Der Autor in seinem Text: Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur als (post-)postmodernes Phänomen 9783737004640, 9783847104643, 9783847004646

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Der Autor in seinem Text: Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur als (post-)postmodernes Phänomen
 9783737004640, 9783847104643, 9783847004646

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Deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Medien

Band 17

Herausgegeben von Carsten Gansel und Hermann Korte

Birgitta Krumrey

Der Autor in seinem Text Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur als (post-)postmodernes Phänomen

Mit 6 Abbildungen

V& R unipress

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-6304 ISBN 978-3-8471-0464-3 ISBN 978-3-8470-0464-6 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0464-0 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Ó 2015, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Titelbild: suze / photocase.de Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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11

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11 13

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16 21

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22 30 32 33 35

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39 40 45 49 54

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55 60 61 63

III Die postmoderne Autofiktion: Gattungsüberschreitung und Gattungskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Serge Doubrovskys ›autofictions‹ Fils und Le livre bris¦ . . . . . . .

65 68

I Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Die Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur : eine Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 ›Ich-Kult‹ und ›Ich-Zeit‹: Ein neuer Trend? . . . . . . . . . 1.2 Zur Problematik einer Epochendiagnose ›nach der (Post-) Moderne‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Perspektiven der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Autofiktion, fiktionale Autobiographie, autobiographisches Schreiben: Definition und Begriffsverwendung . . . . . . . 2.2 Autobiographisches Schreiben in der Gegenwartsliteratur . 2.3 Autorschaftsdebatten seit der ›Rückkehr des Autors‹ . . . . 2.4 Autorschaft im autofiktionalen Text der Gegenwart . . . . . 3 Forschungsansatz und Textauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . II Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Autobiographisches Erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Fiktionales Erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Zum Stellenwert von Realitätsfragmenten in der Fiktion . . . . 4 Postmoderne Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Theoretische Positionen: Fiedler, Sontag, Derrida, Barthes, Foucault . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Charakteristika des postmodernen Textes . . . . . . . . . . 4.2.1 Ihab Hassans parataktische Liste . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Der postmoderne Text nach Christer Petersen . . . . .

6

Inhalt

2 Alain Robbe-Grillets Romanesques Le miroir qui revient, Ang¦lique ou l’enchantement und Les derniers jours de Corinthe . . 3 W. G. Sebalds Autofiktionen Die Ringe des Saturn und Austerlitz . IV Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart . . . . Aufmerksamkeitsgenerierung und Inszenierungsstrategien in der Gegenwart: eine Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Hanns-Josef Ortheils Die Erfindung des Lebens: eine nachträgliche Autofiktionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Autobiographisches Schreiben in Die Erfindung des Lebens . . 1.2 Die autobiographische Dimension des Textes im Kontext von Ortheils Œuvre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Autofiktionalisierung und/oder Marketingstrategie . . . . . . . 2 David Wagners Leben – Autofiktion im Zeichen medialer Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Vita Nova: Protokoll einer Krankheitsgeschichte . . . . . . . . 2.2 Leben als autofiktionaler Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Die epitextuelle Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Leben – Autofiktion fernab der Gattungskritik . . . . . . . . . 3 Thomas Glavinics Das bin doch ich – Der Autor im Spiegel des Erfolgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Das bin doch ich – eine Literaturbetriebs-Satire? . . . . . . . . 3.2 Thomas Glavinic: Autofiktionale Selbststilisierung . . . . . . . 3.2.1 Das autobiographische Paktangebot . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Der Fiktionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Widerstreitende Pakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 »Das bin nicht ich! Das könnt’ ich sein« . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Positionierung im Text und der Effekt für das Autor-Label ›Thomas Glavinic‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Rafael Horzons Das weisse Buch: Fiktion oder romanhaftes Leben? 4.1 Das weisse Buch – eine Unternehmer(auto)biografie? . . . . . . 4.2 Das weisse Buch als autofiktionaler Text . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der autobiographische Pakt und seine Unterminierung . 4.2.2 Die ›Beweiskraft‹ der Bilder – Horzons Dokumentarfotos . 4.2.3 Die ›Lust am Text‹ – intertextuelle Verweise und Interpiktorialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Un(be)greifbarkeit des Verfassers: Rafael Horzon als Kunstfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Clemens Meyers Gewalten – von den Grenzen des autobiographischen Bezugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Gewalten: (K)ein Tagebuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 80 89 90 95 96 100 103 109 110 114 116 120 122 123 130 130 132 134 137 142 145 145 150 150 156 161 164 173 174

7

Inhalt

5.2 Gewalten – Roman eines Jahres . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 ›Gewalten‹: Das Autor-Ich als unterworfenes Individuum . 5.2.2 ›German Amok‹: ›Clemens Meyer‹ als potenzieller Attentäter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Wirklichkeitsmaterial plus X: ›Nicht nur vom Ich‹ erzählen . .

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V Autofiktionales Schreiben nach der (Post-)Moderne? . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

183 188

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist im Sommersemester 2014 von der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) als Dissertation angenommen worden. Sie ist das Ergebnis eines intensiven Arbeitsprozesses, der ohne die Anregungen und Hilfestellungen einer Reihe von Menschen und Institutionen nicht möglich gewesen wäre. Mein besonderer und herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Albert Meier für seine stete Ansprechbarkeit, die konstruktiven Diskussionen, ermutigende Worte und seine Zuversicht in das Gelingen dieser Arbeit. Darüber hinaus möchte ich ihm für die langjährige Unterstützung meiner wissenschaftlichen Tätigkeit danken, die über die Betreuung meiner Dissertation bei weitem hinausgegangen ist. Ferner danke ich meinem Zweitgutachter Prof. Dr. Claus-Michael Ort für wichtige Hilfestellungen und wertvolle Hinweise. Dem Cusanuswerk bin ich für die langjährige ideelle und finanzielle Unterstützung zu größtem Dank verpflichtet. Die Förderung hat nicht nur die Rahmenbedingungen für die Anfertigung der Arbeit geschaffen; sie hat mir darüber hinaus immer wieder neue Perspektiven eröffnet und wichtige sowie wegweisende Begegnungen möglich gemacht. Bei Prof. Dr. Carsten Gansel und Prof. Dr. Hermann Korte bedanke ich mich für die freundliche Aufnahme in die Reihe Deutschsprachige Gegenwartsliteratur und Medien sowie beim Verlag V& R unipress für die sehr gute Zusammenarbeit. Für den fachlichen Austausch und die Korrekturhinweise, vor allem aber für ihren Zuspruch, ihre Zeit und ihr Gehör danke ich insbesondere Julia Steimle und Martina Schwalm, Gerrit Lembke und Ingo Irsigler, die mich von der Planung des Vorhabens an bis zur Fertigstellung der Arbeit begleitet haben. Außerdem möchte ich meinen Freunden und Kieler Kollegen Willem Strank, Hanna Pahl, Ingo Vogler, Yvonne Al-Taie, Gyde Opitz, Liebgard und Kristine Buchholz danken sowie allen, die mich während der Dissertationsphase im Beruflichen oder Privaten unterstützt haben.

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Vorwort

Mein abschließender und vielleicht wichtigster Dank gilt meiner Familie: meinen Eltern, meinem Bruder Björn und seiner Frau Ute sowie Julian im Besonderen – für Geduld, Verständnis, Bestärkung und Vertrauen.

I

Einleitung KEIN Schriftsteller, der bei Trost ist, schreibt eine Autobiographie.1

1

Die Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: eine Einführung

Autobiographische Texte erfreuen sich in der Gegenwartsliteratur größter Beliebtheit. Autoren schreiben sich mit biographischen Elementen in ihre fiktionalen Texte ein und situieren diese immer häufiger zwischen Roman und Autobiographie. Michael Grote und Beatrice Sandberg haben das autobiographische Schreiben der Gegenwart daher längst als ein »Schreiben an der Grenze […] zwischen Autor und Text ebenso wie an der Grenze zwischen Wirklichkeitsbezug und Fiktion« bezeichnet.2 Zumindest rechtlich gesehen ist der literarischen Arbeit mit der eigenen Biographie in fiktionalen Texten dort Schranken gesetzt, wo sie die Persönlichkeitsrechte Dritter verletzt. Dies haben insbesondere die juristischen Auseinandersetzungen um Maxim Billers Esra (2003) und Alban Nikolai Herbsts Meere (2003) veranschaulicht. In beiden Verfahren ist es um die Frage gegangen, ob bzw. inwiefern der Autor mit seiner Biographie im Roman-Text sichtbar wird und durch diese Ähnlichkeitsbeziehung andere Romanfiguren ›entschlüsselt‹ werden können. In Bezug auf Billers Esra ist dem Verlag Kiepenheuer & Witsch zunächst durch das Landgericht München I, später durch das Bundesverfassungsgericht der Vertrieb des Romans untersagt worden.3 Es ist nicht bezweifelt worden, dass es sich bei einem ›Roman‹ um ein literarisches Kunstwerk und damit um Fiktion handelt. Wegen offenkundiger biographischer Parallelen und der damit gegebenen Identifizierbarkeit realer Personen als Vorlagen für die

1 Widmer : Reise an den Rand des Universums, S. 7 (Hervorhebung im Original, Kursivierung B. K.). 2 Grote/Sandberg: Einleitung, S. 8. 3 Siehe dazu näher : LG München I: Urteil vom 15. Oktober 2003 sowie BVerfG: Beschluss vom 13. Juni 2007.

12

Einleitung

literarischen Figuren hat das Bundesverfassungsgericht die Kunstfreiheit jedoch zugunsten des Persönlichkeitsrechts eingeschränkt.4 Eine ähnliche Gewichtung des Persönlichkeitsschutzes hat Herbsts Meere betroffen. Sein Roman behandelt die Liebesgeschichte zwischen dem Künstler Fichte und der zwanzig Jahre jüngeren Deutsch-Inderin Irene und enthält sexuell explizite Schilderungen. Aufgrund der autobiographischen Nähe des Protagonisten zum Verfasser5 könnte angenommen werden, auch diese intimen Details seien der Realität entlehnt: Mithin gewinnen selbst rein erfundene Erzählungen dadurch eine gewisse Authentizität, dass bestimmte Signale im Textumfeld nahelegen, hinter der Geschichte des Romans stünden empirische Ereignisse; das Werk würde dann zumindest in Teilen als Dokumentation gelesen und zwar auch dort, wo es sich in Wahrheit um freie Erfindung handelt.6

Herbst provoziert eine Lesart der ›Entschlüsselung‹, nimmt gleichermaßen jedoch für seinen Text in Anspruch, ein ›Roman‹ und damit Fiktion zu sein. Das Landgericht Berlin hat der Klage von Herbsts ehemaliger Partnerin stattgegeben und zugunsten ihres Persönlichkeitsrechts entschieden;7 dem Verlag wurde der Vertrieb des Buches verboten, obwohl die Klägerin keine Person des öffentlichen Lebens darstellt und sie, anders als im Fall ›Esra‹, vor Einreichung der Ausgangsklage für die meisten Leser kaum identifizierbar gewesen sein kann.8 Meere ist in einer modifizierten Fassung seit Mai 2008 wieder erhältlich.9 Das Phänomen, einen fiktionalen Text auf seinen autobiographischen Gehalt hin zu lesen, hier sozusagen ›Spuren des Autors‹ zu suchen, ist aus literaturwissenschaftlicher Sicht nach wie vor heikel. Autoren legen es immer wieder auf solche Rezeptionseffekte an, die eine literaturwissenschaftliche Analyse nicht außer Acht lassen kann. Christoph Jürgensen hat dies an Herbsts Meere reflektiert: Herbst wurde als Alexander von Ribbentrop geboren, Großneffe desjenigen Ribbentrop, der Außenminister im Dritten Reich war und der 1946 hingerichtet wurde, ein Wissen, dass [sic] Herbst beim Leser inzwischen durchaus voraussetzen kann und mit 4 Geklagt hatten die ehemalige Partnerin Maxim Billers, eine in Deutschland lebende türkischstämmige Schauspielerin, sowie deren Mutter. Das Gericht hat es als erwiesen angesehen, dass die Intimsphäre der Tochter in besonderem Maße betroffen sei. Siehe dazu: BVerfG: Beschluss vom 13. Juni 2007 sowie Meier : Kunstfreiheit versus Persönlichkeitsschutz. 5 ›Verfasser‹ wird im Folgenden als Synonym für den textexternen ›Autor‹ verwendet, um ihn sprachlich sowohl von dem textinternen ›Autor‹ als auch von der abstrakten Kategorie ›Autor‹ unterscheiden zu können. 6 Meier : Realitätseffekt ›Autor‹, S. 267. 7 Vgl. dazu Jürgensen: Ich ist ein anderer. 8 Vgl. LG Berlin: Urteil vom 23. Oktober 2003. 9 Vgl. Jürgensen: Ich ist ein anderer.

Die Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: eine Einführung

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dem er offensichtlich spielt – und insofern liegt es auch nicht ganz fern, ihn als Figur in »Meere« wieder zu erkennen; dennoch sind solche Feststellungen stets mit Vorsicht zu bewerten, zeichnet doch viele Romane gerade das Spiel des Autors mit seiner Biographie aus.10

Der ›spielerischer‹ Umgang eines Autors mit der eigenen Biographie verstärkt sich nochmals in Texten, die als ›autofiktional‹ bezeichnet werden können und seit ca. 2000 vermehrt in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur aufzutauchen scheinen.11 Nach der schnell sprichwörtlich gewordenen »Rückkehr des Autors«12 schreiben sich Schriftsteller ganz explizit mit ihrem bürgerlichen Namen in die dennoch als ›fiktional‹ markierten Texte ein und nutzen damit den wohl »stärksten – und gerade im Augenblick (2013) […] epidemisch grassierenden – Realitätseffekt«.13 In meist homodiegetischen Erzählungen verzichten Autoren wie Jakob Hein in Mein erstes T-Shirt (2003), Heinz Strunk in Fleisch ist mein Gemüse (2004), Thomas Glavinic in Das bin doch ich (2007) oder Rafael Horzon in Das weisse Buch (2010), anders als Biller und Herbst, nahezu gänzlich auf eine Form der ›Verschlüsselung‹ des autobiographischen Bezugs. Deutschsprachige Autoren greifen hier eine Textform auf, die ihren Ursprung im französischen Poststrukturalismus hat und im Kontext einer selbstreflexiven Auseinandersetzung mit der traditionellen, auf eine außertextliche Wirklichkeit bezogenen Autobiographie entstanden ist. Zielen ›postmoderne Autofiktionen‹14 im Kern darauf ab, die Grenzen einer auf Wahrheit angelegte Lebensbeschreibung zu problematisieren, nutzen die gegenwärtigen Autofiktionen den (möglichen) Bezug zum Verfasser vielmehr für eine textinterne Stilisierung bzw. Inszenierung ihrer Person. An diesen Texten scheint sich damit, wie im Folgenden untersucht werden soll, eine Art Funktionswandel abzuzeichnen, der auf vorangegangenen Strategien autobiographischen Schreibens aufbaut, in seiner Rückbesinnung auf die Autor-Kategorie jedoch über sie hinausweist.

1.1

›Ich-Kult‹ und ›Ich-Zeit‹: Ein neuer Trend?

Erste Stimmen konstatieren an dem behaupteten ›Trend‹ eines am Autor orientierten, fiktionalen Schreibens einen Epochenwandel in der Literatur. Maxim Biller z. B. sieht in der Verbindung von autobiographischen Inhalten und fiktionalem, homodiegetischem Erzählen das zentrale Charakteristikum der Ge10 11 12 13 14

Ebd. Siehe zum Begriff ›Autofiktion‹ in der vorliegenden Arbeit: Kap. I.2.1. Jannidis/Lauer/Mart†nez/Winko (Hg.): Rückkehr des Autors. Meier : Realitätsreferenz und Autorschaft, S. 31. Siehe dazu in der vorliegenden Arbeit: Kap. I.2.1 sowie III.

14

Einleitung

genwartsliteratur, mit dem in seinen Augen eine neue Epoche nach der Postmoderne angebrochen ist. In seinem Artikel ›Ichzeit‹ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 2. Oktober 2011 heißt es dazu: »Wir – Leser, Schriftsteller, Kritiker – leben, lesen und schreiben schon lange in einer neuen literarischen Epoche und wissen es nicht«.15 Nach jenen »idyllischen, risikolosen Gruppe-47-Tagen und den vielen leeren Sprachspielen«16 stehe im Mittelpunkt der ›Ichzeit‹ ein »glaubhaftes, mitreißendes und suggestives Erzähler-Ich«,17 das aufgrund der Nähe zum Verfasser stärker sei als je zuvor: Ist es nicht normal, dass Autoren ihre Erfahrungen verarbeiten? Ja, aber nicht gleich alle und nicht gleich alle so intensiv. Und es gibt eine weitere Gemeinsamkeit: Fast jedes der bedeutenden deutschen Bücher der vergangenen Jahre kommt in der ersten Person Singular daher – oder zumindest ist der Protagonist dem Autor zum Verwechseln ähnlich. Das ist kein Zufall. Nur ein kräftiges Erzähler-Ich kann die faszinierende, den Leser mitreißende Illusion erzeugen, dass der Erzählende und der Schreibende ein und dieselbe Person sind.18

Eingeläutet hat die ›Ichzeit‹ laut Maxim Biller Rainald Goetz mit Irre und der Lesung von Subito zum Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt 1983.19 Als Erster habe Goetz seine »ganze verletzende und verletzliche Person stolz ins grelle öffentliche Licht« gestellt.20 Biller stellt jedoch heraus, dass die ›Ichzeit‹ damit keinem naiven Realismus entspricht: Die Literatur der Ichzeit ist natürlich nie auf die altmodische Art realistisch. Das darf sie auch nicht sein. Sie ist mal Cut-up, mal ein Hin und Her zwischen Gedicht und Roman, sie ist mal linear, mal irre Montage, und sie ist in dem Sinne post-postmodern, dass keiner ihrer schreibfertigen Autoren so tut, als wäre er ein auktorialer Tyrann […].21

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sei Goetz eine Reihe von Schriftstellern gefolgt, darunter Jörg Fauser, Wolfgang Herrndorf, Monika Maron, Christian Kracht und nicht zuletzt Helene Hegemann mit ihrem Erstling Axolotl Roadkill (2009).22 Auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung sind Formen autofiktionalen Erzählens in den Zusammenhang eines epochalen Wandels gestellt wor15 16 17 18 19

Biller : Ichzeit, S. 23. Ebd. Ebd. Ebd. Die Lesung von Rainald Goetz beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt fand 1983 statt, nicht – wie Maxim Biller irrtümlicherweise schreibt – 1982. 20 Biller : Ichzeit, S. 23. 21 Ebd. 22 Vgl. ebd.

Die Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: eine Einführung

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den. Martina Wagner-Egelhaaf plädiert dafür, neue autofiktionale Texte,23 die nicht mehr Teil eines poststrukturalistischen Problemdiskurses sind, nicht als »Rückfall in vorkritische Zeiten« zu begreifen, sondern als ein Ankommen in einer »Epoche nach der Kritik«: »[D]as hieße, dass das Subjekt immer schon so weit dekonstruiert ist, dass man sich diesbezüglich keine Mühe mehr machen muss. Vielmehr kann es in der Schwundstufe einer erzählerischen Geste wieder eingesetzt werden«.24 Die ›Epoche nach der Kritik‹ zeichne sich demnach dadurch aus, dass Texte der Gegenwart sich »nicht mehr an der Grenze abarbeiten« müssten, »die vermeintlich zwischen fiktionaler und autobiographischer Darstellung«25 besteht. Die Autoren könnten das Wissen der hoch artifiziellen Auseinandersetzungen mit der Autobiographie der 1970er und 1980er Jahre inzwischen voraussetzen:26 Wir befinden uns nicht mehr in den 70er Jahren, als die poststrukturalistischen Einsichten und Textverfahren neu waren und einen kritischen Blick auf vertraute, bislang nicht hinterfragte diskursive Einheiten wie ›Autor‹ und ›Werk‹, ›Bedeutung‹ oder ›Autobiographie‹ eröffneten. Gleichwohl gilt es, nicht hinter diese Einsichten zurückzufallen […]. Dies bedeutet aber auch, dass es autofiktionalem Schreiben heute nicht mehr um die Alternative ›Wirklichkeit‹ oder ›Fiktion‹ geht. […] Die Differenz läuft sozusagen selbstverständlich mit, gibt sich dann und wann zu erkennen, aber nicht mehr mit dem Pathos der 70er Jahre, das gegen das Pathos des entwicklungsgeschichtlich gedachten Individuums anzuschreiben hat.27

Auch Peter Braun und Bernd Stiegler konstatieren einen ›Bewusstseinswandel‹, der sich in der Literatur der Gegenwart niederschlage: Neuere und jüngste performative Erzählweisen indes zeichnen sich einerseits durch eine wiedererwachte ›Sehnsucht nach Wirklichkeit‹ – und damit historischer oder zeitgeschichtlicher Referenzialität – aus, andererseits jedoch durch ein Reflexionsniveau, das durch Moderne und Postmoderne gegangen ist und nicht dahinter zurückfallen will.28

Es bleibt bisher offen, wie sich ein solches ›Realitätsverlangen‹, das über das ›Reflexionsniveau‹ der Moderne und Postmoderne verfügt, konkret in den Texten äußert. Ebenso gilt es zu fragen, ob der Begriff einer ›Epoche nach der Kritik‹ lediglich eine Abschwächung der vordergründigen Problematisierung 23 Der ›autofiktionale Text‹ bezeichnet im Rahmen der Arbeit ausschließlich Erzähltexte. Unter ›neuen‹ autofiktionalen Texten werden diejenigen verstanden, die nach 2000 entstanden sind und darüber hinaus nicht mehr im Kontext des Poststrukturalismus sowie der genuinen Postmoderne zu verorten sind (vgl. hierzu Kap. I.3). 24 Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 366. 25 Ebd., S. 368. 26 Ebd., S. 361 und 366. 27 Ebd., S. 361. 28 Braun/Stiegler: Die Lebensgeschichte als kulturelles Muster, S. 11.

16

Einleitung

der Gattung ›Autobiographie‹ bezeichnet oder die Textform ›Autofiktion‹ an sich eine Weiterentwicklung erfahren hat, die noch dazu als stellvertretend für die Literatur der Gegenwart gelten kann. Die vorliegende Arbeit hat sich daher zum Ziel gesetzt, zu untersuchen, ob und wie gegenwärtige Texte über die (post-)moderne Feststellung vom ›Tod des Subjekts‹ und der »Unverfügbarkeit autobiographischer Wahrheit«29 hinausgelangen. In Bezug auf den möglichen Wandel sogenannter Autofiktionen gilt es vor allem, den »Provokationswert« ernst zu nehmen, der mit der Rückwendung auf das »traditionelle Modell (›Autor‹ ! ›Werk‹)«30 verbunden ist, sowie der Frage nachzugehen, ob die Einschreibung des Autors in seinen Text tatsächlich eine »nach-postmoderne Poetik« impliziert.31

1.2

Zur Problematik einer Epochendiagnose ›nach der (Post-)Moderne‹

An einem (Wieder-)Aufleben der Ich-Erzählung mit autobiographischem Gehalt eine neue Epoche nach der Postmoderne festzumachen, wie Maxim Biller dies suggeriert, scheint in mehrfacher Hinsicht problematisch zu sein. So handelt es sich bei der ›Ich-Bewegung‹ um eine Entwicklung, die zwar für Biller im frühen 21. Jahrhundert an ihrem Höhepunkt angekommen ist,32 von anderer Seite jedoch bereits wieder als vergangen erachtet wird. Dies belegt z. B. ein Gespräch zwischen der Literaturredakteurin Iris Radisch und dem Schriftsteller und Schauspieler Josef Bierbichler. Beide wollen den »Ich-Kult«33 angesichts neuer Familienromane des Literaturherbstes 2011, wie Oskar Roehlers Herkunft (2011) oder Eugen Ruges In Zeiten des abnehmenden Lichts (2011), verabschieden. Bierbichler erklärt die autodiegetische Erzählposition zu einem regelrechten »Ich-Zwang«,34 dem er sich in seinem ebenfalls 2011 erschienenen Roman Mittelreich bewusst zu entziehen versucht habe.35 Adam Soboczynski 29 30 31 32

Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 359. Meier : Realitätsreferenz und Autorschaft, S. 31. Meier : Realitätseffekt ›Autor‹, S. 268. Auch in Bezug auf die englischsprachige Literatur wird vielfach hervorgehoben, dass es eine Konjunktur des ›Ich-Romans‹ gebe. So schreibt u. a. David Lodge: »I haven’t done any statistical analysis, but my impression is that a majority of literary novels published in the last couple of decades have been written in the first person« (Lodge: Consciousness and the Novel, S. 86). – Während Maxim Biller die Ich-Erzählform in der deutschen Literatur als charakteristisch für die Zeit nach der Postmoderne ansieht, hebt Martin Löschnigg in Anlehnung an David Lodge die Vorherrschaft des homodiegetischen Erzählform in der englischsprachigen Literatur wiederum als Charakteristikum der Postmoderne hervor (vgl. Löschnigg: Die englische fiktionale Autobiographie, S. 1). 33 Radisch: Josef Bierbichler, S. 7. 34 Ebd., S. 6. 35 Ebd., S. 7.

Die Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: eine Einführung

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thematisiert das Ich-Erzählen 2012 anhand von Christian Krachts Imperium (2012). In diesem (wenigstens vordergründig) auktorial erzählten Roman erkennt der Rezensent eine Steigerung von Krachts Erzählkunst, da sich der Autor hier von dem zuvor von ihm häufig verwendeten Ich-Erzähler absetze: Christian Kracht hat mit Imperium seinen bisher besten, seinen ausgereiftesten Roman vorgelegt. Und sich nebenbei als Autor neu erfunden: Der rollenprosahafte Ich-Erzähler mit begrenztem Ausblick und dümmlichem Horizont, der in Faserland verzweifelt durch die Partyszene, in 1979 durch den Iran und China, in Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten auch durch eine fiktive kommunistische Schweiz wandere, ist einem auktorialen gewichen, der seine Spiegelfiguren souverän über das Schachbrett zieht.36

Die hier nur schlaglichtartig aufgeworfenen Positionen in der ›Ich-Debatte‹ des deutschen Feuilletons um den Jahreswechsel 2011/12 veranschaulichen zwar, dass das Schreiben in der Ich-Form, das sich an der autobiographischen Form orientiert, in der Tat zu einer der markanteren literarischen Entwicklungen zu zählen ist. Biller erfasst aber mit seinen Überlegungen nur einen kleinen Ausschnitt der gegenwärtigen Literaturproduktion, die nicht zuletzt sein eigenes Schaffen einschließt. Die von Wagner-Egelhaaf angesprochene ›Epoche nach der Kritik‹ lässt sich ebenso wenig grundsätzlich an autofiktionalen Texten der Gegenwartsliteratur festmachen. Nach wie vor kommt in Romanen wie Feuer brennt nicht (2009) von Ralf Rothmann oder Hoppe (2012) von Felicitas Hoppe gerade die Skepsis gegenüber dem ›Ich‹-Erzählen und der Autobiographie explizit zum Ausdruck. In Rothmanns Roman heißt es z. B.: Von sich zu schreiben in der ersten Person geht selten ohne Verstellung. Das ›Ich‹ ist ein schiefes Licht, und der Vorsatz, schonungs- oder gar schamlos zu sein, hat sich immer noch abgeschliffen während der Arbeit und Schwächen in persönliche Vorzüge verwandelt. So bleibt nur die dritte Person, eine notdürftige Tarnung, womöglich mit sprechendem Namen. Man denkt an das Kind, das glaubt, nicht gesehen zu werden, wenn es die Augen schließt oder beide Hände vors Gesicht schlägt.37

Hoppe hingegen wählt für den mit ihrem Familiennamen betitelten Text die Form der fiktiven Biographie und thematisiert selbstreflexiv die Unmöglichkeit eines ›wahren‹ autobiographischen Schreibens.38 Nach der Verabschiedung des Subjekts sowie des Autors in der Postmoderne zeigt sich hier zwar eine rege Auseinandersetzung mit dem ›Ich‹ und der Autobiographie. Es bleibt aber 36 Soboczynski: Seine reifste Frucht, S. 49. 37 Rothmann: Feuer brennt nicht, S. 14. – Da die Genretitel für autofiktionale Texte von Relevanz sind, werden diese in den Literaturangaben mit aufgeführt. 38 Siehe dazu näher : Krumrey : Autofiktionales Schreiben nach der Postmoderne, insbesondere S. 287f.

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Einleitung

fraglich, ob dies allein schon als epochemachendes Element gewertet werden kann. Obwohl eine Epoche grundsätzlich anhand einer »initialen Innovation«39 festgelegt werden könnte und nicht zwangsläufig eine Abgrenzung von zwei Epochen erfahren muss (post quem und ante quem), stellt sich im Bereich der Gegenwartsliteratur40 die Frage, ab wann sich die Literatur tatsächlich so wandelt, dass von einer neuen Epoche die Rede sein kann. Dies vermag in der Regel – so hat die Literaturwissenschaft vielfach bewiesen – erst ein systematisierender Rückblick zu zeigen. Welche Art der Thematisierung in der Gegenwartsliteratur nun überwiegt (ob skeptische Problematisierung oder aber tatsächliche Überwindung), ist damit derzeit wohl kaum absehbar. Unabhängig von der Frage nach der Möglichkeit einer Epochendiagnose ist darüber hinaus die Frage nach dem Epochenbegriff selbst zu berücksichtigen. Bei der Postmoderne, von der Biller die sogenannte ›Ichzeit‹ absetzt, handelt es sich um ein Stil-Phänomen, das in verschiedenen Kulturräumen41 und in unterschiedlichen Bereichen in Erscheinung getreten ist.42 Die ›Postmoderne‹ bzw. der Begriff ›postmodern‹ werden zur Etikettierung höchst unterschiedlicher Texte und Schreibweisen verwendet. Bereits 1987 erklärt Wolfgang Welsch, dass die Verwendung des Begriffs ›Postmoderne‹ geradezu »inflationär[…]«43 gebraucht werde. Nicht zuletzt aufgrund der Unbestimmtheit und der weitschweifigen Anwendung wird der Terminus zur Benennung einer Epoche daher immer mehr als ungeeignet eingeschätzt: »Man hat sich oft am Ausdruck ›Postmoderne‹ gestoßen – zu Recht. Er scheint einen Epochenanspruch auszudrücken, aber damit übernimmt er sich«.44 Der Begriff suggeriere, daß die Moderne vorbei sei und Antimodernes künftig die Tagesordnung bestimmen werde. Genau das aber ist grundfalsch, denn die Postmoderne transformiert zwar die Moderne, aber sie beendet sie nicht und verkehrt sie nicht in eine Antimoderne.45

Die postmoderne Kunst verstehe sich als Kunst nach der Moderne, aber nicht als deren Ablösung, sondern als ihre Radikalisierung. Post-modern sei die post39 Meier : Weimarer Klassik – Eine Epoche in der deutschen Literaturgeschichte, S. 60f. 40 Gegenwartsliteratur ist ein »relationaler Begriff, der eine Teilmenge des Gesamtbereichs ›Belletristik‹« bezeichnet (Bluhm: Gegenwartsliteratur [Art.], S. 267). ›Gegenwart‹ lässt sich zugleich als Objekt und als Subjekt der Literatur verstehen, kann also die Zeit betreffen, in der die Literatur entsteht, oder selbst Thema der Literatur sein (vgl. Braun: Die deutsche Gegenwartsliteratur, S. 15). 41 Zu nennen sind hier vor allem die USA, Frankreich, Deutschland, Spanien, Lateinamerika und Russland (vgl. Riese/Magister : Postmoderne/postmodern, S. 1). 42 Riese/Magister zählen die Architektur, Urbanistik, Literatur, den Film, die Musik, Theaterproduktion und das Ballett auf (ebd., S. 14). 43 Welsch: Unsere postmoderne Moderne, S. 1 und 10. 44 Ebd., S. 1. 45 Ebd., S. 319.

Die Autofiktion in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: eine Einführung

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moderne Moderne lediglich gegenüber der Moderne im neuzeitlichen Sinne.46 Auch Dirk von Petersdorff thematisiert im Anschluss an die im Internationalen Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur geführten und von AnkeMarie Lohmeier 2007 angestoßenen Debatte um den Begriff der Moderne, »das Dilemma des Begriffs ›Postmoderne‹«.47 Dieses ergebe sich »aus der Komposition aus ›Post‹ und ›Moderne‹, das die Behauptung impliziert, sich in einem Zustand nach der Moderne zu befinden«.48 Dennoch »dürfte es innerhalb dieser Fächer kaum Vertreter geben, die davon ausgehen, dass die Basisprinzipien der Moderne außer Kraft gesetzt und wir uns realgeschichtlich in einer Epoche nach der Moderne befinden würden«.49 In Anlehnung an Michael Titzmann begreift Petersdorff daher mit ›postmodern‹ Unterschiede bzw. »Transformationen innerhalb der ästhetischen Moderne«.50 Auch Henk Harbers führt an, dass viele Werke und Autoren mit postmodernen Zügen noch in der Tradition der Moderne stünden.51 Der Bezug der Postmoderne zur Moderne, der durch Wolfgang Welsch und andere ausführlich 46 Vgl. Welsch: Unsere postmoderne Moderne, S. 6. Siehe zur Kritik an Welschs Position und Formulierungen etwa: Petersen: Der postmoderne Text, S. 304–306. Vgl. auch die im IASL geführte Debatte um den Begriff der Moderne. In ihrem Aufsatz plädiert Anke-Marie Lohmeier dafür, in der literaturwissenschaftlichen Moderne-Forschung die Ergebnisse der Geschichts-, Sozial- und Politikwissenschaft stärker zu berücksichtigen. Sie konstatiert u. a., dass von einem Ende der Moderne kaum zu sprechen sei und dass die ›Postmoderne‹ vielmehr als die bei sich selbst angekommene Moderne« bezeichnet werden könne (Lohmeier : Was ist eigentlich modern, S. 15). Thomas Anz antwortet 2008 mit einer Replik auf Lohmeiers Aufsatz (Anz: Über einige Missverständnisse) und betont u. a., dass »sich die Einschätzung [etabliert hat], dass sich die Postmoderne von der ästhetischen Moderne darin unterscheide, dass sie den Zusammenbruch tradierter Ordnungen und Sinngebungen nicht als Verlust betrauere, sondern als Gewinn begrüße« (ebd., S. 228). Siehe näher auch die weiteren sich 2009 anschließenden Beiträge von Ingo Stöckmann (Stöckmann: Erkenntnislogik und Narrativik der Moderne), Walter Erhart (Erhart: Editorial), Stefan Breuer (Breuer : Für einen epochal differenzierten Begriff der Moderne), Christof Dipper (Dipper : Was ist eigentlich modern) und Martin Huber (Huber : »Was bleibet aber…«). 47 Petersdorff: Postmoderne, S. 130. 48 Ebd. 49 Ebd. 50 Ebd., S. 131. Petersdorff spricht hier auch von einer »markanten Umorientierung« (ebd., S. 130), die letztlich einer Umdefinierung des Begriffs ›Postmoderne‹ bedürfe, wenn nicht gar einen neuen Begriff fordere. 51 Harbers: Gibt es eine ›postmoderne‹ deutsche Literatur, S. 68. Harbers hat zudem darauf hingewiesen, dass es insbesondere in Bezug auf die deutschsprachige Literatur problematisch sei, von einer Postmoderne als Epoche zu sprechen, weil die tatsächlichen Bezugsgrößen für das postmoderne Schreiben vor allem aus anderen europäischen und der amerikanischen Literatur stammen: »Wenn man von postmoderner Literatur spricht, sind es meistens unausgesprochen einige Werke, die das Muster für den Begriff prägen. Auch ohne sich in die Diskussion zu begeben, ob nun das Werk von Beckett oder von Joyce nicht oder ganz oder teilweise zur Postmoderne gehört, kann man feststellen, daß Autoren wie John Barth, Donald Barthelme, Thomas Pynchon, Italo Calvino, John Fowles, Umberto Eco, Julio Cort‚zar zum allgemein akzeptierten postmodernen Kanon gehören« (ebd., S. 53).

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aufgearbeitet worden ist,52 veranlasst auch ihn dazu, die Postmoderne nicht als eigenständige Epoche, sondern als eine Strömung innerhalb der Moderne zu begreifen.53 Umberto Eco bezeichnet mit ›postmodern‹ »eine Geisteshaltung oder […] eine Vorgehensweise, ein Kunstwollen«.54 Dennoch ist das Ende der Postmoderne wiederholt ausgerufen worden.55 Gleichzeitig gibt es aber auch gegenwärtig noch immer Stimmen, die von einem postmodernen Schreiben in der Gegenwartsliteratur sprechen. So sieht etwa Uwe Wittstock in der Entwicklung seit Mitte der 1990er Jahre einen Prozess, in dem postmoderne Grundzüge immer deutlicher hervorgetreten seien.56 Auch ein einheitlicher Epochen- oder aber Stilbegriff, der auf den der Moderne resp. (Post-)Moderne folgen könnte, liegt in der Forschung nicht vor. Neben der Verwendung des Begriffs ›Gegenwartsliteratur‹57 werden allerdings erste Wortbildungen wie ›Post-Postmodernismus‹ bzw. ›Post-Postmoderne‹ verwendet.58 Welsch weist ferner darauf hin, dass in den USA bereits in den 1970er Jahren von einem Post-Postmodernismus die Rede gewesen ist.59 Erste literaturwissenschaftliche Forschungsbeiträge greifen den Begriff auf,60 um Anzeichen von Neuerungen in der Gegenwartskultur zu erfassen. Carsten Rohde beispielsweise spricht das umstrittene Ende der Postmoderne und eine mögliche 52 Vgl. neben Welsch: Unsere postmoderne Moderne auch Renner : Die postmoderne Konstellation. 53 Harbers: Gibt es eine ›postmoderne‹ deutsche Literatur, S. 55. Als Moderne bezeichnet er in Anlehnung an Wolfgang Welsch die ästhetische Moderne in Abgrenzung zur Neuzeit (als »aufklärungsorientierte ›Moderne‹ seit Descartes« (ebd.)). 54 Eco: Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, S. 77 (Hervorhebung im Original). 55 Vgl. Petersen: Der postmoderne Text, S. 7 und Welsch: Unsere postmoderne Moderne, S. 10. Vgl. dazu auch Petersdorff: Postmoderne, S. 129, der in diesem Zusammenhang auf ein Sonderheft der Zeitschrift Merkur von 1998 verweist (Bohrer/Scheel: Postmoderne). 56 Wittstock: Nach der Moderne, S. 24. 57 In der bisherigen Literaturgeschichtsschreibung wird ›Gegenwartsliteratur‹ vielfach als Epochenbezeichnung für die jüngste Periode der Literaturproduktion verwendet (Braun: Die deutsche Gegenwartsliteratur, S. 15). Angelehnt an die politische Ereignisgeschichte verortet die Literaturgeschichtsschreibung die Gegenwartsliteratur ab 1945 bzw. 1968 oder 1989/90 (vgl. ebd., S. 22). Im Rahmen der Studie wird der Begriff hingegen herangezogen, um die Literaturproduktionen ab 2000 zu bezeichnen. Vgl. zur Problematik der Gegenwartsliteratur als Forschungsgegenstand: Brodowsky/Klupp: Einleitung sowie im selben Band Zanetti: Welche Gegenwart. 58 Vgl. etwa Turner: City as Landscape. 59 Welsch: Unsere postmoderne Moderne, S. 10. 60 Vgl. u. a. Rohde: Der Roman in der Postmoderne, S. 186 und Hoberek: An Introduction. Vgl. auch: Krumrey/Vogler/Derlin (Hg.): Realitätseffekte in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Für eine begriffliche Schärfung verschiedener Konzepte, die denen der Postmoderne folgen könnten, schlägt Mikhail Epstein Wortbildungen mit der Vorsilbe ›Trans-‹ vor (Epstein: Conclusion: On the place of postmodernism in postmodernity, S. 460f.). Albert Meier hat diesen Vorschlag aufgenommen und als Bezeichnung für die spezifische Ironie-Praxis einer Post-Postmoderne verwendet. Siehe dazu: Meier : Realitätsreferenz und Autorschaft, S. 26.

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Post-Postmoderne als Folgeepoche an.61 Der Landschaftsarchitekt Tom Turner sieht »signs of post-postmodern life in urban design, architecture and elsewhere«.62 Er konstatiert überdies: »The modernist age, of ›one way, one truth, one city‹, is dead and gone. The postmodernist age of ›anything goes‹ is on the way out. Reason can take us a long way, but it has limits«.63 Die vorliegende Studie verfolgt nicht das Ziel, die bereits in die Jahre gekommene und immer wieder aufkeimende Diskussion um den Begriff ›Postmoderne‹ und den Bezug zur ästhetischen Moderne, wie er hier nur angedeutet worden ist, weiterzuführen. Ebenso wenig möchte sie anhand einer Untersuchung eines kleinen Ausschnitts der gegenwärtigen Literaturproduktion eine neue Epoche ausrufen. Wolfgang Welsch folgend bezeichnet ›Postmoderne‹ im Rahmen der Arbeit vielmehr eine Stilrichtung in der Kunst, die die Moderne mit anderen Mitteln weiterführt, folglich auf ihr aufbaut und sie nicht ablöst. Aus Ermangelung eines geeigneteren Begriffs und der Einsicht, dass eine weitere Wortneuschöpfung keinen Mehrwert besitzt, finden die Begriffe ›PostPostmoderne‹ und ›post-postmodern‹ (bzw. ›nach-postmodern‹) Anwendung. In Anlehnung an Welsch werden sie ohne Epochalisierungsanspruch verwendet. Die Begriffe dienen der Bezeichnung einer Schreibweise, die sich gegenüber solchen als ›postmodern‹ bezeichneten Autofiktionen verändert hat, sie sollen also eine Transformation innerhalb einer Textsorte kenntlich machen, wobei im Folgenden zu klären sein wird, ob darin eine Abkehr von früheren Positionen oder eine Weiterentwicklung zum Ausdruck kommt.

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Perspektiven der Forschung

Bevor die Zielsetzung des Forschungsvorhabens näher erläutert werden kann, gilt es, notwendige Begriffsdifferenzierungen im Bereich des autobiographischen Schreibens der Gegenwartsliteratur vorzunehmen (Kap. 2.1) und insbesondere den Begriff ›Autofiktion‹ näher zu erläutern, da in der gegenwärtigen Forschung verschiedene Sammelbegriffe koexistieren, die ähnliche Phänomene zu bezeichnen versuchen. Im Anschluss daran wird die aktuelle Forschungslage zum autobiographischen Schreiben abgebildet, in die sich die Studie einordnet (Kap. 2.2). Hier sollen vor allem die sich zunehmend ausdifferenzierende Autofiktionsforschung sowie einschlägige Stimmen im Rahmen der Autorschaftsdebatten seit der ›Rückkehr des Autors‹ skizziert werden.

61 Vgl. Rohde: Der Roman in der Postmoderne, S. 186. 62 Turner : City as Landscape, S. 8. Vgl. auch Hermand: Nach der Postmoderne. 63 Turner : City as Landscape, S. 10.

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Autofiktion, fiktionale Autobiographie, autobiographisches Schreiben: Definition und Begriffsverwendung

Um die in den vergangenen Jahrzehnten beobachteten Grenzverschiebungen zwischen fiktionalen und nicht-fiktionalen Subgattungen der Autobiographie zu erklären und die Verschränkung von Autor und Erzähler bzw. Figur in fiktionalen Texten näher bestimmen zu können, diskutiert die aktuelle Forschung verschiedene Sammelbegriffe. Vor allem der Begriff ›Autofiktion‹ ist trotz seiner kurzen Geschichte inzwischen vielfältig belegt64 und muss für die vorliegende Arbeit vor dem Hintergrund der neuesten Forschungsperspektiven definiert sowie gegenüber alternativen Begriffen, wie dem autobiographischen Schreiben, abgegrenzt werden. Der Terminus ›Autofiktion‹ geht auf Serge Doubrovsky zurück und hat sich in Frankreich spätestens Anfang der 1990er Jahre etabliert, während die deutschsprachige Forschung ihn erst nach 2000 aufgegriffen hat. Gleich mehrere Probleme stellen sich hinsichtlich seiner Definition: Autofiktionen enthalten fiktive und referentielle Elemente und vermischen damit die Gattungskonzepte ›Roman‹ und ›Autobiographie‹.65 Insbesondere die Frage, ob eines dieser beiden überwiegen darf bzw. deutlicher indiziert wird als das andere, ist Gegenstand der Forschungsdebatte. Des Weiteren stellt sich das Problem der historischen Verortung : Die autofiction bezieht sich in der Regel auf Serge Doubrovskys Prägung des Begriffs. Andere Vertreter – wie Vincent Colonna – gehen davon aus, dass die Autofiktion als Textform bereits vor der Begriffsfindung vorkommt (avant la lettre).66 Auch das Verhältnis zwischen

64 Vgl. dazu: Weiser/Ott: Autofiktion und Medienrealität, S. 7; Pellin/Weber : Einführung; Wagner-Egelhaaf: Autofiktion & Gespenster, S. 137; Wagner-Egelhaaf: Einleitung: Was ist Auto(r)fiktion, S. 9. Vgl. überdies Farron: Die Fallen der Vorstellungskraft Autofiktion – ein Begriff und seine Zweideutigkeit(en). 65 Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 304–305. Siehe dazu in der vorliegenden Arbeit: Kap. II.1. 66 Vgl. hierzu Zipfel: Autofiktion, S. 35 sowie Colonna: Autofiction & Autres Mythomanies Litt¦raires, S. 79. Vgl. auch Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹ oder die Unmöglichkeit einer Ich-Geschichte, S. 1407 und Waller : Serge Doubrovsky : Le livre bris¦. Zu inzwischen als autofiktionale Texte bezeichneten Werken siehe Lecarme: Autofiktion: un mauvais genre, S. 235f. Eine Einschätzung der oben genannten Position ist nicht zuletzt abhängig von der jeweiligen Definition der Autofiktion. Insbesondere das Spiel mit einer Figur im Text, die den Namen des Verfassers trägt, hat es in der Literaturgeschichte auch zu früheren Zeiten gegeben. Als Beispiele seien hier Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch (1669), Karl Immermanns Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken (1841) oder Eckhard Henscheids Die Vollidioten – Ein historischer Roman aus dem Jahr 1972 (1973) genannt. Ferner ließen sich u. a. Jean Paul und E. T. A. Hoffmann nennen, bei dem »die Transkription des Autornamens« zu den »selbstreflexiven Standardverfahren« gehört (Lieb: Und hinter tausend Gläsern keine Welt, S. 66).

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Autor, Erzähler und Hauptfigur sowie der vermeintliche Gattungsstatus werden vielfach diskutiert.67 In der französischen Literaturwissenschaft haben sich der Autofiktion neben Colonna und Doubrovsky vor allem Philippe Lejeune, G¦rard Genette, Marie Darrieussecq, Philippe Gasparini, Jacques Lecarme und Philippe Vilain gewidmet.68 Im Folgenden sollen die für die Arbeit wichtigsten Positionen referiert werden, um die Probleme und Herausforderung einer begrifflichen Festlegung der Autofiktion zu verdeutlichen.69 Bei Serge Doubrovsky bezeichnet der Begriff eine spezielle Art des autobiographischen Schreibens,70 die in der französischen Postmoderne zu verorten ist. Er erläutert den Begriff erstmals 1977 auf dem Umschlagstext von Fils71 in Abgrenzung zur traditionellen Autobiographie: Autobiographie? Non, c’est un privilÀge r¦serv¦ aux importants de ce monde, au soir de leur vie, et dans un beau style. Fiction, d’¦v¦nements et de faits strictement r¦els; si l’on veut, autofiction, d’avoir confi¦ le langage d’une aventure — l’aventure du langage, hors sagesse et hors syntaxe du roman, traditionel ou nouveau. Rencontres, fils des mots, allit¦rations, assonances, dissonances, ¦criture d’avant ou d’aprÀs literature, concrÀte, comme on dit musique. Ou encore, autofriction, patiemment onaniste, qui espÀre faire maintenant partager son plaisir.72

Die hier gegebene Erläuterung der autofiction als ›aventure — l’aventure du langage‹ ist in vielerlei Hinsicht paradox und bewusst nicht klar umrissen. Fils gibt – wie in Kap. III.1 als Beispiel postmoderner Autofiktion näher ausgeführt wird – als Referenztext weitere Auskunft zu Doubrovskys Konzept der autofiction. Einerseits enthält der Text die für die Autobiographie charakteristische 67 Vgl. dazu Astrid Lohöfer, die in diesem Zusammenhang auf Philippe Forest und Vincent Colonna verweist (Lohöfer: Autofiktion als Ikonotext, S. 20). Ob es sich bei der Autofiktion tatsächlich um ein Genre oder lediglich ein Textphänomen handelt, vermag selbst Doubrovsky nicht eindeutig zu beantworten. So heißt es in den Textes en mains: »Plutút que de philosopher abstraitement sur la nature d’un ›genre‹ (qui n’en est peut-Þtre pas un), j’aimerais relire certains passages des textes o¾ le problÀme g¦n¦rique affleure et s’¦nonce de lui-mÞme, suscrit¦ par une sorte de n¦cessit¦ interne« (Doubrovsky : Textes en main, S. 207). 68 Obwohl Doubrovsky den Begriff bereits Ende der 1970er Jahre prägt, setzt erst mit der Dissertation des Genette-Schülers Vincent Colonna eine ausführliche und ergiebige Diskussion um das Phänomen ein. Siehe dazu Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 55. 69 Auf weitere wichtige Positionen, die für das Verständnis der Autofiktion relevant sind, nicht jedoch für die eigene Begriffsverwendung herangezogen werden müssen, wird ferner in den Fußnoten hingewiesen. 70 Vgl. dazu: Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 298–301. 71 Der Text trägt einen zweideutigen Titel: ›Fils‹ heißt sowohl ›Fäden‹ als auch ›Sohn‹. 72 Doubrovsky : Fils, Umschlagstext. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›F‹ zitiert.

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Namensidentität von Autor, Erzähler und Figur, andererseits die Gattungsbezeichnung ›roman‹. Diese Doppeldeutigkeit situiert Fils zwischen Roman und Autobiographie und macht den Text »von einem gattungstypologischen Standpunkt aus betrachtet« zu einem »Zwitterwesen«.73 G¦rard Genette ordnet die Autofiktion der Fiktion zu.74 Seine Definition geht damit von einer anderen Perspektive aus und erweitert Doubrovskys Konzept. Nach Genettes Verständnis leiht der Verfasser einer fiktiven Figur seinen Namen und kann bestimmte biographische Merkmale mit ihr teilen.75 Dennoch ist er nicht mit dem Erzähler gleichzusetzen (A ¼ 6 N):76 »›Moi, auteur, je vais vous raconter une histoire dont je suis le h¦ros mais qui ne m’est jamais arriv¦e‹«.77 Als Beispiel für eine Autofiktion dieser Art führt er Jorge Luis Borges Das Aleph (1949) an, wo der Ich-Erzähler in einer phantastisch konturierten Geschichte den Namen des Verfassers trägt.78 Genettes Erklärung ist – wie Frank Zipfel zuzustimmen ist – vor allem für diejenigen Texte einschlägig, die von vornherein nicht darauf angelegt sind, »als Tatachenbericht«79 gelesen zu werden. Für Colonna ist die Autofiktion ein »œuvre litt¦raire par laquelle un ¦crivain s’invente une personnalit¦ et une existence, tout en conservant son identit¦ r¦elle (son v¦ritable nom)«.80 Er begreift Autofiktionalität als ein »überzeitliches, weder an bestimmte Diskurstraditionen noch an Epochen oder epistemologische Entwürfe gebundenes literarisches Phänomen einer Fiktionalisierung des Selbst«.81 Darüber hinaus trennt er den Begriff von der autobiographischen Tradition und etabliert ihn als Sammelbegriff82 für »jede Fiktionalisierung der 73 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 11. 74 Siehe dazu Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 302f. 75 Vgl. Zipfel: Autofiktion, S. 33. 76 Es gilt jedoch: Autor = Figur (Genette: Fiction et diction, S. 87). 77 Ebd., S. 86. 78 Genette verweist auch auf Borges’ Erzählungen Der Andere und Der Zahir (ebd., S. 85). Vgl. zudem Genette: Du texte — l’œuvre, S. 32: »Je la d¦finissais, je le rappelle, comme productrice de textes qui — la fois se donnent, formellement ou non, pour autobiographiques, mais pr¦sentent, avec la biographie de leur auteur, des discordances (plus ou moins) notables, et ¦ventuellement notoires ou manifestes, comme celle qui s¦pare la vie de Dante de ›sa‹ descente aux Enfers, ou celle de Borges de ›sa‹ vision de l’Aleph«. Siehe zur Auseinandersetzung mit Genettes Position zur Autofiktion näher Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 302f. sowie Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 141f. 79 Zipfel: Autofiktion, S. 33. 80 Colonna: L’autofiction, S. 30 (Hervorhebung im Original). 81 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 55. 82 Vgl. ebd. sowie insbesondere Colonna: L’autofiction, S. 390: »L’autofiction, elle, est une pratique qui utilise le dispositif de la fictionnalisation auctoriale pour des raisons qui ne sont pas autobiographiques«. 2004 entwickelt Vincent Colonna seine Definition weiter und versucht eine Unterscheidung der autofiction in vier Typen zu etablieren: In der sogenannten

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eigenen Person (fabulation de soi) und nahezu alle Texte, in denen sich ein Autor in seinem Werk inszeniert oder ein Bezug zum Leben des Verfassers evident ist«.83 Der Vorteil einer Distanzierung vom autobiographischen Schreiben liegt in der Möglichkeit, ›Autofiktion‹ als Oberbegriff für verschiedene Textformen zu verwenden; der Nachteil jedoch zeigt sich darin, dass so nicht mehr das für die Rezeption relevante Spannungsverhältnis zwischen autobiographischem und fiktionalem Lektürepakt zum Tragen kommt, auf das es z. B. Doubrovsky gerade anzukommen scheint.84 Marie Darrieussecq legt den Schwerpunkt ihrer Definition auf die homodiegetische Erzählweise85 sowie – mit Philippe Lejeune gesprochen – auf das gleichzeitige Bestehen von autobiographischem und fiktionalem Pakt,86 das der Leser nicht zugunsten des einen oder anderen auflösen kann.87 Erzählungen, die ins Phantastische reichen, können ihrer Definition nach keine Autofiktionen

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›autofiction fantastique‹ (1) ist das auf den Autor beziehbare Subjekt des Textes in offenkundig irreale Geschehnisse eingebunden (Colonna: Autofiction & Autres Mythomanies Litt¦raires, S. 75–92). In der ›autofiction biographique‹ (2) wiederum verwendet ein Autor tatsächliche Erlebnisse aus seinem Leben und schreibt seine Lebensgeschichte gleichsam neu (ebd., S. 93–117). Die ›autofiction sp¦culaire‹ (3) betrifft Texte, in denen der Autor mit seinem Namen vorkommt, nicht aber im Zentrum des Geschehens steht (ebd., S. 119–134), während die ›autofiction intrusive (autoriale)‹ schließlich (4) Texte bezeichnet, in denen der Erzähler eine Art ›Avatar‹ des Autors darstellt bzw. sein »narrateur-auteur« (ebd., S. 135) ist (vgl. ebd., S. 135–153). Siehe zur Typologie Colonnas näher Zipfel: Autofiktion, S. 34. Siehe darüber hinaus auch G¦rard Genette: »Dans ce livre, je, Marcel Proust, raconte (fictivement) comment je rencontre une certaine Albertine, comment je m’en ¦prends, comment je la s¦questre, etc. C’est — moi que dans ce livre je prÞte ces aventures, qui dans la r¦alit¦ ne me sont nullement arriv¦es, du moins sous cette forme. Autrement dit, je m’invente une vie et une personnalit¦ qui ne sont pas exactement (›pas toujours‹) les miennes. Comment appeler ce genre, cette forme de fiction, puisque fiction, au sens fort du terme, il y a bien ici? Le meilleur terme serait sans doute celui dont Serge Doubrovsky d¦signe son propre r¦cit: autofiction« (Genette: Palimpsestes, S. 293). Weiser/Ott: Autofiktion und Medienrealität, S. 8. Siehe zu den Lektürepakten nach Philippe Lejeune ausführlicher : Kap. II.1. Vgl. dazu: Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität?, S. 304. Vgl. auch Philippe Villain, der die Autofiktion als »[f]iction homonymique ou anominale qu’un individu fait de sa vie ou d’une partie de celle-ci« bzw. erklärt diesbezüglich, dass »une autofiction doive imp¦rativement s’assumer comme un roman en s’appelant ›roman‹ sur la couverture, sous peine de ne pas se distinguer de r¦cits ou de textes qui ne respectent pas le pacte romanesque. […] [C]ette fiction soit pr¦sent¦e comme une d¦cision litt¦raire, quelque chose comme un acte volontaire, une intention d’auteur […]. (Le caractÀre involontaire de fiction ne saurait instituer un texte en autofiction)« (Vilain: L’autofiction en th¦orie, S. 52). »[L]’autofiction est un r¦cit — la premiÀre personne, se donnant pour fictif […] mais o¾ l’auteur appara„t homodi¦g¦tiquement sous son nom propre, et o¾ la vraisamblance est un enjeu maintenu par de multiples ›effets de vie‹« (Darrieussecq: L’autofiction, un genre pas s¦rieux, S. 369f.). Ebd., S. 377. Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 304–306.

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sein, da eine autobiographische Lesart so von vornherein ausgeschlossen werden würde und nicht beide Pakte gegeneinander wirken könnten.88 Darrieussecqs Definition lässt sich Frank Zipfel folgend entgegenhalten, dass sie bestimmte Bereiche nicht differenziert, wie u. a. die Namensidentität, die sie als einzige Identifikationsmöglichkeit des Verfassers mit seiner Figur thematisiert.89 Zipfel ist ferner der Ansicht, dass nicht gleichzeitig beide Pakte auf den Leser wirken, sondern dieser vielmehr laufend zwischen beiden hin- und herwechselt.90 Dementsprechend ist auch der kategorische Ausschluss von Erzählungen mit phantastischen Elementen nicht zwingend.91 Bei einer derart regen Auseinandersetzung mit der Autofiktion in der französischen Literaturwissenschaft ist es umso erstaunlicher, dass die deutsche Forschung den Begriff erst seit etwa 2000 diskutiert und verwendet. Es ist zudem festzustellen, dass das autofiktionale Schreiben im deutschsprachigen Raum meist unabhängig von Doubrovskys Konzept der autofiction untersucht und ähnlich der Definition Colonnas insgesamt sehr weit gefasst92 wird. Grund88 Darrieussecq: L’autofiction, un genre pas s¦rieux, S. 378. 89 Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 305. 90 Ebd., S. 306. 91 Auch Philippe Gasparini liefert 2008 mit seiner Untersuchung der Autofiktion einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um das Konzept (vgl. Gasparini: Autofiction, S. 297). Er definiert die Autofiktion wie folgt: »Texte autobiographique et litt¦raire pr¦sentant de nombreux traits d’oralit¦, d’innovation formelle, de complexit¦ narrative, de fragmentation, d’alt¦rit¦, de disparate et d’autocommentaire qui tendent — probl¦matiser le rapport entre l’¦criture et l’exp¦rience« (ebd., S. 311). Bereits 2004 hat Gasparini die Identität von Autor, Erzähler und Figur in ›identit¦ statique‹ (Familien- und Vorname, Geburtsjahr und -datum etc.) und ›identit¦ dynamique‹ (Aussehen, Beruf, soziales Umfeld etc.) unterschieden. Vgl. Gasparini: Est-il Je, S. 50f. 92 Vgl. dazu: Grote/Sandberg: Einleitung, S. 7: »Der Begriff der ›Autofiktion‹ wurde vor allem durch die Definition geprägt, welche Serge Doubrovski [sic] dem autobiographischen Schreiben innerhalb der französischen Literatur gegeben hat und für die unter anderem Autoren wie Georges-Arthur Goldschmidt oder der Schweizer Paul Nizon stehen. Inzwischen hat sich der Gebrauch des Begriffes allerdings erweitert und findet sich beispielsweise im Zusammenhang mit literarischen Werken wie dem der rumäniendeutschen Nobelpreisträgerin Herta Müller«. Vgl. auch: Marja Ursin, die zwar auf Doubrovsky verweist, jedoch hervorhebt, dass »der Begriff üblicherweise nicht mehr in Doubrovskys Sinne verwendet [wird]« (Ursin: Autofiktion bei Herta Müller, S. 346). Vgl. Sandberg: Unter Einschluss der Öffentlichkeit oder das Vorrecht des Privaten, S. 359: »Ich unterscheide nach Möglichkeit zwischen autobiographischem Schreiben und Autofiktion und gebrauche letztere Bezeichnung dort, wo es primär um die literarische Selbstdarstellung/Selbsterfindung eines Autors oder einer Autorin in ihrer Rolle als Schreibende oder Schriftsteller geht, während ich (neues) autobiographisches Schreiben dort vorziehe, wo AutorInnen vornehmlich einen historischen oder zeitgenössischen Kontext reflektieren und ihrer Darstellung eine gewisse Repräsentativität für die Erfahrungen einer Generation oder Gruppe beanspruchen«. Eine Ausnahme liefert Martina Wagner-Egelhaaf mit ihrem Aufsatz »Autofiktion oder : Autobiographie nach der Autobiographie«, in dem sie einen Bezug

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sätzlich werden eher heterogene Texte unter dem Begriff ›Autofiktion‹ subsummiert.93 Dies mag daran liegen, dass von Doubrovskys literarischen Texten aufgrund ihrer sprachlichen sowie konzeptionellen Komplexität keine Übersetzungen vorliegen; lediglich einzelne Ausschnitte seiner Romane sind ins Englische übertragen und erst wenige der Äußerungen Doubrovskys, wie sein Textes en main, worin er Stellung zu ›seiner‹ Autofiktion bezieht, ins Deutsche übersetzt worden.94 Die Verwendung des Begriffs in Abkopplung von Doubrovskys Texten zeigt jedoch auch die literaturhistorische Reichweite des Begriffs sowie die Neu-Perspektivierung, die von ihm auszugehen scheint.95 Christian Benne zufolge wird ›Autofiktion‹ in der deutschsprachigen Forschung ganz allgemein auf literarische Werke angewendet, die »den fiktionalen Status autobiographischen Schreibens selbstreflexiv thematisieren«.96 Michaela Holdenried hält bereits 2000 fest, dass der Begriff immer häufiger Verwendung findet, um die »zunehmende Fiktionalisierung der Gattung« ›Autobiographie‹ »begrifflich zu markieren«,97 sich ihrer Meinung nach jedoch nicht durchsetzen wird. Eine erste differenzierte Aufarbeitung der Verwendungsweisen des Begriffs in der französischen Literaturwissenschaft, die seither vielfach herangezogen wird, bietet Frank Zipfel für den deutschsprachigen Raum an.98 Insgesamt verortet er die Autofiktion ganz allgemein als »Spezialfall homodiegetischen Erzählens«.99 Die Autofiktion wird zunehmend seltener als Gattung, denn als eine spezifische Schreibweise verstanden;100 Christine Ott und Jutta Weiser sprechen in Anlehnung an Claudia Gronemann gar von einem »Diskursmodell […], das neue Formen der Subjektkonstitution ermöglicht«.101 Die vielfältigen Auseinandersetzungen zeigen die Schwierigkeit einer begrifflichen sowie konzeptionellen Festlegung des Phänomens der Autofiktion. Das autofiktionale Prinzip bzw. die Autofiktion soll daher im Folgenden als ein texttranszendierendes Phänomen bzw. als »hybride Erzählform«102 und damit

93 94 95 96 97 98 99 100 101 102

zwischen der Autofiktion Doubrovskys bzw. den Gedanken des Poststrukturalismus und der Entwicklung gegenwärtiger autofiktionaler Texten herstellt (vgl. Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie) sowie mit ihrem Sammelband: Auto(r)fiktion, in dem diese Gedanken nochmals aufgegriffen und fortgeführt werden. Vgl. Wagner-Egelhaaf: Autofiktion & Gespenster, S. 137. Vgl. Doubrovsky : Nah am Text/Textes en main, S. 123, Fußnote 1 [Anmerkung Claudia Gronemann]. Vgl. dazu auch: Fußnote 66. Benne: Was ist Autofiktion, S. 294. Holdenried: Autobiographie, S. 20. Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität. Zipfel: Fiktion Fiktivität, Fiktionalität, S. 141. Vgl. u. a. Weidner : Bildnis machen, S. 181. Weiser/Ott: Autofiktion und Medienrealität, S. 9. Dehne: Der »Gedächtnisort« Roman, S. 82.

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Einleitung

grundsätzlich als ein genreübergreifendes Konzept gefasst werden. ›Autofiktion‹ bezeichnet damit zunächst Texte, in denen eine Figur, die eindeutig als der Autor erkennbar ist (durch den gleichen Namen oder eine unverkennbare Ableitung davon, durch Lebensdaten oder die Erwähnung vorheriger Werke), in einer offensichtlich […] als fiktional gekennzeichneten Erzählung auftritt.103

Der Bezug zum Verfasser ist damit für die Definition dieser Textform evident. Der textexterne Autor kann jedoch nicht mit der realen Person gleichgesetzt werden, die hinter dem Autor-Namen steht. Im Folgenden wird daher davon ausgegangen, dass die textexterne, im öffentlichen Raum als Autor sichtbare Persona aufgrund verschiedener Möglichkeiten der Selbstinszenierung und -stilisierung immer schon einer gewissen Konstruktion unterliegt. Der Verfasser, auf den im Text durch biographische Übereinstimmungen sowie eine Namensidentität referiert wird, ist demzufolge mit einer Art ›Medienbiographie‹ im literarischen Feld anwesend, die sich aus den vom Autor und seinem Verlag gestreuten und den sich zusätzlich im öffentlichen Raum zugänglichen Informationen über ihn speist. Die autofiktionale Erzählform, wie sie in Anlehnung an Zipfel hier definiert worden ist, kann grundsätzlich auch in heterodiegetischen Erzählungen vorkommen, berührt jedoch – als Anspielung auf den Prototyp autobiographischen Schreibens – insbesondere das homodiegetische Erzählen. Um das Textkorpus der Studie auf homodiegetische Erzählungen einzuschränken, werden hier nur jene Texte als Autofiktionen bezeichnet, die zudem unter den Begriff ›fiktionale Autobiographie‹ subsummiert werden können. In einem sehr weiten Verständnis bezeichnet ›fiktionale Autobiographie‹ allgemein fiktional homodiegetisches Erzählen bzw. eine »Autobiographie im fiktionalen Rahmen«.104 Varianten, die ganz und gar den Regeln faktualen Erzählens entsprechen, können als ›fingierte Autobiographien‹ bezeichnet werden.105 Daneben kommen vor allem Formen vor, die in einzelnen Merkmalen von der faktualen Autobiographie abweichen und die Fiktionalität der Texte kenntlich machen: durch eine »das menschliche Erinnerungsvermögen übersteigende Detailfreudigkeit«,106 die Frank Zipfel auch den meisten fiktional-homodiegetischen Erzählungen zuerkennt, durch »eine die Perspektive des Erzählers sprengende Darstellung 103 Zipfel: Autofiktion, S. 31. 104 Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 136f. Mit »autobiographische[m] Schreiben (im engeren Sinne)« bezeichnet Frank Zipfel in diesem Fall »die spezifische Struktur von Autobiographien bzw. Teilautobiographien« in Abgrenzung zu anderen Konventionen homodiegetischer Erzählungen wie dem Brief oder dem Tagebuch (ebd., S. 136). 105 Ebd., S. 133. 106 Ebd., S. 140.

Perspektiven der Forschung

29

von Ereignissen«107 sowie »eine sprachhandlungslogisch nicht (re)konstruierbare Erzähl-Situation«.108 Im Rahmen der Arbeit wird der Begriff ›fiktionale Autobiographie‹ bzw. ›Teilautobiographie‹ als homodiegetisches, autobiographisches Erzählen simulierendes Schreiben begriffen. Mit Frank Zipfel soll ferner Doubrovskys Form der Autofiktion als ein besonderes Konzept der fiktionalen Autobiographie109 aufgefasst werden, das vor dem Hintergrund der Postmoderne und des Poststrukturalismus zu verorten ist; die autofiction wird im Rahmen der Studie damit als postmoderne Auseinandersetzung mit der Autobiographie herangezogen. Ansgar Nünning unternimmt den Versuch, das Spektrum der ›fiktionalen Autobiographie‹ weiter zu untergliedern, und reagiert damit auf eine Metaisierung literarischer Gattungen in der englischsprachigen Literatur, die für die konventionalisierte Gattung der fiktionalen Autobiographie (als selbstreflexive Auseinandersetzung mit den Konventionen traditioneller Autobiographie) zu konstatieren sei. Ohne den Anspruch zu erheben, bereits eine ausformulierte Typologie vorzulegen, schlägt Nünning für die fiktionale Autobiographie in Anlehnung an das Begriffsinventar Linda Hutcheons zum historischen Roman folgende Differenzierung vor : »die dokumentarische fiktionale Autobiographie, die realistische fiktionale Autobiographie, die revisionistische fiktionale Autobiographie sowie die fiktionale Metaautobiographie«.110 Der Begriff ›fiktionale 107 Ebd. 108 Ebd. Martin Löschnigg hat den Begriff ›fiktionale Autobiographie‹ bzw. »Roman in autobiographischer Form« in Bezug auf die englischsprachige Literatur des 19. Jahrhunderts und in Abgrenzung zum autobiographischen Roman verwendet: »Unter dem Begriff ›fiktionale Autobiographie‹ ist eine narrative Langform zu verstehen, in der eine fiktive Figur ihre eigene Lebensgeschichte oder zumindest Ausschnitte aus dieser Lebensgeschichte erzählt. Diese Figur trägt in der Regel einen anderen Namen als der empirische Autor […]. Der Begriff ›fiktionale Autobiographie‹ […] legt den Akzent auf die Form eines Romans, konkret auf die formale Mimesis der faktualen Autobiographie, also dem konventionellen Verständnis nach einer nicht-fiktionalen Gattung« (Löschnigg: Die fiktionale Autobiographie in der englischsprachigen Literatur, S. 15f.). Bezüge zum Autor sind seiner Definition zufolge für das Sub-Genre nicht konstitutiv, aber möglich (ebd., S. 16). Bezogen auf Texte der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kann die von Löschnigg proklamierte Trennung zwischen autobiographischem Roman und fiktionaler Autobiographie kaum aufrechterhalten werden. Es kommt, wie oben ausgeführt, immer häufiger zu einer Grenzüberschreitung der von ihm genannten Konzepte, da in gegenwärtigen Texten nun gerade die Verbindung zum lebensweltlichen Autor eine immer entscheidendere Rolle spielt. Um Erzähltexte der Gegenwart zu beschreiben, müsste der Begriff folglich weiter gefasst werden. 109 Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 285. 110 Nünning: Metaautobiographien: Gattungsgedächtnis, Gattungskritik, S. 279. Ansgar Nünning hat eine solche Begriffsdifferenzierung bereits für die fiktionale Biographie in der englischsprachigen Literatur vorgeschlagen, die Julijana Nadj in ihrer Studie angewendet hat. Vgl. Nünning: Von der fiktionalen Biographie zur biographischen Metafiktion sowie

30

Einleitung

Meta-Autobiographie‹ soll hier als Bezeichnung für postmoderne Autofiktionen dienen, die im Schwerpunkt selbstreflexiv das Genre der Autobiographie thematisieren. Als Sammel- bzw. Oberbegriff, der darauf angelegt ist, Schreibformen wie Brief und Tagebuch sowie Mischformen einzuschließen, wird im Rahmen der Studie der Begriff des ›autobiographischen Schreibens‹ verwendet.111 Der Terminus hat sich seit den 1970er Jahren gegenüber dem Begriff der Autobiographie immer deutlicher etabliert,112 weil er die unterschiedlichen Sub-Genres als durchlässige Konzepte versteht und keine festen Grenzziehungen zwischen ihnen vornimmt.113 Ist hingegen von der ›Autobiographie‹ die Rede, wird darunter die traditionelle bzw. konventionelle Form der Lebensbeschreibung einer Person über sich selbst verstanden.114

2.2

Autobiographisches Schreiben in der Gegenwartsliteratur

Die Auseinandersetzungen mit der Autofiktion in der Gegenwartsliteratur ist Teil eines größeren Forschungsfeldes, das gemeinhin unter den Begriffen ›autobiographisches Schreiben‹ und ›Autobiographik‹ gefasst wird. Maßgeblich zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Handbücher zur Autobiographie von Michaela Holdenried115 und Martina Wagner-Egelhaaf116 sowie die drei Bände Autobiographisches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur,117 die einen wichtigen Schritt darstellen, um dem ›neuen‹ autobiographischen Schreiben gerecht zu werden, das nicht mehr mit der traditionellen Autobiographik des 19. Jahrhunderts zu vergleichen ist.

111 112 113 114 115 116 117

Nadj: Die fiktionale Metabiographie. Gattungsgedächtnis und Gattungskritik in einem neuen Genre der englischsprachigen Erzählliteratur. Inwieweit eine derartige Begriffsuntergliederung sich für den zu untersuchenden Bereich der deutschsprachigen Literatur als praktikabel erweisen könnte, ist jedoch in Frage zu stellen und nicht Gegenstand des Forschungsvorhabens. Vgl. Holdenried: Autobiographie, S. 20. Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, S. 196. Vgl. ferner Sandberg: Unter Einschluss der Öffentlichkeit, S. 358 und Breuer/Sandberg: Einleitung, S. 9f. Vgl. auch Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, S. 196. Vgl. Lejeune: Le pacte autobiographique, S. 14. Siehe dazu in der vorliegenden Arbeit: Kap. II.1. Holdenried: Autobiographie. Wagner-Egelhaaf: Autobiographie. Siehe die drei Bände zum autobiographischen Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur : Breuer/Sandberg: Bd. 1: Grenzen der Identität und der Fiktionalität; Parry/Platen: Bd. 2: Grenzen der Fiktionalität und der Erinnerung; Grote/Sandberg: Bd. 3: Entwicklungen, Kontexte, Grenzgänger.

Perspektiven der Forschung

31

Dirk Niefanger hat gattungsunabhängig auf die ostentative Verwendung sogenannter ›Biographeme‹118 in der gegenwärtigen Literatur hingewiesen: Beginnen wir mit einem auffälligen Befund: In vielen deutschsprachigen Gegenwartsromanen werden in deutlich fiktionalen Kontexten Fragmente von faktualen Lebensgeschichten erzählt. Sie stammen aus den Biographien mehr oder minder bekannter Persönlichkeiten der Geschichte oder Gegenwart, aus dem Umfeld der Autoren oder aus ihrem eigenen Leben.119

Solche (auto-)biographischen Elemente sind über »konkrete ›Narreme‹« an den Erzähltext »angeschlossen«, jedoch immer nur über einen außertextlichen Bezug verifizierbar, d. h. im »Rückgriff auf den Werkkontext, oft durch die Lektüre biographischer Zeugnisse oder über Biographien«.120 Ihm zufolge fungieren (Auto-)Biographeme in der Gegenwartsliteratur als »ästhetisches Plus der fiktionalen Erzähltexte«:121 Anders als in Schlüsselromanen werden damit meist nicht Geheimnisse prominenter Zeitgenossen oder solche aus dem eigenen verschwiegenen Leben ausgeplaudert; vielmehr gestalten die faktualen Intarsien die Erzählweise fiktionaler Texte, indem sie diese zwar in Bezug zur non-fiktionalen Welt setzen, nicht aber die Faktizität des Erzählten behaupten.122

Niefanger unterscheidet verschiedene Funktionen von Biographemen, wie u. a. eine mögliche Vernetzung von Texten eines Autors, eine Beglaubigungsfunktion – insbesondere »in prekären [thematischen] Bereichen«,123 eine Marketing- bzw. Distributionsfunktion sowie eine mögliche Irritationsfunktion.124 Die Funktionen der Verwendung von (Auto-)Biographemen sollen auch in der vorliegenden Arbeit eine nähere Betrachtung erfahren. Neueste Veröffentlichungen widmen sich vermehrt literarischen Formen, die sich unter dem Stichwort ›Autofiktion‹ im »Spannungsfeld zwischen dem biographischen ich [sic] des Autors und seiner literarischen Figuration« ansiedeln.125 Aufgrund der oben ausgeführten Komplexität des Begriffs ist es jedoch kaum möglich, die untersuchten Texte gezielt miteinander zu vergleichen. Die Beiträge des von Martina Wagner-Egelhaaf 2013 herausgegebenen Sammel118 Niefanger bezeichnet ›Biographeme‹ als »Intarsien, als kleinste biographische Einheiten in narrativen Texten«; sofern diese aus dem Leben des Autors stammen, spricht er von ›Autobiographemen‹ (Niefanger : Biographeme im deutschsprachigen Gegenwartsroman, S. 290). 119 Ebd., S. 289. 120 Ebd., S. 290. 121 Ebd. 122 Ebd., S. 289f. 123 Ebd., S. 302. 124 Vgl. ebd., S. 301–304. 125 Pellin/Weber : Einführung, S. 7f.

32

Einleitung

bandes Auto(r)fiktion z. B., der auf den Ergebnissen der Sektion 60: Autofiktion. Neue Verfahren literarischer Selbstdarstellung des XII. Kongress der Internationalen Vereinigung für Germanisten (IVG) 2010 aufbaut, sind gerade darauf angelegt, die »Vielfältigkeit [und] das Nebeneinander unterschiedlicher Modelle und Konzepte«126 abzubilden.

2.3

Autorschaftsdebatten seit der ›Rückkehr des Autors‹

Für eine Untersuchung, die sich der Rolle von Autoren in autofiktionalen Texten zuwendet, sind ferner die einschlägigen Autorschaftsdebatten der Forschung als Hintergrund zu nennen. Roland Barthes’ La mort de l’auteur (1967) und Michel Foucaults Qu’est-ce qu’un auteur (1969)127 gehören zu den einflussreichsten Auseinandersetzungen der 1970er Jahre mit der Instanz ›Autor‹. Die Rede vom ›Tod des Autors‹ ist im Laufe der Jahrzehnte sprichwörtlich geworden.128 Barthes und Foucault haben den Autor jedoch nicht ›begraben‹,129 sondern ihn zu einer »figurine tout au bout de la scÀne litt¦raire«130 erklärt.131 Es ist zu einer Neufokussierung auf den Autor als Textfunktion bzw. zur Abwendung von ihm als Sinninstanz gekommen.132 Die »Wiederbelebungsversuche«133 des ›Autors‹ sind Thema neuer Autorschaftsdebatten, die sich mit Beginn der 2000er Jahre unter dem Stichwort ›Rückkehr des Autors‹ entfaltet haben134 und für eine Auseinandersetzung mit der Autor-Kategorie im autofiktionalen Text heranzuziehen sind. Für Heinrich Detering ist die Frage nach dem Autor »zu einem Grundproblem der Literaturwissenschaft avanciert«.135 In diesem Zusammenhang sind 126 Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 361. 127 Siehe zur Position Barthes und Foucaults näher : Kapitel II.4.1. 128 Vgl. dazu: Jannidis/Lauer/Mart†nez/Winko: Einleitung, S. 9. Der Tod des Autors ist auch fiktionsimmanent in den Schatz literarischer Erfahrung eingegangen. Dies zeigt etwa das Beispiel Gilbert Adairs The Death of the Author (1992). Siehe dazu ausführlicher Lauer : Kafkas Autor, S. 209. 129 Vgl. Jannidis/Lauer/Mart†nez/Winko weisen darauf hin, dass etwa Foucaults Text vor allem als »Begründung für den endgültigen Abschied vom Autor« rezipiert worden ist (Texte zur Theorie der Autorschaft, S. 196). 130 Barthes: La mort de l’auteur, S. 42. 131 Gunter E. Grimm und Christian Schärf sprechen von der »überinterpretierten Roland Barthes’schen These vom ›Tod des Autors‹« (Grimm/Schärf: Einleitung, S. 8). 132 Vgl. Wetzel: Autor/Künstler, S. 481. 133 Spoerhase: Autorschaft und Interpretation, S. 11. 134 Jannidis/Lauer/Mart†nez/Winko (Hg.): Rückkehr des Autors. Vgl. auch Dies.: Einleitung. S. 8f. 135 Detering: Rezension zu Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko (Hg.): Rückkehr des Autors, S. 2.

Perspektiven der Forschung

33

neben dem oben genannten Sammelband Die Rückkehr des Autors von Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Mat†as Mart†nez und Simone Winko grundlegende Sammelbände und Monographien entstanden, wie z. B. die Beiträge des DFGKolloquiums zur Autorschaft, die Heinrich Detering herausgegeben hat,136 sowie Carlos Spoerhases Monographie Autorschaft und Interpretation.137 Das Erkenntnisinteresse hat sich in den vergangenen Jahren zudem vermehrt auf die Inszenierungspraktiken von Autoren und deren Rolle in der Textvermarktung gerichtet.138 Die Funktionen des Autornamens im literarischen Feld hat Dirk Niefanger in Der Autor und sein Label herausgearbeitet.139 Die Thematisierung des Autor-Labels und die es bedingenden Einflüsse werden in der neueren literaturwissenschaftlichen Forschung vielfach aufgenommen.140 Sie sind, wie zu zeigen sein wird, für autofiktionale Texte von besonderer Bedeutung, da diese das Label des Autors über ein Spiel mit dem Autor(namen) im Text beeinflussen oder es gar erst konstituieren.

2.4

Autorschaft im autofiktionalen Text der Gegenwart

Der Zusammenhang von Autorschaft und Autobiographik ist in der Zeit nach der ›Wiederbelebung‹ des Autors immer mehr in den Fokus gerückt; vor allem Autofiktionen werden vermehrt betrachtet.141 Erste Forschungsbeiträge beschäftigen sich mit dem autofiktionalen Schreiben einzelner Autoren wie Hanns-Josef Ortheil,142 Rainald Goetz, Joachim Lottman oder Alban Nikolai Herbst.143 Einzelne autofiktionale Texte (in einem weiten Begriffsverständnis) 136 Detering (Hg.): Autorschaft: Positionen und Revisionen. 137 Spoerhase: Autorschaft. Siehe auch: Bein/Nutt-Kofoth/Plachta: Autor – Autorisation – Authentizität. 138 Vgl. u. a. Künzel/Schönert: Autorinszenierungen, Grimm/Schärf (Hg.): Schriftsteller-Inszenierungen, Jürgensen/Kaiser : Schriftstellerische Inszenierungspraktiken und Neuhaus: Der Autor als Marke. 139 Vgl. Niefanger : Der Autor und sein Label. 140 Vgl. exemplarisch Hoffmann: Die Ausschaltung der Einschaltung des Autors. 141 Vgl. Stüssel: Autorschaft und Autobiographik im kultur- und mediengeschichtlichen Wandel. Dirk Niefanger, Barbara Schaff oder Inez Müller setzen sich mit dem Phänomen der Autorschaft in homodiegetischen Erzählungen auseinander. Vgl. dazu Niefanger : Der Autor und sein Label; Schaff: Der Autor als Simulant authentischer Erfahrung; Müller : Autobiographisches Schreiben in Rot – Anfang und Ende einer Autorschaft. Vgl. die jüngst veröffentlichten Untersuchungen zum autofiktionalen Schreiben und dem Zusammenhang mit Thomas Glavinics Selbstinszenierung: Keck: ›Das ist doch er‹ und Catani: Glavinic 2.0. 142 Kartenbeck: Erfindungen des Lebens. 143 Kreknin: Poetiken des Selbst: Identität, Autorschaft und Autofiktion. Kreknin geht von einer ähnlichen Beobachtung aus wie die vorliegende Studie. So konstatiert er »Verschmelzungen von Autoren und Figuren« (S. 1) in der Gegenwartsliteratur, die er im Fall von Rainald Goetz, Joachim Lottmann und Alban Nikolai Herbst nicht »unter dem Leit-

34

Einleitung

sind ferner hinsichtlich eines sich abzeichnenden (Post-)Postmodernismus in den Blick genommen worden.144 Die Untersuchungen gehen bereits auf die oben genannte Annahme zurück, dass die autofiktionalen Schreibweisen in der Gegenwart nicht mehr mit post-strukturalistischen Prämissen konform gehen.145 Martina Wagner-Egelhaaf spricht von einem »verstärkte[n] Bewusstsein von der grundsätzlichen Fiktionalität des Ichs«, das zu »neuen Formen und Verfahrensweisen der Selbstdarstellung geführt« habe. Insbesondere habe dadurch »die Debatte um die Autor-Kategorie in der Literaturwissenschaft neue Impulse« erhalten.146 Auch Daniel Weidner legt die auffällig hohe Zahl autofiktionaler Texte in der Gegenwartsliteratur als Reaktion auf den totgesagten Autor aus:147 Autofiktionale Schreibweisen sind in der Gegenwartsliteratur höchst verbreitet. Man kann diese Tatsache im Zusammenhang mit der Wiederkehr der Autorschaft verstehen: Nicht nur sind die Autoren heute auf dem Literaturmarkt präsenter denn je, letztlich hat sich das fiktionale Spiel mit der eigenen Autorschaft auch als fruchtbarer erwiesen als die auf radikale Autorlosigkeit abzielenden Schreibweisen der Avantgarde.148

Im Kontext erster Untersuchungen zu einem autofiktionalen Schreiben nach der Postmoderne ist überdies der Sammelband von Jutta Weiser und Christine Ott zu nennen. Im Hinblick auf gegenwärtige französische Autofiktionen konstatieren Weiser und Ott einen »Paradigmenwechsel«, »womit das Modell Doubrovskys nun endgültig überkommen scheint«.149 Sie machen darauf aufmerk-

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149

begriff ›Inszenierung‹« (ebd.) zu fassen versucht. Er erläutert, dass die »autofiktionalen Selbstpoetiken von Autoren als vollwertige, das heißt: auch alltagswirklich gültige Subjekttechniken anerkannt werden müssen« (S. 4). Die Ergebnisse seiner Analysen betrachtet Kreknin als »Fallbeispiele dafür […], wie mit den Mitteln der Literatur, aber auch innerhalb alltagswirklich relevanter Diskurse wie des Journalismus und unter Zuhilfenahme verschiedener Medientechniken, Subjekte formiert werden, die das Potenzial aufweisen, als Personen im Rahmen operativer Fiktionen angeschlossen zu werden« (S. 428). In einem solchen Raum sei eine »Aufhebung von Diskursgrenzen zu konstatieren« sowie eine nicht mehr eindeutig zu bestimmende »Referenzialität von Zeichen« (ebd.). Siehe dazu Krumrey/Vogler/Derlin (Hg.): Realitätseffekte in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, hier insbesondere Aversa: Die Bühne im Kopf; Vater : Das Autobiographem ›Vater‹ in Sibylle Lewitscharoffs Apostoloff; Krumrey : Autofiktionales Schreiben nach der Postmoderne. Vgl. etwa Weidner: Bildnis machen, S. 164f. oder Jensen/Müller-Tamm: Echte Wiener und falsche Inder. Wagner-Egelhaaf: Auto(r)fiktion, Klappentext hinten. Vgl. Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 361. Weidner: Bildnis machen, S. 163. Weidner fragt bereits danach, »um welche Probleme jenseits von ›postmoderner‹ Infragestellung von Referenzialität und Identität es autofiktionalen Texten heute geht« (ebd., S. 164), widmet sich aber in seinem Beitrag zu Uwe Johnsons Jahrestagen (1970), Walter Kempowskis Tagebüchern und W. G. Sebalds Austerlitz explizit noch Texten der 1970er, 80er und 90er Jahre. Weiser/Ott: Autofiktion und Medienrealität, S. 10.

Forschungsansatz und Textauswahl

35

sam, dass die »Strategien der Medialisierung und Intermedialisierung« zunehmend Einfluss auf Gegenwartsautoren ausüben. Darüber hinaus wird im Rahmen ihres Sammelbandes Doubrovskys autofiction auf »audiovisuelle und digitale Medien« und damit auf nicht zwangsläufig narrative »Formen des Selbstentwurfs« übertragen, sodass sich Autofiktion als spezifisches, textübergreifendes »Konzept der Selbstinszenierung« begreifen lässt.150 Weiser und Ott gehen ferner darauf ein, dass sich hinter der Entwicklung der autofiktionalen Resurrektion des Autors […] auch eine tiefgründigere Tendenz, eine Abkehr von einem postmodernen, auf Fiktionalität und Intertextualität basierenden Kunstkonzept, eine Sehnsucht nach der im Zeitalter der Postmoderne scheinbar abhanden gekommenen oder zumindest ontologisch unscharf gewordenen Realität [verberge].151

3

Forschungsansatz und Textauswahl

Aus der dargestellten Problematik autofiktionalen Schreibens in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ergibt sich der Ansatz der vorliegenden Arbeit, ausgehend von der Autofiktion als postmoderne ›Meta-Autobiographie‹ der 1970er, 80er bzw. 90er Jahre die neuen Selbstdarstellungen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur zu betrachten. Es gilt hierbei, autofiktionale Konzeptionen einander gegenüberzustellen und die Rolle des Autor-Subjekts in den Texten sowie seine Bedeutung für die Rezeption vor dem Hintergrund folgender Leitfragen zu analysieren: (1) Wie unterscheiden sich neue Autofiktionen von ihren Vorgängern genuin (post-)modernen Schreibens? (2) Welche Funktion kommt dem Autornamen in diesen Texten zu und welche Innovationen zeigen sich gegenüber früheren autofiktionalen Texten? (3) Welche Bedeutung haben in Abhängigkeit vom Autornamen die öffentliche Auto(r)biographie bzw. Autobiographeme für die Interpretation der Texte? (4) Werden Informationen auf den am Buch anliegenden Seiten oder epitextuell inszeniert? (5) Zeichnet sich an den autofiktionalen Texten – und vor allem an dem spezifischen Umgang mit dem Autorsubjekt – bereits eine veränderte, (post-)postmoderne Schreibweise ab? 150 Ebd., S. 15. Vgl. u. a. Weiser : Photographie und Schrift als Prothesen des Subjekts. 151 Weiser/Ott: Autofiktion und Medienrealität, S. 12. Die Autorinnen gehen auf Felicitas Hoppes Hoppe ein und führen den Roman als Beispiel für einen Text an, der die Wende vom »ichzentrierten zum dokumentarischen Schreiben« zeige, da Felicitas Hoppe offenbar ihre Biographie in der Öffentlichkeit »selbst aktiv mitgestalten« wolle (ebd., S. 12f.). Allerdings ist gerade in diesem Roman, wie eingangs ereits angedeutet worden ist, eine deutliche IchSkepsis nachweisbar. Vgl. dazu Krumrey : Autofiktionales Schreiben nach der Postmoderne.

36

Einleitung

Um diesen Fragen nachgehen zu können, liefert Teil II der Arbeit zunächst die theoretischen Prämissen: eine Gegenüberstellung der Gattungskonzepte Roman und Autobiographie sowie der einschlägigen Konzepte und Theorien postmoderner Ästhetik. Im dritten Teil werden mit Texten von Serge Doubrovsky (Kap. 1), Alain Robbe-Grillet (Kap. 2) und W. G. Sebald (Kap. 3) dann verschiedene postmoderne Ausprägungen autofiktionalen Schreibens vorgestellt, die als Kontrastfolien für die jüngeren Texte dienen sollen. Im Anschluss daran gilt es in Teil IV, ausgewählte Texte der Gegenwartsliteratur in Bezug auf ihre Autofiktionalität zu untersuchen und die ihnen inhärenten Ich-Thematisierungen in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Arbeit bewegt sich in einem Feld, das sich durch Neuveröffentlichungen stetig verändert und aufgrund der Vielzahl an Texten nicht erschöpfend abgebildet werden kann. Sie arbeitet daher zwangsläufig exemplarisch und folgt nicht dem Anspruch, eine Art Typologie zutage zu fördern. Die für die Analyse ausgewählten Gegenwartstexte weisen jedoch eine möglichst breite Streuung auf. Die Arbeit betrachtet dazu markante, sich in der Generierung eines autofiktionalen Status und in der Thematisierung des Autor-Subjekts unterscheidende Varianten autofiktionalen Schreibens und verortet sie in einem größeren Textfeld. Für die Auswahlentscheidung sind vor allem fünf Kriterien ausschlaggebend: (a) Analysiert werden Texte nach 2000 (dennoch soll hiermit keine kategorische oder systematisch zwingende Grenzziehung suggeriert werden; es wird so vielmehr eine pragmatische Entscheidung zur Einengung des Textkorpus vorgenommen). (b) Herangezogen werden Texte, in denen ein homodiegetischer Erzähler seine Lebensgeschichte oder Ausschnitte aus seinem Leben erzählt. (c) Zudem müssen die Texte einen autofiktionalen Charakter in dem Sinne aufweisen, dass sowohl ein autobiographischer als auch ein diesem entgegenstehender Fiktions-Pakt angeboten werden. (d) Grundsätzlich werden Texte ausgeschlossen, die sich als ›Roman‹ bezeichnen und in denen der autodiegetische Erzähler einen anderen Namen trägt als der Autor, da sie sich damit eindeutig den Konventionen des Romans zuordnen und autobiographische Inhalte hier zwar eine Art Beglaubigungsfunktion einnehmen können,152 nicht jedoch die Doppeldeutigkeit der Texte als ›nicht eindeutig Fiktion‹ und gleichsam ›nicht eindeutig Autobiographie‹ betonen. Dass derartige Paktsysteme jedoch äußerst variabel sind und durch epitextuelle Strategien nachträglich unterlaufen werden können, so dass die Korpusgrenzen nicht immer klar zu umreißen sind, soll eingangs Hanns-Joseph Ortheils Die Erfindung des Lebens (Kap. IV.1) veranschauli152 Vgl. Niefanger : Biographeme im deutschsprachigen Gegenwartsroman, S. 302.

Forschungsansatz und Textauswahl

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chen. Ortheil situiert seinen Text trotz einer Namensdifferenz zwischen Autor und Erzähler bzw. Figur nach der Veröffentlichung im autofiktionalen Raum. (e) Ferner werden autodiegetische Erzählungen ausgeschlossen, die im Schwerpunkt besonderen Regeln folgen wie u. a. Reiseberichte, Brief- und Tagebuchromane. Sind diese Texte nicht eindeutig derartigen Subgenres zuzuordnen, wird also die Form selbst innovativ unterlaufen, wie im Fall von Clemens Meyers Gewalten (2010), erfahren die Texte dennoch Berücksichtigung; das Verfahren wird an entsprechender Stelle als solches gekennzeichnet. Wie auch die folgenden Analysen zeigen, spielen für den Bereich der Gegenwartsliteratur paratextuelle Inszenierungen in Bezug auf den Status der Texte als Autofiktionen eine weitaus größere Rolle, als dies z. B. im Konzept Philippe Lejeunes zum Ausdruck kommt, der mit der Gattungsangabe und dem Autornamen auf dem Buchdeckel bereits paratextuelle Elemente thematisiert. Bereits G¦rard Genette hat festgestellt, dass paratextuelle Hinweise, etwa das Wissen um die Homosexualität Prousts oder um dessen jüdische Vorfahren, die Lektüre seiner Werke unweigerlich beeinflussen: »Je ne dis pas qu’il faut le savoir. Je dis seulement que ceux qui le savent ne lisent pas comme ceux qui l’ignorent, et que ceux qui nient cette diff¦rance-l— se moquent de nous«.153 Es ist daher notwendig, neben den textinternen Verfahren auch die textexternen Inszenierungen der Autoren sowie die Bedingungen des literarischen Feldes zu berücksichtigen und diese zueinander in Beziehung zu setzen.154 Die Analysen beziehen demgemäß die am Buch anliegenden Peri- sowie Epitexte ein,155 wie z. B. Selbstäußerungen der Autoren in Interviews, die in unmittelbarer Nähe zum Veröffentlichungszeitpunkt der Texte stehen. Ferner werden feste Inszenierungs- bzw. Präsentationsformen wie die Autor-Homepage oder die Facebook-Seite herangezogen sowie weiter zurückliegende Epitexte, wenn direkt im Text oder Peritext auf diese angespielt wird. Damit ist die vorliegende Analyse bestrebt, einzulösen, was längst als Aufgaben und Herausforderungen für Untersuchungen der Gegenwartsliteratur gefordert worden ist.156 Maik Bierwirth, Anja Johannsen und Mirna Zeman haben beispielsweise dafür plädiert, »den 153 154 155 156

Genette: Seuils, S. 13. Siehe dazu näher in der vorliegenden Arbeit die Vorbemerkung zu Kap. IV. Siehe insbesondere: Genette: Seuils, S. 11–15. Die vorliegende Analyse geht demzufolge von den literarischen Texten aus und zieht andere Texte, die im Zusammenhang mit diesen stehen, ein. Vgl. auch Kreknin: Poetiken des Selbst, der in seinen Analysen zu Rainald Goetz, Joachim Lottman und Alban Nicolai Herbst im Sinne einer »›umfassenden‹ Autofiktion« den Textbegriff auf »alle möglichen Arten von Medienangeboten« (S. 4) erweitert und von vornherein miteinbezieht.

38

Einleitung

Praktiken und Techniken anderer Akteure, die am ›Gegenwartsliteratur-Machen‹ beteiligt sind«, mehr »Aufmerksamkeit zu schenken«: Insbesondere vor dem Hintergrund des massiven Wandels im literarischen Feld der letzten Jahrzehnte […] scheint es […] geboten, Texte verstärkt in ihren Kontexten zu lesen, sprich: die Literatur im Zusammenhang ihrer sozialen, kulturpolitischen und ökonomischen Entstehungs-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen wahrzunehmen. […] Demgemäß gilt es, das gesamte literarische Feld, vor allem auch den Literaturbetrieb, in den Blick zu nehmen.157

157 Bierwirth/Johannsen/Zeman: Doing Contemporary Literature, S. 11.

II

Grundlagen

Die traditionelle Autobiographie158 wird erzähltheoretisch gemeinhin dem faktualen Erzählen zugeordnet.159 Die Autofiktion positioniert sich demgegenüber, wie im vorangegangenen Kapitel bereits angedeutet, zwischen der traditionellen Autobiographie und dem Roman. Für die vorliegende Untersuchung sind daher sowohl die Frage nach dem »unterschiedlichen Wirklichkeitsbezug«160 fiktionaler und faktualer Texte von Bedeutung als auch die damit einhergehende differierende Bewertung einer Trennung der Instanzen ›Autor‹ und ›Erzähler‹. Im Interesse einer theoretischen Fundierung sollen im Folgenden die Konzepte des autobiographischen und des fiktionalen Erzählens in Grundzügen umrissen und die wichtigsten Forschungsdiskussionen skizziert werden (Kap. 1 und 2). Darüber hinaus gilt es zu diskutieren, welchen Status Realitätsfragmente – insbesondere sogenannte Autobiographeme – in fiktionalen Texten einnehmen (Kap. 3).

158 Die Bezeichnungen ›klassische‹ und ›traditionelle‹ Autobiographie werden im Folgenden synonym verwendet. 159 Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 286. Faktuale Erzählungen erheben nach G¦rard Genette den Anspruch, von realen Ereignissen und Personen zu erzählen (vgl. Genette: Fiction et diction, S. 67). Eine Trennung in fiktionale und faktuale Erzählungen, wie sie im Folgenden vorausgesetzt wird, ist nicht unumstritten. Ansgar Nünning z. B. problematisiert die Frage nach der Identifizierbarkeit von Texten als fiktional oder faktual wie folgt: »Ob Texte von Lesern als fiktional oder nicht-fiktional eingestuft werden, hängt maßgeblich von F[iktionssignale]n ab, die in unterschiedlicher Häufigkeit und Dichte auftreten können und keineswegs eindeutig interpretierbar sind« (Nünning: Fiktionssignale, S. 215). Siehe zu Fiktionssignalen in der vorliegenden Arbeit Kap. II.2 und zur Unterscheidung in fiktionales und faktuales Erzählen auch Schaeffer : Fictional vs. Factual Narration, S. 98. 160 Nünning: Von der fiktionalen Biographie zur biographischen Metafiktion, S. 156.

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1

Autobiographisches Erzählen

Die traditionelle Autobiographie wird als referenzielle Gattung verstanden, weil sie einen »besondere[n] Authentizitätsanspruch« erhebt, der sich »zum einen auf die Abbildung von Wirklichkeit, zum anderen auf die Darstellung einer allgemeinen Wahrheit bezieht«.161 Philippe Lejeune formuliert dies wie folgt: Par opposition — toutes les formes de fiction, la biographie et l’autobiographie sont des textes r¦f¦rentiels: exactement comme le discours scientifique ou historique, ils pr¦tendent apporter une information sur une »realit¦« ext¦rieure au texte, et donc se soumettre — une ¦preuve de v¦rification. Leur but n’est pas la simple vraisemblance, mais la ressemblance au vrai. […] Tous les textes r¦f¦rentiels comportent donc ce que j’appellerai un »pacte r¦f¦rentiel«.162

Die »Kategorien ›Wirklichkeit‹ und ›Wahrheit‹«163 gehören ebenso wie die »Authentizitätserwartung«164 seitens des Rezipienten zu den zentralen Bestandteilen der Theoriediskussion um die Autobiographie: Gegenüber mittelbarem, aus den Archiven der Gelehrsamkeit bzw. der literarischen Tradition geschöpftem Wissen verspricht die Autobiographie als individuelle Lebensäußerung eines konkreten Menschen authentisch gelebte und darum ›wahre‹ Erfahrung. ›Wirklichkeit‹, ›Wahrheit‹, ›Wahrhaftigkeit‹, ›Authentizität‹ sind die Leitbegriffe eines traditionellen, häufig unreflektierten Autobiographieverständnisses.165

Das Authentizitätspostulat wiederum »bezieht sich auf den Autor, der eine seinem Verständnis nach authentische Darstellung abzugeben versucht« und letztlich »auf die Herstellung von textueller Kohärenz« aus ist.166 Da sich die Autobiographik der letzten Jahrzehnte verstärkt »Verfahren der Fiktionalisierung« bedient und das »Formenarsenal des Romans« nutzt,167 ist eine Grenzziehung zwischen der Autobiographie und dem Roman kaum möglich: »Was die moderne Autobiographik der letzten vierzig Jahre strukturell kennzeichnet, ist deren Doppelpoligkeit zwischen Fiktionalisierung und fortdauernder Beglaubigung«.168 Das Augenmerk der Forschung liegt daher nicht zuletzt auf dem Musterhaften der Autobiographie, auf der subjektiven und sich ständig verändernden Perspektive im Prozess der Erinnerung169 sowie auf ihrer zunehmenden Fiktiona161 162 163 164 165 166 167 168 169

Grüter : Autobiographie und Nouveau Roman, S. 9. Lejeune: Le pacte autobiographique, S. 36 (Hervorhebung im Original). Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, S. 3. Ebd., S. 4. Ebd. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 25. Holdenried: Autobiographie, S. 42f. Ebd., S. 42. Vgl. Finck: Subjektbegriff und Autorschaft, S. 288f.

Autobiographisches Erzählen

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lisierung170 durch die »weitgehende[…] Übernahme[…] von Fiktionsmustern«.171 Dennoch ist es laut Michaela Holdenried sinnvoll, auch weiterhin zwischen »›reiner‹ Fiktion und autobiographischer Fiktion zu unterscheiden«:172 Für die Beibehaltung dieser Unterscheidung spricht, dass beide Textstrategien, Fiktionalisierung und Beglaubigung, sich im autobiographischen Text nicht neutralisieren, sondern eine neue und nur auf die autobiographische Fiktion zutreffende rezeptionsästhetische Struktur schaffen.173

Aufgrund der problematischen Versuche, die Autobiographie in Bezug auf ein Authentizitätsversprechen zu definieren, hat der belgisch-amerikanische Literaturtheoretiker Paul de Man den Gattungsstatus der Autobiographie insgesamt bezweifelt und den Wirklichkeitsanspruch der Autobiographie eingeschränkt:174 [C]an we not suggest, with equal justice, that the autobiographical project may itself produce and determine the life and that whatever the writer does is in fact governed by the technical demands of self-portraiture and this determined in all its aspects, by the resources of his medium?175

Nach de Man ist die Autobiographie weder mithilfe eines referenziellen Gestus noch als Gattung oder Textsorte festzulegen; sie sei vielmehr als »figure of reading or of understanding«176 zu begreifen, die grundsätzlich in allen Texten mehr oder weniger hervortritt.177 Auch wenn de Mans Position grundsätzlich sinnvoll erscheint, ist Holdenried zuzustimmen, die gegen de Man einwendet: Autobiographik als eigenständige Gattung anzusehen, hat tatsächlich nur dann einen Sinn, wenn in einem Netz kontrastiver Verortungen die Distanz und Nähe zu anderen Gattungen bemessen werden können, um zu einer annährungsweisen Kontur zu gelangen. Eine völlige Preisgabe der Unterscheidung, wie sie Paul de Man […] vorgeschlagen hat, halte ich für nicht hilfreich. In der autobiographischen Produktion wie in der Rezeption ist die Frage nach der »Authentizität« eines Textes […] weiterhin ein wichtiges Kriterium geblieben.178

Philippe Lejeune betrachtet die Autobiographie nicht in Bezug auf eine objektive Darstellung des Wirklichen, sondern sieht in der formalen Übereinstimmung von Autor, Erzähler und Figur das entscheidende Gattungsmerkmal. Lejeune 170 171 172 173 174 175 176 177 178

Vgl. Holdenried: Autobiographie, S. 42f. Vgl. ebd., S. 43. Ebd. Ebd. Vgl. Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, S. 8. Man: Autobiography as De-Facement, S. 920. Ebd., S. 921. Vgl. ebd. Holdenried: Autobiographie, S. 25f.

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geht dabei vom Erzählen in der ersten Person aus.179 Er bezeichnet die Autobiographie als »[r]¦cit r¦trospectif en prose qu’une personne r¦elle fait de sa propre existence, lorsqu’elle met l’accent sur sa vie individuelle, en particulier sur l’histoire de sa personnalit¦«.180 Aus seiner Definition gehen insgesamt vier Charakteristika hervor:181 1. Die Autobiographie ist a) in Prosa geschrieben, b) eine Erzählung. 2. Das Thema ist die Geschichte einer individuellen Persönlichkeit. 3. Es liegt eine Identität von Autor und Erzähler vor. 4. a) Der Erzähler und die Figur sind identisch; b) es handelt sich um eine retrospektive Erzählsituation.182

Mit Hilfe dieser vier Merkmale versucht Lejeune die Autobiographie von Nachbargattungen bzw. Textsorten wie Memoiren, der Biographie, dem personalen Roman, dem autobiographischen Gedicht, Tagebuch, Selbstporträt oder Essay abzugrenzen. Die genannten Gattungen erfüllen nach Lejeune mindestens eins dieser Kriterien nicht.183 Die Identität von (3) Autor und Erzähler sowie von (4a) Erzähler und Figur ist für Lejeune die maßgebliche Eigenschaft, die sich auf die Formeln »auteur = narrateur, et auteur = personnage«184 bzw. ›Autor = Erzähler = Figur‹ bringen lässt. Über die Namensidentität von Autor, Erzähler und Figur wird Lejeune zufolge der bereits eingangs erwähnte ›autobiographische Pakt‹ geschlossen: ein Versprechen des Autors gegenüber dem Leser, faktual über sein Leben zu berichten.185 Dieser Pakt bedarf eines, so Frank Zipfel in Anlehnung an Lejeune, expliziten Angebots an den Leser, weil die Referenz des selbstreflexiven Personalpronomens ›Ich‹ im Schrifttext explizit etabliert werden muss. Das schreibende bzw. geschriebene Ich muss sich identifizieren, da die Identität als der, der spricht/schreibt, der zerdehnten Sprachhandlungssituation […] nicht ausreicht.186

179 Lejeune: Le pacte autobiographique, S. 17. Vgl. Toro: Die postmoderne neue Autobiographie, S. 1408. 180 Lejeune: Le pacte autobiographique, S. 14 (Hervorhebung im Original). 181 Vgl. dazu u. a. Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, S. 6. 182 Vgl. ebd. 183 Vgl. ebd., S. 14. 184 Ebd., S. 16. 185 Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 288 und Lejeune: Le pacte autobiographique, S. 36. 186 Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 287f.

Autobiographisches Erzählen

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In Abgrenzung zum autobiographischen Roman ist das entscheidende Kriterium nicht »die tatsächliche Einlösung des Authentizitätsanspruches, sondern in erster Linie die Erhebung dieses Anspruches«:187 »ce qui distingue l’autobiographie du roman, ce n’est pas une impossible exactitude historique, mais seulement le projet, sincÀre, de ressaisir et de comprendre sa propre vie«.188 Eine bloße Ähnlichkeit (ressemblance) zwischen Autor und Erzähler bzw. Figur reicht nach Lejeune nicht für die Herstellung dieses Paktes aus.189 Die Namensidentität lässt sich durch die Verwendung von paratextuellen Titeln – wie »Histoire de ma vie« oder »Autobiographie«190 – und einer gleichzeitigen Betonung der Identität von Autor, Erzähler und Figur im Einleitungsteil herstellen. Darüber hinaus wird sie etabliert durch die Namensgleichheit von Autor und Erzähler bzw. Figur im Laufe des Textes. Dem autobiographischen Pakt sieht Lejeune folglich den ›romanesken‹ Pakt gegenüber gestellt, qui aurait lui-mÞme deux aspects: pratique patente de la non-identit¦ (l’auteur et le personnage ne portent pas le mÞme nom), attestation de fictivit¦ (c’est en g¦n¦ral le soustitre roman qui remplit aujourd’hui cette fonction sur la couverture; — noter que roman, dans la terminologie actuelle, implique pacte romanesque, alors que r¦cit est, lui, ind¦termin¦, et compatible avec un pacte autobiographique).191

Die Kritik, die an dem Modell Lejeunes geübt wurde, ist vielfältig: Lejeune hat mit seiner Paktthese Neuland betreten; kritisiert wurde, dass er das Kriterium der Namensverwendung über die Gebühr formalisiert habe. Zwei weitere Pakte, den »pacte romanesque« und den »pacte fantasmatique«, führte er als stützende Maßnahme ein, um Gattungsüberschreitungen im Rahmen der Paktthese theoretisch reflektieren zu können. Ohne hinzutretende formalästhetische Differenzierungen bleibt das Instrument eines vertrauensgebundenen Vertragsabkommens aber zu grob.192

Wie Claudia Gronemann feststellt, setzt Lejeunes Konzept »eine Trennung der Seinsbereiche von Wirklichkeit und Fiktion, Leben und Schreiben voraus, die im Rahmen eines postmodern und poststruktural gewandelten Sprach- und Grüter : Autobiographie und Nouveau Roman, S. 11. Lejeune: L’autobiographie en France, S. 28 (Hervorhebung im Original). Vgl. Lejeune: Le pacte autobiographique, S. 24f. Ebd., S. 27. Ebd. (Hervorhebung im Original). Zusätzlich zum autobiographischen sowie romanesken Pakt definiert Lejeune den sogenannten phantasmatischen Pakt. Dieser liege vor, wenn Autoren durch Selbstaussagen den autobiographischen Raum auf ihre Romane ausweiten und damit suggerieren, dass in ihren fiktionalen Texten der Person des Autors tatsächlich näherzukommen ist: »Si l’on peut dire, c’est en tant qu’autobiographie que le roman est d¦cr¦t¦ plus vrai« (ebd., S. 42). 192 Holdenried: Autobiographie, S. 27f.

187 188 189 190 191

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Wirklichkeitsverständnisses problematisch wird«.193 De Toro wirft u. a. ein, dass Lejeune nicht zwischen unterschiedlichen Lesern unterscheide, die jeweils anders auf »Vertextungsverfahren wie Parodie, Ironie, Intertextualität, Negationen, Widersprüche, Brüche, Fragmentarisierungen, Auslassungen, Übertreibungen usw.«194 reagieren.195 Darüber hinaus seien insbesondere »Zwittertexte[…] wie die nouvelle autobiographie«196 mit Lejeunes System nicht erfassbar.197 Trotz der zahlreichen Gegenstimmen markieren Lejeunes Überlegungen noch immer die nachhaltigste Position bezüglich autobiographischen Erzählens bzw. der Frage nach der Gattung der Autobiographie.198 Holdenried begründet dies wie folgt: Sein [d. i. Lejeunes] Ansatz hat deshalb so viel Anklang gefunden, weil er die Aporie der Unbestimmtheit aus rein sprachstrukturellen Kriterien heraus zu lösen vorgab. Statt auf der produktionsästhetischen operiert er mit seinem Theorem des ›autobiographischen Paktes‹ auf der rezeptionsästhetischen Ebene.199

Lejeunes Äußerungen zum autobiographischen und romanesken Pakt werden im Folgenden herangezogen, da die Terminologie geeignet ist, aus rezeptionsästhetischer Perspektive zunächst die beiden traditionellen Pole ›Autobiographie‹ und ›Roman‹ zu beschreiben. Erst in Abgrenzung davon kann das autofiktionale Spiel der Postmoderne und das der Gegenwartstexte adäquat erfasst 193 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 12. Vgl. auch ebd., S. 24: »Der Wahrheits- bzw. Authentizitätsanspruch traditioneller autobiographischer Texte wird […] über eine spezifische Zeichenfunktion hergestellt, die die Möglichkeit einer Verifizierung impliziert. Grundlage hierfür ist die Trennung der Größen ›Realität‹ und ›Text‹, d. h. die Zeichen stehen stellvertretend für eine außertextuelle Welt, die sie in sekundärer Funktion repräsentieren«. 194 Toro: Die postmoderne neue Autobiographie, S. 1417. 195 Vgl. hierzu auch den Merkmalskatalog zur traditionellen Autobiographie von Alfonso de Toro (ebd., S. 1423). Neben der Namensidentität zwischen Autor, Erzähler und Figur, die Lejeune als das wichtigste Merkmal der Autobiographie nennt, geht de Toro explizit auf die homodiegetische Erzählsituation in der klassischen Autobiographie ein und nennt den Wahrheits- und Erkenntnisanspruch sowie die auf eine konsistente und auf Kohärenz angelegte Narration als wichtige Charakteristika. De Toro gibt ferner an, dass es der Autobiographie anders als dem Roman grundsätzlich auf eine Trennung zwischen Wirklichkeit und Fiktion ankomme. 196 Ebd., S. 1418 (Hervorhebung im Original). 197 Ebd.; vgl. dazu ebenfalls Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 27: »Lejeunes Ansatz erscheint aus heutiger Sicht gewissermaßen anachronistisch, weil er aufgrund seiner Definition der Autobiographie in Abgrenzung zu fiktionalen Texten gerade diejenigen Ansätze autobiographischen Schreibens nicht erfasst, die auf eine Aufhebung bzw. Hinterfragung tradierter Gattungsgrenzen abzielen«. Vgl. zudem Gasser : Autobiographie und Autofiktion, S. 18. 198 Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 287 sowie Gasser : Autobiographie und Autofiktion, S. 16–18. 199 Holdenried: Autobiographie, S. 27.

Fiktionales Erzählen

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werden. Die genannten Rezeptionsverträge sollen jedoch keine starre Anwendung erfahren. Anders als bei Lejeune (und u. a. auch bei Marie Darrieussecq) wird von der Annahme ausgegangen, dass nicht einzig und allein die Verwendung des Autornamens im Text als Kriterium für die Herstellung des autobiographischen Paktes Berücksichtigung erfahren darf; ebenso ist nicht nur die Gattungsbezeichnung ›Roman‹ als Rezeptionsangebot für den romanesken Pakt bzw. einen Fiktionspakt einschlägig.200 Eine derartig enge Grenzziehung würde dem Phänomen der Autofiktion nicht gerecht werden, da sich gerade durch die unterschiedlichen Strategien das Feld autofiktionaler Schreibweisen erst abbilden lässt.201 In Bezug auf den autobiographischen Pakt ist in Erweiterung von Lejeunes Verständnis daher zu ergänzen, dass dieser auch eröffnet werden kann, wenn z. B. der Name des Autors im Text selbst nicht fällt, sich das ›Ich‹ im Text jedoch implizit auf den Autornamen bezieht (etwa bei einem anonymen Erzähler, der die gleichen Werke geschrieben hat wie der Autor).202 Entsprechende Verfahren werden im Rahmen der Analyse gekennzeichnet.

2

Fiktionales Erzählen

Die Unterscheidung zwischen fiktionalem und faktualem Erzählen, insbesondere die Untersuchung sogenannter Fiktionsmerkmale bzw. -signale, ist Bestandteil einer fortwährenden theoretischen Debatte. Auf der einen Seite ist in der Forschung die Position vertreten worden (etwa durch Käte Hamburger,203 Dorrit Cohn oder Ansgar Nünning), dass fiktionale Texte anderen Regeln folgen als faktuale und dass es bereits auf der Textebene sogenannte »Fiktionsindikatoren« gibt, die sie von faktualen Erzähltexten abgrenzen.204 Nünning unterscheidet etwa zwischen »kontextuellen, paratextuellen und textuellen Signa200 Vgl. dazu insbesondere Eric Achermann, der ebenfalls Lejeunes alleinige Betonung der Namensidentität für einen autobiographischen Pakt kritisiert hat: »Die Geschichte der Literatur, Auseinandersetzungen in Feuilletons, literarische Dispute und zahlreiche Gerichtsprozesse belegen, dass solche Pakte offensichtlich ohne Einwilligung und Wissen zahlreicher Leser und Leserinnen sowie zahlreicher Autoren und Autorinnen geschlossen worden sind, das heißt offensichtlich keine Pakte sind« (Achermann: Von Fakten und Pakten, S. 52). 201 Auch Frank Zipfel weist darauf hin, dass neben der Namensgleichheit andere Möglichkeiten für die Etablierung eines autobiographischen Paktes bestehen (etwa durch die Namen früherer Werke). Zusätzlich könne der Status der Fiktionalität nicht nur auf die Gattungsangabe zurückgeführt werden (Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 305). 202 Vgl. dazu auch Achermann: Autor-Kreter, S. 134. 203 Siehe dazu näher Hamburger : Die Logik der Dichtung. 204 Nünning: Von historischer Fiktion, S. 153. Siehe näher Orth: Narrative Wirklichkeiten, S. 39.

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Grundlagen

len«,205 die die Fiktionalität einer Erzählung oder die Fiktivität einer Geschichte anzeigen206 und die das fiktionale damit vom faktualen Erzählen abgrenzen. G¦rard Genette erklärt, dass nicht alle Fiktionssymptome textueller Ordnung (»d’ordre textuel«)207 seien, weil sich ein Text vielmehr immer öfter durch paratextuelle Signale als fiktional erweise.208 Dorrit Cohn hat darauf hingewiesen, dass es in fiktionalen Texten im Gegensatz zu faktualen (hier explizit historischen) keine »Referenzstufe«209 historiographischer Ereignisse gebe: »Es ist die strenge […] Gebundenheit von Story und Referenz, die die Verantwortlichkeit des Historikers bestimmt und die der Leser überprüfen kann und muß, wenn er den Wahrheitswert einer historischen Erzählung beurteilen will«.210 Nur fiktionale Texte könnten das »Innenleben« von (historischen) Figuren auf ein bestimmtes Erlebnis zeigen bzw. sich im Sinne eines »freie[n] Erfinden[s]« in ihre Sichtweise begeben.211 Zudem wiesen fiktionale Erzählungen die Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler auf, während in faktualen Texten alle Aussagen dem Autor zugeschrieben würden.212 Die hier vorgenommene Differenzierung zwischen Autor und Erzähler kann als Grundprämisse der Literaturwissenschaft für die Unterscheidbarkeit fiktionaler und faktualer Texte gelten;213 Fotis Jannidis zählt diese Unterscheidung zu den »Binsenwahrheiten der Literaturwissenschaft«.214 Für Texte der sogenannten Popliteratur, deren Ich-Erzähler häufig autobiographisch konturiert sind, hat er zudem nachgewiesen, dass »die Grundbegriffe« hinsichtlich einer klaren Autor-Erzähler-Unterscheidung »häufig zu starr gehandhabt werden«:215 Zwischen Autor und Erzähler zu unterscheiden ist ein notwendiger Schritt, aber damit ist offensichtlich noch nicht so viel gewonnen. Der nächste Schritt besteht darin, zu 205 Nünning: Von historischer Fiktion, S. 153. Vgl. hierzu insbesondere Genette, der etwa von »indices (facultatifs) de fictionalit¦« (Genette: Fiction et diction, S. 92) spricht, sowie Orth: Narrative Wirklichkeiten, S. 42f. 206 Vgl. dazu ausführlicher Vogt: Aspekte erzählender Prosa; Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität sowie Nünning: Fiktionssignale und Bareis: Mimesis der Stimme, S. 104–118. 207 Genette: Fiction et diction, S. 89. 208 Vgl. ebd. sowie dazu Orth: Narrative Wirklichkeiten, S. 40. 209 Cohn: Narratologische Kennzeichen der Fiktionalität, S. 108. Der Aufsatz ist eine revidierte Fassung der von Cohn zuvor in englischer Sprache erschienenen Abhandlung Signposts of Fictionality. 210 Ebd. 211 Ebd., S. 109. 212 Vgl. ebd., S. 110f.; vgl. zu Cohns Thesen auch Cohn: The distinction of Fiction, S. 130, Genette: Fiction et diction, S. 80 sowie zu einer jüngsten Auseinandersetzung mit diesen Thesen Orth: Narrative Wirklichkeiten, S. 39f. 213 Vgl. Schaeffer : Fictional vs. Factual Narration, S. 98. 214 Jannidis: Zwischen Autor und Erzähler, S. 540. 215 Ebd., S. 553.

Fiktionales Erzählen

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beschreiben, wie in diesem Text und dieser Art von Texten [gemeint sind hier konkret Christian Krachts Faserland und andere der sogenannten Popliteratur zugeordneten Texte, B. K.] der Zusammenhang von Autor und Erzähler typischerweise modelliert wird. Gerade die Popliteratur der 1990er Jahre […] lebt sehr stark von der Annahme, die Texte seien trotz ihres unbestrittenen Fiktionalitätsstatus stark autobiographisch eingefärbt. […] Noch offen ist […], wie Leser diese Informationen genau in welcher Weise vom Text auf den Autor beziehen. Ganz offensichtlich spielen hierbei Paratexte und auktoriale Kontexte ein [sic] wesentliche Rolle, auch wenn dies der Vorstellung vom autonomen Kunstwerk deutlich widerspricht.216

Ferner konstatiert er, dass »Autor und Erzähler […] im extremen Fall in eins zusammenfallen oder doch so nahe beieinanderstehen, daß sie kaum zu unterscheiden sind«.217 In Bezug auf autofiktionale Texte verschärft sich dieses Problem noch, da Autor und Erzähler trotz des Fiktionspostulats den gleichen Namen tragen und in der Regel eine Merkmalsmenge miteinander teilen. »Auch in diesem extremen Fall«, so führt Jannidis weiter aus, »werden […] nicht alle Aspekte des Textes direkt dem Autor zugeschrieben. Welche Aspekte in welcher Form zugeschrieben werden, ist jeweils Teil eines komplexen und variablen Verhandlungsprozesses«.218 Im Rahmen der autofiktionalen Texte gilt es daher, näher zu bestimmen, wie der ›Zusammenhang von Autor und Erzähler‹ im ganz konkreten Einzelfall modelliert wird und welche Effekte davon ausgehen. Auf der anderen Seite bestreiten Theoretiker wie etwa John R. Searle, dass es textuelle Merkmale an sich geben könne, die ein Werk als Fiktion markieren: »There is no textual property, syntactical or semantic, that will identify a text as a work of fiction«.219 Entscheidend ist für Searle, dass der Autor eines fiktionalen Erzähltextes vorgibt, etwas zu behaupten (im Sinne von to pretend): »What makes it a work of fiction is, so to speak, the illocutionary stance that the author takes toward it, and that stance is a matter of the complex illocutionary intentions that the author has when he writes or otherwise composes it«.220 In Anlehnung an Cohn und unter Berücksichtigung eines »sprachhandlungstheoretischen Textverständnis[ses]«221 erklärt Frank Zipfel, dass es bei fiktionalem Erzählen unter der Annahme eines (fiktiven) Erzählers und eines (fiktiven) Adressaten, anders als bei faktualem Erzählen, eine »Verdopplung der Sprachhandlungssituation« gibt, es so »zu einer Unterscheidung zwischen einer textexternen und einer textinternen Sprachhandlungssituation«222 kommt.223 In 216 217 218 219

Ebd., S. 553f. Ebd., S. 556. Ebd. Searle: The Logic Status of fictional discourse, S. 325. Vgl. Orth: Narrative Wirklichkeiten, S. 41. 220 Ebd. 221 Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 117. 222 Ebd.

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Abgrenzung vom faktualen und damit auch vom traditionellen autobiographischen Erzählen hält sich das fiktionale Erzählen, so Zipfel, nicht »an die Regeln des […] referentiellen Gebrauchs der Sprache«224 und kann zunächst »als eine vom normalen Sprachgebrauch abweichende soziale, kulturelle in gewisser Hinsicht institutionalisierte, jedenfalls etablierte Praxis beschrieben werden«.225 Dass der fiktive Erzähler der Erzähllogik des faktualen Erzählens nicht verpflichtet sei,226 könne z. B. durch einen »mit übermenschlichem Erinnerungsvermögen ausgestattete[n] homodiegetische[n] Erzähler«227 zum Ausdruck kommen. Auch wenn eine Analyse derartige Elemente berücksichtigen kann, bleibt festzuhalten, dass eine solche Abweichung fiktionalen Erzählens von der Logik faktualen bzw. referenziellen Erzählens jedoch, wie Zipfel zu Recht ausführt, kein zwingendes Kriterium ist,228 zumal in fiktionalen Texten »faktuales Erzählen simuliert werden« kann.229 Hamburger bezeichnet die Ich-Erzählung aus dem gleichen Grund als »fingierte Wirklichkeitsaussage«,230 die »ihren Wesensursprung in der autobiographischen Aussagestruktur«231 hat. Für die Rezeption eines fiktionalen Textes in Abgrenzung zum autobiographischen Pakt geht Frank Zipfel auf das sogenannte make-believe-Spiel ein,232 das auf den Philosophen Kendall L. Walton zurückgeht. Dieser wiederum nimmt Samuel Taylor Coleridges Formel vom ›willing suspension of disbelief‹233 auf.234 Zipfel erläutert: Der Autor produziert einen Erzähl-Text mit nicht-wirklicher Geschichte mit der Intention, dass der Rezipient diesen Text mit der Haltung des make-believe aufnimmt, und der Rezipient erkennt diese Absicht des Autors und lässt sich aus diesem Grunde darauf ein, den Erzähl-Text unter den Bedingungen eines make-believe-Spiels zu lesen.235 223 Vgl. Orth: Narrative Wirklichkeiten, S. 44f. 224 Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 289. 225 Ebd. 226 Vgl. ebd., S. 291. 227 Ebd. 228 Vgl. ebd. 229 Ebd., S. 292. 230 Hamburger: Die Logik der Dichtung, S. 245. 231 Ebd., S. 246. 232 Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 289. 233 Vgl. Coleridge: Biographia Literaria or Biographical Sketches of My Literary Life and Opinions II, S. 6: »[Y]et so as to transfer from our inward nature a human interest and a semblance of truth sufficient to procure for these shadows of imagination that willing suspension of disbelief for the moment, which constitutes poetic faith«. 234 Vgl. dazu näher Walton: Mimesis as Make-Believe und Bareis: Fiktionales Erzählen. 235 Zipfel: Autofiktion: Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 289. Vgl. Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 297.

Zum Stellenwert von Realitätsfragmenten in der Fiktion

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Kendall L. Walton geht von einer Vergleichbarkeit zwischen der Rezeption fiktionaler Texte und sogenannten make-believe-Spielen von Kindern aus, die etwas imaginieren und sich innerhalb dieser Vorstellungs-Spiele an bestimmte Regeln halten.236 ›Make-believe‹ bezeichnet demnach die Rezeptionshaltung, etwas spielerisch als wahr anzunehmen.237 Dieses Prinzip lässt sich mit Zipfel wie folgt beschreiben: Der Rezipient hält die fiktive Geschichte ebenso wenig für wahr, wie der Autor sie als wahre Geschichte behauptet. Zum anderen gilt: Der fiktive Adressat liest die Geschichte ebenso sehr als wahr, wie der fiktive Erzähler sie als eine innerhalb der fiktiven Welt tatsächlich passierte Geschichte erzählt. Die Tatsache, dass der Leser eine fiktive Geschichte in der Haltung des make-believe für wahr hält, kann man also auch mit der Formulierung umschreiben, dass der Leser bei der Lektüre versucht, die Position des (dem Text eingeschriebenen) fiktiven Adressaten einzunehmen.238

In Anlehnung an den romanesken Pakt nach Lejeune spricht Zipfel hier von einem Fiktionsvertrag.239 Dieser wird ähnlich wie der autobiographische Pakt als Abmachung zwischen dem Leser und dem Autor geschlossen.

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Zum Stellenwert von Realitätsfragmenten in der Fiktion

Grundsätzlich gilt in der Fiktionstheorie die Annahme, dass fiktionale Erzählungen von fiktiven Ereignissen handeln. In Anknüpfung an Zipfel, Rühling und weitere wird ›fiktiv‹ in Abgrenzung zu ›fiktional‹ verwendet, d. h. ›fiktional‹ bezieht sich auf eine »bestimmte Darstellungsweise«, ›fiktiv‹ auf eine »bestimmte Existenzweise«:240 Spricht man von Fiktion auf der Ebene der Geschichte eines Erzähl-Textes, meint man damit letztlich, dass die dargestellte Geschichte nicht wirklich stattgefunden hat. […] Verkürzt gesagt: Die Geschichte handelt von nicht-wirklichen Ereignissen, nichtwirklichen Figuren, nicht-wirklichen Orten oder nicht-wirklichen Zeiten.241

Folglich spricht Zipfel auch von der Fiktivität des Dargestellten und der Fiktionalität eines Textes.242 Fiktionale Rede, so die weit verbreitete Annahme, er236 Walton: Mimesis as Make-Believe, S. 11. 237 Vgl. Zipfel: Autofiktion: Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 292. 238 Ebd., S. 292f. 239 Vgl. ebd., S. 293. 240 Rühling: Fiktionalität und Poetizität, S. 29. Vgl. auch Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 19 und Schmid: Elemente der Narratologie, S. 26. 241 Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 290. 242 Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 19.

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Grundlagen

hebe »keinen Anspruch auf Referenzialisierbarkeit«.243 Nähert man sich der für die vorliegende Arbeit zentralen Frage, welchen Stellenwert der Alltagswirklichkeit entnommene Fragmente im Rahmen einer Fiktion einnehmen, gelangt man jedoch in einen Bereich begrifflicher und konzeptueller Unschärfe.244 Verwendet ein Autor Wirklichkeitseinsprengsel in einem fiktionalen Text, kann das, ungeachtet der Annahme einer »Referenzlosigkeit von Fiktionen« bzw. »ihrer Referenz-Irrelevanz«245 zumindest in Teilen, dazu führen, dass der Leser seine Haltung aufgibt, das Erzählte als Simulation zu begreifen: Ein […] formulierter Fiktionspakt funktioniert als Übereinkunft zwischen Autor und Leser bzw. Leser und Werk, einen Text als Simulation ohne Anspruch auf empirische Überprüfbarkeit aufzufassen; er gilt, so lange [sic] er nicht durch explizite oder implizite Signale modifiziert oder suspendiert wird.246

In seinem Studienbuch Literatur und Wissen fasst Ralf Klausnitzer die drei grundlegenden Positionen zur Problematik von realen Objekten in fiktionalen Texten zusammen: den Panfiktionalismus, den Autonomismus und den Kompositionalismus.247 Anhänger des Panfiktionalismus sind der Auffassung, dass »alle Wirklichkeitsmodelle des Menschen sprachlich konditionierte Konstruktionsleistungen sind«248 und daher kein Unterschied zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Textelementen besteht,249 was nach Peter Blume einer »Nivellierung des Unterschieds zwischen fiktionalen und nichtfiktionalen Texten«250 gleichkommt.251 Die Vertreter des Autonomismus gehen davon aus, dass alle Elemente, die Eingang in die Fiktion finden, Entitäten der Fiktion sind trotz etwaiger (historischer) Existenz von Referenz-Personen oder Referenz-Gegenständen. Die Bestandteile dieser Welten seien fiktional,252 »auch wenn sich aufgrund sugge243 244 245 246 247 248 249 250

251 252

Gabriel: Fiktion und Wahrheit, S. 27. Vgl. auch: Bunia: Faltungen, S. 150. Cohn: Narratologische Kennzeichen der Fiktionalität, S. 106. Klausnitzer: Literatur und Wissen: Zugänge – Modelle – Analysen, S. 222 (Hervorhebung im Original). Vgl. ebd., S. 218f. Ebd., S. 219. Vgl. ebd. Vgl. Blume: Fiktion und Weltwissen, S. 15. – Peter Blume verwendet den Begriff in Anlehnung an Gottfried Gabriel, der sich gegen jene Ansätze richtet, die eine Unterscheidung zwischen fiktionalen und faktualen Texten verneinen: »There is […] an attempt to fight the arrogance of science by suspending the very distinctions between science and literature, facts and fictions, and in this way one ends up in a kind of pan-fictionalism« (Gabriel: Fact, Fiction and Fictionalism, S. 35). Blume verweist diesbezüglich auf die Theorie Hayden Whites. Vgl. dazu: White: Tropics of discourse: Essays in cultural criticism. Klausnitzer gebraucht den Begriff ›fiktional‹, anders als Zipfel, auch für einzelne Textbestandteile. Vgl. Klausnitzer : Literatur und Wissen, S. 221: »Fiktional kann einerseits die

Zum Stellenwert von Realitätsfragmenten in der Fiktion

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rierter Referenzen die Umgangsformen mit ihnen ändern können«.253 Diese Position vertritt u. a. Wolf Schmid, demzufolge die literarische Fiktion die Darstellung einer Welt ist, die »keine direkte Beziehung des Dargestellten zu einer realen außerliterarischen Welt impliziert«.254 Schmid führt aus: Die thematischen Einheiten, die als Elemente in die fiktive Welt eingehen, können aus der realen Welt bekannt sein […]. Unabhängig von ihrer Herkunft werden alle thematischen Einheiten beim Eingang in das fiktionale Werk zu fiktiven Elementen. Die referentiellen Signifikanten des fiktionalen Textes verweisen nicht auf bestimmte außertextliche Referenten, sondern beziehen sich nur auf innertextliche Denotate der jeweiligen dargestellten Welt.255

Daraus ergibt sich nach Genette eine Pseudo-Referenz bzw. eine Denotation ohne Denotat.256 Diese Einordnung gilt nach Schmid auch für Textsorten wie den historischen Roman, »selbst wenn sich der Autor eines historischen Romans streng an die belegten historischen Fakten«257 hält. Der Kompositionalismus vertritt Klausnitzer zufolge die These, dass fiktionale Erzähltexte eine Synthese aus fiktionalen und nicht-fiktionalen Elementen darstellen. Auch eine Überführung in die Fiktion ändert demnach nichts an der Nicht-Fiktionalität der entsprechenden Elemente.258 Diesem Ansatz schließt sich Frank Zipfel an.259 Er weist darauf hin, dass neuere narratologische und fiktionstheoretische Forschungen zwischen sogenannten realen Objekten (immigrant objects) bzw. pseudo-realen Objekten (surrogate objects)260 unterscheiden und damit davon ausgehen, dass es reale Elemente innerhalb der Fiktion gebe. Reale Objekte, führt Zipfel aus, haben im Gegensatz zu nicht-realen Objekten (native objects) eine Entsprechung in der Wirklichkeit, sind jedoch »grundsätzlich von den tatsächlichen Objekten der Wirklichkeit verschieden«,261 da sie Eigenschaften besitzen, die ihre realen Entsprechungen nicht aufweisen.262

253 254 255 256 257 258 259

260 261

Eigenschaft einer Textganzheit bezeichnen und andererseits zur Klassifikation einzelner Text-Bestandteile benutzt werden. Dabei gilt eine Textganzheit bzw. ein Textbestandteil als fiktional, wenn die in ihnen dargestellten Sachverhalte, Konstellationen oder Figuren fiktiv sind«. Ebd., S. 219. Schmid: Elemente der Narratologie, S. 37. Ebd., S. 37f. Genette: Fiction et diction, S. 36. Schmid: Elemente der Narratologie, S. 39f. Vgl. Klausnitzer: Literatur und Wissen, S. 219. Vgl. Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 90–102. Siehe auch Blume: Fiktion und Weltwissen, S. 9: »Im Gegensatz zur häufig in der Literaturtheorie vertretenen Auffassung gibt es nichtfiktionale Elemente fiktionaler Texte, und sie sind darüber hinaus wesentliche Orientierungspunkte für den Leser bei der Sinnkonstitution fiktionaler Erzähltexte im Prozeß der Lektüre« (Hervorhebung im Original). Vgl. Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 102. Ebd., S. 92.

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Grundlagen

Zipfel differenziert zwischen realen und nicht-realen Objekten, um zwischen genuin erfundenen Orten wie etwa Jerichow, das in Uwe Johnsons Jahrestage in Mecklenburg-Vorpommern liegt, und Orten wie New York, das darin ebenfalls vorkommt, unterscheiden zu können.263 Er führt aus, dass die Nennung realer Objekte für eine »adäquate Rezeption« entscheidend sei: Sowohl von einem allgemein pragmatischen wie auch von einem literaturwissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen kann man sagen, daß der Text der Jahrestage nicht wirklich verstanden werden kann, wenn man die darin vorkommende Stadt mit der Bezeichnung New York nicht mit dem realen New York der Jahre 1967/68 identifiziert.264

Pseudo-reale Objekte hingegen sind solche, die »aus der Wirklichkeit entlehnt sind, sich jedoch explizit und signifikant von ihren realen Entsprechungen unterscheiden«.265 Diese Objekte besitzen, so Zipfel, nicht alle Eigenschaften, die man in der Realität an ihnen beobachten kann, aber andere, die ihnen zusätzlich zugeschrieben werden.266 Die Unterscheidung in pseudo-reale und reale Objekte ist nach Zipfel jedoch nicht immer trennscharf möglich. Es gelte folglich zu fragen, ob es sich um »signifikant abgewandelte Objekte«267 handle. An Zipfels Einteilung kritisiert Schmid nachvollziehbar, dass eine Abstufung zwischen pseudo-realen und realen Objekten wenig sinnvoll sei, da sich »die ›Abweichung‹ etwa einer Figur von einem historischen Prototyp«268 nicht einwandfrei feststellen lasse. Dies betrifft letztlich auch die Erwähnung zeitgenössischer Personen des öffentlichen Lebens, bei denen nicht überprüfbar ist, ob sie sich in Wirklichkeit genauso verhalten oder tatsächlich zu dem Zeitpunkt, den der Roman angibt, am erwähnten Ort anwesend gewesen sind. Zudem konstatiert er : »Zipfel weckt den Verdacht, er wolle insgeheim eine Gradation des Fiktiven einführen, die er an anderer Stelle in seinem Buch zu recht [sic] als problematisch bezeichnet«.269 Gegen die Position des Autonomismus,270 alle Elemente eines fiktionalen Textes seien fiktiv, wendet Zipfel wiederum ein, dass so die unterschiedlich starken Realitätsbezüge nivelliert würden.271 Unabhängig vom Status der textinternen Objekte, ist Zipfel, wie an den au262 263 264 265 266 267 268 269 270

Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 94. Ebd., S. 95. Ebd., S. 97. Ebd. Ebd., S. 98. Schmid: Elemente der Narratologie, S. 41. Ebd. Zipfel geht hier von der Position Rudolph Hallers aus (Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 92-95). Vgl. Haller: Wirkliche und fiktive Gegenstände. 271 Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 95.

Zum Stellenwert von Realitätsfragmenten in der Fiktion

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tofiktionalen Texten im Rahmen der Analysen gezeigt wird, Recht zu geben, wenn er konstatiert: Fiktive Geschichten seien »zwar durch die Fiktivität bestimmter Komponenten gekennzeichnet, sie sind jedoch nie ganz und gar unwirklich, sie haben stets eine Beziehung zur Wirklichkeit«.272 Sie orientieren sich an der Wirklichkeit und sind häufig realitätskonform konzipiert,273 denn die Elemente eines Textes, die mit der realen Welt übereinstimmen, erhöhen die Realitätsnähe.274 Die Elemente signalisieren dem Leser stellenweise eine Ähnlichkeitsbeziehung zur Wirklichkeit, die für die Textrezeption275 von Bedeutung ist.276 Die reale Welt bildet nach Zipfel »den allgemeinen Hintergrund aller fiktiven Geschichten und das ›Reservoir‹ zur Auffüllung fiktiver Welten«.277 Diese enthalten zudem reale Ereignisträger, Orte und Zeiten als »Präsenz konkreter Realität«.278 Dirk Niefanger hat die Diskussion um Realitätsreferenzen im Rückgriff auf die Linguistik wie folgt zusammengefasst: Referenz meint in der neueren Literaturwissenschaft den Akt oder das Objekt sprachlicher Bezugnahme auf Gegenstände, Wahrnehmungen, Handlungen, Kulturformationen, mentale Repräsentationen (sogenannte Frames) oder Konzepte. Realitätsreferenzen als zentrale Untergruppe beziehen sich auf Objekte (Räume, Orte, Geschehnisse, Personen, Dinge usw.) außerhalb des literarischen Textes, von denen innerhalb des geltenden Kulturdiskurses angenommen wird, dass sie real existieren.279

In Anlehnung an Alexander Ziems ›Frame-Semantik‹ führt Niefanger weiter aus, dass die kognitive Linguistik in Frage stelle, »dass es eine unmittelbare Referenz 272 Ebd., S. 82. 273 Vgl. Zipfel: Autofiktion: Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 290. 274 Vgl. zum Begriff des Realismus die Ausführungen Seilers (Seiler : Die leidigen Tatsachen, S. 15f.). 275 Seiler etwa argumentiert in Bezug auf extern gültige Tatsachen, die Eingang in den Roman finden, dass der »literarische Diskurs und der nichtliterarische Diskurs« nicht voneinander getrennt werden können, wie z. B. Beteuerungen der Autoren Grass, Böll und Koeppen bestätigen würden, wenn sie in Vorbemerkungen ihrer Romane ausdrücklich darauf hinwiesen, dass »Ähnlichkeiten mit Personen und Geschehnissen des Lebens zufällig« seien (ebd., S. 36). 276 Vgl. Klausnitzer: Literatur und Wissen, S. 221: »Erst begründete Analogiebildungen erlauben es, diese Referenzen zu bedeutungsrelevanten Eigenschaften einer fiktionale[n] Darstellung zu erheben und entsprechend zu interpretieren«. 277 Die Wirklichkeit, gegen die sich die Fiktion abgrenzt, lässt sich entsprechend benennen: »Das Konzept der realen Welt, das wir mit dieser Alltagswirklichkeit verbinden, umfaßt den Bereich unserer alltäglichen Erfahrungen, erweitert durch das, was uns durch die ›Enzyklopädie‹ zugänglich ist« (Zipfel: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität, S. 76). Einschlägig ist damit das, was zum Zeitpunkt der Entstehung bzw. der Veröffentlichung eines Werkes als Wirklichkeitskonzept angesehen werden kann. 278 Ebd., S. 90. 279 Niefanger : Realitätsreferenzen im Gegenwartsroman, S. 37. Vgl. auch Naschert: Referenz.

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auf Wirklichkeit geben kann«.280 Hingegen nehme sie »eine ›so genannte Frame(oder Wissensrahmen-)Semantik‹ an«. ›Frames‹ wiederum sind dann als »Repräsentationsformate« zu verstehen, »die Wissen speichern und vernetzen«:281 Aus Sicht der kognitiven Linguistik scheint die Identifikation eines Lexems als fiktiv oder als faktisch letztlich eine Frage der labilen, weil veränderlichen, Frame-Zuordnung zu sein. Eine ›absolute‹ Identifizierung einer Referenz auf das wirklich Gegebene ist damit fraglich, weil ein Lexem, das scheinbar auf Faktisches referiert (Eigenname, Markenname usw.), immer noch eine Absicherung über (veränderbare) Frames benötigt.282

In Abhängigkeit von seinem Vorwissen,283 seinem Leseverhalten und seiner Aufmerksamkeit den Textelementen gegenüber reagiert der Leser individuell auf Realitätsreferenzen.284 Insbesondere an literarischen Entwicklungen der Gegenwart lässt sich beobachten, dass fiktionale Texte mit auffällig vielen Realitätsfragmenten arbeiten (von der Nennung authentischer Firmennamen in der Popliteratur bis hin zur Verarbeitung von Zeitgeschichte). Auch die im Rahmen dieser Studie zu untersuchenden Texte binden solche Fragmente, vor allem autobiographische Bezüge, in einer breiten Streuung ein. Wenn im Folgenden von Referenzen auf reale Orte oder Objekte die Rede ist, soll damit weniger der Status dieser Objekte als fiktiv, real oder pseudo-real diskutiert werden als vielmehr die Möglichkeiten benannt sein, dass hier die Identifikation mit etwas Faktischem eröffnet ist, wenn der Leser über die dazugehörige Frame-Zuordnung verfügt. Die vorliegende Arbeit legt ihr Augenmerk daher auf das textinterne Angebot solcher Wirklichkeitsreferenzen sowie ihre paratextuelle Markierung und die davon ausgehenden möglichen Wirkungen.

4

Postmoderne Ästhetik

Bevor das autofiktionale Schreiben in der Postmoderne an ausgewählten Beispielen vorgestellt wird, gilt es, postmoderne und poststrukturalistische Positionen zu nennen, vor deren Hintergrund die autofiction zu verorten ist. Niefanger : Realitätsreferenzen im Gegenwartsroman, S. 39. Ebd. Ebd., S. 40. Vgl. dazu Christmann/Groeben: Psychologie des Lesens, S. 147: »Das Lesen als eine solche Wechselwirkung, in der Textinformation mit Welt- und Sprachwissen der Rezipienten/ innen interagiert, ist daher immer auch als die Verschränkung von textgeleiteten, ›aufsteigenden‹ Prozessen (bottom up: von der Textinformation zum rezipierten Wissen) und andererseits konzept- bzw. erwartungsgeleiteten, ›absteigenden‹ Prozessen (top down: vom Vorwissen zum konkreten Textverständnis) aufzufassen«. 284 Vgl. zu den Bedingungen der Textrezeption Seiler: Die leidigen Tatsachen, S. 43.

280 281 282 283

Postmoderne Ästhetik

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Dazu werden die für das Autofiktionale relevanten Theorien und Positionen, wie das Postulat vom ›Tod des Autors‹, kurz skizziert285 sowie Charakteristika des postmodernen Textes genannt, die für postmoderne Autofiktionen von Bedeutung sind.

4.1

Theoretische Positionen: Fiedler, Sontag, Derrida, Barthes, Foucault

Die postmoderne Strömung in Deutschland ist vor allem von der US-amerikanischen Literaturkritik der 1960er und 70er Jahre sowie vom französischen Poststrukturalismus geprägt worden.286 Auf amerikanischer Seite gehören Susan Sontag und Leslie Fiedler zu den einflussreichsten Theoretikern. Fiedler behandelt in seiner Rede The Case of Post-Modernism (1968) an der Universität Freiburg, die später unter dem Titel Cross the Border – Close the Gap im Playboy abgedruckt worden ist,287 die neuere, ›postmoderne‹ Literatur und richtet sich gegen eine Kritik, die noch immer einzig und allein den Modernismus propagiert. Die Geburtswehen der Postmoderne seien, so Fiedler, gegenwärtig,288 das Zeitalter von Marcel Proust, Thomas Mann oder James Joyce zu Ende.289 Ein zentraler Gedanke, der in Fiedlers Rede zum Ausdruck kommt, ist die Vermischung von Populärkultur und elitärer Kunst: »that […] a closing of the gap between elite and mass culture is precisely the function of the Novel Now«.290 Die postmoderne Literatur stellt für ihn eine neue Art des Schreibens dar, die auf Popularisierung zielt: »[T]he reborn novel, the truely new New novel must be anti-art as well as antiserious«.291 Er greift damit die Vorrangstellung elitärer Kunst an und propagiert die Integration populärer Schreibverfahren. Fiedlers Idee des ›border-crossing‹ betrifft zudem die Kluft zwischen Publikum und Kritik: »In fact, Post-Modernism implies the closing of the gap between critic and audience, too, if by critic one understands ›leader of taste‹ and audience ›follower‹«.292 Die radikale

285 Siehe zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit den im Folgenden nur angesprochenen Theorien der Postmoderne Petersen: Der postmoderne Text, S. 166–242. 286 Siehe dazu näher ebd. 287 Als Werke Fiedlers, die Cross the Border – Close the Gap vorbereiten, sind in diesem Zusammenhang der Aufsatz The Death of Avant-Garde Literature (1964) und der Vortrag The New Mutants (1965) zu nennen. Siehe dazu Petersen: Der postmoderne Text, S. 178–183. 288 Vgl. Fiedler : Cross the border – close the gap, S. 461. 289 Vgl. ebd. 290 Ebd., S. 468. 291 Ebd., S. 467. 292 Ebd., S. 478.

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Grundlagen

›Pluralität‹ bzw. ›Vielheit‹ wird später von Wolfgang Welsch als wichtigstes Charakteristikum der Postmoderne gehandelt: Pluralität ist seit langem, ist schon in der Moderne zu konstatieren […]. Aber wo sie – wie jetzt – zur allgemeinen Grundverfassung wird, wo sie nicht mehr nur in abstrakten Spekulationen und aparten Zirkeln existiert, sondern die Breite der Lebenswirklichkeit zu bestimmen beginnt, da verändert sich das ganze Spiel. Die Postmoderne ist diejenige geschichtliche Phase, in der radikale Pluralität als Grundverfassung der Gesellschaft real und anerkannt wird […].293

Der Postmoderne liegen, so Welsch, »differente[…] Wissensformen, Lebensentwürfe, Handlungsmuster«294 zugrunde. Der Pluralismus der Postmoderne versuche auf eben diese Probleme einer »Gesamtsituation der Simultaneität und Interpenetration differenter Konzepte und Ansprüche«295 zu antworten: Daher bemüht sich die Literatur – von Vian bis Eco –, verschiedenen Erwartungen zugleich gerecht zu werden; […] daher inszenieren Künstler, wie Merz, Kitaj oder Paladino Orte einer Imagination, wo sich heterogene Welten durchdringen; […] und daher plädieren Philosophen wie Lyotard oder Marquard für entschiedene Pluralisierung, für eine Fortsetzung der Gewaltenteilung, für Polytheismus […] und Beförderung der Vielfalt gegenwärtiger Lebensentwürfe, Wissenschaftskonzeptionen, Sozialbeziehungen.296

Susan Sontag setzt sich zu Beginn der 1960er Jahre mit der Rezeption von Kunst und Kultur in der Gegenwart auseinander und hat mit ihren Essays nachhaltig die Kulturgeschichte geprägt. In Against Interpretation (1964) kritisiert sie die (vor allem literaturwissenschaftliche) Interpretationspraxis der 1960er Jahre bzw. das Interpretieren als den vorrangigen und richtigen Umgang mit Kunstwerken: »The modern style of interpretation excavates, and as it excavates, destroys; it digs ›behind‹ the text, to find a sub-text which is the true one«.297 Auf französischer Seite sind vor allem Jacques Derrida als Hauptvertreter der Dekonstruktion, Roland Barthes mit seinen Äußerungen zum ›Tod des Autors‹ sowie Michel Foucault mit seinen Überlegungen zur Autorfunktion zu nennen.298 293 294 295 296 297 298

Welsch: Unsere postmoderne Moderne, S. 5. Ebd. Ebd., S. 4. Ebd., S. 39. Sontag: Against Interpretation, S. 6. Daneben sind Umberto Ecos Beitrag zur Postmoderne L’opera aperta (1962) sowie das Konzept der »Karnevalisierung« von Michail Bachtin zu berücksichtigen, das von Julia Kristeva aufgenommen worden ist und ebenso in Hassans Merkmalskatalog Niederschlag findet. Zudem sind für den Postmoderne-Diskurs, wie Petersen näher erläutert, Gilles Deleuze und F¦lix Guattari mit Rhizom, ihrem Vorwort zu Mille plateaux, von Bedeutung (vgl. Petersen: Der postmoderne Text, S. 232–242).

Postmoderne Ästhetik

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Mit De la grammatologie (1967), der Rede La diff¦rance (1968) und dem Aufsatz La structure, le signe et le jeu dans le discours des sciences humaines (1969) und liefert Jacques Derrida die »Ursprünge einer poststrukturalistischen und damit einer postmodernen Sprachphilosophie«.299 Nach Derrida verweisen Zeichen immer wieder nur auf Zeichen und nicht auf einen in der Realität existierenden Referenten. Texte als bloße Zeichenprodukte verlieren damit ihren Bezug zur Wirklichkeit. Als Konsequenz löst Derrida die Differenz zwischen Objekt und Subjekt auf: Cela implique que le sujet (identit¦ — soi ou ¦ventuellement conscience de l’identit¦ — soi, conscience de soi) est inscrit dans la langue, est »fonction« de la langue, ne devient sujet parlant qu’en conformant sa parole, mÞme dans ladite »cr¦ation«, mÞme dans ladite »transgression«, au systÀme de prescriptions de la langue comme systÀme de diff¦rences, ou du moins — la loi g¦n¦rale de la difference […].300

Das sprechende Subjekt erschaffe sich selbst in der Sprache und existiere folglich nicht außerhalb des sprachlichen Zeichensystems: »le sujet parlant ou signifiant ne serait pas pr¦sent — soi, en tant que parlant ou signifiant, sans le jeu de la diff¦rance linguistique ou s¦miologique«.301 Indem Derrida das Subjekt hinter die Sprache zurücktreten lässt, formuliert er eine poststrukturalistische Grundannahme, die in Roland Barthes’ Diktum vom Autor-Tod ihren Niederschlag findet302 und die auch als Prämisse für das autofiktionale Schreiben der Postmoderne angesehen werden kann. Roland Barthes’ Aufsatz La mort de l’auteur (1968) hat – wie in der Forschung inzwischen vielfach hervorgehoben worden ist – ein »scheinbar unwiderstehliches metaphorisches Feld eröffnet«:303 Der ›Tod des Autors‹ ist zum Leitwort der Autorschaftsdebatte geworden. In seinem Aufsatz richtet sich Barthes gegen die auf den Autor ausgerichtete herrschende Praxis der Literaturinterpretation insbesondere in Frankreich.304 Der Autor als Urheber, so Barthes, sei eine Erfindung der Neuzeit,305 der noch immer große Bedeutung zukomme: [L]’image de la litt¦rature que l’on peut trouver dans la culture courante est tyranniquement centr¦e sur l’auteur, sa personne, son histoire, ses go˜ts, ses passions; […] 299 300 301 302 303 304 305

Ebd., S. 204. Vgl. Derrida: La diff¦rence, S. 16. Vgl. ebd., S. 16f. Vgl. Petersen: Der postmoderne Text, S. 224. Spoerhase: Autorschaft, S. 11. Vgl. Jannidis/Lauer/Mart†nez/Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, S. 181. Barthes: La mort de l’auteur, S. 40: »L’auteur est un personnage moderne, produit sans doute par notre soci¦t¦ dans la mesure o¾, au sortir du Moyen Age, avec l’empirisme anglais, le rationalisme franÅais, et la foi personelle de la R¦forme, elle a d¦couvert le prestige de l’individu, ou, comme on dit plus noblement, de la ›personne humaine‹« (Hervorhebungen im Original).

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l’explication de l’œuvre est toujours cherch¦e du cút¦ de celui qui l’a produite, comme si, — travers l’all¦gorie plus ou moins transparente de la fiction, c’¦tait toujours finalement la voix d’une seule et meme personne, l’auteur, qui livrait sa »confidence«.306

Ausgehend vom Tod des Subjekts proklamiert er die Abwesenheit des Autors im Text und die ›Geburt‹ der Schrift: Qui parle ainsi?307 […] Il sera — tout jamais impossible de le savoir, pour la bonne raison que l’¦criture est destruction de toute voix, de toute origine. L’¦criture, c’est ce neutre, ce composite, cet oblique o¾ fuit notre sujet, le noir-et-blanc o¾ vient se perdre toute identit¦, — commencer par celle-l— mÞme du corps qui ¦crit. […] Sans doute en a-t-il toujours ¦t¦ ainsi: dÀs qu’un fait est racont¦, — des fins intransitives […] la voix perd son origine, l’auteur entre dans sa propre mort, l’¦criture commence.308

Als Nachfolger des Autors sei in der Schrift lediglich ein ›scripteur‹ anwesend, der anders als ein Autor keine über den Text hinausgehende Existenz aufweist.309 Den Text versteht Barthes als ein »tissu de citations, issues des mille foyers de la culture«.310 Er bestehe nicht mehr »d’une ligne de mots, d¦gageant un sens unique, en quelque sort th¦ologique (qui serait le ›message‹ de l’Auteur-Dieu), mais un espace — dimensions multiples, o¾ se marient et se contestent des ¦critures vari¦es, dont aucune n’est originelle«.311 Das künstlerische Schaffen bzw. die Innovation wird damit auf ein Bearbeiten vorhandenen Materials reduziert.312 Durch die ›Abwesenheit‹ des Autors ändert sich auch der Umgang mit der ¦criture. Es ist nicht mehr das Ziel, einen Text zu ›entziffern‹, sondern es gilt, dieses Gebilde an Zitaten und Intertexten zu ›entwirren‹: »Dans l’¦criture multiple, en effet, tout est — d¦mÞler, mais rien n’est — d¦chiffrer«.313 Den Autor als Bezugsgröße für den Text ersetzt Barthes durch jeden möglichen realen Leser :314 »Le lecteur est l’espace mÞme o¾ s’inscrivent, sans qu’aucune ne se perde, toutes les citations dont est faite une ¦criture.«315 306 Ebd., S. 40f. (Hervorhebungen im Original). 307 Barthes bezieht sich hier zunächst auf einen Textauszug aus Balzacs Novelle Sarrasine (1830). 308 Barthes: La mort de l’auteur, S. 40. 309 Vgl. ebd., S. 43. 310 Ebd. 311 Ebd. 312 An Barthes’ Aufsatz ist zu Recht kritisiert worden, dass »gerade die sprachliche Montageoder ›Übersetzungsarbeit‹ wiederum die Individualität eines Urhebers oder Autors voraussetzt« (Petersen: Der postmodernde Text, S. 225). 313 Barthes: La mort de l’auteur, S. 44 (Hervorhebung im Original). 314 Der Leser könne jedoch nicht als Person verstanden werden: »[…] le lecteur est un homme sans histoire, sans biographie, sans psychologie; il est seulement ce quelqu’un qui tient rassembl¦es dans un mÞme champ toutes les traces dont est consitu¦ l’¦crit« (ebd., S. 45, Hervorhebung im Original). 315 Ebd.

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In Qu’est-ce qu’un auteur? (1969)316 untersucht Michel Foucault die Funktionen der Autor-Kategorie und nimmt dessen Schlagwort vom ›Tod des Autors‹ auf.317 Er argumentiert, dass der Autorbegriff mit dem des ›Werks‹ und dem des ›Schreibens‹ zusammenhänge und demzufolge nicht isoliert betrachtet werden dürfe.318 Das Werk ist für Foucault zunächst »ce qu’a ¦crit celui qui est un auteur«,319 ohne jedoch die Grenzen des Werkes festlegen zu können. Foucault erläutert dieses Problem am Werk Nietzsches: Quand on entreprend de publier, par exemple, les œuvres de Nietzsche, o¾ faut-il s’arrÞter? Il faut tout publier, bien s˜r, mais que veut dire ce »tout« ? Tout ce que Nietzsche a publi¦ lui-mÞme, c’est entendu. Les brouillons de ses œuvres? Êvidemment. Les projets d’aphorismes? Oui. Les ratures ¦galement, les notes au bas des carnets? Oui. Mais quand, — l’int¦rieur d’un carnet rempli d’aphorismes, on trouve une r¦f¦rence, l’indication d’un rendez-vous ou d’une adresse, une note de blanchisserie: œuvre, ou pas œuvre? Mais pourquoi pas? Et cela ind¦finiment.320

Foucault grenzt ferner die Funktion des Autor- von dem des Eigennamens ab. Es sei der Autorname, der den Text klassifiziere, da dieser einen bestimmten Text in Beziehung zu anderen setze, die mit diesem Namen versehen sind: Der Name eines Autors »assure une fonction classificatoire; un tel nom permet de regrouper un certain nombre de textes, de les d¦limiter, d’en exclure quelques-uns, de les opposer — d’autres«.321 Allerdings erhalten nicht alle Texte die Funktion ›Autor‹: Ein Privatbrief habe einen Schreiber, hingegen aber keinen Autor ; ein Vertrag habe einen Bürgen, aber ebenso wenig einen Autor.322 Diskurse, die die Funktion ›Autor‹ aufweisen, sind, so Foucault, von vier Merkmalen bestimmt:323 (1) Zunächst haben Autoren ein Eigentumsverhältnis zu ihren Texten, das zurückzuführen ist auf die Etablierung des Urheberrechts 316 Qu’est-ce qu’un auteur geht auf einen Vortrag zurück, den Michel Foucault 1969 vor der Soci¦t¦ franÅaise de philosophie gehalten hat. An der Universität Buffalo hat Foucault eine am Ende veränderte Fassung des Textes vorgetragen. Vgl. zu den Abweichungen beider Texte Foucault: What is an author, S. 158–160 sowie Jannidis/Lauer/Mart†nez/Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, S. 228f. 317 Siehe: Foucault: Qu’est-ce qu’un auteur, S. 793. Vgl. Petersen: Der postmoderne Text, S. 226. 318 Vgl. Petersen: Der postmoderne Text, S. 226. 319 Foucault: Qu’est-ce qu’un auteur, S. 794. 320 Ebd. 321 Ebd., S. 798. 322 Vgl. ebd. 323 Vgl. dazu Jannidis/Lauer/Mart†nez/Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, S. 195. Foucault spricht in diesem Zusammenhang von »quatre caractÀres« (Foucault: Qu’est-ce qu’un auteur, S. 799), die Jannidis et al. mit ›Merkmale‹ übersetzen (vgl. ebd. sowie ebd., S. 211 und 213). Dieser Übersetzung wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit gefolgt.

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zwischen dem Ende des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts.324 (2) Zudem gilt die Autorfunktion nicht überall und in allen Diskursen.325 Literarische Texte sind früher anonym veröffentlicht worden, während wissenschaftliche Texte im Mittelalter eine Zuschreibung aufweisen mussten.326 In der Neuzeit seien literarische Werke hingegen ohne die Autorfunktion kaum denkbar : »La fonction auteur joue — plein de nos jours pour les œuvres litt¦raires«.327 (3) Die Autorfunktion ist darüber hinaus das Ergebnis der Konstruktion eines Vernunftwesens, das man als Autor bezeichnet;328 das, was an einem Individuum wiederum als Autor bezeichnet wird, ist für Foucault lediglich die »projection, dans des termes toujours plus ou moins psychologisants«329 eines Umgangs mit Texten. Die Art und Weise des Umgangs unterscheidet sich in verschiedenen Epochen und Diskurstypen. Dennoch können unter dem Autorbegriff bestimmte Gemeinsamkeiten subsummiert werden, wie etwa stilistische Einheiten. (4) Personalpronomen sowie Adverbien der Zeit und des Ortes verweisen auf den Autor. Während diese in Diskursen ohne Autorfunktion auf einen realen Sprecher hindeuten, ist die Rolle dieser Elemente in Diskursen mit Autorfunktion nach Foucault schwieriger zu bestimmen. Im Roman verweist das ›Ich‹ nicht auf einen empirischen Schriftsteller, sondern auf ein alter ego. Die Funktion ›Autor‹, so fasst es Foucault zusammen, »peut donner lieu simultan¦ment — plusieurs ego, — plusieurs positions-sujets que des classes diff¦rantes d’individus«.330

4.2

Charakteristika des postmodernen Textes

Im Folgenden sollen im Bewusstsein ihrer begrenzten Tragfähigkeit abschließend diejenigen Eigenschaften zusammengestellt werden, die einen Text grundsätzlich als (post-)modern charakterisieren können. Dazu werden sowohl die Merkmalsliste von Ihab Hassan als auch Christer Petersens Kategorien herangezogen. Hassans Merkmalsreihe ist darauf angelegt, die Postmoderne extensiv als »gesamtgesellschaftliches Phänomen«331 zu erfassen. Seine Charakteristika zeichnen sich durch Interferenzen aus und sind nicht immer klar abgrenzbar. Hassan selbst räumt ein, dass sich seine »definitorischen Merkmale […] mit324 325 326 327 328 329 330 331

Foucault: Qu’est-ce qu’un auteur, S. 799. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Ebd., S. 796. Vgl. ebd., S. 801. Ebd. Ebd., S. 804. Petersen: Der postmoderne Text, S. 186.

Postmoderne Ästhetik

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unter überschneiden, vielleicht gar widersprechen«,332 und einen Raum von »indetermanences (indeterminacy lodged in immanence)«333 beschreiben. Dennoch oder gerade aufgrund dieser Tatsache hat sich sein Merkmalskatalog als ergiebig und produktiv für die Postmoderne-Diskussion erwiesen.334 Christer Petersen benennt hingegen vier Signa des postmodernen Textes; seine Kategorien, die er aus Texten von Thomas Pynchon, Peter Greenaways frühen Spielfilmen und Paul Wührs Lyrik herausarbeitet, schließen Interdependenzen von vornherein mit ein. Auch wenn einige von Hassans Charakteristika in der Tat dazu dienen können, Aspekte des autofiktionalen Textes adäquat zu beschreiben, ist sein Katalog für eine Textanalyse nur schwer handhabbar. Christer Petersens Merkmale hingegen scheinen für sich allein genommen nicht präzise genug zu sein, um einen postmodernen Text tatsächlich von anderen abzugrenzen.335 Petersens Signa sollen im Folgenden daher an entscheidenden Stellen durch Hassans Ausführungen erweitert werden und so im Rahmen der Analysen Anwendung finden. Es gilt abschließend zu problematisieren, ob bzw. inwiefern die genannten Kriterien tatsächlich dazu dienen können, einen als (post-)modern bezeichneten Text von den zu untersuchenden gegenwärtigen autofiktionalen Texten abzugrenzen. 4.2.1 Ihab Hassans parataktische Liste Ihab Hassan hat Charakteristika des Postmodernismus in einer »parataktischen Liste« zusammengestellt, »die ein kulturelles Feld erschließen soll«.336 Ihm kommt, so Petersen, u. a. das Verdienst zu, dabei bereits eine Verbindung zum französischen Poststrukturalismus herzustellen.337 1982 erklärt Hassan etwa: »the postmodernist attitude merges […] with the poststructuralist stance«.338 Hassan erfasst die Postmoderne mithilfe folgender elf Charakteristika: Unbestimmtheit, Fragmentarisierung, die Auflösung des Kanons, Verlust von ›Ich‹ und ›Tiefe‹, Nicht-Zeigbares und Nicht-Darstellbares, Ironie, Hybridisierung, Karnevalisierung, Performanz und Teilnahme, Konstruktcharakter, Immanenz. Diese Merkmalsliste bezieht sich auf verschiedene Disziplinen, wie Theater, 332 Hassan: Postmoderne heute, S. 48. 333 Ebd. 334 Vgl. Petersen: Der postmoderne Text, S. 168f. Gegen Hassans Liste wurde unter anderem eingewendet, dass auch Texte der Moderne seinen Merkmalen entsprechen würden. Vgl. zur Kritik an Hassans Merkmalsliste u. a. Zima: Moderne/Postmoderne, S. 54. 335 Grundsätzlich ließen sich auch Texte wie Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz (1929), der gemeinhin der literarischen Moderne zugeordnet wird, mit ihnen erfassen. 336 Hassan: Postmoderne heute, S. 48. 337 Petersen: Der postmoderne Text, S. 167f. 338 Hassan: The Dismemberement of Orpheus, S. xiii.

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Grundlagen

Tanz, Musik, bildende Kunst, Architektur, Literatur und Literaturkritik sowie Philosophie, Psychoanalyse und Geschichtsschreibung.339 Für den Kontext autofiktionalen Schreibens in der Postmoderne sind vor allem acht der genannten Charakteristika einschlägig, die daher im Folgenden kurz erläutert und im Rahmen der Analysen herangezogen werden sollen. Unbestimmtheit/Fragmentarisierung: Nach Hassan ist die postmoderne Welt geprägt von Unbestimmtheit: »Hierunter fallen alle Arten von Ambiguitäten, Brüchen, Verschiebungen innerhalb unseres Wissens und unserer Gesellschaft«. Sie durchziehen »unsere Aktionen, Ideen, Interpretationen«.340 Die Unbestimmtheit wiederum hängt zusammen mit der Fragmentarisierung des postmodernen Menschen, der aus diesem Grund eine Neigung zur »Montage, Collage, [zum] literarischen objet trouv¦, cut up, [zu] Formen der Parataxe anstelle von Hypotaxe, [zur] Metonymie statt Metapher, Schizophrenie statt Paranoia«341 besitzt. Der Verlust von »Ich«, von »Tiefe«: Hassan stellt zudem eine Entleerung des traditionellen ›Ich‹ in der Postmoderne fest.342 Die Postmoderne spiegelt ihm zufolge »Selbstauslöschung vor […] oder aber sie täuscht dessen Gegenteil vor, Selbstvervielfältigung, Selbstbespiegelung des Ich«.343 Das postmoderne Subjekt kann ihm zufolge nicht mehr sinnhaft gedeutet werden: »Das Ich löst sich auf in eine Oberfläche stilistischer Gesten, es verweigert, entzieht sich jeglicher Interpretation«.344 Das Nicht-Zeigbare, Nicht-Darstellbare: Die postmoderne Kunst verweigert sich darüber hinaus dem Mimesis-Prinzip und ist »irrealistisch, nicht-ikonisch«.345 Die postmoderne Literatur »betreibt […] ihre eigene Erschöpfung, untergräbt […] sich selbst in Formen vernehmlichen Schweigens« und bestreitet »ihre eignen Darstellungsweisen«.346 Mit Lyotard gesprochen sei die Postmoderne »ce qui dans le moderne allÀgue l’impr¦sentable dans la pr¦sentation elle-mÞme«.347 ironie: Ihab Hassan erklärt, dass sich die Postmoderne in »Abwesenheit eines Grundprinzips oder Paradigmas […] dem Spiel, Wechselspiel, Dialog, Polylog, der Allegorie, der Selbstbespiegelung, kurz, der Ironie«348 zuwendet. 339 340 341 342 343 344 345 346 347 348

Hassan: Postmoderne heute, S. 48. Ebd., S. 49. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 51. Ebd. Lyotard: R¦ponse — la question: Qu’est-ce que le postmoderne, S. 31. Hassan: Postmoderne heute, S. 51.

Postmoderne Ästhetik

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Der Verlust von Festschreibung und Sinnzuweisung durch eine pluralistische Welterfahrung ermöglicht das freie Spiel. Hybridisierung: Unter Hybridisierung versteht Hassan »die Reproduktion von GenreMutationen, unter ihnen die Parodie, Travestie, Pastiche«.349 Als Grund dafür führt er an, dass in einer so vielfältigen Gegenwart »alle Stilformen in dialektischer Weise verfügbar geworden [sind], in einem Wechselspiel zwischen dem Heutigen und Nicht-Heutigen, dem Gleichen und dem Anderen«.350 Wie Fiedler konstatiert auch Hassan, dass die Postmoderne die Genregrenzen auflöst, sodass es zu einer »Entdefinierung« bzw. »Deformation von kulturellen Genres« kommt,351 wie u. a. dem New Journalism, der ›nonfictional novel‹ oder dem ›paracriticism‹.352 Die autofiction kann als Ausdruck einer solchen GenreEntgrenzung und -erweiterung angesehen werden; sie richtet sich gegen das traditionelle Genre der Autobiographie und zeigt die Unzulänglichkeit einer klaren Abgrenzbarkeit von Fiktion und auf Wahrheit angelegter Lebensbeschreibung auf. Performanz und Teilnahme: Die Folge einer semantischen Unbestimmtheit ist für Hassan die Öffnung des Werks nach außen, das zur Teilnahme auf- und eine Performanz geradezu einfordere. Der postmoderne Text »will geschrieben, verändert, beantwortet, ausgelebt werden, und ein großer Teil postmoderner Kunst bezeichnet sich ausdrücklich als Performanz und überschreitet Genre-Abgrenzungen«.353 Immanenz: Die von Hassan formulierte Immanenz ist für die Postmoderne insgesamt von zentraler Bedeutung. Er fasst darunter »die wachsende Fähigkeit des menschlichen Geistes, sich in Symbolen zu verallgemeinern«. Das Maß des Menschen sei die »Intertextualität allen Lebens«.354 Hassans Überlegungen liegt die These zugrunde, dass alles, was gesagt werden kann, bereits gesagt worden ist und Texte nur in ihrer Beziehung zu anderen Texten zu denken sind.

4.2.2 Der postmoderne Text nach Christer Petersen Christer Petersen bezieht seine induktiv erarbeiteten Merkmale des postmodernen Textes auf den amerikanischen Postmoderne-Diskurs sowie die poststrukturalistischen Theorien und geht in diesem Zusammenhang auch auf Hassans Merkmalsliste einer postmodernen Ästhetik ein.355 Zum einen greift er 349 350 351 352 353 354 355

Ebd., S. 52. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Ebd., S. 55. Vgl. Petersen: Der postmoderne Text, S. 185–198.

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Grundlagen

dessen wichtigste Kategorien auf, zum anderen reduziert er den Katalog auf vier Signa: ›Offenheit‹, ›Immanenz‹, ›Selbstreflexivität‹ und ›Intertextualität‹. Diesen sei wiederum eine hierarchische Struktur inhärent: Die Selbstreflexivität sowie die Intertextualität seien der Offenheit und Immanenz untergeordnet, »da sie selbst wieder mittelbar durch öffnende und immanente Aspekte bestimmt sind«.356 Die postmoderne Offenheit fasst Petersen als »eine Strategie elementarer Entgrenzung« auf. Sie umfasse sowohl eine »formale Entgrenzung« als auch eine »Offenheit der Bedeutung«.357 Der postmoderne Text versuche stets »die tradierten Modelle kultureller, rationaler und ästhetischer Natur« zu hinterfragen und »ironisch-spielerisch zu dekonstruieren«.358 Die postmoderne Immanenz zeige sich in einer »fundamentalen Antimimesis«.359 Ausgangspunkt für diese Überzeugung ist die poststrukturalistische Sprachphilosophie: »Der postmoderne Text leugnet das Relat einer zeichentranszendenten Realität, auf die es sich deskriptiv oder präskriptiv zu beziehen gilt«.360 Indem sich der postmoderne Text als zeichenhaft herausstellt, wird er selbstreflexiv und immanent. Die postmoderne Selbstreflexivität zeige sich darin, dass die »rezeptionelle Erwartung tradierter Darstellungsmodi, Kunst- und Sprachkonventionen […] selbstreflexiv unterlaufen«361 wird. Durch eine selbstreflexive Metatextualität öffnet sich der postmoderne Text wiederum in seiner Aussage oder Bedeutung.362 Die postmoderne Intertextualität363 wiederum ist für Petersen vor allem durch zwei Merkmale bestimmt: Zunächst unterscheidet sich die postmoderne Intertextualität von der modernistischen Erscheinung eines künstlerischen Innovatismus intertextueller Prägung wie von einer zitativen Tradition, indem der postmoderne Text einem radikalen Eklektizismus unterworfen ist.364

356 357 358 359 360 361 362 363

Vgl. ebd., S. 313. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Petersen hebt hervor, dass die Intertextualität eine theoretisch vielfältig belegte Kategorie ist. Siehe zur Abgrenzung gegen Barthes’ Diktum vom Tod des Autors und Fiedlers Forderung eines ›Border-crossings‹ ebd., S. 314. 364 Ebd., S. 313.

III

Die postmoderne Autofiktion: Gattungsüberschreitung und Gattungskritik »Autobiographie, roman, pareil. Le mÞme truc, le mÞme trucage«.365

Spätestens seit dem ›linguistic turn‹ wird im Zuge der poststrukturalistischen Subjekt- und Sprachkritik die ›sprachliche Verfasstheit‹ von Texten thematisiert. Erinnerungs- und Gedächtnisleistungen gelten als allenfalls teilweise mögliche Selbstfindungsprozesse, die zwangsläufig ihre Grenzen erfahren und Konstruktionen unterliegen:366 Der emphatische Subjektbegriff wird abgelöst zugunsten einer die sprachliche Verfasstheit von Subjektivität und Individualität beobachtenden Beschreibungsperspektive. […] Dies bedeutet nicht, dass die Vorstellung des autobiographischen Ichs als Individuum und als Subjekt ausgedient hätte – vielmehr geht es darum, Individualität und Subjektivität im Medium ihrer Sprachlichkeit zu begreifen.367

Vor allem in Frankreich wird u. a. unter dem Einfluss von Paul de Man, Jacques Lacan und Roland Barthes der Autobiographie und der Unmöglichkeit eines »ungebrochenen Ich-Bewusstseins«368 besonderes Interesse zuteil. Autoren und Theoretiker wie insbesondere Alain Robbe-Grillet, Serge Doubrovsky und auch Roland Barthes, deren Werke gemeinhin dem französischen Poststrukturalismus bzw. der französischen Postmoderne zugerechnet werden,369 thematisieren 365 Doubrovsky : Le livre bris¦, S. 75. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›LL‹ zitiert. 366 Vgl. dazu Schaefer : »Die Autofiktion zwischen Fakt und Fiktion«, S. 310. Jutta Weiser hat diesbezüglich auf die Bedeutung von Lacans Subjekttheorie für das autobiographische Schreiben hingewiesen: »Nach Lacan ist dem Menschen mit der Entstehung des Imaginären im Spiegelstadium und dem Eintritt in die symbolische Ordnung der Sprache der Zugang zum Realen versperrt. Das Subjekt ist ein Gespaltenes, es kann sein Begehren nur über den Umweg der Sprache zum Ausdruck bringen und sich in Entwürfen einer fiktionalen Identität entfalten. […] Es wird deutlich, dass das Ich notwendig diskursiv verfasst ist und keine außersprachliche Realität besitzt. Die Dezentrierung des Subjekts setzt die Möglichkeit des kohärenten, retrospektiven Erzählens eines selbstmächtigen Autobiographen außer kraft [sic]« (Weiser : Psychoanalyse und Autofiktion, S. 48f.). 367 Wagner-Egelhaaf: Autobiographie, S. 11. 368 Ebd. 369 Vgl. Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1410. Vgl. auch Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 12 und Grüter : Autobiographie und Nouveau Roman, S. 321–349.

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Die postmoderne Autofiktion: Gattungsüberschreitung und Gattungskritik

den Authentizitätsanspruch traditioneller Autobiographien, problematisieren Gattungsmuster, experimentieren mit neuen Formen der Autobiographie im Sinne einer formalen Genre-Entgrenzung und operieren mit neuen Begrifflichkeiten wie z. B. der ›nouvelle autobiographie‹.370 1977 läutet Roland Barthes mit Roland Barthes par Roland Barthes die Auseinandersetzung mit der Autobiographie in der französischen Literatur ein. Er verstößt bewusst gegen die Konventionen eines auf Kohärenz abzielenden Lebensberichts, verbleibt im Bruchstückhaften, verbindet Fotos und Erinnerungsausschnitte miteinander und wechselt von einer homo- zu einer heterodiegetischen Erzählperspektive.371 Michaela Kopp-Marx fasst Barthes’ Schreiben wie folgt zusammen: Die gespaltene Erzählhaltung macht überdeutlich, daß der Schreiber des Textes nicht mit sich identisch ist: Das Ich, über das er schreibt, ist nicht das Ich, das schreibt. Vielmehr liest das schreibende Ich sich selbst als zu schreibendes Ich, schafft den Leser seiner selbst und gleichzeitig das Autorsubjekt, das als Text unendlich fortsetzbar ist. Schreiben, daran hält Barthes gegen alle Widersprüchlichkeiten fest, ist eine dezentrierte, ursprungslose Tätigkeit. Was sein Selbstportrait erzeugt, ist ein Spiegelbildnis des Autors, der sich liest und gleichzeitig ad infinitum schreibt […].372

Er führt die »Unverfügbarkeit autobiographischer Wahrheit«373 sowie die Fragmentarisierung des Subjekts vor: »[Je] ne suis pas contradictoire, je suis dispers¦«.374 Nach Alfonso de Toro begründet Roland Barthes mit seinem Text ›über sich selbst‹ noch vor Doubrovsky das autofiktionale Prinzip, ohne jedoch schon den Begriff zu verwenden.375 Claudia Gronemann plädiert dafür, die Auseinandersetzung mit der Autobiographie durch die oben genannten Autoren nicht als »Ende« der Autobiographie zu verstehen, sondern als eine »Umformulierung«376 des autobiographischen Diskurses, die ohne das traditionelle Gattungsverständnis nicht denkbar wäre: Ohne die Referenz auf das traditionelle Genre ließe sich die Problematik von Subjektivität in zeitgenössischen Diskursen gar nicht beschreiben und sie würde ebenso wenig entstehen. Die Absetzung von einer literarischen Tradition und die Überschreitung von Genregrenzen kommt daher nicht dem Verschwinden einer autobio-

Siehe dazu näher : Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 11f. Vgl. Kopp-Marx: Zwischen Petrarca und Madonna, S. 135f. Ebd. Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 359. Barthes: Roland Barthes par Roland Barthes, S. 717. Vgl. auch Krumrey : Autofiktionales Schreiben nach der Postmoderne, S. 286. 375 Vgl. auch Toro: Die postmoderne ›neue‹ Autobiographie, S. 1407. 376 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 49.

370 371 372 373 374

Die postmoderne Autofiktion: Gattungsüberschreitung und Gattungskritik

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graphischen Literatur gleich, sondern ist vielmehr eine conditio sine qua non der Fortsetzung, freilich unter anderen Vorzeichen.377

Gronemann spricht in diesem Zusammenhang auch von sogenannten »klassische[n] Autofiktionen«, die auf »psychoanalytische oder dekonstruktivistische Verfahren im Umgang mit Sprache und Bedeutung zurückgreifen«.378 Die Problematisierung der Autobiographie ist zeitgleich, wenn auch in weit abgeschwächter Form, in der deutschsprachigen Literatur anzutreffen. Max Frischs Montauk (1975) gilt hier als einer der ersten autofiktionalen Texte, die in Richtung von Doubrovskys Konzept weisen.379 Auch Schriftsteller wie Peter Handke, Arno Schmidt oder Walter Kempowski nehmen die Topoi traditioneller Autobiographik auf. Fiktionale Texte der Postmoderne thematisieren Identitätsund Erinnerungsentwürfe sowie die Möglichkeit von Geschichtsschreibung.380 In autofiktionalen Texten, etwa von W. G. Sebald, rücken insbesondere das Subjekt, das Thema ›Erinnerung‹ und die Thematisierung einer auf Kohärenz abzielenden Lebensbeschreibung stärker in den Vordergrund. Im Folgenden sollen mit Doubrovskys Fils und Le livre bris¦ (1989) (Kap. 1), mit Alain Robbe-Grillets Romanesque-Trilogie (Kap. 2) und W. G. Sebalds Die Ringe des Saturn (1995) und Austerlitz (2001) (Kap. 3) ausgewählte Texte aus der französischen und deutschen Literatur herangezogen und ihre Bindung an die postmoderne Ästhetik dargestellt werden,381 um im Hauptteil der vorliegenden Studie die Charakteristika der autofiktionalen Texte der Gegenwart in Abgrenzung zur literarischen Postmoderne einerseits und zur Tradition der Autobiographie andererseits fokussieren zu können.

377 Ebd. 378 Gronemann: »lui dire que j’¦tais […] un homme comme lui«, S. 105 (Hervorhebung im Original). 379 Siehe hierzu: Wagner-Egelhaaf: Autofiktion & Gespenster, S. 138–142. Sie bezeichnet Montauk hier »als Kabinettstück autofiktionalen Gespenstertums« (ebd., S. 138). Vgl. auch Petersen: Max Frisch, für den Montauk ein »dichtungsontologisches Novum« zum Zeitpunkt seines Erscheinens ist, in dem »Lebensfakten nicht als Material für das poetische Werk verstanden und genutzt« werden, sondern »die rückhaltlose Darlegung des eigenen Lebens sogar das Ziel der Darstellung« sei (ebd., S. 158). 380 Als Beispiel sei in diesem Zusammenhang etwa an Christoph Ransmayrs Die Schrecken des Eises und der Finsternis (1984) erinnert. 381 Siehe zu einer ausführlicheren Analyse der Texte Doubrovskys und Robbe-Grillets vor dem Hintergrund der autofiktionalen Konzeption Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 42–116.

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1

Die postmoderne Autofiktion: Gattungsüberschreitung und Gattungskritik

Serge Doubrovskys ›autofictions‹ Fils und Le livre brisé

Serge Doubrovsky gehört zu jenen Schriftstellern, die sich ab den 1970er Jahren literarisch wie theoretisch maßgeblich mit dem autobiographischen Schreiben beschäftigt haben. Doubrovsky führt sein in Fils erstmals als autofiction benanntes Autobiographie-Konzept mit Texten wie Un amour de soi (1982) und Le livre bris¦ weiter und hat damit auch andere Autoren wie Herv¦ Guibert mit Le protocolle compassionel (1991) beeinflusst.382 Sowohl außerhalb als auch innerhalb seiner Texte hat er sich wiederholt zu seinem Verständnis von Autofiktion geäußert, so z. B. in L’aprÀs-vivre (1994): »C’est vrai, je ne suis pas s˜r pourquoi, j’ai l’habitude, depuis des ann¦es, de mettre ma vie en r¦cits. D’en faire, par tranche, des sortes de romans. J’ai appel¦ Åa, faute de mieux, mon ›autofiction‹«.383 Dennoch bleibt sein Konzept einer Autofiktion lange unklar. Sich auf Kommentare und Artikel Doubrovskys des letzten Jahrzehnts beziehend, erklärt Gasparini, dass dessen Definition erst im Laufe der Jahre konkretere Gestalt angenommen habe: [I]ls permettent de conna„tre la d¦finition ultime de l’autofiction selon son concepteur. Une definition d¦sormais stabilis¦e, fix¦e: le critÀres, les formules les anecdotes, les examples y reviennent avec r¦gularit¦, dans les mÞmes termes.384

Insbesondere seit dem Ende der 1990er Jahre deutet Doubrovsky die Autofiktion zudem explizit als postmodernes Phänomen385 bzw., wie Gasparini es bezeichnet, als »l’autofiction par cet esprit du temps, ›Zeitgeist‹«.386 In einem 2011 geführten Interview anlässlich seines neuesten autofiktionalen Textes Un homme de passage (2011) gibt Doubrovsky an: L’autobiographie est une forme du XVIIIe siÀcle. Aujourd’hui, dans l’Àre postmoderne, on ne se raconte plus de la mÞme faÅon, en d¦butant par »Je suis n¦ — GenÀve en 1712« … õ chaque ¦poque correspond une maniÀre de s’exprimer sur le sens — donner — sa vie.387

Besonders deutlich zeigt sich in Fils der Versuch, sich von der klassischen Autobiographie im Sinne postmoderner Selbstreflexivität abzugrenzen und die 382 Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 285. 383 Doubrovsky : L’aprÀs-vivre, S. 20. Vgl. hierzu auch Weiser/Ott: Autofiktion und Medienrealität, S. 7f., die in diesem Zusammenhang auf Doubrovskys Abhandlung Autobiographie/v¦rit¦/psychanalyse von 1980 verweisen (Doubrovsky : Autobiographie/v¦rit¦/psychanalyse). 384 Gasparini: Autofiction, S. 202. 385 Vgl. Doubrovsky : Pourquoi l’autofiction. Hier bezeichnet dieser die Autofiktion explizit als »variante postmoderne de l’autobiographie«. 386 Gasparini: Autofiction, S. 171. 387 Mahler : Serge Doubrovsky.

Serge Doubrovskys ›autofictions‹ Fils und Le livre brisé

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Sprache sowie mit ihr die textuelle Verfasstheit des Ichs und dessen NichtRepräsentierbarkeit in den Mittelpunkt zu rücken. Während die klassische Autobiographie wichtigen bzw. berühmten Personen an ihrem Lebensabend vorbehalten sei, versteht Doubrovsky die autofiction ursprünglich, wie dem Umschlagstext von Fils zu entnehmen ist, als die Autobiographie der ›kleinen Leute‹.388 Der Erzähler mit Namen ›Julien Serge Doubrovsky‹389 unterzieht sich – ausgelöst durch den Tod der Mutter – einer Psychoanalyse390 und ruft Erinnerungen assoziativ und ungeordnet hervor.391 Jutta Weiser und Christine Ott haben diesbezüglich gefolgert, dass »der Ursprung der Autofiktion nicht ohne die Psychoanalyse […] zu denken« ist und »Doubrovskys autofiction […] sich immer auch als Schreibtherapie« versteht.392 Fils zeichnet sich ferner durch eine »inhaltliche und strukturelle Inkohärenz«393 aus. Der »aventure — l’aventure du langage« (F Umschlagstext) folgend treten die vielen Alliterationen, Wiederholungen394 und Klangspiele395 sowie eine »freie Typographie«396 hervor – Merkmale, die als besonderer Stil Doubrovskys auch in seinen späteren Texten zu finden sind. Im Schriftbild fallen zudem die Hervorhebungen (Kursivsetzung, Großschreibung), das Unterlaufen der Syntax,397 die ungewöhnliche und inkonsistente Verwendung von Interpunktion und Auslassungszeichen auf:398

388 Vgl. F Umschlagstext. 389 ›Julien‹ ist Doubrovskys erster Vorname. Siehe zur Namensidentität von Verfasser und Erzähler u. a. F 20, wo erstmals der Vorname ›Serge‹ genannt wird, sowie ebd., S. 21 die Namenskürzel »J. S. D.« (Hervorhebung im Original). Vgl. auch F 68. Hier fällt der Nachname Doubrovskys. Im Folgenden wird der Name der textinternen Autor-Figur bzw. der Autor-Erzähler mit einfachen Anführungszeichen markiert, der textexterne Autor wird ohne Anführungen geschrieben. Ebenso werden die Namen realer Personen gekennzeichnet, wenn sie im Roman genannt werden. 390 Siehe zum Zusammenhang von Autofiktion und Psychoanalyse Weiser : Psychoanalyse und Autofiktion. Vgl. ferner Baumann: Die autobiographische Rückkehr, S. 106: »Aus der festgestellten Unzulänglichkeit der klassischen Autobiographie erwächst für Doubrovsky die Notwendigkeit, das autobiographische Schreiben wieder wahrheitsfähig zu machen. Dies soll mit Hilfe der Psychoanalyse geschehen«. 391 Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 298. 392 Weiser/Ott: Autofiktion und Medienrealität, S. 8. 393 Weiser : Psychoanalyse und Autofiktion, S. 48. 394 Vgl. F 77: »autos, autos, autos le bus fonce carr¦ comme un car carreaux en hublots le conducteur dans le gros œil transparent«. 395 Vgl. dazu F 79: »on me klaxonne Ku-Klux-Klan«. 396 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 43. 397 Vgl. etwa F 11. 398 So wird die Interpunktion zum Teil in extenso verwendet. Vgl. dazu F 278: »Clique du clicli. Contre la secte du vagin. O¾ con. Doit jouir. Liberated sex. Attention. Orgasmes fascistes. Organes r¦volutionnaires. Les bonnes. Et les mauvaises voies. Il y a« (Hervorhebung im

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Die postmoderne Autofiktion: Gattungsüberschreitung und Gattungskritik

je n’ai pas pu. Je me suis rallong¦ contre toi. Lentement, j’ai d˜ tirer le drap sur tes SEINS je glisse vers ton bassin lisse doux de talc — la peau de mon oreille qui t’¦coute tic-tac paisable de mes tempes et ton ventre murmurant au puits de viscÀres bourdonnant au nid de t¦nÀbres vibratile vie de ta pulpe tiÀde ton sang bat faible tambour tendu qui r¦sonne […]. (F 11)

Doubrovskys Schreiben kann als selbstreflexive Antwort auf Lejeunes Definition der Autobiographie399 gelesen werden bzw. als Metadiskurs zur klassischen Autobiographie. Lejeune hat wenige Jahre zuvor den Fall der Autofiktion in seinem Paktsystem unter den ›cases aveugles‹400 als ein Phänomen thematisiert, das aufgrund des inhärenten Widerspruchs nicht vorkomme: Le h¦ros d’un roman d¦clar¦ tel, peut-il avoir le mÞme nom que l’auteur ? Rien n’empÞcherait la chose d’exister, et c’est peut-Þtre une contradiction interne dont on pourrait tirer des effets int¦ressants. Mais, dans la pratique, aucun exemple ne se pr¦sente — l’esprit d’une telle recherche. Et si le cas se pr¦sente, le lecteur a l’impression qu’il y a erreur […].401

Mit Fils verfasst Doubrovsky, wie im einleitenden Teil der Arbeit bereits angedeutet, einen ebensolchen Fall: Die Identität von Autor und autodiegetischem Erzähler bzw. der Figur ist gegeben, doch trägt der Text dem autobiographischen Pakt widersprechend die Gattungsangabe ›roman‹402 auf dem Titelcover und setzt so einen Widerspruch zwischen dem eindeutig als autobiographisch ausgewiesenen Inhalt des Textes und der Bezeichnung im Paratext.403 Frank Zipfel stellt heraus, dass Doubrovskys Text »keine fiktionsspezifischen Merkmale, wie etwa erfundene Geschehnisse oder faktual unmögliche Perspektiven, enthält«404 und die Gattungsbezeichnung ›Roman‹ lediglich zu einer »Pseudo-Fiktionalisierung«405 führe, die den Text zu einer »verschämten, un-

399

400 401 402 403 404 405

Original). An anderer Stelle werden Kommata und Punkte weggelassen, aber durch Leerstellen im Schriftbild ersetzt. Vgl. u. a. F 394f. Vgl. Doubrovsky : Brief an Philippe Lejeune vom 17. Oktober 1977, S. 63: »[M]ais j’ai voulu trÀs profond¦ment remplir cette ›case‹ que votre analyse laissait vide, et c’est un v¦ritable d¦sir qui a soudain li¦ votre texte critique et ce que j’¦tais en train d’¦crire, sinon — l’aveuglette, du moins dans une demi-obscurit¦ …«. Lejeune: Le pacte autobiographique. Paris 1975, S. 31. Ebd. Siehe F Cover. Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 49. Vgl. auch Krumrey : Autofiktionales Schreiben nach der Postmoderne, S. 285f. Zipfel: Autofiktion, S. 32. Ebd.

Serge Doubrovskys ›autofictions‹ Fils und Le livre brisé

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eingestandenen Autobiografie«406 mache. Demzufolge begreift Zipfel Doubrovskys autofiction auch als spezielle Form des autobiographischen Schreibens. Die Autofiktion, die mit romaneskem und autobiographischem Pakt zwei Lektüreoptionen vereint, ordnet er Darrieusssecq zu.407 Um das Verhältnis von Fiktion und Autobiographie Doubrovskys zu ergründen, müsse man sich, wie Claudia Gronemann deutlich gemacht hat, dessen Fiktionskonzept zuwenden. Seine Fiktion »d’¦v¦nements et de faits strictement r¦els« (F Umschlagstext) sei nicht mit der »Fiktion im traditionellen Sinne« gleichzusetzen, mit Fiktionalität sei keine »Verfremdung, Erfindung oder Ergänzung des Realen«408 impliziert: Doubrovsky […] tarnt seine »Autobiographie« gewissermaßen als Fiktion. […] Fiktionalität bedeutet hier nicht Erfindung eines textuellen Ich nach realem Vorbild, sondern wird vielmehr auf den Akt der sprachlichen Konstitution individueller Erfahrung gemünzt.409

Dementsprechend gehe auch eine Diskussion, ob es sich bei der Autofiktion Doubrovskys »vorrangig um einen autobiographischen Text handelt, der sich einer fiktionalen Strategie bedient, oder um einen Roman, in dem autobiographische Elemente nur eine Alibi-Funktion besitzen«,410 am eigentlichen Kernpunkt vorbei, da es Doubrovsky gerade auf die Unentscheidbarkeit dieser Kategorien im Sinne einer postmodernen Genre-Entgrenzung ankommt, um letztlich die Trennbarkeit von Referenzialität und Fiktionalität infrage zu stellen.411 Mit Le livre bris¦ liefert Doubrovsky 1987 seinen »literarischen Höhepunkt«.412 Als solcher wird der Text nicht zuletzt verstanden, weil er eine schonungslose Offenlegung privater Ereignisse seiner Ehe ist. Doubrovsky thematisiert den Tod seiner Ehefrau Ilse, die während der Romanentstehung stirbt (es bleibt unklar, ob es sich um Selbstmord oder einen Unfall handelt),413 und kehrt also private Details seiner Ehe nach außen. Trotz seiner Anstößigkeit (oder gerade um ihretwillen) ist der Text mit dem Prix M¦dicis (1989) ausgezeichnet worden. Auch hier ziert die Gattungsangabe ›Roman‹ das Titelblatt,414 406 407 408 409 410 411

Ebd. Ebd., S. 32f. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 71. Ebd., S. 48. Ebd., S. 50. Vgl. ebd. Aus diesem Grund versteht die vorliegende Arbeit anders als Frank Zipfel auch Doubrovskys autofiction als eine Kombination aus autobiographischem Pakt und Fiktionsvertrag bzw. deren Widerstreiten. 412 Ebd., S. 43. 413 Siehe auch Reiser : Autobiographie an der Grenze postmoderner Praxis, S. 217 sowie Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 62. 414 Vgl. ›LL‹, Cover.

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während auf der Textebene durch eine Namensidentität zwischen Verfasser- und Erzähler der autobiographische Pakt eröffnet wird.415 Insbesondere Sartres Les mots (1964) gilt als »literarischer Referenzpunkt«416 für Le livre bris¦.417 Beginnt der erste Teil – Absences – als Doubrovskys Aufarbeitung seiner verschütteten Erinnerungen (das erste Kapitel ist mit ›Trou de m¦moire‹ überschrieben), insbesondere die an seine ersten Liebeserfahrungen, so wechselt der Text im dritten Kapitel in einen anderen Modus: Doubrovskys Ehefrau Ilse, die die ersten Kapitel des Buchs gelegen hat, mischt sich ein, ohne jedoch eine »eigenständige, vom Erzähler und dessen Strategie unabhängige Perspektive« zu erhalten.418 Anstelle der begonnenen Erinnerungsarbeit im psychoanalytischen Sinne Freuds spricht sie sich für eine Richtungsänderung, einen »EheRoman«,419 aus bzw. für eine Offenlegung und Analyse der eigenen Beziehung (»roman conjugal«).420 Doubrovsky folgt ihrer Forderung und gibt die alleinige Autorschaft auf.421 Der Text verbindet fortan Bewusstseinsbericht und Dialogsequenzen des Ehepaares. Der Wunsch nach einer schonungslosen Bloßlegung der Ehe wird, wie Gronemann bereits festhält, Ilse zur Last gelegt: »Elle veut que je nous expose. Epouse-suicide, femme-kamikaze« (LL 51).422 Frank Reiser erkennt in der Problematisierung des Autors sowie der Rolle des Textes für das Subjekt besonders wichtige Charakteristika der Postmoderne: Neben der Pluralisierung der Autorstimme bricht ein weiteres ›postmodernes‹ Moment den Status des Autobiografen auf: es ist die Rolle des Textes selbst für das autobiografische Subjekt, das sich wesentlich als textuell verfasst erweist. Kommt es in der konventionellen Autobiografie dem Text im Wesentlichen zu, ein bereits stabilisiertes und transparentes Selbstbild begrifflich, d. h. auf der Bedeutungsebene, zu transportieren, so erlangt der Text nunmehr ein entscheidend höheres Maß an Autonomie.423

Ausgehend von der autobiographischen Vergangenheitsbewältigung wendet sich das autofiktionale Projekt nun der Gegenwart zu und bewegt sich damit in

415 Vgl. LL 20 und 22. 416 Reiser : Autobiographie an der Grenze postmoderner Praxis, S. 217. Vgl. auch LL 45 sowie Doubrovsky : Textes en main, S. 211. 417 Doubrovsky widmet Sartre im Livre bris¦ auch ein eigenes Kapitel. Siehe zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung mit dem Einfluss Sartres auf Doubrovskys Text Reiser : Autobiographie an der Grenze postmoderner Praxis sowie Miguet-Ollagnier : »La Saveur Sartre« du Livre bris¦. 418 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 60. 419 Ebd. 420 ›Roman conjugal‹ lautet die Überschrift des dritten Kapitels des ersten Teils in Le livre bris¦. 421 Reiser : Autobiographie an der Grenze postmoderner Praxis, S. 223f. 422 Vgl. dazu auch Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 60. 423 Reiser : Autobiographie an der Grenze postmoderner Praxis, S. 224.

Serge Doubrovskys ›autofictions‹ Fils und Le livre brisé

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Richtung des Tagebuchs.424 ›Doubrovsky‹ und ›seine Frau‹ diskutieren fortan das Geschriebene immer wieder kritisch. Im Folgenden offenbart der Erzähler die Probleme einer Ehe: Er thematisiert den Kinderwunsch seiner Frau, auf den er nicht eingehen will, die darauf folgenden Abtreibungen, ›Ilses‹ Depressionen und ihre Alkoholabhängigkeit sowie die ehelichen, gewaltvollen Auseinandersetzungen.425 Der Text liefert gleichsam einen »Metadiskurs zur Autobiographie«426 und beweist damit seine textuelle Offenheit im Sinn einer formalen Entgrenzung.427 So heißt es etwa: L’autobiographie n’est pas un genre litt¦raire, c’est un remÀde m¦taphysique. Je n’y avais jamais pens¦, et puis, Åa m’est venu d’un seul coup, comme Åa, assen¦ sur le cr–ne, au d¦tour d’une matinale d¦prime. Je me r¦veille, je me secoue, je me secours: enfin une vie solide comme du roc, b–tie sur du Cogito: j’¦cris ma vie, donc j’ai ¦t¦. In¦branlable. Si on raconte sa vie pour de vrai, Åa vous refait une existence. (LL 255, Hervorhebung im Original)428

Die Gegenwartsgerichtetheit eines autobiographischen Projektes deutet ›Doubrovsky‹ explizit als Problem für den Wahrheitsanspruch überhaupt: »Dire la v¦rit¦ sur sa vie vraie, la quotidienne, la r¦elle … Difficile, peut-Þtre impossible« (LL 50). Der kohärente Lebensbericht kann fortan nicht mehr, wie vielfach in der Forschung hervorgehoben worden ist, als Vorbild fungieren:429 Autobiographie, roman, pareil. Le mÞme truc, le mÞme truquage: Åa a l’air d’imiter le cours d’une vie, de se d¦plier selon son fil. On vous embobine. […] [U]ne autobiographie est encore plus truqu¦e qu’un roman. […] Lorsqu’on relate son existence, la suite, par d¦finition, on la conna„t. Plus que du pseudo-impr¦vu, des attentes controuv¦es, des hasards refabriqu¦s de toutes piÀces. MÞme en voulant dire vrai, on ¦crit faux. On lit faux. Folie. Une vie r¦elle pass¦e se pr¦sente comme une vie fictive future. Raconter sa vie, c’est toujours le monde — l’envers. (LL 75f.)

Eine erfolgreiche Selbstergründung wird folglich als aussichtloses Projekt entlarvt.430 Frank Reiser arbeitet heraus, dass in Doubrovskys Text »dem allge424 Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 75. Siehe zur Form des Tagebuchs auch Kap. V.5.1. 425 Siehe: Reiser : Autobiografie an der Grenze postmoderner Praxis, S. 216f. 426 Ebd., S. 60. 427 Wie Gronemann bereits hervorgehoben hat, zeichnen sich insbesondere die Kapitel ›In vino‹ und ›L’autobiographie de Tartempion‹ durch eine Auseinandersetzung mit der klassischen Autobiographie aus (ebd.). 428 Vgl. auch LL S. 311: »Elle s’¦tait lanc¦ ce d¦fi allÀgre et douloureux: que nous entrions ensemble, vivants, dans l’Àcriture. L’autobiographie est un genre posthume. Elle voulait de nous un r¦cit — vif«. 429 Vgl. hierzu Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 65. 430 Vgl. LL 205: »POURQUOI JE SUIS MOI. Plutút qu’un autre. Plutút que rien. La v¦rit¦: PAS DE RÊPONSE. J’ai beau avoir un œdipe monumental, r¦pond pas — la question du Sphinx.

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meinen Modell der Textsorte ›chronologischer Lebensbericht […] im Wesentlichen zwei als typisch ›postmodern‹ zu betrachtende Positionen entgegengestellt [werden]: Pluralismus und das Paradigma der Textualität«.431 Die Pluralität sei vor allem dem autobiographischen Subjekt zuzuordnen, da sich Serge Doubrovsky zwischen verschiedenen Kulturen (Europa bzw. Frankreich und den USA) und Sprachen (seiner Muttersprache Französisch sowie Amerikanisches Englisch) einordne sowie aufgrund seiner Herkunft und seiner Religion einschneidende Erlebnisse zu verarbeiten habe (seine jüdische Familie überlebt die Verfolgung der Nationalsozialisten in Paris).432 Die Erzählsituation im »Modus der Gleichzeitigkeit« hingegen sei besonders wichtig für die Textualität vom Livre bris¦.433 Es handle sich um einen Text, der sowohl Medium des Schreibens als auch in selbstbezüglicher Weise sein Gegenstand ist und durch die zeitliche und genetische Parallelisierung von Leben und Subjektdiskurs (z. B. in Gestalt der Rezeption und Kritik des im Entstehen begriffenen Textes durch die Co-Autorin und Figur Ilse) ständig an die außerliterarische Realität rückgekoppelt bleibt.434

Der zweite Teil – ›Disparition‹ – ist von Doubrovsky nach dem Tod seiner Ehefrau im Oktober 1987 verfasst worden.435 Der Witwer unternimmt hier den Versuch einer Aufarbeitung, indem er die letzten Ereignisse vor ihrem Tod rekapituliert und sich die Frage nach der seiner Mitschuld stellt:436 Er hatte seiner Ehefrau das Kapitel ›Beuveries‹ aus dem ersten Teil, indem ihre Selbstmordversuche und ihr Alkoholismus offengelegt werden, unmittelbar vor ihrem Tod zur Lektüre zugesandt.437 Dazu erläutert Gronemann: »Er [d. i. Doubrovsky] deckt ihre [d. i. Ilses] Probleme […], den physischen und psychischen Verfall pietätlos auf, ohne die eigene Verantwortung daran zu reflektieren und nimmt – ohne sich dessen im Schreiben bewusst zu sein – ›Ilses‹ Tod damit vorweg«.438 Erst in der Retrospektive erkennt ›Doubrovsky‹, wie auch Gronemann folgert, die Auswirkungen seiner direkten Schilderungen des Ehelebens:439

431 432 433 434 435 436 437 438 439

Mon ¦nigme, pardon du peu, sera pour toujours irr¦solue. La route est barr¦e. Connais les mots de passe: biologie + environnement, hasard + d¦terminisme = Moi. Avec un brin de libre volition, dedans, on n’a jamais trop su comment, pour faire bonne mesure« (Hervorhebung im Original). Reiser : Autobiographie an der Grenze postmoderner Praxis, S. 222. Vgl. ebd. Ebd., S. 224. Ebd., S. 225 (Hervorhebung im Original). Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 57f. Vgl. auch LL 317. Vgl. Reiser : Autobiografie an der Grenze postmoderner Praxis, S. 217. Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 61. Ebd. Vgl. ebd.

Alain Robbe-Grillets Romanesques

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Un livre, comme une vie, se brise. Ma vie, mon livre sont cass¦s net. Ilse est morte brusquement. Je suis soudain frapp¦ au cœur. Ma femme de chair, mon personnage de roman, mon inspiratrice, ma lectrice, mon guide, mon juge. Ma compagne d’existence et d’¦criture m’a quitt¦. (LL 311)

In Doubrovskys Le livre bris¦ wird so der »Kontrollverlust des Erzählers über den Text – parallel zum Kontrollverlust über das eigene Leben«440 – vorgeführt. Der Text selbst gewinnt Einfluss auf das Leben des Schreibenden: »Der Autor geht hier dem Text nicht voraus und verfasst aus der Distanz seine Lebensgeschichte, sondern er entfaltet sein Ich erst mit dem Text, der ihn gleichsam erst nachträglich zum Autor macht«.441 Der zu Beginn des Romans formulierte Satz kann in der Rückschau als Prophezeiung im wörtlichen Sinne gelesen werden: »Inutile de lui expliquer que, justement, si j’¦cris, c’est pour tuer une femme par livre. Elisabeth dans La Dispersion. Rachel dans Un amour de soi. Ma mÀre dans Fils« (LL 50) und schließlich Ilse in Le livre bris¦.442

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Alain Robbe-Grillets Romanesques Le miroir qui revient, Angélique ou l’enchantement und Les derniers jours de Corinthe

Auch der französische Autor und Literaturtheoretiker Alain Robbe-Grillet setzt sich mit dem traditionellen Genre der Autobiographie in seinen literarischen Texten auseinander, vor allem in seiner zwischen 1984 und 1994 verfassten Trilogie Le miroir qui revient (1984), Ang¦lique ou l’enchantement (1987) und Les derniers jours de Corinthe (1994). Jeder dieser Texte ist als Romanesque betitelt und später auch von Robbe-Grillet selbst als solche bezeichnet worden.443 Die Hinwendung Robbe-Grillets zum autobiographischen Genre ist Claudia Gronemann folgend zunächst überraschend,444 gilt er doch als ›nouveau romancier‹, der den realistischen, auf Wirklichkeitsabbildung und »sinnhafte Deutung der Wirklichkeit«445 angelegten Roman verabschiedet.446 Seine auto440 Ebd., S. 63. 441 Ebd., S. 82. 442 Vgl. ebd., S. 59f. und 82 sowie Jaccomard: Lecteur et lectures dans l’autobiographie franÅaise contemporaine, S. 189. Vgl. dazu auch Baumann: Die autobiographische Rückkehr, S. 141, der von Ilse als »Opfer entfesselter Verbalisierungskraft« spricht. 443 Siehe dazu näher Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1425, Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 83 und Hilmes: Die Autobiographie ohne Ich, S. 307. 444 Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 83. Vgl. ebenfalls Grüter : Autobiographie und Nouveau Roman, S. 1. 445 Grüter : Autobiographie und Nouveau Roman, S. 15.

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biographischen Texte sind nicht als Rückkehr des Verfassers zur literarischen Mimesis zu verstehen, ebenso wenig als Texte, die der Autobiographie entgegenstehen.447 Vielmehr handelt es sich um ein »Texthybrid« im Sinne postmoderner Text-Entgrenzung, das »als Dekonstruktion der traditionellen Autobiographie« fungiert.448 Robbe-Grillets Trilogie situiert sich zwischen Autobiographie und Roman: Sie enthält sowohl fiktionale Anteile als auch eine Namensidentität zwischen Autor und autodiegetischem Erzähler und kann daher als ›Autofiktion‹ im eingangs definierten Sinne verstanden werden.449 Wie Gronemann konstatiert, artikuliert »Robbe-Grillets ›autobiographischer‹ Text keine Wahrheit, kein Subjekt und keine außerhalb des Textes zugängliche Form der Vergangenheit, sondern inszeniert die Textualität jedes Zugangs zur Bedeutung von Ich und Sein«450 im Sinne einer Anti-Mimesis. Im letzten Teil der Trilogie heißt es z. B.: Peut-on nommer cela, comme on parle de Nouveau Roman, une Nouvelle Autobiographie, terme qui a d¦j— rencontr¦ quelque faveur? Ou bien, de faÅon plus pr¦cise – selon la proposition d˜ment ¦tay¦e d’un ¦tudiant – une ›autobiographie consciente‹, c’est-—-dire consciente de sa propre impossibilit¦ constitutive, des fictions qui n¦cessairement la traversent, des manques et apories qui la minent, des passages r¦flexifs […] et peut-Þtre en un mot: consciente de son inconscience.451

Im Gegensatz zu traditionellen Autobiographien wird in Le miroir qui revient – mit Doubrovskys Texten vergleichbar – keine chronologisch sinnhafte Struktur einer Lebensschilderung offenbar ; vielmehr konstituiert sich der Text aus heterogenen Teilen, die eine Abkehr vom traditionellen Ich vorführen. Neben den autobiographischen Erinnerungen eines autodiegetischen Erzählers, die sich der Kindheit, der Ausbildung, der Zeit des Zweiten Weltkriegs und den literarischen Werken Robbe-Grillets zuwenden, liefert der Text einen fiktionalen Diskurs über Henri de Corinthe.452 Darüber hinaus entfaltet sich hier ein me-

446 Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 83f. Vgl. zum Verfahren von Robbe-Grillets frühen Texten auch Grüter : Autobiographie und Nouveau Roman, S. 18–22. 447 Vgl. dazu Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 85 sowie Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1419f. 448 Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1419f. Siehe zu den Merkmalen der ›neuen Autobiographie‹ dort insbesondere S. 1424. 449 Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 83 und Schaefer : »Die Autofiktion zwischen Fakt und Fiktion«, S. 323. 450 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 105f. 451 Robbe-Grillet: Les derniers jours de Corinthe, S. 17. 452 Die Erwähnung von Henri de Corinthe beginnt bereits auf der ersten Seite und wird dann im Laufe der Erzählung immer wieder aufgenommen (vgl. u. a. Robbe-Grillet: Le miroir qui revient, S. 7, S. 22, S. 70–74, S. 89–105, S. 173–176, S. 217. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›M‹ zitiert).

Alain Robbe-Grillets Romanesques

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tafiktionaler bzw. »poetologisch-essayistische[r]«,453 sogar theoretischer Diskurs über Literatur und Kunst im Allgemeinen, zur Autobiographie und den Kategorien der Erinnerung, Wahrheit und Identität im Speziellen. Anders als in seinen frühen Texten tragen die Ich-Erzähler in der Trilogie den Namen des Autors,454 und autobiographische Referenzen werden explizit gemacht.455 Neben Lebensstationen und Verweisen auf Robbe-Grillets Œuvre456 bilden die Texte auch seine literaturtheoretischen Positionen ab.457 Darüber hinaus stellt der Verfasser eine Grenzziehung zwischen seinen Romanen als Werke der Fiktion und seiner Biographie in Frage, wenn er in Le miroir qui revient erklärt: »Je n’ai jamais parl¦ d’autre chose que de moi« (M 7). Nach de Toro weigert sich Robbe-Grillet auf diese Weise, »die Trennung zwischen seiner Tätigkeit als Schriftsteller und seinem Privatleben zu ziehen, und betrachtet diese vielmehr – wie in der Postmoderne – als ein vielfältiges, nomadisches Ganzes: als nouvelle autobiographie«.458 Wie Petersen bezüglich der postmodernen Selbstreflexivität festgehalten hat, wird hier in der Tat die »rezeptionelle Erwartung tradierter Darstellungsmodi […] selbstreflexiv unterlaufen«.459 Der Text beginnt damit, dass der Ich-Erzähler die Arbeit an einem autobiographischen Schreibprojekt wieder aufnimmt, das er 1976/77 begonnen hat. Beim nochmaligen Lesen der bis dahin entstandenen 40 Manuskriptseiten erkennt der Autor sich im Geschriebenen nicht wieder : »[C]’est a peine si j’y reconnais les choses dont je voulais parler de toute urgence« (M 9). Am Ende erinnert er sich nicht mehr an Behauptungen, die er damals aufgestellt hat: J’ignore — quelle p¦riode de mon travail j’ai pu ¦crire ces quelques phrases press¦es, qui paraissent ne se rattacher — rien. Il y a si longtemps que la r¦daction de ce document a ¦t¦ entreprise, concernant un sujet qui m’¦chappe de plus en plus, qu’il m’est souvent impossible d’identifier les innombrables r¦f¦rences secrÀtes qui ¦maillent les segments anciens, ¦crits d¦j— depuis prÀs de dix ans. (M 218f.)

Dennoch belässt der autodiegetische Erzähler das bereits Geschriebene, wie es damals verfasst worden ist.460

453 454 455 456 457 458 459 460

Schaefer : »Die Autofiktion zwischen Fakt und Fiktion«, S. 316. Vgl. Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1426. Vgl. ebd., S. 1432. Vgl. u. a. die Erwähnung von Texten wie etwa Le voyeur, La jalousie und Les gommes (M 38 und 190) oder die Thematisierung seines Studiums der Agrarwissenschaften und seiner ersten schriftstellerischen Versuche (M 78). Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 95. Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1421. Robbe-Grillet selbst weist immer wieder auf den Zusammenhang zwischen dem nouveau roman und der nouvelle autobiographie hin. Vgl. dazu u. a. Robbe-Grillet: Neuer Roman und Autobiographie, S. 23–26. Petersen: Der postmoderne Text, S. 314. »Pourtant […] je choisis avec rage de reproduire ici sans y rien changer, telles que je les ai

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Während sich für Serge Doubrovsky »das Scheitern von Sinnstiftung als ein persönliches, emotionales und zutiefst tragisches Erleben darstellt« und »er sich auf den Kampf mit den Referenzen«461 einlässt, geht Robbe-Grillet bereits von einer anderen Prämisse aus: Mais […] toute r¦alit¦ est indescriptible, et je le sais d’instinct: la conscience est structur¦e comme notre langage (et pour cause!), mais ni le monde ni l’inconscient; avec des mots et des phrases, je ne peux repr¦senter ni ce que j’ai devant les yeux, ni ce qui se cache dans ma tÞte […]. La litt¦rature est ainsi […] la poursuite d’une repr¦sentation impossible. (M 17f.)

Er verwirft den Versuch einer Simulation »en feignant de croire que le langage est comp¦tent« (M 18) von Beginn an als unmöglich und weist den autobiographischen Wahrheitsanspruch sowie die Möglichkeit von Mimesis im Sinne postmoderner Immanenz von sich: Je ne suis pas homme de v¦rit¦, ai-je dit, mais non plus de mensonge, ce qui reviendrait au mÞme. Je suis une sorte d’explorateur, r¦solu, mal arm¦, imprudent […]. Je ne suis pas un ma„tre — penser, mais un compagnon de route, d’invention, ou d’al¦atoire recherche. Et c’est encore dans une fiction que je me hasarde ici. (M 13)

Es geht Robbe-Grillet folglich nicht darum, tatsächlich Erlebtes als solches abzubilden, sondern durch Erfindung etwas Neues entstehen zu lassen. Die autobiographischen Elemente fungieren für ihn als »op¦rateurs, appartenant eux ouvertement — l’id¦ologie, mais sur lesquels et gr–ce auxquels je pourrai cette fois agir« (M 18). Dazu steht nicht die eigene Identität im Vordergrund, sondern die Henri de Corinthes (»Qui ¦tait Henri de Corinthe?«, M 7). Der Erzähler führt Corinthe als reale Person ein, mit der er in seiner Kindheit zusammengetroffen sein will.462 Der Status der Figur wird jedoch gleich darauf in Zweifel gezogen, wenn der Erzähler, der den Namen des Autors trägt, auf die Unzulänglichkeiten seines Gedächtnisses und seiner Erinnerung aufmerksam macht:463 Mais les souvenirs personnels qu’il me semble parfois avoir gard¦s de ces brÀves entrevues […] ont trÀs bien pu avoir ¦t¦ forg¦s aprÀs coup par ma m¦moire – mensongÀre et travailleuse – sinon de toutes piÀces, du moins — partir seulement des r¦cits d¦cousus qui circulaient — voix basse dans ma famille, ou aux alentours de la vieille maison. (M 7f.)464

461 462 463 464

¦crites en 77, ces premiÀres pages d¦j— d¦mod¦es, de mon point de vue, pour Þtre si vite devenues — la mode« (M 9f.). Gronemann/Toro: Einleitung, S. 14f. Vgl. M 7. Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 97 sowie Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 307. Vgl. M 22.

Alain Robbe-Grillets Romanesques

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Claudia Gronemann hat festgestellt, dass verschiedene Versatzstücke der Corinthe-Erzählung in Legenden der Bretagne zu finden sind,465 und Christina Schaefer weist auf verschiedene phantastische Elemente – insbesondere im zweiten Band der Romanesques – hin.466 Zudem ist der Name Henri de Corinthe mehrfach belegt. Er ist nicht nur ein Quasi-Anagramm für ›rien de coh¦rente‹,467 sondern auch eine Figur aus Robbe-Grillets Film La belle captive (1983),468 den der Erzähler auf der ersten Seite von Le miroir qui revient selbst erwähnt.469 Wie Schaefer betont, vermischt sich im Laufe der Erzählung der fiktionale Diskurs, die Corinthe-Erzählung, untrennbar mit dem faktualen Diskurs (der poetologische mit dem autobiographischen).470 Corinthe wird »mehr und mehr zum zweiten Ich Robbe-Grillets«,471 was vorwiegend im zweiten Band der Trilogie zum Tragen kommt, wenn sich die Geschichte des Ich-Erzählers zunehmend mit der von Henri de Corinthe vermischt.472 Im dritten Teil der Trilogie erreicht dieses Verfahren seinen Höhepunkt: Es ist kaum möglich zu entscheiden, wer sich hinter dem sprechenden ›Ich‹ verbirgt: ›Robbe-Grillet‹ oder Corinthe.473 Hatte der Erzähler in Le miroir qui revient bereits das ›Ich‹ als unzulässige Kategorie erkannt,474 kommt er am Ende von Les derniers jours de Corinthe darauf zurück: »o¾ en suis-je, d’ailleurs. Exactement? Toutes ces choses, perdues dans le d¦bacle obscur de la m¦moire, ne montrent-elles pas une tendance alarmante — la perte progressive d’identit¦?«475 Die poststrukturalistische Position gegenüber dem Subjekt, die sowohl Doubrovsky als Robbe-Grillet thematisieren, hat Folgen für den Autorbegriff, 465 Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 97. Vgl. Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 307. Siehe zu Ang¦lique, dem zweiten Teil der Trilogie von Robbe-Grillet: Gronemann: Postmoderne/ Postkoloniale Konzepte, S. 97–101. 466 Schaefer : »Die Autofiktion zwischen Fakt und Fiktion«, S. 318. 467 Vgl. Hilmes: Die Autobiographie ohne Ich, S. 309 sowie Rybalka: Ang¦lique ou l’enchantement: D¦sir et ¦criture chez Alain Robbe-Grillet, S. 96. 468 Vgl. dazu Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1427f. De Toro und Rybalka weisen zudem auf die Verbindung zu Robbe-Grillets Topologie d’une cit¦ fantúme (1976) hin. Siehe dazu Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1427 und Rybalka: Ang¦lique ou l’enchantement, S. 96. 469 Wie bereits Schaefer feststellt, kommt auch in Robbe-Grillets Roman Souvenirs du triangle d’or (1978) ein fiktiver Lord Corynth vor (Schaefer : »Die Autofiktion zwischen Fakt und Fiktion«, S. 320). 470 Ebd., S. 318. 471 Toro: Die postmoderne ›neue Autobiographie‹, S. 1432. 472 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 96. Vgl. zur Verwobenheit von Corinthe und Ich-Erzähler in Ang¦lique ou l’enchantement näher Groß: Autopoiesis, S. 52–58. 473 Vgl. Groß: Autopoiesis, S. 58. 474 Vgl. M 10. 475 Robbe-Grillet: Les derniers jours de Corinthe, S. 208.

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Die postmoderne Autofiktion: Gattungsüberschreitung und Gattungskritik

für die Souveränität des Autors über den Text und damit für den autobiographischen Text selbst. Claudia Gronemann hat dies wie folgt zusammengefasst:476 Die Einheit von Autor und Werk wird aufgehoben, doch nicht die Position des Autors verschwindet, sondern lediglich dessen Souveränität über den Akt der Bedeutung. Stattdessen wird die Einbettung des Autor-Ich in bereits vorhandene Diskurse textuell inszeniert: Der Autor rückt aus seiner Schlüsselposition im Bedeutungsprozess, bleibt aber gleichwohl daran beteiligt. […] Für den autobiographischen Text ist diese aus dem Wandel der Subjektivität hervorgehende neue Autorposition besonders einschneidend, da sie die Grundvoraussetzungen einer autobiographischen Darstellung – unhintergehbare Subjektivität, die dem Ich Zugang zu den eigenen Lebensäußerungen und Autorität über die Sinneffekte gewährt – in fundamentaler Weise in Frage stellt.477

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W. G. Sebalds Autofiktionen Die Ringe des Saturn und Austerlitz

Das autofiktionale Schreiben, so haben die vorangegangenen Kapitel zu Texten Doubrovskys und Robbe-Grillets veranschaulicht, entsteht in der einschlägigen französischen Literatur der 1970/80er Jahre als selbstreflexive Auseinandersetzung mit der Autobiographie. Die Texte hinterfragen Konzepte der Erinnerung, der Identität und der Möglichkeit einer Abbildung von ›Wahrheit‹ und ›Wirklichkeit‹. Sie können demnach als Meta-Autobiographien bzw. selbstreflexive Autofiktionen im Sinne Nünnings verstanden werden, die nach dem ›linguistic turn‹ die Grenzen einer Gattung ausloten und dies sowohl explizit als auch implizit reflektieren.478 Wie Martina Wagner-Egelhaaf gezeigt hat, verliert das, was Doubrovsky und Robbe-Grillet unter ›Autofiktion‹ fassen, in der Gegenwartsliteratur an Bedeutung: »Indessen kann es heute nicht mehr darum gehen, die Unmöglichkeit der Autobiographie, sei es psychologisch, sei es zeichentheoretisch und repräsentationskritisch, zu konstatieren«.479 In der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur stehe weniger ein selbstreflexiver Autobiogra476 Claudia Gronemann hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass »dekonstruktivistische Bedeutungskonzepte […] sich ebenso in den sog. marginalen oder postkolonialen Literaturen« wie der maghrebinischen finden (Gronemann: Postmoderne/ Postkoloniale Konzepte, S. 117). Sie führt dies an Texten Assia Djebars, wie u. a. L’amour, la fantasia (1985) und Abdel Wahab Meddebs Talismano (1979) und Phantasia (1986) aus und konstatiert im Vergleich mit den französischen Autoren eine »Ablösung der gemeinhin von Gattungsfragen geprägten […] Sicht auf das Problem des autobiographischen Textes«, weil für die genannten Autoren, die nicht in ihrer Muttersprache, sondern auf Französisch schreiben, »die Autobiographie, verstanden als literarische ›Rückgewinnung‹ des Ich, von vornherein unmöglich« erscheint (ebd., S. 118). 477 Ebd., S. 104f. 478 Vgl. dazu Nünning: Metaautobiographien. 479 Wagner-Egelhaaf: Autofiktion & Gespenster, S. 137.

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phiediskurs »im Sinne defizitärer ›Nur‹-Sprachlichkeit, ›bloßer‹ Konstruiertheit« als vielmehr das »Ausstellen von Differenz«480 im Vordergrund. Die (post-)modernen Texte W. G. Sebalds,481 die in der neusten Forschung vermehrt vor dem Hintergrund autofiktionaler Schreibweisen beleuchtet werden,482 sind bereits jenseits einer solchen vordergründigen Problematisierung des Genres ›Autobiographie‹ anzusiedeln. Die ›Autofiktion‹ kann als treffende Kategorie für Sebalds Werk gelten, da mit dem Begriff die in »Sebalds Poetik grundlegende Spannung zwischen Faktizität und Fiktionalität immer schon erfasst ist«.483 Daniel Weidner ist zuzustimmen, dass Sebalds Texte am »Übergang stehen zwischen jenen Texten der siebziger Jahre, in denen Autofiktionalität zuerst und prominent in der deutschen Nachkriegsliteratur zur Sprache kam – etwa bei Frisch und Grass – einerseits, der Gegenwartsliteratur andererseits«.484 In der Tat sind Sebalds Texte nicht treffend in einem poststrukturalistischen Diskurs zu verorten, aber dennoch stehen sie im Kontext der Postmoderne.485 So sind Sebalds Texte beispielsweise höchst intertextuell486 angelegt. In seinen Romanen tritt an die Stelle ästhetischer Innovation im Zeichen der Moderne die zitathafte Präsentation bereits vorhandener Texte und Bilder, und dementsprechend figurieren Sebalds Erzähler keineswegs als autonome Schöpfer neuer Welten, sondern als Leser, Sammler 480 Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 361. 481 Vgl. dazu näher Gotterbarm: Ich und der Luftkrieg, S. 345. 482 Vgl. dazu Berghaus: Grenzgänge des Ich; Weidner : Bildnis machen sowie Wagner-Egelhaaf: Autofiktion & Gespenster. Während Sebald in seiner Wahlheimat England und dem englischsprachigen Raum schnell populär geworden ist, sind seine Texte in Deutschland erst nach seinem Tod 2001 stärker rezipiert worden. Vgl. dazu Denham: Foreword, S. 1 und Albes: Die Erkundung der Leere, S. 279. Siehe zu den unterschiedlichen Rezipientengruppen sowie den Übersetzungen von Sebalds Werken McCulloh: Introduction. 483 Gotterbarm: Ich und der Luftkrieg, S. 345. Gotterbarm nimmt in seinem Aufsatz unter anderem die These Franz Loquais auf, dass Sebald sein Leben lang nur ein einziges Werk geschrieben habe, ein Werk, das »alles in einem darstellt: Roman und Essay, gelehrte Abhandlung und Autobiographie« (Loquai: Vom Beinhaus der Geschichte ins wiedergefundene Paradies, S. 252). Vgl. auch Wagner-Egelhaaf: Autofiktion & Gespenster, S. 142. 484 Weidner: Bildnis machen, S. 165. Weidner verwendet ›Autofiktionalität‹ anders als die vorliegende Arbeit als weiten Begriff. In Bezug auf Kempowskis Tagebücher und Uwe Johnsons Jahrestage kommt er zu dem Schluss: »Alle drei kreisen primär um die Frage der Darstellung von Geschichte jenseits der Alternative des klassischen Realismus und der Gegenstandslosigkeit der Avantgarde, allen drei geht es um die besondere Präsenz der Vergangenheit […]. Autofiktionale Elemente dienen in diesen Texten nicht nur zur Rezeptionssteuerung, sondern sind Teil einer besonderen Darstellungsweise, die ihrem Gegenstand nur durch eine Verbindung faktualer und fiktionaler Verfahren gerecht werden kann« (ebd., S. 182). 485 Vgl. Albes: Die Erkundung der Leere, S. 279 und 293. 486 Vgl. zur Intertextualität bei Sebald u. a.: Banki: »Was bedeuten solche Ähnlichkeiten«, S. 351.

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und Kompilatoren. Im Zusammenhang damit wird, ebenso wie in anderen literarischen Texten der Postmoderne, die Geschichte nicht als kulturelle Fortschrittsgeschichte, sondern als ein Verfallsprozeß präsentiert, an dessen Ende die Renaturalisierung der Zivilisation steht.487

Ähnlich wie bei Paul Nizon488 ist Sebalds Schreiben stark mit »dem Thema der Erinnerung, des Gedächtnisses und der Koinzidenz«489 verknüpft und veranschaulicht die (post-)moderne Position der Fragmentarisierung des Ich. Im Sinne von Barthes’ »l’imaginaire vient — pas de loup«490 führt Sebald vor, wie sich die menschliche Erinnerung konstituiert und wie brüchig derartige Rückbesinnungen sind, da die Rekonstruktion partiell bleiben muss und durch Präfigurationen bedingt ist. Luisa Banki bezeichnet das Verfahren Sebalds als ›polybiographisch‹, d. h. »in den Lebensbeschreibungen, die die sebaldschen Werke durchziehen, [findet sich] niemals nur eine Beschreibung eines Lebens […], sondern eine Überblendung mehrerer Lebensgeschichten«.491 Sebalds Texte seien allesamt entweder explizit der erinnernden Nacherzählung von Leben gewidmet (Die Ausgewanderten, Austerlitz) und/oder setzen sich gänzlich aus verschiedenen biographischen Episoden zusammen (Nach der Natur, Schwindel. Gefühle, Die Ringe des Saturn). Narratives Grundmuster dabei ist die Spaltung in eine vom Ich-Erzähler dominierte autobiographische Rahmenhandlung und eine den biographischen Episoden gewidmete und teilweise von anderen Erzählstimmen mitbestimmte Binnenhandlung.492

Autobiographische Elemente »fungier[en] dabei als eine Art Knotenpunkt der zentralen inhaltlichen und formellen Belange der sebaldschen Schriften«.493 Der Zusammenhang von autofiktionaler Schreibweise und dem Themenkomplex Erinnerung, Gedächtnis und Lebensbericht in Sebalds Texten soll im Folgenden an Die Ringe des Saturn und Austerlitz veranschaulicht werden. In Die Ringe des Saturn ist das ›Ich‹ autofiktional konzipiert: Ein anonymer autodiegetischer Erzähler beschreibt rückblickend, wie er etwa ein Jahr lang durch die ostenglische Grafschaft Suffolk gewandert ist, wobei verschiedene Lebensdaten mit denen des autodiegetischen Erzählers übereinstimmen494 und 487 488 489 490 491 492 493 494

Albes: Die Erkundung der Leere, S. 280. Vgl. Benne: Was ist Autofiktion. Loquai: Max und Marcel, S. 214. Barthes: Roland Barthes, S. 682. Banki: Was bedeuten solche Ähnlichkeiten, S. 352 (Hervorhebung im Original). Ebd., S. 350 (Hervorhebung im Original). Ebd., S. 351. Vgl. die Erwähnung einer Lehrstelle Sebalds an der Universität Manchester sowie die Anmerkung, dass er in Middleton als Ausländer wahrgenommen wird: Sebald: Die Ringe des Saturn, S. 221 und 209. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›RS‹ zitiert. Vgl. dazu ferner Loquai: Vita W. G., S. 258.

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so einen autobiographischen und damit referenziellen Pakt anbieten. Als ein weiterer Hinweis, der Text suggeriere eine autobiographische Lesart, kann das gegen Ende des Textes eingefügte Foto von Sebald (RS 313) gelten. Das Foto zeigt einen Mann in heller Kleidung, der in einem Wald oder Park an einem Baum gelehnt in die Kamera blickt. Der Mann,495 mit dem sich der Erzähler als ›Ich‹ identifiziert, trägt einen Bart und eine Brille: »Die libanesische Zeder, an die ich, in Unkenntnis noch der unguten Dinge, die seither geschehen sind, gelehnt stehe, ist einer der bei der Anlage des Parks gepflanzten Bäume« (RS 312f.). Der mit dem Untertitel ›englische Wallfahrt‹ versehene Text Die Ringe des Saturn kann als eine Art Reisebericht verstanden werden. Dennoch geht der Text in dieser einen Gattung nicht recht auf: In Sebalds von Melancholie geprägtem Bericht stehen weniger die Erlebnisse des autodiegetischen Erzählers auf der Reise im Vordergrund als vielmehr seine durch bestimmte Räume aufgerufenen Erinnerungen und Assoziationen, die die Beobachtung der meist verlassenen Landschaften und Orte sowie Ruinen und labyrinthartigen Wege auslöst.496 Der Text gibt die Lebensläufe und Schicksale anderer Personen wieder, die auf vielfältige Weise mit den Orten verwoben sind, und erschöpft sich nicht in den individuellen Erfahrungen des Erzählers und in den Beschreibungen eines Landteiles. Anlässlich eines Fernsehberichts über die Begegnung mit Roger Casement recherchiert der Erzähler unter anderem die Biographie Joseph Conrads.497 Überall, wo er hinreist, trifft er auf Eindrücke und Erfahrungen anderer Personen, die seine eigenen vorwegnehmen und beeinflussen, so etwa Friedrich Hölderlins und Michael Hamburgers: Begleitet einen der Schatten Hölderlins ein Leben lang, weil man zwei Tage nach ihm Geburtstag hat? […] Wie kommt es, daß man in einem anderen Menschen sich selber und wenn nicht sich selber so doch seinen Vorgänger sieht? Daß ich dreiunddreißig Jahre nach Michael zum erstenmal durch den englischen Zoll gegangen bin, daß ich jetzt daran denke, meinen Lehrberuf aufzugeben, wie er es getan hat […]. Aber warum ich gleich bei meinem ersten Besuch bei Michael den Eindruck gewann, als lebte ich oder als hätte ich einmal gelebt in seinem Haus. Und zwar in allem geradeso wie er, das kann ich mir nicht erklären. (RS 217f.)

Stephan Berghaus hat gezeigt, dass sich der Erzähler einer »Spannung zwischen individueller Erinnerung und der Fremdbestimmung durch Vorgänger-Biographien bzw. sprachlichen Strukturen«498 befindet, durch die sich »Vorstel-

495 496 497 498

Vgl. dazu auch Berghaus: Grenzgänge des Ich, S. 210. Vgl. ebd. Vgl. RS 125–154. Berghaus: Grenzgänge des Ich, S. 230.

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lungen von ›authentischer Erinnerung‹ ebenso auf[lösen] wie die Möglichkeit einer rein persönlichen Erfahrung«:499 Entscheidend ist hierbei der Rückgriff auf die rhetorische Tradition der räumlich verstandenen Einprägung von Orten (loci) und Bildern (imagines). Dieser gleichermaßen aus Erinnern (memoria) und Erfinden bzw. Imaginieren (inventio) zusammengesetzte Prozess positioniert das Individuum genau an der Schnittstelle von eigner und normierter Biographie, individuellem und kollektivem Gedächtnis.500

Diese Erinnerungen werden durch intertextuelle Einschübe untermauert. Zitate aus literarischen Texten, vorwiegend denen der angesprochenen Personen, werden in den eigenen Text implementiert, so etwa Auszüge aus Shakespeares King Lear501 und einer Übersetzung Hamburgers von Hölderlins Gedicht Patmos.502 Zusätzlich enthält der Text – auf für Sebalds Schreiben charakteristische Weise – immer wieder Bildmaterial (Fotos, Gemäldeabbildungen, Karten etc.), als Ergänzung zum Text oder in (scheinbar) dokumentarischer Manier,503 was auch in Austerlitz (2003) eine besondere Bedeutung einnimmt.504 Austerlitz erzählt die Geschichte einer Rückbesinnung und Aufarbeitung verschütteter Erinnerungsbruchstücke des fiktiven Jacques Austerlitz, der seine Lebensgeschichte auf Englisch oder Französisch dem namenlosen deutschen Erzähler berichtet, den er durch Zufall zunächst in Antwerpen und später in London trifft. 499 500 501 502 503

Ebd., S. 231. Ebd., S. 226f. Vgl. RS 208. Vgl. RS 217. Vgl. dazu näher Catling: W. G. Sebald: ein »England-Deutscher«, S. 39–48. Silke Horstkotte hält diesbezüglich fest: »Typically, for Sebald’s works, The Rings of Saturn include many graphically reproduced images and photographs which stand in an uneasy, often ambiguous relation with the surrounding verbal discourse« (Horstkotte: The Double Dynamics of Focalization in W. G. Sebald’s The Rings of Saturn, S. 27) und: »The metafictional and openly artificial aspects of the verbal narrative reflect on the status of the reproduced images, which resist conventional ways of seeing. There is nothing ›authentic‹ or ›evidentiary‹ about the photographs in The Rings of Saturn, with their unfocused, often grainy appearance, their maddeningly uncertain provenance and their highly suggestive, yet entirely implicit relationship with the verbal discourse« (ebd., S. 41). 504 Michael Niehaus weist auf eine Vielzahl von »Text-Bild-Beziehungen« (Niehaus: Ikonotext, S. 156) bei Sebald hin sowie darauf, dass die Bilder in Sebalds Texten nicht beschriftet und dadurch nicht »geregelt« seien, also keine Verortung im Text durch eine »unabhängige Instanz« erfahren (ebd., S. 157). Die verschiedenen Beziehungen erstreckten sich – nicht immer eindeutig abgrenzbar – u. a. von der Wirkung der Illustration oder Beweiskraft bis hin zu zufälligen Konstellationen, wie er am Beispiel Schwindel. Gefühle ausführt. Silke Hostkotte hat u. a. an Texten Sebalds herausgearbeitet, dass »Fotografien in der deutschen Gedächtnisliteratur weder als eine die historische Wahrheit vollständig verstellende Gegenoder Deckerinnerung noch als unfehlbare Dokumente eines ›Es-ist-so-gewesen‹ präsentiert werden, sondern als interpretationsbedürftige und notwendig unvollständige Angebote, die in vielfältiger Weise der Mitwirkung des Betrachters bedürfen« (Horstkotte: Nachbilder, S. 273).

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Wie in anderen Texten von Sebald wird auch in Austerlitz konsequent aus der homodiegetischen Perspektive erzählt, d. h. sowohl von Austerlitz als auch von den anderen im Text auftretenden Personen.505 Der anonyme Erzähler erklärt zwar, er habe das Gespräch mit Austerlitz, so gut es ging, nachträglich zu Papier gebracht,506 doch die Wiedergabe der Erzählung enthält eine Detailfülle, die unmöglich erinnert werden kann und daher nach Zipfel grundsätzlich für Fiktion sprechenden – Detailfülle.507 Es wird suggeriert, das Erzählte entspreche Austerlitz’ Wortlaut sowie dem anderer Personen: In der Sˇporkova, sagte mir Veˇra, sagte Austerlitz, ist am selben Tag, an dem Ag‚ta ihre Wohnung hatte verlassen müssen, ein Abgesandter der Treuhandstelle für beschlagnahmte Waren erschienen und hat ein Papiersiegel an der Türe angebracht. Zwischen Weihnachten und Neujahr kam dann ein Trupp äußerst zwielichtiger Gesellen, die die gesamte Hinterlassenschaft, die Möbel, die Lampen und Leuchter, die Teppiche und Vorhänge, die Bücher und Partituren, die Kleider in den Kästen und Schubladen, das Bettzeug, Polster, Plumeaus, Wolldecken, die Wäsche, das Geschirr und die Gerätschaften aus der Küche, die Topfpflanzen und Regenschirme, die nicht aufgebrauchten Lebensmittel, sogar die seit Jahren schon im Keller vor sich hindämmernden eingeweckten Birnen und Kirschen […] ausgeräumt […] haben […]. (A 263)

Die Biographie des homodiegetischen Erzählers stimmt mit der W. G. Sebalds grundsätzlich überein.508 Der Text, der keine Gattungsangabe trägt, legt so eine autofiktionale Lesart nahe, ohne jedoch im Sinne einer autobiographischen Erzählung die Lebensgeschichte des Autors in den Vordergrund zu rücken. Er erzählt vielmehr die einer dritten Person, die wiederum in der homodiegetischen Form berichtet.509 Solheim weist darauf hin, dass über Lebensdaten hinaus »Sebalds lebenslange Auseinandersetzung mit dem jüdischen Vermächtnis, sein

505 Vgl. dazu auch RS, in denen diese Art der Redewiedergabe ebenfalls angewendet worden ist. 506 A 146: »[…] wo ich dann bis gegen drei Uhr an einem von den Straßenlampen fahl erleuchteten Sekretär gesessen bin […], um in Stichworten und unverbundenen Sätzen soviel als möglich aufzuschreiben von dem, was Austerlitz den Abend hindurch mir erzählt hatte«. 507 Vgl. dazu in der vorliegenden Arbeit: Kap. I.2.1. 508 Vgl. etwa die Erwähnung seines Studiums in Deutschland (Sebald: Austerlitz, S. 51. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›A‹ zitiert), seine Rückkehr nach Deutschland 1975 nach einem neunjährigen Aufenthalt in England (A 53) und seiner erneuten Reise nach England 1976 (A 54). 509 Damit erfüllt der Text das in der Einleitung aufgestellte Kriterium (d) nur bedingt, da der Schwerpunkt der Erzählung nicht auf der eigenen Lebensgeschichte des anonymen, autodiegetischen Erzählers liegt, der aufgrund einer starken Ähnlichkeitsbeziehung zum Verfasser einen autobiographischen Pakt eröffnet. Der Text soll hier dennoch herangezogen werden, da der Erzähler zumindest in Teilen seine eigene Lebensgeschichte wiedergibt und darüber hinaus Austerlitz innerhalb dieser Rahmenerzählung seine Lebensgeschichte in der homodiegetischen Form erzählt. Weidner spricht im Fall Sebalds daher auch von ›autoheterodiegetischem Erzählen‹. Vgl. dazu Weidner : Bildnis machen, S. 180.

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Deutschlandkomplex und seine Art und Weise, die Welt zu betrachten, […] als autobiographische Elemente in den Text«510 eingehen. Der sich seit jeher nicht in England beheimatet fühlende Austerlitz setzt als Erwachsener einen schmerzhaften Erinnerungsprozess in Gang, um gegen das Gefühl des »Ausgelöschtseins« (A 330) anzukämpfen.511 Er stößt auf längst vergessen geglaubte Erinnerungsfragmente, Eindrücke und Erlebnisse, die sich allmählich zu einem – wenn auch unvollständig bleibenden – Bild zusammensetzen. Dieser Prozess wird als kraftraubender Weg beschrieben,512 der nicht in eine Identitätsfindung münden kann, sodass das ›Ich‹ wie seine Geschichte Fragment bleibt: Schon spürte ich hinter meiner Stirn die infame Dumpfheit, die dem Persönlichkeitsverfall vorausgeht, ahnte, daß ich in Wahrheit weder Gedächtnis noch Denkvermögen, noch eigentlich eine Existenz besaß, daß ich mein ganzes Leben hindurch mich immer nur ausgelöscht und von der Welt und mir selber abgekehrt hatte. (A 182)

Silke Horstkotte stellt diesbezüglich fest: Überhaupt finden sich in Austerlitz die explizitesten und systematischsten Äußerungen zu Erinnerung und Gedächtnis in Sebalds Werk, mit zahlreichen Bezügen vor allem zu Gedächtnisdiskursen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, u. a. zu Freud, Proust, Benjamin und Halbwachs. Das Besondere an Austerlitz’ Erinnerungen ist jedoch nicht nur deren unkontrolliertes Auftreten an den Rändern des Bewußtseins […], sondern vor allem ihre gespenstische und fantastische Dimension, die […] in Verbindung mit bestimmten architektonischen Räumen steht: den von Austerlitz studierten Bahnhöfen und Festungsbauten, die als privilegierte Gedächtnisorte […] fungieren.513

Die wenigen Informationen über seine Herkunft, die Austerlitz ab 1992 in Erfahrung bringt, legen nahe, dass die Geschichte seiner Eltern die der Verfolgung einer jüdischen Familie im ›Dritten Reich‹ ist: Als Vierjähriger von einem Kindertransport aus Prag nach England in eine Ziehfamilie gekommen, verdrängt Austerlitz (un)bewusst die Geschichte seiner Herkunft und Familie. Austerlitz kann die Namen seiner Eltern und die Umstände seines Transports nach England recherchieren: Er ist der Sohn einer jüdischen Schauspielerin, Ag‚ta Austerlitz, aus Prag, die während des Krieges von der SS in das Ghetto Theresienstadt gebracht worden ist; was mit ihr ab diesem Zeitpunkt passiert ist, bleibt Spekulation. Die Spur seines Vaters, des Sozialdemokraten Maximilian 510 Solheim: Die Wende als Möglichkeit eines neuen Blicks auf die Vergangenheit, S. 319. 511 Vgl. dazu etwa A 204f. und 330f. 512 Vgl. dazu A 381: »daß ich in der M¦tro den ersten der später mehrfach sich wiederholenden, mit einer zweiteiligen Auslöschung sämtlicher Gedächtnisspuren verbundenen Ohnmachtsanfälle erlitt, die in den Lehrbüchern der Psychiatrie, soviel mir bekannt ist, sagte Austerlitz, aufgeführt sind unter dem Stichwort hysterische Epilepsie«. 513 Horstkotte: Nachbilder, S. 227f.

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Aychenwald aus St. Petersburg, verliert sich in Paris um 1942. Ein letzter Hinweis lässt Austerlitz schließlich nach Südfrankreich aufbrechen.514 Die vielen offen gebliebenen Fragen münden in Phantasien der Hauptfigur über das Schicksal der Eltern in den 1940er Jahren.515 Wie in Die Ringe des Saturn sind auch in Austerlitz immer wieder Fotos, Skizzen, Verzeichnisse und Grundrisse in den Text integriert und bewirken zunächst im Sinne einer »›Intermedialität‹ […] eine ›Öffnung des Werkes‹«.516 Silke Horstkotte betont, dass die Bilder nicht »als dem Text unter- oder beigeordnete Illustrationen [fungieren], sondern […] gleichwertige Partner der Verbalität innerhalb einer intermedialen Textur« seien.517 Die Verwendung solcher Bilder dient auch in Austerlitz nur zum Teil der Veranschaulichung des Gesagten;518 zugleich wird die Implementierung im Text direkt motiviert, etwa wenn der Erzähler selbst erwähnt, Austerlitz habe ihm ein Bild zukommen lassen.519 Nicht immer ist jedoch offenkundig, wie der Erzähler in den Besitz der Bilder gelangt ist, unterstreichen sie doch nur teilweise die Erzählung von Austerlitz.520 Silke Horstkotte hat herausgearbeitet, dass Fotografien in Austerlitz »nach den Prinzipien der Austauschung, Dopplung, Überblendung und Analogiebildung in den Text«521 eingebunden seien. Die Fotos, die hier zunächst als authentische Beweise einer erzählten Lebensgeschichte (miss)verstanden werden könnten, sind vielmehr mit dem Thema der Erinnerungsarbeit verknüpft. Sie fungieren als Veranschaulichung des Erinnerungsprozesses und nehmen so eine zusätzliche Funktion für den Leser ein: In The Emigrants and Austerlitz photography thus functions not only as a means for attempting to access the past but also as an emblem for the uncanny reemergence of the past. Accordingly, through the descriptions of the photographs, the protagonists’ relationships toward them, and the images themselves, the readers may gain insight into the nature of certain memory processes that result from persecution, loss, and/or dislocation.522

514 Vgl. A 410. 515 Siehe z. B. A 411f.: »Ich bildete mir ein, sagte Austerlitz, ihn zu sehen, wie er sich bei der Abfahrt aus dem Abteilfenster lehnt, und sah auch die weißen Dampfwolken aufsteigen aus der schwerfällig sich in Bewegung setzenden Lokomotive«. 516 Niehaus: Ikonotext, S. 156. 517 Horstkotte: Fotografie, Gedächtnis, Postmemory, S. 179. 518 Vgl. A 11. 519 Vgl. A 114. 520 Vgl. A 222 oder 394. 521 Horstkotte: Nachbilder, S. 214. 522 Barzilai: On Exposure: Photography and Uncanny Memory in W. G. Sebald’s Die Ausgewanderten and Austerlitz, S. 213f. Vgl. dazu u. a. Horstkotte: Nachbilder, S. 224–253.

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Aufgrund seiner emotionalen Affiziertheit muss Austerlitz die Aufarbeitung seiner Geschichte mehrmals zurückstellen523 und reflektiert schließlich seine teils bewussten, teils unbewussten Entscheidungen, sich nicht an bestimmte Orte zu begeben oder seinem Namen nachzuforschen: Ich erinnere mich, sagte Austerlitz, daß ich seinerzeit bei meinem ersten Besuch in dem böhmischen Ghetto nicht über mich gebracht hatte, in das außerhalb der sternförmigen Stadt auf dem Glacis gelegene Vorwerk hineinzugehen, und vielleicht drängte sich mir nun deshalb beim Anblick der Registraturkammer die zwanghafte Vorstellung auf, daß dort, in der kleinen Festung von Terez†n, in deren naßkalten Kasematten so viele zugrunde gegangen sind, mein wahrer Arbeitsplatz gewesen wäre und daß ich ihn nicht eingenommen habe aus eigener Schuld. (A 401) *

Ohne dass suggeriert werden sollte, dass es den einen postmodernen Prototyp autofiktionalen Schreibens gäbe, lässt sich festhalten, dass das autofiktionale Schreiben in der Postmoderne aus der Kritik an der klassischen Autobiographie und der dadurch entstandenen Auseinandersetzung entsteht. Doubrovsky und Robbe-Grillet sind als wichtige Stellvertreter heranzuziehen. W. G. Sebalds Schreiben veranschaulicht bereits Potenziale, die das autofiktionale Schreiben außerhalb eines genuin poststrukturalistischen Diskurses einnehmen kann. Wie die Texte der genannten französischen Autoren kann sein Schreiben in einem (post-)modernen Kontext verortet werden und ist zudem stark mit der Thematisierung von Erinnerung, Gedächtnisstrukturen und der Frage nach einer Ich–Identität verknüpft, ohne sich jedoch gezielt am Konzept der klassischen Autobiographie abzuarbeiten.

523 Vgl. A 399.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Für die im Folgenden zu betrachtenden Texte stellt sich zum einen die Aufgabe, die »Formen und Verfahrensweisen der Selbstdarstellung«524 zu untersuchen, die mit einer autofiktionalen Schreibweise in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur verbunden sind. Zum anderen soll den Fragen nachgegangen werden, welche Bedeutung vorkritischen bzw. naiven Positionen (wie z. B. Authentizitätsgesten in autobiographischer Fiktion) zukommt und wie Inszenierungsstrategien von Autoren, die seit der Popliteratur immer stärker in den Vordergrund rücken,525 zu bewerten sind, sofern sie darauf abzielen, eine autofiktionale Lesart zu befördern. Es gilt außerdem zu untersuchen, ob Autoren das Geschriebene bloß im Sinne einer »Ökonomie der Aufmerksamkeit«526 an sich binden wollen oder ob in den Texten tatsächlich ein Reflexionsniveau nach der Postmoderne zum Ausdruck kommt. Bevor mit Hanns-Josef Ortheils Die Erfindung des Lebens (Kap. 1), David Wagners Leben (2013) (Kap. 2), Thomas Glavinics Das bin doch ich (Kap. 3), Rafael Horzons Das weisse Buch (Kap. 4) und Clemens Meyers Gewalten (Kap. 5) verschiedene Ausprägungen autofiktionalen Schreibens analysiert werden, sollen einige Vorbemerkungen zum literarischen Feld der Gegenwart dazu dienen, die verschiedenen Formen der Inszenierung und Positionierung eines Autors in und außerhalb ihrer Texte näher zu bestimmen.

524 Wagner-Egelhaaf: Auto(r)fiktion, Klappentext. 525 Vgl. Niefanger : Provokative Posen, S. 86. 526 So der Titel von Georg Francks Auseinandersetzung mit der ›Aufmerksamkeit‹ als Gut im Literaturbetrieb (Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit). Siehe auch ders.: Autonomie, Markt und Aufmerksamkeit.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Aufmerksamkeitsgenerierung und Inszenierungsstrategien in der Gegenwart: eine Vorbemerkung Wenn Hanns-Josef Ortheil vor der Veröffentlichung seines Romans Die Erfindung des Lebens (2009) in einem vom Verlag eingestellten und auf der Autorenseite verlinkten YouTube-Video massive biographische Parallelen zwischen sich und seinem Erzähler herstellt, kann dies nicht nur Einfluss auf das Autor-Label, sondern auch auf die Rezeption seines Textes nehmen. Gleiches gilt, wenn David Wagner durch die Verleihung des Leipziger Buchpreises eine enorme mediale Aufmerksamkeit zuteilwird, die eine Entsprechung zwischen Autor- und Erzähler-Biographie in seinem Text Leben aufdeckt.527 Ebenso wirkt die Verweigerung einer Informationspreisgabe zur eigenen Person angesichts unzähliger Möglichkeiten der Selbstdarstellung als bewusste Strategie eines Autors. Denn Schriftsteller haben gelernt, derartige (mögliche) Wirkungen als ästhetische Strategien zu nutzen bzw. mit diesen Mechanismen zu spielen,528 wie eingangs bereits die Beispiele von Maxim Billers Esra und Alban Nikolai Herbsts Meere angedeutet haben. Anders als zum Veröffentlichungszeitpunkt der oben untersuchten Texte Doubrovskys, Robbe-Grillets und auch Sebalds haben Autoren seit Beginn der ›Nullerjahre‹ dazu neue Formen der Selbst(re)präsentation (die eigene Homepage, Facebook und YouTube) und ein Mehr an Kommunikations- bzw. Distributionswegen zur Verfügung:529 Verlage setzen immer häufiger Buchtrailer als Marketinginstrument ein,530 und auch das Schriftstellerinterview in Fernsehen und Radio spielt eine wichtige Rolle bei der Vermarktung von Texten.531 Zusätzlich sind diese Interviews nicht nur, wie z. B. im Fall Sebalds, als Sammlung in Form eines Buches erhältlich,532 sondern in Zeiten der digitalen Medien auch

527 Siehe dazu in der vorliegenden Arbeit: Kap. IV.2 und IV.3. 528 Vgl. zur Inszenierung des Autor-Interviews und der Steuerung von Informationen über den Autor im Epitext u. a. Lembke: »Hier fängt die Geschichte an« und Krumrey : Autorschaft. 529 Auch Wagner-Egelhaaf weist in ihrer Einleitung zum Sammelband Auto(r)fiktion in Anlehnung an Frank Zipfel darauf hin, dass Text und Leben im Medienzeitalter kaum zu trennen seien (Wagner-Egelhaaf: Einleitung: Was ist Auto(r)fiktion, S. 12). 530 Vgl. zum Buchtrailer : Ebenau: »Als die Bücher laufen lernten…«, hier insbesondere S. 290 und 292. 531 Katharina Ebenau geht in diesem Zusammenhang auf die Position von Sheila CloverEnglishs ein, die zwischen ›book trailer‹ und ›book video‹ unterscheidet und book video als Oberbegriff für »any type of visual synopsis for a book« verwendet. Der Begriff schließt damit Autor-Interviews und Lesungen mit ein (Clover-English: The Book Trailer Revolution; vgl. Ebenau: »Als die Bücher laufen lernten…«, S. 292). 532 Siehe dazu z. B. den Interviewband von Schwartz (Hg.): The Emergence of Memory, auf den Torsten Hoffmann seine Analyse zum Schriftstellerinterview Sebalds stützt (Hoffmann: Das Interview als Kunstwerk, S. 279).

Aufmerksamkeitsgenerierung und Inszenierungsstrategien in der Gegenwart

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audiovisuell rezipierbar.533 In der Regel bleiben sie nach der Ausstrahlung in den Mediatheken oder auf der Homepage der Sender abrufbar. Interviews werden zudem häufig in schriftlicher Form nachträglich aufbereitet.534 Um die komplexen Beziehungen im literarischen Feld sowie die den Literaturbetrieb der Gegenwart kennzeichnenden Mechanismen näher beschreiben zu können, bietet sich ein Rückgriff auf Pierre Bourdieus Feldtheorie an sowie auf die von Georg Franck formulierte Ausweitung dieser Theorie unter dem oben bereits aufgenommenen Schlagwort ›Ökonomie der Aufmerksamkeit‹. Bourdieu definiert die Gesellschaft als »sozialen Raum mit relativ autonomen eigengesetzlich organisierten Feldern«:535 Le champ litt¦raire (etc.) est un champ de forces agissant sur tous ceux qui y entrent, et de maniÀre diff¦rentielle selon la position qu’ils y occupent […], en mÞme temps qu’un champ de luttes de concurrence qui tendent — conserver ou — transformer ce champ de forces.536

Das literarische Feld, so Bourdieu, ist gegensätzlich zum rein ökonomischen und dessen marktwirtschaftlichen Interessen organisiert: »V¦ritable d¦fi — toutes les formes d’¦conomisme, l’ordre litt¦raire (etc.) qui s’est progressivement institu¦ au terme d’un long et lent processus d’autonomisation se pr¦sente comme un monde ¦conomique renvers¦«.537 Dies gelte jedoch nur für den Bereich ›autonomer‹ Literatur, nicht für die Trivialliteratur, der hingegen »ein geringer symbolischer Stellenwert« zukomme.538 Das literarische Feld ist ferner einer »logique du changement«539 unterworfen, indem neue Autoren stets versuchen, ältere, bereits angesehene Autoren zu verdrängen: Les auteurs consacr¦s qui dominent le champ de production tendent — s’imposer aussi peu — peu sur le march¦ […]. Les strat¦gies dirig¦es contre leur domination visent et atteignent toujours, — travers eux, les consommateurs distingu¦s de leurs produits distinctifs. Imposer sur le march¦ — un moment donn¦ un nouveau producteur, un nouveau produit et un nouveau systÀme de go˜ts, c’est faire glisser au pass¦ l’ensemble 533 Auch Christine Ott und Jutta Weiser weisen darauf hin, dass sich »[u]nter den Bedingungen der globalen Medienkommunikation die Ausgangslage autofiktionaler Literatur gewandelt« habe (Ott/Weiser : Autofiktion und Medienrealität, S. 10) bzw. es neue Möglichkeiten »einer sehr viel unmittelbareren öffentlichen Selbstdarstellung und Selbsterfindung auf der persönlichen Homepage, im Netzwerk-Profil oder im Blog« gebe (ebd., S. 11). 534 Vgl. etwa Deutschlandradio Kultur: Bürger: In existenzieller Not »hilft einem das Erzählen«. 535 Jurt: Das literarische Feld, S. 77. 536 Bourdieu: Les rÀgles de l’art, S. 323. 537 Ebd., S. 342. Vgl. auch Neuhaus: Wie man Skandale macht, S. 33. 538 Jurt: Das literarische Feld, S. 90. Siehe zu den gegensätzlichen ›Logiken‹ des ökonomischen Feldes im Gegensatz zu dem der Kunst näher Bourdieu: Les rÀgles de l’art, S. 201–208. 539 Ebd., S. 226.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

des producteurs, des produits et des systÀmes de go˜ts hi¦rarchis¦s sous le rapport du degr¦ de l¦gitimit¦.540

Neben den Schriftstellern gehören zu den Akteuren dieses Feldes verschiedene Konsekrationsinstanzen wie Literaturkritiker und Verlage, die den Autor vermarkten und mit der Einbettung seiner Werke in die eigenen Verlagsprogramme maßgeblich zu seiner Positionierung beitragen.541 Messinstrumente für den Stellenwert eines Autors und seiner Werke im Literaturbetrieb der Gegenwart sind sogenannte »Wertungshandlungen« der Literaturkritik oder anderer Instanzen durch z. B. Förderpreise. Auch die »universitäre Anerkennung trägt wesentlich zur Legitimation, Reputation und Kanonisierung von neuen literarischen Werken bei«.542 Für die folgenden Betrachtungen sind vor allem zwei der von Bourdieu genannten Kapitalformen relevant, das ökonomische Kapital, das sich in materieller Aneignung ausdrückt, und das symbolische,543 das als »gesellschaftliche[…] Anerkennung«544 bzw. als »Ansehen«545 von den verschiedenen Instanzen im Literaturbetrieb verteilt wird.546 Grundsätzlich gilt, dass die »einzelnen Glieder des künstlerischen Feldes […] nicht in erster Linie den materiellen Erfolg, sondern die Akkumulation von symbolischem Kapital« anstreben.547 Als Beispiel für eine Autorin, deren ökonomischer Erfolg nicht ihrem symbolischen Kapital im Literaturbetrieb gleichkommt, kann z. B., wie Stefan Neuhaus hervorhebt, Felicitas Hoppe angeführt werden. Während sie in ökonomischer Hinsicht keinen nennenswerten Erfolg auf dem Buchmarkt ver-

540 Ebd. 541 Siehe als Nennung verschiedener Konsekrationsinstanzen und Akteure im literarischen Feld bei Bourdieu z. B.: Bourdieu: Les rÀgles de l’art, S. 318f. Bourdieus Ausführungen beziehen sich auf das literarische Feld Frankreichs, so dass er auch Instanzen berücksichtigt, die für das deutsche Feld keine Bedeutung haben. Vgl. z. B. die Erwähnung der Acad¦mie des Beaux Arts (vgl. ebd., S. 320). 542 Dürr : »Das Gegenwärtige ist immer flüchtig«, S. 91. 543 In seinen M¦ditations erläutert Bourdieu, dass letztlich jede Kapitalform als symbolisches Kapital fungieren kann: »Toute espÀce de capital (Àconomique, culturel, social) tend (— des degr¦s diff¦rents) — fonctionner comme capital symbolique […] lorsqu’il obtient une reconnaissance explicite ou pratique, c’elle d’un habitus structur¦ selon les mÞmes structures que l’espace o¾ il s’est engendr¦. Autrement dit, le capital symbolique […] n’est pas une espÀce particuliÀre de capital mais ce que deviant toute espÀce de capital lorsqu’elle est m¦connue en tant que capital, c’est-—-dire en tant que force, pouvoir ou capacit¦ d’exploitation (actuelle ou potencielle), donc reconnue comme l¦gitime« (Bourdieu: M¦ditations pascaliennes, S. 285). 544 Schwingel: Pierre Bourdieu zur Einführung, S. 91. 545 Neuhaus: Wie man Skandale macht, S. 33. 546 Vgl. Bourdieu: Les rÀgles de l’art, S. 211. 547 Jurt: Das literarische Feld, S. 92.

Aufmerksamkeitsgenerierung und Inszenierungsstrategien in der Gegenwart

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zeichnen kann, weist sie ein hohes symbolisches Kapital auf.548 Sie gilt als wichtige Autorin der Gegenwart, was mit der Verleihung des Georg-BüchnerPreises 2012 nochmals bestätigt worden ist. Dennoch kann ökonomischer Erfolg auch mit symbolischem Kapital einhergehen.549 Daniel Kehlmanns Erfolg mit Die Vermessung der Welt (2005) hat jedoch veranschaulicht, wie unsicher die Anerkennung eines Autors im literarischen Feld sein kann. Sein unerwarteter ökonomischer Durchbruch geht zwischenzeitlich mit einem Verlust des symbolischen Ansehens einher : Im Zuge der steigenden Verkaufszahlen seines Welterfolges stellt die Literaturkritik zum Teil den literarischen Wert des Romans in Frage, der zuvor unbestreitbar schien.550 Angesichts eines Überangebots an Informationen bestimmt, wie Georg Franck bereits Ende der 1990er Jahre konstatiert hat, ein weiteres Gut die Regeln des Marktes: Aufmerksamkeit. Wir leben im Informationszeitalter und merken es daran, daß wir uns vor Information nicht mehr retten können. Nicht der überwältigende Nutzen der Information, sondern ihre nicht mehr zu bewältigende Flut charakterisiert die Epoche. Wir sind einem immer gewaltiger anwachsenden Schwall von Reizen ausgesetzt, die eigens dazu hergerichtet sind, unsere Aufmerksamkeit in Beschlag zu nehmen.551

Stefan Neuhaus hat ferner darauf hingewiesen, dass auch im literarischen Feld die Mechanismen des ökonomischen Marktes immer mehr greifen und die von Bourdieu proklamierte »Gegenläufigkeit von literarischem und ökonomischem Feld, die ja ohnehin zum Teil eine scheinbare war, aus ökonomischen Gründen abgenommen hat«.552 Verleger und Autoren konkurrieren angesichts einer hohen Zahl an Neuerscheinungen und immer kleineren Auflagen um dieselben Zielgruppen und versuchen durch verschiedene Strategien im Sinne einer ›Ökonomie der Aufmerksamkeit‹ sichtbar zu werden und sich im literarischen Feld zu positionieren.553 Aufmerksamkeit werde so zur »Währung im echten Wortsinn, denn Medien konvertieren Aufmerksamkeit in Geld, etwa nach Einschaltquoten, verkaufter Auflage und ähnlichen Kriterien«.554 Im literarischen Feld der Gegenwart kommt folglich »der medialen Präsenz«555 immer mehr Bedeutung zu. Um Aufmerksamkeit zu erlangen bzw. Autoren und ihre Werke stärker zu profilieren, wird mehr und mehr das »Bei548 Vgl. zur Stellung Felicitas Hoppes im literarischen Feld der Gegenwart: Neuhaus/Hellström: Vorwort, S. 7. 549 Vgl. Jurt: Das literarische Feld, S. 92. 550 Vgl. dazu Zeyringer: Vermessen, S. 88–92. 551 Franck: Ökonomie der Aufmerksamkeit, S. 49. 552 Neuhaus: Der Autor als Marke, S. 318. 553 Vgl. ebd., S. 320. 554 Ebd., S. 318. 555 Ebd., S. 328. Vgl. zu dieser Feststellung auch Catani: Glavinic 2.0, S. 268.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

werk«556 – die sogenannten Paratexte – inszeniert: »Inszenierungsschemata wie Personalisierung, Emotionalisierung oder Skandalisierung bilden typische Framing-Verfahren, mit deren Hilfe die Attraktivität von Medieninhalten gesteigert und ihre Rezeption gezielt motiviert werden soll«.557 Gerhard Kaiser und Christoph Jürgensen unterscheiden hier zwei Dimensionen schriftstellerischer Inszenierungspraktiken: die habituelle und die lokale.558 Die habituelle Dimension umfasst performative (Kleidung, Mimik/Gestik etc.), sozial/politische (Partizipation am gesellschaftlichen und politischen Leben etc.) und ästhetische Akte (Charakterisierung der eigenen Arbeitsweise als Handwerk etc.).559 Die lokale Dimension bezeichnet sowohl textuelle (wie Sujetwahl, Formgebung oder Stil) als auch paratextuelle Inszenierungspraktiken, die sich mit Genette wiederum in peritextuelle und epitextuelle Inszenierung unterteilen.560 Für die vorliegende Untersuchung sind insbesondere jene textuellen und paratextuellen Inszenierungen von Bedeutung, die sich auf Formen »der Professionalisierung, d. h. der Charakterisierung der eigenen Arbeitsweise, etwa als poeta doctus, als wissenschaftsanalog Arbeitender, als dilettantischer ›Laie‹, als handwerksanalog Arbeitender und als poeta vates«561 beziehen oder aber die Autor-Persona und ihre Biographie mit Nachdruck in den Mittelpunkt stellen. Auch Dirk Niefanger zufolge verkörpert der »empirische Autor ein nicht zu unterschätzendes ›Stellenglied‹«562 im literarischen Feld, weil der tatsächliche Verfasser und sein Habitus die Vorstellungen vom Autor und über ihn mitbestimmen. In Erweiterung des Konzepts der fonction classificatoire von Michel Foucault und in Anlehnung an G¦rard Genettes Konzept des Paratextes begreift Niefanger den Autornamen als ›Label‹, das eine rechtliche, ökonomische sowie literaturpragmatische Funktion (im Sinne einer Steuerung des Haupttextes über den Autornamen) für den Literaturbetrieb einnehme.563 Trägt der Autorname auf der einen Seite zur Klassifizierung der Texte bei, bestimmen diese wiederum die Position des Autors im literarischen Feld und haben Anteil an seinem Habitus.564 Stefan Neuhaus fasst den Autornamen entsprechend als »Marke […], 556 Genette: Paratexte, Untertitel. 557 Reichwein: Diesseits und jenseits des Skandals, S. 90f. Vgl. auch Niefanger : Provokante Posen, S. 87. Dabei bezeichnet der Begriff ›Inszenierung‹ für Reichwein »zunächst […] eine medientechnisch determinierte und journalistisch motivierte Formgebung« (Reichwein: Diesseits und jenseits des Skandals, S. 90). 558 Jürgensen/Kaiser : Einleitung, S. 11. 559 Ebd., S. 12–14. 560 Ebd., S. 11. 561 Ebd., S. 14. 562 Niefanger : Der Autor und sein Label, S. 526. 563 Ebd. 564 Ebd. Die Thematisierung des Autor-Labels und die es bedingenden Einflüsse werden in der neueren literaturwissenschaftlichen Forschung aufgenommen. Vgl. exemplarisch Hoffmann: Die Ausschaltung der Einschaltung des Autors.

Hanns-Josef Ortheils Die Erfindung des Lebens

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die das bezeichnet, was man erwarten kann […]. Wer Dan Brown kauft, will Spannung […]. Wer Elfriede Jelinek liest, der erwartet eine kritische Perspektive auf Geschlechter- und Machtverhältnisse«.565 Folglich bedeute »Buch-PR […] heute mehr oder weniger Autoren-PR«.566 Es scheint daher, als könne »das Werk eines Gegenwartsautors kaum mehr unabhängig von dem Bild, das die Medien uns vom Autor vermitteln«, rezipiert werden.567 Für eine Betrachtung autofiktionaler Texte gilt es folglich, die Verfügbarkeit, Verfügbarmachung und Inszenierung von Informationen über den Autor und seine Biographie durch die Medien mit einzubeziehen, die das literarische Feld der Gegenwart prägt – vor allem dann, wenn auf diese Formen der Selbstinszenierung im Text oder im Peritext explizit angespielt wird.

1

Hanns-Josef Ortheils Die Erfindung des Lebens: eine nachträgliche Autofiktionalisierung

In nahezu allen seinen Texten verarbeitet Hanns-Joseph Ortheil Autobiographisches und hat darauf selbst immer wieder hingewiesen.568 Seine häufig als autodiegetische Erzählungen konzipierten Texte tragen in der Regel den Gattungstitel ›Roman‹;569 nicht selten gehen die Protagonisten dem Beruf des Schriftstellers oder Künstlers nach. Caroline Kartenbeck zufolge zeigt sich in Ortheils Werk eine autofiktionale Poetik, die »zur – mehr oder weniger versteckten – Tiefenschicht der Romane« wird, »die immer auch ihre eigenen Entstehungszusammenhänge miterzählen«.570 Diese Poetik, in deren Kontext auch Die Erfindung des Lebens einzuordnen ist, kommt durch die Verwendung von Autobiographemen zum Tragen, die wiederum durch Epitexte oder Vorgängerromane des Autors als solche dechiffriert werden können. Kartenbeck verwendet ›Autofiktionalität‹ als weiten Begriff, um die Verwobenheit von autobiographischem Subtext und fiktionalen Anteilen in Ortheils Werk allgemein erfassen zu können. Obwohl Die Erfindung des Lebens Lejeunes Identität von Autor und autodiegetischem Erzähler nicht aufweist – lediglich eine Namensaffinität im Vornamen ist gegeben (Hanns-Josef und Johannes)571 – und damit 565 566 567 568 569

Neuhaus: Der Autor als Marke, S. 314. Reichwein: Diesseits und jenseits des Skandals, S. 92. Ott/Weiser : Autofiktion und Medienrealität, S. 15. Vgl. dazu Kartenbeck: Erfindungen des Lebens, S. 52–58. Vgl. dazu exemplarisch Ortheil: Das Verlangen nach Liebe, Die Moselreise und Das Kind, das nicht fragte. 570 Kartenbeck: Erfindungen des Lebens, S. 165. 571 Kartenbeck räumt in ihrer Dissertation zu Ortheils autofiktionalen Schreibweisen ebenfalls ein, dass Die Erfindung des Lebens den autobiographischen Pakt nur »unvollständig ein-

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

eben jene Art der ›Verschlüsselung‹ wählt, die für autobiographische Romane konstitutiv ist, soll Ortheils Text im Rahmen dieser Untersuchung herangezogen werden. Anhand des Romans sollen einerseits die Namensidentität als Kriterium für einen autobiographischen Pakt problematisiert und so die Grenzen des zu untersuchenden Korpus markiert werden. Andererseits ist Ortheil mit seiner paratextuellen Inszenierung und medialen Anwesenheit im Zuge der RomanVeröffentlichung ein Beispiel für einen Gegenwartsautor, der, wie zu zeigen sein wird, die im Text gewählte Fiktionalisierung textextern aufzuweichen sucht. Dadurch rückt der Text, der als ›roman autobiographique‹ konzipiert ist, nachträglich in Richtung der Autofiktion. Darüber hinaus ist Die Erfindung des Lebens hier von Bedeutung, weil an der selbstreflexiven Verarbeitung der eigenen Biographie in der Fiktion ein poetologisches Programm deutlich wird, das sich markant von dem der metafiktionalen Autobiographie-Diskussion der Postmoderne absetzt. Der Text liefert einen eher konventionellen chronologischen Bericht, der zwar das ›Ich‹ und seine Suche nach Identität thematisiert, nicht jedoch Zweifel an der Abbildbarkeit des eigenen Lebenslaufes demonstriert. In diesem Kontext ist daher auch danach zu fragen, ob der Text zu einem ›vorkritischen‹ autobiographischen Schreiben zurückkehrt. Dazu wird zunächst die Ebene der Geschichte in den Blick genommen, die selbstreflexiv bereits die Frage nach der Verarbeitung autobiographischen Materials innerhalb der Fiktion aufwirft (Kap. 1.1). Vor dem Hintergrund von Ortheils autobiographisch konturiertem Œuvre gilt es anschließend, die im Roman thematisierten Inhalte näher einzuordnen und die möglichen Wirkungen der autobiographischen Dimension des Textes auszuloten (Kap. 1.2), bevor Kap. 1.3 der Die Erfindung des Lebens betreffenden epitextuellen Beglaubigung der autobiographischen Intarsien nachgeht.

1.1

Autobiographisches Schreiben in Die Erfindung des Lebens

Die Erfindung des Lebens handelt von dem Schriftsteller Johannes Catt, der sich im Alter von ungefähr 50 Jahren in Rom die Geschichte seiner frühen Kindheit löst«, wenn man die von Lejeune geforderte Namensidentität sowie die Gattungsangabe als Kriterien heranziehe (ebd., S. 166). Sie weist zudem auf das Namensspiel, das auf Ähnlichkeitsbeziehungen beruht, in Ortheils anderen Texten hin: »Dieses handelt zwar nicht von Hanns-Josef. Sehr wohl aber von den Brüdern Johannes und Josef (Schwerenöter), von Giovanni Beri und dem Dichter Johann Wolfgang von Goethe (Faustinas Küsse), von Mozarts Don Giovanni (Die Nacht des Don Juan) ebenso wie von den Protagonisten Giovanni (Die große Liebe) und Johannes (Das Verlangen nach Liebe, Liebesnähe) und schließlich auch von dem Autor Johannes Catt und seinem Kindheits-Ich Johannes (Die Erfindung des Lebens)« (ebd., S. 15).

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und Jugend vergegenwärtigt und seinen Weg vom sprachlosen Kind zum Pianisten und schließlich zum Schriftsteller in einem Roman nacherzählt. Die retrospektive Erinnerungsarbeit des Erzählers, die chronologisch organisiert ist, wird wiederholt unterbrochen durch Gegenwartserlebnisse und Reflexionen über das eigene Schreiben.572 Catts Geschichte der eigenen Kindheit ist im Nachkriegsdeutschland der 1950er Jahre angesiedelt. Hier lebt er gemeinsam mit seinen Eltern in einer Wohnung in Köln. Catt ist seit Kindertagen stumm und folgt damit seiner Mutter, die über den Schmerz, ausgelöst durch den Verlust von vier ihrer fünf Söhne während der Kriegszeit, ihre Sprache verloren hat. Mutter und Sohn verbringen den Alltag schweigend miteinander, während der Vater als Landvermesser arbeitet. Die Bindung zur Mutter beschreibt Johannes Catt aus der Rückschau als Symbiose zweier Außenseiter : Mutter und ich – wir bildeten damals ein vollkommen stummes Paar, das so fest zusammenhielt, wie es nur ging. Ich hatte, wie schon gesagt, Mutter im Blick und sie wiederum mich, wir achteten genau aufeinander. Meist ahnte ich sogar, was sie als nächstes tat, vor allem aber wusste ich oft, wie sie sich fühlte, ich spürte es genau und direkt und manchmal war diese direkte Empfindung sogar so stark, dass ich ganz ähnlich fühlte wie sie. (EL 14)

Was für andere Kinder die Sprache darstellt, ist für Johannes das Klavierspiel. Im Musizieren findet bereits der Fünfjährige eine Möglichkeit, sich auszudrücken und seine Empfindungen auszuleben (vgl. EL 79f.). Sein Schweigen wird jedoch zu einem gesellschaftlichen Problem: In der Schule ist er ein Einzelgänger, den Schüler und Lehrer aufgrund seiner Andersartigkeit angreifen. Als Johannes für die Schule nicht mehr tragbar zu sein scheint, greift sein Vater ein: Er trennt den Jungen von seiner Mutter, fährt mit ihm zu seiner Familie auf das Land und widmet sich seiner Spracherziehung. Dort erlebt Johannes eine unbeschwerte Zeit, in der er sich die Welt neu erschließt. Eindrücke verarbeitet er durch Zeichnen und lernt diese Abbildungen schließlich mit Wörtern zu verknüpfen: Wenn die Buchstaben und Worte unter einer Zeichnung oder einem Bild standen, konnte ich mir sogar jede Einzelheit merken. Ich stellte mir einfach die Zeichnungen vor, die Zeichnung der Eiche […]. Zu genau dieser Zeichnung gehörte der Satz Das ist eine Eiche. Eine Zeichnung, vier Worte, ein Punkt. (EL 176)

Der Unterricht durch seinen Vater setzt einen Prozess in Gang, der Johannes nach und nach in die Sprache einführt: »So entstand ein System von Beobachtungen, Zeichnen und Schreiben und wuchs von nun an jeden Tag etwas mehr« 572 Der Erzähler deutet wiederholt Späteres an, geht dann aber erneut dazu über, chronologisch zu erzählen: »Doch nicht so voreilig, lieber der Reihe nach…« (Ortheil: Die Erfindung des Lebens, S. 142. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›EL‹ zitiert). Vgl. dazu auch Kartenbeck: Erfindungen des Lebens, S. 178f.

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(EL 187). Die ihm zuteilwerdende Aufmerksamkeit des Vaters und der Verwandten auf dem Land wird durch die Ankunft seiner Mutter gestört. Johannes fühlt sich erstmals missachtet (vgl. EL 234), was ihn dazu veranlasst, vor seiner Familie zu sprechen: »[…] als ich, noch in die Stille hinein zu sprechen begann: Da ist eine Suppenschüssel, und daneben ist eine Suppenkelle« (EL 236, Hervorhebung im Original). Die einsetzende Emanzipation des Jungen beeinflusst auch die Mutter und animiert sie, zur Sprache zurückzukehren. Sein Weg führt den inzwischen erwachsenen Johannes schließlich nach Rom. Mit 19 Jahren nimmt er dort ein Musikstudium auf und lernt, sich aus der liebevollen, aber beengenden Umklammerung der Eltern zu befreien. Aufgrund einer Sehnenscheidenentzündung muss er seine beginnende Karriere als Pianist aufgeben und mit 20 Jahren nach Hause zurückkehren. Nach anfänglichem Zögern schlägt er den Weg zum Schriftsteller ein. Die Kindheit und damit einhergehend die Sprachabwesenheit bestimmen das Verhalten des Erzählers auch im Erwachsenendasein. Von sich zu berichten, insbesondere von seiner Kindheit, ist für ihn problematisch. Einen Ausweg findet er im Medium der Schrift. Johannes Catt schreibt seine Lebensgeschichte jedoch nicht als traditionelle Autobiographie, sondern er wählt die Romanform und damit den Modus der Fiktion: »Wenn ich aber doch einmal von mir erzähle, tue ich das in schriftlicher Form wie zum Beispiel in einem Roman […]. Beim mündlichen Erzählen aber und beim Anblick eines vielleicht sogar noch nahen Gegenübers ist das nicht möglich« (EL 400). Die Erinnerungsarbeit des autodiegetischen Erzählers ist daher auch – anders als etwa in Austerlitz – nicht als Akt einer schmerzhaften Aufarbeitung verschütteter, bruchstückhafter Eindrücke zu verstehen, die bis auf wenige Augenblicke nicht rekonstruierbar sind. Der Erzähler hat hingegen ein Problem, die durchaus offen zutage liegenden und mehrfach durchgespielten Erinnerungen als hoch persönliche und den Lebensweg beeinflussende Ereignisse aufgrund der damit verbundenen Gefühle zu versprachlichen: Ich muss meine Erzählung hier kurz unterbrechen, denn ich muss zugeben, dass es mir nicht leichtfällt, diesen Brief, den ich ein Leben lang aufbewahrt und sogar hierher, mit nach Rom, genommen habe, wiederzugeben. Um ihn wiederzugeben, brauche ich nicht nach ihm zu schauen und ihn hervorzuholen. Es ist vielmehr tatsächlich so, dass ich diesen Brief auswendig kenne. Ich habe mich zu den verschiedensten Zeiten meines Lebens an ihn erinnert, manchmal nur an bestimmte Stellen, manchmal habe ich aber auch irgendwo auf der Welt an einem ruhigen Ort gesessen und mir die Sätze dieses Briefes im stillen vorgesagt. (EL 201)

Catt ist der Auffassung, in der Fiktion »die Steuerung und die Herrschaft« über sein Erzählen »behalten zu können« (EL 400). Die autobiographische Fiktion wird damit zum Ersatz eines souveränen Erzählens über sich selbst. Textintern

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wird so ein poetologisches Programm dargeboten, das im Gegensatz zu der Autobiographie-Dekonstruktion Doubrovskys oder Robbe-Grillets zu stehen scheint – führen diese beiden Autoren (und insbesondere Doubrovsky) in ihren Texten doch gerade den Verlust der Souveränität über das Erzählte und das Erzählen vor. Es kommt Catt allerdings von vornherein nicht darauf an, wahrheitsgetreu über sein Leben zu berichten oder ein solches Wahrheitspostulat in der Fiktion im Sinne einer »autobiographie […] plus vraie«573 zu proklamieren. Ihm ist daran gelegen, sein Kindheitstrauma – die Sprachlosigkeit – endgültig zu überwinden und dies auch in den Alltag zu übertragen: Ich konnte nämlich durchaus von mir und meinem Leben berichten, wenn ich dazu überging, Ausschnitte aus meinem Roman so zu erzählen, als fielen mir diese Geschichten gerade erst ein. Natürlich erwähnte ich in so einem Fall mit keinem Wort, dass es sich um Roman-Ausschnitte handelte […]. Der Trick, den ich anwenden musste, bestand also darin, mich an die Schriftfassung einzelner Lebensgeschichten zu erinnern. Wenn mir das gelang, erzählte ich flüssig und ohne Hemmungen. (EL 404)

Sein autobiographisches Schreibprojekt bezeichnet der Erzähler als »Kampf«, den er gegen die »Nachwirkungen« (EL 400) der Vergangenheit führt und dem der Wunsch eines Befreiungsschlages zugrunde liegt: »All mein ewiges Schreiben, könnte ich nämlich behaupten, besteht letztlich nur darin, aus mir einen anderen Menschen als den zu machen, der ich in meiner Kindheit gewesen bin. Irgendwann soll nichts mehr an dieses Kind erinnern« (EL 400f.). Das Geschriebene bildet die Folie dessen, was er auch mündlich berichten kann: Das Schreiben half mir also nicht nur indirekt weiter, indem es Klarheit und Struktur in meine Phantasien und Gedanken brachte, nein, es half mir auch mitten im Leben, ganz direkt, indem es mir Erzähl-Versionen von Bruchstücken meiner Lebensgeschichte lieferte, die ich dann selbst einer mir noch relativ fremden Person erzählen konnte. (EL 404)

Johannes Catt ersetzt so »seine Lebensgeschichte durch die Geschichte seines Lebens«.574 Seine Erzählung ist als ein sich zwischen Fiktion und Roman einordnender, autofiktionaler Text zu verstehen, der im Zuge einer schriftlichen Aufarbeitung Varianten des eigenen Lebens erzählt und so ein neues ›Ich‹, sogar eine neue Identität im Text zu erschaffen vermag.

573 Lejeune: Le pacte autobiographique, S. 42. 574 Kartenbeck: Erfindungen des Lebens, S. 180.

100 1.2

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Die autobiographische Dimension des Textes im Kontext von Ortheils Œuvre

Die textintern dargestellte Aufarbeitung des eigenen Lebens im Roman spiegelt wiederum das Verfahren des Textes selbstreflexiv wider. Mit Die Erfindung des Lebens verfasst Ortheil einen Roman, in dem er seine eigene, persönliche Lebensgeschichte verarbeitet. Wie sein Erzähler war auch der Verfasser in seiner frühen Kindheit stumm und lernte erst im Alter von sieben Jahren zu sprechen. Ohne die autobiographische Konturierung mit Details näher zu explizieren, bekräftigt bereits der Klappentext der Erstausgabe, dass es sich um einen autobiographischen Roman handelt: »Die ›Erfindung des Lebens‹ ist ein großer, stark autobiographisch inspirierter Roman« (EL Klappentext, vorne innen).575 Folgt der Leser der Rezeptionsvorgabe, den Text zumindest in Teilen mit Anspruch auf Referenzialität zu lesen, dann liefern die Eckdaten der auf dem Buchumschlag abgebildeten Biographie – Ortheils Geburtsdatum, der Geburtsort Köln sowie eine Namensähnlichkeit von Johannes und Hanns-Josef – weitere Hinweise für einen autobiographischen Bezug zwischen autodiegetischem Erzähler und Autor. Andere Details wie die erwähnten Literaturpreise und Werke Ortheils spielen ebenso wie sein Beruf als Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus keine Rolle im Text, werden jedoch auch nicht negiert. Bei Hanns-Josef Ortheil handelt es sich zudem um einen bekannten deutschsprachigen Autor, der vor der Veröffentlichung von Die Erfindung des Lebens bereits über 30 Jahre literarisch tätig gewesen ist und sich ein nicht unerhebliches Lesepublikum erschlossen hat. Sein Œuvre umfasst mehr als 20 literarische Texte. Dirk Niefanger hat darauf hingewiesen, dass Ortheil die Geschichte des stummen Kindes in seinem Werk als eine Art Leitmotiv einsetze und die Texte im Sinne einer Werkreferenz durch »viele markierte intertextuelle Bezüge zu eigenen Werken, vernetzende Selbstinterpretationen oder verbindende Biographeme« miteinander verwebe.576 Als Beispiel für Bezüge dieser Art kann das autobiographische Essay Das Element des Elephanten (1994) herangezogen werden, das detaillierte Informationen zu Ortheils Lebensweg enthält und 575 Die spätere Paperbackausgabe unterscheidet sich diesbezüglich gravierend von der Hardcover-Originalausgabe, in der die autobiographische Komponente des Textes nicht mehr angegeben wird. Lediglich ein Zitat aus titel, thesen, temperamente liefert einen doppeldeutigen Hinweis: »Hanns-Josef Ortheil hat den Roman seines Lebens geschrieben…« (vgl. Ortheil: Die Erfindung des Lebens [Taschenbuchausgabe], Klappentext innen). Es kommt hier also zu einer späteren Tilgung der autobiographischen Rezeptionsvorgabe. 576 Niefanger : Realitätsreferenzen im Gegenwartsroman, S. 49f.

Hanns-Josef Ortheils Die Erfindung des Lebens

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Themen und Motive, die der Autor bis dahin verwendet hat, bereits autobiographisch einordnet. Neben seinem Geburtsdatum (5. November 1951)577 erwähnt Ortheil eine Vielzahl weiterer Details aus seiner Kindheit, die mit denen von Johannes Catt in vielerlei Hinsicht übereinstimmen. So thematisiert er hier u. a. die allgegenwärtige Abwesenheit der vier Brüder, die vor seiner Geburt gestorben sind,578 seine Sprachlosigkeit und die seiner Mutter,579 die Fahrt mit dem Vater aufs Land und sein dortiger Weg zur Sprache.580 Die Ähnlichkeit des autobiographischen Berichts in Das Element des Elephanten mit Die Erfindung des Lebens wird besonders evident, stellt man bestimmte Textstellen einander gegenüber. Im Essay findet sich z. B. folgende Passage: All das, was ich bisher an Sprache aufgenommen hatte, war ein dürftiger, schwacher und undeutlicher Wortstrom […]. Hier aber, im Programm meines Vaters, nahm die Sprache eine andere Kontur an: sie wurde zu einem vom Himmel herabstürzenden Wortwasserfall […]. Denn an den Abenden zeichnete mein Vater den Roggen, den Weizen, die Gerste, kleine Schaubilder entstanden, neben die die Worte traten […]. Mit Hilfe solcher Bilder konnte man sich die Gegenstände einprägen […].581

Die Erfindung des Lebens nimmt diese Episode aus Ortheils Kindheit wieder auf. Sie unterscheidet sich lediglich hinsichtlich kleiner Verschiebungen und Ausschmückungen: Hatte er seine Zeichnung beendet, rief er mich jedes Mal zu sich und zeigte sie mir. […] Was ich hier nachvollziehe, ist das geheime und allen anderen bisher verborgen gebliebene Programm meines Gehirns. […] Nun aber steht mir mein Vater gegenüber, der gerade einige Strukturen und Zusammenhänge dieses Programms zu erkennen und zu begreifen scheint. […] Wenn ich die Dinge so vor mir sehe und sie mir ganz aus der Nähe genau anschaue, sehe ich deutlich ihr Bild. […] Als Vater gesehen hat, dass ich auch mit Hafer, Weizen und Gerste zurechtkomme, schaut er sich nach weiterem Material für meine Übungen um. (EL 172–184)

Sowohl in Die Erfindung des Lebens als auch im autobiographischen Essay von 1994 wird angedeutet, dass Ortheil das eigene Schreiben als Möglichkeit der Auseinandersetzung mit seiner Kindheit betrachtet: »Oft denke ich, alles, was ich später geschrieben habe, ist eine Erforschung meiner Kindheit. Durch das Schreiben habe ich vielleicht versucht, mir meine schwer zugängliche Kindheit begreiflich zu machen«.582 Durch selbstreflexive Kommentare des Erzählers wird 577 Ortheil: Das Element des Elephanten, S. 7. Auf Auszüge aus dem Essay verweist Ortheil bereits in Ortheil/Siblewski: Wie Romane entstehen, S. 20–26. 578 Vgl. Ortheil: Das Element des Elephanten, S. 16f. 579 Vgl. ebd., S. 15 und S. 21. 580 Vgl. ebd., S. 61–66. 581 Ebd., S. 63–65. 582 Ebd., S. 49.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

in Die Erfindung des Lebens der Bezug zum Autor-Leben gestützt: »All die Leser jedoch, die mich auch privat etwas genauer kennen, bemerken während der Lektüre meiner Bücher sehr schnell, an welchen Stellen ich mich wieder in meine privaten Obsessionen verstrickt habe« (EL 401). Autobiographeme verweisen grundsätzlich auf einen realen Bereich außerhalb der Fiktion und können dazu dienen, den autobiographischen Charakter eines Textes zu beglaubigen. Dirk Niefanger hat diesen Effekt am Beispiel Herta Müllers näher ausgeführt: Dies führt zu einer dritten Funktion der Biographeme, die gerade bei Herta Müllers Atemschaukel unübersehbar ist. Sie stärken die Glaubwürdigkeit des Erzählten in prekären Bereichen: Nicht zuletzt die Proteste der polnischen Rechten gegen den Nobelpreis von Herta Müller zeigten, wie das Leid der Deutschen am (sowjetischen) Lagerleben nach der Nazizeit offenbar besonders beglaubigt werden muß. Grundsätzlich gilt: stattet man eine fiktionale Figur mit einem faktualen Hintergrund aus, erscheinen deren Handlungen wahrscheinlicher.583

Zwar behandelt Die Erfindung des Lebens keinen vergleichbaren ›prekären‹ Bereich, in dem staatliche Zensur ein direktes, unverstelltes Erzählen unterbinden würde. Jedoch berührt die Geschichte persönliche und intime Details aus dem Leben des Verfassers. Die Autobiographeme in Die Erfindung des Lebens weisen das Erzählte als in weiten Teilen tatsächlich Erlebtes aus. Sie können daher vor allem die Wirkung entfalten, die Plausibilität der Geschichte um einen stummen Jungen, der erst im Alter von acht Jahren zur Sprache findet, zu erhöhen. Der als Roman konzipierte Text hält durch die autobiographischen Elemente eine zusätzliche Rezeptionsmöglichkeit bereit, ohne dass eine entschlüsselnde Lektüre, die auf das Leben des Autors ausgerichtet ist, für das Textverständnis evident wäre. Auf Ortheils Roman kann damit Martina Wagner-Egelhaafs These Anwendung finden, die sie für neuere autofiktionale Texte am Beispiel von Emine Sevgi Özdamars Trilogie Das Leben ist eine Karawanserei, hat zwei Türen, aus einer kam ich rein, aus der anderen ging ich raus (1992), Die Brücke vom Goldenen Horn (1998) und Seltsame Sterne starren zur Erde (2003) entwickelt hat: Die autobiographische Lesart ist als eine mögliche, »freiwillige Leserentscheidung«584 zu begreifen, stellt aber keine zwingende Rezeptionsvorgabe mehr dar ; im Sinne von »[w]en’s kümmert, wer spricht, mag biographisch lesen, es muss aber niemand …«.585 Der Text beweist gerade durch diese Offenheit und Doppeldeutigkeit seine 583 Niefanger : Biographeme im deutschsprachigen Gegenwartsroman, S. 302. 584 Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 364. 585 Ebd., S. 368.

Hanns-Josef Ortheils Die Erfindung des Lebens

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postmoderne Prägung.586 Auf der anderen Seite setzt sich Ortheils Roman in der Tat von einem poststrukturalistischen Diskurs ab und kann »im produktiven Sinne einer möglichen Selbstsetzung« verstanden werden, die »es einem Subjekt erlaubt, sich mittels und im Spiegel der Sprache zu positionieren«:587 Die große Geschichte, die Meta-Erzählung Ortheils ist also letztlich seine eigene Geschichte, die Überzeugung, nur im Schreiben leben zu können. Damit unterscheidet sich sein Autofiktionskonzept von dem Doubrovskys, das in erster Linie auf die dreifache Grundproblematik der Postmoderne reagiert: den Verlust eines sich selbst bewussten Subjekts, einer universalen Sprache und Meta-Erzählung sowie eines mimetischen Bezugs zwischen Subjekt und Welt.588

Entgegen einer Fiktion »d’¦v¦nements et de faits strictement r¦els« (F Umschlagstext) im Sinne Doubrovskys und einer schonungslosen Offenlegung von privaten Details wird hier die romanhafte Erschließung des eigenen Lebens vollführt.

1.3

Autofiktionalisierung und/oder Marketingstrategie

Bisher konnte festgestellt werden, dass Die Erfindung des Lebens eine autobiographische Lesart zulässt, diese jedoch eher als Zusatz zu fungieren scheint und lediglich für Leser wirkt, die mit früheren Texten Ortheils bekannt sind. Diese Feststellung bedarf einer Konkretisierung, zieht man den Epitext, also die von den Buchseiten unabhängigen Begleittexte hinzu. In einem vom Luchterhand Literaturverlag am 8. Juni 2009 und damit noch vor der Veröffentlichung des Romans am 14. September 2009 bei YouTube eingestellten zehn-minütigen Video589 ordnet der Autor seinen Text als einen autobiographischen ein. Er liefert darüber hinaus detaillierte Informationen darüber, welche Elemente der Erzählung seiner eigenen Biographie entsprechen. Das Video fungiert als eine Art autorzentrierter Buchtrailer, der das symbolische Kapital des Autors einsetzt und als Instrument des Marketing bzw. der Rezeptionslenkung anzusehen ist. Zusätzlich dazu, dass die Erfindung des Lebens als autobiographischer Text vertrieben wird und der Autor für die autobiographische Dimension seiner Romane bekannt ist, geht Ortheil damit im Vorfeld der Veröffentlichung darauf ein. Er macht zu Beginn des Videos deutlich, dass er 586 587 588 589

Ebd., S. 366. Ebd., S. 361. Kartenbeck: Erfindungen des Lebens, S. 197. Laut YouTube-Informationen ist das Video am 18. 06. 2009 hochgeladen und am 01. 07. 2009 von der Verlagsgruppe Random House auf die Autorenseite Ortheils verlinkt worden. Vgl. Verlagsgruppe Random House: Hanns-Josef Ortheil über »Die Erfindung des Lebens«.

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zwar den Modus der Fiktion nutze, aber dennoch seine eigene, persönliche Geschichte erzähle: Die Erfindung des Lebens ist ein Roman, in dem ich von den ersten 25/27 Jahren meines Lebens erzähle, ein sehr stark autobiographischer Roman. […] In meinem Fall ist die persönliche Entwicklung in diesen ersten Jahren so eigenartig und fast romanhaft, dass ich glaube, es ist richtig, einen solchen Roman einmal zu erzählen, in dem fast alle Erzähllinien meiner vergangenen Romane zusammen kommen.590

Ortheil berichtet ausführlich von sich, d. h. von seiner eigenen Kindheit und Jugend, die bis in kleine Details hinein derjenigen Catts entsprechen. Er erzählt von seiner Zeit in Köln, der eigenen Sprachlosigkeit und dem Zusammensein mit seiner ebenfalls stummen Mutter, dem Verlust seiner vier Brüder vor seiner Geburt sowie von weiteren Fakten, die Eingang in den Roman gefunden haben: dem Tod des zweiten Bruders 1945 als Dreijähriger beim Einmarsch der Amerikaner in Deutschland, der schweren Schulzeit und dem auf dem Land einsetzenden Spracherwerbsprozess. Auch das »Aufschreiben und Notieren«, das Klavierspiel und die spätere Zeit in Rom, das Musikstudium und die Aufgabe der Musikausbildung aus gesundheitlichen Gründen werden thematisiert.591 Hanns-Josef Ortheil gibt hier in einem öffentlichen, jederzeit abrufbaren und frei zugänglichen Medium Einblicke in die eigene Vita und verifiziert einzelne Elemente der Erzählung. Zwar können Leser diese Inhalte nicht ohne Weiteres extern überprüfen, doch entspricht das Gesagte dem von ihm in vorigen Werken bereits dargestellten Bild seiner Lebensgeschichte. Für die Wirkung der Autobiographeme ist es als unerheblich zu erachten, ob die von Ortheil als autobiographisch ausgewiesenen Intarsien tatsächlich der biographischen Erfahrung des Autors entsprechen. Der Leser ist hier, wie der »Leser von Autofiktionen« im Allgemeinen, »oftmals nicht in der Lage […] zu unterscheiden, ob das ihm Vorgestellte eine Abbildung von Realität oder eine Konstruktion, eine Simulation von Realität ist«.592 Es gilt jedoch zu beachten, dass sich die Einstellung zu einem Text verändern kann, wenn sich das Vorwissen über den Autor und seine Biographie als fehlerhaft oder gar als unwahr herausstellt. Dies hat der Fall von Benjamin Wilkomirski und seinen Bruchstücken eindrücklich bewiesen:593 Bücher können ihren Wert verlieren, wenn sich das Wissen um den Autor verändert, etwa wenn sich herausstellt, ein Buch sei nicht, wie behauptet, eine autobiographische Erinnerung an die Kindheit im Konzentrationslager, sondern eine fiktive Geschichte – 590 591 592 593

Ebd. Vgl. ebd. Ott/Weiser : Autofiktion und Medienrealität, S. 14. Vgl. dazu u. a. Schaff: »Der Autor als Simulant authentischer Erfahrung« sowie Friedrich: Gefälschte Erinnerung.

Hanns-Josef Ortheils Die Erfindung des Lebens

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wie im Fall Binjamin Wilkomirski und seinem Buch Bruchstücke (1995). Der Text büßte augenblicklich die Aura des Authentischen ein, ohne dass auch nur ein Wort verändert worden wäre.594

Aus wirkungsästhetischer Perspektive ist hier also einzuräumen, dass es auf die Unterscheidung bzw. auf die Richtigkeit der Angaben nicht zwangsläufig ankommt, sondern vielmehr auf die Realitätsvermutung. Solange der Leser keine Möglichkeit der Verifikation hat bzw. nichts Gegenteiliges über den Autor bekannt ist, das den im Text getroffenen Aussagen zuwiderläuft, gilt das Bekannte als der Realität Entsprechendes.595 Mehr noch: [D]ie Lektüre jedes einzelnen Lesers [erweist sich] als dasjenige Medium, in dem solche Fragen [der Differenz von Fiktionalität und Faktualität] immer nur individuell zu beantworten sind, weil das zwangsläufig zufällige Wissen um ›reale‹ bzw. ›autobiographische‹ Hintergründe die Wahrnehmung des Textes ganz grundsätzlich prägt (als ›Erfindung‹ oder als ›Abbildung‹).596

Unabhängig vom Œuvre Ortheils werden die Kindheitserfahrungen durch die Autor-Äußerungen en d¦tail medial inszeniert und damit die autobiographische Lesart auch für Leser, die nicht mit dem ortheilschen Werk vertraut sind, forciert. Auffällig ist dabei die Form der Informationsvergabe. Das YouTube-Video hat eine Länge von zehn Minuten und geht weit über die übliche Konzeptionierung von Buchtrailern oder -teasern hinaus, die in der Regel ein bis drei Minuten umfassen und sich als »visuelle Klappentexte«597 verstehen. Der Schwerpunkt liegt in Ortheils Fall nicht darauf, den Text anzupreisen oder vorzustellen und etwa eine autobiographische Konzeption bloß zu benennen; Ziel des Beitrags scheint vielmehr zu sein, eine Identifizierbarkeit des Autors mit dem Erzähler durch die Parallelisierung von Autor-Biographie und Erzähler-Biographie zu ermöglichen.598 Die erzählte Lebensgeschichte will Ortheil 594 Jannidis/Lauer/Mart†nez/Winko: Einleitung, S. 7. 595 Dies spielte – wie in der Einleitung der Arbeit bereits angedeutet – bereits im Prozess um Maxim Billers Esra eine wichtige Rolle. Vgl. dazu Meier: Kunstfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht, S. 220: »Ob ein Roman in das Persönlichkeitsrecht eingreift, hängt also nicht von seinem gewissermaßen ›historischen‹ Wahrheitsgehalt (genauer: von der lebensweltlichen Authentizität seiner Schilderungen) ab. Leser gehen nun einmal von der Darstellung im Text aus und übertragen diese auf die realen Personen, ohne den sachlichen Wahrheitsgehalt überprüfen zu können. Unter bestimmten Umständen ist die Verletzung des Persönlichkeitsrechts folglich gerade dann besonders gravierend, wenn Erfundenes erzählt wird und sich trotzdem einem Menschen zurechnen lässt«. 596 Meier : Realitätseffekt ›Autor‹, S. 266. 597 Bode: Virales Marketing – die Buchtrailer kommen. Vgl. Ebenau: »Als die Bücher laufen lernten…«, S. 292: »Buchtrailer bilden […] eine Mischform zwischen klassischen Werbespots und Kinotrailern; sie wechseln das Medium, um die narrativen Inhalte eines Buchs zu bewerben«. 598 Vgl. dazu etwa den Buchtrailer und -teaser von Charlotte Roches Schoßgebete des Piper Verlags oder den Buchtrailer zu Der gebrauchte Jude von Maxim Biller des KiWi-Verlags.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

darüber hinaus als Beispiel für den Werdegang zum Schriftsteller im Allgemeinen verstanden wissen, »weil es vielleicht exemplarisch ein Roman ist, der zeigt, wie jemand ein Schriftsteller wurde und aus welchen verschiedenen Komponenten sich dieses Schriftsteller-Dasein und dieses Schriftsteller-Werden zusammensetzt«.599 Gehört das YouTube-Video damit zu dem verlegerischen Epitext, der mit Genehmigung des Autors bzw. seinem Mitwirken veröffentlicht worden ist, spielt die autobiographische Dimension des Erzählten in Die Erfindung des Lebens auch in den Interviews mit Hanns-Josef Ortheil die entscheidende Rolle. Der Verfasser wird wiederholt von den Gesprächspartnern auf die autobiographische Konturierung des Romans angesprochen und liefert auch hier freimütig Auskunft über tatsächlich Erlebtes oder literarisch Stilisiertes. Immer wieder kommt es zu Authentizitätspostulaten von Seiten des Autors, wie das folgende Beispiel dokumentiert: Nachdem der Interviewer, Ernst Grandits, am 3SatMessestand bei der Frankfurter Buchmesse 2009 den Autor und den Erzähler des Romans gleichgesetzt hat mit den Worten »[u]nd das Buch endet damit, dass Sie das erste Mal vor Publikum lesen, nie vorher gelesen [haben] und das in Klagenfurt und Sie haben nach der Lesung gefragt, habe ich gut gespielt«, antwortet Ortheil im ähnlichen Gestus: »Das ist überhaupt nicht erfunden, das ist kein Romanzusammenhang, sondern ein realer Zusammenhang«.600 Die Interviews mit Hanns-Josef Ortheil sind grundsätzlich dem ›klassischen Autor-Interview‹601 zuzuordnen und damit als »eine metatextuelle Form der Selbsterklärung«602 zu begreifen. Vertrauenswürdig und keineswegs im ironischen Gestus legt der Autor seinen Text aus. Noch dazu ist er bereit, die autobiographischen Einflüsse als solche zu benennen und das Erzählte an seine eigene Biographie zu binden. Lassen die Äußerungen einen naiven Authentizitätsgestus des Autors vermuten, durch den das Erzählte im Paratext deutlich zum klassischen autobiographischen Roman stilisiert wird (und den Autoren wie Charlotte Roche immer wieder im Sinne einer ›Ökonomie der Aufmerksamkeit‹ nutzen),603 erläutert der Autor in seinen Interviews auch, dass es ihm anders als in der traditionellen Autobiographie nicht um einen wahrheitsgemäßen Lebensbericht gehe. Vielmehr sei sein Ziel, eine Fiktion und damit eine 599 Random House: Ortheil über die »Erfindung des Lebens«. 600 Grandits: Hanns-Josef Ortheil am 3Sat-Stand. 601 Die Befragung der Verfasser nach ihrer Person und Biographie sind Teil der üblichen Fragen im klassischen Autor-Interview. »Kenntnisse über die Person des Autors [sollen] eine wesentliche Erleichterung für das Verständnis der Texte bereit stellen« (Heubner : Das Eckermann-Syndrom, S. 158). Siehe zum klassischen Autor-Interview näher ebd., S. 121–172, hier insbesondere S. 148-153. 602 Hoffmann: Das Interview als Kunstwerk, S. 277. 603 Vgl. dazu Meier : Immer sehr unmädchenhaft. Charlotte Roche und ihre Feuchtgebiete und Krumrey : Autorschaft.

Hanns-Josef Ortheils Die Erfindung des Lebens

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neue Geschichte aus dem autobiographischen Stoff zu schaffen. Ähnlich der textintern dargelegten Poetik der romanhaften Inszenierung des eigenen Lebens legt Ortheil seinen Roman auch textextern aus: Eigentlich ist es ein Versuch das autobiographische Material, also die autobiographische Geschichte der Fakten, zu übersetzen in eine […] große Erzählung. Und für mich war es sehr wichtig, dass es eben keine reine Autobiographie ist, in der ich also eins zu eins nun diese Ereignisse beschreibe. […] Ich habe versucht die autobiographischen Materialien zu übersetzen, eben in einen größeren, in einen Kunstzusammenhang […].604

Ortheil nutzt das Autobiographische als literarisches Material, das er als Erzähler einer Fiktion mit mehr Distanz »bearbeiten« bzw. »behandeln« kann und das es ihm erlaubt, »bestimmte Elemente zu versetzen, zu kombinieren«.605 Mit dieser Deutung beweist Ortheil sein Wissen als Literaturwissenschaftler bzw. »Literaturprofi«.606 Anders als Sebald, der, wie Hoffmann herausgearbeitet hat, in Interviews seinem Image als ›kalkulierender Wissenschaftler‹607 entgegen zu wirken versucht hat, ist Ortheil darum bemüht, die beiden Funktionen in Einklang zu bringen. Ortheil liefert im Epitext die Folie für eine autobiographische Lesart seines Romans. Die Fiktion schafft für Ortheil zusätzlich die Möglichkeit, über sich selbst und seine Kindheit zu schreiben, ohne mit den in der Postmoderne ausgestellten Problemen einer auf Referenzialität angelegten Gattung konfrontiert zu sein. Durch die Betonung der Fiktion entledigt sich Ortheil zudem des Wahrheitstopos traditioneller Autobiographien, nutzt jedoch nach wie vor eine von autobiographischem Gehalt ausgehende Authentizitätssuggestion. Das Interesse am Autor und seinen persönlichen Erfahrungen wird im Epitext also zu Vermarktungs- und Distributionszwecken eingesetzt und situiert den Text zwischen Autobiographie und Roman. Es soll an dieser Stelle nicht behauptet werden, dass der Roman durch die textexterne Inszenierung als Autofiktion tatsächlich im Sinne zweier gegeneinander ausgerichteter Pakte zu verstehen ist. Das Argument gegen einen autobiographischen Pakt ist nach wie vor die nicht vorhandene Namensidentität, auch wenn, wie gezeigt werden konnte, andere Analysen den Text aufgrund seiner autobiographischen Nähe als Autofiktion im weitesten Sinne verstehen. Angesichts einer derartig massiven epitextuellen Entschlüsselung – vor der Veröffentlichung und nach ihr – kann jedoch hinterfragt werden, ob die von Lejeune in seinem Aufsatz stark gemachte Unterscheidung zwischen Identität 604 605 606 607

Grandits: Hanns-Josef Ortheil am 3Sat-Stand. Ebd. Hoffmann: Das Interview als Kunstwerk, S. 285. Vgl. ebd.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

und bloßer Ähnlichkeit608 für Texte dieser Art noch gelten kann oder sich diese letztlich als zu starr erweist. Zumindest muss Die Erfindung des Lebens als autobiographischer Roman verstanden werden, der aufgrund der Massivität der Übereinstimmungen und der epitextuellen Inszenierung über diese Textsorte bereits hinausweist, ohne dass sich der Verfasser ostentativ mit seinem Namen einschreibt und damit den offenen Bezug zum Autor-Ich wählt. Grundsätzlich ist dennoch davon auszugehen, dass eben jene Unterscheidung des ›offenen‹, bewusst gesetzten Einschreibens des Autors in seinen Text mit seinem Namen einen stärkeren effet de r¦el im Sinne Roland Barthes609 auszulösen vermag als andere Autobiographeme.610 Eine epitextuelle Betonung und Offenlegung autobiographischer Inhalte in Romanen ist Teil vieler Autoräußerungen im literarischen Feld der Gegenwart.611 Nicht alle jedoch sind so aufdringlich wie in Ortheils Fall; nicht alle sind darauf angelegt, einen autobiographischen Text als Teil eines autofiktionalen Gesamtprojektes zu inszenieren. Das Beispiel von Abbas Khider veranschaulicht vielmehr, dass Autoren das Erzählte verstärkt an ihre eigene Erfahrung und an ihre Person heranrücken. Khider stellt in Interviews und Gesprächen zu Der falsche Inder (2008) mehrfach die Parallelen zwischen Autor- und Erzählerleben heraus.612 Ab der Taschenbuchausgabe (nicht so in der Originalausgabe) erwähnt auch der Klappentext zu seinem Roman explizit Details, die sowohl dem Protagonisten als auch dem Verfasser zugeschrieben werden können.613 An Charlotte Roches Feuchtgebiete (2008) haben Untersuchungen ferner zu zeigen vermocht, dass eine autobiographische Anbindung an den Autor auch als Marketingstra-

608 Vgl. Lejeune: Le pacte autobiographique, S. 35. 609 Roland Barthes hat diesen Ausdruck für kleine unnütze bzw. ›bedeutungslose‹ Einheiten in fiktionalen und historiographischen Texten des 19. Jahrhunderts gebraucht, den sogenannten d¦tails inutiles. Siehe dazu näher Barthes: L’effet de r¦el. 610 Vgl. dazu Meier : Realitätsreferenz und Autorschaft, S. 31. 611 Eine Strategie der Betonung der autobiographischen Inhalte liegt auch in Bezug auf die Vermarktung von Ortheils im November 2012 erschienenem Roman Das Kind, das nicht fragte vor, ohne dass Ortheil den ›gesicherten Raum des Romanesken‹ verlässt. Obwohl der Text selbst nur einen vagen Anknüpfungspunkt an die vorigen autobiographischen Werke hat, scheint Ortheil daran gelegen zu sein, ihn in sein autofiktionales Gesamtprojekt einzubetten. Vgl. dazu Verlagsgruppe Random House: Brief von Hanns-Josef Ortheil an die Leser sowie Mörchen: »Das Kind, das nicht fragte«. Vgl. ferner Ortheil: Die Berlinreise. 612 Vgl. dazu Kunisch: Integration als Schelmenroman: »Was er von seiner Hauptfigur, dem Ich-Erzähler des im Zug gefundenen Manuskripts erzählt, dass keiner ihm glaube, Iraker zu sein, sei ihm selber passiert. Man habe ihn schon in Bagdad für einen Inder oder Pakistani gehalten. ›Und dasselbe ist mir in anderen Ländern passiert. Auch in diesem bayerischen Zug. Auch die Polizisten wollten mir nicht glauben, dass ich Iraker sei, was problematisch war : Iraker genossen damals Asylrecht, Pakistani und Inder nicht‹«. 613 Vgl. dazu Khider: Der falsche Inder, Vorsatzblatt.

David Wagners Leben

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tegie eingesetzt wird, obwohl ein autobiographischer Bezug kaum gegeben sein muss.614 Die Herausforderung, die sich aus dem Vorangegangenen für Texte ergibt, die ostentativ mit der Autor-Biographie arbeiten, ist es daher nicht mehr in erster Linie, der programmatischen Thematisierung der Grenze zwischen Fiktion und Wahrheitsanspruch nachzugehen.615 Hingegen muss die Beeinflussung des Textes durch zum Teil gerichtete und durch die Medien bewusst inszenierte Äußerungen des Autors über sich selbst berücksichtigt werden.

2

David Wagners Leben – Autofiktion im Zeichen medialer Aufmerksamkeit

»Wer schon etwas über das Buch gehört hat, weiß, dass ich den eigentlichen Preis schon lange bekommen [sic], dass ich noch hier stehen kann und hier diesen Preis erhalte. Ich freue mich – ja ich freue mich sehr«.616 Mit diesen Worten bedankt sich David Wagner bei der Überreichung des Preises der Leipziger Buchmesse 2013, den er für seinen Text Leben in der Kategorie ›Belletristik‹ erhalten hat. Bereits in dieser kurzen Bemerkung des Verfassers wird angedeutet, was in der Berichterstattung und in den zahlreichen Interviews mit ihm noch deutlicher zutage tritt: Wagner schreibt nicht nur über den Fall einer Lebertransplantation und den Beginn eines neuen, eines zweiten Lebens, sondern hat diese Erfahrung selbst gemacht und authentifiziert das Geschriebene durch eine autobiographische Parallele als tatsächlich Erlebtes. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund bedeutsam, dass Wagner im Epitext auf ein autobiographisches Moment hinweist, das im Text selbst und in dem an die Buchseiten direkt angrenzenden Peritext explizit nicht genannt wird und damit – wie das Kapitel ausführen will – der eigentlichen Veröffentlichungsstrategie bzw. der seines Verlages entgegen zu stehen scheint. Bevor die Paratexte, vorwiegend die nachträgliche mediale Aufmerksamkeit, die dem Autor durch den Preis der Leipziger Buchmesse zuteil geworden ist, in den Blick genommen werden (Kap. 2.3), steht im folgenden Kapitel zunächst der Text an sich (Kap. 2.1) im Fokus. Er soll zum einen hinsichtlich der darin zum Ausdruck kommenden Themen untersucht werden, zum anderen erfährt die Erzählweise eine nähere Betrachtung sowie im Anschluss daran die autofiktionale Konzeption (Kap. 2.2).

614 Vgl. Meier : Immer sehr unmädchenhaft und Krumrey : Autorschaft. 615 Insofern ist Martina Wagner-Egelhaafs eingangs genannter Position hier zuzustimmen. Vgl. Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 361. 616 Leipziger Messe GmbH: Preis der Leipziger Buchmesse 2013 – Die Preisträger.

110 2.1

Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Vita Nova: Protokoll einer Krankheitsgeschichte

Leben erzählt die Krankheits- und Lebensgeschichte des ›Herrn W.‹, dessen Leber aufgrund einer seit seiner Kindheit bestehenden Autoimmunhepatitis durch ein Transplantat ersetzt werden muss.617 Das Leben des autodiegetischen Erzählers ist bestimmt von Krankenhausaufenthalten, Medikamenteneinnahme und der Frage, wie sich die Krankheit und die Medikation auf sein Bewusstsein und seine Lebensweise auswirken, z. B. ob die stetige Müdigkeit eine Konsequenz der Krankheit oder eine Nebenwirkung der Medikamente ist. Als mit 35 Jahren seine Ösophagusvarizen als eine Folge der Lebererkrankung reißen und er lebensbedrohlich viel Blut verliert, wird W. ins Campus Virchow-Klinikum in Berlin eingeliefert. Nach einer vorübergehenden Entlassung muss er erneut ins Krankenhaus; der einzig noch mögliche Therapieweg ist die Lebertransplantation – ein Eingriff, den der Erzähler noch wenige Monate zuvor abgelehnt hat, als ihm eine passende Spenderleber angeboten worden ist. Es wird erneut ein Spenderorgan für ihn gefunden und die lebensrettende Operation durchgeführt. Die Tage und Wochen im Krankenhausbett, sowohl in der Zeit vor der Transplantation als auch danach, werden vom Erzähler in Ausschnitten beschrieben. Die täglichen Untersuchungen, die Essenszeiten oder die Medikamentengabe, die Geschichten der anderen Patienten, der Weg über die Krankenhausflure sowie sein wechselnder Gemütszustand – die Freude am Leben, die Euphorie und die wiederkehrende Lebensmüdigkeit – bilden den Krankenhausalltag ab. In der Rehabilitations-Phase kommt es schließlich zu Komplikationen. W. muss erneut zurück ins Virchow-Klinikum; die Krankenhausroutine beginnt von neuem. Im letzten Teil des Textes hegt der Erzähler den Vorsatz, ein Buch zu schreiben, dessen Anfang lauten soll: »Ich komme kurz nach Mitternacht –« (L 283, Hervorhebung im Organal). Dieser Satz entspricht dem Romanbeginn tatsächlich in etwa: »Kurz nach Mitternacht komme ich nach Hause« (L 9).618 Leben schließt mit einem der Krankenakte entnommenen Passus, der den Zustand des Patienten ein Jahr nach einer Transplantation positiv bewertet. Erzählt wird die Geschichte in 277 kurzen Kapiteln, die kleine Episoden, flüchtige Einblicke oder Erzählfragmente darstellen und wiederum unterteilt 617 Leben geht eine Erzählung aus dem Jahr 2008 voraus, in der David Wagner auf 22 Seiten bereits die Krankheitsgeschichte des ›Herrn W.‹ erzählt. Die erstmals im Merkur von 2008 abgedruckte Kurzgeschichte wurde 2009 erneut im SuKuLTuR-Verlag abgedruckt (Wagner : Für neue Leben). Leben nimmt die Erzählung teils wortwörtlich auf (vgl. dazu ebd., S. 3 und Wagner : Leben, S. 113. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›L‹ zitiert) und folgt auch ihrer Struktur, indem der Erzähler immer wieder zwischen verschiedenen Zeitebenen wechselt. Lediglich die Übertragung vom Präteritum ins präsentische Erzählen sowie die Unterteilung in einzelne Gliederungsbausteine weicht ab. 618 Vgl. auch Gebauer : Der versteckte Erzähler, S. 835: »Das Ende des Romans ist ein Anfang, auf zweierlei Weise: einmal sein eigener Anfang […]. Das Erzählen holt das Erzählte ein«.

David Wagners Leben

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sind in Abschnitte unterschiedlicher Länge, wie u. a. »Blut«, »Incipit Vita Nova«619 oder »Schnee«. Das Erzählen ist bestimmt durch einen distanziert-beschreibenden Stil. W., der jegliche Selbstbestimmung aufgeben muss, beobachtet das Geschehen um sich herum und ergibt sich der Rolle des Patienten, der den Anweisungen des Personals Folge leisten muss: Die Schwester bringt eine Packung Einweg-Keimschutzkittel, dazu Handschuhe, Mundschutz und Hauben, der Replikant soll zum ersten Mal nach draußen, an die frische Luft. Muß ich? Wirklich? […] Der Physiotherapeutin […] schlage ich vor, mich noch weiterzuschieben, […] sie soll mich doch bitte zum Kanal schieben, ja warum nicht gleich die Böschung hinunter, dicht ans Wasser. Statt das zu tun, zwingt sie mich aufzustehen, sie hat eine Stimme, der ich nicht widerstehen kann, ich muß tun, was sie sagt, mein eigener Wille, wo ist der hin? (L 169–171)

Die Kapitel beginnen oder enden teils abrupt620 und schließen nicht immer aneinander an.621 Dennoch liefern sie eine homogene Gesamterzählung, der die Chronologie der Krankheitsgeschichte ab der Einlieferung ins Krankenhaus bis zur Besserung nach den Komplikationen der Lebertransplantation zugrunde liegt. Das Fragmentarische weist damit in Richtung des postmodernen Textes. Es ist jedoch nicht einer unzulänglichen, brüchigen Erinnerung geschuldet, sondern – realitätskonform – den Tageseindrücken eines häufig schlafenden, ermatteten Patienten. Für ihn wird der Alltag im Krankenhaus austauschbar, und er verliert mehr und mehr sein Zeitgefühl: Morgens, mittags, abends, nachts. Tagschwester, Nachtschwester, Visite, Bereitschaftsarzt, Frühstück, Mittagessen, Abendbrot, sonnabends Eintopf, sonntags keine Visite. Mehr habe ich mit der Zeit nicht zu tun, es herrscht Gleichzeitigkeit (L 89f.).

Veränderungen seines Gesundheitszustands werden durch kurze Krankenaktenauszüge abgebildet.622 619 Dieses Kapitel zitiert Dante Alighieris Vita nova. Unter dem Motto »Incipit vita nova« (Alighieri: Das neue Leben, S. 5) erinnert sich der Verfasser hier an seine Liebe zu Beatrice. Die verschiedenen Stadien seiner Verehrung beschreibt er in Prosa und Versen. Beginnt für das ›Ich‹ in Dante Alighieris Text ein neues Leben durch die Begegnung mit der Angebeteten, so wird ein solches für den Erzähler in David Wagners Leben mit dem Anruf des Transplantationsbüros eingeleitet. 620 Vgl. L 55: »Zum Beispiel Julia. Daß sie noch lebte, war ein Wunder, und sie teilte das auf geheimnisvolle, unbewußte Weise mit«. 621 Vgl. L 108f. Das Kapitel 92 besteht aus einer Reihung immer dergleichen Wörter : »Ich warte, ich warte, ich warte, ich warte […], ich warte«. Kapitel 93 beginnt: »Nein, stimmt nicht. Von warten kann keine Rede sein«. 622 So z. B. L 13: »Indikation: Anamnestisch bekannte gastrointestinale Blutung. Anamnestisch bekannte Varizenerkrankung. Medikation: 100 mg i. v. Propofol. Befund: Im unteren Drittel des Ösophagus sind vier Varizenstränge von mehr als 5 mm Durchmesser zu sehen (Varizen ragen 50 % des Lumendurchmessers vor bzw. berühren sich, Grad III). An der Minorseite

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Neben den Schilderungen des Tagesablaufs im Krankenhaus kommen dem Erzähler Erinnerungen an seine Krankheitsgeschichte, seine Familie, Affären und Freundinnen sowie an sein Kind, die durch Beobachtungen, Gerüche oder alltägliche Situationen hervorgerufen werden. Der Text wechselt so zwischen Erinnerungsfragmenten,623 Reflexionen über das bisher Erlebte und der gegenwärtigen Krankengeschichte hin- und her. Während Ortheil seinen Roman als Teilautobiographie konzipiert, verzichtet Wagner auf diese Art autobiographischer Rückblickserzählung. Von einem solchen Erzählen lässt sich lediglich in dem Sinne sprechen, als es immer wieder kurze Retrospektiven in die Vergangenheit gibt, etwa Erinnerungsmomente, die veranschaulichen, wie das Leben mit der Krankheit ausgesehen hat. Grundsätzlich erzählt W. im Präsens und suggeriert damit eine Gleichzeitigkeit von Erzählen und Erleben. Dass es sich hierbei jedoch um eine Stilisierung handelt, wird durch Einschübe offen gelegt, die zeigen, dass der Erzähler über mehr Wissen verfügt als das erlebende Ich (»Neben mir steht die braune Reisetasche […]. Vielleicht wollte ich nicht mit ihm rechnen, die Hausschuhe, das wird mir noch auffallen, habe ich jedenfalls vergessen«, L 113f.). In Wagners Text stehen der Ist-Zustand des ›Ich‹ sowie die Frage des Lebens an sich im Vordergrund: das mögliche Über- und Weiterleben, das der Erzähler zwar ersehnt, aber auch Anstrengung bedeutet (»Zu leben ist ja viel komplizierter, als tot zu sein«, L 51). Vor allem aber geht es um eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität: Bin ich der, der ich zu sein glaube, nur durch die Medikamente? […] Sind mein Fühlen, meine Wahrnehmung, chemisch induziert? Bin ich vielleicht gar nicht der Mensch, der ich zu sein glaube, weil die Medikamente, die ich schon so lange, seit so vielen Jahren nehme, mich zu einem anderen machen? Ist das, was ich fühle und zu sein glaube, nur das Ergebnis einer Krankheit? Ein Krankheitszustand? (L 42). reichen die Varizen bis unterhalb der Kardia. […] Therapie: In einer Höhe von 34 cm bis 39 cm von der Zahnreihe werden sechs Gummibandligaturen gesetzt, die Blutung kommt unter endoskopischer Therapie zum Stillstand« (Hervorhebung im Original). 623 Die Erinnerungen an frühere Zeiten werden meist explizit retrospektiv erzählt. Vgl. z. B. L 62f.: »Einmal, erinnere ich mich, ich war fünf, fast sechs Jahre alt, bin ich beim Rollschuhfahren gestürzt, ich rutschte nach hinten weg und fiel auf den rechten Arm, der dabei abknickte. […] Bloß verstaucht, so lautete die Diagnose in den meisten Fällen, an diesem Abend jedoch hieß es, mein Arm sei gebrochen«. Hin und wieder werden zurückliegende Erlebnisse im Präsens geschildert, so als würde der Erzähler sie in seiner Erinnerung nochmals durchleben. Befindet sich W. in Kapitel 32 und 33 noch im Krankenhausbett und beschreibt das Gefühl, die Zeit sei stehengeblieben, beginnt das Kapitel 34 wie folgt: »Ich bin fünfzehn, und mein Augeninnendruck ist wegen des Cortisons so hoch, daß er alle zwei Wochen gemessen werden muß. Aber statt zu dem Augenarzt zu gehen, der seine Praxis in dem Haus gleich neben der Schule hat, fahre ich lieber in die Augenklinik […]« (L 39). Kapitel 35 beginnt wieder mit dem Krankenhausalltag der Gegenwart: »Ein Arzt kommt ins Zimmer, einer, der mich noch nicht kennt und zum ersten Mal untersucht« (L 40).

David Wagners Leben

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Nach der Lebertransplantation wird diese Auseinandersetzung mit dem Ich noch zwingender. Die Leber steht stellvertretend für den unbekannten Spender, der nun Teil von W. ist und mit dem er sich in ein Zwiegespräch begibt: Ich trage dich mit mir herum, ich weiß dich in mir, ich habe dich immer dabei. Dann und wann bin ich überrascht, daß ich auch mal eine halbe Stunde lang nicht an dich gedacht habe. Und dann denke ich sofort wieder : Ach ja, ich bin jetzt nicht mehr allein, nie mehr, ich habe dich ja immer bei mir, eingesetzt, festgenäht, angewachsen, du bist ein Stück von mir. (L 195)

W.s Auseinandersetzung mit sich selbst gipfelt in der Frage: »Kann ich meiner Erinnerung trauen?« (L 163). Doch nicht nur die Erinnerung ist zu fragil, sondern auch die Wahrnehmung scheint sich durch das fremde Organ verändert zu haben: »Ich kann meine Leber ja nicht spüren. Dich aber kann ich spüren, du bist da. Wir kennen uns nicht und kennen uns doch, ich träume deine Träume, du hast die Traumchemie ja mitgebracht« (L 175). Hier spielt der Erzähler auf ein vorher beschriebenes Phänomen an: Ich bin eine Chimäre, B. hat es mir erklärt: Nach einer Transplantation zeigt sich ein Chimärismus im Knochenmark des Organempfängers. Genotypisch bin ich nicht mehr nur der, der ich war, ich bin jetzt auch die Person des Spenders, also du. Die Biochemie, die in mir Bewußtsein erzeugt, ist eine andere geworden. Ich glaube es ist deine. Ich habe nun Proteine im Blut, die ich vorher nicht hatte, weil meine eigene Leber sie nicht mehr oder noch nie produzieren konnte, also könnte ich Gefühle haben, die ich noch nicht oder nicht mehr kenne. Ich bin ein zusammengesetzter neuer Mensch, ergänzt und verbessert, eine Chimäre, ein Hybrid, ein Replikant beinah. (L 163)

Die Frage nach der Identität ist keine poststrukturalistische Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer sprachlichen Abbildbarkeit; sie stellt sich vielmehr aus medizinischer Notwendigkeit: Wer ist das Ich, wenn Medikamente und Botenstoffe das Bewusstsein beeinflussen, wenn die Funktion eines Organs den Organismus unterstützt und nicht mehr schädigt, wenn ein Teil des Körpers nicht mehr der eigene ist? W.s Gedanken kreisen folglich um die Person, den oder die Spender/in, der/ die ihm das neue Leben geschenkt hat und von dem/der er nichts weiß. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sehen vor, dass Spender und Empfänger eines Organs anonym bleiben, als Schutz für den Empfänger und die Angehörigen des Spenders. Laut Transplantationsbroschüre gibt es als Empfänger lediglich die Möglichkeit, den Angehörigen des Spenders einen anonymen Dankes-Brief zu schreiben, der jegliche persönliche Information auszublenden hat, was W. als unlösbare Aufgabe erscheint. Stattdessen imaginiert er sich eine Spenderin, der sich gleichzeitig ausschließende Attribute zukommen wie etwa die »blonde Frau mit den kohlrabenschwarzen Haaren« (L 135), die ihn im Krankenhaus besucht.

114 2.2

Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Leben als autofiktionaler Text

Wagners Leben wird auf dem Titelblatt weder als Roman noch als Autobiographie bezeichnet; der Text trägt keine Gattungsangabe und lässt damit seinen Status offen. Der in Großbuchstaben geschriebene Titel (LEBEN) bleibt mehrdeutig und gibt keinen Hinweis darauf, ob es sich um eine empirische Lebensgeschichte handelt oder nicht. Auch der Klappentext legt keine autobiographische Analogie zwischen dem Autor und dem autodiegetischen Erzähler nahe: David Wagner hat ein berührendes, nachdenklich stimmendes, lebenskluges Buch über einen existenziellen Drahtseilakt geschrieben. Ohne Pathos und mit stilistischer Brillanz erzählt er vom Lieben und Sterben, von Verantwortung und Glück – vom Leben, das der Derwisch eine Reise nennt. (L Umschlagstext, Innenseite vorne)

Im Gegensatz zu Ortheils Roman ist in Leben eine Namensidentität zwischen dem autodiegetischen Erzähler und dem Verfasser gegeben, auch wenn dies nur die Übereinstimmung des ersten Buchstabens des Nachnamens indiziert: Der autodiegetische Erzähler trägt den Namen ›W.‹, der drei Mal beiläufig im Text fällt (so z. B. »Zur Waage, wiegen Sie sich, Herr W., gehen Sie doch bitte zur Waage«, L 63),624 womit ein autobiographischer Pakt nach Lejeune eröffnet wird. Dennoch zeichnet sich der Text insgesamt durch eine Anonymisierung der erwähnten Personen aus, die einer referenziellen Lektüre nicht zwangsläufig entgegenwirkt. Die Krankenhausmitarbeiter und Patienten werden – bis auf den Arzt namens B. – durch ihren Beruf oder eine bestimmte Charaktereigenschaft und Angewohnheit betitelt. Sie treten meist in ihrer Funktion in Erscheinung und werden so nicht als Individuen greifbar.625 Auch die Tochter nennt W. nicht namentlich.626 Selbst das Geschlecht des Kindes erwähnt der Erzähler erst am Ende des Textes. Zuvor spricht er lediglich unpersönlich von dem Kind.627 Anders als im Rowohlt Verlag üblich,628 ist neben dem kurzen biographischen Abriss auf dem Buchumschlag kein Foto von David Wagner abgedruckt. Opti624 Vgl. auch: L 113 und 178. 625 Siehe. u. a. »Die Röntgenärztin«, L 61; »die Nachtschwester«, »ein Arzt«, L 67; »[m]ein Bettnachbar«, L 69; »mein neuer Bettnachbar, ein Bauarbeiter«, L 77; »einer, der diese Woche, neben mir liegt«, L 82; »[a]uf dem Flur sehe ich den sibirischen Apfelmann«, L 267; »ein libanesischer Fleischer«, L 269. 626 L 259: »Die Tochter war einmal hier, mit ihrer Mutter«. 627 Siehe u. a. L 9: »Das Kind ist bei seiner Mutter«. Siehe auch: Wagners autofiktionalen Text Spricht das Kind, in dem ebenfalls von dem »Kind«, nicht von der »Tochter« die Rede ist. Auch dieser Text trägt im Gegensatz zu z. B. seinem Roman Vier Äpfel keine Gattungsangabe. Vgl. etwa Wagner : Spricht das Kind, S. 5. 628 Grundsätzlich ist es in der verlegerischen Praxis üblich, ein Foto des Autors abzudrucken, so auch im Rowohlt Verlag, wie z. B. die ebenfalls 2013 im Rowohlt Verlag erschienene Autofiktion Junge rettet Freund aus Teich von Heinz Strunk zeigt, die zudem mit der Gattungsangabe ›Roman‹ versehen ist (Strunk: Junge rettet Freund aus Teich, Klappentext).

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sche, möglicherweise mit dem Autorbild übereinstimmende Details, die in Richtung einer ›identit¦ dynamique‹ nach Gasparini weisen629 – etwa der Umstand, dass Verfasser und Erzähler Brille tragen (vgl. L 18) – liefert der Klappentext nicht. Die Kurzbiographie gibt kaum Anhaltspunkte für ein autobiographisches Rezeptionsangebot des Textes. Sie nennt Geburtsjahr (1971), die bisherigen Werke des Autors sowie den Wohnort Berlin.630 Diese drei Angaben treffen auf den Erzähler zu.631 Wagners Beruf als Schriftsteller spielt im Text jedoch keine direkte Rolle. Es gibt den Hinweis auf ein Notizbuch632 und eine Sammlung von Todesanzeigen und Zeitungsberichten, die in Gedichtform in den Text integriert werden, sowie ein Buchprojekt, das die Geschichten aus dem Krankenhaus erzählen soll.633 Der Klappentext nennt zudem keine Romane des Schriftstellers Wagner. Die Erwähnung von Manuskripten des Erzählers, die in der Kurzgeschichte Für neue Leben, in der Wagner seine Transplantationsgeschichte schon einmal verarbeitet hat, zu finden ist, wird in Leben getilgt.634 Weder das Autor-Ich als Schreibender ist hier präsent, noch ist ein deutlich gesetzter Bezug zum Autor gegeben. Der Text ist darüber hinaus realitätskonform konzipiert. Es gibt – bis auf eine Ausnahme – keine nicht-realen Elemente, die nicht als Traum oder Phantasie des Erzählers aufgelöst werden.635 Die Nennung von realen Orten636 oder z. B. Namen von TV-Serien637 setzen hingegen immer wieder kleine Hinweise, dass das Geschehen in der Gegenwart des Lesers anzusiedeln ist. Lediglich im Moment der Transplantation ändert sich die Erzählperspektive und geht in eine unmögliche und damit für Fiktion sprechende über : Ein wenig hantiert er [der Anästhesist] noch an mir herum, dann bin ich weg – […], ich denke vielleicht noch: Bis hierhin ist das Leben eigentlich ganz schön gewesen, aber wahrscheinlich bin das schon nicht mehr ich, der da denkt, ich bin ja weg und spüre 629 Vgl. Gasparini: Est-il Je, S. 50f. sowie Fußnote 91. 630 Vgl. L Umschlagstext, Innenseite hinten. 631 Vgl. dazu den Hinweis auf S. 40: »nach dreiundzwanzig, fast vierundzwanzig Jahren habe ich halt ein wenig Übung darin«. Da zuvor im Text darauf verwiesen worden ist, dass der Erzähler seit seinem zwölften Lebensjahr erkrankt ist, kann gefolgert werden, dass er zum Zeitpunkt der Organtransplantation in etwa 35 bis 36 Jahre alt ist. 632 Vgl. dazu L 242, wo der Erzähler beginnt, aus einem Notizbuch »Die müde Giraffe« zu lesen, eine Geschichte, die möglicherweise vom ihm selbst stammt und darüber hinaus als Kapitelüberschrift fungiert (L 233). 633 Vgl. L 91–107. 634 Vgl. Wagner : Für neue Leben, S. 5: »[I]ch will wohl meine unfertigen Manuskripte nicht allein lassen«. 635 Vgl. dazu L 179: »Ich erzähle B. von meinen imaginären Begegnungen mit der Spenderin. Daß ich von ihr träume. Daß ich sie mir als Finnin oder Österreicherin vorstelle. Daß ich mir eine europäische Liebesgeschichte zurechtspinne, eben weil ich nichts weiß«. 636 »Charit¦ Campus Virchow« (L 11). 637 Es werden z. B. die TV-Serien The Sopranos, Six Feet Under oder Lost erwähnt (L 31).

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nichts, ich bin ja gar nicht mehr da. Ein Körper liegt auf dem Tisch im Operationssaal, schlafend […]. Ich schaue den, der da liegt, wer mag das sein, aus einiger Entfernung an und nehme dann die Position eines Assistenten des Professors ein, ich bin einer von denen, die um diesen Köper herumstehen […]. Mein Leib, ja, jetzt erkenne ich ihn, er ist’s, liegt auf dem Tisch […]. Die Hepatektomie erfolgt nach Lehrbuch […]. (L 118–119)

An dieser Stelle beschreibt der Erzähler die an ihm durchgeführte Operation: Er tritt aus seinem Körper heraus und beobachtet die Szene von einem externen Standpunkt aus. Der genaue Ablauf einer Lebertransplantation wird aus einem Fachbuch zitiert.638 Dann bricht die Erzählung ab; es folgen drei nicht bedruckte Doppelseiten, von denen die mittleren grau sind.639 Hiermit wird jedoch weniger das Nicht-Zeigbare bzw. das Unsagbare im Sinne postmoderner Ästhetik reflektiert als vielmehr die Bewusstlosigkeit des Erzählers im Text widergespiegelt. Insgesamt enthält der Text kaum Fiktionsindizes, zeichnet sich jedoch durch Strukturierung und Stilisierung aus. Hier sind vor allem die Kürze der Abschnitte oder die Einbettung von zu Gedichten arrangierten Todesmeldungen aus Zeitungen (L 91-107) zu nennen. Leben ist als ein autofiktionaler Text konzipiert, in dem Fiktionspakt und autobiographischer Pakt gleichermaßen ermöglicht werden, keiner der beiden Pakte sich jedoch durchsetzt. Inwieweit der Autor tatsächlich autobiographisches Material verwendet, bleibt im Text und Peritext weitgehend unbeantwortet. Wagners Leben spielt so dem vorangestellten Motto gemäß die Spannung aus, ob das Erzählte tatsächlich passiert ist oder nicht: »Alles war genau so und auch ganz anders« (L 5).

2.3

Die epitextuelle Einflussnahme

Anders als bei Hanns-Josef Ortheil handelt es sich bei David Wagner um einen bis dato eher unbekannten Autor, der vor der Veröffentlichung von Leben zwar Achtungserfolge erzielt hat,640 jedoch kein großes Lesepublikum erreichen konnte. Über den autobiographischen Hintergrund seiner Lebertransplantation sowie über den Verfasser selbst ist vorab kaum etwas bekannt gewesen. Im Internet ist lediglich ein Interview von 2011 anlässlich einer Gastdozentur an der Freien Universität Berlin zu finden, in dem Wagner seine Krankheit themati638 »Nach der Eröffnung des Abdomens mittels Oberbauchlaparatomie erfolgt die Mobilisation des linken Leberlappens, Darstellung der […]. Zitiert nach Peter Neuhaus, Robert Pfitzmann u. a.: Aktuelle Aspekte der Lebertransplantation, S. 33« (L 119). 639 Vgl. L 119–126. 640 Sein Roman Vier Äpfel von 2009 hat auf der Longlist des Deutschen Buchpreises gestanden (L Klappentext, hinten, innen).

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siert.641 Im Zuge zunächst der Nominierung und schließlich der Preisvergabe des Leipziger Buchpreises am 14. März 2013 kommt David Wagner eine erhebliche mediale Aufmerksamkeit zu: Ist Leben bereits im Februar 2013 erschienen, berichten nun alle einschlägigen Tages- und Wochenzeitungen sowie Radio- und Fernsehsendungen über den Autor und seinen Text.642 Zwar wird, wie die Analyse gezeigt hat, die autobiographische Parallele zwischen Verfasser und Erzähler im Text selbst und in den peritextuellen Angaben nicht offenkundig, doch zeigt sie sich umso präsenter im Epitext. Bereits die Rezensionen zu Leben spielen wiederholt auf die persönliche Krankheitsgeschichte des Autors an. So heißt es in der Süddeutschen Zeitung: »Auf der Intensivstation des Erzählens: David Wagners autobiografische Prosa ›Leben‹ handelt von seiner Lebertransplantation. Man kann so ein Buch wohl nur einmal schreiben. Aber dass es geschrieben wurde, ist ein Glücksfall«.643 Die Besprechung in der tageszeitung beginnt mit folgenden Sätzen: »David Wagner bekommt den Preis der Leipziger Buchmesse – für den Roman ›Leben‹. Das Buch ist das poetische Protokoll seiner Krankengeschichte«.644 Dass der »Erfolg eines Autors im Kunstsystem […] unmittelbar etwas zu tun [hat] mit seiner Attraktivität«645 für das Autor-Interview und daraus folgend die Präsenz des Autors im Literaturbetrieb steigt, zeigt sich ebenso im Fall David Wagners. »Medienauftritte fördern […] die Identifikation von Autor, Erzähler und Figur, beziehungsweise das Interesse für das Privatleben des Autors«.646 Die Aufmerksamkeit aufgrund der Nominierung für den Leipziger Buchpreis mündet in einer Vielzahl von Interviews mit dem Autor. Die Gesprächspartner befragen David Wagner als privilegierten Leser des eigenen Textes und gewähren ihm Deutungshoheit. Seine eigene Krankheitsgeschichte, die Autoimmunhepatitis, die dadurch lebensnotwendige Lebertransplantation und seine Gedanken während der Zeit im Krankenhaus stehen dabei im Mittelpunkt. Wagner 641 Streichardt/Langer : »Ich bin kein Prallerzähler« – David Wagner im Interview. 642 Zu nennen sind in den Printmedien u. a. die folgenden Berichterstattungen und Buchbesprechungen: Jessen: Das unbewegte Pokerface, S. 55; Böttiger : Ein fremdes Flirren, S. 3; Baum: David Wagner : Leben; Schäfer : Einmal Unterwelt und zurück, S. 7; Hoch: Spendenquittung, S. 49. Der Spiegel Online berichtete über Wagners Roman und die Verbindung zu seiner eigenen Lebertransplantation bereits am 22. 02. 3013 (vgl. Andre: Roman einer Organtransplantation) und erneut am 04. 03. 2013. Siehe dazu: Diez: Ironie der Vergänglichkeit, S. 148. Als Interviews mit dem Autor im Hörfunk können u. a. genannt werden: Bürger : In existenzieller Not »hilft einem das Erzählen« und Kothe: Existenzielle Fragen. Im Bereich Fernsehen seien exemplarisch genannt: Aspekte: ›Für das Leben‹; titel thesen temperamente: David Wagner und das Interview auf der Leipziger Buchmesse auf dem blauen Sofa: Heimendahl: David Wagner auf dem blauen Sofa. 643 Böttiger : Ein fremdes Flirren, S. 3. 644 Schäfer : Einmal Unterwelt und zurück. 645 Heubner : Das Eckermann-Syndrom, S. 153. 646 Ott/Weiser : Autofiktion und Medienrealität, S. 13.

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kommt der Bitte nach Offenlegung der autobiographischen Textdimension nach. Ähnlich wie in Ortheils Fall liefert Wagner im Zuge seiner freiwilligen Selbstkommentierung zusätzliche Informationen über das Autobiographische in seinem Text, wie z. B. die Rolle seiner Tochter für den Lebenskampf oder Hinweise, dass Wagner wie seine Figur W. Auslandsaufenthalte in Paris und Mexiko absolviert hat.647 Der Beitrag Für das Leben. David Wagner und seine neue Leber in Aspekte (ZDF), der am Tag der Vergabe des Buchpreises ausgestrahlt worden ist, zeigt David Wagner auf einem Krankenhausflur und in einem Krankenhauszimmer des Virchow-Klinikums. Leben, so die Botschaft, verarbeitet explizit die persönliche Geschichte seines Verfassers. Wagner selbst erklärt in dem genannten Aspekte-Beitrag: »Das ist ein Buch, das ich schreiben musste. Das kann nur so ich [sic] schreiben. Das ist mein Buch, das ist meine Geschichte«. Ferner bekräftigt er, dass seine Geschichte und das Unwissen darüber, wer sein Spender gewesen ist, letztlich einen »Projektionsraum« geschaffen haben, den er literarisch zu nutzen wusste.648 Im Beitrag des ZDF werden die Ebenen zwischen Text und Lebenserfahrung des Verfassers immer wieder verwischt; der Text wird als Produkt der eigenen Leidensgeschichte dargestellt. Da dies nicht auf den Autor, sondern auf die Redaktion von Aspekte zurückzuführen ist, lässt sich anhand des Beitrags nicht auf eine Strategie des Autors schließen. In dem ebenfalls in der ZDF-Mediathek einsehbaren Interview, das für den Aspekte-Beitrag geführt worden ist, fällt vielmehr auf, dass dieser durchaus bemüht ist, eine Distanz zwischen sich und dem Erzähler in Leben aufzubauen. Durchgängig spricht er von dem ›Protagonisten‹. Gleichsam jedoch lässt er keinen Zweifel daran, dass das Buch nur aufgrund der persönlichen Erfahrung entstanden ist und entstehen konnte. Die Geschichte seiner eigenen Transplantation sei für ihn »so eine Wundergeschichte«,649 dass das Schreiben seines Textes für ihn notwendige Konsequenz gewesen sei. Auch in dem Interview bei Deutschlandradio Kultur vom 15. März 2013 bekräftigt Wagner erneut die Distanz zwischen seinem Erzähler und sich als Verfasser : »Ich glaube, es ist einfach so, dass dieser Mensch – das habe ich ja versucht, zu beschreiben – in diesem Limbo-Krankenhaus […]. Er weiß nicht, wie lange er noch zu leben hat, er weiß nicht, ob er überleben wird«.650 Trotz der deutlichen Anlehnung an seine eigene Biographie will Wagner Leben als Mischform zwischen Autobiographie und Roman verstanden wissen. Er stellt ähnlich wie Ortheil heraus, dass nicht alles so stattgefunden hat, wie es 647 648 649 650

Kothe: Existenzielle Fragen. Aspekte: Für das Leben. Aspekte: Ein Gespräch mit David Wagner. Bürger : In existenzieller Not »hilft einem das Erzählen«.

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der Text erzählt, und Leben folglich keine bloße Abbildung des Wirklichen sei. Auf die Frage nach der Gattung verweist er auf die Fiktivität der Ereignisse und die Ich-Erfindung in dem Text, dem lediglich ein »wahrer Kern« innewohne: Dokumentarroman gefällt mir ganz gut. Für mich selber, um dieses Buch zu schreiben, war es eigentlich immer ein Roman, weil es ist eine fiktive Geschichte [sic]. Die hat zwar einen wahren Kern, also ich habe das erlebt, aber um das zu erzählen, musste ich das verwandeln und musste ich auch mich und dieses »Ich« neu erfinden. Und was das Buch jetzt letztendlich für eine Gattung hat, das mögen Kritiker oder Literaturwissenschaftler entscheiden, das steht dem Autor gar nicht zu.651

Die proklamierte Nicht-Identität des Autors mit seinem Erzähler verdeutlicht auch ein Eintrag auf der Homepage des Verlages: Aber Wagner beharrt darauf: »Das Ich des Buches bin nicht ich.« Leben ist kein Roman, aber auch keine Autobiografie. David Wagner erzählt seine Geschichte, aber er erzählt sie als die Geschichte seiner literarischen Figur. Die Gleichsetzung von Autor und Figur führt bei literarischen Texten immer in die Irre. »Die Suizidgedanken meines Erzählers, seine Vertrautheit mit dem Tod, all das ist mir fremd«.652

In eben solcher Weise versteht Gunter Gebauer Leben als Fiktion: Das fiktive Erzähler-Ich gibt dem Autor den Spielraum, seiner eigenen, realen Lebensgeschichte mit einer beobachtenden Haltung gegenüberzutreten und äußeres wie inneres Geschehen ohne Gefühlswallungen, fast teilnahmslos festzuhalten, wie es das Autor-Ich allein nicht könnte.653

Allerdings ist hier einzuwenden, dass Wagner die von ihm nachdrücklich betonte Distanz zwischen sich und dem Erzähler in Leben an einigen Stellen nicht aufrechterhält. Insbesondere der auf der Rowohlt-Homepage zu lesenden Erklärung des Autors, die Lebensmüdigkeit während der Krankheit kenne er nicht, widerspricht er in Interviews. So räumt er etwa in dem Gespräch im ARD Forum ein, dass Gedanken an den Freitod ihm in einigen Stunden sehr wohl gekommen seien.654 Zudem kommentiert er : »Ich neige dazu, nur über Dinge zu schreiben, die ich sehen kann, spüren oder die ich eben erlebt habe«.655 In dem Interview bei NDR Kultur äußert sich Wagner erneut zu seiner ›Poetik romanhafter Darstellung von selbst Erfahrenem‹ und setzt sich schließlich sogar mit dem Erzähler gleich, wenn er einerseits auf eine Romanpassage anspielt, hier andererseits aber über sich selbst spricht: »Ab und zu zwingen einen die Schwestern aufzustehen und sagen dann: Herr Wagner, gehen Sie bitte zur Waage«.656 651 652 653 654 655 656

Ebd. Wagner : Leben. Gebauer: Der versteckte Erzähler, S. 835. Wenner : ARD-TV-Forum: David Wagner »Leben«. Ebd. Kothe: Existenzielle Fragen.

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David Wagner muss hier keine bewusste Strategie unterstellt werden, die autobiographische Parallele in den Mittelpunkt zu rücken; seine Äußerungen zu seiner eigenen Transplantation scheinen in erster Linie den Gesprächspartnern geschuldet, die dem klassischen Autor-Interview gemäß die Frage nach einer autobiographischen Parallele stellen. Dafür spricht auch die Umschlaggestaltung des Textes, der diese Lebensparallele explizit nicht im Sinne der Vermarktung eingesetzt hat. Für den eigentlichen Effekt der Kommentierung des eigenen Werks macht dies jedoch keinen Unterschied. Von den Interviewern immer wieder zu seiner eigenen persönlichen Situation befragt, wird ein Netz von autobiographischen Details für diejenigen Leser sichtbar, die über das Wissen um die Interview-Inhalte verfügen. Vergleichbar mit dem Fall Herta Müller, die in Poetikvorlesungen von 2003 zu ihrem Roman Herztier (1994) Stellung nimmt und so nachträglich Autobiographeme sichtbar macht,657 liefert Wagner hier im Epitext Details, die eine Verifizierung in Teilen ermöglichen. Die durch die mediale Aufmerksamkeit generierten Informationen über die Lebensparallelen entschlüsseln damit Intarsien im Text, die die Glaubwürdigkeit des Erzählten erhöhen. Da in den Interviews aber nur selten danach gefragt wird, welche Details im Roman offensichtlich erfunden seien,658 die Frage nach der autobiographischen Erfahrung hingegen im Mittelpunkt steht, erhält der Leser Mehrinformationen nur in eine Richtung der Rezeption.

2.4

Leben – Autofiktion fernab der Gattungskritik

Wagner schreibt sich wie Ortheil nicht in den Kontext poststrukturalistischer Problematisierung der Autobiographie ein oder dezidiert in den Kontext postmoderner Ästhetik. Eine Auseinandersetzung des Ichs mit sich selbst bzw. die Frage nach der eigenen Identität ist in dem Text angelegt, jedoch bereits anders gewendet als im Vergleich mit den hier untersuchten postmodernen Autofiktionen. Wagner nutzt die Textform zwischen Roman und Autobiographie, um seine eigene persönliche Geschichte zu erzählen, ohne sich einem Wahrheitspostulat der traditionellen Autobiographie zu verschreiben und dennoch das Erzählte an sich zu binden. Der Text geht damit von der Prämisse aus, dass das Schreiben über das eigene Leben einer Fiktionalisierung bzw. Stilisierung bedarf. Im Gegensatz zu Ortheils Die Erfindung des Lebens und anderen autobiographischen Romanen eröffnet David Wagner durch die mögliche Namensidentität und den Verzicht auf die Gattungsangabe einen direkten Bezug 657 Vgl. Niefanger : Biographeme im deutschsprachigen Gegenwartsroman, S. 290f. 658 Vgl. dazu das Interview bei Deutschlandradio Kultur : Bürger: In existenzieller Not »hilft einem das Erzählen«.

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zum Autor. Im Sinne von Billers Verständnis der ›Ichzeit‹ schreibt sich Wagner in seinen Text ein, markiert diese Einschreibung bereits und meint dies »ernst, todernst, denn er und sein blutendes Ich sind der Star«.659 Auch wenn sich Leben gezielt einer eindeutigen Zuordnung zum Roman oder zur Autobiographie verweigert, rückt im Epitext die Frage nach der autobiographischen Dimension, nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit in den Vordergrund. Das Bild des Autors, das sich durch das Medienaufkommen in der Öffentlichkeit erst konstituiert, wirkt über den Namen und die Autobiographeme in den Text hinein. Der Verfasser wird mit seiner öffentlichen bzw. MedienBiographie so zur Bezugsgröße. Die Biographien von ›Autor‹ und ›Erzähler‹ fallen hier weitgehend zusammen, und eine autobiographische Lektüre wird gestützt. Es zeigt sich an diesem Beispiel daher besonders deutlich, dass die per se bestehende Offenheit des autofiktionalen Textes ihn besonders empfänglich macht für eine epitextuelle mediale Beeinflussung, unabhängig davon, ob diese strategisch angelegt ist oder nicht. Im literarischen Feld der Gegenwart, in dem der Autor auf unterschiedliche Weise medial in Erscheinung tritt und sich selbst inszeniert, steht der autofiktionale Text immer in Bezug zu anderen Texten und Informationen zum Autor. Damit zeigt sich an Wagners Leben nicht nur eine Verschiebung vom metafiktionalen Autobiographiediskurs zu einem einfachen, schlichten Erzählen, das die Diskussionen um die Unmöglichkeit einer wahren Abbildung des eigenen Ichs nicht mehr führen muss, sondern auch die veränderten Bedingungen, die auf einen Text zwischen Referenz und Fiktion in der Gegenwart wirken. Die mögliche epitextuelle Beeinflussung der Rezeption von Leben ist grundsätzlich – so sei abschließend hervorgehoben – als temporäres Phänomen zu erachten. Das Medienaufkommen zum Veröffentlichungszeitpunkt des Textes und der Preisvergabe bündelt die Aufmerksamkeit im Literaturbetrieb, die in dieser Dimension später kaum noch wirken kann. Der Peritext der Erstausgabe ist jedoch nicht darauf angelegt, eine autobiographische Lesart zu fördern. Auch die darauf folgende Taschenbuchausgabe fängt diese Medienwirkung nicht ein und nutzt sie für eine weitergehende Vermarktung.660 Dennoch werden einige der Autoräußerungen und biographischen Details bei gezielter Suche im Internet weiterhin zu finden sein. Die Information, dass Wagner an Autoimmunhepatitis leide und dies die autobiographische Grundlage von Leben darstelle, ist zumindest seit dem 16. März 2013 auf der Wikipedia-Seite zu David Wagner nachzulesen.661 Diese Informationen dürfte damit fortan das öffentliche Bild vom ›Autor‹ David Wagner mitbestimmen. 659 Biller : Ichzeit, S. 23. 660 Die Taschenbuchausgabe von 2014 entspricht dem Hardcover. 661 [Anonym]: David Wagner. Versionsunterschied.

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3

Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Thomas Glavinics Das bin doch ich – Der Autor im Spiegel des Erfolgs

Anders als David Wagner und Hanns-Josef Ortheil schreibt sich Thomas Glavinic mit seinem vollen bürgerlichen Namen direkt in den Text ein und verortet sich dort als Nachwuchsschriftsteller im Literaturbetrieb der Gegenwart. Er evoziert so den Eindruck, den öffentlichen Autor im Text zu zeigen und gleichzeitig einen Einblick in sein Privatleben zu gewähren.662 Glavinics Roman kann deshalb als eine besonders prägnante Form autofiktionalen Schreibens in der Gegenwart angesehen werden, die auf der einen Seite das klassische autofiktionale Paktangebot durch sich widerstreitende Gattungsangabe und Namensidentität zwischen Autor, Erzähler und Figur nach Doubrovsky aufgreift und in der der Autor andererseits mit seiner Biographie, der von Autobiographischem ausgehenden Authentizität und seiner Rolle als Autor spielt. Erste Untersuchungen haben Das bin doch ich zudem als LiteraturbetriebsSzene663 bzw. als »Spiel mit […] kultureller und sozialer Grenzziehung«664 gelesen und sich der Ironisierung des gegenwärtigen Literaturbetriebs sowie den Reaktionen der Literaturkritik zugewandt.665 Wie die Analyse im Weiteren näher betrachtet, erweist sich der autofiktionale Text ferner als besondere Form der Autor-Inszenierung,666 was nicht zuletzt das Interesse neuerer Forschungen auf sich gezogen hat.667 Im Folgenden gilt es, die zum Teil bereits vorgebrachten Aspekte zusammenzuführen, sie in den Kontext einer Betrachtung des autofiktionalen Schreibens zu stellen und die Bedeutung des Textes vor dem Hintergrund der ›Rückkehr des Autors‹ näher zu reflektieren.668 Nachdem die mit dem ›Autor‹ verknüpften Fragen und Themenkomplexe des Romans herausgearbeitet worden sind (Kap. 3.1), widmet sich Kap. 3.2 der autofiktionalen Textkonzeption. In Kap. 3.3 steht die textexterne Kommentierung des Romans durch den Verfasser im Vordergrund, bevor abschließend der Frage nach den 662 663 664 665 666

Vgl. Assmann: Das bin ich nicht, S. 125. Ebd. Jensen/Müller-Tamm: Echte Wiener und falsche Inder, S. 316. Johannsen: »In einem Anfall von Literaturbetriebswiderwillen«. Vgl. dazu Assmann, der von einer Inszenierung der »Figur ›Thomas Glavinic‹ als zwischen Person und Autorfunktion oszillierend« spricht (Assmann: Das bin ich nicht, S. 125) bzw. Das bin doch ich als posture, als »eine Form der Selbstdarstellung« (ebd., S. 136) begreift. 667 Vgl. dazu insbesondere Keck: ›Das ist doch er‹ sowie Potsch: Thomas Glavinics Das bin doch ich und Catani: Glavinic 2.0. Annette Keck liest Glavinics Text als selbstreflexive Antwort auf Michel Foucaults »Autor-Frage« (Keck: ›Das ist doch er‹, S. 239). Catani betrachtet ihn vor dem Hintergrund der ›Rückkehr des Autors‹; sie stellt jedoch auf die Autorinszenierung Glavinics insgesamt ab, vor allem auf Äußerungen des Autors und der Rezeption, die zeitlich deutlich nach 2007 gemacht worden sind. 668 Zwangsläufig zieht die vorliegende Analyse dabei zum Teil gleiche Textstellen heran wie andere Untersuchungen zu Glavinics Das bin doch ich.

Thomas Glavinics Das bin doch ich

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Auswirkungen für das Autor-Label bzw. das Image des Autors sowie seine Positionierung im Literaturbetrieb nachgegangen werden soll (Kap. 3.4).

3.1

Das bin doch ich – eine Literaturbetriebs-Satire?

In einem Interview mit der Zeitschrift BELLA triste im Juli 2007 – und damit kurz vor der Veröffentlichung von Das bin doch ich – erklärt Thomas Glavinic, dass er nach der Fertigstellung jedes seiner Romane grundsätzlich ein halbes Jahr lang an keinem neuen Projekt arbeiten könne und sich von dem kräftezehrenden Schreibprozess erholen müsse.669 Wie eine derartige Pause im kreativen Schaffen des Autors aussehen könnte, ist Thema seines Romans Das bin doch ich. Hier steht nicht der »Blick hinter die Kulissen literarischer Produktion«670 im Vordergrund der Erzählung (die Verweise auf Tätigkeiten an einem neuen Buchprojekt beschränken sich auf zwei kurze Nennungen);671 es sind der Alltag und die Gedanken des autodiegetischen Erzählers in der Zeit nach dem Abschluss seines Romans Die Arbeit der Nacht. Damit gehen die Betrachtung der Veröffentlichungsbedingungen, der Vermarktung seines Textes und die Rolle des Autors in einem Betrieb einher, in dem verschiedene Konsekrationsinstanzen (die Verlage, die Literaturkritik, die Frankfurter Buchmesse und der Deutsche Buchpreis) symbolisches Kapital sowie das Gut ›Aufmerksamkeit‹ verteilen. Dem vorangestellten Motto – »Hell is empty,/And all the devils are here« – gemäß situiert sich der Erzähler im verkommenen Literaturbetrieb um 2005, in dem sich alle Teufel der Hölle versammelt haben.672 Der Erzähler, der den Namen des Verfassers trägt, stellt sich als zwar beachteter, aber wenig erfolgreicher Jungschriftsteller dar. Er vertreibt sich die Zeit des Wartens auf die Veröffentlichung seines Romans mit Computerspielen, wie Civilization (Dbdi 17), und Lesungen oder anderen Terminen des Kulturlebens in Wien. Darüber hinaus zeigt sich der textinterne Autor als private Person in seinem Zuhause und sti-

669 Glavinic: Wir dürfen lügen, das ist schön!, hier S. 64. 670 Assmann: Das bin ich nicht, S. 138. 671 Vgl. dazu Glavinic: Das bin doch ich, S. 176 und 193. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›Dbdi‹ zitiert. 672 Das dem Roman vorangestellte Motto ist William Shakespeares The Tempest entnommen (vgl. Shakespeare: The Tempest, Akt I, Szene 2, V. 214f., S. 186) und mutet bereits hier doppeldeutig an: Der Ausspruch stammt von Ferdinand, dem Sohn des Königs von Neapel, den ein tosendes Unwetter mit seinen Begleitern von Bord ihres Schiffes zwingt; im Sinne dramatischer Ironie spricht Ferdinand mehr aus, als er vordergründig meint, weil sich im Laufe der Handlung sein Vater Alonso, König von Neapel, sowie Antonio, der Herzog von Mailand, die sich ebenfalls vor Ort befinden, als Mörder und Verbrecher entpuppen.

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lisiert sich als »Hypochonder« und Neurotiker,673 der vor dem Leser sogar seinen ›Intimbereich‹ entblößt: »Ich betrachte mich im Spiegel. Zwei unausgebeulte Hoden. Zwei krebsfreie Hoden. Ich bin nicht krank. Oder?« (Dbdi 217f.).674 Zudem hat der Erzähler einen ausgeprägten Hang zum Alkohol, dessen Konsum ihm regelmäßig Kopfschmerzen bereitet, die er mit erneutem Weißweingenuss zu betäuben versucht.675 Sowohl im privaten Bereich als auch in öffentlichen Situationen fällt ›Thomas Glavinic‹ durch unpassendes oder tollpatschiges, teils weltfremdes Verhalten auf676 sowie durch Begriffsstutzigkeit und Überempfindlichkeit.677 Diese sich selbst degradierende Darstellung des Erzählers trägt maßgeblich zur Komik des Romans bei. Die Reaktionen und Äußerungen aus dem engeren Umfeld lassen die Hauptfigur in ihrer Rolle als Autor und als private Person als Objekt von Spott und Kritik erscheinen: »Else und meine Mutter sprechen leiser. […] Plötzlich merke ich, daß jemand über mir steht. Die Person verharrt eine Weile vor dem Sofa, dann setzt sie sich wieder zum Tisch. ›Häßlich ist er schon‹, höre ich meine Mutter sagen« (Dbdi 177).678 Indem der Autor die Meinungen anderer Personen im Roman vermeintlich ungefiltert wiedergibt, wird vordergründig die Glaubwürdigkeit des Erzählten erhöht. Glavinic inszeniert seinen Wunsch nach Bekanntheit und Aufmerksamkeit im literarischen Feld, der im Roman jedoch konsequent unerfüllt bleibt: »Ich gebe meinen Namen bei Google News ein, keine Meldung« (Dbdi 131). Ähnlich ergeht es ihm in einer Buchhandlung am Westbahnhof in Wien: »Zuerst sehe ich mich bei den Romanen um. Von mir haben sie wie üblich keinen« (Dbdi 53). Nicht die Fragen nach der Qualität seiner Texte oder nach seinem Status als Künstler bewegen den Erzähler, sondern sein Ansehen in der Öffentlichkeit und sein Bekanntheitsgrad (»Finde ich einen guten Verlag? Wird mein Buch der

673 Aus Angst vor Krankheiten vermeidet er es z. B., sich beim Duschen zu betrachten (Dbdi 7); bereits bei kleinen Unfällen hat er Angst vor diversen Komplikationen (Dbdi 153) und er leidet u. a. an Flugangst (Dbdi 53). 674 Vgl. Assmann: Das bin ich nicht, S. 125 sowie Keck: ›Das ist doch er‹, S. 241. 675 Vgl. u. a. Dbdi 63. 676 So fordert Thomas Gratzer, der Direktor des Rabenhof-Theaters, ihn aufgrund seines Verhaltens nach erheblichem Alkoholkonsum in Gegenwart des »größte[n] Starautor[s] der westlichen Welt« (Dbdi 29) auf, einen Kaffee zu trinken (vgl. Dbdi 28); beim Reifenwechsel zeigt er sich als vergeistigter Schriftsteller, der nicht weiß, was es bedeutet, Reifen »wuchten« zu lassen, und der weder das Aussehen seines Autos beschreiben kann noch die Automarke kennt (Dbdi 90f.). 677 Vgl. u. a. Dbdi 54f. und 61. 678 Vgl. Dbdi 212: »Ich erwähnte, ich hätte eine neue Freundin […]. Meine Mutter verstand mich falsch, sie begann den Kopf ungeniert nach allen Seiten zu drehen, weil sie annahm, Else sei bereits hier. Sie deutete auf eine übergewichtige, blasse Mittfünfzigerin mit abgearbeitetem Gesicht, vor der ein Glas Rotwein stand: ›Ist sie das?‹«.

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Erfolg, den ich mir wünsche? Komme ich auf die Buchpreisliste?« (Dbdi 16).679 Der ersehnte ökonomische Erfolg wiederum würde mit einer finanziellen Absicherung einhergehen, die für den Autor existenziell ist.680 Selbstironisch entlarvt ›Thomas Glavinic‹ im Roman, dass seine Texte der Öffentlichkeit um 2005/06 kaum ein Begriff sind, ebenso wenig wie sein ›Beinahe-Skandal‹ der Kameramörder,681 der in Wien auch als Theaterstück aufgeführt worden ist: »›Wie heißt dein Stück?‹ ›Der Kameramörder!‹ Konradin beugt sich zu Weber […]. ›Kennst du das Schmatztheaterstück Kameramörderschmatz?‹ ›Kameramö …? Nie gehört!‹« (Dbdi 71). Seine ›Nicht-Prominenz‹ zeigt sich zusätzlich in der im Roman stetig wiederkehrenden ›Verunstaltung‹ seines Namens: »Klawenetsch« (Dbdi 38), »GLA-WE-NITSCH« (Dbdi 97) »Glawatschnig« (Dbdi 140) »Glawienitsch« (Dbdi 206) oder »Glawischnig« (Dbdi 237).682 Der Erzähler ist regelrecht überrascht, als ausgerechnet ein Obdachloser, den er fast täglich auf dem Naschmarkt trifft, ihn auf einen Roman von ›Thomas Glavinic‹ anspricht: »Ahhh, von Glavinic! Der ist toll! Nicht wahr?‹ Fassungslos schaue ich auf seinen zahnlosen Mund. »Kennst du sein erstes?« fragt der Bucklige. »Den Krimi? Den Kamera…Kameramann?« »Kameramörder?« »[…] Das ist ein tolles Buch! Hast du es gelesen?«. (Dbdi 233)

Der Obdachlose kennt demnach den Autornamen und hat den Kameramörder gelesen, und dennoch ist die Szene symptomatisch für das Dilemma des nach öffentlichem Ansehen strebenden Autors: Weder kennt dieser Leser den Titel seines Textes genau, noch erkennt er in ›Glavinic‹ den Verfasser. Zur gleichen Zeit erlebt ›Glavinics‹ Freund und Schriftstellerkollege namens Daniel683 – wie auch mit Daniel Kehlmann in der textexternen Wirklichkeit geschehen – seinen nationalen und internationalen Durchbruch mit Die Ver679 Vgl. auch: Dbdi 185: »Was steht mir bevor, wenn das Buch erscheint? Schon wieder taucht dieser Gedanke auf. Schaffe ich es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises? Unter die ersten sechs?«. 680 Vgl. u. a. ebd.: »denn der Erfolg kann mich materiell weitgehend sorgenfrei machen, zumindest für eine Weile, ein Mißerfolg hingegen hat nicht nur auf mich, sondern auch auf Else und indirekt auf Stanislaus negative Auswirkungen« oder 135: »›WAS, SCHRIFTSTELLER SIND SIE? […] Und davon können Sie leben?‹ […] ›Hmja‹, sage ich und denke an die sechs- oder siebentausend Euro, die ich der Bank schulde«. 681 Vgl. zur Diskussion um Thomas Glavinics Kameramörder: Sauermann: Thomas Glavinic’ »Kameramörder« – Doch kein Skandal, S. 666–677. 682 Siehe hierzu auch Assmann: Das bin ich nicht, S. 130, der das Namens-Spiel in Glavinics Text ebenfalls beobachtet hat und dies als einen Anhaltspunkt dafür sieht, dass die Beantwortung der Frage, wer das ›Ich‹ im Roman sei, nicht zweifelsfrei zu klären sei. 683 Der Name ›Kehlmann‹ fällt im Text explizit nicht. Jedoch lassen die Details sowie der Vorname und die Verbindung zu dem Roman Die Vermessung der Welt den Bezug zu ihm explizit zu.

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messung der Welt (2005). Während der Erzähler selbst hofft, für Die Arbeit der Nacht positive Reaktionen der Verlage zu erhalten, steigen die Verkaufszahlen von ›Daniels‹ Doppelbiographie über Carl Friedrich Gauß und Wilhelm von Humboldt stetig an. Der Schriftstellerkollege setzt sich plötzlich und äußerst schnell im literarischen Feld von seinem Freund ab: Es ist ein bisschen seltsam für mich, zuzusehen, wie Ruhm und Erfolg meines Freundes von Woche zu Woche größer werden. Vor einigen Jahren war ich für kurze Zeit der etwas weniger Unbekannte und Erfolglose. Jetzt hat er schon 25.000 Exemplare seines Buches verkauft und ich stehe ohne Verlag da. (Dbdi 12)

Der ›Wert‹ eines Autors im Literaturbetrieb der Gegenwart ist, so stellt es der Roman dar, messbar in Verkaufszahlen und Literaturpreisen. Im Laufe der Handlung wird leitmotivisch der je aktuelle Stand der verkauften Exemplare der Vermessung der Welt genannt: von anfangs 25.000 bis hin zu 650.000.684 Mit ›Daniels‹ Erfolg gehen eine wachsende öffentliche Aufmerksamkeit und Einladungen aus Politik und Gesellschaft an den Autor einher.685 Gleichzeitig steigt das Interesse der Medien an der Person:686 Daniel beklagt sich über den Blödsinn, der über ihn geschrieben wird. »Was genau regt Dich auf ?« »Na die wollen schreiben wie ich BIN! Die wollen was über mich schreiben als PERSON verstehst du als MENSCH wie ich bin wollen sie ihren Lesern vermitteln und da schreibt einer ich sei ein SCHRIFTSTELLER-SCHLAKS.« (Dbdi 113f.)

Der Roman legt an dieser Stelle nicht nur die Anforderungen des Medienbetriebes an den Autor offen: Wer durch Erfolg in den Fokus des Interesses rückt, soll als Mensch hinter dem Namen sichtbar werden; er ironisiert dies gleichsam durch die autofiktionale Textanlage, die nur scheinbar die Person Thomas Glavinic zeigt. Ebenso thematisieren verschiedene Personen im Roman die zahlreichen Preise, die ›Kehlmann‹ im Laufe des Jahres verliehen werden, und halten ›Glavinic‹ dessen Erfolgsgeschichte vor: »WAS LESE ICH DA, DEIN FREUND KRIEGT SCHON WIEDER EINEN PREIS? […] Steht in der Zeitung! Kriegt den Adenauer-Preis! […] WANN SCHREIBST DU DENN MAL EIN BUCH, DAS SO EINEN ERFOLG HAT? […] WÄRE NICHT SCHLECHT!«. (Dbdi 113)687

684 Vgl. Dbdi 12 und 207 sowie Keck: ›Das ist doch er‹, S. 243. 685 Vgl. z. B. »Ich schreibe Daniel ein SMS. Er schreibt zurück, er kann jetzt nicht, weil er bei einem Essen mit dem Außenminister von Brasilien sitzt […], Daniel ist diese Woche mit dem deutschen Außenminister in Südamerika unterwegs« (Dbdi 175f.). 686 Vgl. dazu Jensen/Müller-Tamm: Echte Wiener und falsche Inder, S. 318 sowie Assmann: Das bin ich nicht, S. 130. 687 Vgl. auch: Dbdi 212: »Dann ruft meine Mutter an: ›Wieso bist du nicht auf der Bestsellerliste und dein Freund immer noch?‹«.

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Der Erfolgsdruck auf den Erzähler ist nicht nur als inneres Verlangen der Person zu werten, sondern auch als Erwartung, die von außen – hier von der Mutter – an den Erzähler herangetragen wird. Konfrontiert mit ›Daniel‹ (Kehlmanns) Ruhm erfährt ›Glavinic‹ seine Rolle als unbekannter Autor umso drastischer : Bei Perlentaucher lese ich, jemand schreibt in der Süddeutschen, Daniel sei der beste Autor seiner Generation. Ich zucke zusammen. Das bin doch ich! mein erster Gedanke. Halt! Ich zwinge mich zu denken. Daniel hat ein wunderbares Buch geschrieben. Er verdient das Lob, das er bekommt. Ich kann ihm diesen Zeitungsartikel schon mal verzeihen. […] Ich frage mich, wie viele Autoren sich jetzt richtig ärgern, wenn schon ich mich für einen Moment erniedrigt fühle. Aber vielleicht schätze ich das falsch ein, vielleicht bin gerade ich derjenige, der sich damit am intensivsten auseinandersetzen muß, eben weil wir Freunde sind. […] Es ist, als hätten sich zwei zu einer Reise verabredet, und dann nimmt der eine den früheren Zug. (Dbdi 41)

Der Erzähler deckt zudem im Vergleich zum Habitus internationaler Autoren und ihrem Erscheinungsbild Mängel an sich auf: Verstohlen betrachte ich die Berühmtheit neben mir. [Jonathan Safran] Foer wirkt besonnen, klug, geistreich. Er hat das, was Karl May ein »feines, durchgeistigtes Gesicht« nennt, und das erinnert mich nicht ganz leidlos daran, daß ich das nicht habe, daß man meinem Gesicht nicht Bildung abliest oder Geistestiefe oder Scharfsinnigkeit oder die Lektüre von Tausenden Büchern, sondern – naja, irgend etwas [sic] anderes. (Dbdi 13)

Sein Gefühl der Unzulänglichkeit gegenüber anderen Autoren, die im Literaturbetrieb mit einem selbstverständlichen und überlegenen Gestus zu agieren scheinen, und der ausbleibende Erfolg lassen ›Glavinic‹ sein Selbstverständnis als Autor infrage stellen: Wie so oft, wenn ich getrunken habe, beginne ich allerhand selbstquälerische und von Selbstmitleid nicht gänzlich freie Fragen aufzuwerfen: Mache ich möglicherweise den gleichen Fehler wie so viele andere Schriftsteller, überschätze ich mich? Bin ich in Wahrheit ein durchschnittlich begabter, leichtgewichtiger Autor, der nie imstande sein wird, ein Meisterwerk zu schreiben, ebenso wie er nie imstande sein wird, zu erkennen, was in Wahrheit sein Niveau ist? Das Talent, das ich angeblich habe – ein Irrtum? (Dbdi 165)

Diesen Selbstzweifeln ist das öffentliche Auftreten des Erzählers geschuldet, das sich eindeutig von assimilierten und kultivierten Teilnehmern des Betriebes absetzt.688 Während ›Kehlmann‹ und der nicht weiter benannte »größte Starautor der westlichen Welt« (Dbdi 25) über andere Autoren und deren literarische 688 Siehe ausführlicher zum Peinlichen in Glavinics Das bin doch ich: Assmann: Das bin ich nicht, S. 129f. Vgl. ferner Catani: Glavinic 2.0, S. 283.

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Werke oder »über das Wesen der Phrase« (Dbdi 29) sprechen, greift der Erzähler in »Ermangelung irgendeiner anderen sinnvollen Tätigkeit […] an [Klaus] Nüchterns Hinterteil« (Dbdi 27) oder tauscht »die üblichen Provokationen und Beleidigungen« (Dbdi 30) aus. Die übrigen auftretenden Autoren, wie ›Safran Foer‹, ›Kehlmann‹ und der ›Starautor‹, halten sich bei offiziellen Anlässen an gesellschaftliche Konventionen und achten auf ihre Außenwirkung. ›Glavinic‹ hingegen konsumiert regelmäßig zu viel Alkohol689 und befördert so sein anstößiges Verhalten. In derartigen Situationen bewertet der Erzähler sein Auftreten selbst als unangebracht, kann jedoch – nicht zuletzt aufgrund des Alkohols – seine Reaktionen nicht mehr beherrschen: »Ich merke selbst, daß wir uns benehmen wie Kinder, die einen Besucher durch schlechtes Betragen auf sich aufmerksam machen wollen, doch ich kann mein Verhalten nicht mehr kontrollieren« (Dbdi 30).690 Insbesondere dem ›Deutschen Buchpreis‹, den der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2005 anlässlich der Frankfurter Buchmesse erstmals vergeben hat, spricht der Erzähler in Bezug auf die Erfolgsaussichten eines Buches sowie auf die Generierung von Aufmerksamkeit für den Verfasser einen hohen Stellenwert zu. Der Preis entspricht textintern der Funktion, die er textextern einzunehmen sucht: als Aufmerksamkeits-Organ.691 Der Deutsche Buchpreis zeichnet den ›besten deutschsprachigen Roman des Jahres‹ aus und suggeriert so, dass die Qualität literarischer Neuerscheinungen objektiv messbar ist. Die Kriterien für derartige Entscheidungen nennt Das bin doch ich jedoch nicht, weil der Preis lediglich in seiner Wirkungsmacht zur Sprache kommt. In der ersten Hälfte des Romans stellt sich zunächst die Frage, ob ›Daniel‹ (Kehlmann) den Buchpreis für Die Vermessung der Welt erhält, nachdem er bereits auf der Shortlist692 steht. Dass der ›Verein des Deutschen Buchhandels‹ ›Arno Geiger‹ den Preis zuspricht, kann ›Daniel‹ aufgrund seines Verkaufser689 Vgl. Dbdi 13: »Foer und ich sitzen nebeneinander. Er bestellt Fisch und Wasser, ich ein Glas Wein.« sowie Dbdi 26: »[…] ohne Alkohol halte ich solche Veranstaltungen nicht aus, also trinke ich Gespritzten (Weißweinschorle) […], Daniel Apfelsaft«. 690 Vgl. Glavinics Kommentar nach der Lesung von ›Jonathan Safran Foer‹: »Es wird allmählich dunkler um mich, die Gedanken werden langsamer. […] Ich versuche aufzustehen, komme nicht hoch« (Dbdi 14). 691 Tatsächlich ist der Preis nachweislich aus Gründen der Aufmerksamkeitsgenerierung gegründet worden und versteht sich noch immer in dieser Weise. Vgl. dazu Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V.: Über den Preis sowie Irsigler : »Der Gewinner ist in jedem Fall die Literatur«. 692 Nachdem eine jährlich unterschiedlich besetzte Jury zunächst 20 Neuerscheinungen für den Preis nominiert und die sogenannte ›Longlist‹ herausgibt, ermittelt die Jury aus den Nominierten die sechs Finalisten auf der ›Shortlist‹. Der Preisträger erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro, die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro (Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.: Auswahlverfahren). Siehe dazu auch Irsigler : »Der Gewinner ist in jedem Fall die Literatur«, S. 237f.

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folges verkraften: »›Na ja, ich brauche den Preis ja nicht so sehr‹« (Dbdi 62). Für ›Glavinic‹, der die Aufmerksamkeit und Anerkennung, die sein Freund bereits genießt, erst noch gewinnen will, kommt dem Deutschen Buchpreis eine enorme Bedeutung zu: »In vier Wochen erscheint Die Arbeit der Nacht. Die Jury des Deutschen Buchpreises hat die Exemplare bekommen, der Verlag ist guter Dinge. Die Shortlist könnte zu schaffen sein. Aber niemand will etwas verschreien« (Dbdi 205).693 Die bevorstehende Verleihung der Auszeichnung ist der Höhepunkt, auf den der Text zuläuft. Titel, die es nicht auf die Liste schaffen, sind von der Aufmerksamkeit des Preises und dem entsprechenden symbolischen wie ökonomischen Kapital ausgeschlossen. Dass Die Arbeit der Nacht nicht einmal auf der Longlist zu finden ist, bewertet der Erzähler nicht mehr. Die Ankündigung »Deutscher Buchpreis: Drei Österreicher auf der Longlist« (Dbdi 235) auf der Internetseite des ORF sowie die Namen der Autoren und ihrer Werke sind vom Erzähler unkommentiert zum Ende des Romans hin abgedruckt. Ein Kommentar des Erzählers erübrigt sich, ist er durch die NichtBeachtung doch erneut auf seinen bisherigen Status zurückgeworfen. Der Text hebt auf der einen Seite die Bedeutung des Preises für das symbolische Kapital eines Autors hervor. Auf der anderen Seite hinterfragt er gleichzeitig die Juryurteile für derartige Preise im Kulturbetrieb und nimmt Konsekrationsinstanzen insofern nicht zweifelsfrei als Autoritäten an. Außerdem zweifelt der Erzähler die Entscheidung der Jury des Deutschen Buchpreises 2005 direkt an, wenn auch aus deutlich subjektiver Perspektive: Daniel hat den Buchpreis nicht gekriegt. Den Buchpreis hat Arno Geiger gekriegt. […] Daniel hat den Buchpreis nicht gekriegt. Finde ich unglaublich. Ich kenne Arnos Buch noch nicht, es wird bestimmt toll sein, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß in diesem Jahr irgendein Buch besser ist als Die Vermessung der Welt. Wieso hat Daniel nicht gewonnen? (Dbdi 62)

Darüber hinaus deckt das Beispiel der Juryarbeit zum Wiener Filmpreis, bei dem ›Glavinic‹ als Juror teilnimmt – wie sich später herausstellt, ist er von einer Mitarbeiterin des Viennale-Festivals eingeladen worden, die ihn aufgrund eines Radiointerviews entdeckt hat (vgl. Dbdi 68) –, die Willkür und Subjektivität von Juryurteilen auf. Abgesehen davon, dass der Erzähler offenbar zufällig und nicht aufgrund seiner besonderen Kenntnisse im Bereich der örtlichen Spiel- und Dokumentarfilme als Juror ausgewählt worden ist, folgt die Jurysitzung subjektiven Geschmacks- und Wertungsmaßstäben: »Für mich steht fest, was ich will: einen Spielfilm, ich möchte Kunst auszeichnen. […] ›Ich bin für eine Doku‹, sagt Frau N.« (Dbdi 45). Zu einem Ergebnis gelangt die Jury nach langwierigen 693 Vgl. auch: Dbdi 63: »Er [Daniel] hat mir alles über die Preisverleihung erzählt. Ich stelle mir vor, wie es wäre, mit Die Arbeit der Nacht in diesem Saal zu sitzen und zu warten, ob ich es bin. Muß erfreulich sein, aber auch nervenaufreibend«.

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Diskussionen, wie ›Glavinic‹ es darstellt, durch ›Aussitzen‹: »Die Diskussion beginnt von neuem. Eigentlich ist es keine Diskussion, jemand sagt müde einen Satz, dann blicken mich alle flehend an. Nach dem dritten Glas ist es mir zu blöd, und ich willige ein. Allgemeines Aufatmen« (Dbdi 48). Glavinic legt in seinem Text zwar die verschiedenen Bedingungen und Mechanismen des Kulturbetriebs in satirischer Manier offen, zeigt sich aber auch als integrierten Teil des Betriebes, der die Mechanismen erkennt, ihnen aber dennoch unterworfen ist. Wie andere Akteure hofft auch ›Glavinic‹ auf die Vermehrung seines symbolischen sowie ökonomischen Kapitals durch die gleichen Strategien.

3.2

Thomas Glavinic: Autofiktionale Selbststilisierung

3.2.1 Das autobiographische Paktangebot Das bin doch ich bietet dem Leser – mit Lejeune gesprochen – durch die Namensidentität von Autor und autodiegetischem Erzähler von vornherein einen autobiographischen Pakt an. Der Autorname ist auf dem Buchdeckel genannt; der gleichlautende Name des autodiegetischen Erzählers fällt mehrfach direkt im Text.694 Darüber hinaus teilt ›Thomas Glavinic‹ weitere Eigenschaften mit dem Verfasser, wie der Klappentext belegt: So haben beide die Romane Carl Haffners Liebe zum Unentschiedenen, Der Kameramörder oder Wie man leben soll verfasst,695 und der Carl Hanser Verlag verlegt Die Arbeit der Nacht. Auch die Lebensdaten des Autors (er ist zum Zeitpunkt der Handlung wie seine reale Entsprechung 33 Jahre alt) und weitere Details decken sich mit denen des Erzählers (Dbdi Klappentext hinten innen).696 Glavinic weist in einem Interview kurz vor der Veröffentlichung von Das bin doch ich darauf hin, dass es der Literatur nicht um Abbildung der Lebenswirklichkeit gehe: Literatur ist doch nicht dazu da, um die Wirklichkeit nachzuschreiben. Ich muss nicht wissen, wie es irgendwo aussieht, um darüber zu schreiben. Wenn ich in einer Straße eine Kirche brauche, dann schreibe ich da eine Kirche hin. Es ist vollkommen egal, ob die da wirklich steht. Wir dürfen erfinden! Wir sollen erfinden! Wir dürfen lügen, das ist schön!697 694 Erstmals fällt der Nachname des Erzählers im Text auf S. 28, sein Vorname bereits auf S. 9. Zuvor sind über den Roman Die Arbeit der Nacht (Dbdi 8), den Wohnort der Mutter, der Glavinics Geburtsort entspricht (Dbdi 17), und über sein Kürzel (als Unterschrift bei einer E-Mail, Dbdi 22) bereits Hinweise auf eine Identität von Autor und Erzähler gesetzt. 695 Vgl. dazu Dbdi 31, 71, 97. 696 Vgl. auch Jensen/Müller-Tamm: Echte Wiener und falsche Inder, S. 317. 697 Glavinic: Wir dürfen lügen, S. 63.

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Er spricht sich hier dezidiert im Sinne Hassans gegen eine Literatur aus, die dem Mimesis-Gedanken verpflichtet ist. Trotz dieser textexternen Position ist die Romanwelt grundsätzlich bis in kleinste geographische Details hinein der Lebenswelt des Verfassers nachempfunden;698 es gibt keine nicht-realen Orte oder nicht-möglichen Geschehnisse. In einer Erzählung, die mit der Illusion einer Abbildung des Lebens des Autors spielt, kommt es auf eben solche Abweichungen sehr wohl an. Zusätzlich zu der Nennung realer Orte, realer Literaturund Filmpreise, von Veranstaltungen, Namen von Gaststätten und aktuellen Medien699 treten eine Reihe bekannter Persönlichkeiten auf. Neben den bereits erwähnten Schriftstellergrößen wie ›Daniel‹ (Kehlmann) und ›Jonathan Safran Foer‹ spricht Glavinic außerdem mit ›Robert Menasse‹ (Dbdi 174). In den einschlägigen Literaturbetriebsszenen treten fast ausschließlich solche Personen auf, die gleichnamige Entsprechungen in der Wirklichkeit haben, so u. a. der Direktor des Rabenhof Theaters in Wien ›Thomas Gratzer‹ (Dbdi 12), der österreichische Kabarettist ›Thomas Maurer‹, der Schauspieler ›Nicholas Ofczarek‹ (Dbdi 10), ›Klaus Nüchtern‹ (Kulturredakteur und stellvertretender Chefredakteur der Zeitung Falter) oder der Kulturstadtrat ›Andreas MailathPokorny‹ (Dbdi 27) und weitere Prominente wie ›Herbert Prohaska‹ (Dbdi 40).700 Die Namensnennungen wirken als Referenzen auf die realen Personen, wenn der Leser die dazugehörige ›Frame-Semantik‹ aufweist (also die Personen kennt und sie im Wiener Literaturbetrieb einordnen kann) oder eine entsprechende Recherche anstellt. Es ist kaum nachprüfbar, ob die Genannten auch in der textexternen Realität an einem gemeinsamen Abendessen nach einer Lesung von ›Jonathan Safran Foer‹ teilgenommen haben, doch sind derartige Treffen als möglich zu erachten. Überdies fallen im Roman immer wieder Namen anderer Akteure aus dem literarischen Feld. Diese dürften dem Leser zwar nicht zwangsläufig bekannt sein, sie sind jedoch mit einschlägigen Institutionen verknüpft, so dass suggeriert wird, es handle sich um reale Personen. Dies zeigt sich z. B. bei Glavinics Lesung am Ende des Romans: »Michaela Puchberger vom Hanser-Vertrieb ist da, der Verlagsvertreter Schlieber ist da, auch die Rabenhofleute, wenigstens kurz« (Dbdi 235). 698 Vgl. die folgende Textpassage aus Das bin doch ich: »Dann zu Fuß zur U1 in der Taubstummengasse, ein für meine Verhältnisse gar nicht so kurzer Spaziergang, weil ich mir einbilde, die U1 hält am Kardinal-Nagel-Platz. Es ist aber die U3. Ich muß am Stephansplatz umsteigen« (Dbdi 25) und den U-Bahn-Netzlinienplan aus Wien (Wiener Linien GmbH & Co KG: Netzpläne). 699 So z. B. der Wiener Naschmarkt, das Rabenhof-Theater (Dbdi 25) oder das Gasthaus Wild (Dbdi 13), der Wiener Filmpreis (Dbdi 33), der Standard (Dbdi 17), die Neue Zürcher Zeitung (Dbdi 212) oder Perlentaucher (Dbdi 41). 700 Vgl. hierzu auch Assmann: Das bin ich nicht, S. 128, der ebenfalls auf die Realitätsreferenzen im Text eingeht.

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Hinsichtlich der Erwähnung von Personen aus dem privaten Bereich des Erzählers ist kaum überprüfbar, ob sie reale Entsprechungen haben oder nicht. Indem diese jedoch Teil eines Figurenarsenals sind, das der Realität zu entsprechen scheint, kann der Leser sie zumindest als Spiegelbilder auffassen, solange nichts derartigen Informationen widerspricht.701 Die Fülle an Realitätsverweisen evoziert damit den Eindruck einer (wenn auch teils überspitzten) Abbildung bzw. Spiegelung des realen Literaturbetriebs. Aus einer rein fiktionstheoretischen Perspektive kann mit Wolf Schmid also gelten, dass nicht die realen Personen Eingang in den Roman gefunden haben und der textexterne Glavinic nicht mit seiner Romanfigur gleichzusetzen ist. Dennoch wirken die Namensgleichheit des Autors und die anderer Figuren mit realen Entsprechungen als erhöhte Wirklichkeitseffekte.702 3.2.2 Der Fiktionsvertrag Durch die Gattungsbezeichnung ›Roman‹ ordnet sich Glavinics Text gleichsam der Fiktion zu. Glavinic verwendet damit die bei Doubrovsky angelegte Strategie autofiktionaler Textkonzeption aufgrund des Widerstreits von Namensidentität und Gattungsangabe. Überdies erweckt der Erzähler den Anschein, das Erzählte gegenwärtig zu erleben, indem er »die durchgängige Haltung eines präsentischen Erzählens in der ersten Person«703 einnimmt. Diese »Suggestion von Gegenwärtigkeit und ihrer Unmöglichkeit« kann als »Fiktionalisierungseffekt« begriffen werden, der dem autobiographischen Pakt zusätzlich entgegenwirkt.704 Dass der textinterne ›Thomas Glavinic‹ ebenso wie die Literaturbetriebs-Szenen jedoch keine auf Wahrheitsabbildung angelegte autobiographische Konzeption darstellen, verdeutlichen vor allem die stetige Selbstironisierung der Figur und die auf Komik angelegten Szenen des Literaturbetriebs. Wie bereits angesprochen, desavouiert sich der Erzähler immer wieder im Sinne einer Narrengeschichte und stellt sein Verhalten in übertriebener Weise bloß: Ich rede auf ihn ein wie ein russischer Bauer, er soll sich ordentlich einen ansaufen, und er lächelt und hält die Hand über das Glas. […] Ich trinke, höre dem Gast zu, bewundere nebenbei neidvoll sein dichtes Haar und bemühe mich, nicht herumzu-

701 Vgl. ebd., S. 128. Assmann spricht an dieser Stelle von Personen, die der Leser als »vermutlich ›bekannte‹ oder ›reale‹ Personen annehmen« kann. 702 Vgl. ebd., S. 131. Assmann verfolgt hier einen ähnlichen Gedanken: »Für die Lektüre des Textes ist das Wissen um die realen Entsprechungen der Literaturbetriebsfiguren und -instanzen zwar nicht entscheidend, es löst aber gleichwohl ›Feedbackeffekte‹ aus, die durchaus bemerkbare Auswirkungen auf die öffentliche Rezeption des Buches haben«. 703 Jensen/Müller-Tamm: Echte Wiener und falsche Inder, S. 317. 704 Ebd.

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schreien oder andere Dinge zu tun, die einen gebildeten, wohlerzogenen jungen Mann aus den Vereinigten Staaten schockieren könnten. (Dbdi 14)

Der Roman geht folglich nicht in einer Lesart als »›unverschlüsselter‹ Schlüsselroman über die verdorbenen literarischen Öffentlichkeiten Deutschlands und Österreichs«705 auf. Anja Johannsen hält fest, dass Glavinic auf den angestrengten Willen zum Authentischen [antworte], indem er das Rad quasi überdreht: Indem er scheinbar nichts als das Faktische, Realexistierende zum Stoff dieses Romans macht, wird die Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität erst recht wieder zur Disposition gestellt.706

An kleineren Verschiebungen bzw. Abwandlungen, die einem an der Wiener Kulturszene interessierten Leser auffallen können, lässt sich nachweisen, dass Glavinic nicht ausschließlich ›Faktisches‹ erzählt.707 In der Jury zur Preisvergabe des Viennale-Filmpreises z. B., in der Glavinic nachweislich 2005 gesessen hat und die in der Tat Operation Spring den Preis als bester Film zugesprochen hat, sind Personen explizit nicht benannt oder verfremdet worden.708 Im Roman sitzen mit Glavinic neben »Herrn Kaindlgruber von der ORF-Kultur« die Filmkritikerin der oberösterreichischen Nachrichten, ein Kinobesitzer und »Frau N., die ebenfalls beim ORF arbeitet und vor einem halben Jahr ein belletristisches Werk bei einem kleineren österreichischen Verlag veröffentlicht hat« (Dbdi 45) in der Jury. Tatsächlich sind mit Thomas Glavinic Clarissa Stadler (TV-Moderatorin), Günter Kaindlstorfer (Journalist), Alexander Syllaba (Cinema Paradiso, Journalist) und Ulrike Steiner (Filmkritikerin) Mitglieder der Jury gewesen.709 Während der Name ›Günter Kaindlstorfer‹ nur gering verfremdet ist, sind die übrigen Teilnehmer gar nicht erst namentlich genannt. »Frau N.« kann aufgrund ihrer belletristischen Veröffentlichung zusammen mit ihrer Tätigkeit beim ORF zwar mit Clarissa Stadler identifiziert werden, wenn es ein Leser auf eine ›entschlüsselnde Lektüre‹ anlegt und zudem die Wiener Filmund Journalistenszene kennt. Es zeigt sich hier jedoch, dass Glavinic von der 705 706 707 708

Assmann: Das bin ich nicht, S. 128. Johannsen: »In einem Anfall von Literaturbetriebswiderwillen«, S. 114. Vgl. dazu auch Wiesauer : Das bin ich nicht, S. 34. Eine weitere Ausnahme bildet die Aussparung des Namens des ›größten Starautors der westlichen Welt‹, der anders als Safran Foer namentlich nicht identifiziert wird. Der Hinweis auf ›Mario Vargas Llosa‹ auf S. 34 wurde im Feuilleton zum Teil als Auflösung des Rätsels begriffen. Vgl. dazu Görner : Kein Weißwein da. Jedoch ist die entsprechende Textstelle nicht eindeutig zu dechiffrieren. Andere Stimmen im Feuilleton identifizieren den ›Starautor‹ daher als Jonathan Franzen. Vgl. dazu z. B. Kämmerlings: Das Ich im Kreise seiner Teufel, S. Z5. Letztlich aber kommt es nicht auf eine Entschlüsselung der Figur an, sondern auf den Stellenwert, der ihr aufgrund der Formulierung ›der größte Starautor der westlichen Welt‹ zukommt. Vgl. dazu Keck: ›Das ist doch er‹, S. 245f., die hier ebenfalls auf die Auslassung der Namensnennung eingeht. 709 Viennale – Vienna International Film Festival: Festivalarchiv Filmpreise.

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realen Vorlage, die noch dazu Juryurteile im Kulturbetrieb ironisiert, bewusst abweicht. 3.2.3 Widerstreitende Pakte Mit seiner Konzeption folgt Das bin doch ich Doubrovskys autofiction als Text zweier sich widerstrebender Pakte.710 Zusätzlich beeinflusst der Romantitel von vornherein die Leseerwartung: ›Das bin doch ich‹ setzt sich selbstironisch mit der Romankonzeption auseinander. Das »Spiel mit der Wirklichkeit und ihrer Verdopplung, mit der Wahrheit und ihrer Erdichtung« (Dbdi Klappentext) manifestiert die Taschenbuchausgabe im Peritext.711 Mit ihrem Cover gibt die dtv-Ausgabe einen weiteren Hinweis auf das Spiel mit der Identität von Autor und Figur, indem ein Foto von Thomas Glavinic auf dem Cover eines aufgeschlagenen Buches zu sehen ist, das sich ein im Hintergrund befindender Mann vor sein Gesicht hält (siehe Abb. 1). Ein Buchcover ›ersetzt‹ hier den Kopf des Autorportraits. Durch die unterschiedlichen Größenverhältnisse sowie die Darstellung des Buchs im Buch wird auf die Fiktion über die Gattungsangabe hinaus hingewiesen. Indem Glavinic der Hauptfigur seinen Namen leiht, legt er dem Roman eine Konzeption zugrunde, die sich von klassischen Literaturbetriebssatiren bzw. -romanen unterscheidet, die zwar mit Realitätsverweisen arbeiten, dennoch aber den unmittelbaren Bezug zum eigenen Leben vermeiden. Der Text schließt so in gewisser Weise an Uwe Johnsons Begleitumstände (1980) und Walter Kempowskis Tagebücher an, zu denen Daniel Weidner herausgearbeitet hat: Wo es um das schreibende Subjekt geht – wie etwa besonders deutlich in den Begleitumständen und in Kempowskis Tagebüchern –, steht nicht mehr die Frage nach der Authentizität im Mittelpunkt, sondern vielmehr die öffentliche Rolle des Autors, seine Stellung auf dem literarischen Markt und in der medialen Öffentlichkeit.712

Allerdings ist in Bezug auf Glavinics Text einzuräumen, dass die Kategorie der Authentizität sehr wohl noch eine Rolle spielt: als Ironisierung eines Wirklichkeits-Begehrens. Mit der Namensidentität steigert Glavinic so zumindest vordergründig den Bezug zur Autoren-Persona. Dies zeigt sich etwa im Vergleich zu Klaus Modicks 2006 erschienenem Bestseller, der in satirischer Weise auf der Ebene der Diegese überzeichnet, was im realen Literaturbetrieb angelegt 710 Vgl. dazu Jensen/Müller-Tamm, die in Bezug auf Glavinics Das bin doch ich vielmehr von »sich wechselseitig bestätigende[n] und verstärkende[n] Spielformen eines in verschiedenen Dimensionen angesiedelten autofiktionalen Raums« sprechen (Jensen/MüllerTamm: Echte Wiener, falsche Inder, S. 320). 711 Vgl. hierzu Potsch: Thomas Glavinics Das bin doch ich, S. 253. 712 Weidner: Bildnis machen, S. 181.

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Abb. 1: Cover der dtv-Taschenbuchausgabe von Thomas Glavinics Das bin doch ich

ist: der Erfolg von Texten, die im Sinne dokumentarischer bzw. autobiographischer Manier Authentizität suggerieren und dennoch fingiert sein können.713 Neben diversen Anspielungen auf die Biographie des Verfassers trägt die Hauptfigur den Namen Lukas Domcik, ein Anagramm des Autornamens. Dadurch verweist der Text zwar implizit auf Modick und stellt eine Nähe zum Verfasser und zum realen Betrieb her, doch bleibt der Roman im fiktionalen Kontext verhaftet. In eben diesem Sinne ist dort die offenkundige Vermischung von realen und erfundenen Hintergründen und Plagiatsfällen im Literaturbetrieb zu verstehen.714 Glavinic hingegen verlagert die Frage nach der Authentizität über den Autornamen eindeutig auf die Ebene der Rezeption, indem er mit den Effekten spielt, die von seiner Namensnennung und der anderer Akteure ausgehen. Eine solche proklamierte Authentizität wirkt im fiktionalen Kontext häufig jedoch genau im gegenteiligen Sinne: Dass der empirische Autor in Gestalt seines Personennamens im Medium der Fiktionalität auftritt und vielleicht sogar wahrheitsgemäße Einblicke in sein Intimleben ge713 Auch Johannsen geht neben Martin Walsers Tod eines Kritikers auf Klaus Modicks Bestseller ein (Johannsen: »In einem Anfall von Literaturbetriebswiderwillen«, S. 115); weiter zu nennen sind in diesem Zusammenhang Bodo Kirchoffs Schundroman (2002) oder Joachim Lottmanns Der Geldkomplex (2009). 714 Vgl. dazu näher etwa Modick: Bestseller, S. 95–98.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

währt, öffnet die Texte in ihrer Materialität und dementiert ihre scheinbare Naturwüchsigkeit, ›entglaubigt‹ das Erzählte also umso mehr (ganz unabhängig vom eventuell überprüfbaren Wahrheitsgehalt der histoire) und stellt es auf diese Weise ähnlich als Spiel aus, wie das schon in der postmodernen Literatur der Fall gewesen ist.715

Strategien einer vermeintlich unmittelbaren Einschreibung des Autors in dennoch als Fiktion markierte Texte, die mit der Suggestion von Authentizität spielen, greifen auch andere Autoren der Gegenwart vermehrt auf und setzen dies auf vielfältige Weise um. Neben Wolf Haas’ Verteidigung der Missionarsstellung (2012) ist hier Tilman Rammstedts Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters (2012) zu erwähnen. Der Autor verwendet darin nicht nur seinen bürgerlichen Namen im Text und teilt mit seinem Erzähler eine Merkmalsschnittmenge (den Beruf, den Verlag etc.),716 Rammstedt steigert den autobiographischen Bezug zusätzlich, indem er sogar seinen Skypenamen und eine Handynummer im Roman angibt. In einem Brief an den Filmschauspieler Bruce Willis, der in Rammstedts neuem Roman eine Rolle übernehmen soll, heißt es: »[F]alls Sie zufällig in Europa sein sollten, würde ich mich freuen, wenn Sie sich kurz melden: +49 (176) 62138954, Skype: tilman_rammstedt. Mit freundlichen Grüßen, Tilman Rammstedt«.717 Der Verfasser suggeriert durch die Namensidentität und die Kontaktangaben eine Identität zwischen Autor, Erzähler und Figur bzw. eine Aufhebung der Grenzen zwischen textinternem und textexternem Rammstedt. Bei der angegebenen Handynummer handelt es sich laut Rainer Moritz um die tatsächliche Handynummer des Autors.718 Peter Pisa hält fest: Er hebt tatsächlich ab. Und lacht. Alle haben ihm abgeraten, seine Telefonnummer ins Buch zu schreiben. Er hat’s getan. Sogar mit Vorwahl für die österreichischen und Schweizer Leser. Eigentlich ist + 43 (176) 62138954 die Nummer von der Romanfigur Tilman Rammstedt, einem Schriftsteller. Weil aber der richtige Tilman Rammstedt in Berlin das Telefon abhebt (noch macht er es!), kann man davon ausgehen, dass es sich um dieselbe Person handelt.719

Mag der Verfasser zum Veröffentlichungszeitpunkt des Romans tatsächlich unter der angegebenen Telefonnummer zu erreichen gewesen sein720 oder hat die Literaturkritik das Spiel des Autors möglicherweise bloß getragen und vorgegeben, es sei dessen Handynummer : Es bleibt festzuhalten, dass Rammstedt mit 715 716 717 718 719 720

Meier : Realitätsreferenz und Autorschaft, S. 32. Vgl. dazu Rammstedt: Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters, S. 7 und 94. Ebd., S. 9. Moritz: Ein seltsamer Bankberater. Pisa: Der Bankberater und das Telefon. Über ein halbes Jahr später klingelt es zwar, wenn die Nummer angerufen wird, Tilmann Rammstedt aber ruft nicht zurück (Anm. B. K.).

Thomas Glavinics Das bin doch ich

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der Referenzialisierbarkeit von Autobiographemen über die Textgrenzen hinaus arbeitet. Zwar kann sich der Autor ohne Weiteres eine Zweit-Handynummer zuund einen weiteren Skype-Account anlegen, um dieses Spiel zu wagen, ohne seine privaten Kontaktdaten tatsächlich preiszugeben. Ausschlaggebend ist aber, dass trotz der Markierung der Fiktion die Möglichkeit aufscheint, den realen Verfasser in seinem Roman greifen zu können, und die Oppositionen von Fiktion und Wirklichkeit, Text und Leben durch den Effekt einer Unmittelbarkeit aufgeweicht werden.721

3.3

»Das bin nicht ich! Das könnt’ ich sein«

Mit einem Bündel an Übereinstimmungen zwischen Autor- und Erzählerbiographie und der Demontage der eigenen Persona legt es Glavinic ostentativ auf eine Identifizierbarkeit des textinternen Autors mit dem Verfasser an, um sie gleichzeitig zu unterlaufen. Welche Elemente im Text dabei als Autobiographeme wirken, hängt, wie bereits zuvor festgestellt worden ist, vom Vorwissen des einzelnen Lesers ab und kann durch peri- und epitextuelle Informationen über den Autor gestützt werden. Während über Hanns-Josef Ortheil eine Fülle an biographischen Details zum Veröffentlichungszeitpunkt von Die Erfindung des Lebens bekannt ist oder sich intertextuell über seine Vorgängertexte erschließen lässt und Autoren wie Wagner und Ortheil im Nachhinein Autobiographeme als solche sichtbar machen, arbeitet Thomas Glavinics Text im Gegensatz dazu nur mit den Eckdaten der Verfasser-Biographie. Die der Öffentlichkeit zugängliche Medienbiographie des Autors enthält keine Informationen zu seinem näheren Lebensumfeld, seiner Familie oder zur privaten Person Thomas Glavinic. Der Klappentext zu Das bin doch ich liefert dieser Textsorte entsprechend Geburtsort und -datum sowie die Nennung seiner bisher veröffentlichten Romane und Auszeichnungen.722 721 Es sei hier angemerkt, dass Rammstedts Text anders als Glavinics im Sinne metafiktionaler Auseinandersetzung zu sehen ist. Die Abenteuer meines ehemaligen Bankberaters führen exemplarisch vor, wie ein Schriftsteller, der einen Roman schreiben will, den Roman unfreiwillig in Briefform zu schreiben beginnt, selbst in seinen Text hineingezogen wird und die Kontrolle über das Erzählte mehr und mehr verliert. Wird so auf Ebene der histoire die Souveränität eines Autors über das Erzählte infrage gestellt, schreibt sich der Verfasser dennoch derart in den Text ein, dass er als Bezugsgröße unverzichtbar bleibt. 722 »Thomas Glavinic, 1972 in Graz geboren, lebt in Wien. Seit 1991 ist er freier Schriftsteller. 1998 erschien sein Debüt Carl Haffners Liebe zum Unentschieden. Es folgten Herr Susi (2000), Der Kameramörder (2001) und Wie man leben soll (2004). Sein vielbeachteter Roman Die Arbeit der Nacht erschien 2006 bei Hanser« (Dbdi Klappentext). Vgl. die Klappentexte zu Glavinics früheren Romanen, die ebenfalls keine weitergehenden Informationen zur Autor-Biographie liefern. Thomas Glavinic: Herr Susi, Wie man leben soll,

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

In einem Gespräch mit dem Spiegel geht Glavinic außerdem darauf ein, dass er in Wirklichkeit weniger hypochondrisch sei als die Figur im Text,723 und gibt damit einen doppeldeutigen Hinweis: dass er offenbar hypochondrisch ist und die Figur ihm darin nachempfunden ist, die Charaktereigenschaft der Roman-Figur aber überzeichnet ist.724 Die Interviews mit Glavinic angesichts seines autofiktionalen Textes zeichnen sich ansonsten durch eine konsequente Verschwiegenheit bezüglich des Privatlebens aus. Damit bleiben in Glavinics Fall lediglich die in der Öffentlichkeit bekannten spärlichen Angaben zum Leben des Autors und seine Bibliographie als Bezugspunkte für den autofiktionalen Text. Als Folge kann ein Leser die privaten Szenen nur hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit einschätzen. Glavinics Umgang mit autobiographischem Material unterscheidet sich damit grundlegend von dem Hanns-Josef Ortheils. Es ist ihm gerade nicht daran gelegen, autobiographische Intarsien in seinen Romanen als solche sichtbar zu machen, sondern die Unsicherheit zu den privaten Details im Roman aufrechtzuerhalten. Seit 2009 verfügt der Autor über eine Homepage,725 die ebenfalls dem bereits 2007 zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Das bin doch ich an den Tag gelegten Habitus des Autors folgt. Die dort abrufbaren Interviews oder Artikel sind auf Glavinics Werke und auf das Thema des Schreibens ausgerichtet; der enthaltene Foto-Blog zeigt vor allem Momentaufnahmen, Landschaften oder Orte, mit oder ohne den Autor, jedoch ohne Kommentare und Erläuterungen von Seiten des Verfassers. Glavinic setzt sich mit medialen Mitteln in Szene; er stilisiert sich auf Fotos, zeigt bestimmte Orte, an denen er gewesen ist. Er macht auf sich aufmerksam und ist medial aktiv, ohne Einblicke in sein Privatleben zu gewähren, so dass hier nachträglich – und vom Haupttext zeitlich deutlich abgerückt – keine ›entschlüsselnden‹ bzw. beglaubigenden Paratexte bezüglich der privaten Szenen im Roman entstehen.726 Einzelheiten betreffend ist festzustellen, dass der Verfasser textextern Überzeugungen, die der Erzähler im Text äußert, in ähnlicher Manier zum Ausdruck bringt, was erneut eine autobiographische Lesart bestimmter Textteile

723 724

725 726

Die Arbeit der Nacht. Vgl. zudem den Eintrag des Verfassers auf der Homepage des Carl Hanser Verlages (Carl Hanser Verlag GmbH und Co KG: Thomas Glavinic). Wiesauer : Das bin ich nicht, S. 34. Vgl. Assmann: Das bin ich nicht, S. 133. An anderer Stelle weigert sich Glavinic, sich näher zu dem Roman zu äußern: »Der Schriftsteller trägt den Namen Thomas Glavinic. Können Sie selbst bitte kurz in eigenen Worten den Inhalt des Romans skizzieren? Ich kann und möchte über dieses Buch nichts sagen – zumindest einstweilen noch nicht« (Glavinic: Wir dürfen lügen, S. 62). Carl Hanser Verlag GmbH und Co KG: Thomas Glavinic. Eine Inszenierung des Autors in den digitalen Medien, die dennoch Biographisches weitgehend außer Acht lässt, ist ebenfalls an Glavinics seit 2009 bestehender Facebook-Seite ablesbar. Dort sind Buchpremieren, Lesungen und öffentliche Auftritte des Autors sowie gelegentliche ironische Selbstkommentare zu sehen, wie z. B. ein Foto, das den glatzköpfigen Autor vor einem »Institut für Zweithaar« zeigt (Glavinic: Thomas Glavinic).

Thomas Glavinics Das bin doch ich

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zu stützen vermag. So spricht sich der Erzähler beispielsweise ab, über seine eigenen Gedichte zu urteilen und damit eine Deutungshoheit für sich in Anspruch zu nehmen. Er versteht sich nicht als Souverän seiner Texte oder aufgrund seiner Autorschaft als privilegierter Leser : »Gedichte, die ich von 2005 an geschrieben habe und die höchstwahrscheinlich miserabel sind, ich zeige sie niemandem, ich verstehe nichts von Gedichten und kann sie nicht beurteilen« (Dbdi 151). Der Verfasser erklärt in einem Interview mit der Zeitschrift Akzente in Bezug auf seine Werke im Allgemeinen: Und außerdem ist es mir egal, was meine Bücher bedeuten. Ich muss sie nicht verstehen. Ich mag sie, weil sie mein anderes Ich sind, ich bin froh, sie geschrieben zu haben, aber ich habe keine Ahnung, was für Geister durch sie marschieren. Ich weiß nur, dass welche da sind.727

Glavinic betont in den Interviews zu Das bin doch ich darüber hinaus die Unzulänglichkeit einer Gleichsetzung zwischen Autor und Erzähler und erinnert an die literaturwissenschaftliche Prämisse des Lektürepaktes für Fiktion, obwohl die Namensidentität dies zumindest scheinbar unterläuft. Mit der Formulierung ›mein anderes Ich‹ macht er zugleich jedoch auf die Nähe der Figur zu sich selbst aufmerksam. Auf die Frage, warum er seiner Romanfigur den eigenen Namen gegeben habe, antwortet Glavinic im Spiegel: »Das ganze Buch ist ein Spiel mit Identitäten. […] Und trotzdem sage ich: Das bin nicht ich! Das könnt’ ich sein. Oder, das ist vielleicht ein Teil von mir«.728 Der Effekt der von der Namensidentität ausgehenden Identifikation mit dem Autor ist für Glavinic lediglich ein Spiel mit der Vorstellung von seiner Person. Obwohl Glavinic eine autobiographische Lektüreoption anbietet, will er seinen Text als reine Fiktion verstanden wissen. Im Gespräch mit der Wiener Zeitung kommt er ein weiteres Mal auf die Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler zu sprechen: »Wenn man eine Ich-Erzählung schreibt, wird man ohnehin immer gefragt, ob oder inwie weit [sic] sie autobiografisch ist. Ich wollte dieses Spiel weitertreiben. Autor und Ich-Erzähler heißen gleich – und sind trotzdem nicht ident [sic]«.729 Glavinic

727 Glavinic: Der Roman, S. 308. Vgl. dazu ferner Glavinic: Wir dürfen lügen, S. 61: »Ich verstehe meine Romane eigentlich recht wenig. Damit meine ich nicht, dass ich mir über Struktur und Motive keine Gedanken machen würde, im Gegenteil. Aber warum funktioniert der Text? Ich weiß es nicht. Ich erkenne nur, ob er funktioniert und ob er in sich stimmig ist. Aber warum? So ganz sicher bin ich selbst mir da selten. Ein Künstler, der seine Kunst erklären kann, ist kein Künstler, sondern ein Kunsthandwerker, sagt Charlie Chaplin. […] Je länger ich schreibe, desto deutlicher wird mir, wie wenig ich weiß«. Vgl. auch Catani: Glavinic 2.0, S. 277, die ebenfalls auf das hier angeführte Zitat aus der Zeitschrift BELLA triste sowie den Habitus des Autors eingeht. 728 Wiesauer : Das bin ich nicht, S. 34. 729 Urbanek: »Wer meine Bücher ablehnt, lehnt mich ab«.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

versteht das autofiktionale Prinzip demnach als Möglichkeit einer Steigerung bzw. Überbietung bisheriger Schreibweisen. Assmann hat darauf hingewiesen, dass das Qualitätsfeuilleton die Illegitimität der Autor-Erzähler-Korrelation zwar herausstreicht, aber im Gestus des überlegenen Wissens um das eigentlich ›Verwerfliche‹ an diesem Kurzschluss spielerisch eben doch auf die Person Glavinic verweist,

was den »Abstand zwischen Ich-Erzähler und Autor […] weder vergrößert noch verringert«.730 Die Reaktionen des Feuilletons belegen allerdings auch die Wirkung der autofiktionalen Poetik. Trotz des Roman-Postulats legt es der Text darauf an, die Autor-Erzähler-Übereinstimmung nicht klar zu verneinen, da er dezidiert mit einem solchen Autor-Bezug arbeitet. Das bin doch ich provoziert die Frage, wie eng die Textkonzeption an der Realität angelehnt ist, und speist sich aus dem nicht auflösbaren Widerstreit zweier gegensätzlicher Rezeptionsmechanismen. Dies lässt sich auch an einer textexternen Reaktion im Internetlexikon Wikipedia ablesen.731 Im Roman thematisiert ›Glavinic‹ den Einfluss des Autors auf sein Bild in der Öffentlichkeit. Er behauptet, den Wikipedia-Eintrag über ›Thomas Glavinic‹ selbst verfasst zu haben, den nun die Kulturredakteure, die ihm gegenübersitzen, benutzen: Ich finde es interessant zu beobachten, daß auch dieser fünfte Journalist die Wikipedia-Seite über mich vor sich liegen hat. Ich finde es schon deswegen interessant, weil ich sie selbst geschrieben habe. Also zumindest die erste Fassung. Ist schon eine Weile her, zwei Jahre bestimmt, ich hatte keine Lust, darauf zu warten, bis irgendein Lump Bösartigkeiten über mich verbreitet. Ein wirklich sachlicher Artikel übrigens, ich lobte mich nicht besonders, über mein zweites Buch schimpfte ich sogar, natürlich im Rahmen. Aus taktischen Gründen von mir hinterlassene Detailfehler (falsches Geburtsjahr etc.) wurden von eifrigen Usern bald korrigiert, die seither den Artikel auch immer wieder auf den neusten Stand bringen, so daß er keine große Ähnlichkeit mehr hat mit meinem. (Dbdi 211f.)

Der Erzähler artikuliert am Beispiel Wikipedia, dass der Schriftsteller in der Gegenwartskultur seine eigene Biographie im Sinne anonymer Autorschaft im Internet zumindest im Ansatz mitschreiben kann und Einfluss auf seine Positionierung im Literaturbetrieb sowie auf die Rezeption der eigenen Texte nimmt. Das bin doch ich reflektiert zum einen seine eigenen Produktionsbedingungen und -möglichkeiten732 sowie die Rolle des Autors im literarischen Feld der Ge730 Assmann: Das bin ich nicht, S. 133f. 731 Vgl. ebd., S. 135f., der in seiner Analyse die Reaktionen im Wikipedia-Artikel thematisiert sowie auf den im Folgenden hinzugezogenen Spiegel-Artikel Glavinics. 732 Vgl. ebd., S. 139.

Thomas Glavinics Das bin doch ich

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genwart, zum anderen das Interesse an der Person des Autors durch die Medien und die Leser sowie das Wissen um die Autor-Figur für die Vermarktung. Unabhängig davon, dass der Eintrag ›Thomas Glavinic‹ stetig im Sinne kollektiver und weitgehend anonymer Autorschaft überarbeitet wird, kann der Ursprung des Textes vom Autor selbst gelegt und als Eintrag eines Dritten fingiert sein. Verweist der Autor hier zunächst auf ein reales Medium der Internetkultur in seiner Fiktion und entlarvt die scheinbar ›objektiven‹ Einträge der Internet-Enzyklopädie, ist die textexterne Reaktion darauf das Entscheidende, um nach dem Status des autofiktionalen Textes und seiner Auswirkungen zu fragen. Das im Roman Gesagte wird als Faktum angenommen und findet eine Reaktion auf der realen Wikipedia-Seite zu Thomas Glavinic. Unter der Überschrift »Thomas Glavinic und Wikipedia« ist folgender Eintrag zu finden: In seinem Roman Das bin doch ich (2007) behauptet der Ich-Erzähler (der ebenfalls »Thomas Glavinic« genannt wird), diesen Wikipedia-Eintrag als Erster angelegt zu haben; sein Geburtsdatum habe er absichtlich vordatiert und einen seiner Romane absichtlich negativ bewertet, um sich nicht in den Verdacht zu bringen, sich selbst eingetragen zu haben. Tatsächlich ist in der ältesten Fassung des Wikipedia-Artikels Thomas Glavinic vom 21. März 2004 ein falsches Geburtsdatum zu finden, aber keine Negativkritik eines Werkes. Erst in der Version vom 27. Oktober 2004 findet sich eine Negativkritik, und zwar des Romans Herr Susi. Beide Versionen des Artikels stammen von einem Chello-Kunden aus Wien, was die Behauptung in Das bin doch ich zumindest möglich machen würde.733

Aufgrund der autofiktionalen Konzeption überprüfen Leser die Äußerungen des Erzählers textextern auf ihren Wirklichkeitsgehalt. Unabhängig vom Fiktionspostulat des Autors öffnet die autofiktionale Konzeption den Text für teilweise referenzielle Lesarten. Wie Assmann diesbezüglich folgert, »performiert [der Eintrag] […] die Rückkopplung zwischen Text und Epitext, zwischen Roman und Beiwerk«.734 Bei Glavinic werden damit die Bedingungen einer Literatur im Medienzeitalter deutlich. Der Text ist umgeben von weiteren Texten, die der Autor selbst liefert. Darüber hinaus jedoch ist die Frage nach der Authentizität nicht mehr eindeutig zu beantworten, sondern abhängig von einem veränderten Umgang mit Literatur. Nicht mehr nur das, was unmittelbar authentisch und echt scheint, wirkt in diesem Text, sondern auch das, was durch Recherche beund widerlegt werden kann.

733 [Anonym]: Thomas Glavinic. 734 Assmann: Das bin ich nicht, S. 135.

142 3.4

Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Die Positionierung im Text und der Effekt für das Autor-Label ›Thomas Glavinic‹

Anders als in den Texten von Hanns-Josef Ortheil oder David Wagner verzichtet Glavinic darauf, das im Roman zu seiner Figur Gesagte textextern als sich auf den Autor Beziehendes zu beglaubigen. Er arbeitet mit pointiert gesetzten Referenzen, die er durch eine konsequente selbstironische Bespiegelung der Person ›Thomas Glavinic‹ unterläuft. Indem der Roman vordergründig eine Identifikation zwischen Autor und Erzähler suggeriert, fungieren der Autorname und die Autor-Biographie als tragende Referenzpunkte für die Rezeption; Das bin doch ich ruft die naive Referenz autobiographischer Texte explizit auf, um sie ebenso ostentativ zu unterwandern. Sandra Potsch liest Das bin doch ich in Absetzung von traditionellen Lebensberichten als fiktionale Meta-Autobiographie im Sinne Ansgar Nünnings und damit als Text, der explizit die Konventionen traditioneller Autobiographik reflektiert: »Durch das Aufgreifen und gleichzeitige Verwerfen autobiographischer Elemente führt er die Gattungskonventionen autobiographischen Erzählens selbstreflexiv vor«.735 Mag diese Beobachtung auch grundsätzlich zutreffen, so ist doch die Einordnung als Meta-Autobiographie in Zweifel zu ziehen. Die Gattungsmuster der traditionellen Autobiographie werden nicht mehr explizit thematisiert, sondern lediglich implizit noch aufgerufen. Vor dem Hintergrund der metafiktionalen selbstreflexiven Autofiktionen der Postmoderne wird offenkundig, dass Glavinic sich gerade nicht in einen Problemdiskurs der Autobiographie einschreibt, sondern die gattungstranszendierende Form der Autofiktion für ein Spiel mit seiner Rolle als Autor aufgreift.736 Er ironisiert die Wirkung eines naiven Autobiographieverständnisses und spielt mit der Suggestion, Reales abzubilden. Im Gegensatz zu den poststrukturalistischen Textformen kehrt Glavinic, vergleichbar mit Ortheils Die Erfindung des Lebens, zu einem schlichten Erzählen zurück. Er liefert einen komischen Roman mit lapidarem Tonfall, der chronologisch erzählt. Auch die der Autofiktion inhärenten Erinnerungs- und Gedächtnisdiskurse, die zumindest bei Hanns-Josef Ortheil und in Ansätzen bei David Wagner noch eine Rolle spielen, vernachlässigt Glavinic. Derartige Topoi des autofiktionalen Schreibens werden allenfalls noch als ironischer ›Restbestand‹ sichtbar, wenn sich der verkaterte Autor am Morgen 735 Potsch: Das bin doch ich, S. 265. 736 Vgl. dazu Assmann: Das bin ich nicht, S. 137, der hier knapp auf eine Verbindung zu autofiktionalen Vorläufern eingeht: »Der Text knüpft an diese ›fundamentale Skepsis gegenüber dem referenziellen Diskurs der Autobiographie und dessen Wahrheitsanspruch‹ zwar an, wenn er sich als Homestory inszeniert und dabei die voyeuristische Hoffnung, das wirklich wahre Leben hinter der Betriebs- und Autorinszenierung zu entdecken, in gewisser Hinsicht konterkariert«.

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nach einem alkoholisierten Abend nicht daran erinnern kann, ob und – falls ja – wem er E-Mails geschickt hat.737 Zu fragen bleibt nach der Rolle des Autors in und für den Text, insbesondere weil der Verfasser sich textintern in seiner Funktion als Autor betrachtet. Annette Keck ist zuzustimmen, dass Glavinic »die Spaltung der Autorposition ausschreibt«.738 Hinsichtlich seiner Funktion entspricht der ›Autor‹ in Das bin doch ich zum einen Foucaults ›fonction classificatoire‹,739 indem er sich in dem raumzeitlichen Kontext der Gegenwart lokalisiert, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts aufgrund der unterschiedlichen Medienverwendung und Inszenierungsstrategien anderen Bedingungen unterliegt als in den 1970er und 1980er Jahren. Die mit dem Autornamen verbundenen Vorstellungen von dem Verfasser tragen maßgeblich zu seiner Positionierung im kulturellen Feld sowie zu seiner Vermarktung bei, die wiederum die Rezeption seiner Texte beeinflussen.740 Während Dirk Niefanger hervorgehoben hat, dass das Autor-Label dezidiert kein »Bestandteil des eigentlichen Textes« sei, sondern »in einem interpretativen Verhältnis zu ihm« stehe,741 ist dieses Verhältnis im Fall von Autofiktionen zumindest als ein engeres anzusehen als bei übrigen Texten. Der Autor ist über seinen Namen als Thema in seinem Text anwesend; sein Label in der Öffentlichkeit wird so, wie auch in David Wagners Fall, zur Bezugsgröße des Textes. In Das bin doch ich erhält der Autorname zudem eine diegetische Funktion, da die Vorstellungen von und über Thomas Glavinic als Autor mit dem Namen in den Text hineinwirken. Der bis zur Veröffentlichung des Romans eher unbekannte Autor inszeniert die mit dem Autornamen zusammenhängenden Vorstellungen und positioniert sich textintern gegenüber anderen Autoren durch eine selbstironische Figurenzeichnung.742 Ohne einem naiven Wirklichkeitsbegehren Material zu liefern, nutzt Glavinic die Aufmerksamkeit, die er im Feuilleton auslöst, um sich mittels seines fiktionalen Textes und mithilfe seiner Romanfigur im realen Literaturbetrieb weiter zu positionieren und Aufmerksamkeit für seine Person zu generieren. Anlässlich der Vergabe des Deutschen Buchpreises 2007 auf der Frankfurter Buchmesse schreibt er einen Artikel im Spiegel, der an den Stil des Romans angelehnt ist und die Stilisierung als hypochondrischer und bemitleidenswerter Verlierer fortführt:

737 738 739 740 741 742

Vgl. dazu u. a. Dbdi 117. Keck: ›Das ist doch er‹, S. 249. Zu dieser Funktion vgl. Foucault: Qu’est-ce qu’ un auteur. Vgl. Niefanger : Der Autor und sein Label, S. 526. Ebd. Auch Assmann hat sich diesem Punkt in Ansätzen gewidmet. Vgl. Assmann: Das bin ich nicht, S. 138.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Ich stehe auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis, unter den letzten sechs. […] Der Buchpreis geht an Julia Franck. […] Nur für mich ist wieder einmal nichts vorhersehbar, ich stehe am Hanser-Stand, nippe an einem Rotweinglas, bis ich erkenne, dass es kein Rotweinglas ist und nicht einmal mein Glas, es ist Mineralwasser, und jemand hatte sich kurz zuvor in die Lippe gebissen. Ich führe hektische Telefonate mit Arno Geigers Freundin, die Ärztin ist: HIV? Vergiss es, sagt sie.743

Für den Leser des Spiegel-Artikels kommt es hier zu einer Überlagerung der beiden Instanzen Autor und Romanfigur. Obwohl Glavinic in einem Interview zu Das bin doch ich mit dem Kurier darauf hingewiesen hat, dass ihn die falsche Aussprache seines Namens anders als die Figur seines Romans nicht weiter befremde (»Vielleicht hat ja mein Icherzähler Probleme damit – mir persönlich ist es jedenfalls mittlerweile ganz egal«),744 nimmt er hier die im Roman bereits ausgespielten Ausspracheschwierigkeiten seines Namens als Topos wieder auf. Text und Epitext werden miteinander verschränkt:745 Bloß bei mir ereignen sich die immer gleichen Dinge: »Herr Glawatschnig, wieso haben Sie den Deutschen Buchpreis nicht gekriegt?« Innerhalb von zwei Tagen wird man von einem Buchpreis-Finalisten zu jemandem, der den Buchpreis nicht bekommen hat.746

Während der literarische Text durch seine Gattungsangaben unmittelbar auf Fiktion verweist, leistet dies der Artikel nicht. Glavinic konterkariert die eigene Unterscheidung zwischen Fiktion und Wirklichkeit und treibt das Spiel mit der eigenen Person außerhalb des Romans weiter. ›Nach der Kritik‹ tritt die Autofiktion damit auch als Mittel der Inszenierung zutage, die im Fall Glavinics sogar Ausgang ist für eine Art der Selbststilisierung, die er seither außerhalb seiner Texte an den Tag legt.747 Claudia Gronemann hat für Doubrovskys autofiction und Robbe-Grillets nouvelle autobiographie festgestellt, dass der Autor die »Schlüsselposition im Bedeutungsprozess« der Interpretation verliere, »gleichwohl daran beteiligt« bleibe.748 Das bin doch ich setzt an dieser Stelle an: Der zurückgedrängte Autor spielt die Hauptrolle in seinem eigenen Text, der Bezug zum textexternen Verfasser wird Bestandteil der Wirkungsstrategie, ohne jedoch den Autor als 743 744 745 746 747

Glavinic: Ein Mangel an Anarchie, S. 194. Wiesauer : Das bin ich nicht, S. 34. Vgl. dazu Assmann: Das bin ich nicht, S. 134. Glavinic: Ein Mangel an Anarchie, S. 194. Siehe dazu Catani: Glavinic 2.0. Diese Art der Inszenierung nimmt Glavinic erneut auf in seinem 2011 veröffentlichten Text Unterwegs im Namen des Herrn, der als eine Art Fortsetzung von Das bin doch ich gelesen worden ist. Siehe dazu Krumrey : Experimentierfreude und »Spieltrieb«, S. 29f. 748 Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 104.

Rafael Horzons Das weisse Buch

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Sinngebungsinstanz auftreten zu lassen. Wie Stephanie Catani feststellt, bleibt die »Position des Autors Glavinic« nicht nur bewusst ambivalent besetzt, sondern stellt sich selbst immer wieder in Frage. Unverkennbar wird in seinem literarischen wie nicht-fiktionalen Werk das Autor-Ich zwar mit deutlicher Stimme in das literarische Feld wie den literarischen Text zurückgeführt, dabei aber in seinem reziproken Abhängigkeitsverhältnis mit dem Literaturbetrieb der Gegenwart und den Mechanismen seines Marktes sowie als Produkt einer Inszenierung kenntlich gemacht.749

4

Rafael Horzons Das weisse Buch: Fiktion oder romanhaftes Leben?

Mit Das weisse Buch750 liefert Rafael Horzon 2010 einen Text, der den Verfasser im Kulturbetrieb Berlins ab Mitte der 1990er Jahre positioniert. Der autofiktionale Selbstentwurf erweist sich als Teil einer Inszenierung, die sich auch auf verschiedene Medien und die öffentliche Figur ›Rafael Horzon‹ erstreckt. Ähnlich wie Heinz Strunk, Rocko Schamoni oder Marc-Uwe Kling spielt Horzon in seinem Text mit dem eigenen Image und führt die bereits textextern angelegte Inszenierung seiner Person im fiktionalen Medium fort. Die folgende Analyse widmet sich zunächst der Ebene des Erzählten und den hier zum Ausdruck kommenden Themenkomplexen (Kap. 4.1), bevor Kap. 4.2 die autofiktionale Textkonzeption beleuchtet. Daran anschließend gilt es, sich der Persona Rafael Horzon zuzuwenden sowie die Inszenierungsstrategie des Verfassers außerhalb der Textgrenzen zu untersuchen (Kap. 4.3).

4.1

Das weisse Buch – eine Unternehmer(auto)biografie?

Das weisse Buch gibt sich als autobiographischer Bericht des Berliner ›Möbel-Fabrikanten‹ Rafael Horzon, der in der Art eines Entwicklungsromans751 seinen Werdegang vom Pariser Studenten zum Gründer verschiedener Subunternehmen des sogenannten ›Modocom-Imperiums‹ erzählt. Die in 23 Kapitel aufgeteilte Handlung umfasst einen Erzählzeitraum von Anfang der 1990er Jahre bis in die Gegenwart (ca. 2007).752 Sie beginnt in Paris, wo der autodiegetische 749 Catani: Glavinic 2.0, S. 284. 750 Das weisse Buch weist eine orthographische Vereinfachung auf, indem es konsequent auf den Gebrauch des ›ß‹ zugunsten eines ›ss‹ verzichtet. Im Folgenden sind derartige Schreibabweichungen von der üblichen Orthographie in Zitaten nicht gekennzeichnet. 751 Vgl. dazu u. a. Wiele: Umtausch + Zersägung = Zufriedenheit, S. 32. 752 Im letzten Kapitel heißt es: »Vor bald zehn Jahren hatte ich die Wissenschaftsakademie

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Erzähler, der den Namen seines Verfassers trägt, in einem Dachgeschoss-Zimmer lebt und seinem Studium an der Sorbonne bei keinem Geringeren als Jacques Derrida753 nachgeht.754 In dessen Vorlesung kommt es zu einem Initiationsereignis für ›Horzons‹ weiteren Lebensweg. Er gelangt zu der poststrukturalistisch geprägten Erkenntnis, dass alle anderen Wahrheiten ebenso gut Unwahrheiten sein [konnten]. […] Dann konnte Sinnvolles auch sinnlos und Sinnloses sinnreich sein. Denn ob etwas richtig oder falsch war, gut oder böse, hässlich oder schön, das steckte nicht in den Dingen selbst. […] Sondern es wurde von Menschen in Regeln und Definitionen festgeschrieben, um allen anderen Menschen das Nachdenken auszutreiben. […] Aber diese tyrannischen Regeln sollten für mich nun nicht mehr gelten. Von nun an war alles erlaubt. Von nun an wollte ich selber bestimmen, wie diese Welt zu sehen war. Und wie diese Welt zu leben war. (DwB 13)

›Horzons‹ Vorsatz wird bekräftigt durch die Begegnung mit der Wahrsagerin Signora Sarasate, die ihm den folgenden Rat mit auf den Weg gibt: »Versuche nie, schneller zu laufen als die anderen. Du wirst nie vor ihnen ans Ziel kommen! Also sollst du ein Ziel wählen, das ausser dir niemand kennt, dann wirst du der Erste sein, der dort ankommt, auch wenn du noch so gemütlich spazierst!« (DwB 16)

Nachdem ›Horzon‹ das Studium in Paris und München abbricht, folgt sein Umzug nach Berlin. Dort nimmt er seine Hochschullaufbahn wieder auf, bis ihn die Universität wegen eines Zwischenfalls – ›Horzon‹ wirft eine »halbvolle Plastikflasche« (DwB 24) nach dem Rektor der Universität – exmatrikuliert. Im Anschluss daran verschreibt sich der Erzähler zunächst der Idee eines Kompendiums des Wissens: »In einem einzigen Buch sollte das gesamte Wissen der Menschheit zusammengefasst werden« (DwB 30). Aufgrund seiner finanziellen Situation muss er das Projekt jedoch aufgeben und beschließt, bei der Deutschen Post als Paketfahrer anzufangen. Wegen mehrfacher Beschädigung seines Lieferwagens endet seine Karriere binnen weniger Wochen. Mit der ›Galerie‹ Berlintokyo unternimmt ›Horzon‹ schließlich den Versuch, dem regen künstlerischen Treiben Berlins, in dem im Sinne von Wolf Vostell Kunst und Leben nicht mehr trennbar zu sein scheinen und folglich »alles, was jemand zu Kunst erklärt, auch Kunst ist« (DwB 28),755 entgegenzuwirken. Er Berlin gegründet« (Horzon: Das weisse Buch, S. 211. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›DwB‹ zitiert); der Zeitpunkt der Gründung ist auf 1997 datiert (vgl. DwB 59). 753 In der Tat unterrichtete Jacques Derrida Anfang der 1990er Jahre in Paris an der Êcole des hautes ¦tudes, nicht jedoch an der Sorbonne, ab Mitte der 90er Jahre lehrte er in den Vereinigten Staaten. Vgl. dazu u. a. Peeters: Derrida, hier insbesondere S. 542. 754 Vgl. DwB 12. 755 Wolf Vostell hat in Anlehnung an Marcel Duchamp Anfang der 1960er Jahre die Gleichung

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beginnt, vermeintlich reale Künstler aus Tokio (die ›Horzon‹ tatsächlich nur erfindet) in den Hackeschen Höfen auszustellen. Alltägliche Dinge (»Ein Föhn war zu sehen, ein Suppentopf, ein kleiner Fernseher, eine Kaffeemaschine, ein Toaster – kurz gesagt mein kompletter Hausstand«, DwB 53) werden dort als Kunstwerke ausgewiesen – »alles war nur eine Variante der Fontaine, des Urinals, das Duchamp 1917 zu Kunst erklärt hatte« (DwB 28). Das Publikum erkennt die erfundenen Künstler nach Aussage des Erzählers als reale an; die ›Galerie‹ entwickelt sich so zu einem tatsächlichen Ausstellungsort, dessen ursprünglich satirisches Grundkonzept – den Kunstbetrieb und das Kunstbegehren der Berliner vorzuführen – nicht erkannt wird. Den ökonomischen Erfolg der Galerie und ihr symbolisches Kapital bewertet ›Horzon‹ damit persönlich als Misserfolg. Als schließlich reale japanische Künstler, die nicht weiter genannt werden, und Kunstgrößen wie ›Daniel Richter‹ bei ›Horzon‹ ausstellen wollen, schließt er die Galerie: »Ich spürte, dass plötzlich alles in eine völlig falsche Richtung lief. Die ›Galerie‹ war dabei, sich in eine Galerie zu verwandeln« (DwB 58). Stattdessen gründet der Erzähler 1997 eine Wissenschaftsakademie, die sich gegen die langwierigen Studiengänge der staatlichen Universitäten richtet und das Konzept des Studiums als Bildungsweg konterkariert. Später gründet er das Unternehmen Moebel Horzon in der Torstraße Berlins, in dem er zunächst nur ein einziges Möbelstück, ein »199 Zentimeter hohes, 36 Zentimeter breites, 35 Zentimeter tiefes Regal« (DwB 89) mit dem Namen ›Modern‹, verkauft. Dieses verhilft ihm tatsächlich zu finanziellem Erfolg, mit Hilfe dessen er seine ›Wissenschaftsakademie‹ unterhält. ›Horzon‹ betätigt sich fortan unternehmerisch in verschiedenen Wirtschaftszweigen, darunter in der Modewelt mit der Firma Geleeroyal, in der Baubranche mit dem »Fassaden-Verschalungs-Unternehmen Belfas« (DwB 139), im Partnervermittlungs-Gewerbe mit der Partnertrennungsagentur Separitas. Darüber hinaus gründet er das Unternehmen Redesigndeutschland, dessen radikale Ideen (eine neue Zeitrechnung und eine reduzierte bzw. universelle Grammatik, DwB 121) tatsächlichen Aufträgen im Weg zu stehen scheinen (»vielleicht wir firma sein zu modern«, DwB 129).756 Mit seiner »Leben ist Kunst – Kunst ist Leben!« geprägt, ein Diktum, das von Horzon im Roman vielfach aufgenommen und umformuliert wird (Kaprow/Vostell: Die Kunst des Happenings, S. 409). Vgl. dazu im gleichen Band Becker : Einführung, S. 16. 756 Die neue Grammatik, in der das Büro kommuniziert, ist Teil des gedanklichen ›Welterneuerungsprogramms‹ ›Horzons‹: »Denn unsere Firma sollte alles Überflüssige abschaffen, auch viele überflüssige Regeln der deutschen Grammatik. […] Unsere Grammatik war so konstruiert, dass sie nicht mehr nur auf die deutsche Sprache, sondern auf alle Sprachen der Welt angewendet werden konnte. Das Versprechen einer universellen Grammatik, etwas, wovon die Menschheit seit vielen hundert Jahren geträumt hatte, war damit plötzlich, und wie im Vorübergehen, eingelöst worden« (DwB 119–121). Als Bestätigung für diese Aussage

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Grammatik kehrt ›Horzon‹ den Gedanken, dass allen Sprachen eine dem Menschen angeborene Universalgrammatik zugrunde liegt, um. Er hat hingegen den Anspruch, eine Grammatik zu ›erfinden‹, die alle Sprachen nutzen könnten. Obwohl seine Ideen die Aufmerksamkeit der Presse sowie der Bürger auf sich ziehen,757 vermag ihm keine der auf Moebel Horzon folgenden Unternehmungen nennenswerten Erfolg einzubringen. Seine Tätigkeiten stehen wegen ihrer Ausrichtung auf sprachliche Konstrukte und der Verkehrungen ursprünglicher Unternehmenserfolge immer wieder unter dem Kunst- bzw. Satire-Verdacht. Bezeichnend dafür ist nicht zuletzt die sich wiederholende Szene mit einem Studierenden, der erstmals bei der Eröffnung der Wissenschaftsakademie auftritt: »Ist das hier eigentlich eine Art Performance?«, fragte mich misstrauisch ein schmächtiger Student, wobei er sich umständlich die Nase putzte. »Und diese schwarzen Quadrate, die erinnern mich an diesen Maler … Kasimir …« »Nein«, erklärte ich ihm freundlich, »Sie sehen doch die Bildunterschriften, dies sind wissenschaftliche Fotografien. […] Und das, was hier in diesem Moment stattfindet, das ist ein Seminar, und für den Besuch dieses Seminars bekommen Studenten diese Anwesenheitsscheine!« (DwB 63f.)

Bei der Eröffnung von Moebel Horzon kommt es zu einem fast identischen Gespräch. Ein Studierender, der noch dazu im Verhalten und Aussehen dem ersten gleicht, fragt, ob es sich hier um eine künstlerische Inszenierung handle: »Ist das hier eigentlich eine Art Performance?«, fragte mich misstrauisch ein schmächtiger Student, wobei er sich umständlich die Nase putzte. »Und diese Regale, die erinnern mich an diesen Bildhauer … Donald …« […] »Und dieses ganze Geschäft, in dem nur ein einziges Regal steht«, fuhr der Student fort, »das ist doch kein richtiges Geschäft! Das ist doch …« »Wissen Sie was«, sagte ich zu ihm und legte ihm väterlich die Hand auf die Schulter, »es gibt ja nun keine objektiven Kriterien dafür, was Kunst ist und was nicht. Und deshalb ist natürlich alles, was ein Mensch zu Kunst erklärt, auch tatsächlich Kunst. Aber genauso gut ist auch alles, was ein Mensch nicht zu Kunst erklärt, keine Kunst. Und wenn ich diesen Möbelladen nun nicht zu Kunst erkläre, sondern zu einem Möbelladen, dann ist er natürlich auch keine Kunst, sondern ein Möbelladen«. (DwB 92f.)

In beiden Fällen spielt der Fragende auf reale Künstler an, deren Kunstwerke er hier wiederzuerkennen glaubt. Im ersten Gespräch weist der Studierende auf Kasimir Malewitschs Das schwarze Quadrat von 1914/15 hin, im zweiten auf den Minimalisten Donald Judd, der sich ferner als Designer betätigt und 1987 nicht wendet ›Horzon‹ seine Grammatik im Spanischen an (vgl. DwB 121). Eine orthographische Vereinfachung in diesem Sinne ist bereits in Das weisse Buch durch den Verzicht auf den Buchstaben ›ß‹ angelegt. 757 Vgl. u. a. DwB 126 und 131.

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zuletzt ein metallenes Bücherregal entworfen hat.758 Studierende, die in ihrer Vergeistigung über Wissen des Kunst-Diskurses verfügen und dieses auf verschiedene Dinge zu übertragen versuchen, werden von ›Horzon‹ jedoch direkt enttäuscht; der Erzähler leugnet das Zitat und stellt das Werk noch dazu in einen anderen Zusammenhang. In Reaktion auf Marcel Duchamp, der mit dem objet trouv¦ eine Kontroverse über den Kunstbegriff ausgelöst und Fragen von Autorschaft berührt hat,759 erklärt ›Horzon‹ die Zugehörigkeit eines Objektes zur Kunst zur bloßen Benennungsfrage. Führt die Wiederholung der oben zitierten Episode auf der einen Seite dazu, dass ›Horzon‹ seine Position zum Kunstbetrieb mehrfach markiert, wird damit auf der anderen Seite seine Tätigkeit als ›Unternehmer‹ im Text repetitiv in Frage gestellt. Seine verschiedenen Geschäftsideen begreift der Erzähler als Möglichkeiten, an den Erfolg von Moebel Horzon anzuknüpfen und damit gleichzeitig die Konventionen von Kunstauffassung zu hinterfragen. Er ordnet sie ferner als Schritte auf einem Weg ein, der zu einer ›Neuen Wirklichkeit‹ führt: »Ich sollte nicht den Weg der Studenten gehen. Und ich sollte nicht den Weg der Kunst gehen. Ich sollte den Dritten Weg gehen. Mein Ziel war die Neue Wirklichkeit« (DwB 29). Die Neue Wirklichkeit übernimmt für ›Horzon‹ eine Rolle, die die Kunst für ihn nicht erfüllen kann, da sie »nicht mehr in der Lage [sei], neue Formen zu entwickeln, sie kann nur noch die vorhandenen wiederholen« (DwB 197). Das Konzept dieser ›Neuen Wirklichkeit‹ bleibt im Roman jedoch undurchsichtig. Das ihr zugrunde liegende Prinzip, heißt es an einer Stelle des Textes, sei »die Fähigkeit […], grundsätzlich alles in Frage zu stellen und daraus Folgerungen zu ziehen, die für einen selbst und für alle anderen Gewinn bringen« (DwB 131). Zudem erläutert ›Friedrich Killinger‹, dass in der »Welt der Neuen Wirklichkeit« alles interessant, neu und ungewöhnlich« sei (DwB 199). In diesem Sinne versteht der Erzähler sein Schaffen überhaupt: »interessante Dinge [zu] tun, die keine Kunst sind« (DwB 213). Durch seinen Habitus als Unternehmer und die Weigerung, seine Tätigkeiten als Kunst aufzufassen, tritt er einer Zuordnung seiner Person als Künstler textintern entgegen.

758 Die von Horzon für sein Redesigndeutschland-Büro entworfenen Stühle etc. ähneln ebenfalls den von Judd entworfenen Möbeln. Vgl. dazu exemplarisch [Anonym]: Donald Judd. 759 Vgl. dazu Rötzer : Schwierigkeiten mit der Kunst – einige Variationen, S. 114. Siehe auch im gleichen Band: De Duve: Autorschaft nackt, entblößt, sogar. De Duve führt aus, dass im Ready-made mit einer »Neubewertung des Objekts als Kunst« eine »Neubestimmung des Künstlers als Autor des Werkes« (ebd., S. 93) einhergehe.

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Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Das weisse Buch als autofiktionaler Text

4.2.1 Der autobiographische Pakt und seine Unterminierung Anders als in Glavinics Fall indiziert Das weisse Buch keinen romanesken Pakt durch die Angabe ›Roman‹. Der Text trägt vielmehr wie David Wagners Leben keine Gattungsbezeichnung und ordnet sich so peritextuell weder einem referenziellen noch einem fiktionalen Genre zu. Aufgrund der Namensidentität von Autor und autodiegetischem Erzähler bietet er jedoch einen autobiographischen Pakt an760 und unterstreicht diese Lesart mit weiteren im Klappentext genannten Details. So stimmen die biographischen Kurzinformationen zum Verfasser und die Inhaltswiedergabe von Das weisse Buch in markanten Punkten überein. Zusätzlich benennt der Klappentext Horzon als Gegenstand des Textes: Rafael Horzon – Möbelmagnat, Originalgenie und Apfelkuchentycoon. Als Student und Paketfahrer gescheitert, baut er über Jahre hinweg ein Firmenimperium auf: Modelabel, Partnertrennungsagentur, Nachtclub, Fachgeschäft für Apfelkuchenhandel […]. (DwB Klappentext vorne)

Der biographische Abriss nimmt wiederum die dem Erzähler textintern zugewiesenen Lebensstationen und Tätigkeiten vorweg (Horzons Studium, seine kurze Karriere bei der Deutschen Post sowie die Gründung verschiedener Unternehmen): Rafael Horzon, 1970 in Hamburg geboren, studierte Latein, Philosophie und Atomphysik in Paris, München und Berlin, bevor er sich 1995 zum Paketfahrer der Deutschen Post ausbilden liess. Ab 1996 Gründung zahlreicher Unternehmen. Rafael Horzon lebt und arbeitet in Berlin. (DwB Klappentext hinten)

Die Taschenbuchausgabe verstärkt das autobiographische Paktangebot, indem Klappentext und Biographie des Verfassers noch deutlicher aufeinander Bezug nehmen. Die Kurzbiographie erwähnt einzelne Subunternehmen, die auch der Klappentext nennt oder sich spätestens im Laufe der Lektüre im Text wiederfinden lassen: Rafael Horzon, 1970 in Hamburg geboren, studierte Philosophie, Latein, Physik und Komparatistik in Paris, München und Berlin, bevor er sich 1995 zum Paketfahrer der Deutschen Post ausbilden ließ. Ab 1996 Gründung zahlreicher Unternehmen wie der Galerie Berlintokyo, der Wissenschaftsakademie Berlin, des Möbelhauses Moebel

760 Vgl. DwB 31, wo der Vorname genannt und dann eine bewusste Verkehrung von Vor- und Nachnamen vorgenommen wird: »Um meinem Anliegen mehr Gewicht zu verleihen, änderte ich meinen Namen in Dr. John Horz«. Der vollständige Name fällt erst im Laufe der Erzählung, so u. a. S. 71f., 90, 143 und 187.

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Horzon, des Modelabels Gelee Royale und eines Fachgeschäftes für Apfelkuchenhandel. Rafael Horzon lebt und arbeitet in Berlin.761

Ferner ist dem Umschlagstext der Satz hinzugefügt, dass Horzon sich »als überaus charmanter und intelligenter Erzähler seiner selbst« erweise.762 Durch ein Foto des Autors auf dem Buchcover untermauert die Taschenbuchausgabe die Lesererwartung, es handle sich um einen Text über Rafael Horzon. Es zeigt den Autor vor einer Regalwand, die gefüllt ist mit weißen Büchern (siehe Abb. 2). Horzon balanciert einen Stapel eben dieser Bücher in der rechten Hand. Bei genauem Hinsehen ist zu erkennen, dass es sich bei diesen um Exemplare des weissen Buchs in der Original-Ausgabe handelt, bei der das Cover ausschließlich weiß gehalten ist und der Titel, Autorname sowie die Reihe ›Suhrkamp Nova‹ in Lochschrift in den Buchdeckel eingestanzt sind. Horzon inszeniert sich so als ›Träger‹ seines eigenen Textes.

Abb. 2: Cover der Taschenbuchausgabe des Suhrkamp Verlages von Rafael Horzons Das weisse Buch

Wie Das bin doch ich zeichnet sich auch Das weisse Buch durch eine Vielzahl von Realitätsreferenzen aus, die den Eindruck verstärken, dass sich das Erzählte auf den realen Kulturbetrieb in Berlin-Mitte bezieht. Nicht nur Handlungsorte, 761 Horzon: Das weisse Buch [Taschenbuchausgabe], Vorsatzblatt. 762 Ebd. In der Suhrkamp Nova-Ausgabe ist dieser Satz noch nicht Teil des Klappentextes.

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sondern auch verschiedene Akteure des Berliner Kulturbetriebs und ihre Aktivitäten kommen im Laufe der Erzählung vor,763 wie z. B. Christian Krachts Herausgabe des Magazins Der Freund (DwB 185), in dem Horzon eine Kolumne geschrieben hat. Die bisher genannten Charakteristika weisen so auf einen autobiographischen Paktschluss hin, der den Text als referenziellen markiert. Noch dazu ist Das weisse Buch als eine Teilautobiographie zu verstehen. Diese folgt jedoch keineswegs einem traditionellen Modell der rückblickenden Lebenserklärung oder einem poststrukturalistisch geprägten Problemdiskurs auf die Autobiographie. Vielmehr wird das Modell des ›Lebens- bzw. Bildungswegs‹ konterkariert und ironisch gebrochen. Der Text bietet dementsprechend gleichzeitig zum autobiographischen Paktschluss eine Lesart als Fiktion an. Zu den Elementen, die in diese Richtung weisen, gehören eine Reihe von Widersprüchen sowie die Erwähnung nicht-möglicher Handlungsereignisse, die zwangsläufig Zweifel an dem Dargestellten als einer auf ›Wahrheit‹ angelegten autobiographischen Erzählung aufkommen lassen.764 Folgt der Text grundsätzlich den Regeln der realen Welt (er spielt an realen Handlungsorten zu einer der Gegenwart entsprechenden zeitlichen Ordnung, wobei die Welt der Lebensrealität des Lesers entspricht), wird mit Signora Sarasate eine Figur eingeführt, die nicht an die Bedingungen der realen Welt gebunden zu sein scheint. Die Wahrsagerin aus dem Pariser Wohnwagen entpuppt sich zunächst als französischer Verteidigungsminister765 – eine Entdeckung, die der Erzähler zwar verwundert zur Kenntnis nimmt, nicht jedoch anzweifelt. Die Figur tritt im weiteren Verlauf der Erzählung wiederholt an verschiedenen Handlungsorten in Erscheinung. Auf seiner Amerika-Reise sieht ›Horzon‹ die Wahrsagerin in der Gestalt eines Japaners wieder : Nun sah ich plötzlich auch, dass er eine riesige Hakennase hatte. […] Seine Augen leuchteten rot wie der Laser eines Zielfernrohres. Aus seinen Ohren trat etwas Rauch. […] »Buongiorno, mein Kleiner‹, kreischte er nun mit einer unnatürlich hohen und blechernen Stimme, ›erkennst du mich nicht?‹ Es war Signora Sarasate!« (DwB 84f.) 763 So nennt der Erzähler unter anderem Straßen Berlins, wie die Torstraße, als Sitz für seine Unternehmen (z. B. DwB 58) und Personen wie Jacques Derrida (DwB 12), Rainald Goetz (DwB 58), Christian Kracht (DwB 59) oder Carl Hegemann (DwB 192). 764 Ähnliche Gedanken zur Unzuverlässigkeit des Erzählers, zur Intertextualität sowie Inszenierung der Kunstfigur Horzons verfolgt die B. A.-Arbeit von Anne Döring (Döring: Rafael Horzon). 765 Vgl. DwB 17: »Aus dem Wohnwagen stieg ein Mann in einem eleganten dunkelgrauen Anzug, eine glänzende schwarze Aktentasche in der Hand. […] Diese große Hakennase! Das war doch Signora Sarasate! […] Dann gab sie sich einen Ruck, bog in das Portal ein und ging übertrieben energisch direkt auf den Eingang des Palais zu. ›Bonsoir, Monsieur le Ministre!‹, schrien die livrierten Wachen […]. MinistÀre de la D¦fense las ich auf dem polierten Messingschild am Sandsteinportal«.

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Eine »dunkle Dame«, mit der ›Horzon‹ in einem Nachtclub tanzt, gibt sich als die genannte Signora (DwB 159f.) zu erkennen; zum Ende der Erzählung tritt sie erneut auf »in Form einer schönen, sehr nackten Frau«, die sich schließlich »in nichts« auflöst (DwB 218). In keinem der genannten Fälle ist eindeutig zu klären, ob der Erzähler die Signora imaginiert oder ob er träumt; eine derart die Spannung zwischen wirklichkeitskonformen und irrealen Elementen auflösende Lesart766 würde dem Text keinesfalls gerecht werden. Denn gerade auf den Widerspruch kommt es an. Dies wird an weiteren Elementen evident, die den Referenzanspruch des Erzählten unterminieren. Im Text lassen sich z. B. Episoden ausmachen, die der Erzähler zunächst als gegebene Wirklichkeit erzählt, deren Existenz jedoch andere Figuren vehement bestreiten. Zum einen ist hier die Figur der Madame Glawny bzw. Glowny zu nennen,767 die den jungen, ehemaligen Studenten ›Horzon‹ bei einer seiner Paket-Auslieferungen verführt. Bei dem Versuch, die Dame ein zweites Mal aufzusuchen, begegnet ›Horzon‹ dem vermeintlichen Ehemann Dr. Glawny bzw. Glowny,768 der ihn davonjagt. Einige Wochen später, als er in den zweiten Stock des besagten Hauses in der Winsstraße geht, um die Madame erneut zu besuchen, findet er auf dem Klingelschild einen anderen Namen vor. Auf die Frage ›Horzons‹: »›Guten Tag, ich möchte zu Frau Glowny, bitte … […] Natascha Glawny, sie wohnt doch hier …‹«, entgegnet die ältere Dame, die ihm die Tür geöffnet hat: »›Da irren Sie sich, hier wohne nur ich, und zwar schon seit einundachtzig Jahren. Und von einer Natascha Glowny habe ich noch nie gehört!‹« (DwB 144). Die Existenz von Madame Glowny in der erzählten Welt, von der Erzähler und Leser bis hierher ausgegangen sind, wird in Frage gestellt, ohne dass eine Auflösung im Sinne einer der Realität entsprechenden Erklärung (etwa die falsche Wohnung bzw. das falsche Haus) geliefert würde. Ähnliches betrifft die Darstellung des Erzählers über seinen »Kreiseltanz« im Nachtclub Pelham, mit dem ›Horzon‹ zunächst regelmäßig Frauen verführt:769 Abend für Abend versammelte sich im grossen Tanzraum des Nachtclubs ein rein weibliches Publikum, um mich kreiseln zu sehen. […]. Dieser Kreiseltanz, der unter dem Kreischen und Klatschen der Frauen manchmal Stunden dauerte, endete regelmässig mit meinem Zusammenbruch – der […] immer dazu führte, dass drei oder vier Frauen mich aufhoben und mit zu sich nach Hause nahmen … (DwB 157)

766 Eine derartige Lesart ist häufig in Bezug auf phantastische Erzählungen der Romantik vorgenommen worden. Vgl. zur Kritik an Versuchen, romantische Dichtung ›realitätskonform‹ zu lesen: Meier : Klassik – Romantik, S. 24f. 767 Vgl. DwB 44: »Natascha Glowny (oder hiess sie Glawny)«. 768 Vgl. ebd. 47. 769 Vgl. ebd. 158.

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Bestätigt Thilo, ein Geschäftspartner und Freund ›Horzons‹, die Erzählerrede zunächst,770 widerspricht er im folgenden Kapitel dem Gesagten und der ihm zuvor zugewiesenen Figurenrede: »Jetzt kam Thilo aus der Bar und sah mich mit grossen Augen an: ›Kreiseltanz?‹, rief Thilo […]. ›Was für ein Kreiseltanz?‹ […] ›Wir kennen uns jetzt bestimmt schon seit zwei Jahren, aber ich habe dich garantiert noch niemals tanzen sehen‹« (DwB 163). Der Widerspruch dieser beiden Wirklichkeitsauffassungen bleibt bestehen und ist weder durch Drogenoder Alkoholkonsum des Erzählers auflösbar noch von ihm selbst zu erklären: »Wieso wusste Thilo jetzt von alledem nichts mehr? Vielleicht sollte ich draussen etwas Luft schnappen« (DwB 165). Am Ende des Romans ist die Erzählerstimme zudem nicht mehr eindeutig zuzuordnen. In Kapitel 20 schaltet sich ein heterodiegetischer Erzähler mit externer Fokalisierung in die bis dahin konsequente autodiegetische Rückblickserzählung ein und gibt die Gedanken anderer Figuren des Romans wieder : Während der Fahrt schaltete Friedrich Killinger das Autoradio leiser, um klarer denken zu können: »[…] Und was war los mit Rafael Horzon? Es ist zunehmend schwieriger, mit ihm zu kommunizieren, besonders, seit er fast nur noch Latein redet …« (DwB 193)

Innerhalb einer Dialogsequenz zwischen ›Horzon‹ und Killinger wechselt die Erzählerstimme dann wieder zum ›Ich‹ und kehrt zurück zu ›Horzons‹ Perspektive.771 In Kapitel 21 schließlich entsprechen die Ereignisse nicht mehr dem in der realen Welt Möglichen. Als ›Horzon‹ am Flughafen ›David Woodard‹772 bei der Zollfahndung abholen möchte, verschwindet erst dessen Koffer mit dem »Elisabeth Foerster-Nietzsche’s Mate Tea« (DwB 203), der sich dann auf unerklärliche Weise in ›Horzons‹ Kofferraum wiederfindet; danach ist auch ›Woodard‹ selbst nicht mehr auffindbar.773 Dass sich der Leser in Kapitel 21 offensichtlich im Traum des Erzählers befindet, wird – wie am Romanbeginn – nicht einge770 Vgl. ebd. 771 Vgl. DwB 194: »Killinger kam es vor, als hätte Horzon bei diesen Worten die Haltung eines römischen Feldherrn eingenommen […] ›Das ist kein Latein, das ist redeitalienisch‹, sagte ich«. 772 Der amerikanische Komponist und Performance-Künstler David Woodard gehört zum Freundes- und Schaffenskreis von Christian Kracht. Zwischen 2005 und 2006 hat er für Krachts Der Freund Artikel geschrieben. 2011 haben Kracht und er einen Brief- bzw. EMail-Wechsel veröffentlicht: Kracht/Woodard: Five Years. Woodard sowie Five Years haben in Deutschland vor allem im Zuge des Skandals um Krachts Roman Imperium Berühmtheit erlangt, der von dem Kritiker Georg Diez auslöst worden ist. Dieser hat den genannten Briefwechsel in seiner Rezension im Spiegel vom 13. 02. 2012 herangezogen, um daran Krachts vermeintlich rassistische Einstellung zu belegen (vgl. Diez: Die Methode Kracht, S. 101–103). Siehe dazu in der vorliegenden Arbeit auch Kap. IV.4.3. 773 Vgl. DwB 202f.

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führt, sondern erst durch das ›Erwachen‹ des Erzählers impliziert: »In diesem Moment klingelte es an der Tür. Ich schreckte von meiner Chaiselongue hoch« (DwB 203).774 Derartige Erzählstrategien können als Teil einer Leserverwirrung im Sinne romantischer Ästhetik verstanden werden (»Je nun, eine gute Verwirrung ist mehr wert, als eine schlechte Ordnung«),775 die den Leser mehr und mehr über die im Text geltende Wirklichkeitskonzeption im Unklaren lässt. Darüber hinaus zeichnet sich die Darstellungsweise des Erzählers durch eklatante Übertreibungen aus, die die Subjektivität und Unzuverlässigkeit des Erzählers ostentativ offenlegen. Dies betrifft sowohl die Beschreibung alltäglicher Begebenheiten (»Vor mir fuhr ein ungefähr dreihundert Meter langer Reisebus«, DwB 40; »die Zahl der Regalbestellungen [stieg] ins Unermessliche«, DwB 168) sowie Reaktionen des Erzählers auf seine eigenen Ideen und Firmen. Leitmotivisch fällt im Roman etwa der Satz: »Das Ergebnis war überwältigend« (z. B. DwB 62, 142), was angesichts des tatsächlichen Ergebnisses (etwa: »Ein komplett schwarzes Foto«, DwB 62) Komik evoziert. Derartige Hyperbeln beziehen sich auch auf die Selbstdarstellung des Erzählers. Zu seiner Rolle als Student in Berlin heißt es: »Regelmässig wurde ich mit Preisen ausgezeichnet. Auf einer Anzeigentafel in der Ehrenhalle der Universität wurde bekanntgegeben, dass ich der beste Student der gesamten Universität war« (DwB 24). Das berichtende Ich bekennt zudem mehrfach, dass es aus großer Distanz seine Lebensgeschichte erzählt (»Mir ist auch heute noch, trotz meines hohen Alters, unerklärlich« (DwB 28f.),776 was zumindest dann eine Übertreibung darstellt, wenn man von einer Identität zwischen dem Erzähler und dem Verfasser ausgeht, da Rafael Horzon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dem Klappentext zufolge 43 Jahre alt ist. Weitere Bekundungen, die vordergründig den Anschein eines Anspruches auf Referenzialisierbarkeit erwecken sollen, unterlaufen eine derartige Lesart vielmehr, wie z. B. die auffällige Wendung an den Leser, beim vorliegenden Text handle es sich um ein Sachbuch bzw. eine Dokumentation realer Ereignisse: Wie der Leser bereits bemerkt haben wird, habe ich mich dafür entschieden, diese Erinnerungen in Form eines Sachbuchs zu verfassen, und Tatsache für Tatsache, Moment für Moment so objektiv aufzulisten wie ein Buchhalter. Darum sind alle hier zitierten Briefe Wort für Wort vom Original übertragen, mitsamt der tatsächlichen Namen der Absender. Und darum auch die vielen Dokumentarfotos. Damit an keiner

774 An dieser Stelle wird mit der Vermischung von Realität und Fiktion ein romantisches Motiv aufgenommen. Wie der Protagonist Florio in Joseph von Eichendorffs Das Marmorbild (1818) wird auch ›Horzon‹ durch ein Lied wieder in die Realität zurückgeholt. Anders als in Eichendorffs Novelle wird das Erzählte hier jedoch als Traum ausgewiesen. 775 Tieck: Die verkehrte Welt, S. 345. 776 Vgl. DwB 31 und 207.

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Stelle der Verdacht aufkommt, hier könnte etwas erfunden sein. Nichts an diesem Buch ist erfunden, alles liegt offen zur Überprüfung bereit, und alles ist wahr. (DwB 142)

Die übersteigerte Betonung des Wahrheitsgehaltes angesichts der bereits offengelegten Unzuverlässigkeit des Erzählers und des über das Mögliche hinausgehenden Figurenarsenals weckt gerade die Zweifel an einer referenziellen Lesart des Textes. Noch dazu hat ›Horzon‹ zu Beginn seines Lebensberichts selbst auf die Unzulänglichkeit jeder Aussage überhaupt hingewiesen: »Dann konnten auch alle anderen Wahrheiten ebenso gut Unwahrheiten sein. […] Von nun an war alles erlaubt« (DwB 13). Die Namen realer Handlungsträger fungieren darüber hinaus zwar als Referenzen auf in der Wirklichkeit existierende Personen. Diese verkörpern aber zum Teil Rollen, die ihnen in der Realität nicht entsprechen. So nimmt beispielsweise Christian Kracht in Horzons Roman die Rolle seines unbezahlten Praktikanten ein.777 Stützt der Klappentext, wie oben angeführt, augenscheinlich die autobiographische Lesart, so ist auch er letztlich als doppeldeutig zu bewerten und bereits Teil einer ironischen Haltung dem Erzählten gegenüber : Die dem Verfasser zugewiesenen Tätigkeiten werden spätestens bei der Lektüre als offenkundige ironische Übertreibungen entlarvt. Dies zeigt sich beispielsweise in der Benennung, es handle sich bei dem Erzähler um einen ›Apfelkuchentycoon‹.778 ›Horzon‹ schließt den Apfelkuchenhandel, der sich ferner als Verkaufsort für »formschöne Möbel« darbietet, jedoch direkt nach seiner Eröffnung, bei der ›Erasmos Hanson‹ nach Angaben des Erzählers immerhin »fünfzehn Apfelkuchen« (DwB 214f.) gebacken hat. In einem Interview zu seinem Roman antwortet Horzon auf die Frage, ob er jemals einen Apfelkuchen verkauft habe: »Dazu kam es nicht. Der Backofen ist nach den ersten zehn Kuchen, die wir alle selbst gegessen haben, kaputtgegangen und die Ersatzteile kamen nicht an«.779 Nicht nur, dass die Erzählung und Horzons textexterne Angaben nicht ganz stimmig sind, so ist auch die Erklärung über das Ende des Apfelkuchenhandels kaum wahrscheinlich und evoziert vielmehr Komik.

4.2.2 Die ›Beweiskraft‹ der Bilder – Horzons Dokumentarfotos Die integrierten fotografischen Abbildungen folgen ebenfalls einer Strategie der Unterwanderung einer auf Wahrheit verpflichteten Lektüre. Der Text wird durch zwei Teile unterbrochen,780 die jeweils 22 sogenannte »Dokumentar-Fotos« in 777 778 779 780

Vgl. DwB 167. Vgl. ebd., Klappentext. Arzt: »Grandios!, S. 34. Vgl. DwB 81/82 sowie 144/145.

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Schwarz-Weiß-Optik enthalten. Während sich die ersten Fotos jeweils auf das bereits Erzählte beziehen, ›dokumentiert‹ ein anderer Teil der Fotos noch zu Erzählendes und nimmt ausstehende Erzählpassagen vorweg.781 Über die Bildunterschriften hinaus sind die Fotos mit Auszügen aus der Erzählung textlich begleitet und fungieren so nachträglich bzw. vorausweisend als Darstellung bzw. ›Dokumentation‹ des Erzählten. Wie Sigrid Lohöfer festgehalten hat, erwecken Fotografien an sich, obwohl »der Status der Referenzialität in der Fotografie im Laufe der Zeit beinahe ebenso fragwürdig geworden ist, wie in der Autobiographie«,782 häufig den Eindruck, Realität abzubilden. Deshalb sei die Arbeit mit Fotografien in der Autofiktion »als Ausgangspunkt für das bewusste Spiel mit dem Realitätsbezug« besonders geeignet: Einerseits kann die angebliche Beweiskraft der Bilder den fiktionalen Status der Selbstdarstellung unterminieren und auf die faktische Präsenz des Autors hindeuten. Andererseits betonen solche Dokumente gleichzeitig die Fragwürdigkeit dieser Präsenz […].783

Auch in Horzons Das weisse Buch liefert der Erzähler im Sinne einer dokumentarischen Manier für die Foto-Dokumentation die jeweiligen Bildnachweise: »Alle Fotos Rafael Horzon, bis auf« (DwB Dokumentarfotos – Teil I und II, jeweils letzte Seite). Nur vordergründig suggerieren einige der Fotografien, das Erzählte zu untermauern bzw. die Referenzialisierbarkeit zu stützen, wenn z. B. zwei Männer den Moebel Horzon-Laden tatsächlich mit Platten von außen verkleiden und der Text darunter die Verschalung des Geschäfts mit »belfasFassaden-Elementen« erwähnt. Insbesondere die Bilder, die den Verfasser zeigen, zeichnen sich jedoch durch eine deutliche Stilisierung, teils auch Ironisierung der eigenen Figur aus, da es sich bei diesen Fotos gerade nicht um Moment-Aufnahmen handelt, sondern um sichtlich inszenierte Fotografien. Horzon nimmt eine übertrieben statische und sich wiederholende Haltung ein (vgl. Abb. 3 und 4 sowie DwB Dokumentarfotos – Teil II, Foto 5 und 6) und vermeidet den direkten Blick in die Kamera. Ein anderes Foto zeigt einen schielenden, den Kopf zur Seite legenden Rafael Horzon am Steuer eines Lieferwagens sowie Christian Kracht, der mit der Hand in die eine Richtung deutet, in die entgegengesetzte Richtung blickt 781 Im Fall des Dokumentarfoto-Teils I beziehen sich die ersten zwölf Bilder auf bereits Erzähltes, zehn Bilder nehmen Späteres vorweg. In Bezug auf den zweiten Foto-Teil ist das Verhältnis unausgewogener : Die ersten fünf Fotos beziehen sich auf Vorangegangenes, die übrigen 17 Bilder auf das noch Folgende. 782 Lohöfer : Autofiktion als Ikonotext, S. 24. Lohöfer verweist in diesem Zusammenhang auf die Position Lewis Hines, der konstatiert, dass Fotografien häufig Manipulationen unterliegen (ebd.). 783 Ebd., S. 23f.

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Abb. 3: Rafael Horzon mit David Woodard (DwB Dokumentarfotos – Teil II, Foto 15)

Abb. 4: Rafael Horzon in der Werkstatt von ›System-Lüftung‹ (DwB Dokumentarfotos – Teil II, Foto 19)

(siehe Abb. 5). Dem Text unter dem Foto ist zu entnehmen, dass sich die beiden Männer »beim Ausliefern von Regalen« befinden bzw. sie »übermütig […] durch Berlin-Mitte [kurvten] und […] dabei Seemannslieder« sangen. Das Bild weist so eine gewisse Verbindung zum Erzählten auf, weil man die

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Genannten in einem größeren Wagen sitzen sieht, doch wird das Gesagte gleichzeitig durch die Haltung der Abgebildeten (›Horzons‹ Schielen und die Unklarheit der ›Richtungs-Weisung‹ von ›Kracht‹) ironisiert.

Abb. 5: Rafael Horzon und Christian Kracht (DwB Dokumentarfotos – Teil II, Foto 9)

Auch im Fall der Eröffnung der Moebel Horzon-Filiale vermag das diesem Ereignis zugeordnete Foto nur dem Anschein nach diejenige Beweiskraft zu entfalten, auf die ›Horzon‹ im Text abzustellen versucht. Es zeigt einen Ausschnitt einer Menschenansammlung vor dem Geschäft. Unabhängig von der möglichen Manipulation durch den Bildausschnitt ist hier nicht klar festzustellen, ob sich dieses Foto tatsächlich auf die in der Bildunterschrift angekündigte Eröffnung bezieht oder ob es sich hier um einen »gigantischen Auflauf« handelt (DwB Dokumentarfotos, Teil I, Foto 16). In anderen Fällen erschließt sich der Bildinhalt erst durch die Bildunterschrift bzw. den Textauszug.784 Auf den als Werbemotive für ›Modocom‹ betitelten Fotos, z. B. einem, auf dem Horzon in einem weißen Anzug auf einem quadratischen Stuhl in weiß sitzt und für Redesigndeutschland posiert (DwB Dokumentarfoto-Teil I, Foto 21), ist die dem Foto inhärente Stilisierung dem Medium der Werbefotografie ge784 Vgl. dazu u. a. DwB Dokumentarfoto-Teil I, Foto 2 und Text. Abgebildet ist ein Kochtopf auf einer mobilen Herdplatte, auf dem wiederum eine Holzmaske mit Bart und großer Nase platziert ist. Darunter steht der Auszug: »›Hör zu, mein Kleiner‹, sagte Signora Sarasate mit ihrer tiefen Stimme, ›was ich dir nun sage, ist sehr wichtig. Es wird dein ganzes Leben bestimmen. Hörst du gut zu?‹ ›Ja Signora‹, wisperte ich ängstlich, ›ich höre‹«. Die Bildunterschrift lautet: »Paris, an einem heissen Sommertag«.

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schuldet. Die hier offenkundige Künstlichkeit der Bildinhalte ist von vornherein nicht als Abbildung eines Wirklichkeitsausschnittes zu verstehen, sondern als Teil des Unternehmensmarketings; die Integration derartiger Fotos in den vorliegenden Text verweist demnach allenfalls auf eine tatsächliche Umsetzung des in Das weisse Buch lediglich am Rande thematisierten Projekts, ein quadratisches Möbel für Redesigndeutschland zu bauen. Wie sich an einigen der integrierten Bilder (u. a. an dem Werbe-Motiv für die Mode-Firma Gelee Royale und an einigen Portraits Horzons) belegen lässt, sind diese nicht im Sinne einer kalkulierten Täuschung des Lesers für die Veröffentlichung selbst entstanden, sondern existierten bereits zuvor. Sie referierten um die Jahrtausendwende auf Unternehmungen Rafael Horzons in der textexternen Realität. Das Foto des Männer-Models mit der ›Kopfkrawatte‹ ist z. B. bereits in einem Artikel über Horzon im Spiegel aus dem Jahr 2000 abgedruckt.785 Martin Niehaus hat in Bezug auf Sebalds Schwindel. Gefühle herausgearbeitet, dass in Text-Bild-Beziehungen »das Bild nicht auf eine bloße Illustration und auf der anderen Seite de[r] Text nicht auf eine bloße Bildbeschreibung« zu reduzieren ist, sondern einen darüber hinaus gehenden »Überschuss« hervorbringe.786 Dieser liegt im Fall der von Horzon integrierten Fotos überwiegend in einer Irritationsfunktion. Der wiederum von Berghaus in Sebalds Texten proklamierte Dreiklang aus Erinnerungsorten, Bildern und Imagination, der die Geschichte des Individuums als Geschichte des Kollektivs sichtbar macht, spielt in Horzons Autofiktion keine Rolle. Für seinen Text ist festzuhalten, dass sich die autofiktionale Poetik, die mit einer bewussten Stilisierung, Ironisierung und Verfremdung des zunächst scheinbar auf Realität abzielenden Gesagten arbeitet, im Dokumentarfoto-Teil mit anderen Mitteln wiederfindet. Auch die dargestellten Fotos erfüllen nicht den von ›Horzon‹ angekündigten Anspruch auf Dokumentation; sie sind vielmehr als eine bewusste Vermischung von Fakt und Fiktion zu verstehen, die eine auf die Wirklichkeit bezogene Lektüre auf unterhaltsame Weise ad absurdum führt. Neben den Fotos im Text ist auch das Autorportrait der Originalausgabe von Das weisse Buch einer vergleichbaren Stilisierung unterworfen. Horzons Blick ist auch hier nach oben gerichtet und geht an der Kamera vorbei; er hat eine nicht angezündete Zigarette im Mund und eine weitere in der rechten Hand.787 Diese in zweifacher Hinsicht sinnlose Geste (nicht rauchend, aber die Pose des Rauchers einnehmend und noch dazu mit zwei Zigaretten) verstört, da die Aussage des Fotos undurchsichtig ist. Gemäß Bildnachweis stammt das Foto von 785 Vgl. Luetzow : Rafael Horzon: Es ist ein Regal, aber … 786 Niehaus: Ikonotext, S. 156. Vgl. dazu auch Lohöfer : Autofiktion als Ikonotext, S. 25, die hier explizit auf Niehaus verweist. 787 Vgl. Autor-Portrait der Originalausgabe (DwB Klappentext hinten innen).

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einem gewissen Arnolf E. Horzon. Mit diesem Anagramm des Autornamens ist auch im Peritext ein Spiel auf textimmanenter und visueller Ebene angelegt, das mit der Doppelrolle des Autors, hier als Fotograf und als Portraitierter, spielt. 4.2.3 Die ›Lust am Text‹ – intertextuelle Verweise und Interpiktorialität Trotz des autobiographischen Paktes und der rückgewandten Erzählperspektive verzichtet der Text auf explizite Thematisierungen eines Erinnerungsdiskurses oder die Problematisierung des autobiographischen Wahrheitstopos. Dieser wird lediglich in überspitzter und damit ironischer Manier aufgeworfen, wie oben gezeigt werden konnte. Horzons Text beweist mit einer Vielzahl an intertextuellen und interpiktorialen Anspielungen auf fremde Werke dennoch eine postmoderne Prägung. Neben direkten Verweisen, wie z. B. auf D. H. Lawrences Lady Chatterley’s Lover (1928) (DwB 45), enthält Das weisse Buch versteckte Zitate, die Lesern, die diese wahrnehmen, eine zusätzliche Textdimension eröffnet. Verglichen vor allem mit Sebalds und Doubrovskys Texten zeigt sich, dass die Intertexte und Bild-Beziehungen in Horzons Autofiktion eine andere Funktion übernehmen. Die Bezüge fungieren nicht wie Sartres Les Mots in Doubrovskys Le livre bris¦ als Subtext oder stellen wie in W. G. Sebalds Fall Präfigurationen von Erinnerungsprozessen dar ; sie sind vielmehr einem ironisch-unterhaltsamen Ton geschuldet, der es auf Verwirrung und die Enttäuschung der Lesererwartung anlegt. Am Ende des Romans spielt Horzon u. a. auf Novalis’ Heinrich von Ofterdingen (1799/1800) an und nimmt teils wörtlich die Erzählung auf. Ähnlich dem Protagonisten des Romanfragments gelangt auch ›Horzon‹ an eine Grotte: Ich komme an eine Felsenschlucht, ich klettere über bemooste Steine. Je höher ich komme, desto lichter wird der Wald. Hinter einer Wiese erkenne ich eine Klippe, und in dieser Klippe eine Öffnung. Der Eingang zu einer Grotte. Ich gehe hinein, alles ist strahlend und hell. Die Wände der Grotte sind mit einer heissen Flüssigkeit überzogen, die sich am Boden zu einem leuchtenden See sammelt. Ich tunke meine Hand hinein und probiere: Schmeckt gut, denke ich, schmeckt gut! (DwB 216)788 788 Vgl. dazu Novalis: Heinrich von Ofterdingen, S. 241f.: »Bald kam er vor eine Felsenschlucht, die bergan stieg. Er mußte über bemooste Steine klettern, die ein ehemaliger Strom herunter gerissen hatte. Je höher er kam, desto lichter wurde der Wald. […] Hinter der Wiese erhob sich eine hohe Klippe, an deren Fuß er eine Oeffnung erblickte, die der Anfang eines in den Felsen gehauenen Ganges zu seyn schien. Der Gang führte ihn gemächlich eine Zeitlang eben fort, bis zu einer großen Weitung, aus der ihm schon von fern ein helles Licht entgegen glänzte. Wie er hineintrat, ward er einen mächtigen Strahl gewahr, der wie aus einem Springquell bis an die Decke des Gewölbes stieg, und oben in unzählige Funken zerstäubte, die sich unten in einem großen Becken sammelten; der Strahl glänzte wie entzündetes Gold; […]. Die Wände der Höhle waren mit dieser Flüssigkeit überzogen,

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Die in Heinrich von Ofterdingen zum Ausdruck kommende Andersartigkeit des Ortes sowie die Feierlichkeit und die Faszination, mit der der Protagonist die Grotte betritt und schließlich von der Flüssigkeit trinkt, wird hier ›entzaubert‹ durch ein schlichtes Werturteil: »Schmeckt gut«.789 Der Protagonist verhält sich demnach nicht so, wie es der Text zunächst vermuten lässt. Er entspricht weder dem Verhalten, das einem solchen Ort angemessen wäre, noch dem, was ein Leser, der den Intertext erkennt, erwarten könnte. In ähnlicher Manier sind auch die Aussprüche in lateinischer Sprache, die in der Regel per Fußnote mit einer Übersetzung versehen sind, verkehrt worden (so z. B. »Aude sapere«, DwB 200, statt des auf Horaz zurückgehenden Ausspruchs ›Sapere aude‹). Ebenso sind dem Text Verweise auf das von Horzon und Christian Kracht geschriebene Theaterstück Hubbard (2006) eingeschrieben: ›Horzon‹ und sein Praktikant ›Kracht‹ kommen z. B. wie die Protagonisten des Theaterstücks in einen Malbedarfsladen mit Bob-Ross-Artikeln. Sie versuchen bei dem Ladenbesitzer Günther Prophet vergeblich, einen Malkurs zu belegen, um die BobRoss-Technik zu erlernen.790 Mit der Reise ›Krachts‹ und ›Horzons‹ nach Stettin und ihrem vergeblichen Versuch, über die polnische Grenze zu gelangen, wird eine weitere Szene aus Hubbard in Das weisse Buch aufgegriffen: Schweissüberströmt stolperten wir mit unseren schweren Koffern über den heissen Strand, an Tausenden von nackten Polinnen und Polen vorbei. […] ›Wir suchen die Grenze‹, sagte Kracht und wischte sich den Schweiss aus dem Gesicht […] ›Die Grenze ist dort drüben, […]‹, sagte der Sergeant und zeigte auf einen winzigen Punkt am Horizont. […] Nach ca. zwei Stunden Marsch durch die flirrende, sirrende Hitze waren wir angekommen. Die Grenze bestand aus einem Volleyball-Netz, das über den gesamten Strand hinweg gespannt war, vom Wasser bis in die Dünen. […] ›Wir wollen über die Grenze … nach Berlin …‹, erklärten wir. (DwB 176)

In Hubbard liest sich diese Episode wie folgt: Strand an der Ostsee. […] Sven und Ludwik tragen gemeinsam zwischen sich einen beigen Stoffkoffer, der so schwer wirkt, als sei er mit Ziegelsteinen gefüllt. Ihre Hosen die nicht heiß, sondern kühl war, und an den Wänden nur ein mattes, bläuliches Licht von sich warf. Er tauchte seine Hand in das Becken und benetzte seine Lippen. Es war, als durchdränge ihn ein geistiger Hauch, und er fühlte sich innigst gestärkt und erfrischt«. Vgl. auch Döring: Das weisse Buch. 789 Auch schließt Das weisse Buch mit einem etwas veränderten Zitat aus Novalis’ Hymnen an die Nacht (vgl. dazu Novalis: Hymnen an die Nacht, S. 159 »Ich fühle des Todes/Verjüngende Flut,/Zu Balsam und Aether/Verwandelt mein Blut –«). Die in Novalis’ Hymnen zum Ausdruck kommende, teils religiös anmutende und auf das ewige Leben ausgerichtete Todessehnsucht deutet ›Horzon‹ um in ein Emporsteigen ins Weiß bzw. ins Nichts: »Dann bin ich oben. Über mir nichts. Unter mir nichts. Alles umher ist weiss. Ich fühle mich leicht./Ich habe keine Angst./Ich bin frei« (DwB 218). 790 Vgl. dazu u. a. DwB 169–171 und Kracht/Horzon: Hubbard, S. 100–102.

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sind bis zum Knie hochgekrempelt, ihre Herbstkleidung steht in seltsamem Kontrast zu den fast nackten Touristen am Strand. […] LUDWIK: Wir wollen über die Grenze. NACKTER TOURIST: Da hinten, wo der Holzsteg ins Wasser ragt. […] Da ist die Grenze. […] Nach einer Weile erreichen sie die Grenze. […] Ein Netz ist über den Strand gespannt. […] SVEN: Die Grenze sieht ja aus wie ein Volleyballnetz.791

›Krachts‹ und ›Horzons‹ Versuch, ein Theaterstück zu schreiben, das sie zunächst »Bayrische Motoren Werke« nennen wollen (DwB 182) und das nie zur Uraufführung kommt (DwB 192), findet in Das weisse Buch im Hotel Neptun in Stettin statt. Die Szene spielt damit auf das Treffen von Joachim Bessing, Benjamin von Stuckrad-Barre, Christian Kracht, Eckhart Nickel und Alexander von Schönburg im Berliner Hotel Adlon an, die ihre Gespräche in Tristesse Royale niedergeschrieben haben. ›Kracht‹ und ›Horzon‹ beginnen aus Mangel an Ideen damit, das aufzuschreiben, »was [sie] […] erleben, von dem Moment an, in dem [sie] […] in dieses Hotelzimmer gekommen sind! Und zwar eins zu eins! Ohne irgendwelche Erfindungen! Wie Buchhalter!« (DwB 174). Dieser selbstreflexive Verweis auf das postulierte eigene Schreibverfahren führt sich jedoch schnell ad absurdum, da Kracht, als er das eben Gesagte von ›Horzon‹ niedergeschrieben hat, an seine Grenzen gelangt: »An dieser Stelle hörte Kracht auf zu schreiben: ›Das geht so nicht, das dreht sich doch irgendwann im Kreis!‹« (DwB 175) Horzon liefert zudem eine Vielzahl von Verweisen auf den Kunstdiskurs. Indem er beispielsweise in seiner Galerie Berlintokyo Ausstellungsstücke beschreibt, die in Anlehnung an Marcel Duchamps Fountain fungieren, ruft er im Medium Text Bild-Bild-Bezüge und damit Fragen der Interikonizität bzw. Interpiktorialität auf.792 Dazu zählen das oben bereits thematisierte Das schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch, das zusätzlich zur Erwähnung im Text nochmals im Bildteil aufgenommen wird (DwB Dokumentarfotos – Teil II, Foto 6 und 22), sowie die Anspielungen auf Duchamps Fountain. Weitere interpiktoriale Anspielungen sind im Dokumentarfototeil aufzufinden, die weniger deutlich als Zitate markiert sind. Ein Foto des zweiten Teils z. B. ist unterschrieben mit dem Text: »Es war tief in der Nacht, als die Gesellschaft auseinanderging. Ich erinnerte mich an einen spätherbstlichen Wald«. Die Bildunterschrift lautet: »Jubiläums-Gala von Moebel-Horzon im Kronprinzenpalais« (DwB Dokumentarfoto-Teil II, Foto 20 und Text). Weder zeigt das Foto den genannten Veranstaltungsort, noch veranschaulicht es die aufkommende Erinnerung des Erzählers an einen Wald im Spätherbst. Stattdessen ist eine palmenartige Pflanze abgebildet, von unten aufgenommen. Einzig und allein der schwarze Bildhintergrund ist als Dunkelheit zu werten und spielt damit auf die 791 Kracht/Horzon: Hubbard, S. 95–97. 792 Interikonizität oder ›Interpiktorialität‹ sind als komplementäre Begriffe zur Intertextualität zu verstehen, als »Intertextualität von Bildern« (Isekenmeier : Zur Einführung, S. 7).

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erwähnte Tageszeit an. In Kombination mit der Bildunterschrift liefert das Foto jedoch einen versteckten Verweis auf Marcel Broodthaers’ Wintergarten von 1974, eine Installation aus u. a. Gartenstühlen und Zimmerpalmen, mit dem sich der Künstler explizit gegen die Institutionalisierung des Ausstellungsortes ›Galerie‹ richtet. Der Titel und die Umschlaggestaltung referieren darüber hinaus auf die Praxis, Kunstwerke in weißen bzw. hellen und damit möglichst neutralen Räumen auszustellen, die Bryan O’Doherty als ›White Cube‹ bezeichnet hat.793 Wie die Werke zeitgenössischer Künstler bettet auch Horzon seinen Text, das designierte ›Nicht-Kunstwerk‹, in der Originalausgabe in bloßes Weiß, ebenso wie er seine Unternehmen und Büroräume, etwa das von Redesigndeutschland, konsequent in Weiß hält. Horzon ironisiert dadurch explizit die Praxis des Ausstellungsraumes im zeitgenössischen Kunstbetrieb.794 Mit seinem Verschalungsunternehmen Belfas treibt Horzon diese Institutionskritik auf die Spitze, wenn er ganz Berlin mit weißen Verschalungsplatten vereinheitlichen und in Weiß tauchen möchte (vgl. DwB 140f.) und so implizit die Hauptstadt als Ausstellungsort kennzeichnen will. Mit dem Titel des Romans lehnt sich Horzon nicht nur an das White Album der Beatles an, sondern – auch nach eigener Aussage795 – an Muammar Al Qaddafis Das grüne Buch (1975) bzw. Mao Tse-Tungs Worte des Vorsitzenden Mao Tsetung, das als das ›rote Buch‹ bekannt ist. Durch die bloße Nennung eines solchen Bezugs auf Werke der Diktatoren wirft er, ohne jedoch weitere Verweise zu den Werken aufzubauen, Fragen auf, die unbeantwortet bleiben und wohl auch bleiben sollen.796

4.3

Die Un(be)greifbarkeit des Verfassers: Rafael Horzon als Kunstfigur

Da der autofiktionale Text explizit mit dem Bezug zum Autornamen und zur Autor-Biographie arbeitet, gilt es, sich abschließend der öffentlichen Person 793 Siehe dazu näher O’Doherty : Inside the White Cube. 794 Vgl. hierzu auch DwB Dokumentarfotos –Teil II, Bild 22. Darunter heißt es: »Alles umher ist weiß«, ein Satz, der erneut am Schluss des Textes aufgenommen wird. 795 Vgl. Arzt: »Grandios! Welterfolg!«, S. 34 sowie Feldhaus: Kill Billy, S. 48: »Den Buchtitel habe ich in Anlehnung an Muammar al-Gaddafis ›Das grüne Buch‹ gewählt. Politisch liege ich mit Muammar nicht immer auf einer Linie, aber stilistisch. Wir beide lieben Verkleidungen. Ansonsten hat dieser Titel absolut keine Bedeutung«. 796 In der damit aufgerufenen Assoziation zu den Werken zweier Diktatoren referiert Horzon indirekt auch auf Christian Krachts Auseinandersetzung mit der Volksrepublik Nordkorea als »gigantische Installation« bzw. »manisches Theaterstück« in Die totale Erinnerung. Kim Jong Ils Nordkorea (Kracht: Die totale Erinnerung, S. 7). Siehe dazu näher Huber : Im Herzen der Uneigentlichkeit, S. 223.

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Rafael Horzon und seiner textexternen Inszenierung als Nicht-Künstler resp. Unternehmer zu nähern. Vor allem aufgrund der im Text und Peritext genannten innovativen sowie satirisch anmutenden ›Geschäftsideen‹ der Romanfigur soll den Fragen nachgegangen werden, wie die Person Rafael Horzon textextern zu verorten ist und ob auch dem Verfasser, unabhängig von den Angaben im Klappentext, die genannten Unternehmen zugeschrieben werden können. Zu diesem Zweck unterzieht das folgende Kapitel die Unternehmen Horzons und den Internetauftritt seines ›Modocom-Imperiums‹ unter Zuhilfenahme von Pressestimmen einer näheren Betrachtung. Rafael Horzon bewegt sich seit Mitte der 1990er Jahre vor allem im literarisch-künstlerischen Umfeld Berlins. Über die Grenzen der Hauptstadt hinaus ist er jedoch wenig bekannt. Die Informationen zum Autor auf der Suhrkamp-Homepage entsprechen den spärlichen, teils irreführenden Angaben des Klappentextes von Das weisse Buch.797 Nur wenige Feuilleton-Artikel lassen sich anführen, anhand derer einzelne Tätigkeiten Horzons, auf die Das weisse Buch Bezug nimmt, belegbar sind und die das im Roman Erzählte als in der textexternen Realität vorhanden beglaubigen. Anders als in Glavinics Fall spielt dies für Horzons Autofiktion eine besondere Rolle, weil sein Text insgesamt nicht durchgehend realitätskonform konzipiert ist und der Status seiner ›Geschäftsideen‹ als reale Unternehmen in Zweifel steht. Je nach Vorwissen des Lesers und Verfügbarkeit von Informationen wirken die Angaben zur Autor-Biographie so entweder als Bestärkung des autobiographischen Paktes oder laufen einer derartigen Lesart zuwider. An zwei Spiegel-Artikeln lässt sich nachweisen, dass Horzon in der Tat 1997 eine Wissenschaftsakademie in Berlin gegründet hat, die – wie in Das weisse Buch beschrieben – Prüfungsscheine an Studenten für die Teilnahme an einer einzigen Veranstaltung verteilte und deren Dozenten u. a. Horzon selbst, der Berliner Künstler Christoph Keller und Christian Kracht gewesen sind.798 Auch mit seinem Möbelladen ist Horzon im deutschen Feuilleton erwähnt worden.799 Seine Aussagen rufen Irritation hervor und generieren Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, weil Horzons Geschäft nach anderen Regeln als übliche Möbelläden funktioniert: So gibt es keine regelmäßigen Öffnungszeiten, lediglich Termine nach persönlicher Vorabsprache800 und zunächst nur ein einziges Produkt: »Am 8. Juli 1999 eröffnete in der Berliner Torstrasse die erste Filiale der Möbelkette MOEBEL HORZON. Die Produktpalette dieses Möbel-Discounters beschränkt 797 Suhrkamp Verlag: Autoren. Rafael Horzon. 798 Vgl. Eimer : Diplom in vier Stunden: Wilhelm Reich und der Schabrackentapir sowie Kramer: Wissenschaftsakademie Berlin: Design-Diplom in zwei Wochen. 799 Luetzow : Crazy Berlin. 800 Modocom: Moebel Horzon: »Bitte beachten: Das Geschäft ist unregelmässig [sic] geöffnet. Sinnvoll ist eine telefonische Ankündigung«.

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sich auf ein einziges Regalmodell, das Universal-Regal ›Modern‹«.801 Zu einer Möbelkette ist es nie gekommen und aufgrund der Ähnlichkeit des Regals mit dem weltbekannten Ikea-Modell ›Billy‹, das Horzon mit seiner »Umtauschaktion UMTAUSCH + ZERSÄGUNG = ZUFRIEDENHEIT am 29. September 1999« aus Berlin-Mitte vertreiben will, erhält die Ankündigung »Weltneuheit: Universalregal Modell ›Modern‹«802 einen zwangsläufig unterhaltenden Charakter. Das Feuilleton zweifelt die Haltung des ernstzunehmenden Unternehmers, die Horzon öffentlich verkörpert, daher bereits 2003 an: Doch vielleicht ist es ein Fehler, hier Ironie zu vermuten, denn zu den Kunden des mit dem Slogan »Moebel Horzon: Leben Sie, wir kümmern uns um die Regale«803 beworbenen Möbelhauses, das nach Aussage von Horzon einen »unfassbaren Anstieg der Verkaufszahlen, den wir selber kaum überblicken können«, verzeichnet, gehören nicht wenige Namen aus den Kreisen zwischen Szene, Prominenz und Semiprominenz: DJ Koze, Stephan Wirth (Kings Club), Christoph Leich (Die Sterne), Andreas Koch (Galerie Koch & Kesslau) […] und das Label Kitty-Yo International. Angeblich hat sogar der Kultautor Bret Easton Ellis auch schon ein Regal bei Moebel Horzon bestellt.804

Trotz seiner Weigerung, sich selbst als Künstler zu bezeichnen, ist Horzon nachweislich im Feld der Pop-Moderne tätig: Um 2000 veröffentlicht Horzon zudem Artikel in der Monatszeitung DE:BUG,805 in dem von Christian Kracht zwischen 2004 und 2006 herausgegebenen Magazin Der Freund erscheinen in jeder Ausgabe Kolumnen Horzons zu verschiedensten Themen. Der ›AntiKünstler‹ schreibt neben Christian Kracht, Moritz von Uslar, Niklas Maak oder Eckhart Nickel über den Matratzenkauf im Gestus eines Ratgebers806 oder über seinen einwöchigen Aufenthalt bei Scientology im Duktus einer Reisebewertung (»Essen fand ich nicht schlecht, aber ich vermisste die Wahlmöglichkeit«).807 Horzon suggeriert eine Folge von kolumnenartigen Artikeln, wenn im ersten Heft von Der Freund zu seinem Beitrag Meine Werkzeuge der Zusatz »Folge eins: Der Schwingschleifer SR 356« genannt wird.808 Das zweite Heft liefert jedoch keineswegs eine ›Folge zwei‹.809 Mit dem bereits erwähnten Theaterstück Hubbard schreibt Horzon erstmals offenkundig als Autor einen fiktionalen Text.810

801 Ebd. 802 Vgl. ebd. 803 Vgl. ebd. eine Auflistung von Werbeslogans des Unternehmens. Der hier zitierte Slogan baut auf dem Ikea-Motto ›Wohnst du schon oder lebst du noch‹ auf. 804 Ebd. 805 Die Kolumnentexte sind wie diejenigen aus Der Freund ebenfalls auf Horzons Internetauftritt einsehbar. Modocom: modocom. 806 Horzon: Meine Matratzen. Folge eins: Der Matratzenkauf, S. 77. 807 Horzon: Meine Sekten. Letzte Folge: Eine Woche Scientology, S. 41. 808 Horzon: Meine Werkzeuge. Folge eins, S. 83. 809 Vgl. Horzon: Meine Brotaufstriche. Folge eins: VITAM-R, S. 15. Vgl. dazu Moritz Baßler,

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Die Analyse hat bereits zutage gefördert, dass die vom Erzähler textintern genannten und im Klappentext ebenfalls erwähnten Unternehmen Horzons aufgrund ihres Performance-Charakters bzw. ihres hohen Inszenierungsgrades textintern unter Kunstverdacht stehen. Der Erzähler weigert sich jedoch hartnäckig, seine Rolle als Künstler anzunehmen, die ihm textintern angetragen wird. Diese Haltung findet sich auch in Interviewäußerungen des Verfassers zu seiner Buchveröffentlichung wieder. Hier nimmt Horzon konsequent die Rolle des Unternehmers bzw. Ökonomen ein und beharrt auf einer Abgrenzung seiner Tätigkeiten zu dem Kunstwillen in Berlin Mitte der 1990er Jahre. In einem Interview mit dem Kunstmagazin Monopol sagt er dazu: »Die einzig logische Konsequenz […] war für mich, das Gegenteil zu tun und um jeden Preis nicht Künstler zu werden. Also wurde ich erst Wissenschaftler, mit der Akademie, dann mit Moebel Horzon Unternehmer«.811 Die Kategorisierung von Kunst bzw. Nicht-Kunst avanciert bei Horzon so auch textextern zu einem reinen Zuschreibungsproblem (»Dabei steht doch Moebel Horzon dran, nicht Kunst Horzon«).812 Der ›Nicht-Künstler‹ bezeichnet sein Regal ›Modern‹ nicht als Kunst, sondern weist ihm einen praktischen, zweckgebundenen, außerhalb der Kunstauffassung liegenden Stellenwert zu, nämlich, ein Regal zu sein. Seine Geschäftskonzepte sind jedoch im Gegensatz zum klassischen Unternehmertum kaum auf einen marktwirtschaftlichen Faktor ausgerichtet. Lediglich im Fall von Moebel Horzon ist ein gewisses Gleichgewicht zwischen ökonomischem Erfolg und Inszenierung des Autors zu erkennen – vorausgesetzt man glaubt Horzons Behauptungen zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens und nimmt als Anhaltspunkt dafür, dass es das Geschäft in der Torstraße in Berlin noch immer (zum Zeitpunkt November 2013) gibt. Dennoch lebt Horzons Regal von seinem inhärenten symbolischen Kapital, das der ›Unternehmer‹ durch seine zahlreichen Aktionen in Berlin-Mitte etabliert hat. In der Pose des Nicht-Künstlers verhaftet bezeichnet Horzon Das weisse Buch als Unternehmer-Autobiographie bzw. als »Sachbuch«, nicht als Roman oder gar Autofiktion: Es ist keine Fiktion, ich habe nichts erfunden, das Buch entspricht eins zu eins der wirklich erlebten Wirklichkeit. Und wenn das Buch manchmal romanhaft wirkt, dann war mein Leben einfach ab und zu romanhaft. Aber ich habe es aufgeschrieben wie ein treuherziger Buchhalter.813

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der in seiner Auseinandersetzung mit Krachts Der Freund bereits auf diese Eigenart der Texte Horzons verweist (Baßler: Der Freund, S. 207). Siehe zu Hubbard sowie der Episode Horzons zu Scientology in Der Freund näher Birgfeld: Theaterauslöschung – Kunstbegehren. Frenzel: »Wir müssen unbedingt die Neue Wirklichkeit anstreben«, S. 59. Ebd., S. 60. Feldhaus: Kill Billy, S. 48.

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Horzon verkehrt auch hier geltende Prämissen: Nicht der Text ist autobiographisch, sondern das Leben ist romanhaft. Seine Betonung des Wahrheitsgehaltes des Erzählten wiederholt sich in fast jedem der mit ihm geführten Interviews.814 Allerdings räumt Horzon im Interview mit Zitty schließlich ein: »Und abgesehen davon gibt es natürlich so viele Wahrheiten wie Menschen auf der Welt«.815 Rafael Horzon gibt in den Interviews kaum Informationen zu seiner Person preis oder nur solche, die erneut darauf angelegt sind, zu irritieren. So hat er nach eigenen Angaben »zwei bis drei Kinder«.816 Weitere Parallelen zwischen Autor und Erzähler bzw. Figur zeigen sich, wenn Horzon im Gestus der Seriosität Themen aus seinem Roman aufgreift und ebenso vehement wie inhaltsleer auf die ›Neue Wirklichkeit‹ zu sprechen kommt. Diese bleibt so auch textextern als Leerformel stehen, die Horzon dennoch zur Handlungsmaxime erklärt: »Die Akademie ist ja auch Beispiel einer größeren Vision. Ich nenne sie die Neue Wirklichkeit. Diese Neue Wirklichkeit müssen wir unbedingt anstreben«.817 Horzon behält zusätzlich den im Roman bereits ausgespielten Übertriebenheitsgestus818 sowie den des Greises bei, dessen Lebensweg zu Ende ist und der aus diesem Grund seine Autobiographie verfasst:819 Was für ein tolles, aufregendes Leben ich gehabt habe! Und nun, da sich in meinem hohen Alter der Lebenskreis langsam schließt, bin ich froh, dass ich endlich abtreten kann. Ab jetzt werde ich nur noch spazieren gehen. Was zu sagen war, ist gesagt.820

Dies wird als bloßer Gestus entlarvt, wenn Horzon kurz darauf einwirft: Ach so, doch, stimmt. Ich mache in Kürze eine Sach- und Fachbuchhandlung auf, und in diesem Geschäft gibt es ausschließlich mein Buch zu kaufen. Außerdem Noodle Horzon, eine Pasta-Großhandelsfirma. Und gerade habe ich eine Firma mit Helene 814 Vgl. Fischer: Der Mann, der Mitte erfand, S. 51: »›Das Großartige am Weissen Buch ist ja, dass alles wahr ist‹, sagt Horzon. »›Alles ist wahr, nichts ist erfunden‹«. Vgl. auch Arzt: »Grandios!«, S. 34: »Das stimmt, wie alles, was in meinem Buch steht«. Hünniger : Verflixte Kunst: »Das Weisse Buch ist ein Sachbuch. […] Alles darin ist zu einhundert Prozent wahr«. 815 Feldhaus: Kill Billy, S. 49. 816 Arzt: »Grandios!«, S. 34. 817 Ebd.; vgl. auch Frenzel: »Wir müssen unbedingt die Neue Wirklichkeit anstreben«, S. 61: »›Was ist die Neue Wirklichkeit […]?‹ ›Eine Wirklichkeit, in der alles neu und interessant ist und die wir unbedingt anstreben müssen! […] Die Neue Wirklichkeit umfasst die gesamte Wirklichkeit. Unmerklich. Aber sie wird kommen‹«. 818 »Ich bin ja nun ein sehr bekannter Autor! Es ist ein grandioser Erfolg! […] Ich hatte den Erfolg nicht geplant. Und plötzlich wird es ein Weltbestseller« (Arzt: »Grandios!«, S. 34). Wie in Das weisse Buch macht Horzon hier die Inszenierung der eigenen Person durch offenkundige Übertreibung und Unwahrheiten sichtbar. Denn weder ist Das weisse Buch ein Weltbestseller geworden, noch ist Horzon dadurch zu Prominenz gelangt. 819 Vgl. Arzt: »Grandios!«, S. 34: »Ich gehe ab jetzt nur noch spazieren. Bin ja schon sehr alt [sic], ich ziehe mich zurück«. 820 Frenzel: »Wir müssen unbedingt die Neue Wirklichkeit anstreben«, S. 61.

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Hegemann gegründet. Außerdem eine Immobilienfirma mit Thilo Wermke und eine Fluglinie mit Martin Klosterfeld.821

Und auch hier gilt es Horzons Worten zu misstrauen: Noodle Horzon ist dem Weissen Buch nach bereits drei Jahre zuvor (2007) gegründet worden; die übrigen Unternehmen, die er nennt, sind – zumindest bisher – reine Fiktion geblieben. Lediglich die Fach- und Sachbuchhandlung, die »wegen Änderung des Geschäftsbereichs (von Buch-Handel zu Edelstahlspülen-Grosshandel)«822 nicht mehr zu bestehen scheint, findet sich unter Horzons Modocom-Homepage. Hingegen wendet er sich mit Me, my shelf and I 2012 der Musikbranche zu (in Anlehnung an den Titel Me, myself and I verschiedenster Interpreten, darunter Billie Holiday) und liefert als Ludwig Amadeus Horzon einen möglichen ›Welthit‹: »Es ist ja kinderleicht, einen weltweiten Nummer-eins-Hit zu produzieren«, sagt Horzon, »man muss nur ein paar einfache Regeln befolgen: G-Dur, 108 Beats pro Minute, drei Minuten Song-Länge, Aufbau in Strophe, Strophe, Refrain, Strophe, Strophe, Refrain – fertig! […], und damit war der Welthit ja auch schon fertig getextet«.823

Die Videopremiere des Liedes von Horzon feat. Peaches (eine in Berlin lebende Sängerin aus Kanada) platziert Horzon bei Spiegel Online. Erschienen ist die Single im eigens für dieses Musikstück gegründeten Label des Berliner Journalisten und DJs Martin Hossbac, das im Design (Lochschrift auf weißem Grund) in auffälliger Weise dem Weissen Buch nachempfunden ist. Gesungen von Peaches, komponiert von Arnim von Milch, ist Horzon lediglich im Video zusammen mit seinem Regal Modern zu sehen. Der Text besticht durch einfache Satzstruktur und Reime: »Ich brauche keinen Sand, ich brauche keinen Strand, ich brauche keinen Schal, ich brauche ein Regal«824 sowie durch Wortspiele: Während der Refrain »Me, my shelf and I« erklingt, ist im Video zum Song Horzon zu sehen, der ein gekochtes Ei verspeist. Horzons Pose und seiner »Marktwirtschafts-Performance«825 entsprechend ist der Song tatsächlich käuflich zu erwerben, bei iTunes oder Amazon, das Video ist zudem auf YouTube einsehbar.826 In Bezug auf Horzons Interviews ist hervorzuheben, dass er nicht zwischen sich als Verfasser und als Erzähler-/Romanfigur unterscheidet. Die Autoräuße821 822 823 824 825 826

Ebd. Modocom: Sach- und Fachbuchhandlung. Borcholte: Videopremiere »Me, My Shelf and I«: Peaches im Regal. Horzon feat. Peaches: Me, My Shelf & I. Fischer : Der Mann, der Mitte erfand, S. 51. Als Produzenten sind Rafael Horzon und seine Ehefrau Patricia Woehler-Horzon im Abspann genannt.

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rungen zeichnen sich bei Horzon und Glavinic über eine zwar entgegengesetzte, aber jeweils einseitige Behauptungsstrategie aus, obwohl beide Romane mit der Doppeldeutigkeit des autofiktionalen Textes arbeiten. Anders als Thomas Glavinic, der die in Das bin doch ich erst geschaffene Rolle der Figur anlässlich der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2007 nochmals verwendet, ansonsten die Figurenzeichnung des ewigen Verlierers und Hypochonders von sich weist, gehört die Pose des ›Anti-Künstlers‹ bereits vor Schaffung des autofiktionalen Textes zur öffentlichen Persona Rafael Horzon und besteht auch darüber hinaus. Horzons habituelle Inszenierung läuft – wie der Text selbst – auf eine konsequente Enttäuschung hinaus. Die Interviews sind als eine Fortsetzung der Äußerungen des Erzählers in Das weisse Buch zu lesen, die darauf zielen, Rafael Horzon einer (Be-)greifbarkeit zu entziehen, seine Äußerungen, sein Kunstkonzept oder die Ästhetik der Neuen Wirklichkeit nicht als wahr oder falsch ansehen zu können. Mit dieser Un(be)greifbarkeit verweigert sich Horzon einer Kategorisierung und schafft eine Positionierung außerhalb des Erwartbaren und des Tradierten. Folglich fragt Marc Fischer in seiner Rezension zu Das weisse Buch, ob Rafael Horzon überhaupt existiere: »Und wer ist Horzon überhaupt? Gibt’s den wirklich, oder hat ihn sich jemand ausgedacht, extra für Berlin Mitte, das Reich der Illusion?«.827 Die ihm textintern zugeschriebenen Tätigkeiten haben in der textexternen Realität bereits den Stellenwert von inszenierten Werken, die sich mit der Kunstszene und ihrer Institutionalisierung auseinander setzen; die öffentliche Figur Rafael Horzon ist per se als Kunstfigur zu werten. Dies zeigt sich nicht zuletzt in den Angaben der untersuchten Interviews zu seiner Person oder seiner ›Unternehmer-Karriere‹. Horzons Spiel mit einer Vermischung von Fakten und Fiktion zeigt sich so auch beim Internetauftritt für Das weisse Buch, wo er den Text mit verschiedenen Literaturpreisen in Verbindung bringt: mit dem Deutschen Buchpreis, dem Europäischen Buchpreis, dem Prix Goncourt, dem Booker Prize und einem sogenannten Europäischen Nationalpreis, den es nicht gibt.828 Erneut verschwimmt hier die Ebene zwischen Fiktion und Wirklichkeit: Horzon hat keinen der genannten Preise erhalten.829 827 Fischer : Der Mann, der Mitte erfand, S. 51. 828 Vgl. dazu Modocom: Das weisse Buch. Unter der Rubrik ›Das weisse Buch‹ erscheint zunächst der Titel ›Deutscher Buchpreis‹ mit weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund. Bei erneutem Klicken auf die Seite folgen die anderen genannten Preise und dann der Titel Das weisse Buch in Lochschrift vor weißem Hintergrund sowie das Titelcover der Taschenbuchausgabe. 829 Der Deutsche Buchpreis ging im Jahr 2010 an Melinda Nadj Abonji für ihren Roman Tauben fliegen auf, den Prix Goncourt erhielt 2010 Michel Houellebecq für La Carte et le territoire. Der Prix du livre europ¦en wurde an Roberto Saviano für La Beaut¦ et l’enfer sowie an Sofi Oksanen für Purge verliehen. Mit dem Man Booker Prize ist Howard Jacobson für The Finkler Question ausgezeichnet worden.

Rafael Horzons Das weisse Buch

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Die Internetseite für Das weisse Buch ist Teil der Internetpräsenz von Horzons ›Unternehmensgruppe‹ Modocom. Diese enthält lediglich verschiedene Logos der horzonschen Unternehmen und kurze, wenig informative Texte zu vergangenen oder scheinbar noch bestehenden Firmen. Auf der Seite von Redesigndeutschland erscheint einzig und allein das Manifest der Agentur in der im Weissen Buch erläuterten vereinfachten Grammatik, zur Trennungsagentur Separitas findet sich lediglich eine kurze Beschreibung sowie eine veraltete Information: »SEPARITAS Grossgala am Freitag, 04. April 03«.830 So enthält auch die Homepage von ›Modocom‹ weder ein eigentliches Impressum noch Quelltextangaben, die Aufschluss darüber geben könnten, seit wann die Internetseite existiert. Dem Internetarchiv ›archive.org‹ zufolge existiert die Homepage jedoch bereits seit März 2001.831 ›Modocom‹ ist, so kann gefolgert werden, das Ergebnis einer langjährigen komplexen und variantenreichen Gesamtinszenierung Horzons, die es auf eine Verunklarung üblicher Kategorisierungen von Kunst, Ökonomie, Internetpräsenzen etc. anlegt.832 Horzon positioniert sich im World Wide Web nicht im Sinne einer massiven Anwesenheit, sondern über pointiert gesetzte Texte, die er selbst steuert. Weitere Formen der Präsentation von Rafael Horzon, sei es als öffentliche Person oder als Kunstfigur, wie eine eigene Facebook-Seite o. Ä., finden sich im Internet nicht. Die dem Weissen Buch inhärenten Verfahren finden sich textextern auf der Modocom-Homepage wieder : von der Orthographie bis hin zur Vermischung von Fakten und Fiktion. Ein gewisser Bruch in der üblichen Inszenierungspraxis Horzons, der sich – wie in den Interviews deutlich geworden ist – lediglich als Chronist oder Sachbuch-Autor beschreibt, nicht jedoch als Schriftsteller, ist angesichts des Offenen Briefs an den Spiegel im Fall Christian Kracht 2012 erkennbar.833 Kracht war in dem Spiegel-Artikel Die Methode Kracht von Georg Diez eine »Nähe […] zu rechtem Gedankengut«834 vorgeworfen worden. Neben weiteren 16 Autoren, unter ihnen Elfriede Jelinek, Daniel Kehlmann und Feridun Zaimoglu, unterzeichnete Horzon den Brief, der sich ausdrücklich gegen Diez’ »Art des Literaturjournalismus« richtete, da ein solcher – so die Unterzeichnenden – »das Ende jeder literarischen Phantasie, von Fiktion, Ironie und damit von freier Kunst« sei, weil Diez die »Grenzen zwischen Kritik und Denunziation überschritten« 830 Vgl. Modocom: Separitas. 831 Vgl. Archive.org: http://www.modocom.de. 832 Dies ist nicht zuletzt an Äußerungen belegbar, die journalistische Artikel um 2003 Horzon zuschreiben und die sich im Roman wiederfinden lassen. So z. B. »Jeder Student kann auch Dozent werden« (Kramer : Wissenschaftsakademie Berlin) und DwB 60: »Ausserdem sollte jeder Student auch als Dozent auftreten können und Seminare anbieten können«. 833 Vgl. dazu Döring: Rafael Horzon, die in ihrer Arbeit ebenfalls auf den von Horzon unterzeichneten Offenen Brief an den Spiegel verweist. 834 Diez: Die Methode Kracht, S. 101.

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habe.835 Horzon unterzeichnet als Schriftsteller, der sich für die Freiheit der Kunst einsetzt, und verlässt damit in dieser ernstzunehmenden Angelegenheit offenbar seine Pose. In Horzons Fall ist die Autofiktion Teil einer Performance, die im Sinne seiner ›Ästhetik‹ einer Neuen Wirklichkeit Aufmerksamkeit und Interesse generiert, weil Horzon übliche Wertungskategorien konsequent unterläuft. Johannes Birgfeld hat Christian Krachts und Horzons Theaterstück Hubbard als Text gelesen, der ein Begehren des Lesers hervorruft, das er dann konsequent enttäuscht.836 Diese Lesart kann für die Gesamtinszenierung von Horzon gelten, der dem Begehren einer klaren Kategorisierung sowie Bewertung seiner Person und seiner Tätigkeiten entgegentritt. Folgerichtig wählt der Autor Rafael Horzon dazu eine autofiktionale Konzeption, die es darauf anlegt, sich einer GenreZuordnung zu entziehen, und über die Textgrenzen hinausweist. Horzons Autofiktion ruft zwar Topoi des autobiographischen Schreibens auf, zeichnet sich aber auch weiterhin durch Charakteristika des postmodernen Textes aus. Horzons Form der ironischen Selbstkommentierung arbeitet jedoch nur noch mit den bloßen Rezeptionseffekten einer autofiktionalen Schreibweise. Horzon kann damit in Bezug gesetzt werden zu Künstlern wie Heinz Strunk oder Marc-Uwe Kling, die gezielt Autofiktionen als Teil einer Gesamtperformance verfasst haben, mithilfe derer sie sich textextern weiter zu etablieren und zu positionieren suchen. Sowohl Jakob Heins Mein erstes T-Shirt (2001) als auch Heinz Strunks Fleisch ist mein Gemüse und Junge rettet Freund aus Teich oder Marc-Uwe Klings Känguru-Trilogie837 spielen im autofiktionalen Text mit einer ironischen Haltung ihrer Person gegenüber – ob als Kinder-/Jugenderzählung oder wie in Marc-Uwe Klings Fall als Zwiegespräche mit einem kommunistischen Känguru.838 Mit den auf Unterhaltung angelegten autofiktionalen Kon835 [Anonym]: »Grenzen zwischen Kritik und Denunziation überschritten«. 836 Birgfeld: Theaterauslöschung, S. 220. 837 Hierzu gehört: Die Känguru-Chroniken (2009), Das Känguru-Manifest (2011) und Die Känguru-Offenbarungen (2014). 838 Anders als bei Rafael Horzon indiziert bei Heinz Strunk ein Pseudonym, das er wiederholt als solches sichtbar gemacht hat, die Kunstfigur. Zuletzt ist die Unterscheidung zwischen öffentlicher Figur und dahinter stehender Person im Rahmen des Textes Junge rettet Freund aus Teich markiert worden. Hier erzählt Strunk seine Kinderjahre, in denen er noch einen anderen Namen getragen hat. Im Klappentext heißt es dazu: »Der Held dieses Romans heißt Mathias Halfpape, so wie Heinz Strunk, bevor er sich Heinz Strunk nannte« (Strunk: Junge rettet Freund aus Teich, Klappentext vorne innen). Vgl. Strunk: Fleisch ist mein Gemüse, Vorsatzblatt: »Heinz Strunk (alias Jürgen Dose) wurde am 17. 05. 1962 in Hamburg geboren und kurz darauf auf den Namen Mathias Halfpape getauft«. Vgl. auch Schamoni: Dorfpunks, der ebenfalls im Text auf die Entstehung seines Künstlernamens verweist. Strunk spielt explizit mit seiner Doppelidentität und der Rolle, in der er auftritt. In Horzons Fall kann hingegen kaum eine Trennung zwischen Künstleridentität und realer Person vorgenommen werden, er tritt bis auf wenige Ausnahmen stets in einer Rolle auf.

Clemens Meyers Gewalten

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zeptionen generieren sie, wie Horzon, Interesse am Verfasser und erweitern über den Text ihr Publikum.839 Nicht die Fiktion »d’¦v¦nements et de faits strictement r¦els« (F Umschlagstext) macht die Autofiktion hier aus, sondern das Spiel mit der Künstlerperson im Text.

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Clemens Meyers Gewalten – von den Grenzen des autobiographischen Bezugs

In Gewalten. Ein Tagebuch (2010) verschränkt Clemens Meyer Autobiographisches mit öffentlichen Ereignissen aus dem Jahr 2009, wie z. B. dem Prozess um die Ermordung der achtjährigen Michelle aus Leipzig. Die autofiktionale Konzeption dient hier nicht einer bloßen Positionierung des Autors im Literaturbetrieb (auch wenn diese Dimension unweigerlich mitläuft). Das ›Autor-Ich‹ tritt auch nicht im Sinne einer ironisierenden Selbstbespiegelung oder Selbstvergewisserung zutage; es ist vielmehr Teil einer literarischen Auseinandersetzung, die das homodiegetische Erzählen als Grenzfall ›authentischer‹ Berichterstattung auszuloten versucht. Wie andere Wirklichkeitspartikel nutzt Meyer auch seine Biographie als Schreibmaterial, das er unterschiedlich stark bearbeitet und in einen fiktionalen Zusammenhang stellt. Die Art der Integration von Realitätsverweisen, ihre Literarisierung und ihre Bindung an den Autornamen stehen im Zentrum der folgenden Analyse. Dazu gilt es zunächst, die Gattungsangabe ›Ein Tagebuch‹ für den Text zu bewerten (Kap. 5.1) sowie die Konzeption von Gewalten näher zu betrachten (Kap. 5.2). An zwei Kapiteln soll im Anschluss daran das Zusammenspiel aus autobiographischem Bezug und Ich-Perspektive des Erzählers untersucht werden (Kap. 5.2.1 und 5.2.2). Davon ausgehend steht die Frage nach der Rolle des Autornamens bzw. der Autor-Biographie im und für den Text im Vordergrund, bevor abschließend herausgearbeitet wird, inwiefern sich an Meyers Gewalten erste Anzeichen eines veränderten, über die Postmoderne hinausgehenden Umgangs mit dem Konzept der Autofiktion feststellen lassen (Kap. 5.3).

839 Marc-Uwe Klings ›Känguru-Texte‹ sind z. B. ursprünglich als Podcasts für den Hörfunksender Fritz des Rundfunks Berlin-Brandenburg entstanden und erst nachträglich in Buchform erschienen.

174 5.1

Autofiktionales Schreiben im literarischen Feld der Gegenwart

Gewalten: (K)ein Tagebuch

Clemens Meyers Gewalten trägt den Untertitel Ein Tagebuch und referiert so auf eine literarisch konventionalisierte Textform,840 die in der Regel als Ego-Dokument bzw. »genuin literarischer Texttyp« begriffen wird.841 Ein Tagebuch kann »erheblichen Abstufungen der Fiktionalität unterliegen«842 und verspricht dennoch einen Bezug zur authentischen Erfahrung des Verfassers: »Tagebücher erwecken den Anschein von ›Lebensnähe‹ und Authentizität. Deshalb werden sie gelesen, als Kronzeuge dessen, was ihre Autoren ›tatsächlich‹ gedacht und gemeint haben«.843 Bei Meyers Gewalten handelt es sich allerdings nicht um ein Tagebuch im eigentlichen Sinne bzw. um ein diarium, das »durch [sein] Entstehungsdatum markiert und durch die Abfolge von Tagen« gekennzeichnet ist.844 Wie Dusini festhält, übernimmt die Datumsangabe im Tagebuch neben »der strukturellen und denotativen Funktion« auch die »zeitliche[…] Orientierung«.845 Die in Gewalten genannten Daten erfüllen diesen Zweck nur bedingt. Sie kennzeichnen zwar den von Geschichte zu Geschichte voranschreitenden Jahresverlauf,846 folgen dabei aber keiner strengen Chronologie oder regelmäßigen Zeitabständen (vgl. Abb. 6). Ebenso unterscheiden sich die Zeitangaben hinsichtlich ihrer Präzision. Nur fünf Kapitel benennen überhaupt konkrete Tage, während die anderen bestimmten Monaten zugeschrieben sind.847 In dem Kapitel ›Die Stadt M‹ entzieht sich der Erzähler gänzlich einer zeitlichen Einordnung: »Ich fahre durch die ostdeutschen Provinzen. Kann den Monat nicht festlegen, Frühjahr, Sommer, Herbst 2009, bis jetzt jedenfalls, und ich fahre in die Stadt M« (G 160).848 Die Zeitangaben markieren ebenso wenig den Entstehungszeitpunkt des Textes im Sinne eines ›Tagebuch-Eintrages‹. Dies wird z. B. im Kapitel ›German Amok‹ 840 Arno Dusini spricht in diesem Zusammenhang von drei Topoi des Tagebuchs: dem Topos der Formlosigkeit, des Monologischen und des Privaten (Dusini: Tagebuch, S. 68–71). 841 Hagestedt: Tagebuch, S. 175. 842 Ebd. Siehe dazu auch Görner : Tagebuch, S. 710 sowie Dusini: Tagebuch, S. 93f. 843 Wagner-Egelhaaf: »Anders ich« oder : Vom Leben im Text, S. 152. 844 Schönborn: Tagebuch [Art.], S. 574. 845 Dusini: Tagebuch, S. 173. 846 Vgl. Meyer: Gewalten, S. 77 und 98 sowie 24 und 71. – Aus dieser Ausgabe wird im Folgenden unter Angabe der Sigle ›G‹ zitiert. 847 ›Der Fall M‹ ist im August 2009 angesiedelt (G 94). Durch die Nennung einer Schlagzeile aus der Leipziger Volkszeitung vom 18. August 2009 (G 95) wird der Erzählzeitpunkt auf den 18. August oder später eingeengt. 848 Vgl. dazu die nochmalige Wiederholung der unbestimmten Zeitangabe im gleichen Kapitel: »[E]s muss gegen Mittag sein, und ich taumele durch den Tunnel, in dem es von Wochenendmenschen summt, Frühjahr, Sommer, Herbst 2009, zu einer der Bänke auf dem Bahnhofsvorplatz« (G 164).

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Abb. 6: Zeitangaben in Clemens Meyers Gewalten im Jahr 2009 gemäß der Kapitelfolge

deutlich, das mit »11. März 2009« (G 71) unterschrieben ist und damit auf das Datum des Amoklaufs von Winnenden verweist. Die Zuschreibung von Gewalten zur Textsorte ›Tagebuch‹ ist demnach weniger der tatsächlichen Konzeption geschuldet als vielmehr den Umständen seiner Entstehung: Meyer hat sein Buchprojekt im Zuge eines ihm von der Guntram und Irene Rinke Stiftung gewährten Stipendiums im Rahmen der von der Stiftung geförderten »literarischen Reihe« TAGEWERK geschrieben. Die Zielsetzung dieser Serie ist auf der Stiftungs-Homepage wie folgt beschrieben: Im jährlichen Wechsel führen Autoren jeweils zwölf Monate lang ihr persönliches Tagebuch. Mit der Reihe TAGEWERK fördert die Rinke Stiftung in Zusammenarbeit mit renommierten deutschen Verlagen gezielt Autoren für junge Zielgruppen, auch solche, die sonst wenig Kontakt zur Literatur haben. Darüber hinaus soll die Reihe den Puls des abgelaufenen Jahres spürbar machen, das flüchtige Lebensgefühl für die Zukunft festhalten, nachfolgenden Generationen als literarische Datenbank dienen und den jeweiligen Zeitgeist nachempfinden.849

Obwohl Meyer mit Gewalten nicht sein ›persönliches Tagebuch‹ geschrieben hat, liefert er – entsprechend den Bedingungen der vorgegebenen TAGEWERKReihe – einen persönlichen Jahresrückblick und greift den ›Puls des ablaufenden Jahres‹ auf, indem er Ereignisse, die sich ins kollektive Bewusstsein der Gesellschaft eingeschrieben haben, explizit thematisiert. Er kommentiert die Entstehung seines ›Tagebuchs‹ in verschiedenen Interviews und macht auf die Ab849 Kässens: Der Autoren-Podcast.

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weichung vom konventionellen Verständnis der Textsorte aufmerksam sowie auf die Performanz des Lesers: In erster Linie handelt es sich um ein literarisches Buch. Die Form des Tagebuchs ist ja ein Konstrukt, natürlich ein bewusstes. Diese Form funktioniert für mich eigentlich nur im Verbund mit dem Wort Gewalten. Ein Tagebuch. Nicht Romangewalten. Ein Tagebuch. Letztendlich wird dadurch natürlich suggeriert, dass etwas direkt berichtet wird. Es wird Authentizität suggeriert. Der Leser wird durch dieses Tagebuch angesprochen, er wird herausgefordert. Hier scheint etwas wahrhaft zu passieren. Hier scheinen verschiedene Gewalten protokolliert worden zu sein, auch wenn sie mythisch überhöht werden.850

Gewalten lässt sich damit präziser als autofiktionaler Text beschreiben, der die Tagebuchform transzendiert und mithilfe des Untertitels eine auf Referenzialität angelegte Rezeptionserwartung beim Leser generieren will.

5.2

Gewalten – Roman eines Jahres

Meyers Buchprojekt versammelt elf Kapitel, die jeweils eine von den anderen weitgehend unabhängige Erzählung darstellen und dennoch über Motive, Personen und Orte sowie den Erzähler miteinander verbunden sind. Das Lokal ›Brick’s‹ wird z. B. in der ersten Geschichte und in drei weiteren Kapiteln erwähnt.851 Der Text thematisiert wiederholt den Pferderennsport und nimmt die Namen von Freunden852 oder das Leipziger Lebensumfeld des Erzählers wieder auf. Der stets homodiegetische Erzähler trägt in sieben Kapiteln den Namen des Autors853 und teilt in allen Erzählungen Merkmale854 mit dem Verfasser.855 Ge850 Waldow/Kleinschmidt: Statt einer Einleitung, S. 16. Vgl. auch: »Ich hatte die Chance bekommen, literarisch etwas Neues auszuprobieren. […] Aber das alles nicht in einem herkömmlichen realistischen Tagebuchstil, sondern verfremdet, surrealistisch, expressionistisch, manchmal Komödie, oft Tragödie, aber immer ganz nah dran an den Brüchen und mit aller literarischer Kraft« (Gropp: Interview mit Clemens Meyer). 851 Vgl. dazu G 37, 76 und der implizite Verweis auf die Bar ›Brick’s‹ in ›Der Fall M‹, in der der Erzähler zuvor seinen toten Freund BB wiedergetroffen hat (G 75–92): Da gibt’s eine kleine Bar, im Bahnhofsgebäude, Hauptbahnhof Leipzig, wo die Toten sitzen« (G 107). 852 Von seinen Freunden BB und LB ist erstmals in der Geschichte ›Auf der Suche nach dem sächsischen Bergland‹ die Rede (vgl. G 78 und G 83) und erneut in ›In den Strömen‹. Vgl. dazu G 115. 853 In den ersten sechs Kapiteln und im letzten wird der Nachname und/oder Vorname des Autors explizit genannt. Vgl. die wiederholte Anrede des Erzählers mit Nachnamen (»Herr Meyer«, G 23, 29, 33 und 67), die Anrede des Erzählers mit dem Vornamen ›Clemens‹ (G 72, 74, 77, 69, 82, 90, 115 und 216) sowie der auf S. 91 fallende Nachname ›Meyer‹, den auf S. 108 nach dem Erzähler benannten ›Clemens Meyer Cup‹ und den impliziten Verweis auf den Namen des Autors im letzten Kapitel: »Meyers Training« (G 212). In den Erzählungen ›Tribünen‹, ›Die Stadt M‹, ›Im Kessel‹ und ›Undercover und der Kopf‹ gibt es keine explizite Namensangabe des Erzählers (G 23).

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walten ist gerahmt und durchzogen von Episoden, die sich im Kern dem Privatleben des Erzählers ›Clemens Meyer‹ zuwenden. Die erste Erzählung hat seine Einlieferung in die Psychiatrie zum Jahreswechsel 2008/09 zum Thema, während das letzte Kapitel vom Tod des langjährigen Begleiters, seines Hundes Piet, im Oktober 2009 berichtet. Nicht alle Erzählungen sind an realen Orten angesiedelt oder erzählen von realen Entitäten. In ›Auf der Suche nach dem sächsischen Bergland‹ besucht ›Clemens Meyer‹ beispielsweise eine tatsächlich existierende Bar am Leipziger Hauptbahnhof, wo ihm Tote begegnen und er ein Gespräch mit seinem längst verstorbenen Freund BB führt. In die das Erzähler-Ich betreffenden, persönlichen Geschichten werden in unterschiedlicher Häufigkeit und ›Markiertheit‹ Realitätsreferenzen auf reale und in den Medien kommunizierte Gewaltverbrechen gesetzt. Diese sind, wie zu zeigen sein wird, auf unterschiedliche Weise in die Fiktion implementiert und entfalten folglich differierende Wirkungen.856 Darüber hinaus lotet Meyer, wie exemplarisch an den Kapiteln ›Gewalten‹ und ›German Amok‹ veranschaulicht werden soll, die Möglichkeiten autobiographischer, homodiegetischer Erzählungen in zweierlei Hinsicht aus: Er geht an die Grenzen des rational Nachvollziehbaren, wenn seine Erzähler sich der Perspektive von Gewaltverbrechern annähern. Dies ist z. B. der Fall in ›Der Fall M‹, in dem der Erzähler sich in die Handlungen, Triebe und Gefühle des Mörders der kleinen Michelle hineinzuversetzen versucht. Es hat zudem den Anschein, dass sich der Verfasser im Sinne der von Maxim Biller proklamierten ›Ichzeit‹ in seinen Text einschreibt und seine »Person […] ins grelle öffentliche Licht«857 stellt. Er geht jedoch mit einer Autor-Einschreibung bereits flexibel um: Nur zum Teil entwirft er seinen Erzähler als Schriftsteller, der dem öffentlichen Bild des Verfassers entspricht, und bietet Motive an, die eine autobiographische Lesart fördern. Gleichermaßen unterläuft er den vom Autornamen ausgehenden ›authentischen‹ Bezug durch provokante und ethisch-moralisch fragwürdige Aussagen.

854 Sowohl der textinterne als auch der textexterne Clemens Meyer haben beispielsweise ihr Roman-Debüt im S. Fischer Verlag veröffentlicht. Vgl. dazu G 88f. 855 Wenn im Folgenden im Zuge einer sprachlichen Vereinfachung von einem bzw. dem Erzähler die Rede ist, kann trotz eines gemeinsamen Merkmalskatalogs nicht von einem konsistenten Erzähler in Gewalten ausgegangen werden. Die Erzähler haben hingegen jeweils andere Fähigkeiten und sind unterschiedlich stark an den Verfasser und seine Biographie angelehnt. Dies wird ferner durch verschiede Sprachstile untermauert. Im Gegensatz zum Kapitel ›Draußen vor der Tür‹, das mit seinem Titel wiederum auf Wolfgang Borcherts Drama von 1947 anspielt, fällt in ›German Amok‹ z. B. der betont auf Mündlichkeit und Jugendlichkeit angelegte Sprachduktus auf. 856 Vgl. dazu Niefanger : Realitätsreferenzen im Gegenwartsroman, S. 44–58. 857 Biller : Ichzeit, S. 23.

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5.2.1 ›Gewalten‹: Das Autor-Ich als unterworfenes Individuum Die erste Erzählung, die wie der gesamte Text den Titel ›Gewalten‹ trägt, ist auf den Jahreswechsel 2008/09 datiert. Der autodiegetische Erzähler wird gegen seinen Willen in den Nächten vom 30. Dezember 2008 bis zum 1. Januar 2009 in einer psychiatrischen Anstalt in Leipzig festgehalten. Die Titelgeschichte führt so mit dem Jahresausklang 2008 in den ›Roman eines Jahres‹ ein. Anhand dieser Erzählung sollen die autofiktionale Konzeption und die davon ausgehenden Wirkungen für den Text sowie für das Autor-Label näher in den Blick genommen werden. Der Erzähler, der sich explizit als »Herr Meyer« (G 23) ausweist, stilisiert sich als irrtümlich in die Psychiatrie eingewiesener Patient, der sich erfolglos der Behandlung zu widersetzen versucht. Nach anfänglichen Irritationen darüber, wo und in welcher Lage, er sich befindet, beginnt er zu rekonstruieren, was vorgefallen ist. Als er aufgrund eines ihm unter Zwang verabreichten Medikamentes einschläft, gelangt er im Traum zurück an den Ort, »wo alles angefangen hat« (G 19): die Bar ›Brick’s‹. Nach einer Beamtenbeleidigung festgenommen (»Und da stehe ich halbnackt in dieser gefliesten Zelle«, G 21), macht ›Meyer‹ eine Äußerung, aufgrund derer ihn die Polizeibeamten für suizidgefährdet halten und in eine psychiatrische Einrichtung bringen: »Ich habe das Recht auf ein Telefonat, wenn ich nicht telefonieren darf, hänge ich mich auf!« (ebd.). ›Clemens Meyer‹ inszeniert sich so als Opfer jener Gewalten, die in der Gesellschaft wirken und Thema des Buchprojektes sind. Durch Retrospektiven gewährt ›Meyer‹ Einblicke in die eigene Kindheit, Jugend und in Erlebnisse der letzten Jahre in Leipzig – Schlaglichter der Vergangenheit, die aufscheinen, ohne auf eine umfassende autobiographische Lebensbeschreibung abzuheben. Die Erzählung endet mit der Beschreibung des entblößten Ichs, das sich selbst betrachtet: nackt und festgeschnallt auf einer Pritsche liegend, versucht ›Meyer‹ trotz der Manschetten an den Armen, eine Decke zu greifen. Die Erzählung schließt mit dem Ausdruck des Widerstands: »Ich bin noch da, ihr Schweine!« (G 24). Die Erzählweise spiegelt die – offenbar Medikamenten und Alkohol geschuldete – verzerrte Wahrnehmung des Erzählers wider, geht aber immer wieder über die im realistischen Sinne mögliche Perspektive des Daliegenden, der die Welt um sich herum wahrnimmt, hinaus. Zunächst nähert sich ›Meyer‹ in filmisch anmutenden Sequenzen (»Großaufnahme«, G 6) seinem eigenen Ich an, tritt aus seinem Körper heraus und nimmt sich von außen wahr : […] und in dem Flackern des Lichts dreht sich das ganze Bild ganz langsam, ich sehe mich, wie ist das möglich?, wie ich da so an der kippenden Wand hänge, das Bild dreht sich, plötzlich die Neonröhren unter mir […], und ich drehe mich mit dem Bild und

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dem Raum, und ich liege, bin auf ein großes Bett geschnallt, Arme und Beine vom Körper abgespreizt, fixiert. (G 5)

Als würde er die Szenen als Dritter, der über Zeit und Raum erhaben ist, betrachten können, spielt er sie wiederholt ab: »und weil das so schön aussieht, spule ich die Szene immer wieder vor und zurück, dieses Metallteil von meiner Brust Richtung Tür, zurück auf meine Brust, wieder in den Raum, hin und her, gehe direkt in das große Gebäude draußen« (G 13). Das erzählende Ich ist ferner in der Lage, im Sinne auktorialer Kommentierung den eigenen Traum zu erzählen und trotz des Zustands des Träumens wiederum über die eigene Situation (»wenn ich irgendwann wieder aufwache«, G 19) sowie das eigene Aufwachen zu reflektieren (»Und ich liege und komme wieder zu mir«, G 23). Meyer weist dem Erzähler so Fähigkeiten zu, die einer an die Bedingungen der Realität gebundenen Perspektive nicht entsprechen und im Widerspruch zu der klassischen Tagebuch-Form stehen. Darüber hinaus stehen sich das berichtende bzw. schreibende Ich und das erlebende immer wieder unmittelbar gegenüber. Erzählzeit und erzählte Zeit überschneiden sich, wie das folgende Beispiel veranschaulicht: »Das lese ich in der Zeitung, die ich aufgehoben habe, weil ich dachte, darüber muss ich mal was schreiben, und jetzt schreibe ich was ganz anderes, während ich wieder daliege und an diesen verdammten Manschetten fummle« (G 10). Narrative Prolepsen markieren jedoch, dass der Erzählzeitpunkt und die erzählte Gegenwart nicht übereinstimmen können; die Wahl des Präsens erweckt lediglich den Anschein eines gegenwärtigen Erlebens bzw. suggeriert ein erneutes Erleben in der retrospektiven Imagination: »Und über all das denke ich nach, während ich da festgeschnallt im Bett liege und meine Arme irgendwie aus diesen Manschetten kriegen will und noch gar nicht wissen kann, dass da welche über den Gang stolpern und nach mir greifen« (G 9).858 In der Titelgeschichte wird so eine Art der Stilisierung und Literarisierung erkennbar, die der Authentizität des Erzählten bzw. dem Anspruch auf Referenzialität entgegenwirkt. Dieser Literarisierung laufen die verschiedenen Realitätsbezüge der Erzählung zuwider. Als Wirklichkeitseffekte fungieren am Rande erwähnte Gewaltverbrechen wie der Fall Natascha Kampusch859 oder ein Familienmord in Österreich aus dem Jahr 2008:

858 Vgl. G 14: »[A]ber was ich nicht wissen kann, während ich in Sekundenbruchteilen an der Tür bin und den Lattenrost wieder auf meine Brust zerre, schreiend, weil mir alles weh tut dabei, dass das Wunderpferd Overdose verletzt sein wird, den Besitzer wechselt, nach England geht, und nur einmal an den Start 2009, Mailand« und G 12: »bis ich einhändig, und so ist meine Erinnerung und so wird sie auch bleiben, bis ich dieses sperrige Teil auf meine Brust gewuchtet habe«. 859 Vgl. G 12.

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Und an Magister Steinbauer muss ich denken, während ich so schreie, den Österreicher, der am 13. Mai 2008, ob das ein Feiertag war, will ich wissen, aber verdammt noch mal, niemand antwortet!, der ist also am 13. los und hat fünf Leute erschlagen, mit seiner Axt, Familie war das. (G 10)

Die hier genannten Ereignisse referieren auf tatsächliche Verbrechen, die dem Leser aufgrund ihrer medialen Präsenz bekannt vorkommen können. Sie bedeuten jedoch nicht einzig und allein das ›Wirkliche‹. Über einen bloßen effet de r¦el nach Roland Barthes hinausgehend tragen derartige Erwähnungen dazu bei, das Titelthema ›Gewalt‹ zu reflektieren.860 In anderen Kapiteln, etwa in ›Im Bernstein‹ und noch stärker in ›German Amok‹ und ›Der Fall M‹, rücken Gegenwartsbezüge gegenüber den persönlichen Erlebnissen des ›Ichs‹ noch weiter in den Vordergrund. Sie bleiben aber dennoch an die Wahrnehmung des Erzählers gebunden. Zusätzlich erhält der Leser im Laufe des Kapitels Informationen, die den textinternen ›Clemens Meyer‹ über eine Namensidentität hinaus zu dem Verfasser in Bezug setzen und den autobiographischen Pakt stützen. Der Erzähler charakterisiert sich z. B. als jemand, der im alkoholisierten Zustand des Öfteren »außer Kontrolle gerät« (G 22), gewaltbereit ist, zu Kraftausdrücken neigt und eine kriminelle Vergangenheit hat, zu der 1997 ein Arrest in der Jugendarrestanstalt Zeithain gehört. Er besitzt einen in die Jahre gekommenen Hund, um den er sich kümmern muss (G 9), und weist sich indirekt als Schriftsteller bzw. Schreibender aus.861 Der Hund wird in weiteren Erzählungen näher beschrieben und schließlich namentlich benannt.862 Die mit dem Autornamen verknüpften Details lassen sich zum Teil unter Zuhilfenahme textexterner Informationen als Autobiographeme lesen. Liefern die am Buchumschlag anliegenden Peritexte kaum weitere Hinweise zum Grad der autobiographischen Einschreibung des Verfassers (der Klappentext nennt lediglich das Geburtsjahr sowie den Geburtsort des Autors und seinen derzei-

860 Vgl. Barthes: L’effet de r¦el, S. 88: »[C]ar dans le moment mÞme o¾ ces d¦tails sont r¦put¦s d¦noter directement le r¦el, ils ne font rien d’autre, sans le dire, que le signifier : le baromÀtre de Flaubert, la petite porte de Michelet ne disent finalement rien d’autre que ceci: nous sommes le r¦el […]: il se produit un effet de r¦el, fondement de ce vraisemblable inavou¦ qui forme l’est¦tique de toutes les œuvres courantes de la modernit¦«. 861 Vgl. G 10: »Das lese ich in der Zeitung, die ich aufgehoben habe, weil ich dachte, darüber muss ich mal was schreiben«. 862 »Er [der Hund] hat den ganzen Vormittag im Hof in der Sonne gelegen. Dort will ich auch seine Urne vergraben, unter einem alten Kirschbaum« (G 112). In der letzten Geschichte ›Draußen vor der Tür‹ wird das hier bereits aufgerufene Bild wieder aufgenommen: »Draußen vor der Tür, auf meinem Hof, direkt neben dem alten Kirschbaum, ist ein kleines Grabmal […]. Dort liegt mein Hund Piet. Ich habe ihn verbrennen lassen und die Urne dort begraben« (G 223).

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tigen Lebensort),863 so verifiziert Clemens Meyer in Interviews verschiedene Intarsien wie den Tod seines Hundes Piet im Jahr 2008 als autobiographisch. Dieser wird in der letzten Erzählung des Bandes verarbeitet.864 Autobiographeme, wie die Existenz des Hundes oder der Aufenthalt im Jugendarrest, sind zudem seit Interviews zu Meyers erstem Roman oder zu seinem Erzählband Die Nacht, die Lichter (2008) bekannt.865 In mehreren Gesprächen zu Gewalten, u. a. mit Ulrich Wickert, bestätigt Meyer bis dahin Nicht-Bekanntes als autobiographisches Material, wie z. B. seinen Aufenthalt in der Psychiatrie Ende 2008: Die Ausgangssituation war folgende: Ich geriet in eine Polizeikontrolle, man sperrte man [sic] mich in eine Ausnüchterungszelle. Dort ließ man mich nicht telefonieren, und ich dachte, man muss doch anrufen, damit man hier wieder rauskommt. […] Und dann habe ich dummerweise in diese Gegensprechanlage gesagt: ›Wenn ich nicht telefonieren darf, hänge ich mich auf!‹ Nun hatte ich natürlich nicht die Absicht, das zu tun, aber wenn man das äußert – das weiß ich jetzt –, kommt man sofort in eine Psychiatrische Anstalt, egal wie ernst man das meint.866

Obwohl der Verfasser bemerkt, dass er das Erlebte nicht getreu abgebildet habe, gibt er diese persönliche Erfahrung doch als das Initialereignis für die Entstehung von Gewalten an: »Er [›Gewalten‹] ist der erste Text, der entstanden ist. Ohne ihn hätte es das ganze Buch nicht gegeben. Und nicht ohne das Erlebnis, das ihm tatsächlich zugrunde liegt, auch wenn der Text das Erlebte verfremdet«.867 Dass das Image des Autors Einfluss auf die Lesererwartung nehmen kann, wurde an den vorangegangenen Beispielen bereits ausgeführt. Auch bei Clemens Meyer kommt dies zum Tragen: Aufgrund seiner körperlichen Statur und seiner Tätowierungen, die er offen zur Schau stellt und die Teil seiner Autorinszenie-

863 Siehe dazu G Umschlagstext. 864 Schwartz: »Ich bin kein Amokläufer«, S. 108. 865 Siehe dazu Meyers Erzählung ›Von Hunden und Pferden‹ in Die Nacht, die Lichter (Meyer: Die Nacht, die Lichter, S. 112–121), in der er von einem Dobermann-Rottweiler-Mischling namens Piet erzählt, dessen Besitzer Rolf verzweifelt versucht, die Kosten für dessen überlebenswichtige Hüft-Operation aufzubringen. Vgl. dazu Gathmann/Hoch: Schriftsteller Clemens Meyer: »Unterschicht – was soll denn das sein?«. Vgl. auch: Clemens Meyer im Interview mit die tageszeitung: »Kurz nach meinem 18. Geburtstag, in der Jugendarrestanstalt Zeithain, ich war bei Autoknackereien dabei. Ich will da jetzt nicht drüber reden, das waren alles Kinkerlitzchen, eine kleinkriminelle Jugend eben. Ich war zweimal im Jugendarrest. Einmal noch zu Beginn des Studiums an der DLL« (Bartels: Ich sehe mich als Individualisten, S. 12). 866 Wickert: Wir sind alle der Gewalt unterworfen. Vgl. Montag: Lieber geht man zu weit als gar nicht [Gespräch mit Clemens Meyer]. 867 Montag: Lieber geht man zu weit als gar nicht. Vgl. auch Wickert: Wir sind alle der Gewalt unterworfen.

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rung sind,868 hat sich Clemens Meyer das Label des ›Bad Boy‹ der deutschen Literaturszene angeeignet, der sich literarisch den Randgruppen der Gesellschaft zuwendet.869 So schreibt Richard Kämmerlings in seiner Rezension zu Gewalten: Der Schriftsteller Clemens Meyer ist eine imposante Erscheinung. Mit seiner kräftigen Gestalt, seinen Tattoos, einem grobschlächtigen Habitus und einer kräftigen, in Fankurven trainierten Stimme mit breitem Sächsisch wirkt Meyer im deutschen Literaturbetrieb immer etwas wie ein Hooligan, der sich in die VIP-Loge verirrt hat.870

Mit ›Gewalten‹ und der textexternen Kommentierung bestätigt der Autor dieses Image und trägt ferner dazu bei, es weiter auszubauen. Meyers Text ist zudem in den größeren Feuilletons besprochen worden;871 verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, darunter die tageszeitung und Die Welt, haben zum Zeitpunkt der Veröffentlichung Interviews mit dem Schriftsteller abgedruckt.872 Dennoch ist die Medienaufmerksamkeit für Gewalten qualitativ und quantitativ nicht vergleichbar mit jener, die z. B. David Wagner mit seinem Roman Leben erfahren hat. Der Verlag und der Autor bieten über diese Interviews hinaus keine weiteren Informationen auf der Verlags- oder Autoren-Homepage873 oder zusätzliche Distributionswege für die Verbreitung autobiographischer Parallelen an. Es zeichnet sich demnach keine mediale Strategie ab, die vor der Veröffentlichung oder kurze Zeit danach auf den Text von außen wirkt. Vielmehr nutzt Meyer die im Literaturbetrieb üblichen Wege der Kommentierung für seine Neuerscheinung. Die Bedeutung der epitextuellen Äußerungen des Verfassers ist in diesem Fall für die Rezeption als eher gering zu erachten. Das Wissen um die autobiographische Grundierung des Textes ist für das Verständnis dieser ersten Erzählung für sich allein genommen auch nicht nötig; es zeigt hier jedoch bereits den Grad der Einschreibung des Autors in seinen Text und erhöht für diejenigen Leser, die um dieses Detail wissen, den Realitätsbezug. 868 Vgl. dazu z. B. das Foto des Autors auf dem Schutzumschlag seines Debütromans: Meyer: Als wir träumten. 869 Siehe dazu Pye: Matter out of Place: Trash and Transition in Clemens Meyer’s Als wir träumten, S. 127. 870 Kämmerlings: Overdose jagt die Goldene Peitsche, S. L2. 871 Vgl. ebd. Person: Hallo, untoter Freund!, S. V2/7; Hamann: Hier spricht die Gegenwart, S. 58; Verdofsky : Von der Seite kommend, S. 29 und Willander: Requiem auf einen Hund, S. 69. 872 Vgl. dazu u. a. Montag: Lieber geht man zu weit als gar nicht; Wickert: Wir sind alle der Gewalt unterworfen und Schwartz: »Ich bin kein Amokläufer«, S. 108. 873 Als einschlägig ist hier allenfalls das bereits oben zitierte Interview auf der S. Fischer Verlags-Homepage zu nennen (Gropp: Interview mit Clemens Meyer). Von einer epitextuellen und ostentativen Inszenierungsstrategie kann hingegen nicht die Rede sein.

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5.2.2 ›German Amok‹: ›Clemens Meyer‹ als potenzieller Attentäter? In ›German Amok‹ steht im Gegensatz zu ›Gewalten‹ kein persönliches Erlebnis des Verfassers im Vordergrund. Mit Anspielungen u. a. auf die Amokläufe von Erfurt 2002 und Winnenden 2009 rücken hingegen reale, allgemein bekannte Ereignisse in den Fokus. Meyer geht von diesen Amokläufen aus und liefert anhand eines fiktiven Computerspiels namens ›German Amok‹874 eine Auseinandersetzung mit der Diskussion um den Einfluss von Computerspielen auf die Psyche des Spielers und seine Gewaltbereitschaft. Nach dem ›Vorbild‹ tatsächlicher Vorfälle wie denen in Winnenden, Erfurt und an der US-amerikanischen Columbine High School im Bundesstaat Colorado 1999, versucht der homodiegetische Erzähler einen virtuellen Amoklauf an einer Schule zu begehen. Die Namen der Spielfiguren referieren explizit auf reale Attentäter : Die Figur ›Robert‹ bezieht sich auf Robert Steinhäuser, den Amokläufer von Erfurt, ›Eric‹ und ›Dylan‹ auf Eric Harris und Dylan Klebold, die Täter des Amoklaufs an der Columbine High School. Auch die Art der Waffenbeschaffung (aus dem Schrank des Vaters oder dem Schützenverein)875 sowie die genannten Waffen beziehen sich auf die realen Fälle (der Täter von Erfurt hat beispielsweise eine Glock und eine Pumpgun verwendet).876 Die Erzählung ›German Amok‹ beginnt in medias res und zwingt den Leser – ohne zu wissen, dass er sich textintern in einer virtuellen Welt befindet – zunächst in die Perspektive eines Amokläufers. Ein unbenanntes ›Ich‹, das einen Ledermantel trägt und mit einer Sporttasche unterwegs ist, wird von einem Fremden angesprochen, der dem Erzähler Drogen anbietet: »Speed, damit bist du in Mathe immer fit!« (G 59). Ohne Vorwarnung oder Erklärung folgt dann eine Szene, die den autodiegetischen Erzähler als brutalen Täter zeigt: aber einen Sekundenbruchteil später reißt es ihn von den Beinen, der Typ fliegt regelrecht durch die Luft, ein feiner Blutnebel stäubt auf beim Einschlag der Schrotladung, das donnert ganz schön, ich lade wieder durch, die ausgeworfene Patrone fällt aufs Pflaster, ich jage dem Typen noch eine rein, ein zweiter Donnerschlag, da die Dreckssau sich noch rührt, bin ein bisschen erschrocken, weil sein halber Kopf weg ist jetzt. (G 59f.)

874 Das Kapitel sowie das textinterne Computerspiel tragen den Namen eines 2002 erschienenen Romans von Feridun Zaimoglu, der sich durch seine provokanten und moralisch anstößigen Äußerungen des erzählenden Ichs auszeichnet. In gewisser Weise greift Meyer die hier angelegte Drastik des Gesagten auf, wie weiter unten ausgeführt wird. 875 Vgl. G 62: »Hat einfach zu viel Lärm gemacht, wie ich Vatis Waffenschrank mit der Axt aufgebrochen habe. Aber das ist nicht der einzige Weg, an ordentliche Wummen zu kommen, ich kann mich auch vollkommen legal in einem Schützenverein anmelden und eine Waffenbesitzkarte beantragen, habe ich dann auch gemacht«. 876 Vgl. ebd.

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Der Schütze setzt seinen Weg fort »über den Hof Richtung Gebäude« (G 60). Wenig später erklärt sich aus seinen Äußerungen, dass es sich hierbei um eine Schule handelt und er seine Handlungen explizit mit dem Amoklauf von Winnenden vergleicht:877 […] kurz überlege ich, einen Sprengsatz an der Tür zu platzieren, ist aber eine massive Holztür, ein Riesending, in dem Gebäude von Winnenden waren alle Türen aus Glas, die hätte ich mit der Pumpgun wegblasen können, aber egal, ich bin nun mal hier, vielleicht, weil das Gebäude meinem alten Gymnasium ähnlich sieht. (G 60)

Auffällig ist die Abgeklärtheit des Erzählers als überlegter Stratege und unbeugsamer Attentäter. Als er bemerkt, dass die Polizei eintrifft, ärgert er sich zwar über sein unbedachtes Verhalten, durch einen Schuss vor dem Schulgebäude auf sich aufmerksam gemacht zu haben, reagiert aber keineswegs ängstlich oder verzweifelt. Aggressiv spricht er von einer Todes-»Quote« (ebd.) und verkündet: »jetzt wird abgerechnet« (G 61). Bei dem Schusswechsel mit der Polizei wird er schließlich getroffen. Mit den Worten »GAME OVER« (ebd.) wird der Sprung in eine andere Realitätsebene markiert, die das bisher Geschilderte als zweite Realität innerhalb der Diegese ausweist. Hier hat eine Figur mit dem Namen Robert (»ACHTUNG, ROBERT KOMMT«, G 60) in einem Computerspiel als Alter-Ego des Erzählers agiert: »Scheiße! Ich knalle die Maus paar Mal auf die Tischplatte. Bodycount: 5 steht auf dem Bildschirm. Schüsse: 66, in Klammern: 55 Glock, 11 Pumpgun. Sprengsätze: keine. German Amok« (G 62). Mehrfach verschwimmen im Fortlaufenden die zeitlich parallel ablaufenden Realitätsebenen miteinander : Der Erzähler, der den Namen des Autors trägt, versetzt sich während des Spiels in seine Spielfigur hinein und folgt deren Sichtweise. Er spricht von seinem Avatar als ›Ich‹ und schildert unmittelbar und damit distanzlos, was sich in der Spielewelt ereignet. Nur selten differenziert er sprachlich zwischen der Spielfigur und sich vor (»Also ich bin … ich meine Robert«, G 63) oder markiert, dass der Raum des Spiels zwar der Wirklichkeit nachgebildet ist, nicht jedoch der eigenen Realität entspricht (»Im Internet, also im richtigen Internet, haben die Jungs von German Amok ein Forum eingerichtet, wo man sich austauschen kann«, G 64f.). Wiederholt überlappen sich auch die Gefühlswelten der beiden Instanzen: So steigt mit dem Aggressionspotenzial der Figur die Erregung des Erzählers: Fadenkreuz auf meinem Bildschirm. Erste Tür aufgerissen. Aber der Klassenraum ist leer. Nächste Tür aufgerissen. Auch leer. WAS VERDAMMT NOCHMAL IST HIER LOS […]. Ich brülle vor Wut, dass es mich fast zerreißt. (G 70f.)

Das fiktive Spiel ist so gestaltet, dass einerseits die »nötige[…] Planung« und das erforderliche »Fingerspitzengefühl« (G 69) für einen Schul-Anschlag erforder877 Implizit verweist die Erwähnung des Gymnasiums erneut auf den Anschlag in Erfurt.

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lich sind, andererseits verschiedene Erfahrungen zum Tragen kommen, die den Attentäter erst zum Aggressor werden lassen. Das Spiel liefert damit eine Art der Psychologisierung bzw. eine Vorgeschichte, die den Schüler zum Täter werden lässt. Der Spieler wird als Außenseiter konzipiert, dessen Versuche, sich der Gemeinschaft zu nähern, enttäuscht werden: Ist eben fast wie im richtigen Leben, manchmal kommen sie zu dir und du siehst alles wie auf einem rosaroten Bildschirm, aber andermal verarschen sie dich voll, und meistens veraschen sie dich sowieso alle […]. Dass [sic!] geht bei deinen Mitschülern los, der Robert ist eben nun mal nicht so gut im Sport und ein Eigenbrötler sowieso, über die Lehrer, bis zum Direktor. (G 65f.)

Er muss lernen, die Aggressionen zu bündeln, und darf sie nicht in andersartigem Töten als dem Amoklauf eskalieren lassen: Da bist du am Ende, nach der langen Warterei, so was von begierig drauf, den Drecksäcken alles, aber auch alles heimzuzahlen, einmal habe ich’s nicht ausgehalten und meine Mutter umgenietet, weil die sich einen Scheißdreck für meine Probleme interessiert hat und mich zu irgendwelchen Seelenpfuschern schicken wollte, aber das war, muss ich zugeben die falsche Kanalisierung (sagt man das so?) meiner Wut. (G 69)

Strategische Erwägungen, psychologische Faktoren und verschiedene Entscheidungen ›ermöglichen‹ erst, dass ›Robert‹ »überhaupt […] mit der nötigen Wut und diesem dumpfen Gefühl der Ausweglosigkeit in die Schule rennen kann, die Knarre im Anschlag« (ebd.). Dass es in der Erzählung nicht zu dem vom Spieler ›erhofften‹ Amoklauf kommt, sondern dem Erzähler von derartigen ›Erfolgen‹ lediglich von anderen Spielern »im Forum« (G 66) berichtet wird, wertet dieser selbst als Ergebnis seiner noch mangelnden Spielfertigkeit und der Komplexität der zum Ziel führenden Handlungen. Auch bei einem erneuten Anlauf, bei dem er die ›Fehler‹ der früheren Spielversuche nicht erneut begeht (»Und ich lege den Dealer nicht um. Hab ja gelernt aus meinen Fehlern. Und diesmal auch schöne Glastüren. Made in Winnenden«, G 70), gelangt er nicht ans ›Ziel‹, weil er den Wochentag in seinen Vorbereitungen nicht berücksichtigt hat: »Erste Tür aufgerissen. Aber der Klassenraum ist leer. Nächste Tür aufgerissen. Auch leer. […] Ich werd irre, Wochenende, Samstag, ich hab die Kontrolle über die Zeit verloren. Der Mittwoch ist schwarz angekreuzt«, G 71).878 Die Spielekonzeption baut auf realen Computerspielen auf. Sogenannte ›Rampages‹, kurzfristige wahnhafte ›Amokläufe‹, gehen etwa auf Grand Theft Auto zurück. Ferner gibt es textextern sogenannte Underground-Spiele, die von privaten Spieleentwicklern genutzt werden, um in einer Art ›Baukastenprinzip‹ 878 Der Mittwoch verweist hier auf den Wochentag, an dem der Amoklauf von Winnenden verübt worden ist.

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Szenarien wie die eines Schul-Amoklaufs zu entwerfen.879 Die Mischung aus verschiedenen Spiele-Genres, wie Action-, Abenteuer-Spiele oder TaktikShooter, die erhöhten Handlungsoptionen und die ›German Amok‹ zugrunde liegende Psychologisierung der Spielfigur als ›Erziehung‹ zum Attentäter gehen jedoch weit über die Komplexität realer Computerspiele um 2009 hinaus und weisen das Spiel als fiktives aus.880 Die textexterne Diskussion um gewalthaltige Medien und ihre Auswirkungen werden zudem im Sinne einer mise en abyme in die Spiele-Welt mit hineingenommen. Eine Videothek, in der es, wie der Erzähler kommentiert, »viele von den Sachen [gibt], die ich auch im Regal stehen hab« (G 68), ist für die Spielfigur zugänglich, damit sie ihr Aggressionsbarometer erhöhen kann;881 im Spiel stehen Gewaltmedien und Aggressionspotenzial des Täters eindeutig im Zusammenhang.882 Erzählungen wie ›German Amok‹ und ›Der Fall M‹ entfalten ihre Wirkung über das Wissen um die realen Hintergründe. Die mit den Realitätsverweisen verbundenen Kenntnisse und Gefühle des Lesers, die mögliche Einstellung des Einzelnen den realen Verbrechen gegenüber, wirken in die Texte hinein. Es kann vorausgesetzt werden, dass Leser die hier genannten Wirklichkeitsverweise auf die Amokläufe von Winnenden und Erfurt des Jahres 2010 wahrnehmen bzw. über die nötige Frame-Semantik verfügen, um diese Bezüge herzustellen. Sofern die Ereignisse aufgrund ihrer medialen Präsenz nicht ohnehin ins kollektive Gedächtnis eingedrungen sind, können sie zu späteren Zeitpunkten der Lektüre über eine textexterne Recherche verifiziert werden. Die Wirklichkeitsfragmente allgemeiner Art sowie diejenigen, die auf die Autobiographie verweisen, führen innerhalb ihrer fiktionalen Umgebung nicht zwangsläufig zu einer Erhöhung der Glaubwürdigkeit des Erzählten oder zu einer Steigerung der Realitätsillusion. Sie fungieren innerhalb der fiktiven Diegese, in der es ein fiktives Computerspiel gibt, das wiederum auch realen Begebenheiten aufbaut, vielmehr als Dissonanzen im textuellen Gewebe. Als ›Stolpersteine‹ der Rezeption lassen sie die 879 Vgl. dazu die Äußerung von Clemens Meyer, der in einem Interview auf die Nähe zu tatsächlichen Computerspielen verweist: »Das gibt es in Wirklichkeit nicht, aber es gibt vergleichbare Spiele, deren Spieloberfläche man so verändern kann, dass sie in virtuellen Schulen ablaufen können. Von da ist der Weg nicht mehr weit, wirklich in Schulen um sich zu ballern« (Schwartz: »Ich bin kein Amokläufer«, S. 108). 880 Textintern kommentiert der Erzähler dies selbstreflexiv : »Das hat nicht mehr viel zu tun mit den primitiven Ballerspielen, die es so gibt, Call of Duty, Hitman, Wolfenstein, May Payne 1 und 2, da kenn ich mich nicht so aus, aber bei denen wird von Anfang an draufgeballert, dass die Köpfe fliegen und die Innereinen nur so quellen« (G 69). 881 Vgl. ebd. 882 Auch hier verarbeitet Meyer textexterne Informationen. Wie die Kommission zu den Vorgängen am Erfurter Gutenberg-Gymnasium am 26. April 2002 feststellte, wurden in Robert Steinhäusers Zimmer »in erheblichem Umfang blutrünstige, Gewalt darstellende Videofilme gefunden« sowie »eine Vielzahl von Computerspielen, darunter überwiegend sogenannte Egoshooter« (Bericht der Kommission Gutenberg-Gymnasium, S. 335f.).

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Fiktion umso deutlicher hervortreten.883 Die Realitätssignale innerhalb des fiktiven Spiels dienen also nicht der Manifestierung einer referenziellen Analyse, sondern wirken umgekehrt als Ausstellung der Differenz von verschiedenen Materialien, mit denen der fiktionale Text arbeitet. Das in German Amok angelegte Gewalt-Szenario spielt ¢ über die ostentativ gesetzten Bezüge zu realen Amokläufen hinaus ¢ an der Grenze des moralisch Anrüchigen. Der Leser teilt die Perspektive eines Spielers, der an den beschriebenen virtuellen Gewalttaten nicht nur keinen Anstoß nimmt, sondern Hochgefühle dabei empfindet, die anderen Spielfiguren zu eliminieren und diesen Akt, wie die oben beschriebene Szene mit dem Mord an dem Dealer gezeigt hat, übersteigert. Die Handlungen des Spiele-Avatars ›Robert‹ setzt der Erzähler zu sich und seinen eigenen Schul-Erfahrungen in Beziehung und deutet an, dass er unter Umständen von einem Amokläufer wie Robert Steinhäuser nicht weit entfernt gewesen sein könnte: Manchmal denke ich, dass ich auch, zumindest früher, genau ins Profil gepasst hätte. ROBERT. Ich bin nämlich eine Zeitlang mit zwei Messern zur Schule gegangen, eins davon war echt riesig, das hatte ich in meinem Aktenkoffer (wer mit Aktenkoffer zur Schule geht, passt sowieso ins Profil), das andere, ein Wurfmesser war das, trug ich im Strumpf. […] Obwohl ich mir oft vorgestellt habe, wie ich meinem Direktor das Teil, also dieses Riesenmesser, in den Wanst jage. […] Hat mich schikaniert, wo er nur konnte, paar andere Lehrer auch […]. (G 66f.)

Der Erzähler stuft sich sogar selbst noch immer als ›gefährdet‹ ein und vergleicht seine eigene Film- und Spiele-Sammlung mit der Steinhäusers: Manchmal, denke ich, falls ich doch irgendwann mal, muss ja keine Schule sein, bin ja raus aus dem Alter … also wenn die dann meine DVD-Sammlung durchschauen, würden die einiges finden, was denen in den Kram passt, Motiv, mein ich jetzt. In Deutschland indiziertes Zeug, das ich mir in Amerika oder übers Internet besorgt habe. (G 68)

Meyer hinterfragt mit dem konsequenten Gebrauch der Ich-Perspektive »die Dichotomie zwischen Täter und Opfer«.884 Die auch in dieser Erzählung vorliegende Namensidentität zwischen Autor- und Erzählername885 steigert zusätzlich die Brisanz des Erzählten. Der Text evoziert über die Namensparallele die Frage, ob eine derartige Perspektive wirklich die Auffassungen des Verfassers widerspiegelt. 883 Vgl. dazu Krumrey/Vogler/Derlin: Realitätseffekte in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, S. 12f.; Meier : Realitätsreferenz und Autorschaft, S. 30f.; Vecchiato: »… und er warf sich dem Schmerz lustvoll entgegen«, S. 106 und Vogler : Die Ästhetisierung des Realitätsbezugs, S. 162. 884 Waldow/Kleinschmidt: Statt einer Einleitung, S. 9. 885 Vgl. G 67: »Sie wollen uns also beleidigen, Herr Meyer?«.

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Noch drastischer wirkt die Verbindung von Perspektiv- und Themenwahl im Zusammenspiel mit den Autobiographemen in ›Der Fall M‹.886 Hier versetzt sich der Erzähler in die Psyche des Mörders der kleinen Michelle aus Leipzig zum Zeitpunkt der Tat und geht den Tag des Mordes in nahezu auktorialen Perspektive durch.887 Das Anstößige dieser Sichtweise liegt in dem Versuch, sich einer nicht rational nachvollziehbaren Handlung zu nähern, sowie in der angedeuteten Nähe zwischen Erzähler und Täter aufgrund einer eigenen »krankhafte[n] Neigung« (G 95). Gewalten steht damit, so kann vorläufig festgehalten werden, für einen bereits selbstbewussten Umgang mit dem autofiktionalen Ich, das die Potenziale einer Schreibweise zwischen Referenzialität und Fiktion, zwischen Autor-Bezug und seiner Verneinung ausreizt.

5.3

Wirklichkeitsmaterial plus X: ›Nicht nur vom Ich‹ erzählen

Bereits in seinem Debüt Als wir träumten (2006) hat Clemens Meyer autobiographisches Material verarbeitet. Der Roman erzählt die Geschichte der Kindheit und Jugend von Rico, Mark, Paul und Daniel in den Leipziger Vor- und Nachwendejahren, die geprägt sind von Gewalt, Drogen, Tod, Jugendarrest und Ausweglosigkeit. Die autobiographische Grundierung des Textes, die weder der Verlag noch der Autor offensiv textintern oder paratextuell markieren, schwingt in Besprechungen zu dem Roman mit. Die eigene Erfahrung des Autors im Leipziger Osten der 1980er und 90er Jahre suggeriert eine gewisse Authentizität des Erzählten. Stellvertretend verleiht Meyer denjenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen, eine Stimme. Eberhard Falcke schreibt dazu in Die Zeit: »Und außerdem verfügt Meyer über etwas, was nicht jeder Schreibschulabsolvent mitbringt: einen Stoff, mit dem er sich auskennt, der was hergibt und mit dem der Autor, wie jede Romanzeile beweist, in Leidenschaft verbunden ist«.888 Ebenso spielt Jana Hensel in ihrer Laudatio auf Clemens Meyer anlässlich der 886 Der Erzähler wird hier nicht namentlich genannt, teilt aber verschiedene Merkmale mit dem Verfasser. So stimmt z. B. das Alter des Erzählers mit Clemens Meyers überein (vgl. G 96). Darüber hinaus deutet er eine kriminelle Jugendvergangenheit an (vgl. G 97). Der Erzähler ist mit den homodiegetischen Erzählern der früheren Kapitel, die den Namen des Autors explizit tragen, über weitere Elemente verbunden. So spielt er hier u. a. auf die gleiche Bar an »im Bahnhofsgebäude, Hauptbahnhof Leipzig, wo die Toten sitzen«, in der der Erzähler von ›Auf der Suche nach dem sächsischen Bergland‹ gesessen und »zwei kleine Mädchen« (G 107) gesehen hat. 887 Vgl. G 95: »Warte, ich schau mal eben nach … na, da sitzt du doch am Rechner, aber sobald ich näher rangehe, wirst du hektisch, ach scheiße, jetzt seh ich’s, du spielst Monkey Island«. 888 Falcke: Auf hartem Boden . Vgl. dazu Pye: Matter out of Place, S. 127.

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Vergabe des Clemens-Brentano-Preises 2007 auf die autobiographische Dimension des Textes an: Dabei redet Clemens Meyer in ›Als wir träumten‹ natürlich nicht von sich. Er tut das ausdrücklich nicht. (Auch wenn er es natürlich trotzdem tut, unter der Hand sozusagen, als eine Art Kollateralschaden des gedruckten Wortes. Aber Literatur hat nun einmal viel damit zu tun, was ein Autor vorgibt zu sein, und was er wie vorgibt zu erzählen).889

In einem Interview mit Gerrit Bartels von 2006 stellt Meyer heraus, dass seine literarischen Werke für ihn eine »lebensweltliche Relevanz«890 besitzen müssen. Dennoch hält er sich mit einer Kommentierung des autobiographischen Bezugs zu dieser Zeit weitgehend zurück891 und verifiziert, wie oben ausgeführt, nur einzelne Momente des Erzählten als autobiographisch. Meyer legt sein Debüt explizit als Roman an und rückt die Figur Daniel Lenz auf Nachfrage von seiner eigenen Person weg:892 Ich habe doch keine Autobiografie geschrieben! Natürlich ist ein Teil von mir in dem Erzähler drin, in Daniel, genauso gut aber in den anderen Figuren, in Stefan, Walter, Mark, Ricco [sic] und sogar in Estrellita. Man muss die eigenen Erfahrungen zu Literatur machen, zu Kunst, darin besteht ja gewissermaßen die Kunst.893

In Die Nacht, die Lichter nimmt der vordergründige Realitätsbezug zwar ab, da die Erzählungen häufig zeitlich sowie örtlich unbestimmt sind. Auch hier verwendet Meyer aber Autobiographeme, die schon im Vorfeld über ihn bekannt sind oder die er im Epitext als solche sichtbar macht.894 In Gewalten verschreibt sich Meyer dann erneut einer ›Welthaltigkeit‹ bzw. einem lebensweltlichen Bezug und steigert diesen im Vergleich zu seinen vorangegangenen Werken. Er spielt mit Realitätsverweisen auf sich selbst und sein Lebensumfeld. Im Vergleich zu Texten wie Billers Esra zeigt sich deutlich, dass Meyer einerseits die Einschreibung des Autors durch den Autornamen markiert, die Zweifel an der Identität trotz Namensparallele aber gleichfalls mitliefert und damit andererseits zurücknimmt. Er nutzt die von der autofiktionalen Konzeptionierung 889 Vgl. dazu Hensel: Von einem, der übrig geblieben ist, S. 233. 890 Bartels: Ich sehe mich als Individualisten, S. 12. 891 Vgl. Falcke: Auf hartem Boden: »Clemens Meyer hält sich mit Interpretationen und Einordnungen zurück. Doch die Konstruktion seines Romans baut auf einen Widerspruch von beträchtlicher Aussagekraft: Danies Erinnerungstraum ist geprägt von einer brachialen Macht des Faktischen«. 892 Der autodiegetische Erzähler von Als wir träumten heißt Daniel Lenz und ist ein Jahr älter als Clemens Meyer. Vgl. Meyer : Als wir träumten, S. 197 sowie die Angaben zu Clemens Meyer auf dem Klappentext. 893 Bartels: Ich sehe mich als Individualisten, S. 12. 894 Auch in diesem Zusammenhang ist u. a. die Thematisierung eines Hundes namens Piet anzuführen. Vgl. dazu Fußnote 862.

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ausgehende Spannung zwischen den fiktionalen Anteilen des Erzählten und den dagegen aufscheinenden Effekten einer Verwendung des Autornamens und verschiedener Autobiographeme. In einem Interview auf Bayern 2 hat Meyer erklärt, dass es gerade dieser unauflösbare Gegensatz sei, auf den es ihm ankomme: Genauso wenig wie ich ein Amokläufer bin oder ein Mensch, der dieses ominöse Computerspiel German Amok [spielt], wo es darum geht, in eine Schule einzudringen und Menschen zu töten – der bin ich natürlich nicht. Und doch bin ich es auch. Und genauso weiß ja keiner, inwieweit ich derjenige bin, der in der Ausnüchterungszelle liegt oder inwieweit ich Raum und Zeit verschoben habe […].895

Gewalten setzt sich mit der homodiegetischen Erzählung hier nicht als autobiographisches ›Ich-Sagen‹ auseinander, als Erzählhaltung der klassischen Autobiographie, die sich für Wahrheit verbürgt. Ebenso wenig kritisiert Meyer textintern die von dieser Position ausgehende Unmöglichkeit einer Abbildung des eigenen Lebens. Er geht in seinem Text über die postmoderne Ich-Skepsis hinaus, ohne damit zu naiven Authentizitätspostulaten zurückzukehren. Die Erzählungen aus Gewalten loten die Ich-Perspektive auf unterschiedliche Weise aus. Sie wechseln zwischen deutlich gesetzten Bezügen zum Verfasser und bloßer Ähnlichkeitsbeziehung, zwischen ethisch-moralisch anrüchigen Aussagen und solchen, die der Verfasser textextern bestätigt. Sie reichen von klar umrissenen autodiegetischen Erzählungen bis hin zu einer Nullfokalisierung trotz homodiegetischer Perspektive. In einem Gespräch benennt Meyer explizit die für ihn von der homodiegetischen Erzählperspektive ausgehenden Potenziale: Für mich liegt das Geheimnis der guten Ich-Perspektive darin, dass das Ich als Kamera fungiert. Die Perspektive ist also nicht nur auf das eigene Erleben beschränkt, sondern auch auf andere Menschen. Diese werden nicht mit der Macht des allmächtigen Ichs beschrieben, sondern mit der Einfühlsamkeit eines Beobachters. […] Diese Vorgehensweise steht dem großmächtigen Ich entgegen. Es handelt sich also um ein stilles Ich, was am Rande steht und beobachtet. Eine allmächtige Ich-Perspektive ist eine sehr heikle Perspektive, die dahingeht, Dinge festzuschreiben.896 895 Beintker: Diwan [die Mitschrift des Radiobeitrags entstammt der Pressemappe des S. Fischer Verlages zu Clemens Meyers Gewalten]. 896 Waldow/Kleinschmidt: Statt einer Einleitung, S. 15. Vgl. ebd.: »Das Besondere an dem Gewaltenbuch ist sicher, dass hier gleichzeitig ein Ich gefesselt auf dem Bett liegt und seine Ohnmacht gegenüber dem System erkennt und sich doch im nächsten Augenblick zu einer Beobachterposition aufschwingt. Die Ich-Perspektive stürzt also immer wieder ab. Sie ist nicht haltbar, vor allem, wenn es um den Tod geht. […] Auf den ersten Blick hat es […] eine machtvolle Position. Das ist aber nur scheinbar so, am Ende überwiegt die Ohnmacht. Die Ohnmacht, die feststellt, dass sogar dann, wenn das Ich diesen scheinbar mächtigen Blick einnimmt, es durchaus ohnmächtig ist. Es handelt sich also um eine gewisse Schizophrenität«.

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Die Verwendung von Realitätspartikeln und Autobiographischem in provozierender Häufigkeit zusammen mit textinterner sowie textexterner Kommentierung kann bei Meyer zum einen als Weiterführung einer in früheren Texten bereits angelegten Schreibstrategie begriffen werden bzw. als werkpoetologische Steigerung. Zum anderen ist sie bereits als produktive Nutzung und Verarbeitung einer sich etablierenden Schreibstrategie zwischen Fiktion und Referenzialität zu erachten, die sich zwar den Wirkungen einer autobiographischen Namensidentität bedient und mit ihnen arbeitet, aber noch keine Problematisierung dieser ›naiven‹ Effekte liefert. Die mit der Autofiktion ursprünglich verbundene Frage der Autobiographie als Fiktion »d’¦v¦nements et de faits strictement r¦els« (F Umschlagstext) bzw. als Autobiographie der ›unbedeutenden (weil nicht berühmten) Leute‹ wird von ihm endgültig ad acta gelegt und die Namensidentität und das Einschreiben persönlicher Erlebnisse als Teil einer literarischen Arbeit mit Wirklichkeitsmaterial insgesamt betrachtet. Der Verfasser selbst kommentiert dies wie folgt: »Mir ist es darauf angekommen über das Persönliche hinaus die Welt in die Texte hinein zu holen […]. Das war mir bei meinen ersten Büchern schon wichtig: Nicht nur vom Ich zu schreiben«.897 Damit geht Meyer auch über die reine autofiktionale Selbstbespiegelung und Selbstpositionierung hinaus, die sich in den Texten von Horzon und Glavinic ausdrückt. Sein Image als ›Rüpel‹, als Nachwuchsschriftsteller, der eine zwielichtige Vergangenheit hat und so gar nicht in den respektablen Literaturbetrieb zu passen scheint, wirkt dennoch, wie gezeigt werden konnte, in den Text hinein und wieder aus ihm heraus. Unabhängig von der Frage, wie viel von der Person Clemens Meyer und seinen Überzeugungen tatsächlich in den einzelnen Erzählungen nachweisbar zu sein scheinen, manifestiert Meyer mit Gewalten erneut sein Label als Autor, der die ›Schattenseiten‹ der Gesellschaft ergründet und diese Themen aufgrund seiner eigenen geographischen Nähe sowie Sozialisation aufgreift.

897 Montag: Lieber geht man zu weit als gar nicht.

V

Autofiktionales Schreiben nach der (Post-)Moderne? »Manche Autoren behaupten ja, ihre Geschichten seien vollkommen fiktiv und würden weder von ihnen selbst noch von ihrer Umgebung handeln«.898

Die Autofiktion hat sich mit und im Anschluss an Serge Doubrovsky als Textphänomen herausgebildet, das die Grenzen autobiographischer Wirklichkeitsabbildung und Subjektrepräsentation thematisiert. Als autofiction bzw. ›neue‹ Autobiographie wendet sie sich im Sinne einer ›fiktionalen Meta-Autobiographie‹ gegen eine überholte Genretradition. Autofiktionale Schreibweisen in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur setzen sich von einer derartigen Gattungskritik deutlich ab und haben sich zudem von den Topoi postmodernen autofiktionalen Schreibens gelöst: Die Darstellung von Erinnerungsprozessen, die Problematisierung von Gedächtnisleistungen und die textuelle Verfasstheit des Subjekts spielen für die Autofiktion im 21. Jahrhundert kaum mehr eine Rolle. Autofiktionale Ich-Erzählungen nach dem Jahr 2000 tragen zwar noch immer eine »profunde Skepsis« gegenüber dem Konzept »der Selbstfindung« bzw. der »retrospektive[n] Darstellung eines Lebens als sinnerfülltes Ganzes«.899 Die im Rahmen der Arbeit untersuchten Autoren stellen dies aber nicht mehr explizit aus. Sie verwenden einfache Erzählstrukturen und bekennen selbstbewusst wieder eine persönliche Bindung zu dem Erzählten. Die ›neuen‹ Autofiktionen setzen sich ebenfalls mit Kategorien wie Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Authentizität auseinander, auf die bereits die postmodernen Autofiktionen reagiert haben. Sie greifen jedoch nicht auf vorreflexiver Formen zurück, sondern arbeiten (nur noch) mit den bloßen Rezeptionseffekten, die vom Gestus autobiographischen Ich-Sagens ausgehen können. Vor allem in der selbstverständlich gewordenen Verwendung des Autornamens im Text lässt sich nach dem vielbeschworenen ›Tod des Autors‹ ablesen, dass die Autofiktionen theoretische Positionen früherer Jahrzehnte voraussetzen und trotz einer Abschwächung der metafiktionalen Problematisierung nicht hinter sie zurückzugehen.900 898 Kling: Das Känguru-Manifest, S. 24. 899 Zipfel: Autofiktion. Zwischen den Grenzen von Faktualität, Fiktionalität und Literarität, S. 307. 900 Vgl. dazu Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie, S. 361.

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Wird dem Autor im autofiktionalen Text grundsätzlich – und damit auch bereits in den vergangenen Jahrzehnten – eine (neue) Rolle im Bedeutungsprozess zugewiesen,901 kehrt er nach einer Phase der Infragestellung des Autor-Subjekts nicht als Sinngebungsinstanz nach dem klassischen Verständnis ›vor der Postmoderne‹ zurück. Er wird vielmehr zur notwendigen und unhintergehbaren Bezugsgröße für die Rezeption, weil nur unter Einbeziehung seines Namens und der diesem anhängenden Zuschreibungen bestimmte Spielfunktionen des Textes rezipiert werden können. Der Autorname fungiert damit nicht allein als Ordnungsfunktion, d. h. er leistet mehr, als nur ein Verkaufsversprechen zu sein, und auch die Beziehung zwischen Autor und Text geht über ein bloßes Zuschreibungsverhältnis hinaus. Dem Autornamen als Marke bzw. als Label, das stetig verändert und mehr und mehr inszeniert wird, kommt ein immer größerer Stellenwert zu. Diese Einsicht hat zur Folge, dass eine Interpretation autofiktionaler Texte die Autor-Person und ihr Label im öffentlichen Diskurs zur Zeit der Publikation mitberücksichtigen muss. Nur so können die verschiedenen Wirkungsweisen und Vorstellungen, die mit dem Autornamen im Text verbunden sind, eingefangen und hinsichtlich der Textwirkung bestimmt werden. Damit sind über »die Einbeziehung von faktischen Kontexten«902 für die Entschlüsselung von Autobiographemen hinaus erhöhte Anforderungen an die Deutung eines autofiktionalen Textes gestellt. Autofiktionalität erscheint so als Phänomen einer rezeptions- und interpretationsrelevanten Wissensvoraussetzung. Die Auseinandersetzung mit dem Autornamen und der Autor-Biographie – in simultan als Fiktion gekennzeichneten Texten – kann grundsätzlich als Entwicklung vom postmodernen Bestreben eines hoch komplexen Autobiographiediskurses hin zu pluralen Formen der Ich-Thematisierung verstanden werden:903 »An die Stelle der vergeblichen und nur in den Maschen des Textes zu verortenden Selbstfindung tritt die dezidierte Erfindung des Selbst bzw. des Autors«.904 Diese Ich-Erfindung ist zudem, wie die Analysen differenziert gezeigt haben, um Strategien der Ich-Stilisierung, Ich-Positionierung und Ich-Kommentierung erweitert worden. Die im Rahmen der Arbeit untersuchten Texte haben das Spektrum einer autofiktionalen Ich-Bezogenheit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur angedeutet: Es reicht von einem romanhaften Erschreiben des eigenen Lebens wie bei (1) Hanns-Josef Ortheil über (2) David Wagners Leben, in dem der Bezug zum Autornamen und zur Autor-Biographie als Steigerung der Glaubwürdigkeit 901 Vgl. Gronemann: Postmoderne/Postkoloniale Konzepte, S. 104. 902 Niefanger : Biographeme im deutschsprachigen Gegenwartsroman, S. 304. Vgl. auch Werner : Cave Canem!, S. 230. 903 Vgl. dazu Wagner-Egelhaaf: Autofiktion oder : Autobiographie sowie dies.: Auto(r)fiktion. 904 Weiser/Ott: Medienrealität, S. 10.

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eingesetzt wird, bis hin zu einem flexibleren, eher spielerischen Umgang mit dem eigenen Autor-Ich, das die genannten Funktionen unterwandert oder erweitert: Kann (3) Thomas Glavinics Das bin doch ich als direkte Antwort auf die ›Rückkehr des Autors‹ gelesen werden, als Auseinandersetzung mit der Autor-Kategorie und damit als Selbstpositionierung eines Schriftstellers im Text, nutzt (4) Rafael Horzon die Textkonzeption als Fortführung einer bereits außerhalb des Weissen Buchs angelegten Inszenierung der eigenen Person. (5) Clemens Meyer schließlich lotet anhand verschiedener Gewaltszenarien der Gegenwart die Zuträglichkeit eines autobiographischen Bezugs zwischen Autor und autodiegetischem Erzähler aus. Da die Autofiktion eingangs als äußerst variables Textphänomen klassifiziert worden ist, kann schwerlich von einem tatsächlichen ›genre-immanenten‹ Reflexionspotenzial die Rede sein. Die untersuchten Gegenwartstexte reagieren kaum explizit auf ihre autofiktionalen Vorgänger. Vielmehr muss das autofiktionale Schreiben als Spiegel der Gegenwart betrachtet werden, das im Wissen um postmoderne und poststrukturalistische Positionen auf eine Auseinandersetzung mit jener »neuen Sehnsucht nach Wirklichkeit« bzw. einem Realitätshunger zielt,905 die sich zunehmend in der aktuellen Kunstproduktion insgesamt abzuzeichnen scheint.906 Die Gegenwart verzehrt sich nach reality-Formaten sowie einer ›Welthaltigkeit‹ der Literatur,907 nach einem neuen Ernst,908 einem neuen Realismus.909 Die untersuchten autofiktionalen Texte geben einem solchen Realitätsbegehren vordergründig nach, um sie dann mit verschiedenen Strategien zu unterlaufen. Die Erzählweise in der homodiegetischen Form bietet den Autoren der Gegenwart dabei in besonderer Weise ein eingeübtes und bekanntes Rezeptionsschema, das unter dem Motto ›Nichts als die Wahrheit‹910 in der Trivialliteratur und den zahlreichen medialen reality-Formaten auch weiterhin zum Ausdruck kommt. Weisen die Ergebnisse der Untersuchung so einerseits auf eine Entwicklung hin zu einem veränderten, post-postmodernen autofiktionalen Schreiben im Sinne einer zunehmenden Abkehr von der postmodernen Theorielastigkeit, so hat sich ferner herausarbeiten lassen, dass die Schriftsteller trotzdem noch 905 Vgl. dazu Bohrer/Scheel: Zu diesem Heft, S. 749 sowie Shields: Reality Hunger. 906 Vgl. hierzu insbesondere: David Shields, der darauf hinweist, »artists in a multitude of forms and media […] who are breaking larger and larger chunks of ›reality‹ into their works« (Shields: Reality Hunger, S. 3). 907 Vgl. dazu auch Kleihues: Einleitung, S. 8 und Krumrey/Vogler/Derlin: Realitätseffekte in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, hier insbesondere S. 9f. 908 Vgl. Eichhorn (Hg.): Neuer Ernst in der Literatur. 909 Siehe hierzu Costazza: Effet de r¦el und die Überwindung der Postmoderne: »Es geht um den Realismus«. 910 So der Titel von Dieter Bohlens Autobiographie aus dem Jahr 2002, die er gemeinsam mit Katja Kessler verfasst hat.

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›(post-)modern‹ schreiben – wenn auch nicht mehr in einer so aufdringlichen Weise. Die Autoren spielen noch immer mit »Vergnügen das Spiel der Ironie«.911 Ihre Texte enthalten auch weiterhin intertextuelle Anspielungen oder selbstreflexive Kommentare, und sie zeichnen sich wohl auch zukünftig – nicht zuletzt der Textform Autofiktion selbst geschuldet – durch Immanenz und Offenheit aus. Jedoch kann von einer Weiterentwicklung der Verfahren gesprochen werden. Insbesondere die Analyse von Rafael Horzons Das weisse Buch hat veranschaulicht, dass das Einschreiben des Autors mit seiner Biographie die postmoderne Intertextualität nicht ersetzt, sondern sie auf den Bereich der Lebenswelt des Autors bzw. seine Medienbiographie hin erweitert.912 Als ›postpostmoderne‹ Autofiktionen verstandene Texte lösen damit keineswegs den postmodernen Text ab, jedoch kann der Begriff eine Transformation bzw. eine Weiterentwicklung innerhalb des autofiktionalen Schreibens kenntlich machen, die nicht zuletzt den Bedingungen einer medial geprägten Gegenwartskultur geschuldet ist.913 Vergleichbar mit der im Laufe der vergangenen Jahrzehnte nahezu ritualisierten Gattungskritik der Autobiographie scheint auch der spielerische Umgang mit dem Autornamen im Text immer mehr in der Gegenwartsliteratur anzukommen. Romane wie z. B. Niklas Maacks Monster (2012) oder Clemens J. Setz Indigo (2012)914 nehmen das autofiktionale ›Ich‹ inzwischen auf, ohne das Spiel mit der Autor-Persona noch in den Mittelpunkt des Textes zu stellen. Das autofiktionale ›Ich-Schreiben‹ hat neben einer Trivialisierung so zudem noch – ganz ›(post-)modern‹ – eine Pluralisierung erfahren, und es bleibt abzuwarten, welche Entwicklung darauf folgen wird.

911 Eco: Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, S. 76. 912 Vgl. Weiser/Ott: Autofiktion und Medienrealität, S. 10 sowie Meier : Realitätsreferenz und Autorschaft, S. 28. 913 Inwiefern der Begriff geeignet ist, um Veränderungen in einem größeren Ausschnitt der Literaturproduktion zu erfassen, werden künftige Untersuchungen zeigen können. Eine erste Auseinandersetzung liefert hier der Sammelband von Krumrey/Vogler/Derlin: Realitätseffekte in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. 914 In Indigo entfaltet sich das Spiel mit der Autobiographie bereits im Klappentext. Der biographische Kurztext zum Verfasser ist darauf angelegt, die Parallelen zu der im Text auftretenden Erzähler-Figur zu veranschaulichen, erweist sich dabei jedoch bereits als fiktional: »Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren. Nach dem Studium der Mathematik und Germanistik in Graz arbeitete er als Mathematik-Tutor u. a. im Proximity-Awareness & Learning Center Helianau und als Journalist. Seit 2008 treten bei ihm die Spätfolgen der Indigo-Belastung auf. Heute lebt er als freier Schriftsteller zurückgezogen mit seiner Frau in der Nähe von Graz« (Setz: Indigo, Vorsatzblatt, Innenseite). Weder gibt es das genannte Helianau Center noch die im Roman genannte Indigo-Krankheit. Vgl. dazu auch die Internetseite des Suhrkamp Verlages zu Indigo, die anders als auf der Suhrkamp eigenen Homepage diese fiktionalisierte Biographie ebenfalls aufgenommen hat (Suhrkamp Verlag: Indigo).

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Abbildungsnachweise

Abb. 1: Cover der dtv-Taschenbuchausgabe von Thomas Glavinics Das bin doch ich (Thomas Glavinic: Das bin doch ich. Umschlaggestaltung von Stephanie Wiescher. 2010 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München) Abb. 2: Cover der Taschenbuchausgabe des Suhrkamp Verlages von Rafael Horzons Das weisse Buch (Ó Suhrkamp Verlag Berlin. Aus: Rafael Horzon: Das weisse Buch. Suhrkamp Verlag 2011) Abb. 3: Rafael Horzon mit David Woodard (DwB Dokumentarfotos – Teil II, Foto 15, Ó Rafael Horzon. Aus: Rafael Horzon: Das weisse Buch. Suhrkamp Verlag 2011) Abb. 4: Rafael Horzon in der Werkstatt von ›System-Lüftung‹ (DwB Dokumentarfotos – Teil II, Foto 19, Ó Rafael Horzon. Aus: Rafael Horzon: Das weisse Buch. Suhrkamp Verlag 2011) Abb. 5: Rafael Horzon und Christian Kracht (DwB Dokumentarfotos – Teil II, Foto 9, Ó Frauke Finsterwalder. Aus: Rafael Horzon: Das weisse Buch. Suhrkamp Verlag 2011) Abb. 6: Zeitangaben in Clemens Meyers Gewalten im Jahr 2009 gemäß der Kapitelfolge (Ó Birgitta Krumrey)

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Weitere Bände dieser Reihe Band 16: Carsten Gansel/Monika Wolting (Hg.)

Band 13: Dominika Borowicz

Deutschland- und Polenbilder in der Literatur nach 1989

Auseinandersetzung mit der Vätergeneration in deutschsprachigen autobiographischen Texten von 1975 bis 2006

Vater-Spuren-Suche

2015. 405 Seiten, gebunden 54,99 € Preis D ISBN 978-3-8471-0459-9

2013. 410 Seiten, gebunden 59,99 € Preis D ISBN 978-3-8471-0134-5

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Zwischen Erinnerung und Fremdheit Entwicklungen in der deutschen und polnischen Literatur nach 1989 2015. 460 Seiten, gebunden 59,99 € Preis D ISBN 978-3-8471-0382-0

Band 14: Michaela Nicole Raß

Bilderlust – Sprachbild: Das Rendezvous der Künste Friederike Mayröckers Kunst der Ekphrasis

(Ent-)Mythologisierung deutscher Geschichte Uwe Timms narrative Ästhetik 2012. 311 Seiten, gebunden 49,99 € Preis D ISBN 978-3-8471-0042-3

Band 11: Carsten Gansel/Matthias Braun (Hg.)

Es geht um Erwin Strittmatter oder Vom Streit um die Erinnerung 2012. 408 Seiten, gebunden 44,99 € Preis D ISBN 978-3-89971-997-0

2014. 473 Seiten, gebunden 69,99 € Preis D ISBN 978-3-8471-0162-8

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