmen des neronischen Zeitalters, einer überaus gährcnden Periode, ist die bewegte Handlung des vorliegenden Romanes hineinverlegt. Im Mittelpunkt steht die geniale Doppelnatur eines Nero und die edle Heldin aus römischem Senatorengeschlccht, die dem Zauber des im Guten wie Schlimmen leidenschaftlichen Imperators erliegt und die seelische Wandlung in ihm vollzieht, daß er der wahnwitzige Tyrann wird, dessen Namen schon einen typischen Klang in der Geschichte annahm.

Ave, Imperator!

Berlin. — Druck und Bering:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Reuenburger Straße

,1a

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Sonnabend» 29.

Jul! 1899.

Nr. 30.

Gplei- öes Ner>2eys. Berliner Roman von ©. (Elfter. (Fortsetzung.)

runhild ließ den Brief sinken und starrte mit thränenschweren Augen in die Ferne. Sie fühlte, daß sie ihr Glück ver¬ loren — unwiederbringlich! Ein bitteres, wehes Gefühl krampfte ihr Herz zusammen, und es war ihr, als solle

sie

nieder-

„Jch habe Euch keine Schande bereitet, Mutter," entgegnete mit bebender Stimme. „Aber darin hast Du recht, meines Bleibens ist hier im Hause nicht mehr. — Die GesellsHast würde mit Fingern auf mich weisen, und ihr Mitleid, ihr Spott wäre sie

Schloff Grunrioald. knieen vor dem Vater, der sie so ernst und schmerzlich anblickte, ihre Arme um seine Knie schlingen und ihn anflehen, sie in seinen Schutz zu nehmen, sie

vor dem Leben, vor dem namenlosen Elend

dieses Lebens zu schützen.

Die heftigen Worte der Mutter ließ sic über sich hinwegbrausen, wie die schwanke Tanne den Sturmwind. Trotziger, stolzer nur richtete sie sich empor, als die Justizrätin in aufloderndem Jähzorn rief: „Fortweisen müßten wir Dich aus dem Hause, Du un¬ geratenes Mädchen, das nur Schande über seiner Eltern Haupt bringt.

.

.

."

sie einen Schritt zurück und streckte die Hand mit einer Geberde aus, daß die Justizrätin betroffen schwieg.

Da trat

für

mich unerträglich. Ich bitte Euch um die Erlaubnis, Euer Haus verlassen und meine eigenen Wege gehen zu dürfen." „Das ist denn doch zu toll!" ries jetzt aber der Justizrat. „Es sind schon mehr Verlobungen in der Welt aufgehoben worden,

ohne daß das Mädchen an seiner Ehre Schaden gelitten hätte. Wenn Herr von Osteroth in der Thal Dich nicht liebt oder Du ihn nicht liebst — nun, so ist es das Vernünftigste, was wir thun können, wenn wir die Verlobung aufheben. Ein Grund, Brunhild deshalb aus dem Hause zu weisen, oder ein Grund für Dich, mein Kind, das elterliche Haus zu verlassen, liegt nicht im geringsten vor. Und nun bitte ich mir aus, daß Ihr beide ruhig und vernünftig redet."

Er ging aufgeregt im Zimmer auf und ab. Seine Gattin es war selten, daß er ihr gegenüber so

blickte ihn erstaunt an;

470

auftrat. Aber sie wußte aus Erfahrung, daß in solcher Stimmung mit ihm nichts anzufangen war. Am besten war es, ihn zufrieden zu lassen, und die Unterredung auf gelegene Zeit

energisch

zu verschieben.

„Ich ehe

sehe, ich

ihr Gatte

sie

bin hier überflüssig," sagte

sie

zurückhalten konnte, rauschte

hochmütig, und zum Zimmer

sie

vor seiner Seele. Er fühlte sich schuldig, daß er seinem Kinde so wenig Berater und Beschützer gewesen. Er empfand ein wehes Mitleid mit seinem Kinde, das sich selbst nicht hatte schützen können vor den Lockungen des Lebens.

„Sieh mir ins Auge, Brunhild," fuhr

Du

seiest

Dir

keiner Schuld

hinaus. Der Justizrat schlug mit der Hand mächtig auf den Tisch. Die Zornesröte stieg ihm in die Stirn. Jedoch gewohnt, jede

Andeutungen?" „Ich bin schuldlos, Vater, und

heftige Regung zu unterdrücken, faßte er sich auch diesesmal ge¬ waltsam, trat an das Fenster und trommelte mit den Fingern gegen

„Nein, Vater . ." „Aber Du . . ." „Vater, frage nicht mehr.

die Scheibe.

Eine Weile herrschte tiefes Schweigen in dem Gemach. Nur das Surren einer einsamen Fliege und das leise, sonore Ticktack der kostbaren Pendule auf dem Kamin waren hörbar. Draußen flutete der Strom der Weltstadt rauschend und brausend vorüber. Wieviel Elend und Jammer trug er auf seinen Wogen dahin! Wieviel Elend, Unglück und Leid begrub er in seinen alles ver¬ schlingenden Wellen! Das Einzelschicksal erschien in diesem unauf¬ haltsamen, ununterbrochenen Lebensstrom gleichgiltig. Der Einzelne mochte untertauchen in die schwarzen Fluten, oder er mochte sich triumphierend wiegen auf dem Kamm der schimmernden Wellen — was machte es dem Strom? Unaufhaltsam wälzte er sich dahin, hier ein Schicksal in Trümmer schlagend, einen Unglücklichen in seiner Tiefe begrabend, dort ein Schicksal emporhebend, einen Glücklichen forttragend zu seinem erstrebten Ziel, das sich, wenn erreicht, doch als ein leeres Phantom erwies. Wer sich diesem Strome anvertraute, der mußte ein sicheres Auge besitzen, einen starken Arm und ein festes Wollen. Sonst lag er sehr bald zerschmettert an einer Klippe oder versank aus ewig i» die schwarze, schmutzige Tiefe des gurgelnden Wassers. Ans der Oberfläche dahin treiben, wohin der Strom sie führte, das thaten Viele! Dazu bedurfte es keiner Kraft, keines Willens — dazu bedurfte es nur einer gewissen Geschicklichkeit, nicht an die Klippen anzustoßen, die Untiefen zu vermeiden und beim nahenden Sturm sich in einen sicheren Hafen zu retten. — Brunhild trat neben ihren Vater und legte den Arm um seine Schultern. „Vater" — bat sie mit sanfter, weicher Stimme, und schmiegte das Haupt an seine Brust. Er wandte sich zu ihr und streichelte ihr dunkles, welliges Haar. „Mein armes Kind," sprach er zärtlich, „willst Du mir nicht erklären, wie dies alles gekommen?" „Ich kann es Dir nicht erklären, Vater," flüsterte Brunhildc, „aber glaube mir, daß ich nichts Unrechtes begangen habe." „Ich glaube Dir, mein Kind" — er preßte ihr Haupt an seine Brust. Schweigend standen sie eine Weile da. Dann hub er wieder an, sanft und zärtlich und leise: „Ich glaubte Dich glücklich, mein armes Kind. Ich hatte Osterath als Ehrenmann schätzen und lieben gelernt, er hat mir versichert, daß er Dich über alles in der Welt liebe, daß es das Ziel seines Lebens sein werde, Dich glücklich zu machen. Ich freute mich, daß der Himmel meine Arbeit gesegnet, daß ich Deine Zukunft sorgenlos gestalten konnte. Ich freute mich Deines Glückes und Deiner glücklichen Zukunft. Und nun mit einemmale dieser Brief . . .?" „Ach, Vater, von der äußerlich sorgenlosen Zukunft hängt das Glück nicht ab," entgegnete sie leise. „Ich glaube, Du würdest Dein Kind glücklicher gemacht haben, wenn Du weniger um ihr äußeres als um ihr inneres Glück besorgt gewesen wärest. .." „Brunhild — soll das ein Vorwurf sein?" „Rein, Vater. — Aber sieh, das Leben birgt so manche Ge¬ heimnisse, deren Schleier eine junge Menschenscele gern lüfte» möchte. In unserem Herzen lebt die Sehnsucht nach einem Glück — ein bunter Falter gaukelt an uns vorüber, wir wähnen, es sei das Glück, und wir folgen dem Falter, der uns doch nur in die Irre führt . . . wenn keine erfahrene Hand uns leitet . . ." setzte sie leise hinzu. „Und diese erfahrene Hand hat Dir gefehlt?!" Sie preßte sich fester in seine Arme. In seinem Herzen flammte ein jähes Erschrecken auf. Er dachte an die Warnung °dcs seiner Gattin — und das Bild jungen Künstlers stand plötzlich

„Du

er fort.

bewußt, und dennoch doch schuldig

.

„Du

sagst,

diese dunklen

."

.

Mann?"

liebst einen anderen .

zu sagen.

Was war, vermag ich Dir nicht Rur glaube an mich — glaube an die Reinheit Deiner

Tochter."

„Nun denn — und Du liebst Bernd?" . ." flüsterte sie. „Aber dann kann ja auch alles gut werden!" Sie schüttelte trübe lächelnd das Haupt. „Nein, Vater, Bernd wird mir nicht verzeihen — und ich — ich mag ihn nicht um Ver¬ zeihung bitten, da ich mich ihm gegenüber schuldlos fühle. Er achtet mich nicht mehr, Vater . . ."

„Ja, Vater

.

„Brunhild?!" „Er glaubt nicht mehr an

mich

— und da ist alles vergebens."

„Aber was soll denn nun werden?" „Laß mich meinen eigenen Weg gehen, Vater.

Ich will mein

mir selbst erkämpfen." „Ich verstehe Dich nicht." „Ich möchte einen Beruf ergreifen. Ich

Glück

möchte selbständig werden „Welche Idee! — Und welchen Beruf könntest Du wählen?" „Die Bühne, Vater. Ich will Schauspielerin werden . . ." „Kind — Kind, welch ein Gedanke?! Hast Du bedacht, was Mama dazu sagen wird?" „Sie wird zuerst heftig widersprechen, aber später einsehen, daß ein solcher Beruf für mich der geeignetste ist. Was bleibt mir auch anders übrig, will ich nicht ein freud- und zweckloses Leben in Eurem Hause führen." „Nun, nun, so weit sind wir denn doch noch nicht," entgegnete der Justizrat mit leichtem Lächeln. „Was Du erlebt, das haben schon viele erlebt und sind drüber weggekommen." „Ich komme nicht drüber weg, Vater," sagte sie ernst. Er ging nachdenklich im Zimmer auf und ab. Der Plan seiner Tochter dünkte ihn gar nicht so abenteuerlich und absonderlich. Er hatte stets für das Theater geschwärmt, in seiner Jugend hatte er sogar einige Schauspiele geschrieben, die einige Male aufgeführt waren. Noch jetzt verkehrte er mit einigen Bühnenkünstlern, und der Direktor einer namhaften Bühne war sein bester Freund. Daß Brunhild ein ausgesprochenes schauspielerisches Talent besaß, wußte er seit langer Zeit. Weshalb sollte sie nicht dereinst als ein Stern am Theaterhimmel glänzen? Er lächelte leicht vor sich hin. Der Gedanke hatte für ihn etwas Verlockendes. Aber seine Frau — wenn er nur ihre Zu¬ stimmung erhalten könnte.

..."

„Vorläufig wollen wir die Sache ruhen lassen," sagte er ein¬ „Das muß doch reiflich überlegt werden . ." Brunhild wollte ihn umarmen, da ward leicht an die Thür gepocht, und das Hausmädchen trat ein. „Verzeihen, gnädiges Fräulein — Fräulein Mertens frägt, ob gnädiges Fräulein zu sprechen sind . . ." Der Besuch war Brunhilden in dieser Stunde unangenehm. Sie wollte sich verleugnen lassen, aber da stürmte Elli schon herein und warf sich Brunhilden an die Brust. „Ich bin verlobt, Brunhild — ich bin verlobt!" jubelte sie lenkend.

.

unter Lachen und Weinen. „Elli — so sei doch verständig . . ." Aber Elli Mertens ließ sich so leicht nicht beruhigen. „Du solltest die erste sein, welche es erfährt, Brunhild," fuhr sie fort, „Herr Justizrat, Sie können cs gleich mit erfahren. Heute Mittag hat Bruno um meine Hand bei meinen Eltern angehalten und das Jawort erbeten ach Brunhilde, ich bin ja zu glücklich!" Wieder eine stürmische Umarmung.

...

471

„Da darf man

also gratulieren?" sagte der Justizrat freundlich. Herr Justizrat — ach, Bruno ist ein zu lieber Mensch! Ich bin aber auch solange so kalt und spröde gegen ihn gewesen, bis er's nicht mehr ertragen konnte und zu meinen Eltern ging. Mama erwartete ihn schon seit langem. Wenn er in den nächsten Tagen nicht gekommen wäre, dann wäre ich fortgcreist. . . aber ich wußte, er würde kommen. Er hat mich ja so lieb und er ist so gut —" Das kleine Mädchen war ganz närrisch vor Freude und Liebe. „Jeht muß ich aber wieder fort," sprudelte sie weiter heraus. „Ich bin nur auf einen Sprung zu Dir gekommen, um Dir die große Neuigkeit mitzuteilen. An der Ecke der Leipzigerstraße er¬ . wartet ^er mich. Wir wollen die Verlvbungsringc kaufen adieu, Brunhild, adieu, Herr Justizrat — nächsten Sonntag machen wir unsere Visite . . . adieu — adieu

„Gewiß,

.

.

..."

In der Thür warf sie noch ein Kußhändchen zurück und dann eilte sie fort wie ein Wirbelwind. Der Justizrat und Brunhild sahen sich ernst schweigend an. „Ist das das Glück, Vater?" fragte sie dann mit leisem Spott. „Man nennt es so," entgegnete der Justizrat, indem sein Auge nachdenklich in die Ferne schweifte. — Als am nächsten Sonntag das junge Brautpaar seine Visite bei Justizrats machen wollte, war niemand zu Hause. Die Herr¬ schaften seien auf einige Wochen nach dem Süden gereist, hieß es) Fräulein Brunhild sei brnstleidcnd. Und dann ward die Aufhebung der Verlobung Brunhildens Bernd bekannt. Elli war sprachlos) als ihr aber Bruno die mit Geschichte mit der Büste erzählte, da nickte sie verständnisvoll mit

Köpfchen geahnt hätte.

dem

und

meinte,

12.

daß

sie

„so

etwas"

sehr,

Strauß Kornblumen in sein Zimmer gestellt?" „Freilich, liebe Tante, und die beiden Büsten habe

bekränzt

.

.

längst

Kapitel.

„Sind Bernds Zimmer in Ordnung, Nenne!" „Ja, Tante — alles in Ordnung." „Du weißt, Bernd liebt die Kornblumen so einen

schon

ich

hast

Du

ebenfalls

."

„Wenn er das nur gern sieht." „Was hat es eigentlich für eine Bewandtnis mit diesen Büsten, Tante? Bernd interessiert sich doch sonst nicht sehr für Kunst —" „Ja, liebes Kind, was weiß ich! Die Dame, welche die Büsten vorstellen, ist einmal die Flamme Bernds gewesen." Von der „in die Brüche gegangenen Verlobung", wie der Major von Osteroth sich ausdrückte, sprach die alte Dame nicht. Sie wußte, ihr Sohn liebte das nicht. Ueber die Büsten hatte sie sich auch gewundert, kam cs ihr doch vor, als wenn sie der Photo¬ graphie von Bernds früherer Braut ähnlich sähen. Doch das war so lange her — die Photographie besaß sie nicht mehr. Es war ihr auch schon recht gewesen, daß diese Verlobung „in die Brüche gegangen war." Solch' eine verwöhnte Berlinerin paßte nicht auf das Land. Nenne errötete leicht. Gott wie romantisch, dachte' sie. Sie hatte bereits so etwas geahnt, und die schönen Büsten stets mit Lieber Himmel, Nenne hatte noch scheuer Ehrfurcht betrachtet. nicht viel von der Welt und der Kunst gesehen. Eine entfernte Verwandte Frau von Ostcroths hatte die vermögenslose Waise, als sie kaum dem Kindesalter entwachsen war, zu sich ge¬ nommen. Jetzt war Nenne achtzehn Jahr alt, verstand den Haus¬ halt auf das Beste zu führen, kochte gleich einer gelernten Köchin, schaltete und waltete auf dem Hühnerhof und im Gemüse- und Obstgarten wie eine erfahrene Hausfrau vom Lande, aber von Kunst und Wissenschaft, von Welt und Leben wußte sie so gut wie nichts. Der alte Major von Osteroth, welcher das Rittergut Ottlebcu von einem entfernten Vetter geerbt, als er bereits sich den Fünfzigern näherte, war viel zu bequem gewesen, als daß er den Ruhesitz seines vielbcwegten Lebens mit dem unruhigen Stadtlebcn auch nur auf Wochen vertauscht hätte. Er hatte es sich in seinem Lehen sauer werden lassen. Nun, da ihm das Glück einen hübschen Besitz zuwarf, wollte er diesen auch in Ruhe und aller Behaglichkeit

genießen. So kam es, daß Aenne Weinbach das Stadtleben über¬ haupt nicht kennen lernte. Sie interessierte sich wirklich auch nicht dafür. Ottleben mit seinem alten Herrenhaus, seinen großen Gärten, Wiesen, Feldern und Wäldern, Tante Meta und der Onkel Major, die so gütig und freundlich zu ihr waren, das war ihre Welt, in der sie ganz aufging. Und seit dem vor einem Jahre erfolgten plötzlichen Tode des Onkel Major durfte sie die arme Tante Meta erst recht nicht allein lassen. Tante wäre ja sonst ganz und gar vereinsamt gewesen, denn eine eigene Tochter besaß sie nicht, und Bernd und Willy, ihre Söhne, standen als Offiziere in der Armee. — Bernd da hinten an der russischen Grenze in

einem

Ort mit

sprechen

einem fürchterlichen Namen, den Aenne kaum aus¬ konnte, und Willy in Berlin. Rur einmal im Jahre

kamen Bernd und Willy auf Urlaub. Jetzt freilich sollte das anders werden, und neues Leben sollte in das alte Herrenhaus von Ottleben einziehen. Bernd hatte als Rittmeister seinen Abschied genommen, um die Verwaltung des Gutes selbst zu führen, zur größten Freude seiner Mutter, die schon ein neues Geschlecht

Vor einigen

auf Ottleben heranblühen sah.

Wochen schon waren die Sachen Bernds gekommen,

Bilder und Bücher. Jnnggesellenmöbel, seine Waffen, Aenne war ganz erstaunt, daß ein Dragonerrittmeister soviel Bücher besaß. Sie hätte nicht gedacht, daß ein flotter Dragoneroffizier Von den meisten sich mit so ernsten Studien beschäftigen könne. seine

sie nicht einmal den Titel. erstauntesten war sie jedoch über die beiden Büsten gewesen, Am die eine schöne, ernste Frau darstellten. Mit einer gewissen Scheu stäubte Aenne an jedem Morgen diese Büsten ab, und mit einer gewissen Scheu sah sie auch den: Kommen Vetter Bernds entgegen, den sie nur einige Male flüchtig — zuletzt bei dem Begräbnis des

Büchern verstand

Onkel Major — gesehen hatte. Freilich war er da mehrere Wochen auf Ottleben gewesen, aber er bekümmerte sich ja gar nicht um die kleine Kousine; achtlos schweifte der ernste, strenge Blick seiner Augen über ihre zierliche Eidcchsengestalt hinweg) er behandelte sie noch vollständig als Kind, und sie wagte nicht, sich dem ernsten Mann zu nahen. Sie hielt ihn für stolz — und dann setzte sie ihr kleines Trotzköpfchen auf und hielt sich zu dem jüngeren Bruder Willy, dem schmucken Husarenleutnant, der viel lustiger und gemüt¬ licher war, als der unnahbare Bernd.

Ein Diener trat ein. „Der Wagen des Herrn Rittmeister biegt

soeben

in die Allee

ein, gnädige Frau," meldete er. Rasch erhob sich die alle Dame.

„Gieb mir Deinen Arm, Aenne," sagte sie mit leicht bebender Stimme. „Die Freude, meinen großen Jungen nun für immer bei mir zu haben, macht mich schwach — die Kniee zittern mir . . ." Aenne reichte der Tante den An» und führte sie zärtlich be¬ sorgt auf die breite Terrasse an der Vorderfront des Herrenhauses, wo die ankommenden Wagen vorzufahren pflegten. Am Fuße der Treppe hatten sich der Inspektor, ein bereits ergrauter Mann, der Förster und einige andere Gutsbcamte zur Begrüßung ihres neuen Herrn eingefunden. Einen festlichen Empfang hatte sich Bernd verbeten. Jetzt tauchte der Wagen mit den kräftigen, edelgezogenc» Rappen in der Lindenallee auf, welche sich von der großen Chaussee nach Ottleben abzweigte. Ein großer, brauner Jagdhund sprang neben dem Wagen her, während auf dem Sitz neben Bernd ein kleiner Dachshund saß, mit seinen klugen Augen aufmerksam die ihm neue Umgebung betrachtend. Bernd selbst trug einen einfachen, grüngrauen Reiseanzug, den weichen, grauen Jagdhut etwas in den Racken geschoben, zwischen den Lippen eine Cigarre hallend, saß er regungslos, im Fond des Wagens die ernsten Augen auf das lang¬ gestreckte, weiße Herrenhaus gerichtet, das künftig seine Heimat sein sollte. Liebe Kindheitserinnerungen verknüpften ihn mit Ottlebcu nicht. Als sein Vater das Gut erbte, war er bereits erwachsen Rur kurze Zeit und im Begriff in die Armee einzutreten. hatte er auf Ottleben geweilt. Die blühenden Fluren, die grünen Wälder, die rauschenden Linden, der große Park mit den alten Bäumen, die Obstplantagen, die niedrigen Hütten der Arbeiter, die weiten Scheunen und das alte Herrenhaus mit seiner viel-

472

fenstrigen Front und seinem mittelalterlichen Turm, auf dessen Zinne jetzt ein Banner im Winde wehte, — das alles erweckte in ihm keine trauten Erinnerungen, das alles erzählte ihm nichts von einer glücklichen, sorglosen Jugend, das alles kam ihm so fremd und kalt vor, daß sein Herz erschauerte. Auch die Gesichter der Beamten waren ihm fremd. Nur den alten Inspektor und den Förster kannte er, alle anderen waren

ihm fremd und gleichgiltig. Erst als er das faltenreiche, blasse Antlitz seiner Mutter er¬ blickte, die ihm thränenden Auges beide Hände entgegenstreckte und ihm ein „Willkommen in der Heimat!" zurief — erst da überkam ihn ein Gefühl, daß er zu Hause, daß er in der Heimat sei. Bewegt schloß er die Mutter in die Arme. „Habe Dank für Deinen Willkommensgruß, Mutter," entgegnete er. „Ich hoffe und wünsche, hier bei Dir eine Heimat zu finden." Er zog ihren Arm durch den seinigen und wollte mit ihr in das Haus gehen. „Willst Du nicht Deine Kousine Aenne begrüßen, Bernd?" fragte die alte Dame lächelnd. grüß Gott, „Ach, verzeih — ich habe ganz vergessen Kousinchen, und habe Dank, daß Du meinem Mütterchen so tapfer zur Seite gestanden hast." Von tiefer Glut übergössen stand Aenne da, die tiefblauen Augen mit Thränen gefüllt. Also ganz und gar vergessen hatte er sie? Und doch hatte sie ihm so oft die schönsten Erzeugnisse des Gartens und des Hofes in Gestalt von herrlichem Obst oder einigen Hühnchen oder Tauben geschickt! Und das war nun der Dank? Sie verneigte sich ftüchtig und legte ihre kleine Hand so kühl und fremd in die seinige, als sähe sie ihn zum erstenmal. Doch Bernd bemerkte diese Zurückhaltung nicht einmal. Er drückte ihr Händchen, klopfte ihr, wie einem Kinde, auf die erglühende Wange, nickte ihr freundlich lächelnd zu und schritt dann am Arme seiner Mutter in das Innere des Hauses. Der große, braune Jagdhund folgte ihm auf dem Fuße. Der Teckel jedoch blieb etwas zurück und begrüßte Aenne mit freund¬ lichem Schweifwedeln. „Halt, Männe, Du kennst mich wohl noch und bist nicht so undankbar wie Dein Herr?" fragte Aenne und hob das Tierchen auf den Arm. „Du wirst hungrig und durstig sein, lieber Bernd," sagte Frau von Osteroth. „Ist es Dir recht, wenn wir in einer halben Stunde

....

essen?"

„Gewiß, Mama. Ich'will mich nur umkleiden und den Reisestaub abschütteln Dann stehe ich zur Verfügung. — Ich bewohne doch meine alten Zimmer?" „Ich habe Dir Papas Zimmer einräumen lassen," entgegnete die alte Dame, und Thränen traten ihr bei der Erinnerung an

in die guten, alten Augen. „Du bist ja Herr hier . . ." Bernd küßte ihr die welken Wangen. „Rur an Deiner Statt, Mütterchen," sagte er bewegt, „und um es Dir so bequem, so schön und behaglich wie möglich zu machen. — Und nun weine nicht mehr . . ." Sie lächelte schon wieder zu ihm auf. „Wenn es nur noch lange mit mir dauert," meinte sie sinnend. Dann aber faßte sie sich. Sie war stets eine resolute Frau ge¬ wesen und war vor des Lebens Rot und Drangsal nicht zurück¬ den verstorbenen Gatten

jetzt der

geschreckt. Auch jetzt sollten die trüben Gedanken keine Herrschaft über sie gewinnen. „Und nun geh', mein Sohn . . in einer halben Stunde erwarten wir Dich. Soll Friedrich Dich begleiten?" „Ich danke, Mama. Ich habe keinen Diener nötig. Durch den langen, halbdunklen Korridor schritt er nach dem linken Flügel, in dem sich die Räume, die er fortan bewohnen sollte, befanden: ein Vorzimmer, in dem seine und seines Vaters militärische und sportliche Trophäen, Waffen und Geräte Platz gefunden hatten, ein geräumiges Arbeitszimmer mit dem Ausblick auf den Gutshof, ein Toilettenzimmer und das Schlafzimmer, das nach dem Parke hinaus lag. Eine Treppe führte von dem Schlaf¬ zimmer in den oberen Stock zu den Zimmern seiner Mutter.

Die Mitte des Herrenhauses nahm das gemeinschaftliche Wohnzimmer mit einer Veranda nach dem Garten zu ein. Daran schlossen sich Eßzimmer und die Gesellschaftsräume, während der erste Stock durch Fremdenzimmer ausgefüllt wurde. Bernd sah sich erstaunt in den Zimmern um. Zu Lebzeiten Vaters waren sie ihm stets so düster und trübe vorgekommen. Der alte Major liebte es nicht, wenn das „Weibervolk" in seinen Zimmern „herumkramte", und da er nicht gerade der Ordentlichste war und sich mit allerhand Liebhabereien beschäftigte — er sammelte alte Pfeifenköpfe mit Bildnissen historischer Persönlich¬ keiten und Schnupftabaksdosen — so sah es in seinen Räumen stets etwas wüst und unordentlich aus. Neu tapeziert und ge¬ strichen waren die Zimmer erst nach dem Tode des alten Herrn, der fünfzehn Jahre jedes Attentat auf die alte braune Tapete und den schadhaften Anstrich der Decke und des Fußbodens erfolgreich abgewehrt hatte. Jetzt machten die Zimmer einen frischen, freundlichen Eindruck. Weiße Gardinen blähten sich an den geöffneten Fenstern in dem leichten Winde. Frisch und sauber blitzten die Möbel, die Spiegel und Bilder. Auf dem Tisch vor dem Sofa stand ein herrliches Feldblumenbouquet, und die beiden Büsten über seinem breiten Diplomatenschreibtisch waren mit Epheuranken und Blumen seines

geschmückt.

Mit trübem Lächeln schaute Bernd zu den blumengeschmückten Büsten empor. Fünf Jahre lang hatten sie in seinem Jung¬ gesellenzimmer in der Garnisonstadt über seinem Schreibtisch auf den Konsolen gestanden — so hatte er angeordnet,^ daß sie auch hier in Ottleben wieder den alten Platz erhielten.

In

der ersten Zeit nach jener furchtbaren Enttäuschung seines Lebens hatte er oft im Anschauen versunken vor den Büsten ge¬ standen. Er konnte es nicht fassen, daß er Brunhilden auf immer verloren haben sollte. Nach und nach löste sich sein leidenschaftlicher Schmerz in stille Wehmut auf. Er dachte an die Geliebte wie an eine längst Ver¬ storbene, und wenn sein Auge ihre Bilder traf, dann wallte es nicht mehr heiß in seinem Herzen auf, sondern nur ein stilles,

wehmütiges Gedenken zog durch seine Seele. Vergessen konnte er nicht

— dazu war

sein Charakter zu tief,

für

andere Frauen und Mädchen ver¬ angelegt. Auch mochte er kein Interesse mehr zu fühlen; sein Herz hatte ihn einmal betrogen, nicht zum zweitenmal wollte er sich durch den trügerischen Zauber der Frauenschönheit verlocken lassen. So war er der ernste, strenge Mann geworden, von seinen Kameraden ge¬ achtet, aber nicht geliebt, von seinen Untergebenen geachtet und — gefürchtet. Er that seine Pflicht aufs pünktlichste, aufs strengste und forderte ein gleiches von seinen Untergebenen. Er war streng, ohne hart zu sein; seine Gerechtigkeit im Lob oder in der Strafe erkannten auch seine Untergebenen an. Nur das innige Vcrtrauensverhältnis, welches so oft Vorgesetzte und Untergebene ver¬ knüpft und gerade im Soldatenstande die schönsten Früchte trägt, wollte sich zwischen ihm und seinen Untergebenen nicht einstellen. zu

ernst

Und noch ein Gefühl war in ihm erstorben! Die Liebe für Er lächelte verächtlich, wenn er an seine frühere Verehrung alles Edlen und Schönen dachte, welches die Kunst dar¬ bieten sollte. Er besuchte nie mehr ein Theater oder eine Kunst¬ ausstellung; er las nichts mehr, was mit der Kunst zusammenhing — seine Bekannten nannten ihn einen „Kunstfeind." die Kunst.

An ihm bewahrheitete sich wieder das Wort des englischen Dichters: „Nichts ist kälter als jene Weisheit, die sich ans früheren Thränen, aus früheren Leidenschaften in einem sinnenden und vereinsamten Gemüte

entwickelt.-"

Als Bernd bei Tische erschien, an dem auch der alte Inspektor Bauer, der Förster Harney und die beiden jungen Unterverwalter teilnahmen, merkte mau ihm nichts von der tiefen Bewegung an, welche ihn beim Anblick der blumengeschmückten Büsten ergriffen hatte.

„Ich Zimmer

(Fortsetzung folgt.)

so

danke

Dir, Mama,"

sprach er freundlich „daß

freundlich geschmückt hast."

Du meine

Großstädtische Verkehrsmittel.

»

nsere Epoche steht nach einem bekannten, treffenden Ausspruche unseres Kaisers unter dem Zeichen des Verkehrs. Kaum irgendwo wird das Bedürsnis nach Vervollkommnung der Verkehrs¬ mittel in gleichem Maßstabe empfunden wie in den Großstädten. Nicht bloß die Maschinen, auch die Menschen arbeiten, gehen schneller in diesen Steinwürfeln. Da nun hier das Wort „Zeit ist Geld"

zur Richtschnur ward, konnten Schusters Rappen nicht mehr genügen, wie zur Zeit, da der Großvater die Großmutter nahm. Nicht bloß proportional dem gestreckten Riesenleib unserer Großstädte wuchs das Bedürfnis nach schnelleren, stetigen Verbindungen in jeder Richtung — es wuchs progressiv über die rastlose Technik hinaus. Denn charakteristisch ist für das moderne Verkehrsleben, ins¬ besondere in den deutschen Großstädten, der ungleich raschere Fort¬

schritt im Nachrichten- gegenüber dem Personenverkehr. Mit der Verbesserung des Briefverkehrs ging der Rohrpostdienst Hand in Hand, und, beide überflügelnd, der sich stetig verdichtende Telephonoer¬ kehr. So ist eine Schnelligkeit des Nachrichtenaustausches geschaffen, die ohne Beispiel ist gegen vergangene Zeiten. Man sollte nun meinen, dadurch würde der Personenverkehr entlastet. Dies ist jedoch nur in beschränktem Grade der Fall. Und gerade durch den schnellen Nachrichtenverkehr wird die Kulturmenschheit erst recht verwöhnt einer Zeit, wo man in im Punkte des Personentransports. wenigen Minuten von London bis Marseille, bald auch von Berlin nach Paris oder Basel sprechen kann, will man nicht tagelang im Eisenbahnwagen zubringen, um die gleiche Entfernung zu durch¬ messen. Und genau ebenso geht es innerhalb der Großstädte. So ist der Omnibus oder der „Thorwagen", alias Kremser der Berliner, ersetzt und verdrängt durch die Straßenbahn) das Pferd genügt nicht mehr den gesteigerten Ansprüchen, Dampfkraft und namentlich der modernste aller Motoren, die Elektrizität, bewegt die schnell dahinsausenden, häufig verkehrenden Wagen. Daß die Zeit der im Straßenniveau kursierenden Bahnen schon vorbei ist, wird allgemein zugegeben. Was nützen die schnellfahrenden Wagen, wenn sie im großstädtischen Verkehr durch allerlei natürliche und künstliche Hemmnisse stetig an Bewegungsfreiheit einbüßen müssen? Wenn eine Niveaubahn 7 km oder rund eine deutsche Meile pro Stunde zurücklegt, so ist das der höchstmöglichste Nutzeffekt, der gerade in den verkehrsreichsten Straßen und Stunden noch hedeutend dahinter zurückbleibt. Auf diese Weise schlägt die Stunde der Hoch¬ bahnen, Untergrund- oder Unterpflasterbahnen, welche durch elek¬ trische Motoren zu einer jetzt unerhörten Geschwindigkeit gesteigert werden können. Hat doch das seit Jahren fertig ausgearbeitete und technisch vollkommen durchführbare Projekt der elektrischen Bahn Wien — Budapest für den Anfang eine Leistung von 250 km pro Stunde in Aussicht genommen, während die schnellsten Eisenbahnzüge kaum 100 km übersteigen bezw. erreichen. Eine ganz ungeahnte Perspektive eröffnet sich also dem Bürger des zwanzigsten Jahrhunderts. Bleiben wir aber in dem immer noch laufenden Zeitalter, so ist es nicht ohne Interesse, den Entwickelungsgang des Personen¬ verkehrs in den deutschen Großstädten kennen zu lernen. Allerdings stehen uns dafür nur die Angaben aus den Jahren 1895 und 1896 zu Gebote, und zwar aus 42 Städten von den 55, welche über 50 000 Einwohner besaßen. Zwei Städte dieser Größe (Frank¬ furt a. O. und Lieguitz) besaßen keine Straßenbahnen. Die Entwickelung ist eine geradezu rapide gewesen. Ein Ver¬ gleich der Geleislänge der Straßenbahnen in 38 deutschen Groß- und Mittelstädten zeigt uns, daß von 1894—96 die Geleisdiesen läuge von 1545 auf 1775 km oder um 15% stieg. beiden Jahren hob sich aber die Zahl der auf diesen Bahnen be¬ förderten Personen von 403 auf 502 Millionen Menschen, d. h. um fast 25%. Man sieht, wie die Personenfrequenz unabhängig von der Länge des Netzes wächst. Im Jahre 1896 waren in 42 deutschen Städten elektrische Straßenbahnen im Betriebe, im Jahre 1897 kamen weitere 16 Orte dazu. ganz Deutschland wurden Ende 1897: 612 km, dagegen Ende 1898: 1138 km elektrische Bahnen betrieben: in allen übrigen europäischen Staaten zusammen dagegen nur 816 bezw. 1151 km. Motorwagen besaß unser Vaterland in diesen beiden Jahren 1631 bezw. 2493, das übrige Europa nur 1464 bezw. 2021. _ Mit Ausnahme der Vereinigten Staaten haben wir also die gesamte übrige Kulturwelt in dieser Beziehung hinter uns gelassen. Sehr interessant ist nun zu beobachten, w% die Einführung des elektrischen Straßenbahnbetriebes aus den Pferdebcstand ein¬ wirkt. Berlin war diese Bewegung damals kaum merkbar. Von 1894—96 hob sich die Zahl der Pferde im Straßenbahnbetrieb von 6858 auf 7498. Erst 1896 tauchten die ersten 50 elektrischen Motorwagen auf. Deutlich sichtbar ist diese Wirkung vor allem in Hamburg, wo die Pferdezahl von 2245 auf 332 zurückging, während dstt Motorwagen von 100 auf 400 anwuchsen. Aehnlich

In

In

In

In

es in Leipzig und Dresden. Eine Reihe zumeist kleinerer Städte ist direkt zum elektrischen Betrieb der Straßenbahn über¬ gegangen, so besonders Kiel, Lübeck, Erfurt, Essen, Plauen,

war

Zwickau u.

a. m. Um die Frequenz der Straßenbahnen zu berechnen, muß man die Bevölkerungsziffer mit den beförderten Personen ver¬ gleichen und die miteinander verbundenen Städte (also Berlin— Charlottenburg, Hamburg—Altona—Wandsbeck, Nürnberg—Fürth) zusammenzählen. Alsdann ergiebt sich, daß die Reichshauptstadt wenigstens im Durchschnitt der Jahre 1895/96 keineswegs an erster Stelle marschierte. Vor ihr stehen Frankfurt a. M. mit 116,8 Fahrgästen im Jahre pro Einwohner und Dresden mit 116,6. Alsdann kommen erst Berlin—Charlottenburg mit 96,1, Hamburg—Altona—Wandsbeck mit 83,3. Leipzig weist noch 64, München 61,5, Hannover 59,5 Fahrgäste auf: alle anderen Städte aber größtenteils erheblich weniger. In Görlitz fährt jeder Einwohner nur 8,9 mal im Jahre gemütlich auf der Pferdebahn. In Berlin waren im Jahre 1896 vorhanden 396 km Geleis¬ länge. Die 62 Straßenbahnlinien durchfuhren eine Strecke von 389 km, also etwa so viel wie von Berlin nach Breslau oder Hamburg der Schienenweg beträgt. 561 ein- und 852 zweispännige Wagen waren damals für den Pferdebetrieb vorhanden, neben den 50 Motorwagen. Alle diese Wagen beförderten insgesamt 166,3 Millionen Fahrgäste (ohne die Abonnenten) und legten eine Wegstrecke von 40,3 Millionen km zurück. Das etwas veraltete Vehikel, der Omnibus, hat sich immer¬ hin noch in Berlin und Hannover in einer gewissen Bedeutung halten können. Die Linien in Hannover sind kurz, beförderten aber immerhin noch über 2% Millionen Fahrgäste im Jahre. Die 29 Berliner Omnibuslinicn in einer Länge von 160 km hat man durch Preisherabsetzung wie durch gewisse Vergünstigungen in der Gepäckbeförderung in der Gunst des Publikums zu befestigen gewußt. Dazu kam für sie die freie Beweglichkeit im Straßengewühl, sowie der Vorteil, daß sie vielfach direkte Wege wählen konnten, die den Straßenbahnen nicht gestattet waren, z. B. die Friedrichstraße und die Linden entlang. So ist ihre Benutzung in den Jahren 1895/96 von 37,4 ans 43,4 Millionen Fahrgäste gestiegen, trotz Eingehens einer Linie. Neuerdings sind schneller fahrende elegante Einspänner eingeführt worden, und soeben ist man im Begriff, den elektrisch betriebenen Omnibus zuzulassen, der das Straßenbild neu beleben und vielleicht eine Anziehungskraft bilden dürste. Wie haben nun diese dem Masseubedürfuis dienenden Trans¬ portmittel eingewirkt auf die mehr aristokratischen Droschken? Von 1894 auf 1896 hat sich trotz des starken Anwachsens des Straßenbahnbetriebes die Zahl der Droschken in 33 deutschen Städten um 1210, das ist um 10% der Gesamtzahl, vermehrt. Es ging also ähnlich wie mit den Frachtfuhrlcuten beim Auskommen der Eisenbahnen. Immerhin entfällt der bei weitem größte Teil Und hier ist es äußerst der Zunahme aus Berlin (996). charakteristisch, daß die Zahl der Droschken zweiter Klassen mit ihren vielbesungenen Rosinanten, die übrigens besser sind als ihr Ruf, ständig abnimmt, während namentlich die eleganten Taxametecdroschken in rascher, unaufhörlicher Zunahme begriffen sind. Sie sind auch in der That besser, eleganter, mindestens ebenso schnell, dafür aber erheblich billiger als die berühmten Fiaker an der schönen blauen Donau. Zu dem Straßenverkehr gehört auch das traurige Kapitel der Da spielen die Zusammenstöße und Unfälle der Fuhrwerke. bekannten und berüchtigten Schlächter-, Bier-, und Postwagen eine unrühmliche Rolle. Zur Erklärung, natürlich nicht zur Rechtfertigung der zahlreichen Unfälle, deren in Berlin im Jahre 1896 nicht weniger als 2 486 gezählt wurden, muß man anführen, daß in der deutschen Reichshauptstadt so schlecht gefahren wird, wie kaum in einer anderen Weltstadt. Die lange Arbeitszeit, namentlich der Kutscher der Geschäftsfuhrwerke, vor allem aber ihre mangelhafte Kenntnis ist wohl die Ursache davon. Die beabsichtigte Einführung einer Fahrschule könnte in dieser Beziehung viel wirken und Unheil verhüten — falls sie rege benutzt wird. Das Schlimmste ist, daß in Berlin die Rosseleuker beharrlich der grundfalschen Ansicht huldigen, daß das ihren Weg kreuzende Publikum ihnen auszuweichen habe und nicht umgekehrt, wie es richtig wäre. Seit Einführung des elektrischen Straßenbahubctricbes häufen sich die folgenschweren Zusammenstöße derart, daß schon dadurch eine Ent¬ lastung der Straßenzüge dringend geboten ist. Vorerst aber ist die Unterpflasterbahn noch Projekt, die Unter¬ grundbahn ebenfalls noch im embryonalen Zustand und die elektrische Hochbahn noch immer nicht fertig.

474

So bleibt dem Chronisten nur noch von der Stadtbahn zu be¬ richten, die, zu militärischen Zwecken ausgeführt, am 7. Februar 1882 eröffnet wurde. Es ist ein Werk, das an Schönheit der Ausführung seines Gleichen nicht findet. Ob die Rivalen an der Donau und Seine Aehnliches zustande bringen, muß sich erst zeigen. Der Verkehr auf der Berliner Stadtbahn hat sich in gewaltigen Dimensionen gesteigert. Im ersten Betriebsjahr beförderte sie nur

9,3 Millionen Passagiere, und diese Zahl wuchs bis zum Jahre 1890 auf 33,9 Millionen an. Damals wurde die schnellere Zugfolge und der Zonentarif eingeführt. Die Resultate waren überraschende. Um 6—8 Millionen durchschnittlich stieg die Frequenz und erreichte im Jahre 1897 87,7 Millionen Fahrgäste. Schwerlich wird sie dabei stehen bleiben, obwohl die Stadtbahn überlastet und an der Grenze Rudolf Grätzer. ihrer Leistungsfähigkeit angelangt ist.

Die Anst chtspostkarten - Sammlung des Märkischen Provinzial-Museums. ^8t'ine unserer größten Autoritäten auf dem Landeskunde, Rudolf Virchow, hat

Gebiet der Volks- und sowohl im Verein für das Volkstrachten-Museum wie in der Berliner Anthropologischen Gesellschaft darauf hingewiesen, welche Bedeutung für die Eingangs

Die ungefähr 3000 Ansichtspostkarten unserer Städtischen Sammlungen sind fast ausnahmslos Geschenke und werden fort¬ gesetzt vermehrt. Jhre'Ordnung ist nach folgendem Einteilungsplan, der für jede größere Sammlung angewendet werden kann, aufgestellt:

Ans der AnstchtspostKarten-Sammlung drs Märkischen Provinzial-Museums. gedachten Wissenszweige die gesteigerte Herstellung von Ansichts¬ postkarten mehr und mehr gewinnt, insbesondere durch die Dar¬ stellung von Land und Leuten.

Von der gleichen Ueberzeugung geleitet, hat die Direktion des Märkischen Museums bereits seit mehreren Jahren Ansichtskarten, soweit sie sich auf Berlin, die Provinz Brandenburg und die früher mit derselben, als eigentliches Stammland, verbundene Altmark beziehen, gesammelt. Wir wollen im folgenden diese Sammlung besprechen, nicht bloß um ihrer selbst willen, sondern weil sie auch den zahlreichen Freunden und Sammlern Fingerzeige giebt, in welcher Weise die Ansichtspostkarten, die sich bei eifrigen Interessenten zu ganzen Stapeln von vielen Tausenden anhäufen, zweckmäßig in ein gewiffes System gebracht werden können. _

Eine solche, auf wissenschaftlichen Gesichtspunkten beruhende Verteilung der gesammelten Schätze von Ansichtskarten erleichtert die Auffindung verwandter Gruppen, sie läßt die Lücken leicht über¬ sehen und sie verhütet, daß ein planloses und nutzloses Anhäufen ungeordneter Massen von Bildern stattfinde. Die systematische Einreihung der letzteren gewährt erst die rechte Freude an ihrem Besitz und wirkt ebenso aneifernd wie belehrend.

I. Gruppe: Sachen; II. Gruppe: Personen; III. Gruppe: Ereignisse; IV. Gruppe: Verschiedenes. Unter „Sachen" sind bewegliche und unbewegliche zu verstehen. Unter die letzteren — Gebäude, Häusergruppen, Landschaften, Aus¬ sichten u. dgl. — fallen naturgemäß die meisten und die dankbarsten Aufnahmen. Die Personengruppe umfaßt das Anthropologische und Ethnographische vom Kaiser uyd König, von der königlichen Familie bis zum schlichten Pfahlbürger der Kleinstadt, bis zum Landmann und Arbeiter, ja bis zu den in Berlin und der Provinz Brandenburg typischen Bettler- und Landstreicherfiguren. Hat unsere Provinz auch nicht so mannigfaltige Volkstrachten bewahrt wie z. B. Oberbayern, Steiermark und Tirol, so haben wir doch auch sehr malerische Typen, wie in der Reumark und besonders in der Wendei, in welcher wiederum der Spreewald mit seinen bunten Frauengestalten hervorragt. Vgl. auf der Tafel der Ouerbilder die 1. Karte «wendische Mädchen im Kahn bei Lcipe) und die 4. Karte (wendische Spinnstube). Die Gruppe der Ereignisse wird selbstverständlich kein Ende nehmen; jeder interessante Vorfall auf der Sv" ze, welcher

475

gehört hierher, nicht minder die großen Haupt- und Staatsaktionen, Einzugsfeierlichkeiten, Paraden — auch der bekannte Parademarsch der zahmen Krähe auf dem Hof der Alexanderkaserne vor unserem Kaiser im Zahre 1897 — traurige und heitere Geschehnisse, wie sie in der bunten Flucht vornehmlich In des reichshauptstädtischen Lebens fortwährend vorkommen. dieser Gruppe kann es sich mitunter um äußerst seltene Karten handeln — wenn von Privaten lediglich für den engeren Bekannten¬ kreis Personcnaufnahmen in Ansichtskartenform hergestellt werden, welche unverkäuflich sind. Gerade diese Seltenheiten haben nicht bloß als solche, sondern auch vom kulturgeschichtlichen Standpunkt aus besonderen Wert. Daß die zuerst erörterten Gruppen (Sachen und Personen) unter Umständen auch in die Gruppe III, Ereignisse eingereiht werden können, versteht sich von selbst. So stellt beispielsweise das 3. Ouerbild die Ueberschwemmung einer Straße zu Spremberg im August 1897 dar. Das Märkische Museum legt das Haupt¬ gewicht ans den ungewöhnlichen Naturvorgang der Ueberschwemmung kartengcrecht fixiert wird,

aufstellen; sobald der Sammler sich über ein landschaftlich abge¬ grenztes Gebiet hinausbegiebt, alsdann können geographische und ethnographische Gruppen zweckrnäßig sein. Ebenso ist eine Gruppierung nach dem Material (papicrne, hölzerne, metallene pp. Kärtchen) oder nach sonstigen technischen, sowie nach künstlerischen Gesichtspunkten möglich, je nach dem die Photographie, die Zinkätzung, Phototypie, Heliogravüre, Litho¬ graphie, Stahlstich, Kupferdruck, Radierung, Federzeichnung, ge¬ wöhnlicher Druck, Buntdruck u. s. f. gewählt sind. Es möge endlich die von manchen Sammlern, besonders von Sammlerinnen vorgelegte Frage erörtert werden, ob nicht die Ansichtspostkarten, da sie doch für Postverkehr bestimmt sind, ab¬ gestempelt und beschrieben sein müssen. Man exemplifiziert dabei auf die Sammlung der Postwertzeichen. Vom sammlerischen Stand¬ punkt ist man bei den letztgenannten Gegenständen (Briefmarken, Postkarten u. dgl.) in vielen Kreisen längst davon zurückgekommen, nur abgestempelte, und vom Briefträger übermittelte Postwertzeichen als vollgiltig anzusehen. Man glaubte eine zeitlang, und meint

Nus der Ansichtspostkarten-Sammlung des Märkischen Provinzial-Musrums. und rangiert die Karte deshalb in die Ercignisgruppe; sicht jemand dagegen das Wichtigere in der Darstellung der Straße, so wird er das Bild in die I. Gruppe (Sachen) einreihen. Bei alledem giebt es Karten, die in keine der genannten 3 Gruppen passen, so die jetzt so beliebten allegorischen Darstellungen, ferner Karten mit Flaggen oder Wappen oder Hausmarken, sodann Scherzkarten mit Rebus (z. B. nach dem bekannten Muster „Wo ist die Katz'?); es wird nichts anderes übrig bleiben, als diese Jrrgäste zunächst in einen großen Pferch „Verschiedenes" zu bringen. Untergruppen dieser Abteilung werden sich bei Häufung des Stoffes später von selbst ergeben. Im allgemeinen verdanken ja die Ansichtskarten der Gegen¬ wart mit ihren Anforderungen, Bedürfnissen und Darbietungen ihren Ursprung, und deshalb wird die große Masse derselben immer aktuell sein/ Das schließt aber nicht retrospektive Bilder ans, wie wir sie bei unserer 2. Längskartc (die Berliner Königsbrücke (Frankfurt a. O. 1548) sehen. 1785) und bei der 2. Ouerkarte Die vom Märkischen Museum gewühlte Gruppen-Einteilung entspricht dem Bedürfnis, wie cs bei einem der Landes- und Heimatkunde gewidmeten öffentlichen Institut empfunden wird.

Ganz selbstverständlich lassen

sich noch

andere Einteilungsprinzipien

auch wohl jetzt noch, in der Abstempelung eine Gewähr gegen Fälschung zu haben. Diese Vorstellnng ist aber ganz irrig, da die Fälscher auch die Poststempel nachahmen. Jedenfalls ist es doch widersinnig, Postwertzeichen zu sammeln, die nach amerikanischer und englischer Art beim Entwerten mit einem solchen entstellenden, geradezu abscheulichen Aufwand von Druckerschwärze bedeckt worden sind, daß die Schönheit und das Charakteristische der Zeichnung auf den Marken entstellt, ja geradezu unsichtbar geworden ist. Sicht man sich hierauf z. B. das Reichspostmuseum in Berlin genauer an, so wird man finden, daß in der eigentlichen Post¬ wertzeichen-Abteilung seit lange lediglich nuabgestcmpelte und un¬ beschriebene Stücke gesammelt werden. Nur, wo man bei äußerst seltenen Marken, Kurants, Karten re. keine unbenutzten Stücke hat bekommen können, sind solche eingereiht. Eine weitere Ausnahme machen Stücke, welche Kuriositäten des postalischen Verkehrs bilden, die z. B. jahrelang hcrumgcirrt sind und zahllose Abstempelungen erfahren haben, ehe sie an die richtige Adresse gelangten. So ist es zweifellos zweckmäßiger, unabgestempeltc und un¬ beschriebene Karten zu sammeln, zumal diese doch Kunstwerke oder kunstgewerbliche Erzeugnisse sind, die durch Beschreiben, Abstempeln und die Finger der Postbeamten nicht gerade eine Verschönerung erfahren.

476

Zum Schluß noch eine kurze Beschreibung der zwei Tafeln. Die 6 Längskarten stellen nach der Reihe dar: die Kaiser Friedrich-Gedächtniskirche, die ehemalige Königsbrücke in Berlin, den Tempel im Tempelgarten zu Neu-Ruppin, in welchem der jugendliche König Friedrich II. verweilte, eine malerische Fichten¬ partie beim Großen Fenster im Grunewald, die künstlerisch vollendete Radierung der mittelalterlichen Kirche zu Klein-Machnow und die Förderstrecke im Kalkberge Rüdersdorf zwischen dem neuen Tiefbau und dem neuen Halden-Berg. Die 7 Ouerkarten zeigen: zwei Spreewälder-Mädchen im Kahn bei Leipe, die Oderstadt Frankfurt um 1548, die Ueberschwemmung zu Spremberg im Jahre 1897, eine Spinnstube im Spreewald,

die Ansicht Prenzlaus vom Uckersee aus, den städtischen Ver¬ brennungsofen an der Diestelmeyerstraße und die Urnenhalle (Kolumbarium) auf dem städtischen Friedhof zu Friedrichsfelde, endlich eine Ansicht von Oderberg in der Mark von der Wasser¬ seite aus. Mögen sich die Sammler von Ansichtspostkarten nicht durch Sticheleien, als sei diese Art des Sammelns ein bloßes Spielwerk, beirren lassen, und als handele es sich um eine vorübergehende Mode. Das Sammeln von Ansichtspostkarten wird gerade wie das Sammeln von Postwertzeichen jede Mode überdauern. Es handelt sich hier um ernste und würdige Ziele, um eine Förderung der Landes- und Volkskunde. E. Friede!.

Abtstab und Kurhut.

-„Er

war ein Mann, Erfahren in der Welt wie ein Pilot, Die Nadel des Magnets war nach dem Leitstern Gerichtet immerdar, und seine Segel

ä

Ließ schwellen er durch große Eigenschaften."

n den harten Zeiten des fünfzehnten und sechzehnten JahrHunderts, in denen Kampf und Unterdrückung, äußerstes Wohlleben hier, und strengste Askese dort, die Signatur des Kultur¬ zustandes im Norden und Osten unseres Vaterlandes abgaben, in jener Drangperiode, die unseren Wittenberger Reformator erstehen ließ, tritt uns das Bild eines Mannes vor Augen, der es in hohem Maße verdient, der unverschuldeten Vergessenheit entrissen zu werden. Allein schon der vertraute geistige Verkehr, in dem der aufgeklärte Kurfürst Joachim I. Nestor zu Johannes Tritheim durch viele Jahre stand, macht unser Interesse an dem gelehrten Mönche rege und veranlaßt uns, seinen Lebensgang in kurzen Umrissen zu skizzieren. der Nähe der alten Römerfeste Trier, auf dem Land¬ sitze Tritenheim um das Jahr 1462 geboren und von Jugend auf zu einer ernstbeschaulichen Lebensauffassung neigend, sehen wir den nachmals so berühmten Abt schon mit zwanzig Jahren im Benediktiner-Konvent des Klosters Spanheim humanistischen Studien eifrig obliegen. Das alte Wort: „Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande," Lügen strafend, zollten seine confratres der '

In

in Beziehungen trat, vermöge seiner außerordentlichen Begabung die Beachtung des hochsinnigen Kurfürsten Philipp von der Pfalz auf sich zog. Noch heute legen zahlreiche in der „Spanheimer Chronik" aufbewahrte Briefe von dem schönen Freundschaftsbunde, der zwischen dem Kurfürsten und Tritheim bestand, ein für letzteren rühmliches Zeugnis ab. In jenem dunklen Abschnitt deutscher Geschichte hat unseres Abtes Gelehrsamkeit sich in den Hirsauer Annalen und der Spanheimer Chronik ein so vorzügliches Denkmal aufgerichtet, daß in der Folge selbst Gotthold Ephraim Lessing ihn seiner Anerkennung würdigt. In allen seinen Werken stellt Tritheim die Heiligkeit der Kirche an sich mit allen daraus sich ergebenden Folgerungen oben an. Er läßt keine andere Deutung des Wortes Gottes gelten, als die von den ersten Kirchenvätern der Bibel gegebene. Ja, es kommt nicht selten vor, daß der fromme Kloster¬ bruder mit Hutten und anderen Humanisten in heftigen Streit gerät, wenn es sich um eine freiere Entwicklung religiöser An¬ schauungen handelt. Dabei weiß er es in kluger Weise zu bewirken, daß die hervorragendsten Fürsten seiner Zeit, wie Maximilian I., Philipp von der Pfalz und in erster Linie Kurfürst Joachim I. Nestor ihm Interesse und Freundschaft schenken. Und in. der That wurde das Gefühl der Wertschätzung des von gleichem Bildungs¬ drange beseelten Beherrschers der Mark Brandenburg für unseren Abt ein so starkes, daß er schon im Jahre 1502 Boten über Boten mit den verlockendsten Vorschlägen an ihn absandte, um ihn nach seiner Residenz zu Coelln an der Spree zu ziehen. Gewissenhaft, wie Tritheim war, konnte seine Antwort fürs erste nur verneinend lauten, da er eine längere Abwesenheit für nicht vereinbar mit seinen Amtspflichten hielt. Im Oktober des Jahres 1503 aber, da Joachim zur Kurfürsten-Versammlung nach Frankfurt a. M. zog, sollte beider Wunsch, sich kennen zu lernen, in Erfüllung gehen! auf des Kurfürsten erneute dringende Aufforderung erschien Tritheim in Frankfurt. Zehn schöne genußreiche Tage waren es, die er mit Joachim verlebte, und in deren Verlaufe er oft bis spät in.die Nacht hinein über die schwierigsten Probleme mit dem Philosophen im Purpur Zwiesprache pflog. Reich mit Gold und Kostbarkeiten beschenkt, kehrte Tritheim in sein Kloster zurück! auch die glänzendsten Anerbieten, die der päpstliche Legat Raimund ihm von Rom aus zu machen beauftragt war, vermochten ihn nicht, ein der Forschung gewidmetes Leben, wie er es während zweier nun folgenden Jahre in seiner stillen Klause führte, aufzugeben. Leider sollte die durch den bayrisch-pfälzischen Krieg neu auflodernde Kriegsfackel ihn jäh aus seiner Ruhe aufschrecken; der Bundesgenosse Kaiser Maximilians, Landgraf Wilhelm von Hessen, brannte sogar die dem Kloster Spanheim gehörigen Ortschaften nieder! Einen traurigeren Anblick konnte die von Walter Scott in seinem „Abt" geschilderte Klause des heiligen Cuthbert kaum gewähren, von der es heißt:

„Es

losch geweichter Kerze Schein,

Es decket Moos des Altars Stein, Zertrümmert liegt der heil'ge Schrein,

Tie

Glocke tönt nicht mehr. Des Kreuzgangs Wölbung sank in Graus, Zu Trümmern ward das Gotteshaus, Der fromme Bruder zog hinaus; Sei Du ihm gnädig, Herr!"

Tritheim mußte, wollte er sein Leben vor dem wilden Kriegs¬ volke retten, unter Mitnahme seiner wertvollen Bibliothek und seiner gesamten Habe nach Kreuznach zum Kurfürsten Philipp fliehen. Fünf Monate blieb er in der Nahestadt, dann trieb ihn seiner Abwesen¬ sein Pflichtgefühl zu seiner Gemeinde zurück. heit hatten dort die unbeaufsichtigten Mönche ein lockeres Leben seiner Eigenschaft als Haupt der Bursfelder Congeführt. gregation — einer Vereinigung von wohlmeinenden und weit¬ blickenden Geistlichen, die ihre Kirche von unlauteren Elementen säubern wollte — war er verbunden, den Uebelthätern strenge Strafen aufzulegen. Es hatte jedoch der Geist der Unbotmäßigkeit unter den gemaßregelten Mönchen schon derartig um sich gegriffen, daß Tritheim weder Befriedigung noch Sicherheit in seinem zer¬ störten Kloster mehr fand, so daß er schweren Herzens sich ent¬

In

Macht seiner Persönlichkeit so hohe Anerkennung, daß sie bereits nach anderthalb Jahren ihn zum Abte erwählten, da sein Vor¬ gänger im Amte, Johann von Kolcuhausen, die Abtei Seligen¬ stadt erhielt. Es konnte nicht fehlen, daß Tritheim, der als Mitglied der von Heidelberg aus ins Leben gerufenen „rheini¬ schen Gesellschaft" zu einer Anzahl hochgebildeter, bahnbrechender Geister, von denen wir nur Johannes Reuchlin, Rudolph Agricola, Willibald Pirkheimer und Eitelwolf von Stein namhaft machen,

In

477

schließen mußte, beim Limburger Abte Macharius in Speyer Zuflucht zu suchen. Dort nun erreichte ihn ein Bote Kurfürst Joachims mit der Einladung, den Kurfürsten, der sich auf dem Wege zum Cölner Reichstage befand, in Bonn zu treffen. Und so geschah es. Vom Cölner Erzbischöfe aufs freundlichste willkommen ge¬ heißen, verlebte der nur noch an Drangsale aller Art gewöhnte Abt mit seinem fürstlichen Gönner genußreiche und köstliche Tage. Bei der alsbald erfolgenden Uebersiedelung nach Cöln gestaltete sich das Zusammenleben der ungleichen Freunde noch um vieles vertrauter: Tritheim mußte des Kurfürsten Behausung teilen, und gern wurde ihm verstattet, sich einige seiner Freunde zu Gast zu bitten, von denen, um kurz zu sein, wir hier nur den Karmeliter Jacobus Kymolanus und den berühmten Arzt Jacob von Maseck hervorheben. Doch Zeit und Stunde läuft wie durch den schlimmsten, so auch durch den besten Tag, und als wiederum der Abschied nahte, nahm der Kurfürst das feste Versprechen Tritheims, ihm bald nach der Mark folgen zu wollen, mit sich. Mit 50 Gulden Reisegeld und einer handfesten Geleitschaft ausgestattet, brach unser Gottesmann gen Nordosten auf und erreichte am

Höfen der Fürsten zu leben, so würde ich' niemals hier weggehen. Es werden mir die besten Bedingungen gemacht, wenn ich zusagen würde, für immer bei dem Fürsten zu bleiben, aber um nicht gegen mein Gelübde als Mönch zu verstoßen, muß ich die Höfe der Fürsten meiden. Am 14. Mai 1506 nun verließ er, nachdem er kurz zuvor noch bei der Einweihung der Frankfurter Universität, deren Gründung wohl seiner Anregung mit zuzuschreiben ist, zu¬ gegen gewesen, sein ihm lieb gewordenes Berlin. Der Kurfürst

II^September 1505 Berlin. Sein fürstlicher Gastfreund empfing ihn mit offenen Armen und ließ es an nichts fehlen, ihm den Aufenthalt an seinem Hofe so lieb und angenehm zu machen, daß er weit über die ursprünglich sich gesetzte Zeit hinaus in der Residenz an der Spree verweilte. Freilich geschah dies vorzugs¬ weise seinem Mäcen zu Liebe' denn die Sitte und die Lebens¬ haltung der Märker muteten den aus dem damals kultiviertesten Teile Deutschlands Gekommenen nicht sonderlich an. Will uns Epigonen auch sein in einem Briefe an Vigilius Sunzhemius ge¬ fälltes Urteil über seine in der Mark Brandenburg empfangenen Eindrücke nicht gerade glimpflich scheinen, so müssen wir uns doch vergegenwärtigen, daß damals die Sitten und Gepflogenheiten in den niederen Volksschichten ganz roh und derb waren, der süd¬ deutsche Fremdling aber in den abgeschlossenen Patrizierkreisen wohl kaum Eingang fand. Doch lassen wir sein Schreiben vom

20 . Oktober 1805 hier folgen: „Wie mir die Mark gefällt, vernimm mit wenigen Worten! Das Land ist meistens fruchtbar und gut, aber es entbehrt der fleißigen Bebauer. Es sind, so groß seine Ausdehnung ist, nur wenige, und noch dazu sehr faule Leute darin, die sich mehr deni Trünke und dem Müßiggänge hingeben, als der Arbeit. Die, so auf dem Lande leben, haben mit fast beständigem Mangel zu kämpfen. Was die Städter anbetrifft, so halten sie zwar die Fasten ziemlich ein, machen aber dies Verdienst dadurch wieder zu Schanden, daß sie sich später um so mehr der Völlerei hingeben, so daß bei ihnen leben nichts anderes fast bedeutet, als essen und übermäßig zu trinken."

Ju ähnlicher Weise läßt Tritheim sich seinem Freunde Rogerius Sycamber gegenüber aus: „Die Menschen sind hier zwar gut geartet, aber noch zu roh und ungebildet. An Schmausereien und Trinkgelagen finden sie mehr Gefallen, als au der Beschäftigung mit den Wissenschaften. Auf, ihnen gewissermaßen angeborene, bäuerische Manier verkehren sie mit einander und finden Gefallen an Reichtum und am Pokulieren. Mir aber gefallen noch so ziemlich die Sitten der Einwohner, weil dieselben gegen die Lehre Christi große Verehrung und Ergebenheit zeigen. Die Kirche besuchen sie sehr fleißig, die Feste der Heiligen begehen sie mit frommer Scheu" u. s. w. u. s. w. Leider erhält was Tritheim über seine Zeitgenossen in der Mark sagt, vollste Bestätigung aus dem Munde des Kurfürsten Joachim I., der iu seinem Ausschreiben zur Gründung der Universität Frankfurt klagend ausruft: „In meinen Landen ist ein in den Wissenschaften ausgezeichneter Mann so selten wie ein weißer Rabe!" Wie ferner schon Johann Cicero, Joachims Vorgänger in der Regierung, über das Gros seiner Unterthanen dachte, ist uns in Küsters opsribus I^utingsri I., pag. 11, aufbewahrt: „Liebster Printz, ich verlasse Euch ein großes Land, allein es giebt kein Teutsches Fürstenthum, in dem mehr Zank, Mord und Grau¬ samkeit im Schwange gehen, als in unserer Mark. Wehret solchem Unwesen und schaffet, daß Eure Unterthanen sanftmüthig und liebreich bei einander wohnen!" Nun, Joachim Nestor ist sein lebelang der vom Vater ans dessen Sterbebette an ihn ergangenen Mahnung eingedenk gewesen und hat ein gut Teil des Materials zu dem Baue mit herzu¬ getragen, ans dem sein Land später zu solcher Höhe empor¬ gewachsen ist! ^ Einstweilen aber war es seine größte Freude, von der Ge¬ lehrsamkeit seines von gleicher Liebe für die alten Klassiker beseelten Gastes Nutzen zu ziehen: wie manche wissenschaftliche Streitfrage focht er mit ihm aus, an wie vielen seiner Schriften, die Tritheim alsdann unter dem Titel „Panalethia“ in 14 Büchern erscheinen ließ, gestattete er ihm, Kritik zu üben! Die überaus gütige Be¬ handlung, die unserem Abte von dem großherzigen Beherrscher der Mark wiederfnhr, ließ ihn schwer unter der bevorstehenden Trennung leiden. „Wenn ich nicht müßte", läßt er sich in einem Briefe an den Prior Johannes Bracht aus, „daß es meinem Gelübde wider¬ spricht, und es sich für unseren Stand keinesweg geziemt, an den

Abt Tritheim. sich nicht nehmen lassen, ihn reich mit Barmitteln und Geschenken auszustatten, hatte ihm auch noch sicheres Geleit mit auf die Reise gegeben. Vorläufig ging diese nur bis Leipzig, da eine nicht unbedenkliche Erkrankung Tritheim eine unfreiwillige,

hatte es

sechstägige Rast dort auferlegte. To kam der 2. Juni heran, als er endlich Speyer erreichte. Vorher schon hatte er seinen Kaplan Theodorich angewiesen, in Spanheim die Stimmung der Mönche und den Zustand des Klosters auszuforschen, auch ließ er den Prior zu sich nach Heidelberg bescheiden. Es waren unserem Abte schon wiederholt von befreundeter Seite Warnungen zu Teil geworden über ein von den Mönchen des Klosters Spanheim, sowie von dessen Schirntherrn, Johann von Simmern, gegen ihn gesponnenes, neues Jntrigueunetz. Dieser Umstand, in Verbindung mit Tritheims Ruhebedürftigkeit reifte in ihm den Entschluß, ganz auf die Spanheimer Abtei zu verzichten. Und just dieser Verzicht war sein Glück, denn noch in demselben Jahre wurde er zum Abte des großen und reichen Klosters St. Jakob in Würzburg gewählt. Vieles noch ließe sich von der segensreichen organisatorischen Thätigkeit, von den schriftstellerischen Leistungen des nunmehrigen Abtes von St. Jacob während seines zehnjährigen Wirkens aus dem Bischofssitze am schönen Mainstrome berichten, doch liegt dies Gern aber außerhalb des Rahmens unserer Betrachtungen. kommen wir auf seinen noch lange fortgesetzten Verkehr mit Ein Wiedersehen zwar fand Brandenburgs Herrscher zurück. zwischen ihnen nicht mehr statt. Aus alle dahinzielenden Vor¬ stellungen und Bitten seines fürstlichen Gönners konnte Tritheim

immer nur antworten: „Non possumus! Die Lästerzungen meiner Feinde würden, wollte ich dem Zuge meines Herzens folgen, mich aufs empfindlichste zu schädigen wissen." Wohl aber nahm er dankerfüllt entgegen, was Joachims unausgesetztes Wohlwollen ihm an Geschenken, die hauptsächlich aus kurbraudcnburgischen Landes¬ erzeugnissen bestanden, zufließen ließ. Besonders glücklich jedoch machten ihn Joachim Nestors Briefe, in deren einem es beispiels¬ weise heißt: „Alles, was Du mir als zur wahren Weisheit und zum glücklichen Leben nützlich darstellen wirst, werde ich als meine Lieblingssache betrachten." Nicht minder wohl sind jene Worte ihm ein Labsal gewesen, die einen reich vergoldeten Pokal von herrlichster Arbeit als Spende für Tritheim begleiteten, und die am 29. Mai 1507 in Würzburg anlangten: „Ich schicke Dir auch, hochgelahrter Lehrer, einen silbernen, innen wie außen vergüldctcn Becher, nicht etwa als Geschenk, sondern als ein Zeichen meiner Liebe zu Dir und der beständigen, seit langer Zeit bestehenden

478

Freundschaft zwischen uns, welche bis zum Tode dauern wird! Nimm denselben freundlich au und gebrauche ihn zur Erinnerung an mich!" Bewunderung muß uns erfüllen für die hohe Denk- und Sinnesart eines Herrschers, der so an einen geliebten Lehrer zu schreiben vermag! Wie außerdem noch Gaben und Briefe zwischen Berlin—Coelln

und Würzburg hin- und hergingen, mag nur angedeutet sein. Unser Tritheim aber wirkte noch manches Jahr in Treuen und Ehren in der alten Bischoftsstadt am Steine, und als er 1516 das Zeitliche segnete, trauerten die besten deutschen Herzen um einen Mann, der stets auf der Höhe seiner Zeit gestanden und die ihm von der Natur verliehenen Gaben voll und segensreich ver¬ wertet hatte. Emil Goeritz.

Posthornklänge aus dem Aeichspostmuftnm in Berlin Von

P. Kunzendorf. Zeit „im Zeichen des Verkehrs" hat manche Poesie vcrgangener Jahre zu Grabe getragen, und nichts kann den Fortschritt des Jahrhunderts besser kennzeichnen, als ein Vergleich zwischen dem Reisen unserer Vorfahren und den: blitzartigen Dahin¬ jausen" der jetzigen Generation. Wie singt doch C. F. Scherenberg in seiner Elegie? Mit Todten-Schnelle geht es fort, Kein Schwager knallt hinein, ie

Kein Weges-Gruß, kein schelmisch Wort, Kein Posthorn weckt den müden Ort Und klingt znm Traume ein. O Eisenbahn, was bist Du kommen, Hast unser Posthorn uns genommen! Ja, verstummt sind die Posthornklänge, die so oft die besten Dichter zu unvergänglichen Poesien begeisterten, und nur aus diesen Dichtungen vernimmt man noch den Klang vom Schwager Postillon. Die Posthörner, die heute in den Straßen Berlins ertönen, meist nur als Signal bei der Ausfahrt aus den Höfen der Paketpost, sie können natürlich keine Poesie erwecken, sie beleidigen vielmehr mit ihren schrillen Mißklängen das Ohr des Vorübereilenden, der sich verstimmt abwendet und mit Heinrich Heine denkt: Der Postillon stößt in sein Horn, Ich kenne das alte Getute. Wer sich in die wahre Poesie des Posthorns zurückversetzen will, der muß die Bildersammlung des Reichspostmuseums einer eingehenden Besichtigung unterziehen, an der die meisten Besucher dieses jüngsten Berliner Museums achtlos vorübergehen. Da sieht man in der Abteilung „Verkehrswesen im 18. Jahrhundert" einen Kupferstich von Jacob Wangner, auf welchem eine sechsspännige Personenpost mit blasendem Postillon auf dem vordersten Handpferde dargestellt ist. Unter dem Bilde, das auch bei Kupferstichsammlern als ein sehr seltenes Blatt gilt, liest man die Worte: Vornehmer Leute geschwinde Reis.

Darunter steht folgende zeitgemäße Strophe: Commod bedient man sich der unterlegten Posten, Da geth es durch das Land mit slügelschnellem Laufs, Und wann es gleich dabey manch armes Pferd soll Kosten, Man muntert Mann und Ros durch Horn und Klatschen aus. Ein anderer Stich, dessen Künstler unbekannt ist, zeigt neben¬ einander einen preußischen und einen französischen Postillon. Der letztere reitet träge einher und blickt mißmutig in die Weite. Freudig aber bläst der preußische Postillon in sein Horn, und was er durch die schmetternden Töne verkünden will, das besagt die Unterschrift unter dem Bilde, welche lautet:

Betrübt ist der Courier, warumb? Der Sieg manquiret! Die Pferde sind sehr träg', warumb?

Das Glück changiret! Dies, ist die schnelle Post, die nichts als Freude bringet Dem gantzen deutschen Reich, das sieget! sieget! springet! Es sind Spottverse eines Flugblattes, welches den Sieg ver¬ herrlichte, den die preußischen Regimenter über die vereinigte französische und sogenannte Rcichsarmee bei Roßbach am 5. No¬ vember 1757 erfochten. Einem historischen Ereignis jener Zeit zu Grunde gelegt ist auch die Darstellung eines blasenden Postillons auf einer zur Feier des Hubertusburger Friedens 1763 geprägten silbernen Denkmünze; dort lautet die Umschrift:

Genug gefochten und gesiegt, die Friedenspost vergnügt. Reichhaltiger noch ist die Abteilung aus dem 17. Jahrhundert. Da ist u. a. ein wertvoller Kupferstich des berühmten Georg Philipp Rugendas, auf welchem Postreisende zu Pferde mit einem blasenden Postillon an der Spitze, dargestellt sind, während im Vordergründe einige Landleutc mit ihren Pferden Nachtruhe halten. Aus diesem Bilde tönen uns die folgenden Posthornklänge entgegen:

Da uns

Wann wichtige Geschäft in Kriegs- und Friedenszciten Nicht leiden den Verzug, muß auch zu Mitternacht Manch Reisender die Post mit viel Strappazen reiten Und wird bey solcher Eil an keinen Schlaff gedacht.

Als Gegenstück zu diesem Blatt gilt ein anderer, ebenfalls von Rngendas herrührender Kupferstich, auf welchem zwei Kuriere mit Postillon abgebildet find, die eilends auf der Landstraße an einem Lastwagen vorübcrreiten. Dieses Bild hat folgende Begleitworte: Sehr großen Vortheil bringt das schnelle Gallopircn, Da daurt man auf der Post fein aus die scharffe Ritt: Wenn wichtige Befehl bei Fürsten auszuführen. So theilet ein Courrier sie gleichsam fliegend mit.

Sehr charakteristisch ist ein Kupferstich von F. L. Hönnig, auf welchem ein Nürnberger Postillon zu Pferde und ein zweispännigcr ' Postwagen abgebildet sind. Beide tragen das Wappenschild der Stadt Nürnberg: der Postillon hebt sein Horn, als ob er eins aufspielen wollte, und was er zu verkünden hat, das besagt in derb-komischer Weise die unter dem Bilde befindliche Strophe:

Ich bin der Postillon und reis'

gen Ost irnd Westen, Gen Süden und gen Nord, die Wechsel seyn die besten Die ich von da zuruck in die Schreibstuben bring. Drum geh ich hurtig fort, das mir der Schweiß austring. Dafür bekomm ich auch ein gutes Boten-Lohn Und trag, zu Zeiten, auch einen frischen Trunk davon: Damit wird mir erquickt das Herz in meinem Leibe Und komm ich wieder heim, schlaff ich bei meinem Weibe.

Eine Holzschnitt-Vignette auf einem Flugblatt stellt einen Reichspostillon dar, dem gleichzeitig die Rolle eines Friedens¬ apostels zu Teil geworden ist. Er ist bezeichnet als „Rener Ans; Münster vom 25. deß Weinmonats im Jahr 1648 abgefertigter Freud- und Friedenbringender Postreuter", und was ans seinem Posthorn erklingt, meldet uns der Dichter in folgenden Worten:

Ich komm von Münster her

gleich Sporcustreich gerritten. Und habe nun das Meist des Weges überschritten, Ich bringe gute Post und neue Friedenszeit, Der Frieden ist gemacht, gewendet alles Leyd. Aber nicht nur die deutschen, sondern auch die französischen und italienischen Postillone sind mit dem Posthorn versehen. Wie die Figur des Abschied nehmenden Trompeters von Säckingen stellt sich der Courier de Flandres auf einem Kupferstich vom Jahre 1743 dar. Er steht auf einer Brlicke vor dem Thore einer Stadt und schmettert ein Lied in die Stille des Abends hinaus. Das sind Posthornkläiige aus der guten, alten Zeit, wie sie jetzt nimmer er¬ schallen. Wer die Poesie des Posthorns noch kennen gelernt hat in vergangener Jugend Tagen, dem wird sie noch oft im Herzen wiederklingen und er wird mit Lenau bekennen: Lang' mir noch im Ohre lag Jener Klang vom Hügel. Das Signalhorn der Boten ist übrigens älter, als der Postillon selbst. Schon die Führer der zur Güter- und Personenbeförderung dienenden öffentlichen Fuhrwerke, welche den Verkehr zwischen den großen Handelsstädten lange vor Einrichtung der Posten ver¬ mittelten, trugen neben der großen Ledertasche das Signalhorn. Und früher noch als den Fuhrleuten war diese Rolle den Metzgern zugefallen, die auf ihren Reisen die Stelle der Posten im Mittel¬ alter vertraten. Bei ihnen liegt der eigentliche Ursprung des Post¬ horns, denn sie verkündeten ihre Ankunft den Bewohnern der Orte, wohin ein Geschäft sie führte, durch bestimmte Hornsignale die schließlich jedes Kind kannte. Ein Holzschnitt von Jost Amman aus Nürnberg im Reichs¬ postmuseum zeigt einen solchen Fuhrmann aus dem 16. Jahr¬ hundert, dessen Tracht aus kurzem, offenen Rock, langer Weste, Leibgurt, enger Hose, hohen Stiefeln Pelzmütze rnd Tasche mit Signalhorn besteht. Er stellt den Postboten der damaligen Zeit dar, und von seinem Vorgänger, dem reisenden Metzger, heißt es in einem lustigen Liede, das die „Postschweden" in fröhlicher Stunde zu singen pflegen:

479

Der Schimmel trabt, die Peitsche schwirrt. Laut schmettert Posthornton, Als Geist kommt durch die Luft kutschiert.

Metzgerpo steil immer mehr Zogen einst im Reich umher. Schlächterwagen sind noch heut Muster der Geschwindigkeit. Es war ein glücklicher Gedanke des genialen Heinrich von Stephan, der den Ruhm seiner Unsterblichkeit mehrte, daß er das Reichspostmuseum schuf. Hier vereint sich mit dem Geist der Neuzeit die Erinnerung an vergangene Tage, hier zeigt man künftigen Generationen in Wort und Bild, wie einfach und gemütlich die Vorfahren mit einander verkehrten, und wie die neue Menschheit es so herrlich weit gebracht. Leise dringen Posthornklänge an unser Ohr — verklungene Akkorde ans vergangener Zeit, die nur zu bald aus der Erinnerung der Lebenden geschwunden sein wird und nur im Liede noch fortlebt. Nicht besser kann sie geschildert werden, als in den folgenden Worten des Dichters, die selbst wie Posthornklänge ertönen, und die auch von dieser Stelle als ein Abschiedsgruß an den Leser gelten mögen:

Ein greiser Postillon.

Fahl glänzt am gelben Sperlingsfrack, Thurn-Taxis' Wappenknopf, Er raucht uralten Rauchtabak Aus braunem Ulmer Kopf. Er raucht und spricht: „O, Erdeuball, Wie anders schaust Du drein. Seit ich mit Sang und Peitschenknall Reichspostdienst that am Rhein."

„O Zeit des Paßgangs und des Trabs, Des Trinkgelds und des Trunks, Des Poststalls und des Wanderstabs, Des idealen Schwungs! Jetzt geht die Welt aus Rand und Band, Die Besten ziehn davon, Und mit dem letzten Hausknecht schwand Der letzte Postillon."

Bald ist, soweit die Menschheit haust, Der Schienenweg gespannt) Es keucht und schnaubt und stampft und saust Das Dampfroß rings durch's Land. Und wied'rum in fünfhundert Jahr Weiß der Gelahrt'ste nicht Zu sagen, was ein Haud'rcr war. Was Fuhrmann's Recht und Pflicht.

„Jetzt rennt der Dampf, jetzt brennt der Wind, gilt kein Früh und Spat, Die Sonne malt und blitzgeschwind Jetzt

Brief

schreibt der Kupferdraht.

O neues Rüstzeug, alter Kampf! Wo treff' ich Glück und Ruh'? O Erdenphosphor, Gas und Dampf! Fahr' zu, mein Schimmel, fahr' zu!"

Rur in der Rächt der Sonnenwend', Wo dunkle Schatten gehn, Wird zwischen Erd' und Firmament Ein fremd' Gespann gesehn.

Peüilkl'or) des JJär. Has ßbetanden). Line moderne fjodrjcitsreifc.

Oollrat Schumacher.

Humoreske von Heinrich „ t Winkelsbühl, 10. Juni 1899. Liebste

Mia!

ist geschehen! Seit einer Stunde ist Deine beste Freundin nicht (53v*i mehr Fräulein Wiwi Stechlin, sondern Frau Luise Weiland, ehrsame Ehestau des Herrn vr. phil. Johannes Weiland, wohlbestallten Oberlehrers am Gymnasium zu Frankfurt a. M.

Bin

ich noch ich?

Es ist doch sehr seltsam! Vorhin, beim Hochzeitsdincr, hat mir Mama einen Wink gegeben. Dieser Wink — — es war also Zeit, mich zur Hochzeitsreise fertig zu machen!

Hans — also jetzt mein Mann — sah den Wink auch. Er wurde merkwürdigerweise plötzlich ganz blaß. Ich aber stand heimlich auf und verschwand in mein Mädchenzimmer. Mein Mädchenzimmer! Ich sehe es heute zum letztenmal. Was habe ich hier alles zusaninicngcträumt! Wenn nur die Hälfte davon

wird-

wahr Mama war mir gefolgt und wollte mir eine Rede halten. Ja, sie wollte es. Sie hatte schon die gestrenge Amtsmiene aufgesetzt, die sic in ihrem lieben, guten, allezeit fröhlichen Gesicht immer zur Schau trägt, wenn sie in unserem Damen»Radfahr»Klub „Germania", dessen Präsi¬ dentin sie ja ist und dessen Fahrwart ich bisher war, die GencralVersanimlung eröffnet. „Mein lieber Fahrwart," hub sie ganz feierlich an. Tann — plötzlich brach sic in Thränen aus. Es war ihr wohl eingefallen, daß es sich nicht um die Besprechung einer gemeinschaftlichen Tourenfahrl

handelte, sondern um den Abschied von ihrem ältesten, geliebten Töchterlein. Um eine» Abschied — vielleicht für's ganze Leben. Von Winkelsbühl nach Frankfurt a. M. sind's mindestens fünfzehn Tagestouren. Wir weinten also ein paar Kilometer lang zusamnien, dann zog mir Mama mein Hochzeitskleid aus und ging, um mir mein Kostüm für die Hochzeitsreise zu holen. Dieses Kostüm — oh, Mia, schade, daß Du cs nicht sehen kannst! Dein Radlerhcrz würde jauchzen vor Entzücken! Es besteht aus dem feinsten, wasserdichten Lodenstoff, ist dabei sehr leicht und zugleich warm. Beinkleider, Rock und Jackct nach dem elegantesten, englischen Stil zugeschnitten. Dazu ein flaumcnwelchcr, weißer Sweater aus Wolle, eine hcllrosa Scidenblusc zum darüberzichen, schwarze, seidene Strümpfe, gelbe, schwedische Sportschuhe und ein grüner Herrenhut nüt breiter, heruntcrklappbarer Krämpe. Alles wasserdicht! Zum Ucberfluß noch eine Regenpclerine mit Kapuze. Das Kostüm bildete die pieov de resistance meines BrautTrousseaus und das Entzücken des gesamten D. R. K. „Germania".

c

(Nachdruck verboten.)

,

Die Wartezeit bis zu Mamas Rückkehr benutzte ich, uni Dir, liebste Mia, diesen Brief zu schreiben, gemäß meinem Versprechen, Dir alle Einzelheiten nieincr Hochzeit zu berichten, an der Du wegen des Erscheinens Deines kleinen — Bob soll er ja wohl heißen? — nicht teilnehmen konntest. Es geht ihm doch gut, dem Bob? lind er ist doch ganz normal? Vergiß nicht, mir zu schreiben, wann er mit denk Radeln anfangen soll. Ich werde Dir dann eine neue, wirklich ganz ausge¬ zeichnete und billige Fabrrad-Marke für ihn mitteilen. Auch den zweiten Teil meines Versprechens werde ich erfüllen: die Beschreibung meiner Hochzeitsreise per Tandem, d. h. nun ja „unserer" Hochzeitsreise. Von jeder Station werde ich Dir eine Ansichtspostkarte sende». Wir machen von Winkelsbühl aus nach Frankfurt a. M. Tie Tour in achtzehn Tagestouren, die ich nach der Radfahrcrkarte von Deutschland mit Mama zusamnien im D. R. K. „Germania" genau ausgerechnet und bestimmt habe. Man kann die Tour auch schon in fünfzehn Tagen ganz bequem machen, aber wir haben kürzere Tagcstouren vorgezogen, weil wir nicht genau wissen, ob Hans — also jcpt mein Mann! — ordentlich in Form ist. Ich bin aber überzeugt, daß

Tour werden wird. Beinahe wäre zu guterletzt doch nichts daraus geworden, d. h. aus der Tour per Tandem. Johann — also jetzt mein Mann! — schrieb mir nämlich plötzlich (acht Tage vor der Hochzeit!) von Frankfurt a. M. aus, er sei mit dem Rade gestürzt und habe sich einige Verletzungen dabei zugezogen, die glücklicherweise eine Verschiebung unserer Hochzeit nicht nötig machten, aber doch — wegen seiner dadurch geschwächten Kräfte — eine Hochzeitsreise per Eisenbahn wünschenswerter erscheinen ließen. Per Eisenbahn! Heutzutage! Ra ja, der arme Johannes ist noch etwas altfränkisch und un¬ modern. Das soll aber nun bald anders werde»! Ich antwortete ihm natürlich sofort offiziell als Fahrwart des D. R. K. „Germania", daß daran gar kein Gedanke sei, und schickte ihm den Passus unseres Statuts über Verheiratungen von Mitgliedern mit. Danach dürfen sich diese nur mit ausgefahrenen Radlern verheiraten und müssen sich verpflichten, die Hochzeitsreise, sowie alle späteren Ehejubiläums-Touren nach Möglichkeit per Tandem zu erledigen. Zu diesem Zwecke erhält jedes sich verheiratende Mitglied am Tage seiner Hochzeit ein neues, erstklassiges Tandem von dem D, R. K. „Germania" gestiftet. Zu alledem, schrieb ich dazu an Johann energisch, habe er,'wie er sich gefälligst erinnern wolle, am Verlobungstagc seine schriftliche Ein¬ willigung gegeben. Allerdings habe er damals eingewandt, daß er Nichtradler sei, aber gleichzeitig versprochen, sofort radeln zu lernen. Was er auch, nach seiner Versicherung, in Frankfurt a. M. gethan habe. (Wie Tu ja weißt, wurde der arme Kerl gleich nach unserer Verlobung von hier nach Frankfurt a. M. versetzt und war während meiner ganzen es auch so eine ganz reizende

480

Brautzeit nur zweimal auf kurzen Urlaub in Winkelsbühl. Und wenn ihn dann aufforderte mit mir zu radeln, kam unglücklicherweise

ich

jedesmal etwas dazwischen.) Ich schrieb ihm also weiter, daß der D. R. K. „Germania" ihm nur auf meine Bürgschaft bin das Examen im Tourcnfahren erlassen babe, und erwartete ich nun aufs Bestimmteste, das; er meinem Vertrauen keine Schande mache. Es sei ohnehin ein kolossales Risiko von mir, einem Menschen, den ich nie habe radeln sehen, meine Hand gewisser¬ maßen mit verbundenen Augen für eine ganze, lange Lebenstour zu reichen. Wer könne mir denn dafür garantieren, ob wir uns jemals ordentlich mit einander einfahren würden? Also: wenn seine Verletzung ihn an einer Tandemtvur hindere, so müsse die Hochzeit aufgeschoben werden! Das schrieb ich ihm. Und hatte ich nicht Recht? Ich bin wahr¬ haftig nicht eigensinnig, aber was man mir versprochen hat, das muß man mir auch halten! Es giebt keine abscheulicheren Menschen, als un¬ zuverlässige Radfahrer, die sogenannten „wllden Fahrer". Durch ihre Unzuverlässigkeit verursachen sie die meisten Unglncksfällc, die von den Laien dann unserem idealen Sport zum Vorwurf gemacht werden. Das steht doch in allen Zeitungen! Daher — lieber sterben, als einen wilden Fahrer zum Mann haben! Während ein fairer Fahrer — er ist unter allen Umständen ein zuverlässiger Mensch, ein Mann von Herz, von Wort, von Ehre! Er achtet die Gesetze und die Menschenrechte! Er weiß, daß man einem Andern niemals zu nahe an das Rad fahren darf, ohne sich selbst zu schädigen. Er besitzt also Achtung sür fremde

Individualität!

Darum — ein fairer Fahrer muß der Mann sein, dem ich die Lenkstange meines Ehetandems anvertraue! Auch ist eine Reise per Tandem weitaus billiger, als per Eisenbahn! Es war also nicht Eigensinn, was mich Johannes gegenüber auf die Erfüllung des von ihni verpfändeten Wortes bestehen ließ; es war die ideale Forderung der modernen Frau an den Mann. Hans schien das denn auch eingesehen zu haben; denn er schrieb niir umgehend zurück, daß er sein Versprechen halten werde und daß diescrhalb eine Verschiebung der Hochzeit nicht stattzufinden brauche. Das wollte ich ihm auch geraten haben! Denn — unter uns gesagt — ich hätte wirklich nicht gewußt, was thun, wenn er auf die Eisenbahn bestanden hätte. Der D. R. K. „Germania" und das Tandem auf der einen Seite, ans der anderen die Eisenbahn und mein Hänschen — jedenfalls ein ungeheuer tragischer Konflikt! Und ich fürchte, daß Hänschen ans diesem Kampfe zwischen Pflicht und Liebe als Sieger hervorgegangen wäre, wenn er etwas mehr festen Willen besäße. Aber festen Willen, wenigstens mir gegenüber, besitzt er nicht. Wenigstens noch nicht. Dazu radelt er noch nicht lange genug. Wirk¬ liche Thatkraft, wirkliche Energie, wirklicher fester Wille findet sich heut¬ zutage ja nur noch bei dem fairen Radfahrer. Also gestern Mittag ist Hänschen denn von Frankfurt a. M. eingetroffen, gestern Abend wurde der Polterabend gefeiert, bei dem der D. R. K. „Germania" das „s./l. Fahrwart Wiwi Weiland geb. Stechlin" gestiftete Tandem präsentierte — übrigens wirklich allcrerstklassig! •—; heute morgen um 10 Uhr sagten wir beide, Hänschen und ich, zuerst bei dem Standesbeamten, dann in der Kirche ans eine gewisse, sehr feierliche Frage laut und vernehmlich „Ja!", und nun soll in einer halben Stunde unsere Hochzeitsfahrt beginnen Oh, Mia! Du als einjährige Ehefrau und oierzehntägige Mama wirst ja vielleicht darüber lache»! aber — wahrhaftig, ich fürchte mich so! Und wenn nicht so viele Menschen vor mir es gethan hätten, Papa und Mama, Tu und Dein Männe — wirklich, ich hätte es nicht über mich vermocht, heute Morgen „Ja" zu sagen. Jedenfalls nicht, wenn es ein Anderer gewesen wäre, als gerade Hänschen. Hänschen schien auch etwas derartiges zu empfinden. Wenigstens kam er mir gestern bei seiner Ankunft ganz anders vor, als früher. Früher, da war er doch zuweilen trotz seiner gelehrten Schüchternheit und Zerstreutheit mal so recht von Herzen lustig, da konnte er doch so ansteckend lachen. Und wenn er vollends von seiner geliebten, großen, wissenschaftlichen Arbeit sprach, von der er für später eine Univcrsitätsprofcssur erhofft, dann kam Feuer in seine großen, träumerischen Augen, dann reckte sich seine Gestalt in die Höhe, daß er plötzlich ganz groß erschien, und dann wurden seine sonst ja etwas linkischen und un¬ beholfenen Bewegungen fest und entschieden. Deshalb brachte ich ja auch, so oft es anging, die Rede auf diese Arbeit, wenn er früher einmal hier war. Obgleich ich als Landpommeranze ja von gelehrten Dingen gar nichts verstehe. Aber ich freute mich dann über Hänschen. Er war in solchen Augenblicken wirklich ein Mann, ein schöner Mann. Und Hänschen wagte ich ihn dann gar nicht zu nennen, weil es mir so respektlos erschien. Ich nannte ihn dann Hans. Es liegt Kraft in dem Namen. („Johann" und „Johannes" dagegen, finde ich abscheulich; so nenne ich ihn auch nur, wenn ich wütend auf ihn bin.) Ob ich in unserer Ehe oft wütend auf ihn sein Mama unterbrach mich vorhin. Sie brachte mir mein Reisckostüm und eine ganz seltsame Nachricht. Johann ist eben ohnmächtig geworden! Das heißt: ohnmächtig ist wohl nicht das richtige Wort; es ist. . . er ist . . . nein, es ist zu dumm, als daß ich's schreiben könnte. Denke Dir also, vorhin, als mir Mama bei dem Hochzeitsdiner den Wink gab, ist mein Herr Gemahl auch ansgcstanden und auf sein Zimmer ge¬ gangen, um das neue Radfahrerkostüm anzulegen, das Mama für ihn extra ans Berlin hat kommen lassen. (Auch feinste Loden und wasser¬ dicht!) Auf dem Wege zu seinem Zimmer begegnet er noch dem August, unserem Kutscher, und sagt ihm, er solle nach '»er Viertelstunde zu ihm kommen und einen Brief von ihm holen, den August ans die Post tragen solle. August thut das auch. Als er von Johannes den Brief holl, kommt ihn Johannes ganz seltsam vor, fast verstört. Er habe ans dem Sopha gesessen, halb angezogen, mit einem Gesicht, als ob er nichts

....

....

Und ohne ein Wort zu sprechen, habe er auf den dem Tische hat August dann den Brief gefunden und ihn zur Post getragen, den Brief. Uebrigens ist der Brief, wie August sagt, an Herrn Dr. Hermann Eggebrecht in Berlin adressiert gewesen, also an Deinen Mann. Nun ja, daran ist nichts auffallendes. Dein Mann ist meines Mannes bester Freund; warum sollte also mein Mann nicht an Deinen Mann schreiben? Hauptsächlich, wo Dein Mann — wegen Eures kleinen Bob! — ja leider auch nicht zn unserer Hochzeit kommen konnte! Auffallend ist nur, daß Johann . . . Alfo, August hatte sich auf dem Gange zur Post den Kopf über das Aussehen meines Herrn Gemahls zerbrochen: er fürchtete, daß er krank sein könnte. (Papa läßt ja immer so schwere Weine servieren!) Und deshalb ging August nachher nochmals auf meines Mannes Zimmer. Und da fand er ihn so. Ohnmächtig ist, wie gesagt, nicht das richtige Wort; eher trunken — höre und nichts sehe.

Tisch gedeutet.

Auf

schlaftrunken! Ja! Denn der junge Eheherr hat, nach Augusts Bericht, in seiner ganzen Länge auf dem Teppich vor dem Sopha gelegen, mit geschlossenen Armen und Beinen. regungslos, mit iveit abgespreizten Augen, "er " Aber nachher, als er ihn sei tot. Erst hat August geglaubt, untersucht hatte, merkte er, daß er schlief. Er schlief! An seinem Hochzeitstage, unmittelbar vor der Hochzeitsreise, wo schon die Hochzeitskutsche vor der Thür stand — d. h. das Tandem! — vermochte mein Mann zu schlafen! 'n „Hei schluf," berichtete August meiner Mama, „wie Uhl am Tage!" August hat dann Papa geholt, und Papa hat die beiden Braut¬ führer geholt, und die beiden Brautführer haben dann noch unseren Kreisphysikns von der Hochzeitstafel heraufgeholt, und den vereinten Anstrengungen dieser fünf starken Männer ist es endlich gelungen, Johann zu wecken. Und nun soll er sich unter Augusts Assistenz umkleiden. Und ich bin nun schon lange fertig und sitze da und warte, und unten vor der Hausthür steht der ganze D. R. C. „Germania", um uns bis zur Wcichbildgrcnze von Winkclsbühl das Geleite zu geben, und unser Ehctandem steht mitten unter ihnen und wartet . . . und

wartet

...

Wenn mir das mit einem andern passiert wäre, wie mit Hänschen — oh! Während der Wartezeit will ich noch rasch unsere Tandemtour für Dich notieren, mit allen Stationen. Natürlich nur Hotels vom deutschen Radfahrerbund. Dn findest sic auf dem beiliegenden Zettel mit der Angabe des Tages, an welchem wir dort sein werden. Wenn Du mir mal eine Zeile schreiben möchtest? Von niir erhälst Du, wie gesagt, von jeder Station, sogar von jeder Zwischenstation mindestens eine Ansichtspostkarte, damit Du im Geiste teilnehmen kannst an der schönsten Tour meines Lebens. Tenn ich bin überzeugt, das wird sic. Findest Du die Idee nicht köstlich, entzückend? So modern und doch so romantisch! Früher, in den Zeiten da die blaue Blume der Romantik blühte, da nahm der tapfere Ritter sein minniglich Weib vor sich auf sein mutiges Roß und dann sausten sic dahin in die winkende Ferne, dem Glücke entgegen! Eine wundervolle, poetische, ideale Zeit! Heute" — ist durch das Tandem in unsere materielle, kleinliche, egoistische Zeit nicht auch solch ein hcrzerhcbcnder, großer Zug ins Weite gekommen? Werden Hänschen und ich nicht auch so in die winkende Ferne dahinsansen, dem Glücke entgegen, wie der Ritter und sein Weib? Das heißt — vorhin beim Diner haben Hänschen und ich ein „Ich — denke — daran"-Viellicbchen gegessen um die Führerschaft auf dem Tandem bei der ersten Tour. Trotz seiner merkwürdigen Zer¬ streutheit und empörenden Schläfrigkeit hat Hänschen es gewonnen. Ich hab's ihn nämlich gewinnen lassen, weil ich ihm vor den gaffenden Leuten wenigstens zum Schein etwas wie eine Autorität einräumen wollte. Sie sagen ja sowieso von uns Radlcrinnen immer, wir hätte» die Hosen an. Nachher natürlich — hm, es wird sich ja zeigen, wer am besten fährt und führt! Und so wird mein poetischer Vergleich vorhin wohl nicht ganz stimme». Denn in der Zeit der Romantik hatte der Ritter sein Weib vor sich und bei uns — ich werde also hinten sitzen. Eben klopft Papa an. Hänschen ist bereit.

-

*

*

*

Dr. Johannes Weiland, z. Zt. in Winkclsbühl, an Dr. Hermann Eggcbrecht in Berlin. Winkclsbühl, am 10. Juni 1899. Lieber Männe!

In

Deinem letzten Briefe hast Du in dem Kapitel „Ratschläge für den Flitterwochen ist der Charakter die Ehe" eine These aufgestellt: des Weibes in der Hand des Mannes wie Wachs." Die Sache leuchtete mir ein und ich hatte mir vorgenommen, diesem Wachse eine vollendete Form zn geben. Aber — Ter Weg zur Ehe scheint für mich mit guten Vorsätzen gepflastert zu sein. Wie soll es mir gelingen, meinem Weibe gegenüber diejenige Autorität und Willensfteiheit zn wahren, die, um in Deinem Vergleiche zu bleiben, der Bildhauer dem Wachse gegenüber besitzt, wenn ich mich fortwährend lächerlich mache? Tenn ich mache mich fortwährend lächerlich! So lächerlich, daß ich, wenn man mich vor mich selbst hinstellte und sagte: „Das ist der junge

„In

Ehemann Dr. Johannes Weiland!", sofort mit gerechtester Entrüstung antworten würde: „Das ist kein junger Ehemann; das ist eine Schlafmütze!"

481

Und ich würde unfehlbar recht haben. Was ich gerade jetzt an Schlafen leiste, ist mindestens eins der sieben Wunder der Welt! Nach¬ dem ich die ganze lange Eisenbahnsahrt von Frankfurt a. M. hierher von A bis Z durchschlafen, hatte ich nichts eiligeres zu thun, als sofort in Schlaf zu fallen, nachdem ich Wiwi und ihre Angehörigen begrüßt hatte und zum Ankleiden aus mein Zimmer gegangen war. Glücklicher¬ weise hatte ich jedoch meinen alten Wecker aus der Studentenzeit mit¬ genommen und aufgezogen auf den Tisch gestellt, so daß mir die Be¬ schämung erspart blieb, den Polterabend zu verschlafen. Aber dieser Polterabend ■— Während wir, das Brautpaar, auf einem erhöhten Sitz saßen, der je nach dem Humor oder der Sentimentalität der Gratulierenden für uns, wie das hier Sitte ist, bald zum olympischen Göttersitz, bald zum Mokierstuhl wurde, während man uns Geschenke brachte und lustige und traurige Reden hielt und allerlei Polterabcndscherze vor uns auf¬ führte, hat Wiwi mich mindestens viermal wecken müssen. Dann sollte ich natürlich auch eine kleine Rede halten. Ich that es; ich hatte mir ja etwas derartiges schon lange im Kopfe zurecht gelegt. Ich wollte als Kulturgeschichtsforscher eine kleine Abhandlung über die Entstehung der Polterabendsitte zum besten geben, und fing auch ganz richtig an. Aber Wiwi erzählte mir nachher mit einem gewissen kleinen Vorwurf in der Stimme, ich wäre dann auf einmal mitten in einer Schilderung aus dem türkischen Haremslcben gewesen und hätte wenigstens halb und halb empfohlen, um der sozialen Notlage der Frau ein Ende zu machen, die türkische Vielweiberei auch bei uns einzuführen. Und dann sei ich im Stehen allmählich eingeschlafen. Ich weiß davon nichts mehr, als daß der Polterabend mir unendlich lang erschien und daß ich, auf mein Zimmer zurückgekehrt, sofort in einen Totenschlaf versank, aus dem mich August knapp eine Viertelstunde vor der standesamtlichen Trauung noch glücklich erweckte. Den Wecker auf¬ zuziehen, war ich wohl zu müde gewesen. Zum Frühstück vor der Trauung nahm ich drei große Tassen starken

gab, sich zur Abreise fertig zu machen, da fielen mir alle meine Sünden ein. Denn diese Hochzeitsreise auf dem Tandem, auf die Wiwi sich so unendlich freut, die für sie fast etwas wie ein Bedürfnis ist, diese Hoch¬ zeitsreise ist für mich — na ja, der Stein, der nur von neuem auf die Seele fiel. Du hast mich immer damit aufgezogen, daß ich jenes — vielleicht etwas komische — Versprechen gab. Aber Du hattest gut spotten. Du weißt ja nicht, wie ich dazu gekommen bin. Wie ich dazu gekommen hin? Dir das zu erklären, ist der eigent¬ liche Grund, warum ich Dir jetzt, zwischen Hochzcitsdiner und Hochzeits¬ reise, also gewiycrmaßen zwischen Lipp' und Kelchesrand, und trotz meiner fast unbezwinglichen Schlafsucht diesen langen und wohl auch etwas konfusen — Schwiegerpapas Weine waren, wie immer, höllisch schwer! — Brief schreibe. Ich fürchte mich nämlich, zu meiner Schande sei's bekannt, geradezu unheimlich vor dieser Hochzeitsreise. Ich bin felsenfest überzeugt, daß die Geschichte unter keinen Umständen gut ab¬ läuft, daß irgend ein, wenn auch nicht gefährliches, so doch mindestens aufsehenerregendes Unglück dabei passiert und daß es in die Zeitung kommen wird. Nun denke Dir, wenn es plötzlich in der ganzen Welt heißen wird: „Oberlehrer Dr. Johannes Weiland, der bekannte Kultur¬ historiograph, ist auf seiner per Tandem unternommenen Hochzeitsreise

verunglückt!-"

Scheußlich, was? Die Welt wird mich für verrückt erklären und meine gestrengen Herren Kollegen von der Fakultät werden die hochg.lehrten Nasen über mich rümpfen, und nieinen Namen als den eines Unwürdigen aus den Listen der Zunft streichen. Deshalb schreibe ich an Dich. Du sollst für mich eintreten. Du

Kaffees „Extra-Mocca". So konnte ich der Execution mit einer gewissen Sicherheit entgegengehen.

Es passierte auch wirklich weiter nichts unangenehmes' im Gegenteil, als Wiwi „Ja" gesagt hatte, siel mir ein großer Stein vom Herzen. Denn nun ist sie endlich mein! Und sic war so herzig, so reizend, so rührend! Meine Wiwi! Dir, meinem einzigen Freunde, kann ich cs ja nun gestehen: ich habe immer eine Höllenangst gehabt, sie würde im letzten Augenblicke nein sagen! Denn was ist sie und was bin ich." Sie war immer das entzückendste Mädchen, das ich kannte, so frisch, so offen, so ehrlich. Eine so durch und durch vornehme Natur. Ich habe niemals einen wirklichen Fehler au ihr entdeckt, und wenn Du behauptet hast, sie sei ein wenig eigensinnig, so ist das nur ein Vorurteil von Dir: Du warst ja immer geneigt, den Frauen logisches Denken abzusprechen und jede Bethätigung ihres freien Willens einfach Eigensinn zu nennen. In Wiwi jedenfalls ist keine Spur von Eigensinn: sie weiß nur, was sie will, und daß sic das auch durchzuführen sucht, was sie will, das ist nur ihr einfaches,, gutes Menschenrecht. Auch in der Tandem-Sache hat sie au ikonck Recht. Was nian versprochen hat, das muß man auch halten. Gerade ihr Pochen auf ihr Recht in dieser Sache, das Tu irrtümlich als Eigensinn bezeichnetest, hat meine Achtung vor ihrem Charakter noch erhöht: es ist ein Ausfluß ihres felsenfesten Vertrauens in mich. Wäre es nicht ein Verbrechen, ein solches Vertrauen zu täuschen? Dazu ist sie auch äußerlich das herrlichste Wese», das je über diese Erde schritt. Von ihrem Reichtum gar nicht zu reden: denn der hat — mein Wort darauf! — auf meine Gefühle für Wiwi niemals auch nur den geringsten Einfluß ausgeübt. Ich will nur damit sagen, daß sie unter den elegantesten, reichsten und vornehmsten Männern die Wahl gehabt hätte. Und sie hat mich gewählt: Mich, den armen Schulmeister, den ungeschickten Tölpel, den Handwerkerssohn! Mich, den unbeachteten Bücherwurin, diese Amphibie, die nicht einnial hühsch ist, in der Welt nichts bedeutet und einem solchen Mädchen, wie Wiwi, daher auch gar nichts Nennenswertes bieten kaun. Wenn ich mir die Gründe, aus denen sie mich gewählt hat, zn erklären versuche, so stehe ich vor einem Rätsel. Ich habe sic lieb, lieber, als mich: gewiß! Aber das ist doch kein Verdienst von mir: dasür kann ich doch gar nicht: das ist doch ohne mein Zuthun ganz von selbst gekommen. Das Einzige, was ich für sie thun kann, ist, daß ich sie glücklich mache. Und das will ich. Ich werde sie aus Händen tragen. Ich werde ihr jeden Wunsch erfüllen, den ich ihr an den Augen ab¬ lesen kann. Ja, das will ich! Und doch lastet etwas wie eine Schuld gegen Wiwi auf mir. Gestern, beim Polterabend, als uns die Hochzeitsgeschenke dargebracht wurden und Wiwis Klub „Germania" das uns gestiftete Tandem präsentierte, — heute, als Wiwis Mama ihr einen Wink beim Diner

Das Gehöft von Hundekehlr. ihnen das Unbegreifliche, anscheinend Wahnwitzige psychologisch erklären. Es ist also gewissermaßen mein Testament, was ich hier aussetze, und zu dessen Vollstrecker ich Dich feierlich ernenne. (Wie Du siehst, kommt allmählig wieder etwas, wie Humor, in mir zum Durchbruch —

sollst

Galgenhumor!)

Wie ich also zu dem Versprechen reise auf dem Tandem zu machen?

gekommen bin, meine Hochzeits¬

Ganz einfach darum, weil ich ohne das Tandeni wahrscheinlich gar¬ nicht in den Besitz meiner Wiwi und damit zu einer Hochzeitsreise über¬ haupt gelangt wäre! Am 15. November vorigen Jahres gab der D. R. K. „Germania" sein erstes Wintcrkränzcheu. Auch Nichrmitgliedcr, Nichtradler waren geladen, darunter meine Wenigkeit. Trotz meiner bekannten Blödigkeit im Verkehr mit Damen ging ich hin: etwas in mir war stärker, als nieine Blödigkeit. Ich hatte Fräulein Wiwi Stechlin seit drei Tagen nicht gesehen. Und Fräulein Wiwi Stechlin war Fahrwart des Klubs. Das Kränzchen war wunderbar. Fräulein Stechlin saß neben mir, auf ihrer anderen Seite Bürgermeister Bodins, der ihr natürlich wieder in ganz niederträchtiger Weise den Hos machte. Unaufhörlich plapperte seine blecherne Stimme mit ihr, so daß ich überhaupt nicht zu Worte kam. Was blieb mir daher übrig, als mich niit der Prüfung der ver¬ schiedenen Weinsorten zu beschäftigen, die der Keller des „Schwarzen Adlers" seinen Gästen zur Verfügung stellte? Besonders war da ein schwerer Bordeaux, der mir vorzüglich mundete. Er entzündete in mir so etwas, ivic einen echten kuror toutonious. Glücklicherweise— oder unglücklicherweise? — dachte ich nicht daran, daß ich schweren Bordeaux niemals habe vertragen können. Auf einmal höre ich nun, wie der Bürgermeister mit Fräulein Stechlin auf das berühmte Statut der D. R. K. „Germania" zu sprechen kommt, nach welchem die Klubmitglieder ihre eventuellen Hochzeitsreisen auf dem Tandem machen sollen. Der Bürgermeister zieht in einer ganz

482

unglaublich hämischen Weise über die Bestimmungen her, obwohl er doch wissen mußte, daß Fräulein Stcchlin die Urheberin des saniosen Paragraphen gewesen war: die nächstsitzenden Gäste mischen sich in das Gespräch, pra und contra, und schließlich ist die ganze Kränzchen-Gesellschaft in zwei große Heerlager geteilt, die sich aus's grimmigste befehden. Auf der Fürseite die Damen des Klubs, auf der Gegenseite sämtliche Herren, Inmitten des Ausruhrs saß Fräulein Stcchlin, blaß und zitternd vor Erregung, Und wahrhaftig, sie hatte Thränen in den Augen! Ich hatte bisher schweigend zugehört: als ich das aber sah, fühlte ich, daß irgend ctivas geschehen müsse. Ich trau! schnell noch mein volles Glas leer, daß mir der Bordeaux durch die Adern brauste, dann klopfte ich an das leere Glas. Eine Totenstille trat ein. Ich erhob mich und rückte zur Einleitung an meiner Brille. In diesem Augenblicke schlug eine laute, hämische Stimme an mein Ohr. „Achtung, meine Damen vom D. R, K. „Germania"! Doktor Weiland wird Zhnen aus der Geschichte die Unhaltbarkeit Ihres Ehe¬ tandems beweisen!"

Es war die Stimme des Bürgermeisters, Das Blut schoß mir in den Kopf. Gewiß, eigentlich hatte er ja recht. Ich wollte ja gegen das „Ehctandem", ivie ers nannte, sprechen. Aber ich wollte es in einem vermittelnden, begütigenden Tone thun, um Ocl auf die brandenden Wogen der allgemeinen Leidenschaft zu gießen. Nun aber — sollte ich mir von ihm meine Partcistcllung vor¬ schreiben lassen?

Kurz und gut, ich sprach für das Tandem, Ich wies darauf hin, daß neue Zeiten auch neuer Formen und Sitten bedürfen, daß jede Zeit das Recht habe, sich ihre Formen selbst zu schaffen. Unsere Zeit stehe im Zeichen des Fahrrades, und ich sehe nicht ein, warum das Tandem nicht ein ebenso gutes Beförderungsmittel bei Hochzeitsreisen sei, wie beispielsweise die Eisenbahn, oder in der Sahara das Kameel, oder an der Riviera der Esel!

Hier machte ich eine Pause, um einen Schluck zu nehmen. Dann fuhr ich mit erhobener Stimme fort. Was 'Derden Vorwurf der Unweiblichkcit betreffe, der hier gemacht sei (NB.! Bürgermeister hatte ihn gemacht!), so sei er ungerecht, zum mindesten unhistorisch! (Der Bürgermeister: „Oho!") Es komme nur darauf an, was man unter „Weib" verstehe. Könne man zum Beispiel behaupten, die alten Germanen hätten keinen Begriff von der echten

Weiblichkeit gehabt? Im Gegenteil, die alten Germanen seien das einzige heidnische Volk gewesen, bei dem den Frauen eine geachtete Stellung eingeräumt morden sei. Die alten Germanen hätten die Frauen in zwei große Klassen geteilt: in Hüterinnen des häuslichen Herdes und in Kampfjungftancn, Walküren. Und wie die allen Helden¬ sagen bewiesen, hätten die Walküren in ihrer Verehrung am höchsten gestanden, Schildhnltcrinnen und Äampsgeuossinncn des Mannes seien sie gewesen und ihnen sei die höchste Aufgabe zugefallen, auf ihrem Walkürenrosse die Seele des gefallenen Helden gen Wallhall zu geleiten. Allgemeines Bravo: man umringte mich, um mich zu beglückwünschen. Den Bürgermeister schien mein Erfolg zu ärgern. Bravo! Bravo!" rief er plötzlich laut in den Trubel hinein. „Nach I)r. Weiland ist also das Ehetandem eine uralte Einrichtung. Das edle Walkürenros; heißt heute Tandem, und die Brunhilden, die Wal¬ küren der alten Germanen — bei den jungen nennen sic sich Radlerinncn! — Aber, meine verehrten Walküren vom D. R. C. „Ger¬ mania", für mich beweist I)r. Weilands Rede nur, daß sich aus der Geschichte eben alles beweisen läßt. Ob der Historiker aber für sich selbst die Konsequenzen aus seiner Dednction zu ziehen bereit ist, erscheint mir doch mindestens sehr ftaglich. Ich fürchte, bei aller Anerkennung seines persönlichen Mutes, daß Herr vr. Weiland sich trotz seiner Rede wohl hüten wird, Ihr Statut zu unterschreiben und sich von einer modernen Walküre aus dem Tandem gen Walhall geleiten zu lassen!" 's^Dho!" rief ich nun meinerseits noch viel lauter. „Dazu gehört gar kein persönlicher Mut! Ich bin bereit, sofort zu unterschreiben!" Na, kurz und ggt, fünf Minuten später hatte ich unter jubelndem Beifall des D. R, C>>,Germa»ia" ein Protokoll unterschrieben, laut dessen ich mich verpflichtete, meine Hochzeitsreise per Tandem zu machen: vorausgesetzt natürlich, daß ich einmal Gelegenheit haben würde, über¬ haupt eine Hochzeitsreise zu machen. Nachher wurde dann getanzt. Ich beteiligte mich nicht daran: ein seltsames Gefühl der Unbehaglichkeit hatte sich meiner bemächtigt. Ich saß in einem Winkel des Saales und starrte vor mich hin, ohne an etwas zu denken. Plötzlich höre ich die Stimme des Tanzordners: „Damenpolka" ! Gleich darauf steht Jemand vor mir, um mich zu engagiere» — Fräulein Stechlin, „So einsam, Herr Doktor?" sagte sic mit ihrem süßen Lächeln. „Bereuen Sie am Ende Ihre That?" Ich versichere natürlich, daß ich nichts bereue: daß ich unter allen Umständen mein Versprechen halten werde. Allerdings könne ich noch gar nicht radeln. „Oh, das kann man lernen!" sagt sic, halb ernst, halb lachend. „Es

fragt

sich nur, ob Ihre zukünftige junge Frau radeln kann!" „Die junge Dame, die allein meine Frau werden wird, kann's!"

erwidere ich schnell. Und daraufhin, halb schüchtern, halb neugierig: „Ach! Wer ists denn?" „Wer?" stoße ich heraus," „Sie! Das heißt, wenn Sie wollen!" Sic wollte. Ich habe nachher noch zwei Flaschen Bordeaux getrunken und dann den Bürgermeister eoram publico umarmt. Nächst Wiwi erschienen mir an diesem Abend der Bordeaux und der Bürgermeister Bodius als die beiden liebenswürdigsten Dinge der Welt, Denn ohne sie — nie würde ich den Mut gefunden habe», um diese göttliche Walküre zu freien. Besonders, da ich drei Tage später abreisen mußte, um meine neue Stellung in Frankfurt a. M. anzutreten. Du sichst also, und der gelehrteste Sittenrichter wird es zugeben müssen, es ist alles ganz natürlich zugegangen. Ebenso natürlich war es auch, daß ich Wiwi versprach, in Frankfurt schleunigst radeln zu lernen: ebenso natürlich, daß ich nicht dazu kam.

Erstens mar's Winter und ich bin als Stubenhocker allezeit sehr empfindlich gegen Kälte gewesen, und zweitens nahm mein Werk über altgermanische Kultur meine Mußestunden vollauf in Anspruch. Die Folge davon war — und nun kommt meine Sünde! —, daß ich Wiwi unerhört belog. Auf ihre brieflichen Anfragen nach dem Stande nicincr Radierkunst antwortete ich ihr, daß ich bereits ein per¬ fekter Radler sei, daß ich schon große Touren gefahren habe und daß ich ihr in keiner Weise Schande machen würde, lind wenn ich mal auf Urlaub in Winkelsbühl war, wußte ich eine Probefahri stets zu

verhindern. Mit wahrhaft jesuitischen Mitteln. Aber der Hochzeitstag rückte immer näher heran. Zuletzt blieben mir noch netto acht Tage Frist, dieselben acht Tage, die ich für mein Buch nötig hatte, wenn es noch vor der Hochzeit fertig werden sollte. Und das sollte es. Denn in den Flitterwochen wollte ich ganz, ganz ftei sein. Und ich hatte noch kein Rad bestiegen. Ich griff zu einer letzten ungeheuerlichen Lüge. Ich schrieb Wiwi, ich sei bei einer großen Trainingtour gefährlich gestürzt. Ob es da nicht besser wäre, wenn wir bei unserer Hochzeitsreise auf das Tandem verzichteten ? Wiwi bestand auf ihr Tandem, War das nun Eigensinn von ihr? Das arme, süße Wesen hatte ja keine Ahnung von der Wahrheit!

In

dieser letzten Woche also habe ich nachts mein Buch zu Ende geschrieben, vornüttags meine Stunden im Gymnasium gegeben und

nachmittags geradelt. Das heißt: ich habe versucht zu radeln. Gelungen ist cs mir nicht. Ich habe es nicht ein cinzigesmal fertig gebracht, zehn Schritte weil auf diesem merkwürdigen Beförderungsmittel zu sitze», ohne abgeworfen zn werden. Ich bin daher geneigt, alle jene Behauptungen von Leuten, die das Radeln in vier bis fünf Stunden erlernt haben wollen, in das Reich der Fabel zu verweisen, Oder bin ich, wie mein Radfahrlehrcr behauptete, wirklich zu ungeschickt dazu? In der Erwerbung von Beulen, blauen Flecke», Hautabschürfungen und Rissen bin ich dagegen zweifellos ungemein geschickt. Ein in seiner Parade-Tättowicrung einherstolzierender Indianer kann nicht bunter aussehen, als ich. Auf der ganzen Welt giebt es in diesem Augenblicke wohl nichts, das so zerschlagen wäre, wie ich. Radeln kann ich also immer noch nicht. Zwar ist mein Buch, von dem ich mir bei aller Bescheidenheit Erfolg und Namen verspreche, glücklich fertig geworden mit Zuhilfenahme eines Ozeans von schwarzem Kaffee, um des Nachts »reinen geräderten, leiblichen Menschen wach zu erhalten, aber was will das sagen?! Radeln kann ich nicht! Nur schlafen . . . schlafen . . . Arme Wiwi! Wenn sie es Und so fürchte ich, Bürgermeister Bodius mit seiner Bosheit wird recht behalten: Walküre Wiwi wird auf ihrem Walkürcn-Tandcm wohl einen Helden gen Walhall geleiten, aber einen gefallenen Helden, der sich im Erdcnwallen nannte Dein schläfriger Freund

entdeckt-

Johannes Weiland. (Schlich folgt,)

Schloß Grunewald und Hnndrkehlr. Hsch kenne dich, Mark Brandenburg, darum liebe ich dich: mit deinem

In

so werden sie irre, lind wenn sie auch das Rohr nicht verachten, so wissen sie sich's doch selbst nicht wieder zu¬ recht zu bringen, es wird ihnen unheimlich, und sie lassen es

nun trüb sich, lieber stehen,

, . . Was er (Möser) von meinen Sachen sagt, dafür bleib' ich ihm verbunden! Denn ich habe mir zum Gesetz gemacht, über mich selbst und das Meinige ein gewissenhaftes Stillschweigen zu be¬ obachten, Ich unterschreibe besonders sehr gern, wenn er meine Schriften als Versuche ansieht, als Versuche in Rücksicht ans mich, als Schriftsteller, und auch bezüglich auf das Jahrzehnt, um nicht der König zu sagen Jahrhundert unserer Litteratur, meines Stücks in Unehren erwähnt, ist es mir nichts Befremdendes. Ein Vielgewaltiger, der Menschen zu Tausenden mit einem eisernen Szepter führt, muß die Produktion eines freien und ungezogenen Knaben unerträglich finden. Ueberdieß möchte ein billiger und toleranter Geschmack wohl keine auszeichnende Eigenschaft eines Königs seyn, so wenig sie ihm, wann er sie auch hätte, einen großen Namen erwerben würde; vielmehr dünkt mich, das Ausschließende zieme sich für Große und Vornehme. Lassen Sie uns darüber ruhig seyn, mit einander dem mannigfaltigen Wahren treu bleiben, und allein das Schöne und Erhabene verehren, das auf dessen Gipfel steht." Sehen wir nun ziinächst die dichterischen Werke des Dichters in Rücksicht auf die Stellen durch, in denen er des großen Königs erwähnt. Wenn er in den „Elegieen" sagt: „Alexander und Caesar und Heinrich und Friedrich, die Großen, Gäben die Hälfte mir gern ihres erworbenen Ruhms, Könnt' ich auf eine Nacht dies Lager jedem vergönnen—* und also den Namen Friedrichs denen der größten Helden der Geschichte an die Seite stellt, so würde das noch als bloßer Aus¬ druck des allgemeinen Zeitempfindens gelten können, aber ganz spontan sagt er in den „Noten und Abhandlungen zum west¬ östlichen Divan" einmal von Abbas II. von Persien, er habe sich, „wie Peter und Friedrich, den Namen des Großen verdient." — In den folgenden Zeilen, die unter den „Sprüchen in Reimen" stehen, bezeichnet der Dichter den König sozusagen als sein Vorbild in Bezug aus Selbstständigkeit: Warum ich Roy a llste bin, Das ist'sehr simpel; Als Poet fand ich Ruhms Gewinn, Frei Segel, freien Wimpel, Mußt' aber alles selber thun, Könnt' niemand fragen: Der alte Fritz wußt' auch zu thun. Durft' niemand ihm was sagen." Gelegentlich des Anblicks einer Handschrift Friedrichs spricht er wieder seine Verehrung aus: „Das Blatt, wo Seine Hand geruht, Die einst der Welt geboten, Ist herzustellen fromm und gut — Heil Ihm, dem großen Todten!" In dem 1773 entstandenen „Jahrmarktsfest zu Plunders: iveilern" unterläßt der Mann aus dem Volke, der Marktschreier, nicht, sich der Gunst des größten Monarchen seiner Zeit zu rühmen: „Zwar könnt' ich Euch Brief und Siegel weisen Bon der Kaiserin aller Reußen, Und von Friedrich, dem König von Preußen — Und allen Europas Potentaten — — Doch wer spricht gern von seinen Thaten?! —* Diel schöner aber wird die Popularität des Helden der Zeit und seine Beliebtheit in seinem Heere in einer Szene des Fragments „Die Aufgeregten" (1793/94), geschildert, in dem auch sonst noch des großen Namens Erwähnung geschieht. „Ein alter Soldat darf sich nicht fürchten!" sagt der Chirurgus Breme, „Bin ich denn nicht bei dem großen unüberwindlichen Fritz in die Schule gegangen?" Und weiter in dem folgenden Auftritt zwischen Breme und dem biederen Landmann Martin die prächtige Erzählung des

-Wenn

ersteren :

„Es war nach der Schlacht bei Leuthen, wo unsere Lazarette in schlechtem Zustande befanden, und sich wahrhaftig noch in schlechterm Zustande befunden hätten, wäre Breme nicht damals ein junger rüstiger Bursche gewesen. Da lagen viele Blessierte, viele Kranke, und alle Feldscherer waren alt und verdrossen, aber Breme, ein junger tüchtiger Kerl. Tag und Nacht parat. Ich sag' Euch, Gevatter, daß ich acht Nächte nach einander weg ge¬ wacht und am Tage nicht geschlafen habe. Das merkte sich der auch, der alte Fritz, der alles wußte, was er wissen wollte. „Höre Er, Breme," sagte er einmal, als er in eigener Person das Lazarett visitierte, „Höre er, Breme! Man sagt, daß Er an der Schlaf¬ losigkeit krank liege. — Ich merkte, wo das hinaus wollte; denn die anderen stunden alle dabei; ich faßte mich und sagte: Jhro Majestät, das ist eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern wünsche, und da sie keine Mattigkeit zurückläßt, und ich den Tag sich

auch »och brauchbar bin, so hoffe ich, daß Seine Majestät des¬ wegen keine Ungnade auf mich werfen werden. Martin: Ei, ei — wie nahm denn das der König auf? Breme: Er sah ganz ernsthaft aus, aber ich sah ihm wohl an, daß es ihm wohl gefiel. „Breme," sagte er, „womit vertreibt Er sich denn die Zeit?" Da faßt' ich mir wieder ein Herz und sagte: Ich denke au das, was Jhro Majestät gethan haben und noch thun werden. Und da könnte ich Methusalems Jahre er¬ reichen und immer fortwachen, und könnt's doch nicht ausdenken." Da that er, als hört' er's nicht und ging vorbei. Nun war's wohl acht Jahre danach, da faßt' er mich bei der Revue wieder ins Auge. „Wacht Er immer noch, Breme?" rief er. „Jhro Majestät," versetzte ich, „lassen einem ja im Frieden so wenig Ruh als im Kriege. Sie thun immer so große Sachen, daß sich ein gescheidter Kerl daran zu Schanden denkt." Martin. So habt mit dem König gesprochen, Gevatter? Durfte man so mit ihm reden? Breme. Freilich durfte man so und noch ganz anders; denn er wußte alles besser. Es war ihm einer wie der andere — und der Bauer lag ihm am mehrsten am Herzen. Ich weiß wohl, sagte er zu seinen Ministern, wenn sie ihm das und jenes ein¬ reden wollten, die Reichen haben viele Advokaten, aber die Dürftigen haben nur einen, und das bin ich!

Ihr

Martin.

Wenn ich ihn doch nur auch gesehen hätte!"

Welch eine herzliche Bewunderung und Verehrung für den Helden mußte das Gemüt eines Dichters erfüllen, der seine Ge¬ stalten so von ihm sprechen ließ! lind wie vortrefflich ist das Kolorit, ist das Friedericianische in dem alten Chirurgus getroffen, wie charakteristisch auch der König selbst geschildert worden! Noch an manchen Stellen seiner Dichtungen erwähnt Goethe seiner, so außer in dem Festspiel „Des Epimenides Erwachen" in „Wilhelm Meisters Wauderjahren", wo die erdrückende Größe Friedrichs und seiner Geschichte gesprächsweise angedeutet wird. Sicher aber trifft R. M. Meyer in seiner Biographie das richtige, wenn er nachzuweisen sucht, daß dem Dichter auch bei einer der erhabensten Stellen seiner großartigsten Dichtung das Bild des großen Königs vorgeschwebt habe. Es ist jene Stelle im II. Teil des Faust, wo wir „den ehemaligen Doktor und Magister als ge¬ waltigen Kolonisator aus eigenem Boden thätig" finden. „Schon in den „Wauderjahren", sagt Meyer, trafen wir Goethes Interesse für das, was man heute „innere Kolonisation" nennt, und früher schon, worauf Bischer hinwies, in der „Achilleis", wo auch solche Thätigkeit als höhere Stufe der des Schlachtengewinners gegen¬ übersteht. Ein fürstlicher Mann ist so nötig auf Erden, Daß die jüngere Wut, des wilden Zerstörens Begierde, Sich als mächtiger Sinn, als schaffender, endlich beweise. Der die Ordnung bestimmt, nach welcher sich Tausende richten. Nicht mehr gleicht der Vollendete dann dem stürmenden Ares, Dem die Schlacht nur genügt, die männertötende! Nein er Gleicht dem Kroniden selbst, von dem ausgehet die Wohlfahrt. Städte zerstört er nicht mehr, er baut sie; fernem Gestade Führt er den Ueberfluß der Bürger zu; Küsten und Syrien Wimmeln von neuem Volk, des Raums und der Nahrung

begierig.*)

Man hat daran erinnert, wie Goethe im Alter sich für große amerikanische Kanalprojekte interessierte. — Aber was in Amerika geplant wurde, war in Europa schon gethan. Dem Ringen FaustS mit den Elementen vergleicht sich der Kampf der Niederländer mit dem Meer, dem sie noch in unserem Jahrhundert große Provinzen durch Eindämmen abgewonnen haben. Vor allem aber schwebten dem Dichter wohl Preußens Könige vor. Friedrich der Große schrieb au Voltaire, sein Vater habe in Ostpreußen durch friedliche Arbeit größere Gebiete gewonnen, als mancher Eroberer; und wie der Gegenstand der Thätigkeit von Friedrich Wilhelm I., so stammt das Bild des rastlos und ungeduldig arbeitenden, alten und ein¬ samen Gebieters wohl von Friedrich selbst. Und noch weiter führt der Biograph die Parallele. An¬ knüpfend an die dritte Szene des V. Aktes, wo Faust sich in seinem Nachdenken durch das Läuten des Türmers gestört fühlt und seinem Unmut in heftigen Worten Luft macht, zitiert er einen Brief des Dichters an Frau von Stein, in welchem Goethe, der gegenüber der Kirche wohnte, sagt: „Sie läuten schon seit früh um vierund orgeln, daß ich aufhören muß, denn ich kann keinen Gedanken zu¬ sammenbringen." Und er erinnert weiter daran, daß der Dichter durch den Lärm eines im Nachbarhause befindlichen Webstuhls später aus der Stadtwohnung in die Gartenwohnung getrieben wurde und fährt fort: „Man denke für die Situation des gefähr¬ lichen Nachbars an die historische Mühle in Sanssouci." In der That, man muß an sie denken, wenn man diese Worte Faustens liest: Verdammtes Läuten! Allzu schändlich Bcrwnudet's wie ein tückischer Schuß; Vor Augen ist mein Reich unendlich, Im Rücken neckt mich der Verdruß, *) Man vergleiche hierzu in Faust II. Teil V. Akt: Fausts „Ein Sumpf zielst am Gebirge hin" u. s. io.

letzte

Worte:

63°

Erinnert mich durch neidische Laute: Mein Hochbesitz, er ist nicht rein: Der Lindenbaum, die braune Baute,

DaS morsche Kirchlein ist nicht mein! — Hub wenn Goethe auch der eigenen ärgerlichen Stimmung gedachte, als er diese Worte schrieb, so scheint doch sogar die Er¬ innerung an die klappernde Mühle des Einsiedlers von Sanssouci hier sehr überwiegend gewesen zu fein. Wie natürlich ist beides! — Denn hier, wie überall, erfüllte der große Schöpfer die große Gestalt mit eigenem Geistes-, Herzens¬ und Lebensinhalt. Andererseits aber, wie gesagt, zeigt er uns diese Gestalt hier in der Thätigkeit eines für das Wohl seiner Unterthanen, für das Gedeihen seines Gebietes sorgenden Herrschers. "da Welch ein besseres außenstehendes Vorbild konnte er finden oder finden wollen, als den Fürsten, den man in Wahrheit einen Beglücker seines Volkes nennen konnte*), den König, den er selbst oft genug, wie in der Rede zum Gedächtnis der Herzogin Anna Amalia, „den größten Mann seiner Zeit" nennt! — Er hatte ihn noch mit eigenen Augen gesehen. Der Neunundzwanzigjährige hatte auf einer Reise, die er in Begleitung des Herzogs nach Berlin und Potsdam machte, Gelegenheit gehabt, den Helden zu betrachten. Ihn hatte die Ehrfurcht vor diesem seltenen Mann, vor irdischer Größe durchschauert — aber auch der Schauer irdischer Vergäng¬ lichkeit hatte ihn berührt. Und was empfinden wir bei der Be¬ trachtung des greisen Faust? — Den immer noch rastlos schassen¬ den, sinnenden König hatte der Dichter gesehen, dessen Einsamkeit Alter und Sorge teilten. „Der Fluch aber, den die Sorge Faust mitgiebt," heißt es in dem mehrfach erwähnten Buch, „der Fluch, den er nicht, wie den Gedanken an ein Gericht im Jenseits, abschütteln kann, das ist die Furcht, seines Werkes Vollendung nicht mehr zu erleben. So arbeitete mit ungeheurem Ungestüm der alte König; man erzählt, als sein alter Kabinetssekretär, während er ihm diktierte, vom Schlag getroffen tot niedergestürzt sei, habe er, ohne um ihn sich zu bekümmern, einen anderen holen lassen und fortdiktiert. — Und Goethe selbst mochte zuweilen mit ähnlichen Gefühlen den riesigen Torso eben dieses Werkes, des „Faust", betrachtet haben. —" Ja, der Schatten Friedrichs mußte vor seine Seele treten, er mußte sich ihm bei dieser Schöpfung aufdrängen! •— Wenn wir es sonst nicht wüßten, in welchem Grade dieser Fürst der Beherrscher seiner Zeit war: wir könnten es ans Goethes Wahr¬ heit und Dichtung nachweisen. Wie reizvoll schildert der Sechzig¬ jährige den Aufruhr, den Friedrichs Einfall in Sachsen bei Beginn des siebenjährigen Krieges 1756 im Kreise seiner Familie hervorgerufen hatte! „Die Welt, die sich nicht nur als Zuschauer, sondern auch als Richter aufgefordert fand, spaltete sich sogleich in zwei Parteien, und unsere Familie war ein Bild des großen Ganzen. Mein Großvater, der als Schöff von Frankfurt über Franz dem Ersten den Krönungshimmel getragen und von der Kaiserin eine gewichtige goldene Kette mit ihrem Bildnis erhalten hatte, war mit einigen Schwiegersöhnen und Töchtern auf Oesterreichischer Seite. Mein Vater, von Karl VII. zum kaiserlichen Rat ernannt, und an dem Schicksale dieses unglücklichen Monarchen gemüt¬ lich teilnehmend, neigte sich mit der kleinern Familienhälfte gegen Preußen. Gar bald'wurden unsere Zusammenkünfte, die man seit mehreren Jahren Sonntags ununterbrochen fortgesetzt hatte, gestört. Die unter Verschwägerten gewöhnlichen Mißhelligkeiten fanden nun erst eine Form, in der sie sich aussprcchen konnten. Man stritt, man

sich, man schwieg, man brach los. Der Großvater, sonst ein heiterer, ruhiger und bequemer Mann, ward ungeduldig. Die Frauen suchten vergebens das Feuer zu tuschen, und nach einigen unangenehmen Szenen blieb mein Vater zuerst aus der Gesellschaft. Nun freuten wir uns ungestört zu Hanse der Preußischen Siege, welche gewöhnlich durch jene leidenschaftliche Tante mit großem Jubel verkündigt wurden. Alles andere Interesse mußte diesem weichen, und wir brachten den Ileberrest des Jahres in beständiger Agitation zu. Die Besitznahme von Dresden, die anfängliche Mäßigung des Königs, die zwar langsamen, aber sicheren Fort¬ schritte, der Sieg bei Lowositz,. die Gefangennehmung der Sachsen waren für unsere Partei ebenso viele Triumphe. Alles, was zum Vorteil der Gegner angeführt werden konnte, wurde geleugnet oder verkleinert; und da die entgegengesetzten Familienglieder das Gleiche thaten, so konnten sic einander nicht auf der Straße begegnen, ohne daß es Händel setzte, wie in Romeo und Julie. Und so war ich denn auch Preußisch, oder, um richtiger zu reden, Fritzisch gesinnt; denn was ging uns Preußen an! es war die Persönlichkeit des großen Königs, die auf alle Gemüter wirkte." Ja, leidenschaftlich war der Knabe für seinen Helden begeistert, sosehr, daß ihm im Hanse seines Großvaters, in dem er des Sonntags zu speisen pflegte, kein Bissen mehr schmecken wollte.

überwarf

*) Man vergleiche, um sich Friedrichs Größe i„ dieser Hinsicht zu vergegenwärtigen, die treffliche Tarsicllimg: Friedrichs II. »-such im Rhin- Ulid Dosscbruch tu Thcod. Foutaue, Wand-rungen durch die Mark Brandenburg I. Teil.

daß ihm „diese vergnügtesten Stunden der ganzen Woche" vergällt wurden! Er mußte hören, wie die „größten und augenfälligsten Verdienste geschmäht und angefeindet, die höchsten Thaten, wo nicht geleugnet, doch wenigstens entstellt und angefeindet" wurden. „Und ein so schnödes Unrecht geschah dem einzigen, offenbar über alle seine Zeitgenossen erhabenen Manne." In demselben Abschnitt seines Werkes erzählt uns der Dichter, wie im Jahre 1757 die Siege, die Großthaten, die Unglücksfälle, die Wiederherstellungen auf einander folgten — immer aber die Gestalt Friedrichs, sein Name, sein Ruhm in kurzem wieder oben schwebte! „Der Enthu¬ siasmus seiner Verehrer ward immer größer und belebter, der Haß seiner Feinde bitterer, und die Verschiedenheit der Ansichten, welche selbst Familien zerspaltete, trug nicht wenig dazu bei, die ohnehin schon auf mancherlei Weise von einander getrennten Bürger noch mehr zu isolieren!" Immer neue Nahrung fand die einmal entzündete Begeisterung. Bei der Schilderung der Feierlichkeiten, die anläßlich der Krönung des Kaisers Franz in Frankfurt stattfanden*), berichtet uns Goethe mehrmals, mit welchem Interesse, mit welcher Zuneigung der Brandenburgische Gesandte, von Plotho, allgemein betrachtet wurde. Von diesem Diplomaten erzählte man, er habe zu Regensburg den Kaiserl. Notarius Pfeil, der ihm die gegen seinen König ergangene Achtserklärung, von einigen Zeugen begleitet, zu insinuieren gedachte, mit der lakonischen Antwort: „Was! Er insinuieren?" die Treppe hinuntergeworfen. Das schon hatte ihm alle Fritzisch gesinnten Frankfurter gewonnen, und es entstand jederzeit eine Art von frohem Zischeln, wo er erschien, und wenig fehlte, daß man ihm Bravo! zugerufen hätte. „So hoch stand der König, und alles, was ihm mit Leib und Seele ergeben war, in der Gunst der Menge, unter der sich außer den Frankfurtern schon Deutsche aus allen Gegenden befanden." Ja, sogar allerlei kleine Verstöße gegen das Cermoniell, über das sich Plotho „wie ein König" hinauszusetzen pflegte, erregten, da man etwas Vorsätzliches darin erkennen mußte, allgemeines Vergnügen. — Es ist nicht wunderbar, daß solche Eindrücke, in früher Jugend empfangen und ausgehend oder hervorgebracht von der Wirksamkeit einer einzigen, alles überragenden Persönlichkeit, durch ein ganzes langes Leben fortwirkten. — Wohl wird uns, ebenfalls in „Wahrheit und Dichtung"**), erzählt, daß die Ein¬ wohner von Leipzig den jungen Studenten Goethe um das an¬ genehme Gefühl brachten, einen großen Mann zu verehren. „Friedrich II.", heißt es da, „stand noch immer über allen vor¬ züglichen Männern des Jahrhunderts in meinen Gedanken, und es mußte mir daher sehr befremdend vorkommen, daß ich ihn so wenig vor den Einwohnern von Leipzig als sonst in meinem großväterlichen Hause loben durfte." Aber die Leipziger, welche die Hand des von Friedrich begonnenen Krieges schwer gefühlt hatten, wußten sehr vieles gegen ihn vorzubringen und hatten, „um diese Gesinnungen zu behaupten, ein unendliches Detail an¬ zuführen, welches ich nicht zu leugnen wußte, und nach und nach die unbedingte Verehrung erkalten fühlte, die ich diesem merkwürdigen Fürsten von Jugend auf gewidmet hatte." — Allein, diese Erkaltung hielt jedenfalls nicht allzu lange an. Es ergiebt sich aus dem, was der gereiste Mann geschrieben, und was wir angeführt, zur Genüge, daß die alte Verehrung wieder die Oberhand gewann. An vielen anderen Stellen noch erwähnt er Friedrichs mit gleicher Be¬ wunderung, so sagt er z. B. einmal:***) „Der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Krieges in die deutsche Poesie," und an einer anderen Stelle:ch) „Friedrich hatte die Ehre eines Teils der Deutschen gegen eine verbundene Welt gerettet." Er erzählt uns in seiner Italienischen Reise, wie er in Sizilien den Einwohnern von Caltanisetta von Friedrich II. erzählen mußte, und wie ihre Teilnahme an diesem großen König so lebhaft ge¬ wesen sei, daß „wir seinen Tod verhehlten, um nicht durch eine so unselige Nachricht unseren Wirten verhaßt zu werden!" — Er übersetzte die Akademie-Rede Johannes von Müllers über Friedrich den Großen vom 29. Januar 1807 aus dem Französischen ins Deutsche, und wenn er dies auch in den „Annalen" ans freund¬ schaftlichen Gefühlen gegen den Redner erklärt, so würde er doch schwerlich die Arbeit unternommen haben, wäre er nicht mit dem

Inhalte der begeisterten Rede einverstanden gewesen! Das beste und schönste Zeugnis aber für die Empfindung des großen Dichters gegenüber dem unsterblichen Könige enthält die Aufzeichnung in seiner Italienischen Reise vom 19. Januar 1787:

„So hat denn der große König, dessen Ruhm die Welt erfüllte — endlich auch das Zeitliche gesegnet, um sich mit den Heroen seines Gleichen im Schattenreiche zu unterhalten. Wie gern ist man still, wenn man einen solchen zur Ruh gebracht hat!" *) Wahrheit und Dichtung, V. **) VII. Luch.

***)

Buch.

Wahrheit und Dichtung, VII. Buch,

-ft XII. Luch.

540

Goethe in seinen Lebensbeziehungen nt Lili Schönemann und Gräfin Auguste von Stotberg. Von

A. Matthes. psychologisches Rätsel war bisher den Goethe-Forschern WtzK das gleichzeitige Verhältnis Goethes zu Lili Schönemann und Gräfin Auguste von Stolberg. Diese beiden Frauengestalten gehören schon jede für sich zn den eigentümlichsten und bedentnngsvollsten Erscheinungen in Goethes Leben. Durch ihre seltsame gleichzeitige Verknüpfung mit dem Herzen des Dichters werden sie es noch in erhöhtem Maße. Es scheint fast, als ob sich uns hier in Goethes Seelenleben etwas aufthätc, was dem gemeinen Verstand unfaßbar wäre, etwa wie der kaum erträgliche Schluß des aus derselben Zeit stammenden Dramas „Stella", das in seiner ursprünglichen Fassung mit einer Doppelehe endete. Und allerdings fällt dies Erlebnis in die Tage, die er rückblickend selbst „die verworrensten, die zerstreutesten und ganzesten, vollsten und leersten, kräftigsten und läppischesten seines ganzen Lebens" genannt hat, von denen er später selbst äußerte, daß er unter solchen fort¬ währenden Umständen unfehlbar zu Grunde gegangen wäre. Es ist die Zeit seiner höchsten genialen Anspannung, das letzte Jahr vor seinem Abgänge nach Weimar, in dem er bei aller Aufgeregtheit seines äußern Treibens neben Stella noch einige Singspiele, viele seiner schönsten Liebeslieder

Es war gegen Ende des Jahres 1774, als Goethe, damals im Vollgenussc des jungen Dichtcrrnhms stehend, den ihm „Götz" und „Werther" gebracht, Lili unter Umständen, die er selbst in Dichtung und Wahrheit näher schildert, kennen lernte und sich in wenig Wochen in eine solche Leidenschaft zu ihr verstrickt fühlte, daß er allein in der dauernden Vereinigung mit der Geliebten das Glück seines Lebens finden zu können glaubte. Wie sehr Lili ihn selbst bald in ihrer Gewalt hatte, und wie sie spielend, ja tändelnd im Vollgefühle dieser Gewalt alle seine Seelenstimmungen aufuud abwogen machte, schildert uns der Dichter mit fast burleskem Humor in „Lilis Park". In seinen ernsten lyrischen Gedichten rühmt er an ihr den „Blick voll Treu und Güte", der „Lieb' und Güte' auch um sich her verbreitet, wie der Frühling Blüte» über ie vereinigte in seltener Weise starke Gegensätze in die Flur. ihrem Charakter, zarte geistige Empfindsamkeit und feste Energie und Entschlossenheit, ja unter¬ nehmende Stärke, virtuose Ge¬ wandtheit im geselligen Umgänge und häuslichen Sinn, kräftigste Lebensfrische und -fülle, und dabei doch völlige Herrschaft über sich selbst, so daß sie dem jungen Dichter einerseits völlig ebenbürtig, andrerseits ihn auch aufs beste zu

ergänzen schien. Das war es, was und zugleich einige der ergreifend¬ sten Szenen aus Faust und die er meinte, wenn er an Auguste erhaltenen Bruchstücke der Burleske von Stolberg schrieb, daß der Ab¬ stand LiliS von ihm das Band Hanswursts Hochzeit schuf, das nur fester mache, das ihn au sie Drama Egmont begann und ver¬ zaubere. Je ernster es dem Dichter mutlich auch schon die Anfänge von Wilhelm Meisters Lehrjahren mit seiner Liebe war, um so schmerzlicher empfand er es, wenn im stillen konzipierte. Damals schrieb er auch die tagebuchähn¬ Lili ihn einmal fallen ließ oder gar abstoßend behandelte, und dafür lichen, wundersamen, aber höchst einen andern ihrer zahlreichen Ver¬ wichtigen Briefe an die Gräfin Auguste von Stolberg, in denen ehrer, die sich alle Abende in ihrem er diese selbst mit „Du" und fürstlich eingerichteten Salon »m „Gustchen" anredete, sie die ver¬ sie versammelten, zn bevorzugen trautesten Einblicke in sein privates schien. Von jeher durch ihre llmLeben, besonders auch sein Em¬ gcbung verwöhnt und durch Ver¬ wöhnung auch ein wenig launisch, pfinden und Denken über Lili thun ließ und sie schließlich anflehte, dabei jugendlich übermütig und anspruchsvoll, noch nicht durch ihn aus all dem Ungemach, in eigene trübeLebenserfahruugen, die das er sich durch die hoffnungslose Liebe zu Lili gestürzt sah, zu retten. ihr nicht erspart bleiben sollten, ge¬ Schönemann. läutert und geschmeidigst kam es Es ist mir gelungen, zwei neue, bisher ganz unbekannte ihr gar nicht darauf an, ihren Porträts der beiden durch so seltsames Empfinden in der Seele leidenschaftlichen Liebhaber zu quälen, ja gelegentlich sein Herz mit Füßen zu treten und so seine Liebe auf die härtesten Proben zu des Dichters verknüpften weiblichen Gestalten aufzufinden, die nach¬ stellen. Mit einem Lächeln, einem Blick, einem Knß, einer mehr weisbar der Zeit ihrer ersten Bekanntschaft mit Goethe entstammen, andeutenden, als offenen Erklärung verstand sie daun im Notfälle und niit deren Hilfe es uns vielleicht gelingen wird, uns tiefer in alles wieder ins schönste Gleichgewicht zu bringen: so erweckte sie das Herz des Dichters zu versenken, als es bisher ohne sie möglich unaufhörlich Dissonanzen in der Seele des Dichters, um sie spielend mar. Vorher aber sei es mir gestattet, die Leser, gleichsam ein¬ wieder in Harmonie aufzulösen; und so zeichnen sich auch die Lieder leitend, auf ein wohl nicht ganz unbekanntes, aber kaum beachtetes, an sie von allen andern Liebesliedern Goethes dadurch aus, daß und soviel ich weiß, hier im „Bär" zum erstenmal repro¬ duziertes Goethebildnis aus jener Zeit aufmerksam zu machen, sie Schmerz in Lnst oder Lust in Schmerz schmelzen; sie sind darin wie Rachtigallengesang, während z. B. die Lieder an Friederike das nach dem llrteil des Physioguomen Lavater, dessen „Physiognomischen Fragmenten, Band 3 (erschienen 1777), es entnommen mehr dem Lerchenjubel gleichen. Mau wird die geschilderten Charakterzüge leicht in dem hier ist, wie kein anderes, „die hochaufschwebende dichterische Genialität ausdrückt", also uns den Dichter selbst gerade von der seelischen aus Lavaters Physiognomischen Fragmenten, Band III, repro¬ Seite zeigt, in der wir ihn auch in seinem Verhältnis zu Lili duzierten Profilbild wiedererkennen. Lili erscheint hier speziell für Schöncmaun und Gräfin Auguste von Stolberg zu erfassen haben. den Zweck der physiognomischen Analyse nicht in elegantem Gesell„Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen," scheint dies Bild schaftsputz, sondern in gewöhnlicher Haustracht, das Haar, das uns gleichsam mit Mignon zu sagen; „denn mein Geheimnis ist sonst in Locken um Hals und Nacken bis in den Busen hinein sich mir Pflicht; ich möchte Dir mein ganzes Innere zeigen, allein mein ringelte, durch einen Kamm in die Höh' genommen und durch eine Schicksal will es nicht." lind in der That stehen wir ja auch in Schutzperücke.verdeckt, so wie wir uns auch ihr Nachbild „Stella" dem hier behandelten Falle vor einem Wendepunkt des Schicksals, in der berühmten Szene des dritten Aktes zu denken haben, wo der für sein ganzes übriges Leben entscheidend geworden ist. Er ihr Fernando den Kamm aus den Haaren ziehst so daß diese tief herunterrollen, und er, seine Hände darin wickelnd, spricht: „Rinaldo selbst äußerte sich später (1824) über diese Lebenswende einem Freunde (Soret) gegenüber: „In meinem Verhältnis zu Lili war ln den alten Ketten," vermutlich die treue Kopie eines wirklichen Erlebnisses Goethes. „Belinde" pflegte sie Goethe in dieser ein¬ das Dämonische besonders wirksam; cs gab meinem ganzen Leben eine andere Richtung, und ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, fachen Hanstracht zu nennen, im Gegensatz zu „Lili", der eleganten Gesellschaftsdame, und so werden wir auch das II unter dein daß meine Herkunft nach Weimar und mein jetziges Hiersein davon Bilde zu deuten haben, wenn nicht die Verlobung mit ihrem Better eine unmittelbare Folge war."

Lili

541

Bernard, von der Goethe bereits am 8 . Juli 1776 Kunde hatte, etwa auch Lavater noch, bevor er den Stich in Auftrag"wurde, gab, bekannt und deshalb diese Bezeichnung von ihm gewählt oder, wofür noch mehr spricht, eine Verwechselung ihres Familien¬ namens mit dem von Goethes Lotte (Buff) seitens Lavater vorliegt. Daß Goethe dieses Bildes nicht in „Dichtung und Wahrheit" Er¬ wähnung thut, hat wohl seinen Grund in der nicht allzu schmeichel¬ haften Analyse, die Lavater nach diesem Bilde von dem Charakter Lilis, übrigens in unverkennbarer, obwohl unausgeglichener An¬ lehnung an „Lilis Park" einerseits, und Goethes Gedichte an sie andererseits, entworfen hat. Die Bezeichnung mit dem L und die Ignorierung des Bildes von Seiten Goethes ist wohl auch der Grund, weshalb dies Bild allen Goetheforschern bisher entgangen ist. Daß es Lili thatsächlich ist, ergiebt der Vergleich des Profils mit dem von Jügel bereits 1857 in seinem Buche „Das Pnppenhaus" veröffentlichten, etwa 20 Jahre nach dem unsrigen, von Lilis Tochter, gezeichneten Profilbilde Lilis, das, die natürlichen Unterschiede des Alters, eine leichte Seitenwenduiig und die un¬ bedeutende Aenderung der Haartracht abgerechnet, damit völlig übereinstimmt. Vermutlich ist es das Bild, das Goethe am 13. August 1775 Lavater versprach mit den Worten: „Ich schicke Dir ehestens ihre Silhouette, iveiblich," und später mii anderen zusammen sicher auch gesandt hat. Trifft diese Vermutung zu, dann ist es sicher von Goethe nach der Natur groß abgenommen, wie er zu thun pflegte, daher die scharfe äußerste Profilstellung, da¬ rauf mit dem Storchschnabel ver¬ kleinert und endlich ausschattiert worden, und wir haben also allem Anschein nach in unserm Bilde einen Kupferstich nach einer Originalzeichnnng von Goethe vor uns. Der Umstand, daß es so gut wie ausgeschlossen ist, daß Lavater das Bild von anderer Seite zugegangen sein könnte, er¬ hebt diese Vermutung fast zur

Gewißheit.

Man wird

es bei der ewigen

gesehen, erfüllt? Da wir ihre Briefe mit Ausnahme eines noch zu erwähnenden spätern aus dem Jahre 1822 von fromm mah¬ nendem Charakter nicht kennen, so bleibt uns zur Beantwortung dieser Frage nur ihr persönlicher Charakter, wie ihn Goethe nach einer mit ihrem zweiten Brief erhaltenen Silhouette selbst faßte, und wie wir ihn auch in dem in Lavaters Physiognomik neu aufgefundenen Porträt wiedererkennen. Goethe schrieb ihr über ihre Silhouette, die wahrscheinlich mit der in den Physiognomischen Fragmenten Band II S. 118 abgebildeten, bisher auch noch unentdeckt gewesenen völlig identisch ist: „Wie ist mein und meines Bruders Lavater physiognomischer Glaube wieder bestätigt! Diese reinsinnende Stirn, diese süße Festigkeit der Rase, diese liebe Lippe, dieses gewisse Kinn, der Adel des Ganzen! Danke, meine Liebe, danke!" Wir brauchen uns nicht mit dieser bloßen Sil¬ houette zu begnügen; denn auch das vollausschattierte Profilbild bietet uns Lavaters Physiognomik in demselben Bande S. 238, und es ist zweifellos auch Goethe als solches, wohl schon vor öffentlichem Erscheinen, durch ihre Brüder, vou denen es auch Lavater hat, bekannt gewesen. Daß es bisher unbekannt blieb, liegt daran, daß es nicht mit Namen, nicht einmal mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnet ist. Die Kennzeichen sind intimere: einerseits die Uebereinstimmung mit der erwähnten Silhouette, die Lavater ausdrücklich als „aus dem Herzen des Nords" stammend sgemeint ist Holstein oder Hamburg) erwähnt, anderer¬ seits die Zusammenstellung mit dem Freunde der Brüder Stolberg, dem Grafen Haugwitz in nächster Nähe der Brüder selbst mit de» Worten: „Wir geben dem sanften, edlen Jüngling eine sanfte, edle, unschuldige, reine Seele zur Nach¬ barin", endlich die unverkennbarste Familienähnlichkeit mit den beiden

Brüder» Stolberg, namentlich mit dem älteren: es sind ganz die¬ selben Züge, nur ins weibliche



der kleineren, späteren übersetzt. französischen Ausgabe der Physi¬ ognomik erscheint ganz dasselbe

Bild, nur anders gezeichnet wieder, Unruhe und Aufregung, in die und zwar kontrastiert durch ein Goethe sein Verhältnis zu Lili gleichfalls bisher noch unbekanntes, versetzte, begreiflich finden, daß er nach der Mode der damaligen Zeit sich fast gleichzeitig an eine andere ins Antike umstilistertes, großes Person mit innigster Herzlichkeit Profilbild Lilis: Lavater begleitet anschloß, die nach allem, was er das dortige Porträt der Gräfin von ihr erfuhr und sah, ihr gerades Auguste von Stolberg im Gegen¬ Gegenteil war, der wenigstens ge¬ satz zu dem Lilis, die infolge der rade die Seiten des Charakters, Verhärtung und Verschärfung ihrer die ihn an Lili bisweilen bei seiner Züge dort schon mehr aussieht Leidenschaft unsäglich quälten, ab¬ wie die schöne Hexe Lilith aus zugehen schienen. Und es mag uns der Walpurgisnacht im „Faust", seltsam erscheinen, ist aber vielleicht mit folgendem, auch für uns sehr aus dem Zusammenhang psycho¬ bezeichnendem Text: „In diesem logischer Zustände ans sehr natür¬ Profil hier liegt mehr Sanftmut, liche Weise zu erklären, daß er sich Güte, Einsinnigkeit, Einfachheit. dabei in dem Sturm der Gefühle, Es hat nicht die Lebhaftigkeit den er seiner Geliebten in der des vorhergehenden, aber man Nähe gegenüber hatte unterdrücken findet mehr Aufrichtigkeit und müssen, der entfernten Unbekannten Goethe. Einfalt darin. Dieser Charakter gegenüber um so freier gehen hat weniger Prätentionen, aber er ließ und ihr selbst mehr wie weiß eine gute Anwendung vou seinen Fähigkeiten zu machen, und einer Geliebten, als wie einer Freundin schrieb. Vielleicht hatte Mit einer solchen dadurch wird sein Grundvermögen reicher. er auch vou vornherein schon den Gedanken, in der äußersten Not, in die ihn sein Verhältnis zu Lili, etwa ihr völliger Verlust, Physiognomie ist man sicher vor Beleidigungen und Beschimpfungen. Eine so glückliche Harmonie in de» Zügen ist eine Schntzwchr die Unmöglichkeit, ihre Hand zu erlangen, setzen könnte, eine gegen alle Anfeindungen." sichere Zuflucht bei der fernen Freundin zu finden, wie er es Dieser Gegensatz, der den tief intuitiv anschauenden Dichter später ihr selbst gegenüber ganz offen aussprach. Thatsache ist, gleich Ausbruch bei Empfang des ersten Brieses der Gräfin Stolberg gepackt leidenschaftlichem erst zu der Zeit seiner eben daß in haben mag. war es wohl auch, der ihn gerade in den unruhigsten gekommenen Liebe zu Lili der Briefwechsel mit Auguste von Stol¬ Stunden, die ihm seine Leidenschaft für Lili bereitete, seinem berg sofort mit einem Sturm der Gefühle anhebt, der sich in Gustchen so offen sein Herz auszuschütten antrieb. Lili fehlte es Wendungen findenden Worte nicht zerstückten, stammelnden, oft selbst nicht an tieferer Innerlichkeit, und im tiefsten Herzensgründe, bewegt. Im Anschluß an ein Schreiben ihrer Brüder hatte die auf den der geliebte Liebende gelegentlich schauen durste, barg sic junge Gräfin sich anscheinend enthusiastisch über „Werthers Leiden" — ihre die schönsten, seltensten Perlen. Daß sic ihn „unglücklich machte, sehen Antwort der geäußert, und ihn, soviel wir ans Briefe sind leider dein allgemeine» Autodafe in Weimar zum wider ihren Willen, mit der Seele eines Engels, dessen heitere Tage er selbst nur trübte," wie er sich vorwarf, lag, sobald sie sich Opfer gefallen — gefragt, ob er glücklich sei. Goethe fühlte sich ihm still verlobt und damit auf einmal alle Spielereien eitler durch den Brief, wie er sagt, „in einer wuiidcrlichen Stunde Koketterie abgethan hatte, nicht mehr an ihr, sondern an den gepackt", und aus seinem leidenschaftlicheil Ergüsse entwickelte sich widrigen Verhältnissen, die sich ihrem Wunsche und Gelöbnis einer letzten Frank¬ Treiben im geniales sein in dann der ganze, uns furter und ersten Weimarer Jahr, in die Gründe seines Gehens dauernden Vereinigung entgegenstellten. Aber im ganzen war sie doch mehr der Welt und ihren Freuden zugewandt und durchaus hier, seines Bleibens dort die tiefsten Einblicke gewährende Brief¬ er nicht so zu frommen Betrachtungen geneigt, wie die Gräfin Stol¬ sagt geschrieben sein' Tagebuch Offener könnte kein wechsel. berg. Aus einer spätern Danksagung wissen wir heute, was Goethe der Gräfin Auguste alles, auch das Geheimste, wenigstens an¬ selbst in Dichtung und Wahrheit verschwiegen, „daß ihre Leiden¬ deutungsweise, wo er nicht anders kann; die Briefe haben einen schaft für ihn mächtiger als Pflicht- und Tugendgefühl in ihr ge¬ Charakter. beichtenden innigst vertraulichen, oft fromm Was hat ihn mit einem solchen Vertrauen der ihm ganz wesen, und wen» seine Großmut die Opfer, die sie ihm bringen wollte, nicht standhaft zurückgewiesen hätte, sie damals, bei ihrem fremden Person gegenüber, die er nie in seinem Leben persönlich

542

jugendlichen Leichtsinn und ihrer Unerfahrenheit, ihrer weiblichen Ehre verlustig gegangen sein würde." Daß dieses Geständnis

Lilis

keine

Erfindung der Gräfin Beaulien-Marconnay, die

es

Goethe übermittelte, war, sondern genau den Thatsachen entsprach, geht nicht bloß aus der tiefen Beglückung, mit der es der greise Dichter selbst aufnahm, sondern auch aus den unmittelbaren brief¬ lichen Zeugnissen jener Zeit, intimen Schilderungen ihres un¬ bewachten Zusammenlebens in Offenbach, so die Briefe vom 3. August an Gräfin Stolberg, einem Briefe Goethes an die be¬ kannte „Karschin", endlich auch aus einer Bitte Goethes an Lavater in dem Briefe vom 13. August hervor: „Mach ihr (Lili) etwas in Versen, das sie im Guten stärke und erhalte!" Anderer¬ seits bestätigt es auch die Analyse, die Lavater von obigem Bilde giebt, indem er neben seltenen, vorzüglichen Geistesanlagen auch „mächtige Sinnlichkeit" und „süße gemeine Weiblichkeit" neben „edler, jungfräulicher Güte" ausgesprochen findet. Der erwähnte Brief vom 3. August 1775 an die Gräfin Stolberg läßt uns einen tiefen Blick thun in den begreiflicherweise nicht leichten Kampf, den der junge, feurige Dichter bei den feinen Verführungskünsten des verliebten „Fräulein Welt", das Lili im Grunde doch war, mit sich selbst auszukämpfen hatte. Ohne Zweifel bewährten sich hier die schlimmen Erfahrungen mit Friederikens Unglück, die Folgen eigenen frühen Leichtsinns und jugendlicher Unüberlegtheit als eine gute Lehre für sein ganzes Leben. Es ist freilich auch gar nicht unwahrscheinlich, daß gerade dieses frühere Verhältnis zu Friederike, von dem Lili und ihre Angehörigen z. B. von dem bei ihnen verkehrenden Dichter Wagner unterrichtet sein konnten, schlie߬ lich die endgiltige, stillschweigende Lösung des Gelöbnisses von Seiten Lilis zur Folge hatte, wie Lili selbst ihrer Tochter erzählt haben soll. Es würde sich dadurch in Goethes unglücklicher Liebe zu Lili etwas wie die Sühne seiner in der Liebe zu Friederike auf sich geladenen Schuld darstellen, wie ja auch dem Drama Stella nach einer Auffassung eine ähnliche Be¬ ziehung von Stella-Lili zu CäciliaFriederike zu Grunde liegen soll. Gleich¬ viel nun, ob dies auch der Dichter so empfunden und gedacht hat, er plagte sich jedenfalls jetzt nicht mehr mit diesen Ge¬ spenstern der Vergangenheit, in seiner Seele bekam vielmehr seine Liebe zu Lili jetzt eine höhere verklärende Bestimmung, die er auch in den Briefen an „Gustchen" offen aussprach: „Diese Leidenschaft, heißt es da, ist es, die uns (d. h. gerade weil wir ihr entsagen müssen) aufblasen wird zum Brand. In dieser Not werden wir um uns greifen und gut sein, und handeln und brav sein, und getrieben werden da¬ hin, wohin Ruhefinn nicht reicht." Ein anderesmal wieder preist er die „heilige Liebe, der immer ewig allein sein In¬ nerstes gewidmet bleibt, die nach und nach das Fremde durch den Geist der Reinheit, der sie selbst ist, ausstößt und so endlich lauter werden wird, wie gesponnen Gold." Hier sehen wir deutlich ausgesprochen des Dichters hochausschwebeude Genialität, die wir eingangs nur im Bilde bewundern konnten. Freilich hatte er in diesen Tagen bitteren Entsagens auch Stunden der tiefsten Verzweiflung und Ratlosigkeit — und es mutet wunderlich an, daß es dann gerade immer Gustchen ist, von der er allein Rettung und Trost erwartet, daß er ihr förmlich ausdringlich wird mit seiner Person, daß er ihr ganz deutlich zu verstehen giebt, in ihr allein hoffe, glaube er, sicher vollen Ersatz für Lili zu finden. Die Reichsgräfin aber reagierte darauf nicht in der gewünschten Weise — und als er erst die Einladung nach Weimar sicher hatte, tröstete er sich selbst in einem Schreiben an ihre Brüder kurz: „Gustchen ist ein Engel. Hol's der Teufel, daß sie Reichsgräfin ist!" Weimar ward endlich seine Rettung aus aller Rot und Be¬

drängnis. Er war es gründlich satt „auf den Wogen der Ein¬ bildungskraft und überspannten Seligkeit abwechselnd himmclauf und hölleuab getrieben zu werden." Hier konnte er sich, wie er wollte, „ins Rauschen der Zeit, ins Rollen der Begebenheit" stürzen, und wenn nicht der reinen Freude, so doch „dem Taumel, dem schmerzlichen Genuß weihn." Lili freilich konnte er sobald nicht vergessen, wenn er auch in Lida-Frau von Stein bald einen teilweisen Ersatz für sie fand; ihre Verlobung mit ihrem Vetter Bernard pries er, als hätte er sich bis dahin noch immer mit

dem Gedanken getragen, sie für sich vielleicht zu retten, ohne jedoch zu einem Entschluß kommen zu können, als eine gütige Fügung des Schicksals. Auch dieses Verlöbnis löste sich indessen, wegen Vermögensschwierigkeiten, in die der Bräutigam unversehens geriet, auf. Auf seiner Schweizer Reise 1779, einen Tag nach dem Besuche bei Friederike, sah Goethe sie in Straßburg, als' Gattin eines angesehenen Bankiers, Freiherrn von Türckheim, und Mutter ihres ersten, erst wenige Wochen alten Kindes, das einzige Mal wieder. Ein treues, inniges Andenken aber hat er ihr sein ganzes Leben hindurch bewahrt und sie noch in spätem Alter als die „erste und letzte", die einzige bezeichnet, die er „tief und wahr¬ haft liebte". Sie starb 1817 nach einem glücklichen, nur kurz vorübergehend durch die Wirren der Revolution bedrängten Leben an der Seite ihres Gatten und als Mutter zahlreicher, tüchtiger Kinder. Noch wenige Jahre vor seinem Tode erfreute den Dichter, wie ein Gruß aus dem Grabe oder dem Jenseits, ihre Dank¬ sagung für sein edelmütiges Handeln in seiner Liebe zu ihr. — An Gustchen schrieb der Dichter noch wiederholt von Weimar aus, ja, er trug sich mit dem Gedanken, sie in Hamburg zu besuchen, vielleicht auch noch immer mit der Hoffnung, in ihr einen Ersatz für Lili zu finden. Seine Briefe haben in der ersten Zeit häufig die Form von Selbstanklagen wie: „Ach,

Engel, es ist Lästerung, wenn ich mit Dir rede." Doch bald ist auch deutlich zu merke», wie der junge Dichter nach dem ersten stürmisch durchlebten Halbjahr in

ernster Pflichterfüllung zu mannhafter Lebensauffassung und neuem dichterischen Schaffen zu erstarken beginnt. Nur in seinem Verhältnis zu Gustchen wollte sich kein Segen zeigen, wie er einmal klagt. Sie vermählte sich 1783 nach dem Tode ihrer älteren Schwester mit ihrem Schwager, dem dänischen Minister Grafen Bernstorff. Nie hat sie der Dichter von Auge zu Auge gesehen. Mit einem rührenden Lebenszeichen aber sollte auch sie ihn noch im hohen Alter, 1822, überraschen. mißverständlicher Deutung einer Stelle ans den Jngendbriefen, in der er sic an¬ fleht, sie solle ihn nicht verlassen in der Zeit der Rot, die kommen könnte, glaubte sich die alte, damals in bereits 25jährigeni

In

Witwenstandeganz derreligiösen Glanbcnsdazu berufen, einen frommen Bekehrungsversuch an dem freigeistigen Dichter zu unternehmen. Goethe, der dergleichen sonst derb abzufertigen pflegte, ehrte hier nicht bloß ihre gute Absicht, er begrüßte sie selbst innig ergriffen, als „die früheste, im Herzen wohlgetännte, mit Augen nie gesehene, teure Freundin, und ihre „Schriftzllge des traulichsten Andenkens" als „höchst erfreulich rührend" — ein Beweis dafür, wie nahe sie seinem Herzen wirklich einst gestanden haben muß. Zu schön sind ein paar Worte seiner bei allem Gefühl der Uebcrlegenheit doch sehr bescheiden gehaltenen Antwort, als daß wir sie nicht abschließend selbst hierher setzen sollten: „Redlich," heißt es da, „habe ich es mein Lebelang mit mir und andern gemeint, und bei allem irdischen Treiben immer anfs Höchste hin¬ geblickt; Sie und die Ihrigen haben es auch gethan. Wirken wir also immerfort, so lang' es Tag für uns ist; für andere wird auch eine Sonne scheinen, sie werden sich an ihr hervorthun, und uns indessen ein helleres Licht erleuchten."

welt zugewandte Dame

Hermann Schulze-Delihsch. ^Deit kurzem ist W# reicher. Am

die Reichshauptstadt um ein schönes Monument 4. August wurde das von Hans Arnold ge¬ fertigte, außerordentlich gelungene Denkmal von Hermann Schulze-

Delitzsch in Gegenwart von Staats- und Gemeindebehörden feierlich enthüllt. Das ist für Berlin ein Ereignis, da die Stadt keine Uebersülle von guten, öffentlichen Denkmälern besitzt. Ging auch das Wirken dieses Mannes weit hinaus über das Weichbild der Reichshauptstadt, ja über die Grenzen des Staates — wie

die Ehrung der Vertreter ausländischer Genossenschaften auch äußerlich anzeigte — so ist doch in der That Berlin der rechte Platz, um c n Schutzes Wirken zu erinnern. Denn seine Schöpfung, das Genossenschaftswesen, welches mit seinem Namen un¬ trennbar verknüpft ist, bedeutet eine deutsche Eigenart, ist erwachsen und sorgsam angepaßt dem deutschen Wirtschafts- und Volks¬ charakter. So gehört sein Denkmal recht eigentlich in den Zentral¬ punkt des geistigen und geschäftlichen Lebens, n die Hauptstadt

/ 543

geeinten Deutschlands, Schulze-Delitzsch gewirkt. des

für

dessen

Zustandekommen

auch

Einer geachteten Patrizierfamilie entstammend, wurde Hermann Schulze am 29. August 1809 in der dainals sächsischen Kreisstadt Delitzsch geboren. Er wurde Jurist, wie sein Vater. Während der Jugend- und der ersten Mannesjahre würzte er die Trockenheit seines Berufes durch litterarische und besonders poetische Versuche, wie sie sein warm empfundenes „Wanderbuch" (Leipzig 1838, zweite Auflage Glogau 1859), seine Tagebücher und die gelegentlich veröffentlichten Briefe aus jener Periode zeigen. Aber auch an politischen und namentlich sozialpolitischen Reflexionen fehlt eS in jenen Tagen in diesem stillen Leben nicht. Da riß ihn die Be¬ wegung des „tollen Jahres" 1848 au die Oberfläche öffentlichen Wirkens. Schulze wurde von dem Wahlkreise Delitzsch in die preußische Nationalversammlung entsandt. Dort entstand auch sein Doppelname nach parlamentarischem Brauche zum Unterschiede von seinen zahlreichen Namensvettern. Er blieb ihm erhalten, als er auch später andere Wahl¬ kreise, darunterBerlin (1862) in der Kammer vertrat. Schulze schloß sich dem linken Zentrum an, das damals unter Führung von Ziegler undRodbcrtus stand, spielte jedoch im Parlament selbst als Redner keine große Rolle. Viel bedeutsamer war es, daß er als Vor¬ sitzender der Kommission zur Berichterstattung über Pe¬ titionen wegen des Not¬ standes der Arbeiter einen tiefen Einblick in die be¬ züglichen Verhältnisse ge¬ wann. Auch lernte er in dieser Eigenschaft jedenfalls zuerst die im Sturmjahre nach dem Muster der fran¬

das Genossenschaftswesen aus kleinen Anfängen zu solcher Bedeutung emporarbeitete, so muß die Eigenart der deutschen Genossenschaften nach Schulzes Lehren ein wenig näher be¬ trachtet werden. Die Genossenschaften sind nicht von Schulze erfunden worden. Vielmehr sind sic gerade eine urdeutsche Bezeichnung und Eigen¬ tümlichkeit. „Keinem anderen Volke — so schreibt der berühmte Rechtslehrer Gierke — in dem Zuge nach Universalität und in der Fähigkeit zu staatlicher Organisation nachstehend, die meisten an Liebe der Freiheit übertreffend, haben die Germanen eine Gabe vor allen voraus, durch welche sie der Freiheitsidee einen besonderen Gehalt, und der Einheitsidee eine festere Grundlage verliehen haben, — die Gabe der Geuossenschastsbildung." Allein jene Genossenschaften des Mittelalters, mit größtenteils ganz anders gerichteten Zielen, waren in unserem Jahrhundert so vollständig untergegangen, daß nicht einmal der Name sich erhalten Schulze benannte seine Vereine mit dem Fremdwort: hatte.

„Assoziationen",

die

weil Vorbilder in England

und Frankreich zu suchen waren. In jenen Ländern hatte in der That das Genossen¬ eine schaftswesen bereits kurze Blüteperiode hinter sich, als Schulzes Thätigkeit einsetzte.

Allein

es

war

ganz anders geartet. England entstand die Genoffenschaftsbilduug durch die schöpferische Ini¬

In

tiative des philautropischen

Fabrikanten Robert Owen (1771—1858). Es handelte sich hier jedoch umKousumvereine zwecks gem einsamem Ankaufs von Lebens¬ bedürfnissen. Ihr Endziel

war ei»

Genossenschaften entstandenen Nachbildungen derselben kennen. Rach Auflösung der Nationalversammlung wur¬ de Schulze mit vielen an¬ deren wegen des Beschlusses der Steuervcrwcigerung an¬ geklagt, jedoch nach glänzen¬ der Verteidigung freigespro¬ chen. Nunmehr wollte er zösischen

kommunistisches)

man erstrebte, die Arbeiter selbst in den Besitz der Produktionsmittel zu brin¬ gen und das Kapital in dem Handel auszuschalten.

Diese Bestrebungen, seit den 40er Jahren besonders ge¬ fördert durch die sogenannten christlichen Sozialisten, gin¬ gen in den Strudeln der und Chartistenbewegung in den Staatsdienst als schweren Geschäftskrisen zu Richter treten, wurde nach Allein die auf Grunde. Wreschen versetzt, legte aber neuer Basis rekonstruierten bald nach Streitigkeiten mit Konsumvereine, britischen dem Justizminister sein Amt und auf ihr fußend eine nieder und lebte als Privat¬ Reihe von Produktions¬ mann im Vaterhause. Hier stätten für ihre Mitglieder» war es, wo er nach seinem nahmen seither einen immer System (1849) Jbie erste Aufschwung. glänzenderen Kranken- und Sterbekasse Ihre Zahl ist beständig im begründete, der sich bald Wachsen, ihre Umsätze und darauf die Rohstoffassozi¬ Ueberschüssc sehr beträchtlich. ation der Schuhmacher, und Das Schulze-Delitzsch Denkmal An einem anderen Ende im folgenden Jahre der die Genoffenschaftssetzte Vorschußverein angliederte. bewcgung in Frankreich ein. Buchez versuchte es direkt mit Auch in dem benachbarten Städtchen Eilenburg erwuchs durch ihn aus bescheidenen Anfängen eine blühende Genossenschaft. Gar Produktivgenossenschaften der Arbeiter. Fourier, L. Blanc bald verzweigte und verdichtete sich ihr Retz, allmählich das ganze und besonders der geniale Proudhon übten jeder in seiner Weise dem Sturme der sozialen Vaterland überspannend. Schulze war für ihr Gedeihen unausgesetzt Einfluß auf diese Bewegung aus. Kämpfe um die Mitte unseres Jahrhunderts brach auch dieser auch litterarisch thätig. Er begründete den jetzt blühenden „Allgemeinen Anlauf zusammen, um seither langsam und in viel vorsichtigerer Verband deutscher Erwerbs- und Wirtschafts-Genossenschaften" (1859), Weise dort sich zu entwickeln. harter, unermüdlicher Arbeit war dessen erster Anwalt er wurde. So lagen denn diese Bildungen gleichsam in der Lust, als er für die Ausbreitung der Genossenschaften thätig. Es kam zu die Wirbel der Revolution auch in unserm Lande ihre Kreise dem bekannten Streit mit Ferdinand Lassalle, dessen geschmackloses Pamphlet jedoch lediglich den Erfolg batte, die Genossenschaften zogen. Eine Unsumme von schnell vergänglichen Genossenschaften — namentlich Prodnktivgcnoffenschastcn — tauchten auf. Aber von auch unter den Arbeitern zu fördern. Zn stolzer Unabhängigkeit ganz anderer Axt waren die wirtschaftlichen Bedingungen in der lehnte Schulze eine ihm von den Genossenschaften dargebotene Heimat. Mit Ausnahme weniger Bezirke im rheinisch-westfälischen Ehrengabe ab und nahm lediglich einen Teil der Zinsen au zum Bau eines kleinen Häuschens in Potsdam, woselbst er im Früh¬ Revier und einigen Großstädten war die gewerbliche Produktions¬ jahr 1883 starb. Reben seiner politischen Thätigkeit als Mitglied weise damals bei uns eine rein-handwerksmäßige. Die schwere Krisis zeitigte den Wunsch der Handwerker zur Rückkehr der des Abgeordnetenhauses und Reichstages, wo er besonders für ein regulierenden zünftlerischen Gesetzgebung, die Preußen seit Stein Genossenschaftsgesetz thätig war, ist bemerkenswert sein Verdienst und Hardenberg aufgegeben hatte. um die Gesellschaft zur Verbreitung von Volksbildung, SDfit allen diesen Strömungen wie mit den praktischen Ver¬ wie er alle gemeinnützigen Bestrebungen rege unterstützte. So war das arbeitsvolle Leben dieses Mannes ein reich¬ hältnissen genau bekannt, wählte Hermann Schulze mit dem Instinkt Millionen fleißiger Bürger segnen des Genies den passenden Weg zur Abhilfe. Die starken Mittel gesegnetes und erfstgreiches. des Großbetriebes galt es auch der. kleineren Gewerbebetrieben seinen Namen und halten sein Andenken hoch. Fragen wir nun, in welcher Weise Schulze sein Lebenswerk, zugänglich zu machen. Dies geschah durch die genossenschaftliche

In

In

r

Durch den Zusammenschluß, die Solidarhaft erlang¬ ten die kleinen kapitalschwachen Unternehmer Kredit und konnten ihren Betrieb ausdehnen. Sorgsam'patzte Schulze in jahrelanger Arbeit alle Formen den Bedürfnissen an. So entstand die Roh¬

Vereinigung.

stoff-, Magazin- und Werkgenossenschaft für Handwerker

zum gemeinsamen Bezug von Rohstoffen und Vertrieb der fertigen Waren. In einzelnen Branchen haben diese große Erfolge gezeitigt, in anderen verursachten technische Mängel, besonders aber Uneinig¬ keit der Meister, Hemmnisse oder Auflösung. Rach den neuesten Zusammenstellungen des „Allgemeinen Verbandes deutscher Erwerbsnnd Wirtschaftsgenossenschaften" bestanden am 31. März d. 82 gewerbliche Rohstoff-, 34 Werk- und 67 Magazingenossen¬

I.

schaften.

Eine viel größere Bedeutung als für die Handwerker hat Art von Genossenschaftsbildung in der Landwirtschaft gefunden, die überhaupt in der letzten Zeit das Genossenschafts¬ wesen sehr gepflegt hat. Es bestehen 1193 landwirtschaftliche Rohstoff-, 182 Werk- und 106 Magazin-Genossenschaften, darunter viele Molkereien rc. Schulze hat für die Ausbreitung der Genossen¬ schaften unter den Landwirten viel gethan. diese

Roch viel bedeutsamer waren die Kreditgenossenschaften, welche aus kleinen, bescheidenen Anfängen sich zu wirklichen Bank¬ instituten mit großen Umsätzen ausgestalteten. Gegenwärtig zählt man davon 10850. Es sind wirkliche Volksbanken geworden, welche große technische Verbesserungen sz. B. den Checkoerkehr)

angebahnt haben. Endlich kamen besonders in den letzten Jahren noch die Konsumvereine sehr in Aufschwung. Es existieren jetzt deren 1373 mit erheblichen Mitgliederzahlen, Umsätzen und Geschäftsgewinnen. Dagegen hat sich freilich das letzte Ideal Schulzes, die Prodnktivgenossenschaft, lange nicht in dem Maßstabe entwickelt, wie ibr Schöpfer es hoffte und erwartete. Schulze betrachtete zunächst, als er sein Werk begann, die anderen Genossenschafts¬ arten nur als Vorstufe dazu. Allein es bestehen neben 2017

landwirtschaftlichen nur 193 gewerbliche Prodnktivgenossenschaften.

Ihre Zeit

ist noch nicht gekommen. Endlich sei der stetig anwachsenden Zahl der Baugenossen¬ schaften gedacht, die heute sich auf 271 beläuft und schöne Er¬ folge erzielte. Aber es giebt kaum einen Zweig menschlicher Thätigkeit, der sich für die Genossenschaftsbildnng unzugänglich erwiesen hätte. Gerade das ist ein Vorzug dieser bedeutsamen Institution. Sie hat ihre Bestimmung noch nicht erfüllt und sich nicht ausgelebt, sie ist berufen noch viel weitere Kreise zu ziehen. Besonders in den sozialen Kämpfen, die unsere Zeit erfüllen und jedenfalls noch die nächste Zukunft in Anspruch nehmen werden, ist die Genossenschaft berufen, eine hohe, weltbewegende Rolle zu spielen. Jede nächste Reform muß an sie anknüpfen, sie in ihr Programm aufnehmen. Richt bloß die direkte Unterstützung aller humanitären Bestrebungen, wofür die Genossenschaften stets offene Hände baden, ist das Entscheidende, sondern das Zusammenwirken aller Stände, aller Berufsarten, Konfessionen und politischen Parteien zu einem gemeinsamen Ziele. Diese sittlichen Ideen sind höchster Endzweck, ihre faktische Dividende. Darin gerade, daß die Genossenschaft den Einzelmenschen da packt, wo er scheinbar am unzugänglichsten ist, bei der Verfolgung der eigennützigen Selbstinteressen, und ihn zum Handeln im genieinsamen Interesse veranlaßt, liegt ihre Kulturmission, begründet sich ihr Anspruch auf Herbeiführung des sozialen Friedens. Sie focht in der Vorhut des menschlichen Fortschrittes, sie ist berufen, das Kultnrideal der Menschheit zum wesentlichen Teile zu verwirklichen. Daß diese Großthat auf deutschem Boden geschah, ist ein Grund zu berechtigtem Stolze für unsere Nation. Sie möge daran stets gedenken beim Anblick jenes Denkmals; Hermann Schulze-Delitzsch gehört in seiner Bescheidenheit zu jenen Wohlthätern, welche ein dankbares Volk nicht vergißt und nicht vergessen darf. Lein schönster Lohn, sein bester Denkstein wäre es, wenn sein Werk immer weiter ausgebaut würde. Wenn nicht alle Zeichen trügen, ist diese Bewegung im guten Flusse. Das Werk aber lobt den Meister.

ihr

Rudolf Grützcr.

Städte- und Landschaststnlder. Klein-Machnow. Von |2>.

Kunzendorf.

fast auf jeder Berliner Kunstausstellung wird man ein. Land¬ schaftsbild entdecken, dessen Motiv in dem idyllischen Dorfe Klxin-Machnow zu suchen ist. Mit Vorliebe wandern die Jünger der

Malkunst

im

Frühling, wenn die Kastanien

blühen,

oder im Herbst, wenn die matten Sonnen¬ strahlen durch das rötlich schimmernde Laub .der prächtigen Bäume fallen, durch den Wald von Zeh¬ lendorf nach KleinMachnow, um ent¬ weder eines der kleinen ländlichen Häuser, oder die Kirche, oder die Mühle am rauschen¬ den Wehr auf die Leinwand zu brin¬

die Umgegend Berlins überfluten. Aber bald wird's mit dem stillen Träumen ans Machnower Flur vorüber sein. Eine Knnststraße durch den Wald ist im Werden begriffen, soll noch in diesem Herbst

vollendet sein und wird im nächsten Jahre die langen Reihen der Kremser und sonstiger Aus¬ flugsgefährte eben¬ so zahlreich aus¬ nehmen, wie die übrigen ans Berlin hinausführenden Chausseen.

wird

Dann

dort ans Flur und Feld die Nähe der Großstadt anch

bemerkbar ma¬ und man wird nicht mehr singen und sagen von dem Kleinidyllischen sich

chen,

gen. Und wahrlich! es kann keine stim¬

Machnow. Aber seine alten

mungsvolleren Bil¬ der ans der Mark geben, als sie KleinMachnow mitseinem herrlichen Baum¬

mit seinem

Wahrzeichen müssen ihm bleiben auch im Wechsel der mo¬ dernen Zeit, und sie werden auch ferner¬ hin das kleine mär¬

träumerischen Waldsee, mit seinem von Gräbern umgebenen

kische Dorf mit dem Zauber der Roman¬ tik umgeben.

bestand,

Kirchlein, mit seiner Der erste interes. , Die Kirche in Klein-Mnchnotv. Burgruine und der saute Punkt, den alten Wassennühle der Wanderer, von bietet. Roch isl's ein märk sches Idyll, zu dem wohl schon tausende Zehlendorf kommend, gewahrt, ist das Kirchlein,.das von einer niederen von Naturfreunden gepilgert sind, das aber noch verschont blieb Mauer umgeben ist. Die kleinen, bleigefaßten Fenster und der von dem Lärm und Toben! der Ausslüglerzüge, die im Sommer kräftige Unterbau erinnern an das hohe Alter des Gotteshauses,

545

aus der erste» Hälfte des 16. Jahrhunderts stammt und in Innern zahlreiche Merkwürdigkeiten besitzt. Da erblickt der Eintretende zunächst die Reste von zehn, einst in bunten Farben schimmernden Fahnen, die einer der Gutsherren, Ernst Ludwig von Hake, dem Andenken seiner in den Türkenkriegen gefallenen Brüder gewidmet hat. Nur zwei von ihnen sind noch einiger¬ maßen erhalten- aber auch sie werden nicht mehr lange dem Zahn der Zeit trotzen und wie Zunder zerfallen. das

seinem

auch nicht mehr geöffnet, da sie mit Särgen vollständig gefüllt sind, und der Vandalismus fremder Besucher selbst diese Ruhestatt der Toten nicht verschonte. Auch von dem Turm der Kirche, von dem aus man eine ent¬ zückende Fernsicht -genießt, nimmt mau an, daß er älter ist als die Kirche selbst, und vielleicht schon als Wartturm für die Burg Klein-Machnow gedient hat. Eine grundfalsche, aber vielfach ausgesprochene und von ober¬ flächlichen Geschichtsforschern niedergeschriebene Vermutung, daß Klein-Machnow einst eine Ouitzowburg gewesen, mag au dieser Stelle ganz bestimmt widerlegt werden. Die Ouitzows haben hier nie gehaust, vielmehr sind die Hakes seit vier bis fünf Jahr¬ hunderten hier ansässig, so daß man diese Familie mit zu den ältesten Adelsgeschlechtern der Mark Brandenburg zählen und als das älteste derselben im Kreise Teltow bezeichnen kann. Diesen geschichtlich verbürgten Thatsachen gegenüber nimmt es sich sonder¬ bar genug aus, wenn man in einem Aufsatz über Klein-Machnow von dem uralten Kirchlein liest, daß „seine kleinen bleigesaßten, jetzt blinden Fenster wohl oft die hohe Gestalt des Ritters von Duitzow mit seinen Knechten heimkehren und in die Bogen¬ pforte seiner der Kirche gegenüberliegenden Burg verschwinden sahen." Klein-Machnow bedarf dieser phantastischen Zugabe nicht, es behält seine Reize, ja selbst seine Romantik, auch wenn ihm die Ouitzowlegende ein für allemal genommen wird. Treten wir aus dem Innern der Kirche hinaus in das blühende Leben. Am Eingangsthor der Mauer, die Kirche und Friedhof umgiebt, entdecken wir eine alte, verwitterte Inschrift, die wir nach langem Bemühen endlich, wie folgt, entziffern: Hr. Ernst Lude Wich — Herr Christoph Ehrenreich — Herr Johann Dietlosf gebrüdere von Haken habe diese manre machen lasen Anno 1684. Geradeüber von dieser Kirchhofspforte steht ein alt-verwittertes Sandsteinthor, das die Einfahrt darstellt zum Stammsitz derer von Hake. Das charakteristische Merkzeichen desselben ist ein steinernes Medusenhaupt, über welchem ein Minervakopf emporragt.

Der Altar mit architektonischem Aufbau wurde im Jahre 1599 Er trägt den Charakter des spätgotische» Stils und zeigt in seinem Mittelfeld die Darstellung des Abendmahls und auf seinen beiden Seitenflügeln vier Bilder aus dem Leben Christi. Auch der Maler dieser wenig Kunstgeschmack verratenden Werke hat sich verewigt; aiff der Rückseite des Flügelaltars liest man die Inschrift: „Anno Domini 1599 Hans Zinkeisen von Berlin hat den Altar gemahlet". Rechts und links vom Altar hängen zwei Mächtige Wappentafeln, die den einstigen Glanz ihrer Farben völlig eingebüßt haben. Zn den weiteren Sehenswürdigkeiten des reich ausgestatteten Gotteshauses, das eine Art Gedenkhalle für die Familie derer von Hake geworden ist, gehört das prächtige Epitaphium mit der Büste des im Jahre 1743 verstorbene,: errichtet.

!

Generals Friedrich von Hake, das durch seinen kunstvollen alle¬ gorischen Schmuck mit dem Familienwappen besonders auffällt; ferner ein mächtiger Denkstein, den Ernst Ludwig von Hake im Jahre 1696 dem Gedächtnis seiner Eltern widmete. Ueber diesem Denkstein hängen von der Decke herab ein verrosteter Degen und ein paar Sporen, die Zeugen einer blutigen Thal, die sich vor Jahrhunderten im Walde bei Klein-Machnow abgespielt hat. Das verrostete Rüstzeug trug einst der kampfeslustige Herr Botho von Schlabrendorf, der mit einem Herrn von Hake eine grimme Fehde auszufechten hatte und im Duell mit diesem fiel. Geradeüber dem Kirchlein bemerkt man ein in die Mauer eingelassenes Steinkreuz, roh und unbehauen. Es ist dem An¬ denken des gefallenen Schlabrendorf gewidmet, und wenn dcr Volksmund diesem Kreuze den Namen „Mordkrenz" beigelegt hat, so ist darin nur das richtige Erkenntnis des Volkes zum Ausdruck gekommen, daß das Duell mit tötlichem Ausgang nichts anderes ist als ein Mord. Wie Degen und Sporen des Ritters von Schlabrendorf die Erinnerung au eine traurige Begebenheit wachrufen, so ist es auch mit der Strohkrone der Fall, die auf einem Konsol befestigt ist. Sie erzählt uns von einer Margarete von Hake, die in Liebe zu einem märkischen Edelmann entbrannt war. Er zog gegen die Türken ins Feld und kehrte nicht wieder. Die verlassene Braut fiel in Schwermut, und statt der erhofften Myrtenkrone schmückte sie sich mit einer andern, die sie aus Kornähren flocht. Das ist die Brautkrone, die noch heut in der Kirche zu Klein-Machnow

aufbewahrt wird. Bemerkenswert sind ferner der vor dem Altar stehende Tauf¬ stein, im Stil der Spätrenaissanze Mitte des 17. Jahrhunderts hergestellt, die darin ruhende Messingschüssel, eine Nürnberger Arbeit aus dem Jahre 1597, die Kanzel mit der früher bei den Predigten benutzten Sanduhr, eine alt-heidnische Aschenurne auf einem Wandkonsol, die unweit der Kirche ausgegraben wurde, und endlich die alten Oelgemälde Luthers undMelanchthons. Die wappengeschmückten Butzenscheiben sind übrigens älter als die Kirche selbst, was vielleicht auch auf andere noch in der Kirche befindliche Gegenstände zutrifft. Unter dem Golteshanse befinden sich die Grabgewölbe der von Hakeschen Familie. Sie sind indes fest verschlossen und werden

Ranzel in der Kirche von Klein-Wachnow. Eine historische Erklärung für die Zusammenstellung dieser beiden Köpfe wird man schwerlich entdecken; was aber Frau Fama darüber berichtet, das habe ich in meinen „Sagen aus dem Kreise Teltow" (Bär Nr. 13 vom 31. März 1899) wiedererzählt. Am Ende des weiten Gutshofes erstreckt sich daS einfach gebastene Herrenhaus, das aus dem Anfang dieses Jahrhunderts stammi. Die Hauptfront nach dem Gutshofe ist mit einem Treppenaufgang versehen, während die dem dichtbeschastelen Park zugekehrte Längs-

V

546

feite

mit

einem

halbkreisförmige»

Vorbau

jonischer

Säulen

geschmückt ist.

Hat mau von der Kirche ans das lange Stallgebände passiert, dann steht man vor dem halbzerfallenen, letzten Rest der alten Burg von Klein-Machnow. Hoch auf ragt der Turm, von oben bis unten in seinem Mauerwerk geborsten. Oben an der inneren

grenzt das ehemalige Tchlofzgebände an, von dein auch nur noch Ruinen erhalten sind. Auch diesem alten Banwerk haben oberflächliche Chronisten in Wort und Schrift die Bezeichnung einer „Ouitzowschen RäuberVeste" beigefügt, und wenn man eine Gesellschaft von Berliner Ausflügler» an dem alten Burgtnrin vorüberziehen sieht, dann wird man häufig genug aus dem Munde eines angeblich „Wissen¬ den" die Erklärung hören: „Dies, meine Herrschaften, ist die älteste Ranbritterbnrg der Mark, hier haben die Quitzows gehaust, bis die „faule Grete" sic verjagte. Der letzte Ouitzow ist in diesem Turm verhungert, sein Skelett liegt noch im Innern!" Solche Legende über Klein-Machnow ist leider in den weitesten Kreisen verbreitet, und findet, da sie ja interessanter und abenteuerlicher klingt als die schlichte Wahrheit, auch immer neue Scharen von Gläubigen. Der jüngste Hütejunge von Klein-Machnow könnte diese Phantasiehelden auf die Spur der Wahrheit und Geschichte znrücklenken.

Rur wenige Schritte vom Bnrgtnrm grüßt uns das eintönige

Rauschen des Wassers, das dem Stadtmenschen jedesmal wie Wir Poesie, wie Elfen- und Nixensang in die Ohren klingt. stehen vor der alten Wassermühle von Klein-Machnow, der ältesten adeligen Freimühle in der Mark Brandenburg. Zwei Jnschriftentafcln sind die steinernen Geschichtsnrkunden dieses alten, von träumerischer Melancholie umwehten Gebäudes. Auf der älteren, aus Sandstein geformten Tafel, die mit dem Wappen derer von Hake geschmückt ist, entziffern wir folgende, schon stark verwitterte

Anschrift:

Anno 1695 hat Herr Ernst Ludcwig von Hake, Seiner Churfürst!. Durch!, zu Brandenburg, Friederici des Dritten, Obrister bey Dero Guarde zu Fusse, Diese Adeliche Frey Mühle hinwiederumb ganz Neue auß dein Grunde erbaut, bl. L. V H. weilen die alte ganß zerfallen. Eisen gegossen ans ist Die andere Tafel neueren Datums und befindet sich zur Rechten des Eingangs zur Mühle. Aus ihr liest man die Worte: Im Jahre 1856 anderweit von Grund aus neu erbauet durch die Gebrüder von Hake. Die Mühle hat die älteste Geschichte von allen Baulichkeiten in Klein-Machnow. Schon im 13. Jahrhundert wird die „Hakenmühle" daselbst erwähnt, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß das adlige Geschlecht ans der bürgerlichen Familie Hake, deren Mitglieder als Mühlenmeister im Teltow ansässig waren, hervor¬ gegangen ist.

Es giebt in der näheren Umgebung von Berlin keinen zweiten so reich an Geschichte und Sage ist, wie Klein-Machnow' aber auch keinen, in dem die Zeugen längst vergangener Zeit so

Ort, der

Epitaph und Büste des Generals Friedrich von Haste in der Kirche von Klein-Machnow. Decke, die von der bei alten Burgtürmen charakteristischen Helm¬ kappe gekrönt ist, sieht man noch das gut erhaltene, in bunten Farben gemalte Wappen der Familie von Hake, drei Gemshakcn An den sechseckigen Turm auf gebogenem Schilde darstellend.

Kunst und Wissenschaft. Neues Theater. M°ls Montesquieu

die gesellschaftlichen und staatlichen Einrichtungen Frankreichs einer Kritik unterziehen wollte, verfaßte er seine ..Iwttros psrsunos". Ein junger Perser schrieb die revolutionärsten Ansichten nieder, und Montesquieu, der hinter ihm stand, drehte der Zensur eine wächserne Nase. Zu Montesquieus Zeiten galt Persien sozusagen als das Ende der gebildeten Welt. Heute dagegen, wo wir mit China auf vertrautestem Fuße stehen, muß Japan herhalten. Ferdinand Bon» wenigstens fand keinen passenderen Vertreter für einen Moralprediger. In seiner Komödie „Kiwilo", die am 17. August im Neue» Theater aufgeführt wurde, übernimmt es ein japanischer Gras, den Beweis zu erbringen, daß die europäische Moral wurmstichig ist. Allerdings hätte es der Mitwirknng des japanischen Grafen dazu nicht bedurft: denn die Komödie wäre auch so interessant gewesen. Der exotische Gast bot aber dem Verfasser die Gelegenheit, sich als vortrefflicher Darsteller zu zeigen. Bonns Japaner ist eine schöne Leistung, an Charakterisierung und Gestaltung, so daß der Schauspieler dem Autor zu einem großen Lachersolg verhals. Von dem Ergebnis können beide vollauf befriedigt sein, mehr noch die Direktion, die in der Inszenierung Ausgezeichnetes geleistet hat.

Lesi'ing-Thcater.

d)as Lessingthcater ™

Schauspiel handelt sich um

brachte

Hans L'Arronges Es Ein junger Dramatiker

am 20. August

„Das alte Kind" zur erstmaligen Aufführung. eine

verzwickte Geschichte.

reich umgeben sind von den ewig sich wieder verjüngenden Wunder¬ werken der Natur. „Machnow auf dem Sande" — so lautet der Name des Ortes in alten Urkunden) aber „Machnow im Grünen" könnte man es heut nennen, wo alles blüht und prangt, und die letzten Sandwege von dem bereits erwähnten Chausseeban ver¬ drängt werden. Und wäre die ganze Mark wirklich noch das, was man spöttischerweise ihr früher nachgesagt, als man sie deß römischen Reichs Streusandbüchse gehießen, Kleiir-Machnow wäre eine grünende und blühende Oase in dieser Sandwüste.

_

heiratet eine Schauspielerin, die seinem Vater, einem Bildhauer, Modell zu einer Ariadne gesessen. Dann läßt er sich von seiner Frau scheiden und will ein junges Mädchen heiraten, das ihn aber nicht heiraten will. Und so kriegt er sic nicht) aber er ist „um eine Erfahrung reicher," wie sein Papa sagt. Das ist ungefähr der Inhalt des technisch ganz hübsch ausgebauten Stückes.

]

Deutsche Volksbühne.

H^Fichael Bcers eigenartiges, von herber Tragik durchwobenes Drama „Der Paria" kommt im September dieses Jahres durch

die „Teutsche Volksbühne" in Berlin zur Aufführung und bildet mit Henrik Ibsens „Fest aus Solhaug" die Eröffnungsvorstellung der genannten Bühne. Das einaktige, überaus wirkungsvolle Drama des talentvollen, allzufrüh verstorbenen Dichters des „Struensee" ist vor langen Jahren in Berlin nur vorübergehend aufgeführt worden. Auf die Stilgercchtigkeit der indischen Kostüme, sowie die dekorative Aus¬ stattung wird besondere Sorgfalt verwandt werden.

Vom- Gorihe-Venkmal in Struhburg. >

———-

D^as Goethe-Denkmal-Komitee des Vereins zur Förderung

der Kunst bittet uns um Veröffentlichung folgender Mitteilung: Der Rpell an die Verehrer unseres großen Dichters unter dem Feld¬ geschrei: „Eine Mark für Goethe", findet überall lebhaften Wiederhall. Aus allen Bevölkerungsschichten sammeln sich Gleichgesinnte, nm dem Andenken des Meisters den kleinen Obolus ihrer Dankbarkeit zu zollen. In der Liste der Spender figuriert der Staatsminister neben dem bescheidenen Handwerker. Auch die Deutschen im

I

547

Nuslande

sind

zahlreich

vertreten: insbesondere aus Oesterreich, und der Schweiz trafen Gaben ein.

Belgien,. Holland, Finnland

Ebenso hat enseits des Ozeans in Amerika und Australien unser Aufruf fruchtbaren Boden geftlndeu. Die Geschäftsstelle des Vereins z. F. d. K. (Berlin, Klopstockstraßc21), ist nach wie vor zur Annahme von Spenden bereit. Daselbst stehen auch Sammellisten und Aufrufe für jedermann

zur Verfügung.

Robert Wilhelm Bunsen

f.

ilt Förderer der

menschlichen Kultur, ein Mann, dessen Genie der Wissenschaft neue Wege wies, hat am 16. August seinen irdischen

g Lebenslauf vollendet.

Was an Robert Wilhelm Bunsen sterblich gewesen ist, wurde der Erde überwiesen: sein Geist aber wird ewig fortleben. Kein Zweig der Naturwissenschaften blieb von Bunsens befruchtender Thätigkeit un¬ berührt, und seine epochemachenden Erfindungen beeinflußten die Technik und Industrie in ganz besonderer Weise. Er durchforschte Himmel und Erde, und seinem scharfen Blicke mußte selbst die Sonne ihr Innerstes offenbaren. Mit Hilfe der Spektralanalyse erkannte er ihre Eigenart. Kirchhofs und Bunsen waren ein Tioskurenpaar, und ihre Namen sind jedem Gebildeten geläufig. Auf dem Grunde der Kirchhoff-Bunsenschcn Entdeckung ruht zu einem guten Teile das Gebäude des jüngsten Zweiges der Astronomie, die Astrophysik. Was die Spekralanalysc für die Chemie ist, das zeigen Bunsen und Kirchhoff durch die Entdeckung zweier neuer Elemente, des Rubidiums und Caesiums. Ueberdies wurde die Spektralanalyse zu einem der wichtigsten Hilfsmittel des analytischen Chemikers. Von ihm entlehnte es der Arzt und der Techniker, der eine zur Analyse des Blutes, der andere z. B. zur Beobachtung des Bcssemer-Prozesses. Auf dem Arbeitsfeldes das Bunsen zu lehren hatte, in der Chemie, sind vor allem seine Studien über die Doppel-Cyanürc, über die Kakodylreihe, über die chemische Ver¬ wandtschaft, über das Schießpulver zu nennen. Mit Vorliebe studierte Bunsen Fragen aus dem Grenzgebiete der Physik und der Chemie. Er lieferte Beiträge zur Kenntnis der Abhängigkeit des Schmelzpunktes vom Druck, des spezifischen Ge¬ wichtes von Dämpfen, der Vcrbrennungserscheinungen " der Gase, der Diffusion u. a. m. Für die Lichtmessung stellte er den

nach

ihni benannten Photometer her. Eine Vorrichtung, die aus keinem chemischen Ar¬ beitstische der fehlt, ist Bunseusche Brenner. Ihn hat in den letzten Jahren die Heiztechnik ausgenutzt,

um die Verwendung von Leuchtgas in Haus und Gewerbe zu Heizzweckcn zu verallgemeinern. Ohne den Bunseuschen Brenner würde cs kein Gasglühlicht und kcineNcrnstsche Lampe geben. Gewichtig sind die Neue¬ rungen, die Bunsen in der Elektrizitätslchre herbei¬ führte. Er gab ein neues

galvanisches Element und gestaltete wesentlich die Me¬ thoden der elektrolytischen Gewinnung der Alkali- und Erdmetalle aus, bereicherte die Kenntnis von derTermoRobert Wilhelm Bunsen elektrizität und von der Theorie der galvanischen Kette. Zu vermerken sind weiterhin Studien über das Gesetz der GasEine Islandreise gab absorption und photochcmische Untersuchungen. Bunsen die Anregung zu geologisch-chemischen Untersuchungen, die wichtige Ausschlüsse über die vulkanischen Erscheinungen gewähren. Hand in Hand mit der erfolgreichen Arbeit als Forscher ging bei Bunsen eine ergiebige Lehrthätigkeit: er begann sic mit 22 Jahren 1833 1836 wurde er an der Universität seines Geburtsortes Göttingen. Professor au der polytechnischen Schule in Kassel, und 1838 außer¬ Als ordentlicher Professor und ordentlicher Professor in Marburg. Direktor des chemischen Instituts wirkte Bunsen in Marburg (1841—1851), in Breslau (1851—1852) und in Heidelberg (1852—1889).

f.

Berliner Chronik. Am 12. August waren fünfzig Jahre

Gewerbe-Ausstellung veranstaltete.

seit

der ersten

Berliner

verflossen, welche die polytechnische Gesellschaft Die früheren Ausstellungen, die 1822, 1827 und 1844

mit 176, 208 und 3040 Ausstellern stattfanden, waren auf Preußen, und (im Iahte 1844) auf ganz Deutschland ausgedehnt gewesen. An der Ausstellung von 1849 beteiligten sich 855 Berliner Firmen. Die

Am 16. August blickte die Berliner Universität auf ihr 90jähriges Bestehen zurück. Am 19. August starb Professor William Pierson, der in weiteren diesem Kreisen durch seine „Preußische Geschichte" bekannt wurde. Buche, das eine ganze Reihe von Auflagen erlebte, wendet sich der Verfasser an „das große Publikum der gebildeten Laien". Bob den weiteren Arbeiten Piersons sind hervorzuheben: ein Lebensbild des großen Kurfürsten in der „deutschen Nationalbibliothck", eine Unter¬ suchung über die Kurfürstin Dorothea (1886) und seine Fortsetzung der Dullerschen „Deutschen Geschichte". Der Bildhauer Walter Schott ist aus Anlaß der Enthüllung des von ihm geschaffenen Denkmals für das 1. Garde-Regiment z. F. aus dem Schlachtfelde von St. Privat vom Kaiser zum Professor ernannt

In

worden.

Das Pergamon-Museum am Kupsergrabeu (Architekt Professor

Fritz Wolfs) ist jetzt im Acußereu vollendet, so daß mit der Aufstellung des pcrgamonischen Frieses in demselben begonnen werden kann.

Auch der Bau des größeren Kaiser Friedrich-Museums, das nördlich der Stadtbahn errichtet wird (Architekt Geh. Hofrat Ihne), ist erheblich vorgeschritten. Die Vollendung dieses Museums, das rund 5000000 Mark kosten soll, wird etwa 3 Jahre in Anspruch nehmen. Das Richard Wagner-Denkmal in Berlin soll nach einer Aeußerung des Fiuanzministers, dem die Tiergarten-Verwaltung unter¬ steht, seinen Platz in der Tiergartenstraße, gegenüber der Villa Hauscmann,

also zwischen Hohenzollern- und Friedrich Wilhelmstraße, erhalten. Im Herbst sollen auf dem Königsplatze die Fundamente zum Bismarck-Denkmal gelegt werden, das sich auf einem Plateau von 50:60 m Größe erheben wird. Das eigentliche Denkmal, dessen Sockel 17 ru Breite hat, wird etwa an der Stelle des jetzigen Springbrunnens errichtet. Die Figur des Kanzlers erhält eine Höhe von 6,6 m.

Märkische Chronik. Rahnsdorf. Die königliche Behörde hat jetzt die Erlaubnis zum Bau der Rettungsstation am Rahusdvrfer Gemüude erteilt. Der Bau soll noch in diesem Jahre vollendet werden. Adlcrshos. Am 18. August fand in Adlershof die Grundstein¬ legung der neuen Kirche statt. Rudow. Am 16. August starb der frühere langjährige Reichstagsuud Landtagsabgeordnete Robert von Ben da im 83. Lebensjahre. Der Verstorbene war am 18. Februar 1816 zu Liegnitz geboren, studierte in München und Berlin, war 1843—49 Regierungs-Assessor zu Potsdam. Dem Abgeordnetenhaus gehörte er seit 1858, dem Reichstage seit 1871 an. Im ersteren hat er lange Jahre als Vizepräsident fungiert. Bcnda war einer der Führer der uatioualliberalcu Fraktion. Ly chen. Die Fortsetzung der Ebcrswalder-Templiner Bahn nach Lychen ist am 16. August dem Verkehr übergeben worden. Wanusee. In dem Wettbewerb für das Amishaus in Wanusce, das an der Potsdamer Chaussee im märkischen Backsteinstil errichtet werden soll, haben die Regierungs-Baumeiftcr Otto Stahn und A. Wcltzing den ersten Preis erhalten.

Vereins-Nachrichten. „Vrandriilnirgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Das Juliheft des Monatsblattes der Gesellschaft (VIII. Jahrg. Nr. 4) bringt zunächst die Berichte über die 1.—3. Versammlung des 8. Vereinsjahres. Von besonderem Interesse sind darin die Mitteilungen, welche Geheimrat E. Friede! über die beiden Eibenbäume im HerreuhauSgartcn zu Berlin macht, und welche das hohe Alter der Bäume bestätigen, ferner die Abhandlung von Prof. Dr. Galland über die Gemäldegalerie des Wesendonckschen Hauses am Künigsplatz, die ausführlichen Angaben über den Lebensgang des verstorbenen Geheimrat Prof. Dr. Schwartz und die wissenschaftlich sehr wertvollen Mitteilungen von Prof. Dr. A. Nehring über die bei Gräbendorf in einer Kiesschicht gefundene Schädelkapsel eines Löwen. Unter „Kleine Mitteilungen" weist W. v. Schulenburg auf eine Zeichnung von Chodowiecki hin, welche eine Wcihnachtsbescherung unter einer dreiarmige» Pyramide mit sieben Kerzen darstellt. Im „Fragekasten" wünscht Pastor Handtmann Auskunft über den Ursprung des Ausdrucks ,.Papphahn", welcher um die Mitte unseres Jahrhunderts in der Elbgegcud bei Lenzen für ein „Zweigroschcnstück" (2 V, Silbcrgr. — 25 Psg.) im Kleinhandel üblich war. H. Voigt aus Guscht teilt mit, daß beim Abbruch der dortigen Kirche 1898 ein mit roter Farbe verzierter Kiudersarg aufgefunden wurde und bittet um Angaben, wo sich ein ähnlicher Sarg befindet, und ob rot als Trauerfarbe in der Mark gebräuchlich ist. Ferner wünscht er zu erfahren, wann und wo der Name „von Killinghauscn" (1577 hat ein Herr v. K. die Wassermühle in Guscht (Kr. Fricdeberg) angelegt) "der noch vorkommt. Rektor Monke erbittet nähere Angaben, ob an als Liesenkruz bezeichneten Wegekreuzung am Nonnensließ im Eberswalder Forstrevier früher ein Mordkreuz gestanden hat, und ob sich vielleicht eine Sage an diese Stelle knüpft. G. A.

Ausstellung fand im Krollschen Etablissement statt und erforderte 50 541 Thaler Ausgabe», denen nur 40 486 Thaler Einnahme gegen¬ über standen. Den Fehlbetrag trug die Staatskasse. Am 14. August feierte der ehemalige Oberbürgermeister von Berlin, Staatsininister a. D. Hobrecht, einer der Führer der nationalliberalen

„Nachrichten über deutsche Altertumsfunde"

Partei, seinen 75. Geburtstag.

eine Anzahl prähistorischer Altertümer, welche in

Kleine Mitteilungen. Märkische Funde.

In

10. Jahrgangs der beschreibt H. Busse den Kreisen Ober- und

dem 2. Heft des

548

Niedcrbarnim und Beeskow-Storkow ausgegraben bezw, ausgepflügt worden sind. Unter den Bronzefunden befinden sich verschiedene Nadeln, welche wegen der Form ihrer Köpfe interessant sind. Eine 18 cm lange Nadel, welche beim Torfgraben auf den Bürgerwiesen, südwestlich von Biescnthal, gefunden wurde, bat eine» Kopf in Gestalt eine» Doppclkonns, welcher oben und unten mit vier parallelen Kreisen und in der Mitte mit einer Perlschnur verziert ist. Der Kopf einer anderen, auf dem großen Werder im Liepnipsee gefundenen Radel hat eine eiförmige Gestalt, ist oben abgeplattet und mit Gruppen von parallelen Strichen verziert. Einfacher sind die Köpfe der Bronzenadeln, welche aus dem Gräberfeld bei Wilmersdorf lKr. Beeskow-Storkow) herslammen (vergl, 2. 466 dieses Jahrgangs): sie zeigen meist wulstu»d scheibenförmige Gestalt bezw. eine Vereinigung dieser Formen, welche durch erhabene Ringel getrennt sind. Unter den weiteren von dieser Fundstätte herrührende» Bronzesachen führt Busse einen an beiden Enden zugespitzten Meißel, einen 6 cm langen Hohleelt und eine Anzahl Spiralen und Fingerringe an. Die Gegenstände, welche im Leichcnbrande gefunden wurden, habe» teilweise vom Fcner sehr gelitten, fast alle zeigen aber eine schöne Patina, Unter den gleichfalls aus Wilmersdorf stammenden Stein- und Knochcnfnnden sind zwei aus seinem Sandstein hergestellte, durchbohrte Plättchen bemerkenswert, welche Busse als Amulette ansieht, die ans der Brust getragen wurden, ferner mehrere Reibesteine, unter ihnen zwei sogenannte Käsesleine, und eine große Menge von Knochenpseilen, die sämtlich bei einer großen Urne seitwärts im Sande lagen.

Im

Anschluß an diese Mitteilungen bespricht H, Busse eine Anzahl welche er in der Gegend von Erkner, Liebenberg und Münchehofe untersucht hat. Vom westlichen Ende des Flakkcnsees bei Erkner zieht sich ein acht Fuß hoher Wall an den Gleisen der Bahn entlang, wo sich zahlreiche Feuersteinmesser, einige sägcnartig ausgezackt, Pfeilspitzen und andere Mannfakte fanden, welche auf eine neolitischc Ansiedelung hindeuten. Spuren ähnlicher An¬ siedelungen fand Busse auf dein „Werder" bei Wollersdorf und auf dem kleinen Kranichsberg in derselben Gegend, wo außer Feuersteinbeilen, Messern, Pfeilspitzen und anderen Werkzeugen auch Gefäßscherben aus grobem, rötlichem Thon aufgelesen wurden. Westlich vom Torfe Woltersdorf befindet sich auf deni „Springberg" ein llrncnfricdhof, wo mehrere von den Baumwnrzeln zerstörte Gefäße gesammelt wurden: die Scherben waren mit einigen Riesen verziert. In der Nähe dieser Begräbnisstätte wurden früher einige Steinbeile gefunden, die sich im Märkischen Museum befinden. Dort werden auch Gefäße aufbewahrt, die in der gleichen Gegend zwischen dem Bauernnttd Kalksce, wo gleichfalls ein Urnensriedhof liegt, ausgegraben wurden. Wo der Stolpgrabcn in den Kalksec mündet, entdeckte Busse auf dem Stolp, einem Bergrücken, eine neolitischc Ansiedelungsstätte und fand dort außer einem 12 cm lange» und 4,5 cm breiten Stein¬ beil aus grauem Granit viele Feuerstein-Werkzeuge und Thonscherben, darunter einen mit Strichornament, Ein germanisches Urnenfeld zieht sich ferner bei der Kolonie Fangschlcuse nach dem Wcrlsee und der Löcknitz hinunter, wo sich auf einem erhöhten Gelände häufig Urnen in Steinsetzungen vorfanden. Eine regelrechte Nachgrabung hat noch nicht stattgefunden, dagegen sind zahlreiche Gefäßreste gesammelt worden, Aehnliche Siedelungsstellen wurden bei der Kolonie Alt-Buchhorft zwischen Peetz und Möllensee, auf dem Kanisivall in den Wiesen südlich der Spree bei Gosen und am Dämeritzsce westlich von Erkner festgestellt. Besonderes Interesse verdient die Mitteilung von den Funden auf dem Schloßberge bei der Liebenberger Mühle, in der Nähe von Dorf Kagel, Auf der Kuppe »nd den Abhängen des etwa 20 Fuß hohen Hügels liegen tausende von blangrauen, frühmittelalterlichen Scherbe», an der Südwestscite und auf der Spitze finden sich Knltnrschichten mit Thonschcrben und verkohlten Lehmstückcn, außerdem hat Busse mehrere germanische Gefäßscherbc», ein Stück eines Repbeschwcrers ans gebranntem Thon, einen rötlichen Reibestei», verschiedene FcncrsteinManufakte und Rand- und Henkelslücke von größeren Gesäßen aufgelesen, Ter Schloßberg ist also von den frühesten Zeiten bis in das Mittelalter hinein besiedelt gewesen. Nördlich vom Müggelsee, etwa 1*4 km westlich vom Torfe Münchehofe, liegt ein größeres Urnenfeld, wo sich zahllose Scherben und kleinere, mit Nadelholz bewachsene Hügel finde». Einer der letzteren wurde aufgegraben: er war aus Findlingssteineii auf¬ gebaut, unter denen eine Menge vorslavischcr, außen rötlicher Gefäßscherben und Knochen lagen. Eine Untersuchung ist wegen der Bauinwurzeln sehr schwierig,

vorgeschichtlier Fundstätten,

Mangel an Kindesliebe

wurde zu Zeiten des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg sehr hart bestraft. Der Kurfürst, welcher als fürsorglicher Landesvater sich die Wohlfahrt seines Volkes und besonders die Erziehung der Jugend sehr angelegen sein ließ, hielt aus eine strenge, aber menschliche Kinderzucht und schärfte dies den Pfarrern und Lehrern wiederholt ein. Die Schulmeister sollen, heißt es in der Visitationsordnnng von 1573, mit den Knaben nicht als Tyrannen umgehen, sondern mit Vernunft und Maß, sie sollen ihre Bosheiten hart, aber ohne Verwundung, mit der Rnte, aber ohne Ge¬ iährdung der Gesundheit bestrafen. Zeigte sich aber ein Kind gegen die Ermahnungen seiner Eltern taub und vergaß sich gar so weit, die Hand gegen seine Erzeuger zu erheben, so hielt der Kurütrst strenges Gericht, sobald ihm solcher Fall zu Ohren kam, Folgende Beispiele mögen dies bestätigen. Ter Frankfurter Professor Christoph Körners oder Cornerus, erzählt Gallus im dritten Bande seiner „Geschichte der Mark Branden¬ burg" (Züllichau 1799), hatte einen „am Leibe verwachsenen und an der Seele verkrüppelten Sohn", welcher Magister zu Frankfurt war. Dieser kränkte durch sein schändliches Leben den alten Vater sehr und erregte allgemeines Aergernis in der Stadt, Als der scchsuiidsiebzigjährigc Vater seinem verwahrlosten Sprößling ernste Vorhaltungen über seinen Lebenswandel machte, wurde der Bursche so aufgebracht, daß er sich an seinem Vater vergriff, ihn mit Schlägen mißhandelte, bei den Haaren auf der Erde hcrumschlciftc und mit Füßen trat. Kaum hatte ,

Verantwortlicher Redakteur: Pr. M.

Foltic iire cnro.

der Kurfürst Johann Georg von dieser Unthat erfahren, als er den jungen Körner einziehen, verhören und zur Warnung für ungeratene Kinder öffentlich hinrichten ließ. In gleicher Weise verfuhr er in einem anderen Falle, den Gallus ebenfalls überliefert hat. Der Sohn des Inspektors Marsilins aus Nauen studierte in Wittenberg und führte dort ein sehr ausschweifendes Leben, Natürlich brauchte er hierzu sehr viel Geld und forderte von seinem Vater beständig Zuschuß, Schließlich wurde deni Alten die Sache zu bunt, »nd er verweigerte seinem Sohne weitere Geldmittel, Nun richtete der saubere Studiosus mehrere Brand¬ briefe an den Vater, an den Rat und einige Bürger von Nauen, worin er drohte, das väterliche Haus nebst der ganzen Stadt anzuzünden, wenn man ihm nicht bald Geld schicken würde, Tie Sache kam zu Ohren des Kurfürsten, der den Studenten von Wittenberg abholen, und, so sehr auch der Vater für ihn bat, auf dem Marktplatze öffentlich ent¬ vr, G. A. haupten ließ,

Am 20. August vor 100 Jahren wurde Heinrich von Gagern geboren. Sein Leben, seine Bestrebungen sind ebenso bekannt wie sein am 27, Juni 1848 als Präsident der deutschen konstituierenden National¬ versammlung in Frankfurt am Main ausgesprochenes geflügeltes Wort: „Ich thue einen kühnen Griff," Er war damals „eine Gestalt von eleganter Würde, in schwarzer Tracht, eine große deutsche Kokarde^ am Hut und schritt stets verbindlich grüßend und begrüßt durch den Süd¬ eingang sder Paulskirche), der gerade auf die Tribüne des Vorsitzes hinwies," Geriet er in Zorn, so verschönerte derselbe in feiner unwider¬ stehlichen Wucht sein Gesicht mit der kühn vorgebauten Stirn, den Am buschigen Brauen und dem verschlossenen Munde wunderbar. 5, Oktober 1848 stellten die Abgeordneten Wiesner und SchmidtLüwenberg einen Antrag, den Gagern aufbrausend als „frech" bezeichnete. Die Mitte und die Rechte des Hauses spendeten ihm unermeßlichen Beifall, die Linke forderte lärmend von dem ersten Vizepräsidenten Sinison den Ordnungsruf für Gagern. Gewandt und geistesgegen¬ wärtig entgegnetc Simsou: „Ich werde Herrn von Gagern nicht zur Ordnung rufen und erwarte, daß mein Verfahren zum Gegenstände einer Beschwerde erhoben werde, wenn ein Teil des Hauses dasselbe mißbilligt."

Am 24. August vor 50 Jahren starb der Dichter des „Grußes Berlin", Heinrich Stieglitz, der 1828—1833 Kustos an der Bibliothek und Gymnasiallehrer in Berlin war. Bekannt ist, daß seine Gattin (29. Dezember 1834), sich um seinetwillen freiwillig den Tod gab an

Interessant ist folgende Stelle aus feinen „Erinnerungen an Rom und den Kirchenstaat im ersten Jahre seiner Verjüngung": „Wer möchte »ach Goethes meisterhafter Schilderung cs wagen, den römischen Kar¬ neval in seinen Einzelheiten zu beschreiben? Auch find die Hauptzügc sich gleich geblieben, wie unser Meister sic vor beinah sechzig Jahren mit getreuen Zügen aufgezeichnet hat. Das gegenseitige Zuwerfen der Blumensträuße ist späteren Ursprungs, das „Sia amazzatb“ am MoecoliAbend gänzlich verschwunden: ja, ältere Römer und unter unseren Landsleuten die, welche am längsten hier (in Rom) angesiedelt sind, behaupten, letzteres hahe niemals in der von Goethe angeführten Be¬ deutung stattgefunden, und mehrere sprachen die Vermutung aus, cs könne unser Dichter vielleicht ein falsch verstandenes „sia smurzatcr (es werde ausgelöscht) sich also gedeutet haben,"

Vüchrrtisch. Das XIX. Jahrhundert in Bildnissen.

Karl

Herausgegeben

von

Werckmeister. Verlag der Photographischen Gesellschaft, Berlin. Von dem Prachtwcrke, das in Lieferungen erscheint, deren ver¬ hältnismäßig sehr billiger Preis jedem die Anschaffung ermöglicht, aber einzeln nicht abgegeben iverden, ist der III, Band bereits begonnen. Der II, Band schloß mit dem „Goethehcft" ab, das, außer dem Bildnis Karl Augusts, acht ausgezeichnete Reproduktionen von authentischen

Gocthebildnissen enthält, und ffns durch eine meisterhafte Charakteristik Dichters von Hermann Grimm eingeleitet wird. Bei seiner Reichhaltigkeit kann man das Werk in der Thal eine Geschichte des XIX, Jahrhunderts in Bildnissen nennen! des

dritte

(Geschlecht von Ernst von Wolzogcn, Richard Eckstein Nachf,

Frankfurt a. O. Am 20. September wurde in Frankfurt im Gesellschaftshause eine Allgemeine Ausstellung für Haus und Küche, unter dem Protektorat der Frau Prinzessin Heinrich XXX. Reuß, eröffnet

644

Landsberg

a.

W.

Am 21. September

wurde

Hierselbst

zu übernehmen.

Rieder-Wutzen in der Neumark. Bei Nieder-Wutzen wird eine massive Brücke über die Oder gebaut, die im Jahre 1902 dem Verkehr übergeben werden soll. Der Kreis steuert die Hälfte der Baukosten bis zuni Höchstbetrage von 300 000 Mark bei. Tie Bauausführung über¬ nimmt der Staat.

Prenzlan. Am 25. September wurden in Prenzlau auf dem Marktplatz die Standbilder von Bismarck und Moltke enthüllt. Sie stehen zu beiden Seiten des Denkmals Kaiser Wilhelms I. und sind wie dieses Schöpfungen von Professor Johannes Schilling in Dresden. Fürst Bismarck ist in der Uniform seines Kürassier-Regimentes dar¬ gestellt, der linke Fuß ist vorgestellt, die linke Hand rubt auf dem Pallasch, während die Rechte frei herabhängt. Das entblößte Haupt ist »ach links auf Kaiser Wilhelm I. gerichtet, der Helm liegt neben Skripturen auf einem Sockel. Feldmarschall Moltke, dessen Oberkörper etwas nach votn geneigt ist, wendet sich halbrechts dem Kaiserdenkmal zu, der rechte Fuß ruht auf einem Mitrailleusenrohr, die linke Hand stützt sich auf die Hüfte, die rechte ruht auf dem Oberschenkel. Beide Denkmäler sind nach dem „Uckerm. Konrier" vom Ehrenbürger der Stadt Prenzlau, dem Rentier August Witt, gestiftet zu besten Ge¬ dächtnis die Mnhlenstraße und der Marktberg den Namen „Witt¬ straße" erhalten haben. Ribbeck sOsthavellandj. Frau von Ribbeck hat zum Andenken au ihren verstorbenen Gatten für die Kinder der Arbeiter des Dorfes ein Kinderheim mit Spielsaal für die größeren und eine „Krippe" für die kleineren Kinder eingerichtet. Borsigwalde ist der bei Tegel entstandenen Kolonie nunmehr amtlich als Name beigelegt worden. Die Kolonie gehört zum Gemeinde¬ bezirk

Dalldorf.

Potsdam. An

der Chaussee, die nach Beelitz führt, am Abhänge des Brauhausberges, soll das neue Potsdamer Kadettenhaus errichtet werden. Der Bauplatz gehört dem Forst-Fiskus. Gegenwärtig steht da ein altes Chausseehaus, das einem Förster zur Wohnung dient.

Vereins-Nachrichten. „Brandenburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Die „Brandenburgia" hielt am 27. September ihre 8. (3. ordentl.)

Versammlung des 8. Vereinsjahres im Sitzuiigssnale des brandeuburgischen Ständehauses in der Matthäikirchstraße ab. Der Vorsitzende, Geheimrat Friedet, teilte zunächst einiges aus dem Programm des nächsten Halbjahres mit, unter anderem, daß an zwei Abenden Bor¬ träge des Tirettors Görcke mit Projektionsbildern märkischer Land¬ schaften stattfinden würden.-- Darauf gedachte der Vorsitzende des am 9. Juli verstorbenen Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, Heinrich von -Achenbach, welcher der „Brandenburgia" als Ehrenmitglied angehört hatte, und forderte die Anwesenden ans, sich zum Gedächtnis Geheimrat Friede! des Verstorbenen von ihren Plätzen zu erheben. erwähnte ferner, daß am gleichen Abend der 7. Internationale Geographen-Kongreß im Abgeordnetenhause eröffnet würde, und

legte die Schrift vor, welche die „Brandenburgia" den Kongre߬ mitgliedern gewidmet hat. Diese bildet zugleich den 5. Band des Archivs der „Brandenburgia" und enthält einen reich illustrierten Aufsatz über „Die Bauernhäuser in der Mark" von Robert Mielke und einen interessanten geologischen Aufsatz „Spuren tektonischer Kräfte in dem Niederlausitzer Vorlande" von Dr. Eduard Zache. Außer dieser Spende lagen der Gesellschaft noch vor: der 2. Band des Verwaltungsberichts der Stadt Berlin, ein Prachtwerk über die Berliner Markthallen von Baurat Lindemann, ein illustriertes Werk über den Spreetunnel bei Treptow, eine Monograpbie über Fried. Friesen von Schulrat Euler und einige kleinere

Broschüren. Der Vorsitzende machte der Gesellschaft schließlich Mitteilung von einem hochinteressanten Funde, den man auf der Seddiner Feldmark in der Nähe von Perleberg gehoben hat. Beim Steinegraben auf dem

im Volksmunde als „Kaisergrab" bezeichneten Steinhügel waren Arbeiter auf eine Grabkammer gestoßen. Nachdem man eine Stein¬ platte fortgen online» hatte, fand man im Innern der etwa 1,30 in hohen und 2 m tiefen Grabkammer zwei große Urnen, und in einer derselben eine 35 cm hohe Bronzeurne, außerdem noch zwei kleinere Bronzegefäße und mehrere thöuerne Urnen. In allen Gefäßen fanden sich große Mengen von Leichenbrand und dazwischen kleine bronzene Schmucksachen und Geräte, wie Schere, Pinzette, Radeln und Ringe. Auch ein Brouzeschwert von 60 cm Länge wurde im Grabe ge¬ funden, ferner einige Gegenstände aus Eisen. Die Zeit, in der das Grab entstanden ist, scheint demnach die Uebergangszeit von der Bronze zum Eisen zu sein, das Grab selbst umschließt wahrscheinlich die Reste eines germanischen Fürstenpaares, da sich Schmucksachen für Frauen und Waffen darin fanden. Die Grabstätte ist von Geheimrat Friede! und einigen Pflegern des Märkischen Museums untersucht worden, und ersterer, der die Funde sogleich für das Museum käuflich erworben hak, wird demnächst genauere Nachrichten über das „Kaisergrab" veröffentliche». Herr Kustos Buchholtz legte eine große Anzahl von Photographien des Köllnischen Rathauses, das demnächst abgebrochen wird, und Aufnahmen der Räume des Märkischen Museums vor und gab einige geschichtliche Erklärungen zu den Vorlagen. Darauf hielt Dr. Gustav Albrecht einen Vortrag über „Erinnerungen und Denkmale an

die Schwedenzeit in der Mark". Verantwortlicher Rcdakienr:

—t.

vr. M. Folticineano,

Historischer Verein in Frankfurt a. O.

die

Märkische Obst- und Gartenbau-Ausstellung eröffnet. Stendal. Nach dem „Altmärker" hat der Kaiser es abgelehnt, für das in Stendal zu grimdende Bismarckbaus das Protektorat

In

der nach Ablauf der Sommerpause mit 20. d. M. abgehaltenen Sitzung des historischen Vereins begrüßte zunächst der Vorsitzende, Professor Dr. Gurnick, die zahlreich erschienenen Mitglieder und Gäste. Hierauf folgte der angekündigte Vortrag des Oberlehrers Nitschke über den „Frankfurter Jnquisitionsprozeß von 1724." Auf Grund der vorhandenen Litteratur, namentlich der Schrift des Stadtschreibers Dr. Johann Christoph Mellmann, schildert der Vor¬ tragende zunächst die dem Prozesse vorangegäugenen Ereigniffe und besprach sodann das langwierige und harte Jnguisitionsverfahren, das zu den heutigen Rechtsanschauungen im schroffsten Gegensatze steht. Der Prozeß dauerte vom Mai 1723 bis Oktober 1724 und erregte schon damals trotz des Fehlens fast jeglicher Presse und Tageslitteratur weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus gerechtes Aufsehen. Die Ver¬ anlassung ist kurz folgende: Am 19. Mai 1723 brach gegen 11 Uhr in der Nacht ein Feuer aus, das die Lebuser Vorstadt, von der Mauer¬ straße bis an den Klingegraben, in Asche legte. 84 Häuser brannten nieder, und acht Menschenleben gingen in den Flammen zu Grunde. Im Publikum verbreitete sich sehr bald das Gerücht, daß das Feuer nicht nur böswillig angelegt, sondern auch absichtlich verbreitet worden sei. Der Verdacht lenkte sich auf eine Witwe, Namens Sottmeyer, die Besitzerin der beiden Häuser Nr. 4 und 5 in der Ziegelstraße war. Sie habe, so sagte man, die Stadt aus Rache angesteckt, weil die Obrigkeit ihr nicht gut sei, ihre Kinder die Staupbesen bekämen, und man ihre Ziegen auf der Stadtweide nicht dulden wolle. Sie ward deshalb mit ihrem Sohne Andreas, einen, Schifferknechte, einer Witwe Reumann nebst deren zwei Kindern und einem Handwerksburschen, der in dem verflossenen Pfiugstfeste bei ihr geherbergt hatte, gefänglich eingezogen und über den Brand inquiriert. „Es erwiesen sich aber dieselben frech und leugneten jedes Milwissen an dem Feuer, bis niau ihnen den starren Sinn durch den Stockvogt vertreiben ließ." Mit Hilfe des Stockvogtes und der Folter erpreßte man von ihnen das Geständnis, das bereits im Publikum verbreitet war: Man habe Pech, Schwefel und Werg zusammengeschmolzen, daraus „Kluthen" iKlumpen) geformt und brennend auf die Dächer der Häuser geworfen. — Nur die Witwe Sottmeyer blieb beständig dabei, daß sie vom Anlegen des Feuers nichts wiffe und hiell alle Grade der Tortur aus. Somit hätte sie also den Beweis geliefert, daß sie die Wahrheit gesagt und hätte müssen freigesprochen werden,' dessen ungeachtet wurde sie wie die anderen Angeklagten zum Scheiterhaufen verurteilt und lebendig

verbrannt. An den Vortrag schloß sich eine leblnfte Besprechung, in der all¬ gemein betont wurde, daß die genannten Personen allem Anscheine nach einem blinden Argwohne und einer mangelhaften Rechtsverfassuug zuni Opfer gefallen seien. — Nachdem mitgeteilt worden war, daß der Eigen¬ tümer des Hauses Oderstraße 37, in dem am 24. August 1759 der in der Schlacht bei Kunersdorf verwundete Dichter Ewald Christian von Kleist starb, die Anbringung einer Gedächtuistafel genehmigt habe, legte Regierungssekretär Vverimann die Entwürfe zu einer Orientierungstafel und eine Karte des Schlachtfeldes von Kunersdorf vor, die auf dem Kleistturme angebracht werden sollen. Tie Karte soll außerdem in einer größeren Auflage hergestellt und in der Restauration des Kleistturmes für das Publikum zum Verkaufe ausgelegt werden. Ter Verein erklärt sich hierinit einverstanden. — Rektor Bieder machte nun noch Mitteilung über eine von ihm in den letzten Ferien vorgenoiumene Besichtigung des Schlachtfeldes von Trautenau und referierte über eine 1898 im Verlage von Georg Lorenz in Trautenau erschienene Schrift: „Das Verhalten Bonins und seiner Generale am Tage von Trautenau, 27. Juni 1866", die einen Gefechtsbericht nach österreichischer Auffassung enthält. — An diese Mitteilungen knüpfte sich eine interessante Debatte, an der sich besonders Gymnasialdirektor Dr. Rethwisch, Neal-Gyiiniasialdirektor Dr. Laubert, Kauzleirat Reschke u. a. beteiligten. — Die nächste Sitzung des Vereins findet am 18. Oktober d. I. statt.

Büchertisch. Von C. T. A. Hoffmanns Werken befindet sich eine neue Gesamtausgabe in Vorbereitung und wird voraussichtlich schon zum Herbst in Max Hesses Leipziger Klassiker-Ausgaben erscheinen: die Herausgabe besorgt Eduard Grisebach, dem wir schon so manche wert¬ volle Ausgabe älterer Schriftsteller zu verdanken haben. Eine wirklich vollständige, dabei korrekte und billige Gesamtausgabe des genialen E. T. A. Hoffmann wird allen Litteraturfreunden hochwillkommen sein, besitzen wir doch in Hoffmann ein ganz prächtiges und einzigartiges Erzählertalent, dessen Schöpfungen auch heute noch mit hohem Genuß gelesen werden können: viele Erzählungen Hoffmanns gehören zu den allseitig anerkannten Meisterwerken. Die neue Ausgabe wird eine aus¬ führliche, von Ed. Grisebach verfaßte Biographie enthalten, die zugleich Besonderes einen vollständigen Kommentar zu den Werken bietet. Interesse werden eine Reihe von Beilagen erwecken, darunter ein origineller Brief Hoffmanns im Faksimile, sowie zahlreiche, den ersten Ausgaben entnommene Abbildungen. Auch Ludwig Börnes gesammelte Schriften werden demnächst in einer neuen Gesamtausgabe in der Sammlung „Max Hesses Leipziger Klassiker-Ausgaben" erscheinen; die neue Ausgabe wird zum erstenmale auch die in allen bisherigen Gesamtausgaben fehlenden nachgelassenen Schriften enthalten wird durch eine ausführliche Biographie Börnes und kritische Würdigung seiner Werke von Professor Dr. Alfred Klaar eingeleitet werden: an besonderen Beilagen wird die Ausgabe außer Börnes Porträt auch einen interessanten Brief Börnes in Faksimile

bringen.

Berlin. — Drnck und Verla,»

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., ?!eneud»rger Striche 14a.

i

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte 25. If{ll}Vg(tUfl.

Roma n von Rudolf

-.—.

sank langsam im Westen die Sonne, und der Abendwind wurde so kühl, daß Bettina ihr Mantelet umnehmen mußte. Sie verfolgten langsam den Untergang des blutroten Sonnenballs, der vor schmalen Wolkenstreifen so gelagert war, daß diese wie Ringe des Saturn in die Erscheinung traten. Ihr Begleiter betrachtete schweigend das von zarter Glut überhauchte Gesicht der jungen Frau. Einem geheimnisvollen In¬ stinkt nachgebend, wandte sie sich ihm zu und las in seinen Augen Bewunderung und ein

ls der Dampfer das offene Meer erreicht hatte,

quälte mich der Durst, und wir blieben trocken in der feuchten Ecke Das soll anders werden —-sofort!" Er erhob sich, trat ans Büffett, und nach einer kurzen Unter¬ redung mit dem Restaurateur setzte dessen Töchterchen ein gedecktes Tischchen vor Bettina hin, während der Kellner goldgelbes Bier kredenzte. Sie aßen zusammen Abendbrot und plauderten dabei frohgemut. Er faud, daß das Fahrzeug, das sie jetzt über die uferlos erscheinende See hintrage, sie loslöse von allen lästigen Beziehungen, nagenden Sorgen und klein¬

sitzen.

lichen Rücksichten. Er komme sich freier und sorgloser vor

„Jeder Sonnenuntergang

ein Wanderbursch und frage Bettina, ob es auch ihr so leicht und frei ums Herz sei. Als sie lächelnd nickte, erhob er sein Glas und rief scherzend: „Mir ist so wohl

als

macht uns schweigsam," sagte sie, um ein Gefühl der Ver¬

verheimlichen.

„Woran denken Sie?" „Daran, daß es kaum eine schöne Empfindung oder verführerische Situation mehr giebt, welcher Lyriker wie Goethe, Heine oder Lenau nicht schon den zartesten oder melodischsten Ausdruck gegeben hätten. Mir fuhr eben Heines

Rheinfahrt durch deren

poetische

den

wie einein Burschen im ersten Semester." Bettinas Blicke ffelen auf den Mond, dessen volle Scheibe silberigen Glanz über die Flu¬ ten

Sinn,

mit

den Worten abschließt: Märchenhaft vorüber zogen Berg und Burgen, Wald und

unendlichen

Au; —

Frederir Chopin. (L.

alle¬

dem in meinen Augen sahen, so begreife ich nicht ihren Jdeeugang." „O, ich sah mehr darin als äußere Erscheinungen, mir ent¬ hüllte dies Fenster der Seele ein reiches Innenleben, eine stille

aber schwärmerische Sehnsucht nach idealen Gütern,

nach-"

einen Durst

„Nach einem frischen Glas Bier!" — Bettina lachte und fuhr dann halb verschämt, halb belustigt fort: „Ich sehe, wie dadrübe» in der engen Restauration die Gläser mit dem schäumenden Trank — gestillt werden und verspüre plötzlich einen brennenden Durst er¬ kühlen, einem nicht nach unerreichten Idealen, sondern nach Glas zu ein mir haben, frischenden Trunk. Wollen Sie die Güte bestellen?"

verblüfft, dann stimmte er in ihr Lachen ein und gnädige Frau, wie sehr mich Ihre tiefblauen Augen allem Irdischen entrückt haben. Vor einer Stunde schon

Er war sagte: „Sie

erst

sehen,

Firmament

jetzt möcht' ich

Und das alles sah ich glänzen

In demAug' derschönenFrau.

warf. Sie betrachtete eine

Weile das leuchtende Gestirn und flüsterte: „Jetzt möcht' Schwalbe der gleich ich Schwingen ausbreiten und da hinausjagen können, dem

Schilderung

„Da Sie nichts von

Ul 41.

(£ I cb o.

heißes Begehren.

zu

modernes Leben.

Sonnabend, 14. Oktober 1899.

(Fonschi»,s,.)

legenheit

xxntf

651)

zu,

neue Welten

seh'n, dort wo die Sterne kreisen, und das größte aller

Rätsel lösen: Giebt es ei» Wiedersehen — drüben?" „Oh, nun weiß ich, was Ihr Wesen so anziehend macht, Ihre Erscheinung so verklärt und mit unwiderstehlichem Zauber umgiebt; in Ihrem Innern wohnt eine Poetenseele. Sie haben gewiß Gedichte oder Novellen geschrieben?" — Es malte sich bei dieser Frage eine so ehrliche Bewunderung in seinen Zügen, daß

Bettina stolz lächelnd erwiderte: „Beides." „Ei, das ist herrlich! Run frage ich nicht, wie Sie: Giebt — auf dieser schönen es ein Wiedersehn drüben, sondern hier Erde, die nur Reiz gewinnt durch Wesen Ihrer Art? Bitte, sagen Sie mir, wo ich Sie wiederfinden kann." Bevor Bettina antwortete, schwankte der Dainvfer so heilig, >e Gläser daß das vor ihnen stehende Tischchen umkippte und ! prasseln¬ dein welchen Erschrecken, Das und Teller zur Erde rollten. Bettina Stimmung. trauliche die verscheuchte den Sturz folgte,

646

sprang auf und sah trotz der Dämmerung, daß die Wellen weiße Schaumkronen trugen. Gleichzeitig hörte sie den Restaurateur dem Kapitän zurufen: „Bei dem Seegang wer'n wi woll in Brunshaupteu de Litt nicht ausbooten können, Kaptän!" Dieser stieß einen derben Seemanusfluch aus und lief auf die Kommandobrücke. Gleich darauf trat die Justizrätin zu Frau Geister und rief in wehklagendem Tone: „Das is sa 'ne schecne G'schicht! Hab'n Sic's schon gehört, Frau Baumeisterin? Wir wer'n wahrscheinlich nich ans Land können. Na, das wär'n Vergnügen, heute nacht in Warnemünde n Obdach suchen zu müssen.

Eiherrjeh!" Als der Dampfer vor Bruushaupten anhielt, hatte es in der That den Anschein, als würde bei der bewegten See ein Ausbooten der Gäste unmöglich sein. Zwei alte Seeleute mühten sich lange Zeit vergeblich ab, das schwere Boot von der Landungsbrücke ans hinaus aus die Rhede zu rudern. Endlich sprangen einige beherzte Badegäste ins Boot und halfen den Seeleuten dies gegen die Brandung anzutreiben. Sobald es den Dampfer erreichte, sprang der Rechtsanwalt hinein, um Bettina und ihre Gefährten auf die Schiffsbrücke zu heben. Die Landung war nicht ohne Gefahr; denn das Boot schwankte heftig, und die zur Brücke hinauf¬ führende Treppe durfte, weil ein starker Anprall befürchtet wurde, nicht benutzt werden. Der Rechtsanwalt hatte eines der Ruder kraftvoll in Bewegung gesetzt. Als das Boot an der hohen Brücke hielt, sprang er zu Bettina hin und rief ihr zu: „Rur keine Furcht — ich halte Sie!" Von oben streckten ihr einige starke Männer die Hände entgegen, der Rechtsanwalt umfaßte ihre Taille und hob sie empor. Ein Ruck, und sie kniete auf dem Rande der Bohlen. Zwar schmerzten ihre Knie heftig, aber sie sprang aus die Brücke und tauschte Grüße mit ihrem Begleiter aus, dessen Namen sic nicht einmal wußte. Sie sah noch, wie seine hohe Ge¬ stalt langsam mit dem Boot in der Abenddämmerung entschwand. Zum User hinansteigend, war es ihr, als verhülle dunkles Gewölk den sonnigsten Tag ihres Lebens, und als sie von der Höhe aus den Dampfer langsam seine Fahrt nach Warnemünde fortsetzen sah, flüsterte sie mit leiser Wehmut: „Soll dieser auf¬ blinkende Stern an meinem Lebenshimmel auf immer verlöschen?"

II. An einem der ersten Septenibertage kehrte Bettina Geisler von der Ostseeküste nach Berlin zurück. Als sie aus der Ferne ihren Gatten unter der ans dem Perron besindlichcn Menschenmenge ge¬ wahrte, glitt ein Schatten des Unmuts über ihr Gesicht, und ihre Lippen murmelten unwillkürlich: „Welch ein Unterschied!" Ja, neben der glänzenden, seine Umgebung beherrschenden Erscheinung jenes Reisegefährten auf der „Hohenzollern", dessen Bettina auf der Rückfahrt wiederholt gedacht, konnte der Bau¬ meister Konrad Geisler nicht bestehen. Er war von kaum mittlerer Größe, und aus seinem Wesen sprach bescheidene Zurückhaltung. Trotzdem er erst 46 Jahre zählte, waren seine Haare und sein Bart schon stark ergraut, und sein Gesicht wies kleine Furchen auf. Er stand abseits von der Menge, und da er kurzsichtig war, fand sein forschender Blick Bettina nicht eher, als bis diese vom Wagenfenster aus seinen Namen rief. Beim Klang ihrer Stimme leuchtete sein Gesicht auf, und er ging ihr mit ausgestreckten Armen entgegen. „Endlich, Endlich!" rief er, die junge Frau heftig au sich pressend. „Ach Bettina, wie bin ich froh! Und wie Du aussiehst — rosig! Die Seelust hat Dir wohlgethan? Ja, mein Herzel? Herrgott, ivie ich mich freue!" Bettina wehrte lächelnd seinem Ungestüm und fragte nach den Kindern.

„Sie erwarten Dich mit Ungeduld, draußen im „Pflug." „Wie ist Euch denn der Aufenthalt am Tegeler See bekommen? Du hast natürlich wieder gearbeitet, statt Dich zu erholen. Ich

seh' Dir s an. Und dann wirst Tu unter der Hitze gelitten haben, da droben in der Mansarde. Wenn nur die „O, die haben sich wohlgefühlt und sich recht ausgetobt. Sie sehen beide brillant aus. Du wirst Dein blaues Wunder sehen!" „Ho^.ntlich sännen wir schon morgen in die Stadt ziehen?" „Das wird nicht angehen, Schatz."

Kinder-"

„Warum nicht?"

„Weil

trotz aller Anstrengungen die Arbeiten im neuen Hans

Es fehlen noch die Beleuchtungskörper, die Balustrade für unsern Erker und einige Kleinigkeiten. Eine Woche wird's noch dauern, bevor wir ziehe» können, aber ich hoffe, die Wohnung wird Dir gefallen." noch nicht vollendet sind.

„Und eine ganze Woche sollen wir noch da draußen neben den Maschinen und qualmenden Schornsteinen aushalten?" •— Frau Bettina rümpfte die Nase und machte eine Bewegung, als schaudere sie vor dem Fabriklärm zurück. „Geh, Schatz, Du übertreibst!" bemerkte der Baumeister lächelnd und sah mit seinen rehbraunen Augen Bettina so warm an, daß diese sich besänftigt fühlte. „Von dem Lärm der Werk¬ stätten ist im Wohnhaus wenig zu hören, dafür aber um so mehr vom Lachen und Geschrei der Kinder, die im Garten wie die Wilden herumtoben. „Wird's Dir zu toll, dann kannst Du ja auf den See hinausfahren oder im schöneu.Schloßpark promenieren. Tegel erschien mir in diesem Sommer als einer der schönsten Vor¬ rasselnden

orte Berlins." „Wie kommen wir denn hinaus?" „Mein Schwager hält mit dem Wagen vor dem Bahnhof." „Herr Fritz Hartknoch?" — Ein verächtliches Lächeln umspielte Bettinas Lippen, und sie entnahm ihrem Täschchen den Gepäckschein, um ihn einem der Träger einzuhändigen, während der Baumeister ihr die Schirme und den Plaid abnahm. „Geh, Bettina, zeig' ihm ein freundliches Gesicht; er war so gut gegen uns, und bei aller Derbheit ist er —" „Eine gute Haut, ein ungeschliffener Diamant, ein Kraftmensch, der im fernen Westen des Europäers übertünchte Höflichkeit ver¬ achten lernte, und was dergleichen Umschreibungen des Wortes Grobian mehr sind — wir kennen das!" „Aber, bedenke doch, liebe Bettina, meine Schwester ist voll¬ kommen glücklich au seiner Seite." „Kein Wunder! Fritz Hartknoch fand ein probates Mittel, um Deiner Schwester über die berechtigten Ansprüche der Frau fortzuhelfen — er hat ihr die Sorge für fünf Kinder aufgeladen. Der armen Elisabeth bleibt bei aller Arbeit nicht einmal die Zeit, sich die Frage vorzulegen, „bin ich glücklich oder unglücklich?" — Ihr lebt alle, um zu arbeiten, und doch sollte der zivilisierte Mensch eigentlich arbeiten um zu leben. Doch, laß uns gehen, Dein Herr Schwager wird sonst ungeduldig." Beide traten aus der weiten Halle auf den Vorplatz, wo Droschken und andere Fuhrwerke in Menge hielten. Kaum aber standen sie vor dem Portal, so rief eine schallende Stimme: „Konrad — hier knarrt die Karre!" Gleichzeitig fuhr ein mit zwei kräftigen aber plumpen Braunen bespannter Jagdmagen vor die Treppe. Der Lenker des Gespanns beugte sich vom Bock herab und rief Frau Geisler zu: „Na, Bettychcn, wieder in der guten Stadt Berlin? Freut mich! Hoffentlich hat die Ostsee Deine ver¬ wünschte Migräne mitsamt allen Schrullen fortgemaschen." Fritz Hartknoch reichte seiner Schwägerin die Rechte, während er mit der Linken die Pferde hielt. Bettina war bei seinem Zuruf entrüstet aufgefahren. Als sie dem Sprecher aber jetzt in das kupferbraune Gesicht und die hellgrauen, keck sie anblitzenden Augen sah, mußte sie lächeln und antwortete halb spottend, halb herab¬ lassend: „Ja, lieber Schwager, ich hab' au der Ostsee meine Ouisisana gefunden." 'was fischen die Platt¬ „Oui—si—sa—na! O Jemine! Und so deutschen ans der Ostsee?" „Fritz, Fritz, bezähme Deine Spottlust," mahnte der Baumeister. Hartknoch rief dem „Hast recht. — Hierher, Manuelen!" Gepäckträger zu, er möge Bettinas Reisekorb auf dem Bock ab¬ laden, und knallte dann mit der Peitsche. Die Braunen setzten sich langsam in Bewegung. Als der Wagen durch die Straßen im Norden Berlins fuhr, entströmten den Fabriken und Werkstätten ganze Scharen von Arbeitern; denn der Feierabend war angebrochen. Nun herrschte ein geräuschvolles, buntes Menschengewühl auf den Bürgersteigen und rasselnde Fuhrwerke in Menge rollten über die Fahrstraße. Der breitschulterige Hartknoch lenkte seine Braunen langsam aber sicher durch die Menge der entgegenkommenden und den Weg >d kreuzenden Lastfuhrwerke, Pserdebabmvagen, Droschken .

647

Als er endlich eine freiere Straße erreichte, rief Bett,, mit einem Seufzer der Erleichterung a»S: „Gott fei Dank, daß wir nicht in einem Arbeiterviertel zu Hausen brauchen. Der Anblick Bassermannscher Gestalten, das Rasseln der Wagen und das Geschrei der Gassenbuben würde mich ersticken." Hartknoch rvandte sich halb nach seiner Schwägerin um und zeigte ihr lachend die aus dem dunklen Vollbart hervorblitzenden fahren

„Mir scheint, Bettychen, Dein Ouitschisana hat Dir die Nerven doch noch nicht ganz ins Scharnier gebracht; denn nirgendwo sanft es dem gesunden Menschen wohler sein als unter Arbeitern. Der Anblick so vieler „Bassermannschen Gestalten" thut mir wohler als der von faulenzenden Zierbengeln. Das mute ich Dir aller¬ dings nicht zu. Sieh Dir doch die aus den Werkstätten heimkehrenden Menschen an, sie mögen schlecht gekleidet und müde aussehen, aber sie lachen und sind fröhlichen Gemüts. Das macht, der Arbeitende hat ein gutes Gewissen. Arbeit erhält das Leben und ist auch der beste Schlaftrunk. Was meinst Du wohl, wie den armen Teufeln das Essen schmeckt!" „Das mag wohl bei Euch Männern gelten, die Frauen aber —" „Auch für die Frauen gilt das Sprüchwort: Arbeiten ist der beste Brautschatz." „Es giebt verschiedene Arten von Arbeit, und mir steht die geistige höher als die manuelle. —" „Mir auch, Bettychen, aber es muß ehrliche Arbeit sein und keine Spielerei, kein Getändel mit schönen Gefühlen, lyrischen Zähne:

Stimmungen-"

„Aber Fritz! Noch ist meine Frau nicht unter Deinem Dach, und Deine moralisierende Beredtsamkeit feiert schon wieder Orgien. Könnt Ihr beide denn gar keine freundliche Unterhaltung führen?" „Hast recht, Konrad. Bei der Disputiererei kommt doch nischt raus. Also Bettychen, ich nehme alles zurück und erkläre mich für'n ehrlichen aber scheußlich dummen Kerl." — Er ließ seine Peitsche durch die Luft sausen und wandte sich den Pferden zu, die jetzt in Trab fielen. Der Baumeister drückte seiner Frau die Hand und warf ihr einen beschwichtigenden Blick zu. „Du wirst sein Geschwätz doch nicht ernst nehmen?" flüsterte er ihr zu, und Bettina, deren Backen sich gerötet hatten, zwang sich zu einem spöttischen Lachen und erwiderte: „Bewahre! Was weiß er von meinem innern Leben! Er haßt alle Frauen, die sich nicht bedingungslos in die Gewalt des Ehemanns begeben. Fritz hat wahrscheinlich Amerika nach kaum zweijährigem Aufenthalt wieder verlassen, weil in diesem freien Lande die Frauen sich nicht zur Leibeigenschaft herabwürdigen lassen."

„Du thust ihm unrecht, Schatz. Er ging nur nach den Ver¬ einigten Staaten, um seine Kentnisse zu bereichern und kam zurück, weil er meine Schwester und die Heimat liebte." Beide verstummten; denn die Abendsonne war hinter ein nahgelegenes Fichtengehölz hinabgesunken, und bei der raschen Fahrt erschien es den Geislers, als husche ein feuriger Ball an den schlanken Stämmen porüber. Als das weiße Landhaus endlich in Sicht kam, dem Hartknoch den Namen „Pflug" gegeben, weil in seiner nebenan belegenen Fabrik Patentpflüge angefertigt wurden, vernahm Bettina vom Flur her Hurrarufe. „Aha, das kleine Volk grüßt Dich schon von weitem!" bemerkte „Siehst Du, liebe Hartknoch, sich gegen Bettina umwendend. Schwägerin, in der Behauptung stimmen wir wenigstens völlig überein: Man kann nirgends glücklicher sein als im Schoß seiner Familie." Und Bettina nickte ihm mit strahlendem Lächeln zu, als sie kleine Kinderschar dem Wagen entgegenstürmen sah. An der Spitze befand sich Konradin Hartknoch, ein neunjähriger Knabe, der in der Erscheinung wie im Wesen ganz das Ebenbild seines Vaters war; ungewöhnlich kräftig gebaut, trug er einen braunen Rundkopf mit borstigem, kurzgeschnittenem Haar und hellen Augen die

auf den breiten Schultern. Er war behende, sehr rechthaberisch und temperamentvoll. „Tante, Tante Bettina," schrie er ihr ent¬ gegen: „Denk' Dir nur, wir hab'n neun Ferkel gekriegt!" Als er neben dem Wagen hielt und Bettina einen Busch wahllos zusammengewundener Astern hinaufreichte, sagte sein

Vater: „lind Du bist das zehnte! Junge, wie siehst Du denn ans?" „Wir haben Indianer gespielt, Vater, und ich war der Häuptling." „So, so! Hätt' mir's eigentlich denken können. Ra, das wird ne große Wäsche geben im See." Bettina sagte lachend dem barfüßigen Jungen, der sich das Gesicht mit Lehm bemalt und das Hemd mit Hühnerfedern garniert hatte, ein Dankeswort und sprang aus dem Wagen; denn eben kam Walter, ihr eigener Sohn, an. Er bildete einen starken Gegensatz zu seinem robusten Vetter. Obgleich er erst sieben Jahre zählre, war er ebenso groß wie Konradin Hartknoch, aber schlank und zart gegliedert. Um sein feingeschnittenes Gesicht wehte langes Blondhaar, und sein Teint war fast so weiß wie der eines Mädchens. Vom raschen Lauf atemlos und erhitzt, hatten sich seine Wangen gerötet, und seine tiefblauen Augen erstrahlten, als er sich jauchzend in die Arme Bettinas warf: „Mama! Mama!" stieß er fast schluchzend hervor und streckte ihr den kleinen Mund entgegen. Bettina küßte und preßte ihn an sich, dann aber rief sie im Tone tiefer Besorgnis: „Dein Herz pocht nicht — es flattert! Warum bist Du so schnell gelaufen?" „Ich wär' so gern zuerst bei Dir gewesen — O je, nun hab' ich gar meinen Blumenstrauß verloren. Max und ich hatten ihn gepflückt." „Da ist er!" rief eine helle Kinderstimme, „ich hab' ihn anfgenommen!" Es war der kleine, kaum vierjährige Mar Gcisler, der sich aus der kleinen Kinderschar hervordrängte und mit beiden Händchen einen großen, von herbstlich gefärbten Blättern um¬ rahmten Blumenstrauß emporhielt. Bettina küßte ihr zweites Söhnchen, nahm die schön geordneten Blumen und fragte: „Wer hat denn den Strauß so schön gewunden?" „Ich!" rief Walter, setzte aber dann hinzu: „Fräulein Werner hat mir dabei geholfen." Die Genannte, ein hageres Kinderfränlein, mit klug und forschend blickenden Augen, trat in bescheidener Haltung auf Bettina zu und ergriff die dargereichte Hand. „Nun, wie waren Sie mit Ihren Zöglingen während meiner Abwesenheit zufrieden?" fragte Bettina, während ihr Neffe Konradin mit des Vaters Erlaubnis auf den Rücken eines der Pferde und seine vier kleinen Geschwister in den leer gewordenen Wagen kletterten. „Ich war in einer ähnlichen Lage, wie die Glucke, welche Entchen unter ihre Fittiche nehmen soll," versetzte das Fräulein lächelnd. „Herr Hartknoch und der Herr Baumeister, sowie der kleine Konradin entführten sie mir zumeist auf den See. Dem Himmel sei Dank! Alles ist gut abgelaufen, und beiden Kindern ist der Landaufenthalt wohl, bekommen. Auch Sie, gnädige Frau, scheinen sich in Brunshaupten recht erholt zu haben." „Ja, der kräftige Seewind und die Stille des Ortes haben mir wohl gethan. — Ach, da ist ja auch meine vielbeschäftigte Schwägerin Elsbeth!" Diese, eine junge Frau von rundlichen, üppigen Formen und blühender Gesichtsfarbe, war eben ans der von Clematis umrankten Gartenpforte getreten und begrüßte in ruhiger freundlicher Weise ihre Schwägerin. „Sei mir willkommen, Bettina, Du siehst wohl 'mal aus. Du wirst Dich darauf freuen, endlich wieder Deinen Kindern leben zu können. Komm ins Haus und mach' Dir's bequem. In einer Viertelstunde essen wir zu Abend, die Kinder¬ fütterung ist bereits vorüber." — Sie wandte sich ihrem Bruder zu, der den Sttohhut abgenommen hatte, fuhr ihm mit einer lieb¬ kosenden Bewegung über die kahle Stirn und sagte lächelnd: „Na, endlich ist Deine Sehnsucht gestillt." Und Konrad Geisler war in der That glücklich. Er liebte Bettina mit jener stillen, innigen Glut, die sich mehr in Blicken und Thaten als in hochtönenden Worten äußert. Er war schon mit ihrem Vater, einem begabten, aber leichtlebigen Maler bekannt gewesen. Als dieser starb und seiner Witwe nichts hinterließ als eine „stilvolle" Wohnungseinrichtung, hatte Geisler sich Bettinas und ihrer Mutter hilfreich angenommen. Beide fühlten sich wohl unter Geislers Schutz und kamen dank seiner Güte und klugen Einsicht leichter über das schrecklichste Ereignis ihres Daseins fort, als sie im Angesicht des Todes erwartet hatten. Als Bettina

morste, b«B ihr Beschützer sie bewunderte und liebte, fühlte sie sich beglückt; denn ihr noch unberührtes Herz nahm das Gefühl der Dankbarkeit für Liebe, und als Geister um ihre Hand warb, sagte sie freudig ja. Trotzdem die Ehe ihre Illusionen nicht erfüllte, schien die junge Frau doch zufrieden und heiter zu sein. Die Er¬ innerung an all das Gute, was ihr Geister in trostloser Lage erwiesen, der günstige Einfluß, den ihre verständige und erfahrene Mutier übte, und die freudigen Erwartungen und Hoffnungen, die das Muttergefühl in ihr erweckten, halfen ihr über manche Ent¬ täuschung fort. Als aber später ihre Mutter starb, und als sie der ersten Sorgen um das Gedeihen der Kinder überhoben war, lebten die Ideale ihrer Mädchenzeit wieder auf. Im Hanse ihres Vaters hatten Künstler und Litteraten verkehrt, die nicht nur ihre jugendfrische Schönheit, sondern auch ihre vielseitige Begabung bewunderten. Unter der Anleitung ihres Vaters hatte sie Zeichnen und Malen gelernt, und ihre Aquarelle waren von Kennern gelobt und sogar — wenngleich zu mäßigen Preisen — gekauft worden. Eine ganz besondere Neigung aber verspürte sie für die Poesie. Frühzeitig hatte sie die Bekanntschaft unserer großen Lyriker gemacht, hatte sich an Goethes und Heines Liebeslust, sowie an Lenaus und Edgar Poes Weltschmerz berauscht. Ihre empffndsame Seele rang nach lyrischen Ausdrucksformen, und einige ihrer zartempfundenen, schmachtenden Liebeslieder waren von galanten Komponisten in Musik gesetzt, und eine Novellette aus ihrer Feder war in einer vielgelesenen Monatsschrift gedruckt worden. Mit kühnen Aspirationen und hochfliegenden Hoffnungen war sie in die Welt getreten, und die Gesellschaft hatte sie ermutigt und ihre ersten Versuche mit Beifall aufgenommen. Der Tod ihres Vaters aber war auf ihr junges Leben wie Rauhfrost in der Frühlings¬ nacht gefallen. Mit einem Schlag verschwanden die zahlreichen Freunde und Bewunderer, die ihr an der reichbesetzten Tafel ihres Vaters so manche Schmeichelei gesagt und ihren ehrgeizigen Wünschen soviel freundliches Entgegenkommen gezeigt hatten. Als sie nun ihre so oft gerühmte reiche Begabung verwerten und den Unterhalt für sich und ihre Mutter erwerben wollte, machte sie die

niederschmetternde Erfahrung,

daß

gerade

die Personen, welche

früher mit vollen Backen ihr Genie gerühmt hatten, jetzt in trockenem Ton erklärten, sie besitze zwar Talent, dies stecke aber noch in der Knospe und könne nur durch lange, fleißige Arbeit zur Entfaltung gebracht werden. Durch ihre Verbindung mit Konrad Geister war sie dem harten Kampf ums Dasein mit all seinen Sorgen, Mühen und schweren Demütigungen enthoben worden, aber auch ihr Ehrgeiz blieb ungestillt. Run, da sie sich freier bewegen konnte, erwachte mit stürmischer Gewalt wieder der Drang nach Bethätigung ihrer geistigen Fähigkeiten. Sie erfuhr, daß ehemalige Schulfreundinnen, die ihr weder an Schönheit noch Begabung gleichkamen, eine glänzende Rolle in der Gesellschaft spielten, sah, daß andere sich in der Musik- und Künstlerwelt einen geachteten Namen erworben, und kam sich vor wie ein flügellahmer Kranich, der dem Zug der Genossen nach dem sonnigen Süden mit sehnendem Herzen nachschauen muß. Mit Eifer nahm sie ihre Studien wieder auf, allein die jahrelange Vernachlässigung der Kunst und Litteratur rächte sich; ihre Fortschritte entsprachen durchaus nicht ihren hoch¬ gespannten Erwartungen. Mit den Malstunden hatte sie begonnen, allein nach einem halben Jahre erklärte sie ihrem Manne, daß sie der Farbenklexerei jetzt überdrüssig sei, ihre Befähigung weise sie auf die Musik. Mit Eifer warf sie sich auf die Gesangsstudien, fand aber nach einige» Monaten schon, daß ihre Stimme gelitten habe. Sie wandte sich der Litteratur zu, vertiefte sich in die moderne Poesie, besuchte die Theater und glaubte nun, ihren Weg erkannt zu haben. Der Befreiung des in der Hörigkeit schmachtenden Weibes wollte sie ihre Feder weihen. Mit'Begeisterung entwarf sie den Plan zu einem sozialen Roman, dessen Hanptsigur eine unverstandene und unterdrückte Frau werden sollte. Sie glaubte, der Welt etwas ganz Neues, den Unterdrückern nie zuvor vernommene Wahrheiten sagen zu können, allein sie kam nicht über den Entwurf hinaus. Schon das erste Kapitel blieb unvollendet. Das Gefühl ihrer geistigen Ohnmacht brachte Bettina zur Verzweiflung, und als sie nach der Ursache ihrer vor¬

maligen Schaffensfreudigkeit und jetzigen Sterilität forschte, gewann sie die Ueberzeugung, daß ihr an Konrad Geislers Seite das

Milien fehle. Das Versagen ihrer künstlerischen Gestaltungskraft hatte all¬ mählich in ihr das tiefste Mißbehagen erzeugt, und sie war so nervös und reizbar geworden, daß ihr Gatte nach einer langen Beratung mit dem Hausarzt beschloß, Bettina allein zu ihrer Er¬ holung an die See zu schicken. Er selber konnte sich während des Sommers keine Rast gönnen; denn er hatte in der Stadt den

passende

Ban einiger Privathäuser zu leiten und ans der Besitzung seines Schwagers die Fabrik durch einen Anbau zur Maschinenhalle zu erweitern. Run war seine Frau nach vierwöchentlicher Abwesen¬ heit wieder heimgekehrt und, wie es ihm schien, gesunder, ruhiger und zufriedener. Er durfte auch hoffen, ihr eine ganz besondere Freude zu bereiten; denn er hatte während des Sommers ein eigenes, recht behaglich und koinfortabel eingerichtetes Haus erbaut, dessen zweites Stockwerk er mit den Seinen bewohnen wollte. Dies in einer stillen Straße des westlichen Berlins gelegene Haus hatte in Bettinas Abwesenheit eine so schöne dekorative Aus¬ stattung der Jnnenräume erhalten, daß er voraussetzen durfte, sie werde beim ersten Besuch freudig überrascht sein. Und auch eine andere, weit größere Ueberraschung hoffte er seiner Frau bereiten zu können. Sie hatte wiederholt ihr Bedauern darüber aus¬ gedrückt, daß er als Baumeister um des leidigen Broterwerbs willen genötigt sei, lediglich Wohnhäuser und Fabrikanlagen zu schaffen, und daß er an keinem einzigen Bauwerk mit künstlerischer, monumentaler Ausprägung sein architektonisches Können habe

Obgleich sie zartfühlend genug war, laut nur für die bescheidene Berufsthätigkeit ihres Mannes verantwortlich zu machen, so hatte Geister doch das Gefühl, daß ihn Bettina für nicht mehr als einen Handwerker halte, und daß sie es bedaure, auf ihren Mann nicht stolzer sein zu können. Geister hatte lange und schwer mit niedrigen Verhältnissen gekämpft, bevor es ihm gelungen war, sich einen bescheidenen Wohlstand zu erringen. Er besaß treffliche Fähigkeiten und eine hohe Auffassung seines Berufs. Gern hätte er sich den höchsten künstlerischen Aufgaben zugewendet, aber die Sorge um seine nächsten Angehörigen legte ihm unüberwindliche Hindernisse in den Weg. Run endlich, da diese glücklich überwunden waren, glaubte er sich an einem Wettstreit beteiligen zu können. Eine größere Provinzstadt bedurfte eines neuen Rathauses und hatte ein Preis¬

bethätigen dürfen.

die leidigen Verhältnisse

Da der erste Preis ausschreiben für drei Entwürfe erlassen. 20 000, der zweite 10000 und der dritte 5000 Mark betrug, und da mit dem ersten Preise ein ebenso lohnender wie ehrenvoller Auftrag verbunden war, so hatte Geister sich entschlossen, mit in den Wettbewerb zu treten, an dem sich voraussichtlich hundert und mehr Architekten beteiligen würden. Die Entwürfe sollten vor dem ersten März des kommenden Jahres eingeliefert werden, und er hoffte, während der Wintermonate reichlich Zeit zu gewinnen, um — der Lösung dieser hohen sich — ohne daß Bettina es ahnte Preisaufgabe widmen zu können. Geister war kein Sanguiniker, und er machte sich von vornherein klar, daß die jahrzehntelange Vernachlässigung aller künstlerischen Bestrebungen sich an seinem kühnen Unternehmen rächen werde; allein er hoffte durch fleißige Studien an den klassischen Bauwerken vergangener Zeiten seine Kenntnisse wieder zu ergänzen und seine Phantasie zu beleben. Seine Hoffnungen verstiegen sich nicht bis zum ersten Preis. Das Leben hatte ihm seine ehrgeizigen Wünsche und Jugendhoffnungen so stark herabgedümpft, daß er sich mit einer bescheidenen Rolle im Staat und der Gesellschaft begnügt haben würde, hätte Bettinas Ehrgeiz ihn nicht vorwärts getrieben. Sein Wahlspruch lautete — Excelfiorl und da er sich wohl bewußt war, daß er seiner jungen

Gattin weder durch männliche Schönheit, noch durch Witz und Unterhaltungsgabe Liehe einflößen konnte, so wollte er ihr wenigstens die Genugthuung verschaffen, auf ihren Mann stolz sein zu können. Rach seiner Ueberzeugung gehörte Bettina zu den Frauen, die nur den

Mann lieben,

den sie auch verehren können. (SortKliimn folgt.)

649

*

Polarforschungen

er- Herren Länder sind die Vertreter der geographischen cL^? Wistenlchaften in Berlin zum VH. internationalen Geographen-Kongreß zusammengeströmt. Es war eine Fülle von Berühmtheiten, die die Reichshauptstadt iu ihren Mauern begrüßte, und der große Saal des neuen Landtagspalastes wird lange U

warten müssen, ehe er wieder eine solche Fülle geistiger Bedeutung auf >cinen Bänken sieht: ehe wieder eine solche Fülle von Wissen und Gelehrsamkeit aus den in ihm gehaltenen Reden wiederhallt. Ser Staat sandte seine Minister zur Begrüßung der fremden Gäste, und Fürst Hohenlohe, als oberster Reichsbeamter, tauschte verbind¬ liche Worte mit den berühmten Vertretern der fremden Rationen. Mit allen möglichen Büchern, Widmungen und Geschenken wurden die Kongreßteilnehmer überhäuft und die Stadt Berlin gab ihnen ein großes Fest, auf dem Bürgermeister Kürschner an der Spitze einer Anzahl der Stadtvertreter herzliche Worte der Gastfreundschaft an sie richtete. Wahrhaft imponierend war aber auch die Beteiligung am Kongreß, selbst die Forscher aus fürst¬ lichen Häusern waren nicht ausgeblieben, der Prinz von Weimar und der

-Äon-

Fürst von Monaco fehlten nicht, aber gleichsam den der Versammlung bildete die hohe schlanke Gestalt des

kühnen Norwegers

Fridtjof

Nansen.

Aber noch einen Vorzug dieser internationalen Kongresse darf man nicht übersehen: es ist die ideale Friedensmission, die sie in sich tragen. Eklatant trat diese Seite auf dem diesjährigen Kongreß hervor, als von dem gemeinsamen Vorgehen der beiden oft so eifer¬ süchtigen Schwesternationen, Englands und Deutschlands, gelegentlich der geplanten Südpolarexpedition gesprochen wurde: wie hier die lodernde Begeisterung ausbrach und diese gewiß kühlen Gelehrten, die alle keine leicht zu entzündenden Jünglinge mehr sind, erfaßte, das muß zu tiefem Nachdenken anregen über die wahre Gegen¬ ständlichkeit von Nationalunterschieden und Feindschaften. Bis vor wenigen Jahrzehnten stand an der Spitze des Interesses, sobald es sich um Erdforschung handelte, immer Afrika, aber seitdem in den letzten fünfzehn Jahren auf den Landkarten die weißen Stellen, die das „Dunkelste" im schwarzen Erdteil be¬ zeichneten, bis auf kleine Reste ganz verschwunden sind, sind die Polargebiete wieder das Schoßkind der Forschung geworden. Tie ersten Versuche, die Rätsel des ewigen Eises zu ergründen, sind schon vor mehreren hundert Jahren unternommen worden: 1516—li suchte Sebastian Sabot die nordwestliche, 1553 Willoughby die nordöstliche Durchfahrt zu entdecken; der letztere kam mit 62 Gefährten an der russischen Küste um und wurde so das

Wrgo der Südpolarkorlcher. (Südliche den Wert von solchen Kongressen in Frage ge¬ stellt und es ist wohl unbeziveifelbar, daß kaum je ein direkter Fortschritt der Wissenschaft durch die Arbeit eines Kongresses erzielt Aber welche Fülle von Anregungen giebt dieses worden ist. persönliche Zusammentreffen, der Gedankenaustausch zwischen all diesen hochbedeutenden Menschen, die oft hunderte von Meilen von einander entfernt lebend, doch jeder auf gleichem Gebiete ein ganzes

Man hat oft

Menschenleben von ernster Forschungsarbeit hinter sich haben und nun die eigenen, gewonnenen Resultate an denen, die andere er¬ zielten, prüfend, wieder hinausziehen in die Heimat um rastlos weiter zu streben, bald eingesehene Irrtümer berichtigend, bald ermutigt durch die Zustimmung, die ihnen von den ersten Geistern wird der ganzen Welt zuteil wurde. Gerade auf solchen Kongressen es möglich, einen klaren Ueberblick über den augenblicklichen Stand der Erkenntnis auf allen Gebieten der Wissenschaft zu gewinnen. Hier sieht man erst mit welchem gewaltigen Aufgebot von Spezial¬ wissenschaften heut der geographische Forscher sich ansru,tet, um irgend eine Expedition anzutreten. Die geographischen und meteoro¬ Karto¬ logischen Ortsbestimmungen, gerade wie die Fähigkeit des Voraussetzungen. allerselbstverständlichsten die sind graphierens, Aber dann werden alle Lpezialgebicte der Naturkunde verwertet, erkunden, um Flora, Fauna und die geologischen Eigenschaften zu ilige auch um^die e aufgeboten, Bakteriologie die Ehemie uiid die Sinne nicht aus¬ da zu erforschen, wo die Feinheit der menschlichen reicht. Alle Forlbewegungsmittel werden benutzt, selbu der Lustballon Und so arbeitet fortwährend an allen Enden der Welt eine Anzahl der erlesensten Geister aller Nationen unter Auf¬ wendung von gewaltigen Mitteln, um die Kenntnis des an sich so winzigen „Herrn der Schöpfung" von seinem Planeten zu bereichern.

Hemisphäre.)

erste Opfer der arktischen Forschung. Viele sind ihm schon gefolgt und doch gehen immer neue Helden hinaus und setzen ihr Leben ein. Um diese Entdeckung der nordwestlichen Durchfahrt, um Amerika

herum, und der nordöstlichen, um Asien, herum drehte sich ur¬ sprünglich überhaupt die Forschung in diesen Gegenden. Sowohl die russische Regierung wie die englische erkannten die Wichtigkeit eines hier vielleicht zu entdeckenden Schiffahrtsweges nach Indien. England setzte mehrfach durch Parlamentsakte hohe Preise aus für die Erreichung bestimmter Punkte. Beide Durchfahrten wurden nach vielen vergeblichen Versuchen endlich entdeckt: die nordwestliche 1853 von Mr. Chure, der sich auf der Suche nach der aus 120 Personen bestehenden vollkommen verschwundenen FranklinExpedition befand: die Möglichkeit der nordöstlichen wies 1878 bis 1879 Nordenskjöld ans seiner berühmten Fahrt mst der Bega nach. Der praktische Wert der beiden Wasserwege als Schisssahrts- und Handelsstraßen ist aber illusorisch; den größten Teil des Jahres versperren Eismassen den Weg, und nur beim Zusammentreffen besonders günstiger Bedingungen ist die Fahrt überhaupt möglich. Eine gewaltige Entdeckung wurde aber aus einer dieser Expedi¬ 1829 fand John Roß ans der nordamerikanischen tionen gemacht. Halbinsel Boothia Felix den Punkt, wo sich die Magnetnadel direkt senkrecht gegen die Erde richtet, mit anderen Worten, er fand den magnetischen Nordpol der Erde und entdeckte, daß dieser und der geographische Nordpol sich nicht decken. Tie Bestrebungen fingen nun an sich auf Erreichung des Nordpols selbst zu richten. Als eine ziemlich unwiderstreitbare Thatsache hatte man ansehn gelernt, daß kein Festland, sondern Meeresflüche — wahrscheinlich Eisfelder, vielleicht auch offenes Meer — den Nordpol bedeckt; immer besser und geeigneter wurden die Expeditionen ausgerüstet, ein immer

650

größeres Maß von Erfahrungen stand zur Verfügung, und Raufen verdankt seinen großen Erfolg neben seiner beispiellosen Kühnheit und Energie haupfächlich dem Umstand, daß er für alle Fälle ge¬ rüstet war. Er ist derjenige, der mit 86° 13" 6"" den nördlichsten Punkt der Erde erreicht hat. Noch aber sind die bangen Er¬ wartungen aller auf Nachrichten von Andrer gewandt, dem Wag¬ halsigen, der in ganz neuer, nie erprobter Weise mit dem Luftschiff dem Ziele zustrebte. Viele haben die Hoffnung auf seine Wiederkehr schon ausgegeben; möchten sie sich täuschen und möchte doch eines Tages die sichere Botschaft eintreffen: Er ist heimgekehrt! Viel weniger fortgeschritten als die Erforschung des Nordpols ist die Südpolarforschung. Der Gürtel des ewige» Eises, der sich um den Südpol lagert, ist bedeutend breiter als am Nordpol. Soviel weiß man aber nach den Resultaten der bisherigen

Forschungen, daß sich im Gegensatz zum Nordpol nicht eine Wasser¬ fläche, sondern ein großes antarktisches Festland um den Südpol breitet. Die bedeutendsten Erfolge der bisherigen Forschung hatte James Clark Roß mit seiner Expedition 1840—43. Er entdeckte den magnetischen Südpol, den in voller Thätigkeit befind¬ lichen 4000 Meter hohen Vulkan Erebus und den erloschenen Terror, und erreichte unter 78° 10" den südlichsten Punkt der Erde. Bedeutende Entdeckungen verspricht man sich von der iw Vor¬ bereitung begriffenen gemeinsamen deutsch-englischen Expedition, die mit allem nötigen ans mehrere Jahre versehen, reich mit allen Instrumenten ausgestattet, über einen größeren Stab von Fach¬ gelehrten verfügen wird, und so dauernde und zuverlässige Be¬ obachtungen ivird anstellen können.

Sir

Elektrizität contra Gasgliihlicht. Neues und altes aus der Beleuchtungs-Technik. Von

^

Franz Vrndt.

S

om rußenden Kienspan bis zur raffiniertesten neueren Petro¬ leumlampe, und vom ältesten Gas¬ schnittbrenner bis zur Siemens-Regenerativlampe beruhen alle Beleuch¬ tungs-Vorrichtungen auf dem Prinzipe der Verbrennung. Mag es nun Holz oder Fett, Üel oder Gas sein, was zur Verbrennung gelangt, stets wird hier der Körper durch größere oder geringere

Wärmemengen, die man ihm zu-

führt, in Gas verwandelt, und die kleinen festen

Kohlen-Bestandteile, die im Gase zum Glühen gelangen, spenden Licht. Bei allen Leuchtvorrichtungen, die auf dem alten Prinzipe der Verbrennung beruhen, werden in großer Menge die Berbrennungsprodukte in die Luft geschickt. Diese Leuchtkörper entsprechen nicht den hygienischen Anforderungen, die der moderne Mensch an einen allüberall verbreiteten Gebrauchs¬ Gl-sblSsrr.

gegenstand zu stellen berechtigt ist. Die alte Methode, die, so lange die Geschichte uns von den Kulturvölkern erzählt, im Gebrauch ivar, wurde am frühesten durch die Erfindung des elektrischen Bogenlichtes erschüttert. Aber erst seit dem Jahre 1882, wo zum erstenmale das elektrische Glühlicht von Edison auf der elektrotechnischen Ausstellung zu Paris vor¬ geführt wurde, lernte die Menschheit ein neues Beleuchtungs-Prinzip kennen. Die allgemein bekannte Glühlampe setzt sich aus der luftleeren Glasbirne und aus einem feinen Kohlenfaden zusammen. äußerst Wird ein elektrischer Strom durch den Faden geleitet, so beginnt er zu glühen

und sendet Licht aus. Die elektrische Glüh¬ lampe erzeugt also nur durch Glühen und nicht durch Verbrennung Licht! Die elektrische Glühlampe hätte sich fraglos sofort bei ihrem ersten Auftreten die Welt erobert, wenn die Energie, mit der sie beschickt werden muß, die Elektrizität, wohlfeil und leicht zu haben wäre. Bis zum Augenblicke ist das elektrische Glüh¬ licht noch immer das Licht der Reichen. Obgleich während der letzten Jahre das Glühlicht wiederholt beschrieben worden ist, fehlt doch im Durchschnitt im Kreise der Gebildeten die Vorstellung von der außerordentlich subtilen Fabrikation der

ihnen die Form, welche für die Erzeugung der Lichtfülle nötig ist, die sie später spenden sollen. Die Cellulosesäden müssen nun in Kohlenfäden verwandelt werden. Um das zu erreichen, bindet man viele Tausende vor¬ bereiteter Fäden fest zusanimen und fügt sie in feuerbeständige Kasten, sogenannte Muffeln, ein. Die Zwischenräume in den

Muffeln erfüllt man vollständig mit Kohlenstaub. Die Muffeln gelangen darauf in die Karbonisiernngs-Oese», in denen sie etwa 18 Stunden hindurch einer gewaltigen Glut ausgesetzt sind. Die Cellulosesäden sind jetzt in Kohlenfäden verwandelt und elastisch wie feinster

Stahl.

Von einer modernen Lampe verlangt man, daß bestimmte Lichtmenge spende, das zu erreichen, müssen die Koh¬ lenfäden einen

zweiten

Kar¬ bonisierungspro¬ zeß durchmachen.

Der

Kohlenfa¬

wird hierzu, während ihn ein den

clektrischerStrom durchflutet, in ein

mit einem Kvhlenhydrat—man wählt Petroleum oder

Leuchtgas

— gefülltes

Ge¬ säß eingefügt. Es

Ausspannen der LeUuIosrsädr» zum Trockne».

tritt dann die von

Maxim, dem berühmten Erfinder der Schnellsenerkanone, zuerst beobachtete Erscheinung auf, daß sich Kohlenteilchen in feinster Form ans den glühenden Faden niederschlagen. Er wird da¬ durch vollkommen gleichmäßig. Aus der Lichtart, die er aus¬ sendet, kann man erkennen, ob er für die Anwendung reif ge¬ worden ist. Neuerdings werden in den großen Fabriken Apparate ver¬ wendet, die das alles automatisch ohne menschliche Beihilfe ausführen. Der Kohlenfaden ist fertig! Die Glasbirnen liefern die Glashütten. Man könnte nun glauben, die Hauptfabrikation wäre erledigt. Das ist indessen nicht der Fall; eine sehr große Anzahl von Operationen müssen noch

zerltrUuiljl LrllulostsSdrn.

Glühlampe. Die größte Schwierigkeit bereitete von jeher die Fabrikation des Fadens. Der Stoff, ans dem er sich aufbaut, ist die Cellulose, der Grundstoff also, aus denen die Pflanzen bestehen. Die Cellulose wird zu einer syrnpdicken Flüssigkeit gelöst und diese durch kleine Oeffnungen hindurch gepreßt. Die Fäden, die so entstehen, werden, in mit Spiritus gefüllten Gesäßen, etwa 24 Stunden um Festigkeit zu erhalten, ansbewahrt; dann auf Trommeln gewickelt und getrocknet. Geschulte Arbeiterinnen zerschneiden die Fäden und geben

sic eine ganz nicht mehr und nicht weniger. Um

von

geschickten

Arbeiterinnen

erledigt

werden. Um später dem Kohlenfaden, in der vollendeten Glüh¬ lampe, den Strom zuführen zu können, müssen noch zwei Drähte in ihre Wandungen eingefügt werden, die den Strom durch die Glasbirne hindurch leiten. So einfach das aussieht, so große Schwierigkeiten hat das Bekanntlich dehnen sich doch den Technikern ursprünglich bereitet. alle Körper durch die Wärme aus; und zwar in sehr verschiedenem Grade. Die meisten Metalle haben ein anderes AusdehnungsVermögen als das Glas. So ergab sich denn, daß bei den Glüh¬ lampen die stromführenden Drähte, die in die Glaswand eintraten, die Birne entweder zersprengten oder sie undicht machten. Von allen Metallen ist es allein das kostbare Platin, das das gleiche

Ansdehnungsvermögen besitzt wie Glas. Das Kilogramm Platin kostet etwa 1 500 Mark; und doch ist man gezwungen, es bei der Glühlampenfabrikation zu verwenden. Nachdem geschickte Hände den mit zwei Platindraaten >e» wehrten Kohlenfaden in die Glasbirne eingefügt lp o h. iß

651

die Lust entleert werden. Die Hauptsache ist, allen Sauerst off in der Birne zu vernichten. Hierzu bediente man sich früher der Quecksilber-Luftpumpe; jetzt wird sie aus sanitären Gründen zumeist durch Oellnstpnmpen ersetzt.

Die Luftentleerung

setzt sie

vollzieht

sich

nun

die unten ^offene Lampe auf die ein kleines Stückchen von rotem

so: Die Arbeiterin Luftpumpe, nachdem

Phosphor eingefügt hat, und läßt zu¬ gleich den elektrischen Strom durch den Faden der Lampe gehen. Schon nach den ersten Kolbenstoßen der Luftpumpe beginnt der Kohlenbügel schwach aufzu¬

In

leuchten. diesem Augenblicke ent¬ zündet sich der Phospor und verbindet

während er verbrennt, mit dem Sauerstoff der Lampenluft zu Phosphor¬ säure. In dem Moment, wo der

sich,

Phosphor aufglüht, schmilzt die Ar¬ beiterin die Birne zu, die jetzt durchaus sauerstoffsrei geworden ist.

Vorstehende

Abbildungen, zeigen die Herstellung der elektrischen Glühlampen in den Werken der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft zu

Berlin. Der elektrische Strom bethätigt

i

lichcr Körper das Oxyd der „seltenen Erden", das sogenannte Aschcnskelett. Um diesen Körpern eine größere Widerstandsfähig¬ keit und eine bestimmte Form zu erteilen, werden sie noch einer sehr heißen Flamme ausgesetzt, während die Arbeiterin mit einem Stäbchen alle Unebenheiten ausgleicht. In den letzten Monaten haben die Elektrotechniker einen ge¬ waltigen Vorstoß gegen die Gasglühlampe ausgeführt: und zwar sind die Kämpfer, wie vielfach die Zeitungen berichten, Professor Nernst, Edison und — Auer von Welsbach. Für die elektrische Lampe des Pro¬ fessor Nernst verwendet man, erst neuer¬ dings gefundene, physikalische Thatsachen. In der älteren Edisonlampe geht der elektrische Strom durch einen Leiter, den er zur Weißglut erhitzt, und erzeugt Die elektrische Kraft wird so Licht. hierbei nur in höchst unwirtschaftlicher Weise ausgenutzt. Nur drei Prozent von ihr verwandeln sich in Licht, und 97 Prozent gehen verloren. Man hat nun die Beobachtung gemacht, daß die sogenannten Nichtleiter, die elektrischen

Isolatoren, in Ckektrizitätsleiter ver¬

sich

in zwei Eigenschaften, die die Elektriker als Stromstärke und Stromspannung bezeichnen. Die Stromstärke entspricht der Menge der Elektrizität, die Span¬ nung dem Drucke, mit dem sie durch einen Leiter z. B. den Kohlenfaden hindurchgepreßt wird. Je höher die Spannung ist, je geringer ist die

wandelt werden können, wenn man sie vor der Beschickung mit Strom ent¬ sprechend erhitzt. Das ist das neue Prinzip, das der Rernstlampe zu

Grunde liegt.

Professor Nernst hat mit Unter¬ stützung der Ingenieure der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft zu Berlin ver¬

Elektrizitätsmenge, die man zur Er¬ schiedene Lampenformen konstruiert. Als zeugung einer bestimmten Lichtmcnge Glühkörper für seine Lampen wählte gebraucht. Die Elektriker haben in er eine Mischung von Porzellan und letzter Zeit es möglich gemacht, Glüh¬ Magnesia, und stellte aus ihr Stäbchen lampen zu konstruieren, die eine dop¬ her. seiner einfachsten Lampe führte pelt so hohe Spannung ertragen wie er zu den beiden Enden des Stäbchens bisher, ohne daß die Lampen teurer die beiden Enden des stromführenden werden. Ferner sind neuerdings Lam¬ Drahtes. Natürlich kann der Strom Verkohlung der Cellulosefäden im Karbonisrerofen. pen in Konstruktion, und zwar in ihrer den Jsolalor nicht durchdringen. Aber Ausarbeitung nahezu vollendet, welche schon die Erwärmung mit einem Streich¬ nur etwa halb so viel elektrische Energie verbrauchen, als die holze genügt, um das Stäbchen zu einem schwachen Elektrizitätslciter zu machen. Ein wenig Elektrizität durchfließt das Stäbchen bisherigen Glühlampen; die Einführung dieser neuen Lampe wird also die elektrische Glühlampe auch dem bürgerlichen Haus¬ und erhöht seine Temperatur. Während sich das Stäbchen nun halte zugänglich machen. immer mehr und mehr erhitzt, und immer größere Elektrizitäts¬ Ehe wir uns den neuesten Fortschritten der Glühlampenmengen es durchströmen, gelangt es endlich zur Weißglut. Dieser Fabrikation zuwenden, möchten wir noch der Gasglühlampe Vorgang vollzieht sich in wenigen Sekunden. der älteren einige Worte widmen. elektrischen Glühlampe mußte der leitende Kohlenfaden in eine Es ist bekannt, daß luftleere Glasbirne eingeschlossen werden, um ihn vor dem Ver¬ durch die Erfindung brennen zu schützen. Die elektrischen Nichtleiter, die Nernst in seiner von Auer von Wels¬ Lampe verwendet, sind unverbrenniiäic Körper. Die Nernstsche bach die große Schlap¬ Lampe bedarf daher keiner evakuierten Glasbirne. Die Fabrikation pe, die die Gastechniker der Lampe stellt sich schon aus diesem Grunde verhältnismäßig durch die Erfindung der sehr wohlfeil. Man vergegenwärtige sich außerdem die vielen ver¬ Edisonschen Glühlampe wickelten Opera¬ erlitten hatten, wieder¬ tionen, welche die um ausgewetzt wurde. Herstellung der Jedermann weiß, daß älteren Glüh¬ die Elektriker im Augen¬ lampe erforderte. blicke, wenigstens in Eine Lampe, wirtschaftlicher Be¬ die der Praxis ziehung, mit der Auerdienen soll, muß lampe nicht konkur¬ natürlich mög¬ rieren können. Aber lichst selbständig nur wenn es sich um arbeite». Nernst Einführen und Einschmelzen der Kohlenfäden in die Glasbsllons. größere Kerzenstärken baut deshalb handelt, also für Läden auch Lampe» und Straßenbeleuchtung. Die Teilbarkeit des elektrischen Licbtes mit automati¬ ist auch durch das Gasglühlicht noch lange nicht erreicht. Bei schem Vorwär¬ mer, also mit den Berliner Elektrizitätswerken waren angeschlossen Juni 1897:

In

In

196076 Lampen, Juni 1898: 229958 Lampen. Also Zunahme in einem Jahre 34000 Lampen trotz Gasglühlicht. Im Durchschnitt ist im Publikum auch über die Fabrikation der Glühkörper für das Gasglühlicht nur wenig bekannt, lim sie herzustellen, wird ein schlauchartiges Banmwollengewebe von zweckentsprechender Länge in eine Lösung der sogenannte» sel¬ tenen Erden getaucht. Tie wichtigsten von ihnen sind das Zirkon, das Lanthan, das Ittrium, das Thorium und das Cer. Sie besitzen alle in der Weißglut ein sehr hohes Lichtausstrahlungs¬ vermögen und eignen sich daher vortrefflich zu Glühkörpern. Die vorzüglichste Mischung zu diesem Zwecke giebt Ittrium mit 3 Pro¬ zent Cer. Die imprägnierten Strümpfe werden zunächst dem Prozesse der Veraschung unterworfen. Man zieht den Strumpf dazu über ein entsprechendes Modell und läßt die Gewebe langsam nach unten herunter brennen. Was zurückbleibt ist ein unverbrenn-

Selbstzündung. Diese automati¬ sche Nernstlampe hat folgende Ein¬

richtung: In un¬ mittelbarer Nähe

LeuchtkörL»sir»tlerrung drr Kls»l>.,llo»s und SI>yi!N>cl!»»a der Strngrl. ist ein Platindraht, der mehrfach um eine kleine Porzellanröhre gewickelt wurde, in den Strom¬ kreis eingeschaltet. Beginnt der Strom seine Thätigkeit, dann vermag er den Nichtleiter nicht zu durchdringen. Er geht vielmehr mit ganzer Energie durch den Platindraht, indem er diesen und die Porzellanröhre stark erhitzt und, wie ein kleiner Ofen aus den Leuchtkörper wirkend, Zuerst gebt nur wenig Elektrizität dessen Vorwärmung veranlaßt. des

pcrs

ihn hindurch: da aber diese sich zunächst in Wärme verwandelt, nimmt der Körper nach und nach Weißglut an und strahlt endlich ein schönes, dem Tageslichte sehr ähnliches Licht ans. Die Zeit, die die Vorwärmung beansprucht, erfordert etwa zwei Sekunden. Diese Zeit ist in der Praxis überhaupt nicht zu bemerken. Der neue Lenchtkörper nimmt eine Temperatur von etwa 700 Grad Celsius an.

durch

dem

so

das Neue.

Augenblicklich baut die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft in Allerdings werden sie noch nicht in

Berlin die neuen Lampen.

Glühfaden.

Der Glühfaden nur sehr

eingefijgt.

Die Elektrizität springt nun in Form von kleinen

rechnet

Lebensdauer von etwa 300 Stunden, und sie wurde für Leistungen von 25, 50 und 100 Kerzen gebaut. Sie kann unmittelbar in die Leitungen der städtischen Elektrizitätswerke eingefügt werden, da sie für alle daselbst herrschenden Spannungen hergestellt wird. — Die Techniker, die sich näher mit der Nernstlampe beschäftigt haben, prophezeien ihr eine glänzende Zukunft, und glauben, daß sie die Gasglühlampe aus dem Felde schlagen wird. Sie soll sich vor¬ züglich für die Straßenbeleuchtung eignen, und insbesondere wegen ihrer Billigkeit im Betriebe der Leuchtquell der Zukunft für das bürgerliche Haus werden. Vorläufig ist das freilich noch Zukunfts¬ musik. Das Anerlicht leuchtet noch siegesgewiß: außerdem ist ihm ein Bundesgenosse im Acetylen erstanden, dessen Verwendungsgebiet noch gar nicht zu übersehen ist.

Die Anwen¬ dung elektrischer Nichtleiter zur Erzeugung des elektrischen Lich¬

tes ist auch von anderer Seitemit versucht

worden. So sind denn auch neuer¬

dings keine ge¬ ringeren als Edi¬ son und Auer von Welsbach, frag¬ los aus Anlaß Nernstschen

Erfindung,

Ubbrrnnrn der Nurr-Glützstrümpfr.

der

schwer

Fünkchen von Kohlenteilchen zu Kohlenteilchen und erzeugt dadurch eine so hohe Temperatur, dass der Strom den Bügel durchfluten kann und ihn zur Weißglut erhitzt. Schwierigkeiten bereitete es anfangs dem Erfinder, eine gleich¬ mäßig strahlende Oberfläche zu erhalten. Er erzielt sie jetzt dadurch, daß er kurze Zeit hin¬ durch den Bügel in ein Salz der seltenen Erden taucht, z. B. in Acetat. Die Fabrikation des Edisonschen Fadens kann in folgender Weise geschehen: Das Oxyd der seltenen Erden wird zunächst mit einer Lösung von Zucker und Asphalt innig vermischt und dann karbonisiert. Dabei gehen diese Stoffe in Kohle über, die, wie wir sahen, der Elektrizität den Weg weisen. Die neue Auerlampe ist, wie wir schon mitteilten, der Edisonlampe sehr ähnlich. Auch in ihr setzt sich der Faden aus einem Oxyd der seltenen Erden, zusammen. Er enthält aber außerdem noch einen Zusatz von Osmium. Osmium ist bekanntlich ein Metall, das in der Natur häufig mit Platin zusammen vorkommt, und zu den sogenannten Platinmctaüen ge¬

den Handel gebracht, weil die Gesellschaft nur ein praktisch durchaus tadelloses Fabrikat auf den Markt zu bringen wünscht. Bisher gelangte man zu folgenden Ergebnissen: Die neue Lampe hat eine

der

bildet der Glühfaden in ihnen

neuen Edisonlampe ist aus einem schmelzbarem Stoffe hergestellt, der größtenteils aus den Sauerstoffverbindungen der seltenen Erden Zircon und Thor besteht. Um es einem Strom zu ermöglichen, den Nichtleiter zu durchdringen, sind Kohlenteilchen in den Bügel

porösem,

Nähen der Auer-Glühstrümpfe.

Erfolg

Wie wir sehen,

mit

Neukonstruktio¬ nen der Art aus dem Markte er¬ schienen. Beide Techniker haben bei der Gelegen¬ heit ein seit lan¬ gem umworbe¬ nes, sich einer gewissen Berühmt¬

heit erfreuendes

Problem gelöst. Aus allgemeinenUebcrlcgungen schlossen dieElektriker, daß die seltenen Erden, die sich in der Gasgluhlampe bewährt haben, sich auch gut für die Herstellung des Glühfadens in der elektrischen Glühlampe eignen dürften. Die seltenen Erden sind Nichtleiter. Man erkennt also sofort, daß hier ein ähnliches Prinzip zu Grunde liegt, wie in der Nernstlampe. Allerdings ist die Durchführung in den beiden neuesten Lampen eine ganz andere! Beide Lampen haben äußerlich die Form der älteren Edisonschen Glühlampe. Sie bestehen aus einer evakuierten Glasbirne und

In

wird.

den letzten Jahren haben wir in der Beleuchtungstechnik durch das Acetylen theoretisch einen Rück¬ schritt erlitten. Das Kohlenwasserstoffgas Acetylen, das man er¬ hält, wenn man das Kunstprodukt Ealciumcarbid mit Wasser übergießt, äußert seine Leuchtkraft durch Verbrennung, wie das gewöhnliche Gas in den alten Brennern. Es schickt also, daran ist nun einmal nicht zu

rütteln,

Berbrenuungs-

in den Raum, die die Luft verschlechtern. Das prächtige Weiß

produktc

der Acetylen-Flamme hat dieser Belcuchtnngsart, wie leicht begreiflich, wiederum

viele Freunde zugeführt. Es ist nicht falsch, wenn wir behaupten, daß das Acetylenlicht im Augenblick Mode geworden ist und sich noch weiter ausbreiten dürste. Die Anlage von Gas¬ anstalten ist besonders für kleinere Orte wegen der großen Kosten zumeist nicht möglich. Elektrizitätswerke für kleine Städte, bis zn Einwohnerzahlen von nur 2000 herunter, sind da¬ gegen schon zahlreich aus¬ geführt worden, da hier¬ bei neben der Beleuchtung noch ein weiterer Faktor auftritt, nämlich die elek¬

JE»»«*»» der Surr-Appar-tk. trische Kraftübertragung und der Antrieb von Ma¬ schinen durch Elektromotoren. Für reine Beleuchtungsanlagen hat man indessen die zentralisierte Acetylen-Beleuchtung für kleine Städte und Dörfer in Vorschlag gebracht. Mehrfach sind solche Anlagen auch bereits mit Erfolg ausgeführt worden Wir erwähnen unter andern die Anlage zu Oliva bei Danzig. Die Berliner Allgemeine Carbid-Äcetylen-Gesellschaft, welche die Anlage ausführte, hat ihre immerhin nicht leichte Aufgabe mit Sorgfalt gelöst. vier Entwicklern, die je vierzig Kubikmeter fassen können, ivird das Acetylen aus dem Ealciumcarbid durch llebcrgießen mit Wasser in der gebräuchlichen Weise gewonnen. Nachdem das Gas entsprechende Reinigungsapparate durchlaufen, gelangt es dann betriebsreif in einen iin Freien aufgestellten Gas¬ behälter von 30 Kubikmeter Inhalt. Im weiteren muß es noch eine Gasuhr, einen Druckregler und einen Trockenapparat durch¬ eilen, um endlich vom Hauprrohr !-er Leitung aufgenommen zu werden. Die Röhrenleitung besteht aus getheertem Schmiedeeisen Die Eigenart des Acetylenaases eifordert auch innerhalb des Röhrennctzes eine wiederholte Reinigung: es müssen deshalb in gewissen Zwischenräumen mit Weisel gefüllte Reinigungs' wre ein-

In

geschaltet werden.

mäßig schwierig.

Das

macht allerdings die Anlage verhältnis¬

Die augenblickliche Lage der Beleuchtungstechnik läßt sich etwa charakterisieren: Wir befinden uns in einem Zustande des Uebergangs, in dem stets in der Technik vermittelnde Einrichtungen so

die Herrschaft zu führen pflegen. Diesen llebergangszustand beherrscht jetzt das Gasglühlicht und vielleicht auch die Äeetylenbeleuchtnng. Wie sich die Zukunft gestaften wird, läßt sich heute natürlich noch nicht entscheiden.

Denkmale und Erinnerungen an die Schwedenreit in der Mark. den kleinen Landstädten der Mark Brandenburg, namentlich Südosten, in der Lausitz, und in der Neumark bis nach Pommern hinauf, trifft man bisweilen einen Gasthof „Zu den drei Kronen- an. Das Wirtshausschild ist meist alt und ver¬ blaßt und deutet auf der Altväter Zeiten hin, und forscht mau bei dem Besitzer nach, so ist der Gasthof seit Generationen vom Vater auf den Sohn vererbt und hat immer jene Bezeichnung getragen. ,Seit wann diese besteht, weiß man nicht, und das ist sehr erklärlich, hat sie sich doch zwei Jahrhunderte hindurch erhalten, eine Erinnerung an jene schreckliche Zeit, wo die Schweden in der Mark hausten, die Einwohner quälten und die Ortschaften verwüsteten. Ein Abbild des schwedischen Wappens ist jenes Wirtshausschild, der drei goldenen Kronen auf blauem Grunde, welche die Königin Margarethe 1397 dem vereinigten skandinavischen Königreiche als Wappen ver¬ lieh und welche die schwedischen Heere in so manchen Schlachten zum Siege geführt haben.

EM im

nicht, jedenfalls kam er nicht zu dem gewünschten Ziele, beide Kurfürsten zögerten, uud Magdeburg fiel am 10. Mai 1631 in die Hände der Kaiserlichen. Der Schwedenkönig sah sich nunmehr zu energischen Maßregeln gegen den brandenburgischen Kurfürsten veranlaßt: er rückte vor Berlin uud drobtc die Stadt zu beschießen. Georg Wilhelm ging ein Bündnis mit seinem Schwager ein, und aus Freude über diesen Vertrag schossen dieSchweden ihre scharfgeladenen Kanonen als Ehrenbezeuguug ab. Durch diese

In

jenen Städten, wo man diese Gasthöfe „Zu den drei Kronen" findet, wie in Krossen, Spremberg, Lübben, Schwedt uud Küstrin, weiß das Volk auch sonst noch viel von der Schwedenzeit zu erzählen, und ebenso rufen an anderen Orten Schwedenschanzen und Schwedengräber, Grabsteine und Ahncnbilder, Büsten und Reiterstatuen das Andenken an die Schrecknisse der Schwedenzeit und an die glän¬ zenden Siege der Brandenburger über die Schweden wach. Keine Epoche der brandenburgischen Vorzeit hat sich dem Gedächtnis des märkischen Landvolkes so tief eingeprägt wie die Zeit der Schwedenkriege, und selbst die Hussitenkriege, die Einfälle der Russen und die Gewaltthaten der Franzosen haben nicht so Photo metrische nachhaltige Spuren hinterlassen wie jene. In¬ folgedessen finden sich die Erinnerungen an die Schwedenzeit über die ganze Mark verstreut, und eS dürste wohl von Interesse sein, einen kurzen Ileberblick über die noch vorhandenen Denkmale und Nachklänge aus jener Schreckenszeit zu geben. Die frühesten Erinnerungen stammen aus der Zeit des dreißig¬ jährigen Krieges, als die Schweden zur Unterstützung der bedrängten protestantischen Glaubensgenossen herbeieilten und dann, durch die schwankende Politik des Kurfürsten Georg Wilhelm gezwungen, die Mark als feindliches Land behandelten. Am 25. Juni 1630 landete Gustav Adolf in Pommern, vertrieb die Kaiserlichen aus diesem Lande, aus der Neumark und aus Mecklenburg und bezog dann zwischen Schwedt und Vierrade» ein festes Lager, um den heranziehenden Till» zu erwarten. Spuren dieser Befestigungen waren noch in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts unter dem Namen „Schwedenschauzen" vorhanden. Tilly wagte keinen Angriff auf die Schweden, sondern zog sich auf Magdeburg zurück, und Gustav Adolf, welcher nun freie Hand hatte, rückte gegen Frankfurt an der Oder, welches am 3. April 1631 von den Schweden erstürmt wurde. An diese Erstürmung Frankfurts erinnern Kugelspuren, welche mau an dem Georgenkirchlein in der Lebuser Vorstadt zeigt, und eine Anzahl Länasrillen am Portal der Oberkirche, welche das Volk als Säbelhiebe schwe¬ discher Soldaten erklärt. Ebenso zeigt man an den Kirchen zu Krosse», Züüichau und Landsberg an der Warthe, welche Städte die Schweden im Laufe des Jahres eroberten, die Spuren schwe¬ discher Geschosse.

Inzwischen wurde Magdeburg von Tilly hart bedrängt, und Gustav Adolf knüpfte mit den Kurfürsten von Brandenburg und von Sachsen Unterhandlungen au, um sie zum Bündnisse zu be¬ wegen. Wie er mit Georg Wilhelm persönlich verhandelte, io scheint er auch den Kurfürsten von Sachsen persönlich aufgesucht zu haben, wenigstens deutet die Volksüberlieferung darauf hm. Beim Dorfe Ri'edebeck im Kr. Luckau steht nämlich ein großer Granitblock, der die Buchstaben MRS und die Zahl 1631 trägt. Diese Buchstaben werden als „Mensa Regis Suevorum" gedeutet und der Stein als „Schwedentisch" bezeichnet, au welchem Gustav Adolf auf seiner Reise gespeist haben soll. Möglich ist auch, daß

die Buchstaben „Memoria Regis Suevorum" bedeute», und daß der Stein von einem Verehrer des Schwedenkönigs zum Andenken an dessen Thaten errichtet worden ist. Ob nun Gustav Adolf mit dcni Kurfürsten von Sachsen persönlich unterhandelt hat oder

Freudenschüsse

wurden

ver¬

schiedene Dächer der Stadt beschädigt, auch das Dach des

Station der Deutschen GasgtütxlichtGesellschaft (Auer).

kurfürstlichen Schlosses wurde von fünf äugeln durchschlagen, welche noch jetzt

in der

soge¬

nannten „Kugelkammer" an der Wasserseite aufbewahrt werden. Gustav Adolf zog nun mit seiner ganzen Truppenmacht nach der Elbe, verjagte die Kaiserlichen aus der Altmark und wich dann vor dem aus Thüringen herbeigeeilten Tilly bis Werben zurück, wo er sich verschanzte. Das stark befestigte Lager wurde von Tilly beschossen, und an diese Beschießung erinnern zwei in der Kirche zu Werben befindliche Fenster, welche die Inschrift tragen, daß an dieser Stelle 1631 eine Kugel durch die Kirche gestogen ist. Tilly zog sich bald zurück; Gustav Adolf folgte ihm und schlug ihn, mit Sachsen vereint, bei Breitenfeld in die Flucht. Dieser Sieg verschaffte der Mark auf einige Zeit Ruhe vor den Kriegs¬ greueln, da der Feldzug sich jetzt mehr im Lüden Deutschlands abspielte. Der tapfere Schwedenkönig hat die Mark lebend nicht wiedergesehen, bei Lützen setzte die Kugel eines bayrischen Schars¬ schützen seinen ferneren Unternehmungen ein Ziel, und nur seine Leiche wurde auf dem Wege zur Ostsee durch einen Teil der Mark gebracht. Die Stelle, wo der Sarg vor dem Altar gestanden hat. ist in einzelnen märkischen Kirchen, so in Prenzlau und Bernau, durch ein Merkmal bezeichnet, welches die Erinnerung an den helden¬ mütigen Schwedenkönig im Volk wacherhält. Der Tod Gustav Adolfs verschlimmerte die bis dahin günstige Lage der Schweden in der Mark. Kurfürst Georg Wilhelm mußte durch Wallensteins Erfolge in der Reumark gezwungen, sich, 1635 dem Kaiser anschließen, und die Schweden behandelten infolgedessen die Mark als feindliches Land. Seit jener Zeit be¬ ginnen die unsäglichen Quälereien und Greuel, mit welchen die schwedischen Soldaten die märkische Bevölkerung bedrückten, uud welche die nachhaltige Erinnerung an die Schwedenzeit, der mau überall im Lande begegnet, hinterlassen haben. Der Kampf zwischen Schweden und Kaiserlichen wogte in den nächsten Jahren hin und her, und überall in der Mark finden sich Erinnerungen an diese Kämpfe und Streifzüge. An die Eroberung Landsbergs im Jahre 1633 und den Abzug der Schweden erinnert der „Schwedensteg" im Norden der Stadt, an die Schlacht bei Wittstock am 24. September 1636 die in der Nähe der alten Bischofsburg stehende Banerweidc und ein einfaches Denkmal für mehrere in der Schlacht gefallene schwedische Soldaten auf dem Kirch¬ hofe des Dorfes Schweinrich bei Wittstock, an die Erstürmung von Schwedt am 19. Oktober 1637 der „Schwedenhort", eine Wiese im Oderthale, wo die Einwohner Zuflucht suchten,

und an den Verwüstungszug der Schweden im Jahre 1638 die Ruinen der Klöster Marienpforte (bei Boitzenburg), Chorin, Zehdenick und Lindow (bei Ruppin). Aus jener Zeit stammen auch die Berichte der Chronisten über die von den Schweden verübten Greuel, wie sie ihre Opfer bis an den Hals in die Erde gruben, ihre Finger unter die Flintenhähne schraubten, ihnen Wasser und Jauche in den Mund gossen (der sogenannte „Schwedentrunk") oder sie bei lebendigem Leibe rösteten, um ein Geständnis zu er¬ Wenn man von pressen, wo sie ihre Schätze verborgen hätten. diesen Grausamkeiten liest, dann versteht man es auch, weshalb diese Schwedenzeit ihre Spuren so nachhaltig dem Volksgemüt eingeprägt hat. Schweden und Kaiserliche wetteiferten mit einander in der Erfindung von Erpressungsversuchen und trieben das Land¬ volk schließlich dazu, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Wo sich schwedische Truppen in der Minderzahl zeigten, wurden sie von der Bevölkerung in den Hinterhalt gelockt und niedergemacht. So giebt es einen „Schwedentotschlag" bei Grimnitz, wo ein schwedischer Offizier im Dunkel der Schorfheide mit seinen Begleitern erschlagen sein soll, ein „Schwedengrab" aus dem Töpserberg bei Burg im Spreewalde, wo ein Förster einen schwedischen Reiter nieder¬ schoß, und dann unzählige „Schwedenschanzen", welche vom Volke gewöhnlich als Gräber der erschlagenen Schweden bezeichnet werden. Natürlich rühren diese „Schwedenschanzen" nicht aus jener Epoche her, sondern aus prähistorischer Zeit: meist sind es germanische oder slavische Längswälle, welche von den alten Bewohnern zur Verteidigung des Landes angelegt wurden und den Uebergang zwischen zwei Seen bezw. zwischen Sumpf und See sperren sollten. Wie verhaßt die schwedischen Bedrücker den Märkern waren, zeigt auch der Fluch „Daß Dich der Schweb'!" — zu ergänzen ist „holen oder quälen möge" — durch welchen der Schwede mit dem Teufel aus eine Stufe gestellt wird, und ferner die Bezeichnung „Alter Schwede", welche einst als schweres Schimpfwort ge¬ braucht wurde, jetzt aber nur noch in jovialer, gemütlicher Weise angewendet wird. Frischer noch als an die geschilderte Periode der Schwedenzeit hat sich die Erinnerung an die nach dem westfälischen Frieden folgenden Schwedenkriege und die glorreichen Siege der Branden¬ burger über die schwedischen Eindringlinge im märkischen Volke wach erhalten. Die Siegesdenkmäler von Fehrbellin und Hakenberg, die Statuen des Großen Kurfürsten und die Grabdenkmäler seiner Feldherren sind beredte Zeuge» einer ruhmreichen Vergangenheit der Brandenburger und Mahnsteine an die Drangsale der Schwedenzeit. Trotzdem durch den Westfälischen Frieden die Besitzverhältnisse in Pommern zwischen Schweden und Brandenburg geregelt und die weiteren Streitigkeiten durch den Grenzrezeß zu Stettin endgiltig geschlichtet waren, trotzdem der Große Kurfürst als Bundesgenosse Schwedens in der dreitägigen Schlacht bei Warschau (18. bis 20. Juli 1656) gegen Polen gekämpft hatte, blieb stets ein ge¬ spanntes Verhältnis zwischen beiden Mächten bestehen, und die Schweden suchten dem brandenbnrgischcn Staate auf jede Weise Abbruch zu thun. Als Kurfürst Friedrich Wilhelm 1673 am Rheine weilte, um den Kaiser im Kriege gegen Frankreich zu unterstützen, ließ sich Schweden leicht von Frankreich bewegen, in die Mark einzufallen und dort nach Feindes Art zu Hansen, um den Kurfürsten vom Kriege am Rhein abzulenken und dadurch die Garantien des Westfälischen Friedens in Deutschland sicher zu stellen, wie der schwedische General Wrangel sich ausdrückte. Kaum hatte der Große Kurfürst Nachricht von dem Schweden¬ einsall erhalten, so brach er am 26. Mai 1675 von seinem Haupt¬ quartier Schweinfurt auf, erreichte in Eilmärschen am 11. Juni Magdeburg und stand am 14. Juni mit seiner Vorhut vor Rathenow, welches am Morgen des nächsten Tages überrumpelt wurde. Das

Zur Hundertjahrfeier der ÄWm

24. Juni 1773 erließ der große König eure Verfügung, in welcher von allen, die eine „Baukondukteur"-Stelle wünschten, die Ausbildung in folgenden Hilfswissenschaften der Baukunst vor¬ geschrieben wird: in der Rechenkunst, theoretischen Geometrie, Plani¬ metrie, Mechanik, Hydrostatik, Hydraulik, Aereometrie,

Zivilbau-

knust und Wasserbaukunst. Diese Verfügung, die auf Anregung des 1770 gestifteten Ober-Baudepartements zurückzuführen sein dürfte, ist der erste Anlauf, den Lehrgang für das Baufach in Preußen von Staats wegen zu regeln. den Jahren 1777 und 1778 ergingen für die Bergmissenschaft ähnliche Verfügungen, und die Ober-Berg- und Banräte Gerhard und Holsche hielten den jungen Berg- und Hüttenleuten, sowie den jungen Baukünstlern in

In

den folgenden Jahren Vorträge über Mineralogie, Metallurgie, Physik, Chemie, theoretische und angewandte Mathematik, Mark¬ Architektonisches scheidekunst, Zivilbaukunst und Hüttenkunde. Zeichnen wurde auf der von Kurfürst Friedrich HI. 1696 gestiftete» Akademie der Künste gelehrt, die freilich unter Friedrich Wilhelm I. gänzlich in Verfall geriet und erst am 5. Februar 1786 durch den

Zentrum der schwedischen HeercSmacht war hiermit durchbrochen, und in eiliger Flucht zogen sich die Feinde über die beiden Sandplateaus von Kremmen und Fehrbellin zurück, um sich jenseits des Luches zu vereinigen und die Brandenburger zu erwarten. Bevor jedoch der Rückzug vollendet war, erreichte Friedrich Wilhelm

die Schweden bei Fehrbellin, wo am 18. Juni 1675 jene glänzende Schlacht stattfand, welche mit der vollständigen Nieder¬ lage der Schweden endete. Fehrbellin und Hakenberg weiß man vieles von der Schlacht zu berichten: von welchem Hügel aus der Kurfürst die Schlacht geleitet, wo er den Schimmel mit Froben gewechselt, wo dieser den Opfertod für seinen Herrn erlitt, wie der Kurfürst beim Ritt durch Hakenberg ein verlassen Kindlein vor sich auf den Sattel genommen und dieses sein Schutzgeist wurde und ähnliches mehr. Diese Sagen, sowie die häufig im Luch und im Acker aufgefundenen Kugeln und verrosteten Waffenstücke erhalten das Andenken an die große Schwedenschlacht im Volke lebendig. Auch sonst findet man im havelländischen Luch verschiedene Erinnerungen an die Schwedenzeit: in Linum soll ein schwedischer Oberst hinter dem Altare bestattet sein; bei dem Dorfe Feldberg wird eine sogenannte Schwedenschanze als Grabstätte eines schwedischen Offiziers bezeichnet, der wegen seiner Flucht vor den Brandenburgern von seinem General erschossen und verflucht wurde; auf den Werder beim Städtchen Lindow flüchteten die Einwohner beim Anrücken der Schweden, zwei Soldaten schwammen aber in Biertonnen hinüber und ermöglichten so die Gefangennahme der Geflüchteten, und auf dem Walle in Neu-Ruppin steht eine alte knorrige Eiche, unter welcher der Große Kurfürst nach der Schlacht bei Fehrbellin den abziehenden Schweden nachgeschaut haben soll. Kommt man nach Rathenow, wo sich die Marmorstatue des Großen Kurfürsten in der Altstadt erhebt, so häufen sich die Er¬ innerungen und Erzählungen; besonders von der Einnahme der Stadt durch Derfflingers Dragoner am Morgen des 15. Juni weiß man Ergötzliches zu berichten: wie der Landrat von Briest ans Böhne die schwedischen Offiziere trunken gemacht, wie er Bier und Branntwein durch verkappte brandenburgische Krieger ans Thor fahren und die Wache überrumpeln ließ u. s. f. der Reichshauptstadt aber mahnt das Meisterwerk Schlüters auf der Kurfürstenbrücke zu ernstem Gedenken an die gewaltigen Thaten des Großen Kurfürsten und führt uns in einem der gefesselten Sklaven am Sockel des Denkmals auch das gedemükigte, in seinen Eisenbanden knirschende Schweden vor. An jene siegreichen Tage erinnern ferner die über ganz Brandenburg verstreuten Grabdenkmäler der Heerführer Friedrich Wilhelms, welche zumeist unter dem blauen schwedischen Banner ihre Kriegslaufbahn begannen und ihre Lorbeer» unter den Fittichen des roten Adlers gegen die Schweden pflückte». Gusow liegt der alte Derfflinger, in Tamsel Hans Adain von Schöning begraben; in Jahnsfelde bei Müncheberg und in Schülzendorf bei Wriezen hängen die Ahnenbilder derer von Pfuel, und in der Kirche zu Friedersdorf bei Seelow steht die gepanzerte Statue des Generals von Görzke. Zu Cossenblatt ruht Hans Albrecht von Barfuß und zu Garz im Rnppinschen Albrecht Christoph von Quast von seinen Thaten aus, und in St. Marien in Berlin mahnt das treffliche Marmorepitaph an den bedeutendsten Feldherrn Otto Christoph von Sparr. Wohin man auch kommen mag, historische Erinnerungen und Denkmale an die Schwedenzeit sind vielfach vorhanden in märkischen Kirchen und Schlössern, auf märkischer Heide und Wahlstatt, und überall erzählt das Volk von den Greueln und Drangsalen jener Tage. Die Schwedeuzeit ist längst vorüber, aber ihre Spuren sind nicht ausgetilgt im Laufe der Zeiten, ein Anzeichen, wie vr. Gustav Albrecht. schreckenvoll sie gewesen sein muß.

In

In

In

Technischen Hochschule großen König erneuert wurde. Im Jahre 1788 rief der Hofbaurat Becherer eine Baunnterrichtsanstalt ins Leben, die den Namen Architektonische Lehranstalt hatte, und die sich seit 1790 königlicher Unterstützung zu erfreuen hatte. Das sind die bescheidenen Vorläufer der königlichen Bau¬ akademie, die jedenfalls auf Anregung Becherers und der anderen Lehrer an seiner architektonischen Lehranstalt — es ragt unter diesen namentlich Friedrich Gilly hervor — vor hundert Jahren von König Friedrich Wilhelm III. begründet wurde, unter dessen Regierung das höhere Unterichtswesen in Preußen überhaupt einen gewaltigen Aufschwung nahm. Der König hatte die Gründung der Bauakademie durch Kabinetsordre vom 18. März 1799 angeordnet, unterm 12. April genehmigte er die Grundsätze zur Einrichtung der neuen Lehranstalt, deren Zweck es sein sollte, „die theoretische und praktische Bildung tüchtiger Feldmesser, Land-und Wasserbaumeister, auch Bauhandwerker, vorzüglich für die könig¬ lichen Staaten" zu fördern. Die Unterrichtsfächer waren: Arith¬ metik, Algebra, Geometrie, Optik und Perspektive, Feldmeßkunst,

666

Nivellieren, Statik fester Körper, Hydrostatik, Mechanik fester Körper, Hydranlik, Maschinenlehre, Banphysik, Baukonstruktionslehre, Strom- und und Wegebaukunst, architektonisches und das 14. Lebensjahr

Deichbaukunst, Schleusen-, Hasen-, BrückenGeschichte der Baukunst, Freihandzeichnen, Maschinenzeichnen. Von den Zöglingen, die überschritten haben mußten, wurde eine Vor¬ bildung verlangt, die nur wenig über das jetzige Volksschulpensum

hinausging. Am 1. Oktober 1799 wurde das neue Institut eröffnet, ihr Heim erhielt die Akademie in der damals von Heinrich Gentz neu erbauten Münze auf dem Werderschen Markt, die 1884 leibcr abgebrochen wurde. Der Bau, dessen berühmter Fries (von Schadow) nach der 1868—1871 errichteten neuen Münze in der llnterwasserstraße überführt wurde, erhielt eine dreifache Bestimmung: er diente für die Münze, für das Ober-Berg-Departcment und für die neu gegründete Bau-Akademie, die Inschrift des Gebäudes lautete demgemäß: „Rrickerieus Guilelmus III. Rex Rei monetariae mineralogicae architectonicae MDCCC." Direktor des

Dir

Eckenburg, im Jahre 1732 durch Gerlach hatte diesem Hause befanden sich die Unterrichts¬ erbauen lassen. räume der Bauakademie fast ein Menschenalter, und zahlreiche Baubeamte haben dort ihre Ausbildung genossen. Von 1821 an sind die genauen Besuchsziffern*) der Bauakademie erhalten. Die¬ selbe zählte 1821/22 31 Zöglinge — Studierende kann man nicht gut sagen, da bis 1849 Schulzwang herrschte — und erreichte 1826/27 die Zahl 160, um allmählich bis auf 26 (im Winter¬ semester 1835/36) herabzusinken; Ende der dreißiger Jahre begann wieder ein allmähliches Steigen, so daß 1846/47 wieder 101 Zög¬

In

linge vorhanden waren. Im Jahre 1809 trat die Bauakademie aus dem Ressort des Handelsministeriums in das des Unterrichtsministeriums. Zugleich übernahm das Direktorium der Kunstakademie die Leitung des Institutes. Diese Verbindung bestand bis Ende 1823. Eine Kabinettsordre vom 31. Dezember desselben Jahres bestimmte, daß die Bauakademie nunmehr in zwei Abteilungen gegliedert werden sollte, von denen die eine die höhere Baukunst, die andere das Tech-

technische Hochschule

neuen Lehriustituts wurde der Oberhofbaurat Becherer; ihm standen 14 Lehrer zur Seite, die in 23 Unterrichtsfächern unter¬ richteten. Die Zahl der Schüler schwankte zwischen 30—50. Die Unterrichtserfolge blieben zunächst hinter den gehegten Erwartungen zurück, was bei der verschiedenartigen und in vielen Fällen gewiß völlig unzulänglichen Vorbildung der Zöglinge nicht überraschen einer Kabinettsordre vom 28. Februar 1801 weist der kann König darauf hin, „daß junge Leute, die nicht wenigstens gute Schulkcnntnisse bereits mitbringen, die Anstalt nicht mit Nutzen frequentieren können und also umso weniger aufgenommen werden müssen, als sie die fähigeren Subjekte nur aufhalten und in der Folge dem Staate lästig werden, statt daß sie als bloße Hand¬ werker demselben immer noch hätten nützlich werden können, wenn sie in Zeiten dazu wären angewiesen worden." Diese Kabinettsordre hatte eine Verschärfung der Aufnahme¬ bedingungen zur Folge. Die aufzunehmenden Zöglinge mußten für die Folge auf einem größeren Gymnasium die dritte, auf einem gewöhnlichen die zweite Klaffe absolviert haben und mußten vor dem Plenum des Obcr-Bau-Departements eine Aufnahmepriifung bestehen. Der Andrang zur Bauakademie blieb dauernd ein starker. Am Jahre 1806 wurde ein Teil der Klassen nach der ZimmerI traße 25, Ecke der Charlottenstraße, verlegt, welches der „starke

In

Mann", Karl von

in Lhartottenburg.

nische des Bauwesens umfassen sollte. Die erste Abteilung blieb dem Kultusministerium und der Akademie der Künste angegliedert; sie

sollte das Aesthetische der Baukunst psiegen, ging aber nach einigen Die zweite Abteilung, die vom Handelsministerium ressortierte, gelangte unter Leitung des Ober-Landesbaudirektors Eytelwein zu schneller Blüte. Die Unterrichtsgegenstände dieser

Jahren ein.

Abteilung waren: Arithmetik, Algebra, Elementar¬ geometrie; Trigonometrie, Körperlehre, beschreibende Geometrie, Perspektive; Analysis und höhere Geometrie; Statik fester Körper und Hydrostatik; Mechanik fester Körper und Hydraulik; Baukonstruktionslehre; Stadtbaukunst; Oekonomische Baukunst; Straßen-, Brücken-, Kanal- und Schleusenhau; Strom-, Deich- und Hasenhau ; Maschinenbau; Physik, Chemie und Mineralogie in Beziehung auf Baukunst; Situationszeichnen; Frcihandzeichen; architeklouischeS und Maschinenzeichuen; Modellieren. Aus diesem Lehrplan ist zu ersehen, daß die Bauakademie ihre Ziele erheblich in die Höhe geschraubt hatte. Zwei Jahre vor dieser Reorganisation der Bauakademie war das Schwesteriustitut derselben, das Gewerbeinstitut, durch de» genialen BeutR.-rns Lehen gerufen worden, dem Preußen neben technischen

*)

Dieselben sind dem soeben erschienenen Werke „Die Technische Hochschule in Preußen"

von Paul Friedrich Damm entnommen.

656

dem Finanzminister Motz im wesentlichen den gewerblichen Auf¬ schwung verdankt, den es nach den Befreiungskriegen nahm. Das Gewerbeinstitut sollte nach dem von Beuth entworfenen Organisations¬ plane vom 18. April 1821 die Aufgabe haben, „dem angehenden Fabrikanten und Handwerker nicht nur eine allgemeine Bildung und Einsicht in Dinge zu geben, welche zu wissen jedem Handwerker not thut, sondern auch gerade soviel Vorkenntnisse, als zum gewöhn¬ lichen Betriebe eines technischen Gewerbes nötig sind." Die auf¬ zunehmenden Schüler mußten die Kenntnisse unserer heutigen Volksschule haben und durften nicht jünger als zwölf und nicht älter als 16 Jahre sein. Der Unterrichtskursus war zweijährig und gliederte sich in eine untere und eine obere Klasse. der ersteren wurden die Unterrichtszweigei Geometrie, Rechnen, Natur¬ kunde, Zeichnen und Modellieren gelehrt, in der oberen Klasse Arithmetik und Algebra bis zu den Gleichungen zweiten Grades, Stereometrie, Trigonometrie, Perspektive, Statik, Mechanik, prak¬ tische Maschinenlehre, Maschinen- und Freihandzeichnen, sowie Chemie, namentlich in ihrer praktischen, gewerblichen Verwendung. Aus diesem ältesten Lehrplane des Gewerbeinstituts, das übrigens bis zum Jahre 1827 den Namen „technische Schule" führte, ist ersichtlich, daß es in seinen Anfängen weit von den Zielen der Hochschule entfernt war und mehr den Charakter einer gehobenen Fortbildungsschule hatte. Die technische Schule wurde am 1. November 1821 mit 13 Schülern und vier Lehrern eröffnet und zwar im Hause Klosterstraße 36, das noch heute die Inschrift trägt: „Friedrich Wilhelm IU. dem Gewerbfleiße." Die

In

Schule zählte 1822/23 bereits 43 Schüler, 1826/27 49, wurde 1826 durch einen dritten Jahreskursus ergänzt und erhielt 1827 den Namen „Gewerbe-Institut". Die Schülerzahl stieg in den Jahren 1827/28 von 52 bis 1846/47 auf 110. Der Lehrplan wurde beständig erweitert und ausgebaut, nament¬ lich in der Maschinenlehre, der höheren Mathematik und Chemie. Von 1830 an wurden die Mineralogie und die Bau- und Maschinenkonstruktiou in den Lehrplan auf¬

Kursus für Bauinspektoren durch einen solchen für Baumeister und führte eine Trennung zwischen Hochbau (Land- und Schönbau) und Tiefbau (Wege-, Eisenbahn- und Wasserbau) ein, die längst als erstrebenswert erschienen war. Vorbedingung zur Zulassung für die Bauführerprüsung war der Besitz eines Gymnasial-Reifezeugnisfes, ein zweijähriges Studium und eine einjährige praktische Thätigkeit. Die Baumeisterprüfung konnte für Hochbau oder für Tiefbau abgelegt werden: sie erforderte ein weiteres einjähriges Studium und eine weitere zweijährige praktische Thätigkeit. Die Bauakademie war durch diese Prüfungsordnung vom Jahre 1849 eine Hochschule geworden, die der Universität ebenbürtig war, und die Studierenden erhielten nunmehr auch die längst heiß begehrte akademische Lernfreiheit. Eine ähnliche Entwickelung machte das Gewerbeinstitut in der Klosterstraße durch. Schon der Reorganisationsplan hatte has Institut zur höchsten technischen Lehranstalt erhoben und die Borbildung der Zöglinge in der elementaren Mathematik an die vorbereitenden Schulen, namentlich an die Provinzial-Gewerbeschulen verwiesen. Die aufzunehmenden Zöglinge mußten mindestens 17 Jahre alt sein und das Reifezeugnis einer Proviuzial-Gewerbeschulc, einer Realschule oder eines Gymnasiums besitzen. Die Zöglinge gliederten sich in Mechaniker, Techniker und Bauhandwerker, der theoretische Unterricht umfaßte drei Jahre. Das Regulativ vom 23. August 1860 brachte neben einer wesentlichen Erweiterung des Lehrplans — so trat der Unterricht im Seeschiffsbau hinzu — auch de» Studierenden des Gewerbe-Instituts die Lernfreiheit.

genommen.

Ein

Jahr

später trat der rastlose umfassendes Wissen mit prak¬ tischem Blick und erstaunlichen technischen Talenten in sich vereinte, auch an die Spitze der Bauakademie, die damals den Namen „Allgemeine Bauschule" erhielt, den sie

Beuth,

der

bis 1849 führte. Die Aufnahmebedingungen diese Anstalt wurden dahin erweitert, daß man für die künftigen Staatsbaumeister den Nachweis der absolvierten Gymnasialsekunda, für die Privatbaumeister den der absolvierten Tertia verlangte. Die neue Prüfungsvor¬ schrift führte zwei Kategorien von Bau¬ beamten ein: Baumeister, die einen zwei¬ jährigen Unterrichtskursus durchzumachen

für

hatten, an den tische

sich

eine ebenso

lange prak¬

Die Schiulreltckre Bauakademie.

Thätigkeit schließen mußte, und Bau¬

inspektoren, für

die

ein

fernerer

drei¬

jähriger Kursus vorgeschrieben war. Die Bauinspektoren konnten allein zu den höheren Stellen im Staatsbaudienst gelangen. Kurze Zeit nach Einführung dieser neuen Prüfungsordnung begann der Ban der Bauakademie an der Werderstraße, der 1832 bis 1835 von Bürde nach Schinkels Plänen ausgeführt wurde. Unser Bild giebt diese Schöpfung des genialen Baumeisters nach einem Stahlstiche aus den fünfziger Jahren wieder. An ihrer Stelle stand bis zum Jahre 1831 die 1670 von de Chiese gebaute alte Niederlage, in welche die Spree hafenartig eingeführt war. Nachdem Schinkel 1829—1831 die neuen Packhofsgebäude auf der Musenms-Jnsel errichtet hatte, wurde die Niederlage Die Schinkelsche Bau¬ abgerissen und der Hafen zugeschüttet. akademie ist ein quadratischer Backsteinbau, dessen Seiten 45,82 in lang sind, und der eine Höhe von 21 in hat. Die vier Fronten sind mit geringen Abweichungen, die zum Teil durch die Kon¬ struktion der Eingänge bedingt sind, völlig gleich. Acht breite Fenster besinden sich an jeder Front. Die Verzierungen des Baues sind aus weiß glasierten Backsteinen hergestellt, die in feinen Linien die Flächen der Mauern teilen und sich der überaus glücklichen Gliederung des Gebäudes harmonisch anpassen. Die Gestaltung der Fassade der Bauakademie gilt als die originellste Schöpfung Schinkels, und es wäre jammerschade, wenn auch dieses monu¬ mentale Bauwerk, das an eine der glücklichsten Evochen der Ber¬ liner Baugeschichte erinnert, der modernen Zerstörungswut zum Opfer fallen würde. diesem von ihrem größten Meister errichteten Monumental¬ bau hatte die Bauakademie — diese Bezeichnung wurde ihr am 1. August 1849 wieder zugelegt — fast vier Jahrzehnte ihr Heim. Die Prüfungsordnung des letztgenannten Jahreck'H'tzte an Stelle des zweijährigen Kursus für Land- und Wegebaumeister einen

In

solchen

für

Bauführer,

ersetzte

den

bisherigen

einjährigen

In

den Jahren 1861—1865 mußte das Institut durch einen um¬ fangreichen Erweiterungsbau vergrößert werden, und 1866 erhielt es den'Namen „Gewerbe-Akademie", wodurch auch äußerlich sein

Charakter als Hochschule anerkannt wurde. Ein näheres Eingehen aus die weitere Entwickelung der beiden Schwesterinstitute würde den Rahmen dieses Aufsatzes weit über¬ schreiten. Die Bauakademie, die bei ihrer Uebersiedeluug in den Schinkelschen Bau nur 26 Zöglinge zählte, hob sich in den vierziger Jahren ganz bedeutend und zählte 1850/51 bereits 418 Studierende, 1869/70 655, 1876/77 sogar 1085. Bei dem Gewerbeinstitut trat der Aufschwung mit der ungeheuren Entwickelung ein, die das Eisenbahn- und Maschinenwesen seit der Mitte des Jahrhunderts nahm. Die Besuchsziffer betrug 1849/50 117, 1859/60 282, 1869/70 608, 1875/76 712 und 1878/79 600. Bei diesen auf beiden Akademien stetig steigenden Besuchs¬ ziffern darf es nicht überraschen, daß die Räume für beide Lehr¬ anstalten sich Anfang der siebziger Jahre als völlig unzureichend erwiesen. Zunächst dachte man an Neubauten für beide Akademien Ihre nahe Verwandtschaft veranlaßte jedoch im Jahre 1876 das Abgeordnetenhaus, die Regierung aufzufordern, nach dem Bei¬ spiele der übrigen deutschen Staaten die Bauakademie und die Gewerbeakademie zu einer einzigen, wenn auch in besondere Ab¬ teilungen gegliederten Hochschule zu vereinigen, und diese einer kollegialisch geordneten Leitung zu unterstellen. Die Regierung folgte dieser Anregung, die bei der engen Verwandtschaft der Organisation und derZiele beider Akademien einem eminent praktischen Bedürfnisse entsprach, und so entstand die Technische Hochschule, deren provisorisches Berfassungsstatut vom 17. März 1879 datier' ist. Die technische Hochschule' gliedert sich in die Avteffimgen süp

Architektur, Bauingenieurwesen, Maschinen .genieurs wesen, Schiffs- und Schiffsbauwesen und in tv !. nliiiO

für allgemeine Wissenschaften, insbesondere für Mathematik Naturwissenschaften. Das endgiltige Versassungsstatiit trägt das Datum des 22. August 1882; cs stimmt in, allgemeinen mit dem der Technischen Hochschulen in Hannover und Aachen über¬ und

ein und stellt das Polytechnikum auch darin den Universitäten gleich, daß es das bisherige Direktorium, dessen Inhaber sein Amt aus Lebenszeit führte, durch einen Rektor ersetzte, den das Lehrer¬ kollegium aus seiner Mitte wählt. Für die neugebildete Technische Hochschule wurde nach den

Entwürfen von Lucä und Hitzig am Hippodrom in Charlotten¬ burg ein Monumentalbau in den Formen der italienischen Renaissance in Sandstein errichtet, der am 2. November 1884 in Gegenwart Kaiser Wilhelm I. seiner Bestimmung übergeben wurde. Dieser kolossale Bau — seine Hauptfassade mißt 288,80 in, d. h. 60 in mehr als das königliche Schloß — eilte bei seiner Eröffnung dem vorhandenen Bedürfnisse weit voraus. Man zählte im Winter¬

semester 1884/85 nur 887 Studierende schule, während der Neubau für 2000

auf der Technischen Hoch¬ Studierende berechnet war. Diese Zahl wurde zum erstenmale im Wintersemester 1892/93 erreicht) jetzt ist daS dritte Tausend längst überschritten, und in dem ungeheuren Gebäude macht sich seit Jahren der Raummangel in empfindlicher Weise bemerkbar. So geht dje Technische Hochschule ihrer Hundertjahrfeier, die für den 18. bis 21. Oktober in glänzender Weise begangen werden soll, unter den denkbar günstigsten Auspizien entgegen. Das scheidende Jahrhundert steht im Zeichen des Verkehrs und unter der Herrschaft der Technik, und ihr Zaubcrstab wird auch in dem kommenden Jahrhundert stetig neue Wunder schaffen und den Wirkungskreis der Technischen Hochschulen, die sich zu einem Kultuxfaktor allerersten Ranges entwickelt habe», unaufhörlich steigern. George. Richard m

peolHekoy des J|äp. Chopin in Berlin.

*

Zum fünfzigjährigen Todestage Tbopins.

dessen Werke in Deutschland zum Hausschatz jeder musikli'ebenden Familie gehören, hat sich als ausübender Künstler nur ein einziges Mal in Deutschtand öffentlich hören lassen, und zwar in München. privatem Kreise hat der große Pianist in verschiedenen deutschen Städten gespielt, so in Leipzig, Dresden und anderswo. Berlin hat er sich nur in seiner Jugend einmal aufgehalten, und über diesen Aufenthalt liege» ausführliche Briefe Chopins vor, so daß es sich wohl verlohnt, zur Erinnerung an den Tag, da der große polnische Künstler vor einem halben Jahrhundert in Paris seine Seele aushauchte, die Schritte nach¬ zuzeichnen, die er etwa zwanzig Jahre vordem in Berlin gethan hat.

hopin,

In

In

Chopins Vater, Professor Nicolaus Chopin in Warschau, war daran gelegen, daß sein Sohn einmal Gelegenheit bekommen sollte, sowohl ans musikalischem Gebiete, wie auf geistigem überhaupt, einmal mehr zu sehen und zu hören, als seine Vaterstadt Warschau ihm bieten konnte und auch bisher geboten hatte. Der junge, im zwanzigsten Lebensjahre stehende Sohn sollte, bevor er endgiltig die Künstlerlaufbahn betrat, erst einmal ein Stück Welt kennen lernen. Da bot sich unerwartet im September 1828 Gelegenheit dazu. Professor Jarocki in Warschau, ein tüchtiger Naturforscher, der in Berlin studiert hatte, ein guter Freund des Professors Chopin, war zum Kongreß der Naturforscher, der unter dem Vorsitz Alexander von Humboldts in Berlin tagen sollte, von dem letzteren zur Teil¬ nahme eingeladen worden und erbot sich gern, des Freundes Sohn mit auf die Reise zu nehmen; war doch der liebenswürdige junge Mann als angenehmer Gesellschafter, nicht nur durch seine musi¬ kalischen Talente, in ganz Warschau beliebt. Friedrich Chopin verließ zum erstenmale seine polnische Heimat, und unbeschreiblich war daher sein Glück, die fremde Welt kennen zu lernen. Er kannte damals selbst noch nicht recht seinen künst¬ lerischen Wert und hatte keineswegs die Absicht, sich in Berlin als Pianist hören zu lassen oder sich gar als Tondichter zu produzieren, aber wissensdurstig, wie er war, freute er sich auf diese erste große Reise. Freilich war das Reisen damals ja auch nicht so leicht, und daher auch nicht so allgemein, wie heute. „Jetzt schreibe ich Dir, wie ein Wahnsinniger," sagt er in einem Briefe vom 9. September 1828 an seinen besten Jugendfreund, „denn ich weiß faktisch nicht, was mit mir vorgeht. Ich fahre nämlich heute nach

Berlin."

Am 14. September 1828, einem Sonntag, trafen die Reisenden, nach einer fünftägigen Fahrt in der Diligence, nachmittags 3 Uhr in Berlin ein. „Von der Post", so schreibt er zwei Tage später an seine Eltern und Schwestern, „hat man uns direct in das Gasthaus „Zum Kronprinzen" geführt, wo wir uns bis jetzt noch besindeu. Gleich am Tage unserer Ankunft nahm mich Professor

Jarocki zu Herrn Lichtenstein*) mit, wo ich Alexander von Humboldt gesehen habe. Er ist nicht über mittelgroß, und seine Züge können iiicht schön genannt werden; aber die etwas hervorspringende, breite und ausgearbeitete Stirn und das tiefe, forschend blickende Auge deuten den die ganze Welt umfassenden Geist an, der diesen ebenso Humboldt sprach humanen als vielgereisten Gelehrten belebt. französisch und zwar so gut, als sei es seine Muttersprache. — Herr Lichtenstein versprach, mich mit den ersten Künstlern meines

Faches bekannt zu machen; er bedauerte, daß wir nicht einige Tage früher angekommen, da vorige» Sonntag seine Tochter in *

Ter berühmte Naturforscher und Mediziner, geb. 1780,

gest. 18-,7.

f

am

\ 7 . Oktober 1849-

einer Matinee mit Orchesterbegleitung aufgetreten war. Ich meiner¬ seits bedauerte dies nun weniger! Ob ich hierin recht habe, weiß ich nicht, da ich sie bisher weder gesehen noch gehört habe" rc. Am 15. September wohnte Chopin einer großen gemeinschaft¬ lichen Tafel der Naturforscher bei, von denen ihm viele Gelegenheit gaben, seine Kunst, Karikaturen zu zeichnen, an ihnen zu üben. Die Länge des Diners aber verhinderte ihn, einen neunjährigen Geiger, Namens Birnbach, der damals in Berlin auftrat und sehr gelobt wurde, anzuhören, was ihm viel interessanter gewesen wäre als das Diner der Gelehrten. Er entschuldigte sich denn auch am 16. September bei Professor Jarocki, um sein Mittags¬ mahl allein einzunehmen und, statt eines endlosen Diners in Ge¬ sellschaft von Naturforschern, der Aufführung eines Kunstwerkes wie „Ferdinand Cortez" von Spontini zu genießen. Auch das zoologische Kabinett sah er in diesen ersten Tagen, und in den Straßen Berlins trieb er sich so viel wie möglich umher, wobei er den Haupteindruck, den Berlin auf ihn machte, in dem Brief an die Eltern und Schwestern in die Bemerkung zusaminenfaßt, daß ihm die Stadt zu ausgebreitet erscheinen „Ich finde, sie könnte die doppelt große Zahl von Einwohnern in sich fassen. Anfänglich wollten wir in der Französischen Straße wohnen, aber ich bin froh, daß es nicht so gekommen, denn sie ist wohl so breit als unser Leszuo*), und deshalb braucht sie zehnmal mehr Menschen, um nicht sehr öde auszusehen." Am 16. September besuchte er auch noch in den Morgenstunden Kistings Pianopfortefabrik am Ende der großen Friedrichstraße, wo er aber zu seinem Bedauern kein fertiges Instrument vorfand. Auch ein beabsichtigter Besuch des damals berühmten Schlcsingerschen Musikverlages hatte in diesen ersten Tagen seines Aufenthaltes unterbleiben müssen, obwohl die Bibliothek Schlesingers, bestehend aus den interessantesten Werken der Komponisten aller Länder und Zeiten, ihn sehr anzog. Chopin schließt seinen ersten Brief aus Berlin mit folgenden heiteren Zeilen: „Uebermorgen fangen die Sitzungen der Natur¬ forscher an. Herr Lichtenstein hat mir eine Eintrittskarte dazu versprochen. Abends wird Alexander von Humboldt die Herren bei sich empfangen. Professor Jarocki wollte für mich auch eine Einladung erwirken, ich habe aber dafür gedankt, denn ich würde von den Versammlungen wenig oder nichts für meinen Geist ge¬ winnen, da ich zu wenig Gelehrter bin; und endlich könnten die Herren vom Fach mich, den Laien, vielleicht sehr fragend ansehen und denken: Wie kommt Saul unter die Propheten? Schon bei der Tafel schien es mir, als ob mein Nachbar, der Professor Lehmann aus Hamburg, Botaniker von Ruf, mich etwas seltsam anschaute. Sein Fäustchen staunte ich an, denn es zermalmte mit Leichtigkeit das große Stück Weißbrot, zu dessen Zerteilung ich mich beider Hände und des Messers bedienen mußte. Er beugte sich über den Tisch, um mit Professor Jarocki zu sprechen, und im

Eifer der Unterhaltung erhitzte er sich derartig, daß er in der Zer¬ streuung seinen eigenen Teller verkannte und auf dem meinen herumtrommelte. Ein richtiger Gelehrter, nicht wahr? Denn es fehlt ihm dazu auch nicht die große unförmliche Nase. Ich saß während dieses Trommelsolos wie auf Nadeln; als es beendet war, hatte ich nichts eiliger zu thun, als die Spuren seiner Fingerchen mit der Serviette von meinem Teller zu entfernen. — *)

Lc.-zuo, eine breite und lange

-trage in Warschau.

658

die geringste Spur von Geschmack, wenn er behauptet, dass die Berlinerinnen sich hübsch kleiden; sie putzen sich, das ist wahr, aber es ist schade um die schönen Stosse, die für solche Puppen zerschnitten werden." Vier Tage später, am 20. September, kann Friedrich Chopin bereits seinen Eltern über künstlerische Genüsse berichten, die er gehabt: „Als ob auf mich Rücksicht genommen würde, bringt das Theater in liebenswürdiger Weise jetzt Tag für Tag eine Neuigkeit. Zuerst hörte ich in der Singakademie ein Oratorium, in der Oper „Ferdinand Cortcz", „II matrimonio segreto“ und „Der Hausierer" von Onslow. Allen diesen Opernaufführungen wohnte ich mit großem Vergnügen bei. Gestehen muß ich aber, daß ich von Handels „Caecilienfest" ergriffe» bin; dieses nähert sich am meisten dem Ideale, das ich von erhabener Musik in den Tiefen meiner Seele liege. Leider sind die berühmtesten Sänger jetzt nicht an¬ wesend, außer Signora Tibaldi (Alt) und Fräulein von Schätzet, welche ich im „Hausierer" und in der Singakademie hörte. Im Oratorium hat mir letztere am besten gefallen; doch mag es sein, daß ich an diesem Abend ein besser gestimmter Zuhörer war. Dennoch ging es im Oratorium auch nicht ohne Aber ab. Dieses Aber wird vielleicht nur in Paris wegfallen." Auch einer Sitzung der Naturforscher wohnte der junge Pianist bei, wobei er den Kronprinzen (späteren König Friedrich Wilhelm IV.) in der Nähe betrachten konnte. Auch Spoutini, Zelter und Felix Mendelssohn-Bartholdi, der mit Chopin etwa im gleichen Alter, aber bereits eine musikalische Berühmtheit war, sah er bei dieser Sitzung, wagte es aber nicht, sich ihnen selbst vorzustellen. Bei der Ausführung in der Singakademie passierte dem jungen Polen ein scherzhafter Vorfall; er bemerkte, daß die Fürstin von Lieguitz, die Chopin als eine schöne Dame bezeichnete, mit einem Manne sprach, dessen Gesicht er nicht sehen tonnte, und welcher einen livreeartigen Anzug trug. Chopin fragte seinen Nachbar, ob das ein königlicher Kammerdiener sei und erfuhr zu seinem Er¬ staunen, daß es Alexander von Humboldt war. „Ihr könnt Euch vorstellen, meine Lieben," so schreibt er darüber, „daß ich sehr froh war, meine Frage nur geflüstert zu haben; aber ich versichere Euch, daß diese Kammerherrnuniform sogar die Gesichter verändert, sonst würde ich den großen Reisenden, der sogar den Chimborasso be¬ stiegen haben soll, gewiß erkannt haben." Am 18. September besuchte Chopin mit Professor Jarocki die Königliche Bibliothek, über die er staunend bemerkt, daß sie nicht sehr viel musikalische Werke enthält. „Interessant war es mir, bei dieser Gelegenheit", so berichtet er seinen Eltern, „einen eigenhändigen Brief von Kosciuszko zu sehen, den gerade Falken¬ stein, der Biograph unseres Helden, Buchstab für Buchstab nach¬ malte. Als dieser Herr bemerkte, daß wir Polen waren und natürlich den Brief geläufig lesen konnten, bat er Professor Jarocki, den Inhalt ins Deutsche zu übertragen und schrieb sich denselben dann in sein Taschenbuch." Der letzte Brief an die Eltern aus Berlin ist vom 21. Sep¬ tember datiert, einen Tag vor seiner Abreise von Berlin. Dieser Es heißt darin: „Gestern letzte Brief ist wieder voller Humor. wurde „Das unterbrochene Opferfest" wieder aufgeführt, in welchem Fräulein von Schätzei mehr als eine chromatische Tonleiter aus¬ ließ, wodurch ich mich recht in Eure Mitte versetzt wähnte. (Weil die Warschauer Sängerinnen es auch nicht sehr genau mit den Koloraturen nahmen.) Bei diesem „Euer" (polnisch: wasz, sprich wasch) fällt mir eine Berliner Karikatur ein. Ein Rapoleonischer Grenadier ist als Schildwache abgebildet; er ruft einer vorüber¬

Marplski hat nicht

Frau „gut vive“ zu. Die Frau will antworten: „Die Wäscherin"; da sie sich aber etwas gebildeter und feiner ausdrücken möchte, so erwidert sie: „la vache!“ — Das zweite Diner mit den Herren Naturforschern kann ich zu den Hauptereignissen meines Hierseins zählen. Es fand am Tage vor dem Schlüsse der Sitzungen statt und war wirklich sehr lebhaft und unterhaltend. Viele passende Tafellieder wurden gesungen, in welche jeder mehr oder minder laut einstimmte. Zelter dirigierte; er hatte auf einem roten Piedestal einen großen vergoldeten Becher vor sich stehen, als Zeichen seiner höchsten musikalischen Würde, welche ihm viel Freude zu machen schien. An diesem Tage waren die Speisen besser als gewöhnlich: man sagt, weil die Herren Naturforscher sich in ihren Versammlungen vorzugsweise mit der Vervollkommnung der Fleisch¬ speisen, Saucen, Suppen und dergleichen beschäftigt haben^sollen. In gleicher Weise macht man sich schon im Königstädter Theater über die gelehrten Herren lustig. In einem Stücke, wo Bier getrunken wird, sagt einer der Zecher: „Warum ist das Bier jetzt so gut in Berlin?" — „Ei, das ist doch ganz natürlich, da die Naturforscher jetzt in Berlin zusammengekommen sind!" lautet die gehenden

Antwort." Am frühen Morgen des 28. September, an einem Sonntag, traten die beiden Reisenden ihre Rückfahrt an. Gerade zwei Wochen hatte sich Friedrich Chopin in Berlin aufgehalten, wohin ihn nachdem niemals wieder der Weg führte. Wohl ahnte damals niemand, der den noch nicht zwanzigjährigen Jüngling in Berlin kennen lernte, daß dessen Ruhm einst die Welt erfüllen würde. Er ahnte es wohl selbst damals noch kaum. Eugen Jsolaui.

Kunst und Wissenschaft. Französische Kunst-Ausstellung in der Kunst-Akademie zu

Berlin.

s

ie ihrem Berufe entsprechend vornehmste Pflegerin der schönen Künste im preußischen Staate ist die Korporation der Akademie der bil¬ denden Künste, wohl zu unterscheiden von der akadeniischeu Hochschule, die im Volksmunde gewöhnlich „die Kunstakademie" heißt und doch eigentlich sehr wenig mit dieser zu thun hat. Die Akademie der Künste sucht nun einen Teil ihrer Ausgabe durch Veranstaltung von Ausstellungen in den drei dazu geeigneten und ihr zur Verfügung stehenden Räumen dieses Hauses zu erfüllen. Bisher trugen diese Ausstellungen immer einen höchst vornehmen Charakter; ich erinnere nur an die Bücklin und die Michetti Ausstellung des vorigen Jahres, und selbst wenn ihre Einnahmen in den Dienst der Wohlthätigkeit gestellt wurden, so war die Veranstaltung und das Aus¬ gestellte doch stets vom künstlerischen Geist beseelt. Es handelte sich iinmer um Kunst im streng zu nehmenden Sinne des Wortes. Das scheint jetzt anders werden zu wollen. Diese französische Aus¬ stellung ist ihrem innersten Wesen nach eine rein merkantile Veranstaltung. Daß zu einer Zeit, wo gerade von allen deutschen Künstlern der Wett¬ bewerb des Auslandes so schmerzlich empfunden wird, die oberste preußische Kunstbchörde ihre Räume und das von diese» Räumen un¬ trennbare Ansehen dazu hcrgiebt, die Geschäfte des französischen KunstHandels zu besorgen, muß befremden. Noch mehr muß befremden, daß die Einladungen, die zu dieser Ausstellung ergingen, in französischer Sprache abgefaßt waren. Eine entsprechende Veranstaltung mit den gleichen Formen von, deutschen Werken in der Akademie des dsaux arts wäre jetzt und stets unmöglich. Wer das moderne französische Kunst¬ schaffen kennt, der sieht vor allem, wie eine ganze Reihe der ersten Namen vollständig fehlen, und dann, daß selbst die hier vertretenen Künstler erste» Ranges oft nicht auf ihrer höchsten Höhe stehende Werke gesandt haben. Immerhin enthält die Ausstellung einige Bilder, die ihren Besuch lohnen. Namentlich unter den Bildnissen sind einige ganz hervorragende. So das geistvolle Chersetporträt von Blanche und das wunderbar Die seelisch erfaßte Bildnis eines jungen Mannes von Courtois. ganze Bravour der französischen Schule alten Stils zeigen die Werke

von Roybot, Bonnat, Julia Romani und Carolus Duran. Eine Ahnung von dem genialen Ersassen der Licht- und Farbprobleme, über das die moderne Schule wie über etwas Selbstverständliches ver¬ fügt, geben die Bilder von Maufra und Gaston la Touche. Er¬ staunlich ist die für eine französische Ansstellung so geringe Anzahl von Darstellungen des nackten menschlichen Körpers. Wie wir hören, ist von maßgebender Stelle darauf Einfluß ausgeübt worden, und noch am letzten Tage vor der Eröffnung sind eine Reihe von Bildern dieser Art ihres Süjets wegen wieder entfernt worden. Nach dieser Ausstellung wünscht man wirklich, daß nun einmal eine kollektive Ausstellung erster französischer Meister hierher gelangen möge, um wirklich ein Bild zu geben, von dem blendenden Glanz, der gerade die letzten dreißig Jahre franzö¬ sischer Kunst umstrahlt.

Thrstrr. ine stille Woche liegt hinter uns. Die Hochflut der Premieren in der zweiten Hälfte des September hat sich verlaufen; es ist nicht viel davon übrig geblieben, und das Neue läßt noch auf sich warten. Es ist, als betrachteten die Theater die Umzugszcit als eine Art von Respektfrist. Wenn der Möbelwagen des Weges kommt, machen ihm die Musen Platz. Da ist der Hausherr nervös und die Hausfrau steckt tief in der Arbeit; da hat man wenig Sinn für die Welt des Scheins. Es läßt sich daher auch nur berichten, daß Eleonore Düse just ail dem Tage Berlin verlassen hat, an dem Mine. Rejanne eintraf. Das Berliner Theater hat der Pariser Künstlerin und ihrem Ensemble die Pforten geöffnet. Mitte. Rejanne ist nicht zum ersten mal hier und wird es auch nicht zum letztenmal sein, denn die Aufnahme, die sie hier findet, ist eine überaus freundliche. Schade nur, daß die Stücke, in denen sie auftritt, vor der Kritik nicht Stand halten können. „Zaza" war eine ihrer Darbietungen. Wer aber Frau Prasch-Greveüberg auf derselben Bühne gesehen hat, wird gefunden haben, daß Frau Rejanne wenigstens in dieser Rolle nichts ivesentlich neues zu sagen weiß. Dagegen zeigte sie in Madame SansGönc, daß eine bedeutende Künstlerin auch aus nichts etwas zu machen versteht. Das Töchlerchen der Künstlerin Germaine, ein vierzehnjähriges, zierliches, hübsches Kind, hat in Berlin zum erstenmal die Lichter der Bühnenrampc erblickt. Das Mädchen hat Talent und dürfte einst in Paris die Tradition ihrer Mutter fortsetzen. Um so merkwürdiger ist der Zufall, der die junge Pariserin gerade in Berlin zum erstenmal auftreten ließ.

Der

siebente internationale Geographenkongresi zu

Berlin.

er siebente internationale Geographenkongrcß zu Berlin, der am 4. Oktober geschlossen wurde, wies mit 1665 Mitglieder» — da¬ runter 407 Damen — die stärkste Beteiligung aus, deren sich je ein internationaler Geographenkongrcß zu erfreuen hatte. Das will viel sagen; denn die Geographen tagten zweimal in Paris und einmal in London, so daß wir Berliner stolz sein dürfen auf die Anziehungskraft, die unsere Metropole auf die Völler des Erdballs ausgeübt hat. Das Gros der Teilnehmer stammte ja freilich, abgesehen von den in Berlin Einheimischen, aus dem Reiche, rnd wenn man im Reiche und in der Provinz auch auf Berlin und die Berliner nicht gut zu sprechen ist, so weiß man doch, daß es sich in Berlin gut leben lägt, und mit dem drum und dran, das bei solchen Versammlungen eine große R, werden gewiß alle Teilnehmer zufrieden sein. Die Prachträ i ’r Abgeordnetenhauses boten dem Kongreß ein Heim, das in -

659

anderen Weltstadt übcrtroffen werden konnte, and der Empfang bei dein greisen Reichskanzler, das große Prunkmahl, das die Stadt Berlin im Zoologischen Garten gab, die Festvorstellung „der Meistersinger von Nürnberg", die am Abend des 4. Oktobers dem Kongreß zu Ehren veranstaltet wurde — alles dies mußte den Teilnehmern desselben zur Genüge beweisen, wie hoch die deutsche Neichshauptstadt die Ehre zu schätzen wußte, daß eine so erlauchte Versammlung sich in ihren Mauern vereinigt hatte, um die Resultate der Forschung auszutauschen und den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zu fixieren. Die positiven Ergebnisse des Kongresses sind in einer Reihe inter¬

nationaler Vereinbarungen, bezw. in Beschlüssen des Kongresses nieder¬ gelegt, welche

für

die weitere Entwickelung der geographischen Wissen¬

sein werden. Im Vordergrund steht unter diesen Beschlüssen die Vereinbarung über die Arbeitsteilung zwischen den deutschen und englischen Gelehrten bei der Erforschung des Südpolar-Gebiets, von der sich beide Teile die schönsten Erfolge versprechen. Die deutsche Expedition nach dem Südpol (Professor E. von Drygalski-Berlin) wird die Kerpurlen-Jnsel zum Ausgangs¬ punkt ihrer Fahrt nehmen und von der bisher nicht sicher bekannten Termination-Insel die Reise südlich fortsetzen, wohingegen die Engländer ostwärts gehen sollen. Von den Deutschen soll dann an der Westseite von Viktorialand, von den Engländern an der Ostseite eine Station angelegt werden. Für die meteorologisch-magnetischen Arbeiten am Südpol erklärte der Kongreß nähere internationale Vereinbarungen für wünschenswert und setzte eine Kommission ein, deren Aufgabe es ist, den Umfang und die Forschungsmittcl für die magnetisch-meteoro¬ logischen Arbeiten der Expeditionen selbst zu erörtern und die Orga¬ nisation gleichzeitiger und korrespondierender Beobachtungen in geeigneten Orten außerhalb des Südpolargebiets zu erwirken. In der Gruppe der Geophysik wurde die Begründung einer inter¬ nationalen seismologischen Gesellschaft und die Einsetzung

schaft

von großer Bedeutung

einer permanenten Kommission für Erdbebenforschung beschlossen. Ebenso erklärte der Kongreß die Begründung einer internationale» karto¬ graphischen Gesellschaft für notwendig und beauftragte eine Kom¬ mission mit Ausführung der vorbereitenden Schritte. Diese Beschlüsse beweisen aufs neue, wie gerade die Geographie mit ihren zabllosen Hilfswissenschaften, die alle über die Grenzen des Vaterlandes hinaus¬ weisen, dazu geeignet ist, die Schranken hinwegzuräumen, welche die einzelnen Völker trennen, und die großen Kulturnationen zu friedlichem Wettstreite auf wissenschaftlichem Gebiete zu vereinigen. Von großer praktischer Bedeutung ist der Beschluß des Kongresses, eine einheitliche Erdkarte im Maßstabe von 1:1000000 herzu¬ stellen, deren Blätter durch Meridiane und Parallelen begrenzt werden. Die Geschäftsführung des Kongresses hat den Auftrag erhalten, zunächst einen Netzentwurf ausarbeiten zu lassen. Eine internationale Kom¬ mission wird ferner bis zur nächsten Tagung des Kongresses eine berichtigte Tiefseckarte des Weltmeeres ausarbeiten und sich mit der subozeanischen Namenbildung befassen. Als dringenden Wunsch stellte der Kongreß hin, daß auf sämtlichen Karten, auch in den Ländern, die sich des englischen oder russischen Maßes bedienen, das Verjüngungsverhältnis in der üblichen Bruchform 1: H. angegeben werde. Ebenso hielt es der Kongreß für wünschenswert, daß in wipenschaftlichen Veröffentlichungen die Temperatur-Angaben in CelsiusGraden erfolgen, und daß bei Aufstellungen nach Fahrenheit- oder Rcaumur-Graden die entsprechenden Celsius-Grade hinzugefügt werden. Für die geographische Namengebung der ozeanischen Inselwelt wurde der Grundsatz aufgestellt, daß, soweit irgend angängig, die ein¬ heimischen Namen beizubehalten und deshalb mit größter Sorgfalt festzustellen sind. Wenn sich einheimische Namen nicht ermitteln lassen, so sind bie von den ersten Entdeckern gegebenen Bezeichnungen anzunehmen. Die willkürliche Aenderung historischer oder allgemein anerkannter Namen wurde als pietätlos und für die Wissenschaft und den Verkehr verwirrend bezeichnet. Um die jährliche Menge, Ausdehnung und Form des Treibeises in den nördlichen Meeren festzustellen, eine Unter¬ suchung, die für die Wissenschaft und die Seeschifffahrt eine eminente Bedeutung hat — wurde das Dänische Meteorologische Institut in Kopenhagen vom Kongresse als die geeignete Zentralstelle zur Sammlung und Bearbeitung des gesamten Materials bestimmt. Das sind in großen Zügen die positiven Ergebnisse des siebenten internationalen Gcographenkongresses, someii sie in Beschlüssen und Vereinbarungen zum Ausdruck gelangt sind. Von ungleich größerer Bedeutung sind naturgemäß die Anregungen, welche die Kongre߬ mitglieder aus der langen Reihe von Vorträgen mit nach Hause nehmen, welche die hervorragendsten Geographen und Forschungsreisendcn in den allgemeinen und in den Gruppensitzungcn gehalten haben. Es steckt eine Unsumme geistiger Arbeit und kühnen Forschermutes in dem, ' ivomit sich der Kongreß während seines sechstägigcn Beisammenseins befaßte. An dieser Stelle kann nur an einige besonders bemerkenswerte Vorträge erinnert werden. Der gefeierte Held des Kongresses war Frithjof Nansen, dessen lebendige Schilderungen mitten hinein ver¬ setzte» in die gewaltige Polarwclt, die der kühne Norweger im harten Kampfe mit den Naturgewaltcn siegreich erobert hat. Von den deutschen Forschungsrcisenden lenkte namentlich Graf von Götzen die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, der 1894 Afrika durchquerte und dabei dem geheimnisvollen Ruanda, dem Gebiete der Nielqueilen, einen ein¬ gehenden Besuch abstattete. Großes Interesse erregte auch der Bericht, den Professor Chun-Lcipzig über die deutsche Ticfsec-Expedition der „Valdivia", die neues Licht über die Meerestiefen und ihr tierisches Leben verbreitete. Die Erforschung des Südpolargcbietcs, die England und Deutschland nach fast 60jähriger Pause durch ihre in Vorbereitung begriffenen Expeditionen von neuem energisch anzugreifen entschlossen sind, nahm einen bedeutenden Raum in den Debatten des Kongresses ein; sie ist die große Ausgabe, deren Lösung sich die Männer der geographischen Wissenschaft zunächst als Hauptziel Aesteckt haben — ein Problem, dessen Lösung hoffentlich neue Ehren —e. auf den deutschen Namen häufen wird.

Berliner Chronik. September starb der eifrige Pfleger der Vogelkunde (geboren 14. Januar 1833 zu Baldenburg in Westpreußen). Der Verstorbene ging aus dem Apothekcrstande hervor. Seine zahlreichen ornithologischen Schriften erfreuen sich bei den Vogellicbhabcrn großer Beliebtheit, namentlich auch die von ihm 1872 be¬ gründete populäre Zeitschrift „die gefiederte Welt." Neben seinen zahl¬ reichen Werken über Vogelkunde und Vogelzucht verdienen Ruß's all¬ gemein naturwissenschaftliche Themata behandelnden Schriften Er¬ wähnung, so seine „Natur- und Kulturbilder," seine „Deutschen Heimats¬ bilder" und „Das heimische Naturleben im Kreisläufe des Jahres." Durch diese Werke und durch seine ornithologischen Schriften, die sich alle auf sorgsamer und liebevoller Naturbeobachtung aufbauen, hat Ruß ungemein zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse beigetragen und sich ein dauerndes Verdienst um die Popularisierung der be¬ schreibenden Naturwissenschaften erworben. Am 1. Oktober feierte der königliche Münzdirektor Konrad sein öOjähriges Amtsjubiläum. Er trat am 1. Oktober 1849 als Eleve in die königliche Münze zu Berlin ein, wurde 1858 Münzmeister der freien Stadt Frankfurt a. M. und trat vor zwanzig Jahren als Direktor an die Spitze der königlich preußischen Münzanstalten. Divisionspfarrer Schmidt trat am 1. Oktober sein Amt an der neuen Garnisonkirche (Hasenheide) an. Ratszimmermeister Otto feierte am 1. Oktober sein öOjähriges

Am 30.

IIr. Karl Ruß

Berufsjubiläum. Am

1. Oktober feierte der Chef der Groteschen

Karl Müller-Grote

Verlagsbuchhandlung

das 50jährige Berufsjubiläum. Am 1. Oktober feierte eines unserer ersten Bankhäuser Robert Warschauer & Co. sein 50jähriges Bestehen. Die Firma ist aus dem Bankhause Oppenheim & Warschauer hervorgegangen, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Königsberg i. Pr. gegründet wurde, und die 1849 in Berlin eine Filiale errichtete. Diese überflügelte bald das Königsberger Hauptgeschäft, so daß dieses Ende der sechziger Jahre aufgelöst wurde. Am 1. Oktober feierte Rektor Bürstenbinder von der 128. Ge¬ meindeschule sein 25 jähriges Rektor-Jubiläum. Am 2. Oktober starb der Kaufmann Karl Mampe, der Fabrikant des bekannten Magen-Likörs. Das Geheimnis der Bereitung dieses Magenbittern ist nach der „Voff. Ztg." ein altes Besitztum der Familie. Als im Jahre 1830 die Cholera in Berlin wütete, erfand der Geheime Sanitätsrat Mampe, ein Onkel des jetzt Verstorbenen, diesen Likör als eine Waffe gegen den asiatischen Feind. Am 3. Oktober feierte der Geheime Sanitätsrat I4r. Hugo Siefart seinen 80. Geburtstag. Der Jubilar, der einer alten Berliner Familie entstammt, ist seit 1857 in seiner Vaterstadt als Arzt thätig und geht trotz seines hohen Alters in geistiger und körperlicher Rüstigkeit seinem Berufe nach. Am 6. Oktober feierte das Friedrich Wilhelms-Hospital in der Großen Frankfurtcrstrahe sein 100jähriges Bestehen. Dasselbe befand sich ursprünglich in der Wallstraße in einem Gebäude, in dem der Bankier Splittgerbcr die erste Berliner Zuckersiederei anlegte (1749). Dieses Gebäude wurde 1799 zu einem Hospital eingerichtet, das den Namen seines königlichen Stifters erhielt. Im Jahre 1849 erfolgte die Uebersiedelung des Hospitals nach der Großen Frankfurlerstraße, wo seit 1846 ein Neubau für die Anstalt errichtet worden war. der Frankfurterstraße sind jetzt nur die Frauen untergebracht, für die Männer ist an der Prenzlauer Allee und Fröbclstraße eine Zweiganstalt eingerichtet. Am 8. Oktober feierte das städtische allgemeine Kranken¬ haus im Friedrichshain sein 25jähriges Bestehen. Das Kranken¬ haus wurde 1868—1874 von Gropius und Schmieden erbaut, seitdem aber mannigfach erweitert. Der Hauptbau kostete 4'/, Million Mark. Die Zahl der Betten stieg von 620 auf 784, die Zahl der in einem Jahre verpflegten Kranken von 3192 im Jahre 1875 auf 10821 im

In

Jahre 1898/99. Die elektrische Bahnlinie Linkstraße-Steglitz, die am 1. Oktober eröffnet worden ist, soll mit einer Abzweigung Zehlcndorf-AlsenstraßeAlte Fischerhütte bis zur Glienicker Brücke in Potsdam weitergeführt werden. Die Gemeinde Zehlendorf hat bereits ihre Zustimmung zu der Ausführung der Bahnanlage erteilt. Die beiden nächsten Gruppen in der Sicges-Alle, deren Aus¬ stellung in Angriff genommen ist, sind die Ludwigs des Aeiteren, des ersten Wittelsbacher Markgrafen, der von 1324—1351 regierte, und die des Kurfürsten Georg Wilhelm, des Vaters vom Große» Kur¬ fürsten. Die erstere Gruppe ist von Professor Hertcr modelliert und erhält ihren Platz an der Westseite zwischen Otto dem Faulen und Otto mit dem Pfeile, während Georg Wilhelm, ein Werk von Uechtritz, schräg gegenüber ausgestellt wird. Nach dem „Fuhrhalter" ereigneten sich im Jahre 1898 im Betriebe der Straßenbahnen in Berlin 4409 Zusammenstöße, im Omnibusbetriebe 792. Die Straßenbahnen hatten 2376 Betriebsstörungen, die Omnibusgescllschaftcn 892. Bei den Unfällen der ersteren wurden 7 Personen tödlich, 145 schwer, 1048 leicht verletzt, im Omnibusbetrieb 7 Personen tödlich, 42 schwer und 76 leicht. Im ganzen ereigneten 2517 Personen-Unfälle, im Omnibus¬ sich bei den Straßenbahnen betriebe 163.

Der Baugrund im Köllnischen Park, auf dem sich der Neubau des erheben soll, ist so ungünstig, daß die Funda¬ mentierungskosten sich ans 39500 Mark mehr belaufen werden, als ur¬ sprünglich veranschlagt worden war. Die Zahl der Gemeindeschulklassen in Berlin betrug am 1. Oktober 1892 3242, am 1. Mai 1899 4051: es hat mithin eine Ver¬ mehrung von 809 Klaffen stattgefunden. Aus diesem Grunde wünschen die Schuldeputation und der Magistrat eine Vermehrung der 10 Ber¬ liner Schulkreisc auf 12.

Märkischen Museums

Märkische Chronik. Neuendorf bei Potsdam. Am 18. Oktober wird die in frühgotischen Fornien erbaute neue Kirche, die neben dem alten GottesHause steht, in Gegenwart der Kaiserin feierlich eingeweiht werden. Britz. DaS Kaiser Wilhelm-Denkmal in Britz wird durch den Bildhauer Albrecht ausgeführt werden. Tic Enthüllung ioll am 22. März 1901 stattfinden. Das Denkmal erhält auf dem Späthschen Gelände gegenüber dem Kirchteiche seinen Platz. Rirdorf. Neben der Errichtung eines Kaiser Wilhelm-Denkmals plant man hier auch ein Denkmal für Kaiser Friedrich. Charlotten bürg. der Gersau in der Schweiz starb am 30. September der Kunsthistoriker Professor Dr. Eduard Dobbert von der Technischen Hochschule. Der Verstorbene war am 25. März 1839 in Petersburg geboren, studierte in Dorpat, Jena, Berlin und Heidelberg Geschichte und widmete sich seit 1869 ganz der Kunstgeschichte. Nach längeren Studienreisen habilitierte er sich 1873 in München und wurde, noch che er seine Vorlesungen eröffnet hatte, als Professor der Kunstgeschichte an die Berliner Kunstakademie und die Bau- und Gcwerbeakadcmie berufen. Professor Dobberts Vorlesungen erstreckten sich über alle Epochen der Kunstgeschichte. Von seinen Schriften sind

In

„Das Abendmahl Christi in der bildenden Kunst", „Gottfried Schadow" (1887), seine Vorträge über Chr. T. Rauch und „zur Entstehungsgeschichte. des Kruzifixes." Groß-Lichtcrselde. Die Gemeinde-Vertretung beschloß den An¬ kauf des Gutes Werben für Rieselzwccke: dasselbe kostet 525000 Mk. Die vorgesetzten Behörden haben ihre Genehmigung bereits erteilt, so daß die Frage der Kanalisation in Groß-Lichterfclde endgiltig erledigt ist. Schöneberg. Am 30. September schied nach 45järiger Dienstzeit der Gemeindeschullehrer Stock aus seinem Amte, das er 42 Jahre in hervorzuheben:

Schöneberg versehen hatte.

Kleine Mitteilungen. Das Bistum Brandenburg wurde vom Kaiser Otto I. am Oktober 949, d. h. vor 950 Jahren gestiftet. Tic nnt des Kaisers eigener Unterschrift versehene Stiftungsurkunde liegt wohl erhalten im Archiv des Domkapitels. Der Anfang dieser altehrwürdigen Urkunde lautet in deutscher Sprache: „Im Namcm der heiligen und unteilbaren Dreieinigkeit. Otto, durch göttliche Vorsehung und Gnade König. Weil wir darin ein verdienstvolles Werk sehen, daß alle Gläubigen in Treue darauf bedacht sind, den Glauben zu verbreiten und die christliche Kirche weiter zu verpflanzen, so haben wir — unter Beirat des ehr¬ würdigen Prälaten Marinus, der röniischen Kirche Legaten, sowie der Erzbischöfe Friedrich und Adaldag, dem anderer Bischöfe, unseres geliebten Bruders Brun und unseres Edlen, besonders unseres geliebten Herzogs und Markgrafen Gero — in unserem Eigentume, welches in der Mark liegt, im Lande der Slaven, im Gaue Hcveldun, in der Stadt Brandenburg, zu Ehren unseres Herrn und Heilandes und des heiligen Petrus, des ersten der Apostel, ein Bistum errichtet, über welches wir den frommen Thietmar setzen. Genannter Kirche vercignen wir die nördliche Hälfte genannter Stadt und die nördliche Hälfte der ganzen Insel, auf welcher die Stadt erbaut ist' dazu die Hälfte aller der Stadt gehörenden Dörfer, ferner zwei ganze Städte mit all ihrem Zubehör, nämlich Prizervi und Ezeri iPritzerbe und Ziesar)." Tic älteste Domkirchc Brandenburgs, die gleichzeitig mit der Stiftung des Bistums entstanden sein muß, hat wahrscheinlich auf der Stelle der kleinen Peterskirche gestanden. Sic wurde aber in dem großen Aus¬ stande der Slaven zerstört, der im Jahre 983 ausbrach, und der die Macht der Deutschen aus 150 Jahre wieder völlig vernichtete. Am 2. Juli 983 überfielen die Slaven Brandenburg und riffeu, nachdem Ströme von Blut geflossen, die Herrschaft wieder an sich. „Statt Christus und seines Fischers, des heiligen Petrus," klagt Thietmar von Merse¬ burg, der bedeutendste Chronist dieser Zeit, „ward wiederum die Ver¬ ehrung vieler Götzen voll tenflicher Ketzerei eingeführt, und dieser be¬ klagenswerte Wechsel nicht bloß von Heiden, sondern sogar von Christen gepriesen." Erst unter Albrecht dem Bären wurde im Jahre 1165 der Ban einer neuen Domkirchc begonnen, nicht auf der Stelle des ersten Gotteshauses, wo inzwischen die Pctrikapclle errichtet war, sondern in einiger Entfernung davon: von diesem zweiten Brandenburger Dom, dessen Ban sich viele Jahre hinzog, sind »ach Adler noch vorhanden: „Die Arkadenpfeiler nebst Bogen, die westliche Innenwand, die Mauern des Oncrschiffes, der Krypta und des Chors, aber ohne den Polygonal¬ abschluß: dies alles ist etwa 40 Fuß hoch erhalten, sodann die nördliche Seitcnschiffmaucr, 16 Fuß hoch." Die übrigen Teile des heutigen Domes, der ursprünglich eine romanische Kirche mit Holzdecke war, sind in späterer Zeit entstanden. So viel über die Stiftung des Bistums Brandenburg und seine altehrwürdige Tomkirche vor 950 Jahren. der Geschichte unseres Vaterlandes hat dieses für die Christianisierung der Slavenländer so überaus wichtige Gotteshaus noch einnial eine Rolle gespielt, und zwar 900 Jahre nach der Gründung des Bistums, im Noveniber und Dezember des „tollen" Jahres 1848, als die preußische Rationalveriammlug zwangsweise nach Brandenburg verlegt 1.

In

wurde.

Kleidung der Aerzte des vorigen Jahrhunderts. Als

Dr. Hein

sich im Jahre 1783 als Arzt in Berlin niederließ, schasste er sofort einen Scharlachrock an, wenn er ihm auch fünfzig Reichs¬ thaler kostete, und bemerkte dabei: „Nie würde ich mir dergleichen kostbare Kleider anschaffen, wenn es nicht zur medizinischen Politik gehörte, ivoblgeputzt einherzugehen." Der hannoversche Leibarzt Dr. Zimmermann schreibt am 25. November 1769 an einen Freund (siehe Bodemann, Hannover 1878): „Ich trage eine Pariser Perücke mit eineni äußerst sich

Verantwortlicher Redakteur:

vr. M. Folticineauo, Berlin.

Toupet, ein Kleid von schwarzem Sammet mit einem Unterfutter von weißem Atlas, eine Weste von Silberstoff, Schnallen mit falschen Diamanten, einen langen Pariser Degen mit einer weißen Scheide, Manschette» von Flandrischen Spitze», ein seidenes durch und durch parfümiertes Schnupftuch und in der Hand die Schnupftabaksdose von Braunschwcig mit ihren 57 Diamanten." Letztere war ein Geschenk des Herzogs von' Braunschweig für die glückliche Herstellung der Ge¬ sundheit seines Sohnes und wog ein Pfund. Bei drr Feier des 16. Oktobers 1814 in Berlin erschien ein glänzender Meteor am Himmel und zog langsam in der Richtung nach Leipzig zu. Diesen Vorfall besprachen die damaligen Zeitungen, u. a. der „Allgemeine Anzeiger der Deutschen" (November 1814 S. 2844), und der Nassauische Medizinalrat Wendelstein giebt ihm in seinem Heldengedicht „Die Völkerschlacht bei Leipzig" (Hadamar 1815; ein Exemplar im Buhrig-Museum, Leipzig, Reichsstraße, Kochs Hof) folgen¬ den poetischen Ausdruck: Jetzt nach Jahres Vollendung und bei der Feier des Siegtags Loderte über Berlin am funkelnden Sternengewölbe, Sichtbar versammeltem Volk, dem staunenden, redenden Wunder, Eine feurige Kugel im langsamen Zuge gen Leipzig, Uebcrstrablend an Glanz die Flamme der Weihe des Tages, Welcher den Enkeln der Enkel einst noch ein Freudenfest sein wird. Der böse Hans. 'Barbara,Während der Streitigkeiten um das Herzogtum Glogau zwischen der Witwe Herzog Heinrichs XI., und dem Herzog Hans II. von Sagau belagerte letzterer 1478 die Stadt Troffen an der Lentze. Die Bürger verteidigten sich auf das tapferste und schlugen die Angriffe des „bösen Hans", wie man den Herzog nannte, siegreich ab. Da schritt der Herzog zum Hauptsturm. Immer näher dringen seine Leute, jetzt legen sie die Leitern au, um die Stadtmauer zu erklimmen. Die Trossener Bürger geriete» in die äußerste Gefahr. Rettung wurde ihnen durch ihre Weiber. Diese kochten in Kesseln, Pfannen und Töpfen Hirsebrei und schütteten die siedendheiße Masse auf die anstürmenden Feinde. Zähneknirschend mußte der „böse Hans" den Rückzug antreten und die Belagerung aufgeben. Die Branden¬ burger aber sangen: Der Herzog Hans ohne Leut' und Land Hat sich am Brei vor Drosten das Maul verbrannt. Er starb in größter Armut bei dem Sohne des Kurfürsten Albrecht Achilles, Johann Cicero.

stutzerhaften

Vereins-Nachrichten. Touristen-Klub für die Mark Brandenburg. Wanderfahrten im Winter-Halbjahr 1899/1900: 1. Oktober. Mär¬ Führer: Richter I und Kluge. 15. Oktober. kische Schweiz bei Buckow. Biesenthal, Sophienstädt, Rosaliendorf, F.-H. Eiserbude, Schöpfurth, Hegermühle, Ebcrswalde. 26 lew. Führer: Kausmann und Kluge. 29.' Oktober. Gr.-Köris, F.-H. Reubrück, Prieros, Colberg, Blossin, Friedcrsdorf. 26 lew. Führer: Peck und Kaufmann. 12. November. Wustermark, Tremmen, Markau, Markee, Nauen. 26 lew. Führer: Wendler und Peck. 26. November. Buch, Schönerlinde, Schönwaldc, Schünow, Bernau (Besichtigung). 21 km. Führer: Kluge und Wendler. 10. Dezember. Sadowa, Pfcrdebucht, Dahlwitz, Hoppcgarten. 14 km. Führer: Kluge und Kaufmann. 26. Dezember. Der Grunewald mit Kaiser Wilhelm-Turm. Führer: Richter I und Wendler. 7. Januar. Neubabelsberg, Jagdschloß Stern, Drewitz, Potsdam (Besichtigung). 12 kw. Führer: Wendler und Kaufmann. 21. Januar. Seegefeld, Falkenhagen, F.-H. Dammsbrück, Wansdorf, Bötzow, Marwitz, Velten. 20 kw. Führer: Noch unbestimmt. 4. Februar. Spandau, Seeburg, Gr.-Glienickc, Krampnitz, Nedlitz, Potsdam. 25 kw. Führer: Noch unbestimmt. 18. Februar. Rangsdorf, Gr.-Machnow, Mittenwalde. Ragow, Deutich-Wusterhausen, Königs-Wusterhausen. 21 kw. Führer: Noch unbestimmt. 4. März. Strausberg (Bhs.), Hennickendorf, Herzfelde, Kagcl, Kienbaum, HarigAsberg. 26. km. Führer: Roch un¬ bestimmt. 18. März. Stadt Frankfurt a. O. (Besichtigung). Führer: Roch unbestinimt.

Büchrrtisch. Tausend-Bilder-Bibel. Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt. Die „Tauscnd-Bilder-Bibel" giebt zu ungewöhnlich wohlfeilem Preise eine Auslese aus dem gesamten Gebiete der religiösen Kunst, soweit deren Werke im Lause der Jahrhunderte berühmt geworden sind, und zu den klassischen Schöpfungen der Malerei und Plastik gesellen sich auch die hervorragenden Darstellungen moderner Meister bis auf die Gegenivart. Gleich die erste Lieferung — die „Tauscnd-Bilder-Bibel" beginnt mit dem Neuen Testament — liefert den schlagenden Beweis von der um¬ fassenden Vielseitigkeit in der Auswahl. Zu Rafael, Veronese, Tizian, Guido Rcni und Luini gesellen sich die großen Niederländer Rubens und van Dyck, der Spanier Murillo, die Franzosen Claude Lorrain und Ary Scheffer. Ebenso ist England durch einige seiner ersten Meister vertreten, und Dänemark stellt in Thorwaldsen seinen berühmtesten Künstler. In den Werken deutscher Kunst gewahren wir vorläufig nur moderner Zeit (Plockhorst, Pfannschmidt, Gustav Richter, solche E. v. Gebhard, Fritz von Uhde), aber die großen Meister früherer Jahr¬ hunderte, die Dürer, Holbein, Cranach u. s. w., werden im weiteren selbstverständlich nicht fehlen. Ucberall sieht man, daß bei der Auswahl der Illustrationen die Rücksicht aus Schönheit und Adel der Formen, auf den Ausdruck schlichter Wahrheit und Empfindung ge¬ waltet hat. Die „Tauscnd-Bilder-Bibel" erscheint in 40 Lieferunge', von Durchschnittlich je 40 Seiten zum Preise von nur 40 Pfennig p>" Lieferung: alle 8—14 Tage wird eine Lieferung ansgegeb

— Truck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

8W., Neneuburger Strafte Na-

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Ar. 42.

Sonnabend, 21. Oktober 1899.

No in an von Rudolf Llcho. r sich bestellt; denn er liebte es nicht, daß seinetwegen irgendwelche Umstände gemacht wurden, und verwundert und überrascht scheute deswegen mancher Fahrgast ans, wenn er, durch die Blicke de.: übrigen aufmerksam

/

In

669

gemacht, plötzlich neben sich den berühmten Schlachtenlenker als Tischnachbar erblickte. Bald war der Feldmarschall in Schweidnitz angelangt, wo ein Wagen seiner harrte, der ihn in scharfem Trabe in etwa V« Stunden nach seinem Gute brachte. Hier empfing ihn, wenn der Lehrer von Kreisau die Ankunft des Gutsherrn rechtzeitig in Erfahrung gebracht hatte, gewöhnlich die Schuljugend des Ortes mit einem Liede. Das Gut Kreisau, welches der Feldmarschall bereits im Jahre 1867 erworben, und zu dem die Dörfer Nieder-Gräditz und Wiritschan gehören, befand sich zur Zeit der Uebernahme in ziem¬ lich verwahrlostem Zustande. Durch eine rationell gehandhabte Landwirtschaft, deren Hauptstärke in Weizen- und Rübenkultur bestand, hat Moltke dies Gut zu einer Musterwirtschaft gemacht, welche als eine der besten im ganzen Schlesierland galt. Bevor wir durch das altertümliche Schloßthor treten, aus dessen beiden Pfeilern zwei borghesische Fechter stehen, füllt unser Blick auf einen großen Granitblock, von einer Friedensciche über¬ schattet, die zum Andenken an den ruhmreichen Tag von Sedan hier gepflanzt wurde. Auf dem riesigen Steine stehen die Worte eingehauen: „Sedan 1. 9. 1870", wobei uns das von sonstigen ähnlichen Inschriften abweichende Datum auffällt. Der Fcldmarschall betrachtet — den Thatsachen entsprechend — den 1. Sep¬ tember als den eigentlichen entscheidenden Tag der großartigen Wendung und hatte deswegen auch angeordnet, daß auf seiner Besitzung und in den zu derselben gehörigen Schulen das Sedan¬ fest immer bereits am 1. September gefeiert wurde. Unter der Führung des Herrn Ludwig von Moltke, eines Reffen des Feldinar¬ schalls, der mehrere

Jahre dem Gute als Verwalter vorstand,

derte die elastische Be¬

wegung des 89jährigcn Greises, die feste Haltung seiner hohen, ein wenig nach vorn gebeugten Gestalt und die einfache, gcwinnendeLiebenswürdigkeit seines Wesens. Ich hatte schon vor¬ her den Wunsch ge¬ äußert, den Stamm¬ seines Ge¬ baum

besichtigte ich bald nach meiner Ankunft mit großem Interesse das Innere der präch¬

tigen

Wirtschaftsge¬

bäude und Ställe, die

überall den Eindruck peinlichster

Sauber¬

keit und Gediegenheit machten. Dann folgte die Besichtigung des Schlosses. Dasselbe ist ein stattliches, im Renaissancestil gehal¬ tenes Gebäude, wel¬ ches durch eine dichte,

Bäumen

zu

reichendes Tableau, welches in der Ge¬ stalt eines weitnmfassenden, seine Aeste und Zweige nach allen

stehenden beschattet beiden

Zu Seiten derzurRampe

wird.

kennen

schlechtes

lernen. Es ist dies interessanteste das Stück des Moltkeschen Arbeitszimmers, ein großes, fast über die Wandflächc ganze

aus üppigem Laub¬ werk gebildete Mauer von dem Gntshof ge¬ trennt und von zwei mächtigen, vor seiner

Hauptfront

des Feldmarschalls. Richt ahnend, daß mir schon so bald nach meiner Ankunft die Ehre eines persönlichen Empfanges durch den Feldmarschall zu teil werden sollte, wollte ich mich ganz dem Eindrücke überlassen, den die Arbeitsstätte eines großen Mannes auf den pietätvollen Beschauer auszuüben pflegt: es blieb mir jedoch zu ähnlichen Betrachtungen zunächst nicht lange Zeit. Von der rechten Seite des Zimmers her trat aus einer Thür eine hohe, Mir die schlanke Gestalt — ich stand vor dem Feldmarschall. Hand entgegenstreckend, begrüßte er mich in der liebenswürdigsten Weise mit den Worten: „Also, Sie wollen die Geschichte meines Lebens schreiben?" Ich erwiderte nüt dem Mute, den mir das erhebende Bewußtsein dieses Moments und der freundliche Empfang eingaben, daß das Interesse, welches der Feldmarschall meinem Buche — schon durch Annahme der Widmung — entgegengebracht, mich hoch ehre, und daß ich des Augenblicks dieser ersten Begegnung nie vergessen werde. Und wahrlich — was ich in diesem Augen¬ blicke empfand, als ich dem Manne gegenüberstand, der in den gefährlichsten Krisen welterschütternder Ereignisse seine Ruhe nicht verlor, auf dessen feingeschnittenes, durchgeistigtes Antlitz, in das ich jetzt blicken durfte, in den Augenblicken der Entscheidung die Augen des schlichten Kriegers wie diejenigen mächtiger Fürsten und erfahrener Feldherren mit gleicher Spannung gerichtet waren — kann ich nicht beschreiben. Rur soviel weiß ich, daß sich meine Brust jedesmal von neuem voll Stolz und Freude hebt, wenn ich jenes Augenblickes gedenke, der mir von neuem zeigte, daß die phänomenale Größe dieses Mannes mit einer Einfachheit und Anspruchslosigkeit in die Erscheinung trat, die das Gefühl der Befangenheit, welches der gewöhnliche Sterbliche in der Nähe großer Menschen em¬ pfindet, von selbst verhannte. Ich bewun¬

Richtungen

hin er¬ Baumes

des Schlosses empor-

streckenden

Treppe führenden stehen zwei Kanonen,

die weite Verzwei¬ gung des Moltkeschen

welche

König

Geschlechts, besonders der nordgermanischen

Wil¬

helm am 16. August 1871, dem Jahres¬ tage der Schlacht bei

Mars laTour,

Linie, in graphischer Weise darstellt.

In

seinem

den Stammbaum sei¬ nes Geschlechts, den er selbst nach mühe¬

vorigen Jahrhundert Prachtstammende stücke der Bronzegießerei. Durch das Hohe Portal treten wir in eine weite,

liebenswür¬

digster Weise erklärte mir der Feldmarschall

großen Feldherrn zum Geschenk machte. Es sind zwei bei Soissons erbeutete, aus dem

vollen

Moltke

ansgedehnteVorhalle, _ deren Wände von oben bis unten mit den mannigfaltigsten Statuen und Büsten aus Gips, Bronze und Marmor geschmückt sind, meist Geschenke regierender Fürsten. Im Anschauen all dieser zahlreichen Skulpturen vertieft, wurden wir von dem Adjutanten des FcldmarschallS begrüßt, von Moltke, ebenfalls einem Reffen des Herrn Major Helmuts, °der mit seiner Familie stets um den Oheim war, Feldmarschalls, um ihm die Leere und Ocde eines einsamen Alters zu ersparen. In liebenswürdiger Bereitwilligkeit übernahm derselbe die weitere Führung. Bald öffnete er mir eine Thür zur Linken der Vor¬ halle. Ich trat erwartungsvoll ein und stand — im Arbeitszimmer

Studien

in

zahlreichen Kirchen¬ büchern und Archiven ausgearbeitet hat. Er lrmzend. überreichte mir schlie߬ lich, als er mein In¬ teresse für den Gegenstand bemerkte, eine Broschüre, betitelt: „Die Kirchendenkmäler der Kirche zu Toitenwinkel," eine vom Hofrat Dr. Schlie herausgegebene kleine Schrift, welche interessante Beiträge zur Geschichte des Moltkeschen Geschlechts liefert. Im übrigen war das Arbeitszimmer sehr einfach ausmöbliert. Schlichte Tüllgardinen befanden sich an den Fenstern und ließen das Licht ungehindert hineinfallen. Am Fenster stand der einfache, offene Schreibtisch: auf diesem lag die unvermeidliche Fliegenklappe, mit welcher der alte Herr in sehr zwangloser Weise, auch in Gegenwart der Gäste, häufig dem lästigen Stubengetier energisch zu Leibe ging. Ein einfacher Schreibsessel, ein Mahagonitisch vor dem

670

altertümlichen Sofa, das war die wesentliche Ausstattung des Arbeitszimmers.

Das Alter des greisen Feldmarschalls wurde verschönt durch llmgang mit der Familie seines Adjutanten und Neffen Helmuth von Moltke. Die junge und schöne Gemahlin, eine geborene Gräfin Moltke-Hoitfeld aus Schweden, deren interessantes, aristokratisches Gesicht mit der sein geschwungenen, etwas gebogenen Nase die unverkennbare Familienähnlichkeit der Moltke zeigt, war den steten

Nach einer freundlichen Verabschiedung von dem Feldmarschall, Gastfreundschaft zu genießen mir noch weiterhin vergönnt sein sollte, verließ ich das Arbeitszimmer und folgte meinen beiden Führern, um die übrigen Gemächer und Sehenswürdigkeiten des Schlosses in Augenschein zu nehmen. Fast alle Zimmer, mit Ausnahme des im Rotokostil gehaltenen großen und schönen Speisesaales, sowie des altdeutschen Zimmers, waren, wie das Arbeitszimmer, sehr einfach und zeigten die große Anspruchs- und Bedürfnislosigkeit des greisen Feldmarschalls. Die Lebensweise des Feldmarschalls vollzog sich in seinem sommerlichen Tuskulum mit großer Regelmäßigkeit. Schon früh um 7 Uhr erhob er sich von seinem einfachen Lager, kleidete sich an, ohne dabei die Hilfe eines Dieners in Anspruch zu nehmen, nahm seinen Morgenkaffee zu sich, arbeitete dann einige Stunden und machte darauf bei schönem Wetter einen Morgenspaziergang durch den Park. Inzwischen war die Post angekommen. Der Feldmarschall las die Morgenzeitung durch und erledigte die eingegangenen Post¬ sachen. Waren solche vom Generalstabe aus Berlin eingetroffen, so warf er alles andere als interesselos beiseite, vertiefte sich in diese und blieb oft, wenn sich Arbeiten daran knüpften, den ganzen Tag über angestrengt dabei sitzen. Die Beschäftigung mit dergleichen Arbeiten nahm ihn dann ganz in Anspruch. Hatte er auch in seiner großen Gewissenhaftigkeit dem verantwortungsvollen Amte als Chef des Generalstabes bei seinem hohen Alter kaum drei Jahre vor seinem Tode freiwillig entsagt, so sollte doch, den Wünschen des Kaisers zufolge, in allen wichtigen Fragen sein Rat eingeholt werden, und keine irgendwie nennenswerte neue Ein¬ richtung des Generalstabes wurde getroffen, ohne daß sein früherer Chef davon genau unterrichtet wurde. Auch war sein Nach¬ folger im Amte, Graf Waldersee, gehalten, dem Feldmarschall hin und wieder Vorträge über wichtige Fragen der Heeresorganisation zu halten, zu welchem Zwecke er einige Male während des Sommers nach Kreisau kam. Bei seinen schriftlichen Ar¬ beiten, welche durch die Geschäfte, die ihm als Präses der Landesverteidignngskommission erwuchsen, noch erheblich vermehrt wurden, bediente er sich der Hilfe seines Adjutanten, der ihm gleichzeitig die Stelle eines Sekretärs versah und ihm den größten Teil der Schriftstücke ausfertigte. Der alte Herr setzte dann seinen Namen darunter mit seiner klaren, festen charakteristischen Handschrift, von welcher wir durch die Liebenswürdigkeit des Feldmarschalls in den Stand gesetzt wurden, eine Originalprobe zu geben, die um so interessanter ist, als sie den bekannten Wahlspruch des greisen Helden: dessen

die Seele dieses kleinen, trauten Familienkreises, welcher seinen eigenen Reiz noch durch eine fröhliche Kinderschar empfing, die vier blühenden Sprossen des Majors. Immer liebenswürdig, immer heiter, immer neckisch und schelmisch, verstand es die Majori», dem alten Herrn den Rest seiner Lcbenstage angenehm zu machen, ihn immer heiter und munter zu stimmen, wenn die zunehmenden Tage seines Alters ihn einmal verdrießlich und unwirsch machten. Seine kleinen Launen nahm sie mit Geduld hin, bestanden sie doch meistens nur in dem eigensinnigen Widerstände, den der anspruchslose Feldmarschall den liebenswürdigen Erleichterungen und Bequemlichkeiten entgegensetzte, mit welchen die Gattin seines Reffen ihn die Last seines hohen Alters vergessen machen wollte. offenbarer Fehde mit ihrem freundlichen Beginnen stand seine ungeheure Bedürfnislosigkeit, die es nicht einmal duldete, daß ihm des Abends sein Diener beim Auskleiden half: „Geh nur schlafen," sagte er, „ich kann mir schon allein helfen". Ebenso war dem Feldmar¬ schall bei kleinen Unpäßlichkeiten auch schwer mit ärztlicher Hilfe beizu¬ kommen. Er verschmähte alles, was auf ihn selbstBezug hatte, wassich um seine Person drehte, was ihm zur Bequemlichkeit diente. Hin und wieder entstand auch zwischen den beiden wegen irgend einer besonderen kulinarischen Wohlthat, die ihm die Frau Majorin erweisen wollte, ein kleiner Wortwechsel, etwa des Inhalts: „Nimm doch, Onkel Helmuth!" „Nein, ich danke, ich will nicht!" „Du mußt nehmen!"

In

„Ich will nicht!" Und doch gelingt es bald ihrem liebenswürdigen Zureden, ihrem neckischen Schelten, den alten Herrn zu besänftigen, der dann, seine Niederlage freimütig einräumend, mit größter Galanterie zu sagen pflegte: „In Deinen Händen bin ich nun einmal wie Wachs." Der Umstand, daß dem Feldmarschall bei seinem hohen Alter doch einmal während der Nacht eine Unpäßlichkeit begegnen konnte, ohne daß jemand davon eine Ahnung hatte, ließ die fürsorgliche Gattin des Neffen öfters den Gedanken aussprechcn, das Schlaf¬ zimmer des alten Herrn mit dem Zimmer des Dieners und den übrigen Wohnzimmern der Familie durch einen Hanstelegraphen zu verbinden. Moltke wollte allerdings nichts davon wissen, daß seinetwegen eine solche Ausgabe gemacht würde. Aber sein Sträuben half ihm nichts. Als er einst wieder von Berlin nach seinem Sommerheim hinauszog, überraschte ihn die kluge Hausfrau mit der vollständigen Einrichtung eines HausEtwas brummend über den telegraphen. unnötigen Luxus ergab sich der alte Herr in sein Schicksal. Die Freuden

/ZsH?

fl enthält und gleichzeitig eine Schriftprobe aus dem 89. Lebensjahre des Schlachtenlenkers bietet.

*) Bergt. Graf Moltke.

j

j

dieses

schönen

Familien¬

lebens wurden dem Feldmarschall noch erhöht durch den Umgang mit den Kindern seines Neffen, von denen drei. Astred, Wilhelm und Elsa (das jüngste lag noch in der Wiege und konnte mir seinen Namen noch nicht sagen) um den „Oh-Papa" herumsprangen, wie sie ihn zu nennen psiegten: sie schaukelten sich auf seinen Knieen, brachten ihm Blumen aus dem Park oder spielten mit ihm Versteck.*) Hermann Müller-Bohn.

Ein Bild seines Lebens und seiner Zeit, von Herinann Müllcr-Bohn.

Berlin, Paul Kittel, historischer Verlag.

Vom südafrikanischen Kriegsschauplatz. ^dz(orbcu und Monate lang

kehrte alltäglich in den Spalten der Tageszeitungen das wechselnde „Krieg" und „Frieden" wieder. Endlich ist von den vielen hin und herwechselndcn Ultimatums das letzte erfolgt. Die Boeren waren klug genug, das diplomatische Spiel Englands zu durchschauen und mit dem Kriege nicht zu warten bis dieses ungczäbltc Massen von Soldaten und Material aus dem Kriegs¬ schauplatz haben wird. Inder langen Zeit des Zögerns schlug 'in¬ zwischen der Zustand der bangen Erwartung durch Vermittelung der Börsen dem Nationalwohlstand der verschiedenen Völker die schwersten Wunden. Gerade Deutschland ist finanziell im höchsten Maße in Transvaal interessiert, nicht nur durch die Anlage gewaltiger Kapilalien in Aktien der Goldbergwerkc, sondern auch durch die vielen Millionen, die in Gestalt von industriellen Unternehmungen aller Art, elektrischen Kraft- und Bclcuchtungsmcrken festgelegt sind. Da es sich gleichwohl immer nur um Anlage privaten Kapitals, um Aufwendung privaten Unternehmungsgeistes handelt, so hat natürlich der deutsche Staat keinerlei Anlaß oder Vorwand einzuschreiten, ebenso wie er auch •

V

-

nicht für die deutsche Freischar eintreten kann, die sich unter Führung des Obersten Schiel gebildet hat. Daß die Sympathien Dcntichlands, ja ganz Europas, auf seiten der Boeren sind, ist ja nur natürlich, schon vom allgemein menschlichen Standpunkt aus. Das rücksichtslose Vorgehen Englands bei der Verwirklichung seiner großenglischcn Pläne, die Afrika vom Nil bis zum Kap englisch machen möchten, hat ihm ja die Sympathien beinahe aller kontinentalen Völker geraubt. Es ist ein alter Schachzug der englischen Politik, überall, wo es sich um einen unverantwortlichen Eingriff in die Rechte fremder Nationen handelt, sich hinter irgend einer Forderung der „Humanität" zu verschanzen. Der berühmteste Fall dieser Art mar wohl die Aufrollung der Frage des Skavenhandcls, durch die sie Frankreich und fast allen Naiioucu mit derzeitigem Kolonialbesitz unermeßlichen Schaden zugefügt hat. Dabei weiß jeder Jndicnkenner von dem entsetzlichen Zustand zu erzählen, in dem heute die indischen Kulis erhalten werden. Es ist begreiflich, daß dieses wunderbar reiche Transvaalland die Habsucht der Engländer reizt. Ganz abgesehen von den unermeßlichen

J

.

M

(

671

Schätzen, die seine

Gold- und mantenlager bergen,

ist

des

Dia¬ ein

herrlich fruchtbarer Landstrich und wird begünstigt vom vor¬ teilhaftesten Klima. Wenn hier einmal

und passive Wahl¬ recht zu verleihen, ist nur zu begreiflich.

Er würde

eine systematisch ar¬ beitende Plantageneinsetzt, müssen auch auf diese Weise gewal¬

tige Reichtümer er¬ werden. Der Boer, der in seiner Anspruchs¬ losigkeit nur eben dem Boden ent¬ schlossen

für

einfach

reit.

Kombinationen über den wahr¬ Aus¬ scheinlichen gang des Krieges sind ja müßig. Eng¬ land muß sich aber auf den schwersten Kampf gefaßt ma¬

selbst

braucht, und im übrigen das Land mehr als Weide¬

triften

damit

die Herrschaft im eige¬ nen Land aus den Hände» geben. Den Uitlanders aber eine angemessene Ver¬ tretung zu geben, sind die Boeren be¬ eben

wirtschast

ringt, was er

viel

am Herzen liegt als die ruhige, stetige Entwicklung desselben, das aktive

noch es

Landes

mehr

seine

Viehherden ver¬ wendet, hat kaum

chen,

den

es seit

den ge¬ Versuch macht, einmal aus

vielen Jahren gekänipft hat. Durch

der Scholle wirklich zu ziehen, was sic hervorbringen kann. Raffern auf dem Man hat viel¬ fach auf die Un¬ gerechtigkeit hingewiesen, die darin liegt, daß die 200000 Uitlanders, die in Transvaal lebenden Ausländer, politisch den 80000 Boercn, den Burghers, gegenüber vollständig rechtlos sind. Es ist dabei aber zu bedenken, daß diese Uitlanders zum Teil Menschen sind, die nur auf eine Spanne Zeit hierherkommen, um in den zehn oder fünfzehn Jahren ihres Aufenthaltes ein gewaltiges Vermögen zu niachcn und dann mit ihrem Raub in die Heimat zu gehen. Daß der Boer sich sehr bedenkt, diesen Elementen, denen naturgemäß die Ausraubsähigkeil

den

Wege zur Stadt.

Jamesonschen

Naubzug alarmiert, haben die Boeren

die inzwischen ver¬ gangenen Jahre gut benutzt, um sich vorzüglich zu bewaffnen, eine nicht zu unterschätzende Feldartillerie zu schaffen und auch an verschiedenen Punkten Befcstigungswerke anzulegen. Außerdem geht der Boer mit einer heiligen Be¬ geisterung für seine Sache in den Kamps, was man von den englischen Söldnerheeren nicht wird behaupten können. Für England besteht die Gefahr, daß zu gleicher Zeit noch an anderen Stellen seines riesigen Kolonialreiches Erhebungen stattfinden, und daß es dann seine Kräfte zersplittern muß. So ist cs noch sehr fraglich, ob in diesem Kriege

mm

Berg Lionhrqd bri Lapfladk.

672

Transvaal und die einfache liebermacht der Zahl entscheiden wird. Oranje-Freistaat zusammen werden etwa 50 000 Krieger ins Feld stellen können. Wie sich die vielen Tausende von Eingeborenen stellen werden, ist Kenner der Verhältnisse versichern, daß von noch nicht abzusehen. ihnen eher den Boeren als den Engländern Gefahr droht. Sie gehören sämtlich den Bantuvölkern, den Kasfern, an und kommen oft von weit der in die Gebiete der Minen gezogen, um dort mit der Arbeit einiger Jahre genug Vermögen zu verdienen, ihr Leben nachher in der Heimat i» Wohlstand und Ruhe genießen zu können — genau wie die „Uil-

allein sein freundlicher Zuspruch beweist um so deutlicher die allgemeine Trostbedürftigkeit. Gerade auf dem weiten Gefilde draußen ist der Einzug des Herbstes sehr augenfällig zu verspüren, weil dort schon dunklere Schatten in das buntfarbige Bild des Jahres geworfen werden und das Reifen der goldenen Aehre ein beginnendes Welken in der niedergehenden Natur verkündet. Im lichten, wogenden Halmfcld bietet sich gewissermaßen ein kunstloses Zifferblatt dar, an welchem selbst das schmcrzgetrübte Auge die gezählten Wochen und Tage der sommerlichen Flora mit Leichtigkeit abzulesen vermag. Mancher Blick wird hierbei auch wohl heiter, denn:

landers".

„Der liebe Gott mit milder Hand mit Segen rings das Land: Schon steht das Feld in voller Pracht: Ein Zeuge seiner Gilt' und Macht. Bedeckt

Die „Herbst-Saison" der Natur. „Bunt sind schon die Wälder, Gelb die Stoppelfelder, Und der Herbst beginnt. Rote Blätter fallen, Graue Nebel wallen, Kühler weht der Wind." den poetisch ergreifendsten Erscheinungen der gemäßigten Zonen gehört ohne Zweifel auch der Wechsel der Jahreszeiten. Nicht nur das wiedererwachende Leben des holden Lenzes oder die vollentfaltete

Nun ernte, Mensch, was Du gesät, Sei froh und sprich ein fromm Gebet Und gieb von dem, was Dir verlieh'». Auch Deinen armen Brüdern hin!"

Bald aber dehnen sich kahle Stoppelgcbreiten aus, welche, bereits das schmutzige Braun des mütterlichen Bodens durchschimmern lassend, dem kühler wehenden Winde eine hindernislose „Laufbahn" darbieten-

Kafferntypcn. Ueppigkeit des Sommers, sondern auch die herbstlich versinkende Vegetation übt auf unser innerstes Empfinden einen eigentümlichen Reiz aus. Obgleich der „große Färber" Herbst nicht gerade schön genannt werden kann, so ist er doch ahnungsvoller für den sinnigen Menschen als die übrigen Jahreszeiten. Seiner ernst rührenden Symbolik entzieht sich kein „sterbliches Geblüt", und es gewährt einen eigenartigen Reiz, den bunt¬ scheckigen Zeichen nachzugehen, in denen sich der unausbleibliche Vcrtreiber des Sommers ankündigt. Sobald die rötlich-blauen Glocken der edlen Gentiana einzuläuten beginnen, da wissen kundige Beobachter, daß der vollen Lebenspracht des wcchsclrcichen Jahres das letzte Stündlcin naht. Zwar hat der gemütvolle Rückert Recht, wenn er zur vorläufigen Beruhigung bänglicher Gemüter singt: „Mit der Sommcrlüfte Glühn Ist erloschen Roscnbrand, Aber blass're Blumen blühn Schon noch an des Lebens Rand —",

Zwar prangen

noch zwischen dem vergilbenden Grün der schmalen Ackerrainc und Pfadsäume Hauhechel, Schafgarbe, Rainfarn und Ritter¬ sporn, doch auch sie sind wie der buntfarbige Klee, der mit seinen poetischen Köpfchen träumerisch niedcrnickt zur Erde, absterbende Ucbcrbleibsel der vergänglichen „Fülle des Sommers". Auch im buntbesätcn Rasenteppich der Wiese, bisher so üppig im gesättigten Grün prangend, vermissen wir eine ansehnliche Reihe lieblicher Kinder Floras, die unter dem schweren Tritt des Herbstes dahinstarben. Nur blaßrote Blüten der Herbstzeitlose und weiße Köpfchen des zählebigen Gänseblümchens bemühen sich, einige Abwechselung in die fahle Grasflächc zu bringen, ebenso wie in den düsteren Gärten Georginen, Malven und Aftern sonnenfarbig den rauhen Vorläufer des Winters durchglühen. Es scheint eben die Natur beim letzten Schcidegrußc alle Kräfte anzu¬ spannen, um ihr verlöschendes Lebenslicht nochmals hell aufflackern Thränenden Auges könnte ihr der trauernde Mensch zu lassen. zurufen :

673

„Flehend, mit gebrochenen Blicken Sagen Deine Kinder mir: Mann, Du darfst uns ja nicht pflücken. Denn wir sind die Letzten hier!" Der zur vollendeten Reife bringende Nachfolger des bunten Sommers mag eben von Blumen nichts mehr wissen! mit ihm treten wir vielmehr ins Zeichen der Früchte ein. „Herbsteszeit, reiche Zeit! Gott hat Segen ausgestreut. Daß sich alle Bäume neigen Von den fruchtbelad'ncn Zweigen, Schaut umher mit Vaterblickcn, Wie sich alle dran erquicken. Menschen nehmt die Gaben gern Aber ehret auch den Herrn!"

Wohl hatte schon der heiße Sommer manches an Bäumen und Sträuchen gereift, allein, es waren flüchtige Geschenke, die im raschen Zuge genossen sein wollten. Die edlere, dauernde Frucht bringt uns nur der Herbst. Alles, was er an Farbe, Süßigkeit und Duft gesammelt Hier lachen goldene hat, weiß er zaubernd in sich hineinzulegen. Birnen und rotwangige Aepfel vom dunkelbelaubten Baume herab, dort lockt die saftige Pflaume, mit zartblauem Hauche bestaubt, und auf der verwitterten Mauer lagert, „von zähen Strängen gehalten, tonncnbänchig der sonnengeschwollene Kürbis." Er hütet gleichsam die zarten

bei den einzelnen Vertretern der niederen Tierwelt sich offenbart. Um die bunten Heidekräuter fliegen summende Bienen, und im Getränt der Beeren sonnt sich die muntere Eidechse. Der „geflügelte Zimmermann" Tpechi hackt emsig an absterbenden Baumriesen, den ihn nährenden Holzwurm suchend, wogegen das dahinziehende Rotkehlchen im zwcrgigcn Gebüsch schlägt und die bleifarbene Meise hurtig von Ast zu Ast hüpft. Das unendliche Blättermeer kann aber schließlich auch den herbstlichen Ein¬ wirkungen nicht wicdcrstchcn. Vereinzelt leuchten schon die gelben Wipfel der Birke aus dem umgebenden Grün des Forstes hervor, und zu ihnen gesellen sich bald die minder lebhaft gefärbten Acste und Zweige von Weißbuchen. Ja sogar das dunkle Laub der Rotbuche geh! allmählich in feuriges Braunrot über. Auch die stolze Eiche nimmt teil an diesem plötzlichen Wechsel: ihre Blätter haben geradezu einen farbigen Stufengang zu passieren, ebenso wie auch die übrigen Busch- und Baumgewächse einen allmählichen „Gardcrobcnmechsel" vorzunehmen scheinen. Den Weg alles Irdischen gehend, steht schließlich der Wald, nachdem er zuvor nochmals in seinen letzten Farben brannte, völlig entlaubt da. „Armes Bäumchen, dauerst mich: Wie jo bald — bist Tu alt!

Deine Blätter senken

Sind

so

sich,

bleich.

Fallen gleich

Von des kalten Windes Welsin, Und so bloß nun mußt Tu stehst,!"

Rn der Seeküste bei Lapstadl. Kinder der Rebe, die poetische Traube, deren magischer Saft bereits jene Durchsichtigkeit anzunehmen beginnt, welche ihre kugelige Beere dem feuchten Rund des menschlichen Auges so täuschend ähnlich macht.

„Wie die volle Traube Aus dem Rebenlaube Purpurfarbig strahlt! Am Gelände reisen Pfirsiche mit Streifen Rot und weiß bemalt." Am stachclrcichcn Dorngebnsch leuchten im feurigen Kleide Schlehe und Hagebutte, und ihnen zu Füßen kriecht die täglich schwärzer werdende Brombeere über das steinigte Feld. I» den hohen Baumhallen des nahen Waldes werden die Spuren des einziehenden Herbstes' weniger bald sichtbar, denn dort erscheint alles noch grün in der ganzen plastischen Sommersülle. Geheimnis¬ volle Stille herrscht in den hohen, von Wipfel zu Wipfel gewölbten Kronen, während unten im gekräuselten Moosteppich noch reges Leben

Zu unseren Füßen raschelt nur noch das dürre Laub und mahnt uns auf Schritt und Tritt an die Tage, welche für uns den Herbst des Lebens bilden. „Treulich bringt ein jedes Jahr welkes Laub und welkes Hoffen!" der entblätterte, schauernde Wald ist für den sinnigen Menschen ein stummes, aber ergreifendes „Aswsnto morl!" — ein Hinweisen aufs nahe „Totenfest". Haben sie uns nun auch noch verlassen, dann ist der „waschechte" Herbst auch schon ins Land gekommen, und statt des leichten Federspieles der beschwingten Sommergäste zieht nur der monströse Papier¬ drache durchs „Reich der Lüfte", jene fabelhafte Herbstmaske, mit welcher nur die den Ernst oes Lebens verkennende Jugend ihr fröhliches Spiel treibt. Am dürren Boden zirpt lauter den» sonst die Grille; das poetische „Sonnenkälbchen" — der gutmütige Siebenpunktkäfer — schaukelt sich am ausgesommerten Halme; der sreibeutende Spatz sucht emsig nach freizügigen Körnern, auch die schnellfüßige Feldmaus durch¬ eilt die gewohnten Gänge im lichter werdenden Stoppelfelde, und der arme Hase, dem man die schützenden und nährenden Halmbestände des Getreides genommen, sucht sich ein anderweitiges Lager, ohne jedoch

hier dem feuerspeienden „Pulverknüppel" treffsicherer Jäger entgehen zu können. Ueber Wald und Flur stehen schon morgens und abends leise Nebel, deffcn wunderbaren Dunstgebilden sich jener feucht-dumpfe, unverkenn¬ bare Hcrbstgernch entbindet, der die stetige Auflösung des Naturlebens begleitet. Alles gebt zur Neige oder rüstet sich zum Schlafe. Bald überzieht sich auch der blaue Himmel, tagelang den dichten Schleier nicht ablegend ; er gleicht einem feuchten Auge, dem mit jedem Blick eine Thräne entfallen kann. Blitzt da hin nnd wieder mal ein Sonnen¬ strahl durch die blcigranc Trübe, so deckt er nur neue Vergänglichkeit auf. Tie Natur bal aber ihr großes Werk gethan und läßt ihre ernste Herbstinahnuug aus cmpfindsaiue Herz des Menschen ergehen. Segcnsmüdc lächelnd sinkt sie in sich, und feierliche Stille umgiebt die Erde.

__

Fünfundzwanzig

»

Iahrr

F. Kunze.

Weltpostverein.

um von dem Auslaudsdicseni Aussprüche des der aus de» vierziger Jahren den die Regierungen bis in darüber hinaus in Vcrkehrseben an jeder Grenze ein diensteifrig der Wegeanfseher

nsere Landesgrenzen sind nicht dazu da,

verkehr niedergetreten zu werden." Ministers eines kleinen deutschen Staates, stammt, prägt sich der Standpunkt aus, die Mitte dieses Jahrhunderts und noch angelegenhciten einnahmen. „Es war Schlagbaum errichtet, und daneben stand

In

j

j

j

|

j

nun NN ein einziges Postgebiet mit einem einheitlichen Briefporto. Die politischen Grenzen wurden für den Briefverkehr völlig aufgehoben, es wurde ein internationales Durchgangsrccht für den Postverkehr her¬ gestellt, das diesen ins ungeheure steigern mußte. Die bisherige Porto¬ teilung fiel gänzlich fort, jeder Staat behielt vielmehr die von ihm er¬ hobenen Portogebühren. Das Bcreinsporto wnrde für frankierte Briefe auf 20 Pf. für je 15 gr festgesetzt — ein Satz, der heut »och besteht. Außer dem eigentlichen Bricfverkehr regelte der Berner Postvertrag den Verkehr in Postkarten, Drucksachen, Zeitungen und Warenproben. Die Vorteile, die sich aus dem Weltpostverein (L’union postale universelle) ergaben, — diesen Namen erhielt der Allgemeine Postvcrcin auf dem Pariser Kongreß im Jahre 1878 — waren so augen¬ fällig, daß bald auch die übrigen Länder, so Britisch-Jndien, Argen¬ tinien, Persien, die französischen, niederländischen und spanischen Kolonien, dem Berner Vertrage bcitraten. Der zweite Postkongreß, welcher 1878 zur Zeit der Weltausstellung in Paris tagte, dehnte die Wirksamkeit des Vereins auf Wertbriefe und Postanweisungen aus, die Pariser Konferenz vom ö. Oktober 1880 führte eine Ucbereinkunft hin¬ sichtlich des internationalen Austauschs von Postpaketen herbei, der internationale Kongreß zu Lissabon (1885) erhöhte das Meistgewicht der Postpakete, unter Beibehaltung der bisherigen Taxen, von 3 Kilogramm auf 5 Kilogramm und schuf die Einrichtung des internationalen Postaustragsdicnstes (bis 1000 Francs) sowie des Eilbestelldienstes und des telegraphischen Postanweisnngsdienstes. Auf dem Wiener

Kaffernkraal in Transvaal. mit seinem Klingelbeutel, und sobald ein Briefchen in Sicht kam, Hand aus: Erst die Wegcmaut zahlen, ehe du passieren darfst." Jeder Staat, über dessen Gebiet eine Postsendung mußte, suchte aus dieser soviel wie möglich herauszuschlagen. Ein Beispiel, das wir dem Lebensbilde Heinrich von Stephans nach Weithase entnehmen, möge dieses Ausbeutungssystem erläutern: Ein einge¬ schriebener Brief im Gewicht von 20 gr von Berlin nach Rom kostete: a) preußisches Porto 2X30—60 Ps., d) fremdes Porto 3 Portosätze von 7-/, gr oder 3x55 — 1,65 Mk.. c) preußische Einschreibegebühr 20 Pf., d) fremde Einschreibegebühr, die gleich der nochmaligen Erhebung des gewöhnlichen Portos war, so daß im ganzen für den Brief nach Rom 4,10 Mk. Porto zu zahlen waren, während man heute nur 60 Pf., d. h. den siebenten Teil zu entrichten hat. In diesem Beispiel dokumentiert sich der ungeheuere Fortschritt, den der Weltpostverein dem Verkehr gebracht hat, dessen genialer Be¬ gründer leider das 25 jährige Bestehen desselben nicht mehr erlebt hat. Ein Vorläufer des Weltpostvereins war der deutsch-österreichische Postverein vom 6. April 1850, der wenigstens in unserem Vaterlande der postalischen Zersplitterung ei» Ende machte, indem er 18 bisher unab¬ hängige Postgebicte zu einem Verkchrsganzen verschmolz und dafür ein einheitliches Briefporto ohne Portoteilung und Transit festsetzte. Das war die Grundlage, aus der Heinrich von Stephan fortbauen konnte. Im Jahre 1874 wurde auf Veranlassung des deutschen Reiches in Bern der erste allgemeine Postkongreß eröffnet, an dem 22 Staaten teilnahmen, und auf dem Heinrich von Stephan den Vorsitz führte. Am 9. Oktober 1874, vor fünfundzwanzig Jahren, wurde der Vertrag zu einem „Allgemeinen Postverein" unterzeichnet, der die Idee eines freien Weltverkehrs bis zu einem gewissen Grade verwirklichte. Nachdem Frankreich im Mai 1875 diesem Verein bcigelrcten war, umfaßte er 22 Länder mit 37 Millionen Quadrat¬ kilometern und 350 Millionen Einwohnern. Diese Länder bildeten von streckle er auch schon die

Kongreß «1891) wurde der internationale Postzcitungsversand nach deutschem Muster eingeführt, nnd die britischen Kolonien Australiens, sowie die Fidschiinseln und Britisch-Guinca, traten dem Weltpostverein bei, der nunmehr ein Gebiet von 102 Millionen gßm mit 1035 Millionen Einwohnern und 212 000 Postanstalten umfaßt. Die Zahlen, mit denen der gegenivärtige Verkehr innerhalb des Weltpostvereins täglich zu rechnen hat, sind geradezu Schwindel erregend. So werden (nach Krickeberg) täglich befördert: 50 Millionen Briefsendungen, 0,2 Millionen Wertsendungen, 1 Million Pakete, 0,8 Millionen Postanweisungen (im Betrage von 36 Milliarden Mark) und 14 Millionen Postauftrags- und Nachnahmesendungen! „Man muß" ■—sagt Heinrich von Stephan, dessen schöpferisches Genie sich in der Gründung des Weltpostvereins in seiner ganzen Größe offenbarte, „diese Umlaufsöperationen im täglichen, ruhelosen Geschästsleben aus einer gewissen Ferne betrachten, um von der Größe und der Schnelligkeit der Bcivegung nicht verwirrt zu werden. Würden sie ein Geräusch von sich geben, wie unsere großen Maschinen, oder wie man es seinerzeit von den das Weltall durchsausenden Sphären gewisser Himmelskörper angenommen hat: es würde ein rasendes Charivari entstehen."

Kunst und Wissenschaft. Theater. Das Königliche Opernhaus bereitete den Liebhabern Mozartschcr Musik eine Freude durch die Neueinstudierung von „Cosi fan tutte“. Mag auch das Libretto so geistlos wie möglich sein, die Musik Mozarts adelt den niedrigen Stoff. Der Reichtum einschmeichelnder Melodien verdeckt die Mängel des Librettos wie die Stickerei den Canevas. Es war ein interessanter Abend und das Publikum zeigte sich dankbar für die Gabe



Im „Königlichen Schauspielhaus"

brachte Hugo Lublincr 'seinem diesjährige Gabe „Splitter und Balken" dar. Nach vor¬ jährigen „fünften Rad" konnte man erwarten, daß Lubliner in auf¬ steigender Linie ein lustiges Stück darbieten werde. Na, ein Stück war es, aber nicht lustig. Ein Fülle von Einzelheiten sprach an, aber im großen und ganzen interessierte weder der vergnngungs- und selbst¬ süchtige junge Ehemann, noch der Egoismus des Schwiegervaters, der sich für einen Engel hälr und den Balten im eigenen Auge nicht sieht. Mehr Farbe und niehr Karikatur hätten das Stück amüsanter und besser gemacht. Das Berliner Theater gab den „Baumeister Solneß" von Ibsen als Novität für sein Stammpublikum. Es war ein Versuch und zeigte die Darstellungskunst der Frau Prasch-Grevenberg im schönsten Lichte. Allein die Unerquicklichkeit des Stückes mit seiner magern Hand¬ lung und seiner psychopathischen Tistelei schien dem Publikum nicht zu behagen. Besonders im Berliner Theater ist man gewohnt Menschen zu sehen, die je nach dem entweder durch vernünftige oder närrische Thaten interessieren. Und nun soll man sich in Lciüc finden, die „den Dämon in der Brust" fühlen, ohne Einschläferung sich hyp¬ notisieren und suggerieren lassen. Das ist zuviel' für den gesunden

würden wir sie unwahr und hohl pathetisch finden. Eines trat aber in dieser Ausführung noch viel mehr hervor als in der derzeitigen ersten: mit wie wundervoll meisterhafter Technik das Stück gezimmert

seine

_

j

ist: da ergiebt sich folgerichtig immer eins aus dem anderen, durch kurze Andeutungen, eine Wendung, eine Bewegung des Schauspielers erfahren wir einen ganzen Gang von Ereignissen, ersehen den ttessten psychologischen Grund für das gesamte Handeln eines Charakters. Tie Darstellung stand nicht ganz auf der Höhe, es war eine nnttelmäßige Vorstellung, was beim „Deutschen Theater" um so schwerer ins Gewicht fällt.

Berliner Chronik.

s

Am 6. Oktober starb Professor Gustav Feckert, der Meister der Steinzcichnung, im 80. Lebensjahre. Feckert, dessen Lithographien hoch geschätzt waren, ist der Gegenwart so gut wie unbekannt. Durch seine nach der Natur gezeichneten Porträts — diese bieten ein Stück Geschichte der vierziger, fünfziger und sechsziger Jahre — trat Feckert mit den besten schaffenden Künstlern in erfolgreichen Wettbewerb.

Frühmarkk ln Joftannrsbnrg. Menschenverstand des Publikums im Berliner Theater, das man gemein¬ hin „Familienpubliknm" nennt. Das Deutsche Theater brachte am 14. Oktober „Das Fricdensfcst" von Gerhard Hauptmann. Eine Hauptmannpremiere in Berlin ist immer ein litterarisches Ereignis, und wenn das „Friedensfest" auch schon vor etwa neun Jahren ans der „Freien Bühne" das Licht der Rampen erblickt hatte, so trug die Wiederbelebung doch ganz den Charakter einer Erstaufführung. Während der neun Jahre ist Hauptmann zu allgemeiner Anerkennung gelangt; seine Technik, die innere Theorie seiner Kunstausfassung hat sich nicht wesentlich geändert, seine An¬ schauungen über den darzustellenden Stoff scheinen es umsomehr gethan zu haben, sonst hätte er wohl nichi sein „Hannele" und gar die „Ver¬ sunkene Glocke" geschaffen. So war es umso interessanter den Hauptmann von heute an dem von damals zu messen. Der laute, empörte Widerspruch von damals blieb aus, aber auch die Begeisterung der Zustimmung. Wir haben einerseits so viel un¬ erquicklichere und peinvollere Stoffe über die Bühne gehen sehen, andererseits ist uns die Bühnensprache des Naturalismus so sehr Ge¬ wohnheit geworden, daß das erschreckend Neue des Eindrucks eben gar nicht mehr in Erscheinung trat. Wenn diese Menschen auf der Bühne statt in de» zerfetzten Sätzen in glatten Periode» sprechen würden, so

Am 10. Oktober feierte seinen 70. Geburtstag.

Rudolf Lindau

(geboren in Gardelcgens

Im Ministerium der öffentlichen Arbeiten hat eine Konferenz von Vertretern der Hochbahn und der Städte Berlin, Charlottenburg und Schöneberg stattgefunden, tu welcher beschlossen wurde, die ganze Bülowstraße von der Hochbahn frei zu halten, so daß die letztere schon aus dem Gelände der Potsdamer Bahn zur Unterpflasterbahn hinab¬ geführt würde. Die Mehrkosten müßten von den Städten getragen werden, wobei auf Berlin 2% Million, ans Charlottenburg 700000 Mk., auf Schöneberg 300000 Mark fallen würden. Hoffentlich findet dieser Beschluß die Zustimmung der Magistrate und Stadtverordneten der drei Städte. Das Märkische Provinzial-Museum vollendete am 9. Oktober das 25. Jahr seines Bestehens. Am Jubiläumstage wurde merk¬ würdigerweise der erste Streich zur Niederreißnng des Gebäudes gethan. Wir machen an dieser Stelle auf den Artikel Seile 665 dieser Nummer nochmals aufmerksam. Begründer des Museums ist der Geheime Rcgierungsrnt Stadtrat Ernst Friede!, dem es seine heutige Bedeu¬ * tung verdankt. Die ursprüngliche Sammlung befand sich im Ber¬ linischen Rathause Zimmer Nr. 105, dem Amtszimnicr des Stadtrates Friedel. Im Jahre 1876 wurden dem Museum besondere Räume im

676

Sparkassen - Gebäude, Klosterstraße 68, angewiesen, 1860 wurde die Sammlung nach dem Köllnischen Rathanse verlegt. Jetzt hat das Museum in dem Vordergebäudc der Markthalle in der Zimnicrstraße ein interimistisches Unterkommen gefunden, dis der Prachtbau im Köllnischen Park vollendet sein wird. Am 8. Oktober feierte Eich. Regierungsrat Pros. Dr. Johannes Otzcn, Lehrer au der technischen Hochschule mit» der Akademie der Künste, seinen 60. Geburtstag. Otzcn ist in Berlin namentlich als Kircheiibaumeister hervorgetreten, so sind die Heiligkreuz-, die Luther¬ und die Georgcntirche von ihm erbaut. Professor Göttlich Biermann, der bekannte Geschichts- und Bildnismaler, feierte am 13. Oktober seinen 75. Geburtstag.

Für die Schaffung einer Zentralstelle für technische An¬ gelegenheiten tritt unser Mitarbeiter, der Ingenieur und technische Schriftsteller Franz Bendt in Berlin schon seit längerer Zeit ein. Er hat zuerst in ausführlichen Artikeln auf diese Notwendigkeit hingewiesen. Der Bund der Industriellen sah sich deshalb veranlaß!, ihn zu einem Referat auf seiner Generalversammlung vom 16. und 17. Oktober über diese hochwichtige Frage aufzufordern. Das Thema wird von Herrn Bendt mit besonderer Berücksichtigung des technischen Fachschulwesens behandelt werden, während der Corrcfcrent, Herr Ingenieur Richard Fiedler, als langjähriges Mitglied des Kaiserlichen Patentamts im besonderen auf das Patentwesen eingehen wird. Den Vortrag des Herrn Bendt werden wir ausführlich bringen.

Märkische Chronik. Lehnin. Die Kleinbahn von Groß-Kreuz

nach

Lehnin

ist am

11. Oktober eröffnet worden.

Charlottenburg.

Am 10. Oktober wurde das neue Kaiserin nach dem im Arbeitsministerium entworsenen Plane im Stile der Fridcricianischen Bauten gehalten ist, feierlich eingeweiht. Die Festrede hielt Direktor Dr. Ferdinand Schultz, der die Anstalt ieit 1869 leitet. Der neue Bau hat eine Front von 87 m und enthält 25 Klassen, 12 sonstige Zimmer, einen Zcichcnsaal und eine Aula. Nach der Festschrift ist die Anstalt 1818 von zehn Schülern Fichtes in der Münzstraße 25 in Berlin begründet worden. 1825 wurde sie nach Charlottenburg verlegt, ging 1834 in Staatsbesitz über, wurde 1840 als Pädagogium, 1858 als Progymnasium, 1869 als Vollgymuasium anerkannt. Ihren jetzigen Namen erhielt sie 1876. Nowames-Neuendorf. Am 26. Oktober feiert das hiesige.,Oberliuhaus sein 25 jähriges Bestehen. Das in der Lindeustraße befindliche Institut bildet Diakonissen zur Krankenpflege aus. — In unmittelbarer Nähe des Oberlinhauses erhebt sich die ihrer Voll¬

Augusta-Gymnasium, das

endung entgegengehende neue evangelische Kirche, ein stattlicher Ban, fast zu stattlich für das aus einer 1761 angelegten, 1766 erivcilcrtcu Kolonie böhmischer Weberfamilien hervorgcgangene arme Torf. Das neue Gotteshaus, dessen künstlerischer Entwurf von dem Geheimen Regierungs- und Baurat von Tiedcmann herrührt, ist im frühgotischen Stil gehalten. Es ist ein Backsteinbau, der in ausgedehnter Weise, nnnientlich am Nordgicbel, mit Kalksteinen verblendet ist. Die Kirche besteht aus einem Langschiff mit vier Gewölbejochcn, der Chorraum ist polygonal i» der Form eines halben Sechsecks geschlossen, die Sakristei ist seitlich angegliedert, der seitlich gestellte Turm (Ecke Lindcnstraße) endigt in einem schlanken Helm. Die Kirche, deren weitgespannte Gewölbe auf reichgcgliederten, freistehenden Pfeilern ruhen, hat etwa 850 Sitzplätze. Poisdam. Der neue Oberpräsident der Provinz Brandenburg von Bethmann-Hollweg ist am 29. November 1856 geboren. Im Jahre 1884 legte er die Staatsprüfung für den höheren Verwaltungs¬ dienst ab, wurde 1885 Verwalter des Landratsamtes für Obcrbarnim, 1886 Landrat dieses Kreises, dann Oberpräsidialrat in Potsdam und in diesem Jahre Regierungspräsident in Bromberg. 1890 vertrat von Bethmann-Hollweg den Wahlkreis Oberbarnim im Reichstage. Er gehörte der freikonscrvativcn Fraktion an und hielt eine streng gouvcrnemeutale Richtung. Der neue Oberpräsident, der erst 43 Jahre alt ist, hat mithin den größten Teil seiner bisherigen Verwaltungsthätigkeit der Provinz gewidmet, deren Obcrpräsident er nunmehr geworden ist.

Kleine Mitteilungen. Dir Viktoria auf dem Brandenburger Thor. „Vielleicht hat kein Verlust," so schreibt Luden in Jena in der „Nemesis" von 1814, „die Preußen, besonders die Berliner einst so tief geschmerzt als der Verlust der Viktoria, die mit ihrem herrlichen Viergespann das schöne Brandenburger Thor — wohl das schönste in Europa — geziert hatte. In dem Raube dieser Göttin zeigte sich auch in der That der Uebcrmut der Franzosen auf die auffallendste Weise, und cs war nicht das Kunst¬ werk selbst, nicht der — wohl zu ersetzende — irdische Wert, was man anschlug, sondern es war das heilige Gefühl tiesgekrünkter Ehre, was sich in allen Gemütern regte. Bei dem Raube aber hatten die Fran¬ Stange stehen gelassen, an welcher die Göttin befestigt war, gleichsam als hätten sie de» Berlinern einen Stachel in die Seele setzen wollen, um sie für und für zu quälen. Gewiß ist wenigstens, daß diese Stange jeden, der das Thor erblickte, schmerzlich reizte und an die erduldete Schmach dergestalt mahnte, daß auch die Zeit die brennende Wunde nicht zu heilen vermochte. Nun aber wurden die herrlichen Siege in dem heiligen Kriege erkämpft, und unter anderen ftohen Aussichten erhob sich auch die gewisse Hoffnung an die Rückkehr der geraubten Viktoria. Da mahnte Herr Geh. Rat (Friedrich August) Wolf in folgendem Epigramm in lateinischer und deutscher Sprache in einer Berliner Zeitung — hier nicht ohne Verbesserung vom Verfasser wiedergegeben — auch für die Zukunft an gleichen Mut und Hochsinn zosen die eiserne

gewesen

Verantwortlicher Redakteur:

vr. M. Folticiiieano,

gegen ausländische Herrscherci und Gewalt, als wodurch jetzt die hehre

Göttin und die heilige Freiheit wieder errungen waren: Luspis portas Lrandsnburgieas. . Lxstans niagnaniman pupugj probe aculeus urbem: Post pungam latitans huc redeunte Dea. Das Brandenburger Thor. Nagend reizte mit Macht mein Stachel die edlen Berliner: Reiz' er sie ferner versteckt, kehrt mir die Göttin zurück. Bekanntlich ist nun die Viktoria unter sinnvollem Jubel zurück¬ gekommen! man hatte sie wieder aufgestellt, sinnvoll verändert, allein verhüllt durch eine Art von Zelt, war sie den Augen verborgen geblieben. Als aber der König am 7. August an der Spitze der Garden" sich dem Thore nahete, welches wie ein schöner Triumphbogen geschmückt war, da fiel plötzlich die Decke, und die Güttin stand da in ihrer ganzen Herrlichkeit. Sinnige Männer haben uns versichert, daß unter allen Anstalten, welche man mit Geist und Geschmack zur Feier dieses glor¬ reichen Festes getroffen hatte, nichts so tief und allgewaltig die Seele fühlender Menschen ergriffen habe, als diese plötzliche Erscheinung der Viktoria." Rritrndr Artillerie. — Wenn auch bereits im Jahre 1544 der Graf von Eughien in der Schlacht bei Cerisoles, wenn auch der Große Kurfürst 1675 gegen die Schweden nicht nur mit Pferden bespannte Kanonen, sondern auch eine Artilleriebedienung zu Pferde hatte, so verlor sich doch dieser Gebrauch wieder, und Friedrich dem Großen war es vorbehalten, im Jahre 1759 der eigentliche Erfinder der reitenden Artillerie zu werden, eine Ehre, die ihm übrigens sein Bruder Heinrich streitig machte. Er ließ durch den Artillerieoberst Karl Philipp von Anhalt aus Dragonern und Artilleristen eine Brigade von zehn scchspfündigen Kanonen in Landeshut, eine andere in Leipzig errichten und dann auch durch diesen befehligen. Nach dem Hnbertusburgcr Frieden ahmten dies Oestcrreicher, Sachsen, Russen u. s. w. nach. Im Jahre 1785 sah Lafayette bei den großen Potsdamer Manövern diesen Gebrauch und verpflanzte ihn nach Frankreich. Napoleon I. vervollkommnete dann die reitende Artillerie, die seine Lieblingswaffe wurde. Eine andere wichtige, zuerst in Preußen eingeführte Aenderung war die, daß die Fahrer nicht dem Train entnommen wurden, sondern geübte Artilleristen waren.

Französisch und deutsch. — Der Erzieher des jungen Grafen von Einsiedel in Dresden machte im Jahre 1811 eine Reise nach Berlin und besuchte auch den Schloßgarten in Charlottenburg. Da er gern den daselbst anwesenden König von Preußen gesehen hätte, er¬ kundigte er sich bei einem spazierengchendcn Offizier, ob es erlaubt sei, die hohen Herrschaften von einer Galerie aus speisen zu sehen. Er stellte diese Frage nach damaliger Dresdener Sitte in französischer Sprache. Anstatt einer Antwort fragte ihm der Offizier in deutscher Sprache: „Sind Sie ein Franzose?" „Nein, mein Herr, ich bin ein Sachse." „Nun, dann begreife ich nicht, wie Sie Ihre Muttersprache und Ihr Vaterland so verachten können, daß Sie hier in Deutschland französisch sprechen." In dieseni Augenblick näherte sich mit tiefer Ver¬ beugung ein Kammcrherr und fragte: „Befehlen Euer Majestät, daß angerichtet werden soll?" Friedrich Wilhelm drehte sich zu dem ver¬ blüfften Kandidaten um und sagte in seiner abgebrochenen Manier: „Haben wollen den König sehen — haben nun auch gesprochen — gut deutsch bleiben!" Dann schritt er langsam weiter. Nach Dresden zurück¬ gekehrt, teilte der Erzieher fein Erlebnis seinen Freunden Theodor Körner und Friedrich Förster mit. Alle drei verfaßten in auflodernder Be¬ geisterung und Verehrung für den deutschen König ein Gedicht, dessen Schlußstrophe lautete: Wir sehn im Geist schon Deine Adler fliegen. Ruf Deutschland auf zum Kampf, und Du wirst siegen! Dieses Gedicht sendeten sie Friedrich Wilhelm III. zu, und dieser autivortetc mit einem Kabincttschrcibcu, in dem er seinen Dank aus¬ sprach und nochmals ermahnte, „die deutsche Sprache in Ehren zu halten."

Gute Beköstigung, lim ein Gelübde zu erfüllen, gründete Luise Henriette, die erste Gemahlin des Großen Kurfürsten, das Waisen¬ haus in Oranienburg und stellte die Urkunde darüber am 25. Sep¬ tember 1665 aus. Außer anderen Bestimmungen enthielt die Urkunde folgendes: „Es soll der Waysen Vater darauf sehen, daß sie allemahl zu rechter Zeit, als des Mittags zu Eilff und des Abends zu Sechs Uhren, die Knabens an einem und die Metchcns an einem andern Tische gespeist werden, da er dann selbst an der Tafell speisen und darauf sehen soll, daß alles ordentlich und bescheidcutlich unter Ihnen zugehe. Die Speisung soll folgender gestalt beschaffen seyn. Auff jeder Tafell sollen die Schüsseln dcrgestallt aufgerichtet seyn, daß sie zur genüge gesättigt werden können, die erste Schüssel soll nach gelegenheit der Zeit von Kohl, Erbsen, Reiß, Hirse, Grütze, Milch, Biersuppen und dergleichen sey», die zweite Schüssel des Sonntags, Dienstags und Donnerstags gekochtes Fleisch, einmal ftisch, das andermahl gepöckelt, die dritte Schüssel soll des Sonntags zu Mittage ein Braten, entweder Rinder, Hammel, Schweine oder dergleichen Braten seyn. Die andern Tage ein Gemüse von gebackenem Obst, Pflaumen, Rüben oder auch Fische oder von Eyer»! des Montags, Mittwochs, Frcytags und Sonnabendts zu Mittage wird anstat des Fleisches eine Schüssel entweder frische oder gedörrte Fische gegeben, und zum Frühstück ein Schnittchen Brodt und ein wenig Käse "dabey. Das Getränke soll Ihnen über essen zum durst nothdürfftig gegeben werden, und soll das Bier von Anderthalb Scheffel auff die tonne gcbrowen ivcrden. So bald sie abgespeiset, sollen alle¬ mahl zwey von den knaben und zwo von den Mctchens, welches alle wochen umbwechseln soll, die Speisen heraustragen, wovon der Knecht und die Mägde sich sättigen, und wenn etwas verübrigt wird, solches sofort den armen ausgetheilt und nicht auffgehoben werden. — Die Waysen Mutter soll sorge tragen for alle Waysen Knaben und Metchens, daß Ihre Speise recht zugerichtet werde."

Skiern. — Druck u»d «erlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenburger Striche 14a.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. InstvtzlMA.

|ll\

Sonnabend. 28. Oktober 1899.

43.

--

Homatt von Rudolf Llcho. (Fonschung.)

-...

ald sang der Kanarienvogel in seinem Bauer so kni, daß Bettina ihn entfernen lassen mußte, bald kamen die Kinder herein und richteten eine Frage an sie, ja selbst das Ticken der Wanduhr wirkte zuweilen so störend, daß sie die Be¬ wegung des Pendels hemmte. War dann völlige Stille ein¬ getreten, und sie setzte von neuem die Feder an, so genügte zuweilen

Seeschlacht am Cap St. Vincent.

-

zum lleberdrnß oft besprochen haben. Ach, wie einförmig und inhaltlos ist doch das Leben einer Frau! — diesen trüben Tagen, da Bettina etwas wie eine geistige Ohnmacht verspürte, wurde sie durch den Besuch jener Justizrätin angenehm überrascht, die ihr in Brnnshaupten als Zimmernach¬ barin oft lästig gefallen war. Endlich eine Abwechslung im Einerlei

In

(Nach einem Aquarell von

ein Blick auf ein Bild oder eine Statuette, um eine Gedankenentgleisung herbeizuführen. Diese vergeblichen Anläufe ermüdeten sie bald und weckten in ihr eine trübe, verzweifelte Stimmung, die noch durch die regnerischen Novembertage gesteigert wurde. Um ihre Hoffnung, daß die schön und behaglich eingerichtete Wohnung ihre Phantasie und Geftaltungsgabe beleben werde, sah sie sich be¬ trogen, und mit einem schweren Seufzer gestand sie sich: Die Freude am langersehnten Besitz ist von kurzer Dauer, und ich muß zu meiner Enttäuschung erkennen, daß die Inspiration sich nicht durch stil¬

volle Zimmereinrichtungen heraufbeschwören läßt. Was mir fehlt, ist geistige Anregung. Bei Konrad suche ich sie vergeblich! denn wenn er vom Bauplatz oder aus dem Arbeitszimmer zum Abendtisch. kommt, ist er müde und schweigsam, oder wenn ich ein Gespräch glücklich in Gang gebracht habe, so lenkt er es auf seine Bauten, auf Kindererziehung und andere Dinge, die wir

Hans Hörnigk.)

ihres Familienlebens! Die Dame war nach Berlin gekommen, um eine jung verheiratete Nichte zu besuchen und wollte — wie sie scherzend bemerkte — bei dieser Gelegenheit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und auch die angenehme Badebekannischaft erneuern. Sie war durch Bettinas herrlichen Salon geschritten, ohne mit einem Wort oder einer Miene zu verraten, daß sie un¬ erwartet schöne Eindrücke empfangen. Nach Art vieler Provinzialen hatte die Dame sich beim Betreten Berlins das „Nil admirari“ zum Grundsatz gemacht, in der Furcht, man könnte sie für eine naive Kleinstädterin halten, wenn sie bei der Betrachtung von neuen und schönen Erscheinungen ein Wort der Anerkennung von sich gäbe. So schritt sie an Bettinas Seite durch den Salon mit einer Miene, als ob sie in fürstlichen Pracht¬ räumen zu leben gewohnt sei; als sie sich aber im Studio nieder¬ gelassen, bemerkte die Hausfrau zu ihrer Belustigung, mit welch großen

678

Augen die Besucherin ihre Umgebung betrachtete, sobald sie sich un¬ im Laufe des Gesprächs den Wunsch, einer Sitzung im Reichstag beiwohnen zu dürfen, und Bettina, welche wußte, daß ihr Mann mit einem der Abgeordneten befreundet war, glaubte ihr das Versprechen geben zu dürfen, sie schon am nächsten Morgen auf die Zuschauertribüne führen zu können. Als beide Frauen zur bestimmten Zeit dem Reichstagshaus entgegenfuhren, fielen leise und langsam die ersten Schneeflocken auf die Straßen nieder und kündigten den Winter an. Der Wagen fuhr durch die Siegesallee, und als Bettina ihre Blicke auf den entlaubten Tiergarten und den weiten Königsplatz schweifen ließ, verliehen die vom grauen Himmel herniederwirbelnden Flocken der Natur einen geheimnisvollen, romantischen Reiz. Ja, es war ihr beim Anhalten des rollenden Wagens und Durchschreiten des hohen Portals seltsam feierlich zu Mute, und als sie in der grandiosen Wandelhalle einem der Thürsteher ihre Karte abgab, mit der Bitte, diese dem Wgeordneten Z. zu überbringen, war ein leises Beben beobachtet glaubte. Diese äußerte

in ihrer Stimme. Der herbeigerufene Parlamentarier

erschien nach einer Weile, begrüßte sie in freundlicher Weise und führte sie zu der für die Angehörigen der Mitglieder der Hauses bestimmten Galerie. Da die beiden Frauen den Gegenstand der Verhandlung nicht kannten, so ließen sie zuerst ihre Blicke über die architektonischen Formen des Saales und über die Versammlung gleiten, bevor sie sich dem Redner zuwandten, der zum Etat der Reichspostverwaltung sprach und sich als ein Gegner der Verwendung von Frauen im Post-, Telephon- und Telegraphendienst zu erkennen gab; dabei gefiel er sich in spöttischen Ausfüllen auf die Frauenemanzipation. Als er geendet, erteilte der Präsident dem Abgeordneten Haller das Wort, und eine vor Bettina sitzende Dame sagte zu ihrem Begleiter: „Endlich einer, der reden kann!" Es ging ein Summen durchs Haus, das an Waldesrauschen erinnerte, dann vernahm Bettina mitten aus der Versammlung eine Stimme, die ein freu¬ diges Erschrecken in ihr hervorrief. Sie wandte die Blicke dahin, woher sie kam, und vernahm gleichzeitig den Ausruf der Justiz¬ rätin: „Ei Herrjeh, das ist ja unser Reisegefährte." Ja, da stand er hoch aufgerichtet in der Versammlung und warf in kecker, her¬ ausfordernder Bewegung den Kopf in den Nacken. Schon bei seinen ersten Worten erstarb das Geräusch im Saal, und alle Blicke wandten sich ihm aufmerksam zu. Bettina weidete sich zuerst au seiner ritterlichen Erscheinung, dem Klang seiner sonoren Stimme, bevor sie auf den Sinn seiner Worte achtete; sie wurde aber dann gefesselt, als Haller dem Vorredner, der ein Professor war, mit starker Stimme zurief: „Professoren- und Kathederweisheit scheitern in der Regel am gesunden Menschenverstand!"

Zu Bettinas inniger Genugthuung nahm

sich

der Redner

mit

großem Eifer der Frauen an, wies mit Sarkasmus die Bedenken seines Gegners zurück und forderte Gleichberechtigung beider Ge¬ schlechter auf dem Arbeitsselde. Seine Rede wurde zum glänzenden Plaidoyer für die unterdrückte Frau. Er erinnerte die Versammlung daran, daß die Männer mit Abscheu auf die aus den Kultur-

allzulange verschwundene Leibeigenschaft und Sklaverei zurückblickten, und doch verlangten die Enkel.der Befreiten noch immer von der Frau nicht nur Gehorsam, sondern auch die völlige Verleugnung ihrer Gefühle und berechtigten Ansprüche ans Leben. Er geißelte die männliche Selbstsucht und warf denen, die dem Weib das Recht auf Erwerb verkümmerten, und die es an der Verwertung seiner Fähigkeiten hinderten, mit aller Schürfe vor, daß sie hinter dem humanen Geist der Zeit zurückgeblieben, daß sie Ungerechte seien, die an Stelle des Rechts die Gewalt setzten. Er forderte zum Schluß völlige Gleichstellung der Ge¬ schlechter und Zulassung der Frauen zu allen bisher vom starken Geschlecht monopolisierten Stellungen. Bettina war von Hallers Rede ganz entzückt, und sie hätte ihm wiederholt zurufen mögen: „Mir aus der Seele gesprochen!" Auch die Justizrätin teilte ihren Enthusiasmus, trotzdem Haller auf starken Widerspruch stieß. Als dieser daher seinen Platz ver¬ ließ und sich gar nicht um den nachfolgenden Sprecher bekümmerte, der sich in langen Betrachtungen über die Inferiorität weiblicher Begabung erging, sagte die Justizrätin zu Bettina: „Wollen wer nicht unserem Reisegefährten was Angenehmes sagen?" staaten

noch

nicht

Die beiden Frauen trafen Haller vor dem Eingang derRestauration. Bettina mit freudestrahlendem Gesicht entgegen und sagte lachend: „Sie traten wohl ins Haus, um mich zu inspirieren? Als ich Sie erblickte, rief eine Stimme in mir: Die Frauen verdienen es, daß man sie vor Unterdrückung schütze." „O, Ihre Rede war herrlich!" — Dieser Ausruf hatte einen schwärmerischen Klang, und als Bettina Haller beide Hände ent¬ gegenstreckte, umfaßte dieser mit den Blicken ihre schlanke, anmutige

Als

dieser sie bemerkte, eilte er

Gestalt, den Blondkopf, der wie eine frisch erblühte Rose aus dem weichen dunklen Skunkspelz ihrer Winterjacke hervorschaute, und die leuchtenden Blauaugen: O, sie ist bewunderungswürdig! hätte er ausrufen mögen; aber er unterdrückte dies Echo, küßte ihre Hände und sagte leise: „Ihr Lob macht mich sehr glücklich."

Bettina ivollte sich nun verabschieden, Haller aber ließ sie nicht . . „O, nein," sagte er lachend, „unser frohes Wiedersehen muß doch durch einen Trunk gefeiert werden, nicht wahr, Frau Justizrätin? Sie kennen wahrscheinlich diese Räume noch nicht, die eine Sehenswürdigkeit sind. Bitte, schenken sie mir noch einige Minuten. Ich lasse Sie nicht eher, als bis Sie ein Glas Wein mit mir geleert haben." los

.

Zögernd folgten ihm die beiden Damen in die schön aus¬ Restaurationsräume. Im großen Speisesaal waren einige Tische mit Parlamentariern besetzt. Als die Damen schüchtern vorüberhuschten, vernahmen sie ans einer Herrengruppe den Zuruf: „Haller, wir trinken eben ein Siegesseidel auf Dein Wohl!" gestatteten

Der Angerufene dankte mit einem Scherzwort und führte die Damen zu einem traulichen Winkel der Trinkstube hin, wo sie sich behaglich fühlten. Hier waren sie nicht den Blicken so vieler Herren ausgesetzt, wie im großen Speisesaal. Haller ließ einen Imbiß sowie eine Flasche Wein auftragen, voll und sagte: „Dies ist ein wahrer Glückstag,

goß die Gläser

und wenn es meinen liebenswürdigen Reisegefährtinnen so hoff¬ nungsfroh ums Herz ist wie mir, dann trinken wir dies Glas mit dem Wunsche, daß unser gemeinschaftlicher Ausflug nach Wismar der Anfang zu einer langen gemeinsamen Lebensfahrt gewesen sein möchte. Auf gute Freundschaft!"

Die Gläser klangen zusammen, und Haller warf Bettina einen glutvollen Blick zu, daß sie errötend die Augen schloß. Es kam nun eine lebhafte Unterhaltung in Gang, bei welcher Bettina über Hallers und dieser über Bettinas Lebensstellung und Verhältnisse Aufschlüsse erhielt. Haller bat um die Erlaubnis, ihr seine Frau vorstellen zu dürfen, und diese erwiderte, daß sein Besuch sie wie ihren Mann sehr erfreuen würde. In angeregter Unterhaltung, bei welcher Haller durch seinen Frohsinn und Witz in beiden Damen die heiterste Stimmung weckte und sie zur Offenbarung ihrer eigensten Natur mitfortriß, floß eine Stunde hin. Als sie dann das Reichstagshaus verließen und sich vor dem Branden¬ burger Thor trennten, sagte sich Bettina: dies Erlebnis wird lange, lange fortleben in meiner Erinnerung. so

V. Am Tag nach diesem denkwürdigen Ereignis erzählte Bettina ihrem Gatten, daß sie eine Reisebekanntschaft im Reichstag er¬ neuert habe. Als sie nun ihren Ausflug nach Wismar schilderte und dann mit Bewunderung von Hallers Rede über die Gleich¬ berechtigung der Frauen sprach, wunderte sich der Baumeister, daß sie von dem Erlebnis nicht früher gesprochen habe und erwiderte dann in trockenem Tone: „Es sind manchmal recht lockere Vögel, die so Bon diesem Haller hörte ich sagen, daß er ein sehr schön singen. flottes Leben führe und seine großen Fähigkeiten in den Dienst der ärgsten Gauner stelle."

„Davon glaube ich kein Wort," unterbrach ihn Bettina und hatte Mühe, ihre Entrüstung zu verbergen. „Hättest Du gestern seine Rede gehört, Konrad, so würdest Du nicht so abscheuliche Dinge weiter erzählen. Uebrigens wirst Du Dich bald selbst überzeugen, daß vor einem Mann seines Schlags jede Verlästerung Halt machen muß. In seiner Haltung und Sprache prägt sich der Adel seines Wesens mit überzeugender Klarheit aus. Er wird uns in den nächsten Tagen besuchen und uns seine Frau vorstellen."

679

„Ah,

des Raumes einnehmende Büchertisch war mit Aktenstücken, Büchern, Parlamentsberichten und Photographien überhäuft, und selbst die hochlehnigen Sessel und Stühle dienten zur Niederlage von Schriften, Paketen und Kleidungsstücken.

er ist verheiratet?"

„Und Vater dreier Töchter, von denen die Aclteste bereits im heiratsfähigen Alter steht." Nach dieser Erklärung sah Geisler dem Bestich der Hallers beruhigt entgegen, und als dieser am nächsten Sonntag erfolgte, stimmte er insgeheim Bettinas Ansicht bei, daß Haller unmöglich zu den Männern gehören könne, die gegen ihre Ueberzeugung handelten. Es lag so viel männliche Würde in seiner Haltung und seinem Benehmen, er offenbarte in der Unterhaltung so viel frischen Humor und doch eine gewisse Bescheidenheit in der Ver¬ teidigung seiner Ansichten, daß auch Geisler den Eindruck empfing, einer durchaus wahrhaften und liebenswürdigen Persönlichkeil gegenüberzustehen. Auch Frau Lona Haller gefiel ihm. Sie war von kleiner, zierlicher Statur und hatte ein feingeschnittenes, von schwarzem Haar umrahmtes Gesicht, dessen Blässe auffiel. Ihre

„Aha, hier ist wieder einmal nicht aufgeräumt," rief Haller und beeilte sich, Stühle für seine Gäste frei zu machen, wobei er die Gegenstände sorglos auf seinen Schreibtisch warf. „Meine Thätigkeit ist eine so vielseitige und angestrengte, daß ich selber keine Zeit zur Ordnung all der Dinge finde: gestatte ich aber dem Dienstmädchen, hier einzugreifen, so würde für mich das Chaos hereinbrechen." Bettina betrachtete verwundert die Porträtbüsten, Gemälde, Photographien und bemerkte dann in scherzhaftem Tone: „Ihre künstlerischen Neigungen scheinen denen des Bayernkönigs Ludwigs I. gleich zu kommen; denn Sie haben sich eine Schönheitsgalerie

dunklen Augen besaßen zumeist einen scharfen, forschenden Ausdruck, zuweilen aber leuchteten sic spöttisch auf, und ein höhnisches Lächeln zuckte um ihre schmalen Lippen. Sie sprach wenig, wenn es aber geschah, so war ihre Bemerkung kurz, treffend und manchmal recht sarkastisch. Sie machte auf Geisler deu Eindruck einer geistvollen Frau, die sich au der Seite ihres Mannes daran gewöhnt hatte, eine beobachtende Stellung einzunehmen und die Erscheinungen des Lebens mißtrauisch zu prüfen. Bettina begegnete der Frau mit viel Höflichkeit und freundlichem Entgegenkommen, gewann aber die Ueberzeugung, daß sie nüchtern, kaltherzig und ganz ungeeignet sei, einen hochherzigen Mann wie Gregor Haller zu beglücken. Dieser bat beim Abschied in herzlichem Ton, Frau Bettina und ihr Gatte möchten fich betreffs des freundschaftlichen Verkehrs, auf den er hoffe, nicht bei der Vorrede, dem traditionellen Gegenbesuch, auf¬ halten, sondern gleich am nächsten jour fixe, zu dem während des Winters allwöchentlich der Sonnabend bestimmt sei, sein Haus

angelegt."

Ohne eine Spur von Verlegenheit zu zeigen, erwiderte Haller: unserm Hause verkehren viele Künstlerinnen, die mich durch ihr Bildnis erfreuten. Ich liebe die Schönheit, wo immer sie erscheinen mag. Beweise dafür mögen ihnen diese Landschafts¬

„In

bilder geben."

Haller rückte eine Staffelei aus Ebenholz zu Bettinas Sessel hin und zeigte ihr eine Reihe von Stichen, Radierungen und Aqua¬ rellen, die er als Geschenke ihm befreundeter rheinischer Künstler bezeichnete.

Die Betrachtung dieser Blätter wurde durch den Eintritt der Frau des Hauses und ihrer ältesten Tochter unterbrochen. Beide erschienen in auffallender, etwas befremdlicher Gesellschaftstoilette. Frau Lona trug eine schwarze Sammetrobe mit einem Tablier aus Silbertaft, dessen Rand mit roten Mohnblumen besetzt war. In ihrem dunklen Haar blitzte ein Halbmond aus Brillanten. Ihre kaum sechzehnjährige Tochter Hermine war mit einer feuerroten, in der Taille von einem Goldgürtel umspanten Bluse und einem russisch-grünen Faltcnrock bekleidet. Ihre wirren, tiefschwarzen Locken hatte sie mit einem Busch von Flatterrosen geschmückt. Mutter und

besuchen.

Die Geislers sagten zu und erschienen am Sonnabend zu der üblichen Besuchszeit in der im Zentrum der Stadt belegenen Wohnung Hallers. Zu ihrer Ueberraschung fanden sie die breiten Garderobehalter im Vorzimmer noch leer und den Salon dunkel. Sie waren die ersten Besucher. Nachdem das Dienstmädchen im geräumigen Salon die Flammen des Kronleuchters entzündet hatte, bemerkte sic mit einem Lächeln, das nicht ganz frei von Spott war, sie werde den Besuch dem Herrn melden denn die gnädige Frau und das gnädige Fräulein seien noch bei der Toilette.

Tochter waren von jener phantastischen, zigeunerhaften Schönheit, welche auffällt und zur Kritik herausfordert. Bettinas scharfes Auge entdeckte sofort, daß die Anzüge beider Frauen nicht flecken¬ los waren, und die Sorglosigkeit, mit der sie Toilette gemacht, sowie die Nonchalance ihres Benehmens ließen vermuten, daß sie gewohnt waren, sich in durchaus vorurteisfreier Gesellschaft zu

Eine Viertelstunde verging, dann erschien Gregor Haller mit strahlendem Lächeln auf der Schwelle und streckte seinen Gästen beide Hände entgegen. „Willkommen! Herzlich willkommen!" rief er mit dem Ausdruck innigster Freude. „Unbekannt mit den gesellschaftlichen Gepflogenheiten Hauses, find wir viel zu früh gekommen, wie mir scheint." Diese Entschuldigung Lachen auf. „Nicht Sie, sondern

Geislers

wir

nahm

bewegen.

Diese Vermutung Bettinas fand bald durch das Eintreffen der Gäste ihre Bestätigung. Nach zehn Uhr füllten sich die Ge¬ sellschaftsräume mit einer bunt zusammengewürfelten Menge. Zuerst trafen Marine- und Kavallerie-Ofsiziere ein, dann Parlamentarier und Advokaten. Nach zehn Uhr begrüßte der Hausherr mit einer gewissen Feierlichkeit zwei Konzertsängerinnen, die in Begleitung Gegen elf Uhr zweier Klavicrvirtuosen von Ruf erschienen. vernahm man vom Borzimmer her ein lautes Stimmgewirr und schallende Lachsalven. Die Thüren sprangen weit aus, und herein¬

Ihres

Haller mit breitem

haben um Verzeihung zu bitten.

Leider trifft die Mehrzahl unserer Gäste erst nach dem Theater oder Konzert hier ein. Es verkehren nämlich zumeist Künstler oder Litteraten bei uns. Ich aber halte es mit jener lykischen Gemeinde, die den heiligen Nikolaus deshalb zum Bischof von Myra machte, weil er zuerst die Kirche betrat, um am heiligen Gottesdienst teil¬ zunehmen. Die ersten Gäste sind mir die liebsten. Darf ich Sie, bis meine Frau kommt, in mein Arbeitszimmer führen? Es plaudert sich da angenehmer, auch werden Sie einige Bilder, Stiche und Büsten finden, die der Betrachtung wert sind."

Haller führte seine Gäste durch ein geräumiges Musikzimmer, das nichts weiter enthielt als einen Konzertflügel, zwei Notenständer und eine Meuge einfacher, zum Teil beschädigter Rohrstühle. Das Arbeitszimmer des Rechtsanwalts dagegen machte einen weit be¬ haglicheren Eindruck als der Salon, dessen Einrichtung an die verblaßte Eleganz stark besuchter Hotels erinnerte. Das Studio war gut erwärmt und hell beleuchtet, in dem englischen Kamin glühte ein knisterndes Kohlenfeuer, und von den beiden Borten der Täfelung, sowie der hohen Umrahmung einer fast die ganze Längs¬ wand bedeckenden Büchersammlung grüßten Waffen und Rüstungen, Marmorbüsten und Terrakotten die Eintretenden. Der die Mitte

brach ein ganzer Schwarm von kecken Schauspielerinnen, die von den anwesenden Offizieren freudig begrüßt wurden. Ihnen folgten

zwei Malerinnen, die mehr um ihrer Schönheit als ihrer Kunst willen gefeiert wurden, umgeben von einer Schar von Sängern, Schauspielern und Journalisten.

Salon und das Musikzimmer von lachenden, Gästen überfüllt war, reichte der Hausherr einer Dame von üppigen Körperformen den Arm und bahnte ihr einen Weg zum Flügel. Hier wandte sich Haller seinen Gästen zu und verkündete mit schallender Stimme, daß die in zwei Weltteilen gefeierte Sängerin — er nannte einen klangvollen Namen — seine verehrten Gäste durch den Vortrag der Arie „Una voce poco fa u erfreuen werde. — Ein junger Klavierspieler nahm an dem Konzertflügel Platz, und die Diva ließ die Hörer in allen Reizen des Bel Canto schwelgen.

Als

der

schwatzenden

>

Ein Sturm des Beifalls folgte der virtuosen Leistung. Neben Bettina aber stand ein als Witzbold gefürchteter Rechtsanwalt, der kaum das Erlöschen der Ovation abwarten konnte, um das auf

!

680

die Alboni

Mot der umjubelten Sängerin anzuheften: der eine Nachtigall verschluckt hat."

gemünzte

„Ein Elephant,

Bettina betrachtete die plumpe Gestalt des Spottsüchtigen, Citat als witziger Einfall sofort belacht und weiter getragen wurde, und gestand sich, das; der Mann eher einem Elephanten glich als die Künstlerin; freilich kam er nicht in den Verdacht, eine Nachtigall verschluckt zu haben, denn seine Stimme klang rauh und wie das Bellen einer Bulldogge. Kaum hatte sich die Diva in den Salon zurückbegeben, so kündigte der Hausherr einen zweiten Kunstgenuß an. Der be¬ rühmte Pianist und Komponist-Wladimir X. wollte die Gesellschaft dessen

durch seine „Phantasicgestalten" erfreuen.

„O weh!" hörte Bettina hinter ihrem Stuhl einen Maler „nun müssen wir das nächste Restaurant aussuchen; denn wer das Ende dieser musikalischen Produktion abwarten will, ist seufzen,

unrettbar dem Hungertod verfallen. Diese Prophezeiung schien sich erfüllen zu wollen; denn der Pole gehörte zu den Menschen, die keinen größeren musikalischen Genuß kennen als den, sich selber spielen zu hören. Bettina, welche dem Flügel sehr nahe saß, vernahm zu ihrer Verwunderung, daß der große Wladimir sein Spiel mit halblauten Bemerkungen in französischer Sprache begleitete. War ihm eine Passage be¬ sonders gelungen, so schaute er in völliger Verzückung zur Decke ans und hauchte: „bravissimo, Vladimir, c’est merveilleux!" Mißlang ihm aber etwas, so rief er: „Pas de chance!" oder „Tu es maladroit, Vladimir!" — Diese Selbstkritik des Pianisten belustigte Bettina so sehr, daß sie die Länge seines Vortrags nicht so peinlich empfand, wie die Mehrzahl der übrigen Hörer. Als die „Phantasiegestalten" endlich im Pianissimo eines „Elfcngestüsters" dem Ohr des Hörers entschwanden, gab Haller mit einem lauten Superbe! das Signal zur levee en masse. Die Gäste erhoben sich, applaudierten und umringten den Virtuosen, um ihm die kunstfertigen Hände zu schütteln. Geister aber flüsterte seiner Frau zu: „Aha, diese Enthusiasten fürchten, der Tasten¬ schläger könne das grausame Spiel fortsetzen." edle

Diese Gefahr wurde durch die Aufforderung der Hausfrau, den Speisesaal zu folgen, beschworen. Hastig drängten die meisten Gäste dem breiten Ansgang zu, im Hintergründe des Musikzimmers aber vernahm man plötzlich schallendes Gelächter. Als die Geislers sich verwundert umschauten, bemerkten sie, daß drei Spaßvögel eine Ohnmacht fingierten, während ein beliebter Komiker mit allen Zeichen großer Bestürzung und Aufregung nach Wasser schrie, und dann, als ein Anfwärter ihm eine Flasche reichte, die Gesichter der Ohnmächtigen mit der Flüssigkeit so lange bespritzte, bis diese erwachten und unisono im Grabeston riefen: „Brot — Brot!

ihr in

Mich hungert!"

ständnisvollen Damen mit Besorgnis zu dem „Meister" hinüber; denn sie erriet sofort, daß dieser gehänselt werde. Zu ihrer Ver¬ blüffung aber bemerkte sie, daß Wladimir die zuerteilte Schellen¬ kappe als Ruhmeskranz mit strahlendem Gesicht und dem Ausruf:

„Vraiment, c’est tres bien dit!“ entgegennahm. Kurz bevor die Tafel aufgehoben wurde, erhob sich noch eine Dame, um die hochherzige Art zu rühmen, in der sich jüngst der Hausherr im Reichstage der Frauen angenommen habe. „Gregor Haller" — so. sagte sic — „ist ein Rechtsanwalt im besten Sinne des Wortes, denn er schließt das Frauenrecht nicht aus." Ihr Hoch galt dem Wohlthäter des unterdrückten Geschlechts. Lärmend und jubelnd umdrängte die Gesellschaft den Gefeierten, um mit ihm anzustoßen. Dieser aber nahm eine bescheidene Haltung an, und als der Sturm der Begeisterung vorüber gebraust war, sagte er mit schallender Stimme: „Man hat mich eben einen Wohlthäter genannt. Nun es giebt deren viele, die der Wohlthat in Gedanken jenes Gebot des Satans hinzufügen: „Knie nieder und bete mich an." So hoch ich nun immer die Anbetung schöner Frauen schätze, so muß ich in diesem Falle doch auf sie verzichten, denn das Gute muß seiner selbst willen gethan werden. Ich möchte allen Frauen zurufen: „Steht auf und lebt Euer eigenes Leben!"

Er richtete bei

diesen Worten seine Blicke auf Bettina, und fühlte sich bewegt und erhoben. Als Lona Haller jetzt auf¬ stand, rief sie dieser zu: „Wie stolz müssen Sie sein!" diese

Lona sah

sie

verständnislos an und sagte:

„Run, auf Ihren Gatten. gehört und war entzückt,

„So, so!"

Ich habe

„Worauf?"

seine

Rcichstagsrede

hingerissen-"

bemerkte Lona,

und um ihre Lippen zuckte ein

spöttisches Lächeln.

Kraft."-Sie

„Ja, in seinen Reden liegt snggestieve brach ab und wandte sich einem jungen Leutnant zu, der eben die Frage stellte, ob schon getanzt werden dürfte. Der Speisesaal und das Musikzimmer wurden mit Hilfe der Tanzlustigen in wenigen Minuten ausgeräumt, und gleich darauf ertönte vom Flügel her eine verlockende Walzermelodie. Als die Geislers sich vom Hausherrn verabschieden wollten, sagte dieser scherzend zu Bettina: „Ich lasse Sie nicht eher über die Schwelle, als bis Sie mit mir einen Walzer getanzt haben."

verwirrt und errötend nach ihrem Gatten um, — „Sie werden doch unserm Beispiele folgen, Herr Baumeister?" rief Haller diesem zu, indem er seinen Arm um Bettinas graziöse Gestalt legte. „Mein Mann tanzt nicht," bemerkte seine Partnerin leise, indem sie die Füßte regte, und Haller erwiderte: „Dann ist er sehr zu beklagen. Für mich ist heute noch, wie in meinen Jngendtagen, der Tanz mit einer sympathischen Frau die entzückendste Bewegung." Sie

der

sah sich

ihr freundlich

zunickte.

Bei Tisch ging es lustig her. Ein ganzer Schwarm von Lohndienern trug die Speisen und Getränke auf, und die Tischgäste, welche nach freier Wahl ihre Plätze einnahmen, griffen tapfer zu und kamen bald in jene gehobene Stimmung, in welcher die Zunge jedem kecken Einfall gehorcht und über die Schranken gesell¬ schaftlicher Konvenienz hinweg springt. Geister und Bettina faßen dem Hausherrn gegenüber, der die Primadonna zu Tische geführt hatte. Bettinas Machbar zur Linken war der Pianist Wladimir. Gregor Haller brachte den ersten Toast auf die beiden Künstler ans. Er faßte sich kurz, ließ es aber an Worten der Bewunderung und Verehrung nicht fehlen. Kaum war sein Hoch verklungen, so erhob sich ein übermütiger junger Klavierspieler, um dem Haus¬ herrn mit tiefernster Miene zu sagen, er habe in seiner Rede den hohen Rang und die gewaltige Bedeutung seines erhabenen Meisters nur angedeutet, nach seiner Ansicht verdiene der Gefeierte in der Musikgeschichte den Ehrennamen: Wladimir der Große.

„Wie Sie befehlen!" Er sagte das im Ton der Enttäuschung, und in Bettinas Innern regte sich warnend der Gedanke: Haller gehört zu den

Von allen Seiten erschallten Bravorufe, und Bettina blickte von den schelmisch blitzenden Augen der jungen Künstler und ver¬

dämonischen Männern, die man lieben muß.

Und auch Bettina sagte sich insgeheim, daß cs sie völlig von seinem Arm getragen, dahinznschweben, umspielt von der Stranßschen Walzermelodie mit ihrem wiegenden Rhytmen. Sie Hatte seit Jahren nicht mehr getanzt, und nun war es ihr, als läge etwas Lusterweckendes in der Luft, in den schmeichelnden Tönen, in der gemeinsamen Bewegung mit dem Manne, von dem sie sich mit einem leisen Erschauern sagte, daß in seinem Wesen etwas Gefährliches stecke. Als er pausierte und zu ihr mit einem dankbaren Blick sagte: „Das war himmlisch!" schreckte sie auf und sagte mit erglühendem Gesicht und in tiefer Verwirrung: „Run ist es aber Zeit, daß ich gehe! Bitte, bringen Sie mich zu meinem Mann zurück." berausche,

(Sortierung folgt.)

entweder fanatisch hassen oder

681

Berliner Wanvellrilder. Von

Georg Malkowsky. «^^ährend

der hnndertnndfünfzigste Geburtstag Goethes an der Reichshauptstadt ziemlich spurlos vorübergegangen ist, standen wir in der verflossenen Woche unter dem Zeichen der hundertjährigen Jubelfeier der Berliner technischen Hochschule. Flaggenmasten umsäumten die neu errichteten Statuen von Krupp und Siemens, und der Kaiser nahm unter einem Thronhimmel teil an der Huldigung, die der an dieser Stätte gepflegten und geförderten Entwickelung der Technik dargebracht ward. Die Masse der zur Feier versammelten Kommerziell- und Geheinien Kommer¬ zienräte war Legion, ihre Nainen zum Teil unbekannt, und die Sterne, die sie trugen, unzählbar. Was sie den Fortschritten der Technik zu danken haben, läßt sich ziffernmäßig in den Stiftungen, die sie der Hochschule dargebracht, feststellen. Wenn wir den Geschichtsphilosophen glauben dürfen, leben wir nun einmal in dem Jahrhundert der Technik, und da dieses Säknlnm soeben im Ablausen begriffen ist, muß es sich beeilen, dem Zweige mensch¬ lichen Könnens, dem es seinen Namen verdankt, eine Extraehrnng zu teil werden zu lassen. Der Kaiser aber hat in seiner Bewun¬ derung für die Fortschritte der Technik dieser eine besondere Ehrung zugedacht. Nachdem er den Rektor der technischen Hochschule vor Jahresfrist in das Herrenhaus berufen, erteilte er dieseni Institut nunmehr auch das Sonderrecht der alina mater, einen akademischen Grad zu erteilen. Der voetor rer. techn. stellt sich ebenbürtig neben die Kollegen der anderen Fakultäten. Auch dieses ist ein Zeichen der Zeit. Am Ende bedeutet es eine Annäherung der Erfahrnngswiffenschaften und Nutzkünste an die exakten Schwestern, und wir gehen schließlich doch im Kreislauf der Dinge einem philosophisch-künstlerischen Jahrhundert entgegen, das die Errungen¬ schaften seines Vorgängers sichtet und systematisch zusammeiisaßt. diesem Sinne begrüßen wir den nenerfundenen voetor rer. techn. mit kollegialer Freude, während der Magister des Tiefbaus oder der Lokomotive immerhin einen leisen Stich in Komische haben würde. Hier ließe sich nun manch ein kräftig philosophisch Wörtlcin anknüpfen über das Problem, inwieweit die Fortschritte der Technik zur Summe menschlichen Glücks und Wohlbefindens beigetragen haben; aber wir wollen das greifbar gute, das in der Reichs¬ hauptstadt so nahe liegt, nicht in der nebelhaften Ferne des spekulativen Denkens suchen. Es ist eine nicht zu leugnende That¬ sache: Berlin hat seit der Durchführung des elektrischen StraßenSichtbar bahnoerkehrs ein ganz anderes Aussehen gewonnen. Funken sprühend, sofern es sich um Oberleitung handelt, riechbar duftend, sobald die Akkumulatoren in Thätigkeit treten, sausen die eleganten Wagen von einem Ende der Stadt zum anderen und verbinden Gegenden, die sonst nichts von einander wußten, und Menschen, die sich bisher ohne Annäherungsbedürfnis ans dem Wege gingen. Wenn erst die direkte Verbindung zwischen Steglitz und dem Alexanderplatz in Form einer einzigen Zehn¬ pfennigtour hergestellt ist, wird der im vornehmen Westen wohnende Geheimrat nicht umhin können, mit dem im Osten in Schlafstelle liegenden Arbeiter Schulter an Schulter seinen Berufspflichten entgegenzueilen. Inzwischen verschwindet ans dem Straßenverkehr ein nicht elektrisch betriebenes Vehikel nach dem anderen. So ist in der vergangenen Woche ganz in der Stille der Dampfwagcn den Weg alles Irdischen gegangen. Roch vor einem Jahrzehnt hielt er be¬ schaulich vor einem Wirtshause in der Zietenstraße, das den be¬ ruhigenden Namen „Zur Dampfwalze" führte, und stampfte halb¬ stündlich in niäßigem Tempo nach Wilmersdorf, Schmargendorf u.s.w. hinaus, gelegentlich ans Wassermangel haltend, entgleisend oder auch ein ebenso langsam dahingondelndes Gefährt anrempelnd. Die Heizer haben diesem ins Ausgedinge kommenden Fortbewegnngsmittel ein frühzeitiges Ende bereitet. Ihnen paßte ihr minderwertiger Dienst nicht mehr, die Direktion hatte auch keine Freude daran, und so behilft inan sich vorläufig mit einem interi¬ mistischen Pferdebetrieb. Wie lange wird es dauern, bis das Pferd überhaupt aus dem Straßenverkehr verschwindet? Der sporen¬ klirrende Offizier ans dem Stahlroß erscheint schon jetzt als ein Widerspruch, und schließlich gewinnt selbst das Schlachtroß mit der Anssicht, zn Beefsteak und Wurst verarbeitet zu werden, eine neue, seiner rühmlichen Vergangenheit wenig entsprechende Bedeutung.

In

_

Wir werden uns eben in der Reichshanptstadt daran ge¬ wöhnen müssen, unsern ganzen Lebensweg mehr oder weniger elektrisch zurückzulegen — bis zum Grabe. Das neueste des neuen sind die Straßenbahnbegräbniszüge, die selbst den letzten Gang ersparen und ihn in eine schnelle und billige Fahrt verwandeln. Für die Beförderung eines Leichenwagens mit beschränkter Zahl der Begleitpersonen sTrägerpersonal und bis acht Leidtragende) werden 20 Mark, ohne Gefolge 15 Mark gezahlt, für Gestellung eines Bei¬ wagens für Hin- und Rückfahrt 10 Mark, ohne Rückfahrt 6 Mark. Das ist doch gewiß billig, und da die Rückfahrt nur für die Leid¬ tragenden in Frage kommt, bequem. Zu erwägen bleibt immerhin, ob man nicht auch hier dem Standes- und Klassengefühl entgegen¬ kommen und ein elektrisches Begräbnis erster und zweiter Klaste Der ästhetische Sinn der leistungsfähigen arrangieren muß. Minderheit verlangt nun einmal, daß die ihr Angehörigen nicht nur in „Schönheit sterben", sondern auch in Schönheit begraben werden, und man läßt sich diesen Vorzug etwas kosten. Warum soll man ihnen den Gefallen nicht thun zum Trotz des GleichmachersFreund Hain? Iteberhaupt wird die elektrische Straßenbahnanlage noch manchen Kamps zu bestehen haben, ehe der Ausgleich zwischen praktischem Bedürfnis und Schönheit hergestellt ist. Wo der neue Betrieb mit der Natur in Berührung kommt, setzt es stets einen Konflikt, der zn einem Kompromiß führt. Die Oberleitung auf der Charlottenburger Linie, von der Siegesallee bis zum Großen Stern, macht die Errichtung von Masten nötig, als Trägerin des° Drahtes. Schamhaft hat man die schmucklosen Stangen hinter den ragenden Linden und Eichen versteckt und mit Anslegern ver¬ sehen, die den Draht nur über die Mitte des Gleises hinführen, und in das Blätterrauschen macht sich für das Ohr noch ein leises Schleifen und Knirschen bemerkbar, mährend das Auge an einem gelegentlichen Funkensprühen seine Freude hat, ohne durch die sichtbare Leitung allzusehr belästigt zu werden. Schwieriger wird die Sache, wo es sich um die Hochbahn handelt. Als die Anlage in der Gitschinerstraße bis in die Nähe der Bellc-Alliancebrücke in die Höhe stieg, erhob sich ein Sturm der Entrüstung ob des verunzierten Straßenbildes. Man mußte dem verwundeten Schönhcitsgefühl ein Pslästerchen auslegen, und so werden denn Bankünstler von dem Rufe eines Messel, Jassoy, Griesebach, Möhring mit der Anfertigung von monumentalen Straßenbahnhöfen und Wartehallen beauftragt. Am Oberbanm erhebt sich das erste Resultat dieser künstlerischen Aufgaben, ein seltsames, vieleckiges Gebäude mit vorspringenden Ecken und Turmanlage, malerisch aufgebaut aus Eisenkonstrnktion, Hau- und Back¬ stein, mit farbigem Ziegeldach, prunkvoll herausschimmernd aus seiner schmucklosen Umgebung.

Da haben es die Schöneberger sich leichter gemacht. Sie haben sich endgiltig ihren schönen Rollendorfplatz gerettet, und wenn es ihnen auch nicht gelingen sollte, die dort geplante Bahnhofs¬ anlage in der Versenkung einer Untergrundbahn verschwinden zu lassen, so haben sie es doch erreicht, daß sie weiter nach der Pots¬ damerstraße hin an die Kreuzung der Zielen- und Bülowstraße verlegt wird. Sie ließen es sich sogar das Geld der angrenzenden Hausbesitzer kosten, die nahmhafte Beitrüge zu dieser Verlegung zeichnen mußten. Es ist nur ein Trost und eine ausgleichende Gerechtigkeit, daß schließlich die Mieter die Differenz tragen und sich für die gerettete Schönheit eine Mietssteigerung gern gefallen lassen.

Das Streben, Berlins nicht übermäßig zahlreiche Schönheiten gegenüber dem Ansturm der praktischen Bedürfnisse zu erhalten und wenn möglich zu mehren, findet seine Bethätigung zur Zeit vorwiegend aus dem Gebiet der elektrischen Verkehrsanlagen, aber es bildet nur einen Teil der Gesamttendenz, zwischen Nutzen und Schönheit, zwischen Technik und Aesthetik den Ausgleich zu finden. Aus Material und Technik heraus muß sich eine neue Kunst ent¬ wickeln, deren Gestaltung dem kommenden Jahrhundert vorbehalten diesem Sinne wäre es am Ende doch möglich, daß sein mag. dem naturwissenschaftlich-technischen ein künstlerisches Säkulum aus dem Fuße folgte.

In

682

Das Köllnische Rathaus. II. er Hauptgrund, weshalb das Rathaus nicht in der geplanten Form vollendet wurde, lag außer in dem Mangel an Bau¬ geldern auch in der Bestimmung König Friedrich Wilhelms I., daß die Sitzunaen der Stadtverwaltung im Berlinischen Rathause ab-

worden war, beseitigt, und in den Jahren 1830 und 31 wurde ein neues dreistöckiges Gebäude aufgeführt, welches das Gymnasium und die Seroisdeputation aufnahm. Trotz der Erweiterung war der Raum doch sehr beschränkt; das Gymnasium mußte sich beispielsweise für die Freiviertelstnnden mit einem schmalen Schul¬ hofe für die Schüler und einer bedeckten Holzgalerie für die Lehrer begnügen.

Im Jahre 1848 war das Köllnische Rathaus am Abend des 18. März Zeuge eines erbitterten Kampfes zwischen den Auf¬ ständischen und dem Militär. Eine gewaltige Barrikade zog sich von der Ecke der Gertraudtenstraße quer über den Damm zum Eckhause der Breitenstraße; sie wurde hartnäckig verteidigt und könnte erst nach heftigem Kartätschenfeuer von den Soldaten ge¬ stürmt werden. Dann wurde auch das verbarrikadierte Rathaus mit Sturm genommen und alles, was sich widersetzte, niedergemacht. Daß hierbei auch mancher Unschuldige getötet wurde, beweist der Tod des Studenten von Holtzendorff, welcher sich bei seinem Oheim, dem Direktor August voni Köllnischen Gymnasium, zum Besuch befand. Das Köllnische Gymnasium siedelte 1868 in ein neues eigenes Gebäude in der Wallstraße über, und zwei Jahre später verließen auch die Stadtverordneten und die Servisdeputierten das Köllnische Rathaus, da inzwischen das neue Berliner Rathaus fertig ge¬ worden war. In die leerstehenden Räume zog nun die Ver¬ waltung des städtischen Erleuchtungswesens ein. Das Rathaus wurde innen und außen renoviert, das große Stadt¬ wappen wurde damals angebracht und im Vorflur eine Gedenk¬ tafel mit folgender Inschrift beigefügt: „Das Cölnische Rathaus, mehr als 100 Jahre der alleinige Sitz des Magistrats von Cöln bis zu der im Jahre 1708 erfolgten Vereinigung mit Berlin, wurde im Jahre 1709 abgebrochen und nach der Grundsteinlegung durch König Friedrich I. am 8. August 1710 von Grüneberg neu erbaut.

Treppenflur im Märkischen Provinxial-Museum. gehalten werden sollten. Die Räume des neuen Köllnischen Rat¬ hauses wurden nun teils für besondere Zwecke der Verwaltung des Stadtteils Alt-Kölln, teils für private Zwecke verwendet. In die oberen Räume wurde die Königliche Serviskommission verlegt, und 1730 wurde daneben das Köllnische Gymnasium untergebracht, welches beim Brande der Petrikirche sein Heim ein¬ Selbst nach der Vereinigung des Köllnischen gebüßt hatte. Gymnasiums mit dem Berlinischen im Jahre 1767 blieben die untersten Klassen als Köllnische Schule im Rathause zurück. Das dritte Stockwerk wurde dann dem Regiment Waldeck als Montierungskammer überwiesen und von diesem bis zum Jahre 1806 benutzt, wo die Franzosen den Bestand an Tuchen, Uniformen und Ausrüstungsgegenständen mit fortnahmen. Um diese Zeit (1806) war auch die Zivilabteilung des Stadtgerichts einige Monate hier untergebracht. Die Kellergeschosse des Rathauses wurden von Anfang an bis in die jetzige Zeit an Geschäftsleute als Lagerkeller und VertaufSläden vermietet; im Eckkeller an der Gertraudtenstraße wurde eine Militärwache, die Köllnische Hauptwache, auch Corps de Garde genannt, untergebracht, welche dort bis zum Jahre 1848 bestand und dann von der Bürgerwehr bezogen wurde. Die Städtcordnung von 1808 veränderte die bisherige Ein¬ richtung der städtischen Behörden ganz wesentlich und brachte auch das Köllnische Rathaus wieder in Benutzung für städtische Zwecke. Einerseits wurde die Königliche Seroiskommission in eine städtische Servisdepntation umgewandelt, andererseits wurde das Rathaus zum Sitze der neugebildcten Stadtverordneten-Vcrsammlnng auserschen. einem Saale des ersten Stockwerks wurde ani 1. Oktober 1822 die erste Sitzung abgehalten, und als im Jahre 1847 die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordneten eingeführt wurden, vergrößerte man den Saal, der nun bis 1870 den Stadtverordneten zu ihren Beratungen diente. Die Geschäfte der Servisdepntation waren nach und nach so umfangreich geworden, daß eine Ver¬ mehrung der Vcrwaltnngsränme nötig wurde, und da außerdem die Köllnische Schule zu einem Gymnasium ergänzt werden sollte, so beschloß man einen Erweiterungsbau in der Scharrenstraße auf¬ zuführen. Die Ratswage wurde 1821 nach dem Petriplatz ver¬ legt, wo sie sich jetzt noch befindet. den nächsten Jahren wurden auch die letzten Scharren, mit deren Abbruch bereits 1812 begonnen

In

In

Trcppenflur im Märkischen Provinzial-Musrum. Diente hierauf den städtischen und

auch

militärischen

Behörden zum Sitz.

Bot dem Cölnischen Gymnasium nach Einäscherung seines Gebäudes von 1730—1768 eine Zufluchtsstätte. Gewährte den Stadtverordneten von 1822 bis 1870 Räume zu ihren Berathungen. Ist seit dem Jahre 1870 Sitz der Verwaltung des Stüdt. Erlcuchtungswesens."

Die Verwaltung des Erleuchtungswesens blieb bis zum Jahre 1880 im Rathause, dann wurde sie verlegt, und an ihrer Stelle bezog das Märkische Provinzial-Museum sbis dahin in der Klosterstraße 68) das erste Stockwerk des Rathauses. Im

Direkkionszimmer des Märkischen Provinzial-Muleums. damals die

Erdgeschoß wurde

Gewerbedeputation, der und Stadtausschuß das Standesamt, im zweiten Stock¬ werk die Schuldeputation untergebracht; tungen zogen

diese

die Errichtung eines neuen Museums beschlossen haben, und trotzdem hat man erst in diesem Jahre mit den Ausschachtungsarbeiten im Köllnischen Park begonnen. Eine Beschleunigung der Vorarbeiten wäre im Interesse des Publikums sicherlich zu wünschen gewesen und hätte der Museumsverwaltung einen doppelten Umzug erspart; außerdem hätte man die erheblichen Umzugskosten für die Zwecke des Museums besser verwerten können. Der Direktor des Mär¬ kischen Museums, Stadtrat Friede!, hat zwar nichts unversucht gelassen, um den Abbruch des Köllnischen Rathauses so lange wie möglich hinauszuschieben; aber jene gewaltige Macht, welche auch die Ueberführung der Gleise über die Straße Unter den Linden erlangt hat, die Große Berliner Straßenbahn, hat es durchgesetzt, daß das Köllnische Rathaus als Verkehrshindernis baldigst be¬ seitigt wird, und so muß das Märkische Museum im 25. Jahre seines Bestehens nochmals seinen Standort wechseln, ehe es sein eigenes Heim beziehen kann. In dankenswerter Weise hat die Museumsverwaltung vor Beginn des Umzugs eine Anzahl von Aufnahmen machen lassen, welche einerseits das Rathaus in allen Teilen, andererseits die Räume des Museums vorführen. Durch das Entgegenkommen der Direktion ist der „Bär" in der Lage, seinen Lesern verschiedene dieser Ausnahmen darbieten zu können, und im Anschluß an diese Bilder dürften einige Mitteilungen über die Sammlungen des Museums nicht unerwünscht sein; denn die dort ausgestellten Alter¬ tümer aus der prähistorischen und geschichtlichen Vergangenheit Berlins und der Mark Brandenburg sind den Berlinern leider noch wenig bekannt. Betrat man das Köllnische Rathaus von der Breitenstraße her, so erblickte man bereits in der Vorhalle auf den Treppen¬ absätzen verschiedene mittelalter¬ liche Steinmetzarbeiten, Tauf¬ steine, Grabtafeln, Gedenksteine

Besonderes und Werkstücke. Interesse erweckten hier ein früh¬

mittelalterlicher Taufstein

Verwal¬

Köpenick. Stieg man diezweite Treppe hinauf, so siel der Blick auf das umfangreiche Zifferblatt der alten Nikolaikirche und auf eine farbige Darstellung der

Städte Berlin und Köln im Jahre 1250*). Unten im Neben¬ flur waren eiserne Ofentafeln mit biblischen Darstellungen, Wappen und Genrebildern, Formsteine und Jnschrifttafeln von Kirchen und andere architektonische Zieraten aufgestellt. der offenen Vorhalle

Muscumsoerwaltung 25

auf eine ersprießliche Thätig¬ Am zurückblicken kann.

jährige

keit 9. Oktober 1874 wurde nämlich Dcr kleine Hof im vom Magistrat der Beschluß ge¬ faßt, die vom Stadtrat Friedcl angelegte Sammlung berlinischer und märkischer Altertümer als Grundlage für ein „Märkisches Provinzial-Museum" zu benutzen und diesem ein besonderes Zimmer im Berliner Rathause anzuweisen. Zwei Jahre später war die Sammlung bereits so sehr angewachsen, daß sie in größeren Räumen im Sparkasscngebäude, Klosterstraße 68, untergebracht werden mußte, und im Jahre 1880 war abermals eine Vergrößerung des Museums not¬ wendig; es wurde deshalb nach dem Köllnischen Rathause verlegt. Mannigfache Zuwendungen und Geschenke von seiten der Freunde und der Pfleger des Museums und zahlreiche Erwerbungen ver¬ größerten den Bestand der Sammlung in solchem Maße, daß die Räume im Kölluischen Rathause bald nicht mehr ausreichten, und man ernstlich daran denken mußte, für das Märkische Museum ein besonderes Gebäude zu errichten. Bereits im Juni 1892 wurde in der Stadtvcrordueten-Versammlung ein diesbezüglicher Beschluß gefaßt und darauf ein Wettbewerb ausgeschrieben, welcher die Einreichung von 76 Projekten zur Folge hatte. Den ersten Preis erhielt damals der inzwischen verstorbene Regierungs-Baumeister Möller, dessen im märkischen Backsteinstil gehaltener Palastbau im Köllnischen Park zur Ausstellung gelangen sollte*). Bei näherer Betrachtung ergab sich jedoch, daß der Möllcrsche Entwurf zur Aufstellung'zuder Sammlungen des Museums nicht zweckentsprechend und auch teuer sein würde, und die Angelegenheit blieb nun wieder liegen, bis der neue Stadtbaurat Ludwig Hofsmann 1897 einen geeigneteren Entwurf anfertigte, der nunmehr die endgiltige Billigung aller maßgebenden Persönlichkeiten erhielt und in den nächsten Jahren zur Ausführung gelangen wird. Sieben Jahre sind bereits verflossen, seit die Stadtverordneten

*) eine Abbildung

desselben brachte

„Ter Bär" im

in

byzantinischem Stil, mit arabi¬ schen Verzierungen und Templer¬ kreuzen, aus der Kirche zu Tempelhof und ein schön ge¬ arbeiteter Taufstein des 16. Jahr¬ hunderts aus der Kirche zu

aber nach ein paar Jahren wieder aus, und dafür wurde das Gewerbe¬ gericht in da? Rathaus verlegt. Das Märkische Museum und das Gewerbegericht sind bis jetzt im Kölluischen Rathaus ver¬ blieben und werden nun durch den Abbruch des Gebäudes zum Umzug genötigt. Der Abbruch des Kölluischen Rathauses und der dadurch not¬ wendig gewordene Umzug des Märkischen Provinzial-Museums findet zufällig gerade zu einem Zeitpunkt statt, au dem die

19.

Jahrg. E. S04 u. sog.

In

Köllnischen Nathans.

Die alte Naksivage. der Treppe begann die eigentliche Museumssammlung; hier waren Gegenstände aus dem Jnnungswesen, kirch¬ neben

liche Bildwerke auS tektonische Objekte aus *)

dein Mittelalter und archi¬ dem 16. und 17. Jahrhundert auf-

Eine Abbildung davon brachte der

„Bär" im

9.

Iabrg. S.

4 und 5.

Jumingsfahnen und Embleme der Gewerke schmückten gestellt. die Wände, dazwischen waren alte Gerätschaften und Handwerkzeuge angebracht, und am Boden standen Trüben und Gewerks¬ laden, in denen sich Humpen und Becher, Siegelstempel und Jnnungsszepter, Tabaksteller und mannigfache andere Kleinigkeiten des Jnnungswesens befanden. Quer durch die Vorhalle streckten mehrere Herbcrgsschilder ihre wundersam verschnörkelten Anne. Eins derselben, das Herbergsschild der Berliner Schlächtergescllenschaft aus dem Jahre 1778, ist auf der Abbildung auf

S. 682 sichtbar; es ist im Rokokostil mit Blumen, Tieren und Rankenwerk reich ausgestattet und trägt eine vergoldete Jnschriftstafel. Am anderen Ende dieser Vorhalle waren größere kirchliche Bildwerke aufgestellt: überlebensgroße Kruzifixe und Heiligen¬ gestalten, Altarbildgruppen und Holzschnitzereien, Armleuchter und Sanduhren, Kanzelteile und Wetterfahnen von Kirchtürmen, Uhr¬ werke, eiserne Altargitter und ähnliches. Einen Einblick in diese Abteilung gewährt die Abbildung auf S. 682. (Ein weiterer Artikel folgt.)

>

Professor Doktor August Garcke

*

ZU seinem

achtzigsten Geburtstage.

bedingnngen und Erscheinungen der märkischen Flora eingeweiht. Auch zahlreiche Leser des „Bür" werden sicher noch mit Freuden der weiten Wanderungen an den wald- und wiesenreichen Spreeund Havelufern gedenken, bei denen der schier unermüdliche, gegen Dornengestrüpp, wie gegen die Unbilden eines Platzregens gleich unempfindliche Forscher mit langausholenden Schritten die T«te hielt. Wahrhaft erstaunlich aber war und ist noch heute der Orientierungssinn des Gelehrten, der ihn die lieblichen, häufig unscheinbaren Sprö߬ linge der märkischen Erde an mitunter ganz engbegrenzter Stelle mit derselben Sicherheit auffinden läßt, mit welcher der Indianer der transozeanischen Pampas die Weideplätze seines Jagdgetiers wittert. Nur hinkt, wie die meisten, auch dieser Vergleich insoweit, als unser Jubilar den holden Kindern der Natur gegenüber eine zarte Schonung bekundete, die ihn nie zwecklos ein Pflanzenleben opfern ließ. Wohl aber hat er neben Matthias Schleiden zuerst auf die physiologischen Erscheinungen in der Botanik, aus die Einwirkung des Bodens ans die Ent¬ wickelung des Einzesgewächfes, hingewiesen. Auch in der Pflanzengeographie hat Garcke mit der Exaktheit des Statistikers neue Bahnen

dem verstorbenen Professor Or. Daniel Sanders liegt hier nahe — deutscher Gelehrten-Eiser und Fleiß zusammentragen kann. Ueber den Werdegang unseres verehrten, hochverdienten Lehrers und Freundes möge hier folgendes seine Stelle finden: Professor Doktor August Garcke erblickte am 25. Oktober 1819 als Sohn eines Oberförsters zu Dräurode bei Mansfeld (Provinz Sachsen) das Licht der Welt. Der grüne Wald, der das Elternhaus rings umschloß, war sein täglicher Tummelplatz an des Vaters leitender Hand. Jugendliche Eindrücke und Gewohnheiten aber sind ausschlaggebend für das ganze Leben, und bis zum heutigen Tage ist dem rüstigen Achtzigjährigen am wohlsren in

Jubilar und

in weit über die Grenzen Berlins und der Mark hinaus bekannter und geschätzter Gelehrter, der Doktor der Theologie und Professor der Botanik, August Garcke, feiert am 25. Oktober seinen 80. Geburtstag. Durch einen Zeitraum von fast 50 Jahren hat er au der Berliner alma mater Generationen von Studierenden, zumeist Mediziner, Pharmazeuten und Botaniker, in die Lebens-

I

eingeschlagen. Wahrhaft epochemachend find seine Forschungen auf dem weiten Gebiete der Kryptogamen; die Daseinsbediugungen für die prüfe Isar Doktor Moose, Flechten, Algen und Pilze, ihrem innersten Wesen bis zur Zelle nachgehend, hal der nimmer ruhende, greise Gelehrte wie niemand vor ihm aufgeklärt. Doch nicht auf einzelne Zweige seiner Wissenschaft konnte ein Feuergeist wie der ihm innewohnende sich be¬ schränken. Die „Flora von Halle und Umgebung", die später zur „Flora von Deutschland" ausgebaut wurde, steht an Umfang und präziser Bestimmung unistergittig da, ein Werk, so wohl an¬ gelegt, so umfassend, wie es eben nur — ein Vergleich zwischen dem

Bereits im sechsten Gottes freier Natur. Lebensjahre sehen wir den schnell aufgeschoffencn Knaben das isoliert liegende Eltern¬ haus verlassen, um unter der Leitung von seiner Eigenart keineswegs Rechnung tragenden Lehrern auf dem Gymnasium der alten Lutherstadt Eisleben seine Schulbildung zu erhalten. Nach dem Wunsche der Seinigen widmete er sich durch sechs Semester dem Studium der Gottesgelehrtheit, hörte aber dessen ungeachtet auch Botanik und Zoologie. Nach bestandenem ersten Staatsexamen und Erlangung der Doktorwürde trieb ihn seine innerste Neigung, den Buchstabenkultus mit dem von Gottes schönster Schöpfung, der blühenden Natur, zu vertauschen. Durch seine Flora Rordund Mitteldeutschlands wurde das preußische Kultusministerium auf den damaligen Privat¬ dozenten aufmerksam. Ihm wurde ein Lehrstuhl an der Berliner Universität eingeräumt, an der¬ er seit fast fünf Dezennien als Professor der Pharmakogliosie und Botanik in seiner be¬ scheidenen Weise aufs segensreichste wirkt. Ein August Garcke. Hauptfeld seiner Thätigkeit ist außerdem noch heute das Kustosamt im botanischen Museum in der Grnncmaldstraße, zu dem er in wunderbarer Frische den stunden¬ weiten Weg von seiner anmutenden Behausung in der Gneisenanstraße fast ausnahmslos zu Fuß zurücklegt. Möge es August Garcke noch ein ferneres Dezennium und länger vergönnt sein, in körper¬ licher und geistiger Rüstigkeit die Daseinsfreuden zu genießen, die er vor allem in fördernder Geistesthätigkeit erblickt!

Emil Goeritz.

Der „goldene Anker". das Denkmal für weiland Kaiser Friedrich

sich

erheben wird, an der nordwestlichen Ecke der „Museums¬ insel", stand viele Jahre hindurch das „Mehlhaus". Es gehörte der Berliner Bäckerinnung und diente in seinem ersten Geschoß als Mehlspeicher, in dem oberen als Fcstsaal; das wußte jeder Berliner. Was aber nicht jeder kannte, das war das Sockelgeschoß mit seinem „goldenen Anker". Eine ganz harmlose Schisserkneipe war's; die Gäste kamen sowohl von der Land- wie auch von der Wasserseite. Der Eingang lag auf der, der jeglicher Zudringlichkeit abge¬ wandten Seite — ein in gedrungenen Verhältnissen gehaltenes plumpes Rundbogenloch, nach echtem Troglodytengcschmack ohne jeden künstlerischen Schmuck. Jäh, wie die Sockelmauern des Hauses, das mit seinen Grundvesten im Spreeboden wurzelte, stürzte dicht daneben ein Bollwerk in die Fluten, gekrönt von einer weinumsponnenen Laube. Davor ankerten stets einige „Gottliebs" oder „Zillen", über welche der von der Wasserseite kommende Gast erst hinwegturnen mußte — ein Aequivalent für das schlechte Pflaster auf dem Cantianplatz, das auf der Landseite die Ueberraschuugen einleitete. Die Treppe, die in die gähnende Tiefe führte, barg noch einige Tücken in sich; hatte nian diese aber glücklich über¬ wunden, so umfing einen ein beruhigendes Halbdunkel, das dein

ganzen Milieu dort unten eigen war. Die Lust ist verbraucht, aus der Küche dringt Essengeruch; Bierdunst, Tabaksqualm, Stimmengewirr füllen den niedrigen Raum. Zur Linken ein langer Schenktisch, auf dessen Gestelle Eßwaren aufgestapelt sind; von der Decke herab hangen Würste und Schinken; an der Wand dahinter stehen ungezählte Schnapsflaschen in der typischen Stundenglasform — man erkennt sie nur an den Glanz¬ lichtern — rechts eine schmale Bank, ein einziger Tisch nur dicht an der hinteren Thür —; es sind mehr Menschen darinnen, als eigentlich Platz haben. Das ist der Vorraum. Hinter diesem liegt ein großes, weites Gastzimmer; an sonnigen Tagen hell und freundlich mit seinem blaugrünen Anstrich; zu kalter Winterszeit warm und mollig; an trüben Tagen düster und unheimlich. An der Tiefe der Fensternischen erkennt man die Dicke der Grundmauern. Die Fenster liegen nur wenige Fuß über dem Spreespiegel — wenn ein leerer Kahn draußen vorbeifährt, wird's dunkel im Gemach. Die kellermüßigen Entlastungsbogen erwecken mittelalter¬ liche Vorstellungen; zu den kolossalen Tragepseilern passen nur so grobe, ungeschlachte Möbel, wie sie hier zu finden sind; ein mit Wachstuch bezogenes Sofa zeigt die älteste Konstruktion. Ver¬ ständig waltete hier im Anker ein biederes Ehepaar, ein jeder

685

auf seine Weise — er vermittelte unter den Schiffern Geschäfte, und sie, die gute Frau Schulze, war die Seele der Schankwirtschast mit ihren Kochkenntnissen und dem stets kreditfreudigen Herzen. Die Stammgesellschaft, die hier verkehrte, waren keine Schiffer¬ knechte a la Erpel, sondern die Aristokratie ihres Standes, nur Schiffseigentümer. Viereckige Gestalten mit echten deutschen Namen und Gesichtern, urwüchsigem Durst und urwüchsigem Humor, ernst und bedächtig und meistenteils „seebefahren". Diese konnten stundenlang vom Klabautermann und dem gespenstischen Hund erzählen, der sich bei einigen sogar bis zur Größe eines Kameels entwickelte' während die Kameraden, die nur immer Binnen¬ schiffahrt getrieben und jenen doch nicht nachstehen wollten, von dem großen Ochsen bei Bodenbach schwefelten, der dort die Schiffe stromaufwärts zieht, und dessen grimmiges Grunzen und Brummen selbst dem Unerschrockensten das Blut in den Adern gerinnen macht. Dies Milieu erinnerte an die alten Bilder eines Ostade, Teniers oder Jan Steen, und diese Stimmung war der Grund, aus dem wir jungen Künstler uns s. Z. so magisch dorthin gezogen fühlten, wenigstens die, die den Anker „entdeckt" hatten. Und was die einen mit den Angen und der Seele genossen, wollten

Mitteln, Bildern, Reliefs, Humpen, Palmenzweigen,

die anderen selbst durchleben. Ungezählte Räusche wurden vom Anker nach Haus getragen: die herrschende Etikette legte den Autodidakten der Erziehung keinen Zwang auf. Wenn auch die Schiffer auf dem Gebiete des Trinkens die Herren bleiben wollten, so erkannten sie doch in unserem Künstlertum die überlegene Art freiwillig verehrend an. Vor einem Bilde, das unter ihren Augen entstand, zeigten sie mehr Respekt als so mancher wohlerzogen¬ seinwollende Jntelligenzprotz' von heiliger Scheu begleitet, wanderte es von einer schwieligen Hand zur anderen. Die „Zunft vom goldenen Anker" hatte sich mit primitiven

innerhalb der Großstadt eine Oase für ihre Phantasie zu finden. Die Stimmung war die Hauptsache gewesen, und keiner wird den nächtlichen Eindruck vergessen, wenn drüben im Moubijoupark der Mondschein in den Bäumen flüsterte — die Spree ihre Fluten träge an den Gottliebs vorbei wälzte' in der Laube leuchteten Papierlampions einer frohen Gesellschaft, die sich bescheiden an den Klängen einer Ziehharmonika erfreute. In der alten „Angel¬ bude", dem verwunschenen Kunstausstellungspalast von ehedem, gingen die Geister der seit 50 Jahren dort „totgehangenen" Künstler ' um und schrieen vergebens nach Erlösung. Hans Mützel.

*

s.

Kreises, den Marinemaler Max Giesecke, dessen halblebensgroße, buntbemalte Statuette den Mittelpunkt der origellen Dekoration bildete. Die Kuriosität des Raumes und des Verkehrs lockte auch viele Nichtkünstler an, und man war eines Tages zur regelrechten Gründung einer „Zunft vom goldenen Anker" geschritten mit Ver¬ einsstatut und Aufnahmebedingungen. Dies war jedoch schon nicht mehr im Stile der anfänglichen Ungezwungenheit, und die eigent¬ liche „Blume", der Reiz des Ursprünglichen, war dahin für immer. Die, Zunft vergrößerte sich und brauchte andere Räume — die Elemente waren andere geworden, und andere waren auch jetzt jene ersten Gründer, welche ehemals das Bedürfnis empfunden hatten,

Kurbrandenburg am Cap

rschöpft bis auf das äußerste durch einen Krieg, der ein halbes Menschenalter hindurch seine Gauen durchtobt, seine Felder und Fluren vernichtet und verstört hatte, so fand Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, sein kleines Reich vor, als er die Regierung antrat, und es ist unter diesen Umständen doppelt und dreifach zu bewundern, daß gerade dieser Fürst Zeit fand, an Pläne zu denken, die in damaliger Zeit unerhört waren. — Bon den Schweden angegriffen, die damals im Verein mit ^Dänemark die unumschränkte Herrschaft beanspruchten — die Tage,

Fischnetzen

w. eine Ecke des großen Raumes behaglich ausgestattet und hielt dort ihre Zusammenkünfte ab — ein der Umgebung ent¬ stammender Komment hatte sich allmählich herausgebildet, und der Neuling stand kritiklos dem bisher noch Ungeschauten gegenüber. Manchen jetzt wohleingeführten Rainen würden die Mitglieder¬ listen jener ersten Zeiten bergen, wenn welche geführt worden wären: zum Beispiel Ludwig Dettmann, O. Westphalen, die Bildhauer Arthur Bou« und Hans von Glümer, und vor allen Dingen den eigentlichen Entdecker des Ankers und Begründer dieses u.

in

St

Vincent.

denen die seegewaltige Hansa die nordischen Kronen nach Be¬ lieben vergab, waren ja vorüber — hatte der Kurfürst gern des unternehmenden, thatkräftigen Holländers, Benjamin Raule, An¬ erbieten angenommen, der auf eigene Rechnung und Gefahr einige Kaper ausrüsten wollte, die den roten Adler im weißen Felde gegen Schweden in das Feld führen sollten. Der Kurfürst, in dem damals wohl bedeutendsten Seestaate der Welt, in Holland, aufgewachsen, war weit entfernt davon, sich nun mit diesen Erfolgen der kleinen Flotte, die des weiteren nicht

wenig an dem endlichen, vollständigen Siege über Schweden mit¬ half, zufrieden zu geben. Eine ständige, große Seemacht, die seinem kleinen Lande einen Anteil an der Weltherr-

Die reiche, meist aus feiner Leinwand und Brabanter Spitzen bestehende Ladung des gekaperten Spaniers brachte einen Erlös von 100 000 Thalern.

Die fünf übrig gebliebenen Schiffe des brandenburgischen Ge¬ schwaders steuerten nun kühn in den atlantischen Ozean hinein und kreuzten während des ganzen Winters 1680 bis 1681 in den westindischen Gewässern. Leider ohne sonderlichen Erfolg, da man nur ein einziges spanisches Schiff aufzubringen vermochte. Ende Mai 1681 kehrte das Geschwader zurück, und schon im nächsten Monat ging ein zweites in See, um nochmals den Ver¬ such zu machen, eins oder das andere der spanische» Silberschiffe zu fangen, die den Brandenburgern im Vorjahre zu entgehen gewußt hatten. Aus den Fregatten „Fuchs", „Roter Löwe" (je 20 Kanonen und 100 Mann Besatzung) und „Markgraf von Brandenburg" (der im Vorjahre genommene „Carolus Secundus", das erste Brandenburg als Eigentum gehörige Schiff mit 50 Geschützen und 213 Mann) bestehend, war das kleine Geschwader unter dem Befehle des Kapitäns Thomas Alders, der im vorigen Jahre die „Dorothea" befehligt hatte. Rach erfolgter Vereinigung mit Lacher kreuzte der brandenburgische Geschwaderchef dicht unter der spanischen Küste, beim Cap St. Vincent, hin und her, um hier die Silbecflotte, welcher der Zug galt, zu erwarten. Am 30. September kamen endlich see¬ wärts Schiffe in Sicht, von deren Masten die spanische Flagge wehte, und sofort machte Alders Signal zum Angriff. Wenn er nun ge¬ glaubt, die ersehnte

Das Parlamentsgebäude in Vtoemfontein.

fchaft zu sichern imstande war, das war sein Ziel, und dies zu erreichen, bot er all seine Thatkraft und Energie auf. Pillau, der einzige größere und gut ver¬

teidigte

Silberflotte vor

sich

zu haben, so mußte er bald einsehen, daß er sich hierin geirrt hatte. Es war ein Geschwadervon zwölf und großen zwei kleinen spanischen Kriegsschiffen, die den allzukühnen branden¬ burgischen Adler ver¬ treiben wollten. Zwei volle Stunden hin¬ durch währte der ungleicheKampf, der den Spaniern manchen

Hafenplatz,

den Brandenburg be¬ saß, wurde Kriegs¬ hafen, der Kurfürst schloß mitRanle einen neuen Vertrag, nach welchem dieser acht Kriegsschiffe nebst der dazu gehörigen see¬ männischen Besatzung zu stellen hatte, und es wurde auch eine eigene Werft angelegt. Das stolze Spanien, dem damals noch die

braven Mann kostete; dann gab Alders das

berühmten Silberffotten ununterbrochen Schätze zuführen konnten, wie sie nur die unerhörte Wirt¬ schaft dieses Landes zu verbrauchen im¬

Signal zumAbbrechen des Gefechtes, und die

Brandenburgische

Flotte zog sich in tadel¬ loser Ordnung nach Lagos zurück. Ohne auch nur im geringsten

stande war, schuldete dem armen Branden¬ burg aus dem Jahre 1674 noch fast zweiMillioneuThaler, dachte aber nicht im geringsten an eine Begleichung dieser Schuld, und die Vorstellungen und Mahnungen

von

der

großen

NriUlcrir des Vraiigr - FrriN.r«tes.

des „kleinen" Brandenburgers wurden mit kühlem Lächeln zu den Akten gelegt. — Endlich riß nun aber dem Kurfürsten die Geduld. Am 14. August des Jahres 1680 ging ein stattliches Kreuzergeschwader von Pillau aus in See, von dessen Masten stolz die Flagge Branden¬ burgs wehte. Es waren die Fregatten „Friedrich Wilhelm", „Churprintz", „Doro¬ thea", „Roter Löwe", „Fuchs" und

„Berlin",

sowie der Brander

„Sala¬

mander" mit zusammen 165 Ge¬ schützen. Chef des Geschwaders war Clas (oder Claes) von Bcveren, der auf dem größten der Schiffe, dem 43 Kanonen führenden „Friedrich Wilhelm", seine Flagge gesetzt hatte. Rur wenige Tage mehr als vier Wochen waren seit der Ausfahrt des Geschwaders vergangen, als es im englischen Kanal ein großes, spanisches Schiff traf, dieses, den „Carolus Secundus", nach kurzem, leichtem Kampfe eroberte, und als erste Prise unter

dem Geleite zweier Fregatten nach

Pillau

schickte.

spanischen Macht verfolgt zu werden, die offenbar trotz ihrer Stärke froh war, mit Ehren fortzukommen, wenn man es sonst eine Ehre nennen kann, bei solcher Uebermacht einen solchen | „Sieg" zu erringen. H. de Möville.

t

687

-—-—



-

Peüillctor) des %äv.

Nus Süd-Afrika.

neueren Nachrichten vom Kriegsschauplätze zufolge, haben die Engländer am 20. Oktober einen Sieg über die Bocren errungen. Damit ist freilich der Krieg noch nicht entschieden, aber man darf doch annehmen, dag er nicht von langer Dauer sein wird. Die Boeren sind ein fleißiges Volk: ste haben cs indessen nicht verstanden, die reichen Schätze ihres Landes zu heben. So prächtig und modern Johannisburg gebaut ist, so ärmlich sind die Verhältnisse der Bocren auf dem flachen Lande. Von Johannisburg mit seinen 120000 Ein¬ wohnern darf man behaupten, daß es die reichste Stadt im reichsten Lande ist. Es liegt in der Ebene und erstreckt sich zwischen den Vorstädten Fordsburg und Jeppestown, welche durch die Haupt¬ straße, die Commissionerstreet, verbunden sind, über eine deutsche Meile. Unser Bild zeigt diese breite Hauptstrage, durch welche die Boercnkompagnie ins Feld hinauszieht. Die Vorstädte ziehen sich zum TeU malerisch an Hügeln hin. Allen anderen voran zeichnet sich die Vorstadt Doornfontcin durch ihre liebliche Lage am Fuß einer Hügelkette aus. Der Oranje-Freistaat liegt südlich von Trans¬ vaal. Die Hauptstadt Bloemfontein ist eine kleine Ortschaft mit etwas über 3000 weißen Einwohnern. Die öffentlichen Gebäude, wie das Prästdentcnhaus und das Parlament, zeugen von einer gewissen Wohlhabenheit der Bevölkerung. Die Artillerie des Freistaats ist nach preußischem Muster organisiert und wird von einem ehemaligen preußischen ArtillerieWachtmeister, dem jetzigen Major Albrecht, kom¬ en

12000 Einwohner. Zwei der schönsten Bauten der Hauptstadt Natals sind das Sitzungs¬ gebäude des Staatsrats (Legislative Council Hauses und das Rathaus. Das erstere, aus .rotem Backstein erbaut und in der Front durch eine Säulenhalle korinthischen Stils

mandiert. Auch Natal ist ursprünglich von Boeren be¬ siedelt worden. Der Name der Hauptstadt Pietermaritzburg erinnert an die ersten Führer Pieter Rettess

und Gert Maritz.

Die Stadt liegt in ciuer und zählt über

Ebene am Flüßchen Umsin-Dusi

Das Stadklxaus in Piekerrnsrihbnrg (Natal).

belebt, wurde mit einem Kostenaufwand von 25 000 Pfd. St.

aufgeführt und im Jahre 1888 vollendet.

Vor der

Fassade er¬

hebt

ein Stand¬

sich

bild der Königin Viktoria im Krö¬ nungsornat, gele¬ gentlich des 50jährigen Regierungsjubi¬

läums der Herrsche¬

rin

errichtet.

Roch

großartiger ist das Stadthaus, das 1893 vollendet wurde und einen Aufwand von 30000 Pfd. St. erfor¬ derte. Der imposante Bau ist aus rotem Backstein unter reich¬ Verwendung licher Sandsteinvervon blcndung ausgeführt. Im Vordergrund rechts sehen wir auf unserem Bilde ein von einem Kuli gezo¬ genes und Finricksha benanuteszweiräderiges leichtes Fuhrwerk, das hier die Stelle der Droschke vertritt und namentlich von Damen benutzt wird, wenn ste Einkäufe besorgen oder Be¬ suche machen. Das nach einem regelmäßi¬ gen Plan angelegte

Straßennetz ist mit schattigenBaumallecn versehen, und ein öffentlicher Park ladet zu Promenaden ein.

Ausmarfrh einer Voeren-Rompagnie durch Johannesburg (Transvaal).

Ueber die Errichtung einer Zentralbehörde für technische Angelegenheiten

Vortrag gehalten auf der Generalversammlung des Bundes der Industriellen am

X

6. Oktober ^899 zu Berlin.

Von

Franz Mendt. Hochgeehrte Herren! ie ein pflichtgetreuer Kaufmann am Schluffe des Geschäfts¬ jahres sein Soll und Haben feststellt und sich über das Gute und Schlechte in seiner Geschäftsführung skrupellos unter¬ richtet, so pflegen auch große Berufskreise zu bestimmten, von der Gewohnheit mit einer gewissen Feierlichkeit umkleideten Zeit¬ abschnitten ihre Bilanz« festzustellen. wenigen Monaten geht das Jahrhundert zur Neige. Ein Zeitabschnitt, in dem die mathematisch naturwissenschaft¬ lichen und in ihrem Anschluß die technischen Wissenschaften zu einer unvergleichlichen Blüte gelangt sind. Es hieße Saud in die Mark tragen, wenn ich hier vor Ihnen, meine Herren, einen Hymnus auf die Früchte, die die moderne Technik zur Reife gebracht hat, anstimmen wollte! Das moderne Leben zeigt das Gepräge des technischen Fortschritts sehr deutlich. Die Menge der Maschinen, die zu allen möglichen Dingen um uns wirken, haben uns in ihrer Ueberfülle fast blind gemacht, um die Größe des Erfolges beurteilen zu können, die die Technik während des Jahrhunderts zeitigte. süßer Gedankenlosigkeit pflegen wir modernen Menschen die Geschenke des Genies nur gar zu gern aufzunehmen. Wenn der Techniker die Bilanz am Schlüsse dieses Jahr¬ hunderts feststellt, so kann er sein Kontobuch wahrhaftig mit einem stolzen Haben abschließen! Der populärste Mann unserer Tage ist zweifellos der Tech¬ niker. welcher Weise sein Thun und Treiben aus Leben und Industrie eingewirkt haben, Sie können es gerade am besten beurteilen. Die Lebcnsverhältnisse der Völker, die innere wirtschaftliche Aus¬ gestaltung der Staaten, sie haben sich durch den Einfluß der gewaltigen Industrie fast allüberall verändert. Der Bauernstaat Preußen hat sich in einen Industriestaat verwandelt! Nun, meine Herren, wo so viele Lichtseiten vorhanden sind, können auch natür¬ lich die Schatten nicht fehlen. Gerade die beispiellos schnelle Entwickelung der Technik und ihrer Industrie hat gewisse äußere

In

In

In

Mängel veranlaßt. Die technische Industrie gleicht, um in einem'Bilde zu sprechen, einem jungen Riesen, der im gewaltigen Wachstum seine Gewänder sprengt und, beengt, nicht imstande ist, sich so zu regen, avie es seine Fäuste vermöchten. Der junge Riese, die technische Industrie, hat sich in den Staaten der alten Welt unter Verhältnissen entwickelt, die zu Tage traten, als man von den Thaten, die seitdem unser Riese gezeitigt hat, nichts ahnen konnte. So steckt denn die junge Technik in einem Vcrwaltungs-Gewande, das für ihre Entwickelung und ihre Be¬ thätigung zu eng ist. Trotz allem Wohlwollen, welches zweifel¬ los z. B. in deutschen Landen der Industrie und Technik von den Behörden entgegengebracht wird, fühlt sie sich immer noch wie ein

Stiefkind. Lassen Sie mich Ihnen, meine Herren, aus der großen Fülle der Thatsachen einige wenige vorführen, die populär sind und die Lage am besten illustrieren! Sie erinnern sich an das viel besprochene Urteil des Reichsgerichts vom 20. Oktober 1896, durch das zum Befremden jedes Richtjuristeu der Diebstahl an Elektrizität für erlaubt erklärt wurde. Nach Verlauf von fast zwei Jahren, am 1. Mai d. wurde das Urteil in der Praxis zum zweitenmale in Anwendung gebracht. Bekanntlich stützt sich das Urteil auf den § 242 des Straf¬ gesetzbuches, nach dem nur der Diebstahl von einer beweglichen Sache bestraft werden kann. Nach der Ansicht der meisten Physiker ist aber die Elektrizität keine bewegliche Sache, sondern eine be¬ sondere Form der Energie. Also sind die Gesellschaften, welche die elektrischen Ströme erzeugen, schutzlos dem Raube ausgesetzt! Unser Strafgesetzbuch hat hier, und übrigens auch in den übrigen Kultnrstaaten, eine Lücke. Das Wunderbare ist auch uur, daß zwei Jahre in einem Kulturstaate verfließen konnten, ohne daß die Lücke aus¬ gefüllt wurde,' daß zwei Jahre hindurch die Elektrizitätsgesellschaften außerhalb des Schutzes des Gesetzes standen. Der Verband der deutschen Elektrotechniker hat sich während der Zeit um das Zustandekommen der notwendigen Gesetze bemüht. Jetzt, nach zwei Jahren, wird in der That im Reichsjustizamt eifrig gearbeitet, um die geschilderte. Gesetzeslücke auszufüllen. Aber, meine Herren, selbst wenn diese Gesetzesänderung sich vollzogen haben wird, ist die Angelegenheit dennoch nur zum kleinen Teil erledigt' es bleibt im Gesetzbuche noch eine klaffende Lücke nach

I.,

dieser Richtung hin übrig. Richt geschützt ist dann noch z. B. die mechanische Arbeit und die Wärme. Beide sind besondere Fornien der Energie; beide sind keine beweglichen Sachen im Sinne des § 242, und beide sind deshalb den Herrn Verbrechern un¬ gestraft überlassen. Jeden Tag können Erfindungen hervortreten, in denen die Wärme oder die mechanische Arbeit sich so bethätigt,

daß sie leicht von einem Dritten ohne Erlaubnis der Erzeuger ver¬ der wendet werden können: ihr Diebstahl ist nicht verboten. Rcchtsgeschichte finden sich denn auch Fälle, die diese Angelegenheit tragikomisch illustrieren! Soll dieser Uebelstand vollständig gehoben werden, dann muß ein Gesetz zum Schutz der Energie überhaupt gegeben werden. Der vorzügliche Kenner dieser Angelegenheiten, Herr Professor Kohlrausch in Hannover, schlug aber auf der Versammlung des Verbandes deutscher Elektrotechniker in diesem Jahre vor, sich zu¬ nächst mit dem gesetzlichen Schutz der Elektrizität zu begnügen, weil der Wunsch nach dem allgemeinen Gesetze, wegen der großen Schwierigkeit bei seiner Fassung, die Angelegenheit dazu bringen könnte, daß sie ad calendas graeoas vertagt würde. Ja, meine Herren, das ist ja gerade die wunde Stelle in unserem Staats¬ leben, auf die wir Techniker immer von neuem den Finger legen

In

Es fehlt uns an einer Behörde, die die Zeit und die Mitglieder besitzt, um solche unendlich wichtigen An¬ gelegenheiten zu erledigen. Es wird Ihnen bekannt sein, meine Herren, daß man jetzt

müssen.

imstande ist, mittelst des sogenannten Drehstromes, wie die Tech¬ niker sagen, jede Kraft auf beliebige Entfernungen in wirtschaft¬ licher Weise zu übertragen. Eine an Wasserkraft reiche Provinz vermag z. B. ihre über¬ schüssigen Kräfte mittelst Drehstroms in ein Kraft bedürftiges Gebiet zu führen. Die Energie der Ströme kann auf solche Weise im Interesse der Umwohnenden ansgenutzt werden. An mehreren großen Strömen haben sich denn auch bereits bedeutende Industriebezirke herausgebildet, die ihre werkthätige Kraft dem Strome ver¬ danken, der sie durcheilt. Ich erinnere nur an die Anlagen um Rheinfelden. Die Kraftübertragung vollzieht sich im allgemeinen in der Weise, daß der Anker der Dynamomaschine durch die Wasser¬ kraft bewegt wird und Elektrizität erzeugt. Die elektrischen Ströme werden dann durch Drähte nach den gewünschten Orten geleitet, wo sie Licht erzeugen und chemische Zersetzungen hervorrufen können; sowie Maschinen aller Art und den Eisenbahnen Antrieb zu ver¬ leihen vermögen! Mau darf jetzt in der That behaupten,

daß jedes Teilchen Wasser, das, ohne seine Kraft abzu¬ geben, dem Meere zuströmt, als Verlust am Vermögen des Staates und am Säckel des Steuerzahlers betrachtet werden muß. Um eine zweckentsprechende Ausnutzung der Wasserkräfte zu erzielen, bedarf man der starken Hand der Staatsgewalt und be¬ sonders erweiterter Gesetze über

Wer

das Enteignungs-Verfahren.

auf deutschem Boden in den ermähnten Jndustricbezirken umsieht, dem kann es in den meisten Fällen nicht entgehen, daß die energieführenden Drähte auf den unmöglichsten Wegen oder besser Umwegen ihren Zielen zustreben. Die Gutsbesitzer ver¬ weigern den Kabeln den Uebergang über ihr Land, der Staat verschließt ihnen die Landstraßen. Ist es unter solchen Umständen wunderbar, wenn Kapitalisten sich zum Nachteil der deutschen Industrie von Unternehmungen der Art abwenden? England und Italien besitzen die notwendigen Gesetze, um die Wasserkräfte, die ihr weites Land birgt, verwenden zu können; und geradlinig ver¬ zweigen sich die kraftbeschwerten Drähte bei ihnen nach allen Rich¬ tungen der Windrose. Auch in Frankreich wurde ein hierauf bezügliches Gesetz den Kammern vorgelegt, und dürfte in nicht zu ferner Zeit in Kraft treten. Nichts von alledem bestand bisher bei uns in Deutschland! Wird über diese oder eine ähnliche Angelegenheit verhandelt, dann geschieht es gewiß nur im Kreise von Privat¬ sich

personen! Woran liegt das? werden Sie fragen. Hauptsächlich wohl mit daran, daß die einzelnen Behörden, in unserem Vaterlande enger umgrenzt in ihren Befugnissen sind als in anderen Staaten. Erst unter dem Drucke der öffentlichen Meinung dürfte mau sich der Verschwendung bewußt werden, die man mit Deutschlands Kraftschätzen treibt.

689

so

Meine Herren, ich muß zum zweitenmal betonen, daß ein unermeßlicher wirtschaftlicher Fehler ganz unmöglich wäre, wenn

wir eine selbständige Behörde besäßen, die sachkundig dem Entwickelungsgänge der Technik folgte, und die im Wege der Gesetzgebung sich bemühte, Schwierigkeiten zu heben, zu helfen und anzuregen, wo es auch immer nur angeht. Daß eine unabhängige Behörde für technische Angelegenheiten

uns unentbehrlich ist, haben auch mehrere Gesctzesvortageu in der Zeit bewiesen. Ich erinnere nur unter anderen an die Gebührenordnung für Telephonwesen. Wir sind alle vollkommen überzeugt von dem guten Willen und dem eifrigen Bestreben der betreffenden Behörden. Die Verordnung zeigte aber eine mcrkwürdige Verständnislosigkeit für die natürlichsten Wünsche des Publikums und der Industrie! Ueber die Schwierigkeiten, die durch das Fehlen einer speziellen Behörde für technische Angelegenheiten, im Patentwesen hervor¬ treten, will ich mich nicht weiter ergehen. Nur eine Thatsache möchte ich, um eine gewisse Vollständigkeit zu erzielen, anführen. Wer die Prozesse verfolgt hat, die über Patentangelegenheiten in deutschen Landen geführt werden, wird die bedauerliche Er¬ letzten

scheinung wahrgenommen haben, daß fast stets die Prozesse erst an der höchster Stelle, vor dem Reichsgericht, ihr Ende ffnden. That dürfte es auch den gewöhnlichen Gerichten ganz unmöglich sein, sich über schwierige technische Fragen ein Urteil zu bilden. Das veranlaßt zumeist Entscheidungen, bei denen sich die Parteien nicht beruhigen können. Wo ließe sich besser eine Reorganisation der Gerichtsordnung für Patentangelegenheiten anbahnen, als innerhalb einer Behörde, deren einzige und alleinige Ausgabe es wäre, sich mit den technischen Angelegenheiten in unserm Staatswesen zu beschäftigen! Wer aufmerksam der Entwickelung der technischen Angelegenheiten gefolgt ist, wird, um einmal volkstümlich zu sprechen, ein nur laues Interesse konstatiert haben, das die Behörden der Technik widmen. Sehr Natürlich, meine Herren.

In

Sehen Sie sich doch einmal, soweit es zunächst Preußen an¬ geht, in unseren höchsten Behörden um. Fast in allen finden sich kleine Plätzchen, die, ich möchte nicht gerne sagen —

nebenbei — der technischen Angelegenheiten gewidmet sind.

so

(Schlich folgt.)

Die Jubelfeier der Technischen Hochschule. „Die Mutter war die Industrie, Der Fortschritt war der Vater — Und so entstand gewaltig sie Die neue alma mater . .

Heinrich Seidel.

zwangloser

Begrnßungsabend

bei

Kroll eröffnete am

zur Jahrhundertfeier der Tech¬ nischen Hochschule. Von nah nlid fern, ans allen Gauen des Reiches, aus Oesterreich und der Schiveiz waren die Männer der Bau¬ kunst und der Techllik in der deutschen 18. Oktober die Festlichkeiten

Blitzes

wilde Kraft"

Festlichkeiten begannen

erzeugen und bezwingen. am 19. Oktober mit der

— Die

offiziellen

Enthüllung der

Denkmäler von Werner Siemens und Alfred Krupp, deren Beschreibung wir an anderer Stelle geben. Die Denkmäler, welche ihren Platz vor der Technischen Hochschule gefunden haben, sind die

Jubiläumsgaben der deutschen Industrie.

Siemens wurde vom Verein deutscher Ingenieure gewidmet, Krupp vom Verein deutscher Eisenhüttenleute und der nordwestlichen Gruppe deutscher Eisen- und Stahlindustrieller. Bei der Enthüllungsseier, die um 10 Uhr stattfand,

hicltBaurat Bissing

die

Festrede

ans

Reichshauptstadt zu¬ sammengeströmt, uni kürz vor dem Ablauf

Siemens, Kommer¬ zienrat Servaes auf Krupp. Der Rektor

des Jahrhunderts der Jubelfeier einer

der Technischen Hoch¬ schule, Gehecmrat Riedl er, dankte den

Bildungsstätte

bei¬

Stiftern und nahm

zuwohnen, deren Wachsen und Werden aufs innigste mit der staunenerregcnden Entwickelung der Technik und deni Anfschmnng von Handel und Industrie in dem scheidenden Jahr¬ hundert verknüpft ist.

die Denkmäler in die Obhut der Hochschule „als sichtbare Zeichen derGrüße eines Krupp

und Siemens, ihnen zur Erinnerung, der Mit- und Nachwelt zur Nacheiferung und Wertschätzung, Hochschule als

Der Begrüßungs-

abend

batte

geisterndes

das

Im

Programm: Festrede (Geh. Re¬ gierungsrat Rietübliche

fcicr im Lichthof der Hochschulevorsich,dcm das Kaiserp aar bei¬ wohnte. Punkt zwölf Uhr begann der Fest¬ akt, welchen die Mi¬ litärkapelle mit dem niederländischen Dankgebet: „Wir tre¬ ten zum Beten vor Gott dein Gerechten", einleitete. In feiner

Festspiel „Prome¬ theus" (gedichtet von Direktor Max Krause, dargestellt

Festrede

von Molenar,Frau

minister

vonHochenburger

Kultur

und dcrMcnschcligeisl gefeiert, denl es gelungen ist, die nu-

bändigen Naturkräfte

Studt einen

Grund der Diplom¬ prüfung „DiplomIngenieure" und letztere auf Grund

iu seinen Dienst zu zwingen. Das Fest¬ spiel

werke der Elektro¬ technik, „des die

warf Kultus¬

kurzen Blick aus die historische Entwicke¬ lung der Technischen Hochschule und ver¬ kündete zum Schluß, daß der Kaiser ihr und den Schwesteranstalten das Recht verliehen habe, auf

und Baumeistern und Studenten). In dem Prologe wurden die

bot eine reiz¬ volle Mischung von Altertuni nlid Gcgenivart: der Titan wird von den modcrilcn Technikern inSchatten gestellt und staunt über die Wunder¬

unmittelbaren

Haupt aktderJubel-

begrüßte na¬ des Festaus¬ schusses die Gäste und feierte alle, die „aus dem Leben für das Leben" schaffen),' Prolog (gedichtet von Professor Witt, gesprochen von Rosa Poppe) und ein

der

be¬

Vorbild."

Anschluß an die Ent¬ hüllung ging der

schel mens

Ideale

der

einer weiteren Prü¬ fung zu „Doktor-

Ingenieuren"

zu ernennen. Gleich¬ zeitig teilte der Kul¬

Die Künste, der Technik huldigend. Gruppe von Ernst

Herker.

(«eschen! der Akademie der Künste in Berlin zur Hwiderstahrseier der Technischen Hochschule i» Ci>arlotte»burg.)

tusminister mit, daß der Kaiser de» Rek¬ toren der Technische»

690 den Titel „Magnificenz" beigelegt habe, und daß der Doktorgrad auch üonoris cau8a verliehen werden dürfe. Der Rektor der Hochschule, Geheimrat Ricdler, nahm hierauf das Wort, um den Dank der Hochschule für diese Gnadenbeweise auszusprechen und in längerer Rede auf die Verdienste des Hohenzollernhauses um die Förderung von Kunst und Wissenschaft, von Technik und Industrie hinzuweisen: so wollte z. B. der Große Kurfürst schon eine Seemacht schaffen, noch ehe England an eine solche dachte. Der Kaiser, der nunmehr das Wort ergriff, erinnerte im Anfang seiner Rede an die vor fünfzehn Jahren in Gegenwart Kaiser Wilhelms I. erfolgte Einweihung des Hochschulpalastes, und wie der unvergeßliche Herrscher damals die Hoffnung ausgesprochen habe, daß dem schmucken Bau das geistige Leben entsprechen würde, das sich in demselben entwickeln werde. Diese Hoffnung sei glänzend erfüllt worden, und die technischen Hochschulen haben sich den Universitäten ebenbürtig an die Seite gestellt. „Es ist mir eine besondere Freude gewesen", fuhr der Kaiser dann wörtlich fort, „dies heute noch dadurch anerkennen zu können, daß ich den technischen Hochschulen

technische

fuhren die Chargierten der Studenten, die Vertreter von mehr als 40 studentischen Korporationen, vom Zoologischen Garten aus in einer langen Reihe von Wagen durch das Brandenburger Thor und die Linden entlang nach dem Lustgarten, wo sie auf den Stufen des Denkmals von Friedrich Wilhelm III. einen riesigen Lorbecrkranz nieder¬ legten. Ein zweiter Lorbecrkranz wurde am Denkmal Kaiser Wilhelms I. mit einer kurzen Ansprache niedergelegt. Nachmittag um fünf Uhr nahm das große Festmahl bei Kroll seinen Anfang, das an 39 Tafeln 1168 Teilnehnier im Königs- und Rittersaal vereinigte. An der Ehrentafel saßen die Minister von Miguel und Studt und die Rektoren der Universitäten Berlin, Halle, Leipzig. Breslau, Greifswald, Rostock, Gießen, Jena, Straßburg und die Leiter der Technischen Hochschulen und Bergakademien: den Trinkspruch auf den Kaiser brachte Minister von Miguel aus und feierte in demselben die Fürsorge und das Verständnis, das der Monarch den Naturwissenschaften und ihrer praktischen Anwendung entgegenbringt. Kultusminister Studt toastete auf das weitere glückliche Gedeihen der Technischen Hochschule. Der

Die Statur Alfred Lruppa,

Die Statue Werner d. Siemens. Hochschulen das Recht zur Verleihung besonderer, ihrer Eigenart ent¬ sprechender wissenschaftlicher Grade beigelegt habe. Daß durch die wissen¬ schaftlichen Bestrebungen der Hochschulen der innige Zusammenhang mit der Praxis nicht beeinträchtigt werden darf, und die technischen Hochschulen bemüht sein werden, aus der anregenden Berührung mit dem Leben fort¬ dauernd neue Kraft und Nahrung zu ziehen, dafür dienen als Wahr¬ zeichen die Standbilder der beiden Männer, die fortan die Front dieses Hauses schmücken werden. So lange sic die Erinnerung an diese Männer festhalten und ibrcm Vorbilde nacheifern, wird die deutsche Technik im Wettkampf der Nationen allezeit ehrenvoll bestellen. dem Verhältnis der Technischen Hochschulen zu den anderen obersten Unter¬ richtsstätten aber giebt es keine Interessengegensätze und keinen anderen Eiter als den, daß eine jede von ihnen und jedes Glied derselben an seinem Teile den Forderungen, die das Leben und die Wissenschaft stellen, voll gerecht werde, eingedenk der Goethcschen Worte:

In

Gleich sei keiner dem andern: doch gleich sei jeder dem Höchsten! Wie das zu machen? Es sei jeder vollendet in sich!"

Vor der Abfahrt besichtigten die allerhöchsten Herrschaften — mit dem Kaiserpaar waren auch die jüngsten kaiserlichen Prinzen erschienen — eingehend die Denkmäler von Siemens und Krupp. Am Nachmittage

Rektor, Geheimer Rcgierungsrat Riedler, suchte in einem geistvollen Trinkspruch nach den Ahnen des hundertjährigen Geburtstagskindes. Nach einem launigen historisch-litterarischen Rückblick, in welchem auf den „Mechaniker" Hcphästos, auf die „Maurermeister der Walhalla" Fafncr und Fasolt, auf den „Unternehmer" Alberich hingewiesen wurde, und in welchem Mime ein „Murkser" ersten Ranges genannt wurde, da er Stahlstückc durch Löten verbinden wollte, nannte der Redner die Männer der That, wie Siemens und Krupp, die „Väter der Technik", während deren „Mütter" die Universitäten seien, die Ausgangsstütten der Geistesbildung und echter Wissenschaft. Eine Festaufführung — L. Schneiders ewig junges Genrebild „Kurmärker und Pikarde", das von Fräulein dcll'Era und Herrn Vollmer dargeboten wurde — schloß das Festbankett, eines der glanzvollsten, das die Festräume bei Kroll je gesehen.

Die Denkmäler von

Alfred Krupp

und

Werner Siemens

haben vor den Rampen der Technischen Hochschule ihre Aufftellung gesunden und erheben sich mitten im Grün der Gartcnanlagcn vor der¬ selben. Die beiden Fürsten der deutschen Industrie — beide sind freilich Autodidakten, die zu der Hochschule in keiner direkten Beziehung stehen — sind in Bronze gegossen. Siemens in Lauchhammcr, Krupp bei Gladcnbeck. Sie haben die Front einander zugcivandt, links vom Be-

691 schauer steht Krupp, rechts Siemens. Die Denkmäler, die etwa 2,50 m find, stehen auf einfachen Postamenten von poliertem, rötlichem

hoch

Granit.

Kunst und Wissenschaft.

Alfred Krupp,

der von Professor Ernst Herter modelliert ist, macht den Eindruck großer Schlichtheit und Einfachheit. Der Künstler hat den „Kanonenkönig" dargestellt, als sei er soeben vom Zeichentisch auf¬ gestanden. Der Jackettrock ist offen, die Rechte faßt mit dem Daumen in die Weste, die Linke stützt sich aus ein Geschütz, auf dem ein Plan liegt. Der Blick ist nach rechts gewandt, in den Gesichtszügen drücken sich Thatkraft und fteundlicher Ernst aus. Werner Siemens, der von Wilhelm Wand¬ schneider modelliert ist, ist im offenen, langen Rock dargestellt,' die Rechte stützt sich auf eine Dynamo-Maschine — ein

Hinweis auf die Haupterfindung des genialen Elektrotechnikers — die Linke greift in die Hosentasche. Werner Siemens blickt nach links, der Kopf mit

der hohen, stark hervortretenden Stirn verrät eiserne Energie und schöpferische Gedankenarbeit. Vermindert wird die Wirkung der Denkmäler, welche die beiden Industrie-Fürsten überaus glück¬ lich verkörpern, durch die große Nähe des Hochschulpalastcs, dessen Massen die Bronzefiguren wie Nippsachen erscheinen lassen. Schade, daß der Platz vor der Hochschule nicht größere Tiefe besitzt! Ani 20. Oktober fand im Lichthofe der Hochschule die feierliche Ueberreichung der Ehrengaben statt. Die bedeut¬ same Feier wurde mit einem Gesang des Chors der akademischen Hochschule um 11 Uhr eröffnet. Im Namen der Stadt Berlin brachte Bürgermeister Kirsch n er, mit dem der Stadtverordnete

Theater. Neues

Theater.

Einen

vergnügten Abend bereitete Ernst von Wolzogen mit seinem Lustspiel „Ein unbeschriebenes Blatt" dem Publikum des „Reuen Theaters". Der

Stoff des Stückes ist keineswegs komisch, sondern sehr ernst, und ein hypochondischer Schriftsteller hätte daraus sogar ein Trauerspiel gemacht. Der lachende Wolzogen aber gewinnt auch ernsten Dingen die komische Seite ab. Wenn ein gereifter Professor der höheren Mathe¬ matik einen siebzehnjährigen Backfisch heiratet, dessen Vater er dem Alter nach sein könnte, so ist das nicht lustig, be¬ sonders da die Schwiegermutter noch jung

ist

■—

uni

sechs

Jahre jünger als

der Professor — den Professor liebt und erwartet, daß er ihr selbst einen Hciratsantrag machen, aber nicht um die Hand des Kindes, des unbeschriebenen Blattes, anhalten werde. Wolzogen schildert nun die junge Ehe als einen Wirrwarr, bis dem Professor die Haare zu Berge stehen, weshalb sich der arnie Mann einen Eis¬ beutel auf das schwere Denkerhaupt legt. der That geht es toll genug her. Die junge Frau wirft sich mit ihrem Cousin, einem Fähnrich, platt auf den Boden und sucht eine weiße Maus einzufangen. Die Wirtschaf¬ terin des Professors, die sich cnttrohnt sieht, wirkt nicht nur durch die Sprache, sondern auch durch ihr altjüngferliches Gehaben komisch. Zwischendurch poltert Michelet erschienen war, seine Glück¬ ein alter Gamaschenknopß seine Schwester wünsche und eine Stiftung von 100000 M. zetert und stichelt auf die Mutter des Geh. Nrgierilngsrat Prof. A. Lirdlrr, dar, deren Zinsen zu Rciscstipeudien unbeschriebenen Blattes. Zum Schluß derzeitiger Rektor der Technischen Hochschule in Charlotienburg. verwandt werden sollen. Die Stadt brennt die junge Frau mit dem Fähnrich Charlottcnburg erhöhte ihre Stiftung durch. Da der junge Mensch aber kein 1884 000 auf 40 000 von 20 Mark. Im Namen Geld hat, bleibt sie auf dem Bahnhof liegen, wird von der Mutter Mark aus dem Jahre der deutschen Industrie überreichten Finanzrat Jenke und Fabrik¬ heimgeholt und alles löst sich in Wohlgefallen auf. Der Dialog ist besitzer Borsig eine Glückwunschadresse, in welcher eine Jubiläums¬ ruhig, die Lachsalven folgten einander. stiftung von'ein und einer halben Doch blieb der dritte Akt hinter Million Mark angekündigt wurde, dem ersten und zweiten an Komik ein Betrag, der von Firmen der In¬ zurück; wie denn auch der Schluß dustrie, des Handels, von Rhcdereien nicht ganz befriedigend ist, da nichts und Banken im ganzen deutschen Vaterdafür spricht, daß die Zerwürf¬ lande als Dantcsspendc aufgebracht nisse, die ihren Abschluß gesunden worden. Die Akademie der Künste ließ haben, sich nicht am nächsten Tage durch Geheimrat Ende für die Aula wiederholen. eine kostbare Brouzegruppe svon Hertcrj Daß das Stück trotz der über¬ überreichen, die ehemaligen Studierenden mütigen Szenen nicht zur Posse aus¬ der Bauakademie und der Gewerbeartete, dafür sorgte Frau Nuscha akademie, aus denen die Technische Butze, die den vornehmen Lustspiel¬ Hochschule hervorgegangen ist, stifteten ton festzuhalten wußte und eine fein Gedenktafeln aus Erz, die im Lichtliofe abgetönte Leistung bot. angebracht werden. deutschen Die Nuscha Butze ist die beste Schau¬ Universitäten und technischen Hochschulen, spielerin der Frau Direktor Butze, die Bergakademien, die Landwirtichaftdoch trugen auch die Mitwirkenden liche und die Tierärztliche Hochschule dazu bei, daß die Aufführung von zu Berlin brachten ihre Glückwünsche Erjolg begleitet war. unter Ueberreichung kunstvoller Adressen dar,' ihnen schlossen sich die Vertreter zahlreicher Vereine an, so des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes, des Vereins deutscher Ingenieure und des Vereins für die Geschichte Berlins. Mit dieser Feier im Lichthofe waren die offiziellen Festakte beendigt. Bei den weiteren Feierlichkeiten kam vor allem Am 15. Oktober starb im 82. Lebens¬ die akademische Jugend zu ihrem Rechte, jahre der Verlagsbuchhändler Dietrich so bei dem großen'Kommers, der am Reimer. Der Verstorbene, geboren am Abend des 20. Oktobers in der Phil¬ 13. Mai 1818 zu Berlin als dritter harmonie stattfand, und bei dem der Sohn des Buchhändlers Georg An¬ Rektor Gchcimrat Ri edler von der dreas Reimer, gründete 1845 eine Sor¬ Studentenschaft einen kostbaren Ehren» timentsbuchhandlung, aus welcher sich schild erhielt. Am Abend des 21. Oktober die bekannte geographische Verlagshaudschloß ein großer Fackclzug das Jubel¬ lung entwickelte. Teilhaber derselben fest. Die Studentenschaft versammelte war seit 1868 Hermann Höfem 1891 sich in der Sophie-Charlottcnstraße und trat Dietrich Reimer aus der Firma, zog von dort durch die Berlinerstraße die sich seit 1895 im alleinigen Besitz nach der Hochschule. Der imposante des Konsuls a. D. Ernst Mohscn be¬ Zug, der aus zwei Militär-Musikkorps, findet. Jni Verlage von Dietrich Reimer 50 Wiw.'n und 1700 Studenten mit Dir Diistr Hermann Wiebrs. erschienen zahlreiche Atlanten, Wand-, Wachsfackcln bestand, wurde am Portal General- und Spezialkarten, namentlich des festlich erleuchteten Hochschulpalastcs von Heinrich und Richard Kiepert, Curtius, Brecher und Kaupcrl, die vom Rektor und den Dozenten und den Leitern der auswärtigen Adamischen Erd- und Himmelsgloben und seit 1853 die „Zeitschrift der Hochschulen empfangen. In der Schlußrede sprach Geheimrat Ricdlcr Gesellschaft für Erdkunde in Berlin". noch,»als den Dank der Fachschule für die großartigen Ehrungen aus, Am 15. Oktober beging die Universität den Rektoratswechsel die ihr zu ihrem Jubelfeste von allerhöchster Seite zu teil geworden 'ihr durch eine Feier in der Aula. Der scheidende Rektor, Pros. Waldeyer, und für die und den Schwesteranstalten gewährte Gleichstellung berichtete, daß binnen kurzem mit dem Bau einer neuen Aula und mit den Universitäten,' er ließ seine Wünsche und Hoffnungen in einem neuer Hürräume in der Mitte des Kastanienwäldchcns begonnen werden och aus die Hochschule ausklingen, das einen zwcilauscudstimmigen, würde. Promoviert wurden in dem abgelauscucu Jahre au der raufenden Widerhall fand.

In

-

Berliner Chronik.

Berliner Universität 10 Doktoren der Rechte, 77 der Heilkunde und 102 der Philosophie. Die Zahl der zum Hören zugelassenen Frauen betrug im Winter 241 (gegen 193 im Winter 1897/981. Der neue Rektor, Professor Lazarus Fuchs, behandelte in seiner Antrittsrede das gegenseitige Verhältnis zwischen der reinen Wissenschaft und der Technik. Der Verein Berliner Presse wählte in seiner Sitzung am 18. Oktober zum ersten Vorsitzenden Ernst Wichert, zum zweiten zum dritten Vorsitzenden Re¬ Vorsitzenden Chef-Redakteur dakteur ten

Zabel.

Vollrath,

Die Rieselfelder und Kanalisationswerkc Berlins erforder¬ für das Etatsjahr 1898 einen Zuschuß von 1445058,31 Mark aus

der Stadthauptkasse. Eine Magistrats-Kommission bat, nachdem die Unterhandlungen mit der Firma Rud. Hertzog aus finanziellen Gründen gescheitert sind, beschlossen, das Grundstück des Kölluischen Rathauses ganz oder geteilt zum Verkaufe auszubieten. Schade, daß auch hier wieder das finanzielle Interesse den Ausschlag giebt. Gerade im Zentrum der Stadt sind Luft und Licht nötig, und man sollte den Platz unbebaut lassen und mit Gartenanlagen und einem Springbrunnen versehen. Das wäre aus ästhetischen und aus Verkehrsrücksichten dringend zu wünschen.

General August von Bomsdorff, bisher kommandierender General des 10. Armeekorps, ist zum Gouverneur von Berlin ernannt worden. Der am 18. September 1842 in Charlotteuburg geborene General trat 1860 als Sekoud-Leutnant in das GardcFüfilier-Regiment. Er nahm als Adjutant an den Schlachten bei Küniggrätz, Vionvillc-Mars la Tour, Gravelottc-St. Privat, an der Belagerung von Metz und an der Schlacht Beaune la Rolande teil, machte den letzten Teil der Belagerung von Paris als Hauptmann und Kompagniechef int ersten Gardcrcgimeut zu Fuß mit und wurde 1876 bereits Major. Als solcher gehörte er dem Generalstabc des 15. Armee¬ korps an und wurde 1882 zum Flügcladjutanten des Kaisers kommandiert und ein Jahr später zum Oberstleutnant befördert. Im September 1884 wurde von Bomsdorff zum Chef des Stabes vom 10. Armeekorps ernannt, 1888 wurde er Oberst und Kommandeur des Infanterieregiments Nr. 26, 1890 Generalmajor und Kommandeur der 25. Jnfanteriebrigade, am 13. April 1893 Gcncralleutuant und Kommandeur der 18. Division, am 11. Juli desselben Jahres Kommandeur der 2. Garde-Infanterie¬ division und 1897 kommandierender General des 5. Armeekorps und General der Infanterie. Zum kommandierenden General des 10. Armee¬ korps wurde von Bomsdorff am 4. April d. ernannt. Die Figur des mahnenden Christus von Professor Schaper wird demnächst über dem Triumphbogen des Hauptportals am neuen Dom ihren Platz finden. Die bei Martin & Pilbziug in Kupfer ge¬ triebene 5,30 m hohe Statue wiegt 35 Zentner: sie erhält ihren Platz 32 m über dem Straßen dämm. Christus ist als göttlicher Lehrmeister mit erhobener Rechten dargestellt. Die Statue vereint packende Lebendig¬ keit mit erhabener Ruhe. Gleichzeitig mit der Christusstatue kommen drei der acht Engclsgruppcn zur Aufstellung, welche den Fuß der Kuppel umgeben werden. Die Engclsfiguren sind 5,20 in hoch und wiegen mit de» Begleitputtcu je 43 Zentner.

I.

_

Zum Eintritt find angemeldet: Herr Historienmaler Kourad Astfalck, Wilmersdorf, Durlacherstraße 14. Einführende: die Herren

E. Friede! und Fr. Körner. Herr Rittergutsbesitzer vr. Kreisel auf Schloß Buderose bei Kuben. Einführende: die Herren Burkhardt und E. Friede!. Frau Luise Weese geb. Bredow, Küuiggrätzcrstraße 69. Einführende: Frl. Hedwig Schwartz und Herr E. Friede!. Herr Hofkuustweber und Fabrikant Wilhelm Ziesch. Einführende: die Herren E. Friede! und Fr Körner.

Verein für die Geschichte Berlins. Am Sonnabend, den 14. Oktober, eröffnete Herr Amtsgerichtsrat vr. Bsringnier im Bürgersaale des Rathauses vor den zahlreich erschie¬ nenen Mitglieder», deren Damen und Gästen das Winterhalbjahr mit einem Rückblick auf die vom Verein im Sommer unternommenen Wanderfahrten nach Bernau, Römerschanze, Neuruppin und dem Spree¬ wald: sodann legte er das aus dem Nachlasse des verstorbenen Ehren¬ mitgliedes, Herrn Geh. Regier.-Rates vr. Wilhelm Schwartz, der Vereins - Handschrifteusainmlung vom Sohne überlassene Manuskript „Chronistische Aufzeichnungen eines Berliners" von 1704—1758 vor. Diese Aufzeichnungen sind jüngst von Herrn Kammergerichtsrat vr. zur. Fr. Holtzc in den „Schriften des Vereins für die Geschichte Berlin" veröffentlicht worden. Es wurde noch mitgeteilt, daß sich der Verein au der Feier der technischen Hochschule durch Ueberreichung einer Adresse in Form einer Pcrgamenturkunde beteiligt. Den ersten öffentlichen Vortrag hielt darauf Herr Professor vr. Fr. Krüner. Redner sprach über den Markgrafen Johann von Brandenburg, Ritter des Goldenen Vließes, Generalkapitän von Valencia, designierten König von Bugia in Afrika. Wie in Frank¬ reich Bayard, wie in Deutschland Maximilian I. gehört er zu den interessanten Erscheinungen des sechzehnten Jahrhunderts, die, schon mitten hineinreichend in das helle Licht der Neuzeit, doch von dem Hauche derselben unberührt, noch völlig von dem romantischen Dämmerlicht des Mittelalters umflossen erscheinen. Schon ftüh hinausgezogen von dem kinderreichen Fürstenhofe der Plcffenburg, fand er schnell einen ehrenvollen Platz im kaiserlichen Dienste: von da ging er, in Brüssel mit dem goldenen Vließe investiert, an den befreundeten Hof Ferdinands des Katholischen. Damit wurde Spanien seine zweite Heimat: von dort aus grist er fördernd ein in die der Kaiserwahl Karls V. vorausgehende Bewegung. Als Lohn erhielt er dort sechsundzwanzigjährig, die Hand der dreiunddreißigjährigeu Witwe Ferdinands, der durch Geist, Schönheit, aber auch durch ihren Aberglauben berühmten Französin Gcrmaine von Foix, und gleichzeitig das Titularkünigstum in dem algerischen Bugia, das kurz vorher von den Spaniern den Barbaresken entrissen war. Das uns erhaltene, überaus interessante Porträt der Gcrmaine, im Witwen¬ schleier mit Muschel und Rosenkranz im gotischen Chorstuhlc von Toledo dargestellt, führte nach einer Ausvacher Kopie der Vortragende seinen Hörern vor. In Valencia, wo Markgraf Johann soeben einen gefähr¬ lichen Aufstand gedämpft hatte und zum Empfange des gefangenen Franz I. von Frankreich sich rüstete, raffte den erst zweiuuddrcißigjährigeu ein heftiges Fieber in wenigen Tagen dahin. Noch in dem¬ selben Jahre schloß Gcrmaine einen dritten Ehcbund mit dem vierzehn Jahre jüngeren Ferdinand von Calabricu.

Märkische Chronik.

Büchertisch.

Die Ausführung des Kaiser Wilhelm-Denkmals in Britz wurde dem Bildhauer Eduard Albrecht übertrage». Rieder-Schönweidc. Das neue Schulhaus, das 11 Klassen und eine Aula mir 350 Sitzplätzen enthält, wurde am 16. Oktober feierlich eingeweiht. Der prächtige Backstciubau kostete rund 200000 Mk. Potsdam. Am 16. Oktober verschied in Potsdam August Prinz von Schönaich-Karolath, künigl. Berghauptmann a. D. Ter Verstorbene war am 20. August 1822 zu Saabor geboren. Neuendorf bei Potsdam. Am 18. Oktober fand in Gegenwart

Britz.

der Kaiserin die feierliche Einweihung der Bcthlehcmskirchc in Neuendorf statt. Der Kaiser schenkte der Kirche außer einem bedeutenden Geldbeträge die Orgel, die Kaiserin stiftete die Altarbibel und ein Chor¬ fenster.

Kleine Mitteilungen. Verband der Kriegsfreiwilligen von 1870—1871.

Der

über ganz Deutschland verbreitete Verband der Kriegsfreiwilligen von 1870—1871, (Sitz Berlin, Vorsitzender Landbauinspektor Wulff: Lankwitz,) läßt es sich angelegen sein, die Namen und näheren Adressen aller jener noch lebenden und bereits toten Mitkämpfer von 1870/71 (auch der Seelsorger, der Mitglieder der Sanitäts-Korps, der männlichen wie weiblichen Mitglieder der Johanniter-Kolonnen u. s. w.) fest¬ zustellen, welche einst — in hoher Zeit — dem Triebe ihres Herzens folgend, nicht der Pflicht gehorchend, kriegssreiwillig den großen Krieg mitgemacht haben. Ter Schatzmeister des obigen Verbandes (Adresse: Herrn Banquier Ernst Zeedcn, Berlin W., Terslingerstr. 19a) nimmt, um allseitige Unterstützung dieses Vorhabens bitend, diesbezügliche nähere Angaben dankend entgegen.

Vereins-Nachrichten. „Brandenburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Als Mitglieder sind aufgenommen: Fräulein Bcrgljot-G oltdammer, städl. Lehrerin, dl., Wcißcuburgerstraße 52. Herr Paul von Studnitz, Charlottenburg, Charlottenburger Ufer 3b. BeraniworUichrr Redakteur:

vr. M. gdliicineano, Berlin.

Bilder aus dein Reiche der Tiere. Augenblicksauf¬ nahmen nach dem lebenden Tierbestaude des Berliner Zoologischen Gartens. Herausgegeben und mit erklärenden Unterschriftssätzeu versehen von vr. L. Heck, Direktor des Berliner Zoo¬ logischen Gartens. Vollständig in 16 Lieferungen zu je 50 Psg. mit etwa 200 Illustrationen. Ouerfolio (Werner Verlag G. m. b. H., Berlin, Equitable-Gcbäude). Eine bessere Empfehlung können wir dem schön ausgestatteten Werk, von dem uns die beiden ersten Lieferungen vorliegen, nicht geben, als indem wir aus dem Briefe des Herausgebers, Direktor Or. Heck, folgendes abdrucken: Daß unser reicher, prächtiger Tierbcstand noch nicht durch die enge Dunkelkammer des Photographen in die weite Welt gewandert ist, um im Bilde allüberall jung und alt, hoch und niedrig, reich und arm zu belehren und zu erfreuen, das ist doch eigentlich ei» Jammer! Deshalb habe ich mich aber auch, nachdem ein großer, inter¬ nationaler Verlag gefunden, und die denkbar leistungsfähigste Kunst'mit anstalt gewonnen, Begeisterung hinter den Photographen gestellt, und ich kann versichern: ich stehe nicht bloß auf dem Titelblattc hinter ihm, sondern ich habe helfend, lenkend und leitend hinter ihm gestanden zu jeder Stunde, wo er hier im Garten arbeitete, und meinem Zuruf, meinem „Jetzt!" und „So ist's gut!" verdanken die meisten Bilder ihre Entstehung. Im Schweiße unseres Angesichts haben wir gearbeitet; denn „gut Licht" ist bei den unruhigen Vierfüßigen und Gefiederten nur pralle Sonne. Und daun habe ich wieder mit den Retoucheuren vor denselben Käfigen und Gehegen gestanden und auf der vergrößerten Photographie, ich möchte sagen: jedes Haar und jede Feder mit ihnen durchgegangen, ans daß ja die künstlerische Nachhilfe sich nur auf die unbedingt notwendige Verstärkung der Flauheiten und Unschärfen der Vergrößerung beschränke, aber nicht das geringste an der heiligen Natur verfälsche. Photographierte Tiere wollten wir bieten, und ich denke, wir bieten sie, so schön, technisch so vollendet, und vor allem stattlich groß, wie sie bis jetzt nicht existierten. So meine ich: „Lebende Bilder" verdienen ihre Namen im besten Sinne, und der billige Preis — jedes Heft ist für 50 Pf. auch einzeln zu haben: das ganze beinahe 200 große Tierbilder in prächtigem, modern künstlerischem Einband umfassende Werk für Mk. 10. — dieser erstaunlich billige Preis, meine ich, wird ihnen Eingang in jedes Haus schaffen. So möchte ich mein litteratischcs Lieblingskind mit dem Wunsche in die Welt schicken, ihm recht oft wieder zu begegnen. Lebende

— Druck »»d Aerlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenburger Strafte 14a.

♦ Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leven. 25. Jahrgang.

Nr. 44.

Sonnabend, 4. November 1899.

-'—'-

Roman von Rudolf Llcho. (Fonsetzimg.)

VI. ls der Baumeister mit seiner Frau Hallers gastfreies Haus

Mute,"

verlassen hatte und sich seinem friedlichen Heim zuwandte, stieß er ein Uff! der Erleichterung aus. „Mir ist so zu fügte er hinzu, „als hätte ich in Wallenssteins Lager mit¬

Das ist

gewirkt!

kein

Salon, sondern ein Jahrmarkt."

ließ. Als sie am Morgen aufstand, geschah Ich will nicht mit dem Feuer spielen.

der Versuchung zu trotzen, beweist, daß sie keine Charakter¬

Weile,

dann blickte sie zum funkelnden Sternenhimmel auf und erwiderte ver¬ träumt: „Ja, es ging ein wenig wild und geräuschvoll zn, aber aus dem brausenden Leben da droben wehte uns doch viel Lust und Freudigkeit

stärke besitzt.

Eines Tages, da die Ausstellung der Künstler besuchte, sie

begegnete

HallerschenHausedem

Glaubemir, Konrad, es

Hausherrn für die Verteidigung der

lieber märe uns beiden zu¬ träglich, wenn wir uns von Zeit zu Zeit in einen derartigen Strudel hineinwag¬ ten. Mau empfängt doch neue Eindrücke, Anregungen und be¬ reichert seine Men¬

Frauenrechte gedankt hatte. Sie wurde ihr

vonLona alsBaronin Ferret vorgestellt. Die Baronin erwies Bet¬ tina in der Unter¬ haltung viel freund¬ liches Entgegenkom¬ men, urteilte über die ausgestellten Kunst¬

schenkenntnis. Unser Leben gleicht dem Wasser und nichts ist

werke sich

ihr beim Ver¬

des Künstlerhauses mit dem Be¬ merken an: „Da ich dicht in Ihrer Nähe wohne, gnädige Frau, lassen

Die alte Dorflrirche in Schöneberg.

tet, versumpft nicht." „Wer aber Großes erreichen will, muß mit der Gesellschaft leben, für die er arbeitet, und die ihm den Erfolg bereitet." „Ja, mein Herz, aber Du weißt, wie ungern ich mich ins Gewühl hinein begebe, und in Hallers Salon herrscht ein schreck¬ liches Gedränge. Hast Du beim Fortgehen bemerkt, wie viele Gäste sich in dem halbdunklen Korridor niedergelassen hatten? dieser bunten Gesellschaft mag man gewiß manche Anregung empfangen, aber sie wirft auch Eindrücke und Vorstellungen in

In

unsere Seele hinein, die wie Gärungstoff wirken." Bettina schwieg und gestand sich insgeheim,

daß ihr Gatte Es war in ihrem Innern ein starkes Ferment zurück¬ geblieben, das sie in dieser Nacht nicht mehr znm Schlaf kommen recht hatte.

mit Geist und

Geschmack und schloß

weniger zu¬ als Stag¬

nation." „Sehr richtig, liebes Kind, aber wer arbei¬

ihr Frau

Lona Haller in Be¬ gleitung jener Dame, die bei dem Fest im

entgegen.

diesem

mit dem Entschluß:

Ihr guter Vorsatz aber erwies sich bald als ein zu schwacher Damm für das Wogen und Drängen in ihrem Innern' nach¬ dem er einige Tage stand gehalten, wurde er durch Bettinas Raisonncment niedergebrochen: Eine Frau, die nicht den Mut hat,

Bettina schwieg eine

träglich

cS

Sie mir wohl, Sie nach Hause bringen zu dürfen." Bettina konnte das freundliche Anerbiete» nicht ablehnen und bestieg mit der Baronin eine Droschke, die sie rasch über die asphaltierten Straßen des Tiergartenviertels hinführte. Die beiden Damen führten iin Wagen eine angeregte Unterhaltung, die sich zumeist um Lona Haller und dann um deren Gesellschaftsabende drehte. Es wurde nun die Thatsache erwähnt, daß die Baronin dem Debüt Bettinas in diesem Hause beigewohnt hatte, und es that dieser die Versicherung wohl, daß ihr Erscheinen Sensation hervorgerufen habe. Die Baronin verstand es meisterlich, Personen, deren Zuneigung sie gewinnen wollte, Schmeicheleien in der be¬ scheidensten und angenehmsten Form zn sagen, und als Bettina so

gestatten

694

den Wagen verließ, forderte sie die liebenswürdige Begleiterin auf,

Kaffee bei ihr zu trinken und die Füße an ihrem Kamin zu wärmen. Die Baronin folgte ihr mit Vergnügen, betrachtete die Wohnung unter Ausrufen staunender Bewunderung, und als Bettina ihr auf Befragen erklärte, daß die Einrichtung ganz nach ihren Angaben hergestellt worden sei, rief sie in Extase: „Ich weiß nur eine Frau, die ebensoviel guten Geschmack und dekoratives Talent besitzt wie Sie, und das ist die Gräfin Edler, die Witwe jenes Königs Fernando von Portgal, der dem herrlichen Schloß Cintra seine jetzige Gestalt gab." „Sie haben in Lissabon gelebt?" fragte Bettina und ließ sich mit der rasch gewonnenen Freundin in ihrem Plauderstübchen nieder.

„Dort und in Rio schaftssekretär

und

de

konnte

Janeiro.

mir

eine

Mein Mann war Gesandt¬ bevorzugte

gesellschaftliche

Stellung bieten, die aber durch seine tolle Verschwendungssucht unhaltbar wurde. Vor drei Jahren sah ich mich genötigt, die Ehe aufzulösen." Bettina glaubte ihr tiefes Bedauern aussprechen zu müssen, die Baronin aber bemerkte lächelnd: „Ihre Kondolenz ist deplaciert, verehrte Frau, denn ich habe aus dem Schiffbruch meiner Ehe eine Leibrente gerettet, die mir gestattet, frei und unabhängig, wenn auch nicht gerade üppig, zu leben. Ehrlich gestanden, ver¬ misse ich nicht jene Gesellschaftskreise, in denen ich mich früher be¬ wegte; sie erscheinen mir heute als die Welt, in der man sich lang¬ weilt. Lieber als jedes Hoffest ist mir ein ckonr fixe bei Haller. Man begegnet zwar dort ab und zu einigen Personen, die das dringende Bedürfnis fühlen, sich zu encanaillieren, aber die Hallers selbst sind ganz charmant und verstehen es, Männer von Geist und künstlerischer Begabung um sich zu scharen. Wer sich einige Stunden über die Nüchternheit des Erdendaseins hinwegtäuschen, wer sich erheitern und durch neue Eindrücke auffrischen will, der besuche den Hallerschen Salon." Bettina war ganz der gleichen Ansicht und trennte sich später von der vorurteilslosen Weltdame mit der wohlthuenden Ueber¬ zeugung, daß sie eine Freundin gewonnen habe, die sich in Bezug auf Geist, freie Lebensanschauung und feinen Takt weit über das Niveau bürgerlicher Gesellschaftskreise erhebe. Es erfüllte sie mit Stolz, als sie die Baronin einige Tage später ihrem Gatten vor¬ stellen konnte, und sie fühlte sich verletzt, als dieser nach der ersten Zusammenkunft ihre Bewunderung durch die Bemerkung abzu¬ dämpfen versuchte: „Sei vorsichtig, Bettina! Diese Frau kommt mir vor wie ein schnurrendes, schmeichelndes und sehr listiges Kätzchen, das sich im weichen Bett der andern einnisten will. Nimm Dich vor ihren Krallen in acht." — Frau Geisler ver¬ achtete diese Warnung und schloß sich um so inniger der Baronin an, als diese ihr die Möglichkeit gewahrte, auch ohne ihren Mann die verlockenden Gesellschaftsabende der Familie Haller besuchen zu können. Allmälich bildeten sich im Laufe des Winters intime Be¬ ziehungen zwischen Bettina und den Hallers heraus, die den Bau¬ meister mit Besorgnis und Unruhe erfüllten. Er sah, daß seine Frau sich ihm und den Kindern fast ganz entfremdete, er mußte Personen in seinem Hause empfangen und bewirten, die ihm nicht das leiseste Interesse einflößten, und sah sich in seinen Arbeiten gehindert. Da er aber bemerkte, daß Bettina sich durch den ge¬ selligen Verkehr erheitert und angeregt fühlte und sich betreffs ihrer litterarischen Arbeiten ausschweifenden Hoffnungen hingab, so hatte er nicht das Herz, sie zur Erfüllung jener Pflichten zu zwingen, die nach seiner Ansicht der Gattin und Mutter zufielen. Es krampfte ihm aber das Herz zusammen, so oft ihm Bettina mitteilte, daß sie den Abend bei Hallers verbringen werde. Wenn er dann sehen mußte, wie die mit übertriebener Eleganz gekleidete Baronin Ferret kam, um seine Frau abzuholen und bei dieser Gelegenheit mit wahrhaft cynischem Behagen allerlei Skandal¬ geschichten erzählte, stiegen schlimme Befürchtungen in ihm auf. Um diese los zu werden, stürzte er sich mit unruhiger Hast in seine Geschäfte und Arbeiten. Und er mußte all seine Geisteskraft zu¬ sammennehmen, um den Entwurf zu vollenden, auf den er große Hoffnungen setzte. Am ersten März verstrich die von einer Stadt am Rhein den Architekten gesetzte Frist für den Wettbewerb um

einen Rathausbau, und da Geisler, ohne Bettina ein Wort darüber verraten, an dieser Konkurrenz teilgenommen hatte, malte sich oft in stillen Rächten die Szene aus, wenn er vor sie hin¬ treten und sagen würde: „Bettina, ich habe einen Preis gewonnen. Mein Entwurf ist von der Jury gekrönt worden, ich darf ihn aus¬ führen, darf in die Reihe der großen Architekten Richt nach der Anerkennung der Fachgenossen, nicht nach der Be¬ wunderung der Welt lechzte Geisler, sondern nach der Achtung seiner geliebten Bettina. Ein Ausspruch aus ihrem Munde, wie der: Konrad, Du bist ein Künstler! hätte ihn auf den Gipfel des Stolzes erhoben, würde ihn mehr beglückt haben als irgend eine zu

treten-"

Auszeichnung seitens des Staates oder der Gesellschaft.

Eines Abends, als Bettina wieder mit der Baronin Ferret flüchtigen Zerstreuuugen auf einem Kostümfest der Hallers nach¬ jagte, saß der Baumeister vor seinem Zeichenbrett, denn es galt für ihn, die letzte Hand an seinen Entwurf zu legen. Am nächsten Morgen hoffte er die Blätter sorgfältig verpackt an die Jury ab¬ senden zu können. einem Winkel saß Mäxchen, sein Jüugster, und versuchte es, mit dem Steinbaukasten eine Säulenhalle zu kon¬ struieren. Das Bübchen war in der Erscheinung wie in der seelischen Veranlagung ein Abbild seines Vaters, während Walter mehr der Mutter glich. Max war schon oft als kleiner Posaunenengel be¬ zeichnet worden; denn er hatte dicke Pausbacken, war von gedrungener Gestalt und blickte mit seinen blauen Augen so treuherzig in die Welt, als vermute er in ihr die lauterste Unschuld und Harmonie. Auch darin glich er dem Vater, daß sich schon früh der Drang in ihm regte, sich nützlich zu machen. Er konnte nicht, wie sein Bruder Walter, morgens lange nach dem Erwachen im Bett liegen bleiben und über Märchen und Geschichten nachsinnen oder allerlei Luftschlösser bauen. Für Max war jede Stunde eine verlorene, in der er unbeschäftigt blieb, und man konnte ihm keinen größeren Gefallen erweisen als durch die Forderung, er möge etwas Wichtiges besorgen. Trug ihm dann die prompte Ausführung des Auftrags Lob ein, so war er stolz und beglückt. An dem Abend, da er seine schöne Mama in der Tracht einer schönen Venetianerin aus der Zeit Tizians das Haus hatte verlassen sehen, sträubte er sich heftig dagegen, zu Bett gebracht zu werden, und der Papa hatte seiner Bitte, noch ein Stündchen aufbleiben zu dürfen, nach¬ gegeben, weil er wußte, daß der Kleine zu aufgeregt war, um jetzt einschlafen zu können. So gestattete er ihm denn, noch eine Weile in seiner Nähe zu bleiben.

In

Geisler hatte kaum eine Viertelstunde gearbeitet, da klingelte und sein Schwager trat gleich darauf bei ihm ein. Fritz Hartknoch erklärte lachend, daß er eine große Warenladung auf einem im Westen der Stadt belegenen Bahnhof zur Verschickung habe aufgeben müssen. Auf dem Rückweg sei er an Geislers Haus vorübergekommen, und da ihm noch eine halbe Stunde freie Zeit bis zur Rückfahrt nach Tegel übrig geblieben, so habe er einmal vorsprechen und nachfragen wollen: „Wie geht's, wie steht's, und warum laßt Ihr seit Wochen rein gar nichts von Euch hören?" es draußen,

Geisler erhob sich langsam und warf noch einen bedauernden Blick aufs Reißbrett, bevor er dem Schwager, dessen Eintritt er als eine sehr unwillkommene Störung empfand, die Hand reichte. „Wir waren in letzter Zeit sehr beschäftigt, lieber Fritz," bemerkte er zerstreut, „ich ganz besonders."

„Und wo ist Bettychen?" fragte dieser und streifte

sich

einige

Bart. Geisler zögerte mit der Beantwortung dieser Frage und war froh, als ihn der kleine Max seiner Verlegenheit durch den Ausruf entriß: „Onkel Fritz, sieh doch mal, was ich bebaut hab'!" „Alle Wetter, da ist ja unser kleiner Geschäftelhuber auch noch." — Hartknoch küßte das Bübchen auf die Stirn, bewunderte Schneeflocken aus dem

pflichtschuldigst dessen Säulenhalle, trotzdem sie schief geraten war, und trug ihm auf, das unsymmetrische Bauwerk durch ein Thor aus roten Steinen abzuschließen. Während der Kleine sich eifrig diesem Werk im Zimmerwinkel unterzog, wandte sich Hartknoch dem Schwager zu, der wieder im Lichtkreis der Hängelampe saß und seine Arbeit mit sehnsüchtigen Blicken überflog. Er betrachtete auf¬ merksam dessen Gesicht und sagte dann leise, aber eindringlich:

„Konrad, Dein Gesicht gefällt mir nicht."

695

Der Baumeister blickte überrascht auf, daun huschte ein mattes Lächeln über seine Züge. „Mir auch nicht," antwortete er, „aber die Natur läßt sich nicht korrigieren." „Keine Ausflüchte, mein Söhneken! Du siehst blaß, über¬ arbeitet und nervös aus. Die Vermutung meiner Frau bestätigt sich also: Du rackerst Dich wieder in gesuudheitsgefährlicher Weise ab. Ehrlich gestanden, ich bin nur herausgekommen, weil Elsbeth sich um Deinetwillen beunruhigt. „Du wirst sehen", rief sie mir beim Ilbschied zu, „mein Bruder läßt sich nur darum nicht wieder uns blicken, weil er bis an den Hals in Geschäften steckt. Er arbeitet bis zur Selbstvernichtung." — Und bei Gott, sie hatte recht. Sieht denn Deine Frau nicht, daß Du zu viel vor dem Reißbrett hockst? Es steht Dir doch klar im Gesicht geschrieben, daß Du langer Spaziergänge in frischer Luft bedarfst, um Deine bei

Nerven zu beruhigen." Geisler starrte eine Weile zu Boden, dann erwiderte er mit leiser Bitterkeit: „Nein, Bettina ist das noch nicht aufgefallen; vielleicht versteht sie sich nicht auf Physiognomik, wahrscheinlich aber nahm sie sich in letzter Zeit nicht die Mühe, mein Gesicht genauer zu betrachten." „Aber sie weiß doch, was Du arbeitest und muß Dich vor Ueberbürdung warnen." „Rein, lieber Fritz, sie kümmert sich jetzt wenig mehr um meine Unternehmungen, und das ist mir im gewissen Sinne sogar lieb; denn nur so konnte ich einen Entwurf vollenden, durch den ich sie zu überraschen gedenke."

Geisler deutete auf das Reißbrett, und Hartknoch trat herzu, beugte sich über das Blatt und stieß einen Ausruf der Ueberraschung aus. Er faßte dann das ins Auge, las die Unterschrift und

Bild

der Rathausfassade näher

rief: „Donner und Doria, da

liegt Mumm drin!"

„Gefällt Dir die Hauptsassade? Es handelt sich bei diesem Entwurf um einen Wettbewerb, bei dem Preise bis zu 20,OM Mk. zu gewinnen sind, und was mehr bedeutet — Ehre und Ansehen." „Alle Wetter! Und das hast Du so nebenher — hinter dem Rücken Deiner Frau geschaffen, Kourad? Ah, nun weiß ich, woher Dein blasses Gesicht kommt. Wie mir Dein Projekt gefällt, willst Du wissen? — Na, also! Ich bin baff! Ich sinde die Anlage großartig. Dabei liegt ein Adel in der Formenbildung, den Fach¬ leute noch lebhafter empfinden müssen als unsereins. Das Portal ist reich und prächtig — das ganze architektonische Gerüst erinnert etwas an den

Stil

der Renaissanceschlösser und ist doch originell.

— Bitte, zeig' mir die anderen Blätter." Als der Baumeister ihm diese hinschob, fuhr

er in der Be¬ trachtung fort, und das Treppenhaus veranlaßte ihn zu dem Ausruf: „Die Anordnung ist famos! Mir scheint nur, Du hast in Bezug

auf die plastische und malerische Dekoration des Guten ein wenig — das macht die Sache unruhig." „Du magst recht haben. Jedes Kunstwerk spiegelt etwas von der Stimmung wieder, in der wir es geschaffen." Fritz Hartknoch überflog die Blätter noch einmal und fuhr dann fort: „Vielleicht trägt auch die Färbung dazu bei, die Jnneuräume unruhig erscheinen zu lassen. Bei Dir — nimm mir's nicht übel, lieber Konrad — ist der Formcnsinn stärker entwickelt als der Farbensinn. Auch die Gartenanlage vor der Hauptfassade wirkt nicht günstig. Aquarellenmalerei ist nicht Deine Sache." „Sehr richtig, lieber Fritz." „Diese nebensächliche Arbeit hätte Dir doch am Ende Betty abnehmen können; denn sie aquarelliert brillant." Der Baumeister seufzte tief auf. „Wein sagst Du das?" be¬ merkte er in trübem Ton. „Rach meiner festen Ueberzeugung besitzt sic ein starkes Talent für Dekorationsmalerei und könnte mein Schaffen in glücklichster Weise ergänzen. Für die Rathausentwürfe wollte ich ihre Hilfe nicht in Anspruch nehmen; denn ich hoffe ja, sie überraschen zu können, allein für meine übrigen Arbeiten wäre mir ihre Hilfe wertvoll gewesen. So oft ich aber darauf anspielte, wie leicht sich ihre dekorative Begabung ausbilden und für meine Zwecke verwerten ließe, und wie ersprießlich ich mir ein Zusammen¬ wirken dächte, wich sie mir aus, und zuletzt erklärte sie geradezu, weder ihr Beruf noch ihre Neigung verweise sie aus das Kunst¬ handwerk, sie sei mit einer andern Mission in die Welt gekommen." zu viel gethan

„Armer Kerl, das thut mir aufrichtig leid! Aber vielleicht hast Du die Sache nicht richtig angepackt. Ich an Deiner Stelle würde eines Tages vor sie hintreten und ihr sagen: „Liebe Frau, ich bedarf eines Mitarbeiters, der mir stets zur Hand ist, um meine Skizzen sauber auszuführen. Wir müssen daher diesem Gehilfen ein Zimmer unserer Wohnung abtreten."

„Ach, du liebe Zeit, wo denkst Du hin! In diesem Falle würde sie den Gegenvorschlag machen, mir draußen bei den Bau¬ plätzen ein Bureau einzurichten. Rein, Fritz, ich muß schon ohne Hilfe fertig werden. Die Arbeitslast wird ja auch bedeutend ver¬ ringert, sobald ich diesen Entwurf für das Rathaus fertiggestellt habe. — Uebrigens, verzeih! Ich hab Dich noch gar nicht gefragt, ob

Du

schon zu Abend gegessen."

„Danke sehr, das hab ich schon in der Bahnhofsrestauration Wenn Du mich aber für die bevorstehende Fahrt durch die kalte Wiuternacht vermittelst eines Kognaks innerlich stärken und mir eine Zigarre mit auf den Weg geben wolltest, so sagte ich nicht nein." Geisler führte seinen Schwager ins Speisezimmer, um ihm das Gewünschte zu geben. Hier fragte Hartknoch noch einmal nach der Hausfrau, und Geisler antwortete, während er zwei Gläschen mit Kognak füllte, daß sie sich auf einem Kostümfest der Familie Haller befände. besorgt.

„Haller, Haller?" — Fritz Hartknoch zog die Augenbrauen knipste das Ende einer Cigarre ab und bemerkte:

hoch,

„Ist

das

Praxis in den Hallen der Justiz durch die Knittelverse gekennzeichnet wird: „Doch wer in der Verbrecherwelt notorisch als Rückfaller, Umklammert noch als letzten Halt den scharfen Gregor Haller." der Advokat,

dessen

„Ja." „Warum begleitest Du Deine Frau nicht zu derartigen Ver¬ anstaltungen? Es soll im Salon dieser Leute ein wenig wild her¬ gehen."

„Ich würde

es

gethan

haben, wenn nicht übermorgen der

Termin für die Einsendung der Koukurrenzarbeiten abliefe. Bettina hat das Fest in Begleitung einer Freundin, der Baronin Ferret, besucht."

„So, so!" — Hartknoch ließ den Kognak bedächtig über seine Zunge gleiten und wollte sich verabschieden, der Banmeister aber hielt die ihm dargebotene Hand des Schwagers fest und bemerkte: „Aus Deinen Mienen lese ich, daß Dir das Verhalten meiner Frau mißfällt." „Und aus Deiner Frage höre ich heraus, daß es Dir nicht anders ergeht." „Ich will hoffen, Fritz, daß Du au Bettinas Ehrenhaftigkeit nicht zweifelst." „Für diese lege ich meine Hand ins Feuer!" — Fritz Hart¬ knoch rief die Versicherung mit Nachdruck aus und setzte dann hinzu: „Bettina ist viel zu ehrlich und stolz, als daß sie jemals ihre Frauenwürde preisgeben könnte, allein — indessen —" „Nun, heraus mit der Sprache!" „Ra, denn in des Henkers Namen, so sei es denn frei heraus gesagt: Ich möchte nicht, daß auf meine Schwägerin das Wort angewendet würde: Vögel von gleichem Gefieder fliegen zusammen! Im Hause Hallers sollen Personen verkehren, die am Spieltisch und in Rachtcafes ihren guten Ruf verscherzt habe», und ich meine, lieber Konrad, Du müßtest Deine Frau davor behüten, daß an¬ ständige Leute sie mit Spielern und leichtlebigen Komödiantinnen in eine Reihe stellen." Des Baumeisters Gesicht rötete sich, und nach kurzem Besinnen „Du hast recht, Fritz. Im Drang nach außer¬ ordentlichen Erlebnissen und Erfolgen irrlichtert Bettina auf ihrem Lebensweg hin und her. Es ist meine Pflicht, sie mit fester Hand zu führen; das aber hab' ich um des Erwerbs und Ehrgeizes willen nur zu oft versäumt. Morgen kann ich die Rathaus-Ent¬ würfe abschicken und endlich die Abende meiner Frau widmen; dann soll sich unser Leben wesentlich anders gestalten." entgegnete er:

Die Gouvernante trat ins Speisezimmer mit der Bemerkung, wohl endlich an der Zeit sei, Mäxchen zu Bett zu bringen; Bruder Walter schlafe schon seit einer Stunde.

daß es sein

696

Der Baumeister schlug sich vor die Stirue uud rief überrascht aus: „Ach, du meine Güte! Der kleine hockt ja noch in meinem Zimmer und konstruiert die Säulenhalle. Bei unserem Gespräch hab' ich seine Anwesenheit ganz übersehen. Ich werd' ihn gleich herausbringen." — Er wandte sich seinem Arbeitsziminer zu, und Hartknoch folgte ihn mit der Bemerkung: „Na, dann kann ich unserem Posaunenengel gleich gute Nacht sagen."

Geisler trat auf die Schwelle, warf einen Blick ins Zimmer und fuhr dann zurück, als habe er einen furchtbaren Schlag er¬ halten. Mäxchen saß nicht in der halbdunklen Ecke bei seinem Baukasten, sondern kniete auf des Vaters Drehstuhl vor dem Zeichentisch und beugte sich mit heißgerötetem Gesicht über das große Reißbrett. Mit zwei Sprüngen gelangte Geisler in des Kindes Nähe, sah, wie dessen rundes, mit Farben bis zum Hand¬ gelenk besudeltes Fäustchen über die Papierfläche hinfuhr und hatte dann das Gefühl, als verlösche das helle Licht über Mäxchens Kopf. Ein leiser Aufschrei kam von seinen Lippen) denn wie ein Blitz fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf: Was Du in heißer, monatelanger Arbeit erstrebt, was Du ersehnt, erhofft — hat eine Kinderhand in einer Minute zerstört — vernichtet.

Ihm war und nach

es, als schwanke der Boden unter seinen Füßen, einem Halt tastend, legte er die Hand schwer auf

Märchens Schulter. Dieser hatte im Arbeitseifer des Vaters Eintritt gar nicht bemerkt, jetzt wandte er sich um, und als er dessen bleiches Gesicht erblickte, ging es wie ein Aufleuchten stolzen Glücks über sein pausbäckiges Gesicht, und er rief in triumphieren¬ dem Tone: „Papa, Papa, ich hab' Dir beholfen!"

Ja, er hatte ihm gründlich geholfen. Das Architekturbild war völlig untergegangen in einem wüsten Farbengemeugsel. Ohne Wahl hatte das Bübchen den größten der aus dem Tische liegenden Pinsel in die Farbennäpfe getaucht und dann eifervoll über die Zeichnung gestrichen, als wolle er Stiefel schmieren. Sein Ausruf brachte den Vater über eine Ohnmachtsanwandlung weg. Geisler warf noch einen Streifblick auf die Rathausfassade und hatte eine ähnliche Empfindung, als sei die leuchtende Sonne hinter dunkeln Gewitterwolken verschwunden, dann schaute er lange in seines Kindes unschuldiges Gesicht. Und er bemerkte mit aller Klarheit, daß aus den verklärten Mienen und den treuherzig blickenden Kinderaugen die Liebe eines jungen Herzens, der opfer¬ mutige Eifer eines Seelchens hervorleuchteten. Run überkam ihn eine so tiefe Rührung, daß er die aufsteigenden Thränen nicht mehr meistern konnte. Er beugte sich über den Kleinen, zog ihn in seine Arme, küßte ihn auf die Stirne und brachte mühsam die Worte hervor: „Das hast Du brav gemacht, Mäxchen. Ich danke Dir! Bleib immer hilfsbereit. Doch, nun sollst Du schlafen.

Komm!"

Er trug den Kleinen ins Schlafzimmer, bettete ihn sorgsam und verlöschte die Lampe. Im Dunkel beugte er sich dann über ihn, sagte ihm leise gute Nacht und küßte seine Wange.

„Papa," sagte Mäxchen schläfrig, „eben is was Nasses auf mein Desicht befallen."

„So? Nun am Ende weint ein Engel im Himmel darüber, daß Deine Mama in dieser Stunde nicht bei uns war. Schlaf wohl, mein Junge!"

VII. Mäxchens schöne Mama war aber derzeit seelisch weit von ihrer Familie entfernt. Phantasie uud Gedanken sind beweglicher als unser Körper und können leicht und weit ausschweifen. Und Bettina weilte in jener Nacht, da der schöne Künstlertranm ihres Mannes zerstört wurde, in einer entzückenden Umgebung. Am Morgen nach jenem Kostümfest sah sie den matten Schein der Wintersonne mit Mißbehagen durch die Stores ihres Schlafzimmers dringen. Ein dumpfes Gefühl lag schwer auf ihrem Gehirn, das einfallende Licht schmerzte ihre Augen, und sie schloß sie wieder, um ihre Gedanken sammeln zu können. Traumhaft zogen noch einmal die glänzenden, buntschillernden Erscheinungen des Festes im Hallerschen Hause an ihr vorüber, aber es schien ihr nun, als

zerflatterteu die schönen Bilder uud lustigen Erlebnisse — als gingen sie unter in einem grauen Nebel. Aber ein stolzes Gefühl wurde doch durch die Erinnernug wieder in ihr geweckt. Sie war die Königin des Festes gewesen; aus den bewundernden Blicken der Männer uud den eifersüchtigen oder neidvollen der Frauen durfte sie darauf schließen. Und wenn noch irgend ein Zweifel über den Triumph ihrer Schönheit hätte bestehen können, so wäre er durch klar ausgesprochene Worte erstickt worden. Gregor Haller, welcher in der Tracht und Maske jenes Astrologen erschienen war, der dem berühmten Gemälde „Die Astrologen" des venetianischen Malers Giorgione auf einen Turban träg, war so überrascht bei ihrem Anblick, daß er ihr entgegenrief: „Run weiß ich gewiß, daß die erste von jenen Prophezeiungen, die ich heute Abend als Legitimation für meine Maske werde aussprechcn müssen, prompt in Erfüllung geht." „Und die lautet?" „Bettina Geisler wird die Fee unseres Festes sein und alle Welt bezaubern. Es macht mich glücklich, daß wir uns in dem Gedanken an venetianische Kunst begegnet sind, und ich hoffe der erste zu sein, der Ihnen huldigen darf." — Dabei hatte er mit den dunklen Augen noch einmal ihre blühende Gestalt überflogen, ihr dann wiederholt die Hand geküßt und mit einem warmen Aufblick hinzugefügt: „Meister Tizian hat nie eine schönere Frau gemalt." Und Ausrufe der Bewunderung hatten im Laufe des Abends von allen Seiten her ihr Ohr getroffen. Mit neidloser Bewunderung aber schien Lona Haller zu Bettina hinüber zu blicken, und gegen Mitternacht, als ihr Gatte einen Toast auf dieDamen ausgebracht und eine „gewisse Venetianerin" als Beweis dafür angeführt hatte, daß Teilnehmerinnen des Festes Jdealgestalten aus verschiedenen Kunst¬ epochen völlig verkörperten, setzte sich Frau Haller an die Seite der Gefeierten, plauderte vergnügt mit ihr und sagte dann, indem sie zwei Schalen mit Champagner füllte: „Lassen Sie uns Schmollis trinken! Wenn mir je eine Frau Sympathien eingeflößt hat, so sind Sie es." In der Weinlaune hatten die beiden dann die Krystallschalen hell erklingen lassen, hatten sich geküßt, umarmt und im Gespräch das vertrauliche Du angewandt. „Ach, daß die Stunden freudiger Erregung so rasch verfliegen!" Bettina, und als sie dann Kopfschmerzen verspürte, setzte sie hinzu: „Und daß jedem Ueberschwang ein abscheulicher Nieder¬ gang folgt." — Nachdem sie sich erhoben und angekleidet hatte, erfuhr sie, daß es schon elf Uhr sei, und daß der Baumeister das Hans bereits verlassen habe. Sie wurde von Mäxchen begrüßt, und während sie mit ihm plauderte, trank sie schwarzen Kaffee. Sie l aß noch mit ihrem Bübchen beim Frühstückstisch, als die Baronin Ferret gemeldet wurde. Diese schien den Eindruck, den ihr Ver¬ halten während des Kostümfestes auf Frau Geisler hervorgebracht hatte, wieder verwischen zu wollen. Die beiden Frauen verplauderten nun ein Stündchen recht angenehm, ließen die Erlebnisse der verflossenen Nacht noch einmal durch ihre Erinnerung gleiten, und die Baronin übte an einigen geschmacklosen Personen eine so witzige Kritik, daß Bettina wieder¬ holt und herzlich lachte und der geistreichen Freundin beim Abschied sagte: „Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihren Besuch. Ihr Froh¬ sinn hat mich völlig erfrischt und aufgeheitert." Als der Baumeister heimkam, fand er seine Frau in der heitersten Laune vor; sie schilderte ihm mit viel Humor den Ver¬ lauf des Festes und schloß ihren Bericht mit der in scherzhaftem Ton vorgebrachten Prahlerei ab: „Daß Deine Frau der Gegen¬ stand allgemeiner Bewunderung und ehrenvoller Huldigungen war, brauche ich Dir wohl nicht zu versichern." Geisler sah ihr in das lachende Gesicht, dem die strahlenden Augen und Grübchen in den Wangen einen Ausdruck von Kindcrunschuld gaben, zog sie dann in seine Arme und entgegnete: „Ja, mein Herz, dieser Versicherung bedarf es nicht; denn ich sah Dich ja im vollen Schönheitsglanz das Haus verlassen. Aber sag mir ehrlich, hast Du im Festtrubel, unter den bewundernden und lüsternen Blicken der galanten Herren auch einmal an Deinen Mann gedacht?" (Fortsetzung folgt.) seufzte

697

Dir

Berliner Wandelbilder. Franzosen in der Rrichshauptstadl.

enn das so weiter geht, werden wir demnächst die feinsten Schwingungen der Pariser Volksseele am eigenen Leibe nachfühlen. Der Ruf ä Berlin hat jenseits des Rheins eine fried¬ liche Bedeutung erhalten, die noch vor ein paar Jahren niemand geahnt hätte. Aengstliche Gemüter wollten zwar schon vor einiger _ Zeit eine künstlerische Invasion unserer westlichen Nachbarn vor¬ aussehen, aber Chanson und Posse erschienen nicht sonderlich ge¬ ^ fährlich, so lange sie sich auf die Enclaven Wintergarten und Residenztheater beschränkten. Darin ist dermalen ein bemerkenswerter Wandel eingetreten, den man nicht unterschätzen sollte.

Ein lebhaftes Tauschgeschäft scheint sich zur Zeit aus dem Gebiete der Musik zwischen den Franzosen und uns zu vollziehen, Richard Wagner gegen Georges Bizet, „Parsisal" gegen die „Arlesierin". Als ehrlicher Makler ist uns der Kapellmeister Eduard Colonne über die Grenze gekommen, um seinen Dirigentenstab am Pult des neuen königlichen Opernhauses zu schwingen. Es ist ein prächtiges Stück m»sikali>'cher Eskamotage, das er uns da vorführt. Die Hauptperson des Stückes ist nämlich nicht etwa nach dem bekannten

Das erste Symptom war das Auftauchen Bolero als bevorzugter Hutmodc des Herbstes. Das kokette Barett mit den aufgeschlagenen Krempen und dem kecken Pompon an der Seite sieht zwar so aus, als ob es harmlos spanisch kommen wollte, verdankt aber seine plötzliche Beliebtheit ausschließlich den inzwischen ver¬ unglückten Stierkämpfen in der Umgegend von Paris. Für jedes germanisch empfindende Gemüt ist es ein tiefer Schmerz, zu sehen, wie der romanisch aufdringliche Bolero das dentsch-sittsame Capotehütchen verdrängt. Dann kam der erste Band der neuen ZolaRomanserie und füllte in gelber Dickleibigkeit die Schaufenster der Buchläden vom Potsdamer Platz bis zum Spittelmarkt. Roch niemals ist für das biblische „Seid fruchtbar und mehret des

Euch" eine so suggestive Reklame gemacht worden. La seconclite in großen fetten Buch¬ staben auf Riesenplakaten, da ist es wirklich unmöglich, sich seinen Pflichten als Staatsbürger zu entziehen und den Willen zum Leben als un¬ verbesserlicher Hagestolz zu vereinen. Als Zola die Zukunft des Menschengeschlechts zu retten unternahm, dachte er natürlich zunächst an sein sich langsam entvölkerndes engeres Vaterland, dessen Wehrkraft unter dem Ein- bis Zwei¬ kindersystem bedenklich zu leiden beginnt. Bei der Arbeit ist dann der Pegasus mit ihm durch-, gegangen. Da seine Musterfamilie sich fast in jedem Kapitel um je einen männlichen oder weiblichen Sprossen vermehrt, ist sie schließlich zu dem erklecklichen Bestände eines kriegsmäßig verstärkten Kavallerieregimentes angewachsen, so daß sich der Dichter eine eigene Muster- und Stammrolle anlegen müßte, um unliebsame Verwechselungen zu vermeiden. Im übrigen hat er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, näm¬ lich den Franzosen die Kinderlosigkeit und ihren Konkurrenten, den Deutschen, gleichzeitig die über¬ mäßige Bevölkerungsznnahme verleiden wollen. Leider wird dieser Doppelzweck mit seinem Roman in so und so viel Kapiteln und den entsprechenden Geburten kaum erreicht. Kapitel und Geburten wiederholen sich zu häufig und wirken nicht mehr suggestiv, sondern einfach ermüdend. Ein gleiches läßt sich von dem augen¬ scheinlich geglückten Versuch einer französischen Invasion vermittelst des leicht beweglichen Thespiskarrens nicht sagen. Besagter Wagen Die steht als „Roulotte" leibhaftig auf der Bühne des Bellealliance Theaters und beherbergt ein Künstlervölkchen, das sich mit seinen scheinbar improvisierte» Leistungen wohl sehen lasse» darf. Im übrigen nehmen wir das

Theater als Bildungsanstalt frei nach Schiller noch immer zu ernst. Wenn uns Madame Rejane in der Charlottcnstraßc, wo Barnay ehemals Volkskunst in seiner Weise förderte, Madame sans gene vormimt, so schicken wir uns sofort zu einem kritischen Vergleich mit unserer Jenny Groß an. Das macht der Franzose viel'einfacher. Für ihn ist das Theater überhaupt nur einer der vielen Schauplätze des Femininismus. Weib bleibt Weib, und wenn es individuell genug erscheint, um seiner eigene» Kategorie seinen Stempel aufzudrücken, so giebt es dieser einfach seinen Namen. Was die guten Berliner in der Charlottenstraße be¬ wundern, ist eigentlich gar nicht Madame Rejane, sondern der Pariser Rejanismus, d. h. ein originelles Konglomerat von Toiletten, Frisuren, Posen, Bewegungen, Lachen, Weinen, Leben und Sterben, zu dem die Theaterdichter einen verbindenden Text schreiben. Es handelt sich eben auch hier um ein Stück dramati¬ sierten Femininismus. Ist es anziehend genug, so wird eS im In- und Auslande anständig honoriert.

Apostel Pauluslrirche in Schönebrrp. (3.

702.)

Muster stumm, sondern überhaupt unsichtbar. Sie tritt gar nicht auf, aber die Leidenschaft zu ihr singt und klingt durch das ganze Stück. Das ist ein neuer Trik, der wagnerisch anmuten würde, wenn er nicht so echt französisch wäre. Die Person verflüchtigt sich und wird Musik, die Handlung nicht beeinflussend, sondern mystisch durchdringend. Daß die Ware mit dem Stempel domemacke, der direkt über das macke in Gennany fortgcdruckl ist, an offizieller Stelle, d. h. in der Filiale des Königlichen Opernhauses, oder wie sich die Eingeweihten ausdrücken „im Walde" an den Mann ge¬ bracht wird, macht sie natürlich nur gangbarer. Hoffentlich gefallt der Parsisal den Parisern ebensogut wie die Arlesierin den Berlinern. Die Förderung der französischen Kunst steht bei uns nun einmal auf dem Programm. Zehntausend Personen haben in etwa zehn Tagen die Ausstellung der französischen Maler in der Akademie besucht, und wenn sie auch das Verkanfsbüreau wenig in Anspruch genommen haben, so wurde ihnen doch vergönnt, aus den monumentalen, den einzelnen Künstlernamen beigefügten Selbst¬ kritiken zu entnehmen, „was sie wollen".

Georg Malkowsky.

b98

Das Deutsche Kolonial-Museum in Berlin. Kolonialgedanke hat in den letzten Jahren in den weitesten Kreisen des deutschen Volkes Anklang und Verbreitung ge¬ funden, und mit einem gewissen Interesse verfolgt selbst der kleine Handwerker oder Gewerbetreibende die Berichte aus unsern Kolonien über die Erfolge der Schnhtrnppe, über die Ausbreitung des Handels und die Wirksamkeit der Missionsgesellschaften. Es dürfte vor allem das Verdienst der Deutschen Kolonialgesellschaft sein, dies Interesse an der Kolonialpolitik sowohl durch ihre Publikationen wie durch

HAer

Es

deutschen

Kaufleute sein und ihnen jeder Zeit Auskunft über die

Einfuhr und die Ausfuhr in den Kolonien gewähren. Der Deutsche Kolonialverein steht mit der Direktion, welche in den Handen des Direktors Gustav Meinecke ruht, in engster Fühlung und hofft im Museum eine Zentralstelle für den Handelsverkehr nach den Kolonien zu schaffen. Im Vordergebäude des Kolonialmuseums sind diesem Zwecke zwei besondere Säle gewidmet, der Jmportsaal und der Exportsaal. Der Jmportsaal, rechts vom Haupteingang, umfaßt die Zusammenstellung allerpflanzlichen, tierischen und mineralogischen Erzeugnisse der deutschen Kolonien und soll dem Publikum zeigen, welche hohe Bedeutung die Einfuhr aus den Kolonien bereits heute hat, in welcher Weise die Verarbeitung der Produkte stattfindet, und in welchem Zustande die fertige Ware in den Handel kommt. Reben Erzeugnissen ans dem Gebiet der Pflanzen¬ welt, wie Kaffee, Kakao, Kola, Tabak und Zigarren, haben Handelsartikel aus der Tierwelt, wie Felle, Gehörne, Muscheln, Knochen und Elfenbein, und mineralogische Produkte, wie Golderze, Aufstellung ge¬ funden. Der auf der andern Seite liegende Exportsaal enthält die für die Bewirt¬ schaftung der Plantagen nötigen Artikel und Utensilien, Tropenkleidungen, Zelte, Haus¬ und Apothekeneinrichtungen, Feldbahnen, Kon¬ serven und Exportbier. Betritt man die große Rundhalle des Museums, so erblickt mau zunächst zwei bei den Kämpfen in Kiautschou 1897 eroberte Geschütze, schwerfällige Kanonen alten Ka¬ libers, daun öffnet sich der Ausblick auf ein dicht bewachsenes, tropisches Thal, über dessen Bächlein herabplätschert, Felsblöcke ein während oben über den Felsabhaug ein bunt¬ bemalter chinesischer Tempel herunterschaut. Der große Kuppelraum ist in zwei Stock¬ werke geteilt, in deren unterem einzelne Aus¬ stellungen aus den Kolonien aufgestellt sind, während sich oben eine Art Panorama be¬ findet. Die Felsabhängc sind mit tropischen Pflanzen aller Art bewachsen, ebenso wächst im Hintergründe des Thales ein Hain schöner Palmen empor, in deren Mitte die Bronze¬ büste des Kaisers aufgestellt ist. Beginnt man den Ruudgang durch die Ausstellung im unteren Stockwerk, so gelaugt man zunächst an dem Direktionszimmer und an der hinter einer Zuckerrohrwaud ver¬ steckten Lesehalle vorüber in die Aus¬

stellung der katholischen Missionen,

welche eine Reihe von Büchern und Missions¬ schriften und zahlreiche ethnographische Gegen¬ stände vomRyanza undTanganykasee enthält.

Hier

findet man Haus- und Kochgeräte,

Schmucksachcn aus Leder und Pferdehaar, ein Halsband von Perlen in den deutschen

Rathaus in Schöneberg (S.

702).

die von ihr angeregten Ausstellungen erweckt zu haben; denn die Kolonialausstellungen in Hamburg (1889), in Bremen (1890), in Lübeck (1894) und besonders in Berlin auf der Gewerbeaus¬ stellung (1896) haben reichen Samen ausgestreut und reiche Früchte geerntet. Diese auf den Ausstellungen errungenen Erfolge regten eine Anzahl von Kolonialsreunden zu dem Gedanken an, das vor¬ handene gesammelte Material als Grundstock für eine immer¬ währende Kvlonialansslellung zu verwenden und hierdurch beständig anregend auf das Volk einzuwirken. Durch namhafte Unterstützungen patriotisch gesinnter Gönner gelang es, die geplante Unternehmung ins Leben zu rufen, und am 15. Oktober ist das neue Deutsche Kolonialmuseum im ehemaligen Marinepanorama am Lehrter Bahnhof eröffnet worden. Der Zweck, den das neue Unternehmen verfolgt, ist zunächst, dem Volke zu zeigen, wie es in unseren Kolonien aussieht, wie die Häuser und Hütten, die Gerätschaften und Waffen der Eingeborenen beschaffen sind, was letztere treiben, wie sie leben, wohnen nnd arbeiten, und dadurch das Interesse für die Kolonien zu wecken. Dann aber soll das Museum auch eine Art Musterlager für die

Farben vom Ryauza, Körbe und Schachteln aus seinem Strohgcslecht, Doppelkämme der Banyamwesi, Musikinstrumente und Aexte, die beim Tanz benutzt werden, Schmucksachen von Muscheln und Perlen und ähnliches. An der Wand hängen Waffen aus den genannten Gebieten und Bilder aus Kamerun. Reben diesem Saal erhebt sich eine Nachbildung der Unter¬

offiziersmesse in Kamerun, in

deren Innern ein Diorama einen Ausblick auf Viktoria und den kleinen Kamerunberg gewährt. Aus dem dichten tropischen Urwalde, der die ganze Küste umsäumt und auch die Häuser von Viktoria und die Kakaoplantagen ein¬ schließt, ragt der kleine Kamerunberg, in rötlicher Abendbeleuchtung erstrahlend, empor. An den Wänden der Messe sind Waffen der Eingeborenen, Gebrauchsgegenstände und Flechtarbeiten aufgehängt; auf der Veranda liegen mehrere buntbemalte und mit grotesken Schnitzereien versehene Kanoes. An dieses Haus schließen sich Hütten der Eingeborenen von Kamerun und von Togo an, alle aus echtem Material aufgeführt und mit mannigfachen Gegen¬ ständen, wie Sitzschemeln, Körben, Matten, Trommeln und anderen Musikinstrumenten angefüllt. Auf einem Tisch liegen und stehen Waffen, Geräte und Früchte aus Kamerun, auf einem anderen ähnliche Sachen und Flechtarbeiten, sowie gestanzte Metallschalen aus Togo. An den runden und viereckigen Rohrhütten der Be-

699

wohner von Togo vorüber gelangt man zu einer Nachbildung des

Forts von Okombahe, in welchem sich Naukluft in Südwcstasrika befindet, wilde

ein

Diorama der

Felspartien, welche Zufluchtsort von Hendrik Witbooi bildeten. In dem Hause sowohl wie in dem daneben liegenden Saale sind Sachen aus Südwestafrika untergebracht, Schalen, Felle, Waffen und Musikinstrumente der Herero, darunter auch ein Lehnstuhl von Hendrik Witbooi, der am 27. August 1894 erobert wurde. Bilder der Eingeborenen und Ansichten der Landschaft bei Swakopmund und Outgo vervollständigen die Sammlung aus Deutsch-Südwestden

letzten

_

asrika.

Die nun folgende

Missionen,

Ausstellung der evangelischen

welche

Merensky

von

Missions-Superintendenten

dem

zusammengebracht ist, enthält eine Sammlung von Unterrichtsgegenständen, Büchern und statistischen Darstellungen, sowie Schriftproben von Kindern der Eingeborenen. Auf einem Tisch sind Modelle eines südwestafrikanischen Ochsenwagens, einer chinesischen Missionsstation, einer Buschkirche aus dem Bismarck¬ archipel, eines Missionsdampfers von Ryassa und zahlreiche Bilder aus dem Leben der Missionare und ihrer Zöglinge ansgestellt. Sehr reichhaltig ist die chinesische Abteilung, in der sich zahl¬ reiche, in Kiautschou erbeutete Trophäen, wie Waffen, Fahnen, Mandarinenabzeichen, Schmuckgegenstände und Götzenbilder be¬ finden, außerdem aber auch Gegenstände, welche zu dem gewöhn¬ lichen Thun und Treiben derChinesen in Beziehung stehen. Hier erblickt man die prächtige Sänfte eines

Straße dieses Ortes mit chinesischen Handwerkern und Lastträgern und auf ein Mandarinenhaus eröffnet. Vom Innern des bunt¬ bemalten Tempels, der mit Opfergefäßen und einer Götzengruppe ausgestattet ist, blickt man auf ein Diorama der Bucht von Tsintau. Neben dem Tenipel breitet sich ein Panorama der Blanche-Bay mit den Marschallinseln und Karolinen aus, und vor diesem sind Bambushütten der Eingeborenen errichtet, die mit bunten Federn, Götzen und bemalten Schädeln geschmückt sind. Neben den Hütten liegen schmale Boote, aus einem Baum¬ stamm ausgehöhlt und mit hohen Schnäbeln verziert, an einer Seite des Kanoes ist ein wagerecht liegendes Gerüst aus Stangen be¬ festigt, welches dazu dient, das Fahrzeug im Gleichgewicht zu erhalten. Einen breiten Raum nimmt das nun folgende heilige Haus von Neu-Guinea ein, das durch seine eigentümliche Dachkonstruktion auffällt. Das Haus ist mit bunten Matten verziert und ent¬ hält im Innern Waffen, Musikinstrumente und Tanzschmuck der Eingeborenen, besonders der Fetischpriester. Ein Diorama von Stephansort mit Gruppen von Eingeborenen schließt die Aussicht hinter dem Hause ab. Es folgen kleinere Hütten der Papuas und dann ein europäisches Wohnhaus aus Neu-Guinea, in welchem eine reichhaltige ethnographische Sammlung untergebracht ist. H^r finden sich Waffen und geflochtene Panzer, Steinäxte und Lanzen mit Haifischzähnen, Trommeln und andere Musikinstrumente, Schurze und Brustschmuck und außerdem eine große Zahl von Modellen

Mandarinen,

dort den plumpen, einräderigen Karren der chinesischen Bauern, daneben sind Sattelzeug und Pferdedecken, reichgestickte und einfache Kleider, Schirme und Stroh¬ matten ausgehängt, und in einem großen Glaskasten sind kostbare Kopfbedeckungen und Stickereien, Porzellane und Schmucksachen, seltene Waffen, Richtschwerter u. s. w. untergebracht. Reben der chinesischen Abteilung Reichshat das Marineamt eine Anzahl Modelle von Kriegsschiffen ausgestellt, um auch hierdurch zur Erweckung des Interesses für koloniale Bestrebungen beizutragen. Diese Sammlungen, welche zum Teil von der Berliner Gewerbeausstellung her. bekannt sind, um¬ fassen naturgemäß erst einen kleinen Bruchteil all dessen, was zu einer

Kolonialausstellung übersichtlichen notwendig ist, aber die Ansänge zeigen bereits, daß hier im Laufe der Jahre etwas geschaffen werden wird, was selbst den größten An¬ sprüchen genügen dürfte. Unablässig wird von Freunden der Sache weiter gesammelt, und seitens der

Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes ist den Gouverneuren mit¬ geteilt worden, daß die Beamten neben den Sammlungen für die königlichen

Gruppe der diluvialen Cirrrestr (S. 700).

auch die bedenken möchten.

Museen

Kolonialmuseums

Märkisches Provinzial-Museuin: Nus der geologischen Abteilung.

Auf schmaler Treppe

des

steigt man

zwischen

das

den Felsgruppen

Freilichthier dar. Im

große

Stockwerk empor, wo befindet» Ein hübscher Blick bietet sich Mittelpunkt steht der erwähnte chinesische Tempel mit einer Straße von Kiautschou, daneben erheben sich ein arabisches Kaffee¬ haus und ein größeres arabisches Wohnhaus aus Dar-esSalem, und hinter diesem dehnt sich das Reu-Guiuea-Dorf aus, von dem sich einzelne Hütten aus dem Bismarckarchipel bis an den Tempel heranziehen. Betritt man das arabische Haus, so zum

oberen

Panoram a

Ö

sich

man einen Blick auf den Hafen von Dar-es-Salem, dessen urm neben dem Hause nachgebildet ist. Am Abend wird das Panorama von hier aus erleuchtet. Im vorderen Raum des Hauses, zu welchem man durch eine alte Holzthür mit Schnitzereien gelangt, sind Waffen und Gerätschaften der Eingeborenen auf¬ gestellt, »eben dem Hause lagern Boote und Flschereigerätschaften aus Deutsch-Ostafrika, und ans der anderen Seite ist ein arabisches Kaffeehaus errichtet, dessen Bewirtschaftung die bekannte Kolouialfirma Bruno Antelmann übernommen hat, welche hier außer¬ dem ihre aus den Kolonien eingeführten Waren verkauft. Der chinesische Tempel ist eine genaue Nachbildung des Tempels von Kiautschou, neben dem sich der Ausblick auf eine

dortiger Hütten, Arbeitshäuser und Scheunen, auch das Modell einer Buschkirche aus Rohr mit Blätterdach ist vorhanden. Im Neu-Guinea-Haus ist der Rundgang durch das Museum beendet. Aus den Fenstern des Gebäudes genießt man einen Ueberblick über die ganze Anlage des Kuppelsaals und glaubt sich in eine tropische Landschaft versetzt. Es wäre zu wünschen, daß die Museumsverwaltung in den einzelnen Abteilungen des Panoramas plastische Gruppen von Eingeborenen, in kriegerischem Schmuck oder bei häuslichen Verrichtungen, aufstellen ließe, wie es in der Straße von Kiautschou bereits geschehen ist. Solche Gruppen würden entschieden zur Verschönerung des ganzen Bildes beitragen und außerdem eine bessere Anschauung von dem Leben der Eingeborenen, von der Anwendung der einzelnen Gerätschaften und von der Handhabung der Waffen gewähren. Das Kolonialmuseum, welches sich schon jetzt eines regen Zu¬ spruchs erfreut, wird sicherlich bald zu den beliebtesten Sehenswürdig¬ keiten der Reichshauptstadt gehören, und bei dem Interesse, welches der Kaiser für die neue Unternehmung gezeigt hat, steht es wohl zu erwarten, daß die Regierung die Museumsleitung in jeder Weise unter¬ stützen wird, um das Museum zu einer Zentralstelle für die deutschen —br— Handelsinteresscn in den Kolonien heranzugestalten.

700

Das Wllnische Rathaus.

«

JnnungSabteilung, rechts neben der Eingangsthür zum großen Saal, stand auch die „Armsünderbank", der Sitz für die angeklagten Verbrecher in der alten Berliner Gerichtslaube, und auf derselben lag der „Dessauer Trog", ein ausgehöhlter Baumstamm mit Hals- und Beinfesseln, eine Erfindung des alten Dessauer, um Delinquenten zum Geständnis zu zwingen (f. d. Abb, auf dieser ^scite). Die Fortsetzung der Sammlung von Folterwerkzeugen und den auf das Gerichtswesen bezüglichen Gegenständen fand man im großen Saale in der mittelalterlichen Abteilung. Hier waren Streckleiter und „gespickter Hase", Daum¬ schrauben und „spanische Mäntel", Schandmasken und Schandsteine, Richtschwertcr und Richträdcr, Beile und Blöcke zu Hin¬ richtungen und zahlreiche Abbildungen von Folterszenen und Exekutionen aufgestellt. Unsere Abbildung zeigt einen Teil dieser Richtwerkzenge. Außerdem fanden sich im dieser Ab¬ teilung Ueberbleibsel und Erinnerungen an das alte Berliner Rathaus und die Gerichtslanbe, die im Park von Babelsberg wieder aufgestellt ist, Gegenstände des städtischen Verwaltnngswesens, wie Siegel- und Aichstempel, Marktmaße und Auktions¬ hämmer, Utensilien des Nachtwacht- und Feuerlöschwesens, Trink¬ gefäße und Möbel ans den Ratsstuben, Urkunden, Medaillen und n der

i

und der Neuzeit war wegen Raummangels in den Kellern auf¬ gestellt, andere, besonders architektonische Bestandteile, Statuen und Skulpturen lagerten auf den Höfen oder unter hölzernen Ver-

Münzen.

Die geschichtliche Abteilung im großen Saal umfaßte Gegen¬ stände und Erinnerungen vom frühsten Mittelalter bis zur Renzeit und erstreckte sich aus die allgemeine Landeskunde und die Ge¬ schichte der Herrschergeschlechter ebenso wie auf die Geschichte des Bürger- und Bauernstandes, des Adels und der Geistlichkeit, der Städte, Schlosser, Kirchen und Klöster. Von der Kolonisation der Mark durch die Askanier, von den Klöstern, Burgen und ersten Ansiedlungen fanden sich hier, in den Schränken und an den Wänden aufgestellt, Erinnerungsstücke, Urkunden und Abbildungen. Ei» besonderer Schrank enthielt mittelalterliche Waffen, ein anderer Münzen und Medaillen aus jener und späterer Zeit. Eine be¬ trächtliche Sammlung war den Erinnerungen an die Hohenzollern von dem Burggrafen Friedrich I. an bis zum Kaiser Wilhelm I. gewidmet. Daneben sah man wieder die auf die Entwicklung des Städtewesens bezüglichen Gegenstände, ferner Kunstgegenstände ans allen Jahrhunderten und einfache Sachen, wie sic das Haus¬ gewerbe hervorbringt. Die kirchliche Kunst war in zahlreichen Ueberbleibseln ans alten Stadt- und Dorfkirchen vertreten: Altar¬ schreine und Kruzifixe, Kelche, Patenen und Monstranzen, Heiligen¬ bilder und Taufschüsseln, Totenschilde und Grabtafeln waren in großer Menge an den Wänden und in den Fensternischen, in Schränken und Pulten untergebracht. Unsere Abbildungen auf dieser und der folgenden Seite geben eine Anschauung davon, wie es in einem Teil der mittelalterlichen Sammlung aussah. Eine große Anzahl von Gegenständen ans dem Mittelalter

Straf-, Folter- und Richtwerkzeuge. Verschiedene Spezialsammlungen, wie Urkunden und Antographe, Münzen und Siegelabdrücke, Stiche und Photographien wurden in Schränken in anderen Zimmern aufbewahrt. Es war kein Raum vorhanden, um alle Gegenstände möglichst übersichtlich schlügen.

aufzustellen. Die beiden nächsten, nach der Breitenstraße zu gelegenen Zimmer enthielten die vorgeschichtliche Abteilung, welche, nach Kreisen ge¬ ordnet, die auf vorgeschichtlichen Wohn- und Begräbnisstätten ge¬ sammelten Funde umfaßte. großen Glasschränken standen hier große und kleine Urnen, mit und ohne Verzierung, vollständig er¬ halten und zerbrochen, daneben gehenkelte flache Schüsseln und Krüge, bauchige und schlanke Ge¬ fäße, und dazwischen lagen zahl¬ reiche Scherben und Knochenreste, Spinn- und Webcgeräte, Fischereiund Jagdgeräte und mannigfache Stein-, Bronze- und Eisenwaffen. Alles, was auf prähistorischen Wohnstätten gefunden mar, wurde hier sorgsam aufbewahrt, um der Forschung zu weiteren Studien zu dienen und dem Besucher eine An¬ schauung von den Lebensgewohn¬ heiten, den Gerätschaften und den Wohnstätten der früheren Bewohner der Mark Brandenburg zu gewähren. Abbildungen und plastische Nach¬ bildungen von solchen Wohnstätten, wie Pfahlbauten, Höhlenwohnnngen und Bnrgw allen, dienten zum näher i. 'lv tündnis jener vorgeschicküichen Zeiten, und Ileberreste

In

701

von Baumaterial, Wirtschaftsabfällen, Tierknochen und Pflanzen¬ teilen bildeten wiederum eine Erläuterung zu diesen Darstellungen. Einen breiten Raum nahmen die Fundstücke ans vorgeschichtlichen Grabstätten ein. Neben plastischen Darstellungen von Hünen¬ gräbern, Grabkammern und Steinsetzungen sah man hier die ver¬ schiedensten Formen von Urnen, von der großen glatten, aus grobkörnigem Thon freihändig hergestellten germanischen Leichenurne

und Rhinoceros, neben dem Schulterblatt des Walls hing das Geweih des Riesenhirsches und des Elchs oder das Gehörn des Urrindes, neben Echiniten und Belemniten lagen fossile Schnecken und Muscheln, neben riesigen Gletschertöpfen kleine Schwalbensteine und Hexenschüsseln u. s. f. Die zoologische Samm¬ lung umfaßte alle Arten märkischer Tiere in ausgestopften oder getrockneten Exemplaren, in Spirituspräparaten oder Skeletten, die botanische Sammlung ein umfangreiches Herbarium, sowie Abbildungen und Präparate der verschiedensten Pflanzen. Alles, was die Mark Brandenburg in prä¬ historischer und kulturgeschichtlicher, in naturwissenschaft¬ licher und anthropologischer Beziehung aufzuweisen vermag, ist im Märkischen Museum mit großem Fleiß gesammelt und zusammengestellt. Außerdem bildet eine ziemlich reichhaltige märkische Bibliothek, in der sich sehr seltene Drucke bestndcn, dem Forscher Gelegenheit, die einschlägige Litteratur bei seinen Studien benutzen Einzelne Fnndberichte und eine jährliche zu können. Uebersicht der Erwerbungen und Geschenke werden von der Verwaltung des Museums herausgegeben. Trotzdem lagert noch eine unendliche Fülle von Material in den Schränken und Repositorien der Mnseumsregistratur und harrt der Bearbeitung durch sachkundige Hand, und es wäre sehr zu wünschen, daß der Magistrat der Stadt Berlin endlich dem von Fach¬ kreisen so oft geäußerten Verlangen entspräche und in das Verwaltungspersonal einige wissenschaftliche Hilfs¬

arbeiter einreihte, damit das brachliegende Material zum Nutzen der märkischen Forschung verarbeitet würde.

Die jetzige Verwaltung hat mit inneren Arbeiten, be¬ sonders der Sichtung der zahlreichen Eingänge, so viel zu thun, daß sie an wissenschaftliche Publikationen nur hin und wieder herantreten kann. Sobald der Umzug des Märkischen Museums und des Gewerbegerichts nach dem Markthallengebände in der Ziinmerstr. 90/91 bewerkstelligt ist, wird das Köllnische Rathaus sofort abgebrochen werden, und einige Wochen später wird das Getriebe des Verkehrs über die althistorische Stätte dahinflnten. Wer indes glaubt, daß sich ein freier Platz zwischen der Petrikirche und dem Köllnischen Fischmarkl ausbreiten wird, der irrt sich gewaltig. Die beiden Häuser au der Ecke der Scharrcnstraße und des Petriplatzes bleibe» stehen, und den Passanten der Gertrandlcnstraße wird sich Waffen und Bücherwerke ans dein 16. und 17. Jahrhundert. dann ein Bild darbieten, wie es unsere Abbildung des Rathaushofes auf Seile 666 in Nr. 42 des „Bär" bis zum kleinen, zierlich gedrehten und hübsch verzierten wendischen zeigt. Hoffentlich wird diese Ruine von Alt-Kölln nicht allzulange Beigefäß, ferner Steinwaffe» und Steingcräte, Bronzeschmucksachen ihre Hinterseite auf die weltstädtisch angehauchte Gertrandtenstraßc und Bronzewaffen, eiserne Geräte und Waffen. Reben dem Leichcnhinausstrecken. brand und den Schlacken der vorslavischen Gräber waren die Dr. G»stav Albrecht. Schädelreste und Skelettteile der Grabstätten vor¬ wendischen handen. An den Wänden ent¬ lang lagen die größeren Fundstücke, wie Mahltröge »nd Mühl¬ steine, Kähne (Einbänmei und Ruderstangen, Pfähle aus Pfahl¬ bauten und Befestigungen, Opfersteine und dergl. In einigen Schränken waren Funde aus dem übrigen Deutschland und dem Auslande aufgestellt, um als Objekte zur vergleichendenKulturgefchichte zu dienen.

Die letzte Abteilung des Museums, in einem Zimmer nach der Scharrenstraße zu, umfaßte die anthropologische und

geologische, sowie die bo¬ zoologische tanische und Sammlung, in welche die Ab¬ bildung auf Seite 699 einen Einblick gewährt. Hier waren einerseits die Funde untergebracht, welche

der

Urzeit

der

Mark

Brandenburg angehörten, fossile Ueberreste ans dem Tier- und Pflanzenreich, Gesteinsbildungen und Versteinerungen, andererseits Proben von Erdschichten und Gesteinen und Exemplare der in der Mark vorkommenden bezw. vorhanden gewesenen Tiere und Pflanzen. Neben Knochen und Zähnen vom Mammut sah man solche vom Höhlenbären

Mittelalterliche Gruppen.

Schönebergs Entwickelung. u'i. i''u.itCiiifu II, btc ?!om mit bei Dfifeelnfte verbanden, i’i' Ziku' bei,] norbeuv'ii'ni't habe. Zur Zeit der Völkerwanderung m> ui btc Seruu'ii n bnn allqew inen .iuqe folgend, gen Westen, m L c i n ein Um die Wende des ii i 2 ' n D 'i !ubniibat-’ liatti die Poiiimerict'en >Herzvge liier die Fürsleniwlicit Kine. und cm i„it2lo30 crgrineii die Bkartgrasen Joban» i

,2

Kür ■'■{'.if

iwUwilWrslW

V

vici:.:

1

2

:

2

fo>;

:

1,22

,!

,

'

,

i: iVü.f' ’d;uni :

'i

WWWipiei:

ipW§W 22:.''

~2.:::

:

'H.

!

i

"

2

veidentsäien

n

>i

,

i

i

i

t

i

triu l

i

:

ii

N

vorn

Wort

Aiir aller Macht wurde nun die Wir haben in Rr 2r de,' Bär

«Prensta») das, gewöhnliche Snttem germanischer Gemeinden durch eiueichschokator,i den ivaleren LehnsschulzelK geschildert. Einem solchen Vorgang verdankt auch unser Heunhis Dchönelierg leine Ent neining, 2 Die erste geschichtliche Erwähnung deS inmeno Dllionebeig stiidet sich in einer vom Zpandan aus artgras L tto UI zn gefertigten Urkunde, Das Original dieses ehrwmdigeii Dän illstnäes wild beut im ge¬ heimen Dtaatsar iiir ausbewahrt. Ans dem Latein der damaligen Zeit ins hochdeutsche

7

UUllltflikl .'JC'®* L-«-

cyw r

ttariwme ',0?



^

Ä •'

■Wirr

.tiVtXSC.‘ ''1

fTstW'

'

• r

£»Jfr

\ |»pl T4

%

■M&rnt

^

wcst-’^o^Äim^S /man* ns»

’AfSS»

o-

453»iuna *&*£■

,

'

,-.i^srrn~rc «öS

-Lw-S : «wj

»DMio

Ä

v»^_ä

-

tv« tw t

mit

s'.ii xemj -pTvp;ri>; «\jy

-

stmt5 tscw»

•S-'-nners

" ftxüiac' ^cu ^;$ctrriciö




^

-

»

r

:

'

n

HK

Tnqu

uni)

^chcw

im

unaufhörlichen

und

ehrlicher Ueherlegnng niiter, ein?

ausgleichen, — fünf im Dorfe Seoneuberch als Eigentum übertragen haben, mit allen Rechten, >o wie ivit »r besaßen, nach völliger Be'reinng von Hebung, Bede, Bog'.eidien'! nnd leglichen anderen Diensten, Und daim! unsere - Laieninng, diel durchaus unserer und unserer Dohne Freigebigkeit entsprungen ist, frei von, jeder Zweidentigreit nnd jedem Widerspruch, jedem frivolen oder gar böswilligem Bestrebens 22 :ss 2 ss.s als zu Recht bestehend voll lind ganz bis IN, s ch, 2 spatere Zeiten dauere, haben wir unseren vorliegenden Brief, mit unserem Tiegel be¬ wehrt und befestigt, obgenannter Kirche zum osfenkundigen Zeugnis und Bekräftigung aushändigen zu müssen geglaubt. Zeugen hierfür sind: Johann von Rossowe,, Konrad von Osterburch, Gebhard von Alvenslewe, Ulrich von Ervghe, Heinrich von Lbene. Albert l von Grobe, Vogt in Zpandowe, Heinrich von Grvbene, Arnold von Bredowe, Theodorich von Bornem nnd andere mehr. "unseres 2 Hofnotars Gegeben zu Zpandowe durch die Hand Johannes am 3, November im Jahre des Herrn 1264," Köln ist-zuerst 1237 und Berlin 1244 lirknndlich erwähnt. Die Verfassllng, die den Dorfgemeinden gegeben wurde, war natürlich eine von der städtischen grundverschiedene. Der Lehnsschütze erhielt im allgemeinen etwa den zehnten Teil der gesamten 'Feldmark als Eigemum, dje Bauern, die persönlich freie Leute waren, ein bis vier Hufen als, erbliches und unwiderrufliches Eigentum, das sie frei veräußern und auch ohne Stellung eines Nachfolgers verlassen durften, der Kirche wurde eine Hufe über¬ wiesen, Die Größe der Hufe schwankte zwischen zwanzig und vierzig Morgen. Die einzelnen Aecker jedes Bauern lagen nicht zusammen, sondern über die ganze Dorfflur verstreut. Diese war zur wechselnden Bebanling in drei Abteilungen zerlegt: Wintersaat, Sommersaat und Brache, So hatte jeder Bauer ein drittel seines Landes in einem dieser drei Teile, ?lls Gemeindebesitz hatte dann jedes Dorf noch Wiesen zur Viehhütung, Brüche, Landschollen, .

ist hi'

u’

gelegene Hufen zum ewigen Besitz

,

atdiisisa ,'2m!

0 vl

möelnen unsereUnvollkonunenhei: beimHvchsien

U5M-

i .

lh künde

wütiger ^>nslim»ii,-ig aperer 2oh»e Johann, Otto, Alorecht, di r t>l nientirllie bei Zp andowe, weihe wir mit frommer Liebe ver¬ ehren — zu dem Hern Jeiris EhristuS hosteud, die dort Elott dem Herrn Dienenden

KKvttK ,-LL-

l

antet b.,

Wechsel dahinfließen und vergehen, so wurde auch, was in diesen Zeiten gentnelit, sehr leicht ans der Erinnerung verschwindeii, wenn es nicht durch Diimmeu von Zeugen und ichrisllichen Anfg'ichnnngen Zeitigung erhielte Deshalb machen wir allen g genwartigen wie auch nachkommenden Ehrislen bekannt, daß wir in der Hossuung ans ewigen Lohn, nach,

guter

/^kda^A»«S..fSW

j*~**P'.

^tfrurtß' jssmyMH

!

„Zm Namen der heilige» unteilbaren Dieieinigtelt Wir Otto, von «Lottes Gnaden a!!n> für immer. - andeiitaugischei Eiaiigia

'

.

703

Wälder und Fenns. An diesem gemeinsamen Besitz hatten auch die sogenannten Kossäten Anteil. Die Kossäten oder Kotsaten sind die in der „Kote" oder „Kate", ein noch heute gebrauchtes Wort für Hütte, „sitzenden", während der Schulze oder Schultheiß der ist, der die „Schulden", die der Obrigkeit zu entrichtenden Ab¬ gaben, „heischte". Beide Worte haben sich ja bis in unsere Tage erhalten. Es herrschte „Flurzwang", d. h. die Bauern mußten ihr in jedem der drei Teile liegendes Feld gemeinsam in gleicher Art bebauen. Die Kossäten waren von dieser Feldgemeinschaft ausgeschlossen, da sie zwar ihre Höse auch an der gemeinschaft¬ lichen Dorfstraße liegend hatten, ihr Landbesitz aber außerhalb der eigentlichen Dorfflnr lag. Die Rechtsprechung war besonderen Dorfgerichten anvertraut, an deren Spitze der Schulze stand; er bezog auch ein drittel der Gerichtsgefülle. Die Beisitzer waren Bauern, Scabini oder Schöppen genannt. Das höhere Gericht, dem die Dorfgerichte unterstanden,

war das markgräfliche Landgericht. Mannigfache Lasten ruhten noch auf den Bauern: der Grund¬ zins an den Markgrafen, der „Zehnte" von allen Feld- und Vicherträgen an die Kirche; bald indessen wußten die Markgrafen auch diese Abgabe an sich zu reißen. Dazu kam die „Bede", die all¬ gemeine Landcsabgabe. Ferner waren persönliche Dienste zur Unterhaltung der Wege, Dämme und Berge zu leisten; der im Lande reisende Markgraf hatte Vorspann zu be¬ im Kriege anspruchen, mußte ein Hecrwagen aus¬

in der Hand Falkenrohdes. Dieses Streben, den großen Grund¬ der Dörfer mit der Gerichtsbarkeit möglichst in eine Hand zu legen, wurde damals von höchster Stelle sehr begünstigt. Dem Landesherrn war es lieber, mit einem zuverlässigen Lehnsträger Aber allmählich zu thun zu haben, als mit vielen Bauern. wandelten sich dadurch die Begriffe, der freie Bauer wurde vom Gutsherrn abhängig; die Dienste und Pflichten, die er dein Lande zu leisten hatte, wandelten sich in solche, die er dem Lehnsträgcr des Landesherr» schuldete, es waren „Hofedienste". Mit diesen Besitzen und Lehen wurde auch eifrig Kauf und Verkauf getrieben, und so findet sich bald mehrere Generationen hindurch Schöneberg in den Händen der Familie von Redern. Das wichtigste Ereignis für das Gemeinwesen auf Jahr¬ hunderte hinaus geschah 1506: Kurfürst Joachim I. kaust von besitz

zu Betz das Dorf Schöneberg „zu einem ewigen Erbkauf" für die Summe von 1847 Gulden 26 Groschen. Dieser Besitzwechsel hatte für den dauernden Bestand der Besitz- und Rechtsverhältnisse die weitgehendsten Folgen, denn hier, wo er selbst „Gutsherr" war, lag es natürlich iin eigensten Interesse des Landesherrn, die Bauern- und Kossätenstellen möglichst unverändert zu erhalten, »nd so finden wir in Schöneberg noch am

Jaspar von Redern rechten

gerüstet werden, und der Schulze that Reiterdienste. Die Kossäten brauchten

nur

Handdieuste, keine Spanndienste zu leisten. Im Laufe der folgenden hundert Jahre kam es recht häufig vor, daß der Landesherr in materielle Notlage geriet. Er nahm dann Darlehen auf und verzichtete dafür auf gewisse Rechte u nd Leistungen, die ihm der das Darlehen gebende Unterthan schuldig war. Er verlieh sie ihm, „belohnte" ihn damit. Da damals jeder Zins verboten war, so mußten Darlehens¬ eben alle geschäfte in eine Form des Kaufs mit Wiederkauf ge¬ bracht werden. Natürlich entstand durch diese ver¬ wickelten Geschäfte eine Verwirrung der Besitzverhältnisse, die wiederum zu größter Unsicherheit aller rechtlichen Zustände führte.

So war das „Land¬ buch", das Kaiser Karl IV. 1375 zusammenstellen ließ, eine wahre Wohlthat für die Mark. Seine Boten reisten von Ort zu Ort, stellten mit Zuziehung des Kreisvogtes Nachforschungen an, imd die ge¬ fundenen Besiyverhältnisse wurden dann ausgezeichnet. Falsche An¬ gaben wurden mit Einziehung der verheimlichten Güter bestraft, und auf diese Weise wurde eine ziemliche Zuverlässigkeit des Resultates erzielt. Das „Landbuch" Kaiser Karls IV. ist so recht eigentlich der Vater unserer heutigen gerichtlichen „Grundbücher" geworden. Auch über Schöneberg bringt das Landbnch Angaben: das Dorf hat 50 Hufen. Mehrere Cöllner und Berliner Bürger haben ebenso wie die Nonnen in Spandau und die Rolandsbrüder in Berlin Landbesitz oder Rechte auf Pacht und Zins in Schöncberg. Der größte Grundbesitzer im Dorfe heißt Parys, er batte auch die höhere und niedere Gerichtsbarkeit im Dorfe. Die Mark¬ grafen, namentlich Ludwig der Baier, hatten nämlich auch die Belehnung mit der Gerichtsbarkeit als einen dankbaren Gegenstand zur Erzielung von Darlehnen betrachtet, und 1375 besaß der Markgraf von den 90 Dörfern des Teltow gerade noch in zweien die hohe Gerichtsbarkeit. 75 Jahre genügten, um die gesamten Bcsitzverhältnisse in 1451 finden mir im Schoßregister: Schöneberg umzukehren. „Schonberge haben die Falkenreyde von mcgcu Herrn zu Lehne. Die 52 huben uff der Feltmark czinsen »glich 6 bis 8 schepel roggen, 6 bis 8 schepel Haber, 8 bis 10 schilling. Der Krnk gibt 6 Koseten geben imsamt 45 groschen. 1 Kosete yst wüste. 23 groschen." Während 1375 Recht und Besitz noch auf die ver¬ schiedensten Eigentüme- verteilt ist, finden wir nun alles vereint

Alt-Tchönrbrrg. Anfange unseres Jahrhunderts eine Reihe von Besitzernamen, denen schon im 16. Jahrhundert begegnen. Als Eigentum des Kurfürsten wurde Schöneberg dem soge¬ nannten „Mühlenhof", dem Wirtschaftshofe des Schlosses in BerlinCölln, zur Verwaltung übergeben. Dieses kurfürstliche „Amt" Mühlenhof, auf dem Mühlendamm gelegen, umfaßte die vier Wassermühlen der Spree, auf denen die Städte Berlin und Cölln und viele Ortschaften der Kreise Teltow und Barnim bei Strafe der Konfiskation ihr Korn malen lassen mußten, und bestritt die Kurfürst Joachim II. Kosten des landesherrlichen Hofhalts. befiehlt in der 1537 erlassenen Hofordnung, daß der Verweser des Amtes Mühlenhof für ordnungsmäßige Bewirtschaftung der beiden kurfürstlichen Vorwerke und Schäfereien Schöneberg und Wilmers¬ dorf zu sorgen habe. Nachdem 1539 Joachim II. zu Spandau das heilige Abend¬ mahl in beiderlei Gestalt genommen hatte, wurde auch in Schönedie Refor¬ berg 1541 mit der allgemeinen Landeskirchenvisitation Visitation ist zum größten mation eingeführt. Das Protokoll der wnen Handschrift des Teil im geheimen Staatsarchiv in de'' chöneberg als eine Kanzlers Weinlöben erhalten. Es gerade eben die rech» ärmliche Gemeinde, in der Kirck arrer und Küster allernötigsten Geräte und Gesäße vorh stimmte überdies erhielten ein mehr als kärgliches Geha ls Filialkirche der Kurfürst, daß das Dorf Lankwitz »kwitz als filia zugeteilt werden solle. Zu den Pfarrl ’ beizutragen. dann einen Teil, Schöneberg als mr*

wir

(Sin weiterer

704

Ueber die Errichtung einer Zentralbehörde für technische Angelegenheiten.

Vortrag gehalten ans der Generalversammlung des Bundes der Industriellen am ^6. Oktober

X

899 zu Berlin.

Von (Schluß)

Franke

as ist natürlich kein Vorwurf für den Staat, sondern eine natürliche Folge der schnellen Entwickelung der Technik. Man brachte eben die einzelnen Verwaltungs-Abteilungen da unter, wo gerade Platz war. Daß dadurch ein einheitliches Wirken zu er¬ langen sei, und ein kräftiges Eingreifen im Interessen der Technik erfolgen kann, wird aber wohl niemand zu behaupten wagen! Auf Ihrem Programm steht, meine Herren, daß ich auch der Fachschulen gedenken soll. Dieses Gebiet ist ein so außerordentlich umfangreiches, daß es sich knapp einigermaßen übersichtlich in den Rahmen eines speziellen Vortrages fassen läßt. Ich muß mich daher ans die wichtigsten, speziell auf mein Thema bcziehlichen j

Fragen beschränken.

Für alle solche Darlegungen ist das Festhalten einer gewissen Systematik vorteilhaft. Ich erinnere daher zunächst daran, daß man die technischen Fachschulen in technische Hochschulen, Mittel¬ schulen und Untersachschulen eingeteilt hat. Mich interessieren an dieser Stelle die beiden letzteren Klassen; und meine Ausführungen über die Hochschulen könnten nur einige begeisterte Worte finden. Aber eine Angelegenheit, die augenblicklich das Tagesgespräch in Technikerkreisen bildet, zwingt mich, ein wenig von meinem Plane abzuweichen. Es ist die Angelegenheit über den technischen Doktor. Sie wissen, meine Herren, daß man von seiten der Universitäten den Technischen Hochschulen das Recht, den Doktortitel zu verleihen, bestritten hat. Gerade Sie, meine Herren, die Männer der Praxis, werden sagen: Was ist uns ein Titel? Er ist Schall und Ranch. Es läßt sich aber leicht zeigen, daß die Angelegenheit für den jungen Ingenieur von hervorragender Bedeutung sein kann. Der junge Gelehrte, der die Universität verläßt, pflegt sein Studium gern mit der Doktorpromotio» abzuschließen. Der Titel verleiht eine gewisse Würde, ein größeres Ansehen, vorzüglich in LaienDer junge akademisch gebilderc Ingenieur hat früher kreisen. nicht nach dieser Würde gestrebt. Seitdem die Chemie und be¬ sondere die Elektrizität in der Technik eine so große Rolle spielen, ist das anders geworden. Auch der ans den Universitäten gebildete Chemiker und Physiker hat sich in den Dienst der Technik gestellt, und man findet jetzt vielfach an den großen technischen Instituten, besonders unter dem jungen Nachwuchs, den Doktor. Der Titel klingt, und der Ingenieur, der ihn trägt, wird daher oft vor seinen nicht betitelten Kollegen bevorzugt. Das hat den Wunsch erregt, den Doktor auch an den technischen Hochschulen erwerben zu können. In diese, wie Sie sehen, meine Herren, praktisch wichtige Angelegenheit haben sich bisher unsere höheren Behörden nur wenig gemischt. Ja, meine Herren, ich muß mich von neuem wiederholen. Es fehlt uns in Deutschland an einer Behörde, die sich mit einer gewissen Fürsorge für das Wohl der Techniker interessert, die die Durchführung solcher Fragen mit ihrer Autorität stützt und in it dem ganzen Gewicht ihrer Bedeutung für die Durchführung der Angelegenheiten in die Schranken tritt. — Wenden wir uns nun den beiden Klassen von Fachschulen zu, für die augenblicklich so lebhaft die interessierten Kreise eintreten. Den Ansprüchen der modernen Zeit entsprechend, haben sich die Fachschulen zuerst in Sachsen entwickelt; in Preußen wendeten sich die Regierungen erst in diesem Dezennium wohlwollend und mit Eiser dem Fachschulwesen zu. Im Kreise der Techniker bedauert man hauptsächlich, daß keine einheitliche Organisation die mittleren und die unteren Fachschulen umschließt. Ihre Begrün¬ dung erfolgte und erfolgt in den meisten Fällen durch Privat¬ perionen, also durch Großindustrielle, technische Verbünde und dergleichen. Mit erfreulichem Eiser haben sich viele Städte der Entwicklung, besonders der unteren Fachschulen gewidmet. Ich habe nur nötig, Sie in diesem Sinne an die Weberschnlen, Schlosserschulen, Maschinenbanschulen und dergleichen zu erinnern. Selir interessant ist jetzt die Bewegung ans dem Gebiete der mitt¬ leren Fachschulen. Man pflegt sie im allgemeinen in zwei Gruppen einzuteilen, von denen die eine der Ausbildung von solchen jungen Peilten gewidmet ist, die später leitende Stellungen einnehmen sollen, deren Kenntnisse 0 mehr ans die Theorie zugespitzt sind. Man fordert für den ich dieser Schulen den Besitz des einstihrigen Zeugnisses, veite Gruppe gilt mehr der Ausbildung von Werkmeistern, lind dergleichen, bei bene» also die Praxis tu den ? tritt. Der Deutsch band, der mehr als 8000 Mitglieder besitzt, ist iienerd die Agitation für die Neuorganisation der technischen " getreten und ha! seine Wünsche den

Kendt. Staatsregierungen unterbreitet. An erster Stelle wird in der Ein¬ die Einrichtung einer ausreichenden Anzahl staatlicher technischer Mittelschulen gefordert. Aufnahmefähig soll bcrjcnige sein, der die Kenntnisse nachweisen kann, die, mit Ausnahme der fremden Sprachen, znm Eintritt in die Obersekunda einer Oberrealschule berechtigen; außerdem sollen die Zöglinge in ihrem be¬ sonderen Fache zwei Jahre praktisch thätig gewesen sein. Die Besuchszeit der Anstalt ist gleichfalls ans zivei Jahre bemessen. Durch die Absolviernng dieser Schule sollen die Absolventen die Berechtigung znm einjährigen Dienst erhalten und bei der Besetzung technischer Subalternstcllen besonders berücksichtigt werden. In Technikerkreisen tritt immer mehr der Wunsch, und ich glaube der berechtigte Wunsch, hervor, gründliche Fachkenntnisse dem allgemeinen Schulwissen gleichzustellen und einem jungen Manne, der eine genügende praktische und theoretische Ausbildung in seinem Fache erlangt hat, die Berechtigung zum einjährig-frei¬ willigen Dienst zuzuerkennen. Sehr bemerkenswert sind in diesem Sinne die Verhandlungen gabe

über die

„Organisation der Preußischen Maschinenban-

dem Vorsitz des Ministers für Handel und Gewerbe am 6. und 7. Mai des vorigen Jahres zu Berlin ab¬ gehalten wurden. In der Kommission saßen neben hervorragenden Schulmännern bedeutende Praktiker und Vertreter der Technik und Industrie. Von den Direktoren der Schulen wurde der Besitz des einjährigfreiwilligen Zeugnisses als ganz unerläßliche Vorbedingung für die Ausnahme in die Maschinenbanschule gefordert; während die Techniker die Zulassung auch solcher tüchtiger junger Männer, die die Vorbedingung nicht besäßen, verlangten. Man machte darauf aufmerksam, daß unsere junge» Techniker durch solche Ansprüche häufig zu spät in die Praxis kommen und dann nicht mehr im¬ stande sind, mit den Technikern anderer Länder, besonders mit den amerikanischen Monteuren, zu konkurrieren. Sie sehen, meine Herren, in wie wilder Gärung augenblick¬ lich noch die Meinungen über die Organisation der Fachschulen sind. Ganz ähnliche Vorgänge wie bei den technischen Fachschulen spielen sich auch bei der Organisation anderer Fachschulen, wie z. B. der kaufmännischen Fachschulen, ab. Wiederum komme ich zu dem Schluß, daß der Streit der Meinungen nicht immer ein Resultat zeitigt, weil wir keine Be¬ hörde besitzen, die eng mit den Wünschen und der ganzen Denkungsart, wie sie in technischen Kreisen herrscht, ver¬ trant ist. Meine Herren, ich möchte Sie nicht mit der weiteren Aufzählung der Gründe, die für die Notwendigkeit einer Behörde für technische Angelegenheit sprechen, belästigen. Ich glaube, daß die ganze Angelegenheit nicht mehr im Fragezeichen steht, sondern daß die Begründung unerläßlich ist! Wenigstens habe ich zu meiner Anregung ans den weitesten Kreisen und von hervor¬ ragenden Hochschullehrern und Großindustriellen freundliche Znstimniung erhalten. Mir ist seiner Zeit der Einwnrf gemacht worden, daß durch die Begründung einer neuen Behörde die ganze Staatsorganisation nur noch mehr verwickelt würde. Ich vermag das nicht einzusehen. Mir scheint vielmehr, daß, wenn alle Angelegenheiten für die Organisation der technischen Dinge in eine Hand gelegt werden, sich die Verwaltung einfacher vollziehen müßte. Unbestreitbar ist, daß hier ein dringendes Bedürfnis vorliegt, das einen sehr großen Teil der deutschen Bevölkerung wesentlich angeht. Und warum sollen die deutschen Techniker so über alle Maßen bescheiden sein? Besitzt doch jede große Interessengruppe ihre be¬ sondere Vertretung im Staatskörper! Was würde man wohl sagen, wenn sich eines Tages im Abgeordnetenhanse ein Mitglied erheben würde und die Aufhebung des landwirtschaftliche» Ministeriums verlangte, mit der Begründung vielleicht, daß die landwirtschaftlichen Angelegenheiten ja auch vom Ministerium des Innern und des Handels erledigt werden könnten. Ich glaube, daß der steno¬ graphische Bericht die stürmische Heiterkeit des Hauses konstatieren würde! Ist es nicht merkwürdig, meine Herren, daß das,

schulen", die unter

was für die Interessen der Landwirtschaft so selbstver¬ ständlich erscheint, nicht auch der sich so gewaltig ent¬ faltenden Technik und ihrer Industrie zugebilligt wird? Die Technik hat sich jetzt so entwickelt und ist zu so gewaltigen Aufgaben vorgerückt, daß sie einer einheitlichen, ausgleichenden Gewalt bedarf, die, selbst uninteressiert, Schwierigkeiten hebt und soweit das menschenmöglich ist, sich als eine Art Vorsehung bekundet.

705

Peüilktor) des J|är. Kunst und Wissenschaft. Königliche Porxellanmanufaklur. .Eange

schien es,

als ob die Königliche Porzellannianufaktnr

sich

vvll-

E' kommen ausschließen wolle von dein Suchen und Ringen nach neuen Formen und Farbklängen, das durch das gesamte Knnsigeiverbe der Gegenwart gebt. Sic begnügte sich, in immer neuen, ja allerdings meist sehr gcschchmackoollc» Zusammenstellungen der überlieferten Elemente des Nenaiffance- und Rokokvstils sich zu bethätigen, ging oft Fchlwcge, ivcnn sie ganz den Charakter ihres Materials verkennend, riesige Gemälde auf Hunderten von Kacheln malte oder gewaltige Kamine und Säulen formte. Umso größer war die freudige Ucbcrraschnng aller Liebhaber, als im vorigen Jahre zuerst neue Versuche mit neuen Farben und Glasuren ausgestellt wurden. In diesem Jahre sind für diese neuen Glasurflüsse nun auch neue Formen gesucht worden. Leiber sind sie nur in wenige» Fällen geglückt. Es sind die Schalen und Basen, in denen sich das Fließen der Farben und das Blinken der Krystalle dein Dargestellten harmonisch an¬ passe». Da, wo z. B. ganz naturalistisch geformte Blumen mit graublauem und braungrünem Schmelz überzogen ans der Wandung eines Gefäßes herauswachsen,

eigentlich nur ein Vorwand, das alles zu zeigen. Ob er russische Schnecsteppcn mit Schlitten und dampfenden Rosien davor malte, ob es die Sümpfe der Ukraine waren, oder die heißen Wüsten Algiers mit buntgekleidctcn Arabern ans von ivcißem Schaum bedeckten Pferden, cs ist gär nicht Schnee und Sumpf und Wüste, es ist immer ein Farbenzaubcr von Franz Schreyer. Wenn cs einen hervorragenden Reiz eines Gegenstandes für ihn überhaupt gab, so hatte ihn das Pferd. Er ward nicht müde, es immer und immer wieder zu malen ; auf den vielen Bildern, wo er Pferd und Mensch zugleich behandelte, ist immer das Pferd mit größerer Liebe geschildert. Und doch darf man auch seine Pferde nicht auf die organische Richtigkeit der Zeichnung und die Möglichkeit ihrer Bewegung hin ansehen.

Schreyer ivar geborener Frankfurter, ein Zeitgenosse der früh dahingegangenen, glanzenden Talente Tcutwart Schmitson und Victor Müller. Sehr früh ging er nach Paris, errang dort bald bedeutende Erfolge, und über diesen Umweg, den ja leider viele Teutsche haben machen müssen, kam dann seine Kunst auch nach Deutschland zu einem Siegeszuge.

Nus /Ls

wird jedes feinere Stilgefühl verletzt. Hoffent¬ lich bringt man ans die nächstjährige Pariser Weltausstellung nur das Allerausgcglichcnste und Stilstrengstc; dann wird man sicher dort große Erfolge erringen. Aber auch nur daun, denn dort ist der allgemeine Geschmack durch die wunderbare» Potcrien der Bigot, Massier, vom Golf Inan sehr erzogen und sehr empfindlich gegen Minder¬ wertiges.

Nachlahausstellung oonX Schreyer in der Nakionslgalerie.

Führer gilt in Paris Bcsnard. Er ist hier durch drei dekorative Malereien ver¬ treten, zwei Supraporten und einem Pla¬ fond. In lichten, zarte» Tönen gehalten, wirke» die Arbeiten hier leider nicht, wie sie sollten. Offenbar sind sie mit ihrer breiten

/Es

ist eine schöne Sitte, die die Berliner gt? Nationalgaleric seit Jahren pflegt, nach dem Tode hervorragender deutscher Künstler durch eine Ausstellung von Skizzen, Studien und reifen Werken möglichst aus allen Epochen ihres Lebens ein Bild ihrer künstlerische» Entwickelung zu geben und gleichzeitig ihrem Andenken eine letzte Huldigung zu bringe». Gegenwärtig ist im weiten Cornelinssaalc eine solche Reihe

Mache

ans

einen

hohen

Saal

berechnet,

und wie Besnard seine Wirkungen vorher berechnet, zeigt am beste» die viel dekorativere Art des Plafonds im Vergleich zu den viel weiter durchgeführten Supraporten. Daß diese Riesenleinwand, die als Ein¬ lage für die Decke bestimmt ist, hier nun

Der Kaiser Friedrich-Vrunnrn zu Uerdingen a. von Arbeiten Franz Schreyers ansgestellt. Man sah auf den großen Ausstellungen der letzten Jahrzehnte kaum ein Bild dieses genialen Malers) in den Händen der Kunsthändler bedeuteten sie aber immer sehr hohe Preise, und viele seiner inlercsinntesten Werke sind durch graphische Nachbildung in unzähligen Exemplaren verbreitet. Das ist eigentlich sehr zu verwundern; denn die Qualitäten seiner Bilder sind rein malerische, ihr erzählender Inhalt gleich Null. Schreyer war ein Maler mit jeder Fiber seines Wesens; dieses wunderbare Klingen und Singen der Farben, die lenchtenden, satten Farbhnrmonien, die er hervorzuzaubern wußte, waren ihm alles, der dargestellte Gegenstand

den Kunstsslons.

hochcrfrenlich, daß neben der so minderwertigen „Französischen Kunst¬ Gebäude der Kunstakademie ausstellung" im "anderer Stelle Gelegenheit gleichzeitig an geboten wird, zu sehen, >vic die französische Kunst an ihrer Entwickelung arbeitet, wie die führenden Talente immer neue Bahne» zu entdecken suchen. Diese sind gewiß oft Irrwege, aber auch in diesem Falle ist cs imnier reizvoll, ihnen zu folgen) denn selbst die kühnsten Versuche basieren auf einer stets der Mittel vollkommen sicheren Technik. Bei Schulte ist diese hochinteresiaute Ausstellung zu sehen. Als einer der ersten ist

Ul>.

in dem immerhin beschränkten Raum ans der Erde steht, nimmt ihr natürlich alle Wirkung. Von dem sonst so feinen Aman-Jean ist ei» minder gelungenes Bild, die „Venezianerinnen" ausgestellt) dafür zeigt ihn der von einer blauen Woge sich abhebende weibliche Körper aiif dem anderen Bilde in seiner ganzen Feinheit der Harmonien gebrochener Tone, die er so meisterhaft beherrscht. Ein nicht sehr erfreuliches Bild ist da-s durch seine gewaltige Größe auffallende „Die fallenden Blätter" von Ernst Vieler. Eine Anzahl von in weite, faltige, meist ünnkelviolette Gewänder gekleidete Jungsrauen sinkt in allen möglichen outrierten Stellungen dahin, oder ivird vom Winde umher gewirbelt.

Die Idee würde, gemalt wie ein Hauch, in einem kleinem Bilde oder auf einem Fächer sehr poetisch wirken; hier auf diesen vielen Quadratmetern Leinwand hart und trocken hingestrichen, verletzt das Unangemessene ihrer Verkörperung. Da ist die duftige Malerei des Ridel in seinen „Sirenen" viel stimmungsvoller, und das angestimmte Farbenkonzert hat einen vollen und doch zarten Klang. Einen sehr interessanten Ueberblick gewährt die Ausstellung über ver¬ schiedene Bestrebungen der französischen Laudschaftsmalerci der Gegen¬ wart. Pelouse und Vriandeau mit ihrer sich noch ziemlich eng an die

Natur hallenden Kunst geben ihren Bildern nur durch leichte Ver¬ feinerung, ein unmerkliches Stilisieren in Farbe und Form den Charakter ihres erlesenen Geschmackes. Grazie spricht aus ihren Bildern. Den Zauber der Morgen- und Abendbeleuchtung zwischen dem Gewirr von Masten und Segeln und über dem Gleisten der Wasserflächen und Spiegelungen schildert Griveau in seinen Hafenbildern. St. FareGarnot malte die Poesie des Verlassenseins, die über der Stätte einstigen Glanzes, dem Park von Trianou, ruht. Mit wenigen großen Gcsamttönen, die er mit äußerster Feinheit nebeneinander stellt, weist er den ganzen Zauber der eigenartigen Stimmung zu bannen. Menard führt an italienische Tempelruinen. Aber nicht ein photo¬ graphisches Bild der Örtlichkeit will er zeigen, in tiesc zauberhafte Töne taucht er seine Bilder, und wunderbare, gewaltige Wolkengebildc bauen sich auf über den Trümmern der einstigen Größe und dem weiten ausgestorbenen Land. Von der glänzenden Bemeisterung des Nackten, über die die junge wie die alte französische Schule verfügt, sind die Bilder von RossetGranger, Verton und Bräauts bezeichnende Beispiele. In dem künstlich beleuchteten Saale sind au die Stelle der Bartelsschcu Bilder eine Anzahl von Werken des Schweizer Malers Burnand getreten. Burnand ist ein gewaltiges Talent, das, ganz auf dem Boden der französischen Schule stehend, souverän die Technik beherrscht und keinerlei unüberwindliche Schwierigkeiten kennt. Was ihn aber weit über das Virtuosentum hinaushebt, ist der tiefe seelische Ernst, der aus seinen Werken spricht. Bei den Bildern religiösen Inhalts, „dem Schmerzensmann" und den „zum Grabe eilenden Jüngern", erhebt er sich zu wahrhaft erschütternder Größe des Ausdrucks. Ter Oesterreicher Schwaiger ist ein eigenes Talent, das in einem archaisierenden, an mittelalterliche Holzschnitte erinnernden Stil Bilder aus der deutschen Sagenwelt, der Wiedertäuserbcwegung und aus den alten holländischen Städten sehr kräftig und kernig schildert. Er hat eine urdeutsche Freude am Einzelnen, am Seltsamen und Märchenhaften. Die Arbeiten von Bennewitz von Locfcn jr. sind sehr geschmack¬ voll und tüchtig, aber bis in den letzten Pinselstrich konventionell. Das Doppelporlrät der beiden greisen Akademicpräsidenten Ende und Becker von Hugo Vogel ist packend ähnlich, wirkt aber zwischen den seinen Franzosen etwas brutal. Eine ganz eigenartige Darbietung der Ausstellung ist noch der große Pruukschild von Meister Herkomer. Der Unermüdliche hört »immer auf, sich in neuen Techniken zu versuchen. Jetzt hat er Versuche mit Emailmalerei angestellt, und das Resultat ist dieser mächtige Metall¬ schild, in dessen modellierter Fläche und den elf eingelassenen Malereien der Emailplatten er den Triumph der Stunde darstellt. Alles Irdische vergeht, das Höchste und das Niedrigste sinkt dahin' als einzig Be¬ stehendes war, ist und wird sein die Stunde. Die unerbittliche Gewalt der Zeit ist der Gedanke, der sich durch all die geschilderten Einzelszencn zieht. Durch in die Fläche eingelassene Legenden wird der Sinn der einzelnen Bilder erläutert. Tast diese Bilder an sich kleine malerische Meisterwerke sind, ist ja bei Herkomer selbstverständliche überraschen muß aber die vollendete Herrschaft, die er sich in der kurzen Zeit über das so überaus spröde Material des Email angeeignet hat. Wahrlich, dieser Meister des „Triumph der Stunde" ist einer der wenigen unserer Zeit, die die Stunde meistern zu können scheinen.

*

-st

4-

Auch der Gurlittschc Salon hat mit einer erlesenen Ausstellung den heurigen Winter begonnen. In dieser intimen Schau findet sich kaum ein minderwertiges Bild. Von den großen Namen ist Feuerbach mit zwei großzügigen italienischen Landschaften da, dann Thoma mit einem Bild, auf dem ein bochsfüßiges Fabelwesen sich im Wald sein Liedlein pfeift. Von Lenbach ist ein herrliches Selhstporträt da. Reizende kleine Arbeiten sind van Meister Piglheim, dem zu früh verstorbenen, vorhanden. Sehr schöne Arbeiten von Richard Kaiser, Ludwig von Hofmann und den Meistern der siebziger Jahre Hoguet und Diaz vervollständigen das Bild. Von Knackfuß ist das Bild von der Kaiserreise im Orient, „Der Kaiser in Damaskus", ausgestellt. 44-

4-

Keller und Reiner haben jetzt das geplante Bibliothek- und Lese¬ zimmer in den Dienst ihrer Besucher gestellt. Ein lauschiger Raum in dunkelgrüner Farbstimmung der Möbel und Wände: ein Fenster nach der Straße, zwei loggiaartig nach dem großen Ansstellungssaal geöffnet. Recht zu stillem Verweilen und ruhigen: Betrachten und stillem Genießen der aufliegenden Litteraturwerke gemacht. Die vorhergehenden Zimmer sind zum erstenmal mit Möbeln aus den eigenen Werkstätten der Firma ausgestattet als zwei Salons und ein Speisezimmer vielleicht nicht ganz so originell, wie die nach Originalentwürfen von Künstlern geschaffenen waren, dafür aber viel wohnlicher und doch eigenartig genug, um nicht auf das Niveau der in den Möbelbazaren ausgebotenen Einrichtungen hinabzusinken, die sich innerhalb des ja nun auch schon in einer "ge¬ wissen handwerklichen Konvention gewordenen „modernen Stils" bewegen. Das Hauptinteresse der ganzen Ausstellung bilden Meister Klingers Marmorstaudbild „Amphitrite" und'die kleine Bronzegruppe der Tänzerinnen. Mau kennt Klingers gewaltige Kunst als Bildhauer von seiner Salome und Kassandra her. Die Amphitrite ist ihnen ebenbürtig. Eine Hoheit und Größe des Stils sprechen aus dem Werk, die an die Antike erinnern. Und doch, wie pulsiert hier das

im Stein, man glaubt, das wunderbare Fleisch des edlen Fraucnkörpers erbehen zu sehen. Die Tänzerinnen sind eine Gruppe von drei kleinen weiblichen Aktfiguren, bei der rasenden Be¬ wegung des Tanzes kühn in den gewagtesten Stellungen ersaßt. Im Obcrlichtsaal stellt zum erstenmale eine junge Vereinigung „Märkischer Künstlerbund" aus. Ihren Namen leiten die sieben, die ihn bilden, wohl davon her, daß die meisten unter ihnen märkisch heimatliche Motive schildern. Sie stammen fast alle aus Meister Brachts Schule und sind sämtlich tüchtige Maler und Zeichner. Daß sich in ihren Arbeiten meist noch keine starke Eigenart und wenig Persönlichkeit ausspricht, liegt wohl daran, daß sie eben alle noch stark im Werden sind. Daß Rasse in ihnen steckt, zeigt bei fast allen irgend eine kleine räumlich unscheinbare Arbeit, in der sich dann wohl ohne den Ein¬ fluß anderer Reminiscenzen ein starker Natureindrnck ausspricht. Die reifsten sind wohl Fritz Geyer und Theodor Schinkel. Karl Kayser-Eichberg hat es die märkische Kiefer angethan, Louis pochende Leben

Lejeunc und Hans Tigulla finden manchmal eigene koloristische Klänge, Felix Krause ist der einzige Figurenmaler unter ihnen. August Achtenhagen gehört seiner Art und seinem Stoffkreis nach

eigentlich nicht in der Gruppe; der Süden und allerlei Nymphen und ist ihm viel lieber als die Mark. Die als Gäste der Gruppe ausstellenden Bildhauer Hcrrmann

Satyrvolk

Hosacus, Alexander Kranmann und Walter Schmerje in einigen Kleinplastikcn, daß

zeigen

ihre Technik beherrschen, aber irgend etwas stark Persönliches hat auch unter ihnen keiner. Gleichzeitig hiermit sind 30 Arbeiten des Münchners Louis Corinth ausgestellt. Corinth ist einer der Großen, die rücksichtslos malen, was sie interessiert, und wenn es die ganze Welt verletzte, und ebenso auch jede Rücksicht ablehnen in Bezug auf das „wie" ihres Schaffens. Seine Bildnisse baben oft etwas unglaublich Wahres, aber nie liebenswürdig Wahres. In seinen Bildern schreckt er nicht davor zurück, die grausigste Bestialität im Menschen zu zeigen und das mit einer ruhigen, selbst¬ verständlichen Geste: „es ist sv, und wir sind alle so." Das ist offenbar seine Weltanschauung. Was für ein eminenter Maler er sein kann, zeigt seine „Schlachterei". Ein gewaltiges Talent, Rasse bis in die Finger¬ spitzen; aber ein Künstler, der noch niemals auch »ur einen Zollhoch über dem allcrirdischstcn geschwebt hat. sie

Der Kaiser Friedrich-Brunnen ;u Uerdingen

»

a.

Rh.

erdingcn am Niedcrrhein ist seit Mitte der siebziger Jahre, begünstigt durch seine Lage ani Rheinstrom und durch die Nähe des rheinischwestfälischen Industriegebietes, in einer stetig wachsenden Entwickelung begriffen und weist heute schon bei einer Einwohnerzahl von 6000 Seelen eine erhebliche Anzahl bedeutender Fabriken der verschiedensten Industrie¬ zweige, vornehmlich der Zucker- und der chemischen Industrie, auf. Durch eine voll ausgebaute Werft von etwa 3 Kilometern Länge, mit einer an die Staatsbahn direkt angeschlossenen Wcrftbahn und mehreren Dampfkrahnen wird dem auf dem Rhein gewaltig anwachsen¬ den Schiffsverkehr Rechnung getragen, und eine Reihe Lagerhäuser und Getreidespeicher mit selbstthätigen Ladevorrichtungen bewältigt den um¬ fangreichen Handel und Verkehr mit dem industriereichen Hinterland (Krefeld-Viersen, M.-Gladbach). Neben dem Blick für das Praktische hat Uerdingen sich aber auch den Sinn für das Ideale bewahrt und ist bestrebt, den schönen Künsten eine angemessene Stätte im Gesamtbild der Stadt zu bereiten. Ein von Künstlerhand geschaffenes Standbild Kaiser Wilhelms I. ziert an hervor¬ ragender Stelle die in den achtziger Jahren an der Nheinfront ge¬ schaffenen prächtigen Anlagen. Am 22. Oktober ist nun auf dem Markt¬ platz ein zum dauernden Andenken an Kaiser Friedrich III. errichteter Monumentalbrunnen enthüllt worden, von dem wir eine Abbildung geben. Der Grundstein zu diesem Kaiser Friedrich-Brunnen wurde bei der Hundertjahrfeier Kaiser Wilhelms I. gelegt. Aus dem Wettbewerb, zu dem mehrere Künstler eingeladen waren, ging Bildhauer Gustav Nutz in Düsseldorf als Sieger vor. Sein von ihm im Verein mit dem Düsseldorfer Architekten Gottfried Wehling ausgearbeiteter Entwurf wurde zur Ausführung angenommen. Aus dem breit gelagerten Brunnenbecken, das von einer grünen Rasenfläche umgeben ist, erhebt sich, von kräftigem Felsgestein umrahmt, aus dem Wasserspiegel der in der Längsrichtung beiderseits durch größere Muschclbecken mit charakteristischen Köpfen als Wasserspeier ge¬ schmückte Unterbau, an dessen Vorderseite sich eine halbkreisförmig in kräftig bossicrtcn Quadern gewölbte Nische mit einem wasscrspeienden Drachen öffnet. Auf diesem Unterbau, dessen Barockformcn sich der Umgebung des Marktplatzes in wirkungsvoller Weise anpaffen, baut sich die Hauptgruppe des Denknials, eine Apotheose Kaiser Friedrichs III., auf.' Die fast doppelt lebensgroße Büste ist von Allegorien umgeben. Eine kräftige Männergestalt mit Schurzfell und Hammer stellt die Industrie dar: ein Schiffer mit Ruder, Netzen, Tauen re. versinnbildlicht die Schiffahrt und den Handel. Die Verkörperung des aufblühenden Uerdingen, ein Jüngling, schmückt an der Rückseite das Fußgestcll der Büste mit Lorbeer- und Eichengewinden, während vorn ein Genius die Reichsinsignien emporhält. Die architektonischen Teile des Brunnens, die Einfassung des großen Beckens und die Laubgewinde des Unterbaues sind in hartem, wetter¬ beständigem roten Mainsandstein ausgeführt: alles Figürliche, der wasser¬ speiende Drachen, sowie der ornamentale Schmuck der Hauptgruppe ist in der Bronzegießerei von Förster & griffe zu Düsseldorf hergestellt. Die Gcsamthöhe des Brunnens Beträgt 7 Meter. Der in seiner originellen Erfindung, in den schönen Verhältnisse» seines Aufbaues monumental wirkende Kaiser Friedrich-Brunnen ist eine Zierde des Marktplatzes der freundlichen Rheiustadt.

Der Brand des Ranbkierhausrs im Berliner Zoologischen Garten.

»

nt 17. Oktober früh um Vz6 Uhr wurde ich von einem Wärter herausgeklingelt mit dem Ruf: „Das RailbtierhauS brennt!" Ich kann mcht sagen, so schreibt der Direktor des Zoologische» Gartens, Dr. L. Heck, daß ich von diesem Augenblick an besonders aufgeregt ge¬ wesen wäre; jedenfalls war ich aber so schnell in den notwendigsten Kleidern und unten im Freien wie noch nie in meinem Leben. Als ich im Laufschritt mich der Brandstelle näherte, sah ich gerade den ersten roten Feuerschein zum nebligen Hcrbsthimmel aufgehen, und das be¬ flügelte selbstverständlich meine Schritte noch mehr. Mit unserem In¬ spektor Havemann, der ohne Hut und nur leicht bekleidet bereits zur Stelle war, und zwei Wärtern drang ich ohne Besinnen in das Haus ein. Dicker Qualm schlug uns entgegen, der einem so den Atem be¬ nahm, daß man kein Wort hervorbrachte. Da ertönten glücklicherweise das Rasseln und die Signale der Feuerwehr. Ich lief wieder ins Freie und rief dem Brandmeister Pistorius zu: „Glasdach einschlagen! Glas¬ dach einschlagen!" Ins Haus zurückgeeilt, hörte ich auch schon die Axt¬ hiebe der braven Feuerwehrmänner und sah die Scheiben niederprasseln. Jetzt gab es Luft, und man konnte einigermaßen eine Uebersicht ge¬ winnen. Der Fußboden der Käfige war wie besäet mit Holzkohlen, und die Tiere, halb betäubt von dem Quält», drückten sich, ergeben in ihr Schicksal, vorn am Gitter in

Märkische Chronik. Potsdam. Am 1. November feierte das Große Militär¬ waisenhaus sein 175jähriges Bestehen. Königsberg N.-M. Am 17. Oktober feierte Professor Dr. Bötlger das 25 jährige Jubiläum als Direktor des hiesigen Gymnasiums.

Kleine Mitteilungen. Das Fürstenhaus in der Knrstrahe 52/53 war ein Bau Nerings, des Architekten des Zeughauses. Es wurde im Jahre 1674 für den SMatsminister von Danckelmann erbaut. Als dieser in Ungnade fiel, kam der Palast an den Kurfürsten Friedrich III. und

wurde nunmehr als Absteigequartier für fremde Fürstlichkeiten benutzt. So logierten im 18. Jahrhundert im Fürstenhause: Prinz Eugen, der Herzog von Marlborough, Fürst Menzikoff und Fürst Leopold von Anhalt, der „alte Dessauer". Vorübergehend befand Kriegsministerium. sich hier auch die „Generalkriegskanzlei", das erste Später gelangte das Fürstenhaus in den Besitz der Stadt Berlin, welche es dem Friedrichs Weiderichen Gymnasium zu Klassen und Lehrcrwohnungcn überwies. Ende 1884 verkaufte die Stadt das alt¬ ehrwürdige Gebäude, das zuletzt noch der Handwerkerschule gedient

die Käfigecke. Der Jaguar dem Käfig, zunächst der Heizung, in der das Feuer ausgekommen war, lag be¬ reits tot auf der Seite. Da¬ gegen die prächtige deutschostafrikanischc Löwin tut nächsten Käfig, Wißmanns Geschenk, hielt den Kops noch mit offenem, hoch „hcchzendem" Maul. Rasch den Reiuigungsschlauch an den Hahn vor dem Gitter und einen Wafferstrahl über

in

sie

zur

Linderung!

Der

schwarzmähuige Somalilöwe rannte auf den Glasscherben und den schwelenden Holz¬ kohlen hin und her, hielt ab und zu einen schmerzenden Fuß hoch und stellte sich recht duitim an, ehe er merkte, daß wir ihm ins Freie helfen wollten. Tic übrigen Tiere waren — eine Zentnerlast vom Herzen! — ganz ungefährdet und un¬ verletzt und folgten glatt unseren gewohnten Kommandostimmen in dieAußcuzurück zur käfige. Jetzt Löwin! „Unisctzkasteu her!" Ein Schlüssel als Lassoring an ein Tau gebunden, das

andere Ende durchgezogeu, die Schlinge um ihren Hals, mit einem Brett nach¬ geschoben, hinein in den Der Brand des Raubtierhausrs im Berliner Zoologischen Garten. Kasten und heraus mit ihr in die frische Luft an einen hatte, an die Edisongescllschaft, und so versiel das an historischen Er¬ stillen Platz! Dort überließ ich fie einem befreundeten Tierarzt aus der innerungen reiche Gebäude leider dem Abbruch. Nachbarschaft. Nun noch die beiden Kleinen, einen jungen Puma und Die öffentliche Bibliothek und Oesrhalle, welche zu un¬ einen jungen Jaguar, in die Kasten, die der Inspektor inzwischen herbei¬ entgeltlicher Benutzung für jedermann im Gartenhaus des Grundstücks geholt hatte. Flugs ist unser kleiner Norweger, in dem ein TierbändigerAlcxandrincnstraße 26 errichtet worden ist, wurde am Donnerstag, den verloren ist, im Käfig, hat sie gepackt, und sic sind schon im Kasten auf Die Lesehalle wird an den 26. Oktober der Benutzung übergeben. dem Wege nach dem kleinen Raublicrhause, ehe stc nur wissen, wie Wochentagen abends von 57 2 bis 10 Uhr, an Soun- und Festtagen ihnen geschieht." von 9 bis 1 und 3 bis 6 Uhr geöffnet sein. Die Bibliothek wird dem Publikum zum Entleihen der Bücher an den Wochentagen abends von 572 bis 9'/, Uhr, au Soun- und Festtagen von 9 bis 1 Uhr offen stehen. der Bibliothek sind zur Zeit nur belletristische Werke und Werke über Am 20. Oktober feierte Professor Rudolf Virchow sein 40jährigcs Kunst, Kunstgeschichte, sowie über ReäitS- und Staatswissenschaft vor¬ Jubiläum als Stadverordnetcr von Berlin. Er hat sich als solcher namentlich handen. Alle anderen Disziplinen, insbesondere die Abteilungen über um die Durchführung sozialer und hygienischer Reformen verdient gemacht, Geschichte, Geographie, Nationalökonomie, Nalurwisseuschaften u. s. w. städtischen der Anlage die um Kaualisation, der so um die Einführung befinden sich in Vorbereitung und werden im Lause der nächsten Zeit Elementarschulen. Berliner der Umformung Krankenhäuser und um die je nach Fertigstellung der Benutzung übergeben werden. Sophienschule, der Direktor Am 2t. Oktober starb der frühere Berliner Ferienkolonien. Mehr als 3400 armer, kränklicher Professor Albert Ben ecke im 74. Lebensjahre. Er war Ostern 1897 Berliner Kinder habe» im letzten Sommer in Wald und Flur, au der aus seinem Amt geschieden. Litterarisch ist er namentlich durch seine See oder in Soolbädern Erholung und Kräftigung durch die Sammlungen „Grammatik der französischen Sprache" hervorgetreten. des Komitees der Ferieukolonie» finden können; aber größer noch war die Am 22. Oktober feierte der Sanitätsrat Dr. Neumann seinen Zahl der Erholungsbedürftigen, die zurückbleiben mußten, weil die erforder¬ 80. Geburtstag. Er wurde 1819 zu Pyritz in Pommern geboren und lichen Mittel fehlten. Um allen Menschenfreunden Gelegenheit zu geben, ließ sich 1845 in Berlin als Arzt t,jeder. Der Berliner StadvcrordneteuLiebeswerk der Ferienkolonien unterstützen und ihr Scherslein spende» btc das namentlich um hat und 1859 an seit sich Bersammlung gehört er sind heut schon in vielen wohlbekannten Bier- und Wein¬ können, Volkszählungen zu Berliner die so sind Statistik Berlins verdient gemacht: restaurants, Konditoreien, Hotels, Warenhäusern rc. Sammelbüchsen von 1861 und 1864 von ihm bearbeitet worden. — Wer die Not der Großstadt kennt und weiß, daß gerade In der Nacht vom 22. zum 28. Oktober wurden in der Sicges- aufgestellt. Jugendzeit Geist und Körper gestärkt werden müssen, um später allcc durch Bubenhand die Seitcnfiguren der Standbilder Albrechts des in der den schweren Kampf um das Dasein erfolgreich führen zu können, wird Bären, Ottos I., Ottos II. und Albrechts II. in rohcsterWcisc verstümmelt. gewiß gern bereit sein, ciuc Gabe, und sei sie noch so klein, den Am 27. Oktober hielt Professor Franz von Lißt, der berühmte Sammelbüchsen der Ferienkolonien zuzuwenden. Wenn von den fast Strafrechtslchrcr, seine Antrittsvorlesung an der Berliner Universität 1800 000 Berlinern nur jeder sechste Einwohner 10 Pfennig im „Das Verbrechen als sozinlpathalogischc Erscheinung."

_

_

Berliner Chronik.

In

über das Thema:

708

Jahre

schenkte, so würden die Büchsen 30 000 Mark erbringen, und vielen Hunderten Kindern mehr könnte die Wohlthat der Sommcrsrische zukommen!! Sammelbüchse» sind durch das,Bureau der Ferien¬ kolonie, Krausnickstraße 5, zu beziehen, — 10 Pfennig jährlich darein

spenden sollte

jeder»!an in

Vereins-Nachrichten. „Brandenburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Am Mittwoch, den 25. Oktober, hielt die „Vrandeuburgia" ihre 9. (4, ordentliche) Versammlung des 8. Vereinsjahres im Sitzungssnälc des Braudenbnrgischen Ständehauses ab. Der Vorsitzende, Herr Gelieimrat E. Friedet, legte zunächst die nnläsilich des VII. Internationalen Geographen-Kongrefses erschienenen Publikationen vor, die sich auf die Heimat- und Landeskunde der Mark Brandenburg beziehen. Hierzu gehört in erster Linie die „Festschrift der Stadt Berlin", welche verschiedene interessante und allgemein verständliche Aufsätze enthält, z. V. über die geographische Lage und das Klima von Berlin, über den Boden von Berlin, über Berlin als Wohnort und Gemeinwesen, als Handelsstadt und als Pflegestätte der Wissenschaften. Der historische Teil der Festschrift „Die geschichtliche Entwickelung Berlins" ist von

einem Mitglied

der„Braudenburgia", unserm Mitarbeitervr. pbil. Gustav

Albrecht, verfaßt und führt in

knappen Umrissen ein Bild der Ent¬ wickelung Berlins von den eisten Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart vor. Außerdem legte der Vorsitzende vor; ein Werk über die geologische Beschaffenheit der Umgegend von Berlin von Prof. Bercndt sunt großer Karte), einen Führer durch die Kalk¬ gebirge von Rüdersdorf von Prof. Wohnschaffe (mit Abbildungen und Karten), eine Schrift über Thal- und Scenbildung des Baltischen Höhenzuges von Prof. Keilhock und mehrere Karten und statistische Zusammenstellungen. Herr Gcheimrat Friede! besprach ferner die anläßlich des Stiftungstages der Berliner Universität er¬

Schrift „Geschichte des anatomischen Unterrichts in von Prof. Waldeyer und den neuen Führer durch die Sammlungen des Museums für Naturkunde und wies auf die Publikationen in der Wochenschrift „Der Bär" über Willibald Alexis und seine Beziehungen zu Heringsdorf hin. Schließlich wurde der prächtig ausgestattete Band des ersten Verwaltungsberichts der Stadt Schöncberg den Mitgliedern vorgelegt. Ein im Saale auf¬ gestelltes Bild veranschaulichte die Schloßb'nickc und den Lustgarten in Berlin in jener Umgestaltung, wie sie Friedrich Schinkel einst geplant hatte, der im Lustgarten, ähnlich wie jetzt in der Siegesallcc, eine Gallerie hervorragender Herrscher und Staatsmänner aufstellen wollte. Diese Erinnerung gab dem Vorsitzenden Veranlassung, sein Bedauern und seine Entrüstung über den schädlichen Frevel, den ruchlose Hände an den Denkmälern in der Sicgesallee verübt, anszusprechcn. l>r. Gustav Albrecht machte der Versammlung sodann Mit¬ teilung von einer kleinen Entdeckung, die er in der Kirche von GroßGlienickc gemacht hatte. Dort befindet sich nämlich auf dem Abcudmahlsbild des Altarschreins neben dem Heiland an Stelle von Petrus eine korpulente Persönlichkeit in dunkle»! Sammctrock und Altongeperrückc, welche bisher von märkischen Schriftsteller», Fontane, Trinius u. a., für den Großen Kurfürsten gehalten wurde. Durch Ver¬ gleichung dieses Bildes mit einem in derselben Kirche befindlichen Epi¬ taphium des Domdechantcn Hans George von Ribbeck, der gleich¬ falls große Aehnlichkeit mit dem genannten Herrscher hat, ist Dr. Albrecht zu der Ansicht gelangt, daß die an Stelle des Petrus dargestellte Figur nicht der große Kurfürst, sondern jener Domdechanl ist. Unterstützt wird diese Ansicht »och dadurch, daß der Altar laut Inschrift 1684 von dem Domdcchanten und seiner Gemahlin gestiftet worden ist. Der Stifter hat sich also, nach Art der mittelalterlichen Donatorenbilder, auf dcni kleinen Gemälde in der Predella vereinigen lassen. Hierauf besprach vr. Albrecht das anläßlich der Einweihung der Kirche zu Neuendorf bei Potsdam erschienene Buch „Geschichte Neuendorfs," welches ebenfalls ein Mitglied der „Brandenburgin," Herr cand. jnr. F.Backschät, zum Verfasser hat. Das Werk behandelt in leicht verständlicher Dar¬ stellung und unter Benutzung verschiedener ungcdrucktcr Urkunden die Entwicklung Neuendorfs vom kleinen Nmtsdorf zum stattlichen Industrieort und enthält außerdem mannigfache geschichtliche Notizen über die in der Uingebung des Dorfes belcgcncn Etablissements, ivic Mühlen, Glas¬ hütten und Fabriken. Die Schrift ist'Ihrer Majestät der Kaiserin bei der Einweihung der Kirche überreicht ivordcn. Den Hnuplvortrag des Abends hielt Herr Realschuldirektor Pro¬ fessor vr. K. Müllcnhoff über „Die Bienenzucht in der Mark." Ter Redner wies an zahlreichen Beispielen aus dem Landbuche, den Schoßregistcrn und Abgabctabetlcn nach, daß die märkische Bicncnwirtschafl in früherer Zeit eine viel größere wirtschaftliche Bedeutung gehabt hat als heutzutage; während die Bienenzucht jetzt nur als Nebenbeschäftigung betrieben ivird, war sie früher eine Hauptbeschäftigung der Städter und Bauern. Jin Mittelalter wurde ausschließlich Zeidelivirtschaft betrieben, d. h. Waldbienenzucht in ausgehöhlten Stämmen, und diese Art der Bienenzucht, Ivelche noch letzt in slavischen Ländern beliebt ist, haben die Teutschen von den Wenden kennen gelernt und übernommen; der Name Zeidler ist ebenfalls slavischen Ursprungs. Sehr früh schon haben sich die Zeidler zu Genosscuschaflen vereinigt, um ihre schienene

Berlin"

Jnteresien zu schützen; berühmt sind die Zusammenkünfte märkischer Zeidler zu Kienbnum im Niederbarnim und zu Krcbsjauche bei Fürsten¬ berg a. O. Im 16. Jahrhundert trat ein Niedergang der Bienenzucht ein, und der dreißigjährige Krieg legte sie ganz darnieder. Erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts begann sich die Bicnenwirtschaft wieder zu heben, und Bienenzettuiigen, Wanderversanimluugen und Bienenzüchtervereine haben dazu beigetragen, sie immer weiter zu fördern und zu verbessern.

__

Verantworilicher Redakteur: Dr.

SM.

golticutcaiio,

Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung vom 11. Oktober 1899. Herr Archivrat vr. Bailleu berichtete über die vom 26. bis 28.

Sep¬ tember in Straßburg abgehaltene Generalversammlung des Gcsnmtvcrcins der benschen Geschichts- und Alterthumsvereine, an der er als Vertreter des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg teil¬ genommen hatte. Er besprach besonders die den einzelnen Vereinen von der Generalversammlung empfohlene Inventarisation der kleineren Archive und die Herstellung von historischen Ortsverzeichnissen, und erörterte die über diese Aufgaben in Straßburg gefaßten Beschlüsse. Herr Direktor der Staatsarchive, Geh. Obcr-Regierungsrat Kos er erörterte den Anteil der preußischen Reiterei an der Schlacht von Kunersdorf, indem er an ungedrucktem Material u. a. einen Bericht des Prinzen Friedrich Eugen von Württemberg an den König und eine für den Prinzen Heinrich bestimmte gleichzeitige Darstellung des Generals von Plate» heranzog. Herr Professor Schiemann sprach über die Covention von Tau¬ roggen, für deren Geschichte ihm neues urkundliches Material aus dem Gräflich Jorkschen Archive in Klein-Oels, dem fürstlich Wittgensteinschen Archive in Werki (jetzt fürstlich hohenlohesches Archiv), dem Petersburger Archiv des Auswärtigen und aus den Scydlitzschen Rachlaßakten vor¬ gelegen hatte. Er führte aus, daß im Wesentlichen die Auffassung zu behaupten sei, welche Dropsen in seiner mit Recht berühmten Biographie Jorks begründet habe. Jork hat keinerlei mündliche oder schriftliche Instruktionen gehabt, die ihm beim Abschluß der Convention als Deckung hätte dienen können. Er schloß sic auf eigene Gefahr und Verantwortung ab und hat, da der König die Convention niemals anerkannte, auch das Originalinstrument derselben stets als sein persönliches Eigentum betrachtet und testamentarisch seinen Erben hinterlassen. Kaiser Alexander ivußle, daß Uork ohne Instruktionen abgeschlossen hatte, täuschte aber den Kanzler Woronzow darüber, um durch diesen bei den fremden Diplomaten die Vorstellung zu erwecken, daß eine Verständigung zwischen Rußland und Preußen bereits erreicht sei, und dadurch indirekt (via Schoeler) auch auf König Friedrich Wilhelm III. einen Truck auszuüben. Die Erbitterung des Königs über Jork galt keineswegs deni Abschluß der Konvention, die ihm vielmehr erwünscht war, wohl aber der That¬ sache, daß Jork, über die Grenzen der Konvention hinausgehend, in seinem Schreiben a» Macdonald den rein militärischen Boden verlassen hatte. Dieses Schreiben hat übrigens nicht Jork zum Verfasser. Das Konzept wurde bis zu den Worten pur des circonstances majeures vom General von Kleist eigenhändig aufgesetzt, während der Schluß den Major von Brandenburg zum Verfasser hat. Jork hat dann noch vor dem 11. Januar einen weiteren Schritt über die Konvention hinausgethan, indem er den Russen die Mitwirkung seines Armeekorps im Kampf gegen die Franzosen anbot und die Er¬ hebung Ostpreußens in Aussicht stellte, und als Alexander die Ent¬ scheidung darüber hinzog, wiederum aus eigener Initiative am 21. Januar sein Korps in die Stellung von Elbing vorrücken ließ, wodurch eine Umkehr unmöglich wurde. Dies sind die Handlungen geivcsen, die der König ihm niemals ganz verziehen hat und die am 12. Februar zu der sehr ernst gemeinten Ladung des Generals vor ein Kriegsgericht in Breslau führten. Erst die Konvention von Kalisch zwang dem König eine äußerliche Verzeihung für de» General und seine fernere Verivendung ab. Ohne dieselbe wäre beides schwerlich geschehen.

Es knüpften sich daran noch Bemerknugen über das Scydlitzsche Tagebuch, dessen Abdruck in der bekannten Seydlitzschen Edition von 1823 keiiieswegs den ursprünglichen Text dieses Tagebuches, sondern eine zensurierte Verarbeitung bietet. Das Original dieses Tagebuches ist verloren gegangen, rvährend Jork sein Tagebuch verloren hat; wahr¬ scheinlich in den schweren Tagen vor Abschluß der Konvention. Endlich mag noch erwähnt werde», daß Scydlitz dem General Jork nicht nur das bekannte Schreiben des Königs vom 20. Dezeinber überbrachte, sondern auch ein Privatschreiben vom gleichen Datum, das keinen Zweifel darüber läßt, daß die Absichten des preußischen Kabincts damals nur dahin gingen, „einen annehmlichen Frieden" zu erlangen. Dieses Schreiben enthält, ganz wie das des Königs, nicht die geringste An¬ deutung, die Jork zum Abschluß der Konvention hätte ermutigen können.

Vüchertisch. „KtiesrlinHs Berliner Verkehr" (Winter-Ausgabe). Preis 30 Pf. Die Eisenbahn-Fahrpläne sind, wie bisher, übersichtlich nach dem Borortund Fernverkehr geordnet; in dem Fahrplan der Straßenbahnen haben die demnächst neu zu eröffnenden Linien: Kreuzbcrg— Reinickendorf, Britz—Schönhauser Allee, Ritterstr.—Nixdorf, Potsdamer Platz— Steglitz, Mittelstraße— Pankow Aufnahme gefunden. Die Fahrpläne der Onznibusse rc. sind dem Winterverkehr entsprechend geändert. (ber Fahrtfindcr), Verlag der Internationalen m. b. H. Das vorliegende Kursbuch bietet einfach und rasch, selbst für den Ungeübtesten, zuverlässige und genaueste Informationen bezüglich sämt¬ licher Eisenbahnstationen des deutschen Reiches, größere Berkehrsstädte der Welt, sowie Badeorte. Schlägt man eine der etwa 11300 alphabetisch geordneten Stationen des „Fahrtsinders" auf, so weiß der Nach¬ schlagende sofort, wann die verschiedenen Eisenbahnzügc nach dem Reiseziel abgehen, bczw anlange», wann sie vom Reiseziel nach Berlin abgehen, bczw. in Berlin einlaufen, wie weit das Reiseziel von Berlin tin km) entfernt ist, ivieviel der Fahrpreis beträgt, ob ermäßigte Rück¬ fahrtskarten, ivicviel Tage diese Gültigkeit haben, welche Wagenklassen die Züge führen, ob sie Schnell- oder Personcnzügc sind, ob sic Schlafwagen führen, ob Fahrräder mit dem Zuge gestattet, von welchem Bahnhof die Züge abgehen und auf welchem sie ankommen!

AB>rr,:scht und errötend: „Wie, Sie sind schon da?" „Seit zehn Ul rar rwundere ich Sie; Sie aber hatten mich nicht bemerkt und wo!:'.er schon den Schauplatz Ihrer Thaten ver¬

ihinft abzuwarten? Ihre Zeitangabe lautete

lassen, ohne mera.

doch: Vor Sw t? gang, und noch bescheint die Sonne Ihr in Glut getw G sicht und Ihr goldig flimmerndes Haar. Warum woll: i'i? chon gehen, Bettina?"

Dieser letzte Satz klang wie ein sehnsüchtiger Aufschrei. Er warf die Arme in die Luft wie ein Verzweifelter, und seine Augen

füllten

Erschauern fast kindlStaubt, i

,.ea Namen mit so weichem Klang, daß sie ein n, rar o und nach kurzem Schwanken mit ehrlichem, .ifblick erwiderte: „Ich wollte mich aus dem )

.

bangte mit einemmale vor dieser Begegnung."

„Wt... >eil ich

„;L: zu Prediger Srä

hinzu: finden, gute

,

.

.

ha':.r B ' na

— mir

vorgesetzt hatte,

Ihnen Moral

w Worte zaghaft gesprochen und setzte dann hastig werden das dreist, anmaßend, vielleicht gar lächerlich ' Sie müssen meiner Freundschaft für sie schon etwas zu Als ich Sie gestern in Gesellschaft von Spielern sah —" stockte

hier in holder Verwirrung; darauf ergänzte

„Da erging es Ihnen ähnlich wie Gretchen, Faust in Gesellschaft des Satans sah, es that Ihnen in der Seele weh." Hat' als

.fren Gedanken:

Bettina blickte schüchtern in sein Gesicht, um sich zu ver¬ Haller aber sagte mit wehmütigem Lächeln: „Bitte, fahren Sie nur fort! Ich befinde mich just in der rechten Stimmung, um eine mahnende Stimme zu hören. Klagen Sie mich an, schelten Sie mich aus — Ihr Wort soll einen guten Ort finden." gewissern, ob er spotte oder ernsthaft rede.

in der That in elegischer Stimmung; denn er hatte das Gerichtsgebäude mit nagenden Gedanken in der Seele verlassen. Am kommenden Tage sollte er Deckung für einen auf fünftausend Mark lautenden Wechsel und für eine Spielschuld im Betrage von dreitausend Mark schaffen. Alle seine Versuche, ein Darlehen zu erhalten, waren aber fehlgeschlagen. Er schritt nun an Bettinas Seite durch den einsamen Park, hinter dessen ent¬ laubten Bäumen die Sonne wie ein glühender Ball stand und ihre Purpurpfeile an den dunklen Stämmen vorbei auf die Schnee¬ decke warf. Die Stimme der schönen Warnerin war von der sie beherrschenden tiefen Bewegung leicht umflort, hatte aber einen weichen, zum Herzen dringenden Klang. Haller achtete wenig auf den Sinn ihrer Rede; denn Bettina konnte ihm nichts sagen, was er sich nicht schon selber oft, aber stets vergeblich, vorgehalten hatte. Er gab sich ganz dem Reiz ihrer blühenden Schönheit und dem melodischen Tonfall ihrer Stimme gefangen. Als sie nun ihre Vermahnung mit der herzlichen Bitte abschloß, Haller möge alle unwürdigen Schmarotzer von sich abschütteln, möge dem Spiel

Er befand

Ein tiefes Erbarmen flutete durch Bettinas Herz, und

sie

„Was hindert — was

fesselt

Sie? — Fehlt Ihnen die Willens¬

energie?"

„O nein! Ich glaube, Ihnen und der ganzen Welt bewiesen zu haben, daß meine Unternehmungslust, mein Arbeitseifer und meine geistige Spannkraft so leicht nicht zu überflügeln sind. Wer

als Rechtsanwalt Jahreseinnahmen von fünfzig- bis sechzig¬ tausend Mark erzielt, der muß wohl Energie besitzen. Was mich aber niederdrückt, was mich hindert, meine Geistesschmingen frei zu entfalten, das ist die mich umgebende LebeuSsphäre, das ist eine Last, die ich mir in der Zeit jugendlicher Unerfahrenheit und Un¬ reife aufgeladen, und die mich jetzt niederzerrt, ja völlig erdrückt. Sie, meine einzige liebe Freundin, sollen alles erfahren, alles wissen. Lassen Sie uns den einsamsten Pfad des Parkes aufsuchen."

Er hatte ihre beiden Hände erfaßt und

sie

mit Blicken

an¬

bei denen es Bettina heiß überlief. Run folgte sie ihm mit klopfendem Herzen und dem gemischten Gefühl von banger und schaurig süßer Erwartung. Haller schien die verschlungenen Pfade des Tiergartens genau zu kennen; denn er führte sie zu einem von Eichen- und Buchenstämmen bestandenen Weg, der Bettina im Abenddämmer so einsam erschien wie irgend ein stiller gesehen,

Waldpfad.

Hier begann Haller seine Enthüllungen mit dem scharf accentuierten Satz: „Der Fluch meines Lebens heißt Lona."

Bettina nickte leise mit dem Kopfe, und ihre Miene sagen:

„Das wußte

ich

schien zu

längst."

sich

und anderen ebenso flüchtigen wie gefährlichen Zerstreuungen ent¬ damit er, getragen von der Achtung und Bewunderung aller Guten und Edlen, seine große Mission erfüllen könne, da regte sich sein heißes Blut. Er fühlte sich mächtig zu Bettina hin¬ gezogen und gleichzeitig ergriff ihn ein an Verzweiflung grenzendes Mitleid mit seiner eigenen, in unwürdiger Lage besindlichen Person. Bei einer Lichtung des Parkes angekommen, warf Haller einen melancholischen Blick ans den Winterhimmel, an dessen Horizont die untergegangene Sonnenherrlichkeit nichts zurückgelassen hatte als einen blutroten Streifen auf grauer Wolkenschicht, dann sagte er mit leise bebender Stimme: „Ihre Warnung, meine liebe, verehrte Freundin, ist so berechtigt, so zutreffend, daß ich bei jedem Satz hätte ausrufen mögen: das Echo meines Gewissens! Jede Ihrer Vorhaltungen hab ich mir selber gemacht, aber nie zuvor hat eine davon so eindringlich auf mich gewirkt, wie eben jetzt, da ich sie aus Ihrem Munde vernommen. Ich danke Ihnen dafür — danke Ihnen tausendmal — denn ans Ihren Anklagen, Vorwürfen und Winken klang die tiefste Anteilnahme für meine Leiden, Kämpfe und Zukunftspläne hervor. Ach, wenn ich mich erheben könnte!" sagen,

mit Thränen.

fragte leise:

.

Er spie

sich

Dadurch ermutigt, ließ Haller nun seinem Klagebedürfnis freien Er sprach von der herben Enttäuschung, die ihm seine Frau schon in dem ersten Jahre ihrer Ehe bereitet habe. Durch ihre Schönheit, ihren Verstand und ihren Bildungsdrang irregeleitet, habe er geglaubt, eine für alles Große, Schöne und Erhabene erglühende Lebensgefährtin zu finden. Er habe gehofft, daß sich Lona willig ihm anschmiegen werde, daß sie seine hohen Aspirationen teilen, daß ihr Denken und Empfinden mit dem seinigen harmonieren, daß sie ihn zu kühnen Unternehmungen anspornen und durch Ver¬ ständnis, freudige Anerkennung und — wo es Not thun sollte — auch durch Opferwilligkeit ermutigen, anfeuern, und vorwärts treiben werde. Von all diesen Erwartungen habe sich keine einzige erfüllt. Der Reiz von Louas Schönheit sei, durch ihre Nach¬ lässigkeit in Kleidung und Haltung, bald verflogen, ihr Bildungs¬ drang sei erlahmt, ihre Verstandesschärfe aber habe sich auf Lona, bei der er Phantasie, und seine Kosten ausgebildet. Gemüt vorausgesetzt, sei eine kritisch veranlagte Natur, eine Schwarzseherin, die nur die Schwächen und Fehler ihrer Nächsten in Betracht ziehe, nicht aber deren Vorzüge. Sie gleiche heute einem abgeblühten Rosenstock, an dessen Dornen sich jeder verwunde, der oft mit ihr in Verbindung komme. Er aber sei ein warm¬ fühlendes Menschenkind, das für seine Reden und Handlungen des starken Widerhalls bedürfe. Da er bei seiner Frau aber nichts gefunden als kleinliche Lebensauffassung, Mißtrauen und spöttischen Tadel, so sei ihm das Familienleben verleidet worden, und er habe

Lauf.

in den Strudel des weltstädtischen Gesellschaftslebens gestürzt. Um sich über sein Elend wegzutäuscheu, habe er wahllos lustige Leute um sich geschart, habe sein Einkommen vergeudet, sein geistiges Vermögen verzettelt und fühle sich gegenwärtig elender und ver¬ zweifelter denn je zuvor. Ja, in dieser Stunde sehe er es mit aller Klarheit voraus, daß er an Lonas Seite einem Abgrund zu¬ treibe. — Was ihn erretten, was ihn wieder erheben und für die erträumten Jugendideale wieder entflammen könne, das sei eine gleichgestimmte, starke Frauenseele, die ohne Rücksicht auf die land¬ läufige Gesellschaftsmoral es wage — über alle Schranken und Hemmnisse hinweg sich mit ihm zu verbinden. sich

(Fortsetzung folgt.)

713

Berliner Wanvelbilder. Goldene Jugend — jeunesse doree. Verstümmelung der Standbilder in der Sicgesallee läßt die Gemüter noch immer nicht zur Ruhe kommen, und die Nachforschungen nach den rohen Urhebern werden eifrig, wenn auch wie begreiflich ohne sonderlichen Erfolg, fortgesetzt. Da wir nun einmal in der Äera der wirtschaftlichen Politik leben, wurde man nationalökonomisch und meinte, es könnten wohl Steinmetze gewesen sein, die sich darüber ärgerten, daß man die Arbeit an den Denkmälern ihren italienischen Kollegen über¬ tragen habe. Aber die Steinmetze protestierten und beriefen sich

MH

auf ihr Verständnis für den Ernst des künstlerischen Schaffens. Als man sich dann gar erinnerte, daß die Schreckensnacht des Denkmäleraltentats mit dem Kommers der Techniker im Neuen Königlichen Hochschüler

Opernhaus zusammenfiel, und akademisch gebildete als mutmaßliche Vandalen bezeichnete, beriefen sich

diese auf den Ernst der wissenschaftlichen Arbeit, und protestierten ebenfalls energisch unter Assistenz ihres Rektors. Es will cs eben niemand gewesen sein, und die Polizei steht einmal wieder vor einer ungelösten und darum ihrer Meinung nach un¬ löslichen Aufgabe. Man könnte nun geneigt sein, das Denkmälerattentat überhaupt nicht so schwer zu nehinen, ja es als einen rohen, aber unüber¬ legten „Dummenjungenstreich" zu bezeichnen, wenn unsere Jugend nicht — so furchtbar ernst wäre, daß man selbst an ihrer Fähigkeit zu Jugendeseleien zweifeln müßte. Niemals und nirgends ist die Jugend so voll Würde und Selbstachtung gewesen wie heutzutage in der Reichshauptstadt. Man achte nur darauf, wie ein Schuster¬ junge seine Cigarette an der des andern an¬

Und doch liegt ein tiefer Sinn im kind'schen Spiel. Später erinnert man sich mit gehobenem Gefühl an die goldene Jugend, die man in gegenseitiger Wertschätzung ernsthaft mit einander verlebt, ver¬ traut auf die Gleichheit des in derselben Kneipe würdig geübten Comments, und unterstützt sich bei dieser Gemein¬ samkeit der Grundsätze im Kampfe um das

Dasein. Erst im bemoostenHaupt gelangt der Cou¬ leurstudent zur Vollreife, und erst als alterHerr merkt er, wie ernste Folgen sein strebsam Mühen um das Korps¬ band hat. Das Korps¬ band und das Portepee sind heute die Ideale, man sich die

Die Siouxindianer entzündeten nicht mit größerem Anstand ihre Friedenspfeife. Wenn ein Quartaner den anderen mit abgezogenem, steckt.

seitwärts geschwenktem Hute begrüßt, so sieht es aus, als ob eS sich um den offiziellen Salut zweier Großmächte handelte. Diese gegenseitige Wertschätzung steigert sich naturgemäß mit den überstandenen Lehrlings- resp. Pennaljahren.

Der Geselle, der Handlungsgehilfe, der Student organisiert sich und wird so Mitglied einer Ge¬ sellschaft, die einen Bruchteil ihrer Wertbe¬ messung auf die Person des Nenanfgeuommenen überträgt. Es ist kaum glaublich, wie viel

unter allen Umständen aus dem des modernen Gro߬ stadttreibens herausretten muß. Das ist übrigens für reinliche Naturen gar nicht so leicht, selbst wenn sie durch das Schicksal mitten in die jeunesse doree

Sumpf

Selbstachtung die reichshanptstädtische Jugend aushalten kann, ohne eine Miene zu verziehen. Wer um die Mittagszeit an gewissen Tagen die Friedrichstraße in der Nähe der Passage betritt, kann hinter den Spiegelscheiben des Pschorrbräus beobachten, wie man heutzutage

hineinverschlagen sind.

Was für

akademischen Bürger der Comment, das ist für den mit seinen höheren Zwecken wachsen¬ den Staatsbürger — das jeu. Dies führt die gleichgestimmten den

Seelen

so

nahe zusammen, daß

Drohungen mit Anzeigen beim Regiment bei nicht sofort erfolgender Zahlung der Spiel¬ schulden sie nicht auseinander bringen können, ja, es steigert selbst

die gegenseitige Hochachtung so¬ weit, daß man sogar gelegentlich

über erlittene Vorstrafen fortsieht. Daß man das jeu ernsthaft nimmt, ist bei den Summen, um die es sich handelt, mehr als natürlich. eine überaus schmierige Lage kommt das Mitglied der „goldenen Jugend", das es weder zum „alten Herrn", noch zum Reserveoffizier gebracht hat. Es ist ohne korporative Stütze aus¬ schließlich auf seine persönlichen Eigenschaften angewiesen, die es mit allen Mitteln in das rechte Licht stellen muß. Daher der schief in die Stirn gedrückte Cylinder, die nach den bewährten Grund¬ sätzen der Kravattologie geschlungene Halsbinde, die gekniffte, um¬ gekrempelte Hose und der gelbe Schnabelschuh, daher der gebückte Gang mit den in schöner Biegung vom Körper abgesteiften Armen, daher vor allem der unumgängliche Aufenthalt in der Bar. Die Bar ist das Museion unserer jeunesse doree. Da hockt sie auf hohen Stühlchen, die an ihre früheste Kindheit erinnern, und bethätigt ihre Männlichkeit, indem sie die hinter dem Schänktisch sitzende edle Weiblichkeit mit ernsthafter Müdigkeit anstiert und von Zeit zu Zeit ein Gebrän zum Munde führt, das die blassen Wangen wenigstens für einen Moment mit dem rötlichen Schimmer greisenhafter Jugend¬ lichkeit überzieht. Das bloße Beobachten der sich auf dem Wege der Hypnose vollziehenden Seelengemeinschaft der Geschlechter ist als probates Schlafmittel zu empfehlen. Bon Zeit zu Zeit treffe ich einen Jugendfreund, der es bis zum Geheimen Oberfinanz- und vortragenden Rat im Finanz¬ ministerium gebracht hat. Unsere gemeinschaftlichen Erinnerungen

In

einen Couleurfrühschoppen ernsthaft begeht.

Da

ützen einige zwanzig

Jünglinge mit benarbten Gesichtern und auf das gedankenschwere Hinterhaupt geschobenen bunten Mützen. Von Zeit zu Zeit erhebt abgezogenem Deckel sich einer der „Burschen" und erlaubt sich mit dem andern gegenüber eins. Dieser lüftet gleichfalls die Kopf¬ bedeckung und steigt mit unnachahmlicher Gravität in die Kanne. Sonst geht zwischen den jungen Leuten nichts Bemerkenswertes vor.

(

714

reichen bis zur Tertia des Gymnasiums zurück. Wir unterhalten keinen regelmäßige» Verkehr, aber wenn wir uns auf der Straße oder in der Pferdebahn begegnen, schleichen wir uns abseits von unserem Geschäftswege in eine stille Weinstube und feiern den glücklichen Zufall je nach der Tageszeit mit einem Morgen-, Mittags- oder Abendschoppen. Wir verfügen beide über kein sonder¬ liches Maß von BegeisternngSfähigkeit, aber schon nach dem ersten Glase Wein leuchten unsere Augen, wir lassen die Gläser an¬

einander klingen und erzählen unS von unserer „goldenen Jugend". Wir sind wahrlich keine Duckmäuser und Stubenhocker gewesen, haben getrunken, geliebt und gefochten, wie es sich für den akademischen Bürger geziemt, aber wir haben uns und unser Treiben während dieser Zeit der holden Jugendeselei niemals ernsthaft genommen. Seither ist die „goldene Jugend" zur jsrmssss ckorss geworden, ungefähr wie das echte Gold durch das Talmi Georg Malkowsky. ersetzt worden ist.

Schönebergs Entwickelung ii. '•

Answers über die Entwickelung der Besitzdas 1591 vom Amtsschreiber Joachim .’wnn: Georgs Befehl außerordentlich eingehend Brau angele Erbregi'ler. Wjr finden da außer dem kurfürstlichen Vor¬ werk, r Lchärcres mit 800 Schafen, noch einen kurfürstlichen Garten: Hopsen beleget, daneben etliche Länder zu Kohl, Zibollen „Er is.
; 7%/

’!

:

.

:

>»bt

den König Jacob I. dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, seinem Schwiegersöhne, zu Hilfe sandte. Dieser, der sogenannte Winterkönig, stand in Prag, und da der Brandenburger Kurfürst

Georg Wilhelm mit ihm verschwägert war,

so wählte das Hilfsheer den Weg durch die Mark. Am 30. Juni quartierten sich die Söldner in der Umgegend von Berlin in Britz, Tempel-

englische

hof und Schöneberg ein. Run ging aber in BerlinCölln eine furchtbare Auf¬ regung an, die Bürger wählten eine Wache und ein paar Anführer, und „da war ein Trommel¬ schlagen und Schießen, ein Platzen und Schreien in beiden Städten die ganze Nacht hindurch, daß ihrer wohl gar wenige werden geschlafen haben) denn es war alles betrunken, was Den helden¬ da war." mütigen Engländern aber fuhr von all dem Schießen, Trommeln und Schreien hinter der Stadtmauer der Schreck in die Glieder, schleunigst marschierten sie

in der Richtung auf den Spreewald ab. Die we¬ nigsten werden ihr Ziel erreicht haben; denn in Massen fielen sie den herr¬ schenden Seuchen zum Opfer, und viele wurden von den Bauern tot¬ geschlagen. Aber die Zeiten werden

schlimmer; in den fort¬ währenden Durchzügen der Kaiserlichen wie der Schweden wurde die Mark ja so verwüstet, daß noch heut die Spuren davon Rekvriil-Gyniilalluln in Schöneberg. zu Tage liegen. Wenn auch Schöneberg durch die Nähe undt anderer Küchenspeise gewonnen wird, wird von der Herrschaft Berlins und durch seine Eigenschaft als Eigentum des Kurfürsten gebraucht." Das Dorf zählte nenn Hufner, unter ihnen Peter einigermaßen im Vorteil gewesen sein mag, so hat es doch schwer Lorentz, „eingesetzter Schulze" und acht Kossäten. Außerdem leiden müssen. Rach Beendigung des Krieges heißt es in einer Eingabe existierte das Schlegersche Freigut und der Krug des Dorfes. Ueber des Teltower Kreises: „Eß scheinet, alß wen der Gerechte Gott daß die Eintreibung der Gefälle, Zehnten und Püchte giebt die Amts¬ goranß mit diesen armen, ruinirten Kraiß machen wollte." Wüste ordnung von 1617 Aufschluß, ebenso über die zu leistenden HofeDörfer und Höfe waren nichts Seltenes in märkischen Landen. Auch dienste. Die letzteren waren recht bedeutende, und wenn sie auch in Schöneberg lagen verschiedene Hufen jetzt wüst. Der Große Kur¬ teilweise gegen ein geringes Raturalienentgelt geschahen, so entzogen fürst, der sofort mit aller Energie an die Hebung seines Landes ging, sie doch in beträchtlicher Weise die Arbeitskräfte und Gespanne der mußte mit allen Mitteln für Ordnung sorgen und auf „Kon¬ Bewirtschaftung des eigenen Landes. Die Bauern waren in dieser servierung" seiner Unterthanen bedacht sein; so zog er auch neue Beziehung entschieden schlechter gestellt als früher. Immerhin war Ansiedler nach Schöneberg. Das Land wurde ihnen ohne jede rege Kultur und Wirtschaft im Orte. Alles Land ist unter dem Kaufsumme, der Hof und die Wirtschaftsgeräte nur gegen Ver¬ Pfluge, wir hören von keiner wüsten Hufe, wie deren in den pflichtung zu Abgaben und Diensten überlassen. Sie durften aber adeligen Dörfern, wo das „Bauernlegen" damals in schönster die Güter nicht, wie die ursprünglichen Hofbesitzer, verlassen oder Blüte stand, genug zu finden waren, und daß der Landesherr letztwillig vererben. Sic wurden gewissermaßen an die Scholle auf ordnungsmäßige Erfüllung und Erhaltung seiner Gerechtsame gebunden. bestand, war nur in der Ordnung und wird gewiß nötig gewesen Daß der Große Kurfürst eine gewisse Vorliebe für Schöneberg sein. Ist doch die traditionelle „Bauernschlanheit", mit der der besaß, beweist die Anlage des botanischen Gartens, den er im Märker sich unbequemen Pflichten zu entziehen verstand, aus Jahre 1656 dem Botaniker L>i\ Elsholtz unterstellte. Ueber die zahlreichen zeitgenössigen Beispielen bekannt genug. weitere Entwickelung dieser Schöpfung hat der „Bär" in Rr. 29, Aus den für die Mark sonst so überaus ernsten Zeiten des S. 457 berichtet. dreißigjährigen Krieges ist für Schöneberg eine Episode zu ver¬ Auch der Kurprinz Karl Aemil weilte oft in Schöneberg zeichnen, die einen gewissen komischen Beigeschmack bat: die englische auf dem Gute des Rates Daniel Stephani, der 1662 zum Einquartierung. Im Mai 1620 war in oder Elbe ein Heerhaufen „Direktor stuckiornin" des Prinzen ernannt worden war. Den von etwa 3000 englischen Sträflingen niib Abenteurern gelandet, jungen Fürsten ereilte bekanntlich 1674 in Straßburg ein früher Tod.

715

Bon allerhöchster Bedeutung wurde für Schöneberg die Re¬ gierung Friedrich Wilhelms I. Er erkannte die bis dahin zum Königlichen Privatbesitz gerechneten Domänen als unveräußerliches Eigentum des Staates an. Die Naturallieferungen, die solange in ganzen Wagenladungen nach Berlin ins Schloß gewandert waren, wurden nun in Geldabgaben umgewandelt. Die Summe der Steuern, die Schöneberg nach Neuordnung des gesamten Steuer¬ systems abzuführen hatte, betrug insgesamt 420 Thaler. Ein Bild von der allgemeinen Wertsteigerung des Landes unter Friedrich Wilhelm I. giebt folgendes: Das Amt Mühlenhof wurde mit den Vorwerken „Willmarsdorf, Schöneberg und Weddin" 1716 als Königliche Domäne neu verpachtet und brachte 2000 Thaler Pacht, 1735 wurden für dieselben Güter aber 8611 Thaler erzielt. Unter Friedrich Wilhelm I. wurden auch zum erstenmal auf dem Tempelhofer Felde, das damals noch Ackerland war und auch zum Teil den Schöneberger Bauern gehörte, nach Einbringung der Ernte Paraden abgehalten, so 1728 vor August dem Starken, dem sächsischen Kurfürsten und König von Polen. Aus Friedrichs des Großen Zeit datiert die Gründung von Neu-Schöneberg. Der König war, wie seine Vorfahren, bemüht, seinen schwach bevölkerten Gebieten Unterthanen und Arbeitskräfte zu schaffen' so zog er und sein Vorgänger an 2000 protestantischeBöhmen ins Land, die, ihres Glaubens wegen ver¬ folgt und mißhandelt, die ursprüngliche Heimat flohen. Arm und zerlumpt langten sie meist an) hatte man ihnen doch oft nur gestattet, fünf Gulden und sonst nichts mitzunehmen. Der König ließ nun zwischen dem heutigen botanischen Garten und dem Kaiser Wilhelms¬ platz zwanzig Kolonistenhäuser auf Staats¬ kosten bauen und siedelte darin 1751 zwanzig böhmische Familien an. Haus und Garten wurden ihnen geschenkt, und nur eine jähr¬ liche Abgabe von 2 Thaler 12 Groschen hatten sie zu entrichten. Das Land für diese Kolonie Reu-Schöneberg mußten die Alt-Schöneberger Bauern mit 60 Morgen abtreten, gewiß nicht mit allzu freudigem Sinn. Auf des Königs Drängen, der sonst das Land zu dem Zwecke in andere Hände gegeben hätte, mußten sie auch eine Maulbeerplantage anlegen. War doch die Einführung der Seidenkultur eine seiner Lieblingsideen, und er betrieb diese mit solchem Erfolg, daß bald die märkische Seiden¬ industrie die Crefelder bedeutend überragte. Vielleicht die schlimmsten Tage, die Schöne¬ berg je gesehen, brachte der siebenjährige Krieg. In den ersten Oktobertagen rückten die Russen unter Totleben heran, um Berlin ein¬ zunehmen, während der König in Schlesien stand. Am 7. konnten die Schöneberger Bauern nichts als das nackte Leben ihr eigen nennen, ihre Häuser waren bis auf den Grund in Flammen aufgegangen, die Ernte war ver¬ brannt, das Vieh teils weggetrieben, teils totgestochen, sie selbst aufs Grausamste mi߬ handelt worden. Obdach fanden sie für die erste Zeit in den verschont gebliebenen Hütten von Neu-Schöneberg. 432 Thaler ließ der König sofort zu Aussaatkorn anweisen; trotz¬ dem konnten nicht alle Aecker bestellt werden, und so mußten die Bauern sehen, sich in Berlin mit Handarbeit durchzubringen. Man weiß, mit welcher Energie der große König an die Wiederherstellung seines verwüsteten Landes ging; so wurden den Schönebergern wesentliche Bauunterstützungen und Bauholz überwiesen, das königliche Vorwerk wurde auch aufgeteilt und fünf neue Bauerstellen geschaffen und mit Ansiedlern besetzt. Die gesamte Feldmark mit Ausschluß des Freiguts und des Kruges wurde neu vermessen und aufgeteilt. Die solange abhängigen Laßgüter wurden durch Aus¬ fertigung von Erbverschreibiliigcn zu unabhängigem Besitz, ihre Inhaber freie Bauern. Auch die Kirche wurde an dem Platze, wo sie heut noch steht, wieder aufgebaut. 1763 konnte der Könrg an seinen Bruder schreiben: „Nächstes Jahr dürfen keine Spuren von dem Kriege mehr übrig sein." Mit Friedrich dem Großen und der Aufteilung des Königlichen Vorwerks hört die direkte Einwirkung des Landesherrn in Schöne¬ berg auf. die selbständige Entwickelung der Gemeinde begann. Schwere Zeiten hatte diese noch einmal in den Unglücksjahren 1807—1813 durchzumachen. An baren Kriegskontributionen hatte der Ort allein mehr als 2000 Thaler aufzubringen; dazu die un¬

aufhörlichen Naturallieferungen. Bei einer Seelenzahl der Ein¬ wohnerschaft von 4 bis 500 ist das gewiß sehr schwer gewesen. Aber mit den Freiheitskriegen kam die Erlösung, und die Zeit des zuletzt rapid steigernden Aufschwunges begann. sich Mit der eigenen Hartnäckigkeit im Hängen am Hergebrachten, das unsere Landbevölkerung charakterisiert, wehrten sich die Schöneberger Bauern gegen die Separation, die Aufteilung der nach dem Dreifeldersystem in Gemenglage liegenden Aecker der einzelnen Besitzer und Zu¬ sammenlegung in ganzen Schlägen, bis sie 1842 doch endlich er¬ folgte. Die Grenze Schönebergs gegen Berlin bildete damals immer noch der Landwehrkanal, d. h. es reichte bis an die heutige Potsdamer Brücke. 1860 wurde aber durch Allerhöchste Ordre die Weichbildgrenze Berlins bis an den Botanischen Garten hinaus¬ gerückt. Inzwischen hatte das Dorf Schöueberg immer mehr städtischen Charakter angenommen; mit Berlin verwuchs es baulich ganz und

Das Pestalorxihaus. gar; durch die enorme Wertsteigernng des Landes zog der Reichtum in die Häuser der sprichwörtlichen „Schöneberger Bauern-Millionäre" 1871 wurde die Gemeinde-Vertretung und damit die Selbstverwaltung eingeführt, 1874 Alt- und Neu-Schöneberg vereinigt. Ein Netz von Bahnen begann seine Fäden um den Ort zu spannen. Durch kaiserlichen Erlaß vom 17. Mai 1897 wurde dann der Gemeinde das „Städlerecht vom 31. Mai 1853" zum 1. April 1898 verliehen. Daß die städtischen Körperschaften, deren erstem Jahres¬ bericht wir folgen, gerade wie die Gemeindevertretung auf ihr Werk stolz sein können, zeigt jeder Spaziergang in Schöneberg; die architektonischen Prachtbauten der Kirchen, Schulen und des Rat¬ hauses weisen auf weltstädtischen Geist. Wie aber die Entwickelung der Stadt vor sich gegangen ist, dafür sprechen am besten folgende Zahlen: Im Jahre 1801 — 524 Einwohner; im Jahre 1898 — über 80000 Einwohner. C. Langhammer.

Städte- und Landschaftsbilder. Guben. Turner Berlins und der Mark Branden¬ burg mit Freuden an die Tage des Sommers zurück, die sie aus Anlaß ihres diesjährigen Kreisturnfestes in Guben, der freundlichen Neißestadt, der „Perle der Lausitz," verleben durften. Wenn je die natürliche Lage eines Festortes, die Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft seiner Bewohner, die Behaglichkeit im Ver¬ kehr zwischen Einheimischen und Fremden zum Gelingen eines von Tausenden von Gästen besuchten Festes beigetragen hat, dann war es in der gut märkisch und gut turnerisch gesinnten Feststadt Guben der Fall, die nunmehr auch in der Geschichte der märkischen --"-m Ehrenplatz erhalten hat, wie sie einen solchen der Mark Brandenburg schon seit Jahrhunderten »och heute denken die

iche Lage von Guben, mitten zwischen Wasserlänfen und bcwaldcien Höhen, ist eine der schönsten in der Mark. In den Fluten der Ludst und Neiße spiegeln sich die baumreichen Ufer mit ihren freundlichen Häusern und die bis 180 Fuß aufsteigenden Berge. Diese Höhenzüge bilden in den Tagen des Frühlings ein weites Blütenmeer, dessen herrliches Bild Besucher von nah und fern anlockt, und Guben steht in seiner Bedeutung als Stadt der Baumblüte und des Obstsegens kaum hinter Werder zurück. Bei aller landschaftlichen Schönheit, bei dem Gartenstadtähnlichen Charakter, den die Stadt namentlich in ihrer Peripherie trägt, ist Guben aber nichts weniger als ein Ort ruhigen Genießens Eine Industrie herrscht in den und stiller Naturschwärmerei. Mauern dieser Stadt, die sich sehen lassen kann, und die Früchte ihres Gewerbefleißes gehen nicht minder in alle Welt als die Früchte, die von ihren Obst- und Weinbergen kommen. Aber trotz der hochragenden Schornsteine, trotz der vielen umfangreichen Fabrikanlagen und des lärmenden Betriebes hat sich Guben seinen angenehm heiteren Charakter bewahrt und zieht nach wie vor Naturfreunde und Touristen in großen Scharen in seinen Bannkreis. Zwischen Neiße und Ludst liegt der älteste Teil der Stadt. Von den ehemaligen Befestigungen, die die Bürger der alten Handelsstadt zum Schutz gegen die äußeren Feinde ausrichten ließen, sind nur noch wenige Reste vorhanden. Wo einst die alte Stadt¬ mauer sich hinzog, sind enge Gassen entstanden, die Gräben sind mit Erde ausgefüllt, und die Thore der Stadt, drei wohlbewährte Banwerke, sind längst den Verhältnissen der Neuzeit, dem erweiterten Verkehr zum Opfer gefallen. Als letzter steinerner Zeuge aus der Zeit der alten Befestigung ragt inmitten der verkehrsreichsten Straßen der „Dicke Turm", auch „Werder Turm" genannt, empor, der noch manches Jahrhundert überdauern dürfte. Einen überaus charakteristischen Eindruck macht der Marktplatz, ans dem sich die alte und die neue Zeit in malerischen Bauwerken

Guben:

Dicker (Werder) Turm.

Der Turm des Rathauses, der schlank in die Höhe steigt, mit der Hanptfront der älteste Teil des Baues, der aus dem stammt, 13. Jahrhundert

Neuzeit. ist

die übrigen an¬ gebauten Teile aus dem 16. und 17. Jahrhundert her¬ rühren. Daneben erhebt sich die Stadtkirche, ebenfalls ein fünf Jahrhunderte altes Bau¬ werk. Sie war ursprünglich

während

dem heiligen

Laurentius

ge¬

weiht, und ihr Bau dürste im Jahre 1240 begonnen worden sein. Eine reiche Zuwendung er¬ hielt die Kirche am Ansgang 14. Jahrhunderts durch Kalands - Brüderschaft, die welche zu jener Zeit in Guben in großer Blüte stand. Im Jahre 1500 faßte die Bürger¬ schaft den Entschluß, das Gotteshaus um das doppelte zu vergrößern und mit einem 250 Fuß hohen Turm, der von allen Orten der Umgegend gesehen werden sollte, zu ver¬ sehen. Aber wie es mit Kirch¬ des

turmbauten in alter Zeit bänfig vorkam, erreichte auch der Gnbencr Turm wegen man¬ gelnder Bangeldcr nicht die

Guben:

Lubstberge.

harmonisch vereinen. Rathaus und Kirche gehören vergangenen Jahrhunderten an, der monumentale Kaiserbrunnen und die Mehr¬ zahl der umliegenden Wohnhäuser tragen den Charakter der

gewünschte Höhe und mußte sich mit 7s des ursprünglich festgesetzten Maßes begnügen. Als der Neubau der Kirche kaum beendet war, drang die Kunde von Luthers neuer Lehre in die Stadt, und Geistli eit und Lehrerschaft traten für sie beherzt ein, obgleich die beua barten Cisterzienser zu Neuzelle und die

717

Dominikaner zu Lnckau alles versuchten, die Stadt für die Sache des Papstes zu erhalten. Bald war die ganze Bürgerschaft für

Guben schmückt, ist der Kaiserbrunnen, dessen Entstehung der jüngsten Zeit angehört. Mit reichem architektonischen Schmuck steigt der Sandsteinbau in die Höhe, während ein kunstvoll aus¬ geführtes Doppelrelief die Bildnisse der ersten beiden Hohenzollernkaiser, Wilhelms I. und Friedrichs III., umgeben von den Wappen Bismarcks und Moltkes und zwei symbolischen Gestalten, zeigt. Rauschend fließt die Neiße durch die große Brücke, die die Verbindung mit der inneren Stadt und der besonders industrie¬ reichen Klostervorstadt vermittelt. Sieht man von der Brücke aus stromabwärts, so bietet sich ein reizendes Landschaftsbild den er¬

staunten Blicken dar.

Wir

sehen eine ziemlich

umfangreiche Insel

vor uns, die von der Reiße umschlossen ist, und aus deren reichem

Guben: Rathaus,

Kaiserbrunnen nnd Kirche.

die Lehre der Reformation gewonnen,

das letzte Jnngfrauenkloster

in Guben wurde aufgehoben, und andere klösterliche Gebäude fielen dem Rat der Stadt zu. Die letzte größere

Veränderung

Baumbestand sich ein schmuckes nnd modernes Gebäude wirkungs¬ voll abhebt: es ist das Stadttheater von Guben, eine würdige Kunststätte, auf welche die Bevölkerung der Stadt mit Recht nicht wenig stolz ist. Ehedem war es das Schützenhans, das Eigenium der Gubener Schützengilde, in deren Besitz sich auch die ganze Insel befand, weshalh sie noch heute Schützeninsel genannt wird. Jetzt ist das ganze Gebiet mit allen Baulichkeiten im Besitze der Stadt, für die Bewohner aber ist die Schützeninsel der Lieblingsplatz für ihre großen Feste, der Aufenthalt aller Sonntagsausflügler, die es nicht vorziehen, eine Wanderung in die Gubener Berge zu unter¬ nehmen. Und von der Schützeninsel schweift der Blick des staunenden Fremden nach rechts über die bewaldeten Neißeberge, aus deren frischem Grün stattliche Villen und Gasthäuser emporragen, bis er ganz zur Rechten einen neuen Ruhepunkt in dem schlanken Turm¬ bau der katholischen Kirche findet. Die Klostervorstadt am linken Ufer der Neiße ist reich an _ großen Fabrikanlagen, deren sich eine an die andere reiht. Hier ist der Sitz der Hauptindustrie von Guben, der Fabrikation von Tuchen, Hüten und Wollwaren. Die Tuchmacherei verdankt ihren dortigen Aufschwung wesentlich dem großen englischen Industriellen William Cockerill, der im Jahre 1816 nach Guben kam und mit Beihilfe des preußischen Ministeriums die ersten Maschinen für Tuchfabrikation ausstellen ließ. Die Klostermühle wurde zu einer Spinnerei eingerichtet, die unter Cockerills Leitung stand und den Tuchmachern von Guben neue Erwerbsquellen erschloß. In derselben Kloftermühle starb am 16. Juni 1847 der große Industrielle, der aus dein fernen Jnselreiche in die märkische Handels¬ stadt gekommen war und dort vielfältigen Segen ausgestreut hatte. In der Klostervorstadt, die ihren Namen nach dem Jungfrauen¬ kloster erhalten, das dort gestanden hat und nach Einführung der Reformation aufgehoben worden ist, befinden sich noch andere gewerbliche Anlagen, sowie gemeinnützige Institute- dazu gehören die städtische Gasanstalt, die Hauptwerkstatt der Eisenbahn, der Bahnhof, der Schlachthof, die Landkirche, ein modernes gotisches Bauwerk, das Land- und Amtsgericht u. a.

Das rechte User der Neiße, abwärts von der Lubstmündung, ist das Villenviertel der Stadt. Schon der Name dieser Straße,

er¬

fuhr die Kirche im Jahre 1842, mit der namentlich auch eine Neugestaltung und Verschöne¬ rung des Innern verbunden war. Die Südseite des Gotteshauses schmückt eine eiserne Wandtafel, die deni Andenken des geistlichenLieder-

ehemaligen dichters und Bürgermeisters von Guben, Johann Frank, gewidmet ist. Der „fromme Sänger", wie er auf der Tafel genannt wird, wurde am I.Juni 1618 in Guben geboren, besuchte die Schulen seiner Vaterstadt und von Kottbus, Stettin und Thorn, um in Königsberg Rechtswissenschaft zu studieren. Mit dreißig Jahren kam er in seine Vaterstadt zurück und wurde sogleich zum Rats¬ herrn ernannt. Von 1661 bis zu seinem Tode am 18. Juni 1677 war Johann Frank Bürgermeister seiner Vater¬ stadt und hat sich als solcher um diese, und als Landes¬ ältester um die ganze Ricderlansitz, große Verdienste er¬ worben. Von seinen geistlichen Guben: Schntzcnhaus (Stadtihcater) im Hintergründe die Nkitzebergc (Kauiinskys Berg). Liedern, von denen sich einige „Die grüne Wiese", läßt auf die landschaftlichen Reize der Gegend noch heut in den Gesangbüchern befinden, ist wohl das Abendmahls¬ schließen. Schmucke Landhäuser mit wohlgepflegteu Gärten zieren lied „Schmücke Dich, o meine Seele" am bekanntesten geworden. Das dritte monumentale Bauwerk, das den Marktplatz von die Straße, zu der der Lärm der Fabriken kaum mehr veruehmbar

718

bringt, und bereit vornehmste Architektur bas stattliche Verwaltungs¬ gebäude bes Lanbkreises Guben bilbet. Echt länbliches Aussehen nnb kleinbürgerlichen Charakter trägt bie Werbervorstabt, bie sich an ben Ufern ber Ludst bis hin zu dem Fuß der Berge erstreckt. Hier ist noch teilweise bie Landwirtschaft zu Hause, unb mancher Ackerbürger ist hier zu Wohlstand gekommen. Die Provinzial - Tanbstnmmenanstalt, die Kinderbewahranstalt nnb bas städtische Waisenhaus sind bas bemerkens¬ werte Hänsertrio in diesem Stadtteil. Auch die sogenannten Sühn¬ kreuze ans Stein befinden sich hier, die aus das hohe Alter von Guben schließen lassen. Einen Genuß bereitet jedem Naturfreund eine Wanderung durch Gubens Berge. In vielfachen Windungen gelangt man auf 'Mqepflegten und von schmucken Anlagen eingefaßten Wegen itr Höbe ber Berge, wo man in den Gastwirtschaften genügend Mitt:*, -heit uir Erholung und zur leiblichen Stärkung findet. Da schweift der Buck über die unten liegende Stadt, die ein prächtiges Gesamtbild b -wi, da wechselt, je länger man auf den Höhenzügen sortwandirt. sehen Augenblick das Panorama. Und die Stadt sorgt reichlich für bie Pflege und Verschönerung ihrer prächtigen

ihre Berge, sie pflegen und hüten jeden Batkm und Strauch, als hätten sie ihn selbst gepflanzt und groß gezogen. Und dort oben aus ihren Bergen suchen sie auch Erholung an Sonn- und Feier¬ tagen, die ehrsamen Bürger der guten Stadt, und manche Gro߬ städter könnten sie beneiden um so anmntige Plätze, wie sie Kaminskys Berg oder Schneiders Berg ihnen bieten. Aber nicht bloß Stätten des Vergnügens und der Erholung sind diese Berge; hier oben wird auch rüstig und regsam gearbeitet, um dem frucht¬ baren Erdboden reiche Schütze abzugewinnen. Neben der Obstknltur wurde früher auch der Weinbau eifrig gepflegt, aber in neuerer Zeit ist es mit dem Gubener Wein, den die Kelter aus Reben preßt, abwärts gegangen; an seine Stelle ist jedoch der Apfelwein ge¬ treten, der sich großen Rufes erfreut und in alle Lande verschickt wird. Auch der Gemüsebau besitzt aus den Bergen von Guben noch ein weites Feld und nährt seinen Mann. Aber nicht nur auf den Bergen sucht der Fleiß der Gubener Bürger sich zu be¬ thätigen, auch in das Innere der Berge dringt ihr forschender Blick nach neuen Schätzen. Und so bildet denn auch die Kohlensördernng aus drei Gruben ein bedeutendes Arbeitsfeld, das den zahl¬ reichen Fabrikanlagen der Stadt das notwendige Betriebsmaterial, eine ausgezeichnete Braunkohle, zuführt. Auch die Schiffahrt, die früher in und für Guben sehr bedeutend war, aber nach Eröffnung der Niederschlesisch - Märkischen Eisenbahn im Jahre 1845 bedeutend her¬ untergegangen ist, dürste bald wieder neuen Aufschwung nehmen. In der Klostervorstadt soll durch die Breslauer Rhederei-Gesellschast in nicht allzu ferner Zeit eine große Hafen-

anlage errichtet werden, von der aus die Reiße schiffbar gemacht werden soll. Auch das würde einen neuen Aufschwung für Handel und Industrie in Guben bedeuten. Guben lebt es sich angenehm. Ein behaglicher Wohlstand macht sich überall geltend, die Bevölkerung, der etwas von der schlesischen Gemütlichkeit und Herzlichkeit eigen ist, liebt den geselligen Verkehr, aber nicht in engabgeschlossenen Grenzen unter sich,sondern ebenso gern im Verein mit Fremden. Wer einmal in Guben geweilt und dem Rauschen des heimatlichen Flusses zugehört, wer aus die Berge gestiegen und weit in die Ferne die Blicke hat schweifen lassen, wer im blühenden und prangenden Garten vor dem weingesüllten Römer gesessen und mit Gubener Bürgern, Ratsherren oder sonstigen Standespersonen geplaudert hat, den wird es noch oft zurückziehen in die freundliche Neißestadt. Wer aber einen anmutigen Ruheplatz sucht, wo er nach vollbrachtem Lebenswerk seine Jahre in beschaulicher Muße verleben will, oder wer einmal eine fröhliche Wanderung zu einem lieblichen Punkte der märkischen Heimat zu nnternehmen gedenkt, der lenke seine Schritte nach Guben, und er wird bald die „Perle der Lausitz" als das Kleinod preisen, das sie wirklich ist. P. Kunzendorf.

In

Guben:

Unter-Neiße.

ans den Höhen, dort, wo kahle SandBäume und Sträucher anpflanzen, Anssichtspnnkte schaffen und Ruheplätze errichten. Hier und da findet sich eine Tafel, die in poetischen Worten die Anlagen dem Schutze des Publikums empfiehlt. Aber die Gnbener sind selbst viel zu sehr Ratursrennde, als daß sie erst solcher Mahnung bedürften; sie lieben

Umgebnng.

Sie läßt oben

strecken sich befinden,

f

Die Berliner Verkehrsverhältniffe in statistischer Beleuchtung.

^ie Zunahme

der Bevölkerung von Groß-Berlin, d. h. von Berlin 9 mit den Nachbargemeinden, ist immer mehr auf die letzteren übergegangen. Während in Berlin zwischen den beiden letzten Volkszählungen (1890 und 1895) der weitaus größte Teil der Flüche bereits eine Bevölkerungsabnahme zeigte, wuchsen die Vororte um so stärker an, und die Verbesserung der Verkehrsmittel ist damit nicht mehr eigentlich eine rein Berliner Angelegenheit, sondern ebenso sehr oder mehr eine Angelegenheit der Vororte geworden. Berlin mit dem alten weiteren Polizeibezirk der anliegenden Vororte umfaßte Ende 1875 1070807, Ende 1895 2112366 Einwohner; aber während 1875 über 90 Prozent dieser Bevölkerung auf Berlin selbst entfiel, betrug dieser Anteil im Jahre 1895 nur noch 79 Prozent und ist seitdem in weiterem Sinken. Die Bevölkerungszahl von Berlin mit Umgebung wird erst durch die Volkszählung am Ende 1900 wieder bekannt werden. Berlin allein zählte zu Anfang 1899 über 1800000 Einwohner. Städte wie Charlottenburg mit jetzt 180000 Einwohnern, wie Schöneberg (nach der Volkszählung von 1895 mit 63000 Einwohnerr), Rixdorf (60000), die Gemeinde Lichtenberg (30000), Weißensee (27000) liegen unmittelbar am Weichbilde und nehmen beständig zu; Schöneberg und Rixdorf dürften in wenigen Jahren das erste hunderttausend, Charlottenburg das zweite hundert¬

tausend überschreiten.

Das Gemeindegebiet von Berlin (6300 Hektar) ist kleiner als das mancher deutschen Großstadt (Frankfurt hat 8014, Köln 11107, München 6837, Straßburg 7829 Hektar), aber trotzdem zu einem Teile noch unbe¬ baut. Auch heute sind noch 26 Prozent des Gemeindegebiets mit einem

Grnndstenerreittertrag, d. h. mit landwirtschaftlicher Bebauung ver¬ anlagt, gegen 28 Prozent fünf Jahre zuvor. Es handelt sich hier¬ bei vorwiegend um Flächen auf dem Wedding und im Nordosten von der Ringbahn (zwischen den Stationen Gesundbrunnen und Landsberger Allee) bis zur Grenze. Es ist wahrscheinlich, daß eine rechtzeitige und angemessene Fürsorge für die Besiedelung dieser Gegenden, besonders durch Anlage schneller Verkehrsmittel nach dem Centrum von Berlin, der ganzen Beoölkernngszunahme der Stadt eine andere Richtung gegeben haben würde. Man kann freilich nur sagen, daß dies wahrscheinlich, nicht aber daß es sicher so gekommen wäre; denn die Besiedelung von Gegenden in einer Stadt hängt nicht nur von der örtlichen Erreichbarkeit, sondern auch von der Kanalisiernng und den Bodenpreisen und den durch diese bedingten Mietspreisen ab, und in dem Moment — ober eigentlich schon vo r dem Moment — in welchem eine Gegend durch Verkehrslinien und durch die Kanalisiernng der Besiedelung erschlossen wird, hat die Bodeuspeknlation den Boden- nnd Miets¬ preis dieser Gegend bereits nahe an die anderweitigen Preise hin¬ aufgebracht.

Bei dem gänzlichen Mangel an statistischen Unterlagen ist dies höchstens an einzelnen Grundstücken nachweisbar. Eine besondere Frage ist, welche Wege es giebt, um den Ko tsumenten d. h. den Wohnungsmietern den Bodenpreis trotz der Veikehrserleichterungen und Kanalisierungen billig zu erhalten, u'd in wie weit diese Wege in Berlin gangbar sind. Im folgenden beabsichtigen wir nur eine Darstellt ttg der

für Berlin

..

719

Verkehrsstatistik zu geben, die auffallender Weise in de» Erörterungen über die Verbesserung der Vcrkehrsverhältnisse übergangen wird, obwohl nur sie einen Ueberblick über die Bedarfsfrage, sowie über die Beteiligung der Nachbargenicinden gewahren kann. Das Material für die Statistik befand sich nur zum Teil im Statistischen Jahrbuch der Stadt Berlin, wurde jedoch zum anderen Teil durch das Statistische Amt der Stadt auf Wunsch des Verfassers einge¬ holt und zur Verfügung gestellt. Als Verkehrsmittel kommen nur drei in Betracht dieO m n ib u s se, die Straßenbahnen und die Eisenbahnen; Droschken können bei der ^rage der regelmäßigen Massenbeförderung übergangen werden.

.. 1.

Omnibus-Verkehr

Wir

Vergleichbarkeit halber, weggelassen. Aber auch im übrigen sind die Zahlen nicht ganz vergleichbar, weil das Jahr 1896 ein Schaltjahr darstellt, also einen Betriebstag mehr aufweist, dann aber, weil in dieses Jahr die Gewerbeausstellung fällt und der Verkehr der dorthin führenden Verkehrsmittel naturgemäß eine bedeutende Steigerung aufwies (z. B. Ringbahnstation Treptow 1896: 2 759 000 Personen, gegen 701000 im Jahre vorher). Die Ziffern der beförderten Personen sind in Tausenden angegeben:

der Allgemeinen Berliner Omnibus-Aktien-Gesellschaft.

Bezeichnung der Linien

Allgemeine Berliner Omnibus-Aktien-Gescllschaft

insgesamt

.

Cottbnser Brücke — Schönhauser Thor Thor — Landsberger Thor Thor — Stettiner Bahnhof — Kreuzbcrg sbez. Stettiner Bahnhof — Stettiner Bahnhof — Kurfürstenstraße sbez. Bnlowstraßei. Schöneberg sbez. Botanischer Garten) — Potsdamer Brücke — Frankfurter Linden Potsdamer Brücke — Nosenthaler Thor

Chausseestraße. Iorkstraßc).

Hallesches Hallesches

.

.

1896

1897

1898

23 212

23 703

25 308

24 920

28 613

1296

1226 1624

1228

257 687 4 857

1401

4 641

1372 1900

1325 820 3 879 1 530 1

3 863

.

1509

Moabit.

1

1204

316 833

796 4 873 1

1

792

7 486

1718

1,725

1 830

4 057 1 595

4116 1438 1239 1038 1382

3 826 1 403

20 342

23 222

1

238

1216

20 477

19 733

20 682

268

1

1603

1046

1

1

1415 1946

1205 1329

1

1419 847

1500



Zusammen obige 10 Linien

Im

1898 tritt dann eine beträchtliche Steigerung ein, lediglich auf die Einführung von 5 PfennigTeilstrecken zurückzuführen sein dürste. Von sämtlichen 23 222 000 beförderten Personen entfielen 4 940 000 ans solche Strecken, worunter 3 367 000 innerhalb der Linie Hallesches Thor — Chausseestraße, welche infolgedessen eine ganz außerordent¬ liche Verkehrssteigerung erfuhr.

Jahre

welche

indessen

Straßenbahnlinien.

2.

Bezeichnung der Linien

1894

1895

1896

1897

1898

131585

138 616

153 945

158 436

171 758

Ringbahn (feit 19. 10. 98 elektrisch Kreuzberg — Behrenstraße (ieit 20. 10. 98 elektrisch betriebe») . . Krenzbcrg— Demmincrftraßc (seit Mitte 98 bis Gesundbrunnen, seit 11. 5. 98 elektrisch betrieben) . . . Gesundbrunnen—Spittelmarkt—Krcnzbcrg(seitl6.7.98elcktr.bctriebe») *Riederschö» Hausen — Rathaus *Schöneberg — Alcranderplatz (seit 1.3. 98 elektrisch betrieben). . Nollendorfplatz — Gr. Görschcnstr. — Schles. Thor (feit 8. 8. 98 elektrisch betrieben) . *Maric»dorf — Teuipclhof — * Britz — Moritzplatz Hasen Haide — Waldstraße — Nosenthaler Thor Waldstraße — Schlesischer Bahnhof Nathenomerftraßc — * Reinickendorf — Unter den Linden Görlitzer Bahnhof — *Charlvttcnbnrg —

12 079 2 595

11604 1113

11926 1019

12 658

13 864

1093

1087

8 620 11672

8 824 8 931 2 316 5 119 3 517 3 957

9 315

9 119 7 616

12 248

8112 2 556

2 683

Zusammen obige 17 Linien

69 175

Große Berliner

Straßenbahn.insgesamt

betrieben).

2 336 5 710 3 819

7

883

258

8 116 7 959

3 883 4 630

3 718 4 748

1870 1480 1788

1794 1539

1907 1600

3 297 4 925 2 619

3 596 4 510

3 839 4 496

2 488

2 603

956 3 012 1 747

1057 2 871

752

1 167 2 718 1 806

66 102

68 235

68 277

76 420

17 068

18311

21 783

22 733

24 706

Dönhoffsplatz. Vichhof.

3 467 2 813

3 251

3 120

3 186

802

3 040 2 141 3 293 2 652

3 406 2 442 8 469 2 853

3 2 8 2

Linien

13 361

14 377

15 290

insgesamt

6 749

6 999

7 577

7

*Charlottenburq (Straßenbahnhof)—Knpfergrabcn . . "Charlvttcnbnrq (Straßenbahnhof) — Lnpowplatz . . *Charlottenburg (Stadtbahnhof)—Moabit(1898 cinschl.Aint sgericht— Wilhelm Platz) . . . *Charlottenbnrg (Straßenbahnhof) — Westend . . . Zusammen obige 4 Linien

2 638 2 101

2 758

2178

2 975 2 366

3 409 2 316

1024

1070

I486

1

309

246

180 278

1453

302 6 065

6 315

6 823

7 183

9 523

155 402 88 601 61 160 27 441

163 926 86 794 62 780

183 805 60 348

189 123

61038

28 014

29 310

60 345 30 806

206 754 102 985 65 215 37 770

Alcranderplatz.

Rathaus.

.

Behrenstraße.

Knstriner-Plntz. Friedrichstraßc. Gesundbrunnen.

Nene

1895

559 4 783

Oranienplatz.

Wir sehen hier, daß das Jahr 1897 gegen das Vorjahr nicht unerheblich zurücksteht, obwohl hier kaum Linien in Betracht kommen, welche im Jahre 1890 wegen der Gewerbeansstellung eine besonders hohe Frequenz hätten aufweisen können. Die Frequenz der angeführten 10 Linien im Jahre 1897 steht sogar noch hinter der des Jahres 1894 zurück. Es handelt sich mit Ausnahme der Linie nach Schöuebcrg um Verbindungen innerhalb von Berlin.

1894

1

Oranienplatz.

Moritz-Platz (bez. Oranien-Platz) —

geben nachstehend die Verkehrsstatistik dieser drei Trans¬

portmittel auf den wichtigeren Linien für die Jahre 1894 bis 1897. Linien, die erst kürzere Zeit bestehen, sind, der fehlenden

Berliner

Pferdebahn.insgesamt Spittelmarkt).

*Wcißcnsec — Molkenmarkt 0

676 674

15 691

17 042

954

10 290

91 151

5

233

2 501

336

...

720

In

..

den Jahren 1894 bis 1897 hat sich hiernach die Zahl der ans den drei Straßenbahnen beförderten Personen zwar von 155 auf 189 Millionen gesteigert, auf den 26 besonders angeführten Verkehrslinien von 88 601 000 auf 91151 OM, indessen weisen die 13 Linien innerhalb der Stadt keine Steigerung, sondern sogar einen Rückgang von 61160(XX) aus 60 345 000 auf, und nur die 13 Ver¬

bindungen mit außerhalb sind von 27 441000 im Jahre 1894 auf 30 806 OM im Jahre 1897 gestiegen. Mit dem Jahre 1898 be¬ ginnt aber auf den meisten Linien eine Steigerung, auf den 13 Linien innerhalb der Stadt von 8, auf den 13 nach außerhalb führenden von 23 Prozent. Die Ursache dürfte hier wesentlich in der Eröffnung des elektrischen Betriebes liegen, welcher nicht nur eine schnellere, sondern auch massenhaftere Beförderung ermöglicht. Rechnet mau den Verkehr der vorher angeführten IO Omnibus¬ linien innerhalb der Stadt und die 13 Straßenbahnlinien zu¬ fördert: sammen, ü wurden '

3.

Eisenbahnen. a)

I.

Bahnhöfe

Jahr

1894 1895 1896 1897 1898

beS

Stadt- und Vorort-Verkehr«

Straße. Bahnhof. Jannowitz-Brücke. Alexander-Platz... Börse. Friedrichstraße.. (Stadtbahn). Bellevue. Tiergarten. Garten. Wcstcnd.. Junqfernheide. Bcusselstraße. Wedding. (Stadtbahn). Allee.. Allee.•' Stralan-Rmnnielsbnrg.. Schlesischer

Lehrter Bahnhof

Zoologischer

Charlottenburg

Saviguy-Platz). Charlottenburg).

Zusammen obige 12 Stationen (ohne Zusammen 11 Stationen (ohne

Wcißenscc. Zentral-Biehhof. Allee).

Gesundbrunnen Schönhauser Prenzlauer

Nordrinq,

Tempelhof.. Schömberg.. (Ringbahn).. Potsdamer Bahnhof

.

.

. •

.









IV.

Halcnsee. bring,

... ....

8 Stationen (ohne EberSstraße) Zusammen ©ii Zusammen Südring, 9 Stationen (mit EberSstraße, seit 1897) . . Zusammen Südring. 7 Stationen (ohne Treptow und ohne Ebcrssir.)

Friedenau. Steglitz. *Groß-Lichterfeldc.

W a n n s e e b a h n. Waunscebahnhof Berlin (Potsdaincr Bahnhof)

Groß-Görschenstraße.

Zehlendorf. Schlachtensce. Waunsce.

Grunewald.I Baumschulcnweg. Zusammen 8 Station der

V.

VI.

Wannseebahn.

Adlershof. Grünau. o.). (Süd). (Ost). „

1897/98

1898/99

44 937

48 456

63 118

51383

53 496

2128

2 244

926

2 218

1306

1438

304

5 259 3 887

2 055 1 500 6 274 3 300 6 776 4 150 7 963 2 899 5 346 2 313 4 984 4 315

5 939

6 351

2 914 5 233 3 447

3 124 6 643

44 937 41 633

48 456 44 569

51 874 47 559

48 902 44 760

50 384 46 215

1519

1663

1833

1890

1881

117 693

161

199

243

1040

1158

1847

880 2 048

180 1 035 2 110

2 040

126

1238

1690

1901

749

815 546 788 425 175

793 564 693 425

2 310 2 690 896 687

1

6 530 2 538

4 417

1963 5 420 3

1

Zusammen

VIII.





-Nordbahn. -Schönhausen..

Zusammen Pankow

3 958 6 971

2 763 4 839 2 005

1

6

3 5

3 7

2 6

671 274 136 727 981 297 723 112

1884 6 497 3 016 5 989

3 963 7 838

2 829 5

232

2195

2 111

4 516 4 142

4 613 4 169

650 406 736 392 954

1045

1221

830 409 1 284

8 440 8 440

9 437 9 626

10 497 10 842

10 766 11 165

12 388 12 891

653 708 628

859

786

1864

2 202 648

843 2 314

470 785 398 1

1243 1460

1600

2 634 2 058 661 2 091

1 729

2183

689 462 981

704 515

792 547

1235

1377

614 614 6 961

9 077 9 077

8 218

12 343 12 343 9 709

10 644 10 899 9 858

2 354 1 117

2 598 1 912

2 625 2 011

2 863

1451 1537

1726

2 784 1 861 2 306 2 207

1006

1086

829

1

7

7

571

1917 1942

1

983 582 589

660 1 847

1929 1076 1

616 773

11058 11 360

10 215

1

985

811 836 189 324

904 850 695 239 872

920 2 011 889 763 237 400

8 619

10 296

10 856

361

466

152

232

932 683 466

1100

1 148

775 449

853 605

811

850

1086

13

761

1021

889 36 743

1006

17

38 751

4o 784

689

1884

1668

1795

65 136 423

99

160 464

103 169 483

106 197 486

106 275 479

624

713

765

789

860

s.

Groß-Lichterfelde. Pankow-Heinersdorf. „

Fahrten pro Karte.)

1896/97

Niedcr-Schönwcide—Johannisthal.

VII. *Groß°Lichtcrfelde (Wcst-Waunseebahn,

6

1895/96

.

Wilmersdorf-Friedenau.. Schmargendorf.. ni.

81 720 000. 80 687 000. 88 437 000.

1894/95

Friedrichsberg (Frankfurter

10 Stalionen (ohne Landsberger Allee) Zusammen Zusammen Nordring, 11 Stationen (mit Landsberger Allee, seit 1895)

Treptow (ohne Ausstcllungsbahnhof im Jahre 1896) Nixdorf

UOO.

82513000.

(Bei den Abonnements ist die Zahl der Fahrtage gerechnet, bei den Arbeiterwochenkarten je

Warschauer

II.

....

Personen

81637

Auf diesen Linien ist demnach nach einer Steigerung von 1894 bis 1895 um 876 0M dann bis 1897 ein Rückgang um 1 826 0M Personen eingetreten. Dann aber 1898, in Folge der Ein¬ führung des 5 Pfennig-Verkehres bei den Omnibussen und des elektrischen bei den Straßenbahnen, die sehr bedeutende Zunahme um 7 750 OM Passagiere. Die bei dem Omnibusverkehr fehlenden Linien der früheren „Großen Berliner Omnibus-Gesellschaft", welche von der neuen Berliner Omnibus - Aktien - Gesellschaft (mit eiuein Verkehr von 21 Millionen im Jahre 1897) übernommen worden sind, würden das erhaltene Gesamtbild nur wenig verschieben.

Stadtbahn (Innere Linie)

Stadt.

..

1

1

1

2 157

2 319

408

874 357 475

11656

12 116

481

618

735

280

372 379 920 598

8Ü5

1

1

1

442 439 952 653

915

.

721

b) Bahnhöfe des

Fernverkehrs

1896/97

1897/98

1898/99

627 932 812

1722

883 811

1927 1015

975

1501 1122

1497 1913

1608 1284

804

5 903

6 781

6 470

1894/95

1895/96

Anhalter Bahnhof Potsdamer Hamburger und Lehrter

1763

1586

762 898

Stettiner

1406

Görlitzer

Fernbahnhof. Bahnhof. Bahnhof.

Bahnhof. Fernverkehrs.

Zusammen 6 Bahnhöfe des

Die Zahlen des Eisenbahnverkehrs werden von der Eisenbahn¬ direktion in anderer Weise als bei Straßenbahnen und Omuibuslinien zusammengestellt. Während letztere die Liniensrequenz zeigen — leider freilich ohne Unterscheidung des Teilstreckenverkehrs innerhalb der Linien — wird für die Eisenbahnen der Stationsvcrkchr an¬ gegeben und zwar bedauerlicher Weise *) mit Einschluß des Fern¬ verkehrs. Die ganze Stadt- und Ringbahn-Frequenz hat sich von rund 61 Millionen Personen im Jahre 1894/95 auf 78 Millionen im Jahre 1898/99 gehoben. Das Ansstellungsjahr 1896/97 wies eben¬ falls einen Verkehr von 78 Millionen auf (einschließlich 1'/, aus dem Ausstcllungsbahnhof zu Treptow). Die 11 Stationen inner¬ halb der Stadt stiegen von 42 auf 46, die 10 Nordring-Stationen von 8,4 auf 12,4 Millionen, die 8 Südringstationen von 7,6 auf 11,1 Millionen. Die Zahlen zeigen somit eine Erhöhung des Verkehrs seit 1894 sowohl auf den Stationen innerhalb wie außerhalb der Stadt, doch stieg der Verkehr dort um 12, hier um 46 Prozent und bei den 5 besonders mitgeteilten Fernbahnhöfen um 32 Prozent; man kann vielleicht annehmen, daß, wenn statt des Stations- der Strecken¬ verkehr bekannt wäre, man den Verkehr zwischen den inneren Stadtbahnstationen im Abnehmen, den mit den äußeren im Zunehmen finden würde, ähnlich wie bei den Straßenbahnen; denn bei der Rechnung nach Stationen findet sich eben auch in dem Verkehr der inneren Stationen mit ein Teil des Vorortverkehrs. Freilich wäre es auch nicht verwunderlich, wenn die Stadtbahnbenutzung gegenüber den anderen Verkehrsmitteln eine Steigerung auswiese, einmal wegen der starken Bevölkerungszunahmc des zwischen den Bahnhöfen Tiergarten und Bellevue gelegenen sogenannten Hansa-Platz-Viertels — die übrigen von der Stadtbahn durchschnittenen Teile von Berlin waren in der Bevölkerungsabnahme — dann aber auch wegen der einer Hochbahn innewohnenden besonderen Vorzüge der Schnelligkeit und Pünktlichkeit. Schon jetzt zeigen die Bahnhöfe Jannowitzbrücke, Börse, Tiergarten einen Rückgang. Es ist demgegenüber nicht außer acht zu lassen, daß je mehr der Verkehr von engen inneren Grenzen sich nach außen verschiebt zur Verbindung mit entfernteren Gebieten, um so mehr auch die schnelleren Vcrkehrsgelegenheitcn vor den langsameren bevorzugt werden, d. h. die Stadtbahn vor der Straßenbahn. Hieran ändert auch die Einführung des elektrischen Betriebes auf den Straßen¬ bahnen nur wenig. Mag immerhin der Verkehr auf diesen Bahnen durch diese technische Aenderung eine Beschleunigung und Erhöhung erfahren haben, bedeutend kann dies nicht ins Gewicht fallen. Die Zukunft des Verkehrs liegt in den Eisenbahnen, seien es Hoch-, seien cs Untergrundbahnen. Der Rückgang des inneren Stadtverkehrs ist eben kein Zufall, sondern hängt mit der Bevölkerungabnahmc im Stadtinnern zusainmen, die ihrerseits u. a. durch die infolge der Baubeschränkuugen eingetretene, der Hygiene mehr entsprechende Erbauung weniger großer Wohnhäuser und durch dasUeberströmen der Bevölkerung aus den voll besetzten Stadtteilen in die Vororte herbeigeführt worden ist; diese bieten an frischer Luft, Wohnungs¬ komfort und Wohlfeilheit gegenüber Berlin mannigfache Vorzüge. Fragt man nun, welche Lehren aus dem eben Gesagten sich für die Verkehrspolitik der Zukunft ergeben, so giebt hinsichtlich der Bezeichnung neu zu errichtender Verkehrslinien eventuell auch Verkehrsmittel der Umstand einen Hinweis, daß trotz der zuneh¬ menden Bedeutung der Vororte gewisse Teile von Berlin auch für die letzteren den Brennpunkt bilden. Noch liegen die Behörden zum größten Teile innerhalb des weiteren Zentrums, wenngleich eine Hinausschiebung mehr nach der Peripherie zu sGesundheitsamt, Vcrsicherungsnmt, Patentamt), ja über dieselbe hinaus (Hochschule für Musik, technische Hochschule), schon begonnen hat. Dieses Zentrum der beamtlichen, dienstlichen, geschäftlichen und sonstigen Erwerbs¬ thätigkeit reicht etiva von der Wilhelmstraße im Westen bis zum Alexanderplatz im Osten und vom Halleschen Thor im Süden bis

stch *) Der Wert dieser von der Kgl. Eisenbahn-Direktion hergestellten Statistik ließesowie demnach wesentlich durch Trennung des Fernverkehrs, des Vorort- nnd Stadtverkehr«, Die Vor¬ erhöhen. Strecken dnrchsahrenen der Abonnements nnd der durch Mitteilung bedingungen für solche Angaben sind in bcu Fahrscheinen, welche Zählkarte» darstellen, durchaus gegeben.

j

6

1

972 884

929 2 342

1433 7 646

Oranienburger Thor **) im Norden. In dieses Zentrum dürfte das Ziel der meisten Stadtreisen gehen, und wenn es möglich wäre, dies statistisch zu ermitteln, würde sich wohl ergeben, daß, wenn man Besnchsfahrten von Wohnung zu Wohnung einerseits und Geschäftsfahrten von Wohnung nach den Orten der Geschäftscrledigung hin und zurück andererseits auseinanderhält, die ersteren durchaus in der Minderzahl sind und von den letzteren der weit¬ aus größte Teil in das bezeichnete innere Stadtgebiet führt. zum

Ist dies richtig, so ergiebt sich für die Ausführung neuer Verkehrslinien wenigstens, daß sie in das Stadtinnere geleitet werden müssen. Es kann natürlich auch anderen Verkehrslinien die Berechtigung umso weniger abgesprochen werden, als sowohl die Vororte wie größere Gebiete von Berlin noch besondere Veikehrszentren haben mögen, aber für die wichtigeren Anforderungen des Verkehrs im allgemeinen kommen sie weniger in Betracht. Dies gilt namentlich auch von der zur Zeit im Bau befindlichen ersten Strecke der elektrischen Hochbahn, welche nur dem Verkehr peripherischer Stadtteile untereinander von Nutzen sein wird. ***) Wird das Zentrum von Berlin als Ziel der Verkehrslinien aufzufassen sein, so wird ihr Ausgangspunkt bereits in den Vor¬ orten zu beginnen haben, da die letzteren, wie wir sehen, für die Verkehrssteigerung gerade entscheidend sind. Und hieraus ergiebt sich die Notwendigkeit, daß Berlin mit den Vororten in Fragen des Verkehrswesens Hand in Hand gehe. Denn wenn es auch nicht gelungen ist, Berlin und die Vororte in ein und derselben Verwaltung zu zentralisieren, so haben sich doch die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse längst über die Gemeindegrenzen hinweg¬ gesetzt, und das sogenannte „Groß-Berlin", d. h. Berlin mit den Vororten, bildet eine wirtschaftliche und soziale Thatsache, uuerachtet es als politische Gemeinde nicht besteht. Ist cs auch an sich bedauerlich, wenn Behörden, wie die Post, die Justiz, die Kirche dieser Thatsache gerade in der Weise glauben Rechnung tragen zu dürfen, daß sie das Vorhandensein politischer Grenzen zwischen Berlin und den Nachbargemeinden einfach ignorieren, indem sie sich willkürliche Verwaltungsbezirke aus den verschiedenen Ge¬ meinden zurechtschneiden, so bildet trotz alledem weder Berlin noch jeder einzelne Vorort einen isoliert stehenden Berwaltungskörper; viel¬ mehr sind eine Reihe von Interessen dieser Gemeinden gemeinsam, ebenso wie die wirtschaftlichen, sozialen und beruflichen Interessen von Tausenden von Einwohnern gleichzeitig der Berliner und einer oder mehreren Vorortgemeinden angehören. Daß dies insbesondere auf die Verkehrsverhättnisse zutrifft, bedarf keines Beweises.

Aber abgesehen von den Interessen der Oeffentlichkcit, können auch die Privatinteressen der Verkehrsunternchmungen aus der an¬ geführten Statistik manche Schlüsse ziehen, vor allem den, daß das finanzielle Erträgnis solcher Unternehmungen auf den zur Zeit be¬ stehenden Linien der inneren Stadt seinen Höhepunkt bereits überschritten haben dürfte, und weitere Steigerungen des Verkehrs hier nur auf Kosten der Einnahmen herbeizuführen sein werden. Anders liegt dies im Verkehr mit den Vororten. Hier aber möge bei dieser Gelegenheit eine auffallende Thatsache kurz erwähnt

werden, daß nämlich Verkehrsunternchmungen und Bauunternchmungen trotz ihrer ganz augenfälligen Zusammengehörigkeit in Berlin nicht zusammengehen. Eine Gesellschaft, die sich die Be¬ bauung und Besiedelung eines bestimmten Teiles eines Vorortes und gleichzeitig dessen Verkehr mit Berlin zur Ausgabe machen würde, sicherte die Existenz beider Unternehmungen, während wir jetzt neue Ansiedelungen (z. B. am Lietzensee) entstehen sehen, ohne Verkehrsmittel, und neue Verkehrsmittel (z. B. die südliche Vorort¬ vr. E. Hirschberg. bahn), ohne Ansiedelungen. **) Besser noch kann das Zentrum auch folgendermaßen nn,schrieben werden: Wilhelmstraße von der Kochftraßc nördlich, Rene Wilhelm-, Luisen-, Philipp-, Oranienburgerstraße, Hackcscher Markt, Stadtbahn über «lexandervlatz bis Fanonntzbrückc, Brücken-, Reander-, Oranienstraßc (vom Moritzplatz) und Kochftraßc.

***) Dieser Nussatz ist nicht zu dem Zwecke geschrieben, neue Berkehrslinicn in Borschlag zu bringen, doch sei beincrkt, daß sich nach dem gegenwärtigen Stand der Verkehrsmittel und

der Bevölkcrungsverhältnisse Untergrund- oder Hochbahnen vom Zoologischen Garten (von llharlottenburg-Rord herkommend), sowie voni Rollcndorf-Platz aus nach de:» Letpzigrr-Piatz, von hier aus nach dem Alerander-Platz, dann bis Weißensee cmpsehlen würden, ferner vom Görlitzer-Bahnhos über die Oranienstraßc, Fricdrichstraße nach de:» Wedding (Tegel) sowie dem Stettiner- und Rord-Bahnhos, Treffpunkt Leipjigerstraße.

722

|£$jjpipjp

^ecnlletor) des fl|ap. Drum wir billig halten

Die Martinsgans in mittelalterlicher Porste. „Herbei, herbei zur Martinsgans! Herr Burckardt mit den Brezeln — jubilemus, Bruder Urban mir der Flasche — eaniemu8, Et. Barrhel mit den Würsten — g»uäeamu8, Sind alle starke Patrone zur Martinsgans." (Altes Volkslied).

ftffieti jetzt im Zeichen des Martinsfestes, welches bekanntlich in des lieben deutschen Vaterlandes noch wie ehemals „tut. vollem Wer' gefeiert wird, wenigstens insoweit, als die leckeren Schmäuse i. B-uracht kommen. Das hauptsächlichste Gericht des fest¬ lichen Tages „Martin" bildet aber die feiste Gans, welche sowohl in natura gebraten, wie auch in Kuchenteig gebacken vertilgt wird. Dieser löbliche Brauch der martinstäglichen Gänsevertilgnng erstreckt sich heute fast noch über das ganze germanische Europa, besonders über Deutsch¬ land, einen Teil Oesterreichs, Skandinaviens, Englands, Frankreichs und Böhmens, und läßt sich hinsichtlich seines Alters ziemlich weit in die Vorzeit hinauf verfolgen. Bereits ans den altnordischen Nnnenstäben der christlichen Zeit wurde der Gedenktag (11. Novembers des heiligen Bischofs Martin von Tours (ch 402) durch eine Gans bildlich dargestellt, eine symbolische Erscheinung, die nicht minder in den mittelalterlichen Heiligenbüchern, ja selbst noch in den Tyroler Bauernkalendern wahr¬ genommen wird. Die älteste urkundliche Erwähnung der Gans selbst geschieht durch den Corveyer Mönch, der unterm Jahre 1171 in seinen handschriftlichen Klosterannalen berichtet, daß Herr Othelrieus von Saalenberg am Feste des heiligen Martinus, deren Verbrüderung er angehörte, eine silberne Gans zum Geschenk übereignet habe. Als nun jene Zeit in Worms die St. Martinuskirche errichtet wurde, da setzten die meisterlichen Erbauer eine metallene Gans aus die hohe Firste ihres

jjjk'

i?*ti



Daches. Diese Thatsachen beweisen zum Teil schon die hohe Verehrung, welche ehemals der Gans des heiligen Martinus gezollt wurde. „Der beste Vogel, den ich weiß. Das ist die fette Gans, Sie hat zwei breite Füße, Dazu den lange» Hals

Und noch ihr Stimmlein süße. Ihr Füß' sein gel, Ihr Stimm ist hell.

Der Hals ist lang

Wie ihr Gesang: Gickgack, Gickgack, Gickgack, Gickgack,

Wir

singen am Sankt Martinstag." wird in der alten Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn" voll Begeisterung das Lob der Martinsgans gesungen, und zwar nur wegen ihres wohlschmeckenden Fleisches. Dieser praktischen Meinung, das man gerade im ernteschweren Herbst den Gänsen zu Leibe gehe,

Mit

diesen Worten

„Weil

alsdann recht flück im vollen Fleische stehn, Auch von der Weide ab und in die Ställe gehn," wie der weiland geistliche Poel Büttner, Pfarrer zu Effelder, behauptete, sie

könnte man leicht zuzustimmen versucht sein, wenn nicht mythologische Gründe in Betracht fielen. Die Gans war nämlich im germanischen Altertum ein dem hohen Götterpräsidenten Wodan geweihter Vogel, und als im christlichen Zeitalter der heilige Martinus an die Stelle jenes himmlischen Machthabers trat, da mußte dieser auch die unvermeidliche Gans mit übernehmen. Der alles umdichtende Volksmund hat sich jedoch andere Erklärungen für die nahe Beziehung des Heiligen von Tours zum schwimmfüßigen „Vogel des Hofes" zurecht gelegt. Da sollen bei der großartigen Be¬ erdigungsfeier des Bischofs (11. Nov. 402), an welcher gegen 2000 Mönche teilgenommen hatten, eine fabelhafte Menge Gänse verzehrt worden sein, während andere Gerüchte vermelden, daß jene schnatternden Flügel¬ geschöpfe einstmals den im Freien predigenden Seelenbirten durch überianles Geschrei gestört und somit ihren unfreiwilligen Tod verschuldet hätte». Die verbreitetste Legende hingegen will wissen, St. Martin sei am Tage seiner Bijchofswahl, deren er sich seines jugendlichen Alters wegen durch Verkriechen zu entziehen bestrebt gewesen sein soll, infolge geräuschvollen Lantbnrwerdens einer nahen Gänseschar in seinem Versteck verraten und damit zur Annahme des geistlichen Amtes veranlaßt worden. „Und so verfolgt sie sein Schatten bis auf den heutigen Tag, wie er sie noch in der Stunde, als er starb, verfolgte, wo er alle, die man greifen konnte, zu schlachten befohlen haben soll." Nachstehendes Volkslied allen Stils besingt diesen sagenhaften Vorgang in humor¬

voller Manier:

f

„Wann der heilige Sankt Martin Will der Bijchofsehr entflieh», Sitzt er in dem Gänsestall, Niemand findt ihn überall, Bis der Gänse groß Geschrei Seine Sucher ruft herbei.

Nun dieweil das Gickgackslied Diesen Heilgen Mann verriet. Dafür thut am Martinstag Man den Gänsen diese Plag, Daß ein strenges Todesrecht Gehn muß über ihr Geschlecht.

auch

Diesen alten Martinsbrauch, Laden fein zu diesem Fest Unsre allerliebsten Gast Ans die Martinsganslein ein Bei Musik und kühlem Wein."

Eine fast gleichinhaltige Stelle der Uhlandschen Volkslieder spricht mit folgenden Worten kürzer über diese historisch unnachweisbare Begebenheit aus: „Was haben doch die Gänse gethan. Daß so viele müssen's Leben lan? Die Gans mit ihrem Ladern sich

Sant Martin Han verraten, Drum thut man sie braten." Der Martinsschniaus fand seit alters her vorwiegend am Vorabend des eigentlichen Gedenktages statt, doch dauerte das solenne Fest selbst in der Regel mehrere Tage. Jung und alt beteiligte sich an den über¬ lieferten Feierlichkeiten, die meist familienweise, im Beisein des Haus¬ gesindes, abgehalten wurden.

Oftmals finden wir das Trinken der altherkömmlichen Martins¬ minne in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Verzehren der Martinsgans. So heißt es auch in G. Försters „Frischen Liedlein" vom Jahre 1540:

„Nun zu diesen Zeiten Solln wir alle fröhlich

sein,

Genßvögel bereiten, Dazu trinken ei» guten Wein, Singen und hofieren

In

St. Mertens Ehr!"

Eine rosige Weinlaune macht es erklärlich, daß die deutschen Kreuz¬ fahrer, welche anno 1179 vor der fernen Hafenstadt Joppe im heiligen Lande lagen und hier den von Haus aus gewohnten Martiusschmaus hielten, während der noch übrigen Nachtstunden so „fest und uner¬ schütterlich" schlafen konnten, daß die feindlichen Muhamedaner mit Hilfe eines verräterischen Syrers in hellen Hansen zu den Thoren eindrangen, die schnarchenden „Franken" niedermetzelten und sodann die Stadt schleifte», welche völlig unbewacht war. Ja, bei einem mittelalterlichen Martinsschmause ging es meistens hoch her, und schon vor 300 Jahre» machte sich ein bayrischer Prediger Gedanken, „woher es doch kommen, daß fast in der ganzen Christenheit die Mantins Gans bey grossen und kleinen, Jungen und Alten, Reichen und Armen so gar über die Massen in ehren gehalten wird, das männiglich von derselbigen gern thut höre» singen und sagen, noch viel lieber essen und doch nit wissen, woher eß kvmbt oder ivarnmb es geschieht." Indes, die kulturbeleckte Gegenwart hält diese spütherbstliche Sitte heute noch in Ehren. Die schmausenden Teilnehmer denken und singen wie ehedem:

„Martin, lieber Herre, nun laß uns fröhlich sein Heut zu Deiner Ehre und durch den Willen Dein. Die Gans sollst Du uns verehren und auch den kühlen Wein,' Gesotten und gebraten: sie müssen all herein!" Oder sie toasten zum Schluß: „Wir sind fürwahr doch keine dummen Hänse; Uns schmeckt ein gut Gericht. Triumph! Triumph! Es leben alle Gänse, Nur die gebratenen nicht!"

Elektrische Schleppschiffahrt. ie Elektrizität beginnt sich sie zu

im Kanalbetrieb ein neues Arbeitsgebiet

nunmehr vollendeten S erobern. Fand kürzlich bei Dortmnnd-Emskanal zum erstenmal zur Bedienung von Schleusen An¬ wendung,

dem

durch Erfindung einer elektrischen Schlepplokomotive ans dem eingeschlagenen Wege ein weiterer bedeutender

so ist jetzt

für Kanalschiffe

Schritt vorwärts gethan. Mit staatlicher Unterstützung hat die Firma Siemens & Halske in der Nähe von Eberswalde am Finowkanal eine Versuchsanlage für elektrische Schleppschiffahrt errichtet. Die Versuche wurden mit zwei verschiedenen Systemen ausgeführt, deni des Amerikaners Lnmb und dem von Küttgen. Die Wahl der etwa 1000 Meter langen Nersnchsstrecke war so getroffen, daß auf ihr die charakteristischen Hindernisse, wie Brnckenpassagen, starke konkave und konvexe Krümmungen, sowie eine Ladestelle vorkamen. Der Betrieb beider Systeme erfolgt durch Gleichstrom von 500 Volt. Bei dem Lambschen System werden die Schiffe durch kleine Lokomotiven gezogen, die auf einem ungefähr 4 bis 5 Meter über dem Treidelweg an starken Holzmasten befestigten Tragseil von 32 Millimeter Durchmesser laufen, und die sich an einem zweiten, bedeutend dünneren, ebenfalls ruhenden Zugseil von 16 Milli¬ meter Durchmesser vorwärts winden. Diesem wenig anpassungsfähigen amerikanischen System gegenüber weist das neue Kültgenjche System Danach gestaltet sich die elektrische Schl"""gewisse Vorzüge auf. is dem Treidel schiffahrt folgendermassen: Längs des Kanals läuft eine schmalspurige Schienenbahn, ans der sich eine kleine elektr .. Diese erhält ihren Betrio; ström durch Lokomotive bewegt. Rolle, die, entgegen der üblichen Anordnung, auf der oberen Seite 's Kontaktdrahtes gleitet und ebensogut vorwärts wie rückwärts l .st. ■

■■

5tc ungefähr 2000 Kilogramm schwere Lokomotive ruht mit ihrer Hauptlast uur auf einer Schiene, während die andere als Führung dient und fortfallen kaun, wenn der Treidelweg chauffiert ist. In diesem Fall erhält die Lokomotive zwei größere Räder mit glattem Mantel und läuft damit wie ein Wagen auf dem Weg, während das andere Räderpaar auf der einzigen Schiene geht. Seitlich an der Lokomotive ist ein Sitz für den Führer angebracht, von dem aus der letztere den Kanal bequem überblicken kann. Mit seiner linken Hand bedient er den Anlaß- und Regelnngsapparat, mit der rechten die Bremse. Der Angriffspunkt des Treidelseils an der Lokomotive liegt ungefähr 1 Meter über dem Gleis: es läuft alsdann nach oben gerichtet zum Schiff, wo cs am dem bis 5 Meter hohen Treidelbanm befestigt wird. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von 4 bis 5 Kilometern in der Stunde, die sich der höchsten zulässigen Fahrgeschwindigkeit der Kanal¬ schiffe, 5 Kilometer, nähert, zieht die Lokomotive 600 Kilogramm. Diese Kraft genügt zur Bewegung von drei vollbcladene» oder zwei beladenen

sich die Schriftstellerin Franziska von des früheren Theaterdirektors Blumenreich vom Theater Alt-Berlin und vom Theater des Westens, ans dem vierten Stock eines Gasthofs in der Krausenstraße aus dem Fenster und starb auf der Stelle. Nahrungssorgen und Krankheit haben die Unglückliche, von der in den letzten drei Jahrzehnten zahlreiche Romane und Novellen erschienen sind, in den Tod getrieben. Am 30. Oktober wurde in Gegenwart der Kaiserin das Gemcinde-

Am 28. Oktober stürzte

Kapsf-Essenther, Gattin

und Pfarrhaus der Kaiser Wilhclni-Gedächtniskirche in der Achenbachstraße 18/19 sArchiteklen: Rcimarus und Hegel i feierlich geweiht.

Das Haus,

dessen

Bau 400 000 Mark

gekostet hat,

enthält Wohnungen eine Klcinkinder-

für die Geistlichen, einen Geineindesaal von 180 qm,

bewahranstalt, eine Diakonissenstation und Räume für Vereinszwecke und den Konfirmandenuntcrricht. Am 31. Oktober starb im 48. Lebensjahre der königliche Banrat Joseph Wieczorek, der seit 1890 als Garnisonbauinspektor thätig war und den gegenwärtigen Umbau der alten Garnisonkirche in- T>tz Neuen Friedrichstraße leitete. Am 1. November fand in Berlin zum erstenmale der Fernsprech¬

betrieb während der Nacht statt.

Am 2. November starb im 66. Lebensjahre der Geheime Sanitäts¬ rat Stabsarzt a. D. Mortier Feig. Stadtrat Kämpf hat wegen eines Augenleidens sein Amt nieder¬ gelegt. Er wurde 1896 zum zweitcnmale zum unbesoldeten Magistrats¬ mitglied gewählt, nachdem er 1887 bis 1892 bereits als Tladtral thätig geivesen. Während seiner ersten Amtsthätigkeit führte er die Geschäfte der Armendirektion, seil 1896 die der Waiscnverwaltung. Nach einer Nachricht der offiziösen „Berl. Pol. Kvrresp." ist endgiltig von den zuständigen Behörden entschieden ivordcn, daß die Königliche Bibliothek im Innern der Stadt bleibt, und daß der Neubau derselben auf dem sogenannten Akademicvicrtel, Unter den Linden, ausgeführt werden soll. Präsident vr. Bödiker ist von der Universität Göttingen zum voctor medicinae honoris causa ernannt worden im Hinblick auf die Verdienste, die er sich um die Durchführung der Arbeitervcrsicherung erworben hat. Die städtische Hauptstiftungskasse, die 109 Stiftungen mit einem Kapitalvermögen von mehr als 32 Millionen Mark verwaltet, denen hatte im Elatsjahr 1898 15 165 765 Mark Einnahmen, 11530 085 Mark Ausgaben gegenüberstanden. Der Stiftungskaffe find im -Etatsjahr 1898 1 884 203 Mark zugewendet worden.

Die elektrische Schleppschiffahrt. Während der Fahrt ans normaler und zwei leeren Finowkähncn. Strecke bietet die Lokomotive das in unserer Abbildung dargestellte Bild. Schwierige llferstellcn bei Fabriken, Ziegeleien oder Ladestellen passiert sic auf leichten Brücken.

Kunst und Wissenschaft. Theater.

Das Haus Kochstraße 67, in dem Friedrich von Raumer am 14. Juni 1873 starb und das bisher seinen Erben gehörte, ein Bau aus dem 17. Jahrhundert, wird demnächst niedergerissen. An dem Neubau, der geschäftlichen Zwecken dienen soll, wird eine Gedenktafel für Friedrich von Raumer angebracht werden, der von 1819 bis zu seinem Tode der Berliner Universität angehörte und der Entwickelung der deutschen Geschichtschreibung die Bahn gebrochen hat. Mit dem Hause verschwindet leider wieder ein Stück Alt-Berlin. Die Wiederherstellung des Treptower Parkes hat 161000 Mark gekostet, so daß an de» Ausschuß der Grwerbe-Nnsstellnng 1896, welcher der Stadt 160000 Mark für diesen Zweck bewilligt halte, 9000 Mark zurückgezahlt werden.

Das Deutsche Theater brachte am 4. November die Erstaufführung von Wolzogens und Oldcns „Gastspiel". Es war ein Mißgriff, einen alten Schatispielcr, bei dem es im Oberstübchen nicht mehr richtig zu sein scheint, zum Gegenstand einer Komödie zu machen.

Ter Niedergang

eines Künstlers hat immer etivas tragisches an sich, mag sich der arme Matin auch noch so komisch gebcrden. Der alte Dankelinann ist so ein geistig heruntergekommener Künstler: er tritt in irgend einem Provinz¬ theater ans und erlebt eine» durchschlagenden Durchfall. Dieses Mißeschick, das einem normal veranlagten Menschen die traurige Gewißheit cibrächte, das; cs mit der Kunst vorbei sei, spornt den Alten z» neuen Thaten an und wie ein Do» Quixote der Bühne zieht er von Mißerfolg zu Mißerfolg. Seine Thaten haben nun Ernst v. Wolzogen und HansOlden dramatisiert. Beide Autoren sind erprobte Bühnenpraktiker und sie haben alles gethan, um ein bühnengerechtes Stück und eine Rolle für Engels zu schreiben: sic haben sogar das ganze Arsenal der Theateranekdoten, die in Schauspielerkreisen von Mund zu Mund gehen, ver¬ wertet: allein eine wirksame Komödie haben sie nicht zustande gebracht. Berliner Theater. An ihren „Herren Söhnen" erleben OskarWalther und Leo Stein viel Freude. Das Volksstück mit dem einen Herrn Sohn, der studieren soll, aber nicht studieren will und dem andern, der studieren will, aber nicht soll, hat im Berliner Theater einen bedeutenden Erfolg errungen. Ist es auch in der Art gcbaltcn, wie die meisten Volksstückc seit undenklichen Zeiten, so hat es doch einen lebhaften, witzigen Dialog und bietet den Schauspielern sehr dankbare

Rollen. Am 3. November übernahm Oe.

Paul Lindau

die Direktion des Berliner Theaters. Intendant Prasch ist von derselbe» wegen Differenzen mit den, Finanzkonsortinin zurückgetreten.

Berliner Chronik. Der Kaiser, der am 28. Oktober die verstümmelten Denkmäler

in der Siegcsallec

besichtigte, hat bestimmt, daß dieselben nicht erneuert, sondern lediglich ergänzt werden, und in dieser Form als „ein Denkmal des Barbarismus" stehen bleiben sollen. — Zum Schutze der Denkmäler in der Siegesallee hat der Kaiser folgende Anordnungen getroffen: Abschluß der Nischen durch ein Kettenwerk, das während der Nacht den Zutritt zu den Denkmälern verwehrt: Anbringung eines Stacheldrahtgittcrs an der Rückseite, das durch Rankenwcrk und die Taxushecken dem Auge entzogen wird: Aufstellung von zwei Schntzmannsposten für je vier Nischen. Die Stadt Berlin wird die Sicgcsallcc künftig während der ganzen Nacht elektrisch beleuchten.

Märkische Chronik. Rixdors. Am 1. November übernahm die Schutzmannschaft den polizeilichen Sicherheitsdienst in Rirdorf. Potsdam. Das große Militärwaiscnhans feierte in diesen Tagen sein 175jähriges Bestehen. Die Jubelfeier begann am 31. Oktober mit einem festlichen Akt, bei dem Oberlehrer Dickmann eine Ansprache hielt. Am Denkmal Friedrich Wilhelms I. im Lustgarten und ans den Särgen der Könige in der Garnisonkirche wurden Kränze niedergelegt. Die Hauptfeier, bei welcher der Grundstein zu einer Waisenhauskapelle gelegt wurde, fand am 1. November in Gegenwart des Kaiserpaares statt. — Das Militärwaisenhaus, ein Stiftung Friedrich Wilhelms I., hat seit seinem Bestehe» über 70 000 Waisen erzogen. Unter Friedrich dem Großen wurde der gegenwärtige Bau in den' Jahre» 1769—1774 errichtet. Die Zahl der Zöglinge, die ursprünglich ans 200 berechnet war, stieg während des siebenjährigen Krieges auf das Zehnfache. Das während der ersten hundert Jahre mit der Anstalt verbundene Mädchenwaisenhaus wurde 1829 nach Pretzsch a. E. verlegt. Unter K.iiser Wilhelm II. wurde das Waisenhaus durch Ankauf eines großen Gartens (hinter dem Lazarett) muntert.

Kleine Mitteilungen. Neue Funde in der Mark. Bei Erdarbeiten ans der Bahn¬ Sorau-Christianstadt ist im Walde in der Nähe von.Rissmenau

strecke

(Kr. Sorau) ein Urnenfeld biosgelegt worden. Es wurden mehrere Gräber aufgedeckt, die Gefäße waren aber meist zerbrochen, nur einige große Urnen mit Leichenbrand konnten unversehrt gehoben werden. Tie Gesäße zeige» den Lausitzer Typus, Beigaben waren nicht vorhanden. Da die Fundstelle in der Nähe von Friedersdorf liegt, wo mehrfach Gräberfunde gemacht worden sind (vergl. S. 467 d. Jahrg.), so scheint hier eine umfangreiche prähistorische Begräbnisstätte vorhanden zu sein. Tie Funde befinden sich in der Sammlung des Kantors Gärtner in Friedersdorf. Aus dem schon mehrfach ausgebeuteten Grüberfelde bei Zellin a.O. (Kr. Königsberg) sind in den Oktobcrfcrien neue Ausgrabungen vor¬ genommen worden, ivclche zahlreiche zerdrückte Urnen und eine Anzahl Steinwaffen und Bronzeschmucksachen zu Tage förderten. Die Fundstücke wurden in der Oktobersitzung des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Frankfurt a. O. von deut Finder, Lehrer Klittke, vorgelegt, der zu¬ gleich auch Funde von einer germanischen Herdftellc ans derselben

724

(»irgend Borüdgtc.

Unter den hier aufgelesenen Knochen find besonders

Reste eines Bibcrschädels, sowie solche starker Rehgehörne hervorzuheben.

In einer Kiesgrube bei Hohcnwartenberg (Kr. Königsberg) wurde ein Stück Bernstein im Gewichte von über 500 gr gefunden. Auf dem bereits bekannten Gräberfeld bei Lunow (Kreis Angcrmünde) ist, wie K. Brunner in den Nachr. üb. deutsche Altertumsf. X, H. 3. mitteilt, ein von kopsgroßcn Steinen umgebenes Skelettgrab aufgefunden worden, das 2 m lang und IV, m tief war. In dem Grabe lag frei in der Erde das mit dem Schädel nach Süden gerichtete Skelett und an der linken Seite desselben stand ein umgestülptes Gefäß von braunem, stellenweise angeschwärztem Thon. Das Gefäß ist 12 cm doch, hat einen zylindrischen Halstcil mit glattem Rand und trägt unterhalb des Randes einen wagerechten Zapfenansatz. Unter dem Halsteil erweitert sich das Gefäß etwas und geht dann in sanfter Wölbung nach unten zu) Verzierungen sind nicht vorhanden. Nach Brunn '? Ansicht gehört der Fund dem Ausgange der neolithijchen Zeu tu.. Tcr neb>'' rngszeit von der Steinzeit zum Metall scheint ein Fund c auf der bereits bekannte» Fundstelle Buchhorst bei Rhinow Wcsthaoelland) gemacht wurde (ct. a. D. 43 f.). Hier wurden bei einem Erdrutsch Teile eines Gefäßes sichtbar, das die Gestalt eines einhenkligen Kruges hatte. Unter dem etwa 1 rv tief im Sande stehenden Gefäße lag eine Schicht Holzasche mit Bronzeresten und Fcucrsteinsplittern, außerdem wurde ein scharfkantiges, gut geschliffenes Stein¬ beil aus Widaer Schiefer und eine trapezförmige Pfeilspitze aus Feuer¬ stein gefunden. Die Anordnung der Fundstücke im Erdboden läßt auf ein Grab mit Körperbestattung schließen. Diese, sowie die Fundstücke von Lunow befinden sich im Kgl. Museum für Völkerkunde. vr. G. Albrecht.

Dir Rousseau-Insel im Tiergarten

hat ihren Namen nach (1712—1778). Die Insel war in ihrer ursprünglichen Anlage aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts, wie sie der jüngere Sello herstellte, der unter Friedrich Wilhelm II. den Tiergarien in einen Park im englischen Geschmack verwandelte, eine getreue Nachbildung der Pappelinsel von Ermenonville bei Paris, auf welcher die Gebeine Rouffcaus am Tage seines Todes (2. Juli 1778) bestattet worden waren. Auf einem Kupferstiche, der die Rouffeauinsel zu Ende des 18. Jahrhunderts dar¬ stellt, erblickt man unter hohen Erlen eine einfache Urne, die die Er¬ innerung an den französischen Schriftsteller wach erhalten sollte. Die Benennung der Insel, die zu den schönsten Anlagen des Tiergartens gehört, ist ein Beweis für die große Begeisterung, die man vor der französischen Revolution den polnischen und sozialpolitischen Schriften Rousseaus, namentlich,seiner „Nouvelle Heloise“ (1759), seinem „Contrat social“ und seinem „Emile, ou de l’education“ (1762) entgegenbrachte. Mil diesen glänzend geschriebenen Werken bahnte Rousseau die Wege für die große Revolution, indem er die Unnatur der damaligen gesell¬ schaftlichen Zustände schonungslos bloßstellte, und die Sehnsucht nach Besserem und Edlerem, nach einer völligen Umgestaltung der sozialen Grundlagen erweckte. Das politische System eines abstrakten Radikalismus, das Rousseau aufstellte, erregte in Frankreich und auch in Deutschland einen Sturm der Begeisterung, der sich bis in die höchsten Kreise fort¬ pflanzte. So bat König.Friedrich II. im Jahre 1762, als das französische Parlament Rousseaus „Emile“ verbrennen ließ und den Verfasser des¬ selben gefangen nehmen wollte, den nach Genf geflüchteten Rousseau, er möge zu ihm nach Potsdam kommen,' doch zog der Philosoph den Aufenthalt bei Hume in England vor. Die Vorliebe des großen Königs für Rousseau aber teilte auch Friedrich Wilhelm II., und so erhielt die romantisch gelegene Tiergarleninsel Ansang der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ihren Namen nach Rousseau, der neben Voltaire der geistige Vater der großen französischen Revolution ist. Bei der Verjüngung des Tiergartens, die Lenne im Jahre 1833 begann, nahm die Rousseauinsel, das reizende kleine Eiland, um das sich im Winter die vornehme Welt im Eislauf tummelt, ihre gegenwärtige Gestalt an. dem französischen Schriftsteller

.

Jean Jacques Rousseau

Ein Sakulsrtsg. Vor hundert Jahren, am Berlin, wenige Tage vor Vollendung

starb zu

jahres, der

10 . November 1799, seines 64. Lebens¬

Schauspieler und Bühnendichter Johann Christian

Geboren am 15. November 1735 in Stettin, geistig gut begabt, aber flatterhaft, genoß er bei dem damalige» Stande des Schul¬

Brandes.

wesens allerdings nur dürftigen Elementar-Untcrricht und ward nach seiner Konfirmation zu einem Kaufmann in die Lehre gegeben, aus der ihn sein Leichtsinn jedoch bald genug vertrieb. Wegen' Untreue ent¬ lassen. irrte er nun völlig mittellos von Ort zu Ort, durchstreifte Preußen und Polen und mußte schließlich, um nicht ganz im Elend umzukommen, zu jeder Arbeit sich bequemen, die sich ihm gerade bot. So ward er nacheinander Tischlcrlchrling, Futterjunge bei einem Viehzüchter, Lauf¬ bursche und Handlanger, erst bei einem Quacksalber (Zahnbrecher), dann bei einem Tabakskrämer, und zuletzt Bedienter bei einem vornehme» Herrn. Don diesem kam er im Jahre 1756 nach Lübeck, wo er sich bei der Schöiiemannschen Theatergesellschaft um ein Engagement bewarb und ein solches auch wirklich erhielt. Hier wurden jedoch, da die Ge¬ sellschaft zu den bestrenommierten gehörte und durchweg aus vorzüglichen Kräften bestand, Anforderungen an ihn gestellt, denen er nur sehr un¬ vollkommen zu genügen vermochte. Nach einem Jahre inußte er seine Stelle aufgeben, worauf er nach Altona ging und hier, zur Ab¬ wechselung einmal, Zeitnngsredakteur ward, dann aber, nachdem er sich auch in diesem Fache genugsam versucht, als Schreiber bei dem Dichter Johann Mathias Dreyer in Hamburg Unterkunft fand. Dieser stets schlagfertige Witzbold, eine der absonderlichsten Erscheinungen am deutschen Poeteuhimmel, war seines beißenden Spottes wegen mehr gefürchtet als beliebt, und als seine „Schöne Spiclwcrke beim Wein, Punsch, Bier und Kranibamboli" 1763 erschienen, da fand die Obrigkeit in dieser Sammlung gereimter Toaste so viel Anstößiges, daß sie auf öffentliche Verbrennung des Buches erkannte, ein Verdikt, das auch sofort unter dem Geläute der Schandglocke auf dem Henkcrsblocke zur Voll¬ Verantwortliche Redakteur: vr. M.

Folticineauo,

Für Brandes hatte der Umgang mir Dreyer streckung gelangte. zweifellos einen wesentlichen Vorteile er konnte hier sein lückenhaftes Wisse» ergänzen, seinen Geist schärfen. Trotzdem sah er sich, als er jenen verließ, wieder genötigt, eine Bedientcnstelle anzunebmen, und erst aus dieser gelang ihm der Uevergang in das Bühnenleben, dem er seitdem unausgesetzt seine Thätigkeit widmete. Mit der Gesellschaft des älteren Franz Schuch, der er in Stettin beitrat, und die in dem Ballettmeister Carioni eine unwiderstehliche Anziehungskraft besaß, weilte er dann längere Zeit in Berlin, Breslau, Danzig und Königsberg i. Pr. In dieser Periode schrieb er seine ersten Lustspiele, „Der Zweifler" und die „Die Entführung", sowie den Roman „Die Folgen der Großmut und Redlichkeit", den einzigen, den er verfaßt hat. Das Jahr 1764 führte ihn wieder nach Berlin, ivo er von Döbbelin, dem eigentlichen Begründer einer stehenden Berliner Bühne, engagiert wurde und mit Lessing in engere Verbindung trat. Im Juli 1768 ging er nach Hauiburg zurück und spielte später unter Seyler, einem hervorragenden Mitg'liedc und nachmaligen Leiter des berühmten Ackermannschcn Ensembles, in Hannover, Leipzig, Dresden und Mannheim, von wo er 1781 wieder nach Hamburg zurückkehrte. Hier führte er in den Jahren 1785/86 die Direktion des Theaters mit Umsicht und Geschick; gute Vorstudien hatte er ja in Mannheim gemacht, wo ihn; die Geschästsleitung ebenfalls anvertraut geivcsen war. Sehr schwere Schickjalsschläge trafen ihn im Jahre 1788: er verlor durch den Tod seine Gattin und seine einzige Tochter, beide geschätzte Sängerinnen, letztere (Charlotte Wilhelmine Franziska, geb. zu Berlin am 29. Mai 1765) überdies auch eine hochbegabte Schauspielerin von Bedeutung. Diese unersetzlichen Verluste bestimmten ihn, sich nunmehr ganz von der Bühne zurückzuziehen. Er verließ Hamburg und nahm seinen Wohnsitz zunächst wieder in Stettin, seiner Gcburtsstadt. Hier lebte er bis 1793 und darauf bis zu seinem Tode in Berlin. — Als Schauspieler hat Brandes hervorragendes nicht geleistet. Dagegen ge¬ hört er unstreitig zu den produktivsten dramatischen Schriftstellern seiner Zeit, und seine zahlreichen Arbeiten zeugen von ebenso ernstem Charakterstudium ivie von gründlicher Bühncnkenntnis. Als die vorzüglichsten davon gelten das Schauspiel „Der Graf v. Olsbach", das Lustspiel „Der geadelte Kaufmann" und das Melodrama „Ariadne auf Naxos". Letzteres, das er vorzugsweise dem schauspielerischen Talente seiner Frau angepaßt hat, war der erste Versuch in diesem Fache, der auf dem deutschen Tbcater Glück machte. Kurz vor seinem Tode schrieb er noch eine sehr anziehende und belehrende Selbstbiographie, die 1799/1800 Sie umfaßt 3 Bände und erschien 1802/5 in veröffentlicht wurde. Eine Gesamtausgabe der Brandcsschen Werke, in zweiter Auflage. 8 Bänden, ist 1790/91 in Berlin erschienen. Außer den bereits oben genannten Stücken finden wir darin noch 12 Lustspiele („Der Zweifller", „Die Entführung", „Ter liebreiche Ehemann", „Die Hochzeitsfeier", „Was dem einen recht, ist dem andern billig", „Die Erb¬ schaft", „Der Gasthof", „Unbesonnenheit und Irrtum", „Der Hagestolze", „Die Irrtümer", „Ter Landjunkcr in Berlin", „Die Komödianten in Ouirlequitsch"), 4 Schauspiele („Ter Landcsvatcr", „Constanze v. Detmold", „Die Mcdizeer", „Ino") und 5 Trauerspiele („Ottilia", „Olivie", „Rahcl, oder: Tie schöne Jüdin", „Aldcrson", „Der Schiff¬ bruch"). — Die höchst schätzbaren Kompositionen seiner Tochter wurden bald nach deren leider so früh erfolgtem Tode in Hainburg heraus¬ Eduard Fecht. gegeben.

Vüchertisch. Tausend-Bilder-Bibel. Teutsche Dcrlngsanstalt Stuttgart. Das im Verlage der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart erscheinende volkstümliche Bibelwerk, die „Tausend-Bilder-Bibel", ist nunmehr bis zur 5. Lieferung (insgesamt erscheinen 40 Liefcrunen zu je 40 Pfennig) und damit textlich bis zum Abschlüsse der Serie der vier Evangelien ge¬ diehen. Was die erste Licserung versprochen, haben die vier nach¬ folgenden gehalten: je weiter das Werk fortschreitet, desto schöner gestaltet sich die Uebersicht, die es uns über das bietet, was Künstlerhand seit Jahrhunderten zur Verherrlichung des „Buches der Bücher"

geschaffen. Fast keiner der großen Meister, die sich diesem Zwecke ge¬ widmet, ist übergangen, von der umbrisch-florcntinischcn Schule an bis zu de» heutigen Tagesgrößen. Namen wie Raffael, Guido Reni, Tizian,

P. Veronese, Murillo, Rubens, Thorwaldsen, Dietrich, G. Richter, Pfannschmidt, Plockhorst, E. v. Gebhardt und F. Uhde begegnen uns beim Umwenden fast jedes Blattes. Vortrefflich hat sich auch die Ein¬ richtung bewährt, daß neben den Nachbildungen der klassischen Kunst¬ werke Abbildungen einhergehen, die zur Erläuterung des Textes dienen, wie die Wiedergabe von alten Münzen und die landschaftliche Dar¬ stellung der im Texte erwähnten Ocrtlichkciten.

Ave, Imperator! Roman von

Max Kielmann

1899.

I.

Haardt. Stuttgart. Verlag von

In die Wunderwelt des kaiserlichen Roms zur Zeit Neros führt uns der Verfasser und schildert uns mit einfachen, aber kühnen Strichen das Leben und Treiben im vornehmen römischen Hause, die Gärung unter den alten Patrizier» und die heimlichen Zusammenkünfte der Christen in den Katakomben. Die Ausmalung des Sieges, den die christliche Liebesidee über den starren Götzendienst der Römer allmählich erringt, nimmt den breitesten Raum in dem Werke ein. Die Absicht des Verfassers, uns Nero inenschlich näher zu bringen und aus seinem Licbesschnierz seine späteren wahnsinnigen Thaten zu erklären, hat sicher viel für sich, obwohl cs uns etwas seltsam anmutet, den verbrecherischen Wüstling als treuen, schmachtenden Liebhaber zu sehen. Die Schreib¬ weise ist leicht und einfach, wenn auch der Anfang des Werkes an einer übergroßen Fülle schmückender Beiwörter leidet, der Gedaukengang ist klar und durchsichtig, und man kann das Buch selbst der reiferen Jugend ruhig in die Hand geben.

Berlin. — Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berti»

SW., Reueuburgcr Strohe

Ua.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Ur 46.

Sonnabend, 18. November 1899.

Roman von Rudolf Llcho. (F-rlsetziinj,.)

__. ____ ..

aller, der bis dahin schnell nnd leidenschaftlich gesprochen, hielt jetzt an und stieß einen tiefen Seufzer aus. Seine M Blicke richteten sich auf Bettinas Gesicht, und dann sagte er nach langer Pause mit seiner sonoren, von wehmütigem Empfinden

Ihre Hand

durchzitterten Stimme: „Ich weiß eine Frau, die mich erretten, erheben und zu großen Thaten begeistern könnte, und mein Herz schmachtet, verzehrt sich in Liebe und Sehnsucht nach ihr." — Er ergriff Bettinas Hand nnd fühlte, daß diese zitterte. Dadurch kühn ge-

Hallers, von sinnlicher Glut durchlohte Rede wühlte Bettinas Seele in ihren Tiefen auf. Trotz der Stille und Einsamkeit des Orts war es ihr, als erlebe sie eine Gewitternacht mit Donnerschlägen und flammenden Blitzen. Ihr ganzes Wesen war in

's

I

^

Seien Sie ehrlich gegen mich und gegen sich selber, und Sie mir frei, ob Sie mich lieben. Diese Stunde kann entscheidend werden für unsere Zukunft, die Schicksalslose sind in schleiern. gestehen

gegeben."

Die Hubertusjagd im Grunewatd: Der Eber durchschwimmt den Grunrwsldsee. macht, fuhr Haller leidenschaftlich fort: „Auch Sie, Bettina, hat das grausame Schicksal in eine unwürdige Stellung gebracht. An der Seite eines Mannes, der Ihre glänzende Begabung nicht zu schätzen, Ihre hohen Bestrebungen nicht zu fördern versteht, müssen Sie verkümmern und verderben wie ich selber. Vereint könnten wir uns erheben zum Sonnenflug; denn das weiß ich jetzt, daß unsere Seelen sich im vollen Einklang befinden, daß Sie meine Fähigkeiten richtig erkannt haben, und daß Sie mich für die höchsten Aufgaben entflammen könnten durch — Ihre Liebe. Ach, Bettina, Sie müssen es längst wissen, daß es mehr als Freund¬ schaft, daß es heiße, brennende Liebe ist, die ich für Sie fühle. Wenn ich Ihren Namen höre, fliegt schon ein Schauer über meine

Anblick berauscht und entzückt mich, und für Ihren Welt aus ihren Angeln heben." Er zog sie ungestüm an seine Brust, und trotzdem sie sich sträubte und einen leisen Schrei ausstieß, preßte er seine Lippen auf ihre Wangen und den halbgeöffneten Mund. „Bettina," fuhr er hastig fort, „in dieser Stunde habe ich Ihnen mein Leid, mein heiligstes Gefühl, mein letztes Geheimnis offenbart, so darf ich denn auch von Ihnen fordern, daß Sie mir Ihr Inneres entNerven,

Ihr

Besitz könnte ich die

sie sagte sich das lautlos, was Haller ihr zugerufen: entscheidend werden! Ja, sie stand am Wende¬ kann Diese Stunde punkt ihres Lebens. Der Gedanke erschreckte und überwältigte sie derart, daß sie die Augen schloß nnd ihren Kopf auf einen Augen¬ blick gegen des starken Mannes Schulter sinken ließ) als er aber wieder ihre Wange küßte und in gepreßtem Tone die Frage wiederholte: „Bettina, liebst Du mich?" da raffte sie all ihre Seelenkräftc zusammen, richtete sich straff auf und wehrte seine

Aufruhr, und

Liebkosungen von sich ab. Ihre Stimme klang rauh vor innerer Erregung, als sie endlich Antivort gab: „Ja, ich liebe und be¬ wundere Dich, Gregor Haller, und in diesem Augenblick weiß ich kaum, ob meine Liebe größer ist oder meine Bewunderung." Er stieß einen Freudenschrei aus und wollte sie wieder in seine Arme ziehen, sie aber trat zurück und sagte in weichem Ton: „Nicht so, Liebster! Demütige nicht das Weib in mir. Diese Stunde ist zu ernst, zu heilig, als daß wir unlauteren Gedanken Raum geben dürften. Ja, ich lebe der Ueberzeugung, daß wir für Dir lebt die Kraft und Herrlichkeit einander erschaffen sind. des Uebermenschen, und wenn es meiner opferbereiten Liebe gelänge.

In

Dich aus der Enge nnd Rot Deiner jetzigen Lage zu befreien.

726

wenn ich Deinem Genius die Flügelweite verschaffen und Dich für hohe Ziele begeistern könnte, so erfüllte ich die beglückendste Mission. Um dies zu können, muß ich aber Deiner Liebe und Treue gewiß sein; darum sag' mir aufrichtig: ist es eine flüchtige Wallung, ein Sinnenrausch, der Dich zu mir hinzieht. Ist Deine Liebe stark und unerschütterlich-" „So stark wie der im Meer jeder Sturmflut Trotz bietende Fels. Die Erde hat für mich kein größeres Glück zu vergeben als Deinen Besitz. Bettina, wenn Du „Horch, Schritte! Laß uns den Park verlassen. Ich möchte nicht zu dieser Stunde, an so einsamer Stelle, irgend einem Menschen begegnen.." — Sie zog den widerstrebenden Begleiter mit sich fort, gelangten bald auf die Chaussee, wo sie sich trennen miißwu reichte Haller die Hand und sagte in feierlichem .cht, Gregor. Der Würfel ist gefallen. Du sollst Tone „G. erfahren, da;: ich um unserer Liebe willen zu jedem Opfer bereit bin." Sie schritt mit erhobenem Kopf und elastischer Bewegung durch die Dänimerung; denn ihr schien es, als trüge der Abendwind jubilierende Stimmen zu ihr hin, als vernähme sie ans der Ferne ein Hosianna. Nun war mit einemmale Klarheit da — eine beseligende, ihr ganzes Leben erhebende Klarheit: Sie liebte, liebte zum erstenmale mit aller Glut ihres Herzens den herrlichsten Mann. Nun verstand sie ganz jene Unruhe, Sehnsucht und Oual der vergangenen Tage. Es war der Widerstreit zwischen Pflicht und tiefer Leidenschaft gewesen, der schon längst ihre Seele in Gärung gebracht, über den sie sich aber wegzutäuschen versucht hatte. Nun endlich war es entschieden. Diese Liebe hatte ihr Inneres ganz entflammt, und nur der Tod, so glaubte sie, konnte dies heilige Gefühl verlöschen. Haller sah ihr eine Weile nach; dann murmelte er: „Ein göttliches Weib! Sie faßt nur die Sache gar zu pathetisch auf!"

wüßtest-"

VUI. Bettina kehrte an diesem Abend mit dem festen Entschluß in ihr Heim zurück, sich von dem ungeliebten Gatten loszusagen und am nächsten Tage den bewunderten Uebermenschen von der Gefahr des Untergangs zu erretten. Völlig im Bann von Hallers be¬ strickender und sieghafter Persönlichkeit stehend, sagte sie sich, daß nur der Heroismus die Pein und das Herzweh, das von der Aus¬

führung ihres Vorhabens untrennbar sei, überwinden könne. Sie aber wollte sich erheben zu heldenhafter Größe. Galt es doch ein hohes Ziel, ein lang ersehntes Glück zu erreichen. Bei dem Ge¬ danken an die Trennung von ihren Kindern krampfte sich zwar ihr Herz zusammen, aber sie hoffte, daß sie Walter wenigstens behalten könne; diesen Knaben dachte sie im Verein mit Haller zu einem herrlichen Menschen zu erziehen. Sie war überzeugt, daß Konrad Geister sie in Frieden ziehen lassen werde, sobald sie ihm ehrlich eingestanden, daß ihr Herz nicht mehr ihm gehöre, daß sie erst jetzt erkannt habe, was Liebe sei; hatte er doch selber einst erklärt, daß die Ehe ohne Liebe für einen der beiden Gatten zur Knecht¬ schaft werden müsse. Wie aber sollte sie Lona gegenübertreten? Wie durfte sie an die Freundin die ungeheuerliche Forderung stellen, sie möge den größten aller Männer freigeben, möge auf den Vater ihrer Töchter verzichten? Ein Schauder rieselte ihr übers Herz bei dem Gedanken an den Zorn und die Verzweiflung der Frau Hallers. Und doch mußte auch dieser Schritt gethan werden. Es galt, Lona zu überzeugen, daß es unmoralisch und verwerflich sei, einen Mann zu verderben, der, von jeder Fessel befreit, zum Vorbild und Lehrer der Menschheit werden könne. O, sie wollte alle Be¬ redsamkeit aufwenden, um zu beweisen, daß Gregor nur an ihrer Seite glücklich, groß und bewundert werden könne. Auf den Knieen und unter heißen Thränen wollte sie die Freundin beschwören, Haller von der Ehefessel zu befreien. Und Lona mußte ihrem Ver¬ zweiflungsschrei Gehör geben, sie konnte nicht zwei Menschen ver¬ derben wollen, die ihrem Herzen so nahe standen. Als Bettina unter solchen Erwägungen ihre Wohnung betrat, sie die Absicht, ihrem Mann gleich nach dem offenes Geständnis abzulegen. Geister aber begrüßte und befand sich in so heiterer Stimmung, daß sie fand, ihm das Schreckliche zu sagen: so zwang sie

hatte

Abendessen ein sie

so

liebevoll

nicht den sich

zu

Mut einem

Lächeln, und als er gemeinschaftlich mit ihr die Kinder zu Bett brachte und diese das Abendgebet sprechen ließ, erstickten ihr Thränen die Stimme, und sie konnte nicht „Gute Nacht!" sagen. Dafür aber küßte und umarmte sie die Kleinen leidenschaftlich. Bei der Rückkehr ins Speisezimmer ließ Bettina die Blicke über die traulichen Räume gleiten. Durch transparente Schirme fiel gedämpftes Licht auf die weichen Teppiche, die Bilder und Statuetten, die formenschönen Möbel und glänzenden Vasen, und sie sagte sich unter starkem Herzklopfen: dies schöne Heim, in dem Du mit Deinen lieben Kindern und dem seelensguten Mann so manche frohe Stunde verlebt hast, mußt Du bald für immer ver¬ lassen. Es wurde ihr so weh ums Herz, daß sie hätte schluchzen mögen; allein sie raffte sich auf in dem Gedanken: große Ziele fordern große Opfer! Sie wollte stark und hart sein, hatte doch Nietzsche — in ihren Augen der hervorragendste unter allen modernen Denkern — sie das Mitleid verachten gelehrt. Mitleid war Schwäche, Mitleid war das große Hemmnis auf dem Wege der Zivilisation, von Mitleid durfte der Starke nicht bewegt werden, sofern er eine Führerrolle zu übernehmen gedachte. Als sie nun Geisler beim Kamin gegenüber saß, sagte sie sich heimlich: „Jetzt vollbring' es!" — Schon wollte sie die Lippen öffnen, da bemerkte ihr Mann mit einem warmen, besorgten Blick auf ihr Gesicht: „Du bist auffallend blaß, mein Herz, fühlst Du Dich nicht wohl?" — Bei dieser Frage ergriff er ihre Hand und drückte einen Kuß darauf. Und Bettina war es dabei zu Mute wie einem Ver¬

urteilten, dem eine Galgenfrist bewilligt wird. „Ich hab' mich wohl beim Schlittschuhlaufen stark übermüdet," erwiderte sie, „und habe Kopfschmerzen." „Dann begieb Dich bald zu Bett."

„Ich werde jetzt noch nicht schlafen können." „So laß uns eine Partie Halma oder Domino spielen, das bietet

Dir

eine Ablenkung."

Bettina setzte sich mit dem Gatten an den Tisch, und als sie zweimal im harmlosen Halmaspiel besiegt worden war, sagte sie:

„Die

Kopfschmerzen zwingen mich doch, Gute Nacht, mein Freund."

das Schlafzimmer auf¬

zusuchen.

„Gute Nacht, Liebste, hoffentlich befreit Dich der Schlaf von allen Schmerzen." — Er küßte sie zärtlich auf die Stirn, und Bettina verließ ihn mit dem Gedanken: „Ich werde das erlösende Wort niemals über die Lippen bringen, ich bin zu feige dazu." Stunde auf Stunde verging, und Bettina fand den Schlaf Es war ihr zu Mute, als umschwebten gute Hausgeister ihr Lager und flüsterten ihr zu: „Kannst Du Thörin jemals ein schöneres Daheim, einen besseren Schutz, eine zärtlichere Familie finden als hier? Warum willst Du das alles hinter Dir lassen und den Sprung ins Dunkle wagen? Um Deiner großen Liebe willen? — Ja, ist sie denn wirklich so brennend und verzehrend, daß Du zu Grunde gehen müßtest, wenn Dein Sehnen nicht erfüllt nicht.

würde?" Bettina stöhnte und wälzte sich mit pochenden Schläfen auf Rach Mitternacht dem „schlummerlosen Kissen" hin und her. Gedanken nagenden und fielen in all ihre wogenden Empfindungen und nach Kinder hustete, Eines die sie der Geräusche, erschreckten. Namen leise den Stimme, der Weile vernahm sic Walters einer lief und dem Bett sprang sofort aus Fräuleins Bettina rief. des ins Schlafzimmer der Kinder. „Walterchen, kannst Du nicht schlafen?" fragte sie leise. „Mir ist so heiß im Halse, Mama, und ich bin durstig." Bettina zündete die Nachtlampe an, reichte dem Knaben einen Trunk, befühlte seine Stirn und legte ein nasses Tuch um seinen Hals. Fröstelnd in ihr Bett zurückgekehrt, lauschte sie auf jedes Geräusch im Schlafzimmer der Kinder und fühlte sich erleichtert, als endlich der Husten geschwunden zu sein schien. Run aber wollte Zum zehntenmale drehte sie bis zum Morgen schlafen, tief schlafen. sie ihr heiß gewordenes Kopfkissen um und brachte den müden Kopf in die bequemste Lage. Aber das Ticken der Wanduhr störte sie jetzt, und sie schalt über den Unsinn, Pendeluhren in Schlafzimmern anzubringen. Das monotone Tiktak brachte sie zur Verzweiflung, aber sie wagte es nicht, den Pendel anzuhalten, in der Befürchtung, '* ' ' Tiktak wurde sie könne Geisler oder Walter aufwecken. mit der Zeit zur eindringlichen Sprache. D.e l w, auf deren

727

Schlag

sie

in

)o mancher Morgenstunde gelauscht, sie schien

ihr

zu

sagen: Bleib

da, bleib da, Bettina. Hier wohnen Glück und Friede! Das Leben ist so kurz. Glück ist so leicht verspielt. Geh nicht, geh nicht, Bettina! —

Ihr wurde so weh ums Herz, daß sie hätte aufschreien mögen. Eine schreckliche Unrast kam über sie. Leise erhob sie sich, um ins Schlafzimmer ihrer Kinder zu schlüpfen. Sie lagen jetzt beide in tiefem Schlaf, und beim Anblick der zarten Kleinen wurde in Bettina das Muttergefühl so übermächtig, daß sie verzweifelnd vor ihrem Lager die Hände rang nnd leise flüsterte: „Ich kann es nicht — ich kann sie nicht verlassen! Vergieb mir, Gregor!" Lange stand sie vor den Betten, streifte die warmen Bäckchen der Kleinen mit ihren Lippen, befühlte ihr Haar und flüsterte Liebesworte. Als sie dann in ihr Bett zurückkehrte, war ihr Herz so voll Jammer, daß sie den Kopf in die Kissen drückte und leise schluchzend einen Strom von Thränen vergoß. Jetzt legte sich eine Hand auf ihre Schulter und Geisler fragte in bangem Ton: „Um Gottes willen — Bettina, was ist geschehen?" Sie schrak auf, wischte sich die Thränen von den Wimpern und bemerkte, daß ihr Mann neben ihr stand. „Ist eins der Kinder erkrankt, oder Du?" fuhr er fort. „Nein, nein" — stotterte sie — „den Kindern fehlt nichts — Walter hatte gehustet — da fürchtete ich — — aber er schläft jetzt — sanft und gut." „Warum weinst Du denn so herzbrechend. Bettina, sei endlich ehrlich und gesteh mir, was in Dir vorgeht! Ich ahnte — nein ich wußte es am Abend schon, daß Dich etwas Unheimliches be¬ drückt. Hast Du denn alles Vertrauen zu mir So sprich doch!" „Ach, Konrad," stöhnte sie, und ihre Thränen flössen wieder, „ich wag' es nicht; denn wenn Du mein Geständnis gehört, wirst Du mich hassen und verachten müssen." Es wurde still in dem Schlafgemach, dann sagte der Bau¬ meister in gepreßtem Ton: „Du liebst Gregor Haller." „Ja," schrie sie auf. „Und ich muß an dieser Liebe elend zu Grunde gehen, wenn Du mich nicht freigiebst." Es trat eine lange Pause ein, und Bettina vernahm wieder das Ticken der Wanduhr, das ihr zu sagen schien: Bleibe da, Du Thörin! Endlich atmete ihr Gatte schwer und sagte mit heiserer Stimme: „Ich halte Dich nicht, kann Dich nicht halten, wenn Dein Herz ihm zustrebt. Beruhige Dich, Bettina, ich werde Eurer Verbindung nicht im Wege stehen." „Konrad!" — Sie erhaschte seine Hand und bedeckte sie mit Küssen. „Du bist so gut, so beschämend gut und großmütig. Du rettest mich vor Verzweiflung, vor dem Wahnsinn. Ich war nahe daran, den Verstand zu verlieren!" „Sei ruhig, komm zu Dir!" — Geisler wehrte ihre Lieb¬ kosungen ab. „Versuche jetzt zu schlafen, Dein Gesicht glüht. — Alles übrige können wir am Morgen besprechen . . . ."

verloren?-

„Aber Du, Bester, Edelster? — Ach, der Gedanke, daß ich Dich verwunde, daß ich Dir Gram bereite, macht mich trostlos!"

Die kreisenden Gedanken hielten beide Gatten bis zum Morgen¬ grauen wach, dann überwältigte die Müdigkeit Bettina, und sie sank in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als sie erwachte, schlug die Wanduhr zehnmal. Erschrocken fuhr sie empor, rvarf einen Streisblick auf das leere Bett ihres Gatten und kleidere sich rasch an. Als sie ins Wohnzimmer trat, legte Geisler eben die Zeitung aus der Hand, in der er scheinbar gelesen. Er sah bleich, aber ruhig und gefaßt aus. Bettina schritt auf ihn zu, küßte seine Stirn und sagte: „Ich danke Dir, Du Bester, daß Du mich aus der furchtbaren Herzensnot befreit hast." Er sah sie trübe an und sagte: „So sehr also liebst Du ihn, daß Dein Entschluß unerschütterlich geworden?" Sie errötete tief. „Es ist nicht die verzehrende Liebe allein, die mich von Deiner Seite forttreibt," antwortete sie im Ton der Entschuldigung. „Es handelt sich auch um Gregors Rettung, der in unwürdigen Fesseln schmachtet und zu Grunde gehen würde, ohne die Liebe einer opfermutigen Frau. Ich habe eine Mission zu erfüllen."

Ein schrvermütiges Lächeln flog über Geislers Gesicht, und „Ich glaubte bisher, es gäbe für eine Frau keine höhere

er sagte:

Mission als die, ihre Kinder zu erziehen. Indessen, das sind ja wohl heute bereits veraltete Anschauungen. Du scheinst in Haller einen Adler zu sehen, der nur der Sonne weicht, trotzdem versicherst Du mir, daß dieser Starke zu seiner Rettung einer opfermutigen Frau bedürfe. Wie reimt sich das zusammen?" Bettina geriet in Verwirrung; sie suchte nach einer Erklärung dieses Widerspruchs, aber sie fand keine und stotterte: „Es giebt Verhältnisse . . . gerade in der Ehe hat ihn nieder¬ . Lona gezogen

-"

.

.

er — der Herrlichste von allen — sie nicht So viel ich gehört habe, heiratete er sie liebte und nicht um ihres Geldes willen?"

„So? Und warum hat zu sich emporgehoben? doch,

weil er

sie

Bettinas Verlegenheit wuchs;

sie

biß

sich

auf die Lippen und

schwieg.

„Und Du glaubst, daß Lona diesen Uebermenschen, dessen Wert sie als Gattin ja verkennen mag, der aber doch der Vater ihrer Töchter ist, so ohne weiteres freigeben wird?" „Ohne weiteres — nein.

Es wird schwere Kämpfe kosten,

aber schließlich muß sie doch einsehen, daß eine friedliche Trennung dem Untergang aller vorzuziehen ist. Ich werde noch heute mit ihr sprechen und ihr unsere Lage vorstellen."

„Eure Lage!" — Ein verächtliches Lächeln umspielte Geislers Mund, und mit Bitterkeit fuhr er fort: „Ja, mit der Betrachtung Eurer Lage scheint Ihr Euch sehr eingehend befaßt zu haben, aber wie denkt Ihr herrlichen Menschen Euch die Eurer Kinder?" Bettina erblaßte wieder und sagte dann, mühsam ihre Thränen niederkämpfend: „Ich hoffe, Konrad, daß Du mir Walter lassen wirst." — Sie sah ihn flehend an und faltete unbewußt die Hände. Geisler aber verschloß vor diesem Blick die Augen und sein Herz. Es kostete ihn Mühe, seine Fassung zu behaupten, nach einer Weile aber sagte er mit fester Stimme: „So hat Dich Deine Hoffnung betrogen. Die Kinder bleiben bei mir — beide. Du bist zur Stunde noch unfähig, ihnen jene Erziehung zu geben, die eine gewisse Bürgschaft dafür gewährt, daß sie den Kampf ums Dasein bestehen werden; denn Du selbst bedarfst noch der Charakter¬ bildung durch das Leben. Haben unsere Söhne ein Alter erreicht, in dem sie sich ein Urteil bilden können über den folgenschweren Vorgang dieser Stunde, so mögen sie wählen zwischen Dir und mir. In dem Augenblick, wo Du Dich von mir lossagst, scheidest Du auch von Deinen Kindern."

Bettina war überrascht und erschreckt zugleich. Seit der Zeit, da sie mit ihrer Mutter hilflos in der Welt gestanden, hatte sie Geisler beherrscht — wie sie annahm, durch die Macht ihrer Schönheit und ihrer geistigen Ueberlegenheit. Er war ihren Wünschen und Ansprüchen gegenüber fast willenlos und erschien ihr in seiner Güte und Nachgiebigkeit geradezu unmännlich. Nun mit einemmale stand ein willenskräftiger Mann vor ihr, der ihre heiligsten Empfindungen zu verletzen und ihre demütige Bitte abzuschlagen wagte. Es kam ihr mit einemmale die Ahnung, daß sie seine Männlichkeit unterschätzt, seinen Charakter verkannt babe. Wie, wenn nicht Schönheit und Geist diesen Mann unterjocht hätten, sondern das Mitleid mit ihrer Hilflosigkeit und Unerfahrenheit? Einem dunklen Instinkt folgend, ergriff sie Geislers Hände, sank vor ihm auf die Kniee und rief schluchzend: „Sei nicht grausam, Konrad, laß mir Walter!"

Er aber trat weit von ihr

zurück und antwortete

mit einem

festen Rein.

„Konrad," rief

sie

flehend, „laß mich nicht an Deiner Güte

zweifeln."

Er strich sich mit der Handfläche über die kahle Stirn und erwiderte nach kurzem Besinnen in weichem Ton: „Du be¬ findest Dich in einer unbegreiflichen Verblendung, Bettina, und ich muß mich darin ergeben, wenn Du im Groll von mir scheidest. Es wird wahrscheinlich die Stunde kommen, in der Du meine Weigerung segnest."

„So laß mich wenigstens Abschied von den Kindern nehmen." „Sie sind ausgegangen, und ich bitte Dich, geh' aus dem Hause ohne Abschied. Ich will die Kleinen nicht ahnen lassen, daß ihre

Mutter

sie verlassen

hat."

728

„Wie aber kann düs vermieden werden." „Ich iverde ihnen zunächst sagen. Du hättest eine Reise unter¬ nommen. Später — nun später werde ich vielleicht einen anderen Ausweg finden, ersparen."

um

ihren

kleinen

Herzen

Leid und

Weh

zu

Gatten zurückließ.

IX.

-

Als Bettina um die Mittagszeit aus die Straße trat, war sie r Wendung in der Natur überrascht. Frühliugsstürme, deren

8f>

Brausen sie während der langen Nacht vernommen, rein mit starken Regengüssen die letzten Spuren des den Straßen vertilgt. Starke, mit Regentropfen ge¬ mischte Windstöße schlugen ihr ins Gesicht und kühlten ihre heißen Wangen, ihre pochenden Schläsen. Diese Kampfesstimmung in der Natur harnionierte mit der wilden Gärung in ihrem Innern, und sie sagte sich: „So ist's recht! Die Natur selbst giebt mir ein Sinn¬ .' .ui

'

hat.cn Wuuer

bild: ohne Stürme kein Frühling, ohne Kampf kein Sieg! — Sie schritt tapfer dem Frühlingssturm entgegen, und dieser dämpfte den Schmerz und wilden Aufruhr ihrer Seele. Es giebt auch im Gemüt Wunden, deren Brennen man nicht gleich verspürt, und über die tiefe Erschütterung hin, welche die Auseinandersetzung mit Konrad Geisler Bettina verursacht hatte, half ihr der Gedanke an die größere Aufgabe fort, Lona zur Entsagung zu überreden. Für dieses heiße Ringen zweier Frauenseeleu mußte sie all ihre Geistes¬ kräfte sammeln. Mit großer Willeusenergie drängte sie die Er¬ innerung an das jüngste Erlebnis zurück und faßte noch einmal all die Gründe zusammen, die sie in schlafloser Rächt ersonnen, und aus denen sie der Rivalin den Beweis für die Notwendigkeit ihrer Trennung von Haller führen wollte. — Als sie bleich und mit wankenden Knieen Lonas kleines Boudoir betrat, erhob sich diese eben vom Schreibtisch, raffte hastig einige Blätter zusammen, wischte ihre Schreibfeder am Aermel einer alten, schäbig gewordenen Hausjacke ab und begrüßte die Eintretende mit dem Zuruf: „Guten Morgen, Bettina! Schon so

früh unterwegs?" Jetzt, da die Hausfrau der Freundin die Hand entgegenstreckte, fiel ihr Blick auf deren blasses Gesicht, und sie fuhr betreten fort: „Was ist Dir? Du siehst ganz verstört aus. Ist ein Unglück geschehen? Setz Dich, Du zitterst ja."

Bettina ließ sich, nach Fassung ringend, auf einem Stuhl nieder und erwiderte mit bebenden Lippen: „Noch ist kein Unglück geschehen, Lona, aber ich zittere wirklich . . . zittere vor dem, was ich zu sagen habe, und was doch gesagt werden muß. — Sind wir

allein?"

„Ganz allein. — Ja, du liebe Zeit, ist es denn etwas gar was Du mir zu sagen hast? Um wen handelt es sich denn?" — Sie sah mit ihren scharfen Augen Bettina so forschend und durchdringend an, daß diese den Kopf senkte und halb erstickt vor Scham und innerer Erregung die Antwort hauchte: „Um Dich — um mich — uud Gregor." so Schreckliches,

Run endlich ging das Aufleuchten des Verstäuduisses über Lonas Gesicht. Sie strich mit der Hand ihr zügelloses Haar aus der Stirn, und ein boshaftes Lächeln zuckte um ihren Mund. Minutenlang weidete sie sich an Bettinas Verwirrung, dann ließ sie sich in einen bequemen Fauteuil fallen, schlug die Beine über¬ einander und sagte in ermnuterndem Tone: „Also, Du willst mir eine Beichte ablegen. Run denn, los! Ich bin bereit, sie zu hören." lich

Bettina fuhr sich mit ihrem Taschentuch über die Augen, raffte all ihren Mut zusammen und sagte: „Lona, ich bin gekommen, um ein großes Opfer von Dir zu fordern, das größte, welches ein Franenherz bringen kann: gieb Deinem Manu die Freiheit wieder." Und

Er verließ hastig das Zimmer, und Bettina ging mit gesenktem Kopf und schwerem Herzen aus dem Hause, in dem sie Kinder und

3

Ernst: „Aber liebes Kind, ich befinde mich gerade in der rechten Stimmung, um schweren Seelenkämpfen näher zu treten und sitt¬ lichen Forderungen Gehör zu geben. So beichte endlich! Was hast Du auf dem Herzen?" feuchten

Sie hatte die letzten Worte mit der Hast der Verzweiflung hervorgestoßen; denn es überkam sie dabei die Empfindung, als lege sie die Lunte an ein Pulverfaß und es müsse gleich darauf eine furchtbare Explosion erfolgen. Zu ihrer maßlosen Ueberraschung aber blieb Lona unbewegt in ihrer behaglichen Lage, und nur das Funkeln ihrer Augen ließ erkennen, daß sie innerlich erregt war. In ganz ruhigem Tone fragte sie: „Wer große Opfer bringen soll, der möchte doch auch wissen, warum — wozu? Willst

Du mir das gefälligst erklären?" Und Bettina legte über die Entstehung und das Wachstum ihrer Liebe zu Gregor Haller, sowie über dessen verzweifelten Gemüts¬ zustand, eine umfassende Beichte ab. Mit soviel Schonung wie nur immer möglich, erklärte sie Lona, warum an deren Seite ein genialer Mensch wie Gregor unglücklich und elend werden so müßte und sprach die Befürchtung ans, daß all seine herrlichen Eigenschaften verkümmern und seine idealen Bestrebungen scheitern würden, falls er die Freiheit nicht erlange, sich mit der Frau verbinden zu können, die er heiß liebe, und in der er seine Egeria Wieder flössen ihre Thränen, als sie diese Bekenntnisse mit sehe. der flehenden Bitte abschloß: „Sei großinütig, Lona! Laß zwei Menschen, die sich mit unüberwindlicher Leidenschaft lieben, nicht Deine gro߬ untergehen in Herzenskuinnrer und Verzweiflung. mütige Entsagung ist die Vorbedingung für Hallers Sonnenflug. Gieb ihn frei, lege unserer Verbindung kein Hindernis in den Weg, und ich will Dir niein Leben laug dankbar sein."

Durch die Thränen hindurch, die ihre Blicke verschleierten, sah Bettina, als sic erschöpft verstummte, daß Lona von ihrem Lager aufsprang und sich ihr gegenüberstellte. Ein Schauder rann über Bettinas Herzen; denn sie erwartete eine Verzweiflungsthat ihrer Rivalin. Diese aber rief mit heller Stimme: „Hab' ich recht ver¬ standen, Bettina? Du willst, daß Gregor sich von mir scheiden lasse, damit Du ihn heiraten kannst?"

Bettina senkte den Kopf gleich einem Angeklagten, der sich schuldig bekennt und ein vernichtendes Urteil erwartet. Lona aber flog auf sie zu, umarmte und küßte sie und rief in jubilierendem Ton: „Endlich eine Freundin, die einer heroischen That fähig ist! Bettina, Du liebe, ehrliche Seele, wozu regst Du Dich auf, da es sich doch, wie Du sehr richtig bemerktest, um eine sittliche Forderung handelt? Und Du Thörin konntest mich für eine philiströse Frau halten, die in der Ehe ein unlösbares Band sieht? O, nein! Auch ich erkenne es als die sittliche Forderung jedes Uebermenschen an, daß er Weib uud Kind verlasse und der Geliebten anhange. Uud Gregor ist ein Uebermeusch, der jenseits von gut und böse steht. Sieh', Bettina, Du bist von all den vielen Frauen, die er während unserer Ehe geliebt hat, die einzige, die sich zu dem hochherzigen Entschluß aufgerungen hat, ihn mir abzunehmen. Sei bedankt dafür. — Bist Du aber auch ganz sicher, daß Gregor fest entschlossen ist, sich von mir scheiden zu lassen? Ist es ihm diesmal wirklich ernst damit? So sprich doch!"

Bettina aber stand Lonas Freudenausbruch völlig entgeistert erster Gedanke war: die Aermste hat im Ueber¬ gegenüber. maß des Schmerzes den Verstand verloren; als sie aber in Lonas Augen sah, die ihr listig und übermütig entgegenblitzten, kam es

Ihr

„O, nicht diesen Ton, liebe Lona!" flehte Bettina, und plötz¬ perlten ihr zwei heiße Thränen unter den Wimpern hervor-

„Es handelt sich um eine tiefernste Angelegenheit, um einen schweren sittliche Forderung." Seelenkonflikt —

um-eine

Lonas Augen funkelten, und ihre schmalen Lippen zuckten. Sie machte eine Schulterbewegung, als wolle sie sich in die weiche Polsterung ihres Fauteuils hineiuwühlen und sagte mit erzwungenem

Einer Wallung des sie verhöhnen. Stolzes und der Entrüstung nachgebend, sagte sie: „Wenn Du ahnen könntest, was ich gelitten habe, bevor ich diesen Schritt gethan, würdest Du mir die grausame Demütigung erspart haben. fei 9 t) Du konntest Nein sagen, ®u> jf

ihr vor, als wolle Lona

allein-"

J

L

729

Berliner Wandellnlder. Weibliches, allzu Weibliches in der Reichshauptstadt.

^^s

des Heils 1877. Im Bürgersaal des Rattagte der Hausfraueuverein unter der Leitung der Frau Lina Morgenstern. Auf der Tagesordnung stand die Ein¬ richtung von Theeabenden für die weiblichen Dienstboten. Die Sitzung verlief ungemein stürmisch. Die Antragstellerin hielt den ironischen Beifallsbezcngungen und Zurufen, mit denen man sie überschüttete, mutig stand, mußte aber schließlich einsehen, daß man dem geselligen Bedürfnis der dienenden Hansgenossinnen nicht das genügende Verständnis entgegenbrachte, oder — vielleicht nicht mit Unrecht — den bildenden Einfluß des stillschweigend geduldeten „Vetters", der zufällig in der Reichshauptstadt seiner Militärpflicht genügte, für unbesiegbar hielt. Seither haben sich die Verhältnisse merklich geändert. Die Hausfrau hat sich daran gewöhnen müssen, eine gewisse Gleichberechtigung den weiblichen Bediensteten zuzu¬ gestehen und verhandelt mit ihnen wie mit einer anerkannten Großmacht, die sich durch herablassende Müren nicht imponieren läßt. Mit Theeabenden ist da nicht mehr auszukommen, es ent¬ wickelt sich ein ernsthaftes Diskutieren der beiderseitigen Rechte und Pflichten. Nach kaum mehr zwei Jahrzehnten finden sich in einem öffentlichen Lokale in Berlin W. Hausfrauen und Bedienstete zusammen, um gemeinschaftlich zu beraten, wie man das gegen¬ seitige Verhältnis auf rechtlicher Grundlage aufbauen könne. Nach¬ dem man sich mit seltener Einhelligkeit über die Abschaffung der Gesindeordnung vom Jahre 1810 geeinigt, trennte man sich mit der Ueberzeugung, daß eine dauernde Harmonie zwischen Herrschaft und Dienerschaft nicht herzustellen sei. Es giebt eben Haus¬ wirtschaften, in denen die Herrin nicht ohne Gefahr für Leib und Leben den Bereich der Küchenfee betreten darf, während in anderen das Recht der gelinden Züchtigung in ausgiebigstem Maße geübt wird. Ein interessanter Wandel hat sich unter dem Einffuß der sozialen Bewegung nur in den Formen vollzogen, in denen man zu einem rnodus vivendi zu gelangen sucht. Mit gesellschaft¬ lichen Konzessionen ist ebenso wenig getban, wie mit theoretischen Auseinandersetzungen über Rechte und Pflichten. In letzter Instanz entscheidet auch hier im Einzelfall das Recht des Stärkeren. Daß dieses Recht über kurz oder lang vom Manne nicht mehr geübt werden wird, dafür sprechen eine Reihe untrüglicher Anzeichen. Die Zeiten, in denen man „alleinstehenden" Damen eine leise Anfforderuug zugehen ließ, das Lokal zu verlassen, gehen ihrem unvermeidlichen Ende entgegen. In der Konditorei Edelweiß, au der Kreuzung der Friedrich- und Mohrenstraße, erhält man auf die bescheidene Frage, ob man seinen Apfelkuchen mit Schlag¬ sahne an einem Tischchen verzehren dürfe, die höfliche, aber be¬ stimmt ablehnende Antwort: „Herren ohne Damenbegleitung ist der längere Aufenthalt im Laden untersagt." Es ist ein beschämendes Gefühl für den „Herrn der Schöpfung", sich so ungeahnt entbehrlich vorkommen und auf seine Selbständigkeit schon vor der Ehe ver¬ zichten zn müssen. Will man in der Konditorei Edelweiß Apfel¬ kuchen essen, so bleibt nichts anderes übrig, als sich bei Zeiten nach weiblichem Schutz umzusehen, falls man nicht zu solchem durch standesamtliche oder kirchliche Beglaubigung legitim berechtigt ist. Für unverbesserliche Junggesellen empfiehlt sich die Begleitung durch eine respektable und wohlvermögende Tante, die, ohne Auf¬ sehen zu erregen, dann auch die Begleichung der Rechnung an der Kasse übernehmen darf. Die Selbständigkeit der Frau, die Entbehrlichkeit des Mannes hat seit einem Jahrzehnt in Berlin beängstigende Fortschritte gemacht. So wird cS sich beispielsweise nicht leugnen lassen, daß man in den Kreisen des „schwächeren" Geschlechts dem Klubwcsen mehr Verständnis entgegengebracht hat, als in denen der „stärkeren" Hälfte, d. h. das sich Zusammenthun Gleichgesinnter zur Verfol¬ gung eines möglichst bedeutungslosen Zwecks außer dem Hause. Währendes hier nur eine andereFonn der Vereinsmeierei bedeutet, hat man dort überraschend schnell begriffen, daß der Klub einen Der deutsche Ersatz für die fehlende Häuslichkeit bieten soll. Frauenklub in der Schadowstraße mit seinen 20 Mark Beitrag gelten, mochte noch als ein Lurus für die Minderheit der Damen Berliner „Der finden. Beschäftigung genügende die daheim nicht Frauenklub von 1900" bietet ein bescheidenes Heim, in dem sich Last und die Mehrheit der arbeitenden Frauen von des Tages

WW

war im Jahre

Hauses

Hitze erholen können.

Der Kampf um die wirtschaftliche Selbständigkeit der Frau wird überall der Sympathien sicher sein, die man dem Ringen Der Rektor der nach bürgerlicher Gleichberechtigung versagt. Brauu-Gizycki Lilly Frau hat Fuchs, Professor Universität, Berliner

die Erlaubnis verweigert, im sozialwissenschaftlichen Stndentenvcrein einen Vortrag über die „Frauenarbeit in Deutschland" halten zu dürfen; aber die Begründung dieses Verbotes mit der Bezweiflung des wissenschaftlichen Wertes der Leistungen der Dame will uns bedenklich erscheinen, zumal sie von der Frauenarbeit sicher mehr kennt, als sich Professoren- und Studentenweisfirst

Gleichzeitig veröffentlicht der Verein „Frauenwohl" Mitteilung folgenden Inhalts: „Die Regierung hat eine

träumen läßt. eine

Enquete auf Veranlassung eines Reichstagsbeschlusses ausgeschrieben, betreffend die Ermittelung der Beschäftigung verheirateter Frauen in den Fabriken. Berlin ist das Gewerbegericht mit dieser Ermittelung betraut worden; dasselbe hat sich an den Vorstand des Vereins Frauenwohl gewandt, um mit den Frauen gemeinsam diese Arbeit aufzunehmen." Man sieht, zuständigen Orts ist man über die Arbeitsleistung der organisierten Frauen wesentlich anderer Meinung als in der Hochschule Unter den Linden. Weniger empfehlenswert, aber immerhin geschäftsmäßig gut aus¬ gedacht, will es uns erscheinen, wenn Hermione von Preuschen sich mit ihrem verstorbenen Gatten, dem Dichter Konrad Telmann, associiert, und seine und ihre Gedichte und Erzählungen im Römischen Hofe einem gerührtem Publiko mit trauergedämpster Stimme vorträgt. Wir zweifeln keineswegs an der Aufrichtigkeit der in der Sammlung „Roch einmal mors imperator, Requiem für Konrad Telmann" vereinigten Empfindungen; aber wenn die Frau nun doch einmal in die Oeffeutlichkeit hinaus muß, so soll

In

sie

sich

doch

für

gewisse

Stimmungen ihr stilles Kämmerlein

reservieren.

Aber auch der Geschmack ist in nnserem neuerungslustigen Jahrhundert einer Umwertung unterworfen. Das Korsett ist noch glücklich aus dem Ansturm gegen seine Nützlichkeit herausgerettet worden, die Schleppe scheint dagegen endgiltig dem Untergange geweiht zu sein. Der „Verein für Verbesserung der Frauenkleidung" hat sich unter wissenschaftlicher Assistenz des Geheimrats Rubner, unter Beihilfe des Malers Brockmüller und unter Beleuchtung der Frage durch Frau Professor Vehr dahin geeinigt, daß die Schleppe hygienisch, ästhetisch und praktisch eine Ungeheuerlichkeit ist, die von dem durch sie gefegten Erdboden verschwinden muß. Was wollen dagegen die Bedenken eines Schneidermeisters bedeuten, der den deutschen Frauen vorwarf, sie verständen nicht, ihr Geld in Toiletten anzulegen? Ein entrüsteter Protest der anwesenden Frauen war die gebührende Antwort, der sich gewiß mancher abwesende

Ehemann mit aufrichtiger Ueberzeugung angeschlossen hätte. Gewinnt doch selbst der Juwelenschmuck unserer Damen in unserem ernsthaften Jahrhundert wirtschaftliche Bedeutung, seitdem der Preis der Diamanten unabhängig vom afrikanischen Kriege seit einem Jabre ungefähr um 33'/, °L gestiegen ist. Hat die Frau nicht ganz recht, wenn sie ihrem die Börse besuchenden Gatten die Frage vorlegt, ob er oft gleich gute Geschäfte in Papieren gemacht habe, wie mit dem Collier, gegen dessen Ankauf er sich Weihnachten vergangenen Jahres so ungalant sträubte und das nun durch die Preissteigerung der Diamanten um 33 l/»% mehr wert ist!? Erst die schlagfertige Antwort: „Wie wäre es, mein Kind, wenn wir bei der Unsicherheit der Zeitläufe den Gewinn schleunigst realisierten?" brachte die unbequeme Frageriu zum Schweigen. Wer das sogenannte „Rätsel der Frauenseele" mühelos lösen will, muß eben an dem Grundsätze festhalten: Weib bleibt Weib, wenn es sich auch noch so modern gebärdet. Da ist vor kurzem, von Paris importiert, auch in Berlin die Mode aufgetaucht, früh¬ zeitig weißes Haar zu tragen, d. h. die schwärzesten Locken mit Silberpuder zu bestreuen. Sollte die Frau wirklich auf den Ge¬ danken gekommen sei. der Vergänglichkeit aller irdischen Schönheit vorzugreifen? Das würde jeder Psychologie Hohn sprechen! Das Erstaunen weicht einem verständnisvollen Lächeln, sobald mau sich erinnert, wie reizvoll ein jugendliches Gesichtchen unter weißem Haar hervorlugt, und als mir neulich eine semme de trente ans in einer vertraulichen Stunde erzählte, wie ein großer Seelenfchmcrz in einer Nacht ihre bräunliche Haarsülle gebleicht, da begriff und entschuldigte ich alles. Weib bleibt Weib! Solange dieser Grund¬ satz seine Giltigkeit behält, wird sich der selbstbewußteste Manu mit seiner unter dem Einfluß der Frauenbewegung zunehmenden Entbehrlichkeit abzufinden wissen. Die Mittel, interessant zu erscheinen, mögen in der Provinz andere sein als in der Reichshauptstadt. Der Zweck ist derselbe und heiligt in den Augen des Mannes die Mittel.

Georg Malkowsky.

730

Die Hubertusjagd im Grunewald. ^Mtadtbahn,

elektrische Straßenbahn und Zweirad haben den den Bewohnern der Reichshauptstadt sozusagen gerückt. Zu jeder Jahreszeit sind die Restaurants

MG Grunewald

vor die Thüre

in der alten Forst gefüllt, sobald das Wetter nur einigermaßen günstig ist, und der Grunewald unterscheidet sich wenig von den übrigen Waldbeständen in der Umgegend Berlins. Im Herbst da¬ gegen, zur Jagdzeit, herrscht ein eigenartiges Leben und Treiben, s ~ s midi dem blasierten Großstädter eine willkommene Abwechslung ags kann er nicht akriv daran teilnehmen, aber seine Schaulust kommt dabei doch auf ihre Rechnung. Das einer Parforcejagd ist immerhin ein sehenswertes Schaigpier, wenn es sich auch wöchentlich einigemale wiederholt, also nichts Neues mehr bietet. Das Hauptvergnügen aber bildet die Hubertusjagd am 3. November. Ueber die Entstehung des Jagdschlosses Grunewald giebt die schwer zu lesende, von dem kurbrandenburgischen Wappen gekrönte Inschrift über dem Portal Auskunft: „Rach Christi Geburt 1542, unter Regierung des Kaiserthums Karl V. hat der Durchlauchtigste, Hochgeborene Fürst und Herr Joachim II., Markgraf zu Branden¬ burg, des heiligen römischen Reiches Ober¬ feldhauptmann, dies Haus zu bauen an'gefangen, und den 7. Maerz den ersten Stein gelegt und zum grünen Wald genannt." Vollendet wurde es 1543. Der Baumeister war der um die Einführung der Renaissance sehr verdiente Kaspar Theyß, der auch einen Flügel des königlichen Schlosses in Berlin,

Aber veritable Prinzen, Fürsten und hohen Adel findet man unter den Rotröcken vielfach vertreten. Auch einige Reiterinnen haben sich eingefunden, kühne Amazonen, die die nicht ungefährliche Jagd mitzureiten beabsichtigen. Im Vertrauen gesagt, die männlichen Jagdteilhaber machen sich gar nichts aus der Anwesenheit der Amazonen. Wenn nämlich Damen dabei sind, muß man sehr viel Rücksicht nehmen, sie womöglich immer vorausreiten lassen und stets hilfsbereit für sie sein. Der Parforcejäger muß hinter den Kavalier zurücktreten. Man erwartet den Führer der Jagd, den „Master". Sobald er eingetroffen und mit der Fanfare der Pikeure begrüßt worden ist, bricht die Gesellschaft nach der westlich vom Jagdschloß ge¬ legenen Saubucht auf. Es ist dies ein Erziehungsinstitnt, in dem Wildschweine für die Parforcejagd vorbereitet werden, wo man ihnen auch die Gewehre — so nennt der Weidmann die Hauer, die gewaltigen gebogenen Eckzähne — alljährlich stutzt, damit sie nicht allzu viel Unheil anrichten können, wenn sie sich thörichterweise ihrem Beruf entziehen wollen, der darin besteht, erst gehetzt und dann abgestochen (weidmännisch „abgefangen") zu werden.

Der Eber wird von der Meuke gedeckt. die Schlösser in Oranienburg und Köpenick errichtet hat. An das Jagdschloß Grunewald knüpft sich die Erinnerung an eine interessante Begebenheit aus dem Ende der Befreiungskriege. Hier find, kurz vor dem Einzuge der Verbündeten in Berlin, die einzelnen Teile der aus Paris zurückgebrachten Quadriga vom Brandenburger Thor zusammengesetzt worden. Außer einem kleinen Saale im oberen, zweiten Stockwerk, be¬ finden sich im Schlosse nur noch eine Anzahl Jagdzimmer, sowie die im Erdgeschosse gelegene Wohnung des Jagdzeuginspektors. Alle Räume sind sehr einfach eingerichtet und enthalten außer mehreren Gemälden aus der Zeit Friedrich Wilhelms I., welche in oft humoristischer Weise Episoden aus dem Jägerleben darstellen, schöne Geweihe, sowie verschiedener Jagdgeräte früherer Zeiten. Schließlich sind noch die rechts und links von dem Haupt¬ eingange zum Schloß aufgestellten beiden Baumstämme zu er¬ wähnen. Die Bäume rühren von zwei Baumriesen des Grunewalds her, unter deren Aesten im Jahre 1837 die russischen Gro߬ fürsten Alexander und Nikolaus während eines Manövers gerastet haben. Mit den Buchstaben A. u. N. sind die Stämme erst nach ihrem Absterben versehen worden. Die Lage des Schlosses au der Südspitze des waldumrandeteu Grunewaldsees ist malerisch schön. Besonders wenn man auf dem am westlichen Seerande entlang führenden Uferpfade von Hunde¬ kehle herkommt, vereinigen sich Schloß, Wasser und Wald zu einem jener stimmungsvollen Landschaftsbilder von intimem Reiz, wie sie in Deutschland nur die Mark Brandenburg bietet. Im Hof des Jagdschlosses Grunewald harrt vor Beginn der Parforcejagd die königliche Meute, in Ordnung gehalten von den Pikeuren, die gleich dem Oberpikeur gut beritten sind. Die Jagdgäste im roten Rock bestehen zum größten Teil aus Offizieren des Gardekorps, und nur wenige Zivilisten von Beruf sind unter ihnen.

sowie

Erwartungsvoll sehen Jagdgäste und Publikum nach dem Loch, aus dem der Keiler kommen soll, der frei gelassen wird. Da öffnet sich die Thür, und schwänzelnd und grunzend verläßt der Schwarze die bisherige Stätte stiller Beschaulichkeit. Eine bestimmte Anzahl von Minuten erhält er Vorsprung, dann wird die Meute „angelegt", und bald verkündet der Laut der Leithunde, daß der Keiler gefunden ist. Mit „hellem Geläut", wie der Weidmann sagt, setzt sich die Meute in Bewegung, und ihr folgt das „rote Feld". Aber auch die ungeladenen Gäste wollen ihren Anteil an der Jagd haben und machen sich auf den Weg. Nicht achtet der wohlbeleibte Jagdbummler der Strapazen, die er seinem Körper durch einen Dauerlauf zumutet; der Ritter von der traurigen Gestalt spornt leichtsiunigerweise sein Rößlcin zu schärferer Gangart an, und die Radfahrer jagen so eilig darauf los, daß sie mit den Bäumen kollidieren, und mehr als einer der Fahrer seine Hinterbeine im Sturz gen Himmel streckt. ^ Unterdes hat das kluge Schwein sein Heil in schleuniger Flucht gegenüber einigermaßen Vorteil im gesucht, und es ist im Terrain Jägern, die mit ganz besonderen Hindernissen zu kämpfen Diese bestehen nicht nur in glattem, unebenem Boden, in dichtstehenden Bäumen, in Sumpfstellen und steilen Hügelabhängen, sondern vor allem darin, daß sich quer durch den Forst, in schnur¬ gerader Linie von Nordost nach Südwest die Berlin-Potsdamer Eisenbahn hinzieht, auf der beständiger Verkehr von Zügen statt¬ findet. Der Bahndamm muß sich durch Herumsprechen unter den Wildschweinen des Grunewaldes bei diesen ganz besonderer Be¬ liebtheit als „Wechsel" erfreuen; denn sie wechseln während der Jagd meist über den Damm hinüber. Keiler und Hunde vollziehen diesen Wechsel an beliebiger Stelle, während die Reiter mit Rücksicht auf den Bahnbetrieb und ihre eigene Sicherheit dies nur au be¬ stimmten Stellen auf Wegübergängen thun dürfen. Einer dieser den

haben.

731

Uebergänge, bei einem Wärterhäuschen gelegen, wird am meisten benutzt und führt daher den Namen „Parforcejagd-Uebergang". Durch das Umreiten entsteht in der Verfolgung des Keilers ein Aufenthalt, und manchmal kommt es sogar vor, daß die Spur verloren und der Keiler durch die Lappen geht. Aber horch: die Jagdhörner der Pikeure melden das Wild „in Sicht." Die Jagdgesellschaft folgt in schärfster Gangart und hat dabei einen sehr unangenehmen, glatten Abhang hiuunterzureiten, _ wobei mancher „Rumpler" vorkommt. Leider giebt es auch ernstere Unfälle; aber nachdem die Reiter, die sich von ihren Pferden getrennt hatten — das Wort „herunterfallen" ist nicht beliebt — wieder aufgestiegen sind, ist das „rote Feld" bald wieder geschlossen hinter dem Keiler her. Unterdes hat das Schwein noch ein kleines Abenteuer gehabt, es hat eine Gastrolle bei der Familie Lehmann gegeben. Diese Familie, bestehend aus zwei Stück Eltern und zwei Kindern, hatte sich, wie A. O. Klanßmann amüsant erzählt, auf einem herbst¬ lichen Spaziergang begriffen, gerade im Walde gelagert, um die mitgebrachte Fourage zu verzehren, als sich plötzlich verdächtiges in der Nähe bemerkbar machte: ein Grunzen Geräusch

und Schnaufen- dann erschien in sehr flottem Tempo als un¬ geladener Frühstücksgast der Keiler, gefolgt von den Hunden, und

in seinen Ohren, in seinem Schwanz und an seinen Beinen Die Hunde so daß sich der Gefangene kaum rühren kann. haben ihn „gedeckt". Da ist auch schon der erste Reiter des roten Feldes, der sofort aus dem Sattel springt und an das Schwein, das sich zeitweise die Hunde abschüttelt und dann grunzend und schäumend vor Wut um sich herumhaut, von hinten heran¬ zukommen sucht. Er will es „ausheben", das heißt an den beiden Hinterläufen fassen, damit es sich nicht mehr gegen die Hunde

fest,

wehren kann. Das Ausheben gelingt, aber das Festhalten ist ein ganz schweres Stück Arbeit, und der „Ansheber" wünscht sehnlichst, daß der Master herankommt, der dem Schwein den Fang geben soll, das heißt, ihm den Hirschfänger ins Genick stößt und so den sofortigen Tod des Tieres herbeiführt. „Schwein tot! Schwein tot!" melden die Hörner der Pikeure. Die Jagdgesellschaft ist vollständig herangekommen, auch di-' un¬ geladene, von der diejenigen Jagdbummler am besten wegkamen, die gar nicht gelaufen sind, sondern am Ausgangspunkt der Jagd blieben, der auch ihr Endpunkt wurde. Auch Familie Lehmann ist herangekommen und betrachtet mit unverhohlener Schadenfreude die Leiche des Störenfrieds. Schadenfreude ist die reinste Freude, die der moderne Kulturmensch hat. Der Keiler ist aufgebrochen und die Hunde erhalten das Curs,

Ungebetene Gäste. wenn die Episode auch rasch vorüber war, so hat die Familie Lehmann doch durch die wilde Jagd einen mächtigen Schreck be¬ kommen und sendet dem Keiler einen greulichen Fluch nach, der ihm bald zum Verderben werden wird. Lehmann versucht zwar einige Witze zu machen, wie sie mit dem Schwein eigentlich noch „Schwein" gehabt hätten- allein Frau und Kinder stehen noch zu sehr unter dem Eindruck des borstigen Intermezzo. Der Keiler aber hat sich unterdes entschlossen, den in wildschweinischen Kreisen so beliebten „Hacken" zu schlagen, d. h. er hat kehrt gemacht und geht nun wieder über den Bahndamm zurück. Zum Glück ist ein Uebergang in der Nähe, und das „Feld" bleibt dicht hinter dem Schwein, das jetzt die dunkeln Fluten des Grunewaldsees als Rettung vor sich sieht. Es stürzt sich hinein, erlebt aber eine Ent¬ täuschung. Die bösen Hunde scheuen sich nämlich vor dem Waffer nicht, sondern setzen ebenfalls hinein, und da sie rascher schwimmen als der Keiler, kommen sie ihm scharf an den Hals. Die Reiter müssen unterdes den See umreiten, was so rasch geht, daß der Keiler nach dem Passieren des Sees nicht nur die Hunde, sondern auch die Reiter unmittelbar hinter sich hat. Und nun naht des Schwarzrocks letztes Stündlein. Er ist erschöpft von dem Wettschwimmen mit den Hunden, ermüdet vom vielen Laufen, und die Meute ist schärfer als zuvor. Einen Augenblick macht er Halt, um zu verschnaufen; aber schon haben ihn die Kunde erreicht, ehe er weiterlaufen kann. Mit wütendem Gekläff stürzen sie sich auf ihn, beißen sich

das heißt, einen Teil der in Stücke geschnittenen Jnnenteile des Schweins. Es geschieht dies nicht nur, um den Hunden eine Be¬ lohnung zu geben, sondern auch um sie für weitere Jagden scharf zu machen.

Die Pikeure blasen in langtönenden Fanfaren „die Jagd ab". Der Oberpikeur überreicht auf seinem Hirschsängergriff dem Master der Jagd einen Tannenzweig, von dem einzelne Stücke an die beim Halali Anwesenden vom Master verteilt werden. Ein solches Stück heißt „ein Bruch", und die Jäger schmücken sich damit, zum Zeichen, daß die Jagd erfolgreich gewesen, und hören auf die Worte des Masters, der laut verkündet, an welchem Tage und zu welcher Stunde die nächste königliche Parforcejagd stattfindet. Die Jagdteilnehmer verabschieden sich vom Master und von¬ einander und reiten in Gruppen oder einzeln nach Hause. Ter offizielle Teil der Jagd ist vorüber. Die ungeladenen Gäste, die bekanntlich stets am längsten bleiben, warten zum mindesten noch, bis die Waldarbeiter kommen, die auf einer Stange den Leichnam des Keilers davontragen, nicht zur letzten Ruhe, sondern zu irgend einem Wildhändler, von dem aus das Schwein in detailliertem Zustand in die Küchen gelangt. Der größte Teil der ungeladenen Gäste veranstaltet aber für den Toten eine Feier in den benachbarten Lokalen des GrunewaldS, wobei es in der Regel sehr lustig hergeht, falls nicht etwa ein paar Festgäste wegen der Abenteuer, die sie auf der Jagd erlebt haben, miteinander in unangenehme Differenzen geraten.

Berlin vor hundert Jahren.

t

alte Jahrhundert zu Ende geht — denn es scheint, die praktischen Leute recht behalten sollen, die das als ob W neue Jahrhundert mit 1900 anfangen wollen, vor einiger Zeit hat sich ja der Kaiser bei der Parade, „der letzten des Jahrhunderts", in diesem Sinne geäußert — darf wohl auch Berlin sich die Frage vorlegen: was hat dies neunzehnte Jahrhundert dir gebracht? Ja, Berlin darf es eher als alle anderen Großstädte; denn sein Auf¬ schwung gerade in diesem Jahrhundert, besonders in seinem letzten Viertel, ist ohnegleichen. Wir haben eine Karte, die uns das Berlin zeigt, das im Jahre 1799 existierte. Ein Blick ans diese

Wun das

-e

r

ich mit dem heutigen Plan von Berlin, den ziemlich im Kopfe haben muß, zeigt uns, was

: er.: ,e

Angabe aus jener Zeit sagt ungeheuer viel. ou,w. :: Berlin hatte 1799 gerade 150 000 Einwohner — heute hat es mehr als zehnmal, so viel.

Die Stadt Berlin bestand damals ans den alten, das Cen¬ trum einnehmenden Bestandteilen: Alt-Berlin, Alt-Cöll», Friedrichs-

(Nachdruck verbonn.)

die Friedrichsbrückc sind erst Kinder unseres Jahrhunderts. Dieser Stadtteil sieht noch ungefähr so aus wie damals. Ein paar Straßen haben andere Namen bekommen; die ehemalige „Lapp¬ straße" heißt jetzt Petristraße, und wo jetzt die Rittergasse sich brüstet, da hieß es damals einfach „Bullenwinkel" — man scheint diesen damals häufig vorkommenden Namen sehr geliebt zu haben. der Nordgegend, jenseits des Lustgartens, fehlten natürlich die Museen noch. Ein Graben verband dort die beiden Spreearme. Alt-Cölln fand nach Süden hin eine kleine Erweiterung durch Nen-Cölln, im wesentlichen lediglich die Wallstraße mit ihren Annexen bis zu dem Grünen Graben, der jetzt auch nicht mehr besteht. Er zog^sich, nicht sehr wohlriechend, von der Waisenbrücke im Innern der Straßenblocks zwischen Wallstraße und Neue Jakob¬ straße dahin; weiterhin deuten noch die Spittelkylonnaden in der Leipziger Straße, sowie die Kolonnaden der Mohrenstraße die Stellen an, wo er durchkam; schließlich ging er verdeckt am Prinzessinnen¬ palais und am Zeughanse vorbei und stürzte sich dort, wo jetzt noch die Bezeichnung „Knpfergraben" existiert, in den westlichen Spreearm; in den achtziger

In

(-rrundriss

Berlin

Jahren dieses Jahrhunderts schlug seine Stunde auch. Die Gegend zwischen diesem Grünen Graben und dem westlichen Spreearm, vom Spittelmarkt über den Hans¬ vogteiplatz (damals „Schinken¬ platz") bis hinter das Zeug¬

haus hießund heißt Friedrichs¬ werder. Dort war die „alte Friedrichsstraße" (Kurstraße), wie es jetzt noch eine Alte Leipziger Straße giebt. In den westlichen Vor¬ städten, der Neustadt und der Friedrichsstadt, hat sich nicht viel geändert, wenigstens was die Lage der Straßen an¬ langt. Die Querstraßen der Friedrichsstraße sind noch die¬ selben wie damals, nur daß im Süden die Besselstraße und die Puttkamerstraße durch¬ gebrochen sind, und daß im Norden einige Namen anders

Die „letzte geworden sind. Straße" heißt jetzt Dorotheenstraßc, und ans dem „Katzenstieg" ist die Georgenstraße geworden. Neu sind auch die Durchbrüche zwischen Frie¬ drich- und Wilhelmstraßc; die Hedemannstraße, die Anhalt-

Plan von wcrder und Nen-Cölln; um diese Stadtteile herum lagen die Vorstädte: Neustadt, Friedrichsstadt, Köpenicker Viertel, Stralauer Viertel, Königstadt und Spandauer Viertel. Roch heute sind die alten Bestandteile der Stadt, die llrgemeinden, ans denen später die märkische Hauptstadt zusammen¬ wuchs, gut zu erkennen. Alt-Berlin lag zwischen der Spree und dem Königsgraben. Dieser Kanal existiert nicht mehr, aber er wird durch die Linie der Stadtbahn zwischen den Bahnhöfen Janowitzbrücke und Börse klar markiert. Alt-Berlin ist die Umgebung der Nikolai- und der Marienkirche, des Molkenmarktcs und des Neuen Marktes. Wir finden hier alte Bekannte: die Königsstraße, die Jüdenstraße, die Klosterstraße u. s. w. Wir vermissen natürlich die Kaiser Wilhelm¬ straße, die wir mit haben ans der alten Papenstraßc erstehen sehen, und dafür sehen wir noch manches verzeichnet, was in¬ zwischen verschwunden ist: die Königsmauer, berüchtigten Ange¬ denkens, das Jeckholl (Ghetto) u. a. Eine Menge kleiner Gassen und Durchgänge sind ans der Karte nur init Buchstaben bezeichnet, so so und tt die Straße „hinter der Stralauer Mauer" und der „Bullenwinkel" (heute Waisenstraße), n und ckck die berühmte „Reetzcngasse" und die „Kronengasse" (die heutige Parochialstraße). An der Ecke der Königstraße und der Spandauerstraße stand schon damals das Rathaus, aber es war ein erheblich kleineres Gebäude

als heut.

Alt-Cölln ist der Stadtteil zwischen den beide» Spreearmen, das, was wir heute die Mnseumsinsel nennen, die Gegend um das Schloß und die Petrikirche. Der Mühlendamm und die Lange Brücke verbanden Alt-Cölln mit Alt-Berlin, die Kaiser Wilhelmbrücke (selbst in ihrer primitiven Form als hölzerne „Kavalierbrücke") und

straße, dicPrinzAlbrechtstraße, die Boßstraße waren noch nicht vorhanden. Der Pariser Platz hieß damals einfach „Das Viereck", wie der Leipziger Platz als „Achteck" und der Belleallianceplatz als „Rondel" bezeichnet wurde. Hier war auch Berlin zu Ende. Die ganze Potsdamer Straße mit all ihren Querstraßen u. s. w., die Dort waren ganze Hallesche Vorstadt existierten einfach nicht. Gärtnereien, Wiesen, Landban. Der „Floßgraben", jetzt nach einer tüchtigen Regulierung der Landwehrkanal, kam am Halleschen Thor gerade an die Stadt heran, sonst floß er idyllisch durch grüne Gelände. Das Köpenicker Viertel, das sich von der Lindcnstraße über die alte und neue Jakobstraße bis an die Spree erstreckt, zeigt schon durch sein äußeres Ansehen, daß hier noch viel unbebaut war. Die Oranienstraße, jetzt eine Hauptader, war ein Gäßchen, das die Alte Jakobstraße mit der „Todtengasse" verband. Dort, wo jetzt das Waldeck-Denkmal steht, war Berlin zu Ende. Die ganze Lnisenstadt mit ihrem Kanal, die Priuzenstraße, Ritter¬ straße n. s. w., die ganze Gegend bis Rixdorf hin, war noch un¬ bebaut. Hie und da ein einzelnes Gehöft — das übrige hieß „Köpenicker Feld". Außer einer Menge von Straßen der Köpenicker Vorstadt, die damals noch nicht vorhanden waren, fällt die große Zahl derer ans, die ihren Namen geändert haben: wir finden da eine „Husarenstraße" (die Hollmannstraße), eine „Hasenhcgergasse" (die Feilnerstraße) u. a. m. Die Dresdenerstraße ist als „Rycksdorfer Straße" bezeichnet, die Annenstraße führt den Namen „Schüscrgasse". An der Spree lagen die Holzmärkle. Die Stralauer Vorstadt jenseits der Spree reicht ans der Karte bis an die jetzige Warschanerstraße; in Wirklichkeit blieb sie weit zurück. Hier finden wir wieder einen „Bnllenwinkel" (die heutige Fruchtstraße), die Koppenstraße, die jetzt fast schnurgerade vorläuft macht allerlei Kreuz- und Onerzüge, die Andreasstraße fehlt ganz

der

well.

(14

500

t

Deplacement.)

M,iir«llc.

(II

900

t

Deplacement.)

Torprdoboolirrstiirer.

Lo^al

Sovrrrlg».

(14

l"»0

t

Deplacement.!

Schiffslupen

der

englischen

Flotte,

nach

einer

Zcichninig

von

G.

Schön.

:

784

die Krauts- und Markusstraße (damals „Rosengasse", wie die Kleine Markusstraße „Rosenquergasse") sehen schon ziemlich aus wie heute, und nach dem Innern zu schlängelt sich die Straße „an der Coutreescarpe" (Alexanderstraße) von der Holzmarktstraße bis zum „Paradeplatz" (Alexauderplatz). Eine Anzahl von Durchlegungeu, die Wallnertheaterstraße, die Jfflandstraße, die Marsiliusstraße, Verlängerungen des Grünen Wegs, der „Lehmgasse" (Blumen¬ straße), der Langenstraße u. s. iu., je mehr nach Friedrichsberg zu, desto mehr, sind erst in unseren Tagen entstanden. Die nordöstliche Vorstadt, die Königsstadt, zog sich vom Paradeplatz" bis zum „Bernauer Thor" (Königsthor, am Anfang

Friedrichshains); ihre Hanptader, die Rene Königstraße, hieß damals „Bernauerstraße". Westlich davon lagert sich über das Rord-Ufer der Spree die Spandaner Vorstadt, vom Schenuenviertel bis zur Cbaritee. Ihre Nordgrenze ist der Zug der Linienstraße. Jetzt greift Berlin dort bis nach Reinickendorf, über den Wedding und den Gesund¬ brunnen hinaus. Aber auch der damals bestehende Teil, besonders im westlichen Zipfel, an der Pauke, dort, wo jetzt das Medizinerviertel sich westlich von der Friedrichstraße (dieser Teil hieß damals „Dammstraße") entwickelt hat, war noch wenig aufgeschlossen. vr. K. Mischte. des

^ecn'Uekoy cks J|är.

t

Vorn südafrikanischen Kriegsschauplatz.

in dem Gefecht bei Elandslaagte am 21. Oktober in englische Gefangenschaft geratene Oberst AdölfFricdrich Schiel, der Führer des deutschen Freikorps der Südafrikanischen Republik, wurde am 19. De¬ zember 1858 zu Frankfurt a. M. als der Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach¬ dem er seiner Militärpflicht im braun¬ er

1. Armeekorps, ein Veteran aus dem Zulukrieg, der auch in Birma und den Kämpfen an der Nordwestgrenze Indiens tapfer gefochten hatte. in Birma während der Jahre 1885 bis 1889 war die berittene Infanterie von ihm organisiert und geführt worden. Auch während der ChinLushai-Expedition 1889/90 hatte Symons das Kommando über eine selbständige Kolonne, und während des Feldzugs in Waziristan befehligte er die 2. Brigade. Als die Engländer Glencoe

In

schweigischen Husarenregiment Nr. 17 ge¬ nügt hatte, wanderte er nach Südafrika aus, wo er bald ein sehr wohlhabender und angesehener Mann wurde. Als Ver¬ trauter Dinizulus, des Sohnes Ketschwayos, ging er 1885 nach Berlin, um für die Santa-Luciabai die deutsche Schutzherrschaft zu erlangen; doch sah sich die Reichsregicrung veranlaßt, von einer

Besitzergreifung im Zululand Abstand zu nehmen. Die Südafrikanische Republik ernannte Schiel zum Eingeborenen¬ kommissar im nördlichen Teil ihres Ge¬ bietes; auch wurde er mit der Oberleitung des Gefängniswesens in Transvaal be¬ traut. Nachdem er sich in den Kämpfen der Buren gegen die Basutos mehrfach ausgezeichnet hatte, wurde er Adjutant des Generals Joubert. Als der Krieg mit den Engländern drohte, bildete Schiel ein deutsches Freikorps, dessen Oberbefehl er übernahm. Er hatte aber das Mi߬ geschick, schon zehn Tage nach Eröffnung der Feindseligkeiten in Gefangenschaft zu geraten. In dem mörderischen Gefecht bei Glencoe am 20. Oktober betrug der Gesamtverlust der Engländer nach amt¬ lichen Nachrichten 31 Tote und 151 Ver-

des deutschen Freiwilligenkorps in Transvaal, im Gefecht von Elandslaagte von den Engländern gefangen genommen.

Oberst Schiel, Kommandant

General George White,

Generalmajor lV. P. Symons, im Gefecht von Glencoe schwer verwundet,

f am

räumen mußten, blieb Symons mit anderen schwer Verwundeten dort zurück; aber schon am 23. Oktober machte der Tod seinen Leiden ein Ende. Der Höchstkommandierende in Natal, Generalleutnant Sir George White, hat im Afghanischen Krieg von 1879/80 reiche Erfahrungen für den Kampf in bergigem Gelände sammeln können. Im Beginn des gegenwärtigen Feldzugs ist Aufgabe außerordentlich seine jedoch schwierig; denn er soll dem vereinigten Angriff der Truppen Transvaals und des Oranje-Freistaates so lange standhalte», bis Sir Redvers Buller mit beit Ver¬ stärkungen aus dem Mutterland auf dem Kriegsschauplatz eintrifft und den Ober¬ befehl übernimmt. Ob dies aber möglich sein wird, ist nach der Niederlage, die White am 30. Oktober bei Ladysmith er¬ litten hat, doch recht fraglich geworden. Die Stärke der Buren wurde am Tage vor der Schlacht bei Ladysmith auf 17 000 Wann geschätzt, über die am 28. Oktober Joubert den Oberbefehl übernominen hatte. An Artillerie standen ihm 30 Feldgeschütze und wahrscheinlich vier Vierzigpfünder zur Verfügung, da¬ runter angeblich diejenigen schweren Ge¬ die die Engländer auf ihrem schütze, Rückzug von Glencoe zurücklassen inußten.

23. Oktober.

mundete. Verhältnismäßig sehr bedeutend war das Ofsizierkorps hier¬ bei in Mitleidenschaft gezogen ivorden, 11 Ofsizierc waren gefallen und drei schwer verwundet. Unter den tödtlich Verwundeten befand sich auch Generalmajor Sir W. P. Symons, Kommandeur der 4. Division des

Oberkommandant der britischen Truppen in Natal.

Die unter White stehenden britischen Streitkräftc beziffern sich auf Diese zahlenmäßige Ucbcrlegenhcit 12 000 Mann mit 48 Geschützen. der englischen Artillerie über die des Gegners wird jedoch auf^das richtige Maß zurückgeführt durch General Whites offenes Zugestand-

735

nis, das die

Geschütze der

Afrikander weiter reichen als die englischen

Feldgeschütze.

Das in den letzten Wochen vielgenannte Ladysmith, die dritte Stadt der britischen Kolonie Natal, liegt in mehr als 1000 Meter Meereshöhe zu beiden Seiten des Klip River an einer nach Osten ab¬ fallenden Berglehne, nur 30 englische Meilen von der Hauptkette der Drakenberge

entfernt.

Die durch eine gute Wasserleitung versorgte

Stadt zählt 4500 Einwohner und hat ansehnliche öffentliche Gebäude, wie das Gerichtshans, das Gefängnis, die Polizcikaserne u. s. f. Wenn auch die hier eingeschlossenen Engländer Wassermangel nicht zu furchten haben, so pflegt der während der jetzt beginnenden Regenpcriode aus seinen Ufern tretende Klip River in der Stadt nicht geringe Zerstörungen anzurichten.

Nur etwa

acht englische

liegt das Städchen

Meilen westlich von der Grenze Transvaals das Hauptquartier der Grenzpolizei

Mafeking,

Dir

stärkste

lt-Englands Flotte! — Der Stolz jedes Britten, vom Lord hinab

zum hungernden Landstreicher, ist diese Flotte, die die Macht die Größe des Jnselreiches begründet hat, und die sie nun er¬ halten soll. Wahrlich keine leichte Aufgabe, wenn man berücksichtigt, daß die Länder der englischen Krone über die ganze bewohnte Erde verstreut liegen, und daß in seinen Kolonien, in seinem ausgedehnten Handel und Verkehr die Existenz des Landes wurzelt. Eine riesige Flottcnmacht ist es denn auch, die England sich ge¬ schaffen hat, eine Macht, die in der ganzen Welt nicht ihresgleichen findet, und auch die Boeren werden sic fühlen, selbst ohne vielleicht Länge.

w

London

122

Majestic

119 m

Breite.

Tiefgang.

23 m

8,2 m

w

28

w

8,6

„Tcrrible",

Turmpanzer.

14900 Tonnen 15000 H. P.

25 cm

30,5 cm

10,1 cm

IV

14900 Tonnen 12497 H. P.

22,8 cm

35,5 cm

10,1 cm

IV

ältesten Panzer mitgerechnet sind. Tie englische Krcuzerflottc besteht aus 51 Kreuzern erster Klasse sPanzcrkreuzeriij, von denen vor allen die beiden größten Kreuzer der

und

auch nur eins der Schiffe zu sehen, die in Süd-Aftika stationiert sind. Gerade in solchen Fällen, in denen die Flotte scheinbar thatenlos an den Küsten des Landes umherstreift, zeigt sich sogar oft ihre Macht am deutlichsten. Englands Flotte besteht aus 45 Schlachtschiffen erster und 23 (älteren) zweiter Klasse, von deren ersteren allerdings ein Teil noch im Bau begriffen ist. •— Die größten und modernsten Schiffe unter diesen sind die Riesen der „Majestic"-Klasse, sowie ihre noch verbesserten Nachfolger der „London"- und „Formidable"-Klasse, und cs seien die „London" und die hier auch im Bilde ivicdcrgegebene „Majestic" gewählt, um dem Leser diese gewaltigen Kolosse zu veranschaulichen.

Maschinensrärke.

Die Geschwindigkeit der Schiffe beträgt 17,5 bezw. 11 Meilen

„Powerful"

Zugs mittels Glockenzeichen.

Gürtel¬ panzer.

Deplacement.

in der Stunde. Wie groß im Verhältnis zu anderen Flotten die Zahl dieser Schlacht¬ schiffe ist, gebt wohl am besten daraus hervor, daß Frankreich, die zweit¬ größte Seemacht, nur insgesamt 26 Schlachtschiffe besitzt, wobei die

Welt,

des

Flotte der Welt.

S bis und

Ramc.

vom britischen Betschuanaland und Station der Buluwayo mit der Rings um das heiß umstrittene Kapstadt verbindenden Eisenbahn. Mafeking wohnt der Stamm der Barolongs. Vor dem Krieg wurde die Stadt von dem Thal des Flusses Marico her versorgt, wo sich Transvaalburen angesiedelt, die aus der Bewirtschaftung ihrer Farmen ein schönes Einkommen beziehen. Aus der Mafeking berührenden Eisenbahn fanden zuerst in diesem Kriege gepanzerte Züge Verwendung, die aus einer mächtigen Maschine und mehreren Lowries bestehen, deren Seitenwände durch Eisenplatten auf eine Höhe von zwei Metern gebracht sind. Jede Lowry kann 64 Mann aufnehmen, die sich bei der Handhabung ihrer Gewehre der schmalen Schießscharten bedienen, von denen die Seitenwände durch¬ brochen sind. Der Lokomotivführer und der Maschinist haben durch die Panzerplatten der Lokoniotive gleichfalls hinreichende Deckung und erhalten die Signale zum Vorwärts- oder Zurückgehen von dem Führer

Erwähnung verdienen.

30 cm, XII 15 cm u. XXX leich¬ tere Geschütze. 30 cm, XII 15 cm, XVIII 7,5 cm, XII 4,7 cm, 2 leichtere Geschütze, 8 Maschinengewehre.

griffen: sie erhalten jedoch noch stärkere Maschine» (30 000 H. P.) und tollen 23 Meilen laufen. — Es folgen sodann 132, teils durch ein teils gänzlich ungepanzertc Kreuzer, sowie Panzerdeck geschützte, 78 Kanonenboote. Die grüßten Kreuzer vom Typ „Hermes" besitzen ein Deplacement von 6000 Tonnen bei 10 000 H. P. leistenden Maschinen, die kleinsten, sogenannten Floops, vom Typ „Condor" ein Deplacement von 960 Tonnen bei 1400 H. P. Die Kanonenboote komme» als eigentliche Kampfschiffe nicht mehr

Lin gepanrrrker Lisrnbatzniug aus der Es sind dies Schwesterschiffc von 152 w Länge, 22 m Breite, 8,6 m Tiefgang und 14 200 Deplacement, deren Maschinen nicht weniger als 25 000 H. P. leisten und den riesigen Kreuzern eine Geschwindigkeit von 22 Meile» in der Stunde erteilen. Die „Powerful" ist bekanntlich gegenwärtig in Afrika stationiert. Vier gleich große Kreuzer desselben Typs sind noch im Bau be¬

Armiern ng.

Deckpanzer.

Strecke Limbrrley-Mafeking.

Wie in allen Marinen, so legt man auch in der englischen großen Wert auf eine starke Torpedoslotte, und es sind allein an größeren Torpcdobootsjägcrn 29 vorhanden, von denen die größten bei einer Länge von 76,2, einer Breite von 9,3 und einem Tiefgang von 3,4 Metern ein Deplacement von 1070 Tonnen besitzen. Spezialschiffe für die Torpedoflotte sind die Torpedo-Depot» tn Betracht.

786

Schiffe „Sultan" und „Hecla" von

6620, bezw. 6400 Tonnen Deplacement, die schwimmende Werkstätten sind, in denen die Torpedo¬ boote alles finden, dessen sie bedürfen, um etwaige Schäden aus¬

zubessern.

Ein merkwürdiges Fahrzeug

ist das sogenannte Torpcdorammschiff Schiff von 2640 Tonnen Deplacement, dessen eigenartig geformter Rumpf fast gauz unter Wasser liegt. Das im Jahre 1881 erbaute Schiff hat jedoch den gehegten Erwartungen nicht

„Polyphcmus",

ein

Die bedeutenden Schiffe dieser Art sind „Aurania", „Campania", und die riesigen Schnelldampfer der White Star Line und „Majestic", die zu den größten ihrer Art in der Welt zählen und nur in den neuen Dampfern des Lloyd, „Kaiser Wilhelm der Große" und „Kaiser Friedrich" ebenbürtige Ge¬ nossen besitzen. Auch das zur Zeit größte Schiff der Welt, die kolossale „Oceanic" die selbst den berühmten „Great Eastern" noch übertrifft,

„Lucania" „Teutonic"

gehört hierher.

H. de

entsprochen.

Die sogenannten Torpedobootzerstörer sind eigentlich nur eine ver¬ größerte Ausgabe der Torpedoboote, ähnlich den Divisionsbooten der deutschen Flotte.

Als

typisch

für die größten und modernsten Boote dieser Art kann r „Expreß" gelten, ein Fahrzeug von 71,6 rv Länge Deplacement. Das Boot erhält durch zwei Maschinen >250 8. P. eine Geschwindigkeit von 33 Meilen in der

Insgesamt sind 108 solcher Fahrzeuge vorhanden. An kleinen Torpedobooten besitzt England 90 erster und 64 zweiter Klasse, von denen die größeren bei 45 m Länge und 5,3 m Breite ein Deplacement von 125 Tonnen, die kleinsten bei 18 m Länge und 2,7 m Breite ein Deplacement von 16 Tonnen besitzen. An Minenfahrzeugen sind zusammen 22 vorhanden. Es folgen sodann noch 2 Truppentransportschiffe, 8 Vermessungs¬ schiffe, unter denen sich auch das frühere Kanonenboot „Watcrwitch" mit hydraulischem Motor befindet, 7 Dachten und 12 Panzerschiffe älterer Konstruktion sür die Küstenvcrteidigung, sowie eine größere Anzahl von Dampf- und Segelschiffen und -Fahrzeugen für den Hafen-, Werst-, Statious- und Küstenwachdienst rc., unter denen sich eine stattliche Anzahl jener stolzen Zwei- und Dreidecker befinden, die über hundert Jahre die Ozeane beherrscht haben, und als die berühmten „wooden walls of old England“ der Stolz und die Freude jedes Seemanns waren, bis das Panzerschiff sie von ihrem Platze verdrängte und sie wertlos machte. Wie in allen Staaten, so ist ferner auch in England die Einrichtung

Dir alte Welt. getroffen worden, daß die großen, schnellen Passagierdampfer der Handelsflotte im Kriegsfalle als Hilfskreuzer in die Kriegsmarine ein¬

gereiht werden können.

Devonport, Woolwich, Honkong und Sydney sind Ausrüstungs- und Munitionsdepots für diese Schiffe, und für nicht weniger als 26 Hilfskreuzer liegt die Armierung bereit.

Msville.

Das Lirbeswerkr einer deutschen Künstlerin. „Edel

sei der Mensch,

hilfreich und gut." Goethe.

in welcher der Egoismus leider nur zu viele Herzen unter sein segeuloses Szepter beugt, und in welcher selbstlose Gaben und Opfer in höherem Umfange und in größerem Stil nur so selten

S

n einer Zeit,

darf es doppelt erfreulich erscheinen, wenn von Liebesganz besonderer Art wieder einmal die Rede ist. Es hieße freilich, ungerecht dieses Zeitalter und sein Geschlecht verkennen, wollte man ihnen beiden ohne weiteres die Tendenz andichten: absichtlich das schöne Mahnwort Goethes mißachten zu wollen, denn, was Menschen¬ liebe und menschenfreundlicher Edelsinn täglich im engeren Kreise der Familie wie auch in den weiteren Zirkeln der staatlichen Gemeinschaft durch edle Hilfe und durch selbstlose Nächstenliebe offenbaren, giebt uns wahrlich die trostreiche Ueberzeugung, daß im Kampf mit der Ichsucht auch heute noch mancher Sieg erfochten wird. Davon legt das dauernde Liebeswerk, welches Marie Seebach in ihrer Stiftung errichtete, Zeugnis ab. Ein freundlicher Bau im modernen Cottagestil ist es, der hinter dem Monument aufragt, und in dem jetzt achtzehn Mitglieder der Theaterwelt Platz und völlige Verpflegung finden. Am 4. Ok¬ tober 1895 erfolgte in Gegenwart der edlen Stifterin der weihevolle Akt der Eröffnung, bei welcher sieben Insassen als die ersten Stiftsbcwohncr ihren Einzug hielten. Für sie wie sür alle, die fortan im Laufe der Zeiten das Marie-Seebachstift beziehen werden, ist bis auf das Taschengeld und die Garderobcn-Ergänzung alles in diesem Veteranenheiin vorgesorgt. Mit Einschluß der mit dem Tode der Stiflerin dem Hause anheimgefallenen letzten Zuwendung ist das letztere nunmehr durch ein Kapital von rund 250000 Mark fundamenticrt. In der Thal: von Einzelschöpfnngeu mit humanitärer Tendenz dürften wenige heutigen Tages aufzuzählen sein, die in solcher Weise von einer, lediglich auf den persönlichen Berufscrwcrb angewiesenen Frau bisher ins Leben gerufen worden sind. An der Spitze der Verwaltung des Stiftes, dessen Protektor der Großherzog Carl Alexander ist, steht ein Kuratorium von fünf Männern, von welchen der Protektor drei und die Genossenschaft deutscher Bühncnangehöriger zwei Mitglieder erwählt. Außerdem gehörte dieser Administrationsbchörde mit Sitz und Stimme auch die Stifterin an und seit ihrem Ableben ihre Schwester, Wilhelmine Secbach, die alljährlich in dem Veterancnhcim mehrere Wochen zuzubringen pflegt. Zur Aufnahme in das, seit dem letzten Jahr durch den Anbau eines Seitenflügels noch um sechs Wohnrüume vergrößerte Stift sind ursprünglich nur Pensionäre der Genossenschaft deutscher Bühnenangchöriger berechtigt gcivcseu, doch sind in letzter Zeit auch schon andere, nachweislich unbemittelte ehe¬ malige Theaterkünstler und Künstlerinnen (selbstredend ohne Rücksicht auf Konfession oder Religion) aufgenommen worden. Für die Ver¬ pflegung u. s. w. hat ein Hauswart zu sorgen, über den — zumal in Bezug auf den Speisezettel — vier „Ehrendamen" die Ober¬ aufsicht führen, welche sich aus der Stadt Weimar auf Aufforderung der Stifterin und des Kuratoriums bereitwilligst in den Dienst der guten Sache stellten, und welche mit nimmer müdem Eifer tagtäglich umsichtig das Stift kontrollieren. Auch insofern hat sich die alte Küustlcrstadt am Ufer der Ilm und zumal dessen Frauenwelt in rühmlichster Weise an dem Licbeswerk Marie Seebachs beteiligt, als sie der Stiftsbibliothek reiche Zuwendutigcu machten) diese Bibliothek zählt heute schon mehrere hundert Bünde, deren Verwaltung der ehr¬ würdige Senior des Stifts, der 76 jährige Doktor Franke, mit geradezu rührender Sorgfalt führt. Tie Generalintendanz des Hoftheaters geivährt, ebenso wie die Vorstände der vielen Sehenwürdigkeits-Jnstitutc, den Stiftsbewohuern freien Eintritt, und da der Weg in die Stadt nicht allzuweit, bilden die Insassen durchaus keine Welt für sich, sondern stehen mit der Einwohnerschaft in mancherlei geselligem Konnex. Ter Lau des Vorderhauses verursachte, um auch nach dieser Richtung hin das Thema erschöpfend zu behandeln, einen Kostenausivand von 28 000 Mark! das Gebäude ist 17 Meter lang und 13 Meter tief! im Kellergeschoß befindet sich außer der Waschküche, dem Bügelzimmer, der Speisekammer und Küche auch die allen Bewohnern zu Diensten stehende Badestube. Was der einzelne an Möbeln oder sonstigen Hausrat bei seinem Einzug mitbringt, verbleibt nach dessen Tod laut des dem Stift zuerkannten Potcstaterbrechts dem Hansel im übrigen sind alle Wohnränme behaglich eingerichtet, daß auf derlei Zubrin¬ gungen gar nicht gerechnet wird. Ter gemütlichste Raum ist der im Erdgeschoß befindliche Spciscsaal, in welchem mittags wie abends alle Stistsbewohner gemeinschaftlich ihre Mahlzeiten einnehmen, und weldzer hernach ein überaus behagliches Plaudcrstübchen darstellt. Diesem Raum gegenüber, zur Linken vom Eingang, befinden sich die beiden einfach ausgestatteten Parterrestuben, in denen ehedem Frau Marie Secbach zu ivvhncn pflegte, so oft sie ihre „Babys" im Stift besuchte. Jetzt sind diese Zimmer durch Fräulein Wilhelmine Secbach in eine Art von Museum umgestaltet, in welchem alle Auszeichnungen und Ehrungen und Geschenke Platz fanden, welche der gefeierten Künstlerin einst zu teil wurden, nicht bloß von Fürsten und Mäcenen, sondern auch von solchen Freunden und Frcundinucu der Theatermuse, deren fast armselige Gaben doch so rührend sind. Welch eine Fülle der Erinnerungen an diese so glänzende Laufbahn werden in diesem kleinen Raum geweckt! Auch das Gebetbuch Gretchcus fehlt nicht zu Tage treten,

wcrkeu

737

u»d das blaue Gewand mit den weißen Puffärmeln, in welchem Marie Seebach einst bei den großen Muster-Enscmblevorstellungen zu München unter der Leitung Franz von Dingelstedts durch die Darstellung eben dieser Rolle den ersten Platz in der deutschen Schauspielerwelt sich errang. Viel hundertmal hat dann die Künstlerin — „an allen Enden der be¬ wohnten Erde" könnte man sagen — jung und alt mit der lebensvollen

In

den vorderen Räumen find eine Reihe von Tuschzeichnuugen des so früh verstorbenen Ungarn Märold ausgestellt. Es sind meist Originale zu Illustrationen) aber gerade in diesen Blättern sieht man ganz anders als das die Reproduktion zn geben imstande ist, die ganze Fülle von Pikanterie, die Märold mit den paar Tuschtünen zu bannen wußte, die Grazie, die ihm aus jedem Pinselstrich strömte. Die Zeichnungen des Dresdeners zeugen von der enormen Tüchtigkeit, über die er als Zeichner verfügt, da sie aber nur Studien sind, lassen sie kein Urteil über seine Eigenschaften als Künstler zu. Tie Bilder von Josef Block zeigen, was für unerfreuliche Wirkung entsteht, wenn man mit den impressionistischen Knnstmitteln der Jungen die Stoffe der Alten in deren traditionellem, novellistischem Sinne be¬ handelt. Das Streben, es allen recht zu machen, wird eben nie Werke von starkem Charakter und Wert zeitigen.

Müller

*

*

In

der Tiergartenstraße reift gegenwärtig ein Bau der ollendurig entgegen, der sicher nach seiner Fertigstellung zu den arasitektonischmerkwürdigsten Gebäuden Berlins zähleii wird. Es ist der Palast des Inhabers der großen Exportfirma Staudt. Prof. Rieth, der sich durch seine genial angelegten Entwürfe schon seit Jahren den Ruf eines der fähigsten Architekten Berlins erworben hat, ist der Erbauer. Er hat einmal Gelegenheit gehabt und sie redlich wahrgenommen, seiner sprü¬ henden Phantasie ihren ungezügelten Lauf zu lassen und einen seiner

barocken Architcktürträume wirklich in Stein umzusetzen. Es galt ihm offenbar, in de» verwendeten architektonischen Elcmeiitcn die Ausbreitung des Slaudtschen Handels bis in die exotischsten Länder zu symbolisieren, und so sehen wir Anklänge an den Stil indischer Tempel neben deutschen Renaissanceformen und in dem überreichen Skulpturenschmuck streng stilisierte Statuen neben naturalistischen Tiergestalten. Zur Verkörperung seiner Ideen im Sinne seines Bauwerks zog sich der Architekt Professor Manzel heran und die beiden an der Fassade angebrachten Figuren, öie_ unsere Abbildungen zeigen, beweisen, wie ernst dieser seine Aufgabe aufgefaßt hat. Die Figuren verkörpern die alte und die neue Welt. Diese, leicht gegürtet mit einem Shawl, die Brust entblößt, einen indianischen Schmuck von Federn im Haar, hält als Symbol der Naturkräfte eine Schlange hocherhoben in der Linken, während die Rechte das zottige

Das Srebach - Stift. Verkörperung dieser herrlichste» Fraucngestalt aus Goethes dramatischen Schöpfungen hingerissen zu enthusiastischem Beifall! Je mehr wir uns durch all diese toten Gegenstände, welche in diese», Museum lebhaft zu uns reden, immer plastischer und greifbarer die Erscheinung Marie Seebachs rekonstruieren, desto tiefer blicken wir in die ganze geistige Wesenschaft der Verstorbenen, welche sich nicht bloß in ihrem Künstlerwirken auslebte, sondern auch in diesem Liebeswcrk der Weimarischen Stiftung Zeugnis gab von ihrer echt deutschen Gemütstiesc! Tort die geniale Eigenart einer Mcnschendarstellerin, wie sie das deutsche Theater wenig saht hier das goldene Herz einer Menschenfreundin, deren bleibendes Merk auch den späteren Geschlechtern das Mahnwort zuruft: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!"

Wilhelm Asmus.

Weimar.

Kunst und Wissenschaft. Aus

den Kunstfulons.

Schulteschen Kunstsalon ist gegenwärtig eine Ausstellung von SM Bildern zweier der hervorragendsten Mitglieder der GlaSgower Malerschule. Es ist gelegentlich dieser hochinteressanten Ausstellung bcmerkeusivert, wie sich der Geschmack des Publikums in den ivcnigcn Jahren seit de», ersten Auftreten schottischer Bilder in Berlin entwickelt hat. Von dein SSr-m

empörten Widerspruch, dem überlegene» Absprechen, das damals rück¬ sichtslos überall zu hören ivar, ist heuer nicht viel mehr zu merke». Man empfindet jetzt den Zauber der Poesie der in ben_ gedämpften Farbcnharnionien dieser Bilder wirkt. Mau fühlt die Größe der Ausfassung in de» Bildnissen Saverys, die gewaltige malerische Meister¬ schaft, mit der sie auf die Leinwand gestrichen sind. Da ist nichts Klein¬ liches in der Technik, nirgends tritt einem das Kokettieren nnt dem Pinselstrich entgegen. Schlicht und gerad geht der Künstler immer nur auf das Wesen der nialerischcn Erscheinung aus, damit erzielt er seine Bildwirkung, damit, wie das in dem Bildnis der Dame im filtterbesctzten schwarzen Seidenkleidc so glänzend hervortritt, charakterisier er aber auch meisterhaft) man sehe nur einmal die Bildnisse einer englischen, einer italienischen, einer schottischen und einer amerikanischen Dame an oder das Selbstbildnis des Künstlers mit seinem Töchterchen. Whitelar-Hamilton, der schottische Landschafter, ist farbiger als feinste Saverv. In großen starken Lokaltönen, die er aus dav Poesien harmonisch zu gobelinartiger Wirkung abstimmt, weih er seine auf die Leinwand zu bannen. Die felsigen Meeresküsten und Klipp», wie die baumbestandenen Hügel und wiesenubergrunten ^lußthaler nüchterne, seines Vaterlandes geben ihm die Motive, aber das ist nie eine und platte Abschrift der Natur) wir sehe» überall, was für Schonherten hat, Reize sie dem poetisch empfindenden Auge des Malers enthüllt ivas gerade er und nur er sah und empfand. —

Die neue Welk. Fell eines erlegten Büffels schleift. Die die alte Welt darstellende Figur in Panzer und Brünne, erhebt das mit Siegeslorbeer umwundene Schwert nnd hält eine Schriftrollc umfaßt) zu ihren Füßen steht das Modell einer Domarchitektur. So giebt sich klar der symbolisierte Gedanke: im Schutze des bewaffneten Friedens gedeihen'Kunst und Wissenschaft.

788

In

bnn Salon „Keller & Reiner" ist eine sehr reichhaltige nnb Mannigfaltigkeit der Gegensätze unter den ausstellenden Künstlern sehr interessante Ausstellung eingebogen. An der Spitze stehen zwei ältere und weniger bekannte Gemälde Meister Böcklins, die stimmuugsgewaltige Burgruine am Meer und ein blumenüberwucherter Fclsabsturz aus der römischen Campagna, letzteres aus seiner frühesten Zeit (1860). Der junge Märchcnmaler Brandenburg zeigt einige seiner neuesten Schöpfungen! es ist ein heißes, nervöses Ringen in ihnen, wie ein Albdruck legen sie sich auf den Beschauer, ihn nicht los¬ lassend aus ihrem Banne.' Der kräftige Schilderet- Berliner Typen aus dem vierten Stande, Hans Baluscheck, hat mit dem Pastell der „Lumpensammlerinnen" das reifste Werk geliefert, das er überhaupt bisher an die Oeffentlichkeit brachte. Der weiche, feine Impressionist Ulrich Hübner bringt einige neue Landschaften mit virtuosen Franz Stapens feinste Arbeiten sind einige isten, in denen die Liebe zum nebensächlichen Detail durch

die

_

Trockenheit der Formensprache hervorgebracht hat.

Hermann Hendrich zu wenig, aus den vielen sie er ausstellt, spricht oft ein großer, heroischer Zug, >at

.

mit der flüchtigsten Andeutung, Die Zürcherin zeigt in einer großen Anzahl von Bildniffen und Figurendarnellungen ein ernstes Wollen und beachtenswertes Können, der Münchener Paul Schad einige flüchtige Landschaftsstimmungen und ein werkwürdig dekorativ in ganz flachem Relief ausgeführtes Bild, „den Garten Eden", den man allerdings niemals mit unserer Erdenschönheit vertauschen möchte. Die Porträtbüsten und die lebensgroße Figur, die Richard Engelmann ausstellt, sind Skulpturen von hohem Stilgefühl und überraschender Reise der Auffassung. aber

sie

begnügen

sich

Ottilie Roderstein

Theater. Königliches Schauspielhaus. Paul Lindau

ist ein eleganter Causeur! die französische Schule hat ihn gebildet, und seine Theaterstücke zeichnen sich durch einen geistreichen Dialog aus. Nicht alle seine Stücke aber besitzen dramatische Verve. Auch iein neuestes Lustspiel „Der Herr im Hause", das am 7. November im Königlichen Schauspiclhause zum erstenmal aufgeführt wurde, leidet an dem Mangel dramatischen Lebens. Der Hauptgrund für diesen Mangel liegt in dem gänzlich verfehlten Stoff. Da ist ein Ehepaar, zu dem sich ein Hausfreund gesellt. Die Frau ist hübsch, lebhaft und nicht dumm, der Mann dumm, nicht lebhaft und wahrscheinlich auch nicht hübsch. Der Hausfreund dagegen besitzt alle guten Gaben, er ist klug, jung, unverheiratet, und wenn man Herrn Keßler glauben will, auch hübsch. Was folgt daraus? Ein Ehebruch? O, weit gefehlt! Nicht bei Paul Lindau! Die Franzosen mögen dergleichen machen, aber nicht Paul Lindau! Es wäre auch gar zu banal, wenn das Frauchen einen Vergleich zwischen ihrem Mann und dem Hausfreunde an¬ gestellt und dem „Herrn im Hause" Herrenrechte eingeräumt hätte. Solche Banalitäten würden ja auch nicht ins Schauspielhaus gehören. So begnügt sich denn Lindau, seine Figuren geistreich erscheinen zu lassen, und sie sind es ja auch, soweit sie nicht durch ihre Charaktere verurteilt sind, platt zu sein. Ihre Reden sind klug verknüpfte Perlenschnüre. Und das war es auch, was das Publikum veranlaßte, den Autor vor die Rampe zu zitieren. Was Lindau bewog, eine Ehe mit einem Hausfreunde zu schildern, in der „nichts passiert", ist nicht recht klar. Wollte er damit Sensation machen? Die schuldlose Hausfrcundschaft ist keineswegs selten und deshalb wirkt sic nicht sensationell: man darf behaupten, sie sei die Regel, aber gerade darum ist fie undramatisch! darum hatten auch die Zischcr nicht ganz unrecht. Und bei dieser an sich guten Sache glaubt Lindau zu allem Ueberstuß auch noch sagen zu müssen „Ende gut, alles gut" und den Hausftcund zu verloben, damit der Zuschauer ja nicht auf die böswillige Vermutung komme, es könnte doch noch etwas

Feier, nämlich die des hundertjährigen Bestehens der Kirche von Schmöckwitz. Der Ort war festlich geschmückt, vor allem das

altehrwürdige Gotteshaus, dessen Eingangsthüren mit frischen Tannen und Vlumenguirlanden umgeben waren. Der das Kirchlein auf dem Hügel umgebende Friedhof, in dessen Strauchwerk die Vögel friedlich nisten, war der Feier des Tages entsprechend hergerichtet. Die alten verfallenen Gräber mit den Ueberresten unentzifferbarer Grabsteine zeugen von vergangenen Zeiten. Die Feier war eine äußerst würdige, zahlreich die Teilnehmer. Die Geistlichen waren sämtlich im Talar erschienen. Die Kirche ver¬ mochte nur den geringsten Teil der Fcstteilnehmer zu fassen, die Mehr¬ zahl mußte sich begnügen, vor der Kirche, am Kirchhofe, dem Festgottes¬ dienste, den Herr Prediger Lützow abhielt, beiwohnen zu können. Nach dem Gottesdienste fand eine Festsitzung des Gemeinde-Kirchen¬

rats statt, in welcher die zahlreichen Legate und Stistungen anläßlich des Festtages zur Kenntnis genommen wurden. Im Saale des Restaurants „Zur Palme" vereinte am Nachmittag ein Festdiner die Teilnehmer: abends fand dann im Saale des Restau¬ rants „Zum Seglerschlößchen" ein Konzert statt, mit dem die Feier ihren würdigen Abschluß gefunden hat. *

*

*

Das Dorf Schmöckwitz, an den Ufern des Seddin- und Zeuthner Sees gelegen, ist einer der ältesten Orte in der Mark und wird schon im Landbuche Kaiser Karl IV., der sich durch geschickte Benutzung der Streitigkcitcn im Wittelsbacher Hause von den Markgrafen Ludwig und Otto im Jahre 1868 die Mark Brandenburg vermachen ließ, als ein altes Dorf erwähnt. Durch Urkunde vom 18. April 1417 erhielt dann der Burggraf Friedrich von Nürnberg die feierliche Belehnung der Mark durch König Sigismund, von wo an die eigentliche Entwickelung des preußischen Staates begann. Bis in jene Zeit vermag ein noch lebender Nach¬ komme der Schmöckwitzer Kossäthen, der frühere, dreißig Jahre lang amtierende Ortsvorstcher Rusche seinen Stammbaum zu verfolgen. Seinen Erinnerungen aus mündlichen Ueberlieferungen zufolge hatte in späteren Jahrhunderten die Regierung zehn Kossäthen und einen Hirten auf den öden Sandschollen angesiedelt, welche mit dem Spaten das Erdreich umgraben und Kienäpfel säen mußten, eine Arbeit, die erst den jüngeren Generationen den Segen brachte. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts stellte sich dann das Bedürfnis nach einem Gottes¬ hause immer stärker ein, und so ließ König Friedrich Wilhelm III. in den ersten Jahren seiner Regierung aus einem Hügel des Dorfes, inmitten der elf Kossäthenhütten, ein Kirchlein erbauen, das am 10. November 1799 eingeweiht wurde. Der erste Täufling in dem erbauten Kirchlein war der nachherige Fischer Brum gewesen: den Taufakt selbst vollzog der Pfarrer Stockfisch von Waltersdorf. Bis Ende 1818 versahen die Waltersdorfer Prediger den Gottes¬ dienst in Schmöckwitz: vom 1. April d. I. ab wurde das Filial Schmöckwitz zu Neu-Zittau bei Erkner zugelegt, wofür der Prediger zu Waltersdorf jährlich 25 Rthlr. Entschädigung zu zahlen hatte. Das Kirchlein erhielt gleichzeitig von Waltersdorf zwei Turmglocken, welche als Jahreszahl ihres Gusses 1510 und 1709 tragen. Dieselben sollen beim Neubau des jetzigen Turmes, der drei größere Glocken bekommt, welche Herr Bankier Schappach gestiftet, der Kirche erhalten bleiben. Der 1895 berufene Prediger Lützow ist der zwölfte Prediger an der Schmöckwitzer Kirche, aber der erste am Orte wohnende Geistliche. Es macht sich nun unter den Ortsbewohnern der Wunsch nach einer eigenen Pfarre in Schmöckwitz lebhaft geltend; die anzubahnende neue Parochie würde dann aus den Orten Schmöckwitz, Eichwalde und Zeuthen bestehen.

Berliner Chronik. Am 5. November starb der Geheime Sanitätsrat

Bertram im

vr. Alexis

62. Lebensjahre. Er betrieb die ärztliche Praxis seit 1862 und gehörte zu den bekannteren Aerzten im Süden der Stadt. Am 5. November starb im 50. Lebensjahre der Bankdirektor

Gustav Schulz.

Am Denkmal Alois Senefeldcrs fand am 5. November eine Gedenkscier zur Erinnerung an die Erfindung der Lithographie vor 100 Jahren statt. Die Feier wurde von den Berliner lithographischen

_

Kirche in Schmöckwitz. passieren nach dem letzten Fallen des Vorhanges. Da es indessen nicht bloß darauf ankommt, daß man etwas dem Publikum mitzuteilen habe, sondern auch auf die Form, wie man es thut, so wird der „Herr im Hause" im Schauspielhause wohl noch längere Zeit regieren, denn er ist amüsant.

Eine Hundrrtjahr-Feirr. Sfefm vergangenen Freitag, den 10. d. M., begingen die Einwohner Schmöckwitz mit ihren Freunden und den Mitgliedern der benachbarten Gemeinden und Billenkolonien eine schöne und seltene

®5 von

Vereinen veranstaltet. Am 6. November feierte der Generalleutnant Richard von Gott¬ berg den Tag, an dem er vor 50 Jahren in die Armee getreten ist. Er wurde 1888 zur Disposition gestellt: zuletzt hat er die Kavallerie¬ division des 15. Korps befehligt. Am 7. November wurde in der Siegesallee die Gruppe Ludwigs des Acltercn, die von Professor Herter modelliert ist, in Gegenwart des Kaisers enthüllt. Der Markgraf ist in jugendlicher Kraft und Frische dargestellt (vergl. die Abbildung im „Bär" auf Seite 206 d. Jahrg.). Die Nebenfiguren sind Burggraf Johann II. von Nürnberg, der erste Hohenzoller, der nach der Mark kam, der treue Freund des Wittelsbachcr Hauses und Johann von Buch, der gelehrte Kommentator des Sachsenspiegels. Von Professor Herter, dem Schöpfer des Denkmals, der den Kronenorden 3. Klasse erhielt, verabschiedete sich der Kaiser mit den Worten: „Hoffentlich versucht man sich nicht wieder an den Rasen!" Am 9. November waren fünfzig Jahre seit dem ersten Auftreten von Marie Taglioni, der berühmten Primadonna, im Berliner Opernhause verflossen. Die Künstlerin gehörte der Berliner Hofbühne bis zum Jahre 1866 an, in welchem sie sich mit dem Fürsten Joseph Windischgrätz vermählte. Am 10. November feierte die Univerfitätspoliklinik für Ohrenkrank¬ heiten ihr 25 jähriges Bestehen. Das Kämmerei-Vermögen der Stadt Berlin belief sich zum Schluß des Etatsjahres 1898 aus 577 423 690 Mark (ff- 8 738 064 Mark

739

im Vergleich zum S8orjnt)i-). Die Schulden der Stadt betrugen 287 589 737 Mark (-1- 9 152 649 Mark), so daß sich ein Aktivbestand von 289 834 223 Mark ergießt. Ter Wirkliche Geheime Rat Reichardt vom Auswärtigen Amt, ein Sohn des Komponisten Reichardt, der die Melodie zu: „Was ist des Deutschen Vaterland?" geschaffen hat, ist auf sein Ansuchen in den Ruhestand versetzt worden. Reichardt gehörte dem Auswärtigen Amt seit 1865 an, seit 1895 als Wirklicher Geheimer Rat. Von einem Geber, der ungenannt bleiben will, erhielt die Getbsemanekirche jüngst eine Christusstatue (nach Thorwaldsen). Im

Das Haus Kochstratze 67 (Raumer-Haus). (Siehe S. 723 in Nr. 46 „Der Bär").

Inneren wurde das Gotteshaus durch

acht Fenster geschmückt, auf denen die Gestalten von Luther, Mclnnchthon, Jesaias, Johannes dem Täufer, Moses, Elias, Paulus und Petrus dargestellt sind. Frau Paula Conrad, die Gemahlin vr. Paul Schlcnthers, über¬ siedelt nach Wien, bleibt jedoch Mitglied des königlichen Schauspiel¬ hauses und wird alljährlich an demselben ein mindestens 20 Abende umfaffcndes Gastspiel abiolviercu. Die Ausgaben für die städtische Armenpflege betrugen im vorigen Etatsjahr 16 275 361 Mark (10 863 966 Mark Armenverwaltung, 5 411 395 Mark öffentliche Lkrankenpflcgc). Im großen Sitzungssaale der Reichsbank ist eine Marmorbüste von Ludwig Bambcrger (Bildhauer: Hugo Reinhold) aufgestellt worden. Der verstorbene Parlamentarier hat sich um die Gründung der Rcichsbank große Verdienste erworben und galt auf dem Gebiete des Bankwesens als eine Autorität ersten Ranges. Freiherr von Broich, Geheimer Oberrcgierungsrat und vor¬ tragender Rat im Kultusministerium, ist in den Ruhestand getreten. Tie neu errichtete Professur für amerikanische Forschung an der Berliner Universität ist dem Privatdozenten vr. Eduard Seler übertragen worden.

Märkische Chronik. Rirdorf.

Zum Polizeidircktor in Rixdorf ist der bisherige Landrat vr. v. d. Groeben, ernannt worden. Teltow. Am Kreuzungspuukte der Teltow-Mahlowcr Chaussee wird eine Haltestelle mit Güterverkehr (Anhalter Bahn) einge¬ richtet werde». Die Anlieger haben das Land kostenlos zur Verfügung gestellt, und die Stadt steuert zu der Bahnhofsanlage 15 000 Mark bei. Friedenau. Am 9. November waren 25 Jahre seit der Erhebung Friedenaus zu einer Landgemeinde verflossen. Die Einwohnerzahl des Kreises Lyck,

Kleine Mitteilungen.

I !

Tiedge in Berlin. Der Dichter der „Urania" hat sich zweimal längere Zeit in Berlin aufgehalten, nachdem er diese Stadt im März 1798 "seiner Reise nach Frankfurt an der Oder nur flüchtig berührt hatte. auf Jni Herbste desselben Jahres kam er nach Berlin zurück, um für einen kranken Freund die Redaktion der Zeitschrift „Die Ephemeriden" zu übernehmen. Er lernte Johann Jakob Engel, David Friedländer und Lazarus Bendavid und durch letzteren die Kantische Philosophie kennen, der wiederum Engel abgeneigt war. Sein Freund Leopold Friedrich Günther von Göckingk hatte als Mitglied der Gesctzkommission wenig oder gar keine Zeit für ihn. Desto mehr schloß sich Ticdge an Engel an. Das war ein stark beleibter Mann mit vollem, rundem Gesichte und großen, schwarzen Augen, der ihm Anekdoten von Lessing und Ramler erzählte, und dem er die genußreichsten Stunden verdankte. Desto mehr Arbeit und Aerger machten ihm die „Ephemere en", zu denen er den ganzen Inhalt, Ucbcrsctzungen kleiner, französischer Romane, selbst liefern mußte. Da traf es sich, daß er eine aus den „Skizzen" des Vielschreibers August Gottlicb Meißner ins Französische übersetzte Erzählung noch einmal ins Deutsche zurückübersetzte und in der Verlags¬ handlung zugegen war, als ei» Fremder dem Verleger gegenüber über dieses Versehen in den gröbsten Ausdrücken Herzog. Deshalb war ihm die Einladung des Hofrats Karl August Becker im Frühjahre 1799, nach Dresden zu kommen, sehr erwünscht. Doch ging er nach zwei Monaten über Halle nach Berlin zurück, ivo er seine Wohnung in der Bischofstraße 22 nahm. Im Jahre 1803 forderte ihn Göckingk auf, der Herzogin von Kurland, die soeben eingetroffen war, einen Besuch ab¬ zustatten. Ihre Schwester, Frau von der Recke, hatte er schon vor 16 Jahren kennen gelernt. Als auch sie nach Berlin kam, erneuerte sich seine Bekannt¬ schaft. Er wurde ihr täglicher Tischgast und folgte ihr nach Teplitz, Karlsbad und Franzensbrunncn, was auch im nächsten Jahre wieder geschah. Im September 1803 reiste er mit dem Direktor der königlichen PorzellanManufaktur in Berlin, Friedrich Philipp Roscnstiel, nach Wien und Prag und über Dresden, Leipzig und Halle nach Berlin zurück. Hier brachte er den Winter 1803—1804 in der Gesellschaft Elisas von der Recke zu und wurde ihr unzertrennlicher Gesellschafter und Hausgenosse. Mit ihr reiste er nach Berlin) er verließ sie nicht mehr bis an ihren Tod. Den Winter von 1811—1812 brachten sie in Berlin in einem Hause der „Neuen Promenade" zu, den von 1814—1815 im Hause des Vaters Gustav Parthey, des Reisenden und Gelehrten, in der Brüdcrstraße, die Winter von 1815—1819 im Curländischen Hause Unter den Linden (der „Himmelsleiter", wie es wegen seiner hohen Treppen der lahme Tiedge nannte). Von hier aus zog sie dann mit ihrem Freunde nach Dresden. Zu dem Kreise ihrer Berliner Freunde gehörten Göckingk, die Humboldts, General von Boguslawski, Vorsteher der Kriegsschule, General von Witzleben, der Vater des späteren Kriegsministers, der Propst Haustein (zu dessen Todesfeicr im Berliner Dom am 28. März 1821 Tiedge den Text, Zelter die Musik beisteuerte), derobcn erwähnte Roscnstiel, Fürst Radziwill, die Generäle von Kalkreuth und von Schlieben, die Obersten von Pfuel und Wedell, Graf von Brühl, der Theatcrintendant Baron von Oelfen, Körner der Vater, Delbrück, der Erzieher des Kronprinzen, Marhcineke, Lettow, Friedländer, die Geheimen Medizinalräte Kohlrausch und Behrens, die Dichter Franz Horn, Ludwig Robert und Schink, der Sprachforscher Wolke, der Hofmaler Henscl u. a. Neue deutsche Briefmarken. Laut Verfügung des Staats¬ sekretärs des Reichspostamtes vom 27. Oktober werden vom 1. Januar 1900 ab Postwertzeichen mit einem neuen Markenbild, der Germania, aus¬ gegeben. Den schon vorhandenen Werten von 3, 5, 10, 20, 25 und 50 Pfg. werden solche von 30, 40 und 80 Pfg. hinzugefügt. Die Vor¬ bereitungen, noch höhere Werte zu schaffen, sind im Gange. Eingehendere und durchaus zuverlässige Angaben über die an¬ gekündigte Maßregel der deutschen Reichspostverwaltung bringt die „Deutsche Verkchrszcitung". Danach hat in erster Linie der allgemeine Aufschwung im letzten Jahrzehnt, namentlich aber die bedeutende Zu¬ nahme des Pakctvcrkehrs und dessen Ausdehnung auf immer weitere Gebiete des Auslandes, das Bedürfnis gezeitigt, die niederen Frankierungswertc um die Beträge zu vermehren, die bei der Versendung von Post¬ anweisungen, Wertbriefen und Paketen am meisten benötigt werden, und weiter auch Postwertzeichen zu noch höheren Betrügen als bisher dem Publikum zur Verfügung zu stellen. Weiter kam in Betracht, daß die seit dem 1. Oktober 1889 im Ge¬ brauch befindlichen Wertzeichen, die einfarbig, ohne Prägung und ohne Unterdrück in gewöhnlichem Buntdruck hergestellt werden, hinsichtlich ihrer künstlerischen Beschaffenheit hinter den Freimarken anderer Länder

betrug 1874 etwa 1 000, gegenwärtig beträgt sie 10 000. Gransec. Die Stadt hat mit der Gesellschaft „Watt" einen Ver¬ trag geschlossen, nach welchem diese die elektrische Beleuchtung der 4000 Einwohner zählenden Stadt übernimmt. Die Kosten einer Straßen¬ laterne stellen sich bei 900 Vrennstunden jährlich aus 17 Mark. Frankfurt a. O. Am Hause Oderstraße 37 wurde am 30. Oktober die vom historischen Verein gestiftete Gedenktafel für Ewald

Christian von Kleist angebracht, deren Inschrift lautet: „Hier starb am 24. August 1759 Ewald Christian von Kleist an seinen in der Schlacht bei Kunersdorf erhaltenen Wunden." Landsberg a. W. Stadtrat Quilitz hat aus Anlaß der Vollendung seines 70. Geburtstages der Stadt Lanüsberg das Grund¬ stück Bergstraße 80 zur Anlage eines Parkes geschenkt. Osterburg (Altmark). Der Ostcrburger Kreistag hat sich mit dem Bau folgender Kleinbahnen einverstanden erklärt: Werben—Sechausen, Seehausen —Pretzier, Osterburg—Schnackenburg (Elbe).

10

Pfennig-Marke.

1

Mark-Marke.

zurückstehen und schließlich wegen des ungünstig gcivählten Markenbildes auch keine ausreichende Sicherheit gegen Nachahmungen bieten. Die neuen Marken im Werte von 3 bis 80 Pfg. zeigeit das Brust¬

bild der Germania, deren Haupt die Kaiserkrone trägt, während die hält. Die Werte bis einschließlich 20 Pfg. werden in einfarbigem Buchdruck (3 Pfg. braun, 5 Pfg. grün, 10 Pfg. rot, 20 Pfg. blau), die von 25 bis 80 Pfg. in zweifarbigem Buchdruck hergesteht (Eindruck — das Bild der Germania, die Bezeich¬ nung Rcichspost und der Wertbetrag — schwarz) Rahmen: 25 und Rechte Schwertknauf und Oelzivcig

740 30 Pfg. orange, 40 und 80 Pfg. karmin, 50 Pfg. violett: Papier: 25 Pfg. gelb, 30 und 50 Pfg. chamois, 40 Pfg. weiß, 80 Pfg. rötlich). Die Marken stnd 25,5 mm hoch und 21,5 mm breit; sie haben in der Breite 15, in der Höhe 18 Zähne. Für die höheren Werte zu 1, 2, 8 und 6 Mk. stnd Darstellungen aus der neuesten deutschen Geschichte vorgesehen. Die Marke zu 1 Mk. (rosa) zeigt die Ansicht des Reichspostamtes in Berlin. Das Motiv zu der blauen 2 Mk.-Marke ist einem Bilde des von A. v. Werner 1878 bis 1881 für das Rathaus in Saarbrücken gemalten Chklus „Viktoria!" entnommen und veranschaulicht die Siegesfeier des deutschen Nordens und Südens. Die violette 8 Mk.-Marke zeigt die Enthüllung des Denkmals Kaiser Wilhelms I. nach einem Gemälde von W. Pape, die karminrote, schwarz eingerahmte 5 Mk.-Marke, ein Meisterwerk der Kleinkunst, eine Szene aus der 25. Jahresfeier der Neubegrüuduug ches nach einem Bilde desselben Künstlers. ' 1 Mk.-Marke ist in der Gravierabteilung der Reichsdruckerei, die 2 und 5 Mk.-Marken sind vom Geh. Regierungsrat Prof. Wilh. :i.i Vorsteher der chalkograpbischen Abteilung der Reichsdruckerei, hergefiellt worden. Die Vervielfältigung aller Marken der höheren Werte erfolgt durch Kupferdruck. Für die Postanstalten in den deutschen Schutzgebieten sollen beson¬ dere Marken zur Ausgabe gelangen, für die einheitlich das Bild eines Schiffes mit „Volldampf voraus" vorgesehen ist. Die höheren Werte und die Kolouialmarkeu werden jedoch fchwerlich vor dem 1. April 1900 in den Verkehr gelangen.

Verein Patentschutz in Berlin. Am 26. v. M. hielt der seit 1896 in Berlin bestehende Verein Patentschutz seine diesjährige ordent¬ liche Mitgliederversammlung im Vereinssaal des Restaurants Wahlstatt, Belle-Nllianeestr. 89, ab. Der Verein verfolgt den Zweck, eine Zentral¬ stelle zum Zusammenschluß von Erfindern, Inhabern von geschützte» Erfindungen, sowie von Interessenten an solchen zu schaffen. Ins¬ besondere will der Verein in Angelegenheiten des Erfindungsschutzes aufklärend wirken, unerfahrene Neulinge auf diesem Gebiet vor Aus¬ beutung schützen und die Verwertung guter Erfindungen erleichtern. Auf der Tagesordnung der diesjährigen ordentliche» Mitglieder¬ versammlung stand insbesondere die Festsetzung neuer Satzungen, auf Grund deren bei Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches (§ 21/ das Rechtsverhältnis der Vereine betreffend) die Eintragung des Vereins in das Vereinsregister angestrebt werden soll. Unter reger Beteiligung der in ansehnlicher Anzahl erschienenen Mitglieder wurden diese Satzungen beschlossen, nachdem vorher der geschäftsführende Ingenieur über die Thätigkeit des Vereins im verflossenen Halbjahr Bericht erstattet hatte. Aus diesem Bericht dürfte besonders voiz. Interesse jein, daß der Verein auch im verflossenen Jahre Gelegenheit hatte, wiederum dazu beizutragen, wenig bemittelte Erfinder behufs Ausutzung wertvoller Patente zu unterstützen, überhaupt durch seine trganisaiio» in der Lage war, seinen Mitgliedern in de» verschiedensten mgelegenheiteu des gewerblichen Schutzes erfolgreich zur Seite zu .ehen, und daß die Zahl der Mitglieder erfreulich wuchs, indem sich nicht nur solche aus den Kreisen der inländischen Industrie, sondern auch aus dem Auslande, insbesondere neuerdings auch aus Rußland, anschlössen. Diese Beteiligung ausländischer Interessenten an den Be¬ strebungen des Vereins bat für Verwertungen guter deutscher Er¬ findungen im Auslande offensichtlich besonderen Wert. Nachdem noch der Vorstand für das kommende Vereinsjahr und die aufsichtsführenden Organe des Vereins gewählt bezw. wiedergewählt worden sind — Vor¬ sitzender ist Herr W. Eisemann, Belle-Alliaiieestr. 95 — wurde die Ver¬ sammlung vom Vorsitzenden mit dem Wunsch geschlossen, der Verein möge unter der Wirksamkeit seiner neuen Satzungen sich weiter ent¬ wickeln, um immer größeren praktischen Nutzen auf dem Gebiete des Erfindungsschutzes stiften zn können.

Die Fingerringe an den Handen König Friedrichs des Grützen während seiner letzten Lebenstage. Der als ärztlicher Berater aus Hannover mann sah Ende Juni 1*786 an hohen Herrn einen „sehr großen einen Ring von geringem Wert,

Sa'issonei berufene R. v. Zimmerder linken Hand des schwer erkrankn» Solitairbrillanten," und an der rechten aber großer Bedeutung: „einen großen schlesischen Chrysopras" (ein grüner, ins Goldgelbe schiiumernder Stein). Jener Brillantring erinnert uns au die Hebung des Juweliergewerbes durch einen grobgearteten Mehrer des Volkswohlstands; und derChrysoprasrtng läßt uns blicken auf „Schlesiens Berge, die Friedrichs ewige Tro¬ phäen." Schon 1754 wurde auf königlichen Befehl in der neuen Sudetenprooinz Chrysopras hervorgesucht; seit Oktober 1785 geschah dies mit gesteigerter Sorgfalt. Eine Stunde nach dem letzten Atemzuge des Eroberers von Schlesien erschien der „neue Herr" im Sterbehause Sanssouei. Er befahl dem Geh. Camerier Schöning, vou dem Leichnam die Fingerringe abzuziehen: sie stnd nebst einigen anderen im Sterbe¬ zimmer befindlichen Gegenständen alsbald unter Siegel gelegt worden. — Nach Mitteilung des Oberkonfistorialrats Büsching, aus dessen Feder uns auch Angaben vorliegen über das Kostüm des „großen Königs" in seinen letzten Tagen. Ob obige auf Thatsache» fußenden Notizen betreffs der Fingerringe und der Kleidung des seinem Lebensausgang nahe» Landesvaters und Kriegsmeisters eine angemessene Berücksichtigung fanden i» einem unlängst als Saussouei-Reminiseenz entstandenen Marmorkunstwerk, darf vielleicht bescheidentlich in Frage gestellt sein. — König Friedrich den Großen als „Philosoph" kennen zu lerne», er¬ leichtert sich bei Durchlesung seiner gedruckten Abhandlungen. Ueber dieses Monarchen vielseitig erzieherische Berufsthätigkeit — als oberster Staatsverwaltungs-Beamteter. und als Kriegsherr — geben Aufschluß zahllose Kabinettsordres, viele eigenhändige Briefe, sowie auch manche königliche Marginal-Entscheidnngen. Unter letzteren findet man einzelne ergötzliche Sarkasmen. So z. B.: Als im Jahre 1764 ein Kammer¬ herr um Erlaubnis nachgesucht, zur Herstellung seiner Gesundheit nach Aachen reisen zu dürfen, antwortete der König inarginaliter. „Was Er da machen will. Er wird was er noch übrig hat dort verspielen nach

Berantworllicher Redakteur: Dr. M.

golttciiieauo,

und wie ein Bettler zurückkommen." Rach Wiederholung des Gesuchs lautete des Königs Höchsteigenhändige Entscheidung: „Er kaun zum

Teuffel geh»!"

Gr. L.-W.

Ueber Jarzo von Köpenick hielt in

der letzten Sitzung der Numismatischen Gesellschaft zu Berlin der bekannte Numismatiker Laudgerichtsrat Daunenberg einen interessanten Vortrag, in dem er die Widersprüche, welche die geschichtlichen Nachrichten und die numis¬ matischen Funde ergeben, zu vereinigen suchte. Von Jaezo von Copenie sind bisher sieben zum Teil sehr gut erhaltene Brakteaten aufgefunden worden, welche der Zeit von 1145 bis etwa 1175 angehören. Auf diesen Münzen wird Jaezo meist als Knäs bezeichnet und auf einer auch als echter Slave mit einem langen, in sechs Zöpfen ge¬ flochtene» Barte dargestellt; man hat also an einen slavischen Fürste» als Urheber der Münzen zu denken. Die wenigen geschichtliche» Nach¬ richten über Jaezo, namentlich der einzige gleichzeitige Bericht des Heinrich von Antwerpen über die Eroberung von Brandenburg, be¬ zeichnen nun den Eroberer der Feste als polnischen Fürsten, als „prineipans tune in Polonia“ bezw. „princeps Poloniae“, und man hat deshalb vielfach daran gezweifelt, daß der Jaezo der Brakteaten und der Eroberer von Brandenburg eine und dieselbe Person sei. Der naheliegende Ausweg, das auf de» Münzen genannte Copnie nicht als den an der Spree liegenden Ort, sondern als einen anderen ähnlich lautenden anzusehen, verbietet sich, wie Daunenberg ausführte, aus numismatischen Gründe», ebenso wenig darf man das Polonia der Chronisten zu genau nehmen; denn es giebt um die fragliche Zeit keine» polnischen Piasten Jaezo oder Jakza (Johann). Es bleibe also nur übrig, das Polonia etwas weiter auszulegen, was um so eher zulässig erscheine, als damals noch das nicht allzuweit von Köpenick liegende Land Lebus mit den Städten Fürstenwalde und Müncheberg zu Polen gehört habe, und man nicht wisse, wie weit sich Jaczos Reich »ach Osten erstreckt habe. Jedenfalls wäre Jaczo von Copenie auch der Eroberer von Brandenburg gewesen; denn die Münzen gäben sein Bild als das eines reichen und mächtigen Fürsten von ausgesprochen slavischem Nationalbewußtsein; von einem solchen sei wohl zu erwarten, daß er beim Aussterben des Herrscherhauses in dem benachbarten und stamm¬ verwandten Hevellervolke versucht haben wird, den Uebergang des Landes in die Hände der Deutschen zu verhindern. G. A.

Vereins-Nachrichten. Verein für die Geschichte Berlins. 699. Versammlung. 24. (6. Arbeits-) Sitzung des 35. Vereins¬ jahres: Sonnabend, 25. November 1899, abends 77„ Uhr, im Rathanse, Zimmer Nr. 63 (Eingang von der Jüdenstraße). Vortrag des Herrn Kammergerichtsrates Dr. Metzel: „Zur Geschichte des Herrenhaus¬

gebäudes" (III. Teil: Die Gotzkowskische Besitzzeit). 700. Versammlung. 25. (13. außerordentl.) Sitzung des 35. Vereins¬ jahres: Sonnabend, 16. Dezember 1899, abends 77, Uhr, zur Feier der 700. Sitzung: Ein altberliner Weihnachtsfest im Hotel Imperial (früher Arnim), Euckeplatz 4. Abendessen (Karpfen, Gedeck 2 Mark).

Büchertilch. Teutsche Lieder von Dr. von

Borstell

&

Karl Vor meng.

Reimarus.

Berlin 1900.

Verlag

Stimmungsvolle Lieder sind's, die uns der Dichter in der kleine» Sammlung darbietet, einfache Lieder von altem, deutschem Schlage, aus deutschem Herzen und mit deutschem Humor gedichtet. Die vaterländische» Gedichte, welche sich zumeist auf Bismarcks Wirken und die große Zeit der Einigung des deutschen Reichs beziehen, sind kraftvoll, aber frei von patriotischem Schwulst und von Lobhudelei, und die Stimmungslieder spiegeln wirkliche Stimmungen wieder, keine verschrobene Sentimentalität und Gefühlsduselei, wie man sie leider so oft bei de» Modernen findet. „Wanderlust", „Ewige Liebe", „Zu spät" sind besonders ansprechend. Auch unter den Lenz- und Liebesliedern und unter den Gedichten ver¬ schiedenartigen Charakters finden sich manche niedlichen und humor¬ vollen Sachen. Die kleine, anspruchslos auftretende Sammlung von deutschen Liedern kann dem deutschen Volke wohl empfohlen werde».

Jatschko von Köpenick, ein vaterländisches Schauspiel in einem Vor¬ spiel und drei Aufzügen von Otto Heinrich Böckler. Selbst¬ verlag. Schöneberg-Berlin 1899. Preis 20 Pf. Der Kampf des Christentums mit dem Heidentum, die vergeblichen Anstrengungen des Weiidenfürften Jatschko, dem siegreichen riskanter Albrecht dem Bären die Herrschaft im Wendenlande wieder zu entreißen, bilden den Gegenstand des vorliegenden vaterländischen Schauspiels. Es enthält viele ansprechende Episoden, so die Erzählung des alten Waffenträgers und die Liebesszeue zwischen Jatschko und Jamma, läßt aber eine spannende, durchgehende Handlung vermissen. Immerhin ist es nicht ausgeschlossen, daß das Schauspiel bei einer eventuellen Auf¬ führung, wenn es gut dargestellt und hübsch ausgestattet wird, auf patriotifch gesinnte Gemüter Eindruck macht. G. A.

Eine Geschichte abseits der Heerstraße. Von Julius von Freund & Jeckel in Berlin. Abseits der Heerstraße spielt diese ebenso spannende wie ergreifende Geschichte eines junge» Mädchens, das den Halt im Leben durch die Erkenntnis seiner Thorheit findet, und nicht nur der einsame Pachthof, der den Schauplatz bildet, liegt der Heerstraße fern, sondern auch der Verfasser schlägt Pfade ein, die vom Geräusch der Welt in da? Herz und zur Seele führen. Die Federzeichnungen von Richard Knötel, welche das Buch schmücken, erhöhen seinen Wert dadurch, daß sie sich dem Texte in liebevollster Weise anschmiegen.

Martinhagen.

Berlin. — Druck und Verlag:

Stinde. Verlag

Friedrich Schirmer. Berlin

SW., Reueuburger Strafet

lli

♦ Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben.

25. Jahrgang.

Ur. 47.

Sonnabend, 25. Uovember 1899.

Roman von Rudolf Llcho. (Fortsetzung und Schlutz.)

ber liebste Bettina, es ist mein heiliger Ernst: Du siehst mich freudig und dankbar bewegt bei der langersehnten Nachricht, daß Gregor mich endlich freigeben will. Bis dahin war er taub gegen all meine auf eine friedliche Lösung unserer Ehe abzielenden

und Bitten. Selbst als seine intimen Beziehungen zur Baronin Ferret im vorigen Winter bis zu einem Grade gediehen waren, daß ich mit meinen Kindern das Haus verlassen wollte, hielt er mich mit eiserner Zähigkeit fest, und doch besitzt die Ferret eine kleine Lebensrente, während Du Vorschläge

das Zimmer. Sie kam sich vor wie ein in voller Blüte stehender Baum, auf den plötzlich ein Hagelschlag niederprasselte. Als sie auf dem Hausflur stand und Lonas harte Stimme verstummt war, blieb sie in einer halbdunkleu Nische stehen, schloß die Augen und rang nach Atem. Es vergingen einige Minuten, bevor ihre total niedergeschlagenen

— soviel

ich weiß — kein eigenes Vermögen hast." Nun glaubte Bettina ganz

sicher zu sein,

daß Lona sie ver¬

und die Empörung da¬ rüber, daß diese kaltherzige Person in dem Bestreben, ihre Rivalin zn demütigen, den Mann, den sie hätte verehren müssen wie einen spottete

erbarmungslos

Gott,

besudelte,

gab ihr die Selbstbeherrschung wieder. Sie erhob sich, trat mit kalter Miene und einer stolze» Bewegung ihres Kopfes zurück und sagte: „Ich glaube Du: in Gregors Namen versichern zu können, daß er nach vollzogeper Scheidung mindestens

die

Hälfte

seines

Dir

und Einkommens wird." zuwenden Deinen Töchter» Lona lachte hell aus, müßigte dann aber ihre Heiterkeit und sagte: „Verzeih, Bettina, aber — nein, blicke nicht so desperat und reichen

emporzusteigen !

Bettina raffte sich gewaltsam auf und schritt dem Bureau zu. Ein schmaler Raum that sich vor ihr auf, dessen Längswand mit

gütig auf mich arme Sünderin — Deine vornehm - überlegene Miene und Haltung bildeten einen gar zu komischen Gegensatz zur Naivetät Deines Ausspruchs. Also, mein Kind, beunruhige Dich ja nicht um meiner Zukunft willen; mein vorsichtiger Vater hat einen

seines Vermögens für mich und meine Töchter sicherwill nur wünschen, Ich komme durch ohne Eure Hilfe und

Teil

gestellt.

daß

Du mit Gregors voller Einnahme gleichfalls Eure Bedürfnisse bitten: kannst. — Nur um eines möchte ich Dich noch

bestreiten

den Roman Gregors zu schreiben überlaß

Mann

als Du." einer kordialen Bewegung

mir, denn

besser

Mit

Lebensgeister

wieder regten und ihr stockender Herzschlag regelmäßiger wurde. Aber es lag noch immer eine schwere, erdrückende Last auf ihr, und ein Frösteln ging durch ihren Körper, als wäre das Blut in ihren Adern durch Blei ersetzt worden. Gedanken irrten durch ihr Gehirn wie flackernde Lichter, und die Zukunft, die ihr vordem wie ein vom Purpurglanz um¬ flossener Zaubergarten erschienen war, lag jetzt wie ein von Schlangen und eklem Gewürm bewohntes Labyrinth vor ihr. Durfte sie es wagen, hineinzutreten in seine Jrrgänge? — Stöhnend preßte sie die eiskalten Hände gegen ihr fieberndes Gesicht, und plötzlich schoß wie ein leuchtender Strahl der Gedanke durch ihren Du mußt sein strahlendes Auge sehen, mußt seine beruhigend klingende, vertrauen¬ erweckende Stimme hören, um aus dem Dunkel wieder zum Licht sich

streckte sie

ich kenne den

einem riesigen Holzgestell bedeckt dickleibige

war; Aktenbündel und

Folianten füllten dessen Fächer. Vor einigen, den Ausblick auf einen düstern Hof gewährenden Fenstern des schmucklosen und ver¬ staubten Zimmers standen Schreibtische, an denen ärmlich gekleidete Schreiber arbeiteten. Vor den Akten- und Bllcherständern saßen einige Personen, die den Rechtsanwalt zu erwarten schienen, und Bettina hörte einen Mann mit rauher Stimme sagen: „Det is doch keene Art, mir um elf Uhr herzubestellen, um mir dann stundenlang warten zu lassen. Ick habe doch mehr zu duhu, Schockschwerebrett!"

Bettina die Hand

hastig entgegen, die aber wich scheu und stolz zurück und verließ

Ein Schreiber war bei Bettinas Eintritt aufgesprungen und fragte jetzt in devoter Haltung nach ihren Wünschen. Der Mann

742

wußte offenbar, daß sie mit der Familie Haller intime Beziehungen unterhielt. Zögernd und verlegen gab die junge Frau zur Antwort, sie habe Herrn Haller persönlich zu sprechen gewünscht, allein, da dieser augenscheinlich sehr in Anspruch genommen sei, wäre es wohl besser, wenn sie zu gelegenerer Zeit wieder vorspräche. Der Schreiber erklärte ihr, daß sein Ches zwar noch nicht anwesend sei, aber sicher bald eintreffen werde; sie möge ihn doch in seinem Sprechzimmer erwarten. Er sprang zu der dem Ein¬ gang gegenüberliegenden Thür und öffnete diese weit. Bettina solgle ihm, warf aber auf der Schwelle noch einen besorgten Blick r tenden, worauf der diensteifrige Beamte mit spöttischer "'s uflüsterte: „O, diese Klienten fertigt der Herr Rechts¬ ' um beschleunigtem Verfahren ab." töemua ließ sich erschöpft in einem weichen Lutherstuhl nieder. Nach einer Weile erst schweiften ihre Blicke durch Hallers Sprech¬ zimmer, und sie wurde betroffen von dem starken Gegensatz, den dessen üppige Einrichtung zu der armseligen des Bureaus bildete. Im englischen Kamin knisterte ein Kohlenfeuer. Bettina rückte ihren Stuhl nahe zu seiner Glut hin; denn ein Fieberfrost schüttelte Sie wartete lange, viel zu lange für ihre verzehrende Un¬ sie. geduld. Endlich vernahm sie nebenan starke Geräusche, und ihr Herz pochte heftig; denn sie glaubte seine Stimme zu vernehmen. Sie wandte den Kopf nach der Verbindungsthür, über deren Be¬ krönung die Statue einer Themis thronte und bemerkte, daß sie Sie erkannte jetzt diese beim Eintreten halb offen gelassen hatte. des Geliebten hohe Gestalt neben einem alten Herrn im Zobelpelz und vernahm den Ruf: „Herr Schneider!" aus Hallers Munde. Der Schreiber, welcher Bettina ins Sprechzimmer geführt auf und trat vor Haller hin. Dieser wandte hatte, sprang „Herr Komniissionsrat," gegen den Alaun im Pelzrock: sich sagte er mit einer Handbewegung gegen seinen Schreiber, „gestatten Sie, daß ich Ihnen den größten Konfusionsrat unseres Jahr¬ hunderts vorstelle; er sollte den Kommis S. Reumann als Zeuge in der Ehescheidungssache des Fabrikanten Schmidt vorladen und ax Si. geladen. Ich bedaure, daß in meinem Bureau derartige Verwechslungen vorkommen und bitte Sie, Herr Kommissionsrat, um Entschuldigung." Bettina sah noch, wie Haller den Herrn bis zur Thür ge¬ leitete, und wie der arme Schreiber gleich darauf noch einige harte Scheltworte über sich ergehen lassen mußte Der Auftritt berührte sie peinlich; denn sie hatte es sich nie träumen lassen, daß Haller seine Untergebenen so rauh behandele. Der Schreiber aber schien daran gewöhnt zu sein; denn obgleich er blaß und gebückt vor seinem Chef stand, erhob er doch, nach erhaltener Strafpredigt, den Kopf wieder, um ihm eine vertrauliche Mitteilung zu machen; er deutete dabei auf das Sprechzimmer, und Bettina verbarg ihren Kopf hinter dem Kamin, weil sie erriet, daß von ihrer Anwesenheit

Durch diese Begegnung war er in den Stand gesetzt, die dringendsten Schuldforderungen seiner Gläubiger zu begleichen, und seine Ge¬ danken beschäftigten sich mit der abenteuerlustigen Komtesse, die ihm mit einem bezaubernden Lächeln und warmem Blick die Hand zum Abschied geboten hatte, während ihre Lippen „Auf Wieder¬ sehen!" flüsterten. Diese Begegnung hatte seine bewegliche Phantasie weit ab von Bettina geführt; und als ihm diese jetzt entgegenflog, und mit dem unter heißen Thränen hervorgestammelten Ausruf: „Endlich! o, nun ist alles wieder gut!" seinen Hals umschlang, kam ihm dieser Gesühlsausbrnch übertrieben vor, und er sagte in besänftigen¬ dein, aber kühlem Ton: „Na, na. Du bist ja in schauderhafter Erregung. Was hat's denn gegeben?" Er führte sie zu einem bequemen Sessel und fuhr dann, als Bettina heftig schluchzend auf diesen niedersank, mit einem be¬ sorgten Blick auf die Thür fort: „Aber, mein Gott, Du bist ja außer Dir! Hat sich irgend ein Unglück ereignet? — So sprich doch! Du peinigst mich." Nach Fassung ringend, trocknete sie ihre Augen, und Haller, der jetzt ihr blasses, verweintes Gesicht, ihr vom feuchten Frühlingssturm zerzaustes Haar und ihre gebrochene Haltung überflog, sagte sich, daß ihre Schönheit von jener der kühnen Malwina weit übertroffeu werde. Bettina wurde endlich ihrer Erregung Meister und sagte: „Verzeih, Gregor! Es war seit unserer Unterredung im Tiergarten gar so viel auf mich eingestürmt! Du begreifst; es galt das Eis zu brechen, und das war doch schwerer, als wir in unserm Glückstaumcl uns träumen ließen. Ach, wir müssen so viel Teures, Liebes hinter uns lassen! Ich bin gar so weich geartet! — Und die Opfer haben mir das Herz wund gemacht. Aber freilich, wer Großes gewinnen will, muß viel einsetzen. Deine Liebe wird die Wunden bald vernarben lassen. Du wirst gut zu mir sein, nicht

Mit hochklopfendem Herzen sah sie dem Eintritt des Geliebten entgegen; der aber wandte sich znnächt an einen murren¬ den Kassenboten, reichte ihm mehrere Geldscheine und sagte in wegwerfendem Tone: „Wegen dieser Lappalie hätten Sie über¬ haupt nicht zu warten brauchen. Wenn der Wechsel gestern nicht eingelöst wurde, so lag das nur daran, daß ich im Drang der Geschäfte vergessen hatte, rechtzeitig einen Check nach der Bank

Folge-"

:



die Rede sei.

zu senden."

Nun wandte er sich in stolzer Haltung seinem Arbeitszimmer zu, und Bettina erhob sich bebend vor Erregung.

*

*

*

Gregor Haller würde noch einen Tag zuvor, auf die Nachricht hin, daß Bettina ihn erwarte, eine ganze Schar murrender Klienten hinter sich gelassen haben, um ihr entgegen zu eilen. In dieser Stunde aber schritt er langsam und nachdenklich der Schwelle zu, die ihm von „dem göttlichen Weib" trennte. Ein unerwartetes Erlebnis hatte sich am Morgen dieses Tages vollzogen. Durch ein duftendes, mit einer Grafenkrone verziertes Billet war er früh nach dem Kaiserhof gerufen worden, wo er Malwina Korsak und deren Mutter wiedersah, jene beiden Frauen, die er von der An¬ klage des Vergistungsversuches entlastet hatte. Die Gräfin über¬ reichte ihm dort einen aus zehntausend Mark lautenden Check ihres

reuevollen Gatten für die erfolgreiche Verteidigung, und Malwinas dunkle Augen hatten ihn dankbar und verheißungsvoll angeblickt.

wahr, Gregor?" jetzt

Er hatte ihr mit wachsender Unruhe zugehört, und als sie mit einem matten Lächeln und einem arglosen Kiuderblick

flehend zu ihm aufsah, antwortete er: „Ja, gewiß, ganz gewiß, meine Liebe, allein ich verstehe Dich nicht recht. Was sprichst Du da von Opfern, von „das Eis brechen". Ich hab ja gar keine

Opfer verlangt." Sie sah ihn verwundert und mit leisem Erschrecken an. „Das was verstehst Du nicht? Run, ich habe das gethan, was . — ich geschehen mußte, damit wir uns auf ewig verbinden konnten habe mit meinem Manne und mit Lona gesprochen." „Was?" — Diese Frage kam wie ein Aufschrei aus Hallers Munde, und er entfärbte sich. „Run .. . daß Konrad mich und Lona Dich freigeben müsse," bemerkte Bettina, und eine aufsteigende Bangigkeit preßte ihr die Kehle zusammen. „Da wir uns doch ehrlich liebten und die .

.

entsetzt ab, denn Haller schlug sich vor die Stirn, auf und stieß,' indem er wie ein Rasender durchs Zimmer lief, den Selbstoorwurf über die Lippen: „Da hast Du die Bescherung; das ist die Folge Deiner poetischen Wallungen!" Bettina erhob sich zitternd, und eine Blutwelle stieg ihr ins

Sie brach

lachte grell

„Was soll das heißen?" stammelte sie und sah bleiche Gesicht. Haller groß und starr an, während ihr Busen sich hob und senkte.

„Das soll heißen —" Seine Blicke fielen auf ihre Gestalt und er unterdrückte eine brutale Entgegnung, denn Bettina war ihm nie reizvoller und verlockender vorgekommen als in diesem Augenblick, wo die aufsteigende Scham und Entrüstung ihre Wangen mit Purpur färbten und die Iris ihrer Augen völlig schwarz erschien. „Das soll heißen," wiederholte er in mildem Ton und mit aufflackernder Leidenschaft, „daß wir unsern An¬ gehörigen jeden Schmerz ersparen und doch unserer Neigung folgen könnten. Bettina, sei doch nicht kindisch. Wir können doch nicht durch alle Lästermäuler hindurch Spießruten laufen, um dann im Ehejoch dem alten Zwang anheim zu fallen. Laß uns doch in freier Wahl, in freier Liebe —" Mit einem gleißenden Blick und frivolen Lächeln wolle er sie in seine Arme ziehen, sie aber stieß ihn weit von sich und rief mit bebenden Lippen: „Elender — rühr' mich nicht an!"

743

»Aber Bettina, nun entrüstest Du Dich, weil ich es verschmähe, mich, gleich Dir, dem Donquixotismus in die Arme zu werfen.

Nimm

Vernunft an!" bin jetzt wieder vernünftig genug," „um zu erkennen, daß die Themis da oben eine

Mit dumpfer Entschlossenheit in der Seele verließ Bettina den Park; ihren Weg durch die stillen Straßen nehmend, gelangte sie, als die Abenddämmerung hereinbrach, vor Geislers Haus, Dort brannte im traulichen Wohnzimmer schon die Hängelampe und warf ihren milden, goldigen Schein durch das leicht verhüllte Fenster, Bettina barg sich im Halbdunkel eines gegenüberliegenden

doch

„O,

ich

versetzte sie leise,

komische

Figur in

diesen Räumen spielt; es giebt auch Schurken, die sich Anwalt des Rechts nennen. Geben Sie den Weg frei. Wir haben nichts mehr

miteinander zu schaffen," In stolzer Haltung schritt

sie an

Bretterzauns und starrte, während ein Frösteln durch ihr Blut lies, aus die Fensterreihe. Brennendes Weh zerriß ihr das Herz bei dem Gedanken an den treuesten, gütigsten Mann und die von der-Mutter verlassenen Kinder, Ein Tag nur lag zwischen dem Vollbesitz eines reichen, so blind verkannten Glücks und ihrem namenlosen Elend. Nun mit einemmalc, da die Binde des Irrtums

Haller vorüber.

X, Bettina entfloh aus den Hallerschen Räumen, als würde sie von Furien gepeitscht. Als sie keuchend auf die verkehrsreiche Straße trat, zuckte jeder Nerv in ihr. Der Menschenstrom in der Straße erschreckte, der Lärm der rollenden Wagen peinigte sie. Ein brennendes Bedürfnis, sich aus dem Gewühl herauszuretten in die Stille, die Einsamkeit, das Dunkel kam über sie, Ihr Inneres war wund und zerrissen. Die vage Vorstellung beherrschte sie, es müsse ein Brandmal auf ihrer Stirn flammen, und jeder Vorüber¬ gehende könne die ihr zugefügte Schmach ablesen. Wie ein ge¬ scheuchtes Reh lief sie durch die Straßen zum Tiergarten hin.

gefallen, erschienen ihr die hohen Kunstideale, denen sie zugestrebt, wie Irrlichter, wie kindisches Spielzeug im Vergleich zu den herr¬ lichen Aufgaben, die ihr als Gattin und Mutter zufielen, — „Ach, könnt' ich jetzt meinen Kindern leben und ihm, dem Manne, aus den ich geringschätzig herabsah in meiner Eitelkeit und Berblendniig, O, wie groß und verehrungswürdig erscheint Konrad mir jetzt neben jenem Farceur und Heuchler, der mich zu beschimpfen wagte. Gerechter Gott, ist es denn nicht möglich, daß ich noch einmal die armen, mutterlosen Kleinen küsse? Darf ich denn nicht auf den Knieen jenen Frevel sühnen, den ich an ihm begangen, an dem Manne, der mich mit Wohlthaten überschüttet, durch seine Liebe verwöhnt hat, — Ah!"

Als sie mit keuchender Brust und zitternden Knien einen stillen Parkweg erreicht hatte, hielt sie an und schrie ihren Jammer, ihr Leid den grauen, düstern Wolken entgegen, Ihr Inneres befand sich in so wilder Gärung, daß sie Klagelante, Verwünschungen und Verzweiflungsschreie in hastiger Folge über die Lippen brachte, Rachegefühle gegen den Schändlichen lohten in ihr auf, und es wandelte sie die Lust an, ihn zu ermorden; dann aber wurde ihre Verachtung größer als der Haß, und sie rief mit einer wegwerfenden Bewegung: „Nein, nein er lebe — lebe weiter unter dem Fluch seiner Schuld; denn, wie ich jetzt weiß, ist Sterben Erlösung,"

Bettina unterbrach ihren schmerzlichen Gedankengang mit einem Aufschrei und preßte Kopf und Schultern gegen den Zaun; denn eben trat ein Mann aus ihrem Hause, und sie erkannte in Haltung und Gestalt ihren Schwager, Eine heftige Scheu vor der Begegnung mit diesem Manne ergriff sie. Leise und hastig schlich sie am Zaun vorüber, bog dann in die nächste Querstraße ein und lief, so rasch sie ihre Füße trugen, wieder dem Tier¬ garten zu.

Sie irrte planlos durch den Park, und kam zufällig an die Stelle, wo am Abend zuvor Haller über seine verzweifelte Lage bitter geklagt und um Errettung gefleht hatte. Bei der Erinnerung an diese Stunde lachte Bettina mild auf. „O, Du Närrin," schrie es in ihr, „Du hirnverbranntes Opfer grotesker Wahnvorstellungen! Wie konntest Du glauben-nein, es ist nicht auszudenken! Du glaubtest, ein gefesselter Prometheus schreie zu Dir aus in namenloser Oual, und Dein ganzes Wesen erglühte in Mitleid, Liebe und hehrer Begeisterung — und er hatte poetische Wallungen!"

Aus dieser Flucht beherrschte sie der Gedanke: Dein Schicksal ist entschieden, jetzt mußt Du ein Ende machen.

Sie erreichte bald die

Als sie hier über das Geländer sah, erfaßte und schüttelte Granen vor den tobenden Fluten, Allmählich aber war ihr, als vernehme sie rauhe und doch verlockende Stimmen aus

sie ein

es

Tumult der aufschäumenden Wasser, — Was stehst Du noch zagend und grübelnd da oben? — so raunten sie ihr zu, — Wir haben schon so manchen vom Sturm entwurzelten Baum hinab¬ geführt zu stillen Seen, wir führen auch Dich ins Reich des Vergessens und Friedens,-Kannst Du weiter leben mit der qualvollen Reue, mit der brennenden Schmach, mil der nie verstummenden Selbstanklage im Herzen? Rein, Du kannst es nicht. dem

zu vernehmen,

i

;

!

Dein Leben

würde zur

Folter,

Komm

doch

zu

eine Schicksalsmahnung;

Dies Rauschen erschien ihr wie nahm eine straffe Haltung an und sagte sich: „Das Schicksal fordert die Sühne für meinen Treubruch, und ich will sie leisten. Nach der furchtbaren Demütigung, die ich erlitten, hat dies Leben doch keinen Wert mehr. Aber einen letzten Blick muß ich wenigstens noch auf das Haus werfen, in dem meine Lieben atmen,"

uns

herab,

Du Thörin, — Wir löschen jede Oual, jede Schmach, jede Sehn¬ sucht aus. Ein Sprung, und wir wirbeln Dich hinunter ins Reich der Schatten — erlösen Dich vom Leid und allen nagenden

Gedanken.Leise stöhnend setzte sie den Fuß auf eine quer laufende Eisen¬ sich über das Geländer zu erheben; in dem Augenblick aber legte sich eine schwere Hand aus ihre Schüller, und eine gut¬ mütig klingende Männerstimme sagte dicht neben ihr: „Na, Bettychen,

barre, um

solche Chosen machen

Bettina

wir

nich,"

auf in jähem Erschrecken, wandte den Kopf um und sah ihrem Schwager, Fritz Hartknoch, ins braune Gesicht, Das schrie

Entsetzen, welches

daß sie kein Glied

sie

bei

seinem Enblick

zu rühren

empfand, war so groß, ihn sprachlos an¬

vermochte und

starrte, als sähe sie ein Gespenst.

„Ja, ja," sagte Hartknoch, „ich erscheine Dir ein — so wie der Comthur dem Don Juan, aber ich

plötzlich

kanals am Saum des Tiergartens. sie

unter der die Wasser

wälzen.

Bettina lief wieder in den Park hinein. Hier ächzten und knarrten die Bäume im Winde, und sie glaubte höhnende Stimmen

„Ja," murmelte sie, „Ihr habt recht, nie ist ein Weib mit plumperen Mitteln in eine schmählichere Verblendung hineingetrieben und dann grausamer enttäuscht worden als ich. Nun ist alles dahin, was mir das Leben begehrenswert erscheinen ließ. Meine heiligsten Gefühle hat dieser Elende, den ich für einen Halbgott hielt, in den Schmutz getreten, die Hoffnungen, die er in mir erweckte, um seiner niedrigen Absichten willen, sind wie Seifenblasen zerronnen, und die Liebe jener Herzen, die mir so warm und treu entgegenschlugen, habe ich verscherzt." Bei dem Gedanken an ihren Mann und ihre Kinder rang Bettina in stummer Oual die Hände. „O, ich Verblendete!" stöhnte sie. „Dort lag mein Glück, und ich trat es mit Füßen; dort umgab mich ein Paradies, und ich sehnte mich hinaus in das wüste Treiben der Ehr- und Gewissenlosen! Barmherziger Gott, wohin soll ich mich jetzt wenden?" Sich gegen die harte Rinde einer Eiche lehnend, schluchzte sie bitterlich, und ein Thränenstrom rann über ihre blassen Wangen, Nach einer Weile schwand mit den Thränen der Aufruhr in ihrem Innern, und die wilde Gedankenflncht ihres fiebernden Gehirns wich der Resignation, Sie hatte aus der Ferne das Rauschen eines Wehrs vernommen, und sie erinnerte sich des Spree¬

schmale Brücke,

des hochaufgestanten Spreekanals sich neben der Schleuse schäumend und donnernd dem Bogen der hochragenden Eisenbahnbrücke zu-

bißchen

komme nicht als Rächer, sondern als Freund, und bitte Dich, füg' den großen Dummheiten, die Du schon begangen hast, nicht noch die größte bei, nämlich eine, die durchaus nicht wieder gut zu machen ist, 'mal Ru thu mir aber den Gefallen und komm vom Steg herunter, 'ne vernünftige Frau." — Er faßte das ist kein Standpunkt für sie fest

am Arm und führte

sie

von der Brücke fort.

744

Bettina hatte sich erst heftig gesträubt, dann, als sie ihm am Saum des Parkes gegenüberstand, sagte sie im Tone trotziger Empörung: „Jeder Mensch hat das Recht, zu sterben, wann er

will." „Wenn er allein in der Welt steht — vielleicht, aber sicher nicht, wenn sein Tod die vollends elend macht, die ihm mit aller Liebe anhangen." Minutenlang starrte Bettina ihren Schwager mit brennenden Augen an, dann murmelte sie: „Konrad kann mich jetzt nicht mehr lieben, er muß mich tief verachten." „Das thut er nicht. Ich kam von ihm, als ich Dich am Zaun die Hände ringen sah, und obgleich er Deine Verblendung tief beklagte, so weiß ich doch, daß er Dich noch immer liebt, und daß Dein Selbstmord ihm eine unheilbare Wunde schlagen würde' denn in diesem Falle müßte er ja annehmen, daß seine Bettina, die Mutter seiner Kinder, einem Schurken ihre Ehre und Frauen¬ würde preisgegeben hätte." „Rein, das that sie nicht!" schrie Bettina auf. „Nun, so liegt kein Grund zum Sprung ins Wasser vor." — Hartknoch sagte das mit einem tiefen Atemzug und fuhr dann in warmherzigem Ton fort: „Sieh, Betty, ich hab oft Deine „höhere Richtung" verspottet, um Dir zu Gemüt zu führen, daß Du das Glück auf weiten Irrwegen suchst, während es dicht an Deiner Seite blüht in Deinem Mann und Deinen zwei prächtigen Buben, aber es war nur innige Sympathie, die mir den Tadel auf die Zunge drängte, nicht Verachtung. Ich bin ein wenig Menschenkenner und wußte das Gute in Dir zu schätzen: Deine Ehrlichkeit, Dein Ge¬ rechtigkeitsgefühl und Deine vielseitige Begabung, die nur deshalb unfruchtbar blieb, weil es Dir an der richtigen Erkenntnis und Energie gebrach. Run hat Dir, wie so vielen Frauen, die sich auf die schlüpfrige Bahn des Genußlebens begaben — das Herz einen dummen Streich gespielt. Du ließest Dich von Hallers glänzenden Eigenschaften blenden, und er hat Dir heute — wie mir scheint — eine schwere Enttäuschung bereitet. Statt nun auf den rechten Weg zurückzukehren, stürmst Du weiter, wie ein gescheuchter Hase, dem Abgrund zu. Ei, zum Henker, Betty, ich hab Dich stets für hochherzig und mutig gehalten, laß mich nun nicht glauben, daß Du feig bist! Eine erbärmliche Feigheit aber wäre es, wolltest Du jetzt den Tod suchen. Denk in dieser Stunde nicht an die eigenen Schmerzen und Seelenqualen, sondern an das Leid, das Du einem braven Mann zugefügt hast, der tausendmal mehr wert ist als

Dein vergötterter Haller." es

ja,

Schatten auf das Leben Deiner Kinder wirfst." „Du marterst mich!" stammelte sie. „Was in aller Welt soll ich

thun.

Ich

„Er liegt

sehe keinen

Ausweg."

Dir. Laß

mich Dein Führer sein!" Hartknoch legte Bettinas Arm in den seinen, und diese schmiegte sich wie ein hilfloses, schutzsuchendes Kind an die Seite des rauhen Mannes, den sie so lange verachtet und gefürchtet hatte. dicht vor

*

*

*

im Speisezimmer und ließ seine Knaben das Abendbrot einnehmen. Die Kinder hatten schon wiederholt nach der Mutter gefragt und die Antwort erhalten, sie sei durch ein Telegramm an das Krankenbett einer lieben Jugendfreundin

Der Baumeister

saß

gerufen worden und schleunigst abgereist' sie werde vermutlich am nächsten Tage Nachricht senden oder gar schon zurückkehren. Dem verlassenen Gatten wurde die Lüge sauer, und seine Blicke hafteten so schwermütig auf dem leeren Platz Bettinas, daß Walter, sich an ihn schmiegend, sagte: „Mama soll nicht so oft

Das Zimmer ist Der kleine Mar, welcher

fortgehen.

Mutter alles von

und Demütigungen erfahren und dann schweigend zu Grunde gehen würde: denn er kannte ihren Stolz. Eine schreckliche Bangigkeit kam über ihn: er erhob sich vom Tisch, trat ans Fenster und murmelte: „Das Schicksal ist grausam — es zermalmt uns alle um einer thörichten Verblendung willen!" In diesem Augenblick schrillte die Klingel durch den Flur. Geisler fuhr herum, der lärmende Ton hatte ihm einen Ruck ge¬ geben. Waltercheu rief mit aufleuchtendem Gesicht: „Am Ende st's die Mama!"

„Wo

so

leer ohne sie."

eben einen Becher

Milch mit Behagen

getrunkeu hatte, wischte sich den Mund ab und fügte hinzu: „Und das Essen smeckt nich so dut." Der Baumeister ließ seine Blicke über das trauliche, vom Schein der Lampe freundlich erhellte Zimmer und dann über seine

Kinder schweifen, und ein tiefer Groll stieg in ihm aus.

Er fragte

denkst

Du hin!"

die Augen weit auf,

entgegnete sein Vater rauh, riß aber als er von der Thüre her seines Schwagers

Stimme vernahm. „Onkel Fritz!" rief Max und rutschte vom Stuhl herunter. Der Baumeister öffnete hastig die Thür und rief die Frage ins Dunkel hinein: „Bist Du es, Fritz? Was führt Dich so spät 's ist doch im Pflug nichts vorgefallen? Das Unglück noch zurück, kommt stets in Geschwadern." „Ach, Unsinn! Draußen ist alles wohl," entgegnete Hartknoch ins Zimmer tretend. „Potz tausend, da sind ja die kleinen Kerle He, Fräulein! noch! Wartet, Euch will ich in's Bett jagen! Gleich ziehen Sie mir die kleine Schwefelbande aus, damit ich noch den Gutenachtkuß auf zwei Backen drücken kann, bevor der Sandmann vier müde Augen schließt. Wollt Ihr wohl ins Schlaf¬ zimmer hinein? — Na, wartet!"

Die Bübchen wehrten sich lachend und schreiend gegen des lustigen Onkels Gewaltmaßregeln, und als das Kinderfräulein sie in das nebenan gelegene Schlafzimmer gezogen hatte, klopften sie noch gegen die Thüre und riefen: „Zu Bett gehen wir doch nicht! Erst schlagen wir noch Purzelbäume!" Fritz Hartknoch aber wandte sich jetzt hastig gegen Geisler und flüsterte ihm zu: „Sie steht draußen." Geisler wurde totenblaß und starrte seinen Schwager eine Weile fassungslos an; daun fragte er bebend: „Bettina?" „Ja, Konrad. Sie hat einen furchtbaren Schlag erhalten und ist völlig geknickt! Sei nicht hart. Sie kehrt als eine Reuige zurück. Stoß sie nicht von Dir." Geisler war unfähig, eine Silbe zu erwidern; dann wandte sagte sich Hartknoch schnell gegen die Thüre, öffnete diese weit und laut: „Hier ist Dein Mann, Betty. — Ich gehe zu den Kindern ins Schlafzimmer. Will doch sehen, wie sie ins Bett gebracht

zu

der mich zur Verzweiflung treibt!" rief Bettina klagend und rang die Hände. „So, und Du glaubst, daß der Tod Deine Schuld sühnt und Konrad versöhnt? Run, ich kann Dir die Versicherung geben, daß Du damit Deinen Mann vollends zerschmetterst und einen tiefen

„O, der Gedanke ist

zum Hundertstenmale, wie es möglich sei, daß eine Gattin und sich zu werfen das Herz habe, was ihr bis dahin lieb und wert gewesen sei. Minutenlang war er geneigt, Bettina als Herzlose zu den Toten zu werfen: dann aber regte sich wieder das Mitleid, und er zitterte für ihre Zukunft. Er war fest überzeugt, daß sie an Hallers Seite furchtbare Enttäuschungen

sich

Dir

werden." Während der Fabrikant scherzend seine kleinen Neffen be¬ schäftigte und sic entkleiden half, trat Bettina bleich und wankend ihrem Gatten entgegen. Minutenlang stand sie schweigend mit niedergeschlagenen Augen vor ihm; denn die furchtbare Erregung drohte sie zu ersticken. Dann erhob sie langsam ihr Gesicht, sah ihn mit ihren ehrlich blickenden Augen an und sagte mit heftig vibrierender Stimme: „Konrad, ich habe an Dir und den Kindern so schwer gesündigt, daß ich die Schuld mit dem Tode büßen wollte. Nie hätte ich es gewagt, Dir wieder unter die Augen zu treten, wenn nicht Dein

Schwager-er

war mir gefolgt, als ich da drüben von Euch nahm. Er hinderte mich, das äußerste zu vollbringen —" und zog mich hierher — o, er war so lieb und gut zu mir ihre Sie brach ab; denn die aufsteigenden Thränen verlöschten Stimme vollends. Geisler fuhr aus seiner Erstarrung auf. Ein Gefühl tiefer Pein beherrschte ihn, und als er sah, daß Bettina sich kaum auf sagte: den Füßen halten konnte, schob er ihr einen Stuhl hin und am Hatte „Ich verstehe kein Wort! Was ist denn geschehen? und — Weib — traurigen Mut Herrliche, nicht den Ende jener Abschied

Kinder zu verlassen?" Bettina fiel stöhnend auf den Stuhl und ließ d wie eine Waldlilie, über die der Sturm hinfährt. Rc erst fand sie die Kraft, ein volles, ehrliches Beten

Kopf inken 1

einer Veile

niö der er-

745

fahrenen Demütigung und Schmach abzulegen. Die Worte kamen und leise wie ein Hauch über ihre Lippen, dann aber belebte sich ihre Stimme im Gefühl des verwundeten Stolzes. „Unter dem Einfluß Hallers," so schloß sie ihr Bekenntnis, „bin ich einer schrecklichen Verblendung anheimgefallen. Hätte ich meine Ehre dabei eingebüßt, dann wäre ich nie zu Dir zurückgekehrt, so aber ließ ich mich überreden, Deine Verzeihung anzuflehen. Ich weiß jetzt, Konrad, um wieviel verehrungswürdiger Du bist als jener Rechtsanwalt ohne Gewissen, ich weiß jetzt das Glück zu schätzen, das Du mir geschaffen. Mit einem Herzen voll Reue, Demut und unauslöschlicher Dankbarkeit stehe ich vor Dir. Kannst

zuerst zögernd

Du mir

ich's Dir vergelten mein mich aber fortweisen von Deiner Schwelle,

vergeben und vergessen,

so

will

Leben lang, mußt Du so will ich's tragen als gerechte Sühne. Richte über mich!" Sie senkte den Kopf und erwartete sein Urteil in dem Bewußt¬ sein: die nächste Minute entscheidet über Tod und Leben. Geister hatte den ersten Sätzen mit bittern, grollenden Empfindungen ge¬ lauscht, dann

Selbstanklage.

aber

entwaffnete ihn allmählich ihre rückhaltlose

Er erkannte daraus, daß Bettina völlig verwandelt

ihm zurückgekehrt sei. Es sprach so viel Zerknirschung und ehrliche Unterwerfung aus ihren Worten und Mienen, daß er sich tief bewegt und gerührt fühlte. Als sie nun verstummte, befand er sich noch derart im Banne des wilden Aufruhrs, der sein Inneres durchwogte, daß er kein Wort über die Lippen brachte. Da senkte Bettina den stolzen Kopf noch tiefer und wandte sich — zu

leise aufstöhnend, zum Gehen.

Run aber brachen sich die verhaltenen Gefühle in Geislers Brust mit stürinischer Gewalt über die Lippen Bahn: „Du bleibst — Bettina!" rief er und riß sie in seine Arme. „Meinst Du, ich könnte Dich strafen ohne mich selbst zu treffen? Ich liebe Dich ja, liebe Dich trotz alledem — wie am Tag unseres Verlöbnisses, liebe Dich unaussprechlich!" Nun war es Bettina, als löse sich ein eisernen Ring von ihrem Herzen; halb ohnmächtig sank sie in seine Arme und weinte unter seinen Küssen, während ein wonniger Schauer nach dem andern über ihr befreites Herz „Na," rief jetzt Hartknochs rauhe Stimme von der Thüre her.

rieselte.-

„Hab' ich den Mann da überschätzt, Bettychen?" Er deutete mit breitem, gutmütigem Lachen auf Geister, und als Bettina aufschreckte und dann mit einem Lächeln, das ihr Gesicht völlig verklärte, sich zu ihm wandte, fuhr er, ins Kinder¬ zimmer hineinsprechend, fort: „Jetzt kommt Eure Ueberraschung, Ihr Knirpse. Eure Mama will Euch noch Gute Nacht sagen!" Er öffnete die Thüre weit. Bettina stürzte ins Schlafzimmer und umhalste ihre in ein Jubelgeschrei ausbrechenden Kinder. Als

von diesen umschlungen, auf den Rand von Walters Bett niedersank, sagte Geisler leise: „Ist das nicht auch Glück?" „Das reinste und entzückendste," entgegnete sie mit einem dank¬ baren Blick. „Wo bist denn heute hindereist?" wollte Max wissen. „Das ist 'ne fabelhafte Geschichte," antwortete Hartknoch für Bettina, die bei dieser Frage in Verlegenheit geriet. „Eine Ge¬ Eure liebe schichte, die ich Euch wahrheitsgetreu berichten werde. Wege nach dem weite Reise vor. Auf weite, Mutter hatte eine er am wo Grunewald, in dem verirrte sie sich aber Potsdam sie,

tiefsten und dunkelsten ist." Als Hartknoch hier eine Kunstpause machte, um den Faden seiner Erzählung in Gedanken fortzuspinnen, warf Walterchen verträumt ein: „Begegnete ihr hier der böse Zauberer, der ihr in der Ferne seinen Wunderpalast zeigte?" „Ganz recht, mein Sohn," rief Hartknoch. „Und Deine arg¬ lose Mutter ließ sich überreden, dem bösen Zauberer eine Strecke Wegs zu folgen. Als sie aber dann ganz unvermutet vor einem

Abgrund stand, erkannte sie, daß der Blendwerk sei, und daß der Zauberer sie wollte. Da erschrak sie heftig, kehrte um so schnell wie sie nur immer konnte." „Aber Du hattest Dich doch verirrt, Du denn auf den rechten Weg?"

flimmernde Palast eitel in den Abgrund stürzen und lief zu Euch zurück,

Mama, wodurch kamst

Bettina strich dem erwartungsvoll zu ihr aufblickenden Walter mit einer liebkosenden Bewegung übers Haar und sagte: „Das hat

Dir der gute Onkel aus Bescheidenheit verschwiegen. Als Deine verirrte Mama im Walddunkel nach Hilfe schrie und dicht am Abgrund hintaumelte, da wurde sie plötzlich von einer starken Hand erfaßt, und diese leitete sie aus der Wildnis heraus zu Euch, Ihr Lieben. Diese starke Hand aber gehörte — Eurem Onkel Fritz." Bettina blickte jetzt Hartknoch so warm an, daß dieser errötete; sie erhob sich rasch, beugte sich über seine braune, schwielige Hand und preßte einen Kuß darauf. „Aber Bettychen, Herrgott, was machst Du denn da? Du bist woll —" in heller Verwirrung brach Hartknoch ab, und seine dunklen Augen zeigten einen feuchten Schimmer; dann aber zuckte ein Lächeln über sein Gesicht, und er fuhr fort: „Wenn Du schon mit Deinen Küssen Verschwendung treibst, dann küsse wenigstens nicht so weit daneben. Der Mund nur kann Dir die Wohlthat vergelten." — Er zog die junge Frau in seine Arme, küßte sie herzhaft und bot ihr die Hand dar. „Fortan wollen wir Freund¬ schaft halten, nicht wahr, Bettychen?" seine Augen glänzten sie freundlich an. „Bis ans Ende unserer Tage!"

Berliner Wandelbilder. Weltuntergang und Wohlthätigkeit» -Feste. ls Falb den Weltuntergang für den 13. November in Aussicht stellte, hatte er zunächst die ganze Klaffe der Abergläubische» hinter sich, die von der unheilvollen Bedeutung der Zahl 13 im allgemeinen und im besonderen überzeugt sind. Wenn die Erde einmal in Trümmer gehen sollte, könnte es nur am dreizehnten Tage irgend eines Monats geschehe», und es ist ein Zufall, daß der Zusammenbruch alles Irdischen nicht gerade an einem Freitag

stattfand, einem ominösen Wochenbruchteil, über den man nicht schnell genug fortkommen kann. Inzwischen ist diese Welt glicht Seine untergegangen, und Falb — hat doch recht behalten. Prophezeiungen sind bekanntlich so eingerichtet, daß sie irgendwo sicherlich zutreffen, sintemalen es doch jederzeit einen Ort geben muß, wo es meteorologisch kriselt, schneit, regnet oder stürmt. So ist man denn zu der Annahme berechtigt, daß vor ein paar hunderttausend Jahren einige Billionen Meilen von uns entfernt eine Welt untergegangen ist, deren Bruchteile in Form von Stern¬ schnuppen durch den Raum dahinsausen und gelegentlich einem harmlosen Erdbewohner als Meteorsteine auf den Kopf fallen können. Die Erde hat noch einmal den Durchgang durch den Schwarm der Weltentrümmer bestanden und zwar zum fünfzehntenmale. Bei diesen unterschiedlichen Krisen find folgende beglaubigte Unglücksfälle vorgekommen : Am 14. Januar 616 wurden in China ein Wagen zertrümmert und zehn Menschen erschlagen; im Jahre 823 verbrannte ein

Meteoritcnfall 35 Dörfer in Sachsen und tötete Menschen und Tiere; im Jahre 1511 erschlug ein Meteoritenfall zu Crema einen Mönch und viele Tiere; im Jahre 1749 wurden durch Meteoriten der Mast eines im Atlantischen Ozean segelnden Schiffes beschädigt und fünf Matrosen getötet. Man sieht, die Chance, durch ein Stück eines vagabondierenden Weltkörpers erschlagen zu werden, ist nicht übermäßig groß, und die Mehrzahl der derzeitigen Erd¬ bewohner wird sich mit einer weniger ungewöhnlichen Todcsart begnügen müssen. Berlin hat man bei der hier herrschenden Zweifelsucht zu dem Weltuntergang überhaupt kein großes Vertrauen gehabt; aber bei Falbschen Prophezeiungen ist, wie gesagt, nichts unmöglich, und wenn „das Unzulängliche doch Ereignis" werden sollte, mußte man unter allen Umstünden dabei gewesen sein. Den Weltuntergang verschlafen, wäre der Gipfel der Gleichgiltigkeit gewesen. Wozu ist der Telephon-Nachtdienst eingerichtet? Man setzte sich mit der

In

Sternwarte in Verbindung. Klinglingling, das Spektakulum be¬ ginnt, die Sterne fallen, und als das Ganze vorüber war, begab sich der Reichshauptstädtler wie gewöhnlich halb befriedigt zur Ruhe, drehte sich auf die andere Seite und raisonnierte, daß er bei Gelegenheit dieses Weltfeuerwerks nicht auch ein wenig Sphärenmusik zu hören bekommen hatte, was wieder einmal ein Beweis ist für die Unzulänglichkeit des Telephondienstes. Wenn man sich einmal da oben mit pyrotechnischen Veranstaltungen

746

abgab, sollen.

hätte man auch für das

In

den Räumen des Bundesrats herrschte die Wärme eines wohl temperierten Salons und demgemäß die vornehm bis an den Hals zugeknöpfte Robe. Die Tropenhitze der Restauration verlangte entblößte Schultern und Arme. Wer den ihm angemessenen Raum leichtsinnig wechselte, hatte es sich selbst zuzuschreiben, wenn er sich einen Schnupfen holte, ein Schicksal, das den Herren, die in Frack und weißer Binde befohlen waren, schier ausnahmslos blühte. Aber ernsthaft genommen, es zeugt von der Zerfahrenheit der Berliner Gesellschastszustände, daß niemand weiß, was er bei gegebener Gelegenheit anziehen soll. Ein Straßenkostüm ist keine Promenaden¬ toilette, ein Visitenkleid keine Gesellschaftsrobe, und wenn die Herren einmal Frack und weiße Binde anlegen, haben sie ein wohl erworbenes Gewohnheitsrecht ans weibliche Dekolletierung. Einen schwedischen Handschuh küßt man nicht, und mit einer Frau im Hut unterhält man sich anders als mit einer Dame in ge¬ puderter Frisur. (Test le ton, qui sait la musique, ein Sprichwort, das sich auch auf die Dichter anwenden läßt, die das Pressefest durch den Bortrag ihrer Werke ans einen litterarischen Ton zu stimmen die ehrenvolle Aufgabe hatten. Die drei Freiherren Liliencron, Ompteda und Wolzogen suchten vergeblich eine wärmere Stimmung hervorzurufen, weil dichten und deklamieren verschiedene Dinge sind, und es blieb dem bürgerlichen Herrn Fulda vorbehalten, sich über den passiven Widerstand unserer Bourgeois gegen alles Gute und Schöne, das über seinen Horizont hinausgeht, so harmlos lustig zu machen, daß besagte Lustigkeit selbst auf die von ihr Betroffenen ansteckend wirkte. „Herr Müller ist nicht ein¬ verstanden", eine geistvolle Persiflage des Müller-Schulze- und Lehmanntnms bildete den Erfolg des Abends, weil Fulda nicht nur. zu dichten, sondern auch vorzutragen weiß. Er plauderte, wo seine Kollegen in Apoll rezitierten, und wenn sich einer der An¬ wesenden beleidigt fühlen wollte, erinnerte er sich sofort, daß er gerade durch seine Anwesenheit zu den Ausgenommcnen zählte. Unter den sonstigen Wohlthätigkeits-Veranstaltungen wären noch die des „Frauenvereins für die Ostmarken" (Theater, Abend¬ essen und Ball mit Skowroneks, Schwank „Die stille Wache"), eine Soiree des Weihnachtsbescherungsoereins in Moabit u. a. m. zu erwähnen, die alle dafür zeugen, daß der Grundsatz von der Heiligung des Zwecks durch die Mittel seine tiefsittliche Bedeutung hat. Wer die Wohlthätigkeit will, soll die Eitelkeit nicht verschmähen. Der in unseren Kirchen herumgehende Klingelbeutel ist ein unzu¬ längliches Surrogat für den beim englischen Gottesdienst von Hand

unumgängliche Konzert sorgen

Im übrigen hat man von den mit einem drohenden Welt¬ untergang verbundenen Aufregungen in Berlin nicht viel gemerkt. Dem Eingeweihten wäre höchstens aufgefallen, wie ungewöhnlich zahlreiche Wohlthätigkeitsfeste in den letzten Wochen in Szene gesetzt wurden. Das gab zu denken. Am Ende wollte man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, das Angenehme mit dem Nütz¬ lichen verbinden, sich vor dem Ende aller Dinge noch einmal gründlich amüsieren und sein Konto auf der Seite der Aktiva vor dem allgemeinen Bankerott gleichzeitig ein wenig aufbessern. Der Weltuntergang wurde in den unterschiedlichen Bazaren und sonstigen humanitären Veranstaltungen für die Frauen zu einer Toiletten-, für die Männer zu einer Portemonnaie-Frage. Direkt an das Ende des Jahrhunderts und so mittelbar an das aller Dinge knüpfte der sin de sleele-Bazar zum Besten des Charlottenburger Kinderpflegevereins „Krippe" an, der überaus bezeichnend in der von jeher verkrachten Flora veranstaltet wurde. Drei Tage lang hat man da vergnüglich der Wohlthätigkeit ob¬ gelegen. In einer Alpenlandschaft verkaufte eine Geisha Streich¬ hölzer, zu denen in einem Palmenhain eine Dame in Salontoilette die Cigaretten lieferte und zwar unter musikalischer Begleitung der Zigeunerkapelle Hunyady Janos. Ohne Rücksicht auf das muhamedanische Weinverbot stand neben einer Sektbude ein tür¬ kisches Cafe, und auf einer Spezialitätenbühne konnte man Mit¬ glieder des Offizicrkorps als Komiker und Chansonnetten bewundern. Ein Festzug vereinigte Biedermänner, Bassermannsche Gestalten und Kolonialtruppen und gab so eine Uebersicht über die Ent¬ wickelung des deutschen Reichs, von seiner festländischen Vergangen¬ heit bis in seine überseeische Zukunft. Schließlich durfte man mit dem angenehmen Bewußtsein, sich im Dienste der Humanität redlich gemüht zu haben, dem Weltuntergang entgegen tanzen. Wenn es sich um Wohlthätigkeit handelt, steht die Berliner Presse in erster Reihe. Sie huldigt dabei dem altbewährten Grundsatz: „charity begins at hörne". Da sie einen Unter¬ stützungsfond für ihre Mitglieder hat, sucht sie ihn naturgemäß zu mehren. Die Presse ist bekanntlich die siebente Großmacht, und wenn sie Geld braucht, so hat sie es vermöge ihrer Großmachtstellung. Was Longchamps und Nizza für Frankreich, das ist das erste Pressefest der Saison für Deutschland. Man stellt die Winter¬ mode fest oder bequemt sie wenigstens seinen körperlichen und pekuniären Mitteln an. Dazu war in den „Gesamträumen des Reichstages" reichliche Gelegenheit, zumal in jedem Saal für eine spezielle Temperattir gesorgt war. Zwischen den Steinplatten und Marmorsäulen der großen Wandelhalle ging es winterlich kühl zu. Das dort veranstaltete Promenadenkonzert vereinigte die Damen, die der vom Komitee vorgeschriebenen Gesellschaftstoilette ein Straßen¬ kostüm mit Hut und schwedischen Handschuhen untergeschoben hatten.

In

dem schmalen Spalt des erstere» zu Hand gereichten offenen Teller. verliert sich ungesehen mancher Kupferpfennig, während man ans letzterem niemals etwas anderes als Silber zu sehen bekommt. Mit einem Schlaf heuchelnden Nicken ist es da nicht gethan, der Nachbar hält einem den Teller solange hin, bis ein metallischer Klang von dem vollzogenen Opfer zeugt.

Georg Malkowsky.

Moltke als Privatmann. Lin

Besuch bei ZHoItfc.

Nach persönlichen Erinnerungen von H

e

rm

a nn

Nlüller Boh n.*) -

II. ie in

allen seinen Lebensbedürfnissen, so war der Feld¬ marschall auch im Essen sehr einfach. Bei Tische plauderte man in zwangloser Weise über die harmlosesten Dinge und die gewöhnlichsten Vorkommnisse des Lebens. Der Feldmarschall wendete sich oft in liebenswürdiger Weise mit Fragen an seine Gäste, hörte auch gern von ihnen, wie weit sie sich schon in der Umgegend von Kreisau, für welches er ein großes Interesse zeigte, umgesehen hätten. Der alte Herr war trotz seines Rufes als „großer Schweiger" bei Tische durchaus ein Freund von Geselligkeit: er liebte auch sehr den Scherz, lachte herzlich über einen gelungenen Witz und machte häufig selbst eine trockene lakonische Bemerkung, die jeden Hörer unwillkürlich zur Heiterkeit stimmen mußte. Rach Tische wurden Cigarren und Kaffee herumgereicht. Die Unterhaltung ward "bann noch eine Weile fortgesetzt, bis der Feld¬ marschall durch Aufstehen das Zeichen zur Aufhebung der Tafel gab. Bisweilen pflegte der alte Herr sich auch nach Tisch von dem Adjutanten etwas vorlesen zu lassen. Bei der Lektüre — die Kriegs¬ wissenschaft war selbstverständlich hier ausgeschlossen — interessierten ihn in erster Reihe: schöne Litteratur, Reisen, Biographien, Ge¬ schichtswerke von hervorragenden Historikern, von letzteren besonders Ranke, dessen Schriften er genau kannte. Ein hohes Interesse brachte er auch dem großen Werke Heinrich von Sybels: „Die Begründung des deutschen Reiches" entgegen, das er bis zu seinem Abschlüsse aufmerksam verfolgte. Auch für Romane von litterarischer Bedeutung hatte er ein reges Interesse. Er war ein tüchtiger Kenner der Litteratur und las auch gern humoristische *)

Vorgl. Sir. 42 der

„Sät",

Seite 668.

Bücher: namentlich ergötzten ihn die Sachen von Wilhelm Blffch. Nach Tisch nickte der alte Herr häufig bei der Lektüre der Zeitung ein, ohne einen eigentlichen Mittagsschlaf zu halten. Später begab er. sich gewöhnlich in den Garten, um mit den Damen — sehr häufig kamen zu dieser Zeit von dem etwa zwanzig Minuten entfernten sogenannten „Bergschlosse", einem kleinen Landhäuschen, die Mutter und die Schwester der Gebrüder Moltke zum Besuche herüber — eine Partie Krokett zu spielen, die der alte Herr, ein Meister in diesem Spiel, meist gewann. Bisweilen vergnügte er sich auch mit Kindern und Erwachsenen bei einer harmlosen Luftkegelbahn. Den Nachmittag verbrachte der Feldmarschall, wenn irgend wie das Wetter günstig war, mit Spazierfahrten in die Umgegend. Einen Schirm bei drohendem Regenwetter mitzunehmen, würde ihm weichlich erschienen sein. Einmal, als er von einem furcht¬ baren Gewitterregen durchweicht, den Müller des Ortes trifft, sagte er diesem in ganz trockenem Tone: „Müllermeister, heute habe ich keinen trockenen Faden an mir, heute bin ich ordentlich durch¬ geregnet." Nach einem ähnlichen Regen im Schlosse angekommen, wo man ihn schon ängstlich gesucht hatte und geradezu entsetzt war über die Erkältungsgefahr, welcher sich der alte Herr ausgesetzt, sagte er auf die Bemühung seiner Umgebung, ihm trockene Kleider aufzunötigen und ihn zu einer kalten Abreibung zu bewegen, in abwehrender Weise: „Ach Gott, die Sachen werden schon allein auf dem Körper trocknen! Ich bin doch nicht von Zucker." Um 7 Uhr abends nahm er den Thee ein und spielte b u größten Teil des Abends, sofern nicht Besuch anwesend war musikalische Genüsse seiner harrteu, mit einem seiner Neffen i Whist, welches Spiel er meisterhaft beherrschte. Dabei mußt

Gegenüber sehr aufpassen, durfte sich nicht gehen lassen und unauf¬ merksam sein, sonst wurde der alte Herr ungemütlich. Dieselbe Aufmerksamkeit, mit der er dem Verlauf des Spieles folgte, ver¬ langte er auch von seinem Partner. Erst gegen 11 Uhr begab sich der Feldmarschall zu Bett, beim Auskleiden, wie früher bemerkt, jede Hilfe des Dieners verschmähend. Seinen Gutsangehörigen gegenüber ist der Besitzer von Kreisau stets ein humaner und hilfsbereiter Herr gewesen. Trotzdem er in dem Rufe großer Genauigkeit stand,' hat er doch vielen persönlich geholfen und sie durch Gewährung von Darlehen aus den Händen der Wucherer gerettet. Noch in den letzten Tagen vor seinem Tode hat er mehreren Wohlthätigkeitsanstalten größere Zuwendungen gemacht, und an seinem Todestage selbst hat er sein Interesse für die Hebung des Volkswohls dadurch bekundet, daß er dem Verein zur Gründung von Arbeiterkolonien als Mitglied beitrat. Den Angelegenheiten seiner Wirtschaft widmete er sich sehr eingehend. Die Ausgabe- und Einnahmebücher ließ er sich von seinem tüchtigen und treuen Gutsinspektor Unverricht, der sein ganzes Vertrauen besaß, regelmäßig vorlegen, prüfte sie und brummte dann und wann über einen Posten, der ihm in den Ausgabebüchern zu hoch erschien, gab sich dann aber leicht zufrieden, wenn der In¬ spektor ihm mit aller Bestimmt¬ heit und in berechtigtem Selbst¬ gefühl erklärte, daß es eben so sei, wie es dastehe, und daß die Sache schon ihre Richtigkeit babe. Sein Gerechtigkeit- und

Billigkeitsgefühl zeigte sich bei solchen Gelegenheiten im besten Lichte.

I

marschall gab sein lebhaftes Interesse für die Kinder der Ferien¬ kolonie dadurch zu erkennen, daß er sich bei dem Lehrer häufig nach ihrem leiblichen und geistigen Wohl erkundigte. Auf den Kinderfesten, die dann für die Kinder der Ferienkolonie und die¬ jenigen der Einwohner von Kreisau und der benachbarten Orte veranstaltet wurden, war er fast regelmäßig Gast, ebenso auf den Erntefesten, zu denen die ganze Familie vom Schlosse, Herren und Damen — der gerade anwesende Besuch mit eingeschlosien — er¬ schien und an den Festlichkeiten und frohen Tänzen — die Frau Majorin voran — ungebunden teilnahm. Der Nachbargemeinde Gräditz, zu deren Kirchspiel Kreisau, Rieder-Gräditz und eine Reihe umliegender Dörfer gehören, die keine eigene Kirche besitzen, widmete er ebenfalls nicht geringes Interesse. Die Kirche von Gräditz, die nächstgelegene von Kreisau, hat den Feldmarschall oft zu ihren Besuchern gezählt. Den Weg von einer halben Stunde hat er bei seinem hohen Alter bei Sturm und Wetter meist zu Fuß zurückgelegt. An einem stürmischen und regnerischen Tage wurden ihm nach der Rückkehr von der Kirche von den Seinigen Vor¬ würfe darüber gemacht, daß er bei solchem Wetter nicht habe anspannen lassen. Da sagte er

ganz

ruhig: „Bei

solchem

Wetter kann ich doch Kutscher und Pferde unmöglich hinaus¬ jagen." Nichts konnte das uneigennützige, selbstlose Wesen des Feldmarsch alls, der immer mehr an andere als an sich dachte, besser charakterisieren als diese Aeußerung.

Da Moltke als Musikfreund ein großer Verehrer des Schul- und Kirchengesanges war, so förderte er alle Be¬ strebungen, die in der Um¬ gegend auch nur entfernt diesem auch

Den geistigen und sittlichen Bedürfnissen der Jugend, an deren fröhlichem Treiben er Die Be¬ dienten. Zwecke sich gern ergötzte, hat der Feld¬ mühungen des Kantors von marschall von jeher große Auf¬ Gräditz, durch Gründung eines merksamkeit gewidmet. Vor Männer-Gesang -Vereins aus dem Jahre 1876 waren die den Mitgliedern der Gemeinde Schulzustände in der Gemeinde einen bessern Kirchengesang zu nicht die besten. Die Kinder schaffen, unterstützte der Feld¬ mußten in Wind und Wetter marschall in der wohlwollendsten bis nach Gräditz zur Schule Weise durch persönliche Anteil¬ gehen. Diesen unleidlichen Zu¬ nahme. Sein gutes, wohl¬ ständen ein Ende zu machen, der zeigte wollendes Herz gab Moltke den Platz zu dem Feldmarschall auch durch seine Schulgrundstück her, ließ mit Gefälligkeit und Liebenswürdig¬ Kostenaufwande von einem keit gegen jeden, der ihn um 18 000 Mark eine neue Schule etwas ersuchte. Persönlich an erbauen und dotierte sie mit ihn gerichtete Bitten um Em¬ In den ersten 9000 Mark. pfehlungen und Erweisungen Erbauung nach der Jahren von allerlei Gefälligkeiten be¬ war er ein eifriger Besucher antwortete er auch häufig per¬ und Zuhörer des Unterrichts. sönlich. So schrieb er einem Die Lehrer- und Schüler¬ Lehrer der Umgegend, der sich bibliothek ve/sorgte er unaus¬ Kantorstelle in um eine er brachte mit Büchern' gesetzt Schweidnitz beworben und um fast jedesmal, wenn er von seine Enipfehlung gebeten hatte, Berlin kam, eine Anzahl Bücher folgendes Zeugnis: die dem Lehrer persönlich in „In Erwiderung Ew. Wohl¬ Schule. Um die Kinder früh geboren Schreiben vom 26. d.M. zur Wirtschaftlichkeit und zum wünsche ich Ihrer Bewerbung Sparen anzuhalten, hatte er von Lrnst seger. Wolkke-Denkmal in Schweidnitz um die Kautorstelle in Schweid¬ eine Schulsparkasse eingeführt. Enthüllt am 29. rkiober. nitz den besten Erfolg, da ich Schule Beim Eintritt in die Gelegenheit gehabt habe, mich von Ihrer tüchtigen Leistung im erhielt jedes Kind zehn Pfennig, um ihm erst Lust zum Spare» zu Orgelspiel und Kirchengesang zu überzeugen und mir überhaupt machen. Sparte es im Lause des Jahres eine Mark, so bekam es als nur Vorteilhaftes von Ihnen bekannt ist. Besonders dazu. Mark eine Belohnung vom Feldmarschall noch Graf Moltke, Fcldmarschall." Höhe von 20—30 Mark. zur bis Prämien er fleißigen Sparern gab 'Um und Herzensgüte liegt Liebenswürdigkeit persönliche Wieviel deren vorzubeugen, Kinder derjenigen der Verwahrlosung Mütter mit auf dem Gute arbeiteten, hatte der Feldmarschall ein in der Gewährung dieser Bitte und der persönlichen Beantwortung eines Schreibens für den damals soviel beschäftigten Chef des Kinderheim eingerichtet, ähnlich demjenigen, wie es die Kaiserin Generalstabs! Daß der biedere Kantor selbstverständlich diesen Friedrich in Bornstedt gegründet hat. Da erhielten die Kinder unter der Leitung und Aufsicht einer Brief, der von Anfang bis zu Ende von der Hand des Feld¬ marschalls geschrieben ist, als eine Reliquie aufbewahrt, ist selbst¬ Stiftsschwester zweckmäßige Beschäftigung und Unterhaltung nach verständlich. Fröbelscher Methode. In sehr liebenswürdiger Weise zeigte sich sein Humor auch Moltkes herzliche Zuneigung zur Jugend zeigte sich ganz be¬ folgenden beiden Fällen. Graf Moltke war fast in jedem Jahre in mit Verkehr sowie im Erntefesten, sonders auf den Kinder- und auf einige Zeit der Gast eines schlesischen Großgrundbesitzers, des den Kindern einer Ferienkolonie, welche unter der Leitung eines Lehrers alle Jahre von Breslau nach Kreisau kamen, um in der Grafen B. Im Sommer des Jahres 1894 spielte der Feldmarschall mit dem jungen Hauslehrer B„ einem trefflichen Schachspieler, herrlichen, reinen Luft und unter ausgezeichneter Pflege hier ihre zwei Partien Schach und unterlag in beiden Fällen seinem Gegner Gesundheit zu kräftigen. Ihr Heim hatten sie in den Räumen trotz seines allbekannten, meisterhaften Spiels. Rach Beendigung bereits wie Ort, welcher aufgeschlagen, der Brauerei von Niedergrätz der Partien erhob sich der Feldmarschall lächelnd, indem er seinem erwähnt, noch zu den Besitzungen Moltkes gehörte. Der ^cld-

748

Partner drohte, abends beim Whist blutige Revanche zu nehmen. Aber auch am Abend gelang es dem glücklichen Hauslehrer, nicht nur den Feldmarschall, sondern auch den Hausherrn in allen Partien glücklich abzuführen. Moltke fragte hierauf den jungen Mann, ob er Soldat gewesen sei, und als dieser die Frage verneinte, sagte der Marschall kopfnickend, indem er einen Sturmmarsch mit den Fingern trommelte: „Schade, schade. Sie wären ein guter Generalstabsofsizier geworden' in der Taktik sind Sie mir schon bedeutend über."

Moltke unternahm von seinem Gute Kreisau aus häufig weitere Spazierfahrten in die benachbarten Gegenden. Als er ge¬ legentlich einer solchen Fahrt im Sommer 1882 das Dorf L. passierte, brach in der Nähe der Kirche ein Rad seines Wagens,

Diesen fragte er zum Schlüsse: „Wer ist wohl Napoleons bester General gewesen?" „Mein Großonkel, Exellenz, der Generalfeld¬ marschall Ney und Fürst von der Moskwa," gab von Br. schnell zur Antwort. Moltke warf einen halb erstaunten, halb ungläubigen Blick auf den Sprecher und fragte dann seinen Nachbar, den kleinen von J.: „Und wer war denn Preußens tapferster General in dem¬ selben Kriege?" „Mein Großonkel, der Feldmarschall Fürst Blücher," antwortete dieser ohne Besinnen und richtete sich dabei mit mili¬ diesem Augenblick trat der tärischer Strammheit in die Höhe. Pastor wieder ein und bestätigte dem sehr nachdenklich und ernst gewordenen Feldmarschall auf dessen Befragen, daß die beiden ge¬ prüften Kadetten in der That die rechten Großneffen der beiden berühmten Feldherren seien, und daß unter den übrigen Pensionären fich auch noch ein direkter Abkomme vom alten Hierauf erwiderte der große Zielen befände. Schlachtenlenker, indem er sein Gesicht in komische Falten zog und einen ironisch-geringschätzigen Blick auf seinen schlichten grauen Civilanzug warf: „Ei, ei, mein lieber Herr Pastor, das hätten Sie mir vorher sagen können, daß ich hier solche berühmten Feldherren vertreten finde." Hierauf lud der Feld¬ marschall die Zöglinge des Pastors für den folgenden Mittwoch Nachmittag zu sich ins Schloß, wo er sie festlich bewirten ließ. Häufig hatte Moltkes Humor auch einen feinen ironischen, in selteneren Fällen einen scharfen, sar¬ Als einige Jahre vor kastischen Beigeschmack. seinem Tode erneute Kriegsgerüchte das Land durchschwirrten und eine große, offiziöse Berliner Zeitung einen Krieg-in-Sicht-Artikel vom Stapel ge¬ lassen hatte,, befand fich Moltke eines Tages in Schweidnitz, um in einem Geschäft einige Einkäufe zu machen. Ein Gutsbesitzer aus der Umgegend, der Moltke persönlich bekannt war, sah den alten Herrn und beschloß, die Gelegenheit wahrzunehmen, um aus dieser „ersten Duelle" Nachrichten über die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit eines be¬ vorstehenden Krieges zu erhalten. der bestimmten Erwartung, daß Moltke, auf seine Absichten sofort eingehen und ihm einen detaillierten Bericht über den jeweiligen Zustand des europäischen Gleich¬ gewichts geben würde, fragte er —> es war gerade zur Erntezeit — sogleich nach der Begrüßung in fast atemloser Hast: „Nun, Exzellenz, wie steht's?" „Ich danke," sagte Moltke sehr trocken, „Roggen und Weizen recht gut; mit der Gerste bin ich nicht

In

In

zufrieden." Mit langem Gesicht zog der Frager ab. Einem der Gäste auf seinem Schlosse erging es nicht besser. Als dieser plötzlich das Gespräch ans die Kriegslage brachte und eine dahin gehende Frage an den großen Schweiger richtete, sagte Moltke — es war bei einer Promenade im Park — mit großer Ab¬ sichtlichkeit: „Sehen Sie diesen herrlichen Aussichts¬ punkt? Dgs ist mein Lieblingsblick!" Die Trenntkugsstunde von dem lieblichen Kreisau nahte. Es war an einem schönen Julimorgen, als ich mit dem alten Herrn noch eimnal in dem herrlichen Park zusammentraf. Rach einer kurzen Unterhaltung bat ich um die Erlaubnis, mich ver¬ abschieden zu dürfen. Der Feldmarschall ersuchte mich, bis nach dem Diner damit zu warten. Am Nachmittage begab ich mich gegen 5 Uhr nach dem Schlosse, um mich zu empfehlen. Doch ein gütiges Geschick wollte, daß diese Stunde noch nicht meinen Abschied in sich schloß, sondern daß sic mir die Erfüllung eines sehnlich gehegten Wunsches bringen sollte. Mir sollte das hohe Glück zu teil werden, von dem greisen Schlachtendenker über einige in den bisherigen Geschichtswerken und Biographien Der Kaiser Wilhetm-Gedärhtnisturm bei Eberswalde. noch wenig aufgeklärte und vielfach irrtümlich dargestellte Thatsachen aus den Vorgängen in und während der Schaden von dem Schmied des Dorfes aus¬ der Nacht vor der Schlacht bei Königgrätz persönliche Auskunft zu gebessert wurde, trat Moltke in das Pfarrhaus des ihm schon von empfangen. Es war einer der denkwürdigsten Augenblicke in meinem früher her bekannten Pastors ein. Letzterer hatte eine Anzahl Leben, als ich aus dem eigenen Munde des genialen Leiters jener Pensionäre ans altadligen Häusern, zum größten Teile beurlaubte verhängnisvollen Schlacht die authentische Darstellung der in Frage Kadetten, die er soeben in der Geschichte der Freiheitskriege prüfte. stehenden Vorgänge erhielt. Bald hatte sich von den anwesenden Der Feldmarschall nahm mit der Bitte, sich durch sein Eintreten Gästen um uns ein Kreis von Zuhörern gebildet, die gleich mir nicht weiter stören zu lassen, ruhig auf dem ihm angebotenen mit angehaltenem Atem den Worten des berühmten Strategen Polsterstuhle Platz und folgte mit ersichtlichem Interesse dem weiteren lauschten. Es war in der That ein hoher Genuß, den seltenen Verlauf der Prüfung. Als der Pfarrer in dienstlichen Geschäften Mann in diesem Augenblicke zu beobachten. Während sich seine plötzlich auf einige Zeit abberufen wurde, bat ihn der greise FeldGedanken in jene ewig denkwürdigen Vorgänge vertieften, schienen marschall um die Erlaubnis, die Prüfung fortsetzen zu dürfen. die Ereignisse und Persönlichkeiten, von denen er erzählte, vor seinem Mit vor Aufregung klopfendem Herzen lauschten die Kadetten den geistigen Blick wieder Leben und Gestalt zu gewinnen. _

Fragen ihres berühmten Lehrers. Einige von ihnen, namentlich den kleinen von und den einer französischen Emigrantenfamilie entstammenden Grafen Br., nahm er besonders scharf ins Gebet.

I.

Moltke stellte bei dieser Gelegenheit die allgemeine verbreuete Darstellung richtig, nach welcher in der Nacht zum 3. Juli na:! dem Eintreffen des Generals von Voigts-Rhetz ein Kricgsrat st -:t ' V ; J S! i 'M ,Ü .





-

,

«£

749

gefunden habe, an welchem die Generale von Tresckow, Alveusleben und Roon teilgenommen hätten. Auch ist General von Moltke nicht in Begleitung des Generals von Voigts-Rhetz zum Könige gegangen, sondern hat sich ganz allein dorthin begeben. Er traf den König, wie er erzählte, bereits im Bette in der Piquet-Nachtjacke, die dieser zu tragen pflegte. Der König blieb liegen, und Moltke erstattete über die unverzüglich zu ergreifenden Maßregeln Bericht. „Gott sei Dank," rief der König erfreut aus, „daß wir nun endlich wissen, woran wir sind." Moltke versicherte bei dieser Gelegenheit noch einmal aus¬ drücklich, daß überhaupt niemals ein sogenannter Kriegsrat statt¬ gefunden habe, weder vor Königgrätz, noch vor Sedan, noch vor Paris. Der Generalstabschef hat über die entscheidenden Schritte

immer nur allein mit dem König verhandelt. Er hat diesem die jeweilige Kriegslage vorgetragen, daraufhin hat der König ge¬ handelt. Er hat dem Rate seines großen Strategen, der sein ganzes Vertrauen besaß, stets unbedingt Folge gegeben und aus dessen Verantwortung hin jedesmal sogleich die Befehle ausfertigen lassen.*)

Moltke hat auf die richtige Darstellung dieser Thatsachen stets großen Wert gelegt und ihnen später in dem Vermächtnis seines Lebens, den hinterlassenen „Denkwürdigkeiten" ein besonderes Kapitel gewidmet. *) Siehe auch das vorbezeichuete Werk des Berfassers : Graf Moltke. Ein Lebens und seiner Zeit in Berlin, Historischer Verlag, Paul Kktlel. Seile 350.

Bild

seines

Kaiser Wilhelm-Gedächtnisturm bei Ebersioalde. ^8^'berswaldes

herrliche Umgebung mit ihren ausgedehnten Waldungen, den Thälern und Hügelketten bilden das Ent¬ zücken jedes Naturfreundes. Wohin immer sich das Auge in der Runde wendet, überall findet es anziehende Ruhepunkte und Aus¬ blicke von hohem landschaftlichen Reiz. Da war es nur natürlich, daß der Wunsch nach einem Aussichtsturm, von dem man weit

Klinkerpflaster hergestellt. Die gewölbten Decken sollen reiche Be¬ malung, einige geputzte Nischen der Wände, Gemälde mit Dar¬ In der stellungen aus der Eberswalder Geschichte erhalten. Gedächtnishalle sollen auf entsprechende Tafeln die Namen aller Gefallenen und später gestorbenen Mitkämpfer aus den Kriegs¬ jahren 1864, 1866 und 1870/71 eingeschrieben werden' diese Halle

ins Land hinein und über die Wälder hinweg blicken konnte, immer reger wurde. Indessen wurde dieser Wunsch erst vor einigen Jahren durch den Bau des Kaiser Wilhelm-Gedächtnisturms erfüllt. Das Bauwerk steht am Rande des Finowthaies ziemlich nahe der Stadt und an einem von den Touristen viel benutzten Wege; der Blick nach Westen, Norden und Osten in das abwechslungs¬ reiche Finowthal ist ein allerliebster. Nach Süden ruht der Blick auf den aus Laub- und Nadelholz bestehenden großen Waldungen. Die Ausführung des Unterbaues ist in märkischen Granit¬ findlingen erfolgt mit Einfassung in roten Ziegelsteinen mittel¬ alterlichen Formates. Die inneren Mauern, sowie der Oberbau find in gelbweißen Ziegeln gewöhnlichen Formates ausgeführt mit teilweiser Verwendung von Sandstein; die Fußböden der Platt¬ formen sind mit Mosaiksteinen in Zement auf Asphalt belegtem

erhält eine würdige, künstlerisch durchgeführte Ausstattung. Der Turmwärter bietet den Besuchenden Erfrischungen; für Wohnung

WSS5>

und Schankberechtigung hat er die Aufsicht über das Bauwerk und seine Benutzung. Die Anregung zu dem Bau wurde von Herrn Baurat Peveling in Eberswalde im Herbst 1895 anläßlich der 25jährigen Wiederkehr des Sedantages gegeben. Die Ausführung erfolgte zum Teil durch freie Beiträge, größtenteils aber aus Anteile zu 200 M., die verzinslich und amortisierbar sind. Die Kosten haben gegen 30000 M. betragen; es sind aber für etwa 6000 M. an Materialien u. s. w. geschenkt, so daß die Bausumme etwa auf 36000 M. anzusetzen ist; hierzu treten noch für die erst begonnene Bemalung des Innern etwa 4000 M. Die Einnahmen ergaben sich aus der Turmbesteigung (für die Person 10 Pf.); im ersten

760

Jahre sind 12000 und im zwecken 12500 zahlende Personen auf dem Turm gewesen, so daß die Einnahmen 1200 bezw. 1250 M. betrugen. In der Trinkhalle, auf der Rischenfläche an der Turinseite, ist von Herrn Maler Martin Lemme in lebens- und wirkungsvoller Art die Einwanderung der Ruhlaer in Eberswalde zur Darstellung gebracht; die zuziehenden Messerschmiede aus Ruhla in Thüringen, mit Weib und Kind, ihre Geräte tragend, werden vom Magistrat vor dem Rathause empfangen. Friedrich der Große hatte den Zuzug dieser Handwerker angeordnet, denen sich bald andere, teils aus Ruhla selbst, teils aus Schmalkalden anschlossen und in Eberswalde ein blühendes Schmiedegewerk für Messer, Scheren, Schnallen u. s. w. ins Leben riefen. Roch jetzt stehen in der Schicklerstraße einzelne der auf königliche Kosten erbauten eigen¬ artigen eingeschossigen Doppelhäuser für diese Einwanderer.

Zunächst unter staatlicher, später unter privater Leitung — Splittgerber, Schickler — entstand allmählich ein umfangreicher Großbetrieb mit Schleifmühlenanlagen, der seine Erzeugnisse im ganzen Lande vertrieb. Aus ihr hat sich im Laufe der Zeit unter

geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen die jetzt hoch entwickelte Eisenindustrie von Eberswalde, Hufnagelfabrik, Eisengießereien u. dgl. heraus gebildet. Somit sind die Ruhlaer Einwanderer als die Urheber der industriellen Entwickelung von Eberswalde zu be¬ zeichnen und verdienen durch bildliche Darstellung der Nach¬ welt erhalten zu werden. Das Gemälde gab gleichzeitig Gelegenheit, das alte, jetzt längst verschwundene Rathans, sowie die Altstadt in ihrer früheren, mehr und mehr schwindenden Er¬ scheinung in geschichtlicher Treue zur Darstellung zu bringen und so der Nachwelt zu überliefern.

Grabstein-Poesie auf Berliner Friedhöfen. ^^icht

immer harmoniert die Inschrift auf Gräbern und in Grüften mit der ernsten Stimmung, die sie umgiebt. Süddeutschland und speziell Bayern sind von jeher wahre Fundgruben für originelle, ja direkt humoristische Grabschriften gewesen. Aber daß auch die Berliner Kirchhöfe mancherlei Eigenartiges auf diesem Gebiet aufweisen, lehrt uns ein aufmerksames Studium der Grab¬ schriften auf den großen Friedhöfen unserer Stadt. Es sind gut gemeinte Poesien, die aber oft genug dem fremden Beobachter ein stilles Lächeln entlocken. Sie geben die Gefühle der trauernden Hinterbliebenen teils in recht drastischen Formen, tests mit einergeradezu rührenden Naivetät wieder. Die Leser mögen selbst ein Urteil über diese Grabstein-Poesie fällen, die ihnen in folgenden, wortgetreu von Stein und Erz abgeschriebenen Dichtungen sich zeigt. Auf dem alten Friedhof der Jerusalemer und Neuen Kirche

M-V

am Blücherplatz findet sich ein altes gußeisernes Grabkreuz aus Jahre 1833 mit folgender Inschrift: Gute Muhme, ruhe sanft und stille hier, Wir kommen ja im Leben noch öfters her zu Dir. Freunde, schaut umstehend, wen dieser Hügel deckt. Er ward bei Lebzeiten von ihr mit Thränen oft benetzt, Und auch zur Ruhestätte sich selber ausersehn. Dies Denkmal errichtete ihres Bruders Sohn ihr schön.

dem

Ihr

Doch dieses schlimme Bein, Das mar mein früher Tod. Drum, liebe Eltern, grämt Euch nicht, Ihr reibt Euch selbst iwch auf. O, denkt doch, daß am letzten Gericht Wir alle stehen einst auf. O, bittet für die Seele mein,

Sollt'

es noch

Mängel geben,

Schließt sie in Euer Gebet mit ein, Dann giebt Euch Gott auch Segen. So schlummere ich recht sanft und gut In dieser kühlen Erde. Und schreibt: Hier liegt ein junges Blut, Das bald ein Engel werde. Eigentümliche Empfindungen weckt das Lesen einer Grabschrift auf dem Dorotheenstädtischen Kirchhof in der Liesenstraße. Eine Tochter hat der verstorbenen Mutter einen Marmorsteiy auf das Grab gelegt und folgende Worte in vergoldeten Buchstaben in den¬ selben meißeln lassen:

Lieber Gott, laß meine Mama der kalten Erde nicht frieren,

In

Usambara-Eisenbahn in Deutsrh-Ostafrika: Lin Krbritszug bei Tanga. Auf dem katholischen St. Hedwigskirchhof in der Liesenstraße sich das Grab eines jungen Mannes, der 1879 starb. Auf seinem Leichenstein steht die Inschrift: befindet

Trostreicher Gedenkspruch, vom Entschlafenen selbst dichtet und uns zum Andenken hinterlassen.

Dann folgt die Dichtung selbst: Ich wollt Euch eine Stütze sein In Eurer Schwachheit und Roth.

ge¬

Ich bitte Dich, erwärme

Mit Deiner

sie

göttlichen Liebe.

Ein Jahr später folgte der einzige Sohn der Mutter in das Grab. Da erhielt auch er von der trauernden Schwester den gleichen Denkstein mit folgender Inschrift: Wie glücklich bist Du, lieber Bruder, bei Mama zu sein, beschütze sie und gieb

ihr viele

Küsse

für

mich.

751

Eine der originellsten und zugleich ältesten Grabschriften trifft man auf dem alten Sophienkirchhof in der Sophicnstraße an der gleichnamigen Kirche an. Auf einer an der Mauer angebrachten Steintafel liest man folgende, nur noch schwer zu entziffernde und bald ganz unleserliche Inschrift: Hier ruht an des Sohnes Seit gegen diesem Leichen steine Dorothe Elisabeth, so aus Kautschen's Fleisch und Beine Auf die Welt geboren wurde, da man sechszehnhnndert Jahr

Kastanienbaum beschattet die Grabstätte, und daneben liest man auf einer Bronzetafel die Worte: Der Baum, der hier an Deinem Grabe steht, Du hast, als Du noch Kind warst, ihn gesäet. Du mußtest sterben, daß er Kräfte zieht Aus Deinem Körper, der so früh verblüht. So strebt denn Beide zu dem Himmel hin. Vielleicht ist todt für's Leben noch Gewinn.

Usambara-Eikenbahn in Dcuttch-Slkasrilra: Vahnhoslrbrn in Wuhesa. Johann Wilhelm Finne war vertrauter erster Mann, bey dem sie in fünfzehn Jahren Von neun Kindern Mutter ward, aber auch den Riß ersahen. Daß der Mann, wie auch fünf Kinder gingen in die Ewigkeit Und sie also nur noch viere hier behielte in der Zeit. Doch nachdem sechs Jahre hin, daß sie Wittwe war gewesen, Kam ihr zweiter Ehemann, der sie sich ihm auserlesen Zur Gehülfin seines Hauses, Herr Johannes Daniel, So aus Schwarzeiihauers Stamme und trat an des Ersten Stell. Mit demselben zeugte sie binnen sechs und zwaichig Jahren Sohn und Tochter, welche Beyd schon voran zu Gott gefahren, Denen sie auch nachgefolget, als sie ward am achten May Siebzehnhundert zwey und fünfzig von des Lebens Banden frei. Da sie sechs und sechzig Jahr in demselben es geschehen. Daß sic von elf Kindern Hier, fünfzehn Enkel hat gesehen. Run mein Wandrer, gehe weiter, eile und errette Dich, Damit Du dereinsten sterbest, in dem Herrn seliglich! Und das helfe Gott »ns allen, Die wir noch in Liebe wallen, Durch den, der uns Heyl verschafft Und noch sechsundachtzig zählte.

Ihr

Und durch seynes Geistes Krassl.

Aber auch Poesien von klassischer Schönheit findet man unter den Grabinschriften. Da ist beispielsweise das Monnment eines griechischen Freiheitskämpfers auf dem neuen DreifaltigkcitSkirchhof in der Bcrgmaiinstraßc. Ihm, der in Smyrna geboren, 1821 für die Befreiung Griechenlands kämpfte und 1847 in Berlin starb, hat man folgende Verse gewidmet: Sicher führet der Weg zum Hades, ob Du im Tode Von Ceeropias Flur oder von Meroö. kommst. Gräme Dich nicht, wenn fern vom Vaterland Klotho Dich abruft, Ueberall wehet der Wind, welcher zum Hafen Dich führt. Auf dem alten Dorotheenstädtischen und Friedrich-Werderschen Kirchhof in der Chausseestraße, ivv die ersten Geistesgrößen unseres Volkes, wie Fichte, Hegel, Beuth u. a. ruhen, befindet sich das Grab eines Serbischen Studenten, der hier als Kandidat der Philosophie starb. Seine Freunde widmeten ihm einen Denkstein mit folgender Dichtung im Versmaß der Antike: Fern aus dem herrlichen Süden vom Wehen nord'schcr Gedanken Kamst Du ergriffen hierher, sogest Begeisterung ein. Unter der rauhen Natur brach ach! das zartere Leben: Geistigen Daseins Genuß gab sie im Tausch Dir zurück. Einziger Trost ist in der Heim^h den Freunden geblieben. Daß auch im Tode noch DentscI en Denkern Du nah. Eine tiefe Poesie liegt ana in den Worten, die der Grab¬ inschrift auf dem Denkmal eines f ühverstorbenen Knaben auf dem Ein hoher Petrikirchhof in der Friedenstrafe beigefügt sind.

Die Muse Jean Pauls hat sich auf dem alten Französischen Kirchhof in der Chausieestraße mit folgender Grabschrift verewigt: Das Grab ist nicht tief, es ist der leuchtende Fußtritt eines Engels, der uns sucht. Wenn die uiibekannle Hand den letzten Pfeil an des Menschen Herz sendet, bückt er zuvor das Haupt und der Pfeil nimmt bloß die Dornenkrone von seinen Wunden ab. Am häufigsten unter allen Citaten deutscher Dichter findet man Victor von Scheffels Wort, das sich wohl auf jedem Berliner Kirchhof als Grabschrift wiederholt: Behüt' Dich Gott, es wär' so schön gewesen, Behüt' Dich Gott, es hat nicht sollen sein. Zum Schluß noch eine Reihe von Grabjchristen-Poesien, die teils hervorragenden Männern gewidmet, tei9S von bedeutende» Persönlichkeiten verfaßt sind. Am Grabe des großen Architekten Carl Friedrich Schinkel auf dein alten Dorotheenstädtischcn Friedhof Chanssecstraßc 119: Was vom Himmel stainnit. Was uns zum Himmel erhebet,' Ist für den Tod zu groß, Ist für die Erde zu rein. Am Grabe des Hofschauspielers Carl Stawinsky auf dein alten Dreifaltigkeitskirchhof am Blücherplatz: Tie wir strebten vereint mit dem Freund und wirkten im Leben, Ehren gemeinsam sein Grab. Dieser bescheidene Stein, Mahn' er, die nach uns kommen, daß unsres Toten Gedächtnis Schöner und würdiger ehrt, wer seine Tilgende» übt. Am Grabe des bedeutenden Sprachforschers, Professor Ludwig Heyse, des Vaters des Dichters Paul Heyse, auf dem Dreifaltig¬ kcitSkirchhof in der Bergmannstraße: Frei in eignen Busens Schranken Suche Wahrheit ohne Scheu, dem Wirrsal der Gedanken Finde Dich und sei Dir treu. Am Grabe der Charlotte von Kalb, der Freundin Schillers,

In

auf demselben Friedhof:

Ich war Ich war

auch ein Mensch, sagt der Staub, auch ein Geist, sagt das All.

Am Grabe des berühmten Hofschauspielers Carl Seydelmann auf dem katholischen St. Hedwigskirchhof in der Liesenstraße: Die Spuren dieses Lebens sind eingezeichnet in den Tand der Wüste und der Geist dessen, der sie zu ziehen gesendet war, ruft uns liebend und kräftig zu: tretet nach, achtet mein Erbe, indem Ihr es nützt. Am Grabe des frühverstorbenen Pianisten Carl Taussig auf dem Jerusalemer Kirchhof in der Bellealliancestraße findet sich folgende, von Richard Wagner verfaßte Inschrift:

Am Grabe des Hofschauspielers Ludwig Dessoir, ebendaselbst:

Reif sein zum Sterben, Des Lebens zögernd sprießende Frucht, Früh reif sie erwerben

In

Der Rest ist schweigen. Hamlet.

Lenzes jäh erblühender Flucht.

es Dein Loos, war es Dein Wagen, müssen Dein Loos wie Dein Wagen beklagen. Grabe des Liederkomponisten Franz Mücke auf dem neuen

War

Wir

Am Jerusalemer Kirchhof in der Bergmannstraße: Gatte und Vater, Treuer Berather: Mannfest von Willen, Schaffend im Stillen: Unedlem feind, Bruder dem Freund. Was uns sein Leben Alles gegeben, Das kann sein Sterben Nimmer verderben. Durch seine Lieder Lebt er uns wieder. Am Grabe des Musikdirektors Gustav Reichardt, des Kompo¬ nisten des Liedes: „Was ist des deutschen Vaterland?" auf dem Matthäikirchhof in der Groß-Görschenstraße: Du hast gesungen, was Dir Gott gegeben. Viel tausend Zungen sangen's jubelnd nach.

Am Grabe des bedeutenden Naturforschers Christian Gottfried Ehrenberg auf dem alten Rikolaikirchhof am ehemaligen Prenz¬ lauer Thor: Der Welten Kleines auch ist wunderbar und groß, Und aus dem Kleinen bauen sich die Welten. Am Grabe des Komponisten Albert Lortzing auf dem Sophien¬ kirchhof in der Bergstraße 32: Sein Lied war deutsch und deutsch sein Leid, Sein Leben Kampf mit Rot und Neid. Das Leid flieht diesen Friedensort, Der Kampf ist aus, sein Lied tönt fort. Dieser Denkspruch ist von Lortzings Freund Düringer gedichtet. Ein reicher Schatz von Poesien ruht auf den Berliner Fried¬ höfen. Achtlos geht die Menge vorüber, denn dem Lebenden gehört die Welt. Wer aber gern einmal eine stille Stunde abseits vom Lärm der Großstadt zwischen Gräbern und Grüften verlebt, der wird auch der Grabstein-Poesie seine Aufmerksamkeit nicht ver¬ sagen und manches entdecken, was ihn zu ernsten Gedanken anregt, was ihm Trost und Erbauung schafft im Kampf des Lebens.

P. Kunzendorf.

Städte- und Landschastsbilder. Grsmiow. HWur

wenige Meilen entfernt von Prenzlau, der alten Grenzfeste

gegen Pommern, ragt als einsames Mal einstiger Größe die Ruine des Klosters Gramzow empor. Roch jetzt sind die spärlichen Reste auf dem Hügel am Gramzower See weit im Lande heruin zu sehen, und so war sicher einst der hochragende

Klosterturm ein Wahrzeichen für die Gegend. Das Kloster war wie Prenzlau eine Grenzseste: aber eine Feste für die geistige, die kulturelle Eroberung des Landes. Im Jahre 1178, als in den Markep Otto l., der Sohn und würdige Nachfolger Albrechts des Bären, regierte, hatte der Pommernherzog Bogislav I. Mönche vom Kloster Grobe nach Gramzow gezogen: sie scheinen aber den Ort für ihre Zwecke nicht für geeignet gehalten zu haben: denn bald kehrten sie wieder in ihr Mutterkloster zurück. Inzwischen war der Brandenburger Markgraf zum obersten Lehnsherrn von Pounnern gemacht worden, die Gernianisierung machte mächtige Fortschritte und so erbat sich Bogislaw II. neue Mönche aus dem Kloster Jerichow und be¬ setzte das verlassene Kloster mit ihnen. Sie waren tüchtiger als

Sie machten den Urwald und Sumpf mit unendlicher Arbeit urbar und bald gedieh in ihren Gärten das Obst und Ge¬ müse und nicht zu vergessen der Hopsen: war doch das Bierbrauen zu damaliger Zeit ein vom Kloster beinahe untrennbarer Begriff. die alten.

das Dorf Gramzow und blühte rasch empor, da die sächsischen Einwanderer, re.ch mit allerlei Freiheiten ausgerüstet, bald die Oberhand über slavisch-pommersche Ureinwohner gewannen. Schnell wurde aus dem Dorf ein Städtchen mit Marktgerechtigkeit und städtischer Verfassung, und erst im dreißigjährigen Kriege wurde, wie so vieles in der Mark, auch Gramzow in seiner Blüte ver¬ nichtet und hat sich auch nicht wieder erholen können, trotz der außerordentlichen Fruchtbarkeit, die seine Fluren und Felder auszeichnet. Das Kloster wurde nach Einführung der Reformation in die Mark im Jahre 1537 eingezogen: die Mönche durften aber, soweit sie nicht auswandern oder protestantisch werden wollten, bis an ihr Lebensende im Kloster verbleiben. 1687 wurde die Kirche eingemanderten Refugiös als Gotteshaus überwiesen, aber schon 1714 wurde neben dem größten Teil des Dorfes auch die ganze altehrwürdige Herrlichkeit der Klostergebäude ein Raub der Flammen. Von der Klosterkirche St. Marien blieb nichts, als was heut noch steht: ein Stück des sechseckigen Westchores und des auf ihm ruhenden gewaltigen viereckigen Turmes. Die Ruine zeugt von der Baukunst der Prämonstratenser, der Kulturboten ihrer Zeit in den Marken. Der poetische Hauch, der aus ihrer^ malerischen Schönheit spricht, mildert das Bedauern über das Hinsinken all der ursprünglichen Schönheit.

Unsere neueste Kolonialerwerbung: Ansicht von Apia. breiteten sich an Stelle der alten Moräste, und bald ging's auch an die Errichtung der gewölbten Kreuzgänge, der Klostergebäude und des gewaltigen gosischen Backsteinbaues der zweischiffigen Kirche mit ihrem mächtigen Turm. Voll ihrem Recht, Ansiedler anzusetzen, machten die Mönche eifrig Gebrauch, und so entstand am andern Ufer des Sees bald Lachende Wiesen

(S. 755.)

Der Ort Gramzow hat heut etwa 2000 Einwohner und hat aus der Zeit seiner Blüte ein recht städtisches Ansehen be¬ wahrt. So ist der Irrtum, den ei' st unser Kaiser als Prinz von rr lag 1883 hier im Manöver¬ Preußen beging, recht begreiflich, quartier und dankte den „Bürgen der Stadt Gramzow" in einem noch heut eingerahmt im Schulzei amt aufbewahrten Schreiben für sich

bte Huldigung. Wäre das zehn Jahre später geschehen, so hätte dieser Brtef, der dann ein „Kaiserwort" gewesen wäre, Gramzow gewiß die Stadtgerechtigkeit verliehen.

Anders beurteilte Friedrich Wilhelm IV, den Ort. Er fragte, als er auf der Durchreise Gramzow berührte, den ehr¬ furchtsvoll begrüßenden Schulzen, indem er ihn leutselig an die Schulter faßte: „Ist wohl ein Flecken hier?" Der in Bezug auf

Das Beweinen der Token im Völkerglaubrn. manche heiße Zähre wird am Totensonntag beim innigen Gedenken der lieben Toten vergossen! Mindestens sonderbar erscheint nun in Eriväguug dieser erklärlichen Thatsache jener tiesgewnrzcltc Aber¬ glaube, der den trauernden Hinterbliebenen ein heftiges und längeres Beweinen selig Entschlafener entschieden untersagt! Erwähnt doch schon

d^Tie

die Reinlichkeit seines Sonntagsstaates wohl nicht ganz sichere Dorfherrscher faßte die Frage aber falsch auf und stammelte ver¬ legen: „Entschuldigen Majestät, ist wohl ein Fettflecken!" Er war eben wohl in Granzow nicht genügend an den Verkehr mit den Großen der Erde gewöhnt, um seinem König gegenüber auf der Höhe der Situation zu bleiben.

Carl Langhammer.

bald nachsterben, weil die vergossenen Thränen, besonders wenn sie mit ins Grab gelangen, die allmähliche Abzehrung der sie hervorbringenden Personen bewirken sollen. In Hessen hütet man sich mit peinlicher Vorsicht beim Anfertigen des Totengewandes zu weinen: denn es liegt die Gefahr nahe, daß, falls die benetzten Stellen nicht heransgeschnitten werden, über kurz oder lang jeinand aus der betreffenden Familie ein Kind des Todes wird. „Wenn ein im Sarge fertig angezogen liegender Toter durch Wasser oder eine andere Flüssigkeit naß wird, so wird er später im Hause erscheinen oder spuken," also ruhelos uinheu irren, wie man im Mecklen¬ burgischen glaubt. Selbst nach erfolgter Bestattung einer Leiche ist ein maßloses Beweinen von unseligen Folgen: denn jede herabrinnende Thräne be¬ reitet dem Entschlafenen empfindliche Dualen, weshalb er im Hause der klagenden Hinter¬ bliebenen „umgeht" und fie flehend bittet, ihre Zähren zu stillen. Im Oldenburgischen wird deshalb für gut befunden, beim Tode eines Angehörigen nicht zu wehklagen, „denn die Toten be¬ halten noch einige Zeit nach dem Verscheiden das Gehör und werden durch die Klagen bekümmert." Dieser leidige Kummer kann nach persischer Volksmeinung so gesteigert werden, daß der Begrabene die herben Zähren wehklagender Hinterbliebenen „als glühende Kohlen auf der Brust" und „als frisches Blut im Herzen" empfindet, ja nach einem schwe¬ dischen Volksliede füllen Christels Thränen des Herz des unterm grünen Rasenhügel schlummernden Geliebten mit Blut an. „So¬ viel Thränen jemand dem Verstorbenen ver¬ gießt, soviel Oel gießt er ihni ins Fegefeuer,"

Einfahrt zur Insel Apvlina (Samoa). TacituS, daß bei den alten Teutschen laute Klagen um Verstorbene für ungeziemend erachtet worden seien, und noch heute behauptet der allgemeine Volksglaube:

.Auf

Lin Lingrborrnendorf auf Iffpvlu (Samoa). wie in Bübinen angenommen wird, und der Ir¬ länder sagt: „Wenn man zu viel auf dem Grabe treuer Angehöriger weint, so träufelt jede Thräne durch Sarg und Leichentuch ein Loch auf den Toten." Selbst im nüchternen Bolksbewußtscin alt¬ nordischer Stämme hastete diese eigenartige Vor¬ stellung, wie aus einer Eddastellc hervorgeht, und auch der römische Dichter Virgil gedenkt in seiner Acnäas des nagenden Schmerzes der weinenden Scalen unmündiger Kinder, die so jäh hinwegUeberhaupt ist die gesamte gerissen wurden. Sagenlittcratur aller Völker und Zeiten reichhaltig an Beispielen von der verderblichen Wirkung der übermäßigen Trauer um die vom schwarzen Schättensürsten entführten Angehörigen. So beauftragt der sterbende Ribelungc Wolshart seinen Reffen Hildebrant, die Totcnklage um ihn abzubestellen, damit er in Frieden ruhen könne. Als im Jahre 1154 von Apia. Hauptstraße der Teil der heilige Vicelinus gestorben war und sein treuer Unsere neueste Kvlonislerwerbuiig. Freund Eppo fast untröstlich über diesen Verlust da erschien der Heimgegangene Slavenbischof einer keuschen, war, Ruhe." Soll Toten die dem man stört damit denn Thräne fallen lassen, frommen Jungfrau und befahl ihr: „Sage unserem Bruder Eppo, gemäß doch der Weinende in diesem Falle norddeutscher Anschauung

754

tmf; er miffiorc zu meinen; mir ist so wohl, ober ich leide Schmerzen von seinen Thränen; siehe, ich trage sie alle in meinen Kleidern", Dabei deutete er auf sein blendend weißes Gewand, das ganz thränenfeucht war. Eine ähnliche Begebenheit wird in den nieder¬ sächsischen Sagen von Schambach und Müller mitgeteilt, indem ein von der untröstlichen Mutter tiefbeklagtes Kind des Nachts aus dem Grabe zurückkehrt und inständig bittet: „Mutter, höre doch auf zu weinen über mich; in meinem Leichentuche ist nur eine Stelle, wie ein Thaler groß, noch trocken. Wenn auch diese naß ist, dann habe ich keine Ruhe im

Grabe", Der gefühlvolle Dichter Chamisso läßt in seinem Gedicht „Die Mutter und das Kind" letzteres bittend ausrufen: „O Mutter, in der Erden Gewinn ich keine Rast. Wie sollt ich ruhig werden. Wenn Du geweinet hast? Die Thräne fühl ich rinnen Zu mir ohn Unterlaß; Mein Hemdlein und das Linnen, Sie sind davon so naß," Da ist es erklärlich, wenn auf dem Friedhof zu Kempten an dem Grabstein eines Kindes zu lesen ist:

„Hier in dem Rosengarten Muß ich auf Vater und Mutter warten. Sie Mögen nicht weinen um mich. Vielmehr jubeln und freuen sich." Wenn nach dem Volksglauben der Marchfeldbewohner eine Mutter den Tod ihres Kindes allzusehr beweint, so werden später, wenn sie stirbt, die überlebenden Kinder ihren eigenen Tod bejubeln. Daher raten die Rumänen warnend: „Weine nur soviel, daß über dem teuern Grabe eine Blume sprießen kann." Von dem nassen „Totenhemdchen" und gefüllten „Thrän enkrüglein" handeln eine Reihe Sagen deutscher Gaue, woraus hervorgeht, daß der sich auf das

„Nachweinen" beziehende Aberglaube sehr verbreitet ist. Wollte man aber die in altdeutschen Totenstätten gefundene» „Thränenkrüglein" mit dem gleichnamigen Gegenstände der unser Thema berührenden Sagen in Einklang bringen, so dürfte es wohl nicht angängig sein, denn diese Fläschchen haben einen anderen Zweck, dessen Nachweis hier zu weit führen würde. Was dagegen die Erklärung des Aberglaubens betrifft, der sich aus das unselige Beweinen der Verstorbenen bezieht, so läßt Es ist sie sich nur mit Hilfe urgermanischer Mythen ermöglichen. sog,

erwiesene Thatsache, daß unsere heidnischen Altvordern den Tod keines¬ wegs als Schreckgestalt betrachteten, sondern der poestevolle „Freund Hain" holte die heimgehenden Erdenbürger durch eine liebevolle Fee oder Elsin nach der freudenreichen Walhalla zu einem besseren Leben ab. Besonders die den Eltern so frühzeitig entrissenen „lieben Kleinen" waren es, welche der allgütigen Weltmutter, jener vielgenannten „Frau Holle", deren feuchtes Heim teils tief, teils hoch belegen war, zugeführt wurden, damit sie in einem wnnderlieblichen Garten mit duftigen Blumen und saftigen Früchten spielen könnten. „Es ist dieser Garten das lichte Reich hinter dem Wolkenhimmel, wo die Sonne weilt, von wo die Gestirne ihren Glanz empfangen. Hier im Brunnen des himm¬ lischen Geivässers nimmt Holda die Seelen der Verstorbenen in Empfang und sendet sie wiedergeboren als Kinderseelen auf die Erde zurück." lMannhardt). Wenn aber die abgeschiedenen Seelen so gut bei den heidnischen Gottheiten aufgehoben waren, so mußte ein untröstliches Beklagen der Abgeschiedenen hier auf Erden gewissermaßen ei» „Mi߬ trauensvotum" gegen die „himmlichen Mächte" sein. Unnützer Kummer trauernder Hinterbliebener ist also gleichsam sündhaft, darum sagt ein schwedisches Volkslied, welches diese' Skizze beschließen möge: „Jegliche Zähre, die Deinem Aug entquillt; Macht, daß sich mein Herz mit Blut anfüllt. Doch jegliches Glück, das Dein Herz bewegt,^ F, Kunze. Den Sarg voll duft'ger Rosen mir legt."

DieUsambara-Eisenbahn in Drutsch-Ostafrika.

s mit

ei der Erörterung der Kolonialfragen hat die Bahnangelegenheit stets eine hervorragende Rolle gespielt, und man kann es darum besonderer Freude begrüßen, daß durch den erfolgten Ankauf der

Usambnra-Eisenbahn von Reichs wegen endlich Mittel und Wege ge¬ boten sind, diese Frage einer befriedigenden Lösung entgegenzuführen. Von ihr hängt, was leider von so vielen verkannt wird, gewissermaßen die ganze künftige Entwicklung unserer Kolonie ab. Während sich die deutsch-südwestafrikanischen Kolonien bereits seit inehrere» Jahren des Segens einer Eisenbahn erfreuen, will es mit dem Bahnbau in DeutschOstafrika noch immer nicht vorwärtsgehen, ja, man hat sich nicht einmal dazu entschließen können, die von der Nsainbara-Eisenbahngesellschaft in Angriff genommene und zum Teil fertiggestellte Strecke Tanga-Muhesa bis Korogwe weiterzuführen. Und doch berechtigt gerade derjenige Teil der Kolonie, für den diese Bahn bestimmt ist, nämlich das Usambaragebiet, das sich von der Meeresküste in nordwestlicher Richtung zum Kilimandscharo erstreckt, und in dem der Plantagenbau schon jetzt die schönsten Früchte zeitigt, zu den größten Erwartungen, Wird die Usambarabahn die bis jetzt nur von Tanga nach Muhesa, eine Strecke von ungefähr 40 Kilometern, läuft, bis nach Korogwe weitergeführt, so ist derselben doch ein natürlicher Abschluß gegeben. Von Korogwe aus kann mit geringen Kosten im unmittelbaren Anschluß an die Bahn ein regelmäßiger Wagenverkehr zum Kilimandscharo eingerichtet werden, wodurch eine direkte Verkehrslinie durch die fruchtbarsten Gegenden unseren ostafrikanischen Kolonie zwischen der Meeresküste und dem Inneren hergestellt werden würde.

Unsere neueste Kolonialerwerbung. urch einen Vertrag mit England ist das Deutsche Reich in dem Besitz der beiden größeren Samoainseln gelangt. Die Hauptstadt von Upolu, und gleichzeitig auch das Verkehrszentrüm für die ganze Gruppe

S

ist Apia auf der Nordküste des zuerst genannten Der Munizipalitätsbezirk erstreckt sich längs des Ufersaumes zwischen der Landzunge Mulinu im Westen und dem Vorsprung von Matantn im Osten in einer Ausdehnung von etwa 5 Kilometern, Mulinu und Matautu schließen den Apiahafen ein, dessen Wasser¬ fläche zivar eine Breite von 3 Kilometern hat, dessen Einfahrt aber nur den sechsten Teil dieser Ausdehnung aufweist, da östlich und westlich der Ankergrund durch Korallenbänke eingeengt wird, die zum Teil während der Ebbe trocken laufen. Das ganze Stadtgebiet von Apia durchschneidet in westöstlicher Richtuirg eine Fahrstraße, die ans beiden Seiten von ein- und zweistöckigen Holzhäusern begleitet wird, die oft Vorgärten zur Straße vorschieben, immer aber durch Veranden den Aufenthalt in freier Lust möglichst er¬ leichtern, Die Stadtteile Sogt und Savalalo im Westen des Bezirks sind fast nur von Deutschen und Angehörigen der deutschen Handelsnnd Plantagengesellschaft der Südseeinselu bewohnt. Hier stehen das stattliche Direktions- und Wohngebäude dieser Gesellschaft, ausgedehnte Lagerhäuser derselben, die deutsche Schule und das deutsche Lazarett. Im Quartier Matafele hatten bisher das deutsche Konsulat und die deutsche Postagentur ihre Amtsräume; daselbst befindet sich auch das katholische Missionshaus mit Kirche. In Apia im engeren Sinne und im östlichen Stadtteil Matautu wiegt das angelsächsische Element vor. Landeinwärts schließen sich hübsche, von Gärten umgebene Landhäuser wohlhabender deutscher Landsleute und weiterhin Dörfer von Einge¬ borenen an. Die bis zu 5 Kilometer breite Küstenebene zeigt Pflanzungen von Kokospalmen, Bananen und Taro, im übrigen dichte Bewaldung, Zahlreiche Flüßchen und Bäche durchströmen das alluviale Flachland, aus dem sich fast unvermittelt der 560 Meter hohe erloschene Krater des Vaiaberges 'Vaiaerhebt, an dessen Abhang in 125 Meter Meereshöhe die Station der französischen katholischen Mission den Seefahrern als Peilungspunkt dient.

der Samoainseln,

Eilandes.

755

Der Brand der „Patria". Mm 16. November früh brach an Bord des Schnelldampfers 7W „Patria" in der Nordfee Feuer aus, und nur der umsichtigen und kaltblütigen Energie des Kapitäns Frölich und der straffen Disziplin der Besatzung war cs zu danken, daß keine Verluste an Menschenleben zu beklagen sind. Die Passagiere wurden nach Dover gerettet. Frauen und Kinder waren in bemitleidenswertem Zustand. Man konnte zuerst nur ihre notwendigsten Bedürfnisse befriedigen und an ihre Bekleidung erst im Laufe des Tages denken. Es heißt, daß die Passagiere sich da¬ rüber beklagten, daß ihnen das Feuer sünf Stunden lang verschwiegen worden sei, sie hätten sonst ihre Sachen retten können. Was man von diesen Angriffen in den englischen Zeitungen zu halten hat, dürften erst die Aussagen der deutschen Offiziere ergeben. So soll ein Passagier sagen, er hätte das Feuer vor 11 Uhr nicht bemerkt, während er glaube, daß die Offiziere es um 6 Uhr wußten: er habe Rauch bemerkt und anderen Passagieren gesagt, daß das Schiff brenne. Hierauf hätte der Kapitän die Passagiere in die Boote beordert. Don einer deutschen Dame, welche sich in New Dort in der Malerei ausgebildet hatte, wird berichtet, daß sie ruhig auf dem Deck saß und das Schiff, sowie den Kapitän auf der Brücke zeichnete, während das Feuer bereits auf dem Höhepunkt war. Als dann der Ausbruch des Feuers verkündet wurde, wickelte fie ein Handtuch um ihren Kopf, lief in die Kabine und rettete einiges Gepäck, konnte aber nachher nur mit Mühe durch den dichten Rauch zu den Booten gebracht werden. Sie verlor alle während des Studienaufenthalts in Amerika gemalten Bilder. Ter Schnelldampfer „Kaiser Friedrich" hat die Passagiere von Dover nach Hamburg gebracht. Es ist Aussicht vorhanden, daß die „Patria" nach erfolgter Reparatur wieder

in Dienst wird

gestellt werden können.

Kunst und Wissenschaft. Theater. Königliches Schauspielhaus. Nicht allemal glückt

das Märchen¬

Fuldas „Talisnian" ist eines der besten Stücke der moderne» Litteratur: von seinem „Schlaraffenland", das am 18. November im König!. Schauspiclhause aufgeführt wurde, kann man nicht dasselbe behaupten. Die Poesie wird vom Schwank gar zu stark in den Hinter¬ grund gedrängt. Der Bäckerjunge, der Verse macht, in die Tochter des Bäckermeisters hoffnungslos verliebt ist und sich in seinem Liebes¬ ungemach ins Schlaraffenland träumt, ist wohl eine geeignete Persön¬ lichkeit, Goethes Worte „Was man nicht weiß, das eben brauchte man, erzähle».

und was man weiß, kann man nicht brauchen" zu illustrieren. Der Junge träumt sich ins Schlaraffenland, wo man nicht arbeite» muß, und da erfaßt ihn eine krankhaste Sucht nach Arbeit: er stiftet eine Revolution an, eine Revolution der Arbeitslosen zur Durchsetzung ihres „Rechts auf Arbeit". Daraus wird aber auf die Dauer auch nichts, bis der Held endlich aus seinem Traum erwacht und von einem Bruder in Apoll und Handwerksmeister aufgenommen wird, der ihn, in eincr schönen Rede die Sehnsucht nach dem Glück als eine vortreffliche Ein¬ richtung preist. Fulda scheint nicht ganz bei der Sache gewesen zu sein, sonst hätte er dem Märchen etwas mehr Poesie zugesetzt.

Deutsches Theater. Mar Dreyer hat bisher das Glück gehabt, als dramatischer Dichter lauter Treffer zu machen: sein jüngstes Schau¬ spiel „Der Probekandidat", das am 18. November im Teutschen Theater gegeben wurde, scheint sogar ein Haupttreffer zu sein. Ter Beifall war äußerst lebhaft und bekundete, daß ein großer Teil des Publikums sachverständig war. Bei Dreyer darf man fragen: „Was wollte er be¬ weisen?" Der junge Dichter gab seinem Schauspiel eine» sittlichen Gehalt: er dramatisierte einen Gedanken, der wert ist, analysiert zu werden, und der sich über die alltägliche dramatische Mache erhebt. Der Probekandidat Doktor Fritz Heitmann ist ein Opfer seiner Ueberzeugung.

Da er jung ist, kann man schon glauben, daß ihm seine Ueberzeugung lieber ist als das liebe Brot; allein mit einem Prvbckandidaten niacht man im gewöhnlichen Leben viel weniger Federlesens, als Max Dreyer es thut, und die Frommen sind auch weit schlauer, als )ie in vr. Heitmann soll in der Prima diesem Stück dargestellt werden,

eines kleinstädtischen Gymnasiums naturwissenschaftlichen Unterricht er¬ teilen. Heitmann faßt seine Aufgabe sehr ernst, oder wenn man well, sehr leichtsinnig auf. Er erzählt den jungen Leuten vom Darvinismus. Da aber der Päpositus vr. theol. o. Korff kein Freund des Darvinismus ist, so muß vr. Heitmann vor der Prima öffentlich widerrufen, vr. Heitmann läßt sich auch dazu bewegen, da er eine Braut hat u. s. w. Wie er aber vor dem Lehrerkollegium und den Primanern widerrufen soll, wandelt sich sein Sinn, und er giebt der Anschauung, die er als wahr erkannt hat, oder die ihm als Wahrheit gelehrt worden ist, in flammenden Worten die Ehre. Denn was ist Wahrheit? könnte vr. v. Korff nach be¬ rühmtem Muster fragen. Die Handlung ist, wie man sieht, sehr dramatisch, Wirklichkeit wird ein unbequemer aber nicht dem Leben entsprechend. Kandidat ohne Aufsehen weggeschickt. Die Korffs sind schlau genug zu wissen, daß Primanern kein X für ein U mehr vorgemacht werden kann, und dag die jungen Leute sofort den moralischen Zwang erkannt hätten, unter dem Heitmann stand. Und „kein Aussehen erregen!" ist die Devise der Schlauen. Was hätte aber Dreyer mit cmem aus irgend ernem gleichgiltigcn Grunde weggejagten Lehramtskandidaten anfangen sollen, öo gab er den» der Sache eine dramastschc Wendung, obwohl sie keines¬ wegs so folgerichtig ist, wie etwa der Widerruf in Gutzkows „Unel Acosta", und er behielt recht. Zudem sind die handelnden Per,onen nach dem Leben porträtiert. Der geradezu stürmt,che Beyall war al,o wohlverdient, und Dreyer bewies, daß er einen lebhaften sinn jiir da» Dramatische besitzt. Gustav Adolf Festspiel. Im Saale des „Neuen Königlichen Opernhauses" (Kroll) fand am 10. November die Erstaufführung des bekannten Devrientschen „Gustav Adolf Festspiels" statt. Man weiß, wie

In

Dcvrient sich die Dichterfreiheit zu nutze gemacht und den klugen Schwedcnkönig, dem es darauf ankam, durch Ängliederung von Mecklen¬ burg und Pommern an sein Reich die Ostsee zu einem schwedischen Binnenmeer zu machen, als den selbstlosen Idealisten hingestellt hat, der nur für Deutschland und die evangelische Sache die Kastanien aus dem Feuer holen wollte. Die Regie führte Herr Hofrat Edward aus Darinstadt. Er hat durch energische Striche das Werk zu eincr aufführbaren Länge zusammen gezogen und es verstanden, die 500 Dilettanten zu einer immerhin annehmbaren Aufführung zu schulen, die sich in den Massenszenen zu sehr schönen Gesamtwirkungen steigerte. Er selbst und Frau vr. Hauser Burska machten sich schauspielerisch um den Schwedenkönig und seine Gattin Marie Eleonore verdient, die sie, in dem pathetischen Stil des Ganzen bleibend, doch zu Menschen von Fleisch und Blut zu gestalten verstanden.

Wirkliche Meisterwerke der Kupferätzung bringt die Graphische

Kunstanstalt von Heuer & Kirmse in Berlin W., Frobenstraße 17 auf den Weihnachtsmarkt. Die Aetzung von Hans Fechners Pastellbild des Kaisers gewinnt durch die technisch vollendete Wiedergabe den Wert eines Kunstwerks und eignet sich vortrefflich als Wandschmuck. Dieses Porträt legt die Betonung auf die Charakterisierung der ausdrucksvollen, tiefgründigen Augen, die auf den Beschauer gerichtet sind. Auch bei Porträts giebt es Haupt- und Staatsaktionen mit heroischen Posen, Ordensbändern rc. Fechners Bild hat dergleichen nicht. Es spricht eine schlichte Sprache, und darum ist seine Wirkung eine um so intensivere. Die ganze Kunst konzentriert sich auf den Kopf mit der hohen Stirn. Auf gleicher Höhe technischer Ausführung steht Lenbachs Bismarck¬ bild. Voll Humor ist das Genrebild „Sieben Mädchen und kein Mann!" von Alfred Weczerzick. Sieben niedliche Kätzchen gucken so niedlich in die Welt, als wären sie nur zum neckischen Spiel ge¬ schaffen. Aus den geöffneten Mäulchen und den gespitzten Oehrchen darf man schließen, daß sie ein Sextett einüben, das siebente Kätzchen links lauscht gespannt, das ist wohl die Kritikerin, während die mittlere mit der Schleife die Primadonna zu sein scheint. Die sieben Köpfe, die über einen Bretterzaun herübergucken, sind so anmutig, daß man sich bei ihrem Anblick eines Lächelns nicht erwehren kann. Und dabei kostet das Blatt (Imperial-Format, Bildflüche 28 zu 50 ein) nur 10 Mark.

Berliner Chronik. Am 11. November starb im 81. Lebensjahr Professcr vr. August der frühere langjährige Oberlehrer am Dorotheenstädtiichen Realgymnasium. Der Verstorbene, der Ehrengroßmeister der Großloge Royal Aork war, war vor dreizehn Jahren in den Ruhestand getreten. Am 12. November wurde das dem verstorbenen Geh. Obcr-Finanzrat Friedrich Marcinowski auf dem Matlhäikirchhof gewidmete Grab¬ denkmal (Stele mit Profilbild des Verewigten) feierlich enthüllt. Am 13. November starb der Kammergerichtsrat Karl Heinrich Langer, der seit 1860 im Jnstizdienste gestanden und seit 1874 in Berlin als Richter gewirkt hat. Der Küster der Petrigemeinde Leschke feierte am 15. November sein 50 jähriges Dicnstjubiläum. Der Jubilar waltet seit 35 Jahren

Flohr,

seines jetzigen Amtes. Am 15. November seierte

Professor Rudols Virchow sein 50 jähriges Jubiläum als ordentlicher Professor. Rektor Fuchs überreichte dem Jubilar im großen Hörsaale des patbalogiiäien Museums im Namen der Universität eine Glückwunschadressc, welche Virchow als Gelehrten und als kerndeutschen Mann feiert. Am 16. November waren 100 Jahre seil der Geburt des berühmten Turnlehrers Philipp August Feddern verflossen. Feddern war ein Schüler Jahns und wurde 1828 Gehilse an der Eiselenschcn Turn¬ anstalt. Seit 1844 wirkte er als Turnlehrer am Friedrich WilhelmsGymnasium und an der Königlichen Realschule. Feddern hat auch dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm und seiner Schwester Luise, der jetzigen Großherzogin von Baden, Unterricht im Turnen erteilt. Der um das Turnen hochverdiente Mann starb am 4. Juni 1849 an der Cholera: sein Grab liegt auf dem Friedhof in der Bergmannstraße. Am 16. November feierte der Geheime Justizrat Zimmermann sein 50jähriges Dienstjubiläum: er gehört dem hiesigen Land¬ gericht 1. seit 1879 an und zwar ununterbrochen als Vorsitzender der

Zivilkammer. Am 18. November trat vr. Emil Aschkinaß in den Lehrkörper der philosophischen Fakultät der Berliner Universität. Dem bisherigen unbesoldeten Stadtrat Kacmpf, der Ende Oktober aus seinem Amt schied, soll das Prädikat „Stadt ältest er" verliehen werden. Berlin hat gegenwärtig vier Stadtälteste: Stadtrat a. D. Genesius und die Stadtbauräte a. D. Rospatt, Blankenstein und Hobrecht. 9.

DieZahlder studierenden Frauen an der Berliner Univcrsilä l beträgt gegenwärtig 372 (gegen 241 im vorigen Winter und 186 im vergangenen

Sommer)._

Märkische Chronik. Rixdors. Am 12. November wurde in Rixdors ein naturhistorisches Schulmuseum eröffnet, das bereits 80 000 Gegenstände umfaßt: dieselben sind ausschließlich aus Schenkungen zusammengebracht.

Kleine Mitteilungen. Märkische Totenbräuche. Die Mark Brandenburg

ist reich

an überliefertem Brauch und Glauben. Ich möchte an dieser Stelle zunächst aus eine Begräbnissitte Hinweisen, die mir durch einen mit dem märkischen Volkstum wohlvertrauten Gewährsmann aus dem Kreise

Lelms besannt geworden ist. In den mir vorliegenden Sammlungen fehlt sie, obwohl sie gar nicht so selten geübt werden soll, und sich auch in anderen Teilen der Mark, bis in die Niedcrlausitz, findet. Stirbt in der Gegend von Seelow oder in dieser Stadt eine Wöchnerin, während das Kind am Leben bleibt, so muß die Beerdigung unter Beobachtung gewisser Vorsichtsmaßregeln stattfinden. Sonst würde es geschehen, daß die Tote keine Ruhe findet, sondern nächtlicherweile zu ihrem Kinde zurückkehrt. Der Sarg wird beim Hinaustragen dreimal, und zwar an einem Kreuzwege, niedergesetzt. Ans diese Weise verliert die Abgeschiedene die Orientierung: sie weiß, wenn sie die Rückkehr versucht, nicht mehr den rechten Weg zu finden. Zu erwähnen ist, daß auch der Geistliche den Brauch duldet, aber dafür die Erklärung ge¬ funden hat, es handle sich darum, die Macht des Teufels über das Kind abzuwehren. Der Brauch geht von dem Glauben aus, daß die umherschweifende Seele des Verstorbenen mit Vorliebe an dem hänge, was dem Lebenden gehörte. Um die Seele fortzuscheuchen oder ihre Rückkehr zu verhindern, werden bei den verschiedensten Völkern und auch noch auf unseren Dörfern die seltsamsten Abwehrmittel angewendet. So schafft man den Toten nicht auf dem gewöhnlichen Wege aus dem Hause, fondern durch ein frischgebrochenes Wandloch, trägt ihn auch wohl, wie in Siam, noch mehrmals im raschen Laufe um die Hütte — alles, damit die Seele den Eingang vergesse und keinen Spuk treibe. Im Altenburgischcn muß die Leiche mit dem Kopf zuerst, also untgekehrt, hinausgetragen werden, auch sind die Thüren sofort zu schließen: sonst holt der Tote jemanden nach. Anderwärts wird die Seele mit Tüchern hinausgeweht, wie im Erzgebirge, oder mit Wasser fortgespült, wie insbesondere in der Mark. Ein sorgfältiges Verfahren schien gerade gegen verstorbene Wöchnerinnen geboten, da man diesen eine besondere Anhänglichkeit an das überlebende und unversorgte Kind zuschreiben mußte. Aus Wohl¬ meinung für beide Teile geben daher einige Eskimostämme der Toten von vornherein den Säugling mit ins Grab. Wo die fortschreitende Gesittung gegen diesen in seiner Barbarei doch rührenden Brauch Ein¬ spruch erhob, mußte nun die Seele der Mutter durch List oder Gewalt von dem Kinde ferngehalten werden. Das geschieht in wohlbedachter Weise durch oben geschildertes Verfahren. Ein anderer märkischer Totenbrauch, den ich schon im 2. Heft meiner „Religionsgeschichtlichen Bibliothek" erwähnt habe, ist musikalischer Art. Wenn das Musikchor, welches die Leiche begleitete, vom Friedhof zurück¬ kehrt, dann passiert etwas gar Sonderbares. Während auf dem Heimwege Choräle und Trauermärsche gespielt wurden, stimmt man jetzt plötzlich ein lustiges Stücklein an und zieht, als ob es einem Hochzeitsschause gelte, nach dem Wirtshause. Die Gefühle der Leidtragenden werden dadurch wohl eigenartig berührt, aber man nimmt sonst nicht weiter an der Sitte Anstoß. Sie ist alt überliefert, und das Herkommen scheint sie geheiligt zu haben. Bemerkenswert ist, daß die Zeche, welche die Musikanten nach der Beerdigung in der Gastwirtschaft machen, von den Hinterbliebenen bezahlt wird: es kann auch wohl vorkommen, daß das Trauergefolge selbst, die eigentlichen Leidtragenden nicht ausge¬ nommen, an dem Gelage teilnimmt. Mir ist der Brauch persönlich aus Friedrichshagen bekannt: doch habe ich gehört, das er auch in anderen Orten dieser Gegend besteht, ebenso wieder in und um Seelow, hier allerdings jetzt sich auf die Leichenbegängnisse gedienter Militärs beschränkt.

Die merkwürdige Sitte, die so wenig zu dem ernsten Charakter des Ereignisses zu passen scheint, ist ein Rest der alten Anschauung, daß der Tote von den Lebenden bei Schmaus und Trunk lustig unterhalten sein wolle. Wir wissen, wie allgemein früher auch bei uns die Leichenschmäuse und Totengelage waren, und wie selbst heute nicht bloß auf dem Lande die Beerdigung mit einer festlichen Veranstaltung und Be¬ wirtung verbunden ist. In Hessen sang man während des Mahles muntere Lieder und fing schließlich zu tanzen an. Aus Westfalen ist bekannt, daß Burschen und Mädchen in dem Zimmer, wo der Tote lag, zusammen kamen und die tollste» Spiele trieben, während die Ange¬ hörigen für Speise nnd Trank sorgen mußten. Das tschechische Volk in Böhmen verband diese Leichemvachen mit lustigen Schwänken und wechselte zwischen Gebet und Gelächter. Auch die Wenden hatten die Gewohnheit, bei den Toten zu tanzen und zu singen, sowie die ganze Nacht über zu trinken. Ganz ebenso treibt es im fernen Asien der Chinese noch heut, wenn sich Freunde und Verwandte des Abge¬ schiedenen während der Leichenwache durch Weintrinken uud Kartenspiel vergnügen. Die lustige Musik in dem märkischen Brauche ist nur eine andere Form für denselben Zweck. H. Tannenberg.

Märkische Dorfkirchen in romanischem

Stil

sind

hältnismäßig selten zu finden, und die Entdeckung, welche man

ver¬ ge¬

legentlich des Abputzes der Kirche zu Hohenfinow machte, wo man ein romanisches Sandsteinportal und andere romanische Bauformen bloßlegte, hat daher berechtigtes Aufsehen erregt. Die Kirche zu Hohenfinow ist aber nur als Teil der ursprünglichen romanische» Basilika erhalten, die Fundamente der Seitenschiffe wurden erst durch Nach¬ grabungen freigelegt. Eine vollständig erhaltene Granitkirche in romanischem findet sich dagegen in der Zauche im Dorfe Prcußnitz bei Belzig. Bei diesem Bauwerk sind die alten Grund¬ mauern mit ihren schmalen, durch einen Rundbogen überwölbten Fenstern, die rundbogigen Granitportale und die halbrunde Apsis mit dem nach dem Predigtraumc geöffneten Rundbogen vollständig erhalten. Allerdings handelt es sich hier nicht um eine Basilika, sondern um eine einschiffige Granitkirche in romanischem Stil. Der Bau stanimt aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts »nd ist vermutlich von den in jener Gegend vielfach begüterten Teutschrittern angelegt: er hat also die Zeiten der ersten Besiedlung der Zauche durch die Askanier miterlebt. Die schmalen, schießschartcnartigen Fenster, die sich auf der Nord- und Süd¬ seite vorfinden und am schönsten in der halbrunden Absis erhalten haben, die dicken Mauern des Langhauses und der starke Unterbau des Turmes, der keinen Eingang hat, deuten darauf hin, daß die Kirche

Stil

Berantworilicher Redakteur:

vr. M. Folticineano, Berlin.

seiner Zeit außer zu gottesdienstlichen Zwecken auch zur Verteidigung der ncugegründeten deutschen Niederlassung angelegt worden ist. Der Turm, welcher im oberen Teile im dreißigjährigen Kriege vernichtet und später durch einen Fachwerkbau ersetzt worden ist, war aus Granit erbaut nnd gleichfalls zur Verteidigung eingerichtet und mit Schie߬ scharten, welche auch als Schalllöcher dienten, versehen. Merkwürdig an dieser Kirche ist ferner, daß das Südportal an der Langseitc nicht, wie sonst üblich, vermauert ist: dies erklärt sich indes daraus, daß weder an der Rordseitc noch im Turme ein Eingang vorhanden war. Das Südportal, sowie ein anderes am Chor, sind durch eichene Thüren mit alten, schmiedeeisernen Beschlägen geschlossen. Diese Beschläge sollen von den früheren Bewohnern des Dorfes selbst hergestellt sein und zeigen, trotz der rohen Bearbeitung, sehr schöne Formen. Außer Blattornamenten finden sich Tier- und Drachenköpfe und dazwischen einzelne Tiergestalten, wie Hahn und Esel, welche auf die Verleugnung Petri und den Einzug in Jerusalem Bezug haben sollen. Die Formen der Schmiedearbeit erinnern an longobardische Darstellungen, ein Anzeichen, daß sie sehr alt sind und vermutlich auch aus dem 13. Jahrhundert stammen.

vr. Gust. Albrecht. Eine deutsche Schule in Johannesburg. Ueber das deutsche

Schulwesen in dem Teile der Welt, der jetzt im Mittelpunkt des Inter¬ esses steht, giebt die „Deutsche Zeitschrift für ausländisches UnterrichtsJohannesburg, der volk¬ weseu" einen bemerkenswerten Bericht. reichsten Stadt des Staates Transvaal, die mehr als 100000 Einwohner zählt, hat die deutsche Bevölkerung in dem letzten Jahrzehnt so rapid zugenonimen, daß die Errichtung einer Schule für deutsche Kinder immer mehr zuni dringenden Bedürfnis wurde. Schon im Jahre 1888 gründete sich in Johannesburg eine deutsch-evangelische Gemeinde, die den Plan einer deutschen Schule mit großem Eifer betrieb und auch die Mittel zur Gründung einer eigenen Lehranstalt aufbrachte. Die Regierung der Südafrikanischen Republik stand dem Projekt wohlwollend gegenüber und schenkte der deutschen Gemeinde einen Bauplatz zur Er¬ richtung eines Schulhauses. Am 4. April 1897 wurde der Grundstein gelegt, und am 1. September 1897 wurde die Schule mit 17 Knaben und 14 Mädchen eröffnet. Das Schulgebäude ist aus rotem Backstein gebaut und liegt in einem der schönsten und gesundesten Teile der Stadt. Es ist an innerer und äußerer Ausstattung eine Musteranstalt. Der kürzlich erschienene amtliche Bericht über die Schule hebt besonders die Vortrcfflichkeit der Lehrmittel hervor. Mit großer Sorgfalt sind Lesemaschinen, verbesserte Rechenmaschinen, Sammlungen von Bildern für den Anschauungsunterricht und Geschichte, die neuesten Karten, anatomische Präparate und naturwissenschaftliche Apparate zusammenebracht. Auch eine Lehrer- und Schülerbibliothek ist im Entstehen cgriffen. Die Erlernung des Holländischen ist obligatorisch, und die Landesregierung gewährt daher der Schule für jeden Schüler, der länger als drei Monate diese Sprache lernt, mit Ausnahme der Kinder von holländisch sprechenden Eltern, einen jährlichen Zuschuß von 80 Mark. Die deutsche Schule steht unter der Oberaufsicht der Regie¬ rung, die bei der letzten Inspizierung mit den Leistungen der Schüler sehr zufrieden war. Die Schülerzahl nahm schon in den ersten Monaten nach Gründung der Schule sehr schnell zu und beträgt jetzt 200. Seit dem 11. Juli 1898 steht vr. Georg Weidner, ein bewährter Schulmann aus Hamburg, an.der Spitze. Die Unterrichtsfächer sind die einer preußischen Mittelschule, doch soll die Anstalt zu einer Realschule aus¬ gebaut werden.

In

Büchertisch. Die Errichtung einer Zentralbehörde für technische Ange¬ legenheiten. Vortrag, gehalten auf der Generalversammlung des Bundes

der Industriellen am 16. Oktober 1899 zu Berlin 1899. Druck und

Franz Bendt. Preis 20 Pfg. Berlin Verlag von Friedrich Schirmer. von

Der Artikel, der in Nr. 43 und 44 des Bär, Seite 688 und 704 ff. abgedruckt war, ist als selbständige Broschüre erschienen und durch jede Buchhandlung oder direkt vom Verlag zu beziehen.

Rechners Lexikalisches Taschenbuch auf

dem Gebiete der uud des allgemeinen Wissens. Eine Sammlung von Gesetzen uni) Verordnungen von 1794 bis zum Inkrafttreten des Bürger¬ lichen Gesetzbuches 1. Januar 1900 in lexikalischer Anordnung. Anlage¬ bände enthalten das Bürgerliche Gesetzbuch, das Handelsgesetzbuch, die Reichsjustizgesctze selbst, sowie das Ausführungsgcsetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Selbstverlag des Herausgebers: K. Fechner, Steglitz-Berlin, Kielerstraße 7. Das sauber eingebundene Buch ermöglicht in der That jedermann, ohne genötigt zu sein, eine Unzahl größerer Werke nachzuschlagen, sich rasch über alles, was für das öffentliche Leben der deutschen Staats¬ bürger wissenswert ist, zu informieren. Gesetzgebung

Jugenderinnerungen eines alten Mannes (Wilhelm von

Billige Geschenkausgabe. Zweite Auflage. Mit des Verfassers und einem ausführlichen Vor- und Nachwort. 8°. XIV u. 522 S. Preis geh. 2 M., gebd. Leinbd. 2,50 M., gebd. Hlbfrzbd. 4,20 M. Verlag von Richard Wöpke, Lcipzig-Nsch., Philippstr. 6. Wilh. von K'ügelgen liefert hier eine frische und lebensvolle Zeichnung jener auf die ersten Jahrzehnte des nun ablaufenden Jahrhunderts entfallenden, für Deutschland so bedeutsamen Kulturcpoche, die Zeit der napolconischen Fremdherrschaft und der Befreiungskriege. Da tauchen sie auf, alle die Heroengestalten eines Napoleon, eines Goethe und die ganze lange Reihe hervorragender Persönlichkeiten, die dem gesell¬ schaftlichen, geistigen und künstlerischen Leben jener Tage ihre Prägung aufdrückten.

— Druck und Berlag:

Kügeigen). dem Bildnis

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Neuenburger Straße

Ha.

4 Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

^ocbiwhen.

f

von

onne der Großstadt, welche das spärliche Blattwerk grau färbt und wie Tabak zusammenrollt. Der kühle Segen der Sprengwagen verflüchtigt sich auf dem über¬ hitzten Asphalt zu faden Spülwasserdünsten. Mit der Blumen-Marie war eine merkliche Veränderung vorgegangen seit dem verflossenen Jahre. An dem braunen Strohhute hatte sic ein funkelnagelneues, schwarzes Band. Dabei war ihre Haltung straffer: ja, sie schien ordentlich selbst¬ bewußt, so daß es nicht ungerechtfertigt war, wenn der Zahlmarqueur vom Oats I Uuroptz von seinem Thürpfosten aus ihr zurief: „Na, Mutter Lehmann, Se sehn ja orndlich unternehmend aus!" ick ooch," erwiderte die Alte mit einer neckischen Kopfbewegung. ^ es„Bin gerade um die Zeit war, wo das Geschäft nicht drängte, schritt Da sie über die Bordschwelle dicht an den Kellner heran, blickte sich »ach allen Seiten um, damit niemand sonst ihr Geheimnis erfahre und

flüsterte rasch mit hochgezogencu Brauen und freudig aufleuchtenden

Augen:

„Ru

ist er dot

Dann trat

sie

—!"

wieder zurück und machte ein Gesicht, als wenn

sie

nichts gesagt hätte.

„Nanu!" rief der Kellner, „Der Olle." Mutter Lehmann nickte zwei-, dreimal eimg, ordnete au ihrem Blumenkram, verließ dann abernials ihren Stand und erzählte ihrem

alten Bekannten, indem ihre munteren Augen unablässig nach „kau,vcrdäckstigen" Passanten ausspähten: 't war ooch Zeck, ,ag ick offnen, «eit „März. In de Scharithec. Malasien drei Jahren konnt er nich mehr krauchen: un ick all die lttdjt mehr Krücken die mit mir er hat jeschmissen un Dazu jrob,

-

scheen!"

te — so'n Ruppsack." —" offerierte „sie einem Zwee for'n Fröschen. Herr Jcheimrat wzort wieder und ohne aber dann Vorübergehenden eindringlich, um jeden Uebcrgaug aus das große Thema zu kommen. Be¬ Ja na — so warst!" Dann rückte sie mit emer cncrgüchcu Heche ooch for sich die is nu „Un Stirn. der aus Hut wegung ihren So ne Kuistlenn — un alleene jezogen, wie sc det immer jeivolll hat. «owat zu >a verrickt. war Olle Der Dach! denn mit uns untern ^weniger

„Te

-

is sc in Neibabelsberg!" sagte sie dann verlangen! Nu Stunden, M de Jeige lebhaft und etwas curhümicrt „Da jiebt se Ihnen hat det Machen un immer drei Märker, sti Talent sag ,ck indem er em -ein über .Mutz woll," erwiderte der Marqueur,

das andere schlug und nachdenklich mit dem Gelde in seiner Ledertaschc klimperte, „vorgestern hat se ja im Konzert jespielt. Es stand im Blatt." „Soo? Stand bet drin?! Richtig mit Hethe Lehmann un so?!

wirklich!" „Fräulein Hedwig Lehmann"

Nee, sagen Se

der Gefragte, „und

'ne

feine Rezension." Die Augen der Alten füllten sich mit hellen Thränen. Sie faltete die Hände und preßte sie in überströmender Freude an die dürftige Brust. Dann fuhr sic sich mit den steifen Fingern über das Gesicht, und es klang wie ein Jauchzen unter Thränen : „Denn kann ick't Ihnen ooch sagen, Herr Kaschke — ick war ja da int Konzert! Jleich in die vorderste Reihe, auf'n Fotelch. Un fein jcmacht hatt' ick mir —! Aber die Hethe — die hätten Se sehen sollen! 'N 'ne Fee. Un jcspielt hat se!! —• großct Bukett hat se jehabt, Wie u» so weit ausjeschnittcn, un wat der Kapellmeister war, hat ihr am Arm reingefichrt. Un jeklatscht haben die Leite — — war dat Ende von mech. — — Un ick, Herr Kaschke, ick — bin de nickte

jeklatscht-da

davon.-

— de leibhaftige Mutter Mutter ’ii Sträusken wie jestern, Herr Doktor? Jawoll, wer'n wir jleich 'n haben, bisken Jrünct zu, nich? Un denn lose, ohne Stanniol. — So. Dank ooch scheen, Herr Doktor: beehren Se mir wieder —“

Es war in der Abendstunde. Die Blumcn-Marie ordnete eben ihre Restbestände, als ein junges Mädchen an sie herantrat und ohne Gruß angelegentlich in dem Korbe suchte und wählte. „Du bist doch da gewesen, Mutter!" murmelte sic zornig zwischen den zusammengebissenen Zähnchen. „Aber Hethe —" stammelte die Alte erschrocken und beglückt zugleich. „Meine Hethe, ick wollte Dir doch so gerne sehn —" „Lächerlich hast Du mich gemacht," zischte das Mädchen, indem sie paar Blumen in den weißbehandschuhten Händchen zerdrückte. „Wie Du ausgesehen hast —! Es war ein Skandal! Das ewige Zunicken und „meine Tochter" hin und „meine Tochter" her! Lächerlich sag' ich Dir, einfach lächerlich war's!" „Sei man nich beesc, Hetheken, — ick willst ooch waraftig nich wieder dhun —; nimm die zwee Rosen hier, Kindchen, nee, wart mal — diese hier sind schcener! — Un wat ick noch sagen wollte, Hetheken — „Laß mich bitte, ich muß fort —* „Nee, Kindchen, ick will Dir ooch nich ufhalten — bloß schnell noch sagen: Det mit den Herrn Leitnant vou Liugcnberg, det wird richtig, Hetheken! „Pee! Wenn Du mich an allen Ecken und Enden kompromickierst! Da sollte er wohl —" „Aber ick weeß et nu jcwiß," versicherte die Alte leise aber eifrig, indem sie wie von ungefähr und ganz schüchtern die Hände ihrer Tochter zu berühren versuchte. „Ick war bei die Millern in die Aujuststraße, weeste, die mit den klugen Tisch. Den hab ick jcsragt, ob Tu ein

Herrn vvn Bingenbreg kriegst — un dreimal hat der Tisch ja Dreimal Hetheken! Waraftigen Jott." Das junge Mädchen, eine schlanke, bildhübsche Erscheinung, zuckte ungeduldig die Achseln, nestelte ein paar Rosen in ihren Taillengurt und wandle sich mit flüchtigem Gruß zum Gehen. Die Blumen-Marie eilte ihr zwei Schritte nach. Ihr Blick, ihre Haltung flehten: Bleib —! Aber sic sagte nichts davon. Rur wie unter einer plötzlichen Eingebung ihres übervollen Mutterherzcns raffte sie ihren Rock auf und griff in die Geldtasche. „Billeicht branchstc ooch Jeld, Hetheken —!" Das Mädchen sah sich gar nicht um, beschleunigte vielmehr seine Schritte und war alsbald in dem Gewirr der Wagen und Passanten den

gekloppt.

geborenen beivohncn Ortschaften, die eine Bevölkerung von bisweilen mehr als 1000 Köpfen zähle». Ihre Dörfer, die sie gern um einen Berg herum oder am Fuß des Gebirges anlege», bestehen aus ver¬ schiedenen Gruppen und Gehöften, von denen jede einer besondere» Sippe angehört. Ein solcher Komplex ist stets vvn einem großen Hos umgcbcn/der von Stangenwerk eingegrenzt ist, als Versammlungsort dient und auch Hürden für Schafe und Ziegen umschließt. Erst von diesem großen Hof aus gelangt man in dir inneren Höfe der Einzelanwesen. Die mit einem Dach aus Stroh oder Sorghumstangen ein¬ gedeckten Lehmhänser von kreisrundem Grundriß haben nur einen niedrigen Eingang und weisen keine Fensteröffnungen auf.

verschwunden.

Die Blumcn-Marie ließ langsam den aufgerafften Rock los, strich den harten, abgearbeiteten Händen die Falten glatt und rückte mit einer müden Bewegung an ihrem Strohhut niit dem funkelnagelneuen schwarzen Bande. — Dann setzte sic sich ein bißchen aus den Oleanderkübel — aber so, daß ihr alter Freund, der Zahlmarqnenr vom Cafe l'Europe sic nicht sehen konnte. Und das Großstadtgetricbe wogte an ihr vorüber — wie seit

mit

zwanzig

f

fahren — Sommer und

Winter.-

Vom südafrikanischen Kriegsschauplatz.

Teil der Streitkräfte der südafrikanischen Republik, wie des Oranje-Freistaats, besteht aus dem Aufgebot der „Burger": die einzige stehende Truppe der Buren nördlich und südlich des Baalslusses ist die Staatsartillerie, die im Oranje-Freistaat Major Albrecht, ehemals Wachtmeister im preußischen 2. Garde-Feldartillerieregiment, er größte

W»jor Albrecht, der Organisator und Kommandeur der Artillerie Le» Vranje-Freist»,rkes.

organisiert bat. kleinste

Disziplin, Drill und Uniformierung zeigen bis ins Borbild. Schncllladegeschütze von Krupp, klein-

preußisches

kaliberige Mehrladegewehre von Löwe füllten schon beizeiten die Artillericschuppen und Waffenkammcrn des Freistaats: das Pferdematerial ist von vortrefflicher Leistungsfähigkeit. Die Uniformen unterscheiden sich einzig und allein durch die gelben Vorstöße des Waffenrocks und das Wappen am Helm von derjenigen der preußischen Gardeartillerie. Major Albrecht hat in Bloeinfontcin alles geschaffen, was an Kasernen¬ räumen, Ställen, Geschützschuppcn und Lagerhäusern für die Armee vorhanden ist: auch das Fort, das auf einem steilen Hügel über der Hauptstadt des Freistaats aufsteigt, wurde von ihm erbaut. — In den ersten Tagen des Monats November erfolgte der Einmarsch der Buren in das durch den Fluß Tugela von der Kolonie Natal getrennte und gleichfalls dem britischen Szepter unterstehende Znluland, wo zunächst der Ingmarumabezirk besetzt wurde. Der eben ermähnte Tugela River hat an vielen Stellen ein außerordentlich starkes Gefälle/ wo¬ durch ansehnliche Stromschncllcn entstehen, bie' schäumend und brausend zwischen den felsigen Ufern dahinschicßen, wie dies bei unserer Abbildung der Umsinga Rapids der Fall ist, in deren Nähe sich der über 600 Meter hohe Berg E'kandu erhebt. Die Koffern des Zululandes sind ein ebenso gastfreundliches wie tapferes Volk. Tie in den Kraals am Tugela lebenden Angehörigen dieser Rasse suchen meist Arbeit in den nahen Goldfeldern, deren west¬ lichste Ausläufer der Berg auf der Rechten unserer den Kraal am Tugela gebenden Illustration zeigt. Zum Fluße senken sich die Acker¬ felder der kleinen Niederlassung hinab, deren sanber gehaltene, bienenstockähnlichc Hütten von einer gemeinsamen Einfriedigung aus Strauch¬ werk eingeschlossen sind. Bei den südafrikanischen Kolonisten heißen

von Transvaal

seßhaften Basutos

die im Westen Die dortigen Ein¬

auch

„Kaffern".

Kunst und Wissenschaft. Theater. Lessingtheater. Ein nicht zu gcivagtcs Experiment niachte das Lessingtheater am 24. November, indem cs E. von Keyserlings drciaktiges Schauspiel „Frühlingsopfer" herausbrachte, nachdem dieses Stück vierzehn Tage vorher von der „Freien Bühne" aufgeführt worden war. Keyserling hat entschieden Talent, wenn er sich auch in ans¬ getretenen Geleise» bewegt. Ein Bancrnstück bietet Keyserling, und litthauische Bauern voll Unwissenheit und Aberglauben stellt er auf die Bretter. Die Bäuerin liegt schwer krank darnieder und muß nach dem allgemeinen Aberglauben sterben, wenn sich nicht ei» junges Leben für sic zum Opfer bietet. Die Tochter, der „Grashupfer" genannt, be¬ schließt, dieses Opfer zu bringen. Sic wallfahrtet zu einem der Jungfrau Maria geweihten Ort, aber auf dem Wege wird sic das Opfer des Dorf-Don Juans. Nun reut sic ihr Gelübde: sie möchte leben und genießen. Der Baucrnlümmel verspottet sie aber, und da die Mutter allmählich gesund wird, was nützt dem betrogenen Mädchen noch daS Leben? Das Publikum des Lessingtheaters verhielt sich ziemlich kühl. Roch ist bei Keyserling das Wollen größer als das Können: er ver¬ spricht indessen mit der wachsenden Einsicht und Erfahrung späterhin etwas zu leisten. Im Lessingtheater scheint die Bauernkomödie ihr Heim aufgeschlagen zu haben. Die neueste, die am 26. November ausgeführt wurde, „Gertrud Antlcß", Drama in drei Akten von Philipp Langmann, ist die erfolgreichste. Allerdings darf nian dieses Stück nicht gar zu genau auf seinen litterarischen Wert hin untersuchen. Indessen ersetzt cs den litterarischen Mangel durch eine geradezu überwältigende Fülle von Handlung und spannenden Momenten. „Gertrud Antleß" besagt nichts. Hätte Langmann einen Titel gewählt, der den Inhalt des Stückes decken soll, so würde das Drama „Im Anstragstübl" geheißen haben. Es ist die alte, sattsam bekannte Geschichte von dem ans dem Altenteil sitzenden Elterngcschlecht, das von der Jugend hinweggcdrängt wird. An der Gertrud Anließ handeln die Kinder und Enkel bäurisch grausam und die Folge davon ist, daß die Alte sic verflucht, den roten Hahn auf das Dach des Bauernhauses setzt und sich in die Flammen stürzt. Der Erfolg, der an manchen Stellen geradezu stürmisch wurde, galt der ereignisreichen Handlung, und was den litterarischen Wert betrifft — niuß denn jedes Theaterstück einen solchen haben? Berliner Theater. Auch das „Berliner Theater" machte am 25. November ein Experinicnt. Molivres Tartüff sollte zum so und sovieltcnmale für die deutsche Bühne gewonnen werden. Der Versuch mißlang leider: nicht etwa, ineil das Stück antiquiert ist — Molisresche Stücke veralten nicht, und die TartüfsS sind nicht ausgestorben — sondern weil das Ensemble des Berliner Theaters den To» und das Tempo verfehlte. Herr Bassermann ist ein vortrefflicher Schauspieler, aber für den Tartüff reiche» seine Mittel nicht aus: ihm ist die Heuchelei die Hauptsache, ivährend der gelungensten Gestalt Molivres die Heuchelei nur ein Mittel zum Zweck ist. Frau Weuck, die im Fach der komischen Alten brilliert, spielte die kecke Dorine ivohl nur, weil eine jüngere Kraft fehlte: wie aber Herr Rohland zum Orgon kam, ist ein Rätsel. Möllere hat das nicht verdient. „Zaza" scheint dem Personal doch besser zu liegen als Tartüff und die Posse „Advokat Patelin", die dem Publikum nicht gefiel. *

Im Künstlerhause

* ist

*

nun eine neue Art der Regie für die

Ausstellungen eingeführt: der Geschäftsführer schaltet unter Beirat von drei Künstlern als machtvollkommcner Herr. Die solange fungierende Jury von Künstlern ist nicht nur ihrer Souveränetät beraubt, sondern sogar ganz außer Funktion gesetzt worden. Für den materiellen Erfolg der Ausstellungen des Künstlerhauses wird das hoffentlich gute Früchte tragen. Die erste Ausstellung unter „dem neuen Herrn" zeigt einen unheimlich merkantilen Charakter. Da machen sich die Möbel aus den bekannten italienischen Importgeschäften breit und Porzellane und Re¬ produktionen (mechanische!) von Bildern, ivic wir sie in den Schau¬ fenstern der Lcipzigcrstraße zu Dutzenden sehen. An den Wänden dann Akluelles: Bilder aus China von Wuitkc (München) und aus Palästina von Felix Possart (Berlin). Unter des letzteren Arbeite» sind einige sehr stimmungsvolle Werke, die auch ein feiner empfindendes Auge erfreuen. Die Nachlaßausstcllung der Werke von Otto v. Kam ecke macht durch eine Anzahl früherer Arbeiten verständlich, wie dieser zuletzt ganz in einem Schema erstarrte Maler zu seinem Platz im Berliner Künstlcben gelangt ist: sic sind fein und aufrichtig gesehen.

*

*

*

Ans dem Verlag von Heuer & Kirmse, Berlin W., Frobcnstr. 17 liegt uns eine weitere Kupferätzung vor: „Auf dem Königssce" von W. Gausc. Jni Vordergründe aus der durchsichtige» Wasserflut rudern zwei Schwäne: ihr graziöses Neigen und lautloses Hinziehen verfolgt ein junges Paar, das ein rüstiges bayerisches Diandl im Kahn dcni Ufer zuführt. Aus dem Hintergründe leuchten die Berggipfel und verleihe» dem Bilde eine tiefgehende Wirkung. Der Watzmann schaut auf di.'

-

öm Paare,

die Schwäne, de» Schiffer und sein

Diaiidl, wie auf das

Paar aus der fremden Stadt vergnügt herab, das sich auf der Hoch¬ zeitsreise zu besinden icheint. Die Reproduktion folgt getreu dem Original und giebt reden Piuselstrich des Malers icicbcr.

Berliner Chronik. Am 13. November feierte die „Deutsche Rundschau" (Verlag der Gebrüder Pnetcl, Herausgeber Julius Rodenberg), z» deren Begründung Berthold Auerbach die Anregung gegeben, ihr 25jähriqeS

Bestehen.

Am 15. November starb der General der Infanterie Theodor von Stichle, Gencralndjutant Kaiser Wilhelms I., im 76. Lebens¬ jahre. Ter Verstorbene (geboren am 14. August 1823 zu Erfurt, hat die deutschen Einigungskriegc in hervorragenden Stellungen mitgemacht. Bei Ausbruch des Krieges 1870/71 wurde Stichle zum Gciieralniajor und Chef des Generalstabs der zweiten Armee (Prinz Friedrich Karl von Preußen) ernannt. Er schloß die Metzer Kapitulation ab und zeichnete sich namentlich bei Orleans und Le Mails aus. Der Armee gehörte von Stichle, der 1888 den Abschied nahm, zuletzt als Chef des Ingenieur- und Pionicrkorps und als Generalinspektor der Festungen an. Mit General von Stichle ist einer der letzten aus dem Leben ge¬ schieden, die den franzöfischen Krieg in höheren Äommaiidostellen mit¬

Märkische Chronik. Frankfurt a. O. Am 25. April 1785 ertrank der Herzog Leopold von Braunschweig, Kommandeur des in Frankfurt a. O. in Garnison stehenden Regimentes, in den Fluten der aus ihrem Bette getretenen Oder, als er die Rettungsarbeiten an der Spitze seiner Soldaten leitete. An der Stelle, wo der Herzog dem Tod erlitten, wurde ihm am 11. August 1787 ein 7 Meter hohes Sandsteinmonument errichtet. Dieses Denkmal, das aus einem runden Picdestal und einer auf dem¬ selben stehenden Gruppe von drei weiblichen Jdealgestalten besteht, die eine Urne auf ihren Schultern tragen, war im Laufe der Zeit sehr ver¬ wittert, da das Eigentumsrecht an dem Denkmal fich nicht feststellen

ließ. Im vergangenen Sommer hat nun der Staat das Denkmal restaurieren lassen, nachdem die Stadt sich verpflichtet hatte, dasselbe für die Zukunft in würdigem Zustande zu erhalte». Jüterbog. Der Bau der Kleinbahn Jüterbog-Dahme ist ist Angriff genommen. Lupitz (Altmark). Am 16. November wurde aus der Feldmark verstorbenen verdienten Landwirt Lupix dein am 5. Januar d. Schultz-Lupitz, Ehrendoktor der Universität Jena, das Dentmal ent¬ hüllt, welches die deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft gestiftet hat. Sacrow. Bei Sacrow wird eine Brücke über die Havel gebaut werden. Tic neue Kreischaussee von Spandau über Gatow und Kladow wird gerade auf diese Brücke zuführen.

I.

machten.

Am 17. November feierte die Berliner Studentenschaft die 150. Wiederkehr von Goethes Geburtstag durch einen Kommers in der Brauerei Friedrichshain. Am 17. November starb der Stadtverordnete Justizrat vr. Horwitz. 28. April 1824 zu Putzig bei Danzig geboren

Ter Verstorbene, der am

Kleine Mitteilungen. von

Märkische Funde. Auf dem Weinberg in Küstrin ist im Oktober ei» Steinkammcrgrab

der kurzen Vorstadt bloßgelcgt worden.

Von der Goekhrfeier der Berliner SLudentenschaft. Huldigung am Goethe-Denkmal im Tiergarten.

war, wirkte seit 1867 in Berlin als Rechtsanwalt. Der StadtverordnetcnBersnmmlung gehörte er seit 1870 a». Er war u. a. Mitglied der Direktion des Märkischen Museums, der Deputation für die Aus¬ schmückung des Rathauses, der Schuldeputation, der Kommission stir die Verwaltung der Volksbibliotheken. Dem Abgeordnetenhaüse und dem Reichstage gehörte vr. Horivitz längere Zeit an, zuerst als Mit¬ glied der nativnalliberalen, nach der Sezession als Mitglied der deutsch¬ sreisinnigen Partei. Am 17. November starb der Hofheilgehilfe Fritz Staude, der langjährige Barbier Kaiser Wilhelms I. Am 21. November feierte Mary Nenn,, die bekannte Blumenund Stillebcnmalerin, eine geborene Berlinerin, ihren 70. Geburtstag. Am 27. November feierte der königliche Baurat Soendcrop, der von 1877—95 beim Polizeipräsidium thätig war, seinen 70. Geburtstag. Dem Schriftsteller vr. Julius Rodenbcrg, Herausgeber der „Deutschen Rundschau», ist der Professortitel verliehen worden.

Der aus der Stadtverwaltung ausgeschiedene Stadtrat Kaempf hat das Prädikat „Stadtältester" erhalten. Fräulein Elisabeth Lemke hat vom Märkischen Musen», die goldene Medaille erhalten; sie ist die erste Dame, der diese Aus¬ zeichnung zu teil wurde. Der frühere Direktor beim Rcichspostamt Wirke feierte am 22. No¬ vember seinen 80. Geburtstag.

Die Schnftstcllerin Jenny Hirsch, die seit 1865 zu den Vor.eovember kämpferinueu der Frauenbewegung gehört, feierte am 2o. 1860-64 in der ihren 70. Geburtstag. Die Jubilarin war von im Vorstand des Redaktion des „Bazar" thätig, wirkte von 1866—83 Zelychritt „rer ^rnuenLcttevcreins und redigierte von 1870—82 die anwalt", Organ des Verbandes deutscher Frauenbildnngs- und ErmerbMills übersetzte yer.vcrcinc. Unter dem Titel „Hörigkeit der ^rau of woman“, 1891 veröffentlichte sic die ^cchchilft „Geschichte

„Subjectiou

der 25 jährige» Wirksamkeit des Lettcverein-.-

.

Beim Setzen von Obstbäunien stieß der Besitzer in der Tiefe von drei¬ viertel Metern ans eine große Steinplatte, und nachdem diese entfernt worden war, fand sich einen von Feldsteinen umgebene Grabkammer von drei Metern Unisang. in der ein Schädel und zerfallene Skelettlcile lagen. Außerdem wurden zwischen de» Brandresten eine Speerspitze und kleine Gesäße, sowie Scherben gcfnnden. Auf dem Rittergute Wulkow bei Lebus wurde bei Fundamentierunasarbeiten amHcrrenhause ein Steinhammcr ausgegraben,' er wurde der Sammlung des Besitzers vr. Schulz einverleibt. Bei einer Exkursion des Märkischen Museums nach Jüterbog am 29. Oktober wurde der Burgwall in der Tammvorstadt näher unter¬ sucht und dort viele wendische Scherben mit Welleuornainenten und Verzierungen in Gestalt von Blattrippen, sowie ein wendifcher Spinnwirtcl aus Thon gefunden. Ferner uuirbc das Vorhandensein von mittelalterlichen Backsteinresten und das Vorkommen von Gcsäßresten aus derselben Zeit festgestellt. Auf dem wendischen Burgmall hat in der Zeit von 1226 bis 1426 ein Schloß des erzbischöflichen Vogtes ge¬ standen. Auf einer Exkursion des genannten Instituts nach Fangschleuse bei Erkner am 5. November ivurdcn auf einer von.Sumpf und Wasser umgebenen Halbinsel, westlich von Fangschleusc, und aus deut Liudwall, einer kleinen Insel im Werlsee, östlich von dem erivähnten Orte, vorgeschichtliche AnsiedlnngSstätten festgestellt. Tic Fundstücke, Gcsäßscherben von rötlichbrauncm Thon in der Art des Lausitzer Typus, wurden dem Museum übergeben.

Ter Uckcrniärkische Museums- u,id Geschichtsverein zu Prenzlau hat ani 12. November eine Ausgrabung aus einem Urneuselde bei Bralitz, südlich von Odcrberg, unternommen. Die Begräbnisstätte liegt in der Nähe der alten Oder und ist bereits von Berlin und Oderberg aus untersucht und ausgebeutet worden. An einer bisher nicht durchforschten Stelle des ungefähr 300 w langen und 50 ni breiten Urncnseldes wurden in einer Tiefe von '/a—l w mehrere große Urnen nnt Leichenbrand und kleinere Beigefüße ausgegraben. Die meisten größeren Gefäße waren durch die Steinpackung zerdrückt, die im bloßen Sande stehenden gut erhalte». Nach sechsstündiger Arbeit waren etwa 26 unversehrte Gefäße ausgegraben worden. Tie Funde wurden dem »eugegrüudetcn Museum in Prenzlau einverleibt, vr. G. Albrecht.

772

Die Dienllbokenfrage beschäftigte schon vor mehr als 100 Jahren Jahren die Berliner Fraueuivelt, wie ein Aufsaß beweist, der im Jahre 1788 in der „Berlinischen Monatsschrift" von einer Berliner Hausfrau veröffentlicht wurde, und der tut Hinblick auf die vor eiuigen Monate» entstandene Dienstbotenbewegung gegenwärtig von besonderem Interesse sein dürste. „Für die erste und schädlichste Quelle des zunehmenden Verderbens des Gesindes", heißt es in diesem Aufsätze, „halte ich den beinahe alle Schranken übersteigenden Kleideranfwand. — Eine Dirne, welche die hier gebräuchliche Haube oder Mütze mit einer Haube mit Band — oder in ihrer Sprache Dormerzse — vertauscht, ekelt bald die Arbeit an, welche sie sonst mit ihrer Mütze willig zu verrichten pflegte. Eine solche Dormeusc zieht bald einen falbalierten Anzug nach sich! zu diesem gehört ein bekräuseltes Flortuch. Dies grenzt nun schon nahe an eine florne Schürze. Um die Eleganz vollkommen zu machen, wird endlich des Sonntags das Haar gekräuselt und durch Puder und Pomade verschönert. So wird oft die häßlichste Raupe in einen bunt schimmernden Schmetterling verwandelt. Ohne Metapher: die schmutzigste Küchenmagd wird so auf diese Weise, der äußeren Form nach, in eine zierliche Zofe umgeschaffen." Die Tanzlokale erfreuten sich bereits vor 100 Jahren einer besonderen Vorliebe bei den Berliner Dienstboten. „Das kleinstädtische, biedere Mädchen", heißt es darüber in unserer Quelle, ahnt anfangs nichts Arges) erst schüchtern, dann bei jeder Wiederholung schneller fortschreitend, besucht sic mit den anderen jene schädlichen öffentlichen Lokale, die schon zu einer verderblichen Menge angeschivollen sind — ich meine die Tanzhäuser. Hier würden sie den Stutzern in Livree zum Gespötte werden, wenn sie nicht die englischen und französischen Pas und alle Touren der Tänze zu machen wüßten. Deshalb wird in verschiedenen Häusern Unterricht im Tanzen für Dienstmägde und Lakaien gegeben. Unter anderen giebt ein müßiger Schneidereselle in einem Garten in der Landsberger Straße für zwei Groschen ie Stunde Unterricht. Dahin eilt nun öfters die Köchin vom Markte, setzt ihren Einkanfseimer vom Arme ab, spannt ihre breiten Füße ins Fu߬ brett oder stolpert schwerfällig eine französische Quadrille, indes ihre arme wartende Hausfrau in der rauchenden Küche schwitzt." Tanzunterrichl während der Gänge nach dem Markte — das dürften sich selbst die modernen Dienstmädchen nicht oft leisten, und unsere Haus¬ frauen können sich gegenüber der Unbotmäßigkeit der „Hausgehilfinnen" damit trösten, daß es die Dienstboten während der „guten alten Zeit" noch ärger getrieben haben. dem Erwerb der Mittel zu Tanz und Ver¬ gnügen waren die Dienstmädchen des 18. Jahrhunderts ebenso wenig wählerisch wie ihre modernen Koleginnen. Die Einkäufe „solcher Dinge, die keineu bestimmten Preis haben", und die insolgedesscn unbemerkt einen kleinen Aufschlag ermöglichen, gaben reichliche „Schmngelder" — Eimcrgelder sagten die damaligen Dienstmädchen, weil sie nicht in Körben, sondern in Eimern ihre Markteinkäufe nach Hause trugen. Originell ist der Vorschlag zur Abhilfe, den die schriftstellcrnde Berliner Hausfrau aus dem Jahre 1788 macht: sie verlangt die Auf¬ stellung einer „förmlichen Kleiderordnung für das weibliche Gesinde", über die in einer „weiblichen Volksversammlung" Beschluß gefaßt werden sollte. Diese ivcibliche Ratsversanimluug ist ivohl ebenso wenig zustande gekommen wie die Dienstboten-Kleiderordnung. „Die Tracht des weiblichen Gesindes müßte weder auszeichnend noch ent¬ stellend sein: denn dadurch würde sonst ivieder auf der anderen Seite geschadet werden. Nein, einfach, reinlich, von dauerhaftem Zeuge und vorteilhaftem Schnitte müßte sie sein. Denn warum sollte das Mädchen in kurzem Wams nicht ebenso gut Mädchen sein als das Fräulein mit fliegendem Gewände und jede andere Tochter Evas? Aber nie sollte das Dienstmädchen in Seide rauschen, nie müßte ein atlassener Pelz uni ihre Schultern knistern, kein Florputz dürfte sich um ihre Brust blähen, keine Stickerei dürfte auf Mütze und Schuhen prangen. Kleidung von Kamelott, Tanns oder anderem ivollenen Zeuge — Kattune, die gewisse Preise nicht überschreiten dürsten — höchstens Halbseide zum Brautklcidc ivürde ich ihnen gestatten, Schnitt und Form hinge indes, jedoch unter gcivissen Einschränkungen, von ihnen selbst ab. Tenn wo giebt es unter dem Monde ein Mädchen, welches ihre natürlichen Vor¬ züge nicht noch gern höbe? Wo die Häßliche, die sich nicht gern erträg¬ licher zeigte? Durch diese Kleiderordnung, hoffte vor mehr als hundert Jahren eine Berliner Hausfrau die Dicnstbolcnfrage zu lösen, die noch immer ungelöst ist, und die nach abermals hundert Jahren die Hausfrauen —r ebenso lebhaft beschäftigen wird.

Das Haus, in dem er gewohnt, und in dem auch der große König so oft geweilt, hat Anspruch auf eine pietätvolle Schonung, und diese wird ihm auch zu teil.

jahre.

Vereins-Nachrichten. „Brsndrnburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Die zehnte lsechste außerord.) Versammlung des VIII. Vereinsjahres fand am 17. November im Deutschen Kolonial-Museum am Lehrter Bahnhof statt. In dem großen Kuppclsaal begrüßte der Vor¬ sitzende die zahlreich erschienenen Mitglieder und Gäste und hielt darauf einen kleinen Vortrag über die kolonialen Bestrebungen des branden¬ burg-preußischen Staates. Schon vor zweihundert Jahren hatte der Große Kurfürst den Gedanken gefaßt, nach dem Vorbilde der Holländer und Engländer Kolonien in außereuropäische» Ländern anzulegen und zu diesem Zweck eine Marine geschaffen, welche bald die Flagge mit dem roten Adler bei allen seefahrenden Nationen in Achtung setzte. Im -Jahre 1680 ivnrdcn Schiffe nach der Küste von Guinea geschickt, um dort eine Kolonie zu gründen, und 1682 legte der Major Otto v. d. Grüben dort das Fort Groß-Friedrichsburg an, um den Handel mit den Negern zu schützen. Die mannigfachen Gegenstände, welche die Handelsschiffe aus Afrika nach Europa brachten, veranlaßten den Kurfürsten, ver¬ schiedene seltene Sachen in der Kunstknmiucr des königlichen Schlosses aufstellen zu lassen, und diese ethnographische Sammlung ist als der Uranfang eines Kolonial-Museums zu betrachten. Die Gegenstände blieben bis in die Mitte dieses Jahrhunderts in der Kunstkammer, kamen nach deren Auflösung in das Schloß Monbijou und wurden nach Eröffnung des Museums für Völkerkunde dieser Sammlung ein¬ verleibt, wo sic sich auch jetzt noch als Erinnerung au die branden¬ burg-preußische Kolonialthätigkeit befinden. Nach dieser Ansprache trat die Gesellschaft einen Rundgang durch die Räume des Museums an (vgl. die Schilderung des Museums auf S. 698 f. des „Bär") und nahm am Schluß ein Schälchen KolonialKaffee im Arabischen Kaffeehause ein.

In

Das Lord-Marschall-Haus bei Sanssouci, welches der große König im Jahre 1764 für seinen alten Freund Lord Georg Keith, Erb¬ marschall von Schottland, Bruder des bei Hochkirch am 14. Oktober 1758 gefallenen Jakob Keith, erbauen ließ und in der Front mit den Worte» schmückte: „b'rlsäsrieus II. Nobis haec otia fecit“ bleibt bestehen. Vom Garten konnte der alte Marschall durch eine Pforte direkt in den Park von Sanssouci gelangen und seinen königlichen Freund aufsuchen. Als Keith infolge seines hohen Alters nicht mehr imstande war, die hohen Terrassen von Sanssouci zu überwinden, war cs der König, der den ehrwürdigen Alten in dem Lord-Marschall-Hans oft und' gern besuchte. „Unser ehrwürdiger und guter Lord Marshnl", schreibt Friedrich der Große am 13. August 1775 an Voltaire, „befindet sich ganz vortrefflich! seine edle Seele ist heiter und zufrieden, und ich schmeichle mir, daß wir ihn noch lange behalten werden. Dieser sanfte Philosoph beschäftigt sich nur mit Wohlthun. Alle Engländer, die durch¬ kommen, wallfahrten zu ihm. Er wohnt Sanssouci gegenüber und wird von jedermann geliebt und geachtet. Das ist ein glückliches Alter!" Und am 20. April 1776 schreibt er wiederum an Voltaire: „Mein Nachbar Ameise, der gute Lord Marshal, ist jetzt über 86 Jahre hinaus. Er liest zu seinem Zeitvertreibe Sanchez' Buch äs matrimonio, und beklagt sich, daß es Ideen in ihm aufweckt, die ihm bisweilen viel zu schaffen machen." Am 25. Mai 1778 starb Lord Keith im 30. Lebens¬ BerlmtmorUicher Redalleur: Dr. M.

Folticineaiio,

Büchertisch. Heimatskunde der Provinz Brandenburg. Für

die Hand der anschaulich-ausführlich dargestellt von H. Luilisch, Rektor zu Frcienwalde a. O. Mit 28 Bildern. Preis 0,60 M. Selbstverlag. In Kommission bei Otto Maier in Leipzig. Die Liebe zur Heimat bei der märkischen Jugend zu fördern und zu befestigen, ist der Zweck, den der Verfasser mit der vorliegenden Arbeit verfolgt. Für die Hand der Schüler ist die Heimatkunde verfaßt und enthält daher in knappen Umrissen alles, was die Bewässerung Jugend von der märkischen Heimat wissen muß. und Bodengestalt, Vodenbeschaffenheit und Klima, Handel und Verkehr, Einteilung und Verwaltung des Landes, die Bewohner und Wohnorte der Provinz Brandenburg sind in gleicher Weise berücksichtigt und kurz, aber eingehend und erschöpfend geschildert. Dadurch, daß der Verfasser neben dem rein Geographischen auch die für die Entwickelung des Landes wichtigen, geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Momente in seine Darstellung aufgenommen hat, unterscheidet sich diese Heimatkunde sehr zu ihrem Vorteil von den bisher erschienenen Werken, und es ist zu wünschen, daß sie allgemein Eingang in den Schulen finden möge.

Schüler

Denkwürdigkeiten und Erinnerungen des General - Feld¬ marschalls Hermann v. Boyen. 2 Bände. Verlag von

Robert Lutz, Stuttgart. Preis pro Baud broschiert Mk. 4,50. Neubearbcitcte Ausgabe. Die Dcutwürdigkeiten bilden einen wichtigen Beitrag der Prcußistheu Geschichte aus den Jahren 1771—1813. Wir werden aus dieses Werk eingehender zurückkommen und gelegentlich einiges daraus mitteilen. Sächsische Geschichte von Prof. I>r. Otto Kaemmel» Rektor Göschensche Verlags¬ des Nikolai-Gymnasiums zu Leipzig. G. buchhandlung, Leipzig 1899. Preis 80 Pf. Das neueste Bändchen der Sammlung Göschen bringt aus 160 Seiten das Wissenswerteste aus der Geschichte Sachsens in knapper, aber doch klarer und übersichtlicher Darstellung. Es sei jedem an¬ gelegentlichst empfohlen, der einen Ucbcrblick über die Entwickelung des Königreichs von Anbeginn bis in die Gegenwart geivinnen will. Das Büchlein giebt auch kulturhistorische Auffchlüsse über die Sitten und das geistige Leben des sächsischen Volkes im Laufe der Jahrhunderte. Tbornik. Russische Geschichten und Satiren. Uebcrsetzt und herausgegeben von Wilhelm Henckcl. Berlin. Verlag von Johannes Räde. 3 Bände. Diese Sammlung enthält das beste der modernen russischen Novellistik und die besten Namen außer Ssaltykoiv-Schtschedrin wie Garschin, Setnjew, Potapenko, Amfitentrow, Schapir, sind darin mit kleinen Er¬ zählungen vertreten. Da die Russen in der Welt-Litteratur eine be¬ deutende Rolle spielen, füllt der „Sbornik" eine Lücke aus. Freunden einer guten Lektüre sei diese Sammlung bestens empfohlen. „Chinesische Charakterzüge". Von A. H. Smith, frei bearbeitet von C. Dürbig, Würzburg, A. Stübers Verlag, Preis Mk. 5. Das Buch giebt wichtige Fingerzeige, wie unsere jüngsten Nachbarn im äußersten Osten zu behandeln sind. Ein klarblickender Amerikaner hat seine Erfahrungen aus einer mehr als zwanzigjährige» Missionsthätigkcit in China geschöpft und in diesem Buche niedergelegt, das von einem praktischen deutschen Kaufmaune für deutsche Leser bearbeitet worden ist.

Berlin. — Druck uud Berlage

I.

I.

Friedrich Schirmer. Berlin

SW., Neuenlmrger Slrutze

Ha.

Der Bär.

Illustrierte Wochenschrift kür Geschichte und modernes Leben. 2o. IltstVtzMIg.

Ux. 49

Sonnabend, 9. Dezember 1899.

Der Uorryalbuyö. Humoreske von Us»nth und Umgebung, Sicht bo» der Ebene itaif; Horbtn.

Das 26. März 1881." 27. Oktober 1818. Technischen Hochschule. Denkmal ist einc von Fachgcnosieu, Freunden und Schülern Wiebes der Hochschule zu ihrer Jubelfeier nachträglich dargebrachte Ehrengabe Geheimer Rat Professor von Leyden ist zum Ehrcnnutglicd der 8oelet« royale de medecine zu Brüssel und zum korrespondierenden Mitglicde der 8oeiots de therapeutique zu Paris ernannt worden. Die internationale Motorwagen-Ausstellung hat einen Ueberschuß von 12 108,68 Mk. ergeben, der dem internationalen Motorwagenvcrein überwiesen wurde. Die Zahl der Katholiken in Berlin beträgt gegenwärtig 155000, in den Vororten wohnen 45000, so daß sich die Gesamtzahl der katholischen Einwohner auf 200000 beläuft. Das dem Bildhauer Michel Lock auf dem Wilmcrsdorfer Kirchhof errichtete Grabdenkmal wurde am 26. November feierlich enthüllt. Das Denkmal ist ein auf einem meterhohen Sockel stehender segnender Christus, den Lock selbst modelliert hat, und der in karrarischem Marmor ausgeführt ist. —

_ __

Den Hanptvortrag des Abends hielt Magistratssekretär Fcrd Meyer über „Gcichichtlichc Rückblicke auf den Stadtteil Alt-Kölln." Der Vortragende verbreitete sich zunächst über die Anfänge der Städte Berlin und Kölln, deren Entstebcn in ziemliches Dunkel gehüllt ist, gab dann einc Schilderung der Stadt Kölln im 14. Jahrhundert, der Straßen und Befestigungen, des Rathauses und der Mühlen und be¬ zeichnete die einzelnen denkwürdigen Gebäude, welche noch jetzt oder bis vor kurzem vorhanden waren. Hinsichtlich des gemeinsamen Rat¬ hauses auf der langen Brücke schloß sich F. Meyer den Annahmen Fidicins an, daß es in der Mitte der Brücke an der Stelle des Kurfürstcndcnkmals gestanden habe; über den Roland berichtete er, daß dieser auf dem Molkenniarkt vor dem Hause Rr. 13 bis zum Jahre 1448 gestanden habe. Bei Besprechung der Verwaltung und Gerichtsbarkeit in Alt-Kölln gab der Vortragende viele Beispiele aus Urkunden und Stadtbüchcrn, besonders über die Art der Hinrichtungen und dergl.; in ähnlicher Weise wurden auch bei der Schilderung von Festlichkeiten Proben aus zeitgenössischen Berichten angeführt. Nachdem der Vor¬ tragende die Wirksamkeit der Hohenzollernschen Fürsten in Alt-Kölln ge-

788 schildert, ging er auf die Geschichte der einzelnen Straße» ein und schloß mit Betrachtungen über die Schicksale des Köllnischen Rathauses und der Pctrikirche, Die Versammlung folgte dem inhaltreichen Vortrage mit gespannter Aufmerksamteit.

Als Mitglieder sind aufgenommen: Herr Pfarrer Hamann, Jüterbog, Herr Rechnnngsrat Leonhardt, Charlotten bürg, Magazinstr. In. Herr Professor Gustav Richter, Maler, Burggrafcustr, 2. Herr Postrat a. D. Steinhardt, Treuenbrietzen. Herr Robert Stock, Bnchdrnckercibesitzer, Jüterbog. Herr Pfarrer Zimmcrmann in Niedcr-Görsdorfbei Jüterbog. Zum Eintritt sind angemeldelt: 1, Herr Rechtsanwalt Louis Budörus, Potsdamerstr. 111. 2. Herr Rektor Dcpäne, Skalitzcrstr. 55/56. Zu 1 u. 2 Einführende: die Herren Fr. Körner und E. Friedcl. 3. Herr Paul Hcrbarth, Obersekretar des Landgerichts zu Reisse. Einführende: die Herren E. Friedet und Puiowcr. 4. Herr Rektor H. Ouilisch, Freienwalde a. O. Einführende: die Herren G. Albrecht und E. Friede!.

Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Sitzung vom 8. November 1899. Bei Besprechung der Brandenburgensicii in den neuesten Veröffent¬ lichungen der Geschichtsvereine machte Herr Kammergerichtsrat vr. Nolpe auf die in Nr. 9 der diesjährigen „Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins" enthaltene sorgfältige Veröffentlichung der im Jabre 1671 vom Berliner Bürgermeister Zarlang in dem Turmknopf der Nikolaikirche niedergelegten interessanten Aufzeichnungen aufmerksam, die Küster in seinem Alten und Neuen Berlin in weniger korrekter Fassung einst zum Abdruck gebracht hat. — Der als Gast anwesende Herr Pastor

Pnssow aus Hohcnfinow wandte

sich

in längerer Ausführung

gegen

die Ansicht, daß Albrecht II. von Liebenwalde aus durch das Finowthal »ach Oderberg vorgedrungen sei, hier ein Grcuzschloß angelegt und einen Strich nördlich der Finow erobert und befestigt hätte. Er erklärte die Okkupation und Kolonisation des Barnim in der Weise, daß sich die Askanier spätestens im Anfang des 13. Jahrhunderts eine sichere, durch Befestigungen geschützte Straße schufen, die durch Landsberg, Blumbcrg, Straußberg, Warnow, Beyersdorf, Hekclberg und Finow bezeichnet werde. Von letzterem Punkte seien die drei Burgen Hohenfiuow, Malchviv und Ebcrswalde zur Sperrung der Flußübergänge angelegt und endlich 1215 Oderberg vorgeschoben worden. dem so vor feindlichen Einfällen geschützten Lande habe alsdann von Süden her die Kolonisation durch Gründung deutscher Bauerndörfer begonnen. Nachdem sich an den inhaltreichen Dortrag eine lebhafte Debatte geknüpft, gab Herr vr. v. Sommerfeld einen Uebcrblick über die Herausbildung der märkischen Landstände im 13. und 14. Jahrhundert. Unter energischer Benutzung günstiger politischer und wirtschaftlicher Konjunkturen hatten die Askanier in dem von ihnen erheblich erweiterten Markgebiet bis gegen die Mitte des 13. Jahrhunderts eine nach oben wie nach unten wenig beschränkte Landeshoheit und mit ihr ein selb¬ ständiges brandenburgisches Staalswesen begründet. Seitdem inachte zwischen den mehr und mehr von bloß dynastischen Ge¬ sich sichtspunkten geleiteten Herrschern und den an Zahl und Wohlstand rasch zunehmenden Unterthanen ein Interessengegensatz fühlbar, der die letzteren zu gemeinsamem Widerstand gegen jene vereinte und um das Jahr 1280 eine erste landständische Bewegung ins Leben rief. Als ihr Träger erscheint vornehmlich der Adel, der für sich und die übrigen Uutertliauen mit den Fürsten verhandelt und ihnen wichtige Zugeständnisse namentlich in seinem Standesiutercssc abzunötigen weiß. Außer ihm treten anfangs nur wenige besonders mächtige Städte selb¬ ständig hervor, doch kommen seit Anfang des 14. Jahrhunderts öfters größere Städtebünde zustande, welche, wenn nicht das ganze Gebiet der Mark, so doch große Teile derselbe» umfassen. Doch ist ihr Bestand stets von ganz vorübergehender Dauer, wie auch die Adelsvercinigung von 1280/81 zu einer dauernden Organisation nicht führen konnte. Nachbnlligcr und vielfach stärker als die ständischen wirkten doch die lokalen Zusammenhänge, welche unter dem Zusammengehen der beiden führenden Stände innerhalb kleinerer Bezirke zur Herausbildung einer Art von Landschaftsständen führten, womit die askanische Epoche auf diesem Gebiete abschließt. — Zum Teil infolge dieser Entwicklung geschah cs dann, daß in den nach Waldemars Tode eintretenden Wirren die einzelnen Landschaften nicht in wechselseitigem Zusammenschluß, sondern in der Anlehnung an den einer jeden von ihnen benachbarten auswärttgen Fürsten ihr Heil suchten und so die Mark dem gänzlichen Zerfall nahe brachten. Doch zeigten sic sich nach der Ernennung Ludwigs d. Aelt. zum Landesherr» nicht willig, diesem zu gehorchen und bei der Wieder¬ herstellung des Territorialbestandes der Mark Hilfe zu leisten. Erst spätere Maßnahmen Ludwigs, wie die Verdrängung des märkischen Adels aus den Hof- und Landcsämtern und gewisse finanzpolitische Versuche riefen neue Unruhen hervor, welche die landständische Entwickelung wesentlich förderten. Im Jahre 1345 fand zu Berlin ein Landtag statt, der zum erstenmale die Vertreter des Adels und der Städte aus der Alt-, Mittel- und Neumark vereinigte. Etwa derselben Zeit entstammt ein merkwürdiger Entwurf zu einer ständischen Vereinbarung, worin die Verpflichtung der „Herren, Mannen und Städte", dem Fürsten und dem Lande mit Treuen zu helfen und zu raten, nachdrücklich hervorge¬ hoben wird. — Fehlt hier unter den Ständen noch eine Vertretung des Klerus, so trat seit dem Ausgang der bayrischen Herrschaftszeit auch hierin ein Fortschritt ein. Unter den allgemeinen und lokalen Abwand¬ lungen auf politischem und kirchlichem Gebiete während des 14. Jahr¬ hunderts vcriuochten die märkischen Landesbischöfc ihre noch um 1300 mit Erfolg verteidigte relative Selbständigkeit und politische Absonderung gegenüber den weltlichen Gewalten der Mark nicht länger aufrecht zu erhalte». Schon auf dem Landtag von 1345 zeigen sie sich vertreten, doch nicht sowohl als Mitglieder der Stände, denn als besonderer politischer Faktor neben diesen und dem Landesherr». Unter Otto dem

In

BerantworUicher Redakieur: Dr. M.

Folticineano,

Faulen aber und weiterhin unter den Luxemburgern fügen sie sich als Räte des Markgrafen und zugleich als erster Landstand dem Staats¬ wesen ein; neben ibnen finden sich, jedoch nicht regelmäßig, als Vertreter der Prälaten noch andere höhere Geistliche, namentlich Ordcnskomthurc. So schließt da? 14. Jahrhundert ab mit der völligen Herausbildung der landständischen Gesamtkorporation, welche unter den Luxemburgern auch eine nicht unerhebliche politische Thätigkeit entfaltete, aber freilich nicht imstande war, den schweren Wirren zur Zeit Jobsst v. Mähren mit

Erfolg zu begegnen.

Vüchertisch. Neue Romane. In überraschend kurzer Zeit hat sich Freiherr von Schlicht eine hervorragende Stellung auf dem Gebiete der erzählenden Litteratur erobert. Sein Arbeitsfeld ist zwar eng umgrenzt, da er sich auf das mehr oder weniger interessante Garnisonleben mit seinen Alltäglichkeiten beschränkt. Indessen zeigt sich ja bekanntlich in der Beschränkung der Meister. Durch das sorgfältige Studium der harmlosen Begebnisse, die Freiherr von Schlicht als Offizier selbst mit¬ erlebt hat, ist er zum Meister der Militärhunioreskc geworden. Der Offizier a. D., der den Säbel mit der Feder vertauscht hat, ist auf eine höhere Warte gestiegen, und was ihm einst, i» der Nähe, furchtbar ernst und wichtig vorgekommen sein mag, erscheint ihm nun etwas verzerrt und karikiert. Die Entfernung von Zeit und Raum haben so zu sagen ein besonderes ethisches Strahlenbrechungsvermögen, sowohl nach der positiven Seite der Verklärung, wie nach der negativen der Verzerrung. Bei Freiherr von Schlicht erfolgt die Strahlenbrechung nach der negativen Seite hin. Auch sein neuester Roman „Die feindlichen Waffen", Verlag von Wilh. Grote, Berlin, schildert das Leben der Offiziere einer kleinen Garnisonstadt in ergötzlicher Weise, allerdings nicht ohne satyrische Schärfe. Die Aufbauschung kleinlicher Dinge zu wichtigen, iveltbewegenden Fragen wie das so oft im Leben und nicht bloß in kleinen Städten geschieht, giebt dem Humor einen bittern Beigeschmack. Zwischen dem Kavallerie- und Infanterieregiment ist wegen irgend einer Lappalie bittere Feindschaft nusgebrochen. Die Infanteristen schwören hoch und teuer, daß sie die Kavalleristen zum Kasinoball nicht einladen werden, und die Kavalleristen schmieden ein Komplott gegen die Damen der Infanterie-Offiziere, mit denen sic nicht tanzen wollen, falls sic doch zum Balle eingeladen werden sollten. Der Kom¬ mandeur des Jnsanterie-Regiments zwingt seine Offiziere äußerlich zur Ruhe; im Innern seiner Untergebenen jedoch glimmt der Haß fort, bis endlich die Töchter des ctatsmäßigen Majors den Frieden wiederherstellen, indem die eine einen Kavalleristen, die andere einen Infanteristen heiratet. Das ist die Grundlage, auf der der Roman aufgebaut ist. Mit welcher Fülle komischer Episoden und heiterer Bilder Freiherr von Schlicht seinen Ban ausgestattet hat, läßt sich in knappen Worten nicht schildern; das muß man lesen. Die Lektüre der „Feindlichen Waffen" wird jedem eine vergnügte Stunde bereiten; denn Freiherr von Schlichts Schreibweise ist flott und witzig, wie es der behandelte Gegenstand erfordert.

Ein Kapitel aus den, litterarischen

Zigeunerleben Berlins vor

„Lichterkeldcr Straße Nr. 1." Verlag von Schuster & Löffler, Berlin 1899. Mit keckem, durch die Wehmut der Erinnerung verklärtem Humor schildert Hans von Zobcltitz seine eignen und seines Bruders (Fcdor von Zobcltitz) schriftstellerischen Lehrjahre. Die jungen Leutchen lebten damals in einer Welt, die uns heute fremd 80 Jabren ist

geworden ist. Freilich, so lustig wie sie der Verfasser schildert, mag sie nicht immer gewesen sein, wenn auch ein zur Heiterkeit gestimmtes, jugendliches Gemüt die Welt durch rosige Brillen betrachtet. Aber was thut's — der zu Ansehen gelangte Schriftsteller plaudert so angenehm, daß man das Gehaben seines Freundes Krvhn gern als kraftgenialisch ansieht und ihm glaubt, daß bas Zigeunerleben wirklich lustig ist. Auch die außerordentliche Schönheit der kleinen braven polnischen Schau¬ spielerin, die ebenfalls in der Lichterfclderstrahe Nr. 1 haust und zum Schluß einen tragische» Tod erleidet, nimmt man als glaubwürdig hin. Das Buch, das heiter beginnt und ernst schließt, sei den Freuden der Litteratur warm empfohlen.

Kunstgeschichte in Bildern. Abteilung IV. Die Kunst des 15 u. 16. Jahrhunderts außerhalb Italiens. Bearbeitet von G. Dehio. 84 Tafeln. Leipzig und Berlin. Verlag von E. A. Seemann. Preis brosch. 8,50 Mk. Geb. 10 Mk. Dieses groß angelegte Werk, das in fünf Abteilungen gegliedert sein wird, verspricht nach seiner Vollendung ein hervorragendes Erzeugnis der modernen Reproduktions-Technik zu ivcrdcn. Die gesamte Entwickelung der Architektur, Skulptur und Malerei wird hier veranschaulicht, so daß das Werk in der That eine Kunstgeschichte in Bildern ist und jede Kunstgeschichte als veranschaulichender Bilder-Atlas ergänzt. Was Worte nicht vermögen, erfüllt die Autotypie, indem sie die Meisterwerke sogar nach ihren Farbcnivertcn genau widcrgiebt. Die vierte Abteilung behandelt die Plastik der Niederlande, Frankreichs, Spaniens und Deutschlands, ferner die Malerei der Niederlande, Deutschlands, wie auch die deutsche» Holzschnitte und Kupferstiche aus dein 15. Jahrhundert. Die Epoche des italienischen Einflusses auf die europäische Knnstbewegung wird sowohl in Bezug auf Architektur wie auch auf die Plastik und Malerei ausführlich dargestellt. Ein vollständiges Städtercgister weist die Orte nach, in denen sich die dargestellten Kunstwerke befinden.

Meine Religion. Mein politischer Glaube. Zwei gegeben

I. W.

von Goethe. von I)r. Wilb. Bode.

Reden von

vertrauliche Zusammengestellt und heraus¬ Geh. 1 Mk. — geb. 1,76 Mk.

E. S. Mittler & Sohn, Berlin. Es sind hier die Aeußerungen Goethes aus zahlreichen Briefen und Gesprächen so folgerichtig zusammengefügt, daß das ganze wie ein Mosaikbild, in dem man Fugen nicht gewahr wird, erscheint.

Berlin. — Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW., Renenburger Striche

lla.

Der Bär.

Illustrierte Wochenschrift für Geschichte und modernes Leben. 25. Jahrgang.

Sonnabend, 16. Dezember 1899.

!lr. 50.

©ei Uorn)s1k)Uyö. 3

wendtland _____

Humoreske von £. wird der hetzte wahrscheinlich, — Die „böse Zeit" gegen ihren Willen, in der Stadtvoigtei spielen. bereitete sich damals schon vor. . Doch ich will schließen, wenn mir auch noch weiteres Material in reichem Maße zur Verfügung steht. Freuen sollte es mich, wenn nicht nur den ich gerade solche Mitteilungen ausgewählt hätte, die Interesse deren interessieren, Allgemeinheit die sondern auch Berliner, für die gewaltige Entwickelung der Rcichshanptstadt von ^rag zn Tag an Jntensivität wächst. ^ Im allgemeinen aber sehen wir noch heute wieder: Der Berliner war früher, wie er jetzt auch ist, — und er wird im großen Ganzen auch wohl nie ein anderer werden.

Dietrich Hafner.

813

—.—

^

Peüilletor) des

-—

-



,j?» •>

J§är>.

•> ■>

Reillße UscdN

Ts liegt in tiefem Schweigen Die winterliche Welk, Und taufend Sterne steigen Lmpvr am Himmelszelt. Und stille Größe schreitet Ueber dir Erde facht — Den dunklen Fittich breitet Dir heil'ge Nacht.

Heimwärts will

In

die

ich mich

träumen

Vergangenheit--

Es rauscht in fernen Bäumen, Ls spricht dir Kinderzeit. — Und ferne Lichter schimmern Weither durch Zeit und Raum — — Das ist Dein holdes Flimmern, V Tannrnbaum!

Und leise Töne locken

Dir zauberkräft'ger Sang: Im Dorf dir Kirchenglvcken

-

Rufen mit hellem Klang. Und all dir alten Lieder Sind wieder aufgewacht O komm' und steig' hernieder, Heilige Nacht!

Paul Warncke

814

Jfiescberjs letzte §)üppe. Vollrat

Eine N)eihnachtsgcsänchte von Wyler Herr

2»^ was ich

-

„Ja, wenn ich das selbst wußte! Aber ich habe keine Ahnung, Keine Ahnung! — Verzeihen Sic also, wenn saufen soll!

ich -

wünschen?"

•"

Die hübsche Verkäuferin in dem großen Weihnachisbazar lächelte. „O, wr: kennen das schon! Herren wissen nie, was sie wolle»! Vielleicht machen Sie mal einen kleinen Rnndgang durch unser Lager; dann wird Ihnen schon was einfallen!" Er schüttelte mit verlegenem Gesicht den Kopf, den das lange Haar und der wallende, schwarze Vollbart noch größer erscheinen ließen, als

er schon n>ar.

„Wird mir

auch

nichts nützen!" ant¬ wortete er ein ivenig zerstreut uitd wie sich

in

eine versenkend.

Erinnerung

„Ich

habe

Kind seit vier Jahren nicht mehr ge¬ sehen. Wie soll ich da das

Schumacher.

Ja, sehr nett war es von Meinhards, daß sie ihn zu Weihnachten Obwohl sie es noch nicht wußten, daß er nun eingeladen hatten. Professor war. Hm, ja, das war er nun. Und er würde sich bei Meinhards sehr wohl fühlen.

Das war

so

'

mit runden

Verkäuferin fast

blöde an. Er war seit heute Morgen Pro¬ fessor, Professor an der Universität G. Er hatte

auf dem Teppich herumkroch und krähte es

und

die Ernennung vorhin, als er aus einem seiner

gekommen war, mit dem Frühstück zusam¬ men in seiner einsamen Junggcsellenstube gc-

verwirrt zu. „Ein Knabe oder

ein wenig

ein Mädchen? Wenn es nach mir ginge, wär's ein Knabe, na¬



nett, sehr nett! Nun, er hatte aber auch nicht schlecht geschuftet in all

türlich! Aber wie kann man das vorher sagen! Die Schenkschc Theorie ist ja immer noch nicht

Jahren! Schade, daß

es

ein

Brinkmann lächelte ihr

funden und sich nicht ivenig darüber gefreut. Mit achtundzwanzig

den

.... —ein Knabe

„Ist

Mädchen?" wiederholte die Ver¬ käuferin ein wenig un¬ geduldig ihre frühere Frage. Fritz Professor oder

Privatdozentcn-Kollegs

Profe>sor

Bäckchen,

prallen Händchen und einer Stimme, wie ein jnngerHah»! Wie cs mit den Zappclfingern in Vaters Vollhart Und wie herumriß!

„Ist es ein Knabe oder ein Mädchen?" Fritz Brinkmann

Jahren

Familie, voll un¬

eine echte, rechte deutsche

eigennütziger Teilnahme, voll Wärme, voll Licht und Poesie. So eine Familie mußte er später auch haben. Denn er konnte ja nun eine gründen. Er war ja Professor! Und er würde solch ein reizendes, süßes, lachendes Wesen um sich haben mit blonden Haaren und blauen Augen, das ihn lieb hatte, ihm die Knöpfe annähte und bald ausgelassen lustig war, bald still und ruhig, beides immer zur rechten Zeit. Und einer gewisse» nach Zeit — wer weiß, ob dann nicht noch ein anderes Wesen zu ihnen käme, ein drittes Wesen

wissen, ivosür es sich jetzt gerade interessiert?"

sab die

Nachdruck tjeröoteii.

die

Mutter das nicht mehr erlebt hatte — schade,

bewiesen!"

schade!

dauernd de» Kopf. Die Verkäuferin lachte hell auf. „Ja, mein Herr, wenn das Kind, dem Sie etwas zu Weih¬ nachten schenken wollen, gar nicht da noch

Er

Was für eine

Freude wär's für

sic

gewesen, den Sohn nun

am Ziel zu sehen, ihn, für den sie gedarbt und gearbeitet hatte, seit der Vater so früh gestorben war.

Fritz Brinkmann hatte nun eigentlich niemanden auf der Welt, der sich so recht von Herzen mit ihm hatte freuen können.

Er

war

doch

recht

einsam.

Und nun war er Und da Professor.

ist

schüttelte

be¬

—!"

Vrinkniann

Fritz erwachte.

„Weihnachten?"— stotterte

Vize-Admirsl Prinz Vcinrich von Preussen.

neben dem Tablett mit dem Butterbrot und der Tasse Bouillon hatte noch ein zweiter Brief gelegen, den er in der Aufregung über die Er¬ nennung ganz übersehen hatte. Eine Einladung war's von Rittergutsbesitzer Meinhard, die Weihnachtslagc bei ihnen auf dem Lande zu verleben. Es war doch nett von ihnen, daß sie ihn »och nicht vergessen hatten; sehr nett! Die zwei Jahre, die er bei ihnen auf dem Gut Hauslehrer gewesen, hielt er noch heute für die glücklichsten, sorgenlosesten seines ganzen Lebens. Wie schnell die Zeit verging! Vier Jahre mar das nun schon her, und in diesen vier Jahren hatte er keines von ihnen wiedergesehen, weder den prächtigen, urwüchsigen pater tamilias, noch die sanfte, liebe¬ volle Hausmama, noch Willy, seinen Zögling, noch Trudel, das ältere, noch Lieschen, das jüngere Haustöchterchcn, erstere mit ihrem ein wenig schmachtenden, ein wenig sentimentalen Augenaufschlag, letztere — Lieschen, das Nesthäkchen, das Lnkant tsrridl«, die wilde Hummel mit den blonden Haaren und den blauen, lachenden Augen. Und nun war er Professor. Und gleich nach Weihnachten mußte er seine Professur antreten und sein Antritts-Kolleg halten. Na, er würde die Vorlesungen über das deutsche Volkstum wählen, die er im letzten Jahre ausgearbeitet hatte. Die waren ihm ganz nett geraten, sehr nett.

er

sehr

rot

und sehr verlegen. „Ja, richtig! Weihnachten!

Wir

haben

ja

heute

vierundzwanzigstcn!" — Er sah nach der Uhr und erschrak. — „Herrgott, schon eins vor¬ bei! Und um zwei Uhr fünfzehn fährt der Zug! Drei Stunden Fahrt. . Um sechs stecken sie gewöhnlich den ich bin also gerade zur rechten Zeit da! Baum an! . . Es ist also die höchste Zeit, die höchste Zeit! Und . . . und . . . für die anderen habe ich schon was gekauft! Für den Papa eine Jagdflinte, ganz neues Modell! . . . Für die Mama ein Heylsches Kochbuch, wissenschaftliche Methode! . . . Für Willy einen Homer in der Original-Ausgabe! Der Junge ist i», Griechischen so weit zurück! . . . Und für die Trudel habe ich eine Sammlung zeitgenössischer Lyrik gekauft!" — Er schmunzelte vor sich hin. — „Ich weiß ja, das Mädel macht heimlich selbst Gedichte! Aber . . ." und er wurde wieder sehr unruhig, „für die Jüngste, das Nesthäkchen . . . natürlich ist sie schon ans der Welt! Es ist ein Mädchen! . . . Für die weiß ich nichts, rein gar nichts!" Seine Augen irrten hilflos suchend umher. „Oh, wir werde» schon was finden!" tröstete die Verkäuferin kichernd. „Wie alt ist denn die Kleine?" „Die Kleine? Na, dreizehn Jahre wird sie alt sein! Dreizehn Jahre, ja! . . . Sie heißt Lieschen?" „Lieschen?" wiederholte die Verkäuferin, ein ivenig spottend. „Wirklich?" den

815

Er

nieste.

„Ja!

Sie stand hochaufgerichtct vor Lisa und betonte jeden ihrer Ausrufe damit, daß sie die kleinen Hände zu Fäusten ballte und damit durch die warme Backofeulnft fuhr. Lisa sah ihr mit einem ungeheuer ernsthaften Gesicht zu, und jedes¬ mal, wenn Gertrud die Fäuste schüttelte, dann nickte sie mit dem Kopf. „Ja, sehr tüchtig! . . . Und sehr strebsani ist er! . . . Und ich bin ein Naseweis, ein Guckindiewclt! Das ist alles wahr! . . . Ich bin ja erst siebzehn Jahre alt! . . . Aber Du, Du bist schon so alt. so alt! Schon achtzehn! . . . Ganze achtzehn! . . . Ja, und eine Frau hat er auch nicht, der arme Herr von Berg! Er ist sehr zu bedauern! Sehr!" Gertrud iah plötzlich aus wie eine rote Rose, eine dunkelrote. Mit heftigem Griff riß sic Lisa das Kuchen-Schiebeblech aus der Hand und drängte sic vom Backofen fort. „Herrgott, Du läßt ja alles verbrenne»! . . . Wen» Du deukst, daß Herr von Berg meinetwegen iiach den Stechfliegen und dem Grünfiitter und beul Rndicschensamen fragt, — haha! — wer hat denn vor drei Jahren mtb vor zwei Jahren und voriges Jahr und dieses Jahr wieder Papa und Mama wochenlang in den Ohren gelegen, daß sic Doktor Brinkmaiin zu Weihnachten ciiiladen sollten? He?" Lisa fuhr zusammc». Wie von einer seltsame» Schwäche über¬ wältigt setzte sic sich ans den Stuhl, ans dem vorhin Gertrud geseffen

Meinhard!" „Ach! Was Sie sagen! — Nnn, Mädchen von dreizehn Jahren spielen gern iiiit Puppen, besonders wenn stc Lieschen heißen! Das Lieschen

heißt, die Mädchen!

Ich glaube, der Herr wählen am

Pnppe!"

besten

eine

Professor Brinkmann wiegte nachdenklich den Kopf. „Hm! Ich weiß doch nicht! . . . Das Mädel ist nämlich un¬ glaublich wild. Herzensgut, ja, aber wild, wild!" — Seine Augen schlossen sich halb, als wenn sie tief in sein Inneres blickten. Und um seine Lippen unter dem schwarzen Barte flog dabei ein gutmütiges Lächeln, wie voll heimlicher Belustigung. „Einen Maikäfer ins Bett legen, oder Mohrrüben in die langen Stiesel stecken, oder die Bude mit persischem Insektenpulver vollspritzen, daß man stundenlang niesen muß — das ist ihre Lieblingsbeschäftigung! Und wissen Sie, was sie neulich gemacht hat? — Sic weiß, daß ich immer mit beiden Armen zugleich in meinen Ucberzicher fahre. Na, und ivas thut sie? Sie näht mir heimlich die Aermel zu!" — Er lachte hell auf. — „Haha! Es hat 'ne ganze Zeit gedauert, ehe ich wieder herauskam! . . . Also, 'ne Puppe für die wilde Hummel — aber vielleicht ist 'ne Puppe für sie gerade das Richtige! Beim Puppenkleidnähcu wird sic das Stillsitzen lcrnen . . . und Interesse fürs Kochen wird sic auch kriegen, wenn sic für die Puppe kocht! . . . Also 'uc Puppe, Fräulein! . . . Bitte, '»c Puppe! . . . Aber 'ne recht schöne, große, die schreien und die Hände und Beine bewegen kann! . . . und die Augen auch! Aber es ntüffetr große, blaue Augen sei»! . . . und blondes Haar muß sic haben! ja, blondes Haar! Blondes Haar und blaue, lachende Augen, ja! Die hat nämlich das Lieschen auch, das Lieschcn!"

hatte.

„O! Erlaube mal!" brachte sie mühsam heraus. „Doktor Brink¬ mann ist unser Lehrer gcivcscii, und wenn man einen so tüchtigen Lehrer gehabt hat . . Gertrud lachte hell auf. „Ja, sehr tüchtig! Aber

... *

sein

*

* Papa Meinhard war, um dem „Wciberrumorcn", ivie er gesagt hatte, aus dem Wege zu gehen, auf das Feld hinausgerittc», obwohl da heute eigent¬ lich gar nichts zu thun war; Mama Meinhard saß eingcschloffcn tu der großen Stube und legte die letzte Hand an den Weihuachtsbaum, den sie stets allein und jedes Jahr an¬ ders und höchst originell und festlich ausschmückte: und Fräu¬ lein Gertrud Meinhard saß in der warmen Backküche mit so leidendem Gesicht auf einein Stuhl, als ob sie Zahnschmerzen hätte. Es fehlte ihr aber gar nichts, rein gar nichts, wie sie wiederholt und merkwürdig gereizt versicherte.

Dafür

„Weil er bet Weihnachten feiern Weil er ein eigenes kann! Haus hat, ein eigenes Heim! lind weil er einen eigenen Weihnachtsbaum hat! Ja, und eigene Kinder! Und . . . und eine eigene Frau hat er auch!" Nun stand sic hochaufgertchtet vor Gertrud und batle die Hände zu Fäusten geballt und focht damit durch die warme Backosenluft. Gertrud sah ihr ungeheuer ernsthaft zu, und jedesmal, wenn Lisa die Fäuste schüttelte, nickte sie nnn mit dem Kopfe. „Ja, das hat er! Und das hat Doktor Brinkmann aller¬ dings nicht, weder eine» Wcihnachtsbaum, noch eine Frau, noch Kinder! Der arme Kerl! Er ist sehr zu bedauern! Ob er diesmal wohl kommen wird?" Lisa glich nun plötzlich auch einer rote» Rose. Sie stürzte sich ans Gertrud und riß ihr das Kuchen-Schiebebrett ans der Hand. „Herrgott, Tn läßt ja alles verbrennen! . . Wenn Du denkst, daß der Herr Doktor Brinkmann meinetwegen eingeladen ist, so eine weiße Rose.

sich

sah

zu, wie Fräulein Lisa Meinhard fertig gebackene Weih¬ nachtsstollen aus dem Backofen zog und andere dafür hincinsie

schob,

Fette, stollen,

die noch backen foslteii. duftende Weihnachts¬

voll von süßen Ko¬ rinthen, Mandeln und Rosinen. Fräulein Lisas Gesicht ivar dabei sehr rot, Fräulein Ger¬ truds Gesicht dagegen sehr blaß. Sie sahen aiis wie ein gärt¬ nerisches Kunststück: ivie eine rote und eine weiße Rose an einem Stengel. Plötzlich lachte Lisa ans, so plötzlich, daß sie beinahe den frischgebackenen Stollen in ihrer Hand hätte fallen lassen. ^,Zn komisch!" stieß sie dabei heraus. „Zu komisch!" „Was lachst Du?" fragte Gertrud gereizt. „Was ist komisch?" Lisa warf ihr einen neckischen Blick' zu und den Stollen auf bei, Backtisch in eine große Schüssel voll Puderzucker. ob Herr von Berg heute wohl auch kommen „Ich meine nur wird? Gestern war er hier und hat Mama gefragt^ ob sic nicht ein gutes Mittel gegen Stechfliegen wüßte! — Haha, Stechfliegen! Im

Sie

.

„Wer!" „Wer?"

Sehr!"

schrie Gertrud auf. „Herr schrie Lisa gleichzeitig auf.

von Berg?" „Herr Doktor Brinkmann?" Papa Meinhard schüttelte den Kopf. „Nanu?" fragte er verwundert. „Ihr seht ja so blaß ans, Kückcls! Ist aber auch die reine Backofenhitzc hier! . . . Nein, Willy kommt nicht. Da! Eben kriege ich das Telegramm von ihm! „Kann leider nicht kommen! Dienstlich verhindert! Fröhliche Weihnacht! Bitte, mir den Tauinen zu halten,-heute abend. — Willy . . .* Versteht Ihr das? Zn Weihnachten dienstlich verhindert? Der Junge muß Dummheiten gemacht haben! . . . Und wir sollen ihm den Daumen halten? Heute abend?... Merkwürdig! Am heiligen Abend! Wenn er Dummheiten gemacht hat . . . sein Oberst wird ihn doch nicht gerade am Heiligen Abend verhören und am Ende verknacksen? War doch zu meiner Zeit

.

Sehr tüchtig!

— haha!" laut ans, daß ihr dicke Thränen in den großen blauen Aber mitten in ihrem seltsamen, fast schluchzenden

In

Mit

auch sehr tüchtig!

selbst

Lachen brach sie plötzlich ab. Die beiden roten Rosen fuhren zusammen und blickten »ach der Thür, durch die eben Papa Meinhard eingetreten war. der einen Hand hielt er seine Reitpeitsche, in der anderen ein offenes Telegramm. Sein gutes Gesicht schaute ein wenig ärgerlich drein. „Denkt Euch nur, Mädels . . . scheußlich, was? Richt mal zu Weihnachten kommt er her!"

Winter!" Sic lachte wie toll. Gertrud sah ordentlich böse zu ihr auf. „Ich ivciß nicht, was da zu lachen ist! Er wird sich eben bei Zeiten vorsehen wollen!" „Ja, ja, bei Zeiten! Deshalb fragte er wohl vorgestern auch Papa nach seinen Erfahrungen bei Grünfüttcrnng und vorgestern wieder Mama nach dem besten Radieschcnsamcn und vorvorgestern wieder einem Ruck war Gertrud von ihrem Stuhl ansgesprungcn. Ihre sonst so sanften Augen blitzten, und ihr Gcsichtchen glich einer weiße» Rose noch mehr als zuvor. „Hör' auf! Du bist ein albernes dummes Ding, ein naseweises Guckindiewclt! Herr von Berg ist ein sehr strebsamer, sehr sorgsamer Landwirt, der nicht von der Hand in den Mund lebt, sondern rechtzeitig vorsorgt. Und da er keine Frau hat, noch sonst jemand, mit dem er sich besprechen kann, so wendet er sich eben an Papa und Mama. Als Nachbar kann er das und . . . und . . . und Papa und Mama sind

lachte so

Augen standen.

...

Papa nach

Vorgänger bei »ns, Herr

Wiegand, der jetzt Pastor ist, ivar auch sehr tüchtig! Sehr! Warum wird denn der nicht eingeladen? He?" Lisa sprang ivicder ans. „Weil Pastor Wiegand gar nicht eingeladen zu werden braucht!" rief sie und sie sah plötzlich ganz blaß aus, wie

nicht -

Sitte!

.

.

.

Hm!"

Kopfschüttelnd ging er hinaus. Willy, der Junge, war Leutnant in der Provinzialhanptstadt. nun konnte er nicht komme»!

Und

816

Es that Gertrud furchtbar leid. So leid, daß sie es in der Hitze der Backstube nicht mehr aushalten konnte. Sie mußte hinausgehe». Als die Weihnachtsstollen fertig waren, fand Lisa, daß sie es in der Hitze auch nicht mehr aushalten konnte, und daß sie auch hinaus¬ gehe» mußte. In der kleinen Stube oben im Aussichtstürmchen, von wo man die Gegend meilenweit überblicken konnte und unter anderen auch die Chaussee zur Bahnstation, war es recht kühl, hübsch kühl, erfrischend kühl. Als Lisa eintrat, fuhr sie zusammen, und auch Gertrud, die am Fenster stand und sich beim Knarren der Thür umgedreht hatte, fuhr zusammen. „Was . . . Du . . . Du . . ." stammelte sie erschreckt. „Was willst Du den» hier, Lisa?" Lisa machte ein ungeheuer glcichgiltiges Gesicht.

„Ich? — Oh, Tu, wegen

Weißt

ich

des

wollte nur sehen, ob Herr von Berg kommt! Abendessens! . . - lind Du, was machst

Tu hier?"

Gertrud machte ein noch glcichgiltigercs Gesicht. „Ich? — Oh, ich wollte nur sehen, ob Doktor Brinkmann kommt! Weißt Tu, wegen der Frcmdcnstubc!" Sic sahen einander nicht an. Die eine blickte links, die andere rechts durch das Fenster. Aber nach einer Weile — Links seufzte etwas, und rechts seufzte etivas. Und plötzlich hielten sich die beiden Schwestern in den Armen und schlnchztcn .. . und schluchzten ...

„Ach so! Brav von Ihnen, brav! Sie können die Kirschen auch nachher gleich probieren! Es giebt ivelchc zum Abendbrot! . . . Was? Wieder fort wollen Sic? — Unsinn! Keine Fiscmatenten gemacht und hier geblieben! . . . Zum Henker, so legen Sie doch den schwere» Pelz ab! — Na, endlich! . . . Ah! Donnerwetter! Wohl ein ganz neuer Frack, Ihr Frack da? Und alles wegen der Kirschen! Haha! — Na, hier herein! Ins Dunkelzimmer! Heut abend sind wir alle mal

wieder Kinder! . . . Na, Mädels, wo steckt Ihr denn?" Er hatte die Thür geöffnet und Herrn von Berg vor sich her in das Zimmer geschoben. „Hier, Papa!" antwortete Lisa lachend. „Guten Abend, Herr

von Berg!"

Sie schüttelten sich im Dunkeln die Hände. „Na, und die andere? die Trude?" fragte Papa Meinhard und rieb ein Streichholz an. Gertrud antwortete nicht. Sic saß in der Ecke des kleinen Sophas »eben dem Fenster und konnte nicht eine Silbe hervorbringen. In dem schwachen Lichte des Streichholzes sah ihr blaßcs Gestchtihen ängstlich und furchtsam zu Herrn von Berg hinüber. Herr von Berg machte ein paar zögernde Schritte zu ihr hin. Kaum aber war das Streichholz erloschen, als Gertrud aufstand und lautlos durch das dnitkle Zimmer in die entgegengesetzte Ecke flüchtete. „Was fällt ihr denn ein?" dachte Lisa, die auf dem Sofa fitzen geblieben war.

„Warum läuft sic fort?" Herr von Berg blieb neben dem Sofa stehen. Er räusperte sich ein paarmal, als ob er etwas sagen wollte. Aber er

Und cs war erfrischend kühl in der Tnrmstube . . .

Um fünf Uhr brachte der Tclegraphenbote wieder ein Tele¬ gramm. Papa Meinhard riß cs in Gegenwart der beiden „Kückels" auf.

„Der Junge

ist

sagte nichts.

Plötzlich beugte er sich herab, ergriff Lisas, auf der Sosalchne liegende Hand und drückte sie so heftig, daß Lisa beinahe aufgeschrieen hätte.

wohl ver¬

rückt?" rief er dann, nachdem er gelesen. „Cr telegraphiert, ob ich ihm von jetzt an statt der zweihundert Mark nicht

vierhundert schuß geben

Mark Monatszukann!

.

. .

„Herrgott,

warum zer¬ Hand?"

Und dann

fiel ihr

quetscht er mir denn die dachte Lisa ivicder.

daß

Wenn

eben

bei dem Licht

ein, des

Streichholzes Gertrud hier ge¬ hatte, und sie drückte Herr» von Berg die Hand wieder, einmal, zweimal, drei¬ mal . . . In diesem Augenblick klin¬ gelte Mama Meinhard drinnen im Bescherungszimnicr, die Thür flog weit ans, das helle, fröhliche Wcihnachtslicht des strahlenden Tanncnbaumcs fiel herein . . . Herr von Berg starrte ver¬ blüfft Lisa an und ließ ihre Lisa sprang Hand fallen. davon, allen voran lachend in das kcrzcnhcllc, duftende, glitzernde, trauliche Weihnachtsziinmer, aus dcni die v.llcn weichen Töne des Hariiioiiinnis herausdrangen . . . „O du fröhliche, o du selige, gnadeubringcudc Weihnachts¬ zeit . . ." begann eine tiefe, machtvolle Männerstimme zu

nur nicht gespielt hat! . . . Hm, aber in der Patsche kann ich ihn doch nicht sitzen lassen, wie? Also . . Und er gab dem Boten gleich die Rückantwort mit, die übrigens von Willy bereits be¬ zahlt war. „Vierhundert? Ja! Aber wozu? Donnerwetter! Fröh¬ liche Weihnacht! . . . Papa." er

sessen

Es war halb sechs. Mama Meinhard trieb die beide» Mäd¬ chen und ihren Manu in das dunkle Zimmer neben der Bcscherungsstubc.

„Knecht Ruprecht kann Augenblick koiunieu!" „Wenn Ihr ihn scherzte sic. seht, werdet Ihr blind! Also marsch, Kinder, marsch! Und daß Ihr mir nicht durch das Schlüsselloch guckt!"

jeden

singen.

Sic ging eilig hinaus. Fünf Mi»nie» später klin¬ gelte es: aber nicht i» der Be¬ scherungsstube, sondern draußen auf dem Hofe. Ein Schlitten

war vorgesahrcn.

Gertrud stand für einen Augenblick das Herz still, und Lieschen so laut, daß sie es hörte. Papa Meinhard ging, um nachzusehen. Man hörte seine Stimme ans dein Hose, man hörte ihn lachen, man hörte auch eine andere, fremde Stimme antworten, aber man konnte nicht verstehen. Tann klingelte der Schlitten wieder fort, und eine Zeitlang war

klopfte cs

alles still.

Alle stimmten ein. Nur Lisa nicht. Regungs¬ los mitten im Zimmer stehend, starrte sie aus de» Mann mit dem langen, schwarzen Voll¬ bart, der da am Harmonium saß und spielte und sang . . . So hatte er zum letztenmalc vor vier Jahren auch da gesessen und gespielt und gesungen . . . Und nun wandte er ein wenig den Kopf und lachte und nickte

ihr

zu.

Es wurde Lisa ganz seltsam heiß und selig im Herzen, als sic ihn lächeln und nicken sah. Wie vor vier Jahren. Und mit eincuiuiale quoll cs und jubelte es aus ihr hervor, daß sie selbst vor dem hellen, zitternden Ton erschrak, der ihr über die Lippen strömte . . . „O du fröhliche, o du selige, gundeubringcndc Weihnachtszeit . . Nie zuvor hatte Lisa so gesungen. so

Bis Papa Meinhard wieder in dem dunklen Zimmer erschien. „Es war der Knecht Ruprecht!" sagte er, und seine Stimme gluckste eigentümlich dabei. Als ob er lachte. * Um dreiviertel

sechs

*

*

*

klingelte abermals ein Schlitten auf dem Hofe. „Noch ein Knecht

„Nanu?" rief Papa Meinhard hinauseilend.

Ruprecht?" Gertrud klopfte das Herz so laut, daß sie es hörte, und Lieschen stand es für einen Augenblick still. „Famos, das; Sie kommen, Herr von Berg!" schallte vom Hausflur her Papas mächtige Stimme herein. „Ist Ihnen wohl zu einsam geworden in Ihrer Junggcscllenbude?" ich ich wollte nur . . . Ihre Frau Gemahlin soll „Ich

...

...

ein so ausgezeichnetes Rezept besitzen . . ." „Ein Rezept? Was für ein Rezept?" „Zum . . . zum Kirschen-Einmachen!

Ja, und da wollte

bitten . . ." Man hörte Papa Meinhard dröhnend lachen.

noch schnell

ich sie

* Von da war ihr alles wie ein Traum.

*

Denn cs gingen ganz merkwürdige Dinge da um sic her vor, Dinge, 'Dieso merkwürdig, daß mau sic nur im Traum erleben konnte. Lichter brannten so hell und so feierlich, und der Tanncnbauiu duftete so würzig und so wunderbar, und Doktor Brinkmann spielte so herrlich und sang so . . so . . unbeschreiblich, und Papa und Mama hielten sich umschlungen und sahen so gut und so glücklich aus, und Gertrud sah auch so glücklich aus, da sie neben Herrn von Berg stand und hörte, >vas er ihr zuflüsterte . . . Und dann sah sic strahlend zu ihm auf und nickte ihui-zu, und dann lief sic fort zu ihren, Bescherungstisch und that, als ivenn sie nun die -ganze Welt gar nichts mehr anginge. Herr von Berg aber wurde plötzlich ganz blaß. Er riß a» seinem Halskragen, als wenn er am Ersticken wäre, und zupfte an seinem neuen

iynirf herum, als wenn ihm der zu eng wäre, und dauu — miteinemmale zog er sei» Taschentuch heraus, ftielt cs sich vor das Gesicht und hustete entsetzlich hinein.

Papa Meinhard trat zu ihm und klopfte ihm lachend den Rücken. Hcrg von Berg aber flüsterte ihm hinter dem Taschentuch hervor eine, wie es schien, sehr lange Geschichte zu von . . . Lisa verstand nur hin und wieder ein Wort. Es war etwas dabei von Stechfliegen . . und von Grünsüttcrung . . und von Radieschensamcn . . und von eingemachten Kirschen . . . Und Papa Meinhard winkte Mama Meinhard heran, und daun winkte er auch Gertrud heran, die so langsam kam, als ob ihr die Füße furchtbar weh thäten. Und plötzlich hatte dieser Herr von Berg die Trudel im Arm und küßte sic.

Und die Trudel küßte ihn wieder. Lisa starrte darauf hin, wie verzaubert. Auch Professor Fritz Brinkmann war alles wie ein Traum. Gerade wie früher war es. Die Lichter brannten so hell und so feierlich, und der Tannenbaum duftete so würzig und so wunderbar, und Papa und Mama Meinhard standen da und hielten sich um¬ schlungen, die Guten, und noch ein paar Menschen standen da und der Mitte des Zimmers, gerade unter hielte» sich auch umschlungen. dem grünen Weihn nchtsbanm stand ein seltsames Wesen, ein Wesen, wie er nie zuvor eins gesehen hatte, ein reizendes, süßes, lachendes Wesen mit goldblonde» Haaren und gro¬ ßen, blauen, strahlenden Augen. Wie ein Kind sah das Wesen aus, und wie ein er¬ wachsenes Mädchen zugleich. Leise ließ crdasHarmonium ausklingcn in einem weichen, verhallenden Akkord. Und dann stand er neben dem seltsamen

In

Wesen,

dem

Professor Brinkmann aber stand vor der Puppe und starrte sie an. Und plötzlich wurde ihm etwas klar. Herrgott ja! Bor vier Jahren war Lisa dreizehn gewesen, und er — er hatte die vier Jahre vergessen. Vergessen! Verschlafen! Verbüfselt!

Verträumt! Rach einer Viertelstunde kam Lisa zurück. Sie sah sehr ernst und Um ihre Augen lag etwas Müdes, gesetzt und erwachsen ans. Verschleiertes, als ob sie geweint hätte. Ohne jemand anzusehen, ging sie geradeswegs zu Papa Meinhart und hielt ihm ein Papier hin, das sic in der Hand trug. „Schon wieder ein Telegramm, Papa!" Papa Meinhart riß es auf nnd sah zuerst nach der Unterschrift. „Von Willy?" rief er. „Zum Henker, was will denn der Junge schon wieder? Ist er mit den vierhundert Mark Monatszuschuß noch

furchtbar

nicht zufrieden?" Er zerknitterte das Telegramm ärgerlich in der Hand. Mama Meinhnrt löste ihm sanft die geballte Fanst. „Aber so lies doch erst, Alterchen!" sagte sie und glättete das Papier.

Er sah hinein. „Der Junge! Der Junge!"

schrie er dann plötzlich auf. „Verrückt Verrückt! Deshalb also ist er dienstlich verhindert, sollen wir ihm den Daumen halten, braucht er vierhundert per Monat! Solch ein Filou! Ein Schwerenöter! Ein Galgenstrick!" Er rannte im Zimmer um¬ her, lachend, das Telegramm in der Luft schwenkend, immer rund um den Weihnachtsbaum herum. Alle sahen ihn erstaunt an. „Um Gottes willen, Alter!" fragte Frau Meinhart endlich angstvoll. „Was hat er denn verbrochen?"

ist er!

Papa

Mädchen. sich

Tochter vom Oberst Werben, verlobt! Hurrah! — Willy!" Eine lautlose Stille der

nnt einem Blitz über ihn hin und sahen dann wieder auf Gertrud und Berg. „Ganz und gar nicht!" gab sie ebenso leise und ebenso lächelnd zurück.

flogen

„Mit

in

mit halblauter Stimmet „Eben mit Mia Werbe»,

meiner

noch, Fräulein Lieschen," fragte er leise und lächelnd.

Ihre Augen

fiel

„Verbrochen?" stöhnte er atemlos. „Da! Lies cs selbst!" Und Mama Meinhart las

Kinde und dem

„Erinnern^Sie

Meinhart

einen Sessel.

Uebcrraschuug

ihren

Worten.

dieser

wem hab -

Ehre?" „Ich bin ein armer Schul¬ meister!" scherzte er weiter. „Fritz Brinkmann ist mein Nanic. Und heute morgen bin ich Professor geworden!" Sie fuhr zu ihm herum. In ihren Auge» war ein ich die

,

Und sagte

nach

inmitten Professor

Brinkmann laut und deutlich: „Verlobt? Ter Junge, der Willy? — Herrgott, und ich habe ihm einen Homer zu Weihnachten mitgebracht!" Kopfschüttelnd stand er noch immer vor der Puppe. Papa Meinhart lachte. „Schadet nichts, Professor! Wir schicken ihm den Homer doch. Er ist Artillerist, und da kann er die Belagerung von Troja studieren!"

a

glückliches Leuchten.

„Ach, wahrhaftig? Pro¬ Das freut »sich! Das freut mich! Rein, wie mich das freut! Wie mich das freut!" „Ja, und . . und ich will Er wurde ich . . ." nun merkwürdig verlegen. Fast so verlegen, wie Herr von Berg immer geivcsen war, wenn er von den Stechfliege» und dem Grüufuttcr und den anderen

Stille

herrschte

fessor?

In

...

Vizr-Admir al VendrrNÄNN.

Seltsamkeiten gesprochen hatte.

„Nun? Sic wollten nun . .?" fragte sic neckend. „Ich . . ich will Ihnen nun auch zeigen," stieß er heraus und nahm von dem Harmonium ein großes, längliches Etwas, das in Seidenpapicr eingewickelt war „was ich Ihnen mitgebracht habe. — Ta!" Er legte cs vor sie aus den Tisch. Neugierig ivickeltc Lisa es aus. Und da lag es denn auf dem Tisch, in einem rosascidcucu Kleidchen, .

mit blonden Haaren und großen blauen Augen, die Fußspitzen »ach innen gedreht, als wenn die Beine vertauscht wären, die Arme starr nach oöen ausgestreckt. „Eine Puppe!" schrie Lisa auf und sah den Profestor erstaunt an. „Eine Puppe!" Er nickte ihr zu.

„Ja! Sic kann die Arme bewegen, und die Hände, nnd die Füße, und die Augen anch! Und schreien kann sic auch! Hören Sic nur!" Er drückte der Puppe auf den Brustkasten. Und die Puppe schrie mit einer jämmerliche», dünnen, piepsigen Stimme. „Acääh! Acääh!" Fritz Brinkmann lachte vergnügt auf. „Ein Prachtexemplar, was? Und wie sie Ihnen ähnlich ist! Wie aus den Augen geschnitten! Und . . ." Er vollendete nicht. Er brach plötzlich ab und fuhr zu Lisa herum. Lisa hatte ein Lachen ausgcstoßen, ein seltsames, gereiztes, halb spöttisches, halb schluchzendes Lachen. „Mir ähnlich! Ich schreie also auch so: Aeääh!? Ich bin also noch ein ganz, ganz kleines Mädchen? Und ich spiele »och mit Puppen?" Sie machte ihni einen scheußlich höhnischen Knix. „Ich danke Ihnen, Herr Professor! Ich danke Ihnen!" Im nächsten Augenblick war sie draußen.

deut

Stitnmcngewirr,

das nun folgte, stand Lisa plötz¬ lich wieder neben ProfessorBrinkr mann. Niemand achtete auf die beide», und auch sie achteten

auf niemand. Es war ihnen, als wären sie ganz allein mit¬ einander auf der Welt; mitein¬ ander, und mit dem grünen Wcihnachtsbauni über ihren Häuptern uud mit der Puppe vor ihnen auf dem Tisch. Sie schwiegen eine Weile. „Es ist übrigens schön von Ihnen gewesen, daß Sic Willy den Homer mitgebracht habe», Herr Professor!" sagte Lisa dann leise mit einem lächelnden Blick durch den Lidwinkcl in sein Gesicht.

Er

zuckte die Achseln.

..Schön? Wieso? Ich finde es geradezu borniert von mir! Vier lange Jahre so ganz zu vergessen!" Sie streichelte der Puppe das blonde Haar. „O! Aber jedenfalls — wenn Sic Willy den Homer nicht mit¬ gebracht hätten, hätte ich wirklich geglaubt. Sie wollten sich über mich lustig machen!" „Lustig machen?" Er sah ihr ernsthaft in die Augen, so ernsthaft, daß sie sie niederschlagen mußte. „Daran habe ich bei Gott nicht gedacht,

als

Ich dachte vielmehr. . ." Er stockte und wurde rot. „Run, was dachten Sie?" „Es war — es war etwas — wie ein Traum! Ich träumte —" Und Professor Brinkmann erzählte Lisa Meinhart, was er im

ich sie kaufte.

Weihnachtsbazar heute morgen geträumt hatte. Daß er nun Professor ivar und ein Antritlskolleg über das deutsche Volkstum halten wollte. Daß er nun in der Lage war, eine Familie zu gründen, und daß er solch eine Fainilie auch gründen wollte, eine Familie voll Wärutc, voll Licht, voll Poesie. Und voll Liebe. Lisa war ganz blaß geworden. Ihre Hand streichelte krampfhaft die Puppe.

818

„Ach!" Brnclitc sie mühsam heraus. „Hub — inib — und da sind Sic jetzt, am Heiligen Abend, nicht bei Ihrer Braut?" „Bei meiner Braut?" wiederhatte er seltsam. „Wer weis;! Sie ist

nämlich blond, goldblond, ja! Und sic hat große, blaue Augen, ja! Und wenn sic spricht —" „Acäääh!" sprach die Puppe. Lisa batte, ohne cs zu wollen, die Stelle berührt, wo die Puppe ihre Stimme hatte. Fritz Brinkmann schivieg verblüfft und sah Lisa an. Lisa aber war jetzt sehr rot und sah ihn nicht an. Aber ein neckisches Lächeln flog über ihr Gesicht, daß in jeder ihrer rosigen Wangen ein Grübchen war. Und am Kinn hatte sie auch eines. „Blonde Augen soll sie haben?" stammelte sic verwirrt. „Und blaues Haar? Aber dann — da ist ja so eine!"

„Wo?"

„Na, da! Ihre Puppe!" Und in ein ganz unmotiviertes Schluchzen sic ihm die Puppe vors Gesicht. „Ihre Puppe! Ihre — Warum küssen Sie sie denn nicht?" Professor Brinkmann sah die Puppe einen Augenblick an, dann lachte er hell und jauchzend auf, nahm sie in seine Arme und küßte sie. ansbrechend, hielt

Nicht die Puppe. Lisa! Lisa Meinhart! Lieschen! „Na, da hört aber doch alles ans!" schrie Papa Meinhart.

„Drei

an einem Abend?! Nee, Kinder, ivas zu viel ist, ist z» viel!" Professor Brinkmann antwortete keine Silbe. Er that, als wenn alles sich von selbst verstände. Träumen verstand sich ja auch alles von selbst. Und das hier war ein Traum, ein WeihnachlstraumUnd Lieschen mit sich ziehend ging er zum Harmonium. „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit!" Und die Kerzen glänzten hell, und der Taunenbanm duftete, und die Menschen hatten einander so lieb und hielten sieh umschlungen, und ihre Stimmen schwangen sich auf zur Hohe und jauchzten in die stille, schweigende, sternenklare, helle, heilige Nacht hinaus. Nur eine sang nickt mit. Obwohl sie eine Stimme hatte. Denn sie war ja nur ein künstliches, seelenloses Geschöpf, aber doch ein liebes, prächtiges Geschöpf — Lieschens letzte Puppe.

In

Kunst und Wiffrnschafi. Theuter. Den Kindern gehörten die beiden letzten Wochen vor Weihnachten. Das „Nene Theater", das Berliner Theater" und tast not Ivast.

zehn Jahre später werden die kleinen Herrschaften allerdings anders denken; heute aber sind sie noch ganz Ohr, sic solgcn den Vorgängen ans der Bühne >»it großer Aufmerksamkeit. Es ist ein lieber Brauch, in der Weihnachtszeit für die Kinder zu sorgen; die Vorstellungen bilden das Kindergemüt und sind für dieses fördernder als die Cirkusvorstellungen am Sonntag, wo jeder Erwachsene ein Kind mitnehmen darf. „Frau Holle" und „Häusel und Gretel" sind ja auch viel schöner als Reiter- und Akrobatenkunststücke.

Berliner Chronik. Am 10. Dezember starb im 45. Lebensjahre am Gehirnschlage der Schauspieler Mar Löwe, der dem Berliner Publikum von seiner Thätigkeit am Theater Alt-Berlin und am Goethe-Theater bekannt ist. Zuletzt wirkte Löwe am Thalia-Theater als Eharakterfoniiker. Am 18. Dezeniber wurde am Hause Taubenstrase 32, in dem der Dichter 1823 gewohnt hat, eine Gedenktafel für Heinrich Heine angebracht, die aus grünem Syenit gefertigt ist und die Inschrift trägt: „Hier wohnte 1823 Heinrich Heine sgeboren 18. Dezember 1799, ge¬ storben 17. Februar 1856). Am 13. Dezember starb der Direktor des Luisenstädtischen Real¬ gymnasiums, Professor vr. George Rose, im t>1. Lebensjahre am Herzschlag. Am 13. Dezember starb im 82. Lebenjahr der Wirkliche Geheime Ober-Regierungsrat a. D. Adolf Friedrich Schartow, der dem landwirtschaftlichen Ministerium bis 1888 angehörte. Am 14. Dezember hat das Oberverivaltungsgericht die Be¬ rufung, die der Berliner Magistrat in Sachen des Portals zum Friedhof der Märzgefallenen eingelegt hatte, abgewiesen, da die Gefahr nahe liege, daß „das Bauwerk als eine Ehrung der Revolution" aufgefaßt werde und dazu diene, „die revolutionäre Gesinnung im Volke zu fördern und zu heben." — Der Magistrat hat von der Aufstellung eines neuen Planes für ein Friedhofsportal abgesehen und hat die Park-Deputation beauftragt, den Friedhof in einen angemessenen Zustand zu versetzen und in diesem zu erhalten. Am 15. Dezember feierte Adolf Glaser, seit 1856 Herausgeber der „Westermannschen Monatshefte", seinen 70. Geburtstag. Von Glasers eigenen Arbeiten verdient namentlich sein kulturhistorischer Roman

„Schlitzwang" Hervorhebung. Am 16. Dezember starb im 62. Lebensjahre der Wirkliche Gehcinic Oberregierungsrat Wilhelm Rommel, Senatspräsident am ObcrVerwaltungsgericht. Das Standbild des Kurfürsten Georg Wilhelm in der SicgeSallee, das von Kuno von Uechkritz modelliert ist, wird nach der Be¬ stimmung des Kaisers am 22. Dezember enthüllt werden. — Die am meisten beschädigten Kunstwerke der Siegesallce, die Büsten des Wendenfürsten Prybisläw, des Abtes Sibold, des Hermann von Salza »nd Eike von Repkow, sollen nach der neuesten Anordnung des Kaisers nicht ergänzt, sondern erneuert werden, wie das Ministerium den beteiligten

Künstlern Prof. Ungcr und Johannes Boese mitgeteilt hat. Dem „alten Auerbach" einem früheren Turnlehrer — er ist der Begründer zahlreicher Turn- und Badeanstalten — hat die Stadt Berlin einen jährlichen Ehrensold von 800 Mark bewilligt. Oberlehrer Professor Wüllen web er ist zum Direktor der 8. Real¬ schule ernannt worden. Ter badische Staat beabsichtigt das Grundstück Lcnnsstraße 9 für seine hiesige Gcsnndschaft zum Preise von 12001X10 Mark anzu¬ kaufen, da das Gebäude Behrenstraße 70 für die Zwecke der Gesandschaft nicht mehr ausreicht. Das Grundstück Mngazinstr. 3—11, auf dem sich das vor einigen Jahren abgebrannte Militär-Fourage-Magazin befand, und das im Sommer 1896 dem „Olympia -Riesen-Theater" diente, wird im Frühjahr 1900 wieder bebaut werde»; an der Alexandcrstraße wird ein umfangreiches Postauit, nach der Schillingstraße zu werden Stallungen sür die Pferde der Schutzmannschaft errichtet. Hoffentlich verschwindet nn» auch bald das in der Alexandcrstraße 10—11a bclegcne Riesen¬ gebäude, das früher dem 3. Bataillon des Kaiser Franz-Gardc-GrcnadierRegiments als Kaserne diente. Dieses noch immer im fiskalischen Besitz befindliche Gebäude, in dem zahlreiche kleine Mieter wohnen, gereicht der Gegend in hohem Maße zur Unzierde; das alte, baufällige Gemäuer, an dem sich überall der Mörtel ablöst, macht einen geradezu unheim¬ lichen Eindruck, der der deutschen Rcichshanptstadt unwürdig ist. Die alte Kaserne, in der ursprünglich das von Bornstädtsche Regiment lag, wurde 1784 gebaut. Auch das frühere Militärmagazin gehörte den letzten Regiernngsjahre» Friedrichs des Großen an: der große König halte das Magazin 1780 massiv errichten lassen; ein Holzmagazin für Heu und Stroh befand sich aber bereits seit 1740 an dieser Stelle.

Der

Akkumnlatorcnbctrieb der elektrischen Straßen¬ sich bei dem Schnee fall, der am 11. Dezember ein¬

bahnen hat

völlig unzulänglich erwiesen und zu V rkehrsstockungcn geführt, wie sie Berlin überhaupt noch nicht gesehen hat. Die über 300 Ecntner schweren Akkumulatoren-Ungctümc, die das Innere der Stadt .passiere», staute» sich zu einer Wagenburg, die alle» Anstrengungen der Menschenhand Stunden hindurch erfolgreichen Widerstand leistete und im Verkehr wahrhaft chaotische Zustände hervorrief. vr. zur. Otto Distel sgeboren 1853 in Tauesgrund in Westfalen) ist zum außerordentlichen Professor der hiesigen Universität ernannt worden, vr. Dickel gehört dem Amtsgericht I in Berlin seit 1884 als Amtsrichter an. Der Kaiser hat dem Direktor der Teutschen Bank vr. Georg Siemens den Adel verliehen. Diese Auszeichnung dürfte auf die Verdienste zurück'iiführen sei», die sich vr. Siemens um de» Ban der trat, als

Das Keine-Denkmal auf dem P«kre-Laüzaise in Paris.

dos

Königliche Opernhaus

Publikums.

„Erbauung"

sorgten

ist das rechte

für die Erbauung des kleinen Wort; denn die unverdorbenen

Gemüter betrachten das Theater nicht als ein Amüsement.

Zehn, fünf¬

819

Aiiatolischcn Bahn und die nunmehr gesicherte Anlage der Bagdadbahn erworben hat. Dr. Georg Siemens ist ein Better des verstorbenen Werner Siemens, dem Kaiser Friedrich 1888 den Adel verlieh. Die Sterblichkeit in Berlin war 1898 geringer als 1897. Die Zahl der Gestorbenen betrug 1898 30622, 1897 30574, d. h. pro 1000 Einwohner 17,65 (1897), gegen 17,20 (1898). Ungünstiger ist die Sterblichkeitsziffer für 1899, wo sie sich Ende November bereits auf 31200 belief. In der ersten Hälfte des Dezember hat Berlin seit zwanzig Jahren nicht eine Temperatur gehabst die der diesjährigen (15 Grad) gleich¬ kommt. 1898/99 fiel das Thermometer nicht unter — 7,6 Gr., 1897/98 nicht unter —6,7 Gr. Eine Kälte, wie die jetzt herrschende, haben wir seit Februar 1895 nicht gehabt, wo sie auch nicht so heftig war. Die Fortschaffung des Schnees erforderte ein Aufgebot von 2560 Schnceschippern zum Tagelohn von 2,25 Mark und von 1200 Last¬ wagen. Für die Fuhre Schnee muß die Stadt 2,50 Mark bezahlen. Das Automobil hat sich im Schnee ebensowenig bewährt wie die Akkumulatorenwagen: die beiden automobilen Postpakct-Bestellwagen mußten außer Betrieb gesetzt werden, weil die Räder sich hilflos auf dem glatte» Schnee bewegten, ohne die Wagen vorwärts zu bringen. Bewährt hat sich dagegen die Thierische Motordroschke und der vor kurzem in Betrieb gestellte elektrische Hotel-Omnibus, die beide mit Gummireisen versehen sind. Es scheint jedoch zweiselhaft, ob Gummi¬ reifen auch für automobile Lastwagen verwendbar sind. Der Geheime Medizinalrat Professor Dr. Dönitz vom Institut für experimentelle Therapie (geboren 1838 in Berlin), ist zum Vorsteher der Krankcnabteilung des Instituts für Infektionskrankheiten berufen worden. Der vortragende Rat im Reichsschatzamt Plath, der dem letzteren seit 1888 angehörst ist zum Wirklichen Geheinicn Ober-Rcgicrungsrat mit dem Range eines Rates erster Klasse ernannt worden. Eine neue Unfallstation ist Badstraße 67 errichtet worden. Der Herzog-Regent Johann Albrecht von Mecklenburg hat das Protektorat über das Kolonial-Museum übernommeu.

Märkische Chronik. Pankows Einwohnerzahl hat sich in neun Jahren ver¬ dreifacht: sie bezifferte sich 1. November 1890 aus 6990 Seelen und

am 1. November 1899 auf 19 330. Grunewald. Die Gemeinde Grunewald will eine große Radfahrstraße vom Kurfürstendainm bis zum Jagdschloß „Stern" her¬ stelle». Zur Zeit schweben über die Angelegenheit noch Verhandlungen mit der Forstbehördc. Tegel. Am 12. Dezember statteten der Bürgermeister Kirschner und mehrere Stadträtc, einer Einladung der Firma A. Borsig folgend, dem jetzt vollendeten Borsigwerk in Tegel einen Besuch ab. Das Werk umfaßt ein Areal von 115 Morgen und beschäftigt gegenwärtig 2100 Arbeiter. Freienwalde a. O. Die Orgclbauanstalt Wilhelm Sauer in Frankfurt a. O. hat für die hiesige altehrwürdige Nikolaikirche eine große Orgel gebaut, die gegenwärtig zur Aufstellung gelangt.

allen Teilen des Reiches strömen die großen und kleineli Pakete zu¬ sammen, die auf den Weidnachtstischen der Hauptstadt prangen sollen. Ta die erdrückende Mehrzahl der Berliner aus Provinzler» bestehst ist das Band, durch welches Berlin mit der Provinz verbunden wird, ein festes, und zur Weihnachtszeit macht es sich im Postpaketamt schwer fühlbar. Hunderttausende von Paketen speien die Bahnzüge aus. Sie stapeln sich zu Bergen von schwindelnder Höhe in den Räumen des Post¬ amtes auf. Das Beamtenpersonal ist bis auf den letzten Mann aufgeboten, Hilfskräfte sind eingestellt, und alle arbeiten mit unermüdlicher Hast, um der unaufhörlich sich vermehrenden Gaben Herr zu werden. Es ist unglaub¬ lich, wie der Weihnachtsmann den Postbeamten zu schassen macht, unglaublich, wieviele Erwartungen zu erfüllen er imstande ist. Und die Bewältigung all der Pakete, ihre Verteilung auf die Pvstbezirke ist nur ein Teil der schweren Arbeit. Zur Beförderung der Sendungen an die Adressaten reicht weder das Fahrpcrsonal noch die Zahl der Postwagen ans. Ta werden die Kremser, die sich von den sommerlichen Land¬ partien ausruhen und in den Remisen der Fuhrherren den Winterschlaf halten, hervorgeholt, für die letzten Tage vor Weihnachten gemietet und mit angeworbenen Hilfsmannschaftcn in Dienst gestellt. Das eine unserer beiden Bilder zeigt die Einholung der Pakete in die Räume des Postpakelnmts, das andere den Park der gemieteten Kremser im weiten Hof des Postamts. Der Weihnachtsmann macht der Post viel zu schaffen, aber so schwierig die Aufgabe auch ist, die ihr gestellt wird, sie bewältigt fic doch, und wenn die Gaben auf dem Weihnachtstisch prangen, so denkt niemand, welche Mühen cs gekostet hast ihr rechtzeitiges Eintreffen zu ermöglichen. r Kranzlers Erste. Seitdem Berlin Weltstadt geworden ist, ver¬ ändert es sein Aussehen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, die folgende Generation reißt nieder, was die vorangehende gebaut, und nicht einmal die öffentlichen Gebäude und Anlagen machen eine Ausnahme. Was hat sich beispielsweise aus dem gemütlichen, spießbürgerlichen Berlin der vormärzlichen Zeit in die Gegenwart hinüber gerettet? Bon pri¬ vaten Gebäuden erstaunlich wenige! Zn den bemerkenswertesten ge¬ hört berühmte Ecke (Unter den Linden 25). Die Begründer, Kranzlerschc Konditorei ist eine der ältesten in Berlin. G. Kranzler, der seinen Beruf in Wien erlernst in dessen Rahe er geboren wurde, kam mit dem Staatskanzler Grafen Hardenberg nach Berlin, wo er im Jahre 1824 eine Konditorei begründete. Sein Ge¬ schäft, das nach seinem 1866 erfolgten Tode seine Söhne Martin und Alfred Kranzler übernahmen, und das sich seit 1869 im alleinigen Besitze des letzteren befindet, lag zuerst Unter den Linden 22: später kaufte der Begründer das Haus Nr. 25, Ecke der Friedrichstraße, und die hier errichtete Konditorei mit der kleinen, aus Sandstein hergestellten Terrasse, die mit einem einfachen eisernen Geländer versehen ist, hat sich länger als zwei Generationen unverändert erhalten — ein historisches Stück Alt-Berlin mitten in dem weltstädtischen Gewühl der Linden und der Fricdrichstraßc. Was hat die Kranzlcrsche Ecke nicht alles an sich vorüber fiuten sehen! Wenn ihre Steine reden könnte», würden sic nicht nur von vielen tausenden Tassen Kaffee und Schokolade sprechen, die hier, sieben Jahr¬ zehnte hindurch, von elegant gekleideten Männlein und Wciblcin geichlürst worden sind, sondern sic würden ei» gut Teil preußischer und deutscher Geschichte erzählen können. Im Revolutionsjahr fanden an der Kranzlerschc» Ecke allabendlich Versammlungen statt, und von der Sandsteinterrassc verkündigten die „Demagogen" ihre politische Weisheit und klärten die Beisall klatschende oder johlende Menge über die Konstitution und über die Rechte des Staatsbürgers auf oder predigten Haß gegen die Junker oder gar Aufruhr und Brand. Das war die den auf die Sturm- und Trnngperiodc der Kranzlerschrn Ecke. Rcvolutions- und die Reaktionszeit folgenden Jahren, in der großen Zeit der deutschen Esnignngskriege, war die historische Ecke Zeugin der Triumphe, die das preußische Königshaus und mit ihm das preußische und das deutsche Volk gefeiert hat. Was die via triumphalis Berlins an Freud und Leid gesehen in den letzten siebe» Jahrzehnten, das ist auch au Kranzlers Ecke vorübcgerauscht: Einzüge siegreich heimkehrender Truppen, Einstige fürstlicher Brautpaare, Einzüge fremder Herrscher, der

Kranzlers

I.

Ihr

In

Kleine Mitteilungen. Vier neue Vizeadmirale. Die Kontrcadmiralc Prinz Heinrich von Preußen und Bendeman» sind, ebenso ivic Staatssekretär Tirpitz und der Chef des Marinekabinetts von Scnden-Bibran, zu

Vizeadmiralen befördert worden. Prinz Heinrich war an; 15. Sep¬ tember 1895 zum Kontrcadmiral befördert, er hat wenige Monate jüngeres Patent um ein also als Staatssekretär Tirpitz, welcher am 13. Mai des genannten Jahres Kontrcadmiral geworden war. Prinz Heinrich ist am 14. August 1872 Leutnant zur See geworden, avancierte am 18. Oktober 1881 zum Obericutnant, am 18. Oktober 1884 zum Kapitänleutnant, am 18. Oktober 1887 zum Korvettenkapitän, am Als 27. Februar 1889 zum Kapitän zur See. jüngsten Oberleutnant finden wir ihn auf der Marine¬ schule, als Kapitänleutnani thut er Dienst auf der Kreuzerfregatte „Stein" (Freiwilligcn-Schnlschiff), dann besucht er die Marineakadcmic (II), und weiter ist er erster Offizier auf dem Panzer „Oldenburg", Führer Als der 2. Kompagnie der I. Matrosendioiston. Kapitän z. S. komniandicrt er den Kreuzer „Irene", ist Kommandeur der I. Matroscndivision, kommandiert den Panzer „Sachsen" und als rangältester Kapitän das Panzerschiff „Wörth". Als Kontrcadmiral ist er ein Jahr lang beurlaubt; dann wird er Chef der II. Division des I. Geschwaders, geht dann nach Ostasien, um die II. Division des Kreuzer-geschwaders, die aus dem damalige» Kreuzer I. Klasse „Deutschland", dem Kreuzer II. Klasse „Kaiserin Augusta", dem Kreuzer III. Klaffe „Gcfion" bestand, zu befehligen. Rack,dem der Geschmaderchef von Diederichs abberufen worden, ivurdc er dessen Nachfolger, während als zweiter Admiral Kontrcadmiral Fritze nach Ostasien aing. Prinz Heinrichs Rückkehr aus Ostasien ist in der zweiten Märzwochc 1900 zu erwarten. Der Weihnachtsmann hat es in einer so großen Stadt ivie Berlin nicht leicht, überallhin seine Gaben rechtzeitig zu bringen. Ans

Kranzlers Ecke. (Nach einer Karikatur aus den vierziger Jahren.)

Traucrzug, der die sterbliche Hülle Kaiser Wilhelms I. nach Charlottenburg führte, kurz, alles, was Berlin seit zwei Menschenaltcrn in Freud und Leid bewegt hat. Im Wechsel der Zeiten ist diese Ecke unverändert geblieben, und wer seit fünfzig Jahren Berlin nicht gesehen hat, der

820

würde mit Staunen wahrnehmen, daß er an der Ecke der Linden und Friedrichstratze noch ein Stück Berlin aus den vierziger Jahren vorfindet. Dieser Zeit gehört unser Bild an — natürlich eine Karikatur, welche die Nachlässigkeit verspotten will, mit der die vornehme Welt sich vor fünfzig Jahren auf Kranzlers Terrasse bewegte. Der Zeichner des Spottbildes hat es besonders auf die Nonchalance der Herren Leutnants abgesehen, die sich mit ihren langen Beinen in unglaublichen Stellungen auf dem Geländer „rekeln". So saßen — wenn auch nicht ganz so ungeniert — vor fünfzig Jahren die Leute auf Kranzlers Terrasse, die sich beim Kaffeetrinken oder Eisessen von den Vorüber¬ gehenden bewundern lassen wollten, und auch heute noch besitzt die Kränzlersche Ecke eine unverminderte Anziehungskraft, so daß an schönen Nachniittagen auf der kleinen Terrasse kein Plätzchen frei ist. Daß es nach abermals fünfzig Jahre» noch ebenso sei, und daß die Kranzlerschc Konditorei, die in diesem Jahr auf ein 75jährigcs Bestehen zurückblickt, auch fernerhin blühen und gedeihen möge, das wünschen wir dieser alten, ehrenwerten Berliner Firma von Herzen!

R. G.

Humor im Kirchenbau. Die Wahrheit des französischen Wortes: Vom Erhabenen bis zum Lächerlichen ist nur ein Schritt—, drängt sich eigentümlicher Weise nicht selten dem aufmerksamen Beschauer.bei Kirchen gotischen Stiles auf, welchen wir, wie das geflügelte Wort, bekanntlich ebenfalls von Frankreich übernommen haben: denn das Auge erblickt unter dem massenhaften Schmuck- und Zierwcrk, mit welchem gotische Kirchenbauten so reich bedacht zu sein pflegen, zuweilen recht groteske oder gar profane Episoden, wie Teufel, Ungeheuer, Drachen u, s, w,, welche uns mit dem Ganzen nicht immer zu harmonieren scheinen. Ver¬ hältnismäßig reich an solchen Sachen isl das Straßburger Münster, nicht blos; an seinen äußeren Teilen, sondern auch im Innern, und ein eigentümliches Steinrelief, welches lange Zeit der Gegenstand eingehender Untersuchung und Forschung gewesen ist, bis es vor etwa 200 Jahren verschwand, mag hier nach älteren Erläuterungen in seiner ehemaligen Gestalt den Lesern vorgeführt werden. Gegenüber der Kanzel im Münster an einem Säulenkopfe in Stein gehauen zeigten sich ehedem zwei wunderscltsamc Reliefbilder,

Das erste schien eine Prozession darzustellen: Ein Bür mit dem Weihwasser zog voran, ihm folgte ein Wolf mit dem Kreuze, diesem ein Hase mit der Weihkcrze, endlich eine Sau und ein Bock, welche auf einer Trage das vorgebliche Heiligtum, einen schlafenden Fuchs, trugen, unter dem sich ein Hund zu schaffen machte. Das zweite Bild sollte wohl eine Messe bedeuten: Ein Hirsch vor dem Altar in einem Buche, vielleicht in der Bibel, lesend und den Kelch vor sich, assistiert von ciueni Esel, welcher aus mehreren von einer Katze gehaltenen losen Blättern zu frugen (sit venia verbo!) scheint, Ucbcreinstimmenden Nachrichten zufolge sind diese beiden Ncliefbilder im Jahre 1298 von einem Steinmetzen im Münster angebracht, im Jahre 1685 jedoch wieder abgehauen worden, Ihre Deutung ist eine sehr verschiedene, wir besitzen deren zwei von damals lebenden Augenzeugen, Johann Fischart, der berühmte Satyrikcr des Elsasses, hält die Bilder in seiner 1608 zu Straßburg erschienenen gereimte» Erklärung für Spottbilder auf das Papsttum, während Mönch Johann Naß in einer 1H83 zu Ingolstadt erschienenen, ebenfalls gereimten Auslegung dieselben Bilder als gegen das Luthertum gerichtet kommentiert, .

Hören wir beide Deutungen: Jene Bildnisse, erklärt Naß, sollen die schlechten und ungetreuen Sekten darstelle», welche die heilige Schrift verfälschen; sie sind gleich Prophezeiungen; denn diejenigen Bildhauer, welche sie vor 300 Jahren, als es noch keine solchen.Irrlehren gab, errichtet haben, seien fromme Männer gewesen und, vom heiligen Geist unterrichtet, haben sie schon damals erschaut, daß dem alten Glauben dereinst viele abfallen würden. Wie es aber bei diesen Sekten zugeht, haben sie hier in Stein gehauen. Der schlafende Fuchs bedeutet Luthers Ketzerei, welche getragen wird von Bock und Sau, des Antichrists Boten, und verbreitet wird von Wolf und Bär, den Kirchen- und Bilderstürmern, denen viel zaghafte, gottesfürchtigc Häslein, wie das im Bilde, mit dem Wahrheitslichte nachziehen, Luthers Lehre in Gestalt des schlafenden Fuchses gebührt dem darunter liegenden Hunde eigentlich als Beute, der Esel und der Hirsch sind verlaufene Mönche, welche deutsche Messe lesen, ungcweihte Gesellen, die jedem den Kelch vorsetzen, neue Kirchenordnungen und neue Bihelauslegungen machen wollen, unterstützt von den Protestanten, den Katzen, welche den Eseln die Bücher tragen helfen, um Kirchengüter zu erjagen, Fischart sagt dagegen: Mit den beiden Bildern, welche im Münster vor 300 Jahren, als viele römische Mißbräuche überwucherten, an¬ gebracht wurden, wollten die Bildhauer, „denn da die Brüder wurden Stock, mußten die Steine reden keck," dem römischen Priestertume, weil Der es gern mit Puppenbildern umging, einen Spiegel aufstecken. schlafende Fuchs ist das Heuchlertum oder auch der Papst, aller Füchse Barer, getragen von den römischen Priestern, welche Säue und Böcke sind, trotz ihrer Chorröcke, Die Hündin ist die Pfarrersköchin. Bär und Wolf sind die blutigen und grausamen Vorkämpfer der Kirche; der Hase repräsentiert die einfältigen Gläubigen, Dumme Priester, welche nichts von ihrem Amte verstehen, werden durch den messelesenden Hirsch, dem das Gehirn fehlt, und auch durch den Esel, welchem eine Klosterkatze zu Diensten ist, versinnbildlicht. Die falsche Kirche ist hier überhaupt durch Tiere abgebildet. Beide Erklärungen geben zu mancherlei Bedenken Anlaß, schon weil beide übertrieben erscheinen. Immerhin dürfte die Auslegung Fischarts der ursprünglichen Bedeutung der Spottbildcr am nächsten kommen. Im Jahre 1298 dachte noch niemand an das Luthertum, am wenigsten die Bildhauer des Münsters, womit der Naßischen Erklärung sofort aller Halt entzogen ist. Wohl aber begegnen wir in der katholischen Kirche, insbesondere im Straßburger Münster, ähnlichen schcrzhaft-satprischcn Erscheinungen, welche die Geistlichkeit nicht nur duldete, sondern, wie beispielsweise den alles verlästernden Rohraffcn, nicht selten selbst unter¬ stützte, wodurch jedenfalls die Möglichkeit, daß Fischarts Deutung eine richtige sein kann, dargethan ist. Im Bewußtsein ihrer Macht ließ die BeramniorUicher Redakteur:

vr, M, Folticineano, Berlin,

katholische Kirche Jahrhunderte hindurch sich auf solche Unschädliche Art persiflieren, indem sie hierdurch nur ein um so größeres Publikum in die Gotteshäuser, zunächst liier ins Münster, leckte, wo Spaß und Spott gern und harmlos belacht wurden. Erst nach langem, vergeblichem Be¬ mühen reformlustiger Prediger, wie Gailers von Kaysersbcrg, verstand man sich dazu, derartige bei der großen Menge überaus beliebte Merkwürdigkcitcn des Münsters, vor allem den Rvhraffen, später die Tierbilder und andere profane Dinge, zu beseitigen, Sch.

Bücherkisch. „Tante Konstanze." Geheftet 8

Norddeutsche Novellen von

Mk,, in Prachtband 4 Mk.

Freund & Ieckel.

Julius Stinde.

Berlin,

Verlag von

Dies Buch dürfte zum Vorlesen in Familienkreisen geeignet sein. Es ist eine prächtige Gabe für die Winterabende und in seiner brillanten Ausstattung ein nicht genug zu empfehlendes Weihnachtsgeschenk. Dom Verlage F,

Fontane & Co., Berlin,

liegen uns einige

vor: „Aus dem letzten Hause" von Georg Hermann, Ein neues Skizzenbuch. — Preis 3 Mk, Das Buch enthält eine größere Geschichte, die dem Buch den Titel

neue Bücher

giebt, und eine Reihe kleiner Skizzen, die das eigenste Schaffensgebiet des Autors kennzeichnen, aber gegen die füheren Arbeiten in künst¬ lerischer Hinsicht eine vornehme Art des Empfindens und Erzählens ausweisen.

„Nur Weib."

Novellen von

Klaus Rittland, Preis

geh, Mk, 5,

geb, Mk, 6.50.

Die Verfasserin hat den Mut, für das „Nur Weibtum" ihres Ge¬ eine Lanze zu brechen und gegen die Entmciblichung des Weibes anzukämpfen, der die meisten federführenden Frauen ihre Bered¬ schlechts

samkeit leihen.

„Eysen", von Georg Freiherr

v. Ompteda. Deutscher Adel um 1900, Roman, Preis Mk, 10. diesen Charakteristiken steckt der eminent kulturhistorische Wert einer Arbeit, die kein Roman im landläufigen Sinne ist, sondern das giebt, was Ompteda will: ein Bild des deutschen Adels um 1900, Es ist die Leistung eines vornehmen Künstlers, der über den Parteien steht, mit offenem Auge sieht und mit warmem Herzen schafft, ohne beißende Kritik und ohne Verletzung des Adels, „Gefühlsklippen." Novellen von Emil Roland', Preis 3 Mk,

In

Geschichte einer Beziehung," „Die Erzieherin" und „Ver¬ Heimkehr" — diese drei Novellen vereinigt Emil Roland, unter dem Titel „Gefühlsklippeu". Das Hauptmotiv in jeder Erzählung ist das Scheitern einer Hoffnung, das Versinken eines Glückstraums — verzichten, entsagen. — Sämtliche Arbeiten liefern den Beweis einer

„Die

schlossene

hohen künstlerischen Reife,

>,Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens." Gesammelte Gedichte, Brief- und Tagebuchblätter aus den Jahren 1884—1899 ten, Preis drosch, Mk, 3, geb, Mk, 4, von^ Cäsar Klatsch Die Sammlung giebt in fortlaufender Linie die Entwicklung einer in

sich selbst immer klarer und fester werdenden Persönlichkeit, die sich vom Leben nicht unterkriegen läßt, die dem Kampf mit ihm aber nicht aus dem Wege geht und sich ins Reich der Träume flüchtet, sondern den Krieg aufnimmt und sich durchzwingt. „Das dritte Reich." Berliner Roman von Johannes Schlaf.

Preis 5 M, Die Charakterzeichuung ist von großer, zielbewußter Sicherheit, mit aller reichen Differenziertheit jener modernen Mittel, die gerade Schlaf als einer der ersten für unseren deutschen Roman und unser neues Drama selbst geschaffen. Jede einzige Gestalt des Romans zeigt eine Anschaulichkeit und Lebcnswahrheit, daß sie sich den besten Erzeugnissen der Romanlitteratur an die Seite stellen dürfen: es sind Menschen,

lebendige Menschen!

Teppich-Ausstellung.

Sehenswert

und

empfehlenswert

wie

der farbenprächtige, mit etwa 450 Illustrationen künstlerisch ausgestattete Weihnachts-Katalog des Berliner Teppich-Hauses Emil Lefevre, Oranieustraße 158, war, ist auch die diesjährige Weihnachts-Ausstellung der Firma, Das Arrangement in den vor Jahresfrist bedeutend ver¬ größerten Räumen jdieselben erstrecken sich jetzt Parterre und 1, Etage bis zur Prinzessinnenstraße) ist zweckmäßig getroffen und ermöglicht eine ebenso schnelle als bequeme Besichtigung aller Waren in allen Teilen des großen Ganzen, Die Preise variieren von 5 bis 500 Mark und darüber. Die weiteren Hauptarlikel des Hauses sind Steppdecken, Portieren, Möbelstoffe, Gardinen, Schlaf- und Rcisedccken, Läuferstoffe und dergleichen mehr. Der Umtausch nicht zusagender Waren kann bis zum 10. Januar nächsten Jahres erfolgen. Eine Sonder-Ausstellung einzelner Muster hat das Lcfevresche Teppichhaus auch in der LindenGalcrie, Eingang Behrenstraße, errichtet. Der erwähnte Pracht-Katalog wird an jedermann kostenlos und postfrei versandt.

Inhalt:

Der Normalhund, Humoreske von C, Weudtland. lSchluß.) — Berliner Wandelbilder, (Heinrich Heine und Berlin.) Von I)r, Georg Malkowskp, — Die Raucuschcn Berge und die Markgrafensteine. Von R, Baltin. — Als der Großvater die Großmutter nahm. Von Dietrich (Lose Skizzen aus dem Berlin vor sechszig Jahren.) Hafner, — Feuilleton des Bär: Heilige Nacht, Von Paul Warncke, — Lieschens letzte Puppe. Eine Weihuachtsgeschichie von Heinrich Vollrat Schumacher. — Kunst und Wissenschaft (Theater). — Berliner Chronik, — Märkische Chronik, — Kleine Mitteilungen, — Büchcrtisch,

— Druck und Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin

SW„ Neuenburger Straße Ha.

ä t\ Illnltrierte Wochenschrift für 25

Geschichte und modernes sieben.

llv.

Soilttnbrnd, 30. Peremlrer 1899.

>2

Berliner Wandetbitder. Zwilchen pvei Fetten.

H^erlin

Stadt der Arbeit, nur zwischen WeibNeujahr kommt es über seine Bewohner wie

Art behaglicher Daseinssreude,

der Sorge um den könnten eigentlich stbließen, wen» das Anfränmen nicht wäre und — das Umtauschen, Es ist eine Eigentümlichkeit der Reicksbanptstädter, daß sie weder eine

kommende»

ganzen

ist eigentlich eine

nachten und

Tag

die

sich

Die Geschäfte

entschlägt,

!

i

;

Märchenzauber

eines

Liebeswnnders

ausstatten

sollten

Tie Festtage haben in Berlin ihren intimen Charakter verloren, I» dem gemeinschastlichen Spiel um Pfefferkuchen und Nüsse liegt ei» nicht zu unterschätzendes erziehliches Moment, Die Kleinen lernen das Glück des andern ertragen ohne Mißgunst, und wenn einmal so etwas wie Neid in ihnen aufsteigen will, schämen ffe

Kirrlzr in Dahlem. Geschenke

zu

seinem eigenen

geben

noch

zu nehmen verstehen.

Bedürfnis und

Man kauft

nach

sichert sich das Recht des Umtausches,

von dem ausgiebig Gebrauch gemacht wird. Dabei geht des Ge¬ bester Teil verloren, das Aufgehen im Geschmack des andern, die Freude am Wählen und Aussuchen, Das Geben mit Borbehalt ist nur ein halbes Geben, Jeder Umtausch bedingt einen Irrtum, ein Mißverstehen der Wünsche, die man erfüllen möchte, und gleichzeitig ein nicht eben zartes Anerkennen dieses schenkes

Mißverständnisses, Der Wunschzettel ist ein brutales Hilfsmittel, es zerstört den Kinderglauben an die Allwissenheit des Christkindes und läßt Abstriche zu, die als Uebelwollen empfunden werden. Man scheint überhaupt vergessen zu haben, daß Weihnachten ein Kinderfest ist,

das

die

Erwachsenen

hinter

geschlossenen

Thüren

mit

dem

vor den Eltern und den erwachsenen Geschwistern, die des Lottos und Dominos Wechselsälle lachend über sich ergehen lassen. Wenn nur das Theater nicht wäre! Die Direktoren arbeiten mit doppelten Kassen für die Nachmittags- und die Abend¬ vorstellungen und locken das Publikum aller Stände aus deni festtäglichen Zusammenleben mit den Kindern heraus in die über¬ füllten Zuschauerränme, Aber auch die Führer des Thespiskarrens haben ihre Weih¬ nachtsgefühle, „Jeder Erwachsene darf zwei Kinder mitbringen sich

zum halben Kassenpreise!" Da wissen denn die Zeitungen zu er¬ zählen, wie die Kleinen dagesessen haben „mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen,' uin zu sehen, wie Frau Holle sich mit der Goldmarie und der Pcchmarie abfindet. Wenn nur unsere Großstadtkinder nicht so unmenschlich klug wären! Sie glauben

822

uicht an die Theaterwunder, und wenn der männliche oder weib¬ fragt: „Wie wird der Schnee auf der Bühne ge¬ macht?" dann ist es aus mit dem ganzen Märchenzauber, der das Lampenlicht nun einmal nicht verträgt. Es giebt ein Bild von liche Naseweis

Eduard Meyerheim: „Großmutter erzählt," Es dämmert im Zimmer, Hans und Grete schmiegen sich an die Alte und lesen ihr jedes Wort vom Munde. Sie brauchen keinen Regisseur und Theatermeister, in ihren Köpfen malt sich eine Welt ohne Coulissen und Prospekt, viel schöner und herrlicher, als sie der phantasievollste Dekorationsmaler herstellen kann. Der Großmutter glauben sie, und ihre Einbildungskraft reicht weiter, als die Weisheit der Weihnachts-Theaterdichter sich träumen läßt. Zu keiner anderen Zeit des Jahres wird in Berlin so viel gegessen und getrunken wie zwischen Weihnachten und Neujahr. Mit dem Christsestkarpfen beginnt es, um mit dem Sylvesterpfannkuchen mit Schrecken zu enden. Des Lebens Wonne ist gemenget mit Bitternis, und auch unter Tannen wandelt man nicht ungestraft. Vom dritten Feiertage ab setzt ein langsamer Uebergang vom körperlichen zum seelischen Katzenjammer ein. Magen und Kopf ziehen eine nicht immer erfreuliche Bilanz genossener Freuden und überstandener Leiden. Zwischen Thür und Angel des Jahreswechsels kommt die ge¬ festigteste Weltanschauung ins Schwanken. Man zweifelt, ob man sich zur Hausse oder zur Baisse der Lebensbörse schlagen soll. Nachdem man die Unzulänglichkeit aller Tips für das kommende Jahr eingesehen, kehrt man zur Kiuderpraxis des Wunschzettels zurück. Wenn man nur wüßte, an wen man ihn abgeben soll! Es existiert eben kein Neujahrsmann, der die lange Liste dessen in Empfang nehmen kann, was man sich ßelbst wünscht. Was einem die andern wünschen, ist überall gedruckt zu haben, und sogar illustriert. Vom dritten Feiertag an entwickelt sich ein sonst in Berlin ziemlich ausgestorbener Hausflurhandel, der, im fernen Osten beginnend, seine Verzweigungen bis in das Zentrum und den vornehmen Westen hinein erstreckt. Auf langen Brett¬ flächen, die auf Böcken ruhen, breiten sich die bunten Neujahrs¬ karten aus und verraten, was die lieben Mitmenschen von einem denken, welche Wünsche sie für uns auf dem Herzen haben. Die Gratulanten sind so überaus rücksichtsvoll, daß sie uns ihre Bei¬ träge zur Selbsterkenntnis meist anonym ins Haus senden. Außer¬ ordentlich beliebt sind die Klappbildchen. Auf der Deckplatte ein harmloses Spießbürgergesicht, und dahinter — eine zoologische

Mahnung an das, was man nach der Meinung jenst Freunde

eigentlich

ist.

sich nicht wehren, so oft man sich auch auf seine Mitgliedschaft des Vereins für Ablösung der Neujahrs¬ gratulation zu wohlthätigen Zwecken beruft. Der Wahrheitsdrang unserer Bekannten ist nicht zu unterdrücken, und wir schleichen uns ängstlich an der trüben Laterne des Neujahrskartenhändlers in den Hausfluren vorüber. Sie erinnert peinlich an die Diogenes¬ laterne, mit der man uns ins Gesicht leuchten wird am ersten Tage des neuen Jahres, um in uns Menschliches zu suchen, allzu

Dagegen kann man

Menschliches. — Indessen trifft die wohllöbliche Polizei ihre Vorbereitungen für die Sylvesternacht. Tagelang vorher kann man es lesen, in welchen durch Postenketten abgeschlossenen Bezirken man dem harm¬ losen Nachtwandler um die zwölfte Stunde durch Huteintreibeti den trüben Ausblick in die Zukunft benehmen darf. Es liegt viel spezifisch berlinische Gutmütigkeit in diesem in anderen Haupt-

und Residenzstädten unbekannten Scherz. Ein leichter Schlag mit der flachen Hand, und wohsthätiges Dunkel umhüllt uns. Wir taumeln blindlings ins neue Jahr hinein, und der gebeulte Cylinder erinnert an das biblische Wort von der Erniedrigung dessen, was hoch ist.

Aber auch die Sorge bleibt uns nicht fern zwischen Weihnachten und Neujahr, die Sorge um das blanke Kleingeld. Nur besondere Reichsbankverbindungen gewähren die Aussicht auf Füllung all der Hände, die sich einem geöffnet entgegenstrecken werden, um sich über einer mehr oder weniger großen Münze geschlossen zurück¬ zuziehen. Erst am Neujahrsmorgen wird selbst dem einsamsten Weltbürger klar, wie zahlreiche Bande ihn mit dem Leben ver¬ knüpfen, vermittelt durch eine Unzahl von Personen, die er niemals und die doch Jahr aus Jahr ein für ihn geschafft in rastloser Arbeit. Erst da erfährt er, wie ein Bäckerjunge, eine Zeitungsfrau, ein Schornsteinfeger, ein Milchmann aussieht. Nur der Postbote macht eine rühmliche Ausnahme. Das Gesicht dessen, der einem brieflich Leid und Freud übermittelt, bekommt man nicht zu sehen, weil ihn die hohe Behörde kurz vor Jahres¬ schluß versetzt. Es ist immer der Andere, der die Reujahrsgratisikation in Empfang nimmt. Die Postbehörde hat ihre Pflicht gesehen,

gethan»

und Geber und Nehmer bleiben

sich

unbekannter Weise

dienstwillig und gewogen.

Georg Malkowsky.

Berlin im Jahre 1899.

M erlin wird

die schönste Stadt der Welt!" Dieses Kaiser¬ wort beginnt mehr und mehr zur Wahrheit zu werden, und auch im vergangenen Jahre, nach der volkstümlichen Auffassung dem letzten des 19. Jahrhunderts, hat es sich erwiesen, daß die deutsche Kaiscrstadt mitten drin ist in dieser Entwicklung. Im Innern der Stadt, in Alt-Berlin und Alt-Kölln, haben Meißel und Spitzhacke unter den alten Baracken unerbittlich aufgeräumt: in der Nähe der Nikolai-Kirche sind an deren Stelle stattliche Kauf¬ häuser erstanden, das Köllnischc Rathaus sinkt in Sckutt und Trümmer, und zum erstenmale bietet sich die gotische Peters-Kirche vom Köllnischen Fischmarkt her den Blicken in ihrer ganzen Formen¬ schönheit dar. Am Schloßplatz und an der Spree ist der stattliche Erweiterungsbau des königlichen Marstalls (Architekt: Hof¬ baurat Ihne) mit den Sandstein-Wandbrunnen von Otto Lessing („Prometheus am Felsen" und „Perseus befreit die Andro¬ meda") vollendet worden, und nördlich vom Schlosse geht der monumentale Dombau Raschdorffs seiner Vollendung entgegen. Ebenso ist das Pergamon-Museum am Kupfergraben (Architekt: Fritz Wolfs) im Äeußeren vollendet, so daß mit der Aufstellung des Gigantomachie - Frieses begonnen werden konnte. Auch der Bau des größeren Kaiser Friedrich-Museums, das nördlich der Stadtbahn errichtet wird (Architekt: Hofbaurat Ihne), ist er¬ heblich fortgeschritten. Ein völlig verändertes Aussehen zeigt auch die Gegend um die Ebertsbrücke: ihr gegenüber erheben sich rechts und links der Stallstraße monumentale Kasernen-Neubauten, und zwischen Stallstraße und Prinz Louis FerdinandStraße ist das imposante Kulissenhaus der kgl. Theater errichtet worden, das sich bereits in Benutzung befindet. Auf dem Gelände der kgl. Charite erhebt sich ein stattlicher Pavillon nach dem andern, das neue Gotteshaus der Charite ist bereits gerichtet worden, und

pathologischen Museums (ebenfalls Charite-Grundstück) fand am 27. Juni statt und gestattete sich zu

die feierliche Eröffnung des

einer begeisterten Huldigung für den greisen Virchow, der diese einzig in der Welt dastehende Sammlung in fünfzig Jahren ge¬ schaffen hat. Auch in anderen Stadtteilen zeigten die Berliner Baukünstler, was sie leisten können. Das Abgeordnetenhaus, das Muster eines modernen und praktisch angelegten Parlamentspalastes (Archi¬ tekt: Friedr ich Schulze), wurde am 16. Januar seiner Bestimmung übergeben, und in derLeipzigerStraße wurden die Fundamentierungs¬ arbeiten des Herrenhauses begonnen, nachdem die Versetzung der berühmten Eiben stattgefunden hatte, welche sie um den Nimbus ihres hohen Alters brachte, mit dem man sie seit zwei Menschen¬ altern umgeben hatte. Zwischen der Leipzigerstraße und der Krausen¬ straße begann der Riesenbau des Warenhauses Hermann Tietz, dem das Konzert-Haus zum Opfer fiel, an das sich so manche musikalische Erinnerungen knüpfen. Große bauliche Veränderungen fanden auch in der Wallstraße statt: im Logengarten wurde der Grund zum neuen Märkischen Museum gelegt, dessen Sammlungen im Markthallen-Haus in der Zimmerstraße ein interimistisches Unter¬ kommen gefunden haben, und gegenüber, zwischen Wallstraße und Neu-Kölln am Wasser, stieg ein Riesenkaufhaus aus Eisen und Stein in die Höhe. Ein völlig verändertes Aussehen erhielt auch der Zoologische Garten, der binnen wenigen Monaten von Grund auf umgestaltet wurde: an der Kurfürstenstraße entstand das bei aller Einfachheit monumental wirkende ElephantenPortal, im Innern wurden die große Promenade mit prächtigen Blumengruppen und eine neue Orchesterhalle angelegt, sowie die Kentaurengruppe von Reinhold Begas und der Uechtritzbrunnen (Leda mit dem Schwan) enthüllt.

823

Im Innern der Stadt verdient noch der Umbau der Garnisonkirche in der Neuen Friedrichstraße hervorgehoben zu werden:

das altehrwürdige Gotteshaus, das dem Sparkönig Friedrich Wilhelm sein« Entstehung verdankt, und dessen nüchterne Archi¬ tektur mitten in die Zeit desselben versetzt, erhielt u. a. in der Mitte des Daches einen 18 in hohen Turm. Nicht unerwähnt wollen wir den Abbruch der Akademischen Bierhallen lassen, an die sich „lukullische" Erinnerungen mancher Art knüpfen, ferner die Niederleguug des Raumerschen Hauses iKochstraße 67), mit dem wiederum ein Stück Alt-Berlin verschwand. Eine reiche Fülle brachte das Jahr 1899 der deutschen Reichs¬ hauptstadt auf dem Gebiete der Denkmäler, und Berlin wird binnen kurzer Zeit die denkmalreichste Stadt der Welt sein. Es wurden enthüllt in der Siegesallee (im Volksmunde die Markgrafenstraßegenannt): Otto mit dem Pfeil (von Karl Begas), Otto der Faule (von Professor Brütt; beide am 22. März), Karl IV. (von ©auer), Friedrich der Große (von Uphues' beide am 26. August), Ludwig der Aeltere (von Herter); an der Köpenicker-, Reuen Jakob- und Jnselstraße: Schulze-Delitzsch (von Hans Arnoldt am 4. August); vor der Universität: Helmholtz (von Herter, am 6. Juni); vor der Technischen Hoch¬ schule: Werner von Siemens (von Wilhelm Wandschneider)

März sechs Hermen aufgestellt, die den Dichtern Heinrich von Kleist, Theodor Körner, Max von Schenkendorf, Ludwig Uhland, Friedrich Rückert und Ernst Moritz Arndt gewidmet sind, und die die Stadt dem Andenken dieser Barden aus den Befreiungskriegen stiftete. Auf dem Königsplatz wurde im August mit den Fundamentierungsarbeiten zu dem Bismarck-

Denkmal von Reinhold Begas begonnen. Gedenktafeln wurden gewidmet: Theodor Fontane (Potsdamerstr. 131), dem Reichskanzler Caprivi (am Geburtshause in der Orangenstraße zu Charlottenburg), dem Dichter Heinrich Heine (in der Tauben¬ straße) und dem russischen Komponisten Michael Glinka (an der Französischen- und Kanonier-Straße). Ueber der Gedenktafel, die dem alten Zieten gewidmet ist (Kochstraße 62), wurde ein BronzeReliefbild des Reitergenerals (von Werner modelliert) angebracht. Fürwahr, ein riesiger Denkmalssegen für die kurze Spanne eines Jahres, der beweist, daß man in Berlin das Gedächtnis großer Männer zu ehren weiß! Bon großer Bedeutung war das verflossene Jahr auch für das geistige Leben der deutschen Reichshauptstadt. Der Rahmen dieser zusammenfassenden Chronik würde jedoch weit überschritten werden, wenn wir ein Bild von dem litterarischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Berlin des Jahres 1899 geben wollten. Aus

Dahlem. (Rach einer photogravhischen Aufnahme des Herr» Geheimsekretärs Rich.

Alfred Krupp (von Ernst Herter, beide am 19. Oktober); im Lichthofe der Technischen Hochschule: Herrmann Wiebe (Büste von Ernst Herter, am 1. Dezember); im Lichthofe des und

Reichspostamtes: Heinrich Stephan (von Joseph Uphues, Bemerkenswerte Grabdenkmäler wurden am 1. Mai).

errichtet: dem Bildhauer Lock (auf dem Wilmersdorfer Kirchhof) (auf dem und dem Generalpostmeister von Stephan wurden im Im Preifaltigkeits-Kirchhof).

Viktoria-Park

f

Köhler

in Berlin.)

der Fülle des Stoffes heben wir nur drei Ereignisse hervor, welche die Augen der ganzen Welt auf Berlin richteten, und welche be¬ wiesen, daß die deutsche Rcichshauptstadt auch ein Brennpunkt des Es waren dies: der inter¬ geistigen Lebens geworden ist. nationale Tuberkulosen-Kongreß (24.-27. Mai), der inter¬ nationale Geographen-Kongreß (28. September bis 4. Oktober) und die Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule (18. bis

21. Oktober).

—e.

Berliner Sekt. rillat-Savarin, der berühmte Verfasser des geistvollen Werkes „Die Physiologie des Geschmacks", hat in seinen Betrach¬

tungen über die geistigen Getränke den Ausspruch gethan, daß allen Menschen, selbst den sogenannten Wilden, das Bedürfnis nach berauschenden Flüssigkeiten angeboren sei, daß sie von jeher sich solche zu verschaffen wußten, mochten auch sonst ihre Kenntnisse noch so beschränkt sein. Daher müsse man auch den Ursprung des Weines, des liebenswürdigen Monarchen aller Getränke, auf Zeiten zurückleiten, hinter welchen die graue Unsicherheit herrscht, mögen wir nun den Rebensaft dem Vater Noah, dem ersten

Winzer, oder dem Bacchus, dem ersten Kelterer, zuschreiben. Der genannte gastronomische Philosoph schließt seine Ausführungen mit den bemerkenswerten Worten, daß er den Durst nach gegorenen Getränken, den die Tiere nicht besäßen, der Forschung nach der unbekannten Zukunft beigesellen möchte, die den Tieren gleichfalls fremd sei. Beide müßten als die unterscheidenden Merkmale des Meisterstückes der letzten unter dem Monde stattgehabten Umwälzung werden. So seltsam dieser Vergleich auch erscheinen mag, so läßt sich dennoch zwischen diesen so wesentlich von ein¬ ander verschiedenen Merkmalen eine verbindende Brücke bauen.

bezeichnet

824

Hat

doch der Wein die Zaubermacht, die rauhe Wirklichkeit zu verschleiern und die Zukunft im rosigsten Lichte zu zeigen. Drum singt der Dichter: „Durch den Wein zum Blumenbeet Wird die Phantasie verwandelt, Drin der Odem Gottes weht, Drin der Geist der Schönheit wandelt."

Wenn sich jedoch im perlenden Naß des Champagners das feurige Rebenblut mit der erfrischenden Kraft der Kohlensäure eint, dann werden besonders die Geister des Frohsinns und Lebens¬ mutes entfesselt, dann ergreift den trinkenden Kreis „himmlisches Behagen". Deshalb wurde auch der Champagner zum König aller Weine erhoben und dazu auserkoren, der Festestafel, dem Freudenmahl die eigentliche Weihe zu geben. Deshalb ward er auch zu einer unerschöpflichen Quelle dichterischer Begeisterung, der gar wundersame, unverwelkliche Blätter der Litteratur entstammen. Trotz alledem wird man fehlgehen, wollte man auch den Ursprung des Champagners in die Zeiten des Altertums zurück¬ führen. Selbst zur Zeit Shakespeares, der doch in seinem „Heinrich IV." den Ritter vom Trinktisch eine begeisterte Lobrede auf den Sekt halten läßt, kannte man noch nicht den perlenden Feuerwein der Champagne. Die Worte Falstaffs beziehen sich auf einen damals namentlich in England allgemein beliebten, aus spanischen uud portugiesischen Trauben bereiteten Trockeubeersafl, der sich durch hohen Zucker- und Alkoholgehalt auszeichnete. Die Bezeichnung „Sekt" ist aus dem italienischen Worte „8ecco", „trocken", also von „vino secco" „Trockenbeerwein" herzuleiten und hat erst in späteren Jahrhunderten die gegenwärtige Bedeutung erlangt. Das nun in Deutschland unter diesem Namen so hoch¬ geschätzte Schaumgetränk soll erst, wie die Kulturgeschichte erzählt, während der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts zur Dar¬ stellung gelangt, und dem erfinderischen Kopse irgend eines klöster¬ lichen Kellermeisters zu danken sein. Da man mit Recht annimmt, daß zwischen der Erzeugung des Champagners und der Erfindung des Flaschenverschlusses mit Korken, welch letztere dem Pater Keller¬ meister der Abtei von Hautoillers, Dom Perignon, zugeschrieben wird, notwendige Beziehungen obwalten, so hält man auch den genannten Pater für den Schöpfer des schäumenden Rebensaftes. Durch den Einfluß Ludwig XIV., der den Champagner bei seiner Krönung zu Rheims zum erstenmal kennen gelernt haben soll, kam dieser Wein zu seiner bis heute wohl unbestrittenen Weltherr¬ schaft. Der feste Glaube, daß nur Frankreich das auserwählte Land sei, in welchem dieser wundersame Bronnen fließe, daß nur ausschließ-

in unserem Vatcrlande neue Stätten der Schaum¬ weinfabrikation entstanden, konnte man die gegen diese heimischen Erzeugnisse vorherrschende Ungunst doch nicht besiegen. Um ihren Produkten einen Absatz zu sichern, waren die deutschen Champagner¬ fabrikanten genötigt, sie unter französischer Benennung als Er¬ zeugnisse Frankreichs in den Vertrieb zu bringen. Der fremde Name läuterte den Geschmack und täuschte die Trinker über die Entstehungsquelle dieses Weines vollständig hinweg. und dort

Elz arn pagn ermein - Lr ell er.

Erst seit der Wiederaufrichtung des deutschen Reiches ist auch in der Würdigung dieser industriellen Wirksamkeit ein völliger Seitdem das deutsche Volk die eigene Wandel eingetreten. Schaffenskraft kennen und schätzen gelernt hat, seitdem es zu streben begann, sich in der industriellen Arbeit vom Auslande unabhängig zu machen, seit dieser neuen Epoche ist auch der deutsche Schaum¬ wein zu vollen Ehren gekommen. Heute sieht man fast an allen größeren Festestafeln neben dem echten französischen Champagner, dessen berühmten Marken wir den wohlverdienten Ruhm in keiner .Weise schmälern wollen, auch den deutschen Sekt im Glase perlen. Heut weiß man es, daß die deutschen Schaumweine mit vielen französischen Champagnersorten aus absolut gleicher Höhe stehen, ja, in etlichen Fällen die letzteren an Reinheit und Wohlgeschmack Aus diesem Grunde hat sich auch in den beiden noch übertreffe». letzten Jahrzehnten die deutsche Schaumweinfabrikation in blühender

Ihr jährliches Ergebnis hat bereits die Zahl von etwa 2 bis 13 Millionen Flaschen erreicht, ist demnach bis zur Hälfte der Champagnerproduktion in Frankreich emporgediehen. Daß in diesem industriellen Zweige auch die deutsche Reichs¬ hauptstadt eine hervorragende Stellung errungen hat, daß sie sogar die Heimstätte einer neuen Fabrikationsmethode geworden ist, durch welche es ermöglicht wird, das anregende, belebende Getränk, das den Geschwächten oder Kranken vorübergehend wieder neuen Lebensmut zu verleihen vermag, auch den weniger bemittelten Kreisen zugänglich zu machen, diese Thatsache dürfte jedoch nur wenigen bekannt sein. Wie Berlin im Brauereibetriebe hinsichtlich der Menge seiner Produktion bereits München, die Mutterstadt der untergärigen Biere, überflügelt hat, so kann es nunmehr in der Erzeugung feuriger Schaumweine de» bedeutendsten Produktionsplätzen des deutschen Vaterlandes angereiht werden. Allerdings ist dieser junge Berliner Schaffenszweig erst seit wenigen Jahren zum Erblühen gelangt und die Anerkennung, welche seinen Ergeb¬ nissen zu teil wurde, ist vorzugsweise einer Fabrikstätte, der jetzt weit über das Weltmeer hinaus bekannten Firma D. Sandmann zu Weise entwickelt.

Fla l kizen t'pirlrvei.

danken. lich das Rebenblut der Weingärten von La Montagire und der Marne-Ufer zur Herstellung des Champagnerweines berufen sei, blieb selbst dann noch unerschütterlich bestehen, als im Jahre 1826 in der im Neckarthale gelegenen Stadt Eßlingen die erste deutsche Schaumweinfabrik, mit der Begründung des bekannten Hauses G. C. Keßler & Co., ins Leben gerufen wurde. Obgleich der Be¬ gründer dieses Unternehmens zwei Jahrzehnte hindurch der Leiterder Weltfirma Beuve Cliquot in Rheims gewesen, also mit der, Produktion einer der anerkannt edelsten Sektmarken innigst vertraut war, obgleich seine Erzeugnisse den Wettbewerb mit dem französischen Borbilde nicht zu scheuen brauchten, vermochte er dennoch nicht gegen das allgemeine Vorurteil anzukämpfen, das gegen einen deutschen Champagner vorherrschte. Hatte man doch keine Ahnung davon, daß die Produzenten der Champagne schon längst zu ihrem Schaffen Weine des Rheinlandes, der Moselufer, der Pfalz und Schwabens benutzten, daß somit ein wesentlicher Teil des Rebenblutes iin französischen Sekt deutschem Boden entsprossen ist. Trotzdem nun im Laufe der Zeit hier

In

der Alexandrinenstraße, unweit des Meßpalastes, erhebt Frühjahr ein imposantes Bauwerk, dessen in einem der deutschen Renaissance sich anlehnenden Stil erbautes Vorderhaus mit den beiden mächtigen Thorgängen die Inschrift „Sandmannshof" trügt. Dieses Anwesen mit den stattlichen Ouerund Seitengebäuden, welche vier saubere asphaltierte Hofplätze umschließen, bildet das Besitztum der Firma D. Sandmann, und unter seinen erwähnten Höfen ziehen sich in einer Ausdehnung von 4200 Quadratmetern die sehenswerten, 4*/s Meter hohen, gewölbten, mit Cementfußboden ausgestatteten Kellereien des Etablissements diesen unterirdischen Räumen entsteht jener schäumende hin. Rebensaft, der, wie kein anderer Stoff, erheiternd und erfrischend wirkt und den Geist belebt, entsteht der Berliner Sekt. Ein Rundgang durch die Kellereien führt uns zunächst in eine Abteilung, in welcher zahlreiche Gebinde mit allen jenen jungen Weinen der Rhein- und Mosel-Ufer, der Pfalz, Lothringens und auch Frankreichs lagern, die sich ganz besonders zur Erzeugung von Schaumweinen eignen. Diese verschiedenen Rebensäfte werden nun sich seit dem letzten

In

825

bestimmten Mischungen und einer Behandlung unterworsen, zu der auch ein festgesetzter Zucker- bezw. Likörzusatz gehört. Die Art dieses Zusatzes und der Weinverbindungen, die ihn erhalten, richtet sich natürlich nach dem Charakter des herzustellenden Sektes. Sobald der Wein infolge des auf ihn wirkenden sogenannten Tiragclikörs zu gären beginnt, wird er in Champagnerflaschcn abgezogen, Me mit einem festen Korkverschluß versehen und sodann ans Gestellen in horizontaler Lage in einem erwärmten Raum der Kellerei ge-

Lhanrpagner auf den Nüttelpulten.

lagert werden. Sobald der Wein nach einiger Zeit erkennen läßt, daß er die erforderliche Abklärung erlangt hat, werden die Flaschen in einen anderen, kühlen Ranni gebracht und hier ans eigenartigen Gestellen mit dem Kopfe nach unten in übersichtlicher Anordnung postiert. Denn täglich müssen die Flaschen in dieser Stellung am Lochringe von den überwachenden Küfern geschüttelt werden, damit die sich bildende Hefe, welche als bräunlicher Stoff in die Er¬ scheinung tritt, im Flaschenhals über dem Kork mehr und mehr sich abzusetzen vermag. Die sich hierbei entwickelnde llcberfülle von Kohlensäure würde die Flaschen sprengen, wenn diese nicht von ganz besonderer Stärke wären. Dennoch fallen dieser mit dem Feuergeist des Rebensaftes vereinten Kraft gar viele Flaschen zum Opfer, welcher Umstand in Verbindung mit der notwendigen langen Lagerung des Champagners dazu beiträgt, die Fabrikations¬ Die verhältnismäßig hohen Preise kosten wesentlich zuj erhöhen. des Sektes werden dadurch erklärlich. Wenn die Hefe in sicht¬ barer Weise sich völlig abgesondert hat, dann erfolgt die Entkorkung der Flaschen, wobei durch die entweichende Kohlensäure die am Halse angesainmclte Hefe hinansgeschlendert wird. Um jedoch die infolge der Gärung sich vermindernde Süßigkeit des Weines wieder zu ersetzen und zugleich den Inhalt der Flaschen, der durch die Entfernung der Hefe eine Einbuße erlitten hat, zu ergänzen, erhält nunmehr jede Flasche eine Auffüllung mit einem alten seinen Wein¬ likör, der je nach dem bestimmten Charakter des werdenden Cham¬ pagners mit der größeren oder kleineren Dosis einer Znckerlüsung verbunden ist. Hierauf werden die Flaschen auf maschinellem Wege verkorkt, mit starkem Bindfaden und Draht gcscsscllt und in dieser Beschaffenheit den umfangreichen Lagerstätten zugeführt. Ehe nun der Sekt die Reife zur Versendung erreicht hat und, von den fesselnden Banden befreit, seine belebende Macht zu äußern vermag, gehen mindestens zwei Fahre dahin. Schon vielfach wurde es von Chemikern und Fachtechnikern in Erwägung gezogen, ob sich nicht ein Mittel finden ließe, die Lager¬ zeit des Sektes bis zu seiner vollständigen Reise wesentlich abzu¬ kürzen und damit die hoben Kosten seiner Herstellung herabzu¬ Man machte den Versuch, den Wein mit künstlich mindern. erzeugter flüssiger Kohlensäure zu sättigen und auf diese Weise den Schaffensprozeß der Natur zu umgehen, erkannte aber bald,

daß der Geschmack des Champagners unter dieser Imprägnierung erheblich leide. Da kam vor wenigen Jahren der verdienstvolle Begründer der Firma D. Sandmann auf den sinnreichen Ge¬ danken, dieses künstliche Verfahren des Imprägnierens mit der eigenen Kohlensäure des entstehenden Sektes zu bewirken. Nach viclnmfassenden Versuchen gelang es ihm, seine Ideen zu verwirk¬ lichen und damit die deutsche Reichshauptstadt zur Heimstätte und Zentrale einer neuen Fabrikationsmethode von Schaumweinen zu machen, welche es ermöglicht, daß dieses den Schwachen und

Kranken so wohlthuende Getränk auch den weniger Bemittelten zugänglich werde. In der Kellerei des genannten Hauses ward uns die Gelegenheit geboten, diese Methode in allen ihren Einzel¬ heiten zu verfolgen und ihre Ergebnisse kennen zu lernen. Wir betrachten hier, wie in einer erwärmten Halle der Kellerei der herzustellende Sekt nicht, wie wir eS oben schilderten, in Flaschen abgezogen, sondern in den Fässern selbst, die allerdings von besonderer Beschaffenheit sein müssen, der vollständigen Gärung unterworfen ivird. Während die Hefe sich am Boden dieser Fässer ansammelt, wird durch eine mit jedem Fasse verbundene Rohrleitung die sich bildende Kohlensäure mittelst der wirkenden Kraft eines in einem benachbarten Raume aufgestellten Gasometers abgesogen, zunächst in einen Reinignngsapparat, alsdann aber in die Glocke des Gasometers geleitet. Von hier aus wird das Gas mit Hilfe eines Pumpwerkes durch eine unterirdisch angelegte Kanalleitung einem zweiten ReinignngSapparate zugeführt, um hierauf unter einem Drucke von 60 bis 80 Atmosphären komprimiert, b. h. in Stahlzylinder gepreßt zu werden und so in den flüssigen Aggregatzustand zu gelangen. In einer großen Halle des Erd¬ geschosses schauen wir nunmehr, wie der in den Gärfässern geklärte Wein in eine Reihe von Jniprägnations-Apparaten geleitet, hier mit den entsprechenden Likörznsätzen versehen und alsdann mit der ihm selbst entstammenden flüssigen Kohlensäure, die aber vorerst einer nochmaligen Rektisikalion unterliegt, in regelrechter Art imprägniert ivird. Durch eine mechanisch vollzogene Schüttelbcwegung der Apparate erhält diese Mischung einen durchaus gleichmäßigen Charakter. Der nach Beendigung dieser Prozedur abgezogene Champagner bedarf jetzt nur noch einer Lagerzeit von einem halben Jahr, um versandt und getrunken werden zu können. Er gleicht dem nach dem alten Verfahren erzeugten Schaumweine sowohl im Aussehen wie im Geschmack, und besitzt auch die gleichen erfrischen¬ den Eigenschaften. Da er sich aber wesentlich billiger stellt als der erstere, so war sein Erscheinen gleich von einem weitgehenden

Drgvrgierung des Elraiupagners.

Erfolg begleitet. Dieser Berliner Sekl wird nunmehr in die ganze Welt hinausgesandt und hat überall, wo er im Glase perlt, un¬ geteilte Anerkennung errungen.

Paul Hirschseld.

Kunst und Wissenschaft. Ludwig Pietsch, der populärste Schriftsteller Berlins, den auch der „Bär" zu seine» Mitarbeitern rechnet, feierte am 25. Dezcnibcr seinen 75. Geburtstag. Ter greise Kunstkritiker und Fest- und Nciscschilderer gehört zu den Leuten, „die ihren Beruf verfehlt haben" und „Zeitungsschreiber" geworden sind. Er war ursprünglich Maler und Zeichner — die Berliner Akademie besuchte er 1841—43 und trat sodann in das Atelier des Porträtmalers Otto — und von seinem ursprünglichen Beruf hat er die Anschaulichkeit und Fertigkeit der Schilderung hinübergenommcn. Was Ludwig Pietsch auch ieichreibe» mag, sei es ein Ball, sei cs eine

Festlichkeit — der Leser sieht den Vorgang plastisch vor sich, er fühtl mitten hinein versetzt in den Ball- und Fcsttrubcl, und diese erstaunliche Anschaulichkeit zeichnet die letzen Berichte des greisen Jubilars ebenso aus, wie die Kunstberichte, die er im Jahre 1858 für die „Spenersäie Zeitung" schrieb. Im Dienste der „Boffischcn Zeitung" steht Pietsch seil 1864, und zahllose Schilderungen ans der Gesellschaft, zahllose Kunst¬ kritiken und Festbcrichte sind seildcm seiner Feder entflossen. Er hat Gelegenheit gehabt, in seiner Stellung als Berichterstatter der „Bosfischcn Zeitung" länger als ein Menschenaller hindurch vielen denkwürdigen Ereignissen, ja. Begebenheiten von weltgeschichtlicher Bedeutung als Zeuge beizuwohnen. 1867 ging er als Berichtererftatter über die Welt-

sich

826

In der Gunst des Berliner Publikums stand Helmerding Jahrzehnte hindurch an allererster Stelle; er brauchte nur die Bühne zu betreten, und der Beifall ivar da und hielt bis zur letzten Szene an. Mit allgemeinem Bedauern sah man den Künstler im Jahre 1878 von den weltbedcutende» Brettern scheide». Seitdem trat er nur noch gelegentlich als Gast auf. bis ihn sein hohes Alter gänzlich von der Bühne sern hielt. Der Heimgang des flebcnundsiebzigjahrigcn Veteranen des Berliner Humors, der zweifellos einer der hervorragendsten Menschendarstcller war, wird weit über die Grenzen der Rcichshauptstadt hinaus die lebhafteste Teilnahme aller derjenigen erwecken, deren Lachen der verstorbene Künstler einst durch seine unerschöpfliche Komik erweckt hat. R. G.

auSstellung nach Paris, 186S wohnte er der Eröffnung des Suezkanals bei, 1870 verweilte er int Hauptquarter des Kronprinzen von Preußen und zeichnete am 1. September auf der Höhe von Sedan den eisernen Kanzler, als dieser mit seinem Krimstcchcr die letzten Zuckungen des kaiserlichen Frankreichs beobachtete, 1876 ging Pietsch zu den offiziellen Ausgrabungen nach Olympia, 1877 mit der deutschen Gesandtschaft nach Marokko, 1878 und 1889 zu den Weltausstellungen nach Paris, 1889—91 zu den Sommerfabrten Kaiser Wilhelms II. nach Rußland, Italien. England, Athen und Koustantinopel. Alle diese Zeitereigniffe hat Pietsch mit einer Lebendigkeit und Anschaulichkeit geschildert, die ihn hoch über das Niveau des Durchschnitts-Journalisten erhebt. „Was ihm als Künstler nicht vergönnt war," sagte Adolf Rosenberg, „das hat er als Schriftsteller erreicht. Nicht die Hand, das Auge ist für ihn sozusagen das malende Organ geworden, und was er mit diesen seinen Augen, mit seinen Blicken, die immer unruhig über Menschen und Dinge hinwegschweifen und doch immer mit Sicherheit. die Glanzlichter zu finden wissen, festgehalten hat, das versteht er mit Hilfe seiner grofien Virtuosität in der Beherrschung der Sprache zu glänzenden, bisweilen sogar zu berauschenden Bildern zu gestalten". Möge es dem greisen Schriftsteller, der mit dem geistige» Leben Berlins der letzten fünfzig Jahre aufs innigste verwachsen ist, vergönnt sein, auch »och über das achte Jahrzent seines Lebens hinaus in unverminderter .körperlicher und geistiger Rüstigkeit fortzuschaffen — das wünschen wir ihm von ganzem Herzen! Wer aber dem Menschen Ludwig Pietsch näher treten ivill, dem empfehlen wir dringend die Lektüre der autobio¬ graphischen Werke: „Wie tdi Schriftsteller geworden bin" (1892) und „Erinnerungen aus den sechsziger Jahren" (1894), die nicht nur ein anschauliches und humorvolles Bild von dem Wissen und Werden ihres Verfassers geben, sondern auch ein farbenreiches Stück Zeitgeschichte R. G. bieten.

mittel benutzte.

Nus Süd-Afrika. 6Has Kriegsglück lächelt den Boeren

sehr freundlich zu. Auf allen Schlachtfeldern haben sie bis jetzt gesiegt. Die englischen Generale Methucn und Gatacre haben die Vortrcfflichkeit der Boercntaktik am eigenen Leibe verspürt, und der Opfermut der englischen Truppen konnte

Karl Hrlmerding ßj arl Helmerding, der geniale Darsteller Berliner Typen, der volksMx tümlichstc Schauspieler Berlins in den fünfziger, sechsziger und

siebziger Jahren, der glänzendste Vertreter der Berliner Koniik, ist am Morgen des 20. Dezember gestorben. Tie Nachricht kommt nicht über¬ raschend; denn der greise Künstler war seit längerer Zeit leidend. Aber sie wird jeden Berliner mit Wehmut und Trauer erfüllen, da mit Helmerding nicht nur ein großer Schauspieler, sondern auch ein typischer Vertreter des Berlincrtums dahingeschieden ist. Helmerding war ein

Berliner Kind, und als Berliner hat er sich bis zum letzten Alcinzugc mit Leib und Seele gefühlt. Er wurde am 29. Oktober 1822 als Sohn eines Schlossermcisters geboren. Nachdem er das Friedrich Wilhelms-Gyninasium besucht, kam er, da er Talent zum Zeichnen zeigte, zum alten Schadow auf die Berliner Akademie, erlernte jedoch, uni auf alle Fälle einen Rückhalt zu haben, auch das Schlosserhandiverk. Zur Bühne zog ihn von Jugend an ein nnividcrstehlichcr Drang, aber erst im 2-i. Lebensjahre wurde er Berufsfchanspieler, und debütierte als solcher 1847 bei einer reisen¬ den Truppe als Waldorf im

„Verwunschenen Prinzen". Hclmerding war zunächst in Charakter- und JntrignntenDirektor thätig. Rollen Kallenbach, an dessen Som¬ mertheater er 1848 bis 1851 engagiert war, führte ihn zuerst dem komischen Fache zu, in dem er so reiche Lorbeeren ernten sollte. 1852

wurdeHelmerding am Königstädtischen Theater in Berlin, 1853 am Stadttheater in Köln, 1854 am Krollschen Theater in Berlin und am 1.

Mai 1855 am Posener

Theater

engagiert,

dessen

Direktor danials Franz Walln er war. Mit diesem kam er fünf Monate später nach Berlin, und von diesem Zeitpunkt a» datiert Helmerdings Glanzperiode, die sich bis zu seinem Abgänge vom

Wallner-Theater

(1878) die mit der Berliner der Blütezeit Lokalposse und des Ber¬ liner Volksstücks zusanimcnfällt, in deren Dienst David erstreckt,

8»rl Helmerding t.

und

Kalisch, Wcirauch, Willen, Jacobson und L'Arronge ihre witzigen Neben Theodor Reusche, August Neumann, Federn stellten. Anna Schramm und Ernestine Wegcner hat vor allem Karl Helnierding diese heitere Blütezeit des Wallncr-Thcaters herbei¬ geführt, und für zahllose alte Berliner verknüpft sich mit dem Namen Helnierding die Erinnerung an ungezählte heitere Stunden. Helmcrdings Glanzrollen waren: Nitschke im „Gebildeten Hausknecht",

Oel", Toucct in „Berlin wird Weltstadt", KlumWichtig im „Registrator auf Reisen", Bierbrauer Steglitz in „Otto Bellmann" und Wcigclt in dem Volksstück „Mein Leopold." In allen diesen Rollen verkörperte Hclmerding das Berlincrtui» mit seinem kaustischen Humor, seiner verblüffenden Schlagferiigkcit

Petz in „Aurora in patscl, in „Nimrod",

und seiner qnecksilberartigen Beweglichkeit geradezu meisterhaft. Er gab scharf umrisscnc Gestalten, die aus dem Leben gegriffen waren, und zu deren Tarstelllung der Künstler neben seiner überaus grotesken Mimik mit erftaunlichem Geschick sämtliche Gliedmaßen als Ausdrucks¬

stets

Vorrrn-Qtti?irrr.

|

gegen die Ruhe der Boeren nicht aufkommen, die ans ihrer Deckung nicht hervortreten, sondern wie auf dem Schießplatz ziele» und — auch treffen. Das Phlegma des niederländischen Volksstnmmes siegt über das Ungestüm der englischen Truppen. Während aber die Männer im Felde stehen, bearbeiten die Frauen mit Hilfe von Kasicrn schlecht und recht die Accker, und über den Rückgang des Volks¬ wohlstandes wird leider auch der glänzendste Sieg nicht hinweghelscn, besonders da es den Anschein hat, daß England sich auf einen langwierigen Krieg gefaßt macht. Die Straßen von Johannesburg sind ziemlich still geworden; die frühere Geschäftigkeit ist gewichen und nur das Eintreffen von Sicgesdepeschen lockt die Johanncsburger aus ihrer unthätigen Ruhe heraus. Auch für die Boeren wäre es ei» Segen, wenn der Wunsch der Friedensfreunde auf Beendigung des Krieges sich bald erfüllte.

__

Berliner Chronik. Die Motordroschke der Firma Thicn wird demnächst mit einer Glühkohlenheizung versehen werden; es ist dies die erste geheizte

Droschke, die in Berlin in Betrieb sein wird. Wann wird die große Berliner Straßenbahn ihre Wagen heizen lassen? In der philosophischen Fakultät der Berliner Universität habilitierte Antrittsvorlesung sich vr. Karl Ballöd, Nationalökonom, mit einer über Deutschlands wirtschaftliche Entwickelung seit 1870. Ballod, ein geborener Lette, hat in Dorpat und in Jena studiert und ist von der Petersburger Akademie der Wissenschaften durch Verleihung der großen Medaille ausgezeichnet worden. Geheimer Regicrungsrat Professor vr. Ernst Robert Schneider von der Berliner Universität feierte am 18. Dezember das goldene

Doktorjubiläum.

Schneider, der im 7b. Lebensjahre steht, erhielt vom Kaiser den Kronenorden ziveitcr Klaffe. Ter Jubilar, dessen wissen¬ schaftliches Gebiet die anorganische Chemie bildet, gehört der Berliner Universität seit 1853 an. Eine verkleinerte Nachbildung von Harro Magnussens Marmorbildwerk „Der Philosoph von Sanssouci in seine» letzten Tagen" ist jetzt bei

Eduard Schulte ausgestellt. Für den Tambour der Domkuppel

Piltzing die

letzte

ist

jetzt

der Engelsgestalten von Professor

bei

Martin und

Walter Schotts

Figur des >eg»enden Christus, war, ist wiederhergestellt worden. Dem Schriftsteller Dr. Georg Voß ist vom Grobherzog von

m Kupfer getrieben worden. Auch die die beim Hiuaufwiuden verunglückt

Weimar der

Profcssortitel

verliehen worden.

Das Palais des Fürsten Pleß, Wilhelmstraße 78, das der jetzt 76jährige Fürst 1873—1876 erbauen liest, ist zum Verkauf gestellt.

Märkische Chronik. Prediger Ferdinand Richter ist aus Anlast 50jährigen Amtsjubiläums von der Theologischen Fakultät in Berlin zum Ehrendoktor ernannt ivorden. Stralau. Die Spreetunuelbahn, die vom Schlesischen Bahn¬ hof nach Treptow fährt, wurde am 18. Dezember dssiu Verkehr

Mariendorf. Der

seines

übergeben.

Teltower Kanal. Der Teltower

Kreistag hat die Vorlage über Teltower Kanal einer Kommission zur Vorbereitung überwiesen. der Vorlage hat der Staat das Recht, vom zehnten Jahr der Eröffnung au den Kanal gegen 60"/„ der Herstellungskosten vom Kreise zu kaufen. Es regt sich eine starke Opposition gegen den Kanalbau, der den Teltower Kreis finanziell schwer belasten würde, namentlich in Friedenau, Wilmersdorf und Schmargendorf, die aus dein Kanal keinen unmittelbaren Vorteil ziehen können. Deutsch-Wilmersdorf. Die Gemeindevertretung hat einstimmig beschlossen, bei der Stnatsregiernng um Verleihung der Stadtrechte nachzusuchen. Wilmersdorf zählt mehr als 25000 Einwohner. den Nack

Maler und Knnstschriftsteller Hugo Ernst Schmidt. — 3. Augusts Vcrlagsbuchhändler Reimund Mitscher. — 6. August: Landschafts¬ maler Professor August Nothnagel (im78. Lebensjahr). — 19. August:

William Pierson, Geschichtsschreiber. — 8. September: Ferdinand Hirschwald, Bcrlagsbuchhändler. — 8. September: Pro¬ fessor Wilhelm Amberg, Genre- und Porträtmaler zim 77. Lebens¬ Professor

jahr). — 12. September: Vcrlagsbuchhändler Moeser. — 17. Sep¬ tember: Schriftsteller Rudolf Kneifet. — 30. September: Karl Ruß, Naturhistoriker und Ornithologe. — 30. September: Kunsthistoriker Pro¬ fessor Dr. Dobbert. — 6. Oktober: Professor Gustav Fcckcrt, Litho¬ graph (im 80. Lebensjahr). — 15. Oktober: Dietrich Reimer, Vcr¬ lagsbuchhändler (im 82. Lebensjahr). — 21. Oktober: Professor Albert Ben ecke, früherer Direktor der Sophienschule (im 74. Lebensjahr). — 28. Oktober: Schriftstellerin Franziska von Kapff-Essenther (stürzte sich aus dem Fenster). — 11. November: Professor August Flohr. — 15. November: General der Jnfnuierie Theodor von Stichle (im 76. Lebensjahr). ,— 17. November: Justizrat Dr. Horwitz, langjähriger Stadtverordneter. — 4. Dezember: Stadtverordneter und Zeitungsvcrleger Leopold Ullstein. — 7. Dezember: Gräfin Oriola, Palastdame der Kaiserin Augnsta. — 16. Dezember: Seuatspräsident Wi lhelm Rommel (im 62 . Lebensjahr).

Kleine Mitteilnnnen. Dahlem, das kleine Dörfchen in der Nähe der Reichshauptstadt, hat sich seine dörfliche idyllische Ruhe auch ins zwanzigste Jahrhundert hiuübergerettet. Es ist bisher von der Bauspckulativn verschont ge-

Prikchard Street in Johannesburg.

Berliner Totenschau des Jahres 1899. 31. Januar: Schriftstellerin Elise Freiin von Hohenhausen (im 87. Lebensjahre). — 3. Februar: Anialic Joachim (Deutschlands hervorragendste Lieder-und Oratoriensängerin). — 6. Februar: Reichs¬ kanzler Graf Eaprivi (auf Skyren bei Krossen, im 68. Lebensjahr). — 15. Februar: Bildhauer Hermann Friedrich Wittig (im 80. Le¬ bensjahr). — 18. Februar: ,Kommerzienrat Otto Dcllschau (im 65. Lebensjahr). — 20. Februar: Oberstabsarzt und Schriftsteller Karl Lange, Pseudonym Philipp Galen (im 86. Lebensjahr zu Potsdam). — 14. März: Professor Heymann Steinthal (ini 76. Lebensjahr). — 14. März: Ludwig Bambergcr, Parlamentarier und politischer Schriftsteller (im 76. Lebensjahr). — 16. März: Schauspieler Hermann Müller von, deutsche» Theater (erschost sich im Grnnewald). — 30. März: General der Artillerie Justus von Drcsky (im 81. Lebensjahr). — 31. März: Juliane Dvry (Schriftstellerin, stürzte sich aus dem Fensterj. — 21. April: Professor Heinrich Kiepert, Geograph und Kartograph (im 81. Lebensjahr). — 22. April: Professor Friedrich Junge, Direktor des Friedrich Werderschcn Gymnasiums. — 27. April: Raffaöla Pattini, Opernsängerin (im 34. Lebensjahr). — 2. Mai: Eduard von Simson, Reichstags- und Reichsgcrichtspräsidcnt (im 89. Lebens¬ jahr). — 16. Mai: Gymnasialdirektor a. D. Wilhelm Schwartz (im 78. Lebensjahr). —18. Mai: GeheimerOber-PostratDr. Otto Damback. — 8. Juni: Landschasismnlcr Professor Otto von Kameke. — 11. JuniBildhauer Gustav Adolf Landgrebe. — 14. Juni: Ballett-Komponist Peter Ludwig Hertel. — 19. Juni: Prediger August Rust (im 87. Lebensjahr). — 28. Juni: Schriftsteller Karl Homann (ertrank in der Havel bei Sakrow). — 9. Juli: Oberpräsident Heinrich von Achenbach (zu Potsdam im 70. Lebensjahr). — 16. Juli: Jeannette Schwerin. — 21. Juli: Bildhauer Gustav Kastan. — 25. Juli:

blieben, allerdings zum Leidwesen der grundbesitzeudeu Dahlemer Bauern. Die Idylle ist keine sclbstgcivählte, sie wird dem stillen Orte durch seine Weltabgeschiedcuheit auferlegt, da weder die Eisenbahn noch die Straßen¬ bahn dahin führt. Jahrhundertfeier. Durch Kabinettsordre vom 11. d. M. hat der Kaiser befohlen, daß in alle» Erzichungs- und Unterrichtsanstalten am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien die Jahrhundertfeier begangen werde. Auch die wissenschaftlichen und Kunstanstalten sollen diese Feier zu Ende dieses oder zu Anfang des nächsten Vierteljahres begehen. Die Frage, wann das Jahrhundert zu Ende gehe, ist von allerhöchster Seite mithin ganz im Sinne der volkstümlichen Ansicht entschieden worden, die irrtümlicherweise ein Jahr 0 an den Anfang unserer Zeitrechnung setzt. Vor hundert Jahren dachte man am preußischen Hofe anders über den Jahrhundertanfang. Das geht ans solgendem Brief hervor, den der alte Gleim am 19. Oktober 1800 aus Halberstadt an die Königin Luise richtete: „Allcrdnrchlauchtigste Königin, Allergnädigste Landesmutter! Der alte 81jährige Gleim hörte, Ew. Königliche Majestät wünschten einen Gesang zu habe», den Sie am ersten Tage des neuen Jahrhunderts dem Allergnädigsten Landesvater singen könnten! Der alte Gleim, von dieser Sage begeistert, machte solch einen Gesang! Halten's Ew. Majestät de», alten Patrioten zu Gnaden! Er nimmt sich die Freiheit, den Gesang in Abschrift hierbei zu überreichen und dessen Komposition, wenn er allerhöchsten Beifall erhält, und die Wahl eines guten Komponisten der allergnädigsten Landesmutter unterthänigst zu überlassen, mit getreuster Devotion ersterbend Ew. königliche Majestät unterthänigster Knecht der Eanonicus Gleim." Die Königin antwortete dem „alten, würdigen Patrioten" am 30. Oktober 1800 in einem Dankschreiben, es sei, „als wäre das Lied in ihrer Seele gedichtet." Aus dtr Datierung dieser Schreiben geht

sss unzweifelhaft hervor, daß das preußische

hundert-Anfang vor hundert Jahren

gefeiert hat. Die beiden Betrunkenen,

Königshaus den Jahr¬ erst am 1.

Januar

Alle diese Grabstätten übertrifft die bet an Größe ganz erheblich. Der mit einzelnen Bäumen be¬ standene Hügel ist 11 in hoch, mißt 90 m im unteren Durchmesser und hat einen Umfang von 300 Schritten; es ist einer der größten Grab¬ hügel, die überhaupt vorhanden find. Auch von diesem Hügel berichtet die Sage, daß darin der Riesenkönig in einem goldenen Sarge beraben liege, und verschiedene Versuche, selbst mit der Wünschelrute, nd gemacht worden, um de» Schatz zu heben, leider vergeblich. Jetzt ist es »un gelungen, das Grab bloßzulegen und den „goldenen Sarg", eine Aschcnurne aus Goldbronze, an das Tageslicht zu fördern, ein Beweis, daß die Sage sich auf Grund alter historischer Ueberlieferungen gebildet hat. Die Entdeckung gelang dadurch, daß ein Unternehmer viele Fuhren Steine abgefahren hat und dabei in einer bestimmten Tiefe die das Grab verschließende Steinplatte zum Vorschein kam. Aus die Benachrichtigung seitens des Pflegers für die Prignitz. Rechtsanwalt Heineman», begaben flch Geheimrat Friede! und die PflegschaftsMitglieder Pütz und Maurer zur Untersuchung nach der Fundstätte, stellten die Lage und Beschaffenheit der Grabstätte genau fest und er¬ warben die in der Grabkämmer gefundenen Gegenstände für das Märkische Museum. Ter Hügel selbst wurde später auf Veranlassung des Konservators für die Provinz Brandenburg, Geheiuirat B luth, von der Provinz angekauft und soll mit der Grabkammer als kulturgeschicht¬ liches Denkmal erhalten bleiben. Die Grabkammer wird von neun Steinen, die fest aneinander passen, gebildet; über diesen großen Grund¬ steinen ist durch eine Reihe überragciider Steine, »ach Art der kyklopischen Bauten (vergl. Schatzkammer des Atrcus in Mykene), eine Kuppel er¬ richtet, und dieser ganze Raum ist mit einer Art Stuck überzogen, auf dem sich Spuren roter Bemalung in Form von Wandornaineiiten Diese Eigentümlichkeiten des Seddiner Grabes find bisher befinden. von anderen Gräbern nicht bekannt gewesen. In der Grabkammer fanden sich eine große Urne aus Ton mit einem durch Niete befestigten Deckel, welche Asche und Kuochenteile barg. Letztere gehörten, nach den Untersuchungen von Sanitätsrat L iss au er, einem männlichen Jndividnum im Alter von 30 Jahren an. Nebe» dieser Urne stand ein thönernes Deckelgefäß mit Schmucksacben und Knochenresten einer Frau in den zwanziger Jahre», und außerdem fand sich in der Kammer noch eine dritte, mit einem Mahlstein bedeckte Urne mit Ueberresten einer noch An der größten Urne stand aufrecht ein jüngeren Frauensperson. Bronzeschwert von 60 ein Länge, in der Bronzeurne fanden sich Reste einer Lanzenspitze und zwei Celte aus Bronze, ein derbgearbeiteter schalenförmiger Becher mit einem Ringe zum Anhängen am Gürtel und der zwei, kleine zierlich gearbeitete Schalen, ebenfalls aus Bronze. zweiten Urne lagen außer verschiedenen Schmucksachen ein breites Messer und eine Pinzette aus Bronze, in der dritten außer andere» Wirtschaftsgeräten eine eiserne Nadel. Geheimrat Friede! nimmt an, daß das Grab seiner Größe wegen als Ruhestätte eines germanischen Häuptlings anzusehen ist, der um 500 v. Chr. Geburt mit seiner Gattin und einer Verwandten (oder Sklavin), die sich beide dem Flammentode weihten, bestattet wurde. Da die Verbrennung fürstlicher Leichen in Gemeinschaft mit Lieblingstieren, Leibdienern und Kriegs¬ gefangenen »och um 1341 n. Chr. Geburt in Litthauen üblich war, so kann, bei der allgemeinen Verbreitung ähnlicher Sitten in der vorchrist¬ lichen Zeit, hier ein solcher Fall von Totenbcstattung sehr wohl vorliegen. Den zweiten Vortrag hielt vr. E. Bahrfeldt über „Berlins

Stein

In

nennt sie der Berliner und trifft mit dieser Bezeichnung den Nagel auf den Kopf. Arm i» Arm taumeln die beiden Kumpane, deren Gesicht auf deni farbigen Original im schönsten Kupferrot prangt, aus dem Schnapsladen — selig von dem betäubenden Fusel. Der Zustand, in dem sie sich befinden, wird drastisch durch das Zwiegespräch gekennzeichnet, das die beiden Saufbrüder nach der Unterschrift des Originals führen. „Du," sagt der eine Kumpan, „ick schlendre meinen Schlendrian un habe meinen Kopp vor mir," worauf der Bruder zur Linken im blauen Frack und in grünen Hosen, der die grüne „Kümmelpulle" hoch hält, die schnapsphilosophische Antwort giebt: „Weeßt Du wat, Jevatter? Wenn ick ne Kiepe hädde, so setzt ick mir rindar un drüje mir nach Scheeneberg, denn dhäten mir die Beene »ich weh!" Das ist der Berliner Schnapsbruder, wie er leibt und lebt, und wie er sich unverfälscht bis auf die Gegenwart erhalten hat.

Münzgeschichte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart", in dem er eine interessante Uebersicht über die seit hem 14. Jahrhundert in Berlin geprägten Münzen gab, die städtischen und landesherrlichen

Vereins-Nachrichten.

Münzmeistcr bezeichnete und verschiedene neue Nachrichten über t. Berliner Münzgebäude mitteilte.

„Vrandenburgia", Gesellschaft für Heimatkunde der Provinz Brandenburg zu Berlin. Die 12. (6. ordentliche) Versammlung des 8. Vereiusjahres fand am 12 Dezember im Sitzungssaals des Brandenburgischen Ständehauses in der Matthäikirchstraße statt. Herr Gcheimrat Friede! teilte zunächst mit, daß die Versuche mit dem neuen Müllschnielzofen abgeschlossen seien, und daß man das Verfahren einstweilen eingestellt habe. Proben der Schmelzprodukte, welche wie dickes grünes Flaschcnglas aus-' sehen, lagen vor, ebenso ein Bogen des aus diesem Schmelzprodukt her¬ Ferner besprach der Vorsitzende die gestellten Schmirgelpapiers. neue Agenda des Kaufhauses Rudolph Hertzog, welche anläßlich des Jahrhundcrtwechsels besonders prächtig ausgestattet ist. Sie enthält eine reich illustrierte Uebersicht über die Geschichte Berlins von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart und außerdem eine Zusammenstellung der sämtlichen Gruppen in der Siegesallec. Unter den Abbildungen befinden sich außerdem Reproduktionen verschiedener seltener, bisher noch nicht ver¬ öffentlichter Stiche bezw. Holzschnitte. Außerdem wurde die Photographie des Zweiges einer Nüster vorgelegt, welcher zuSympathiczwecken zusammen¬ geknüpft war und auf den, der ihn löste, die „eingebundene" Krankheit übertragen sollte, und eine Abbildung der Gegend an der Ecke der Müller- und Triftstrabe aus deni Jahre 1858. Gehcimrat Friede! be¬ sprach sodann ausführlich die Funde, welche im September dieses Jahres in dem großen Hünen grabe bei Seddin in der Westprignitz gemacht worden sind. Die Prignitz hat des Elbstronics wegen von altcrsher ein sehr günstiges Kulturleben gehabt, und infolgedessen haben sich dort mehr kulturgeschichtliche Denkmäler erhalten als audersivo. Wo die Denk¬ mäler bereits verschwunden find, werden Sagen von ihrem Vorhanden¬ So befindet sich ein großer megalithischer Bau bei sein überliefert. SteinMölln, in der Nähe von Lenzen, eine Anzahl aufrechtstehender blöcke mit einer mächtigen Steinplatte darüber, unter denen der Ricsenkönig begraben liegt, so wird beim Dorfe Kemnitz, in der Nähe von Pritzwalk, das Grab eines Riesenkönigs gezeigt, welches 120 Schritt im Umfange mißt, ebenso hat sich früher bei Pröttlin, nach der mecklen¬ burgischen Grenze zu, ein Hünengrab nüt aufrechtstchendeu Steinblöckcn befunden, in dessen Innern eine bronzene Urne (jetzt in Schwerin) stand, und schließlich berichtet eine Sag daß bei Trieglitz der Riesenkönig in einem goldenen Sarge begraben liege; ein großer, jetzt zersprengter

Foitictneano,

Berlin. — Druck

bezeichnete die Grabstätte.

Seddin

1801

die unser Bild darstellt, sind zwei Straßentypen aus deut Berlin der dreißiger Jahre, deren Spezies auch in der Gegenwart leider noch nicht ausgestorben ist. „Kümmelbrüder"

Verantwortlicher Redakteur: Dr. M.

!

U,u>

die

Büchertisch. Hie gnt Brandenburg alletyeg! Geschichts- und Kulturbilder aus der Vergangenheit der Mark und aus AltBerlin bis zum Tode des Großen Kurfürsten. Heraus¬ gegeben von Richard George. Mit reichem Bilderschmuck nach

geschichtlich überlieferten Originalen. Berlin 1900. Verlag von W. Paulis Nachf. Jerosch und Dünnhaupt. „Der Jugend zur Lust, dem Volk zum Nutzen!" könnte man als Motto dem vorliegenden Sammelwerk beifügen, welches sowohl die Freude und das Interesse der Jugend an der vaterländischen Geschichte wecken, wie auch dem Volk in populärer Weise die Kenntnis von der Vergangenheit übermitteln soll. Neben der politffchen Geschichte sind die Kulturgeschichte der Mark Brandenburg und die Lokalgeschichte des alten Berlin berücksichtigt worden, und neben streng historischen Dar¬ stellungen finden sich Sagen und märkische Dichtungen, historische .Novellen und landschaftliche Schilderungen. Der Herausgeber hat sein Werk so vielseitig wie möglich zu gestalten versucht und zu diesem Zweck dem großen Schatze märkischer Publikationen manch wertvolles Stück entnommen; auch unter den Mitarbeitern finden sich Namen von gutem Klang. Außerdem ist das Werk mit reichem Bilderfchmuck ausgestattet, der zum Schauen und zum Lesen anlockt und eine schätzenswerte

Ergänzung zum Texte bildet. Wer sich über die Gestalten der brandenburgischen Herrscher und ihrer hervorragendsten Diener, über Gewan¬ dung und Waffen, über Münzen und Siegel, über märkische Städte und Landschaften, über Baukunst und Kunstgewcrbe in Brandenburg unterrichten will, der findet in dem vorliegenden Werk Stoff genug und Anregung zu weiteren Forschungen, und keiner wird das Buch mi߬ mutig aus der Hand legen.

Inhalt:

Berliner Wandelbilder. Von vr. Georg Malkowsky. — Berlin im Jahre 1899. Von Richard George. — Berliner Sekt. — Von Paul Hirschfeld. — Kunst und Wissenschaft (Ludwig Pietsch. Karl Helnierding ch). — Aus Süd-Afrika. — Berliner Chronik. — Mär¬ — Kleine kische Chronik. — Berliner Totenschau des Jahres 1899. Mitteilungen. — Vereins-Nachrichten. — Büchertisch. Verlag:

Friedrich Schirmer, Berlin 8W„

Reuenburger Straße

Ha.