Das Verbot genetischer Diskriminierung und das Recht auf Achtung der Individualität: Gendiagnostik als Anlass für gleichheits- und persönlichkeitsrechtliche Erwägungen zum Umgang mit prognostischen und anderen statistischen Daten [1 ed.] 9783428523245, 9783428123247

Welche gesellschaftlichen Auswirkungen hat die Vorstellung des genetischen Determinismus? Wie sollte ihnen rechtlich beg

130 37 3MB

German Pages 611 Year 2008

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Das Verbot genetischer Diskriminierung und das Recht auf Achtung der Individualität: Gendiagnostik als Anlass für gleichheits- und persönlichkeitsrechtliche Erwägungen zum Umgang mit prognostischen und anderen statistischen Daten [1 ed.]
 9783428523245, 9783428123247

Citation preview

Beiträge zum Informationsrecht Band 23

Das Verbot genetischer Diskriminierung und das Recht auf Achtung der Individualität Von Ulrich Stockter

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ULRICH STOCKTER

Das Verbot genetischer Diskriminierung und das Recht auf Achtung der Individualität

Beiträge zum Informationsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Hansjürgen Garstka, Prof. Dr. Michael Kloepfer, Prof. Dr. Friedrich Schoch

Band 23

Das Verbot genetischer Diskriminierung und das Recht auf Achtung der Individualität Gendiagnostik als Anlass für gleichheits- und persönlichkeitsrechtliche Erwägungen zum Umgang mit prognostischen und anderen statistischen Daten

Von Ulrich Stockter

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität zu Köln hat diese Arbeit im Jahre 2005 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1619-3547 ISBN 978-3-428-12324-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit hat der juristischen Fakultät der Universität zu Köln im Februar 2005 als Dissertation vorgelegen. Spätere Änderungen in der deutschen Gesetzgebung habe ich eingearbeitet. Im Übrigen habe ich spätere Literatur und Rechtsprechung nur in besonderen Fällen ergänzt. Herrn Prof. Dr. Wolfram Höfling M.A. danke ich für die hilfreiche Betreuung und insgesamt für die angenehme und lehrreiche Zeit am Institut für Staatsrecht. Herr Prof. Dr. Stefan Rixen hat freundlicherweise das Zweitgutachten erstellt. Die Arbeit ist überwiegend während meiner Tätigkeit am Institut für Staatsrecht an der Universität zu Köln entstanden. Ohne den Zuspruch, die vielen inhaltlichen Anregungen und die Korrekturhinweise von Freundinnen und Freunden wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Großen Anteil daran hatten auch die Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Staatsrecht, unsere Doktoranden-Arbeitsgemeinschaft und die Mitglieder des Arbeitskreises Kritischer JuristInnen an der Universität zu Köln. Besonders danke ich Henrike Amian, Andre Bartmeyer, Alexander Beyer, Dr. Andreas Funke, Prof. Dr. Heinrich Lang und Karin Michalek. Herrn Prof. Dr. Hans-Jürgen Garstka danke ich für das Interesse an meiner Dissertation. Ich freue mich, dass er, Herr Prof. Dr. Friedrich Schoch und Herr Prof. Dr. Michael Kloepfer bereit waren, meine Arbeit in die Schriftenreihe „Beiträge zum Informationsrecht“ aufzunehmen. Die Schmittmann-Wahlen-Stiftung trug durch ihre großzügige finanzielle Unterstützung wesentlich zu dem Gelingen meines Studiums und meiner Promotion bei, wofür ich sehr dankbar bin. Schließlich danke ich ganz besonders meinen Eltern, die mir das Studium ermöglicht haben und bei denen ich immer Unterstützung finden kann. Meiner Frau Sabine danke ich zudem für ihre Hilfe und ihre Geduld, die sie während der Erstellung der Arbeit aufbrachte.

Berlin, im Dezember 2007

Ulrich Stockter

Inhaltsübersicht Einleitung und Begriffsbestimmung A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit ..................................................................

35

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten ...................................

52

Kapitel 1 Charakteristika genetischer Daten A. Einleitung: Erläuterung der gewählten Kategorienbildung ..............................

80

B. Charakteristika des Untersuchungsmaterials: DNS-Proben als natürliche Datenbanken.....................................................................................................

81

C. Charakteristika der Untersuchungsmethode: Gentests und Genchips...............

91

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse: Informationen über genetische Veranlagungen .................................................................................................

101

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen................

127

F. Rechtliche Zwischenbewertung........................................................................

166

Kapitel 2 Vereinbarkeit eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG A. Einleitung: Verfahren und Ablauf der gleichheitsrechtlichen Prüfung.............

168

B. Prüfungsverfahren ............................................................................................

169

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten......................................................

222

D. P rüfung der einzelnen Regelungsvarianten auf ihre gleichheitsrechtliche Zulässigkeit ......................................................................................................

255

Kapitel 3 Verfassungsrechtliche Gewährleistungen beim Umgang mit genetischen Daten A. Einleitung .........................................................................................................

378

B. Das Recht auf Achtung der Individualität ........................................................

397

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung............................................

453

8

Inhaltsübersicht

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ...........................................

483

E. Zusammenfassung: Systematischer Überblick über die behandelten Rechtsgewährleistungen ..................................................................................

545

Thesen...................................................................................................................

546

Literaturverzeichnis ............................................................................................

554

Sach- und Personenregister ................................................................................

583

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Begriffsbestimmung A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit............................................................... I.

35

Bestimmung des betroffenen Lebensbereichs ...........................................

35

1. Gentechnik, Humangenetik und Gendiagnostik..................................

35

2. Keine Einbeziehung pränataler Gendiagnostik...................................

37

II. Gesellschaftliche Reaktion auf die Entwicklungen im Bereich der Gendiagnostik..................................................................................................

37

1.

Gesellschaftliche Reaktion ................................................................

38

2. Postulation „genetischer Rechte“........................................................

39

3. Rechtspolitische und gesetzgeberische Lösungsversuche...................

40

III. Problem der selektiven Problembehandlung.............................................

44

IV. Das Verbot genetischer Diskriminierung als Hauptuntersuchungsgegenstand..........................................................................................................

45

1. Begriffliche Unklarheit: Was ist genetische Diskriminierung?...........

45

2. Gleichheitsrechtliche Problematik ......................................................

47

3. Andere grundrechtliche Problemlagen................................................

49

V. Gleichheitssatz als Prüfungsmaßstab und Rechtserkenntnisquelle............

50

VI. Aufbau der Arbeit .....................................................................................

51

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten ..............................

52

I.

Personen- und Sachinformationen ............................................................

54

II. Gruppen- und Individualinformation ........................................................

55

1. Begriff der Statistik.............................................................................

55

2. Begriff der Kausalität..........................................................................

56

3. Begriff der Individualinformation.......................................................

59

4. Begriff der Gruppeninformation .........................................................

60

10

Inhaltsverzeichnis 5. Aktualisierung und Individualisierbarkeit von Gruppeninformationen ......................................................................................................

61

III. Manifestation und Eigenschaftsindikator..................................................

62

1. Begriff der Manifestation....................................................................

63

a) Begriffsbestimmung......................................................................

63

b) Entscheidungserhebliche Eigenschaft...........................................

64

aa) Krankheitsmanifestationen als Eigenschaftsindikatoren .......

65

bb) Infektionen als Indikatoren für die Ansteckungsgefahr Dritter....................................................................................

65

c) Einzelinformationscharakter.........................................................

66

d) Manifestationsarten ......................................................................

66

e) Manifestationsalter und Manifestationsdauer ...............................

68

2. Begriff des Eigenschaftsindikators .....................................................

68

a) Begriffsbestimmung......................................................................

69

aa) Statistisches Bezugskriterium als „Botschafter“....................

70

bb) Statistische Aussage als „Botschaft“ .....................................

72

cc) Eigenschaftsindikatoren mit und ohne Individualbezug .......

73

b) Statistischer Informationscharakter der Feststellung von Eigenschaftsindikatoren.........................................................................

73

c) Arten von Eigenschaftsindikatoren...............................................

75

IV. Zwischenresümee......................................................................................

79

Kapitel 1 Charakteristika genetischer Daten A. Einleitung: Erläuterung der gewählten Kategorienbildung........................

80

B. Charakteristika des Untersuchungsmaterials: DNS-Proben als natürliche Datenbanken...........................................................................................

81

I.

Unveränderlichkeit der genetisch gespeicherten Daten.............................

82

II. Körperzelle als Datenträger.......................................................................

83

1. Leichte Verfügbarkeit und gute Verwertbarkeit von Genproben ........

83

2. Möglichkeit der heimlichen Datenerhebung.......................................

84

III. Körperzelle als natürliche Datenbank .......................................................

85

Inhaltsverzeichnis

11

1. Datenbankcharakter des Genoms: Das Problem der Überschussinformationen und der eingeschränkten Anonymisierbarkeit von Genproben ..........................................................................................

85

2. Multifunktionalität der Gene: Das Problem der Zusatz- und Zufallsinformationen......................................................................................

86

IV. Vererblichkeit von Erbmerkmalen ............................................................

88

1. Möglichkeit der Feststellung von Verwandtschaftsverhältnissen .......

88

2. Familiäre und ethnische Gruppenzugehörigkeit als Eigenschaftsindikator..............................................................................................

88

C. Charakteristika der Untersuchungsmethode: Gentests und Genchips .......

91

I.

Klassifizierung genetischer Untersuchungen ............................................

91

1. Untersuchungen auf Genotypebene ....................................................

92

2. Untersuchungen auf Karyotypebene ...................................................

92

3. Untersuchungen auf Genproduktebene...............................................

93

4. Untersuchungen auf Phänotypebene...................................................

94

II. Gesteigerte Effektivität und hohe Effizienz von Untersuchungen auf DNS-Ebene ...............................................................................................

94

1. Funktionsweise des DNS-Chips .........................................................

94

2. Verbesserte Technik und höhere Wirtschaftlichkeit ...........................

95

3. Genetische Reihenuntersuchungen (Screenings) ................................

95

III. Die Familienanamnese als ergänzende Untersuchungsmethode ...............

96

1. Begriff der Familienanamnese ............................................................

97

2. Aussagegenauigkeit bei Familienanamnesen anhand familiärer DNS-Analysen ....................................................................................

97

a) Im Vergleich zu Einzeluntersuchungen auf DNS-Ebene..............

98

b) Im Vergleich zu Familienanamnesen anhand der Krankheitsvorgeschichte................................................................................

99

3. Praktische Bedeutung von Familienanamnesen..................................

100

a) Präkonzeptionelle Familienanamnesen.........................................

100

b) Familienanamnesen im Drittinteresse...........................................

101

12

Inhaltsverzeichnis

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse: Informationen über genetische Veranlagungen.............................................................................. I.

101

Gegenstand genetischer Daten ..................................................................

102

1. Eigenschaften......................................................................................

102

a) Krankheiten ..................................................................................

103

b) Charakterzüge, soziale Verhaltensweisen.....................................

103

c) Körperliche Merkmale und Fähigkeiten .......................................

104

2. Identifikationsmuster („genetischer Fingerabdruck“) .........................

104

II. Aussagekraft genetischer Untersuchungsergebnisse .................................

106

1. Ablauf eines genetischen Testverfahrens ............................................

106

a) Indikation .....................................................................................

107

b) Durchführung des Tests................................................................

108

c) Interpretation des Testergebnisses ................................................

108

d) Insbesondere: Testverfahren unter Einbeziehung von Familienanamnesen ....................................................................................

109

2. Statistische Grundlage genetischer Informationen..............................

109

a) Penetranz ......................................................................................

109

b) Expressivität .................................................................................

110

3. Fehlerquellen im Testablauf ...............................................................

110

a) Technische Fehler und wissenschaftliche Irrtümer.......................

111

aa) Entwicklung und Vermarktung von überwiegend sinnlosen Tests ......................................................................................

111

bb) Technische Fehler der genetischen Testverfahren.................

112

cc) Wissenschaftliche Irrtümer im Hinblick auf die Wirkungsweise der Gene ......................................................................

112

b) Umsetzungs- und Anwendungsfehler des Fachpersonals .............

116

aa) Fehlerhafte Indikation ...........................................................

116

bb) Fehlerhafte Durchführung.....................................................

118

cc) Fehlerhafte Interpretation......................................................

118

c) Verständnisprobleme der getesteten Personen und Testinteressenten............................................................................................

122

Inhaltsverzeichnis

13

III. Behandelbarkeit genetisch bedingter Krankheiten ....................................

122

IV. Verborgenheit genetischer Daten ..............................................................

126

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen ........

127

I.

Verwendungsweise genetischer Daten ......................................................

128

1. Informationen mit prädiktivem Charakter...........................................

128

2. Informationen mit diagnostischem Charakter .....................................

131

3. Informationen mit differenzialdiagnostischem Charakter ...................

131

II. Anwendungsbereiche für genetische Daten ..............................................

132

1. Verwendung zur Erstellung von Identifikationsmustern (Identifikationsfunktion) ...............................................................................

132

a) Zivil- und Strafprozess .................................................................

133

b) Leistungsverwaltung.....................................................................

134

c) Abstammungsbestimmung im Asyl- und Ausländerrecht.............

134

d) Identifizierung von Opfern in Unfall- und Katastrophenfällen.....

135

e) Populationsgenetische Forschung.................................................

135

2. Verwendung zur Erklärung, Feststellung oder Vorhersage von Eigenschaften (Indikatorfunktion) ......................................................

135

a) Ausbildung und Beruf ..................................................................

136

aa) Berufswahl und -ausübung....................................................

136

bb) Schule....................................................................................

138

cc) Berufs- und Arbeitsvermittlung.............................................

139

dd) Arbeitsrechtliche Haftung .....................................................

139

b) Soziale Absicherung.....................................................................

142

aa) Gesetzliche Krankenkassen ...................................................

142

bb) Private Krankenversicherungen ............................................

143

cc) Private Lebensversicherungen...............................................

143

c) Wohnen ........................................................................................

144

aa) Einwanderung und Asyl ........................................................

144

bb) Inländische Wohnortbeschränkungen (Ökogenetik) .............

145

cc) Zugang zu Wohn- und Betreuungseinrichtungen (Kindertagesstätten und Altersheime) ...............................................

146

14

Inhaltsverzeichnis d) Finanzielle Spielräume .................................................................

146

aa) Kreditvergabe........................................................................

146

bb) Begründung neuer haftungsrechtlicher Eigenverantwortlichkeiten...............................................................................

146

cc) Nutzung des Sekundärmarktes für Lebensversicherungen ....

147

e) Familie..........................................................................................

148

aa) Entscheidung über Nachkommenschaft – vorgeburtliche Diagnostik .............................................................................

148

bb) Partnerwahl ...........................................................................

151

cc) Adoptiveltern ........................................................................

152

f) Medizinische Versorgung.............................................................

152

aa) Prädiktive Medizin................................................................

154

bb) Gesundheitsvorsorge durch Neugeborenenscreening............

157

cc) Bedeutung für die klinische Medizin (diagnostische Verwendungsweise) – insb. Pharmakogenetik............................

158

dd) Knappheit an Therapiemitteln ...............................................

159

ee) Knappheit an finanziellen Ressourcen ..................................

160

ff) Knappheit an Forschungskapazitäten....................................

160

g) Staatliche Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ..........................

162

aa) Kriminalitätsprävention.........................................................

162

bb) Andere Bereiche der Gefahrenabwehr...................................

163

cc) Täterfahndung .......................................................................

163

dd) Strafverfolgung und -vollzug ................................................

164

h) Biologische Kriegsführung...........................................................

164

i) Gesellschaftliche Stigmatisierung.................................................

165

3. Genetifizierung des gesellschaftlichen Lebens?..................................

165

F. Rechtliche Zwischenbewertung .....................................................................

166

Inhaltsverzeichnis

15

Kapitel 2 Vereinbarkeit eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG A. Einleitung: Verfahren und Ablauf der gleichheitsrechtlichen Prüfung......

168

B. Prüfungsverfahren..........................................................................................

169

I.

Das Eingriffsmodell von Huster................................................................

169

II. Prüfungsablauf unter Zugrundelegung des Eingriffsmodells ....................

171

1. Schutzbereich: Ermittlung und Überprüfung des Gerechtigkeitsmaßstabs .............................................................................................

171

2. Eingriff – Durchführung der „Entsprechensprüfung“ .........................

177

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung ................................................

180

III. Vorteile gegenüber der herkömmlichen Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG...

182

1. Kurze Darstellung der Willkürformel und der „Neuen Formel“ .........

182

2. Vorzüge des Eingriffsmodells.............................................................

183

a) Größere Transparenz ....................................................................

184

b) Deutlichere Ankopplung der Ermittlung der Gerechtigkeitsmaßstäbe an den gesetzgeberischen Willen ..................................

185

c) Dogmatische Genauigkeit.............................................................

186

aa) Strukturierung der Vergleichsgruppenbildung......................

186

bb) Bestimmung der Eingriffsintensität.......................................

187

cc) Strukturierung einer gleichheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung .....................................................................

192

aaa) Ermittlung zulässiger Zwecke ......................................

193

bbb) Geeignetheit der Regelung zur Umsetzung der externen Zwecke ..................................................................

193

ccc) Erforderlichkeit des Kriteriums ....................................

193

ddd) Angemessenheit des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit .................................................................

194

IV. Darstellung und kritische Würdigung der rechtlichen Charakterisierung von Diskriminierungsverboten im Eingriffsmodell von Huster ................

194

16

Inhaltsverzeichnis 1. Husters These: Diskriminierungsverbote bilden keinen eigenständigen Schutzbereich .....................................................................

194

2. Widerlegung der Uneigenständigkeitsthese ........................................

199

a) 1. Gegenthese: Diskriminierungsverbote enthalten primäre Wertentscheidungen ..................................................................

199

aa) Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Wertentscheidung .........................................................................

200

bb) Rechtliche Bedeutung der primären Wertentscheidung ........

201

cc) Nachweis von primären Wertentscheidungen bei Diskriminierungsverboten...................................................................

203

dd) Zwischenergebnis..................................................................

206

b) 2. Gegenthese: Die in Diskriminierungsverboten enthaltenen primären Wertentscheidungen entsprechen Gerechtigkeitsmaßstäben............................................................................................

206

aa) Abgrenzung zwischen internen und externen Zwecken ........

207

bb) Funktionale Entsprechung.....................................................

209

cc) Begriffliche Entsprechung.....................................................

210

aaa) Verallgemeinerungsfähigkeit........................................

210

bbb) Einklagbarkeit ..............................................................

212

ccc) Steigerungsfähigkeit .....................................................

212

ddd) Aspekt der „individuellen Würdigkeit“ ........................

213

eee) Alter der Norm .............................................................

214

3. Rechtliche Charakterisierung von Diskriminierungsverboten im Rahmen des Eingriffsmodells .............................................................

214

V. Vorgaben für die gleichheitsrechtliche Prüfung von lebens- und sachbereichsübergreifenden Diskriminierungsverboten...................................

217

1. Geltungsvorrang gegenüber früheren und allgemeineren Gesetzen ....

218

2. Diskriminierungskriterium (lediglich) als Indikator ...........................

219

3. Keine Bezugnahme auf lebens- und sachbereichsbezogene Gerechtigkeitsmaßstäbe..................................................................................

220

4. Vielschichtigkeit der Auslegung.........................................................

221

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten..................................................

222

I.

Struktur von Diskriminierungsverboten....................................................

222

Inhaltsverzeichnis

17

II. Einzelne Strukturelemente eines Verbots genetischer Diskriminierung....

224

1. Diskriminierungskriterium..................................................................

224

a) Methodenbezogene Spezifikation.................................................

228

aa) Hinsichtlich bestimmter Untersuchungsarten........................

229

bb) Hinsichtlich der Untersuchungsmotivation ...........................

231

b) Informationsbezogene Spezifikation ............................................

233

aa) Hinsichtlich der Informationsgrundlage (Eigenschaftsindikatoren und Manifestationen) ...............................................

234

bb) Hinsichtlich der Informationsanknüpfung.............................

238

aaa) Verbot der Diskriminierung aufgrund genetischer und erblich bedingter Eigenschaften ...................................

238

bbb) Verbot der Diskriminierung aufgrund von Anlagen (Begriffliche Einbeziehung nicht-genetischer Anlagen)...............................................................................

241

cc) Hinsichtlich des Informationsgegenstands (Eigenschaften und Identifikationsmuster) ....................................................

242

dd) Hinsichtlich des Grades der Manifestationswahrscheinlichkeit ..................................................................................

243

c) Situationsbezogene Spezifikation.................................................

243

aa) Hinsichtlich des Datenerhebungszeitpunkts..........................

243

bb) Hinsichtlich der Datenverwendungsweise.............................

244

aaa) Prädiktive Verwendungsweise .....................................

244

bbb) Diagnostische Verwendungsweise ...............................

246

ccc) Differenzialdiagnostische Verwendungsweise .............

247

cc) Hinsichtlich des Vorhersagezeitraums ..................................

248

dd) Hinsichtlich des Anwendungsbereichs..................................

248

ee) Hinsichtlich der mit der Ungleichbehandlung verbundenen Entscheidungsoptionen .........................................................

249

2. Diskriminierungshandlung..................................................................

250

a) Verbote auf Datennutzungsebene .................................................

251

aa) Ungleichbehandlungsverbote ................................................

251

bb) Benachteiligungsverbote .......................................................

252

18

Inhaltsverzeichnis cc) Verwertungsverbote ..............................................................

253

b) Verbote auf Datenerhebungsebene ...............................................

253

3. Verbot von Vorfelddiskriminierungen................................................

254

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten auf ihre gleichheitsrechtliche Zulässigkeit .....................................................................................................

255

I.

Verbot genetischer Diskriminierung als Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen (Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit)..........................................................................................

256

1. Schutzbereich......................................................................................

257

a) Ermittlung des Zwecks .................................................................

257

b) Erläuterung des Zwecks................................................................

258

aa) Vermeidung von Ungleichbehandlungen auf irrationaler Grundlage..............................................................................

258

bb) Abgrenzung vom Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit ............................................................................

259

cc) Nähe zum Verständnis als Begründungsverbot.....................

260

c) Zweckspezifische Rechtsfolge......................................................

261

aa) Unerheblichkeit unrichtiger Annahmen auf materiell-rechtlicher Ebene ..........................................................................

261

bb) Privilegierung durch die prozessuale Regelung der Beweislastumkehr.............................................................................

265

d) Überprüfung der Zwecksetzung....................................................

267

aa) Materielle Entsprechung mit dem Willkürverbot ..................

267

bb) Unschärfe des Begriffs „falsch“ ............................................

267

cc) Einwand der Entbehrlichkeit des Schutzes vor Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen .........................

268

dd) Geeignetheit und Erforderlichkeit der Beweislastumkehr zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen................................................................

269

ee) Ergebnis ................................................................................

269

2. Eingriff – Überprüfung der Zweckumsetzung ....................................

269

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung ................................................

270

a) Verwendung von methodenbezogenen Spezifikationen ...............

270

Inhaltsverzeichnis

19

b) Verwendung von informationsbezogenen Spezifikationen...........

274

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsgrundlage.......

274

aaa) Auf Eigenschaftsindikatoren bezogene Beweislastumkehr..........................................................................

274

(1) Fehlverständnisse beim Umgang mit Wahrscheinlichkeitsaussagen....................................................

274

(2) Persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung ...........

276

(3) Ergebnis .................................................................

276

bbb) Auf Manifestationen bezogene Beweislastumkehr .......

276

bb) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung....

276

aaa) Auf Anlagen bezogene Beweislastumkehr ...................

277

(1) Überbewertung der Bedeutung von Anlagen .........

277

(a) Irrtümliche Wahrnehmung als individualisierte Wahrscheinlichkeiten...................................

277

(b) Irrtümliche Wahrnehmung als internalisierte Wahrscheinlichkeiten oder Kausalfaktoren......

278

(c) Irrtümliche Wahrnehmung als besonders nachhaltige Risikofaktoren...............................

281

(d) Irrtümliche Wahrnehmung als gegenständlich erfassbare (objektivierbare) Eigenschaftsindikatoren .......................................................

283

(2) Gefahr der Risikoindividualisierung ......................

284

(3) Ergebnis .................................................................

286

bbb) Auf genetische Veranlagungen bezogene Beweislastumkehr..........................................................................

286

(1) Fehlvorstellung des genetischen Determinismus....

286

(2) Wirtschaftlicher Erfolgsdruck im Bereich der Humangenetik .............................................................

287

(3) Ergebnis .................................................................

288

cc) Spezifikationen hinsichtlich des Informationsgegenstands ...

289

c) Verwendung situationsbezogener Spezifikationen .......................

289

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Verwendungsweise ............

289

bb) Spezifikationen hinsichtlich des Anwendungsbereichs.........

290

20

Inhaltsverzeichnis d) Zusammenfassung ........................................................................

290

II. Verbot genetischer Diskriminierung als Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund individuell nicht beeinflussbarer Umstände (Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit)....................................

290

1. Schutzbereich......................................................................................

291

a) Ermittlung des Zwecks .................................................................

291

b) Erläuterung des Zwecks................................................................

292

aa) Belohnungsgerechtigkeit („Jeder nach seinen Verdiensten“) ......................................................................................

292

bb) Rechtsprechung zur Bedeutung nicht beeinflussbarer Unterscheidungskriterien ......................................................

292

c) Zweckspezifische Rechtsfolge......................................................

293

aa) Bewertungsverbot .................................................................

294

bb) Gesetzlicher Schutzauftrag (Exkurs) .....................................

294

d) Überprüfung der Zwecksetzung....................................................

297

aa) Mangelnde Systemkompatibilität im Grundsatz....................

298

bb) Lebens- und sachbereichsspezifische Unvereinbarkeit des Gerechtigkeitsmaßstabs.........................................................

300

aaa) Arbeitsrecht, insb. Beamtenrecht – Einstellungssituation ...............................................................................

301

bbb) Versicherungsrecht – Prämienberechnung ...................

301

ccc) Sozialleistungsberechtigung .........................................

302

ddd) Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung .....................................................................

302

eee) Transplantationsrecht ...................................................

303

fff) Zusammenfassung ........................................................

303

cc) Lebens- und sachbereichsspezifische Verwendbarkeit des Gerechtigkeitsmaßstabs und problematische Vereinheitlichungswirkung....................................................................

303

aaa) Strafrecht – Vorsatz- und Schuldprinzip ......................

304

bbb) Versicherungsrecht – Leistungsausschluss bei schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalls ...............

304

Inhaltsverzeichnis

21

ccc) Haftungsrecht – Grundsatz der verschuldensabhängigen Haftung des Schädigers .........................................

305

ddd) Zusammenfassung ........................................................

305

dd) Ergebnis ................................................................................

305

2. Eingriff und verfassungsrechtliche Rechtfertigung.............................

306

a) Verwendung von methodenbezogenen Spezifikationen ...............

306

b) Verwendung von informationsbezogenen Spezifikationen...........

307

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung und der Informationsgrundlage .............................................

307

aaa) Verbot der Bewertung anhand von erblich bedingten Eigenschaften (unter Einschluss von Manifestationen)

308

bbb) Verbot der Bewertung anhand von genetisch bedingten Eigenschaften (unter Einschluss von Manifestationen) ...................................................................

310

ccc) Verbot der Bewertung anhand von Erbanlagen............

311

ddd) Verbot der Bewertung anhand von genetischen Veranlagungen ...................................................................

313

eee) Zwischenergebnis.........................................................

314

bb) Spezifikationen hinsichtlich des Informationsgegenstands ...

315

c) Verwendung von situationsbezogenen Spezifikationen ...............

316

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Verwendungsweise ............

316

bb) Spezifikationen hinsichtlich des Anwendungsbereichs.........

316

3. Ergebnis..............................................................................................

316

III. Verbot genetischer Diskriminierung als Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund ungewisser Umstände (Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit) .................................................................................

317

1. Schutzbereich......................................................................................

317

a) Ermittlung des Zwecks .................................................................

317

b) Erläuterung des Zwecks................................................................

318

aa) Vermeidung gruppenbezogener Ungleichbehandlung ..........

319

bb) Begriffliche Eingrenzung auf die Aussagegenauigkeit des positiven Vorhersagewerts ....................................................

322

22

Inhaltsverzeichnis cc) Abgrenzung vom Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit ....................................................................................

323

dd) Nähe zum Verständnis als Anknüpfungsverbot ....................

324

c) Zweckspezifische Rechtsfolge: Typisierungsverbot .....................

325

d) Überprüfung der Zwecksetzung....................................................

326

aa) Vereinbarkeit mit persönlichkeitsrechtlichen Vorgaben .......

327

bb) Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Individualgerechtigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG.............................................................

328

cc) Vereinbarkeit mit Abstraktionserfordernissen.......................

331

dd) Ergebnis ................................................................................

336

2. Eingriff: Überprüfung der Zweckumsetzung ......................................

336

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung ................................................

337

a) Verwendung methodenbezogener Spezifikationen.......................

337

b) Verwendung informationsbezogener Spezifikationen ..................

339

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsgrundlage.......

339

aaa) Verbot der Typisierung aufgrund von Eigenschaftsindikatoren....................................................................

339

(1) Statistische Aussageungenauigkeit.........................

339

(2) Persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung ...........

340

(3) Wahrung wirtschaftspolitischer Interessen.............

341

(4) Ergebnis .................................................................

343

bbb) Verbot der Typisierung aufgrund von Manifestationen................................................................................

344

ccc) Exkurs: Unerheblichkeit der Kausalität bei der Bestimmung der Aussagegenauigkeit ...............................

345

bb) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung....

347

aaa) Verbot der Typisierung aufgrund von Erbanlagen .......

348

(1) Keine erbanlagenspezifische Aussageungenauigkeit .........................................................................

349

(2) Unerheblichkeit des Aspekts der individuellen Beeinflussbarkeit....................................................

350

Inhaltsverzeichnis

23

(3) Unerheblichkeit der erbanlagenspezifischen Fehleranfälligkeit .........................................................

351

(4) Keine besondere persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung .............................................................

351

(5) Durchsetzung innenpolitischer Interessen: Verhinderung einer genetischen Klassengesellschaft...

352

(6) Verhältnismäßigkeitsabwägung..............................

358

bbb) Verbot der Typisierung aufgrund von genetischen Veranlagungen .............................................................

361

ccc) Verbot der Typisierung aufgrund von Anlagen ............

362

ddd) Verbot der Typisierung aufgrund von genetischen Eigenschaften unter Einbeziehung von genetischen Manifestationen............................................................

362

eee) Ergebnis........................................................................

363

cc) Spezifikationen des Informationsgegenstands.......................

363

c) Verwendung situationsbezogener Spezifikationen .......................

364

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Verwendungsweise ............

364

aaa) Verbot der Typisierung aufgrund von prädiktiven Aussagen ......................................................................

364

(1) Prognostische Aussageungenauigkeit ....................

364

(2) Mangel an zeitnaher Überprüfbarkeit.....................

366

(3) Mangel an zeitnaher Widerlegbarkeit.....................

367

(4) Besonderer Umfang der Beeinträchtigung von betroffenen Rechten und Interessen .......................

368

(5) Ergebnis .................................................................

369

bbb) Verbot der Typisierung aufgrund von diagnostischen Aussagen ......................................................................

369

ccc) Verbot der Typisierung aufgrund von differenzialdiagnostischen Aussagen..............................................

370

(1) Statistische Aussageungenauigkeit.........................

370

(2) Vergleichbarkeit mit sachbezogenen Kausalitätsbewertungen ...........................................................

371

(3) Problem der ausufernden Obliegenheiten ..............

371

24

Inhaltsverzeichnis (4) Ergebnis .................................................................

372

bb) Spezifikationen hinsichtlich des Anwendungsbereichs.........

372

IV. Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................

374

V. Konsequenzen für die Gesetzgebung und das Verbot prädiktiver Diskriminierung als Regelungsalternative ..........................................................

376

Kapitel 3 Verfassungsrechtliche Gewährleistungen beim Umgang mit genetischen Daten A. Einleitung ........................................................................................................ I.

378

Soziologische Grundannahmen: Modell der Persönlichkeitsbildung........

380

1. Von außen beeinflusster Bereich der Persönlichkeitsbildung.............

381

2. Innerer, reflexiver Bereich der Persönlichkeitsbildung.......................

381

3. Schlussfolgerungen für die verfassungsrechtliche Behandlung ..........

383

4. Relativität der Privatsphäre und Subjektivität der Risikowahrnehmung ...................................................................................................

385

II. Verfassungsdogmatische Grundannahmen................................................

386

1. Zweck der grundrechtsdogmatischen Kategorisierung: Formalisierung und Rationalisierung...................................................................

386

2. Möglichkeiten grundrechtsdogmatischer Behandlung: Einzelfallentscheidungen und Fallgruppenbildung ............................................

388

3. Anlass und Grund für grundrechtsdogmatische Konkretisierungen....

390

a) Konkretisierungsanlass.................................................................

390

b) Konkretisierungsgrund .................................................................

391

aa) Abgegrenzter Schutzbereich..................................................

392

bb) Verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit ...........................

392

cc) Verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit ..............................

393

c) Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen......................................................................................

395

III. Verfassungssystematische Grundannahmen: Unterscheidung zwischen Integritäts- und Entfaltungsschutz.............................................................

395

Inhaltsverzeichnis B. Das Recht auf Achtung der Individualität .................................................... I.

25 397

Konkretisierungsanlass – Humangenetik als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Vorbehalte........................................................................

397

II. Konkretisierungsgrund..............................................................................

399

1. Schutzrichtung ....................................................................................

399

2. Abgegrenzter Gewährleistungsbereich................................................

400

a) Abstrakte Bestimmung des Gewährleistungsbereichs...................

400

aa) Aktualisierte Gruppeninformationen.....................................

400

bb) Behandlung und Bewertung..................................................

403

cc) Insbesondere: Schutz des ungeborenen Lebens?...................

404

dd) Keine Beschränkung auf Anlagen oder genetische Veranlagungen................................................................................

405

b) Kasuistische Bestimmung des Gewährleistungsbereichs..............

406

aa) Fälle prädiktiver Verwendungsweise ....................................

406

bb) Fälle diagnostischer Verwendungsweise...............................

407

cc) Fälle differenzialdiagnostischer Verwendungsweise.............

408

3. Verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit.........................................

408

a) Keine Beeinträchtigung der Menschenwürde ...............................

409

b) Abgrenzung zu den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG.....................................................................................

409

c) Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung...

410

d) Abgrenzung zum gleichheitsrechtlichen Schutz im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG...........................................................................

410

e) Abgrenzung zu entfaltungsrechtlichen Gewährleistungen............

411

4. Verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit ............................................

412

a) Intensität der Beeinträchtigung.....................................................

412

aa) Persönlichkeitsrechtlicher Bezug ..........................................

412

bb) Statistische Aussageungenauigkeit........................................

412

cc) Prognostische Aussageungenauigkeit ...................................

413

b) Wertigkeit der betroffenen Rechtspositionen ...............................

414

26

Inhaltsverzeichnis c) Indizielle Wirkung einfachgesetzlich hervorgehobener Schutzzonen ............................................................................................

418

III. Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen ..

418

1. Rechtfertigungsanforderungen bei der Verwendung von Typisierungen...

418

2. Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG bei Ungleichbehandlungen mit Personenbezug......................

419

3. Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen der Prüfung des Art. 12 GG bei der Verwendung von subjektiven Zulassungsregelungen .....................

421

4. Recht zur „Erhaltung der Grundbedingungen“ der Persönlichkeitsentfaltung ............................................................................................

422

IV. Verfassungsrechtliche Konsequenzen.......................................................

423

1. Besondere formelle Anforderungen....................................................

423

2. Besondere materielle Anforderungen – das Gebot der manifestationsnächsten Typisierung ..................................................................

424

a) Unmittelbare Untersuchung der Manifestation.............................

426

b) Typisierungen anhand von Merkmalen mit einem deutlicheren korrelationsstatistischen Zusammenhang zur Manifestation ........

427

c) Prognosen zu einem späteren Zeitpunkt .......................................

428

3. Rechtfertigungsanforderungen in den einzelnen Teilgewährleistungsbereichen ....................................................................................

429

a) Bei prädiktiver Verwendungsweise – das Recht auf freibestimmte Zukunft ...........................................................................

429

aa) Arbeitsrechtliche Vorsorgeuntersuchungen ..........................

431

bb) Beamtenrechtliche Einstellungsuntersuchungen ...................

432

cc) Täterprognosen im Rahmen der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung..........................................................

433

dd) Die Bestimmung der Heilungsaussichten nach dem Transplantationsgesetz ...................................................................

434

ee) Risikoabschätzung im Rahmen von privatrechtlichen Versicherungsverträgen...............................................................

435

b) Bei diagnostischer Verwendungsweise.........................................

437

aa) Arbeitsrechtliche Einstellungsentscheidungen ......................

438

bb) Prüfung der Medikamentenverträglichkeit, insb. in der Pharmakogenetik...................................................................

439

Inhaltsverzeichnis

27

cc) Kassenrechtliche Entscheidung über die Übernahme der Behandlungskosten ...............................................................

440

c) Bei differenzialdiagnostischer Verwendungsweise ......................

441

aa) Arbeitsrechtliche Haftungsfälle.............................................

444

bb) Obliegenheiten im Recht der gesetzlichen Krankenkassen ...

445

cc) Obliegenheiten im Recht der privaten Kranken- und Unfallversicherungen ............................................................

446

dd) Obliegenheiten im Deliktsrecht.............................................

446

d) Zusammenfassung ........................................................................

447

V. Rechtscharakter und rechtssystematische Einordnung..............................

448

1. Rechtscharakter...................................................................................

448

a) Das Recht auf Achtung der Individualität als Integritätsschutz ....

448

b) Das Recht auf freibestimmte Zukunft als Integritätsschutz ..........

449

2. Rechtssystematische Einordnung........................................................

450

a) Abgestuftes System von Rechtsgewährleistungen mit unterschiedlichem Schutzniveau...........................................................

450

aa) Recht auf Gleichbehandlung .................................................

451

bb) Recht auf Achtung der Individualität ....................................

451

cc) Recht auf freibestimmte Zukunft...........................................

451

dd) Wahrung besonderer politischer Interessen...........................

452

ee) Schutz entgegenstehender Rechte und Interessen .................

452

b) Konkurrenzen ...............................................................................

453

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ........................................

453

I.

Schutzbereich, Rechtscharakter und rechtssystematische Einordnung .....

453

1. Schutzrichtung ....................................................................................

453

a) Schutz vor Diskriminierungspotenzialen......................................

454

b) Schutz der Möglichkeiten zur Selbstdarstellung...........................

455

2. Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ......

455

a) Personenbezogene Daten..............................................................

455

b) Unerwünschte Datenerhebung und -verarbeitung.........................

458

3. Rechtscharakter und rechtssystematische Einordnung........................

461

28

Inhaltsverzeichnis a) Rechtscharakter: Integritäts- und Entfaltungsschutz.....................

461

b) Rechtssystematische Einordnung .................................................

461

aa) Abgrenzung zum Recht auf Achtung der Individualität und zu Diskriminierungsverboten ................................................

461

bb) Abgrenzung zum Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung................................................................................

462

cc) Abgrenzung zur Meinungsfreiheit.........................................

463

dd) Abgrenzung zum Recht auf körperliche Unversehrtheit .......

463

II. Besondere Teilgewährleistungsbereiche ...................................................

464

1. Erhebung und Verarbeitung von natürlichen Datenbanken und Daten mit vielfältiger Auswertungsmöglichkeit..................................

464

a) Konkretisierungsanlass.................................................................

464

b) Konkretisierungsgrund .................................................................

465

aa) Abgegrenzter Gewährleistungsbereich..................................

465

aaa) Datenbanken und Daten mit vielfältiger Auswertungsmöglichkeit...................................................................

465

bbb) Unerwünschte Datenerhebung und -verarbeitung ........

469

bb) Verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit ...........................

470

cc) Besondere verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit..............

470

aaa) Intensität der Beeinträchtigung.....................................

470

bbb) Indizielle Wirkung einfachgesetzlich hervorgehobener Schutzzonen........................................................

473

c) Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen......................................................................................

473

d) Verfassungsrechtliche Konsequenzen ..........................................

473

aa) Formelle Anforderungen .......................................................

474

bb) Materielle Anforderungen .....................................................

474

2. Weitere Teilgewährleistungsbereiche?................................................

476

a) Keine besondere Schutzwürdigkeit beim Umgang mit Informationen über genetische Veranlagungen .........................................

477

b) Keine besondere Schutzwürdigkeit beim Umgang mit Informationen über endogene Eigenschaftsindikatoren ............................

480

Inhaltsverzeichnis

29

c) Keine besondere Schutzbedürftigkeit beim Umgang mit prädiktiven Daten ...................................................................................

481

III. Abwägungskonstellationen mit besonderem Schutzniveau.......................

481

1. Erhebung und Verarbeitung prädiktiver Daten...................................

482

2. Erhebung und Verarbeitung willkürlich gewählter Untersuchungsgegenstände ........................................................................................

483

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung.......................................

483

I.

Konkretisierungsanlass .............................................................................

485

1. Erste Diskussionsansätze vor dem Hintergrund ungewollter HIVUntersuchungen ..................................................................................

485

2. Postulation des Rechts auf Wissen und Nichtwissen im Bereich der Gendiagnostik .....................................................................................

486

II. Konkretisierungsgrund..............................................................................

488

1. Schutzrichtung ....................................................................................

488

2. Abgegrenzter Gewährleistungsbereich................................................

489

a) Abstrakte Bestimmung des Gewährleistungsbereichs...................

489

aa) Individualinformationen und aktualisierte Gruppeninformationen ....................................................................................

490

bb) Unerwünschte Vermittlung und Vorenthaltung ....................

492

aaa) Herstellung von offensichtlichen Individualbezügen durch den Betroffenen ..................................................

494

bbb) Eigenständige Kenntnisnahme von Zusatzinformationen durch den Betroffenen .......................................

494

cc) Keine Beschränkung auf genetische oder endogene Eigenschaftsindikatoren .................................................................

495

aaa) Keine Schutzbereichsbegrenzung auf genetische Daten ............................................................................

495

bbb) Keine Schutzbereichsbegrenzung auf Informationen über endogene Eigenschaftsindikatoren .......................

496

b) Kasuistische Bestimmung des Gewährleistungsbereichs..............

496

aa) Recht auf Nichtwissen...........................................................

497

aaa) Mitteilung gegen den erklärten Willen der untersuchten Person .....................................................................

497

30

Inhaltsverzeichnis bbb) Mitteilung ohne den Willen der untersuchten Person ..

502

(1) Untersuchungen ohne Einwilligung .......................

502

(a) Durchführung von als nicht einwilligungsbedürftig eingestuften Routineuntersuchungen ...

502

(b) Heimliche Durchführung von Untersuchungen ...................................................................

503

(c) Untersuchung aufgrund einer Einwilligungsvermutung ........................................................

504

(2) Untersuchungen aufgrund der Einwilligung von Dritten ....................................................................

505

(a) Untersuchungen von Nichteinwilligungsfähigen .............................................................

505

(b) Untersuchungen mit Drittbezug .......................

505

(3) Untersuchungen mit Zufalls- und Zusatzinformationen .....................................................................

506

(4) Mittelbare Kenntnisnahme durch den Getesteten bei unterbliebener Mitteilung.................................

507

bb) Recht auf Wissen...................................................................

507

aaa) Faktischer Zwang zur Unterlassung einer Untersuchung............................................................................

508

bbb) Nichtaufklärung über die Möglichkeit der Durchführung eines Tests ............................................................

508

ccc) Erschwerung der Testdurchführung durch Pflichtberatung ...........................................................................

509

ddd) Verweigerung der Testdurchführung............................

509

eee) Vorenthaltung der Ergebnisse durchgeführter Tests.....

510

3. Verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit.........................................

511

a) Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung...

511

aa) Selbstständigkeit der Gewährleistungsbereiche ....................

512

bb) Abgrenzung zum datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch....................................................................................

513

cc) Verschiedenes Instrumentarium zum Schutz vor Beeinträchtigungen.........................................................................

515

b) Abgrenzung zum Recht auf körperliche Unversehrtheit...............

515

Inhaltsverzeichnis

31

c) Abgrenzung zur Informationsfreiheit ...........................................

516

4. Verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit ............................................

517

a) Intensität der Beeinträchtigung.....................................................

517

b) Wertigkeit der betroffenen Rechtspositionen ...............................

519

c) Indizielle Wirkung einfachgesetzlich hervorgehobener Schutzzonen ............................................................................................

520

III. Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen ..

521

1. Recht auf Kenntnis (und Unkenntnis) der eigenen Abstammung .......

521

2. Zulässigkeit der Durchführung von medizinisch-psychologischen Untersuchungen ..................................................................................

523

3. Selbstbestimmungsrecht des Patienten, insbesondere Recht auf Einsichtnahme in Patientenakten ........................................................

524

IV. Verfassungsrechtliche Konsequenzen.......................................................

524

1. Formelle Anforderungen: Einschränkung der Eingriffsmöglichkeiten .......................................................................................................

524

2. Materielle Anforderungen: Einschränkungsgrenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung..............................................................

525

a) Art und Inhalt des Testergebnisses, Therapierbarkeit bei Krankheiten ............................................................................................

525

b) Persönlichkeit und Lebenssituation des Getesteten ......................

526

c) Umstände der Testdurchführung ..................................................

529

d) Verwendungszusammenhang .......................................................

530

e) Betroffenheit von Dritten..............................................................

531

3. Abwägungskonstellationen mit besonderem Schutzniveau ................

532

a) Vermittlung personenbezogener Daten ........................................

532

b) Vermittlung aktualisierter Gruppeninformationen........................

533

c) Vermittlung prädiktiver Informationen.........................................

533

V. Rechtscharakter und rechtssystematische Einordnung..............................

533

1. Rechtscharakter...................................................................................

533

a) Rechtscharakter des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung.............................................................................................

533

aa) Integritätsrechtlicher Gewährleistungsschwerpunkt..............

534

32

Inhaltsverzeichnis bb) Recht zur „Erhaltung der Grundbedingungen“ der Persönlichkeitsentfaltung .................................................................

534

cc) Gewährleistung der Wissensfreiheit......................................

534

dd) Gewährleistung ohne leistungsrechtlichen Anspruch auf Verschaffung von Individualinformationen ..........................

535

ee) Bestandteil des unantastbaren (absolut geschützten) Kernbereichs der Entfaltung menschlicher Persönlichkeit? ..........

535

b) Rechtscharakter des Verhältnisses des Rechts auf Wissen und des Rechts auf Nichtwissen zueinander........................................

536

aa) Positive und negative Freiheitsausübung ..............................

536

bb) Options- und Abwehrrechte ..................................................

536

2. Rechtssystematische Einordnung........................................................

538

a) Zuordnung zu übergeordneten rechtssystematischen Konzepten .

538

aa) Konzept der bioethischen Selbstbestimmung (Koppernock)

538

bb) Konzept der genetischen Selbstbestimmung (Tjaden)...........

539

cc) Konzept der genetischen Lebensplanung (Meyer) ................

539

b) Konkurrenzen und Abgrenzungen................................................

540

aa) Konkurrenz zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung .....................................................................................

540

bb) Konkurrenz zum Recht auf körperliche Unversehrtheit ........

541

cc) Konkurrenz zum Schutz von Ehe und Familie......................

542

c) Mögliche Kollisionslagen.............................................................

543

aa) Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung von betroffenen Dritten .........................................................................

543

bb) Das „therapeutische Privileg“ und das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung.................................................

544

E. Zusammenfassung: Systematischer Überblick über die behandelten Rechtsgewährleistungen .........................................................................

545

Thesen...................................................................................................................

546

Literaturverzeichnis ............................................................................................

554

Sach- und Personenregister ................................................................................

583

Abbildungsverzeichnis Abb. 1:

Bereiche der Gentechnik ......................................................................

36

Abb. 2:

Mögliche Kategorisierung von Informationen .....................................

53

Abb. 3:

Begriff des Eigenschaftsindikators.......................................................

70

Abb. 4:

Ablauf einer genetischen Untersuchung...............................................

107

Abb. 5:

Fehlerquellen im Rahmen einer genetischen Untersuchung ................

111

Abb. 6:

Ablauf der gleichheitsrechtlichen Prüfung (nach Huster) ....................

171

Abb. 7:

Bestimmung der Intensität eines gleichheitsrechtlichen Eingriffs........

188

Abb. 8:

Struktur genetischer Diskriminierungsverbote.....................................

223

Abb. 9:

Gerechtigkeitsmaßstäbe und Rechtsfolgen...........................................

256

Abb. 10: Prüfungsmaßstäbe bei der Fehlerbeurteilung .......................................

262

Abb. 11: Angenommene Bereiche der Persönlichkeitsbildung...........................

380

Abb. 12: Angenommene verfassungsrechtliche Schutzzonen.............................

384

Abb. 13: Kette von Wahrscheinlichkeiten ..........................................................

428

Abb. 14: Abwägungskonstellationen bei einem Eingriff in das Recht auf Achtung der Individualität..........................................................................

450

Abb. 15: Abwägungsgesichtspunkte für das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung.......................................................................................

525

Abb. 16: Überblick über die behandelten Rechtsgewährleistungen....................

545

Einleitung und Begriffsbestimmung A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit Die Vorstellung, mit Hilfe von genetischen Untersuchungen gewissermaßen das „Buch des Lebens“1 eines jeden Menschen aufschlagen zu können, hat – trotz zahlreicher Bemühungen um eine ausgewogene Abschätzung der Möglichkeiten der Humangenetik und ihrer Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft2 – auf viele eine beängstigende Wirkung. Die daraus resultierenden Vorbehalte gegenüber der Humangenetik sollen in dieser Arbeit aufgegriffen und (verfassungs-)rechtlich verarbeitet werden. Den Schwerpunkt wird dabei die rechtliche Verarbeitung der Forderung nach einem Verbot genetischer Diskriminierung bilden.

I. Bestimmung des betroffenen Lebensbereichs Dazu soll der Bereich der Gendiagnostik zunächst bestimmt und gegenüber benachbarten Problemfeldern abgegrenzt werden.

1. Gentechnik, Humangenetik und Gendiagnostik In der Gentechnologie werden zwei Bereiche unterschieden: die Humangenetik und die Gentechnologie an der übrigen belebten Natur. 3 Die Humangenetik lässt sich in den Bereich der Gendiagnostik und den der Gentherapie unterteilen.4

___________ 1

Zur Entwicklung dieser Metapher und zur Kritik des Begriffs: Kaye, Bock of Life. Vgl. etwa die auf S. 40 aufgelisteten Berichte und Stellungnahmen. 3 Diese Zweiteilung liegt etwa auch dem (deutschen) Gentechnikgesetz (§ 2 GenTG) und der Schweizerischen Bundesverfassung zugrunde (Art. 119 und 120) zugrunde. 4 Zum Begriff der Humangenetik: DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 11; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Humangenetik“. Auch Bickel, VerwArchiv 1996, 169 (170 ff.); Paul, Tumorerkrankungen, S. 68 ff. 2

36

Einleitung und Begriffsbestimmung

Gentechnik

Humangenetik

Gentherapie

Gendiagnostik

Indikatoren

Gentechnik an der übrigen belebten Natur

Identifikationsmuster

Abb. 1: Bereiche der Gentechnik

Die Gendiagnostik ist darauf beschränkt, bestimmte Merkmale im Genom der untersuchten Person zu erkennen. Diese können in zweierlei Weise Verwendung finden5: Zum einen werden sie als Indikatoren für bestimmte menschliche Eigenschaften, Verhaltensweisen oder Zustände verwendet. Zum anderen werden mit ihrer Hilfe Identifikationsmuster zur Identifizierung von Einzelpersonen, zur Ermittlung von Verwandtschaftsverhältnissen oder zur Durchführung populationsgenetischer Forschungen erstellt.6 Von der Gendiagnostik abzugrenzen ist die Gentherapie, deren rechtliche Problematik nicht Gegenstand dieser Arbeit sein soll. Ziel der Gentherapie ist es, durch die gezielte Veränderung des genetischen Materials eines Menschen bestimmte Krankheiten zu heilen oder von vornherein zu verhindern.7 Dies könnte beispielsweise dadurch geschehen, dass ein Gen, das als ursächlich für eine bestimmte Krankheit identifiziert worden ist, von außen stillgelegt oder durch ein anderes, „gesundes“ Gen ausgewechselt wird.8 Dies geschieht durch die gezielte ___________ 5

Eingehend dazu unten, S. 102 ff. Eingehender zu den Verwendungsmöglichkeiten genetischer Merkmale: S. 132 ff. 7 Zur Gentherapie allgemein siehe etwa: Gänsbacher, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1114 ff. 8 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Gentherapie“; Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 176 ff.; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 111 ff. – Ein Aufriss von rechtlich-ethischen Problemstellungen, die sich im Zusammenhang mit Szenarien zur künstlichen Befruchtung und der Gentherapie ergeben, findet sich bei Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 31 ff., 411 ff. 6

A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

37

Einwirkung mutagener Agenzien, die entsprechenden Verfahren werden als Gene-Trapping, Knock-out-Technologien oder Gene-Targeting bezeichnet.9 Einer der ersten Gentherapieversuche wurde Anfang der 70er Jahre – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – an einer Kölner Kinderklinik durchgeführt. Hier sollten Kinder mit dem Arginase-Defekt, einem schweren monogenen Erbleiden, durch die Injektion des Shope-Papillom-Virus geheilt werden. Dieser Virus trägt das „Arginase-Gen“ und es bestand die Hoffnung, dass er die Fähigkeit zur Produktion von Arginase auf die Blutzellen der erkrankten Kinder übertragen würde. Auf diese Weise sollte der Serum-ArgeninSpiegel gesenkt und eine Heilung herbeigeführt werden. Langfristige Erfolge stellten 10 sich jedoch nicht ein.

2. Keine Einbeziehung pränataler Gendiagnostik Die Arbeit bleibt im Wesentlichen auf die rechtliche Behandlung postnataler Untersuchungen begrenzt, da die pränatale Diagnostik mit besonderen Problemstellungen verbunden ist. Insbesondere die ethischen Probleme, die sich im Zusammenhang mit der pränatalen Diagnostik und den mit ihr verbundenen Konfliktlagen ergeben, werden hier nicht behandelt. Weitgehend ausgeschlossen ist damit insbesondere auch die Eugenik-Diskussion.11 Die Besonderheit der genetischen Pränataldiagnostik liegt darin, dass hier genetische Veranlagungen nicht als schicksalhaft und unveränderbar empfunden werden. Vielmehr stellt sie Eltern gerade vor den Konflikt, Einfluss nehmen zu können und damit gewissermaßen das Schicksal in die Hand zu nehmen. Die Einflussmöglichkeiten reichen dabei von der Auswahl eines Embryos mit den gewünschten Merkmalen (im Fall der Präimplantationsdiagnostik) bis zum Schwangerschaftsabbruch. Demgegenüber müssen genetische Veranlagungen, die im Rahmen postnataler Gendiagnostik festgestellt werden, bisher noch als unveränderbar akzeptiert werden, da weitestgehend keine erprobten gentherapeutischen Maßnahmen zu Verfügung stehen.

II. Gesellschaftliche Reaktion auf die Entwicklungen im Bereich der Gendiagnostik Damit ist der Bereich der Gendiagnostik als Themenbereich für diese Arbeit abgesteckt. Die Forschungserkenntnisse und technischen Entwicklungen, die sich in diesem Bereich der Humangenetik in den letzten Jahrzehnten vollzogen

___________ 9

TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 14. Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 416. 11 Die Problematik eugenischer Tendenzen im Bereich der Pränataldiagnostik wird im Rahmen dieser Arbeit nur angedeutet werden, diesbezügliche Lösungsvorschläge werden angesichts der Komplexität dieser Problematik jedoch nicht gemacht. Siehe S. 148 ff. 10

38

Einleitung und Begriffsbestimmung

haben, lösten eine rege gesellschaftliche Diskussion aus, in deren Folge viele rechtliche Lösungsansätze erarbeitet wurden, von denen einige im Folgenden skizziert werden sollen.

1. Gesellschaftliche Reaktion Die Meinungen über die Entwicklung in der Humangenetik gehen weit auseinander. Teilweise löst der Bedeutungszugewinn der Gendiagnostik eher Befürchtungen aus, teilweise werden mit der Entwicklung in der Humangenetik eher positive Erwartungen verknüpft.12 Allerdings – so scheint es – wird der Humangenetik für die Zukunft im Vergleich zu anderen Wissenschaftsbereichen eine besondere Bedeutung zukommen.13 Der Vorstellung von einer genetisch determinierten Entwicklung des Menschen kommt dabei offensichtlich (immer noch) eine große gesellschaftliche Wirkkraft zu.14 Selbst wenn der Einzelne sich – richtigerweise – nicht als allein von seinen Genen vorbestimmt sehen sollte, schützt ihn das nicht davor, in der Gesellschaft dennoch so behandelt zu werden.15 Eine genetische Veranlagung zu einer bestimmten Krankheit zu haben, erscheint als besonders belastend, weil die betreffende Person die Krankheit dann schon gewissermaßen in sich zu tragen scheint. Es entsteht die Figur des gesunden Kranken:16 Betroffene werden als krank behandelt, obwohl sie gesundheitlich gar nicht beeinträchtigt sind. Der Umstand, dass sich persönliche ___________ 12 Vgl. etwa das Votum von 19, zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern in der Dresdener Bürgerkonferenz, veröffentlicht in: Schicktanz/Naumann, Bürgerkonferenz: Streitfall Gendiagnostik, S. 83 ff. – Zu diesem Projekt: Damm, EthikMed 2002, 110 ff.; Graumann, in: Schicktanz/Naumann, Bürgerkonferenz: Streitfall Gendiagnostik, S. 95 ff.; Kettner, in: Schicktanz/Naumann, Bürgerkonferenz: Streitfall Gendiagnostik, S. 99 ff.; Leggewie, in: Schicktanz/Naumann, Bürgerkonferenz: Streitfall Gendiagnostik, S. 109 ff. – Vgl. auch Wolff/Wertz/Nippert, medgen 1999, S. 308 ff. zu einer Umfrage unter Humangenetikern und Chadwick/Levitt, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 79 ff. zur Verarbeitung dieses Themas in den Massenmedien. 13 Vgl. DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 20 f.; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (2003), S. 1, 4; Dänischer Ethikrat, Report on Presymptomatic Gene Diagnosis (2001), S. 4 ff. 14 Zum Problem der Fehlvorstellung des genetischen Determinismus: S. 165. 15 Zur Bedeutung der gesellschaftlichen Wahrnehmung für die Lebenswirklichkeit des Einzelnen nach dem „Thomas-Theorem“ eingehender unter S. 353 f. 16 Zum Begriff des „gesunden Kranken“: Beck-Gernsheim, in Steiner, Genpool, S. 192 (195); Dänischer Ethikrat, Report on Presymptomatic Gene Diagnosis (2001), S. 35 f., 54; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 132; Friedl/Lamberti, in: Petermann/Wiedebusch/Quante, Perspektiven, S. 81 (82); Feuerstein/Kollek, APuZ 2001, 26 (29); Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 42, 260; Gostin, AJLM vol. XVII, ʋs 1 & 2 (1991), 109 (124); Schöffski, Gendiagnostik, S. 108; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 9.

A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

39

Entfaltungsmöglichkeiten nach der genetischen Konstitution des Einzelnen bestimmen könnten, wird überwiegend als ungerecht empfunden. Die rege öffentliche Teilnahme an diesem Thema lässt sich vielleicht anhand der Resonanz zum dem Projekt „1000 Fragen“ erahnen, die von der „Aktion Mensch“ ins Leben gerufen wurde. Im Rahmen dieses Internet-Projektes wird dazu aufgerufen, Fragen zu formulieren, die sich für sie im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Humangenetik stellen.17 Von den Veranstaltern wurde der Erfolg dieses Projektes als ein Indiz dafür angesehen, dass Fragen der Gentechnik und Bioethik nicht nur Sache weniger „Berufsethiker“ sind, sondern alle Menschen angehen.18

2. Postulation „genetischer Rechte“ Teils im Vorgriff, teils als Reaktion auf die Entwicklungen im Bereich der Humangenetik wurden zunächst auf Grundlage philosophischer Überlegungen Rechte des Einzelnen beim Umgang mit genetischen Daten postuliert. Der Forderung nach genspezifischen Rechten dürfte dabei häufig die Auffassung zugrunde liegen, dass genetische Daten in ihrer rechtlichen Bedeutung einzigartig und dementsprechend auch einer speziellen rechtlichen Behandlung zuzuführen seien. Behandelt wird dieses Thema in der Regel unter dem Begriff der „genetischen Rechte“ oder „genetic rights“.19 Im Vordergrund stehen dabei insbesondere das Recht auf Nichtwissen – im Sinne eines Rechts auf Unkenntnis der eigenen genetischen Konstitution – und das Verbot der genetischen Diskriminierung. Erstmalige Erwähnung fand dieser Begriff allerdings nicht im Hinblick auf persönlichkeitsrechtliche Problematiken, sondern im Hinblick auf Ansprüche des Einzelnen auf gentherapeutische Behandlung. Die zumindest Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Humangenetik verbundenen Allmachtsfantasien bildeten die Grundlage für die „Edinburgh Charter of the Genetic Rights of Man“ von 1939, in der von sieben damals weltweit bekannten Genetikern, darunter J. B. S. Haldane, J. Huxley,20 und H. J. Muller, gefordert wurde: „Die wichtigsten genetischen Ziele liegen in der Verbesserung derjenigen Charakteristik, die die Gesundheit, den Komplex ‚Intelligenz‘ und die Eigenschaften bestimmen, die Gemeinschaftsgefühl und soziales Verhalten fördern. Man kann mehr tun, als nur genetische Entartung zu verhindern. Das Ziel könnte darin bestehen, das durchschnittliche Niveau der Bevölkerung an jenes der höchstbegabten, jetzt lebenden

___________ 17 Insgesamt an die 10.000 Fragen und über 35.000 Kommentare wurden bereits in Form eines Buches zusammengestellt: AktionMensch, „Was wollen wir, wenn alles möglich ist“, Deutsche Verlagsanstalt München, München 2003. 18 Eine Zusammenstellung der Fragen und weiterführende Informationen finden sich auf der Internet-Seite: www.1000fragen.de. – Siehe auch: Der Tagesspiegel 14.09.2003, Sonderbeilage Bioethik zum 1000-Fragen-Projekt der Aktion Mensch. 19 Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (184 ff. m.w.N.). 20 Julian Huxley (1887–1975) war ein Bruder von A. L. Huxley, dem Autor des fortschrittskritischen Utopie-Romans „Brave New World“. Vgl. auch S. 352, Fn. 656.

40

Einleitung und Begriffsbestimmung

Individuen heranzuführen. ... Auf diese Weise könnte es jeder als sein Geburtsrecht ansehen, ein Genie zu sein.“21

3. Rechtspolitische und gesetzgeberische Lösungsversuche In der Reaktion auf die in der gesellschaftlichen Diskussion zum Ausdruck kommenden Vorbehalte und Befürchtungen gegenüber der Humangenetik sind mittlerweile auch auf gesetzgeberischer bzw. rechtspolitischer Ebene bereits eine Reihe von rechtlichen Regelungen und Regelungsvorschlägen erarbeitet worden. In Deutschland ist es bislang – abgesehen von den Regelungen zur DNSIdentitätsfeststellung22 – allerdings noch zu keiner gesetzlichen Regelung für den Bereich der Gendiagnostik gekommen. Ein Entwurf zu einem Gendiagnostikgesetz ist auf ministerieller Ebene in Vorbereitung.23 Eine Diskussion um die Einführung eines solchen Gesetzes wird allerdings seit Mitte der 80er Jahre verstärkt geführt.24 Mittlerweile liegen eine Reihe von Berichten und Stellungnahmen zahlreicher, von Bundes- und Landesregierungen eingesetzter Kommissionen und Arbeitsgemeinschaften vor, in denen der rechtspolitische Handlungsbedarf im Bereich der Gendiagnostik eingeschätzt und Lösungsvorschläge erarbeitet worden sind. Zu den bedeutenderen Veröffentlichungen dieser Art gehören: – der Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundesministers für Forschung und Technologie und des Bundesministers der Justiz (sog. „BendaBericht“) (1985)25 – der Schlussbericht der Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ (1986)26 – der Bericht der Bioethikkommission Rheinland-Pfalz (1989)27 ___________ 21

Zitiert nach Klees, Der gläserne Mensch, S. 33. Vgl. §§ 81e - 81h StPO. Genetische Vaterschaftsfeststellungen im Zivilprozess bestimmen sich nach der nicht spezifisch auf genetische Untersuchungen zugeschnittenen Regelung der § 372a ZPO i.V.m. § 1600d BGB. 23 In der 15. Legislaturperiode wurde von den Koalitionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen eine Entwurf für ein Gendiagnostikgesetz vorbereitet, der jedoch wegen der vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr in den Bundestag eingebracht wurde. Der zunächst unveröffentlichte Diskussionsentwurf wurde nach dem Regierungswechsel im Herbst 2005 in nahezu unveränderter Form von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen als Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht – BT-Drs. 16/3233. Die Vorbereitung eines – möglicherweise verschlankten – Gesetzentwurfes wurde in der 16. Legislaturperiode wieder aufgegriffen. 24 Vgl. Catenhusen, in: Rittner: Genomanalyse, S. 131 ff.; Weichert, DuD 2002, 133 (135 f.). 25 In: BMFT (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie. 26 BT-Drs. 10/6775. – Zu diesem Bericht: Deutschen Bundestag (Ausschuss für Forschung und Technologie – 18. Ausschuss), Beschlussempfehlung und Bericht, BT-Drs. 11/5320. 22

A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

41

– der Abschlussbericht „Genomanalyse“ der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (1990)28 – der Bericht der Bundesregierung (1990) über die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages zum Bericht der Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“29 – der Bericht des Arbeitskreises Genforschung (1991)30 – die Berichte „‚Genomanalyse’ – Chancen und Risiken genetischer Diagnostik“ (1993)31 und „Stand und Perspektiven der genetischen Diagnostik“ (2000)32 des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag (TAB) – der Schlussbericht der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ (2002)33 und (in Teilen) der Bericht über den Stand der Arbeit der Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ (2005)34 und – die Stellungnahmen des Nationalen Ethikrates „Biobanken für die Forschung“ (2004), „Prädiktive Gesundheitsdaten bei Einstellungsuntersuchungen“ (2005) und „Prädiktive Gesundheitsinformationen beim Abschluss von Versicherungen“ (2007).35 Hinzu kommt eine Fülle von Regelungsentwürfen, Stellungnahmen und Forderungskatalogen von anderen staatlichen Stellen, Parteien und privaten Interessenverbänden, wie etwa: – die Entschließung der 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 24. - 26. Oktober 2001 zur gesetzlichen Regelung von genetischen Untersuchungen36 – die Richtlinien der Bundesärztekammer, etwa „Genetische Diagnostik: Richtlinien zur Diagnostik der Disposition für Krebserkrankungen“ (1998)37, ___________ 27

In: Caesar, Humangenetik. Bundesanzeiger 42, G 1990 A, Nr. 161a vom 29.08.1990. 29 BT-Drs. 11/8520. 30 In: BMFT, Erforschung. 31 BT-Drs. 12/7094. 32 BT-Drs. 14/4656. 33 BT-Drs. 14/9020. 34 BT-Drs. 15/5980. 35 www.ethikrat.org. 36 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, (Münster, 24.-26.10.2001) – Anlage zur Entschließung gesetzliche Regelung von genetischen Untersuchungen – Vorschläge zur Sicherung der Selbstbestimmung bei genetischen Untersuchungen, DuD 2002, 150 ff. – Erläuternd dazu: Menzel, DuD 2002, S. 146 ff. – Vgl. auch bereits Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sowie der Datenschutzkommission Rheinland-Pfalz, (26.-27.10.1989), Entschließung über Genomanalyse und informationelle Selbstbestimmung, BT-Drs. 11/6458, Anlage 7, S. 109. 28

42

Einleitung und Begriffsbestimmung

„Richtlinien für die Erstattung von Abstammungsgutachten“ (2002), „Richtlinien zur prädiktiven genetischen Diagnostik“ (2003) und einige Deklarationen des Weltärztebundes38 – die Stellungnahmen der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 199939 und 200340 – der Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen (Mitte Mai 2001, nicht in den Bundestag eingebracht)41 – Anträge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im Juli 200142 und März 200343 – Anträge des Bundesrat von 1992 und 2000.44 Einen ersten Ansatz zu einer deutschen gesetzlichen Regelung im Hinblick auf gendiagnostische Untersuchungen gab es mit der Gesetzesinitiative der Bundesregierung zum Arbeitsschutzrahmengesetz vom 05.11.1993,45 welche in den Absätzen 2 und 3 des § 22 Regelungen zur Durchführung genetischer Vorsorgeuntersuchungen vorsah.46 Dieses Gesetzesvorhaben scheiterte jedoch aufgrund politischer Widerstände.47 Das Vorhaben zu einer gesetzlichen Regelung der Gendiagnostik wurde aber in der Koalitionsvereinbarung vom 16.10.2002 von den Fraktionen der SPD und der Bündnis 90/Die Grünen wieder aufgegriffen.48 Bereits Mitte Mai ___________ 37

Deutsches Ärzteblatt, Heft 22, S. A-1396. Vgl. Weltärztebund, Handbuch der Deklarationen. – Erhältlich auch im Internet: www.bundesärztekammer.de, unter „Publikationen“ – „Weltärztebund“. 39 DFG, „Humangenomforschung und prädiktive genetische Diagnostik: Möglichkeiten – Grenzen – Konsequenzen“, Stellungnahme der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung, 1999. 40 DFG, „Prädiktive genetische Diagnostik – Wissenschaftliche Grundlagen, praktische Umsetzung und soziale Implementierung“, Stellungnahme der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung, 2003. 41 Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf des Gesetzes zur Regelung der Analysen des menschlichen Erbgutes (Gentest-Gesetz). Abgedruckt in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 167 ff. – Dazu Goerdeler, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 128 ff. 42 Antrag der CDU/CSU-Fraktion, „Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen“, BT-Drs. 14/6640 vom 03.07.2001. 43 Antrag der CDU/CSU-Fraktion, „Gentests in Medizin, Arbeitsleben und Versicherungen“, BT-Drs. 15/543 vom 11.03.2003. 44 BR-Drs. 424/92 und 530/00. 45 BR-Drs. 792/93; BT-Drs. 12/6752. 46 BR-Drs. 792/93, S. 20. 47 Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 5 m.w.N. 48 Siehe Koalitionsvertrag vom 16.10.2002, unter VI. Solidarische Politik und Erneuerung des Sozialstaats – Patientensouveränität stärken, Transparenz erhöhen: „Wir 38

A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

43

2001 hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf der Öffentlichkeit vorgestellt, in dem unter anderem auch das Recht auf Nichtwissen (§ 3) und ein Verbot genetischer Diskriminierung (§ 2) eine gesetzliche Verankerung finden sollten.49 Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im Juli 200150 und März 200351 Anträge in den Bundestag eingebracht, in denen die Bundesregierung dazu aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf zur Regelung der Anwendung von Gentests in der Medizin, im Versicherungswesen und der Arbeitswelt einzubringen. Ferner wird wiederum die gesetzliche Berücksichtigung des Rechts auf Nichtwissen und eines Verbots der Diskriminierung aufgrund von genetischen Merkmalen gefordert. Einen entsprechenden Antrag stellte auch der Bundesrat.52 Im Ausland, insbesondere auch in Staaten der Europäischen Union und den USA,53 sind bereits spezialgesetzliche Regelungen zum Umgang mit genetischen Daten erlassen worden. Die erste spezialgesetzliche Regelung im deutschsprachigen Raum ist das 1995 in Kraft getretene österreichische Gentechnikgesetz, dessen Abschnitt IV die Zulässigkeit gentherapeutischer und gendiagnostischer Maßnahmen am Menschen zum Gegenstand hat.54 In der Schweiz ist ein entsprechendes Gesetz (Bundesgesetz über genetischen Untersuchungen beim Menschen – GUMG) 2004 erlassen worden. Grundlage für dieses Gesetz ist Art. 119 der Schweizerischen Bundesverfassung, der 1992 im

___________ werden ein Gentest-Gesetz vorlegen, das auf den Prinzipien Freiwilligkeit, Diskriminierungsverbot, Datenhoheit der Patientinnen und Patienten, umfassende Aufklärung und Beratung sowie einem strikten Arztvorbehalt beruht. Die Nutzung der Ergebnisse wird lediglich für individuelle Therapien erlaubt.“, sowie unter VIII. Sicherheit, Toleranz und Demokratie – Moderne Gesellschaftspolitik: „Diskriminierung aufgrund der genetischen Konstitution gilt es zu verhindern und das Recht auf Nichtwissen sicherzustellen. Im Rahmen eines Gentest-Gesetzes werden wir gewährleisten, dass Versicherungen oder Arbeitgeber nicht auf genetische Daten zugreifen können.“ 49 Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf des Gesetzes zur Regelung der Analysen des menschlichen Erbgutes (Gentest-Gesetz), 2001. Abgedruckt in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 167 ff. – Dazu Goerdeler, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 128 ff. Vgl. nun auch Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, § 4 GenDG-E. 50 Antrag der CDU/CSU-Fraktion, „Anwendung von Gentests in Medizin und Versicherungen“, BT-Drs. 14/6640 vom 03.07.2001. 51 Antrag der CDU/CSU-Fraktion, „Gentests in Medizin, Arbeitsleben und Versicherungen“, BT-Drs. 15/543 vom 11.03.2003. 52 BR-Drs. 424/92 und 530/00. 53 Zu Nachweisen für spezialgesetzliche Regelungen in EU-Mitgliedsstaaten und den USA, vgl. z.B.: The European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission – Opinion on the ethical aspects of genetic testing in the workplace – Opinion No. 18. – 28. Juli. 2003. – Vgl. auch: Simon, Gendiagnostik und Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests (für den Bereich des Versicherungsrechts) und Pletke, Genomanalysen (für den Bereich des Arbeitsrechts). 54 Österreichisches BGBl. Nr. 510/1994, i.d.F. BGBl. I Nr. 73/1998, Nr. 127/2005.

44

Einleitung und Begriffsbestimmung

Rahmen einer Verfassungsänderung in die Bundesverfassung eingefügt wurde55 und spezielle Vorgaben für den Bereich der „Fortpflanzungsmedizin und der Gentechnologie im Humanbereich“ enthält. Auch auf internationalrechtlicher Ebene hat die mit dem Umgang mit genetischen Daten verbundene Problematik Eingang gefunden. Im November 1997 beschloss die Generalkonferenz der UNESCO-Mitgliedsstaaten die Allgemeine Erklärung (der UNESCO) über das menschliche Genom und Menschenrechte. Gemäß Art. 21 Abs. 1 der im Sommer 2000 verabschiedeten EU-Grundrechtscharta sind „Diskriminierungen insbesondere ... wegen der genetischen Merkmale“ verboten. Ein ähnliches Verbot findet sich auch in Art. 11 in dem von der Bundesrepublik allerdings (bisher) nicht ratifizierten56 Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin vom Juni 1990 (so genannte Bioethikkonvention), wonach „jede Form von Diskriminierung einer Person wegen ihres genetischen Erbes“ als unzulässig erklärt wird. Ausführlichere Regelungen trifft die Konvention darüber hinaus zum Schutz der Privatsphäre der getesteten Person, deren Art. 10 neben einem Recht auf Auskunft auch ausdrücklich ein Recht auf Nichtwissen vorsieht (Art. 10 Abs. 2 Satz 2 der Konvention).57

III. Problem der selektiven Problembehandlung Die Zahl der Regelungsvorschläge, mit denen auf die Entwicklungen im Bereich der Humangenetik reagiert werden soll, ist nahezu unüberschaubar.58 Nach dem hier vertretenen Ansatz weisen jedoch nahezu alle Lösungsansätze den Fehler auf, dass sie sich in ihrem Anwendungsbereich auf genetische Merkmale beschränken. Diese Beschränkung ist in zweierlei Hinsicht problematisch: Sie lässt den Bereich der Gendiagnostik als einzigartig erscheinen und verstellt den Blick auf vergleichbare Problemlagen in anderen Lebensbereichen. Dies leitet über zur Grundthese dieser Arbeit: Danach schafft der Umgang mit genetischen Daten nicht neue Rechtsprobleme, sondern lässt größtenteils Probleme offenkundig werden, die bereits im Umgang mit anderen Daten bekannt sind. Ziel der Arbeit ist es aufzuzeigen, dass sich die mit genetischen Daten verbundene Problematik vergleichbar auch bei anderen Merkmalen findet ___________ 55

Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7376). 56 Vgl. auch Taupitz/Brewe/Schelling, in: Taupitz, Menschenrechtsübereinkommen, S. 409 (409). 57 Zur Bioethikkonvention insgesamt vgl. etwa: Albers, EuR 2002, 801 ff.; Tinnefeld, DUD 1999, 317 ff. 58 Beispielhaft sei auf die Regelungsvorschläge auf S. 45 f. verwiesen. Siehe auch Kapitel 2 Abschnitt C.

A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

45

und genetischen Daten insoweit keine Sonderstellung zukommt. Damit ist nicht gesagt, dass die Gendiagnostik keinen Anlass gäbe, nach neuen rechtlichen Lösungen für die mit ihr verbundenen Probleme zu suchen.59 Entscheidend ist vielmehr, dass die auf Gene beschränkte Problemsicht den Blick für konsistente Lösungsansätze verstellt.

IV. Das Verbot genetischer Diskriminierung als Hauptuntersuchungsgegenstand Im Hinblick auf das Verbot genetischer Diskriminierung erscheint die Abwendung von genspezifischen Lösungsansätzen als besonders ergiebig und dringend. Die Behandlung der „Diskriminierungsproblematik“ soll daher den Schwerpunkt der Arbeit bilden.

1. Begriffliche Unklarheit: Was ist genetische Diskriminierung? Gerade die Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Frage, was überhaupt unter genetischer Diskriminierung zu verstehen ist, ergeben sich – nach der hier vertretenen Ansicht – bereits aus der Fragestellung. Die Verwirrung in diesem Punkt spiegelt sich in der Vielzahl von Regelungsvarianten, mit denen dem Problem der „genetischen Diskriminierung“ begegnet werden soll, und deren Begründungen wider.60 Beispiele für deutsche Regelungsvorschläge sind: – § 22 Abs. 4 des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (Arbeitsschutzrahmengesetz) vom 5.11.1993, BR-Drs. 792/93 (ArbSchRG-E) – § 2 des Gesetzentwurfs der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Regelung von Analysen des menschlichen Erbgutes (Gentest-Gesetz), (vom Mai 2001, Stand: 4.10.01, nicht in den Bundestag eingebracht.)61 – § 2 Abs. 2 der Vorschläge der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zur Sicherung der Selbstbestimmung bei genetischen Untersuchungen.62 ___________ 59 Zur Kritik an einer so verstandenen These vom genetischen Exzeptionalismus: Feuerlein, GID Nr. 164 (2004), S. 46 ff. 60 Vgl. Kapitel 2, Abschnitt C. 61 Abgedruckt in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 167 ff. 62 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, (Münster, 24.-26. Oktober 2001) – Anlage zur Entschließung gesetzliche Regelung von genetischen Untersuchungen – Abgedruckt in DuD 2002, 150 ff.

46

Einleitung und Begriffsbestimmung

Als Beispiele für ausländische Regelungen zu einem Verbot genetischer Diskriminierung seien genannt:63 – § 67 des österreichischen Gentechnik-Gesetzes (BGBl. Nr. 510/1994, i.d.F. BGBl. I Nr. 73/1998, Nr. 127/2005)64 – Art. 4 Schweizer Bundesgesetz über genetischen Untersuchungen beim Menschen (GUMG) – § 25 des estnischen Gesetzes über Humangenomforschung (vom 13.12.2000, in Kraft getreten 8.1.2001) Human Research Genes Act – keine Regelung zu einem Diskriminierungsverbot enthält das isländische Gesundheitsdatenbankgesetz (Act on a Health Sector Database no. 139/1998, 17.12.1998). Als Beispiele für Regelungen auf inter- bzw. supranationaler Ebene: – Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Dezember 2000) – Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und die Menschenrechte (November 1997) – Art. 11 der Bioethik-Konvention des Europarats. Zwar liegt damit eine Reihe von abstrakten Definitionen in Form von Regelungsvorschlägen für ein Verbot genetischer Diskriminierung vor. Jedoch fehlt es an einem Maßstab, anhand dessen zwischen gerechtfertigter Ungleichbehandlung und unzulässiger Diskriminierung unterschieden werden kann, also an einer genaueren Bestimmung dessen, welche Fälle konkret von dem Verbot genetischer Diskriminierung erfasst werden sollen. Abstrakte Definitionen allein helfen insofern nicht weiter, weil sie bestimmte Rechte lediglich postulieren, nicht jedoch in ihrer Rechtswirkung beschreiben. Allein eine Formulierung wie „Niemand darf aufgrund seiner genetischen Eigenschaften benachteiligt werden.“65 gibt nur unzureichende Vorgaben, wenn man die genaue Zielrichtung des Gesetzes nicht kennt. Es stellt sich eine Reihe von Anschlussfragen: Werden von dem Diskriminierungsverbot auch Manifestationen von Krankheiten und Eigenschaften erfasst? Warum ist die Regelung auf genetischen Veranlagungen beschränkt? Lässt sich der Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots – wie dies in einigen Regelungen geschieht66 – gerechtfertigterweise auf ___________ 63 Eine Übersicht zu US-amerikanischen Regelungen bietet Pletke, Genomanalysen, S. 82 ff. (Stand 1995). 64 Abgedruckt in Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 119 ff. 65 Ähnlich etwa Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und der Menschenrechte. – Zu den Auslegungsmöglichkeiten derartiger Regelungsvarianten vgl. S. 233 ff. 66 Vgl. S. 228 ff.

A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

47

bestimmte Untersuchungsmethoden beschränken? Was versteht man unter Benachteiligung, was unter Diskriminierung? Letzteres Problem wird insbesondere dann offenkundig, wenn die Definitionen lediglich genetische Diskriminierungen „ohne sachlichen Grund“ verbieten, ohne zu bestimmen, was denn sachliche Gründe zur Ungleichbehandlung sein sollen.67 Selbst bei bereits länger bestehenden Regelungen zum genetischen Diskriminierungsverbot – wie z. B. Art. 11 der Bioethikkonvention vom 4.4.1997 – hat sich offenbar noch kein klarer Begriff der genetischen Diskriminierung entwickelt.68 Mangels einer klaren Definition wurde in der Literatur daher versucht, sich an den Begriff der genetischen Diskriminierung durch die Untersuchung von Einzelfällen anzunähern, die als besonders schwerwiegend empfunden werden.69 Bekannt geworden ist insbesondere die empirische Studie der amerikanischen Ärzte und Humangenetiker Billings/Kohn/de Cuevas/Beckwith/Alper/Natowicz,70 in der anhand einer Sammlung von Einzelfällen die gesellschaftliche Relevanz genetischer Diskriminierung untersucht wurde und die sich wohl als eine der ersten auf diesem Gebiet bezeichnen lässt und auch in Deutschland Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden hat.71

2. Gleichheitsrechtliche Problematik Jedoch erschwert die selektive Problemwahrnehmung und -behandlung nicht nur die Bestimmung des Diskriminierungsbegriffs, sondern wirft auch gleichheitsrechtliche Probleme auf: Da in Deutschland die Vorschläge zur rechtlichen Verankerung eines Verbots genetischer Diskriminierung lediglich einfachgesetzliche Regelungen vorsehen und eine Verfassungsänderung – soweit ersichtlich – bisher nicht geplant ist,72 ist das Grundgesetz – und damit auch Art. 3 ___________ 67

Nationaler Ethikrat, Stellungnahme Biobanken (2004), S. 52. Dazu Schreiber, in: Taupitz, Menschenrechtsübereinkommen, S. 141 (142). 69 Vgl. etwa Perzinger, Die Zeit, 17.01.1997, Nr. 4, „Gentests für Jedermann: Die neue Diskriminierung“; Schöffski, Gendiagnostik, S. 114. – Zu Folgestudien: Geller u.a., Science and Engineering Ethics, vol. 2, (1996), 71 ff.; Lapham/Kozma/Weiss, Science 1996, vol. 274, 621 ff. – Zur Kritik siehe insbesondere: Hook, Am. J. Hum. Genet., vol. 51 (1992), 897 f., 899 ff. 70 Billings/Kohn/de Cuevas/Beckwith/Alper/Natowicz, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 ff. 71 Vgl. etwa Perzinger, Die Zeit, 17.01.1997, Nr. 4 „Gentests für Jedermann: Die neue Diskriminierung“; Schöffski, Gendiagnostik, S. 114. 72 Eine entsprechende Ergänzung des Art. 3 Abs. 3 GG wird nur vereinzelt gefordert, etwa Klees, Der gläserne Mensch, S. 60. Ein Beispiel für eine Verankerung im Grundrechtskatalog bietet allerdings die EU-Charta. Dort ist die Anknüpfung an genetische Merkmale in den Katalog der verbotenen Diskriminierungskriterien aufgenommen worden (Art. 21 Abs. 1 EU-Charta). 68

48

Einleitung und Begriffsbestimmung

Abs. 1 GG – Prüfungsmaßstab für das genetische Diskriminierungsverbot. Nach dem traditionellen Verständnis von Leibholz73 ist eine Regelung aber mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, wenn durch sie vergleichbare Personenkreise unterschiedlich behandelt werden und sich diese Ungleichbehandlung nicht durch einen sachlichen Grund rechtfertigen lässt.74 Dies gilt grundsätzlich auch für Gesetze im Privatrechtsbereich.75 Beispielhaft seien hier nur einige der Konstellationen dargestellt, die aus gleichheitsrechtlicher Sicht als problematisch erscheinen könnten: – Im Hinblick auf einfachgesetzliche Verbote genetischer Diskriminierung ist zum einen eine Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG darin zu sehen, dass ein auf genetische Merkmale oder Untersuchungen beschränktes Diskriminierungsverbot „genetisch Benachteiligten“ einen gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung gewährt, der Trägern anderer, nicht-genetischer Merkmale vorenthalten wird.76 – Des Weiteren könnten „genetisch Privilegierte“ geltend machen, dass ihnen – beispielsweise im Rahmen der Vertragsgestaltung – die Berufung auf ihre günstigen genetischen Veranlagungen verwehrt wird, während andere ihre günstigen nichtgenetisch bedingten Veranlagungen geltend machen können.77 Üblicherweise wird ein Versicherungsnehmer bemüht sein, seiner Versicherung günstige, in seiner Person liegende Umstände mitzuteilen, um in eine günstigere Prämienklasse gestuft zu werden.78 Im Falle eines Verbots genetischer Diskriminierung dürfte sich jedoch ein „genetisch privilegierter“ Versicherungsnehmer bei Abschluss eines Vertrages nicht auf seine „guten Gene“ – etwa auf seine genetisch bedingte AIDSResistenz79 oder seine erhöhte, genetisch bedingte Resistenz gegen Malaria80 – berufen. Demgegenüber dürfen Versicherungsnehmer mit günstigen nicht-genetischen Veranla-

___________ 73 Leibholz, Die Gleichheit vor dem Recht, 2. Aufl., S. 72 ff.; Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 19. 74 Für die Eingangsüberlegungen soll zunächst an dieser Definition des Gleichheitsverstoßes festgehalten werden. Später soll der Prüfung jedoch das von Huster dargestellte Eingriffsmodell zugrunde gelegt werden. Zur Abwandlung, die die Prüfungsstruktur dadurch bekommt, siehe S. 217 ff. 75 Zur Bindung des Privatgesetzgebers vgl. auch S. 196, Fn. 120. 76 Auf diese Problemlage weisen auch Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (207) hin. Ähnlich auch Kern, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 55 (58), Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 29, 30 f., 40 f., die letztlich jedoch – jedenfalls im Hinblick auf das Versicherungswesen – einen Diskriminierungsschutz insgesamt ablehnen. – Dagegen: Baumann, ZVersWiss 2002, S. 169 (184). 77 Für den Bereich des Versicherungsrechts etwa Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 149 ff. 78 Siehe dazu etwa Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 135 ff. 79 Schmidtke, Vererbung, S. 169; Bartram, in: Steiner, Genpool, S. 243 (246). 80 Eine solche Malariaresistenz wird beispielsweise bei Menschen angenommen, die heterozygote Träger des Sichelzellenanämie-Gens sind: Schöffski, Gendiagnostik, S. 35; Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (467).

A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

49

gungen – beispielsweise einer aktiven Immunisierung81 infolge einer überwundenen Viruserkrankung – diesen Umstand in die Vertragsgestaltung einbringen.

– Ebenso könnten „genetisch Privilegierte“ einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz geltend machen, indem sie auf die Nichtbeachtung genetischer Unterschiede im Vergleich zu „genetisch Benachteiligten“ verweisen. In diesem Fall würden sie – im Unterschied zur obigen Konstellation – nicht einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit „nicht-genetisch Begünstigten“, sondern einen Anspruch auf Ungleichbehandlung gegenüber „genetisch Benachteiligten“ einzuklagen versuchen.82 Ein Beamtenanwärter könnte beispielsweise im Rahmen einer Konkurrentenklage unter Hinweis auf seine günstigen genetischen Veranlagungen geltend machen, geeigneter im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG zu sein als sein sonst gleich qualifizierter Konkurrent, dessen Dienstfähigkeit jedoch nach der aufgrund seiner genetischen Veranlagung gestellten Prognose nicht bis zum Erreichen des Pensionsalters gewährleistet sein wird.83

3. Andere grundrechtliche Problemlagen Die grundrechtliche Problematik, die im Zuge der Einführung eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung aufgeworfen wird, ist vielschichtig und keineswegs auf gleichheitsrechtliche Fragestellungen beschränkt. Vielmehr ist eine Vielzahl von grundrechtsrelevanten Sachverhalten vorstellbar.84 So könnten etwa testinteressierte Dritte (z.B. Arbeitgeber, Versicherungen), denen die Kenntnis der genetischen Veranlagungen ihrer Vertragspartner besonders wichtig erscheint und denen die Möglichkeit der Nutzung genetischer Daten verwehrt wird, Eingriffe in ihre Vertrags- bzw. Berufsausübungsfreiheit geltend machen.85 ___________ 81

Siehe dazu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Schutzimpfung“. Inwieweit über Art. 3 Abs. 1 GG auch ein Anspruch auf Ungleichbehandlung geltend gemacht werden kann, ist umstritten. Vgl. nur Dreier-Heun, Art. 3, Rdnr. 24 m.w.N. – Nach dem Konzept von Huster könnte in diesem Fall allerdings ein Gerechtigkeitsverstoß darin gesehen werden, dass durch das gesetzliche Diskriminierungsverbot bezüglich genetischer Merkmale vom Gerechtigkeitsmaßstab der Eignung abgewichen wird, welcher rechtfertigungsbedürftig ist. In dieser Auslegung würde Art. 3 Abs. 1 GG dann faktisch einen grundsätzlichen Anspruch auf Ungleichbehandlung gewährleisten. – Siehe dazu Huster, Rechte, S. 233 m.w.N.: „Man kann daher sagen, das ein Eingriff in das Recht der Gleichbehandlung dann vorliegt, wenn in diesem Sinne wesentlich Gleiches ungleich bzw. wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird.“ 83 Zur verfassungsrechtlichen Bewertung der beamtenrechtlichen Eignungsprüfung: S. 432 f. 84 Siehe dazu etwa: Kluth, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 85 (96 ff.). 85 Zur Vielzahl möglicher Interessenten und möglicher Verwendungsbereiche vgl. S. 132 ff. 82

50

Einleitung und Begriffsbestimmung

Arbeitgeber könnten Eingriffe in ihre Vertrags- bzw. Berufsausübungsfreiheit möglicherweise mit Blick auf Einstellungsuntersuchungen geltend machen. Durch das Verbot der Verwendung genetischer Daten wird ihnen ein Instrument genommen, mit dem sie hoffen, Eignung und Krankheitsanfälligkeit ihrer Bewerber effektiver ermitteln zu können. Gerade auch von Seiten der Versicherungswirtschaft werden erhebliche Bedenken gegen ein Verbot genetischer Diskriminierung erhoben.86 Da Versicherungen seit jeher Wahrscheinlichkeitsdaten bei der Prämienkalkulation verwenden, wird genetischen Daten insofern ein Sonderstatus abgesprochen und ein Verbot der Verwendung speziell genetischer Wahrscheinlichkeitsdaten als willkürlich aufgefasst.

Die Beeinträchtigung anderer Grundrechte soll hier jedoch nur angedeutet werden. Eine Beschränkung auf eine gleichheitsrechtliche Prüfung erscheint angezeigt, weil damit die für das Verständnis eines genetischen Diskriminierungsverbots grundlegenden Gedanken erarbeitet werden, die erst eine ausgewogene Beurteilung anderer Grundrechtsbeeinträchtigungen ermöglichen. Ohne sich vergleichbarer Fälle bewusst zu sein, kann etwa die Frage des milderen Mittels gleicher Wirkung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht befriedigend beurteilt werden.87 Damit ist nicht in Abrede gestellt, dass die Freiheitsrechte insofern zusätzliche, über die des Art. 3 Abs. 1 GG hinausgehende Anforderungen stellen können. Die Bearbeitung dieser spezialgrundrechtlichen Vorgaben soll im Rahmen dieser Arbeit aber nicht mehr erfolgen.

V. Gleichheitssatz als Prüfungsmaßstab und Rechtserkenntnisquelle Um die These zu belegen, dass genetischen Daten grundsätzlich keine besondere rechtliche Qualität zukommt, erscheint angesichts der Komplexität des Problems genetischer Diskriminierung eine gleichheitsrechtliche Prüfung als besonders gewinnbringend. Art. 3 Abs. 1 GG kann dabei nicht nur als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab genutzt werden, sondern auch als Rechtserkenntnisquelle.88 So können die gleichheitsrechtlichen Erwägungen auch Grundlage für die Bestimmung des Gewährleistungsumfangs des Rechts auf Achtung der Individualität sein, welches im Kapitel 3 zu untersuchen sein wird. Insbesondere im Hinblick auf die konstruktive Erarbeitung grundrechtsdogmatischer Alternativkonzepte ist es vorprägend, welchen Zuschnitt ein Diskriminierungsverbot denn in gleichheitsrechtlicher Sicht gerechtfertigterweise haben darf: Welcher qualitative Unterschied besteht zwischen der Behandlung ___________ 86

Siehe auch S. 435 f. Michael, Gleichheitssatz als Methodennorm, S. 262 ff. 88 Vgl. Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 269 ff.; Michael, Gleichheitssatz als Methodennorm, S. 125 ff. 87

A. Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

51

des Einzelnen aufgrund von Manifestationen gegenüber der aufgrund von Veranlagungen? Kann die verfassungsrechtliche Gewährleistung speziell auf genetische Merkmale beschränkt sein? Oder erfasst sie auch nicht-genetische Anlagen? Fallen alle Eigenschaftsindikatoren (also auch Umfeldfaktoren, wie das soziale Umfeld) in den Anwendungsbereich des Rechts? Hat die Untersuchungsmethode oder der Untersuchungszweck Auswirkungen auf die Bewertung der Eingriffsintensität? Werfen prädiktive Untersuchungen besondere verfassungsrechtlich relevante Probleme auf? Und wenn ja: Worin bestehen diese Besonderheiten? Die genaue Analyse der verschiedenen Regelungsvarianten und der sie tragenden Begründungen leistet somit eine wertvolle Vorarbeit für Konkretisierungen persönlichkeitsrechtlicher Gewährleistungen, anhand derer die beim Umgang mit genetischen Daten offenkundig werdenden Problemaspekte zweckmäßiger und dogmatisch klarer behandelt werden können. In der gleichheitsrechtlichen Prüfung können nämlich Argumentationslinien herausgearbeitet werden, die die gesetzgeberische Tätigkeit oder die gesellschaftliche Diskussion ausgelöst haben. Sofern diese nicht auf den Bereich der Gendiagnostik beschränkt sind, führt ihre konsistente Umsetzung dann zu widerspruchsfreien und damit zu gesellschaftlich tragfähigeren Lösungen. Die gleichheitsrechtliche Prüfung ermöglicht es damit nicht nur, verfassungsrechtliche Vorgaben für eine einfachgesetzliche Regelung eines Verbots genetischer Diskriminierung zu erarbeiten, sondern stellt gleichzeitig auch die notwendige Vorarbeit für eine konsistente verfassungsrechtliche Verarbeitung des „Diskriminierungsproblems“ dar.

VI. Aufbau der Arbeit Wie bereits eingangs erwähnt, bildet die rechtliche Verarbeitung des Begriffs der genetischen Diskriminierung den Schwerpunkt der Arbeit. Daran ist auch der Aufbau der Arbeit ausgerichtet: – Um beurteilen zu können, inwieweit der Umgang mit genetischen Daten eine gesonderte rechtliche Behandlung rechtfertigt oder erforderlich macht, ist es zunächst notwendig, die Charakteristika genetischer Daten zusammenzustellen. Dies wird im ersten Kapitel dieser Arbeit geschehen. – Darauf aufbauend wird dann im zweiten Kapitel untersucht, inwieweit ein einfachgesetzliches Verbot genetischer Diskriminierung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs.1 GG vereinbar ist. Nur soweit sich die Charakteristika genetischer Daten auch als Besonderheiten darstellen, die sie von anderen Daten unterscheiden, erscheint ein privilegierender Diskriminierungsschutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund genetischer Veranlagungen gerechtfertigt.

52

Einleitung und Begriffsbestimmung

– Diese Überlegungen sind die Grundlage für die Darstellungen in Kapitel 3: Aufbauend auf den Ergebnissen des zweiten Kapitels und den ihnen zugrunde liegenden Begründungen, wird das Recht auf Achtung der Individualität als neue Ausprägung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit vorgestellt. In Kapitel 3 wird jedoch der Themenbereich über die Frage der rechtlichen Verarbeitung der Diskriminierungsproblematik hinaus ausgeweitet. So werden neben dem Recht auf Achtung der Individualität auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung behandelt. Dies ermöglicht es, auch Charakteristika genetischer Daten und Proben aufzugreifen, die im Rahmen der Diskriminierungsproblematik letztlich keine rechtliche Relevanz haben. Damit soll gezeigt werden, dass die Nichtberücksichtigung dieser Charakteristika im Rahmen des Rechts auf Achtung der Individualität nicht zu einer Nichtberücksichtigung der damit verbundenen Problemlagen im (Verfassungs-)Recht insgesamt führt. Insbesondere zur Veranschaulichung von verfassungsrechtlichen Gewährleistungen werden dabei immer wieder in Literatur und Presse diskutierte Einzelfälle aufgegriffen. Zunächst werden jedoch die in dieser Arbeit verwendeten, im Wesentlichen statistischen Begrifflichkeiten erläutert. Die vorgezogene Behandlung dieser Begriffe ermöglicht es, ein Vorverständnis zu schaffen, das die Nachvollziehbarkeit des hier vertretenen Standpunkts erleichtern soll.

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten Zur Kategorisierung von Daten89 werden zwei grundlegende Unterscheidungen vorgenommen werden:90 Zum einen die Unterscheidung zwischen perso___________ 89 Unter Daten versteht man durch Zeichenfolgen fixierte oder zur Fixierung bestimmte Informationen (Steinmüller u.a., BT-Drs. 6/3826, S. 43; Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Daten“). Der Begriff der Information hingegen umfasst jede Wiedergabe und Aufnahme von Sachverhalten und Sachverhaltskomplexen. Im Unterschied zum syntaktischen Begriff des Datums lässt sich mit dem Informationsbegriff insbesondere auch der situative Kontext erfassen, in dem Daten verwendet werden (Steinmüller u.a., BT-Drs. 6/3826, S. 43). Steinmüller u.a. verweisen in diesem Zusammenhang auf die pragmatische Kommunikationsebene – „Information für wen?“. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein und dasselbe Datum in verschiedenen Situationen unterschiedliche Bedeutung bekommen kann. So kann es etwa einen ganz erheblichen Unterschied ausmachen, ob der Einzelne seinen Arzt oder seinen Arbeitgeber über seine Krankheitsgeschichte unterrichtet. – Zur Abgrenzung der Begriffe der Information und des Datums: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 67 f. m.w.N. 90 Die nun folgenden Begriffsbestimmungen erfolgen teilweise in Anlehnung an die von Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 54 ff. verwendete Terminologie, teilweise wird von ihr abgewichen. Der Grund dafür ist der Umstand, dass die Ter-

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

53

nenbezogenen und sachbezogenen Daten, zum anderen die zwischen statistischen Informationen und Einzelinformationen. Auf diesen Differenzierungen aufbauend sollen die zentralen Begriffe der Manifestation und des Eigenschaftsindikators definiert werden. In der Gruppe der Eigenschaftsindikatoren lassen sich wiederum Anlagen und Umfeldfaktoren unterscheiden. Einen Überblick über die vorgenommene Kategorisierung bietet folgende Abbildung: Personenbezogene Daten

Sachbezogene Daten

Gruppeninformation

Individualinformation

= personenbezogene statistische Information

= personenbezogene Einzelinformation

Eigenschaftsindikator

Merkmal

Manifestation

(als statistisches Bezugskriterium)

Sonderfall: Kausalfaktor

Anlagen

Umfeldfaktoren

= endogene Faktoren

= exogene Faktoren

körperlich

Gen

außerkörperlich

Infektionen Blutwerte

Präkanzerosen

Erkrankung

virusbedingte Anlagen

Zahlungsfähigkeit

Berufliche Eignung

genetische Veranlagungen

Kaufverhalten

Soziales Umfeld

WohnUmfeld

Herkunft

Straftaten biografisch geographisch Nährstoffmangelerscheinungen klimatisch

sozial kulturell

Abb. 2: Mögliche Kategorisierung von Informationen

___________ minologie auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zugeschnitten ist und sich auf den hier behandelten Rechtsbereich nicht ohne Weiteres übertragen lässt.

54

Einleitung und Begriffsbestimmung

I. Personen- und Sachinformationen Als grundlegende Unterscheidung im Datenschutzrecht stellt sich die Differenzierung zwischen personen- und sachbezogenen Daten dar. Informationen können sich auf Personen und/oder Sachverhalte beziehen.91 Ob eine Aussage einen Personen- oder Sachbezug aufweist, entscheidet sich danach, ob die Aussage Eigenschaften einer Person oder eines Sachverhaltes bezeichnet.92 Der Begriff der personenbezogenen Daten hat im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zentrale Bedeutung gewonnen. Nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 BDSG sind personenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person. Teilweise werden aber an den Personenbezug einer rechtlichen Regelung und nicht an den einer Aussage Rechtsfolgen geknüpft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind bei rechtlichen Regelungen, die einen besonderen Personenbezug aufweisen, besondere verfassungsrechtliche Anforderungen zu stellen.93 Der Gesichtspunkt des Personenbezugs der Regelung wird etwa im Zusammenhang der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG herausgestellt. Dort werden an die Rechtfertigungen von Regelungen mit Personenbezug besonders hohe Anforderungen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gestellt.94 Des Weiteren gewinnt der Personenbezug einer Regelung im Rahmen der Drei-Stufen-Theorie des Art. 12 GG an Bedeutung: Hier werden die (sachbezogenen) Berufsausübungsregelungen geringeren Rechtfertigungsanforderungen unterworfen als die subjektiven Zulassungsbeschränkungen.95 Die Beantwortung der Frage, ob rechtliche Regelungen einen Personen- oder einen Sachbezug aufweisen, kann dabei mitunter problematischer als die Feststellung des Personenbezugs einer Aussage erscheinen. Hierauf wird später noch einzugehen sein.96

___________ 91

Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 54. Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 54. Eingehend zu Abgrenzungsproblemen: Simitis-Dammann, BDSG, § 3, Rdnr. 56 f. 93 Anhand der Beispiele wird deutlich, dass das BVerfG im Hinblick auf den Personenbezug durchaus gegenläufige Wertungen vornimmt: Eingriffe in den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG werden als besonders schwerwiegend gewertet, wenn sie einen Personenbezug aufweisen, solche in Art. 12 Abs. 1 GG, wenn sie – im Falle von objektiven Zulassungsbeschränkungen – gerade keinen Personenbezug aufweisen. 94 Siehe dazu S. 419. 95 Siehe dazu S. 421. 96 Siehe S. 400 ff. 92

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

55

II. Gruppen- und Individualinformation Eine zweite grundlegende Unterscheidung ist die zwischen statistischen und Einzelinformationen. Dementsprechend kann innerhalb der Gruppe der personenbezogenen Daten zwischen Individualinformationen und Gruppeninformationen unterschieden werden. Individualinformationen97 werden als personenbezogene Einzelinformationen98 („Hans Müller ist am 19.05.1954 geboren.“), Gruppeninformationen99 als personenbezogene statistische Informationen definiert („Die Fußballspieler des XY-Vereins sind durchschnittlich 25 Jahre alt.“).

1. Begriff der Statistik Unter Statistik100 ist ein Verfahren zu verstehen, Massenerscheinungen zu erfassen, nach Merkmalen auszuzählen, zu gruppieren und die Ergebnisse auszuwerten.101 Ihr Ziel ist es, Regeln für das Verhalten einer großen Anzahl gleichartiger Dinge oder Vorgänge zu ermitteln, welches im Einzelfall regellos verläuft.102 Sie beruht auf dem „Gesetz der großen Zahl“: Aus vielen Einzelwerten werden Durchschnittsergebnisse gewonnen, aus denen Wahrscheinlichkeitsaussagen abgeleitet werden können, welche umso genauer werden, je umfangreicher die dazu durchgeführten Erhebungen sind.103 Statistik ist somit als induktive Methode104 zu begreifen: Der Erkenntnisgewinn vollzieht sich vom Besonderen zum Allgemeinen. Als wohl älteste Erscheinungsform der Statistik lässt sich die deskriptive oder beschreibende Statistik bezeichnen. Sie lässt sich als eine Organisationslehre zur Technik des Datensammelns und -verarbeitens verstehen und beschränkt sich zunächst einmal nur auf die rein zahlenmäßige Erfassung von Personen und/oder Sachverhalten.105 Mit ihr sollen bestimmte Vorgänge lediglich ___________ 97 Dieser Begriff wird in Abweichung von der Terminologie bei Steinmüller u.a. verwendet. Dort wird der Begriff nicht auf personenbezogene Einzelinformationen beschränkt, sondern beinhaltet als Rechtsbegriff auch die Gruppeninformationen – Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 56. 98 Eingehender dazu siehe unten, S. 59 ff. 99 Auch dieser Begriff wird in Abweichung von Steinmüller u.a. verwendet. Siehe dazu unten, S. 60 f. 100 lat.: Status, Zustand – Zur Begriffsentstehung: Bohley, Statistik, S. 2; Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Statistik“. 101 Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Statistik“. 102 Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Statistik“. 103 Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Statistik“; Schlittgen, Einführung in die Statistik, S. 66; Bohley, Statistik, S. 306; Lothar Sachs, Angewandte Statistik, S. 70. 104 Bortz, Statistik, S. 5. 105 Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Statistik“.

56

Einleitung und Begriffsbestimmung

beschrieben werden, ohne dass dadurch unmittelbar Vorgänge – etwa anhand von statistischen Hypothesen106 – erklärt werden.107 Da zwischen den in Beziehung gesetzten Merkmalen keine Korrelation besteht, haben deskriptivstatistische Aussagen keinen Typisierungswert.108 Die Korrelationsstatistik (auch analytische oder Interferenz-(schließende) Statistik)109 geht über das rein zahlenmäßige Erfassen von Sachverhalten hinaus. Sie dient der Aufdeckung und Beschreibung von Zusammenhängen zwischen zwei oder mehreren Merkmalen anhand von theoretischen Erklärungsansätzen.110 Unter Korrelation versteht man dabei das wechselseitige Aufeinanderbezogensein von zwei Begriffen oder Dingen.111 Ziel der Korrelationsstatistik ist es, den Bezug zweier Merkmale oder Umstände nach dem Verfahren der Wahrscheinlichkeitsrechnung durch Häufigkeitskurven zu ermitteln. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung ist wiederum ein Gebiet der angewandten Mathematik, welche Gesetzmäßigkeiten von zufälligen Ereignissen untersucht. Der zentrale Begriff der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist die statistische Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses.112

2. Begriff der Kausalität Allerdings sagt ein korrelationsstatistischer Zusammenhang zwischen zwei Variablen noch nichts darüber aus, ob eine der beiden Variablen die andere kausal beeinflusst.113 Daher ist vom Begriff der Korrelation der der Kausalität abzugrenzen. Als Kausalität wird das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung verstanden. Sie beruht auf dem Satz, dass jede Veränderung eine Ursache hat.114 Im strengen wissenschaftstheoretischen Sinne ist Kausalität dabei nicht beweisbar. Nachweisbar ist nur, dass zwei Ereignisse nach bisheriger Erfahrung aufeinander folgen, nicht aber, dass diese Ereignisse notwendigerweise aufein-

___________ 106

Gabler, Wirtschaftslexikon, Stichwort „Statistik“. Bortz, Statistik, S. 1. 108 Bortz, Statistik, S. 1. 109 Gabler, Wirtschaftslexikon, Stichwort „Korrelation“; Bortz, Statistik, S. 1. 110 Bortz, Statistik, S. 2 ff.; Gabler, Wirtschaftslexikon, Stichwort „Korrelation“; Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Korrelation“. 111 Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Korrelation“. 112 Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Statistik“; Gabler, Wirtschaftslexikon, Stichwort „Statistik“. 113 Bortz, Statistik, S. 214 f., 288 f. 114 Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Kausalität“. 107

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

57

ander folgen. Sofern der Begriff Kausalität verwendet wird, kann er daher nur in einem rein forschungspragmatischen Sinne verstanden werden.115 Eine mögliche pragmatische Definition von Kausalität besteht aus folgenden drei Kriterien:116 – Eindeutigkeit der zeitlichen Beeinflussungsrichtung: Der Wirkungszusammenhang zwischen zwei Variablen lässt sich theoretisch belegen. Zumindest muss die unabhängige Variable X der Zielvariablen Y zeitlich vorangehen. – Nachweisbarkeit einer Korrelation: Die zunächst auf der theoretischen Ebene vermutete Abhängigkeit muss empirisch nachweisbar sein, d.h. zwischen beiden Variablen muss ein deutlicher statistischer Zusammenhang bestehen, der durch ein entsprechendes „Assoziationsmaß“ nachweisbar ist. Dabei wird kein perfekter Zusammenhang vorausgesetzt, da die Zielvariable Y neben X auch durch andere unabhängige Variablen beeinflusst werden kann. – Weitgehender Ausschluss von Alternativhypothesen zur Verursachung: Der beobachtete statistische Zusammenhang zwischen X und Y bleibt auch dann bestehen, wenn man mögliche Drittvariablen-Effekte in einer „multivarianten Analyse“ kontrolliert. Zur Rechtfertigung der besonderen rechtlichen Qualität genetischer Daten wird häufig angeführt, dass bei genetischen Veranlagungen nur Korrelationen, nicht aber Kausalitäten nachgewiesen seien, womit eine besondere Bedeutung von Kausalfaktoren suggeriert wird.117 Jedoch erscheint es als gerechtfertigt, Kausalitäten und Korrelationen grundsätzlich der gleichen rechtlichen Bewertung zu unterwerfen. Dies lässt sich damit begründen, dass an die Ermittlung ___________ 115

Dazu m.w.N.: Bortz, Statistik, S. 288. Rothman, Epidemiology, S. 18 f.; Holtzman, Caution, S. 27 f.: „We can use a different set of „postulates“ to determine whether risk factors contribute to the causation of disease. (1) The factor should be present in a higher proportion of those with the disease than those without it (relative risk), controlling for confounding factors. (2) Its presence should precede the appearance of disease. Although an allele responsible for a disease will always be present before the manifestation of a disease, evidence of its presence may not be available early on. Establishing antecedent exposure to an environmental agent also may be difficult. (3) A dose-response relationship, whereby the probability of disease increases with the amount of the agent to which the person was exposed, or when the disease occurs only above a threshold dose, also strengthens the association. This will often be the case for environmental agents and in genetically determined encyme deficiencies in which intolerance increases with the dose of the offending substance. A different relationship can be observed depending on the dosage of diseaserelated alleles; the disease that occors in the presence of two doses of a single allele will often be more severe and different in its manifestations from the disease – if any – that occurs in the presence of one dose. (4) There should be a biologically plausible explanation for the relationship, and evidence to support it, such as histopathologic or biochemical changes. (5) The findings should be reproducible.“ 117 Eingehender dazu S. 345 ff. 116

58

Einleitung und Begriffsbestimmung

von Kausalitäten und Korrelationen die gleichen empirischen Anforderungen gestellt werden. Weil der Nachweis eines statistisch-empirischen Zusammenhangs Grundvoraussetzung für die Begründung von Kausalzusammenhängen ist, lassen sich naturwissenschaftliche Kausalgesetze schon per definitionem auf statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen zurückführen.118 Kausalitätsaussagen unterscheiden sich insofern von korrelationsstatistischen Aussagen (lediglich) dadurch, dass sie darüber hinaus auch auf naturwissenschaftlich-theoretischem Wege als Wirkungszusammenhänge gedeutet werden. Vor diesem Hintergrund lassen sie sich zwar als korrelationsstatistische Aussagen mit einer besonderen naturwissenschaftlichen Bewertung verstehen, nicht jedoch notwendigerweise als solche mit einer besonderen Aussagegenauigkeit begreifen. Insbesondere erlauben Kausalitäten grundsätzlich keine genaueren Prognosen als Korrelationen. Sie unterliegen angesichts des komplizierten Zusammenspiels synergetischer und antagonistischer Wirkkräfte und der Bedeutung des Zufalls denselben prognostischen Aussageunsicherheiten wie Korrelationen.119 Die Ermittlung von Korrelationen hat Bedeutung in einer Vielzahl von Wissenschaftsbereichen. In der Biologie, Soziologie, Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften haben sich spezielle statistische Disziplinen, wie die Biometrie, Soziometrie, Psychometrie und die Ökonometrie, entwickelt.120 Im Unterschied zur klassischen Pathologie begnügt sich die medizinische Epidemiologie von vornherein mit der Aufdeckung statistischer Zusammenhänge, um Umstände zum Gegenstand der Untersuchungen nehmen zu können, die für die letzten, eigentlichen Krankheitsursachen gehalten werden.121 Nicht zuletzt die Humangenetik ist ganz überwiegend auf die Ermittlung korrelationsstatistischer Zusammenhänge beschränkt. Dementsprechend werden auch vom Begriff der genetischen Veranlagung überwiegend nur Zusammenhänge erfasst, für die tatsächlich vorliegende naturwissenschaftliche Kausalzusammenhänge nicht nachweisbar sind.122

Grundsätzlich sind dementsprechend auch Kausalfaktoren und Eigenschaftsindikatoren rechtlich in der gleichen Weise zu bewerten.123 Relevanz hat die Qualifizierung als Kausalfaktor nur im Zusammenhang mit Rechtsgebieten, die Kausalitätsnachweise ausdrücklich erfordern, z.B. im Haftungsrecht.124

___________ 118

Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 67, Fn. 51 m.w.N. Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 67. 120 Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Statistik“. 121 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 75. 122 Nachweise dazu S. 71, Fn. 523. 123 Zur Unerheblichkeit der Kausalität bei der Bestimmung der Genauigkeit einer Aussage siehe auch S. 345 f. 124 In der später durchgeführten Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung soll dies im Einzelnen nachgewiesen werden. – Dazu S. S. 345 ff. 119

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

59

3. Begriff der Individualinformation Im Unterschied zu statistischen Informationen beziehen sich Einzelinformationen auf bestimmte (konkrete) Personen oder Sachverhalte. Personenbezogene Einzelinformationen werden im Folgenden als Individualinformationen bezeichnet.125 Für den hier interessierenden Bereich ist die Feststellung wichtig, dass nur Aussagen über das konkrete Vorliegen von Merkmalen („Person XY hat das Gen A.“) oder das Vorliegen manifester Eigenschaften („Person XY ist krank.“) Einzelaussagen darstellen können, nicht jedoch solche Aussagen, die einen (statistischen) Zusammenhang zwischen einem Merkmal und dem Vorliegen einer Eigenschaft herstellen („Person XY hat eine genetische Veranlagung zu der Krankheit Z.“). Der Begriff der Individualinformation erfasst damit nicht (statistische) Gruppeninformationen. Insofern ergibt sich ein Unterschied zum datenschutzrechtlichen Begriff des personenbezogenen Datums, der neben Individualinformationen auch Gruppeninformationen erfasst.126 Für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigt sich dieser begriffliche Zuschnitt mit seinem spezifischen Schutzzweck, der darin besteht, eine unkontrollierte datenmäßige Erfassung des Einzelnen zu verhindern. Dies führt dazu, insbesondere auch Gruppeninformationen in den Regelungsbereich des Rechts mit einzubeziehen, weil diese Informationen häufig – ebenso wie Individualdaten – für die systematische Erfassung von Personen bis hin zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen genutzt werden und diffamierende Wirkung haben können.127 Die begriffliche Trennung dieser beiden Informationsarten ermöglicht eine differenziertere rechtliche Betrachtung. Wie sich später erweisen wird, ist die Unterscheidung zwischen Gruppen- und Individualinformationen beim Recht auf Achtung der Individualität sogar schutzbereichsdefinierend. Dort liegt die Beeinträchtigung gerade in dem Umstand, dass der Einzelne anhand von Gruppenin-

___________ 125 Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 55. Synonym mit dem Begriff der Einzelinformation verwenden Steinmüller u.a. den Begriff „individuelle Information“. Da er insofern nicht hinsichtlich des Datenbezugs unterscheidet, lassen sich danach sachbezogene Einzelinformationen auch als individuelle Sachinformationen bezeichnen. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff der Individualinformation als personenbezogene Einzelinformationen definiert. Um Verwechslungen mit dem Begriff der Individualinformation zu vermeiden, wird der Ausdruck „individuelle Informationen“ in dieser Arbeit nicht übernommen. 126 Siehe dazu S. 458 f. 127 Zum Gruppendatenschutz siehe auch Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 92.

60

Einleitung und Begriffsbestimmung

formationen behandelt wird.128 Die Behandlung des Einzelnen aufgrund von Individualinformationen erscheint demgegenüber grundsätzlich als gerechtfertigt. Wenn ein Bauunternehmer eine Bauarbeiterin unter Hinweis auf ihr Geschlecht ablehnt, obwohl sie körperlich für den Beruf geeignet ist, behandelt er sie aufgrund einer Gruppeninformation („Frauen sind für Arbeit im Baugewerbe körperlich nicht geeignet.“). Sofern eine Bewerberin jedoch aufgrund ihrer tatsächlichen körperlichen Untauglichkeit abgelehnt werden sollte, behandelt der Arbeitgeber sie aufgrund einer Individualinformation („Frau C ist für die Arbeit auf dem Bau nicht geeignet.“).

4. Begriff der Gruppeninformation Statistische Informationen bezeichnen Relationen und Eigenschaften von Personen- und Sachverhaltsmehrheiten.129 Gruppeninformationen werden für die Zwecke dieser Arbeit definiert als personenbezogene Informationen auf statistischer Grundlage.130 Ein Beispiel für eine Gruppeninformation ist die Aussage: „80% aller Träger des Gens A erkranken bis zum 50. Lebensjahr an Krebs.“ Auf den ersten Blick scheint sich ein ähnlicher Bedeutungsinhalt auch durch eine sachbezogene statistische Aussage ausdrücken zu lassen, etwa: „Das Gen A verursacht zu 80% Krebs.“ Da sich die Aussage auf ein Gen bezieht, erscheint sie als sachbezogen. Ihr Personenbezug ergibt sich jedoch aus der Überlegung, dass solche Aussagen aber auf statistischen Erhebungen bei Personen beruhen, die das betreffende Merkmal aufweisen, welches dann mit einer anderen personenbezogenen Eigenschaft in Verbindung gesetzt wird. Im Folgenden sollen also derartige Aussagen als personenbezogene statistische Informationen (Gruppeninformationen) begriffen werden.

___________ 128

Siehe dazu S. 61. Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 55. 130 Auch Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 55. Steinmüller u.a. unterscheiden aber auch bei Gruppeninformationen zwischen statistischen und Einzelinformationen. Eine statistische Gruppeninformation trifft eine statistische Aussage über die Gruppe als Gesamtheit (z.B. „Fast alle Parteien sind korrupt.“); eine individuelle Gruppeninformation bezeichnet eine einzelne Personengruppe (z.B. „Die XY-Partei ist korrupt.“). Diese Begriffsbildung dürfte sich über den Umstand erklären lassen, dass der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch Informationen über Personenmehrheiten, beispielsweise über schutzbedürftige Minderheiten, erfasst. Der Grundrechtsschutz wird also auch dann ausgelöst, wenn der Einzelne als Gruppenmitglied datenmäßig erfasst wird. Da insofern die Gruppe auch als datenschutzrechtsrelevante Einheit gesehen wird, kann dementsprechend auch von individuellen und statistischen (also mehrere Gruppen betreffende) Gruppeninformationen gesprochen werden. 129

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

61

5. Aktualisierung und Individualisierbarkeit von Gruppeninformationen Eine zentrale Problemstellung dieser Arbeit ergibt sich, wenn Einzelpersonen statistischen Bezugsgruppen zugeordnet werden, um auf diese Weise Aussagen über deren individuelle Eigenschaften treffen zu können. Eine solche Zuweisung von Gruppeneigenschaften ist erforderlich, wenn statistische Ergebnisse im Einzelfall nutzbar gemacht werden sollen: Die abstrakte statistische Aussage wird damit für den Einzelfall „vergegenwärtigt“ – „aktualisiert“. Unter Aktualisierung einer Gruppeninformation wird dementsprechend die Feststellung der Gruppenzugehörigkeit – also die Feststellung über das Vorliegen des jeweiligen statistischen Bezugskriteriums bei einer Einzelperson – verstanden werden. Die Aussage über eine solche Zuweisung wird im Folgenden als aktualisierte Gruppeninformation bezeichnet werden. Diese setzt sich aus zwei Aussagegehalten zusammen: Der (Individual-)Information über die Gruppenzugehörigkeit und der (statistischen) Information über die Gruppeneigenschaften.131 Das Wissen, dass 80% aller Träger des Gens A bis zum 50. Lebensjahr an Krebs erkranken (Gruppeninformation), hilft dem Arbeitgeber, der Mehrkosten aufgrund einer höheren Erkrankungsrate vermeiden will, zunächst einmal nicht weiter. Erst die Information, dass ein bestimmter Stellenbewerber dieses Gen aufweist (Information über die Gruppenzugehörigkeit), ermöglicht ihm eine dementsprechende Vorauswahl bei der Einstellung neuer Mitarbeiter.

Durch die Aktualisierung von Gruppeninformationen werden Gruppenmitgliedern typische Gruppeneigenschaften zugewiesen, obwohl deren Vorliegen grundsätzlich132 nicht im Einzelfall nachgewiesen sind. Nachgewiesen ist nur die Gruppenmitgliedschaft, nicht jedoch, ob die typischen Gruppeneigenschaften auch auf den Einzelnen zutreffen. Rechtlich unproblematisch ist eine Verwendung von Gruppeninformationen beim Einzelnen nur dann, wenn sie individualisierbar sind. Eine statistische Aussage ist nur dann individualisierbar, wenn die in ihr in Bezug genommene entscheidungserhebliche Eigenschaft eindeutig einer Einzelperson zugewiesen werden kann. In diesen Fällen ist zur Individualisierung lediglich die Information der Gruppenzugehörigkeit der jeweiligen Person erforderlich. Wenn aber nur ein bestimmter Anteil der statistischen Bezugsgruppe diese Eigenschaft aufweist, ist eine Individualisierung nicht möglich, weil unklar bleibt, wer aus der Bezugsgruppe die betreffende Eigenschaft tatsächlich aufweist.133 ___________ 131

Siehe Abbildung auf S. 70. Eine Ausnahme bilden insofern nur die individualisierbaren Gruppeninformationen, welche im nächsten Abschnitt behandelt werden. 133 Auch Steinmüller u.a. greifen diesen Aspekt auf (Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 55): Sie unterscheiden bei Gruppeninformationen zwischen Informationen, die ohne, und solchen, die nur mit Zusatzinformationen auf Einzelpersonen rückführbar sind. Unter Gruppeninformationen, die ohne Zusatzinformationen auf Individuen rück132

62

Einleitung und Begriffsbestimmung

Die Aussage „Alle Hooligans des Fanclubs XY sind gewaltbereit“ ermöglicht individualisierte Aussagen, sobald die Gruppenzugehörigkeit festgestellt ist. Die Aussage „80% aller Hooligans des Fanclubs XY sind gewaltbereit“ erlaubt hingegen keine Aussage über die Gewaltbereitschaft eines einzelnen Fanclubmitgliedes.

Insofern lässt sich die Individualisierung als eine besondere Form der Aktualisierung von Gruppeninformationen verstehen. Gegenüber (nur) aktualisierbaren Aussagen ermöglichen individualisierte Gruppeninformationen Einzelaussagen über eine Person (Individualinformationen). Statistische Aussagen über die zukünftige Entwicklung von Eigenschaften sind nicht individualisierbar, weil deren Manifestation nur prognostiziert, nicht jedoch nachgewiesen werden kann. Der Nachweis, dass alle Gruppenmitglieder eine bestimmte Eigenschaft aufweisen, ist nur für gegenwärtig bereits manifeste Eigenschaften möglich. Selbst wenn bisher alle Träger der genetischen Veranlagung für die HuntingtonKrankheit auch erkrankten, bedeutet dies nicht, dass dies zukünftig so bleiben muss. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Heilmittel gegen diese Krankheit gefunden wird, mit der Folge, dass künftig nicht mehr alle Träger dieses Gens erkranken.

III. Manifestation und Eigenschaftsindikator Im Folgenden sollen die Begriffe der Manifestation und des Eigenschaftsindikators als Rechtsbegriffe eingeführt werden. Sie werden in dieser Arbeit als begriffliche Gegenpole verwendet: Der Umstand, dass Eigenschaftsindikatoren mit der Manifestation von Eigenschaften in Beziehung gesetzt werden, stellt eine besondere semantische Konnexität zwischen den beiden Begriffen her und macht sie zu einem Begriffspaar. Der entscheidende Unterschied zwischen ihnen ergibt sich aus ihrer unterschiedlichen Datengrundlage: Aussagen über das Vorliegen einer Manifestation sind Individualinformationen; Aussagen über Eigenschaftsindikatoren stellen hingegen Gruppeninformationen dar.

___________ führbar sind, werden solche verstanden, bei denen die betreffende Eigenschaft auf alle Gruppenmitglieder zutrifft. Unter Gruppeninformationen, die nur mit Zusatzinformationen auf Individuen rückführbar sind, sind nach der Darstellung von Steinmüller u.a. nur solche zu verstehen, bei denen die gruppentypische Eigenschaft nicht auf alle Gruppenmitglieder zutrifft und damit weitere Informationen erforderlich sind, um die Gruppeneigenschaft einer Einzelperson zuordnen zu können. Dabei ist mit dem Begriff der Zusatzinformation von Steinmüller u.a. nicht die Information über die Gruppenzugehörigkeit gemeint, die in jedem Fall zusätzlich erforderlich ist, um den Einzelnen einer bestimmten statistischen Bezugsgruppe zuweisen zu können.

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

63

1. Begriff der Manifestation Eine Manifestation im Rechtssinne liegt vor, wenn sich die Eigenschaft, auf deren Vorliegen es für den jeweiligen Lebensbereich unmittelbar ankommt, bei der betreffenden Person nachweisen lässt.

a) Begriffsbestimmung Für die Zwecke dieser Arbeit ist zwischen dem medizinischen und dem rechtlichen Manifestationsbegriff zu unterscheiden.134 Der Differenzierung bedarf es, weil der medizinische Manifestationsbegriff im Wesentlichen nur auf Krankheiten zu geschnitten ist und sich damit – wie im Folgenden nachgewiesen werden wird – für den rechtlichen Bereich als zu eng darstellt. In der Medizin wird unter Manifestation – im Gegensatz zur Latenz – das Erkennbarwerden einer Krankheit anhand der Ausbildung von Symptomen verstanden.135 Dies ist dann der Fall, wenn Anzeichen für die Krankheit für den Patienten (subjektiver Symptombegriff)136 oder zumindest für den Untersuchenden (objektiver Symptombegriff)137 bereits erkennbar sind. Unter Genmanifestation wird die Ausbildung von bestimmten morphologischen oder funktionellen Eigenschaften als Auswirkung der Aktivität von Genen – also die Herausbildung des Phänotyps aus dem Genotyp – verstanden.138 Beide Begriff sind somit fachbereichsbezogen vorgeprägt: Mit dem Begriff der Manifestation wird in der Medizin grundsätzlich auf Krankheiten Bezug genommen. In der Humangenetik ist der Begriff der Manifestation auf Eigenschaften beschränkt, die genetisch bedingt sind. Diese fachbereichsbezogene Vorprägung erscheint jedoch für den rechtlichen Bereich nicht als passend. Die rechtlichen Bestimmungen nehmen Bezug auf eine Vielzahl von Lebensbereichen. Dementsprechend vielfältig sind auch die Eigenschaften, auf deren Manifestation es im Einzelnen ankommt. Hier geht es nicht notwendigerweise nur um die Manifestationen von Krankheiten, sondern häufig um solche von anderen Eigenschaften. Ebenso wenig wird eine begriffliche Beschränkung auf genetisch bedingte Eigenschaften der rechtlichen ___________ 134 Zum medizinischen Manifestationsbegriff und zum Krankheitsbegriff vgl. Lanzerath/Honnefelder, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 51 ff. 135 Brockhaus, Gesundheit, Stichwort „Manifestation“; Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Manifestation“. 136 Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Symptom“. 137 Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Symptom“. 138 Brockhaus, Gesundheit, Stichwort „Manifestation“. Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Manifestation“.

64

Einleitung und Begriffsbestimmung

Problemstellung gerecht. Anders als der medizinische Manifestationsbegriff ist der hier als Rechtsbegriff eingeführte Begriff der Manifestation kontextabhängig zu bestimmen. Der rechtliche Ausgangspunkt für die Frage, ob ein bestimmter Umstand im konkreten Fall im rechtlichen Sinne als eine Manifestation zu behandeln ist oder als Eigenschaftsindikator, ist die genaue Bestimmung der entscheidungserheblichen Eigenschaft. Als Manifestation im Rechtssinn soll dementsprechend das nachweisbare Eintreten einer bestimmten, für den jeweiligen Sach- und Lebensbereich entscheidenden Eigenschaft verstanden werden.

b) Entscheidungserhebliche Eigenschaft Ob ein bestimmter Umstand (z.B. eine Erkrankung) bereits die rechtserhebliche Manifestation oder nur einen Eigenschaftsindikator darstellt, hängt von dem in Bezug genommenen Lebensbereich und seinen spezifischen Anforderungen ab. Ein und derselbe Umstand kann für den einen Lebensbereich die Manifestation einer entscheidungserheblichen Eigenschaft, für einen anderen jedoch nur einen Eigenschaftsindikator für eine solche Eigenschaft darstellen.139 Bei der Charakterisierung von Untersuchungsergebnissen als Manifestation oder Eigenschaftsindikator bietet sich eine Prüfung in zwei Schritten an: Zunächst ist zu prüfen, was für den jeweiligen Kontext die entscheidungserhebliche Eigenschaft ist. In einem zweiten Schritt stellt sich dann die Frage, welches Merkmal mit der durchgeführten Untersuchung unmittelbar festgestellt wird. Ist die entscheidungserhebliche Eigenschaft bereits in dem festgestellten Merkmal verwirklicht, handelt es sich bei dem Merkmal um eine Manifestation dieser Eigenschaft. Wird aufgrund der Feststellung des Umstandes nur darauf geschlossen, dass die entscheidungserhebliche Eigenschaft vorliegt oder sich entwickeln wird, handelt es sich nach der in dieser Arbeit erfolgten Begriffsbestimmung um einen Eigenschaftsindikator. Die Tatsache, dass ein und derselbe Umstand in verschiedenen Zusammenhängen mal eine Manifestation, mal einen Eigenschaftsindikator darstellen kann, soll an folgenden zwei besonders problematisch erscheinenden Beispielen verdeutlicht werden:

___________ 139 Die Frage der entscheidungserheblichen Eigenschaft ist abzugrenzen von der Frage des unmittelbaren Untersuchungsziels. Im letzteren Fall ist entscheidend, ob nach der Manifestation oder dem Eigenschaftsindikator einer Eigenschaft gesucht wird. Bei Kausalitätsbewertungen ist der Eigenschaftsindikator das unmittelbare Untersuchungsziel, bei Diagnosen und prädiktiven Aussagen die Manifestation. Siehe dazu S. 408 f.

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

65

aa) Krankheitsmanifestationen als Eigenschaftsindikatoren In bestimmten Fällen wird die Feststellung von Krankheitsmanifestationen genutzt, um Prognosen über die weitere Entwicklung der untersuchten Person zu treffen. Die entscheidungserhebliche Eigenschaft ist dann nicht die Krankheit, sondern eine andere Eigenschaft, die mit der jeweiligen Krankheit in Verbindung gesetzt wird. Als Rechtsbegriff kann die Manifestation somit nicht synonym für Krankheitsausbruch verwandt werden. Die Krankheitsmanifestation stellt dann nur einen Eigenschaftsindikator für die Manifestation einer anderen Eigenschaft dar. Im arbeitsrechtlichen Bereich kommt der Arbeitsfähigkeit die Rolle als eine der entscheidenden Eigenschaften zu. Zwar kann es bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers u.a. auch auf den Gesundheitszustand ankommen, jedoch nicht alle Umstände, die aus medizinischer Sicht möglicherweise als Krankheitsmanifestationen bezeichnet werden, müssen sich auch in der Arbeitsfähigkeit niederschlagen. Insofern stellen sich Krankheitsmanifestationen auch nicht unbedingt als Manifestationen der Arbeitsunfähigkeit dar. Bei Abschluss einer Lebensversicherung ist bei der Prämienberechnung der Zeitpunkt des Todeseintritts der betreffenden Person maßgeblich. Manifeste Krankheiten stellen insofern wiederum nur einen Eigenschaftsindikator dar, der mehr oder weniger genaue Rückschlüsse auf die Lebenserwartung erlaubt. Die Krankheit ist dann nicht die entscheidungserhebliche Einzelinformation, sondern nur statistisches Bezugskriterium zur Prognostizierung der Lebenserwartung.

Hinsichtlich Prognosen aufgrund von Krankheitsmanifestationen, die über den gegenwärtigen Manifestationsstand hinausgehen, ist eine Unterscheidung von fortschreitenden und dauerhaften Manifestationen vorzunehmen: Bei Prognosen, die fortschreitende Manifestationen vorhersagen, handelt es sich im Rechtsinn um Eigenschaftsindikatoren, bei Prognosen, die dauerhafte, konstante Manifestationen prognostizieren, handelt es sich um Manifestationen im Rechtssinn.140

bb) Infektionen als Indikatoren für die Ansteckungsgefahr Dritter Infektionen können nicht nur als Eigenschaftsindikatoren für die Entstehung einer Krankheit der infizierten Person, sondern auch als Indikatoren für die Ansteckungsgefahr Dritter genutzt werden. In der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind diese beiden Aspekte zu trennen: Wegen der mit der Ansteckung verbundenen Gefährdung Dritter können Typisierungen, anhand derer die Ansteckungsgefahr abgeschätzt wird, gerechtfertigt sein. Bei der verfassungsrechtlichen Abwägung ist dabei aber zu berücksichtigen, dass die Prognostizierung ___________ 140

Ähnlich in der Argumentation auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 35.

66

Einleitung und Begriffsbestimmung

der jeweiligen Krankheitsmanifestation und die prognostische Abschätzung der Ansteckungsgefahr unterschiedliche Vorhersagezeiträume erfassen, was wiederum Auswirkungen auf das Ausmaß der Aussageungenauigkeit hat. Eine Typisierung, die lediglich die Erkrankungswahrscheinlichkeit der betroffenen Person betrifft, ohne dass in dem jeweiligen Lebensbereich eine Gefährdung Dritter gegeben ist, ist demgegenüber weitaus schwieriger zu rechtfertigen. Bei HIV-Infizierten ist die AIDS-Erkrankung nicht notwendigerweise manifest. Insofern stellt sich die HIV-Infektion nur als Eigenschaftsindikator für die AIDSErkrankung dar. Zudem ist die Infektion – je nach den Lebensumständen der infizierten Person – mit einer bestimmten Ansteckungsgefahr für Dritte verbunden. Wegen der Drittgefährdung kann eine typisierende Behandlung gerechtfertigt sein. Die Differenzierung in den Rechtfertigungsanforderungen ergibt sich bei der HIV-Infektion zudem aus den unterschiedlichen Vorhersagezeiträumen: Die Ansteckungsgefahr kann sich äußerst zeitnah verwirklichen, wohingegen die Prognose zur Erkrankung des HIV-Infizierten über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren getroffen wird.

c) Einzelinformationscharakter Für die Zwecke dieser Arbeit werden Aussagen über Manifestationen als personenbezogene Einzelinformationen (Individualinformationen) über entscheidungserhebliche Eigenschaften begriffen.141 Allerdings ist auch die Feststellung von manifesten Eigenschaften nicht immer unmittelbar möglich. Wenn z.B. ein Arzt eine Krankheit diagnostiziert, tut er dies anhand von Krankheitssymptomen oder Untersuchungsbefunden. Diese wiederum lassen sich als Indikatoren begreifen, anhand derer – unter Zuhilfenahme statistischer Erkenntnisse – auf die Manifestation einer bestimmten Krankheit geschlossen wird.142

d) Manifestationsarten Je nach Zeitpunkt und Dauer des Auftretens der entscheidungserheblichen Eigenschaften sollen verschiedene Manifestationsarten unterschieden werden: – Als dauerhafte Manifestationen werden Eigenschaften bewertet, die bereits

beim jeweiligen Menschen offenkundig geworden sind und in dieser Form in der weiteren Entwicklung (weitestgehend) unverändert bleiben. Als Beispiele für dauerhaft manifeste Eigenschaften sind Augenfarbe, Haarfarbe, Körpergröße, aber auch Eigenschaften wie Intelligenz, Mentalität und soziale Kompetenz zu nennen. ___________ 141 Siehe auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 26, (im Anschluss an Wieland): Diagnose als Singuläraussage). 142 So auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 27 f.

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

67

– Wiederkehrende Manifestationen sind solche, die zwar in der Vergangenheit bereits punktuell offenkundig geworden sind, jedoch nicht dauerhaft im Phänotyp nachweisbar sind. Mit dem Begriff der wiederkehrenden Manifestation können beispielweise Neigungen zu bestimmten Verhaltensweisen beschrieben werden, welche sich in Abständen in Form von bestimmten Handlungen manifestieren. Derartige, sich in Abständen manifestierende Eigenschaften werden häufig auch mit genetischen Veranlagungen in Verbindung gebracht. Die Boulevardpresse brachte beispielsweise die Gewaltausbrüche von Prinz August von Hannover in Zusammenhang mit einem „Prügelgen“.143 Ausgelöst wurde dies durch angebliche Spekulationen eines Klinikdirektors der Charité, der nach Presseberichten die Wutausbrüche des Prinzen in den Zusammenhang mit der erblichen Stoffwechselkrankheit Porphyrie gestellt hat.

– Neu einsetzende Manifestationen sind Eigenschaften, welche sich erst im Laufe des Lebens entwickeln, dann jedoch dauerhaft bestehen bleiben. Unter diesen Begriff lassen etwa altersbedingte Erscheinungen oder körperliche Beeinträchtigungen, etwa infolge von Unfällen fassen. – Unter einmaligen Manifestationen sind solche zu verstehen, die nur für kurze Zeit auftreten, also nicht dauerhaft bestehen. Darunter lassen sich nichtchronische Erkrankungen fassen, aber auch biografische Entwicklungsstadien wie die Pubertät. Diese Kategorisierung ist zwar schematisch, eindeutige Zuordnungen werden in vielen Fällen nicht möglich sein. Sie dient jedoch der Offenlegung struktureller Unterschiede und kann darauf aufbauend unterschiedliche rechtliche Behandlungen rechtfertigen. Vor allem soll verdeutlichet werden, dass sich die rechtliche Problematik im Umgang mit prädiktiven Aussagen nicht bei allen Manifestationen in der gleichen Weise stellt. Sie ergibt sich insbesondere dann, wenn eine Eigenschaftsveränderung auftritt. Daher bedürfen insbesondere einmalige oder neu einsetzende Manifestationen einer besonderen rechtlichen Würdigung. Für Manifestationen, die dauerhaft (nachweisbar) sind, stellt sich dieses Problem nicht in dieser Weise, da deren Vorliegen jederzeit überprüfbar ist.144 Wiederkehrende Manifestationen nehmen insofern eine Zwischenstellung ein, da sie nicht immer nachweisbar sind, jedoch immerhin in der Vergangenheit vereinzelt nachgewiesen werden konnten.

___________ 143 DANA 2/2000, S. 16; Weichert, DuD 2002, 133 (139). Zur genetischen Veranlagung zur Porphyrie variegata: Schmidtke, Vererbung, S. 168; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Porphyrie“. 144 Siehe dazu S. 368.

68

Einleitung und Begriffsbestimmung

e) Manifestationsalter und Manifestationsdauer Die Begriffe des Manifestationsalters und der Manifestationsdauer kommen aus der Humangenetik, sind jedoch insoweit auf den rechtlichen Manifestationsbegriff übertragbar. Unter Manifestationsalter versteht man das Lebensalter, in dem sich die betreffende Eigenschaft manifestiert.145 Davon zu unterscheiden ist die Manifestationsdauer, die den Zeitraum zwischen der Vornahme des Tests und der Manifestation der Eigenschaft bemisst.146 Von dem jeweiligen Manifestationsalter bzw. der Manifestationsdauer der betreffenden Eigenschaft hängt es ab, über welche Zeitspannen Voraussagen über die Entwicklung eines Menschen getroffen werden können. Bestimmte Eigenschaften treten zu einem bestimmten Lebensalter auf, bei anderen hängt der Zeitpunkt der Manifestation vom Eintritt eines bestimmten Umstandes ab. Beispiele für Eigenschaften, die in einem bestimmten Lebensalter (Manifestationsalter) eintreten, sind viele genetische Krankheiten. Viruserkrankungen hingegen manifestieren sich in der Regel unabhängig vom Alter nach einer bestimmten Inkubationszeit (Manifestationsdauer) nach der Infektion.

2. Begriff des Eigenschaftsindikators Zur Bezeichnung von Merkmalen, die mit bestimmten Eigenschaften in einen statistischen Zusammenhang gebracht werden, gibt es in Medizin und Rechtswissenschaft eine Vielzahl von Begriffen.147 Aber selbst die geläufigeren Begriffe der Anlage und der Veranlagung scheinen insofern in der rechtswissenschaftlichen Literatur noch keine klare Konturierung erhalten zu haben. Zudem werden sie in der Regel lediglich im Zusammenhang mit endogenen, insbesondere genetischen Entwicklungsprozessen verwendet. In diesem Abschnitt wird der Begriff des Eigenschaftsindikators als übergreifender Rechtsbegriff neu eingeführt und definiert.148 Danach soll ein Merkmal erst dann als Eigenschaftsindikator bezeichnet werden, wenn es über eine korre___________ 145

Siehe auch DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 10. Siehe auch Schöffski, Gendiagnostik, S. 51. 147 Siehe etwa Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 67. 148 Siehe etwa Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 67, Fn. 47 mit Verweis auf: Schäfer/Blohmke, in: Blohmke, Handbuch der Sozialmedizin, Bd. 2, S. 12 f.: „Schäfer/Blohmke ... vertreten hingegen die unübliche Auffassung, von ,Risikofaktoren‘ solle man nur dann sprechen, wenn ein medizinisch hinreichend erklärbarer Kausalzusammenhang zwischen dem Faktor als ,Erstursache‘ und dem konkreten prognostizierten Krankheitsbild bestehe; sei ein solcher Zusammenhang nicht erwiesen, sei der Begriff ,Risikoindikator‘ anzuwenden. Risikofaktoren und Risikoindikatoren seien unter dem gemeinsamen Oberbegriff ‚Risikodeterminanten‘ zusammenzufassen.“ 146

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

69

lationsstatistische Beziehung mit einer bestimmten Eigenschaft in Verbindung gebracht werden kann.

a) Begriffsbestimmung Eigenschaftsindikatoren149 sind körperliche Merkmale oder äußere Umstände (außerkörperliche Merkmale), die mit einer bestimmten statistischen Wahrscheinlichkeit auf die abgeschlossene oder zukünftige Manifestation von bestimmten Eigenschaften hinweisen (Indikatorfunktion). Die Ermittlung eines Eigenschaftsindikators vollzieht sich in zwei Schritten: Im Rahmen einer korrelationsstatistischen Untersuchung wird der Zusammenhang zwischen einem bestimmten Merkmal und der Manifestation einer bestimmten Eigenschaft ermittelt. Anhand des gewählten statistischen Bezugskriteriums lassen sich identifizierbare Gruppen bilden. Daraufhin werden nun Einzeluntersuchungen auf dieses Merkmal hin vorgenommen. Dabei wird festgestellt, ob die untersuchten Personen Träger des jeweiligen Merkmals sind. Diese Feststellungen stellen Individualinformationen dar, die die Zuordnung zu einer der über die Merkmalsträgereigenschaft definierten Gruppen ermöglichen. Für die hier vertretene konstruktivistische Sicht ist dabei entscheidend: Die Information über die Entwicklung bestimmter Eigenschaften ist nicht in dem jeweiligen Merkmal (z.B. dem Gen) „enthalten“, sondern wird ihm zugewiesen.150 Die Feststellung eines Eigenschaftsindikators stellt sich also als eine kombinierte Aussage dar: Die korrelationsstatistische Aussage über den Zusammenhang zwischen dem statistischen Bezugskriterium und der entscheidungserheblichen Eigenschaft (z.B. „80% aller Träger des Gens A erkranken an der Krankheit Z“) wird kombiniert mit der Individualaussage über die Merkmalsträgereiegnschaft (z.B. „Die Person XY ist Träger des Gens A“). Einen Überblick über die begrifflichen Zusammenhänge bietet folgende Übersicht:

___________ 149 Der geläufigere Begriff des Risikofaktors wird hier nicht verwendet, da durch ihn nicht Eigenschaftsindikatoren zu günstigen Eigenschaften (wie z.B. Intelligenz) erfasst werden. 150 Kaye, Book of Life, Preface, S. xvii.

70

Einleitung und Begriffsbestimmung Aktualisierte Gruppeninformation Eigenschaftsindikator z.B. genetische Veranlagung Gruppeninformation Individualinformation Gruppenmerkmal als „Botschafter“ (statistisches Bezugskriterium) z.B. Gen, Virus, soziales Umfeld

wird untersucht auf

Person

Information über die Gruppenzugehörigkeit

Korrelation als „Botschaft“ (Manifestationswahrscheinlichkeit)

Gruppeneigenschaft z.B. Erkrankung oder Verhaltensweise

Information über die Gruppeneigenschaft

Abb. 3: Begriff des Eigenschaftsindikators

aa) Statistisches Bezugskriterium als „Botschafter“ Eines der Begriffsmerkmale des Begriffs des Eigenschaftsindikators ist das statistische Bezugskriterium. Als statistische Bezugskriterien sollen körperliche Merkmale und äußere Umstände verstanden werden, deren Vorliegen mit der Ausprägung bestimmter Eigenschaften in (statistische) Beziehung gesetzt wird. Die festgestellten (körperlichen) Merkmale oder (äußeren) Umstände werden in zweierlei Weise in Bezug genommen: – Zum einen wird untersucht, ob sich einer bestimmten Person das jeweilige Kriterium zuweisen lässt, also ob sie ein bestimmtes körperliches Merkmal aufweist oder einem bestimmten äußeren Umstand ausgesetzt ist. Damit wird eine Individualaussage über die untersuchte Person getroffen (Gruppenzugehörigkeitsinformation). – Zum Zweiten ist es Anknüpfungspunkt für eine statistische Aussage, in welcher es in ein korrelationsstatistisches Verhältnis zur entscheidungserheblichen Eigenschaft gesetzt wird. Diese Aussage ist eine Information über Grup-

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

71

pen, die anhand des statistischen Bezugskriteriums unterschieden werden (Gruppeninformation). Das statistische Bezugskriterium ist insofern als ein (syntaktisches) Bindeglied zu begreifen, welches die untersuchte Person und die jeweiligen Eigenschaft erst in Beziehung setzt. Insofern lässt sich das festgestellte statistische Bezugsmerkmal als „Botschafter“, die statistische Aussage als „Botschaft“ verstehen.151 Statistische Bezugskriterien erfüllen eine Indikatorfunktion: Der Nachweis des jeweiligen Merkmals oder Umstandes wird als Hinweis für die nicht festgestellte Manifestation gewertet. Sie weisen auf das Vorliegen bestimmter Eigenschaften hin, ohne sie selbst darzustellen. Über das Vorliegen der Eigenschaftsindikatoren wird nur mittelbar auf das Vorliegen der Manifestation der gesuchten Eigenschaft geschlossen.152 In der diagnostischen und prädiktiven Verwendungsweise ist das untersuchte Merkmal damit als Surrogatmerkmal153 zu begreifen. Die Indikatorfunktion statistischer Bezugskriterien ist zu unterscheiden von der Identifikationsfunktion bestimmter körperlicher Merkmale, die als Identifikationsmuster genutzt werden. Dies sind beispielsweise der herkömmliche (daktylische) Fingerabdruck, Augenfarbe, Körpergröße oder bestimmte DNSAbschnitte (sog. genetischer Fingerabdruck). Anhand der statistischen Bezugskriterien lassen sich identifizierbare Personenmehrheiten (Gruppen)154 bilden: Auf der einen Seite die Gruppe derjenigen, die das jeweilige Merkmal aufweisen, auf der anderen Seite die Gruppe derjenigen ohne dieses Merkmal. Ohne die Möglichkeit der Bildung abgrenzbarer Per___________ 151

In Anlehnung an Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (184). Bernat bezieht sich mit diesen Metaphern auf genetische Veranlagungen. Den Zusammenhang zwischen DNS und Gen vergleicht er mit dem Verhältnis von Diskette und gespeicherten Daten. Bezogen auf die im Rahmen der humangenetischen Forschung ermittelten Korrelationen erscheint dieser Vergleich jedoch irreführend. Denn welche Informationen in der DNS eines Menschen enthalten sind, lässt sich nicht zuverlässig ermitteln. Feststellbar sind nur Korrelationen. Die damit verbundenen statistischen Aussagen sind jedoch nicht in der DNS gespeichert, sondern werden ihr lediglich zugewiesen. – Vgl. auch Graumann, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 383 (401 ff. – „Konstruktion genetischer Erkenntnisse“). 152 Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 367 umschreiben dieses Vorgehen als die „Yeti-Methode“: „Wie bei der Suche nach dem sagenumwobenen Schneemenschen im Himalaya, Yeti, aufgrund von Fußspuren seine Existenz und sein Erscheinungsbild erschlossen werden, schließt der Genetiker vom Genprodukt – etwa einer durch Enzymdefekte ausgelösten Stoffwechselstörung – auf Existenz und Art der zugrunde liegenden genetischen Konstitution.“ Diese Umschreibung trifft jedoch nicht nur auf die Genproduktanalyse zu, sondern letztlich auf alle Untersuchungen auf statistischer Grundlage. 153 Zum Begriff des Surrogatmerkmals: Huster, Rechte, S. 247 (im Zusammenhang mit § 25 AVG), S. 319 (im Zusammenhang mit Rentenalterbeschluss des BVerfG); S. 259 (im Zusammenhang mit Typisierungen); Bouchouaf, KJ 2006, 310 (311). Weitere Nachweise bei Huster, Rechte, S. 247, Fn. 16. 154 Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 55.

72

Einleitung und Begriffsbestimmung

sonengruppen ist das gewählte Merkmal zur Herstellung korrelationsstatistischer Zusammenhänge ungeeignet. Sofern das Vorliegen eines bestimmten Merkmals mit ungünstigen Eigenschaften in Verbindung gebracht wird, wird auch von Risikogruppen gesprochen. Die Identifizierbarkeit kann über verborgene oder offenkundige Merkmale hergestellt werden. Aussagen über genetische Erkrankungswahrscheinlichkeiten lassen sich in der Regel als Gruppeninformationen verstehen, die nur anhand von verborgenen Merkmalen auf Einzelpersonen rückführbar sind. Erforderlich ist nämlich die – in der Regel nicht offenkundige – Feststellung, dass die betreffende Person Träger des maßgeblichen Gens ist. Davon abzugrenzen sind Gruppeninformationen, die leicht durch erkennbare Merkmale – ohne besondere Untersuchungsverfahren – auf Einzelpersonen rückführbar sind. Diskriminierungen aufgrund der Rasse werden beispielsweise in der Regel an äußeren Merkmalen festgemacht. Der Umstand, dass die Gruppenzugehörigkeit nicht offenkundig – insbesondere nicht äußerlich wahrnehmbar – ist, kann in rechtlicher Hinsicht insbesondere dann eine besondere Bedeutung gewinnen, wenn die betreffende Person selbst nicht in Kenntnis ihrer Gruppenzugehörigkeit ist.155 Zudem dürften Ungleichbehandlungen aufgrund schwer erkennbarer Merkmale naturgemäß seltener sein als solche aufgrund von leicht wahrnehmbaren Merkmalen. Allerdings ist die Wahrnehmbarkeit – wie später nachgewiesen werden wird156 – keine notwendige Voraussetzung zur Begründung eines Diskriminierungspotenzials.

bb) Statistische Aussage als „Botschaft“ Die „Botschaft“157, die dem statistischen Bezugskriterium zugewiesen wird, ist die korrelationsstatistische Aussage. Der statistische Zusammenhang zwischen einem bestimmten Merkmal oder Umstand und der Manifestation einer bestimmten Eigenschaft wird als Manifestationswahrscheinlichkeit bezeichnet.158 Im Zusammenhang mit genetischen Veranlagungen und Infektionen wird zur Umschreibung dieses Zusammenhangs auch der Begriff der Penetranz eines Gens oder Virus verwendet.159 Anhand der Manifestationswahrscheinlichkeiten lassen sich Aussagen treffen über: ___________ 155

Vgl. auch S. 493. Dazu S. 356 f. 157 Zum Begriff „Botschaft“ siehe bereits oben, S. 71, Fn. 151. 158 Zum Begriff der Penetranz als genetischer Manifestationswahrscheinlichkeit siehe S. 109. 159 Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Penetranz“. 156

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

73

– eine mögliche Verursachung der Manifestation (bei differenzialdiagnostischer Verwendungsweise), – eine schwer oder nur aufwändig ermittelbare Manifestation (bei diagnostischer Verwendungsweise) oder – eine möglicherweise sich in Zukunft entwickelnde Manifestation (bei prädiktiver Verwendungsweise).

cc) Eigenschaftsindikatoren mit und ohne Individualbezug Der Begriff des Eigenschaftsindikators kann in zweierlei Weise gebraucht werden: Zum einen können Eigenschaftsindikatoren einen rein statistischen Charakter haben, wenn die Individualinformation über das Vorliegen des statistischen Bezugskriteriums fehlt. Zum anderen können sie den Charakter einer gemischten Information haben, wenn sowohl die Individualinformation über das Vorhandensein des statistischen Bezugskriteriums als auch die statistische Information über den Zusammenhang zwischen Merkmal und Eigenschaft vorliegt. So kann der Begriff der genetischen Veranlagung zum einen verwendet werden, um einen Wirkungszusammenhang zwischen einem Merkmal eines bestimmten Personenkreises und einer bestimmten Eigenschaft zu beschreiben, ohne dabei eine Beziehung zu einer bestimmten Person herzustellen, wie etwa die Aussage „Träger des Sichelzellenanämie-Gens haben eine genetische Veranlagung zur Sichelzellenanämie.“ Zum Zweiten kann mit diesem Begriff aber auch gerade ein Individualbezug hergestellt werden: „Herr A hat eine genetische Veranlagung zur Sichelzellenanämie.“

b) Statistischer Informationscharakter der Feststellung von Eigenschaftsindikatoren Damit lässt sich die Feststellung eines Eigenschaftsindikators als eine mit einer Individualinformation kombinierte statistische Information einordnen: Die Feststellung des statistischen Bezugskriteriums ist eine Individualinformation: Mit ihr wird die Zugehörigkeit zu einer bestimmten statistischen Gruppe hergestellt, die untersuchte Person als Gruppenmitglied identifiziert. Die Gruppenbildung erfolgt hingegen durch die statistische Aussage. Mit ihr werden überhaupt erst identifizierbare Personengruppen gebildet.160 Doch obwohl die Feststellung eines Eigenschaftsindikators damit eine Individualinformation einhält, hat sie insgesamt den Charakter einer statistischen Aussage. Nachweisbar ist nur ein bestimmtes inneres (z.B. genetisches) Merk___________ 160

Siehe dazu auch Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 4 f.

74

Einleitung und Begriffsbestimmung

mal161 oder ein äußerer Umstand (z.B. soziales Umfeld), sodass es sich in dieser Hinsicht um eine Individualinformation handelt. Nicht im Einzelfall nachweisbar ist jedoch der Bezug zur Manifestation, der ja anhand der statistischen Wahrscheinlichkeit nur vermutet wird.162 Die untersuchte Person ist nur als Träger des Merkmals, nicht jedoch als Träger der Eigenschaften identifiziert. Insofern ist der Begriff der „Erbinformation“ oder der „genetischen Information“ auch offen für Missverständnisse. Denn welche Informationen in der DNS eines Menschen enthalten sind, lässt sich (zumindest bisher) nicht ermitteln, da die genaue Funktionsweise der Gene noch nicht bekannt ist. Feststellbar sind bisher allenfalls Daten über das Vorliegen oder Nichtvorliegen genetischer Merkmale (Gendaten). In diesem Sinne ist eine Erbinformation genaugenommen auch nicht statistischer Natur, da das genetische Material nur ganz bestimmte Baupläne für bestimmte Proteine enthält, nicht jedoch Wahrscheinlichkeitsinformationen.163 Das, was häufig als Erbinformation beschrieben wird, ist in Wirklichkeit lediglich eine statistische Aussage, die ein bestimmtes Erbmerkmal als statistisches Bezugsmerkmal hat. Solche statistischen Aussagen sind jedoch nicht in der DNS gespeichert, sondern werden ihr lediglich zugewiesen.164 Der Begriff der Erbinformation bzw. der genetischen Information kann richtigerweise nur unter diesem Vorbehalt verwendet werden.

Als Begriff mit kombiniertem Aussageinhalt hat die Feststellung eines Eigenschaftsindikators damit einen statistischen Aussagecharakter. Der Aus___________ 161

Zum Begriff des genetischen Merkmals siehe auch Schulz-Weidner, Genomanalysen,

S. 71. 162 Allgemein zur Aussagekraft statistischer Informationen: Bortz, Statistik, S. 20 f.: „Somit kann durch empirische Forschung auch die absolute Richtigkeit einer Theorie nicht nachgewiesen werden.“; Popper, zitiert nach Bortz, Statistik, S. 21: „So ist die empirische Basis der objektiven Wissenschaft nichts Absolutes.“ – Siehe auch Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 55, der die Begriffe „individuelle“ und „statistische“ Daten als zwei sich gegenseitig ausschließende Begriffe gegenüberstellt; Mittelstraß, Enzyklopädie, Stichwort „Erklärung – induktive Statistik“ mit weiteren forschungsphilosophischen Nachweisen. – Speziell im Hinblick auf genetische Eigenschaftsindikatoren: Balding/Bishop/Cannings-Beyleveld, Statistical Genetics, 697 (715), Fn. 32; Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 36; Fey/Seel, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 5 ff.; Graumann, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 383 (401 ff., 409); Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 389: „Genügt bereits eine Disposition, um den Betroffenen den Abschluss eines Arbeitsvertrages zu verweigern, käme dies einer ‚genetischen Vorverurteilung‘ gleich. Dabei würden zum Beispiel bei einem Erkrankungsrisiko von 20% vier Arbeitnehmer zu Unrecht abgewiesen, nur um den fünften, bei dem das Leiden tatsächlich ausbricht, vom Betrieb fernzuhalten."; Kollek, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 15 (16); Paul, Tumorerkrankungen, S. 27 ff.; Pearce, Epidemiology 1990, Vol. 1, No. 1, S. 47 ff.; Rothman, American Journal of Epidemiology 1976, vol. 104, No. 6, 587 (589); Simon, Gendiagnostik, S. 115: „nur für ein Personenkollektiv statistisch-epidemiologisch relevante Voraussagen.“; Stockter, GID Nr. 167 (2004/2005), S. 38 (38); TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 18: „Abgesehen davon, dass ein statistisches Risiko für den Einzelnen grundsätzlich eine kaum fassbare Bedeutung erlangen kann, ...“. 163 Ähnlich: Klein, Zufall, S. 177. 164 Vgl. auch Graumann, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 383 (401 ff. – „Konstruktion genetischer Erkenntnisse“).

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

75

sageinhalt eines Eigenschaftsindikators hat die Natur einer personenbezogenen statistischen Aussage (Gruppeninformation)165 über eine entscheidungserhebliche Eigenschaft. Durch die Feststellung eines Eigenschaftsindikators wird keine Aussage über individuelle Eigenschaften getroffen, sondern nur eine Aussage über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten statistischen Gruppe, in der eine bestimmte statistische Häufung der jeweiligen Eigenschaft nachweisbar ist. So wird in der Humangenetik bereits dann von einer genetischen Veranlagung gesprochen, wenn in der Gruppe der Menschen, die das untersuchte genetische Merkmal aufweisen, das äußere Merkmal mit einer Häufigkeit auftritt, die im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung auffällig verändert ist.

Die Besonderheit der Feststellung von sog. Anfälligkeiten (Suszeptibilitäten) besteht darin, dass in diesen Fällen nicht nur ein bestimmtes körperliches Merkmal, sondern die Kombination von einem körperlichen Merkmal (z.B. sog. „Suszeptibilitätsgen“, „Empfindlichkeitsgen“ oder „Anfälligkeitsgen“) und einem bestimmten Umfeldfaktor als statistisches Bezugskriterium gewählt wird (z.B. „80% aller Menschen, die das Gen A aufweisen und dem Stoff B ausgesetzt sind, erkranken bis zum 50. Lebensjahr an Lungenkrebs“). Als Beispiel seien hier Krankheiten genannt, die aufgrund einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Schadstoffen entstehen, die in einer gefährdenden Dosis nur an bestimmten Arbeitsplätzen auftreten (z.B. in der Industrie). Beispiele für solche Krankheiten sind auch viele Allergien (z.B. gegen Staub oder Schadstoffe in der Luft).166

c) Arten von Eigenschaftsindikatoren Innerhalb der Gruppe der Eigenschaftsindikatoren sollen „Anlagen“ (endogene Eigenschaftsindikatoren) und „Umfeldfaktoren“ (exogene Eigenschaftsindikatoren) unterschieden werden. Diese Unterscheidung ist zwar nicht immer trennscharf vorzunehmen. Sie dient jedoch dazu, eine Assoziation zu erfassen, die mit dieser Unterscheidung verbunden ist. Diese besteht darin, dass endogenen Eigenschaftsindikatoren in der gesellschaftlichen Wahrnehmung selbst dann eine höhere Bedeutung beigemessen wird als exogenen Eigenschaftsindikatoren, wenn die mit den Eigenschaftsindikatoren verbundene Wahrscheinlichkeit die gleiche ist. Als Anlagen167 lassen sich Eigenschaftsindikatoren mit genetischen oder anderen innerkörperlichen Bezugskriterien begreifen (endogene Eigenschaftsindikatoren). Von diesem Begriff lassen sich beispielsweise erfassen:168 ___________ 165

Siehe dazu Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 54 ff. TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 45 unter Hinweis auf die so genannte Addukt-Analytik. 167 Im medizinischen Bereich wird „Krankheitsanlage“ als pathologischer Erbfaktor (Gen), als Ursache von genetischen Krankheiten definiert. Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Krankheitsanlage“. Siehe auch Pschyrembel, Klinisches Wörter166

76

Einleitung und Begriffsbestimmung

– erbliche Veranlagungen – chromosomale Auffälligkeiten (z.B. Down-Syndrom) – erworbene genetische Veranlagungen (z.B. Krebsmarker, Präkanzerosen)169 – Infektionen ohne Symptombild (ruhende Infektionen), insbesondere HIVInfektionen170 – prionenbedingte Anlagen (bei CJK)171 – gesundheitliche Risiken aufgrund von Blutwerten, Nährstoffmangel, latenter Diabetes und andere biochemische Werten172 – Besonderheiten im Knochenbau, Beinlängendifferenz u.ä., die zu Haltungsschäden führen können173 – psychische Anlagen, mögliche Neigungen zu bestimmten Gemütszuständen174 ___________ buch, Stichwort „Prädisposition“: Zustand, der eine Krankheit begünstigt. – Siehe auch Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 68 f. – Auch in der Philosophie ist die Verwendung des Begriffes uneinheitlich, vgl. Mittelstraß, Enzyklopädie, Stichwort „Anlage“. 168 Siehe dazu auch Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 39 ff., 68 ff. Die nun folgenden Nachweise (Fn. 169 – 176) heben insbesondere die Vergleichbarkeit mit genetischen Veranlagungen hervor. 169 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Präkanzerose“; Paul, Tumorerkrankungen, S. 55 ff. – Mit genetischen Veranlagungen vergleichend: Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (207); Simon, Gendiagnostik, S. 122; Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 37; Thiele, Poiesis Prax (2003) 1, S. 185 (189). 170 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 39. – Mit genetischen Veranlagungen vergleichend: Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 73. Zur Vergleichbarkeit genetischen Untersuchungen mit HIV-Tests siehe unten, Fn. 186 (S. 77). 171 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Prionen“; Schmidtke, Vererbung, S. 216. – Mit genetischen Veranlagungen vergleichend: Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 118, Fn. 183. 172 Mit Merkmalen auf der DNS-Ebene vergleichend: Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (207); Dänischer Ethikrat, Ethics and the Mapping of the Human Genome (1993), S. 80 f.; Friedl/Lamberti, in: Petermann/Wiedenbusch/Quante, Perspektiven, S. 81 (81); Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrecht, Zwischenbericht 2002, S. 157; Kroner, medgen 2000, 519 (520); Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 39; Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 29; Thiele, Poiesis Prax (2003) 1, S. 185 (189); Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 73. – Siehe auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 161 f. zu üblichen Untersuchungen im Rahmen des Abschlusses bestimmter Versicherungsverträge. 173 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichworte „Haltungsstörungen“, „Beinlängendifferenz“. 174 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Psychologie“. – Mit genetischen Veranlagungen vergleichend: Pflanz, in: Sass, Ethische Herausforderungen, S. 105 (114). Siehe auch – allgemein zur arbeitsrechtlichen Bewertung psychologischer Untersuchungen: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 24, Rdnr. 10.

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

77

– altersbedingte Anlagen175 – erworbene, körperlich nachweisbare Eigenschaftsindikatoren nach physikalischen und chemischen Einwirkungen (mechanische Kräfte, Elektrizität, Strahlen, Lärm, Gifte176), die die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung erhöhen. Als Untersuchungsmethoden zur Ermittlung von genetischen Veranlagungen lassen sich Familienanamnesen,177 Phänotyp-Untersuchungen („Schatten auf der Netzhaut“,178 Übergewicht,179 EEG,180 EKG,181 Ultraschall,182 biochemische Untersuchungen183) oder Begleitsymptome (z.B. bei Levodopa-Gabe als Hinweis auf eine Huntington-Veranlagung)184 verstehen.185 Untersuchungen zur Feststellungen von virusbedingten Anlagen sind etwa Blutuntersuchungen, insb. HIV-Antikörpertest.186 Röntgenuntersuchungen lassen sich als Untersuchungen zur Ermittlung von orthopädischen Anlagen begreifen. Medizinischpsychologische oder neurologische Untersuchungen haben charakterliche Neigungen zum Gegenstand.187 ___________ 175

Mit Wahrscheinlichkeitsaussagen aufgrund genetischer Merkmale vergleichend: Kern, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 55 (58 f.); Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 31 f., 35. Zu Alterserkrankungen siehe auch Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 279 ff. Zur Altersdiskriminierung: Bouchouaf, KJ 2006, 310 ff. 176 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 73 ff. 177 Mit Untersuchungen auf DNS-Ebene vergleichend: Hausheer, ZVersWiss 2001, 255 (259); Kroner, medgen 2000, 519 (520); Friedl/Lamberti, in: Petermann/Wiedenbusch/ Quante, Perspektiven, S. 81 (81). 178 Friedl/Lamberti, in: Ganten/Ruckpaul, Tumorerkrankungen, S. 303 (306). 179 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 72. 180 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 506. 181 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 506. – Mit genetischen Untersuchungen vergleichend: Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 160. 182 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 506. 183 Siehe bereits oben, S. 76, Fn. 172. 184 Krahnen, in: Schroeder-Kurth, Medizinische Genetik, S. 67 (85). 185 Zur Abgrenzung von genetischen Untersuchungen auf DNS-Ebene mit PhänotypUntersuchungen: DGMR, Einbecker-Empfehlungen, MedR 2002, 669 (669) – genetische Untersuchungen im weiteren Sinne. 186 So auch Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (192): HIV-Infektion als Krankheitsanlage. Zur Vergleichbarkeit genetischer Untersuchungen mit HIV-Tests: Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (192); Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 166, Fn. 376; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 187, Fn. 215; Hausheer, ZVersWiss 2001, S. 255 (268); Hofmann, Genomanalyse, S. 169; Koppernock, bioethische Selbstbestimmung, S. 86; Menzel, NJW 1989, 2041 (2042); Präve, VersR 1992, 279 (282); Rothstein/Knoppers, European Journal of Health Law 1996, Nr. 3, 143 (144); Thiele, Poiesis Prax (2003) 1, S. 185 (189); Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 118, Fn. 183; Wellbrock, CR 1989, 203 (208, Fn. 24). 187 Zur arbeitsrechtlichen Zulässigkeit psychologischer Einstellungsuntersuchungen siehe auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 24, Rdnr. 10 m.w.N.

78

Einleitung und Begriffsbestimmung

Umfeldfaktoren sind demgegenüber Eigenschaftsindikatoren, welche umweltbezogene, äußere Lebensumstände einer Person in Bezug nehmen (exogene Eigenschaftsindikatoren).188 Dazu gehören: – biographische Umstände (etwa traumatische Erlebnisse wie der frühe Tod der Eltern, Kriegserfahrung, Entführungen, Kindesmisshandlungen), – soziale Umstände (wie z.B. das familiäre Umfeld, der Freundeskreis und das Arbeitsumfeld), – kulturelle und politische Umstände (wie z.B. das Leben in Industriegesellschaften im Unterschied zum Leben in indigenen Gesellschaften), – geographische und klimatische Umstände (wie etwa das unterschiedliche Wohnumfeld von Land- und Stadtkindern). Als Umfeldfaktoren lassen sich auch einige der in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erwähnten Kriterien begreifen, wie etwa Sprache, Heimat und Herkunft, der Glaube, die religiösen und politischen Anschauungen einer Person. Umfeldfaktoren werden in großem Umfang beim so genannten „Kreditscoring“ verwendet.189 Dabei handelt es sich um ein Verfahren, das Banken benutzen, um die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden einzuschätzen. Neben vielen anderen Kriterien finden hier auch Merkmale wie das Geschlecht, Alter und Beruf Berücksichtigung, anhand derer statistisch begründete Aussagen über die Wahrscheinlichkeit getroffen werden, mit der der jeweilige Antragsteller einen ihm gewährten Kredit innerhalb des vorgegebenen Rückzahlungszeitraums zurückzahlen wird. Das Verfahren soll insbesondere auf Neukunden angewandt werden, deren bisheriges Zahlungsverhalten von der Bank sonst nur schwer eingeschätzt werden kann. Anhand der statistischen Berechnungen sollen hier weniger biologische Zusammenhänge hergestellt werden. Vielmehr wird anhand der Zahlen auf eine bestimmte Mentalität oder Sozialisation geschlossen, die ein bestimmtes Zahlungsverhalten begünstigen soll. Das Kriterium des Alters nimmt allerdings insofern eine Zwitterstellung ein, da mit ihm nicht nur ein mentalitätsbedingter Zusammenhang zur Zahlungswilligkeit hergestellt wird, sondern auch ein biologischer Zusammenhang zur Zahlungsfähigkeit: Für Kunden ab einem bestimmten Alter wird damit die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt, mit der sie vor Rückzahlung des Kredits versterben. Ähnliches gilt für das so genannte „Geomarketing“.190 Dieser Begriff bezeichnet eine Vermarktungsstrategie, die auf der Grundannahme beruht, dass Bewohner bestimmter Wohnbereiche vergleichbare Sozialisationen aufweisen („Gleich und gleich gesellt sich gern.“). Dabei werden Daten über die Anzahl der angemeldeten Kfz, die Kosten und Größe der Wohnungen, Familienstruktur und Ähnliches zusammengeführt. Die auf Grundlage dieser Daten für bestimmte Wohnbereiche ermittelten Durchschnittswerte dienen dazu, die Kaufkraft, das Konsumentenverhalten und die Zahlungsmoral der Bewohner des jeweiligen Wohnbezirks einzuschätzen. So ist es beim Handel übers Internet

___________ 188

Meade, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 14 ff.; SchulzWeidner, Genomanalysen, S. 73 ff.; van den Daele, Mensch nach Maß, S. 139. 189 Zum Kreditscoring: Kamp/Weichert, Scoringsysteme zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit. 190 Zum Geomarketing: Weichert, DuD 2007, 113 (115 ff.), Weichert, in: Sokol, Living by numbers, S. 133 ff.

B. Begriffsbestimmungen und Kategorisierung von Daten

79

gebräuchlich, dass der Internetanbieter anhand der Wohnlage des Kunden darüber entscheidet, ob er ihm die Zahlung per Rechnung oder per Vorkasse anbietet oder möglicherweise sogar von einem Vertragsschluss absieht. Auch die Kriterien, die im Rahmen der polizeilichen Rasterfahndung verwendet werden, sind als ein Beispiel für eine sozialisationsbedingte Typisierung zu betrachtet. Nach dem 11. September 2001 wurde nach einem möglichen Unterstützerumfeld gesucht, indem nach Kriterien wie Alter, muslimischer Religion, Studiengang, Auslandsreisen und dem Umstand, dass die betreffende Person strafrechtlich unauffällig ist, gerastert wurde.191 Die Auswahl dieser Kriterien beruht auf der – wenn auch wahrscheinlich wohl nicht wissenschaftlich belegbaren – Annahme, dass Personen, die diese Merkmale aufweisen, gehäuft an der Vorbereitung und Ausführung von Terroranschlägen beteiligt sind. Zusammengenommen lassen sich diese Merkmale als eine – wenn auch äußerst fragwürdige – Annahme eines Eigenschaftsindikators verstehen, anhand dessen die Bereitschaft zur Durchführung terroristischer Anschläge prognostiziert werden soll.

IV. Zwischenresümee Das in diesem Abschnitt dargelegte Verständnis statistischer Begrifflichkeiten bildet die Grundlage für die im Laufe dieser Arbeit zu erarbeitenden Thesen. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Begriff des Eigenschaftsindikators zu. Im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung wird er als alternatives Diskriminierungsmerkmal vorgestellt, im Rahmen der Darstellung der verfassungsrechtlichen Gewährleistungen hat er eine (hinsichtlich des Rechts auf Achtung der Individualität) schutzbereichsdefinierende bzw. (hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung) schutzbereichskonkretisierende Funktion. Auch bei der nun folgenden Zusammenstellung von Charakteristika genetischer Daten und Proben kommt der Feststellung des statistischen Aussagecharakters genetischer Informationen eine entscheidende Bedeutung zu.

___________ 191 Die Zulässigkeit der polizeilichen Rasterfahndung zur Bekämpfung von erwarteten Verbrechen ist äußerst umstritten. Vgl. BVerfG, NJW 2006, 1939 ff. zur Verfassungsbeschwerde gegen die Urteile des LG Düsseldorf, DUD 2001, 755 und des OLG Düsseldorf, NVwZ 2002, 629. Vgl. auch: OLG Frankfurt a.M., NVwZ 2002, 626; LG Berlin, RDV 2002, 84.

Kapitel 1

Charakteristika genetischer Daten A. Einleitung: Erläuterung der gewählten Kategorienbildung Kapitel 1 dient einer umfassenden Darstellung des von genetischen Diskriminierungsverboten erfassten Lebens- und Sachbereichs: Es werden die Charakteristika genetischer Daten und ihre Verwendungsmöglichkeiten und Anwendungsbereiche – weitgehend ohne rechtliche Bewertung – beschrieben. Die möglichst genaue Erfassung des Lebens- und Sachbereichs dient dabei als Grundlage für die in den nächsten Kapiteln erfolgende verfassungsrechtliche Verarbeitung der die genetischen Diskriminierungsverbote tragenden Diskriminierungsverständnisse. Erst wenn man sich darüber bewusst geworden ist, welche Charakteristika genetische Proben und Daten aufweisen, kann man die Frage beantworten, ob einzelne Charakteristika genetischer Daten für sich genommen oder in Kombination mit anderen eine besondere rechtliche Behandlung rechtfertigen. Untersucht werden soll dabei lediglich, welche Eigenschaften genetischen Daten zugeordnet werden können, nicht ob es sich dabei im Vergleich zu anderen Daten um Einzigartigkeiten handelt. Letzteres soll vielmehr im Rahmen der gleichheitsrechtlichen Prüfung im nächsten Kapitel untersucht werden. Die Unterteilung der Charakteristika genetischer Daten in die Kategorien des Untersuchungsmaterials, der Untersuchungsmethode, des Untersuchungsergebnisses und des situativen Zusammenhangs folgt nicht zwingenden Gesetzmäßigkeiten. Sie soll lediglich der Systematisierung der verschiedenen Problemfelder dienen. Die Zuordnung der Charakteristika zu den einzelnen Gruppen ergibt sich aus folgenden Überlegungen: – Charakteristika des Untersuchungsmaterials: In dieser Gruppe sollen Charakteristika zusammengefasst werden, die Eigenschaften der DNS-Spirale betreffen. Sie betrifft damit die – gewissermaßen von der Natur vorgegebenen – medizinischen Nutzungspotenziale genetischer Proben. – Charakteristika der Untersuchungsmethode: In dieser Gruppe werden die derzeitigen technischen Möglichkeiten im Bereich der Gendiagnostik dargestellt. Gegenüber den in der ersten Gruppe erörterten natürlichen Nutzungspotenzialen werden hier die Möglichkeiten und Grenzen in der technischen Nutzbarkeit dargestellt.

B. Charakteristika des Untersuchungsmaterials

81

– Charakteristika des Untersuchungsergebnisses: In dieser Gruppe werden Gesichtspunkte zusammengefasst, mit denen die getestete Person notwendigerweise bei jeder Mitteilung genetischer Daten konfrontiert wird. Die hier zusammengefassten Charakteristika betreffen die Frage, wie die betreffende Person die erlangten Informationen in Art, Inhalt und Richtigkeit bewertet und verarbeitet. Gegenüber den beiden ersten Gruppen, in denen objektive Kriterien zusammengefasst werden, hängen die hier dargestellten Merkmale in ihrer Bedeutung in einem hohen Maß von individuellen Bewertungen ab. – Charakteristika in Abhängigkeit vom situativen Zusammenhang: In dieser Kategorie werden Gesichtspunkte behandelt, die nicht notwendigerweise mit der Vermittlung genetischer Daten verbunden sind, sondern erst im Zusammenspiel mit anderen Umständen offenbar werden. Dazu zählen die Verwendungsweise, der Anwendungsbereich und die Frage der Therapierbarkeit bei Krankheiten.

B. Charakteristika des Untersuchungsmaterials: DNS-Proben als natürliche Datenbanken Viele Charakteristika genetischer Informationen beruhen auf den Eigenschaften des Datenträgers, in dem sie enthalten sind – der DNS-Spirale.1 Für die Gesamtheit aller in der DNS-Spirale gespeicherten Daten hat sich der Begriff Genom eingebürgert.2 Unter Gen versteht man demgegenüber einen bestimmten Abschnitt der DNS-Spirale.3 Als Charakteristika des genetischen Probenmaterials werden dabei vier Aspekte hervorgehoben: – Die im genetischen Material gespeicherten Daten sind weitestgehend unveränderlich. – Genproben sind besonders gut verwertbar. Für genetische Tests genügt eine kleine Probe biologischen Materials der betreffenden Person. Damit erhöht sich auch die Gefahr der heimlichen und in gleicher Weise auch missbräuchlichen Datenerhebung. ___________ 1 Die Abkürzung „DNS“ steht für Desoxyribonukleinsäure. Die englische Abkürzung lautet DNA für desoxyribonucleinic acid. Sie enthält hauptsächlich die Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin, deren Reihenfolge den genetischen Code festlegt. – Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „DNA“. 2 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Genom“; Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (184). 3 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Gen“; Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (184).

82

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

– Durch den direkten Zugriff auf die DNS wird die Nutzung einer gewissermaßen von der Natur zur Verfügung gestellten Datenbank möglich. – Schließlich bieten Informationen über Erbanlagen die Möglichkeit, Rückschlüsse auf die Veranlagungen von Verwandten der getesteten Person vorzunehmen.

I. Unveränderlichkeit der genetisch gespeicherten Daten Das Erbgut eines Menschen bleibt im Laufe eines Lebens nahezu unverändert. Nur in Ausnahmefällen verändern sich – aufgrund von so genannten im Laufe eines Lebens auftretenden Neumutationen – die in der DNS-Spirale gespeicherten Daten. Manifestationen, welche lediglich auf Neumutationen beruhen, bezeichnet man als sporadisch (z.B. sporadische Krebserkrankungen), solche, die zumindest teilweise vererbt werden, als erblich (z.B. erbliche Krebserkrankungen).4 Juristische Aufmerksamkeit bekamen genetische Neumutationen bereits 1993 in einem vom OLG Hamm entschiedenen Fall.5 In diesem Verfahren sollte die Vaterschaft des Beklagten mittels einer genetischen Untersuchung bewiesen werden. Es kam zu Unklarheiten, weil bei dem Vater genetische Neumutationen aufgetreten waren.

Neumutationen können durch verschiedene äußere Einflüsse wie radioaktive Strahlung,6 bestimmte Chemikalien oder andere Umweltbelastungen7 ausgelöst werden (induzierte Mutation),8 können aber auch spontan – ohne erkennbare äußere Ursache –, z.B. bei der elterlichen Keimzellenentwicklung, auftreten (Spontanmutation).9 Von Mutationen können Körperzellen (somatische Mutation)10 oder Keimbahnzellen betroffen sein (generative Mutation).11 Nur Mutationen in den Keimbahnzellen sind vererblich. Zu der Gruppe der somatischen

___________ 4

Paul, Tumorerkrankungen, S. 43. OLG Hamm, DAVorm 1994, 109 (109). 6 2001 wurde zur Erforschung der genetischen Schädigungen, die der Atombombenabwurf auf Hiroshima zur Folge hatte, eine Studie begonnen, die insbesondere die Langzeitfolgen in den nachfolgenden Generationen untersuchen soll. Dazu Cyranoski, Nature 2001, vol. 291, S. 5. 7 So können etwa Einflüsse wie Luftverschmutzungen zu Veränderungen des genetischen Materials beitragen. TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 44 f. 8 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Mutation“. 9 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Mutation“; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 10; Schmidtke, Vererbung, S. 205; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 72, Stichwort „Mutation“. 10 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Mutation“. 11 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Mutation”. 5

B. Charakteristika des Untersuchungsmaterials

83

(nicht vererblichen) Mutationen gehört beispielsweise die Mehrzahl bösartiger Tumore.12 Mit dem Aspekt der grundsätzlichen Unveränderlichkeit des Erbguts steht ein weiteres Charakteristikum genetischer Informationen in engem Zusammenhang: Genetische Daten sind unabhängig vom Alter und dem klinischen Status der getesteten Person.13 Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, anhand von genetischen Daten zukunftsgerichtete (prädiktive) Aussagen über die Entwicklung eines Menschen zu treffen.14

II. Körperzelle als Datenträger Jede Körperzelle ist eine Datenquelle. Körperzellen als Träger genetischer Daten sind leicht verfügbar und gut verwertbar. Genau diese Eigenschaften begründen jedoch auch ihr erhöhtes Missbrauchspotenzial: Nahezu unbemerkt kann jede Körperzelle eines Menschen dazu genutzt werden, genetische Daten über ihn zu erheben.

1. Leichte Verfügbarkeit und gute Verwertbarkeit von Genproben Jeder Körperzelle lassen sich alle genetischen Merkmale des Menschen entnehmen. Enthalten sind sie in der DNS-Spirale, dem genetischen Material.15 Die DNS ist wiederum vorwiegend im Zellkern und dort auf den Chromosomen lokalisiert.16 Im Vergleich zu vielen anderen Probenmaterialien sind Genproben außerordentlich leicht zugänglich und können ohne großen Aufwand gewonnen werden.17 Als Probenmaterial sind mittlerweile alle Gewebetypen, etwa Blut, Sperma, Speichel, Haare oder Hautpartikel, geeignet.18 Darin unterscheiden sich

___________ 12

DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 10. Chadwick, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 13 (14); Kienle, prädiktive Medizin, S. 13; Paul, Tumorerkrankungen, S. 36; Schöffski, Gendiagnostik, S. 148. 14 Siehe dazu unten, S. 128 ff. 15 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Material, genetisches“. 16 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „DNA“. – Vgl. auch Kollek, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 15 (20 f.). 17 Steinmüller, DuD 1993, 6 (8); Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 136; Paul, Tumorerkrankungen, S. 36; Däubler, Gläserne Belegschaften, Rdnr. 230. 18 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „DNA-Fingerprint-Methode“; LG Darmstadt, NJW 1989, 2238 (2339); Kienle, prädiktive Medizin, S. 13; Chadwick, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 13 (14); Schöffski, Gendiagnostik, S. 148. 13

84

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

genetische Daten von vielen anderen endogenen Daten, die sich aus bestimmten Körperzellen gewinnen lassen. Die Körperzelle weist als Datenträger besondere Qualitäten auf: Da die DNS ein besonders stabiles Molekül ist, das sich nicht von selbst zersetzt und so noch nach Jahren intakt ist, wenn es nicht äußere Einflüsse, wie etwa Bakterien, angreifen, weisen Genproben eine besondere Stabilität auf und können auf Jahre hin aufbewahrt werden (hohe Probenstabilität).19 Kleinste Mengen reichen aus, um möglicherweise ein umfangreiches Genprofil des Probanden zu erstellen (gute Probenverwertbarkeit).20 Angesichts der Vielzahl der Datenträger sind Genproben zudem unproblematisch zu erheben (leichte Probenverfügbarkeit). Die besondere Beschaffenheit des genetischen Materials macht es auch für Beweiszwecke im Rahmen der Strafverfolgung besonders attraktiv. Technisch ist es nunmehr auch möglich, den so genannten „genetischen Fingerabdruck“ mit abgestorbenen Körperzellen (z.B. ausgefallenen Haare) vorzunehmen. Beispiele dafür bieten insbesondere die spektakulären Spätaufklärungen von Verbrechen, wie etwa das im April 1991 verübte Attentat an dem früheren Treuhandchef Rohwedder, welches im Mai 2001 aufgrund des dann auswertbaren DNS-Materials, das am Tatort sichergestellt worden war, dem mutmaßlichen RAF-Terroristen Grams zugeschrieben wurde.21

2. Möglichkeit der heimlichen Datenerhebung Aufgrund ihrer Beschaffenheit sind Genproben aber auch in einem besonderen Maße dazu geeignet, vom Probanden unbemerkt zu Testzwecken verwendet zu werden.22 Dieser Umstand kann dazu führen, dass der Tester mehr über den Getesteten weiß als dieser über sich selbst.23 Aufgrund des Mangels an Kontrollmöglichkeiten ist zudem die Missbrauchsgefahr erhöht.24 Die Frage der Zulässigkeit heimlicher Genproben ist bereits Gegenstand gerichtlicher Verfahren geworden. In einem vor dem VGH Mannheim25 verhandelten Fall ging es um eine Verdachtskündigung, die aufgrund eines heimlich durchgeführten Gentests ausgesprochen war. Ein Mitglied des Personalrats war verdächtigt worden, mit anonymen

___________ 19 Friedl/Lamberti, in: Petermann/Wiedenbusch/Quante, Perspektiven, S. 81 (81); Paul, Tumorerkrankungen, S. 37; Schöffski, Gendiagnostik, S. 148; Kienle, prädiktive Medizin, S. 13. – Vgl. auch LG Darmstadt, NJW 1989, 2238 (2339). 20 Schöffski, Gendiagnostik, S. 148; Kienle, prädiktive Medizin, S. 13; Paul, Tumorerkrankungen, S. 36. 21 Statt vieler: SZ 17.05.2001, Titel, S. 1 „Heiße Spur im Fall Rohwedder“. 22 Siehe etwa Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 23. 23 Siehe dazu S. 126 ff. 24 Steinmüller, DuD 1993, 6; Menzel, NJW 1989, 2041 (2043), Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 23, welche angesichts der besonderen Missbrauchsgefahren strafrechtliche Sanktionen für die heimliche Beschaffung von Proben zum Zweck genetischer Analysen fordert . 25 VGH Mannheim, DÖV 2001, 474 ff.

B. Charakteristika des Untersuchungsmaterials

85

Briefen Mobbing betrieben zu haben. Um ihn zu überführen, wurde nach einer Dienstbesprechung von seinem Essgeschirr heimlich eine Genprobe genommen. Die sich anschließende Analyse der Probe führte zu einer Übereinstimmung mit dem DNS-Material auf den Briefen, woraufhin dem Mitarbeiter gekündigt worden war.

III. Körperzelle als natürliche Datenbank Der Datenbankcharakter genetischer Datenträger ergibt sich in zweierlei Hinsicht: Zum einen stellt die Körperzelle eine gewissermaßen von der Natur zur Verfügung gestellt Datenbank dar. Zum anderen hat auch jedes Gen – aufgrund der Multifunktionalität der Gene – für sich genommen einen Datenbankcharakter.

1. Datenbankcharakter des Genoms: Das Problem der Überschussinformationen und der eingeschränkten Anonymisierbarkeit von Genproben Der Datenbankcharakter26 des Genoms führt dazu, dass jede Probenentnahme mit der Möglichkeit der Erhebung von Daten verbunden ist, die gar nicht der Gegenstand der Untersuchung sind (Überschussinformationen). Dieser Umstand ist – wie bei allen Datenbanken – mit einer Missbrauchsgefahr verbunden: Einmal entnommene Proben können jederzeit über die zulässige Datenerhebung hinaus ausgewertet werden. Angesichts des breiten Anwendungsfeldes genetischer Daten erscheint diese Gefahr als besonders nahe liegend.27 Um zusätzliche Informationen aus dem Genom gewinnen zu können, dürften allerdings in der Regel weitere gezielte Untersuchungen der Genprobe auf nicht vom Untersuchungszweck umfasste Genmerkmale erforderlich sein. Das Problem der Überschussinformationen dürfte sich daher in der Regel nur bei einer vorsätzlich missbräuchlichen Verwendung ergeben. Dies unterscheidet den „Datenbankcharakter“ des Genoms vom „Datenbankcharakter“ des Gens.28 Mit dem Datenbankcharakter des Datenträgers eng verbunden ist das Problem der (mangelnden) Anonymisierbarkeit des Probenmaterials.29 Angesichts der ___________ 26

Steinmüller, DuD 1993, 6 (7); DGMR, Einbecker-Empfehlungen Nrn. 17 u 18, MedR 2002, 669 (670); Schöffski, Gendiagnostik, S. 124; Garstka, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 83 (83 f.); Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 119. 27 Zu den möglichen Anwendungsfeldern im privaten und staatlichen Bereich siehe unten, S. 132 ff. 28 Siehe unten, S. 86 ff. 29 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Stellungnahme zum Fragenkatalog, S. 7, 18 f.; Grand/Atia-Off, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1319; Menzel, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 4 (6); Schneider, in: von Armin

86

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Vielzahl der in ihr enthaltenden Informationen dürfte sich auch eine äußerlich nicht gekennzeichnete Probe stets auf die Person zurückführen lassen, der sie entnommen wurde (insbesondere durch Referenzproben). Dieser Umstand kann auch im Bereich der Strafverfolgung ausgenutzt werden. Ein Haar eines noch unbekannten Täters am Tatort könnte es der Polizei ermöglichen, ein detailliertes Fahndungsbild zu erstellen. Möglicherweise ließe sich feststellen, ob der Täter blond und blauäugig ist und ob er aufgrund seiner genetischen Veranlagung zu einer bestimmten Krankheit wahrscheinlich auf Medikamente angewiesen ist und daher regelmäßig eine Apotheke aufsuchen muss.30

2. Multifunktionalität der Gene: Das Problem der Zusatz- und Zufallsinformationen Nach der Entschlüsselung des Genoms zeichnet sich ab, dass einzelne Gene mehrere Funktionen übernehmen. Angesichts der Vielfältigkeit der genetisch mitbeeinflussten Entwicklungsprozesse und der im Verhältnis dazu geringen Zahl der Gene ist derzeit für die meisten Gene von einer derartigen Multifunktionalität auszugehen.31 Dies entspricht den Feststellungen in der Epidemiologie, wonach sich Ursachen für bestimmte körperliche Abläufe meist im synergetischen und antagonistischen Zusammenspiel verschiedener Faktoren bilden.32 Welche Rolle ein einzelnes Merkmal bei der Entwicklung einer bestimmten Eigenschaft hat, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Ein und dasselbe Merkmal kann in bestimmten Konstellationen eine risikoerhöhende, in anderen eine risikosenkende Wirkung haben.33 Dementsprechend ist der Umfang genetischer Untersuchungsergebnisse technisch kaum klar eingrenzbar.34 Einige Gene mit mehrfacher Funktionalität sind bereits bekannt. Ein seit langem bekanntes Beispiel ist die Doppelfunktionalität einer Genmutation, deren homozygotes Vorliegen Krankheiten des Hämoglobin, insbesondere die Sichelzellenanämie, hervorruft, im heterozygoten Zustand jedoch mit einer erhöhten Resistenz gegen Malaria in Verbindung gesetzt wird.35

___________ u.a., S. 130 (134); Weichert, DuD 2002, 133 (134); Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 21. Anders noch: Simon/Paslack u.a., Biomaterialbanken, S. 48. 30 Siehe dazu auch unten, S. 162. 31 Dazu etwa Francis Collins im Interview mit Koch, SZ 13.02.2001, Nr. 36, S. 17; Binder, Der Tagesspiegel 2.05.2003, Nr. 18107, S. 29 m.w.N. 32 Thompson, J. Clin. Epidemio. (1991), vol. 44, Nr. 3, 221 (221 ff.). 33 Thompson, J. Clin. Epidemio. (1991), vol. 44, Nr. 3, 221 (223 ff.): „unmeasured intervening variables“. 34 Weichert, DuD 2002, 133 (137). 35 Schöffski, Gendiagnostik, S. 35 m.w.N.

B. Charakteristika des Untersuchungsmaterials

87

Sobald ein multifunktionales Gen beim Probanden festgestellt worden ist, können korrelationsstatistische Aussagen über sämtlichen Eigenschaften getroffen werden, mit denen das Gen in Verbindung gebracht wird. Da nämlich ein und dasselbe Gen offensichtlich die Entwicklung verschiedener Proteine verschlüsselt, kann es auch mit ebenso vielen Eigenschaften in Verbindung gebracht werden. Die Gefahr der Erhebung von Zusatzinformationen, also von über den eigentlichen Zweck hinausgehenden Informationen, besteht dabei unabhängig von der Untersuchungsmethode. Dies bedeutet, dass gezielte Untersuchungen auf eine genetische Veranlagung zu einer bestimmten Eigenschaft kaum möglich sein dürften, sondern mit der Feststellung eines genetischen Merkmals – unvermeidlicherweise – ein ganzes Bündel von ungewollten Zusatzinformationen über möglichen Veranlagungen gewonnen wird.36 Vor diesem Hintergrund ist es auch denkbar, dass einer bisher wenig aussagekräftigen DNS-Sequenz zukünftig eine Fülle von Informationen entnommen werden kann.37 Das Problem der Zufallsinformationen ergibt sich, wenn vom Phänotyp38 Rückschlüsse auf einen bestimmten Genotyp39 gezogen werden können, der wiederum mit bestimmten anderen Eigenschaften in Verbindung steht. Die damit verbundene Problematik ergibt sich also gerade dort, wo Untersuchungen gar nicht zielgerichtet auf die DNS-Struktur vorgenommen werden. Auch dieses Problem liegt in der Multifunktionalität der Gene begründet: So verursachen bestimmte Gene eben nicht nur bestimmte Erkrankungen, sondern auch andere körperliche Merkmale, welche dann als Krankheitskennzeichen festgestellt werden können. Die genetische Veranlagung zur familiären adenomatösen Polyposis (FAP), einer bestimmten Art des Darmkrebses, manifestiert sich nicht nur im Darm, sondern auch außerhalb des Darms. Etwa 80% aller Menschen, die eine Veranlagung zur familiären adenomatösen Polyposis, einer speziellen Form des Darmkrebses, haben, weisen auf ihrer Netzhaut die so genannte kongenitale Hypertrophie des renitalen Pigmentepithels (CHRPE) auf – eine angeborene Vergrößerung eines Netzhautpigmentepithels. Typi-

___________ 36

Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 136: „Zweitauswertung“; Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Stellungnahme zum Fragenkatalog, S. 6; Sokol, NJW 2002, 1767 (1769). 37 Bartram, in: Steiner, Genpool, S. 243 (244, 247). – In den Vereinigten Staaten gibt es offenbar bereits Firmen, die die gezielte Zweitauswertung von einmal erhobenen Testergebnissen anbieten, vgl. Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 136, Fn. 646 m.w.N. 38 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Phänotypus“: Merkmalsbild, Erscheinungsbild, Summe aller in einem Einzelwesen vorhandenen Merkmale (Phäne), sein äußeres Bild, seine äußere Erscheinungsform und seine funktionellen Eigenschaften, die durch den Genotypus im Zusammenwirken mit Umwelteinflüssen verschiedener Art geprägt werden. – Vgl. auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 33 f. 39 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Genotypus“, „Phänotypus“: Erboder Anlagenbild, 1. Die Gesamtheit aller Erbanlagen eines Organismus, die den Phänotypus bestimmen, 2. Die genetischen Ursachen einer speziellen Eigenschaft, z.B. der Blutgruppen. – Siehe auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 33 f.

88

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

scherweise sind mit der Veranlagung zu dieser Krebserkrankung auch Kiefer- und Zahnfehlstellungen verknüpft.40 Dieser Umstand führt dazu, dass etwa im Rahmen einer augenärztlichen Untersuchung zufällig die Feststellung eines statistisch erhöhten Risikos zu Darmkrebs gemacht werden kann. Ein anderes Beispiel für solche indirekten Krankheitskennzeichen ist der Umstand, dass die Tay-Sachs-Erkrankung an einem kirschroten Fleck am Augenhintergrund zu erkennen ist.41 Mittlerweile wird es sogar für möglich gehalten, dass sich anhand eines normalen Fingerabdrucks genetische Veranlagungen ablesen lassen könnten.42

IV. Vererblichkeit von Erbmerkmalen Besondere Nutzungsmöglichkeiten ergeben sich aus dem Umstand, dass Erbmerkmale von Generation zu Generation weitergegeben werden.

1. Möglichkeit der Feststellung von Verwandtschaftsverhältnissen Der Umstand, dass Gene vererbt werden, ermöglicht zum einen, dass anhand genetischer Identifikationsmuster bestehende, bzw. nicht bestehende Verwandtschaftsverhältnisse festgestellt werden können (Identifikationsfunktion).

2. Familiäre und ethnische Gruppenzugehörigkeit als Eigenschaftsindikator Zum anderen können genetische Gemeinsamkeiten in Familien und bestimmten Bevölkerungsgruppen dazu genutzt werden, anhand der familiären oder ethnischen Gruppenzugehörigkeit (unter Berücksichtigung der jeweiligen Vererbungswahrscheinlichkeit) Aussagen über das Vorliegen eines bestimmten Erbmerkmals bei Verwandten bzw. Mitgliedern der gleichen Bevölkerungsgruppe zu treffen (Indikatorfunktion). Die für solche Rückschlüsse erforderlichen genetischen Gemeinsamkeiten können nur hinsichtlich vererbter Merkmale bestehen. Sofern die Mutation (nur) in einer Körperzelle erfolgt ist (somatische Mutation), handelt es sich um kein Merkmal, das ererbt worden ist und damit auch nicht gehäuft bei Verwandten oder Mitgliedern der jeweiligen Bevölkerungsgruppe vorliegen muss.43 ___________ 40

Friedl/Lamberti, in: Ganten/Ruckpaul, Tumorerkrankungen, S. 303 (306, 317 f). Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Tay-Sachs-Syndrom“. 42 So FR 12.03.2003, „Augen zu und durch – Datenschützer erheben Einwände gegen die geplante Passkontrolle durch Iris-Scanner“ – Siehe auch S. 102, Fn. 116. 43 Zu den verschiedenen Mutationsarten siehe oben, S. 82. 41

B. Charakteristika des Untersuchungsmaterials

89

Wird beim Probanden ein Erbmerkmal festgestellt, kann dies mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit bei dessen Verwandten vermutet werden. Dies erlaubt wiederum eine zweite Wahrscheinlichkeitsaussage über das Vorliegen einer bestimmten, mit diesem Erbmerkmal verbundenen Eigenschaft bei diesen. Im Rahmen solcher Familienanamnesen44 können – gegebenenfalls sogar unter Berücksichtigung von Erbmerkmalen verstorbener Familienmitglieder – Wahrscheinlichkeitsaussagen über Eigenschaften von Verwandten und die mögliche Nachkommenschaft getroffen werden (sog. „intergenerational effects“).45 Da auch innerhalb einer bestimmten Bevölkerungsgruppe aufgrund der Vererbung innerhalb dieser Gruppe bestimmte genetische Merkmale gehäuft auftreten können, lässt die Feststellung der ethnischen Zugehörigkeit auch Vermutungen über das Vorliegen dieser bevölkerungsgruppentypischen Erbmerkmale beim Einzelnen zu.46 Dieser Umstand wird sich bei der sog. Populationsgenetik zunutze gemacht, die sich die Erforschung von Volkskrankheiten zum Ziel gesetzt hat.47 In diesem Zusammenhang wird die Gefahr gesehen, dass bestehende gesellschaftliche Vorbehalte gegenüber bestimmten ethnischen Bevölkerungsgruppen verstärkt werden und neue Stigmatisierungspotenziale entstehen.48 Allerdings sind die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen wohl im Wesentlichen auf das äußere Erscheinungsbild und vereinzelte, erblich bedingte Auffälligkeiten beschränkt. Populationsgenetische Unterschiede in der Genstruktur, welche mit Eigenschaften wie Intelligenz, emotionaler, motivationaler oder anderer psychologischer Eigenheiten in Verbindung gesetzt werden könnten, sind – schon weil sie sich allenfalls teilweise erblich bedingt bezeichnen lassen – bisher nicht feststellbar.49 Sofern populationsgenetische Besonderheiten überhaupt bestehen, werden sie auf spezifische Lebensbedingungen oder auf eine geographisch oder kulturell bedingte Abgeschiedenheit – den so genannten „Gründereffekt“ – zurückgeführt.50 ___________ 44

Siehe unten, S. 94 ff. Vgl. Rodotà, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 1; Jones, genetic information, S. 2; NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (802). 46 Dazu auch Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 365. 47 Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 166; Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (133). 48 NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (802); Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (141); dies., Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 31 f. – Siehe auch S. 352 ff. 49 Pääbo, Science 2001, vol. 291, 1219 (1220): „Consequently, stigmatizing any particular group of individuals on the basis of ethnicity or carrier status for certain allels will be revealed as absurd.“ 50 Holtzman, Caution, S. 46; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 44 f; Schöffski, Gendiagnostik, S. 35. – Siehe auch Breuer, Die Zeit, 19.09.2002, Nr. 39, S. 31. 45

90

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Die Sichelzellenanämie ist eine fast ausschließlich bei Bevölkerungen afrikanischer Herkunft vorkommende, autosomal-rezessiv erbliche Erkrankung, die sich in einer chronischen Blutarmut infolge eines beschleunigten Abbaus roter Blutkörperchen zeigt.51 Das Tay-Sachs-Syndrom hat eine erhöhte Prävalenz bei den Aschkenazim-Juden, einem jüdischen Bevölkerungsteil osteuropäischer Abstammung, der 80% der jüdischen Weltbevölkerung ausmacht.52 Da sie autosomal-rezessiv ist, kommt sie nur zum Ausbruch, wenn die entsprechenden Gene homozygot vorliegen. Die Krankheit beginnt im ersten Lebensjahr, ist verbunden mit fortschreitendem Sehverlust, geistigem Verfall und Hypotonie und führt in der Regel innerhalb von 2-3 Jahren zum Tod.53 Bei der Beta-Thalassämie handelt es sich um eine autosomal-rezessive erbliche Störung der Hämoglobinbildung (auch sog. Blutarmut), die Krankheit kommt also nur im homozygoten Zustand, also bei doppeltem Vorliegen des Gens zum Ausbruch.54 Diese Erkrankung ist wiederum v.a. unter der Bevölkerung am Mittelmeer, insb. in Griechenland, auf Sardinien und Zypern, verbreitet und wird daher auch als Mittelmeeranämie bezeichnet.55 Besondere Verbreitung im nordeuropäischen Raum findet die Mukoviszidose.56 Hierbei handelt es sich um eine autosomal-rezessive Erkrankung, die sich meist in frühen Jahren manifestiert und zu Funktionsstörungen mehrerer Organe führt (Multiorgansyndrom). Die mittlere Lebenserwartung beträgt aufgrund steigender Therapieerfolge mittlerweile 25-35 Jahre.57 Inuit weisen überdurchschnittlich häufig die Succinyldicholinempfindlichkeit auf, eine Empfindlichkeit gegen ein Muskelrelaxanz, welches insbesondere bei chirurgischen Operationen bedeutsam ist.58

Solche populationstypischen Besonderheiten scheinen offenbar zuweilen die Möglichkeit zu bieten, auf vereinfachtem Wege bestimmte genetische Merkmale zu ermitteln, welche für die Entwicklung bestimmter Krankheiten verantwortlich gemacht werden. Sofern bei diesen Forschungsbemühungen eine bestimmte Bevölkerungsgruppe als Untersuchungsobjekt „ausgeforscht“

___________ 51 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Sichelzellenanämie“; Schmidtke, Vererbung, S. 247. 52 Schmidtke, Vererbung, S. 201; Schöffski, Gendiagnostik, S. 58, 87; Kienle, prädiktive Medizin, S. 30; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 43. 53 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Tay-Sachs-Krankheit“, „Gangliodosen“; Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Tay-Sachs-Syndrom“; Schmidtke, Vererbung, S. 244. 54 Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Thalassämie“. 55 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Thalassämie“; Schmidtke, Vererbung, S. 247. 56 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Fibrose, zystische“. 57 Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Mukoviszidose“. 58 Sperling, Fachgespräch (1983), in: BMFT, „Ethische und rechtliche Probleme“, S. 47 (129).

C. Charakteristika der Untersuchungsmethode

91

wird, ohne in angemessener Weise an den Forschungsergebnissen und ihren Erträgen beteiligt zu werden, wird von „Biopiraterie“ gesprochen.59 Bekannt geworden ist ein Forschungsprojekt bei den Nuu-chat-nulth, kanadischen Ureinwohnern in der Provinz West Columbia. Hier wurde beabsichtigt, eine ungewöhnliche Form der Arthritis zu untersuchen, welche besonders bei den Nuu-chatnulth auftritt. Wohl aufgrund mangelnder Aufklärung über Art und Ablauf des Projektes bemühen sich die Interessenvertreter der Nuu-chat-nulth nun darum, die bei ihren Stammesangehörigen entnommenen Blutproben zurückzuerlangen.60

Ähnliche Verstimmungen rief die Durchführung eines Forschungsprojektes auf der südatlantischen Insel Tristan da Cunha hervor. Hier wurden genetischen Forschungen an der Bevölkerung vorgenommen, um eine genetische Veranlagung zu ermitteln, welche die besondere Häufigkeit von Asthma auf der Insel erklären kann.61 Auf der Insel Pingelap im Westpazifik weisen alle Bewohner eine bestimmte Farbenblindheit auf. Diese wird darauf zurückgeführt, dass infolge eines Taifuns im Jahre 1775 nur 20 von etwa 1000 Menschen überlebten, von denen alle diese Form der Farbenblindheit aufwiesen (Gründereffekt). Zwar besteht heute die grundsätzliche Möglichkeit zu genetischen Partnerschaftsberatungen, durch welche der Weitervererbung des für die Farbenblindheit verantwortlichen Gens zu verhindern versucht werden könnte. Allerdings würde damit der Inselgemeinschaft möglicherweise auch ein Aspekt kultureller Identität genommen werden.62

C. Charakteristika der Untersuchungsmethode: Gentests und Genchips In diesem Abschnitt werden die Charakteristika der Untersuchungsmethode behandelt.

I. Klassifizierung genetischer Untersuchungen Genetische Untersuchungen lassen sich – nach dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand – in vier Arten unterteilen: Untersuchungen auf der Ebene des Genotyps, auf der Ebene des Karyotyps, auf proteinchemischer Ebene und auf der Ebene des Phänotyps.63 ___________ 59 Zum Problem der Biopiraterie und dem rechtlichen Umgang damit: Paul, Tumorerkrankungen, S. 256 ff. (insb. zu Indien und China und der indianischen Bevölkerung in Nordamerika). 60 Löhr, TAZ 3.11.2000, S. 17. 61 Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (134). 62 Albrecht, ZEITdokument „Das menschliche Genom“ (1/2001), S. 43 ff. 63 Mit dieser Einteilung: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 9 f.; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 116. Teilweise bestehen in dieser Unterteilung kleinere Abwei-

92

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

1. Untersuchungen auf Genotypebene Unter Tests auf Genotypebene (auch: molekulargenetische Untersuchungen)64 werden Untersuchungen verstanden, bei denen die DNS unmittelbarer Gegenstand der Untersuchung ist.65 Hier werden wiederum zwei Arten unterschieden: direkte und indirekte Gentests. Bei direkten Gentests ist die krankhafte Genmutation bekannt. Durch die Untersuchung kann unmittelbar festgestellt werden, ob sie vorliegt.66 Allerdings ist dieses Verfahren nur bei einem Teil der heute bekannten erblichen Krankheiten möglich, da die krankheitsverursachende(n) Mutation(en) häufig noch nicht genau identifiziert ist.67 Bei indirekten Gentests (auch Kopplungsanalysen genannt) macht man sich daher den Umstand zunutze, dass bestimmte Gensequenzen typischerweise mit den gesuchten Genabschnitten verbunden (gekoppelt) sind.68 Sofern über einen Test das Vorliegen der typischen Nachbarsequenz festgestellt werden kann, kann auf die gesuchte Gensequenz rückgeschlossen werden.69 Genetische Analysen des gesamten menschlichen Genoms werden – im Unterschied zu Untersuchungen einzelner Gene – üblicherweise als Genomanalyse bezeichnet.70

2. Untersuchungen auf Karyotypebene Bei Tests auf der Ebene der Karyotypebene (zytogenetische Untersuchungen)71 werden Form und Anzahl der Chromosomen untersucht (Karyogramm).72 ___________ chungen. Insbesondere werden Untersuchungen auf Genproduktebene zum Teil als Unterform der Untersuchung auf der Ebene des Phänotyps verstanden, vgl. etwa Schmidtke, in: Raem, Gen-Medizin, S. 227 (227). 64 Siehe etwa Art. 3 lit. c) des Schweizer GUMG. 65 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Genanalyse“; Schmidtke, Vererbung, S. 86. 66 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Genanalyse“. 67 Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 119. 68 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Genanalyse“, auch „Kopplung, genetische“. 69 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Genanalyse“. 70 Siehe etwa Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 56; Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 37; Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 2-6 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752, S. 45. 71 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Zytogenetik“. Siehe auch Art. 3 lit. b) des Schweizer GUMG. 72 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Karyotyp“, „Karyogramm“, „Zytogenetik“.

C. Charakteristika der Untersuchungsmethode

93

Prädiktive Aussagen erlauben Karyotypuntersuchungen allerdings im Wesentlichen im Rahmen von pränatalen Untersuchungen.73 Bis zum 6.–7. Lebensjahr haben sich chromosomal-bedingte Veranlagungen in der Regel – äußerlich deutlich wahrnehmbar – manifestiert. Eine der bekannteren chromosomalen Veränderungen, die über derartige Tests diagnostiziert werden können, ist das so genannte Down-Syndrom.

3. Untersuchungen auf Genproduktebene Auch Untersuchungen auf der Genproduktebene (auch proteinchemische Untersuchungen)74 können Aufschlüsse über genetische Veranlagungen geben. Das Serum-Cholesterin, der Blutzucker, der Blutdruck, Bestandteile des Urins oder der Salzgehalt im Schweiß stellen mitunter hochspezifische und verlässliche Indikatoren für genetische Störungen dar.75 Die Veranlagung zur Sichelzellenanämie lässt sich beispielsweise feststellen, indem man einen Blutstropfen mit einem Mittel versetzt, welches im Falle einer entsprechenden genetischen Veranlagung die roten Blutkörperchen sichelförmig verformt.76 Im Arbeitsbereich bereits sehr gebräuchlich sind Untersuchungen auf drei Erkrankungen, welche teilweise bereits seit den 70er Jahren im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden: Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, Glukose-6-Phosphatdehydronase (G-6-PD) und N-Acetyltransferase-Polymorphismus.77

Die Trennungslinie zwischen Untersuchungen auf der Phänotypebene und solchen auf der Genproduktebene ist schwer zu ziehen, weil jedes Genprodukt sich auch als Phänotyp, jeder Phänotyp auch als Genprodukt begreifen lässt.78 Es soll jedoch an der begrifflichen Differenzierung festgehalten werden, weil sie häufig zur Grundlage rechtlicher Differenzierungen genommen wird.79

___________ 73 Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 118 f. 74 Schroeder-Kurth, medgen 2000, 461 (461); Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 116. 75 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7371). Nachweise auch auf S. 76 unter Fn. 172. 76 Schmidtke, Vererbung, S. 85. 77 Hofmann, Genomanalyse, S. 153; Paslack, EthikMed 1993, 184 (189); Schöffski, Gendiagnostik, S. 138; Wiese, RdA 1988, 217 (217); ders., Genetische Analysen, S. 13; Zink/Morun, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 6 ff. 78 Schmidtke, Vererbung, S. 86. – Vgl. auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 237. 79 Siehe etwa Wiese, Genetische Analysen, S. 37. – Vgl. auch S. 229 ff.

94

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

4. Untersuchungen auf Phänotypebene Bei Phänotyp-Untersuchungen wird das äußere Erscheinungsbild des Probanden untersucht. In der traditionellen klinischen Medizin werden schon seit längerem aus dem Phänotyp von bestimmten Krankheiten, d.h. den Symptomen und ihrem Erscheinungsbild, Rückschlüsse auf das Erbgut einer Person gezogen.80 Dazu gehören einfache Inaugenscheinnahme, Röntgenuntersuchungen, Ultraschalluntersuchungen oder sonstige, an Symptomen orientierte Untersuchungen.81 Selbst ein einfacher Sehtest kann genetische Veranlagungen erkennen lassen, wie etwa im Falle der Farbenblindheit.82 Aber auch prädiktive Daten können schon seit längerem durch Familienanamnese, psychologische Gutachten und andere phänotypische Untersuchungen wie Ultraschalluntersuchungen erhoben werden.83

II. Gesteigerte Effektivität und hohe Effizienz von Untersuchungen auf DNS-Ebene Gerade im Hinblick auf Tests auf der Genotyp-Ebene hat es in den letzten Jahrzehnten außerordentliche Fortschritte gegeben. Die Entwicklung von DNSChips lässt erwarten, dass genetische Untersuchungen zukünftig in einem sehr viel größerem Umfang vorgenommen werden können und zum Standardinstrument ärztlicher Diagnostik werden. Der Einsatz von DNS-Chips ermöglicht schließlich auch die Entwicklung von sog. Multiplex-Tests, mit denen in einem Testverfahren verschiedene Veranlagungen gleichzeitig ermittelt werden können.84

1. Funktionsweise des DNS-Chips Ein DNS-Chip besteht aus einer kleinen Platte, auf die eine große Anzahl unterschiedlicher bekannter und definierter DNS-Moleküle (sog. Sonden) fixiert

___________ 80

Schmidtke, Vererbung, S. 85. Auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 237. Schmidtke, Vererbung, S. 85. 82 Schmidtke, Vererbung, S. 85 f. 83 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7392) zu Art. 3 lit. e) GUMG. 84 Bahnsen, Die Zeit, 2.11.2000, Nr. 45, S. 34; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 169; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 99 ff.; Kollek, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 15 (27 f.); Schöffski, Gendiagnostik, S. 93. 81

C. Charakteristika der Untersuchungsmethode

95

wird.85 Auf diesem Chip wird die zu untersuchende Probe (Blut, Abstrichsubstanz oder anderes biologisches Material) in entsprechend labortechnisch aufbereiteter Form aufgebracht. Die in der Probe enthaltenen DNS-Moleküle reagieren mit den Sonden auf dem Chip. In Analysegeräten werden die Reaktionen auf der Basis chemischer Nachweise gemessen und ausgewertet.86

2. Verbesserte Technik und höhere Wirtschaftlichkeit Die Entwicklung in der Chiptechnologie wird es bald ermöglichen, einen Großteil der genetischen Merkmale eines Menschen sehr viel umfassender, schneller, kostengünstiger, zuverlässiger und mit geringerem technischen Aufwand zu verorten und zu entschlüsseln als bisher.87 Die erweiterten und erleichterten Verwendungsmöglichkeiten lassen sowohl eine verbesserte technische Effektivitäts- als auch eine erhöhte wirtschaftliche Effizienz erwarten.

3. Genetische Reihenuntersuchungen (Screenings) Damit ist auch der Weg eröffnet, genetische Testverfahren in Reihenuntersuchungen (Screenings) in größerem Umfang einzusetzen. Screenings sind systematisch durchgeführte und organisierte Such- oder Siebtests.88 Als epidemiologische Reihenuntersuchungen werden sie insbesondere zur Erfassung eines klinisch symptomlosen Krankheitsstadiums verwendet.89 Derartige Untersuchungen werden also ohne konkrete Verdachtsmomente durchgeführt,90 können allerdings ___________ 85 Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 4. Zur DNS-Chip-Technologie auch: Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7373); Schöffski, Gendiagnostik, S. 94 86 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 15 f. 87 Zur Funktionsweise von DNS-Chips insbesondere: Schöffski, Gendiagnostik, S. 92 f.; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 15 f., 26 ff.; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 15. 88 Screen, engl.: Sieb. 89 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Screening“. 90 Anders Istel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 197 (197 ff.), die zwischen selektiven und allgemeinen Reihenuntersuchungen unterscheidet. Unter selektiven Reihenuntersuchungen versteht sie dabei Untersuchungen, die bei vorhandenen Verdachtsmomenten durchgeführt werden und dementsprechend bei ausgewählten Personen gezielt durchgeführt werden. Sie verwendet den Begriff selektives Screening damit synonym mit dem Begriff der genetischen Einzeluntersuchung. Als Beispiel für selektives Screening nennt sie Untersuchungen im Rahmen der humangenetische Beratung für sog. Indikationspatienten, also Personen, denen aufgrund ihrer familiären Vorgeschichte einem erhöhten Erkrankungsrisiko zugeordnet wird. – Dagegen siehe Schöffski, Gendiagnostik, S. 83.

96

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

– je nach Einschätzung des spezifischen Risikos – alters- oder gruppenspezifisch eingegrenzt sein.91 Vereinzelt wurden bereits im größeren Rahmen genetische Screening-Programme für ganze Bevölkerungsgruppen durchgeführt.92 Ein Beispiel für allgemeine Screenings sind die standardmäßig durchgeführten Neugeborenenscreenings.93 Dabei handelt es sich nicht um eine neue Entwicklung: Bereits seit den 60er Jahren werden schwangere Frauen routinemäßig auf ihren Rhesusfaktor hin getestet, um gesundheitlichen Schädigungen an dem Kind frühzeitig entgegenwirken zu können.94 Schon zu Zeiten seiner Umsetzung äußerst umstritten war das SichelzellenanämieScreening, welches in den 70er Jahren in den USA in relativ großem Umfang vor allem in der amerikanischen Bevölkerung afrikanischer Herkunft durchgeführt wurde. Das ursprünglich mit Unterstützung schwarzer Bürgerrechtsbewegungen initiierte ScreeningProgramm geriet bald in die Kritik, weil die wissenschaftlichen Grundlagen, auf denen es sich gründete, teilweise unklar waren oder falsch vermittelt wurden.95

Abzugrenzen vom Begriff des Screenings ist der des Monitorings. Monitorings sind Überwachungsuntersuchungen, die in der Regel bei einer Person in regelmäßigen Abständen zur Kontrolle bestimmter, meist tätigkeitsspezifischer Gesundheitsrisiken und -schädigungen durchgeführt werden.96 Screenings werden demgegenüber meist nur einmalig bei einer Vielzahl von Personen durchgeführt.97 Die Möglichkeit der Untersuchung großer Bevölkerungsteile im Rahmen von genetischen Reihenuntersuchungen birgt dabei die Gefahr der Ausübung gesellschaftlichen Drucks. Die leichte Verfügbarkeit genetischer Informationen könnte es leicht zur Verpflichtung werden lassen, aus Vorsorgegesichtspunkten genetische Tests an sich vornehmen zu lassen.98

III. Die Familienanamnese als ergänzende Untersuchungsmethode Neben den Untersuchungen auf DNS-Ebene werden in bestimmten Bereichen zumindest auf absehbare Zeit jedoch auch noch andere Untersuchungsmethoden ihre Bedeutung behalten. Zu diesen Untersuchungen dürfte auch die Familienanamnese gehören, weil sie auch dann durchgeführt werden kann, ___________ 91

Istel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 197 (199). Paul, Tumorerkrankungen, S. 251 ff. 93 Istel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 197 (199). 94 Schöffski, Gendiagnostik, S. 83. 95 Dazu Paul, Tumorerkrankungen, S. 251 f. 96 Zum Biomonitoring: TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 7, 45; Paul, Tumorerkrankungen, S. 236; Schöffski, Gendiagnostik, S. 138. 97 Schöffski, Gendiagnostik, S. 83. 98 Siehe dazu – insbesondere zur Einschränkung der Unbefangenheit durch aufgedrängte Beratungen (angebotsinduzierte Untersuchungen) – S. 500 ff. 92

C. Charakteristika der Untersuchungsmethode

97

wenn die unmittelbare Untersuchung des DNS-Materials der zu untersuchenden Person nicht möglich ist.

1. Begriff der Familienanamnese Unter Familienanamnese versteht man die Ermittlung der familiären Vorgeschichte im Hinblick auf Krankheiten, aber auch auf andere Eigenschaften.99 Diese kann genutzt werden, um Rückschlüsse auf erbliche Veranlagungen der betreffenden Person zu ziehen. In einem ersten Schritt werden dabei die genetischen Veranlagungen in der Familie festgestellt, um dann in einem zweiten Schritt nach den Regeln der Mendel’schen Vererbungsgesetze des jeweiligen Erbgangs100 die Vererbungswahrscheinlichkeit zu errechnen. Darunter ist die Wahrscheinlichkeit zu verstehen, dass ein bestimmtes genetisches Merkmal der Eltern auf ihr gemeinsames Kind übertragen wird. Keine Aussage ist damit über die Wahrscheinlichkeit der Manifestation der mit dem genetischen Merkmal in Verbindung gebrachten Eigenschaften getroffen (Manifestationswahrscheinlichkeit).

2. Aussagegenauigkeit bei Familienanamnesen anhand familiärer DNS-Analysen Bei autosomal-dominanten Krankheiten lassen sich mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit Aussagen über das Vorliegen eines Erbmerkmals machen, bei autosomal-rezessiven eher nur mit einer geringeren. Da es bei autosomaldominanten Krankheiten, wie z.B. bei der Huntington-Krankheit, bereits genügt, dass eines der beiden betreffenden Gene die krankheitsverursachende Mutation aufweist, zeigt sich bei ihnen auch eine ausgeprägte familiäre Krankheitsgeschichte. Demgegenüber muss bei autosomal-rezessiven Krankheiten das die Krankheit verursachende Gen in doppelter Ausführung vorliegen. Eine ausgeprägte familiäre Krankheitsgeschichte ist für diese Krankheiten in der Regel nicht auszumachen.101 Nur in besonderen Konstellationen können im Rahmen der Familienanamnese Aussagen mit 100%iger Sicherheit über das Erbmaterial eines Verwandten gemacht werden.102 Verhältnismäßig sichere Aussagen lassen sich darüber hin___________ 99

Schmidtke, Vererbung, S. 301. DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 10. 101 DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 10. 102 Insoweit unklar ist das von Schmidtke, Vererbung, S. 153 gewählte Beispiel. Dort beschreibt er die Vererbungssituation für die Huntington-Krankheit in einer Familie, um zu illustrieren, wie im Rahmen einer Familienanamnese Rückschlüsse auf das Erbgut 100

98

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

aus über nahe Familienangehörige mit Hilfe der Mendel’schen Gesetze und der bedingten Wahrscheinlichkeit machen.103 Eine Aussage wie „Meine Anlagen sind auch deine Anlagen.“ dürfte jedoch auch in engen Verwandtschaftsbeziehungen in dieser Pauschalität grundsätzlich nicht zutreffend sein.104 Aussagen mit 100%iger Sicherheit sind bei eineiigen Zwillingen möglich, da sie identisches Erbmaterial haben. Feststellungen über einen der beiden Zwillinge treffen somit auch für den anderen zu.

Für die Erstellung von Familienanamnesen kann auch das Erbmaterial von Verstorbenen genutzt werden. Die genaue Kenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse ist jedoch erforderlich. Möglich sind Familienanamnesen auch für zukünftige Nachkommen. Vor diesem Hintergrund ist beispielsweise auch die 1998 von der Firma deCODE Genetics eingerichtete Gendaten- und Biobank105 in Island mit einer umfangreichen genealogischen Datenbank gekoppelt, in der die kompletten Stammbäume sämtlicher lebender Isländerinnen und Isländer sowie 330.000 ihrer Vorfahren erfasst sind.106

a) Im Vergleich zu Einzeluntersuchungen auf DNS-Ebene Aussagen über die Manifestation bestimmter Eigenschaften auf der Grundlage von Familienanamnesen sind ungenauer als solche aufgrund von Einzeluntersuchungen.107 Anhand von Untersuchungen, die unmittelbar bei der betref___________ von Verwandten vorgenommen werden können. In seinem Beispiel geht Schmidtke davon aus, dass jemand sicher auf seine eigene Veranlagung für Huntington-Krankheit (einer autosomal-dominanten Krankheit) rückschließen kann, wenn seine Mutter, sein Bruder und sein Sohn Anlageträger sind. Dies dürfte jedoch keine zwingende Schlussfolgerung sein. Von seiner Mutter muss er nicht zwangsläufig die Veranlagung bekommen haben. Da auch die Mutter seines Sohnes die Anlage auf seinen Sohn übertragen haben könnte, ist seine Anlageträgerschaft nicht sicher. 103 Schmidtke, Vererbung, S. 57 f. 104 Schmidtke, Vererbung, S. 153. 105 Zum Begriff der Biobank siehe S. 465 ff. 106 Dazu: Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 151; Feyerabend, bioskop März 1999, Nr. 5, S. 3 f.; dies., bioskop März 2000, Nr. 9, S. 10; dies., GID Nr. 167 (2004/2005), S. 3 (3 f.); Hasselberg, Focus 29/2000, S. 196 ff.; Löhr, TAZ 3.11.2000, S. 17; Lindpaintner, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 25.; Paul, Tumorerkrankungen, S. 258; Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 ff.; Schroeder/Williams, EthikMed 2002, 84 (86); Schüle, ZEITdokument „Das menschliche Genom“ (1/2001), S. 48 ff.; Sokol, NJW 2002, 1767 ff.; Sootak, in: FS Schreiber, S. 869 ff.; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 14; Thorhallson, EuGRZ 1999, S. 170 ff.; Thorgeirsdottir, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 23 ff.; Wagenmann, GID Nr. 140 (2000), S. 13 f. 107 Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 2-6 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752, S. 46.

C. Charakteristika der Untersuchungsmethode

99

fenden Person vorgenommen werden, lässt sich das Vorliegen eines bestimmten Genmerkmals zuverlässig feststellen. Demgegenüber können anhand von Familienanamnesen nur Wahrscheinlichkeitsaussagen über das Vorliegen eines bestimmten Erbmerkmals getroffen werden, wobei der jeweilige Wahrscheinlichkeitsgrad von dem Vererbungsgang abhängt, dem die untersuchte Krankheit folgt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die jeweilige Eigenschaft beim Einzelnen manifestiert, setzt sich hier zusammen aus der Vererbungswahrscheinlichkeit, d.h. der Wahrscheinlichkeit, ob die betreffende Person überhaupt Träger der betreffenden Veranlagung ist, und der Manifestationswahrscheinlichkeit.108 Anhand einer DNS-Untersuchung kann das genetische Merkmal, welches als Auslöser der Huntington-Krankheit betrachtet wird, direkt untersucht werden. Im Falle des Vorliegens des genetischen Merkmals wird die Manifestation der Huntington-Krankheit mit einer 100%igen Penetranz vorhergesagt. Vorhersagen allein aufgrund von Familienanamnesen – ohne eine direkte Untersuchung des Betroffenen – kann die Erkrankung jedoch in der Regel nur mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit getroffen werden.

b) Im Vergleich zu Familienanamnesen anhand der Krankheitsvorgeschichte Familienanamnesen, die mit Hilfe von genetischen Untersuchungen bei Familienangehörigen vorgenommen werden, ermöglichen allerdings präzisere Aussagen über Verwandte als Familienanamnesen, die nur – nach einer relativ aufwändigen Datenerhebung – anhand der familiären Krankheitsvorgeschichte erstellt wurden. Denn bisher waren Familienanamnesen phänotypgebunden, d.h. es mussten konkrete Fälle einer bestimmten erblichen Erkrankung in der untersuchten Familie aufgetreten sein. Nur dann konnte der untersuchende Arzt Rückschlüsse auf die Erbmerkmale einer bestimmten Person machen. Familienangehörige etwa, die vor der Manifestation der Krankheit starben, konnten nicht in die Untersuchung einbezogen werden. Ebenso wenig konnten Person berücksichtigt werden, die das veränderte Erbmerkmal zwar aufweisen, jedoch selbst nicht erkranken (Personen mit sog. „unaffected carrier status“109). Dies ist häufig bei autosomal-rezessiven Vererbungsgängen der Fall, bei denen das veränderte Gen in doppelter Ausführung vorliegen muss, damit es zu einer Manifestation der genetischen Veranlagung kommt. Demgegenüber sind Familienanamnesen, die anhand von Untersuchungen auf Genotypebene vorgenommen werden, sehr viel genauer. Durch sie können erbliche Merkmale verortet werden, ohne dass es zu einer Manifestation der mit ihnen in Verbindung gebrachten Krankheit gekommen sein muss. Der Umstand, dass es keine deutlichen Anhaltspunkte für eine erbliche Erkrankung in der Fami___________ 108

Siehe dazu Abb. 4: Ablauf einer genetischen Untersuchung, S. 107. Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (466). – Personen mit heterozygoter Anlageträgerschaft. 109

100

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

lie gegeben haben muss, führt auch dazu, dass die Ergebnisse einer solchen Familienanamnese die betroffene Person häufiger auch völlig unerwartet treffen.

3. Praktische Bedeutung von Familienanamnesen Auf die Familienanamnese als eine indirekte Untersuchungsmethode ist man also nicht angewiesen, wenn die genetischen Veranlagungen der betreffenden Person direkt – mit Hilfe von genetischen Testverfahren – untersucht werden können. Vor diesem Hintergrund dürfte die Familienanamnese als Untersuchungsmethode zur Ermittlung von erblichen Merkmalen beim Einzelnen zukünftig an Bedeutung verlieren. Ein Anwendungsfeld für sie bleibt jedoch bestehen, wenn das Erbmaterial eines Familienangehörigen nicht direkt untersucht werden kann. Zum einen ist dies der Fall, wenn die betreffende Person noch nicht gezeugt ist, also bei präkonzeptionellen Untersuchungen, zum anderen bei Familienanamnesen im Drittinteresse.

a) Präkonzeptionelle Familienanamnesen Familienanamnesen werden im Rahmen von präkonzeptionellen Untersuchungen angewandt, wenn also ein Paar bereits vor der Zeugung eines Kindes das Risiko für die Vererbung einer bestimmten Krankheit abschätzen will. Hier kann das Erbmaterial nicht direkt untersucht werden, weil das menschliche Leben ja gerade noch nicht gezeugt ist. Beide Partner müssen hier einen Gentest vornehmen lassen, aufgrund dessen nach den Gesetzmäßigkeiten des Erbgangs der jeweiligen Krankheit eine bestimmte Vererbungswahrscheinlichkeit errechnet wird.110 Präkonzeptionelle Untersuchungen werden zum Beispiel von Paaren vorgenommen, die befürchten, eine erhöhte Vererbungswahrscheinlichkeit für eine bestimmte Krankheit zu haben. Diese Befürchtung kann darauf beruhen, dass in der Familie oder in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe eine erhöhte Erkrankungshäufigkeit (Prävalenz)111 für die zu untersuchende Krankheit besteht. Vereinzelt werden solche Tests auch gesellschaftlich eingefordert. Beispielsweise verlangt die Heilige Kirche Zyperns seit 1983 von Heiratswilligen ein Zertifikat darüber, dass sie im Hinblick auf Thalassämie über ihre eigene genetische Disposition und über die ihres Partners informiert wurden.112 In Deutschland ist die Durchführung derartiger Tests für Mukoviszidose im Gespräch; die humangenetischen Fachverbände stehen diesen Tests nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber.113

___________ 110

Näheres auf S. 86 ff. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Prävalenz”. 112 Eingehender dazu siehe unten, S. 151. 111

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

101

In diesem Zusammenhang wird die Frage diskutiert, ob mit solchen Tests in der Gesellschaft eugenischen Tendenzen Vorschub geleistet wird. Zumindest in der Vergangenheit lagen Gesetzen in verschiedenen Ländern solche Motive zugrunde.114

b) Familienanamnesen im Drittinteresse Einen zweiten Anwendungsbereich, in dem Familienanamnesen auch zukünftig eine besondere Bedeutung zukommen dürfte, stellen Familienanamnesen im Drittinteresse dar. Darunter sind Situationen zu verstehen, in denen sich die betreffende Person genetisch nicht untersuchen lassen will, jedoch ein Dritter ein Interesse an der Feststellung der genetischen Veranlagung hat. So könnte beispielsweise eine Familienanamnese durchführt werden, wenn eine Versicherung zur Kalkulation der Versicherungsrisiken lediglich Zugang zu den genetischen Daten der Familienangehörigen hat, jedoch die der betreffenden Person nicht unmittelbar erhalten kann.

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse: Informationen über genetische Veranlagungen In dieser Kategorie sollen Charakteristika erfasst werden, die notwendigerweise mit jeder Information über genetische Daten verbunden sind: – Jede „genetische Information“ hat einen bestimmten Informationsgegenstand – sie trifft entweder Aussagen über Eigenschaften oder über Identifikationsmuster. – Genetische Daten haben nur eine begrenzte Aussagekraft. Zum einen beruhen alle „genetischen Informationen“ auf einer statistischen Grundlage und ermöglichen nur Wahrscheinlichkeitsaussagen über den Einzelfall. Zum anderen haben „genetische Informationen“ – wie für alle Informationen – ein bestimmtes Fehlerpotenzial. – Zudem ist das statistische Bezugskriterium – das Gen – nicht äußerlich wahrnehmbar, sofern nicht manifeste Eigenschaften Rückschlüsse darauf erlauben, sodass sich genetische Daten häufig als verborgene Daten darstellen. – Die Darstellungsform der Untersuchungsergebnisse gibt den Umfang an Informationen vor, der den Ergebnissen entnommen werden kann. ___________ 113 114

TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 30 ff. Schöffski, Gendiagnostik, S. 109 f.

102

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

I. Gegenstand genetischer Daten Grundsätzliche Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen der Verwendung als Indikator zur Ermittlung gegenwärtiger oder zukünftiger Eigenschaften (Indikatorfunktion) und der als Identifikationsmuster (Identifikationsfunktion). Bestimmte Bereiche der DNS-Spirale sollen keine Informationen über bestimmte Eigenschaften enthalten. Untersuchungen in diesen Bereichen werden als Untersuchungen im nicht-kodierten Bereich bezeichnet und zur Erstellung von Identifikationsmustern („genetischen Fingerabdrücken“) genutzt.115 Untersuchungen in DNS-Abschnitten, die Aussagen über Eigenschaften ermöglichen, werden demgegenüber als Untersuchungen im kodierten Bereich bezeichnet. An dieser Unterscheidung zwischen Untersuchungen im kodierten und nicht-kodierten Bereich soll zunächst festgehalten werden, auch wenn bereits jetzt erhebliche Zweifel daran geäußert werden, dass der so genannte nicht-kodierte Bereich keine Aussagen über persönliche Eigenschaften der untersuchten Person erlaubt.116

1. Eigenschaften Die Ergebnisse von Untersuchungen zum Vorliegen von bestimmten, „genetisch bedingten“ Eigenschaften117 lassen sich in vier verschiedene Kategorien aufteilen. Ein positives Testergebnis liegt vor, wenn festgestellt wird, dass die gesuchte Eigenschaft bei der untersuchten Person vorliegt; unter einem negativen Testergebnis versteht man dementsprechend das Nichtvorliegen der gesuchten Eigenschaft. Mit der Unterscheidung zwischen günstigen (etwa Merkmale, die auf eine AIDS-Resistenz118 oder die Fähigkeit zum schnellen Abbau von Schadstoffen119 hindeuten) und ungünstigen Eigenschaftsindikatoren (z.B. Krebsvorstadien) soll eine grobe Differenzierung danach vorgenommen wer___________ 115 Jeffreys, im Interview mit Wewetzer, Der Tagesspiegel, 06.10.2003, Nr. 18261, S. 7: „Diese Datenbank [von Identifikationsmustern – Anm. d. Verf.] enthält keine DNS, sondern lediglich DNS-Profile, die keine Informationen über Krankheiten in sich bergen, keine Informationen mit Ausnahme der Identität und familiären Beziehungen.“ – Siehe auch unten, S. 132 ff. 116 DGMR, Einbecker-Empfehlungen Nr. 6, MedR 2002, 669 (670): „Die Entscheidung über die funktionelle Relevanz genetischer Informationen im engeren Sinne kann nach heutiger Erkenntnis nicht allein anhand der Kodierfähigkeit der DNS getroffen werden, da auch nicht kodierende Bereiche die Individualität definieren und Rückschlüsse auf den Phänotyp erlauben.“ – Siehe auch Cornish-Bowden/Cárdenas, Nature 2001, vol. 409, S. 571 ff.; Meyer, ArztR 2001, 172 (174, 176). 117 Siehe auch Simitis-Dammann, § 3 BDSG, Rdnr. 266. 118 Bartram/Fonatsch, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 57; Schmidtke, Vererbung, S. 169. 119 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 7, 45 ff.; Hofmann, Genomanalyse, S. 154.

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

103

den, welche Eigenschaftsindikatoren als vorteilhaft und welche als nachteilig empfunden werden. Eine derartige Differenzierung dürfte individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Jedoch sollen diese Kategorien auch nicht im Einzelnen inhaltlich ausgefüllt werden. Im Wesentlichen soll die Unterscheidung veranschaulichen, dass Untersuchungsergebnisse tendenziell verschiedene psychische Reaktionen hervorrufen können.

a) Krankheiten Ein großer Anwendungsbereich für genetische Daten ergibt sich daraus, dass genetische Merkmale mit bestimmten Krankheiten in Zusammenhang gebracht werden.120 Im Rahmen der humangenetischen Forschung sind jedoch bisher meist nur die korrelationsstatistischen Zusammenhänge zwischen Merkmal und Krankheitsmanifestation herausgearbeitet. Weitgehend unerforscht ist demgegenüber der Zusammenhang zwischen Merkmal und Expressivität, also der Grad der Ausprägung der erblichen Merkmale.121 Neben erblichen Krankheiten, die ausschließlich genetisch bedingt sind, wie z.B. die Huntington-Krankheit oder Mukoviszidose122, werden genetische Veranlagungen für eine Reihe von anderen Krankheiten als zumindest mitursächlich eingestuft. Von einer genetischen Beeinflussung wird insbesondere bei der Entstehung von den so genannten Volksund Zivilisationskrankheiten, wie z.B. Herzkreislaufstörungen, Krebs, Diabetes, Asthma und Allergien, ausgegangen.123

Wichtig erscheint jedoch die Feststellung, dass sich genetische Krankheiten nicht als typischerweise besonders schwerwiegend bezeichnen lassen. Dies gilt spätestens, seitdem auch Volkskrankheiten dem Kreis der genetisch beeinflussten Krankheiten zugewiesen werden.124

b) Charakterzüge, soziale Verhaltensweisen Wie Zwillings- und Adoptionsstudien gezeigt haben, gilt es als wahrscheinlich, dass genetische Veranlagungen nicht nur die Entstehung bestimmter Krankheiten bedingen, sondern auch bestimmte soziale Verhaltensweisen und ___________ 120

Eine Auflistung aller genetisch bedingten Krankheiten und Verhaltensweisen ist in McKusick, „Online Mendelian Inheritance in Man (OMIM)” zu finden (http://www.ncbi.nlm.nih.gov). 121 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Expressivität“. Siehe auch S. 110 ff. 122 DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 9 f. 123 TAB, Bericht „Chancen und Risiken“ (1993), BT-Drs. 12/7094, S. 19; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 16 ff; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (2003), S. 14 ff.; Schöffski, Gendiagnostik, S. 40. 124 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Krankheiten, genetische“.

104

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Charaktereigenschaften beeinflussen können.125 Erforscht wird beispielsweise der Einfluss von Genen auf Intelligenz, Kreativität, Homosexualität, Stresstoleranz, Alkoholismus und anderes Suchtverhalten, Aggressionsbereitschaft und Kriminalität oder psychische Störungen (Affektive Psychose, Schizophrenie).126 Untersuchungen, die – ohne krankheitsbezogen zu sein – Bedeutung für die Lebensgestaltung haben können, werden als „Life-style-Tests“ bezeichnet.127 Soziale Verhaltensweisen und Charakterzüge, die ausschließlich genetisch bedingt sind, sind allerdings bisher nicht bekannt.128

c) Körperliche Merkmale und Fähigkeiten Darüber hinaus ist eine Reihe von körperlichen Merkmalen genetisch veranlagt. Geschlecht und Geschlechtsmerkmale, Augen- und Haarfarbe sind beispielsweise ausschließlich genetisch bedingt.129 Die Körpergröße wiederum ist eher multifaktoriell bedingt.130 Darüber hinaus werden bestimmte körperliche Fähigkeiten in einen Zusammenhang mit genetischen Veranlagungen gebracht. So sagt man einigen amerikanischen Ureinwohnern nach, von Geburt an schwindelfrei zu sein und keine Höhenangst zu kennen. Vor allem die Mohawks, ein Stamm der Irokesen, haben sich in New York als „ironworker“ beim Hochhausbau auf Manhattan einen Namen gemacht. Im Westen Amerikas arbeiten Indianer vom Stamm der Navajos als „ironworker“.

2. Identifikationsmuster („genetischer Fingerabdruck“) Besonders bekannt ist die Verwendung von so genannten „genetischen Fingerabdrücken“. Zur Erstellung von genetischen Finderabdrücken werden (überwiegend)131 nicht kodierte Genabschnitte genutzt, d.h. Abschnitte, die (bisher) ___________ 125

Schöffski, Gendiagnostik, S. 45; Klees, Der gläserne Mensch, S. 85. Nachweise dazu bei McKusick, OMIM, (http://www.ncbi.nlm.nih.gov); Schöffski, Gendiagnostik, S. 45 ff.; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (2003), S. 17. 127 DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (2003), S. 27. – Zum verbraucherschutzrechtlichen Aspekt siehe unten, S. 119. 128 DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (2003), S. 17. 129 Schmidtke, Vererbung, S. 170 f. 130 Schmidtke, Vererbung, S. 172 f. 131 Zur Frage, inwieweit auch nicht-kodierte Abschnitte zu Bezugskriterien für korrelationsstatistische Aussagen über persönliche Eigenschaften gemacht werden könnten: Dix, DuD 1993, 281 ff.; Hohoff/Brinkmann, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 29 (29 ff., 37); Schneider, DUD 1998, S. 330 ff.; ders., DUD 1998, S. 460 ff.; Weichert, DuD 2002, 133 (137, ins. Fn. 55). 126

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

105

noch mit keinen Eigenschaften in einen (korrelationsstatistischen) Zusammenhang gebracht werden (können). Genutzt wird dieser etwa bei Vaterschaftsfeststellungen, im Rahmen der Strafverfolgung zur Ermittlung des Täters oder bei archäologischen Studien. Dabei wird verglichen, ob die der betreffenden Person entnommene Genprobe mit der jeweiligen Vergleichsprobe übereinstimmt. Die wiederum stammt – je nach Verwendungszweck – aus dem Tatumfeld, wird über eine genetische Untersuchung des möglichen Kindes ermittelt oder durch eine archäologische Kontrollprobe gewonnen. Eine vollkommen eindeutige Zuordnungsmöglichkeit besteht bei der Nutzung genetischer Identifikationsmuster – im Unterschied zum herkömmlichen Fingerabdruck132 – jedoch nicht, da die Ergebnisse von DNS-Identitätsfeststellungen nur statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen erlauben.133 Bei der Gegenüberstellung von Spuren- und Vergleichsmaterial gilt somit: Stimmen die Proben nicht überein, kann die betreffende Person als Spurenverursacher nahezu ausgeschlossen werden. Stimmen sie überein, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die untersuchte Person Spurenverursacher ist. Die Übereinstimmung kann jedoch auch rein zufällig sein.134 Die Genauigkeit der Ergebnisse variiert je nach Untersuchungsverfahren. Bei der Würdigung des Untersuchungsergebnisses ist jedoch stets zu berücksichtigen, dass die Feststellungen auf Grundlage einer DNS-Analyse lediglich auf einer statistischen Aussage beruhen, die eine Gesamtwürdigung aller beweiserheblichen Umstände nicht überflüssig macht.135 Sofern die Feststellung der Identität beispielsweise mit einer 99,986 %igen Sicherheit getroffen wird,136 bedeutet dies, dass 100.000 Untersuchungen die Erstellung von 14 Identifikationsmustern keine zutreffende Zuordnung ergeben. In dem vom BGH zu entscheidenden Fall wurde der Täterkreis auf die männliche Bevölkerung Hannovers eingegrenzt, welche sich ungefähr auf eine Zahl von 250.000 beläuft. Nach der Einschätzung des in dem Verfahren hinzugezogenen Gutachters kamen damit nach der DNS-Analyse 35 Personen als Täter in Betracht.137

___________ 132

Hofmann, Genomanalyse, S. 12. Zur eingeschränkten Beweiskraft von DNS-Analysen: BGHSt 37, 157 (159); 38, 320 ff.; BGH, NStZ 94, 554 (554 f.); BGH, NJW 1991, 749, (750); BGH, NJW 1991, 2961 (2962); OLG Celle, NJW-RR 1992, 1218 f. Auch Meyer-Goßner, StPO, § 81e, Rdnr. 2; Pfeiffer, StPO, § 81e StPO, Rdnr. 1. 134 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1908, 1911 a.E. 135 BGH, NStZ 94, 554 (554 f.). Siehe auch BGH, NJW 1984, 1348 (1349). 136 So vom BGHSt 38, 320 (320 ff.) entschiedenen Fall. Beweiskraft genetischer Fingerabdrücke in anderen Entscheidungen: BGH, NStZ 1994, 554 (554 f.): 99,999975%igen Sicherheit; OLG Hamm, DAVorm 1994, 114 (115): 99,99995%ige Sicherheit; OLG Hamm, FamRZ 1992, 455: 99,93%ige Sicherheit. OLG Celle, NJW 1990, 2942 (2942): 99,99%ige Sicherheit. Der Entscheidung des BGH, NJW 1984, 1348 liegt ein Sachverhalt zugrunde, nach dem aufgrund der Durchführung einer Reihe von unterschiedlichen Untersuchungen eine Wahrscheinlichkeit von 99,99999999999% erreicht wurde. – Dazu auch Balding/Bishop/Cannings-Beyleveld, Statistical Genetics, 697 (714); Hofmann, Genomanalyse, S. 11 ff. m.w.N.; Valeska, JR 2003, 57 f. 137 BGHSt 38, 320 (324). Siehe auch BGH, NStZ 94, 554 (554 f.), welcher jedoch – nach Auffassung des Verfassers – die Anzahl der Übereinstimmungen nicht zutreffend be133

106

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Die damit verbundene Aussageungenauigkeit stellte sich in einem Verfahren vor einem US-amerikanischen Strafgericht als entscheidend heraus. Als Beweismittel zur Überführung des Angeklagten berief sich die Staatsanwaltschaft auf eine Genanalyse, mit der sie den Täter mit einer Wahrscheinlichkeit von 96 Mio. zu 1 identifiziert zu haben glaubte. Tatsächlich kam der Angeklagte jedoch aus einem Ort, dessen Einwohner aufgrund der engen familiären Verflechtungen eine überdurchschnittlich hohe Übereinstimmung aufwiesen. Das Gericht kam vor diesem Hintergrund zu keiner Verurteilung.138

Die beschränkte Beweiskraft genetischer Fingerabdrücke ergibt sich aus dem Umstand, dass in der Praxis eine vollständige Erfassung aller genetischen Merkmale aus finanziellen und technischen Gründen (bisher) noch nicht üblich ist.139 Zudem stimmen die genetischen Fingerabdrücke bei eineiigen Zwillingen überein.140 Schließlich kann das Auftreten von Neumutationen das Untersuchungsergebnis verfälschen.141

II. Aussagekraft genetischer Untersuchungsergebnisse Die Annahme von genetischen Veranlagungen beruht auf korrelationsstatistischen Feststellungen über den Zusammenhang zwischen genetischem Merkmal und der Manifestation der jeweiligen Eigenschaft. Wie alle statistischen Aussagen ermöglicht die epidemiologische Ermittlung der Manifestationshäufigkeit nur Wahrscheinlichkeitsaussagen.142 Auf die zusätzlichen Unsicherheitsfaktoren bei der Verwendungsweise wird später eingegangen werden.143

1. Ablauf eines genetischen Testverfahrens Der Ablauf einer Untersuchung auf DNS-Ebene lässt sich in drei Teilschritte unterteilen: Indikation, Durchführung und Interpretation. Die Vorhersagekraft eines positiven Testresultates bestimmt sich nach dem Grad der Aussagegenauigkeit der Ergebnisse aller vorangegangenen Untersuchungsschritte. ___________ rechnet (Für Untersuchungen innerhalb Deutschlands dürften – bei einer Bevölkerungszahl von 80 Mio. – nur 20 Menschen übereinstimmende Untersuchungsergebnisse aufweisen). 138 Deutsch, VersR 1994, 1 (3); auch Hofmann, Genomanalyse, S. 12. 139 Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1906. 140 OLG Celle, FamRZ 1994, 650; OLG Hamm, DAVorm 1994, 114 (115). Eisenberg, Beweisrecht, Rdnr. 1905. Zur Ermittlung der Vaterschaft bei zweieiigen Zwillingen: OLG Karlsruhe, DAVorm 1990, 155 ff.; bei leiblichen Brüdern: OLG Schleswig, DAVorm 1984, 398 ff. 141 BGH, NJW 1991, 749 (750); OLG Hamm, DAVorm 1994, 110. – Dazu auch Deutsch, in: Ellermann/Opolka, Genomanalyse, S. 78 (83); Hofmann, Genomanalyse, S. 12 f. mit weiteren Beispielen. Zum Begriff der Neumutation siehe auch oben, S. 82. 142 Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Wahrscheinlichkeit” und „Penetranz”. 143 Zur besonderen Aussageungenauigkeit prädiktiver Daten siehe unten, S. 128 ff., S. 364 ff. und S. 413 ff.

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

Motiv

Indikation

Probenentnahme

Durchführung

Feststellung des GenMerkmals

Ergebnis der Familienanamnese

Familienanamnese

Medizinische Manifestation

107

Konkretes Ausprägungsbild

Interpretation

Abb. 4: Ablauf einer genetischen Untersuchung

a) Indikation Im Ausgangspunkt stellt sich die Frage nach der Indikation für einen genetischen Test. In der Medizin versteht man unter Indikation den Grund oder Umstand, eine bestimmte ärztliche Maßnahme durchzuführen, die nach Abschätzen des möglichen Nutzens und Risikos – unter Beachtung etwaiger Kontraindikationen – (für den Patienten) sinnvoll ist.144 Dabei sind die Interessen der zu untersuchenden Person zu berücksichtigen und Vor- und Nachteile einer Untersuchung abzuwägen. Wichtige Faktoren dürften dabei die Manifestationsdauer der Krankheit, ihre Manifestationshäufigkeit und Möglichkeiten der präventiven und therapeutischen Behandlung sein. Zur Feststellung einer Indikation dürfte es auch von Bedeutung sein, mit welcher Aussagegenauigkeit sich die Abschlussbewertung der Untersuchung vornehmen lässt (Validität und positiver Vorhersagewert des Tests).145 Über diese rein medizinische Zwecksetzung hinaus müssen möglicherweise auch Interessen Dritter (Arbeitgeber, Versicherungen) in die Abwägung einbezogen werden.

___________ 144 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Indikation“; Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Indikation”. 145 Holtzman, Caution, S. 94; Schöffski, Gendiagnostik, S. 48 ff.

108

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

b) Durchführung des Tests Die Durchführung des Tests lässt sich in zwei Teile unterteilen: Die Entnahme einer Probe und die Durchführung des eigentlichen Gentests. Während die Entnahme einer geeigneten Probe keine besondere Fachkenntnis erfordert, müssen mit der Durchführung des eigentlichen Analyseverfahrens gegenwärtig noch spezialisierte Laboratorien beauftragt werden.146 Die Güte des Testverfahrens bemisst sich nach dem prozentualen Anteil falscher Ergebnisse. Der Wert dieser Fehlerquote wird statistisch ermittelt und hängt von Faktoren wie der Güte des Testverfahrens und der durchschnittlichen Zuverlässigkeit der testenden Labore ab.147 Diese Wahrscheinlichkeitsangabe hinsichtlich der Richtigkeit der Testergebnisse stellt gewissermaßen eine der Wahrscheinlichkeitsaussage über den Zusammenhang von festgestelltem Merkmal und der maßgeblichen Eigenschaft vorgeschaltete Aussageunsicherheit dar.

c) Interpretation des Testergebnisses Die Interpretation richtet sich nach der Zielsetzung der genetischen Untersuchung. Zu unterscheiden ist zwischen Untersuchungen zu Identifikationszwecken (Identifikationsfunktion genetischer Merkmale) und solchen zur Feststellung einer bestimmten Erbanlage (Indikatorfunktion genetischer Merkmale).148 Bei Untersuchungen zu Identifikationszwecken besteht die Interpretation in einem Vergleich zweier Genanalysen. Bei genetischen Tests zur Feststellung von genetischen Veranlagungen besteht sie in der Herstellung eines Zusammenhangs zwischen dem Testergebnis, also dem festgestellten Merkmal, und der Manifestation einer bestimmten Eigenschaft. Maßgebliche Größe, die dabei herangezogen wird, ist die Manifestationshäufigkeit der genetischen Veranlagung (Penetranz)149, also die prozentuale Häufigkeit, mit der sich beim Träger eines bestimmten genetischen Merkmals die jeweilige, in Bezug genommene Eigenschaft manifestiert.

___________ 146

Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7373). 147 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Validität“; „Reliabilität“. 148 Siehe dazu oben, S. 102 ff. 149 Zum Begriff der Penetranz siehe S. 109.

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

109

d) Insbesondere: Testverfahren unter Einbeziehung von Familienanamnesen Sofern die Person, deren Erbanlagen ermittelt werden sollen, nicht selbst genetisch untersucht werden kann oder will, können über Familienanamnesen150 Informationen über ihr Erbmaterial gewonnen werden. Dieser Schritt lässt sich im Ablauf zwischen der Durchführung der genetischen Untersuchungen (der Verwandten oder Eltern) und der Interpretation einordnen. Das betreffende Merkmal wird dann nicht unmittelbar festgestellt, sondern sein Vorliegen wird mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vermutet.151

2. Statistische Grundlage genetischer Informationen Entscheidend für die Feststellung einer genetischen Veranlagung ist eine Gruppeninformation: Bei einem bestimmten Anteil von Trägern eines bestimmten Gens manifestiert sich eine bestimmte Eigenschaft. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme handelt es sich daher bei der Feststellung genetischer Veranlagungen nicht um die Feststellung individueller Risiken.152 Individuell feststellbar ist lediglich das Vorliegen eines bestimmten Gens. Dieses Gen wird dann verknüpft mit einer statistischen Aussage, die einen Zusammenhang herstellt zwischen dem Gen und einer bestimmten Eigenschaft, z.B. einer Krankheit. Dies verändert jedoch nicht den statistischen Informationscharakter, der Zusammenhang zwischen Gen und Manifestation lässt sich eben nur statistisch herstellen. Das bedeutet, dass genetische Daten schon strukturell keine Individualaussagen erlauben.153

a) Penetranz Die Wahrscheinlichkeit der Manifestation einer bestimmten Eigenschaft wird für den Bereich der Genetik mit dem Begriff der Penetranz (Manifestationswahrscheinlichkeit, -häufigkeit) bezeichnet.154 Wichtig dabei ist, dass im Wert der Penetranz der Grad der Ausbildung der Erbanlage (Expressivität) sowie bei Krankheiten Art und Umfang der Behandlungsmöglichkeiten nicht berücksichtigt werden (können). ___________ 150

Zum Begriff der Familienanamnese: S. 94 ff. Anders Meyer, Mensch, S. 60. Siehe dazu oben, S. 42, Fn. 107. 152 Vgl. unten, S. 330. 153 Zu Fehlern infolge des falschen Umgangs mit statistischen Daten: Siehe unten, S. 118 ff. 154 Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Penetranz”; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Penetranz”; Schöffski, Gendiagnostik, S. 41, Fn. 197. 151

110

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Die Bezugsgruppe für die Errechnung der Penetranz sind alle Menschen, die Träger der krankheitsverursachenden Genmutation sind. Diese Bezugsgruppe kann auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe (deutsche Bevölkerung, Frauen oder Männer) beschränkt sein.155 Wahrscheinlichkeitsangaben über das Erkrankungsrisiko beim Vorliegen einer bestimmten genetischen Mutation geben also Auskunft darüber, wie viel Prozent der Bezugsgruppe in einem bestimmten Lebensalter an der genetisch bedingten Krankheit erkranken.

b) Expressivität Die Expressivität beschreibt den Ausprägungsgrad eines bestimmten erblichen Merkmals, dem ein einzelnes Gen zugrunde liegt.156 Der Ausprägungsgrad kann durch andere Gene oder auch durch äußere Faktoren beeinflusst sein.157 Im Unterschied zur Manifestationshäufigkeit, deren einziges Kriterium das Auftreten von ersten eigenschaftsdefinierenden Symptomen ist, erfasst dieser Wert auch graduelle Unterschiede. Bisher sind jedoch Aussagen beispielsweise über den zukünftigen Schweregrad der Krankheit, allein durch eine Analyse der genetischen Dispositionen nahezu ausgeschlossen.158

3. Fehlerquellen im Testablauf Entsprechend der Unterteilung beim Untersuchungsablauf können drei Kategorien von möglichen Fehlern unterschieden werden: 1. Fehler bei der Indikation durch die Einleitung sinnloser oder willkürlich gewählter Tests 2. Fehler bei der Durchführung von Tests mit der Folge einer erhöhten Quote falscher Testergebnisse 3. Fehler bei der Interpretation durch eine falsche Bewertung von Testergebnissen. In jeder dieser Kategorien kann die Fehlerursache wiederum auf drei verschiedenen Ebenen liegen: 1. Auf der unteren Ebene Fehler im Bereich von Forschung und Wissenschaft (wissenschaftliche Irrtümer oder technische Fehler) ___________ 155

Rothman, American Journal of Epidemiology 1976, vol. 104, No. 6, 587 (589 f.). Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Expressivität”. 157 Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Expressivität”. 158 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7372). 156

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

111

2. Auf der mittleren Ebene Fehler durch das medizinische, bzw. humangenetische Fachpersonal (Umsetzungs- oder Anwendungsfehler) 3. Auf der oberen Ebene Verständnisprobleme bei den getesteten Personen oder interessierten Dritten (z.B. Verwandten, Arbeitgeber, Versicherungen), allerdings möglicherweise auch beim medizinischen Fachpersonal. Indikation obere Ebene:

Durchführung

Interpretation

Verständnisprobleme, insbesondere im Umgang mit Wahrscheinlichkeitsangaben

getestete Personen (Klienten) mittlere Ebene: medizinisches Fachpersonal untere Ebene: Forschung und Wissenschaft

sinnlose oder willkürlich gewählte Tests

fehlerhaft durchgeführte Tests

falsch bewertete Tests

Entwicklung und Vermarktung von sinnlosen Tests

technische Fehler bei genetischen Testverfahren

wissenschaftliche Irrtümer ideologiegeprägte Forschung

Abb. 5: Fehlerquellen im Rahmen einer genetischen Untersuchung

Im Folgenden werden die einzelnen Fehlerkategorien erläutert und daraufhin überprüft, ob sie eine besondere Fehleranfälligkeit beim Umgang mit genetischen Daten aufweisen.

a) Technische Fehler und wissenschaftliche Irrtümer In der Kategorie der technischen Fehler und wissenschaftlichen Irrtümer lassen sich folgende Unterfallgruppen unterscheiden:

aa) Entwicklung und Vermarktung von überwiegend sinnlosen Tests Fehlinterpretationen oder Überbewertungen von genetischen Untersuchungsergebnissen werden zum einen durch die Entwicklung und Vermarktung von weitgehend sinnlosen Tests begünstigt. Für ihre Anwendung besteht von vornherein keine Indikation. Da hinter Forschung und Wissenschaft jedoch auch erhebliche wirtschaftliche Interessen stehen, muss realistischerweise auch davon

112

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

ausgegangen werden, dass sich solche Tests etablieren könnten,159 um Investitionen in die Forschung zu amortisieren. Dieser Umstand könnte insbesondere dann an Bedeutung gewinnen, wenn Gentests auf dem freien Markt verfügbar sind.160

bb) Technische Fehler der genetischen Testverfahren Eine weitere Fehlerquelle kann in der Konstruktion genetischer Testapparaturen liegen. Die Güte des Tests wird u. a. an der Genauigkeit und Wiederholbarkeit des Tests gemessen (sog. Reliabilität)161. Diese Qualitätsmerkmale sollen sicherstellen, dass die Tests nicht nur in der Entwicklungs- oder Einführungsphase verlässlich sind, sondern auch den Anforderungen in der klinischen Routine gerecht werden. Sie müssen daher so konstruiert sein, dass sie identische Ergebnisse bei wiederholten Untersuchungen an der gleichen Probe durch unterschiedliche Laboratoriumsmitglieder liefern.162 Gerade in der Entwicklungsphase können Tests aufgrund von Konstruktionsfehlern eine erhöhte Fehlerquote haben.

cc) Wissenschaftliche Irrtümer im Hinblick auf die Wirkungsweise der Gene Wissenschaftliche Irrtümer im Hinblick auf die Wirkungsweise der Gene können gewissermaßen als fundamentale Fehler verstanden werden, da sie sich auch auf die folgenden Ebenen auswirken. Derartige Fehler können – in Abgrenzung zum „individuellen menschlichen Versagen“ auf den oberen Ebenen – gewissermaßen als „wissenschaftliches Versagen“ qualifiziert werden. Wissenschaftliche Irrtümer können auf fehlerhaften naturwissenschaftlichen Grundannahmen oder technischen Ungenauigkeiten bei der Durchführung von wissenschaftlichen Experimenten beruhen. So sonderte die US Air Force Academy Anfang der siebziger Jahre heterozygote Träger des Sichelzellenanämie-Gens aus.163 Grundlage für die Aussonderung war jedoch die falsche wissenschaftliche Annahme, dass bereits das heterozygote Vorliegen des Si-

___________ 159 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 6, 18. – Siehe auch später, S. 287 f. 160 DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 17; Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7404). 161 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 66. 162 Schöffski, Gendiagnostik, S. 48 ff. 163 Holtzman, Caution, S. 202; Cook-Deegan, in: Sass, Bioethische Herausforderungen, S. 171 (181); Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (467); Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 385.

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

113

chelzellenanämie-Gens zu einer verminderten Sauerstoffaufnahmefähigkeit des Blutes164 führt und damit bei Piloten zur Berufsunfähigkeit, während nach heutigem Kenntnisstand sich keine entsprechenden Korrelationen nachweisen lassen.165 Derartige Irrtümer im wissenschaftlichen Bereich sind sicherlich nicht auf den Bereich der Humangenetik begrenzt. Bekannt geworden sind Fälschungen im Rahmen der Auswertung der so genannten Framingham-Studie, welche anscheinend den Grundstein für eine Reihe von Fehlinterpretationen über die Bedeutung von Cholesterin-Werten im Blut gelegt haben. Es konnte nachgewiesen werden, dass die im Rahmen der Studie gewonnenen statistischen Daten teilweise offenbar gezielt gefälscht wurden, um zu dem gewünschten Ergebnis zu gelangen. Viele der auf diesen Fälschungen beruhenden Missverständnisse sind offenbar bis heute noch nicht vollkommen ausgeräumt. Obwohl es beispielsweise mittlerweile als anerkannt gilt, dass bei Frauen keinerlei risikosteigernder Zusammenhang zwischen den Cholesterin-Werten und Arteriosklerose feststellen lässt, halten sich derartige Missverständnisse zumindest in großen Teilen der öffentlichen Meinung.166

Die Gefahr von wissenschaftlichen Irrtümern dürfte insbesondere in Forschungsbereichen bestehen, die etwa in gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht besonders bedeutsam sind. Auch Wissenschaft und Forschung unterliegen wirtschaftlichen Zwängen und gehorchen ideologischen Vorverständnissen. Schon die Fragestellungen können bestimmte Antwort- und Lösungsmöglichkeiten nahelegen, womit auch naturwissenschaftlichen Forschungsvorhaben eine sozialpolitische Tendenz gegeben werden kann.167 Als Beispiel für eine gezielte ideologische Einflussnahme auf Forschungsergebnisse wird das Vorgehen des sowjetischen Biologen Lysenko168 betrachtet. Dieser war seit 1937 Direktor des Instituts für Vererbungslehre und Zuchtauslese in Moskau und hatte in dieser Funktion maßgeblichen Einfluss auf die Meinungsbildung innerhalb der sowjetischen Biologiewissenschaft. Er vertrat – im Gegensatz zu einem Großteil der Biologiewissenschaftlern – die von den Mendel’schen Gesetzen abweichende Auffassung, dass auch neu erworbene Eigenschaften vererbbar seien. Aufgrund seines maßgeblichen politischen Einflusses soll er Jahrzehnte lang hemmend auf die Entwicklung der Biologiewissenschaften gewirkt haben. Erst 1965, im Zuge der Entstalinisierung, verlor er seine Ämter, woraufhin auch in der Sowjetunion vermehrt genetische Forschung betrieben wurde.169

___________ 164 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Sichelzellenanämie”; Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Sichelzellenanämie”. 165 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Sichelzellenanämie”; Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Sichelzellenanämie”; Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (467). 166 Pollmer/Warmuth, Lexikon der populären Ernährungsirrtümer, Stichwort „Cholesterin“, insb. S. 75 ff. mit Verweis auf Immich, Versicherungsmedizin 1997, S. 86 ff., welcher offensichtlich einige der Fälschungen nachweisen konnte. 167 Dazu Künzler, Macht der Technik, S. 41. 168 Trofim Denisowitsch Lysenko, (1898–1976). 169 Dazu Cook-Deegan, in: Sass, Bioethische Herausforderungen, S. 171 (177); Klees, Der gläserne Mensch, S. 17 f. m.w.N.

114

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Das Ergebnis offensichtlicher Wissenschaftsfälschung sollen auch die Theorien des englischen Biologen und Intelligenztheoretikers Burt170 sein.171 Seine in ihrer Richtigkeit angezweifelten Forschungsergebnisse zur genetischen Vorprägung der Lernfähigkeit von Menschen sollen wiederum Grundlage für weitere Forschungen seiner Schüler Eysenck und Jensen gewesen sein. K.V. Müller begründete damit seine These, dass Begabungsunterschiede rein erblich bedingt seien. Trotz ihrer wissenschaftlichen Fragwürdigkeit werden diese Begabungsund Intelligenztheorien nach wie vor in der bildungspolitischen Diskussion verwendet.172

Dass gerade im Bereich der humangenetischen Erforschung menschlicher Verhaltensweisen und Fähigkeiten mitunter eine ideologiegeprägte, sozialdiskriminierende Motivation erkenntnisleitend gewesen ist, kann angesichts der Skurrilität mancher Ergebnisse nicht ganz ausgeschlossen werden.173 Beispielsweise haben Charles Murray und Richard Herrnstein in dem 1994 in den USA veröffentlichten Buch „The Bell Curve“ zu belegen versucht, dass Menschen afrikanischer Herkunft aufgrund genetischer Ursachen durchschnittlich weniger intelligent seien als Weiße.174 Eine ähnliche These vertrat der amerikanische Erziehungspsychologe Jensen, Professor an der University of California in Berkeley, in einer Publikation aus dem Jahre 1969, die sich mit der Steigerungsfähigkeit des IQ und der schulischen Leistung beschäftigte.175 Das Argument der angeblichen genetischen Unterlegenheit der „schwarzen“ Bevölkerung wurde von Jensen auch im Rahmen einer Anhörung vor dem Kongress unter Präsident Nixon vorgetragen und soll den Anlass dazu gegeben haben, pädagogische Förderprogramme für Menschen afrikanischer Herkunft abzubauen.176 Auch bei größeren Forschungsprojekten wie dem vom Humangenetiker Luigi Cavalli-Sforza angeregten Human Genome Diversity Projekt (HGDP) wird die Gefahr einer ideologischen Instrumentalisierung der genetischen Forschung gesehen.177

Natürlich lässt sich das Kräfteverhältnis zwischen naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen und Ideologie bzw. Wertvorstellungen auch umgekehrt darstellen: Wissenschaftliche Erkenntnisse können bestehende Wertvorstellungen verändern. Forschung kann dann auch Vorurteilen, die die Grundlage für ___________ 170

Cyril Burt, (1883–1971). Klees, Der gläserne Mensch, S. 17 f.; Balding/Bishop/Cannings-Beyleveld, Statistical Genetics, 697 (716 ff.). 172 Klees, Der gläserne Mensch, S. 17 f.; Künzler, Macht der Technik, S. 60 f. m.w.N. zu ähnlichen Einschätzungen. 173 Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 81ff. mit Nachweisen auf entsprechende Untersuchungen: „Genetische Erklärungen und Techniken bieten scheinbar einfache Lösungen für komplexe Probleme und sind daher besonders geeignet, Ideologien für die Deutung der Realität und die Definition von Handlungsperspektiven zu liefern.“ 174 Zu diesem Buch: Balding/Bishop/Cannings-Beyleveld, Statistical Genetics, 697 (716 ff.). Zu anderen Untersuchungen zu angeblichen Intelligenzunterschieden: SachsOsterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 293, Fn. 763 m.w.N. 175 Balding/Bishop/Cannings-Beyleveld, Statistical Genetics, 697 (716); Künzler, Macht der Technik, S. 61; Klees, Der gläserne Mensch, S. 15 f. m.w.N. 176 Künzler, Macht der Technik, S. 61; Klees, Der gläserne Mensch, S. 15 f. m.w.N. 177 Dazu TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 27. 171

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

115

bestimmte Diskriminierungen sind, den Boden entziehen.178 Zuweilen lässt sich diese Beeinflussung vor dem Hintergrund, dass sich auch die Wissenschaft als interessengesteuert und damit als ideologiebeeinflusst bezeichnen lässt, aber auch als Verdrängung der einen Ideologie durch eine neue verstehen. Gerade im Zuge der Fortschritte in der Humangenetik wird eine solche dynamisierende Wirkung für möglich gehalten.179 Im Hinblick auf die Erforschung eines Zusammenhanges zwischen genetischer Veranlagung und Kriminalität erregte 1993 ein Bericht in der Zeitschrift Science Aufsehen. Die Tatsache, dass acht männliche Mitglieder einer holländischen Familie durch ihre extreme, mit Straftaten verbundene Aggressivität aufgefallen waren, wurde mit einem im Laufe der Untersuchungen festgestellten Enzymdefekt in Verbindung gebracht. Das Beispiel illustriert, dass sich durch genetische Erkenntnisse auch „die Argumentationslage im Rahmen der Sozial- und Rechtspolitik verändern könnte“180. In diesem Sinne könnte dies als ein Beispiel dafür gesehen werden, dass Forschung die Vorstellung vom selbstbestimmten Menschen beeinflussen könnte.

Besondere Brisanz bekommen derartige wissenschaftliche Irrtümer, wenn sie – wie in dem oben genannten Beispiel – diskriminierende Wirkung für bestimmte Bevölkerungsgruppen entfalten können. Auch im ersten Bericht des Arbeitskreises „Genforschung“181 finden sich dazu Ausführungen: „Die Prozesse der Vorurteilsbildung werden durch wissenschaftliche Theorien, vor allem prognostischer Art, provoziert und gefördert, selbst wenn sie sich später als wissenschaftlicher Irrtum (wie z.B. die ‚Rassenhygiene‘) herausstellen, während die Wissenschaft diese gesellschaftlichen Prozesse allein nicht beherrschen kann, auch wenn sie sie durchschaut. Die Bekämpfung sozialer Vorurteile ist ein gesellschaftlicher Prozess, in den alle sozialen Kräfte, auch die Wissenschaft und Politik, (notwendig) einbezogen sind, und eine Aufgabe, zu der alle Verantwortlichen aufgerufen sind; Beispiele hierfür geben karitative Organisationen, konkret die genannte Lebenshilfe für geistig behinderte Menschen und aktuell die AIDS-Hilfe.“182

___________ 178 Zur Widerlegung der Vorstellung genetisch bedingter Unterschiede zwischen „Rassen“: Pääbo, Science 2001, vol. 291, 1219 (1219 f.): „..., from the few studies of clear DNA sequences, it is clear that what is called ,race‘, although culturally important, reflects just a few continuous traits determined by a tiny fraction of our genes. ... Consequently, stigmatizing any particular group of individuals on the basis of ethnicity or carrier status for certain allels will be revealed as absurd.“ Auch Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 293; Sachs, Grenzen, S. 383 m.w.N. 179 Zur so genannten Genetifizierung siehe unten, S. 165 ff. 180 Simitis, in: Institut Suisse de Droit Comparé, Genanalyse, S. 107 (113). 181 Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung. 182 Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 115.

116

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

b) Umsetzungs- und Anwendungsfehler des Fachpersonals Im Unterschied zu wissenschaftlichen Irrtümern werden Fehler auf der zweiten Ebene eher als menschliches Versagen begriffen. Sie beruhen auf einem Vermittlungsproblem: Zwar sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse in diesen Fällen richtig, jedoch werden sie in der Praxis von dem Fachpersonal, das die Tests vornimmt, nicht ausreichend umgesetzt oder der zu testenden Person nicht richtig vermittelt.

aa) Fehlerhafte Indikation In die Kategorie der fehlerhaften Indikation lassen sich zum einen Tests bei unklarem Untersuchungsgegenstand einordnen. Sofern nämlich das Vorliegen eines äußeren Umstandes in einer Person – mangels geeigneter Definitionen – überhaupt nicht nachweisbar ist, kann die Feststellung einer genetischen Veranlagung nicht die Feststellung seines Vorliegens ersetzen. Dies trifft beispielsweise auf das Merkmal Intelligenz zu, für das es keine einheitliche Definition gibt.183 Schon unter diesem Aspekt erscheinen Aussagen über genetische Veranlagungen zur Intelligenz äußerst zweifelhaft. Darüber hinaus ist eine fehlerhafte Indikation dann anzunehmen, wenn aus dem Spektrum möglicher genetischer Untersuchungen bestimmte Tests willkürlich gewählt werden. Dieses Problem kann sich nur stellen, wenn die zu testende Person den Test nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Betreiben eines Dritten vornimmt (bzw. vornehmen lassen muss). Willkürlich kann die Auswahl des Untersuchungsgegenstands dann sein, wenn es eine Reihe von anderen Eigenschaften gibt, die eine vergleichbare Bedeutung für den jeweiligen Anwendungsbereich aufweisen und mit gleichem Aufwand ermittelt werden können, jedoch nur eine oder wenige zur Entscheidungsfindung herangezogen werden. Der gewählte Untersuchungsgegenstand wird dann in seiner Bedeutung überbewertet. Bei willkürlich ausgewählten Gentests besteht die Gefahr einer indirekten Diskriminierung bestimmter ethnischer oder sozialer Bevölkerungsgruppen.184 Denn wenn eine bestimmte Bevölkerungsgruppe im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen überproportional häufig die genetische Veranlagung zu einer be___________ 183

Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Intelligenz“, „Intelligenztest“, „Intelligenzquotient“. Auch Schöffski, Gendiagnostik, S. 46. 184 Eibach, Fachgespräch (1983), in: BMFT, „Ethische und rechtliche Probleme“, S. 47 (116): „Der Abgeordnete Gore glaubt, dass diese Praktiken weitreichende Folgen haben und zur Diskriminierung von Frauen, Rassen und ethnischen Gruppen führen. So konzentrieren sich z.B. einige Test auf die Sichelzellenanämie, eine Krankheit, die nur bei Menschen afrikanischer Herkunft auftritt und deren Entdeckung durch den Arbeitgeber zu Rassendiskriminierung verleitet.“

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

117

stimmten Krankheit hat, ist sie auch überproportional von Maßnahmen betroffen, die aufgrund der Kenntnis dieser Veranlagung vorgenommen werden. Bekannt geworden ist das genetische Screening auf eine Veranlagung zur Sichelzellenanämie, welches die amerikanische Chemiefirma Dupont de Nemour bereits in den siebziger Jahren durchführte, indem Bewerber auf das heterozygote Vorliegen des Sichelzellenanämie-Gens untersucht wurden. Die Untersuchungen erwiesen sich als ungeeignet, weil die damit in Verbindung gebrachte Anämie zum einen nicht mit dem heterozygoten Vorliegen des Sichelzellenmerkmals korreliert und zum anderen auch von anderen Faktoren abhängt. Eingestellt wurden diese Untersuchungen aber auch, weil sie zu einer mittelbaren Rassendiskriminierung geführt hatten, da die Prävalenz (Verbreitung) dieses genetischen Merkmals bei Menschen afrikanischer Herkunft größer ist.185 Vor einem ähnlichen Hintergrund wurden die Gentests bei der US Air Force Academy von Bürgerrechtsgruppen als verkappte Diskriminierung Amerikaner afrikanischer Herkunft aufgefasst,186 da die Sichelzellenanämie fast ausschließlich in dieser Bevölkerungsgruppe auftritt.187 Entsprechende Untersuchungen werden auch im Rahmen von Einstellungs- und Vorsorgeuntersuchungen bei den britischen Streitkräften (HM AirForce) durchgeführt.188

Als problematisch kann schließlich auch die Anwendung von Tests erscheinen, die unter den konkreten Umständen sinnlos sind. Darunter sind Untersuchungen zu verstehen, die keine nennenswerte Aussagekraft haben und aus deren Ergebnissen die untersuchte Person keine Handlungskonsequenzen ziehen kann. Bei prädiktiven Untersuchungen ist dies im Hinblick auf Krankheitsuntersuchungen etwa dann der Fall, wenn es keine Möglichkeiten zur Prävention gibt. Eher unbrauchbare Ergebnisse liefern nach derzeitigem Wissensstand insbesondere Tests auf multifaktoriell bedingte Krankheiten. Welche Untersuchungen als sinnvoll angesehen werden, differiert selbst zwischen benachbarten Ländern wie Deutschland und Frankreich erheblich.189 Es ist zu befürchten, dass ___________ 185

Holtzman, Caution, S. 202.: „Because screening was not performed for other genetic conditions, that might also result in haemoglobin concentrations below 14g/dl (such a value might indicate borderline anaemia), and because persons with sickle cell trait might well have haemoglobin concentrations below the cut point for reasons entirely unrelated to their sickle cell status, the procedure was clearly discriminatory. In addition to the screening employees already on the job, as in this case, Du Pont also screened black job applicants for sickle cell trait.“ – Auf diesen Fall Bezug nehmend: Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 385; Hofmann, Genomanalyse, S. 154; Goerdeler/Laubach, ZRP 2002, 115 (118 Fn. 31); Paslack, EthikMed 1993, 184 (194); AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 53c. 186 Cook-Deegan, in: Sass, Bioethische Herausforderungen, S. 171 (181); Hofmann, Genomanalyse, S. 154; Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (467); Paul, Tumorerkrankungen, S. 252. 187 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Sichelzellenanämie”; Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Sichelzellenanämie”. 188 Nuffield Council, Genetic Screening (1993), S. 59. 189 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 18.

118

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

genetische Tests auch dann angeboten und durchführt werden, wenn dafür keine ärztliche Veranlassung besteht.190 Im Jahre 1998 wurde z.B. an der Universität Essen bei 500 Personen ein Gentest auf eine genetische Disposition für Bluthochdruck durchgeführt. Vorausgegangen war eine Verlautbarung des dortigen Instituts für Pharmakologie, dass mittels des Gentests ein 1,8-fach erhöhtes Risiko festgestellt werden könnte. Jedoch gibt es – abgesehen von einer „gesunden Lebensführung“ – keine Bluthochdruck verhindernden Maßnahmen, sodass das Wissen um diese genetische Veranlagung als eher sinnlos eingestuft werden muss.191

bb) Fehlerhafte Durchführung Bisher werden Gentests überwiegend in spezialisierten Labors durchgeführt. In der Zukunft könnten jedoch auch so genannte Test-Kits an Bedeutung gewinnen. Dabei handelt es sich um einfach zu handhabende Testapparaturen, mit denen auch in Arztpraxen DNS-Sequenzen nachgewiesen werden können.192 Gegenüber der Durchführung des Testverfahrens in hochspezialisierten Laboratorien dürfte eine erhöhte Fehleranfälligkeit bestehen. Bei technischhandwerklichen Fehlern im Rahmen der Testdurchführung ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Test selbst in der Regel wiederholbar ist, sodass die Fehlerquote durch wiederholte Untersuchungen minimiert werden kann.

cc) Fehlerhafte Interpretation Wahrscheinlichkeitsaussagen über genetische Erkrankungsrisiken haben nur eine begrenzte, schwer vermittelbare Aussagekraft.193 Eine weitere Fehlerquelle kann dementsprechend darin gesehen werden, dass das richtige Testergebnis vom Fachpersonal falsch interpretiert oder an die getesteten Personen falsch vermittelt wird.194 Dies ist der Fall, wenn das maßgebliche genetische Merkmal zwar zutreffend festgestellt wird, auch zutreffende korrelationsstatistische Zusammenhänge zwischen dem Merkmal und der betreffenden Eigenschaft ___________ 190 DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 15; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 18. 191 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 18. 192 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 20; Schöffski, Gendiagnostik, S. 55. 193 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 18. 194 Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 132 m.w.N. – Vor diesem Hintergrund wurde bereits 1992 für Bereich der Humangenetik eine 5jährige Facharztausbildung eingeführt. Dazu DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 12; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 18; Schöffski, Gendiagnostik, S. 101.

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

119

zugrunde gelegt werden, insgesamt aber die mit der Feststellung der Veranlagung verbundene Wahrscheinlichkeitsaussage in ihrer Bedeutung jedoch falsch bewertet wird. In diesem Zusammenhang besteht das Problem der Überdiagnosen und vermeintlichen Entwarnungen:195 Im Fall eines positiven Testergebnisses besteht hier die Gefahr von Überdiagnosen und damit der Überbewertung der Untersuchungsergebnisse.196 Da genetische Untersuchungen nur statistische Aussagen treffen, müssen sie auf den Einzelfall nicht zutreffen. Es besteht die Möglichkeit, dass bei der untersuchten Person bestimmte Krankheiten festgestellt oder vorhergesagt werden, ohne dass diese tatsächlich davon betroffen sind oder sein werden.197 Andererseits bedeuten negative Testergebnisses im Hinblick auf ungünstige Eigenschaften nicht unbedingt, dass ihre Manifestation ausgeschlossen ist. Vielmehr erscheint insofern nur die untersuchte Verursachungsmöglichkeit als unwahrscheinlich. Negative Testergebnisse können also zu einer falschen Entwarnung führen, wenn eine Risikoerhöhung aufgrund anderer Faktoren besteht, aber nicht untersucht ist und damit im Verborgenen bleibt.198 Viele Testangebote stellen diese Gesichtspunkte nicht deutlich genug heraus. Besonders in die Kritik geraten sind dabei so genannte „Life-style“-Tests.199 Im Frühjahr 2002 brachte die britische Firma sciona den Gentest „You and Your Genes“ heraus, der durch die body shop-Kette vertrieben wurde. Der Hersteller stellte den Gentest als eine Möglichkeit zur Ermittlung eines individuellen genetischen Profils dar. Dabei wurde die Feststellung bestimmter Polymorphismen mit allgemein gehaltenen Ratschlägen zur Ernährung und Lebensstil verbunden. Von Kritikern dieser Werbekampagne wurde insbesondere die Entwarnungswirkung als problematisch betrachtet, die von der Feststellung des Nichtvorliegens von als nachteilig beschriebener Polymorphismen ausgehen könnte: Die Feststellung etwa, nicht ein bestimmtes, für eine besondere Alkoholempfindlichkeit verantwortlich gemachtes Gen nicht zu haben, könnte den Verbraucher zu einem sorglosen Umgang mit Alkohol verleiten. Entsprechende Wirkungen wurden auch im Hinblick auf die übrigen Ernährungs- und Gesundheitstipps gesehen.200

___________ 195 Innerhalb von genetischen Wirkungszusammenhängen beruht diese strukturelle Aussageungenauigkeit auf dem Phänomen der „genetischen Redundanz“ – Graumann, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 383 (399). – Zur Unterscheidung zwischen positiven und negativen Vorhersagewert: S. 129 f. 196 Koch/Weymayr, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27 f. m.w.N. – Insbesondere zur Problematik bei genetischen Brustkrebsvorsorgeuntersuchungen: Wagenmann, GID Nr. 161 (2003/2004), S. 31 ff. 197 Graumann, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 383 (398); Wiese, in: FS Niederländer, S. 475 (481). 198 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 18; Graumann, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 383 (398 f.); Hobom, FAZ 25.10.2000. 199 Siehe bereits oben, S. 104. 200 Meek, The Guardian 12.03.2002, „Public ‚misled by gene test hype‘ – scientists cast doubt on ‚irresponsible‘ claims for checks offered by body shop“.

120

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Die meisten der bisher in Presse und Literatur berichteten Fälle genetischer Diskriminierung greifen das Problem auf, dass Ungleichbehandlungen vor allem auf Fehl- und Überbewertungen der prognostischen Aussagekraft beruhen.201 In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf Fehlvorstellungen über ethnische und familiäre Vererbungszusammenhänge hingewiesen, welche die Gefahr von Fehlinterpretationen erhöhen.202 In einer Studie zur Untersuchung genetischer Diskriminierung bei Abschluss von Lebensversicherungen in Großbritannien203 wurden drei Personengruppen unterschieden, die in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt sind, aufgrund (irrtümlicherweise angenommener) genetischer Veranlagungen diskriminiert zu werden: – Personen, in deren Familien spätmanifeste, erblich bedingte Krankheiten (z.B. Huntington-Erkrankung, Myotonische Muskeldystrophie) aufgetreten sind, die selber jedoch keine Veranlagung zur betreffenden Krankheit haben. – Personen, die lediglich heterozygote Träger eines Gens für einen autosomalrezessiven (z.B. Mukoviszidose) oder x-chromosomalen (z.B. Duchenne’sche Muskeldystrophie) Erbgangs sind und damit selber nicht an der Erbkrankheit erkranken können.204 – Eltern von Kindern, die aufgrund einer genetischen Spontanmutation205 erkrankt sind. Durch (nicht vererbliche) Spontanmutationen – welche demzufolge auch keine Aussagen über die Veranlagungen bei den Verwandten erlauben – können z.B. Mafran-Syndrom, Hirnsklerose, Neurofibromatose oder Muskeldystrophie verursacht werden.206 Allen Fallgruppen gemeinsam ist, dass die ihnen zugeordneten Personen aufgrund ihrer genetischen Veranlagung keine erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeit und damit auch kein versicherungstechnisch relevantes Risiko aufweisen, welches eine Ungleichbehandlung beim Abschluss eines Versicherungsvertrages rechtfertigen könnte.

___________ 201

Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 ff.; Geller u.a., Science and Engineering Ethics, vol. 2, (1996), 71 ff.; Low/King/Wilkie, BMJ 1998, vol. 317, 1632 ff.; Paul, Tumorerkrankungen, S. 248. 202 Der Bericht der NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (802 f.) spricht hier von der Gefahr familiärer und ethnischer Stigmatisierung. 203 Low/King/Wilkie, BMJ 1998, vol. 317, 1632 (1634). Darauf Bezug nehmend auch Bayertz/Ach/Paslack, Genetische Diagnostik (1999), S. 261. 204 Weitere Beispiele für diese Fallgruppe finden sich bei: Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (118); Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (478) – insb. bei heterozygoten Trägern des Gens für Sichelzellenanämie und der Gaucher-Krankheit; Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 51 (1992), 903 (904) bei der heterozygoten Schwester eines Jungen mit fragilem X-Syndrome (Martin-Bell-Syndrom), einer Krankheit, die unter anderem mit geistiger Retardation in Verbindung gebracht wird. Da die Schwester lediglich eine heterozygote Trägerin dieses Merkmals ist, kann sie nicht erkranken. 205 Zum Begriff siehe oben, S. 82 f. 206 Low/King/Wilkie, BMJ 1998, vol. 317, 1632 (1634, Fn. 5 m.w.N.).

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

121

Zudem werden offenbar Personen, die von einer genetischen Krankheit betroffen sind, im Rahmen der Diagnose zuweilen fälschlicherweise weitaus schlimmere Symptome zugeordnet, als sie tatsächlich aufweisen.207 In den USA sind derartige Fälle im Zusammenhang mit der Charcot-Marie-ToothKrankheit (CMT) bekannt geworden. Personen wurde demnach der Abschluss von Verträgen für Lebens-, Unfall- oder Kfz-Versicherungen verweigert, obwohl sie aufgrund dieser Krankheit keinerlei nennenswerte Einschränkungen in ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit aufwiesen.208 Vergleichbare Fälle sind auch aus der humangenetischen Beratungspraxis in Deutschland bekannt. So berichtete ein Kinderarzt bei der genetischen Beratungsstelle am Institut für Humangenetik an der Charité in einem Zeitungsinterview davon, dass allein der Verdacht, dass die Vergrößerung der Zunge eines Kindes genetisch bedingt sei, zur Verweigerung eines Kranken- und Versicherungsvertrages geführt habe.209

Ein drittes Problem liegt offenbar in einer tendenziellen Überbewertungen möglicher genetischer Merkmale im Rahmen von Kausalbewertungen. Häufig wird – so scheint es – der Nachweis der Kausalität durch die Feststellung eines genetischen Merkmals ersetzt.210 Derartige Probleme können sich insbesondere bei der Ermittlung der hypothetischen Kausalität stellen, wenn beispielsweise fraglich ist, ob ein körperlicher Schaden durch ein äußeres Ereignis oder eine Anlage verursacht wurde.211 Eine Tendenz zu derartigen Überbewertungen genetischer Befunde meint von Schulz-Weidner bereits jetzt in der Rechtsprechung im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung nachweisen zu können.212 In seiner Analyse kommt er zum Ergebnis, dass genetischen Befunden bei der Kausalitätsbewertung von geltend gemachten Spätfolgen zumindest eine Indizwirkung für eine innere Verursachung gegenüber einer Verursachung durch die angeschuldigten äußeren Ereignisse beigemessen wird. Sofern sich tatsächlich anhand der gerichtlichen Praxis belegen lassen sollte, dass die Feststellung genetischer Merkmale die Wirkung eines Anscheinsbeweises gegen die Annahme einer externen Verursachung haben sollten, liegt die Vermutung einer Überbewertung genetischer Untersuchungsergebnisses und so gesehen einer Diskriminierung aufgrund genetischer Veranlagungen nahe. ___________ 207 Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (119); Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (479). Dazu auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 129. 208 Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (119); Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (479). 209 Kunze, in einem Interview für die Zeitung „Potsdamer Neueste Nachrichten“ vom 23.11.2000, „Wir wollen nur der betroffenen Familie helfen“. 210 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 351 ff., 353. 211 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 351 ff., 353. 212 Der Nachweis der genetischen Merkmals bekommt dann den Charakter eines prima-facie-Beweises: Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 351 ff., 353.

122

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

c) Verständnisprobleme der getesteten Personen und Testinteressenten Die Klassifizierung möglicher Fehlerquellen auf der zweiten Ebene lässt sich auf die dritte Ebene übertragen: Verständlicherweise gelten die festgestellten Fehlerpotenziale erst recht auch hinsichtlich des Umgangs mit „genetischen Informationen“ durch Laien. Unmittelbar übertragbar ist die Fehlerklassifizierung insbesondere dann, sofern die Testinteressenten auf die Einschaltung von Fachleuten verzichten möchten. Bei den so genannten „walk-in“-Tests finden die genetischen Untersuchungen ohne Einbeziehung eines Arztes direkt bei kommerziellen Testinstituten statt.213 Beim mailorder-testing entfällt der Kontakt zwischen dem Klienten und dem medizinischen Personal. Das so genannte Test-Kit, die Apparatur zur Untersuchung der Probe, wird von dem Probanden selbst mit dem Probenmaterial versehen und später in einem Labor ausgewertet.214 Vollkommen ohne Mithilfe humangenetischen Fachpersonals werden sog. Home-Kits verwendet, bei denen die Auswertung des Tests anhand eines Farbvergleichs durch den Probanden selbst vorgenommen wird.215

Die Unterscheidung zwischen der zweiten und dritten Ebene rechtfertigt sich weniger vor dem Hintergrund struktureller Unterschiede der möglichen Fehlerquellen, sondern vielmehr durch die unterschiedlichen gesetzgeberischen Reaktionsmöglichkeiten: Fehlern auf der Fachpersonal-Ebene kann durch verbindliche, standesrechtliche Regelungen entgegengewirkt werden, auf deren Einhaltung durch öffentlich-rechtliche Sanktionsmaßnahmen oder zivilrechtliche Haftungsnormen effektiv hingewirkt werden kann. Im Gegensatz dazu dürften sich die Möglichkeiten zur Fehlervermeidung auf der Laien-Ebene überwiegend auf Aufklärungsprogramme beziehen, die freiwillig von den Betroffenen in Anspruch genommen werden können.

III. Behandelbarkeit genetisch bedingter Krankheiten Erst wenn man die Möglichkeiten für die Behandlung einer Krankheit kennt, lässt sich abschätzen, welche psychischen Auswirkungen Aussageungenauigkeiten bei der Interpretation von positiven Testergebnissen über Krankheiten haben können. Denn es hängt von den Präventions- und Therapiemöglichkeiten ab, in welchem Umfang die festgestellten Veranlagungen und Eigenschaften beeinflussbar oder veränderlich sind. Die Möglichkeiten, Krankheiten zu verhindern, zu heilen oder zu lindern, verändern sich jedoch im Laufe der Zeit. Bei prädiktiven Aussagen wird die Feststellung der Behandelbarkeit zur Prognose. Keinen Einfluss auf die Aussagegenauigkeit hat die Frage der Behandelbarkeit bei dif___________ 213

Schöffski, Gendiagnostik, S. 55; Schöffski, ZfgesVersWiss 2001, 227 (228). Schöffski, Gendiagnostik, S. 55; Schöffski, ZfgesVersWiss 2001, 227 (228). 215 Schöffski, Gendiagnostik, S. 55; Schöffski, ZfgesVersWiss 2001, 227 (228). 214

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

123

ferenzialdiagnostischen und diagnostischen Untersuchungen. In diesen Fällen beeinflusst sie jedoch gegebenenfalls das Ausmaß der psychischen Belastung, die mit dem Untersuchungsergebnis verbunden ist. Der Mangel an Behandlungsmöglichkeiten ist ein Umstand, der – unabhängig davon, ob es sich um eine prädiktive oder diagnostische ärztliche Aussage handelt – von dem Betroffenen als belastend empfunden werden dürfte. Ob ein Mangel an Präventions- und Therapiemöglichkeiten vorliegt, hängt von der Art und der Wirksamkeit der Behandlungsmethoden ab. Hinsichtlich der Art von Behandlungsmethoden wird in der Medizin zwischen der Prophylaxe und der Therapie unterschieden.216 Das Phänomen, dass ein Mangel an Therapiemöglichkeiten bei der Feststellung von Krankheiten psychisch belastend wirkt, dürfte gleichermaßen bei schweren wie leichten Erkrankungen zu beobachten sein, der besondere Schweregrad der Krankheit dürfte es nur auffälliger machen. Im Hinblick auf die Wirksamkeit von Behandlungsmethoden reicht das Spektrum möglicher Behandlungserfolge von der vollständigen Beseitigung der Krankheitsursache bis zur bloßen Abschwächung ihrer Symptome. Prophylaktische Maßnahmen haben das Ziel, den Ausbruch einer Krankheit von vornherein zu verhindern. Demgegenüber können therapeutische Maßnahmen erst nach dem Ausbruch der Krankheit einsetzen. Günstigstenfalls führen sie zur Heilung der Krankheit. Häufig können die ärztlichen Maßnahmen jedoch nur eine Verlängerung der Lebenserwartung oder eine Linderung der Krankheitssymptome bewirken. Werden daher genetische Untersuchungen mit diagnostischer Zielsetzung vorgenommen, ist die mögliche psychische Belastung aufgrund des Mangels an Therapiemöglichkeiten keine Besonderheit genetischer Untersuchungen. Denn auch bei herkömmlichen Untersuchungsverfahren ergeben sich psychische Konfliktlagen, wenn eine Krankheit diagnostiziert wird, für die keine oder nur unzureichende Therapiemöglichkeiten bestehen. So dürfte es keinen Unterschied machen, ob eine unheilbare Krebserkrankung über herkömmliche Verfahren oder über genetische Untersuchungen diagnostiziert wird. Im Zusammenhang mit genetischen Untersuchungen zu prädiktiven Zwecken ist der Umstand hervorzuheben, dass die genetische Verursachung bestimmter Krankheiten nicht zwangsläufig mit einem Mangel an Behandlungsmöglichkeiten verbunden ist. Insofern ist es vielleicht irreführend, wenn gerade im Hinblick auf genetisch bedingte Krankheiten von einer „Schere zwischen Diagnose und Therapie“ gesprochen wird.217 Zutreffend ist allerdings, dass ein Mangel von Behandlungsmöglichkeiten in der prädiktiven Medizin mit einer besonde___________ 216

Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7407). 217 CDU-Antrag, BT-Drs. 15/543, S. 1; Meyer, Mensch, S. 59, Schöffski, Gendiagnostik, S. 148; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 117 f.; Wiese, in: FS Niederländer, S. 475 (481).

124

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

ren – und zudem möglicherweise überflüssigen – psychischen Belastung verbunden sein kann,218 auch wenn bei Vorhersagen über lange Zeiträume immer noch die Hoffnung der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden besteht. Eine besondere Problemsituation ergibt sich, wenn lediglich Präventionsmaßnahmen mit erheblichen Nebenwirkungen zur Abwendung der prognostizierten Krankheit zur Verfügung stehen. Durch Prognosen über die Manifestation von Krankheiten ohne Behandlungsmöglichkeiten wird die psychische Belastung für den Betroffenen zeitlich vorverlegt. Im Vergleich zu Diagnosen besteht bei Prognosen – je nach Manifestationsdauer – die größere Gefahr von Dauerbelastungen. In diesen Fällen verlängert die Früherkennung von Krankheiten nicht das Leben, sondern das Leiden.219 Wenn nämlich genetische Untersuchungen vor der Manifestation der Krankheit zu prädiktiven Zwecken eingesetzt werden, ohne dass für die untersuchte Krankheit Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, kann für die betroffene Person der Wert einer solchen Untersuchung zweifelhaft erscheinen. Zwar mag in einigen Fällen eine solche Prognose auch tatsächlich positiv motivierende Wirkung haben und die betroffene Person zur bewussten und zielstrebigen Gestaltung ihres Lebens veranlassen. In vielen Fällen mag das Wissen um eine nicht therapierbare Krankheit aus medizinischer Hinsicht jedoch weitgehend nutzlos sein, da keine frühzeitigen Konsequenzen zur Verhinderung der prognostizierten Erkrankung gezogen werden können. Fehlen sowohl Präventions- als auch Therapiemöglichkeiten, wie z.B. bei der Huntington-Krankheit, können die Informationen einen deterministischen, schicksalhaften Charakter bekommen.220 Vergleichbare Situationen stellen sich ansonsten allenfalls bei der Diagnose von langwierigen Krankheiten, wie z. B. bei Alzheimer. Im Unterschied dazu wird der Betroffene jedoch bei prädiktiven Aussagen in einem präsymptomatischen, also symptomfreien Abschnitt seines Lebens mit der Vorstellung belastet, später in seinem Leben unter einer möglicherweise schweren Krankheit zu leiden. Nur in dieser zeitlichen Hinsicht erscheint es gerechtfertigt, davon zu sprechen, dass die „Schere zwischen Diagnostik und therapeutischer Behandlung“ bei Gentests wesentlich größer ist als bei herkömmlichen diagnostischen Maßnahmen.221 Zwar werden durch genetische Untersuchungen nicht neue, bisher unbekannte Krankheiten erkannt, jedoch können bereits bekannte Krankheiten ___________ 218

Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 371. Koch/Weymayr, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27. 220 Vgl. etwa Schneider, Die Zeit 42/2000, S. 41 f. mit einem Bericht über die Publizistin Nancy Wexler, welche einer Familie angehört, in der mehrere Fälle der Huntington-Krankheit aufgetreten sind. 221 Insofern ist der pauschale Hinweis darauf, die Schere zwischen Diagnose und Therapie sei bei genetischen Erkrankungen größer als bei anderen, irreführend. Siehe dazu aber auch S. 123. 219

D. Charakteristika der Untersuchungsergebnisse

125

sehr viel früher prognostiziert werden. Spricht man also von der Schere zwischen Diagnose und Therapie, geht es nicht darum, dass nunmehr mehr unheilbare Krankheiten diagnostiziert werden können,222 sondern dass die untersuchten Personen länger mit der damit verbundenen Prognose leben müssen. Der Umfang der Therapierbarkeit ist keine Eigenschaft, die den durch Gene veranlagten Krankheiten unveränderlich anhaftet, da er nur nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft beurteilt werden kann und bereits in naher Zukunft etwas therapierbar sein könnte, was heute noch als unheilbar gilt.223 Dabei wächst mit der Länge der Manifestationsdauer auch die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden, sodass sich die Besorgnis angesichts der ungünstigen Prognose zudem als unnötig erweisen kann. Die Beurteilung der Therapierbarkeit wird bei Krankheiten mit langer Manifestationsdauer ihrerseits zur Wahrscheinlichkeitsaussage. Bei einer ungünstigen Prognose für eine bestimmte Krankheit kann sich jedoch auch ein ganzes Spektrum von möglichen Präventivmaßnahmen eröffnen. Ein ungünstiges Testergebnis kann die betroffene Person zunächst einmal zu einer erhöhten Wachsamkeit hinsichtlich der prognostizierten Krankheit veranlassen. Ist beispielsweise ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für Brustkrebs festgestellt worden, kann sich die betroffene Frau dazu entscheiden, in kürzeren Abständen Vorsorgeuntersuchungen vornehmen zu lassen, um frühestmöglich die ersten Anzeichen einer Erkrankung zu erkennen und darauf mit der Einleitung von weiterreichenden Behandlungsmaßnahmen reagieren zu können. Daneben kann die betroffene Frau präventiv auch ihre Lebensweise umstellen und sich bemühen, übermäßige Strahlenbelastung zu vermeiden oder das Erkrankungsrisiko durch eine angepasste Ernährung zu vermindern.224

Ein besonders belastender Charakter kann aber darin liegen, dass man Therapiemöglichkeiten mit schweren, möglicherweise irreversiblen Folgen zur Verfügung hat, aber nicht weiß, ob die Krankheit wirklich eintritt und derartig schwere Maßnahmen überhaupt erforderlich sind.225 Sofern sich die betreffende Person zur Vornahme solcher therapeutischen Maßnahmen entscheidet, läuft sie Gefahr, gesundheitliche Nachteile zur Vermeidung eines statistischen Risikos zu erleiden, das sich in ihr gar nicht verwirklicht hätte (Übertherapie). Konkret auf Brustkrebs bezogen ist eine solche Entscheidung jedoch nicht ganz unproblematisch, da die Vorsorgeuntersuchungen zu einer erhöhten Strahlenbelastung führen können, die gerade bei einer Veranlagung zu Krebs vermieden werden sollte.226 Angesichts der Gefährlichkeit einer Brustkrebserkrankung könnte sich die betroffene Frau auch dazu veranlasst sehen, präventiv mit einer Chemotherapie zu beginnen oder sich

___________ 222

So auch Meyer, Mensch, S. 59. Schöffski, Gendiagnostik, S. 78, Fn. 365. 224 Schöffski, Gendiagnostik, S. 77. 225 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 17. 226 Schöffski, Gendiagnostik, S. 78. 223

126

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

präventiv einer vollständigen Amputation der betroffenen Brust zu unterziehen.227 Denn Behandlungsmethoden, wie z. B. Chemo- bzw. Strahlentherapie oder Brustoperationen haben häufig umso bessere Erfolgsaussichten, je früher sie vorgenommen werden.228 Hierin liegt ein Dilemma: In dem Bemühen um die Vermeidung von Risiken, setzt sich die betroffene Person zusätzlichen Risiken aus.229 Entsprechendes gilt im Hinblick auf Vorsorgemaßnahmen gegen (den nicht genetisch bedingten) Prostatakrebs. Hier wird befürchtet, dass aufgrund der Ergebnisse von Vorsorgeuntersuchungen Prostataoperationen veranlasst werden, obwohl sich bei vielen die diagnostizierten Krebsvorstadien nie als Krebserkrankung bemerkbar machen würden und die betroffenen Männer nicht an ihrem Krebs, sondern mit ihm sterben.230 Besonders bedenklich erscheint dies vor dem Hintergrund, dass diese Operationen zur Inkontinenz und Impotenz führen können.

In diesen Zusammenhang lassen sich auch die Folgen einer stigmatisierenden Behandlung einordnen. Insbesondere prädiktive Aussagen über mögliche Erkrankungen, auch wenn sie zutreffend sein sollten, können als unerwünschte Nebenwirkungen Belastungen durch soziale Stigmatisierungen zur Folge haben, welche auf lange Sicht auch Krankheitswert erreichen können.231 Bei einigen Krankheiten werden bestimmte Symptome nicht auf den endogenen Krankheitsverlauf, sondern auf die Einwirkungen durch das soziale Umfeld zurückgeführt. Nachgewiesen wurde dies beispielsweise für die Hyperlipidämie. Das hyperaktive Verhalten der Kinder, bei denen diese Krankheit prognostiziert wird, ist einer Studie zufolge unter anderem auf eine unangemessene Behandlung durch die Eltern zurückzuführen, die etwa aufgrund eines falschen Verständnisses der Krankheit ihren Kindern unnötige Restriktionen auferlegen.232

IV. Verborgenheit genetischer Daten Solange genetische Veranlagungen nicht im Phänotyp, d.h. dem äußeren Erscheinungsbild, Ausdruck gefunden haben, sind sie dem Einzelnen grundsätzlich unbekannt und verborgen.233 Allerdings müssen nicht alle nicht-manifesten Veranlagungen dem Einzelnen gleichermaßen verborgen sein. So kann die betreffende Person beispielsweise bei bestimmten Krankheiten bereits mit der ___________ 227

Schöffski, Gendiagnostik, S. 77. Schöffski, Gendiagnostik, S. 78. 229 Koch/Weymayr, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27 (27), sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem Tauschgeschäft der Risiken. 230 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Prostatakarzinom“, „PSA“. Siehe auch: Koch/Weymayr, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27. 231 Holtzman, Caution, S. 178 f. 232 Holtzman, Caution, S. 179 m.w.N. 233 Chadwick, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 13 (19); Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 136. 228

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

127

Möglichkeit einer Erkrankung rechnen, wenn sie mit einer ausgeprägten familiären Krankheitsgeschichte verbunden ist. Genmerkmale sind natürlich auch dann nicht verborgen, wenn sie bereits durch andere präsymptomatische Untersuchungen nachgewiesen wurden. Jedoch nicht nur prädiktive, sondern auch diagnostische Daten können in bestimmten Fällen der betreffenden Person verborgen sein. So gibt es genetische Veranlagungen, die zwar im Phänotyp vorhanden, jedoch nur schwer nachweisbar sind. Dies trifft insbesondere auf Veranlagungen für bestimmte soziale Verhaltensweisen zu, die möglicherweise auch unterdrückt werden können. Zwar wird sich in vielen Fällen auch über genetische Tests keine größere Klarheit gewinnen lassen, da die Unklarheiten häufig darauf beruhen, dass sich persönliche Fähigkeiten und soziale Eigenschaften häufig kaum definieren lassen.234 Angesichts der stigmatisierenden Wirkung solcher Tests erscheint dies jedoch dennoch problematisch. Dies dürfte insbesondere für quantitative Eigenschaften gelten.235 Im Unterschied zu qualitativen Eigenschaften, wie z.B. Augenfarbe und Geschlecht, kann keine klare Differenzierung zwischen dem Vorliegen und dem Nichtvorliegen der Eigenschaft vorgenommen werden. Vielmehr zeigen sich bei quantitativen Eigenschaften nur graduelle Unterschiede in der Manifestation, wie etwa im Hinblick auf die Ausprägung von Intelligenz.236 Konfliktlagen sind beispielsweise auch denkbar, wenn bei einem Familienvater eine genetische bedingte Veranlagung zur Homosexualität festgestellt werden würde.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen Wie alle Informationen werden auch Informationen über genetische Veranlagungen durch verschiedene Umstände und Zusammenhänge geprägt und beeinflusst, die nicht notwendigerweise mit dem Untersuchungsmaterial, der Untersuchungsmethode oder dem Untersuchungsergebnis verbunden sind.

___________ 234 Verfeinerte Untersuchungsverfahren befreien nicht von der Notwendigkeit einer eindeutigen Bestimmung des Untersuchungsgegenstands. Zur damit im Zusammenhang stehenden besonderen Fehleranfälligkeit siehe oben, S. 116. 235 Schmidtke, Vererbung, S. 172. 236 Schöffski, Gendiagnostik, S. 46.

128

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

I. Verwendungsweise genetischer Daten Unterschieden werden kann zwischen genetischen Untersuchungen zu prädiktiven, diagnostischen und differenzialdiagnostischen Zwecken.237 Im Folgenden sollen diese verschiedenen Verwendungsweisen exemplarisch anhand von Krankheitsdispositionen dargestellt werden. Schwerpunktmäßig wird dabei auf die Möglichkeit prädiktiver Aussagen eingegangen werden, da zu erwarten ist, dass genetischen Untersuchungen im Bereich der prädiktiven Medizin eine besondere Bedeutung zukommen wird.

1. Informationen mit prädiktivem Charakter Genetische Untersuchungen können dazu genutzt werden, Veranlagungen für bestimmte Krankheiten zu ermitteln, ohne dass sich Symptome der Krankheit eingestellt haben.238 Bei derartigen Untersuchungsverfahren spricht man daher von präsymptomatischer239, präklinischer oder prädiktiver Diagnostik.240 Zwar gibt es neben den Gentests auch noch andere präsymptomatische Untersuchungsverfahren.241 Allerdings wird davon ausgegangen, dass erst die Einführung genetischer Testverfahren zu einem entscheidenden Bedeutungszugewinn der prädiktiven Medizin führen wird. Im Unterschied zur klinischen Medizin wird in der prädiktiven Medizin nicht nur der Krankheitsverlauf prognostiziert, sondern auch der Krankheitsausbruch. Die Diagnose wird zur Prognose242 (so genannte prädiktiven Diagnose243). Aufgrund des Ergebnisses der genetischen Untersuchung wird zunächst eine Prognose im Hinblick auf die Manifestation der Krankheit vorgenommen, welche dann wiederum Grundlage für die Prognostizierung des weiteren Krankheitsverlaufs ist. ___________ 237 Zu dieser Unterscheidung siehe auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 27 ff.; Pletke, Genomanalysen, S. 14 ff.; Schroeder-Kurth, medgen 2000, 461 ff.; Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 51 ff., 97 ff. 238 Statt vieler: Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 31 ff.; 39 ff.; NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (802); Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 131 f. – Zum Problem der Verborgenheit prädiktiver Informationen siehe S. 126. 239 Schöffski, Gendiagnostik, S. 47. 240 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7372). Eingehender zum Begriff der prädiktiven Medizin: S. 154 ff. 241 Siehe dazu auch S. 349 ff. 242 Paul, Tumorerkrankungen, S. 25 ff., 35, 263. 243 Etwa TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 16 ff. und passim. – Siehe auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 263, welche den Begriff als irreführend ablehnt.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

129

In der öffentlichen Diskussion über die Bedeutung der Gendiagnostik nehmen spätmanifeste Krankheiten eine besondere Stellung ein. Hierunter werden Krankheiten verstanden, die sich erst im fortgeschrittenen Lebensalter manifestieren. Frühmanifeste Krankheiten sind dementsprechend Krankheiten mit einem niedrigen Manifestationsalter.244 Dabei ist aber nicht davon auszugehen, dass genetische Veranlagungen typischerweise spätmanifest sind und dementsprechend in besonderem Umfang Prognosen mit besonders langen Vorhersagezeiträumen erlauben. Während die Huntington-Krankheit beispielsweise zu den spätmanifesten Krankheiten gehört, ist die Hämophilie (Bluterkrankheit) bereits bei der Geburt manifest.245 Genetische Untersuchungen auf diese Krankheiten haben also nur bei pränatalen Untersuchungen prädiktiven Charakter. Für einige Krankheiten lässt sich der Zeitpunkt der Manifestation recht genau bestimmen. Dies gilt insbesondere für einige monogenetische Krankheiten, also Krankheiten, die ausschließlich genetisch bedingt sind.246 Beispiele hierfür sind die Huntington-Krankheit (Erkrankungsbeginn im mittleren Lebensalter)247 oder Mukoviszidose (Erkrankung meist in jungen Jahren)248. Bei anderen Erkrankungen, wie z.B. Alzheimer, können nur sehr große Zeitspannen angegeben werden. Die Aussagegenauigkeit eines genetischen Tests ist für positive und negative Ergebnisse getrennt zu betrachten. Feststellungen aufgrund von genetischen Veranlagungen haben – wie solche aufgrund von anderen Eigenschaftsindikatoren auch – häufig nur einen positiven Vorhersagewert: Wenn das Merkmal (positiv) vorliegt, wird eine zukünftige Manifestation einer bestimmten Eigenschaft mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorhergesagt (positiver Vorhersagewert).249 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die getestete Person bei einem negativen Testergebnis nicht erkranken wird (negativer Vorhersagewert).250 Selbst bei Tests auf monogenetische Krankheiten ist dies nicht der Fall. Zwar zeichnen sich solche Krankheiten dadurch aus, dass ihre alleinige Ursache in einem bestimmten Gen zu suchen ist, jedoch kann das fragliche Gen verschiedene Mutationen aufweisen, die wiederum mit verschiedenen Erkrankungsrisiken und Ausprägungen verbunden sind.251 Nach dem derzeitigen Stand der Forschung kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass neben der festgestellten ___________ 244

Zu Manifestationsalter und -dauer: S. 68 f. Schöffski, Gendiagnostik, S. 59. 246 Sperling, in: Sass, Bioethische Herausforderungen, S. 42. 247 Schöffski, Gendiagnostik, S. 80. 248 Schöffski, Gendiagnostik, S. 67. 249 Holtzman, Caution, S. 94; auch: Schöffski, Gendiagnostik, S. 49 f. 250 Holtzman, Caution, S. 94; auch: Schöffski, Gendiagnostik, S. 49 f. 251 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 17. 245

130

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Mutation noch andere Mutationen den Ausbruch der Krankheit verursachen können. Häufig ist die vollständige Überprüfung eines bestimmten Gens auf alle Mutationen, die eine bestimmte Krankheit bedingen, auch technisch nicht möglich (z.B. bei Tests auf Zystische Fibrose).252 Üblicherweise werden Gentests nach dem Grad der Manifestationswahrscheinlichkeit, die in dem Untersuchungsergebnis zum Ausdruck kommt, in probabilistische und deterministische Untersuchungen unterteilt.253 Wird die Manifestationswahrscheinlichkeit (Penetranz) auf 100% eingeschätzt, spricht man von deterministischen, bei Aussagegenauigkeiten darunter von probabilistisch Ergebnissen. 100%ige Penetranzwerte werden dabei nur einigen wenigen monogenetischen Krankheiten zugewiesen.254 Jedoch ist die Unsicherheit von Prognosen nicht auf die zum Zeitpunkt der Prognosestellung berechneten Aussageungenauigkeiten beschränkt: Je weiter sie in die Zukunft reichen, desto unsicherer werden sie, da die Wahrscheinlichkeit wächst, dass neue Umstände dazu treten, die die empirische Berechnungsgrundlage möglicherweise vollkommen verändern. Dies gilt auch für die prädiktive Gendiagnostik. Die Grundlage einer aufgrund genetischer Merkmale getroffenen Prognose ist die Manifestationswahrscheinlichkeit des jeweils festgestellten Gens (Penetranz). Dieser Wahrscheinlichkeitswert erlaubt jedoch zum einen keine Aussage über einen bestimmten Ausprägungsgrad (Expressivität). Zudem bleiben auch mögliche den Verlauf ändernde Umstände unberücksichtigt. Bei Krankheiten kommen hier insbesondere die Entwicklung möglicher Präventiv- oder Therapiemittel in Betracht. Diese prognostischen Aussageungenauigkeiten lassen sich – im Gegensatz zur Fehlerquote bei der Testdurchführung – auch nicht durch Wiederholung der jeweiligen Untersuchung vermindern. Da Prognosen nicht alle Aspekte der zukünftigen Entwicklung berücksichtigen, ist ihnen eine derartige Ungenauigkeit immanent.255 Vor diesem Hintergrund dürfte sich auch bei (vermeintlich) genauen Manifestationswahrscheinlichkeiten die Frage stellen, welche praktischen Konsequenzen aus dem gewonnenen Wissen gezogen werden sollen.256 Während das Wissen um allgemeine Lebensrisiken in der Regel psychisch gut verarbeitet werden kann und die Lebensplanung im Großen und Ganzen unbeeinflusst lässt, ist dies bei konkret benannten und befristeten Erkrankungswahrscheinlichkeiten ___________ 252 DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 14; Schöffski, Gendiagnostik, S. 47. 253 Schöffski, Gendiagnostik, S. 48; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 39. 254 Schöffski, Gendiagnostik, S. 47. 255 Vertiefend zur prognostischen Aussageungenauigkeit siehe S. 364 ff. und S. 413 ff. 256 Schöffski, Gendiagnostik, S. 47.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

131

meist nicht der Fall.257 Die untersuchte Person ist gezwungen mit der Unsicherheit, die für sie nur durch eine Wahrscheinlichkeitsaussage konkretisiert wurde, zu leben.258

2. Informationen mit diagnostischem Charakter Werden genetische Untersuchungen zu diagnostischen Zwecken259 erhoben, ergibt sich keine Besonderheit im Vergleich zu herkömmlichen Untersuchungsmethoden. Der genetische Test wird zu einem Zeitpunkt vorgenommen, zu dem Symptome der Krankheit für den Patienten oder zumindest für den Untersuchenden bereits erkennbar sind.260 Anhand dieser konkreten (bereits aufgetretenen) Symptome wird die Manifestation einer bestimmten Krankheit festgestellt. Der weitere Krankheitsverlauf, z.B. hinsichtlich des Schweregrads, den die Krankheit künftig annehmen wird, wird allerdings nur prognostiziert.261

3. Informationen mit differenzialdiagnostischem Charakter Bei der Differenzialdiagnose wird mit Hilfe von genetischen Untersuchungen die Ursache für eine bereits diagnostizierte Krankheit ermittelt oder bestätigt, um eine gezieltere und optimierte Behandlung zu ermöglichen.262 Sofern es sich nämlich im Einzelfall um eine genetisch bedingte Ausprägung einer Krankheit handelt, bedarf es möglicherweise ganz anderer Therapiemaßnahmen als bei überwiegend von Umwelteinflüssen hervorgerufenen Krankheitsausprägungen.263 Den medizinisch vermutlich bislang konkretesten Nutzen hat die Gendiagnostik bisher wohl im Bereich der Differentialdiagnose bakterieller Infektionen (Erregerdiagnostik), etwa bei der Diagnose von AIDS und Hepatitis, bekom___________ 257

Schöffski, Gendiagnostik, S. 47. Wiese, in: FS Niederländer, S. 475 (481). 259 Exemplarisch zur diagnostischen Verwendungsmöglichkeit etwa: Buchholz/Böck/Gress, medgen 2000, S. 321 (S. 321 ff.); Joos/Schrenk/Höpfl/Mann/Hämmerle, medgen 2000, S. 317 (S. 317 ff.). 260 Vgl. S. 63 ff. 261 Ausschließlich in diesem Sinne wurde bisher der Begriff „Prognose” in der Medizin verwendet: Brockhaus Gesundheit, Stichwort „Prognose”; Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Prognose”. 262 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7407) zu Art. 10 GUMG; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 45 ff.: „Ex-post-Analysen“. 263 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7370 f.). 258

132

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

men.264 Aber auch bei der Diagnose von Krebserkrankungen können genetische Untersuchungen sinnvoll eingesetzt werden. Da jedes Krebsgeschehen mit charakteristischen Veränderungen in den Zellen einhergeht, lassen sich so verschiedene Erscheinungsformen einer bestimmten Krebsart erkennen. Dies ermöglicht differenzierte Behandlungsmethoden.265

II. Anwendungsbereiche für genetische Daten Durch die Darstellung möglicher Anwendungsbereiche von Informationen über genetische Veranlagungen soll die rechtliche Problematik und Bedeutung veranschaulicht werden, die mit der Nutzung solcher Daten verbunden ist. Aussagen über genetische Veranlagungen können auf vielerlei Weise in einer Vielzahl von Bereichen des gesellschaftlichen Lebens Bedeutung gewinnen.266 Die im Folgenden vorgenommene Zusammenstellung nimmt teils Bezug auf bereits existierende Anwendungsformen, teils auf sich konkret abzeichnende Entwicklungen. Bei Gelegenheit werden auch Fallbeispiele mit nicht-genetischen Eigenschaftsindikatoren aufgegriffen, die jedoch in ihrer rechtlichen Problematik mit denen mit genetischen Veranlagungen vergleichbar sind. Auf diese Weise soll – gewissermaßen im Vorgriff auf die anschließende rechtliche Bewertung – das Erfordernis einer über genetische Daten hinausgehenden rechtlichen Lösung verdeutlicht werden.

1. Verwendung zur Erstellung von Identifikationsmustern (Identifikationsfunktion) Am meisten gebräuchlich dürfte die Verwendung genetischer Analysen zur Erstellung von Identifikationsmustern sein. Anwendungsfelder hierfür bieten beispielsweise das Zivil- und Strafprozessrecht267, die Leistungsverwaltung, die Identifizierung von Katastrophen- oder Unfallopfern und die Evolutions- oder archäologische Forschung.

___________ 264

TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 5, 19 f. TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 19 f. 266 Einen Überblick dazu bieten etwa die Darstellungen bei: Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung; Hofmann, Genomanalyse; Reich, in: von Armin u.a., S. 109 (114 ff.); Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 46 ff. 267 Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (1): „Identitätsfeststellung von Tätern und Vätern“. 265

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

133

a) Zivil- und Strafprozess Als Identifikationsmuster finden körperliche Merkmale vor allem Anwendung im Zivilprozess (etwa im Rahmen einer Vaterschaftsfeststellung, § 372a ZPO)268 oder im Strafprozess (etwa bei dem Vergleich von am Tatort gefundenen Proben mit den von Verdächtigen zur Täterermittlung – Spurenvergleich).269 In Großbritannien wurde 1987 eine der ersten genetischen Massenfahndungen nach einem Sexualmörder durchgeführt, in deren Rahmen mehr als 5000 Männer aus drei Dörfern in der Umgebung des Tatortes Blut und Speichelproben für eine genetische Analyse abgaben.270

Zur Aufklärung von Straftaten werden dabei zunehmend Datenbanken der „genetischen Fingerabdrücke“ von vorbestraften Personen oder deren potenziellen Opfern errichtet. In Großbritannien besteht seit 1995 eine „National DNA Database“.271 In etlichen anderen Ländern sind entsprechende Datenbanken bereits eingeführt oder in Planung.272 In Deutschland wurde eine DNA-Identifizierungs-Datei auf Grundlage des DNAIdentitätsfeststellungsgesetzes vom 07.09.1998 (DNA-IFG a.F.) eingerichtet.273 Zulässig ist die Speicherung des Identifikationsmusters gemäß § 81g Abs. 1 StPO jedoch nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung, sofern im Einzelfall Grund zu der Annahme besteht, dass die untersuchte Person auch zukünftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird.274 In speziellen Kidnapping-Gendatenbanken sollen die Gendaten von Neugeborenen gespeichert werden, um sie im Falle des Kidnappings oder des Verlorengehens schneller wiederfinden zu können.275 In China besteht bereits eine entsprechende Datenbank, um die Aufklärung einer steigenden Zahl der Fälle von Kindesentführungen und Menschenhandel zu verbessern.276

___________ 268

Zur Möglichkeit der vorgeburtlichen Vaterschaftsfeststellung: Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 12 f.; Schneider, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 32; Schöffski, Gendiagnostik, S. 54 m.w.N. Im Jahre 2003 ließen drei Geschwister in München durch ein DNS-Gutachten feststellen, dass Charles Lindbergh ihr leiblicher Vater ist; Der Tagesspiegel, 29.11.2003, Nr. 18315, S. 32; FR 29.11.2003, Nr. 279 „Aus aller Welt“. 269 Graalmann-Scheerer, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 39 ff.; dies., ZRP 2002, S. 72 ff.; Hofmann, Genomanalyse, S. 2 f. 270 Wellbrock, CR 1989, 203 (206); Schöffski, Gendiagnostik, S. 145. 271 Hofmann, Genomanalyse, S. 213. 272 Hofmann, Genomanalyse, S. 213. 273 Jetzt: § 81g Abs. 5 StPO. – Zur Regelung nach dem DNA-IFG a.F. noch: Graalmann-Scheerer, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 39 ff.; Hamm, DUD 1998, 457 ff.; Wollweber, NJW 2001, 2301 f.; ders., NJW 2002, 1771 f.; Volk, NStZ 2002, 561 ff. 274 Siehe dazu auch BVerfG, EuGRZ 2001, 249 (252). 275 Schöffski, Gendiagnostik, S. 124. m.w.N. 276 O.V., DANA 2/2000, S. 18.

134

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

b) Leistungsverwaltung Aber auch in der staatlichen Leistungsverwaltung werden Anwendungsmöglichkeiten für die Bestimmung von sog. genetischen Fingerabdrücken gesehen. So könnten etwa Sozialämter von Empfängern staatlicher Leistungen genetische Fingerabdrücke nehmen, um dem missbräuchlichen Leistungsbezug entgegenzuwirken.277 Art. 33 Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) erlaubt in bestimmten Fällen auch im Verwaltungsverfahren die Durchführung genetischer Analysen zu Identifizierungszwecken. Gedacht wird dabei etwa an den Einsatz von genetischen Fingerabdrücken bei der Überprüfung der Leistungsberechtigungen in Fällen der Familienzusammenführung.278

c) Abstammungsbestimmung im Asyl- und Ausländerrecht Im Asyl- und Ausländerrecht können genetische Untersuchungen Anhaltspunkte für die Überprüfung der Herkunftsangaben von Flüchtlingen geben.279 Neben der Möglichkeit der Überprüfung von Verwandtschaftsverhältnissen (welche insbesondere im Hinblick auf mögliche Nachzugsberechtigungen von Interesse sind) gibt es offenbar auch die Möglichkeit, in genetischen Identifikationsmustern abstammungsspezifische Besonderheiten festzustellen, welche Rückschlüsse auf die Herkunft der jeweiligen Menschen erlauben.280 In Großbritannien werden von Asylbewerbern Genproben zur Feststellung der verwandtschaftlichen Verhältnisse entnommen,281 um die Angaben zu ihrem Herkunftsland zu überprüfen. Entsprechende Fälle sind auch in Deutschland bekannt geworden. So soll es in einem Fall Flüchtlingen in Essen zur Auflage gemacht worden sein, ihre libanesische Herkunft anhand eines Gentests nachweisen zu lassen.282 In Frankreich wurde jüngst ein Gesetz verabschiedet, das zum Nachweis der Familienzugehörigkeit im Rahmen von Anträgen auf Familienzusammenführung die Durchführung freiwilliger Gentests erlaubt.283

___________ 277 Schira, Genomanalyse, S. 116; O.V., Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7449) zu Art. 33 GUMG. 278 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7449). 279 Menzel, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 4 (9). 280 Feuerlein, GID Nr. 163 (2004), S. 10. 281 So zu entnehmen der Entscheidung des LG Darmstadt, NJW 1989, 2339. 282 Weichert, DuD 2002, 133 (133). 283 Loi relatif à la maîtrise de l’immigration, à l’intégrationet à l’asile, no. 57, eingebracht am 4..07.2007, beschlossen vom 23.10.2007.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

135

d) Identifizierung von Opfern in Unfall- und Katastrophenfällen Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des genetischen Fingerabdruckes wird in der Identifizierung von Opfern bei Unfällen gesehen. Voraussetzung dafür ist jedoch das Bestehen einer genetischen Datenbank, in der die Identifikationsmuster der gesamten Bevölkerung gespeichert sind. Ein Abgleich der DNS des Opfers mit den Identifikationsmustern in der Datenbank würde es ermöglichen, schnell Identität, Wohnort und familiäre Kontaktpersonen des Opfers zu ermitteln. Zur Identifizierung von Opfern der Explosion einer Feuerwerksfabrik in Enschede sollten im Mai 2000 DNS-Fingerabdrücken genutzt werden, welche im Rahmen von Neugeborenenscreenings in einer zentralen Datenbank gespeichert worden waren.284 In den Vereinigten Staaten werden von den Mitgliedern der US Armed Forces genetische Proben genommen, um eine vereinfachte Identifizierung gefallener Soldaten zu ermöglichen.285 DNS-Untersuchungen von bewusstlosen Verkehrsunfallopfern würden eine schnelle Kontaktierung von Angehörigen ermöglichen.286

e) Populationsgenetische Forschung Schließlich können genanalytische Testverfahren auch zur Erforschung der evolutionären Entwicklung des Menschen287 oder für archäologische Studien288 genutzt werden.289

2. Verwendung zur Erklärung, Feststellung oder Vorhersage von Eigenschaften (Indikatorfunktion) Rechtlich sehr viel problematischer erscheint jedoch die funktionelle Relevanz von Eigenschaftsindikatoren, wenn sie zur Grundlage von Aussagen über

___________ 284 285

Siehe dazu oben, S. 157.

Jeffords/Daschle, Science 2002, vol. 291, S. 1249 (1250). Siehe auch unten, S. 467, Fn. 317. 286 Jeffreys, im Interview mit Wewetzer, Der Tagesspiegel, 06.10.2003, Nr. 18261, S. 7. 287 Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 166. Siehe z.B. Stoneking, Nature 2001, vol. 409, S. 821 ff. 288 Nach Art. 1 GUMG sind Untersuchungen zu diesen Zwecken ausgeschlossen: Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7388). 289 Kritisch dazu: Klußmann, GID Nr. 163 (2004), S. 13.

136

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

die zukünftige Entwicklung einer Person gemacht werden. Im Folgenden dargestellt wird ihre Bedeutung in den Bereichen:290 – von Ausbildung und Beruf – der sozialen Absicherung – des Wohnens – der Finanzplanung – der Familie und Familienplanung – der medizinischen Versorgung – der staatlichen Gefahrenprävention und Strafverfolgung – des gesellschaftlichen Lebens im Allgemeinen.

a) Ausbildung und Beruf Eine besondere Bedeutung kommt der Ermittlung von Anlagen im Bereich von Ausbildung und Beruf zu:

aa) Berufswahl und -ausübung Arbeitgeber könnten in der Regel ein Interesse daran haben, die Eigenschaften, Fähigkeiten oder etwa auch krankheitsbedingte Ausfallzeiten von Arbeitnehmern möglichst genau einschätzen zu können. Insbesondere die prädiktive Verwendung der ermittelten Daten über Anlagen können Arbeitgebern als Mittel erscheinen, eine genauere Einschätzung der zukünftigen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers vorzunehmen. Derartige Prognosen können auf verschiedenen Ebenen Berücksichtigung finden: So kann sich schon die Einstellungspraxis verändern, sie können aber auch Auswirkung im Rahmen der Weiterbildung haben oder zu innerbetrieblichen Umsetzungen oder möglicherweise sogar zu Kündigungen führen.291 ___________ 290

Zur Auflistung der betroffenen Lebensbereiche siehe insbesondere Bund-LänderArbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), 1 ff.; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 159 ff.; Nelkin, in Kevles/Hood, Supercode, S. 195 (208). 291 Ausführlich: Luthmann, Rechtliche, insbesondere verfassungsrechtliche Aspekte der Genomanalyse an Arbeitnehmern während bestehender Arbeitsverhältnisse, 1994; Marquardt, Genetische Analysen an Beschäftigten auf der Grundlage des Entwurfs des Arbeitsschutzrahmengesetzes, 1998; Pletke, Die Zulässigkeit von Genomanalysen an Arbeitnehmern im deutschen und US-amerikanischen Recht, 1995; Roos, Die genetische

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

137

Die Motive für derartige Untersuchungen können dabei sehr verschieden sein. Im Vordergrund dürften häufig finanzielle Erwägungen stehen: Reduzierung der Krankheitskosten und krankheitsbedingten Ausfallrate, bessere Amortisation etwaiger Ausbildungskosten, Gewinnoptimierung durch die Einstellung von Arbeitnehmern, denen aufgrund ihrer Anlagen für die Zukunft ein besonderes Leistungsvermögen zugeschrieben wird.292 Aber auch der Schutz der Arbeitnehmer oder Dritter, z.B. Kollegen oder Vertragspartnern mögen zu derartigen Untersuchungen motivieren. Im Rahmen von Arbeitnehmerschutzregelungen etwa wird der Arbeitgeber im Interesse des Arbeitnehmers versuchen, gesundheitliche Schädigungen – möglicherweise auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben – in möglichst großen Umfang zu vermeiden.293 Zu diesem Zweck könnten mögliche Anfälligkeiten des Arbeitnehmers für bestimmte gesundheitsgefährdende Umstände ermittelt werden, die an der Arbeitsstelle auftreten. Eine solche Praxis kann allerdings mit dem Grundsatz in Konflikt geraten, wonach nicht der Arbeitnehmer an die Arbeitsstelle angepasst sein muss, sondern die Arbeitsstelle an den Arbeitnehmer.294 Um berufsbedingte Behandlungskosten zu senken, werden auch in bestimmten Sparten des Handwerks, der Industrie oder des Dienstleistungssektors Einstellungsuntersuchungen angedacht, welche teils bereits in Pilotprojekten getestet wurden. Im Friseurhandwerk sollen hautärztliche Einstellungsuntersuchungen mit dem Ziel durchgeführt werden, Auszubildende mit einer Veranlagung zu einer allergischen Reaktionsbereitschaft hinsichtlich der in diesem Handwerk gebräuchlichen Mittel und Werkzeugmaterialen (insbesondere Nickel) vom Friseurberuf abzuhalten.295 Auszubildende im Bäckerhandwerk sollen auf Mehlstauballergien hin untersucht werden. Das damit verbundene so genannte Bäcker-

___________ Analyse von Stellenbewerbern und das vorvertragliche Informationsstreben des Arbeitgebers, 1998; Rose, Genomanalysen an Arbeitnehmern vor der Einstellung, 1988; Schira, Die Bewertung der Genomanalyse im Arbeits- und Versicherungsbereich aus strafrechtlicher Sicht, 1997. – Siehe auch Buschhausen-Denker u.a., in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1394 ff.; Kohte, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000); Paul, Tumorerkrankungen, S. 238 (zur internationalen Handhabung genetischer Analysen am Arbeitsplatz); Pflanz, in: Sass, Bioethische Herausforderungen, S. 105 (112); Ravenstein/Simon, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 60 ff.; Schöffski, Gendiagnostik, S. 115; Wiese, DuD 1993, 274 ff.; ders., RPG 2002, 81 ff.; Zinke/Morun, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000). 292 Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 204 f.; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 41 ff.; Pletke, Genomanalysen, S. 171 f.; Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 67 f.; Vultejus, ZRP 2002, 70 (71). 293 Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 21 f.; Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 204 f. 294 Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 208; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BTDrs. 14/9020, S. 141 f.; Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 2-6 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752, S. 45; Kienle, prädiktive Medizin, S. 77 f. 295 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 56; Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 144 f.

138

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Asthma wird dabei mit genetischen Veranlagungen in Zusammenhang gebracht.296 Kernkraftwerkarbeiter könnten beispielsweise auf das Louis-Barr-Syndrom untersucht werden, welches nur durch molekulargenetische Untersuchungen festgestellt werden kann und mit einer besonderen Empfindlichkeit gegenüber radioaktiver Strahlung verbunden ist.297 Bei Bürotätigkeiten könnten schließlich Anfälligkeiten für Rückenprobleme überprüft werden.

Schließlich mögen besondere rechtliche Vorschriften die Verwendung prädiktiver Daten nahelegen. So definiert sich die Eignung i.S.d. Art. 33 Abs. 2 GG, nach der Einstellungen in den Staatsdienst vorzunehmen sind, insbesondere nach der Prognose, ob der Anwärter bis zum Pensionsalter dienstfähig sein wird.298 Dementsprechend könnte also bei Beamten, Richtern und Professoren die Prognostizierung der Lebenserwartung anhand genetischer Eigenschaftsindikatoren eine zunehmende Bedeutung gewinnen.

bb) Schule Auch für das Schulsystem werden Änderungen vor dem Hintergrund der verstärkten Nutzung prädiktiver Daten nicht für ausgeschlossen gehalten. Insgesamt könnte es sich von einem egalitären zu einem nach Anlagen differenzierenden System entwickeln.299 Etwa könnte bestimmten Schülern auf Grundlage von vermeintlich individualisierten zukünftigen Leistungsprofilen300 der Zugang zu weiterführenden Schulen verwehrt werden.301 Dass ein derartiges Vorgehen durchaus auch auf Akzeptanz in der Öffentlichkeit stoßen könnte, machen Fälle deutlich, die aus der humangenetischen Beratung bekannt geworden sind. Danach sollen sich Eltern von sich aus an die humangenetische Beratung gewandt haben, um herauszufinden, welches ihrer Kinder die besten Chancen hätte, einen Universitätsabschluss zu schaffen, da sie sich nur die Ausbildung eines Kindes leisten könnten.302

___________ 296 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 46; BundLänder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 56. Dazu auch Schmidt, Genomanalyse, S. 30; Kienle, prädiktive Medizin, S. 77. 297 Hofmann, Genomanalyse, S. 154. 298 Zur Frage der Zulässigkeit prädiktiver Untersuchungen im Rahmen von beamtenrechtlichen Einstellungsvoraussetzungen siehe S. 432 ff. 299 Bogs, in: FS Schreiber, S. 603 (603); Levitt, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 29 (29). 300 Dass die Erstellung von individualisierten Leistungsprofilen in dieser Weise nicht möglich ist, ergibt sich aus dem statistischen Charakter der Daten. – Siehe S. 74, Fn. 162. 301 Holtzman, Caution, S. 113: „For instance, even the mere label of having a reading disability may interfere with the lives of children, by altering the way their parents raise them und their teachers educate them.“ – Zur soziologischen Grundlage des „ThomasTheorems“ siehe S. 353 f. 302 Wexler, in: Kevles/Hood, Supercode, S. 231 (253).

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

139

Bereits in den 70er Jahren war die Durchführung einer Untersuchung auf Sichelzellenanämie Voraussetzung für den Besuch US-amerikanischer Schulen.303 Aus heutiger Sicht erscheint ein solches Vorgehen – insbesondere wegen der diskriminierenden Wirkung gegenüber Menschen afrikanischer Herkunft – nicht nachvollziehbar.

cc) Berufs- und Arbeitsvermittlung Die sich gegebenenfalls neu entwickelnden Einstellungspraktiken dürften sich auch in der staatlichen Berufs- und Arbeitsvermittlung widerspiegeln. Vor dem Hintergrund der besonderen gesellschaftlichen Wirkung genetischer Untersuchungen wird insofern die Entstehung einer „genetischen Arbeitsvermittlung“ prognostiziert, bei der Arbeitnehmer vor allem auch aufgrund ihres Genprofils vermittelt werden.304

dd) Arbeitsrechtliche Haftung Besondere Relevanz können endogene Eigenschaftsindikatoren auch in arbeitsrechtlichen Haftungssituationen bekommen. So sehen die arbeitsrechtlichen Regelungen üblicherweise vor, dass der Arbeitgeber für arbeitsbedingte Schädigungen des Arbeitnehmers aufkommen muss. Die Schlüsselfrage in den damit verbundenen Rechtsstreitigkeiten ist somit, ob die etwaige gesundheitliche Schädigung des Arbeitnehmers tatsächlich mit seiner Arbeitstätigkeit im kausalen Verhältnis steht. Dies ist immer dann nicht – zumindest nicht im vollen Umfang – der Fall, wenn Umstände, die nicht typischerweise mit der Arbeitstätigkeit zusammenhängen, die Gesundheitsschädigung mitverursacht haben. Möglicher argumentativer Ansatzpunkt für solche Gegeneinwendungen sind in der Person des Arbeitnehmers liegende Umstände, also insbesondere Anlagen des Arbeitnehmers oder Umfeldfaktoren in seinem Leben. So versuchte die US-amerikanische Eisenbahngesellschaft BNSF über die Vornahme von Gentests herauszufinden, ob die gesundheitlichen Beeinträchtigungen infolge des sog. Karpaltunnel-Syndroms, aufgrund derer eine Vielzahl der Arbeitnehmer Entschädigungen forderten, arbeitsbedingt oder anlagebedingt waren. Bei dem KarpaltunnelSyndrom handelt es sich um eine Handgelenkserkrankung am sog. Karpaltunnel, einem Nervenkanal im Handgelenk, für die bisher nur eine tätigkeitsbedingte Überbelastung verantwortlich gemacht wurde.305 Durch den Nachweis einer genetischen Veranlagung bei den Arbeitnehmern wurde zunächst versucht, die Haftungsverantwortlichkeit zu widerlegen und auf die erkrankten Arbeitnehmer abzuwälzen. Diese Bemühungen wurden

___________ 303

Bayertz/Ach/Paslack, Genetische Diagnostik (1999), S. 212. Paslack, EthikMed 1993, 184 (191); Klees, Der gläserne Mensch, S. 84, 87, 98. 305 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Karpaltunnel-Syndrom“. 304

140

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

offenbar aufgrund des öffentlichen Drucks und des damit befürchteten wirtschaftlichen Schadens eingestellt.306

Diese Rechtslage stellt keine Neuerung dar und ist durch eine umfangreiche Rechtsprechung bereits strukturiert worden. Insbesondere auch der Rückgriff auf (vermeintliche) genetische Veranlagungen als Einwendung im Rahmen eines Haftungsprozesses ist bereits in der Rechtsprechung bekannt. Eines der frühesten Beispiele für eine Berücksichtigung genetischer Veranlagungen im Rahmen eines Haftungsprozesses stellt wohl eine Entscheidung aus dem Jahr 1917 dar.307 In dieser Entscheidung wurde die Haftung des Beklagten für die Schädigung eines Auges des Klägers – im Rahmen der Berücksichtigung von hypothetischen Schadensursachen – beschränkt, weil diese Schädigung aufgrund einer erblichen Veranlagung des Klägers nach Einschätzung des Gerichts ohnehin eingetreten wäre.308 Beispielhaft genannt seien hier auch die Verfahren von Kriegsopfern und -versehrten nach dem Ende des zweiten Weltkrieges zur Durchsetzung von versorgungsrechtlichen Ansprüchen nach dem Kriegsopferrecht. Entschieden wurde über diese Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz, nach dessen § 1 jeder wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schädigung Versorgung erhält, die er während seines Kriegsdienstes erlitten hat.309 Nach § 1 Abs. 3 BVG genügt zur Anerkennung einer gesundheitlichen Schädigung auch der Nachweis der Wahrscheinlichkeit des kausalen Zusammenhanges. Hier stellten sich insbesondere Fälle als rechtlich umstritten dar, in denen ehemalige Soldaten im Krieg oder unmittelbar im Anschluss daran an psychischen Krankheiten erkrankten. Auffällig häufig und auf Grundlage heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse wohl zweifelhafter Weise wurden solche Ansprüche von den Gerichten mit der Begründung abgewiesen, dass Krankheiten wie Schizophrenie310, Psoriasis311, die

___________ 306 Der Fall fand auch in der deutschen Presse größte Aufmerksamkeit: Lehming, Der Tagesspiegel 12.02.2001 „US-Unternehmen wegen Gentests verklagt“; Gelinsky, FAZ 17.02.2001, Nr. 41, S. 44 „Der Zug ist abgefahren: Kein Gentest bei amerikanischen Eisenbahnern“; Zielke, FAZ am Sonntag, 03.02.2002, Nr. 5, S. 23 „Das Horoskop der Gene – längst werden Menschen wegen ihres Erbguts diskriminiert: Ein Besuch bei den Opfern in Amerika“. 307 RG, 26.03.1917, LZ 1917, 861. 308 Im Ergebnis stimmt diese Rechtsprechung des RG mit der heutigen überein, vgl. Palandt-Heinrichs, Vorbem. § 249, Rdnr. 99. 309 BGBl. I 1960, 453 ff. 310 Als ausschließlich erblich bedingt eingestuft in: Landessozialgericht BadenWürttemberg 7b. Senat, Az.: VII b KB 255/52, v. 26.07.1955, SozEntsch 9/3 § 1 (b2) Nr. 118 (Leitsatz 1 und Gründe): „Nach der heute allgemein anerkannten fachärztlichwissenschaftlichen Anschauung ist Voraussetzung für das Auftreten der Schizophrenie eine Erbanlage. Dabei ist es durchaus möglich, daß sich über Generationen hin Teilanlagen der Schizophrenie vererben, die nicht hinreichen, die Krankheit in Erscheinung treten zu lassen. Alle übrigen äußeren Bedingungen, wie Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft, haben grundsätzlich keine wesentliche Bedeutung. Das gilt für einen ursächlichen Zusammenhang sowohl im Sinne der Entstehung wie der Verschlimmerung.“; differenzierend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, v. 28.10.1957, Az: KV 5264/54 – Breith 1958, 161 (red. Leitsatz 1 und Gründe); SozSich 1958, RsprNr. 801 (red. Leitsatz 1 und Gründe). 311 Landessozialgericht Baden-Württemberg 7a. Senat, Az: VII a V 833/55, v. 27.03.1957, SozEntsch 9/3 § 1 (b2) Nr. 144 (Leitsatz 1 und Gründe).

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

141

Huntington-Krankheit312 oder bestimmte Arten von Anämien313 vollkommen erblich bedingt seien und damit mit Kriegsverletzungen oder -erlebnissen in keinerlei kausalem Zusammenhang stünden. Aus den USA werden ähnliche Fälle berichtet. Auch hier geht es in der Regel darum, den Betroffenen Entschädigungsansprüche wegen berufsbedingten Gesundheitsschädigungen mit dem Argument zu verweigern, dass diese – unabhängig von der beruflichen Belastung – aufgrund etwaiger erblicher Vorbelastungen entstanden seien. In jüngerer Zeit bekannt geworden ist ein Fall, in dem das Hippel-Landau-Syndrom314 eines Soldaten von den zuständigen staatlichen Stellen als erblich bedingt eingestuft wurde. Zweifel an dieser Erklärung kamen auf, weil in der Familie des betroffenen Soldaten eine entsprechende Krankheitsgeschichte nicht nachweisbar ist und es zudem wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, wonach diese Erkrankung durch den Kontakt mit Trichlorethylen, das als Lösungsmittel zum Waffenreinigen verwendet wird, und damit berufsbedingt ausgelöst werden könne.315

Dadurch, dass im Zuge der Humangenomforschung immer mehr Krankheitsanlagen erforscht und entdeckt werden, könnte insbesondere die Bedeutung, die ihnen in arbeitsrechtlichen Haftungsprozessen zukommt, in ihrem Umfang wachsen.316 Die besondere Sensibilisierung für das Thema der Humangenomforschung dürfte wohl dazu beigetragen haben, dass etwa der oben dargestellte „Karpaltunnel“-Fall317 auch in der deutschen Öffentlichkeit als Beispiel für eine (vermeintlich) neue Form von Diskriminierung aufgefasst wurde.

Allerdings können genetische Untersuchungen auch gerade die arbeitsbedingte Verursachung von Krankheiten nachweisen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sich exogene Belastungen im Arbeitsumfeld des Geschädigten anhand von genetischen Veränderungen nachweisen lassen. ___________ 312 Landessozialgericht Baden-Württemberg 7a. Senat, Az: VII a KB 756/50, 17.02.1955, SozEntsch 9/3 § 1 (b2) Nr. 74 (Leitsatz 1-2 und Gründe). Differenzierend allerdings Landessozialgericht Baden-Württemberg 5. Senat, Az: V/V 99/54, v. 25.01.1956, Breith 1956, 740 (Leitsatz 1 und Gründe): „Bei der Chorea Huntington handelt es sich um eine Erbkrankheit, die aber durch starke äußere Einwirkungen früher und heftiger in Erscheinung treten und einen ungünstigeren Verlauf nehmen kann, als dies normalerweise zu erwarten wäre.“ 313 Landessozialgericht Baden-Württemberg 7b. Senat, Az: VII b KB 501/52, v. 18.10.1955, SozEntsch 9/3 § 1 (b2) Nr. 108 (Leitsatz 1): „Die perniziöse Anämie gehört nicht zu der Gruppe der Begleitanämien, sondern ist eine selbständige Blutkrankheit. Infektionen, Störungen der Ernährung oder chronischer Blutverlust spielen bei der Entstehung dieser Krankheit keine Rolle. Vielmehr kommt nach den medizinischen Forschungsergebnissen dem erblichen Faktor eine wichtige, wahrscheinlich ausschlaggebende Bedeutung zu.“ 314 Siehe Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Hippel-LandauSyndrom“: autosomal-dominant erbliche Krankheit. 315 Zielke, FAZ am Sonntag, 03.02.2002, Nr. 5, S. 23. 316 So Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 35 f.; Künzler, Macht der Technik, S. 55 f. 317 Siehe oben, S. 140, Fn. 306.

142

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

So wird von einem Fall berichtet, in dem anhand genetischer Untersuchungen nachgewiesen werden konnte, dass sich die Leukämie, an der der klagende Arbeitnehmer erkrankt war, arbeits- und nicht erblich bedingt entwickelt hatte. Der Kläger hatte als Uranprospektor gearbeitet und hatte beantragt, seine Leukämie als Berufskrankheit an318 zuerkennen.

b) Soziale Absicherung Im Bereich der sozialen Absicherungen wird insbesondere die Bedeutung prädiktiver Daten im Hinblick auf gesetzliche Krankenkassen und private Kranken- und Lebensversicherungen diskutiert.319

aa) Gesetzliche Krankenkassen Gesetzliche Krankenkassen können zwar aufgrund ihrer gesetzlichen Bindung grundsätzlich nicht Antragsteller ablehnen, die in die gesetzliche Krankenkasse aufgenommen werden wollen. Vor dem Hintergrund steigender Kosten im Gesundheitswesen scheint es allerdings nicht ausgeschlossen, dass Krankenkassen zur Kostensenkung künftig „Personen mit besonderen Gesundheitsrisiken“ besonderen Verhaltens- und Mitwirkungspflichten (Pflicht zu „genkonformen Verhalten“)320 zu unterwerfen suchen, bzw. ihnen im Falle der Verletzung solcher Pflichten eine Selbstbeteiligung an den erbrachten Leistungen oder Leistungskürzungen auferlegen.321 Ansätze für eine derartige Tendenz zur „Risiko-Entsolidarisierung“ finden sich bereits in der jetzigen Gesetzgebung im Hinblick auf bestimmte Vorsorgeuntersuchungen.322 Für Personen mit ungünstigen genetischen Veranlagungen werden Regelungen befürchtet, die ihnen gewissermaßen ein „genkonformes Verhalten“ vorschreiben.323 ___________ 318

Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 17. Ausführlich: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests in der Lebens- und privaten Krankenversicherung, 1998; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, 2002; Max-Planck-Institut, RabelsZ 66 (2002), S. 116 ff.; Schira, Die Bewertung der Genomanalyse im Arbeits- und Versicherungsbereich aus strafrechtlicher Sicht, 1997; Schulz-Weidner, Der versicherungsrechtliche Rahmen für eine Verwertung von Genomanalysen, 1993; Simon, Gendiagnostik und Versicherung, 2001; Schöffski, Gendiagnostik: Versicherung und Gesundheitswesen, 2000. 320 Nachweise dazu siehe unten, S. 441, Fn. 223. 321 Zur verfassungsrechtlichen Problematik solcher genetisch begründeter (Gesundheits-)Obliegenheiten: S. 441 ff. 322 Vgl. etwa: Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 152 f.; Eberbach, in: Sass, Genomanalyse, S. 81 (91): „indirekten Gesundheitszwang“. 323 Eberbach, in: Sass, Genomanalyse, S. 81 (88 ff.). 319

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

143

bb) Private Krankenversicherungen Für die Branche der privaten Krankenversicherungen ist die Nutzung statistischer Daten keine Neuigkeit. Sämtliche Prämienberechnungen beruhen auf der Ermittlung statistischer Risiken. Allerdings könnten sie möglicherweise in der Verwendung von prädiktiven anlagebezogenen Daten eine Möglichkeit sehen, die Schadenswahrscheinlichkeit jedes einzelnen Versicherungsnehmers noch ausdifferenzierter berechnen zu können. Die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers ergibt sich aus § 16 VVG.324 Nach § 160 VVG hat die Versicherung zwar keinen Anspruch darauf, dass der Versicherungsnehmer sich vertraglich zugesicherten Untersuchungen unterzieht. Jedoch unterliegt der Privatversicherer keinem Kontrahierungszwang und kann den Abschluss eines Vertrages ablehnen.325

Im Ergebnis würden dann die so genannten „schlechten Risiken“ in einem weitaus größeren Maße als bisher von vornherein vom Versicherungsschutz ausgeschlossen oder nur unter ungünstigeren Prämien versichert werden. Zwar wird ein Großteil der Bevölkerung die Möglichkeit haben – gewissermaßen im Notfall – der gesetzlichen Krankenkasse beizutreten. Jedoch könnte dies wiederum zu einer größeren Belastung des Sozialsystems führen. Beispielsweise würde in der Versicherungsbranche die Einführung von Risikozuschlägen im Falle einer Veranlagung zu Thalassämie überwiegend Versicherungsnehmer aus dem Mittelmeerraum betreffen, da die genetische Disposition zu dieser Krankheit dort häufiger vorkommt. In Analogie zum „Balkan-Tarif“ in der Kraftfahrzeugversicherung entstünde damit gewissermaßen ein „Mittelmeer-“ oder „Afrika-Tarif“ in der Kranken- und Lebensversicherung.326

cc) Private Lebensversicherungen Auch private Lebensversicherungen könnten ihre Prämienberechnung verstärkt auf Grundlage von genetischen Veranlagungen vornehmen.327 Sofern ein Versicherungsnehmer bei Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages seine HIV-Infektion nicht angibt, kann die Versicherung vom Vertrag nach § 16 Abs. 2 VVG zurücktreten.328 Zu berücksichtigen ist dabei, dass Lebensversicherungsverträgen eine besondere Bedeutung im Rahmen von Kreditabsicherung zukommen kann.329 So werden beispielsweise bei der Finanzierung von Eigen___________ 324

Dazu auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 51 f. Kienle, prädiktive Medizin, S. 80. 326 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 56; Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 370; Schöffski, Gendiagnostik, S. 117. 327 Eingehender dazu siehe Nachweise unter S. 142, Fn. 319. 328 LG Frankfurt, NJW-RR 1991, 607. 329 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 46. 325

144

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

heimen häufig Lebensversicherungen als Kreditsicherheit gegeben.330 Zudem ist die Entwicklung des privaten Versicherungswesens etwa vor dem Hintergrund der Einführung der kapitalgedeckten Altersversorgung auch immer mehr von sozialpolitischer Relevanz.

c) Wohnen Genetische Eigenschaftsindikatoren können auch bei der Wahl des Wohnortes an Relevanz gewinnen.

aa) Einwanderung und Asyl Ein mögliches Anwendungsfeld stellt die Einwanderungspolitik dar. Nicht ungewöhnlich sind gesundheitliche Untersuchungen. Zur Bekämpfung der Ausbreitung von AIDS wurden insbesondere in den 1980er Jahren negative HIV-Tests zur Voraussetzung von Aufenthaltserlaubnissen gemacht.331

Darüber hinaus wird aber auch schon jetzt in vielen Staaten die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen und Bleiberechten davon abhängig gemacht, ob der jeweilige Antragsteller dem Gemeinwesen dienlich ist. Dementsprechend richten sich in diesen Staaten die Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung bereits jetzt auch nach der individuellen Leitungsfähigkeit und gesundheitlichen Belastungsfähigkeit des Antragstellers.332 In Zukunft könnten derartige Bewertungen nicht nur von gegenwärtig manifesten Krankheiten oder Eigenschaften abhängig gemacht werden, sondern auf prädiktive Einschätzungen der persönlichen Weiterentwicklung des jeweiligen Einwanderungswilligen ausgedehnt werden. Eine derartige Prognose könnte aufgrund von Eigenschaftsindikatoren erstellt werden. Die Motive für ein solches Vorgehen könnten wiederum auf dem Gedanken fußen, finanzielle Belastungen über derartige Risikoabschätzungen tatsächlich vermeiden zu können: Je weniger von den eingewanderten Menschen später krank werden, desto geringer erscheinen die Belastungen des Sozialstaates.

___________ 330 Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 126; Graupner, SZ 26./27.10.2002, Nr. 248, S. 10; Low/King/Wilkie, BMJ 1998, vol. 317, 1632 (1632); Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 177. 331 Schenke, in: Schünemann/Pfeiffer, Rechtsprobleme von AIDS, S. 103 (139). 332 Zum potenziellen Einfluss humangenetischer Forschung auf die Einwanderungspolitik im Hinblick auf die Huntington-Krankheit: Harper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 460 (460 f.).

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

145

bb) Inländische Wohnortbeschränkungen (Ökogenetik) Aber auch Inländer könnten faktischen Wohnortbeschränkungen unterliegen. Dort, wo durch Maßnahmen des Umweltschutzes keine Abhilfe möglich ist, könnte bei der Wahl des Wohnortes endogenen Eigenschaftsindikatoren eine entscheidende Rolle zukommen.333 Die Herstellung von Zusammenhängen zwischen genetischen Merkmalen und besonderen Reaktionen auf Umwelteinflüsse – also auf chemische und physikalische, aber auch auf psychische und soziale Einwirkungen – ist das Betätigungsfeld der so genannten Ökogenetik.334 Nach § 176 l VVG ist der private Krankenversicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person die Krankheit oder den Unfall bei sich selbst vorsätzlich herbeiführt hat. Die damit begründete Präventionspflicht umfasst – zumindest nach Auffassung von Teilen der Literatur – auch die Pflicht zur Vermeidung von Umweltfaktoren, wie z.B. bestimmte Schadstoffbelastungen in der Luft, welcher gegebenenfalls auch durch einen Wohnort- oder Berufswechsel Rechnung zu tragen sei.335

Ähnlich wie beim Arbeitsschutz336 sollte zwar auch hier der Grundsatz gelten: Nicht die Menschen müssen den Schadstoffbelastungen der Industrieunternehmen angepasst sein, sondern die Unternehmen an die Schadstoffempfindlichkeit der Menschen. Faktische Durchbrechungen dieses Grundsatzes drohen jedoch durchaus, wenn etwa in Haftungsfällen Unternehmen unter Hinweis auf die Schadstoffanfälligkeit der Nachbarn ihren Haftungsumfang zu reduzieren versuchten. Sofern beispielsweise bestimmte Unternehmen Schadstoffe ausstoßen, für die bestimmten Personengruppen eine besondere Anfälligkeit zugeschrieben wird, so könnten Unternehmen versuchen, Schädigungen, die im Zuge der Belastung mit diesen Schadstoffen entstanden sind, als zumindest teilweise nicht schadstoffbedingt zu werten, sondern ihre anlagebedingte Entwicklung zu beweisen.337 Sofern Einzelne Kenntnis von der ihnen zugeschriebenen Schadstoffanfälligkeit haben, könnten sie sich – möglicherweise abgeschreckt durch die Haltung des jeweiligen Unternehmens – veranlasst sehen, bestimmte Gegenden zumindest als Wohnort zu meiden.

___________ 333 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 56; Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 339; Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 366, 368. 334 Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 366. 335 Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 339 ff. m.w.N. 336 Siehe oben, S. 137. 337 Zwar sind derartige Fälle im umweltrechtlichen Bereich bisher nicht bekannt, wohl ähnliche Fallkonstellationen aus dem arbeitsrechtlichen. Siehe dazu oben S. 136 ff.

146

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

cc) Zugang zu Wohn- und Betreuungseinrichtungen (Kindertagesstätten und Altersheime) Als Szenarien lassen sich darüber hinaus noch andere Diskriminierungspotenziale denken. So könnten etwa Kindestagesstättenplätze oder Plätze in Altersheimen auch davon abhängig gemacht werden, inwieweit Bewerber aufgrund ihrer genetischen Veranlagungen möglicherweise zukünftig verhaltensauffällig oder besonders pflegeintensiv sein könnten. Dies würde dann wohlgemerkt eben nicht aufgrund manifester Erscheinungen, insbesondere Erkrankungen geschehen, sondern aufgrund bloßer Eigenschaftsindikatoren, ohne dass sich zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits Symptome für die befürchteten Krankheiten zeigen würden.

d) Finanzielle Spielräume Allein die Feststellung genetischer Veranlagungen kann auch Auswirkungen auf die finanziellen Handlungsspielräume des Einzelnen haben.

aa) Kreditvergabe Wie oben schon angedeutet, können auf Anlagen begründete Prognosen auch beim Abschluss von Kreditverträgen an Bedeutung gewinnen.338 Um sicherzustellen, dass der geleistete Kredit auch zurückgezahlt wird, wird die Bank in der Regel die finanzielle Leistungsfähigkeit ihres Kunden überprüfen. Prädiktive Aussagen, insb. etwa über eine verkürzte Lebenserwartung, könnten Banken unter Umständen dazu veranlassen, ein Kreditgeschäft zu verweigern.339

bb) Begründung neuer haftungsrechtlicher Eigenverantwortlichkeiten Auch in Haftungsprozessen könnte sich in vielen Fällen eine argumentative Schlechterstellung für diejenigen Personen ergeben, die Schäden geltend machen wollen, die sie in Ausübung eines Dienstes, im Rahmen einer vertraglich vereinbarten Tätigkeit oder in anderer Form als Verrichtungsgehilfe erlitten haben.340 Durch die zunehmende Erforschung körperlicher Anlagen, insbesondere ___________ 338

Zur Bedeutung von Lebensversicherungen bei der Kreditvergabe siehe S. 143 ff. DGMR, Einbecker-Empfehlungen Nr. 3, MedR 2002, 669 (669); Low/King/ Wilkie, BMJ 1998, vol. 317, 1632 (1632); Pflanz, in: Sass, Bioethische Herausforderungen, S. 105 (113). 340 Zur arbeitsrechtlichen Haftung bereits oben, S. 139 ff. 339

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

147

im Rahmen der Genforschung, werden sich für den möglichen Schädiger mehr argumentative Ansatzpunkte ergeben, gewissermaßen als prima-facie-Beweis341 auf körperliche Anlagen des Geschädigten zu verweisen. Denn in vielen Fällen wird der Nachweis auf eine körperliche Anlage es ermöglichen, einen hypothetischen Kausalverlauf zu begründen, bei dem die Gesundheitsschädigung auch ohne das geltend gemachte Schädigungsereignis erklärt werden kann. Derartige Argumentationen – auch im Hinblick auf genetische Veranlagungen – sind keinesfalls neu, wie sich an einer Reichsgerichtsentscheidung aus dem Jahre 1917 belegen lässt: „Hatte der Kläger vermöge seiner körperlichen Veranlagung ohnehin nach kürzerer oder längerer Zeit mit einer Erblindung des rechten Auges zu rechnen, so konnten die Beklagten die durch die Verletzung des Auges vorzeitig eingetretene Erblindung nur soweit verantwortlich und schadensersatzpflichtig sein, als sie nach dem normalen Verlauf der Dinge, also lediglich durch die erbliche Veranlagung und ohne die Verletzung eingetreten sein würde.“342

cc) Nutzung des Sekundärmarktes für Lebensversicherungen Möglicherweise gerade vor dem Hintergrund der finanziellen Schwierigkeiten aufgrund der schlechten Gesundheitsprognose wird jedoch auch versucht, die Kenntnis über eine verkürzte Lebenserwartung gewinnbringend im Sekundärmarkt für Lebensversicherungen umzusetzen: Jemand, der meint zu wissen, dass er innerhalb kurzer Zeit sterben wird, kann folgendes Geschäft eingehen: Er schließt einen Lebensversicherungsvertrag mit hoher Deckungssumme ab und verkauft sie dann unmittelbar an eine dritte Partei, die dann den Anspruch auf Auszahlung im Todesfall hat.343 Derartige Vertragsausgestaltungen sind bereits bekannt geworden, als auf dem Kapitalmarkt Lebensversicherungspolicen von HIV-Infizierten gehandelt wurden.344 Die Fragwürdigkeit dieser Geschäfte wird dann offenbar, wenn der Vertrag Klauseln enthält, wonach der Versicherungsnehmer rückzahlungspflichtig ist, sofern der Versicherungsfall – also der Tod des Versicherungsnehmers – nicht bis zu einem bestimmten Termin eingetreten sein sollte. In diesem Fall kehrt sich die ursprüngliche finanzielle Bewegungsfreiheit in ihr Gegenteil um: Der Versicherungsnehmer muss den gezahlten Betrag an den Dritten zurückzahlen, wozu er in der Regel nicht mehr in der Lage sein dürfte. ___________ 341

Zur Suggestionswirkung des Hinweises auf genetische Veranlagungen siehe bereits oben, S. 121. 342 RG, Ents. v. 26.03.1917, VI 15/17, LZ 1917, 862. – Interessant an diesem Urteil ist, dass das Eintreten der Erblindung aufgrund der erblichen Anlage als sicher vorhersehbar galt. 343 Wambach, FAZ 17.11.2000, Nr. 268, S. 16. – Dazu auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 405. 344 Wambach, FAZ 17.11.2000, Nr. 268, S. 16.

148

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

In der Presse wird ein Fall eines AIDS-Kranken beschrieben, der seine Lebensversicherung für 30.000 DM verkauft hatte und den, da er über den vertraglich angekündigten Termin hinaus lebte, eine vertragliche Rückzahlungsverpflichtung von 55.000 DM traf.345

e) Familie Aber auch im familiären Bereich spielen körperliche Anlagen oder auch Umfeldfaktoren eine wichtige Rolle.

aa) Entscheidung über Nachkommenschaft – vorgeburtliche Diagnostik Die Frage der Fortpflanzung ist eines der vordergründigsten Themen im Bereich der Gendiagnostik. Möglichkeiten zur Einflussnahme gibt es zu verschiedenen Phasen vor und während der Schwangerschaft, von denen alle bereits sehr geläufig sind: Präimplantationsdiagnostik, präkonzeptionelle und pränatale Diagnostik.346 Die komplexen, damit verbundenen ethischen Fragestellungen, insbesondere im Hinblick auf Eugenik, werden im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt. Ziel der folgenden Darstellung ist es lediglich, auf ihre Existenz hinzuweisen. Bei den eugenischen Tendenzen wird zwischen der „Eugenik von oben“ und der „Eugenik von unten“ unterschieden. Unter der „Eugenik von oben“ versteht man die staatlich gesteuerte Einflussnahme auf die Frage der Fortpflanzung und der Geburt. Das Spektrum staatlicher Einflussnahme reicht dabei von staatlich angeordneten Sterilisationen und Abtreibungen bis hin zur Beeinflussung über eine eugenisch orientierte Beratungspraxis.347 In den eugenischen Gesetzen im nationalsozialistischen Deutschland wurden Menschen mit erblich bedingten Krankheiten gezielt getötet und Zwangssterilisationen durchgeführt. Die offenen Forderungen nach Eugenik sind dabei durchaus auch außerhalb des nationalsozialistischen Deutschland vielstimmig gewesen.348

___________ 345 Kerst, Kölner Express vom 23.05.2001, Vermischtes, „55.000 DM Strafe, wenn er nicht stirbt – AIDS-Kranker verkaufte seine Lebensversicherung“. 346 Zu dieser Problematik und insbesondere zur Frage, inwieweit die Auswahl von „Kindern nach Maß“ zulässig ist: TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 38 ff.; Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7409), zu Art. 11 des Schweizer GUMG. 347 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7406). 348 Holtzman, Caution, S. 224 f. verweist unter anderem auf Forderungen der American Eugenics Society aus dem Jahre 1926 und Äußerungen von namhaften Forschern wie etwa Linus Pauling im Jahre 1963.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

149

Aber auch noch in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wurden Forderungen nach einer staatlich kontrollierten Vorgehensweise laut. So machte beispielsweise der Nobelpreisträger Francis Crick349 1962 auf einem Symposium den Vorschlag, Paaren mit als nachteilig empfundenen genetischen Veranlagungen lediglich die Erlaubnis für eine begrenzte Zahl von Kindern zu geben, wohingegen Eltern mit als günstig empfundenen Erbanlagen finanzielle Anreize zu vielen Kindern gegeben werden sollte.350 Gegenwärtig wird beispielsweise in China von staatlicher Seite eine offensive Eugenikpolitik betrieben.351 Das 1995 in Kraft getretene chinesische „Gesetz über mütterliche und kindliche Gesundheitsfürsorge“352 sieht ein ganzes Spektrum diesbezüglicher Maßnahmen vor: Art. 7 des Gesetzes sieht Pflichtuntersuchungen vor der Heirat vor. Nach Art. 10 des Gesetzes wird eine Heiratserlaubnis nicht ohne dauerhafte Verhütung oder Sterilisation erteilt, wenn bei dem heiratswilligen Paar eine „ernstzunehmende Erbkrankheit“ diagnostiziert wird.353 Wenn nach der Heirat eine solche Krankheit bei einem der Ehepartner festgestellt wird, muss der untersuchende Arzt nach Art. 16 des Gesetzes den Rat zu „angemessenen“ Maßnahmen erteilen. Während der Schwangerschaft ist nach Art. 18 Abs. 1 des Gesetzes von den Beratungsstellen in der Beratung auf eine Abtreibung hinzuwirken, wenn bei dem Fötus eine „ernstzunehmende Erbkrankheit“ diagnostiziert wird. Die Abtreibung ist dann kostenfrei (Art. 19 des Gesetzes).

Eugenische Tendenzen können sich aber auch ohne staatlichen Zwang ergeben. Im Gegensatz zur „Eugenik von oben“ ist mit der „Eugenik von unten“ die Entstehung eines gesellschaftlichen Klimas gemeint, in dem die Durchführung bestimmter genetischer und vor allem pränataler Untersuchungen zum normalen Standard des verantwortlichen Umgangs mit Gesundheit und Fortpflanzung erhoben wird.354 Im Unterschied zur Eugenik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist diese Form von Eugenik nicht mehr auf staatliche Autorität angewiesen, sondern rekurriert auf die Autonomie der Individuen.355 Angesprochen wird damit insbesondere die Autonomie der Eltern: So könnten Menschen, die an einer Erbkrankheit leiden, für ihre Krankheit selbst verantwortlich gemacht

___________ 349 Crick, Francis Harry Compton, (geb. 1916), engl. Biochemiker, erhielt 1962 zusammen mit Watson und Wilkins den Nobelpreis für Medizin. 350 Dazu Schöffski, Gendiagnostik, S. 110. 351 In der Kritik dazu: DGfH, Stellungnahme zum neuen chinesischen „Gesetz über kindliche und mütterliche Gesundheitsvorsorge“, medgen 1995, Nr. 7, S. 419. Dazu auch Maass, FR 8.10.2003, Nr. 234, S. 16. 352 In der englischen Übersetzung: „Law of the People’s Republic of China on Maternal and Infant Health Care“. 353 Eine entsprechende Vorschrift findet sich in Art. 12 der „Verordnung über Heiratsregistrierung der Volksrepublik China“, in der englischen Übersetzung „Regulation on Marriage Registration of the People’s Republic of China“. 354 Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7406 f.). – Erhellend aus soziologischer Sicht: Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20 „Die Universalisierung der Eugenik – Optimierung des individuellen Humankapitals – zu gesellschaftlichen Nebenwirkungen der genetischen Diagnostik“. 355 Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20. – Siehe auch unten, S. 330 ff. und S. 441 f.

150

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

werden, weil ihre Krankheit im Wege der Pränataldiagnostik als „verhinderbar“ und damit als von den Eltern „verschuldet“ gilt.356

Ihren Niederschlag können eugenische Tendenzen zum einen in der freien Entscheidung von Eltern finden, die das mit diesem gesellschaftlichen Klima verbundene Bewusstsein für sich im Hinblick auf eine mögliche Familiengründung verinnerlicht haben. Das Spektrum möglicher Motive kann von der Vermeidung schwerkranken Nachwuchses bis hin zur körperlich-charakterlichseelischen Optimierung der Nachkommenschaft reichen. Aufgegriffen wurde die Möglichkeit einer solchen Entwicklung in Film und Literatur, etwa „Brave New World“357 und „GATTACA“.358 Jedoch lässt sich dies leider nicht nur als fiktionäre Vorstellung bezeichnen – wie etwa der Versuch der Nazis, in der Durchführung des Projekts des „Lebensborn e.V.“ den „Rassegedanken“ umzusetzen,359 oder die Einrichtung von Samenbanken nur für Nobel-Preisträger belegen.360

Daneben kann aber auch ein gesellschaftlicher Druck auf werdende Eltern ausgeübt werden. Eugenische Tendenzen werden dann über Dritte vermittelt, etwa unter Ausnutzung wirtschaftlicher Zwänge. Auch hier gibt es bereits Beispielsfälle, die in der Literatur diskutiert werden. In den Vereinigten Staaten sind bereits Fälle bekannt geworden, in denen über die Androhung von Leistungskürzungen auf die Entscheidung werdender Eltern Einfluss genommen worden sein soll. So soll die Versicherung eines Paares, welches eine an Mukoviszidose erkrankte Tochter hatte, den Eltern mitgeteilt haben, dass sie die Krankheitskosten nicht übernehmen werde, wenn auch das zweite Kind mit Mukoviszidose zur Welt kommt. Nach Aussage der Eltern hat die Versicherung die Mutter darüber hinaus auch unter Druck gesetzt, das Kind abzutreiben, falls es eine Anlage zu Mukoviszidose haben sollte.361 – Zwar mag eingewandt werden, dass der Fall in dieser Form nicht in der Bundesrepublik denkbar sei, weil Kinder grundsätzlich über die Mutter mitversichert sind (§ 178d VVG).362 Das Beispiel verdeutlicht jedoch, wie mittelbar auf die Kinderwunschentscheidung eines Paares Einfluss genommen werden kann.363

___________ 356 Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 343 ff.; Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 3; Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 190 ff.; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 224; van den Daele, Mensch nach Maß, S. 87. 357 A.L. Huxley, Brave New World, (1932). 358 Niccol (Buch und Regie), „GATTACA“, USA 1997. 359 Riedel, EuGRZ 1996, 459 (471). 360 Gegründet wurde diese Samenbank 1976 durch den kalifornischen Geschäftsmann Graham. – Schöffski, Gendiagnostik, S. 113 m.w.N. 361 Kruip, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 5 f. m.w.N.; Steinmüller, DuD 1993, 6 (6); Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (480). Zu einem ähnlichen Fall: NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (794). – Zu derartigen Fallkonstellationen Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 324 ff., 332 ff. 362 Dazu auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 329. 363 Allerdings wird teilweise offenbar auch die Auffassung vertreten, dass einer solchen Entwicklung nicht notwendig entgegengesteuert werden müsse: ten Have, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 87 (92); vgl. auch Chadwick, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 13 (14 ff.).

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

151

bb) Partnerwahl Aber nicht nur unmittelbar bei der Entscheidung über die Nachkommenschaft, sondern auch bei der Partnerwahl können genetische Veranlagungen Bedeutung gewinnen. Den gesellschaftlichen Umständen, dem Zeitgeist und dem von Forschung und Wissenschaft vermittelten Bild gesellschaftlicher und natürlicher Zusammenhänge dürfte hierbei eine entscheidende Bedeutung zukommen. Selbst hier lassen sich bereits konkrete Beispiele in der Verwendung von Aussagen über Anlagen finden.364 Seit 1983 verlangt die Heilige Kirche Zyperns von Heiratswilligen ein Zertifikat, in dem der genetische Überträgerstatus für Thalassämie365 angegeben ist. Jeder siebte Zypriote ist heterozygoter Träger des defekten Gens und hat damit einen so genannten Überträgerstatus. Aufgrund des damit verbundenen hohen Verbreitungsgrades der Krankheit stehen Therapie-Ressourcen nicht mehr im ausreichenden Umfang zur Verfügung. Aufgrund des hohen gesellschaftlichen Stellenwerts, den die kirchliche Trauung in Zypern hat, besteht für Verlobte die faktische Pflicht, sich vor der Heirat auf die Anlage zur erblichen Thalassämie untersuchen zu lassen. Ein Heiratsverbot für Anlageträger besteht zwar nicht, jedoch besteht zwischen den Partnern eine gegenseitige Informationspflicht. Gegebenenfalls müssen sie also mit der Kenntnis, dass sie möglicherweise eine schwere, die Nachkommen gefährdende Erbkrankheit weitergeben, leben und daraus entstehende Konflikte in Kauf nehmen.366 Anfang der 70er Jahre, bevor eine pränatale Diagnose möglich war, wurde in Orchemenos (Griechenland) eine Reihenuntersuchung auf Thalassämie durchgeführt. Diese ergab, dass 23% der Bevölkerung zumindest heterozygot Träger des betreffenden genetischen Merkmals waren. In der Folgezeit waren die Betroffenen aus Angst, diskriminiert zu werden und insbesondere keine Lebenspartner zu finden, darum bemüht, ihre Veranlagung zu verheimlichen.367 Ein weiterer Hinweis auf das Diskriminierungspotenzial des Screenings auf bestimmte Risikofaktoren ergibt sich aus einer Umfrage an einer US-amerikanischen Schule, an der ein genetisches Screening auf genetische Veranlagungen zu Tay-Sachs durchgeführt worden ist. Die im Anschluss an dieses Screening durchgeführte Umfrage ergab, dass 10% aller Schüler ohne Tay-Sachs-Veranlagung nicht einen Partner mit Tay-Sachs-Veranlagung wählen würden.368

___________ 364

Siehe dazu Künzler, Macht der Technik, S. 115 f. mit entsprechenden Literaturnachweisen. 365 Zum Krankheitsbild siehe oben, S. 90. 366 Bülow, in: Sass, Genomanalyse, S. 125 (131), Paul, Tumorerkrankungen, S. 252; Schüle, ZEITdokument „Das menschliche Genom“ (1/2001), S. 70 ff. 367 Wexler, in: Kevles/Hood, Supercode, S. 231 (254 f.). Vgl. auch NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (803). 368 Holtzman, Caution, S. 178. – Siehe auch Wexler, in: Kevles/Hood, Supercode, S. 231 (254); Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 43 ff.

152

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

cc) Adoptiveltern Aber auch bei Paaren, die sich entschieden haben, Kinder zu adoptieren, können Eigenschaftsindikatoren eine wichtige Rolle spielen.369 Aus den USA sind Fälle bekannt, in denen Paare, die sich bei staatlichen Stellen um ein Adoptivkind bemühten, unter dem Hinweis auf ihre schlechte genetische Konstitution abgelehnt wurden.370 Den Hintergrund dafür dürfte eine wohl etwas vereinfachende und kurz greifende Vorstellung von guten Adoptiveltern geboten haben, nach der nur Paare, die eine lange Lebenserwartung und eine robuste Gesundheit haben, den Anforderungen an gute Adoptiveltern gerecht werden könnten.371 Doch selbst wenn dies akzeptierte Kriterien sein sollten, so schließt sich eine weitere – im Rahmen dieser Arbeit im Vordergrund stehende – Problematik an: Denn die Adoptiveltern wurden nicht aufgrund bestehender (manifester) Eigenschaften abgelehnt, sondern aufgrund der Annahme, dass sie aufgrund etwaiger erblicher „Vorbelastungen“ zukünftig krank werden könnten.

Umgekehrt können auch mögliche Adoptivkinder aufgrund ihrer genetischen Konstitution abgelehnt werden. Eine solche Ablehnung kann auch über die mögliche erbliche Belastung der biologischen Eltern begründet werden. Auch hier wiederum erhöht das Haftungsrisiko den Druck auf die biologischen Eltern und die Adoptionsstellen, möglichst umfassend über mögliche erbliche Belastungen zu unterrichten.372 In einer Reihe von Staaten in den USA sind die biologischen Eltern verpflichtet, den möglichen Adoptiveltern Auskunft über mögliche erbliche Vorbelastungen zu geben.373

f) Medizinische Versorgung Die Möglichkeiten, die im medizinischen Bereich durch die prädiktive Medizin eröffnet werden, werfen zunächst einmal keine Probleme auf, die im Zu___________ 369 Dazu Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (480). Zur Zulässigkeit der Durchführung einer HIV-Untersuchung bei Adoptionsbewerbern: KG, FamRZ 1991, 1101 ff.; LG Berlin, FamRZ 1989, 427 ff. 370 Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (480); Am. J. Hum. Genet., vol. 51 (1992), 903 (904); Gostin, AJLM vol. XVII, ʋs 1 & 2 (1991), 109 (118); Hook, Am. J. Hum. Genet., vol. 51 (1992), 899 (900). 371 Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 51 (1992), 903 (904). 372 Dänischer Ethikrat, Report on Presymptomatic Gene Diagnosis (2001), S. 34; Wexler, in: Kevles/Hood, Supercode, S. 231 (254); Holtzman, Caution, S. 192: „In states in which genetic information need not be provided to adoptive parents, a parent whose adopted child manifests a detectable genetic disease might have a cognizable claim to damages for the extra costs of raising a child with the disorder. This threat of liability might increase the pressure on parents and adoption agencies to provide more complete genetic profiles of babies, who are up for adoption, which in turn might increase the incidence of rejecting infants because of their genetic propensities.“ 373 Holtzman, Caution, S. 191 f.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

153

sammenhang mit diskriminierenden Behandlungen zu sehen sind.374 Zunächst einmal stellt die prädiktive Medizin eine bloße Ergänzung der kurativen Medizin dar. Nach Einschätzung der Deutschen Forschungsgesellschaft stellen folgende Krankheiten Beispiele von seriösen Anwendungsmöglichkeiten für prädiktive genetische Tests dar:375 Genetische Dispositionen für bestimmte Krebsformen: – Hereditäre Formen des colorektalen Karzinoms – Familiärer Brust- und Eierstockkrebs – Familiäres medulläres Schilddrüsenkarzinom – Hereditäres Retinoblastom Neurologische Krankheiten: – Huntington-Krankheit – Myotone Dystrophie Krankheiten mit Spätmanifestation in anderen Organsystemen: – Polyzystische Nierenkrankheit (mehrere Typen) – Hämochromatose.

Probleme im Bereich der prädiktiven Medizin können allerdings dann auftauchen, wenn es um die Verwaltung knapper Ressourcen geht. Hierbei kann zwischen der Knappheit an Therapiemitteln (insb. in der Transplantationsmedizin)376 und der Knappheit an finanziellen Ressourcen unterschieden werden (Übernahme der Behandlungskosten durch die gesetzlichen Krankenkassen)377. Eine Schnittmenge dieser beiden Aspekte gibt es in Bereichen, in denen Therapiemittel durch die medizinische Forschung erst noch entwickelt werden müssen (Knappheit an Forschungskapazitäten).378

___________ 374 Abgesehen vom Problem der (genetischen) Diskriminierung werden im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Gendiagnostik jedoch einer Reihe von anderen Problemstellungen im Arzt-Patienten-Verhältnis erörtert. Ausführlich dazu: Cramer, Genom- und Genanalyse; Hofmann, Genomanalyse, S. 69 ff. 375 DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 13. 376 Siehe dazu S. 159. 377 Siehe dazu S. 160. 378 Siehe dazu S. 160.

154

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

aa) Prädiktive Medizin Insbesondere vor dem Hintergrund der voranschreitenden Genforschung wird mit einem erheblichen Bedeutungszuwachs der prädiktiven Medizin gerechnet.379 Vor diesem Hintergrund wird auch die Gefahr einer Überbewertung genetischer Einflüsse gesehen380 und von der Genetifizierung der Medizin gesprochen.381 Die strukturellen Unterschiede, die die Bereiche der klinischen und prädiktiven Medizin haben, sollen im Folgenden kurz skizziert werden:382 Die herkömmliche, klinische Medizin ist orientiert am Krankheitsbegriff383 und lässt sich vereinfachend wie folgt darstellen: Eine Person bemerkt an sich bestimmte Krankheitssymptome und sucht aus diesem Anlass einen Arzt auf.384 Dessen Aufgabe ist es, anhand der feststellbaren Symptome eine Diagnose aufzustellen, den Patienten über Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären und ihn dann – soweit möglich – zu heilen. Daraus lassen sich folgende Charakteristika für die klinische Medizin ableiten: – Die klinische Medizin ist krankheitsbezogen385: Der Arzt hat mit Patienten zu tun, also mit Personen, die bereits an bestimmten Krankheitssymptomen leiden (Patient – lat.: Leidender), daher auch klinische Medizin (klinisch – aus dem gr./lat.: die Heilkunst die bettlägerige Kranke betrifft). Sie ist reaktiv.

___________ 379

TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 24 f.; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 11; Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7373); auch Holtzman, Caution, S. 183. 380 Siehe dazu S. 286 ff. 381 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 24, 59; Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 6: „Entfremdung des Patienten gegenüber sich selber und seiner Leiblichkeit“; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 178; Lemke, GID Nr. 164 (2004), S. 39 ff.; Wagenmann, GID Nr. 151 (2001), S. 34 ff. – Teilweise wird die Beschreibung des gleichen Sachverhalts auch der Begriff „Geneticization“ oder „Genetisierung“ verwendet: ten Have, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 87 (89); Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (1); Schmidtke, medgen 2001, 58 ff. – Eine Gegenströmung wird in der „Biosemiotik“ gesehen, welche einen ganzheitlichen, von der Fokussierung auf einzelne Merkmale losgelösten Ansatz verfolgt. Dazu Weber, SZ-Magazin 23.11.01, Nr. 47, S. 17 (20). 382 Zur Abgrenzung der klinischen und prädiktiven Medizin siehe auch Fischer, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 5 (20). 383 Dazu Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 5 ff. 384 Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 5; Holtzman, Caution, S. 183. 385 Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 5.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

155

– Das Handeln des Arztes stellt sich als finales386 – nämlich auf Heilung gerichtetes – Handeln dar. Die klinische Medizin lässt sich insofern auch als kurative (heilende) Medizin387 bezeichnen. – Die Arzt-Patienten-Beziehung stellt sich vor allem als Behandlungsverhältnis388 dar: Es beschränkt sich auf die Zeitdauer der Diagnosestellung bis (günstigenfalls) zur Heilung des Patienten.389 – Es besteht eine duale390, von Vertraulichkeit geprägte391 Beziehung zwischen Arzt und Patient. Grundsätzlich werden keine Dritten in diese Beziehung eingebunden. Strukturell völlig anders geprägt ist die prädiktive Medizin:392 Personen, die prädiktive Medizinleistungen in Anspruch nehmen möchten, dürfte es in der Regel um Lebensplanung gehen, sei es im Sinne von Krankheitsprävention oder zur Familienplanung. Sie erhoffen sich durch „risikobewusstes“ Handeln bestimmte Risiken vermeiden zu können. Der Arzt kann sie über bestimmte Anlagen in Kenntnis setzen. Im Ausnahmefall können sich auch konkrete Präventionsmaßnahmen anbieten. Als typische Merkmale der prädiktiven Medizin lassen sich zusammenfassen: – Die prädiktive Medizin ist nicht krankheitsbezogen393 (präsymptomatisch). Sie wird gerade vor dem Ausbruch bestimmter Krankheiten in Anspruch genommen, und wird daher auch als präklinische394 Medizin bezeichnet. Dementsprechend werden hier die ratsuchenden Personen auch von medizinischer Seite – in Abgrenzung zu Patienten – als „Klienten“395 oder „Kunden“396 bezeichnet. Sofern sie einer bestimmten Risikogruppe zugeordnet werden, werden sie – da sie ja noch keine Symptome der prognostizierten Krankheit aufweisen – auch als „gesunde Kranke“ bezeichnet.397 Im Unterschied zur klinischen Medizin ist die prädiktive Medizin nicht reaktiv, sondern informativ. ___________ 386

Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 5. Damm, MedR 1999, 437 (441). 388 Damm, MedR 1999, 437 (441). 389 Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 5 ff. 390 Damm, MedR 1999, 437 (441). 391 Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 9. 392 Zum Begriff etwa Damm, MedR 1999, 437 (441). 393 Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 9. 394 Damm, MedR 1999, 437 (441). 395 Damm, MedR 1999, 437 (441); Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 8 m.w.N. 396 Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 9. 397 Zu Nachweisen siehe S. 38, Fn. 16. 387

156

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

– Das ärztliche Handeln ist insofern nicht final398 (auf eine Heilung) ausgelegt. Ziel des ärztlichen Handelns ist es in der Regel, dem Klienten Perspektiven aufzuzeigen, mit dem festgestellten Risiko zu leben, und möglicherweise Veränderungen im Lebensstil anzuraten, die die Verwirklichung des festgestellten Risikos vermindern. In diesem Zusammenhang ist daher auch von der „sprechenden Medizin“ die Rede.399 – Die Arzt-Klienten-Beziehung stellt sich schwerpunktmäßig als Beratungsverhältnis dar.400 Nur im Ausnahmefall dürften sich konkrete, ärztliche Maßnahmen zur Prävention anbieten, wie etwa häufigere oder besondere Vorsorgeuntersuchungen. Vor diesem Hintergrund wird auch von der „Schere zwischen Diagnose und Therapie“401 gesprochen: Es werden Risiken aufgezeigt, ohne konkrete Maßnahmen für ihre Vermeidung anbieten zu können. Für Personen, bei denen genetische Krankheitsveranlagungen festgestellt wurden, können Informationen über neue medizinische Entwicklungen, insbesondere im Bereich der Prävention und Therapie, von entscheidender Bedeutung sein, da sie die Lebensperspektiven der untersuchten Personen entscheidend beeinflussen können. Eine einmalige humangenetische Beratung bei Vornahme des Tests dürfte daher häufig nicht ausreichen. Vor diesem Hintergrund könnte ein dauerhaftes Beratungsverhältnis zwischen Arzt und untersuchter Person erforderlich werden. Dem ursprünglich krankheits- und damit anlassbezogenen (eher punktuellen) Arzt-Patienten-Verhältnis in der klassischen Medizin entspräche dann ein dauerhaftes Arzt-KlientenVerhältnis in der prädiktiven Medizin. – Im Bereich der Humangenetik ergibt sich zudem die Besonderheit, dass aufgrund der Vererblichkeit bestimmter Veranlagungen auch die Angehörigen der untersuchten Person von dem Untersuchungsergebnis betroffen sein können.402 Ein duales Arzt-Klienten-Verhältnis könnte diesem Umstand häufig nicht gerecht werden. Als Konsequenz könnte sich daher eine Beratungsgemeinschaft aus dem Klienten, dessen Angehörigen und dem Arzt ergeben.403 Angesichts der komplexen Situation bei Rechtskonflikten innerhalb dieser Beratungsgemeinschaft, in denen sich widerstreitende Selbstbestimmungsrechte gegenüberstehen,404 wird es für erforderlich gehalten, eine Kommuni___________ 398

Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 9. Damm, MedR 1999, 437 (440); ders., universitas 1999, 433 (436). 400 Damm, MedR 1999, 437 (441); Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 9: „Serviceleistung“, „Vertraglichkeit“. 401 Siehe dazu bereits oben S. 123 ff. 402 Vgl. Schmidtke, Vererbung, S. 153: „Meine Anlagen sind auch deine Anlagen“. 403 Damm, MedR 1999, 437 (441); ders., universitas 1999, 433 (438). 404 Damm, MedR 1999, 437 (441). 399

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

157

kationsverfassung der Medizin405 zu schaffen, die in rechtlicher Hinsicht den neuen Anforderungen gerecht wird.

bb) Gesundheitsvorsorge durch Neugeborenenscreening Weltweit verbreitet ist schon das so genannte „Neugeborenenscreening“. Dabei werden Neugeborenen zur Abklärung besonders gefährlicher, erblich bedingter Krankheiten Blutproben entnommen. In Deutschland werden im Rahmen der Neugeborenenuntersuchungen so genannte Guthrie-Cards genutzt.406 Zu einer Ausweitung der Neugeborenenscreenings gibt es in Deutschland zwei Projekte in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Geplant ist die Untersuchung von bis zu 33 Stoffwechsel-Erkrankungen auf Genproduktebene.407

Auch hier ergeben sich die Probleme wohl eher im datenschutzrechtlichen Bereich: Sofern nämlich die gewonnenen Blutproben in Datenbanken aufbewahrt werden, besteht die Gefahr der datenschutzrechtlichen Zweckentfremdung.408 Eine spätere Verwendung der dabei gewonnen Blutproben zur systematischen Erfassung genetischer Daten erscheint nicht ausgeschlossen.409 Die Problematik der Speicherung von Daten aus den Neugeborenenuntersuchungen ist im so genannten „Hielprik“-Skandal410 in Holland offenkundig geworden. Dort hatte das „Rijksinstituut voor Volksgezondheit en Milieu“ seit 1994 Blutproben aller 1,4 Millionen Neugeborenen in den Niederlanden heimlich gesammelt und auch zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt. Dieses Vorgehen wurde erst bekannt, als das Institut im Mai 2000 anbot, die Opfer der Explosion einer Feuerwerksfabrik in Enschede anhand der so verfügbaren personalisierten DNS-Fingerabdrücke zu identifizieren.411 In den Vereinigten Staaten ist bereits ein Fall bekannt geworden, in dem Blutproben, die im Rahmen von Neugeborenenuntersuchungen gewonnen wurden, (zweckentfremdet) im Rahmen eines strafrechtlichen Mordprozesses hinzugezogen wurden.412

___________ 405

Damm, universitas 1999, 433 (436). Siehe dazu Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Guthrie-Test“. Auch Damm, MedR 1999, 437 (442). 407 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 31. 408 Dazu eingehender S. 464 ff. 409 Zu den Problemen von „genetischen Kennkarten“ und „Gendatenregister“ auch Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 230; Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 360 ff.; Schöffski, Gendiagnostik, S. 122 f.; van den Daele, Mensch nach Maß, S. 107. 410 Übersetzt „Fersenstich“-Skandal, da die Blutproben für die NeugeborenenUntersuchungen üblicherweise aus der Ferse des neugeborenen Kindes entnommen werden. 411 O.V., bioskop Dez. 2000, Nr. 12, S. 10. 406

412

Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (140).

158

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

In den USA zeigen auch so genannte „Kinderschutzstellen“ Interesse an genetischen Untersuchungen von Kindern, um die medizinische Versorgung der Kinder zu optimieren.413

cc) Bedeutung für die klinische Medizin (diagnostische Verwendungsweise) – insb. Pharmakogenetik Eher dem diagnostischen Verwendungsbereich ist die in Entwicklung begriffene Pharmakogenetik zuzuordnen, da es hier um die Verträglichkeiten von Medikamenten zum Zeitpunkt ihrer Darreichung und nicht um die zukünftige gesundheitliche Entwicklung des Patienten geht. Ziel der Pharmakogenetik ist es, anhand bestimmter genetischer Veranlagungen Rückschlüsse auf die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten beim Patienten zu treffen.414 Zukünftig könnten Diagnosecomputer aus der Blutprobe eines Patienten ein genetisches Profil erstellen, aus dem sich ablesen ließe, welche der verfügbaren Arzneien die besten Erfolgsaussichten bieten.415 Vor diesem Hintergrund wird es bereits angedacht, genetische Untersuchungen standardmäßig bei der Notfallaufnahme einzuführen. Damit sei es möglich – so die Befürworter – geeignete entzündungshemmende Arzneien auszuwählen, Schmerzmittelunverträglichkeiten zu bestimmen oder Risiken für bestimmte Komplikationen, wie Lungenentzündungen, zu ermitteln.416

Zunächst einmal ist mit einer solchen Praxis noch keine Diskriminierung verbunden. Problematisch wird dies erst, wenn die Pharmaindustrie aus Wirtschaftlichkeitserwägungen Medikamente für Träger bestimmter genetischer Veranlagungen überhaupt nicht mehr entwickeln würde. In der Konsequenz würde dann – so die Befürchtung – die Gruppe der so genannten „therapeutic orphans“ wachsen, die als von vornherein hoffnungslos eingestuft und damit gar nicht mehr behandelt werden kann.417 ___________ 413

Schöffski, Gendiagnostik, S. 124, Fn. 604. Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 365 ff.; Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (1) m.w.N.; Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 247; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 15 f., 149 ff.; Kollek, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 15 (23); Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 11; Steiner, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 96 ff.; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 5, 19 ff., 46, 59; TA-Swiss, Kurzfassung Pharmakogenetik. 415 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 149 ff., insb. 175 f.; Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 56. 414

416

O.V., DANA 2/2004, S. 34. Zum Problem der knapper Forschungsressourcen und den therapeutic orphans siehe unten, S. 160 ff. 417

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

159

dd) Knappheit an Therapiemitteln Problematisch wird die Verwendung von Informationen über Eigenschaftsindikatoren immer dann, wenn angesichts knapper Ressourcen Auswahlentscheidungen („Alles-oder-Nichts“-Entscheidungen)418 hinsichtlich ihrer Verteilung getroffen werden müssen. Die Besonderheit von Auswahlentscheidungen bei knappen Ressourcen liegt darin, dass sie in der Regel nur einmalig vorgenommen werden und nicht nachträglich überprüft oder gar rückgängig gemacht werden können. Sofern man allein die Wirksamkeit und Verträglichkeit eines Therapiemittels bewerten will, geht es um die Optimierung der gegenwärtigen Behandlung. Eine schlechte Wirksamkeit eines bestimmten Mittels führt dabei nicht zum Ausschluss von der Therapie. Als letztes Mittel mag die zunächst als wenig wirksam eingestufte Therapie doch noch Anwendung finden und im Einzelfall dann wider Erwarten dann doch wirksam sein. Insofern besteht dabei in der Regel immer die Möglichkeit, die ursprünglich vorgenommene Bewertung später auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Diese Möglichkeit besteht bei Auswahlentscheidungen jedoch nicht. Die Patienten, bei denen die Wirksamkeit und Verträglichkeit des knappen Therapiemittels als schlecht eingestuft wird, werden von der Therapie ausgeschlossen. Damit bekommt die Auswahlentscheidung jedoch gegenüber der Therapieentscheidung einen anderen Charakter. Die Bewertung der Wirkungsweise und Verträglichkeit erfolgt nicht mehr schwerpunktmäßig unter diagnostischen, sondern unter prädiktiven Gesichtspunkten. Es wird gewissermaßen „ein für alle Mal“ entschieden, ob eine bestimmte Therapie angewendet wird. Eine Korrekturmöglichkeit ist typischerweise nicht gegeben. Ein Beispiel hierfür stellt die Transplantationsmedizin dar.419 Da Transplantationsorgane nicht in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stehen, bedarf es bestimmter Auswahlkriterien, nach denen die Organe den Patienten zugewiesen werden, die eines Organs bedürfen. Diese Auswahl hat nach den gesetzlichen Vorschriften in Deutschland unter anderem nach der Erfolgsaussicht und der Dringlichkeit zu erfolgen.420 Schon das gesetzliche Kriterium der Erfolgsaussicht macht also personenbezogene Prognosen erforderlich. Grundsätzlich können dabei auch genetisch bedingte Veranlagungen und Manifestationen berücksichtigt werden.421

___________ 418

Siehe auch S. 249. Holtzman, Caution, S. 112; Neuer-Miebach, in: Arbeitsmaterialien Bioethik, S. 53 (63 f.). 420 Vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 2 und § 12 Abs. 3 S. 1 TPG. 421 Kritisch jedoch Neuer-Miebach, in: Arbeitsmaterialien Bioethik, S. 53 (64), die die nachrangige Berücksichtigung eines genetisch bedingt behinderten jungen Mannes bei der Vergabe von Spenderorganen als ungerecht empfindet. – Siehe dazu auch S. 303. 419

160

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

Vergleichbares ergibt sich bei der Vergabe von Dialyseplätzen in Fällen von Nierenschädigungen, die regelmäßige Blutreinigungen erforderlich machen. Da hier begrenzte Kapazitäten zur Verfügung stehen, müssen Auswahlentscheidungen getroffen werden, welche der bedürftigen Personen die Dialysebehandlung in Anspruch nehmen können. Beispielsweise sieht eine Richtlinie für die Zuweisung der Dialysebehandlungen im Vereinigten Königreich aus dem Jahr 1983 vor, Patienten ab einem gewissen Alter die Dialyse zu versagen.422 Als bedenklich erscheint auch die Dialysepraxis aus den 60er Jahren in den USA: Hier wurden die lebensrettenden Maßnahmen bestimmten Kranken unter sozialen Nützlichkeitskriterien verwehrt, so z.B. Prostituierten, Drogenhändlern oder psychisch Kranken.423

ee) Knappheit an finanziellen Ressourcen Ein weiterer Gesichtspunkt, der den Umfang der Behandlungsmöglichkeiten bestimmt, ist die Knappheit finanzieller Ressourcen. Auch hier müssen Auswahlentscheidungen darüber getroffen werden, wie die finanziellen Mittel auf die bedürftigen Patienten verteilt werden. Bei diesen Verteilungsentscheidungen können wiederum aber auch Kriterien zugrunde gelegt werden, die an Eigenschaftsindikatoren anknüpfen. Der Entscheidungsdruck dürfte angesichts der Finanznot der gesetzlichen Krankenkassen zukünftig eher noch zunehmen.

ff) Knappheit an Forschungskapazitäten Schließlich wird von einigen Autoren die Befürchtung geäußert, dass insbesondere mit fortschreitender Genforschung eine neue Kaste der „therapeutic orphans“ entstehen könnte.424 Es wird befürchtet, dass für sie letztlich Spezialbehandlungen nicht mehr zugänglich sein werden, sie insgesamt nicht mehr in fortschrittbringende Forschungsvorhaben eingezogen werden.425 Nur vorübergehend anders erscheint die Lage bei der Entwicklung von Tests für Krankheiten wie der Huntington-Krankheit, welche sich auch als „orphan-disease“ einstufen ließe. Hier liegt das wirtschaftliche Interesse (noch) darin begründet, dass die Entwicklung solcher Tests äußerst prestigeträchtig ist und vor diesem Hintergrund als ein guter Ausgangspunkt bei dem sich abzeichnenden Kampf um die Marktführerschaft im Bereich der gendiagnostischen Mittel erscheint.426 ___________ 422

Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 47, Fn. 37 m.w.N. Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 47, Fn. 37 m.w.N. 424 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 172: „genetisch bedingte Therapieversager“; Neuer-Miebach, in: Arbeitsmaterialien Bioethik, S. 53 (55). 425 Neuer-Miebach, in: Arbeitsmaterialien Bioethik, S. 53 (55). 426 Holtzman, Caution, S. 130 f. 423

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

161

Unter Therapiewaisen sind Patienten zu verstehen, bei denen gängige Therapiemittel aufgrund bestimmter Eigenschaftsindikatoren – insbesondere genetischen Veranlagungen – nicht wirken, Alternativmittel jedoch nicht zur Verfügung stehen. Der Umstand, der diese Patienten nun zu „Therapiewaisen“ macht, dürfte in der Regel darin begründet liegen, dass die Entwicklung einer Therapie speziell für die Zielgruppe dieser Veranlagungsträger nicht wirtschaftlich ist. Dies könnte z. B. der Fall sein, wenn die Veranlagung, die die Wirksamkeit des gängigen Therapiemittels senkt oder beseitigt, so selten ist, dass sich Forschung in diesem Bereich nicht lohnt, oder, wenn die potenzielle Zielgruppe zwar groß, aber nicht zahlungskräftig erscheint – etwa bei Krankheiten, die insbesondere in den Entwicklungsländern verbreitet sind. Da insofern die Erforschung und Weiterentwicklung von Therapiemitteln vernachlässigt wird, spricht man in diesem Zusammenhang auch von „orphan drugs“.427 Festzustellen ist in diesem Zusammenhang allerdings: Die Gruppe der Patienten, bei denen genetisch bedingt bestimmte Therapien nicht wirken, entsteht nicht erst mit der Pharmakogenetik, vielmehr wird sie nun erst als solche erkannt und identifizierbar. Denn sofern bestimmte Veranlagungen tatsächlich die Wirksamkeit bestimmter Medikamente absenken sollten, tun sie dies bei den Trägern solcher Veranlagungen bereits jetzt.428 Dass auch die Forschung an der Wirtschaftlichkeit orientiert ist und dabei in der Regel der erwartete Gewinn in einem profitablen Verhältnis zu den Forschungsaufwendungen stehen muss, erscheint jedoch nicht als Umstand, der etwa erst im Zuge der Genforschung aufgetreten ist. Sofern hier diskriminierende Wirkungen der Schwerpunktsetzung in der Forschung angegriffen werden, scheint sich die Kritik vor allem gegen Auswüchse der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung zu richten und weniger gegen die Genforschung, die insofern weitgehend nur das fortführt, was in der Medizin wie auch in allen anderen Bereichen gängige Praxis ist oder zu werden droht: Die starke Orientierung an der Wirtschaftlichkeit.429

___________ 427

Neuer-Miebach, in: Arbeitsmaterialien Bioethik, S. 53 (55). Insofern erscheint der Begriff der „neuen Risikogruppe“ – wie etwa von Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 172 verwendet – als nicht ganz zutreffend: Die Risikogruppe gibt es bereits, sie wurde bisher nur noch nicht erkannt. Der Einschätzung jedoch, dass die Pharmakogenetik insofern neue ethnische Diskriminierungspotenziale schaffen kann (Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, ebenda) erscheint zutreffend, wenn bestimmte Medikamentenunverträglichkeiten tatsächlich in bestimmten Bevölkerungsgruppen gehäuft auftreten. – Zur Populationsgenetik und dem damit verbundenen Diskriminierungspotenzial siehe bereits oben, S. 88 ff. und später S. 439 ff. 429 Holtzman, Caution, S. 130 verweist darauf, dass in den Vereinigten Staaten dieses Problem mit dem Orphan Disease Act (Public Law 97-112) versucht wurde einzuschränken. 428

162

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

g) Staatliche Gefahrenabwehr und Strafverfolgung Die Verwendung von Aussagen über Eigenschaftsindikatoren kann aber auch in der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung Bedeutung gewinnen.430 Ziel dabei ist es offensichtlich, die polizeiliche Gefahr möglichst frühzeitig, gegebenenfalls schon vor ihrem Eintritt, zu verhindern. Sofern der Ausgangspunkt der Gefahr in Personen gesehen wird, geht es dementsprechend darum, das „individuelle Gefahrenpotenzial“ eines Menschen beurteilen zu können.431 Auch hier lässt sich wiederum ein Aspekt erkennen, der später vertiefend behandelt werden soll: Was bei der Bewertung von Gefahren, im Zusammenhang mit sachbezogener Gefahrenabwehr bei Gefahrensituationen noch vertretbar erscheint, ist unter dem freiheitsrechtlichen Aspekt bei der Bewertung von Gefahren, bei der die möglichen Gefahrenquellen in Personen gesehen werden, möglicherweise grundsätzlich als weitaus problematischer einzustufen.432

aa) Kriminalitätsprävention Strafverfolgungsbehörden könnten – im Rahmen der Kriminalitätsprävention – versucht sein, das „individuelle Gefahrenpotenzial“ von Personen zu ermitteln, um „täternah“ Ermittlungen durchzuführen oder sie besonderen Maßnahmen zu unterwerfen. Hierbei könnten sie bemüht sein, Eigenschaftsindikatoren zu definieren, die eine besondere Gewaltbereitschaft oder allgemeine Neigung zur Kriminalität nahe legen. Wiederum prominent ist dabei die Suche zur Feststellung nach einem genetischen Zusammenhang.433 In den 60er Jahren wurde – zunächst wohl eher zufällig – festgestellt, dass überdurchschnittlich viele Insassen von US-amerikanischen Gefängnissen den dreifachen XYYChromosomensatz aufwiesen. Die Erklärung wurde schnell darin gesehen, dass der dreifache Chromosomensatz eine besondere Neigung zur Kriminalität auslöse. Die darauf initiierte Durchführung gezielter Untersuchung von Neugeborenen mit diesem Chromosomensatz wurde auf öffentlichen Druck eingestellt.434

___________ 430

Ausführlich dazu: Rademacher, Die Zulässigkeit genetischer Analysemethoden im Strafrecht, 1992; Vultejus, ZRP 2002, 70 ff. – Zur Bedeutung von Gendatenbanken im Rahmen der Strafverfolgung etwa: Lehne, Krim. Journal 2002, S. 193 ff. m.w.N. 431 Holtzman, Caution, S. 113. 432 Vgl. auch S. 412 ff. 433 Klees, Der gläserne Mensch, S. 86; Hofmann, Genomanalyse, S. 212 f.; Simitis, in: Institut Suisse de Droit Comparé, Genanalyse, S. 107 (111). Ohne nähere Ausführungen: Isensee, in: FS Hollerbach, S. 243 (255). 434 Holtzman, Caution, S. 113; Klees, Der gläserne Mensch, S. 16 f. m.w.N.; Schöffski, Gendiagnostik, S. 45, 117; Wuermeling, in: Rittner: Genomanalyse, S. 231 (232). – Der Irrglaube einer genetisch bedingten Kriminalitätsveranlagung scheint sich bis in die Gegenwart erhalten zu haben, dazu: Künzler, Macht der Technik, S. 60, Fn. 58.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

163

bb) Andere Bereiche der Gefahrenabwehr Aber auch andere staatliche Stellen, die Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnehmen, könnten an prädiktiven Daten interessiert sein. Als ein Beispiel werden hier Kfz-Zulassungsstellen genannt.435 Für die Bewertung der Eignung für den Straßenverkehr könnten (nicht notwendigerweise genetische) Faktoren der psychischen Belastbarkeit von besonderem Interesse sein. Beispielsweise wird teilweise bereits die Feststellbarkeit bestimmter komplexerer Empfindlichkeiten, z.B. hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von so genannten Vigilanz (Wachsamkeitsstörungen), Stresstoleranz oder Affektstörungen, für möglich gehalten.436 Dementsprechend könnte Personen unter dem Hinweis auf möglicherweise in Zukunft auftretenden Wachsamkeitsstörungen der Führerschein verwehrt werden, ohne dass sich zum Zeitpunkt der Untersuchungen derartige Ausfallerscheinungen schon manifestiert hätten.437

cc) Täterfahndung Ein weiteres Verwendungsfeld insbesondere für genetische Veranlagungen ergibt sich für die Strafverfolgungsbehörden: Zukünftig könnten die Fahndungsangaben bei der Suche eines Verdächtigen vervollständigt werden, wenn die Polizei anhand etwa am Tatort gefundenen DNS-Spuren auswerten würde (sog. „genetische Rasterfahndung“).438 Denkbar wäre dann die Ermittlung der Haar- und Augenfarbe, aber möglicherweise auch mutmaßliche Verhaltensweisen, z.B. die Vermutung, dass der Täter aufgrund seiner erblichen Veranlagungen zu Diabetes des Öfteren Apotheken aufsuchen wird, um sich Insulin zu besorgen. Nach einigen gesetzlichen Regelungen ist bereits zulässig, mit am Tatort gefundenen Spuren das Geschlecht des mutmaßlichen Täters zu ermitteln.439

___________ 435

Nelkin, in Kevles/Hood, Supercode, S. 195 (208). Botschaft zum Schweizer Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG), 02.065, S. 7361 (7429); Bayertz/Ach/Paslack, Genetische Diagnostik (1999), S. 27. 437 Nelkin, in Kevles/Hood, Supercode, S. 195 (208). Dem Bereich der Gefahrenprävention sind auch die medizinisch-psychologischen Untersuchungen (sog. „Idiotentest“) zuzuordnen. Sie dienen der Ermittlung der charakterlichen und körperlichen Eignung auffällig gewordenen Verkehrsteilnehmer. Sie können Voraussetzung für eine Wiedererlangung der Fahrerlaubnis sein; Göres, FR 10.07.2002, Nr. 157, Seite A1. 438 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 51; Klees, Der gläserne Mensch, S. 88; Menzel, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 4 (9); Schneider, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 32; Schöffski, Gendiagnostik, S. 143. 439 O.V., DANA 2/2004, S. 34. 436

164

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

dd) Strafverfolgung und -vollzug Gerichte könnten ein Interesse an der Bewertung von Eigenschaftsindikatoren haben, um die strafrechtliche Schuldfähigkeit festzustellen440 oder die Wirksamkeit bestimmter Strafmaßnahmen besser prognostizieren zu können.441 So gibt es wohl auch im Strafvollzug immer wieder Tendenzen, Menschen, unabhängig von manifesten Eigenschaften, allein aufgrund möglicher Eigenschaftsindikatoren einer besonderen Behandlung zu unterziehen. Dazu die BundLänder-Arbeitsgruppe in ihrem Abschlussbericht unter Bezugnahme der Unterbringung vom Menschen mit geistiger Behinderung: „Das Ergebnis einer Genomanalyse kann nicht zur Grundlage einer Unterbringung gemacht werden, da es hierfür nicht auf das Vorhandensein einer bloßen genetischen Anlage, sondern ausschließlich auf die Art und Schwere der akut auftretenden Symptome ankommt. Ein sinnvoller Einsatz der DNS-Analyse ist daher allenfalls im Rahmen eines Sachverständigengutachtens zur Klärung von Zweifelsfällen bei einem nicht eindeutigen klinischen Befund denkbar.“ 442

h) Biologische Kriegsführung Auch im militärischen Bereich können – insbesondere populationsgenetische – Veranlagungen an Bedeutung gewinnen.443 So wird vermutet, dass in der Rüstungsindustrie bereits an der Entwicklung einer „ethnischen Bombe“ gearbeitet wird. Die durch sie bewirkte Verseuchung soll sich nur bei Menschen mit einer bestimmten populationsgenetischen Veranlagung auswirken.444

___________ 440

Dazu auch Hofmann, Genomanalyse, S. 35 f., 41; Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 165. Denkbar ist die Verwendung von Eigenschaftsindikatoren auch bei der Beurteilung der zivilrechtlichen Schuldfähigkeit. – Wiese, Genetische Analysen, S. 35 im Hinblick auf genetische Veranlagungen. 441 Holtzman, Caution, S. 113; Isensee, in: FS Hollerbach, S. 243 (255). 442 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 55 [Hervorhebungen durch den Verfasser]. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Sicherheitsverwahrung siehe auch S. 433 f. 443 Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (1) m.w.N. in Fn. 6: Kleine Anfrage der Fraktion der PDS, BT-Drs. 14/6020, vom 04.05.2001, „Wehrtechnische Forschung im Bereich der Gentechnik und biologische Waffen“; Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie”, Bericht (1986), BT-Drs. 10/6775, S. 260 ff.; van Akten, GID Nr. 163, 2004, 11 f. 444 Schöffski, Gendiagnostik, S. 27.

E. Charakteristika in Abhängigkeit von den Untersuchungsumständen

165

i) Gesellschaftliche Stigmatisierung Der Aspekt der gesellschaftlichen Stigmatisierung erfasst herabsetzende Behandlungen von Personen, die ohne konkrete, etwa rechtlich begründete Nachteile zu haben, unter dem Umstand leiden, im täglichen Umgang nicht akzeptiert und eher gemieden zu werden. Dabei dürften bestimmte Eigenschaften – ob begründet oder nicht – eine besondere stigmatisierende Bedeutung gewinnen. Hierzu werden insbesondere auch genetische Daten gezählt.445 In 90er Jahren war eine gesellschaftliche Ausgrenzung von HIV-Infizierten und damit in Verbindung gebrachten Risikogruppen festzustellen. Trotz des großen Verbreitungsgrades und der offenbar hohen gesellschaftlichen Akzeptanz für ein ThalassämieScreening auf Zypern,446 lässt sich vorstellen, dass der heterozygote Überträgerstatus für Thalassämie stigmatisierend wirken kann.

3. Genetifizierung des gesellschaftlichen Lebens? Aus dieser Darstellung wird erkennbar, dass sich in der Gesellschaft offenbar – teilweise im Irrglauben an einen genetischen Determinismus447 – eine hohe Bereitschaft erkennen lässt, medizinischen und dabei insbesondere genetischen Daten bei der Bewertung der Handlungsspielräume des Einzelnen einen erheblichen Stellenwert einzuräumen. In diesem Zusammenhang wird auch von der Medizinalisierung sozialer Probleme, bzw. der Genetifizierung der Gesellschaft gesprochen.448 Eng damit verbunden ist die Fehlvorstellung der Individualisierung von Risiken und im Zuge dessen die Entwicklung zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft.449 Damit ___________ 445

Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (140 f.); Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 113 ff. – Siehe aber auch S. 352 ff. 446 Eingehender dazu oben, S. 151. 447 Dazu etwa DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 6; Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 164 ff.; Vultejus, ZRP 2002, 70 (70 f.), van den Beld, in: Haker, Ethics, S. 236 ff. – Zum Begriff des Determinismus: Mittelstraß, Enzyklopädie, Stichwort „Determinismus“. Er ist als erkenntnistheoretischer Gegenpol zur Statistik zu begreifen. Im Unterschied zum statistischen Standpunkt nimmt der Determinismus die eindeutige Berechenbarkeit und vollständige Messbarkeit natürlicher Vorgänge an. 448 Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 132, 134: „Medizinisierung der Gesellschaft“; Feuerstein/Kollek, APuZ 2001, 26 (30): „Biologisierung der sozialen Kontexte des Lebens“; Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 2; Levitt, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 29 (29); Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20; McGuffin/Riley/Plomin, Science 2001, vol. 291, 1248 (1249) – mit der Auffassung, dass der Umstand, dass jeder Mensch in der einen oder anderen Form nachteilige genetische Dispositionen hat, die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Behinderungen erhöhen wird und eine Genetifizierung der Gesellschaft insofern nicht zu befürchten ist; ten Have, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 87 (89); auch: Scheub, TAZ 1.03.2002, Nr. 6689; S. 14 zu einem interdisziplinären Kongress von Humangenetikern und Psychologen zu diesem Thema. 449 Dazu eingehend auf S. 330 ff.

166

Kapitel 1: Charakteristika genetischer Daten

verlieren medizinische Untersuchungen jedoch ihren wertneutralen Charakter: „Statt kollektives Schicksal zu sein, werden die Gene heute immer mehr unter der Perspektive individueller Potenziale betrachtet, sie sind weniger Bestandteil einer biologischen Vererbung als Element von sozialen Strategien, die auf Optimierung des persönlichen Humankapitals und der subjektiven ‚Lebensqualität‘ zielen.“450 Sie sind eben nicht nur ein naturwissenschaftlich-technisches und damit objektives Verfahren, sondern auch eine Form, gesellschaftliche Kategorien zu schaffen.451 Besondere Konfliktpotenziale können je nach kulturellem Zusammenhang entstehen.452

F. Rechtliche Zwischenbewertung Zur Begründung der Forderung nach einem genetischen Diskriminierungsverbot und anderen genspezifischen Rechten wird häufig pauschal auf alle Charakteristika genetischer Daten verwiesen, welchen insgesamt eine besondere rechtliche Qualität beigemessen wird.453

___________ 450

Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20. Dazu auch später, S. 357 f. 452 Schmidtke, Vererbung, S. 154 ff. spricht hier von der Globalisierung des Phänomens der Genetifizierung. 453 So wohl der Großteil der Literatur, der in genetischen Daten – mit unterschiedlichen Begründungen – Informationen einer besonderen rechtlichen Qualität sieht, siehe etwa: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 72; Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 226; Bundesregierung in der Begründung zu § 22 Abs. 2-6 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752, S. 45: „Sowohl die Offenbarung von Erkenntnissen aus genetischen Analysen als auch ihre Verwendung berühren in besonderer Weise das Selbstbestimmungsrecht und das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten ...“; Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 11; Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Stellungnahme zum Fragenkatalog, S. 9; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 131 ff.; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 71; SPD- Eckpunktepapier (2002), S. 2; Kienle, prädiktive Medizin, S. 14; Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrecht, Zwischenbericht 2002, S. 150, 166; Künzler, Macht der Technik, S. 58, Fn. 47; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 9 (unter besonderen Hinweis auf die Möglichkeit zur prädiktiven Verwendung genetischer Daten); Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 6, 58; Menzel, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 4 (6 f.); Meyer, Mensch, S. 58 ff., 61 f.; NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (802); Quante, in: Petermann/Wiedenbusch/Quante, Perspektiven, S. 209 (213); Rademacher, Analysemethoden im Strafrecht, S. 119 ff.; Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 69; Rothstein/Knoppers, EJHL 3 (1996), 143 (144, 155 f.); Schmidtke, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1071 ff.; Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (139); Taupitz, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 82; Weichert, 2/2000, 7 (8); ders., DuD 2002, 133 (134); Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 20; auf Nachfrage allerdings relativierend: S. 24 f.; Wiesing, DMW 2002, 1151 (1151). 451

F. Rechtliche Zwischenbewertung

167

Diesem Ansatz wird im Rahmen dieser Arbeit nicht gefolgt. Vielmehr wird die – in den nun folgenden Kapiteln zu begründende – Auffassung vertreten, dass nur jeweils einzelne Charakteristika für die verfassungsrechtliche Bewertung eine Rolle spielen und die durch diese Charakteristika aufgeworfenen Probleme – in aller Regel – nicht nur beim Umgang mit genetischen Daten auftreten, sondern auch im Zusammenhang mit anderen Daten.454

___________ 454 So etwa: Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (209); Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (192 ff.); Breyer, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 182 ff.; Brühann, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 28; Reich, in: von Armin u.a., S. 109 (117); auch Reich, im Interview in der FR 23.04.03, Nr. 94, S. WB 7; Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 39, 68 ff., 506 ff.; Schreiber, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 24; Taupitz, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 28; Taupitz, RPG 2002, 43 (47); Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 50; Taupitz/Brewe/Schelling, in: Taupitz, Menschenrechtsübereinkommen, S. 409 (440 ff., 447). – Allenfalls in ihrer familiären Drittbezogenheit wird insofern teilweise eine Besonderheit genetischer Daten gesehen.

Kapitel 2

Vereinbarkeit eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG A. Einleitung: Verfahren und Ablauf der gleichheitsrechtlichen Prüfung Die gleichheitsrechtliche Prüfung von gesetzlichen Regelungsmöglichkeiten für ein Verbot genetischer Diskriminierung erfüllt im Wesentlichen zwei Funktionen:1 Zum einen können so bereits im Vorfeld Gesichtspunkte herausgearbeitet werden, die – zumindest nach der hier vertretenen Auffassung – bei der einfachgesetzlichen Regelung aus gleichheitsrechtlicher Sicht beachtet werden müssen. Der Vergleich verschiedener Regelungsvorschläge erleichtert es dabei, Auffälligkeiten in den einzelnen Regelungsformulierungen zu erkennen. Zum Zweiten können die gleichheitsrechtlichen Erwägungen – wie bereits hervorgehoben – eine wichtige Rechtserkenntnisquelle für die verfassungsrechtliche Auslegung sein. Sie sollen die Grundlage für die Bestimmung des Gewährleistungsumfangs des Rechts auf Achtung der Individualität sein, welches im Kapitel 3 rechtsdogmatisch herauszuarbeiten sein wird. Im Abschnitt D dieses Kapitels wird der Frage nachgegangen werden, ob ein einfachgesetzliches Verbot genetischer Diskriminierung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist. Dazu sollen die verschiedenen, in Abschnitt C dargestellten Regelungsvarianten Gegenstand der Untersuchung sein. Zur Vorbereitung dieser Prüfung soll im nun folgenden Abschnitt ein von Huster entwickeltes Prüfungsverfahren zu Art. 3 Abs. 1 GG vorgestellt werden.

___________ 1 Zur Funktion des Art. 3 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab und Rechtserkenntnisquelle: Vgl. S. 50 ff.

B. Prüfungsverfahren

169

B. Prüfungsverfahren Das auf dem Eingriffsmodells von Huster aufbauende Prüfungsverfahren erscheint angesichts der Komplexität der gleichheitsrechtlichen Prüfung eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung aufgrund seiner größeren Transparenz und dogmatischen Genauigkeit geeigneter als die herkömmliche Prüfungsabfolge. Insbesondere das Erfordernis, Gerechtigkeitsmaßstäbe als gleichheitsrechtliche Prüfungsmaßstäbe herauszuarbeiten und zu benennen, erleichtert die Nachvollziehbarkeit der gleichheitsrechtlichen Prüfung. Die Darstellung dieses Modells wird dabei im Wesentlichen auf Gesichtspunkte beschränkt bleiben, die speziell im Verlauf der Verfassungsmäßigkeitsprüfung des genetischen Diskriminierungsverbots Bedeutung gewinnen. Wie nachzuweisen sein wird, ergeben sich allerdings Probleme, wenn das Eingriffsmodell in der Form, wie es von Huster vorgestellt wurde, auf die Prüfung (genetischer) Diskriminierungsverbote angewandt wird. Zum Abschluss dieses Abschnitts sollen daher im Rahmen einer kritischen Würdigung die Veränderungen und Ergänzungen herausgearbeitet werden, die im Hinblick auf die Prüfung von einfachgesetzlichen Diskriminierungsverboten erforderlich erscheinen.2

I. Das Eingriffsmodell von Huster Huster formuliert das in Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Gleichheitsrecht als Recht des Einzelnen, gemäß den für den jeweiligen Rechtsbereich maßgeblichen Maßstäben der Gerechtigkeit behandelt zu werden.3 Zwar findet sich eine solche Auffassung im Ansatz auch in dem allgemeinen Verständnis des Art. 3 Abs. 1 GG,4 jedoch haben die Gerechtigkeitsmaßstäbe im herkömmlichen Prüfungsaufbau nicht die Struktur gebende Bedeutung wie bei Huster. Indem der Gerechtigkeitsmaßstab ermittelt wird, wird auf einen außergesetzlichen Gedanken zurückgegriffen. Im Ergebnis führt dieser Umstand bei der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG gewissermaßen zu einer wechselseitigen Auslegung: Zunächst wird anhand des Gesetzestextes der Gerechtigkeitsmaßstab ermittelt. Der Gesetzestext ist somit Mittel zur Bestimmung des Gerechtigkeitsmaßstabs. Die Steuerpflichtigkeit bemisst sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit.5 Der steuerrechtliche Gerechtigkeitsmaßstab der Leistungsfähigkeit war in Art. 134 WRV ausdrücklich enthalten. Heute wird er im Rahmen der Auslegung der einfachgesetzlichen Regelungen im Steuerrecht entnommen.

___________ 2

Dazu S. 194 ff. Huster, Rechte, S. 225. Zum Begriff der Gerechtigkeit im engeren Sinne: Huster, Rechte, S. 195 ff., insb. S. 199. 4 Siehe dazu S. 182 ff. Nachweise dazu insbesondere auf S. 183, Fn. 71. 5 Huster, Rechte, S. 358 f. (insb. Fn. 49 m.w.N.), 362; Huster, JZ 1994, 541 (545). 3

170

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Angenommen, ein Gesetz regelt steuerliche Vergünstigungen für allein erziehende Mütter. Im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG ist das Gesetz auszulegen. Dabei könnte sich ergeben, dass es Sinn und Zweck der Regelung ist, einen Ausgleich für Familien in besonderen Belastungslagen zu schaffen. Als Gerechtigkeitsmaßstab ließe sich damit etwa die Bedürftigkeit allein erziehender Elternteile annehmen.6

Im Anschluss daran wird anhand des Gerechtigkeitsmaßstabs wiederum der Gesetzestext auf seine verfassungsrechtliche Vereinbarkeit geprüft. Bei diesem Prüfungsschritt ist dann der Gesetzestext Prüfungsgegenstand und der Gerechtigkeitsmaßstab der Prüfungsmaßstab. Es findet also ein Perspektivenwechsel statt: Im Ausgangspunkt wird der Gesetzestext ausgelegt, um den Gerechtigkeitsmaßstab zu ermitteln, der selber dann wiederum dafür genutzt wird, seinerseits den Gesetzestext auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen. Dieser Vorgang ist deswegen nicht selbstreferenziell und mündet nicht in einen Zirkelschluss, weil der Gerechtigkeitsmaßstab über eine Abstraktion gewonnen wird und damit eine eigenständige Bedeutung in der Prüfung gewinnt.7 Steuerrechtliche Neuregelungen werden daraufhin überprüft, ob sie dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit Rechnung tragen. Abweichungen von diesem Grundsatz sind rechtfertigungsbedürftig. Ein Gesetz zur Einführung von Steuervergünstigungen für allein Erziehende weicht von dem – im Rahmen seiner Auslegung ermittelten – Gerechtigkeitsmaßstab ab, weil es auf allein erziehende Mütter beschränkt ist, die Möglichkeit der alleinigen Erziehungsverantwortung jedoch kein Spezifikum von Frauen ist, sondern Männer, nämlich allein erziehende Väter, gleichermaßen betreffen kann.

Die Besonderheit des Modells von Huster liegt darin, dass für ihn der Gleichheitssatz ein spezifisches Rechtsgut schützt, nämlich das der Individualgerechtigkeit. Dieses Rechtsgut kann zur Verfolgung externer (kollektiver) Zwecke, z.B. wirtschafts- oder außenpolitischer Art, beschränkt werden. Allerdings unterliegt die Rechtfertigung derartiger Eingriffe einem Verhältnismäßigkeitsvorbehalt, nach dem der Eingriff in das Rechtsgut der Gerechtigkeit gegen die beabsichtigte Umsetzung des externen Zwecks abgewogen werden muss.8 Sofern von dem steuerrechtlichen Grundsatz der Leistungsfähigkeit aus wirtschaftspolitischen Gründen abgewichen wird, muss die Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit gegen die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen abgewogen werden.9

___________ 6

Beispiel in Anlehnung an Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 434. Dieser Vorgang lässt sich als Rekonstruktion der primären Wertentscheidung im Sinne einer Idealnorm begreifen. Zur Notwendigkeit, bei der Vergleichsgruppenbildung auf außergesetzliche Wertungen zurückzugreifen siehe S. 184 ff. Zu den Begriffen der primären Wertentscheidung und der Idealnorm siehe S. 200 ff. Zur rechtlich eigenständigen Bedeutung der primären Wertentscheidung bei verfassungsrechtlicher Überprüfung und Normauslegung siehe unten, S. 201 ff. 8 Huster, JZ 1994, 541 (547); Huster, Rechte, S. 225 ff. 9 Huster, JZ 1994, 541 (546). 7

B. Prüfungsverfahren

171

Weil im Unterschied zum herkömmlichen Verständnis10 Art. 3 Abs. 1 GG nun ein Schutzbereich zugewiesen werden kann, dessen Beeinträchtigung die Verletzung des Rechtsguts der Individualgerechtigkeit indiziert, spricht Huster vom Eingriffsmodell des Art. 3 Abs. 1 GG.11 Das Gleichheitsrecht wird als prima-facie-Recht interpretiert;12 der freiheitsrechtliche Prüfungsaufbau wird dem gleichheitsrechtlichen angeglichen. In der Prüfung wird dementsprechend zwischen Schutzbereich, Eingriff in den Schutzbereich und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung unterschieden.13

II. Prüfungsablauf unter Zugrundelegung des Eingriffsmodells Auf Grundlage und in Fortführung des von Huster ausgearbeiteten Eingriffsmodells ergibt sich folgender Prüfungsablauf des Art. 3 Abs. 1 GG. Schutzbereich

Eingriff

Zwecksetzung

Zweckumsetzung

Ermittlung des Zwecks

Überprüfung des Zwecks

Entsprechensprüfung

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Schranke

Schrankenschranken

Abb. 6: Ablauf der gleichheitsrechtlichen Prüfung (nach Huster)

1. Schutzbereich: Ermittlung und Überprüfung des Gerechtigkeitsmaßstabs Huster konstruiert Art. 3 Abs. 1 GG als ein Recht, „gemäß den jeweiligen Maßstäben der Gerechtigkeit im engeren Sinne und damit gemäß der individuellen ___________ 10

Mit umfangreichen Nachweisen: Huster, JZ 1994, 541 (541, Fn. 10). Huster, Rechte, S. 225, 232 f. 12 Huster spricht in diesem Zusammenhang auch vom Gesichtspunkt des „Schwellengewichts“ oder der „Präponderanz“, der der Individualgerechtigkeit als Rechtsgut zukommt. – Huster, JZ 1994, 541 (546); Huster, Rechte, S. 219, 225. Siehe auch Huster, Rechte, S. 220: „Deshalb geht es nicht um eine Präponderanz nur der Freiheit, sondern um eine generelle Präponderanz der individuellen Rechte“ 13 Huster, Rechte, S. 225 ff.; Huster, JZ 1994, 541 (547 ff.). 11

172

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Würdigkeit behandelt zu werden“,14 wobei er unter „Gerechtigkeit im engeren Sinne“ das versteht, was er später mit Individualgerechtigkeit bezeichnet.15 Die Individualgerechtigkeit ist es wiederum, welche nach Husters Ansatz das Schutzgut des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt. Der jeweilige Gerechtigkeitsmaßstab kann verfassungsrechtlich16 oder einfachgesetzlich17 festgelegt sein. Huster bezeichnet die durch die logisch konsistente Umsetzung18 des Gerechtigkeitsmaßstabs verkörperte Individualgerechtigkeit als den internen Zweck des Gleichheitssatzes.19 Im Unterschied zu anderen Grundrechten ist der Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG nicht von vornherein auf verfassungsrechtlicher Ebene bestimmt, sondern erhält seine Kontur erst durch die in dem jeweiligen Rechtsbereich – in ___________ 14

Huster, Rechte, S. 225. – In der Literatur wird diese Aspekt auch mit dem Begriff der materiellen (inhaltlichen) Gerechtigkeit umschrieben. Vgl. Pavþnik, ZöR 2002, 89 (100, 101 ff.). 15 Huster, Rechte, S. 195 ff., insb. S. 199. – In der Literatur wird diese Aspekt auch mit dem Begriff der formelle Gerechtigkeit (Gleichheitsprinzip) umschrieben. Vgl. Pavþnik, ZöR 2002, 89 (100, 101 ff.). 16 Ein Beispiel für einen verfassungsrechtlich festgelegten Gerechtigkeitsmaßstab ist Art. 33 Abs. 2 GG, wonach jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat. – Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass einfachgesetzliche Regelungen, welche die verfassungsrechtlichen Vorgaben ausfüllen, einen Anwendungsvorrang gegenüber der verfassungsrechtlichen Norm haben. Siehe dazu S. 174. 17 Als ein Beispiel für eine einfachgesetzliche Festlegung eines Gerechtigkeitsmaßstabs kann der sozialrechtliche Maßstab der Bedürftigkeit betrachtet werden, wobei dieser möglicherweise auch als verfassungsrechtliche Konkretisierung interpretiert werden kann. – Die Möglichkeit, dass der Gerechtigkeitsmaßstab sich auch aus einfachgesetzlichen Regelungen ergeben kann, wird auch in der herkömmlichen Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG anerkannt – siehe Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 35 m.w.N. Insoweit lässt sich Art. 3 Abs. 1 GG – ähnlich wie Art. 14 GG – als normgeprägtes Grundrecht auffassen. Siehe dazu auch Huster, Rechte, S. 394, Fn. 244. 18 Huster, Rechte, S. 390; auch Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 36 verwendet den Begriff, allerdings im Zusammenhang mit dem Begriff der Systemgerechtigkeit. – Der Begriff „Inkonsistenz“ wird von Huster nicht als alleinige Formulierung für die maßstabsgerechte Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs benutzt: Huster, Rechte, S. 225: [Art. 3 Abs. 1 GG konstituiert ein Recht] „gemäß den Maßstäben der Gerechtigkeit im engeren Sinne behandelt zu werden.“; Huster, JZ 1994, 541 (548): „Eingriffe in den Gleichheitssatz liegen vor, wenn die auf der Schutzbereichsebene festgestellten spezifischen Gerechtigkeitsnormen durchbrochen werden.“ Mit anderen Begrifflichkeiten auch Perelman, Gerechtigkeit, S. 163; Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 28 in Darstellung von Husters Modell: „Die maßstabsgerechte (Un-)Gleichbehandlung konstituiert [...] den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG.“ – Der Begriff der logisch konsistenten Umsetzung soll im Rahmen dieser Arbeit jedoch einheitlich verwendet werden, da er hervorhebt, dass es sich bei der gleichheitsrechtlichen Prüfung nicht um ein Abwägungs- oder Wertungsproblem handelt. 19 Zum Begriff des internen Zwecks Huster, Rechte, S. 165. ff, 218, 243, insb. 173: „Der Zweck einer Ungleichbehandlung, gerecht zu sein, ist aber ein interner Zweck: Die Gerechtigkeit ist nicht ein Ergebnis, das durch die Ungleichbehandlung verursacht wird, sondern eine Eigenschaft dieser Handlung.“

B. Prüfungsverfahren

173

der Regel einfachgesetzlich – geschaffenen Gerechtigkeitsmaßstäbe.20 Zu bestimmen ist der Gerechtigkeitsmaßstab in Abhängigkeit vom jeweiligen, durch die Regelung betroffenen Lebens- und Sachbereich. Dementsprechend spricht Huster auch von der Relativität der Gleichheit: So seien Gleichheit und Gerechtigkeit kontextrelativ, da es kein einzelnes Kriterium gibt, dass für die Verteilung aller Güter und Lasten gilt, sondern es immer von der jeweiligen sozialen Bedeutung des Gutes abhängt, welches Kriterium jeweils dem Gleichheitsgebot entspricht.21 Beispielsweise kann die Frage, ob ein Verstoß gegen die steuerrechtliche Gerechtigkeit vorliegt, nicht allein unter Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG beantwortet werden. Erst unter Zugrundelegung des steuerrechtlichen Gerechtigkeitsmaßstabs der Leistungsfähigkeit kann beurteilt werden, ob eine ungerechte Behandlung im steuerrechtlichen Sinne vorliegt.

Wichtig ist hierbei: Der Gesetzgeber bestimmt den Gerechtigkeitsmaßstab,22 das Gericht ermittelt ihn und kontrolliert dessen Verfassungsmäßigkeit anhand konkreter verfassungsrechtlicher Vorgaben, anhand der Prüfung der Systemgerechtigkeit und im Rahmen einer Willkürprüfung.23 Die Herausarbeitung des Aspekts erscheint sehr wesentlich: Sie entkräftet die Auffassung, wonach die – letztlich vom Gerechtigkeitsmaßstab abhängige – Bestimmung der Vergleichsgruppe (durch das Gericht) willkürlich sei.24 Die Ermittlung des Gerechtigkeitsmaßstabs, der der jeweiligen Regelung zugrunde liegt, orientiert sich also an der gesetzgeberischen Zielsetzung, welche im Wege der Auslegung zu ermitteln ist.25 Er ist nicht notwendigerweise in einem ___________ 20

Siehe auch später S. 185 f. und 218 f. So auch Huster, Rechte, S. 48: „sachliche und historische Relativität der Gerechtigkeitsvorstellungen“. Anklänge an diesen Gedanken möglicherweise bei Meyer, Mensch, S. 237 m.w.N.: „Davon ausgehend wird die Perspektive gewonnen, die eine Rationalität im zeitbezogenen Kontext ermöglicht und so die Freiheit des BVerfG bei der Auswahl des Oberbegriffs beschränkt.“. Auch Huster, Rechte, S. 361 f; Huster, JZ 1994, 541 (547). In der herkömmlichen Dogmatik fließt dieser Gedanke als „Grundsatz der Sachgerechtigkeit“ in die Prüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG ein. Vgl. DreierHeun, Art. 3 GG, Rdnr. 35. 22 Huster, JZ 1994, 541 (547); Huster, Rechte, S. 219, 221 mit Verweis auf BVerfGE 7, 377, 404: „Der Gleichheitssatz sei ein allgemein für die öffentliche Gewalt geltender Rechtsgrundsatz, dessen konkreter Gehalt der Gesetzgeber erst für bestimmte Lebensverhältnisse unter Berücksichtigung der für sie geltenden Gerechtigkeitsgesichtspunkte zu bestimmen hat.‘ “. 23 Huster, JZ 1994, 541 (547). Zwar differenziert Huster im Rahmen der Darstellung der Überprüfung der Zwecksetzung nicht hinsichtlich dieser drei Prüfungsaspekte, sondern beschreibt sie zusammenfassend mit der Willkürprüfung. Jedoch ergibt sich ein solches Prüfungsschema in der Gesamtbetrachtung seiner Darstellungen. – Zu den verfassungsrechtlichen Prüfungskriterien im Einzelnen siehe S. 174 ff., insb. S. 176. 24 Siehe dazu später S. 186. 25 Nachweise dazu auf S. 173, Fn. 22. Im Ergebnis wohl ähnlich wie hier – Ermittlung der Gerechtigkeitsmaßstäbe in Ankopplung an den gesetzgeberischen Willen: Drei21

174

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

gezielten Rechtsetzungsakt festgelegt, sondern kann sich auch aus der gesetzlichen Systematik ergeben.26 Dass der Gleichheitssatz diese Gerechtigkeitsmaßstäbe nicht unmittelbar selbst enthält, kommt auch in der h.L. zum Ausdruck, wenn Art. 3 Abs. 1 GG als inhaltlich leer bezeichnet wird. Einigkeit besteht also insofern, dass die inhaltlich „leere Formel“ durch Wertungen gefüllt werden muss.27 Nicht immer ganz deutlich wird jedoch, woraus diese Wertungen gezogen werden sollen. Der von einigen Kommentatoren gewählte Ansatz, bereits bei der Ermittlung der Zwecksetzung auf die Verfassung zurückzugreifen, erscheint dabei nicht ganz unproblematisch.28 Insofern wird möglicherweise der Anwendungsvorrang der einfachen Gesetze missachtet: Zunächst ist immer erst die einfachgesetzliche Zwecksetzung zu berücksichtigen,29 die dann auf ihre Vereinbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu überprüfen ist. Die Möglichkeit und Notwendigkeit der – im Rahmen der Prüfung von Freiheitsrechten nicht erforderlichen – verfassungsrechtlichen Überprüfung der Zulässigkeit des Gerechtigkeitsmaßstabs ergibt sich aus der Tatsache, dass der gleichheitsrechtliche Schutzbereich meistens nicht verfassungsrechtlich definiert ist, sondern in der Regel erst durch die gesetzgeberische Festlegung des Gerechtigkeitsmaßstabs bestimmt wird.30 Bei der Überprüfung des Gerechtigkeitsmaßstabs ist zu bedenken, dass sich dem Gesetzgeber bei dessen Bestimmung für einen bestimmten Lebens- und Sachbereich eine Vielzahl zulässiger ___________ er-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 24: „Bereits die Gruppenbildung, sowohl die Festlegung des gemeinsamen Oberbegriffs als auch die der Differenzierungskriterien, enthält Elemente der Wertung und ist keine bloße Frage der Logik, da sie sachgerecht im Hinblick auf die verfolgten Ziele vorgenommen werden muss.“ 26 Dies ist zwar von Huster nicht ausdrücklich dargelegt, ergibt sich aber sich aus der Möglichkeit, die gesetzgeberische Entscheidung auch ohne zwingende verfassungsrechtliche Vorgaben im Rahmen einer Willkürprüfung überprüfen zu können. Siehe etwa Huster, JZ 1994, 541 (547). Auch Huster, Rechte, S. 226 m.w.N.: „Ausschlaggebend muss sein, welche Gerechtigkeitsmaßstäbe sich aus der Verfassung, aber auch aus der Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, also dem gesamten Diskurs der ‚offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten‘ mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lassen.“; ders., Rechte, S. 386 ff. passim (im Rahmen der Erörterung der Systemgerechtigkeit). 27 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 5 m.w.N.: „In diesem Sinne ist der allgemeine Gleichheitssatz, als isolierter Satz gelesen, semantisch leer. Sein konkreter normativer Gehalt wird durch seinen jeweiligen Kontext bestimmt.“; Pavþnik, ZöR 2002, 89 (101). Mit weiteren Nachweisen siehe auch: Huster, Rechte, S. 46, Fn. 9. 28 Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 31, führt aus, dass die Maßstäbe zunächst der Verfassung zu entnehmen seien. 29 Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 22: „Die Offenheit des Gleichheitssatzes im Vergleichsmaßstab ist somit auf eine wertende Ergänzung angelegt. ... Wird die Gleichheit im Postulat einer Systemgerechtigkeit oder Folgerichtigkeit auch an den jeweiligen Kodifikationen des Gesetzesrechts angelehnt, so setzt der Gesetzgeber mit seinen einfachgesetzlichen Vorgaben die Anknüpfungspunkte des Gleichheitssatzes.“ 30 Huster, Rechte, S. 219. Siehe dazu auch hier S. 218 f.

B. Prüfungsverfahren

175

Lösungsmöglichkeiten anbieten kann. Meist dürften sich mehrere Gerechtigkeitsmaßstäbe bestimmen lassen.31 Dass es bei der Suche von Gerechtigkeitsmaßstäben eine Bandbreite von als gerecht empfundenen Lösungen gibt, versucht Perelman32 anhand der Frage nach der gerechten Entlohnung zu verdeutlichen. So könnte ein Arbeitgeber im Bestreben nach einer gerechten Entlohnung den Lohn seiner Mitarbeiter allein in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Leistung berechnen. Unter Zugrundelegung dieses Gerechtigkeitsmaßstabs müssten alle Mitarbeiter mit gleicher Leistung – unabhängig von ihrem Familienstand – die gleiche Vergütung bekommen. Sollte der Arbeitgeber jedoch auch Aspekte der Bedürftigkeit bei der Festsetzung des Lohnes berücksichtigen, könnte beispielsweise eine Differenzierung nach dem Familienstand vorgenommen werden.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht liegt es daher nahe, dem Gesetzgeber bei der Auswahl eine Einschätzungsprärogative einzuräumen, da sich derartige Fragen meist wohl nicht unter Rückgriff auf verfassungsrechtliche Werte im Detail bestimmen lassen, sondern sich im Allgemeinen eher als politische Richtungsentscheidungen darstellen dürften. So sind verschiedene Varianten von Gerechtigkeitsmaßstäben vielleicht politisch umstritten, als willkürlich und damit verfassungswidrig dürften sie sich jedoch in der Regel nicht bezeichnen lassen. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn konkrete verfassungsrechtliche Anhaltspunkte ersichtlich sind, die den Gesetzgeber auf einen bestimmten Gerechtigkeitsmaßstab festlegen.33 In der politischen Diskussion wird immer wieder der Gerechtigkeitsmaßstab des Sozialrechts in Frage gestellt. Bisher wird dem Sozialrecht der Gerechtigkeitsmaßstab der Bedürftigkeit zugrunde gelegt. Statt ausschließlich auf dieses Kriterium abzustellen, wird häufig gefordert, verstärkt auch Verschuldensaspekte bei der Gewährung der Sozialhilfe einfließen zu lassen. Grenzen für den gesetzgeberischen Handlungsspielraum ergeben sich hier allenfalls dann, wenn sich durch die Modifikation des sozialrechtlichen Gerechtigkeitsmaßstabs eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht hinsichtlich der Sicherung des Existenzminimums34 erkennen ließe.

Die Anerkennung eines grundsätzlichen Einschätzungsspielraums bei der Festsetzung von Wertentscheidungen – und damit insbesondere auch Gerechtigkeitsmaßstäben – kommt insbesondere bei der Ermittlung des jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstabs zum Tragen. Aufgabe des Gerichtes ist es demnach nicht, den in philosophischer Hinsicht richtigen, sondern den in der gesetzlichen Regelung enthaltenen Gerechtigkeitsmaßstab (bzw. die enthaltenen Gerechtigkeitsmaßstäbe) zu ermitteln. Anderenfalls würde es letztlich Gefahr laufen, ge-

___________ 31

Siehe dazu auch unten, S. 221. Perelman, Gerechtigkeit, S. 49. 33 Nachweise dazu: S.172, Fn. 16 und S. 176, Fn. 36. 34 Zum Anspruch auf das materielle Existenzminimum Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 25 ff. 32

176

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

setzgeberische Richtungsentscheidungen bei der Bewertung der gesetzlichen Regelung durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen zu ersetzen.35 Bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung der einfachgesetzlichen Festlegung des Gerechtigkeitsmaßstabs bietet sich als Prüfungsabfolge auf der Ebene des Schutzbereichs daher folgendes Vorgehen an: Zunächst werden – ungeachtet verfassungsrechtlicher Vorgaben und Grenzen – im Wege der Auslegung mögliche Gerechtigkeitsmaßstäbe herausgearbeitet, die der geprüften Regelung zugrunde liegen. Diese Gerechtigkeitsmaßstäbe werden dann auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung überprüft. Dabei wird geprüft, ob der für das betreffende Rechtsgebiet gewählte Gerechtigkeitsmaßstab 1. mit ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Vorgaben (z.B. Art. 33 GG) vereinbar ist, 36 2. mit den bereits bestehenden Gerechtigkeitsmaßstäben und einfachgesetzlichen Vorgaben im Sinne der Systemgerechtigkeit vereinbar ist,37 3. für sich genommen willkürfrei gewählt erscheint (Prüfungsmaßstab: gesellschaftliches Gerechtigkeitsempfinden).38 ___________ 35

Siehe bereits S. 22 ff. Huster, in: Berliner Kommentar, Art. 3 GG, Rdnr. 91 ff.; Huster, JZ 1994, 541 (547), wobei er darauf hinweist, dass das Verfassungsrecht nur selten konkrete Vorgaben enthält. – Siehe auch S. 172, Fn. 16. 37 Zur Systemgerechtigkeit allgemein: Huster, Rechte, S. 390 ff.; Huster, in: Berliner Kommentar, Art. 3 GG, Rdnr. 110 ff. – Dabei wird die Systemgerechtigkeit als ein Komplex verstanden, welcher als grundlegendes Prinzip mit einer besonderen Veränderungsresistenz verbunden ist. Huster versteht unter Systemgerechtigkeit nicht ein bloßes Folgerichtigkeitsgebot, sondern „die relative Bindung des Gesetzgebers an seine eigenen Gerechtigkeitsmaßstäbe“ (vgl. ders, Rechte, S. 394). Dies bezeichnet auch als die „relative Bindung des Gesetzgebers an die eigene Grundentscheidung“ (Huster, JZ 1994, 541 (548)). Sie begreift er als „den richtigen Kern der dogmatischen Figur der Systemgerechtigkeit“; Kirchhof, StuW 1984, 297 (299): „Dürfte der Gesetzgeber die steuerlich angestrebten Interventionsziele beliebig auswählen, so stünde auch das Vergleichsziel zur Disposition des Gesetzgebers. Der Gleichheitssatz [...] würde zum Gebot folgerichtiger Ausformung einfachgesetzlicher Vorentscheidungen verkümmern.“ In diesem Sinne ließe sich der Begriff der Systemgerechtigkeit als eine in der Konsequenz des Art. 3 Abs. 1 GG liegenden Veränderungsresistenz bestimmter einfachgesetzlicher Regelungen begreifen. Dieser Aspekt der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG ist umstritten. Siehe dazu Huster, Rechte, S. 386 ff. In der sich später anschließenden Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung wird dieser Prüfungsaspekt nicht vertieft behandelt werden. – Allgemein zum Begriff der Systemgerechtigkeit: Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 101: „Die prekäre Frage, wieweit Wertungsrationalität nur innerhalb eines jeweiligen ‚Ordnungssystems‘ oder ‚Ordnungsbereichs‘ zu fordern ist bzw. wieweit schon die Zugehörigkeit vergleichbarer Fälle zu verschiedenen Ordnungssystemen zur Rechtfertigung unterschiedlicher Behandlung ausreicht, hat das Gericht in neuerer Zeit ausdrücklich offengelassen und auch rein systematisch im Gegensatz zu sachlichen Gründen einer Ungleichbehandlung für unerheblich erklärt.“ Siehe auch Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 20. 36

B. Prüfungsverfahren

177

Wenn schon die Zwecksetzung unzulässig ist, dann ist die Regelung verfassungswidrig, auch wenn der Zweck logisch konsistent umgesetzt wird.39 Ist die zulässige Zwecksetzung hingegen inkonsistent umgesetzt, so ist die Regelung verfassungsgemäß umgestaltbar, indem sie unter Zugrundelegung desselben Zwecks logisch konsistent neu gefasst wird.

2. Eingriff – Durchführung der „Entsprechensprüfung“ Ausgehend von der Interpretation des Art. 3 Abs. 1 GG im Sinne des Eingriffsmodells liegt ein Eingriff in das Schutzgut der Individualgerechtigkeit immer dann vor, wenn die gewählten Anknüpfungskriterien den zugrunde liegenden Gerechtigkeitsmaßstab nicht logisch konsistent umsetzen.40 Anders formuliert: Die verwendeten Anknüpfungskriterien dürfen keine bloßen Eigenschaften, sondern müssen Besonderheiten darstellen, die die ungleich behandelte Gruppe von den Vergleichsgruppen als einzigartig abheben. Ob der Gerechtigkeitsmaßstab auf der Eingriffsebene logisch konsistent umgesetzt wurde, überprüft Huster im Rahmen der von ihm so bezeichneten Entsprechensprüfung.41 In der herkömmlichen Dogmatik dürfte dieser Aspekt im Gedanken der Folgerichtigkeit42 Ausdruck finden. Aus Husters Darstellung ergibt sich, dass jedes Abweichen vom Gerechtigkeitsmaßstab – und damit auch jede Typisierung – einen Eingriff in die Individualgerechtigkeit darstellt.43 Nur ___________ 38 Zur Verdeutlichung, dass die Willkürprüfung durchaus ihre Berechtigung hat, wählt Huster das Beispiel, dass die Steuern nach Körpergröße erhoben würden. – Huster, Rechte, S. 20. 39 Huster, Rechte, S. 395 mit Verweis auf Peine: „Eine willkürliche Norm kann mit Blick auf die Leitidee eine konsequente Norm sein, dann wäre die Leitidee ebenfalls willkürlich.“ 40 Zur Wahl des Begriffs der logischen Konsistenz siehe S. 172, Fn. 18. 41 Huster, Rechte, S. 142: „Das jeweilige Mittel wird hier nicht mit seinem Zweck ins Verhältnis gesetzt, sondern es wird gefragt, ob es einem Maßstab entspricht, der bei der Zweckverfolgung zu beachten ist. Das Art der Prüfung soll daher im Folgenden als Entsprechensprüfung bezeichnet werden.“ Vgl. auch S. 174, 226, 242; Huster, in: Berliner Kommentar, Art. 3 GG, Rdnr. 87 ff. – Auch Sachs, JuS 1997, 124 (129). 42 Huster, Rechte, S. 396, Kirchhof, StuW 1984, 297 (299). Teilweise wird der Begriff der Folgerichtigkeit allerdings auch im Sinne des Begriffs der und Systemgerechtigkeit verstanden: Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 36: „... der Gedanke der Folgerichtigkeit, der früher mit leicht nuancierter Bedeutung als Systemgerechtigkeit bezeichnet wurde.“ Auch Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 98 ff. 43 Dies ergibt sich insbesondere aus der Erörterung der Zulässigkeit von Typisierungen, Huster, Rechte, S. 243 ff, insb. auch S. 259: „Rechtfertigungsbedürftigkeit von Typisierungen“; S. 266 ff., insb. S. 272: „Selbst wenn ein typisierendes Gesetz der Gerechtigkeit förderlich ist in dem Sinne, dass mehr Normadressaten gemäß ihren relevanten Eigenschaften behandelt werden, als dies ohne die Typisierung im Ergebnis der Fall wäre, ist jedoch zu prüfen, ob dieser Vorteil nicht durch eine zu intensive Benachteiligung

178

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

wenn und immer wenn das gewählte Kriterium erfüllt ist, ist der Gerechtigkeitsmaßstab logisch konsistent umgesetzt. Ein Abweichen von der logisch konsistenten Umsetzung kann sich dementsprechend in zweierlei Hinsicht ergeben: Zum einen kann das gewählte Merkmal zu beschränkend wirken: Immer, aber nicht nur wenn das Kriterium erfüllt ist, ist der Gerechtigkeitsmaßstab umgesetzt. Zum anderen kann das gewählte Merkmal zu viele Fälle erfassen: Nur, aber nicht immer, wenn das Kriterium vorliegt, ist der Gerechtigkeitsmaßstab umgesetzt. Hinsichtlich der sich daraus ergebenden Rechtfertigungsbedürftigkeit von typisierenden Regelungen sieht Huster sich auch in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur.44 In der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur wird beispielsweise die Auffassung vertreten, dass die Einordnungen als Arbeiter oder Angestellter kein taugliches Differenzierungsmerkmal sind, weil die beiden Gruppen sich nicht mehr klar unterscheiden lassen und somit die Eigenschaften, die etwa die Gruppe der Angestellten aufweist, keine Spezifika der Angestelltengruppe mehr sind, sondern zu großen Teilen auch auf die Gruppe der Arbeiter zutreffen.45

Sicherlich kann kaum eine Regelung einen Gerechtigkeitsmaßstab eins zu eins umsetzen.46 Dies hat zur Folge, dass nahezu jede gesetzliche Regelung als ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in Art. 3 Abs. 1 GG zu werten wäre. Ein anderer Ansatz könnte darin bestehen, dass Typisierungen erst ab einem bestimmten Ungenauigkeitsgrad einen Eingriff in die Individualgerechtigkeit darstellen und rechtfertigungsbedürftig sind.47 Im Ergebnis dürften sich – unabhängig davon, ab ___________ eines Einzelnen erkauft wird.“ – Etwas vage Huster, Rechte, S. 226, wo er den Eindruck erweckt, dass nicht jedes Abweichen vom Gerechtigkeitsmaßstab einen Eingriff darstellt: „Die Frage, ob der jeweilige Prüfungsmaßstab zu eng oder zu weit ist, ist erst innerhalb der Entsprechensprüfung von Bedeutung“ – Offenbar entgegengesetzter Auffassung: Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 294: „Der Typus erfasst nicht das Allgemeine, sondern das Wesentliche; [...] übergeht nicht das Individuelle, sondern verdichtet den Kern rechtlich geschützter Individualität.“ 44 Huster, Rechte, S. 261 ff., 266. Die entsprechende Auffassung des BVerfG kommt für Huster in der Formulierung zum Ausdruck, dass typisierende Regelungen gewisse „Härten und Ungerechtigkeiten“ zur Folge hätten. Er unterscheidet hier allerdings zwischen nicht rechtfertigungsbedürftigen Schematisierungen und rechtfertigungsbedürftigen Typisierungen. Schematisierungen definiert er dabei als Abstraktionen, die dem Gerechtigkeitsmaßstab entsprechen. 45 Siehe z. B. Ansicht der vorlegenden Gerichte im Verfahren BVerfGE 82, 126 – Verfassungswidrigkeit von kürzeren Kündigungsfristen für Arbeiter als für Angestellte. Die vorlegenden Gerichte in diesem Verfahren und Teile der Literatur waren der Auffassung, dass eine klare Unterscheidung nicht mehr möglich ist, BVerfGE 82, 126 (131 ff.). Das BVerfG folgte allerdings in diesem Punkte den Anträgen nicht, BVerfGE 82, 126 (146). – Vgl. auch Huster, Rechte, S. 276. 46 In diesen (wohl nur in der Theorie umsetzbaren) Fällen entspricht die Idealnorm der Praxisnorm. – Zur Erläuterung der Begriffe Idealnorm und Praxisnorm siehe S. 200 ff. 47 Eine solche Einschränkung der Rechtfertigungsbedürftigkeit liefe letztlich auf eine Lösung wie bei den Freiheitsrechten hinaus, bei denen Bagatelleingriffe nicht als Ein-

B. Prüfungsverfahren

179

welchem Typisierungsgrad man die Eingriffsschwelle überschritten sieht – jedoch keine wesentlichen Unterschiede ergeben, da kaum typisierende Regelungen im Allgemeinen durch den Verweis auf die Erfordernisse der Verwaltungsökonomie und der Rechtssicherheit gerechtfertigt werden. Für den Zweck dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass jedes Abweichen vom jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab einen Eingriff in die Individualgerechtigkeit darstellt.48 Sofern die vom Gesetzgeber gewählten Anknüpfungskriterien den ermittelten gesetzgeberischen Gerechtigkeitsmaßstab nicht logisch konsistent umsetzen, ist auch die Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG und damit die Verfassungswidrigkeit der Regelung indiziert. Zwei Arten von Eingriffen lassen sich unterscheiden: 1. Wahl eines ungeeigneten Kriteriums zur Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs 2. Durchbrechung des Gerechtigkeitsmaßstabs zugunsten der Umsetzung eines externen Zwecks Zum einen kann ein Eingriff in die Individualgerechtigkeit darin bestehen, dass der Gesetzgeber ein ungeeignetes Kriterium zur Umsetzung des von ihm zugrunde gelegten Gerechtigkeitsmaßstabs wählt.49 Dies bezeichnet Huster auch mit dem Begriff „Willkürlichkeit beim Vergleichen“.50 In diesen Zusammenhang lässt sich möglicherweise die Problematik einordnen, die sich bei der Frage der Umgehung von Diskriminierungsverboten ergibt. Dabei werden Unterscheidungen vorgenommen, die zwar nicht unmittelbar an die verbotenen Diskriminierungsmerkmale anknüpfen, jedoch die merkmalsspezifischen Auswirkungen haben. Für den Bereich der Geschlechterdiskriminierung führt Sachs dazu aus: „Wie ‚jede Differenzierung auf Grund von Merkmalen, die mit der Arbeit selbst nichts zu tun haben, bei denen jedoch die Männer typischerweise einen Vorsprung besitzen‘ – etwa Körpergröße oder Körperkraft bei Arbeitsstellen, wo diese Eigenschaften keine Rolle spielen –, ganz unabhängig von der geschlechtsspezifischen Auswirkung das Willkürverbot verletzt, kann dies auch für eine Lohngruppenbildung gelten, durch die ‚ausschließlich auf die Körperkraft abgestellt und die bei bestimmten Arbeitsplätzen deutlich werdende nervliche Belastung überhaupt nicht berücksichtigt‘ wird.“51 Übersetzt in die Terminologie Husters bedeutet dies, dass schon der interne Zweck willkürlich gesetzt ist, wenn etwa die Entlohnung von Arbeitnehmern von der Körperkraft oder der Körpergröße abhängig gemacht wird, so dass es auf eine logisch konsistente Umsetzung nicht mehr ankommt.

___________ griffe in den freiheitsrechtlichen Schutzbereich gewertet werden. Dazu auch Huster, Rechte, S. 259. 48 So auch Huster, Rechte, S. 259. 49 Huster, Rechte, S. 233 sieht hierin jedoch nur einen „seltenen Extremfall“, weil der Gesetzgeber kaum Gerechtigkeitsmaßstäbe vertreten wird, die jenseits aller Plausibilität liegen und deshalb willkürlich sind. 50 Huster, Rechte, S. 233. 51 Sachs, Grenzen, S. 484 m.w.N.

180

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Den typischen Fall eines Eingriffs in die Individualgerechtigkeit stellen allerdings Durchbrechungen des Gerechtigkeitsmaßstabs zugunsten der Umsetzung eines externen Zweckes dar.52 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Gesetzgeber zugunsten wirtschaftspolitischer Zielsetzungen vom steuerrechtlichen Gerechtigkeitsgrundsatz der Leistungsfähigkeit abweicht.53

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Parallel zur freiheitsrechtlichen Dogmatik knüpft Huster hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung an die Unterscheidung zwischen Schranken und Schranken-Schranken an. Hinsichtlich des Schrankenverständnisses weicht Huster von der freiheitsrechtlichen Dogmatik ab, wonach Art. 3 Art. 1 GG möglicherweise als vorbehaltlos gewährleistet oder mit einem umfassenden Gesetzesvorbehalt versehenes Grundrecht verstanden werden müsste. Stattdessen entwickelt er für die gleichheitsrechtliche Gewährleistung eine selbstständige, an den Besonderheiten des Gleichheitssatzes orientierte Schrankendogmatik. Welche Anforderungen an eingreifende Regelungen zu stellen sind, will Huster nicht pauschal für alle Eingriffe in Art. 3 Abs. 1 GG beantwortet wissen, sondern unter Rückgriff auf die Grundsätze der Wesentlichkeitstheorie einer Lösung zuführen.54 Auf welcher Normebene (Verfassung, Gesetz, Verordnung) der Gerechtigkeitsmaßstab festgelegt werden muss, richte sich dabei nach der Bedeutung des jeweiligen Rechtsgutes, die Frage nach der Ermächtigungsgrundlage für ein Abweichen von dem Gerechtigkeitsmaßstab werde zusätzlich von der Intensität der Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit bestimmt.55 Dieses Abweichen von der freiheitsrechtlichen Schrankendogmatik begründet er mit dem unterschiedlichen verfassungsgeschichtlichen Hintergrund von Freiheitsrechten und Gleichheitssatz. Dass nämlich der Gleichheitssatz schrankenlos formuliert ist, finde seine Erklärung darin, dass er ursprünglich im Sinne eines Anspruchs auf Rechtsgleichheit verstanden wurde.56 Im Sinne der Rechtsgleichheit war der Gleichheitssatz auf ein Verbot der Differenzierung aufgrund bestimmter personenbezogener Merkmale beschränkt. Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses war das Verbot absolut und das Gleichheitsrecht vorbehaltlos gewährt. In seiner ___________ 52

Huster, Rechte, S. 233. Dazu Huster, JZ 1994, 541 (545 m.w.N.). 54 Huster, Rechte, S. 238: „Eine Lösung des Problems dürfte daher eher im Umfeld der ‚Wesentlichkeitstheorie‘ zu suchen sein“. 55 Huster, Rechte, S. 233 ff., 238; Huster, JZ 1994, 541 (548). 56 Zum Wandel von der persönlichen zur sachlichen Rechtsgleichheit: Huster, Rechte, S. 27 ff. 53

B. Prüfungsverfahren

181

Formulierung knüpft er an dieses Verständnis an. Da sich der Gleichheitssatz unter der Geltung des Grundgesetzes nun inhaltlich über diesen traditionellen Begriff hinaus entwickelt hat, sei dementsprechend auch die Schrankendogmatik der neuen Entwicklung anzupassen.57 Auf der Schranken-Schranken-Ebene erfolgt dann eine Abwägung von internem und externem Zweck. Zu prüfen ist also, ob der festgestellte Eingriff in das Rechtsgut der Individualgerechtigkeit durch das Gewicht der externen Zwecke, zu deren Gunsten er erfolgt, gerechtfertigt ist.58 Dies geschieht nach dem Modell von Huster im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung.59 Auf der einen Seite ist dazu die Intensität des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit zu ermitteln. Konkrete Vorgaben, wie dies zu geschehen hat, gibt Huster nicht.60 Allerdings gewinnt dieser Gesichtspunkt Bedeutung im Zusammenhang mit der Frage des Gesetzesvorbehaltes und der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Wie die Eingriffsintensität in die Individualgerechtigkeit ermittelt werden kann, wird an späterer Stelle behandelt werden.61 Als Gegengewicht im Rahmen der Abwägung sind die Zielsetzungen einzuschätzen, die außerhalb der und in Konflikt zur Individualgerechtigkeit stehen und welche mit dem Begriff der externen Zwecke bezeichnet werden. Nach Husters Auffassung handelt es sich dabei ausschließlich62 um kollektive Zielsetzungen. Dabei lassen sich zwei Arten kollektiver Zielsetzungen unterscheiden. Zum einen ist in jeder Regelung notwendigerweise der Rechtsgutkonflikt angelegt, der auf der im Wesen der Gesetzgebung begründeten Typisierung beruht: Immer findet die Abwägung statt zwischen der Individualgerechtigkeit als internem Zweck und der Rechtssicherheit, dem Rechtspragmatismus und der Verwaltungsökonomie als den externen Zwecken.63 Insofern lassen sich derartige Rechtsgutkonflikte als normimmanent64 bezeichnen. Hinzu kommt jedoch üblicherweise ein weiterer Rechtsgutkonflikt, nämlich der zwischen der Individualgerechtigkeit und anderen kollektiven Zielen. Hier___________ 57

Huster, Rechte, S. 237, Huster, JZ 1994, 541 (548). Huster, Rechte, S. 239. 59 Huster, Rechte, S. 239 ff.; Huster, JZ 1994, 541 (549). 60 Huster, Rechte, S. 238 verweist nur auf sie, erläutert sie jedoch nicht. – Siehe auch die Kritik von Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 30. 61 Siehe dazu S. 187 ff. 62 Allerdings steht die Auffassung der klaren Trennbarkeit zwischen externen und interner Zwecken unter dem Vorbehalt der historischen Wandelbarkeit. Siehe dazu auch später, S. 39, Fn. 183. 63 Huster, JZ 1994, 541 (544); Huster, Rechte, S. 249 mit ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG. 64 Huster, Rechte, S. 249, 254. 58

182

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

zu gehören z.B. außen-, wirtschafts-, sozial- oder staatspolitische Zielsetzungen.65 Diese Konflikte sind nicht normimmanent. Vielmehr weicht hier der Gesetzgeber bewusst vom Gerechtigkeitsmaßstab ab, um andere, außerhalb des Gerechtigkeitsmaßstabs stehende Zielsetzung zu verwirklichen. Als Beispiel kann auf die mittlerweile aufgehobenen steuerrechtlichen Regelungen verwiesen werden, durch die zur Förderung des Eigenheimbaus Eingriffe in die Individualgerechtigkeit vorgenommen wurden.

Andere Schranken-Schranken, insbesondere die des Art. 19 GG, werden von Huster demgegenüber als unbedeutend eingestuft.66

III. Vorteile gegenüber der herkömmlichen Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG Nachdem nun das Eingriffsmodell nach Huster in Inhalt und Anwendung erläutert wurde, sind nun seine grundsätzlichen Vorzüge darzulegen, derentwegen es zur Grundlage der sich später anschließenden verfassungsrechtlichen Prüfung gemacht wird. Zur Gegenüberstellung werden zunächst Willkürformel und die so genannte „Neue Formel“ kurz skizziert.

1. Kurze Darstellung der Willkürformel und der „Neuen Formel“ Nach der herkömmlichen, im Wesentlichen noch auf den Ansatz von Leibholz zurückgehenden Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor, wenn wesentlich Gleiches ohne sachlichen Grund ungleich behandelt wird.67 Ausgefüllt wurde dieser Ansatz ursprünglich allein mit der Willkürformel. Danach war ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz dann anzunehmen, „wenn sich kein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung finden lässt.“68 Die Kritik gegen die Willkürformel richtete sich vor allem gegen ihre begriffliche Ungenauigkeit, welche Anlass zu der Entwicklung der so genannten „Neuen Formel“ gab. Danach ist das Gleichheitsgrundrecht „vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen kein Unterschied von solcher Art und solchem Gewicht besteht, dass ___________ 65

Huster, Rechte, S. 218; ders, JZ 1994, 541 (544, 545). Huster, Rechte, S. 242. 67 Siehe dazu S. 47. 68 Siehe Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 8 m.w.N. 66

B. Prüfungsverfahren

183

sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen können.“69 Im Unterschied zu Huster will die herkömmliche Dogmatik also nur beim Vorliegen besonderer Voraussetzungen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchführen. In welcher Weise dies zu geschehen hat, ist jedoch nicht unumstritten.70 Zwar nimmt auch die herrschende Meinung Bezug auf Gerechtigkeitsmaßstäbe,71 jedoch belässt sie es dabei meist eher bei einem allgemeinen Hinweis auf sie, ohne dass ihnen dabei im Rahmen der Prüfung eine strukturgebende Bedeutung beigemessen wird. Nach der herkömmlichen Dogmatik werden Gerechtigkeitsmaßstäbe eher in die (auf den Einzelfall bezogene) Vergleichsgruppenbildung eingebracht, ohne als Erwägungen offengelegt zu werden, die einen bestimmten Rechtsbereich (in seiner Gesamtheit) prägen.

2. Vorzüge des Eingriffsmodells Mit der folgenden Darstellung sollen die grundsätzlichen Vorbehalte gegen die Bestimmung von Gerechtigkeitsmaßstäben entkräftet werden. Die Behandlung von Fragestellungen, die speziell Diskriminierungsverbote betreffen, wird hier noch ausgespart und erst zum Abschluss dieses Abschnitts einer kritischen Würdigung unterzogen. Als grundsätzliche Vorzüge von Husters Eingriffsmodell stellen sich folgende Aspekte dar: – größere Transparenz durch klarere Vergleichsgruppenbildung, – bessere Anknüpfung an den gesetzgeberischen Willen und – größere dogmatische Genauigkeit.

___________ 69

Zur so genannten „Neuen Formel“: BVerfGE 55, 72 (88); Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 13; Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 21 m.w.N.; Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 217 ff. – Eingehend zur Rechtsprechung des BVerfG: Kallina, Willkürverbot und Neue Formel, S. 73 ff. 70 Statt vieler: Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 25 ff.; Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 21 ff. 71 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 3: „gerechte Vergleichsmaßstäbe“, Rdnr. 22: „Wertungsrationalität“; Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 35: „Beurteilungsmaßstab“. – Beispielhaft zur Vergleichsgruppenbildung: Sachs, Grenzen, S. 350: Erörtert wird eine Regelung, die zur Wahrung der Chancengleichheit bei Frauen während ihrer Menstruation ein Rücktrittsrecht bei Prüfungen einräumt. Als Gerechtigkeitsmaßstab wird der Gedanke herausgearbeitet, Prüflinge in besonderen körperlichen Belastungslagen zu schützen. – Zum Begriff der Gerechtigkeit und des Gerechtigkeitsmaßstabs allgemein etwa: Perelman, Gerechtigkeit; Pavþnik, ZöR 2002, 89 ff.

184

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

a) Größere Transparenz Zunächst dient die Darstellung möglicher Gerechtigkeitsmaßstäbe dem Zweck, Argumentationsstränge herauszuarbeiten und für die verfassungsrechtliche Erörterung nutzbar zu machen, die den Hintergrund für die Diskussion der jeweiligen Regelung bilden, jedoch häufig nicht ausformuliert werden.72 Auf den ersten Blick könnte ein solches Vorgehen folgendem Einwand begegnen: Indem ein Gerechtigkeitsmaßstab ermittelt wird, der sich nicht unmittelbar dem Normtext entnehmen lässt, wird nach einem Rechtsgedanken gesucht, der außerhalb der Norm liegt und insofern im Verdacht steht, den Rahmen zulässiger Auslegung zu sprengen.73 Ein solcher Einwand greift letztlich jedoch nicht durch. Denn anhand des Gerechtigkeitsmaßstabs wird in diesem Zusammenhang nicht der Anwendungsbereich der Norm bestimmt und womöglich am Normtext vorbei modifiziert, sondern die Verfassungsmäßigkeit der Norm überprüft. Im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG74 ist eine solche abstrahierende Auslegung jedoch nicht nur zulässig, sondern geradezu denknotwendig. Pointiert formuliert: Man kann nicht vergleichen, ohne zu abstrahieren. Allein die Tatsache, dass der Gesetzgeber einen bestimmten Sachverhalt mit einer spezialgesetzlichen Regelung belegt, würde dann bereits schon dessen Einzigartigkeit bzw. Unvergleichbarkeit begründen. Diese Einzigartigkeit des Regelungsgegenstands ließe sich nicht in Frage stellen, da keine außerhalb des Normtextes stehenden Rechtsgedanken zur Abstraktion verwendet werden dürfen. Eine gleichheitsrechtliche Überprüfung von Regelungen wäre unmöglich.75 Würde man Abstraktionen für unzulässig erachten, bedeutete dies – übertragen auf das Verbot genetischer Diskriminierung –, dass genetischen Daten im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung allein deswegen ein Sonderstatus beigemessen werden muss, weil der Gesetzgeber durch die spezialgesetzliche Regelung zum Ausdruck gebracht hat, dass er ihnen eine besondere rechtliche Qualität beimisst.

___________ 72

Huster, Rechte, S. 271. Als außergesetzliche Wertungen lassen sich die primären Wertentscheidungen verstehen. 74 Entsprechendes gilt auch im Rahmen von anderen verfassungsrechtlichen Prüfungen, wie z.B. der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Siehe dazu S. 201 ff. 75 Zur insofern parallelen Argumentation zur Begründung primärer Wertentscheidungen siehe S. 199. – Zur Entkräftung des Vorwurfs, der Rückgriff auf außergesetzliche Wertungen mache die Vergleichsgruppenbildung willkürlich siehe S. 186. – Zur Ermittlung von Gerechtigkeitsmaßstäben im Einzelnen siehe S. 185 f. und 218 f. 73

B. Prüfungsverfahren

185

Auch nach der herkömmlichen Dogmatik kann die Vergleichbarkeit nur in der (nicht immer ausdrücklich offengelegten)76 Feststellung liegen, dass sich die außerhalb des Normanwendungsbereichs stehende Vergleichsgruppe, die hinsichtlich eines bestimmten Bezugspunkts (tertium comparationis)77 vergleichbar ist, einer – durch Abstraktion gebildeten – Bezugsgruppe (Oberbegriff, genus proximum)78 zuordnen lässt. Das Erfordernis der Abstraktion steckt in der Notwendigkeit der Vergleichsgruppenbildung und damit in der Struktur des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Ermittlung des Gerechtigkeitsmaßstabs führt also nicht die Abstraktion in die Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG ein, sondern macht sie nur transparent. Zwar mögen die über Auslegung ermittelten Gerechtigkeitsmaßstäbe im Einzelnen umstritten sein. Jedoch führt der Verzicht auf die Benennung einzelner Gerechtigkeitsmaßstäbe nicht zu einer Vermeidung dieser Unklarheiten, sondern lediglich zu einem Mangel an Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Argumentation. Die Bestimmung der Gerechtigkeitsmaßstäbe erleichtert eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Auffassungen, ermöglicht die kritische Hinterfragung der Prämissen und bietet eine Diskussionsgrundlage für alternative Lösungsmöglichkeiten.

b) Deutlichere Ankopplung der Ermittlung der Gerechtigkeitsmaßstäbe an den gesetzgeberischen Willen Als weiterer Vorteil des von Huster vorgestellten Modells erscheint die deutlichere Ankopplung der Ermittlung der Gerechtigkeitsmaßstäbe an den gesetzgeberischen Willen: Was an der herkömmlichen Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG als willkürliche Vergleichsgruppenbildung kritisiert werden mag,79 versucht Huster zu kanalisieren, indem er die Vergleichsgruppenbildung deutlicher an den gesetzgeberischen Willen koppelt. Vergleichbar ist nicht das, was der Richter für vergleichbar hält, sondern was unter Zugrundelegung der gesetzgeberischen Wertung für vergleichbar gehalten werden muss.80 Die Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG beschränkt sich somit in dieser Prüfungsphase auf die Untersuchung, ob der Gesetzgeber die vom ihm gesetzte Wertung auch durch die von ihm ge-

___________ 76 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 5: „Ob eine Gleichbehandlung ... geboten, erlaubt, oder verboten ist, ..., das kann nur mit Hilfe von Wertungen außerhalb des allgemeinen Gleichheitssatzes selbst entschieden werden.“ 77 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 431; Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 1. 78 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 433. 79 Nachweise dazu: S. 186, Fn. 82. 80 Siehe bereits S. 185 f.

186

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

wählten gesetzlichen Kriterien konsistent umsetzt, was Huster als Entsprechensprüfung bezeichnet.81 Das Eingriffsmodell ermöglicht es also, die Vergleichsgruppenbildung zu strukturieren: Im Unterschied zur herkömmlichen Dogmatik ist die Zweckbestimmung nach dem von Huster vorgestellten Eingriffsmodell zwar auch außergesetzlich, aber nicht gesetzesunabhängig. Die so ermittelten Prüfungsmaßstäbe des Art. 3 Abs. 1 GG lassen sich insofern als außergesetzliche Gerechtigkeitsmaßstäbe mit gesetzlicher Anknüpfung verstehen.

c) Dogmatische Genauigkeit Die größere dogmatische Genauigkeit von Husters Prüfungsschema zeigt sich in zwei Aspekten: Sie strukturiert die Vergleichsgruppenbildung und ermöglicht eine bessere Handhabbarkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG.

aa) Strukturierung der Vergleichsgruppenbildung Eng mit der größeren Transparenz verbunden ist das größere Maß an dogmatischer Genauigkeit. Die herkömmliche Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG vermag es nicht, klare Kriterien für die Entscheidung zu entwickeln, ob es sich im Einzelfall um vergleichbare Personengruppen bzw. Sachverhalte handelt oder nicht. Nicht zuletzt deswegen wird die Art der Vergleichsgruppenbildung auch gelegentlich als willkürlich kritisiert.82 Aufgrund der unklaren Kriterien bei der Vergleichsgruppenbildung in der herkömmlichen Dogmatik kann nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Sachverhalte von vornherein vom Rechtfertigungserfordernis des Art. 3 Abs. 1 GG ausgenommen werden, weil sie fälschlicherweise als unvergleichbar gewertet werden. Vereinzelt ist vor diesem Hintergrund die Tendenz auszumachen, im Zweifel von der Vergleichbarkeit der geprüften Sachverhalte oder Personengruppen auszugehen.83 Im Ergebnis kann ___________ 81

Huster, JZ 1994, 541 (547). Siehe dazu bereits S. 174 ff.; insb. Fn. 37 auf S. 176. Huster, Rechte, S. 170: „Außerdem stehen insbesondere die erläuternden Formulierungen der Willkürtheorie in einem so schlechten Ruf, dass der Einwand nahe liegt, derartige ‚Leerformeln‘ träfen eh auf alles und nichts zu“; Meyer, Mensch, S. 236: „... wobei sich ... Beliebigkeit nicht vermeiden lässt.“ 83 So in der Analyse der herkömmlichen Dogmatik Huster, Rechte, S. 227 f. m.w.N.; – In diesem Sinne wohl beispielhaft: Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 24 a.E.: „In den meisten Fällen ist eine Prüfung der Ungleichbehandlung vorzugswürdig. Zunächst bleibt die Grundstruktur der Rechtfertigung erhalten. Außerdem fordert Art. 3 Abs. 1 GG in erster Linie eine Gleichbehandlung.“ 82

B. Prüfungsverfahren

187

dies dazu führen, dass die Feststellung der Vergleichbarkeit an Bedeutung verliert und faktisch jedes Abweichen von einer schematischen Gleichbehandlung das Rechtfertigungserfordernis nach Art. 3 Abs. 1 GG auslöst.84 Die Gefahr, Art. 3 Abs. 1 GG faktisch im Sinne eines Gebotes der schematischen Gleichbehandlung einzusetzen, besteht bei Huster nicht. Die Zugrundelegung von Gerechtigkeitsmaßstäben führt ihn zum Begriff der Gleichbehandlung im normativen Sinne85, also einer Ungleichbehandlung, durch die dem jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab gerade Rechnung getragen wird und die von vornherein keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellen kann. Dementsprechend werden dem Rechtfertigungserfordernis nur die Sachverhalte unterworfen, bei denen von der logisch konsistenten Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs abgewichen wird. Sofern Ungleichbehandlungen gerade aufgrund der Umsetzung des jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstabs bestehen, handelt es sich – auf die herkömmliche Terminologie übertragen – von vornherein um unvergleichbare Sachverhalte, die nicht dem Rechtfertigungserfordernis des Art. 3 Abs. 1 GG unterliegen. Die differenzierte Vergleichsgruppenbildung ermöglicht es so, Art. 3 Abs. 1 GG als prima-facie-Recht zu interpretieren:86 Nicht der Bürger muss sein Recht darlegen, sondern der Staat seine Eingriffsbefugnis. Art. 3 Abs. 1 GG bekommt einen abgrenzbaren Schutzbereich zugewiesen, dessen Rechtsgut als die Individualgerechtigkeit bezeichnet wird. Eingriffe in diesen Schutzbereich sind verfassungswidrig, wenn sie nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind.

bb) Bestimmung der Eingriffsintensität Gegen das Modell von Huster wird eingewandt, dass die Eingriffsintensität in die Individualgerechtigkeit nicht anhand der Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab bestimmbar sei, sondern nur anhand der Beeinträchtigung der tangierten Freiheitsrechte.87 Diese Kritik greift jedoch nicht durch. Zwar trifft es zu, dass Huster keine ausdrücklichen Vorgaben für die Bestimmung der Intensität von Eingriffen gibt,88 jedoch lassen sich auf Grundlage und in Fortführung des von ihm herausgearbeiteten Modells Kriterien zur Bestimmung der Eingriffsintensität entwickeln. Ausschlaggebend für die Bestimmung der Eingriffs___________ 84

So Huster, Rechte, S. 227 ff. m.w.N., 232 f.; Huster, JZ 1994, 541 (547). – Zum Begriff der schematischen Gleichbehandlung: Huster, Rechte, S. 21. 85 Huster, Rechte, S. 228. 86 Siehe dazu S. 171, Fn. 12. 87 Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 30. 88 Siehe S. 181, Fn. 60.

188

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

intensität in die Individualgerechtigkeit sind danach Art und Umfang des Eingriffs.89

Art des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit

Wertigkeit der betroffenen Rechte und Interessen

Grad der Beeinträchtigung der betroffenen Rechte und Interessen

Umfang des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit

Umfang des Abweichens vom Gerechtigkeitsmaßstab

Æ Gewichtigkeit der Beeinträchtigung der betroffenen Rechte und Interessen

Intensität des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit

Abb. 7: Bestimmung der Intensität eines gleichheitsrechtlichen Eingriffs

Die Art des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit bestimmt sich nach der Wertigkeit und dem Grad der Beeinträchtigung der betroffenen Rechte und Interessen.90 Ungleichbehandlungen, die den Freiheitsentzug betreffen, sind in der Regel schwerwiegender einzustufen als bestimmte Ungleichbehandlungen im Rahmen der Berufsfreiheit aufgrund umfangreicherer Genehmigungserfordernisse. Bei der Umsetzung von Interessen gilt zwar, dass diese grundsätzlich nicht einklagbar sind. Da der Staat bei der Verwirklichung der Interessen jedoch an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden ist, ist in diesem Zusammenhang insofern auch eine Berücksichtigung von – ursprünglich nicht einklagbaren – Interessen geboten. Sofern der Staat prominenten Politiker Polizeischutz gewährt, muss er diesen allen Politikern mit vergleichbarer Gefährdungslage – unabhängig von deren Parteizugehörigkeit – gewähren. In diesem Sinne wird das ursprünglich innenpolitische Interesse am Polizeischutz der politischen Prominenz zum Individualrecht.

___________ 89

Huster, Rechte, S. 274, 278: „Es spricht viel dafür, das Intensitäts- und das Zahlenkriterium nicht alternativ, sondern kumulativ anzuwenden.“ 90 Dieser Aspekt wird auch in der Literatur und Rechtsprechung hervorgehoben, wenn die Bedeutung der betroffenen Freiheitsrechte bei der Bewertung einer Ungleichbehandlung betont wird. – Statt vieler: Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 32 m.w.N.

B. Prüfungsverfahren

189

Die Kritik, wonach sich das Abweichen vom Gerechtigkeitsmaßstab nicht messen lasse und sich die Intensität des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit nur nach den betroffenen Rechten richte,91 erscheint nicht stichhaltig. Der Umfang, in dem vom Gerechtigkeitsmaßstab abgewichen wird (Umfang des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit), kann aus zwei Gründen als besonders wesentlich einzustufen sein: Zum einen wächst die Intensität des Eingriffs in das Rechtsgut der Individualgerechtigkeit in dem Maße, in dem vom Gerechtigkeitsmaßstab abgewichen wird. Der Umfang dieser Beeinträchtigung kann dabei nach dem Typisierungswert bestimmt werden. Der Typisierungswert, der das Ausmaß bezeichnet, in dem von dem jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab abgewichen wird,92 lässt sich zahlenmäßig erfassen: Der Umfang des Abweichens vom Gerechtigkeitsmaßstab ist umso größer, je mehr Rechtsträger in Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab behandelt werden. Die Abweichung vom steuerrechtlichen Gerechtigkeitsmaßstab ist umso größer, je mehr Steuerpflichtige nicht ihrer Leistungsfähigkeit angemessen besteuert werden.

Ein solches Verständnis findet sich auch in der Rechtsprechung zur Zulässigkeit gesetzlicher Typisierungen wieder.93 In diesem Sinn ist auch die anerkannte Formulierung zu verstehen, dass grundsätzlich extreme Ausnahmefälle keinen Gleichheitsverstoß begründen können.94 In einen vom BVerwG entschiedenen Fall ging es um die Berechnung von Entwässerungsbeiträgen. Nach der einschlägigen Vorschrift des baden-württembergischen Kommunalabgabengesetzes richtete sich die Höhe des Beitrages nach dem damit in Beziehung stehenden Vorteil. Danach sind Grundstücke, die unterschiedlich groß oder unterschiedlich baulich nutzbar sind, nicht in gleicher Höhe gebührenpflichtig. Dieser Grundsatz wurde jedoch durchbrochen, indem nach der gesetzlichen Regelung ein Grund- oder Mindestbeitrag zu erheben war. Das BVerwG hielt eine Rechtfertigung un-

___________ 91

Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 30, siehe bereits oben, Fn. 87 auf S. 187. Huster, Rechte, S. 274 f.: „Soll die Typisierung gerechtfertigt sein, so müssen diese Betroffenen gegenüber den eigentlichen Normadressaten (d.h. denjenigen, die die Norm ihrem Wortlaut und ihrem primären Regelungssinn nach erfasst), jedenfalls – um zurückhaltend zu formulieren – in der Minderheit sein.“ Dort auch ausführliche Nachweise mit entsprechenden Entscheidungen des BVerfG. 93 OVG Schleswig, NVwZ 2001, 1300 (1304 m.w.N.): „Allerdings findet die Typisierungsfreiheit des Verordnungsgebers dort ihre Grenzen, wo nicht mehr nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen von Härten und Ungerechtigkeiten betroffen ist, die durch die Typisierung eintreten, ... .“ 94 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 28: „Der Begriff der Personengruppe verweist zum einen auf die Zulässigkeit gesetzlicher Generalisierung. Grundsätzlich ist nicht der atypische Einzelfall, sondern nur eine relevante, ins Gewicht fallende Gruppe Betroffener für die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes von Bedeutung.“ 92

190

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

ter Berufung auf die Verwaltungspraktikabilität für möglich, solange nicht mehr als 10% der betroffenen Fälle in Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab behandelt werden.95

Dieser quantitative Aspekt erscheint zwar auf den ersten Blick nicht als Gesichtspunkt, der sich individualrechtlich geltend machen lässt.96 Eine Bedeutung im Rahmen der individualrechtlichen Geltendmachung bekommt er jedoch aufgrund der objektiv-rechtlichen Bedeutung der Grundrechte. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG stellt die Gewährleistung der Grundrechte eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens dar. Je mehr Normadressaten abweichend von dem jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab behandelt werden, desto größer ist die Gefahr unerwünschter Steuerungswirkungen der Regelungen.97 Zum Zweiten können Ungleichbehandlungen aber auch mit einer besonderen stigmatisierenden Wirkung verbunden sein. In diesem Fall ist der Umfang der gleichheitsrechtlichen Beeinträchtigung nicht proportional zur Anzahl der von der Typisierung Betroffenen. Das Ausmaß der Stigmatisierung ist eben nicht umso größer, je mehr Menschen, sondern möglicherweise eher je weniger Menschen betroffen sind. So können sich derartige Eingriff für die Betroffenen dann als besonders schwerwiegend darstellen, wenn sie als Mitglieder einer Minderheit stigmatisiert werden. Häufig sind Behandlungen, die als stigmatisierend empfunden werden, gerade nicht mit besonders freiheitsrechtlichen Beeinträchtigungen verbunden. Ihre grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung würde dann wegfallen, wenn die Regelung für alle gelten würde. Linus Pauling, Nobelpreisträger für Chemie und Frieden und Entdecker der ersten molekularen Erkrankung, hatte 1968 angeregt, dass heterozygoten Trägern des Sichelzellenanämie-Gens ein Zeichen auf die Stirn tätowiert werden solle. Dies verband er mit der Hoffnung, dass Menschen mit einem erhöhten Vererbungsrisiko von vornherein keine Partnerschaften eingehen, bzw. sich gegen Kinder entscheiden würden und so der Verbreitung der Sichelzellenanämie entgegengewirkt werden könnte.98 Selbst wenn man

___________ 95 Huster, Rechte, S. 263. Andere Beispiele: Huster, Rechte, S. 276, Fn. 188 – Behandlung von 7,5% der betroffenen Fälle in Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab als zulässig Typisierung; Huster, Rechte, S. 276, Fn. 190 – Behandlung von 33% der betroffenen Fälle in Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab als zulässige Typisierung (!). 96 Huster, Rechte, S. 278: „Aus der Sicht des Einzelnen macht es doch keinen Unterschied, ob noch andere von der Typisierung betroffen sind, solange seine Benachteiligung in ihrer Intensität durch z.B. Gründe der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt ist.“ Siehe dazu auch Huster, Rechte, S. 277 mit Verweis auf Rüfner: „[V]om Einzelnen aus gesehen, der sich auf Grundrechte beruft, [ist es] nicht überzeugend, dass Härten, die sich aus Typisierungen ergeben, hinzunehmen sind, wenn sie nur wenige betreffen, dagegen beanstandet werden, wenn eine große Zahl von Fällen von Ungleichbehandlungen betroffen ist.“ 97 BVerfGE 100, 313 (376, 392); BVerfG, NJW 2006, 1939 (1942, 1944) m.w.N. 98 Schöffski, Gendiagnostik, S. 110; Rose, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 11.

B. Prüfungsverfahren

191

die Tätowierung für sich genommen als geringfügigen Eingriff in die körperliche Integrität begreifen würde, wäre die Beeinträchtigung aus gleichheitsrechtlicher Sicht angesichts der stigmatisierenden Wirkung als erheblich zu bewerten. Nach § 22 Abs. 1 a BPolG hat die Bundespolizei u.a. die Befugnis, auch im Landesinneren in bestimmten Fernzügen anlass- und verdachtsunabhängige Ausweiskontrollen vorzunehmen. Selbst wenn man die Auffassung vertreten sollte, dass Personalausweiskontrollen für sich genommen keinen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen, dürfte sich der stigmatisierende Charakter derartiger Kontrollen in der Öffentlichkeit nicht verleugnen lassen. Dieser liegt darin, dass sich der Einzelne als potenzieller Rechtsbrecher stigmatisiert fühlen und von anderen als solcher betrachtet werden könnte.99

Je nach Art und Umfang der Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit lassen sich folgende Fallkonstellationen unterscheiden: 1. Keine Ungleichbehandlung: Liegt keine Ungleichbehandlung vor, gibt es auch keine Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit. Angenommen, der Gesetzgeber würde ein Gesetz verabschieden, nach dem alle 30jährigen zu einem einjährigen sozialen Dienst verpflichtet werden. Da sowohl Männer als auch Frauen verpflichtet werden, liegt keine Verletzung der von Art. 3 Abs. 1 GG geschützten Individualgerechtigkeit vor.

2. Geringfügiges Abweichen vom Gerechtigkeitsmaßstab, aber hohe Wertigkeit der betroffenen Rechte: Auch ein – von der Zahl der Betroffenen – unwesentliches Abweichen vom Gerechtigkeitsmaßstab kann eine erhebliche Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit darstellen100, wenn durch sie ganz grundlegende Freiheitsgüter betroffen werden. Dieser Ansatz wird auch in Literatur und Rechtsprechung betont.101 Danach seien dem Gesetzgeber umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich eine Ungleichbehandlung von Personen und Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann.102 Pflichtdienste stellen einen erheblichen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit dar. Sofern nur ein Teil der Bevölkerung zu Pflichtdiensten herangezogen wird – etwa nur Männer –,103 hat diese freiheitsrechtliche Beeinträchtigung auch eine intensivere Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit zur Folge. Selbst wenn ein Pflichtdienst für alle (in freiheitsrechtlicher Hinsicht) gerechtfertigt wäre, könnte dieselbe Verpflichtung, sofern sie nur auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt ist, angesichts des

___________ 99 Zur entsprechenden Regelung des § 22 Abs. 1a BGSG a.F.: Schmid, LKV 1998, 477 (479); Waechter, DÖV 1999, 138 (140). 100 Huster, Rechte, S. 278: „… [Fälle] in denen Typisierungen allein aufgrund der Belastungsintensität verworfen werden, und in denen ausdrücklich gesagt wird, dass die Verfassungswidrigkeit einer typisierenden Norm nicht allein durch die geringe Anzahl der Betroffenen ausgeschlossen ist.“ 101 Mit umfangreichen Nachweisen Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 32; DreierHeun, Art. 3 GG, Rdnr. 21; Huster, Rechte, S. 274, 277 f. 102 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 94 m.w.N. 103 Zu einem solchen Fall siehe etwa BVerfGE 92, 91 ff. – Feuerwehrabgabe.

192

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Ausmaßes der Benachteiligung der Verpflichteten in gleichheitsrechtlicher Hinsicht verfassungsrechtlich unzulässig sein.

3. Erhebliches Abweichen vom Gerechtigkeitsmaßstab: Allerdings kann umgekehrt eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit auch dann anzunehmen sein, wenn in einem besonders auffälligen Umfang von dem zugrunde liegenden Gerechtigkeitsmaßstab abgewichen wird (geringer Typisierungswert) oder die Ungleichbehandlung eine besondere stigmatisierende Wirkung hat,104 auch wenn die damit verbundene Freiheitsbeeinträchtigung für sich genommen nicht als besonders schwerwiegend erscheinen sollte. Damit ist die eigenständige Bedeutung des Gleichheitssatzes deutlich geworden: Nicht jede Freiheitsverletzung geht einher mit einer Gleichheitsverletzung, wenn zum Beispiel alle Rechtsadressaten von der einschränkenden Regelungen betroffen sind. Umgekehrt ist aber auch nicht jede Gleichheitsverletzung mit einer Freiheitsverletzung verbunden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Freiheitseinschränkung als Bagatelleinschränkung keine Grundrechtsverletzung darstellen sollte, jedoch aufgrund des besonders stigmatisierenden oder willkürlichen Ausmaßes, in dem von dem Gerechtigkeitsmaßstab abgewichen wird, eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit anzunehmen ist.

cc) Strukturierung einer gleichheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung Ein Aspekt, der wesentlich zu einem größeren Maß an Klarheit in der Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG beiträgt, ist die Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken, also Rechten und Zielen.105 Die Tatsache, dass sich diesen beiden Zwecksetzungen Rechtsgüter zuordnen lassen, ermöglicht eine klarere Strukturierung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG: Sofern der Gerechtigkeitsmaßstab nicht logisch konsistent umgesetzt wird, wird der damit bewirkte Eingriff in die Individualgerechtigkeit mit der Bedeutung der externen Zielsetzung abgewogen. Die Trennung von Grundrechtstatbestand und -schranke hat dabei – wie üblich – die Funktion, das Verhältnis von Grundrechtsgütern und Kollisionsinteressen offenzulegen.106 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG lässt sich auf der Grundlage von Husters Eingriffsmodell in folgendem Prüfungsablauf darstellen:

___________ 104

Siehe S. 189 ff. Huster, Rechte, S. 215: „Man sieht nun, dass die ‚interne/externe Zwecke‘Terminologie in der Gleichheitsdogmatik übersetzt werden kann in die Gegenüberstellung von Rechten und Zielen.“ 106 Huster, JZ 1994, 541 (549) m.w.N. 105

B. Prüfungsverfahren

193

aaa) Ermittlung zulässiger Zwecke Zunächst sind zulässige (externe) Zwecke zu ermitteln, welche grundsätzlich einen Eingriff in die Individualgerechtigkeit rechtfertigen könnten. Wie bereits erwähnt, kommen als externe Zwecke zum einen normimmanente Gesichtspunkte in Betracht, d.h. Verwaltungsökonomie, Rechtssicherheit und Rechtspragmatismus, zum anderen Rechtsgüter, wie etwa Leben und körperliche Unversehrtheit Dritter. Zudem kommen aber auch andere, ergänzende Gerechtigkeitsmaßstäbe als externe Zielsetzungen in Betracht. In diesem Fall gelten für ein und denselben Rechtsbereich mehrere Gerechtigkeitsmaßstäbe. Derartige Kombinationen von Gerechtigkeitsmaßstäben lassen sich als komplexe Gerechtigkeitsmaßstäbe bezeichnen.107 Einer Vergütung, welche nicht nur anhand der vom jeweiligen Mitarbeiter erbrachten Leistung errechnet wird, sondern auch Bedürftigkeitsaspekte, wie zum Beispiel familiäre Belastungen, berücksichtigt, liegt ein komplexer Gerechtigkeitsmaßstab zugrunde.

bbb) Geeignetheit der Regelung zur Umsetzung der externen Zwecke In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob die Regelung zur Umsetzung der ermittelten externen Zwecke überhaupt geeignet ist. In welcher Weise die Geeignetheitsprüfung erfolgt, variiert – je nachdem, ob die externe Zielsetzung in der Verfolgung eines externen Zwecks oder – im Sonderfall – in einem ergänzenden Gerechtigkeitsmaßstab liegt. Im ersten Fall ist – wie gewöhnlich – unter Geeignetheit Zwecktauglichkeit zu verstehen, d.h. das Mittel muss für die Erreichung des Regelungszwecks förderlich sein. Im zweiten Fall ist im Rahmen einer Entsprechensprüfung zu prüfen, ob die Regelung den ermittelten Gerechtigkeitsmaßstab umzusetzen vermag (Entsprechensprüfung).108

ccc) Erforderlichkeit des Kriteriums An die Geeignetheitsprüfung schließt sich – wie üblich – die Erforderlichkeitsprüfung an. Herkömmlicherweise ist eine Regelung erforderlich, wenn es kein milderes und gleich wirksames Mittel zur Erreichung des angestrebten Zwecks gibt. Übertragen auf die gleichheitsrechtliche Prüfung ist zu fragen, ob es Kriterien gibt, welche weniger vom zugrunde gelegten Gerechtigkeitsmaßstab abweichen – also welche den Gerechtigkeitsmaßstab logisch konsistent ___________ 107 Perelman, Gerechtigkeit, S. 50 f.: „komplexe Gerechtigkeitsformel“. – Vgl. auch Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 29: „Außerdem können mehrere Maßstäbe in einem Bereich ineinander laufen.“ 108 Zur Entsprechensprüfung siehe S. 177 ff.

194

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

oder zumindest genauer umsetzen – und im gleichen Maße die Umsetzung der externen Zwecke gewährleisten und insofern gleich geeignet sind.

ddd) Angemessenheit des Eingriffs in die Individualgerechtigkeit Abschließend wird im Rahmen der Angemessenheitsprüfung untersucht, inwieweit die Gewichtigkeit der entgegenstehenden Interessen einen Eingriff in die Individualgerechtigkeit mit der damit verbundenen Intensität rechtfertigt. Dabei wird die Gewichtigkeit der entgegenstehenden Rechte und Interessen mit der Eingriffsintensität in die Individualgerechtigkeit abgewogen.

IV. Darstellung und kritische Würdigung der rechtlichen Charakterisierung von Diskriminierungsverboten im Eingriffsmodell von Huster Das Eingriffsmodell soll der zum Abschluss dieses Kapitels erfolgenden Prüfung der Vereinbarkeit eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung mit Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde gelegt werden. In der von Huster vorgestellten Form kann es im Rahmen der Arbeit jedoch nicht umfassend, sondern soll nur gezielt hinsichtlich der Aspekte gewürdigt werden, die sich im Zusammenhang mit dem einfachgesetzlichen Verbot genetischer Diskriminierung ergeben. In einem ersten Schritt werden dabei Probleme aufgezeigt, die bei dem Versuch auftreten, einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote anhand des Eingriffsmodells auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG zu überprüfen. In einem zweiten Schritt soll nachgewiesen werden, dass diese Probleme in Weiterführung der dem Eingriffsmodell zugrunde liegenden Gedanken gelöst werden können. Damit kann auch dann an diesem Modell festgehalten werden, wenn einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote Gegenstand der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG sind.

1. Husters These: Diskriminierungsverbote bilden keinen eigenständigen Schutzbereich Wie oben bereits dargestellt,109 ist ein zentraler Aspekt in Husters Interpretation des Art. 3 Abs. 1 GG darin zu sehen, dieser Norm einen Schutzbereich zuzuweisen. Dies gelingt ihm, indem er als gleichheitsspezifisches Schutzgut die Individualgerechtigkeit herausarbeitet. Die Interpretation des Gleichheitssatzes ___________ 109

Siehe S. 169 ff.

B. Prüfungsverfahren

195

als Gewährleistung eines Individualrechts ermöglicht es ihm, Art. 3 Abs. 1 GG als prima-facie-Recht auszulegen.110 Bei der rechtlichen Charakterisierung des Art. 3 Abs. 3 GG als einem Beispiel für ein Diskriminierungsverbot kommt Huster nun auf Grundlage des Eingriffsmodells zu folgendem Ergebnis:111 Zum einen stellt für Huster die Anknüpfung an eines der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale nicht per se einen Nachteil oder einen Eingriff in ein Rechtsgut dar.112 So sei beispielsweise die Gleichbehandlung von Mann und Frau kein „Wert an sich“, sondern stelle nur dann einen Wert dar, wenn sie auch normativ – also unter Zugrundelegung des jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstabs – geboten sei.113 Zum Zweiten konstituierten Diskriminierungsverbote nach Huster Ansicht kein abwägungsfähiges Gut.114 Denn die Individualgerechtigkeit beruhe nicht auf dem Diskriminierungsverbot, sondern auf dem jeweiligen „positiven“ Relevanzkriterium.115 Das Diskriminierungsverbot sei schon aufgrund seines negativen Ansatzes, nicht die Relevanz, sondern die Irrelevanz eines Merkmals festzulegen, nicht in der Lage, ein abwägungsfähiges Gut zu konstituieren.116 Im Ergebnis könne Art. 3 Abs. 3 GG dementsprechend auch keinen eigenständigen Tatbestand oder Schutzbereich bilden,117 da die Regelung eben nicht besage, welche Gleichheitsrechte jemand habe, sondern nur, mit welchen Erwägungen ihm ein Recht jedenfalls nicht abgesprochen werden dürfe.118 Die These, dass Diskriminierungsverboten keine eigenständigen Schutzbereiche zugeordnet werden können, soll nun im Hinblick auf einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote überprüft werden. Während im öffentlich-rechtlichen Bereich – wie im Folgenden gezeigt werden soll – auch unter Zugrundelegung dieser Annahme alle gleichheitsrechtlichen Problemstellungen vom Eingriffs___________ 110

Siehe oben, S. 169. Zur rechtlichen Charakterisierung des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 Abs. 3 GG: Huster, Rechte, S. 313 ff. – Huster, Rechte, S. 317 nimmt die rechtliche Charakterisierung bei der Behandlung der Frage vor, ob Diskriminierungsverbote als Anknüpfungs- oder Begründungsverbote aufzufassen sind. Nach seinem Verständnis bekommen Diskriminierungsverbote, wenn sie als Anknüpfungsverbote begriffen werden, einen eigenständigen Schutzbereich zugewiesen, auf den sich – wie bei Freiheitsrechten auch – die Eingriffs-Schranken-Systematik anwenden ließe. Nach Huster, Rechte, S. 315, 321 f. weisen Begründungsverbote hingegen keinen eigenständigen Schutzbereich auf, die Terminologie von Eingriff und Schranken sei dementsprechend auf sie nicht übertragbar. 112 Huster, Rechte, S. 321. 113 Huster, Rechte, S. 321. 114 Huster, Rechte, S. 322. 115 Huster, Rechte, S. 322. 116 Huster, Rechte, S. 322. 117 Huster, Rechte, S. 322. 118 Huster, Rechte, S. 315. 111

196

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

modell – zumindest im Ansatz119 – erfasst werden, werden im privatrechtlichen Bereich Lösungsdefizite offensichtlich. Huster entwickelt das Eingriffsmodell vor dem Hintergrund von Ungleichbehandlungen im öffentlich-rechtlichen Bereich. Aufgrund des Gesetzesvorbehaltes bestehen grundsätzlich für alle Bereiche des staatlichen Handelns gesetzliche Regelungen. Die Auslegung dieser Regelungen ermöglicht die Bestimmung von Gerechtigkeitsmaßstäben. Demzufolge können alle Gleichheitsprobleme auf Verstöße gegen gesetzlich oder verfassungsrechtlich festgelegte, lebensund sachbereichsbezogenen Gerechtigkeitsmaßstäbe zurückgeführt werden. Alle Gleichheitsprobleme lassen sich damit als Verstöße gegen die logisch konsistente Umsetzung von Gerechtigkeitsmaßstäben begreifen, die erstens einem bestimmten Lebens- und Sachbereich zugeordnet werden können und zweitens gesetzlich oder verfassungsrechtlich festgelegt sind. Dementsprechend lassen sich für den öffentlich-rechtlichen Bereich alle Gleichheitsverstöße über das Eingriffsmodell in der von Huster vorgestellten Form lösen. Im Gegensatz zum öffentlichen Recht lassen sich im Bereich privatrechtlicher Rechtsverhältnisse grundsätzlich keine Gerechtigkeitsmaßstäbe bestimmen, weil sie im Bereich der Privatautonomie liegen und nur ausnahmsweise gesetzlich festgelegt werden.120 Vielmehr lässt es sich gerade als Ausdruck der Berufs- und Vertragsfreiheit begreifen, dass die Vertragsvoraussetzungen grundsätzlich freibestimmt von den Vertragsparteien festgelegt werden. Zur Unterscheidung vom Begriff der staatlich festgelegten Gerechtigkeitsmaßstäbe sollen diese privatrechtlich freibestimmten Vertragsbestimmungen im Folgenden Beurteilungsmaßstäbe genannt werden. Während der Staat bei der Einstellung von Beamten an den Gerechtigkeitsmaßstab der Eignung aus Art. 33 Abs. 2 GG gebunden ist, kann der private Arbeitgeber seine Einstellungskriterien grundsätzlich selbst festlegen. Zwar dürften beispielsweise im Arbeitsrecht meist die Eignung und im Versicherungsrecht meist die Schadenswahrscheinlichkeit die entscheidenden Beurteilungsmaßstäbe sein. Jedoch sind sie in diesem Bereich grundsätzlich nicht gesetzlich vorgeschrieben und stehen insoweit auch zur Disposition der Vertragspartner.

___________ 119 Unberücksichtigt bleibt die Tatsache, dass auch Diskriminierungsverbote eigene Gerechtigkeitsmaßstäbe transportieren und mit den „positiv“ formulierten Gerechtigkeitsmaßstäben komplexe Gerechtigkeitsmaßstäbe bilden. 120 Für die Frage, ob Gerechtigkeitsmaßstäbe auch für den privatrechtlichen Bereich festgelegt werden, wird dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsspielraum zugewiesen. Begründet wird dies unter anderem damit, dass bei privatrechtlichen Konflikten – im Unterschied zum Bürger-Staat-Verhältnis – grundsätzlich auf beiden Seiten Grundrechte eine Rolle spielen. – siehe dazu BVerfGE 66, 166 (135); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 GG, Rdnr. 56 f. m.w.N.; Stern, Staatsrecht III/1, S. 1578 ff. (1580) – zur Bindung des Gesetzgebers an Art. 3 Abs. 1 GG bei der Zweckumsetzung durch einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote siehe unten, S. 214.

B. Prüfungsverfahren

197

Huster geht in seiner Darstellung des Eingriffsmodells auch nicht auf Ungleichbehandlungen im privatrechtlichen Bereich ein. Dies ist auf den ersten Blick nicht weiter verwunderlich, sondern erscheint vielleicht eher denknotwendig, da Art. 3 Abs. 1 GG ja gerade nur die staatliche Gewalt bindet und das Eingriffsmodell als eine Auslegungsvariante dieser Norm demzufolge auch nur auf Ungleichbehandlungen im öffentlichen Bereich beschränkt zu sein scheint. Da es sich bei den Regelungen, die Huster zum Gegenstand seiner Untersuchungen macht, zudem ausschließlich um verfassungsrechtliche Normen handelt, wie die gleichheitsrechtlichen Regelungen in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, könnte damit – möglicherweise ungewollt – der Eindruck entstehen, dass das Eingriffsmodell tatsächlich auch nur für den öffentlich-rechtlichen Bereich Lösungsmöglichkeiten finden kann. Allerdings ist die gesetzgeberische Tätigkeit nicht nur auf den öffentlichrechtlichen Bereich beschränkt, sondern erstreckt sich natürlich auch auf den privatrechtlichen. Im Unterschied zu Regelungen auf Verfassungsebene finden einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote gerade auch im Privatrecht Anwendung und stellen eine Einschränkung der Vertragsfreiheit dar: Bestimmte Kriterien dürfen danach nicht zur Grundlage von Entscheidungen in Privatrechtsverhältnissen gemacht werden. Beispiele für derartige einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote finden sich gerade in jüngster Zeit, wie etwa das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen121 und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.122 Auch das Verbot genetischer Diskriminierung soll als einfachgesetzliche Regelung gerade auch Diskriminierungen durch Private verhindern.123 Diese einfachgesetzlichen Diskriminierungsverbote finden für alle Beurteilungsmaßstäbe einheitlich Anwendung. Sie lassen sich insofern als negative Konkretisierungen der einzelnen Beurteilungsmaßstäbe begreifen. Sie legen gewissermaßen einen gesetzlich vorgeschriebenen lebens- und sachbereichsübergreifenden Gerechtigkeitsstandard fest.

___________ 121

Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) – Gesetz vom 27.04.2002 – BGBl. I, S. 1467 ff. 122 Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung. Gemeint sind die Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft („Antirassismusrichtlinie“ 2000/43/EG), die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf („Rahmenrichtlinie“ 2000/78/EG), die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen („Geschlechterrichtlinie“ 2002/73/EG) und die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (RL 2004/113/EG) 123 Siehe auch S. 218 ff.

198

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Im Hinblick auf die Gesetzgebung im privatrechtlichen Bereich weist das Eingriffsmodell in der von Huster vorgestellten Form Lösungsdefizite auf. Legt man dieses Modell nämlich der Prüfung nach Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde, sieht man sich bei der Prüfung einfachgesetzlicher Diskriminierungsverbote vor das folgende Problem gestellt: Diskriminierungsverbote mit Geltung (auch) für das Recht unter Privaten könnten dann konsequenterweise nicht nach Art. 3 Abs. 1 GG überprüft werden, weil ihnen – Husters These zufolge – kein eigenständiger Gerechtigkeitsmaßstab zugrunde gelegt werden könne, der nach dem Eingriffsmodell ja für die Annahme einer Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit erforderlich ist. Verletzungen der Individualgerechtigkeit aufgrund von einfachgesetzlichen Diskriminierungsverboten erschienen unter Zugrundelegung des von Huster vorgestellten Eingriffsmodells somit schlichtweg ausgeschlossen, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG wäre unmöglich. Zu diesem Ergebnis hätte Huster jedoch nicht zwingend kommen müssen: Für die Ermittlung von Gerechtigkeitsmaßstäben, die einen von Art. 3 Abs. 1 GG geschützten Schutzbereich konstituieren könnten, lassen sich zwei verschiedene Ausgangspunkte wählen: Zum einen können Diskriminierungsverbote als Teile von lebens- und sachbereichsbezogenen Gerechtigkeitsmaßstäben verstanden werden. Zum anderen können Diskriminierungsverbote als lebensund sachbereichsübergreifende Regelungen begriffen werden, denen dementsprechend ein lebens- und sachbereichsübergreifender Gerechtigkeitsmaßstab zugrunde gelegt werden muss. Versucht man den schutzbereichskonstituierenden Gerechtigkeitsmaßstab lebens- und sachbereichsbezogen zu ermitteln und das Diskriminierungsverbot dementsprechend auch nur als Bestandteil des privatrechtlichen Beurteilungsmaßstabs zu betrachten, stellt sich das Problem, dass weder der Beurteilungsmaßstab noch dessen Umsetzung durch den Privaten anhand von Art. 3 Abs. 1 GG überprüft werden kann, weil Private grundsätzlich eben nicht an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind. Der Eingriff kann eben nur in der logisch inkonsistenten Konkretisierung des jeweiligen privatrechtlichen Beurteilungsmaßstabs durch den Staat gesehen werden. Dieser manifestiert sich jedoch nicht erst in der inkonsistenten Umsetzung eines etwaigen Beurteilungsmaßstabs durch den Privaten. Entsprechend wird eine Verletzung der Individualgerechtigkeit bei einfachgesetzlichen Konkretisierungen von privatrechtlichen Gerechtigkeitsmaßstäben ja gerade nicht gegenüber dem privaten Vertragspartner geltend gemacht, sondern gegenüber dem Staat, der durch die gesetzliche Regelung privatrechtliche Beurteilungsmaßstäbe in Teilbereichen festlegt. Wenn vor dem Hintergrund eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung ein Stellenbewerber aufgrund einer HIV-Infektion von einem privaten Arbeitgeber abgelehnt wird, so liegt der Eingriff in die Individualgerechtigkeit nicht in der Ablehnung, sondern in der gesetzlichen Regelung, die ihn als HIV-Infizierten nicht schützt, obwohl er sich im Verhältnis zu genetisch nachteilig veranlagten Personen in einer rechtlich vergleichbaren Situation befindet.124

B. Prüfungsverfahren

199

Versucht man hingegen, den schutzbereichskonstituierenden Gerechtigkeitsmaßstab als lebens- und sachbereichsübergreifenden Gedanken unmittelbar dem Diskriminierungsverbot zu entnehmen – und damit unabhängig vom jeweiligen lebens- und sachbereichsbezogenen Beurteilungs- oder Gerechtigkeitsmaßstab zu bestimmen –, setzt man sich in Widerspruch zur oben dargestellten These von Huster, dass Diskriminierungsverbote keinen eigenständigen Schutzbereich bilden. Hält man also an dieser These fest, bedeutet dies faktisch eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 3 Abs. 1 GG auf die Überprüfung von Regelungen nur für den öffentlich-rechtlichen Bereich. Dies gibt Anlass, die oben vorgestellte These zu hinterfragen: Nur wenn sich auch Diskriminierungsverbote als selbstständige Tatbestände im Sinne des Eingriffsmodells begreifen ließen, könnte auch über das Eingriffsmodell ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG durch einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote begründet werden. Voraussetzung für die Annahme einer solchen eigenständigen Tatbestandsqualität ist es jedoch wiederum, dass sich auch Diskriminierungsverboten ein Gerechtigkeitsmaßstab zugrunde legen lässt.

2. Widerlegung der Uneigenständigkeitsthese Im Folgenden soll nachgewiesen werden, dass sich – entgegen der soeben vorgestellten These von Huster – auch Diskriminierungsverboten eine primäre Wertentscheidung, bzw. ein Gerechtigkeitsmaßstab und damit auch ein eigenständiger Schutzbereich im Sinne des Eingriffsmodells zuordnen lässt.

a) 1. Gegenthese: Diskriminierungsverbote enthalten primäre Wertentscheidungen In einem ersten Schritt wird nun nachgewiesen, dass – entgegen Husters Auffassung125 – auch Diskriminierungsverboten eine primäre Wertentscheidung zugrunde gelegt werden kann.126

___________ 124

Nachweise dazu S. 77, Fn. 186. Siehe oben, S. 194 ff. 126 Unter ccc). 125

200

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

aa) Unterscheidung zwischen primärer und sekundärer Wertentscheidung Bei der Diskussion der Rechtfertigung von Typisierungen nimmt Huster Bezug auf die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Wertentscheidung,127 welche von vielen Autoren im Rahmen der Gesetzesauslegung als erkenntnisleitend aufgriffen wird.128 Der – wie Heck es bezeichnet – „psychologische Vorgang der Gesetzesentstehung“129 lässt sich danach in zwei Phasen unterteilen: Zuerst erfolgt die Sachentscheidung, die Anschauung und Wertung der normbedürftigen Lebensverhältnisse und Interessenkonflikte.130 All dieses bildet die Grundlage für die primäre Wertentscheidung.131 Wenn sie unmittelbar umgesetzt werden könnte, mündete sie in eine Idealnorm.132 Darunter ist eine nicht-typisierende Regelung zu verstehen, die dementsprechend die primäre Wertentscheidung ohne Pauschalisierungen oder Verallgemeinerungen umzusetzen vermag und damit ein Optimum an Individualgerechtigkeit gewährleistet. Jedoch besteht die Möglichkeit zur Bildung einer solchen Idealnorm nur in der Theorie. Tatsächlich kommt nämlich ein Gesetz ohne Typisierungen nicht aus, vielmehr lassen sie sich als das Wesen der Gesetzgebung begreifen.133 Solche typisierenden Gesetze werden als Praxisnormen bezeichnet.134 Welcher Art diese Typisierungen sind, richtet sich nach der sekundären Wertentscheidung. Sie ist orientiert am rechtstechnischen oder Praktikabilitätsinteresse des Gesetzgebers.135 Da Typisierungen einfacher zu handhaben sind als detaillierte Einzelfallregelungen, ermöglichen sie einen reibungsloseren Normvollzug durch die normausführenden Organe und dienen damit der effektiven Umsetzung des gesetzgeberischen Willens.136 Aus Sicht des Normadressaten gewährleisten sie eine bessere Verständlichkeit und Vorhersehbarkeit der Rechtspraxis und dienen damit der Rechtssicherheit.137 Insofern erscheint es auch nicht als zutreffend, ___________ 127

Siehe dazu Huster, Rechte, S. 253 ff. Heck, AcP 112 (1914), S. 1 (18); Leenen, Typus, S. 108 ff. Huster, Rechte, S. 253 f. m.w.N. 129 Heck, AcP 112 (1914), S. 1 (18). 130 Heck, AcP 112 (1914), S. 1 (18). 131 Der Begriff geht auf Leenen, Typus, S. 108 ff. zurück, welcher den Begriff in Anlehnung an den Begriff „primäre Formung“ bei Heck gebildet hat. – Dazu m.w.N.: Huster, Rechte, S. 253. 132 Huster, Rechte, S. 253 f. 133 Huster, Rechte, S. 249. 134 Huster, Rechte, S. 253. 135 Huster, Rechte, S. 254. 136 Huster, Rechte, S. 249. 137 Huster, Rechte, S. 249. 128

B. Prüfungsverfahren

201

bei typisierenden Normen von defizitären Regelungen zu sprechen. Vielmehr stellen sie einen notwendigen Ausgleich verschiedener Zwecksetzungen dar.138

bb) Rechtliche Bedeutung der primären Wertentscheidung Im Rahmen der Normauslegung lassen sich drei verschiedene Verwendungsmöglichkeiten unterscheiden, bei denen die primäre Wertentscheidung Bedeutung gewinnen kann: – Maßstab bei der Ermittlung des Anwendungsbereichs – Maßstab bei der Ermittlung der Rechtsfolgen – Maßstab bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit. Zum einen dient die primäre Wertentscheidung im Rahmen der Normauslegung der Bestimmung des Normbereichs. Dabei kann es etwa um die Frage gehen, in welchem Umfang der Wortlaut – hier unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung – bestimmte Sachverhalte noch erfasst. Als Beispiel für eine solche Verwendung lässt sich der Analogieschluss betrachten. Beispielsweise besteht das Erfordernis der Klagebefugnis nach dem Wortlaut des § 42 Abs. 2 VwGO nur für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen. Da der Sinn und Zweck der Vorschrift – der Ausschluss von Popularklagen, Interessenklagen und offensichtlich unbegründeten Klagen –, jedoch auch auf andere Klagen zutrifft, ist das Erfordernis des § 42 Abs. 2 VwGO zumindest teilweise auch auf andere Klagearten übertragbar.139

Zum Zweiten ergeben sich aus der Wahl des Gerechtigkeitsmaßstabs auch Orientierungslinien bei der Bestimmung der Rechtsfolge. Denn der Gerechtigkeitsmaßstab ist Ausdruck der gesetzgeberischen Zielsetzung. Dieser wiederum kommt im Rahmen der teleologischen Auslegung auch bei der Ermittlung der Rechtsfolge eine entscheidende Bedeutung zu. Nach § 42 Abs. 2 VwGO sind Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nur zulässig, „wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.“ Sinn und Zweck der Regelung ist es, die Zulässigkeit von Klagen zu begrenzen. Im Rahmen der teleologischen Auslegung ergibt es sich dementsprechend, dass für das „Geltendmachen“ der Rechtsverletzung die bloße Formalbehauptung von Rechtsverletzungen nicht ausreicht. Nach h.M. ist es vielmehr erforderlich, dass nach dem Vortrag des Klägers die Möglichkeit besteht, dass er in seinen Rechten verletzt ist (Möglichkeitstheorie).140

___________ 138

Huster, Rechte, S. 254. Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rdnr. 62. 140 Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rdnr. 66 ff. 139

202

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Wie in Abschnitt D dieses Kapitels gezeigt werden soll, erleichtern die Gerechtigkeitsmaßstäbe auch gerade im Hinblick auf das Verbot genetischer Diskriminierung transparentere Rechtsfolgenzuweisungen: – Sollte einem genetischen Diskriminierungsverbot der Gedanke zugrunde gelegt werden, dass niemand aufgrund falscher Annahmen diskriminiert werden darf, weil Annahmen, die sich auf genetischen Daten gründen, eine besondere Fehleranfälligkeit aufweisen, so liegt es nahe, dem Diskriminierungsverbot auf der Rechtsfolgenseite die Wirkung einer Beweislastumkehr zu geben.141 – Wird mit dem genetischen Diskriminierungsverbot die gesetzgeberische Zielsetzung verfolgt, dass niemand aufgrund individuell nicht beeinflussbarer Umstände ungleich behandelt werden darf, so dürfte ihm als Rechtsfolge ein Bewertungsverbot zuzuweisen sein: Genetisch bedingte Eigenschaften würden als nicht beeinflussbar gelten und dürften deshalb nicht in die Beurteilung eines Menschen – etwa im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens – einbezogen werden.142 – Schließlich könnte man dem genetischen Diskriminierungsverbot auch den Gedanken zugrunde legen, dass niemand aufgrund ungewisser Umstände ungleich behandelt werden soll. In diesem Fall käme als Rechtsfolge ein Typisierungsverbot in Betracht: Aufgrund genetischer Merkmale dürften demnach keine Gruppenbildungen vorgenommen werden. Verboten wäre es also, Menschen allein aufgrund der Tatsache, dass sie Träger eines bestimmten Gens sind, ungleich zu behandeln, auch wenn dieses Gen nach zuverlässigen wissenschaftlichen Erkenntnissen mit bestimmten Eigenschaften des Genträgers in Verbindung gebracht wird. Der Berücksichtigung von manifesten Eigenschaften stünde jedoch nichts im Wege, auch wenn sie genetisch bedingt sind.143

Schließlich wird die primäre Wertentscheidung im Rahmen der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit herangezogen. Hier wird zunächst der Normbereich im Wege der Auslegung ermittelt, um ihn dann darauf zu überprüfen, ob sein Zuschnitt den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Auf die primäre Wertentscheidung wird etwa in der Verhältnismäßigkeitsprüfung zurückgegriffen. Sie ist die gesetzgeberische Zwecksetzung, anhand derer überprüft wird, ob die jeweilige Regelung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Ungeeignet ist danach ein Gesetz dann, wenn mit den tatbestandlich festgelegten Kriterien das in der primären Wertentscheidung verfolgte Ziel nicht erreicht werden kann. In dieser Funktion wird die primäre Wertentscheidung auch in Husters Eingriffsmodell verwendet. Sie ist Grundlage zur Ermittlung des Gerechtigkeitsmaßstabs, welcher wiederum im Rahmen der Entsprechensprüfung der gleichheitsrechtlichen Prüfung zugrunde gelegt wird. Geprüft wird dabei, ob der Gesetzgeber eine von ihm selber gewählte Zwecksetzung grundsätzlich konsequent umgesetzt hat. Weicht er von ihr ab, muss er diese Abweichung rechtfertigen.

___________ 141

Siehe S. 261. Siehe S. 293. 143 Siehe S. 325. 142

B. Prüfungsverfahren

203

cc) Nachweis von primären Wertentscheidungen bei Diskriminierungsverboten Diskriminierungsverbote verbieten die Verwendung bestimmter personenbezogener Kriterien. Dabei werden sie häufig als Regelungen verstanden, die lediglich solche Kriterien verbieten, deren Verwendung im Rahmen des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG ohnehin keinen sachlichen Grund darstellt und somit verfassungswidrig ist.144 Huster argumentiert vor diesem Hintergrund, dass ihnen insofern keine über Art. 3 Abs. 1 GG hinausgehende Wirkung zukommt und sie demzufolge auch keine eigenständigen Schutzbereiche bilden.145 Jedoch erscheint es nicht als zwingend – und vor dem verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Entwicklungshintergrund auch nicht als nahe liegend –, die Normwirkung von Diskriminierungsverboten auf die deklaratorische Feststellung von Selbstverständlichkeiten zu beschränken. Denn ob die Begründung für eine bestimmte Ungleichbehandlung einen sachlichen Grund darstellt, lässt sich keinesfalls im Rahmen einer rein wissenschaftlichen Betrachtung – gewissermaßen zur Ermittlung der von der Natur vorgegebenen Wahrheit – ermitteln, sondern ist immer auch anhand der vom Gesetzgeber vorgenommenen Wertung zu bestimmen. Dem liegt eben die Erkenntnis zugrunde, dass es dem Menschen offensichtlich nicht möglich ist, die absolute, für alle Zeiten gültige Wahrheit zu finden. Vielmehr wird das, was als wahr oder sachlich begründet gilt, von jeder Gesellschaft selbst bestimmt und kann im Laufe der Geschichte mitunter erheblichen Schwankungen unterworfen sein. Was heute nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft als eine sachgerechte Differenzierung behandelt wird, kann sich schon morgen als wissenschaftlich völlig unhaltbar herausstellen. Das, was als wahr gilt, lässt sich somit immer nur relativ zur Zeit und den jeweiligen Umständen bestimmen.146 Rechtliche Regelungen können insofern auch in Bereichen Diskriminierungen verbieten, in denen Ungleichbehandlungen gesellschaftlich oder sogar naturwissenschaftlich als gerechtfertigt gelten oder galten. In diesen Fällen kann es gerade das Ziel des Diskriminierungsverbots sein, bestimmte individuelle Rechtspositionen zu akzentuieren und damit gesellschaftlich unerwünschte Entwicklungen zu verhindern, bzw. ein neues Werteverständnis zu fördern. Würde man Diskriminierungsverbote auf eine deklaratorische Wirkung be___________ 144 Diese Annahme weist eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit auf. Vgl. auch S. 257 f. 145 Siehe oben, S. 194. 146 Diese Annahme finden auch eine Stütze in der durch das sog. Thomas-Theorem umschriebenen soziologischen Theorie. Dazu vgl. S. 353 f. Ähnlich auch bereits im Hinblick auf die Kontextrelativität der Gerechtigkeitsmaßstäbe: Fn. 21 auf S. 173. – Demgegenüber scheint Brossette, Wert der Wahrheit, seiner Arbeit eher einen statischen Wahrheitsbegriffs zugrunde zu legen.

204

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

schränken, spräche man der Gesetzgebung zumindest in dieser Hinsicht den gesellschaftssteuernden Charakter ab. Beispielsweise könnten im Feudalsystem Ständeunterschiede ursprünglich durchaus als sachlich begründete Differenzierungskriterien empfunden worden sein. Im Frankreich des 18. Jahrhunderts wurde der Widerstand gegen sie Ständegesellschaft jedoch zusehends stärker. In Artikel 1 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 heißt es dann: „Die Menschen sind frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.“ Damit wurden die sozialen Unterschiede in der Gesellschaft zwar nicht beseitigt, jedoch für rechtlich belanglos erklärt. Auf lange Sicht dürfte dies dazu beigetragen haben, dass die Unterscheidung zwischen Adel, Klerus und Drittem Stand gesellschaftlich nahezu bedeutungslos geworden sind. Dass heute z.B. ein auf bestimmte Stände beschränktes Wahlrecht als irrational erscheint, liegt gerade daran, dass sich die Wertvorstellungen diesbezüglich in unserer heutigen Gesellschaft im Vergleich zu früheren verändert haben.147 Ähnliches gilt für das Verbot der Rassendiskriminierung. Der Satz von der Gleichheit aller Menschen dürfte zwar zur Zeit der französischen Revolution noch im krassen Widerspruch zur Behandlung von Menschen in den Kolonialgebieten gestanden haben. Dennoch wird man ihm eine Signalwirkung zur Bekämpfung der Rassendiskriminierung beimessen dürfen. Die gesellschaftsverändernde Wirkung trat hier sicherlich erst mit erheblicher Zeitverzögerung ein. Dies gilt auch für die „Declaration of Independence“ von 1776, in der festgeschrieben wurde: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that are among these are Life, Liberty, and the pursuit of Happiness.“ Zwar war dieser Gedanke auch in die Verfassungen der Einzelstaaten eingegangen, jedoch dauerte es trotz seines aus heutiger Sicht eindeutigen Wortlautes noch fünf Jahre, bis 1781 erstmalig ein Gericht in Massachusetts die Sklaverei unter Berufung auf den Verfassungstext verbot.148 In den Südstaaten wurde die Sklaverei erst 1865 mit dem Ende der Sezessionskriege abgeschafft. Der mögliche Hinweis darauf, dass derartige rechtliche Schlussfolgerungen aus rechtsstaatlicher Sicht gewissermaßen eine Selbstverständlichkeit darstellten, da Rassendiskriminierung ja schließlich irrational sei,149 geht wohl fehl. Auch damals dürften Ungleichbehandlungen aufgrund von irrationalen Annahmen als ungerecht empfunden worden sein. Zu berücksichtigen ist hier jedoch, dass Ungleichbehandlungen aufgrund der „Rasse“ in diesen Zeiten zumindest in erheblichen Teilen der Bevölkerung eben nicht als irrational empfunden wurden, sondern mitunter sogar als gottgewollt und sie damit für besonders gerechtfertigt gehalten wurden. Dass die Rassendiskriminierung gegen den Widerstand bedeutender gesellschaftlicher Strömungen dennoch verboten wurde, belegt, dass zumindest die gesellschaftliche Funktion von Diskriminierungsverboten nicht notwendigerweise darauf beschränkt ist, das zu verbieten, was allgemein ohnehin schon als irrational empfunden wird. Eine gesellschaftssteuernde Tendenz könnte insofern z.B. auch der Regelung des Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und die Menschenrechte beigemessen werden: „Das menschliche Genom, das sich seiner Natur

___________ 147

So auch Huster, Rechte, S. 47 f. m.w.N.: „So eindeutig es uns heute erscheint, dass nur ein allgemeines und gleiches Wahlrecht gerecht ist, so umstritten war diese Frage noch im letzten Jahrhundert.“ – Zur verfassungsrechtlichen Geschichte der Diskriminierung aufgrund der Standeszugehörigkeit: Sachs, Grenzen, S. 435 ff. 148 Kriele, Staatslehre, S. 180. 149 Nachweise dazu Fn. 372 auf S. 259.

B. Prüfungsverfahren

205

gemäß fortentwickelt, unterliegt Mutationen. Es birgt Möglichkeiten, die je nach der natürlichen und sozialen Umgebung des Einzelnen, einschließlich seines Gesundheitszustandes, seiner Lebensbedingungen, Ernährung und Erziehung auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen.“ Es spricht viel dafür, dass sich eine solche Regelung nicht darauf beschränkt, wissenschaftliche Erkenntnisse wiederzugeben, sondern normativ der Vorstellung eines genetischen Determinismus – möglicherweise auch unabhängig oder sogar entgegen wissenschaftlichen Erkenntnissen – entgegenwirkt.150

Letztlich ausschlaggebend kann in solchen Fällen nur sein, was der Gesetzgeber mit der Regelung bezweckt, nicht ob die Rechtsanwender oder Teile der Bevölkerung die Regelung für rational begründet halten. Zumindest ist dem Gesetzgeber – wie beispielsweise bei der Bewertung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung –151 ein weiter Einschätzungsspielraum zuzubilligen. Ob rechtliche Regelungen, die dem rationalen Empfinden der Gesellschaft widersprechen, politisch empfehlenswert sind, ist dabei eine andere, nicht jedoch eine verfassungsrechtliche Frage.152 Überprüfbar ist im Wesentlichen nur, ob der Gesetzgeber seine eigenen Wertsetzungen auch logisch konsistent umsetzt.153 Vor diesem Hintergrund erscheint es noch nicht einmal ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber entgegen scheinbar gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse aus gesellschaftspolitischen Erwägungen die Ungleichbehandlung aufgrund von bestimmten Kriterien verbietet. Möglicherweise muss die Diskriminierung aufgrund der „Rasse“ auch dann als unzulässig betrachtet werden, wenn sich in Zukunft herausstellen sollte, dass die Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen mit Eigenschaften verbunden ist, die nach der Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG zunächst einmal einen sachlichen Grund darstellen. In Betracht kommen z.B. Eigenschaften, die wesentlich für die Eignung für bestimmte Berufe sind und – etwa aus genetischen Gründen – typischerweise bei Mitgliedern einer bestimmter „Rasse“ vorliegen oder fehlen.154 Selbst in einem solchen Fall könnte als Begründung für ein Diskriminierungsverbot die Zielsetzung angeführt werden, einer gesellschaftlich unerwünschten Stigmatisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken. Denn es ist zu befürchten, dass Ungleichbehandlungen aufgrund der „Rasse“ nicht auf einzelne, zu rechtfertigende Sachverhalte beschränkt bleiben, sondern darüber hinaus auch, insbesondere aufgrund der äußerlich wahrnehmbaren Unterscheidungskriterien (z.B. Hautfarbe) und des historisch gewachsenen Diskriminierungspotenzials, unbegründete Vorurteile verstärken und im Zuge dessen zu gesellschaftlichen Spannungen und Ghettoisierungseffekten führen. Insofern lässt sich möglicherweise das Verbot der Rassendiskriminierung doch als Wert an sich bezeichnen.155

___________ 150

Siehe auch S. 204. Vgl. Sachs-Sachs, Art. 20, Rdnr. 151. 152 Huster, Rechte, S. 233. 153 Siehe oben, S. 177. 154 Vgl. die Problematik bei der Durchführung von Untersuchungen auf das Sichelzellenanämiegens bei der Einstellung von Militärpiloten, S. 117. 155 Zur entgegengesetzten Auffassung Husters siehe bereits S. 195. 151

206

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Möchte man Diskriminierungsverbote also in ihrer Bedeutung erfassen, muss man nach ihrer ursprünglichen Funktion fragen. Und die dürfte in der Regel wohl nicht darin gelegen haben, Selbstverständlichkeiten festzuschreiben, sondern gesellschaftlich steuernd zu wirken. Dementsprechend gilt auch für neu eingeführte Diskriminierungsverbote, dass sie zwar auf die Feststellung von Selbstverständlichkeiten beschränkt sein können, es aber keineswegs sein müssen und in der Regel auch nicht sein werden. Ziel dürfte es vielmehr sein, bestimmte Wertungen – möglicherweise auch gegen den Widerstand bestimmter Teile der Bevölkerung – in der Gesellschaft durchzusetzen.

dd) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist damit festzuhalten, dass auch Diskriminierungsverboten primäre Wertentscheidungen zugrunde gelegt werden können. Noch nicht nachgewiesen ist jedoch, dass es sich bei primären Wertentscheidungen auch um Gerechtigkeitsmaßstäbe im Sinne des Eingriffsmodells handelt. Nach Husters Modell ist jedoch erst damit die Möglichkeit eröffnet, eine Regelung im Rahmen des Eingriffsmodells zu prüfen: Prüfungsmaßstab ist dann der interne Zweck, der auf seine logisch konsistente Umsetzung hin überprüft wird. Wird der interne Zweck nicht logisch konsistent umgesetzt, liegt ein Eingriff in den Schutzbereich der Individualgerechtigkeit vor, der rechtfertigungsbedürftig ist. Zur weiteren Klärung der Rolle, die Diskriminierungsverboten innerhalb des Eingriffsmodells zugewiesen werden muss, soll nun untersucht werden, ob sich die primäre Wertentscheidung von Diskriminierungsverboten auch als Gerechtigkeitsmaßstab qualifizieren lässt.

b) 2. Gegenthese: Die in Diskriminierungsverboten enthaltenen primären Wertentscheidungen entsprechen Gerechtigkeitsmaßstäben Primäre Wertentscheidungen können im Rahmen von Husters Eingriffsmodell als interne oder externe Zwecksetzungen qualifiziert werden: Nur interne Zwecksetzungen lassen sich dabei als Gerechtigkeitsmaßstäbe bewerten, während externe Zwecksetzungen nicht notwendigerweise verallgemeinerungsfähige Ansätze verfolgen, sondern auch der Umsetzung von punktuellen politischen Interessen dienen können.156 Letztere Fälle sind einer gleichheitsrechtlichen Überprüfung möglicherweise nicht in jedem Fall zugänglich.157 ___________ 156 Zur Unterscheidung zwischen Gerechtigkeit und „sonstigen politischen Zielen“: Huster, Rechte, S. 191 ff. 157 Zur Problematik der gleichheitsrechtlichen Überprüfung der Vergabe von Wirtschaftssubventionen: Huster, Rechte, S. 399 ff.

B. Prüfungsverfahren

207

Im Folgenden werden zunächst die Begriffe des internen und externen Zwecks gegeneinander abgegrenzt.158 Außerdem werden Funktion und Inhalt des von Huster verwendeten Begriffs des Gerechtigkeitsmaßstabs erläutert. Es wird nachgewiesen, dass die primären Wertentscheidungen bei Diskriminierungsverboten zum einen die gleiche Funktion wie die Gerechtigkeitsmaßstäbe wahrnehmen, indem sie einen gleichheitsrechtlichen Schutzbereich konstituieren (funktionale Entsprechung),159 und zum anderen alle Begriffsmerkmale von Gerechtigkeitsmaßstäben erfüllen, die von Huster im Rahmen seiner Darstellung des Eingriffsmodells entwickelt wurden (begriffliche Entsprechung).160

aa) Abgrenzung zwischen internen und externen Zwecken Strukturprägend in Husters Darstellung ist die Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken: Interne Zwecke definieren den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG; externe Zwecke können Eingriffe in dieses Schutzgut rechtfertigen. Differenzierungen, welche internen Zwecken folgen, verwirklichen den jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab, solche, die externen Zwecken folgen, durchbrechen ihn.161 Mit dieser formalen Unterscheidung ist jedoch zunächst einmal noch nichts über ihre materielle Ausfüllung gesagt. Nach der Darstellung von Huster lassen sich jedoch auch in materieller Hinsicht klare Zuordnungen vornehmen: Huster interpretiert in seinem Eingriffsmodell Art. 3 Abs. 1 GG als Recht zum Schutz der Individualgerechtigkeit.162 In seiner Darstellung des Eingriffsmodells verwendet er insofern die Begriffe „interner Zweck“ und „Gerechtigkeit“ nahezu als Synonyme.163 Interne Zwecke dienen der (Individual-)Gerechtigkeit, externe Zwecke der Nützlichkeit.164 Oder anders formuliert: Interne Zwecke sind geprägt von Gerechtigkeits-165, Würdigkeits-166, Verteilungserwägungen167, externen Zwecke von Nutzensaspekten168, Zweckmäßigkeitserwägungen169 bzw. Effektivitätsüberlegungen170. ___________ 158

Unter aaa). Unter bbb). 160 Unter ccc). 161 Im Zusammenhang mit der Systemgerechtigkeit: Huster, Rechte, S. 396 ff., 398. 162 Siehe S. 169. 163 Siehe oben, S. 192, Fn. 105. 164 Huster, Rechte, S. 243; Huster, JZ 1994, 541 (546). 165 Huster, Rechte, S. 218. 166 Huster, Rechte, S. 243. 167 Huster, JZ 1994, 541 (546). 168 Huster, Rechte, S. 218. 159

208

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Die inhaltliche Konkretisierung der Gerechtigkeit erfolgt nach Huster durch Gerechtigkeitsmaßstäbe:171 Durch sie wird festgelegt, anhand welcher Kriterien im Einzelnen die gerechte Verteilung von Lasten und Gütern bemessen werden soll. Diese Konkretisierungen bezeichnet Huster dementsprechend auch als konkrete Gleichheiten, welche er als Ausprägungen des fundamentalen Gleichheitssatzes begreift, „jeden ‚als Gleichen‘ zu behandeln“.172 Da Gerechtigkeitsmaßstäbe normativ geprägt sind, spricht Huster bei der dazugehörigen Rechtsgewährleistung auch vom Recht auf normative Gleichbehandlung, welche er von der schematischen Gleichbehandlung abgrenzt.173 Schließlich lassen sich die beiden Zwecksetzungen auch in ihrem rechtlichen Charakter voneinander abgrenzen: Der Abgrenzung zwischen internen und externen Zwecken auf der formalen Ebene entspricht dabei der Unterscheidung zwischen Rechten und Zielen auf der Ebene der rechtlichen Charakterisierung. Interne Zwecke rekurrieren auf (individuelle) Rechte174, welche im Eingriffsmodell als prima-facie-Rechte gedeutet werden.175 Externe Zwecke stellen hingegen auf (kollektive, gesellschaftliche) Ziele ab.176 Sie beziehen sich also auf das Allgemeinwohl und stellen mögliche Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in das Recht auf Individualgerechtigkeit dar. Die begriffliche Abgrenzung zwischen internen und externen Zwecken ist – wie auch Huster einräumt177 – nicht immer trennscharf.178 Zum einen lässt sich dies als ein allgemeines Problem von abstrakten Begriffsbildungen begreifen.179 Zum anderen hängt dies damit zusammen, dass die Charakterisierung als Gerechtigkeitsmaßstab in Abhängigkeit von der jeweiligen rechtlichen Wertung und damit verbunden auch von den gesellschaftlichen Anschauungen vorge___________ 169

Huster, Rechte, S. 243. Huster, JZ 1994, 541 (546). 171 Huster, JZ 1994, 541 (547). Siehe auch ders., Rechte, S. 405. 172 Huster, Rechte, S. 351 f. Zur praktischen Verwendung des Begriff „konkrete Gleichheitsrechte“ siehe auch Huster, Rechte, S. 394. 173 Siehe oben, S. 187. 174 Huster, Rechte, S. 218 ff., insb. S. 225. 175 Sehe oben, S. 171. 176 Huster, Rechte, S. 225; Huster, JZ 1994, 541 (546). 177 Huster, Rechte, S. 243 m.w.N. 178 Zur Kritik siehe Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 279. 179 Huster, Rechte, S. 243: „Auf der anderen Seite ist kaum zu bestreiten, dass dieser Unterschied [zwischen Rechten und Zielen, der Verf.] häufig gemacht wird, mag es auch schwierig sein, ihn allgemein zu formulieren. Dass Prinzipien, Begriffe und Unterscheidungen nicht völlig eindeutig sind und Zweifelsfälle bestehen lassen, kann allein nicht dazu führen, ihre Legitimität insgesamt in Frage zu stellen.“ Auch in der Kommentierung von Husters Modell wird offensichtlich die Abgrenzungsfrage nicht als entscheidendes Problem gesehen, vgl. Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 29. – Siehe auch Fn. 189 auf S. 211. 170

B. Prüfungsverfahren

209

nommen wird.180 So kann die Einordnung als interne oder externe Zwecksetzung selbst bei ein und demselben Untersuchungsgegenstand im Laufe der Zeit infolge des Wandels rechtlicher oder auch gesellschaftlicher Anschauungen Veränderungen unterworfen sein. Dies hängt damit zusammen, dass diese Einordnung – wie im Folgenden noch belegt werden wird181 – in Abhängigkeit von der rechtlichen und auch gesellschaftlichen Wertung erfolgt. Dementsprechend kann sich, sofern sich die zugrunde liegenden rechtlichen und gesellschaftlichen Wertungen ändern, auch die Beurteilung verändern, eine bestimmte Zwecksetzung eher als intern oder extern einzustufen. So lassen sich beispielsweise die Gerechtigkeitsmaßstäbe, die Diskriminierungsverboten zugrunde liegen, in Weiterführung der Terminologie Husters sowohl als interne Zwecke als auch als externe Zwecke behandeln.182 Ihre Einordnung hängt davon ab, ob sich die mit dem Diskriminierungsverbot transportierte Wertentscheidung als Ausdruck des jeweiligen, mit ihm im Anwendungsbereich überlappenden lebens- und sachbereichsbezogenen Gerechtigkeitsmaßstabs betrachten lässt.183 Solange dies noch nicht der Fall ist und sich dem entsprechenden Diskriminierungsverbot insofern ein konstitutiver Charakter beimessen lässt, ist sie als externer Zweck zu bezeichnen. Erscheint der zugrunde liegende Gerechtigkeitsmaßstab hingegen als Selbstverständlichkeit und kommt dem Diskriminierungsverbot damit in rechtlicher Hinsicht nur noch ein deklaratorischer Charakter zu, ist sie eher als Ausdruck des internen Zwecks der jeweiligen Regelung zu betrachten.

bb) Funktionale Entsprechung Wie bereits dargestellt, besteht die wesentliche Funktion des Gerechtigkeitsmaßstabs in der inhaltlichen Konkretisierung des Schutzbereichs des Art. 3 Abs. 1 GG.184 Genau diese Funktion nimmt auch die primäre Wertentscheidung bei Diskriminierungsverboten ein: Diskriminierungsverbote weisen einen besonderen personalen Bezug auf. Sie sollen helfen, die gerechte Behandlung von Menschen zu gewährleisten. Dies ist die Grundentscheidung des Gesetzgebers, ___________ 180

Die gesellschaftliche Anschauung ist ein Aspekt, der über das Kriterium der Verallgemeinerungsfähigkeit in die Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken einfließt. – Siehe dazu unten, S. 210. 181 Siehe dazu S. 210 ff. 182 Husters Terminologie wird insofern ausgedehnt, weil er Diskriminierungsverboten ja gerade keinen eigenständigen Zweck beimisst. 183 Huster, Rechte, S. 243 mit Hinweis auf ein Zitat von Engisch: „Die Zweckmäßigkeit von gestern ist die Gerechtigkeit von heute“ (zeitliche Relativität). 184 Siehe oben, S. 208.

210

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

an der er sich selber messen lassen muss.185 Wird sie nicht in logisch konsistenter Weise umgesetzt, wird dies als ungerecht empfunden und bedarf nach Art. 3 Abs. 1 GG der Rechtfertigung.

cc) Begriffliche Entsprechung Im Folgenden soll nachgewiesen werden, dass auch die primären Wertentscheidungen bei Diskriminierungsverboten die Begriffsmerkmale erfüllen, die dem Begriff des Gerechtigkeitsmaßstabs zugrunde liegen. Dazu sollen die verschiedenen Begriffsmerkmale, die von Huster zur Ermittlung des Gerechtigkeitsmaßstabs verwendet werden, vorgestellt werden und auf ihre Eignung überprüft werden.

aaa)Verallgemeinerungsfähigkeit Als eine Voraussetzung für die Qualifikation einer primären Wertentscheidung als Gerechtigkeitsmaßstab kann die Verallgemeinerungsfähigkeit für das jeweilige Rechtsgebiet betrachtet werden.186 In Husters Darstellung lässt sich dieses Kriterium der Kontrollfrage entnehmen, welche er zur Abgrenzung von Gerechtigkeits- und Zweckmäßigkeitserwägungen vorschlägt: „Wenn ein Grund für eine Ungleichbehandlung geltend gemacht wird und man es nicht für ungerecht gegenüber dem Betroffenen halten würde, wenn die gesamten Differenzierungen des jeweiligen Rechtsgebietes sich nach diesem Grund richten würden, so handelt es sich um einen Grund der Gerechtigkeitserwägungen folgt. Handelt es sich dagegen um einen Grund, der zwar ein legitimes Ziel verfolgt und daher nicht willkürlich ist, als generelles und einziges Regelungsprinzip aber gegenüber dem Betroffenen nicht zu rechtfertigen wäre, so handelt es sich vermutlich um eine Zweckmäßigkeitsüberlegung.“187 Als etwas problematisch an diesem Kriterium könnte es erscheinen, dass es die Grenzziehung zwischen Gerechtigkeits- und Nützlichkeitserwägungen im Ergebnis doch von der subjektiven Einschätzung abhängig macht, indem darauf abgestellt wird, was „man“ für den Ausdruck von Gerechtigkeit hält.188 Auch ___________ 185

Siehe oben, S. 177. Huster, Rechte, S. 243. 187 Huster, Rechte, S. 243. – Insofern ist es jedoch zumindest erklärungsbedürftig, wenn Huster, Rechte, S. 388 und 392 die Begriffe der „Grundsätzlichkeit“ oder „Allgemeinheit“ zur Ermittlung von Gerechtigkeitsmaßstäben (im Rahmen der Systemgerechtigkeit) abzulehnen scheint. 188 Siehe auch Huster, Rechte, S. 227: „In Bereichen, in denen die Gerechtigkeitsmaßstäbe – verfassungsrechtlich und/oder im allgemeinen Rechtsbewusstsein – weitge186

B. Prüfungsverfahren

211

ein etwaiger Rückgriff auf die in der Gesellschaft oder Rechtswissenschaft vorherrschende Auffassung erscheint insofern nicht unproblematisch, da ja bekanntlich auch bei deren Ermittlung die Meinungen häufig auseinander gehen.189 Jedoch scheint dieses Problem dem Begriff der Gerechtigkeit immanent zu sein: Was gerecht ist, lässt sich eben nicht unabhängig von Zeit und Gesellschaft bestimmen.190 Zudem sei auch an dieser Stelle nochmals auf den Gewinn an Transparenz und dogmatischer Genauigkeit hingewiesen, den Husters Modell dennoch mit sich bringt: Die Schutzbereichsbestimmung des Art. 3 Abs. 1 GG bleibt – im Unterschied zur Vergleichsgruppenbildung nach der bisherigen Dogmatik – eng an das Gesetz gekoppelt.191 So mag zwar die Abgrenzung zwischen internen und externen Zwecken letztlich von eher schwer fassbaren gesellschaftlichen Anschauungen abhängen. Jedoch wird diese Abgrenzung nur zwischen primären Wertentscheidungen vorgenommen, die im Rahmen der Gesetzesauslegung ermittelt werden können.192 Auch die primären Wertentscheidungen, die Diskriminierungsverboten zugrunde liegen, enthalten verallgemeinerungsfähige Erwägungen: Gerade aufgrund ihrer lebens- und sachbereichsübergreifenden Geltung dürften die primären Wertentscheidungen von Diskriminierungsverboten als Rechtsgedanken zu verstehen sein, die gewissermaßen grundlegend für alle lebens- und sachbereichsbezogenen Konkretisierungen der Gerechtigkeit sind. Zur Veranschaulichung sei angenommen, dass der Gesetzgeber ein Gesetz erlässt, welches die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zur chinesischen Bevölkerungsgruppe verbietet. Geschieht dies angesichts zunehmender Rassendiskriminierung im Allgemeinen, ohne dass sich bei Chinesen eine besondere Gefährdungslage erkennen lässt, dürfte eine Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf Chinesen – unabhängig von Art. 3 Abs. 3 GG, sondern allein aufgrund Art. 3 Abs. 1 GG – verfassungsrechtlich bedenklich sein. Denn die primäre Wertentscheidung, die dem Gesetz vom Gesetzgeber zugrunde gelegt wurde, wird durch das Kriterium der chinesischen Volkszugehörigkeit nicht logisch konsistent umgesetzt. Die Tatsache, dass das Gesetz anderen Be-

___________ hend geklärt sind, wird eine von diesen Maßstäben abweichende Differenzierung eher willkürlich erscheinen als in Fragen, die politisch hochgradig umstritten sind.“ 189 Dieses Problem sieht offensichtlich auch Huster, wenn er die Abgrenzung zwischen internen und externen Zwecken als „neuralgischen Punkt“ bezeichnet und darauf hinweist, dass zur Differenzierung (nur) auf eine Kontrollfrage zurückgegriffen werden kann, „die auf einem mehr oder weniger formalen Kriterium beruht.“ – Huster, Rechte, S. 243. 190 Nachweise zur Kontextrelativität siehe Fn. 21 auf S. 173. 191 Siehe oben, S. 183 ff. 192 Zur Bedeutung der Abgrenzung siehe auch Huster, Rechte, S. 243, Fn. 325: „Was [Gemeint sind die Probleme bei der Abgrenzung zwischen internen und externen Zwecksetzungen, der Verf.] weniger tragisch ist, als es auf dem ersten Blick scheint; denn schließlich geht es hier nicht abschließend um die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung, sondern nur darum, auf welcher Stufe die Frage ihrer Zulässigkeit entschieden werden muss.“

212

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

völkerungsgruppen einen Diskriminierungsschutz vorenthält, lässt sich insofern als ein Eingriff in das Rechtsgut der Individualgerechtigkeit verstehen, der rechtfertigungsbedürftig ist.

bbb) Einklagbarkeit Als eine weitere Kontrollfrage zur Unterscheidung von internen Gerechtigkeitszwecken und externen Nutzenszwecken wird von Huster die Frage nach der Einklagbarkeit gestellt. Danach ist ein Differenzierungsgrund dann ein Aspekt der Gerechtigkeit, wenn der Einzelne sich auf ihn berufen kann.193 Diese Kontrollfrage erscheint wenig geeignet, eine Abgrenzung zwischen internen und externen Zwecken vorzunehmen. Vielmehr dürfte es sich hierbei eher um einen Zirkelschluss handeln: Anhand der Kontrollfrage soll festgestellt werden, ob es sich bei dem Differenzierungsgrund um einen Aspekt der Gerechtigkeit handelt. Nur wenn es sich um einen Aspekt der Gerechtigkeit handelt, stellen die Differenzierungen nach den betreffenden Kriterien ein Recht dar, welches wiederum Voraussetzung für die Einklagbarkeit ist. Indem Huster nun die Frage, ob es sich um ein Recht handelt (auf das man sich berufen kann), zur Kontrollfrage macht, macht er das gesuchte Ergebnis zum Kriterium in der Testfrage.

ccc) Steigerungsfähigkeit An anderer Stelle in Husters Darstellung könnte der Eindruck entstehen, dass Huster als Voraussetzung für das Vorliegen eines Gerechtigkeitsmaßstabs die Steigerungsfähigkeit des Differenzierungsgrundes erachtet. So verwendet Huster als Beispiele nur Gerechtigkeitsmaßstäbe, die zwei Größen in eine bestimmte Proportion zueinander setzen,194 wie z.B. das Äquivalenzprinzip im Gebührenrecht und die Schuldangemessenheit oder -proportionalität im Strafrecht.195 Vor diesem Hintergrund könnte es fraglich erscheinen, ob eine Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit nach Husters Modell auch dann anzunehmen ist, wenn eine Ungleichbehandlung in dem Abweichen von einer schlichten, nicht steigerungsfähigen Festsetzung, also nicht in dem Abweichen von einem steigerungsfähigen Gerechtigkeitsmaßstab begründet liegt. ___________ 193 Huster, Rechte, S. 218: „Ob ein Differenzierungsgrund ein Aspekt der Gerechtigkeit ist, kann man daher feststellen, indem man fragt, ob sich der Einzelne auf ihn berufen kann.“ 194 Siehe auch Huster, in: Berliner Kommentar, Art. 3 GG, Rdnr. 67. 195 Huster, Rechte, S. 156 f.

B. Prüfungsverfahren

213

Eine derartige Beschränkung des Begriffs des Gerechtigkeitsmaßstabs erscheint jedoch nicht als zwingend. Vielmehr dürfte es einige Sachverhalte geben, denen keine steigerungsfähigen Gerechtigkeitsmaßstäbe zugrunde liegen. Dies bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass ein Abweichen von solchen Gerechtigkeitsmaßstäben als weniger gravierend erscheinen muss oder sich von vornherein nicht als Eingriff in die Individualgerechtigkeit im Sinne von Husters Modell begreifen ließe. Ein nicht-steigerungsfähiger Gerechtigkeitsmaßstab lässt sich den Grundrechten entnehmen: Indem hinsichtlich der Bestimmung des personalen Schutzbereichs an die Eigenschaften als Mensch oder „Deutscher“ angeknüpft wird, werden in dieser Hinsicht nicht-steigerungsfähige Kriterien zugrunde gelegt. Ohne Zweifel ist jedoch ein Eingriff in die Individualgerechtigkeit anzunehmen, wenn einzelnen Personen Grundrechte nicht gewährleistet werden.196 Insofern stellt die Einordnung als „Mensch“ einen Gerechtigkeitsmaßstab dar, der nicht steigerungsfähig ist.

ddd) Aspekt der „individuellen Würdigkeit“ Ein weiterer Ansatzpunkt zur Bestimmung des Begriffs des Gerechtigkeitsmaßstabs lässt sich der von Huster vorgenommenen rechtlichen Charakterisierung des Art. 3 Abs. 1 GG entnehmen. Danach beinhalte diese Vorschrift das Recht, „gemäß den jeweiligen Maßstäben der Gerechtigkeit im engeren Sinne [d.h. der Individualgerechtigkeit] und damit gemäß der individuellen Würdigkeit behandelt zu werden.“197 Der Begriff der individuellen Würdigkeit suggeriert dabei möglicherweise, dass die Wertungen, die im Rahmen der Prüfung von Art. 3 Abs. 1 GG zugrunde zu legen sind, eine bestimmte inhaltliche Wertigkeit aufweisen müssen. Huster greift den Aspekt jedoch in seinen Ausführungen nicht ausdrücklich auf. Inwieweit alle primären Wertentscheidungen in dieser Hinsicht als Gerechtigkeitsmaßstäbe bezeichnet werden können, soll in dieser Arbeit nicht näher untersucht werden. Angesichts des grundsätzlichen Charakters der primären Wertentscheidungen bei Diskriminierungsverboten drängen sich insofern zumindest keine Bedenken auf.

___________ 196 Kriele, Staatslehre, S. 207 ff. Auch Huster weist auf die Möglichkeit hin, dass Gerechtigkeitsmaßstäbe unmittelbar an die Eigenschaft als „Mensch“ anknüpfen können. Als Beispiel führt er hier die Freiheitsrechte an. – Huster, Rechte, S. 229. Zum Merkmal „Mensch“ als Gerechtigkeitsmaßstab siehe auch Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 1,7, 10. 197 Siehe oben, S. 171.

214

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

eee) Alter der Norm Ein weiteres Begriffsmerkmal zur Bestimmung des Begriffs des Gerechtigkeitsmaßstabs lässt sich möglicherweise der Erörterung der Frage der Systemgerechtigkeit entnehmen. Hier läuft die Diskussion über die Begriffsmerkmale systemdefinierender Maßstäbe parallel zur Frage der begrifflichen Eingrenzung von Gerechtigkeitsmaßstäben. Als begriffsbestimmendes Merkmal systemdefinierender Gerechtigkeitsmaßstäbe wird unter anderem auf das Alter bestimmter Normen abgestellt.198 Dieses Begriffsmerkmal dürfte sich jedoch wohl eher als wenig hilfreich erweisen: Älteren Normen einen herausgehobenen Status in der Normenhierarchie zuzuordnen, widerspricht den Grundsätzen des demokratischen Verfassungsstaates: Hier gilt grundsätzlich der Vorrang des neueren Rechts gegenüber dem älteren Recht.199 Als entscheidend erscheint damit lediglich das Begriffsmerkmal der Verallgemeinerungsfähigkeit. Es ist festzuhalten, dass es in begrifflicher Hinsicht keine Anhaltspunkte dafür gibt, primären Wertentscheidungen bei Diskriminierungsverboten den Charakter von Gerechtigkeitsmaßstäben abzusprechen. Für die Zwecke dieser Arbeit werden die primären Wertentscheidungen bei Diskriminierungsverboten als Gerechtigkeitsmaßstäbe behandelt. Der Frage, inwieweit lebens- und sachbereichsbezogenen Gerechtigkeitsmaßstäben im Rahmen der Prüfung der Systemgerechtigkeit möglicherweise eine größere Veränderungsresistenz200 zukommt als lebens- und sachbereichsübergreifenden Gerechtigkeitsmaßstäben, soll hier nicht jedoch vertiefend behandelt werden, da der Schwerpunkt der sich nun anschließenden Verfassungsmäßigkeitsprüfung auf der Überprüfung der logisch konsistenten Umsetzung des internen Zwecks des Diskriminierungsverbots liegt.

3. Rechtliche Charakterisierung von Diskriminierungsverboten im Rahmen des Eingriffsmodells Für die rechtliche Einordnung von Diskriminierungsverboten ergeben sich somit hinsichtlich des Eingriffsmodells im Wesentlichen drei Konsequenzen: – Diskriminierungsverbote haben eigenständige Schutzbereiche. – Gerechtigkeitsmaßstäbe können einen lebens- und sachbereichsübergreifenden Charakter haben. ___________ 198

Dazu Huster, Rechte, S. 388, 392, welcher dieses Kriterien jedoch ablehnt. Huster, Rechte, S. 388 m.w.N. 200 Siehe dazu Fn. 37 auf S. 176. 199

B. Prüfungsverfahren

215

– Diskriminierungsverbote bilden mit bestehenden Gerechtigkeitsmaßstäben komplexe Gerechtigkeitsmaßstäbe. Entgegen der oben dargestellten, von Huster vertretenen These bilden Diskriminierungsverbote einen eigenständigen Schutzbereich. Diskriminierungsverbote stellen dabei negative Konkretisierungen des Schutzbereichs der Individualgerechtigkeit dar, da sie nicht die Verwendung eines bestimmten Kriteriums vorschreiben (positive Konkretisierung), sondern nur die Verwendung bestimmter Kriterien verbieten (negative Konkretisierung). Diese Feststellung steht nicht der Annahme entgegen, dass auch Diskriminierungsverboten Gerechtigkeitsmaßstäbe zugrunde liegen. Sofern nämlich der Gesetzgeber zur Umsetzung einer negativen Konkretisierung ein ungeeignetes Kriterium wählt, führt dies – genauso wie bei positiven formulierten Gerechtigkeitsmaßstäben – zu einer Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit, da der durch das einfachgesetzliche Diskriminierungsverbot transportierte Gerechtigkeitsmaßstab nicht logisch konsistent umgesetzt wird. Die gleichheitsrechtliche Überprüfbarkeit von Diskriminierungsverboten ist dabei nicht beschränkt. Denn der weite Einschätzungsspielraum, der dem Gesetzgeber im privatrechtlichen Bereich eingeräumt wird,201 gilt nicht hinsichtlich der Prüfung der Zweckumsetzung bei lebens- und sachbereichsübergreifenden Diskriminierungsverboten: Zum einen muss zumindest bei einfachgesetzlichen Diskriminierungsverboten, die sowohl im privatrechtlichen als auch im öffentlich-rechtlichen Bereich Anwendung finden, von einer strikten Grundrechtsbindung ausgegangen werden.202 Zum anderen dürfte der Gesetzgeber, sofern er sich für eine gesetzliche Regelung allein im privatrechtlichen Bereich entschieden hat, angesichts der besonderen grundrechtlichen Bedeutung von Diskriminierungsverboten grundsätzlich an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sein, da anderenfalls sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen vom Staat gerade befördert werden würden. Mit der Feststellung, dass auch Diskriminierungsverboten primäre Wertentscheidungen zugrunde liegen, wird auch eine weitere These von Huster widerlegt, wonach Gerechtigkeitsmaßstäbe (nur) lebens- und sachbereichsbezogen203 ___________ 201

Zum Einschätzungsspielraum des Privatgesetzgebers siehe S. 196, Fn. 120. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Vorb. vor Art. 1 GG, Rdnr. 56. 203 Huster, Rechte, S. 220: „Spezifische Gerechtigkeit“; Huster, Rechte, S. 221: „Auf dieser zweiten Stufe wird das allgemeine Gebot der gleichen Berücksichtigung für die verschiedenen Lebensbereiche und Sachprobleme konkretisiert“; Huster, Rechte, S. 221: „[Der Gleichheitssatz] verweist auf die Gerechtigkeitsprinzipien spezifischer Lebensbereiche“; Huster, JZ 1994, 541 (547): „Diese Ausprägungen sind bereichs- und kontextspezifisch.“; Huster, Rechte, S. 363: „Generell hat dies zur Folge, dass Gleichheit und Gerechtigkeit ‚relativ‘ sind: nämlich kontextrelativ. Es gibt kein einzelnes Kriterium, das für die Verteilung aller Güter und Lasten gilt.“; Huster, Rechte, S. 216: „bereichsspezifische Gerechtigkeitskriterien“. 202

216

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

zu bestimmen seien.204 Nicht alle Gerechtigkeitsmaßstäbe sind lebens- und sachbereichsbezogen, vielmehr können Diskriminierungsverbote ein Beispiel für lebens- und sachbereichsübergreifende Gerechtigkeitsmaßstäbe darstellen. Zwar dürfte es stimmen, dass viele Gerechtigkeitsmaßstäbe auf einen bestimmten Lebens- und Sachbereich zugeschnitten sind und von daher die Besonderheiten des jeweiligen Kontextes bei der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG berücksichtigt werden müssen.205 Indem Huster die Lebens- und Sachbereichsbezogenheit zum notwendigen Charakteristikum von Gerechtigkeitsmaßstäben erklärt, ist die These jedoch nicht mehr haltbar. Insbesondere negative Konkretisierungen der Gerechtigkeit (welche beispielsweise in Diskriminierungsverboten Ausdruck finden) können auf viele Lebens- und Sachbereiche Anwendung finden. In diesen Fällen werden sie von lebens- und sachbereichsübergreifenden Gerechtigkeitsmaßstäben getragen. Dies gilt jedenfalls für die meisten in Deutschland diskutierten Entwurfsfassungen206, nach denen das genetische Diskriminierungsverbot in seiner Wirkung nicht auf einen bestimmten Rechtsbereich, z.B. auf den Bereich des Arbeits- oder des Versicherungsrechts, begrenzt ist. Wie die bereits oben skizzierte Darstellung von Verwendungsmöglichkeiten für genetische Daten zeigt, ist der Anwendungsbereich auch nicht rein faktisch, gewissermaßen aus der Natur der Sache, auf bestimmte Bereiche beschränkt, sondern erstreckt sich grundsätzlich auf alle Lebensbereiche.207

Wenn – wie Huster sagt – durch die positiven Relevanzkriterien abwägungsfähige Güter geschaffen werden, kann genau dieses Rechtsgut beeinträchtigt werden, wenn die dazugehörigen negativen Irrelevanzkriterien zur Grundlage einer Ungleichbehandlung werden. Sie ergänzen insofern den positiv formulierten Gerechtigkeitsmaßstab und bilden mit ihm eine komplexe Gerechtigkeitsidee.208 Unter diesem Aspekt können auch die Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG Gerechtigkeitsgedanken transportieren: Sie definieren, was unsachlich ist. Werden sie zur Grundlage einer Ungleichbehandlung gemacht, stellen sie eine Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit dar, weil insoweit die „richtigen“ Gerechtigkeitsmaßstäbe begriffsnotwendig keine Anwendung finden. Dass sie Wertentscheidungen transportieren, lässt sich daran verdeutlichen, dass sie historisch gesehen sehr wohl eine Bedeutung gehabt haben dürften.209

___________ 204

Möglicherweise verbindet Huster mit der Vorstellung von Gerechtigkeitsmaßstäben eine besondere Veränderungsresistenz – siehe dazu bereits oben, S. 176, Fn. 37. Eine solche Veränderungsresistenz ließe sich jedoch auch lebens- und sachbereichsübergreifenden Diskriminierungsverboten zuordnen. 205 Siehe auch BVerfGE 60, 124 (134) m.w.N.: „Bei der Anwendung des Gleichheitsgebotes ist der jeweilige Lebens- und Sachbereich zu berücksichtigen.“ 206 Siehe oben, S. 40 ff. 207 Siehe S. 132 ff. 208 Zum Begriff des komplexen Gerechtigkeitsmaßstabs siehe oben, S. 193. 209 Siehe oben, S. 203 ff.

B. Prüfungsverfahren

217

V. Vorgaben für die gleichheitsrechtliche Prüfung von lebens- und sachbereichsübergreifenden Diskriminierungsverboten Unter Berücksichtigung der in diesem Abschnitt vorgenommenen Überlegungen ergibt sich damit für die Prüfung der verschiedenen Regelungsvarianten für ein einfachgesetzliches Verbot genetischer Diskriminierung folgender Prüfungsablauf: 1. Die Bestimmung von Inhalt und Umfang des Schutzbereichs erfolgt in vier Schritten: a) Ermittlung des Zwecks: Im Rahmen der Bestimmung des Schutzbereichs soll zunächst im Wege der Auslegung der Regelung untersucht werden, welche Gerechtigkeitsmaßstäbe der Einführung eines Diskriminierungsverbots im eigentlichen Sinne zugrunde liegen könnten.210 Das Verbot eines bestimmten Diskriminierungskriteriums bringt zum Ausdruck, dass die Verwendung eines bestimmten Diskriminierungskriteriums als ungerecht empfunden wird bzw. aus anderen (externen) Gründen nicht gewollt ist. In der Auslegung des Diskriminierungsverbots ist nun zu fragen, warum das so ist, was also die primäre Wertentscheidung ist, die der Regelung zugrunde liegt. b) Erläuterung des Zwecks: Der ermittelte Zweck wird dann anhand von Beispielen erklärt und in einen rechtlichen Zusammenhang mit vergleichbaren, bereits bestehenden Regelungsvarianten gestellt. c) Bestimmung der zweckspezifischen Rechtsfolge: Im Anschluss an die Bestimmung des Zweck wird die zweckspezifische Rechtsfolge ermittelt. Wie im Rahmen der Darstellung des Prüfungsverfahrens herausgearbeitet, ist die Rechtsfolge in Abhängigkeit des zugrunde gelegten Gerechtigkeitsmaßstabs zu bestimmen. d) Überprüfung der Zwecksetzung: In einem vierten Schritt wird geprüft, inwieweit die ermittelten Gerechtigkeitsmaßstäbe als Zwecksetzung verfassungsrechtlich zulässig sind. Dies erfolgt im Wesentlichen im Rahmen einer Willkürprüfung.211 2. Anschließend ist im Rahmen einer Entsprechensprüfung zu untersuchen, ob ein Eingriff in Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt (Überprüfung der Zweckumsetzung). Zu fragen ist also, ob das vom Gesetzgeber gewählte Diskriminierungskriterium den im Wege der Auslegung des genetischen Diskriminie-

___________ 210 211

Vgl. S. 171 ff. Vgl. S. 171 ff.

218

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

rungsverbots ermittelten Gerechtigkeitsmaßstab logisch konsistent umsetzt.212 3. Sofern die ermittelten Gerechtigkeitsmaßstäbe jedoch nicht in logisch konsistenter Weise umgesetzt werden, ist im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu untersuchen, ob solche Abweichungen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind (Verfassungsrechtliche Rechtfertigung inkonsistenter Zweckumsetzung). Erst wird dazu die Eingriffsintensität in den Gewährleistungsbereich des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt, dann werden die entgegenstehenden Rechte und Interessen ermittelt, um diese beiden Gesichtspunkte schließlich gegeneinander abzuwägen. In der dabei durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung wird geprüft, inwieweit die durch die Spezifikationen bedingten Typisierungen geeignet, erforderlich und angemessen sind.213 Auf folgende Besonderheiten bei der gleichheitsrechtlichen Überprüfung eines einfachgesetzlichen lebens- und sachbereichsübergreifenden Diskriminierungsverbots sei an dieser Stelle noch einmal hingewiesen:

1. Geltungsvorrang gegenüber früheren und allgemeineren Gesetzen Ganz entscheidend für ihre lebens- und sachbereichsübergreifende Anwendbarkeit ist der Umstand, dass einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote grundsätzlich Geltungsvorrang gegenüber anderen einfachgesetzlichen Regelungen gleichen Rangs haben. Begründet werden kann dies sowohl mit dem Grundsatz des Vorrangs des früheren Gesetzes als auch mit dem Vorrang des spezielleren Gesetzes: Als das spätere Gesetz hat die einfachgesetzliche Regelung genetischer Diskriminierung zunächst einmal Vorrang vor allen anderen Gesetzen in ihrem Anwendungsbereich (lex posterior derogat legi priori).214 Zudem ist eine Regelung eines Verbots genetischer Diskriminierung wohl auch als speziellere Regelung zu werten. Zwar dürften viele andere Regelungen spezieller auf den jeweiligen Lebens- und Sachbereich zugeschnitten sein. Jedoch ist das Diskriminierungsverbot hinsichtlich des Diskriminierungskriteriums spezieller: Speziell genetische Eigenschaften werden einem besonderen Diskriminierungsverbot unterworfen. Nach dem hier zugrunde gelegten Gerechtigkeitsmaßstab ist danach die Bewertung aufgrund genetischer Eigenschaften verboten (Lex specialis derogat legi generali).215 ___________ 212

Ähnlich auch: Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (202), sofern er von der „inneren Logik“ des Schutzes vor genetischer Diskriminierung spricht. 213 Vgl. S. 180 ff. und S. 187 ff. 214 Dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 65. 215 Dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 65.

B. Prüfungsverfahren

219

Diese lebens- und sachbereichsübergreifende Anwendbarkeit tritt jedoch nur unter dem Vorbehalt ein, dass andere Regelungen eine solche Rechtswirkung nicht ausdrücklich ausschließen. So gelten einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote nur im Privatrechtsverkehr, für die Rechtsprechung und für die Verwaltung, nicht aber für den Gesetzgeber (Art. 20 Abs. 3 GG). Demzufolge ist der Gesetzgeber nicht an sie gebunden und kann – insbesondere in Folgegesetzen – Ausnahmeregelungen treffen.

2. Diskriminierungskriterium (lediglich) als Indikator Wie immer bei der Ermittlung von Gerechtigkeitsmaßstäben stellt sich das Problem, dass sich dem Gesetzestext die Tatbestandsmerkmale, im Falle von Diskriminierungsverboten das verbotene Diskriminierungskriterium (z.B. „genetische Merkmale“, „genetische Untersuchungen“), entnehmen lässt, nicht jedoch unmittelbar auch der Gerechtigkeitsmaßstab. Insbesondere im Hinblick auf die Diskussion um das Verbot genetischer Diskriminierung erscheint es wichtig, sich dieses Punkts zu vergewissern: Der Grund für die besondere Diskriminierungsschutzgewährleistung kann nicht in dem schlichten Hinweis auf eine (behauptete) besondere rechtliche Qualität genetischer Daten liegen. Das Diskriminierungskriterium selbst ist zunächst einmal nur ein Mittel zur Umsetzung eines Gerechtigkeitsmaßstabs und nicht der Gerechtigkeitsmaßstab selbst.216 In diesem Problemaufriss enthalten ist eine auch noch später im Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Rechtsgewährleistungen zu behandelnde Frage: Ist die Problematik, die durch die Entwicklung im gendiagnostischen Bereich ins gesellschaftliche Bewusstsein getreten ist, Grund oder lediglich Anlass für die Formulierung von Rechtsgewährleistungen.217 Sofern sie lediglich als Anlass zu verstehen ist, muss in verfassungsrechtlicher Hinsicht nach weiterreichenden, abstrakteren Lösungen gesucht werden, die den dahinter stehenden Gerechtigkeitsmaßstab ausreichend erfassen, da dieser den eigentlichen Grund für die rechtliche Problematisierung neuer technischer bzw. gesellschaftlicher Entwicklungen darstellt. Eine Beschränkung auf so genannte „genetische Rechte“ erscheint vor diesem Hintergrund nicht angebracht.

___________ 216 Zur Begründung, dass auch Diskriminierungsverbote Gegenstand der Prüfung anhand des Art. 3 Abs. 1 GG sein können: Siehe oben, S. 183 ff. und S. 203 ff. 217 Dazu S. 390 ff.

220

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

3. Keine Bezugnahme auf lebens- und sachbereichsbezogene Gerechtigkeitsmaßstäbe Da die meisten Regelungsvarianten für ein genetisches Diskriminierungsverbot lebens- und sachbereichsübergreifende Geltung beanspruchen, soll nur nach lebens- und sachbereichsübergreifenden Gerechtigkeitsmaßstäben gesucht werden. In der Konsequenz kann nicht auf Gerechtigkeitsmaßstäbe aus konkreten Lebens- und Sachbereichen zurückgegriffen werden. Als Anhaltspunkte für den gesuchten Rechtsgedanken kommen somit nur in Betracht: – das Diskriminierungskriterium und die ihm anhaftenden Besonderheiten, welche möglicherweise Rückschlüsse auf den zugrunde liegenden Gerechtigkeitsmaßstab erlauben, – die gesetzgeberische Begründung zur Einführung des konkret zu prüfenden Diskriminierungsverbots und – verfassungs- und gesetzessystematische Erwägungen. Bei dem Versuch, zugrunde liegende Gerechtigkeitsmaßstäbe zu abstrahieren, sind Anhaltspunkte zunächst in dem Wortlaut der Regelungsvarianten selbst zu suchen. Da nämlich die in der gesetzlichen Regelung gewählten Anknüpfungskriterien Mittel zur rechtlichen Umsetzung einer bestimmten Wertvorstellung sind, dürften sie in der Regel auch Rückschlüsse auf diese erlauben. Erkenntnisleitend kann hier die Frage sein, welche Charakteristika die gewählten Anknüpfungskriterien aufweisen und welche davon möglicherweise als maßgeblich für die Fassung eines neuen Diskriminierungsverbots erscheinen. Eine Analyse der Charakteristika genetischer Daten ist bereits erfolgt.218 Auf die vorgenommenen Kategorisierungen soll hier zurückgegriffen werden (Charakteristika des Untersuchungsmaterials, der Untersuchungsmethode, des Untersuchungsergebnisses und der Untersuchungsumstände). Hinweise auf abstrahierbare Gerechtigkeitsgedanken liefern möglicherweise auch die Motive des Gesetzgebers und das ihnen zugrunde liegende gesellschaftliche Meinungsbild, wie es sich beispielsweise der juristischen Fachliteratur entnehmen lässt. Insbesondere die Untersuchung von Einzelfällen von Diskriminierungen, die in der öffentlichen Meinung als ungerecht empfunden werden, kann bei dem Versuch helfen, einem vage formulierten Empfinden von Ungerechtigkeit Konturen zu geben. Zudem können auch systematische Erwägungen bei der Auslegung der genetischen Diskriminierungsverbote hilfreich sein, etwa der Rückgriff auf Verfassung, Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie. Von besonderem Interesse ist dabei ___________ 218

Siehe Kapitel 1.

B. Prüfungsverfahren

221

z.B. der Vergleich mit den historischen Motiven, die zur Festschreibung der bereits bestehenden Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG geführt haben.

4. Vielschichtigkeit der Auslegung Dem Verbot genetischer Diskriminierung können verschiedene Gerechtigkeitsmaßstäbe zugrunde gelegt werden. Dies rechtfertigt sich aus folgender Überlegung: Bei der Bestimmung von Gerechtigkeitsmaßstäben geht es um die Schutzbereichsbestimmung durch die Festlegung des konkreten Gehalts der Individualgerechtigkeit, also gewissermaßen um eine Auslegung auf Tatbestandsseite. Zum einen muss die Auslegung dabei nicht mit der von anderen Diskriminierungsverboten übereinstimmen.219 Zum anderen ist eine eindeutige Festlegung auf einen bestimmten Gerechtigkeitsmaßstab auch für ein und dieselbe Regelung nicht zwingend. Vielmehr ist es im Rahmen einer solchen Auslegung durchaus denkbar, dass ein und dieselbe Norm verschiedene Tatbestände erfasst, welche wiederum verschiedenen Rechtsfolgen unterworfen werden können.220 Als ein Beispiel könnte die Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG betrachtet werden: Auch hier wird ein einheitlicher Wortlaut – „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ – in die Rechtsgewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgeteilt, denen wiederum unterschiedliche Rechtsfolgen zu geordnet werden, indem an die Verletzungen von den verschiedenen Gewährleistungsaspekten verschiedene Rechtfertigungsanforderungen gestellt werden.221

Dagegen spricht auch nicht die Überlegung, dass es ja gerade Aufgabe des Gerichtes sei, eine verbindliche Auslegung festzulegen. Denn die Verpflichtung zu einer eindeutigen Festlegung bezieht sich allein auf die Bestimmung der Rechtsfolgen, nicht auf die Bildung von Fallgruppen. Unzulässig ist es also allein, ein und demselben Sachverhalt verschiedene Rechtsfolgen zuzuordnen.222 Damit schließen sich die verschiedenen Gerechtigkeitsmaßstäbe nicht grundsätzlich gegenseitig aus, sondern ergänzen sich. ___________ 219

Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 241. Stern, Staatsrecht III/1, S. 453 ff., 470 f. Siehe auch oben, S. 175. 221 Zur „Mehrheit von Schutzgegenständen“: Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 48. Vgl. auch S. 388 ff. 222 Allerdings müssen zu Beginn der Prüfung vom Gericht auch hinsichtlich der Rechtsfolge verschiedene Auslegungsvarianten erwogen werden. Denn die Festlegung einer verbindlichen Rechtsfolge steht erst am Ende des Entscheidungsfindungsprozesses, und nicht an dessen Anfang. Im Ausgangspunkt lässt es sich vielmehr als richterliche Pflicht auffassen, alle als möglich erscheinenden Auslegungen zu berücksichtigen. Dieser Ansatz liegt beispielsweise auch dem Gedanken der verfassungskonformen Auslegung zugrunde, in deren Rahmen aus zwei oder mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige als verbindlich zugrunde gelegt wird, die mit der Verfassung vereinbar ist. – Siehe dazu auch S. 201. 220

222

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten Gegenstand der gleichheitsrechtlichen Prüfung wird keine konkrete Regelung sein. Vielmehr sollen in systematisierender Herangehensweise die verschiedenen Spezifikationen, die in diesem Abschnitt herausgearbeitet werden, daraufhin überprüft werden, ob sie den jeweiligen Gerechtigkeitsmaßstab in logisch konsistenter Weise umsetzen. Dieser zunächst möglicherweise etwas verwirrend erscheinende Ansatz rechtfertigt sich angesichts des Umstands, dass es zum derzeitigen Stand noch weitgehend unklar ist, was überhaupt unter genetischer Diskriminierung zu verstehen ist, und wie sie verhindert werden soll. Um sich eine Vorstellung von dem Begriff genetischer Diskriminierung zu machen, genügt es jedoch nicht, lediglich die gleichheitsrechtliche Zulässigkeit eines einzelnen Regelungsentwurfs zu untersuchen. Vielmehr ist es das Ziel dieser Prüfung, gerade mit Hilfe des Rückgriffs auf unterschiedliche Regelungsvorschläge verschiedene Argumentationslinien zu trennen, verschiedene Gerechtigkeitsmaßstäbe zu benennen und daraufhin zu überprüfen, ob sie sich in konsistenter Weise in das bestehende Rechtssystem einfügen lassen. Bevor nun mit der eigentlichen gleichheitsrechtlichen Prüfung begonnen werden kann, müssen daher die verschiedenen Regelungsvarianten systematisch analysiert werden. Dazu wird zunächst die gemeinsame Struktur von Diskriminierungsverboten herausgearbeitet. Darauf aufbauend werden einzelne Spezifikationselemente verschiedener Regelungsvarianten des Verbots genetischer Diskriminierung untersucht.

I. Struktur von Diskriminierungsverboten Zwei wesentliche Elemente lassen sich unterscheiden,223 die grundsätzlich in den Definitionsvorschlägen zum Verbot genetischer Diskriminierung enthalten sind: – das verbotene Diskriminierungskriterium und – die verbotene Diskriminierungshandlung. Zum Teil enthalten die Regelungsvarianten ergänzend – ein Verbot von Vorfelddiskriminierungen. Danach lässt sich die Regelungsvariante „Niemand darf aufgrund seiner genetischen Konstitution oder weil er die Durchführung einer genetischen Untersuchung verweigert

___________ 223

Eine ähnliche Strukturierung von Diskriminierungsverboten findet sich bei Britz, EuGRZ 2002, 381 (384). Sie unter scheidet zwischen „differenzierender Handlung“, „Zusammenhang zum verbotenen Differenzierungskriterium“, „Benachteiligungsabsicht oder -wirkung“ und fehlender Rechtfertigung.

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

223

benachteiligt werden“224 in das verbotene Diskriminierungskriterium „aufgrund seiner genetischen Konstitution“ und die Diskriminierungshandlung „benachteiligen“ aufteilen. Das Verbot, nicht aufgrund der Verweigerung einer genetischen Untersuchung diskriminiert zu werden, lässt sich als Verbot einer Vorfelddiskriminierung auffassen.

Die Struktur des Verbots genetischer Diskriminierung lässt sich damit in folgendem Schaubild darstellen. Auf die hinsichtlich des Diskriminierungskriteriums vorgenommene Unterscheidung zwischen methoden-, informations- und situationsbezogenen Spezifikationen wird später (unter II.) näher einzugehen sein. Beispiel: „Niemand darf ... ... aufgrund seiner genetischen Konstitution ...

... oder weil er die Durchführung einer genetischen Untersuchung verweigert ... ... benachteiligt werden.“

Diskriminierungskriterium

+

Diskriminierungshandlung

(+)

Verbot von Vorfelddiskriminierung

kann Spezifizierungen enthalten hinsichtlich:

Untersuchungsmethode

Untersuchungsergebnis

Untersuchungsumstände

Wann und Wo? Untersuchungs- Informations- Datenerhebungs- art -gegenstand - motivation -anknüpfung zeitpunkt -grundlage Verwendungsweise Grad der Manifestations- Manifestationsdauer wahrscheinlichkeit Anwendungsbereich Wie?

Was?

Art der Handlungsoptionen

Abb. 8: Struktur genetischer Diskriminierungsverbote

___________ 224 So § 2 des (alten) Gesetzentwurfs von Bündnis 90/Die Grünen (2001). Vgl. nun auch Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, § 4 GenDG-E: „Niemand darf [...] wegen der [...] Nichtvornahme einer genetischen Untersuchung [...] benachteiligt werden“.

224

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

II. Einzelne Strukturelemente eines Verbots genetischer Diskriminierung Die verschiedenen Regelungsmöglichkeiten werden nun anhand einiger ausgewählter Regelungsvorschläge veranschaulicht. Den zu diesem Zweck herausgegriffenen Formulierungen kann für die Auslegung jedoch nur indizielle Bedeutung zukommen. Denn welche Bedeutung die einzelnen Formulierungen haben, kann nicht isoliert anhand der verwendeten Formulierung beurteilt, sondern müsste im Wege einer umfassenden Auslegung speziell für das jeweilige Gesetz unter besonderer Berücksichtigung der nationalen Besonderheiten ermittelt werden. Dies wird jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen. Ziel der Darstellung soll es nur sein, eine mögliche Problemlage aufzuzeigen. Auslegungsvorschläge für konkrete Formulierungen stehen damit stets unter dem Vorbehalt der Korrektur durch eine umfassende Regelungsauslegung.

1. Diskriminierungskriterium Das Diskriminierungskriterium kann in vielerlei Hinsicht spezifiziert werden. Mögliche Spezifikationen werden im Folgenden aufgelistet. Diese Auflistung kann ohne Zweifel nicht als vollständige Erfassung der Spezifikationsmöglichkeiten betrachtet werden. Vielmehr dient sie dem Ziel, Grundstrukturen für die sich anschließende Kategorisierung erkennbar zu machen: – Untersuchungsart: Werden die Untersuchungen, deren Nutzung verboten ist, auf allen Untersuchungsebenen erfasst oder nur auf bestimmten, also etwa nur auf Genotyp-, Karyotyp-, Genprodukt- oder Phänotypebene? – Untersuchungsmotivation: Werden nur Ergebnisse gezielter Untersuchungen erfasst oder auch Untersuchungsergebnisse, die bei Gelegenheit im Rahmen einer anderen Untersuchung gewonnen wurden? (Problem der Zufalls- und Zusatzinformationen)225. – Informationsgrundlage: Wird nur die Diskriminierung aufgrund von Eigenschaftsindikatoren oder auch aufgrund von Manifestationen verboten? – Informationsanknüpfung: Wird das Diskriminierungsverbot auf genetische oder auf erbliche Daten bezogen? – Informationsgegenstand: Werden sämtliche Eigenschaften oder nur bestimmte, z.B. nur Krankheiten, vom Diskriminierungsverbot erfasst? – Grad der Aussagegenauigkeit: Wird nur die Nutzung von Daten verboten, deren Eintrittswahrscheinlichkeit eine bestimmte Schwelle überschreitet? ___________ 225

Siehe auch S. 86 ff.

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

225

Welchen Wahrscheinlichkeitsgrad dürfen Aussagen nicht unterschreiten, um nicht vom Verbot erfasst zu werden? – Datenerhebungszeitpunkt: Werden nur postnatale oder auch pränatale Diskriminierungen verboten? Ist das Diskriminierungsverbot an ein bestimmtes Alter gekoppelt? – Verwendungsweise: Werden vom Verbot nur bestimmte Verwendungsweisen, z.B. nur die prädiktive, erfasst? – Manifestationsdauer: Erfasst das Diskriminierungsverbot nur Vorhersagen, die einen bestimmten Zeitraum überschreiten? – sachbereichsbezogene Begrenzung des Diskriminierungsverbots (Anwendungsbereich): Gilt das Diskriminierungsverbot nur für bestimmte Rechtsbereiche, z.B. das Arbeitsrecht oder das Versicherungsrecht? In Anlehnung an die eingangs vorgenommene Kategorisierung der Charakteristika genetischer Daten lassen sich die möglichen Spezifikationen unterscheiden in solche hinsichtlich der Untersuchungsmethode, des Untersuchungsergebnisses und der Untersuchungsumstände.226 Spezifikationen der Untersuchungsmethode betreffen die Art und Weise der Informationsgewinnung. Hierzu gehören Beschränkungen des Regelungsbereichs auf bestimmte Untersuchungsarten und bestimmte Untersuchungsmotivationen. Der Inhalt der Daten wird geprägt vom semantischen Gehalt der Information und dem situativen Kontext, in dem sie verwendet wird. Nähere Bestimmungen des semantischen Gehalts der Information werden im Folgenden auch als Spezifikationen hinsichtlich des Untersuchungsergebnisses bezeichnet. Hier können Informationsgrundlage, -anknüpfung und -gegenstand unterschieden werden. In die Kategorie der Untersuchungsumstände lassen sich u.a. Eingrenzungen hinsichtlich bestimmter Datenerhebungszeitpunkte, der Verwendungsweise oder Anwendungsbereiche einordnen. Diese Kategorisierung macht eine klarere Strukturierung der rechtlichen Bewertung möglich. Wie nachzuweisen sein wird, sind die methodenbezogenen Spezifikationen als verfassungsrechtlich äußerst bedenklich einzustufen, da es im Zusammenhang der Diskriminierung grundsätzlich nur darauf ankommen kann, welche Informationen zur Grundlage einer Ungleichbehandlung gemacht ___________ 226 Parallelen zu dieser Kategorisierung lassen sich möglicherweise in den Kategorien der Semiotik sehen: Die Untersuchungsmethode und -objekt als Ausprägung der syntaktischen Informationsebene; das Untersuchungsergebnis als Ausprägung der semantischen Ebene und die Untersuchungsumstände als Ausprägung der pragmatischen und sigmatischen Ebene. Siehe dazu Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 42. ff.; auch Simitis-Dammann, § 3 BDSG, Rdnr. 6. Zur Bedeutung der Umstände der Datenverwendung siehe auch Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 51.

226

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

werden, und nicht wie diese Informationen gewonnen wurden.227 Die Unterscheidung zwischen daten- und situationsbezogenen Spezifikationen soll dem Gedanken Rechnung tragen, dass die Bedeutung einer Information immer auch von ihrem Verwendungskontext abhängt.228 Im Gegensatz zu den methodenbezogenen Spezifikationen lassen sich für die verfassungsrechtliche Bewertung aus dieser Unterscheidung jedoch keine generalisierenden Schlüsse ziehen. Wichtig für die Auslegung von Diskriminierungsverboten ist die genaue Ermittlung des Inhalts der jeweiligen gesetzlichen Begriffsbestimmungen. Ob tatsächlich eine bestimmte Spezifikation vorliegt, lässt sich nicht immer dem Wortlaut eindeutig entnehmen. Doppeldeutigkeiten können sich z.B. im Hinblick auf den Begriff „genetische Daten“ ergeben:229 Im Sinne von „Daten über Gene“ dürften alle Daten erfasst sein, die – in ergebnisorientierter Betrachtung – die Gene charakterisierende Aussagen treffen. Danach wären alle Daten über genetische Veranlagungen erfasst. Im Sinne von „Daten aus Genen“ dürfte die Wortbedeutung jedoch enger gefasst sein. Nur Daten, die mit einer Untersuchungsmethode direkt aus dem genetischen Material gewonnen wurden, wären von dieser Auslegung erfasst. Die verschiedenen Wortbedeutungen dürften im Wesentlichen der Unterscheidung zwischen methodendefiniertem und datendefiniertem Untersuchungsbegriff entsprechen.

Der konkrete Norminhalt muss in gesetzesspezifischer Auslegung ermittelt werden. Zu differenzieren ist dabei zwischen der formellen Anknüpfung an einen bestimmten Begriff und der materiell-inhaltlichen Einschränkung. Erst die definitorische Festlegung dessen, was unter dem Begriff „genetische Untersuchung“ zu verstehen ist, entscheidet über die systematische Einordnung, ob und inwieweit methoden-, daten- oder situationsbezogene Spezifikationen in der Regelung enthalten sind. So lässt beispielsweise allein die Tatsache, dass in der Formulierung des Diskriminierungsverbots der Begriff „genetische Untersuchung“ als verbotenes Diskriminierungskriterium festgesetzt wird, noch nicht darauf schließen, dass es sich auch um eine methodenspezifische Einschränkung des Diskriminierungsverbots handelt.230 Der Begriff „genetische Untersuchung“ kann sowohl hinsichtlich der Untersuchungsmethode

___________ 227

Zur Verfassungsmäßigkeit methodenbezogener Spezifikationen siehe S. 270 ff., 306 ff. und 337 ff. 228 Siehe Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 42: Unterscheidung zwischen semantischer Bedeutung einerseits und pragmatischer und sigmatischer Bedeutung andererseits. Möglicherweise auch Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 86: Bedeutung der Begleitumstände zur Bewertung einer Handlung. 229 Dementsprechend wird in der Literatur auch zuweilen unterschieden zwischen „genetischen Informationen im weiteren Sinne“ und solchen „in engerem Sinne“ – siehe DGMR, Einbecker-Empfehlungen Nr. 2, MedR 2002, 669 (669). 230 Für ein datenspezifisches Verständnis des Begriffs „genetische Untersuchung“ tritt beispielsweise Schroeder-Kurth, medgen 2000, 461 ff. ein. Ein sehr enger Begriff des Gentests liegt BMJ – Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, Zwischenbericht, S. 158 (nur genetische Tests auf DNS-Ebene).

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

227

als auch hinsichtlich des Untersuchungsergebnisses spezifiziert sein. Ein Beispiel für einen datendefinierten Untersuchungsbegriff lässt sich Art. 12 der sog. BioethikKonvention des Europarats entnehmen:231 „Prädiktive genetische Untersuchungen: Untersuchungen, die es ermöglichen, genetisch bedingte Krankheiten vorherzusagen oder bei einer Person entweder das Vorhandensein eines für eine Krankheit verantwortlichen Gens festzustellen oder eine genetische Prädisposition oder Anfälligkeit für eine Krankheit zu erkennen, dürfen nur für Gesundheitszwecke oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung und nur unter der Voraussetzung einer angemessenen genetischen Beratung vorgenommen werden.“232 Dieser Untersuchungsbegriff enthält keine Beschränkung auf bestimmte Untersuchungsmethoden, sondern erfasst – in ergebnisorientierter Betrachtungsweise – alle Untersuchungen, die Aufschluss über bestimmte genetische Merkmale geben. Ein Beispiel für einen methodendefinierten Datenbegriff findet sich in den Regelungsvorschlägen der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder: „Genetische Daten: Im Zusammenhang mit genetischen Untersuchungen erlangte Informationen über eine Person.“233 Der Untersuchungsbegriff erfasst nur bestimmte Untersuchungsmethoden: „Genetische Untersuchungen: Untersuchungen auf Chromosomen-, Genprodukt oder molekularer DNS-/RNS-Ebene, die darauf abzielen, Informationen über das Erbgut zu erhalten“234 Nicht enthalten sind damit Phänotypuntersuchungen und Untersuchungen, die nicht auf die Erlangung genetischer Informationen abzielen. Entscheidend zur Qualifizierung als genetisches Datum ist danach nicht der Inhalt des Untersuchungsergebnisses, sondern die Art ihrer Gewinnung.

Zusammenfassend lässt sich damit feststellen: – Die formelle Anknüpfung an einen bestimmten Begriff ist nicht ausreichend zur Bestimmung der materiellen Spezifikation des jeweiligen Diskriminierungskriteriums. Sofern im Folgenden von einer Spezifikation eines Diskriminierungskriteriums die Rede ist, ist damit die materiell-inhaltliche Spezifikation gemeint. – Ein und dasselbe Diskriminierungskriterium kann in vielerlei Hinsicht spezifiziert werden, z.B. sowohl in Hinsicht auf bestimmte Untersuchungsmethoden als auch in Hinsicht auf bestimmte Untersuchungsergebnisse. – Die Aufzählung der Spezifikationen ist nicht abschließend. Die Kategorisierung ist nur vom Bestreben geleitet, Spezifikationen zu systematisieren, kann jedoch nicht vollständig alle möglichen Regelungsvarianten erfassen. ___________ 231

Art. 12 des Übereinkommens des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin. 232 Hervorhebungen durch den Verfasser. – Anmerkung: Die Regelung ist keine für das ganze Übereinkommen geltende Begriffsbestimmung und gewinnt auch im Zusammenhang mit dem Verbot genetischer Diskriminierung keine Bedeutung. Sie soll hier nur als veranschaulichendes Beispiel potenzielle Problemlagen aufzeigen. 233 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 3, Nr. 8. 234 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 3, Nr. 1.

228

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Zudem sei auf Folgendes hingewiesen: Nicht alle im Folgenden zitierten Begriffsbestimmungen betreffen die Regelung eines Verbots genetischer Diskriminierung, sondern beziehen sich teilweise auf datenschutzrechtliche Rechte oder das Recht auf Wissen und Nichtwissen. Diese Definitionsvarianten sollen in diesem Zusammenhang nur als veranschaulichende Beispiele potenzielle Problemlagen aufzeigen.

a) Methodenbezogene Spezifikation Genetische Diskriminierungsverbote können dahingehend definiert werden, dass eine Ungleichbehandlung nur dann verboten ist, wenn die Daten, aufgrund derer die Ungleichbehandlung erfolgt, auf eine bestimmte Art und Weise gewonnen wurden. In der sprachwissenschaftlichen Terminologie lässt sich diese Kategorie damit als Ausprägung der syntaktischen Informationsebene verstehen.235 Bei unbefangener Betrachtung erscheint es so, dass nur mit genetischen Untersuchungsmethoden genetische Merkmale festgestellt werden können. Da die Begriffe „genetische Untersuchungen“ und „genetische Merkmale“ insofern als austauschbar erscheinen, erscheint es belanglos, ob ein gesetzliches Verbot die Diskriminierung aufgrund genetischer Untersuchungsmethoden oder die Diskriminierung aufgrund genetischer Merkmale untersagt. Dass dem nicht so ist, soll im Folgenden nachgewiesen werden. Auf den ersten Blick als austauschbar erscheinen z.B. die Begriffe „genetische Untersuchung“ und „Erbanlagen“ in dem Regelungsvorschlag der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder. Bei genauerem Hinsehen trifft dies jedoch nicht zu. Nach § 2 Abs. 2 des Regelungsvorschlags darf niemand aufgrund seiner Erbanlagen oder weil er die Durchführung einer genetischen Untersuchung verweigert, benachteiligt werden. Zulässig wäre demnach jedoch eine Diskriminierung aufgrund der Weigerung, eine Familienanamnese durchführen zu lassen, da derartige Untersuchungen, obwohl sie zur Feststellung der genetischen Konstitution geeignet sind, nach § 3 Nr. 1 des Regelungsvorschlags ausdrücklich aus dem gesetzlichen Anwendungsbereich herausgenommen sind. Ein anderes Beispiel betrifft die Frage, ob so genannte Phänotypuntersuchungen noch vom Begriff der genetischen Untersuchung erfasst sind. So lässt sich beispielsweise anhand eines Schattens auf der Netzhaut durch den Augenarzt feststellen, ob die untersuchte Person eine genetische Veranlagung zu einer bestimmten Darmkrebserkrankung hat.236 Sofern nur Untersuchungen auf der DNS-Ebene vom Begriff der genetischen Untersuchung erfasst werden, sind Ungleichbehandlungen aufgrund von Untersu-

___________ 235

Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 42 ff. Zum Zusammenhang zwischen der Darmkrebserkrankung und dem Netzhautschatten siehe S. 87. 236

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

229

chungen auf Phänotypebene zulässig, auch wenn sie dieselben Ergebnisse hervorbringen.

Sofern methodenspezifische Einschränkungen des Geltungsbereichs des Diskriminierungsverbots vorgenommen werden, werden also nicht alle Untersuchungen erfasst, die Rückschlüsse auf genetische Veranlagungen erlauben. Derartige Einschränkungen finden sich in den Regelungsvorschlägen beispielsweise hinsichtlich bestimmter Untersuchungsarten oder der Untersuchungsmotivation. Unter methodenbezogenen Spezifikationen werden begriffliche Eingrenzungen von Diskriminierungsverboten verstanden, durch die zumindest in Teilaspekten der Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots von der Art und Weise der Informationsgewinnung abhängig gemacht wird. Umgekehrt liegt keine methodenbezogene Spezifikation vor, wenn das Diskriminierungsverbot – unabhängig von der Art und Weise der Informationsgewinnung – allein an den semantischen Gehalt der Information (informationsbezogene Eingrenzung) oder die Umstände ihrer Verwendung (situationsbezogene Eingrenzung) anknüpft.

aa) Hinsichtlich bestimmter Untersuchungsarten Einige Verbote genetischer Diskriminierung beschränken sich auf Daten, die anhand bestimmter Untersuchungsmethoden gewonnen wurden. Hier kommen grundsätzlich folgende Untersuchungsarten in Betracht:237 – molekulargenetische Untersuchungen bzw. Untersuchungen auf Genotypebene (indirekte und direkte Genanalysen) – zytogenetische Untersuchungen238 bzw. Untersuchungen auf Karyotypebene – proteinchemische Untersuchungen bzw. Untersuchungen auf Genproduktebene – Untersuchungen auf Phänotypebene. Diese Untersuchungen können sowohl direkt bei der zu testenden Person durchgeführt werden als auch indirekt im Rahmen einer Familienanamnese bei deren Verwandten.239 Der methodendefinierte Untersuchungsbegriff erfasst Testverfahren, welche mehr oder weniger unmittelbar die genetische Konstitution eines Menschen untersuchen. Typischerweise gemeint sind damit molekulargenetische, zytogeneti___________ 237

Siehe auch S. 91 ff. Art. 3 lit. b des Schweizer Bundesgesetzes über genetischen Untersuchungen beim Menschen (GUMG). Siehe auch Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Zytogenetik“. 239 Eingehender dazu S. 96 ff. 238

230

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

sche und proteinchemische Untersuchungen. Herkömmliche Untersuchungsarten, insbesondere Phänotypuntersuchungen, also Untersuchungen, welche anhand des äußerlich wahrnehmbaren Erscheinungsbildes eines Menschen Rückschlüsse auf seine genetischen Veranlagungen erlauben, sollen dementsprechend nicht unter diesen Begriff fallen. Ausgeschlossen werden auch häufig Familienanamnesen. Zu unterscheiden ist der eben behandelte Begriff vom datendefinierten Untersuchungsbegriff.240 Unter Zugrundelegung dieses Begriffsverständnisses sind unter „genetischen Untersuchungen“ alle Untersuchungsmethoden zu verstehen, die Aufschlüsse über genetische Veranlagungen geben. Damit verliert der Begriff „genetische Untersuchungen“ jedoch seinen eingrenzenden Charakter gegenüber dem Begriff „genetische Veranlagungen“: In ihren Anwendungsbereichen sind die beiden Definitionsvarianten dann für ein genetisches Diskriminierungsverbot deckungsgleich. Formulierungen, welche auf eine Beschränkung des Untersuchungsbegriffs auf bestimmte Untersuchungsarten hindeuten, sind: – „Untersuchungen auf Chromosomen-, Genprodukt-, oder molekulare DNS-/ RNS-Ebene“241 und „Laboranalysen“242 – Damit dürften Familienanamnesen und bestimmte Phänotypuntersuchungen, die sich nicht als Untersuchungen auf Genproduktebene qualifizieren lassen, ausgeschlossen sein. – „molekulargenetische Untersuchungen an Chromosomen, Genen und DNSAbschnitten eines Menschen“243 – Nicht enthalten sind damit nichtmolekulargenetische Untersuchungen, wie mikroskopische Untersuchungen von Chromosomen oder Genprodukt-Analysen.244 Keine einschränkende Wirkung hinsichtlich der Untersuchungsart dürften in der Regel folgende Formulierungen haben: – „zytogenetische, molekulargenetische oder sonstige245/weitere246 Untersuchungen“247 ___________ 240 In der Literatur wird diese Unterscheidung aufgegriffen: DGMR, EinbeckerEmpfehlungen, MedR 2002, 669 (669) – Unterscheidung zwischen genetischen Untersuchungen im engeren und im weiteren Sinne. 241 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 3, Nr. 1. 242 § 4 Nr. 23 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I 127/2005. 243 § 4 Nr. 23 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I Nr. 73/1998 (a.F., jetzt geändert durch BGBl. I 127/2005). 244 Zum § 4 Nr. 23 des österreichischen GenTG a.F. noch Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (193); Simon, Gendiagnostik, S. 28 m.w.N. 245 Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, § 4 Nr.1 des (alten) Gesetzentwurfs (2001).

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

231

– „Untersuchungen, durch die bestimmte ererbte Veranlagungen für Erkrankungen ... zu ermitteln sind, ...“.248

bb) Hinsichtlich der Untersuchungsmotivation Diskriminierungsverbote können in ihrem Geltungsbereich auch hinsichtlich des Untersuchungszwecks beschränkt sein. Als Formulierungen, die möglicherweise im Wege der Auslegung eine Einschränkung des Geltungsbereichs in einer solchen subjektiven, motivationsbezogenen Hinsicht nahelegen, seien hier beispielhaft genannt: – Untersuchungen, die auf die Ermittlung genetischer Informationen „abzielen“249 – Untersuchungen, die „unmittelbar“ auf die Ermittlung genetischer Informationen „abzielen“250 – Untersuchungen „zur“ Feststellung von Mutationen251 – Untersuchungen unter der Verwendung von Untersuchungsmitteln, „die in ihrer konkreten Anwendung dazu dienen, Informationen über genetische Eigenschaften zur Verfügung zu stellen“.252 Zur Kontrastierung seien Formulierungen genannt, die eher einen subjektiven Einschlag hinsichtlich der Motivation bei der Untersuchung ausschließen dürften: – Untersuchungen, die es „ermöglichen“, genetische Informationen zu ermitteln253 ___________ 246

Art. 3 lit. a des Schweizer Bundesgesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG). 247 Vgl. auch: Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, § 3 Nr. 2 GenDG-E. 248 § 22 Abs. 3, Satz 1 Entwurf des Arbeitsschutzrahmengesetzes (1993). In dieser Auslegung vgl. Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 2-6 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752, S. 45; Marquardt, Genetische Analysen, S. 44. Eine Differenzierung nach der Untersuchungsmethode findet nur hinsichtlich der formellen Rechtfertigungsanforderungen Bedeutung: DNS-Analysen müssen durch Gesetz ausdrücklich zugelassen werden, für die anderen Untersuchungsverfahren genügt eine Rechtsverordnung. 249 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 3, Nr. 1. 250 Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, § 4 Nr. 1 des Gesetzentwurfs; Art. 3 lit. a des Schweizer Bundesgesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG). 251 § 4 Nr. 23 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I Nr. 73/1998 a.F. (nunmehr geändert durch BGBl. I 127/2005). 252 Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, § 3 Nr. 2 i.V.m. Nr. 4 GenDG-E.

232

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

– „Laboranalyse, die zu Aussagen über konkrete Eigenschaften hinsichtlich Anzahl, Struktur oder Sequenz von Chromosomen, Genen oder DNA … führt.“254 – „Jede Unterscheidung ..., die es zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen im ... Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt wird.“255 – „jede Form der Diskriminierung einer Person wegen ihres genetischen Erbes ...“256 – Sonderfall: „Niemand darf einer Diskriminierung aufgrund genetischer Eigenschaften ausgesetzt werden, die darauf abzielt, Menschenrechte, Grundfreiheiten oder die Menschenwürde zu verletzen, oder dies zur Folge hat“.257 Sofern die motivationsspezifische Ausrichtung der Formulierung tatsächlich den Geltungsbereich der jeweiligen Regelung begrenzt, wären Personen, die aufgrund von Daten diskriminiert werden, die lediglich „bei Gelegenheit“ von Untersuchungen mit anderer Zielrichtung ermittelt wurden (Zufallsinformationen)258, nicht vor Diskriminierungen geschützt. Das Problem der zufällig gewonnenen Untersuchungsergebnisse könnte sich etwa im Fall einer betriebsärztlichen Augenuntersuchung ergeben, bei der anhand der zufälligen Feststellung einer bestimmten Pigmentepithelveränderung auf der Netzhaut auf eine genetische Veranlagung zu einer bestimmten Darmkrebsart rückgeschlossen werden kann.259

___________ 253

Art. 12 der Bioethik-Konvention des Europarates. § 4 Nr. 23 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I 127/2005. 255 Siehe etwa die Formulierung in Art. 1 des „Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 21. Dezember 1965“. – Britz, EuGRZ 2002, 381 (384) behandelt diesen Aspekt als das eigenständige „Diskriminierungsmerkmal“ der „Benachteiligungsabsicht oder -wirkung“. 256 Art. 11 der Bioethik-Konvention des Europarates. Von diesem Diskriminierungsverbot dürfte wohl auch die Verwendung von Informationen über das Erbmaterial des Einzelnen erfasst sein, von denen nur „bei Gelegenheit“ Kenntnis erlangt wurde. – Vgl. Spranger, VersR 2000, 815 (819). 257 Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und Menschenrechte. – Diese Regelungsvariante soll im Weiteren zunächst einmal unberücksichtigt bleiben, da die tatbestandliche Anknüpfung an Grundrechtsverletzungen – zumindest auf den ersten Blick – sehr problematisch erscheint. Denn dass Grundrechte nicht verletzt werden sollen – unabhängig davon, ob dies durch genetische Diskriminierungen geschieht oder durch andere Maßnahmen – ist eine Selbstverständlichkeit. Die Aufgabe, die freiheitsrechtlichen Gewährleistungen angesichts der durch die Gendiagnostik aufgeworfenen Probleme näher zu konkretisieren, erfüllt die Regelung gerade nicht. 258 Siehe auch S. 86 ff. 259 Friedl/Lamberti, in: Ganten/Ruckpaul, Tumorerkrankungen, S. 303 (306, 317 f.) – Siehe auch bereits S. 87. 254

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

233

Demgegenüber dürften Zusatzinformationen auch dann nicht grundsätzlich vom Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots ausgeschlossen sein, wenn es eine motivationsspezifische Einschränkung enthält. Unter Zusatzinformationen sollen hier Untersuchungsergebnisse verstanden werden, die unvermeidlicherweise im Rahmen der Untersuchung gewonnen werden.260 Sofern Informationen als ungewollte Zusatzinformationen im Rahmen von Untersuchungen gewonnen werden, die von der jeweiligen gesetzlichen Regelung umfasst sind, dürften sie genauso wenig zur Grundlage von Diskriminierungen gemacht werden wie Untersuchungsergebnisse, derentwegen die Untersuchung eigentlich durchgeführt wurde. Denn dass die Zusatzinformationen nicht das eigentliche Ziel der Untersuchung sind, dürfte nichts an der juristischen Bewertung ändern, dass sie im Rahmen einer Untersuchung gewonnen wurden, die auf die Ermittlung genetischer Informationen abzielt. Angenommen, ein bestimmtes Gen, welches für die Entwicklung von Darmkrebs verantwortlich gemacht wird, würde zudem auch noch mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für geistigen Verfall im Alter im Zusammenhang stehen. In diesem Fall könnten Vorsorgeuntersuchungen zur Vermeidung des Darmkrebses nicht vorgenommen werden, ohne dass dabei auch Feststellungen zur persönlichen Entwicklung im Alter gemacht werden würden.

Informationen, die gezielt über den ursprünglichen Untersuchungszweck hinaus erhoben werden (Überschussinformationen)261, sind unproblematisch auch dann erfasst, wenn das Diskriminierungsverbot auf gezielte Untersuchungen beschränkt ist.

b) Informationsbezogene Spezifikation Auf Grundlage der oben vorgenommenen Klassifizierung lässt sich als eine weitere Möglichkeit zur Begriffsbestimmung des Diskriminierungskriteriums die informationsbezogene Spezifikation unterscheiden. Darunter lassen sich alle Aspekte der Begriffsbestimmung fassen, die das Diskriminierungskriterium hinsichtlich des inhaltlichen Gehalts der Information definieren. Spezifikationsaspekte aus dieser Kategorie dürften in der Sprachwissenschaft der semantischen Ebene zuzuordnen sein.262

___________ 260

Siehe auch S. 86 ff. Siehe auch S. 86 ff. 262 Siehe dazu Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), S. 42. ff. 261

234

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Häufig vorgenommene informationsbezogene Spezifikationen sind solche hinsichtlich des Gegenstands, der Art und der Anknüpfung der Informationen: – Es können bestimmte Eigenschaften festgelegt werden, die nicht zum Anlass einer Diskriminierung genommen werden dürfen (Spezifikationen hinsichtlich des Informationsgegenstands). – Eigenschaften können nach ihrem Anknüpfungsmerkmal differenziert werden. Entscheidend ist dann, mit welchen Merkmalen sie in (kausale oder statistische) Beziehung gesetzt werden. In dieser Hinsicht kann etwa unterschieden werden zwischen umweltbedingten, genetisch bedingten oder erblichen Eigenschaften263 (Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung). – Des Weiteren kann die Feststellung der Eigenschaften unterschiedliche Ermittlungsgrundlagen haben: Sie können – anhand von Individualinformationen – unmittelbar anhand von Manifestationen festgestellt werden oder es wird auf sie über Eigenschaftsindikatoren anhand von statistischen Berechnungen rückgeschlossen. Je nachdem, ob mögliche Diskriminierungshandlungen allein an die manifesten Eigenschaften, allein an deren Eigenschaftsindikatoren oder an beides anknüpfen, werden statistische oder Individualinformationen in Bezug genommen (Spezifikationen hinsichtlich der Informationsgrundlage).

aa) Hinsichtlich der Informationsgrundlage (Eigenschaftsindikatoren und Manifestationen) Eine für die sich später anschließenden verfassungsrechtlichen Überlegungen ganz wesentliche Unterscheidung ist die zwischen Manifestation und Eigenschaftsindikator. In einem ersten Zugriff lassen sich dabei zwei unterschiedliche Definitionsansätze unterscheiden: Nach einem Definitionsansatz werden Ungleichbehandlungen aufgrund von Manifestationen nicht von dem Verbot genetischer Diskriminierung erfasst.264 Nach einem zweiten Definitionsansatz kön___________ 263 Die Unterscheidung zwischen umweltbedingten Eigenschaften einerseits und genetisch, bzw. erblich bedingten Eigenschaften andererseits ist nicht unproblematisch, da auch genetische, manchmal sogar erblich bedingte Eigenschaften wiederum umweltbedingt sind. Diese Ungenauigkeit ist Teil des Problems, welches die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Beschränkung des Diskriminierungsverbots auf genetische oder erbliche Daten aufkommen lässt. Zum Problem der Justiziabilität dieser Begriffe siehe S. 310. 264 Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (477): „Genetic discrimination can be defined as discrimination against an individual or against members of that individual‘s family solely because of real or perceived differences from the ‚normal‘ genome in the genetic constitution of that individual.“ – Im Anschluss daran oder in ähn-

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

235

nen auch Ungleichbehandlungen aufgrund von „milden“ Manifestationen genetische Diskriminierungen darstellen.265 Die besondere Bedeutung der Unterscheidung zwischen Manifestation und Eigenschaftsindikator liegt in der typischerweise unterschiedlichen Aussagekraft dieser beiden Informationsgrundlagen. Manifeste Eigenschaften können unmittelbar anhand von Symptomen festgestellt werden, Eigenschaftsindikatoren zu bestimmten Eigenschaften erlauben lediglich Vermutungen über zukünftige Entwicklungen, bestehende Eigenschaften oder in der Vergangenheit liegende Kausalverläufe. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass Eigenschaftsindikatoren nicht die Eigenschaft selbst definieren, sondern lediglich einen mehr oder weniger bedeutenden Faktor ihrer Entstehung darstellen. Sofern genetische Diskriminierungsverbote lediglich die Ungleichbehandlung aufgrund genetischer Veranlagungen für unzulässig erklären, liegt darin eine Spezifikation hinsichtlich der Informationsgrundlage: Verboten ist dann eben nicht die Ungleichbehandlung auf Grundlage der Feststellung von Manifestationen. Beschränkungen in diesem Sinn können erfolgen: – durch Begriffe wie z.B. „genetische Veranlagungen“266, „genetische Konstitution“267, „genetische Disposition“268, „Erbanlagen“, „genetische Befunde“269, „genetische Ausstattung“270, „Erbinformationen“271, ___________ licher Formulierung: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 127; Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 27a; Gostin, AJLM vol. XVII, ʋs 1 & 2 (1991), 109 (110); Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (466); Schöffski, Gendiagnostik, S. 114. 265 Boyle, Hastings Center Report 1995, Nr. 25, 2 ff: „Unter „genetischer Diskriminierung“ ist eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihrer genetischen Ausstattung zu verstehen. Genetische Diskriminierung bezieht sich auf tatsächliche oder vermutete genetische Unterschiede von Einzelpersonen und deren Angehörigen, die gesund sind oder nur milde, durch ihre genetische Konstitution bedingte Symptome zeigen, so dass ihre Gesundheit und Funktionstüchtigkeit nicht eingeschränkt ist.“ – Im Anschluss daran: Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 134 f.; Wolbring, Folgen für behinderte Menschen, S. 85. 266 Artt. 3 lit. d), 22 lit. c), d) und 23 Satz 1 des Schweizer Bundesgesetzes über genetischen Untersuchungen beim Menschen (GUMG). Eine Definition für diesen Begriff ist in dem Vorentwurfs allerdings nicht enthalten. 267 Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, § 2 des Gesetzentwurfs; CDUAntrag, BT-Drs. 14/6640, S. 1. 268 CDU-Antrag, BT-Drs. 14/6640, S. 1. 269 CDU-Antrag, BT-Drs. 15/543, S. 2. 270 CDU-Antrag, BT-Drs. 15/543, S. 3. 271 Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, § 3 Nr. 3 GenDG-E: „genetische Eigenschaften [sind] ererbte oder während der Befruchtung oder bis zur Geburt erworbene, bei Menschen vorkommende Erbinformationen.“

236

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

– insbesondere, wenn diese Begriffe ergänzt werden durch Zusätze wie „allein“272 – oder auch durch Formulierungen wie: „auf Grundlage der DNS-Struktur einer Person und der daraus resultierenden Risiken“273 – „genetische Risiken“274 – oder die Inbezugnahme von „konkrete[n] Eigenschaften hinsichtlich der Anzahl, Struktur oder Sequenz von Chromosomen, Genen oder DNAAbschnitten oder von Produkten der DNA“.275 Auch systematische Erwägungen könnten für eine derartige Auslegung sprechen: Diskriminierungen aufgrund von Manifestationen werden bereits durch Verbote der Diskriminierung aufgrund von Behinderungen erfasst (siehe etwa Behindertengleichstellungsgesetz,276 Art. 3 Abs. 3 GG277). Relativiert werden könnte diese Auslegung jedoch durch die Überlegung, dass die Begriffe der Behinderung und der Eigenschaft wohl nicht ganz deckungsgleich sind. Durch Behinderungen werden körperliche oder geistige Beeinträchtigungen erfasst, der Begriff Eigenschaft ist demgegenüber weiter. Der Ausdruck „genetische Diskriminierung“ wird häufig in Abgrenzung zur Diskriminierung aufgrund von manifesten Eigenschaften verstanden.278 Von einer Ausdehnung des Geltungsbereichs auf Diskriminierungen aufgrund von Manifestationen dürfte aber z.B. auszugehen sein, wenn doppeldeutige Formulierungen gewählt werden. Eine besondere Bedeutung gewinnt dabei die Auslegung des Begriffs „genetisch“. Denn das Adjektiv „genetisch“ hat zwei Wortbedeutungen: Zum einen wird es im Sinne von „genetisch bedingt“, zum ande___________ 272 In der Literatur: Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), S. 465 (466); Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 ff.; Schöffski, Gendiagnostik, S. 114; Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 27a (durch den Zusatz „gerade“). – Zur Bedeutung dieses Zusatzes in Diskriminierungsverboten siehe Sachs, Grenzen, S. 399 ff. 273 § 25 Abs. 1 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 274 §§ 26 Abs. 2, 27 Abs. 2 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 275 § 4 Nr. 23 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I 127/2005. 276 Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) – Gesetz vom 27.04.2002 – BGBl. I, S. 1467 ff. 277 Art. 3 Abs. 3 GG gilt allerdings – wie alle Grundrechte – grundsätzlich nur im Verhältnis Bürger – Staat. 278 Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 134: „Der Ausdruck ‚genetische Diskriminierung‘ fasst eine Ungleichbehandlung von Personen bzw. deren Angehörigen aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen genotypischen Eigenschaften zusammen und hebt sich insofern von einem Begriff der Diskriminierung ab, der auf phänotypische Unterschiede referiert, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit von Menschen verändern können.“

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

237

ren im Sinne von „die Gene betreffend“ verwendet.279 Dieser semantische Unterschied gewinnt insbesondere bei Bezugswörtern Bedeutung, die nicht gesetzlich definiert sind und beide Wortauslegungen zulassen, wie dies beispielsweise des Öfteren bei den Begriffen „genetische Eigenschaften“, „genetische Merkmale“ oder „genetische Daten“ der Fall ist.280 Veranschaulicht werden soll dies am Begriff „genetische Eigenschaften“281. Unter „genetisch bedingten Eigenschaften“ dürften wohl vor allem manifeste Eigenschaften verstanden werden, beispielsweise Krankheiten, die genetisch (mit-)verursacht werden.282 Dagegen dürften unter „die Gene betreffende Eigenschaften“ eher gen-charakterisierende Eigenschaften gemeint sein. Darunter verstanden werden könnten eher nur genetische Veranlagungen.

Unter dem Vorbehalt dieser Auslegungsprobleme erfassen folgende Formulierungen möglicherweise auch manifeste Eigenschaften: – „genetische Erbe“283 – „genetische Eigenschaften“284 – „erbliche Eigenschaften“285 – „genetische Unterschiede von Einzelpersonen und deren Angehörigen, die gesund sind oder nur milde, durch ihre genetische Konstitution bedingte Symptome zeigen, sodass ihre Gesundheit und Funktionstüchtigkeit nicht eingeschränkt ist“286.

___________ 279

Duden, Rechtschreibung, 21. Auflage, 1996, Stichwort „genetisch“. Vgl. bereits oben, S. 201 f. 281 Nachweise siehe Fn. 284 auf S. 237. 282 Jedoch auch dieser Begriff erscheint nicht eindeutig. So stellt sich die Frage, ob jede körperliche Erscheinung, die in ihrer Entwicklung auch mit Veränderungen auf genetischer Ebene verbunden ist, als genetisch bedingt zu betrachten ist. Unter Zugrundelegung eines weiten Verständnisses des Begriffs „genetisch bedingt“ wären etwa auch Krebsveranlagungen aufgrund von Strahlungsüberbelastungen genetisch bedingt, obwohl sicherlich die eigentliche Ursache vornehmlich in eben dieser Strahlenbelastung zu sehen sein wird. Die Überlegungen decken sich insofern mit den Überlegungen zur Abgrenzung der Begriffe „genetisch bedingt“ und „erblich bedingt“. 283 Art. 11 der Bioethik-Konvention des Europarates. 284 Verwendet wird dieser Begriff beispielsweise in der Präambel, Art. 2 und 6 der Allgemeinen Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und Menschenrechte. 285 § 11 Abs. 1 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 286 Nachweise unter Fn. 265, S. 235 (dort als zweiter Definitionsansatz vorgestellt). 280

238

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

bb) Hinsichtlich der Informationsanknüpfung Durch Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung soll der Überlegung Rechnung getragen werden, dass besondere Charakteristika der Information sich möglicherweise gerade aus den Charakteristika des Merkmals ergeben können, an das sie anknüpft. Als mögliche Anknüpfungspunkte für Informationen sollen im Folgenden unterschieden werden: – erbliche Merkmale – genetische Merkmale und – körperliche Merkmale (unter Einbeziehung nicht-genetischer Merkmale). Die hier zu erörternden gesetzlichen Regelungsentwürfe zu einem genetischen Diskriminierungsverbot beschränken sich verständlicherweise überwiegend auf erbliche oder genetische Merkmale. Diese beiden Spezifikationsformen sollen dementsprechend im Folgenden eingehender erörtert werden. Eine Ausweitung des Diskriminierungsschutzes auf endogene Merkmale ist zwar bisher in den Regelungsentwürfen noch nicht aufgegriffen worden, eine mögliche Begriffsbildung wird dennoch zur Abgrenzung vorgestellt.

aaa) Verbot der Diskriminierung aufgrund genetischer und erblich bedingter Eigenschaften Regelungen eines genetischen Diskriminierungsverbots enthalten begriffsnotwendig Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung. Sofern solche Spezifikationen ausdrücklich vorgenommen werden, geschieht dies in zweierlei Weise: Entweder sollen nur Daten mit genetischen oder nur solche mit erblichen Bezugsmerkmalen vom Diskriminierungsverbot erfasst sein. Allerdings enthalten einige Regelungsentwürfe überhaupt keine ausdrücklichen Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung.287 Inhaltlich lassen sich drei verschiedene Regelungsvarianten eines Verbots genetischer Diskriminierung unterscheiden: – Eigenschaften, die von den Eltern erworben wurden: Neumutationen sind – unabhängig davon, ob sie in Keimzellen oder in Körperzellen nachweisbar ___________ 287

Sofern die Begriffe der „Anlage“ oder „Veranlagung“ ohne die weitere Attribute wie „genetisch“ oder „erblich“ verwendet werden, ergeben sich offensichtlich Auslegungsprobleme, die mit den im Folgenden beschriebenen vergleichbar sind. So soll zum Teil der Begriff der Anlage nur auf ererbte Dispositionen beschränkt sein, zum Teil sollen sogar auch nicht-genetische, erworbene Faktoren mit inbegriffen sein. Siehe dazu Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 68, Fn. 54.

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

239

sind – nicht erfasst, weil sie erst im Laufe des Lebens aufgetreten sind und damit nicht von den Eltern erworben wurden. Erfasst werden von dieser Gruppe alle bereits bestehenden erblichen Krankheiten, die von den Eltern erworben und an die Kinder weiter vererbt werden, wie z.B. die Huntington-Krankheit oder die Tay-Sachs-Krankheit.

Als Beispiele für Formulierungen, die dieser Gruppe zuzuordnen sind, kommen in Betracht: – „angeboren“288 – „ererbt“289 – „inherited“290 – Eigenschaften, die an die eigenen Kinder weitergegeben werden können: Nicht erfasst von dieser Gruppe werden Neumutationen in der Körperzellen, wohl aber solche in den Keimzellen. Ein Beispiel für derartige Mutationen sind Mutationen der Geschlechtszellen infolge unabgeschirmter Röntgenuntersuchungen. In seinem Ursprung ist auch das Huntington-Gen eine Neumutation in den Keimzellen: Die damit zusammenhängende Mutation soll zuerst in den Niederlanden und Ostengland aufgetreten sein. Es handelt sich also um eine neu entstandene Erbkrankheit. Der erste Mensch, der von dieser Krankheit betroffen war, hatte sie demzufolge nicht von seinen Eltern ererbt, vererbte sie jedoch an seine Kinder. Für ihn stellten sie eine Neumutation dar.

Als Beispiele für Formulierungen, die dieser Gruppe zuzuordnen sind, kommen in Betracht: – „vererbbar“ – „erblich“ – „Erbgut“ – „Erbanlage“291 ___________ 288

Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 2-6 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752,

S. 45. 289

Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 2 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752,

S. 46. 290

New Jersey Permanent Statutes, 10:5-5. pp. „Genetic test means a test for determining the presence or absence of an inherited genetic characteristic in an individual, including tests of nucleic acids such as DNA, RNA and mitochondrial DNA, chromosomes or proteins in order to identify a predisposing genetic characteristic.“ – Die Ergebnisse eines „Genetic test“ sind wiederum verbotene Diskriminierungskriterien in vielen Regelungen, z.B. New Jersey Permanent Statutes, 10: 5-12 „Unlawful employment practices“. 291 § 22 Abs. 2 ArbSchRG-E, BR-Drs. 792/93. Anders allerdings die Begründung zu dieser Vorschrift, BT-Drs. 12/6752, S. 45, in der auf angeborene Merkmale Bezug genommen wird.

240

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

– Eigenschaften unabhängig von der Möglichkeit des Erwerbs oder der Weitergabe im Zuge eines Erbganges. Erfasst werden hier alle genetischen Veränderungen, unabhängig davon, ob sie in den Keimzellen (gonosomal) oder in den Körperzellen (autosomal) auftreten. Zu dieser Gruppe dürften Regelungsvarianten gehören, die das Diskriminierungskriterium mit dem Attribut „genetisch“ näher bezeichnen. Bei Auslegung der Regelungsvarianten ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Verwendung der Begriffe „erblich“ und „genetisch“ begriffliche Unschärfen aufweist.292 Im ersten Zugriff könnte der Unterschied zwischen genetischen und erblichen Merkmalen zwar darin gesehen werden, dass letztere nur Merkmale umfassen, die in den Zellkernen der Keimzellen (Geschlechtszellen von Frau und Mann) enthalten sind, wohingegen mit dem Begriff „genetisch“ auch Merkmale erfasst werden, die sich aus genetischen Veränderungen ergeben, welche auf Neumutationen in bestimmten Körperzellen beruhen. So können beispielsweise Neumutationen aufgrund von Umwelteinflüssen, wie z.B. erhöhter radioaktiver Strahlung, in den Körperzellen auftreten, ohne dass davon auch die Keimzellen der betroffenen Person geschädigt sein müssen, womit es sich bei derartigen Veränderungen nicht um Veränderungen des Erbgutes handelt und sie dementsprechend auch nicht an die nächste Generation weitervererbt werden können.

Die Verwendung der Begriffe „erblich“ und „genetisch“ ist jedoch nicht einheitlich. Entscheidend ist in der rechtlichen Auslegung ohnehin der Begriffsinhalt, der sich im Wege der Auslegung des jeweiligen Gesetzestextes ergibt. Es können drei Begriffsbestimmungen unterschieden werden:293 – Die beiden Begriffe „genetisch“ und „erblich“ werden in der oben dargestellten Weise unterschieden.

___________ 292

Siehe dazu auch Balding/Bishop/Cannings-Beyleveld, Statistical Genetics, 697 (715, Fn. 31); Graumann, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 383 (397). 293 Unklar ist beispielsweise die Verwendung des Begriffs im Eckpunktepapier des BMG-Ethikbeirates: Einerseits werden Gentests als Untersuchungen definiert, welche „Unterschiede zwischen Individuen oder krankheitsrelevante Veränderungen auf der Ebene des Erbmaterials“ (Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 2) erfassen, andererseits wird unmittelbar im Anschluss daran herausgestellt, dass mit Hilfe von Gentests genetische Veränderungen sowohl auf somatischer Ebene als auch auf der Ebene der Keimbahn aufgeklärt werden können (Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 3). – Verwirrend sind insofern auch die Begriffsbestimmungen im (alten) Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen aus dem Jahre 2001: Während die Definitionen in § 4 Nr. 1-5, 7 und 10 sich dem Wortlaut nach allein das „Erbgut“ zum Bezugspunkt nehmen, unterscheidet der Gesetzentwurf hinsichtlich des Begriffs „genetische Krankheit“ (§ 4 Nr. 6) zwischen „somatischer Krankheit“ (§ 4 Nr. 8) und „Erbkrankheit“ (§ 4 Nr. 7) womit insofern die begrifflich Beschränkung auf das „Erbgut“ aufgegeben wird.

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

241

– Der Begriff des „genetischen“ Merkmals wird nur auf Merkmale bezogen, die in den Keimzellen enthalten sind und somit vererblich sind.294 – Der Begriff der „Erbinformation“ wird weit verstanden und auch auf Merkmale bezogen, die lediglich in Körperzellen enthalten sind.

bbb) Verbot der Diskriminierung aufgrund von Anlagen (Begriffliche Einbeziehung nicht-genetischer Anlagen) Problematisch erscheint vor allem die Abgrenzung zwischen genetischen und nicht-genetischen Eigenschaftsindikatoren: Für viele Neumutationen im genetischen Material werden äußere Einwirkungen (wie Viren und Strahlungen) verantwortlich gemacht. Die Frage des Diskriminierungsschutzes wird damit zur Frage, ob bestimmte äußere Einflüsse – gewissermaßen an den Genen vorbei – Anlagen schaffen (dann kein Diskriminierungsschutz) oder auch zu Veränderungen im Genmaterial führen (dann Diskriminierungsschutz). Regelungen oder Regelungsentwürfe, welche ausdrücklich nicht-genetische Anlagen in den Diskriminierungsschutz einbeziehen, liegen bisher nicht vor. Eine entsprechende Forderung lässt sich jedoch Äußerungen in der Literatur entnehmen, wonach Diskriminierungen verboten werden sollen: – „aufgrund prädiktiver medizinischer Informationen“.295 Die Formulierung „prädiktiver medizinischer Information“ dürfte dabei die Diskriminierungen aufgrund von Umfeldfaktoren wohl nicht umfassen, da diese nicht über medizinische Untersuchungen an der Person, sondern durch die Untersuchungen der Umweltbedingungen ohne unmittelbare Untersuchungen des Menschen ermittelt werden.

___________ 294 So offenbar auch Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, § 3 Nr. 3 GenDG-E, wobei Benachteiligungen aufgrund von postnatalen Veränderungen der Keim- oder Körperzellen von dem Gesetz ausdrücklich nicht erfasst werden sollen, vgl. auch BT-Drs. 16/3233, S. 25. Mit einer ähnlichen Auslegung auch Schroeder-Kurth, medgen 2000, 461 (468), nach deren Definition der Begriff „Genetische Diagnostik“ alle Untersuchungen umfasst, die darauf abzielen, eine genetisch bedingte Krankheitsursache oder Krankheitsdisposition abzuklären, allerdings Untersuchungen auf somatische Mutationen als nicht von dieser Definition erfasst sehen will, Schroeder-Kurth, medgen 2000, 461 (469). 295 Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (205, 209): „... we recommand that the laws be redrafted to prohibit discrimination on the basis of any type of predictive medical information.“

242

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

cc) Hinsichtlich des Informationsgegenstands (Eigenschaften und Identifikationsmuster) Diskriminierungsverbote können auf bestimmte Informationsgegenstände beschränkt sein, z. B.: – Krankheiten in ihrer Gesamtheit296 oder bestimmte Krankheiten297 – Behinderungen298 – bestimmte Eigenschaften ohne Krankheits- oder Behinderungswert, wie z.B. Geschlecht, Abstammung, Rasse, Herkunft.299 Ohne eine ausdrückliche Spezifikation hinsichtlich des Informationsgegenstands bezieht sich das Diskriminierungsverbot grundsätzlich auf alle Eigenschaften. Dies ist dann der Fall, wenn: – als Diskriminierungskriterium der Begriff „Eigenschaften“, „Merkmale“ oder Ähnliches gewählt wird oder – nur in anderer Hinsicht Spezifikationen vorgenommen werden. Verbote, nach denen niemand aufgrund „genetischer Veranlagungen“ diskriminiert werden darf, verbieten Diskriminierungen unabhängig davon, zu welcher Eigenschaft die Veranlagung festgestellt worden ist.

___________ 296 § 22 Abs. 3, Entwurf des Arbeitsschutzrahmengesetzes (1993); § 4 Nr. 23 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I 127/2005; Californian Health and Safety Code § 150 (f) (West 1990) „Carriers of most deleterious genes should not be stigmatized and should not be discriminated against by any person.“, zitiert nach Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (121, Fn. 63). Auch in dem Eckpunktepapier des Ethikbeirat beim BMG wird offensichtlich schwerpunktmäßig vor dem Hintergrund krankheitsrelevanter Geninformationen argumentiert, siehe beispielhaft dazu die Definition von genetischen Testarten auf S. 2 f. 297 New Jersey Permanent Statutes, Title 10, 10:5–12 i.V.m. 10:5: 5 x: „It shall be an unlawful employment practice, or, as the case may be, an unlawful discrimination [...] for an employer, because of [...] atypical hereditary cellular or blood trait of any individual, [...] to refuse to hire or employ [...] or to discriminate against such individual in compensation or in terms, conditions or privileges of employment.“ – Wie sich aus der Regelung unter 10:5: 5 x ergibt, werden damit nur Veranlagungen zur Sichelzellenanämie, zur Hämoglobin-C-Krankheit, zur Thalassämie und zur Mukoviszidose erfasst; 1990 N.Y. Laws 900: „Persons with sickle cell trait and carriers of Tay-Sachs disease or Cooley’s anemia [Thalassämie, vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Cooley-Anämie“; d. Verf.] may not be denied opportunities for employment unless their disorder would prevent them from performing the job.“, zitiert nach Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (121, Fn. 64). 298

Z.B. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) – Gesetz vom 27.04.2002 – BGBl. I, S. 1467 ff. 299 Als ein Beispiel für eine solche Beschränkung lassen sich die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verstehen.

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

243

dd) Hinsichtlich des Grades der Manifestationswahrscheinlichkeit Schließlich lassen sich – gewissermaßen die Anforderungen an die Informationsgrundlage präzisierend – in einigen Regelungsvorschlägen auch Spezifikationen hinsichtlich der Aussagegenauigkeit finden. Beispiele hierfür sind: – „Ergebnisse prädiktiver Tests, die mit Sicherheit oder erhöhter Wahrscheinlichkeit auf das Auftreten einer Krankheit später im Leben hinweisen“300 – „Chromosomenanalysen und proteinchemische Analysen sind im Übrigen nur zur Feststellung solcher genetischer Anlagen zuzulassen, bei deren Vorliegen die Beschäftigung an einem bestimmten Arbeitsplatz mit so hoher Wahrscheinlichkeit zum Ausbruch einer schwerwiegenden Krankheit führt, dass diese Beschäftigung nicht verantwortet werden kann.“ 301

c) Situationsbezogene Spezifikation Differenzierungen hinsichtlich des Datenerhebungszeitpunkts, der Verwendungsweise und des Anwendungsbereichs sind nach der oben vorgenommenen Kategorisierung situationsbezogene Spezifikationen.302 Spezifikationen der Untersuchungsumstände treffen also nähere Bestimmungen des Informationskontextes, z.B. hinsichtlich des „Wann“ und „Wo“. Sie bestimmen den Inhalt der Daten nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar, indem sie dem Informationsgegenstand eine situationsspezifische Bedeutung verleihen.

aa) Hinsichtlich des Datenerhebungszeitpunkts Unter Spezifikationen hinsichtlich des Datenerhebungszeitpunkts sollen all die Regelungen verstanden werden, die die Zulässigkeit der Verwendung genetischer Daten vom Lebensalter der betreffenden Person abhängig machen. Die am nächsten liegende Unterscheidung in dieser Hinsicht ist die zwischen pränatalen und postnatalen Untersuchungen. Innerhalb der postnatalen Verwendung genetischer Daten wird vereinzelt darüber hinausgehend angeregt, dass die ___________ 300

Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 14, Gliederungspunkt 23. Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 40. 302 BVerfGE 65, 1 (45). „Zu entscheiden ist [...] über die Tragweite dieses Rechts für Eingriffe, durch welche der Staat die Angabe personenbezogener Daten vom Bürger verlangt. Dabei kann nicht allein auf die Art der Angaben abgestellt werden. Entscheidend sind ihre Nutzbarkeit und Verwendbarkeit. Diese hängen einerseits von Zweck, dem die Erhebung dient, und andererseits von den der Informationstechnologie eigenen Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten ab.“ 301

244

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Verwendung genetischer Daten erst nach dem Erreichen der Volljährigkeit303 oder nach dem Erreichen gesicherter Lebensverhältnisse304 zulässig sein soll.

bb) Hinsichtlich der Datenverwendungsweise Des Weiteren kann das gewählte Diskriminierungsverbot in seinem Anwendungsbereich auf bestimmte Verwendungsformen eingeschränkt werden, d.h. es soll nur eine bestimmte Art und Weise der Verwendung des Diskriminierungskriteriums unzulässig sein. Bei der Anknüpfung an die Eigenschaftsindikatoren lassen sich – in Abhängigkeit von der gewählten zeitlichen Perspektive – drei Verwendungsweisen unterscheiden: Eigenschaftsindikatoren können genutzt werden, um sich möglicherweise in der Zukunft entwickelnde Eigenschaften vorherzusagen, gegenwärtige Eigenschaften festzustellen oder in ihrem Kausalverlauf zu erklären.305 Sofern es sich dabei um medizinische Untersuchungen handelt, dürfte die entsprechende Unterteilung in prädiktive, diagnostische und differenzialdiagnostische Untersuchungen gebräuchlicher sein. Zwar legen die medizinischen Fachbegriffe eine begriffliche Einschränkung auf Krankheiten nahe, da jedoch der Umgang mit Gesundheitsdaten im Zusammenhang mit der Gendiagnostik im Vordergrund steht und sich dementsprechend auch die medizinischen Fachbegriffe bei der Behandlung des Themas eingebürgert haben, soll insoweit über die begriffliche Ungenauigkeit hinweggegangen werden. Im Folgenden werden daher diese medizinischen Fachbegriffe auch auf nichtgesundheitsbezogene Eigenschaften angewendet.

aaa) Prädiktive Verwendungsweise Prädiktiv können Untersuchungen begriffsnotwendig nur vor dem Eintritt der Manifestation – also im Rahmen einer Ex-ante-Betrachtung – genutzt werden. Es handelt sich dabei also um zukunftsgerichtete Vermutungen. Prinzipiell sind wissenschaftliche Prognosen immer bedingte Aussagen, da sie von den jeweils zugrunde gelegten Prämissen – insbesondere vom Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Prognosestellung – abhängig sind.306

___________ 303

CDU-Antrag, BT-Drs. 15/543, S. 2. Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 321. 305 Siehe dazu auch Schmidtke, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 25 (27 ff.). 306 Fischer, Wirtschaftslexikon, Stichwort „Prognose“; Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „Prognose“. – Vgl. auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 29 (zum Screening), 31 (zur prädiktiven genetischen Diagnose). 304

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

245

Einige der Regelungsentwürfe enthalten ausschließlich Regelungen zum Schutz vor der prädiktiven Nutzung genetischer Daten. Von einer Beschränkung des Anwendungsbereichs des Diskriminierungsverbots auf prädiktive Verwendung dürfte in der Regel nur im Fall einer ausdrücklichen Beschränkung auszugehen sein: – durch eine ausdrückliche Anknüpfung an „prädiktive Untersuchungen“; „prädiktive Gentests“307, „präsymptomatische Untersuchungen“308 – durch eine Beschränkung auf „Vorsorgeuntersuchungen“309, bzw. „Krankheiten, die ... [in der Zukunft, Ergänzung des Verf.] entstehen können“310, – durch das Verbot aller Untersuchungen, die nicht „bestehende oder unmittelbar bevorstehende Krankheiten“311 betreffen, – durch Diskriminierungsverbote, welche ausdrücklich auf bereits manifeste Eigenschaften nicht anwendbar sein sollen.312 In der Literatur dürfte wohl implizit dieser Gedanke in Bezug genommen sein, wenn in der Argumentation für die Notwendigkeit eines Verbots genetischer Diskriminierung die Möglichkeit prognostischer Aussagen und die mit ihnen verbundene Aussageungenauigkeit hervorgehoben werden.313 Teilweise wird auch ausdrücklich auf die Problematik prognostischer Tests insgesamt abgestellt.314 ___________ 307

Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 7, Gliederungspunkt 1; CDU-Antrag, BT-Drs. 15/543, S. 4 f. 308 Artt. 21, 26 und 29 des Schweizer Bundesgesetzes über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) verbieten für den Arbeits-, Versicherungs- und Haftpflichtbereich nur präsymptomatische Untersuchungen. 309 § 22 Abs. 1 ArbSchRG-E, BR-Drs. 792/93. Dazu auch Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 236 ff. 310 § 22 Abs. 3 ArbSchRG-E, BR-Drs. 792/93. 311 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 36 ff.: Nach dem Konzept der Arbeitsgruppe ist nur die Durchführung von Untersuchungen zur Feststellung von Krankheiten erlaubt, die bestehen (diagnostische Untersuchungen) oder unmittelbar bevorstehen (kurzfristig prädiktive Untersuchungen). Ohne ausdrücklich ausformuliert zu sein, ist darin – in der Umkehrung – ein Verbot der Diskriminierung aufgrund von bestimmten prädiktiven Gentests enthalten, nämlich nur solchen, die nicht unmittelbar bevorstehende Krankheiten zum Gegenstand haben. 312 Etwa § 3 a Satz 2 Dänisches VVG. Abdruck und Kommentierung bei Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 361 f. 313 Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (209): „Genetic antidiscrimination legislation implicitly recognizes the importance of prohibiting discrimination based on all types of predictive medical information as opposed to prohibiting only that discrimination based on a person‘s genotype. As we have noted, definitions of genetic information have included information about family history and even ethnicity as well as information about the genetic material itself. As a result of these expanded definitions, genetic antidiscrimination legislation already prohibits discrimination against the asymptomatic ill,

246

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

bbb) Diagnostische Verwendungsweise Eigenschaftsindikatoren können aber auch zur Feststellung oder Ermittlung gegenwärtiger Eigenschaften verwendet werden. Dabei wird die zu ermittelnde Eigenschaft nicht unmittelbar untersucht. Vielmehr werden die Eigenschaftsindikatoren als Surrogatmerkmale verwendet, anhand derer Rückschlüsse auf das Vorliegen der jeweiligen Eigenschaften gezogen werden können. Für den medizinischen Bereich werden derartige Untersuchungen als Diagnosen bezeichnet.315 Die Methode, bestimmte Eigenschaften über Surrogatmerkmale zu ermitteln, dürfte sogar der Regelfall sein. Gerade komplexere Sachverhalte, wie etwa bestimmte Krankheiten, lassen sich häufig nicht unmittelbar wahrnehmen. Vielmehr wird auf die Krankheitsmanifestation auf Grundlage der Auswertung verschiedener Symptome rückgeschlossen. Symptome lassen sich dabei insofern als Surrogatmerkmale begreifen, weil sie nicht die eigentliche Krankheit darstellen, sondern lediglich deren Begleiterscheinungen. Nur selten dürfte die zu diagnostizierende Krankheit oder Eigenschaft unmittelbar durch ein klares Kriterium zu bestimmen sein.316 Eine Thrombose im Bein kann anhand äußerer Symptome (wie etwa Schwellungen und Verfärbungen der Haut) diagnostiziert werden, ohne dass der Thrombus, der den Venenverschluss bewirkt, unmittelbar untersucht werden kann. Ohne den Rückgriff auf Surrogatmerkmale kann hingegen die Augenfarbe eines Menschen festgestellt werden.

Die Probleme, die möglicherweise mit der Abgrenzung zwischen unmittelbar wahrnehmbaren und nur mittelbar wahrnehmbaren Eigenschaften bestehen, fallen jedoch für den hier behandelten Problemzusammenhang nicht ins Gewicht. Entscheidend ist der Verwendungszusammenhang: Sofern gegenwärtige Eigenschaften nur festgestellt werden sollen, bestehen grundsätzlich eine Reihe von Möglichkeiten zur Überprüfung des zunächst gewonnenen Ergebnisses. Dies unterscheidet die Feststellung von gegenwärtigen Eigenschaften von Vorhersa___________ that results from the use of many types of predictive information that do not rely on molecular genetic technology or even the existence of genes.“ 314 Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 130: „Eine vertragliche Vereinbarung [im Arbeitsvertrag – Ergänzung des Verf.] etwa, durch genetische oder andere Tests Prognosen für die zukünftige Gesundheit erstellen zu lassen, wäre sittenwidrig und nach § 138 BGB unwirksam.“ – allerdings ohne Begründung. 315 Siehe dazu auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 27 ff. 316 Dieser Ansatz lässt sich auch auf erkenntnistheoretischen Deutungen der menschlichen Wahrnehmung stützen: Danach lassen sich Dinge niemals unmittelbar wahrnehmen, vielmehr wird auf ihre Existenz stets nur anhand bestimmter Merkmale rückgeschlossen, die von menschlichen Wahrnehmungsorganen aufgenommen werden; Störig, Weltgeschichte, S. 315, zu Descartes, der die richtige Wahrnehmung der äußeren Welt wegen möglicher Sinnestäuschungen in Frage stellt. Störig, Philosophie, S. 162 f. zum Höhlengleichnis von Platon („Idee und Erscheinung“) und zu Kant und Schopenhauer („Die Welt als Wille und Vorstellung“).

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

247

gen, da diese sich ja gerade auf zukünftige, häufig zum Zeitpunkt der Prognosestellung inexistente Umstände beziehen und solche Umstände nicht der Überprüfung zugänglich sind.317 Soweit der Wortlaut hinsichtlich des Anknüpfungskriteriums keine Begrenzung hinsichtlich der Verwendungsmodalitäten erkennen lässt, spricht auf den ersten Blick – mangels entgegengesetzter Anhaltspunkte – viel dafür, sowohl die prädiktive als auch die (differenzial-)diagnostische Verwendungsweisen als vom genetischen Diskriminierungsverbot erfasst zu sehen: – Anknüpfung an „Veranlagung“, „Konstitution“318, „Disposition“, „Erbanlagen“319 – Anknüpfung an „genetic risks“320 – Anknüpfung an „genetische Untersuchung“321 – Anknüpfung an „Aussagen über eine Überträgerstatus, ein Krankheitsrisiko, eine vorliegende Krankheit oder eine Krankheits- oder Therapieverlauf“.322

ccc) Differenzialdiagnostische Verwendungsweise Differenzialdiagnostische Untersuchungen werden erst nach Eintritt einer Manifestation – im Rahmen einer Ex-post-Betrachtung – vorgenommen. Während es bei diagnostischen Untersuchungen um die Feststellung geht, welche Eigenschaft (z.B. welche Erkrankung) überhaupt vorliegt, geht es bei differenzialdiagnostischen Untersuchungen schwerpunktmäßig um die Frage der Verursachung der Eigenschaft. Im Rahmen der Differenzialdiagnose wird aus einer Vielzahl möglicher Krankheitsformen mit vergleichbarem Erscheinungsbild anhand der Untersuchungsergebnisse der Kreis der Krankheitsursachen auf eine oder einige wenige eingrenzt.323 Wichtig ist dies

___________ 317

Zu prädiktiven Aussagen siehe bereits, S. 244 ff. Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, § 2 des (alten) Gesetzentwurfs (2001). 319 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 2 Abs. 2. 320 § 25 Abs. 1 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 321 Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, § 3 Nr. 1, 2 GenDG-E; Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 2 Abs. 2; Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, § 2 des Gesetzentwurfs 2001; Empfehlung des Europarates (92) 3, Grundsätze 6 und 7, mit ausführlicher Definition unter „Purpose, scope and definition“, lit. a. „genetic tests for health care purposes“. 322 § 4 Nr. 23 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I 127/2005. 323 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Differentialdiagnostik“, „Diagnostik“. 318

248

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

beispielsweise im medizinischen Bereich, um eine passende Therapie bestimmen zu können. In Haftungsfällen werden Kausalbewertungen vorgenommen, um etwaige Gesundheitsschäden der Risikosphäre des Schädigers oder der des Geschädigten zuzuordnen.324

Sofern keine besonderen Verwendungsmodalitäten genannt sind, dürften die Regelungsvorschläge zu einem Verbot der Diskriminierung aufgrund von Eigenschaftsindikatoren auch die differenzialdiagnostische Verwendungsweise erfassen.325

cc) Hinsichtlich des Vorhersagezeitraums Vereinzelt finden sich auch Spezifikationen hinsichtlich des Vorhersagezeitraums, also der Manifestationsdauer. Erlaubt sind danach lediglich Untersuchungen auf Eigenschaften, die sich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne manifestieren. Anders ausgedrückt: Verboten werden sollen nur die Untersuchungen auf Krankheiten, deren Manifestation nach einer bestimmten Zeitspanne eintritt, die also mit einer bestimmten Mindest-Manifestationsdauer vorhergesagt werden. Ein Beispiel für eine solche Spezifikation lässt sich den Vorschlägen der BundLänder-Arbeitsgruppe entnehmen, die in ihrem Abschlussbericht gefordert hat, dass die Zulässigkeit von genetischen Untersuchungen auf „bestehende oder unmittelbar bevorstehende Krankheiten“ beschränkt bleibt.326

dd) Hinsichtlich des Anwendungsbereichs Schließlich werden einige Regelungen von Diskriminierungsverboten auf bestimmte Sach- und Lebensbereiche begrenzt. Denkbar sind etwa Begrenzungen des Anwendungsbereichs auf die Arbeitsmedizin, das Versicherungswesen oder die medizinische Forschung. Ein Beispiel für die sachbereichsbezogene Begrenzung eines Verbots genetischer Diskriminierung stellt der Gesetzesentwurf der Bundesregierung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (Arbeitsschutzrahmengesetz) dar.327 Demgegenüber war der in der 15. Legislaturperiode diskutierte Entwurf für ein Gendiagnostikgesetz nicht auf einen bestimmten Lebens- und Sachbereich bezogen.328

___________ 324

Zur Bedeutung von Kausalitätsfeststellungen auch S. 345 ff. Siehe S. 246 f. 326 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 36 ff. 327 § 1 ArbSchRG-E, BR-Drs. 792/93. 328 Siehe § 2 des GenDG-E, Stand 15.10.2004. Vgl. den weitgehend übereinstimmenden Gesetzesantrag von Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233. 325

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

249

ee) Hinsichtlich der mit der Ungleichbehandlung verbundenen Entscheidungsoptionen Mit der Kategorie der mit der Ungleichbehandlung verbundenen Entscheidungsoptionen soll der strukturelle Unterschied zwischen zwei Entscheidungsmöglichkeiten hervorgehoben werden. In schematischer Betrachtung lassen sich hier „Alles-oder-Nichts“-Entscheidungen (binäre Auswahlentscheidungen) und gestufte (proportionale) Entscheidungsmöglichkeiten voneinander unterschieden. So kann etwa bei arbeitsrechtlichen Einstellungssituationen davon ausgegangen werden, dass die mit der Ungleichbehandlung verbundenen Entscheidungen typischerweise „Alles-oder-Nichts“-Entscheidungen sind: Der Arbeitgeber wird sich in der Regel zwischen den Möglichkeiten entscheiden, den Bewerber einzustellen oder eben nicht. Demgegenüber dürften sich im Versicherungswesen ganz überwiegend gestufte Entscheidungsmöglichkeiten bieten: Versicherungen können den verschiedenen festgestellten Risiken durch dementsprechend angepasste Prämienkalkulationen Rechnung tragen.329

Diese Differenzierung lässt sich als situationsbezogene Spezifikation verstehen: Differenziert wird damit hinsichtlich der Entscheidungsmöglichkeiten, die sich für den Testinteressenten ergeben. Insofern sind sie situationsbezogen: Ein und dieselbe Feststellung einer Eigenschaft, zum Beispiel die Feststellung der Huntington-Krankheit, bekommt damit unterschiedliche Bedeutungen, je nachdem, in welcher Situation sie verwendet wird: Bei „Alles-oder-Nichts“Entscheidungen drohen dem Betroffenen bestimmte Handlungsoptionen vollkommen verschlossen zu werden. Bei proportionalen Entscheidungsstrukturen werden ihm bestimmte Möglichkeiten nicht vollständig verwehrt, vielmehr kann er sie möglicherweise nur unter ungünstigeren Bedingungen erlangen. Eine eindeutig polarisierende Trennung dieser Entscheidungsmöglichkeiten gibt es jedoch nicht. Vielmehr stellen sich die beiden hier dargestellten Handlungsmöglichkeiten als entgegengesetzte Pole einer Skala dar. Mit ihrer Darstellung soll nur verdeutlicht werden, dass sie einen erheblichen Einfluss auf die durch die Ungleichbehandlung bewirkte Eingriffsintensität haben. Zwar dürften sich Einstellungsentscheidungen im Arbeitsrecht typischerweise als „Alles-oder-Nichts“-Entscheidungen darstellen, jedoch muss dies nicht so sein, wenn man an die Möglichkeit des Abschlusses von Zeitverträgen bis zum prognostizierten Ausbruch der Krankheit denkt. Umgekehrt kann auch die Prämiengestaltung bei Versicherungen den Charakter von „Alles-oder-Nichts“-Entscheidungen annehmen, wenn unannehmbare Prämien eine faktische Vertragsverweigerung bewirken.

In den bisher vorgeschlagenen Regelungsvarianten findet diese Differenzierung keinen Niederschlag. Allerdings lassen sie sich bei bestimmten Spezifika___________ 329 Zu versicherungsvertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten insbesondere bei lebensbedrohlichen Krankheiten (z.B. in Form von sog. „Dread disease“-Versicherungen) siehe auch Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 30.

250

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

tionen hinsichtlich des Anwendungsbereichs als implizit enthalten betrachten.330 Sie wird an dieser Stelle hervorgehoben, weil sie später für eine Bewertung der Eingriffsintensität Bedeutung erlangen wird.331

2. Diskriminierungshandlung Hinsichtlich der Diskriminierungshandlung lassen sich einerseits Verbote auf der Datennutzungsebene und andererseits solche auf der Datenerhebungs-, bzw. Datenverarbeitungsebene unterscheiden.332 Diese Unterscheidung ermöglicht die Aufdeckung von etwaigen Regelungslücken. Denn der Geltungsbereich der beiden Ebenen ist nicht notwendigerweise deckungsgleich: Weder müssen zwangsläufig alle Daten, die nicht genutzt werden dürfen, auch nicht erhoben werden dürfen333, noch gilt notwendigerweise der Satz, dass Daten, die nicht erhoben werden dürfen, auch nicht genutzt werden dürfen. Soweit etwa die Erhebung bestimmter Daten untersagt ist, bedeutet dies nicht, dass ihre Nutzung auch dann verboten ist, wenn sie bereits bekannt sind.334 Bedeutsam kann dies beispielsweise im Hinblick auf das Recht auf Nichtwissen werden: Hier kann die Erhebung von Daten der betreffenden Person untersagt sein, um ihr Recht auf Nichtwissen zu schützen, nicht jedoch deren Nutzung, wenn die Daten ihr bereits bekannt sind.335

Später soll nachgewiesen werden, dass Verbote auf beiden Ebenen auch unterschiedliche Rechtsgüter schützen, bzw. unterschiedliche Schutzrichtungen haben: Verbote auf der Ebene der Datenerhebung dienen der Vermeidung von Gefähr-

___________ 330

Im Ansatz wohl auch das SPD-Eckpunktepapier (2002), S. 8, indem es die existenzielle Bedeutung der Arbeit für den Menschen hervorhebt. 331 Zur Art der Entscheidungsoption als ein Kriterium bei der Bewertung der Eingriffsintensität: S. 447 f. 332 Angeknüpft werden soll insofern an die im Datenschutzrecht übliche Terminologie: Danach bezieht sich die Datenerhebung auf das Beschaffen von Daten (vgl. § 3 Abs. 4 BDSG), die Datenverarbeitung auf das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren oder Löschen von Daten (vgl. § 3 V BDSG) und die Datennutzung auf jede Verwendung von Daten außer der Verarbeitung (vgl. § 3 VI BDSG). 333 So kann die Erhebung von Daten zwar für einen bestimmten Zweck erlaubt sein, ihre Nutzung für andere Zwecke jedoch untersagt sein (datenschutzrechtliche Zweckbindung). Beispielsweise kann der Schuldner im Insolvenzverfahren zwar nach §§ 20 Abs. 1, 97 ff. InsO zur Auskunft im Insolvenzverfahren verpflichtet sein. Die Nutzung der dabei gewonnenen Daten ist jedoch nur zu einem bestimmten Zweck zulässig, ihre strafrechtliche Nutzung ist beispielsweise untersagt. Bezogen auf § 100 KO a.F.: BVerfGE 56, 37 (50) – Selbstbezichtigung. 334 Siehe dazu auch unten, S. 253 f. 335 Siehe auch Taupitz, RPG 2002, 43 (52).

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

251

dungspotenzialen; solche auf der Ebene der Datennutzung sollen konkrete Gefährdungen bzw. konkrete grundrechtliche Ein- oder Übergriffe verhindern.336

a) Verbote auf Datennutzungsebene Die Diskriminierungshandlungen auf Datennutzungsebene lassen sich wiederum in zweierlei Erscheinungsformen konkretisieren: Zum einen als (gleichheitsrechtliche) Ungleichbehandlungsverbote,337 zum anderen als (allgemeine) Verwertungsverbote.338 Auf Benachteiligungsverbote als Sonderform des Ungleichbehandlungsverbots wird gesondert eingegangen werden.

aa) Ungleichbehandlungsverbote In der gleichheitsrechtlichen Ausprägung ist der Regelungsbereich – in einer zugegebenermaßen etwas spitzfindigen Auslegung – auf Fälle der Ungleichbehandlung beschränkt: Erforderlich ist also, dass die betroffene Person gegenüber einer Vergleichsperson oder -personengruppe aufgrund des verbotenen Diskriminierungsmerkmals ungleich behandelt wird. Ungleichbehandlungsverbote lassen sich dabei – parallel etwa zur systematischen Einordnung des Art. 3 Abs. 3 GG – als negative Konkretisierungen des Gleichheitssatzes verstehen.339 Sofern dem Arbeitnehmer in einem Betrieb aufgrund seiner genetisch bedingten Anfälligkeiten bestimmte Tätigkeiten untersagt werden, werden zwar seine genetischen Daten genutzt, jedoch wird er – im Vergleich zu anderen – nicht ungleich behandelt, da er ja der einzige Arbeitnehmer ist.

Ungleichbehandlungsverbote sind abzugrenzen von dem Sonderfall der Benachteiligungsverbote und der Rechtslage ohne Diskriminierungsverbote: Nach der herkömmlichen Dogmatik erlauben Ungleichbehandlungsverbote weder Bevorzugungen noch Benachteiligungen, während Benachteiligungsverbote nur Be___________ 336

Zum Schutz vor Gefährdungspotenzialen siehe auch S. 454 ff. Dieser Begriff entspricht dem des Unterscheidungsverbots, wie etwa Sachs, Grenzen, passim, gebraucht. Da sich Diskriminierungsverbote rechtlich jedoch auf der Datennutzungsebene auswirken, wird hier der Begriff der Ungleichbehandlung verwendet. 338 Inwieweit diese beiden Erscheinungsformen in der Rechtspraxis tatsächlich auch zu verschiedenen Rechtsfolgen führen, sei hier dahingestellt. Hingewiesen sei an dieser Stelle auf Regelungsvarianten, welche – möglicherweise gerade zur Vermeidung derartiger Abgrenzungsproblem – beide Erscheinungsformen in die Regelung integrieren, vgl. New Jersey Permanent Statutes, 10: 5-12: „It shall be an unlawful ... practice, or, as the case may be, an unlawful discrimination: ...“. 339 Huster, Rechte, S. 322: „Art. 3 Abs. 3 GG ... konkretisiert – ‚via negativa‘‘ – den allgemeinen Gleichheitssatz in der Relevanzfrage.“ 337

252

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

nachteiligungen verbieten, Bevorzugungen also erlauben.340 Abzugrenzen ist dies wiederum von der Rechtslage ohne Diskriminierungsverbote: Sofern bei Ungleichbehandlungen an kein ausdrücklich verbotenes Diskriminierungskriterium angeknüpft wird, bestimmt sich der Prüfungsmaßstab allein nach Art. 3 Abs. 1 GG. In dessen Rahmen unterliegen nach der Rechtsprechung des BVerfG Benachteiligungen höheren Rechtfertigungsanforderungen als Bevorzugungen.341 Als Ungleichbehandlungsverbote können dementsprechend Regelungen verstanden werden, die etwa folgende Formulierungen enthalten: – „zu diskriminieren“342, „jeder Form einer Diskriminierung“343 oder „Niemand darf ... einer Diskriminierung ... ausgesetzt werden“344 – „Zugangsbarrieren ... zu errichten .... oder Zugangsprivilegien zu erlangen.“345 oder „Rechte zu beschränken oder Vorteile zu gewähren“346; auch „bevorzugt oder benachteiligt“347 – „diskriminierende Vertragsbedingungen festzulegen“.348

bb) Benachteiligungsverbote Einige Regelungsvarianten erfassen nicht alle Ungleichbehandlungen, sondern beschränken sich auf ein Verbot von Benachteiligungen. Solche Regelungen, welche lediglich die Benachteiligung, nicht aber die Bevorzugung verbieten,349 werden als eine Sonderform des Ungleichbehandlungsverbots auf Datennutzungsebene verstanden. Eine derartige Regelungsvariante ergibt sich aus dem Verbot „zu benachteiligen“.350 ___________ 340

Siehe dazu auch unten, S. 252 f. Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 37 m.w.N. – Dagegen: Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 110, Fn. 202 m.w.N. Ebenso auf Grundlage des Eingriffsmodells – Huster, Rechte, S. 233 m.w.N.: „Man kann daher sagen, das ein Eingriff in das Recht der Gleichbehandlung dann vorliegt, wenn in diesem Sinne wesentlich Gleiches ungleich bzw. wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird.“; Huster, Rechte, S. 291 ff. 342 § 25 Abs. 1 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 343 Art. 11 der Bioethik-Konvention des Europarates. 344 Art. 6 der Allgemeinen Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und Menschenrechte. 345 Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 7. 346 § 25 Abs. 1 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 347 Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. 348 § 26 und ähnlich auch § 27 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 349 Vgl. etwa Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. 350 Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, § 4 GenDG-E; Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 2 Abs. 2; 341

C. Analyse verschiedener Regelungsvarianten

253

Nicht verboten sind demzufolge dem Wortlaut nach zunächst einmal Bevorzugungen aufgrund des jeweiligen Diskriminierungskriteriums. Wie stets, hängt die Auslegung des Begriffs vom gesetzlichen Kontext ab. § 7 Abs. 2 des Behindertengleichstellungsgesetzes351 verbietet die Benachteiligung behinderter Menschen durch die öffentliche Gewalt. Satz 2 dieses Absatzes nimmt eine Definition des Begriffs der Benachteiligung vor: Danach liegt eine Benachteiligung vor, wenn behinderte und nicht behinderte Menschen ohne zwingenden Grund unterschiedlich behandelt werden und dadurch behinderte Menschen in der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt werden.

cc) Verwertungsverbote Von den Ungleichbehandlungsverboten auf der Datennutzungsebene lassen sich die Verwertungsverbote abgrenzen.352 Zwar lassen auch sie sich – genauso wie die Ungleichbehandlungsverbote – als negative Konkretisierungen des Gleichheitssatzes verstehen, jedoch sind sie semantisch nicht an eine Ungleichbehandlungssituation gebunden, sondern finden auch dann Anwendung, wenn mangels Vergleichsgruppe keine Verletzung des Gleichheitssatzes in Betracht kommt.353 Formulierungen, die eine Auslegung als Verwertungsverbote nahe legen, sind: – Verbote, „Ergebnisse von genetischen Analysen … zu erheben, zu verlangen, anzunehmen oder sonst zu verwerten.“354 – Verbot, Daten „zu nutzen“.355

b) Verbote auf Datenerhebungsebene Abzugrenzen von Verboten auf der Datennutzungsebene sind solche, die nicht unmittelbar an eine Nutzung von Daten, sondern an deren Erhebung anknüpfen. Unter Datenerhebung ist – wie bei § 3 Abs. 4 BDSG356 – jegliches Beschaffen von Daten zu verstehen. Teilweise ist der gesamte Regelungskomplex ___________ Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, § 2 des Gesetzentwurfs; vgl. auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. 351 Siehe oben, S. 242, Fn. 298. 352 Ohne Differenzierung wohl bei Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (198). 353 Siehe Beispiel oben, S. 251. 354 § 67 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I 127/2005. Vgl. auch Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 13 f., Grundsätze 22 und 23. 355 § 22 Abs. 4 Entwurf des Arbeitsschutzrahmengesetzes (1993). 356 Siehe auch bereits Fn. 332 auf S. 250.

254

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

auf Verbote auf Datenerhebungsebene beschränkt,357 teilweise ergänzen derartige Regelungen als Vorfelddiskriminierungsverbote die mitgeregelten Verbote auf der Datennutzungsebene.358 Von diesen Regelungsvarianten werden Fälle nicht erfasst, in denen genetische Merkmale bereits bekannt sind und genetische Untersuchungen demzufolge nicht durchgeführt werden müssen. Es handelt sich somit nicht um ein Datennutzungsverbot, da nicht die Diskriminierung aufgrund genetischer Merkmale an sich verboten wird. Verbote auf Datenerhebungsebene können wiederum als Ungleichbehandlungsverbote oder als allgemeine Datenerhebungsverbote gefasst sein. Als Formulierungsvarianten für Datenerhebungsverbote im Sinne von Ungleichbehandlungsverboten kommen in Betracht: – „Niemand darf ... wegen der Weigerung, eine genetische Untersuchung bei sich durchführen zu lassen benachteiligt werden“359 – „Es ist verboten, eine Person zu diskriminieren, weil sie Genspender ist oder nicht.“360 Als Beispiele für Regelungsvarianten im Sinne von allgemeinen Datenerhebungsverboten seien genannt: – Verbot, bestimmte Entscheidungen von der Durchführung genetischer Untersuchungen „abhängig zu machen“361 – Verbot, genetische Untersuchungen „zu verlangen“, bzw. Untersuchungsergebnisse „zu erfragen“ oder „anzunehmen“362 – Verbot, Daten „zu verarbeiten“.363

3. Verbot von Vorfelddiskriminierungen Verbote von Vorfelddiskriminierungen beziehen sich immer auf die Datenerhebungsebene. Sie sollen verhindern, dass das jeweilige genetische Diskriminierungsverbot umgangen wird, indem die Diskriminierung von Umständen ab___________ 357 Die Empfehlung des Europarates (92) 3, Grundsatz 6 enthält kein Verwertungsverbot, sondern ist ausschließlich auf ein Datenerhebungsverbot beschränkt. 358 Vgl. S. 253 ff. 359 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 2 Abs. 2. 360 § 25 Abs. 2 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 361 Empfehlung des Europarates (92) 3, Grundsatz 6 (in der englischer Fassung): „... should not be made dependent on the undergoing of genetic tests or screenings.“ 362 Ethikbeirat beim BMG, Eckpunktepapier, S. 13 f., Grundsätze 22. und 23; auch Empfehlung des Europarates (92) 3, Grundsatz 7. 363 § 22 Abs. 4 des Entwurfs des Arbeitsschutzrahmengesetzes (1993).

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

255

hängig gemacht wird, die nicht die Datennutzung, sondern die Datenerhebung betreffen. Beispiele für Vorfelddiskriminierungsverbote finden sich in: – § 67 des österreichischen GenTG364 – § 25 Abs. 2 des estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung – § 2 des Gesetzentwurfs von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen – den Regelungsvorschlägen der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder.365 Auch bei Vorfelddiskriminierungsverboten kann zwischen Ungleichbehandlungsverboten und allgemeinen Datenerhebungsverboten unterschieden werden. In der gleichheitsrechtlichen Ausprägung verbieten Vorfelddiskriminierungen im Verhältnis zum Staat damit lediglich, dass die Ausübung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wiederum Anlass für Ungleichbehandlungen gemacht wird. In der Ausprägung als allgemeines Datenerhebungsverbot verbietet es dem Normadressaten – unabhängig von Vergleichsgruppen – Konsequenzen aus dem Umstand zu ziehen, dass jemand eine Untersuchung verweigert. Durch ein genetisches Diskriminierungsverbot kann beispielsweise einem Arbeitgeber verboten werden, aufgrund genetischer Merkmale zu diskriminieren. In einer – zugegebenermaßen – etwas spitzfindigen Betrachtung ist es ihm damit jedoch nicht verwehrt, einen Stellenbewerber aufgrund der Weigerung, eine genetische Untersuchung durchführen zu lassen, zu diskriminieren. Genau diese Lücke wird durch das Verbot von Vorfelddiskriminierungen geschlossen.

Für die Bewertung der Verfassungsmäßigkeit hinsichtlich der Spezifikationen des Diskriminierungskriteriums gelten die Überlegungen zu den Verboten auf der Datennutzungsebene entsprechend. Sofern das Verbot der Vorfelddiskriminierung auf die Weigerung beschränkt ist, eine genetische Untersuchung durchzuführen, stellt sich möglicherweise das Problem, dass der Einzelne zwar nicht aufgrund der Verweigerung einer genetischen Untersuchung diskriminiert werden darf, wohl aber aufgrund der Weigerung, eine Familienanamnese durchführen zu lassen.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten auf ihre gleichheitsrechtliche Zulässigkeit Nach der Vorarbeit in den vorangegangenen Abschnitten kann nun mit der gleichheitsrechtlichen Prüfung begonnen werden. Wie bereits ausgeführt, wer___________ 364 § 67 Satz 1 („zu verlangen“) und Satz 2 des österreichischen GenTG i.d.F. BGBl. I 127/2005. 365 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 2 Abs. 2, 2. Alt.

256

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

den dabei im Wesentlichen zwei Zielsetzungen verfolgt. Zum einen soll die Prüfung es ermöglichen, Regelungsvarianten genetischer Diskriminierungsverbote in ihrer Komplexität zu erfassen und ihre gleichheitsrechtliche Zulässigkeit zu bewerten. Zudem sollen die in dieser Prüfung vorgenommenen Erwägungen gewissermaßen als notwendige Vorüberlegungen für den Vorschlag für eine Ergänzung der persönlichkeitsrechtlichen Dogmatik im Kapitel 3 sein. Im Rahmen dieser Prüfung ist, um die (primäre) Zwecksetzung des Diskriminierungsverbots zu ermitteln, zunächst zu fragen, warum die Behandlung als ungerecht empfunden wird. Welche Rechtsgedanken liegen der Forderung nach einem Verbot genetischer Diskriminierung zugrunde? Soll das Diskriminierungsverbot lediglich verhindern, dass Menschen aufgrund von irrationalen, also bereits auf Missverständnissen wissenschaftlicher Erkenntnisse beruhenden Annahmen behandelt werden? Ist die Ungleichbehandlung aufgrund genetischer Merkmale deswegen als besonders schwerwiegend einzustufen, weil Erbmerkmale jedem Menschen „in die Wiege gelegt“ sind und von ihm nicht beeinflusst werden können? Oder soll es verhindern, dass der Einzelne aufgrund von (ungenauen) statistischen Aussagen behandelt wird? Daran anschließend erfolgt jeweils die Prüfung der Zweckumsetzung. Hier ist zu untersuchen, ob der so ermittelte Gerechtigkeitsmaßstab durch die verschiedenen Regelungsvarianten logisch konsistent umgesetzt wird. – Wie im Folgenden im Einzelnen dargelegt werden wird, lassen sich dem Verbot genetischer Diskriminierung drei Gerechtigkeitsmaßstäbe entnehmen:366 Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit

Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit

Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit

Kriterium

falsche Annahmen

nicht beeinflussbare Umstände

ungenaue Aussagen (statistische Aussagen)

Rechtsfolge

Beweislastumkehr

Bewertungsverbot Schutzauftrag

Typisierungsverbot

Abb. 9: Gerechtigkeitsmaßstäbe und Rechtsfolgen

I. Verbot genetischer Diskriminierung als Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen (Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit) Ein Gesichtspunkt, unter dem genetische Diskriminierung zur Sprache kommt, sind Fehl- oder Überbewertungen im Zusammenhang mit genetischen ___________ 366

Siehe oben, S. 221 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

257

Untersuchungen. Zunächst soll daher untersucht werden, inwieweit genetischen Diskriminierungsverboten ein Gerechtigkeitsmaßstab zugrunde zu legen ist, wonach niemand aufgrund irrtümlich angenommener Umstände, bzw. falscher Annahmen ungleich behandelt werden darf.

1. Schutzbereich Dazu wird in einem ersten Schritt geprüft, inwieweit eine solche Zwecksetzung überhaupt mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.

a) Ermittlung des Zwecks Zum Teil finden sich in den Regelungsvorschlägen ausdrückliche Hinweise auf eine solche Auslegungsvariante. So wird nach vielen Definitionsentwürfen zur Regelung eines genetischen Diskriminierungsverbots insbesondere auch die Diskriminierung aufgrund „angenommener“ genetischer Charakteristika verboten.367 Sehr aufschlussreich sind aber auch die Beispiele, die in der rechtswissenschaftlichen Literatur zur Veranschaulichung der genetischen Diskriminierung gewählt werden.368 Einige Autoren scheinen sogar in Ungleichbehandlun___________ 367 Vgl. dazu (alle Hervorhebungen durch den Verfasser): Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (206): „misunderstandings of genetic disease“, „genetic discrimination arises as a result of misconceptions about genetics and the nature of genetic diseases.“; Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 40: „nur Methoden [...], die wissenschaftlich gesichert und allgemein anerkannt sind.“ Dieser ausdrückliche Hinweis lässt sich vor dem Hintergrund verstehen, dass dies dem Ausschuss für im Bereich der Humangenetik nicht als Selbstverständlichkeit erschien; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 134 und passim; Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (112): „actual or perceived genetic characteristics.“ und 109 (115): „false assumptions regarding the nature, accuracy and predictability of genetic tests“; Hendriks, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 7: „characteristics, which, in the given context, are irrelevant.“; Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (466): „real or perceived differences from the ‚normal‘ genome“; Schöffski, Gendiagnostik, S. 114 (in der deutschen Übersetzung von Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (466)); Wolbring, Stellungnahme (2001), S. 85: „tatsächliche oder vermutete genetische Unterschiede“. – Im Hinblick auf die genannten Fundstellen stellt sich allerdings die Frage: Wenn die Diskriminierung aufgrund falscher Annahmen nur einen – wenn auch großen – Teil der Diskriminierung ausmacht – worin ist dann der andere Gesichtspunkt genetischer Diskriminierung zu sehen? Um diesem Regelungsbestandteil als bedeutungslos zu behandeln (vgl. Sachs, Grenzen, S. 434 spricht von der Vermeidung der Überflüssigkeit von Diskriminierungsverboten), könnte das Verbot der Diskriminierung aufgrund von tatsächlichen genetischen Veranlagungen als ein Typisierungsverbot verstanden werden. Dazu später, S. 317 ff. 368 Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (198): „Verboten erschiene es dementsprechend, den Träger eines rezessiven Erbleidens nur wegen seines Trägerstatus nicht zu beschäf-

258

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

gen aufgrund von irrtümlich oder bewusst falsch vorgenommenen Bewertungen genetischer Informationen den Schwerpunkt, wenn nicht den einzigen Aspekt dessen zu sehen, was unter genetischer Diskriminierung zu verstehen ist und sich beim Umgang mit genetischen Daten als problematisch darstellt.369 Eine entsprechende Begriffsbestimmung wird für den ohnehin problematischen Begriff der „Rasse“ in Art. 3 Abs. 3 GG vorgenommen. Danach sind von diesem Diskriminierungsmerkmal alle für eine bestimmte ethnische Gruppe spezifischen tatsächlichen oder auch nur behaupteten biologisch vererbbaren Merkmale erfasst.370

b) Erläuterung des Zwecks Als grundlegender Gerechtigkeitsmaßstab für die Behandlung von Fällen dieser Art lässt sich die Regel begreifen, dass nicht vorhandene Umstände nicht zur Grundlage einer Ungleichbehandlung gemacht werden dürfen. Dieser Gerechtigkeitsmaßstab wird im Folgenden als Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit bezeichnet. Entsprechend soll in dieser Hinsicht von einem Diskriminierungsverbot aufgrund falscher Annahmen gesprochen werden.

aa) Vermeidung von Ungleichbehandlungen auf irrationaler Grundlage Von diesem Problemkreis erfasst werden Fälle, in denen irrtümlich bei einer untersuchten Person Eigenschaftsindikatoren oder manifeste Eigenschaften angenommen werden, die tatsächlich nicht vorliegen oder denen zumindest nicht

___________ tigen, weil dieser Status für den Stellenbewerber in gesundheitlicher Perspektive völlig irrelevant erscheint. Das gleiche gilt für einen Stellenbewerber, der für eine Erbkrankheit prädisponiert ist, der aber gar nicht jenen Umweltbelastungen ausgesetzt ist, die ein zusätzlicher Faktor für das Ausbrechen der Erbkrankheit sein mögen.“ (Hervorhebung durch den Verfasser). Siehe auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 129 f. 369 Mit einer empirischen Studie zur genetischen Diskriminierung speziell im Bereich des Versicherungswesens: Low/King/Wilkie, BMJ 1998, vol. 317, 1632 (1632 ff.). Für diesen Bereich ergibt sich insofern eine Sondersituation, als dass eine Ungleichbehandlung aufgrund von statistischen Informationen versicherungstypisch ist und von daher wohl grundsätzlich für den Bereich des Versicherungswesens nur die Ungleichbehandlung aufgrund falscher Annahmen als Diskriminierungsform in Betracht kommt. – Siehe dazu S. 435 f. Auf diese Studie verweisend: Bayertz/Ach/Paslack, Genetische Diagnostik (1999), S. 261. Im Übrigen: Meyer, Mensch, S. 61 (im Hinblick auf das Verbot genetischer Diskriminierung), 245 (im Hinblick auf die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG). 370 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 293.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

259

die angenommene Bedeutung zukommt.371 In dieser Weise werden auch zum Teil die bestehenden Diskriminierungsverbote gedeutet.372 Diese Einschätzung wird insbesondere für das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund des Merkmals der „Rasse“ vorgenommen, dessen Verwendung aufgrund seiner diffusen Definition schon von vornherein als irrational bewertet wird.373 Mit diesem Begriff sollen Bevölkerungsgruppen nach biologisch vererbbaren Merkmalen unterschieden werden.374 Abgesehen von wenigen Ausnahmen scheint jedoch eine Zuweisung von populationsgenetisch bedingten Eigenschaften nicht möglich.375

bb) Abgrenzung vom Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit Deutlich abgegrenzt werden soll dies von der später zu behandelnden Frage, inwieweit statistische Bewertungen – als ungenaue Aussagen über Umstände – zur Grundlage von Ungleichbehandlungen gemacht werden können.376 Vom Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit sollen daher nur Fälle erfasst werden, in denen sich die zugrunde gelegten Annahmen nach dem heutigen Stand der Wissenschaft als richtig oder falsch bezeichnen lassen. Nicht erfasst werden demgegenüber statistische Aussagen, sofern sie die Eigenschaften der von ihnen beschriebenen Bezugsgruppe zutreffend wiedergeben. Zwar können derartige Aussagen im Einzelfall falsch sein. Dieser Umstand liegt jedoch in der Natur statistischer Daten, weil sie eben nur Aussagen über Gruppeneigenschaften treffen, nicht jedoch über eine einzelne Person. Vor diesem Hintergrund kann der Feststellung von Eigenschaftsindikatoren gewissermaßen eine Zwitterstellung zugewiesen werden. Die Aussage „Alle Frauen haben einen schwächeren Körperbau als Männer.“ ist falsch und unterfällt damit dem Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit. Demgegenüber mag die Aussage „Die meisten Frauen haben eine schwächeren Körperbau als Männer“ als statistische Aussage richtig sein. Die rechtliche Behandlung von damit verbundenen Problemen soll im Zusammenhang mit dem Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit behandelt werden.

Dies gilt insbesondere auch für Prognosen: Das zukünftige Eintreten einer Manifestation ist dem Beweis schlichtweg nicht zugänglich, also weder nach___________ 371

Vgl. Grand/Atia-Off, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1304 ff. zum Grundsatz der Richtigkeit und Aktualität im Datenschutzrecht. 372 Vgl. etwa Huster, Rechte, S. 314: „offensichtlich irrelevante Eigenschaften“; auch Kaufmann, JRE, 10 (2002), S. 99 (103). 373 Zumindest für die Rassendiskriminierung: Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 128; Huster, Rechte, S. 314, 318; Meyer, Mensch, S. 242 m.w.N., 245; Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 293; Sachs, Grenzen, S. 383 m.w.N. 374 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 293. 375 Siehe auch S. 88 f. 376 S. 317 ff.

260

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

weisbar noch widerlegbar, und liegt somit im Ungewissen. Andererseits kann insofern auch nicht von falschen Annahmen gesprochen werden. Bei der Interpretation der Ergebnisse prädiktiver Untersuchungen ist insbesondere zu beachten, dass sich die getroffenen Wahrscheinlichkeitsangaben lediglich auf den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft beschränken und es sich somit nicht um Daten handelt, die auch für die Zukunft Gültigkeit behalten müssen. Zwar mag die Prognose nach dem Wissen zum Zeitpunkt der Prognosestellung zutreffend sein. Sie wird jedoch hinfällig, wenn in der Zeit bis zum Ausbruch der Krankheit ein wirksames Mittel zur Prävention entwickelt werden kann, wie dies insbesondere bei langen Vorhersagezeiträumen der Fall sein kann. Dementsprechend müssten Untersuchungsergebnisse korrekterweise lauten: „Die Erkrankungswahrscheinlichkeit beträgt 100 %, soweit nicht andere Faktoren (in erster Linie wirksame präventive Maßnahmen) dazwischentreten.“

cc) Nähe zum Verständnis als Begründungsverbot Die Interpretation von Diskriminierungsverboten als Verbote der Ungleichbehandlung aufgrund von falschen Annahmen dürfte im Ergebnis der bekannten Auslegung als Begründungsverbot sehr nahe kommen. Die Interpretation von Diskriminierungsverboten als Begründungsverbote wird an dem Wortlaut „wegen“ oder „aufgrund“ festgemacht.377 Eine ungerechtfertigte Diskriminierung „wegen“ des verbotenen Merkmals liegt nach der Begründungstheorie nur dann vor, wenn sie allein an dem verbotenen Merkmal festgemacht wird und ansonsten einer rationalen Begründung entbehrt.378 Dementsprechend liegt aber kein Verstoß gegen das Begründungsverbot vor, wenn das Merkmal mit einer Eigenschaft des Merkmalsträgers gekoppelt ist, welche eine Ungleichbehandlung rechtfertigt.379 Dies legt nahe, dass die Verwendung eines an sich verbotenen Diskriminierungsmerkmals wohl dann zulässig sein soll, wenn die damit bewirkte Ungleichbehandlung auf statistisch nachweisbaren – und damit wohl als rational zu bezeichnenden – Annahmen beruht. Der Nachweis eines statistischen Zusammenhangs zwischen dem (an sich) verbotenen Merkmal und einer eine Ungleichbehandlung rechtfertigenden Eigenschaft führt somit nicht zur Auslösung, sondern gerade zum Ausschluss des Diskriminierungsschutzes. Letztlich werden Diskriminierungsverbote damit materiell-rechtlich380 auf die ___________ 377

Zur Auslegung dieser Formulierungen: Sachs, Grenzen, S. 390 ff. Vgl. etwa: Badura, Staatsrecht, S. 144; AK-Eckertz-Höfer, Art. 3 Abs. 2,3 GG, Rdnr. 107; Gubelt, in: von Münch/Kunig, Art. 3 GG, Rdnr. 104; Gusy, NJW 1998, 2505 (2508); Hesse, Grundzüge, Rdnr. 436; Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 124; Huster, Rechte, S. 317; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 3 GG, Rdnr. 117 f. – Zu umfangreichen Nachweisen zur so genannten Begründungstheorie aus Rechtsprechung und Literatur vgl. Sachs, Grenzen, S. 390 ff., 434. 379 Huster, Rechte, S. 317. 380 Diskriminierungsverbote bewirken insofern allenfalls eine prozessuale Privilegierung in Form einer Beweislastumkehr. Vgl. dazu unten, S. 265 f. 378

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

261

deklaratorische Feststellung reduziert, dass mit ihnen lediglich irrationale Begründungen, welche direkt oder indirekt an die verbotenen Merkmale anknüpfen, ausgeschlossen werden sollen.381

c) Zweckspezifische Rechtsfolge Um Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen zu vermeiden, erscheint folgende Rechtsfolge als nahe liegend: Derjenige, der sich auf die in ihrer Richtigkeit umstrittenen Annahmen berufen will, muss ihre Richtigkeit nachweisen. Beschrieben werden damit zwei Aspekte der Rechtsfolge: ein materiellrechtlicher und ein prozessualer.

aa) Unerheblichkeit unrichtiger Annahmen auf materiell-rechtlicher Ebene Wie bereits ausgeführt, sind unrichtige Tatsachenannahmen auf materiellrechtlicher Ebene unerheblich. Ein wesentliches Problem bei Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen liegt nicht in der Frage, wer die Richtigkeit seiner Annahme beweisen muss, sondern wie sie überhaupt bewiesen werden kann. Damit geht es also um die Frage, welche materiellen Anforderungen an einen Nachweis gestellt werden sollen. Die Prüfungsmaßstäbe, anhand derer sich die Fehlerhaftigkeit von Aussagen messen lässt, sind in Abb. 10 dargestellt, welche auf die im vorangegangenen Kapitel vorgenommene Kategorisierung von Fehlerquellen Bezug nimmt.

___________ 381 So etwa Huster, Rechte, S. 314, der in den Diskriminierungsverboten gewissermaßen einen Schutz vor der Ungleichbehandlung aufgrund von „irrelevanten Eigenschaften“ sieht, die nach der historischer Erfahrung besonders häufig zur Grundlage von ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen gemacht wurden. – Nachweise dazu auch in den Fn. 372 und 373 auf S. 259.

262

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Indikation

Durchführung

Interpretation

Fehler der getesteten Personen (Klienten) bzw. des medizinischen Fachpersonals

sinnlose Tests willkürlich gewählte Tests

fehlerhaft durchgeführte Tests

falsch bewertete Tests – Verständnisprobleme, insbesondere im Umgang mit Wahrscheinlichkeitsangaben

(obere und mittlere Ebene)

Prüfungsmaßstab: Relevanz des Untersuchungsgegenstands für den betreffenden Sachbereich (Vergleich mit sonstiger Praxis im selben Sachbereich)

Prüfungsmaßstab: labortechnische Standards „Regeln der guten Praxis“

Prüfungsmaßstab: wissenschaftliche Forschungserkenntnisse

Fehler und Irrtümer in der Forschung

Wissenschaftliche Irrtümer

nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft nicht behebbare Konstruktionsfehler

Wissenschaftliche Irrtümer

(untere Ebene)

Prüfungsmaßstab: kein fachwissenschaftlicher Maßstab gesellschaftlicher Wertungsmaßstab (durch Gesetz) persönlicher Wertungsmaßstab des Richters (durch Urteil)

Abb. 10: Prüfungsmaßstäbe bei der Fehlerbeurteilung382

Fehler auf der mittleren und oberen Ebene (Umsetzungs- und Anwendungsebene) können daraufhin überprüft werden, ob sie den jeweiligen Standards entsprechen. In solchen Fällen erscheint die richterliche Sachverhaltsbewertung – etwa durch die Möglichkeit, Sachverständigengutachten einzuholen – als objektivierbar, sofern die wissenschaftliche Grundlage nicht hinterfragt wird. Ein Beispiel für eine solche Regelung stellt § 22 ArbSchRG-E dar. Abs. 1 dieser Regelung lautet: „Vorsorgeuntersuchungen dürfen nur nach allgemein anerkannten Regeln der Arbeitsmedizin durchgeführt werden. Dabei sind auch die sonstigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaften und die allgemein anerkannten Regeln der Laborpraxis zu berücksichtigen. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung kann die in den Sätzen 1 und 2 genannten Regeln und Erkenntnisse im Bundesgesetzblatt bekanntmachen; ...“.383

Der jeweils maßgebliche wissenschaftliche Standard lässt sich einem Diskriminierungsverbot jedoch nicht entnehmen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, die maßgeblichen wissenschaftlichen Standards rechtlich verbind___________ 382

Vgl. auch Abb. 5 auf S. 111. Siehe dazu auch Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 1 ArbSchRG-E, BTDrs. 12/6752, S. 45. Vgl. jetzt auch § 20 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz. 383

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

263

lich festzulegen, um die Überprüfung ihrer Einhaltung zu erleichtern. Im Einzelnen kann dies bedeuten: – Tests, die aufgrund der Überbewertung des Untersuchungsgegenstands durch den Testinteressenten veranlasst werden, können durch einen Vergleich mit der sonstigen Untersuchungspraxis des Testinteressenten als willkürlich gewählte Tests aufgedeckt werden. Dies wäre etwa der Fall, wenn ein Arbeitgeber HIV-Tests durchführt, obwohl keine Ansteckungsgefahr besteht und andere Untersuchungen hinsichtlich der Möglichkeit einer gesundheitlich bedingten Arbeitsunfähigkeit als genauso dringlich erscheinen.

– Sofern die Vermutung besteht, dass Testergebnisse falsch interpretiert wurden, hat der Testinteressent nachzuweisen, dass seine Interpretation dem derzeitigen Stand der Wissenschaft entspricht. Ein Elternpaar wird von der Versicherung in eine höhere Prämienklasse gestuft, weil ihr Kind aufgrund einer besonderen Strahlenbelastung eine Spontanmutation aufweist, mit der ein erhöhtes Krebsrisiko verbunden wird. In diesem Fall dürfte die Versicherung der Richtigkeitsnachweis misslingen, da es sich hier um eine Spontanmutation des Kindes handelt, die demzufolge auch nicht von den Eltern vererbt wurde, so dass sie auch nicht bei den Eltern vorliegen kann.384

Eine besondere Stellung bei der Prüfung der Richtigkeit rechtserheblicher Annahmen nehmen allerdings Fehler auf der unteren Ebene (wissenschaftliche Irrtümer)385 ein.386 Im Unterschied zu Fehlern auf der Umsetzungs- und Anwendungsebene sind wissenschaftliche Irrtümer mit objektivierbaren Untersuchungsmethoden kaum feststellbar: Da die Wissenschaft als die Suche nach der Wahrheit begriffen wird387 und demnach selbst den Maßstab sucht und setzt, was als richtig und was als falsch gilt, fehlt insofern ein objektivierbarer Prüfungsmaßstab.388 Sofern also über bestimmte Fragen in der Wissenschaft schon im Grundsatz Uneinigkeit herrscht, etwa weil zwingend überzeugende Beweise fehlen, wird die richterliche Entscheidung für eine der Meinungen zur Frage der ___________ 384

Zu dieser – offensichtlich in der Versicherungspraxis relativ häufig auftretenden – Art von Fehleinschätzungen: S. 120. 385 Siehe S. 111 ff. 386 Zur Fälschung in der Forschung: Streier, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 545 ff.; Weihrauch, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1739 ff. (1751): Der Anteil gezielt gefälschter Untersuchungen beträgt danach schätzungsweise 1% aller pro Jahr durchgeführten Studien. 387 Was genau Inhalt und Ziel der „Wissenschaft“ ist, ist Gegenstand des Forschungszweiges der „Wissenschaftstheorie“. Die Wissenschaftstheorie untersucht Begrifflichkeit und Methodologie, die logischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen der einzelnen Wissenschaften, ihre Erkenntnismöglichkeiten und die Gültigkeit ihrer Aussagen. Vertreter dieser Forschungsrichtung ist u. a. auch Popper („Logik der Forschung“) – Siehe dazu Störig, Philosophie, S. 665 ff. 388 In philosophischer Hinsicht wird damit ein konstruktivistischer Ansatz zugrunde gelegt. Siehe dazu auch S. 353, Fn. 660.

264

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

persönlichen Wertung des entscheidenden staatlichen Organs, etwa eines Gerichtes. 1616 wurde Galilei Galileo, der sich mit seiner Lehre zum ptolemäischen und kopernikanischen Weltbild in offenem Widerspruch zur damalig herrschenden kirchlichen Lehre gesetzt hatte, in einem Inquisitionsprozess zum Schweigen verurteilt. Unterstellt, in dem Prozess gegen Galileo wären die verschiedenen Auffassungen frei und ausführlich dargelegt worden und die Richter wären – wie nicht anzunehmen ist – tatsächlich unbefangen gewesen, so hätten die Richter letztlich doch aufgrund ihrer persönlichen Überzeugung darüber entscheiden müssen, welche Lehre überzeugender und welches Weltbild das richtige sei.

Folglich geht es in diesen Fällen also nicht um die Frage, ob derartige Ungewissheiten vom Staat entschieden werden dürfen, sondern nur darum, ob die Entscheidung jeweils für den Einzelfall (etwa im Rahmen eines gerichtlichen Urteils) oder auf gesetzgeberischer Ebene getroffen wird. Zwar haben richterliche oder verwaltungsrechtliche Einzelentscheidungen den Vorteil einer größeren Flexibilität, da sie von Fall zu Fall auf aktuelle wissenschaftliche Entwicklungen eingehen können.389 Jedoch hängen sie doch letztlich von der persönlichen Einschätzung der entscheidenden Person – etwa des Richters oder des Verwaltungsangestellten – ab und weisen eine geringere demokratische Legitimation auf als parlamentarische Entscheidungen.390 Zwar dürfte wissenschaftlichen Erkenntnissen von staatlicher Seite aus grundsätzlich schon aus Gründen der Nachvollziehbarkeit staatlichen Handels Rechnung zu tragen sein. So wird z.B. im BImSchG in zahlreichen Vorschriften an den Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG angeknüpft (z.B. §§ 5, 17, 22 BImSchG). Ob Umwelteinwirkungen schädlich sind, ist grundsätzlich durch den Richter anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden. Nach § 48 BImSchG kann die Bundesregierung jedoch in einem formalisierten Verfahren unter Mitwirkung von Sachverständigen durch Verwaltungsvorschrift Immissionsrichtwerte festlegen (insb. in den Technischen Anleitungen – TA-Luft und TA-Lärm).

Jedoch erscheint es gerade in gesellschaftlich besonders Richtung weisenden und zentralen Bereichen durchaus als berechtigt, gesellschaftliche Ziel- und Wertsetzungen – möglicherweise auch entgegen wissenschaftlicher Anschauungen – gesetzlich oder gar verfassungsrechtlich vorzugeben (gesetzgeberische Wertsetzungsbefugnis). Damit zieht der Staat keine Entscheidung an sich, sondern trifft sie für bestimmte Bereiche durch das Parlament, statt sie etwa einzelnen Richtern oder der Einschätzung einzelner Sachverständiger zu überlassen.391 Die Forschungsfreiheit wird damit nicht in Frage gestellt. Vielmehr untersagen entsprechende gesetzliche Regelungen lediglich die Anwendung von ___________ 389

Dworkin, JRE 10 (2002), S. 21 (27 ff.). Dworkin, JRE 10 (2002), S. 21 (24). 391 In diesem Sinne auch Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 498, These 3. 390

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

265

bestimmten Forschungsergebnissen, die gesellschaftlichen Wertvorstellungen widersprechen würden. Als ein Beispiel einer solchen Wertsetzung könnte Art. 3 der Allgemeinen Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und die Menschenrechte (vom November 1997) begriffen werden: „Das menschliche Genom, das sich seiner Natur gemäß fortentwickelt, unterliegt Mutationen. Es birgt Möglichkeiten, die je nach der natürlichen und sozialen Umgebung des Einzelnen, einschließlich seines Gesundheitszustandes, seiner Lebensbedingungen, Ernährung und Erziehung auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck kommen.“ Indem diese Regelung Aussagen über die Bedeutung der Gene auf die menschliche Entwicklung trifft, werden nicht nur Wertungen vorgenommen, sondern auch naturwissenschaftliche Grundannahmen rechtlich festgeschrieben. Auf normativer Ebene dürften die damit festgeschriebenen Grundannahmen selbst dann noch Geltung und Vorrang behalten, wenn sich in der Humangenetik Tendenzen zu Theorien des genetischen Determinismus durchsetzen sollten.

Allerdings dürfte der Gesetz- bzw. Verfassungsgeber nur sehr zurückhaltend von seiner Wertsetzungsbefugnis Gebrauch machen. Eine gesetzliche oder verfassungsrechtliche Festschreibung dürfte sich angesichts ihrer inflexiblen Handhabung und weitreichenden Konsequenzen eher für Werte anbieten, die auf lange Sicht als feststehend behandelt werden sollen. Angesichts der Dynamik in dem Bereich der Genforschung erscheinen derartige Festschreibungen hinsichtlich der rechtlichen Einschätzung von Forschungsergebnissen aus dem Bereich der Humangenetik zumindest politisch als problematisch. Zusammenfassend lässt sich also feststellen: Fehler bei der Anwendung und Umsetzung genetischer Untersuchungen sind gerichtlich anhand des jeweiligen technischen, bzw. wissenschaftlichen Standards überprüfbar. Mangels eines objektivierbaren Maßstabs gibt es für den Einzelnen jedoch keinen Schutz vor einer Behandlung, die auf wissenschaftlichen Annahmen beruht, deren Fehlerhaftigkeit von der herrschenden Meinung in der jeweiligen Wissenschaft erst verspätet anerkannt wird.

bb) Privilegierung durch die prozessuale Regelung der Beweislastumkehr Mit dem (materiell-rechtlichen) Gebot, falsche Tatsachenannahmen als unbeachtlich zu behandeln, transportiert ein im Sinne des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagerichtigkeit verstandenes Diskriminierungsverbot lediglich eine Selbstverständlichkeit. Will man dem Diskriminierungsverbot unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsgedankens der Aussagerichtigkeit jedoch nicht lediglich einen deklaratorischen, sondern einen konstitutiven Charakter beimessen, muss die Rechtsfolge der Regelung eine privilegierende Wirkung haben. Nach dem hier zugrunde gelegten Gerechtigkeitsmaßstab darf niemand aufgrund falscher Annahmen ungleich behandelt werden. Zur Umsetzung dieses Gerechtigkeitsmaßstabs ist es erforderlich, aber auch ausreichend, individuelle Irrtümer zu verhindern. Als Rechtsfolge bietet sich die Beweislastumkehr als eine prozessuale

266

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Privilegierung an: Wer eine Ungleichbehandlung aufgrund der Diskriminierungskriterien vornimmt, hat unabhängig von der grundsätzlich geltenden Beweislastverteilung stets nachzuweisen, dass die Annahmen, auf denen er die Ungleichbehandlung stützt, wissenschaftlich erwiesen und anerkannt sind.392 Ein solcher Gedanke findet sich in § 611a S. 3 BGB:393 „Wenn im Streitfall der Arbeitnehmer Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass nicht auf das Geschlecht bezogene, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen oder das Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung für die auszuübende Tätigkeit ist.“

Bezogen auf das Verbot genetischer Diskriminierung würde dies Folgendes bedeuten: Wenn im Streitfall der Kläger Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen einer genetischen Veranlagung vermuten lassen, trägt der Beklagte die Beweislast dafür, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.394 Der wissenschaftlich nachgewiesene und anerkannte (korrelationsstatistische) Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Gen und der entscheidungserheblichen Eigenschaft dürfte hier ausreichen.395 Angenommen, ein Beamtenanwärter klagt auf Einstellung, weil er glaubt, dass er aufgrund einer bei ihm vorliegenden genetischen Veranlagung vom Arbeitgeber abgelehnt wurde. Im prozessual-rechtlichen Normalfall müsste der klagende Beamtenanwärter umfassend nachweisen, dass er die gleiche Qualifikation aufweist wie sein Konkurrent. Für den Fall, dass ein Verbot genetischer Diskriminierung besteht, welches in dem hier besprochenen Sinne verstanden wird, müsste der Arbeitnehmer jedoch hinsichtlich seines Verdachtes auf genetische Diskriminierung lediglich Tatsachen glaubhaft machen, die vermuten lassen, dass er aufgrund einer genetischen Veranlagung benachteiligt wurde. Hingegen wäre es dem Arbeitgeber auferlegt nachzuweisen, dass die festgestellten genetischen Veranlagungen richtig ermittelt und interpretiert sind. Hierfür dürfte es – unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagerichtigkeit – ausreichen, wenn es wissenschaftlich anerkannte Zusammenhänge zwischen dem beim Arbeitnehmer festgestellten Gen und der arbeitsplatzrelevanten Eigenschaft gibt.

___________ 392

Zur Auslegung von Diskriminierungsverboten als Regelung einer Beweislastumkehr: Hendriks, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 9: „prima facie proof of discrimination“; Hofmann, Genomanalyse, S. 157; Huster, Rechte, S. 323 m.w.N.:„die Beweis- und Argumentationslast wird also umgekehrt.“; Neuer-Miebach, in: Arbeitsmaterialien Bioethik, S. 53 (65); Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 108: „Beweislastverschiebung“ (im Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG). 393 Für eine analoge Anwendung des § 611a BGB auf genetischen Veranlagungen: Hofmann, Genomanalyse, S. 157 f. 394 Mit einem ähnlichen Ansatz wohl: Rose, Genomanalysen, S. 153 (Vorschlag für eine gesetzliche Regelung der Durchführung genetischer Untersuchungen). 395 Zu der in der Gesellschaft wohl immer noch typischerweise bestehenden Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern und ihrer Behandlung als Rechtfertigungsgrund für Ungleichbehandlungen: Sachs, Grenzen, S. 461 ff. – S. auch S. 260, Fn. 378.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

267

d) Überprüfung der Zwecksetzung Der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit stellt jedoch keine Neuerung im Rechtssystem dar, er existiert bereits:396

aa) Materielle Entsprechung mit dem Willkürverbot Ausdruck findet dieser Rechtsgedanke für den öffentlich-rechtlichen Bereich u.a. im Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG, für den privatrechtlichen in den Regelungen der §§ 138, 242, 826 BGB.397 Denn Ungleichbehandlungen und Beschränkungen von Freiheitsgewährleistungen können niemals mit der Behauptung nicht existenter Umstände begründet werden. Ein besonderes rechtliches Instrumentarium gegen Fehlbewertungen gibt es dabei grundsätzlich nicht. Vielmehr sind tatsächliche und rechtliche Fehlbewertungen die Ursache jedes Rechtsstreites und insofern kein Umstand, der etwa erst mit der Möglichkeit, genetische Veranlagungen festzustellen, aufgetreten ist. Zunächst einmal scheint sich die Behandlung dieses Problems damit in der Feststellung von Selbstverständlichkeiten zu erschöpfen.398

bb) Unschärfe des Begriffs „falsch“ Vom Grundgedanken her dürfte das Verbot der Diskriminierung aufgrund falscher Annahmen als begrifflich und inhaltlich klar und eindeutig erscheinen. Allerdings ist die Frage: „Was ist falsch?“ nicht unproblematisch zu beantworten. Gilt nur das als falsch, was wissenschaftlich erwiesen falsch ist? Oder gelten auch schon Umstände, die nicht erwiesenermaßen richtig sind, wie z.B. – nicht wissenschaftlich belegte – gesellschaftliche Anschauungen oder Vorurteile, als falsch?399 Hier bedarf es einer Klarstellung, inwieweit das Diskriminierungsverbot nach dieser Interpretationsweise auch Diskriminierungen aufgrund ___________ 396 Auch wenn in den vorangegangenen Abschnitten herausgestellt wurde, dass die Verhinderung der Diskriminierung aufgrund falscher Annahmen gerade aufgrund dieser Feststellung nicht der alleinige Grund für die Einführung eines Diskriminierungsverbots ist, bedeutet dies nicht, dass dieser Gedanke bei der Auslegung von Diskriminierungsverboten bedeutungslos ist. Siehe oben, S. 203 ff. 397 Zur Drittwirkung statt vieler: Dreier-Dreier, Vorb., Rdnr. 96 ff. 398 Vgl. auch Sachs, Grenzen, S. 434: „Insgesamt ergibt sich, dass die fraglichen Auslegungen [gemeint sind die Auslegungen der Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG im Sinne von Begründungsverboten] einer bloßen Wiederholung des Art. 3 Abs. 1 GG weithin gleichkommen. 399 Vgl. dazu etwa § 186 StGB.

268

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

nicht erwiesener Tatsachen – im Sinne von Tatsachen, die weder erwiesen richtig noch erwiesen falsch sind – erfasst. Die Problematik verläuft insoweit parallel zur Auslegung des Art. 3 Abs. 3 GG. Legt man die Diskriminierungsverbote im Sinne von Begründungsverboten aus, stellt sich die Frage, ob „wegen“ des verbotenen Merkmals eine Ungleichbehandlung vorgenommen wird oder ob zwingende sachliche Gründe die Ungleichbehandlung gebieten. Dabei kann es durchaus erheblich umstritten und – angesichts eines schnellen gesellschaftlichen Wandels – unter Umständen auch statistisch kaum nachzuweisen sein, inwieweit bestimmte angenommene Unterschiede Ungleichbehandlungen rechtfertigen können.400

cc) Einwand der Entbehrlichkeit des Schutzes vor Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen Der Einwand, dass es vor Diskriminierungen aufgrund fälschlicherweise angenommener Tatsachen keines zusätzlichen Schutzes bedarf, weil ihre Unzulässigkeit ohnehin offensichtlich und unbestritten sei, erscheint nicht überzeugend. Die irrationale Grundlage von Diskriminierungen schließt nicht ihre Existenz aus,401 vielmehr dürfte sie für viele als Diskriminierungen empfundene Sachverhalte geradezu typisch sein. So ließe es sich vertreten, dass es bei einer rein rationalen Betrachtung einen Großteil der Fälle von rassen- oder geschlechtsspezifischer Diskriminierungen gar nicht geben dürfte.402 Aus heutiger Sicht dürften viele der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Diskriminierungskriterien in einer Vielzahl ihrer Anwendungsfälle deklaratorischer Natur sein, da sich die Berufung auf diese Merkmale angesichts ihrer irrationalen Verwendung auch schon im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG verbieten dürfte.403 Jedoch auch wenn bestimmte Diskriminierungsverbote – wie etwa das spezielle Verbot der Rassendiskriminierung – insoweit nur deklaratorische Wirkung entfalten, lässt sich darin vor dem Hintergrund des besonderen Diskriminierungspotenzials angesichts rassistischer Vorurteile immer noch eine wichtige Funktion sehen.404

___________ 400 Zu den damit verbundenen argumentativen Schwierigkeiten siehe etwa Sachs, Grenzen, S. 468. 401 Billings/Alper/Beckwith, Am. J. Hum. Genet., vol. 51 (1992), 903 (904) zum Einwand, irrationale (wissenschaftlich nicht begründete) Diskriminierung sei keine Diskriminierung. 402 Alper u.a., JPHP 1994, 345 (355). 403 So Huster, Rechte, S. 315. Siehe auch Nachweise in Fn. 373 auf S. 259. 404 Bezeichnend in diesem Sinne ist auch die übliche Definition des Begriffs „Rasse“: Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 293: „Der Begriff ist in der ihm historisch eigenen unklaren und missbrauchten Verwendung sowohl im Sinn gruppenspezifisch tatsächlicher als auch nur behaupteter biologisch vererbbarer Merkmale zu verstehen.“; DreierHeun, Art. 3 GG, Rdnr. 128, m.w.N.: „Rasse bezeichnet insoweit Menschengruppen mit bestimmten wirklich oder vermeintlich vererbbaren Eigenschaften.“

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

269

dd) Geeignetheit und Erforderlichkeit der Beweislastumkehr zur Vermeidung von Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen Nach Husters Modell bedarf es bei der Überprüfung der Zwecksetzung nur einer Willkürprüfung. Über diesen Prüfungsmaßstab hinausgehend kann jedoch im Hinblick auf den Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit gezeigt werden, dass die Einführung einer Beweislastumkehr auch den Anforderungen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung genügt. So ist die Rechtsfolge der Beweislastumkehr dazu geeignet, Vorurteilen entgegenzuwirken und Stigmatisierungen und Ausgrenzungen bestimmter Personenkreise zumindest einzuschränken, indem sie dazu zwingt, die Entscheidungsgrundlagen bei möglicherweise diskriminierenden Maßnahmen offenzulegen. Zudem bestehen auch hinsichtlich der Erforderlichkeit keine Bedenken. In materiell-rechtlicher Hinsicht stellt sich die Frage des milderen Mittels als eher unwesentlich dar, weil durch Verbote von Diskriminierungen aufgrund falscher Annahmen keine privilegierenden materiellen Rechte eingeführt werden: Bei dem Rechtsgedanken, dass niemand aufgrund falscher Annahmen ungleich behandelt werden darf, handelt es sich um eine Selbstverständlichkeit. Das Verbot genetischer Diskriminierung hat nach dieser Auslegung auf materiell-rechtlicher Ebene nur eine deklaratorische Wirkung.

ee) Ergebnis Es bestehen keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Zwecksetzung, mit der Ungleichbehandlungen aufgrund falscher Annahmen vermieden werden sollen. Die prozessuale Privilegierung durch die Beweislastumkehr kann in Bereichen, in denen eine besondere Fehleranfälligkeit besteht, die Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagerichtigkeit verbessern. Es bestehen insofern keine Bedenken hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Einführung einer Beweislastumkehr. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt jedenfalls nicht vor.

2. Eingriff – Überprüfung der Zweckumsetzung Entsprechend den vorangegangenen Bemerkungen muss der Gerechtigkeitsmaßstab, nach dem niemand aufgrund falscher Annahmen ungleich behandelt werden darf, nicht erst verankert und umgesetzt werden, sondern ist es bereits.405 Die Frage nach der logisch konsistenten Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs stellt sich hier somit in anderer Gestalt: Vorliegend ist hinsicht___________ 405

Siehe oben, S. 267 ff.

270

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

lich aller Spezifikationen von Diskriminierungskriterien eine Inkonsistenz in der Umsetzung darin zu sehen, dass gegen Diskriminierungen aufgrund bestimmter Merkmale durch die Beweislastumkehr ein privilegierender Schutz gewährt wird.

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Eine Rechtfertigung dieses Eingriffs in Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass bestimmte Merkmale ein besonderes Schutzbedürfnis aufweisen, da sie in besonderem Maße falsch wahrgenommen und bewertet und in dieser Fehlbewertung zur Grundlage von benachteiligenden oder bevorzugenden Handlungen gemacht werden.

a) Verwendung von methodenbezogenen Spezifikationen Eine Anknüpfung an das Merkmal der genetischen Untersuchung ist jedoch vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt. Zum einen weisen genetische Untersuchungen im Vergleich zu anderen Untersuchungsmethoden keine methodenspezifisch erhöhten Fehleranfälligkeit auf. Sicherlich birgt die technische Umsetzung von Untersuchungen ein im Allgemeinen zu berücksichtigendes Fehlerpotenzial. Allerdings geht die Fehleranfälligkeit bei der labortechnischen Durchführung von genetischen Untersuchungen nicht auffällig über das Maß hinaus, welches bei anderen Untersuchungsmethoden besteht.406 Auch empirische Untersuchungen, die die Fehleranfälligkeit im Umgang mit genetischen Daten zum Gegenstand haben, deuten nicht darauf hin, dass gerade die labortechnische Durchführung von Tests eine besondere Fehleranfälligkeit aufweist.407 Zwar können höhere Fehlerquoten auftreten, wenn zukünftig aufgrund einer erhöhten Nachfrage auch weniger geschultes Personal mit der Durchführung von genetischen Tests beauftragt werden soll.408 Allerdings ist dies kein Problem speziell von genetischen Untersuchungen, auch wenn es möglicherweise im Zuge der voranschreitenden Kommerzialisierung genetischer Forschungsergebnisse und des damit verbundenen Effektes der induzierten Nachfrage an Be___________ 406 Künzler, Macht der Technik, S. 111. – Zur Evaluation genetischer Testverfahren siehe Schöffski, Gendiagnostik, S. 47 ff. Zu Qualitätsstandards bei genetischen Untersuchungen: Henn, medgen 2000, 341 (341 ff.); Brors, medgen 2000, 301 (301 ff.). 407 Zu den Ergebnisse der empirischen Untersuchungen zur genetischen Diskriminierung vgl. etwa die Studien von Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 ff., Geller u.a., Science and Engineering Ethics, vol. 2, (1996), 71 ff. oder Low/King/Wilkie, BMJ 1998, Vol. 317, 1632 ff. 408 Dazu S. 122.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

271

deutung gewinnen mag. Vielmehr stellt sich diese Problematik als ein klassischer Bereich des Verbraucherschutzes dar, der nicht lediglich auf genetische Untersuchungsverfahren beschränkt ist. Als entscheidende Fehlerquelle steht nicht die technisch-bedingte Aussageungenauigkeit im Vordergrund, sondern die strukturelle Aussageungenauigkeit der auf Grundlage des Untersuchungsergebnisses vorgenommenen Prognosen: Durch die Untersuchungsmethode wird lediglich – mit mehr oder weniger großer Sicherheit – ein bestimmtes Merkmal festgestellt. Dieses Merkmal wird wiederum mit äußeren Erscheinungsbildern in Verbindung gebracht. Der charakteristische Unsicherheitsfaktor bei der Untersuchung von genetischen Veranlagungen liegt – wie bei der von anderen Eigenschaftsindikatoren auch – in dem Umstand, dass das untersuchte Merkmal und das diesem Merkmal zugeordnete Erscheinungsbild nur in einem statistischen Verhältnis zueinander stehen. Dieser Unsicherheitsfaktor bezüglich der Manifestation ist unabhängig davon, wie das Merkmal ermittelt wird und würde selbst bei fehlerlosen Untersuchungsverfahren bestehen bleiben. Zum anderen können methodenbezogene Spezifikationen auch nicht unter Hinweis darauf gerechtfertigt sein, dass durch genetische Untersuchungsmethoden besondere Rechte und Interessen verletzt werden. Zwar gibt es Formen der Informationsbeschaffung, wie etwa Foltermethoden,409 die für sich genommen bereits Verletzungen der Menschenwürde darstellen.410 Jedoch wird die untersuchte Person bei der Vornahme einer genetischen Untersuchung nicht in einer Weise behandelt, die in dieser Hinsicht einen besonderen Schutz für sie erforderlich machten. Insbesondere stellt das genetische Untersuchungsverfahren für sich genommen keine die Menschenwürde verletzende Behandlung dar.411 Dies dürfte grundsätzlich selbst dann gelten, wenn Untersuchungen zwangsweise vorgenommen werden sollten. Von der genetischen Untersuchung werden grundsätzlich nicht höherwertige Rechtsgüter betroffen als bei anderen Untersuchungsmethoden. In Betracht kommt insoweit allenfalls der mit einer Blutent___________ 409

Siehe etwa Dreier-Dreier, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 131 f.; Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 2; Merten, JR 2003, 405 (407). 410 Dazu auch van den Daele, Mensch nach Maß, S. 126: „Zum anderen folgt aber daraus, dass an sich zulässige Informationen nicht mit beliebigen Mittel erzeugt werden dürfen. Der Arbeitnehmer ist Person, keine Sache, die man mit objektiven Methoden nach allen Seiten begutachten kann. ... Grundsätzlich gelten ‚allgemeine Charakterstudien‘ anlässlich von Einstellungs- und Eignungstests als unzulässig. [...] Daher sollen etwa Lügendetektoren und andere (z.B. psychodiagnostische) Tests, die das Innere eines Menschen mit objektivierbaren Methoden, also gleichsam an seinem Willen und seiner Person vorbei, bloßlegen, kein zulässiges Mittel sein, die Eignung für einen vorgesehenen Arbeitsplatz zu prüfen.“ 411 A.A. van den Daele, Mensch nach Maß, S. 126: „Entscheidend ist die Abwehr des Eindringens in die Persönlichkeit, sobald Tests verlässlich sind und zutreffende Einsichten vermitteln.“

272

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

nahme oder Speichelprobe verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Eine methodenspezifische Einschränkung des Anwendungsbereichs des genetischen Diskriminierungsverbots erscheint zudem im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG als problematisch,412 da die gewählte Untersuchungsmethode keine Rückschlüsse auf die Sensibilität der erhobenen Daten erlaubt.413 Deutlich wird dies insbesondere für die Fälle, in denen herkömmliche Untersuchungen Aussagen etwa über die zukünftige gesundheitliche Entwicklung der untersuchten Person ermöglichen.414 So kann beispielsweise die Veranlagung zu einer bestimmten Art von erblichen Darmkrebs auch über eine bestimmte Pigmentveränderung auf der Netzhaut – also über eine Phänotypuntersuchung, ohne Durchführung einer genetischen Untersuchung im hier verstandenen Sinne – festgestellt werden.415 Der Inhalt der gewonnenen Information ist allerdings nahezu der gleiche wie bei einer genetischen Untersuchung.416 Andere Beispiele für genetische Erkrankungen, die sich über nicht-genetische Untersuchungen vorhersagen lassen:

___________ 412

So aber etwa: Bundesrat, Entschließung vom 16.10.1992, BR-Drs. 424/92 (Beschluss), S. 5.; Bundesregierung, Stellungnahme BT-Drs 11/8520, S. 20; Bund-LänderArbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 17 ff, 35 ff.; Hofmann, Genomanalyse, S. 10 f.; Kienle, prädiktive Medizin, S. 14; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 8; Meyer, Mensch, S. 61. 413 Teilweise wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Art der Datenerhebung für die Bewertung der Sensibilität der gewonnenen Informationen unerheblich ist. So etwa: Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (193) – hinsichtlich des österreichischen GenTG a.F. mit dem beispielhaften Hinweis auf Chromosomen-Analysen unter dem Lichtmikroskop, welche von dem Gesetz nicht erfasst werden; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (2003), S. 51; Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 257; Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 43; Simon, Gendiagnostik, S. 122; SchulzWeidner, Genomanalysen, S. 36 ff., 41 f. (insb. auch Fn. 27); Taupitz, RPG 2002, 43 (47); ders., Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 29; Wiese, Genetische Analysen, S. 37 (allerdings unter Ausschluss von Phänotypuntersuchungen, da er irrigerweise davon ausgeht, dass diese nur Aussagen über Manifestationen, nicht aber über Veranlagen erlauben). – Teilweise werden Rechtfertigungsschwierigkeiten gesehen, ohne dass diese in einen verfassungsrechtlichen Zusammenhang gebracht werden: BMJ – Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts, Zwischenbericht (2002), S. 158: „Dabei wird sich deutlich zeigen, welche Rechtfertigungsschwierigkeiten für eine unterschiedliche Regelungen für einzelnen Untersuchungsmethode bestehen.“ 414 Dazu Schroeder-Kurth, medgen 2000, 461 (461): „Medizinisch-genetische Diagnostik findet auf mehreren Ebenen statt. Sie beginnt schon beim Phänotyp.“ Allerdings möchte sie den Begriff „Gentest“ auf Untersuchungen beschränkt wissen, die auf Genotypebene vorgenommen werden, und stattdessen als umfassenden Übergriff „genetische Diagnostik“ verwenden – Schroeder-Kurth, medgen 2000, 461 (468). 415 Siehe bereits S. 87. 416 Diese Einsatzmöglichkeit von Phänotypuntersuchungen scheint Wiese, Genetische Analysen, S. 37 zu übersehen.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

273

– Schlaganfall: Auf genetische Veranlagungen zu dieser Erkrankung lässt sich über einen erhöhten Cholesterolgehalt im Blut rückschließen.417 – Phenylketonurie: Die im Rahmen des Neugeborenenscreenings bereits seit Jahren routinemäßig durchgeführte Untersuchung von Neugeborenen auf Phenylketonurie wurde früher anhand der Feststellung eines bestimmten Aminosäuregehalts im Blut, also einer protein-chemischen Untersuchung, vorgenommen.418 – Bluterkrankheit A (Hämophilie): Diese Erkrankung kann – wenn auch nicht prädiktiv – anhand einer so genannten Proteinelektrophorese festgestellt werde: Patienten haben einen erhöhten „Faktor VIII“.419 Gleiches gilt für Daten, die im Wege herkömmlicher Familienanamnesen – also ohne Hinzuziehung genetischer Untersuchungsmethoden – gewonnen werden. Für die betroffene Person ist es völlig belanglos, ob sie aufgrund der Ergebnisse einer Familienanamnese auf Grundlage der familiären Krankheitsvorgeschichte oder aufgrund der Ergebnisse aus einer direkten Genanalyse gegenüber vergleichbaren Personengruppen ungleich behandelt wird. Entscheidend ist – wie oben bereits festgestellt – eben nur der Inhalt der Daten, nicht der Art ihrer Gewinnung.420

Schließlich können auch nicht Praktikabilitätserwägungen bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit methodenbezogener Spezifikationen ausschlaggebend sein. In keiner Hinsicht weist die Untersuchungsmethode Charakteristika auf, die typischerweise nur bei genetischen Untersuchungen auftreten und eine gesonderte Behandlung rechtfertigen. Die methodenbezogene Spezifikation hat keinen Typisierungscharakter.421 Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gesetzgeber seiner eigenen Zielsetzung wohl kaum konsequent Rechnung trägt, wenn er das Diskriminierungsverbot auf bestimmte Untersuchungsarten und -methoden beschränkt. Mit den verschiedenen Untersuchungsmethoden können keine besonderen Charakteristika verbunden werden, die eine unterschiedliche rechtliche Behandlung im Hinblick auf ein genetisches Diskriminierungsverbot unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagerichtigkeit rechtfertigen würden. Entscheidendes Kriterium kann daher nur der Inhalt der Information sein, während die Art und Weise, wie sie gewonnen wurde, eher belanglos ist. Ein privilegierender Schutz vor Diskriminierungen aufgrund bestimmter Untersuchungsmethoden ist damit nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

___________ 417 Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (207); NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (795). Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Cholesterin“. Die Bedeutung erhöhter Cholesterinwerte als Erkrankungsursache wird aber bestritten, siehe Nachweise in Fn. 166 auf S. 113. 418 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Phenylketonurie“. 419 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Hämophilie“. 420 Zur Vergleichbarkeit mit Untersuchungen auf der DNS-Ebene siehe S. 77. 421 So aber Meyer, Mensch, S. 61 f.

274

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

b) Verwendung von informationsbezogenen Spezifikationen Wie soeben festgestellt, ist der Inhalt der Information entscheidend für die Beurteilung, ob ein besonderes Schutzbedürfnis vor einer Ungleichbehandlung aufgrund falscher Annahmen vorliegt. Bei der Einführung eines genetischen Diskriminierungsverbots muss der Gesetzgeber den Nachweis führen, dass für Personen, die aufgrund des verbotenen Diskriminierungskriteriums ungleich behandelt werden, ein besonderes Schutzbedürfnis besteht. Allerdings gilt auch hier der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass dem Gesetzgeber bei der dabei vorzunehmenden Einschätzung ein weiter Einschätzungsspielraum einzuräumen ist.422

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsgrundlage Im Folgenden wird untersucht, inwieweit im Umgang mit Informationen über Eigenschaftsindikatoren bzw. Manifestationen eine besondere Fehleranfälligkeit festzustellen ist, welche die prozessuale Privilegierung in Form der Beweislastumkehr rechtfertigen könnte.

aaa) Auf Eigenschaftsindikatoren bezogene Beweislastumkehr Zunächst wird geprüft, inwieweit eine auf Eigenschaftsindikatoren bezogene Beweislastumkehr verfassungsrechtlich gerechtfertigt erscheint. Hervorgehoben werden sollen hier zwei Besonderheiten der Verwendung von Informationen über Eigenschaftsindikatoren: Die Qualifizierung eines bestimmten Merkmals als Eigenschaftsindikator basiert auf Daten, die zum einen statistischer Natur und zum anderen personenbezogen sind (Gruppeninformationen). Wie im Folgenden näher dargelegt wird, lässt sich die statistische Natur der Daten mit einer besonderen Fehleranfälligkeit in Verbindung bringen, während die Personenbezogenheit der Daten eine persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung begründet. (1) Fehlverständnisse beim Umgang mit Wahrscheinlichkeitsaussagen Im Unterschied zum Umgang mit Individualinformationen erfordert der richtige Umgang mit (auf statistischen Daten beruhenden) Eigenschaftsindikatoren ein Verständnis für Wahrscheinlichkeitsangaben. Im Rahmen eines medizinischen Testverfahrens werden Wahrscheinlichkeitsangaben etwa im Hinblick auf die Güte des Tests oder die Erkrankungswahrscheinlichkeit verwendet. Studien zufolge haben jedoch nicht nur Laien, sondern auch Fachleute in einem ganz ___________ 422 Zur gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative etwa: Sachs-Sachs, Art. 20, Rdnr. 151 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

275

erheblichen Maße Schwierigkeiten, verschiedene statistische Daten zu verstehen und miteinander zu verknüpfen.423 Es wird davon ausgegangen, dass es in der Beratungspraxis – etwa eines humangenetischen Beraters – unter Zugrundelegung der vorhandenen Kenntnisse in der Bevölkerung selbst bei großer Erfahrung äußerst schwierig ist, die Bedeutung von Wahrscheinlichkeitsangaben verständlich zu vermitteln.424 Ein sogar noch größeres Maß an Komplexität bekommt die Beratungssituation durch den Umstand, dass bei der Wahrnehmung von Risiken dem persönlichen Lebenshintergrund eine entscheidende Bedeutung zukommt. In diesem Zusammenhang wird auch von der Subjektivität der Risikowahrnehmung gesprochen.425 Zu den Verständnisproblemen beim Umgang mit Wahrscheinlichkeitsangaben können gegebenenfalls weitere Aspekte hinzutreten, die eine erhöhte Fehleranfälligkeit begünstigen: Zum einen kommt offenbar insbesondere solchen Daten, welche sich zahlenmäßig über bestimmte Messverfahren belegen lassen, eine besondere Überzeugungskraft zu.426 Zum anderen ist zu befürchten, dass schriftlich erfasste Untersuchungsergebnisse (etwa in Personaldatenbanken des Arbeitgebers oder in Kundendateien von Versicherungen) in ihrer Aussagekraft bei häufiger, möglicherweise routinemäßiger Verwendung nicht jedes Mal erneut hinterfragt werden („Schwarz-auf-Weiß“-Effekt). So könnten ursprünglich vielleicht sogar als unsicher und interpretationsbedürftig eingestufte Ergebnisse genetischer Untersuchungen zu scheinbar unumstößlichen Fakten werden.427

___________ 423 Gigerenzer, GID Nr. 161 (2003/2004), S. 6 ff.; Hoffrage/Hertwig/Gigerenzer, Science 2000, vol. 290, S. 2261 ff.; Holtzman, Caution, S. 175 ff. Holtzman, Caution, S. 161 stellte zur Überprüfung des Verständnisses von Wahrscheinlichkeitsangaben im Rahmen einer Erhebung folgende Testfrage: „If a test to detect a disease that occurs in one of 1000 people is falsely-positive in 5% of unaffected people, what is the chance that a person found to have a positive result actually has the disease?“ [richtige Antwort: 2%]. Holtzman stellte dabei fest, dass der Anteil richtiger Antworten gerade bei Personengruppen abnahm, die sich beruflich mit derartigen Wahrscheinlichkeitsaussagen beschäftigen. Eine Erklärung dafür sah er darin, dass die Fähigkeit, solche Wahrscheinlichkeitsangaben richtig einzuschätzen, durch den Umstand herabgesetzt wird, dass Personen, die beruflich mit derartigen Aussagen umgehen, es gewohnt sind, den Verdacht auf eine Krankheit zu bestätigen. Die Aussage, dass eine Krankheit nur bei einer von 1000 Personen auftritt, scheint der beruflichen Erfahrung dieser Personengruppe zu widersprechen – Holtzman, Caution, S. 161. 424 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 39; Hoffrage/Hertwig/Gigerenzer, Science 2000, vol. 290, S. 2261 ff.; Wiese, in: FS-Niederländer, 475 (481). 425 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 77. 426 Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (2); Brossette, Wert der Wahrheit, S. 164. 427 Menzel, NJW 1989, 2041 (2043); Brossette, Wert der Wahrheit, S. 159 ff.

276

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

(2) Persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung Die besondere Eingriffsintensität von Fehlbewertungen im Zusammenhang mit Eigenschaftsindikatoren ergibt sich aus dem Umstand, dass diese als personenbezogene Informationen definiert sind, deren Fehlbewertung in besonderem Maße das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigt. Zwar mag auch die Fehleinschätzung der Beschaffenheit einer Sache den Einzelnen in seiner Freiheitsausübung beeinträchtigen, schwerwiegender erscheint jedoch eine Fehlbewertung eines Menschen. Im Unterschied zu Fehleinschätzungen zur Beschaffenheit von Sachen ist bei personenbezogenen Fehlbewertungen der Einzelne jedoch in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen. (3) Ergebnis Angesichts der besonderen Fehleranfälligkeit im Umgang mit statistischen Daten und der Beeinträchtigung persönlichkeitsrechtlicher Gewährleistungen erscheint es als gerechtfertigt, die prozessuale Privilegierung der Beweislastumkehr auf die Anwendung von Gruppeninformationen zu beschränken. Unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagerichtigkeit führt dies dazu, dass derjenige, der sich auf Eigenschaftsindikatoren beruft, einen Nachweis darüber führen muss, dass die statistischen Grundlagen selbst zutreffend und ihre Interpretation richtig ist.

bbb) Auf Manifestationen bezogene Beweislastumkehr Die Beweislastumkehr erscheint nur bei Merkmalen sinnvoll, die mit einer besonderen Fehleranfälligkeit verbunden sind. Eine besondere Fehleranfälligkeit ist im Umgang mit manifesten Eigenschaften jedoch nicht ersichtlich. Denn im Unterschied zu der Verwendung von Eigenschaftsindikatoren besteht hier immer die Möglichkeit der Überprüfung im Einzelfall.

bb) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung Vorangehend wurde festgestellt, dass die statistische Grundlage einer Information mit einer besonderen Fehleranfälligkeit verbunden sein kann.428 Im Folgenden soll nun untersucht werden, inwieweit statistische Informationen mit körperlichen, bzw. genetischen Bezugsmerkmalen möglicherweise eine noch darüber hinausgehende Fehleranfälligkeit aufweisen, welche eine weitere Beschränkung der prozessualen Privilegierung der Beweislastumkehr rechtfertigen würde.

___________ 428

Siehe oben, S. 274 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

277

aaa) Auf Anlagen bezogene Beweislastumkehr Eine auf Anlagen bezogene Beweislastumkehr erscheint aus gleichheitsrechtlicher Sicht gerechtfertigt, da Informationen, die an körperliche Merkmale anknüpfen, offenbar eine noch größere Fehleranfälligkeit aufweisen als solche, deren statistisches Bezugskriterium ein außerhalb des Körpers liegendes Merkmal ist. (1) Überbewertung der Bedeutung von Anlagen Ein Grund dafür ist darin zu sehen, dass Informationen, die an körperliche Merkmale anknüpfen, anscheinend mit einer besonderen Zuverlässigkeit assoziiert werden und demzufolge weniger hinterfragt werden. Dies könnte wiederum mit dem Umstand erklärt werden, dass Charakteristika des statistischen Bezugskriteriums fälschlicherweise auf den mit ihm verbundenen statistischen Informationsgehalt übertragen werden. Zur Erläuterung dieser Annahme wird auf die eingangs vorgenommene Bestimmung des Anlagebegriffs zurückgegriffen.429 Danach sind mit der Feststellung einer Anlage zwei Aussageinhalte verbunden: Zum einen enthält sie die Individualaussage, dass die untersuchte Person ein bestimmtes Merkmal aufweist (z.B. „Person XY ist Träger des Gens A“). Zum Zweiten beinhaltet sie die statistische Aussage, dass das ermittelte Merkmal in einem bestimmten korrelationsstatistischen Verhältnis zu einer bestimmten Eigenschaft steht. (z.B. „80% aller Träger des Gens A erkranken bis zum 50. Lebensjahr an Darmkrebs“). Im Folgenden werden mögliche, mit Anlagen verbundene Assoziationen vorgestellt und ihre Auswirkung auf die Fehleranfälligkeit dargestellt. (a) Irrtümliche Wahrnehmung als individualisierte Wahrscheinlichkeiten Offensichtlich werden Aussagen über Anlagen als Individualdaten, also Daten über eine Einzelperson betrachtet. Der Umstand, dass es sich bei der Aussage über das Merkmal um eine Individualinformation handelt, wird dabei fälschlicherweise auf die statistische Aussage übertragen. Wegen des Einzelnachweises eines Körpermerkmales wird die Feststellung der Anlage ebenfalls als ein Einzelnachweis für ein bestimmtes Risiko begriffen. Die in ihr enthaltenen Wahrscheinlichkeitsangaben werden dementsprechend als individualisiert empfunden.430 ___________ 429

Siehe dazu oben, S. 75 ff. Insofern missverständlich etwa: Meyer, Mensch, S. 55, 61; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 45: „individuelle Krankheitsrisiken“; TA-Swiss, Pharmakogenetik, S. 2: „individuelle Unterschiede in der Reaktion auf Medikamente“; Eberbach, in: Sass, Genomanalyse, 81 (81 f.): „Dass sie [die gesundheitspolitische Gemeinschaftsaufgabe; d. Verf.] bisher nicht erfüllt werden konnte, ist auch darin begründet, dass die Vorbeugung – wie ihre Vernachlässigung – dem Einzelnen wenig Konkretes in Aussicht zu stellen vermag. Es bedeutet aber eine elementare Einschränkung der Wirksamkeit der Aufforderung zur Prävention, wenn etwa dem Raucher, ent430

278

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Dies lässt sich möglicherweise damit erklären, dass eine klare Trennung zwischen dem individuellen Informationsgehalt („Person XY ist Träger des Gens A“) und dem statistischen Informationsgehalt („80% der Träger des Gens A entwickeln die Krankheit Z“) in der Regel nicht vorgenommen wird.431 So handelt es sich zwar bei der Feststellung, dass eine Person Träger eines bestimmten Merkmals ist, um eine Individualinformation, jedoch macht das die mit dem Merkmal verbundene Aussage nicht zu einer solchen. Verstärkt werden dürfte die Fehlvorstellung von der „Individualisierung“432 der statistischen Information zudem durch den Umstand, dass endogene Daten einen innerkörperlichen Bezugspunkt aufweisen. (b) Irrtümliche Wahrnehmung als internalisierte Wahrscheinlichkeiten oder Kausalfaktoren Im Unterschied zu Informationen mit außerkörperlichen Merkmalen werden solche mit körperlichen Merkmalen – wie schon der Begriff Anlage suggeriert – häufig als internalisierte Wahrscheinlichkeiten begriffen. Diese Wahrnehmung könnte darauf zurückzuführen sein, dass statistische Aussagen auf der Grundlage von körperlich-seelischen Anlagen ein innerkörperliches Bezugskriterium haben, wie z.B. ein bestimmtes Gen oder einen bestimmten im Körper nachgewiesenen Virus. Der Umstand, dass Anlagen ein innerkörperliches statistisches Bezugskriterium haben, wird somit als Internalisierung eines Entwicklungsprozesses gedeutet. Der Begriff der Anlage scheint mit der Vorstellung verbunden zu sein, dass die betreffende Person die prognostizierte Eigenschaft, etwa eine Krankheit, – gewissermaßen „im Keim“ – bereits „in sich trägt“ und sich die weitere Entwicklung der Eigenschaft nur noch als unaufhaltsam fortschreitender (progressiver) Prozess darstellt. Die mit den körperlichen Merkmalen in Verbindung gesetzten Manifestationswahrscheinlichkeiten erscheinen danach ge___________ sprechend dem heutigen Wissen, lediglich aufgrund der Statistik warnend vor Augen geführt werden kann, Rauchen verursache allein in der Bundesrepublik etwa ein Drittel der Krebserkrankungen. [...] Es ist nicht möglich, für den Einzelnen aus diesem „Gesetz der großen Zahl“ die entsprechenden Risikoprozente abzuleiten. Ob der konkrete Raucher einen um (z.B.) 30% erhöhte Wahrscheinlichkeit hat, an Lungenkrebs zu erkranken, ist so nicht zu ermitteln. Das individuelle Risiko hängt von der gesundheitlichen Konstitution der konkreten Person ab und vermag zu ganz anderen als den durchschnittlichen Ergebnissen führen.“ – Eberbach geht offensichtlich davon aus, dass es ein „individuelles Risiko“ gibt. Die von Eberbach geübte Kritik an statistischen Daten entspricht jedoch der hier verfolgten Argumentationslinie. Allerdings geht Eberbach offensichtlich davon aus, dass die Ermittlung von genetischen Veranlagungen nicht auf statistischen Daten beruht. Nach der hier vertretenden Auffassung ist genetischen Veranlagungen jedoch grundsätzlich keine bessere Aussagekraft als anderen Eigenschaftsindikatoren zuzuordnen, allenfalls eine bessere Überzeugungskraft aufgrund des Umstands, dass sie einen innerkörperlichen statistischen Bezugspunkt haben. Vgl. S. 330 f. 431 Dazu auch Rehmann-Suttner, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 415 (426). 432 Zum Begriff der „Individualisierung von Risiken“ siehe S. 330 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

279

wissermaßen als feste Bestandteile des Körpers, welche dem Körper anhaften und als schicksalhafte Daten wahrgenommen werden, die den Einzelnen ein Leben lang begleiten.

Dementsprechend werden endogene Eigenschaftsindikatoren in der gesellschaftlichen Wahrnehmung offensichtlich auch eher mit einem individuellen Entfaltungspotenzial assoziiert. Statistische Informationen mit körperlichen Bezugskriterien scheinen unmittelbar eine Bewertung der Person in dem Sinne vorzunehmen, dass sich die betreffende Person – zumindest teilweise – aus sich heraus und unabhängig von äußeren Umständen entweder günstig oder nachteilig entwickelt. Im Zusammenhang mit ungünstigen Eigenschaften wird dementsprechend nicht mehr von Risikofaktoren, sondern von Risikopersonen gesprochen.433 Exogene Eigenschaftsindikatoren (Umfeldfaktoren) werden demgegenüber als weniger endgültig wahrgenommen, möglicherweise weil sie nur Aussagen über den Entfaltungsraum des Menschen treffen und – durch Veränderung der Lebensumstände – als vermeidbar erscheinen. Umfeldfaktoren werden nicht als Bewertung der Person empfunden, sondern eben der Lebensumstände, denen der Einzelne ausgesetzt ist. Zum Teil fußt diese Einschätzung auf der Fehlvorstellung, dass Anlagen Kausalitätsbeziehungen beschreiben und dementsprechend als eine bereits erreichte Vorstufe im Sinne eines in Gang gesetzten Kausalprozesses verstanden werden müssen. Im Zusammenhang mit krankhaften Entwicklungen könnte auch von einer Art pathologischen Befund434 gesprochen werden. Endogene Eigenschaftsindikatoren werden insofern als ein bereits erreichtes Stadium in der Entwicklung zu einer bestimmten Eigenschaft begriffen. Demgegenüber können exogene Kausalfaktoren schon begrifflich nicht als bereits erreichte Entwicklungsstadien aufgefasst werden, weil sie als außerkörperliche Umstände eben nicht Bestandteil eines innerkörperlichen Entwicklungsprozesses sein können. Jedoch sind Anlagen nicht notwendigerweise auch Kausalfaktoren, da die meisten als Anlagen bezeichneten statistischen Zusammenhänge eben gerade keine Kausalzusammenhänge beschreiben. In der humangenetischen Wissenschaft wird derzeit beispielsweise nur bei weniger als 5% der Gene davon ausgegangen, dass sie kausal für die Entwicklung bestimmter Krankheiten sind, für den Rest aller so genannten genetisch bedingten Erkrankungen können nur Korrelationen nachgewiesen werden, nicht jedoch Kausalitäten. Genetische Veranlagungen lassen sich somit grundsätzlich nicht als Kausalfaktoren bezeichnen.

___________ 433

Schöffski, Gendiagnostik, S. 107. – Siehe auch Dänischer Ethikrat, Report on Presymptomatic Gene Diagnosis (2001), S. 45 f.: „worry culture“, welche in eine Pathologisierung und Verängstigung der Bevölkerung führen kann; Däubler, Gläserne Belegschaften, Rdnr. 230. 434 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 65.

280

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Umstände, die für die Genese bestimmter Eigenschaften lediglich in einem numerischen, nicht jedoch in einem kausalen Verhältnis stehen, können aber auch nicht die Genese einer Eigenschaft beeinflussen und können demzufolge auch nicht als Teil eines inneren Entwicklungsprozesses begriffen werden. Wenn das jeweilige Merkmal jedoch nicht Bestand eines Kausalverlaufs ist, sondern rein zufällig mit der Manifestationshäufigkeit korreliert, erscheint es auch nicht mehr als plausibel, es als bleibenden Makel zu begreifen.435 Deutlich wird dies, wenn man sich fragt, wie eine Krankheit, die anhand eines Eigenschaftsindikators prognostiziert wurde, therapiert werden kann. Sofern es sich um nicht-kausale Eigenschaftsindikatoren handelt, ist es ohne Bedeutung, ob das Merkmal beeinflussbar ist oder nicht, da durch seine Beseitigung die Manifestationswahrscheinlichkeit nicht verändert wird. Da Anlagen für den Kausalverlauf keine Relevanz haben müssen, vermag ihre Beseitigung auch nicht notwendigerweise dazu beitragen, die Manifestation zu verhindern.436 Die völlig unterschiedliche Bedeutung von Risiko- und Kausalfaktoren lässt sich durch einen Vergleich mit Funktionsstörungen bei einem Auto verdeutlichen: Wenn beim Autofahren ein Warnlämpchen anzeigt, dass nur noch eine geringe Kraftstoffreserve vorhanden ist, ist dies ein Indikator dafür, dass das Auto bald liegenbleiben wird, wenn es nicht vorher betankt wird. Das Warnlämpchen lässt sich insofern als Risikofaktor fürs Liegenbleiben bezeichnen. Die Ursache des ungewollten Zwischenstopps ist jedoch der Kraftstoffmangel im Tank. Genauso wenig, wie das Zukleben des Warnlämpchens das Liegenbleiben vermeidet, verhindert die Beseitigung eines nicht-kausalen Risikofaktors den Eintritt einer bestimmten Manifestation.437 Ein nachgewiesener statistischer Zusammenhang zwischen ansteigendem Lebensalter und Herzinfarkt wäre nicht unbedingt in der Weise zu interpretieren, dass das Alter als solches (kausal) einen Herzinfarkt begünstigt oder fördert. Vielmehr ist auch denkbar, dass sich parallel mit zunehmendem Alter eine bewegungsärmere Lebensweise einstellt und diese den entscheidenden Faktor für die zunehmende Infarktgefährdung darstellt. Über die Beschreibung der altersbedingten Anlage würden dann nur korrelationsstatistische Zusammenhänge wiedergegeben, kausal für den Herzinfarkt wäre jedoch der Umfeldfaktor der Bewegungsarmut.438 Hervorgehoben sei hier: Die altersbedingte Anlage zum Herzinfarkt stellt sich hier keineswegs als schicksalhaft dar, weil der (abwendbare) Mangel an Bewegung kausal für die Herzinfarktgefährdung ist. Dementsprechend gilt auch für genetische Veranlagungen: Zwar mag ein bestimmtes Gen mit einer bestimmten erhöhten Erkrankungswahrscheinlichkeit korrelieren. Da es jedoch nicht notwendigerweise Bestandteil einer hinreichenden Ursache für die jeweilige Krankheit ist, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Veränderung des Gens – sofern sie medizinisch möglich sein sollte – tatsächlich die Erkrankungswahrscheinlichkeit senken würde.

___________ 435

Siehe dazu auch unten, S. 281. Pollmer/Warmuth, Lexikon der populären Ernährungsirrtümer, Stichwort „Risikofaktoren“. 437 Beispiel entnommen aus: Pollmer/Warmuth, Lexikon der populären Ernährungsirrtümer, Stichwort „Risikofaktoren“, S. 256 f. 438 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 67. 436

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

281

Dies stellt nicht die grundsätzliche Berechtigung in Frage, im Rahmen der Therapie zwischen Eigenschaftsindikatoren und Kausalfaktoren zu unterscheiden: Im Unterschied zur Beseitigung von Eigenschaftsindikatoren unterbricht die Beseitigung eines Kausalfaktors eine bestimmte Kausalkette. Allerdings muss der Kausalfaktor nicht notwendigerweise endogener Natur sein. Zudem muss berücksichtigt werden, dass die unterbrochene Kausalkette jedoch nicht die einzige sein muss, die zur in Frage stehenden Eigenschaft führt, sodass ihre Manifestation – über andere Kausalverläufe – nicht ausgeschlossen ist. Rauchen ist ein Kausalfaktor für die Entwicklung von Lungenkrebs. Wer mit dem Rauschen aufhört, verringert das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, schließt es aber nicht vollkommen aus, da es noch andere Erkrankungswege gibt.439

(c) Irrtümliche Wahrnehmung als besonders nachhaltige Risikofaktoren Der Umstand, dass viele körperliche Merkmale unveränderlich sind, legt möglicherweise die Vorstellung nahe, dass sich das festgestellte Merkmal besonders nachhaltig auf die mit ihm in Verbindung gebrachte Eigenschaft auswirke. Sowohl Erbanlagen als auch aufgrund von äußeren Einflüssen erworbene Anlagen dürften diese Assoziation hervorrufen. Denn sofern innerkörperliche Merkmale festgestellt werden, wird damit assoziiert, dass der schädigende Einfluss der äußeren Umstände damit irreversibel geworden ist. Im Unterschied zu Umfeldfaktoren, die Aussagen über den Entfaltungsraum des Einzelnen zu treffen scheinen, scheinen endogene Daten Aussagen über sein (vermeintliches) Entfaltungspotenzial zu treffen.440 Sofern den Merkmalen ungünstige Eigenschaften zugeordnet werden, werden Anlagen als bleibender Makel empfunden441, auch wenn sich die zugewiesenen Eigenschaften noch gar nicht manifestiert haben. Eine besondere Beachtung scheint hier genetischen Veranlagungen zuzukommen. Als bleibender Makel empfunden werden dürften jedoch nicht nur genetische Veranlagungen, sondern auch bestimmte virusbedingte Anlagen, wie HIV-Infektion. Abänderbar erscheinen insofern eher Faktoren wie Nährstoffmangel oder Bluthochdruck.

Diese Wahrnehmung ist eng verbunden mit der Frage der Therapierbarkeit. In diesem Fall führt die Annahme von der Unveränderlichkeit des endogenen Merkmals zu der Vorstellung, das erhöhte Risiko nicht mehr verringern zu können. Die Annahme, dass vor diesem Hintergrund körperliche Anlagen als schicksalhafter empfunden werden als Umfeldfaktoren, könnte sich auf folgender Vorstellung gründen: ___________ 439 Zur Gefahr der vermeintlichen Entwarnung wegen der Fehlwahrnehmung des (negativen) Vorhersagewertes vgl. S. 129. 440 Siehe dazu auch oben, S. 278 ff. 441 DSB, Stellungnahme 2001, S. 9; Dänischer Ethikrat, Report on Presymptomatic Gene Diagnosis (2001), S. 33.

282

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Risiken, die an exogene Merkmale geknüpft werden, hängen von Umweltbedingungen ab, welche als veränderbar erscheinen: Schadstoffbelastungen in der Umwelt können verringert werden, das soziale Umfeld kann gewechselt werden, schädigende Verhaltensweisen kann sich der Einzelne abgewöhnen. Aufgrund der Möglichkeit, die Lebensumstände und damit auch die verursachenden Umstände zu verändern, erscheinen sie nicht als schicksalhaft. Werden beispielsweise die schädigenden Einflüsse beseitigt (z.B. indem die schadstoffbelastete Umgebung verlassen wird), entfällt auch das mit ihnen verbundene Erkrankungsrisiko.

Festgestellte Risikowahrscheinlichkeiten, die mit naturgegebenen oder endogenen Merkmalen in Verbindung gesetzt werden, sind von Umweltbedingungen unabhängig. Da sie eben von Umweltfaktoren unabhängig sind, der Einzelne sich jedoch vor allem nur imstande sieht, seine Umwelt, nicht jedoch unmittelbar seine körperlichen Anlagen zu verändern, sieht er sich dem scheinbar bereits vorprogrammierten Entwicklungsablauf hilflos ausgesetzt. Ausgehend von einer derartigen Vorstellung mögen körperliche Anlagen tatsächlich als schicksalhaft empfunden werden. Ähnliches scheint auch der Begriff „Veranlagung“, aber auch der Begriff der „körperlichen Anlage“ suggerieren zu wollen: Er transportiert die Vorstellung einer vorgezeichneten Entwicklung, welche allenfalls noch durch das Ergreifen von Gegenmaßnahmen oder das Eintreten rettender Umstände abgewandt werden kann. Grundsätzlich erscheint es zunächst richtig, wenn Umfeldfaktoren (exogene Eigenschaftsindikatoren) als abwendbare, nicht feststehende Wahrscheinlichkeiten begriffen werden. Der Fehler liegt jedoch darin, dass diese Sichtweise nicht auf endogene Eigenschaftsindikatoren übertragen wird. Denn tatsächlich lassen sich keine grundsätzlichen Unterschiede in der Aussagegenauigkeit zwischen Anlagen und Umfeldfaktoren begründen: Zwar mögen bestimmte innere Merkmale unveränderlich sein. Jedoch wird dadurch die mit ihnen in Verbindung gebrachte Manifestation nicht unausweichlich eintreten. Wiederum scheint hier eine Vermengung der beiden Informationsgehalte des Anlagebegriffs zu erfolgen: Charakteristika des festgestellten Merkmals werden übertragen auf die mit ihm verbundene statistische Information. Richtigerweise ist der statistische Aussageinhalt jedoch grundsätzlich nicht im Sinne einer fortschreitenden Entwicklung zu deuten. Denn zum einen sind für die therapeutische Behandlung nur Umstände erheblich, die für den Krankheitsverlauf kausal sind. Umstände, die lediglich in einem korrelativen, nicht jedoch in einem kausalen Verhältnis zu der Manifestation stehen, sind grundsätzlich unerheblich. Zum Zweiten muss sich – wie im Folgenden dargelegt werden soll – auch für den Fall des Nachweises eines endogenen Kausalfaktors die damit verbundene Wahrscheinlichkeit nicht unausweichlich verwirklichen. Vorausgesetzt, dass es sich bei dem Eigenschaftsindikator um einen Kausalfaktor handelt, stellt sich allenfalls das bisher erreichte Entwicklungssta-

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

283

dium als individuell nicht beeinflussbar dar. Damit wird jedoch die Prognose über die zukünftige Entwicklung nicht unabänderlich. Ob sich die damit in Verbindung gebrachte Eigenschaft über dieses Entwicklungsstadium hinausentwickelt, lässt sich nur anhand von Wahrscheinlichkeitsaussagen prognostizieren. Möglicherweise findet auch keine Weiterentwicklung statt, weil andere notwendige Kausalfaktoren nicht hinzutreten. Insgesamt hängt die Manifestationswahrscheinlichkeit ganz entscheidend von der Bedeutung und Häufigkeit der (zumindest bisher noch) nicht eingetretenen Teilursachen ab, von einer unabänderlichen Entwicklung kann jedoch im Regelfall nicht die Rede sein.442 (d) Irrtümliche Wahrnehmung als gegenständlich erfassbare (objektivierbare) Eigenschaftsindikatoren Zudem lässt offenbar der Umstand, dass endogene Daten einen konkreten gegenständlichen Anknüpfungspunkt aufweisen, die mit ihm in Verbindung gebrachte Manifestation, selbst wenn sie erst für die Zukunft vorhergesagt wird, als objektivierte, naturwissenschaftlich „harte“ Information erscheinen. Angesichts ihrer (vermeintlichen) Objektivierbarkeit wird der mit dem körperlichen Merkmal verbundenen statistischen Aussage für sich genommen schon eine höhere Richtigkeitsgewähr eingeräumt, sie erscheint zuverlässiger.443 Jedoch auch diese Wahrnehmung dürfte auf eine Vermengung der beiden Aussageinhalte des Anlagebegriffs zurückzuführen sein. Präzise feststellen lässt sich nur das Merkmal, nicht jedoch die damit in Verbindung gebrachte Manifestation. Für die Feststellung der Manifestationswahrscheinlichkeit ist es grundsätzlich irrelevant, ob das statistische Bezugskriterium körperlich oder außerkörperlich ist. Statistische Aussagen werden nicht dadurch genauer, dass sie ein innerkörperliches Bezugskriterium haben. Ihrer Natur nach können statistische Aussagen eben nicht am Einzelfall orientiert sein. Wahrscheinlichkeiten lassen sich nicht vergegenständlichen oder „objektivieren“.444 Übertragen auf genetische Veranlagungen bedeutet dies: Nachweisen lässt sich das Vorliegen eines bestimmten Gens. Nicht nachweisen lässt sich jedoch, ob sich die mit ihm in Verbindung gesetzte Eigenschaft bei der untersuchten Person manifestieren wird. Dies setzt noch nicht einmal voraus, dass die statistische Aussage falsch ist. Dies meint nur, dass sie als statistische Aussage eine strukturelle Aussageungenauigkeit aufweist: Es ist nicht möglich, Aussagen über den Einzelfall zu treffen.

___________ 442

Etwas Anderes mag nur für ganz wenige Krankheitsverläufe, wie bei HuntingtonKrankheit, gelten. 443 Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 127; Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (2). 444 Lanzerath, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 10. – Kritisch auch Künzler, Macht der Technik, S. 61 („vermeintlich exakt“).

284

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Das festgestellte Merkmal stellt zunächst einmal nur ein statistisches Bezugskriterium dar. Es stellt weder notwendigerweise einen Kausalfaktor dar, noch ermöglicht es notwendigerweise genauere Prognosen. (2) Gefahr der Risikoindividualisierung Die damit skizzierten gesellschaftlichen Auswirkungen der Überbewertung von Informationen über Anlagen werden durch deren verhältnismäßig leichte Ermittelbarkeit verstärkt. Die Fehlinterpretationen würden letztlich die Grundlage sein, Verantwortlichkeiten auf den Einzelnen abzuschieben und komplexere, aber möglicherweise erfolgversprechendere Lösungsansätze auf gesellschaftlicher Ebene zu verdrängen.445 Verändert wird damit dann auch die Vorstellung von grundlegenden Werten wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.446

So war das Menschenbild in unserer Gesellschaft bisher wohl überwiegend von der Vorstellung geprägt, dass die Entwicklung eines Menschen sowohl von endogenen als auch exogenen Faktoren geprägt wird. Daran anknüpfend gehen viele soziologische Theorien davon aus, dass gesellschaftliche Gleichheit auch über die Schaffung gleicher sozialer Ausgangsbedingungen erreicht werden kann. In der einseitigen Berücksichtigung endogener Veranlagungen liegt die Gefahr, der Entwicklung einer Ideologie des genetischen Determinismus Vorschub zu leisten, die den Menschen eher durch seine Anlagen als durch seine Umwelt bestimmt sieht.447 Das Problem liegt dabei nicht unbedingt darin, dass die Bedeutung exogener Faktoren grundsätzlich abgestritten wird, sondern darin, dass endogenen Eigenschaftsindikatoren in der öffentlichen Wahrnehmung eine größere Aufmerksamkeit entgegengebracht wird.448 Denn bestimmte endogene Eigenschaftsindikatoren dürften aufgrund ihrer verhältnismäßig leichten Ermittelbarkeit, ihrer Unveränderlichkeit und ihrer scheinbaren Objektivierbarkeit dazu verleiten, exogene Eigenschaftsindikatoren aufgrund ihrer schwereren Erfassbarkeit und Messbarkeit zu vernachlässigen.449 Dass Anlagen, insbeson___________ 445

Zur Risikoindividualisierung siehe auch S. 330 f. Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 168. 447 Wiesing, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 78 (86): „Die molekulargenetischen Erkenntnisse könnten einen Reduktionismus stärken, dessen Gefahren schon oft genug beschrieben wurden; sie könnten ein monokausales Denken unterstützen, obwohl man schon lange weiß, dass die Rede von der Ursache in komplexen Systemen immer nur ein bestimmtes Interesse widerspiegelt“. So auch van den Daele, Mensch nach Maß, S. 139, der der Ansicht ist, dass der „Konzentration auf genetische Faktoren des Individuums als Kriterium sozialer Differenzierung“ entgegengewirkt werden muss. – Auch Liening, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 173 (200). 448 Auch Meyer, Mensch, S. 195 f, der diesen Aspekt allerdings nur auf die Bewertung von Intelligenz bezieht, jedoch offenbar nicht auf genetisch (mit-)bedingte Krankheiten (Meyer, Mensch, S. 191). 449 Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 139: „Es liegt nahe, sie als Kriterien der Differenzierung zu verwenden, weil sie leicht zu identifizieren und unveränderlich sind.“ 446

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

285

dere genetische Veranlagungen, nur einen Faktor neben anderen, etwa biographischen, sozialen oder klimatischen, darstellen können, der die Entwicklung des Einzelnen beeinflusst, mag dabei zusehends in Vergessenheit geraten.450 Vor dem Hintergrund der Faszination „harter“, mit Zahlen belegbarer, naturwissenschaftlicher Fakten könnte das bisher auch auf „weichen“, gesellschaftswissenschaftlichen oder humanistischen Überlegungen gegründete Menschenbild – insbesondere im Hinblick auf die individuelle Entwicklung des Menschen – zunehmend zu Unrecht in Frage gestellt werden und zu einer besonderen Fehleranfälligkeit insbesondere im Umgang mit genetischen Anlagen führen.451 Befördert werden mag eine solche Wirkung möglicherweise zusätzlich auch durch bestimmte gesellschaftspolitische Teilinteressen. Insofern werden von einigen Autoren in der Gesellschaft Bestrebungen ausgemacht, bestehende gesellschaftliche Verhältnisse durch die gezielte Förderung biologischer Interpretationen der Bedingungen individueller und gesellschaftlicher Entwicklungen zu erhalten.452 Wohlstandsgefälle zwischen sozialen Schichten, Kriminalität, Rollenunterschiede zwischen Mann und Frau, ethnische Ghettoisierung und andere gesellschaftliche Problemlagen könnten so ihre vermeintlich einfache Erklärung in anlagebedingten, insbesondere genetischen, Unterschieden finden. Angesichts vermeintlich vorbestimmter Entwicklungsunterschiede könnte suggeriert werden, dass das Bemühen um sozialen Ausgleich zum Scheitern verurteilt ist.453 Mehr oder weniger bewusst wird damit versucht, Handlungsprogramme zu diskreditieren, die Lösungen in der Veränderung der gesellschaftlichen Parameter sehen.454 Hervorzuheben ist, dass die einseitige Berücksichtigung von Anlagen unerwünschte gesellschaftliche Entwicklungen hervorrufen kann. Ziel der Gesetzgebung sollte es daher sein, diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken. Versucht werden könnte, dies für den rechtlichen Bereich durch die Einführung einer Beweislastumkehr, die beim Umgang mit endogenen Daten zur Hinterfragung ihrer – tendenziell überschätzten – Bedeutung zwingt. Falsch wäre es hingegen, endogenen und insbesondere genetischen Eigenschaftsindikatoren jegliche Bedeutung abzusprechen. Dies würde unter Umständen gerade die nicht erwünschte Folge einer neuen Fehlbewertung von Eigenschaftsindikatoren zur Folge ha___________ 450

Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 139. Steinmüller, DuD 1993, 6 (8); van den Daele, Mensch nach Maß, S. 139; Schöffski, Gendiagnostik, S. 107 f. 452 Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (113); Steinmüller, DuD 1993, 6 (8); van den Daele, Mensch nach Maß, S. 81. 453 Levitt, Right not to know (1997), 29 (29); ten Have, Right not to know (1997), 87 (89) sprechen in diesem Zusammenhang von „geneticization“ der Gesellschaft. Siehe dazu eingehender S. 165. 454 Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 81. 451

286

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

ben – diesmal in der Form der Vernachlässigung tatsächlicher Einflussnahme endogener Faktoren auf die menschliche Entwicklung.455 (3) Ergebnis Folgt man diesen soeben darstellten Annahmen und Einschätzungen lässt sich eine auf Anlagen beschränkte Beweislastumkehr aus gleichheitsrechtlicher Sicht rechtfertigen. Die Beweislastumkehr bei der Berufung auf Anlagen könnte eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Anlagebegriff fördern und so möglicherweise Fehlverständnissen entgegenwirken.

bbb) Auf genetische Veranlagungen bezogene Beweislastumkehr Genetische Eigenschaftsindikatoren sind als eine Untergruppe der endogenen Eigenschaftsindikatoren zu begreifen. Insofern gelten die für endogene Eigenschaftsindikatoren getroffenen Feststellungen hinsichtlich der Fehleranfälligkeit für genetische Eigenschaftsindikatoren entsprechend. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob sich im Hinblick auf genetische Eigenschaftsindikatoren noch zusätzliche Gesichtspunkte erkennen lassen, anhand derer sich die Annahme einer über den Umgang mit endogenen Eigenschaftsindikatoren hinausgehenden Fehleranfälligkeit begründen ließe. Sofern sich also gerade im Bereich der Gendiagnostik ein besonderes Potenzial für Fehlbewertungen nachweisen lassen sollte, wäre ein privilegierender Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund irrtümlich angenommener genetischer Eigenschaftsindikatoren gerechtfertigt. Die hierbei getroffenen Feststellungen sind in diesem Zusammenhang auf erbliche Merkmale übertragbar.456 (1) Fehlvorstellung des genetischen Determinismus Insbesondere genetischen Veranlagungen wird häufig eine besondere Aussagegenauigkeit zugeschrieben.457 Zwar werden von anderer Seite (richtigerweise) ___________ 455

Siehe dazu auch unten, S. 359. Siehe dazu die oben genannten Beispielsfälle, S. 118. 457 Baumann, ZVersWiss 2002, S. 169 (183); Isensee, MedEthik 2000, 137 (137 und passim): „genetische Determinanten der Individualität“, „Die genetische Identität des Menschen wird in gewissem Maße machbar.“; NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (802) (zumindest im Hinblick auf bestimmte Erbkrankheiten). – Weitergehender sogar Meyer, Mensch, S. 60, der davon ausgeht, dass der Vorhersagewert genetischer Untersuchungen höher ist als der von anderen Untersuchungen, da sie anhand der Mendel‘schen Gesetze berechenbar seien. Dies trifft jedoch nicht zu: Präzise berechenbar anhand der Mendel‘schen Gesetze ist nur die Vererbungswahrscheinlichkeit eines bestimmten Merkmals. Die Manifestationswahrscheinlichkeit ist dagegen nicht anhand dieser Gesetze zu berechnen. Bei der Berechnung der Wahrscheinlichkeit der Manifesta456

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

287

auch die Unwägbarkeiten hervorgehoben, die mit der Verwendung genetischer Daten verbunden seien,458 jedoch scheint die Vorstellung eines genetischen Determinismus in der gesellschaftlichen Diskussion insofern eine größere Eingängigkeit zu haben. Trotz der Erkenntnis, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Gene und in seiner Entwicklung von vielen nicht-genetischen Faktoren beeinflusst und geprägt ist, herrscht offenbar in nicht unbeträchtlichen Teilen der Bevölkerung noch die Fehlvorstellung des genetischen Determinismus vor.459 Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung, die gerade genetische Veranlagungen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung auf die Entwicklung des Menschen haben, erscheint die Annahme einer besonderen Fehleranfälligkeit gerade im Umgang mit genetischen Eigenschaftsindikatoren als durchaus berechtigt. (2) Wirtschaftlicher Erfolgsdruck im Bereich der Humangenetik Die Gefahr wissenschaftlicher Irrtümer besteht sicherlich nicht nur im Bereich der Humangenetik.460 Allerdings erscheint der Eintritt dieser Gefahr als besonders wahrscheinlich, wenn die Wissenschaft einem besonderen wirtschaftlichen Erfolgsdruck unterliegt und dementsprechend – gewissermaßen an den Gesetzen des Marktes orientiert – Ergebnisse zu erzielen versucht, die sich wirtschaftlich verwerten lassen.461 Vor diesem Hintergrund erscheint die Annahme einer erhöhten Fehleranfälligkeit im Bereich der humangenetischen Forschung durchaus nicht als abwegig.462 Erhebliche Mittel wurden bisher in die Entschlüsselung des Genoms und die Erforschung der Funktionsweise der Gene investiert. Die Annahme, dass Investoren und Forscher nun nach langen Jahren der Investition die finanziellen Aufwendungen zu amortisieren versuchen, erscheint durchaus als nahe liegend. Ziel dürfte es dabei sein, den Einfluss der Gene auf die menschliche Entwicklung in der gesellschaftlichen Diskussion zu betonen: Je mehr Bedeutung die Gesellschaft der Humangenetik beimisst, desto eher wird sie bereit sein, weiter in genetische Untersuchungen und Forschung zu investieren.463 Der wirtschaftliche Erfolgsdruck liefert auch eine mögliche ___________ tion tritt die Vererbungswahrscheinlichkeit zur Manifestationswahrscheinlichkeit hinzu und erhöht die Aussageungenauigkeit der Prognose. 458 Nachweise dazu siehe unten, S. 318, Fn. 522. 459 Mit der gleichen Feststellung: DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ 1999, S. 6: „[das gesellschaftliche] Vorurteil des genetischen Determinismus“; Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 149 ff., 165 f.; ten Have, Right not to know (1997), S. 87 (90). Vgl. auch Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20. 460 Vgl. etwa S. 113. 461 Allgemein zur Kooperation zwischen Genmedizin und Industrie: Göben, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 880 ff. 462 Zu Fehlentwicklungen in der medizinischen Forschung aufgrund der Überbewertung genetischer Entwicklungseinflüsse: Horrobin, JRSM 2000, vol. 93, S. 341 ff. 463 Balding/Bishop/Cannings-Beyleveld, Statistical Genetics, 697 (715 f.).

288

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Erklärung dafür, dass die Darstellung von Forschungsergebnissen zuweilen eher einem Werbefeldzug ähnelt.464 Zwar wird immer wieder auf die beschränkte Bedeutung der Gene auf die menschliche Entwicklung hingewiesen.465 Vordergründig entsteht jedoch in der Gesellschaft offenbar der Eindruck, genetische Veranlagungen würden das eigene Leben vorherbestimmen. Begünstigt wird diese Entwicklung dadurch, dass andere Forschungsbereiche aufgrund ihrer geringeren finanziellen Ausstattung in dem gesellschaftlichen Bewusstsein an Bedeutung verlieren und in den Hintergrund treten. Diese wirtschaftlichen Motive könnten die ohnehin schon bestehende Forschungs- und Entwicklungsdynamik zusätzlich verstärken. In diesem Zusammenhang wird auch von einem wissenschaftlichen „Spin-off“ gesprochen.466 Die Situation im Bereich der Humangenetik gleicht einer wissenschaftlichen Goldgräberstimmung. Die damit verbundene Euphorie lässt in besonderen Maße wissenschaftliche Fehleinschätzungen befürchten, da Ergebnisse humangenetischer Untersuchungen vor diesem Hintergrund einerseits teilweise in ihrer Bedeutung überhöht und andererseits häufig unhinterfragt akzeptiert werden.467 (3) Ergebnis Zwar dürften viele der Aspekte, die im Zusammenhang mit genetischen Daten diskutiert werden, auch auf andere Spezifikationen, z.B. endogene Eigenschaftsindikatoren oder prädiktive Daten, zutreffen,468 weswegen die damit zusammenhängenden Argumente auch dort behandelt werden. Jedoch erscheint die Einschätzung, dass der Umgang mit genetischen Daten in einem besonderen Maße fehleranfällig ist, nicht als willkürlich und bewegt sich damit im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Angesichts der besonderen Sensibilität, mit der Fragen der Gendiagnostik in der Öffentlichkeit aufgegriffen werden, ist es in gleichheitsrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt, Personengruppen, die einer sich auf solche Fehleinschätzungen gründenden Diskriminierung ausgesetzt sind, durch die Einführung einer Beweislastumkehr zur Verhinderung von Diskriminierungen aufgrund von angenommenen genetischen Veranlagungen einem besonderen rechtlichen Schutz zu unterstellen. ___________ 464 Holtzman, Caution, S. 7: „Companies make no secret of the importance of profit in motivating their interests in specific areas. When tests are costly and the number of people likely to use them is small, companies lose interest. Tests may be aggressively marketed for common diseases but not, therefore, for rare ones. It is not clear that university laboratories will retain an interest in these rare disorders. Consequently tests for them might not be available to people who could benefit from them.“, S. 123 ff. 465 Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 148. 466 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 23 ff., 90 ff. 467 Balding/Bishop/Cannings-Beyleveld, Statistical Genetics, 697 (715). 468 Unklar insofern Meyer, Mensch, S. 61 f.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

289

cc) Spezifikationen hinsichtlich des Informationsgegenstands Die Beschränkung der Beweislastumkehr auf bestimmte Informationsgegenstände, wie z.B. auf bestimmte Krankheiten, dürfte grundsätzlich in gleichheitsrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden sein, sofern sich ein besonderes Stigmatisierungspotenzial und eine damit verbundene besondere Fehleranfälligkeit, möglicherweise insbesondere aufgrund der Gefahr der mittelbaren Rassendiskriminierung, nachweisen lässt. Einige Staaten in den USA haben Anti-Diskriminierungs-Gesetze speziell zum Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund Krankheiten erlassen, die – wie z.B. die Sichelzellenanämie oder die Tay-Sachs-Krankheit – in bestimmten ethnischen Gruppen gehäuft auftreten.469 Viele dieser Diskriminierungsmerkmale werden erfahrungsgemäß häufig zum Zweck mittelbarer Rassendiskriminierung verwendet. Für bestimmte Krankheiten könnten in diesem Zusammenhang der Ausbreitungsgrad, die Schwere der Krankheit und ihre Behandlung in der Gesellschaft Einfluss auf das Fehlerpotenzial haben und einen besonderen Diskriminierungsschutz rechtfertigen.

c) Verwendung situationsbezogener Spezifikationen Schließlich ist noch zu untersuchen, inwieweit die Umstände, unter denen bestimmte Daten verwendet werden, die Fehleranfälligkeit im Umgang mit diesen Daten erhöhen können.

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Verwendungsweise Dass mit einer bestimmten Verwendungsweise im Vergleich zu den anderen eine besondere Fehleranfälligkeit verbunden ist, erscheint nicht offensichtlich. Der eigentliche Grund der besonderen Fehleranfälligkeit dürfte hier vielmehr in der Verkennung der statistischen Grundlage,470 bzw. der Überbewertung von Informationen mit bestimmten statistischen Bezugsmerkmalen471 liegen. Unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagerichtigkeit ist ein privilegierender Diskriminierungsschutz für eine bestimmte Verwendungsweise damit grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

___________ 469

Siehe dazu S. 88. Siehe dazu S. 274 ff. 471 Siehe dazu S. 276 ff. 470

290

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

bb) Spezifikationen hinsichtlich des Anwendungsbereichs Als unbedenklich dürften hingegen bereichsbezogene Spezifikationen behandelt werden. Die Beschränkung der Beweislastumkehr auf den arbeits- oder versicherungsrechtlichen Bereich erscheint angesichts der Verschiedenheit der mit den Sachbereichen verbundenen Rechtsfragen zulässig. Gerechtfertigt ist dann aber der privilegierende Diskriminierungsschutz nicht durch die besondere Eingriffsintensität aufgrund einer besonderen Fehleranfälligkeit, sondern durch die besondere Wertigkeit der betroffenen Rechte und Interessen.

d) Zusammenfassung Damit ergeben sich folgende verfassungsrechtliche Orientierungslinien bei der Bewertung eines Verbots der Diskriminierung aufgrund falscher Annahmen: Als grundsätzlich in gleichheitsrechtlicher Hinsicht unbedenkliche Varianten erscheinen Verbote der Diskriminierung aufgrund: – nicht vorhandener Eigenschaftsindikatoren – nicht vorhandener endogener Eigenschaftsindikatoren (Anlagen) – nicht vorhandener genetischer Veranlagungen Auch Spezifikationen hinsichtlich des Informationsgegenstands sind in gleichheitsrechtlicher Hinsicht keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Eine methodenspezifische Begrenzung seines Normbereichs ist verfassungswidrig. Gleiches gilt für Spezifikationen hinsichtlich der Verwendungsweise, da keine Verwendungsweise mit einer besonderen Fehleranfälligkeit verbunden ist. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf bestimmte Lebens und Sachbereiche erscheint hingegen in gleichheitsrechtlicher Hinsicht unbedenklich.

II. Verbot genetischer Diskriminierung als Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund individuell nicht beeinflussbarer Umstände (Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit) In diesem Abschnitt wird geprüft, ob es in gleichheitsrechtlicher Hinsicht zulässig ist, dem Verbot genetischer Diskriminierung den Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit zugrunde zu legen.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

291

1. Schutzbereich Wiederum ist zunächst zu prüfen, inwieweit sich ein solcher Gerechtigkeitsmaßstab mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbaren lässt.

a) Ermittlung des Zwecks Im Zusammenhang mit der Diskussion des Verbots genetischer Diskriminierung wird der Aspekt der individuellen Beeinflussbarkeit relativ deutlich aufgegriffen.472 Er findet Ausdruck in der Formulierung „Für meine Gene kann ich nichts.“ So ist es eines der sehr häufig angeführten Argumente zur Begründung der Unzulässigkeit genetischer Diskriminierung, dass eine Auswahl etwa von Arbeit- oder Versicherungsnehmern nach genetischen Merkmalen vor allem auch deswegen inakzeptabel sei, weil die genetische Konstitution des Menschen „naturgegeben“ ist und damit außerhalb seines Einflussbereichs liegt.473

___________ 472 Mit gleicher Einschätzung Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (208): Finally, it seems that these genetic antidiscrimination laws are at least partially motivated by the erroneous belief that genes play the fundamental role in determining who we are. ... In addition, genetic determinism implies that genetic diseases are not our fault. Consequently it is often argued, that it would be unfair to penalize people for developing genetic diseases that are beyond their control. This rationale seems to carry with it in invidious implication, that we are responsible for our nongenetic diseases.“ 473 Zustimmend: Bündnis 90/Die Grünen, Entwurf für ein Gendiagnostikgesetz, BTDrs. 16/3233, S. 27: „Denn die genetischen Eigenschaften sind dem Menschen ‚in die Wiege‘ gelegt und daher von diesem nicht zu verantworten.“; SPD-Eckpunktepapier (2002), S. 4: „Die genetischen Eigenschaften eines Menschen sind von dem Betroffenen nicht zu verantworten. Diese sind ihm ‚in die Wiege gelegt‘ worden. Es verbietet sich daher eine Diskriminierung aufgrund genetischer Eigenschaften.“; CDU-Antrag, BTDrs. 15/543, S. 2; Dresdener Bürgerkonferenz, in: Schicktanz/Naumann, Bürgerkonferenz: Streitfall Gendiagnostik, S. 86; Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (111, 112): „Discrimination based upon actual or perceived genetic characteristics denies an individual equal opportunity because of a status over which she has no control.“; Rothstein/Knoppers, EJHL, 3 (1996), 143 (155); Schöffski, Gendiagnostik, S. 114: „Genetische Diskriminierung ist insbesondere deshalb ein Problem, weil der Einzelne keine Möglichkeit hat, sein Erbgut zu verändern.“; Uhlemann, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 8; van den Daele, Mensch nach Maß, S. 151: „Genetische Selektion diskriminiert den Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt nach Gründen, die völlig außerhalb seiner Kontrolle liegen.“ – Mit weiteren Nachweisen für diese Meinungsströmung: Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (208). – Diesem Ansatz kritisch gegenüber stehend hingegen: Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (208); Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (192 f.); Lindpaintner, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 59; Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 276.

292

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

b) Erläuterung des Zwecks Der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussung besagt, dass niemand aufgrund von individuell nicht beeinflussbaren Umständen ungleich behandelt werden darf. Ungerechtfertigt ist eine Ungleichbehandlung demnach dann, wenn sie sich auf Umstände gründet, auf deren Entstehung der Einzelne keinen Einfluss hat, für die er also nichts kann.474

aa) Belohnungsgerechtigkeit („Jeder nach seinen Verdiensten“) Eine solche Vorstellung von Gerechtigkeit kommt einem der als klassisch bezeichneten materiellen Gerechtigkeitsmaßstäbe nahe, wonach jeder nach seinen Verdiensten zu behandeln ist (Belohnungsgerechtigkeit).475 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass individuell unbeeinflussbare Umstände nicht berücksichtigt werden. Im Unterschied zum Gerechtigkeitsmaßstab „Jeder nach seinen Werken“ liegt dem Gedanken „Jeder nach seinen Verdiensten“ allerdings ein moralisches Kriterium zugrunde: Es kommt nicht allein auf das Resultat der Handlung an, sondern auf die Absicht oder die erbrachten Opfer.476 Da dieses Kriterium schwer zu fassen ist, stellt sich die Umsetzung dieses Gerechtigkeitsmaßstabs als sehr viel problematischer dar als die des Gerechtigkeitsmaßstabs, wonach jeder nach seinen Werken zu beurteilen ist. Vor diesem Hintergrund mag sich allenfalls die Konzeption „Jeder nach seinen Werken“ als ein Gerechtigkeitsmaßstab betrachten lassen, welcher in leistungsgesellschaftlich orientierten Gemeinschaften zur Richtschnur genommen wird. Sie findet ihren Ausdruck etwa in der Entlohnung von Arbeitnehmern nach Stunden und pro Stück, in Examina und Wettbewerben, bei denen ohne Berücksichtigung der aufgebrachten Mühe und Anstrengung nur das Ergebnis der Handlung für die Bewertung entscheidend ist.477

bb) Rechtsprechung zur Bedeutung nicht beeinflussbarer Unterscheidungskriterien In der Rechtsprechung finden sich zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass Ungleichbehandlungen aufgrund von individuell nicht beeinflussbaren Umständen ___________ 474 Eine andere Deutungsmöglichkeit, wonach sich Umstände, die sich in ihrem Bestehen der Einflussnahme des Einzelnen entziehen, Auslöser für die Annahme eines Gleichstellungsgebotes sein können, wird später behandelt werden. Siehe S. 294 ff. 475 Dazu unter anderem Perelman, Gerechtigkeit, S. 16 ff. 476 Perelman, Gerechtigkeit, S. 16 ff. 477 Perelman, Gerechtigkeit, S. 17 f.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

293

verboten sein sollen, wohl aber Hinweise darauf, dass die Bezugnahme auf derartige Umstände mit einer erhöhten Eingriffsintensität verbunden ist und daher erhöhten Anforderungen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung unterliegt. Anklänge an einen derartigen Gedanken gibt es etwa in der Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG, wenn im Fall der Verwendung nicht beeinflussbarer Kriterien bei einer Ungleichbehandlung besonders hohe Anforderungen an die Rechtfertigung gestellt werden.478 In der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 GG werden in der Drei-Stufen-Theorie objektive Berufszulassungsregeln höheren Rechtfertigungsanforderungen unterworfen als subjektive. In diesem Zusammenhang wird teilweise betont, dass objektive Zulassungsregelungen dem Einfluss des Einzelnen entzogen sind.479 Dies könnte im Umkehrschluss nahelegen, dass subjektive Zulassungsregelungen niedrigeren Rechtfertigungsanforderungen unterliegen, weil die einschränkende Wirkung des Gesetzes vom Einzelnen vermeidbar ist und sich der Eingriff daher im Regelfall als weniger intensiv darstellt.480

c) Zweckspezifische Rechtsfolge Nun stellt sich die Frage, welche Rechtsfolge einem Diskriminierungsverbot zuzuordnen ist, dem der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit zugrunde gelegt wird. Dementsprechend ist zu fragen, wie es verhindert ___________ 478

BVerfGE 88, 87 (96 f.): „inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen“; BVerfGE 95, 267 (316); BVerfGE 92, 365 (408): „Personengruppen, deren Mitglieder die ungleichen Rechtsfolgen faktisch nicht vermeiden können.“ [Hervorhebungen durch den Verf.]. Auch OVG Schleswig, NVwZ 2001, 1300 (1304): „wenn die Betroffenen unabhängig von ihrem Verhalten von der Regelung erfasst werden ... Dabei wächst die Intensität der Ungleichbehandlung, ... je weniger der Betroffene das Kriterium der Ungleichbehandlung beeinflussen kann ...“ (Hervorhebung durch den Verfasser). – Vgl. auch AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 19, für den sich der besondere Menschenwürdebezug des Art. 3 Abs. 3 GG wohl auch aus dem Umstand ergibt, dass es sich um „biologische und soziale Bedingungen [handelt], über die er [der Mensch] nicht verfügen kann.“ 479 BVerfGE 7, 377 (407): „Anders liegt es bei der Aufstellung objektiver Bedingungen für die Berufszulassung. Ihre Erfüllung ist dem Einfluss des Einzelnen schlechthin entzogen.“ – Auch: Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 826 („Objektive Zulassungsregelungen verlangen für die Wahl eines Berufes die Erfüllung objektiver, dem Einfluss des Berufswilligen entzogener [...] Kriterien.“). 480 Ganz zutreffend ist diese Beschreibung der Drei-Stufen-Theorie jedoch nicht: Der Umstand, dass beispielsweise auch Eigenschaften wie das Alter oder die Größe den subjektiven Zulassungsbeschränkungen zugeordnet werden, macht deutlich, dass es nicht um die Frage der individuellen Beeinflussbarkeit geht, sondern um personenbezogene Eigenschaften – unabhängig von der Möglichkeit ihrer Beeinflussbarkeit durch individuelles Verhalten. Insbesondere genetische Veranlagungen würden als personenbezogen einzustufen sein und Regelungen, die an sie anknüpfen, damit in diesem Sinne als subjektive Zulassungsregelungen (mit grundsätzlich geringeren Rechtfertigungsanforderungen als objektive Zulassungsregelungen).

294

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

werden kann, dass der Einzelne aufgrund individuell nicht beeinflussbarer Umstände ungleich behandelt wird.

aa) Bewertungsverbot Unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit kann das Diskriminierungsverbot als Bewertungsverbot ausgelegt werden: Alle Umstände, die in ihrer Entstehung481 nicht individuell beeinflussbar sind, dürfen nicht zur Grundlage der Bewertung eines Menschen gemacht werden. Selbst wenn keine Zweifel über das Vorliegen der jeweiligen Eigenschaft bestehen, ihre Feststellung also weder ungenau noch falsch ist, darf sie nicht zur Grundlage einer Ungleichbehandlung gemacht, weil ja gerade verhindert werden soll, dass jemand im Vergleich zu anderen aufgrund von Umständen benachteiligt wird, „für die er nichts kann“. Damit mündet ein solches Diskriminierungsverbot letztlich in einen nach bestimmten Informationsgegenständen definierten Katalog von Eigenschaften, die nicht berücksichtigt werden dürfen. Der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit verlangt demgegenüber lediglich, dass niemand aufgrund von falschen Annahmen in einer bestimmten Weise behandelt werden darf. Damit wird jedoch nicht allgemein die Bewertung aufgrund bestimmter Eigenschaften verboten, sondern eben nur verlangt, dass die zugrunde gelegten Annahmen auch richtig sind. Gleiches gilt insofern für den Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit: Verboten wird nicht die Berücksichtigung von bestimmten Eigenschaften, sondern nur die von Eigenschaften, die nicht im Einzelfall nachgewiesen sind.

bb) Gesetzlicher Schutzauftrag (Exkurs) Der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit ist jedoch nicht zwangsläufig in seinen möglichen rechtlichen Auswirkungen auf ein Bewertungsverbot beschränkt. Vielmehr wäre es möglich, gesetzlichen Diskriminierungsverboten auf Grundlage dieses Gerechtigkeitsmaßstabs einen gesetzlichen Schutzauftrag im Sinne eines Gleichstellungsgebotes beizumessen. Voraussetzung für eine solche Auslegung sind jedoch entsprechende Anhaltspunkte im Wortlaut und in der Zielsetzung des jeweiligen Diskriminierungsverbots.482 ___________ 481

Im Unterschied zu Umständen, die in ihrem Bestehen individuell nicht beeinflussbar sind. Siehe dazu sogleich. 482 Vgl. dazu auch Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 75: „Wird hingegen der – infolge von Krankheit, fehlender Bildung, mangelndem Eigentum oder geographischer Benachteiligung [Hierbei handelt es sich um Manifestationen im Sinne dieser Arbeit! – Anm. des Verf.] – unterschiedlicher Zugang zu den „Glücksgütern“ zum Thema von Angleichungsforderungen, so wächst dem Gesetz die Aufgabe zu, diese Unterschiede zu mindern. ... Aus dem Gleichbehandlungsgebot wird ein Gleichstellungsgebot.“

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

295

Vor diesem Hintergrund lässt sich beispielsweise dem Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen eine Sonderstellung unter den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG beimessen.483 Für ein Diskriminierungsverbot aufgrund genetischer Merkmale und Eigenschaften dürfte eine Auslegung, die einen darüber hinausgehenden Schutz gewährleistet, nicht in Betracht kommen, weil insofern keine vergleichbare Schutzbedürftigkeit besteht:484 Manifeste genetische Eigenschaften sind nur insoweit schutzbedürftig, als sie Behinderungen darstellen. Bei genetischen (nicht manifesten) Veranlagungen hat der Einzelne noch keine (manifesten) Erschwernisse, die durch einen entsprechenden Schutzauftrag ausgeglichen werden könnten. Im Vorgriff auf spätere Ausführungen sei dazu bereits an dieser Stelle angemerkt: Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG lassen sich als Regelungen verstehen, die die Typisierung anhand der dort genannten Merkmale verbieten:485 Verboten ist die Ungleichbehandlung aufgrund der Gruppeneigenschaften. Umgekehrt bedeutet dies, dass der Einzelne insofern nach seinen individuellen Eigenschaften zu beurteilen ist. Ein solcher Norminhalt ist auch dem Verbot der Behindertendiskriminierung beizumessen. Er kommt zur Anwendung, wenn der Einzelne aufgrund von Symptomen benachteiligt wird, die nur typischerweise mit der bei ihm festgestellten Behinderung einhergehen, in seiner Person aber gar nicht vorliegen. Ein Verstoß gegen das Typisierungsverbot läge beispielsweise vor, wenn ein Arbeitgeber einen Stellenbewerber mit Down-Syndrom deswegen ablehnen würde, weil Menschen mit Down-Syndrom typischerweise für die in seinem Betrieb zu leistende Arbeit nicht geeignet sind.

Der Normaspekt des Typisierungsverbots erfasst jedoch nicht die Fälle, in denen Menschen aufgrund ihrer (im Einzelfall manifesten) Behinderungen die Teilnahme am alltäglichen Leben erschwert wird.486 Denn insofern liegen tatsächlich bestimmte körperliche oder geistige Erschwernisse beim Einzelnen vor. Der Einzelne wird nach Eigenschaften behandelt, die in seiner Person vorliegen. Insofern kann dementsprechend auch nicht von einer Diskriminierung allein aufgrund der Gruppenzugehörigkeit gesprochen werden. Das Benachtei___________ 483 Zum Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen: Straßmair, Der besondere Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2; Herdegen, Diskriminierungsschutz für Behinderte. 484 Dies bedeutet jedoch nicht, dass dieser Auslegungsaspekt – etwa bei genetischen – Diskriminierungsverboten immer bedeutungslos ist. Sofern kein einfachgesetzlicher Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Behinderungen besteht, kann ein derartiger Schutz auch durch andere Diskriminierungsverbote gewährleistet werden. – Siehe dazu aber auch Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 134 ff. 485 Siehe dazu S. 317 ff. 486 Vgl. dazu BVerfG, NJW 1998, 131 (131).

296

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

ligungsverbot für behinderte Menschen geht insofern über den Normaspekt des Typisierungsverbots hinaus: Unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit lässt sich das Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen auch als Auftrag verstehen, das Umfeld so an den behinderten Menschen anzupassen, dass die körperlichen oder geistigen Einschränkungen ihre Bedeutung verlieren.487 Zwar dürfte es grundsätzlich als legitim erscheinen, vom Einzelnen zu verlangen, sich den gesellschaftlichen Verhältnissen anzupassen. Dies kann der Einzelne aber natürlich nicht in Bereichen erreichen, die seiner Einflussnahme entzogen sind. Als gedanklicher Ursprung des Verbots der Diskriminierung behinderter Menschen lässt sich insofern der Versuch begreifen, folgende Überlegung – zumindest in Ansätzen – rechtliche Wirkung zu verleihen: In Bereichen, die der individuellen Einflusssphäre entzogen sind, muss sich danach nicht der Einzelne den Anforderungen der Gesellschaft anpassen, sondern die Gesellschaft den Bedürfnissen des einzelnen Menschen.488 Soweit dieser Gedanke rechtlich umgesetzt wird, werden danach Bereiche, die in ihrem Bestehen (nicht notwendigerweise in ihrem Entstehen)489 der individuellen Einflussnahme entzogen sind, nicht mehr dem Verantwortungsbereich des Einzelnen, sondern dem Verantwortungsbereich der Gesellschaft zugeordnet. Für den Bereich des Gleichstellungsrechts für Menschen mit Behinderungen hat dieser Gedanke in dem Grundsatz der Barrierefreiheit des § 4 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) einen (einfachgesetzlichen) Ausdruck gefunden. Wenn ein Computerexperte aufgrund seiner körperlichen Behinderung keinen Zugang zum Arbeitsplatz hat, so stellt dies nicht seine Eignung für die Arbeitsstelle in Frage, sondern betrifft nur das Arbeitsumfeld. Dies kann jedoch grundsätzlich durch den Arbeitgeber barrierefrei gestaltet werden. Dieser Gedanke findet auch im Bereich der Gefahrenverhütung am Arbeitsplatz Anwendung. Grundsätzlich muss der Arbeitsplatz den Bedürfnissen des Arbeitnehmers angepasst werden. Es ist Aufgabe des Arbeitgebers, mögliche gesundheitliche Gefährdungen für den Arbeitnehmer soweit wie möglich zu vermeiden. Erst wenn die Möglichkeiten des objektiven Arbeitsschutzes ausgeschöpft sind (z.B. die Immission bestimmter Schadstoffe am Arbeitsplatz unvermeidbar ist), ist es zulässig, das Schädigungsrisiko durch eine entsprechende Auswahl der Arbeitnehmer zu senken (z.B. durch den Ausschluss von Arbeitnehmern, die eine besondere Schadstoffanfälligkeit aufweisen).490

Als Behinderung werden körperliche oder geistige Defizite erst und nur solange wahrgenommen, solange in dem gesellschaftlichen Umfeld keine Hilfs___________ 487

Für Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG: Höfling, KritV 1998, 99 (103 f.). Für Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG: Höfling, KritV 1998, 99 (103 f.). 489 Vgl. S. 302. 490 Bundesministerium für Forschung und Technik (Hrsg.), Erforschung, S. 208; Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 141 f.; Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 2-6 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752, S. 45; Kienle, prädiktive Medizin, S. 77 f. 488

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

297

mittel zum Ausgleich dieses Defizits bestehen. Durch die Veränderung von Umwelt und Gesellschaft oder die Entwicklung von Hilfsmitteln kann jedoch ihre behindernde Wirkung beseitigt werden. Kurzsichtige haben eine Sehschwäche. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung werden jedoch Kurzsichtige wohl nicht als Menschen mit Behinderung eingeordnet, da dieses körperliche Defizit in der Regel durch Brillen ausgeglichen werden kann. Eine ganz andere Bedeutung dürfte demgegenüber Kurzsichtigkeit in der Steinzeit gehabt haben.491

Entscheidend ist also der Gedanke, dass die menschliche Gesellschaft ihre Umwelt gestalten kann. Dies hat sie in ihrer Entwicklung immer getan. Häufig wurden damit Hindernisse und Gefährdungen, denen der Einzelne ausgesetzt war, beseitigt; teilweise wurden aber auch gesellschaftlichen Hindernisse geschaffen oder erhalten. Insofern lassen sich (nahezu) alle Behinderungen als sozialisationsbedingte, nicht als naturgegebene Beeinträchtigungen verstehen. Eine ähnliche Argumentation könnte in der Diskussion um die Kinderfreundlichkeit der Gesellschaft gesehen werden: Nicht die Kinder sind ungeeignet für bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse, sondern die Gesellschaft ist dafür verantwortlich, die gesellschaftlichen Verhältnisse kinderfreundlich zu gestalten.

So verstanden mündet das Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen jedoch nicht in ein Bewertungsverbot. Die Auslösung des gesetzlichen Schutzauftrages im Sinne eines Gleichstellungsauftrages setzt vielmehr die Feststellung – und damit letztlich die Bewertung – der jeweiligen (manifesten) Eigenschaft als Behinderung voraus.

d) Überprüfung der Zwecksetzung Ob es verfassungsrechtlich zulässig ist, einem Diskriminierungsverbot den Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit zugrunde zu legen, lässt sich eigentlich nur lebens- und sachbereichsbezogen beurteilen. Jedoch kommt den meisten Regelungsvorschlägen für ein Verbot genetischer Diskriminierung eine lebens- und sachbereichsübergreifende Wirkung zu: Verboten ist die Ungleichbehandlung aufgrund genetischer Eigenschaften überall dort, wo sie nicht ausdrücklich in ihrem Anwendungsbereich auf bestimmte Rechtsbereiche beschränkt werden oder Ausnahmeregelungen vorgesehen sind. Als jüngere und speziellere Regelung hat ein einfachgesetzliches Verbot genetischer Diskriminierung zudem gegenüber den bisherigen lebens- und sachbereichsbezogenen Regelungen Geltungs- und Anwendungsvorrang. Alle bisherigen Regelungen, die die Berücksichtigung individuell nicht beeinflussbarer Umstände erlaubten, werden in dieser Hinsicht modifiziert. ___________ 491

Vgl. Schöffski, Gendiagnostik, S. 99.

298

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Im Folgenden soll daher nachgewiesen werden, dass es verfassungsrechtlich unzulässig ist, lebens- und sachbereichsübergreifenden Diskriminierungsverboten den Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit zugrunde zu legen. Die Behandlung dieser Frage wird in drei Schritten erfolgen: – Zum einen sollen, gewissermaßen in einem grundsätzlicheren Ansatz, Spannungsverhältnisse zu verfassungsrechtlichen Grundprinzipien aufgezeigt werden, die für eine Reihe von Lebens- und Sachbereichen prägend für die Bildung des Gerechtigkeitsmaßstabs sind. – Zum Zweiten wird die Unvereinbarkeit des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit mit den Gerechtigkeitsmaßstäben für bestimmte Lebens- und Sachbereiche nachgewiesen werden. Für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der lebens- und sachbereichsübergreifenden Anwendung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit genügt es, die Unvereinbarkeit für einen Lebens- und Sachbereich nachzuweisen. – Schließlich soll in einem dritten Schritt gezeigt werden, dass die vereinheitlichende Wirkung eines lebens- und sachbereichsübergreifenden Diskriminierungsverbotes den unterschiedlichen lebens- und sachbereichspezifischen Verschuldensmaßstäben nicht gerecht werden würde und damit verfassungsrechtlich problematisch wäre, selbst wenn das Diskriminierungsverbot auf Bereiche beschränkt würde, in denen der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit dem Grundsatz nach gilt. Mit diesem Vorgehen wird bereits im Rahmen der Zwecksetzung geprüft, was nach der hier vorgenommenen Kategorisierung üblicherweise im Rahmen der Spezifikationen hinsichtlich des Anwendungsbereichs dargestellt wurde. Damit soll gleich zu Beginn der Prüfung klargestellt werden, dass sich die grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der lebens- und sachbereichsübergreifenden Anwendung dieses Gerechtigkeitsmaßstabs nicht auf dessen lebens- und sachbereichsbezogene Anwendung übertragen lassen.

aa) Mangelnde Systemkompatibilität im Grundsatz In der Diskussion um die Einführung eines Verbots genetischer Diskriminierung stehen die Motive im Vordergrund, Rechte zu sichern und Schutz zu gewähren. Diskriminierungsverbote bedeuten jedoch nicht nur einen Zugewinn an Freiheit (nämlich z.B. für die genetisch Benachteiligten, deren nachteiligen Eigenschaftsindikatoren nicht berücksichtigt werden dürfen), sondern auch eine Einbuße an Freiheit oder Privilegien (nämlich z.B. für die genetisch Begünstigten, deren vorteilhaften Eigenschaftsindikatoren keine Berücksichtigung finden). Der Umstand, dass Diskriminierungsverbote eben nicht nur Rechte einräu-

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

299

men, führt zu Spannungsverhältnissen mit Grundrechten, insb. mit Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG. So lässt sich der Grundsatz „Jeder nach seinen Verdiensten“ in unserer Gesellschaft wohl nicht als ein allgemeiner Gerechtigkeitsgedanke bezeichnen. Vielmehr sind Ungleichbehandlungen aufgrund (manifester) Eigenschaften in der Leistungsgesellschaft gang und gäbe.492 Als prominentes Beispiel sei hier Art. 33 Abs. 2 GG genannt, nach dem der Zugang zu öffentlichen Ämtern sich unter anderem nach der Eignung bestimmt. Die Eignung bestimmt sich dabei nicht unbedingt nach dem persönlichen Verdienst, sondern der individuellen Leistungsfähigkeit.

Das Verbot von Diskriminierungen auch aufgrund bereits manifester, aber individuell nicht beeinflussbarer Eigenschaftsindikatoren erscheint in dieser Hinsicht nicht systemkonform in einer Gesellschaft, die auf Leistung ausgerichtet ist und dementsprechend die individuelle Leistungsfähigkeit – ob beeinflussbar oder nicht – zur Grundlage der Bewertung von Menschen macht. Im Grundprinzip Leistungsunterschiede zu ignorieren, sobald sie nicht individuell beeinflussbar sind und deren Erlangung sich nicht als „persönliches Verdienst“ darstellt, wirkt von daher eher unpraktikabel und dem gesellschaftlichen Denken fremd.493 Der Ausgleich von Defiziten in der Leistungsfähigkeit erscheint als eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Herstellung von Chancengleichheit und ist damit eine Frage der staatlichen Schutzpflichten,494 die beispielweise in einigen sozialrechtlichen Regelungen ihren Ausdruck gefunden haben. Zudem lässt sich bei Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit eine gewisse Gegenläufigkeit zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ausmachen. Denn in letzter Konsequenz müssten danach alle Eigenschaften eines Menschen rechtlich unberücksichtigt bleiben, auf deren Entstehung er keinen Einfluss hat. Jedoch dürften zur Persönlichkeit eines Menschen eine Vielzahl von Eigenschaften gezählt werden, deren Entwicklung gerade nicht oder nur sehr eingeschränkt individuell beeinflussbar ist – wie Intelligenz oder körperliche Fähigkeiten. Zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit dürfte dementsprechend auch die grundsätzlich eröffnete Möglichkeit zu zählen sein, den persönlichen Eigenschaften entsprechend ungleich behandelt zu werden. Dies würde dem Einzelnen und seinem gesellschaftlichen Umfeld jedoch unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit durch das Diskriminierungsverbot im Hin___________ 492 In diesem Sinne auch Lindpaintner, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 59; Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 276; Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 43 f. 493 Dazu auch Perelman, Gerechtigkeit, S. 16 ff. 494 Siehe dazu bereits oben, S. 294.

300

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

blick auf die verbotenen Diskriminierungsmerkmale versagt werden. Da es sich zudem um eine einfachgesetzliche Regelung handelt, gälte dieses Verbot insbesondere auch für den Privatrechtsverkehr, wäre also nicht nur auf das StaatBürger-Verhältnis beschränkt und würde alle Lebensbereiche erfassen. Ein ähnliches Spannungsverhältnis kann auch hinsichtlich der Gewährleistung des Art. 3 Abs. 1 GG ausgemacht werden: Art. 3 Abs. 1 GG verlangt – insbesondere nach dem Eingriffsmodell von Huster – grundsätzlich im Sinne einer gerechten Behandlung die Berücksichtigung von individuellen, manifesten Unterschieden. Allerdings enthält Art. 3 Abs. 1 GG keine inhaltlichen Vorgaben darüber, was als vergleichbar gilt.495 Erst der Gesetzgeber füllt Art. 3 Abs. 1 GG im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben durch gesetzliche Wertsetzung inhaltlich aus.496 Dabei dürfte eine verfassungssystematische Auslegung – insbesondere unter Berücksichtigung des Rechts auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit – dafür sprechen, Art. 3 Abs. 1 GG eine individualrechtliche Tendenz beizulegen. In der Folge ließe sich aus Art. 3 Abs. 1 GG das Grundprinzip ableiten, dass die Berücksichtigung von individuellen (manifesten) Unterschieden nicht ausgeschlossen, bzw. verboten werden darf. Hervorgehoben werden soll an dieser Stelle, dass ein derartiger Ansatz nicht deckungsgleich ist mit der – umstrittenen – These, dass wesentlich Ungleiches auch ungleich behandelt werden muss. Während der letztgenannte Ansatz den Staat dazu verpflichten will, wesentlich Ungleiches auch ungleich zu behandeln, soll nach dem hier vorgestellten Ansatz dem Staat lediglich verboten werden, eine solche Ungleichbehandlung von vornherein – und zudem auch für den privatrechtlichen Bereich – gesetzlich zu untersagen. Zusammenfassend ist somit festzustellen: Der lebens- und sachbereichsübergreifend angewandte Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit steht in einem Spannungsverhältnis zu grundlegenden Verfassungsgedanken. Schon vor diesem Hintergrund erscheint seine lebens- und sachbereichsübergreifende Anwendung als verfassungsrechtlich bedenklich.

bb) Lebens- und sachbereichsspezifische Unvereinbarkeit des Gerechtigkeitsmaßstabs Diese grundsätzlichen Bedenken treten bei der Überprüfung der Vereinbarkeit des Gerechtigkeitsmaßstabes der individuellen Beeinflussbarkeit mit den Gerechtigkeitsmaßstäben in einzelnen Lebens- und Sachbereichen offen zutage. Das Problem, das sich im Zusammenhang mit der Einführung des Verbots gene___________ 495 496

Siehe S. 174. Siehe S. 173.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

301

tischer Diskriminierung stellt, liegt darin, dass der Gedanke der individuellen Beeinflussbarkeit auch in Rechtsbereiche hineingetragen werden würde, denen dieser Aspekt bisher fremd war. In diesen Rechtsbereichen darf der Einzelne unabhängig von der individuellen Beeinflussbarkeit der zugrunde liegenden Differenzierungskriterien ungleich behandelt werden. Insbesondere können für ihn nachteilige Umstände, deren Eintreten er individuell beeinflussen konnte, (letztlich zu seinen Gunsten) ignoriert werden. Umgekehrt darf er auch aufgrund von bestimmten Umständen von Leistungen oder Möglichkeiten ausgeschlossen werden, auch wenn diese Umstände sich in ihrer Entstehung als individuell nicht beeinflussbar darstellen sollten. In diesen Bereichen wird – aus je nach dem Rechtsbereich unterschiedlichen Gründen – eine gerechte Behandlung eben nicht im Sinne einer Behandlung verstanden, die sich an dem Gedanken der Belohnungsgerechtigkeit orientiert.

aaa) Arbeitsrecht, insb. Beamtenrecht – Einstellungssituation Weitgehend belanglos ist der Gedanke der individuellen Beeinflussbarkeit beispielsweise in arbeits- bzw. beamtenrechtlichen Einstellungssituationen.497 Ein Arbeitgeber stellt einen Arbeitnehmer mit guten Leistungen ein, unabhängig davon, ob dieser sich die ihn auszeichnenden Kenntnisse oder Fähigkeiten hart erarbeitet hat oder ein Naturtalent ist. Ein Sporttalent wird auch dann eine sportliche Anerkennung finden und Karriere machen dürfen, wenn sich seine besonderen sportlichen Fähigkeiten als vollkommen angeboren herausstellen sollten. Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Eine Einschränkung derart, dass dabei nur selbst erarbeitete Leistungen und Eignungsaspekte Berücksichtigung finden sollen, ergibt sich nicht aus der Norm.

bbb) Versicherungsrecht – Prämienberechnung Auch bei der Prämienberechnung der Versicherung fließt der Gedanke der individuellen Beeinflussbarkeit grundsätzlich nicht ein. Versicherungsprämien werden aufgrund von Schadenswahrscheinlichkeiten berechnet, unabhängig davon, ob der risikobegründende Umstand individuell beeinflussbar ist (wie z.B. die Anstellung als Beamter) oder nicht (Frauen in der Kfz-Versicherungen). ___________ 497

So auch Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 390: „Gelingt es noch, fast alle Arbeitsplätze gleichermaßen für Männer wie Frauen einzurichten, kann dies etwa für Behinderte nicht mehr gelten. Insoweit spielt bei der Möglichkeit, einen Arbeitsplatz zu finden, das persönliche Schicksal seit je eine Rolle.“

302

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Dürften Versicherungen individuell nicht beeinflussbare Umstände nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers berücksichtigen, müssten sie die damit verbundenen Risiken zu einheitlichen Prämien für alle versichern. Abgestufte Risikoprämien wären dann nur noch für individuell beeinflussbare Umstände zulässig. Auf der Ebene der Prämienkalkulation dürfte der Maßstab der individuellen Beeinflussbarkeit aber mit den Regelungen des Versicherungsrechts kaum in Einklang zu bringen sein. Vielmehr macht die Risikokalkulation gerade das private Versicherungswesen aus.

ccc) Sozialleistungsberechtigung Auch die Berechtigung bei dem Empfang von Sozialleistungen hängt grundsätzlich nicht von der individuellen Beeinflussbarkeit der Bedürfnissituation ab: Leistungsberechtigt ist jeder, der bedürftig ist,498 also auch wenn er selbstverschuldet in die finanziellen Schwierigkeiten gekommen ist, die ihn nun hilfebedürftig machen. Insofern werden Leistungsempfänger, die unverschuldet in wirtschaftliche Notlagen gekommen sind, nicht privilegiert.

ddd) Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung Auch das Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung gilt unabhängig davon, ob die Behinderung auf ein Verschulden der betroffenen Person zurückzuführen ist oder nicht. Nach der Begriffsbestimmung des § 3 BGG499 sind Menschen behindert, wenn ihre körperlichen Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Inwieweit sich die betreffende Person die Behinderung schuldhaft zugezogen hat, ist für diese Einschätzung belanglos.500

___________ 498 Vgl. §§ 7 ff. SGB II und § 17 ff. SGB XII. Im Zuge des sog. "Hartz IVKonzeptes" wurde zum 1. Januar 2005 die bisherige Arbeitslosenhilfe und die bisherige Sozialhilfe nach dem BSHG zum Arbeitslosengeld II zusammengefasst, das nach SGB II geregelt ist. Das bisherige BSHG als Zwölftes Buch in das Sozialgesetzbuch integriert (SGB XII). Leistungen nach diesem Gesetz werden nur Menschen gewährt, die dauerhaft oder vorübergehend nicht erwerbsfähig sind und Menschen, die bereits älter sind als 65 Jahre. 499 Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) – Gesetz vom 27.04.2002 – BGBl. I, S. 1467 ff. 500 Relevant ist in diesem Zusammenhang vielmehr, dass die Folgen der Behinderung für den Einzelnen nicht mehr beeinflussbar sind. Insofern kann der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit bei der Begründung eines staatlichen Schutzauftrags von Bedeutung sein. Siehe dazu S. 294 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

303

eee) Transplantationsrecht Nach § 12 Abs. 3 Satz 1 TPG richtet sich die Vergabeentscheidung im Wesentlichen nach der Dringlichkeit und den Erfolgsaussichten einer Organtransplantation.501 Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob der gesundheitliche Zustand des Patienten von ihm selbst verschuldet ist oder auf individuell unbeeinflussbare Entwicklungen zurückzuführen ist. Richtigerweise wird dabei auch nicht zwischen genetisch bedingten und nicht genetisch bedingten Bewertungsgesichtspunkten unterschieden. Eine transplantationsrechtliche Entscheidung dürfte daher nicht allein deshalb als unzulässige Diskriminierung zu bewerten sein, weil sie auf eine genetische Erkrankung abstellt und dabei zu einer für den Patienten ungünstigen Vergabeentscheidung kommt.502

fff) Zusammenfassung In bestimmten Rechtsbereichen ist der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit mit den bereits bestehenden lebens- und sachbereichsbezogenen Gerechtigkeitsmaßstäben unvereinbar. Teilweise setzt sich dieser Gerechtigkeitsmaßstab in Widerspruch zu konkreten verfassungsrechtlichen Vorgaben (z.B. Art. 33 Abs. 2 GG). In anderen Bereich erscheint seine Einführung auch mit Blick auf das Willkürverbot unzulässig, da er mit grundlegenden, gesellschaftlich gewachsenen Gerechtigkeitsvorstellungen kaum in Einklang zu bringen ist. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Auslegungsansatz der individuellen Beeinflussbarkeit bleiben auch dann bestehen, wenn er in der jeweiligen Regelungsfassung logisch konsistent umgesetzt werden sollte.

cc) Lebens- und sachbereichsspezifische Verwendbarkeit des Gerechtigkeitsmaßstabs und problematische Vereinheitlichungswirkung Allerdings wird dem Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit damit nicht jegliche Bedeutung abgesprochen. Im Gegenteil: In bestimmten Lebens- und Sachbereichen kommt der Berücksichtigung des Gedankens der individuellen Beeinflussbarkeit eine grundlegende Bedeutung zu. In diesen Fällen, insbesondere im Strafrecht, dürften im Übrigen bereits nach jetziger Rechtslage – ___________ 501 Siehe auch § 10 Abs. 2 Nr. 2: „Die Transplantationszentren sind verpflichtet, [...] über die Aufnahme in die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung, [...]“ (Hervorhebung durch den Verfasser). 502 Anders wohl Neuer-Miebach, in: Arbeitsmaterialien Bioethik, S. 53 (64). – siehe dazu bereits S. 159.

304

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

ohne dass es eines speziellen Verbots genetischer Diskriminierung bedurfte – genetische Eigenschaften nicht berücksichtigt werden, sofern sich ihretwegen die rechtserhebliche Handlung als nicht individuell beeinflussbar darstellt.

aaa) Strafrecht – Vorsatz- und Schuldprinzip Mit dem strafrechtlichen Erfordernis von Vorsatz und Schuld wird geprüft, ob die Tat individuell beeinflussbar war. Sofern sich herausstellen sollte, dass bestimmte strafbare Handlungen vom Täter – etwa aufgrund einer Krankheit – nicht beeinflussbar sind, entfällt insofern auch der Vorsatz- bzw. Schuldvorwurf. Anzumerken ist insofern jedoch, dass es auch für das Strafrecht seltsam anmuten würde, wenn – unter Berufung auf den typisierenden Charakter der Gesetzgebung – sämtliche genetischen Veranlagungen in dieser Weise als individuell unbeeinflussbar erachtet werden, obwohl diese Annahme – wie nachgewiesen werden soll – nicht auf alle genetischen Veranlagungen zutrifft. Einige Versuche in diese Richtung muten skurril an: Die Wissenschaftler Randy Thornhill und Craig Palmer503sehen beispielsweise Vergewaltigung nicht mehr als kulturbedingt an, sondern als eine von der Evolution begünstigte Strategie. Damit wird zumindest suggeriert, dass natürliche – weil genetisch – vorgegebene Verhaltensweisen nicht beeinflussbar seien, beziehungsweise zumindest ihre Unterdrückung sich als etwas Unnatürliches darstelle. In dieser Form wird die Fehlvorstellung vom genetischen Determinismus dazu genutzt, derartige, gesellschaftlich nicht tragbare Verhaltensweisen als unvermeidbar und damit entschuldbar darzustellen.

bbb) Versicherungsrecht – Leistungsausschluss bei schuldhafter Herbeiführung des Versicherungsfalls Auch in bestimmten Bereichen des Versicherungsrechts findet sich der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit. Grundsätzlich kann der Versicherungsschutz für selbstverschuldete Schadensfälle ausgeschlossen werden (vgl. etwa §§ 61, 125, 131, 152, 170, 178l, 181 VVG). In der Regel wird Versicherungsschutz – zum Schutz vor Missbrauch – nur dann geboten werden, wenn der Schadensfall nicht selbstverschuldet ist.

___________ 503 Thornhill, Randy/Palmer, Craig, „A natural history of rape“, Cambridge. – Dazu Blech, Spiegel 16/2000, S. 254 (254).

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

305

ccc) Haftungsrecht – Grundsatz der verschuldensabhängigen Haftung des Schädigers Schließlich lassen sich auch die Verschuldensregelungen im Haftungsrecht dem Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit zuordnen: Ansprüche bestehen nur in Fällen, in denen das Verschulden des Anspruchsgegners nachgewiesen ist. Für individuell nicht beeinflussbare schadenverursachende Umstände hat der Anspruchsgegner dementsprechend nicht einzutreten.

ddd) Zusammenfassung Zwar findet der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit damit in einigen Lebens- und Sachbereichen bereits Berücksichtigung und wird durch ein Diskriminierungsverbot insofern nicht neu in diese Rechtsbereiche eingeführt. Allerdings kann die Einführung eines als Bewertungsverbot verstandenen Diskriminierungsverbots systematische Probleme aufwerfen. Denn in vielen dieser Bereiche hat der Verschuldensmaßstab spezielle Ausformungen angenommen, die an die Anforderungen des jeweiligen Lebens- und Sachbereichs angepasst sind. Sofern nun durch ein Diskriminierungsverbot der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit lebens- und sachbereichsübergreifend eingeführt werden sollte, stellt sich das Problem, dass eine solche Regelung die bereichsbezogenen Unterschiede nicht berücksichtigen würde. Dies würde die Behandlung von Rechtsproblemen vereinheitlichen, die aufgrund ihrer strukturellen Unterschiede nicht vergleichbar sind. Sachbeschädigung löst bei Fahrlässigkeit die zivilrechtliche Haftung aus (§ 823 Abs. 1 BGB), strafbar ist sie jedoch erst bei Vorsatz (§§ 303 Abs. 1, 15 StGB). Ginge man davon aus, dass genetisch bedingte Eigenschaften oder Verhaltensweisen grundsätzlich als nicht individuell beeinflussbar gelten, bedeutete dies, dass solche Verhaltensweisen – unabhängig davon, ob sie nach der bisherigen Rechtslage als beeinflussbar gelten oder nicht – in beiden Rechtsbereichen nicht sanktioniert werden dürften.

dd) Ergebnis Das Bestreben, ein genetisches Diskriminierungsverbot unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit gesetzlich umzusetzen, mag in dem Gefühl begründet sein, dass im Zuge der Nutzung genetischer Diagnostik der Bereich der individuellen Verantwortlichkeit in einer Weise ausgedehnt wird, die für den Einzelnen nicht mehr kontrollierbar erscheint. Die Frage, ob individuell nicht beeinflussbare Umstände bei der Lösung von rechtlichen Problemstellungen berücksichtigt werden dürfen, ist jedoch eine lebens- und sachbereichsbezogene Wertungsfrage. Lösungen im Wege der Einführung einer lebens- und sachbereichsübergreifenden Regelung

306

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

wie dem grundsätzlichen Verbot genetischer Diskriminierung zu suchen, ist rechtstechnisch unpraktikabel, da dies umfangreiche Ausnahmeregelungen für die Bereiche erforderlich machen würde, für die die Berücksichtigung individuell beeinflussbarer Umstände gerade Ausdruck des jeweiligen lebens- und sachbereichsbezogenen Gerechtigkeitsmaßstabs ist. Die Probleme, die mit dem Bedeutungszugewinn der genetischen Diagnostik verbunden sind, sollten daher allenfalls Anlass dazu geben, die sachbereichsbezogenen Regelungen gegebenenfalls an die neu entstandenen Anforderungen anzupassen.504

2. Eingriff und verfassungsrechtliche Rechtfertigung Wie festgestellt wurde, gibt es bestimmte Lebens- und Sachbereiche, für die der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit im Grundsatz passend ist. Es wird nun jedoch gezeigt, dass ein Verbot genetischer Diskriminierung selbst bei einer Beschränkung auf solche Lebens- und Sachbereiche aufgrund der fehlenden logisch konsistenten Umsetzung verfassungsrechtlich bedenklich ist. Im Folgenden soll daher in einem zweiten Schritt geprüft werden, inwieweit die verschiedenen Regelungsvarianten des genetischen Diskriminierungsverbots einen an der individuellen Beeinflussbarkeit ausgerichteten Gerechtigkeitsmaßstab logisch konsistent umsetzen, bzw. inwieweit Abweichungen in gleichheitsrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt sind.

a) Verwendung von methodenbezogenen Spezifikationen Die methodenspezifische Spezifikation stellt eine verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit dar. Ein wesentliches Problem methodenbezogener Spezifikationen besteht dabei in dem Umstand, dass nur die Ungleichbehandlung aufgrund von Untersuchungsergebnissen verboten wird, die über die gesetzlich benannten Methoden gewonnen wurden, was bedeutet, dass die gleichen Untersuchungsergebnisse verwendet werden dürfen, wenn sie auf eine andere Art gewonnen wurden. Legt man dem genetischen Diskriminierungsverbot den Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit zugrunde, führt dies zu absurden Ergebnissen: Die Ungleichbehandlung aufgrund einer bestimmten Erbanlage ist verboten, wenn sie mit Hilfe von genetischen Untersuchungen diagnostiziert wurde, da die Ergebnisse bestimmter genetischer Untersuchungen als typischerweise unbeeinflussbar gewertet werden. Die Ungleichbehandlung aufgrund derselben Erblage wäre jedoch erlaubt, wenn sie etwa im

___________ 504 Zu einer möglichen Form der Anpassung des Sorgfaltsmaßstabs bei Obliegenheitsverletzungen im Rahmen der Mitverschuldenshaftung: S. 441 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

307

Wege einer Familienanamnese ermittelt wird, die in den meisten Regelungsentwürfen nicht von dem Begriff der genetischen Untersuchung erfasst ist. Dies mag verdeutlichen, dass die Untersuchungsmethode kein zuverlässiger Indikator dafür ist, ob der Untersuchungsgegenstand individuell beeinflussbar ist.

Rechte und Interessen, die eine methodenbezogene Spezifikation bei der Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann sich der Gesetzgeber insofern nicht auf das gesetzgeberische Typisierungsprivileg berufen, da die Art und Weise der Feststellung von Eigenschaften nichts über die individuelle Beeinflussbarkeit von deren Manifestation aussagt. Vor diesem Hintergrund stellt sich eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlungen mit dem Hinweis auf Verwaltungsökonomie und Rechtssicherheit wohl kaum als überzeugend dar und dürfte damit den Rahmen der verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung verlassen.

b) Verwendung von informationsbezogenen Spezifikationen Entscheidende Bedeutung kommt somit den informationsbezogenen Spezifikationen zu. Im Mittelpunkt stehen dabei die Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung und der Informationsgrundlage. Nur kurz behandelt wird die Möglichkeit der Spezifikation hinsichtlich des Informationsgegenstands.

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung und der Informationsgrundlage Die genetische Informationsanknüpfung, also der Umstand, dass genetische Veranlagungen genetische Merkmale als statistische Bezugskriterien haben, dürfte wohl wesentlich zur Assoziation der Schicksalhaftigkeit beitragen („Für meine Gene kann ich nichts!“).505 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, lässt sich die These, dass nur genetisch bedingte Eigenschaftsindikatoren und Manifestationen individuell nicht beeinflussbar sind, aber nicht aufrechterhalten.506 Vielmehr lässt sich eine Reihe von Umständen vorstellen, die nicht genetisch bedingt sind und dennoch als individuell nicht beeinflussbar erscheinen. Und umgekehrt lässt sich auch eine Reihe von Umständen denken, die zwar genetisch bedingt sind, sich aber dennoch als individuell beeinflussbar darstellen.

___________ 505

Siehe oben, S. 291. Zur individuellen Beeinflussbarkeit anderer Diskriminierungsmerkmale: Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 26 f. 506

308

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Für die Beurteilung der individuellen Beeinflussbarkeit werden die Spezifikationen hinsichtlich der Informationsgrundlage und der Informationsanknüpfung kombiniert geprüft. Dieses Vorgehen bietet sich an, weil sich die individuelle Beeinflussbarkeit von Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung sehr viel genauer unter Berücksichtigung der Spezifikationen hinsichtlich der Informationsgrundlage beurteilen lässt. Dementsprechend werden folgende vier Diskriminierungskriterien einer näheren verfassungsrechtlichen Untersuchung unterzogen: – erblich bedingte Eigenschaften – genetisch bedingte Eigenschaften – Erbanlagen – genetische Veranlagung.

aaa) Verbot der Bewertung anhand von erblich bedingten Eigenschaften (unter Einschluss von Manifestationen) Zunächst soll geprüft werden, ob die Begrenzung des Diskriminierungsverbots auf erblich bedingte Eigenschaften den Gerechtigkeitsmaßstab, dass niemand aufgrund individuell nicht beeinflussbarer Umstände ungleich behandelt werden darf, logisch konsistent umsetzt. Von dieser Regelungsvariante werden auch erblich bedingte Manifestationen, wie z.B. bereits manifeste Erkrankungen, als erfasst betrachtet. Der Eingriff in die Individualgerechtigkeit besteht in zweierlei Hinsicht: Zum einen ist die Beschränkung auf das Kriterium der erblich bedingten Eigenschaften nicht hinreichend: Denn auch bei erblich bedingten manifesten Eigenschaften lassen sich Situationen denken, in denen zwar nicht die Erbanlage selbst, wohl aber ihre Manifestation zumindest in Teilen vom Einzelnen beeinflussbar ist. Im Psoriasis-Fall507 wurde der Geschädigten ein Mitverschulden am Schaden zugeschrieben, weil sie in Kenntnis ihrer Veranlagung zur Psoriasis ihren Hund gegen den Angriff des Hundes des Schädigers schützen wollte.

Die Entstehung der Mehrzahl erblich (mit-)bedingter, insbesondere multifaktoriell verursachter Eigenschaften hängt von Umweltfaktoren ab, wie insbesondere der individuellen Lebensweise. Allenfalls monogenetische Krankheiten lassen sich in ihrer Entstehung als (weitgehend) unbeeinflussbar betrachten. Dabei erscheint selbst die letzte Annahme als relativierbar: Unter der Voraussetzung, dass beispielsweise die monogenetisch verursachte Huntington___________ 507

Siehe unten, S. 447.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

309

Erkrankung durch ein bestimmtes Therapieverfahren heilbar wäre, würde eine individuelle Beeinflussbarkeit dann anzunehmen sein, wenn die betroffene Person etwa diese Therapie verweigern würde. Zum anderen stellt die Bezugnahme auf erblich bedingte Eigenschaften auch kein notwendiges Kriterium dar. So gibt es auch nicht-erbliche Krankheiten, die für den Einzelnen als unvermeidlich erscheinen. Zu denken ist hier beispielsweise an Viruserkrankungen von Menschen, die sich über Blutkonserven oder als Säugling über ihre Mütter – etwa an HIV – infiziert haben, an unverschuldete Verkehrsopfer oder Krebserkrankte, die trotz gesundheitlich vorbildlicher Lebensweise an einer nicht-genetisch bedingte Krebsart erkrankt sind. Damit stellt sich das Kriterium „erblich bedingte Eigenschaft“ weder als notwendige noch als hinreichende Voraussetzung bei der Beurteilung dar, ob eine bestimmte Eigenschaft individuell beeinflussbar ist.508 Der Gerechtigkeitsmaßstab, dass niemand aufgrund nicht beeinflussbarer Umstände ungleich behandelt werden darf, ist somit nicht logisch konsistent umgesetzt. Der Umstand, dass nur Menschen mit erblich bedingten Eigenschaften vor Ungleichbehandlungen geschützt werden, nicht jedoch Menschen mit Eigenschaften, die nicht erblich bedingt sind und dennoch individuell nicht beeinflussbar sind, bedarf einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung könnte zum einen in dem Argument gesucht werden, dass erbliche Eigenschaften – im Vergleich zu anderen Manifestationen – ein erhöhtes Diskriminierungspotenzial aufweisen509 und ein Diskriminierungsverbot zur Verhinderung der sich möglicherweise daraus entwickelnden gesellschaftlichen Spannungen erforderlich sei. Jedoch selbst wenn man eine solche Befürchtung für berechtigt halten sollte, erscheint ein Bewertungsverbot, welches in der Konsequenz des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit liegt, nicht als angemessene Rechtsfolge. Insofern erscheint ein Typisierungsverbot, welches die Gruppenbildung anhand von Erbmerkmalen verbietet, als das mildere Mittel:510 Es steuert der Gruppenbildung entgegen, ohne ganze Bereiche von Eigenschaften, welche für das gesellschaftliche Leben als wesentlich erscheinen, als Bewertungsgrundlage zu verbieten. Des Weiteren könnte sich der Gesetzgeber darauf berufen, dass Typisierungen das Wesen der Gesetzgebung ausmachen und zur Sicherstellung der Verwaltungsökonomie und Rechtssicherheit auch erforderlich sind. Angesichts des Umstandes, dass dem Kriterium der „erblich bedingten Eigenschaften“ jedoch nahezu überhaupt kein Typisierungscharakter hinsichtlich des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit zukommt, erscheint eine derartige Argumentation in ___________ 508

Siehe auch Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 27. Eingehender dazu S. 352 ff. 510 Eingehender dazu S. 324 ff. 509

310

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

gleichheitsrechtlicher Hinsicht kaum überzeugend. Durch die Verwendung des Kriteriums „erblich bedingte Eigenschaft“ dürfte der Gesetzgeber insofern die Grenzen der verfassungsrechtlich zulässigen Typisierung verlassen. Die Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit durch das Kriterium der erblich bedingten Eigenschaften ist somit nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen.

bbb) Verbot der Bewertung anhand von genetisch bedingten Eigenschaften (unter Einschluss von Manifestationen) Für die genetisch bedingten Eigenschaften gelten die für die erblich bedingten Eigenschaften gemachten Feststellungen in gleicher Weise. Hinzu kommt, dass sie im Vergleich zu erblich bedingten Eigenschaften einen noch geringeren Typisierungswert für individuell nicht beeinflussbare Umstände aufweisen. Gegen ihre Verwendung spricht zudem ein rechtliches Abgrenzungsproblem: Zwar wird mit der Spezifikation hinsichtlich genetisch bedingten Eigenschaften eine Eingrenzung angestrebt. In dieser Form hat das Diskriminierungsverbot jedoch nur scheinbar einen klar eingegrenzten Anwendungsbereich. Nahezu alle menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten lassen sich nämlich in irgendeiner Weise auch als genetisch mitbedingt betrachten. Die rechtliche Abgrenzung, welche Manifestationen noch als (überwiegend) genetisch bedingt zu werten sind und welche nicht, dürfte sich als schwierig darstellen.511 Angesichts dieser Unschärfe des Attributes „genetisch“ ist die begrenzende Wirkung erheblich in Frage gestellt und droht – unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit – faktisch zu einem allgemeinen Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund individuell nicht beeinflussbarer Umstände zu werden. Ein Kriterium, dessen Begriffsbestimmung derart unklar ist, wirft – gerade vor dem Hintergrund, dass mit ihm grundlegende Wertungsfragen entschieden werden sollen – das Problem der willkürlichen Differenzierung auf. Diese Abgrenzungsschwierigkeiten werfen schon für sich genommen erhebliche Zweifel der Justiziabilität und damit an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Diskriminierungskriteriums auf. Insbesondere der Hinweis auf die Sicherstellung von Rechtspraktikabilität kann dann wohl kaum durchgreifen.

___________ 511 Vgl. dazu auch die Unklarheiten bei der Auslegung genetischer Diskriminierungsverbote, S. 238 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

311

ccc) Verbot der Bewertung anhand von Erbanlagen Sofern für bestimmte Lebens- und Sachbereiche der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit Anwendung findet, stellt sich die Frage, ob ein Bewertungsverbot für Erbanlagen den Gerechtigkeitsmaßstab logisch konsistent umsetzt, bzw. – sofern dies nicht der Fall ist – ein Abweichen von diesem Gerechtigkeitsmaßstab verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Da alle erblich bedingten Eigenschaftsindikatoren dem Einfluss des Einzelnen entzogen sind, weil er sie schon zum Zeitpunkt der Geburt hat, lässt sich zumindest die These vertreten, dass alle Eigenschaftsindikatoren, die erblich bedingt sind, individuell nicht beeinflussbar sind. Selbst diese These ist allerdings nicht ganz unangreifbar: Im Zuge fortschreitender gendiagnostischer Möglichkeiten wäre zu befürchten, dass erblich bedingte Krankheiten durch PID oder Pränataldiagnostik als verhinderbar gelten. Ein Fahrlässigkeitsvorwurf in dieser Hinsicht ließe sich allerdings nur konstruieren, wenn man etwa eine Pflicht zur pränatalen Kontrolle installierte. Bisher ist dies glücklicherweise noch nicht er Fall, wird aber – insbesondere von Behindertenverbänden – befürchtet. Parallel zur Ansteckungsgefahr bei der HIV-Infektion würde dann gewissermaßen eine „Vererbungsgefahr“ bei den Eltern konstruiert werden, deren Nichtbeachtung dann wohl einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen soll. Insofern würden Eltern gewissermaßen für die Gene ihrer Kinder haften.512 Geht man von der These der individuellen Unbeeinflussbarkeit von Erbanlagen aus, ergibt sich der gleichheitsrechtliche Eingriff aber zum einen aus dem Umstand, dass nicht-erbliche Eigenschaftsindikatoren vom Anwendungsbereich des Bewertungsverbots ausgeschlossen sind. So sind nicht alle Eigenschaftsindikatoren, die nicht erblich bedingt sind, auch individuell beeinflussbar, sodass der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit durch die Beschränkung auf Erbmerkmale insofern nicht logisch konsistent umgesetzt wird. Beim Versuch der näheren Eingrenzung des Begriffs der individuellen Beeinflussbarkeit von Eigenschaftsindikatoren hilft dabei auch die Unterscheidung zwischen genetischen Veranlagungen und Umwelteinflüssen („Nature-nurture“Differenzierung) nicht weiter, da auch Umwelteinflüsse, wie insbesondere Erziehung und andere gesellschaftliche Lebensumstände, häufig nicht vom Individuum verantwortbar sind.513 Damit spitzt sich letztlich die Bewertung auf die (Glaubens-)Frage zu, inwieweit das Leben des Menschen eher vorgegeben, also determiniert ist, oder von ihm selbstbestimmt gestaltet werden kann.

___________ 512 513

Nachweise dazu bereits oben S. 150. So auch Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 26.

312

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Zwar wird zum Teil insbesondere mit Blick auf Infektionskrankheiten, die sich – wie HIV – über Geschlechtskontakt übertragen lassen, ein grundsätzlicher Unterschied darin gesehen, dass Infektionen im Wege der Ansteckung erworben werden und damit – anders als eine genetische Veranlagung – nicht als schicksalhaft und in gewisser Weise – wie es unterschwellig oder offen in der öffentlichen Diskussion vertreten wird – als selbstverschuldet gewertet werden. Jedoch gibt es unzweifelhaft auch Fälle von unbeeinflussbaren Infektionen, wie z.B. Infektionen über „unsaubere“ Bluttransfusionen oder Infektionen, die sich die betroffene Person bei der Geburt zugezogen hat. Schließlich mag es auch fraglich erscheinen, warum Personen mit Krebsfrühstadien (Präkanzerosen) oder Träger einer bestimmten Neumutation von dem Diskriminierungsschutz ausgenommen sein sollen, obwohl sich derartige Anlagen sicherlich auch häufig als nicht individuell beeinflussbar darstellen. Zum anderen erscheint es als rechtfertigungsbedürftig, warum nur die Diskriminierung aufgrund von Eigenschaftsindikatoren verboten sein soll, nicht aber die aufgrund von manifesten, individuell nicht beeinflussbaren Eigenschaften. Sofern sich das Diskriminierungsverbot auf ein Verbot der Diskriminierung aufgrund von Erbanlagen beschränkt, ist nur die Ungleichbehandlung aufgrund erblicher Krankheitsveranlagungen verboten, nicht aber die aufgrund von manifesten Krankheiten. Sieht man den Sinn und Zweck des Diskriminierungsverbots darin, dass niemand aufgrund individuell nicht beeinflussbarer Umstände diskriminiert werden darf, ist die unterschiedliche rechtliche Qualifizierung von Manifestationen und Eigenschaftsindikatoren nicht plausibel. Es könnte versucht werden, diesen Eingriff in die Individualgerechtigkeit verfassungsrechtlich damit zu rechtfertigen, dass Erbanlagen nicht nur individuell nicht beeinflussbar sind, sondern zudem auch mit einer besonderen Aussageungenauigkeit verbunden sind. Ein solcher Argumentationsansatz greift jedoch nicht durch: Rechtsfolge eines Diskriminierungsverbots, dem der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit zugrunde gelegt wird, ist das Bewertungsverbot. Ziel dieser Regelung ist es zu verhindern, dass jemand aufgrund von Eigenschaften ungleich behandelt wird, deren Vorliegen er nicht selbst beeinflussen kann.514 Selbst wenn eine solche Eigenschaft vollkommen zuverlässig ermittelt worden ist, sind Ungleichbehandlungen, die sich auf ihr Vorliegen gründen, verboten, weil Differenzierungen aufgrund von individuell nicht beeinflussbaren Eigenschaften nach diesem Gerechtigkeitsmaßstab eben gerade als ungerecht empfunden werden. Es kann insofern keine Rolle spielen, ob die Annahme der Eigenschaft auf Tatsachen oder Irrtümern beruht oder mit welchem Grad von Aussagegenauigkeit ihr Vorliegen festgestellt wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es eher als sachfremd, wenn nur individuell nicht beeinflussbare Umstände, deren Vorliegen nur ungenau ermittelt werden kann, einen ___________ 514

Siehe oben, S. 293 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

313

privilegierenden Diskriminierungsschutz auslösen. Die Gerechtigkeitsmaßstäbe der Aussagegenauigkeit und der individuellen Beeinflussbarkeit stellen sich damit als zwei Erwägungen dar, die sich nicht kombinieren lassen: Es macht keinen Sinn, Ungleichbehandlungen zu verbieten, wenn sie aufgrund von individuell nicht beeinflussbaren Eigenschaften vorgenommen werden, deren Vorliegen nur vermutet wird, sie aber zu erlauben, wenn ihr Vorliegen sicher erwiesen ist. Ein zweiter Rechtfertigungsgrund für ein Bewertungsverbot aufgrund von Erbanlagen könnte in dem Umstand gesehen werden, dass Erbanlagen nicht nur individuell nicht beeinflussbar sind, sondern auch eine besondere Fehleranfälligkeit im Umgang mit ihnen besteht. Jedoch auch dieser Ansatz vermag nicht zu überzeugen: Die Rechtsfolge des Bewertungsverbots auf Daten anzuwenden, die eine besondere Fehleranfälligkeit aufweisen, stellt sich als unangemessen dar. Es dürfte verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigen sein, dass bestimmte Umstände – weil sie häufig falsch bewertet werden – gar nicht mehr verwendet werden dürfen. Als milderes Mittel erscheint insofern eine Beweislastumkehr. Für den Rechtfertigungsansatz, durch ein Bewertungsverbot einer möglichen Stigmatisierungs- und Ghettoisierungswirkung entgegenzuwirken, gilt das oben515 im Hinblick auf erbliche bedingte Eigenschaften Ausgeführte entsprechend: Ein Bewertungsverbot ist zur Vermeidung einer etwaigen Stigmatisierungs- und Ghettoisierungswirkung nicht erforderlich. Ein Typisierungsverbot erscheint insofern als das mildere Mittel. Der einzige Gesichtspunkt, der ein Abweichen vom Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit rechtfertigen könnte, sind Praktikabilitätsund Rechtssicherheitserwägungen, weil das Diskriminierungskriterium „Erbanlagen“ zwar nicht notwendig, doch zumindest hinreichend zur Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit ist. Insofern hat es zumindest ansatzweise Typisierungscharakter. Letztlich können diese Interessen im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung jedoch nicht durchgreifen, da es weit mehr individuell nicht beeinflussbare Umstände gibt als den, eine Erbanlage zu haben. Angesichts des Umfangs, in dem vom Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit abgewichen wird, ist der damit verbundene Eingriff in die Individualgerechtigkeit nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

ddd) Verbot der Bewertung anhand von genetischen Veranlagungen Der Begriff der genetischen Veranlagungen umfasst auch Erbanlagen. Die Argumentation im Zusammenhang mit dem Merkmal der Erbanlagen ist hier weitestgehend übertragbar: Die Unterscheidung zwischen ererbten und geneti___________ 515

Siehe S. 309 ff.

314

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

schen Eigenschaften wird in der gesellschaftlichen Diskussion nicht klar vorgenommen, da das Diskriminierungspotenzial mit der bei der Ungleichbehandlung aufgrund von Erbanlagen vergleichbar ist. Die oben zu dem Kriterium der Erbanlagen gemachten Feststellungen gelten daher grundsätzlich entsprechend. Hinzu kommt, dass genetische Veranlagungen noch nicht einmal notwendige Kriterien bei der Beurteilung der individuellen Beeinflussbarkeit darstellen: So dürften sich zumindest einige genetische Veranlagungen als individuell beeinflussbar bezeichnen lassen. Denn erfasst werden damit auch solche, die sich der Einzelne möglicherweise im Laufe seines Lebens gewissermaßen „schuldhaft zugezogen“ hat. Zu denken wäre dabei beispielsweise an Fälle, in denen genetische Veranlagungen zu Hautkrebs infolge unverantwortlich langen Sonnenbadens entstanden sind. Auf Grundlage der oben angestellten Überlegungen kommt dem Kriterium der genetischen Veranlagung im Vergleich zur Verwendung des Kriteriums der Erbanlagen ein noch geringerer Typisierungscharakter zu. Da der Begriff der „genetischen Veranlagungen“ noch nicht einmal als hinreichendes Kriterium für die Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit betrachtet werden kann, sind Bewertungsverbote für genetische Veranlagungen erst recht nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

eee) Zwischenergebnis Wie gezeigt wurde, wird gerade mit Ungleichbehandlungen aufgrund genetischer Daten das Gefühl des Ausgeliefertseins verbunden. In diesem Zusammenhang findet sich dementsprechend häufig die Argumentation, dass es ungerecht sei, Menschen aufgrund ihrer genetisch bedingten Eigenschaften, auf deren Entstehen sie keinen Einfluss hätten, ungleich zu behandeln und damit gewissermaßen zu bestrafen. Impliziert wird damit, dass dies nur auf genetisch bedingte Eigenschaften zutreffe. Genau diese Annahme wurde jedoch soeben widerlegt, womit es nicht mehr gerechtfertigt erscheint, dem Attribut „genetisch“ oder „erblich“ im Hinblick auf die Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit einen Typisierungscharakter beizumessen.516

___________ 516

Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (208): „Consequently it is often argued, that it would be unfair to penalize people for developing genetic diseases that are beyond their control. This rationale seems to carry with it the invidious implication that we are responsible for our nongenetic diseases.“

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

315

bb) Spezifikationen hinsichtlich des Informationsgegenstands Eine weitere Möglichkeit der Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs der individuellen Beeinflussbarkeit könnte in der Spezifikation hinsichtlich des Informationsgegenstands gesucht werden. Zulässig sind solche Spezifikationen dann, wenn der jeweilige Informationsgegenstand nicht individuell beeinflussbar ist und auf ihn gegründete Diskriminierungen – etwa aufgrund der besonderen Bedeutung des Informationsgegenstands – in besonderem Maße gesellschaftlich unerwünscht sind. Eine besondere Bedeutung mag auf den ersten Blick genetischen Krankheiten zugewiesen werden. Allerdings trifft es nicht zu, dass diese – anders als solche, die nicht genetisch bedingt sind – in ihrer Entstehung grundsätzlich nicht beeinflussbar seien.517 Eine Rechtfertigung kann auch nicht darin gesehen werden, dass erblich oder genetisch bedingte Krankheiten als besonders schwerwiegend zu bewerten sind. Ein entsprechender Nachweis lässt sich zumindest weder den Regelungsentwürfen noch der Kommentierung in der Literatur entnehmen. Es lassen sich keine Besonderheiten erkennen, die einen Diskriminierungsschutz für Menschen mit genetischen Krankheiten rechtfertigen würden, der über den von Menschen mit vergleichbaren, aber nicht genetisch bedingten Krankheiten hinausgeht.518 Auch die Eingrenzung des Diskriminierungsverbots auf bestimmte, im Einzelnen benannte Krankheiten erscheint grundsätzlich in gleichheitsrechtlicher Hinsicht bedenklich. Zum einen dürfte es eine Reihe von Krankheiten geben, deren Entstehung als individuell nicht beeinflussbar gewertet wird, deren vollständige Nennung in der gesetzlichen Regelung aber nicht praktikabel sein dürfte. Zudem stellt die mit einem Bewertungsverbot verbundene Rechtsfolge eine besonders weit reichende Privilegierung dar, da die verbotenen Informationsgegenstände im Rahmen der Beurteilung der Person überhaupt keine Berücksichtigung finden dürfen. Nur wenn der Gesetzgeber seine Auswahl mit zusätzlichen besonderen Rechtfertigungsgesichtspunkten stützen kann, könnten Diskriminierungsverbote im Hinblick auf bestimmte Krankheiten in gleichheitsrechtlicher Hinsicht zulässig sein.

___________ 517

Zu genetisch bedingten Eigenschaften siehe S. 310 ff. Siehe dazu Hausheer, ZVersWiss 2001, 255 (268); Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 27. 518

316

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

c) Verwendung von situationsbezogenen Spezifikationen Die verfassungsrechtlichen Erwägungen sollen nun noch hinsichtlich situationsspezifischer Erwägungen ergänzt werden: bezüglich der Verwendungsweise und des Anwendungsbereichs.

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Verwendungsweise Unter dem Aspekt der individuellen Beeinflussbarkeit hat die Verwendungsweise der Daten keine Bedeutung: Die Nutzung der Untersuchungsergebnisse zur Kausalitätsbewertung, zur Diagnose- oder zur Prognoseerstellung sagt nichts über die Beeinflussbarkeit bei der Entstehung der Eigenschaft aus. Wird die Untersuchung vor der Manifestation vorgenommen, kann die Entwicklung der jeweiligen Eigenschaft noch beeinflussbar sein, muss es aber nicht. Wird sie nach der Manifestation vorgenommen, ist die Manifestation möglicherweise in ihrem Bestehen nicht mehr individuell beeinflussbar, war es jedoch möglicherweise in ihrer Entstehung.

bb) Spezifikationen hinsichtlich des Anwendungsbereichs Der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit stellt keinen allgemeinen Gerechtigkeitsgedanken dar, der sich in allen Lebens- und Sachbereichen systemkonform einfügen lässt. Es ist daher für jeden einzelnen Rechtsbereich zu prüfen, ob der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit mit dem lebens- und sachbereichsbezogen Gerechtigkeitsmaßstab vereinbar ist. Somit stellt sich die Prüfung der Spezifikationen hinsichtlich des Anwendungsbereichs nicht als Problem der Zweckumsetzung dar, sondern als Problem der Zwecksetzung. Eingrenzungen des Anwendungsbereichs sind insofern nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern verfassungsrechtlich geboten.519

3. Ergebnis Die vorangegangenen Überlegungen machen deutlich, dass sich der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit kaum in typisierender Betrachtung durch ein Diskriminierungsverbot umsetzen lässt. Vielmehr ist eine Einzelfallbetrachtung geboten: Es ist sinnvoller, jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die lebens- und sachbereichsbezogenen Kriterien zur Beurteilung der indivi___________ 519

Siehe dazu bereits S. 305 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

317

duellen Beeinflussbarkeit erfüllt sind. Eine pauschalisierende Betrachtung in der Weise, dass bestimmte Charakteristika – etwa genetische Eigenschaften – von vornherein in einer Vielzahl von Lebens- und Sachbereichen als individuell nicht beeinflussbar behandelt werden, ist in gleichheitsrechtlicher Hinsicht unzulässig.

III. Verbot genetischer Diskriminierung als Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund ungewisser Umstände (Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit) Ein weiterer Gesichtspunkt, der zur Rechtfertigung eines Verbots genetischer Diskriminierung angeführt wird, ist der Umstand, dass anhand von festgestellten genetischen Merkmalen nur ungenaue Aussagen über einen Menschen getroffen werden können. Diese Argumentation wird zum Anlass genommen, als dritten Gerechtigkeitsmaßstab den im Folgenden näher zu erläuternden Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit zu prüfen, wonach niemand aufgrund von Umständen, die nicht nachgewiesen (ungewiss) sind, ungleich behandelt werden darf.

1. Schutzbereich Der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit betrifft eine Problematik, die sich bei der Verwendung statistischer Daten auf den Einzelfall ergibt: Da mit statistischen Informationen – nach dem „Gesetz der großen Zahl“ – nur Eigenschaften und Verhaltensweisen von Gruppen beschrieben werden, können grundsätzlich keine Aussagen über den Einzelfall getroffen werden.520 Aussagen, die für die statistische Bezugsgruppe – mit einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrad – zutreffend sein mögen, können auf den Einzelfall angewendet zu falschen Ergebnissen führen.

a) Ermittlung des Zwecks Viele Regelungsentwürfe beschränken das Diskriminierungsverbot auf genetische Veranlagungen und damit auf Merkmale, die nur in einem statistischen Verhältnis zur entscheidungserheblichen Manifestation stehen.521 In den Begründungen zum Verbot genetischer Diskriminierung wird häufig auf die mit Informationen über genetische Veranlagungen verbundene Aussageungenauig___________ 520 Siehe bereits S. 73 f. Vgl. auch Bouchouaf, KJ 2006, 310 (311 ff.) zum Begriff der „statistischen Diskriminierung“ im Zusammenhang mit der Altersdiskriminierung. 521 Siehe S. 234 ff.

318

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

keit hingewiesen.522 Teilweise wird auch ausdrücklich darauf verwiesen, dass anhand genetischer Merkmale nur Korrelationen zu bestimmten manifesten Eigenschaften bezeichnet werden können, nicht jedoch Kausalitäten beschrieben werden.523 Schließlich wird vereinzelt darauf verwiesen, dass noch weitere Umstände hinzutreten müssen, damit sich das untersuchte Risiko verwirklicht.524 Insofern erscheint die Interpretation nahe liegend, dass damit insbesondere die Unsicherheit der verwendeten Daten ins Blickfeld genommen werden soll.525 Damit lässt sich ein impliziter Bezug zu dem Gerechtigkeitsmaßstab herstellen, wonach der Einzelne nicht aufgrund ungewisser Umstände ungleich behandelt werden darf. Die Befürchtung eines gesellschaftlich propagierten genetischen Determinismus lässt sich auch als Kernaussage des Films GATTACA verstehen.526 In ihm wird eine Gesellschaft dargestellt, in der die gesundheitliche Konstitution, besonderes körperliches Leistungsvermögen und Intelligenz allein als anhand von genetischen Veranlagungen festgelegt betrachtet wird. Für den Einzelnen, der möglicherweise – wie die Hauptfigur – aufgrund seiner besonders ausgeprägten Willenskraft (Slogan des Films: „There is no gene for the human spirit“) trotz seiner scheinbar ungünstigen genetischen Konstitution ein besonderes Leistungsvermögen entwickelt, gibt es eigentlich in dieser Gesellschaft keine Chance.

b) Erläuterung des Zwecks Der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit wird im Folgenden im Hinblick auf personenbezogene Daten konkretisiert: Er richtet sich gegen die Ungerechtigkeit, die in der Anwendung statistischer Daten auf Einzelpersonen begründet ist. Damit dient er der Vermeidung gruppenbezogener Ungleichbehandlungen. ___________ 522 So etwa: Hofmann, Genomanalyse, S. 8 (im Hinblick auf die Chromosomenanalyse); Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20: „Die gesellschaftliche Bedeutung genetischer Information liegt heute weniger in der Kontinuität eines genetischen Determinismus, sondern vor allem in der Konstruktion von Risiken.“; Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 54; Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 165 ff.; Simon, Gendiagnostik, S. 115: „Denn die entsprechenden Befunde können oft nur für ein Personenkollektiv statistisch-epidemiologisch relevante Voraussagen treffen.“; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 73. – Dazu gegenläufig wird genetischen Daten jedoch teilweise gerade eine besonders präziser Vorhersagewert beigemessen. Siehe dazu bereits S. 286. 523 Nelkin, in Kevles/Hood, Supercode, S. 195 (206); Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 166; Schöffski, Gendiagnostik, S. 114: „Oft gibt es auch nur eine statistische Aussage über die Empfänglichkeit gegenüber Erkrankungen.“; Lanzerath, Die politische Meinung Nov. 2001; Nr. 394, 19 (22) stellt demgegenüber – wie hier – den korrelationsstatistischen Charakter genetischer Untersuchungsergebnisse einzelfallbezogenen Aussagen gegenüber. 524 Siehe Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 85 ff. 525 Siehe auch Stockter, GID Nr. 167 (2004/2005), S. 38 (38 f.). 526 Niccol (Buch und Regie), „GATTACA“, USA 1997.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

319

aa) Vermeidung gruppenbezogener Ungleichbehandlung Als gruppenbezogene Ungleichbehandlung (Gruppendifferenzierung) soll im Folgenden die Ungleichbehandlung aufgrund von personenbezogenen statistischen Daten (Gruppenmerkmalen) verstanden werden.527 Wie alle statistischen Daten weisen auch Gruppenmerkmale Aussageungenauigkeiten auf: Von Anfang an haftet statistischen Aussagen die Ungenauigkeit an, dass sie nur Durchschnittswerte der statistischen Bezugsgruppe wiedergeben, nicht aber die besonderen Umstände des Einzelfall berücksichtigen können. Sie geben keine Auskunft über ein individualisiertes Risikopotenzial.528 Sie treffen nur Aussagen über die Gruppeneigenschaften, nicht über die eines einzelnen Menschen. Zwar lassen statistische Werte möglicherweise Rückschlüsse auf die Erkrankungswahrscheinlichkeit der Bezugsgruppe zu, jedoch erlaubt diese eben gerade keine Aussage über den Einzelfall.529 So können z.B. bei multifaktoriellen Krankheiten individuell protektive (d.h. das Risiko senkende) Merkmale vorliegen, die nicht testbar sind.530 Wer aus der statistischen Bezugsgruppe die gesuchte Eigenschaft aufweist oder aufweisen wird, hängt – jedenfalls auf Grundlage statistischer Erkenntnisse – vom Zufall ab.531 Der Einzelne wird dabei also nicht nach seinen persönlichen Eigenschaften beurteilt, sondern aufgrund der Eigenschaften behandelt, die typischerweise die Mitglieder der Gruppe aufweisen, der er zugeordnet wird. In der US-amerikanischen Rechtsprechung findet dieser Gedanke offensichtlich im Rahmen der Auslegung des Verbots der Rassen- und Frauendiskriminierung Anwendung – zumindest hinsichtlich bestimmter Regelungen zur Verhinderung von Diskriminierung. Beispielhaft dazu folgende Passagen aus Urteilen des Supreme Court of the United States:532 Zu den in § 703 (a) of title VII of the Civil Rights Act of 1964, 78 Stat. 255, as amended, 42 U.S. C. § 2000 e- 2 (a) enthaltenen Diskriminierungsverboten wurde ausgeführt: ___________ 527

Zur Bestimmung des Begriffs „Gruppeninformation“: S. 60. Eingehender dazu siehe unten, S. 330 ff., Nachweise insb. in Fn. 569 auf S. 330. 529 Nachweise in Fn. 162 auf S. 74. 530 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 39. 531 Rothman, American Journal of Epidemiology 1976, vol. 104, No. 6, 587 (589): „For an individual, risk for disease properly defined takes on only two values: zero and unity. The application of some intermediate value for risk to an individual is only a means of estimating the individual’s risk by the mean risk of many other presumably similar individuals. The actual risk for an individual is a matter of whether or not a sufficient cause has been or will be formed, whereas the mean risk for a group indicates the proportion of individuals for whom sufficient causes are formed.“ 532 Eine Übersicht zur US-amerikanischen Rechtsprechung bietet Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 285 ff. 528

320

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

„Congress in enacting Title VII intended to prohibit an employer from singling out an employee by race or sex for the purpose of imposing a greater burden or denying an equal benefit because of characteristics statistically identifiable with the group but empirically false in many individual cases.“533

Veranschaulicht wird dieser Gedanke in einem anderen Urteil: „If height is required for a job, a tall woman may not be refused employment merely because, on the average, women are too short. Even a true generalization about the class is an insufficient reason for disqualifying an individual to whom the generalization does not apply.“534

Anhaltspunkte für eine ähnliche Argumentation lassen sich auch BVerfGEntscheidungen entnehmen.535 Hervorgehoben wird in diesen Entscheidungen die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung. In seiner Entscheidung aus BVerfGE 92, 91 (110) – Feuerwehrabgabe – führte das Gericht aus: „Zwar mögen bestimmte mit dem Feuerwehrdienst verbundene gesundheitliche Gefährdungen bei Frauen aufgrund ihrer körperlichen Konstitution im Allgemeinen höher zu veranschlagen sein als bei Männern. [...] Diese geschlechtsbezogenen Besonderheiten fordern jedoch nicht den generellen Ausschluss der Frauen von der Dienstpflicht. Ihnen kann vielmehr durch eine auf die individuelle Konstitution abstellende Tauglichkeitsuntersuchung Rechnung getragen werden, [...].“536

Entsprechend auch die Argumentation in BVerfGE 52, 369 (378 f.) – Hausarbeitstag: „Dabei ist es unerheblich, ob es für die alleinstehende berufstätige Frau der typischen Gestaltung der sozialen Verhältnisse entspricht, dass sie im Gegensatz zum Mann den Haushalt selbstständig führt. Selbst wenn dies heute noch zutreffend sein sollte, rechtfertigt es nicht die Benachteiligung der Männer, die ihren eigenen Haushalt tatsächlich selbst führen. [...] Im Übrigen stellt das Bundesarbeitsgericht nicht darauf ab, ob die – alleinstehende – Frauen typischerweise ihren Haushalt selbst führen, sondern auf die im Einzelfall zutreffende Feststellung, ob die alleinstehende Frau ohne ausreichende Hilfe die anfallenden mit dem Haushalt üblicherweise verbundenen Arbeiten im Wesentlichen selbst verrichtet.“537

Sachs538 verweist bei der Erörterung der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts auf ein Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1920: ___________ 533

Justice O’Connor, Arizona Governing Comm. v. Norris, July 6, 1983, 463 U.S. 1073, 77 L.Ed.2d 1236 (1108). – Hervorhebungen vom Verfasser. 534 City of Los Angeles v. Manhard, April 25, 1978, 435 U.S. 702, 55, L.Ed.2d 657 (708 ff.); siehe auch Gostin, AJLM vol. XVII, ʋs 1 & 2 (1991), 109 (137). 535 Die Frage, ob – und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen – anhand der Merkmale des Art. 3 Abs. 3 GG Typisierungen erfolgen dürfen, wurde vom BVerfG überraschenderweise jedoch nicht beantwortet. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 37 ff., 40. 536 Hervorhebungen durch d. Verf. 537 Hervorhebungen d. Verf. 538 Sachs, Grenzen, S. 474 f.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

321

„Damit ist die Gleichstellung des weiblichen Geschlechts mit dem männlichen Geschlecht auf dem hier fraglichen Gebiet grundsätzlich anerkannt. Unter diesen Umständen kann auch für die Tätigkeit als Lichtbildvorführer eine Zurücksetzung nur deshalb, weil allgemein weibliche Personen bei Filmbränden nicht die nötige Ruhe, Geistesgegenwart und Besonnenheit zur Verhütung eines kopflosen Verhaltens der Zuschauer zeigen würden, nicht als zulässig erachtet werden. Wenn etwa einzelne weibliche Personen nach Charakter und Gesundheitszustand den im polizeilichen Interesse zu stellenden Anforderungen nicht genügen, so ist es Aufgabe des Prüfungsverfahrens oder der sonstigen Regelung des Gewerbebetriebs, hierfür Vorkehrungen zu treffen, und entsprechende Ergänzungen der Polizeiverordnung vom 6. Mai 1912 mögen am Platze sein; nicht aber kann deshalb das ganze weibliche Geschlecht, wie hier geschehen, hinsichtlich jener Charaktereigenschaften als Männern gegenüber minderwertig behandelt und von einer an sich erlaubten und auch für Frauen passenden gewerblichen Tätigkeit mehr oder minder ausgeschlossen werden.“539

Diskriminierungsverbote sollen demnach verhindern, dass eine einzelne Person als „Frau“, als „Schwarzer“ oder als „Behinderter“ behandelt wird, da die damit suggerierte gruppenhomogene Zuordnung von Eigenschaften nicht besteht. Bezogen auf die verbotenen Diskriminierungskriterien ist der Einzelne als Individuum, nämlich unabhängig von den damit hergestellten Gruppenzugehörigkeiten, zu behandeln.540 In diesem Sinne kann auch das gleichheitsrechtliche Postulat verstanden werden, wonach jeder „ohne Ansehen seiner Person“541 behandelt werden soll: Der Rechtsanwender soll blind gegenüber den gesellschaftlichen Wertungen, die ihm den Blick auf den einzelnen Menschen versperren, nicht jedoch blind gegenüber dem Individuum sein. Der Einzelne soll nicht aufgrund von Umständen bewertet werden, die in pauschalisierender Betrachtungsweise den gesellschaftlichen Status („Ansehen“) einer Person begründen und damit außerhalb seiner Person liegen, weil sie nicht den Menschen in seiner Individualität würdigen.542 Dieser Gedanke lässt sich insbesondere auch auf das Problem der genetischen Diskriminierung übertragen. Zwar wird die Ermittlung genetischer Veranlagungen häufig mit der Vorstellung verbunden, damit ein individuelles Risikoprofil erstellen zu können, jedoch erscheint auch im Zusammenhang der Gendiagnostik der Begriff „individuelles Risiko“ als fragwürdig:543 Denn tatsächlich beruht die Feststellung genetischer Veranlagungen auf statistischen Daten, indem sie ___________ 539

PrOVGE 75, 381 (391) – Hervorhebungen im Original. Siehe dazu auch unten, S. 412 ff. 541 Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 51 m.w.N. 542 Damit bedeutet die Formulierung „ohne Ansehen der Person“ nicht, dass etwa der Rechtsanwender blind sein soll, in dem Sinne, dass er den einzelnen Menschen nicht ansehen soll. Im Gegenteil, er muss ihn möglichst genau betrachten, um ihn in seiner Individualität erkennen zu können. Blind soll er jedoch gegenüber der (pauschalisierenden) gesellschaftlichen Statusbewertung sein. 543 Siehe dazu auch S. 330 ff, insb. Fn. 569. 540

322

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

einen zahlenmäßigen Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit der Gruppe von Trägern eines bestimmten Gens und bestimmten Eigenschaften herstellen.544 Wenn jemand eine genetische Veranlagung hat, mit 60%iger Wahrscheinlichkeit bis zum 50. Lebensjahr an Lungenkrebs zu erkranken, ist dies keine Aussage über seine tatsächlichen individuellen Eigenschaften, sondern nur eine (statistische) Gruppeninformation. In anderer Formulierung bedeutet sie: Aus der Gruppe der Menschen, die Träger dieser genetischen Veranlagung sind, erkranken 60 von 100 Personen bis zum 50. Lebensjahr an Lungenkrebs. Über individuelle Eigenschaften eines einzelnen Gruppenmitgliedes ist damit aber nichts gesagt: Es kann zu der Gruppe der Menschen gehören, die tatsächlich bis zum 50. Lebensjahr erkranken werden, aber auch zu der derjenigen, die Zeit ihres Lebens diesbezüglich nie gesundheitliche Beschwerden haben werden.545 Insbesondere lässt sich nicht sagen, dass alle Träger dieses Gens im Hinblick auf diese Krankheit gewissermaßen zu 60% zu der prognostizierten Erkrankung tendieren. Es handelt sich in der Regel eben nur um statistische Werte über den Ausbruch einer Krankheit, und nicht um im Einzelfall nachgewiesene Anfälligkeiten dazu. Die statistische Aussage besagt nicht etwa, dass bereits ein bestimmter Kausalverlauf in Gang gesetzt wurde, der zu 60% fortgeschritten oder gewissermaßen „teilmanifest“ ist.

bb) Begriffliche Eingrenzung auf die Aussagegenauigkeit des positiven Vorhersagewerts Der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit knüpft also an den Umstand an, dass statistische Daten keine Aussagen über Einzelfälle treffen können und insofern immer ungenau sind. Jedoch mag der Begriff der Aussagegenauigkeit in gewisser Hinsicht irreführend sein: Denn eine Aussage ist umso genauer, je deutlicher sich das Vorliegen der betreffenden Eigenschaft, aber auch je deutlicher sich ihr Nichtvorliegen abzeichnet. Dies bedeutet: Am ungenauesten ist eine Aussage mit einer Wahrscheinlichkeit von 50%, sie dürfte die größte Handlungsunsicherheit verursachen. Am genauesten sind Aussagen mit einer Wahrscheinlichkeit von 0 oder 100%. Der Begriff der Aussagegenauigkeit bedarf also einer Klarstellung: Die Aussagegenauigkeit bezieht sich im Rahmen der Arbeit nur auf den so genannten positiven Vorhersagewert. Dementsprechend ist eine Aussage umso genauer, je zuverlässiger das Vorliegen einer bestimmten Eigenschaft für den Einzelfall vermutet werden kann. Die Aussagegenauigkeit ist demnach bei 100%igen Manifestationswahrscheinlichkeiten am größten, weil es dann am wahrscheinlichsten ist, dass die Aussage zutreffend ist. Bei 0% ist sie dementsprechend am ungenausten, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie zutreffend ist, am geringsten ist.

___________ 544 545

Siehe dazu S. 68 ff. Siehe auch Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 389.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

323

Der negative Vorhersagewert soll dabei unberücksichtigt bleiben. Dies ist auch dadurch gerechtfertigt, dass Eigenschaftsindikatoren in dieser Hinsicht kaum Aussagen erlauben, da in der Regel nur die statistische Bedeutung eines bestimmten Faktors, nicht jedoch die Manifestationswahrscheinlichkeit für eine bestimmte Eigenschaft (aufgrund aller denkbaren Faktoren) insgesamt festgestellt werden kann. So kann zwar, wenn ein bestimmter Eigenschaftsindikator vorliegt, eine Aussage darüber getroffen werden, ob eine bestimmte Eigenschaft mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit vorliegt. Jedoch lässt die Feststellung, dass der Eigenschaftsindikator fehlt, nicht die Aussage zu, dass die untersuchte Person die betreffende Eigenschaft garantiert nicht bekommen wird, da der untersuchte Eigenschaftsindikator nicht der alleinige Indikator für diese Eigenschaft sein muss und es daher denkbar ist, dass die betreffende Person andere Eigenschaftsindikatoren aufweist, die ebenfalls auf genau diese Eigenschaft hindeuten. Einen negativen Vorhersagewert können nur Aussagen haben, bei denen alle denkbaren Eigenschaftsindikatoren berücksichtigt werden. Dieser Zuschnitt des Begriffs der Aussagegenauigkeit entspricht auch den Anforderungen des rechtlichen Kontextes, in dem er verwendet wird. Denn im Hinblick auf das Recht auf Achtung der Individualität hat der negative Vorhersagewert nur eine untergeordnete Bedeutung. Interessant ist vielmehr, mit welcher Wahrscheinlichkeit das statistische Bezugskriterium Aussagen über das Vorliegen einer bestimmten Eigenschaft erlaubt, wie hoch also der Typisierungswert des Kriteriums ist. Den besten Typisierungswert hat ein Kriterium bei einer 100%igen Manifestationswahrscheinlichkeit, den schlechtesten bei einer 0%igen. Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf die persönliche Selbstwahrnehmung des Einzelnen. Hier wird es häufig um die Frage gehen, wie belastend eine Aussage ist. Im Hinblick auf eine ungünstige Eigenschaften, z.B. eine Krankheit, dürfte eine Aussage umso belastender sein, je größer die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens ist. Die größte psychische Belastung bei Krankheiten dürfte demnach mit einer Wahrscheinlichkeit von 100% verbunden sein, die größte Entlastung bei einer Wahrscheinlichkeit von 0%. Auch im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung erscheint somit der positive Vorhersagewert ausschlaggebend zu sein.

cc) Abgrenzung vom Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit Typisierungsverbote weisen eine gewisse Nähe zum Verbot der Diskriminierung aufgrund falscher Annahmen auf:546 Denn nachgewiesen ist ja nur die Gruppenzugehörigkeit und die mit dieser Gruppe typischerweise verbundene Gruppeneigenschaft, nicht jedoch das tatsächliche Vorliegen der Gruppeneigen___________ 546

Dazu bereits S. 259 ff.

324

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

schaft beim einzelnen Gruppenmitglied. Selbst wenn die Aussage statistisch richtig ist, also die Gruppeneigenschaften zutreffend festgestellt wurden, können sie empirisch – im Einzelfall – falsch sein. Dennoch werden Ungleichbehandlungen aufgrund statistischer Daten (gegenwärtig)547 nicht als von vornherein „unsachlich“ empfunden. Da die zugrunde gelegten statistischen Werte wissenschaftlich nachweisbar sind, erscheint die darauf gegründete Ungleichbehandlung nicht als willkürlich. Ungerechtfertigt sind Ungleichbehandlungen unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagerichtigkeit nur dann, wenn die statistischen Werte wissenschaftlich widerlegt werden sollten.548

dd) Nähe zum Verständnis als Anknüpfungsverbot Die Auslegung als Typisierungsverbot entspricht in weiten Teilen der Interpretation als Anknüpfungsverbot549 – wie sie etwa von Teilen der Literatur für die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG genommen wird.550 Die Ungleichbehandlung aufgrund der Gruppenzugehörigkeit ist – im Unterschied zum Begründungsverbot – unabhängig davon verboten, ob die verbotenen Merkmale möglicherweise mit Eigenschaften verbunden sind, die ihrerseits eine Ungleich-

___________ 547 Dass das gesellschaftliche Gerechtigkeitsempfinden – nach der hier verfolgten Ansicht – insofern nicht als statisch aufzufassen ist, wurde bereits dargelegt. Vgl. dazu S. 173, Fn. 21. 548 A.A. van den Daele, Mensch nach Maß, S. 126: „Dabei ist der Hinweis auf die Unzulänglichkeit solcher Tests das am wenigsten ‚zukunftssichere‘ Argument. Entscheidend ist die Abwehr des Eindringens in die Persönlichkeit, sobald Tests verlässlich sind und zutreffende Einsichten vermitteln.“ Auch van den Daele sieht das Problem, dass auch richtige Testergebnisse Eingriffscharakter haben können. Allerdings begründet er diese Annahme mit dem „eindringenden“ Charakter der Untersuchung. Nach der hier vertretenen Auffassung soll der Eingriffscharakter jedoch mit der Feststellung begründet werden, dass statistische Aussagen aufgrund ihrer immanenten Aussageungenauigkeit keine Aussagen über den Einzelfall treffen können. 549 In diesem Sinne: Isensee, Verwaltung, S. 170: „typisierungsfeindlich“; Rüfner, Festschrift Friauf (1996), S. 331 (332); Sachs, in: HdbStR, Band V, § 126, Rdnr. 70; ders, Grenzen, S. 461 ff., insb. S. 479 m.w.N.: „Ob die Unvollkommenheit der Regelungen allgemeinen Grenzen der Typisierung entspricht oder nicht, ist deshalb nicht entscheidend, weil Art. 3 Abs. 2, 3 GG mit den Unterscheidungen gerade auch Typisierungen anhand der verbotenen Merkmale ausschließen soll.“; Wrase/Baer, NJW 2004, 1623 (1624) – zu versicherungsmathematischen Typisierungen anhand des Geschlechts. – Mit weiteren Nachweise zu dieser Auffassung (die er selber ablehnt): Huster, Rechte, S. 320, Fn. 23. 550 Umfassend zur Auslegung des Art. 3 Abs. 3 GG als Anknüpfungs- oder Begründungsverbot: Sachs, Grenzen, insb. S. 390 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

325

behandlung rechtfertigen könnten, sofern unmittelbar an diese Eigenschaften angeknüpft werden würde.551 Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff des Typisierungsverbots verwendet, weil er die Rechtsfolge besser umschreibt: Es geht nicht darum, dass in gesetzlichen Regelungen nur (formal) nicht an bestimmte Merkmale angeknüpft werden soll, sondern darum, dass bei bestimmten Merkmalen typisierungsbedingte Ungleichbehandlungen vermieden werden sollen. Zudem haben Anknüpfungsverbote eine weiterreichende Rechtsfolge als Typisierungsverbote in dem hier verstandenen Sinn: Sofern man Diskriminierungsverbote als Anknüpfungsverbote auffasst, reicht für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot die bloß formelle Anknüpfung an das verbotene Kriterium. Ein Anknüpfungsverbot verbietet die Verwendung des Diskriminierungskriteriums also auch dann, wenn alle Gruppenmitglieder die entscheidungserhebliche Eigenschaft aufweisen,552 während ein Typisierungsverbot nur Typisierungen anhand des Merkmals verbietet und damit einer Verwendung nicht entgegen stünde, wenn das Merkmal nicht 100-prozentig auf die entscheidungserheblichen Eigenschaften hinweist. Dies kann etwa bei differenzialdiagnostischen und diagnostischen Feststellungen der Fall sein, während bei prädiktiven Aussagen aufgrund der prognostischen Aussageungenauigkeit 100%ige Aussagen naturgemäß nicht möglich sind.

c) Zweckspezifische Rechtsfolge: Typisierungsverbot Unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagegenauigkeit ist es dementsprechend das Ziel der Einführung eines Diskriminierungsverbots, eine individuelle Beurteilung zu gewährleisten (strikte Individualbewertung). Der Einzelne soll also nur nach Eigenschaften beurteilt werden, die er tatsächlich hat, und nicht nach Eigenschaften, die typischerweise die Gruppe hat, der er angehört. Er muss in dieser Hinsicht nach seinen individuellen Eigenschaften und darf nicht nach den Gruppeneigenschaften behandelt werden, auch wenn diese sich als statistisch erwiesen darstellen sollten. In der Konsequenz wäre also ein so verstandenes Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Rechtsfolge als Typisierungsverbot auszulegen.553 Diskriminierungsverbote legen demnach ___________ 551

Siehe dazu bereits S. 260 f. Anders Sachs, Grenzen, S. 455, welcher Diskriminierungsverbote als Anknüpfungsverbote deutet (S. 451), in diesen Fällen eine Verstoß gegen das Anknüpfungsverbot verneint. – Zur Individualisierung statistischer Aussagen siehe auch S. 61 f. 553 Im Ansatz ähnlich: Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 312: „Im Hinblick auf die Merkmale wie z.B. Geschlecht [...] wird der Einzelne gerade nicht aufgrund seiner individuellen Eigenschaften diskriminiert, sondern wegen seiner Zugehörigkeit zu der durch das Merkmal definierten Gruppe.“ – Auf diese Feststellung aufbauend deutet sie das 552

326

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Merkmale fest, anhand derer ausnahmsweise keine Typisierungen vorgenommen werden dürfen.554 Rechtliche Zielsetzung ist es, für die verbotenen Merkmale – gerade auch entgegen Praktikabilitäts- und Vereinfachungserwägungen – Einzelfallbeurteilungen zu gewährleisten. Insofern verlangen Typisierungsverbote hinsichtlich des verbotenen Merkmals die Umsetzung der gerechtigkeitsorientierten Idealnorm und stellen eine (bewusste) Abwendung von der Vereinfachungswirkung der Praxisnorm dar. Insbesondere auch Praktikabilitätserwägungen, wie finanzielle Mehraufwendungen aufgrund der Umsetzung des Typisierungsverbots, sind somit rechtlich nicht beachtlich.555

d) Überprüfung der Zwecksetzung Auch der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit kann keine Allgemeingültigkeit für sich beanspruchen. Im Unterschied zum Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund falscher Annahmen stellt das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund ungewisser Umstände – und das damit als Rechtsfolge verbundene Typisierungsverbot – keine Selbstverständlichkeit dar. Auch personenbezogene Typisierungen sind im Rahmen der Gesetzgebung grundsätzlich zulässig und notwendig.556 Im Folgenden wird geprüft, inwieweit ein Typisierungsverbot mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist.

___________ Diskriminierungsverbot allerdings im Sinne eines kollektiven Diskriminierungsschutzes, wonach die gesellschaftliche Gleichstellung der benachteiligten Gruppe als Ganzes und nicht die Herstellung der Individualgerechtigkeit für das einzelne Gruppenmitglied maßgeblich ist. – vgl. Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 349 ff.: „Dominierungsverbot“. Mit einem abgewandelten Ansatz auch: Baer, Würde, S. 221 ff. „Hierarchisierungsverbot“. Dazu auch Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 58 ff. – Die Ebene des kollektiven Diskriminierungsschutz soll jedoch im Rahmen dieser Arbeit ausgeblendet bleiben, da sich außer in Fällen der Geschlechts- oder Rassendiskriminierung hinsichtlich (sonstiger) genetischer Merkmale keine gesellschaftlich bestimmbare Gruppen gebildet haben, zwischen denen eine gruppenbezogene Gleichberechtigung durch kollektiven Diskriminierungsschutz gewährleistet werden könnte. – Zur Bedeutung des gruppenidentitätsstiftenden Charakters von genetischen Merkmalen siehe auch S. 357 f. 554 Zur grundsätzlichen Zulässigkeit der Nutzung von Typisierungen vgl. auch unten, S. 331 mit entsprechenden Nachweisen. – Vgl. auch bereits S. 200 ff. , und später S. 331 ff. 555 In abgeschwächter Form auch: BVerfGE 31, 1 (6): „Ein erhöhter Verwaltungsaufwand allein rechtfertigt nicht die verschiedene Behandlung von Mann und Frau“; Isensee, Verwaltung, S. 169; Sachs, Grenzen, S. 478. 556 Siehe S. 331 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

327

aa) Vereinbarkeit mit persönlichkeitsrechtlichen Vorgaben Art. 2 Abs. 1 GG schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Darin enthalten ist nicht nur eine Rechtsgewährleistung, sondern auch die Wertung, dass eine freie Persönlichkeitsentfaltung überhaupt möglich ist. Zwar mag der Mensch in seiner Entwicklung von vielen, von ihm nicht beeinflussbaren Umständen, abhängig sein, jedoch ist jedem Menschen die Fähigkeit zuzubilligen, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten. Aus verfassungsrechtlicher Sicht wäre es absurd, einerseits – auf der rechtlichen Ebene – Menschen ein Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung einzuräumen, andererseits aber – insbesondere angesichts genetischer Korrelationszusammenhänge – davon auszugehen, dass die Möglichkeit einer selbstbestimmten Persönlichkeitsentfaltung nicht besteht, weil die menschliche Entwicklung außerhalb des individuellen Einflussbereichs liegt und somit aus Perspektive des Einzelnen als vorbestimmt zu betrachten ist. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird beeinträchtigt, wenn der Einzelne lediglich als Mitglied einer Gruppe gesehen wird, welches in seiner Entwicklung ausschließlich den Gesetzmäßigkeiten der Gruppe folgt. Anders formuliert: Der Mensch würde als Objekt behandelt werden, wenn man unterstellte, er würde sich stets gemäß der ihm zugeordneten Gruppeneigenschaften verhalten. Sein Leben würde dann als völlig berechenbar und vorbestimmt betrachtet werden. Er würde nicht als eine einzigartige Persönlichkeit angenommen und bewertet werden, die auch scheinbar durch das Lebensumfeld vorgegebene Festlegungen überwinden kann und zu einem selbstbestimmten Leben fähig ist.557 Gerade indem die individuellen (manifesten) Fähigkeiten und Eigenschaften bei der Behandlung und Berücksichtigung eines Menschen berücksichtigt werden und somit den gleichheitsrechtlichen Anforderungen der Individualgerechtigkeit Rechnung getragen wird, wird der freiheitsrechtliche Anspruch auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit verwirklicht.558

___________ 557 Vgl. AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 32: „Zur Wahrung der Menschenwürde gehört weiter das Verbot, nach Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, sozialer oder geographischer Herkunft, Religionszugehörigkeit oder Staatsangehörigkeit in einer Weise zu differenzieren, die Angehörigen von Gruppen, die durch solche Merkmale sozial bestimmt sind, in einer Situation zu halten, die soziale und politische Integration erschwert (Verbot der Gruppendiskriminierung).“ Auch AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 53b. – Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 27a spricht dabei – bezogen auf genetische Diskriminierung – von selektiven Rollen- und Statuszuschreibungen, welche einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen. Ders., Grundrechtsinterpretation, S. 118 ff. 558 Für die Zusammengehörigkeit der Prinzipien der Freiheit und Gleichheit: Kriele, Staatslehre, S. 177 ff.; Maihofer, in: Benda/Maihofer/Vogel, HdbVerfR, S. 515. – Auch: Sachs, Festschrift Friauf (1996), S. 309 ff., der den gleichheitsrechtliche Abwehranspruch als Persönlichkeitsrecht betrachtet (S. 319); Sachs, DÖV 1984, S. 419 ff.

328

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Wie später noch eingehender gezeigt werden soll, gilt dies insbesondere bei der prädiktiven Verwendung statistischer Daten. Nur wenn die zukünftige Entwicklung des Einzelnen nicht als vorbestimmt betrachtet wird, kann er ein selbstbestimmtes Leben führen.559 Insofern erscheint die Gewährleistung dieser Freiheit als eine der ganz wesentlichen Voraussetzungen zur Gewährleistung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.

bb) Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Individualgerechtigkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG Als Typisierungsverbote verstandene Diskriminierungsverbote entsprechen im vollen Umfang dem Gedanken der Individualgerechtigkeit. Zwei in dieser Hinsicht irreführende Argumentationen, welche Konfliktpunkte mit dem Gedanken der Individualgerechtigkeit geltend machen, sollen im Folgenden widerlegt werden. So wird zur Rechtfertigung von Gruppendifferenzierungen zum einen angeführt, dass das Recht nicht Unterschiede übergehen könnte, die von der Natur vorgegeben sind. Zum Zweiten wird suggeriert, dass sich Risiken individualisieren lassen, was zur Folge hätte, dass sich das Problem der Gruppendiskriminierung in diesem Zusammenhang nicht stellte. Der hier formulierte Gerechtigkeitsmaßstab verbietet die Behandlung des Einzelnen aufgrund von Gruppeneigenschaften, auch wenn diese wissenschaftlich nachgewiesen sein sollten. Gegen eine solche rechtliche Regelung könnte eingewendet werden, dass rechtliche Unterscheidungen, die in der Konsequenz von natürlichen Unterschieden (etwa denen zwischen Mann und Frau) liegen, beibehalten werden müssen, weil eine Beseitigung dieser Unterschiede im Recht nicht zu einer Beseitigung der tatsächlichen Gegebenheiten führen könne (Einwand der naturgebenen Unterschiede).560 Sofern diese Argumentation die Ungleichbehandlungen aufgrund von gruppentypischen Eigenschaften rechtfertigen soll, vermag sie jedoch nicht zu überzeugen: Da sich Gruppendiskriminierun___________ 559

Vgl. S. 429. So die Argumentation hinsichtlich der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts: Maunz/Dürig/Herzog-Dürig, Art. 3 II, Rdnr. 12: „Rechtliche Unterschiede, die als Konsequenz aus letztlich unvergleichbaren natürlichen Eigenschaften zu sehen sind, müssen beibehalten werden, weil eine Beseitigung dieser Unterschiede im Recht nicht zu einer Änderung der tatsächlichen Gegebenheiten führen könnte.“; auch Huster, Rechte, S. 319: „Deshalb kann man auch nicht sagen, dass eine Differenzierung anhand des Geschlechts in irgendeiner Weise mit dem Diskriminierungsverbot kollidiert, wenn sie mit – im jeweiligen Zusammenhang unumstritten normative relevanten – biologischen Unterschieden begründet wird: Insofern besteht gar kein Recht auf schematische Gleichbehandlung, das aus anderen (welchen?) Gründen durchbrochen würde.“ – Mit umfangreichen Nachweisen in der Rechtsprechung des BVerfG: Sacksofsky, Gleichberechtigung, S. 80 ff., 126. 560

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

329

gen gerade dadurch auszeichnen, Eigenschaften pauschalisierend mit einem bestimmten Gruppenmerkmal zu verknüpfen, müssen ja im Einzelfall die faktischen Unterschiede gar nicht bestehen, die als typische Gruppeneigenschaften geltend gemacht werden. Durch das mit einem Typisierungsverbot verbundene Erfordernis, auf Typisierungen durch bestimmte personenbezogene Merkmale zu verzichten und eine individuelle Beurteilung vorzunehmen, soll gerade verhindert werden, Unterschiede zwischen Menschen zu sehen, wo – im Einzelfall – keine sind. Selbst wenn man davon ausginge, dass Frauen aufgrund ihrer körperlichen Konstitution grundsätzlich nicht für bestimmte Berufe geeignet seien,561 so würde man gerade faktische Unterschiede ignorieren, wenn man eine Frau allein aufgrund der nur typischerweise bei Frauen vorliegenden Eigenschaften von einem bestimmten Beruf ausschlösse und sie nicht aufgrund ihrer individuellen Konstitution bewertete.562

Ergänzend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber im Übrigen sogar offen steht, bestimmten im Einzelfall vorliegenden Eigenschaften die rechtliche Relevanz abzusprechen563 – etwa weil eine nach ihnen vorgenommene Unterscheidung nach Einschätzung des Gesetzgebers zu gesellschaftlich unerwünschten Folgen führt. Diese Möglichkeit wurde bereits oben unter dem Begriff des Bewertungsverbots erörtert.564 Durch rechtliche Diskriminierungsverbote können natürliche Unterschiede zwar nicht beseitigt, jedoch ihrer rechtlichen Bedeutung beraubt werden. Dies kann – wie im Fall des Verbots der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen – durch die Verpflichtung zum Ausgleich von faktischen Benachteiligungen geschehen. So ist es gerade Aufgabe von Gesetzen, das gesellschaftliche Leben zu regeln. Hier können sie auch eine gestalterische Tätigkeit entfalten. Insbesondere durch Diskriminierungsverbote soll – je nach der mit dem Diskriminierungsverbot verbundenen Rechtsfolge – die rechtliche Bedeutung gesellschaftlich nicht gewollter Differenzierungen vollständig beseitigt oder eingeschränkt werden. Die Beschränkung der rechtlichen Bedeutung könnte dann wiederum Rückwirkung im allgemeinen gesellschaftlichen Bewusstsein haben. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist der Gesetzgeber keineswegs darauf beschränkt, Gesetze immer nur entsprechend der bereits existierenden gesellschaftlichen Wahrnehmung auszugestalten. Ständeunterschiede dürften wohl in der sozialen Wirklichkeit auch noch eine Zeitlang nach der französischen Revolution fortbestanden habe, waren rechtlich aber zumindest auf dem Papier irrelevant. Die faktischen Abhängigkeitsverhältnisse der Bauern blieben bestehen, waren aber zumindest nicht mehr rechtlich festgeschrieben.

___________ 561

Siehe BVerfGE 92, 91 (110) – Feuerwehrabgabe: „Insoweit wird insbesondere darauf verwiesen, dass bei Feuerwehreinsätzen körperliche Belastungen auftreten [...], denen Frauen wegen ihres schwächeren Knochengerüstes sowie ihrer geringeren Muskelmasse und niedrigeren kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit im Allgemeinen weniger gewachsen seien.“ 562 So BVerfGE 92, 91 (110). Siehe dazu auch oben, S. 319 f. 563 Meyer, Mensch, S. 245. 564 Siehe S. 294 ff.

330

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Auch ließe sich die Auffassung vertreten, dass Rassendiskriminierung auch dann unzulässig wäre, wenn Rassenunterschiede zwischen Menschen naturwissenschaftlich nachgewiesen wären. Zur Veranschaulichung sei nochmals auf die wissenschaftlichen Bestrebungen verwiesen, menschliche „Rassen“ zu unterscheiden und spezifische Eigenschaften zuzuordnen. Selbst wenn solche wie in dem Buch „The Bell Curve“565 geäußerten Behauptungen zu abstammungsbedingten Intelligenzunterschieden in der wissenschaftlichen Diskussion Anerkennung finden sollten, dürfte es durchaus zweifelhaft erscheinen, ob vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 3 GG an diese Feststellung rechtliche Konsequenzen geknüpft werden dürften. Nach der hier vertretenen Auffassung kann das Verbot der Rassendiskriminierung auch als Typisierungsverbot verstanden werden, welches auch entgegen wissenschaftlicher Erkenntnisse Ungleichbehandlungen aufgrund der genannten Merkmale verbietet. Damit käme ihm nicht nur die Bedeutung zu, naturwissenschaftliche Selbstverständlichkeiten rechtlich verbindlich festzustellen, sondern auch entgegen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gesellschaftlich gewollte Wertungen vorzunehmen und festzuschreiben.566

Wenn nun gerade im Zusammenhang mit genetischen Daten auf die Möglichkeit der Individualisierung von Risiken verwiesen wird,567 wiederholt sich damit – gewissermaßen lediglich in einer neuen sprachlichen Verkleidung – das grundlegende Missverständnis über die Aussagekraft statistischer Daten. Denn wie bereits ausgeführt, erlaubt die Feststellung genetischer Eigenschaftsindikatoren aufgrund ihres statistischen Charakters grundsätzlich keine zuverlässigen Aussagen über individuelle Eigenschaften.568 Insofern ist der Sprachgebrauch irreführend, wenn von „individuellen Risiken“569 oder „Risikopersonen“570 gesprochen wird. Ausgelöst oder verstärkt werden dürfte dieser Eindruck durch den Umstand, dass die statistischen Aussagen innerkörperliche Bezugskriterien ___________ 565

Vgl. dazu S. 114. Zur Bedeutung von Diskriminierungsverboten bei der Schaffung neuer gesellschaftlicher Maßstäbe siehe bereits oben S. 203 ff. 567 Nachweise dazu siehe S. 277, Fn. 430. 568 Zu Nachweisen siehe bereits Fn. 162 (S. 74), vgl. auch S. 319. – Insofern erscheint der auch Begriff der „Individualisierung der Medizin“ erläuterungsbedürftig: Eine Individualisierung der Medizin kann nur annäherungsweise erreicht werden und nur dann, wenn eine Vielzahl von Untersuchungskriterien ermittelt werden, deren Ergebnisse in der Zusammenschau möglicherweise ein individualisierteres (im Sinne eines vollständigeren) Bild des Patienten schaffen. Allein die Ermittlung einer genetischen Veranlagung ermöglicht keine „individuelleren“ Aussagen als andere Untersuchungen. Den Begriff der „Individualisierung der Medizin“ verwendet z.B.: Bartram/Fonatsch, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 55 ff., 70. 569 Zur Fragwürdigkeit des Begriffs des „individuellen Risikos“: Lemke, GID Nr. 161 (2003/2004), S. 3 (4); Samerski, in: Steiner: Genpool, S. 268 (272): „In der Medizinstatistik sind Risiken statistische Eintrittswahrscheinlichkeiten; sie geben also Auskunft über die Häufigkeit von Ereignissen in statistischen Grundgesamtheiten [...] Das ‚persönliche‘ oder ‚individuelle Risiko‘, das dem aufklärten Patienten eingeredet wird, kann es daher per definitionem gar nicht geben.“ – Zum Risikobegriff allgemein: Paul, Tumorerkrankungen, S. 145 ff.; Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 76 ff. 570 Schöffski, Gendiagnostik, S. 107. Dazu auch Künzler, Macht der Technik, S. 64 ff. 566

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

331

haben. Bei solchen Merkmalen, wie Genen, Viren oder Blutwerten, scheint in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Charakter als statistisches Datum zurückzutreten und ersetzt zu werden durch die Wahrnehmung als „individuelles Risiko“. Zwar haben endogene Eigenschaftsindikatoren deswegen keine bessere Aussagekraft, wohl aber eine bessere Überzeugungskraft.571 Allerdings kann die auf statistischen Daten beruhende Feststellung von genetischen Veranlagungen dazu genutzt werden, individuelle (rechtliche) Verantwortlichkeiten zu begründen.572 Im Zusammenhang mit der Gendiagnostik wird dabei auch von der „genetischen Verantwortung“ gesprochen.573 „Statt individuelle Verantwortung und Freiheit abzuschaffen, produziert die genetische Aufklärung durch die Mittel der Gendiagnostik eine präzise Vorstellung von ‚Mündigkeit‘, die an medizinische Informiertheit und an die Kenntnis des eigenen Codes gekoppelt ist.“574 Wenn in diesem Zusammenhang von der Individualisierung von Risiken gesprochen wird, kann darunter richtigerweise daher nur die wirtschaftlich-rechtliche, nicht jedoch eine biologische Risiko-Individualisierung verstanden werden.575

cc) Vereinbarkeit mit Abstraktionserfordernissen Ein weiterer Einwand gegen die Einführung eines Typisierungsverbots könnte in dem Umstand gesehen werden, dass kaum ein Lebensbereich ohne Abstraktionen auskommt.576 Auch dieser Einwand greift jedoch nicht durch, da Typisierungsverbote für bestimmte Merkmale grundsätzlichen Abstraktionserfordernissen nicht entgegenstehen.577 Um zu belegen, dass sich sowohl Typisierungen als auch Typisierungsverbote gut in das Rechtssystem einfügen lassen, soll das Verhältnis zwischen typisierenden Gesetzen und solchen, die den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragen, im Folgenden kurz dargestellt werden. ___________ 571

Eingehend dazu bereits oben, S. 278 ff. Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 217 f.; Lemke, GID Nr. 164 (2004), S. 39 (41); Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 127 ff.; Paul, Tumorerkrankungen, S. 244 ff.; Schneider, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 31; Uhlemann, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 8; Vancouver-Appell der deutschen Huntington Gesellschaft, zitiert nach Engel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 181 (191). 573 Dazu Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 163; Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20. – Zur damit verbundenen Pflicht zum genkonformen Verhalten vgl. S. 441 f. 574 Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20. 575 Feuerstein/Kollek, APuZ 2001, 26 (29); Klees, Der gläserne Mensch, S. 98 f.; Bayertz/Ach/Paslack, Genetische Diagnostik (1999), S. 16; Vultejus, ZRP 2002, 70 (71). 576 Zum Typisierungsbedürfnis der Wirtschaft: Bouchouaf, KJ 2006, 310 (311). 577 Dazu Sachs, Grenzen, S. 461 ff. 572

332

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Ungleichbehandlungen aufgrund von Typisierungen sind nicht grundsätzlich verboten.578 Im Gegenteil: Der Rückgriff auf Typisierungen stellt ein Wesensmerkmal der Gesetzgebung dar. Aus Gründen der Verwaltungsökonomie und der Rechtssicherheit müssen abstrakt-generelle Regelungen vom Gesetzgeber getroffen werden.579 Abstrakt-generelle Regelungen erfordern begriffsnotwendig Typisierungen. Ähnliches dürfte grundsätzlich auch für die ausführende Gewalt und die Rechtsprechung gelten: Es wäre unsinnig, dem Gesetzgeber die Verwendung von Typisierungen zu erlauben, in der Umsetzung der Gesetze jedoch stets – dann möglicherweise sogar abweichend vom gesetzlichen Wortlaut – eine Einzelfallbewertung zu verlangen. Im privatrechtlichen Bereich stellt sich die Verwendung von Typisierungen – mangels Grundrechtsgebundenheit – ohnehin als grundsätzlich zulässig dar. Als ein Beispiel für derartige rechtliche Differenzierungen in typisierende und einzelfallorientierte Betrachtungen lassen sich §§ 138 und 307 BGB betrachten: Während die Feststellung der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erfordert und für den Nachweis der Sittenwidrigkeit eine sittenwidrige Benachteiligung im Einzelfall verlangt,580 genügt nach der Generalklausel des § 307 BGB zur Begründung der gerichtlichen Unwirksamkeitserklärung einer formularmäßig verwendeten Vertragsklausel der Nachweis einer typischerweise benachteiligenden Wirkung der Vertragsvereinbarung.581 Das Strafrecht gebietet hingegen grundsätzlich eine Einzelfallbetrachtung. In der Regel begründet erst die Verletzung eines Rechtsguts (z.B. körperliche Integrität, Eigentum) die Strafbarkeit. Typisierungen können nur im Ausnahmefall eine Strafbarkeit begründen, z.B. bei abstrakten Gefährdungsdelikten. Bei solchen Delikten, wie etwa § 316 StGB, ist der gesetzgeberische Strafandrohungsgrund nicht die Verletzung eines Rechtsguts oder deren konkrete Gefährdung, sondern eine Handlung, die leicht – in generalisierender Betrachtungsweise – eine konkrete Gefährdung auslösen kann.582

Zur Veranschaulichung soll erneut die oben vorgenommene Unterscheidung zwischen Idealnorm und Praxisnorm aufgegriffen werden:583 Die Idealnorm verkörpert die primäre Wertentscheidung des Gesetzgebers. Sie orientiert sich allein an einer konsequenten und damit auch gerechten Umsetzung des Regelungszwecks. Dazu müssen insbesondere die Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden. Nur so kann ein hohes Maß an Einzelfallgerechtigkeit erreicht ___________ 578 Vgl. etwa BVerfGE 71, 146 (157); 80, 109 (118); 81, 228 (237). – Zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Typisierungen auch: Bleckmann, Struktur, S. 99 ff.; Huster, Rechte, S. 252; Kallina, Willkürverbot, S. 46 ff.; Kokott, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, S. 129 (141 ff.); Starck, in: Mangoldt/Klein, Art. 3 GG, Rdnr. 23. – Siehe auch S. 200 ff. 579 Zur Verwaltungspraktikabilität: Arndt, Praktikabilität; Pernice, Billigkeit. 580 Siehe Palandt-Heinrichs, § 138, Rdnr. 8. 581 Siehe Palandt-Heinrichs, § 307, Rdnr. 4. 582 Dazu etwa Tröndle/Fischer, vor § 13 StGB, Rdnr. 13a. 583 Zu Abgrenzungsproblemen zwischen internen und externen Zwecken: Huster, Rechte, S. 243. – Siehe auch oben, S. 207 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

333

werden. Die Umsetzung von solchen einzelfallorientierten Regelungen hat jedoch auch wesentliche Nachteile: Es ist davon auszugehen, dass von der Verwaltung bei der umfassenden Berücksichtigung aller Umstände jedes Einzelfalls eine effektive Umsetzung nicht mehr gewährleistet werden könnte. Zudem wären die aufgrund der Regelungen vorgenommenen Entscheidungen für den Bürger angesichts der Vielzahl der Abwägungsaspekte kaum vorhersehbar, was wiederum ein Defizit hinsichtlich der Rechtssicherheit zur Folge hätte. Die reine Umsetzung der Idealnorm würde zwar zu gerechten, aber unpraktikablen Lösungen führen.584 Wenn beispielsweise der Gesetzgeber infolge schwerer Verletzungen von Menschen durch Kampfhunde ein Gesetz zum Schutz vor derartigen Verletzungen erlassen will, käme als Idealnorm die Regelung in Betracht: „Die Haltung gefährlicher Tiere ist verboten.“ Bei der Umsetzung der Norm wäre danach im Einzelfall zu prüfen, ob das jeweilige Tier als gefährlich eingestuft werden muss. Es findet keine Typisierung statt. Gerecht erscheint eine solche Lösung, da nur die Haltung von tatsächlich gefährlichen Tieren verboten wird. Möglicherweise ist die Umsetzung einer solchen Regelung jedoch angesichts der umfassenden Einzelfallprüfungen mit erheblichem Verwaltungsaufwand verbunden. Als ein Beispiel für eine Idealnorm lässt sich § 1 Abs. 2 StVO begreifen. Diese Norm soll – gewissermaßen als primäre Wertentscheidung des Straßenverkehrsrechts – die Sicherheit des Straßenverkehrs gewährleisten. Bei der Verhängung von Bußgeldern nach §§ 24 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StVG i.V.m. 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO ist es dementsprechend grundsätzlich erforderlich, die Fahrtauglichkeit des jeweiligen Verkehrsteilnehmers im Einzelfall zu überprüfen.585

Die Praxisnorm lässt sich als Ausdruck der sekundären Wertentscheidung begreifen. Die Praxisnorm enthält Typisierungen. Sie hat zwar den Nachteil, im Einzelfall möglicherweise zu ungerechten Ergebnissen zu führen, da sie nicht alle Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt. Der Vorteil liegt jedoch in der größeren Verwaltungsökonomie und dem höheren Maß an Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns und damit an Rechtssicherheit für den Bürger. Die Praxisnorm bietet die Möglichkeit für praktikable Lösungen, wobei diese im Einzelfall möglicherweise ungerecht sind. Im erstgenannten Beispiel könnte in einer Praxisnorm insbesondere die Haltung von Kampfhunden verboten werden. Kampfhunde würden dann – ungeachtet der Eigenschaften des einzelnen Hundes – als gefährlich behandelt werden, eben auch wenn einzelne unter ihnen zahm und harmlos sein mögen. Die Umsetzung der Norm wäre damit in dieser Hinsicht bedeutend erleichtert: Denn der individuelle Nachweis der Gefährlichkeit von Hunden ist schwer zu führen. Es ist erforderlich, jeden einzelnen Hund in seinem Verhalten zu bewerten. Die Einordnung als Kampfhund ist hingegen relativ leicht zu treffen.586

___________ 584

Huster, Rechte, S. 253 f. Hess, in: Janiszewski/Burmann/Heß, § 1 StVO, Rdnr. 70 f. 586 Allerdings wurden derartige Verordnungen gerade aus dem Grund, dass sie nicht die individuellen Besonderheiten der Kampfhunde berücksichtigten, für rechtswidrig erklärt. – vgl. etwa OVG Schleswig, NVwZ 2001, 1300 (1304). 585

334

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Ein Beispiel für eine typisierende Betrachtungsweise im Straßenverkehrsrecht ist die rechtliche Behandlung im Zusammenhang mit der Überschreitung von bestimmten Alkohol-Promillegrenzen nach §§ 24a StVG, 315 Abs. 1 a), 316 StGB.587 Die Feststellung der Promillegrenze stellt dabei eine (differenzial-) diagnostische Untersuchung zur Bewertung der Fahrtauglichkeit dar. Zwar muss nicht jeder Verkehrsteilnehmer bei Überschreiten der jeweiligen Promillegrenze fahruntauglich sein, jedoch ist die Zugrundelegung der Promillegrenze verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da die Feststellung der individuellen Fahruntauglichkeit häufig nicht möglich oder zumindest sehr aufwändig ist und daher zum einen aus Gründen der Verwaltungsökonomie und der Rechtssicherheit geboten ist. Zum anderen ist sie zum Schutz von Rechtsgütern von erheblicher Bedeutung (insb. Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer) gerechtfertigt.

Zusammenfassend kann also gesagt werden: Typisierungen sind Verallgemeinerungen, Besonderheiten des Einzelfalls werden nicht umfassend berücksichtigt. Grundlage der Bildung von Typisierungen können statistische Aussagen sein, die einen Zusammenhang zwischen dem Kriterium der Idealnorm und dem Tatbestandsmerkmal der Praxisnorm herstellen. Das Auseinanderfallen der beiden Normarten beruht auf ihrer unterschiedlichen Zielsetzung: Während die Idealnorm geprägt ist vom Gedanken der Einzelfallgerechtigkeit, ist die Praxisnorm vom Gedanken der Praktikabilität bestimmt. Dementsprechend werden als Merkmale der Praxisnormen möglichst leicht nachweisbare Kriterien gewählt. Ein Bedürfnis zur Typisierung besteht grundsätzlich hinsichtlich Personen genauso wie hinsichtlich von Sachverhalten. Auch gruppenbezogene – also aufgrund von personenbezogenen Typisierungen vorgenommene – Ungleichbehandlungen, können in gleichheitsrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt sein.588 Die Zulässigkeit von gruppenbezogenen Typisierungen ist in der Regel im Rahmen von Einzelfallbetrachtungen zu beurteilen.589 Insofern gibt es keine Vermutungsregel, wonach Typisierungen grundsätzlich als zulässig oder unzulässig zu behandeln wären. Dementsprechend handelt es sich auch beim Verbot von gruppenbezogenen Ungleichbehandlungen nicht um einen allgemeinen Rechtsgedanken. Diskriminierungsverbote aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten gelten vielmehr nur dort, wo sie ausdrücklich geregelt sind. Wenn bei der Einstellung von Beamten etwa Zeugnisnoten bei der Beurteilung der Eignung berücksichtigt werden, so werden dabei Typisierungen vorgenommen, weil nicht jeder, der einen schlechten Ausbildungsabschluss hat, notwendigerweise auch ungeeignet für den Beamtendienst sein muss. Dennoch ist die Zugrundelegung von Zeug-

___________ 587 Ist der absolute Promillegrenzwert von 1,1 beim betreffenden Verkehrsteilnehmer festgestellt, ist der Gegenbeweis, dass er noch fahrtüchtig war, ausgeschlossen: Tröndle/Fischer, § 316 StGB, Rdnr. 13. 588 Zu den Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen des Rechts auf Achtung der Individualität siehe: S. 423 ff. 589 Eine Ausnahme stellt insofern das Recht auf freibestimmte Zukunft dar: Die Verwendung von personenbezogenen Prognosen ist grundsätzlich unzulässig. Vgl. dazu später S. 429 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

335

nisnoten aus Gründen der Rechtspraktikabilität und Rechtssicherheit nicht zu beanstanden.

Bestimmte Typisierungen sind jedoch gesellschaftlich oder politisch nicht gewollt. Sofern Typisierungsverbote einfachgesetzlich festgelegt werden, wird es dementsprechend in der Regel das Ziel sein, gesellschaftlich überkommenen, in der gesellschaftlichen Gegenwart aber nicht mehr gewollte Status- und Rollenbeschreibungen zu überwinden.590 In dieser Weise könnten insbesondere die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG ausgelegt werden, welche Diskriminierungen aufgrund persönlicher, vielleicht sogar Identität stiftender oder -prägender591 Eigenschaften von Menschen (wie z.B. Rasse, Geschlecht, Herkunft) verbieten.592

Verzichtet der Gesetzgeber – auch ohne durch verfassungsrechtliche Vorgaben dazu verpflichtet zu sein – in bestimmten Bereichen auf Typisierungen, führt dies im Hinblick auf die verbotenen Merkmale zu einer schwerpunktmäßig an der Individualgerechtigkeit orientierten Lösung. Verhängt er darüber hinaus ein einfachgesetzliches Verbot von Typisierungen, verpflichtet er auch den Privatrechtsverkehr in dieser Hinsicht zur Einzelfallbetrachtung. Eine Rechtfertigung für ein einfachgesetzliches Verbot der Rassendiskriminierung könnte etwa die innenpolitisch motivierte Befürchtung sein, dass bei der Verwendung bestimmter Unterscheidungskriterien gesellschaftliche Spannungen aufgrund von damit verbundenen Stigmatisierungs- und Ghettoisierungseffekten auftreten.

In rechtlicher Hinsicht lässt sich somit feststellen, dass sowohl Typisierungen als auch Typisierungsverbote grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar sind. Insbesondere gebietet das rechtliche Abstraktionserfordernis nicht den Verzicht auf Typisierungsverbote. Gesetzlich verbotene Ungleichbehandlungen aufgrund bestimmter Typisierungsmerkmale lassen sich in Abgrenzung zu erlaubten gruppenbezogenen Ungleichbehandlungen (Gruppendifferenzierungen) als Gruppendiskriminierungen bezeichnen. Der auf rechtlicher Ebene verankerte Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit steht im Übrigen auch nicht im Widerspruch zur empirischstatistischen Herangehensweise in bestimmten Bereichen der Wissenschaft, wie etwa bei Erforschung von Krankheitsursachen in der Medizin. Zum besseren Verständnis von Krankheitsabläufen und zur Entwicklung von geeigneten medi___________ 590 Dazu Sachs, Grenzen, S. 479: „Wie die behandelten Fälle aufzeigen, bedeuten Typisierungen nichts anderes als die Bestätigung und Verfestigung der einschlägigen Rollenzuweisungen an denen das Recht keinen Anteil mehr nehmen darf. Die Vernachlässigung des atypischen, abweichenden Einzelfalls im Bereich der Merkmale bedeutet nicht anderes, als die Betroffenen der Macht der kollektiven Vorurteile, denen sie sich vielleicht mit größter Mühe entzogen haben, von Rechts wegen wieder zu unterwerfen.“ 591 Huster, Rechte, S. 26. 592 Zu ähnlichen Ergebnissen führt die Auslegungsvariante als Anknüpfungsverbot. Zur Rechtfertigung der Verwendung des Begriffs des Typisierungsverbots siehe S. 324.

336

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

zinischen Gegenmaßnahmen erscheint die Herausarbeitung von korrelationsstatistischen Zusammenhängen sehr sinnvoll. Wichtig ist jedoch, sich der Grundlagen und der Zielsetzung dieser Forschungsarbeit bewusst zu sein: Die Forschungsergebnisse beruhen auf statistischen Daten. Sie mögen hilfreich sein, um möglichst vielen Menschen medizinisch zu helfen. Sie treffen aber keine Aussagen über den einzelnen Menschen. Der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit verpflichtet also dazu, diese Tatsachen zu beachten und demzufolge die Möglichkeit, dass der Einzelne sich anders als der statistisch bestimmte Durchschnitt entwickelt, bei der Beurteilung des Einzelnen in Rechnung zu stellen. Die Arznei, die bei einem Großteil der Bevölkerung wirkt, muss nicht auch beim Einzelnen zur Heilung führen. Umstände, die bei einem Großteil der Bevölkerung zur Erkrankung führen, müssen nicht beim Einzelnen die gleiche Wirkung haben.

dd) Ergebnis Damit erscheint eine Zwecksetzung, nach der Ungleichbehandlungen aufgrund ungewisser Umstände verboten werden sollen, nicht als willkürlich, sofern sie auf bestimmte Merkmale beschränkt ist, die z.B. eine besondere Aussageungenauigkeit aufweisen. Dahingegen dürfte ein allgemeines Typisierungsverbot vor dem Hintergrund eines Anstiegs der Rechtsunsicherheit verfassungsrechtlich als äußerst bedenklich zu bewerten sein.

2. Eingriff: Überprüfung der Zweckumsetzung Der gleichheitsrechtliche Eingriff, der mit der Einführung des genetischen Diskriminierungsverbots verbunden sein könnte, erschließt sich über die Frage, warum das Diskriminierungsverbot sich in seinem Anwendungsbereich nur auf bestimmte Spezifikationen – insbesondere genetische Merkmale – beschränkt und nicht alle Merkmale einbezieht, die nur ungenaue Daten über die Eigenschaften des Einzelnen liefern. Dabei gilt für alle Spezifikationen hinsichtlich des Verbots genetischer Diskriminierung: Alle setzen den Gerechtigkeitsmaßstab, wonach der Einzelne nicht aufgrund ungewisser Umstände ungleich behandelt werden darf, nicht logisch konsistent um. Zwar werden für die von ihnen erfassten Merkmale Typisierungen verboten, womit gewährleistet wird, dass zumindest diesbezüglich Einzelfallbewertungen vorgenommen werden müssen und nur tatsächlich vorliegende Umstände zur Grundlage der Ungleichbehandlung gemacht werden dürfen. Logisch inkonsistent wird der Gerechtigkeitsmaßstab jedoch deshalb umgesetzt,

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

337

weil nicht nur die erfassten Merkmale zu einer Ungleichbehandlung aufgrund ungewisser Umstände führen, sondern jede Typisierung dies zur Folge hat. Der gleichheitsrechtliche Verstoß liegt also darin, dass Träger bestimmter Merkmale von dem Schutz vor Typisierung ausgeschlossen sind, obwohl andere, nicht vom Typisierungsverbot erfasste Merkmale in ihrer rechtlichen Bedeutung vergleichbar sind. Nach der herkömmlichen Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG ist demnach der Verstoß darin zu sehen, dass wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Hingewiesen sei hier wiederum auf den bereits an anderer Stelle vorgenommenen exemplarischen Vergleich zwischen Personen mit genetischen Veranlagungen und infizierten Personen.593 Auch wenn beide Personengruppen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit erkranken sollten, werden nur Träger von genetischen Veranlagungen vor einer Ungleichbehandlung allein aufgrund dieser statistischen Daten geschützt, während Personen mit bestimmten Infektionen derartigen Ungleichbehandlungen ausgesetzt sind.

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die privilegierende Stellung der Merkmale, die vom Diskriminierungsverbot erfasst werden, ist demnach rechtfertigungsbedürftig. Dafür sollen die einzelnen Spezifikationen daraufhin untersucht werden, ob sie mit Besonderheiten verbunden sind, die eine solche privilegierende Stellung rechtfertigen.

a) Verwendung methodenbezogener Spezifikationen Zunächst wird wiederum geprüft, inwieweit sich methodenbezogene Spezifikationen in einem Typisierungsverbot verfassungsrechtlich rechtfertigen ließen. Wie bereits oben festgestellt,594 ist die Aussageungenauigkeit genetischer Daten nicht labortechnisch begründet, sondern liegt in dem statistischen Charakter der wissenschaftlichen Daten begründet. Insofern unterscheiden sich genetische Untersuchungsverfahren nicht von herkömmlichen Untersuchungsmethoden. Entscheidend ist die Tatsache, dass zwischen dem festgestellten Gen und der jeweiligen Manifestation nur korrelationsstatistische Zusammenhänge hergestellt werden können.595 Damit ist die Art der Datengewinnung in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen; maßgeblich abgestellt werden muss vielmehr auf den Inhalt der Daten. Auch stellt die Möglichkeit, prädiktive Aussagen treffen zu

___________ 593

Zum Vergleich von genetischen Veranlagungen und HIV-Infektionen: Fn. 186 (S. 77). Siehe S. 270 ff. 595 So auch Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 73 f. 594

338

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

können, keine Besonderheit dar, die von vornherein nur auf bestimmte genetische Testverfahren beschränkt wäre.596 Schon seit Längerem werden genetische Veranlagungen zu bestimmten Krankheiten – wenn auch weniger zuverlässig – über den Weg der Familienanamnese zu entdecken versucht. Unter Zugrundelegung des subjektiven Symptombegriffs597 stellen auch HIVAntikörpertests598 oder Krebsvorsorgeuntersuchungen599 präsymptomatische Untersuchungsverfahren dar. Denn die HIV-Antikörper lassen sich zu einem Zeitpunkt nachweisen, zu dem die Symptome der AIDS-Erkrankung vom Patienten noch nicht wahrgenommen werden können.600 Genauso können Präkanzerosen im Körper des Patienten festgestellt werden, bevor dieser Beeinträchtigungen seines körperlichen Wohlbefindens infolge der Krebserkrankung bemerken kann.

Auch hier gilt demzufolge: Entscheidend für die Beurteilung der Aussagegenauigkeit von Informationen ist nicht die Art ihrer Gewinnung, sondern ihr Aussageinhalt.601 Das Verfahren bei genetischen Untersuchungen kann einen besonderen Diskriminierungsschutz nicht rechtfertigen. Genetische Untersuchungen sind weder in labortechnischer Hinsicht besonders fehleranfällig,602 noch werden durch die Vornahme genetischer Untersuchungen besondere Rechte und Interessen betroffen,603 deren Verletzung im Vergleich zu anderen Untersuchungsmethoden als besonders schwerwiegend zu bewerten sind.604

___________ 596

Siehe etwa Hausheer, ZVersWiss 2001, 255 (268). Definition siehe S. 63 f. 598 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 60; Schöffski, Gendiagnostik, S. 106; Wellbrock, CR 1989, 204 (208). Weitere Nachweise siehe Fn. 186 (S. 77). 599 Vgl. Fn. 169 (S. 76). 600 In einer ersten Phase nach der Infektion kommt es als Antwort auf die Zerstörung der T-Helferzellen zu einer Proliferation des lymphatischen Systems, welche meist asymptomatisch verläuft. – Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „HIVErkrankung“. 601 Nachweise bereits unter Fn. 413 (S. 272). Zur Gegenmeinung: Fn. 412 (S. 272). 602 Siehe dazu S. 270 ff. 603 Dazu S. 271. 604 Siehe auch Hausheer, ZVersWiss 2001, 255 (268). Anders insofern die Bundesregierung in der Begründung zu § 22 Abs. 3 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752, S. 47: „Genetische Analysen mit sonstigen Verfahren sind nicht mit vergleichbaren Ungewissheiten hinsichtlich der möglichen Auswirkung für die Beschäftigten im Einzelfall und die Prävention insgesamt verbunden wie die DNS-Analysen.“ Worin die besonderen Ungewissheiten gegenüber anderen Untersuchungsverfahren bestehen, wird trotz eines erläuternden Hinweises nicht ganz deutlich. Siehe auch DGMR, EinbeckerEmpfehlungen, MedR 2002, 669 (669): „Mehr als andere Untersuchungsergebnisse erlauben genetische Informationen Aussagen über den gegenwärtigen und zukünftigen Gesundheitszustand auch von Familienangehörigen.“ 597

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

339

b) Verwendung informationsbezogener Spezifikationen Nun soll überprüft werden, inwieweit informationsbezogene Spezifikationen einen privilegierenden Diskriminierungsschutz rechtfertigen.

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsgrundlage Bei den verschiedene Regelungsvorschlägen eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung lassen sich hinsichtlich der Spezifikation der Informationsgrundlage zwei Varianten unterscheiden: Teilweise wird sowohl die Diskriminierung aufgrund genetischer Veranlagungen als auch aufgrund der Manifestationen genetischer Veranlagungen verboten, teilweise wird von den Diskriminierungsverboten nur die Ungleichbehandlung aufgrund von genetischen Veranlagungen als unzulässig erklärt.605 Im Folgenden wird der Spezifikationsaspekt der Informationsgrundlage untersucht, also Typisierungen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren einerseits und Typisierungen aufgrund von Manifestationen andererseits.

aaa) Verbot der Typisierung aufgrund von Eigenschaftsindikatoren In einigen Regelungsvarianten werden im Ergebnis lediglich Ungleichbehandlungen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren verboten. Anhand der Eigenschaftsindikatoren lassen sich jedoch keine Aussagen über manifeste Eigenschaften einer bestimmten Person treffen, da die entscheidungserhebliche Eigenschaft in dem Eigenschaftsindikator ja gerade nicht offenkundig geworden ist.606 Vielmehr hat das Vorliegen eines Eigenschaftsindikators lediglich Indizwirkung. Diese Indizwirkung wird anhand von statistischen Zusammenhängen hergestellt. Bei Aussagen über Eigenschaftsindikatoren handelt es sich somit nicht um Individualdaten, sondern um personenbezogene statistische Daten (Gruppeninformationen). (1) Statistische Aussageungenauigkeit Eigenschaftsindikatoren weisen eine statistische Aussageungenauigkeit auf. Sie liefern lediglich statistisch begründete Hinweise auf die Entwicklung be___________ 605

Im Einzelnen dazu S. 238 ff. Diesen Gesichtspunkt im Hinblick auf genetische Veranlagungen hervorhebend: Nelkin/Lindee, DNA-Mystique, S. 166; Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (476 f.) und im Anschluss daran: Schöffski, Gendiagnostik, S. 114; Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 127. Zum Ausdruck kommt dieser Aspekt auch in der Betonung der Problematik des „gesunden Kranken“, siehe dazu S. 155. 606

340

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

stimmter Eigenschaften, während Manifestationen schon begrifflich ihr Vorliegen im Einzelfall bezeichnen.607 Allerdings weisen personenbezogene statistische Daten nicht typischerweise eine größere Aussageungenauigkeit als sachbezogene statistische Informationen. Der Rechtfertigung dafür, dass Diskriminierungen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren gegenüber Ungleichbehandlungen aufgrund von sachbezogenen Typisierungen einen privilegierenden Schutz erhalten, ergibt sich aus dem Umstand, dass mit personenbezogenen Typisierungen eine (zusätzliche) persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung verbunden ist: (2) Persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung Denn der Gedanke, der dem Diskriminierungsverbot zugrunde liegt, lässt sich nicht nur gleichheitsrechtlich, sondern auch freiheitsrechtlich formulieren:608 Niemand darf als (gruppen-)determiniert behandelt werden. Es wird das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit erheblich beeinträchtig, wenn das Leben des Einzelnen als vorbestimmt behandelt wird und ihm die Fähigkeit zur Beeinflussung und Gestaltung seines Lebens abgesprochen werden würde.609 Sofern es sich also um personenbezogene Typisierungen handelt, tritt als weitere grundrechtliche Position das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit hinzu, welches den Rahmen zulässiger Typisierungen einengt.610 Denn anders als sachbezogene statistische Daten sind personenbezogene statistische Daten letztlich mit einer Bewertung der Person verbunden: Der Einzelne wird einer bestimmten rechtlichen Behandlung unterworfen, weil in typisierender Betrachtung davon ausgegangen wird, dass er dieselben Eigenschaften aufweist wie ein typisches Gruppenmitglied, auch wenn tatsächlich die Eigenschaften bei ihm selber gar nicht vorliegen. In gewisser Weise wird er durch statistische Daten lediglich als Mitglied einer Gruppe und nicht als Individuum behandelt, das unabhängig von der ihm zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit eigenständige Eigenschaften entwickeln kann. Dies stellt einen Eingriff in die Integrität des Einzelnen dar. Diese Erwägungen bieten den Hintergrund für die persönlichkeitsrechtliche Konkretisierung des Rechts auf Achtung der Individualität.611 Für den Bereich der prädiktiven Verwendung lässt sich in Anlehnung an diesen Gedanken aus ___________ 607 Zur rechtlichen Bewertung von Prognosen anhand von Manifestationen siehe S. 65 f. und S. 368. 608 Siehe bereits oben, S. 327. – Zur Unterscheidung von Ungleichbehandlungsverboten und Verwertungsverboten siehe oben, S. 251 ff. 609 Gostin, AJLM (1991) 109 (111). Siehe auch bereits oben, S. 327 ff. 610 Kritisch insofern Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 29 m.w.N., welche diesen persönlichkeitsrechtlichen Bezug offenbar nur als Ausdruck des „vom Normtext vorgegebenen personalen Schutzzwecks“ ansieht, der auch bei sachbezogenen Typisierungen zu berücksichtigen ist und dem sie insofern wohl kein besonderes Gewicht beimisst. 611 Dazu eingehender unten, S. 397 ff.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

341

Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs.1 GG – wie später ausführlich nachgewiesen werden soll – ein Recht auf freibestimmte Zukunft spezifizieren: Jeder hat ein Recht darauf, nach dem beurteilt zu werden, was er ist, und nicht nach dem, was er möglicherweise werden wird.612 (3) Wahrung wirtschaftspolitischer Interessen Auch wirtschaftspolitische Interessen können als Rechtfertigung für die Einführung eines Typisierungsverbots angeführt werden. Damit lässt sich verdeutlichen, dass die Sicherstellung individualrechtlicher Rechtspositionen eben nicht im Widerspruch zu wirtschaftlichen Interessen stehen muss, sondern sie im Gegenteil begünstigen.613 Durch die Entscheidung auf Grundlage von Gruppeninformationen werden mögliche „Leistungsträger“ von Teilbereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen. Das gesellschaftliche Entwicklungspotenzial würde gemindert (nicht gefördert!) werden, wenn aufgrund bloßer Wahrscheinlichkeiten möglicherweise hochqualifizierte Menschen, in denen sich das angenommene Risiko tatsächlich nicht verwirklicht, von dem beruflichen Leben ausgeschlossen werden.614 Vor diesem Hintergrund ließe sich – in der Diktion einer rein wirtschaftspolitischen Argumentation – die Einführung eines Typisierungsverbots auch gewissermaßen als rechtlicher Standortvorteil bezeichnen. Die Feststellung deckt sich auch mit der historischen Erfahrung: Ihre eigentliche Durchschlagskraft bekamen ideelle Werte, wie Freiheits- und Gleichheitsrechte, häufig erst dann, wenn die äußeren (insbesondere wirtschaftlichen) Umstände ein Festhalten an der bisherigen Gesellschaftsform unmöglich machten. So gesehen dürfte die Durchsetzung von Freiheits- und Gleichheitsrechten häufig nicht deswegen erfolgt sein, weil sie als ungerecht empfunden wurden, sondern vielmehr, weil ihre Einräumung zur Erreichung externer Zwecke dienlich erschien, etwa der Verbesserung der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Umstände. Als Beispiel dafür kann die Gewährleistung der Religionsfreiheit durch das Edikt von Potsdam vom 29.10.1685 betrachtet werden. Damit reagierte der Friedrich Wilhelm, der „Große Kurfürst“, auf die drei Wochen zuvor in Frankreich erfolgte Aufhebung des Ediktes von Nantes (1598), das bis dahin den Hugenotten die freie Ausübung ihres reformierten Bekenntnisses garantiert hatte. Die schnelle Reaktion auf die Entscheidung des französischen Königs wird dabei als Zeichen dafür gewertet, dass man am kurbrandenburgischen Hof nicht aus spontaner Entrüstung handelte, sondern die mit den Versprechen von Starthilfen und Vergünstigungen versehene Einladung schon vorbereitet

___________ 612

Dazu später: S. 429 ff. Diese Überlegungen sind zumindest mittelbar auch für die späteren verfassungsrechtlichen Überlegungen von Bedeutung: Zwar erscheinen die wirtschaftspolitischen Interessen – als nach Nützlichkeitsgesichtspunkten ausgerichtete Überlegungen – nicht ganz passend, um den unmittelbaren ideengeschichtlichen Hintergrund zur Einführung von grundrechtlichen Positionen zu bilden, sind aber wohl ein ganz wesentlicher Faktor bei ihrer Durchsetzung. 614 Gostin, AJLM vol. XVII, ʋs 1 & 2 (1991), 109 (112). 613

342

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

hatte. Der Große Kurfürst betrieb seit etwa 1650 eine planmäßige Einwanderungspolitik nach dem Grundsatz, dass eine Vermehrung der Bevölkerung dem Land eine Vermehrung des Reichtums bringe. In diesem Zusammenhang wird daher auch von Toleranz aus Notwendigkeit gesprochen:615 Toleranz wurde nicht geübt, weil man vom individuellen Recht auf freie Religionsausübung überzeugt war, sondern aus wirtschaftspolitischen Zwecken.

Wenn Risikofaktoren zunehmend eine Rolle für die gesellschaftliche Geltung eines Menschen spielen sollten, könnten viele Betroffene aus Angst vor Diskriminierungen eine geringere Bereitschaft zur Wahrnehmung von gesundheitlichen Vorsorgemaßnahmen entwickeln. Die gesellschaftlichen Bemühungen, die Gesundheitskosten durch eine Stärkung der Inanspruchnahme von Angeboten zur gesundheitlichen Vorsorge gering zu halten,616 werden untergraben: Wer durch Vorsorgeuntersuchungen Nachteile etwa für Arbeit und Versicherung befürchtet, nimmt – um sie zu vermeiden – möglicherweise lieber Nachteile für die Gesundheit in Kauf.617 Eine entsprechende Argumentation lässt sich in der verfassungsgerichtlichen Begründung für das Rechts auf informationelle Selbstbestimmung finden: Bestimmte grundrechtliche (Spezial-)Gewährleistungen sind für das Rechtssystem erforderlich, um ein Umfeld zu schaffen, in dem andere, vom Staat gewährleistete Rechte – auch zum Wohl des Gemeinwesens – wahrgenommen werden. In der Entscheidung zum Volkszählungsurteil stellt das BVerfG die Bedeutung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung für die grundrechtlich-demokratische Ordnung heraus: „Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm daraus Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen

___________ 615

Korff, Preußen, Band I, S. 224 ff. Die Argumentation, durch Vorsorge ließen sich die Kosten im Gesundheitswesen wesentlich senken, werden aber in Frage gestellt. Siehe dazu Holtzman, Caution, S. 211 f.: „In estimating the direct costs, little consideration is given to the likelihood that someone who is saved from an illness by genetic testing will develop some other illness or injury that also will entail costs. [...] Using years of life lost rather than dollar costs can give very different results. A disease that results in very early death – for example maple syrup urine disease – would be very costly in terms of years of life lost. Because death comes rapidly to an affected infant, however, the lifetime costs of medical care would be relatively small in the absence of early detection.“ 617 Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (113); Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 125 f. – Mit einer entsprechenden Argumentation für die Effektivität statistischer Untersuchungen BVerfGE 65, 1 (50): „Dürften personenbezogene Daten, die zu statistischen Zwecken erhoben wurden, gegen den Willen oder ohne Kenntnis des Betroffenen weitergeleitet werden, so würde das nicht nur das verfassungsrechtlich gesicherte Recht auf informationelle Selbstbestimmung unzulässig einschränken, sondern auch die [...] amtliche Statistik gefährden. [...] Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn bei den Auskunftspflichtigen das notwendige Vertrauen in die Abschottung seiner für statistische Zwecke erhobenen Daten geschaffen wird, ohne die seine Bereitschaft, wahrheitsgemäße Angaben zu machen, nicht herzustellen ist.“ 616

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

343

beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist.“618

Parallel zu dieser Argumentationslinie lässt sich eine indirekte Beeinträchtigung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz. 1 GG) konstruieren: Wer aufgrund von Vorsorgeuntersuchungen Nachteile für Arbeit und Versicherung befürchtet, wird auf sie verzichten. Dies würde nicht nur die Gesundheit des Einzelnen, sondern auch einen volkswirtschaftlichen Schaden zur Folge haben. Zudem dürfte die Auflösung traditioneller Solidargemeinschaften (wie z.B. im Arbeitsleben) zu einer erhöhten Belastung des Sozialstaats führen.619 Eine Gruppe von Erwerbsfähigen würde von vornherein vom Arbeitsleben ausgeschlossen und damit auf staatliche Hilfe angewiesen sein (z.B. Arbeitslosigkeit aufgrund „ungünstiger Gene“).620 Entsprechendes gilt für den Bereich des Versicherungsrechts, sofern die staatlichen Krankenkassen tatsächlich durch die vermehrte Aufnahme von „schlechten“ Risiken in ihrer Leistungskraft überfordert werden würden.621 Im bisherigen System lässt sich beispielsweise die Belegschaft eines Betriebes als Solidargemeinschaft begreifen: Durch die Verpflichtung zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und ähnlichen Verpflichtungen des Arbeitgebers gegenüber seinen Mitarbeitern werden Belastungen, die vom Einzelnen nur schwer zu tragen wären, dem Arbeitgeber zugewiesen und damit im Endeffekt auf die gesamte Belegschaft verteilt. Durch genetische Diskriminierung sollen Personen mit einem erhöhten Risiko für arbeitserhebliche Krankheiten und ungünstigen Eigenschaften von vornherein ausgeschlossen werden. An die Stelle der Solidargemeinschaft der Belegschaft muss nun die Solidargemeinschaft des Staates treten.

(4) Ergebnis Wie bereits mehrfach betont,622 stellt die Verwendung von Typisierungen keine Außergewöhnlichkeit dar, sondern ist notwendig, um Praktikabilität (im öffentlich-rechtlichen Bereich: Verwaltungsökonomie) und Rechtssicherheit im Rechtsverkehr gewährleisten zu können. Diese Verallgemeinerungsinteressen sind allerdings bei der Wahl der typisierenden Kriterien mit der Individualgerechtigkeit in ein angemessenes Verhältnis zu setzen. Sofern Personen typisiert ___________ 618

BVerfGE 65, 1 (43). Siehe auch bereits oben, S. 330 ff. 620 Relativiert wird diese Überlegung allerdings in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. 621 Wiese, Genetische Analysen, S. 81 m.w.N.: „Dass auch mit herkömmlichen ärztlichen Untersuchungen auszukommen ist, beweist die Existenz funktionierender Privatversicherungen. Ein Ausschluss genetisch belasteter Risikopersonen von der Privatversicherung wäre zudem gesamtgesellschaftlich unbefriedigend, da für diese dann der Staat und damit die Allgemeinheit der Steuerzahler aufkommen müsste und letztlich auch das System der Privatversicherungen diskreditiert würde.“ 622 Siehe etwa S. 331. 619

344

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

werden, indem ihnen ohne Prüfung des Einzelfalls Eigenschaften zugewiesen werden, die die Gruppe aufweist, der sie zugeordnet werden, führt dies zusätzlich zur Beeinträchtigung persönlichkeitsrechtlicher Gewährleistungen623 und ist mit besonderen Prüfungsanforderungen verbunden. Je größer die Ungenauigkeit der gewählten Typisierung ist, desto wesentlicher die damit verbundene Beeinträchtigung der betroffenen Rechte und Interessen, desto strenger der Prüfungsmaßstab im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dabei wird die persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigungswirkung verstärkt, wenn – etwa durch bestimmte medizinische Untersuchungen begünstigt – gesellschaftliche Ausgrenzungserscheinungen hinzutreten. So ist zu beobachten, dass die gesellschaftlich absorbierte Vorstellung von „Hochrisikogruppen“ – wie beispielsweise im Zusammenhang mit AIDS – häufig zum Anlass von Diskriminierungen wird.624 Das gemeinsame Charakteristikum derartiger Risikogruppenbildung ist der Umstand, dass die Vereinfachungen und Pauschalisierungen, die im medizinischen Bereich ihre Berechtigung haben mögen, im gesellschaftlichen Leben zu unangemessenen Diskriminierungseffekten führen können. Um Ausgrenzungseffekte in dieser Hinsicht einzudämmen erscheint es durchaus berechtigt, in bestimmten Fällen die Verwendung von personenbezogenen statistischen Daten zu verbieten, welche etwa aufgrund ihrer besonderen Pauschalisierungswirkung ein besonderes Diskriminierungspotenzial aufweisen. Ein absolutes – also ohne Ausnahmen geltendes – Verbot der personenbezogenen Typisierung dürfte allerdings unverhältnismäßig sein, da es zu undifferenziert die Praktikabilitätserfordernisse rechtlicher Regelungen unberücksichtigt lässt. Sofern Anhaltspunkte für besondere Diskriminierungspotenziale aufgrund von bestimmten Merkmalen nicht ersichtlich sind, ist ein Verbot personenbezogener Typisierung verfassungsrechtlich unzulässig.

bbb) Verbot der Typisierung aufgrund von Manifestationen Nach einigen Regelungsentwürfen dürften von dem genetischen Diskriminierungsverbot auch manifeste Eigenschaften erfasst sein. Entsprechend der oben vorgenommenen Begriffsbestimmung bezeichnet eine Manifestation das im Einzelfall nachweisbare Offenkundigwerden einer bestimmten Eigenschaft einer Person. Es handelt sich bei Aussagen über Manifestationen damit um personenbezogene Daten, die im Unterschied zu Aussagen über Eigenschaftsindikatoren nicht statistisch sind, sondern Individualinformationen darstellen. Damit weisen Aussagen über Manifestationen schon nicht den statistischen Charakter auf, der ein Typisierungsverbot erst rechtfertigt. Zudem sind Ungleichbehandlungen ___________ 623 624

Siehe S. 412. Schöffski, Gendiagnostik, S. 114.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

345

aufgrund von manifesten Eigenschaften, wie Intelligenz, Krankheit oder Sozialverhalten, in unserer Gesellschaft gang und gäbe.625 Ein Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund von Manifestationen erscheint auch vor diesem Hintergrund als kaum durchsetzbar.

ccc) Exkurs: Unerheblichkeit der Kausalität bei der Bestimmung der Aussagegenauigkeit Häufig wird in der Begründung eines besonderen rechtlichen Handlungsbedarfs darauf hingewiesen, dass genetische Veranlagungen nur Korrelationen, nicht jedoch Kausalitäten abbildeten.626 Diese Feststellung erscheint richtig, die dadurch möglicherweise suggerierte Behauptung, die Ungleichbehandlung aufgrund von genetischen Veranlagungen wäre legitim, wenn sie Kausalitäten beschrieben, ist jedoch unter Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagegenauigkeit in zweifacher Hinsicht fragwürdig:627 Zum einen beschreiben nicht nur genetische Veranlagungen Korrelationen, sondern auch andere Eigenschaftsindikatoren.628 Zum anderen erlauben Kausalfaktoren nicht typischerweise genauere Aussagen als Korrelationen.629 Zwischen der Aussagegenauigkeit und der Kausalität besteht auch kein begrifflicher Zusammenhang. So lassen sich nicht alle Eigenschaftsindikatoren, die eine besondere Aussagegenauigkeit aufweisen, als Kausalfaktoren begreifen.630 In dem oben genannten Beispiel631 mag der Tankanzeige zwar ein äußerst zuverlässiger Indikator für die Tankfüllung sein. Damit wird das Aufleuchten der Tankanzeige jedoch nicht zu einem Kausalfaktor für das Aussetzen des Motors, wenn der Tank leer ist.

Selbst wenn man also unrichtigerweise annähme, dass – wie in der Argumentation zur besonderen Aussageungenauigkeit von genetischen Eigenschaftsindikatoren suggeriert – nicht-genetische Eigenschaftsindikatoren üblicherweise Kausalfaktoren darstellten, ließe sich daraus nicht ableiten, dass diese damit auch genauere Aussagen erlaubten. Wenn nämlich bestimmte Kausalfaktoren mit einer geringeren als 100%igen Manifestationswahrscheinlichkeit in Verbindung gesetzt werden, ist darin bereits die Aussage enthalten, dass der Kausalfaktor die Manifestation nicht allein verursachen kann, sondern andere Umstän___________ 625

Siehe dazu auch schon S. 298 ff. Eingehender zu diesem Argument S. 318, Fn. 523. 627 Auf diese Missverständnisse hinweisend: Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (208 f.). 628 Zu den verschiedenen Arten von Eigenschaftsindikatoren S. 75 ff. 629 Rothman, American Journal of Epidemiology 1976, vol. 104, No. 6, 587 (587 ff.). 630 Zur Bestimmung des Kausalitätsbegriffs S. 56. 631 Siehe S. 280. 626

346

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

de, möglicherweise auch exogene, hinzutreten müssen, damit sich die jeweilige Eigenschaft manifestieren kann. Je nach Bedeutung und Häufigkeit der festgestellten und der noch fehlenden Teilursachen kann die Manifestationswahrscheinlichkeit auch sehr gering sein.632 Bei prädiktiven Aussagen kommen die prognostischen Aussageungenauigkeiten noch hinzu.633 Insgesamt kommt es bei der Bewertung der Aussagegenauigkeit von Typisierungen demnach nur auf statistische Eintrittswahrscheinlichkeit an, nicht auf die Feststellung der kausalen Zusammenhänge. So wird der Masernvirus zwar als kausal für die Masernerkrankung bezeichnet. Dennoch besteht keine 100% Erkrankungswahrscheinlichkeit, sobald eine Person mit dem Virus in Kontakt gerät. Zu den anderen entscheidenden Kausalfaktoren gehört beispielsweise die fehlende Immunität gegenüber dem Masernvirus.634 Entsprechendes gilt für die meisten anderen als Krankheitsursachen betitelten Umstände: Verschmutztes Wasser ist vielleicht eine Teilursache, nicht jedoch ein ausreichender Grund für die Erkrankung an Cholera. Genauso ist das Rauchen nicht alleiniger Grund für die Entwicklung von Lungenkrebs.635

Die Bedeutung der Feststellung von Kausalität besteht also nicht in seiner besonderen Validität der mit ihr verbundenen Aussagen, sondern in der mit ihr verbundenen Wertung. Unbestritten ist die Ermittlung von Kausalfaktoren für die medizinische Therapie unerlässlich: Nur wenn die Ursachen einer bestimmten Entwicklung bekannt sind, kann sie verhindert oder gefördert werden. Grundsätzlich dürfte es dementsprechend das ärztliche Ziel sein, die Entstehungsursache zu ermitteln. Im rechtlichen Zusammenhang wird der Begriff der Kausalität hingegen verwendet, um rechtliche Verantwortlichkeiten zuzuweisen. Insofern lässt sich Kausalität als ein besonderer Bewertungsmaßstab verstehen, der allerdings nicht allgemein, sondern nur in bestimmten Rechtsbereichen, also nur lebens- und sachbereichsbezogen relevant ist. Das besondere Erfordernis der Kausalitätsbewertung dürfte sich dabei in der Regel schon aus dem Wortlaut ergeben. Im Vordergrund dürfte dabei die Abgrenzung von Haftungsverantwortlichkeiten stehen. Sofern z.B. im Arbeitsrecht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegenüber nur für arbeitsbedingte Schäden haftet, wird damit rechtlich vorgegeben, dass die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ausgeübte Tätigkeit kausal für den Schadenseintritt gewesen sein muss, um einen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auszulösen.

___________ 632 Zur Fehlvorstellung, dass Anlagen internalisierte Eigenschaftsindikatoren darstellen und daher unveränderlich seien, siehe S. 278 ff. 633 Auf prognostische Aussageungenauigkeit wird später vertiefend einzugehen sein, siehe S. 364 ff. 634 Rothman, American Journal of Epidemiology 1976, vol. 104, No. 6, 587 (588). 635 Rothman, American Journal of Epidemiology 1976, vol. 104, No. 6, 587 (588).

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

347

In der Praxis tauchen hier allerdings Probleme auf, da sich häufig auch Kausalverläufe nicht mit absoluter Sicherheit klären lassen. Die Kausalitätsbewertung wird dann ihrerseits zur statistischen Einschätzung.636 Je nach Rechtsgebiet dürften wohl – je nach der Bedeutung der rechtlichen Wertung – verschieden hohe Maßstäbe an den Kausalitätsnachweis zu stellen sein. Hohe Anforderungen dürften beispielsweise für das Strafrecht gelten, da hiermit schwerwiegende rechtliche Verantwortlichkeiten festgestellt werden. Möglicherweise geringere Anforderungen dürften im zivilrechtlichen Haftungsrecht gelten.

Für die Erstellung von Diagnosen und Prognosen ist demgegenüber lediglich die Manifestationswahrscheinlichkeit der Eigenschaftsindikatoren maßgeblich, nicht jedoch ihre Einordnung als Kausalfaktor. Vor diesem Hintergrund ist der Abgrenzung der Begriffe der Kausalität und Korrelation als Attribut für über Eigenschaftsindikatoren hergestellte Zusammenhänge in der rechtlichen Betrachtung grundsätzlich keine Bedeutung beizumessen.637 Insbesondere auch bei Vorhersagen ist nur die statistische Aussagegenauigkeit entscheidend, und nicht, ob die die Prognose begründenden Umstände in einer korrelationsstatistischen oder kausalen Beziehung zum prognostizierten Ereignis stehen.638 Dies gilt auch im Fall von monokausal fortschreitenden Entwicklungen. Ein gegebenenfalls besonders hoher Aussagegenauigkeitsgrad von Kausalfaktoren findet dabei in der mit ihnen verbundenen höheren Manifestationswahrscheinlichkeit seinen Ausdruck. So macht es beispielsweise bei der rechtlichen Bewertung einer Prognose, wonach für eine bestimmte Person eine Erkrankung mit 60%iger Wahrscheinlichkeit vorhergesagt wird, keinen Unterschied, ob das Merkmal, welches Anlass zu dieser Prognose gibt, als Kausalfaktor begriffen wird oder nur als korrelationsstatistisches Bezugskriterium. Beide Male liegt die Erkrankungswahrscheinlichkeit unverändert bei 60%.

bb) Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung In diesem Abschnitt wird nachgewiesen werden, dass allein die Anknüpfung an genetische Merkmale, also der Umstand, dass genetische Merkmale zum statistischen Bezugskriterium von Informationen gemacht werden, nicht mit einer besonderen Aussageungenauigkeit in Verbindung gebracht werden kann. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Beschränkung eines Diskriminierungsschutzes auf genetische Merkmale könnte sich aber aus externen Zwecksetzungen ergeben: Insbesondere soll untersucht werden, inwieweit der Umstand, dass genetische Daten mit einem besonderen, gesellschaftshistorisch begründeten Diskriminierungspotenzial in Verbindung stehen, ein genetisches ___________ 636

Dazu eingehender S. 370 ff. So auch: Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 66. 638 Siehe dazu bereits Nachweise in Fn. 629 (S. 345). 637

348

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Diskriminierungsverbot rechtfertigen könnte. Folgende Regelungsvarianten sollen dabei untersucht werden: – Verbot der Diskriminierung aufgrund von Erbanlagen – Verbot der Diskriminierung aufgrund von genetischen Veranlagungen – Verbot der Diskriminierung aufgrund von Anlagen – Verbot der Diskriminierung aufgrund von erblich bedingten bzw. genetischen Eigenschaften (unter Einschluss von manifesten Eigenschaften).

aaa) Verbot der Typisierung aufgrund von Erbanlagen Zunächst soll geprüft werden, inwieweit ein besonderer Diskriminierungsschutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund von Erbanlagen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein könnte. In gleichheitsrechtlicher Hinsicht unzulässig ist ein solches Diskriminierungsverbot, wenn es sich im Ergebnis bei Personen, die aufgrund ihrer erblichen Veranlagung ungleich behandelt werden, und solchen, die aufgrund nicht-erblicher Eigenschaftsindikatoren ungleich behandelt werden, grundsätzlich um vergleichbare Personengruppen handelt. Umgekehrt ausgedrückt: Ein privilegierender Schutz vor Diskriminierung aufgrund von Erbanlagen ist in gleichheitsrechtlicher Hinsicht gerechtfertigt, wenn die auf Erbanlagen gegründete Ungleichbehandlung Charakteristika aufweist, die sie von anderen Formen der Diskriminierung unterscheidet. Zweifelsohne lassen sich Unterschiede zu anderen Eigenschaftsindikatoren ausmachen. Hier ist jedoch zu prüfen, ob diese Unterschiede tatsächlich einen sachlichen Grund für eine grundsätzliche Ungleichbehandlung liefern. Der Ansatz, der zur Annahme der Vergleichbarkeit beider Gruppen führt, soll an dem Beispiel der HIV-Infektion als einer nicht-genetischen Anlage veranschaulicht werden: Während eines Zeitraums von Monaten bis zu 10 Jahren bleibt die HIV-Infektion klinisch stumm (klinische Latenzphase), aber infektiös. Erst danach entwickelt sich das so genannte Vollbild von AIDS, welches gekennzeichnet ist durch „AIDS-definierende Erkrankungen“, d.h. opportunistische Infektionen, die atypisch schwer verlaufen.639 – Hier stellt sich die Frage, warum Menschen mit einer hinsichtlich der Krankheitsentwicklung insofern vergleichbaren genetischen Veranlagung vor Diskriminierung geschützt werden (z. B. solche mit der Veranlagung zur Huntington-Krankheit, deren Ausbruch innerhalb der nächsten 10 Jahre nach der Untersuchung vorhergesagt wird), Menschen mit einer HIV-Infektion mit einer entsprechenden Prognose jedoch nicht.640

___________ 639 640

Roche, Lexikon der Medizin, Stichwort „AIDS“. Nachweise dazu in Fn. 186 (S. 77).

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

349

(1) Keine erbanlagenspezifische Aussageungenauigkeit Wie es sich bereits aus der eingangs vorgenommenen Begriffsbildung ergibt,641 gründen sich nicht nur Erbanlagen, sondern auch alle anderen Eigenschaftsindikatoren auf statistischen Aussagen, sodass die damit verbundenen Aussageungenauigkeiten somit keine Besonderheit sind, die sich nur auf Erbmerkmale beschränkt: Informationen sind nicht deswegen besonders ungenau, weil sie an Erbmerkmale anknüpfen, sondern weil es sich um statistische Daten handelt.642 Eine Möglichkeit, die Beschränkung des Typisierungsverbots auf Erbanlagen zu rechtfertigen, könnte jedoch in dem Umstand erblickt werden, dass Aussagen über Erbanlagen typischerweise ungenauer als andere statistische Daten seien. Ein solcher Begründungsansatz liegt in der in der rechtswissenschaftlichen Diskussion geäußerten Ansicht, dass genetische Veranlagungen in der Regel nur Korrelationen beschreiben und daher besonders unsicher seien.643 Impliziert wird damit möglicherweise auch, dass herkömmliche medizinische Untersuchungen nicht auf Korrelationen, sondern auf Kausalitäten beruhen und daher typischerweise zuverlässiger sind. Der Einwand, dass sich Infektionen wie die HIV-Infektion – im Unterschied etwa zur genetischen Veranlagung zur Huntington-Krankheit – bereits als Beginn eines Erkrankungsprozesses darstellen, vermag nicht zu überzeugen: Auch der Defekt eines bestimmten Chromosoms kann mit der gleichen Argumentation als Beginn eines genetisch bedingten Erkrankungsprozesses betrachtet werden.644

Abgesehen davon, dass die Feststellung etwaiger Kausalfaktoren – wie bereits erörtert645 – keine genaueren Wahrscheinlichkeitsaussagen ermöglicht als die von Eigenschaftsindikatoren, erscheint die Annahme einer besonderen Aussageungenauigkeit genetischer Veranlagungen angesichts der großen Bandbreite genetischer Beeinflussung auch nicht stichhaltig. Auf der einen Seite gibt es Erbanlagen mit besonders hoher Manifestationswahrscheinlichkeit – wie etwa bei bestimmten monogenetischen Krankheiten – auf der anderen Seite gibt es aber auch solche mit geringer Manifestationswahrscheinlichkeit. Es lässt sich im Hinblick auf die Aussagegenauigkeit kein typischer Unterschied zwischen Erbanlagen und nicht-genetischen Eigenschaftsindikatoren ausmachen. ___________ 641

Zur Bestimmung des Begriffs des Eigenschaftsindikators siehe oben, S. 68 ff. Siehe insbesondere auch: Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (208 f.); Hausheer, ZVersWiss 2001, 255 (267); Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 39 f., 41 f. (insb. auch Fn. 26 f.), 66 ff., 508; Schreiber, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 24; Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 27 f.; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 73 f., 160. 643 Siehe dazu Fn. 626 (S. 345). 644 Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (126), allerdings wohl nur hinsichtlich deterministisch vorhergesagten Krankheiten. Anders scheint er demgegenüber multifaktorielle, probabilistische Erkrankungen zu beurteilen. – Gostin, AJLM, vol. XVII, ʋs 1& 2 (1991), 109 (127). 645 Siehe bereits S. 345 ff. 642

350

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Dementsprechend geht auch der Einwand fehl, dass virusbedingte Eigenschaftsindikatoren, etwa HIV-Infektionen, deswegen eine Sonderstellung einnehmen, weil die HIV-Infektion nach derzeitigem Stand der Wissenschaft mit einer nahezu 100%igen Wahrscheinlichkeit zur AIDS-Erkrankung führt. Denn eine solche Prognose lässt sich auch für viele genetisch bedingte Erkrankungen stellen, wie zum Beispiel für die Huntington-Krankheit. Zudem gibt es eine Vielzahl von Infektionen, die nur mit geringer Wahrscheinlichkeit zum Krankheitsausbruch führen.

Eng verbunden mit dem Aspekt der Aussageungenauigkeit ist der Hinweis darauf, dass Erbanlagen Aussagen über die zukünftige Entwicklung des Einzelnen ermöglichen.646 Jedoch ergibt sich diese Verwendungsmöglichkeit nicht lediglich bei Erbanlagen, sondern auch für eine Reihe von anderen nichtgenetischen Eigenschaftsindikatoren.647 Genauso wie die Feststellung genetischer Veranlagungen bietet auch die Feststellung der HIV-Infektion die Möglichkeit, Krankheiten vorherzusagen, lange (im Fall der HIVInfektion: bis zu 10 Jahre) bevor deren ersten Symptome aufgetreten sind. Die HIVInfektion kann so gesehen als virusbedingte Anlage begriffen werden, die sich für den Fall des Auftretens HIV-assoziierter oder AIDS-definierter Erkrankungen manifestiert. Ebenso wie genetische Untersuchungsmethoden stellt sich der HIV-Test insofern als eine Untersuchung dar, deren Ergebnisse prädiktiven Charakter haben können.648

(2) Unerheblichkeit des Aspekts der individuellen Beeinflussbarkeit Ein weiterer grundsätzlicher Unterschied wird darin gesehen, dass Erbanlagen in ihrer Entstehung individuell nicht vermeidbar seien.649 Sofern diese Annahme die Beschränkung des Typisierungsverbots auf Erbanlagen rechtfertigen soll, so müsste der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit in die Interpretation des Typisierungsverbots einbezogen werden. Danach wären Typisierungen nur dann verboten, wenn das Vorliegen der statistischen Bezugsmerkmale, anhand derer die jeweilige Typisierung vorgenommen wird, individuell nicht beeinflussbar ist. Eine solche Interpretation würde jedoch letztlich zu unsachgemäßen Ergebnissen führen. Sie erscheint schon im Ansatz als äußerst fragwürdig. Denn der Regelungszweck des Typisierungsverbots besteht darin, Ungleichbehandlungen aufgrund von Umständen entgegenzuwirken, die sich in der Person des Betroffenen gar nicht verwirklicht haben und vielleicht auch niemals verwirklichen werden. Es lässt sich wohl kaum erklären, warum ___________ 646

So etwa Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 72. Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (205, 207); Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (192); Bayertz/Ach/Paslack, Genetische Diagnostik (1999), S. 213; Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 51 f. der genetische Untersuchungen zwar als wesentliche, nicht jedoch als einzige Möglichkeit zur Erstellung von Prognosen bezeichnet; Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 28. – Andere Einschätzung aber wohl DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 12, und – zumindest für Gentests auf bestimmte Krankheiten: NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (802). 648 Zur Vergleichbarkeit mit genetischen Untersuchungen siehe Fn. 186 (S. 77). 649 Siehe dazu auch S. 311 ff. 647

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

351

eine Typisierung zulässig sein soll, wenn sie anhand von individuell beeinflussbaren Merkmalen vorgenommen wird, selbst wenn sie im Einzelfall die Eigenschaften der betreffenden Person unzutreffend beschreibt. Typisierungsverbote sollen verhindern, dass der Einzelne aufgrund von (im Einzelfall) falschen Annahmen behandelt wird – unabhängig davon, ob man anhand von beeinflussbaren oder nicht beeinflussbaren Indikatoren zur Fehleinschätzung der betreffenden Person gekommen ist. Selbst wenn sich jemand in diesem Sinne schuldhaft eine HIV-Infektion zugezogen hat, erscheint es nicht verständlich, warum er einem geringeren Diskriminierungsschutz unterstellt werden soll als jemand mit einem Huntington-Gen.

(3) Unerheblichkeit der erbanlagenspezifischen Fehleranfälligkeit Wie festgestellt, lässt sich im Umgang mit Aussagen aufgrund von Erbanlagen eine besondere Fehleranfälligkeit feststellen.650 Fälle von Ungleichbehandlungen dürften bei Zugrundelegung des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagegenauigkeit im Wege eines Erst-Recht-Schlusses vom Diskriminierungsverbot erfasst sein: Wenn schon ungewisse Daten (einem Typisierungsverbot) unterworfen werden, dann werden erst recht auch falsche Annahmen von Anwendungsbereichen dieses Diskriminierungsverbots erfasst. (4) Keine besondere persönlichkeitsrechtliche Beeinträchtigung Zudem ist die Bezugnahme auf Erbanlagen auch nicht mit einer spezifischen Beeinträchtigung persönlichkeitsrechtlicher Gewährleistungen verbunden. Dabei kommt es bei der Beurteilung der Personenbezogenheit auf den inhaltlichen, nicht jedoch auf einen gegenständlichen Personenbezug an.651 Insofern ist es belanglos, dass Erbanlagen – wie alle Anlagen – an innerkörperliche Merkmale anknüpfen. Aus dem Umstand, dass Erbmerkmale in Bezug genommen werden, kann nicht zwingend auf den höchstpersönlichen Charakter der damit in Verbindung gebrachten statistischen Information652 oder auf die besondere Eingriffsintensität im Falle ihrer Verwendung653 geschlossen werden. Der Begriff der „Erbinformation“ sagt eben zunächst einmal nur etwas über den statistischen Bezugspunkt der Daten, aber nicht über ihren Inhalt aus. Denn auch Augenfarbe, Haarfarbe und Geschlecht lassen sich über genetische Untersuchungen bestimmen und können für sich genommen sicherlich nicht der engeren Pri___________ 650

Zur Fehleranfälligkeit im Umgang mit endogenen Daten siehe S. 277 ff., zur Fehleranfälligkeit im Umgang mit genetischen Daten S. 286 ff. 651 Siehe S. 278 ff. 652 Dazu bereits S. 272. 653 So wohl Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 27a; ähnlich auch AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 53b a.E., wobei jedoch nicht erläutert wird, welche Behandlungen konkret – etwa im Arbeits- oder Versicherungsrecht – unter den Begriff der genetischen Diskriminierung zu fassen sind.

352

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

vatsphäre zugeordnet werden. Vielmehr decken genetische Daten ein ganzes Spektrum von Daten ab, die von persönlich „brisant“ bis zu persönlich eher weniger bedeutsam eingestuft werden mögen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht nachvollziehbar, alle genetischen Daten pauschal als dem intimsten Lebensbereich zugehörig einzuordnen und in ihrer Verwendung grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Menschenwürde zu sehen.654 (5) Durchsetzung innenpolitischer Interessen: Verhinderung einer genetischen Klassengesellschaft Die Einführung eines Diskriminierungsverbots könnte schließlich jedoch mit der innenpolitischen Zielsetzung der gesellschaftlichen Integration zu rechtfertigen versucht werden: Indem die Verwendung bestimmter, in der Gesellschaft als besonders bedeutsam eingestufter Diskriminierungsmerkmale verboten wird, kann ein Beitrag zur Sicherung der gesellschaftlichen Homogenität geleistet werden. Typisierungsverbote können insofern eine integrative Wirkung entfalten, indem sie gesellschaftlichen Spannungen und Stigmatisierungseffekten vorbeugen oder derartige Entwicklungen zumindest in ihrer Wirkung eingrenzen. Die umgekehrte Wirkung dürfte historisch nachgewiesen sein: Die rechtliche Diskriminierung von Juden im Dritten Reich hat teils bereits vorhandene Ressentiments verstärkt, teils solche erst geschaffen. Ähnliches dürfte wohl auch für die Diskriminierung von Schwarzen, z.B. während der Apartheid in Südafrika, gelten.

Im Unterschied zum klassischen Katalog von Diskriminierungsverboten – wie etwa in Art. 3 Abs. 3 GG – beruht ein Verbot der Diskriminierung aufgrund von Erbmerkmalen nicht unmittelbar auf historisch nachweisbaren Erfahrungen. Es könnte allerdings mit dem Bemühen begründet werden, befürchteten gesellschaftlichen Entwicklungen vorzubeugen. Die Diskriminierung aufgrund von Erbmerkmalen könnte – so wird teilweise befürchtet – im ungünstigsten Fall in eine an Erbmerkmalen orientierte Klassengesellschaft führen.655 Ansatzpunkte für solche Überlegungen könnten Szenarien liefern, wie sie in Film und Literatur entworfen werden. Bekannt geworden sind insbesondere der Roman „Brave New World“ von A.L. Huxley656 und der Film „GATTACA“ von Andrew Nic___________ 654

Zur Gegenauffassung siehe S. 477, Fn. 365 und 368. In diese Richtung gehend: Fisahn, ZRP 2001, 49 (53): „Die mögliche Produktion ungleicher ‚Menschentypen‘ betrifft nicht nur das Individuum, sondern stellt das Prinzip des gleichen Rechts und der gleichen politischen Teilhabe in Frage.“; Präve, VersR 1992, 279 (282): „genetische Klassengesellschaft“. Wohl auch Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (479): „new social class and category“. – Hinsichtlich der Zeugung von künstlichem Leben und der Gentherapie: Benda, APuZ 1985, 18 (22). Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 31 ff, 289 ff. 656 A.L. Huxley, Brave New World, (1932). – Aldous Leonhard Huxley (1894–1963) war Enkel von Thomas Henry Huxley (1825–1895), einem englischen Naturforscher, Mediziner, Biologen und Philosophen. Dieser war Anhänger der Entwicklungstheorie von Charles Darwin. A.L. Huxleys Bruder, Julian Huxley, war ebenfalls Biologe und 655

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

353

col657. Sofern solche Szenarien als wahrscheinlich erscheinen, könnte eine gesonderte Regelung für den Umgang mit Daten über Erbmerkmale gerechtfertigt erscheinen. Der entscheidende Maßstab bei der Einschätzung des Diskriminierungspotenzials ist dabei nicht (allein) die naturwissenschaftliche Bewertung der Nutzungsmöglichkeiten von Erbmerkmalen, sondern die Einschätzung ihrer Bedeutung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Grundsätzlich erscheint es dabei zulässig und unter bestimmten Umständen möglicherweise sogar geboten, auch irrationale Befürchtungen im Rahmen der Gesetzgebung zu berücksichtigen. Eine Grundlage für diese Überlegungen bietet das so genannte ThomasTheorem.658 Diesem in den 1930er Jahren entwickelten und nach dem amerikanischen Soziologen Thomas benannten659 Denkansatz liegt die Überlegung zugrunde, dass das, was der Mensch für sich als Wahrheit oder Wirklichkeit definiert, als Maßstab des Handels tatsächlich an Wirklichkeit gewinnt.660 Danach wird sozialen Vorurteilen eine starke Tendenz der meinungshaften Verselbstständigung und der Selbstbestätigung zugewiesen, weil sie das Verhalten der Gruppen zueinander bestimmen.661 Übertragen auf die Frage des besonderen Diskriminierungspotenzials und der damit verbundenen Frage der Zulässigkeit von Diskriminierungsverboten bedeutet dies: Zwar ist es – nach der hier vertretenen Auffassung – nicht möglich, anhand von Erbmerkmalen die zukünftige Entwicklung eines Menschen vorauszusagen. Entscheidend sind jedoch nicht nur objektiv begründbare Diskriminierungspotenziale. Ausschlaggebend können vielmehr auch nur in der Gesellschaft empfundene Diskriminierungspotenziale sein, die entweder zu dem Ge___________ wohl eher ein unkritischer Befürworter dessen, was A.L. Huxley in seinem UtopieRoman „Brave New World“ kritisierte. 657 Niccol (Buch und Regie), „GATTACA“, USA 1997. 658 Darauf Bezug nehmend: Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 113 f., 138; Simon, Gendiagnostik, S. 117Mi. – Vgl. auch die Diskussion um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Benda, FS Geiger (1974), S. 35; Schmitt Glaeser, in: HdbStR, Band VI, § 129, Rdnr. 49 zur Frage, inwieweit „Furcht“ und „Beunruhigung“ zur Grundlage rechtlichen Handelns gemacht werden können. 659 Merton, Soziale Theorie, S. 399. 660 Merton, Soziale Theorie, S. 399 ff. – Im Anschluss daran: Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 119; Simon, Gendiagnostik, S. 117. – Das Thomas-Theorem wird der konstruktivistischen Denkrichtung zugeordnet. Im Mittelpunkt des Denkens der Konstruktivisten steht die Frage, ob das, was wir als „Wirklichkeit“ aufgrund unserer Sinneseindrücke und deren Verarbeitung im Denken – vorzufinden glauben, vielleicht in Wahrheit etwas von uns Erfundenes, unsere eigene Konstruktion ist. Als eine philosophische Strömung wurde der Konstruktivismus in eine Vielzahl von Fachgebieten getragen: Psychiatrie, Physik, Mathematik, Biologie, Literaturwissenschaften, u.a. – Siehe dazu Störig, Philosophie, S. 678 ff. 661 Merton, Soziale Theorie, S. 399 ff.

354

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

fühl führen, möglicherweise Opfer einer Diskriminierung zu werden, oder die Bereitschaft erhöhen, aufgrund bestimmter Merkmale zu diskriminieren.662 Zwar ist die Vorstellung des genetischen Determinismus aus naturwissenschaftlicher Sicht falsch. Sie kann jedoch Auswirkungen auf gesellschaftlicher Ebene haben (meinungshafte Verselbstständigung): Sofern in der Gesellschaft das menschliche Leben als vorbestimmt betrachtet wird, wird der Einzelne auch als vorbestimmt behandelt, ohne dass er es aus naturwissenschaftlicher Sicht ist. In diesem Sinne wird die Behauptung des genetischen Determinismus zur „wahren Lüge“: Naturwissenschaftlich ist sie falsch, dennoch entfaltet sie Wirkkraft und ist in diesem Sinne auf gesellschaftlicher Ebene wahr und wirklich.663 Paradoxerweise wird der Einzelne in diesem Fall nicht durch seine Gene bestimmt, sondern durch das gesellschaftliche Umfeld, das an genetische Determination glaubt, also durch seine Umwelt. Es lässt es sich wohl nicht bestreiten, dass die Humangenetik offenbar eine besondere, gewissermaßen gesellschaftlich emotionalisierende Wirkung hat. Eine mögliche Erklärung ist vor allem darin zu sehen, dass in der gesellschaftlichen Wahrnehmung die Feststellung von „Erbanlagen“ oft überbewertet wird.664 Häufig führen Fehlvorstellungen über die Wirkungsweise von Erbmerkmalen zu der Vorstellung des genetische Determinismus: Insbesondere Informationen über Erbmerkmale werden als Daten betrachtet, die mit besonderer Zuverlässigkeit Aussagen über die individuelle Entwicklung eines Menschen erlauben.665 Diese Wahrnehmung dürfte traditionell-kulturelle Wurzeln haben. So lassen sich Erbmerkmale mit ihrer Nähe zu Merkmalen wie „Rasse“, „Geschlecht“ und „Abstammung“ auch als Beispiel für überkommene traditionelle Vorstellung von Diskriminierung begreifen.666 Der Mythos des Erbguts gewinnt dann seine Eingängigkeit und anfängliche Plausibilität möglicherweise auch vor dem Hintergrund, dass Begriffe wie „Rasse“ und „Abstammung“ in der gesell___________ 662 So auch Künzler, Macht der Technik, S. 60 („self-fulfilling prophecy“); Wolf, JLME 23 (1995), 345 ff., die auf das Problem hinweist, dass in der Diskriminierungsdiskussion genetische Unterschiede als wirklich akzeptiert werden. – Zu den gesellschaftlichen Mechanismen auch Irrgang, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 46 ff. 663 Die Widersprüchlichkeit spiegelt sich auch in dem Begriff des „gesunden Kranken“ wider. – Zu diesem Begriff siehe auch S. 155. 664 Siehe dazu oben, S. 278 ff. 665 Der Widerspruch zu der gleichzeitig hervorgehobenen Feststellung, dass genetische Informationen als besonders ungenau empfunden werden, wird in der Regel nicht gesehen. – Dazu auch Reich, in Fn. 683 (S. 360). 666 NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (803); Rothstein/Knoppers, EJHL 3 (1996), 143 (155 f.): „History of Eugenics in North America and Europe in the 20th century make it especially important to avoid classifying individuals based on genetics.“ – Zum Begriff „Erbkrankheit“ auch Nicklas-Faust, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 55.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

355

schaftlichen Wirklichkeit wohl noch nicht als bedeutungslos bezeichnet werden können, und speist sich vielleicht auch aus diesen Begriffen ähnelnden Assoziationen. Die große Eingängigkeit des genetischen Determinismus lässt sich in geistesgeschichtlicher Hinsicht auch vor dem Hintergrund der traditionellen philosophischen Denkweise wie der Entelechie erklären. Dieser auf Aristoteles zurückgeführten Denkströmung liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich alle Zustände in der Natur gewissermaßen auf ein Samenkorn zurückführen lassen, in dem bereits alle Vorgaben für die weitere Entwicklung enthalten sind (Entelechie, grch.: „das Ziel in sich habend“).667 Übertragen auf die Entwicklung des Menschen ließe sich dieses Samenkorn in der DNS-Spirale sehen, in dem bereits alles vorgegeben ist, was sich später in dem Leben eines Menschen entfalten wird.668 Zudem könnte die besondere Ausprägung der Angst vor Diskriminierungen aufgrund der eigenen Erbanlagen unterschwellig durch einen weiteren Umstand begünstigt werden: Erbanlagen hat jeder, viele andere Anlagen (wie z.B. HIVInfektionen) aber nicht. Dementsprechend verschieden stark ist möglicherweise auch das Gefühl ausgeprägt, der Gefahr der Diskriminierung selber ausgesetzt zu sein (Angst vor Selbstbetroffenheit): Während die genetische Diskriminierung alle betrifft und vor diesem Hintergrund auch ein breiter Konsens über ein Verbot genetischer Diskriminierung zu bestehen scheint, erscheint die Gefahr etwa einer HIV-Infektion (als Beispiel für eine virusbedingte – nicht-genetische – Anlage) vielen möglicherweise nur als entfernt. Dies könnte erklären, warum die Forderung nach einem Verbot von damit verbundenen Diskriminierungen geringer ausfällt (oder möglicherweise sogar ausdrücklich abgelehnt wird). Einige Charakteristika von Erbanlagen könnten die Entwicklung eines besonderen Diskriminierungspotenzials begünstigen: Erbanlagen sind per definitionem von Geburt an vorgegeben und in der Regel im Laufe des Lebens auch keinen wesentlichen Veränderungen unterworfen (Unveränderlichkeit von Erbmerkmalen). Insofern können sie als bleibende, sich sogar über Generationen erhaltende Merkmale aufgefasst werden. Mit genetischen Testverfahren sind Erbanlagen relativ leicht zu bestimmen und aufgrund der (grundsätzlichen)669 Unveränderlichkeit in besonderem Maße für dauerhafte gesellschaftliche Kategorisierungen geeignet.670 Zudem wird die Annahme eines erhöhten Diskrimi___________ 667

Brockhaus, Enzyklopädie, Stichwort „Entelechie“ m.w.N. Zu entsprechenden Ansätzen zur Vererbungslehre in der Antike: Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 21 ff. 669 Abgesehen von der – bisher noch nicht umsetzbaren – Möglichkeit der Gentherapie, vgl. S. 36. 670 Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 127: „Sie sind, da sie unveränderliche Merkmale betreffen, geeignet, einen Menschen ein für allemal zu klassifizieren.“ 668

356

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

nierungspotenzials damit gerechtfertigt, dass Erbmerkmale bei Kenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse Rückschlüsse über das Erbmaterial der Verwandten der untersuchten Person erlauben. Dieser Umstand erweitert den Kreis derjenigen, die einer erhöhten Stigmatisierungsgefahr ausgesetzt sind. Auch könnte versucht werden, aufgrund statistischer Werte anhand der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie oder Bevölkerungsgruppe dem Einzelnen – ohne genetische Untersuchungen – erbliche Veranlagungen zuzuordnen. Ganze Familien oder Bevölkerungsgruppen könnten als „erblich belastet“ behandelt und ausgegrenzt werden (familiäre und populationsgenetische Stigmatisierung). Überkommene Vorstellungen von ethnischen und familiären Vorprägungen des Einzelnen könnten neuen Auftrieb bekommen und Stigmatisierungen in Bereichen erfolgen, in denen sich auf wissenschaftlicher Grundlage noch nicht einmal statistische Zusammenhänge über ethnische oder familiäre Erkrankungswahrscheinlichkeiten begründen lassen.671 Allerdings sind Erbanlagen – anders als viele andere, bereits anerkannte Diskriminierungsmerkmale – nicht äußerlich oder sonst wie ohne besondere Untersuchungsverfahren oder Kenntnisse erkennbar.672 Wohl aber gab es Vorschläge, genetische Unterschiede sichtbar zu machen. So regte der Nobelpreisträger Linus Pauling673 noch 1968 an, zur Verhinderung der Vererbung der (von ihm analysierten) Sichelzellenanämie Menschen mit einer entsprechenden Anlage dazu zu verpflichten, ein Zeichen auf der Stirn zu tragen. Dadurch sollte Partnerschaften zwischen Anlageträgern entgegengewirkt werden, mit der Folge, dass die Krankheit nicht mehr weitervererbt werden würde.674

Jedoch steht die fehlende Wahrnehmbarkeit auch nicht der Entwicklung eines besonderen Diskriminierungspotenzials entgegen. Zwar mag die Offenkundigkeit des Diskriminierungsmerkmals die Diskriminierung begünstigen, jedoch erscheint sie nicht als notwendige Voraussetzung.675 Diese Einschätzung scheint auch dem Katalog der verbotenen Diskriminierungskriterien in Art. 3 Abs. 3 GG zugrunde zu liegen: Merkmale wie Religion, Weltanschauung, aber auch Abstammung, Heimat und Herkunft sind nicht unbedingt unmittelbar äußerlich wahrnehmbare Merkmale einer Person, gelten aber offensichtlich als Merkmale, denen aus Sicht des Verfassungsgebers ein besonderes Diskriminierungspotenzial beizumessen ist. ___________ 671

Ausdrücklich dazu: NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (802 f.). – Siehe auch S. 88, 126, 165. 672 Siehe S. 126. 673 Linus Pauling, (1901-1994), US-amerikanischer Chemiker, Nobelpreisträger für Chemie (1954) und Frieden (1963). 674 Schöffski, Gendiagnostik, S. 110; Rose, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 11. 675 Anders wohl: Max-Planck-Institut, RabelsZ 66 (2002), S. 116 (132 f.); Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 27 ff., die bei äußerlich wahrnehmbaren, sog. askriptiven Merkmalen ein besonderes Diskriminierungspotenzial sieht.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

357

Als trauriges Beispiel der Diskriminierung aufgrund nicht offenkundiger Merkmale kann auch die Diskriminierung der „Juden“ in Nazideutschland betrachtet werden. Sie erfasste auch Menschen, die nicht den jüdischen Glauben ausübten und insofern nur über ihren Stammbaum als „Juden“ klassifiziert wurden.

Insgesamt erscheint allerdings eine an Erbmerkmalen orientierte gesellschaftliche Klassenbildung – wie etwa im Roman „Brave New World“676 dargestellt – auf absehbare Zukunft eher als unwahrscheinlich. Da jeder Mensch stets ein Bündel von gut und schlecht erscheinenden Genen in dem Erbgut aufweist, wird auch die Betrachtung des gesamten Genoms wohl kaum geeignet sein, Menschen einer wie auch immer gearteten „Elite“ und „Parias“ zuordnen zu können, zumal sogar ein und dasselbe Gen mit als vorteilhaft und nachteilig empfundenen Eigenschaften verbunden sein kann. Im Übrigen sind die genetischen Unterschiede in der literarischen Vorlage – im Gegensatz zur heutigen Gesellschaft – künstlich geschaffen, was wohl auch erst die strikte gesellschaftliche Gruppenbildung ermöglicht. Angesichts der komplexen Wirkungszusammenhänge bei der Entwicklung eines Menschen erscheint die zielgenaue gentechnische Manipulation von Menschen als unwahrscheinlich.677 Genetische Merkmale weisen – abgesehen von den bekannten, bereits in Art. 3 Abs. 3 GG erwähnten Merkmalen der Rasse und des Geschlechts – keinen gruppenidentitätsstiftenden Charakter678 auf. Anders als die Merkmale des Geschlechts, der Herkunft, der Religion und der „Rasse“ haben sie keine kulturelle Bedeutung. Eine besondere Gruppenbildung mit entsprechenden Stigmatisierungseffekten steht insofern nicht zu befürchten. Aber auch wenn insoweit eine genetische Klassenbildung vorerst nicht als wahrscheinlich erscheint, so ist damit noch nicht ein erhöhtes Diskriminierungspotenzial ausgeschlossen.679 Dabei ist auch zu bedenken, dass Untersuchungen, wie etwa Gentests, nicht bloß ein medizinisches Verfahren sind, sondern in einzelnen Lebensbereichen durchaus auch eines zur Schaffung gesellschaftlicher Kategorien.680 Zum Teil wird daher befürchtet, dass insbesondere ___________ 676

Huxley, Brave New World, 1932. A.A. Klees, Der gläserne Mensch, S. 86: „Und der Genetiker David Suzuki schreibt: ‚Was könnte explosiver sein, als die Anwendung von molekulargenetischen Techniken zur Umkonstruktion von Menschen ... in einer Gesellschaft, in der Rassismus, engstirniger Fanatismus, Habsucht und wirtschaftliche Ungerechtigkeit an der Tagesordnung sind?‘ (Strohm, 1987, S. 102 ff, 128)“. 678 Zur Frage der Bildung abgrenzbarer Gesellschaftsgruppen als Auslöser für ein besonderes Diskriminierungspotenzial: Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 31 ff. – Zu dem ähnlichen Ansatz von Nawiasky: W. Böckenförde, Gleichheitssatz, S. 45 ff.; Hesse, in: Festschrift Lerche (1993), S. 121 (124); Kallina, Willkürverbot, S. 91 ff. 679 Für nicht äußerlich wahrnehmbare („nicht-askriptive“) Merkmale will Schiek (Differenzierte Gerechtigkeit, S. 35) eine solche Wirkung aber offenbar weitgehend ausschließen. 680 Siehe dazu: Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 248; Nelkin, in Kevles/Hood: Supercode; S. 195 (199). – Bedeutung bekommt diese 677

358

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

die Einführung genetischer Testverfahren wohl auch der Erhaltung bestehender Machtverhältnisse dienen könnte.681 Bei der Beurteilung, inwieweit ein solches Gefährdungsszenario realistisch erscheint, ist dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungsspielraum zuzubilligen. Auch wenn konkrete Anhaltspunkte, die bei der Verwendung genetischer Daten auf ein besonderes Diskriminierungspotenzial hindeuten, zumindest gegenwärtig noch nicht erkennbar sind, so erscheint seine Entstehung jedoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sofern sich entsprechende Vorstellungen in der Gesellschaft dauerhaft halten sollten und auf diese Weise die gesellschaftliche Wirklichkeit prägen. Dieser Umstand kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in die Abwägung einbezogen werden. Als innenpolitische Zielsetzung, welche im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden kann, kommt somit auch ein nur in der gesellschaftlichen Wahrnehmung bestehendes besonderes Diskriminierungspotenzial in Betracht. (6) Verhältnismäßigkeitsabwägung Vor diesem Hintergrund muss nun geprüft werden, ob ein Verbot genetischer Diskriminierung verfassungsrechtlich gerechtfertigt wäre. Hier sind die Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit auf der einen Seite und die Bedeutung der externen Zwecke auf der anderen Seite gegeneinander abzuwägen. Dadurch, dass Träger von Erbanlagen vor Diskriminierung geschützt werden, Träger von anderen Eigenschaftsindikatoren aber nicht, wird der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit nicht logisch konsistent umgesetzt. Diese Abweichung stellt einen erheblichen Eingriff in die Individualgerechtigkeit dar. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nun zu untersuchen, ob die bisher herausgearbeiteten externen Zwecksetzungen diesen Eingriff zu rechtfertigen vermögen. „Erbinformationen“ weisen die gleiche Aussageungenauigkeit auf wie alle anderen statistischen Daten auch. Auch die Möglichkeit der Prognoseerstellung ist keine Besonderheit, die sich lediglich oder zumindest vor allem bei der Ermittlung von Erbmerkmalen ergibt. Des Weiteren kann auch die Berufung auf den Umstand, „dass man für seine Gene nichts könne“, einen besonderen Schutz ___________ Kategorisierung dabei häufig nicht durch tatsächliche Begründungszusammenhänge, sondern erst durch die gesellschaftliche Einordnung (siehe S. 353 f.). 681 Nelkin, in Kevles/Hood: Supercode; S. 195 (199); Künzler, Macht der Technik, S. 61. m.w.N. „Die Parallelität zwischen den zunehmenden gesellschaftlichen Unruhen, verbunden mit Forderungen nach sozialer Gleichheit, wie sie von Minderheiten, Menschen afrikanischer Herkunft oder Frauen erhoben wurden, und dem Auftreten soziobiologischer Theorien, die die Ursachen ungleicher Besitz- und Machtverhältnisse als naturgegeben und unveränderbar rationalisieren, verdeutlicht, dass diese Theorien nicht im sozialen Vakuum entstehen.“ – Künzler sieht einen direkten Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Spannungen und Forschung (zur Sicherung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse).

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

359

vor Diskriminierung aufgrund von Erbmerkmalen nicht rechtfertigen, da auch nicht-genetische Daten individuell nicht beeinflussbar sein können. Die besondere Fehleranfälligkeit im Umgang mit erblichen Eigenschaftsindikatoren allein kann eine Beschränkung eines Typisierungsverbots auf Erbmerkmale nicht rechtfertigen, da ein Schutz vor Ungleichbehandlungen aufgrund falsch interpretierter „Erbinformationen“ auch dann gewährleistet wäre, wenn das Typisierungsverbot weiter gefasst wäre. Zudem ist mit der Verwendung von erblichen Eigenschaftsindikatoren auch kein besonderer persönlichkeitsrechtlicher Eingriff verbunden: Die persönlichkeitsrechtliche Eingriffsintensität ist bei der Beurteilung des Einzelnen anhand von Erbanlagen genauso groß wie die bei der anhand von anderen Gruppeninformationen. Ein Rechtfertigungsansatz für ein auf Erbanlagen beschränktes Diskriminierungsverbot könnte sich damit allenfalls noch aus dem Umstand ergeben, dass die Beurteilung des Einzelnen anhand von Erbanlagen in der Gesellschaft mit besonderen Befürchtungen verbunden ist. Sofern der Gesetzgeber dabei jedoch gleichzeitig der Auffassung ist, dass Erbmerkmale – abgesehen von der gesellschaftlichen Wahrnehmung, die ihnen zukommt – keine Besonderheiten gegenüber nicht-genetischen Daten aufweisen, geriete er damit in die etwas seltsame Situation, dass er bestimmten Personengruppen einen Diskriminierungsschutz allein mit der Begründung vorenthält, dass ihre Schutzbedürftigkeit in der gesellschaftlichen Wahrnehmung (zu unrecht) nicht anerkannt ist. Zudem könnte sich eine solche Regelung als rechtspolitisch kontraproduktiv erweisen,682 womit durchaus auch die Geeignetheit des Diskriminierungsverbots in Frage zu stellen ist. Denn auch wenn man die Berücksichtigung eines gesellschaftlich empfundenen besonderen Diskriminierungspotenzials von Erbinformationen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung als verfassungsrechtlich zulässig betrachtet, wäre die Einführung eines Verbots genetischer Diskriminierung jedoch wahrscheinlich nicht geeignet, der Fehlvorstellung des genetischen Determinismus entgegenzuwirken. Denn durch ein Verbot speziell genetischer Diskriminierung dürfte gerade suggeriert werden, dass der Einzelne zwar – in biologischer Betrachtung – genetisch determiniert ist, nur nicht – auf rechtlicher Ebene – als solcher behandelt werden soll. Warum, könnte man unbefangen fragen, sollte allein die Behandlung aufgrund von genetischen Merkmalen durch ein besonderes Diskriminierungsverbot untersagt werden, wenn genetische Merkmale keine genaueren Aussagen erlauben als andere? Mit der Einführung eines genetischen Diskriminierungsverbots liefe der Gesetzgeber also Gefahr, einen Beitrag zur meinungshaften Verselbstständigung im Sinne des ThomasTheorems zu leisten und damit die Vorstellung des genetischen Determinismus zu fördern, die er eigentlich bekämpfen wollte. ___________ 682 Vgl. auch Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 61: „Restaurative Tendenz der Betonung von Gruppenidentitäten“.

360

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoller, gezielter der falschen Grundthese des genetischen Determinismus entgegenzuwirken.683 Dies müsste in zweierlei Hinsicht geschehen: Zum einen müsste der Vorstellung der Besonderheit genetischer Daten entgegengetreten werden, zum anderen müsste der Vorstellung entgegengewirkt werden, dass es einen – wie auch immer gearteten – Determinismus im menschlichen Leben gibt. Ein möglicher Ausweg könnte in einem Verbot prädiktiver Diskriminierung gesehen werden. Danach darf der Einzelne nicht aufgrund seiner Eigenschaftsindikatoren als vorbestimmt behandelt werden.684 Durch eine solche Regelung würde der im Zuge wissenschaftsgläubiger Euphorie gewonnene Irrglaube der Berechenbarkeit menschlichen Lebens – gewissermaßen mit rechtsverbindlicher Wirkung – nicht nur hinsichtlich der prädiktiven Verwendung genetischer Daten auf eine einfache Feststellung zurückgeführt werden, dass sich die Zukunft nicht vorausberechnen lässt.685 Die Ausdehnung des Diskriminierungsverbots auf andere Eigenschaftsindikatoren erscheint insofern als besser geeignetes Mittel.686 ___________ 683 In diese Richtung argumentiert auch Reich, im Interview mit Emmrich, FR 23.04.2003, Nr., S. WB 7: „Mich wundert es sehr, dass gerade Philosophen, die den Primat des Geistes verteidigen, in ihrer Kritik an den Entwicklungen der Gentechnik durch die Hintertür eine Art von biologischem Reduktionismus einführen. Wie etwa das Argument, dass es zur Versklavung des Geistigen führt, wenn durch das Klonen das Genom eines neuen Menschen vorgeschrieben wird. Das heißt doch soviel wie: Die Gene sind unser Schicksal. (...) Würde man sagen, was lange Zeit gängig war, dass für den Mensch die Gene nicht so wichtig sind, sondern die soziale und geistige Entwicklung, Geschichte und Lebensweise, könnte man sich nicht so fundamental darüber aufregen, wenn das Genom als Nebensache gentechnisch behandelt oder therapiert werden würde.“ – In ähnlicher Weise auch Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (194 f): „Mir scheint, dass sämtliche Versuche, die genetische Information als etwas Besonderes darzustellen und dieser Information einen speziellen rechtlichen Status zuzuschreiben, auf Mystifikation beruhen.“; Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (208) „Genetic antidiscrimination legislation is flawed“ – „Finally, it seems these antidiscrimination laws are at least partially motivated by the erroneous belief that genes play the fundamental role in determining who we are.“ 684 Ein Formulierungsvorschlag für ein solches Verbot prädiktiver Diskriminierung findet sich am Ende dieses Kapitels, S. 377. 685 Im Ergebnis anders wohl Sass, Fachgespräch (1983), in: BMFT, „Ethische und rechtliche Probleme“, S. 47 (121): „Ich will nicht verhehlen, dass die noch nicht genügend entwickelte Voraussagefähigkeit in Bezug auf die Information des Verhältnisses von genetischer Befindlichkeit und Arbeitsplatzrisiko dazu geführt hat, dass die Nutzung der Genomanalyse bei der Einstellung von Bewerbern mit der schwarzen Kunst verglichen worden ist und ausgeführt worden ist, dass der Zwang zum genetischen Screening eher Arbeitsplätze als Krankheiten verhindert.“ – Von dem hier vertretenen Standpunkt aus ist dem zuzufügen, dass die begrenzte Voraussagefähigkeit – gerade über längere Voraussagezeiträume – unvermeidlich ist. 686 Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (206, 209) messen hingegen der Einführung eines genetischen Diskriminierungsverbots eine Schrittmacher-Funktion bei: „We believe that genetic antidiscrimination legislation is required because it attempts to address a deeper and more pervasive underlying problem than discrimination arising

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

361

Auf Grundlage dieser Überlegungen erscheint ein Verbot der Diskriminierung aufgrund von Erbmerkmalen (und der damit verbundene gleichheitsrechtliche Eingriff) auch nicht als erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Ein Diskriminierungsverbot, welches auch für nicht-erbliche Merkmale gilt, stellte ein „milderes Mittel“ im Sinne des Erforderlichkeitsgrundsatzes dar, da es bei gleicher Wirkung mit keiner gleichheitsrechtlichen Beeinträchtigung verbunden wäre, indem es Personengruppen in vergleichbarer Gefährdungslage in den Diskriminierungsschutz einbezieht. Im Ergebnis ist somit eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Erbanlagen – auch unter der Berücksichtigung der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative – als in gleichheitsrechtlicher Hinsicht unzulässig zu betrachten.687 In der rechtlichen Behandlung des Einzelnen darf es daher grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob ihm aufgrund seiner genetischen Veranlagung mit dem Ablauf von acht Jahren der Ausbruch einer Krankheit prognostiziert wird oder dies aufgrund seiner HIV-Infektion geschieht. Im Grundsatz erscheint es nicht gerechtfertigt, den Schutz durch ein Diskriminierungsverbot nur Personen mit bestimmten genetischen Veranlagungen zu gewähren und HIV-Infizierten einen vergleichbaren Schutz von vornherein vorzuenthalten.

bbb) Verbot der Typisierung aufgrund von genetischen Veranlagungen Die Feststellungen, die hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung aufgrund von Erbanlagen gemacht wurden, lassen sich im Wesentlichen auf die aufgrund von genetischen Veranlagungen übertragen. Insofern sei auf die Argumentation im vorangegangenen Abschnitt verwiesen.688 Insbesondere hinsichtlich des „Brave-New-World“-Effektes dürfte dies auch gelten, da in der gesellschaftlichen Wahrnehmung die Unterscheidung zwischen genetischen und erblichen Merkmalen überwiegend nicht vorgenommen wird.

___________ from the use of genetic information alone. The problem is not merely discrimination based on genetics, but also discrimination based on any type of predictive medical information. ... Redrafted legislation that prohibits labelling currently healthy people as diseased on the basis of any type of predictive medical information would accomplish the purpose of eliminating much of the discrimination against the asymptomatic ill that the public fears so much.“ – Rothstein/Knoppers, EJHL 3 (1996), 143 (144, 155) gehen davon aus, dass die mit genetischer Diskriminierung verbundenen Probleme eine besondere Gesetzgebung benötigen. 687 Im Ergebnis so auch: Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (202): „Die ‚innere Logik‘ des Schutzes vor genetischer Diskriminierung überzeugt ... [nicht]. Denn es besteht überhaupt keine Veranlassung, jene Versicherungsnehmer zu privilegieren, deren Krankheit oder Krankheitsanlage im Wege eine Genanalyse festgestellt worden ist oder festgestellt werden könnte.“ 688 S. 348 ff.

362

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

ccc) Verbot der Typisierung aufgrund von Anlagen Auch ein Verbot der Typisierung anhand von Anlagen (unter Einbeziehung nicht-genetischer Anlagen) erscheint verfassungsrechtlich bedenklich, da Umfeldfaktoren aufgrund ihres statistischen Charakters in ihrer Diskriminierungswirkung vergleichbar sind. Anlageträger einem besonderen Diskriminierungsschutz zu unterstellen, einen solchen Schutz jedoch Personen, denen bestimmte Umfeldfaktoren zugewiesen werden, vorzuenthalten, stellt einen erheblichen Eingriff in die Individualgerechtigkeit dar. Selbst wenn Anlagen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ein besonderes Diskriminierungspotenzial aufweisen sollten, gelten die oben vorgebrachten Bedenken:689 Ein auf Anlagen beschränktes Diskriminierungsverbot würde den Eindruck der Sonderstellung von endogenen Eigenschaftsindikatoren erwecken und das Augenmerk von dem Kernproblem der Typisierung ablenken: Statistische Aussagen erlauben keine Aussagen über den Einzelfall.

ddd) Verbot der Typisierung aufgrund von genetischen Eigenschaften unter Einbeziehung von genetischen Manifestationen Ein privilegierender Schutz vor Diskriminierungen aufgrund von genetischen oder erblich bedingten Manifestationen ist in gleichheitsrechtlicher Hinsicht nicht zu rechtfertigen. Manifestationen weisen schon begrifflich nicht die Aussageungenauigkeit auf wie Eigenschaftsindikatoren.690 Dies gilt insbesondere auch, sofern man ungünstige genetisch bedingte Manifestationen betrachtet. Hier drängt sich etwa die Frage auf, warum Menschen mit ähnlich schweren, jedoch nicht genetisch bedingten Krankheiten nicht ebenfalls einem solchen rechtlichen Schutz unterstellt werden. Weder erscheinen z.B. genetisch bedingte Krankheiten als grundsätzlich schwerwiegender als nicht genetisch bedingte, noch sind andere Anhaltspunkte ersichtlich, die Personen mit ungünstigen, genetisch bedingten Manifestationen als besonders schutzwürdig erscheinen ließen. Umgekehrt dürfte es auch kaum vermittelbar sein, warum günstige Manifestationen, die erblich oder genetisch bedingt sind, grundsätzlich nicht zur Grundlage von Ungleichbehandlungen gemacht werden sollen.

___________ 689

Vgl. dazu S. 352 ff. Zum Informationscharakter von Manifestationen und Eigenschaftsindikatoren siehe S. 66 und 73. 690

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

363

eee) Ergebnis Die vorangegangene Untersuchung hat gezeigt, dass sich ein privilegierender Diskriminierungsschutz für Spezifikationen hinsichtlich der Informationsanknüpfung nicht rechtfertigen lassen dürfte.

cc) Spezifikationen des Informationsgegenstands Auch Diskriminierungsverboten, die auf bestimmte Informationsgegenstände begrenzt sind, kann der Gerechtigkeitsmaßstab der Individualgerechtigkeit zugrunde gelegt werden. Um jedoch dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu entsprechen, müssen mit den ausgewählten Informationsgegenständen Besonderheiten verbunden sein, die es rechtfertigen, nur im Hinblick auf sie ein Typisierungsverbot festzuschreiben. In gleichheitsrechtlicher Hinsicht von vornherein unzulässig ist die rechtliche Bezugnahme auf manifeste Krankheiten: Manifestationen weisen keine besondere Aussageungenauigkeit auf, weil es sich bei Aussagen über manifeste Eigenschaften um Individualinformationen und nicht um statistische Daten handelt.691 An dieser Feststellung ändert auch die Beschränkungen auf bestimmte Krankheiten nichts. Jedoch auch die Beschränkung eines Typisierungsverbots auf ganz bestimmte Krankheitsanlagen ist in gleichheitsrechtlicher Hinsicht nur dann zulässig, wenn die Krankheitsanlagen Besonderheiten aufweisen, die sie etwa in der Schwere der Krankheit oder ihrer stigmatisierenden Wirkung von Veranlagungen zu anderen Krankheiten unterscheiden. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die ausgewählten Eigenschaften etwa aufgrund des Umstandes, dass sie als Kriterien zur Umsetzung mittelbarer Rassendiskriminierung eingesetzt werden, eine besondere gesellschaftliche Relevanz haben. Ungleichbehandlungen aufgrund einer Veranlagung zur Tay-Sachs-Krankheit und der Sichelzellenanämie wurden häufig als mittelbare Rassendiskriminierung wahrgenommen, was letztlich auch den Anlass zur Regelung eines speziellen Verbots der Diskriminierung aufgrund von diesen Krankheitsveranlagungen in einigen US-amerikanischen Gesetzen gegeben haben dürfte.692

___________ 691 692

Siehe auch S. 344 f. Siehe S. 184.

364

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

c) Verwendung situationsbezogener Spezifikationen Als mögliche situationsbezogene Spezifikationen wird im Folgenden auf solche der Verwendungsweise und solche des Anwendungsbereichs einzugehen sein.

aa) Spezifikationen hinsichtlich der Verwendungsweise Im Hinblick auf die Verwendung von Eigenschaftsindikatoren können gruppenbezogene Ungleichbehandlungen: – aufgrund prädiktiver Verwendung, – aufgrund diagnostischer Verwendung und – aufgrund differenzialdiagnostischer Verwendung unterschieden werden.

aaa) Verbot der Typisierung aufgrund von prädiktiven Aussagen Ein Typisierungsverbot bezüglich der prädiktiven Verwendung von Eigenschaftsindikatoren ist in gleichheitsrechtlicher Hinsicht zulässig. Eine entsprechende Regelung würde einen erheblichen Teil der gesellschaftlichen Vorbehalte gegen die Verwendung genetischer Daten aufgreifen, indem es die prädiktive Verwendung von Daten, also auch von genetischen Daten, grundsätzlich verbietet. In zweifacher Hinsicht wäre es ein Instrument gegen die Vorstellung des genetischen Determinismus:693 Zum einen hebt es hervor, dass es keine „Determination“ des menschlichen Lebens gibt. Zum Zweiten erweckt es – indem es auch nicht-genetische Daten erfasst – nicht den (falschen) Eindruck, dass genetischen Daten insofern eine Sonderrolle zukommt. (1) Prognostische Aussageungenauigkeit Der privilegierende Schutz vor Diskriminierungen aufgrund prädiktiver Daten rechtfertigt sich zum einen aus dem besonderen Umfang der Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit: Prognosen weisen eine besondere Aussageungenauigkeit auf,694 da bei der prädiktiven Verwendung von statistischen

___________ 693

Siehe dazu S. 359 ff. Zur besonderen Aussageungenauigkeit von Prognosen: Paul, Tumorerkrankungen, S. 236. 694

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

365

Aussagen im Vergleich zu anderen Verwendungsweisen zusätzliche Unsicherheitsfaktoren hinzukommen:695 Zum Zeitpunkt diagnostischer oder differenzialdiagnostischer Beurteilung ist die Manifestation bereits eingetreten. Zumindest theoretisch sind somit alle Umstände ermittelbar, die zur umfassenden Beurteilung des Einzelfalls erforderlich sind. Der strukturelle Unterschied zu prädiktiven Aussagen liegt darin, dass diese auf nur unvollständiger Tatsachengrundlage getroffen werden: Die Manifestation der entscheidungserheblichen Eigenschaft selbst ist noch nicht eingetreten, sie soll ja gerade prognostiziert werden. Zudem ist nur ein Teil der Umstände bekannt, die eigentlich für eine umfassende Bewertung erforderlich wären. Von vornherein sind prädiktive Daten mit der Ungenauigkeit behaftet, dass sie nur auf Erfahrungswerten beruhen. Sie können damit nur wiedergeben, in welchem Verhältnis bisher – in der Vergangenheit – das Vorliegen eines bestimmten Merkmals zur Manifestationshäufigkeit für eine bestimmte Eigenschaft stand. Um empirischen Daten überhaupt prädiktiven Charakter beimessen zu können, muss man ihnen die Annahme zugrunde legen, dass die bisherigen Umstände zukünftig unverändert bleiben (Prämisse des inerten Systems). Daraus ergibt sich wiederum als ein weiterer Faktor besonderer Aussageungenauigkeit die Unsicherheit darüber, ob bestimmte Umstände den Eintritt des Merkmals verhindern.696 Je länger die Manifestationsdauer ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass neue Umstände dazutreten, die die empirische Berechnungsgrundlage möglicherweise vollkommen verändern.697 Ein den Entwicklungsverlauf veränderndes Ereignis kann dabei insbesondere die Entwicklung neuer Präventions- oder Therapiemittel darstellen, welche zum Zeitpunkt der Prognosestellung zwangsläufig nicht berücksichtigt werden können.698 ___________ 695

Zur Erläuterung der prognostischen Aussageungenauigkeit vgl. Fey/Seel, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 25 ff., 36 f. (Strukturelle Grenzen der Vorhersagbarkeit bestehen insbesondere auch aufgrund individueller Mutationen und dem Phänomen der Selbstorganisation); Sachs, Angewandte Statistik, S. 104 f.; Stockter, GID Nr. 167 (2004/2005), S. 38 (39 ff.) und die obigen Ausführungen im Zusammenhang mit genetischen Untersuchungen (S. 128 ff.). 696 Rothman, American Journal of Epidemiology 1976, vol. 104, No. 6, 587 (588); Holtzman, Caution, S. 211 f.: „In estimating the direct costs, little consideration is given to the likelihood that someone who is saved from an illness by genetic testing will develop some other illness or injury that also will entail costs.“ – Siehe auch: Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 85 ff.; Schöffski, Gendiagnostik, S. 47. 697 Im Ansatz wohl auch Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 73: „Auf genetischen Analysen beruhende Prognosen und Aussagen über Kausalitätsbeziehungen sind aufgrund [...] der Beteiligung vielfacher endogener und exogener Faktoren [...] mit im Einzelfall mehr oder weniger großen Unsicherheitsfaktoren belastet.“ 698 Rothman, American Journal of Epidemiology 1976, vol. 104, No. 6, 587 (588).

366

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

Nach dem bisherigen Stand der Wissenschaft wird die Lebenserwartung von Menschen mit einer HIV-Infektion mit höchstens 8-10 Jahren prognostiziert.699 Diese Prognose erfolgt unter Zugrundelegung der derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten. Unberücksichtigt bleiben dabei lebensverlängernde oder gar heilende Therapien, welche erst in den nächsten Jahren entwickelt werden. Der Umstand, dass die Entwicklung eines Heilmittels für AIDS innerhalb der nächsten Jahre für möglich gehalten wird, lässt schon heute hoffen, dass die Lebenserwartung von HIV-Infizierten schon bald günstiger eingeschätzt werden kann. Umstände, die den Eintritt der prognostizierten Eigenschaften für den jeweiligen Rechtsbereich als irrelevant erscheinen lassen, können in Kündigungen, unfallbedingter Erwerbsunfähigkeit oder dem Erreichen der Altersgrenze liegen.700 Auch der Todeseintritt kann unter Umständen eine rechtserhebliche Zwischenursache darstellen. Viele Prognosen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren sind hinfällig, wenn die untersuchte Person bereits vorher aus anderem Grund verstirbt.701

(2) Mangel an zeitnaher Überprüfbarkeit Sofern prädiktive Aussagen getroffen werden, stellt sich als weiteres besonderes Problem das Defizit an zeitnaher Überprüf- und Widerlegbarkeit: Während sich eine Diagnose in der Regel zeitnah anhand des sich weiter entwickelnden Krankheitsverlaufs oder durch ergänzende Untersuchungsmethoden überprüfen lässt, dürften Prognosen in der Regel nicht vor Ausbruch der Krankheit durch andere Untersuchungsverfahren verifiziert werden können.702 Dieses Defizit dürfte umso auffälliger werden, je länger die Manifestationsdauer der prognostizierten Krankheit ist. Denn im Unterschied zu diagnostischen Untersuchungen, bei denen ein ausgeprägtes Symptombild eine Vielzahl unterschiedlicher Untersuchungsmethoden ermöglicht,703 ist man bei prädiktiven Untersuchungen allein auf die Eigenschaftsindikatoren angewiesen. Die Annahme, dass es überhaupt zum Krankheitsausbruch kommen wird, wird sich daher vor der Manifestation der Krankheit häufig nicht durch andere Untersuchungsmethoden bestätigen oder widerlegen lassen. Im Laufe der Zeit können nur die statistischen Werte, aus denen sich die Manifestationswahrscheinlichkeit errechnet, aktualisiert704 und die neuen Entwicklungen im Bereich der Prävention und Therapie in die Behandlung einbezogen werden. ___________ 699

Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „HIV-Erkrankung“. Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 37. 701 Koch/Weymayr, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27. 702 Paul, Tumorerkrankungen, S. 32 (Gesichtspunkt der „Messbarkeit“), S. 35 f. („reduktionistische Erkenntnismethode“); Schmidtke, Vererbung, S. 54. 703 Auf die Fehleranfälligkeit von Diagnosen aufgrund einzelner Befunde verweist auch Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 81. 704 Vgl. Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (208): „... even supposed simple single-gene diseases, such as CF [zystische Fibrose – Anm. d. Verf.] and HD [Huntington Krankheit – Anm. d. Verf.] that we thought to be completely predictable on the basis of the presence or absence of a particular gene, are displaying a remarkable complexity. It 700

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

367

(3) Mangel an zeitnaher Widerlegbarkeit Eng damit verbunden ist aus Sicht der untersuchten Person, die aufgrund eines bestimmten Eigenschaftsindikators ungleich behandelt wird, ein Mangel an Widerlegbarkeit. Durch die anhand eines Eigenschaftsindikators gestellte Prognose kommt die untersuchte Person gewissermaßen in Beweisnot. Bei einer erhöhten Manifestationswahrscheinlichkeit ist es an ihr, zu beweisen, dass die prognostizierte Manifestation sich in ihr nicht verwirklicht. Dieser Beweis wird jedoch nicht zu erbringen sein, da es schlichtweg nicht möglich ist, den vermuteten Eintritt zukünftiger Ereignisse zu widerlegen, sofern die empirische Grundlage der Prognose nicht falsch ist. Vor diesem Hintergrund mag sich bei den betroffenen Personen auch ein Gefühl des Ausgeliefertseins entwickeln. Ausgeliefert ist der Einzelne jedoch nicht einem Automatismus, der fälschlicherweise mit bestimmten Eigenschaftsindikatoren in Verbindung gebracht wird, sondern allenfalls dem irrigen Glauben an einen solchen Automatismus. Der Mangel an zeitnaher Widerlegbarkeit kann durch einen Vergleich der Situation bei diagnostischer und prädiktiver Verwendungsweise veranschaulicht werden: Wird einer 20jährigen Frau eine Arbeitsstelle mit dem Hinweis verwehrt, dass sie (als Frau) körperlich nicht geeignet sei, kann sie diese Annahme widerlegen, indem sie ihre körperliche Eignung – etwa durch einen Konstitutionstest – widerlegt. Wird der Frau jedoch die Arbeitsstelle unter Hinweis auf die (fiktive) Annahme verwehrt, dass 70% aller Frauen in einem bestimmten Alter aufgrund hormoneller Umstellungen nicht mehr körperlich geeignet seien und Frauen deswegen grundsätzlich nicht eingestellt werden, so wird die einzelne Frau ihre körperliche Eignung nicht vor dem Erreichen dieses Alters beweisen können.

Genau dieser Gesichtspunkt ist es auch, der eine besondere Nähe zum Menschenwürdegehalt herstellt: Der Einzelne wird anhand von Eigenschaften beurteilt, obwohl deren Eintreten nicht nachgewiesen ist. Er wird damit eher als jemand behandelt, der anhand von Gruppengesetzmäßigkeiten zu beurteilen und insofern ausrechenbar ist. Seine Möglichkeit zu einer individuellen, also von Gruppengesetzmäßigkeiten losgelösten Entwicklung wird damit faktisch negiert. Insofern wird er zum bloßen Objekt statistischer Betrachtungen. Dieser Prozess lässt sich auch anhand des bereits oben erwähnten „ThomasTheorems“ beschreiben.705 Dieser Denkansatz lässt sich dem Konstruktivismus zuordnen, der sich mit der Frage beschäftigt, ob das, was wir als „Wirklichkeit“ aufgrund unserer Sinneseindrücke und deren Verarbeitung im Denken vorzufinden glauben, vielleicht in Wahrheit etwas von uns Erfundenes, unsere eigene Konstruktion ist.706 Dem Thomas-Theorem liegt nun die Überlegung zugrunde, ___________ is known, that the same altered CF gene can result in a wide variety of symptoms and that some people with the altered Huntington gene do not develop the disease at all“; Gostin, AJLM vol. XVII, ʋs 1 & 2 (1991), 109 (114). 705 Zum Thomas-Theorem S. 353 f. 706 Siehe dazu Störig, Philosophie, S. 678 ff.

368

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

dass das, was der Mensch für sich als Wahrheit oder Wirklichkeit definiert, als Maßstab des Handels tatsächlich an Wirklichkeit gewinnt („self-fulling prophecy“).707 Danach weisen soziale Vorurteile eine starke Tendenz der meinungshaften Verselbstständigung und der Selbstbestätigung auf, da sie maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten gesellschaftlicher Gruppen haben. Wenn das menschliche Leben zumindest zu einem großen Teil als vorbestimmt betrachtet wird, gewinnt diese Auffassung – unabhängig von ihrer Nachweisbarkeit – eine (gesellschaftlich-verselbstständigte) Realität: Der Einzelne wird in der Gesellschaft als vorbestimmt behandelt, auch wenn er es aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht ist. Die Annahme der Prognostizierbarkeit des menschlichen Lebens wird zur „wahren Lüge“.708 Allenfalls bei Prognosen aufgrund von (dauerhaften) Manifestationen stellt sich die Situation im Hinblick auf die Widerlegbarkeit insofern für den Einzelnen günstiger dar: Zwar unterliegt auch die Annahme, dass eine bestimmte Eigenschaft dauerhaft bestehen bleibt, genau wie alle Vorhersagen der prognostischen Aussageungenauigkeit. Das Vorliegen einer dauerhaften Manifestation ist jedoch überprüfbar und kann widerlegt werden, sobald die Manifestation verschwindet.709 So lassen sich Feststellungen über bestimmte Begabungen, wie z.B. auch handwerkliche Fähigkeiten, mathematische Begabung oder Sportlichkeit, jederzeit überprüfen. (4) Besonderer Umfang der Beeinträchtigung von betroffenen Rechten und Interessen Der Umfang der Beeinträchtigung der betroffenen Rechte und Interessen steigt dabei mit dem Maß der Aussageungenauigkeit: Je ungenauer die verwendeten personenbezogenen Typisierungen sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer letztlich grundlosen Freiheitsbeeinträchtigung. In dem Umfang, wie die Ausübung dieser betreffenden Freiheitsrechte auch Bedeutung für volkswirtschaftliche Interessen gewinnt, desto größer ist auch der zu befürchtende volkswirtschaftliche Schaden. Schließlich dürften befürchtete gesellschaftliche Spannungsverhältnisse auch umso größer werden, je bedeutungsvoller die Rechtsgüter sind, von denen die diskriminierten Bevölkerungsgruppen ausgeschlossen werden.

___________ 707 Merton, Soziale Theorie, S. 399 ff. – Im Anschluss daran: Bundesministerium für Forschung und Technik, Arbeitskreis Genforschung 1991, S. 119; Simon, Gendiagnostik, S. 117. 708 Vgl. dazu bereits S. 354. 709 Paul, Tumorerkrankungen, S. 35.

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

369

(5) Ergebnis In gleichheitsrechtlicher Hinsicht ist das Verbot der Typisierung aufgrund von prädiktiven Daten keinen Bedenken ausgesetzt. Prädiktive Daten weisen eine besondere prognostische Aussageungenauigkeit auf, welche wiederum in einem besonderen Ausmaß zu einer Beeinträchtigung der betroffenen Rechte und Interessen führt. Für den Bereich der prädiktiven Verwendung personenbezogener statistischer Daten besteht somit typischerweise ein Abwägungsübergewicht zugunsten eines Verbots der Typisierung aufgrund von prädiktiven Aussagen.

bbb) Verbot der Typisierung aufgrund von diagnostischen Aussagen Die Verwendung von statistischen Daten zu diagnostischen Zwecken weist nicht im gleichen Umfang Ungenauigkeitsfaktoren auf wie die zu prognostischen Zwecken. Im Unterschied zur prädiktiven Verwendungsweise treten bei Diagnosen nicht die prognostischen Unsicherheitsfaktoren hinzu: Zum einen unterliegen Diagnosen nicht dem Vorbehalt, dass keine kausalverlaufsändernde Umstände hinzutreten, weil ja das gegenwärtige Vorliegen der Manifestation, also eine bereits abgeschlossene Entwicklung, untersucht wird. Zum Zweiten ist davon auszugehen, dass zur Ermittlung einer verwirklichten Manifestation Kontrolluntersuchungen zur Verfügung stehen und daher grundsätzlich kein Defizit zeitnaher Überprüfung wie bei weit in die Zukunft reichenden Prognosen besteht. Angesichts des rechtlichen Abstraktionserfordernisses erscheint ein allgemeines Verbot der diagnostischen Verwendung von Eigenschaftsindikatoren als verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt: Zur Wahrung der Praktikabilität bei der Umsetzung von rechtlichen Regelungen und damit auch zur Erhöhung der Rechtssicherheit müssen Abstraktionen bei der Fassung von rechtlichen Regelungen grundsätzlich zulässig sein. Dazu gehört grundsätzlich auch die Verwendung von personenbezogenen statistischen Daten. Personenbezogene Typisierungen unterliegen allerdings wegen der persönlichkeitsrechtlichen Beeinträchtigung erhöhten Rechtfertigungsanforderungen.710 Praktikabel und zulässig dürfte ein Verbot von Typisierungen bei diagnostischer Verwendung wohl nur bezogen auf Merkmale sein, welche ein besonderes Diskriminierungspotenzial aufweisen. Als Beispiele für solche Merkmale lassen sich die in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale betrachten. Diese Überlegung lässt sich jedoch nicht auf genetische Merkmale im Allgemeinen übertragen, da ___________ 710

Zum Recht auf Achtung der Individualität: S. 397 ff.

370

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

die meisten genetischen Merkmale keinen gruppenidentitätsstiftenden Charakter aufweisen.711

ccc) Verbot der Typisierung aufgrund von differenzialdiagnostischen Aussagen Ungenauigkeitsfaktoren können auch bei der Ermittlung von – in der Vergangenheit abgelaufenen – Kausalverläufen bestehen. Ein Verbot von differenzialdiagnostischen Typisierungen ist jedoch verfassungsrechtlich problematisch: (1) Statistische Aussageungenauigkeit Kausalbewertungen weisen (lediglich) eine statistische Aussageungenauigkeit auf. Deutlich wird dies insbesondere bei der Prüfung von Partikularkausalitäten, in Fällen also, in denen zwei oder mehrere mögliche Ursachen in ihrem kausalen Einfluss gewertet werden müssen.712 Denn äußere Erscheinungsbilder können nicht immer eindeutig bestimmten Ursachen zugewiesen werden. Vielmehr gibt es häufig eine Reihe von Verursachungsmöglichkeiten.713 Die Vermutung, dass etwa ein bestimmter Eigenschaftsindikator ursächlich für die Herausbildung eines bestimmten Erscheinungsbildes ist, beruht auf statistischen Annahmen. Insbesondere bei der Bewertung von hypothetischen Kausalverläufen bekommen Kausalitätsbewertungen ein statistisches Einschätzungselement: Um die Bedeutung eines bestimmten Umstandes oder Ereignisses beurteilen zu können, werden andere in Betracht kommende Verursachungsumstände hinweg gedacht (Hypothese), um auf dieser Grundlage abzuschätzen, welchen Verlauf die Entwicklung unter diesen Umständen genommen hätte.714 Beispiele für derartige Fallkonstellationen lassen sich in Fällen der Arbeitgeberhaftung sehen. Ein Arbeitnehmer leidet unter einer gesundheitlichen Schädigung, die er für arbeitsbedingt hält, und nimmt vor diesem Hintergrund seinen Arbeitgeber bzw. dessen gesetzliche Unfallversicherung in Haftung. Der Arbeitgeber hingegen versucht sich durch die Behauptung zu entlasten, dass die Schädigung nicht arbeitsbedingt ist, sondern vielmehr wegen der Veranlagung des Arbeitnehmers unabhängig von der beruflichen Tätigkeit aufgetreten wäre. – In den Vereinigten Staaten wäre es für diese Fallgruppe fast zu einem Präzedenzfall gekommen.715 Aufgrund des öffentlichen Drucks und des damit verbundenen Imageverlustes verzichtete jedoch der Arbeitgeber auf die weitere Durchsetzung seines rechtlichen Anliegens.

___________ 711

Siehe bereits S. 357 f. Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 480. 713 Siehe auch Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 73. 714 Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 347.: „..., womit im Übrigen wieder einmal die Parallelität von Prognose und Kausalbewertung zu Tage tritt.“; auch S. 278: „Kausalitätsbewertung wird zur Angelegenheit medizinischer Prognose“. Auch Hofmann, Genomanalyse, S. 8 (im Hinblick auf die Chromosomenanalyse). 715 Zu diesem Fall siehe bereits S. 140, Fn. 306. 712

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

371

Wegen der (zumindest theoretisch) vollständig ermittelbaren Tatsachengrundlage weisen Kausalbewertungen jedoch keine strukturell bedingte, mit der prognostischen vergleichbare, besondere Aussageungenauigkeit auf. Für die Bewertung von in der Vergangenheit abgelaufenen Kausalverläufen sind alle beurteilungserheblichen Fakten bekannt oder ermittelbar und können daher – zumindest theoretisch – auf einer umfassenden Tatsachengrundlage getroffen werden. Zudem sind Feststellungen über vergangene Vorgänge – anders als solche über zukünftige – grundsätzlich überprüfbar. Da Kausalbewertungen keine über die üblicherweise bei der Verwendung statistischer Daten hinausgehende Aussageungenauigkeit aufweisen, erscheint ein gegenüber den anderen Verwendungsweisen hervorgehobener Diskriminierungsschutz bei der differenzialdiagnostischen Verwendung von Eigenschaftsindikatoren grundsätzlich nicht als gerechtfertigt. (2) Vergleichbarkeit mit sachbezogenen Kausalitätsbewertungen Hinzu kommt, dass in bestimmten Bereichen rechtliche Schieflagen entstehen könnten, wenn lediglich personenbezogene Typisierungen verboten sein sollten. Die Berufung auf einen Kausalverlauf, der an ein personenbezogenes Merkmal anknüpft, wäre verboten, die Berufung auf Kausalitätsbewertungen, die keinen Personenbezug aufweisen, jedoch grundsätzlich zulässig, obwohl beide Kausalbewertungen strukturell – als statistische Daten – die gleiche Aussageungenauigkeit aufweisen. Veranschaulicht werden kann dies anhand der Haftungsfälle: Der Arbeitnehmer dürfte sich auf statistische, nicht personenbezogene Daten berufen (etwa Krankheitsverursachung durch betriebliche Schadstoffbelastung), während dem Arbeitgeber die Berufung auf statistische Werte zur Stützung seiner Kausalitätsbewertung verwehrt wäre, wenn sich diese Daten auf personenbezogene Eigenschaftsindikatoren des Arbeitnehmers beziehen (etwa Krankheitsverursachung durch persönliche genetische Veranlagung des Arbeitnehmers).

(3) Problem der ausufernden Obliegenheiten Allerdings ergibt sich für die differenzialdiagnostische Verwendungsweise die Besonderheit der mittelbaren Beeinträchtigung grundrechtlicher Gewährleistungen: Die diagnostische Verwendung von Eigenschaftsindikatoren in Haftungsfällen gewinnt nämlich nicht nur für die Behandlung abgeschlossener Entwicklungen Bedeutung, sondern kann auf den Einzelnen mittelbar auch Druck bei der Entscheidung über seine (zukünftige) Lebensgestaltung ausüben. Derjenige, der befürchtet, für jedes Risiko, welches sich in ihm verwirklicht, ganz oder zu einem erheblichen Teil haften zu müssen, könnte sich veranlasst sehen, nur äußerst zurückhaltend zu agieren und auf die Wahrnehmung verschiedener Handlungsmöglichkeiten von vornherein zu verzichten. Grundsätzlich ist diese Steuerungsfunktion vom Haftungsrecht durchaus erwünscht. Die Möglichkeit der Vornahme prädiktiver Untersuchungen könnte jedoch in einem Umfang zu

372

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

einer Ausweitung von Sorgfaltspflichten führen, der die freie Lebensführung unangemessen einschränken würde. Jedes Risiko, welches im Rahmen solchen Untersuchungen festgestellt wird, könnte mit der Verpflichtung zu einer risikosenkenden Verhaltensweise verbunden werden. Verstöße gegen derartige Sorgfaltspflichten würden auch im Falle eines (primär) durch Dritte verursachten Schadens im Rahmen des Mitverschuldens mit berücksichtigt werden. Allein die Anfälligkeit für bestimmte Schädigungen würde dazu verpflichten, risikoerhöhende Lebensbereiche zu meiden. Angesichts der Vielzahl feststellbarer Risiken könnte damit letztlich die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben erheblich beeinträchtigt sein. Vor diesem Hintergrund könnte eine Veränderung des Sorgfaltsmaßstabs angezeigt sein. Bei der Festlegung von Sorgfaltsmaßstäben ist somit das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit zu berücksichtigen.716 Die Überlegungen finden im Hinblick auf die Gendiagnostik ihren Ausdruck, wenn die Befürchtung geäußert wird, dass die Feststellung genetischer Risikoveranlagungen mit der Verpflichtung zu einem genkonformen Verhalten verbunden werden könnte.717 (4) Ergebnis Ein Verbot der differentialdiagnostischen Verwendung von Eigenschaftsindikatoren erscheint verfassungsrechtlich problematisch: Eine Regelung, welche die differenzialdiagnostische Verwendung von personenbezogenen statistischen Daten uneingeschränkt verbietet, diejenige aufgrund von sachbezogenen jedoch erlaubt, würde möglicherweise zu Schieflagen in Haftungsprozessen führen. Im Haftungsprozess benachteiligt sie einseitig Parteien, die lediglich unter Nachweis von Eigenschaftsindikatoren ihre Haftung ausschließen können. Allerdings besteht die Gefahr, dass die Entwicklung von ausufernden Haftungsverantwortlichkeiten zu einer mittelbaren Beeinträchtigung einer gesellschaftlich gewollten Freiheitsausübung führt. Um dieser Gefahr zu begegnen, erscheint ein Verbot der differenzialdiagnostischen Verwendung von Eigenschaftsindikatoren jedoch nicht als angemessen. Angesichts der Breite des Spektrums von ermittelbaren Risikofaktoren könnte hier allerdings gegebenenfalls eine Anpassung des Sorgfaltsmaßstabs als geboten erscheinen.

bb) Spezifikationen hinsichtlich des Anwendungsbereichs Lebens- und sachbereichsbezogene Beschränkungen eines Typisierungsverbots sind je nach Wertigkeit der betroffenen Rechtsgewährleistung in gleichheitsrechtlicher Hinsicht zulässig. Ein besonderes Schutzbedürfnis kann sich ___________ 716 717

Eingehender dazu S. 441 ff. Nachweise dazu siehe Fn. 223 (S. 441).

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

373

insbesondere dann ergeben, wenn sich die mit der typisierenden Behandlung des Einzelnen verbundenen Beeinträchtigungen als besonders intensiv darstellen. Die durchschnittliche Eingriffsintensität in einem bestimmten Lebens- und Sachbereich kann wiederum entscheidend von den in diesem Bereich typischen Entscheidungsmöglichkeiten bestimmt werden. „Alles-oder-Nichts“-Entscheidungen718 dürften z.B. eher für das Arbeitsrecht typisch sein (etwa bei der Einstellung von Arbeitnehmern). Solche Entscheidungen sind grundsätzlich als schwerwiegender zu bewerten als die gestuften Entscheidungsmöglichkeiten, wie etwa bei der Prämienkalkulation im Rahmen des Abschlusses eines Versicherungsvertrages.719

Lebens- und sachbereichsbezogen ist insbesondere auch das Erfordernis für Ausnahmeregelungen von einem (grundsätzlichen) Diskriminierungsverbot zu beurteilen. Nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Lebensund Sachbereichs lässt sich beurteilen, inwieweit eine Typisierung anhand des eigentlich verbotenen Merkmals im Ausnahmefall als gerechtfertigt erscheint. Im Vordergrund steht dabei der Schutz der Rechte Dritter.720 Sofern beispielsweise die fehlerhafte Ausübung bestimmter Berufe Leib und Leben Dritter gefährden kann, können – unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit721 – für diese Fälle Ausnahmeregelungen vorgesehen werden. Ein häufig genanntes Beispiel ist der Personentransport. Aufgrund der Gefährdung von Leib und Leben der Passagiere werden bei Busfahrern, Lokomotivführern und Piloten Ausnahmen von einem grundsätzlichen Diskriminierungsverbot gefordert.722 In diesen Fällen erscheint die Ungleichbehandlung auch aufgrund prädiktiver Daten als verfassungsrechtlich zulässig (wenn nicht gar geboten), wenn sich im Falle des Abwartens der Manifestation die Gefährdung der Dritten nicht mehr gleich wirksam verhindern lässt.723 Ausnahmeregelungen vom Diskriminierungsverbot, durch die der Betroffene vor Selbstgefährdungen geschützt wird, erscheinen aus grundrechtlicher Sicht jedoch pro-

___________ 718

Siehe S. 249 ff. Dieser Aspekt wird später auch im Rahmen des Rechts auf Achtung der Individualität zu berücksichtigen sein, siehe S. 447 f. 720 Däubler, Gläserne Belegschaften, Rdnr. 233; Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 392; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 160. 721 Als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes lässt sich der Grundsatz der manifestationsnächsten Typisierung betrachten. Siehe dazu später S. 424 ff. 722 Mit entsprechenden Forderungen: Bayertz/Ach/Paslack, Genetische Diagnostik (1999), S. 212; Bickel, VerwArchiv 1996, 169 (181); Bundesminister für Forschung und Technik, Arbeitskreis Genforschung (1991), S. 209; Deutsch, Fachgespräch (1983), in: BMFT, „Ethische und rechtliche Probleme“, S. 47 (132 f.); Kienle, prädiktive Medizin, S. 69, 79; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 252 (mit dem nicht unmittelbar nachvollziehbaren Hinweis auf Ansteckungsgefahren (?), denen durch die Kenntnis genetischer Veranlagungen entgegengewirkt werden kann); Paul, Tumorerkrankungen, S. 236; Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 74; Schöffski, Gendiagnostik, S. 139. In diese Richtung auch Däubler, RDV 2003, 7 (9); Hirsch/Eberbach, künstliches Leben, S. 391 f.; Weichert, DuD 2002, 133 (144). 723 S. 424 ff. 719

374

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

blematisch.724 Vor diesem Hintergrund sind insbesondere Regelungen zum Eigenschutz des Arbeitnehmers problematisch.725

IV. Zusammenfassung der Ergebnisse Die gleichheitsrechtliche Überprüfung der unterschiedlichen Regelungsvarianten für ein Verbot genetischer Diskriminierung hat zu folgenden Ergebnissen geführt: 1. Die Bindung an den Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit stellt eine rechtliche Selbstverständlichkeit dar. Es erscheint verfassungsrechtlich zulässig, in Bereichen mit einer besonders hohen Fehleranfälligkeit zur Vermeidung von Fehlbewertungen auf rechtlicher Ebene eine Beweislastverschiebung vorzunehmen, mit der die Ermittlung des richtigen Sachverhaltes besser sichergestellt werden kann. Da es sich bei der Beweislastumkehr um eine prozessuale Privilegierung handelt, bedarf sie der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Diese ist in gleichheitsrechtlicher Hinsicht insbesondere dann gegeben, wenn sich eine besondere Fehleranfälligkeit im Umgang mit dem gesetzlich festgelegten Diskriminierungskriterium nachweisen lässt. In dieser Hinsicht erscheinen insbesondere Beweislastumkehrungen beim Umgang mit Informationen über Eigenschaftsindikatoren726, Anlagen727 oder genetischen Veranlagungen728 als verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Demgegenüber dürften Spezifikationen hinsichtlich der Verwendungsweise nicht gerechtfertigt sein.729 2. Der Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit ist auf der Rechtsfolgenseite mit einem Bewertungsverbot verknüpft. Für viele Lebensund Sachbereiche stellt sich die Einführung dieses Gerechtigkeitsmaßstabs als systemfremd und damit verfassungswidrig dar.730 In Bereichen, in denen dieser Gedanke aufgegriffen worden ist, dürften jedoch die bestehenden lebens- und sachbereichsbezogenen Gerechtigkeitsmaßstäbe zur Beurteilung der individuellen Beeinflussbarkeit geeigneter sein. Pauschalisierende Betrachtungsweisen, wie z.B. in Form eines allgemein auf „genetische Informationen“ bezogenen Bewertungsverbots, sind jedenfalls nicht geeignet, diesen ___________ 724

Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, insb. S. 162 ff. Vgl. auch Däubler, Gläserne Belegschaften, Rdnr. 232, 285. 726 S. 276. 727 S. 286. 728 S. 288. 729 S. 289. 730 S. 305. 725

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

375

Gerechtigkeitsmaßstab logisch konsistent umzusetzen und sind somit verfassungswidrig.731 3. Der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit ist mit der Rechtsfolge des Typisierungsverbots verbunden und erscheint als wirkungsvolles Mittel, um persönlichkeitsrechtliche Gewährleistungsaspekte sicherzustellen.732 Allerdings sind die in den meisten Regelungen und Regelungsentwürfen gewählten Spezifikationsvarianten in gleichheitsrechtlicher Hinsicht Bedenken ausgesetzt, da sie den zugrunde liegende Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit nur unzureichend umsetzen. Von den damit verbundenen gleichheitsrechtlichen Problemen sollen folgende hervorgehoben werden: – Regelungen, die den Diskriminierungsschutz auf Träger genetischer Veranlagungen begrenzen, sind zu eng, weil Träger nicht-genetischer Eigenschaftsindikatoren einer vergleichbaren Gefährdungslage ausgesetzt sind (verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Beschränkung auf genetische Bezugsmerkmale).733 – Regelungen, die manifeste Eigenschaften in ihren Anwendungsbereich einbeziehen, erscheinen zu weit, weil die Aussagen über Manifestationen Individualinformationen sind und somit nicht die statistische Aussageungenauigkeit aufweisen (verfassungsrechtliche Bedenken aufgrund der fehlenden Beschränkung auf Eigenschaftsindikatoren).734 – Die Regelungen, die auch Ungleichbehandlungen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren nach Eintritt der Manifestation erfassen (also in differenzialdiagnostischer und diagnostischer Verwendungsweise), sind zu weit. Differenzialdiagnostische und diagnostische Informationen weisen keine besondere, prognostische Aussageungenauigkeit auf, sodass ein absolutes Verbot der Typisierung aufgrund von Eigenschaftsindikatoren in dieser Hinsicht als problematisch erscheint.735 Insbesondere das Verbot der Verwendung von Eigenschaftsindikatoren im Rahmen von Kausalitätsbewertungen kann zu rechtlichen Schieflagen führen736 (verfassungsrechtliche Bedenken aufgrund der fehlenden Beschränkung des Verbots auf prädiktive Verwendung).

___________ 731

S. 314 und 316. S. 336. 733 S. 358 ff. 734 S. 344 und 362. 735 S. 369 f. und 372. 736 Siehe S. 371 f. 732

376

Kapitel 2: Genetisches Diskriminierungsverbot und Gleichheitssatz

V. Konsequenzen für die Gesetzgebung und das Verbot prädiktiver Diskriminierung als Regelungsalternative Einfachgesetzliche und verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbote unterscheiden sich hinsichtlich des Geltungsbereichs in zweifacher Hinsicht: Zum einen entfalten einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote – im Unterschied zu verfassungsrechtlichen Vorschriften – auch Wirkung im privatrechtlichen Bereich, binden jedoch nicht den Gesetzgeber (Art. 20 Abs. 3 GG). Zum anderen gelten für sie unterschiedliche verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstäbe: Einfachgesetzliche Regelungen unterliegen der vollen verfassungsrechtlichen Kontrolle, während Verfassungsänderungen nur am Maßstab des Art. 79 Abs. 3 GG zu prüfen sind. Auf Grundlage der aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bewertung der verschiedenen Regelungs- und Auslegungsvarianten des Verbots der Diskriminierung aufgrund genetischer Untersuchungen oder Merkmale ergeben sich für den Gesetzgeber folgende Handlungsmöglichkeiten: Sofern ein genetisches Diskriminierungsverbot nicht lediglich im Sinne einer Beweislastumkehr, sondern im Sinne eines Typisierungsverbots verstanden werden soll, erscheint seine Einführung nur über ein verfassungsänderndes Gesetz möglich, bei der sich die Frage der Vereinbarkeit mit den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr stellt. Demgegenüber ist bei einer einfachgesetzlichen Festschreibung eines als Typisierungsverbot verstandenen Diskriminierungsverbots der gesetzgeberische Handlungsspielraum vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG erheblich eingeschränkt. Zwar hat der Gesetzgeber bei der Frage, ob er bestimmte gesetzliche Regelungen überhaupt treffen will, in der Regel einen weiten Ermessensspielraum.737 Hat er sich für ein (einfachgesetzliches) Tätigwerden entschieden, muss er jedoch insbesondere bei der Auswahl des Adressatenkreises den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG gerecht werden. Mit anderen Worten: Die einfachgesetzliche Privilegierung einer bestimmten Personengruppe bedarf grundsätzlich einer Rechtfertigung.738 Bezogen auf das hier zu behandelnde Problem des genetischen Diskriminierungsverbots bedeutet dies: Der Gesetzgeber darf nicht, indem er einer bestimmten Gruppe einen besonderen Diskriminierungsschutz gewährt, ihn einer vergleichbaren Gruppe von Menschen ohne sachlichen Grund vorenthalten.739 Hier bleibt dem Gesetzgeber nur die Möglichkeit, ___________ 737

Eingeschränkt wird dieser Ermessensspielraum allerdings bei verfassungsrechtlichen Schutzpflichten: Vgl. Krings, Grund und Grenzen, insb. 234 ff. 738 Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Privilegierungen (Bevorzugungen) dürfte insofern grundsätzlich den gleichen gleichheitsrechtlichen Anforderungen unterliegen wie Benachteiligungen, weil in jeder Privilegierung auch eine Benachteiligung der nicht-privilegierten Personengruppe liegt. – Nachweise dazu vgl. S. 252 ,Fn. 341. 739 Auf diese Problemlage weisen auch Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (207) hin („Genetic antidiscrimination legislation is flawed“). Ähnlich auch Bernat, JRE, 10

D. Prüfung der einzelnen Regelungsvarianten

377

insgesamt auf die Regelung eines Diskriminierungsverbots zu verzichten oder nach übergreifenden, den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG gerecht werdenden Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Vor dem Hintergrund der letztgenannten Handlungsmöglichkeit wird nun mit der Formulierung eines grundsätzlichen Verbots prädiktiver Diskriminierung ein in gleichheitsrechtlicher Hinsicht gangbarer Regelungsvorschlag gemacht, der auch der gesetzgeberischen Zielsetzung bei der Regelung eines genetischen Diskriminierungsverbots am nächsten kommen dürfte.740 Dabei wird die in Teilen der Literatur geäußerte Feststellung aufgegriffen, dass kein qualitativer Unterschied zwischen prädiktiven Aussagen anhand von genetischen Merkmalen und solchen anhand von nicht-genetischen Merkmalen bestehe.741 Ein (grundsätzliches) Verbot prädiktiver Diskriminierung ließe sich wie folgt definieren: „Niemand darf als vorbestimmt behandelt werden. Die Beurteilung eines Menschen anhand von Prognosen ist nur zulässig, wenn die mögliche Manifestation der prognostizierten Eigenschaften nicht abgewartet oder zu einem späteren Zeitpunkt prognostiziert werden kann, ohne dass die Interessen Dritter in unzumutbarer Weise eingeschränkt werden.“

Ausgesprochen ist damit ein grundsätzliches Verbot von Typisierungen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren des Einzelnen (Verbot prädiktiver Diskriminierung). Prognosen wären dann nur unter Einhaltung des Grundsatzes der manifestationsnächsten Typisierung zulässig.742 Die Ungleichbehandlung des Einzelnen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren im Rahmen von Kausalitätsbewertungen und Diagnosen ist nach dieser Regelung nicht erfasst.

___________ (2002), S. 183 (202, Fn. 74 m.w.N.); Kern, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 55 (58), Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 29, 30 f., 40 f., die letztlich jedoch – jedenfalls im Hinblick auf das Versicherungswesen – einen Diskriminierungsschutz insgesamt ablehnen. – Dagegen: Baumann, ZVersWiss 2002, S. 169 (184). 740 Forderungen, den Diskriminierungsschutz in dieser Hinsicht auf andere Eigenschaftsindikatoren auszudehnen, finden sich allerdings bisher nur vereinzelt. – Im Ansatz vgl.: Beckwith/Alper, JLME 26 (1998), 205 (206, 209). – Andere Auffassung: Dänischer Ethikrat, Ethics and the Mapping of the Human Genome (1993), S. 81., der zwar zu dem Ergebnis kommt, dass ein Verbot aller prädiktiver Untersuchungsformen eine „logische Konsequenz“ darstelle, gleichzeitig aber – überraschenderweise und ohne Begründung – eine entsprechende Regelung nicht als „möglich und wünschenswert“ einstuft. 741 Siehe S. 338, Fn. 596 ff. 742 Zum Gebot der manifestationsnächsten Typisierung vgl. S. 424 ff.

Kapitel 3

Verfassungsrechtliche Gewährleistungen beim Umgang mit genetischen Daten A. Einleitung Die Komplexität des Problems genetischer Diskriminierung ist im vorangegangenen Kapitel aufgezeigt worden. Die gleichheitsrechtliche Prüfung lässt erkennen, dass eine selektive, auf den Umgang mit genetischen Daten beschränkte Problembehandlung auf einfachgesetzlicher Ebene aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich ist und für eine konsistente Auslegung der Verfassung unzureichend sein dürfte. Dies lenkt den Blick von der gleichheitsrechtlichen Bewertung einer einfachgesetzlichen Regelung weg und leitet über zur verfassungsrechtlichen Verarbeitung der gewonnenen Erkenntnisse auf grundrechtsdogmatischer Ebene. Im Hinblick auf die „Diskriminierungsproblematik“ münden die gleichheitsrechtlichen Erwägungen – wie im Folgenden ausgeführt werden wird – in die persönlichkeitsrechtliche Konstruktion des Rechts auf Achtung der Individualität. Der Themenbereich dieses Kapitel wird jedoch über die Diskriminierungsproblematik hinaus ausgedehnt, indem auch andere im Zusammenhang mit genetischen Daten diskutierte verfassungsrechtliche Gewährleistungen erörtert werden. Dies ermöglicht die verfassungsrechtliche Verortung von Problemen, die im Zusammenhang mit dem Umgang mit genetischen Daten aufgeworfen werden, jedoch im Rahmen eines Diskriminierungsverbots bzw. des Rechts auf Achtung der Individualität keine rechtliche Relevanz haben. Es soll gezeigt werden, dass die Nichtberücksichtigung bestimmter Charakteristika genetischer Daten im Rahmen der Diskriminierungsproblematik bzw. beim Recht auf Achtung der Individualität nicht zu einer Nichtberücksichtigung im (Verfassungs-)Recht insgesamt führt. Damit soll auch ein konstruktiver Vorschlag zur rechtsdogmatischen Erfassung dieser Probleme aufgezeigt werden. So wird etwa das Problem der vielfältigen Verwertbarkeit genetischer Proben im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung behandelt, das Problem, dass der Einzelne ungewollt Kenntnis über ihm bisher verborgene genetische Veranlagungen bekommt, wird vom Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung erfasst. Allerdings kann und soll dieser Teil keine abschließenden Lösungen bieten, sondern nur der Zuordnung einzelner Problemfelder zu bestimmten persönlichkeitsrecht-

A. Einleitung

379

lichen Teilgewährleistungsbereichen dienen. Vornehmliches Ziel ist es somit, ein grundrechtsdogmatisches Gerüst zu skizzieren, vor dessen Hintergrund einzelne rechtliche Fragen diskutiert werden können. Verfassungsrechtliche Problemlagen sollen – wie in der bisherigen Darstellung auch – durch Beispiele veranschaulicht werden. Hierbei werden auch Fälle von nicht-staatlichen Rechtsbeeinträchtigungen in die Darstellung einbezogen, für die grundsätzlich die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen keine unmittelbare Anwendung finden. Zwar ist der Unterschied zwischen staatlichen Eingriffen und privaten Übergriffen auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Beeinträchtigungen – also gewissermaßen auf der Rechtsfolgenseite – zu berücksichtigen.1 Da es im Rahmen dieser Arbeit aber zunächst einmal um die Zuordnung bestimmter Probleme auf der Schutzbereichsebene geht, wird insoweit nicht zwischen staatlichen Eingriffen und Übergriffen von Privaten unterschieden.2 Insbesondere werden auch Beeinträchtigungssituationen aufgrund gesellschaftlicher Zwangslagen aufgezeigt. Diese ermöglichen zwar – mangels eines konkreten Klagegegners – keine zivilrechtlichen Klagemöglichkeiten, könnten jedoch gegebenenfalls staatliche Schutzpflichten auslösen oder zumindest zur Rechtfertigung eines gesetzgeberischen Tätigwerdens herangezogen werden. Die sich anschließenden Überlegungen zur Neukonzeption persönlichkeitsrechtlicher Teilgewährleistungen gründen sich auf folgende Grundverständnisse: Zunächst wird ein Modell der menschlichen Persönlichkeitsbildung vorgestellt, das später den verfassungsrechtlichen Überlegungen zugrunde gelegt werden wird (unter I.). Während dieses Modell der Strukturierung des persönlichkeitsrechtlichen Lebens- und Sachbereichs und der Abgrenzung einzelner Teilgewährleistungsbereiche dient, beschäftigt sich der Abschnitt über die verfassungsdogmatischen Grundannahmen mit Fragen der verfassungsrechtlichen Behandlung der damit abgegrenzten Lebens- und Sachbereiche (unter II.): Welchen Zweck verfolgen grundrechtsdogmatische Fallgruppenbildungen? Welche Möglichkeiten der grundrechtsdogmatischen Verarbeitung einer neuen tatsächlichen Gefährdungslage gibt es? Was sind die Voraussetzungen, die eine per___________ 1

Zur Drittwirkung etwa Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 104 f. Speziell im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Sachs-Murswiek, Art. 2 GG, Rdnr. 122. – Vgl. auch: Enders, in: Mellinghof/Trute, Leistungsfähigkeit des Rechts, S. 157 (178 ff.); Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 53 ff. (zur mittelbaren Drittwirkung verfassungsrechtlicher Vorgaben für genetische Untersuchungen im Arbeitsrecht); Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 96 ff. (zu staatlichen Schutzpflichten). 2 Ebenso: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 69 f. (insb. zum privatrechtlichen Erfordernis der gegenständlichen Verkörperung persönlichkeitsrechtlicher Gewährleistungsaspekte); Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 185; Hofmann, Genomanalyse, S. 15, 41 f.; Kluth, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 85 (85, 92); Meyer, Mensch, S. 266 f.

380

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

sönlichkeitsrechtliche Neukonstruktion als lohnend und zweckmäßig erscheinen lassen? Ergänzend wird die Unterscheidung zwischen integritäts- und entfaltungsrechtlichen Gewährleistungsaspekten aufgegriffen, welche hier zur verfassungssystematischen Charakterisierung der neu konzeptionierten Teilgewährleistungsbereiche genutzt werden wird (unter III.).

I. Soziologische Grundannahmen: Modell der Persönlichkeitsbildung Das hier vorgestellte „Modell der Persönlichkeitsbildung“ erhebt keinen Anspruch darauf, für die soziologische Praxis unmittelbar anwendbar zu sein. Es ordnet sich vielmehr von vornherein grundrechtsdogmatischen Erwägungen unter: Es soll helfen, bereits bekannte Teilbereichsgewährleistungen zuzuordnen und bestehende Lücken in der persönlichkeitsrechtlichen Dogmatik aufzuzeigen. Die bewusst schematische Darstellungsweise soll dies erleichtern. Nach diesem Modell wird die Persönlichkeitsbildung aus zwei verschiedenen Sichtweisen vorgenommen: Zunächst einmal wird zwischen einer inneren, reflexiven und einer von außen beeinflussten Form der Persönlichkeitsbildung unterschieden.3 Ergänzend wird auf einer zweiten Ebene – gewissermaßen dazu quer gelegt – zwischen Wahrnehmung und Bewertung einer Persönlichkeit unterschieden. Insgesamt ergeben sich damit vier Felder der Persönlichkeitsbildung: Wahrnehmungsebene

Bewertungsebene

innerer (reflexiver) Bereich

Selbstwahrnehmung

Selbstwert

von außen beeinflusster Bereich

Fremdwahrnehmung (wiederum beeinflusst durch die Selbstdarstellung)

Wertschätzung (durch das unmittelbare Umfeld) Wertzuweisung (durch die Gesellschaft)

Abb. 11: Angenommene Bereiche der Persönlichkeitsbildung

Zunächst soll auf den von außen beeinflussten Bereich der Persönlichkeitsbildung näher eingegangen werden, der in der öffentlichen Diskussion bisher im Vordergrund stand und deshalb vertrauter ist. ___________ 3 Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 254 f. m.w.N.; Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 29; Isensee, in: FS Hollerbach, S. 243 (255): „Das genetische Bild des Individuums kann das Selbstbewusstsein bestimmen und die Einschätzung durch die soziale Umwelt.“; Krahnen, in: Schröder-Kurth, Genetik, S. 67 (74); Lanzerath, Die politische Meinung, Nov. 2001; Nr. 394, 19 (22): „Fremd- und Selbstzuschreibungen“.

A. Einleitung

381

1. Von außen beeinflusster Bereich der Persönlichkeitsbildung Auf der Bewertungsebene des von außen beeinflussten Bereichs der Persönlichkeitsbildung kann zwischen der Wertschätzung durch das unmittelbare soziale Umfeld und der Wertzuweisung durch die Gesellschaft unterschieden werden. Dieser Bewertung – als Ergebnis der Auseinandersetzung mit einer Person – ist allerdings die Wahrnehmung einer Persönlichkeit vorgeschaltet. Die Wahrnehmung bietet die Entscheidungsgrundlage für die Bewertung einer Persönlichkeit. Art und Umfang dieser Wahrnehmung bestimmen sich für diesen Bereich nach der Fremdwahrnehmung, die unter anderem von der Selbstdarstellung der betreffenden Person abhängt. Bei der Selbstdarstellung geht es um die Einflussnahme des Einzelnen auf die Wahrnehmung seiner Persönlichkeit in seinem sozialen Umfeld und in der Öffentlichkeit. Dabei dürfte der Einzelne in der Regel von dem Bestreben geleitet sein, sich in angemessener Weise in der Öffentlichkeit darzustellen und selbst darüber zu bestimmen, ob und in welchem Umfang er etwas von seiner Person preisgibt. Hervorzuheben ist dabei folgender Aspekt: Beeinflussbar ist für die betreffende Person im Wesentlichen die Informationszufuhr und nur eingeschränkt die Bewertung, die ihre Umwelt aufgrund der gewonnenen Informationen über ihre Persönlichkeit vornimmt. So kann der Einzelne zwar versuchen, den Umfang der Informationen, den seine Umwelt über ihn erlangt, zu dosieren oder falsche Informationen zu berichtigen. Nur in eingeschränktem Maße dürfte es ihm allerdings möglich sein, die Bewertung – also die Wertzuweisung und Wertschätzung seiner eigenen Persönlichkeit – zu beeinflussen, die von seiner Umwelt aufgrund der über ihn bekannten Informationen vorgenommen wird.

2. Innerer, reflexiver Bereich der Persönlichkeitsbildung Von diesem Bereich der Persönlichkeitsbildung ist ein innerer Bereich abzugrenzen. Hier geht es um die Selbstwahrnehmung der eigenen Persönlichkeit und die sich darauf gründende Bewertung der eigenen Person, das Selbstwertgefühl.4 Ähnlich wie im von außen beeinflussten Bereich der Persönlichkeitsbildung hat der Einzelne auch hier die besten Einflussmöglichkeiten im Bereich der Informationszufuhr, also in dem, was er über sich selbst erfahren möchte. Die Einflussnahme kann dabei über den Wunsch nach Wissen, aber auch durch den Wunsch nach Nichtwissen zu erreichen versucht werden.5 ___________ 4

Ausdrücklich hervorgehoben wird dieser Bereich etwa von: NIH/DOE, Human Gene Therapy 1993, S. 789 (803). 5 A.A. Sass, Fachgespräch (1983), in: BMFT, „Ethische und rechtliche Probleme“, S. 47 (121): „... Drittens, was das Individuum betrifft, so erhöht das Wissen über sich

382

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

So kann es beispielsweise erheblichen Einfluss auf das Selbstwertgefühl des Einzelnen haben, wenn ihm im Rahmen eines Arztbesuches unerwartet eine unheilbare Erkrankung diagnostiziert wird. Die Unkenntnis einer solchen Diagnose dürfte das Selbstwertgefühl hingegen (zunächst) unbeeinflusst lassen.

Demgegenüber erscheint die Bewertung der eigenen Person, das Selbstwertgefühl, weit weniger beeinflussbar. Dies mag zwar zunächst einmal überraschend erscheinen, weil man der Auffassung sein könnte, dass sich der Einzelne sein Wertebild selbstbestimmt bildet. Jedoch dürfte sich der Selbstwert wohl eher als eine Größe darstellen, die sich in der Wechselwirkung von Selbstbestimmung und -bestätigung bildet und somit immer Resultat eines Kommunikationsprozesses mit der Umwelt ist.6 Beispielsweise kann es für einen Menschen vollkommen mit seiner Vorstellung vom eigenen Leben vereinbar sein, dass er eine genetische Veranlagung zu einer Herzschwäche hat, die seine Lebenserwartung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf ein Lebensalter von 50 Jahren begrenzt. Die Tatsache jedoch, dass in einer auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft Menschen mit derartigen Veranlagungen als nur noch eingeschränkt einsatzfähig erachtet werden, kann dann sehr wohl Rückwirkungen auf sein Selbstwertgefühl haben. Beeinträchtigt ist in diesen Fällen sein Selbstwertgefühl nicht durch autonome Wertsetzung, sondern durch Wertschätzung und Wertzuweisung durch Dritte.

Verstärkt wird die Beeinflussung der Selbstwahrnehmung dann, wenn an die Kenntnis bestimmter Umstände moralische oder auch rechtliche Folgezwänge geknüpft sind.7 Ein rechtlicher Folgezwang kann in einer etwaigen Offenbarungspflicht gegenüber der Versicherung gesehen werden.8 Je nach Persönlichkeitsstruktur kann sich angesichts eines möglichen Vererbungsrisikos auch die Frage, Kinder zu bekommen, neu stellen.

___________ selbst Chancen der Selbstverwirklichung, wie auch des Missgriffs. Das „Erkenne dich selbst“ ist in unserer technisch bedingten Gesellschaft kein luxuriöser, philosophischer Wunsch, sondern eine Vorbedingung für sittlich verantwortliches Handeln für sich und andere. ... Nur so, und durch nichts anderes unterscheidet sich die menschliche Person vom animalischen Leben.“ 6 Krahnen, in: Schröder-Kurth, Genetik, S. 67 (70). – Anders Habermas, liberale Eugenik, S. 136: „induzierte Selbstentwertung“, die unabhängig von äußeren (gesellschaftlichen) Einflüssen erfolgen kann. 7 So etwa Eser, Fachgespräch (1983), in: BMFT, „Ethische und rechtliche Probleme“, S. 47 (126 f.): „Ob es aber legitim ist, einen Menschen zu zwingen, dass er sich ... einer Genomanalyse stellt, die ja zudem für ihn auch gewisse Verantwortlichkeiten erzeugen soll – nämlich dass er gezwungen sein könnte, bestimmte Zeugungsakte zu unterlassen oder die Familie zu informieren –, dies erscheint mir jedoch nicht zuletzt im Hinblick auf die möglichen Folgezwänge äußerst problematisch.“; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 248; Vancouver-Appell der deutschen Huntington Gesellschaft, zitiert nach Engel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 181 (191 f.). – Siehe auch BVerfGE 89, 69 (89 f.) – MPU. 8 Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (478).

A. Einleitung

383

3. Schlussfolgerungen für die verfassungsrechtliche Behandlung Im Hinblick auf eventuelle gesetzgeberische und verfassungsrechtliche Konsequenzen – also für die Frage der Einräumung einfachgesetzlichen Schutzes oder der verfassungsdogmatischen Konkretisierung persönlichkeitsrechtlicher Gewährleistungen – machen diese Überlegungen Folgendes deutlich: Zum einen lassen sich bei der rechtlichen Behandlung von Problemen im Zusammenhang mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung strukturelle Unterschiede ausmachen, welche mit unterschiedliche Interessenlagen verbunden sind (unterschiedliche Schutzsphären der Fremd- und Selbstwahrnehmung): Die Fremdwahrnehmung kann durch den Einzelnen beeinflusst werden, indem er die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung einer bestimmten Information durch Dritte steuert. In beschränktem Maße dürfte dabei auch die einmal gewonnene Kenntnis von Dritten beseitigt werden können, da ungespeicherte Informationen in der Regel in Vergessenheit geraten dürften. Bereits gespeicherte Daten können gelöscht werden. Anders stellt sich die Lage hinsichtlich der Selbstwahrnehmung dar. Hier dürfte es in der Regel nicht möglich sein, den Einzelnen einmal bekannte Informationen wieder vergessen zu lassen: Die Kenntnis über persönliche Eigenschaften dürfte in vielen Fällen irreversibel sein.9 Ziel von Rechtsgewährleistungen ist es daher, den Einzelnen von vornherein vor ungewollten Informationen über sich selber zu schützen. Dieser rechtliche Schutz kann sich nur auf Informationen beziehen, die der Einzelne nicht selbst schon kennt. Dabei kann der Einzelne von bestimmten Informationen auch unbewusst Kenntnis erlangen, wenn sie in seinem sozialen Umfeld bekannt sind und ihm unausgesprochen vermittelt werden.10 Darin liegt eine faktische Begrenzung des grundrechtlichen Schutzes.11 Die Unterscheidung zwischen der Wahrnehmungs- und Bewertungsebene lässt die unterschiedlichen Einflussnahmemöglichkeiten offensichtlich werden: Beeinflussbar ist vor allem die Informationszufuhr, also die Selbst- bzw. Fremdwahrnehmung. Motiv für die Steuerung der Informationszufuhr dürfte in der Regel das Bestreben sein, darüber indirekt das eigene Selbstwertgefühl oder die von Dritten der eigenen Person entgegengebrachte Wertschätzung zu beeinflussen. Zur Sicherung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen hat die Einräumung von subjektiven Rechten daher vorrangige Bedeutung auf der Wahrnehmungsebene. Diese Funktion kann für den Bereich der Fremdwahrnehmung als von dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausge___________ 9

Siehe dazu auch unten, S. 518 ff. Habermas, liberale Eugenik, S. 144 f. 11 Zur faktischen Begrenzung auf nicht wahrnehmbare Merkmale siehe S. 460 (im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung) und S. 493 (im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung). 10

384

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

füllt betrachtet werden.12 Ergänzt werden kann sie für den Bereich der Selbstwahrnehmung durch die Einräumung eines Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung.13 Unterstützend können rechtliche Maßnahmen auf der Bewertungsebene wirken. Auf dieser Ebene setzen Datennutzungsverbote (wie Diskriminierungsverbote oder das Recht auf Achtung der Individualität) an, die verbieten, aus bestimmten persönlichen Bewertungen – z.B. der Geringschätzung der Angehörigen bestimmter Volksgruppen – rechtlich wirksame Konsequenzen zu ziehen. Datennutzungsverbote können dabei in zweierlei Hinsicht Wirkung entfalten: Geht man davon aus, dass eine Wechselwirkung zwischen rechtlichen Regelungen und gesellschaftlichen Wertmaßstäben besteht, kann zum einen einer gesellschaftlichen Abqualifizierung des Einzelnen aufgrund unerwünschter Kriterien entgegengewirkt werden. Zum anderen kann durch Datennutzungsverbote ein weiterer Beitrag zum Erhalt des Selbstwertgefühls der betroffenen Person geleistet werden. Denn das Gefühl, aufgrund einer bestimmten Erkrankungswahrscheinlichkeit nicht mehr das tun zu können, worüber man bisher ein ausgefülltes Leben definiert hat, dürfte einen wesentlichen Teil der Belastung des Selbstwertgefühls ausmachen.

Innerer (reflexiver) Bereich

Wahrnehmungsebene Selbstwahrnehmung

Bewertungsebene Selbstwert

Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung (Recht auf Wissen und Nichtwissen)

Recht auf Achtung der Individualität Verbot genetischer Diskriminierung

von außen beeinflusster Bereich

Fremdwahrnehmung (wiederum beeinflusst durch die Selbstdarstellung)

Wertschätzung (durch das unmittelbare Umfeld) Wertzuweisung (durch die Gesellschaft)

Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Recht auf Achtung der Individualität Verbot genetischer Diskriminierung

Abb. 12: Angenommene verfassungsrechtliche Schutzzonen

___________ 12 13

Siehe dazu unten, S. 453 ff. Siehe dazu unten, S. 488 ff.

A. Einleitung

385

4. Relativität der Privatsphäre und Subjektivität der Risikowahrnehmung Beim Umgang mit persönlichkeitsrechtlichen Gewährleistungen stellt sich das Problem, dass die Intensität von Beeinträchtigungen kaum allgemeingültig festgelegt werden kann: Welche Informationen als persönlichkeitsrechtlich besonders brisant eingestuft werden, dürfte neben der individuellen Mentalität auch ganz erheblich von der Lebenssituation des Einzelnen abhängen, in der die Information verwendet wird (funktionellen Relevanz).14 Dementsprechend wird (für den Bereich der Fremdwahrnehmung) auch von der Relativität der Privatsphäre gesprochen.15 In dem Volkszählungsurteil16 wird in der Literatur dann auch eine Abkehr des BVerfG von der Sphärentheorie gesehen, nach der die Sensibilität von personenbezogenen Daten eher pauschalisierend bewertet wurde.17 Denn das Gericht führt in diesem Urteil aus, dass es angesichts der modernen Möglichkeiten im Bereich der Datenverarbeitung und -verknüpfung kein belangloses Datum mehr gebe. Die Richter hoben hervor, dass es bei der Bewertung der Eingriffsintensität nicht allein auf die Art der Informationen ankommen könne. Entscheidend sei ihre Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeit.18 Auch bei der rechtlichen Behandlung der Selbstwahrnehmung kann keine generalisierende Einordnung der Sensibilität von Daten vorgenommen werden. Die Bedeutung einer Information für den Einzelnen wird entscheidend durch das Umfeld geprägt, in der sie verwendet wird. Vor diesem Hintergrund kann die Wahrnehmung ein und derselben Aussage in verschiedenen Kontexten höchst unterschiedlich sein. Maßgebliche Faktoren sind hier die individuellen Wertvorstellungen der betreffenden Person, die eigenen und familiären Erfahrungen mit Krankheit, der Umfang des mathematischen und statistischen Verständnisses, die Persönlichkeit und Stimmungslage oder die Bereitschaft, sich mit potenziell bedrohlichen Informationen auseinanderzusetzen.19 Parallel zum Begriff der Relativität der Privatsphäre lässt sich insofern im Bereich der Selbstwahrnehmung auch von der Subjektivität der Risikowahrnehmung sprechen.20

___________ 14

DGMR, Einbecker-Empfehlungen, MedR 2002, 669 (670); Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), BT-Drs. 6/3826, S. 48 ff. 15 Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), BT-Drs. 6/3826, S. 51; Brossette, Wert der Wahrheit, S. 29 ff. 16 BVerfGE 65, 1 (45). 17 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 377. 18 BVerfGE 65, 1, (45). 19 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 77 f. m.w.N. 20 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 77 f.

386

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

II. Verfassungsdogmatische Grundannahmen Für die verfassungsdogmatische Verarbeitung neuer Gefährdungslagen bietet sich angesichts seines offenen Wortlauts vor allem21 Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG an,22 welcher nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gewissermaßen als Quelle von neu entdeckten unbenannten Freiheitsgewährleistungen verstanden werden kann.23 Um sich über die Funktion grundrechtsdogmatischer Strukturierungen klar zu werden, soll im Folgenden das hier zugrunde gelegte Verständnis von Zweck, Möglichkeiten und Voraussetzungen grundrechtsdogmatischer (Neu-)Konzeptionen dargestellt werden.

1. Zweck der grundrechtsdogmatischen Kategorisierung: Formalisierung und Rationalisierung Die grundrechtsdogmatischen Konkretisierungen verfolgen den Zweck, bestimmte Lebensbereiche, welche verfassungsrechtlich besonders geschützt sind, zu kategorisieren und damit deutlicher zu konturieren.24 Ein wichtiges Instrument im Rahmen der Grundrechtsdogmatik ist dabei die Fallgruppenbildung. Darunter ist die Vertypung von Rechtsproblemen zu verstehen.25 Mit der Vertypung verfassungsrechtlicher Problemstellungen können zwei verschiedene Zielsetzungen auf der Rechtsfolgenseite verfolgt werden: Die Formalisierung und die Rationalisierung.26 Ausdruck der Rationalisierung27 sind besondere materielle Anforderungen: Die Verhältnismäßigkeitsprüfung wird vereinheitlicht, indem fallgruppenspezifische Einschränkungsgrenzen herausgearbeitet werden, die die gleichmäßige ___________ 21 Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (213, 217) sieht auch in anderen Grundrechten, insbesondere der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG, grundsätzlich mögliche Quellen für unbenannte Rechtsgewährleistungen. 22 Dirnberger, Naturgenuss, S. 280; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 76 ff., 92 ff. 23 Vgl. BVerfGE 54, 148 (154) – Eppler; 65, 1 (41) – Volkszählung; 106, 28 (39) – Fernmeldegeheimnis. – In der Literatur: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 330 ff.; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 254; Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 68 ff.; Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (5); Hufen, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, S. 105 (125); Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (213, 217); Sachs-Murswiek, Art. 2 GG, Rdnr. 64 ff.; Schmitt Glaeser, in: HdbStR, Band VI, § 129, Rdnr. 9; v. MangoldtStarck, Art. 2 GG, Rdnr. 17. 24 Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (218). 25 Siehe auch Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 190. 26 Dreier-Dreier, Vorbem., Rdnr. 88; auch Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 192. 27 Dreier-Dreier, Vorbem., Rdnr. 88.

A. Einleitung

387

Bewertung vergleichbarer Fälle im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sicherstellen. Wie alle Typisierungen gewährleistet auch die Fallgruppenbildung bei der Behandlung verfassungsrechtlicher Probleme ein höheres Maß an Rechtssicherheit und Praktikabilität beim Umgang mit verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Fallgruppenbildung ergibt sich nicht unmittelbar aus den Grundrechten, sondern aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Fallgruppen können durch Literatur und Rechtsprechung über die gesetzlichen Vorgaben hinaus gebildet werden. In seiner Entscheidung über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 185 StGB sah das BVerfG bei die Tatsache, dass die Rechtsprechung ein ausdifferenziertes System von Fallgruppen gebildet hat, als einen Beleg dafür, dass diese Norm hinreichend bestimmt ist.28

Sofern in der Rechtsprechungspraxis Fallgruppen gebildet werden, können sie – im Unterschied zu gesetzlichen Regelungen – aber nicht abschließend sein. Sie haben insofern vorwiegend eine Transparenzfunktion und dienen damit der Rechtssicherheit. Entsprechend stellt die Drei-Stufen-Theorie auch kein starres System dar, von dem im Einzelfall nicht abgewichen werden kann, sondern gibt lediglich Vorgaben zu Orientierung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung.29

Die Formalisierung30 wirkt sich bei der Beurteilung der grundrechtsspezifischen Einschränkungsmöglichkeiten (sog. „Schrankenbestimmungen“) aus. Von der grundrechtsdogmatischen Zuordnung zu bestimmten Grundrechten hängt es ab, welche formellen Anforderungen an die Einschränkung des Grundrechts geknüpft werden. Unterschiede in den formellen Anforderungen ergeben sich teils aus dem Wortlaut,31 teils über Auslegung. Allerdings dürften starre Vorgaben hinsichtlich des Gesetzesvorbehaltes nur im Ausnahmefall über die Auslegung zu ermitteln sein. Insofern dürfte es vornehmlich dem Verfassungsgeber vorbehalten sein, formelle Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs festzulegen.32 Die grundrechtsspezifischen Anforderungen bei der Grundrechtsein___________ 28

Vgl. etwa BVerfGE 93, 266 (291 f.) – „Soldaten sind Mörder“. Hinsichtlich des Bestimmtheitserfordernisses strafrechtlicher Normen allerdings kritisch: v. Münch/Kunig-Kunig, Art. 103 GG, Rdnr. 29 m.w.N. 29 Etwa BVerfGE 11, 30 (44 f.) – Kassenarzt. Eingehend dazu Sachs-Tettinger, Art. 12 GG, Rdnr. 100 ff., 118 ff. 30 Dreier-Dreier, Vorbem., Rdnr. 88. 31 Viele Grundrechte können „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes“, also auch durch Rechtsverordnung oder Satzung, beschränkt werden (z.B. Art. 8 Abs. 2 GG). Solche einfachen Gesetzesvorbehalte verbieten ein Einschreiten des Staates aufgrund von Generalklauseln. Darüber hinausgehend ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG für Freiheitsbeschränkungen das Erfordernis eines förmlichen Gesetzes. 32 Der Parlaments- oder Gesetzesvorbehalt ergibt sich über Auslegung nur für wenige von weiteren Grundrechtseinschränkungen. Ein Beispiel dafür stellt der Gesetzesvorbe-

388

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

schränkung lassen sich insofern als besonderer Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes begreifen.

2. Möglichkeiten grundrechtsdogmatischer Behandlung: Einzelfallentscheidungen und Fallgruppenbildung Die Unterscheidung zwischen verfassungsdogmatischen Zwecksetzungen der Formalisierung und der Rationalisierung leitet über zu der Frage, auf welche Art und Weise ihnen in der verfassungsrechtlichen Dogmatik Rechnung getragen werden kann. Auf grundrechtsdogmatischer Ebene können dabei vier verschiedene Behandlungsweisen im Umgang mit rechtlichen Problemstellungen unterschieden werden:33 Einzelfallbetrachtungen, Fallgruppenbildung, Bildung von Teilgewährleistungsbereichen und die Behandlung als unbenanntes Grundrecht. Auch bei der verfassungsrechtlichen Bewertung von Rechtsproblemen sind grundsätzlich alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (Einzelfallbetrachtung). Dabei ist jedoch auch dem Gedanken der Rechtssicherheit Rechnung zu tragen. Rechtssicherheit kann nur dort bestehen, wo rechtliche Entscheidungen – aufgrund klar erkennbarer Entscheidungsprinzipien – vorhersehbar sind. Diese Überlegung kann eine typisierende Betrachtung von Sachverhalten als geboten erscheinen lassen. Diese Möglichkeit scheidet jedoch aus, wenn der behandelte Problemkreis uneinheitlich ist, sich also typisierende Strukturmerkmale für die jeweilige Problemstellung nicht erkennen lassen. Mit der Begrenzung des Untersuchungsgegenstands ist dann keine rechtliche Wertung verbunden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Verbot des „Reitens im Walde“ dürfte eine solche Entscheidung darstellen. Der Reitsport dürfte keine Strukturelemente aufweisen, die in typisierender Weise eine rechtlich gesonderte Behandlung als angemessen erscheinen ließen.

Vertypungen auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bieten sich aus grundrechtsdogmatischer Sicht an, wenn die von dem Problemkreis erfassten Fälle in typisierender Betrachtung als besonders schwerwiegend erscheinen. Der gesamte Problemkreis wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung besonderen rechtlichen Prüfungsanforderungen unterworfen. ___________ halt beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung werden nur auf Grundlage eines formellen Gesetzes als zulässig erachtet. BVerfGE 65, 1 (51 f., 61). Siehe auch Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 122; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 190. 33 Allgemein zu Vor- und Nachteilen von Vorabentscheidungen und Fall-zu-FallEntscheidungen aus philosophischer Sicht: Dworkin, JRE 10 (2002), S. 21 ff.

A. Einleitung

389

Im Rahmen der Drei-Stufen-Theorie werden objektive Zulassungsbeschränkungen typischerweise als besonders schwerwiegend empfunden und unterliegen damit besonders hohen Rechtfertigungsanforderungen (überragend wichtige Gemeinschaftsgüter).34

Die Bildung von Teilgewährleistungsbereichen lässt sich als zusätzliche Vertypung auf der Schutzbereichsebene verstehen. Eine solche Fallgruppenbildung bietet sich an, wenn der Problemkreis so wesentlich erscheint, dass er nicht nur im Rahmen der materiellen Verhältnismäßigkeitsprüfung in typisierter Form besondere Berücksichtigung finden soll, sondern auch durch das formale Kriterium des Gesetzesvorbehaltes vor Vernachlässigung geschützt werden soll. Insofern stellt sich die Bildung von Teilgewährleistungsbereichen als Untergruppe der Fallgruppenbildung dar, bei der nicht nur eine Rationalisierungs- sondern auch eine Formalisierungswirkung angestrebt wird.35 Diese Vertypung kann in zweierlei Hinsicht begründet werden: Zum einen mit der Wertigkeit der betroffenen Rechte oder dem qualitativen Umfang des Eingriffs, zum anderen mit dem quantitativen Umfang des Eingriffs, also der feststellbaren Häufung von Eingriffen in bestimmten Lebensbereichen. Als ein Beispiel für solche Teilgewährleistungsbereiche lassen sich das allgemeine Persönlichkeitsrecht und innerhalb dieses Gewährleistungsbereichs wiederum das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auffassen, welche innerhalb des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit besonders hervorgehobenen verfassungsrechtlichen Anforderungen unterliegen.36

Zum Teil wird rechtsdogmatisch neu entwickelten grundrechtlichen Gewährleistungen der Rang eines unbenannten Grundrechts zugewiesen.37 Dabei dürfte es sich um Rechtsgewährleistungen handeln, die – wie die vorgenannte Fallgruppenbildung – sowohl Formalisierungs- als auch Rationalisierungswirkung entfalten. Der Bezeichnung als unbenanntes Grundrecht dürfte insofern nur Symbolwert zukommen.38 Teilweise wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als unbenanntes Grundrecht bezeichnet.39

___________ 34

BVerfGE 7, 377 (407) – Apothekenurteil. Zum Begriff der Formalisierung und Rationalisierung siehe auch S. 386 ff. 36 Siehe Fn. 32 (S. 387). 37 Siehe beispielsweise: Jonas, zitiert nach Benda, APuZ 1985, 18 (34): „Grundrecht auf Nichtwissen“; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 256 m.w.N.; Donner/Simon, DÖV 1990, 907 (913); Fisahn, ZRP 2001, 49 (49); Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, Titel: „Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung: ...“; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, passim, etwa S. 73, 128, 173. – Vgl. auch BGHZ 13, 334 (338), welches das allgemeinen Persönlichkeitsrecht als Grundrecht ansieht. 38 Ähnlich wohl auch Taupitz, in: FS Wiese, S. 583 (583, Fn. 2). 39 Mit umfangreichen Nachweisen: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 67, Fn. 180. Offenbar ist auch das BVerfG in dieser Hinsicht nicht ein seiner Begriffswahl eindeutig gewesen. Nachweis bei Berberich, ebenda. 35

390

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

3. Anlass und Grund für grundrechtsdogmatische Konkretisierungen In den vorherigen Abschnitten wurde untersucht, welchen Zwecksetzungen dogmatische Konkretisierungen folgen und mit welchen Mitteln sie umgesetzt werden können.40 Nun soll der Frage nachgegangen werden, unter welchen Voraussetzungen eine solche Konkretisierung der bestehenden Grundrechtsdogmatik als ratsam erscheint. Dabei soll die Unterscheidung zwischen Anlass und Grund persönlichkeitsrechtlicher Konkretisierungen den Blick für verfassungsrechtlich konsistente Lösungen schärfen: Bei der Verarbeitung neu entdeckter tatsächlicher Gefährdungslagen ist immer zu fragen, ob es noch vergleichbare Fälle jenseits der Anlassproblematik gibt. Die Aufdeckung von argumentativen Grundstrukturen dient dabei der größeren Nachvollziehbarkeit und Vorhersehbarkeit verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung. Die Unterscheidung zwischen Anlass und Grund grundrechtsdogmatischer Konkretisierungen lehnt sich an die erkenntnisphilosophischen Begriffe der Genese und Begründung an.41 Bei der Frage des Auslegungsanlasses geht es dementsprechend um die Frage, was die konkretisierende Auslegung der Verfassung auslöst, also was die Fälle sind, die dazu veranlassten, über eine Neu- oder Umstrukturierung bzw. eine Ergänzung der bisherigen Dogmatik nachzudenken. Davon abzugrenzen ist die Frage, was der Konkretisierungsgrund ist, also was der verfassungsrechtliche Grundgedanke ist, der in dem Anlassfall offenkundig wird und eine grundrechtsdogmatische Neukonzeption erforderlich macht.

a) Konkretisierungsanlass Bestimmte Ereignisse und Entwicklungen können das gesellschaftliche Bewusstsein für rechtliche Problemstellungen schärfen, welche zwar bereits zuvor bestanden, jedoch nicht in das gesellschaftliche Blickfeld gerückt waren. Zum einen bedeutet dies, dass bestimmte gesellschaftliche Erscheinungen nicht allein deshalb als rechtlich unproblematisch zu bewerten sind, weil sie in der Vergangenheit nicht als Probleme betrachtet und damit auch nicht besonderen rechtli___________ 40

Eingehend zum Begriff der Konkretisierung vgl.: Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band I, S. 250 ff. 41 Siehe auch Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (4), der die „Rekonstruktion der Genese“ zur Herausarbeitung persönlichkeitsrechtlicher Grundprinzipien nutzt. – Vgl. auch Mittelstraß, Enzyklopädie, Stichwort „Genese“, „Erklärung“. – Erkenntnisphilosophisch findet sich die Unterscheidung in der Unterscheidung zwischen analytischer und konstruktiver Wissenschaftstheorie wieder. – Vgl. Mittelstraß, Enzyklopädie, Stichwort „Wissenschaftstheorie, analytisch“, „Wissenschaftstheorie, konstruktiv“. – Kritisch zur Unterscheidung zwischen „Findungs- und Rechtfertigungszusammenhang“ aber: Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 536 ff.

A. Einleitung

391

chen Schutzvorkehrungen unterworfen wurden.42 Zum anderen ist bei der Diskussion über neue rechtliche Problemlagen immer in Rechnung zu stellen, dass die Problem auslösenden Ereignisse – wie etwa die Fortschritte im Bereich der Humangenetik und ihr damit verbundener Bedeutungszuwachs – häufig nur Anlass für eine rechtliche bzw. rechtsdogmatische Reaktion sind.43 Die sich daran anschließenden rechtlichen Überlegungen können sich daher bei der Herausarbeitung neu entdeckter, persönlichkeitsrechtlicher Gewährleistungsaspekte nicht auf die Feststellung der konkreten Gefährdungslage beschränken, sondern müssen sich gegebenenfalls von der ursprünglichen Problematik lösen.44

b) Konkretisierungsgrund Zur Beantwortung der Frage, inwieweit vor dem Hintergrund neuer technischer oder gesellschaftlicher Entwicklungen eine Ergänzung oder Umstrukturierung der bisherigen persönlichkeitsrechtlichen Dogmatik als zweckmäßig erscheint, lässt sich folgender Katalog als Orientierungslinie zugrunde legen.45 Als grundrechtsdogmatisches Konstrukt kann dieser Katalog keine beschränkende Wirkung für die Reichweite und Auslegung von Grundrechten haben. Vielmehr dient er den Gesichtspunkten der Praktikabilität und Transparenz: Je deutlicher und einfacher die in der grundrechtlichen Dogmatik zugrunde gelegten Grundsätze sind, desto leichter sind Reaktionen auf neue rechtstatsächliche Herausforderungen vorhersehbar.46 Letztlich führt eine konsistente Dogmatik damit zu einem höheren Maß an Rechtssicherheit. In diesem Sinne sollen folgende Gesichtspunkte vor einer rechtsdogmatischen Konkretisierung bestimmter persönlichkeitsrechtlicher Einzelgewährleistungsaspekte geprüft werden:

___________ 42

Anders das VGH München, NJW 1988, 2318 (2320) im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung. – Siehe dazu S. 485. 43 BVerfGE 106, 28 (39) – Fernmeldegeheimnis: „Die Zuordnung [...] zu den verschiedenen Aspekten des Persönlichkeitsrechts muss [...] im Hinblick auf die Persönlichkeitsgefährdung erfolgen, die den konkreten Umständen des Anlassfalls zu entnehmen ist.“ 44 Siehe auch Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (4). Das Problem auslösende Ereignis, welches die Konkretisierung von grundrechtlichen Gewährleistungen veranlasste, wurde vom BVerfG des Öfteren in „modernen Entwicklungen und den mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit“ gesehen; BVerfGE 54, 148 (153) – Eppler; 64, 1 (41); 79, 256 (268); 106, 28 (39) – Fernmeldegeheimnis. 45 In Anlehnung an Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (221 ff.); Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 189 ff.; Dirnberger, Naturgenuss, S. 278 ff, zusammenfassend 290 f. 46 Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 32, 40.

392

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

1. ein abgegrenzter Schutzbereich, 2. die verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit und 3. die grundrechtliche Schutzwürdigkeit der neu entdeckten Rechtsposition im Sinne einer besonderen Gefährdungssituation und Wertigkeit.

aa) Abgegrenzter Schutzbereich Ein wirksamer Schutz durch Grundrechte setzt zunächst einen klar abgegrenzten Schutzbereich voraus.47 Der Staat kann den grundrechtlichen Schutzbereich nur dann respektieren, wenn er erkennen kann, wann er das Recht des Einzelnen beeinträchtigt.48 Erst die begriffliche Klarheit der Schutzbereichsbestimmung gewährleistet, dass die Grenzen staatlichen Handelns für Staat und Bürger offensichtlich sind und die grundrechtliche Gewährleistung rechtlich praktikabel ist. Die Bestimmung des Gewährleistungsbereichs kann auf abstraktem und auf kasuistischem Wege erfolgen49. Bei der abstrakten Bestimmung des Gewährleistungsbereichs können vor allem auch Regelungsentwürfe und Literaturmeinungen Orientierung bieten. Bei der kasuistischen Bestimmung des Gewährleistungsbereichs wird versucht, den durch die abstrakte Definition aufgespannten Schutzbereich durch Fallgruppenbildung zu strukturieren.50

bb) Verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit Zum Zweiten erscheint eine grundrechtsdogmatische Ergänzung nur dann sinnvoll, wenn die jeweilige rechtliche Problemstellung nicht schon von anderen grundrechtlichen Gewährleistungen erfasst ist („Subsidiarität der rechtsdogmatischen Konstruktion neuer Teilgewährleistungsbereiche“).51 Dieser Gesichtspunkt soll mit dem Begriff der verfassungsrechtlichen Schutzbedürftig___________ 47

Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (221); Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 332 f, 335. Dazu Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 89. 49 Dazu beispielhaft Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), BT-Drs. 6/3826. 50 Schmitt Glaeser, in: HdbStR, Band VI, § 129, Rdnr. 28 a.E., sieht in der Kasuistik die einzige Möglichkeit zur Strukturierung des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG („Exemplifizierung anhand von ausgesuchten und offenkundigen Verletzungssituationen“). 51 Erst dadurch wird die Konstruktion eines neuen unbenannten Freiheitsrechts möglich und erforderlich. Siehe dazu auch BVerfGE 54, 148 (152 ff.) – Eppler; 106, 28 (39) – Fernmeldegeheimnis. – Vgl. auch Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (3); Schmitt Glaeser, in: HdbStR, Band VI, § 129, Rdnr. 129. 48

A. Einleitung

393

keit52 erfasst werden. Zur Erörterung dieser Frage ist das Verhältnis zu anderen Rechtsgewährleistungen darzustellen. Zur Vermeidung einer „Verfassungsänderung auf kaltem Wege“ dürfte die rechtsdogmatische Konstruktion einer grundrechtlichen Gewährleistung jedoch weitgehend ausgeschlossen sein, sofern dem Verfassungsgeber rechtliche Problemstellungen in einem bestimmter Sach- und Lebensbereich bekannt waren, entsprechende Freiheitsgewährleistungen von ihm jedoch bewusst nicht in den Katalog der grundrechtlichen Gewährleistungen der aufgenommen wurden.53

cc) Verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit Die Schutzwürdigkeit des postulierten Rechts lässt sich als dritte Voraussetzung zur rechtsdogmatischen Konkretisierung eines „neuen“ unbenannten Freiheitsrechts betrachten.54 Denn sinnvoll ist die grundrechtsdogmatische Hervorhebung bestimmter Gewährleistungsaspekte nur dann, wenn sie mit spezifischen Begrenzungen staatlicher Eingriffsbefugnisse verbunden ist.55 Diese bestimmen sich jedoch wiederum nach der Intensität der Beeinträchtigung und der Wertigkeit der betroffenen Rechtspositionen: Zum einen können die Intensität der Beeinträchtigung, bzw. die tatsächliche Gefährdungssituation eine besondere verfassungsrechtliche Bewertung notwendig erscheinen lassen.56 Die Feststellung einer besonderen Gefährdungssituation betrifft zwar eine Frage des Faktischen, dürfte jedoch – angesichts unterschiedlicher Auffassungen in der Gesellschaft hierüber – häufig auch wertende Elemente beinhalten.57 Des Weiteren stellt die Wertigkeit des postulierten Rechts einen wichtigen Faktor bei der Bewertung der verfassungsrechtlichen Schutzwürdigkeit dar.58 Diese bestimmt sich wiederum nach der Nähe der Betätigung zum menschen___________ 52

Dirnberger, Naturgenuss, S. 280 bezieht den Begriff der Schutzbedürftigkeit – im Unterschied zur hier eingeführten Terminologie – wohl auf das Vorliegen einer besonderen Gefährdungssituation. 53 Dirnberger, Naturgenuss, S. 283; einschränkend: Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 191 f., Fn. 483. – Vgl. auch Müller/Christensen, Juristische Methodik, S. 462 ff. 54 Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (222). 55 Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 192. 56 Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (222); Dirnberger, Naturgenuss, S. 278 f; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 192. 57 So Dirnberger, Naturgenuss, S. 279 f., der zur Veranschaulichung auf das Volkszählungsurteil BVerfGE 65, 1 (42) hinweist. 58 Dirnberger, Naturgenuss, S. 278 ff.; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 191 f.

394

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

würde-relevanten Kern der Persönlichkeitsentfaltung.59 Als ein Vergleichsmaßstab bei der Beurteilung der Wertigkeit kann der grundrechtliche Schutz in parallel gelagerten Bereichen herangezogen werden.60 Die Feststellung der besonderen Beeinträchtigungsintensität und der besonderen Wertigkeit der betroffenen Rechtsposition ist dabei subjektiven Einschätzungen unterworfen.61 Um die Nachvollziehbarkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen zu wahren, bietet sich die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Anschauungen an.62 Der Umstand, dass ein bestimmtes Rechtsproblem Gegenstand einer gesetzlichen Regelung ist, kann dabei als Hinweis auf seine besondere gesellschaftliche Bedeutung gewertet werden (indizielle Wirkung einfachgesetzlich herausgehobener Schutzzonen). Zur Wahrung des kategorischen Geltungsanspruches der Verfassung dürfte sowohl dem gesellschaftlichen Meinungsbild als auch einfachgesetzlich herausgehobenen Schutzzonen bei der Beurteilung der tatsächlichen Gefährdungssituation und der verfassungsrechtlichen Wertigkeit bestimmter Rechtspositionen aber nur eine indizielle Wirkung einzuräumen sein.63 Unter ausdrücklichem Hinweis auf die strafrechtlichen Normen und die bereits bestehende zivilrechtliche Rechtsprechung wurde etwa das Recht am eigenen Wort vom BVerfG hergeleitet.64 Diese Rechtsposition war bereits 1958 in der Zivilrechtsprechung entwickelt worden und strafrechtlich durch die 1967 eingefügten §§ 298, 353d StGB a.F. (jetzt § 203 StGB) geschützt, bevor sie 1973 in der Rechtsprechung des BVerfG ausdrücklich anerkannt wurde. Dass das BVerfG die gesetzgeberische Tätigkeit offensichtlich nicht immer als notwendige Voraussetzung ansieht, zeigt sich beispielsweise in der Soraya-Entscheidung.65 In ihr wurde trotz der gescheiterten Gesetzesinitiative zur Regelung eines einfachgesetzlichen Schutzes des Persönlichkeitsrechts ein solches Recht im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung hergeleitet. Argumentiert wurde hier damit, dass die Einführung eines solchen Rechts sich nicht explizit gegen den gesetzgeberischen Willen stelle.66 Im Hinblick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz mag diese Entscheidung allerdings problematisch erscheinen.

___________ 59

Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (222). Auch Dirnberger, Naturgenuss, S. 283 ff. „vertikale Anknüpfung an die Menschenwürde“; Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 122; Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (3). 60 Dirnberger, Naturgenuss, S. 286 ff. „horizontale Nähe zu anderen benannten Grundrechten“; Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 191; Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (222). 61 Dirnberger, Naturgenuss, S. 280. 62 Dirnberger, Naturgenuss, S. 280. 63 Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (221 f.) scheint insofern der Gesetzgebung eine größere Bedeutung einzuräumen. 64 BVerfGE 34, 238 (245 f.). 65 BVerfGE 34, 269 ff. 66 BVerfGE 34, 269 (291 f.): „..., ohne dass ein gesetzgeberischer Wille erkennbar geworden wäre, es bei dem bisherigen Rechtszustand zu belassen.“

A. Einleitung

395

c) Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen sind keine (konstitutive) Voraussetzung bei der Frage, ob angesichts neuer Problemlagen eine grundrechtsdogmatische Umstrukturierung geboten erscheint.67 So hat die verfassungsgerichtliche Anerkennung von bestimmten Rechtsgewährleistungen in denselben oder auch parallel gelagerten Fällen grundsätzlich nur deklaratorische Wirkung. Allerdings kommt der Verfassungsrechtsprechung – auch über Art. 31 BVerfGG – eine besondere rechtspraktische Bedeutung zu.68 Im Rahmen der hier vorgenommenen Prüfung soll die Darstellung vom BVerfG bereits anerkannter Rechtsgewährleistungen daher vor allem auch der systematischen Verortung der rechtsdogmatisch neu begründeten Rechte dienen.69

III. Verfassungssystematische Grundannahmen: Unterscheidung zwischen Integritäts- und Entfaltungsschutz Zur Bewertung der verfassungsrechtlichen Schutzbedürftigkeit und der verfassungssystematischen Einordnung wird die Unterscheidung zwischen Verhaltens- und Entfaltungsschutz einerseits und Integritäts- und Sphärenschutz andererseits herangezogen:70 Grundrechtliche Gewährleistungsaspekte, die dem Entfaltungsschutz dienen (Verhaltensfreiheiten),71 schützen die freie Ausübung bestimmter Handlungen.72 Dem Staat ist es damit grundsätzlich verboten, die Ausübung bestimmter Handlungen zu untersagen oder einzuschränken. Sie gewährleisten somit die Handlungsfreiheit des Bürgers. Als Beispiele für Grundrechte mit schwerpunktmäßig entfaltungsrechtlichen Gewährleistungsaspekten lassen sich Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit), Art. 9 GG (Vereinigungsfreiheit) und Art. 12 GG (Berufsfreiheit) begreifen.73

___________ 67

Insofern anders Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (222). Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (222). 69 Sofern der Verfassungswandel eine Anpassung bestehenden Rechts erforderlich macht, kommt dem Verfassungsgericht die Aufgabe zu, dementsprechend auf den Gesetzgeber einwirken. – Zu den Instrumentarien der Appellentscheidung und Unvereinbarkeitserklärung vgl. Harms, Umbruchsituationen, S. 258 f. 70 Vgl. auch Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (7). Eingehend dazu Krings, Grund und Grenzen, S. 196 ff. 71 Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (220); Stern, Staatsrecht III/1, S. 628 ff., 634. 72 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 332: „handlungsbezogene Rechte“; DreierDreier, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 23: „Aktivitätsschutz“. 73 Siehe Krings, Grund und Grenzen, S. 198, der allerdings das Brief- und Fernmeldegeheimnis in die Gruppe der Entfaltungsrechte einbezieht. 68

396

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Demgegenüber dienen andere grundrechtliche Gewährleistungen dem Schutz einer bestimmten Integritätssphäre74 (Störungsfreiheiten75).76 Gewährleistet wird also ein bestimmter Freiheitsraum, in den der Staat nicht eindringen darf. Bestimmte Eingriffsmodalitäten werden grundsätzlich verboten. In diesen Fällen geht es nicht darum, dass der Einzelne in der Absicht, sich im gesellschaftlichen Leben zu entfalten, an der Ausübung bestimmter Handlungen gehindert wird. Bezug genommen wird damit vielmehr auf Situationen, in denen der Einzelne gerade nicht nach außen treten möchte, in denen er – unbehelligt von äußeren Einflüssen – für sich bleiben will. Wird der Einzelne in seiner Integrität beeinträchtigt, wird er in seinem „Recht, in Ruhe gelassen zu werden“77, gestört. Diesem Gedanken wird in der verfassungsrechtlichen Auslegung insbesondere durch den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung getragen. Als Beispiele für Gewährleistungen, die insbesondere integritätsrechtliche Schutzaspekte erfassen, lassen sich folgende Grundrechte begreifen. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt die körperliche Unversehrtheit. Das Briefgeheimnis des Art. 10 GG schützt schwerpunktmäßig die kommunikativ-mediale Integrität. Art. 13 GG lässt sich als Schutz der räumlichen Privatsphäre begreifen. Der Schutz der Familie in Art. 6 GG gewährleistet v.a. eine soziale Privatsphäre. Hier lässt sich auch das später zu entwickelnde Recht auf freibestimmte Zukunft einordnen, welches die Zukunft des Einzelnen gewissermaßen als zeitliche Privatsphäre schützt.78

Die Unterscheidung zwischen Entfaltungsschutz und Integritätsschutz ist allerdings lediglich eine dogmatische Begriffsabgrenzung, die der Bezeichnung verschiedener grundrechtlicher Schutzaspekte dient. Grundrechtliche Freiheitsgewährleistungen lassen sich in der Regel nicht eindeutig einer dieser beiden Schutzrichtungen zuordnen.79 Ein und dasselbe Grundrecht kann sowohl integritätsrechtliche als auch entfaltungsrechtliche Schutzaspekte aufweisen.80 Insbesondere können solche Kategorisierungen von Grundrechten als bloß verfassungsdogmatische, außernormative Zuordnungen keine schutzbereichsbegren___________ 74

Zum Begriff der Integrität: AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 34; SachsHöfling, Art. 1 GG, Rdnr. 28 m.w.N. 75 Lorenz, in: FS Maurer, S. 213 (220). 76 Vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 333: „Zustandsbezogene Grundrechte“; Stern, Staatsrecht III/1, S. 624 ff.: „Freiheitsrechte“ (im engeren Sinn); Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 23: „Integritätsschutz“. 77 Sachs-Murswiek, Art. 2 GG, Rdnr. 70; Pieroth/Schlink, Grundrechte 19. Aufl., Rdnr. 374 m.w.N. („Recht der Selbstbewahrung“). 78 Vgl. Krings, Grund und Grenzen, S. 198; Stern, Staatsrecht III/1, S. 624. Siehe auch S. 449 ff. 79 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 46. 80 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 46, 48 mit dem Hinweis auf die „Multifunktionalität der Grundrechte“.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

397

zende Wirkung haben.81 Entscheidend für den Schutzumfang des jeweiligen Grundrechts bleibt der normativ erfasste Lebensbereich. Die Unterscheidung zwischen Entfaltungs- und Integritätsrechten hat also lediglich systematisierende Funktion: Bei der Beurteilung von Grundrechtskonkurrenzen kann sie dazu dienen, Problemlagen verfassungssystematisch zu charakterisieren und einzuordnen. Im Rahmen der Beurteilung von Eingriffen kann die Beeinträchtigung sowohl von integritäts- als auch entfaltungsrechtlichen Gewährleistungsaspekten ein Indiz für eine erhöhte Intensität des Eingriffs sein. Die soziologischen und verfassungsrechtlichen Grundannahmen, die dieser Arbeit zugrunde liegen, sind damit dargelegt. Als Ergänzungen der bisherigen Dogmatik des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG werden nun die persönlichkeitsrechtlichen Konstruktionen des Rechts auf Achtung der Individualität und des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung vorgestellt. Zudem werden Vorschläge zu einer verfeinerten Fallgruppenbildung innerhalb des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gemacht.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität Das Recht auf Achtung der Individualität ist Ausdruck des Gedankens, dass jeder Mensch eine einzigartige Persönlichkeit darstellt, die sich grundsätzlich pauschalisierenden Betrachtungsweisen entzieht. Personengruppen setzen sich aus Individuen zusammen, definieren sie jedoch nicht. Die komplexe und vielschichtige Persönlichkeit eines Menschen kann nicht durch die Betrachtung einzelner Gruppenmerkmale für die jeweilige Gruppe vereinheitlichend erfasst werden. Die Entwicklung und Entwicklungsmöglichkeiten eines Menschen können aufgrund der komplexen Zusammenwirkungsweisen verschiedenster Persönlichkeitsaspekte nicht zureichend bewertet werden, wenn man sich in dem Versuch seiner Erfassung auf ein Kriterium reduziert. Insofern ist die menschliche Persönlichkeit unteilbar – jeder Mensch ist ein Individuum.82

I. Konkretisierungsanlass – Humangenetik als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Vorbehalte Die Fortschritte im Bereich der Gendiagnostik haben eine breite öffentliche Diskussion über die „Chancen und Risiken“ dieser Entwicklung ausgelöst. Die ___________ 81 Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 46 charakterisiert derartige Zuordnungen als „Frage der konstruktiven Darstellung, die für das Endergebnis der Grundrechtsanwendung nicht ausschlaggebend sein kann“. 82 Individuum, lat. „das Unteilbare“.

398

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

nun im Zusammenhang mit dem Umgang mit genetischen Daten offenkundig werdenden gesellschaftlichen Vorbehalte gegenüber deren unbegrenzter Verwertung und Nutzung – gerade auch zu prädiktiven Zwecken – lassen sich dabei möglicherweise als Ausdruck eines sich neu entwickelnden Rechtsbewusstseins begreifen. Wissenschaftlich erwiesene Feststellungen sind bisher als ausreichende Grundlage für rechtliches Handeln erachtet worden. Beim Umgang mit genetischen Veranlagungen ist nun die Beobachtung zu machen, dass die Anwendung auch wissenschaftlich nachgewiesener Feststellungen auf gesellschaftliche Vorbehalte stößt. So wird es in vielen Fällen als ungerecht – eben als genetische Diskriminierung – empfunden, wenn jemand aufgrund seiner genetischen Veranlagungen in bestimmten Lebensbereichen eingeschränkt oder aus ihnen sogar ausgeschlossen wird. Diese Vorbehalte betreffen ein Grundproblem der Anwendung statistischer Daten auf den Einzelfall: Anhand statistischer Daten können nur Aussagen über größere Gruppen getroffen werden.83 Bei ihrer Ermittlung muss (notwendigerweise) der Einzelfall gerade unberücksichtigt bleiben: Genauso wenig, wie man nur anhand eines Einzelfalls Aussagen über eine große Gruppe treffen kann, müssen statistische Aussagen auf den Einzelfall zutreffen. Die Vorbehalte, welche bei der Beurteilung eines Menschen anhand von genetischen Veranlagungen – und damit anhand von statistischen Daten – auslöst werden, lassen sich genau mit diesem Widerspruch begründen. Vor diesem Hintergrund mag es zukünftig angesichts der zunehmenden Möglichkeiten der statistischen Erfassung auch nicht genetisch bedingter Eigenschaften und Lebensverhältnisse gesellschaftlich zunehmend als ungerecht empfunden werden, wenn der Einzelne aufgrund von (auf den Einzelfall angewendet ungenauen) statistischen Daten behandelt wird. Die Veränderungen, die sich dabei im Bereich der Datenerhebung in der Medizin ergeben, könnten vergleichbar sein mit denen, die sich im Zuge der Entwicklung der Computertechnologie ergeben haben. Bis zur Entwicklung der ersten leistungsstarken Rechnereinheiten stellte die Erhebung von (frei zugänglichen) Daten (wie Name, Adresse, Alter, Beruf) in der Regel keine ernst zu nehmende Gefahr für die Rechte des Einzelnen dar, weil eine effektive, umfassende Datenverarbeitung bis zu diesem Zeitpunkt technisch kaum möglich war. Erst durch die Weiterentwicklung im Bereich der Informationstechnologie wurde die unkontrollierte Datenverarbeitung überhaupt als Gefährdungslage für die Rechte des Einzelnen erkannt, der durch die Konstruktion des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung Rechnung getragen wurde. Dementsprechend findet sich in dem Volkszählungsurteil des BVerfG auch der hervorgehobene Hinweis auf die erweiterten Datenverarbeitungsmöglichkeiten durch die Entwicklung von Computern: „Diese Befugnis bedarf unter den heutigen und künftigen Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung in besonderem Maße des Schutzes. Sie ist deshalb gefähr-

___________ 83

Vgl. Fn. 162 (S. 74).

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

399

det, weil bei Entscheidungsprozessen nicht mehr wie früher auf manuell zusammengetragene Karteien und Akten zurückgegriffen werden muss, vielmehr heute mit Hilfe der automatischen Datenverarbeitung Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer Person [...] technisch gesehen unbegrenzt speicherbar und jederzeit ohne Rücksicht auf Entfernungen in Sekundenschnelle abrufbar sind.“84

Die Entwicklung im Bereich der Humangenetik könnte hier – ähnlich wie die Computertechnologie im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – Auslöser für eine rechtsdogmatische Ausdifferenzierung sein. Vor der Entwicklung leistungsfähiger und kostengünstiger genetischer Testverfahren ergab sich in dieser Hinsicht zumindest kein offensichtliches Schutzbedürfnis, weil bis dahin die Erhebung von prädiktiven Daten zwar möglich, aber nicht effizient für Untersuchungen im großen Umfang und daher nur in Einzelfällen praktikabel war. Dementsprechend gering war das gesellschaftliche Problembewusstsein im Umgang mit prädiktiven Daten. Das, was die Entwicklung der modernen Computer für die Datenverarbeitung war, könnte die Entwicklung effizienterer und kostengünstigerer Gentests für die Datenerhebung im medizinischen Bereich sein. Die technische Entwicklung stellt die Gesellschaft vor Probleme, die nicht nur auf der Art der Daten beruhen, sondern vor allem auch auf dem Umfang, in dem diese Daten erhoben oder bearbeitet werden können. Insofern lässt sich das Thema „Gendiagnostik“ als Kristallisationspunkt für eine ganze Fülle von auch in anderen Bereichen bestehenden Problemen betrachten, welche bei der Anwendung personenbezogener statistischer Informationen auf den Einzelnen auftreten.

II. Konkretisierungsgrund Die Konstruktion des Rechts auf Achtung der Individualität wird auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gestützt. Sie ergibt sich aus folgenden Überlegungen.

1. Schutzrichtung Die Konstruktion des Rechts auf Achtung der Individualität soll verdeutlichen, dass die Verwendung von personenbezogenen Typisierungen einem besonderen Rechtfertigungserfordernis untersteht. Damit soll auch ein (gesellschaftliches) Bewusstsein für die damit verbundene, besondere persönlichkeitsrechtliche Problemlage geschaffen werden: Durch die Verwendung von Gruppeninformationen wird der Einzelne aufgrund von Eigenschaften behandelt, die nur die Gruppe aufweist, der er zugeordnet wird, welche jedoch auf ihn gar ___________ 84

BVerfGE 65, 1 (42).

400

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

nicht zutreffen müssen.85 Dies ist der Kern, der das Recht auf Achtung der Individualität als Abwägungsgut auch im Sinne einer Rationalisierung des Abwägungsprozesses ausmacht.

2. Abgegrenzter Gewährleistungsbereich Dem Recht auf Achtung der Individualität lässt sich ein abgegrenzter Schutzbereich zuweisen.

a) Abstrakte Bestimmung des Gewährleistungsbereichs Das Recht auf Achtung der Individualität lässt sich wie folgt definieren: Jeder hat ein Recht darauf, als Individuum geachtet und nicht aufgrund seiner Eigenschaftsindikatoren bewertet und behandelt zu werden.

aa) Aktualisierte Gruppeninformationen Der Gewährleistungsbereich des Rechts auf Achtung der Individualität ist auf Eigenschaftsindikatoren sachlich begrenzt. Nur wenn die Gruppenzugehörigkeit bekannt ist, kann der Einzelne als Gruppenmitglied behandelt werden. Prüfungsgegenstand dürften dabei im Wesentlichen personenbezogene Regelungen sein, durch die bestimmte Personengruppen nach bestimmten Gruppenmerkmalen generalisierend behandelt werden. Zwar weisen solche abstrakt-generellen Regelungen ihrer Natur nach zunächst einmal keinen Individualbezug auf und treffen auch keine Aussagen über die Persönlichkeit einer konkreten Person. Die Aktualisierung86 der Gruppeninformation – also die Herstellung des Individualbezugs – erfolgt hier jedoch notwendigerweise bei der Anwendung der Regelung. Entscheidend für die Bestimmung des Schutzbereichs sind also zwei Aspekte: Zum einen muss die Information einen typisierenden Charakter haben. Zum Zweiten muss sie einen Personenbezug aufweisen, da erst durch ihn die spezifisch persönlichkeitsrechtliche Relevanz der Typisierung herstellt wird. Im Unterschied zum verfassungsgerichtlichen Verständnis im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG87 kommt es nach dem hier vorgeschlagenen Ansatz nicht allein darauf an, ob durch die betreffende Regelung Personengruppen unterschiedlich be___________ 85

Zu Nachweisen dazu siehe Fn. 162 (S. 74). Zum Begriff der Aktualisierung siehe S. 61. 87 Dazu noch später, S. 419. 86

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

401

handelt werden,88 sondern ob sie durch sie auch (in ihrer Persönlichkeit) unterschiedlich bewertet werden. Denn eine unterschiedliche Behandlung von Personengruppen dürften letztlich wohl die weitaus meisten – wenn nicht alle – Regelungen zur Folge haben. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn sie im Tatbestand an sachliche Umstände anknüpfen, da sich diese meist auch in Beziehung zu Personen setzen lassen dürften. Wenn ein Gesetz für Kampfhunde Maulkorb- und Leinenpflicht festlegt, wird die Gruppe der Kampfhundehalter anders behandelt als die Gruppe der Hundehalter, deren Hunde als typischerweise ungefährlich eingestuft werden. Nach der Rechtsprechung des BVerfG könnte hier ein Personenbezug der Kampfhunderegelung angenommen werden, da die Regelung verschiedene Personengruppen unterschiedlich behandelt.89 Für den hier vertretenden Ansatz kommt es hingegen allein darauf an, dass die Regelung nur die Gefährlichkeit von Hunden typisiert. Der Kampfhundehalter mag sich vielleicht zwar in seiner Handlungsfreiheit beeinträchtigt sehen, in seiner Persönlichkeit dürfte er sich aber wohl nicht bewertet fühlen. Die Regelung nimmt also keine personenbezogene Typisierung vor.

Entscheidend ist also die Frage, ob durch die jeweilige Regelungen Eigenschaften von Menschen oder Sachverhalten einer typisierenden Betrachtung unterzogen werden: Handelt es sich bei den Umständen, die Grund und Gegenstand der Regelung sind und deren Vorliegen anhand von bestimmten Tatbestandsmerkmalen typisierend festgestellt werden soll, um Sacheigenschaften, liegt eine sachbezogene Regelung vor. Knüpft die Rechtsfolge an bestimmte Eigenschaften von Personen an (die anhand bestimmter Tatbestandsmerkmale typisierend festgestellt werden sollen), handelt es sich um eine Regelung mit Personenbezug. Welcher Umstand für die Regelung ausschlaggebend ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Den Hintergrund für die Vorschrift des Art. 12a GG („Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften ... verpflichtet werden.“) dürfte die Annahme bilden, dass Frauen grundsätzlich nicht für den Kriegsdienst geeignet seien. Die Vorschrift gründet sich somit auf einem personenbezogenen Umstand, es handelt sich um eine personenbezogene Regelung. Atomkraftwerksbetreiber sind nach den §§ 7 ff. AtomG einem besonderen Genehmigungsverfahren für die Inbetriebnahme eines Atomkraftwerkes (Berufszulassung) unterworfen und unterliegen besonderen Sorgfaltspflichten (Berufsausübung). Hierbei dürfte es sich um sachbezogene Regelungen handeln, da schwerpunktmäßig an die Eigenschaften einer Handlung – nämlich die Gefährlichkeit des Betreibens eines Atomkraftwerks – angeknüpft wird und nicht an die Eigenschaften des Atomkraftwerkbetreibers.

___________ 88

In diesem Sinne etwa: BVerfGE 64, 229 ff. – unterschiedliche Behandlung von Sparkassen und Privatbanken; BVerfGE 90, 46 ff. – unterschiedliche Beteiligung des Personalrates bei der Beendigung der Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern und Angestellten wegen der unterschiedlich langen Probezeit. 89 So wohl OVG Schleswig, NVwZ 2001, 1300 (1304).

402

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

In Einzelfällen mag die Frage, ob eine rechtliche Regelung einen Personenoder einen Sachbezug herstellt, schwer zu beantworten zu sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Gruppenzugehörigkeit über bestimmte Handlungen definiert. Begriffliche Ungenauigkeiten stellen aber keine Besonderheit des Rechtsbegriffs „Personenbezug“ dar, sondern treten immer bei der Formulierung rechtlicher Regeln auf. Problematisch könnte sich beispielsweise die Zuordnung beim Haustürwiderrufsrecht nach § 312 BGB darstellen. Danach sollen Personen vor übereilten Vertragsabschlüssen geschützt werden, indem ihnen bei Haustürgeschäften oder in vergleichbar überraschenden Geschäftssituationen ein Widerrufsrecht eingeräumt wird. Wenn man annähme, dass der Gesetzgeber den Verbraucher dadurch vor „aggressiven Vertretern“ schützen wollte, dürfte § 312 BGB als eine personenbezogene Regelung einzuordnen sein. Da die Rechtsfolge des § 312 BGB jedoch nicht an Personen, sondern an bestimmte Umstände des Vertragsabschlusses anknüpft, ist die Regelung als sachbezogen zu qualifizieren.

Die Abgrenzung zwischen personenbezogenen Typisierungen und sachbezogenen Typisierungen erfolgt dabei insbesondere nicht anhand des Kriteriums der individuellen Beeinflussbarkeit. Anders als die Rechtsprechung90 und Teile der Literatur91 ergibt sich nach der hier vertretenen Auffassung keine besondere grundrechtliche Eingriffsintensität aus dem Umstand, dass das Merkmal, anhand dessen die unterschiedliche Behandlung von Menschen erfolgt, für die Betroffenen nicht beeinflussbar ist. Entscheidend für die Bewertung der Intensität eines Eingriffs in das Recht auf Achtung der Individualität ist, ob der Einzelne in seinen Eigenschaften oder seiner Persönlichkeit typisiert wird. Insbesondere bei in der Vergangenheit abgeschlossenen Vorgängen, also bei der differenzialdiagnostischen oder diagnostischen Verwendung von Typisierungen, kann die Anknüpfung an individuell nicht beeinflussbare Kriterien gerechtfertigt sein. So sollen aufgrund des Bescheides des Paul-Ehrlich-Instituts vom 21.10.200192 Personen von der Blutspende ausgeschlossen werden, die sich in der Zeit von 1980-1996 insgesamt länger als 6 Monate in Großbritannien oder Nordirland aufgehalten haben. Diesem Bescheid liegt die Annahme zugrunde, dass innerhalb dieses Zeitraumes das Risiko, sich über Nahrungsmittel an dem Erreger für die Creutzfeld-Jakob-Krankheit zu infizieren, mit der Länge des Aufenthalts im Vereinigten Königreich korreliert. Hierbei werden Personen, die in dieser Zeit in Großbritannien geboren wurden und aufwuchsen, genauso von der Möglichkeit, Blut zu spenden, ausgeschlossen wie Personen, die sich im Rahmen eines Auslandsaufenthalts dort aufhielten. Ob das Kriterium, an das die Typisierung anknüpft, individuell beeinflussbar ist oder nicht, ist dabei völlig unerheblich. Für den Einzelnen ist lediglich relevant, dass er am Blutspenden gehindert wird, obwohl er möglicherweise gar nicht mit dem Erreger infiziert ist. Diese Überlegungen treffen auch auf Prognosen zu. Auch hier sind statistische Annahmen, die an nicht beeinflussbare Merkmale anknüpfen, nicht von vornherein als schwerer wiegende Eingriffe in das Recht auf Achtung der Individualität zu werten als

___________ 90

Vgl. S. 293, Fn. 478. Kallina, Willkürverbot, S. 100, 185; Sachs, JuS 1997, 124 (129). 92 Abgedruckt im Bundesanzeiger Nr. 202 vom 27.10.2001, S. 22533. 91

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

403

solche aufgrund von beeinflussbaren Kriterien. So dürfte es im Rahmen des Kreditscorings93 grundsätzlich allein darauf ankommen, mit welcher Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden kann, ob der Kreditnehmer einen Kredit zurückzahlen kann. Ob die dabei verwendeten Kriterien individuell beeinflussbar sind (z.B. das Kriterium des bisherigen Zahlungsverhaltens) oder nicht (z.B. das Kriterium der sozialen Verhältnisse) ist dabei eigentlich nicht entscheidend.

Vom Gewährleistungsbereich des Rechts auf Achtung der Individualität ausgenommen sind demgegenüber Informationen über Manifestationen. Nach der in der Einleitung vorgenommenen Definition94 stellen Informationen über Manifestationen nämlich Einzelinformationen dar, die nicht der statistischen Aussageungenauigkeit unterliegen. Unter dem Aspekt der genetischen Diskriminierung wurde in der Literatur der Fall eines Mannes erörtert, der an der (genetisch bedingten) Hämochromatose erkrankt war und dem aufgrund dessen in den Vereinigten Staaten keine Aufnahme in die Krankenversicherung gewährt wurde. Dies stellt sich nach der hier vertretenden Auffassung nicht als Problem des Rechts auf Achtung der Individualität dar, sondern vielmehr als eine Frage des sozialstaatlichen Schutzes.95 In den USA ergeben sich in diesem Bereich besondere Probleme, weil der Krankenversicherungsschutz nur in Verbindung mit einer Arbeitsanstellung gesichert ist. Der Verlust der Arbeitsstelle ist damit häufig mit dem Verlust des Krankenversicherungsschutzes verbunden. Umgekehrt verlieren Personen mit therapieintensiven Krankheiten häufig ihren Arbeitsplatz, weil ihnen von den Versicherungen wegen der damit erhöhten Kosten die Aufnahme in die betriebliche Krankenversicherungen verweigert wird, auch wenn sie bei entsprechender Behandlung voll arbeitsfähig sind. Gleiches gilt für den im Jahr 2000 in den USA sehr kontrovers diskutierten Fall von Frau Terri Seargent, welche nach einer vielversprechenden Karriere aufgrund ihrer Alpha-1-Antitrypsin-Mangel-Erkrankung von ihrem Arbeitgeber entlassen wurde.96 Auch hier liegt keine Ungleichbehandlung aufgrund von Eigenschaftsindikatoren vor, sondern vielmehr aufgrund einer bei ihr nachweislich aufgetretenen Krankheitsmanifestation.

bb) Behandlung und Bewertung Im Unterschied zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung greift der Schutz des Rechts auf Achtung der Individualität erst dann ein, wenn der Einzelne in seinen Handlungsmöglichkeiten unmittelbar eingeschränkt wird. Nicht ___________ 93

Zum Creditscoring vgl. S. 78. Siehe S. 63 ff. 95 Zur Diskussion siehe Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 476 (478) mit den Gegeneinwendungen von Hook, Am. J. Hum. Genet., vol. 51 (1992), 899 (901). 96 Der Fall wurde vor dem US-amerikanischen Senat erörtert. Er gilt als einer der ersten Fälle von Behindertendiskriminierung (nach ADA – Americans with Disabilities Act), der von der EEOC (Equal Employment Opportunity Commission) auch unter dem Gesichtspunkt der genetischen Diskriminierung behandelt wurde. – Siehe Jones, Genetic Information, S. 5. 94

404

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

erfasst ist also die Datenerhebung und -verarbeitung, sondern allein die Datennutzung. Nicht erforderlich ist eine Ungleichbehandlung: Das Recht auf Achtung der Individualität beschränkt sich also nicht auf Fälle, in denen der Einzelne im Vergleich zu anderen bevorzugt oder benachteiligt wird.

cc) Insbesondere: Schutz des ungeborenen Lebens? Nach herkömmlicher Auffassung scheidet ein Schutz durch persönlichkeitsrechtliche Gewährleistungen für das ungeborene Leben aus.97 Jedoch wird das ungeborene Leben in den Schutz des Art. 1 Abs. 1 GG einbezogen.98 Wirkkraft für das ungeborene Leben können grundrechtliche Gewährleistungen aber über die Gewährleistung der Menschenwürde bekommen.99 Welches Gewicht dem Grundgedanken des Rechts auf Achtung der Individualität dabei in der verfassungsrechtlichen Abwägung zur Zulässigkeit von Schwangerschaftsabbrüchen beizumessen ist, kann angesichts der rechtlich-ethischen Komplexität der Situation, in der sich Eltern befinden, wenn sie über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, im Rahmen dieser Arbeit nicht erörtert werden. Es erscheint jedoch durchaus als tragfähige Argumentation, die hier angestellten Überlegungen zur Individualität des Menschen100 auch auf das ungeborene Leben zu übertragen: Auch im Rahmen vorgeburtlicher Untersuchungen werden Typisierungen vorgenommen, die dann Grundlage der Entscheidung über den Abbruch der Schwangerschaft sind: Mit der vorgeburtlichen Diagnostik werden Merkmale bei dem Embryo festgestellt, die mit einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrad zu einem bestimmten äußeren Erscheinungsbild führen. Die wenigsten Untersuchungen können sich dabei auf Manifestationen stützen. Vielmehr wird in der Regel nur ein

___________ 97

Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 46; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 GG, Rdnr. 5; AK-Podlech, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 60. – Zu den verschiedenen Auffassungen auch Haker, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 238 (259). 98 Statt vieler Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 49 ff. m.w.N. 99 Für einen grundrechtlichen Schutz ungeborenen Lebens: Schmidt, Genomanalyse, S. 121 f. m.w.N.; Stumper, Informationelle Selbstbestimmung, S. 76 ff., 228; Vollmer, Genomanalyse, 109 ff., 175 f. Siehe auch Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 27a, Fn. 120 m.w.N. – Zur Grundrechtsträgereigenschaft im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG: Giwer, Präimplantationsdiagnostik, S. 121 ff. – Zum Schutz des ungeborenen Lebens vor Diskriminierung nach der Konvention zur Biomedizin siehe Höfling, KritV 1998, 99 (105 f.); Schreiber, in: Taupitz, Menschenrechtsübereinkommen, S. 141 (144). 100 Dagegen aber offenbar: Dreier-Dreier, Art. 1 Abs. 1, Rdnr. 83, der dem werdenden Leben keine Individualität beimisst und es insofern lediglich als „Dividuum“ auffasst.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

405

statistischer Zusammenhang hergestellt zwischen bestimmten in der Schwangerschaft diagnostizierbaren Merkmalen und möglichen Ausprägungen.101 Wird beispielsweise im Rahmen der pränatalen Diagnostik (etwa durch Amniozentese oder Chorionzottenbiopsie) festgestellt, dass der untersuchte Embryo oder Fetus in seinem Chromosomenbild die Trisomie 21 aufweist, sagt dies zunächst einmal nichts darüber aus, in welcher Form sich dies auf den Phänotyp auswirkt.102 Bekannt ist nur, dass ein bestimmter Prozentsatz von Menschen mit Trisomie 21 einen bestimmten Grad an geistiger Behinderung aufweist. Nicht nachweisbar ist jedoch, dass die im Einzelfall festgestellte Trisomie 21 tatsächlich zu einer schweren geistigen Behinderung führt. Auf viele Menschen mit Down-Syndrom trifft eben das Bild des Menschen mit einer äußerst schweren geistigen Behinderung nicht zu.103

dd) Keine Beschränkung auf Anlagen oder genetische Veranlagungen Der Schutzbereich des Rechts auf Achtung der Individualität ist weder auf Anlagen, also endogene Eigenschaftsindikatoren, noch im Besonderen auf genetische Veranlagungen beschränkt: Für die Bewertung des Individualbezugs ist es unerheblich, ob er über ein innerkörperliches oder außerkörperliches statistisches Bezugskriterium hergestellt wird. Damit weisen endo- und exogene Eigenschaftsindikatoren sowohl hinsichtlich der Aussageungenauigkeit als auch hinsichtlich des Individualbezugs ein vergleichbares Diskriminierungspotenzial auf.104 Andere Gesichtspunkte sind im Zusammenhang mit dem Recht auf Achtung der Individualität zunächst einmal unerheblich. Insbesondere die Behandlung aufgrund von genetischen Daten stellt nur einen möglichen Unterfall des Rechts auf Achtung der Individualität dar, der keine besondere rechtliche Bewertung erfordert. Dies gilt auch mit Blick auf das Recht auf freibestimmte Zukunft: Nicht alle genetischen Merkmale ermöglichen Prognosen; nicht alle Prognosen stützen sich auf genetische Merkmale. Das Recht auf freibestimmte Zukunft lässt sich nicht als ein genspezifisches Recht

___________ 101 Graumann, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 383 (403 f.) – „Ausselektion“ von „unter Umständen gesunden Embryonen“. – Vgl. auch Deutsche Bischofskonferenz und Rat der Evangelischen Kirche, Gemeinsame Texte 11, S. 21: „Wissen und Gewissheit sind nicht dasselbe“. 102 Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Down-Syndrom“. 103 Zum Spektrum möglicher Symptombilder Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Down-Syndrom“. 104 Zur gleichheitsrechtlichen Bewertung eines auf Anlagen beschränkten Diskriminierungsverbots: S. 362 ff.

406

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

auffassen und demzufolge auch nicht gegenständlich auf genetische Daten begrenzen.105

b) Kasuistische Bestimmung des Gewährleistungsbereichs Im Folgenden werden Fallgruppen zur näheren Bestimmung des Schutzbereichs erörtert. Unterteilt sind sie nach ihrer Verwendung in die Gruppen der prädiktiven, der diagnostischen und der differenzialdiagnostischen Verwendungsweise.106

aa) Fälle prädiktiver Verwendungsweise Bei prädiktiver Verwendungsweise wird eine möglicherweise sich in Zukunft entwickelnde Manifestation anhand von Eigenschaftsindikatoren ermittelt. Die Eigenschaftsindikatoren, anhand derer die Vorhersagen gemacht werden, können dabei notwendigerweise nur als Surrogatmerkmale verwendet werden.107 Eigenschaften, die sich nur möglicherweise in der Zukunft manifestieren, lassen sich ja gerade nicht unmittelbar nachweisen. Sie sind zum Zeitpunkt der Untersuchung ja noch nicht existent. Vorhersagen lassen sich somit als Aussagen betrachten, denen notwendigerweise Typisierungen zugrunde liegen. In diesen Zusammenhang lässt sich auch die Kritik an dem so genannten Basisprogramm für arbeitsmedizinische Untersuchungen (BAPRO) einordnen.108 Wird beispielsweise eine genetische Veranlagung genutzt, um bei der Einstellung die gesundheitliche Entwicklung eines Arbeitnehmers zu prognostizieren, dient sie nur als Hilfsmittel. Festgestellt werden soll eigentlich die (zukünftige) Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers. Verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftig sind danach im Rahmen von beamtenrechtlichen Einstellungsuntersuchungen beispielsweise auch Benachteiligungen aufgrund einer HIV-Infektion, anhand der eine zukünftige AIDS-Erkrankung prognostiziert wird.109

___________ 105

In der rechtswissenschaftlichen Diskussion wird allerdings von den meisten Autoren der Gewährleistungsbereich derartiger Rechtsausprägungen – fast wie selbstverständlich – auf genetische Daten beschränkt. Siehe etwa Wiese, Genetische Analysen, S. 21 f., 96 ff.: „Persönlichkeitsrecht am Genbereich“. 106 Im Ergebnis ähnlich Pletke, Genomanalysen, S. 207 f., 268 ff. (insb. 274, 280). 107 Siehe dazu auch Paul, Tumorerkrankungen, S. 32 (Differenzierung zwischen Analyse- und Aussageebene). 108 Zink/Morun, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 7 ff. 109 Vgl. etwa Lichtenberg/Winkler, DVBl. 1990, 10 ff. Siehe dazu auch EuGH, NJW 1994, 3005 (3006), Gliederungspunkte 14 und 15.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

407

Das gilt auch bei der Berücksichtigung des Geschlechts beim Abschluss von Versicherungsverträgen, wenn aufgrund von statistischen Feststellungen, etwa dass Frauen häufiger zum Arzt gehen, länger leben oder besser Autofahren, für Frauen und Männer unterschiedliche (geschlechtsspezifische) Tarife festgelegt werden.

bb) Fälle diagnostischer Verwendungsweise Von der Fallgruppe der diagnostischen Verwendungsweise von Eigenschaftsindikatoren soll die typisierende Erfassung von im Zeitpunkt der Untersuchung bereits verwirklichten Manifestationen (feststellende Verwendungsweise) erfasst werden. Hier besteht das eigentliche Untersuchungsziel in der Feststellung der Manifestation einer bestimmten Eigenschaft. Das festgestellte Merkmal wird hier als Surrogatmerkmal110 genutzt: Die unmittelbare Feststellung der Manifestation wird durch die Feststellung eines mehr oder weniger zuverlässigen Indikators für die Manifestation ersetzt, um die unmittelbare Ermittlung der Manifestation zu vermeiden, welche sich möglicherweise als aufwändig oder kostenintensiv darstellt. Für die diagnostische Verwendung statistischer Daten ist noch nicht einmal der Nachweis eines korrelativen Verhältnisses erforderlich, welches auch für die Bewertung zukünftiger Entwicklung geeignet erscheint. Intelligenz kann nicht durch eine unmittelbare Untersuchung festgestellt werden. Möglich sind lediglich Untersuchungen, die mehr oder weniger genaue Rückschlüsse auf den Intelligenzquotienten erlauben.111 Die Möglichkeit der (diagnostischen) Ermittlung von Eigenschaften stellt auch die Pharmakogenetik dar: Bereits manifeste Empfindlichkeiten im Hinblick auf bestimmte Medikamente werden hier anhand von genetischen Untersuchungen ermittelt.112 Eine solche Überlegung lässt sich beispielsweise auch – dem mittlerweile aufgehobenen – § 39 SGB VI113 beimessen. Diese Regelung räumte Frauen im Unterschied zu Männern die Möglichkeit ein, Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres zu beziehen. Die Typisierung durch das Merkmal „Frau“ wurde hier als gerechtfertigt angesehen, weil es zumindest für die Vergangenheit als weitgehend zutreffend betrachtet wurde, dass grundsätzlich nur Frauen der Doppelbelastung durch Beruf und Haushaltsführung ausgesetzt waren, welche durch die Vorverlagerung der Altersgrenze ausgeglichen werden sollte.114

___________ 110

Zum Begriff siehe S. 71, Fn. 153. Zum besonderen Problem der unklaren Definition des Intelligenzbegriffs siehe oben, S. 116. 112 Zur Pharmakogenetik siehe S. 158 f. 113 Früher § 25 Abs. 3 AVG, davor § 1248 Abs. 3 RVO. 114 BSGE 53, 107, 109 ff.; BVerfGE 74, 163 ff., kommentiert von Huster, Rechte, S. 245 ff., 319 f. Einschränkend hinsichtlich der Beurteilung der Doppelbelastung: BVerfGE 85, 191 (208 f.) – Nachtarbeit. 111

408

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

An dieser Stelle sei nochmals herausgestellt, dass sich die Behandlung aufgrund von Manifestationen hingegen grundsätzlich unproblematisch darstellt. (Diagnostische) Aussagen über (gegenwärtige) Manifestationen sind Individualaussagen. So ist das Recht auf Achtung der Individualität beispielsweise nicht beeinträchtigt, wenn die betreffende Person etwa an AIDS oder der genetisch bedingten Krankheit bereits erkrankt ist und mit der Erkrankung Eigenschaften verbunden sind, die im jeweiligen Rechtsbereich als erheblich erscheinen. Ein typischer Test zur Ermittlung einer Manifestation ist die Untersuchung auf Farbenblindheit bei Elektrikern und Piloten.115 Die Fähigkeit, zwischen Farben zu unterscheiden, ist in diesen Berufen von entscheidender Bedeutung, eine Differenzierung nach diesem Kriterium bei der Einstellung damit gerechtfertigt.

cc) Fälle differenzialdiagnostischer Verwendungsweise Soll der Eintritt einer bestimmten Manifestation differenzialdiagnostisch bewertet werden, ist der Eintritt der Manifestation bereits festgestellt. Gesucht wird nach der Ursache für ihren Eintritt. Die Feststellung des Eigenschaftsindikators dient hier nicht der mittelbaren Feststellung der Manifestation, sondern ist unmittelbares Untersuchungsziel. Der Eigenschaftsindikator ist unmittelbar maßgeblich für die rechtliche Bewertung. Dabei ist die Feststellung des statistischen Bezugskriteriums eine Individualinformation, nicht aber seine Bewertung als Kausalfaktor. Vielmehr beruhen alle Kausalitätsbewertungen auf statistischen Angaben und unterliegen damit der statistischen Aussageungenauigkeit:116 Sie haben das Ziel, Eigenschaftsindikatoren zu ermitteln, die mit einer mehr oder weniger großen Wahrscheinlichkeit die Manifestation einer bestimmten Eigenschaft ausgelöst haben.

3. Verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit Vergleichbare Rechtsgewährleistungen von ähnlicher Art und ähnlichem Umfang bestehen in der verfassungsrechtlichen Dogmatik bisher nicht. Im Folgenden wird das Recht auf Achtung der Individualität gegenüber anderen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen abgegrenzt.

___________ 115 116

Bayertz/Ach/Paslack, Genetische Diagnostik (1999), S. 212. Siehe dazu bereits oben, S. 370 f.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

409

a) Keine Beeinträchtigung der Menschenwürde Die Verwendung statistischer Daten dürfte grundsätzlich für sich genommen nicht als Verletzung der Menschenwürde gewertet werden können.117 Dies gilt insbesondere auch dann, wenn der Bewertung genetische Daten zugrunde gelegt werden, wenn also die statistischen Bezugsgruppen anhand von genetischen Merkmalen gebildet werden.

b) Abgrenzung zu den Diskriminierungsverboten des Art. 3 Abs. 3 GG Nach der hier vorgeschlagenen Auslegung lassen sich die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG als Typisierungsverbote interpretieren.118 Unter Zugrundelegung dieser Annahme ergeben sich damit folgende Unterschiede zwischen Diskriminierungsverboten und dem Recht auf Achtung der Individualität: Auf der Tatbestandsseite werden von Diskriminierungsverboten nur Typisierungen anhand der abschließend aufgezählten Merkmale erfasst, während vom Recht auf Achtung der Individualität alle Typisierungen erfasst werden. Auf der Rechtsfolgenseite stellt jede Typisierung anhand der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Differenzierungsmerkmale eine (grundsätzlich nicht zu rechtfertigende) Verletzung des Diskriminierungsverbots dar. Eingriffe in das Recht auf Achtung der Individualität können hingegen verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Ähnlichkeiten ergeben sich allerdings im Hinblick auf die Schutzrichtung: Wie das Recht auf Achtung der Individualität lassen sich – nach der hier vertretenen Auffassung – auch die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG als Ausdruck des Gedankens verstehen, dass der Mensch als Individuum und nicht als typisches Mitglied einer Gruppe behandelt werden soll, da die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe keine zuverlässigen Aussagen über die Eigenschaften des Einzelnen erlaubt. Genau aus diesem Gedanken (und wohl nicht – wie häufig angemerkt119 – aus der individuellen Unbeeinflussbarkeit der Gruppenzugehörigkeit) ergibt sich auch die besondere Nähe zur Menschenwürde, weil der Einzelne dann nicht als Individuum behandelt, sondern zum bloßen Objekt ___________ 117

Allerdings ist die Nähe zum menschenwürde-relevanten Kern ein Aspekt, der bei der persönlichkeitsrechtlichen Konstruktion des Rechts auf Achtung der Individualität Berücksichtigung findet. Siehe dazu unten, S. 412 ff. 118 Einige BVerfG-Entscheidungen zu Art. 3 Abs. 3 GG lassen sich insofern zur Unterstützung dieser Annahme heranziehen. Siehe etwa BVerfGE 92, 91 (110) – Feuerwehrabgabe; 52, 369 (378 f.). Dazu eingehend auch S. 319 f. 119 So wohl auch AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 19: „biologische und soziale Bedingungen, über die er nicht verfügen kann“, vgl. auch Rdnr. 29: „aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat.“ In der Formulierung näher an dem hier vertretenen Standpunkt in Rdnr. 32.

410

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

statistischer Betrachtungen gemacht wird. Die begrenzte Auswahl von Diskriminierungskriterien des Art. 3 Abs. 3 GG ergibt sich aus dem Umstand, dass aufgrund der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmale in der Geschichte besonders häufig Diskriminierungen (im Sinne von Kategorisierungen) vorgenommen worden sind.

c) Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung Anders als das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dient das Recht auf Achtung der Individualität unmittelbar der Bekämpfung von Diskriminierungen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betrifft den Bereich, in dem Daten zusammengestellt und aufbereitet werden, um Entscheidungsgrundlagen zu schaffen. Das Recht auf Achtung der Individualität erfasst hingegen Situationen, in denen eine konkrete Entscheidung über einen Menschen getroffen wird. Angesichts der unterschiedlichen rechtlichen Reaktionsmöglichkeiten auf der Wahrnehmungs- und Bewertungsebene120 sollen insofern die Bewertung und Behandlung von Menschen nicht als eine Datennutzung im Sinne des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung angesehen werden.

d) Abgrenzung zum gleichheitsrechtlichen Schutz im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG Es ist bereits in der verfassungsrechtlichen Dogmatik anerkannt, dass die Verwendung von Typisierungen oder Generalisierungen in der Gesetzgebung in gleichheitsrechtlicher Hinsicht nicht unbeschränkt zulässig ist, sondern einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Dabei ist zu überprüfen, ob mit der konkreten Regelung ein angemessener Ausgleich zwischen der Individualgerechtigkeit und den kollektiven Interessen der Rechtssicherheit und Verwaltungsökonomie hergestellt wurde. Neu an einer Berücksichtigung im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG sind folgende Gesichtspunkte: – Die Prüfung ist nicht gebunden an eine Verletzung des Gleichheitssatzes. – Sie greift sich speziell den Bereich der personenbezogenen Typisierungen heraus. – Sie erfasst den eigentlichen Schwerpunkt der grundrechtlichen Beeinträchtigung durch Typisierungen: Denn für den Einzelnen dürfte bei einer typisierenden Behandlung weniger das Gefühl der Ungleichbehandlung als vielmehr das Gefühl, als berechenbares, zahlenmäßig erfassbares Objekt behandelt zu werden, vorherrschen. ___________ 120

Siehe dazu auch S. 383 ff.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

411

Im Übrigen sind die grundlegenden Überlegungen, die den Gleichheitsgedanken tragen, auf das Recht auf Achtung der Individualität übertragbar. Beide Rechtsgewährleistungen verlangen, den Einzelnen in seiner Individualität zu achten.

e) Abgrenzung zu entfaltungsrechtlichen Gewährleistungen Auch andere freiheitsrechtliche Gewährleistungen, die dem Entfaltungsschutz dienen (Verhaltensfreiheiten)121, sind in dem jeweils schutzbereichsdefiniertem Umfang betroffen, wenn Personen anhand von Eigenschaftsindikatoren behandelt und bewertet werden. Denn letztlich führt die Verwendung personenbezogener Typisierungen dazu, dass im Einzelfall Personen die Ausübung bestimmter Tätigkeiten verwehrt wird, obwohl sich in ihnen das zur Rechtfertigung des jeweiligen Eingriffs in Bezug genommene Risiko gerade nicht verwirklicht und die Freiheitseinschränkung in diesen Einzelfällen insoweit eigentlich nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Sofern ein Pilotenanwärter aufgrund einer genetischen Veranlagung, die mit einem erhöhten Risiko für eine bestimmte Krankheit in Verbindung gebracht wird, keine Anstellung findet, er aber – wie sich später herausstellt – nicht an der prognostizierten Krankheit erkrankt, so wurde ihm die Ausübung einer bestimmten Berufstätigkeit verwehrt, obwohl es im Einzelfall bei ihm für diesen Ausschluss keine Rechtfertigung gab.

Dies gilt jedoch nicht nur für personenbezogene Typisierungen, sondern gleichermaßen auch für sachbezogene Typisierungen. Ein Atomkraftwerkbetreiber muss erhöhte Sicherheitsvorkehrungen einhalten, weil Atomkraftwerke besonders gefährlich sind. Möglicherweise hätte aber das von ihm betriebene Atomkraftwerk auch bei verminderten Sicherheitsvorkehrungen gar keinen Störfall gehabt.

Wenn Eingriffe aufgrund von personenbezogenen Informationen grundsätzlich als schwerwiegender gewertet werden, lässt sich dies mit dem hier angesprochenen persönlichkeitsrechtlichen Aspekt der Beeinträchtigung begründen.122 Zu dem Umstand, dass der Einzelne an der freien Ausübung bestimmter Tätigkeiten gehindert wird, deren Schutz durch die entfaltungsrechtliche Seite der Grundrechte gewährleistet wird, tritt eine integritätsrechtliche Beeinträchtigung, die auch vom Recht auf Achtung der Individualität erfasst wird. Sofern einem Piloten aufgrund seiner genetischen Veranlagung die Ausübung seines Berufes untersagt wird, liegt darin ein Eingriff in Art. 12 GG. Dieser Eingriff kann jedoch unter zwei Gesichtspunkten erfasst werden: Zum einen ist die grundrechtliche Dimension des Entfaltungsschutzes betroffen, weil der Einzelne an der Ausübung einer bestimmten Berufstätigkeit gehindert wird. Hinzu tritt die integritätsrechtliche Dimension

___________ 121 122

Zum Begriff siehe oben, S. 395. Siehe S. 412 ff.

412

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

(der Behandlung als statistisch erfassbare Person), welche schwerpunktmäßig vom Recht auf Achtung der Individualität geschützt wird.

4. Verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit Die verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit ist ebenfalls hinsichtlich des Rechts auf Achtung der Individualität gegeben:

a) Intensität der Beeinträchtigung Die Intensität der Beeinträchtigung ergibt sich beim Recht auf Achtung der Individualität aus dem Individualbezug und der Aussageungenauigkeit der verwendeten Informationen:

aa) Persönlichkeitsrechtlicher Bezug Grundvoraussetzung zur Herstellung eines – für das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit erforderlichen – Bezugs zur Menschenwürde ist der Individualbezug der Information. Zwar kann auch die Anwendung sachbezogener statistischer Informationen die freie Persönlichkeitsentfaltung beeinträchtigen, jedoch wird der Betroffene in diesen Fällen nicht in seiner Persönlichkeit bewertet. Die freiheitliche Einschränkung erfolgt dann nicht, weil der Einzelne selbst, sondern weil eine Sache in typisierter Betrachtung bestimmte Eigenschaften aufweist, die Anlass zur jeweiligen gesetzlichen Regelung gaben.123

bb) Statistische Aussageungenauigkeit Der zweite Aspekt, über den sich die für das Recht auf Achtung der Individualität typische Eingriffsintensität ergibt, ist die Ungenauigkeit statistischer Aussagen. Aussagen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren gründen sich auf (im Einzelfall nur typischerweise zutreffenden) statistischen Informationen, Aussagen aufgrund von Manifestationen beruhen auf (im Einzelfall zutreffenden) Individualinformationen.124 Wird der Einzelne aufgrund von personenbezogenen Typisierungen behandelt, wird ihm letztlich die Fähigkeit abgesprochen, sich unabhängig von gruppentypischen Entwicklungsmustern entwickelt zu haben oder noch zu ___________ 123

Zur Abgrenzung von Personen- und Sachbezug vgl. S. 400 ff. Zur Informationscharakter von Eigenschaftsindikatoren und Manifestationen siehe S. 66 und 73. 124

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

413

entwickeln. Er wird nicht als Individuum, sondern lediglich als Mitglied einer Gruppe behandelt, welche über das jeweilige Unterscheidungsmerkmal definiert wird.125 Die Intensität der Beeinträchtigung des Rechts auf Achtung der Individualität ist umso größer, je größer die Aussageungenauigkeit der zugrunde gelegten Gruppeninformation ist. Denn mit zunehmender Aussageungenauigkeit steigt auch die statistische Wahrscheinlichkeit, dass die getroffene Aussage eben nicht auf den Einzelfall zutrifft. Vor diesem Hintergrund lassen sich dem Recht auf Achtung der Individualität und dem Recht auf freibestimmte Zukunft typischerweise unterschiedliche Eingriffsintensitäten zuordnen:

cc) Prognostische Aussageungenauigkeit Vorhersagen weisen eine besondere prognostische Aussageungenauigkeit und ein Defizit an zeitnaher Überprüf- und Widerlegbarkeit auf.126 Werden Prognosen über die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen gestellt, wird der Mensch nicht als die Person gesehen, die er ist, sondern als die, die er möglicherweise – aufgrund einer bestimmten Wahrscheinlichkeit, also letztlich aufgrund einer bestimmten Zufälligkeit – werden könnte. Genau dies ist es, was den Umgang mit solchen Daten für den Einzelnen so schwer macht: Er muss sich aufgrund von Umständen behandeln lassen, deren Entscheidungserheblichkeit er kaum erkennen oder akzeptieren kann, weil sie eben – jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung – nicht bestehen. Ihm wird die Gelegenheit genommen, seine Geschicke selbstbestimmt und gestaltend in die Hand zu nehmen.127 Letztlich wird das menschliche Leben damit (in der gesellschaftlichen und rechtlichen Wirklichkeit) lediglich als Ablauf vorausberechenbarer naturwissenschaftlicher Vorgänge betrachtet.128 Das Bemühen, derartigen Prognosen einen sehr eingeschränkten Anwendungsbereich einzuräumen, wird von einer einfachen Erkenntnis getragen: Die Zukunft liegt im Ungewissen.129 ___________ 125

Zur Bedeutung des Individualbezugs siehe auch bereits S. 340 ff. Ausführlich dazu bereits S. 364 ff. 127 Dies gilt insbesondere auch für Behinderungen, anhand derer der jeweiligen Person eine bestimmte Entwicklung prognostiziert wird. Gerade auch hier ist es entscheidend, den Menschen (anhand seiner Behinderung) zu typisieren, sondern in seinen ganzen Fähigkeiten und Eigenschaften wahrzunehmen. – Vgl. Schnur, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000). 128 Vultejus, ZRP 2002, 70 (70) (mit der Feststellung, dass der Glaube an den freien Willen des Menschen [und die damit verbundene Möglichkeit der selbstbestimmten Entwicklung] Grundlage des strafrechtlichen Schuldvorwurfs ist). 129 Im Hinblick auf die Vorstellung des genetischen Determinismus hat dieser Gedanken in dem Slogan des Film „GATTACA“ von Niccol (Buch und Regie), USA 1997, eine treffenden Ausdruck gefunden: „There’s no gene for the human spirit.“ – Siehe 126

414

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

b) Wertigkeit der betroffenen Rechtspositionen Beeinträchtigungen des Rechts auf Achtung der Individualität weisen eine Nähe zum menschenwürde-relevanten Kern des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf: Indem der Einzelne lediglich als das Mitglied einer bestimmten Gruppe gesehen wird, das in ausrechenbarer Weise den Gruppengesetzmäßigkeiten folgt, wird die Fähigkeit des Menschen zu einem selbstbestimmten und individuellen Lebensweg verkannt. In dem Maße, in dem der Mensch in seiner persönlichen Entwicklung jedoch zum Gegenstand statistischer Betrachtungen gemacht wird, wird ihm seine Einzigartigkeit abgesprochen. Der Mensch wird nicht mehr in seiner Vielfältigkeit wahrgenommen, sondern letztlich als eine über mehr oder weniger umfangreiche Kriterienkataloge definierte, auswechselbare Einheit behandelt.130 Eine solche Behandlung steht im Spannungsverhältnis zur Menschenwürde, als eine von deren Voraussetzungen – etwa nach dem Menschenwürdekonzept von Kant – die Unvertretbarkeit eines jeden Menschen zu betrachten ist.131 Die besondere Wertigkeit dieser Gewährleistung ist auch aus geschichtlicher Perspektive erkennbar. So lässt sich die Möglichkeit des Einzelnen, ein selbstbestimmtes, von gesellschaftlich geprägten „Vorbestimmungen“ losgelöstes Leben zu führen, als einer der Grundgedanken in der Entwicklung der Individualrechte interpretieren. Denn die Behandlung von Menschen aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten stellt in der historischen Betrachtung keine Neuerung dar, die erst mit der Entwicklung humangenetischer Methoden genutzt wird. Aus heutiger Sicht lassen sich in der Rückschau viele der gesellschaftlichen Umwälzungen als Ausdruck dafür interpretieren, dass überkommene gesellschaftliche Strukturen aufgebrochen werden sollten, um der freien Entfaltung des Menschen Raum zu geben. Erst die Grundthese, dass der Einzelne sein Leben grundsätzlich frei gestalten kann, rechtfertigt die Einräumung eines Rechts auf ___________ auch Deutsche Bischofskonferenz und Rat der Evangelischen Kirsche, Gemeinsame Texte 11, S. 21: „Wissen garantiert nicht letzte Gewissheiten. Es bleibt im menschlichen Leben immer ein Rest von Unsicherheit und Ungewissheit. Das Nichtvorhersehbare lässt sich nicht völlig ausschalten, mag man dieses Unvorhersehbare Zufall, Schicksal, Fügung oder Gottes Willen nennen.“; Reich, in: von Armin u.a., S. 109 (110): „Der kodierte DNS-Text ist eine unabdingbare Voraussetzung. D.h. nicht, dass er alles festlegt. Die Gene sind nicht alles; es kommen Entwicklungs- und Umweltprozesse hinzu, und wenn man ins Geistige geht, dann kommt die individuelle Lebensgeschichte des Individuums ins Spiel.“ 130 Vgl. auch Art. 2 der Allgemeinen Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und der Menschenrechte: „(a) Jeder Mensch hat das Recht auf Achtung seiner Würde [...]. (b) Diese Würde gebietet es, den Menschen nicht auf seine genetischen Eigenschaften zu reduzieren und seine Einzigartigkeit und Vielfalt zu achten.“ 131 AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 3.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

415

freie Entfaltung der Persönlichkeit. Insbesondere in autoritären Gesellschaftssystemen, etwa in der Ständegesellschaft, dürften die jeweils bestehenden Machtverhältnisse auch durch die Erhaltung bestimmter Gesellschaftsstrukturen begünstigt worden sein, welche die Kontrollierbarkeit gesellschaftlicher Vorgänge erleichterten. Zur Rechtfertigung wurde dabei häufig auf die Vorbestimmung durch göttliche und natürliche Ordnung rekurriert.132 Beispiele dafür lassen sich in der Ständeordnung und dem Feudalsystem des Mittelalters sehen. Die mittelalterliche ständische Ordnung wurde vielfach auf göttliche Einsetzung zurückgeführt. Daneben wurde die Ständeordnung auch als Ausdruck der natürlichen Ordnung betrachtet, die zu wahren und zu schützen sei: Demnach sei die menschliche Gesellschaft nach den Gesetzen zu ordnen, wie Gott die natürliche Ordnung geschaffen habe, in der Pflanzen, Tiere und Menschen einen zugewiesenen Platz haben. Die Infragestellung dieses Systems wurde als Verstoß gegen die göttliche oder natürliche Ordnung gebrandmarkt.133 Ein weiteres Beispiel kann in dem seit dem 12. Jahrhundert nachweisbaren Zunftwesen gesehen werden, welches im Laufe des 15. Jahrhunderts verstärkt aufkommenden Abschließungstendenzen unterlag. Die Entwicklung von geburtsständischen Kriterien zur Aufnahme in die Zunft diente dabei der Sicherung der wirtschaftlichen und politischen Machterhaltung der bestehenden städtischen Führungsschicht.134 Das politische Kalkül, welches der Wahrung der Ständeordnung zugrunde lag, lässt sich auch anhand des „Politischen Testaments“ von Friedrich II. dem Großen (1740-86) von 1752135 illustrieren: „Zu den politischen Aufgaben des preußischen Herrschers gehört die Erhaltung seines Adels. Was für ein Wandel auch eintreten mag, er kann wohl einen reicheren, aber nie einen treueren Adel erhalten. Damit sich dieser den Besitz erhalte, muss verhindert werden, dass die Bürgerlichen Adelsgut erwerben, und deshalb ist darauf hinzuwirken, dass sie ihr Geld im Handel anlegen, sodass ein Edelmann, der seine Güter verkaufen muss, nur beim Adel Käufer findet. ... Den Frondienst [der Bauern] habe ich erleichtert: einst war er wöchentlich sechsmal zu leisten, heut haben sie nur noch an drei Tagen Frondienst zu tun. Das hat die dem Adel gehörigen Bauern aufgebracht, die mancherorts gegen ihre Herren aufbegehrten. Der Herrscher soll das Gleichgewicht zwischen Adel und Bauern erhalten, damit sie sich nicht wechselseitig zugrunde richten. ... Weiter muss man die Bauern daran hindern, Adelsland zu kaufen, den Adel, Bauernland zu erwerben. Da Bauern nicht als Offi-

___________ 132

Steindorff, in: Bautier/Angermann, Lexikon des Mittelalters, Band VIII, Artikel „Stand, Stände, Ständelehre“; Hergemöller, in: Bautier/Angermann, Lexikon des Mittelalters, Band VII, Artikel „Sozialstruktur“; Mayer, in: Bautier/Angermann, Lexikon des Mittelalters, Band II, Artikel „civitas dei“. – Zum antiken und christlichen Gleichheitsverständnis: Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 47 ff. 133 Vor diesem Hintergrund meinte die christliche Freiheit nur die Freiheit in und aus der Glaubensfreiheit, die christliche Gleichheit nur Gleichheit vor Gott, nicht jedoch im irdischen Leben. – Vgl. dazu Hofmann, JuS 1988, 841 (844). 134 Schulz, in: Bautier/Angermann, Lexikon des Mittelalters, Band IX, Artikel „Zunft“. 135 Ritter, Die Werke Friedrichs des Großen, Band II, S. 374 ff.

416

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

ziere im Heere dienen können, die Adligen das erworbene Land zu Vorwerken umwandeln, so würden die Einwohner und Ackerbauern an Zahl zurückgehen.“

Als ein Anliegen revolutionärer Gegenbewegungen kann es betrachtet werden, überkommene Strukturen aufzubrechen und die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen den gesellschaftlichen Schichten zu erhöhen. In den westlichen Gesellschaften gewann im Zuge dieser Entwicklungen die Vorstellung der Individualität des Menschen an Bedeutung und führte in der Konsequenz zur Postulation von Menschen- und Bürgerrechten, also Rechten, die nicht dem Einzelnen nur als Mitglied eines bestimmten Standes, sondern als Individuum zustanden. Ziel eines wesentlichen Teils ihrer Forderungen war es, die gesellschaftliche Durchlässigkeit in Abhängigkeit vom individuellen Vermögen – also unabhängig von staatlich zugewiesenen Privilegien – sicherzustellen. Zumindest in der Rückschau lässt sich darin der Gedanke wieder erkennen, dass Menschen nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen bewertet werden sollen, sondern als Individuen zu achten und behandeln sind.136 In diesem Sinne lässt sich das Recht auf Achtung der Individualität als Ausdruck der westlichen Verfassungstradition betrachten. Artikel 1 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 lautet: „Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Gesellschaftliche Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein.“ In dessen Artikel 6 heißt es: „Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Gestaltung mitzuwirken. Es muss für alle gleich sein, mag es beschützen oder bestrafen. Da alle Bürger vor ihm gleich sind, sind sie alle gleichermaßen, ihren Fähigkeiten entsprechend und ohne einen anderen Unterschied als den ihrer Eigenschaften und Begabungen, zu allen öffentlichen Würden, Ämtern und Stellungen zugelassen.“ [Hervorhebungen d. Verf.] In der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 wird dem Einzelnen unter anderem ein (individuelles) Recht auf Verwirklichung eigener Glücksvorstellungen („pursuit of happiness“) eingeräumt. Dem lässt sich möglicherweise ebenfalls der Gedanke entnehmen, dass Menschen nicht von vornherein als vorbestimmt behandelt werden dürfen.

Sofern religiöse Argumente in den Hintergrund traten, wurden sie – etwa zur Rechtfertigung der Rassen- und Frauendiskriminierung – häufig durch den Verweis auf die gesellschaftlich gewachsene Ordnung ersetzt. Auch diese Argumentation ist geeignet, der Verfestigung gesellschaftlicher Strukturen zu dienen: Anstatt den Einzelnen als Individuum zu betrachten, wird seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe als Teil einer gesellschaftlichen Ordnung betrachtet, die zu durchbrechen als Gefährdung des gedeihlichen Zusammenlebens angesehen wird. Heutige Antidiskriminierungsbewegungen richten sich dabei – ___________ 136 Zur verfassungsgeschichtlichen Entwicklung der Diskriminierungsverbote insb. im Hinblick auf die Merkmale der Herkunft und Religion siehe: Sachs, Grenzen, S. 434 ff.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

417

zumindest in Teilen – gegen auf Vorurteilen basierende und insofern willkürliche Ungleichbehandlungen im Recht. Hier ist allerdings zwischen zwei möglichen Argumentationsansätzen zu differenzieren: Zum einen können schon die Grundannahmen über eine gesellschaftliche Gruppe falsch sein. In diesen Fällen ist schon die Zuweisung von bestimmten Eigenschaften zu einer bestimmten Gruppe unzutreffend, die rechtliche Ungleichbehandlung gründet sich also auf ungerechtfertigten Vorurteilen oder überholten Gesellschaftsvorstellungen. Der verfassungsrechtlichen Interpretation des Verbots der Geschlechterdiskriminierung lassen sich durchaus solche Ansätze entnehmen: Insbesondere der Hinweis auf die gesellschaftlich-funktionelle Rolle der Frau macht deutlich, dass es sich nicht um notwendigerweise zwingende Unterscheidungen zwischen Mann und Frau handelt, sondern vielmehr um die Sicherstellung bestehender gesellschaftlicher Strukturen, die sich jedoch eigentlich nicht als unveränderlich darstellen.137

Andererseits kann das einzelne Gruppenmitglied auch aufgrund von Eigenschaften diskriminiert werden, die zwar korrelationsstatistisch gehäuft innerhalb der Gruppe auftreten, beim Einzelnen jedoch nicht vorliegen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn einer Frau – obwohl sie selbst die notwendige Eignung aufweist – die Ausübung einer bestimmten beruflichen Tätigkeit mit dem Argument verwehrt wird, dass Frauen für den betreffenden Beruf typischerweise nicht geeignet seien.

Auch wenn der erstgenannte Diskriminierungsaspekt im Kampf gegen die Diskriminierung im Vordergrund stehen sollte, so stellt sich die Bekämpfung des zweiten Aspekts jedoch zumindest als eine konsequente Weiterführung des Antidiskriminierungsgedankens dar. Auch die Vorstellung des genetischen Determinismus lässt sich als Angriff auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit verstehen: Dem Individuum wird es nicht in seiner Einzigartigkeit gerecht, wenn es allein aufgrund der Zuordnung zu einer Gruppe von Trägern eines bestimmten Gens beurteilt wird. Für jeden Menschen besteht die Möglichkeit, sich unabhängig von seiner genetischen Disposition zu entwickeln. Für genetische wie auch für alle anderen Eigenschaften gilt: Zwar mögen bestimmte Aspekte unter der Vielzahl der Eigenschaftsindikatoren eines Menschen als ungünstig erscheinen. Zum Einem ist jedoch unklar, ob und in welchem Umfang solche körperlich-seelischen Anlagen oder Umfeldfaktoren sich tatsächlich im äußeren Erscheinungsbild manifestieren. Zum Zweiten lässt sich der Mensch nur über ein Bündel von Eigenschaftsindikatoren definieren, in dem vielleicht gerade auf den ersten Blick ungünstige Anlagen eine günstige Wirkung in anderen Bereichen haben können. Schließlich ___________ 137

Zum – in dieser Hinsicht aber offenbar nicht sonderlich ergiebigen – verfassungsgeschichtlichen Hintergrund des Verbots der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts siehe Sachs, Grenzen, S. 311 ff., 443 ff. – Vgl. auch Sachs, Grenzen, S. 463 ff. passim, S. 479.

418

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

wird die Analyse möglicher Eigenschaftsindikatoren immer unvollständig bleiben und daher auch aus diesem Grund nie ein vollständiges Bild der Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen aufzeigen können.

c) Indizielle Wirkung einfachgesetzlich hervorgehobener Schutzzonen Ein einfachgesetzliches Verbot genetischer Diskriminierung besteht bisher noch nicht. Allerdings wurde bereits ein Entwurf für ein Gendiagnostikgesetz, welches auch ein Verbot genetischer Diskriminierung enthalten soll, vorparlamentarisch diskutiert.138 Hinzu kommen einige – teilweise auf europarechtliche Vorgaben zurückgehende – Gesetze, wie insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungssgesetz (AGG)139 und das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (BGG)140, welche unter verschiedenen Gesichtspunkten für verschiedene Bereiche Diskriminierungen entgegenwirken sollen. Soweit diese Diskriminierungsverbote (auch) im Sinne von Typisierungsverboten verstanden werden können, lassen sie sich als Ausdruck des Gerechtigkeitsmaßstabs der Aussagegenauigkeit und damit als mögliche einfachgesetzliche Ausprägung des Rechts auf Achtung der Individualität betrachten.

III. Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen Ausdrücklich ist eine Gewährleistung wie das Recht auf Achtung der Individualität nicht als grundrechtliche Ausprägung vom BVerfG anerkannt. Allerdings lassen sich in der Rechtsprechung einige Argumentationslinien erkennen, die auch dem Recht auf Achtung der Individualität zugrunde liegen und folgerichtig zur Anerkennung eines solchen Rechts führen könnten.

1. Rechtfertigungsanforderungen bei der Verwendung von Typisierungen Auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Zulässigkeit von Typisierungen ist bereits an anderer Stelle eingegangen worden.141 Hervorgehoben sei an dieser ___________ 138

Siehe dazu bereits oben, S. 45. – Zum (gescheiterten) Entwurf des Arbeitsschutzrahmengesetzes: Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, 1999; Oetker, ZRP 1994, 219 ff. 139 Gesetz zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien, zu Nachweisen siehe S. 197, Fn. 122. 140 Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) – Gesetz vom 27.04.2002 – BGBl. I, S. 1467 ff. 141 Zu Nachweisen siehe S. 331, Fn. 578.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

419

Stelle nochmals, dass das BVerfG die Verwendung von Typisierungen (im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG) grundsätzlich für rechtfertigungsbedürftig hält.142

2. Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG bei Ungleichbehandlungen mit Personenbezug Nach der Rechtsprechung des BVerfG unterliegen Ungleichbehandlungen aufgrund von Kriterien mit Personenbezug besonderen Prüfungsanforderungen im Rahmen der „Neuen Formel“. Danach sind besonders strenge Anforderungen an die Prüfung von Ungleichbehandlungen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG zu stellen, wenn das jeweilige Differenzierungskriterium einen besonderen Personenbezug aufweist,143 insbesondere dann, wenn sich eine besondere begriffliche Nähe zu den Diskriminierungsmerkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG ausmachen lässt.144 Die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 1 GG ist in der Literatur hinsichtlich des Kriteriums des Personenbezugs allerdings sehr umstritten.145 Die Kritik an diesem Begriff zielt im Wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte: Zum einen wird bereits auf rechtsdogmatischer Ebene angesetzt, indem eingewandt wird, dass der Personenbezug von Ungleichbehandlungen gar nicht notwendigerweise mit einer größeren Eingriffsintensität verbunden sei, sondern sich in den vom BVerfG entschiedenen Fällen vielmehr erst aus dem Umstand ergebe, dass sich die Ungleichbehandlung nachteilig auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirke.146 Zudem sei das Kriterium der Personenbezogenheit begrifflich unklar: Personenbezogene und sachbezogene Regelungen seien nicht klar voneinander abgrenzbar, sodass die damit verbundenen erhöhten Prüfungsanforderungen im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG letztlich willkürlich ausgelöst werden.147 Ohne nun im Einzelnen die Verwendung des Begriffs ___________ 142

Vgl. etwa BVerfGE 44, 283 (288 f.); 48, 227 (238 f.); 65, 325 (354). BVerfGE 84, 348 (361); 88, 5 (12); 90, 46 (57). – Zur Rechtsprechung: Hesse, in: Festschrift Lerche (1993), S. 121 ff.; Kallina, Willkürverbot, S. 100 ff.; Kokott, in: Festschrift 50 Jahre BVerfG, S. 129 (142). 144 Vgl. etwa BVerfGE 88, 87 (96); 97, 169 (181); 101, 275 (291); 103, 310 (319) – Dazu: Kallina, Willkürverbot, S. 109 ff. 145 Kritisch zum Kriterium des Personenbezugs: Dreier-Heun, Art. 3 GG, Rdnr. 19 ff.; Kallina, Willkürverbot, S. 90 ff., 96 f., 100; Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 27 ff. m.w.N.; Sachs, JuS 1997, 124 (126, 128). 146 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 32. 147 Siehe etwa Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 27. Auch Hesse, in: Festschrift Lerche (1993), S. 121 (128 f.). 143

420

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

des Personenbezugs durch das BVerfG nachzuzeichnen,148 soll im Folgenden die grundsätzliche Berechtigung dieses Kriteriums bei der Bewertung der Eingriffsintensität im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG begründet und eine Bestimmung des Begriffs der Personenbezogenheit im Sinne des hier vorgeschlagenen Ansatzes vorgenommen werden. Auf dieser Grundlage soll auch nachgewiesen werden, dass sich die Kritik an dem verfassungsgerichtlichen Begriff des Personenbezugs nicht auf den hier verfolgten Ansatz übertragen lässt. Entgegen der in der Literatur geäußerten Kritik lässt sich dem Merkmal des Personenbezugs eine eigenständige Berechtigung zuweisen.149 Dies ist nämlich immer dann der Fall, wenn durch eine bestimmte Regelung Menschen kategorisiert und damit nicht in ihrer Individualität wahrgenommen werden, wenn also Personen in ihren Eigenschaften typisierend gewertet werden. Wenn Menschen in ihrer Persönlichkeit aufgrund von Erfahrungswerten einer bestimmten rechtlichen Behandlung unterworfen werden, so mögen zwar für den typischen Fall auch schwerwiegende Grundrechtsbeeinträchtigungen gerechtfertigt sein, für den Ausnahmefall sind sie es jedoch nicht, weil dann ja die den Freiheitseingriff rechtfertigenden Umstände gerade nicht in der Person des Betroffenen vorliegen. Der Umstand, dass durch personenbezogene Typisierungen ein bestimmtes Menschenbild vermittelt und verallgemeinert wird, behält zudem auch unabhängig von der Schwere der damit verbundenen freiheitsrechtlichen Beeinträchtigung sein eigenes Gewicht innerhalb der Verhältnismäßigkeitsabwägung. Eine besondere Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn die Regelungen in der Gesellschaft vorhandene Vorurteile bestätigen und transportieren. Denn in diesen Fällen wird eine Widerlegung der Vorurteile gerade durch die rechtlichen Vorgaben verhindert, gesellschaftliche Ungleichheiten werden damit verstärkt. Entsprechende Gesetze liefern damit einen weiteren Beitrag zur meinungshaften Verselbstständigung von ursprünglich möglicherweise nur sehr beschränkt geltenden Erfahrungssätzen. So basiert z.B. die Regelung des gemeinsamen Sorgerechts für nicht-eheliche Kinder auf der personenbezogenen Typisierung, dass sich Väter nicht-ehelicher Kinder nach Einschätzung des Gesetzgebers typischerweise weniger um die Kinder kümmern als Mütter und deswegen grundsätzlich auch keinen Anspruch auf das gemeinsame Sorgerecht haben.150 Diese Regelung dürfte wohl in einer größeren Zahl von Einzelfällen zu einer ungerechten Behandlung von Vätern nicht-ehelicher Kinder führen, da viele Väter – auch ohne mit der Mutter ihres Kindes verheiratet zu sein – gerne (rechtliche) Ver-

___________ 148

Dazu etwa Kallina, Willkürverbot, S. 88 ff.; Sachs, JuS 1997, 124 (126 ff.). Grundsätzlich dem Kriterium des Personenbezugs zustimmend: Hesse, in: Festschrift Lerche (1993), S. 121 (128); Starck, in: Mangoldt/Klein, Art. 3 GG, Rdnr. 11. 150 BVerfGE, NJW 2003, 955 (955 f.), wobei das Gericht durchaus Zweifel an der Richtigkeit dieser Einschätzung hat: „Der Gesetzgeber ist verpflichtet, [...] zu prüfen, ob seine Annahme auch vor der Wirklichkeit Bestand hat.“ – Siehe v.a. die Orientierungssätze zu den Leitsätzen 3 und 4. 149

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

421

antwortung für ihr Kind übernehmen wollen. Zudem besteht auch nicht die Möglichkeit, die gesellschaftlich möglicherweise bestehenden Vorurteile über das mangelnde Verantwortungsgefühl nicht-ehelicher Väter zu widerlegen, weil ihnen ja die Ausübung des gemeinsamen Sorgerechts gerade vorenthalten wird, wenn die Kindesmutter nicht zustimmt.

Wenn man nun einen Personenbezug nur in den Fällen annimmt, in denen eine Person in ihren Eigenschaften und ihrer Persönlichkeit typisiert wird,151 behält dieses Kriterium seine eigenständige Bedeutung im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gleichheitsrechtlicher Beeinträchtigungen. Dies bedeutet nicht, dass alle Regelungen, denen personenbezogene Typisierungen zugrunde liegen, am Ende des Abwägungsprozesses stets die größte Eingriffsintensität aufweisen. Vielmehr ist die Personenbezogenheit einer typisierenden Regelung nur eines der Kriterien, welche bei der Bestimmung der Eingriffsintensität zu berücksichtigen ist.

3. Rechtfertigungsanforderungen im Rahmen der Prüfung des Art. 12 GG bei der Verwendung von subjektiven Zulassungsregelungen Die Annahme, dass personenbezogene Typisierungen besonderen Rechtfertigungsanforderungen unterliegen, deckt sich im Ergebnis auch mit dem Begriff des Personenbezugs, der im Rahmen der Drei-Stufen-Theorie bei Art. 12 GG zugrunde gelegt wird. So wird subjektiven Zulassungsregeln im Grundsatz eine höhere Eingriffsintensität beigemessen als (sachbezogenen) Berufsausübungsregelungen.152 In diesem Sinne wird beispielsweise nach der Rechtsprechung des BVerfG auch das Alter als subjektives Zulassungskriterium gewertet: Zwar ist es für den Einzelnen nicht beeinflussbar,153 jedoch führt die Anknüpfung an dieses Merkmal zu einer personenbezogenen Typisierung. Die besondere Eingriffsintensität in die Berufsfreiheit könnte hier in dem integritätsrechtlichen Gewährleistungsaspekt des Art. 12 GG gesehen werden, dass durch die Anknüpfung an das Alter eine personenbezogene Typisierung (und Abwertung) von Berufstätigen eines bestimmten Alters erfolgt. Denn Altersgrenzen dürfte in der Regel der Gedanke zugrunde liegen, dass Berufstätige ab einem bestimmten Alter typischerweise

___________ 151

Zur Bestimmung des Begriff Personenbezug: S. 400 f. BVerfGE 7, 377 ff. – Apothekenurteil. – Dazu statt vieler: Sachs-Tettinger, Art. 12, Rdnr. 100 ff.; Dreier-Wieland, Art. 12, Rdnr. 74 ff.; Umbach, in Umbach/Clemens, Grundgesetz, Art. 12, Rdnr. 81 ff. 153 Mit ausdrücklichen Hinweis auf den Aspekt der individuellen Beeinflussbarkeit: BVerfGE 9, 338 (345). – Vgl. auch Dreier-Wieland, Art. 12, Rdnr. 81. 152

422

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

nicht mehr die erforderliche Eignung für den Beruf aufweisen.154 Dem Betroffenen wird somit nicht nur seine berufliche Entfaltung verwehrt und eine Einnahmequelle genommen.155 Er wird zudem auch in der allein auf sein Alter abstellenden ungeprüften Annahme mangelnder Leistungsfähigkeit einen Angriff auf sein Lebensgefühl und Selbstbild sehen.156

4. Recht zur „Erhaltung der Grundbedingungen“ der Persönlichkeitsentfaltung Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch die Rechtsprechung des BVerfG zur Erhaltung der Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung zu berücksichtigen. In der Dogmatik zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bildet dieser Bereich neben dem der Selbstentfaltung in sozialen und räumlichen Rückzugsbereichen und dem der autonomen Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit eine von drei Fallgruppen der Persönlichkeitsentfaltung.157 Unter den Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung wird dabei die Bildung und Erhaltung von Identität und Integrität verstanden.158 Ihren Ausdruck findet sie in der Sicherstellung erstmaliger oder neuer „Startchancen“, wie sie im Anspruch auf Resozialisierung159, dem Recht auf schuldenfreien Eintritt in das Volljährigenalter160 und dem Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung161 greifbar werden.162 Diesen Einzelausprägungen lässt sich der gemeinsame Gedanke zugrunde legen, dass die menschliche Persönlichkeit kein statisches Kon___________ 154 Vgl. etwa BVerfGE 9, 338 (345) – Altersgrenze für Hebammen: „Die rechtliche Wirkung einer Altersgrenze besteht darin, dass eine – widerlegbare oder nicht widerlegbare – Vermutung begründet wird, dem Berufstätigen fehle von da ab die erforderliche Leistungsfähigkeit für den Beruf [...]“, auch (347): „generalisierende Regelung“ zum Schutz von Mütter und Kindern. 155 Dazu etwa BVerfGE 9, 338 (346). 156 Vgl.: BVerfGE 9, 338 (388 – 4. Leitsatz – und 353 f.). 157 Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 68 ff.; Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (7 ff., 18). 158 Degenhardt, JuS 1992, 361 (366 ff.); Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 77; Giesen, JZ 1989, 364 (368); Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (12 f., 16 ff.); Jarass, NJW 1989, 857 (859); Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 118; Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 65; AK-Podlech, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 44. – Im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung: S. 534 ff. 159 BVerfGE 35, 202 (235 f.) – Anspruch auf Resozialisierung. 160 BVerfGE 72, 155 (170) – schuldenfreier Eintritt in das Volljährigenalter. 161 BVerfGE 79, 256 (268) – Abstammung I. 162 Vgl. auch Degenhardt, JuS 1992, 361(366); Jarass, NJW 1989, 857 (859).

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

423

strukt ist und dem Menschen somit grundsätzlich nicht aufgrund einmaliger bestimmter Ereignisse oder Verhaltensweisen ganze Lebenschancen verwehrt werden dürfen.163 So verstanden lässt sich der Begriff der Individualität gerade auch als Gegenbegriff zur Fiktion des determinierten – also nach ausrechenbaren Gesetzmäßigkeiten sich entwickelnden – Menschen betrachten.164 So darf der Staat einen Straftäter nicht als Menschen behandeln, der dauerhaft „kriminell“ ist, sondern muss ihm die Chance für einen Neuanfang gewähren.165 Gerade auch vor diesem Hintergrund kann das Gesetz zur Ausweitung der Zulässigkeit der Sicherungsverwahrung als verfassungsrechtlich problematisch betrachtet werden. Insofern wird die Gefahr gesehen, dass das Strafrecht zu einem Rechtssystem gewandelt wird, „das nicht mehr auf Schuld, sondern auf potenzielle Gefährlichkeit abstellt, das nicht mehr Täter, sondern Risikofaktoren kennt.“166

IV. Verfassungsrechtliche Konsequenzen Das Recht auf Achtung der Individualität mündet in kein absolutes Typisierungsverbot. Vielmehr werden Typisierungen als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in dieses Recht gedeutet.

1. Besondere formelle Anforderungen Ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt für die Verwendung von Gruppeninformationen dürfte nicht bestehen, da personenbezogene Typisierungen angesichts ihrer Alltäglichkeit nach der Wesentlichkeitsthese grundsätzlich wohl nicht sach- und bereichsspezifische Gesetzesgrundlagen erforderlich machen. In der Regel dürfte die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit solcher Typisierungen als ausreichend zu betrachten sein. ___________ 163

BVerfGE 35, 202 (220). Zum Begriff der Individualität: Kirchhof, in: HdbStR, Band V, § 124, Rdnr. 110, der diesen Aspekt allerdings nicht behandelt. 165 BVerfGE 35, 202 (235 ff.) – Lebach: „Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden, er soll es lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen.“ – Damit wird davon ausgegangen, dass sich der Einzelne von bisherigen nachteiligen Verhaltensmustern lösen und auf diese Weise einen Neueinstieg in das gesellschaftliche Leben schaffen kann. Siehe auch BVerfGE 35, 202 (241): „Zudem hängt das Gelingen einer Resozialisierung stets von dem niemals mit Sicherheit vorauszusehenden [Hervorhebung durch d. Verf.] Zusammenwirken verschiedener Faktoren ab.“ 166 Prantl, SZ 21.10.03, Nr. 242, S. 4. 164

424

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Etwas anderes dürfte insofern nur für das Recht auf freibestimmte Zukunft anzunehmen sein.167 Angesichts der besonderen Intensität der Beeinträchtigung erscheint es hier – unter Berücksichtigung des Wesentlichkeitsgrundsatzes – als nahe liegend, Beeinträchtigungen dieses Rechts unter einen Gesetzesvorbehalt zu stellen.168

2. Besondere materielle Anforderungen – das Gebot der manifestationsnächsten Typisierung Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Umgangs mit Informationen über Eigenschaftsindikatoren ist die Feststellung, dass sie einen statistischen Charakter aufweisen und damit also typisierenden Charakter haben. Wie bereits ausgeführt,169 unterliegen sie – wie alle Typisierungen – einem verfassungsrechtlichen Rechtfertigungsbedürfnis. Als besondere Ausprägung der im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu prüfenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ergibt sich das Gebot der manifestationsnächsten Typisierung. Üblicherweise wird die Verhältnismäßigkeit in drei Stufen geprüft. Verhältnismäßig ist eine grundrechtsbeeinträchtigende Regelung danach dann, wenn sie – geeignet und – erforderlich ist, um den jeweils verfolgten – seinerseits verfassungsrechtlich legitimierten – Zweck zu erreichen und der Zweck, der durch die Regelung erreicht werden soll, zudem – in einem angemessenen Verhältnis zu dem Eingriff steht, der durch die Regelung bewirkt wird.170 Das Gebot der manifestationsnächsten Typisierung lässt sich dabei als spezielle Ausprägung der zweiten Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung, des Erforderlichkeitsgrundsatzes, begreifen. Erforderlich ist eine Regelung dann, wenn es keine andere Regelung gibt, die für den Einzelnen weniger belastend (sog. „mildere Regelung“) ist, den verfolgten Zweck im gleichen Maße verwirklicht (sog. „gleich wirksame Regelung“) und ohne großen Aufwand umsetzbar

___________ 167

Siehe oben, S. 406 ff. Insofern ist die verfassungsrechtliche Konsequenz vergleichbar mit der beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem sich aus ihm ergebenden Erfordernis bereichsspezifischer Regelung für den Datenschutz. Dazu Schlink, Der Staat 1986, 233 (249); Simitis, NJW 1984, 398 (400). 169 Siehe S. 177 ff., 192 ff. und S. 419 ff. 170 Statt vieler: Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 279 ff. 168

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

425

ist.171 Für die Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Typisierungen ergibt sich damit folgender Prüfungsablauf: In einem ersten Schritt ist zu prüfen, welche weniger typisierenden Regelungen überhaupt in Betracht kommen. Weniger typisierende Regelungen haben eine geringere Eingriffsintensität, weil durch sie weniger Menschen aufgrund von Eigenschaften behandelt werden, die bei ihnen gar nicht vorliegen. Dieser Gesichtspunkt findet in der Verfassungsdogmatik auch darin seinen Ausdruck, dass die Zahl der (im Einzelfall zu Unrecht) Betroffenen als Kriterium zur Bestimmung der Eingriffsintensität bewertet wird.172 Die typisierende Wirkung einer Regelung hängt dabei von dem statistischen Verhältnis ab, in dem das Merkmal zur Manifestation steht. Je größer der Anteil der Gruppenmitglieder ist, auf den die jeweilige entscheidungserhebliche Eigenschaft zutrifft, desto geringer ist der Anteil derjenigen, die aufgrund von Eigenschaften behandelt werden, die bei ihnen selbst gar nicht vorliegen. Als weniger typisierende Regelungen kommen insbesondere folgende, später noch im Einzelnen zu erörternde Möglichkeiten in Betracht: – die unmittelbare Feststellung der Manifestation – Typisierungen anhand von Merkmalen mit einem deutlicheren korrelationsstatistischen Zusammenhang zur Manifestation – Prognosen zu einem späteren Zeitpunkt In einem zweiten Schritt ist dann zu prüfen, ob mit den weniger typisierenden Regelungen auch die mit der Regelung verfolgten Zwecke in einem dem Erforderlichkeitsgrundsatz entsprechenden, hinreichenden Maße umgesetzt werden können. Dabei ist zwischen der Umsetzung des primären und der des sekundären Zwecks zu unterscheiden: Die primäre Wertentscheidung ist die gesetzgeberische Grundmotivation, weswegen eine bestimmte Regelung getroffen wird.173 In dieser Hinsicht ist eine Typisierung erforderlich, wenn es keine weniger typisierende Regelungsmöglichkeit gibt, die den durch die Regelung (primär) verfolgten Zweck, etwa den Schutz der Rechte Dritter, in gleichem Maße Rechnung trägt. Die sekundäre Wertentscheidung liegt in einer praktikablen Umsetzung.174 Die weniger typisierende Regelung muss aber nicht genauso praktikabel wie die ___________ 171

Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 285. Sachs-Sachs, Art. 20, Rdnr. 152; Huster, Rechte, S. 274 ff. mit umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerfG und Gegenstimmen in der Literatur. 173 Die Idealnorm verkörpert allein den primären Zweck, Praktikabilitätserwägungen fließen in sie nicht ein. – Siehe dazu bereits oben, S. 200 f. 174 Huster, Rechte, S. 280 mit umfangreichen Nachweisen. 172

426

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

stärker typisierende Regelung sein. Es reicht, dass sie mit vertretbarem Aufwand umsetzbar ist.175 Diese strengeren Anforderungen für die Rechtfertigung von personenbezogenen Typisierungen lassen sich mit dem Umstand rechtfertigen, dass durch personenbezogene Typisierungen Menschen kategorisiert werden. Die Gewährleistung von individualrechtlichen Schutzpositionen ist häufig nicht ohne einen höheren Arbeits- und Kostenaufwand denkbar, sondern im Gegenteil in vielen Fällen mit ihr notwendigerweise verbunden. Die hervorgehobene Stellung der Grundrechte innerhalb der Verfassung lässt erkennen, dass der Verfassungsgeber in einem gewissen Rahmen einen erhöhten Aufwand bei der Gewährleistung von Grundrechten grundsätzlich in Kauf genommen hat. In Abhängigkeit des Ausmaßes, in dem durch personenbezogene Typisierungen in das Persönlichkeitsrecht eingegriffen wird, müssen dementsprechend Praktikabilitätsinteressen zurücktreten.176 Insofern enthält auch die Erforderlichkeitsprüfung eine Abwägung.177 Im Folgenden werden die bereits erwähnten Beispielsgruppen von weniger typisierenden Regelungsalternativen im Einzelnen erläutert:

a) Unmittelbare Untersuchung der Manifestation Die genaueste Untersuchung ist immer die unmittelbare Feststellung der Manifestation. In diesem Fall wird überhaupt keine Typisierung vorgenommen. Die unmittelbare Feststellung der Manifestation ist verfassungsrechtlich jedoch nur dann geboten, wenn sie auch „gleich wirksam“ ist und den jeweiligen Praktikabilitätsinteressen in ausreichendem Maße Rechnung getragen wird. Nach § 24a StVG handelt ordnungswidrig, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,5 Promille oder mehr im Blut hat. Mit dieser Vorschrift soll die Sicherheit des Straßenverkehrs sichergestellt werden. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille Kraftfahrer typischerweise fahruntauglich sind. Als weniger typisierende Maßnahme käme die individuelle Feststellung der Fahruntauglichkeit bei jedem einzelnen Verkehrsteilnehmer in Betracht. Jedoch wären derartige Überprüfungen sehr aufwändig. Aufgrund ihrer geringen Praktikabilität

___________ 175 Die Formulierungen für diese Anforderungen, die an die Praktikabilität einer Alternativregelung zu stellen sind, sind uneinheitlich: BVerfGE 77, 84 (110): [nicht] „über das vernünftigerweise von der Gesellschaft vertretbare Maß hinaus“; BVerfGE 81, 80 (91): [kein] „Aufwand, den der Gesetzgeber als unzumutbar ansehen durfte“. – In der Literatur: Bergmann, in: Seifert/Hömig, Art. 3 GG, Rdnr. 6; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 285: „ohne großen Aufwand“; Sachs-Sachs, Art. 20, Rdnr. 152 m.w.N.: „unvertretbarem Aufwand“; Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 20 (Rechtsstaat), Rdnr. 171: [keine] „unvertretbar höhere finanzielle Belastung des Staates“. 176 Siehe auch BVerfGE 77, 84 (110 f.) m.w.N.: „Grundrechte [bestehen] nicht nur nach Maßgabe dessen [...], was an Verwaltungseinrichtungen vorhanden ist, [...].“ 177 Sachs-Sachs, Art. 20, Rdnr. 153; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rdnr. 294 f.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

427

ließen sich mit solchen Untersuchungen alkoholbedingte Verkehrsunfälle nicht in gleicher Weise verhindern.

b) Typisierungen anhand von Merkmalen mit einem deutlicheren korrelationsstatistischen Zusammenhang zur Manifestation Sofern die unmittelbare Ermittlung der Manifestation verfassungsrechtlich nicht geboten ist, ist nach Merkmalen zu suchen, die weniger typisieren als das in der Regelung verwendete Kriterium, die also einen deutlicheren korrelationsstatistischen Zusammenhang zur Manifestation herstellen. Soll die HIV-Infektion festgestellt werden, so ist die Untersuchung auf HIV genauer als die Untersuchung auf die Zugehörigkeit zu HIV-Risikogruppen. Erörtert wurde diese Frage im Zusammenhang mit der Durchführung der beamtenrechtlichen Einstellungsuntersuchungen. Teilweise wurde hier angeregt, die Beurteilung der Eignung anhand der sexuellen Orientierung der Beamtenbewerber vorzunehmen statt anhand von HIVTests.178 Nun wäre ein solches Vorgehen schon allein wegen der stigmatisierenden Wirkung solcher Befragungen problematisch. Es ist aber auch ungenauer, weil es sehr viele homo- und bisexuelle Menschen gibt, die kein HIV haben. Denn der Zusammenhang zwischen dienstlicher Eignung und Homosexualität gründet sich auf zwei Mutmaßungen: In einem ersten Schritt wird dabei von der sexuellen Orientierung auf eine mögliche (zukünftige) HIV-Infektion geschlossen und in einem zweiten Schritt dann von der HIV-Infektion auf die dienstliche Eignung. Ein weiteres Beispiel für eine solche Kette von Wahrscheinlichkeiten ist es z.B., wenn von der ethnischen Zugehörigkeit anhand von populationsgenetischen Besonderheiten (d.h. genetischen Besonderheiten, die in bestimmten Ethnien gehäuft auftreten) auf bestimmte Manifestationen von Eigenschaften geschlossen wird. Auch in diesem Fall erfolgt die Herstellung des statistischen Zusammenhangs in zwei Schritten: In einem ersten Schritt wird ein statistisches Verhältnis von der ethnischen Zugehörigkeit (z.B. Menschen afrikanischer Herkunft) zum Vorliegen einer bestimmten Genkonstellation (z.B. Vorliegen des Gen, welches mit der Entstehung der Sichelzellenanämie in Verbindung gebracht wird) hergestellt. In einem zweiten Schritt wird dann der statistische Zusammenhang zwischen dem Gen und der jeweiligen Eigenschaft (z.B. Sichelzellenanämie) bestimmt. Auch hier gilt wiederum: Da nicht alle Menschen mit der jeweiligen ethnischen Zugehörigkeit das fragliche Gen aufweisen, ist der Schluss von der ethnischen Zugehörigkeit auf die Manifestation ungenauer als der von den Genträgereigenschaft auf die Manifestation. Vor diesem Hintergrund wird von Organisationen nationaler Minderheiten die Durchführung von Tests auf populationsgenetisch gehäuft auftretende Krankheiten beworben. So fördert die Vereinigung „Black Panther“ genetische Untersuchungen auf Veranlagungen zur Sichelzellenanämie, jüdische Vereinigungen unterstützen Untersuchungen auf die genetische Veranlagungen zur Tay-SachsKrankheit.179 Nach der Durchführung einer genetischen Einzeluntersuchung kann die individuelle Feststellung einer bestimmten genetischen Veranlagung dann der pauschalen Behandlung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe entgegengehalten werden. Denn eine Ungleichbehandlung aufgrund der Zugehörigkeit

___________ 178 179

So VGH München, NJW 1989, 790 (792). Schöffski, Gendiagnostik, S. 58 m.w.N.

428

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

zu einer bestimmten ethnischen Gruppe entbehrt jedenfalls dann eines rationalen Grundes, wenn im Einzelfall nachgewiesen ist, dass die betreffende Person die populationstypische Veranlagung gerade nicht aufweist. Eine solche Kette von Wahrscheinlichkeiten wird auch im Rahmen von Familienanamnesen gebildet: Von dem Verwandtschaftsverhältnis wird auf ein bestimmtes genetisches Merkmal geschlossen, welches dann wiederum Grundlage für eine Prognosen im Hinblick auf eine bestimmte Erkrankung ist. Hier werden die Vererbungs- und Manifestationswahrscheinlichkeit miteinander verknüpft. Familienanamnesen sind also grundsätzlich ungenauer als Aussagen aufgrund unmittelbar bei der betreffenden Person festgestellten genetischen Merkmalen.

Zur Veranschaulichung dieser Überlegung folgende Übersicht:

50% der Träger des Merkmals B weisen das Merkmal A auf.

Träger des Merkmal B (z.B. ethnische Zugehörigkeit)

50% der Träger des Merkmals A weisen die entscheidungserhebliche Eigenschaft auf.

Träger des Merkmal A (z.B. Genträgereigenschaft)

Manifestation (z.B. Krankheit)

25% der Träger des Merkmals B weisen die entscheidungserhebliche Eigenschaft auf.

Abb. 13: Kette von Wahrscheinlichkeiten

c) Prognosen zu einem späteren Zeitpunkt Bei Prognosen kommen als milderes Mittel immer Untersuchungen zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht: Je später eine Typisierung durchgeführt wird, desto genauer ist die darauf gegründete Prognose. Das Abwarten der Manifestation stellt wiederum das mildeste Mittel dar, da Diagnosen immer eine größere Aussagegenauigkeit haben als Prognosen. Gleich wirksam ist das Abwarten der Manifestation dann, wenn der Zweck, weswegen die Manifestation festgestellt werden soll, damit in gleicher Weise erreicht wird. Teilweise werden für Piloten genetische Einstellungsuntersuchungen gefordert, um Flugunfälle aufgrund von (plötzlich) erkrankenden Piloten zu verhindern und damit die

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

429

Sicherheit der Flugpassagiere zu gewährleisten.180 Statt einer (prädiktiven) genetischen Untersuchung zum Einstellungszeitpunkt bieten sich als weniger typisierende Untersuchungen im Rahmen der regelmäßigen Gesundheitschecks an, denen Piloten ohnehin unterliegen. Sofern diese die Sicherheit der Fluggäste in gleicher Weise (wenn nicht aufgrund genauerer Untersuchungsparameter besser) sicherstellen können, ist ihnen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Vorzug zu geben, solange sie nicht mit einem unvertretbaren Aufwand verbunden sind.

Dies gilt insbesondere auch für so genannte deterministische Aussagen. Denn eine 100%ige Sicherheit könnte Prognosen nur dann beigemessen werden, wenn der Eintritt von verlaufsändernden Umständen – insbesondere die Möglichkeit von Prävention und Heilung – bei der Prognoseerstellung nicht berücksichtigt wird. Je länger der Vorhersagezeitraum ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit des Dazwischentretens kausalverlaufsändernder Umstände, wie etwa auch die Entwicklung eines Heilmittels. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass das Huntington-Gen mit einer 100%igen Penetranz etwa im Lebensalter von 40 bis 50 Jahren zur HuntingtonKrankheit führt, da es derzeit weder Präventions- noch Therapiemöglichkeiten gibt. Sofern jedoch heute bei einer 35jährigen eine solche genetische Veranlagung festgestellt wird, kann nicht mit Gewissheit vorhergesagt werden, ob sie in 10 Jahren an dieser Krankheit erkranken wird, weil es vorstellbar ist, dass in der Zwischenzeit wirksame Therapiemaßnahmen entwickelt worden sind.

3. Rechtfertigungsanforderungen in den einzelnen Teilgewährleistungsbereichen Für die Teilgewährleistungsbereiche der differenzial-diagnostischen, der diagnostischen und der prädiktiven Verwendungsweise ergeben sich daraus folgende fallgruppenspezifischen Rechtfertigungsanforderungen:

a) Bei prädiktiver Verwendungsweise – das Recht auf freibestimmte Zukunft Die Behandlung eines Menschen aufgrund von prädiktiven Daten bedarf grundsätzlich wegen der besonderen, prognostischen Aussageungenauigkeit einer (spezialgesetzlichen) Rechtsgrundlage. Auch materiell-rechtlich ist die Verwendung von personenbezogenen Prognosen grundsätzlich unzulässig und erfordert besondere Rechtfertigungsgründe. Dies ergibt sich zum einen aus der besonderen Aussageungenauigkeit prognostischer Aussagen:181 Sie können in der Zukunft hinzutretende Umstände, die möglicherweise die Manifestation der ___________ 180

Entsprechende Forderungen werden auch im Hinblick auf Busfahrer und Lokomotivführer gestellt: Vgl. Nachweise in Fn. 722 (S. 373). 181 Siehe S. 364 ff. und 413 ff.

430

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

entscheidungserheblichen Eigenschaft verhindern, nicht berücksichtigen. Zudem weisen prognostische Daten ein Defizit an zeitnaher Überprüf- und Widerlegbarkeit auf.182 Für den Fall einer für die betreffende Person ungünstigen Prognose kommt sie in Beweisnot, sie wird zum „gesunden Kranken“183: Auch wenn sich das prognostizierte Risiko bei ihr nicht verwirklicht, wird sie die Vermutung des Risikoeintritts bis zum prognostizierten Manifestationszeitpunkt nicht widerlegen können. Mehr noch: Sofern ihr soziales Umfeld an die Tragfähigkeit solcher Prognosen glaubt, wird sie so behandelt werden, als ob der zukünftige Eintritt der Manifestation erwiesen wäre. Auf diese Weise werden naturwissenschaftliche Vermutungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu (scheinbar) nachgewiesenen Tatsachen.184 Insofern wird die betroffene Person zum hilflosen Objekt statistischer Betrachtungen, die Fähigkeit, sich in ihrer Persönlichkeit frei – also auch entgegen scheinbar widriger Umstände – zu entfalten, wird ihr faktisch abgesprochen. Sofern es dabei um die Prognose von Krankheiten geht, wird damit die Figur des „gesunden Kranken“ geschaffen.185 Dieser Teilbereich des Rechts auf Achtung der Individualität weist ein besonderes Schutzniveau auf und wird zur stärkeren Hervorhebung im Folgenden auch als Recht auf freibestimmte Zukunft bezeichnet. Die Verwendung von Prognosen kann zulässig sein, um Rechtsgüter schützten zu können, deren Schutz auf andere Weise nicht möglich ist. Zu denken ist hier beispielsweise an bestimmte Bereiche der Gefahrenabwehr (z.B. Flugsicherheit) oder die Verteilung knapper Güter (z.B. Transplantationsmedizin),186 wenn das Abwarten der Manifestation der jeweiligen Eigenschaft keine gleich wirksame Regelungsalternative darstellt. In Bereichen, in denen die Prognostizierung unerlässlich (erforderlich) ist, ist jedoch noch zu prüfen, ob es eine manifestationsnähere und damit in der Regel weniger typisierende Regelung gibt, die den zu schützenden Rechtsgütern in gleicher Weise Rechnung trägt. Anhand ausgewählter Lebens- und Sachbereiche sollen die sich daraus ergebenden Konsequenzen verdeutlicht werden:

___________ 182

Siehe auch bereits oben, S. 366 ff. Zum Begriff des „gesunden Kranken“ S. 155. 184 Vgl. 353 f. 185 Zu diesem Begriff siehe: Beck-Gernsheim, in Steiner, Genpool, S. 192 (195); TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 9; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 132; Friedl/Lamberti, in: Petermann/Wiedebusch/Quante, Perspektiven, S. 81 (82); Feuerstein/Kollek, APuZ 2001, 26 (29); Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 42, 260; Gostin, AJLM Vol. XVII, ʋs 1 & 2 (1991), 109 (124); Schöffski, Gendiagnostik, S. 108. 186 Siehe dazu auch unten, S. 434 f. 183

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

431

aa) Arbeitsrechtliche Vorsorgeuntersuchungen Die Regelungen zu den arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen (wie etwa § 32 Jugendarbeitsschutzgesetz, § 81 Seemannsgesetz, § 31 Infektionsschutzgesetz, § 10 Druckluftverordnung, § 60 Strahlenschutzverordnung, § 37 Röntgenschutzverordnung, § 28 Gefahrstoffverordnung, § 12 Gentechniksicherheitsverordnung und die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften)187 verlangen vor der Aufnahme der Beschäftigung die Feststellung der gesundheitlichen Eignung des Arbeitnehmers. Bei dauerhaften oder vorübergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen kann ein entsprechendes Beschäftigungsverbot verhängt werden.188 Beschäftigungsverbote zum Schutz Dritter aufgrund von manifesten Eigenschaften, etwa bestehenden Krankheiten, sind im Hinblick auf das Recht auf Achtung der Individualität grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Sofern sich Beschäftigungsverbote jedoch auf prädiktive Untersuchungen, also lediglich statistische Einschätzungen der Gefährdungslage, gründen, ist zu überprüfen, ob sich nicht mit späteren Untersuchungen die rechtlichen Zielsetzungen mit gleicher Wirkung verwirklichen lassen.189 Insbesondere zur Gewährleistung der Sicherheit der Fluggäste müssen sich Piloten regelmäßigen „Gesundheitschecks“ unterziehen. Bei fehlender gesundheitlicher Eignung wird dem Piloten die weitere Berufsausübung untersagt. Prädiktive – insbesondere genetische – Untersuchungen zum Zeitpunkt der Einstellung sind jedoch nicht erforderlich, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen regelmäßigen (beschäftigungsbegleitenden) Gesundheitsuntersuchungen die Sicherheit der Fluggäste in gleicher Weise zu gewährleisten ist. Dies wird in der Regel der Fall sein: Das System regelmäßiger Gesundheitsuntersuchungen bei Piloten hat bisher gut funktioniert. Spontanmanifestierende Ausfallerscheinungen (wie z.B. epileptische Anfälle), die sich ausschließlich über genetische Merkmale feststellen ließen, sind bisher nicht bekannt.

Hinterfragungswürdig erscheinen jedoch Beschäftigungsverbote, die ausschließlich dem Schutz des betroffenen Arbeitnehmers dienen.190 Denn grundsätzlich dürfte es jedem Arbeitnehmer freizustellen sein, ob er die getroffene Risikoprognose zum Anlass nimmt, auf die Ausübung des von ihm angestrebten Berufes zu verzichten oder darauf vertraut, dass das Risiko bei ihm nicht eintritt bzw. er das Risiko aus Gründen der Persönlichkeitsentfaltung in Kauf nimmt. ___________ 187

Pletke, Genomanalysen, S. 209 ff. Pletke, Genomanalysen, S. 209 ff., 219. 189 So im Ergebnis auch: Däubler, Gläserne Belegschaften, Rdnr. 233; ders., RDV 2003, 7 (9); Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 392; Nationaler Ethikrat, Einstellungsuntersuchungen, S. 36, 55; Pletke, Genomanalysen, S. 219; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 160; Weichert, DuD 2002, 133 (144). 190 Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst. – A.A. Wiese, genetische Analysen, S. 58 f.: „politische Entscheidung.“; ders., DuD 1993, 274 (279). 188

432

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

bb) Beamtenrechtliche Einstellungsuntersuchungen Ein weiteres Beispiel für die Verwendung von Prognosen sind beamtenrechtliche Einstellungsuntersuchungen. Vor dem dargestellten verfassungsrechtlichen Hintergrund erscheint die Verwendung von Prognosen hier als problematisch.191 Derzeit wird es für erforderlich erachtet, dass eine Verbeamtung nur dann erfolgen darf, wenn die Möglichkeit häufiger Erkrankungen oder gar einer dauernden Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.192 Diese Prognose fußt häufig auf statistischen Aussagen, welche möglicherweise nur aufgrund der Feststellung eines einzelnen Kriteriums (z.B. eines Gens oder einer Infektion) getroffen werden. Gerechtfertigt wurde diese Praxis bisher mit dem sog. Lebenszeitprinzip und der damit verbundenen umfangreichen Versorgungsgarantie, die im Falle der Verbeamtung für den Anwärter vom Staat übernommen wird.193 Angesichts der Schwere des Eingriffs in das Recht auf freibestimmte Zukunft erscheint es jedoch zweifelhaft, ob das Bemühen des Staates, die Versorgungskosten für Beamte so gering wie möglich zu halten, eine ausreichende Rechtfertigung darstellt. Dagegen spricht auch die negative Vorbildfunktion, die die Durchführung prädiktiver Tests auf private Arbeitgeber hat.194 Die Regelungen der Art. 33 Abs. 2 GG, § 6 Abs. 1 BRRG, § 8 Abs. 1 Satz 1 BBG sollten daher im Lichte des Rechts auf Achtung der Individualität im Sinne der praktischen Konkordanz bzw. verfassungskonform ausgelegt werden. Dieser Fallgruppe ist der Fall der 35-jährigen Lehrerin aus Hessen, welcher aufgrund einer 50%igen Wahrscheinlichkeit, etwa im Alter von 45 an der Huntington-Krankheit zu erkranken, die Aufnahme in das Beamtenverhältnis verweigert wurde.195 Derartige Ablehnungen aufgrund prädiktiver genetischer Untersuchungen sind verfassungsrecht-

___________ 191

Zur Frage der Zulässigkeit prädiktiver Untersuchungen im Beamtenrecht auch: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 39 (prädiktive Untersuchungen grundsätzlich unzulässig); Hofmann, Genomanalyse, S. 168 ff. (auch prädiktive Untersuchungen grundsätzlich zulässig); Nationaler Ethikrat, Einstellungsuntersuchungen, S. 56 ff. (differenzierend); Pletke, Genomanalysen, S. 208 f. (prädiktive Untersuchungen grundsätzlich unzulässig); Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 50, Fn. 42 m.w.N. 192 BVerwG, DÖD 2002, 219 (219 f.); VGH München, NJW 1989, 790 (790) – HIVTests; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, BBG, § 8, Rdnr. 17 m.w.N. Zur Problematik von HIV-Untersuchungen bei der Aufnahme in den Staatsdienst: Schenke, in: Schünemann/Pfeiffer, Rechtsprobleme von AIDS, S. 103 (131 ff.). 193 Fürst, GKÖD I, § 8 BBG, Rdnr. 43. Kritisch dazu: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 39; Summer, ZBR 1992, S. 29 (30). 194 Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 39. Für die HIV-Problematik: Schenke, in: Schünemann/Pfeiffer, Rechtsprobleme von AIDS, S. 103 (137). 195 VG Darmstadt – 1E 470/04(3) – vom 24.06.2004, Hessische Städte- und Gemeinde-Zeitung 2004, 359 ff. – Zu diesem Fall auch: Tolmein, GID 2004, Nr. 165, S. 36 ff.; Traufetter, Der Spiegel 43/2003, S. 216 f.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

433

lich bedenklich.196 Bei der Prognose zulasten der Beamtenanwärterin bleibt insbesondere unberücksichtigt, dass bis zur prognostizierten Manifestation der HuntingtonKrankheit möglicherweise noch Präventions- und Heilmittel entwickelt werden könnten, welche die Dienstfähigkeit auch bis zum Pensionsalter sicherstellten. Hinzu kommt, dass die Lehrerin möglicherweise auch zu den Menschen gehört, die zwar Träger des Gens sind, welches für die jeweilige Krankheit verantwortlich gemacht wird, dennoch aber nicht erkranken. Durch die Berücksichtigung solcher Prognosen werden der betroffenen Lehrerin berufliche Perspektiven verstellt, obwohl sie derzeit dienstfähig ist und ohne dass ein Nachweis gelungen wäre, dass sie es in Zukunft nicht mehr sein wird. Ein persönlichkeitsrechtlicher Eingriff dieser Art dürfte sich auch nicht damit rechtfertigen lassen, dass der Staat mit seinen Beamten ein lebenslanges Treueverhältnis anstrebt.

cc) Täterprognosen im Rahmen der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung Wie schwierig es ist, menschliches Verhalten zu prognostizieren, zeigt sich auch bei der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung nach den §§ 66 ff., 67d Abs. 3, 67e Abs. 2 StGB.197 Die besondere Eingriffsintensität dieser Maßnahme ergibt sich daraus, dass sie – wie sich im Gegenschluss aus § 67d Abs. 1 StGB ergibt – zunächst auf unbestimmte Zeit erfolgt.198 Entscheidend für die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist eine sog. „negative Täterprognose“, die gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegt, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge seines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die Feststellung dieser „Gefährlichkeit des Täters“ und die damit verbundene Prognose unterliegen als Typisierung von Menschen einer besonders strengen Prüfung.199 Dabei werden neben medizinischen und psychiatrischen eine Reihe von exogenen, insbesondere sozialen Eigenschaftsindikatoren herangezogen, anhand derer die Wahrscheinlichkeit krimineller Handlungen der betreffenden Person abgeschätzt werden soll. Orientierungspunkte für die Bewertung sind au___________ 196

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt kann jedoch nicht zur Bestätigung dieses Ergebnisses herangezogen werden. Das Gericht begründete nämlich die Unzulässigkeit der Ablehnung der Beamtenanwärterin nicht mit der besonderen Aussageungenauigkeit prädiktiver Daten, sondern damit, dass bei einer 50%igen Vererbungswahrscheinlichkeit des für die Huntington-Erkrankung verantwortlichen Gens keine überwiegende Erkrankungswahrscheinlichkeit für die Krankheit besteht. 197 Siehe dazu auch: Hipp, Der Spiegel 43/2003, S. 54 ff.; Prantl, SZ 21.10.03, Nr. 242, S. 4. 198 Tröndle/Fischer, § 67d StGB, Rdnr. 2. 199 BVerfG, NJW 2004, 739 (742).

434

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

ßerdem bereits begangene Straftaten, gewissermaßen als Ereignisse bereits manifest gewordener Gefährlichkeit. Diese Grundlage ist umso vager, je weniger Straftaten der Betroffene begangen hat.200 Gerade bei der Beurteilung der „Gefährlichkeit“ von Personen erscheint es wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass es keine individuellen Prognosen über das zukünftige (strafrechtlich relevante) Verhalten eines Menschen gibt. Der Versuch, einen Menschen anhand bestimmter Merkmale zu typisieren, endet immer in einer statistischen Aussage, die der Persönlichkeit des Menschen nicht gerecht werden kann. Sie besagt lediglich, dass aus dem Personenkreis, dem der Betroffene aufgrund bestimmter Merkmale (insb. vorherige Straffälligkeit) zugeordnet wird, ein bestimmter Anteil der Personen rückfällig wird. Dem Einzelnen stehen dabei nur sehr eingeschränkt Möglichkeiten zur Seite, die für ihn prognostizierte Gefährlichkeit zu widerlegen. Dementsprechend hebt das BVerfG auch die besondere Bedeutung der regelmäßigen Überprüfung der Entscheidung über die Sicherungsverwahrung hervor.201

dd) Die Bestimmung der Heilungsaussichten nach dem Transplantationsgesetz Auch die Vergabeentscheidung nach dem Transplantationsgesetz kann nur aufgrund von Prognosen getroffen werden, da der Erfolg einer Organtransplantation wegen der Knappheit der zur Verfügung stehenden Organe im Vorfeld beurteilt werden muss. Nach den §§ 10 Abs. 2 Nr. 2; 12 Abs. 3 Satz 1 des Transplantationsgesetzes (TPG) sind die Erfolgsaussichten einer Transplantation mitentscheidend für die Wartelistenposition und die Organvermittlung. Die zugrunde liegenden Prognoseaussagen können jedoch unterschiedliche Eingriffsintensitäten haben. Zu differenzieren ist insoweit zwischen Bewertungen aufgrund von Manifestationen (mit der Möglichkeit der zeitnahen Überprüfbarkeit) und Bewertungen aufgrund von Eigenschaftsindikatoren (ohne die Möglichkeit der zeitnahen Überprüf- und Widerlegbarkeit). Veranschaulichen lässt sich dies an den Merkmalen der „compliance“ und der HIVInfektion, die zu den Kriterien gehören, welche bei der Entscheidung nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 TPG über die Aufnahme auf die Warteliste eines Transplantationszentrums nach den Richtlinien der Bundesärztekammer zu berücksichtigen sind.202 Unter compliance ist die Bereitschaft des Patienten zu verstehen, nach der Transplantation an der Genesung mitzuwirken. Ihre Bewertung orientiert sich an dem Ernährungs- und Lebensstil,

___________ 200

Nach den gesetzlichen Regelungen der §§ 66 ff. StGB kann die Sicherungsverwahrung in der Regel nur angeordnet werden, wenn der Täter mindestens wegen drei vorsätzlichen Straftaten verurteilt wurde. Eine Ausnahme stellt insofern die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66b Abs. 2 StGB dar, welche nur die Verurteilung zu einer Straftat voraussetzt. 201 BVerfG, NJW 2004, 739 (742 f.). 202 Lang, in: Höfling, TPG-Kommentar, § 10, Rdnr. 40.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

435

der Zuverlässigkeit beim Einhalten von Untersuchungsterminen und dem verantwortungsvollen Umgang mit den angeordneten Medikamenten. Hierbei handelt es sich um eine Bewertung aufgrund einer manifesten Eigenschaft, weil lediglich das weitere Bestehen der Eigenschaft und nicht deren erstmalige Manifestation prognostiziert wird. Die Bewertung der compliance ist jederzeit widerlegbar. Dies kann dadurch geschehen, dass der Patient Änderungen in seinem Lebensstil nachweist, aber vor allem auch dadurch, dass er den entstandenen Eindruck, der zu dieser Bewertung geführt hat, auf andere Ursachen zurückführen kann. Auf die Möglichkeit solcher Änderungen von compliance-Bewertungen verweisen nun auch ausdrücklich die BÄK-Richtlinien.203 Demgegenüber ist der Nachweis einer ungünstigen Prognose aufgrund einer HIVInfektion für den Einzelnen nicht widerlegbar und erscheint insofern eingreifender. Nach entsprechender Kritik wurden die Kriterien zur Aufnahme auf die Warteliste auch insofern geändert: Auch bei HIV-Patienten sollen nun – anstelle der generellen Ablehnung – im Rahmen von Einzeluntersuchungen im Hinblick auf die Erfolgsaussichten einer bei ihnen vorgenommenen Organtransplantation überprüft werden.204 Entsprechendes gilt auch für die Bewertung der Organverträglichkeit: Zwar mag ein statistischer Zusammenhang zwischen bestimmten Gewebearten (HLA-Verträglichkeit) und den Erfolgsaussichten bestehen.205 Jedoch lässt sich nicht für den Einzelfall vorhersagen, ob eine Organtransplantation bei einem bestimmten Patienten mit einem an sich ungünstigen Gewebetyp nicht doch erfolgreich ist, weil bei ihm beispielsweise ausgleichende, die Transplantation begünstigende Umstände hinzutreten. Dass der typischerweise ungünstige Gewebetyp im Einzelfall tatsächlich zu einer Organunverträglichkeit geführt hätte, lässt sich nicht überprüfen oder widerlegen.

ee) Risikoabschätzung im Rahmen von privatrechtlichen Versicherungsverträgen Ob genetische Untersuchungen auch von privaten Versicherungsunternehmen im Vorfeld von Vertragsabschlüssen verlangt werden dürfen, ist derzeit Gegenstand intensiver rechtspolitischer Diskussionen.206 Ein gesetzliches Verbot solcher Tests besteht in Deutschland bisher nicht. Nach der hier vertretenen Auffassung wirft die Nutzung genetischer Informationen bei Abschluss privatrechtlicher Versicherungsverträge im Hinblick auf das Recht auf Achtung der Individualität keine neuen individualrechtlichen Probleme auf. Zwar weisen ___________ 203

Lang, in: Höfling, TPG-Kommentar, § 10, Rdnr. 45. Lang, in: Höfling, TPG-Kommentar, § 10, Rdnr. 47. 205 Dazu Lang, in: Höfling, TPG-Kommentar, § 12, Rdnr. 26. 206 Baumann, ZVersWiss 2002, S. 169 ff.; Diewald, VW 2002, S. 147 ff.; Michsels/Hoppe, Forschung und Lehre 12/2000, S. 638 f.; Moll-Iffland, VW 1999, 724 ff.; Oberender/Fleischmann, RPG 2002, 107 ff.; Schöffski, in: Raem, GenMedizin, S. 699 ff; ders., ZgesVersWiss 1999, 265 ff.; Strack, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 81 ff.; Taupitz, RPG 2002, 23 ff.; Weichert, DuD 2002, 133 (144); Wiesing, DMW 2002, 1151 ff.; Wiesing/Schonauer, in: Petermann/Wiedebusch/Quante, Perspektiven, S. 229 ff. – Zu weiteren Nachweisen vgl. Fn. 319 (S. 142). 204

436

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

selbstverständlich auch hier Aussagen aufgrund von genetischen Veranlagungen wie bei allen Eigenschaftsindikatoren prognostische Aussageungenauigkeiten auf. Der Umgang mit solchen Aussageungenauigkeiten ist jedoch gerade Grundlage der Prämienkalkulation bei privaten Versicherungen. Insofern kann es keinen Unterschied machen, ob jemand – wie derzeit bei Kfz-Versicherungen üblich – aufgrund seines Beamtenstatus als besonders vorsichtiger Autofahrer eingestuft wird oder bei ihm aufgrund einer günstigen genetischen Konstellation eine geringere Erkrankungswahrscheinlichkeit angenommen wird. Akzeptiert man einen Versicherungszweig, der sich nicht auf dem Solidargedanken gründet, sondern die Prämien in Abhängigkeit von den versicherten Risiken berechnet, muss man insofern auch die Verwendung von prädiktiven Daten als zulässig betrachten. Die Berechnung von Versicherungstarifen aufgrund von Wahrscheinlichkeitsaussagen – unabhängig davon, ob sie nun genetischen Veranlagungen oder anderen Eigenschaftsindikatoren entnommen werden – stellt für das Versicherungswesen keine Besonderheit, sondern gerade den Regelfall dar.207 Dieser Grundgedanke wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass in Teilbereichen seitens der Versicherungen auf die gezielte Ermittlung bestimmter Risikofaktoren verzichtet wird. In Deutschland haben sich die privaten Versicherungen auf öffentlichen Druck im Rahmen einer Selbstverpflichtungserklärung dazu verpflichtet, bei Abschluss von Versicherungsverträgen die erstmalige Vornahme genetischer Untersuchungen nicht und die Offenbarung der Ergebnisse bereits durchgeführter Tests erst ab einer Versicherungssumme von 250.000 EUR zu verlangen.208 Genauso wie bei genetischen Veranlagungen geschieht dies auch im Hinblick auf HIV-Infektionen bei Versicherungsverträgen bis zu einer Höhe von 250.000 EUR, bei denen von den meisten Versicherungsunternehmen nur die Offenlegung bereits vorgenommener, nicht jedoch die Vornahme von HIV-Tests verlangt wird.

Will man die Risikoermittlung der Versicherer gesetzlich beschränken, so lässt sich dies daher nur über andere politische Zielsetzungen rechtfertigen. Für den Bereich des Versicherungsrechts könnte das Argument angeführt werden, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen in ihrer Leistungskraft überfordert werden könnten, wenn sie allein die Absicherung von Personen mit „schlechten Risiken“ übernehmen müssten.209 Unterschiede können zudem in Abhängigkeit

___________ 207 So auch Breyer, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 182 ff.; SchulzWeidner, Genomanalysen, S. 497, These 2; Simon, Gendiagnostik, S. 122; Taupitz, RPG 2002, 43 (47) m.w.N. 208 Die Geltung der „Freiwilligen Selbstverpflichtungserklärung der Mitgliedsunternehmen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV)“ aus dem Jahr 2001, welche ursprünglich nur bis Ende 2006 gelten sollte, wurde kürzlich bis zum Jahr 2011 verlängert. 209 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 269 f.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

437

davon gerechtfertigt sein, ob der jeweilige Versicherungszweig der Sicherung von Grundbedürfnissen dient oder als zusätzliche Versorgung begriffen wird.210

b) Bei diagnostischer Verwendungsweise Die Verwendung von Eigenschaftsindikatoren zu diagnostischen Zwecken ist verfassungsrechtlich zulässig, sofern für die verwendeten Merkmale keine besonders geregelten Typisierungsverbote bestehen211 und genauere Typisierungen unpraktikabel sind. Zwar sind Einzelfalluntersuchungen stets genauer, jedoch können Typisierungen aus Praktikabilitätsgründen gerechtfertigt sein. Damit sind aus verfassungsrechtlicher Sicht Typisierungen zu diagnostischen Zwecken in einem weiteren Umfang zulässig als Typisierungen zu prognostischen Zwecken. Dies erklärt sich mit der im Vergleich zu Prognosen geringeren Eingriffsintensität von diagnostischen Typisierungen: Im Unterschied zu prädiktiven Untersuchungen weisen diagnostische Untersuchungen keine besondere Aussageungenauigkeit auf, die für eine grundsätzliche Unzulässigkeit derartiger Typisierungen sprechen. Typisierungen, die manifeste Eigenschaften betreffen, sind zudem in der Regel im Einzelfall überprüf- und widerlegbar. Dieser strukturelle Unterschied zu Prognosen ist entscheidend für die unterschiedliche Klassifizierung: Nur bei manifesten Eigenschaften erscheint ein Nachweis im Einzelfall überhaupt möglich, bei prognostizierten Eigenschaften scheidet ein solcher Nachweis von vornherein aus, da prognostizierte Eigenschaften ja gerade erst für die Zukunft vorhergesagt werden. Typisierende Feststellungen weisen jedoch dann eine erhöhte Eingriffsintensität auf, wenn sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nur eingeschränkt überprüfbar sind. Solche Typisierungen bedürfen dementsprechend auch einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. Beispiele für Feststellungen, die aus tatsächlichen Gründen nur eingeschränkt überprüfbar sind, sind solche über Eigenschaften wie Teamfähigkeit, soziale Kompetenz oder Intelligenz. Hier ergibt sich der Mangel an Überprüfbarkeit häufig bereits schon aus der unklaren Definition der Eigenschaft. Bei rechtlichen Beschränkungen der Überprüfbarkeit kann das Vorliegen oder Fehlen der festgestellten Eigenschaft zwar nachgewiesen werden, jedoch findet dieser Nachweis auf rechtlicher Ebene keine Berücksichtigung. ___________ 210

Thiele, Poiesis Prax (2003) 1, S. 185 (186, 194). Vgl. auch Weichert, DuD 2002, 133 (144). 211 Als solche Typisierungsverbote können die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstanden werden. Dies entspricht jedoch nicht der allgemeinen Auffassung in der Rechtsliteratur. – Siehe dazu bereits S. 260 und 324.

438

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Demgegenüber werden Individualaussagen, z.B. unmittelbare Feststellungen einer Manifestation, schon nicht vom Gewährleistungsbereich des Rechts auf Achtung der Individualität erfasst: Ihnen liegen gerade keine Typisierungen zugrunde. Sie weisen keine statistische Aussageungenauigkeit auf. Wie bereits festgestellt,212 liegt im Fall von Frau Terri Seargent kein Eingriff in das Recht auf Achtung der Individualität vor: Sie war tatsächlich erkrankt und wurde insofern nicht einer typisierenden Behandlung unterworfen. Sie wurde also nicht aufgrund von Eigenschaften behandelt, die bei ihr tatsächlich gar nicht vorlagen. Allein unter Zugrundelegung des Rechts auf Achtung der Individualität erscheint daher ihre Entlassung nicht als unzulässig. Problematisch erscheint der Fall jedoch aus einem anderen Grund: Die Erkrankung von Frau Seargent war nämlich behandelbar, bei der Durchführung der Therapie war sie voll arbeitsfähig. Der Grund für ihre Entlassung war somit nicht ihre mangelnde berufliche Eignung, sondern die erhöhten Behandlungskosten, die sie (für die Krankenversicherung ihres Arbeitgebers) verursachte. Denn nach dem USamerikanischen Versicherungssystem ist die Krankenversicherung an das Arbeitsverhältnis gekoppelt. Der Versicherungsvertrag wird vom Arbeitgeber für den gesamten Betrieb mit einem Krankenversicherer geschlossen. Diese Versicherungsverträge werden häufig nur befristet abgeschlossen. Die Krankenversicherungsunternehmen sind daran interessiert, die betrieblichen Krankenversorgungskosten so gering wie möglich zu halten, und dringen bei den Verhandlungen für einen neuen Vertrag dementsprechend gegenüber dem Arbeitgeber darauf, aufgrund ihrer Krankheit kostenintensive Arbeitnehmer zu entlassen.213

aa) Arbeitsrechtliche Einstellungsentscheidungen Diagnostische Typisierungen findet man u.a. bei Bewerbungsverfahren im Berufsleben. Um den für die jeweilige Arbeitsstelle am besten geeigneten Bewerber zu finden, kann der Arbeitgeber im Rahmen dieser Verfahren bereits erlangte Qualifikationen abfragen und die Fähigkeiten der Bewerber durch verschiedene Testverfahren prüfen.214 Die dabei erzielten Ergebnisse sind für den Arbeitgeber ___________ 212

Siehe S. 400 f. Vgl. Natowicz/Alper/Alper, Am. J. Hum. Genet., vol. 50 (1992), 465 (467); Gostin, AJLM Vol. XVII, ʋs 1 & 2 (1991), 109 (133). Zu ähnlichen Fällen auch Geller u.a., Science and Engineering Ethics, Vol. 2, (1996), 71 (77 f.). 214 Im Arbeitsrecht ist der Ermittlung der Eignung durch Befragung oder Untersuchungen nur insoweit zulässig, als dass sie sich auf die Eignung des Bewerbers für den zu besetzenden Arbeitsplatz bezieht. Dieser Bezug wird nur dann angenommen, wenn bestimmte Eigenschaften des Bewerbers die Eignung des Arbeitnehmers auf Dauer oder in periodisch wiederkehrenden Abständen erheblich beeinträchtigt oder aufhebt – vgl. BAG, NJW 1985, 645; Becker in: Kittner/Zwanziger, Arbeitsrecht (2005), Rdnr. 27; Preis, Arbeitsrecht (1999), S. 191. Die Frage, ob und inwieweit dieser Bezug bei prädiktiven Untersuchungen angenommen werden kann, ist bisher noch nicht geklärt – vgl. etwa zur Frage der Zulässigkeit (auch prädiktiver) genetischer Untersuchungen: Becker in: Kittner/Zwanziger, Arbeitsrecht (2005), Rdnr. 32 ff.; Schaub, in: Schaub, Arbeits213

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

439

Indizien, welche Rückschlüsse auf die Eignung der Bewerber erlauben. Insofern dienen derartige Verfahren überwiegend diagnostischen Feststellungen. Sofern die Bewerber etwa nach der Note ausgesucht werden, werden Typisierungen zugrunde gelegt: Es wird davon ausgegangen, dass Bewerber mit guten Noten typischerweise besser geeignet sind als Bewerber mit schlechten Noten. Denkbar ist es jedoch auch, dass sich unter den Bewerbern mit schlechten Noten ein besonders geeigneter Aspirant befindet. Sofern auch er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden sollte, besteht für ihn zumindest die Möglichkeit, seine Eignung nachzuweisen und den nachteiligen Eindruck, den seine schlechten Noten bewirkt haben, zu widerlegen. Eine beschränkte Überprüf- und Widerlegbarkeit aus tatsächlichen Gründen kann sich dann ergeben, wenn anhand von bestimmten Merkmalen soziale oder intellektuelle Fähigkeiten festgestellt werden sollen. So sind Eigenschaften wie „Führungsqualität“ oder „Teamfähigkeit“, die dem Einzelnen anhand von Typisierungen zugewiesen oder abgesprochen werden, angesichts ihrer Komplexität im Einzelfall faktisch nur eingeschränkt zu widerlegen.

bb) Prüfung der Medikamentenverträglichkeit, insb. in der Pharmakogenetik Auch die in Entwicklung begriffene Pharmakogenetik ist dem diagnostischen Verwendungsbereich ist zuzuordnen. Hierbei geht es nämlich um die Verträglichkeiten von Medikamenten zum Zeitpunkt ihrer Darreichung und nicht um die zukünftige gesundheitliche Entwicklung des Patienten. Ziel ist es dabei, anhand bestimmter genetischer Veranlagungen Rückschlüsse auf die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten beim Patienten zu treffen.215 Zukünftig könnten Diagnosecomputer aus der Blutprobe eines Patienten ein genetisches-Profil erstellen, aus dem sich ablesen ließe, welche der verfügbaren Arzneien die besten Erfolgsaussichten bieten.216 Vor diesem Hintergrund wird es bereits angedacht, genetische Untersuchungen standardmäßig bei der Notfallaufnahme einzuführen. Damit sei es möglich – so die Befürworter – geeignete entzündungshemmende Arzneien auszuwählen, Schmerzmittel-

___________ rechtshandbuch (2005), § 24, Rdnr. 19; Preis, Arbeitsrecht (1999), S. 193; Striegan, in: Kasseler Handbuch zum Arbeitrecht (2000), 2.10, Rdnr. 179. Die Bedeutung solcher Untersuchungen besteht jedoch lediglich in abgeschwächter Form, da für den Fall einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit dem privaten Arbeitgeber das Recht einer krankheitsbedingten Kündigung zusteht. Zu den Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung im Einzelnen siehe etwa: Preis, Arbeitsrecht (1999), S. 670. 215 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 5, 19 ff., 46, 59; Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (1) m.w.N.; Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 247; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 15 f., 149 ff.; Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 365 ff.; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 11. 216 Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 149 ff., insb. 175 f.; Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 56.

440

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

unverträglichkeiten zu bestimmen oder Risiken für bestimmte Komplikationen, wie Lungenentzündungen, zu ermitteln.217

Zunächst einmal ist mit einer solchen Praxis noch keine Diskriminierung verbunden. Die einmal getroffene Einordnung ist grundsätzlich jederzeit überprüfbar. Die Art des Medikaments und seine Dosierung können im Verlauf der Behandlung immer wieder an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasst werden. Beispielhaft kann auf den Fall des Medikaments Prozac Bezug genommen werden: Da bei Menschen afrikanischer Herkunft bei Verabreichung des Medikaments Prozac vermehrt unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, wird es in diesen Fällen in einer geringeren Dosis eingesetzt. Dem Patienten und seinem Arzt bleibt es aber grundsätzlich unbenommen, auch eine höhere Dosis des Medikaments einzusetzen, wenn die geringere Dosis nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Auf diese Weise kann dann gegebenenfalls die statistisch begründete Vermutung über die Wirkungsweise des Medikaments im Einzelfall überprüft (und widerlegt) werden. Problematisch erscheint hier weniger der Umstand der Typisierung, sondern vielmehr der gesellschaftlich vorbelastete Rückgriff auf die Unterscheidung anhand der ethnischen Zugehörigkeit.218

cc) Kassenrechtliche Entscheidung über die Übernahme der Behandlungskosten Problematisch stellt sich die Situation dann dar, wenn die Entscheidung über die Kostenübernahme lediglich anhand der typischen Wirkungsweise eines Medikaments beurteilt wird. Nach der derzeitigen Rechtslage müssen Krankenkassen nämlich nur die Behandlung mit Medikamenten tragen, wenn der Antragsteller einer Patientengruppe angehört, in der das jeweilige Medikament typischerweise wirkt. Sofern er dieser Patientengruppe nicht angehört, werden die Kosten der Behandlung auch dann nicht übernommen, wenn ihm das Medikament nachweislich hilft. Letztlich führt dies in rechtlicher Hinsicht zu einer beschränkten Überprüf- und Widerlegbarkeit der Beurteilung der Medikamentenverträglichkeit. Die Wirksamkeit von Medikamenten beurteilen die Krankenkassen nach der Zulassung des Medikaments. Nun kann es aber sein, dass ein Medikament auch in Fällen wirkt, für die es gar nicht zugelassen ist. Das Bundessozialgericht sieht es in diesen Fällen der zulassungsüberschreitenden Anwendung von Medikamenten (so genannter „OffLabel-Use“) dennoch als zulässig an, wenn die Krankenkassen die Behandlungskosten nicht übernehmen.219 Begründet wird diese Rechtspraxis letztlich mit Praktikabilitätserwägungen. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass die Krankenkassen überfordert wären, wenn sie die Wirksamkeit eines Medikaments für jeden Einzelfall zu überprüfen hät-

___________ 217

DANA 2/2004, S. 34. Breuer, Die Zeit, 19.09.2002, Nr. 39, S. 31; Parmann, in: Die Zeit, 11.11.2004, Nr. 47, S. 41. 219 BSG, NZS 2002, 646 (646). Beachte nun aber BVerfG, NJW 2006, 891 – Bioresonanztherapie. 218

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

441

ten.220 Die zulassungsüberschreitende Anwendung eines Medikaments soll ausnahmsweise nur dann von den Krankenkassen getragen werden müssen, wenn bei einer schweren Krankheit keine Behandlungsalternative besteht und nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis die begründete Ansicht besteht, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.221 Allerdings wird auch mit dieser Ausnahmeregelung nicht auf einen Behandlungserfolg im Einzelfall abgestellt, sondern wiederum auf die statistisch begründbare Wirksamkeit eines bestimmten Medikaments in einem bestimmten Bereich zulassungsüberschreitender Anwendung.222

c) Bei differenzialdiagnostischer Verwendungsweise Auch die differenzial-diagnostische Verwendungsweise von statistischen Daten ist grundsätzlich zulässig. Sie weist – genauso wie die diagnostische – lediglich die statistische, nicht jedoch eine besondere, der prognostischen vergleichbare Aussageungenauigkeit auf. Eine besondere rechtliche Bedeutung haben Kausalbewertungen im Haftungsrecht, wo sie der Abgrenzung rechtlicher Verantwortungsbereiche dienen. Grundsätzlich haften Dritte für die Schädigung des Einzelnen nur, wenn sie den Schaden verursacht haben. Der Umfang der Haftung wird jedoch gemindert, wenn der Einzelne – in rechtlicher Hinsicht – teilweise selbst für den Schaden verantwortlich ist. Ist die Schädigung völlig unabhängig von Handlungen Dritter aufgetreten, scheidet die Haftung Dritter aus. Die rechtliche Verantwortlichkeit verbleibt dann grundsätzlich in der Sphäre des Geschädigten. In Betracht kommt in diesen Fällen nur die Übernahme der Kosten durch die Sozialversicherungssysteme. In bestimmten Fällen kann die Berufung auf statistische Daten im Rahmen von Kausalbewertungen jedoch als problematisch erscheinen. Die Behandlung des Einzelnen aufgrund von differenzial-diagnostischen Informationen könnte etwa dann einzuschränken sein, wenn sie mittelbar zu unangemessenen Beeinträchtigungen des Rechts auf freibestimmte Zukunft führt. Insbesondere im Hinblick auf die Humangenetik wird in der Gestaltung des Haftungsrechts ein Steuerungsmechanismus gesehen, der gesellschaftlich als bedenklich empfundene Entwicklungen begünstigt. Dazu gehört unter anderem die Befürchtung, dass Menschen zukünftig wegen der Haftungsrisiken faktisch zu einem ihren Genen angepassten, „genkonformen Verhalten“223 verpflichtet würden: Sofern ___________ 220

BSG, BSGE 76, 194 (198). BSG, NZS 2002, 646 (646). 222 Vgl. BSG, NZS 2002, 646 (647). 223 Beck-Gernsheim, in: Haker, Ethics, S. 199 ff.; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 279; der Handlungspflichten zur Sicherstellung der „genetischen Verantwortung“ allerdings nicht allgemein ablehnt; Donner/Simon, DÖV 1990, 907 (913, 917); Eberbach, in: Sass, Genomanalyse, S. 81 (84, 88 ff.); Feuerstein/Kollek, APuZ 2001, 26 (29, 31) „handlungstrukturierende Realität“, „Pflicht zum risikogerechten Verhalten“; Feuer221

442

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

sie ihre Lebensweise nicht an ihre genetische Konstitution anpassen, müssen sie für die gesundheitlichen Schädigungen, die sie aufgrund dieser so konstruierten „Obliegenheitsverletzung“ erleiden, (zumindest teilweise) selbst haften. Unter Obliegenheit versteht man im Recht ein „Gebot des eigenen Interesses“, zu dessen Einhaltung die betreffende Person zwar nicht (unmittelbar) gezwungen werden kann, bei dessen Nichtbefolgung sie jedoch einen Rechtsverlust oder einen rechtlichen Nachteil erleidet.224 Solche Obliegenheiten können insbesondere für die Träger sog. Suszeptibilitätsgene225 konstruiert werden, indem von ihnen die Vermeidung oder Beeinflussung bestimmter, für sie als besonders risikoreich eingestufter Umfeldfaktoren erwartet wird. An die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Risikogruppe kann so z.B. nach § 62 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 25 SGB V die (Gesundheits-)Obliegenheit geknüpft werden, regelmäßig Früherkennungsuntersuchungen durchführen zu lassen. Eine bestimmte Schadstoffanfälligkeit kann mit der Obliegenheit verbunden werden, bestimmte Berufe nicht auszuüben, bei deren Ausübung die Arbeitnehmer mit den jeweiligen Schadstoffen in Kontakt kommen.

Die Konstruktion solcher Verhaltensmaßregeln und ihre rechtliche Berücksichtigung als Obliegenheit kann eine erhebliche Steuerungswirkung haben. Betroffene könnten aus Angst vor möglichen finanziellen Belastungen von risikoerhöhenden Handlungen absehen. Dies mag zunächst einmal auch gesellschaftlich erwünscht sein. In bestimmten Fällen könnte dies jedoch auch dazu führen, dass Menschen von bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens faktisch ausgeschlossen würden, da sie im Falle der Verwirklichung des prognostizierten Risikos die Haftungskosten nicht mehr zu tragen imstande wären. Eine solche Entwicklung würde jedoch der Vorstellung einer freiheitlichen Gesellschaft zuwider laufen. Die befürchteten Haftungsrisiken dürfen nicht dazu führen, dass Freiheitsausübung nur noch ein Privileg einiger Weniger ist, die die damit verbundenen finanziellen Risiken entsprechend absichern können. Angesichts der zunehmenden Fülle prädiktiver Aussagen über menschliche Entwick___________ stein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 163, 190 ff.; Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 371, sehen hier die Gefahr einer „gesundheitlichen Prophylaxe-Diktatur“; Künzler, Macht der Technik, S. 66 ff.; Lemke, GID Nr. 161 (2003/2004), S. 3 ff.; Meinel, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 6: „Ferner muss gegebenenfalls gesetzlich klargestellt werden, das der Begriff des ‚gesundheitlichen Fehlverhaltens‘ nicht so ausgeweitet wird, dass er mit genetischer Veranlagung verknüpft und darüber Leistungsmerkmale begründet werden.“; Meyer, Mensch, S. 40, 55 f., 61; Paul, Tumorerkrankungen, S. 246; Schmidtke, Vererbung, S. 155; Schöffski, Gendiagnostik, S. 149; Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 511; van den Daele, Mensch nach Maß, S. 77 f.; Winnacker, FAZ 8.01.01, Nr. 6, S. 14. – Teilweise wird eine solche Entwicklung aber auch geradezu befürwortet: ten Have, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 87 (91). 224 Palandt-Heinrichs, Einl. vor § 241 BGB, Rdnr. 13. 225 Zum Begriff siehe oben, S. 75.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

443

lung und der damit verbundenen Medizinalisierung des menschlichen Lebens226 ist es dem Einzelnen nicht mehr möglich, sämtlichen ihm prognostizierten Risiken entgegenzuwirken, ohne in einem erheblichen Maße an Lebensqualität und Entfaltungsfreiheit zu verlieren.227 Dies könnte dazu den Anlass geben, den Sorgfaltsmaßstab, dessen Verletzung dem Einzelnen etwa im Rahmen des Mitverschuldens zur Last gelegt werden kann, dementsprechend herabzusetzen.228 Damit würden nicht zum ersten Mal hergebrachte Rechtsprinzipien neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten angepasst werden. So sah sich der Gesetzgeber z.B. aufgrund der im Zuge der Industrialisierung neu aufgetretenen Gefährdungen von Menschen veranlasst, eine verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung u.a. beim Betrieb von besonders gefahrgeneigten Anlagen wie Eisenbahnen und Bergwerken einzuführen. Diese Haftung wurde durch das „Gesetz betreffend die Verbindlichkeiten zum Schadensersatz für die bei dem Betrieb von Eisenbahnen, Bergwerken usw. herbeigeführten Tötungen und Körperverletzungen“ vom 07.06.1871 (RGBl. 207) eingeführt.229 Sie stellte eine wesentliche rechtliche Neuerung dar, weil nach diesem Gesetz Schädiger bereits dann hafteten, wenn sie den Schaden verursacht hatten, unabhängig davon, ob sie dabei vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hatten.

___________ 226

Vgl. S. 165 f. In diese Richtung argumentieren auch Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 373: „Man könnte entgegenhalten, dass es schon seit langer Zeit Reihenuntersuchungen gäbe, etwa für Lungenerkrankungen, und ebenso Impfpflichten zur Vorbeugung; auch hiergegen habe niemand etwas eingewandt. ... Indessen ist es die unglaublich schnell zunehmende Menge an Detailinformationen, die auch einen qualitativen Sprung darstellt und eine neue Bewertung aller, auch der bereits angewandten Methoden, erfordert.“ Feuerstein/Kollek, APuZ 2001, 26 (31): „Im Ergebnis trägt das Wissen um die genetischen Risiken zur Vervielfachung der individuellen Existenzrisiken bei, wobei ihre gemeinsame Quelle, die soziale Verankerung und die gesellschaftliche Inszenierung von Risiken, hinter einem aus biologischer Schicksalhaftigkeit und Eigenverantwortung komponierten Vorstellungsbild verborgen ist.“ 228 Siehe dazu insbesondere Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 505, 511 f., These 6 und 8; Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 214: „Mit der Ausweitung genetischer Diagnosemöglichkeiten wird es zunehmend möglich sein, bei arbeitsplatzbedingten Schädigungen von Arbeitnehmern nachzuweisen, dass eine genetische Disposition des Geschädigten zur Entstehung des Leidens beigetragen hat. Dies darf bei Sozialversicherungsansprüchen, die sich aus Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten ergeben, nicht als anspruchsmindernder Umstand berücksichtigt werden.“ (Hervorhebung durch den Verf.); Enquetekommission „Chancen und Risiken“, Abschlussbericht (1987), BT-Drs. 10/6775, S. 169, 172, Empfehlung 14; Wiese, RdA 1988, 217 (222). 229 Das Gesetz wurde unter der Bezeichnung „Haftpflichtgesetz“ in der ab 01.01.1978 geltenden Fassung neu bekanntgemacht. 227

444

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

aa) Arbeitsrechtliche Haftungsfälle In arbeitsrechtlichen Haftungsfällen können personenbezogene Typisierungen zum einen dafür entscheidend sein, ob der Gesundheitsschaden des Arbeitnehmers überhaupt arbeitsbedingt war. Ein arbeitsbedingter Schaden wird vom Gericht nämlich dann nicht angenommen, wenn er durch Umstände bedingt wurde, die in der Person des Arbeitnehmers liegen.230 Entsprechendes gilt für Fälle des Versorgungsrechts für Soldaten.231 In dem oben erwähnten Fall der amerikanischen Eisenbahngesellschaft BNSF232 berufen sich sowohl die klagenden Arbeitnehmer als auch die beklagte Eisenbahngesellschaft auf statistische Daten. Unstrittig ist das Auftreten des Karpaltunnel-Syndroms, welches bei den Arbeitnehmern individuell nachgewiesen werden kann. Die Arbeitnehmer sehen darin eine arbeitsbedingte Schädigung. Sie stellen damit (letztlich einen statistischen) Zusammenhang zwischen bestimmten, von ihnen ausgeübten Tätigkeiten und dem Auftreten der Krankheitssymptome her. Der Arbeitgeber behauptet, dass das Syndrom genetisch bedingt ist. Dabei beruft er sich auf einen statistischen Zusammenhang zwischen einer bestimmten genetischen Veranlagung und der Erkrankung. In dem Gerichtsverfahren (zu dem es aufgrund des Anerkenntnisses des Arbeitgebers letztlich nicht mehr gekommen ist) wäre zu klären gewesen, ob die Kausalitätsbewertung der Arbeitnehmer als überzeugend erscheint oder ob der Einwand des Arbeitgebers diese Bewertung in Zweifel ziehen kann.

Zum anderen kann die Haftung des Arbeitgebers beschränkt werden, wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten den Eintritt dieses Schadens mitverschuldet hat. Dabei erscheint es nicht ausgeschlossen, dass es dem Arbeitnehmer zukünftig (als Obliegenheitsverletzung) zur Last gelegt wird, wenn er sich nicht arbeitsmedizinischen Empfehlungen entsprechend verhalten hat. Gegen die Berücksichtigung solcher Gesichtspunkte spricht jedoch, dass Arbeitgeber die arbeitsbedingte Risiken in der Regel besser absichern kann. Zudem könnte eine solche Rechtsprechung Arbeitgeber dazu verleiten, in diesen Fällen auf entsprechende Schutzmaßnahmen für die betreffenden Arbeitnehmer zu verzichten, sofern sie damit rechnen können, dass sie die Haftung für mögliche Personenschäden nur in einem sehr eingeschränkten Umfang tragen müssen.233 Wenn ein Arbeitnehmer, der an seinem Arbeitsplatz besonderen Schadstoffen ausgesetzt ist, infolge dieser Schadstoffe erkrankt, haftet der Arbeitgeber (bzw. die gesetzliche Unfallversicherung) grundsätzlich für den entstandenen Schaden. Diese Haftung könnte jedoch möglicherweise beschränkt werden, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis seiner genetisch bedingten Schadstoffanfälligkeit die Tätigkeit in dem Betrieb übernommen hat

___________ 230

Palandt-Weidenkaff, § 611, Rdnr. 155; Jung, in: Wannagat, § 8 SGB VII, Rdnr. 39 ff. 231 Siehe S. 140. 232 Vgl. auch S. 139. 233 Vgl. Nachweise unter Fn. 228 (S. 443).

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

445

und dieser Umstand von den Gerichten im Rahmen des Mitverschuldens zu seinen Ungunsten berücksichtigt wird.

bb) Obliegenheiten im Recht der gesetzlichen Krankenkassen Gesetzliche Krankenkassen dürfen erhöhte Risiken zwar nicht im Voraus bei der Beitragsberechnung zugrunde legen. Im Schadensfall haben jedoch auch gesetzliche Krankenkassen im Rahmen von versicherungsrechtlichen Leistungsausschluss- und Minderungsregelungen die Möglichkeit, das schuldhafte Fehlverhalten von Mitgliedern nachträglich zu berücksichtigen.234 Vor diesem Hintergrund könnten – so die Befürchtung – diese Regelungen zur Grundlage genommen werden, den Gedanken des Mitverschuldens verstärkt in das Krankenversicherungsrecht einzubringen. Derartige Tendenzen zeigen sich etwa in der in der Einführung von Bonusregelungen für Teilnehmer von Präventionsprogrammen.235 Solchen Regelungen lässt sich die Wertung entnehmen, dass denjenigen, die nicht an den empfohlenen Präventionsprogrammen teilgenommen haben, eine Mitschuld an ihrer Erkrankung gegeben wird. In einem Bereich, in dem die Berücksichtigung des Verschuldens angesichts des zugrunde liegenden Solidarprinzips als systemfremd erscheint, dürfte die Ausdehnung von Haftungsverantwortlichkeiten aufgrund neu eingeführter Obliegenheiten jedoch erheblichen Zweifeln begegnen.236 Ein Abrücken vom Solidarprinzip, indem zunehmend zu Begrenzung der Leistungsverantwortlichkeit der Krankenkassen Verantwortungssphären des Einzelnen geschaffen werden, dürfte kaum systemkompatibel und damit verfassungsrechtlich bedenklich sein. Vor diesem Hintergrund ist auch zu prüfen, inwieweit es zulässig wäre, wenn Krankenkassen die Teilnahme an bestimmten Vorsorgemaßnahmen (z.B. Teilnahme am Hämochromatose-Test und ggf. regelmäßige Blutspenden zur Vorbeugung gegen Hämochromatose) zur Obliegenheit machten. Bedenklich wäre ein solches Vorgehen in diesen oder vergleichbaren Bereichen jedenfalls dann, wenn für das einzelne Krankenkassenmitglied lediglich ein abstraktes Risiko besteht, an der jeweiligen Krankheit zu erkran-

___________ 234

Ausführlich dazu: Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 147 ff. Vgl. jetzt auch § 62 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 25 SGB V. 235 Vgl. § 30 Abs. 2 SGB V a.F. bzw. nunmehr nach § 65a SGB V i.V.m. entsprechenden Satzungsregelungen der gesetzlichen Krankenversicherungen (Bonusheft). In diesen Bereich gehören auch Regelungen wie § 29 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 2 SGB V, wonach die volle Kostenübernahme von kieferorthopädischen Behandlungen bei Kindern nur für den Fall eines (erfolgreichen) Abschlusses der Behandlung erfolgt. Dazu Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 158 f. 236 Vgl. auch Änderungsvorschlag zu § 62 Abs. 1 Satz 3 SGB V von Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/4247; Gemeinsamer Bundesausschuss, Beschluss über eine Änderung der Richtlinien zur Definition schwerwiegender Erkrankungen im Sinne des § 62 SGB V vom 19.07.2007 i.V.m. den „Tragenden Gründen zum Beschluss“.

446

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

ken. Beispielsweise dürfte ein Herzinfarktpatient nicht deshalb Leistungskürzungen erleiden, weil er nicht frühzeitig beruflichen Stress abgebaut und nicht entsprechende Entspannungskurse der Krankenkasse besucht hat.

cc) Obliegenheiten im Recht der privaten Kranken- und Unfallversicherungen Entsprechendes gilt für die privaten Kranken- und Unfallversicherungen. Auch sie könnten bemüht sein, bei entstandenen Schadensfällen über Mitschuldensregelungen den Leistungsumfang zu begrenzen.237 Private Versicherungen können Eigenschaftsindikatoren also in zweifacher Hinsicht verwenden: Zum einen in prognostischer Verwendungsweise bei der Prämienberechnung und zum anderen in differenzialdiagnostischer Verwendungsweise im Rahmen von Kausalbewertungen nach dem Eintritt von Schadensfällen. Auch hier erscheint die vermehrte Konstruktion von Obliegenheiten als eine – hier allerdings aus rechtspolitischen Gründen – bedenkliche Entwicklung, weil damit für bestimmte Personengruppen der von der Versicherung ursprünglich übernommene Versicherungsschutz letztlich ausgehöhlt werden kann. Aus den USA werden Fälle berichtet, in denen Neugeborene mit Erberkrankungen keinen Versicherungsschutz bekommen sollen, wenn ihren Eltern nachgewiesen werden kann, dass sie bereits vor der Zeugung des Kindes von dem erhöhten, erblich bedingten Erkrankungsrisiko Kenntnis hatten.238 In Deutschland dürften solche Fälle wegen der Regelung des § 178d VVG ausgeschlossen sein. Danach ist die Versicherung verpflichtet, das neugeborene Kind ohne Risikozuschläge oder Wartezeit zu versichern, wenn die Anmeldung zur Versicherung spätestens zwei Monate nach der Geburt erfolgt. Als Voraussetzung für die Versicherung des Kindes kann allerdings eine Mindestversicherungsdauer des jeweiligen Elternteils vereinbart werden, die drei Monate aber nicht übersteigen darf. In diesen oben beschriebenen Fällen dürften die Mitverschuldens- und Leistungsregelungen der §§ 178l und 178a Abs. 2 S. 1 i.V.m. 62 VVG in verfassungskonformer Auslegung keine Anwendung finden, da dem Staat insofern eine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 GG gegenüber dem ungeborenen Leben zukommt.

dd) Obliegenheiten im Deliktsrecht Im Deliktsrecht können über das Vorliegen von Risikofaktoren Obliegenheiten zulasten des Geschädigten konstruiert werden, die den Anspruch des Geschädigten der Höhe nach begrenzen: Zwar haftet der Schädiger grundsätzlich im vollem Umfang für den verursachten Schaden – unabhängig davon, ob eine schadensgeneigte Konstitution beim Geschädigten vorliegt.239 Eine bewusste ___________ 237

Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 338 ff. Billings u.a., Am. J. Hum. Genet., Vol. 50 (1992), 476 (480). 239 Palandt-Heinrichs, vor § 249, Rdnr. 67. 238

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

447

Selbstgefährdung durch den Geschädigten kann jedoch in Einzelfällen berücksichtigt werden.240 Als Anknüpfungspunkt für derartige rechtliche Überlegungen lässt sich dabei die Mitverschuldensregelung des § 254 BGB heranziehen. Beispielhaft kann hier auf den Fall der mitverschuldeten Psoriasiserkrankung, der vor dem OLG Celle verhandelt wurde,241 verwiesen werden. Im Rahmen des Mitverschuldens wurde zulasten des Geschädigten berücksichtigt, dass er sich in Kenntnis seiner schadensgeneigten Veranlagung in die vom Schädiger zu verantwortende Gefahrensituation begeben hatte, die zum Sturz führte. Dadurch, dass er in den Kampf der beiden Hunde eingriff, handelte er gewissermaßen nicht „genkonform“.

d) Zusammenfassung Aus der vorangegangenen Darstellung lassen sich folgende Kriterien zur Bestimmung der Eingriffsintensität in das Recht auf Achtung der Individualität entnehmen: – Aussageungenauigkeit: Je stärker eine bestimmte Regelung den Einzelnen typisiert, desto intensiver ist der Eingriff in das Recht auf Achtung der Individualität. – Überprüfbarkeit: Der Eingriff ist umso intensiver, je weniger die statistisch begründete Vermutung auf ihre Richtigkeit im Einzelfall überprüft werden kann. – Widerlegbarkeit: Der Eingriff ist umso intensiver, je weniger der Betroffene Gelegenheit hat, die anhand von statistischen Daten begründete Vermutung, dass er bestimmte Eigenschaft hat oder bekommen wird, zu widerlegen. – „Alles-oder-Nichts“-Entscheidungen: Hinzu kommt ein weiteres Kriterium, das in den bisherigen Ausführungen noch nicht erwähnt wurde. Für den Einzelnen ist eine freiheitliche Beschränkung schwerwiegender, wenn ihm eine bestimmte Betätigung insgesamt verwehrt wird, als wenn er sie lediglich unter erschwerten Bedingungen ausüben kann. Für die Teilgewährleistungsbereiche der differenzialdiagnostischen, diagnostischen und der prädiktiven Verwendungsweise ergeben sich daraus folgende Rechtfertigungsanforderungen:242 – Die differenzialdiagnostische Verwendungsweise ist grundsätzlich zulässig. Die Behandlung des Einzelnen aufgrund von differenzialdiagnostischen In___________ 240

Palandt-Heinrichs, vor § 249, Rdnr. 68. OLG Celle, VersR 1981, 1058 – Psoriasisfall. 242 Im Ergebnis ähnlich Pletke, Genomanalysen, S. 207 f., 268 ff. (insb. 274, 280). 241

448

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

formationen kann jedoch eingeschränkt werden, wenn sie mittelbar zu unangemessenen Beeinträchtigungen des Rechts auf freibestimmte Zukunft führt. – Die Verwendung von Eigenschaftsindikatoren zu diagnostischen Zwecken ist zulässig, sofern manifestationsnähere Kriterien unpraktikabel sind. (Einzelfallbetrachtung) – Die Behandlung eines Menschen aufgrund von prädiktiven Daten ist wegen der besonderen, prognostischen Aussageungenauigkeit grundsätzlich unzulässig.

V. Rechtscharakter und rechtssystematische Einordnung Zum Rechtscharakter und der rechtssystematischen Einordnung lassen sich folgende Aussagen machen:

1. Rechtscharakter Das Recht auf Achtung der Individualität und seine spezielle Ausprägung in dem Recht auf freibestimmte Zukunft lassen sich grundrechtsdogmatisch als Integritätsschutz qualifizieren:

a) Das Recht auf Achtung der Individualität als Integritätsschutz Das Recht auf Achtung der Individualität soll den Einzelnen davor schützen, vom Staat als eine anhand von statistischen Daten ausrechenbare Person behandelt zu werden. Der Schwerpunkt des Schutzes liegt damit in der Abschirmung der Integrität des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen und weniger oder nur mittelbar in der Gewährleistung der Entfaltung des Einzelnen in der Gesellschaft.243 Geschützt wird die Achtung des Einzelnen als individuelle Persönlichkeit. Zuordnungen zu bestimmten Gruppen anhand von Merkmalen (wie Geschlecht oder Genen) sind grundsätzlich verboten, weil statistische Daten keine Aussagen über den Einzelfall erlauben. Wird der Einzelne aufgrund von Eigenschaften der Gruppe, der er zugeordnet wurde, behandelt, wird er möglicherweise aufgrund von Eigenschaften behandelt, die in seiner Person gar nicht vorliegen. Allerdings schließt es das Recht auf Achtung der Individualität nicht aus, dass der Einzelne in bestimmten Lebensbereichen bewusst auf eine individuelle ___________ 243

Siehe auch S. 411.

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

449

Bewertung und Behandlung verzichtet.244 Vielmehr kann es wohl auch als eine Ausprägung des Rechts auf Achtung der Individualität betrachtet werden, sich bewusst als Angehöriger einer bestimmten Gruppe zu kennzeichnen und in bestimmten Bereichen als Mitglied einer Gruppe behandelt zu werden.245 Der Begriff der Individualität ist insofern auch vom Begriff der Identität abgrenzbar:246 Der Begriff der Individualität nimmt auf eine bestimmte Entwicklung des Menschen Bezug. Er lässt sich damit als untergeordneter Aspekt des Zustands der Integrität verstehen, in dem sich der Einzelne – „ungestört durch gesellschaftliche Machtausübung“ (etwa durch Typisierungen) entwickelt.247 Dem wird als Komplementärbegriff der Begriff der Identität gegenüber gestellt, welche die Existenz und Geltung eines Menschen betrifft und gerade auch anhand der familiären oder sozialen Zugehörigkeit hergestellt werden kann.248

b) Das Recht auf freibestimmte Zukunft als Integritätsschutz Das Recht auf freibestimmte Zukunft ist ein Teilgewährleistungsbereich des Rechts auf Achtung der Individualität. Es bezeichnet das Recht des Einzelnen, in seiner persönlichen Entwicklung nicht als vorbestimmt behandelt zu werden. Dem Staat ist es somit grundsätzlich verboten, dem Einzelnen unter Hinweis auf Gruppengesetzmäßigkeiten die Fähigkeit abzusprechen, sich unabhängig von der Gruppe, der er zugeordnet wird, zu entwickeln. Vor dem Hintergrund der Unterscheidung zwischen Freiheits- und Integritätsschutz lässt es sich als die Gewährleistung einer zeitlichen Privatsphäre begreifen.

___________ 244

Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 61 spricht von einem „Recht auf Nichtdiskriminierung“, was impliziert, dass es auch ein Recht gibt, sich über eine bestimmte Gruppenidentität definieren zu lassen. 245 Zum Schutz der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und Vereinigungen: BVerfGE 79, 256 (268 f.) – Abstammung I; 99, 185, (194) – Scientology. – In der Literatur: Jaber, Menschenwürdegarantien, S. 265; Schiek, Differenzierte Gerechtigkeit, S. 34. 246 Schutz der Identität ist nach der hier zugrunde gelegten Systematik eher als Gegenstand des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung zu betrachten. – Vgl. dazu S. 492. 247 Vgl. AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 34. 248 Zu den Kriterien der Integrität und Identität, vgl. dazu Häberle, in: HdbStR, Band I, § 20, Rdnr. 48 ff.; AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 34 ff.

450

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

2. Rechtssystematische Einordnung a) Abgestuftes System von Rechtsgewährleistungen mit unterschiedlichem Schutzniveau Im Folgenden sollen auf Grundlage der bisher gestellten Erwägungen drei verschiedene Abwägungskonstellationen unterschieden werden, die jeweils mit einer spezifischen Schutzintensität verbunden sind. Einen Überblick dazu bietet folgende Abbildung:

Bei der Verwendung von ...

Beeinträchtigung der Individualgerechtigkeit aufgrund der statistiktypischen Aussageungenauigkeit

statistischen Daten

Gruppeninformationen (personenbezogenen statistischen Daten)

Eingriff in das Recht auf Achtung der Individualität aufgrund des Personenbezugs der Daten

Gruppeninformationen zur Erstellung von Prognosen

Eingriff in das Recht auf freibestimmte Zukunft aufgrund der prognostischen Aussageungeanuigkeit

Berücksichtigung von einzelfallbezogenen Abwägungsgesichtspunkten

besondere zusätzliche politische Interessen

gesetzgeberische Praktikabilitätsinteressen: insbesondere Verwaltungsökonomie und Rechtssicherheit

entgegenstehende Rechte und Interessen

Abb. 14: Abwägungskonstellationen bei einem Eingriff in das Recht auf Achtung der Individualität

B. Das Recht auf Achtung der Individualität

451

aa) Recht auf Gleichbehandlung Immer wenn im Rahmen der gesetzgeberischen Tätigkeit sach- oder personenbezogene statistische Daten auf den Einzelfall angewendet werden, wird der Einzelne einer typisierenden Behandlung unterworfen. Darin liegt bereits ein Eingriff in die Individualgerechtigkeit begründet. Gerechtfertigt ist ein solcher Eingriff dann, wenn durch die jeweilige Regelung ein angemessener Ausgleich zwischen dem Rechtsgut der Individualgerechtigkeit und den gesetzgeberischen Praktikabilitätsinteressen geschaffen ist.249 Im Hinblick auf die Verwendung statistischer Daten lassen sich derartige Fälle als Grundkonstellation betrachten.

bb) Recht auf Achtung der Individualität Die Verwendung von Gruppeninformationen führt aufgrund der Beeinträchtigung persönlichkeitsrechtlicher Gewährleistungen zu einer besonderen Eingriffsintensität, welche wiederum ein gegenüber der eben beschriebenen Grundkonstellation erhöhtes Schutzniveau begründet. Sofern Gruppeninformationen verwendet werden, ist in der Angemessenheitsprüfung als zusätzliches Abwägungsgut das Recht auf Achtung der Individualität zu berücksichtigen. Denn sofern der einzelne Mensch aufgrund statistischer Daten bewertet und behandelt wird, wird ihm faktisch die Möglichkeit und Fähigkeit abgesprochen, sich unabhängig von statistischen, bzw. gruppenbezogenen Gesetzmäßigkeiten zu entwickeln oder sich entwickelt zu haben.

cc) Recht auf freibestimmte Zukunft Als dritte Fallgruppe, welche unter dem hier zugrunde gelegten Gesichtspunkt der Aussagegenauigkeit typischerweise die größte Eingriffsintensität aufweist, ist die Verwendung von Gruppeninformationen zur Erstellung von Prognosen zu betrachten. Der Grund für die besondere Eingriffsintensität liegt in der besonderen, prognostischen Aussageungenauigkeit. Hier wird der Einzelne nicht nur aufgrund von Daten behandelt, die aufgrund ihrer statistischen Grundlage gar nicht auf ihn zutreffen müssen, sondern die darüber hinaus aufgrund ihrer prädiktiven Verwendung nur eingeschränkt verlässlich sind.

___________ 249 Diese Erwägungen entsprechen insoweit denen im Rahmen gleichheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Huster siehe S. 180.

452

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

dd) Wahrung besonderer politischer Interessen In bestimmten Lebens- und Sachbereichen können zusätzliche politische Erwägungen eine besonders strikte Umsetzung des Gedankens der Individualgerechtigkeit rechtfertigen.250 Als Beispiel für eine solche Konstellation können die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG betrachtet werden. Hier werden aufgrund von historischen Erfahrungen letztlich aus innenpolitischen Erwägungen heraus bestimmte Merkmale einem besonderen Diskriminierungsschutz unterstellt. Als ein anderes Beispiel für eine besonders strikte Umsetzung des Gedankens der Individualgerechtigkeit kann der Gesichtspunkt der Chancengleichheit in bestimmten Lebens- und Sachbereichen betrachtet werden. Anknüpfungspunkt dafür ist der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, der in Verbindung mit besonderen Gewährleistungen Grundlage für die Begründung verschiedener Ansprüche auf Chancengleichheit ist. Dabei erfährt der allgemeine Gleichheitssatz durch speziellere Freiheitsverbürgungen verstärkende Wirkung.251 Verfassungsrechtliche Anerkennung gefunden hat vor diesem Hintergrund die Chancengleichheit im Bereich des Wahlrechts,252 des Prüfungsrechts,253 des Rechtsschutzes254 und bei der Einrichtung und Führung von Privatschulen.255

ee) Schutz entgegenstehender Rechte und Interessen In jeder der einzelnen Konstellationen sind die geschützten Rechtsgewährleistungen mit entgegenstehenden Rechten und Interessen abzuwägen. Unterschieden werden kann zwischen entgegenstehenden (Individual-) Rechten und (politischen) Interessen. Diese können im Rahmen genereller Einschränkungen der Rechtsgewährleistungen oder im Rahmen von Ausnahmeregelungen Berücksichtigung finden. Die Erwägungen der gesetzgeberischen Praktikabilitätsinteressen stehen generell dem Gedanken der Individualgerechtigkeit entgegen. Einzelinteressen in Teilbereichen – etwa bei der Gefährdung Dritter – sind hingegen im Rahmen von Ausnahmeregelungen zu berücksichtigen.

___________ 250 BVerfGE 6, 84 (91) – Bundeswahlgesetz; 25, 269 (292 ff.) – Verlängerung von strafrechtlichen Verjährungsfristen. 251 Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 64. 252 Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 GG. Siehe BVerfGE 6, 84 (91). 253 Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 12 Abs. 1, 2 GG. Siehe BVerfGE 37, 342 (352 ff.) – Juristenausbildung; 41, 251 (261) – zweiter Bildungsweg; 79, 212 (218) – Juristenausbildung II; 84, 34 (52) – Staatsexamen. 254 BVerfGE 81, 347 (356 f.). Sachs-Osterloh, Art. 3 GG, Rdnr. 204 ff. m.w.N. 255 Für das Recht der Privatschulen: Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 4 GG. Siehe BVerwGE 23, 347 (350).

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

453

b) Konkurrenzen Grundrechtskonkurrenzen bestehen im Hinblick auf das Recht auf Achtung der Individualität insbesondere zu grundrechtlichen Gewährleistungsaspekten, die dem Entfaltungsschutz dienen.256 Integritätsschutz und Entfaltungsschutz sind als voneinander unabhängige Rechtsgüter zu behandeln und kumulativ in der Rechtsgüterabwägung zu berücksichtigen.257 Diese Grundrechtskonkurrenzen zwischen integritäts- und entfaltungsrechtlichen Gewährleistungsaspekten ist durchaus geläufig: Wenn staatliche Stellen Bewerbungsunterlagen abfangen, sind die Gewährleistungen aus Art. 12 (Entfaltung) und Art. 10 (Integrität) beeinträchtigt. Wenn eine Prozession verboten wird, sind die Gewährleistungen aus Art. 4 (Integrität) und Art. 8 GG (Entfaltung) beeinträchtigt.

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Ein Teil der Charakteristika genetischer Daten und Proben, die im Kapitel 1 angesprochen worden sind, wurde im Rahmen des Rechts auf Achtung der Individualität keine rechtliche Relevanz beigemessen. Einige dieser Charakteristika, wie z.B. der Datenbankcharakter genetischer Proben und die mögliche familiäre Drittbezug genetischer Daten, sind (nur) im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu diskutieren.

I. Schutzbereich, Rechtscharakter und rechtssystematische Einordnung 1. Schutzrichtung Der verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).258 Die nun folgende Beschreibung der Schutzrichtungen dient dazu, seinen Schutzbereich gegenüber dem („neuen“) Recht auf Achtung der Individualität und dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung abzugrenzen.

___________ 256

Siehe dazu bereits oben, S. 411 ff. Siehe dazu S. 395 ff. 258 BVerfGE 65, 1 ff. 257

454

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

a) Schutz vor Diskriminierungspotenzialen Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stellt sich als eine vorgezogene Schutzmöglichkeit des Einzelnen auf der Ebene der Fremdwahrnehmung dar:259 Dadurch, dass dem Einzelnen die rechtliche Möglichkeit gegeben wird, die Erhebung und Verwendung von ihn betreffenden personenbezogenen Daten zu steuern, kann er in einem gewissen Maße Einfluss auf die Bewertung seiner eigenen Person durch Dritte nehmen (auf der Ebene der Fremdbewertung). Damit kann er im Vorfeld möglichen Bewertungen vorbeugen, die auf rechtlicher Ebene – angesichts der Gewährleistung des Rechts auf Achtung der Individualität – ohnehin unzulässig sind. Für diese funktionelle Charakterisierung lassen sich auch Anhaltspunkte in dem Volkszählungsurteil des BVerfG finden. In diesem Urteil führt das BVerfG zur Begründung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und zur Veranschaulichung seiner Notwendigkeit in einem freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen aus: „Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen könne, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten.“260 Das Gericht stellt damit nicht auf unmittelbare, konkrete Eingriffe in die Handlungsfreiheit des Einzelnen ab, etwa Teilnahmeverbote oder Sanktionen aufgrund der Teilnahme. Wesentlich für die persönlichkeitsrechtliche Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist vielmehr die Tatsache, dass der Einzelne sich nicht sicher sein kann, ob er möglicherweise Eingriffen ausgesetzt sein wird oder nicht. Vermieden werden soll also die Entstehung eines Gefahrenpotenzials für mögliche Eingriffe.

Insofern lässt sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als (dem Diskriminierungsschutz vorgelagerte) Gewährleistung zur Vermeidung von Diskriminierungspotenzialen verstehen, während das Recht auf Achtung der Individualität bestimmten Diskriminierungsformen unmittelbar entgegenwirkt. Wenn eine Stellenbewerberin befürchtet, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft diskriminiert werden könnte, stehen ihr zwei Möglichkeiten offen: Zum einen kann sie auf den rechtlichen Schutz durch Diskriminierungsverbote vertrauen: Sie könnte dann dem Arbeitgeber die Tatsache ihrer Schwangerschaft mitteilen und für den Fall, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft abgelehnt wird, darauf vertrauen, dass sie (auf gerichtlichem Wege) letztlich vor einer solchen Diskriminierung geschützt wird. Zum Zweiten könnte sie aber auch versuchen, das mit der Schwangerschaft verbundene Diskriminierungspotenzial von vornherein zu vermeiden. Sie könnte sich dementsprechend dazu entschließen, die Tatsache ihrer Schwangerschaft für sich zu behalten, und damit – gewissermaßen vorbeugend – eine sich darauf gründende Ungleichbehandlungen ausschließen.

___________ 259 260

Vgl. dazu Simitis-Dammann, BDSG, § 13, Rdnr. 33; § 3 Abs. 3, Rdnr. 263 ff. BVerfGE 65, 1 (43).

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

455

b) Schutz der Möglichkeiten zur Selbstdarstellung Ein weiterer Schutzaspekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung liegt in dem Schutz der freien Selbstdarstellung. Die (nach außen gerichtete) Selbstdarstellung ist dabei einerseits abzugrenzen von der (reflexiven) Selbstwahrnehmung und andererseits von der (von Dritten vorgenommenen) Fremdbewertung.261

2. Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung Der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wurde in dem Volkszählungsurteil des BVerfG festgelegt: Danach umfasst das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.262 Weiter führt es dazu aus: „Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist damit vom Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“263 Unter Zugrundelegung der in dieser Arbeit verwendeten Begriffe lässt sich der Schutzbereich damit im Einzelnen wie folgt definieren:

a) Personenbezogene Daten Sachlich ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auf personenbezogene Daten begrenzt. Innerhalb dieser Gruppe lassen sich auf Grundlage der in der Einleitung vorgenommenen Kategorisierung folgende Datenarten unterscheiden: ___________ 261

Eingehender dazu S. 380 ff. BVerfGE 65, 1 (42) m.w.N. auf vorangegangene Entscheidungen: BVerfGE 27, 1 (6) – Mikrozensus; 27, 344 (350 f.) – Scheidungsakten; 32, 373 (379) – Scheidungsakten; 32, 373 (379) – Arztkartei; 35, 202 (220 ff.) – Lebach; 44, 353 (372 f.) – Suchtkrankenberatungsstelle; 56, 37, (41 ff.) – Selbstbezichtigung; 63, 131 (142 f.) – Gegendarstellung. Auch bereits BVerfGE 34, 238 (245) – Tonband; 54, 148 (153 ff.) – Eppler. Später auch BVerfGE 80, 367 (373) – Tagebücher. 263 BVerfGE 65, 1 (43). 262

456

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Eine Verletzung der Privatsphäre durch Informationen setzt grundsätzlich264 die Individualisierbarkeit der Aussageinhalte voraus.265 So werden in den datenschutzrechtlichen Regelungen vom Begriff der personenbezogenen Daten zunächst einmal nur Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer natürlichen Person erfasst (etwa in § 3 Abs. 1 BDSG).266 Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfasst damit die Erhebung und Verarbeitung sämtlicher Informationen mit Individualbezug: Informationen über Manifestationen, Eigenschaftsindikatoren und Identifikationsmuster. Im Unterschied zum Recht auf Achtung der Individualität bemisst sich die Schutzintensität des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht nach dem Grad der Aussageungenauigkeit der verwendeten Informationen. So stellt die Erhebung und Weitergabe von Informationen über bereits manifeste Eigenschaften des Einzelnen dürfte einen wesentlichen Anwendungsfall des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar. Darüber hinaus erfasst das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch Informationen über Eigenschaftsindikatoren. Diese Fallgruppe hat erhebliche praktische Relevanz. Um nämlich den Einzelnen einer statistischen Bezugsgruppe zuordnen zu können, ist die Feststellung eines statistischen Bezugsmerkmals als Individualinformation über den Einzelnen erforderlich. Sofern diese Feststellung der Gruppenzugehörigkeit gegen den Willen der betreffenden Person durchgeführt wird, liegt ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen vor. In diesem Fall wird dem Einzelnen die Möglichkeit einer kontrollierten Selbstdarstellung genommen. Damit lässt sich hier von einer für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung typischen Ausforschung sprechen. Gerade in diesen Zusammenhang lässt sich auch der Ausspruch des BVerfG verstehen, wonach es unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung kein belangloses Datum gebe.267 Denn jedes beliebige, für sich genommen vielleicht wenig aussagekräftige Merkmal kann als (statistischer) Indikator für eine bestimmte Eigenschaft verwendet werden. Um eine derartige Zuordnung zu verhindern, gibt das Grundgesetz dem Einzelnen das grundsätzliche Recht, bereits die Erhebung von derartigen Individualinformationen zu steuern. ___________ 264 265

Zu Ausnahmen siehe unten, S. 458. Siehe dazu Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), BT-Drs. 6/3826,

S. 54. 266 Siehe auch Gola/Schomerus, BDSG, § 3, Rdnr. 3; Simitis-Dammann, BDSG, § 3, Rdnr. 9 ff. 267 BVerfGE 65, 1 (45): „Dadurch [aufgrund der der Informationstechnologie eigenen Verarbeitungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten] kann ein für sich gesehen belangloses Datum einen neuen Stellenwert bekommen. Insoweit gibt es unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ‚belangloses‘ Datum mehr.“

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

457

In den 80er Jahren hätte die Angabe, arabischer Herkunft zu sein und Maschinenbau zu studieren, wohl eher als unverfänglich gegolten. In der Folge der Terroranschläge von 2001 gewannen derartige Daten jedoch eine besondere Brisanz und wurden als Kriterien im Rahmen der Rasterfahndung verwendet.268

Als eine besondere Form der Individualinformation sind Informationen über Identifikationskennzeichen oder -muster zu begreifen. Auch sie sind vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfasst.269 Ein prominentes Beispiel für ein solches Identifikationsmuster ist der so genannte „genetische Fingerabdruck“. Genetische Identifikationsmuster haben grundsätzlich für sich genommen keinen Aussageinhalt, da sie lediglich aus Abschnitten im nichtkodierten Bereich gewonnen werden.270 Allerdings bekommen sie ihre besondere Bedeutung durch den Abgleich mit anderen Identifikationsmustern, der es dann wiederum ermöglicht, der untersuchten Person bestimmte (insb. auch strafrechtlich relevante) Handlungen zuzuweisen. Für strafprozessuale Zwecke sind molekulargenetische Untersuchungen für die Feststellung der Abstammung oder den Abgleich mit Tatortspuren gemäß § 81e StPO zulässig.271 Um die Erstellung eines Identifikationsmusters ging es auch in einem vor dem VGH Baden-Württemberg verhandelten Fall. Das Gericht qualifizierte hier die heimliche Vornahme einer DNS-Analyse zur Identifizierung und Überführung eines Mitarbeiters als erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts und hob demzufolge die darauf gegründete Kündigung auf.272 Die besondere Brisanz der Identifizierung von Menschen wird derzeit auch im Rahmen der gesellschaftlichen Aufarbeitung der Zeit der Militärdiktatur in Argentinien deutlich. Anhand von genetischen Identifikationsmustern sollen Menschen als Kinder von verschleppten Eltern identifiziert werden. Die Organisation der „Großmütter der Plaza de Mayo“ unterhält in Buenos Aires eine Gendatenbank, mit deren Hilfe sie versucht, die Identität von etwa 500 Kindern von Verschwundenen zu ermitteln, die ihren Müttern weggenommen und meist Familien von Angehörigen der Streitkräfte zur Adoption übergeben wurden. Schwangere Gefangene waren in geheimen Folterzentren und Krankenhäusern festgehalten worden und wurden meist erst nach der Geburt umgebracht und gelten seitdem als verschollen. Inzwischen ist das Schicksal von etwa 75 Kindern mit Hilfe von Genanalysen geklärt worden.273 Das gesellschaftliche Interesse an

___________ 268

Siehe bereits oben, S. 79. Simitis-Dammann, BDSG, § 3, Rdnr. 10. Vgl. auch Stumper, Informationelle Selbstbestimmung, S. 118. 270 Vgl. S. 104. 271 Zum Erfordernis der richterlichen Anordnung und dem Problem seiner praktischen Umsetzung: Hipp, Der Spiegel 2/2001, S. 54 ff. 272 VGH Bad-Württ., DÖV 2001, 474 ff. 273 O.V., FAZ 2.10.2003, Nr. 229, S. 10; auch Luyken, Die Zeit 25.09.2003, Nr. 40, S. 20. 269

458

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

der Aufklärung von Verbrechen in der Zeit der Militärdiktatur kann hier dem Interesse des Einzelnen an der Wahrung der familiären Integrität entgegenstehen.274

Selbstverständlich stellen „genetische Fingerabdrücke“ nicht die einzige Möglichkeit dar, Identifikationsmuster zu erstellen. Eine traditionelle Möglichkeit der Identifizierung ist der Vergleich von daktylischen Fingerabdrücken (welche weiterhin mit größerer Sicherheit den Täter feststellen können als der „genetische Fingerabdruck“, da der daktylische Fingerabdruck bei jedem einzelnen Menschen tatsächlich einzigartig ist).275 Eine andere Möglichkeit stellt etwa der Vergleich von Blutgruppen dar.276 Darüber hinaus erfasst das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aber in besonderen Fällen auch nicht aktualisierte Gruppeninformationen.277 Hier kann etwa die Verarbeitung nicht aktualisierter Gruppeninformationen – insbesondere bei einem leicht herstellbaren Individualbezug – datenschutzrechtlich problematisch sein, wenn sie etwa schwer diffamierend sind.278 Dementsprechend wird das Kriterium der „Einzelangabe“ in der Definition des Begriffs der personenbezogenen Daten im Datenschutzrecht weit ausgelegt.279 So können rein statistische Informationen, wie z.B. „80% der Bewohner der XY-Straße sind gewaltbereit.“, schwer diffamierend sein, auch wenn sie nicht auf konkrete Einzelpersonen bezogen werden können.

b) Unerwünschte Datenerhebung und -verarbeitung Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erfasst sämtliche Formen der Datenerhebung und -verarbeitung. Die Begriffsbestimmungen für die Begriffe der Datenerhebung und Datenverwendung lassen sich den datenschutzrechtlichen Regelungen entnehmen.280 Danach ist unter Datenerhebung das Be___________ 274

Zu diesem Fall siehe auch S. 522. Hofmann, Genomanalyse, S. 12. 276 BGHSt 39, 49 ff. 277 Zum Begriff der Aktualisierung siehe oben, S. 61. 278 Siehe auch Steinmüller u.a., Gutachten „Datenschutz“ (1971), BT-Drs. 6/3826, S. 55. 279 Gola/Schomerus, BDSG, § 3, Rdnr. 3: „Wird jedoch eine Einzelperson als Mitglied einer Personengruppe gekennzeichnet, über die bestimmte Angaben gemacht werden, so handelt es sich um Einzelangaben zu dieser Person, wenn die Daten auf die Einzelperson ‚durchschlagen‘. Dies gilt selbst dann, wenn es sich bei den Angaben zur Beschreibung der Personengruppe um statistische oder auf Durchschnittswerten beruhende Angaben handelt.“ – Einschränkender wohl Simitis-Dammann, BDSG, § 3, Rdnr. 15 f. 280 Zu den begrifflichen Abgrenzungen im Einzelnen: Gola/Schomerus, BDSG, § 3, Rdnr. 23 ff.; Simitis-Dammann, BDSG, § 3, Rdnr. 106. 275

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

459

schaffen von Daten zu verstehen (§ 3 Abs. 4 BDSG). Die Datenverarbeitung erfasst nach § 3 Abs. 5 BDSG das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen von Daten. Abzugrenzen ist der Begriff der Datenverarbeitung von der Datennutzung, welche jede Datenverwendung außer der Datenverarbeitung bezeichnet (§ 3 Abs. 6 BDSG). Nach den datenschutzrechtlichen Regelungen und der allgemein anerkannten Begriffsverwendung ist die Datennutzung vom Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfasst.281 Abweichend von dieser herkömmlichen Begriffsverwendung wird der Begriff der Datennutzung nach der hier vorgenommenen rechtssystematischen Einordnung jedoch im Sinne von Bewertung und Behandlung von Menschen verwendet, welche der Begriff der Datennutzung im Sinne des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gerade nicht erfassen soll.282 Die begriffliche Abweichung erscheint für die Zwecke dieser Arbeit gerechtfertigt: Sie soll dazu beitragen, verschiedene Gewährleistungsbereiche und grundrechtliche Schutzbedürfnisse voneinander abzugrenzen.283 Bezeichnenderweise wird in den Kommentierungen zum Begriff der Datennutzung auch nicht der Fall diskriminierenden Behandlung und Bewertung von Menschen erörtert. Vielmehr wird der Begriff nur als Auffangtatbestand für Fälle verstanden, die sich nicht unter dem relativ klar definierten Begriff der Datenverarbeitung fassen lassen.284 Die Datennutzung in dem Sinne, wie er dieser Arbeit zugrunde gelegt ist, ist beispielsweise Gegenstand des Rechts auf Achtung der Individualität, indem es die Bewertung und Behandlung aufgrund bestimmter Daten nur unter Wahrung bestimmter rechtlicher Anforderungen zulässt. Ebenso stellen danach Diskriminierungsverbote Regelungen der Datennutzung dar. Wie sich schon der Definition des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung entnehmen lässt, schließt die freiwillige Einwilligung in die Datenerhebung und -verarbeitung einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus.285 Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Durchführung von genetischen Untersuchungen.286 ___________ 281 Siehe dazu nur die gesetzliche Regelung des § 3 BDSG, Gola/Schomerus, BDSG, § 3, Rdnr. 41 f.; Simitis-Dammann, BDSG, § 3, Rdnr. 194 ff. 282 Zur hier zugrunde gelegten Begriffsbestimmung auch S. 251 und 253. 283 Siehe dazu insbesondere S. 383 ff. und S. 461 ff. 284 Siehe dazu etwa Simitis-Dammann, BDSG, § 3, Rdnr. 201; Gola/Schomerus, BDSG, § 3, Rdnr. 42. 285 In diesem Zusammenhang wird auch davon gesprochen, dass der soziale Geltungsanspruch, den Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG schützt, vom Rechtsträger selbst definiert ist. Dazu BVerfGE 54, 148 (156) – Eppler; 54, 208 (217) – Böll; 63, 131 (142) – Gegendarstellung. – Dazu Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 21 ff. 286 Hofmann, Genomanalyse, S. 36 ff.; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 133 f.

460

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann dort keinen wirksamen Schutz vor an sich unzulässiger Datenerhebung bieten, wo die personenbezogenen Daten unmittelbar wahrnehmbar sind.287 Ob das statistische Bezugskriterium jedoch ein äußeres oder ein innerkörperliches Merkmal ist, ist dabei grundsätzlich nicht entscheidend. Die Hautfarbe ist nach der in der Einleitung vorgenommenen Definition als endogenes Merkmal zu bezeichnen, jedoch leicht wahrnehmbar. Demgegenüber dürfte Alkoholmissbrauch als ein exogener Eigenschaftsindikator zu bewerten sein, der in vielen Fällen nicht äußerlich wahrnehmbar sein dürfte.

Die geringere Schutzintensität von äußerlich wahrnehmbaren Kriterien ergibt sich dabei jedoch nicht aus der geringeren Schutzwürdigkeit, bzw. der geringeren Wertigkeit der damit verbundenen Rechte. Vielmehr beruht sie auf einer faktischen Begrenzung: Dort, wo Daten problemlos und vom Einzelnen unbemerkt erhoben werden können, ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schwerer zu gewährleisten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es in diesen Fällen nicht besteht. Zudem wirkt sich die unmittelbare Wahrnehmbarkeit von Daten faktisch nur auf den Schutz vor ungewollter Datenerhebung durch Augenschein aus. Im Hinblick auf andere Formen der Datenerhebung (z.B. schriftlich) oder die Datenverarbeitung unterliegen äußerlich wahrnehmbare Individualinformationen auch effektiv weitgehend demselben Schutz wie nicht wahrnehmbare Informationen. Zudem besteht ein Schutz über das Recht auf Achtung der Individualität. Die Hautfarbe eines Menschen ist äußerlich wahrnehmbar. Allerdings dürfte ein Ausländer, der einen deutschen Namen hat oder annimmt, häufig im Schriftverkehr nicht als Ausländer auffallen. Sofern jedoch die Hautfarbe der betreffenden Person unmittelbar wahrgenommen wird, wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – zur Vermeidung von Diskriminierungspotenzialen – kaum effektiv zu gewährleisten sein. Hier ist ein Diskriminierungsschutz über das Recht auf Achtung der Individualität oder das Verbot der Rassendiskriminierung sicherzustellen. Jedoch bedarf die EDV-mäßige Erfassung der Hautfarbe eines Menschen genauso einer Ermächtigungsgrundlage wie die von äußerlich nicht wahrnehmbaren Informationen.

Allerdings ist der Einzelne auch im Hinblick auf wahrnehmbare Individualinformationen nicht völlig schutzlos gestellt. Denn staatliche Stellen werden Informationen häufig nur dann effektiv nutzen können, wenn sie sie in die Datenverarbeitung aufnehmen. Sofern die Nutzung bestimmter Daten nicht zulässig ist und sie daher nicht gespeichert werden dürfen, dürften sie verwaltungstechnisch weitgehend nutzlos sein. Insofern ergibt sich ein Unterschied zum Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung, bei dem hinsichtlich wahrnehmbarer Informationen nahezu kein Schutz gewährt werden kann.288 ___________ 287 288

Siehe dazu auch S. 126 f. Siehe dazu S. 493 ff.

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

461

3. Rechtscharakter und rechtssystematische Einordnung Für den Rechtscharakter und die rechtssystematische Einordnung ergeben sich aus dem vorangehend Gesagten folgende Konsequenzen:

a) Rechtscharakter: Integritäts- und Entfaltungsschutz Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung enthält sowohl integritätsals auch entfaltungsrechtliche Gewährleistungsaspekte.289 Insofern nimmt es eine Zwischenstellung ein: Zum einen dient es dem Integritätsschutz, indem es den Einzelnen vor Ausforschung schützt. Zum anderen lässt es sich aber auch als eine Gewährleistung begreifen, die dem Entfaltungsschutz dient, indem sie dem Einzelnen die Möglichkeit gibt, frei darüber zu bestimmen, ob er persönliche Informationen an Dritte weitergeben möchte.

b) Rechtssystematische Einordnung Auf Grundlage der vorgenommenen Begriffsbestimmungen ergibt sich folgende rechtssystematische Einordnung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

aa) Abgrenzung zum Recht auf Achtung der Individualität und zu Diskriminierungsverboten Das Recht auf Achtung der Individualität und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind unabhängig voneinander zu betrachten: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gibt dem Einzelnen die Möglichkeit zur Vermeidung von Diskriminierungspotenzialen, das Recht auf Achtung der Individualität hingegen richtet sich gegen tatsächlich vorgenommene Diskriminierungen, also die Verwirklichung von Diskriminierungspotenzialen. Entsprechendes gilt im Verhältnis zu Diskriminierungsverboten: Sie verbieten die effektive Nutzung von Informationen über verbotene Merkmale. Insofern hat das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine andere Schutzrichtung als das Recht auf Achtung der Individualität, welches unabhängig von der Art und Weise der Datenerhebung den Einzelnen davor schützt, aufgrund von statistischen Daten als zahlenmäßig erfassbare Person behandelt zu werden. Bei dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem ___________ 289

Zur Multifunktionalität von Grundrechten siehe oben, S. 396.

462

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Recht auf Achtung der Individualität handelt es sich also um zwei selbstständige Grundrechtsgewährleistungen. Daraus ergibt sich: Nicht jede Verletzung des Rechts auf Achtung der Individualität muss mit einer Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einhergehen. Der zusätzliche Schutzaspekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird bei einem Vergleich von Diskriminierungen aufgrund von bestimmten Merkmalen (etwa aufgrund genetischer Veranlagungen) deutlich: Wenn Informationen genutzt werden, die bereits bekannt waren, ist lediglich das Recht auf Achtung der Individualität beeinträchtigt. Sofern die genutzten Informationen jedoch erst (gegen den Willen des Betroffenen) erhoben werden müssen, ist zusätzlich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen.

bb) Abgrenzung zum Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung Der Schutzaspekt der Selbstdarstellung unterscheidet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung von dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung: Die Selbstdarstellung ist an Dritte gerichtet, die Selbstwahrnehmung ist aus Sicht des Grundrechtsberechtigten selbstreflexiv.290 Teilweise wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Unterfall des Rechts auf Kenntnis und Unkenntnis der eigenen genetischen Konstitution behandelt.291 Begründet wird dieser Ansatz damit, dass das Recht auf Kenntnis und Unkenntnis der eigenen genetischen Konstitution weiter sei, als dass es nicht nur Daten erfasse, die Dritten bereits bekannt seien.292 Eine solche gemeinsame Behandlung des Schutzes der freien Selbstwahrnehmung und -darstellung würde sich jedoch nur dann anbieten, wenn sie die gleiche Gefährdungslage aufwiesen und demzufolge die gleichen rechtlichen Schutzmechanismen benötigten. Dies ist jedoch im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht der Fall.293 Die beiden Rechtsgewährleistungen sind somit als eigenständig zu behandeln.

___________ 290

Siehe bereits oben, S. 455. Schmidt, Genomanalyse, S. 121: Das Recht auf Nichtwissen stelle „kein aliud“ gegenüber dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. 292 Schmidt, Genomanalyse, S. 121. 293 Siehe dazu unten, S. 511 ff. 291

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

463

cc) Abgrenzung zur Meinungsfreiheit Nach der (umstrittenen)294 Rechtsprechung des BVerfG umfasst das Recht auf Meinungsfreiheit nicht die Äußerung von bewusst unwahren Tatsachen.295 Legt man diese Ansicht der Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG zugrunde, geht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in dieser Hinsicht über den von der Meinungsfreiheit gewährten Schutz hinaus: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst hinsichtlich persönlicher Sachverhalte in bestimmten Fällen eben gerade auch das Recht zur Lüge.296 Im Strafprozessrecht findet dieser Aspekt in dem Recht, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen, seinen Ausdruck.297 In arbeitsrechtlichen Einstellungsgesprächen wird schwangeren Frauen hinsichtlich der unzulässigen Frage nach der Schwangerschaft ein Recht zur Lüge eingeräumt.298

dd) Abgrenzung zum Recht auf körperliche Unversehrtheit Bei bestimmten Arten der Datenerhebung (etwa bei der Entnahme von Blutproben) steht die Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in Idealkonkurrenz zur Beeinträchtigung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit: Durch eine Handlung werden sowohl die körperliche als auch die „informationelle“ Integrität der jeweiligen Person betroffen. Das eigene Gewicht des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gegenüber dem Recht auf körperliche Unversehrtheit tritt insbesondere dann zutage, wenn die Gewinnung von Datenquellen keinen Eingriff in die Unverletzlichkeit der körperlichen Integrität darstellt, da sie ohne körperlichen Eingriff gewonnen werden können (ausgefallene Haare, Tatortspuren). In diesem Fall ist die Datenerhebung allein als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu kategorisieren.

___________ 294

Siehe dazu etwa Dreier-Schulze-Fielitz, Art. 5 I, II, Rdnr. 63 ff. BVerfGE 54, 208 (219) – Böll; 61, 1 (8). 296 Vgl. Palandt -Heinrichs, § 123, Rdnr. 10. Zur Beantwortung unzulässiger Fragen über genetische Veranlagungen: LG Bielefeld, VersR 2007, 636 ff.; Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 210. – Siehe auch Brossette, Wert der Wahrheit, S. 136 ff. 297 BVerfGE 38, 105 (114); 56, 37 (50) – Selbstbezichtigung. Siehe auch SachsMurswiek, Art. 2 GG, Rdnr. 71 ff., 136a. 298 Gola/Wronka, Handbuch zum Arbeitnehmerdatenschutz, Rdnr. 233: „Recht zur Unwahrheit“; Lieb, Arbeitsrecht, Rdnr. 87, 122 ff.; Paul, Tumorerkrankungen, S. 235; Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 44 f. 295

464

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

II. Besondere Teilgewährleistungsbereiche Zu prüfen ist nun, inwieweit sich innerhalb des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung besondere Teilgewährleistungsbereiche unterscheiden lassen. Eigenständige (originäre) Teilgewährleistungsbereiche liegen dann vor, wenn ihre Beeinträchtigung über den bereits anerkannten verfassungsrechtlichen Schutz hinaus typischerweise eine besondere Schutzwürdigkeit aufweist. Die besondere verfassungsrechtliche Schutzintensität liegt hier in der Konsequenz des Schutzgedankens der jeweiligen Rechtsgewährleistung. Sie stellt nicht bloß einen Schutzreflex dar, der sich aufgrund bestimmter Abwägungskonstellationen ergibt.

1. Erhebung und Verarbeitung von natürlichen Datenbanken und Daten mit vielfältiger Auswertungsmöglichkeit Im Hinblick auf die Erhebung und Verarbeitung von Informationen mit vielfältiger Auswertungsmöglichkeit lässt sich ein besonderer Teilgewährleistungsbereich mit besonderen formellen und materiellen Anforderungen abgrenzen.299 Im Unterschied etwa zu der Erhebung von Daten zu prädiktiven Zwecken300 lässt sich dieses besondere Schutzniveau unmittelbar aus dem Schutzzweck des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ableiten und ergibt sich nicht lediglich als Reflex im Rahmen der Abwägung auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.

a) Konkretisierungsanlass Das Problem der vielfältigen Auswertungsmöglichkeit wurde insbesondere durch Nutzungsmöglichkeiten genetischer Daten und Proben offenkundig: Das Genmaterial kann als natürliche Datenbank genutzt werden. Mit der Feststellung eines Gens kann aufgrund der Multifunktionalität der Gene eine Vielzahl von Informationen über die untersuchte Person erhoben werden. Genetische Daten ermöglichen nicht nur Aussagen über die untersuchte Person, sondern ggf. auch über deren Verwandten.

___________ 299

Garstka, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 83 (83 f.); Steinmüller, DuD 1993, 6 (8); Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 20: „Gewebeproben [sind] vielfältig genetische analysierbar“; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 119. 300 Siehe dazu unten, S. 482.

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

465

b) Konkretisierungsgrund Grundlage für die persönlichkeitsrechtliche Konkretisierung bei der Erhebung und Verarbeitung von Informationen mit vielfältiger Auswertungsmöglichkeit ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.

aa) Abgegrenzter Gewährleistungsbereich Zur Abgrenzung des Gewährleistungsbereichs bieten sich folgende Kriterien an:

aaa) Datenbanken und Daten mit vielfältiger Auswertungsmöglichkeit Die Besonderheit der Verwendung von Datenbanken und Daten mit vielfältiger Auswertungsmöglichkeit liegt im Bereich der Datenentstehung. Der entsprechende Teilgewährleistungsbereich lässt sich an drei Bezugspunkten festmachen: Zunächst ist von dieser Teilbereichsgewährleistung die Entnahme und Verwahrung von Gewebeproben erfasst, welche insbesondere aufgrund des Datenbankcharakters von Genproben vielfältige Nutzungsmöglichkeiten ermöglicht.301 Sofern solche Gewebeproben in einer Datenbank zusammengeführt werden, hat sich der Begriff Biobank eingebürgert.302 Mit dem Begriff Bioban___________ 301

Besondere Berücksichtigung finden Gewebeproben etwa im Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung (Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 2 des Gesetzes). Vgl. auch Art. 14 der europäischen Richtlinie 2004/23/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Spende, Beschaffung Testung, Verarbeitung, Konservierung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Gewebe und Zellen; dazu auch Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Gutachtliche Stellungnahme (2003). – Zur besonderen Qualität von Gewebeproben auch: Bernat, JRE, 10 (2002), S. 183 (195); Garstka, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 83 (83 f.); Grand/Atia-Off, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1317 ff. – Zum Umgang mit genetischen Proben im Rahmen des „Human Genom Project“: Beljin/Fenger, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 699 ff. – Zu der Besonderheit als natürliche Datenbank siehe auch S. 85 ff. 302 So die Bezeichnung der Datenbanken für Genproben in Großbritannien (BiobankUK); TAB, BT-Drs. 16/5374; Nationaler Ethikrat, Stellungnahme Biobanken (2004); Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (131, 132, 135). – Im Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung wird hingegen als Oberbegriff für Datenbanken für Gewebe und DNS-Beschreibungen der Begriff „Genbank“ verwendet (§ 2 Nr. 10 des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung); im isländischen Recht wird die Datenbank als „Datenbank für den Gesundheitsbereich“ (health sector database) bezeichnet. Gebräuchlich sind aber auch die Begriffe „Blut- und Gewebeprobenbank“ (Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (131)) oder „Biomaterialbank“ (Simon/Paslack u.a., Biomaterialban-

466

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

ken sind Einrichtungen zur Speicherung von Materialien gemeint, die dem menschlichen Körper entnommen wurden. In Biobanken können sowohl Körpersubstanzen (z. B. Blut und Sperma) und Gewebeteile (z. B. fetales Gewebe und aus Nabelschnurblut gewonnene Stammzellen) als auch genetische Daten gespeichert sein.303 Auf Island304, in Estland305 und auf Tonga306 sind Biobanken auf spezialgesetzlicher Basis gegründet worden, in denen zu Forschungszwecken Genproben der Bevölkerung des betreffenden Landes gesammelt werden. Weitere Biobanken sind in Deutschland (z.B. die „luric“-Datenbank im Herzzentrum Ludwigshafen307 und POPGEN in SchleswigHolstein308), in Italien (Sardinien),309 in Großbritannien (BiobankUK)310, Lettland (Unified Genome Database of the Latvian Population)311, Schweden312, Dänemark313, Norwegen314 und Kanada315 bereits errichtet oder im Aufbau.316

___________ ken). – Sammlungen von genetischen Identifikationsmustern werden im Rahmen dieser Arbeit demgegenüber als Gendatenbanken bezeichnet. 303 Nationaler Ethikrat, Stellungnahme Biobanken (2004), S. 11 ff.; Engels, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 2; Schneider, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 31. – Allgemein auch Lindpaintner, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 39 ff. 304 Art. 4 ff. des isländischen Gesundheitsdatenbankgesetzes. – Siehe auch oben, S. 98. 305 §§ 3 ff. des estnischen Humangenforschungsgesetzes. Ausführlich: Redecker/Reimer, JOR 2001, 361 ff.; Sootak, in: FS Schreiber, S. 869 ff. – Auch die Einrichtung dieser Datenbank fand beachtliche Aufmerksamkeit in der deutschen Öffentlichkeit: Albrecht/Krumm, Der Spiegel 38/2000, S. 184 ff.; Feyerabend, GID Nr. 167 (2004/2005), S. 3 (4); Löhr, TAZ 3.11.2000, S. 17; Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (132); Schroeder/Williams, EthikMed 2002, 84 (86); Schümer, FAZ 17.11.2000, Nr. 268, S. 47; Weber, SZ-Magazin 23.11.01, Nr. 47, S. 17 ff. 306 Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (132); Schroeder/Williams, EthikMed 2002, 84 (86). 307 „luric“ steht für „Ludwigshafen Risc and Cardiovascular Health Study“. Die in dieser Datenbank eingefrorenen Blut- und Zellproben werden der Firma Aventis zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt. – Siehe dazu Feyerabend, GID Nr. 167 (2004/2005), S. 3 (6); Flöhl, FAZ 10.01.2001, Nr. 8, S. N1 f.; Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (135), Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 150. 308 Nationaler Ethikrat, Stellungnahme Biobanken (2004), S. 27. 309 Koenig, Science 2001, vol. 291, 2074 f. 310 Informationen dazu im Internet: www.ukbiobank.ac.uk. Dazu auch Feyerabend, GID Nr. 167 (2004/2005), S. 3 (4); Meade, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 13 ff.; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 14 m.w.N.; Schroeder/Williams, EthikMed 2002, 84 (86). 311 Siehe dazu forum.europa.eu/int/irc/rtd/cogene/info/data/pub/Latvian Genome Project.htm. Auch www.biomed.lu.lv/gene (Seite im Aufbau). 312 Wagenmann, GID Nr. 140 (2000), S. 13 (14) m.w.N.

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

467

Beim US-amerikanischen Militär werden seit dem Ende des ersten Golfkrieges 1992 von Militärangehörigen auch ohne deren Zustimmung Gewebeproben entnommen und gesammelt. Gerechtfertigt wird dieses Vorgehen offiziell mit dem Hinweis, dass anhand dieser Proben gefallene Soldaten identifiziert werden können.317 Vermutet wird allerdings, dass die gesammelten Gewebeproben zu Forschungszwecken verwendet werden.318 Andere Gewebebanken dienen der Verwahrung von Nabelschnurblut zu therapeutischen Zwecken. Die Blutstammzellen des Nabelschnurblutes sollen dabei gegebenenfalls als Transplantationsmaterial verwendet werden, welches im Vergleich zum Knochenmark mit geringeren Komplikationsgefahren verbunden sein soll. Bei der Einrichtung einer solchen Nabelschnurdatenbank ist wiederum der Gefahr datenschutzrechtlicher Missbräuche entgegenzuwirken.319

Darüber hinaus kann aber auch die Möglichkeit bestehen, dass anhand eines einzelnen Datums ein ganzes Bündel von Informationen gewonnen wird. Diese Möglichkeit ergibt sich insbesondere dann, wenn Informationen erhoben und verarbeitet werden, aus denen über den eigentlichen Verwendungszweck hinaus Zusatzinformationen gewonnen werden können (Erhebung und Verarbeitung von Primärdaten). Angesichts der Multifunktionalität der Gene erlaubt die Feststellung eines Gens Informationen über eine Vielzahl von Eigenschaften.320 Auch die Feststellung des Geschlechts wird mit einer Vielzahl von Eigenschaften in Verbindung gesetzt (Lebenserwartung, soziale Kompetenz, Konfliktverhalten).

Eine solche Auswertungsmöglichkeit hängt unter anderem auch von der Darstellungsform der Information ab.321 Darstellungsformen mit vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten, also Informationen über Merkmale, die mit einer Vielzahl von Eigenschaften in Verbindung gesetzt werden, werden als Primärdaten bezeichnet.322 Sekundärdaten sind hingegen Daten, die in ihrem Aussagegehalt ___________ 313

Schroeder/Williams, EthikMed 2002, 84 (86). Feyerabend, GID Nr. 167 (2004/2005), S. 3 (5). 315 Geplant wird dieses Project von der britischen Firma Gemini Holdings in den kanadischen Provinzen Neufundland und Labrador: TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (200), BT-Drs. 14/4656, S. 14 m.w.N. 316 Zu Biobank-Projekten allgemein siehe auch Feyerabend, GID Nr. 167 (2004/2005), S. 3 ff. 317 Jeffords/Daschle, Science 2002, vol. 291, S. 1249 (1250); Paul, Tumorerkrankungen, S. 259 f. 318 Dazu Paul, Tumorerkrankungen, S. 260. 319 Dazu Paul, Tumorerkrankungen, S. 260 f. 320 Siehe dazu schon oben, S. 86 ff. 321 Dieser Aspekt gewinnt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Bedeutung. – Siehe unten, S. 475 f. 322 Vgl. auch § 2 Nr. 3 („DNS-Beschreibungen“) und 9 („genetische Daten“) des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 314

468

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

auf eine Feststellung zu einer bestimmten Eigenschaft begrenzt sind und demzufolge nicht oder kaum Zusatzinformationen liefern.323 Die Information einer bestimmten Erkrankungswahrscheinlichkeit dürfte in der Regel eine Sekundärinformation darstellen. Denn ohne die Kenntnis der Grundlage für diese Information, etwa die Feststellung eines bestimmten Gens, sind weitergehende Auswertungen dieses Datums nicht möglich.

Einen Sonderfall der Möglichkeit der Erhebung von Zusatzinformationen stellt insofern die Erhebung und Verarbeitung von Informationen mit Drittbezug dar.324 Allerdings ist zur Herstellung des Drittbezugs die Kenntnis über den Zusammenhang zwischen der untersuchten Person und Dritten erforderlich:325 Im Unterschied zu Zusatzinformationen aufgrund der Multifunktionalität bestimmter Merkmale ergeben sich Informationen mit Drittbezug also nicht zwangsläufig, sondern erst nach der gezielten Kombination mit den Informationen über die Verwandtschaftsverhältnisse oder die Sozialbeziehungen der untersuchten Person. Zu den Informationen mit potentiellem Drittbezug gehören insbesondere genetische Daten, die häufig auch Aussagen über die genetischen Veranlagungen der Verwandten der untersuchten Person erlauben.326 Allerdings können Drittbezüge können auch bei Viruserkrankungen hergestellt werden.327 So erlaubt die Feststellung einer HIVInfektion auch Rückschlüsse auf die Infektionswahrscheinlichkeit bei Intimpartnern der untersuchten Person.328

In Teilen der Literatur finden sich angesichts des Drittbezugs genetischer Daten Bewertungsansätze, wonach genetische Daten von vornherein nicht als Informationen eingestuft werden könnten, über deren Verwendung der Einzelne autonom bestimmen kann, da sie notwendigerweise auch Verwandte und nachfolgende Generationen betreffen.329 Möglicherweise beruht diese Auffassung ___________ 323

Vgl. auch § 2 Nr. 5 („Beschreibung des Gesundheitszustandes“) des Estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung. 324 Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 26 (allerdings beschränkt auf genetische Daten): „Bei genetischen Daten stellt sich in der Tat eine besondere Schwierigkeit auch der datenschutzrechtlichen Dogmatik, wenn genetische Daten Auskunft nicht nur über eine Person, sondern über diverse Personen geben.“ 325 Darauf hinweisend auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 206. 326 Siehe dazu auch S. 88 f. 327 Meyer, Mensch, S. 58 f. – Anders offenbar: Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 26. 328 Meyer, Mensch, S. 58 f. 329 Chadwick, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 1 (6); Gevers, Medicine and Law 1998, 7, S. 161 ff.: genetische Informationen als Familieneigentum; ten Have, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 87 (89); Rodotà, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 3; Schuster, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 35 (39): „These 3: Medizinische Information ist aufgrund der Vererbung immer auch gemeinsame Information, die man mit seinen Familienangehörigen

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

469

auf einem grundsätzlich anderen Verständnis von Grundrechten. Nach der deutschen Rechtsdogmatik kann die Drittbetroffenheit jedoch nur als eine Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen und nicht des Umfangs des Schutzbereichs verstanden werden. Die Konstruktion eines gemeinsamen Rechtsgutes an Daten mit Drittbezug erscheint für die deutsche Rechtsdogmatik als systemfremd und ist insofern abzulehnen.330

bbb) Unerwünschte Datenerhebung und -verarbeitung Wie in allen Fällen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung schließt die Einwilligung eine Beeinträchtigung des Gewährleistungsbereichs aus. Aufgrund der vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten der erhobenen Daten sind – insbesondere im Rahmen von Forschungsprojekten – gegebenenfalls besondere Anforderungen an die informierte Zustimmung zu stellen. In Betracht zu ziehen sind hier insbesondere die Möglichkeiten der Rekontaktierung, der Widerrufsmöglichkeiten und der Zweckbindung.331 Für den Bereich der medizinischen Forschung hat der Grundsatz der freiwilligen Zustimmung vor dem Hintergrund der Menschenversuche unter der nationalsozialistischen Herrschaft in Form des Nürnberger Codex eine spezielle Ausprägung gefunden, welche auch in der Helsinki-Deklaration des Weltärztebundes Ausdruck gefunden hat.332 Für den Sonderfall von Informationen mit Drittbezug stellt der Umstand, dass die untersuchte Person Rückschlüsse auf die Eigenschaftsindikatoren etwa seiner Verwandten (bei genetischen Veranlagungen) oder Personen aus seinem intimen sozialen Umfeld (z.B. bei HIV-Infektionen) ziehen kann, eine faktische Grenze des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung von Dritten dar und lässt sich rechtlich kaum verhindern. Die Frage, inwieweit betroffene Dritte selber von den Untersuchungsergebnissen der unmittelbar untersuchten Person Kenntnis erlangen, stellt sich hingegen als Problem des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung dar. ___________ ‚teilt‘. Recht auf Wissen und Recht auf Nichtwissen muss abgewogen werden und setzt eine Beteiligung aller betroffenen Personen voraus.“; Spann/Liebhardt/Penning, in: Kamps/Laufs, Arzt und Kassenarztrecht im Wandel, S. 27 (33), die den genetischen Befund als „gemeinsames Rechtsgut“ betrachten, welches eine Offenbarungspflicht des Arztes gegenüber den mitbetroffenen Verwandten der untersuchten Person auslöst. 330 Dazu Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 238 ff. (der sich insb. mit der Position von Spann/Liebhardt/Penning, in: Kamps/Laufs, Arzt und Kassenarztrecht im Wandel, S. 27 (33) auseinandersetzt) und Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 250 f. 331 Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (137 f.). 332 Schneider, in: von Armin u.a., S. 130 (136).

470

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

bb) Verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit Der Umstand, dass genetische Daten und Proben vielfältig auswertbar sind, macht jedoch nicht die Konstruktion eines „neuen“, unbenannten Freiheitsrechts erforderlich. Die damit aufgeworfenen Problematiken gebieten zwar möglicherweise eine besonders strenge Handhabung datenschutzrechtlicher Grundsätze und Instrumentarien (Zweckbindungsgebot, datenschutzrechtliche Gewaltenteilung, Löschungsansprüche). Die Auswahl der rechtlichen Mittel zum Schutz vor dem Missbrauch von Informationen mit vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten ist jedoch im Wesentlichen die gleiche wie zum Schutz vor der missbräuchlichen Verwendung personenbezogener Daten. Insofern bietet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein geeignetes rechtliches Instrumentarium. Eine Behandlung genetischer Datenbanken als Unterfall des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erscheint als ausreichend.

cc) Besondere verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit Die besondere verfassungsrechtliche Bewertung rechtfertigt sich über die besondere Beeinträchtigungsintensität: Die Erhebung von vielfältig verwertbaren Daten und Proben wirft in besonderem Maße Probleme im Hinblick auf die anerkannten datenschutzrechtlichen Grundsätze der Datenvermeidung und Datentrennung auf.

aaa) Intensität der Beeinträchtigung So stellen die Speicherung von (Primär-)Daten und insbesondere die Verwahrung genetischer Proben eine besonders schwere Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar, weil sie die Gefahr des Missbrauchs oder auch nur (versehentlich) gewonnener Überschussinformationen in erheblichem Maße erhöhen.333 Eng mit dem Datenbankcharakter verbunden ist wiederum die Möglichkeit, Persönlichkeitsprofile zu erstellen.334 Angesichts des Datenbankcharakters bzw. der möglichen Erhebung von Zusatzinformationen über die untersuchte Person läuft die Verwendung vielfältig auswertbarer

___________ 333

So auch Rademacher, Analysemethoden im Strafrecht, S. 124. Dazu bereits BVerfGE 27, 1 (6) – Mikrozensus; 65, 1 (42, 53) – Volkszählung. Siehe auch BVerfG, EuGRZ 2001, 70 (73). – In der Literatur: Benda, FS Geiger (1974), S. 23 ff. – Zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen insbesondere anhand genetischer Proben siehe unten, S. 478 ff. 334

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

471

Daten und der Gewebeproben in besonderem Maße dem Grundsatz der Datenvermeidung335 zuwider.336 Das besondere Gefährdungspotenzial bei der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen hat das BVerfG – unabhängig von der Nutzbarkeit genetischer Daten – bereits in der Entscheidungen zum Mikrozensus hervorgehoben: „Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren, sei es auch in der Anonymität einer statistischen Erhebung, und ihn damit wie eine Sache zu behandeln, die einer Bestandsaufnahme in jeder Hinsicht zugänglich ist.“337 In der Entscheidung zum Volkszählungsgesetz wird ausgeführt: „[Personenbezogene Daten] können darüber hinaus – vor allem beim Aufbau integrierter Informationssysteme – mit anderen Datensammlungen zu einem teilweise oder weitgehend vollständigen Persönlichkeitsbild zusammengefügt werden, ohne dass der Betroffene dessen Richtigkeit und Verwendung zureichend kontrollieren kann.“338

Das Problem des Drittbezugs von Daten stellt sich als Problem der Datentrennung339 dar: Nur wenn die Untersuchungsergebnisse der betreffenden Person und die Informationen über deren entsprechende familiäre oder soziale Beziehungen nicht hinreichend voneinander getrennt gespeichert werden, besteht die Möglichkeit, Wahrscheinlichkeitsaussagen über Eigenschaftsindikatoren von Dritten zu treffen. Die Nutzung der Untersuchungsergebnisse zur Ermitt___________ 335

Zum Verbot der Datenbevorratung: BVerfGE 65, 1 (46): „Ein Zwang zur Abgabe personenbezogener Daten setzt voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und präzise bestimmt und dass die Angaben für diesen Zweck geeignet und erforderlich sind. Damit wäre die Sammlung nicht anonymisierter Daten auf Vorrat zu unbestimmten Zwecken nicht zu vereinbaren. Auch werden sich Stellen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten sammeln, auf das zum Erreichen des angegebenen Zieles erforderliche Minimum beschränken müssen.“ – Siehe auch Simitis-Dammann, BDSG, § 1, Rdnr. 100, § 13 Rdnr. 26 m.w.N. 336 Zum Datenbankcharakter genetischer Proben siehe auch BVerfG, EuGRZ 2001, 70 (73). Auf diesen Aspekt geht LG Heilbronn, NJW 1990, 784 nicht ein. Insofern erscheint die Behandlung der Problematik im Hinblick auf die Erstellung von DNSIdentifikationsmustern etwas oberflächlich. 337 BVerfGE 27, 1 (6). Darauf erneut Bezug nehmend: BVerfGE 65, 1 (48). 338 BVerfGE 65, 1 (42). 339 Zum Grundsatz der Datentrennung: BVerfGE 65, 1 (46): „Schon angesichts der Gefahren der automatisierten Datenverarbeitung ist ein – amtshilfefester – Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich.“ – Der Grundsatz der Datentrennung wird in zweierlei Hinsicht verstanden: Zum einen im Sinne einer Trennung von Daten zwischen verschiedenen Datenverarbeitungsstellen. Zum anderen im Sinne einer Trennung von anonymisierten und Individualdaten. Zum letzteren Begriffsverständnis: Simitis-Dammann, BDSG, § 15, Rdnr. 75 f.

472

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

lung von Aussagen über Dritte dürfte dabei grundsätzlich nicht der ursprünglichen Zwecksetzung entsprechen. Besondere Problemfelder ergeben sich dementsprechend im Zuge der Einrichtung von Gendaten- und Biobanken, in denen nicht nur Identifikationsmuster, sondern Genproben oder genetische Merkmale aus dem kodierten Bereich gespeichert werden.340 Bei unzureichenden Schutzmaßnahmen wäre es dann bei Kenntnis der Verwandtschaftsverhältnisse möglich, durch den Abgleich mit den Informationen über Verwandte auch ohne eine unmittelbare Untersuchung Informationen über die betreffende Person zu gewinnen.341 Besonders problematisch erscheint insofern insbesondere die isländische Biobank, da sie auch umfassende genealogische Informationen enthält.342

Ein weiterer besonderer Aspekt, der eine besondere, über die Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch Einzelinformationen hinausgehende Eingriffsintensität begründet, ist die fehlende bzw. die derzeit nur noch eingeschränkt bestehende Anonymisierbarkeit natürlicher Datenbanken: Denn in einer natürlichen Datenbank ist eine Vielzahl von Informationen untrennbar zusammen gespeichert.343 In der Kombination dieser einzelnen Informationen können sich Profile ergeben, die für jeden Menschen nahezu einzigartig sind und so eine Identifizierung ermöglichen. Daher ist es möglich, ursprünglich nicht gekennzeichnete Genproben wieder einem Menschen zuzuordnen. Diesen Gesichtspunkt macht man sich – allerdings mit nicht kodierten Abschnitten – bei der Herstellung genetischer Fingerabdrücke zunutze. Damit sind Genproben letztendlich einer echten Anonymisierung entzogen, da durch Vergleichsanalysen theoretisch immer ein Individualbezug wieder hergestellt werden kann. Nur faktisch344 wird eine solche Möglichkeit durch den mit der Beschaffung der Vergleichsproben und der Durchführung der abgleichenden Untersuchungen verbundenen Arbeitsaufwand beschränkt.345 Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist jedenfalls der Grundsatz der Datenbevorratung bzw. -vermeidung zu berücksichtigen:346 In Fällen, in denen mit anonymisierten Daten gearbeitet werden kann, ist die Information über den Individualbezug nicht erforderlich und daher zu vermeiden.347 ___________ 340

Siehe oben S. 465 f. Siehe dazu auch S. 96 ff. 342 Sokol, NJW 2002, 1767 (1768). Siehe auch Nachweise unter Fn. 106 (S. 98). 343 Siehe dazu S. 85 f. 344 Vgl. § 3 Abs. 6 BDSG. 345 So noch Simon/Paslack u.a., Biomaterialbanken, S. 48. 346 Der Grundsatz der Datenvermeidung oder Datensparsamkeit wird aus dem Verbot der Datenbevorratung abgeleitet: Simitis-Dammann, BDSG, Einleitung, Rdnr. 94 ff.; § 3a Rdnr. 57 ff. – Zur Datenbevorratung siehe Nachweise oben, S. 471, Fn. 335. 347 BVerfGE 65, 1 (49 f.). Siehe aber auch § 3a BDSG. 341

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

473

bbb) Indizielle Wirkung einfachgesetzlich hervorgehobener Schutzzonen Wie eben bereits ausgeführt, ergibt sich ein besonderer Schutz beim Umgang mit vielfältig verwertbaren Informationen und Proben aus den Grundsätzen der Datentrennung, der Datenvermeidung und dem Verbot der Datenbevorratung, welche ihren Ausdruck in einfachgesetzlichen Regelungen wie bundes- und landesrechtlichen Datenschutzregelungen oder insbesondere den strafprozessualen Regelungen zum Umgang mit Blutproben und genetischem Probenmaterial finden (§§ 81a, 81e ff. StPO).

c) Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen Das grundsätzliche Verbot der Datenbevorratung und die Grundsätze der Datentrennung und Datenvermeidung sind bereits anerkannt.348 Im Hinblick auf genetische Proben ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit der Erhebung genetischer Fingerabdrücke zur Identifizierung von Straftätern besonders beachtenswert. Danach wird die Erhebung von Identifikationsmustern zu Zwecken der Strafverfolgung verfassungsrechtlich im Ergebnis eher als unbedenklich eingestuft. Während das BVerfG in einer Entscheidung von 1995 allerdings bereichsspezifische Vorschriften zur Aufbewahrung genetischer Proben anscheinend noch nicht für erforderlich hielt,349 gilt es nunmehr als entscheidend für die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit, dass das ermächtigende Gesetz Regelungen zur Vernichtung des Probenmaterials enthält, persönlichkeitsrelevante Merkmale nicht erhoben werden und damit die Erstellung eines Persönlichkeitsprofils nicht möglich ist.350

d) Verfassungsrechtliche Konsequenzen Für die Erhebung und Verarbeitung von Datenbanken und Daten mit vielfältiger Auswertungsmöglichkeit lassen sich folgende verfassungsrechtliche Vorgaben ableiten:

___________ 348

Siehe bereits Nachweise in den Fn. 335, 339, 346 (S. 471 ff.). BVerfG, StV 1995, 618 (620). 350 BVerfG, EuGRZ 2001, 70 (73). 349

474

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

aa) Formelle Anforderungen Die besondere Gewährleistung des Datenschutzes bei vielfältiger Auswertungsmöglichkeit stellt sich als Fallgruppe des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar. Ein Gesetzesvorbehalt für die Erhebung und Verwendung von Daten besteht insofern bereits.351 Ein Richtervorbehalt im Hinblick auf die Entscheidung über die Speicherung von (nicht weiter auswertbaren) Identifikationsmustern wird verfassungsrechtlich nicht für erforderlich gehalten, da ein für diese Maßnahme ausreichender Rechtsschutz besteht.352 Er ist allerdings nunmehr in § 81g Abs. 3 Satz 1 StPO einfachgesetzlich geregelt.353 Unter Berücksichtigung des Wesentlichkeitsgebotes dürften jedoch Ermächtigungsgrundlagen, auf die sich die Entnahme und Verwahrung von natürlichen Datenbanken (Genproben) stützen, besonderen Anforderungen unterworfen sein.354 Die Regelung muss der besonderen datenschutzrechtlichen Bedeutung solcher Datenträger gegebenenfalls durch besondere verfahrensrechtliche Schutzvorschriften ausreichend Rechnung tragen.

bb) Materielle Anforderungen Grundsätzlich sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die gleichen Abwägungsgesichtspunkte zu berücksichtigen wie im Allgemeinen bei der Prüfung eines Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.355 Bei der Entnahme und Verwahrung natürlicher Datenbanken sind insbesondere die ___________ 351

BVerfGE 65, 1 (44). Vgl. dazu (hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der alten Rechtslage nach § 3 DNA-IFG a.F.): LG Hamburg, NJW 2001, 2564 f.; Meyer-Goßner, StPO, § 81g, Rdnr. 12. Zur gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung nach § 2 DNA-IFG a.F. siehe LG Zweibrücken, StV 1999, 303. 353 Dazu Bergemann/Hornung, StV 2007, 164 ff. 354 §§ 81a 81g und 81h StPO beispielsweise erlauben nicht die Verwahrung von Körperzellen, sondern ordnen im Gegenteil deren Vernichtung nach der Durchführung der molekulargenetischen Untersuchung an. Demgegenüber muss aufgefundenes, beschlagnahmtes oder sichergestelltes Spurenmaterial, das nach § 81e Abs. 2 StPO zur Feststellung von Verwandtschaftsverhältnissen oder zum Abgleich mit Gewebeproben des Täters oder des Opfers molekulargenetisch untersucht wird, nicht vernichtet werden (vgl. § 81e Abs. 2 Satz 2 StPO, der nicht auf die Verpflichtung zur Probenvernichtung nach § 81a Abs. 3 2. Hs. StPO verweist). Dies dient Beweiszwecken und ermöglicht strafprozessual ggf. erforderliche Kontrolluntersuchungen. 355 Eine Übersicht über die zu berücksichtigenden Interessenpole bietet die Übersicht auf S. 525. 352

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

475

Umstände der Speicherung zusätzlich bei der Beurteilung der Intensität der Beeinträchtigung einzubeziehen. Zu fragen ist, – was gespeichert wird (Proben, Primär- oder Sekundärdaten), – wer die Speicherung vornimmt (der Testinteressent, ein anderer Dritter oder ein Datentreuhänder) und – wie die Speicherung erfolgt, ob also eine Anonymisierung vorgenommen werden kann oder ob die gespeicherten Daten zusätzlichen, über den eigentlichen Zweck hinausgehenden Auswertungen zugänglich sind. Insbesondere im Hinblick auf die Frage des Speicherungsgegenstands ergeben sich folgende Konsequenzen für die Verhältnismäßigkeitsprüfung: Die Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist umso geringer, je geringer der erhobene Umfang der über die untersuchte Person erhobenen Daten ist (Grundsatz der Datenvermeidung).356 Die geringste Eingriffsintensität weist die Speicherung von Sekundärinformationen auf.357 Die Speicherung von Primärdaten ist demgegenüber eingriffsintensiver. Besonders intensiv ist der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei der Speicherung den Genproben. Genproben lassen sich als natürliche Datenbank von Primärdaten (über Gene) betrachten, welche ihrerseits aufgrund Multifunktionalität Aussagen über eine Vielzahl von Eigenschaften erlauben. Dem Grundsatz der Datenvermeidung tragen die strafprozessualen Regelungen des § 81g StPO zur DNA-Identitätsfeststellung Rechnung.358 Nach dessen Abs. 5 dürfen nur die Identifikationsmuster in einer Datenbank beim Bundeskriminalamt gespeichert werden, nicht jedoch die zu ihrer Gewinnung benötigten Körperzellen. Diese sind gemäß § 81g Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz StPO unverzüglich nach der Erstellung des Identifikationsmusters zu vernichten. Entsprechendes gilt nach § 81a StPO für die Entnahme von Körperzellen zur Vornahme einer körperlichen Untersuchung. Als Ausdruck dieses Gedanken kann auch § 22 Abs. 3 Satz 4 des (gescheiterten) Entwurfs des Arbeitsschutzrahmengesetzes (ArbSchRG-E) betrachtet werden. Danach ist „stets den Verfahren der Vorzug zu geben, bei denen keine oder möglichst wenige Informationen anfallen, die für die Feststellung der Gefährdung der untersuchten Person nicht erforderlich sind.“359

Sofern sich die Erhebung von Zusatzinformationen über Dritte nicht vermeiden lässt, bedarf es der Beachtung des Grundsatzes der Datentrennung: Daten ___________ 356

Vgl. etwa im Hinblick auf den Umgang mit genetischen Proben und Daten: Einwag, in: Ellermann/Opolka, Genomanalyse, S. 92 (98); Weichert, DuD 2002, 133 (139). 357 Zu den Begriffen der Primär- und Sekundärdaten siehe oben, S. 467 f. 358 Zur Vorgängerregelung DNA-IFG a.F. siehe BVerfGE 103, 22 (32); Busch, NJW 2002, 1754 ff. Für die Verwahrung von Gewebeproben: Rath/Brinkmann, NJW 1999, 2697 (2700 f.). 359 BR-Drs. 792/93, S. 21. Dazu auch Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 282 ff.

476

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

über die familiäre Zugehörigkeit sind grundsätzlich hinreichend technisch getrennt von Untersuchungsdaten zu speichern. Bei der Erhebung und Weitergabe von Daten mit Drittbezug ist gegebenenfalls ein Genehmigungserfordernis der betroffenen Dritten anzunehmen.360 In Bereichen mit besonderer Eingriffsintensität, wie etwa bei der Verwahrung und Verwendung natürlicher Datenbanken, können besondere verfahrensrechtliche Regelungen und institutionalisierte Kontrollmöglichkeiten geboten sein. Erörtert wird in diesem Zusammenhang insbesondere die Einbeziehung eines Datentreuhänders361, der aufgrund seiner rechtlich-organisatorischen Stellung ein besonderes Maß an Unabhängigkeit hat. Eine möglichst wirkungsvolle (faktische) Anonymisierung sichert das bestmögliche Maß an datenschutzrechtlichem Schutz.362 Allerdings ist zu bedenken, dass selbst für den Fall, dass eine solche Anonymisierung von Daten und Proben möglich sein sollte, diese insbesondere bei Forschungsvorhaben nicht immer für einen gangbaren Weg gehalten wird, da im Forschungsablauf notwendige Kontrolluntersuchungen die Identifizierung des jeweiligen Probenspenders erforderlich machen können.363 Nach § 7 Abs. 2 des estnischen Gesetzes zur Humangenomforschung unterliegen nur aggregierte Datensammlungen, welche Gewebeproben, DNS-Beschreibungen und Beschreibungen des Gesundheitszustandes von mindestens fünf Genspendern enthalten, abgesenkten datenschutzrechtlichen Bestimmungen.

2. Weitere Teilgewährleistungsbereiche? Klarstellend wird im Folgenden nachgewiesen, dass weder die Erhebung und Verarbeitung genetischer oder endogener Daten noch die Möglichkeit der prädiktiven Nutzung von Daten einen eigenständigen Teilgewährleistungsbereich innerhalb des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung begründet.

___________ 360

Siehe dazu etwa Sokol, NJW 2002, 1767 (1769). Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 250; Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (1, Fn. 5); Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 151; dies., Gutschliche Stellungnahme (2003), S. 17; Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 92; Schneider, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 34; Schroeder/Williams, EthikMed 2002, 84 ff. – Allgemein dazu: Simitis-Dammann, BDSG, § 40, Rdnr. 64. 362 Weichert, DuD 2002, 133 (140); Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 21. 363 Engels, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 3; Lindpaintner, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 25. 361

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

477

a) Keine besondere Schutzwürdigkeit beim Umgang mit Informationen über genetische Veranlagungen In der rechtlichen Diskussion findet sich eine Reihe von Ansätzen, zum Schutz vor als besonders intensiv empfundenen Gefährdungslagen durch die Verwendung genetischer Daten ein „Recht auf gen-informationelle Selbstbestimmung“364 zu entwickeln. Dies erscheint nicht überzeugend. Ausgangspunkt für diese Erwägungen ist zum einen die Untersuchungsmethode. Insbesondere bei genetischen Untersuchungen, die aufgrund rechtlichen oder auch faktischen Zwangs vorgenommen werden, ist die Gefahr gesehen worden, dass die untersuchte Person zum bloßen (Ausforschungs-)Objekt staatlichen Handelns gemacht wird. Derartigen Überlegungen standen insbesondere zu Beginn der verfassungsrechtlichen Diskussion nicht wenige Autoren angesichts der ungeahnten und völlig neuen Möglichkeiten im Bereich der Gendiagnostik nahe.365 Jedoch dürfte die Menschenwürde durch die Durchführung genetischer Untersuchungen grundsätzlich nicht verletzt werden, auch wenn Untersuchungen zwangsweise vorgenommen werden sollten: Die Methode bei genetischen Untersuchungen (Probenentnahme, z.B. in Form von Blutproben) rechtfertigt es nicht, von einer den Kern der Menschenwürde verletzenden Behandlung auszugehen, wie dies etwa bei der Durchführung der Folter der Fall ist.366 Genetische Untersuchungen sind somit grundsätzlich nicht anders zu bewerten als andere Untersuchungsmethoden.367 Nach einem anderen Ansatz ist die Verletzung der Menschenwürde mit dem Umstand zu begründen, dass genetische Merkmale aufgrund ihrer Bedeutung für die menschliche Entwicklung als Bestandteil des Kernbereichs der menschlichen Persönlichkeit (Intimsphäre) zu betrachten seien,368 deren Erhebung und ___________ 364

So ausdrücklich: Pletke, Genomanalysen, S. 188; Präve, VersR 1992, 279 ff.; Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 61 und passim; Rose, Genomanalysen, S. 120; Schmidt, Genomanalyse, S. 122 ff.; Sternberg-Lieben, NJW 1987, 1242 (1246); Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 119 f. 365 So beispielsweise Donner/Simon, DÖV 1990, 906 (909 f.). 366 Vgl. S. 271. 367 Die Annahme, dass in der Methode der genetischen Datenerhebung eine Menschenwürdeverletzung begründet liegt, wird zu großen Teilen abgelehnt: Antoni, in: Seifert/Hömig, Art. 3 GG, Rdnr. 17; Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 161 ff.; Hofmann, Genomanalyse, S. 33 f.; Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 91; AKPodlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 53b. 368 Etwa: Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 207 f., 218, 226 und passim; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (1999), S. 17: „... da die genetische Beschaffenheit des Menschen unbestreitbar zum Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit gehört,...”; Donner/Simon, DÖV 1990, 906 (909 f.); Eberbach, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 1 (2); Fisahn,

478

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Verwertung den Menschen – gewissermaßen in Form eines „genetischen Striptease“ – bloßstellen würde. In der Konsequenz wird jeglicher Umgang mit genetischen Daten ohne Einwilligung der betroffenen Person dem Kernbereich der menschlichen Persönlichkeit zugeordnet bzw. als mit der Menschenwürde unvereinbar behandelt. In Abweichung von der Sphärentheorie und der Dogmatik des Art. 1 Abs. 1 GG369 wird dabei jedoch eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung unter besonders strengen Anforderungen für möglich gehalten. Die vorangegangenen Überlegungen haben jedoch ergeben, dass eine solche Einordnung pauschalisierender genetischer Informationen nicht gerechtfertigt erscheint: Da nicht jede Feststellung einer genetischen Veranlagung oder eines Merkmals eine derartige Besonderheit aufweist und umgekehrt auch nicht jeder nicht-genetischer Eigenschaftsindikator demgegenüber an Bedeutung zurücksteht, kann allein der Umstand, dass es sich bei den erhobenen Daten um Informationen über Genmerkmale handelt, keine besondere (verfassungs-)rechtliche Behandlung rechtfertigen.370 Schließlich wird in der Literatur – teilweise gerade vor dem Hintergrund des Schutzes der Menschenwürde371 – die besondere rechtliche Qualität der Erstellung von Genprofilen hervorgehoben.372 Jedoch auch die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen erscheint nicht als Problem, welches sich allein im Zusammenhang mit dem Umgang mit genetischen Daten stellt. Es ist bereits weitgehend anerkannt, dass eine Verletzung der Menschenwürde in dem Versuch gesehen werden kann, die Persönlichkeitsentwicklung der untersuchten Person in ihrer ___________ ZRP 2001, 49 (53 f.); Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 387 f.; Kienle, prädiktive Medizin, S. 67 ff.; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 63 (im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG) und S. 76, 85 ff., 129 (im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung) für den Fall der Vornahme einer genetischen Untersuchung ohne Einwilligung, m.w.N.; Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 96; Rademacher, Analysemethoden im Strafrecht, S. 117 ff., 127 ff.; Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 69; Rose, Genomanalysen, S. 120; Schira, Genomanalyse, S. 70; Stumper, Informationelle Selbstbestimmung, S. 102 ff., 116 f. 369 Statt vieler Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 10 f. m.w.N., 16. 370 Nachweise dazu siehe Fn. 380 (S. 479). 371 Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 37; Vitzthum, ARSP Beiheft Nr. 33, S. 119 (138); Donner/Simon, DÖV 1990, 907 (911). 372 Eser, Stellungnahme (1983), in: BMFT, „Ethische und rechtliche Probleme“, S. 26 (28); Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 37 m.w.N.; Hofmann, Genomanalyse, S. 15, 34 ff., 41 (der allerdings eine besondere Einstufung genetischer Persönlichkeitsprofile ablehnt); Künzler, Macht der Technik, S. 113; AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 53b; Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 21 (insbesondere bei Einbeziehung von sog. Lifestyle- und Umweltinformationen). Mit weiteren Nachweisen: Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 41, Fn. 25.

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

479

Gesamtheit prognostizierbar zu machen.373 Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht als sinnvoll, die Erstellung genetischer Profile in irgendeiner Weise anders zu behandeln als die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen beispielsweise anhand von Sozialdaten. Der Umstand, dass in einer genetischen Probe gleich eine unüberschaubare Vielzahl von Informationen enthalten ist, ist aus datenschutzrechtlicher Sicht zwar – zur Vermeidung von Gefährdungspotenzialen – bei der Erhebung und Verwertung von Genproben besonders zu berücksichtigen.374 Bei der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen handelt es sich jedoch um eine besondere Nutzungsart, die nicht dadurch schwerer wiegend wird, dass dazu nur genetische Daten verwendet werden. Die Verletzung der Menschenwürde aufgrund der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen stellt sich somit ebenfalls nicht als eine genspezifische Grundrechtsbeeinträchtigung dar.375 Zusammenfassend lässt sich somit feststellen: Unabhängig von der Frage, welche Bedeutung der von dem BVerfG entwickelten Sphärentheorie376 in der heutigen Dogmatik des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG zukommt, dürfte eine Einordnung, nach der der Umgang mit genetischen Daten eine die Menschenwürde verletzende Behandlung darstellt, kaum weiterführend sein: Sofern man eine solche Menschenwürdeverletzung annimmt, würden Eingriffe in den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts keiner Abwägung zugänglich und damit automatisch als verfassungswidrig zu bewerten sein.377 Weicht man jedoch von dieser – von dem BVerfG vorgegebenen378 – Rechtsfolge ab, hat die so getroffene Klassifizierung keinen dogmatischen Ertrag.379 Im Ergebnis ist daher eine Beeinträchtigung des unantastbaren Kernbereichs der Menschenwürde grundsätzlich allein aufgrund des Umgangs mit genetischen Daten zu verneinen.380

___________ 373 Nachweise zur Problematik der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen siehe S. 470, Fn. 334. 374 Etwa im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, vgl. S. 474 ff. 375 So auch Antoni, in: Seifert/Hömig, Art. 3 GG, Rdnr. 17; Hofmann, Genomanalyse, S. 34 f.; Propping, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 27 f.; AK-Podlech, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 59d; Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 28. 376 Zur verfassungsgerichtlichen Anerkennung eines unantastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung: BVerfGE 27, 344 (350 f.); 32, 373 (379); 34, 238 (245 ff.); 35, 202 (232); 80, 367 (373). 377 Vgl. auch Lerche, in: HdbStR, Band V, § 121, Rdnr. 19. 378 Siehe dazu auch noch später BVerfGE 80, 367 (374 ff., 382 ff.) – Tagebücher – . 379 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 88. 380 Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 50 (für eine „juristische Differenzialdiagnose“), S. 305 („vorschnell genereller Rekurs“); Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 37 m.w.N.; Hofmann, Genomanalyse, S. 33 ff.; Kluth, in: Dierks u.a., Genetische Untersu-

480

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Auch in anderer Hinsicht stellt die Erhebung und Verarbeitung von genetischen Daten die grundrechtsdogmatische Konstruktion des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor keine grundlegend neuartigen Herausforderungen.381 Zwar ist es eine Besonderheit, dass genetische Proben als natürliche Datenbanken genutzt werden können. Das rechtliche Instrumentarium, welches im Zusammenhang mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt wurde, ist jedoch grundsätzlich geeignet und ausreichend, um den damit verbundenen Diskriminierungspotenzialen entgegenzuwirken. Problematiken, die mit der Möglichkeit der Erlangung von Zusatzinformationen über die untersuchte Person oder Dritte verbunden sind, sind ebenfalls nicht auf den Umgang mit genetischen Daten beschränkt. Insofern kann der Begriff des „Rechts auf gen-informationelle Selbstbestimmung“ im Hinblick auf den Umgang mit genetischen Daten zunächst einmal nur als begriffliche Eingrenzung ohne unmittelbare verfassungsrechtliche Konsequenzen verstanden werden.

b) Keine besondere Schutzwürdigkeit beim Umgang mit Informationen über endogene Eigenschaftsindikatoren Eine besondere Eingriffsintensität lässt sich auch nicht bei der Ermittlung von Anlagen feststellen. Die Untersuchung von körpereigenen Substanzen ist nicht eine notwendige Voraussetzung dafür, dass sich der Einzelne ausgeforscht fühlt. Vielmehr trifft dies auf alle nicht äußerlich wahrnehmbaren Daten zu.382 Insofern ist ein verfassungsrechtlicher Schutz für die Erhebung und Verarbeitung aller Arten von individualbezogenen Daten verfassungsrechtlich ausreichend und geboten.

___________ chungen, S. 85 (91, 94); AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 53 b; Meyer, Mensch, S. 215; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 239. Insbesondere hinsichtlich der Erstellung von „genetischen Fingerabdrücken“ – LG Berlin, NJW 1989, 787 (788): „Die Untersuchung der nicht-kodierten Sequenzen stellt jedoch gerade keinen Eingriff in diesen Bereich, nämlich in den geschützten innersten Kernbereich des Menschen dar, da über das zu vergleichende Strichmuster hinaus eben keine weiteren Informationen zu erlangen sind. Allein die theoretische Möglichkeit, dass in unbestimmter Zeit daraus weitergehende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, sowie die Tatsache, dass die Untersuchungsmethode überhaupt ein vages Unbehagen erweckt, weil sie am genetischen Kern des Menschen und damit sozusagen an seinen innersten Schichten anknüpft, steht dem jedenfalls zur Zeit nicht entgegen.“ 381 So auch Hofmann, Genomanalyse, S. 46. 382 Siehe oben, S. 460 ff.

C. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung

481

c) Keine besondere Schutzbedürftigkeit beim Umgang mit prädiktiven Daten Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dient der Verhinderung von Diskriminierungspotenzialen. Dies geschieht durch die rechtliche Festlegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Datenerhebung und für die weitere Datenverarbeitung (insb. Speicherung). Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bietet damit einen Schutz, der auch gerade Diskriminierungspotenzialen im Hinblick auf die prädiktive Verwendung von Daten wirkungsvoll entgegenwirken kann. Insbesondere die zeitliche Begrenzung zulässiger Speicherung vermag gerade Diskriminierungen aufgrund prädiktiver Daten vorzubeugen: Einmal erhoben, sollen Daten nicht für alle Zukunft (unhinterfragt) als gültig betrachtet werden, sondern gegebenenfalls durch eine neue Datenerhebung aktualisiert und auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Damit wird der „Abstempelung von Menschen“383 bereits nach der jetzigen Rechtslage entgegengewirkt. Für die Einführung einer besonderen Rechtsgewährleistung für prädiktive Daten besteht insofern kein verfassungsrechtliches Bedürfnis.384

III. Abwägungskonstellationen mit besonderem Schutzniveau Ein besonderes verfassungsrechtliches Schutzniveau kann sich jedoch nicht nur aus der (originären) Konstruktion eigenständiger Teilgewährleistungsbereiche ergeben, sondern auch – gewissermaßen reflexartig – aufgrund bestimmter, für den Betroffenen günstigen Abwägungskonstellationen. So erhöhen sich die Rechtfertigungsanforderungen für die Erhebung und Verarbeitung von bestimmten Daten in dem Maße, wie sich die Rechtfertigungsanforderungen für die Nutzung dieser Daten erhöhen. Ein besonders hohes Schutzniveau besteht im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung demzufolge dann, wenn bei der Abwägung im Rahmen der Prüfung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung keine entgegenstehenden Rechte und Interessen bestehen: Daten, die (– zur Fremdbewertung –) nicht genutzt werden dürfen, dürfen auch nicht gegen den Willen der betreffenden Person (– zur Fremdwahrnehmung –) erhoben werden.385 ___________ 383

Siehe dazu auch: BVerfGE 65, 1 (48); 63, 202 (242); 78, 77 (87). Allerdings stellt die Erhebung von Daten zur prädiktiven Verwendung eine Fallgruppe mit einem besonderen Schutzniveau dar. Siehe dazu gleich, S. 482 ff. 385 Nach der Rechtsprechung sind Fragen des Arbeitgebers nur dann zulässig, wenn er ein berechtigtes, billigenswertes und schützenswertes Interesse an der Beantwortung der Frage hat: BAGE 11, 270; 15, 261; 22, 278. Dies liegt gerade in Fällen, in denen die Nutzung der dabei gewonnenen Daten nicht erlaubt ist, nicht vor. 384

482

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Die besondere Durchsetzungskraft dieser Fallgruppen ergibt sich dabei also nicht unmittelbar aus dem Schutzgedanken des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.386 Das erhöhte Schutzniveau im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung stellt sich hier vielmehr als Schutzreflex des jeweiligen Datennutzungsverbots dar. Hiervon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Verwendung von Daten aufgrund der Art ihrer Erhebung verboten ist. Dort gilt das Datennutzungsverbot nicht allgemein für Daten eines bestimmten Inhalts, sondern nur für Daten, die auf eine bestimmte Art und Weise gewonnen wurden. Ein Angeklagter darf nicht aufgrund von Informationen verurteilt werden, die durch Folter erlangt werden (136a Abs. 1 Satz 1 StPO). Allerdings dürfen Informationen des gleichen Inhalts verwendet werden, wenn sie über Zeugenaussagen gewonnen werden.

In der Abwägung haben demzufolge insbesondere folgende Fallgruppen ein besonderes Schutzniveau:

1. Erhebung und Verarbeitung prädiktiver Daten Wie bereits herausgestellt,387 bedürfen prädiktive Daten nicht eines besonderen Schutzes, der sich unmittelbar aus dem Schutzgedanken des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ableiten ließe. Dennoch unterliegt die Erhebung und Verarbeitung von Daten, die zur Erstellung von Prognosen verwendet werden, besonderen Rechtfertigungsanforderungen: Ist aufgrund des Rechts auf Achtung der Individualität die Verwendung von Daten zu prädiktiven Zwecken für einen bestimmten Einzelfall oder Lebensbereich verboten, kann ein Dritter demzufolge auch kein berechtigtes Interesse an der Datenerhebung haben. Vor diesem Hintergrund ergibt sich im Hinblick auf die Erhebung von Daten zu prädiktiven Zwecken ein besonderes Schutzniveau innerhalb des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Relevanz gewinnen diese Überlegungen etwa bei der Auslegung der in § 1314 BGB geregelten Eheaufhebungsgründe. In Auslegung des Abs. 2 Nr. 3 dieser Vorschrift wird nach bisheriger Auffassung eine Offenbarungspflicht zwischen Ehepartner bei bereits diagnostizierten erblichen Krankheiten, unheilbaren und ansteckenden Leiden angenommen.388 Unter Berücksichtigung des Gedankens des Rechts auf Achtung der Individualität sollte jedoch keine Verpflichtung bestehen, bekannte Veranlagungen über erbliche Erkrankungen dem anderen Ehepartner mitzuteilen. Das Leben des Partners ist durch solche Veranlagungen nicht gefährdet. Die betroffene Person hat grundsätzlich das Recht, darauf zu vertrauen, dass sich das aufgrund des Erbmerkmals berechnete Risiko bei ihr nicht verwirklicht. Dies sollte grundsätzlich auch im Hinblick auf die Gefahr

___________ 386

Siehe auch oben, S. 476 ff. Siehe S. 481. 388 Palandt-Brudermüller, § 1314 BGB, Rdnr. 11. 387

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

483

gelten, dass ein gemeinsames Kind an einer weitervererbten Krankheit erkrankt.389 Eine Pflicht, gezielt Untersuchungen zur Aufdeckung möglicher Veranlagungen vorzunehmen, wird insofern jedenfalls verneint.390

2. Erhebung und Verarbeitung willkürlich gewählter Untersuchungsgegenstände Sofern in einem bestimmten Lebens- und Sachbereich auf staatliche Veranlassung Untersuchungen verlangt werden, deren Ergebnisse in ihrer Bedeutung überbewertet werden, so liegt darin ein Verstoß gegen das Willkürverbot: Obwohl es eine Reihe von Eigenschaften mit vergleichbarer Bedeutung für den jeweiligen Lebens- und Sachbereich gibt, wird (willkürlich) ein bestimmter Test vorgenommen und dann zur Grundlage von Entscheidungen gemacht. Erörtert wurde das Problem willkürlich gewählter Gesundheitsuntersuchungen im Zusammenhang mit der Einbeziehung von HIV-Tests in das Programm der ärztlichen Einstellungsuntersuchungen für bayrische Beamte und Bundeswehrsoldaten. Hier wurde kritisiert, dass es eine Vielzahl von anderen Infektionskrankheiten mit hohem Ansteckungspotential gibt, wie z. B. Hepatitis B oder Tuberkulose, welche nicht untersucht werden. Vor diesem Hintergrund wurde der Verdacht geäußert, dass die Einbeziehung von HIV-Antikörpertests in das Untersuchungsprogramm nicht sachlichen Gründen folgte und letztlich nur einer Diskriminierungspraxis bei HIV-Infizierten Vorschub leistete.391

Auch hier gilt wiederum: Untersuchungen, deren Ergebnisse aufgrund ihrer willkürlichen Auswahl nicht genutzt werden dürfen, dürfen auch nicht durchgeführt werden. Für den Privatrechtsbereich ist allerdings zu bedenken, dass ein Verbot der willkürlichen Auswahl von Untersuchungen rechtlich wohl nur schwer umsetzbar sein dürfte, da der private Testveranlasser grundsätzlich selber die Bedeutung des Untersuchungsergebnisses einschätzen darf.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung Der hier unter dem Begriff des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung behandelten Rechtsgewährleistung wurde in der Literatur eine Vielzahl von Be___________ 389 Missverständlich insofern aber MüKo-Müller-Gindullis, § 1314 BGB, Rdnr. 20, welche unheilbare ansteckende (Gefährdung des Partners) und erbliche Krankheiten (keine Gefährdung des Partners) bei den offenbarungspflichtigen Umständen in einem Zusammenhang benennt. – Vgl. aber auch eheliche Mitteilungspflichten in anderen Staaten, etwa in Frankreich (certificat prénuptial, S. 498) und Zypern (im Hinblick auf Thalassämie, S. 151). 390 Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 83; Künzler, Macht der Technik, S. 115. 391 Lichtenberg/Winkler, DVBl. 1990, 10 (14, 18). – Weitere Beispiele siehe S. 116.

484

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

zeichnungen gegeben, die zumeist eine (implizite) Beschränkung des Gewährleistungsbereichs auf genetische Daten zum Ausdruck bringen, von denen der Begriff des Rechts auf Wissen und Nichtwissen die gebräuchlichste Bezeichnung ist.392 Als andere Bezeichnungen – welche allerdings teilweise auch die Erhebung und Weitergabe von Daten an Dritte erfassen – wurden eingeführt: – Recht auf Kenntnis und Unkenntnis der eigenen genetischen Konstitution393 – Recht auf gen-informationelle Selbstbestimmung394 – Recht auf genetische Selbstbestimmung395 – Grundrecht am eigenen genetischen Code396 – Recht auf Selbstinformation397 – Persönlichkeitsrecht am Genbereich398 – Recht auf genetische Lebensplanung399 – Recht auf Geheimnis gegen sich selbst400 ___________ 392 So etwa (wobei teilweise lediglich auf den Aspekt des Rechts auf Nichtwissen Bezug genommen wird): Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 62 ff.; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 252 ff.; Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Schlussbericht (2002), BT-Drs. 14/9020, S. 132 ff.; Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 252; Hofmann, Genomanalyse, S. 47 ff.; Kern, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 55 (55 Fn. 1); Kienle, prädiktive Medizin, S. 67 f.; Künzler, Macht der Technik, S. 59; AK-Podlech, Art. 1 Abs. 1 GG, Rdnr. 53b; Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 87; Schmidt, Genomanalyse, S. 121 f.; Schöffski, Gendiagnostik, S. 121 f.; Stumper, DuD 1995, 511 (511, Fn. 13, 17 m.w.N.); Taupitz, RPG 2002, 43 (49). 393 Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 145; Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 11; Donner/Simon, DÖV 1990, 907 (907); Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 73; Schmidt, Genomanalyse, S. 121 f.; Schöffski, Gendiagnostik, S. 104; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 117; van den Daele, Mensch nach Maß, S. 81. 394 Präve, VersR 1992, 279 ff.; Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 61, 69; Rose, Genomanalysen, S. 120; Schmidt, Genomanalyse, S. 122 ff.; SternbergLieben, NJW 1987, 1242 (1246); Weichert, DuD 2002, 133 (134).– Kritisch dazu: Meyer, Mensch, S. 177 f. 395 Kienle, prädiktive Medizin, S. 67 f.; Weichert, DANA 2/2000, S. 6 (8). – Nun kritisch zum Begriff: Weichert, DuD 2002, 133 (134). 396 Fisahn, ZRP 2001, 49 (49); ders., RDV 2002, 15 (20 ff.). 397 Beckmann, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 118 (123). 398 Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 69 f.; Taupitz, JZ 1992, 1089 (1091 f., 1099); Wiese, RdA 1986, 120 (126); ders., Genetische Analysen, S. 22. 399 Meyer, Mensch, S. 189 f.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

485

– Recht auf Geheimhaltung des eigenen Gesundheitszustandes401 – Recht auf Achtung als eines autonomen, zur Willensentschließung fähigen Individuums402 – Recht auf bioethische Selbstbestimmung.403

I. Konkretisierungsanlass Ansatzpunkte, die Anlass zur Postulation der Rechte auf Wissen und Nichtwissen gaben, lassen sich vor allem im Zusammenhang mit der rechtlichen Diskussion über Untersuchungen auf HIV-Infektionen und genetische Veranlagungen erkennen.

1. Erste Diskussionsansätze vor dem Hintergrund ungewollter HIV-Untersuchungen Einen ersten Niederschlag hat das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung allerdings auch schon im Zusammenhang mit der Diskussion über die Zulässigkeit von ungewollten HIV-Untersuchungen gefunden.404 Als problematisch wurde es vor allem empfunden, dass es sich bei AIDS um eine (bisher noch) nicht heilbare Krankheit handelt, welche anhand einer HIV-Untersuchung (vor dem Auftreten von Symptomen) vorhergesagt werden kann. Die Erfahrungen im Umgang mit solchen Testergebnissen zeigten, dass allein der positive HIV-Befund erhebliche psychische Reaktionen bei den Betroffenen hervorrufen kann, die von dauerhaften Angstzuständen und Depressionen bis hin zum Suizid reichen.405 Vor diesem Hintergrund drängte sich die Frage auf, inwieweit sich in solchen Situationen das Wissen um eine mögliche zukünftige Erkrankung nicht ___________ 400

Schöffski, Gendiagnostik, S. 126. EuGH, NJW 1994, 3005. 402 Taupitz, in: FS Wiese, S. 583 (592) m.w.N. 403 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung. Kritisch dazu Meyer, Mensch, S. 184. 404 Schenke, in: Schünemann/Pfeiffer, Rechtsprobleme von AIDS, S. 103 (145 f.), allerdings ohne dieses Recht ausdrücklich als Recht auf Nichtwissen zu bezeichnen. – Anders allerdings das VGH München, NJW 1988, 2318 (2320), das auf die besondere psychische Belastung bei HIV-Tests zwar hinweist, jedoch u.a. mit dem Argument, dass derartige Belastungen auch in anderen Bereichen bestehen, eine besondere Ermächtigungsgrundlage nicht für erforderlich hält. 405 Schenke, in: Schünemann/Pfeiffer, Rechtsprobleme von AIDS, S. 103 (145 f.) m.w.N. 401

486

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

als schädlicher darstellt als deren Unkenntnis.406 Dementsprechend rückte vor allem der Aspekt des Rechts auf Nichtwissen in den Vordergrund der rechtlichen Diskussion.407 Diese Diskussion hat ihren Niederschlag auch in der Rechtsprechung gefunden. Die zivilrechtliche Rechtsprechung gewährt mittlerweile wegen der „Verletzung des Persönlichkeitsrechts“ einen Schmerzensgeldanspruch, wenn ein Arzt eigenmächtig – also ohne Einwilligung der untersuchten Person – eine HIV-Untersuchung vornimmt.408 Auch der EuGH hat das Interesse des Einzelnen an der Geheimhaltung des eigenen Gesundheitszustands (vor sich selber) als wesentlichen Bestandteil der in Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) geschützten Selbstbestimmung hervorgehoben.409

2. Postulation des Rechts auf Wissen und Nichtwissen im Bereich der Gendiagnostik Überlegungen zur Statuierung eines Rechts auf Wissen und Nichtwissen traten im Zuge der Fortschritte im Bereich der Gentechnik und dabei insbesondere mit der Entwicklung immer leistungsfähigerer genetischer Untersuchungsmethoden verstärkt ins Blickfeld der rechtspolitischen Diskussion. Die Möglichkeiten der Gendiagnostik warfen die Frage nach der Selbstwahrnehmung des Menschen und ihrer Bedeutung für seine Persönlichkeitsbildung auf. Die Frage der Bedeutung des Nichtwissens stand bei der Diskussion über die Selbstwahrnehmung und ihren rechtlichen Schutz zunächst im Vordergrund. Im deutschen Sprachraum wiesen insbesondere die Überlegungen des Philosophen Hans Jonas schon frühzeitig auf diese besondere Problematik hin.410 Ausgangspunkt seiner Überlegungen war allerdings die Menschenwürde eines mit dem Erbmaterial eines noch lebenden oder bereits verstorbenen Menschen geschaffenen Klons. Jonas sah ein ethisches Problem darin, dass „der Klonspross allzu ___________ 406

Abzugrenzen ist dies von der Frage, inwieweit Dritte hierbei ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis über die HIV-Infektion des Einzelnen haben können. Diese ist im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung von Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu erörtern. 407 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 60; Frankenberg, in: Pritzwitz, AIDS, Recht und Gesundheitspolitik, S. 110; Simitis, in: Pritzwitz, AIDS, Recht und Gesundheitspolitik, S. 73. 408 Eine Zusammenstellung der entsprechenden Rechtsprechung liefert Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 60. Siehe auch Nachweise in Fn. 478 (S. 293). 409 EuGH, NJW 1994, 3005. 410 Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 162 ff. „Lasst uns einen Menschen klonieren. Betrachtungen zur Aussicht genetischer Versuche mit uns selbst“, Erstveröffentlichung in: Scheidewege 12/3- 4, 1982. Jonas bezieht sich dabei unter anderem auf die vorangegangene Schrift von Leon R. Kass, New Beginnings in Life, in: The New Genetics and the Future of Man, Grand Rapids, Michigan 1972.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

487

viel von sich weiß (oder zu wissen glaubt) und andere allzu viel von ihm wissen (oder zu wissen glauben).“411 Diese Wirkung trete unabhängig davon ein, inwieweit Gene ein Leben tatsächlich determinieren. „Es macht nichts aus, ob die Replizierung des Genotyps wirklich Wiederholung des Lebensschemas bedeutet: Der Spender wurde mit einer derartigen Idee gewählt, und diese Idee wirkt tyrannisch auf das Subjekt.“412 „Zum Beispiel, wenn ein Ehepaar entschied, einen Rubinstein zu klonieren, kann denn ein Zweifel daran bestehen, dass Klein-Arthur früh im Leben vors Klavier gesetzt und zum Spielen ‚ermutigt‘ wird?“.413 Auch wenn sein Klon gar keine besondere musikalische Begabung aufweisen muss, weil Rubinsteins Talent sich auf umweltbedingten Umständen gründete, so wird er dennoch von vornherein als musikalisch besonders begabte Person behandelt werden.414 Dieses Beispiel veranschaulicht gleichzeitig die im Thomas-Theorem umschriebene Wirkung gesellschaftlicher Fehlwahrnehmungen: „Es ist hierbei gleichgültig, wieweit wirklich der Genotyp die persönliche Geschichte bestimmt, ob also biologische ‚Identität‘ objektiv, unabhängig vom Wissen der Subjekte, zum gleichen biographischen Ergebnis führt, was unbewiesen ist.“415 Die Möglichkeit einer solchen unglücklichen Beeinflussung der menschlichen Entwicklung lässt sich selbstverständlich auch im Hinblick auf ungünstige Veranlagungen denken. So wurde in Schweden ein Neugeborenenscreening auf Alpha-1-AntitrypsinMangel gestoppt, weil die an diesen Untersuchungen teilnehmenden Eltern dazu neigten, ihre Kinder auch dann als krank zu behandeln, wenn sie nach den Untersuchungsergebnissen als gesund galten. Insofern schien das erhöhte Risikobewusstsein einen unbefangenen Umgang mit der Entwicklung des Kindes unmöglich gemacht zu haben.416

___________ 411

Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 162 (190). Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 162 (191). 413 Leon R. Kass, zitiert nach Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 162 (191, Fn. 10). Vgl. auch Habermas, liberale Eugenik, S. 93 ff. – Dieses Motiv wurde auch in Literatur und Film aufgegriffen. Siehe etwa jüngst in dem Buch von Charlotte Kerner, „Blueprint Blaupause“, Neuauflage Weinheim 2003, und dessen Verfilmung „Blueprint“, Regie Rolf Schübel, Deutschland 2004. 414 Siehe auch in der literarischen Verarbeitung: Kerner, Blueprint Blaupause, S. 41: „Du hattest dir mit dieser Klon-Tochter einen gläsernen Menschen geschaffen: von Anfang an durchschaubar, erklärbar, rätselfrei. Nicht irgendein Leben hattest du mir geschenkt, sondern dein Leben.“ 415 Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 162 (188) – Zum Thomas-Theorem siehe S. 353 f. 416 Sveger/Thelin/McNeil, Acta Paediatrica 1999, 88, S. 315 ff. – Zum Problem der „krankmachenden Aufklärung“ und der sie fördernden wirtschaftlichen Interessen und Wirkungsmechanismen Blech, Der Spiegel 33/2003, S. 116 ff.: „Die Abschaffung der Gesundheit – Systematisch erfinden Pharma-Firmen und Ärzte neue Krankheiten. Darmrumoren, sexuelle Unlust oder Wechseljahre – mit subtilen Marketingtricks werden Phänomene des normalen Lebens als krankhaft dargestellt. Die Behandlung von Gesunden sichert das Wachstum der Medizinindustrie.“ 412

488

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Vor diesem Hintergrund postulierte Jonas ein Recht auf Nichtwissen. Bei menschlichen Klonen sah er in der Verletzung bzw. Vorenthaltung eben dieses Rechts eine Verletzung der Menschenwürde.417 Für den juristischen Bereich wurde dieser Gedanke zu diesem Recht wohl zuerst von Ernst Benda aufgegriffen418 und später durch das Recht auf Wissen ergänzt.419

II. Konkretisierungsgrund Grundlage zur Konstruktion des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.420

1. Schutzrichtung Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung soll dem Einzelnen die Freiheit geben, selbst darüber zu entscheiden, ob er Umstände, die auf seine Entwicklung und Identitätsfindung Einfluss gewinnen könnten, kennen will oder nicht. Es schützt somit den nach innen gerichteten, auf sich selbst bezogenen

___________ 417 Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 162 (187 ff., 191): „Der Spender wurde mit einer derartigen Idee gewählt, und diese Idee wirkt tyrannisch auf das Subjekt. Es ist dies alles mehr eine Sache vermeinten als wirklichen Wesens, des Fürwahrhaltens. Man beachte, dass es nicht ein Jota ausmacht, ob wirklich der Genotyp durch seine eigene Macht das Schicksal der Person ist: Er wird dazu gemacht durch die Vorstellung, die bei der Klonierung Pate standen, und durch ihren Einfluss auf alle Beteiligten eine Macht für sich werden.“ 418 Benda, APuZ 1985, S. 18 ff. Schnell fanden diese Erwägungen auch Eingang in die gesetzgeberischen Beratungen: BMFT/BMJ-Arbeitsgruppe, Bericht (1985), in: BMFT, In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, S. 38 f. 419 Chadwick, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 13 ff.; Taupitz, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 72 ff. 420 Die Herleitungsgrundlage für dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung vergleichbare Rechtsgewährleistungen ist umstritten (Siehe dazu unten, S. 511 ff.). Teilweise wird das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung als Teilgewährleistungsbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gesehen (Nachweise in der Fn. 516, S. 511), teilweise wird es als eigenständige Rechtsgewährleistung unmittelbar aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht entwickelt (Nachweise dazu in der Fn. 517, S. 512). Zu Ansätzen, nach denen das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung unmittelbar aus der Menschenwürde abzuleiten ist: Taupitz, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 73 ff.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

489

(selbstreflexiven) Bereich der Selbsterkenntnis.421 Es gibt dem Einzelnen das Recht, auf sich selbst zu vertrauen und sich von außen vorgegebenen Optimierungsstrategien zu entziehen.422 Jonas formuliert diese Rechtsgewährleistung als ein sittliches Gebot: „Achte das Recht jedes Menschenlebens, seinen eigenen Weg zu finden und eine Überraschung für sich selbst zu sein.“423 Zur Abgrenzung: Der Medizinethiker Sass geht davon aus, dass die Entscheidung über den Umgang mit genetischen Daten durch ethische Verantwortungsprinzipien vorgegeben sei: „Das ‚Erkenne Dich selbst‘ ist in unserer technisch bedingten Welt kein luxuriöser philosophischer Wunsch, sondern eine Vorbedingung für ein sittlich verantwortliches Handeln für sich und für andere. Die Kenntnis der Information, meiner genetischen Information, macht mir wie viele Kenntnis das Leben nicht leichter, nicht problemloser, aber es macht mein Leben menschlicher, weil es mich zu verantwortlicher Gestaltung meines Lebens aufruft. Nur so, und durch nichts Anderes unterscheidet sich die menschliche Person vom animalischen Leben.“424

2. Abgegrenzter Gewährleistungsbereich Erste Voraussetzung zur verfassungsrechtlichen Statuierung eines Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist wiederum ein abgrenzbarer Gewährleistungsbereich.

a) Abstrakte Bestimmung des Gewährleistungsbereichs Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung dient dem Schutz vor unerwünschter Vermittlung oder Vorenthaltung von Informationen über individualbezogenen Informationen.425 Der Staat darf grundsätzlich nicht vorgeben, unter welchen Aspekten und in welchem Umfang der Einzelne Kenntnis von sich ___________ 421 Dazu auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 63 f. Im Zusammenhang mit Art. 1 GG: Sachs-Höfling, Art. 1 GG, Rdnr. 30 („Recht auf das je eigene Menschenbild“). 422 Siehe dazu auch Lemke, FR 19.06.2001, Nr. 139, S. 20: „Die Universalisierung der Eugenik – Optimierung des individuellen Humankapitals – zu gesellschaftlichen Nebenwirkungen der genetischen Diagnostik“. 423 Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 162 (194). 424 Sass, zitiert nach Künzler, Macht der Technik, S. 58 f. 425 Zum Begriff des Eigenschaftsindikators: S. 69 ff. In der Literatur wird der Gewährleistungsbereich eines solchen Rechts allerdings in der Regel auf genetische Daten beschränkt – siehe dazu auch unten, S. 494.

490

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

und seinen Eigenschaften erlangt. Vielmehr ist es dem Einzelnen grundsätzlich zuzubilligen, sich sein eigenes – möglicherweise auch von der öffentlichen Wahrnehmung völlig abweichendes – Bild über seinen Charakter, seine Fähigkeiten und auch seinen Gesundheitszustand zu machen.426 Der Schutzbereich des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung lässt sich damit wie folgt definieren: Jeder hat das Recht, selbst darüber zu bestimmen, ob und in welchem Umfang er von individualbezogenen Informationen Kenntnis erhalten will.

aa) Individualinformationen und aktualisierte Gruppeninformationen Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung erfasst jede Art von Informationen. Es besteht keine Beschränkung hinsichtlich der Informationsgrundlage, des Informationsgegenstands oder – bei Eigenschaftsindikatoren – des Merkmals, an das die Information anknüpft (Informationsanknüpfung). Erfasst werden also nicht nur zukünftige Daten, nicht nur genetische Daten, nicht nur gesundheitsbezogene Daten,427 sondern alle individualbezogenen Daten (nicht jedoch Informationen ohne Individualbezug).428 Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung erfasst also zum einen die Vermittlung oder Vorenthaltung jeglicher Eigenschaftsindikatoren. Es ist insofern belanglos, ob es sich bei den Eigenschaftsindikatoren um Anlagen oder Umfeldfaktoren handelt. Jedoch kommt der Frage, ob durch die jeweilige Information ein Individualbezug zu der betreffenden Person hergestellt wird, eine entscheidende Bedeutung zu. Wie in der Einleitung bereits dargelegt,429 setzen sich Informationen über Eigenschaftsindikatoren aus zwei Informationsinhalten zusammen: Einen korrelationsstatistischen Inhalt, welcher das Verhältnis zwischen einem bestimmten Merkmal und einer bestimmten Eigenschaft beschreibt (Gruppeninformation), und einer (nicht-statistischen) Individualinformation, welche eine Aussage über das Vorliegen oder Nichtvorliegen dieses statistischen Bezugskriteriums bei einer konkreten Person trifft (Gruppenzugehörigkeitsinformation). Einen grundrechtlichen Schutz genießt der Einzelne nur hinsichtlich der unerwünschten Herstellung eines Individualbezugs, während die ___________ 426

Zur Interessenlage des Einzelnen bei der Entscheidung für oder gegen Untersuchungen vgl. etwa Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 121 ff. 427 Stumper, DuD 1995, 511 (511); Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 93 f. 428 Dieser letzte Gesichtspunkt legte eine Abkehr vom Begriff des Rechts auf Nichtwissen und Wissen nahe, da er insofern kaum eine begrenzende Wirkung aufweist. Siehe auch Taupitz, in: FS Wiese, S. 583 (584 ff.). 429 Siehe S. 69 ff.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

491

allgemeine Vermittlung von korrelationsstatistischen Zusammenhängen ohne Individualbezug das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung nicht beeinträchtigt. Die Mitteilung, dass das Gen A die Krankheit XY verursache, stellt keine Beeinträchtigung des Gewährleistungsbereichs dar. Erst die Ermittlung der Genträgereigenschaft beim Einzelnen stellt einen Eingriff dar und ist damit rechtfertigungsbedürftig.

Damit kann der Staat beim Umgang mit Informationen über Eigenschaftsindikatoren auch erkennen, wann er die Integrität des Bürgers beeinträchtigt: Dies ist der Fall, wenn er dem Einzelnen Informationen mit Individualbezug (Individualinformationen und aktualisierte Gruppeninformationen) vermittelt oder vorenthält. Nicht erfasst ist damit die Vermittlung und Vorenthaltung von reinen Gruppeninformationen ohne Individualbezug (nicht aktualisierte Gruppeninformationen). Zum Zweiten erfasst das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung aber dem Grunde nach auch Informationen über Manifestationen von Eigenschaften. Dies wird insbesondere dann relevant, wenn die Manifestationen nur schwer ermittelbar sind. Der Umstand, dass die Manifestationen vom Einzelnen in der Regel selbst wahrnehmbar sind, stellt allerdings insofern eine faktische Begrenzung dar.430 Er ändert jedoch nichts daran, dass auch die freie Entscheidung über die Kenntnis und Unkenntnis von Manifestationen dem Grunde nach vom Schutzgut des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung erfasst sind.431 Im medizinrechtlichen Bereich ist dies im Hinblick auf die unerwünschte Vermittlung und Vorenthaltung von Diagnosen über (manifeste) Krankheiten auch weitgehend anerkannt.432 Jeder hat das Recht, keine Kenntnis von einer vom Arzt gestellten Diagnose zu erhalten. Stellvertretend für eine Reihe vergleichbarer Fälle sei hier die Manipulation von Untersuchungsergebnissen genannt, die bei der Behandlung eines Magenkrebsgeschwürs durch die behandelnden Ärzte Storms vorgenommen worden sein soll. Dessen Familie hatte demnach gefälschte Gutachten arrangiert, um Storm, der unheilbar an Krebs erkrankt war, wieder Mut zu machen.433 Die Ergebnisse eines Intelligenztests können für den Einzelnen sehr belastend sein und ihm in seinem Selbstwertgefühl empfindlich treffen. Insofern ist eine Verpflichtung zur Durchführung eines solches Tests schon vor dem Hintergrund des Rechts auf freibe-

___________ 430

Siehe auch S. 493. Als Ausdruck des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung im Hinblick auf Manifestationen lässt sich nicht zuletzt das Recht auf Einsichtnahme in Patientenakten betrachten. Siehe dazu S. 524 ff. 432 BGH, NJW 1973, 556 (558); Kern, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 55 (62); Rossner, NJW 1990, 2291 (2295); Schenke, in: Schünemann/Pfeiffer, Rechtsprobleme von AIDS, S. 103 (145 f.); Taupitz, FS Wiese, S. 583 (584); Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 117 f. 433 Laufs: in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 61, S. 457, Rdnr. 8. 431

492

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

stimmte Selbstwahrnehmung äußerst bedenklich. (Hinzu kommt in diesem Fall sicherlich, dass derartige Tests nur eine sehr eingeschränkte Aussagekraft haben und schon aufgrund des Umstandes, dass sie keinen klar definierten Untersuchungsgegenstand haben, sehr zweifelhaft sind.)434

In Ausnahmefällen kann schließlich auch bei der Verwendung von Identifikationsmustern das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung relevant werden. Dies ist dann der Fall, wenn der betreffenden Person ein Identitätsaspekt mitgeteilt oder vorenthalten werden soll, der ihr bisher nicht bekannt ist. Problematisch kann hier insbesondere die Situation werden, in der der betroffenen Person die Aufdeckung der leiblichen Verwandtschaftsverhältnisse verweigert oder aufgedrängt werden soll. Dies gilt sowohl aus Sicht der möglicherweise nicht leiblichen Eltern,435 insbesondere des unerkannten sozialen Vaters (Vaterschaftstests), als auch aus der Sicht der möglicherweise nicht leiblichen Kinder.436 Bekannt geworden sind derartige Probleme auch im Zuge der Aufarbeitung der Verbrechen während der argentinischen Militärdiktatur. So wird versucht, die Identität der Menschen zu ermitteln, die möglicherweise Kinder von verschleppten und ermordeten Eltern sind. Dies soll auf dem Wege von Genanalysen geschehen. Einige der Betroffenen weigern jedoch sich hiergegen, weil sie ihre (möglicherweise nicht-leiblichen) Eltern nicht belasten wollen.437

bb) Unerwünschte Vermittlung und Vorenthaltung Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist aber nur dann beeinträchtigt, wenn dem Einzelnen ohne Einwilligung Informationen mit Individualbezug vermittelt oder vorenthalten werden. Eine Einwilligung kann sinnvoll jedoch nur bei ausreichender Aufklärung vor der Untersuchung erfolgen.438 Auf die Schwierigkeiten, die damit in der praktischen Umsetzung verbunden sind, soll hier nur hingewiesen werden: So gilt es, den Einzelnen zwar über die Möglichkeit aufzuklären, von bestimmten persönlichen Eigenschaften oder Eigenschaftsindikatoren Kenntnis zu erlangen, ohne in dieser Beratung bereits die ___________ 434

Siehe oben, S. 116. Denkbar ist dies aber auch bei Müterrn, wenn beispielsweise Kinder im Krankenhaus unerkannt vertauscht worden sind. 436 Dazu Rittner/Rittner, NJW 2002, 1745 ff. Auch Schrep, Der Spiegel 3/2004, S. 72 ff. 437 Siehe dazu auch S. 457. 438 Bartram/Fonatsch, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 66 f.; BundLänder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 15; Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 183 ff.; DFG, Stellungnahme „Prädiktive genetische Diagnostik“ (2003), S. 1; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 71 ff.; Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 90. 435

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

493

Ergebnisse der Untersuchung selbst vorwegzunehmen.439 Für den Fall, dass der Einzelne in die Untersuchung eingewilligt hat, wird eine zweite Aufklärung nach der Untersuchung erforderlich. Diese Aufklärung dient der Vorbeugung von Fehlinterpretationen der erhaltenen Informationen.440 Liegt eine wirksame Einwilligung vor, ist der Schutzbereich des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung nicht betroffen.441 Die Frage der Einwilligung stellt sich allerdings nur dann, wenn es sich bei den betreffenden Informationen um der jeweiligen Person bisher nicht bekannte Informationen handelt (faktische Begrenzung des Gewährleistungsbereichs).442 Wer bereits Kenntnis von einem Umstand hat, kann sich diesbezüglich eben nicht mehr mit dem Recht auf Nichtwissen vor dem Wissen schützen. Nur wenn der Einzelne bestimmte Informationen nicht kennt oder sich zumindest nicht mehr an sie erinnert, stellt sich für ihn die Frage, ob er die betreffende Information erhalten will oder nicht, also ob er sein Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung in der einen oder anderen Richtung ausüben will. In der unmittelbaren Wahrnehmbarkeit eines bestimmten statistischen Bezugskriteriums liegt damit eine faktische Begrenzung des durch das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung gewährten Schutzes: Umstände, die von der betroffenen Person selbst wahrgenommen werden, können nicht mehr von Dritten vermittelt oder vorenthalten werden. Da der Schutzumfang des gewährten Rechts aus Gründen der Rechtspraktikabilität für Dritte erkennbar sein muss, kann die Herstellung des Individualbezugs, die von dem Betroffenen selbst un___________ 439

Ausführlich dazu etwa: Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 178 ff., 190 ff. (Selbstbestimmungsaufklärung vor dem Diagnoseeingriff), 197 ff. (Aufklärung vor der Durchführung der Gendiagnose). 440 Zur sog. Trias „Beratung – Test – Beratung“, welche insbesondere bei genetischen Untersuchungen verlangt wird: Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 178 ff., 190 ff. (Selbstbestimmungsaufklärung vor dem Diagnoseeingriff), 197 ff. (Aufklärung vor der Durchführung der Gendiagnose), 202 ff. (Aufklärung über den genetischen Befund), S. 307 (Thesen 14 – 17); Hartog/Wolff, in: Petermann/Wiedebusch/Quante, Perspektiven, S. 153 ff.; Hauschild/Claussen, medgen 1998, 316 ff.; Regenbogen/Henn, MedR 2003, S. 152 ff. 441 Ausdrücklich im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung etwa: Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 177 ff.; Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 258 ff. (welche die Frage der Einwilligung ausschließlich unter dem Gesichtspunkt erörtert, ob ein Verzicht auf das Recht auf Nichtwissen zulässig ist); Hofmann, Genomanalyse, S. 48; Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 133 f. – Der Umfang des Gewährleistungsbereichs des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung wird insofern vom Rechtsträger selbst definiert. Vgl. dazu die Nachweise zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Fn. 285 (S. 459). 442 Siehe dazu auch S. 126.

494

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

willkürlich vorgenommen wird, nicht zu einer Auslösung des grundrechtlichen Schutzes führen. Hierzu folgende Fallgruppen:

aaa) Herstellung von offensichtlichen Individualbezügen durch den Betroffenen Häufig hat allein schon die Vermittlung von statistischen Informationen, etwa über Pressemitteilungen, eine beunruhigende Wirkung. Ein wirkungsvoller Schutz des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung scheitert hier daran, dass bestimmte statistische Bezugskriterien einfach wahrzunehmen sind und sich daher der Individualbezug nahezu zwangsläufig herstellt, sobald der Einzelne über den entsprechenden korrelationsstatistischen Zusammenhang unterrichtet wird. Für die Beurteilung einer Beeinträchtigung des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung kommt es jedoch allein auf den Aussagecharakter der mitgeteilten Information an: Der Schutzbereich des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist nur dann betroffen, wenn die mitgeteilte Information einen Individualbezug aufweist.443 Die Vermittlung oder Vorenthaltung von reinen Gruppeninformationen, also rein statistischen Daten, wird nicht von dieser Rechtsgewährleistung erfasst. Sofern der Marker für die betreffende Eigenschaft leicht wahrnehmbar ist (Hautfarbe444, Zigarettenkonsum) kann schon eine einfache Pressemitteilung (Informationen über populationsspezifische Krankheitsanfälligkeiten, Warnung vor der gesundheitsschädigenden Wirkung von Zigaretten) Informationen vermitteln, zu denen der Betroffene unwillkürlich einen Individualbezug herstellt, von dem er eigentlich jedoch keine Kenntnis haben wollte. Obwohl der Einzelne den Individualbezug zu entsprechenden Information unmittelbar herstellen kann, unterfallen allgemeine Warnhinweise (etwa auf Arzneipackungen oder Zigarettenschachteln) nicht dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung, weil sie keinen Individualbezug, also keine konkrete Verbindung zu einer Einzelperson, herstellen. Bei äußerlich nicht wahrnehmbaren Markern (z.B. HIV, genetische Veranlagung) ist der gesonderte Feststellung des Markers zur Herstellung des Individualbezugs erforderlich. Dies gilt auch dann, wenn die betreffende Person – etwa aufgrund der erblichen Belastung der Familie – bereits einen Verdacht bezüglich der körperlichen Anlage hat.

bbb) Eigenständige Kenntnisnahme von Zusatzinformationen durch den Betroffenen Fälle, in denen sich anhand der Feststellung eines bestimmten Merkmals statistische Zusammenhänge zu verschiedenen Eigenschaften herstellen lassen (Zusatzinformationen), werden ebenfalls nicht vom Begriff der Vermittlung er___________ 443

Siehe oben, S. 490 ff. Die Hautfarbe kann im Zusammenhang mit der Pharmakogenetik an Bedeutung gewinnen. Siehe S. 440. 444

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

495

fasst. Diese Fallgruppe stellt einen Sonderfall der Fallgruppe des bereits hergestellten Individualbezugs dar. Ein Arzt unterrichtet seinen Patienten wunschgemäß davon, dass dieser eine genetische Veranlagung zu einer bestimmten Krankheit hat. Später erfährt der Patient, dass diese Veranlagung auch im Zusammenhang mit einer anderen Krankheit steht.

cc) Keine Beschränkung auf genetische oder endogene Eigenschaftsindikatoren Zur Klarstellung wird im Folgenden die Unerheblichkeit ausgewählter Kriterien begründet, welche in der rechtlichen Diskussion teilweise als gewährleistungsbereichsdefinierend behandelt werden.

aaa) Keine Schutzbereichsbegrenzung auf genetische Daten Im Rahmen des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung nehmen genetische Daten keine Sonderstellung ein.445 Insbesondere der Umstand, dass genetische Daten zur Erstellung von Prognosen über die Entwicklung des Einzelnen genutzt werden können, rechtfertigt keine rechtlich hervorgehobene Behandlung genetischer Daten. Dieser Aspekt gewinnt nämlich nicht nur bei der Kenntniserlangung über genetische Dispositionen Bedeutung, sondern grundsätzlich bei jeder unerwünschten Vermittlung von Daten, die in vergleichbarer Weise aufgrund bestimmter Merkmale prognostische Aussagen erlauben. Auch im Rahmen eines HIV-Tests wird eine – infektionsbedingte – Anlage festgestellt, aufgrund derer mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit der Ausbruch einer Krankheit vermutet wird.

Eine rechtlich gesonderte Behandlung genetischer Daten ist auch nicht im Hinblick auf den Umstand gerechtfertigt, dass sie möglicherweise auch Rückschlüsse auf genetische Veranlagungen der Verwandten der getesteten Person erlauben. So dürfte die Feststellung, dass für Verwandte im Hinblick auf eine bestimmte Eigenschaft eine ähnliche Prognose gestellt wird, allenfalls mittelbar Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung haben. Sofern eine solche mittelbare Auswirkung tatsächlich zu erwarten ist, kann ihr im Rahmen der verfassungs___________ 445

Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 266, 306 (These 11). Unklar Meyer, Mensch, S. 189: „aus dem Kontext der Arbeit ergibt sich eine spezifische Begrenzung auf genetisch determinierte, phänotypische Eigenschaften“ (allerdings im Widerspruch zu Meyer, Mensch, S. 61). – Allerdings liegt den meisten Arbeiten und Literaturbeiträgen eine Beschränkung auf genetischen Veranlagungen zugrunde. Vgl. auch die entsprechend einschränkenden Bezeichnungen des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung – Nachweise in den Fn. 393 – 399 (S. 484).

496

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

rechtlichen Rechtfertigung ausreichend Rechnung getragen werden.446 Einer speziellen Rechtsgewährleistung bedarf es insofern nicht. Schließlich rechtfertigt auch der Datenbankcharakter genetischer Proben im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung keine rechtlich gesonderte Behandlung: Zwar können mit Hilfe von Genproben eine Vielzahl von individualbezogenen Informationen zugleich ermittelt und der untersuchten Person gegebenenfalls gegen ihren Willen mitgeteilt werden. Problematisch dürfte für den Einzelnen jedoch weniger die Quantität, sondern eher die Qualität bestimmter Einzelinformationen sein. Vor diesem Hintergrund erscheint es jedoch wiederum als belanglos, ob die mitgeteilte Information einen genetischen oder nicht-genetischen Bezugspunkt hat.

bbb) Keine Schutzbereichsbegrenzung auf Informationen über endogene Eigenschaftsindikatoren Endogene Eigenschaftsindikatoren scheinen mit der Vorstellung verbunden zu sein, dass die betreffende Person bestimmte Entwicklungspotenziale gewissermaßen bereits im Keim in sich trägt. Zwar können den Einzelnen genauso auch exogene Faktoren in seiner persönlichen Entwicklung beeinflussen (z.B. Berufs- und Ausbildungsperspektiven), jedoch werden derartige Informationen im Unterschied zu endogenen Daten nicht als Aussagen über persönliche Entfaltungspotenziale begriffen. Zudem werden endogene Daten aufgrund ihres gegenständlichen innerkörperlichen Bezugspunkts als besonders präzise empfunden und erscheinen zudem häufig als unabwendbar und schicksalhaft.447 Die besondere gesellschaftliche Wahrnehmung endogener Daten ist jedoch insofern unerheblich. Sie ändert nichts daran, dass der Einzelne auch durch exogene Faktoren in seiner Persönlichkeitsbildung beeinträchtigt werden kann, sondern führt allenfalls dazu, dass in bestimmten Lebens- und Sachbereichen Beeinträchtigungen gehäuft auftreten.

b) Kasuistische Bestimmung des Gewährleistungsbereichs Zur kasuistischen Bestimmung des Gewährleistungsbereichs des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung wird zwischen den Teilaspekten des Rechts auf Nichtwissen und des Rechts auf Wissen unterschieden. ___________ 446

Siehe unten, S. 528, 531. Zur Fehlwahrnehmung von Informationen über endogene und genetische Eigenschaftsindikatoren: S. 277 ff. und 286 ff. 447

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

497

aa) Recht auf Nichtwissen Die Situationen, in denen das Recht auf Nichtwissen an Bedeutung gewinnt, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Zum einen handelt es sich um Fälle, in denen die untersuchte Person gegen ihren erklärten Willen die Informationen über Manifestationen, Eigenschaftsindikatoren oder Identifikationsmuster mitgeteilt bekommt. Zum anderen kann das Problem der ungewollten Kenntnisnahme ungünstiger Untersuchungsergebnisse dann auftreten, wenn die untersuchte Person ihren Willen nicht geäußert hat.

aaa) Mitteilung gegen den erklärten Willen der untersuchten Person Eine typische Beeinträchtigung des Rechts auf Nichtwissen stellt die Mitteilung von individualbezogenen Informationen gegen den erklärten Willen der untersuchten Person dar. Als unmittelbare Beeinträchtigungen des Rechts auf Nichtwissen sind in dieser Fallgruppe zunächst staatlich veranlasste Pflichtuntersuchungen zu nennen.448 In diesen Fällen sind die untersuchten Personen gezwungen, Kenntnis von bestimmten Eigenschaftsindikatoren, insbesondere Erkrankungsrisiken zu nehmen. Mit dem Begriff der Pflichtuntersuchung soll jede Bemühung von staatlicher Seite erfasst werden, die eine gezielte Verhaltenssteuerung zum Ziel hat und damit den Rahmen einer ausgewogenen und ergebnisoffenen Beratung verlässt.449 Das Spektrum reicht damit von Untersuchungen unter unmittelbaren Zwang über mit einem Sanktionssystem verbundene Pflichtuntersuchungen450 zu Untersuchungen, bei denen erheblicher Sozialdruck aufgebaut wird.451 Eine beabsichtigte Verhaltenssteuerung lässt sich dadurch optimieren, dass die untersuchenden Ärzte Haftungsrisiken ausgesetzt werden, sofern sie die entsprechende Beratung nicht belegen können. Zur Vermeidung dieser Haftungsrisiken werden sie in der Regel bemüht sein, tendenziell eher auf die Durchführung bestimmter Untersuchungen zu drängen als einen zurückhaltenden Umgang damit zu empfehlen.452 ___________ 448

Gretter, ZRP 1994, 24 (24 ff., 28) regt staatliche Informationspflichten an. Informationen über Krankheitsanfälligkeiten, die im Rahmen einer genetischen Untersuchung gewonnen wurden, sollen danach unter bestimmten Voraussetzungen an die Verwandten der untersuchten Person auch unaufgefordert weitergeleitet werden. 449 Holtzman, Caution, S. 217. 450 Zum Problem der Pflicht zum risikokonformen Verhalten siehe bereits 441 f. 451 Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 278 f.; Damm, EthikMed 2002, 110 (112); Holtzman, Caution, S. 217 ff. 452 Holtzman, Caution, S. 164 , 218: „As I have mentioned already above, physicians may exert some coercion in offering tests out of fear they will be sued should disease eventually become manifest in those who refuse testing (or their offspring).“

498

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Ein Beispiel für Pflichtuntersuchungen sind Musterungsuntersuchungen zur Feststellung der Wehrtauglichkeit. In Frankreich müssen Heiratswillige dem Standesamt vor der Heirat jeweils ein sog. certificat prénuptial vorlegen (article 63 code civile und L153 code de santé publique). Hierbei handelt es sich um ärztliche Bescheinigungen, welche die Heiratswilligen erst erhalten, nachdem beide Partner bestimmte Pflichtuntersuchungen haben vornehmen lassen und sich einer umfassenden Beratung zur Gesundheit und Familienplanung unterzogen haben. Die Beratung erfolgt insbesondere im Hinblick auf Geschlechtskrankheiten und erbliche Krankheiten. Die Untersuchung auf den sog. Rhesusfaktor ist für beide Partner verpflichtend (unter Hinweis auf die Möglichkeit, dass bei dem Blutwert „Rhesus negativ“ ab der zweiten Schwangerschaft wegen einer möglichen Blutgruppenunverträglichkeitsreaktion eine Gefährdung des rhesus-positiven Kindes entstehen könnte).453 Nicht verpflichtend, aber angeraten sind Untersuchungen auf HIV, Syphilis und Hepatitis B und C. Zu den häufigen Pflichtuntersuchungen gehört insbesondere auch das NeugeborenenScreening auf bestimmte, in der Regel frühmanifestierende Erberkrankungen. Beispielsweise sind in den USA in 45 Staaten entsprechende Gesetze erlassen worden.454 Ebenfalls in den USA wurden in einigen Staaten in den 70er Jahren Gesetze zur verpflichtenden Untersuchung auf Sichelzellenanämie erlassen.455 Auch über ein finanzielles Bestrafungs- und Anreizsystem kann ein erheblicher Druck ausgeübt werden. So kann die Weigerung, Vorsorgeuntersuchungen vornehmen zu lassen und auf dieser Grundlage gegebenenfalls entsprechende Vorsorgemaßnahmen einzuleiten mit finanziellen Nachteilen verbunden werden.456 In Deutschland beispielsweise führt die regelmäßige Durchführung von zahnärztlichen Vorsorgeuntersuchungen zur Senkung des Umfang der Selbstbeteiligung (Bonusheft)457 im Falle einer zahnärztlichen Behandlung.458 Geplant ist die verstärkte Einführung von Gesundheitsobliegenheiten im Bereich der Prävention: Wer nicht regelmäßig zu den von den Krankenkassen angebotenen Früherkennungsuntersuchungen geht, soll – zumindest der gesetzlichen Konzeption des § 62 Abs. 1 SGB V nach – im Falle einer Erkrankung eine erhöhte Selbstbeteiligung an den Behandlungskosten gegenwärtigen.459

___________ 453

Vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „Rhesus-Inkompatibilität“. Holtzman, Caution, S. 219. 455 Holtzman, Caution, S. 219. 456 Holtzman, Caution, S. 218. 457 Früher nach § 30 Abs. 2 SGB V a.F., jetzt nach § 65a SGB V i.V.m. den entsprechenden Satzungsregelungen der gesetzlichen Krankenkassen. Zur aufgehobenen Regelung des § 30 Abs. 2 SGB V a.F. noch Schulz-Weidner, Genomanalysen, S. 152 f. 458 Eberbach, in: Sass, Genomanalyse, S. 81 (91) sieht darin einen „indirekten Gesundheitszwang“. 459 Durch den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 19.06.2007 wurde die gesetzgeberische Konzeption von Untersuchungsobliegenheiten jedoch vorerst in eine Beratungsobliegenheit umgewandelt. – Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Richtlinien zur Definition schwerwiegender chronischer Erkrankungen im Sinne des § 62 SGB V – Ausnahmen für die Pflicht zur Teilnahme an Gesundheits- und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen vom 19.07.2007. 454

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

499

Zudem können durch den gezielten Einsatz sozialen Drucks die Teilnahmequoten an Massenuntersuchungen erhöht werden. Ein Beispiel dafür bieten die an USamerikanischen und kanadischen Schulen mit volljährigen Schülern durchgeführten genetischen Screenings. So konnten im Rahmen eines Tay-Sachs-Screening-Programms in Montreal die Teilnehmerzahlen an einem Screening auf Tay-Sachs durch gezielte Informationsveranstaltungen und unter Ausnutzung der Gruppendynamik im schulischen Umfeld im Vergleich zu Screenings, die sich an die breite Öffentlichkeit richteten, wesentlich erhöht werden.460 Ziel des Screenings war es unter anderem auch, ein Bewusstsein für die Vererbungsgefahr bei der Partnerwahl zu fördern.461

Werden Pflichtuntersuchungen durchgeführt, unterliegen sie – je nach Art und betroffenem Lebens- und Sachbereichs – unterschiedlich hohen Rechtfertigungsanforderungen. Umgekehrt bedeutet dies, dass die Einordnung einer Maßnahme als Pflichtuntersuchungen nicht zwangsläufig die Feststellung der Unzulässigkeit der in ihnen beschriebenen Maßnahmen verbunden ist. Herausgestellt werden soll vielmehr, dass sie im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung rechtfertigungsbedürftig sind. Faktische Zwangslagen bei Untersuchungen im Drittinteresse (z.B. bei Einstellungsuntersuchungen oder bei verpflichtenden Untersuchungen beim Abschluss eines Versicherungsvertrages) ergeben sich in Situationen, in denen der Einzelne zwar nicht über rechtliche Mittel zu Untersuchungen gezwungen werden kann, jedoch aufgrund seiner Lebenssituation faktisch dazu gezwungen ist.462 Derartige Situationen können sich insbesondere aufgrund befürchteter wirtschaftlicher Nachteile und aus einem strukturellen Machtungleichgewicht ergeben.463 Neben Einzelinteressen Privater können jedoch auch gesellschaftliche Interessen Druck auf den Einzelnen ausüben (gesellschaftlicher Teilnahmedruck), was rechtlich kaum zu verhindern ist.464 Die Stärke dieses Drucks hängt vor allem von der Zahl der untersuchten Personen und der gesellschaftlichen Aner-

___________ 460

Holtzman, Caution, S. 217. Holtzman, Caution, S. 218. 462 Benda, APuZ 1985, 18 (34); Damm, MedR 1999, 437 (447); Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 269 ff.; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 53 ff. welche vor dem Hintergrund der strukturellen Ungleichheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Durchführung von genetischen Untersuchungen nur bei (aufgrund eines Arbeitskräftemangels oder aufgrund ihrer besonderen Qualifikation) „privilegierten“ Arbeitnehmern für zulässig hält; Meyer, Mensch, S. 229 ff. 463 Hausherr, in: FS Deutsch, S. 593 ff.; Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Stellungnahme zum Fragenkatalog, S. 17 f. 464 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Stellungnahme zum Fragenkatalog, S. 10. 461

500

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

kennung der Untersuchung ab. Letzteres bestimmt sich u.a. auch nach der Prävalenz der Krankheit.465 Die Thalassämie weist auf Zypern einen hohen Verbreitungsgrad auf und ist so im gesellschaftlichen Bewusstsein äußerst gegenwärtig. Dementsprechend hoch ist die gesellschaftliche Bereitschaft, aber auch der gesellschaftliche Druck, sich an Screenings zur Verringerung des Vererbungsrisikos zu beteiligen.466

In diesem Zusammenhang kann allein schon das Angebot der kostenlosen Durchführung bestimmter Untersuchungen als problematisch erscheinen. Nach Presseberichten sollen in den USA die National Institutes of Health empfohlen haben, dass Krankenversicherungen für alle Paare mit Kinderwunsch im Rahmen von kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen ein flächendeckendes Anlageträgerscreening auf Zystische Fibrose anbieten.467 Im Frühjahr 2001 hatte die Kaufmännische Krankenkasse Hannover im Rahmen eines Modellversuchs die Durchführung eines freiwilligen Screenings auf die so genannte Eisenspeicherkrankheit (Hämochromatose) angekündigt und löste auf diese Weise eine rege öffentliche Diskussion um die Sinnhaftigkeit solcher Tests aus. 2004 wurde der Modellversuch abgeschlossen.468

Ein besonderer Fall nach einer freiwillig durchgeführten Untersuchung ergibt sich, wenn der Einzelne zwar ursprünglich in die Untersuchung eingewilligt hat, vor der Mitteilung des Ergebnisses jedoch davon wieder Abstand nehmen möchte (Widerruf eines Diagnoseauftrags).469 Zwar kann der Einzelne seine Einwilligung grundsätzlich jederzeit zu widerrufen, jedoch besteht die besondere Gefahr, dass er – da das Ergebnis der Untersuchung möglicherweise schon „in der Welt“ ist – mittelbar, durch das Verhalten Dritter, Kenntnis von ihm erlangt. Schließlich kann der Einzelne auch durch angebotsinduzierte Untersuchungen in seinem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung beeinträchtigt werden, wenn er also spätestens bis zur Mitteilung der Untersuchungsergebnisses nicht ausgewogen über mögliche Konsequenzen aufgeklärt wurde.470 Zwar ist ___________ 465

Arbeitskreis Genforschung, Bericht (1991), in: BMFT, Erforschung, S. 136 f. Siehe dazu S. 151. 467 Görlitzer, bioskop Sept. 1999, Nr. 7, S. 14 (15). 468 Pressemitteilung der KKH vom 26.11.2004 „Gentest als Chance – KKH zieht positive Bilanz“. – Dazu auch: Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 45 f.; Steindor, ASP 2002, 33 ff. – Siehe auch Wagner, FR 21.02.2001, „Gentest-Projekt erntet Kritik – Plan der Krankenkasse KKH stößt auf massiven Widerspruch“; Görlitzer, bioskop März 2001, Nr. 13, S. 14, „Probelauf für Massen-Gentest“. – Zu Hämochromatosetests in den USA: Alper/Geller/Barash/Billings/Laden/Natowicz, JPHP 1994, S. 345 ff. 469 Siehe dazu auch Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 188 ff. 470 Vgl. auch S. 96. 466

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

501

das Recht auf Nichtwissen unter einen Aktivierungsvorbehalt gestellt,471 was bedeutet, dass die betreffende Person die Untersuchungsmöglichkeiten kennen muss, um sie ablehnen zu können, jedoch wird das Recht auf Nichtwissen umgekehrt dann beeinträchtigt werden, wenn die Beratung aufgedrängt oder erzwungen – und damit nicht mehr ausgewogen – ist: Allein die (erzwungene) Auseinandersetzung mit verschiedenen Handlungsoptionen kann einen psychischen Druck ausüben. Die beratene Person kann sich dem Zwang ausgesetzt sehen, einen vermeintlich verantwortungsvollen Umgang mit Risiken zu wahren und sich zu Untersuchungen getrieben sehen, die sie von sich aus nie vorgenommen hätte. In diesem Zusammenhang wird auch von „aktiver Beratung“ gesprochen.472 Zum einen könnte bei kommerziellen Anbietern oder auch bei Ärzten ein Interesse bestehen, bestimmte Untersuchungen auszuweiten, sofern nur die Aussicht auf eine zahlungskräftige Nachfrage besteht, auch wenn die angebotenen Untersuchungen in ihrer Aussagekraft zweifelhaft erscheinen mögen.473 Zum anderen sind derartige Situationen dann zu befürchten, wenn auf die behandelnden Ärzte ein entsprechender Haftungsdruck ausgeübt wird.474 ___________ 471

Vgl. Kern, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 55 (64 f.); Taupitz, in: FS Wiese, S. 583 (592 f., 598): „Zur Aktivierung des Rechts auf Nichtwissen muss man wissen, dass man wissen kann und nicht zu wissen braucht. Es ist also keine ,informierte Verweigerung’ im Sinne einer ,vollinformierten Verweigerung’ erforderlich – sonst liefe das Recht auf Nichtwissen leer.“ 472 Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 244 ff., 266 (Schutz vor einseitig aktiver Beratung); Damm, MedR 1999, 437 (447): „Für das Recht auf Nichtwissen ist schon zu fragen, ob ein solches überhaupt vorstellbar ist angesichts des Umstandes, dass die selbstbestimmte Entscheidung dafür, bestimmte Informationen nicht aufnehmen zu wollen, doch wohl zur Voraussetzung hat, dass jedenfalls Kenntnis von der Möglichkeit der Kenntnisnahme besteht.“; Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Stellungnahme zum Fragenkatalog, S. 15; Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 90 ff., 104, 262; TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 32 ff. (v.a. zum Triple-Test in der Schwangerschaftsvorsorge); aber auch Taupitz, in: FS Wiese, S. 583 (597 ff.): „Grundproblem des Rechts auf Nichtwissen“. 473 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 28 ff., 95. 474 Darstellend: TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 37, 41 f. Kritisch: Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 84 ff.; Beck-Gernsheim, in: Steiner: Genpool, S. 192 (204): „Die Haftungsrechtsprechung der Gerichte fördert im Ergebnis Automatismen und Direktivität bei der Beratung und der Entscheidungsfindung. Der Arzt wird geradezu gedrängt, im Zweifel gegen die Zeugung, bzw. gegen die Geburt des Kindes zu beraten.“ – Zu den Entscheidungen, die möglicherweise einen solchen Haftungsdruck als lösen könnten, sind wohl zu zählen: BGH, NJW 1984, 658 ff.; BGHZ 86, 240 ff.; 124, 128 ff. Anders jedoch BVerfG, NJW 1998, 519 (522): „Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Ärzte entgegen ihrem ethischen Selbstverständnis nur wegen des drohenden Haftungsrisikos oder deren Auswirkungen auf ihre Berufshaftpflichtversicherung zur Abtreibung raten.“

502

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

In der Pränataldiagnostik werden schwangere Frauen über mögliche Risiken gesundheitlicher Schädigungen ihres Kindes unterrichtet. Angesichts der besonderen Lebenssituation in der Schwangerschaft und der häufig kurzen Entscheidungszeit sehen sich viele der betroffenen Eltern hierbei einem erheblichen psychischen Druck ausgesetzt. Selbst Untersuchungen mit einem äußerst umstrittenen Erkenntniswert – wie etwa der Triple-Test zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit eines Down-Syndroms475 – werden häufig entgegen dem ersten eigenen Impuls in dem Glauben vorgenommen, dass eine Untersuchung für sich genommen nicht schaden könne. Sofern jedoch bestimmten Ergebnissen zumindest auf gesellschaftlicher Ebene eindeutige Bewertungen zugewiesen werden, besteht die Gefahr eines Handlungsautomatismus, der zur Durchführung von invasiven und das ungeborene Leben gefährdenden Untersuchungen führen kann, welche ursprünglich nicht in Erwägung gezogen worden sind.476

bbb) Mitteilung ohne den Willen der untersuchten Person Im Unterschied zur vorangegangenen Fallgruppe der Untersuchungen gegen den Willen der getesteten Person, soll diese Fallgruppe Situationen erfassen, in denen die getestete Person von der Durchführung der Untersuchung selbst keine Kenntnis hat und dementsprechend auch nicht ihren Willen darüber äußern kann, ob sie von den Ergebnissen der Untersuchung unterrichtet werden will. Drei Untergruppen lassen sich hier unterscheiden: (1) Untersuchungen ohne Einwilligung Die Fallgruppe der Untersuchungen ohne Einwilligung erfasst Fälle, in denen der getesteten Person die genetische Untersuchung bewusst verschwiegen wird oder die getestete Person aus Unachtsamkeit nicht über die geplante Durchführung des Tests aufgeklärt worden ist und ihr demzufolge auch nicht zustimmen konnte. (a) Durchführung von als nicht einwilligungsbedürftig eingestuften Routineuntersuchungen Zu Untersuchungen, die ohne die erforderliche Einwilligung durchgeführt werden, kann es insbesondere dann kommen, wenn der untersuchende Arzt irrig davon ausgeht, dass die Untersuchung als Routineuntersuchung zu bewerten ist, die neben der allgemeinen Einwilligung in die Behandlung keiner gesonderten ___________ 475 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, 6, 32 ff. 42 m.w.N. 476 TAB, Bericht „Stand und Perspektiven“ (2000), BT-Drs. 14/4656, S. 32 ff.; Kienle, prädiktive Medizin, S. 30 m.w.N.; Schüler/Zerres, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 15 (18). – Zur Problematik dieser (gesellschaftlich bedingten) Konfliktlage auch Düwell, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 26 ff.; Lanzerath/Honnefelder, In: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 51 ff.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

503

Einwilligung bedarf.477 Derartige Konstellationen dürften sich insbesondere dann ergeben, wenn die durchzuführende Untersuchung aus ärztlicher oder gesellschaftlicher Sicht als besonders sinnvoll gilt und dementsprechend die Einwilligung auch dann unterstellt wird, wenn ihr mutmaßliches Vorliegen zweifelhaft erscheinen sollte. Eine solche Problematik trat im Zusammenhang der ungefragten Durchführung von HIV-Antikörpertests auf. 478 Zum Teil handelte es sich dabei um nicht-indizierte Untersuchungen,479 zum Teil um Sachverhalte, in denen der behandelnde Arzt den durchgeführten HIV-Antikörpertests für eine Routineuntersuchung hielt, die keiner gesonderten Zustimmung der untersuchten Person bedürfe.480 Allerdings fiel nur einer der in den genannten Fällen durchgeführten Tests positiv aus. Dort führte die unerwartete Mitteilung, HIV-infiziert zu sein, bei der betroffenen Person zu schweren Depressionen.481 In vielen Ländern wird Neugeborenen nach der Geburt in Krankenhäusern routinemäßig Blut abgenommen, um Untersuchungen auf schwere, frühmanifestierende Erberkrankungen vorzunehmen. In Deutschland geschieht dies durch das Auftragen von Blutproben auf die so genannte „Guthrie-Card“.482 In den Niederlanden wurde im Rahmen des so genannten „Hielprik“-Skandals bekannt, dass derartige Teststreifen ohne Einwilligung zentral gespeichert wurden.483

(b) Heimliche Durchführung von Untersuchungen Einen besonderen Fall stellt die heimliche Durchführung von Untersuchungen dar. Hier weisen genetische Daten sicherlich ein besonderes Missbrauchspotenzial auf, da sie auch unbemerkt aus jeder Körperzelle gewonnen werden können.484 Bekannt geworden ist ein Fall, in dem bei einem Angestellten ohne dessen Wissen eine genetische Untersuchung durchgeführt wurde, um ihn einer zur Kündigung berech-

___________ 477

Zur Problematik der (irrigen Annahme einer) konkludenten Einwilligung: Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 187 f. 478 OLG München, OLG-Report 1998, 233; LG Köln, NJW 1995, 1621; AG Göttingen, NJW 1989, 776; AG Mölln, NJW 1989, 775; StA Mainz, NJW 1987, 2946. 479 LG Köln, NJW 1995, 1621; AG Göttingen, NJW 1989, 776. 480 AG Mölln, NJW 1989, 775 (775 f.); bestätigt durch LG Lübeck, NJW 1990, 2344 – Die Annahme einer stillschweigenden Einwilligung in einen HIV-Test im Rahmen des allgemeinen Behandlungsverhältnisses wurde hier ablehnt. Dazu auch EuGH, NJW 1994, 3005 (3006), Gliederungspunkt 13; mit Anmerkung Cloidt-Stotz, NJW 1994, 3006 f. 481 LG Köln, NJW 1995, 1621. 482 Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 357: In den Jahren 1976 –1981 wurden fast 99% aller Neugeborenen aufgrund der freiwilligen elterlichen Zustimmung im Rahmen von Screenings auf relativ häufig auftretende, früh erkennbare und therapierbare erbliche Krankheiten untersucht. Siehe auch S. 157. 483 Siehe dazu eingehend S. 157. 484 Dazu auch Rittner/Rittner, NJW 2002, 1745 (1747).

504

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

tigenden Handlung zu überführen. Zu diesem Zweck wurden heimlich Genproben u.a. vom Essbesteck des Verdächtigten genommen, um diese mit bereits gewonnenen Proben zu vergleichen.485 In einem anderen Fall wurde einem alten Ehepaar unter einem Vorwand Blutproben genommen, um hieran heimlich genetische Untersuchungen durchführen zu können. Die Untersuchungsergebnisse sollten in dem Vaterschaftsprozess gegen den Sohn des Ehepaares verwendet werden.486

Demgegenüber dürften die meisten Untersuchungsmethoden in der Regel auf die Mitwirkung der untersuchten Person angewiesen sein. Dies gilt insbesondere bei der Feststellung erblicher Krankheiten. Eine Familienanamnese, bei der bisherige Erkrankungen innerhalb der Familie ermittelt werden, dürfte in der Regel nicht ohne die Befragung des Patienten selbst oder seiner Familienangehörigen möglich sein. Auch psychologische Gutachten, die möglicherweise ebenfalls prädiktive Diagnosen enthalten können, bedürfen einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Patienten. Ebenso lassen sich Blutproben grundsätzlich nicht unbemerkt vom Probanden entnehmen. Das Problem der heimlichen Tests stellt sich allerdings auch bei herkömmlichen Untersuchungsmethoden. Heimliche Untersuchungen können beispielsweise dann durchgeführt werden, wenn dem Probanden zuvor unter Vorgabe einer anderen Zwecksetzung Blut abgenommen wurde und die Blutprobe dann zweckentfremdet für andere Untersuchungsziele eingesetzt wird.487 So sind beispielsweise in den letzten Jahren Fälle bekannt geworden, in denen heimliche HIV-Antikörper-Tests mit Blutproben durchgeführt worden sind, welche zu anderen Zwecken oder lediglich unter einem Vorwand von der untersuchten Person genommen worden waren.488 Um heimliche Untersuchungen ging es auch bei den Vorfällen in einem Wohnheim für Menschen mit Down-Syndrom in Eisingen. Dort wurde Bewohnern über Jahre Blut entnommen, das dann ohne Einwilligung zu humangenetischen Forschungszwecken genutzt wurde.489

(c) Untersuchung aufgrund einer Einwilligungsvermutung Die ausdrückliche Einwilligung in die Untersuchung kann für bestimmte Untersuchungsgegenstände auch durch eine widerlegbare Fiktion ersetzt werden: Die Einwilligung gilt dann als gegeben, wenn der Patient der Vornahme der betreffenden Untersuchung nicht ausdrücklich widerspricht (Widerspruchslösung). ___________ 485

VGH Bad.-Württ., DÖV 2001, 474 (474). Schröder/Taupitz, Menschliches Blut, S. 8. 487 Zu Fällen der Zweckentfremdung siehe auch die Beispiele auf S. 157. 488 OLG Köln, 08.02.1995, NJW 1995, 1621; AG Göttingen, 02.12.1988, NJW 1989, 776; AG Mölln, 06.10.1988, NJW 1989, 775; StA Mainz, 14.08.1987, NJW 1987, 2946. 489 Dörner, FR 22.02.01, Nr. 45, S. 18; Görlitzer, DANA 2/2000, S. 5 ff.; O.V., bioskop Sept. 1999, Nr. 7, S. 12; O.V., bioskop Sept. 2001, Nr. 13, S. 15. 486

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

505

Nach Art. 8 des isländischen Gesundheitsdatenbankgesetzes490 ist die Vornahme genetischer Untersuchungen und die Speicherung der Ergebnisse immer dann zulässig (und für den Arzt verpflichtend), wenn der Patient nicht ausdrücklich widerspricht.

(2) Untersuchungen aufgrund der Einwilligung von Dritten Eine weitere Kategorie innerhalb der Fallgruppe von Mitteilungen ohne den Willen der untersuchten Person bilden Fälle, in den die Untersuchung aufgrund der Einwilligung Dritter – ohne die Einwilligung des eigentlich Betroffenen – vorgenommen wird. In dieser Unterfallgruppe lassen sich zwei typische Fallgruppen unterscheiden: (a) Untersuchungen von Nichteinwilligungsfähigen Bei der Untersuchung von Nichteinwilligungsfähigen stellt sich immer das Problem, dass sie nicht selbst in die jeweilige Untersuchung einwilligen, sondern ihre gesetzlichen Vertreter. Zu Problemen kann dies führen, wenn der natürliche Wille der Nichteinwilligungsfähigen mit dem rechtlich verbindlichen Willen ihrer Vertreter auseinanderfällt.491 Eine typische Gefahrensituation besteht beispielsweise im Hinblick auf die Vermittlung genetischer Daten an Minderjährige: Die Eltern, die als Erziehungsberechtigte ihr minderjähriges Kind über eine Krankheitsveranlagung in Kenntnis setzen, welche sich erst nach dem Erreichen des Volljährigenalters manifestieren wird, nehmen ihrem Kind unwiderruflich die Möglichkeit, selbst darüber zu entscheiden, ob es mit dem belastenden Wissen leben will.

(b) Untersuchungen mit Drittbezug Bestimmte Befunde können auch Bedeutung für Dritte erlangen. In diesen Fälle besteht die Möglichkeit, dass Personen über Ergebnisse von Untersuchungen unterrichtet werden, in deren Durchführung sie nicht eingewilligt haben oder hätten.492 ___________ 490

Art. 8 des „Act on Health Sector Database“ vom 17.12.1998. Dazu Sokol, NJW 2002, 1767 (1769); Wellbrock, Jahrestagung des Nationalen Ethikrates „Biobanken“, S. 22. 491 Damm, MedR 1999, 437 (441 f.); Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 283; Kern, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 55 (65); Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 224 f.; Taupitz, JZ 1992, 1089 (1094). – Zum Schutz des ungeborenen Lebens: Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 186, 272, 307 (These 13); Kienle, prädiktive Medizin, S. 69 f. 492 Zu der damit verbundenen Problematik: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 250; Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 26 f.; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 257 f.; Damm, universitas 1999, 433 (443 f.); Gretter, ZRP 1994, 24 (24 f.); Wellbrock, CR 1989, 203 (209); Sokol, NJW 2002, 1767 (1769); Wexler, in: Kevles/Hood, Supercode, S. 231 (252).

506

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Genetische Untersuchungen können auch für die Verwandten der untersuchten Person Bedeutung haben.493 Untersuchungen auf die HIV-Trägereigenschaft sind relevant für die Intimpartner der untersuchten Person und gegebenenfalls auch für deren Arbeitskollegen.494

(3) Untersuchungen mit Zufalls- und Zusatzinformationen Des Weiteren kann es auch passieren, dass jemand im Rahmen einer Untersuchung, in die er eingewilligt hat, ungewollt zusätzliche, über die Einwilligung oder seine Erwartung hinaus gehende Informationen über sich erhält. Als Zufallsinformationen werden dabei Daten verstanden, die „bei Gelegenheit“ von Untersuchungen, in deren Vornahme die jeweilige Person eingewilligt hat, zufällig mitermittelt werden.495 Im Rahmen einer Augenuntersuchung wird ein Netzhautepithel festgestellt, welches Rückschlüsse auf die Erkrankungswahrscheinlichkeit für eine bestimmte Darmkrebsart erlaubt.496

Die Möglichkeit von Zusatzinformationen besteht, wenn ein und dasselbe Untersuchungsergebnis zweierlei Diagnosen erlaubt. Dies stellt sich dann als Problem dar, wenn die untersuchte Person von dieser Vielschichtigkeit der Aussage nicht im Vornherein unterrichtet wurde und damit nur in die Erstellung einer der beiden Diagnosen eingewilligt hat. So kann sich die untersuchte Person Informationen ausgesetzt sehen, an deren Aufdeckung sie nicht interessiert ist und die sie insofern völlig unerwartet treffen können. Diese Möglichkeit dürfte – mit Blick auf die Multifunktionalität der Gene – insbesondere bei genetischen Untersuchungen bestehen: Die Feststellung eines bestimmten genetischen Merkmals ist dann verbunden mit Prognosen über zwei verschiedene Eigenschaften.

Dieses Problem stellt sich auch dann, wenn im Zuge einer Untersuchung etwa festgestellt wird, dass zwischen den untersuchten Personen keine leibliche Verwandtschaft besteht (Feststellung der Nonpaternalität), und diese Feststellung von den betroffenen Personen nicht gewollt ist, sondern im Rahmen von auf andere Zwecke gerichteten Untersuchungen zufällig gemacht wird. Zur Vorbereitung einer Organtransplantation wird in der Regel eine Überprüfung der Blutgruppenverträglichkeit (HLA-Typisierung) vorgenommen, welche auch Aufschluss über die Abstammung geben kann.497 Im Rahmen der Vorbereitung einer Organtrans-

___________

493 Zur Konfliktlage zwischen dem Recht auf Nichtwissen der Eltern und dem Recht auf Wissen des Kindes hinsichtlich des Test auf die Huntington-Krankheit: Krahnen, in: Schröder-Kurth, Genetik, S. 67 (80). 494 Siehe auch Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 40 f. 495 Dazu auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 147 f. 496 Vgl. S. 87. 497 Zur Verwendbarkeit von HLA-Gutachten: Schmidtke, Vererbung, S. 85; Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Stichwort „HLA-Gutachten“, „HLA-System“.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

507

plantation könnte nun – bei Gelegenheit – ungewollt festgestellt werden, dass der vermeintliche Vater nicht der biologische ist, sondern eben „nur“ der soziale Vater.498

(4) Mittelbare Kenntnisnahme durch den Getesteten bei unterbliebener Mitteilung Bei Untersuchungen im (staatlichen oder privaten) Drittinteresse sind die Untersuchungsergebnisse die Grundlage für Entscheidungen von Dritten. In diesen Fällen dürfte die Möglichkeit, den untersuchten Personen das Untersuchungsergebnis auf ihren Wunsch hin vorzuenthalten, in der Regel keine Lösung bieten, da sich das jeweilige Untersuchungsergebnis aus den auf der Grundlage des Untersuchungsergebnisses getroffenen Handlungsentscheidungen ablesen lässt.499 Ein Stellenbewerber, welcher nach der Durchführung einer bestimmten Untersuchung abgelehnt wird, wird von einem ungünstigen Untersuchungsergebnis ausgehen müssen. Auch wenn die Ergebnisse einer Musterungsuntersuchung dem Wehrpflichtigen vorenthalten werden, dürfte er mittelbar davon Kenntnis erlangen, wenn er als dienstuntauglich eingestuft wird. Ein Versicherungsnehmer, der sich zum Abschluss des Versicherungsvertrages einer ärztlichen Untersuchung unterzogen hat und daraufhin in eine höhere Tarifklasse eingestuft wird, wird – auch ohne von den konkreten, ihm bisher unbekannten Untersuchungsergebnissen in Kenntnis gesetzt zu werden – nunmehr um die für ihn nachteiligen Eigenschaftsindikatoren wissen.

bb) Recht auf Wissen Beeinträchtigungen des Rechts auf Wissen können an verschiedenen Stellen der Durchführung von Untersuchungen auftreten: Im Vorfeld von Untersuchungen können sie in der Nichtaufklärung über die Möglichkeit der Durchführung eines Tests gesehen werden oder in der Erschwerung der Testdurchführung durch Pflichtberatung. Sofern der Einzelne ausreichend über Angebote zu der jeweiligen Untersuchung informiert ist, kann eine weitere Beeinträchtigung darin liegen, dass ihm die Durchführung der Untersuchung verweigert wird. Schließlich kann eine Beeinträchtigung des Rechts auf Wissen auch darin liegen, dass ihm die Ergebnisse von durchgeführten Untersuchungen nicht mitgeteilt werden.

___________ 498 Siehe dazu auch Schmidtke, Vererbung, S. 50 f.; Engel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 181 (184). 499 Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 224; Meyer, Mensch, S. 189 f.; Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 26 f.

508

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

aaa) Faktischer Zwang zur Unterlassung einer Untersuchung Eine Beeinträchtigung des Rechts auf Wissen kann sich zunächst aus faktischem Zwang ergeben. Von dieser Fallgruppe werden Situationen erfasst, in denen der Einzelne an der Kenntnis über bestimmte Eigenschaftsindikatoren interessiert ist, jedoch auf die Vornahme entsprechender Untersuchungen aus Angst vor Nachteilen im gesellschaftlichen Leben verzichtet. Derartige Nachteile können sich insbesondere beim Abschluss von Verträgen ergeben, wenn hiermit Offenbarungspflichten verbunden sind.500 Insbesondere der Abschluss von Versicherungsverträgen kann mit Offenbarungspflichten verbunden sein. Ohne solche Offenbarungspflichten befürchten Versicherungen eine Antiselektion: So könnten Personen in Kenntnis ihrer „schlechten Risiken“ Versicherungsverträge abschließen, aufgrund derer sie Prämien weit unter ihrem tatsächlichen Risiko zahlen müssen und somit die Prämienkalkulation der Versicherung umgehen. In diesem Zusammenhang wird von der Notwendigkeit der Informationssymmetrie beim Abschluss von Versicherungsverträgen gesprochen.501

Zur Umgehung dieses Problems wird empfohlen, die jeweiligen Untersuchungen erst nach Abschluss des Versicherungsvertrages vornehmen zu lassen, um zum Zeitpunkt seines Abschlusses mögliche Risiken im Rahmen der Offenbarungspflicht nicht bekannt geben zu müssen.502 Sicherlich ist jedoch eine solche Vorgehensweise nicht in allen Fällen praktikabel.

bbb) Nichtaufklärung über die Möglichkeit der Durchführung eines Tests Eine weitere Fallgruppe innerhalb des Rechts auf Wissen kann darin gesehen werden, dass der Einzelne nicht über die Möglichkeit einer Untersuchung aufgeklärt wird. Zum einen kann eine Beeinträchtigung des Rechts auf Wissen schon darin gesehen werden, dass der Einzelne grundsätzlich von sich aus bestimmte Arten von Untersuchungen anregen muss und nicht von außen über die Möglichkeit von solchen Untersuchungen aufgeklärt wird (sog. Aktivierungsvorbehalt).503 Gleiches gilt für den Fall, dass der betreuende Arzt ausnahmsweise über die Möglichkeit bestimmter Untersuchungsmethoden nicht aufklärt, weil er im konkreten Fall die mit der Untersuchung verbundenen Probleme als ___________ 500

Hausherr, in: FS Deutsch, S. 593 (607): „Wer mit einer späteren Offenbarungspflicht rechnen muss, sieht sich leicht genötigt, auf eine grundsätzlich sinnvolle Abklärung allfälliger familiärer Erbkrankheiten ... zu verzichten.“ 501 Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 106 ff. 502 Wambach, FAZ 17.11.2000, Nr. 268, S. 16. 503 Zu diesem Problem, dass die Aufklärung einerseits nicht das Recht auf Nichtwissen beeinträchtigen darf, andererseits aber auch nicht die Ausübung des Rechts auf Wissen wahren muss, siehe bereits S. 501.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

509

schwerwiegender einstuft als die mit der Unterlassung der Untersuchung verbundenen Nachteile.504 Ein Beispiel für derartige Beeinträchtigungen des Rechts auf Wissen könnten (gesetzliche) Regelungen zu Indikationsvorbehalten darstellen.505 Durch solche Regelungen bekäme der betreuende Arzt für die oben dargestellte Abwägung verbindliche Vorgaben. Bestimmte Untersuchungen sind dann nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Derartige Indikationsvorbehalte dürften insbesondere bei sinnlosen oder besonders belastenden Untersuchungen (wie etwa bei so genannten „Life-style“-Tests) in Erwägung gezogen werden.506 Ein Sonderfall ist die pflichtwidrige Nichtaufklärung bei sinnvollen Untersuchungen: Sofern der Arzt über eine medizinisch indizierte Untersuchung zur Abklärung eines Befundes oder der Ermittlung eines Risikos nicht aufklärt, stellt dies eine Beeinträchtigung des Rechts auf Wissen dar.

ccc) Erschwerung der Testdurchführung durch Pflichtberatung Bereits im Rahmen des Rechts auf Nichtwissen wurde die Problematik von Pflichtberatungen erörtert. Vergleichbares ergibt sich auch im Hinblick auf das Recht auf Wissen: Sofern ein Patient zur Vornahme einer bestimmten Untersuchung entschlossen ist, stellt es eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Wissen dar, wenn er zuvor gezwungen wird, sich – entgegen seinem Willen – über Vorund Nachteile der Untersuchung unterrichten zu lassen. Die Problematik dieser Fallkonstellation ist im Ansatz vergleichbar mit der verpflichtenden Beratung vor der Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches im Sinne des § 219 StGB.

ddd) Verweigerung der Testdurchführung Des Weiteren sind Situationen denkbar, in denen dem Einzelnen die Durchführung einer Untersuchung verweigert wird: Hier hat der Einzelne zwar den ausdrücklichen Wunsch nach einer bestimmten Untersuchung, jedoch ist ihm ihre Durchführung aus rechtlichen Gründen versagt. Bei derartigen Testverboten lassen sich drei verschiedene Arten unterscheiden: die methoden-, personenund die sachbezogenen Testverbote. ___________ 504

Nachweise siehe Fn.554 (S. 520). Zur Zulässigkeit von Indikationslösungen: Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 161 ff., 166 ff., 177. 506 Siehe dazu oben, S. 104. 505

510

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Unter methodenbezogenen Testverboten sind Regelungen zu verstehen, die die Vornahme bestimmter Untersuchungsmethoden verbieten. Ein solches Verbot wurde insbesondere im Hinblick auf die Gendiagnostik gefordert, da schon in der Untersuchungsmethode ein Eingriff in die Menschenwürde gesehen wurde.507 Personenbezogene Testverbote verbieten nicht generell die Vornahme von bestimmten Untersuchungen, sondern untersagen ihre Durchführung nur bei bestimmten Personen. Derartige Regelungen könnten insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die zu untersuchende Person selbst (z.B. Minderjährige) oder Dritte (Verwandte) schutzbedürftig sind.508 Genetische Tests können auch Aussagen über die genetischen Veranlagungen von Verwandten erlauben. Denkbar sind gesetzliche Regelungen, die eine Vornahme von genetischen Untersuchungen verbieten, sofern die betroffenen Verwandten nicht in die Untersuchung einwilligen.509

Sachbezogene Testverbote sind wiederum in einer Indikationsregelung denkbar. Dabei kann für bestimmte Abwägungskonstellationen eine gesetzliche Wertung getroffen werden, wonach Untersuchungen in diesen konkreten Fällen unzulässig sind.510 Nach Art. 10 des Schweizer Bundesgesetzes für genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) dürfen genetische Untersuchungen bei Personen nur zu medizinischen Zwecken durchgeführt werden, womit der Regelung eine einschränkende Wirkung zukommt.511

eee) Vorenthaltung der Ergebnisse durchgeführter Tests Schließlich kann eine Beeinträchtigung des Rechts auf Wissen auch darin gesehen werden, dass eine untersuchte Person nicht von den Ergebnissen in Kenntnis gesetzt wird. Zu dieser Fallgruppe lässt sich sowohl das bewusste Verschweigen als auch eine mangelhafte Nachaufklärung zählen.512 ___________ 507

Zur Auffassung, dass bestimmte genetische Untersuchungsmethoden zu einer Menschenwürdeverletzung führen: S. 477. 508 Gerechtfertigt werden könnten derartige Regelungen unter Hinweis auf den Schutz des Rechts auf Nichtwissen. Siehe dazu S. 505 und S. 505. 509 Diese Überlegung wird aufgegriffen von: Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 245 f., 251. Sehr weitgehend Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 57 ff. 510 Dazu Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 162 f.; Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 263 f. 511 Vgl. auch die Botschaft zum GUMG vom 11.09.2002, 02.065, S. 7407 ff. 512 Auch hier bestehen wiederum Spannungsverhältnisse. Denn andererseits hat der Arzt auch eine „schonungslose“ Aufklärung zu vermeiden. – siehe dazu S. 520.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

511

3. Verfassungsrechtliche Schutzbedürftigkeit Im Zentrum der bisherigen verfassungsrechtlichen Diskussion hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts standen Problemstellungen im Bereich der – nach außen gerichteten – Selbstdarstellung.513 Dazu wurden im Wege der Verfassungsauslegung Rechtspositionen herausgearbeitet, die den Einzelnen vor einer unerwünschten Ausforschung und Nutzung personenbezogener Daten durch Dritte schützen.514 Rechtsgewährleistungen, die sich auf den nach innen gerichteten Bereich der Selbstwahrnehmung beziehen, haben bisher jedoch nur in Teilbereichen Niederschlag in der verfassungsrechtlichen Dogmatik gefunden, eine ausdrückliche Benennung im Text des Grundgesetzes fehlt vollkommen. Auch ist der Schutzgegenstand nicht schon von anderen Spezialausprägungen des Persönlichkeitsrechts mit erfasst. Im Rahmen der Schutzbedürftigkeit ist nun zu prüfen, inwieweit der eben bezeichnete Gewährleistungsbereich bereits von anderen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen geschützt ist. Im Folgenden wird herausgearbeitet werden, dass auf der Grundlage der bisherigen Verfassungsauslegung im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung nur Teilbereiche bereits durch andere Grundrechte gewährleistet werden.515

a) Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung Von einigen Autoren wird das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung (Recht auf Wissen und Nichtwissen) als eine Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verstanden.516 Dieser Auffassung soll jedoch vor dem Hintergrund folgender Erwägungen nicht gefolgt werden:517 ___________ 513

Siehe zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung: Dreier-Dreier, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 71 ff., 79; Schmitt Glaeser, in: HdbStR, Band VI, § 129, Rdnr. 77; v. Mangoldt-Starck, Art. 2 GG, Rdnr. 88 ff. 514 Siehe S. 455 ff. 515 Zum Konkurrenzverhältnis zwischen dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung und anderen Grundrechten sie auch unten, S. 533 ff. 516 Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 181 m.w.N., 252 f. (im Hinblick auf die erstmalige Datenerhebung durch Dritte und ihre anschließende Vermittlung von Daten an die untersuchte Person); Diekgräf, BB 1991, 1854 (1858); Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 251 f.; Grand/Atia-Off, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1284; Hofmann, Genomanalyse, S. 47; Kienle, prädiktive Medizin, S. 68 ff.; Luthmann, Genomanalyse an Arbeitnehmern, S. 73; Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 88 f.; Menzel, NJW 1989, 2041 (2042); Paul, Tumorerkrankungen, S. 238; Schöffski, Gendiagnostik, S. 121; Stumper, Informationelle Selbstbestimmung, S. 133; ders., DuD 1995, 511 (511 ff.); Taupitz, Genetische Diagnostik, S. 23; Tinnefeld/Böhm, DuD 1992, 62 (63); Wellbrock, CR 1989, 203 (209); – Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 62 ff., 64 stellt die Herleitung unmittelbar aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht

512

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

aa) Selbstständigkeit der Gewährleistungsbereiche Gegen diese Auffassung spricht zunächst der Umstand, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in seiner Definition und seiner Entstehungsgeschichte den Bereich der Selbstwahrnehmung nicht erfasst. Das Bundesverfassungsgericht hat im Volkszählungsurteil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung definiert als „die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.“518 Nach dieser Formulierung beschränkt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung den Umgang mit persönlichen Daten im Verhältnis zu Dritten.519 Möglich ist die Interpretation des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung als Teilbereichsgewährleistung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung also nur, wenn man dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung einen weiten Gewährleistungsbereich zuschreibt und nicht nur auf die Informationsverarbeitung durch Dritte beschränkt. Jedoch selbst wenn man bereit ist, die ursprüngliche Definition des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu verändern, stößt man auf das Problem, dass sich die Gewährleistungsbereiche des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch strukturell unterscheiden. Als grundlegend für die rechtliche Behandlung des Umgangs mit Daten wurde dazu bereits oben die Unterscheidung zwischen der Selbstwahrnehmung und der Fremdwahrnehmung dargestellt.520 Die in dieser Darstellung zum Ausdruck gebrachten strukturellen Unterschiede machen auch ___________ und dem Recht auf gen-informationelle Selbstbestimmung als zwei mögliche Varianten dar, behandelt in ihrer Arbeit ansonsten das Recht auf Nichtwissen und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung jedoch als selbstständige Rechtspositionen, vgl. etwa Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 62 (Überschrift), passim. 517 Wie hier: Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 11; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 252 ff. (im Hinblick auf Informationen, die Dritten bereits bekannt sind), auch S. 306, These 11; Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 89; Kluth, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 85 (90); Schmidt, Genomanalyse, S. 120, 122, insb. Fn. 245. – Ähnlich wohl auch: Meyer, Mensch, S. 177 f. m.w.N.; Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 62 ff., auch wenn sie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als alternative Herleitungsgrundlage vorstellt. – siehe dazu bereits Fn. 516 (S. 511). 518 BVerfGE 65, 1 (42). 519 So auch: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 68; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 252 f.; Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 92 f. – A.A. Kern, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 55 (63 f.). 520 Siehe S. 380 ff. Schmidt, Genomanalyse, S. 120 bezeichnet das Recht auf Wissen und Nichtwissen als „vorgelagerten Schutzaspekt“.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

513

unterschiedliche Behandlungen auf der rechtsdogmatischen Ebene erforderlich. Für die grundrechtliche Einordnung ergibt sich damit folgendes Bild: In individualrechtlicher Perspektive werden die unterschiedlichen Schutzrichtungen deutlich. Für den Einzelnen stellt sich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Gewährleistung des Rückzug in der Umwelt dar (Schutz für Daten): Er darf bestimmen, ob und in welchem Umfang Daten von ihm erhoben und weitergegeben werden dürfen. Demgegenüber ist das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung als eine Gewährleistung eines Rückzugs vor der Umwelt zu verstehen (Schutz vor bzw. ein Recht auf Daten): Der Einzelne darf selbst darüber bestimmen, ob und in welchem Umfang er Informationen über sich selber erhält.521 Dementsprechend können Beeinträchtigungen der Gewährleistungsbereiche unabhängig voneinander auftreten: Nicht immer, wenn das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt wird, ist auch das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung beeinträchtigt; nicht immer, wenn das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung beeinträchtigt ist, ist auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung tangiert.522 So sind Regelungen denkbar, wonach der Einzelne zwar nicht zur Vornahme von bestimmten (bisher noch nicht vorgenommenen) Untersuchungen verpflichtet werden kann, wohl aber die Ergebnisse bereits durchgeführter Untersuchungen offen zulegen hat. Eine solche Regelung könnte damit gerechtfertigt werden, dass zwar dem Recht auf Nichtwissen Vorrang eingeräumt wird, nicht jedoch dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, da insofern die Interessen Dritter (Vertragsfreiheit, Informationsgleichgewicht) als vorrangig eingestuft werden.

bb) Abgrenzung zum datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch Zu einem anderen Ergebnis kann auch nicht der Hinweis auf die rechtsdogmatische Einordnung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs führen. In diesem Zusammenhang wird jedoch teilweise argumentiert, dass das Recht auf Nichtwissen als Gegenstück zum datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch zu betrachten und daher konsequenterweise auch wie dieser rechtssystematisch ___________ 521

Schmitt Glaeser, in: HdbStR VI, § 129, Rdnr. 27 ff. – Siehe auch Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 349; Schmidt, Genomanalyse, S. 120 f.: „äußere“ und „innere Schutzrichtung“ des Selbstbestimmungsrechts. Ähnlich wohl auch Meyer, Mensch, S. 177 f., mit Hinweis auf Simon „Rechtspolitische Aspekte der gegenwärtigen und zukünftig erwartbaren Nutzung genanalytischer Methoden am Menschen“, Gutachten im Auftrag des Büros für Technikfolgen-Abschätzung am Bundestag, 1993. 522 Zur grundrechtlichen Konkurrenz zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung: S. 540.

514

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

einzuordnen sei.523 Da der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch unzweifelhaft dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zuzuordnen ist, wird dementsprechend auch das Recht auf Nichtwissen als Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung interpretiert. Ein solcher Schluss erscheint jedoch nicht plausibel, da durch eine solche Interpretation die unterschiedlichen Schutzrichtungen des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruches und die des Rechts auf Nichtwissen nicht ausreichend berücksichtigt werden: Der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch ist vornehmlich auf die Ermittlung des Wissens Dritter gerichtet. Er dient von der Idee her nicht der Selbstwahrnehmung, sondern ist dem Bereich der Fremdwahrnehmung zuzuordnen:524 Er soll für den Einzelnen abschätzbar machen, welches Bild Dritte von ihm haben. Erst diese Information macht es für den Einzelnen möglich, durch Korrekturen oder gezielte Selbstdarstellung das vorhandene Bild zu beeinflussen.525 Das Recht auf Nichtwissen dient demgegenüber vor allem der Selbstwahrnehmung. Es gibt dem Einzelnen das Recht, etwas über sich selbst zu erfahren. Es liegt nahe, den unterschiedlichen Schutzrichtungen des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruches und des Rechts auf Nichtwissen auch durch eine unterschiedliche grundrechtsdogmatische Einordnung Rechnung zu tragen. Der datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch kann aber insofern auch eine doppelte Funktion haben: Zum einen dient er der Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, zum anderen kann er – sofern Dritte ein weiter gehendes Wissen haben als der Betroffene selbst – auch der Durchsetzung des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung dienen. Insofern steht zur Durchsetzung des Rechts auf Wissen ausnahmsweise526 ein leistungsrechtlicher Anspruch zur Verfügung, der sich jedoch dogmatisch aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ableitet.

___________ 523

Stumper, Informationelle Selbstbestimmung, S. 121 ff., 133; ders., DuD 1995, 511 (514). Im Anschluss daran auch: Hofmann, Genomanalyse, S. 48. 524 Wie Stumper selbst einräumt: Stumper, DuD 1995, 511(S. 513, Fn. 43). 525 Siehe dazu auch bereits BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung: „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden.“ 526 Grundsätzlich gibt das Recht auf Wissen keinen leistungsrechtlichen Anspruch. Siehe S. 535.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

515

cc) Verschiedenes Instrumentarium zum Schutz vor Beeinträchtigungen Eine Unterscheidung zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als einem Schutz vor äußeren Konfliktlagen und dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung als dem Schutz vor inneren Konfliktlagen bietet sich jedoch vor allem auch deshalb an, weil die Vorkehrungen zum Schutz dieser beiden Rechtsgewährleistungen sich wesentlich unterscheiden und verschiedene Reaktionen erfordern: Die verfahrenstechnischen und organisatorischen Instrumentarien, die für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt wurden (Zweckbindungsgebot, datenschutzrechtliche Gewaltenteilung, Löschungsansprüche), dürften bei dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung in der Regel nicht weiterhelfen. Demgegenüber sind an bestimmte Aufklärungspflichten, wie z.B. den sog. „informed consent“, im Zusammenhang mit dem Recht auf Nichtwissen völlig andere Anforderungen zu stellen als beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Anforderungen an rechtliche Vorkehrungen zum Schutz im Bereich der Selbstwahrnehmung ganz andere sind als die zum Schutz im Bereich der Fremdwahrnehmung. Das rechtliche Instrumentarium des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, welches schon nach seiner Definition im Volkszählungsurteil527 auf den Bereich der Fremdwahrnehmung zugeschnitten ist, erscheint nicht passend für Rechtsprobleme im Bereich der Selbstwahrnehmung. Somit ist das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung nicht lediglich ein neu erschlossener Gewährleistungsbereich, auf den die Regeln, die für das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung entwickelt worden sind, gleichermaßen (analog) Anwendung finden können, sondern ein Bereich, der Besonderheiten aufweist, die typischerweise eine besondere rechtliche Behandlung verlangen.528

b) Abgrenzung zum Recht auf körperliche Unversehrtheit Für das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung lassen sich in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in zweierlei Hinsicht Spezialverbürgungen finden: Sofern dem Einzelnen gegen seinen Willen Untersuchungsergebnisse mitgeteilt werden, die bei ihm psychosomatische Reaktionen auslösen und ihm in seinem gesundheitlichen Wohlbefinden beeinträchtigen, ist er in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beeinträchtigt. Ausgelöst wird dieser spezielle Grundrechtsschutz durch die Intensität des Eingriffs in das Recht auf freibestimmte Selbstwahrneh___________ 527

BVerfGE 65, 1 (43). Darin lässt sich der rechtsdogmatische Gewinn sehen, den Manssen, Privatrechtsgestaltung, S. 192, fordert. 528

516

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

mung. In dieser Hinsicht hat das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung somit eine eingriffsintensitätsbezogene Spezialverbürgung in Art. 2 Abs. 2 GG für psychosomatisch belastende Testergebnisse,529 etwa bei schweren Depressionen oder Suizidversuchen infolge von falsch-positiven HIV-Untersuchungen530 und bei der Feststellung einer Veranlagung zur Huntington-Krankheit.531 Als Grundlage für die freie Selbstbestimmung des Patienten und ihre normative Einwirkung auf die ärztliche Aufklärungspflicht (im privatrechtlichen Bereich) wird neben Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herangezogen:532 Nur wenn der Patient über gesundheitliche Gefahren und gegebenenfalls über Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt wird, hat er die Möglichkeit zu einer freien Entscheidung darüber, ob und in welcher Weise er behandelt werden möchte. Damit wird jedoch nur ein Teilbereich des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung abgedeckt, da sich der Auskunftsanspruch nur auf gesundheitsbezogene Daten bezieht.533 Demgegenüber erfasst das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung auch nicht-gesundheitsbezogene Informationen. Im Hinblick auf die Mitteilung von persönlichen Gesundheitsdaten stellt das Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG somit eine schutzbereichsbezogene Spezialverbürgung des Rechts auf Wissen als einem Teilgewährleistungsbereichs des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung dar.534

c) Abgrenzung zur Informationsfreiheit Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung wird nicht von der Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasst. Denn die Informationsfreiheit bezieht sich lediglich auf den Zugang zu offenen, allgemein zugänglichen Informationsquellen. Persönliche Merkmale, welche als statistische Bezugskri-

___________ 529

Siehe auch S. 542. Nachweise dazu siehe Fn. 405 (S. 485). 531 Almquist/Bloch/Brinkmann/Craufurd/Hayden, Am. J. Hum. Genet., vol. 64 (1999), 1293 ff. 532 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist als Auslegungsgrundlage allerdings umstritten. Die bisher wohl (noch) herrschende Meinung gründet den Anspruch auf Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG: BVerfGE 52, 131 (168), zuletzt BVerfG, MedR 1993, 232 – Einsichtnahme in Patientenakten. Demgegenüber zieht die abweichende Meinung Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG heran: BVerfGE 52, 131, (171 ff.); jetzt auch BVerfGE 89, 120 (130) – dazu auch Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 54 f. m.w.N.; Hofmann, Genomanalyse, S. 28. 533 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 93. 534 Siehe auch S. 542. 530

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

517

terien zur Ermittlung von Eigenschaftsindikatoren einer Person genommen werden, gehören gerade nicht dazu.535

4. Verfassungsrechtliche Schutzwürdigkeit Art. 1 Abs. 1 GG schützt die Würde des Menschen, wie er sich in seiner Individualität selbst begreift und seiner selbst bewusst wird.536 Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung stellt sich vor diesem Hintergrund als eine unmittelbare Ausprägung der Menschenwürdegarantie dar, aus der sich auch seine besondere Schutzwürdigkeit ergibt.537

a) Intensität der Beeinträchtigung Das besondere Gefährdungspotenzial für den menschenwürde-relevanten Kern der freien Persönlichkeitsentfaltung ergibt sich aus der Individualinformation als Schutzgegenstand: Individualinformationen treffen Aussagen über Einzelpersonen und betreffen damit grundsätzlich zunächst einmal nur sie selbst. Es erscheint daher als nahe liegend, der Person, über die eine Aussage getroffen wird, selbst die Entscheidung darüber zu überlassen, ob sie von einer solchen Information Kenntnis erlangt. Die Missachtung dieses Entscheidungsvorrechts kann erhebliche Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Einzelnen und sein Selbstwertgefühl haben und gibt der unerwünschten Vermittlung oder Vorenthaltung von Individualinformationen einen entmündigenden Charakter. Dies gilt auch dann, wenn sich die statistischen Bezugskriterien außerhalb des Körpers der zu untersuchenden Person befinden. Eigentumsrechtliche Positionen an den Datenträgern sind insofern nicht entscheidend.538 Im Hinblick auf das Recht ___________ 535

Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 90; Taupitz, in: FS Wiese, S. 583 (587); Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 118; Wiese, in: FS Niederländer, S. 475 (476). 536 BVerfGE 49, 286 (298). 537 Allgemein zur Bedeutung des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung für die Persönlichkeitsentfaltung siehe etwa: BMFT/BMJ-Arbeitsgruppe, Bericht (1985), in: BMFT, In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, S. 38 f.; Enquetekommission „Chancen und Risiken“, Abschlussbericht (1986), BT-Drs. 10/6775, S. 151, 168; Bioethikkommission Rheinland-Pfalz, Bericht (1989), in: Caesar, Humangenetik, S. 25; Bund-Länder-Arbeitsgruppe, Abschlussbericht (1990), S. 11. – Im Übrigen – statt vieler – auch: Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 254 f. mit umfangreichen Nachweisen; Donner/Simon, DÖV 1990, 907 (912 f.); Künzler, Macht der Technik, S. 58 ff.; Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 87 f. 538 Im Zusammenhang mit der Patentierbarkeit von genetischen Strukturen wird zur Unterstreichung der Rechtsansprüche der Probenspender der Satz „Meine Gene gehören

518

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

auf informationelle Selbstbestimmung kommt es nicht auf die körperliche Beherrschbarkeit der Datenquellen an, sondern auf ihre datenschutzrechtliche Zuordnung zu einer bestimmten Person, der damit in gewisser Weise eine „Datenhoheit“ an ihren eigenen Individualinformationen zukommt.539 Der Aspekt des Individualbezugs macht auch verständlich, warum der Schutzgegenstand nicht auf genetische Veranlagungen zu beschränken ist. Denn der Eindruck des schicksalhaften Ausgeliefertseins dürfte sich immer dann einstellen, wenn z.B. Krankheitsprognosen an nachweisbare Merkmale anknüpfen, unabhängig davon, ob sie bereits bei der Geburt vorgelegen haben oder erst im Laufe des Lebens entstanden sind, und unabhängig davon, ob sie körperlich oder außerkörperlich sind. Eine besondere Gefährdungslage wird insbesondere für das Recht auf Nichtwissen augenfällig: Beeinträchtigungen dieses Rechts sind irreversibel.540 Sobald der Einzelne einmal Informationen über Entwicklungswahrscheinlichkeiten erhalten hat, die mit bestimmten, bei ihm vorliegenden Eigenschaftsindikatoren begründet werden und die ihm bisher unbekannt waren, lässt sich dieses – möglicherweise sehr belastende – Wissen nicht mehr beseitigen. Anders als beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist eben die Löschung von unzulässigerweise vermittelten Daten nicht möglich.541 Der Aspekt der Aussagegenauigkeit ist hingegen kein unmittelbarer Maßstab zur Bestimmung der Intensität einer Beeinträchtigung des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung.542 Zwar mögen sich viele Menschen mit Gewissheiten eher abfinden können als mit einem Leben ohne Planungssicherheit und klaren Perspektiven. Bei der Vermittlung prädiktiver Daten kann dabei der psychologische Gesichtspunkt hinzutreten, dass die zahlenmäßige Beschreibung von Lebensaussichten eine eigene Realität entwickelt und als vermeintlich ob___________ mir“ geprägt (siehe etwa Simitis, zitiert nach Graupner, SZ 26./27.10.2002, Nr. 248, S. 10). Im Zusammenhang mit persönlichkeitsrechtlichen Fragestellungen dürfte der Satz jedoch nicht passend sein, weil er den Eindruck erweckt, dass das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung an eine Art von Eigentumsansprüchen an den jeweiligen Datenquellen gekoppelt ist. 539 Kritisch zum Verständnis des Datenschutzes als eigentumsanalogen Bestimmungsbefugnis: Albers, Determination, S. 232; Simitis, in: Festschrift Zeidler (1987), S. 1476 (1489 ff.). 540 Bezogen auf genetische Informationen: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 121, 123; Chadwick, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 1 (9); Damm, MedR 1999, 437 (438); ders., JZ 1998, 926 (932); Feuerstein/Kollek/Uhlemann, Gentechnik und Krankenversicherung, S. 71; Krahnen, in: Schröder-Kurth, Genetik, S. 67 (69). 541 Simitis, in: Festschrift Zeidler (1987), S. 1475 ff. 542 Vgl. auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 121 f.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

519

jektiver Sachbeweis die Wirkung einer „self-fulfilling prophecy“ bekommt.543 Für bestimmte Persönlichkeitsstrukturen und bestimmte Problemstellungen dürften Informationen jedoch umso bedrückender wirken, je genauer sie sind. Gewissheiten – insbesondere die Feststellung von Manifestationen – können zuweilen vielleicht weniger zu ertragen sein als Vermutungen, die zumindest noch Raum für Hoffnung lassen.544 So ist etwa die Bereitschaft von Menschen, welche zur Hochrisikogruppe für die Huntington-Krankheit gezählt werden, relativ gering, einen Gentest durchzuführen, der Klarheit über die Erkrankungswahrscheinlichkeit bringen könnte. In den Jahren 1987 – 1990 wurden in Großbritannien lediglich 248 Tests durchgeführt, während ursprünglich 10.000 Testteilnehmer erwartet worden waren.545

b) Wertigkeit der betroffenen Rechtspositionen Darüber hinaus lässt sich auch eine besondere Nähe zum menschenwürderelevanten Kern der Persönlichkeitsentfaltung feststellen: Unter Zugrundelegung des oben skizzierten Persönlichkeitsmodells hat das Wissen über sich selbst, also über eigene Fähigkeiten und Veranlagungen, unmittelbare Auswirkungen auf des Selbstwertgefühl des Einzelnen.546 Einerseits kann die Kenntnis über sich selbst dem Einzelnen Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und Selbstsicherheit geben. Andererseits vermag eine solche Kenntnis jedoch Handlungsmöglichkeiten nicht nur zu erweitern, sondern auch zu zerstören.547 Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang der Einzelne Kenntnis über sich selbst erlangt, erscheint als höchstpersönliche Entscheidung der betroffenen Person. Damit ist das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung zumindest genauso schutzwürdig wie der durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung geschützte Bereich der Selbstdarstellung nach außen.548 Vor diesem Hintergrund erscheint eine verfassungsrechtliche Verankerung des Rechts auf ___________ 543

Künzler, Macht der Technik, S. 60. Zum Thomas-Theorem auch bereits S. 353 f. Dennoch findet die Aussagegenauigkeit von Informationen, insbesondere die verminderte Aussagegenauigkeit bei prädiktiven Aussagen, bei der Fallgruppenbildung innerhalb des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung indirekt Berücksichtigung. Diese Kategorisierung rechtfertigt sich dann jedoch eben nicht über die damit verbundene besondere Eingriffsintensität, sondern über den Umstand, dass im Rahmen der Abwägung für diese Fälle die entgegenstehenden Rechte und Interessen typischerweise weniger gewichtig sind. – Siehe dazu unten, S. 533 ff. 545 Siehe Chadwick, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 1 (2) m.w.N. 546 Siehe S. 380 ff. 547 Siehe nur Jonas, Technik, Medizin und Ethik, S. 162 (187 ff.). 548 Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 254 ff. 544

520

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

freibestimmte Selbstwahrnehmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG begründbar.

c) Indizielle Wirkung einfachgesetzlich hervorgehobener Schutzzonen Gesetzliche Regelungen, die ausdrücklich das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung verbürgen, existieren bisher noch nicht. Entsprechende Bestrebungen lassen sich jedoch den Gesetzentwürfen zur geplanten Regelung über die Zulässigkeit gendiagnostischer Untersuchungen am Menschen entnehmen.549 Erwägungen zum Recht auf Nichtwissen fanden zudem bereits bei der Fassung des Entwurfs zum ArbSchRG Berücksichtigung.550 Insbesondere die Regelung des § 22 Abs. 2 ArbSchRG-E, welche ein Verbot von Untersuchungen „zur bloßen Aufdeckung“ ererbter Anlagen vorsah, sollte dem Recht auf Nichtwissen der zu untersuchenden Person dienen.551 § 22 Abs. 3 S. 2 ArbSchRG erlaubt zwingende genetische Untersuchungen nur aufgrund gesetzlicher Regelungen und stellt damit auch Beeinträchtigungen des Rechts auf Nichtwissen unter einen Gesetzesvorbehalt.552 Als Ausdruck der Teilbereichsgewährleistung des Rechts auf Wissen, ließe sich die ärztliche Aufklärungspflicht interpretieren. Ihren rechtlichen Grund findet diese Pflicht in dem Behandlungsvertrag, der Patientenautonomie und teilweise in spezialgesetzlichen Regelungen, wie zum Beispiel im Arzneimittelgesetz.553 Dem Schutz eines Rechts auf Nichtwissen könnte wiederum die Pflicht des Arztes zugerechnet werden, dem Patienten nicht durch schonungslose Offenbarung einer Diagnose vorhersehbare Körperoder Gesundheitsschäden zuzufügen.554

Vereinzelt lassen sich auch andere gesetzliche Regelungen als Ausdruck des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung betrachten. Nach § 1596 Abs. 1 Nr. 5 BGB a.F. konnte das Kind ohne die Einhaltung von Anfechtungsfristen seine Ehelichkeit anfechten, „wenn die Anfechtung wegen einer schweren Erbkrankheit des Mannes sittlich gerechtfertigt ist.“ Die Gründe für diese Regelung

___________ 549

Mit weitgehend übereinstimmenden Wortlaut Bündnis90/Die Grünen, BT-Drs. 16/3233, insb. § 11 Abs. 2 Nr. 6 GenDG-E; CDU-Anträge aus der 14 und 15. Legislaturperiode: BT-Drs. 14/6640 vom 03.07.2001 und BT-Drs. 15/543 vom 11.03.2003; Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Regelungsvorschläge, DuD 2002, 150 (150), § 15 Abs. 6, § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 2 S. 1, § 17 Abs. 3. 550 Bundesregierung, Begründung zu § 22 ArbSchRG-E, BT-Drs. 12/6752, S. 46 ff. passim. Siehe dazu Marquardt, Arbeitsschutzrahmengesetz, S. 252. 551 Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 2 ArbSchRG-E, S. 46. 552 Bundesregierung, Begründung zu § 22 Abs. 3 ArbSchRG-E, S. 47. 553 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 61, Rdnr. 16. 554 Taupitz, in: FS Wiese, S. 583 (590 f.) m.w.N.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 61, Rdnr. 9. – Siehe auch Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 220 ff., 225.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

521

wurden in dem Interesse des Kindes gesehen, durch eine Widerlegung verwandtschaftlicher Verhältnisse seine Heiratsaussichten zu verbessern.555 Nach jetziger Rechtslage wird dieser Fall nun als von § 1600b Abs. 5 BGB n.F. erfasst betrachtet556 und berechtigt das Kind in einer erneuten Frist von zwei Jahren zur Anfechtung seiner Ehelichkeit. In diesen Fallkonstellationen kann § 1600b BGB als besondere Ausprägung des Rechts auf Wissen des Kindes betrachtet werden.557

In der Rechtsprechung findet das Recht auf Nichtwissen im Grundsatz darin Anerkennung, dass die unerwünschte Mitteilung von Untersuchungsergebnissen eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen kann, ohne dass es zu einer psychosomatischen Beeinträchtigung der untersuchten Person gekommen sein muss.558

III. Übereinstimmende verfassungsgerichtliche Rechtsprechungstendenzen Eine ausdrückliche verfassungsgerichtliche Anerkennung eines Rechts, welches dem hier beschriebenen Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung entspricht, ist noch nicht erfolgt. Allerdings lassen sich bereits Ansätze in der Rechtsprechung des BVerfG erkennen, die die Anerkennung einer solchen Rechtsgewährleistung vermuten lassen, nämlich etwa dort, wo das BVerfG die Bedeutung des Wissens oder Nichtwissens über einen bestimmten persönlichen Lebensbereich als Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Handeln hervorhebt und eine entsprechende Rechtsgewährleistung herausarbeitet.559

1. Recht auf Kenntnis (und Unkenntnis) der eigenen Abstammung Als eine Ausprägung des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung lässt sich das vom BVerfG bereits anerkannte Recht auf Kenntnis der eigenen Ab___________ 555

Palandt-Diederichsen, § 1596 a.F., 57. Aufl., Rdnr. 6. Siehe dazu auch BayObLG, DAVorm 1988, 1024 ff. 556 Siehe Palandt-Diederichsen, § 1600b, Rdnr. 26. 557 Vgl. jetzt aber auch: BVerfG, NJW 2007, S. 753 ff. 558 Folgende Urteile erkennen die Möglichkeit der Verletzung des Rechts auf Nichtwissen im Grundsatz an: LG Köln, NJW 1995, 1621 (1622) – im Falle eines positiven Testergebnisses; AG Göttingen, NJW 1989, 776 – allerdings kein Schmerzensgeld im Fall eines negativen Testergebnisses; AG Mölln, NJW 1989, 775 – allerdings kein Schmerzensgeld, sofern der untersuchten Person das Testergebnis (wunschgemäß) nicht mitgeteilt wird. – Ablehnend insofern: OLG München, OLG-Report 1998, 233. – Auch Michel, NJW 1988, 2271 (2271 ff., 2277), der allerdings auf den Aspekt der psychischen Belastung der Untersuchten Person nicht eingeht. 559 Zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Schutz der Identitätsbildung: Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (16 f.).

522

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

stammung560 betrachten.561 In den Entscheidungen wurde herausgestellt, dass die Kenntnis des biologischen Vaters einen entscheidenden Gesichtspunkt für die Identitätsbildung darstellen kann.562 „Der Bezug zu den Vorfahren kann im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für das Selbstverständnis und seine Stellung der Gesellschaft einnehmen. Die Kenntnis der Herkunft kann wichtige Anknüpfungspunkte für das Verständnis des familiären Zusammenhangs und für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit geben. Die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, kann den Einzelnen erheblich belasten und verunsichern. Daher (Ergänzung des Verfassers: wegen der Beeinträchtigung in der Selbstwahrnehmung – der Einzelne darf selbst bestimmen, auf Grundlage welcher Informationen er sein Leben führen möchte) umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung.“563

Entsprechendes gilt auch für den umgekehrten Wunsch eines Menschen, der gerade kein Interesse an der Aufdeckung seiner leiblichen Verwandtschaftsverhältnisse hat. So hat der Oberste Gerichtshof Argentiniens entschieden, dass mutmaßliche Kinder von während der Militärdiktatur (von 1976 – 1983) verschwundenen Personen nicht zur Abgabe von Blut- und Gewebeproben zur Feststellung ihrer leiblichen Familienzugehörigkeit gezwungen werden können. Damit gab er einer Frau Recht, die die mutmaßliche Tochter eines während der Diktatur ermordeten Paares ist und die eine Zwangsentnahme einer Blutprobe für eine gerichtlich angeordnete Genanalyse zur Feststellung ihrer leiblichen Familienzugehörigkeit verweigert hatte. Der Oberste Gerichtshof stellt dabei fest, dass das Recht der Frau auf Wahrung ihrer Privatsphäre Vorrang vor dem Interesse der Familienangehörigen der Verschwundenen an der Feststellung ihrer leiblichen Familienzugehörigkeit habe. Den Anlass zu dieser Entscheidung gab der Antrag der mutmaßlichen leiblichen Großmutter der Frau, welche feststellen lassen wollte, ob zwischen ihr und der Frau verwandtschaftliche Beziehungen bestehen. Die verklagte Frau begründete ihre Verweigerung damit, dass sie ihre Adoptiveltern nicht belasten wolle. Ihr Adoptivvater, ein Marineunteroffizier, hat allerdings zwischenzeitlich zugegeben, dass er seine Adoptivtochter von einem Vorgesetzten übergeben bekommen und mit gefälschten Unterlagen als seine Tochter registriert habe, und ist bereits rechtskräftig verurteilt worden.564 – Der Fall betrifft zwar vornehmlich das Problem der Weitergabe von Informationen an Dritte, lässt sich aber auch auf den hier relevanten Aspekt des Rechts auf Nichtwissen übertragen: Der Einzelne darf nicht gezwungen werden, Kenntnis über seine leiblichen Eltern zu bekommen.

___________ 560

BVerfGE 79, 256 ff. – Abstammung I; 90, 263 ff. – Abstammung II. Dazu auch – mit unterschiedlicher Bewertung – Damm, JZ 1998, 926 (931 f.); Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (17); Meyer, Mensch, S. 182 ff.; Roos, Genetische Analyse von Stellenbewerbern, S. 61 (Fn. 61), 67; Schira, Genomanalyse, S. 66; Wiese, in: FS Niederländer, S. 475 (484). 562 BVerfGE 79, 256 (268); 90, 263 (270 f.). 563 BVerfGE 90, 263 (270 f.) – Abstammung II. 564 O.V., FAZ 2.10.2003, Nr. 229, S. 10; auch Luyken, Die Zeit 25.09.2003, Nr. 40, S. 20. Siehe auch bereits oben, S. 457. 561

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

523

Die Überlegungen, die die Grundlage für die Herleitung des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung bilden, lassen sich gut auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung übertragen. Wesentlich ist dabei vor allem die Betonung der Identitätsfindung als eines besonderen Aspekts der Persönlichkeitsentfaltung. Wörtlich heißt es dazu in der Entscheidung des BVerfG zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung:565 „Das Recht der Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann (vgl. BVerfGE 35, 202 (202)). Verständnis und Entfaltung der Individualität sind aber eng mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren verbunden. Sie legt nicht nur die genetische Ausstattung des Einzelnen fest und prägt so seine Persönlichkeit. Unabhängig davon nimmt sie auch im Bewusstsein des Einzelnen eine Schlüsselstellung für die Individualitätsfindung und das Selbstverständnis ein. [...] Bei Individualität und Selbstfindung handelt es sich vielmehr um einen vielschichtigen Vorgang, in dem biologisch gesicherte Erkenntnisse keineswegs allein ausschlaggebend sind.“566

2. Zulässigkeit der Durchführung von medizinischpsychologischen Untersuchungen Einen weiteren Anhaltspunkt für das Recht auf Nichtwissen bietet der Beschluss des BVerfG vom 24.06.1993 zur Zulässigkeit der Durchführung medizinisch-psychologischer Untersuchungen.567 Die medizinisch-psychologische Untersuchung gründet sich auf einer umfassenden Untersuchung der gesundheitlichen und psychischen Eignung des Untersuchungspflichtigen. Bestandteil des psychologischen Teils der Untersuchung ist die Erforschung des Lebenslaufes, v.a. des familiären und sozialen Hintergrundes, etwaigen Konsum von Alkohol, Zigaretten und Drogen sowie etwaiger Gesetzesverstöße. Zusätzlich werden Leistungsfähigkeit, Verhalten und Leistungsdruck und Reaktionsschnelligkeit getestet.568

In dieser Entscheidung stellte das BVerfG die hohe Eingriffsintensität medizinisch-psychologischer Untersuchungen hinsichtlich des Persönlichkeitsrechts heraus und führte zur Begründung aus: „Die bei dem psychologischen Teil der Untersuchung ermittelten Befunde des Betroffenen berühren seine Selbstachtung ebenso wie sein gesellschaftliches Ansehen.“569 ___________ 565

BVerfGE 79, 256 (268 f.). Hervorhebungen durch d. Verf. 567 BVerfGE 89, 69 ff. – MPU. 568 Siehe dazu BVerfGE 89, 69 (83). 569 BVerfGE 89, 69 (84), (Hervorhebung durch den Verfasser). 566

524

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

3. Selbstbestimmungsrecht des Patienten, insbesondere Recht auf Einsichtnahme in Patientenakten Übereinstimmende Tendenzen in der Rechtsprechung des BVerfG ergeben sich im Hinblick auf den Teilgewährleistungsbereich des Rechts auf Wissen: Das in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verbürgte Selbstbestimmungsrecht des Patienten verpflichte bei der Auslegung einfachgesetzlicher Bestimmungen zur grundsätzlichen Anerkennung einer Aufklärungspflicht des Arztes und – damit korrespondierend – eines Auskunftsanspruches des Patienten.570 Für gesundheitsrelevante Merkmale lässt sich dies damit begründen, dass erst die Kenntnis der möglichen Erkrankung es dem Einzelnen ermöglicht, selbstbestimmt über deren Behandlung zu entscheiden.571 Parallel dazu lässt sich auch der Auskunftsanspruch im Hinblick auf nicht gesundheitsbezogene Daten begründen: Die freibestimmte Wahrnehmung der eigenen Entfaltungsmöglichkeiten ist eine der wesentlichen Grundvoraussetzungen für eine selbstbestimmte Entfaltung der eigenen Persönlichkeit.

IV. Verfassungsrechtliche Konsequenzen Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist bisher noch nicht vom BVerfG im vollen Umfang anerkannt worden. Folgende formelle und materielle Maßgaben bieten sich als verfassungsrechtliche Konsequenzen aus diesem Recht an:

1. Formelle Anforderungen: Einschränkung der Eingriffsmöglichkeiten Grundsätzlich muss es jedem Menschen selbst überlassen bleiben, ob und in welchem Umfang er Kenntnis über sich selbst erlangen will. Sofern der Staat in diese Rechtsgewährleistung eingreifen will, bedarf es einer gesetzlichen Grundlage, die die Voraussetzungen dafür festlegt, unter welchen Umständen welche Informationen von welcher Art und welchem Umfang dem Bürger entgegen oder ohne seinen Willen vermittelt oder vorenthalten werden dürfen.572

___________ 570

BVerfGE 52, 131 (168). Zur Diskussion über die Auslegungsgrundlage dieses Rechts siehe bereits oben, Fn. 532 (S. 516). 571 BVerfGE 52, 131, (176 – abw. M. –). 572 A.A. VGH München, NJW 1988, 2318 (2320).

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

525

2. Materielle Anforderungen: Einschränkungsgrenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Die materielle Zulässigkeit von Eingriffen in das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist im Wesentlichen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bewerten. In rechtlichen Regelungen wird sich die Vielfältigkeit der denkbaren Informationskontexte kaum erfassen lassen, zudem es sich bei den genannten Gesichtspunkten meist um höchstpersönliche Hintergründe handelt, welche nicht allgemeingültig an bestimmten Umständen festgemacht werden können.573 Im Folgenden wird versucht, situative Anzeichen herauszuarbeiten, die eine grobe Typisierung möglicher Informationskontexte zulassen. Einen Überblick bietet folgende Abbildung:574

Tester z.B. Arzt

Test

Getesteter

Testergebnis und Probe Betroffene Dritte Testinteressent Datenbank

Abb. 15: Abwägungsgesichtspunkte für das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

a) Art und Inhalt des Testergebnisses, Therapierbarkeit bei Krankheiten Art und Inhalt des Testergebnisses stellen zwar ganz wesentliche Gesichtspunkte bei der Bewertung der Eingriffsintensität dar, sind jedoch angesichts der ganz unterschiedlichen persönlichen Bedeutung und der unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen der untersuchten Personen für sich genommen kaum aus-

___________ 573

Vgl. S. 385 ff. Die in dieser Abbildung dargestellten Interessenpole können auch in einer Person zusammenfallen. Führt etwa ein Arbeitgeber selbst eine genetische Untersuchung durch, ist er zugleich als Testinteressent und Tester zu charakterisieren. 574

526

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

sagekräftig.575 Ihre Bewertung kann nur im Zusammenhang mit den gesamten Umständen des Einzelfalls vorgenommen werden. Die Diagnose einer dauerhaften Heiserkeit mag für viele kaum als besonders bedrohliche Feststellung gewertet werden, während sie bei einem Opernsänger unter Umständen Existenzängste auszulösen vermag.

Bei Informationen über Krankheiten wird die Bedeutung der Information wesentlich durch die Therapiemöglichkeiten mitbestimmt. Zu unterscheiden ist hier zwischen Therapiemöglichkeiten nach diagnostischen Untersuchungen und solchen im Rahmen von prädiktiven Untersuchungen.576 Prädiktive Untersuchungen können bei mangelnden Therapiemöglichkeiten zu einer unnötig frühen oder sogar grundlosen psychischen Belastung führen.577

b) Persönlichkeit und Lebenssituation des Getesteten Wichtiger Anhaltspunkt für die Beurteilung der wahrscheinlichen Eingriffsintensität in das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist die Persönlichkeit und die Lebenssituation der getesteten Person. Ein maßgeblicher Faktor für die Bewertung der Bedeutung, die der Kenntnis oder Unkenntnis bestimmter Eigenschaftsindikatoren zukommen kann, ist das Lebensalter der betreffenden Person zum Zeitpunkt der Untersuchung.578 Veranschaulichen lässt sich dies insbesondere im Hinblick auf Krankheiten. Frühzeitiges Wissen kann dabei auf der einen Seite die Chancen für erfolgreiche Präventions- und Therapiemaßnahmen erhöhen, andererseits aber auch zu einer hohen und zudem möglicherweise letztlich unbegründeten oder sinnlosen psychischen Belastung führen, wenn sich die gegenwärtig oder zukünftig vermutete Krankheit nicht manifestiert oder nicht behandelbar ist.579 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist also zunächst festzustellen, in welcher Entwicklungsphase des Menschen eine Untersuchung vorgenommen wird. In Betracht kommen hier Untersuchungen ___________ 575

Siehe auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 122 f. Siehe bereits S. 122 ff. 577 Dazu siehe S. 124. 578 Holtzman, Caution, S. 109 f. behandelt dies lediglich unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung der Präventionsmöglichkeiten. 579 Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 360: „Ebenso ist die frühzeitige Kenntnis von Krankheitsdispositionen keineswegs nur hilfreich. Denn es ist ungewiss, ob sie sich realisieren. Der Fall wäre denkbar, dass ein vom Herzinfarkt Bedrohter zeitlebens mäßig isst, kaum trinkt, nie raucht, nur angemessen Sport treibt, auf beruflichen Aufstieg, weil zu sehr mit Stress beladen, verzichtet und sich selbst in der Liebe nur laue Gefühle vergönnt: Und doch liegt er mit 45 Jahren in den letzten Zügen. Was war Schuld? ... Irgendetwas hat ihn eben ‚geschafft‘. Der Preis ‚zu vielen Wissens‘ kann also ein vergeblicher Verzicht auf Lebensfreude sein.“ 576

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

527

vor der Empfängnis (präkonzeptionell), vor der Geburt (pränatal) und nach der Geburt (postnatal). Die besondere Problematik bei Minderjährigen (insbesondere Neugeborenen) liegt darin, dass die Eltern bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Kindes darüber entscheiden, über welche Eigenschaftsindikatoren des Kindes die Kenntnis vermittelt oder vorenthalten wird, auch wenn sich die Auffassung des Kindes mit der der Erziehungsberechtigten nicht deckt.580 Zum einen kann die minderjährige Person Kenntnis von persönlichen Eigenschaften bekommen, die sie nicht haben will. Zum anderen kann ihr aber auch ein Wissen vorenthalten werden, welches ihr für ihre Lebensplanung schon im Minderjährigenalter als sehr wichtig erscheint. Beides kann irreversible psychische und gegebenenfalls auch gesundheitsschädigende Folgen haben.581 Dabei können grundsätzlich auch pränatale Untersuchungen das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung der untersuchten Person beeinträchtigen, wenn der Einzelne im Laufe seines Lebens von der durchgeführten Untersuchung Kenntnis erhält.582 Zwar entfalten die grundrechtlichen Gewährleistungen im Verhältnis zwischen Eltern und Kind keine unmittelbare Wirkung. Allerdings könnte das besondere Gewicht des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung für bestimmte Fälle eine gesetzliche Einschränkung des Erziehungsrechts rechtfertigen. In einigen Vorschlägen zur Regelung genetischer Untersuchungen wird dem Schutz des Rechts auf Nichtwissen offenbar dabei ein besonderes Gewicht beigemessen. Dementsprechend wird gefordert, Untersuchungen grundsätzlich auf Volljährige zu beschränken.583 Untersuchungen, die erst nach dem Erreichen gesicherter Lebensverhältnisse vorgenommen werden, können unter Umständen als weniger beeinträchtigend gewertet werden.584 Da die Bestimmung eines solchen Zeitpunkts wohl kaum für alle Menschen in der gleichen Weise getroffen werden kann, kommt es insbesondere in diesem Fall auf eine Einzelfallbewertung an. Nicht unproblematisch sind aber selbst postmortale Untersuchungen eines Menschen.585 Hier kann es einerseits um das Ansehen des verstorbenen Men___________ 580

Schmidtke, in: Raem, Gen-Medizin, S. 227 (241); Hirsch/Eberbach, Künstliches Leben, S. 362 sprechen von der „Illusion der Freiwilligkeit“. 581 Ausführlich dazu Höchst, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 143 (148 ff.). 582 Istel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 197 (201). 583 Wiese, Genetische Analysen, S. 97; Gesellschaft für Humangenetik e.V., Stellungnahme zur postnatalen prädiktiven genetischen Diagnostik, medgen 2/1991, 10 f. 584 Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 321. 585 Damm, universitas 1999, 433 (439); Taupitz, in: FS Wiese, S. 583 (584); Engel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 181 (185); Sokol, NJW 2002, 1767 (1769); Rodotà, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 3. – Differenzierend zum da-

528

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

schen gehen, andererseits um die Rechte Dritter, sofern die bei dem Verstorbenen erhobenen Daten Aussagen über die noch lebenden Angehörigen erlauben.586 Dies ist etwa der Fall, wenn sich posthum herausstellt, dass der Verstorbene nicht der leibliche Vater ist.587 Allerdings hat das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung keine über den Tod des Grundrechtsträgers hinausgehende Ausstrahlungswirkung. Im Unterschied zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches auch die Achtung des Einzelnen in der Gesellschaft schützt und in einem bestimmen Umfang einen postmortalen Schutz des verstorbenen Grundrechtsträgers kennt,588 kann dass Schutzgut des Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung – das Selbstverständnis und das Selbstwertgefühl eines Menschen – nach dessen Versterben nicht mehr beeinträchtigt werden.589 Schutzwirkung kann das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung dann nur für Dritte (z.B. Verwandte) entfalten. Bei der Bewertung der Lebenssituation des Betroffenen können neben dem Lebensalter insbesondere Krankheitserfahrungen im familiären Umfeld eine besondere Bedeutung erlangen. Die bisherigen persönlichen Erfahrungen und das persönliche Umfeld des Einzelnen prägen den Umgang sowohl mit ungünstigen als auch mit günstigen Untersuchungsergebnissen. Ein Problem besonderer Art stellt das so genannte „Survivor-Syndrom“590 dar, welches sich insbesondere in Familien mit einer ausgeprägten Krankheitsgeschichte, etwa bei der HuntingtonKrankheit, ergeben kann. Hier können Menschen selbst durch Untersuchungsergebnisse, die für sie einen Krankheitsausbruch ausschließen, in tiefgreifende Depressionen geraten, da sie sich aus der familiären Schicksalsgemeinschaft ausgeschlossen und somit eines wesentlichen Identifikationspols beraubt sehen.591

___________ tenschutzrechtlichen Schutz verstorbener Personen: Gola/Schomerus, BDSG, § 3, Rdnr. 12; Simitis-Dammann, BDSG, § 3, Rdnr. 17. 586 Zur damit verbundenen Abwägung siehe etwa OVG Lüneburg, NJW 1997, 2468 (2469 f.). 587 Engel, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 181 (185). 588 BVerfGE 30, 173 (193) – Mephisto. – Zum zivilrechtlichen postmortalen Persönlichkeitsschutz: Palandt-Sprau, § 823 BGB, Rdnr. 90. 589 Weichert, DuD 2002, 133 (137). 590 Krahnen, in: Schröder-Kurth, Genetik, S. 67 (75, 78). Darauf Bezug nehmend auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 122; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 189. Auch Bartram/Fonatsch, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 66. Vgl. auch Dänischer Ethikrat, Report on Presymptomatic Gene Diagnosis (2001), S. 34. 591 Krahnen, in: Schröder-Kurth, Genetik, S. 67 (75, 78).

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

529

c) Umstände der Testdurchführung Einen weiteren Aspekt, der bei der Bewertung der Intensität eines Eingriffs in das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung zu berücksichtigen ist, stellen die Umstände der Testdurchführung dar. Dabei stellt sich die Einwilligungsfähigkeit der betroffenen Person als ganz wesentlicher Gesichtspunkt dar. Sie ist Grundvoraussetzung für freiwilliges Handeln. Das Problem, was sich hier im Zusammenhang mit der gesetzlichen Vertretung von Minderjährigen ergibt, wurde bereits erörtert.592 Dementsprechend dürfte etwa – insbesondere im Hinblick auf die begrenzte Aussagekraft und Irreversibilität der Ermittlung von Eigenschaftsindikatoren – eine grundsätzlichen Pflicht der Eltern zur Durchführung von insbesondere genetischen Untersuchungen nach §§ 1626 f. BGB nicht anzunehmen sein.593 Ein weiterer Gesichtspunkt in diesem Zusammenhang ist die Frage der Freiwilligkeit der Datenerhebung. Wie bereits aus der Bestimmung des Gewährleistungsbereichs hervorgeht, schließt die Einwilligung einen Eingriff in das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung aus. Sofern keine Einwilligung vorlag oder die Freiwilligkeit der Entscheidung für die Untersuchung in irgendeiner Weise eingeschränkt ist, verstärkt dies die Intensität des Eingriffs in das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung. Das Spektrum der Einwirkungsmöglichkeiten reicht hier vom unmittelbaren Zwang über faktischen Zwang bis hin zur induzierten Nachfrage. Eine Sonderstellung nehmen Untersuchungen ein, die ohne das Wissen der untersuchten Person vorgenommen werden.594 In diesen Kontext fällt beispielsweise auch die Problematik des heimlichen Vaterschaftstests.595 Die Frage, ob die getestete Person bereits zum Zeitpunkt der Untersuchung bei sich das Vorliegen einer bestimmten Eigenschaft vermutet (Aspekt des Vorliegens von Verdachtsmomenten), weist eine gewisse Nähe zum Gesichtspunkt der Wahrnehmbarkeit der betreffenden Eigenschaft auf, welche eine faktische Grenze des persönlichkeitsrechtlichen Schutzes darstellt. Hat die untersuchte Person bereits eine Vorahnung von dem Testergebnis, dürfte sie sich in der Regel bereits vor der Durchführung der Untersuchung mit den damit verbundenen Problemstellungen ___________ 592

Zur Problematik der Untersuchungen von Nichteinwilligungsfähigen: S. 505. Dazu Tjaden, Genanalyse als Verfassungsproblem, S. 224. 594 Siehe dazu S. 502 ff. 595 Zum Problem der heimlichen Vaterschaftstests: BVerfG, NJW 2007, 753 ff.; Bohnert, FPR 2002, 383 ff.; Mutschler, FamRZ 2003, 74 ff.; Rittner/Rittner, NJW 2002, 1745 ff.; Schnorr, ZRP 2003, S. 343 ff.; Spickhoff, FamRZ 2003, 1581 f.; Weichert, DUD 2003, 710 ff. – Davon zu trennen sind Konstellationen, in denen die Mutter vor der Geburt Gewissheit über die „richtige“ Vaterschaft haben will und in diesem Zusammenhang über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenkt, vgl. Bayertz, JRE, 9 (2001), S. 119 ff. 593

530

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

auseinandergesetzt haben. Die Ergebnisse verdachtsunabhängiger Tests (Suchtests) dürften die Betroffenen hingegen eher unvorbereitet treffen.596 Dieser Problemaspekt ist insbesondere bei der Durchführung von Reihenuntersuchungen (Screenings) im Blick zu behalten. Reihenuntersuchungen, die bei Personen ohne konkrete Verdachtsmomente vorgenommen werden, können bei den untersuchten Personen zu psychischen und sozialen Problemen führen, die in keinem Verhältnis zu dem angestrebten Ergebnissen des Screenings stehen.597 In welchem Umfang derartige Verdachtsmomente beim Einzelnen vorliegen, kann wiederum von der familiäre Krankheitsgeschichte oder der gesellschaftlichen Gegenwärtigkeit (z.B. Thalassämie auf Zypern) abhängen. Ein angemessener Umgang der getesteten Personen mit den Untersuchungsergebnissen dürfte zudem bei weitverbreiteten Routineuntersuchungen eher zu erwarten sein als bei selten vorgenommenen Einzeluntersuchungen.598 Ein weiterer Aspekt bei der Beurteilung der Eingriffsintensität ist die Qualität der begleitenden Beratung. Sie bemisst sich nach dem Beratungsumfang, der Verfügbarkeit qualifizierten Personals und Routinität des Untersuchungsverfahrens. Ein wichtiger Aspekt bei der Beurteilung der Güte der Beratung ist die Betreuung vor und nach der Untersuchung: Die Beratung vor dem Test dient dazu, dem Patienten Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Beratung nach der Untersuchung soll einen angemessenen Umgang der getesteten Person mit dem Untersuchungsergebnis gewährleisten. Insbesondere bei prädiktiven Untersuchungen wird eine qualifizierte Beratung vor und nach der Testdurchführung für erforderlich gehalten (so genannte Trias „Beratung – Test – Beratung“).599

d) Verwendungszusammenhang Weiterhin werden die Bedeutung von Informationen und ihre Auswirkung auf das Selbstwertgefühl entscheidend auch durch ihre Bewertung und Behandlung in der Gesellschaft und das konkrete soziale Umfeld beeinflusst. Zunächst ___________ 596

Schöffski, Gendiagnostik, S. 83. Hofmann, Genomanalyse, S. 56 ff. behandelt die Frage der Zulässigkeit von Bevölkerungsscreenings im Wesentlichen unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Für den Einzelnen dürfte es allerdings weitgehend unerheblich sein, ob er im Rahmen einer Reihen- oder im Rahmen einer Einzeluntersuchung Daten über sich preisgeben muss. Grundsätzlich dürften daher die Rechtfertigungsanforderungen für Reihen- und Einzeluntersuchungen die gleichen sein. 598 Dazu auch: Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder, Stellungnahme zum Fragenkatalog, S. 17. Zum Verbreitungsgrad genetischer Untersuchungen: Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 95 ff. 599 Nachweise dazu bereits oben, Fn. 440 (S. 493). 597

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

531

lässt sich hier wiederum die Frage stellen, ob die jeweiligen Informationen bereits bestehende oder zukünftige Eigenschaften betreffen. Insbesondere bei der Vermittlung und Vorenthaltung von Risikofaktoren stellt sich das Problem der Überdiagnosen:600 Zwar führt man die Früherkennung durch, um ein bestimmtes gesundheitliches Risiko durch präventive Maßnahmen auszuschalten. Da diese Früherkennung jedoch häufig ungenau ist und damit im Einzelfall falsche Ergebnisse zutage fördern kann (so genannte Überdiagnosen), gefährdet die Früherkennung die Gesundheit, die sie ja eigentlich schützen sollte.601 Insofern wird das Wissen über Risiken im Kern als ein Tauschgeschäft betrachtet: Man tauscht ein Risiko gegen ein Bündel anderer Risiken.602 Bei der Bewertung der Eingriffsintensität von Prognosen kommt dabei der Manifestationsdauer im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein besonderes Gewicht zu: Je länger die Manifestationsdauer ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Prognose nicht zutrifft. Der Stellenwert der Information und die Konsequenzen für die Lebensplanung bestimmen sich schließlich auch entscheidend nach dem möglichen Anwendungsbereich für das erhaltene Untersuchungsergebnis. (Faktische) Handlungs- und Sachzwänge können sich für den Betroffenen aufgrund natürlicher, persönlichkeitsbedingter, sozialer oder rechtlicher Gegebenheiten ergeben. Möglicherweise rechnet die untersuchte Person aufgrund des Untersuchungsergebnisses mit einer geringeren Lebenserwartung oder sieht sich gesundheitlichen Beschränkungen ausgesetzt. Vielleicht muss sie berufliche Einschränkungen oder Nachteile beim Abschluss von Versicherungsverträgen gegenwärtigen. Gegebenenfalls leidet auch ihr Selbstwertgefühl, da die mit dem Untersuchungsergebnis verbundenen Aussichten sich nicht mit den eigenen Wertvorstellungen vereinbaren lassen. Sie könnte etwaige Lebensplanungen, etwa Kinderwünsche, aufgeben. Bestimmte Informationen können gegebenenfalls auch zu einer sozialen Stigmatisierung führen.603 Auch Informationen auf Grundlage von Untersuchungen, deren wissenschaftlicher Gehalt zweifelhaft ist, können faktisch große Bedeutung erlangen.604

e) Betroffenheit von Dritten Bedeutsam für die Einschätzung der Eingriffsintensität kann es schließlich auch sein, inwieweit Dritte, insbesondere Verwandte, von dem Ergebnis des ___________ 600

Koch/Weymayr, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27 f. m.w.N. Koch/Weymayr, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27 f. 602 Koch/Weymayr, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27 f. 603 Schöffski, Gendiagnostik, S. 148, Fn. 726; Schmidtke, Vererbung, S. 96. 604 Zu den Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung siehe S. 380 ff. 601

532

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Getesteten betroffen sind. Eine Betroffenheit von Dritten kann der untersuchten Person, etwa aufgrund von Schuldgefühlen, die Verarbeitung des möglicherweise schon belastenden Untersuchungsergebnisses angesichts der damit verbundenen Implikationen im Freundes- und Familienkreis noch zusätzlich erschweren. Die Mitteilung eines Eigenschaftsindikators, etwa einer HIV-Infektion, kann zu schweren Verwerfungen im persönlichen Umfeld führen. Dies ist insbesondere auch angesichts der Möglichkeit falscher Testergebnisse als besonders problematisch einzustufen.605

3. Abwägungskonstellationen mit besonderem Schutzniveau Besonders durchsetzungsfähig ist das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung dort, wo Dritte kein Recht auf Datenerhebung (Fremdwahrnehmung) bzw. Datennutzung (Fremdbewertung) haben. Dieser besondere Schutz ergibt sich jedoch nur hinsichtlich des Rechts auf Nichtwissen, da das Recht auf Wissen insofern nicht mit dem Informationsverlangen Dritter in Konflikt steht kann: Dadurch, dass ein Dritter auch bestimmte Eigenschaftsindikatoren des Betroffenen kennen möchte, kann er dessen Recht auf Wissen nicht beeinträchtigen. Das besondere Schutzniveau ist jedoch nicht Ausdruck einer besonderen Schutzbedürftigkeit, sondern vielmehr Ausdruck dafür, dass entgegenstehende Rechte und Interessen fehlen. Das Recht auf Achtung der Individualität ist insofern nur der Auslöser für ein höheres Schutzniveau innerhalb des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung: Dort, wo die Nutzung von Daten durch Dritte unzulässig ist, ist ihre Erhebung ebenfalls unzulässig. Folgende Fallgruppen lassen sich unterscheiden:

a) Vermittlung personenbezogener Daten In den Fällen, in denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gegenüber Rechten und Interessen Dritter überwiegt, darf auch nicht das Recht auf Nichtwissen beeinträchtigt werden. Kurz: Dort, wo der Einzelne die Datenhoheit bei der Weitergabe von Informationen hat (Fremdwahrnehmung), hat er sie auch erst recht hinsichtlich der eigenen Kenntnisnahme (Selbstwahrnehmung). ___________ 605

Zu den Auswirkungen von falsch-positiven Testergebnissen: Schenke, in: Schünemann/Pfeiffer, Rechtsprobleme von AIDS, S. 103 (145 f.) m.w.N. Im Hinblick auf falsch-positive Ergebnisse bei Untersuchungen auf Huntington-Veranlagungen: Almquist/Bloch/Brinkmann/Craufurd/Hayden, Am. J. Hum. Genet., vol. 64 (1999), 1293 ff.

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

533

b) Vermittlung aktualisierter Gruppeninformationen In Fällen, in denen Dritte kein Datennutzungsrecht haben (Fremdbewertung), darf das Recht des Einzelnen auf freibestimmte Selbstwahrnehmung nicht beeinträchtigt werden (Selbstwahrnehmung). Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung erstarkt in dem Maße, wie das Recht auf Achtung der Individualität an Bedeutung gewinnt: Je ungenauer Gruppeninformationen sind, desto rechtfertigungsbedürftiger ist ihre Verwendung zur Beurteilung von Einzelpersonen.

c) Vermittlung prädiktiver Informationen Ein besonderes Schutzniveau ergibt sich insbesondere hinsichtlich des Rechts auf freibestimmte Zukunft: Da Dritte grundsätzlich nicht das Recht haben, den Einzelnen aufgrund prädiktiv verwendeter Eigenschaftsindikatoren zu bewerten, muss der Einzelne bei seiner Entscheidung, ob er von bestimmten prädiktiven Aussagen Kenntnis erhalten will, auch in dieser Hinsicht grundsätzlich keine Rücksicht auf entgegenstehende Rechte und Interessen nehmen.

V. Rechtscharakter und rechtssystematische Einordnung Für den Rechtscharakter und die rechtssystematische Einordnung ergibt sich im Hinblick auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung Folgendes:

1. Rechtscharakter Im Hinblick auf den rechtlichen Charakter des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung als ganzes und seine innere Struktur lassen sich folgende Feststellungen treffen:

a) Rechtscharakter des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung Im Folgenden soll der Rechtscharakter des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung anhand verschiedener Beschreibungsansätze skizziert werden. Teilweise wird dabei auf Beschreibungen des rechtlichen Charakters des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung, die in der Literatur zu finden sind, zurückgegriffen, welche dann auf ihre Vereinbarkeit mit den hier getroffenen Feststellungen überprüft werden.

534

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

aa) Integritätsrechtlicher Gewährleistungsschwerpunkt In der Grundrechtsdogmatik wird im Hinblick auf grundrechtliche Verbürgungen zwischen dem Entfaltungsschutz und dem Integritätsschutz unterschieden.606 Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung schützt weniger die freie Ausübung bestimmter Handlungen im Staat, sondern vielmehr vor bestimmten Formen der Behandlung durch den Staat. Die Entscheidung, sich und seine Eigenschaften zu kennen oder nicht zu kennen, betrifft das Selbstverständnis und den Lebensentwurf des Individuums. Das Grundgesetz schützt insofern nicht nur, was der Einzelne tun will, sondern was er sein will.607 Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung lässt sich dementsprechend als Recht einordnen, welches dem Schutz der Integrität der autonomen Lebensplanung dient.

bb) Recht zur „Erhaltung der Grundbedingungen“ der Persönlichkeitsentfaltung Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung lässt sich zudem als Ausprägung des Rechts zur Erhaltung der Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung betrachten.608 Denn das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung schützt gerade den Bereich, in dem sich der Einzelne sein Bild über sich und darauf aufbauend sein Selbstwertgefühl entwickelt. Dies ist Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Handeln und die Grundlage für die Ausübung aller Freiheitsrechte.609 Wegen seiner grundlegenden Bedeutung dürfte das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung damit einen der Kernbereiche der Identitätsbildung erfassen.

cc) Gewährleistung der Wissensfreiheit In der Auslegung von Grundrechten werden Auskunftsansprüche zuweilen als Hilfsansprüche zu bestimmten Handlungsrechten konstruiert.610 In Weiterführung dieses Gedankens lassen sich Handlungs- und Wissensfreiheiten611 un___________ 606

Siehe oben, S. 395 ff. Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 81. 608 Zu diesem Begriff S. 422 f. 609 Vgl. auch Grimm, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 (17). 610 BVerfGE 52, 131, 168, allerdings mit abw. Meinung BVerfGE 52, 131, 176; jetzt auch BVerfGE 89, 120 (130), h.Lit. 611 Vgl. AK-Podlech, Art. 2 Abs. 1 GG, Rdnr. 18 („handlungs- und informationsorientierte Teilsequenzen“), 19 ff., 41 ff. In diesem Sinne lässt sich wohl auch Schira, Genomanalyse, S. 65, 70, verstehen, indem er „körperlich-materiellen“ „geistigimmaterielle“ Rechtsgewährleistungen gegenüberstellt. 607

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

535

terscheiden: Die Handlungsfreiheiten gewährleisten die Möglichkeit, unbehelligt von staatlichen Vorgaben bestimmte Tätigkeiten vorzunehmen. Die Motivation zur Vornahme von Handlungen hängt jedoch ganz entscheidend von den individuellen Erfahrungen und dem angeeigneten Wissen ab. Wissensfreiheiten gewährleisten dabei die Möglichkeit, sich die Entscheidungsgrundlagen für seine Handlungen nach eigenem Ermessen zu schaffen. Dies kann dadurch geschehen, dass man sich bestimmte Informationen beschafft oder Wertungen zu eigen macht, aber auch eben gerade darin, bestimmtes Wissen nicht aufzunehmen und sich ein Bild von der eigenen Persönlichkeit möglicherweise auch entgegen den gesellschaftlichen Vorstellungen zu machen. Als Grundrechte, die zumindest in Teilbereichen Wissensfreiheiten schützen, lassen sich vor allem die Religions- und Meinungsfreiheit bezeichnen.

dd) Gewährleistung ohne leistungsrechtlichen Anspruch auf Verschaffung von Individualinformationen Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist nicht als Leistungsrecht zu verstehen.612 Es verleiht keinen Anspruch auf Verschaffung noch nicht erhobener Individualinformationen, sondern schützt nur vor der Vorenthaltung vorhandener Informationen.613

ee) Bestandteil des unantastbaren (absolut geschützten) Kernbereichs der Entfaltung menschlicher Persönlichkeit? Von einigen Autoren wird – häufig unter Hinweis auf die angenommene besondere Sensibilität genetischer Daten614 – das Recht auf Wissen und Nichtwissen dem Kernbereich der Entfaltung menschlicher Persönlichkeit zugeordnet.615 Hier gilt das oben im Hinblick auf den Umgang mit genetischen Daten durch Dritte Gesagte entsprechend.616 ___________ 612

Siehe auch Hofmann, Genomanalyse, S. 28 f.; Taupitz, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 79; Weichert, DuD 2002, 133 (141). 613 In entsprechender Weise wird auch das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung interpretiert: BVerfGE 79, 256 (269) – Abstammung I. 614 Nachweise für die Einstufung als besonders sensible Daten siehe Kapitel 1, S. 166, Fn. 453. 615 Nachweise dazu siehe oben, S. 477, Fn. 368. 616 Siehe oben, S. 477 ff. – Zur Frage, ob die Ausübung des Rechts auf Nichtwissen zum unverzichtbaren Kern des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gehört: Eppelt, Grundrechtsverzicht, S. 259 f.

536

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

b) Rechtscharakter des Verhältnisses des Rechts auf Wissen und des Rechts auf Nichtwissen zueinander Innerhalb des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung lässt sich das Verhältnis des Rechts auf Wissen und des Rechts auf Nichtwissen zueinander unter folgenden Gesichtspunkten charakterisieren:

aa) Positive und negative Freiheitsausübung Die Rechte auf Nichtwissen und Wissen lassen sich als negative und positive Ausübungen des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung verstehen. Zwar handelt es sich bei dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung – wie oben festgestellt – um eine Gewährleistung mit integritätsrechtlichem Schwerpunkt.617 Dabei kann sich die Wahrung der Integrität für den Einzelnen in zwei entgegengesetzten Entscheidungsoptionen zeigen: In der Kenntnisnahme oder Verweigerung von individualbezogenen Informationen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nahe liegend, hier die v.a. für Verhaltensfreiheiten vorgenommene Differenzierung der positiven und negativen Freiheitsausübung auf das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung anzuwenden.

bb) Options- und Abwehrrechte Damm ordnet den beiden Teilbereichsgewährleistungen des Rechts auf Wissen und Rechts auf Nichtwissen einen unterschiedlichen rechtlichen Charakter zu:618 Dem Leistungscharakter des Rechts auf Wissen („Informationsanspruch“ als „Leistungs- und Optionsrecht“) stellt er den Abwehrcharakter des Rechts auf Nichtwissen („informationeller Abwehranspruch“ als „Schutz- und Abwehrrecht“ ) gegenüber. Auf einer allgemeineren Ebene begreift er damit das Recht auf Wissen als offensives Recht auf Inanspruchnahme von Technikoptionen („Recht auf Technik“), das Recht auf Nichtwissen als defensives Recht auf Schutz vor definitiven oder potenziell negativen Technikfolgen („Schutz vor Technik“). Aufgrund von Sozialbereichsvernetzungen insbesondere im informationellen Rechtsbereich sieht Damm auf individualrechtlicher Ebene ein besonderes Konfliktpotenzial zwischen diesen beiden Rechtsaspekten:619 ___________ 617 Dazu und zur dogmatischen Behandlung negativer Freiheitsrechte insgesamt: Hellermann, Negative Freiheitsrechte, S. 249, 132 ff., 146 ff. 618 Damm, MedR 1999, 437 (440 ff.); ders., universitas 1999, 433 (437). Dazu Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 65 ff. 619 Damm, MedR 1999, 437 (440).

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

537

In bestimmten Fällen werden durch ein und dieselbe Information verschiedene Personen betroffen.620 Sofern die Interessenlagen innerhalb solcher sozialer Vernetzungen gegenläufig sind, können die Interessen der einen Gruppe nicht ohne die Beeinträchtigung der Interessen der anderen Gruppe gewahrt sein. Für den humangenetischen Bereich sieht Damm eine Basisproblematik darin, dass die für eine Person ermittelte genetische Disposition auch Relevanz für weitere, lebende oder später geborene Personen hat: „Meine Anlagen sind auch deine Anlagen“.621 Gleiches ließe sich übertragen auf die Problematik im Umgang mit HIVUntersuchungen. Auch hier kann das Interesse der einen Person an Gewissheit dem Interesse seiner Sozialpartner und Sexualpartner an Verdrängung entgegenstehen. Entscheidet sich einer der Betroffenen für eine Untersuchung, ist den anderen die freie Wahl des Zeitpunkts und der Art und Weise der Untersuchung in der Regel genommen.622

Eine weitere Konfliktlage findet im Arzt-Patienten-Verhältnis ihren Ausdruck.623 Für den untersuchenden Arzt stellt sich dabei stets die Frage, ob der Patient eher an einer zurückhaltenden – und damit tendenziell vielleicht weniger belastenden – Untersuchungsstrategie interessiert ist oder eher die vorhandenen Untersuchungsmethoden ausschöpfen will, um gegebenenfalls auch bloß vage Risiken in seine Lebensplanung und -gestaltung aufnehmen zu können. Die ärztliche Entscheidung dürfte sich häufig als eine Gratwanderung zwischen einer offensiven oder defensiven Untersuchungsstrategie darstellen. Dies gilt umso mehr, da allein der Hinweis auf bestimmte Untersuchungsmethoden den Einzelnen zu Untersuchungen verleiten kann, die nicht mit seinem ursprünglichen Interesse an einem unbeschwerten Leben vereinbar sind.624 Eine derartige Gefahr hebt Damm für die Humangenetik hervor: „Festzuhalten ist jedenfalls am ‚Prinzip einer individuellen genetischen Beratung‘ mit zentraler Orientierung an der ‚Herstellung und Respektierung der Patientenautonomie‘ gegenüber der Gefahr eines überindividuell orientierten ‚präventiven Sogs‘ einer eugenisch oder ressourcenorientierten Genetik.“625 „Im Übrigen zeigt sich relativ schnell, dass einer grundsätzlichen normativen Gleichrangigkeit oder Parität beider Rechte kaum eine auch faktische Parität entspricht. Salopp formuliert handelt es sich bei dem Recht auf Kenntnis weitgehend um einen Selbstläufer in Konformität mit dem Entwicklungsprozess der Technik; demgegenüber markiert das Recht auf Nichtwissen aus dem Blickwinkel der Technikentwicklung eher einen defensiv antizyklischen Irrläufer.“626

Da solche Interessenkollisionen in diesem Zusammenhang – im Gegensatz zu anderen Rechtsbereichen – typischerweise auftreten, mahnt Damm eine beson___________ 620

Siehe dazu auch S. 543. Damm, MedR 1999, 437 (440). 622 Dazu auch Damm, MedR 1999, 437 (445). 623 Zur damit verbundenen Frage des sog. „therapeutischen Privilegs“ siehe S. 544. 624 Zum Problem der angebotsinduzierten Untersuchungen: S. 96 und S. 500. 625 Damm, MedR 1999, 437 (444 m.w.N.). 626 Damm, MedR 1999, 437 (447). 621

538

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

dere Aufmerksamkeit bei der Lösung von Rechtsproblemen in diesem Bereich an: Die Konzentration auf einzelne Anwendungsbereiche dürfte nicht ausreichen, erforderlich dürfte in der Regel eine vernetzende Betrachtungsweise sein. Nicht ganz unberechtigt erscheint jedoch der Einwand, dass derartige Konfliktlagen nicht allein auf diese beiden Rechte beschränkt sind, sondern der Ausdruck einer Mehrschichtigkeit sind, die in den meisten Grundrechten im Ansatz angelegt ist.627

2. Rechtssystematische Einordnung Zur rechtssystematischen Einordnung des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung lassen sich folgende Feststellungen treffen:

a) Zuordnung zu übergeordneten rechtssystematischen Konzepten Teilweise wird das im Rahmen dieser Arbeit so bezeichnete Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung übergeordneten Gewährleistungskonzepten zugewiesen: aa) Konzept der bioethischen Selbstbestimmung (Koppernock) Ein Beispiel für ein übergeordnetes Konzept stellt Koppernocks Grundrecht der bioethischen Selbstbestimmung dar.628 Er hebt hervor, dass sich die Problemstellungen im Hinblick auf die Selbstbestimmung nicht isoliert auf den Gegenstand humangenetischer Untersuchungen beschränken lassen. Vielmehr ordnet er die Rechtsprobleme im Zusammenhang mit genetischen Untersuchungen zu einem großen Teil dem Teilbereich der medizinischen Selbstbestimmung zu.629 Da Fragen der Humangenetik jedoch nicht auch auf den Bereich der medizinischen Selbstbestimmung beschränkt sind, führt er den Begriff der bioethischen Selbstbestimmung ein, der begrifflich auch nicht-medizinische Sachverhalte zu erfassen vermag.630 Insofern handelt es sich vor allem um eine begriffliche Klarstellung. Das so von ihm umrissene „Grundrecht der bioethischen Selbstbestimmung“ dürfte dabei jedoch grundsätzlich denselben Regeln folgen wie die medizinische Selbstbestimmung. Weniger gewinnbringend erscheint es hingegen, dass das Recht auf Nichtwissen und Wissen und das Recht auf infor___________ 627

Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 67. Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung. Dazu Meyer, Mensch, S. 184 ff. 629 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 93. 630 Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 94. 628

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

539

mationelle Selbstbestimmung in der übergeordneten Gewährleistung des Grundrechts auf bioethische Selbstbestimmung zusammengefasst werden, da – zumindest auf Grundlage der im Rahmen dieser Arbeit vertretenen Auffassung – Beeinträchtigungen dieser beiden Gewährleistungsaspekte auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung unterschiedlichen Anforderungen zu unterwerfen sind. bb) Konzept der genetischen Selbstbestimmung (Tjaden) Einen weiteren Ansatz hat Tjaden mit dem von ihm kreierten Recht auf genetische Selbstbestimmung gewählt, welches als übergeordnete Gewährleistung die Teilbereichsgewährleistungen des Rechts auf Kenntnis der eigenen genetischen Disposition, den Schutz vor unerwünschter Erlangung von Kenntnissen der eigenen genetischen Disposition, den Schutz vor Verarbeitung erhobener genetischer Daten und den Schutz vor Genmanipulation umfasst. Tjaden weist zur Begründung seines rechtsdogmatischen Lösungsansatzes daraufhin, dass dieser einer einheitlichen Erfassung humangenetischer Fragestellungen dienen soll. Gerade hinsichtlich des Aspekts der Gentherapie stellt sich jedoch die Frage nach dem rechtsdogmatischen Ertrag einer solchen Zuordnung. Sofern man nicht die Humangenetik insgesamt aufgrund ihres genetischen Bezugs als unzulässig betrachtet, stellt sich die Zusammenfassung von Rechtsgewährleistungen nach dem genetischen Schutzgegenstand als wenig erkenntnisfördernd dar, da die Grundsätze, die etwa für die verfassungsrechtliche Bewertung gentherapeutischer Maßnahmen gelten, sich wohl kaum auf die Frage der Zulässigkeit genetischer Untersuchungen übertragen lassen. cc) Konzept der genetischen Lebensplanung (Meyer) Meyer entwirft ein Recht auf genetische Lebensplanung und erfasst damit die verfassungsrechtlichen Fragen des Rechts auf Durchführung genetischer Untersuchungen, die Selbstbestimmung und den Schutz genetischer Privatheit.631 Darauf, dass eine Beschränkung auf genetische Veranlagungen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht förderlich erscheint, wurde bereits eingegangen.632 Als zusätzliches Problem stellt sich jedoch die Zusammenfassung der Aspekte der Selbst- und Fremdwahrnehmung dar. Wie bereits ausgeführt wurde, stellen diese beiden Gesichtspunkte der Persönlichkeitsentfaltung eigenständige Gewährleistungsbereiche dar, welche durch unterschiedliche verfassungsrechtliche Instrumentarien geschützt werden.633 Vor diesem Hintergrund erscheint die ___________ 631

Meyer, Mensch, S. 189 ff. Siehe oben, S. 495 ff. 633 Dazu ausführlich bereits oben, S. 511 ff. 632

540

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Zugrundelegung von Meyers Konzeption unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten eher nicht als weiterführend. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Zuordnung zu übergeordneten rechtssystematischen Konzepten nur dann als sinnvoll erscheint, wenn damit gemeinsame Grundstrukturen verschiedener Rechtsbereiche offengelegt werden. Demgegenüber erscheint die Zusammenfassung bestimmter Rechtsprobleme allein anhand bestimmter Schutzgegenstände aus dogmatischer Sicht wenig gewinnbringend, wenn sich daraus keine gemeinsamen verfassungsrechtlichen Konsequenzen ableiten lassen. Vor diesem Hintergrund sind die vorgestellten Konzeptionen nur in einem beschränkten Maße erkenntnisfördernd.

b) Konkurrenzen und Abgrenzungen Auf Grundlage der Feststellungen zum Gewährleistungsumfang und zum Rechtscharakter des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung wird nun das Verhältnis zu einigen Grundrechten dargestellt. aa) Konkurrenz zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung Wie festgestellt, ist das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung nicht als Teilbereichsgewährleistung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu verstehen.634 Genauso wenig bietet es sich an, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Teilgewährleistungsbereich des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung zu behandeln.635 Vielmehr weisen beide Gewährleistungen völlig eigenständige Schutzbereiche auf, welche durch die Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung voneinander abgegrenzt werden. Das Eigengewicht des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung führt zu folgenden Konsequenzen bei der Bewertung der Konkurrenzsituation: – Werden Informationen mit Individualbezug ohne die Einwilligung des Betroffenen erhoben und ihm mitgeteilt, sind sowohl das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch das Recht auf Nichtwissen beeinträchtigt. Das Eigengewicht des Rechts auf Nichtwissen kann dazu führen, dass bestimmte Daten von Dritten nur dann erhoben werden dürfen, wenn der Einzelne selbst schon Kenntnis hat, nicht jedoch, wenn er diese nicht hat und sie auch nicht erhalten will.636 ___________ 634

Siehe dazu bereits S. 511 ff. Zu Nachweisen dazu siehe oben, S. 462 ff. 636 Vgl. auch den Beispielsfall auf S. 513. 635

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

541

– Sofern jemand Kenntnis über eigene Individualinformationen erhalten will, ist damit bei der rechtlichen Bewertung nicht notwendigerweise auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heranzuziehen. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung ist nicht als eine Ausprägung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruches zu begreifen.637 Der Einzelne macht dieses Recht nicht geltend, um zu ermitteln, was andere über ihn wissen, sondern um über sich selber etwas zu erfahren, bzw. nicht zu erfahren. Es dient somit der Selbsterkenntnis und ist dementsprechend – nach der hier vorgenommenen rechtssystematischen Einordnung – auch nicht als ein Teilaspekt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, sondern als Teilaspekt des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung zu werten.638 Für den Fall eines Auskunftsverlangens wird die Eigenständigkeit der beiden Rechtsgewährleistungen besonders deutlich: Die Geltendmachung des Rechts auf Wissen bedeutet nicht die Einwilligung in die Weitergabe der Daten an Dritte. Zwischen dem Recht auf Wissen und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung besteht Realkonkurrenz. bb) Konkurrenz zum Recht auf körperliche Unversehrtheit Beeinträchtigungen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch die unerwünschte Vermittlung und Vorenthaltung von Informationen mit Individualbezug kommen unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten in Betracht: Zum einen kann dies bei körperlichen Untersuchungen zum Zweck der Datenerhebung der Fall sein. Dabei stellen die körperliche Unversehrtheit und die freibestimmte Selbstwahrnehmung unterschiedliche Schutzgüter dar, deren Verletzung nicht notwendigerweise in einem Zusammenhang steht: Die körperliche Unversehrtheit kann verletzt werden, ohne dass es zu einer Beeinträchtigung der freibestimmten Selbstwahrnehmung kommt.639 So beeinträchtigt die Durchführung von Untersuchungen mit der Einwilligung des Patienten zwar nicht den Schutzbereich des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung, weil dies eine unerwünschte Vermittlung und Vorenthaltung erfordert. Wird die Untersuchung jedoch nicht kunstgerecht vorgenommen, ist dennoch das Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt.

___________ 637

So wohl Meyer, Mensch, S. 183, wenn er hervorhebt, dass das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als Auskunftsrecht gegenüber Dritten zu verstehen sei. Zur unterschiedlichen rechtssystematischen Einordnung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruches und des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung siehe S. 513 f. 638 A.A. Meyer, Mensch, S. 182 ff. 639 Erlinger, in: Dierks u.a., Genetische Untersuchungen, S. 71 (72 ff.).

542

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Zum Zweiten können beide grundrechtlichen Gewährleistungen betroffen sein, wenn die Vermittlung von Testergebnissen, z.B. eine ärztliche Aufklärung ohne Einwilligung, zu psychosomatischen Gesundheitsbeeinträchtigungen, wie etwa Depressionen, führt.640 Rechtlich anerkannt ist dies in den so genannten Schockfällen: Personen, denen völlig unerwartet schlechte Nachrichten, insbesondere über ihre nahen Angehörigen, mitgeteilt werden, können einen Ersatzanspruch haben, wenn sie infolge der Mitteilung einen psychosomatischen Schaden erleiden.641 In solchen Fällen wird Menschen allerdings nicht wegen des Inhalts der ihnen vermittelten Information, sondern wegen der Art und Weise ihrer Vermittlung Schadensersatz gewährt.

Schließlich kann es bei der Vorenthaltung von Informationen über gesundheitsrelevante Eigenschaften und Eigenschaftsindikatoren zu einer Konkurrenz dieser beiden Grundrechtsgewährleistungen kommen. Dieses Konkurrenzverhältnis kommt allerdings nur im Hinblick auf das Recht auf Wissen für Sachverhalte mit Bezug zur körperlichen Gesundheit in Betracht. Insofern lässt sich der Auskunftsanspruch als Hilfsanspruch zur Durchsetzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit betrachten. Hier kann Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG als die speziellere Gewährleistung betrachtet werden.642

cc) Konkurrenz zum Schutz von Ehe und Familie Beeinträchtigungen des Rechts auf Nichtwissen können auch den grundrechtlich gewährleisteten Schutz von Ehe und Familien berühren.643 Zwar betreffen Nachrichten über nahe Angehörigen nicht unmittelbar die Selbstwahrnehmung. Beeinträchtigt wird jedoch dadurch das Bild, das der Einzelne sich von seinem sozialen Umfeld macht und das die persönlichen Handlungsperspektiven mit bestimmt. In dieser Hinsicht ergänzt Art. 6 Abs. 1 GG den Gewährleistungsbereich des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung: Ausnahmsweise steht auch die unerwünschte Vermittlung und Vorenthaltung von Informationen über Dritte, nämlich über den Ehepartner oder nahe Angehörige, unter grundrechtlichem Schutz. Bei Ehepartnern gilt dies insbesondere auch hinsichtlich der Entscheidung für Kinder. Art. 6 Abs. 1 GG gewährt damit einen besonderen Schutz, wonach Ehepartner und Familienangehörige nicht gegen ihren Willen gezwungen werden dürfen, sich gegenseitig individualbezogene Informationen zu offenbaren. ___________ 640

Dazu auch Wiese, in: FS Niederländer, S. 475 (488); Meyer, Mensch, S. 197 f. Vgl. etwa Palandt- Heinrichs, Vorbem. § 249, Rdnr. 71. 642 Zu Nachweisen zu dieser umstrittenen Frage siehe Fn. 532 (S. 516). 643 Siehe auch Koppernock, Bioethische Selbstbestimmung, S. 77; Meyer, Mensch, S. 221 f., 223 ff. 641

D. Das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

543

Die Kirche Zyperns verlangt von Heiratswilligen, dass sie sich gegenseitig über ihre genetische Veranlagung zur Thalassämie unterrichten.644 Ohne die Vorlage eines entsprechenden Zertifikates wird die Eheschließung nicht vorgenommen. Eine entsprechende Regelung dürfte in Deutschland als eine Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie zu werten sein, sofern die Ehepartner sich gegen ihren Willen in dieser Hinsicht einander offenbaren müssen. Problematisch kann es auch sein, eine Adoptivmutter ungefragt über die mögliche erbliche Krankheitsveranlagung ihres adoptierten Kindes zu unterrichten.645

Dieser Schutz unterliegt jedoch zwei Einschränkungen: Zum einen kann faktisch nur die gegenseitige Vermittlung von individualbezogenen Informationen von Dritten erzwungen werden, nicht jedoch die Vorenthaltung. Zum Zweiten hat der Schutz durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des betroffenen Angehörigen Vorrang: Sofern er selbst bestimmte, auf ihn bezogene Daten seinen Angehörigen vorenthalten oder vermitteln will, tritt insofern der grundrechtliche Schutz der Angehörigen vor unerwünschter Vermittlung und Vorenthaltung von derartigen Informationen zurück.646

c) Mögliche Kollisionslagen Abschließend wird auf typische Kollisionslagen hingewiesen. Die damit angesprochene Problemstellung ist dabei auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zu lösen.

aa) Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung von betroffenen Dritten Eine typische Kollisionslage könnte sich im Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der getesteten Person und das Recht auf Wissen der Verwandten oder anderer betroffener Dritter ergeben.647 Bisher sind hier lediglich für bestimmte Einzelbereiche rechtliche Lösungstendenzen erkennbar.648 ___________ 644

Dazu bereits S. 151. Benderoth, Stellungnahme für die Enquetekommission (2000), S. 8. 646 Ebenso: Van den Daele, Mensch nach Maß, S. 83; Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 270; Kienle, prädiktive Medizin, S. 71; Höchst, in: Beckmann u.a., Humangenetik, S. 143 (147). A.A. Shaw, American Journal of Medical Genetics 26 (1987), S. 243 (245); im Hinblick auf Heterozygoten-Screenings auch Berberich, Zulässigkeit genetischer Tests, S. 335. 647 Dazu: Damm, MedR 1999, 437 (440); Kienle, prädiktive Medizin, S. 70 ff.; Hofmann, Genomanalyse, S. 150 ff. – Vgl. dazu auch S. 537. 648 Vgl. auch oben, S. 520 ff. 645

544

Kapitel 3: Verfassungsrechtliche Gewährleistungen

Bei der Bewertung gegenläufiger Interessen könnte bei der Frage der Durchführung genetischer Untersuchungen aufgrund der familiären Drittbetroffenheit der Regelung des § 1618a BGB eine besondere Bedeutung zukommen, welche eine besondere Rücksichtnahmepflicht zwischen Eltern und Kindern vorschreibt.649 § 1600 ff. BGB regelt das Recht, die Ehelichkeit eines Kindes anzufechten, einseitig zugunsten des an der Feststellung Interessierten. Mutter, Vater und Kind sind danach grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf den Familienfrieden und das Selbstverständnis der Betroffenen zur Anfechtung berechtigt.650 Ein Interessenausgleich zwischen dem Recht auf Wissen und dem Recht auf Nichtwissen der verschiedenen Betroffenen findet insofern nicht statt. Nach § 1600b BGB ist das Anfechtungsrecht jedoch befristet auf zwei Jahre. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem die berechtigte Person von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Nach der Rechtsprechung haftet ein Arzt nicht dem Partner einer Patientin, die sich entgegen des Anratens ihres Arztes nicht einer HIV-Untersuchung unterzieht.651 Insofern wird dem Recht auf Nichtwissen der Patientin Vorrang eingeräumt. § 203 StGB stellt die unbefugte Weitergabe von fremden Geheimnissen aus dem persönlichen Lebensbereich unter Strafe. Diese Vorschrift trifft jedoch insbesondere im Hinblick auf die hier angesprochene Problematik keine inhaltlichen Vorgaben für die Frage, wann eine solche Weitergabe als unbefugt zu bewerten ist.652

bb) Das „therapeutische Privileg“ und das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung Eine zweite Problemstellung ergibt sich im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG. Hier könnten sich Konfliktpunkte zwischen dem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung der zu untersuchenden Person und dem so genannten „therapeutischen Privileg“ des Arztes ergeben.653 Eine besondere Problematik ergibt sich hier aufgrund des Umstandes, dass der Umfang des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung vom Rechtsträger selbst definiert wird.654 Für den Außenstehenden ist nicht immer der Wille des Patienten zu ermitteln, ohne ihn bereits durch die Aufklärung in seinem Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung zu beeinträchtigen. ___________ 649

Meyer, Mensch, S. 282 ff. Palandt-Diederichsen, § 1600 BGB, Rdnr. 4. 651 OLG Düsseldorf, VersR 1995, 339 ff. 652 Insofern ist der Hinweis von Kienle, prädiktive Medizin, S. 329, Fn. 329 etwas pauschal. 653 Siehe dazu insbesondere Cramer, Genom- und Genanalyse, S. 225, 256 ff., S. 308 (These 24). – Vgl. auch oben die Ausführungen zum Charakter von Leistungs- und Optionsrechten, S. 537. 654 Siehe dazu Fn. 285 (S. 459). 650

E. Zusammenfassung

545

E. Zusammenfassung: Systematischer Überblick über die behandelten Rechtsgewährleistungen

Gewährleistungsbereich

Recht auf Achtung der Individualität

Recht auf freibestimmte Zukunft

Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung

Personenbezogene Regelungen

Personenbezogene Regelungen

Personenbezogene Daten

Daten mit Individualbezug

- aktualisierte Gruppeninformationen

- aktualisierte Gruppeninformationen für Prognosen

- aktualisierte Gruppeninformationen

- aktualisierte Gruppeninformationen

- Individualinformationen

- Individualinformationen

Die Aktualisierung ist notwendige Voraussetzung für die Behandlung aufgrund von Gruppeninformationen: Nur wenn die Gruppenzugehörigkeit bekannt ist, kann der Einzelne als Gruppenmitglied behandelt werden.

- Manifestationen - Eigenschaftsindikatoren - Identifikationsmuster

- Manifestationen - Eigenschaftsindikatoren - Identifikationsmuster

Vermeidung von Gruppendiskriminierung:

Vermeidung von Diskriminierungspotenzialen:

Gewährleistung der Selbstbestimmung:

Auch bei Kenntnis der Information über die Gruppenzugehörigkeit ist die Nutzung der Information über Gruppeneigenschaften unzulässig

Ohne die Information über die Gruppenzugehörigkeit ist keine Diskriminierung aufgrund der Information über Gruppeneigenschaften möglich

Ohne die Information über die Gruppenzugehörigkeit ist keine Identifikation mit der Gruppe möglich

vom Einzelnen wahrnehmbare Daten

- Eigenschaftsindikatoren

Schutzrichtung

- Teilweise auch: Gruppeninformationen ohne Individualbezug

- Eigenschaftsindikatoren

Faktische Begrenzungen

Keine

Keine

Im Hinblick auf die Datenerhebung: von Dritten wahrnehmbare Daten

Maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Eingriffsintensität

(statistische) Aussagegenauigkeit:

Besondere (prognostische) Aussagegenauigkeit

Individualbezug

Formelle Anforderungen

Kein Gesetzesvorbehalt

Gesetzesvorbehalt

Gesetzesvorbehalt

Gesetzesvorbehalt

Materielle Anforderungen

Einzelfallbetrachtung

Grundsätzlich unzulässig

Grundsätzlich unzulässig

Grundsätzlich unzulässig

Abwägungskonstellationen mit besonderem Schutzniveau

Je ungenauer die verwendeten Daten, desto größer ist der Diskriminierungseffekt

kein typisches Abwägungsübergewicht zugunsten des Rechts auf Achtung der Individualität

Individualbezug Nicht ausschlaggebend ist die Aussagegenauigkeit: Gerade auch Aussagen über ungünstige Eigenschaften, die mit großer Sicherheit festgestellt oder vorhergesagt werden, können bedrückend auf den Betroffenen wirken.

Besonders hohe Rechtfertigungsanforderungen bei der Verwendung von natürlichen Datenbanken

Ein besonderes Gewicht in der Abwägung weist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dann auf, wenn die Nutzung der Daten, die erhoben werden sollen, verboten ist. Dementsprechend besteht eine besondere Durchsetzbarkeit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung vor: - i.V.m. Recht auf Achtung der Individualität - i.V.m. Recht auf freibestimmte Zukunft

Für das Recht auf Nichtwissen gelten die für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung getroffenen Feststellungen entsprechend: Eine besondere Durchsetzbarkeit weist das Recht auf Nichtwissen auf: - i.V.m. Recht auf Achtung der Individualität - i.V.m. Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Abb. 16: Überblick über die behandelten Rechtsgewährleistungen

Thesen Die Zusammenstellung der Thesen bleibt auf die Darstellung der zentralen Argumentationslinien beschränkt. Im Hinblick auf die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungsabschnitte sei auf die Ergebniszusammenfassungen im Haupttext verwiesen. Zentrale, im Rahmen dieser Arbeit neu eingeführte Begriffe sind kursiv hervorgehoben.

1. These: Genetische Veranlagungen haben einen statistischen Informationscharakter Argumentativer Ausgangspunkt für die rechtliche Bewertung des Problems der genetischen Diskriminierung ist eine Feststellung auf tatsächlicher Ebene: Genetische Informationen sind „nur“ statistische Informationen. Sie erlauben keine zuverlässigeren oder „individuelleren“ Aussagen als andere statistische Daten.1 Der im Hinblick auf genetische Veranlagungen zuweilen verwendete Begriff des „individuellen Risikos“ ist ein Paradoxon, weil Risiken per definitionem einen statistischen Informationsgehalt haben und gerade keine Individualaussagen ermöglichen.2 Eine genetische Veranlagung „zu haben“ bedeutet (lediglich) Mitglied einer über ein bestimmtes genetisches Merkmal definierten Gruppe zu sein, in der eine bestimmte Eigenschaft mehr oder weniger gehäuft auftritt. Genetische Merkmale ermöglichen – wie alle statistischen Bezugskriterien für personenbezogene Informationen – grundsätzlich nur Aussagen über die Eigenschaften einer größeren Gruppe von Menschen, nicht jedoch solche über den Einzelnen. Als Oberbegriff wird der Begriff Eigenschaftsindikator eingeführt.3 Er bezeichnet alle Merkmale, welche Bezugskriterien für statistische Aussagen über die menschliche Entwicklung sind.

___________ 1 Zu Fehlverständnissen beim Umgang mit genetischen und anderen endogen Eigenschaftsindikatoren, vgl. S. 277 ff. 2 Vgl. dazu S. 330 ff, insb. Fn. 569. 3 Zur Begriffsbestimmung: S. 68 ff.

Thesen

547

2. These: Genetische Diskriminierung lässt sich (verfassungs-)rechtlich als Typisierung begreifen Werden statistische Informationen auf den Einzelfall angewendet, haben sie eine typisierende Wirkung, weil der Einzelne dabei aufgrund von Eigenschaften behandelt wird, die zwar korrelationsstatistisch mit dem jeweiligen Merkmal verbunden sind, jedoch bei ihm gar nicht manifest sein müssen. Genetische Diskriminierung stellt insofern eine besondere Form der Typisierung dar, nämlich eine anhand von genetischen Merkmalen.4 Bei der Erarbeitung und Konturierung des Diskriminierungsbegriffs kann damit auf die verfassungsrechtliche Bewertung von Typisierungen als ein juristisch bereits bearbeitetes Themenfeld zurückgegriffen werden. Danach stellt die Verwendung von Typisierungen zunächst einmal keine Besonderheit dar. Vielmehr ist sie üblich und notwendig, um Praktikabilität und Rechtssicherheit im Rechtsverkehr gewährleisten zu können. Ihre Verwendung ist jedoch rechtfertigungsbedürftig, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt eine Abwägung zwischen den genannten Vereinfachungsinteressen und der Individualgerechtigkeit.

3. These: Das Verbot genetischer Diskriminierung als Typisierungsverbot Begreift man die genetische Diskriminierung als eine Form der typisierenden Behandlung, liegt es nahe, das Verbot genetischer Diskriminierung als Typisierungsverbot zu verstehen.5 Danach ist jede Typisierung anhand genetischer Merkmale verboten, nicht jedoch die Bewertung des Einzelnen aufgrund von manifesten genetisch bedingten Eigenschaften (z.B. manifesten genetischen Krankheiten).

4. These: Das Verbot genetischer Diskriminierung ist in gleichheitsrechtlicher Hinsicht bedenklich Zwar ist damit die Zielrichtung eines genetischen Diskriminierungsverbots benannt, jedoch werden nun weitere Probleme offensichtlich, die mit der Einführung eines genetischen Diskriminierungsverbots verbunden sind. Zwei von ihnen sollen hier hervorgehoben werden:

___________ 4 Zum Verständnis genetischer Veranlagungen als Typisierungen und der darauf aufbauenden Auslegung als Typisierungsverbot, vgl. 317 ff. 5 Vgl. S. 325.

548

Thesen

5. These: Eine Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf Ungleichbehandlungen aufgrund genetischer Merkmale ist gleichheitsrechtlich nicht gerechtfertigt Ein Grundproblem liegt in der Beschränkung des Diskriminierungsschutzes auf genetische Merkmale. Denn typisierende Wirkung hat nicht allein die Behandlung aufgrund von genetischen Merkmalen, sondern selbstverständlich auch die Typisierung aufgrund von nicht-genetischen Merkmalen.6 Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung lässt sich ein auf genetische Merkmale beschränkter Diskriminierungsschutz nicht rechtfertigen, weil Träger nichtgenetischer Merkmale durch die Verwendung statistischer Daten genauso in ihrer Individualgerechtigkeit beeinträchtigt werden wie Träger genetischer Merkmale. Ein auf genetische Merkmale beschränktes Diskriminierungsverbot führt somit letztlich zu einer ungerechtfertigten Privilegierung genetisch Benachteiligter gegenüber nicht-genetisch Benachteiligten. Insbesondere der Versuch, ein solches Diskriminierungsverbot unter Hinweis auf die gesellschaftliche Fehlvorstellung des genetischen Determinismus und des damit einhergehenden erhöhten Diskriminierungspotenzials zu rechtfertigen, muss letztlich scheitern.7 Eine gesetzgeberische Bezugnahme auf gesellschaftliche (lediglich) empfundene Gefährdungslagen oder Fehlvorstellungen ist zwar verfassungsrechtlich grundsätzlich legitim (Sie lässt sich mit dem Thomas-Theorem begründen, wonach das, was die Gesellschaft für sich als wahr und wirklich definiert, als Maßstab des Handels tatsächlich an Wirklichkeit gewinnt. Danach wird sozialen Vorurteilen eine starke Tendenz der meinungshaften Verselbstständigung und der Selbstbestätigung zugewiesen, weil sie das Verhalten der Gruppen zueinander bestimmen). Jedoch muss sich der Gesetzgeber – wie stets – im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung an seiner eigenen Zwecksetzung messen lassen. Ein genetisches Diskriminierungsverbot ist jedoch nicht geeignet, den genannten gesellschaftlichen Fehlvorstellungen entgegenzuwirken. Im Gegenteil: Indem die Aussagen anhand von genetischen Merkmalen einer besonderen Regelung unterstellt wird, wird gerade der Eindruck erweckt, Typisierungen aufgrund von genetischen Merkmalen käme eine besondere Stellung, insbesondere eine besondere Aussagekraft, zu. Insofern leistet die Einführung gerade einen Beitrag zur meinungshaften Verfestigung der Vorstellung des genetischen Determinismus: Die Einführung eines Verbots genetischer Diskriminierung fördert so die Fehlvorstellung des genetischen Determinismus, dem eigentlich gerade entgegengewirkt werden soll.

___________ 6 7

Vgl. die gleichheitsrechtliche Prüfung auf S. 337 ff. Siehe S. 352 ff.

Thesen

549

6. These: Ein Verbot der Verwendung genetischer Merkmale bei Kausalitätsbewertungen, z.B. in Haftungsprozessen, ist nicht sachgerecht Vergleichsweise wenig Beachtung hat bisher ein zweites Problem gefunden, welches sich aus dem Umstand ergibt, dass durch ein Verbot genetischer Diskriminierung auch die Verwendung von genetischen Merkmalen im Rahmen von Kausalitätsbewertungen verboten wird.8 In diesem Bereich spielt die Berufung auf genetische Veranlagungen bereits jetzt eine nicht unwesentliche (und bisher kaum problematisierte) Rolle. Kausalitätsbewertungen dienen der Abgrenzung von rechtlichen Verantwortungsbereichen. Im Rahmen dieser Abgrenzung erscheint es als problematisch, wenn in Haftungsprozessen dem möglichen Schädiger aufgrund des genetischen Diskriminierungsverbots die Möglichkeit des Nachweises genommen wird, dass die Schädigung nicht durch ihn verursacht wurde, sondern – aufgrund einer genetischen Verursachung – der Sphäre des Geschädigten zuzuordnen ist. Wenn z. B. die Ursache für eine vom Arbeitnehmer als arbeitsbedingt geltend gemachte Krankheit auch allein in einer genetischen Veranlagung und damit außerhalb des rechtlichen Verantwortungsbereichs des Arbeitgebers liegen kann, wäre es zweifelhaft, den Arbeitgeber allein deswegen haften zu lassen, weil die Berücksichtigung genetischer Alternativursachen an genetische Merkmale des Arbeitnehmers anknüpfen würde und daher von vornherein außer Betracht bleiben muss. Dies würde zu einer rechtlichen Schieflage führen, da sich der Arbeitnehmer zur Begründung seines Ersatzanspruchs auf statistische Zusammenhänge zwischen seiner Arbeitstätigkeit und der Erkrankung berufen dürfte, der Arbeitgeber sich in seiner Verteidigung aber nicht auf statistische Zusammenhänge zwischen bestimmten Veranlagungen des Arbeitnehmers und der Erkrankung stützen könnte.

7. These: Verbot prädiktiver Diskriminierung als einfachgesetzliche Alternativlösung Will man eine in sich konsistente Lösung der durch die Diskussion um genetische Diskriminierung aufgeworfenen Problematik, muss man sich von der selektiven Behandlung des Problems der genetischen Diskriminierung lösen. Auf einfachgesetzlicher Ebene kann dies durch ein grundsätzliches Verbot prädiktiver Diskriminierung geschehen, welches in dieser Arbeit wie folgt definiert wurde:9 „Niemand darf als vorbestimmt behandelt werden. Die Beurteilung eines Menschen anhand von Prognosen ist nur zulässig, wenn die mögliche Manifestation der prognostizierten Eigen___________ 8 9

Vgl. S. 370 ff. Siehe S. 377.

550

Thesen

schaften nicht abgewartet oder zu einem späteren Zeitpunkt prognostiziert werden kann, ohne dass die Interessen Dritter in unzumutbarer Weise eingeschränkt werden.“ Mit einer solchen Regelung werden nicht-genetische Merkmale in den Diskriminierungsschutz einbezogen, sodass sich die mit einem auf genetische Merkmale beschränkten Diskriminierungsverbot verbundenen gleichheitsrechtlichen Probleme nicht mehr stellen. Zum Zweiten wird insbesondere die Verwendung von Eigenschaftsindikatoren im Rahmen von Kausalitätsbewertungen nicht erfasst, bei denen aus den erwähnten Gerechtigkeitserwägungen eine Anknüpfung auch an genetische Merkmale grundsätzlich als sachgerecht erscheint.

8. These: Recht auf Achtung der Individualität als persönlichkeitsrechtliche Konkretisierung Auf verfassungsrechtlicher Ebene bietet sich eine Lösung der Diskriminierungsproblematik über die Konkretisierung des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit an.10 Zwar wurde bisher die Zulässigkeit von Typisierungen nach allgemeiner Meinung im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG geprüft. Die mit der Diskussion um genetische Diskriminierung offenkundig gewordene Problematik beim Umgang mit personenbezogenen statistischen Gruppeninformationen hat jedoch einen von der gleichheitsrechtlichen Ebene losgelösten, persönlichkeitsrechtlichen Schwerpunkt: Unabhängig von der Frage, welcher Behandlung andere unterworfen werden, fühlt sich der Einzelne durch die Bewertung anhand von statistischen Daten als vorbestimmt behandelt und nicht in seiner Individualität gewürdigt. Das so konstruierte Recht auf Achtung der Individualität erfasst die Behandlung und Bewertung des Einzelnen anhand von Eigenschaftsindikatoren. Die besondere Eingriffsintensität der Verwendung von Eigenschaftsindikatoren ergibt sich aus dem Umstand, dass Beurteilungen anhand von Gruppeninformationen dem Einzelnen die Fähigkeit absprechen, sich unabhängig von der Gruppe, der er zugeordnet ist, zu entwickeln oder entwickelt zu haben. Damit ist – gegenüber sachbezogenen statistischen Informationen – ein persönlichkeitsrechtlicher Gesichtspunkt betroffen, dem im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein eigenes Gewicht beizumessen ist. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Rechts auf Achtung der Individualität lässt sich als besondere Ausprägung das Gebot der manifestationsnächsten Typisierung herausarbeiten:11 Von verschiedenen Eigenschaftsindikatoren ist grundsätzlich derjenige zu wählen, der die genauesten Aussagen ermöglicht. Eine grundsätzliche Unzulässigkeit der Verwendung von Eigenschaftsindikatoren liegt damit jedoch nicht vor. Vielmehr bedarf es einer Einzelfallbetrachtung. ___________ 10 11

Vgl. S. 410 f. Dazu S. 424 ff.

Thesen

551

9. These: Das Recht auf freibestimmte Zukunft als besondere Ausprägung des Rechts auf Achtung der Individualität Eine grundsätzliche Unzulässigkeit der Verwendung von Gruppeninformationen ist nur dann anzunehmen, wenn sie zur Erstellung von Prognosen genutzt werden. Aus der besonderen, mit der Prognostizierung der Entwicklung von Menschen verbundenen Eingriffsintensität ergibt sich hier neben den rationalisierenden materiell-rechtlichen Anforderungen des Gebots der manifestationsnächsten Typisierung zusätzlich die formalisierende Voraussetzung einer spezialgesetzlichen Rechtsgrundlage für die Erstellung von personenbezogenen Prognosen.12 Dem herausgehobenen Schutzniveau innerhalb des Rechts auf Achtung der Individualität wird durch die gesonderte Bezeichnung als Recht auf freibestimmte Zukunft Rechnung getragen. In den von diesem Teilgewährleistungsbereich erfassten Fällen der personenbezogenen Prognosen weisen Typisierungen neben dem Personenbezug nämlich eine besondere (prognostische) Aussageungenauigkeit auf. Je weiter Aussagen in die Zukunft reichen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Prognose im Einzelfall tatsächlich zutrifft. Zudem sind sie nur eingeschränkt überprüf- und widerlegbar. Selbst unsichere Prognosen können eine eigenständige Realität erlangen, wenn sie in der Gesellschaft für zutreffend gehalten werden (Phänomen der „wahren Lüge“).13 Das Recht auf freibestimmte Zukunft soll dazu dienen, dem Einzelnen die Möglichkeit zu geben und zu erhalten, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und gegebenenfalls auch entgegen aller ungünstigen Prognosen zu gestalten.

10. These: Genspezifische Rechte sind rechtsdogmatisch nicht begründbar Weder das Recht auf Achtung der Individualität noch das Recht auf freibestimmte Zukunft erfassen nur die Verwendung genetischer Merkmale. Auch für andere Problemstellungen beim Umgang mit genetischen Daten erscheint die Konstruktion genspezifischer Gewährleistungen nicht als zweckmäßig. Denn die Probleme, die sich im Umgang mit genetischen Daten stellen, können auch beim Umgang mit nicht-genetischen Daten auftreten. Die Diskussion um die besonderen Gefahren genetischer Diagnostik ist somit allenfalls der Anlass, über neu zu benennende Konkretisierungen von Gewährleistungsbereichen nachzudenken.

___________ 12 Zu den Begriffen Formalisierung und Rationalisierung vgl. S. 386 ff. – Zum spezialgesetzlichen Gesetzesvorbehalt des Rechts auf freibestimmte Zukunft siehe S. 423. 13 Vgl. dazu S. 367 ff.

552

Thesen

11. These: Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verfügt über ein ausreichendes rechtliches Instrumentarium für den sachgerechten Umgang mit genetischen Daten Das einzige Charakteristikum, welches genetische Daten in gewisser Weise von anderen Daten abhebt, liegt in der Beschaffenheit des genetischen Probenmaterials: DNS-Proben stellen natürliche Datenbanken dar, von denen kleinste Mengen ausreichen, um eine Fülle von Daten über genetische Merkmale zu gewinnen. Aufgrund der Vererbung des genetischen Materials erlauben genetische Daten Aussagen über Verwandte der untersuchten Person. Jedoch bietet das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in dieser Hinsicht grundsätzlich ein ausreichendes Instrumentarium, um den Einzelnen vor einer missbräuchlichen Nutzung seiner genetischen Daten zu schützen. Innerhalb dieses Rechts können Daten mit vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten, insbesondere natürlichen Datenbanken, einem besonderen Schutz unterstellt werden.14 Der Konstituierung eines Rechts auf gen-informationelle Selbstbestimmung ist jedoch kein rechtsdogmatischer Ertrag beizumessen.15

12. These: Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung hat einen im Verhältnis zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung eigenständigen Gewährleistungsbereich Grundrechtsdogmatisch sinnvoll und geboten ist hingegen die grundrechtsdogmatische Konstruktion eines Rechts auf Wissen und Nichtwissen, das zusammenfassend als Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung bezeichnet wird. Jedoch auch dieses Recht ist in seinem Gewährleistungsbereich nicht auf genetische Daten beschränkt, sondern erfasst neben Informationen über Eigenschaftsindikatoren auch solche über manifeste Eigenschaften (vgl. das bereits anerkannte Recht auf Einsicht in Patientenakten) und Identifikationsmuster (vgl. das ebenfalls bereits anerkannte Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung). Gegenüber dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist es als selbstständiges Recht zu behandeln, welches auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung als zusätzlicher Abwägungsgesichtspunkt zu berücksichtigen ist. Die Eigenständigkeit der beiden Rechte ergibt sich bereits aus den unterschiedlichen Schutzbereichen, da das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur den Bereich der Fremdwahrnehmung erfasst.16 Zudem unterscheiden sich auch die rechtlichen Instrumentarien, durch die jeweils Be___________ 14

Siehe S. 464 ff. Vgl. S. 477 ff. 16 Siehe S. 383 ff. und 511. 15

Thesen

553

einträchtigungen der Selbst- bzw. Fremdwahrnehmung verhindert werden sollen. So ist beispielsweise der sich aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergebende Löschungsanspruch von gespeicherten Daten nicht als Instrument für das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung brauchbar, weil sich der Anspruch gegen den Betroffenen selbst richten würde. Zudem weicht die Problemlage für den Bereich der Selbstwahrnehmung erheblich von der in Fällen der Fremdwahrnehmung ab, da die Kenntnisnahme für den Einzelnen häufig irreversibel sein dürfte.

Literaturverzeichnis Ahrens, Hans-Jürgen u.a. (Hrsg.): Festschrift für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, Köln 1999 Albers, Marion: Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, Berlin 2001 − Die rechtlichen Standards der Biomedizin-Konvention des Europarats, Europarecht, 2002, S. 801 Albrecht, Bernhard/Krumm, Reinhard: Blut fürs Vaterland, Der Spiegel 38 (2000), S. 184 Albrechts, Jörg: Überall ist Pingelap, ZEITdokument 1 (2001), „Das menschliche Genom“, S. 43 Alexy, Robert: Theorie der Grundrechte, Frankfurt am Main 1986 Almquist, Elisabeth W./Bloch, Maurice u.a.: A Worldwide Assessment of the Frequency of Suicide, Suicide attemps, or Psychiatric Hospitalization after Predictive Testing for Huntington Disease, American Journal of Human Genetics, 64 (1999), S. 1293 Alper, Joseph S./Geller, Lisa N. u.a.: Genetic Discrimination and Screening for Hemochromatosis, Journal of Public Health Policy 1994, S. 345 Amelung, Knut/Beulke, Werner u.a.: Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie. Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2003 Antoni, Michael: Art. 1 GG, in: Seifert, Karl-Heinz/Dieter Hömig (Hrsg.), Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 2003 Arbeitskreis-Genforschung: Erster Bericht des vom Bundesminister für Forschung und Technologie auf Vorschlag wissenschaftlicher Institutionen, gesellschaftliche relevanter Gruppen und Bundesministerien einberufenen Arbeitskreises „Genforschung“, in: BMFT, (Bundesministerium für Forschung und Technologie) (Hrsg.), Die Erforschung des menschlichen Genoms: ethische und soziale Aspekte, München 1991 von Armin, Gabriele/Deile, Volkmar/Hutter, Franz-Josef/Kurtenbach, Sabine/Tessmer, Carsten: Jahrbuch Menschenrechte 2003, Schwerpunkt: Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, Frankfurt a.M. 2003 Arndt, Hans-Wolfgang: Praktikabilität und Effizienz. Zur Problematik gesetzesvereinfachenden Verwaltungsvollzuges und der „Effektuierung“ subjektiver Rechte, Köln 1983 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, (19. Ausschuss): Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung vom 16.11.2000. Technikfolgenabschätzung, hier: Monitoring „Stand und Perspektiven der genetischen Diagnostik“, BT-Drs. 14/4656, 2000 Ausschuss für Forschung und Technologie, (18. Ausschuss): Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Forschung und Technologie (18. Ausschuss) vom 21.06.1989 zum Bericht der Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ (BT-Drs. 10/6775). BT-Drs. 11/5320, 1989

Literaturverzeichnis

555

Badura, Peter: Staatsrecht. Systematische Erläuterung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, München 2003 Badura, Peter/Dreier, Horst (Hrsg.): Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts. Festschrift, 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Tübingen 2001 Badura, Peter/Scholz, Rupert: Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, München 1993 Baer, Susanne: Würde oder Gleichheit? Zur angemessenen grundrechtlichen Konzeption von Recht gegen Diskriminierung am Beispiel sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland und den USA, Baden-Baden 1995 Bahnsen, Ulrich: Der Mensch auf Glas. Genchips revolutionieren die Gesundheitsvorsorge, Die Zeit Nr. 45 (2000), S. 34 Balding, David J./Bishop, Martin/Cannings, Chris: Handbook of Statistical Genetics, Chichester/New York 2001 Bartram, Claus R.: Wie gläsern ist der Mensch nach der Entschlüsselung seines Genoms? in: Steiner, Theo (Hrsg.), Genpool. Biopolitik und Körperutopien, Wien 2002, S. 243 Bartram, Claus R./Beckmann, Jan P. u.a. (Hrsg.): Humangenetische Diagnostik, Heidelberg 2000 Bartram, Claus R./Fonatsch, Christa: Humangenetische Diagnostik und Beratung im Zeitalter der molekularen Medizin, in: Bartram, Claus R. u.a. (Hrsg.), Humangenetische Diagnostik, Heidelberg 2000, S. 51ff Baumann, Horst: Zur Bedeutung von Gentests beim Abschluss von Lebens- und Krankenversicherungen, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswirtschaft, 2002, S. 169 Bautier, Robert-Henri/Angermann, Norbert: Lexikon des Mittelalters, München 1998 Bayertz, Kurt: Pränatale Vaterschaftsdiagnostik und selektive Abtreibung, in: Byrd, B. Sharon u.a. (Hrsg.), Schwierige Fälle der Gen-Ethik. Jahrbuch für Recht und Ethik, Band 9 (2001), S. 119 Bayertz, Kurt/Ach, Johann S./Paslack, Rainer: Genetische Diagnostik. Zukunftsperspektiven und Regelungsbedarf in den Bereichen innerhalb und außerhalb der Humangenetik, Arbeitsmedizin und Versicherungen. Eine Untersuchung im Auftrag des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, Münster 1999 Beck-Gernsheim, Elisabeth: Health and Responsibility – From Social Change to Technological Change, in: Haker, Hille/Hearn, Richard/Stiegleder, Klaus, Ethics of Human Genome Analysis, Tübingen 1993, S. 199 ff. − Wer heilt, hat Recht? Zur gesellschaftlichen Nutzung der Gendiagnostik und Gentherapie, in: Steiner, Theo (Hrsg.), Genpool. Biopolitik und Körperutopien, Wien 2002, S. 192 ff. Beckmann, Dorothee/Istel, Karin u.a.: Humangenetik. Segen für die Menschheit oder unkalkulierbares Risiko?, Frankfurt a. M. 1991 Beckmann, Jan: (Gen)informationelles Selbstbestimmungsrecht – ethische Fragen, in: Sokol, Bettina, Der gläserne Mensch. DNA-Analysen, eine Herausforderung an den Datenschutz, Düsseldorf 2003, S. 118 ff. Beckwith, Jon/Alper, Joseph S.: Considering Genetic Antidiscrimination Legislation, Journal of Law, Medicine and Ethics, 26 (1998), S. 205 ff.

556

Literaturverzeichnis

Beljin, Saša/Fenger, Hermann: Internationales Humangenomprojekt (HUGO) und ausländische Projekte, in: Winter, Stefan F./Fenger, Hermann/Schreiber, Hans-Ludwig, Genmedizin und Recht, München 2001, Rdnr. 683 ff. Benda, Ernst: Die Erprobung der Menschenwürde, Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage der Zeitung „Das Parlament“, 3 (1985), S. 18 ff. − Privatsphäre und „Persönlichkeitsprofil“ – Ein Beitrag zur Datenschutzdiskussion, in: Leibholz, Gerhard u.a.: Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung. Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974, S. 23 ff. Benda, Ernst/Maihofer, Werner/Vogel, Hans-Jochen: Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Auflage, Berlin 1994 Benderoth, Erika: Stellungnahme zum 4.Themenblock „Entsolidarisierung durch Recht auf Wissen?“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik” durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Berberich, Kerstin: Zur Zulässigkeit genetischer Tests in der Lebens- und privaten Krankenversicherung, Karlsruhe 1998 Bergemann, Nils/Hornung, Gerrit: Die DNA-Analyse nach den Änderungen der Strafprozessordnung. Speicherung bis Widerruf?, StV 2007, 164 ff. Bergmann, Reinhard: Kommentierung zu Art. 3 GG, in: Seifert, Karl-Heinz/Hömig, Dieter: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Taschenkommentar, 7. Auflage, Baden-Baden 2003 Bernat, Erwin: Schutz vor genetischer Diskriminierung und Schutzlosigkeit wegen genetischer Defekte. Die Genanalyse am Menschen und das österreichische Recht, in: Byrd, B. Sharon/Hruschka, Joachim/Joerden, Jan C. (Hrsg.): Richtlinien für die Genetik. Guidelines for Genetics, Jahrbuch für Recht und Ethik 10, 2002, S. 183 ff. Bickel, Heribert: Möglichkeiten und Risiken der Gentechnik. Ethische und rechtliche Grenzen, Verwaltungsarchiv 1996, S. 169 ff. Billings, Paul R./Alper, Joseph S. u.a.: Reply to Hook and Lowden. The Definition and Implications of Genetic Discrimination, American Journal Human Genetics, 51 (1992), S. 903 ff Billings, Paul R./Kohn, Mel A. u.a.: Discrimination as a Consequence of Genetic Testing + letters to the editor, American Journal Human Genetics, 50 (1992), S. 476 ff. Binder, Elke: Das Weiße vom Ei – Nicht auf die Gene kommt es an, sondern auf Eiweiße. Wie Forscher unsere Proteine entschlüsseln wollen, Der Tagesspiegel vom 02.05.2003, Nr. 18107, S. 29 Bioethikkommission Rheinland-Pfalz: Zweiter Zwischenbericht der interministeriellen Kommission zur Aufarbeitung von Fragen der Bioethik (Bioethikkommission) – Humangenetik – vom 24.01.1989, in: Caesar, Peter (Hrsg.), Humangenetik. Thesen zur Genomanalyse und Gentherapie, Heidelberg 1989 Blech, Jörg: Dämonen der Begierde, Der Spiegel 16/2002, S. 254ff − Die Abschaffung der Gesundheit, Der Spiegel 33/2003, S. 116ff Bleckmann, Albert: Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, Köln 1995 Böckenförde, Werner: Der allgemeine Gleichheitssatz und die Aufgabe des Richters. Ein Beitrag zur Justiziabilität von Art. 3 Abs. 1 des Bonner Grundgesetzes, Berlin 1957 Bogs, Harald: Molekulargenetische Fortschritte, verfassungsrechtliches Gendatengeheimnis und duale Krankenversicherungsordnung (PKV/GKV). Grundrechtsdogma-

Literaturverzeichnis

557

tische Prolegomena zu Fragen einer Regulierung prädiktiver Gentests (insbesondere bei Grundsicherungsverhältnissen), in: Amelung, Knut/Beulke, Werner u.a., Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie. Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag, Heidelberg 2003, S. 603 ff. Bohley, Peter: Statistik, 5. Auflage, München 1992 Bohnert, Claudia: Zur Zulässigkeit privater Vaterschaftstests, Familie, Partnerschaft, Recht 2002, S. 383 ff. Bohnert, Joachim u.a.: Verfassung, Philosophie, Kirche. Festschrift für Hollerbach zum 70. Geburtstag, Berlin 2002 Bortz, Jürgen: Lehrbuch der Statistik für Sozialwissenschaftler, 2. Auflage, Berlin 1985 Bouchouaf, Ssoufian: Statistische Altersdiskriminierung – ein Problemaufriss anhand von Beispielen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Kritische Justiz 2006, 310 ff. Boyle, P. J.: Shaping priorities in genetic medicine, Hastings Center Report, 25 (1995), S. 2 ff. Breuer, Hubertus: Andere Rasse, andere Pille, Die Zeit, Nr. 39, S. 31 Breyer, Friedrich: Implikationen der genetischen Diagnostik für Versicherungsmärkte, in: Bartram, Claus R./Beckmann, Jan P. u.a. (Hrsg.), Humangenetische Diagnostik, Heidelberg 2000, S. 163 ff. Britz, Gabriele: Die Individualbeschwerde nach Art. 14 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, Europäische Grundrechte Zeitschrift 2002, S. 381 ff. Brockhaus: Die Enzyklopädie in 24 Bänden, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus GmbH, 20. Auflage, Mannheim 1999 Brockhaus Gesundheit, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus GmbH, herausgegeben von Anne-Katrin Fabian, 6. Auflage, Mannheim 2004 Brors, Benedikt: Qualitätsstandards für DNA-Chip-Analysen, medgen 2000, S. 301 ff. Brossette, Josef: Der Wert der Wahrheit im Schatten des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, Berlin 1991 Brudermüller, Gerd: Kommentierung zu § 1314 BGB, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Auflage, München 2004 Bülow, Erich: Rechtsfragen der Genomanalyse, in: Sass, Hans-Martin, Genomanalyse und Gentherapie – Ethische Herausforderungen in der Humanmedizin, Berlin 1991, S. 125 Bundesministerium der Justiz: Zwischenbericht der Kommission zur Reform des Versicherungsvertragsrechts vom 30.05.2002 Bundesministerium für Forschung und Technologie: Ethische und rechtliche Probleme der Anwendung zellbiologischer und gentechnischer Methoden am Menschen. Dokumentation eines Fachgesprächs im Bundesministerium für Forschung und Technologie, München 1984 − In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie. Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Forschung und Technologie und des Bundesministers der Justiz, München 1985 − Die Erforschung des menschlichen Genoms: ethische und soziale Aspekte. Erster Bericht des vom Bundesminister für Forschung und Technologie auf Vorschlag wissen-

558

Literaturverzeichnis

schaftlicher Institutionen, gesellschaftliche relevanter Gruppen und Bundesministerien einberufenen Arbeitskreises „Genforschung“, München 1991 Bundesministerium für Forschung und Technologie/Bundesministerium der JustizArbeitsgruppe: Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Forschung und Technologie und des Bundesministers der Justiz ("Benda-Bericht") vom 25.11.1085 in: BMFT, (Bundesministerium für Forschung und Technologie) (Hrsg.), In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie, München 1985 Bundesrat: Entschließung des Bundesrats zur Anwendung gentechnischer Methoden am Menschen, BR-Drs. 424/92 (Beschluss) Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Umsetzung des Beschlusses des deutschen Bundestages zum Bericht der Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie vom 05.12.1990, BT-Drs. 11/8520 Bund-Länder-Arbeitsgruppe: Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Genomanalyse” vom Mai 1990, Bundesanzeiger 42, G 1990 A, Nr. 161a vom 29.08.1990, Bonn Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsfraktion: Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Analysen des menschlichen Erbgutes (Gentest-Gesetz) vom Mai 2001, Stand. 4.10.01, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, S. 167 ff. Bürgerkonferenz: Bürgervotum „Streitfall Gendiagnostik“ – Projekt des Forums Wissenschaft der Stiftung Deutsches Hygiene-Museum Dresden, 26.11.2001, in: Schicktanz, Silke/Naumann, Jörg, Bürgerkonferenz. Streitfall Gendiagnostik. Ein Modellprojekt der Bürgerbeteiligung im bioethischen Diskurs, herausgegeben im Auftrag des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Opladen 2003, S. 83 ff. Busch, Ralf: Die Speicherung von DNA-Identifizierungsmustern in der DNA-AnalyseDatei, Neue Juristische Wochenschrift 2002, S. 1754 ff. Buschhausen-Denker, Gregor: Sicherheit, Qualität und Arbeitsschutz, in: Winter, Stefan F./Fenger, Hermann/Schreiber, Hans-Ludwig, Genmedizin und Recht, München 2001, Rdnr. 1394 ff. Byrd, B. Sharon/Hruschka, Joachim/Joerden, Jan C. (Hrsg.): Schwierige Fälle der GenEthik, Jahrbuch für Recht und Ethik 9, 2001 − Richtlinien für die Genetik. Guidelines for Genetics, Jahrbuch für Recht und Ethik 10, 2002 Caesar, Peter (Hrsg.): Humangenetik. Thesen zur Genomanalyse und Gentherapie. Bericht der Bioethikkommission des Landes Rheinland-Pfalz, Heidelberg 1989 Catenhusen, Wolf-Michael: Genomanalyse und Gentherapie: Gesellschaftspolitische Herausforderungen und politischer Handlungsbedarf, in: Rittner, Christian, Genomanalyse und Gentherapie. Medizinische, gesellschaftspolitische, rechtliche und ethische Aspekte, Mainz 1997, S. 131 ff. Chadwick, Ruth: Introduction, in: Chadwick, Ruth/Levitt, Mairi/Shickle, Darren, The Right to know and the Right not to know, Avebury 1997, S. 1 ff. − The Philosophy of the Right to Know and Not to Know, in: Chadwick, Ruth/Levitt, Mairi/Shickle, Darren, The Right to know and the Right not to know, Avebury 1997, S. 13 ff. Chadwick, Ruth/Levitt, Mairi: Mass media and public discussion in bioethics, in: Chadwick, Ruth/Levitt, Mairi/Shickle, Darren, The Right to know and the Right not to know, Avebury 1997, S. 79 ff.

Literaturverzeichnis

559

Chadwick, Ruth/Levitt, Mairi/Shickle, Darren: The Right to know and the Right not to know, Avebury 1997 Cloidt-Stotz, Julia: Anmerkung zu EuGH, NJW 1994, S. 3005, Neue Juristische Wochenschrift 1994, S. 3006 f. Cook-Deegan, Robert M.: Herausforderungen der DNS-Kartierung und -Sequenzierung, in: Sass, Hans-Martin, Genomanalyse und Gentherapie – Ethische Herausforderungen in der Humanmedizin, Berlin 1991, S. 171 ff. Cornish-Bowden, Athel/Cárdenas, María Luz: Silent genes given voice, Nature, 409 (2001), S. 571 ff. Cramer, Stephan: Genom- und Genanalyse – Rechtliche Implikationen einer „prädiktiven Medizin“, Frankfurt am Main, 1991 Cyranoski, David: Study focuses on genetic fallout of the bomb, Nature, 291 (2001), S. 5 Damm, Reinhard: Prädikative Medizin und Patientenautonomie, Medizinrecht 1999, S. 437 ff. − Recht auf Nichtwissen?, Universitas 1999, S. 433 ff. − Persönlichkeitsschutz und medizinische Entwicklung, Juristen-Zeitung 1998, S. 926 ff.

− Gendiagnostik im experimentellen öffentlichen Diskurs, EthikMed 2002, S. 110 ff. Dammann, Ulrich: Kommentierung zu den §§ 1, 3, 3a, 13, 15, und 40 BDSG, in: Simitis, Spiros, Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, 5. Auflage, Baden-Baden 2003 Dänischer Ethikrat (The Danish Council of Ethics): Ethics and Mapping of the Human Genome – Protection of sensitive personal information/Genetic Screening/Genetic testing in appointments etc., 1993 − Genetic investigation of healthy Subjects – Report on Presymptomatic Gene Diagnosis, 2001 Datenschutzbeauftragte des Bundes und der Länder: Stellungnahme der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zum Fragenkatalog der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ zur datenschutzrechtlichen Bewertung von Genomanalysen vom 13.02.2001 − (Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder): 62. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, (Münster, 24.-26. Oktober 2001) – Anlage zur Entschließung gesetzliche Regelung von genetischen Untersuchungen – Vorschläge zur Sicherung der Selbstbestimmung bei genetischen Untersuchungen, Datenschutz und Datensicherheit 2002, 150 ff. − (Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sowie der Datenschutzkommission Rheinland-Pfalz): Entschließung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sowie der Datenschutzkommission Rheinland-Pfalz vom 26./27.10.1989. „Genomanalyse und informationelle Selbstbestimmung“, in: Bundesbeauftragter für Datenschutz, 12. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für Datenschutz, BT-Drs 11/6458, Anlage 7 (S. 109) Däubler, Wolfgang: Gläserne Belegschaften. Datenschutz in Betrieb und Dienststelle, 4. Auflage, Frankfurt am Main 2002 − Gläserne Belegschaften? Die Verwendung von Gendaten im Arbeitsverhältnis, Recht der Datenverarbeitung 2003, S. 7 ff.

560

Literaturverzeichnis

Degenhardt, Christoph: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Juristische Schulung 1992, S. 361 ff. Denninger, Erhard u.a.: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 3. Auflage, Neuwied 2001 Deutsch, Erwin: Medizinische Genetik und Genomanalyse, Versicherungsrecht 1994, S. 1 ff. − Rechtsfragen der Genomanalyse, in: Ellermann, Rolf/Opolka, Uwe, Genomanalyse. Ihre biochemischen, medizinischen, juristischen und politischen Aspekte, Frankfurt a. M. 1991, S. 78 ff. Deutsche Bischofskonferenz und evangelische Kirche Deutschland: Gemeinsame Texte 11. Wie viel Wissen tut uns gut? Chancen und Risiken der voraussagenden Medizin – Gemeinsames Wort zur Woche für das Leben 1997: „Jedes Kind ist liebenswert. Leben annehmen statt auswählen.“ Bonn 1997 DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft): Humangenomforschung und prädikative genetische Diagnostik. Möglichkeiten – Grenzen – Konsequenzen. Stellungnahme der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung der Deutschen Forschungsgesellschaft, Bonn 1999 − Humangenomforschung und prädikative genetische Diagnostik. Wissenschaftliche Grundlagen, praktische Umsetzung und soziale Implementierung. Stellungnahme der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung der Deutschen Forschungsgesellschaft, Bonn 2003 DGfH (Deutsche Gesellschaft für Humangenetik) e. V.: Stellungnahme zum neuen chinesischen „Gesetz über kindliche und mütterliche Gesundheitsvorsorge“ – Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik e.V., Medizinische Genetik, 7 (1995), S. 419 DGMR (Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht) e. V.: Einbecker-Empfehlungen „Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht“, Medizinrecht 2002, S. 699 ff. Diekgräf, R.: Genomanalyse im Arbeitsrecht, Betriebsberater, 1991, S. 1854 ff. Dierks, Christian u.a.: Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003 Diewald, Rudolf: Versichern mit angewandter Gen- und Biotechnologie, Versicherungswirtschaft 2002, S. 147 ff. Dirnberger, Franz: Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, Berlin 1991 Dix, Alexander: Der genetische Fingerabdruck vor Gericht. Wege aus der Wüste in die Oase, Datenschutz und Datensicherheit 1993, S. 281 ff. Donner, Hartwig/Simon, Jürgen: Genomanalyse und Verfassung, Die öffentliche Verwaltung 1990, S. 907 ff. Dörner, Klaus: Das Forschungsinteresse überwog das Wohl der geistig Behinderten, Frankfurter Rundschau, 22.02.01, Nr. 45, S. 18 Dreier, Horst: Grundgesetzkommentar, 2. Auflage, Tübingen 2004 − Kommentierung zu Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG, in: Dreier, Grundgesetzkommentar, Tübingen 2004 Dürig, Günter: Kommentierung zu Art. 3 Abs. 2 GG, in: Maunz/Herzog/Dürig, Grundgesetzkommentar Duster, Troy: Die Wiedergeburt des Rassebegriffes, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), 163, 2004, 3 ff.

Literaturverzeichnis

561

Düwell, Marcus: Ethik der genetischen Frühdiagnostik. Eine Problemskizze, in: Düwell, Marcus/Mieth, Dietmar, Ethik in der Humangenetik. Die neueren Entwicklungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive, Tübingen 2000, S. 26 ff. Düwell, Marcus/Mieth, Dietmar: Ethik in der Humangenetik. Die neueren Entwicklungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive, Tübingen 2000 Dworkin, Roger B.: Cases and Guidelines in Genetics, in: Byrd, B. Sharon/Hruschka, Joachim/Joerden, Jan C. (Hrsg.): Richtlinien für die Genetik. Guidelines for Genetics, Jahrbuch für Recht und Ethik 10 (2002), S. 21 ff. Eberbach, Wolfram H.: Einführung. Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, S. 1 ff. − Genomanalyse und Prävention, in: Sass, Hans-Martin, Genomanalyse und Gentherapie – Ethische Herausforderungen in der Humanmedizin, Berlin 1991, S. 81 ff. Eckertz-Höfer, Marion: Kommentierung zu Art. 3 Abs. 2, 3 GG, in: Denninger, Erhard u.a., Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 3. Auflage, Neuwied 2001 Einwag, Alfred: Genomanalyse und Datenschutz, in: Ellermann, Rolf/Opolka, Uwe, Genomanalyse. Ihre biochemischen, medizinischen, juristischen und politischen Aspekte, Frankfurt a. M. 1991, S. 92 ff. Eisenberg, Ulrich: Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 4. Auflage, München 2002 Ellermann, Rolf/Opolka, Uwe: Genomanalyse. Ihre biochemischen, medizinischen, juristischen und politischen Aspekte, Frankfurt a. M. 1991 Enders, Christoph: Problem der Gentechnologie in grundrechtsdogmatischer Sicht, in: Mellinghof, Rudolf/Trute, Hans-Heinrich, Die Leistungsfähigkeit des Rechts. Methodik, Gentechnologie. Internationales Verwaltungsrecht, Heidelberg 1988, S. 157 ff. Engel, Stefan: Der präsymptomatische Gentest am Beispiel der Huntington’schen Erkrankung, in: Beckmann, Dorothee, Humangenetik. Segen für die Menschheit oder unkalkulierbares Risiko?, Frankfurt a. M. 1991, S. 181 ff. Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie” des Deutscher Bundestages: Bericht der Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie” vom 19.12.1986, BT-Drs. 10/6775 Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Deutscher Bundestages: Schlussbericht der Enquetekommission für Recht und Ethik der modernen Medizin vom 31.05.2001, BT-Drs. 14/9020 − Gutachtliche Stellungnahme zum Erlass einer Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats zur Festlegung von Qualitätsstandards für die Spende, Beschaffung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichen Geweben und Zellen vom 03.11.2003 Eppelt, Martina, Dorothee: Grundrechtsverzicht und Humangenetik, Herdecke 1999 Erlinger, Rainer: Strafrechtliche Grenzen genetischer Untersuchungen, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, S. 71 ff. Ethikbeirat beim BMG (Bundesministerium für Gesundheit): Prädiktive Gentests. Eckpunkte für eine genetische und rechtliche Orientierung, November 2000

562

Literaturverzeichnis

Feuerlein, Monika: (K)ein Grund zur Sorge, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), 2004, 164, S. 46 ff. − „Motherland“ und Evas Töchter, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), 163, 2004, S. 10 ff. Feuerstein, Günter/Kollek, Regine: Vom genetischen Wissen zum sozialen Risiko: Gendiagnostik als Instrument der Biopolitik, Aus Politik und Zeitgeschichte 2001, Beilage der Zeitung „Das Parlament“, S. 26 ff. Feuerstein, Günter/Kollek, Regine/Uhlemann, Thomas: Gentechnik und Krankenversicherung – neue Leistungsangebote im Gesundheitswesen, Baden-Baden 2002 Fey, Georg/Seel, Klaus-M.: Naturwissenschaftliche Grundlagen einer prädiktiven Genetik, in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 5 ff. Feyerabend, Erika: Das Europa der Biobanken, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 167, Dez 2004/Jan 2005, S. 3 ff. − Die Ökonomie des Gencodes. Ein Privatunternehmen darf genetische Daten aller IsländerInnen sammeln, speichern und vermarkten, bioskop, März 1999, Nr. 5, S. 3 f. − Ein gespeichertes Volk – Firma erhielt Lizenz für Islands Gesundheitsdatenbank, bioskop, März 2000, Nr. 9, S. 10 Fisahn, Andreas: Ein unveräußerliches Recht am eigenen genetischen Code, Zeitschrift für Rechtspolitik 2001, 49 ff. − Genetischer Code – rechtliche Schutzperspektiven, Recht der Datenverarbeitung 2002, 15 ff. Fischer Wirtschaftslexikon, herausgegeben von Bert Rürup, 2. Auflage, Frankfurt 2003 Fischer, Ernst Peter: Die Expedition ans Ende der Anatomie, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, S. 5 ff. Flöhl, Rainer: Genforschung mit Herzkranken. Das Herzzentrum Ludwigshafen kooperiert mit Aventis, Frankfurter Allgemeine Zeitung 10.01.2001, Nr. 8, S. N1 f. Frankenberg, Günter: AIDS und Grundgesetz – eine Zwischenbilanz, in: Prittwitz, Cornelius, AIDS, Recht und Gesundheitspolitik, Berlin 1990 Friedl, Waltraut/Lamberti, Christof: Familiäre adenomatöse Polyposis, in: Ganten, Detlev/Ruckpaul, K., Hereditäre Tumorerkrankungen, Berlin 2001, S. 303 ff. − Möglichkeiten postnataler Diagnostik, in: Petermann, Franz/Wiedebusch, Silvia/Quante, Michael, Perspektiven der Humangenetik. Medizinische, psychologische und ethische Aspekte, Paderborn 1997, S. 81 ff. Fürst, Walther: Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht, Band I: Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Richterrecht und Soldatenrecht, Loseblattsammlung, Berlin, Stand 2004 Fürst, Walther/Herzog, Roman/Umbach, Dieter C. (Hrsg.): Festschrift für Wolfgang Zeidler, Band 2, Berlin 1987 Gabler Wirtschaftslexikon, Gabler-Verlag/Gewährleistung Fachverlage GmbH, 16. Auflage, Wiesbaden 2004 Gänsbacher, Bernd: Historische Entwicklungen der klinischen Gentransferstrategien, in: Winter, Stefan F./Fenger, Hermann/Schreiber, Hans-Ludwig, Genmedizin und Recht, München 2001, Rdnr. 1114 ff. Ganten, Detlev/Ruckpaul, K.: Hereditäre Tumorerkrankungen, Berlin 2001

Literaturverzeichnis

563

Garstka, Hansjürgen: Das Genom als Datei, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, S. 83 ff. Geis, Max-Emanuel u.a.: Staat, Verwaltung, Kirche. Festschrift für Hartmut Maurer zum 70. Geburtstag, München 2001 Gelinsky, Katja: Der Zug ist abgefahren. Kein Gentest bei amerikanischen Eisenbahnern, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.02.2001, Nr. 41, S. 44 Geller, L. N. u.a.: Individual, Family, and Societal Dimensions of Genetic discrimination. A Case Study Analysis, Science and Engineering Ethics 1996, S. 71 ff. Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft: Freiwillige Selbsterklärung der Mitgliedsunternehmen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) 2001, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, Anhang Gevers, J.K.L.: Genetic Testing. The legal position of relatives of the test subjects, Medicine and Law 1988, Nr. 7, 161 ff. Giesen, Dieter: Genetische Abstammung und Recht, Juristen-Zeitung 1989, S. 364 ff. Gigerenzer, Gerd: Wie kommuniziert man genetische Risiken, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 161, 2003/2004, S. 6 ff. Giwer, Elisabeth: Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik, Berlin 2001 Göben, Jens: Kooperation zwischen Genmedizin und Industrie: Möglichkeiten und Grenzen, in: Winter, Stefan F./Fenger, Hermann/Schreiber, Hans-Ludwig, Genmedizin und Recht, München 2001, Rdnr. 880 ff. Goerdeler, Jochen: Lösungsansatz. Entwurf eines Gentest-Gesetzes von Bündnis90/Die Grünen, in: Sokol, Bettina, Der gläserne Mensch. DNA-Analysen, eine Herausforderung an den Datenschutz, Düsseldorf 2003, S. 128 ff. Goerdeler, Jochen/Laubach, Birgit: Im Datendschungel – Zur Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung von genetischen Untersuchungen, Zeitschrift für Rechtspolitik 2002, S. 115 ff. Gola, Peter/Schomerus, Rudolf: Bundesdatenschutzgesetz, 7. Auflage, München 2002 Gola, Peter/Wronka, Georg: Handbuch zum Arbeitnehmerdatenschutz. Rechtsfragen und Handlungshilfen für die betriebliche Praxis, 3. Auflage, Frechen 2004 Göres, Joachim: Seelenstriptease vor dem Gutachter, Frankfurter Rundschau 10.07.2002, Nr. 157, Seite A1 Görlitzer, Klaus-Peter: Probelauf für Massen-Gentest – Krankenkasse bietet Hämochromatose-Screening“ an, bioskop, März 2001, Nr. 13, S. 14 f. − Technologie für Massentests – DNA-Chip soll Gendiagnostik revolutionieren und gilt als Schlüsseltechnik für Bevölkerungsscreenings, bioskop September 1999, Nr. 7, S. 14 f. − Datenschützer rügt Humangenetiker. Heimliche Auswertung von Blutproben und Daten behinderter Heimbewohner, Datenschutz Nachrichten 2/2000, S. 5 ff. Gostin, Larry: Genetic Discrimination. The Use of Genetically Based Diagnostic and Prognostic Tests by Employers and Insurers, American Journal of Law and Medicine, XVII (1991), S. 109 ff. Graalmann-Scheerer, Kirsten: Entwicklungen und Tendenzen der molekulargenetischen Untersuchung im Strafverfahren, in: Sokol, Bettina, Der gläserne Mensch. DNAAnalysen, eine Herausforderung an den Datenschutz, Düsseldorf 2003, S. 39 ff.

564

Literaturverzeichnis

− Molekulargenetische Untersuchung im Strafverfahren, Zeitschrift für Rechtspolitik 2002, 72 ff. Grand, Carmen/Atia-Off, Katrin: Genmedizin und Datenschutz, in: Winter, Stefan F./Fenger, Hermann/Schreiber, Hans-Ludwig, Genmedizin und Recht, München 2001, Rdnr. 1281 ff. Graumann, Sigrid: „Präimplantationsgenetik“ – Ein wünschenswertes und moralisch legitimes Ziel des Fortschritts in der vorgeburtlichen Medizin?, in: Düwell, Marcus/Mieth, Dietmar, Ethik in der Humangenetik. Die neueren Entwicklungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive, Tübingen 2000, S. 383 ff. − Die Bürgerkonferenz als Möglichkeit er Selbstbestimmung im gesellschaftlichen Kontext, in: Schicktanz, Silke/Naumann, Jörg, Bürgerkonferenz. Streitfall Gendiagnostik. Ein Modellprojekt der Bürgerbeteiligung im bioethischen Diskurs, herausgegeben im Auftrag des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Opladen 2003, S. 95 ff. Graupner, Heidrun: Typisiert, stigmatisiert, diskriminiert – oder geheilt, Süddeutsche Zeitung, 26./27.10.2002, Nr. 248, S. 10 Gretter, Bettina: Gesetzliche geregelte Informationspflicht gegenüber Risikoträgern von genetisch bedingten, heilbaren Krankheiten, Zeitschrift für Rechtspolitik 1994, S. 24 ff. Grimm, Dieter: Persönlichkeitsschutz im Verfassungsrecht, in: Lorenz, Karlsruher Forum 1996, S. 3 ff. Gusy, Christoph: Der Gleichheitssatz, Neue Juristische Wochenschrift 1988, S. 2505 ff. Häberle, Peter: Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts, Band I, § 20 Habermas, Jürgen: Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, 4. Auflage, Frankfurt 2002 Haker, Hille: Genetische Beratung und moralische Entscheidungsfindung, in: Düwell, Marcus/Mieth, Dietmar, Ethik in der Humangenetik. Die neueren Entwicklungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive, Tübingen 2000, S. 238 ff. Haker, Hille/Hearn, Richard/Stiegleder, Klaus: Ethics of Human Genome Analysis, Tübingen 1993 Hamm, Rainer: Datenbanken mit genetischen Merkmalen von Straftätern, Datenschutz und Datensicherheit 1998, 457 ff. Hanau, Peter u.a.: Festschrift für Günther Wiese zum 70. Geburtstag, Neuwied 1998 Harms, Katharina: Verfassungsrecht in Umbruchsituationen, Baden-Baden 1999 Harper, Peter S.: Huntington Disease and the Abuse of Genetics, American Journal Human Genetics, vol. 50 (1992), S. 460 ff. Hartog, Jennifer/Wolff, Gerhard: Das genetische Beratungsgespräch, in: Petermann, Franz/Wiedebusch, Silvia/Quante, Michael, Perspektiven der Humangenetik. Medizinische, psychologische und ethische Aspekte, Paderborn 1997, S. 153 ff. Hasselberg, Sven: Gläserne Patienten, Focus Nr. 29, 2000, S. 196 ff. Hauschild, Rüdiger/Claussen, Uwe: Die Bedeutung des Beratungsauftrages in der genetischen Beratung und seine Beziehung zum „Recht auf Nicht-Informiertwerden“. Automatismen oder individuelle Entscheidung, medgen 1998, S. 316 ff.

Literaturverzeichnis

565

Hausheer, Heinz: Ein schweizerischer Vorentwurf zu einem Humangenetikgesetz, in: Ahrens, Hans-Jürgen u.a. (Hrsg.), Festschrift für Erwin Deutsch zum 70. Geburtstag, Köln 1999, S. 593 ff. − Genetik und Versicherung aus juristischer Sicht. Rechtsvergleichende Überlegungen zur genetischen Untersuchungen im Versicherungsbereich, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 2001, S. 255 ff. Heck, Phillipp: Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, Archiv für die civilistische Praxis 112 (1925), S. 1 ff. Heinrichs, Helmut: Kommentierung zu den §§ 123, 241 und 249 BGB, in: Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch. Kommentar, 63. Auflage, München 2004 Hellermann, Johannes: Die so genannte negative Seite der Freiheitsrechte, Berlin 1993 Hendriks, Aart: Stellungnahme zum 3. Themenblock „Rechtsvergleich im Hinblick auf Regelungen zu den Bereichen Datenschutz und Diskriminierungsschutz“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik” durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Henn, Wolfram: DNA-Chiptechnologie in der medizinischen Genetik: Ethische und gesundheitspolitische Probleme, medgen 2000, 341 ff. Herdegen, Matthias: Die Erforschung des Humangenoms als Herausforderung für das Recht, Juristen-Zeitung 2000, 633 ff. − Der Diskriminierungsschutz für Behinderte im Grundgesetz. Entstehung und Tragweite des Benachteiligungsverbotes (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG), 2. Auflage, Bonn 1998 Hess, Rainer: Kommentierung zu § 1 StVO, in: Janiszewski, Joachim/Burmann, Michael/Heß, Rainer, Straßenverkehrsrecht, München 2002 Hesse, Konrad: Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Auflage, Heidelberg 1995 − Der allgemeine Gleichheitssatz in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtssetzungsgleichheit, in: Badura, Peter/Scholz, Rupert, Wege und Verfahren des Verfassungslebens. Festschrift für Peter Lerche zum 65. Geburtstag, München 1993, S. 121 ff. Heun, Werner: Kommentierung zu Art. 3 GG, in: Dreier, Grundgesetzkommentar Hillgruber, Christian: Der Schutz des Menschen vor sich selbst, München 1992 Hipp, Dietmar: Die meisten Täter sind frei, Der Spiegel 43/2003, S. 54 ff. Hirsch, Günter/Eberbach, Wolfram: Auf dem Weg zum künstlichen Leben, Stuttgart 1987 Hobom, Barbara: Gendiagnosen sind oft schwierig zu bewerten, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2000, Rubrik „Wissenschaft“ Höchst, Sigrid: Das Recht auf Nichtwissen, in: Beckmann, Dorothee u.a., Humangenetik. Segen für die Menschheit oder unkalkulierbares Risiko?, Frankfurt a. M. 1991, S. 143 ff. Hoffrage, Ulrich/Lindsey, Samuel/Gigerenzer, Gerd: Communicating statistical information, Science 2000, 290 (2000), S. 2261 ff. Höfling, Wolfram: Kommentierung zu Art. 1 GG, in: Sachs, Michael, Grundgesetzkommentar, 3. Auflage, München 2003

566

Literaturverzeichnis

− Menschen mit Behinderungen, das „Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin“ und die Grund- und Menschenrechte, Kritische Vierteljahresschrift 1998, 99 ff. − Offene Grundrechtsinterpretation. Grundrechtsauslegung zwischen amtlichen Interpretationsmonopol und privater Konkretisierungskompetenz, Berlin 1987 − Transplantationsgesetz. Kommentar, Berlin 2003 Hofmann, Constantin: Rechtsfragen der Genomanalyse, Frankfurt a. M. 1999 Hofmann, Hasso: Zur Herkunft der Menschenrechtserklärungen, Juristische Schulung 1988, S. 841 ff. Hohoff, Carsten/Brinkmann, Bernd: Molekulargenetische Möglichkeiten und Eingriffsbefugnisse, in: Sokol, Bettina, Der gläserne Mensch. DNA-Analysen, eine Herausforderung an den Datenschutz, Düsseldorf 2003, S. 29 ff. Holtzman, Neil A.: Proceed with Caution. Predicting Genetic Risks in the Recombinant DNA Era, Baltimore and London 1989 Hook, Ernest B.: Genetic Distinctions Are Not Necessarily Examples of Genetic Discrimination, American Journal Human Genetics, vol. 51 (1992), S. 897 f. − Muddling Genetic Discrimination, American Journal Human Genetics, 51 (1992), S. 899 ff. Horak, A. u. a.: Genetic Testing in Europe. Harmonization of Standards and Regulations – Symposium im Rahmen der österreichischen Ratspräsidentschaft, medgen 1998, S. 566 Horrobin, Davis F.: Innovation in the Pharmaceutical Industry, Journal of the Royal Society of Medicine 2000, vol. 93, S. 341 ff. Hufen, Friedhelm: Schutz der Persönlichkeit und Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in: Badura, Peter/Dreier, Horst (Hrsg.), Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts. Festschrift, 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Tübingen 2001, Band 2, S. 105 ff. Huster, Stefan: Kommentierung zu Art. 3 Abs. 1 GG, in: Berliner Kommentar − Gleichheit und Verhältnismäßigkeit, Juristen-Zeitung 1994, S. 541 ff. − Rechte und Ziele. Zur Dogmatik des Gleichheitssatzes, Berlin 1993 Irrgang, Bernhard: Weltanschauliche Konsequenzen eines genetischen Determinismus. Eine kurze Schilderung der Gefahren am Beispiel der Eugenik im 19. und 20. Jahrhundert, in: Bartram, Claus R./Beckmann, Jan P. u.a. (Hrsg.), Humangenetische Diagnostik, Heidelberg 2000 Isensee, Josef: Die alten Grundrechte und die biotechnische Revolution Verfassungsperspektiven nach der Entschlüsselung des Humangenoms, in: Bohnert, Joachim u.a., Verfassung, Philosophie, Kirche. Festschrift für Hollerbach zum 70. Geburtstag, Berlin 2002, S. 243 ff. − Die typisierende Verwaltung, Berlin 1976 − Das entschlüsselte Genom im Verständnis der Verfassung, Zeitschrift für medizinische Ethik 2000, S. 137 ff. Isensee, Josef /Kirchhof, Paul: Handbuch des Staatsrechts – Band VI: Freiheitsrechte, 2. Auflage, Heidelberg 2001 − Handbuch des Staatsrechts – Band I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 1. Auflage, Heidelberg 1987

Literaturverzeichnis

567

− Handbuch des Staatsrechts – Band VI: Allgemeine Grundrechtslehren, 2. Auflage, Heidelberg 2000 Istel, Karin: Die Genomanalyse. Ethische Perspektiven, in: Beckmann, Dorothee u.a., Humangenetik. Segen für die Menschheit oder unkalkulierbares Risiko?, Frankfurt a. M. 1991, S. 197 ff. Janiszewski, Joachim/Burmann, Michael/Heß, Rainer: Straßenverkehrsrecht, München 2002 Jarass, Hans D.: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz, Neue Juristische Wochenschrift 1989, S. 857 ff. Jarass, Hans D./Pieroth, Bodo: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Auflage, München 2004 Jayme, Erik u.a.: Festschrift für Niederländer zum 70. Geburtstag, Heidelberg 1991 Jeffords, James M./Daschle, Tom: Political Issues in the Genome Era, Science, 291 (2002), S. 1249 f. Jeffreys, Sir Alec: „Diese Datenbank wird Leben retten“. Sir Alec Jeffreys im Interview mit Hartmut Wewetzer, Der Tagesspiegel, 06.10.2003, Nr. 18261, S. 7 Jonas, Hans: Technik, Medizin und Ethik – Zur Praxis des Prinzips der Verantwortung, Frankfurt 1985 Jones, Nancy Lee: Congressional Research Service. report for Congress. RL30006: Genetic Information: Legal Issues Relating to Discrimination and Privacy – 24. 1. 2001, www.cnie.org/nle/st-55.html Joos, Thomas u.a.: Mikroarray ELISA für die Autoimmundiagnostik, medgen 2000, S. 317 ff. Jung, Eberhard: Kommentierung zu § 8 SGB VII, in: Wannagat, Georg/Eichenhofer, Eberhard, Kommentar zum Recht des Sozialgesetzbuchs, Loseblattwerk, München 2004 Kallina, Michael: Willkürverbot und Neue Formel. Der Wandel der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 1 GG, Tübingen 2001 Kamp, Meike/Weichert, Thilo, Scoringsysteme zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit – Chancen und Risiken für Verbraucher, erstellt vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz, 2005, http://www.bmelv.de/cln_045/nn_752314/SharedDocs/ downloads/02-Verbraucherschutz/Finanzdienstleistungen/scoring,templateId=raw, property=publicationFile.pdf/scoring.pdf Kamps, H./Laufs, A.: Arzt und Kassenarztrecht im Wandel. Festschrift für Helmut Narr zum 60. Geburtstag, Berlin 1988 Kass, Leon R.: New Beginnings of Life, in: Hamilton (Hrsg.), The New Genetics and the Future of Man, S. 14 ff. Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Auflage, Köln 2000 Kaufmann, Matthias: Potentialität und Wahrscheinlichkeit – Zum moralischen und rechtlichen Status überzähliger Embryonen, in: Byrd, B. Sharon/Hruschka, Joachim/Joerden, Jan C. (Hrsg.), Richtlinien für die Genetik. Guidelines for Genetics, Jahrbuch für Recht und Ethik 10, 2002, S. 99 ff. Kay, Lily E.: Who wrote the Book of Life? A History of the Genetic Code, Stanford 2000

568

Literaturverzeichnis

Kern, Bernd-Rüdiger: Unerlaubte Diagnostik. Das Recht auf Nichtwissen, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, S. 55 ff. Kettner, Mattias: Diskursethische Aspekte des Bürgervotums, in: Schicktanz, Silke/Naumann, Jörg: Bürgerkonferenz. Streitfall Gendiagnostik. Ein Modellprojekt der Bürgerbeteiligung im bioethischen Diskurs, herausgegeben im Auftrag des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Opladen 2003, S. 99 ff. Kevles, Daniel J./Hood, Leroy: Der Supercode. Die genetische Karte des Menschen, München 1993 Kienle, Thomas: Die prädikative Medizin und gentechnische Methoden – Ein Beitrag zur Regelung von Genanalyse und Gentherapie in Deutschland und Europa, Tübingen 1998 Kirchhof, Paul: Steuergleichheit, Steuer und Wirtschaft 1984, 297 ff. − Der allgemeine Gleichheitssatz, in: HdbStR, Band V, § 124 Kittner, Michael/Zwanziger, Bertram, Arbeitsrecht, Handbuch für die Praxis, 3. Auflage, Frankfurt 2005. Klees, Bernd: Der gläserne Mensch im Betrieb, Frankfurt 1988 Klußmann, Torben: Konstruktion der menschlichen Biodiversität, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 163, 2004, 13 ff. Kluth, Winfried: DNA-Diagnostik und Persönlichkeitsrecht – Grundrechtskollisionen, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, S. 85 ff. Koch, Klaus: Größtenteils Wüste, Süddeutsche Zeitung 13.02.2001, Nr. 36, S. 17 Koch, Klaus/Weymayr, Christian: Vom Segen des Nichtwissens, Die Zeit, 18.06.03, Nr. 26, S. 27 f. Kohte, Wolfhard: Aktualisierte Stellungnahme in der Themengruppe 3 „Genetische Daten“ für die Anhörung am 04.12.2000 durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages Kokott, Juliane: Gleichheitssatz und Diskriminierungsverbote in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, in: Badura, Peter/Dreier, Horst (Hrsg.): Klärung und Fortbildung des Verfassungsrechts. Festschrift, 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, Tübingen 2001, S. 127 ff. Kollek, Regine: Brennpunkt Datenschutz. DNA-Analysen. Der naturwissenschaftliche Blickwinkel, in: Sokol, Bettina, Der gläserne Mensch. DNA-Analysen, eine Herausforderung an den Datenschutz, Düsseldorf 2003, S. 15 ff. Kopp, Ferdinand/Schenke, Wolf-Rüdiger: Verwaltungsgerichtsordnung, 13. Auflage, München 2003 Koppernock, Martin: Das Grundrecht auf bioethische Selbstbestimmung, Baden-Baden 1997 Köppke-Duttler, Arnold: Informationelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. Verfassungs- und sozialrechtliche Kritik der Datenerfassung. Behindertenrecht 2003, S. 15 ff. Korff, Gottfried: Preußen. Versuch einer Bilanz. Katalog in fünf Bänden zur Ausstellung der Berliner Festspiele GmbH vom 15.08.-15.11.1981, Ausstellungsführer (Band 1), Hamburg 1981

Literaturverzeichnis

569

Krahnen, Kai: Chorea Huntington. Das Recht auf Wissen versus das Recht auf Nichtwissen, Medizinische Genetik 1989, S. 66 ff. Kriele, Martin: Einführung in die Staatslehre, 6. Auflage, Opladen 2003 Krings, Günter: Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche. Die subjektivrechtliche Rekonstruktion der grundrechtlichen Schutzpflichten und ihre Auswirkung auf die verfassungsrechtliche Fundierung des Verbrauchervertragsrechts, Berlin 2003 Kroner, Wolf G.: Humangenetik, Versicherung und Gentests – Evangelische Akademie Tutzing, 7.-8. 11. 2000, medgen 2000, S. 519 Kruip, Stephan: Stellungnahme zum 4.Themenblock „Entsolidarisierung durch Recht auf Wissen“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik“ durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Kunig, Philip: Kommentierung zu Art. 2 und 103 GG, in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar Künzler, Ingrid: Macht der Technik – Ohnmacht des Rechts?. Regelungsbedarf und Regelungsmöglichkeiten im Bereich der Gentechnologie, Bielefeld 1988 Lang, Heinrich: Kommentierungen zu §§ 10 und 12 TPG, in: Höfling, TPG-Kommentar Lanzerath, Dirk: Genetisches Wissen und Nichtwissen – Das Menschliche Selbstverständnis und die Erschließung des Humangenoms, Die politische Meinung, 2001, Nr. 384, S. 19 ff. − Stellungnahme zum 2.Themenblock „Historische Bewertung der technischen Entwicklung und gesellschaftlichen Diskussion der genetischen Diagnostik“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik“ durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Lanzerath, Dirk/Honnefelder, Ludger: Krankheitsbegriff und ärztliche Anwendung der Humangenetik, in: Düwell, Marcus/Mieth, Dietmar, Ethik in der Humangenetik. Die neueren Entwicklungen der genetischen Frühdiagnostik aus ethischer Perspektive, Tübingen 2000, S. 51 ff. Lapham, E. Virginia/Kozma, Chahira/Weiss, Joan O.: Genetic discrimination. Perspectives of Consumers, Science 1996, vol. 274, S. 621 ff. Laufs, Adolf/Uhlenbruck, Wilhelm: Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, München 2002 Leenen, Detlef: Typus und Rechtsfindung, Berlin 1971 Leggewie, Claus: Modernes Regieren mit Kommissionen und Bürgerkonferenzen, in: Schicktanz, Silke/Naumann, Jörg, Bürgerkonferenz. Streitfall Gendiagnostik. Ein Modellprojekt der Bürgerbeteiligung im bioethischen Diskurs, herausgegeben im Auftrag des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Opladen 2003, S. 109 ff. Lehming, Malte: US-Unternehmen wegen Gentests verklagt, Der Tagesspiegel 12.02.2001 Lehne, Werner: Endlich freie Bahn für eine umfassende Gendatenbank?, Kriminologisches Journal 2002, 193 ff. Leibholz, Gerhard: Die Gleichheit vor dem Recht, 2. Auflage, 1959 − u.a.: Menschenwürde und freiheitliche Rechtsordnung. Festschrift für Willi Geiger zum 65. Geburtstag, Tübingen 1974

570

Literaturverzeichnis

Lemke, Thomas: Die Universalisierung der Eugenik. Optimierung des individuellen Humankapitals. Zu gesellschaftlichen Nebenwirkungen der genetischen Diagnostik, Frankfurter Rundschau 19.06.2001, Nr. 139, S. 20 − Die Regierung genetischer Risiken, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 161, 2003/2004, S. 3 ff. − Pathos und Pathologie der Molekularen Medizin, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 164, 2004, S. 39 ff. Lerche, Peter: Grundrechtlicher Schutzbereich. Grundrechtsprägung und Grundrechtseingriff, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR, Band V, § 121 Levitt, Mairi: Sociological perspectives on the right to know and the right not to know, in: Chadwick, Ruth/Levitt, Mairi/Shickle, Darren, The Right to know and the Right not to know, Avebury 1997, S. 29 ff. Lichtenberg, Peter/Winkler, Werner: Die Immunschwäche AIDS und das Beamtenrecht unter besonderer Berücksichtigung des HIV-Antikörpertests als Einstellungsvoraussetzung, Deutsches Verwaltungsblatt 1990, S. 10 ff. Lieb, Manfred: Arbeitsrecht, 8. Auflage, Heidelberg 2003 Liening, Paulus: Autonomie und neue gendiagnostische Möglichkeiten, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 173 ff. Löhr, Wolfgang: Ein Volk in der Datenbank, Die tageszeitung, 3.11.2000, S. 17 Lorenz, Dieter: Allgemeine Handlungsfreiheit und unbenannte Freiheitsrechte, in: Geis (Hrsg.), Festschrift für Hartmut Maurer (2001), S. 213 ff. Lorenz, Egon: Karlsruher Forum 1996. Schutz der Persönlichkeit, Karlsruhe 1997 Low, Lawrence/King, Suzanne/Wilkie, Tom: Genetic discrimination in life insurance: empirical evidence from a cross sectional survey of genetic support groups in the United Kingdom, British Medical Journal 1998, S. 1632 ff. Luthmann, Michaela: Rechtliche, insbesondere verfassungsrechtliche Aspekte der Genomanalyse an Arbeitnehmern während bestehender Arbeitsverhältnisse, Hamburg 1994 Luyken, Reiner: Jetzt kommt alles ans Licht, Die Zeit, 25.09.2003, Nr. 40, S. 20 Maass, Harald: Bis dass der Chef Euch scheidet, Frankfurter Rundschau 8.10.2003, Nr. 234, S. 16 von Mangoldt, Hermann/Klein, Friedrich/Starck, Christian: Das Bonner Grundgesetz,, Band 1: Präambel, Artikel 1 bis 5, 4. Auflage, Nördlingen 1999 Manssen, Gerrit: Privatrechtsgestaltung durch Hoheitsakt. Verfassungsrechtliche und verwaltungsrechtliche Grundfragen, Tübingen 1994 Marquardt, Ina: Genetische Analysen an Beschäftigten auf der Grundlage des Entwurfs des Arbeitsschutzrahmengesetzes, Hannover 1998 Maunz, Theodor/Dürig, Günter/Herzog, Roman: Grundgesetzkommentar, Band I, München, Loseblattsammlung, Stand 2005 Maurer, Hartmut: Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Auflage, München 2004 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht: Genomanalyse und Privatversicherung. Stellungnahme des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 2002, S. 116 ff. McGuffin, Peter/Riley, Brien/Plomin, Robert: Toward Behavorial Genomics, Science, 291 (2001), S. 1248 ff.

Literaturverzeichnis

571

McKusick: Online Mendelian Inheritance in Man (OMIM), www.ncbi.nlm.nih.gov Meinel, Helmfried: Stellungnahme zum 5.Themenblock „Perspektiven der Gendiagnostik“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik” durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Mellinghof, Rudolf/Trute, Hans-Heinrich: Die Leistungsfähigkeit des Rechts. Methodik, Gentechnologie. Internationales Verwaltungsrecht, Heidelberg 1988 Menzel, Hans-Joachim: Genomanalyse im Arbeitsverhältnis und Arbeitsschutz, Neue Juristische Wochenschrift 1989, S. 2041 ff. − Brennpunkt Datenschutz. DNA-Analysen. Die rechtliche Sicht, in: Sokol, Bettina, Der gläserne Mensch. DNA-Analysen, eine Herausforderung an den Datenschutz, Düsseldorf 2003, S. 4 ff. Merten, Jan O.: Folterverbot und Grundrechtsdogmatik. Zugleich ein Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Menschenwürde, Juristische Rundschau 2003, 405 ff. Merton, Robert King: Soziologische Theorie und soziale Struktur, herausgegeben von Volker Meja und Nico Stehr, Berlin 1995 Meyer, Evelyn: Persönlichkeitsschutz durch „Recht auf Nichtwissen“ am Beispiel der Genomanalyse, Arztrecht 2001, S. 172 ff. Meyer, Ingo: „Der Mensch als Datenträger“. Zur verfassungsrechtlichen Bewertung postnataler genetischer Untersuchungen, Berlin 2001 Meyer-Goßner, Lutz: StPO, 46. Auflage, München 2003 Michael, Lothar: Der allgemeine Gleichheitssatz als Methodennorm komparativer Systeme. Methodenrechtliche Analyse und Fortentwicklung der Theorie der „beweglichen Systeme“ (Wilburg), Berlin 1997 Michaels, Bernd/Hoppe, Jörg-Dietrich: Gentest für Versicherungen – pro und contra, Forschung und Lehre 12/2000, S. 638 f. Mittelstraß, Jürgen: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Würzburg 1980 Moll-Iffland, Erika: Pro und contra Gentests – Von einem Pressegespräch der Standard Life, Versicherungswirtschaft 1999, S. 724 ff. Müller, Friedrich/Christensen, Ralph: Juristische Methodik, Band I: Grundlagen Öffentliches Recht, 9. Auflage, Berlin 2004 Müller-Gindullis, Dierk: Kommentierung zu § 1314 BGB, in: Rebmann, Kurt u.a., Münchener Kommentar: Bürgerliches Gesetzbuch. Familienrecht I, Band 7 §§ 1297-1588, VAHRG, VAÜG, HausratsV, 4. Auflage, München 2000 von Münch, Ingo/Kunig, Philip: Grundgesetzkommentar, Band 1, Präambel Art. 1-19 GG, 5. Auflage, München 2000 Murswiek, Dietrich: Kommentierung zu Art. 2 GG, in: Sachs, Michael: Grundgesetzkommentar, 3. Auflage, München 2003 Mutschler, Dietrich: Unerlaubte DNA-Gutachten als Einfallstor für gerichtliche Vaterschaftsanfechtung? Bemerkung zu Rittner/Rittner, NJW 2002, 1745 ff, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) 2003, 74 ff. Nationaler Ethikrat: Wortprotokoll – Niederschrift über die Jahrestagung zum Thema Biobanken vom 24.10.2002, www.ethikrat.de − Stellungnahme „Biobanken für die Forschung“, Berlin, März 2004, www.ethikrat.de

572

Literaturverzeichnis

− Stellungnahme „Prädiktive Gesundheitsinformationen bei Einstellungsuntersuchungen“, Berlin, August 2005, www.ethikrat.de − Stellungnahme „Prädiktive Gesundheitsinformationen beim Abschluss von Versicherungen“, Berlin, Februar 2007, www.ethikrat.de Natowicz, Marvin R./Alper, Jane K./Alper, Joseph S.: Genetic Discrimination and the Law, American Journal of Human Genetics, vol. 50 (1992), S. 465 ff. Nelkin, Dorothy: Die gesellschaftliche Sprengkraft genetischer Informationen, in: Kevles, Daniel J./Hood, Leroy, Der Supercode. Die genetische Karte des Menschen, München 1993, S. 195 ff. Nelkin, Dorothy/Lindee, M. Susan: The DNA-Mystique – the gene as a cultural icon, New York 1995 Neuer-Miebach, Therese: Genetische Diskriminierung, in: Arbeitsmaterialien Bioethik, CDU-Bundesgeschäftsstelle, S. 53 ff. NIH/DOE (National Institutes of Health-Department of Energy): Joint Working Group on ethical, legal, and social implications of human genome research (ELSI). Genetic information and health insurance. Report of the task force on genetic information and insurance, Human Gen Therapy, 4 (1993), S. 789 ff. Nuffield Council on Bioethics: Genetic screening. Ethical issues. Dezember 1993, London 1993 O.V. (ohne Verfasser): Begleitbericht zum Vorentwurf für ein Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen, September 1998 − Tochter Verschwundener muss nicht zum Gentest, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2.10.2003, Nr. 229, S. 10 − Institut speicherte Blutproben aller Neugeborenen in den Niederlanden – ohne Wissen der Eltern, bioskop Dezember 2000, Nr. 12, S. 10 − Humangenetiker unter Verdacht, bioskop September 1999, Nr. 7, S. 12 − Späte Lehren aus dem Eisinger-Würzburger Fall?, bioskop September 2001, Nr. 13, S. 15 − Tochter Verschwundener muss nicht zum Gentest, Frankfurter Allgemeine Zeitung 2.10.2003, Nr. 229, S. 10 − Zeitdokument „Das menschliche Genom“ – Sonderdruck. Zeitverlag, Gerd Bucerius GmbH&Co, Hamburg 2001 − Meldungen zum Thema Gentechnik, Datenschutz Nachrichten 2/2000, S. 14 ff. Oberender, Peter/Fleischmann, Jochen: Gentests und Reformbedarf des Krankenversicherungssystems, Recht und Politik im Gesundheitswesen 2002, S. 107 ff. Oetker, Hartmut: Der Entwurf eines Arbeitsschutzrahmengesetzes, Zeitschrift für Rechtspolitik 1994, S. 219 ff. Osterloh, Lerke: Kommentierung zu Art. 3 GG, in: Sachs, Michael: Grundgesetzkommentar, 3. Auflage, München 2003 Pääbo, Svante: The Human Genome and our view of ourselves, Science, 291 (2001), S. 1219 ff. Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch. Kommentar, 63. Auflage, München 2004 Panzer, Karl: Stellungnahme zum 5.Themenblock „Perspektiven der Gendiagnostik“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik“ durch die

Literaturverzeichnis

573

Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Parmann, Stephanus: Die Ethnopille. Das Herzmittel BiDil soll besonders für Afroamerikaner geeignet sein. Ist das neue Medikament rassistisch?, Die Zeit, 11.11.2004, Nr. 47, S. 41 Paslack, Rainer: Genomanalyse und Arbeitsschutz, Ethik in der Medizin 1993, S. 184 ff. Paul, Sabine: Prädiktive genetische Diagnosen von Tumorerkrankungen, Tübingen 1999 Pavþnik, Marijan: Brüchigkeit der Gerechtigkeit. Gerechtigkeitsmaßstäbe und Recht, Zeitschrift für Öffentliches Recht (Österreich) 2002, S. 89 ff. Pearce, Neil: White Swans, Black Ravens, and Lame Ducks. Necessary und sufficient Causes in Epidemiology, Epidemiology 1990; 1, S. 47 ff. Perelman, Chaim: Über die Gerechtigkeit, München 1967 Pernice, Ingolf: Billigkeit und Härteklauseln im öffentlichen Recht – Grundlagen und Konturen der Billigkeitskompetenz der Verwaltung, Baden-Baden 1991 Perzinger, Ulrich: Gentests für Jedermann: Die neue Diskriminierung, Die Zeit, 17.01.1997, Nr. 4 Petermann, Franz/Wiedebusch, Silvia/Quante, Michael: Perspektiven der Humangenetik. Medizinische, psychologische und ethische Aspekte, Paderborn 1997 Pfeiffer, Gerd: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Auflage, München 2003 Pflanz, Elisabeth: Diskussionsprotokoll, in: Sass, Genomanalyse, S. 105 ff. Pieroth, Bodo/Schlink, Bernhard: Grundrechte Staatsrecht II, 20. Auflage, Heidelberg 2004 Pletke, Matthias: Die Zulässigkeit von Genomanalysen an Arbeitnehmern im deutschen und US-amerikanischen Recht, Aachen 1997 Plog, Ernst u.a.: Kommentar zum Bundesbeamtengesetz mit Beamtenversorgungsgesetz, Loseblattsammlung, München, Stand 2004 Podlech, Adalbert: Kommentierung zu Art. 1 Abs. 1 und zu Art. 2 Abs. 1 GG, in: Denniger, Erhard u.a., Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Reihe Alternativkommentare, 3. Auflage, Neuwied 2001 Pollmer, Udo/Warmuth, Susanne: Lexikon der populären Ernährungsirrtümer – Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Halbwahrheiten von Alkohol bis Zucker, München 2002 Prantl, Heribert: Schröders Wegsperr-Gesetz, Süddeutsche Zeitung 21.10.03, Nr. 242, S. 4 Präve, Peter: Das Recht des Versicherungsnehmers auf gen-informationelle Selbstbestimmung, Versicherungsrecht 1992, S. 279 ff. Preis, Ulrich, Arbeitsrecht – Praxislehrbuch zum Individualarbeitsrecht, 2. Auflage, Köln 2003 Prittwitz, Cornelius: AIDS, Recht und Gesundheitspolitik, Berlin 1990 Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch, 257. Auflage, Berlin 1994 Quante, Michael: Ethische P robleme mit dem Konzept der informierten Zustimmung im Kontext humangenetischer Beratung und Diagnostik, in: Petermann/ Wiedebusch/Quante, Perspektiven, S. 209 ff.

574

Literaturverzeichnis

Rademacher, Christine: Die Zulässigkeit genetischer Analysemethoden im Strafverfahren, Frankfurt a. M. 1992 Raem, Arnold M.: Gen-Medizin: eine Bestandsaufnahme, Heidelberg 2001 Rath, M./Brinkmann, B.: Strafverfahrensänderungsgesetz – DNA-Analyse (”genetischer Fingerabdruck”) und DNA-Identitätsfeststellungsgesetz aus fachwissenschaftlicher Sicht, Neue Juristische Wochenschrift 1999, S. 2697 ff. Ravenstein, Christian/Simon, Jürgen: Top Jobs für Top Gene, in: Sokol, Bettina: Der gläserne Mensch. DNA-Analysen, eine Herausforderung an den Datenschutz, Düsseldorf 2003, S. 60 ff. Rebmann, Kurt u.a.: Münchener Kommentar: Bürgerliches Gesetzbuch. Familienrecht I, Band 7 - §§ 1297-1588, VAHRG, VAÜG, HausratsV, 4. Auflage, München 2000 Redecker, Niels v./Reimer, Ekkehart: Staatliche Genbanken unter dem Grundgesetz – Estland als Vorbild für Deutschland, Jahrbuch für Ostrecht 2001, Band 42, 361 ff. Regenbogen, Daniela/Henn, Wolfram: Aufklärungs- und Beratungsprobleme bei der prädiktiven genetischen Diagnostik, Medizinrecht 2003, 152 ff. Reich, Jens: Das Komplexe ist nicht beherrschbar – Jens Reich im Interview mit Michael Emmrich, Frankfurter Rundschau 23.04.2003, Nr. 94, S. WB 7 − Die Aufklärung des Human-Genoms und ihre menschen- und bürgerrechtlichen Folgen, in: Von Armin u. a., Menschenrechte 2003, S. 109 ff. Riedel, Eibe H.: Gentechnologie und Embryonenschutz als Verfassungs- und Regelungsproblem, Europäische Grundrechte Zeitschrift 1986, S. 469 ff. Ritter, Albert: Die Werke Friedrichs des Großen für die Gegenwart herausgegeben und übertragen von Albert Ritter (in 2 Bänden), Berlin o.J. 1915 Rittner, Christian: Genomanalyse und Gentherapie. Medizinische, gesellschaftspolitische, rechtliche und ethische Aspekte, Mainz 1997 Roche: Lexikon der Medizin, Hoffmann-La Roche AG, 5. Auflage, München 2003 Rodotà, Stefano: Stellungnahme zum 3.Themenblock „Rechtsvergleich im Hinblick auf Regelungen zu den Bereichen Datenschutz und Diskriminierungsschutz“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik” durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Roos, Bernd: Die genetische Analyse von Stellenbewerbern und das vorvertragliche Informationsstreben des Arbeitgebers, Sinzheim 1999 Rose, Hilary: Stellungnahme zum 2.Themenblock „Historische Bewertung der technischen Entwicklung und gesellschaftlichen Diskussion der genetischen Diagnostik“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik” durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Rose, Matthias H.P.: Genomanalysen an Arbeitnehmern vor der Einstellung. Die Grenze ihrer zulässigen Durchführung aus arbeits- und grundrechtlicher Sicht, Frankfurt a.M. 1989 Rothman, Kenneth J.: Causes (1976), American Journal of Epidemiology 1995, 141 No. 2, S. 90 ff. − Epidemiology, Boston 2002

Literaturverzeichnis

575

Rothstein, Mark A./Knoppers, Bartha Maria: Legal Aspects of Genetics, Work and Insurance in North America and Europe, European Journal of Health Law 3, (1996), S. 143 ff. Rüfner, Wolfgang: Die mittelbare Diskriminierung und die speziellen Gleichheitssätze in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, in: Wendt, Rudolf u.a., Staat, Wirtschaft, Steuern. Festschrift für Karl Heinrich Friauf zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1996, S. 331 ff. Sachs, Lothar: Angewandte Statistik, 9. Auflage, Berlin 1999 Sachs, Michael: Grundgesetzkommentar, 3. Auflage, München 2003 − Grenzen des Diskriminierungsverbotes, München 1987 − Kommentierung zu Art. 20 GG, in: Sachs, Grundgesetzkommentar − in: Stern, Staatsrecht III/2 − Besondere Gleichheitsgarantien, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 126 − Der Gleichheitssatz als eigenständiges subjektives Grundrecht, in: Wendt, Rudolf u.a., Staat, Wirtschaft, Steuern. Festschrift für Karl Heinrich Friauf zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1996, S. 309 ff. − Die Maßstäbe des allgemeinen Gleichheitssatzes – Willkürverbot und so genannte Neue Formel, Juristische Schulung 1997, S. 124 ff. − Zur dogmatischen Struktur der Gleichheitsrechte als Abwehrrechte, Die öffentliche Verwaltung 1984, S. 414 ff. Sacksofsky, Ute: Das Grundrecht auf Gleichberechtigung – Eine grundrechtsdogmatische Untersuchung zu Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, 2. Auflage, Baden-Baden 1996 Samerski, Silja: Die Freisetzung genetischer Begrifflichkeiten, Steiner, Theo (Hrsg.), Genpool. Biopolitik und Körperutopien, Wien 2002, S. 268 ff. Sass, Hans-Martin: Ethische und bioethische Herausforderungen molekulargenetischer Prädiktion und Manipulation, Bochum 1994 − Genomanalyse und Gentherapie – Ethische Herausforderungen in der Humanmedizin, Berlin 1991 Schaub, Günter: Arbeitsrechtshandbuch, 10. Auflage, München 2002 Schenke, Wolf-Rüdiger: Die Bekämpfung von AIDS als verfassungsrechtliches und polizeirechtliches Problem, in: Schünemann, Bernd/Pfeiffer, Gerd, Rechtsprobleme von AIDS, Baden-Baden 1988, S. 103 ff. Scheub, Ute: Der Mensch ist nicht konstruierbar, Die tageszeitung 1.03.2002, Nr. 6689; S. 14 Schicktanz, Silke/Naumann, Jörg: Bürgerkonferenz. Streitfall Gendiagnostik. Ein Modellprojekt der Bürgerbeteiligung im bioethischen Diskurs, herausgegeben im Auftrag des Deutschen Hygiene-Museums Dresden, Opladen 2003 Schiek, Dagmar: Differenzierte Gerechtigkeit – Diskriminierungsschutz und Vertragsrecht, Baden-Baden 2000 Schira, Hans Peter: Die Bewertung der Genomanalyse im Arbeits- und Versicherungsbereich aus strafrechtlicher Sicht, Regensburg 1997 Schlink, Bernhard: Das Recht der informationellen Selbstbestimmung, Der Staat 25 (1986), S. 233 ff. Schlittgen, Rainer: Einführung in die Statistik, 4. Auflage, München 1993

576

Literaturverzeichnis

Schmid, Ines: Die verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen in den Polizeigesetzen der neuen Bundesländer, Landes- und Kommunalverwaltung 1998, S. 477 ff. Schmidt, Angelika: Rechtliche Aspekte der Genomanalyse, Frankfurt am Main 1991 Schmidtke, Jörg: Genetische Tests in der Humangenetik, in: Raem, Gen-Medizin, S. 228 ff. − Genmedizin im Diagnosesektor, in: Winter, Stefan F./Fenger, Hermann/Schreiber, Hans-Ludwig, Genmedizin und Recht, München 2001, Rdnr. 1030 ff. − Vererbung und Ererbtes, Hamburg 1997 − Wo stehen wir in der Gendiagnostik heute? Zum Leistungsbild der Humangenetik, in: Dierks, Christian u.a., Genetische Untersuchungen und Persönlichkeitsrecht, Schriftenreihe Medizinrecht, Berlin 2003, S. 25 ff. − Humangenetische Krankenversorgung in Europa. Ein integratives Konzept als Konsequenz des Erkenntnisfortschritts und der Genetisierung der Medizin, medgen 2000, S. 58 ff. Schmitt Glaeser, Walter: Schutz der Privatsphäre, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band VI, § 129 Schneider, Ingrid: Ausverkauf der Gene?. Gewebe- und Gendatenbanken zwischen Persönlichkeitsschutz und Kommerzialisierung, in: Von Armin u. a., Menschenrechte 2003, S. 130 ff. Schneider, Peter M.: Datenbanken mit genetischen Merkmalen von Straftätern, Datenschutz und Datensicherheit 1998, S. 330 f. − Replik. Gendatenbanken, Datenschutz und Datensicherheit 1998, S. 460 ff. Schneider, Reto U.: Wissen ist Ohnmacht, Die Zeit, 42/2000, 41 f. Schnittler, Christoph: Genomanalyse: Stand der politischen Diskussion und rechtlichen Regelung in Deutschland, Datenschutz und Datensicherheit 1993, S. 290 ff. Schnur, Ute: Stellungnahme zum 4.Themenblock „Entsolidarisierung durch Recht auf Wissen?“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik” durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000 Schöffski, Oliver: Gendiagnostik: Versicherung und Gesundheitswesen, Karlsruhe 2000 − Genetik und Versicherung aus ökonomischer Sicht, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 2001, S. 227 ff. − Genetische Diagnostik und private Krankenversicherung, in: Raem, Gen-Medizin, S. 699 ff. − Genomanalyse: Fluch oder Segen für die Versicherungswirtschaft, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 1999, S. 265 ff. Schreiber, Hans-Ludwig: Das Verbot der Diskriminierung einer Person wegen ihres genetischen Erbes, in: Taupitz, Biomedizin, S. 141 ff. Schrep, Bruno: Geheimnis im Wattestäbchen, Der Spiegel 3/2004, S. 72 ff. Schröder, Michael/Taupitz, Jochen: Menschliches Blut: Verwendbar nach dem Belieben des Arztes? Zu den Formen erlaubter Nutzen menschlicher Körpersubstanzen ohne Kenntnis des Betroffenen, Stuttgart 1991 Schroeder, D./Williams, G.: DNA-Banken und Treuhandschaft, EthikMed 2002, Heft 2, S. 84 ff.

Literaturverzeichnis

577

Schroeder-Kurth, Traute M.: Gentest ist nicht gleich Gentest. Humangenetische Untersuchungen erfordern Begriffspräzisierungen, medgen 2000, S. 461 ff. − Medizinische Genetik in der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt 1989 Schüle, Christian: Die Insel der Eugenik, in: ZEITdokument 1/2001, „Das menschliche Genom“, S. 70 ff. − Labor der Träume, ZEITdokument 1/2001, „Das menschliche Genom“, S. 48 ff. Schüler, Herdit/Zerres, Klaus: Pränatale Diagnostik, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 15 ff. Schulz-Weidner, Wolfgang: Der versicherungsrechtliche Rahmen für eine Verwertung von Genomanalysen, Baden-Baden 1993 Schulze-Fielitz, Helmuth: Kommentierung zu Art. 20 GG, in: Dreier, Grundgesetzkommentar Schümer, Dirk: Der DNA-Euro – Die Geldlawine rollt: Die Esten haben ihr Erbgut verkauft, Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.11.2000, Nr. 268, S. 47 Schünemann, Bernd/Pfeiffer, Gerd: Rechtsprobleme von AIDS, Baden-Baden 1988 Schuster, Herbert, DNA-Diagnostik bei komplexen Krankheiten, in: Dierks u. a., Genetische Untersuchungen, S. 35 ff. Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung, Institut Suisse de Droit Comparé: Genanalyse und Persönlichkeitsschutz, Zürich 1994 Seifert, Karl-Heinz/Hömig, Dieter: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Taschenkommentar, 7. Auflage, Baden-Baden 2003 Shaw, Margery: Invited Editorial Comment: Testing for the Huntington Gene: A Right to know, a Right not to Know, or a Duty to Know, American Journal of Medical Genetics, vol. 26 (1987), S. 243 ff. Simitis, Spiros: AIDS, Maßnahmen gegen AIDS und Datenschutz, in: Pritzwitz, AIDS, Recht und Gesundheitspolitik, S. 73 ff. − Allgemeine Aspekte des Schutzes genetischer Daten, in: Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung, Genanalyse, S. 107 ff. − Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, 5. Auflage, Baden-Baden 2003 − Programmierter Gedächtnisverlust oder reflektiertes Bewahren: Zum Verhältnis von Datenschutz und historischer Forschung, in: Fürst (Hrsg.), Festschrift Zeidler (1987), S. 1475 ff. − Die informationelle Selbstbestimmung – Grundbedingungen einer verfassungskonformen Informationsordnung, Neue Juristische Wochenschrift 1984, S. 398 ff. − Kommentierung zu den §§ 1 und 40 BDSG, in: Simitis, BDSG-Kommentar Simon, Jürgen: Gendiagnostik und Versicherung, Baden-Baden 2001 Simon, Jürgen/Paslack, Rainer/Robienski, Jürgen/Goebel, Jürgen W./Krawczak, Michael: Rechtliche Rahmenbedingungen für den Aufbau und den Betrieb von Biomaterialbanken, Berlin 2006 Sokol, Bettina: Gesundheitsdatenbanken und Betroffenenrechte: Das isländische Beispiel, Neue Juristische Wochenschrift 2002, S. 1767 ff. − Der gläserne Mensch – DNA-Analysen, eine Herausforderung an den Datenschutz, Düsseldorf 2003 − Living by numbers – Leben zwischen Statistik und Wirklichkeit, Düsseldorf 2005

578

Literaturverzeichnis

Sootak, Jan: Estland und Island – Wegweiser in der Kodifizierung des Genbankenrechts, in: Amelung (Hrsg.), Festschrift Schreiber (2003), S. 869 ff. Spann, W./Liebhardt, E./Penning, R.: Genomanalyse und ärztliche Schweigepflicht, in: Kamps/Laufs, Arzt und Kassenarztrecht im Wandel, S. 27 ff. SPD-Fraktion: SPD-Eckpunktepapier für ein Gentestgesetz, Unveröffentlichtes Manuskript, 22.04.2002 Sperling, Karl: Methodische Grundlage und medizinische Möglichkeiten, in: Sass, Genomanalyse, S. 41 ff. Spickhoff, Andreas: Anmerkung zum Urteil des LG München I vom 22.5.2003, FamRZ 2003, 1580, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) 2003, 1581 f. Spranger, Matthias Tade: Prädiktive Tests und genetische Diskriminierung im Versicherungswesen, Versicherungsrecht 2000, S. 815 ff. Sprau, Hartwig: Kommentierung zu den § 823 BGB, in: Palandt, BGB-Kommentar Starck, Christian: Kommentierung zu Art. 2 und 3 GG, in: v. Mangoldt, Bonner Grundgesetz Steindor, Martina: Risiken und Widersprüche genetischer Screeningprogramme in der GKV – am Beispiel des Hämochromatose-Screenings der Kaufmännischen Krankenkasse , in: Arbeit und Sozialpolitik 2002, S. 33 ff. Steiner, Theo (Hrsg.): Genpool – Biopolitik und Körperutopien, Wien 2002 Steiner, Ulrich: Moderne Medikamentenforschung der Firma Bayer, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 96 ff. Steinmüller, Wilhelm: Genetisches Selbstbestimmungsrecht – Eine Skizze zur sozialen Bewältigung der Genomanalyse, Datenschutz und Datensicherheit 1993, S. 6 ff. Steinmüller, W./Lutterbeck, B./Mallmann, C./Harbort, U./Kolb, G./Schneider, J.: Grundfragen des Datenschutzes, Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Innern, Juli 1971, BT-Drs. 6/3826 Stern, Klaus: Staatsrecht, Band III/1, München 1988 − Staatsrecht, Band III/2, München 1994 Sternberg-Lieben: Genetischer Fingerabdruck und § 81 a StPO, Neue Juristische Wochenschrift 1987, S. 1242 ff. Stockter, Ulrich: Der unberechenbare Mensch, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 167, 2004/2005, S. 38 ff. Stoneking, Mark: From the evolutionary past ..., Nature 2001, vol. 409, S. 821 ff. Störig, Hans Joachim: Kleine Weltgeschichte der Philosophie,, Frankfurt a.M. 1987 Strack, Ulrich: Versicherungsrisiko „Erbgut“, in: Sokol, Der gläserne Mensch, S. 81 ff. Straßmair, Stefan M.: Der besondere Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, Berlin 2002 Streier, Eva-Maria: Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis – Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 545 ff. Stumper, Kai: DNA-Analysen und ein Recht auf Nichtwissen, Datenschutz und Datensicherheit 1995, S. 511 ff. − Informationelle Selbstbestimmung und DNA-Analysen, Frankfurt a.M. 1991

Literaturverzeichnis

579

Summer, Rudolf: Anmerkung zu VG Gelsenkirchen vom 19.04.1991, ZBR 1992, 28 f., Zeitschrift für Beamtenrecht 1992, S. 29 f. Sveger, T./Thelin, T./McNeil, T.F.: Neonatal 1-antitrypsin Screening: parents‘ views and reactions 20 years after identification of the deficiency state, Acta Paediatrica 88 (1999), S. 315 ff. TAB (Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag) – Ausschuss für Forschung, Technik und Technikfolgenabschätzung (20. Ausschuss): „Genomanalyse“ – Chancen und Risiken genetischer Diagnostik vom Mai 1993, in: Bericht des Ausschusses für Forschung, Technologie und Technikfolgenabschätzung (20. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 16.03.1994, BT-Drs. 12/7094 − Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss): „Stand und Perspektiven der genetischen Diagnostik“ vom Juni 2000, in: Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 16.11.2000, BT-Drs.14/4656 − Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss): „Biobanken für die humanmedizinische Forschung“ vom April 2007, in: Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 16.05.2007, BT-Drs.16/5374 Taupitz, Jochen: Das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarats – taugliches Vorbild für eine weltweit geltende Regelung?, Heidelberg 2002 − Genetische Diagnostik und Arztvorbehalt , in: Bartram u.a., Humangenetische Diagnostik, S. 51 ff. − Genetische Diagnostik und Versicherungsrecht,, Frankfurter Vorträge zum Versicherungswesen, Karlsruhe 2000 − Gentests beim Abschluss von Personenversicherungsverträgen – Problemorientierte Differenzierung oder Methodendiskriminierung?, Recht und Politik im Gesundheitswesen 2002, S. 43 ff. − Privatrechtliche Rechtspositionen um die Genomanalyse: Eigentum, Persönlichkeit, Leistung, Juristen-Zeitung 1992, S. 1089 ff. − Das Recht auf Nichtwissen, in: Hanau (Hrsg.), Festschrift Günther Wiese (1998), S. 583 ff. Taupitz, Jochen/Brewe, Manuela/Schelling, Holger: Länderbericht Deutschland, in: Taupitz, Menschenrechtsübereinkommen, S. 409 ff. ten Have, Henk: Living with the future: Genetic information and human existence, in: Chadwick/Levitt/Shickle, The right to know, S. 87 ff. Tettinger, Peter J.: Kommentierung zu Art. 12 GG, in: Sachs, Grundgesetzkommentar The European Group on Ethics in Science and New Technologies to the European Commission: Opinion on the ethical aspects of genetic testing in the workplace – Opinion No. 18. (28. Juli 2003) Thiele, Felix: Genetic Test in the insurance system: criteria for a moral evaluation, Poiesis Prax (2003) 1, S. 185 ff. Thompson, W. Douglas: Effect Modification the limits of biological inference from epidemiological data, Journal of Clinical Epidemiology 1991, vol. 44, Nr. 3, S. 221 ff.

580

Literaturverzeichnis

Thorhallson, Pall: Das isländische Gesetz zur Errichtung einer zentralen Datei im Gesundheitswesen (Gen-Datei) vom 17. 12. 1998, Europäische Grundrechte Zeitschrift 1999, 170 ff. Tinnefeld, Marie-Theres: Menschenrechtspolitik in Europa am Beispiel der BiomedizinKonvention des Europarats, Datenschutz und Datensicherheit 1999, S. 317 ff. Tinnefeld, Marie-Theres/Böhm, Ingolf: Genomanalyse und Persönlichkeitsrecht – Chancen und Gefährdungen, Datenschutz und Datensicherheit 1992, S. 62 ff. Tjaden, Markus: Genanalyse als Verfassungsproblem: Zulässigkeit genanalytischer Anwendungen im Lichte der Menschenwürde und genetischem Selbstbestimmungsrecht, Mannheim 2000 Tolmein, Oliver: Gesundheit auf Probe, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), 2004, Nr. 165, S. 36 ff. Traufetter, Gerald: Geisel der eigenen Gene, Der Spiegel 43/2003, S. 216 f. Tröndle, Eduard/Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 51. Auflage, München 2003 Uhlemann, Thomas: Stellungnahme zum 5.Themenblock „Perspektiven der Gendiagnostik“ im Rahmen der öffentlichen Anhörung „Folgen der genetischen Diagnostik“ durch die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 16.10.2000, Fundstelle im Internet: www.bundestag.de – Seite der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ Umbach, Dieter C.: Kommentierung zu Art. 12 GG, in: Umbach/Clemens, Grundgesetz Umbach, Dieter C./Clemens, Thomas: Grundgesetz – Mitarbeiterkommentar und Handbuch, Band I, Heidelberg 2002 van Akten, Jan: Ethnische Biowaffen, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 163, 2004, 11 f. van den Daele, Wolfgang: Mensch nach Maß: Ethische Problem der Genmanipulation und Gentherapie, München 1985 Vitzthum, Wolfgang Graf: Gentechnologie und Menschenwürdeargument, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Beiheft 33, Menschen- und Bürgerrechte, Stuttgart 1988, S. 119 ff. Volk, Elisabeth: DNA-Identitätsfeststellungsgesetz – Kein Ende der Begehrlichkeiten, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2002, S. 561 ff. Vollmer, Silke: Genomanalyse und Gentherapie, Konstanz 1989 Vultejus, Ulrich: Informationelle Selbstbestimmung auch bei Genen, Zeitschrift für Rechtspolitik 2002, 70 f. Waechter, Kay: Die Schleierfahndung als Instrument der indirekten Verhaltenssteuerung durch Abschreckung und Verunsicherung, Die öffentliche Verwaltung 1999, S. 138 ff. Wagenmann, Uta: Brustkrebs bleibt genetisch, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 151 (2002), S. 34 ff. − Island: Ein Laboratorium von Hoffman La Roche?, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 140 (2000), 13 f. − Brustkrebs: Sicherheit durch Vorsorge?, Gen-ethischer Informationsdienst (GID), Nr. 161 (2003/2004), S. 31 ff.

Literaturverzeichnis

581

Wagner, Valeska: Vortragsveranstaltung der Juristischen Gesellschaft zu Berlin – DNAAnalyse als gerichtliches Beweismittel, Juristische Rundschau 2003, 57 f. Wambach, Achim: Die notwendige Risikoklassifizierung, Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.11.2000, Nr. 268, S. 16 Wannagat, Georg/Eichenhofer, Eberhard: Kommentar zum Recht des Sozialgesetzbuchs, Loseblattwerk, München 2004 Weber, Andreas: Das verkaufte Volk, Süddeutsche Zeitung-Magazin 23.11.01, Nr. 47, S. 17 Weichert, Thilo: Die Zulässigkeit heimlicher Vaterschaftstests, Datenschutz und Datensicherheit 2003, S. 710 ff. − Der Schutz genetischer Informationen – Strukturen und Voraussetzungen des GenDatenschutzes in Forschung, Medizin, Arbeits- und Versicherungsrecht, Datenschutz und Datensicherheit 2002, S. 133 ff. − Wem gehören die Gen-Daten – Überlegungen zur Verortung des Recht auf genetische Selbstbestimmung, Datenschutz Nachrichten 2/2000, S. 6 ff. − Geomarketing und Datenschutz – ein Widerspruch?, in: Sokol, Living by numbers, 2005, S. 133 ff. Weihrauch, Thomas: Klinisches Qualitätsmanagement: Standards für Monitoring und Auditoring klinischer Studien, in: Winter/Fenger/Schreiber, Genmedizin, Rdnr. 1706 ff. Wellbrock, Rita: Genomanalysen und das informationelle Selbstbestimmungsrecht, Computer und Recht 1989, S. 204 ff. Wendt, Rudolf u.a.: Staat, Wirtschaft, Steuern, Festschrift für Karl Heinrich Friauf zum 65. Geburtstag, Heidelberg 1996 Wieland, Joachim: Kommentierung zu Art. 12 GG, in: Dreier, Grundgesetzkommentar Wiese, Günther: Genetische Analyse bei Arbeitnehmern, Recht der Arbeit 1986, 120 ff. − Genetische Analysen und Rechtsordnung unter besonderer Berücksichtigung des Arbeitsrechts, Berlin 1994 − Gibt es ein Recht auf Nichtwissen? in: Jayme (Hrsg.), Festschrift für Niederländer (1991), S. 475 ff. − Zur gesetzlichen Regelung der Genomanalyse an Arbeitnehmern, Recht der Arbeit 1988, 217 ff. − Das „Recht auf Nichtwissen“ – Die genetische Veranlagung von Arbeitnehmern, Recht und Politik im Gesundheitswesen 2002, 81 ff. − Genetische Analysen an Arbeitnehmern, Datenschutz und Datensicherheit 1993, 274 ff. Wiesing, Urban: Gene, Krankheit und Moral, in: Düwell/Mieth, Humangenetik, S. 78 ff. − Die Bedeutung der Genetik für die Krankenversicherung, Deutsche Medizinische Wochenschrift 2002, 1151 ff. Wiesing, Urban/Schonauer, Klaus: Prognose und Solidarität – Zum Einfluss der Genomanalyse auf Krankenund Lebensversicherungen, in: Petermann/Wiedebusch/Quante, Perspektiven, S. 229 ff. Winnacker, Ernst-Ludwig: Die deutsche Biotech-Industrie hat eine neue Chance erhalten, Frankfurter Allgemeine Zeitung 8.01.01, Nr. 6, S. 14

582

Literaturverzeichnis

Winter, Stefan F./Fenger, Hermann/Schreiber, Hans-Ludwig: Genmedizin und Recht, München 2001 Wolbring, Gregor: Stellungnahme: Folgen der Anwendung genetischer Diagnostik für behinderte Menschen – erstellt im Auftrag der Enquetekommission des Deutschen Bundestages „Recht und Ethik der modernen Medizin“, Juni 2001, Fundstelle im Internet: www.bundestag.de – Seite der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin” Wolf, Susan M.: Beyond „Genetic Discrimination“: Toward the Broader Harm of Geneticism, Journal of Law, Medicine & Ethics, 23 (1995), 345 ff. Wolff, Gerhard/Wertz, Dorothy C./Nippert, Irmgard: Ethik und Genetik: Ergebnisse der Umfrage zu Problemaspekten angewandter Humangenetik, medgen 1999, S. 308 ff. Wollweber, Harald: Der genetische Fingerabdruck auf dem Prüfstand, Neue Juristische Wochenschrift 2001, S. 2301 ff. − DNA-Analysen und Richtervorbehalt, Neue Juristische Wochenschrift 2002, S. 1771 ff. Wrase, Michael/Baer, Susanne: Unterschiedliche Tarife für Männer und Frauen in der privaten Krankenversicherung – ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes?, Neue Juristische Wochenschrift 2004, S. 1623 ff. Wuermeling, Hans-Bernhard: Ethische Aspekte der Genomforschung und Gentherapie, in: Rittner, Genomanalyse, S. 231 ff. Zielke, Anne: Das Horoskop der Gene, Frankfurter Allgemeine Zeitung am Sonntag, 03.02.2002, Nr. 5, S. 23 Zinke, Eva/Morun, Harald: Gemeinsame Stellungnahme der Industriegewerkschaft Metall und der Gewerkschaft ÖTV zu den Fragen der Enquetekommission – Genetische Diagnostik und Arbeitsmedizin Expertenanhörung der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages, Themengruppe 3 (Genetische Daten) vom 04.12.2000, Fundstelle im Internet: www.bundestag.de – Seite der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“

Sach- und Personenregister Abgrenzbarkeeit des grundrechtlichen Schutzbereichs 392

Anknüpfungskriterium (siehe Bezugskriterium)

Abstammungsbestimmung (siehe auch Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung; Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung)

Anknüpfungsverbot 324 f. Anlage 53, 68, 75 ff. (siehe auch Eigenschaftsindikator)

− im Asyl- und Ausländerrecht 134 ff.

− gesellschaftliche Wahrnehmung 277 ff., 405 f. (siehe auch Exzeptionalismus)

− im Strafprozess 457

− Wahrnehmbarkeit 460

− im Zivilprozess 457

− Zusammenwirken von exo- und endogenen Faktoren 141, 345, 496

− ungewollte (in der Transplantationsmedizin) 506 Abstraktionserfordernis 331 ff.

Anlageträgerscreening (siehe Heterozygotenscreening)

Abwägungskonstellationen mit besonderem Schutzniveau 481

− Stigmatisierung (siehe dort)

− beim Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 532 ff.

− genspezifische Resistenzen (siehe Resistenzen)

− beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung 481 ff.

− Pflichtuntersuchungen (siehe Griechenland; Zypern)

Abwehrrecht 536

Anonymisierbarkeit von Genproben 85 f.

− Recht auf Nichtwissen 536

− Recht auf informationelle Selbstbestimmung 472, 475 f.

Adoptionsrecht 152 Aktivierungsvorbehalt − beim Recht auf Nichtwissen 501 − beim Recht auf Wissen 508 Aktualisierung statistischer Informationen 61 f. (siehe auch Gruppeninformationen, aktualisierte)

Anlageträgerstatus, heterozygoter

Antiselektion (siehe Krankenversicherung; Lebensversicherung) Anwendungsbereiche der Gendiagnostik 132 ff. (siehe auch Gendiagnostik) Arbeitsrecht 136 ff. − Arbeitgeberhaftung 444

Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

− Beschäftigungsverbot 431

− Arbeitnehmerschutz 93

− Eignungstest 136 ff.

− Recht auf Nichtwissen 487

− Einstellung 249, 266, 301, 334, 406 ff., 427 ff., 431 ff., 438 f.

− Seargent, Terri (siehe dort) − Überbewertung 487 Altersheime 146 Alzheimer 124, 129 Anfälligkeitsgen 75, 442

− Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit 301 − Vorsorgeuntersuchungen 431 Arbeitsschutzrahmengesetz 248, 475

42,

45,

584

Sach- und Personenregister

Argentinien: Gendatenbank zur Identifizierung der Kinder von während der Militärdiktatur Verschleppten 457 f., 492, 522 Arzt-Klienten-Beziehung 155 f. Arzt-Patienten-Beziehung 154 f. Asyl- und Ausländerrecht 134, 144 Aufklärung (siehe Einwilligung, informierte) Ausbildung 138 f., 496 Auskunftsanspruch − datenschutzrechtlicher 513 f.

− Umfeldfaktor 282 f. − Vorhersagewert, positiver (siehe dort) Aussageungenauigkeit − genetischer Informationen (als Anlass für die Einführung eines Diskriminierungsverbots) 245 − prognostische 66, 130, 364 ff., 413 − statistische 339, 370, 412 Auswertungsmöglichkeiten, vielfältige (siehe Daten) autosomal 240 − autosomal-dominant 97 − autosomal-rezessiv 97

− medizinrechtlicher 515 f., 524 (siehe auch Recht auf Einsichtnahme in Patientenakten; Recht auf Wissen)

Bäckerasthma 137

− Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 540 f.

Basisprogramm für arbeitsmedizinische Untersuchungen (BAPRO) 406

Aussage (siehe auch Information)

Beamtenrecht (siehe auch Arbeits-recht)

− deterministische 130

− Einstellung 49, 138, 266, 301, 344 f., 406, 427, 432 f., 483

− probabilistische 130 Aussagegehalt, statistischer − bei Eigenschaftsindikatoren 72 − bei genetischen Informationen 109 Aussagegenauigkeit (siehe auch Gerechtigkeitsmaßstab; Typisierungswert; Vorhersagewert, positiver) − Anlage 282 f.

− genetische Untersuchungen 432 f. − Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit 334 f. − Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit 266 − Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit 301

− genetische Identitätsfeststellung 105 f.

− Hessen: Verbeamtung einer Lehrerin mit möglicher Veranlagung zur Huntington-Krankheit 432 f.

− genetische Veranlagung 337 f., 349 f.

− HIV-Tests 406, 427

− Grad der Aussagegenauigkeit 130, 224 f., 243

Beeinflussbarkeit, individuelle (siehe Gerechtigkeitsmaßstab)

− Kausalfaktor 57 f., 345 f., 441 f.

Begründungsverbot 260 f., 268, 324

− Korrelation 57 f. (siehe auch Aussageungenauigkeit, statistische)

Behandlungskostenübernahme 439 (siehe auch Krankenversicherung, Off-Label-Use)

− Familienanamnese 97

− Prognose 451 (siehe auch Aussageungenauigkeit, prognostische) − Recht auf Achtung der Individualität 447 f., 451, 552

Behindertendiskriminierung 295 (siehe auch Behindertendiskriminierungsverbot; Eugenik)

− Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 224 f., 243

− befürchtete Folgen zunehmender Pränataldiagnostik 311, 499 f., 502 (siehe auch Teilnahmedruck)

− Therapierbarkeit 122 f.

− durch Vorurteilsbildung 115

Sach- und Personenregister Behindertendiskriminierungsverbot 197, 235, 253 − als Auftrag zum Ausgleich von Nachteilen 295 f., 302

585

Charcot-Marie-Tooth-Krankheit 121 China: Gesetz über mütterliche und kindliche Gesundheitsfürsorge 149

− als Bewertungsverbot 294 ff., 297

Chorea Huntington (siehe HuntingtonKrankheit)

− als Typisierungsverbot 295 f., 321

compliance 434

− Behindertengleichstellungsgesetz 197, 236, 253, 296, 419

Computerisierung 398 f.

Belohnungsgerechtigkeit 292, 301

consent, informed (siehe Einwilligung, informierte)

Benachteiligungsverbot 252 f.

Creditscoring (siehe Kreditscoring)

Beratungsgemeinschaft (siehe ArztKlienten-Verhältnis)

Creutzfeld-Jakob-Krankheit 402

Beschäftigungsverbot (siehe Arbeitsrecht) Beweislastumkehr 256, 265 f., 269

Crick, Sir Francis 145 Daten (siehe auch Information)

Bewertungsebene 380 f., 383 ff., 410

− Abgrenzung zur Information 52 (Fn. 89)

Bewertungsverbot 202, 256, 294 ff., 374

− genetische (siehe Information, genetische)

Bezug, persönlichkeitsrechtlicher (siehe Menschenwürdebezug; Persönlichkeitsrecht)

− mit vielfältigen Auswertungsmöglichkeiten 464 ff.

Bezugskriterium, statistisches 70 (siehe auch Merkmale)

− sachbezogene 53 f.

− personenbezogene 53 f., 455 f., 532

Biobank 98, 465, 472 (siehe auch Samenbank)

− verborgene (siehe Merkmal, verborgenes)

Bioethik-Konvention 44

Datenbank

− Verbot genetischer Diskriminierung 46 f., 227

− natürliche 85 ff., 464 ff. (siehe auch Genprobe; Probenverwertbarkeit)

Biomaterialbank (siehe Biobank)

Datenbankcharakter

Biopiraterie 91

− Gen 86

Biosemiotik 154 (Fn. 381)

− Genom 85

Blutarmut (siehe Thalassämie)

Datenerhebung 458 f.

Blut- und Gewebeprobenbank (siehe Biobank)

− heimliche 84, 503 (siehe auch Genprobe; Probenverfügbarkeit)

Bluterkrankheit 129, 273

− unerwünschte 458 f., 469

BNSF-Eisenbahngesellschaft: Arbeitgeberhaftung bei KarpaltunnelSyndrom und genetischer Entlastungsbeweis 139 f., 444

Datenerhebungsebene 250, 253

Bombe, ethnische 164

− als Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 224, 243 ff.

„Brave New World“ 352, 357, 361 Brustkrebs 125, 153

Datenerhebungsverbot 253 Datenerhebungszeitpunkt

Datennutzungsverbot 251 ff. − Benachteiligungsverbot 252 f.

586

Sach- und Personenregister

− Ungleichbehandlungsverbot 251 f. − Verwertungsverbot 253 Datenträger

− Diagnosemitteilung 491 ff., 500, 520 (siehe auch Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung)

− Gen 86 ff.

− Fehldiagnosenwahrscheinlichkeit (siehe Aussageungenauigkeit, statistische)

− Genom 85 f.

− prädiktive 128

− Genprobe 83 ff.

− Überbewertung 121

− Gewebeprobe 83 ff.

− Überdiagnose (siehe dort)

Datenverarbeitung 455, 459, 469

− Überprüfbarkeit 366

− unerwünschte 458, 469

Differenzialdiagnose (siehe Information, differenzialdiagnostische)

− DNS-Spirale 81

Datenverarbeitungsebene 250 Datenverwendungsweise − als Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 224, 244 − diagnostische 246 − differentialdiagnostische 247

Diskriminierung − Abgrenzung zur Ungleichbehandlung 46 − Behindertendiskriminierung (siehe dort)

− prädiktive 244

− Frauendiskriminierung (siehe Geschlechterdiskriminierung)

Datenverwertungsverbot 251, 253

− genetische 45 ff.

deCODE Genetics (siehe Island)

− Rassendiskriminierung (siehe dort)

Defizit (siehe Mangel)

− statistische 317 (Fn. 520)

Deliktsrecht (siehe Haftungsrecht)

Diskriminierungshandlung 222, 250 ff.

Determinismus, genetischer 165, 205, 284, 286 f., 304, 318, 327, 417, 549

Diskriminierungskriterium 222, 224 ff.

− Auswirkung der Einführung eines Verbots genetischer Diskriminierung 359 f., 364 (siehe auch Kontraproduktivität)

Diskriminierungspotenziale (siehe Recht auf informationelle Selbstbestimmung)

− Verselbstständigung, meinungshafte 354 f. (siehe auch dort)

Diskriminierungsverbot 222 ff.

− Spezifikationen 224 ff.

Diskriminierungsschutz 454

Deutschland:

− Art. 3 Abs. 3 GG 409 f.

− Hessen: Verbeamtung einer Lehrerin mit möglicher Veranlagung zur Huntington-Krankheit (siehe dort)

− eigenständiger Schutzbereich 194 ff.

− Nationalsozialismus (siehe dort) − OLG Celle: Mitverschulden bei Verteidigung des eigenen Hundes in Kenntnis der eigenen Veranlagung zu Psoriasis (siehe dort) − Preußen (siehe dort) Diagnose 73, 131, 154, 246 (siehe auch Information, diagnostische)

− genetisches 222 ff. − Gerechtigkeitsmaßstab 206 ff. − Normstruktur (siehe dort) − prädiktives 311 − Wertentscheidung, primäre 199 ff. DNA-…(siehe auch DNS-…) DNA-Identitätsfeststellungsgesetz 133, 471 DNS 81

Sach- und Personenregister DNS-Chip 94 f.

587

DNS-Probe (siehe Genprobe)

Eignungstest (siehe Arbeitsrecht; Beamtenrecht)

Down-Syndrom 76, 93 295, 405, 502, 504

Eingriffsintensität (siehe Recht auf Gleichbehandlung)

„Dread-disease“-Versicherung

− gleichheitsrechtlicher Beeinträchtigungen 187 ff.

Drittbetroffenheit 88 ff. − und das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 505, 531 f., 543 ff. − und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung 453, 468 ff., 476 − Vernetzungen, soziale 537 Drittbezug (siehe Drittbetroffenheit) Dupont de Nemour: Heterozygotenscreening bei Mitarbeitern der Chemiefirma 117 Edinburgh Charter of the Genetic Rights of Man, 39 effects, intergenerational 89, 98 Ehe und Familie (siehe Schutz von …) Eigenschaft 102 ff. − Charakterzug 103 − entscheidungserhebliche 64 − Fähigkeit 104 − Krankheit 103 − Verhaltensweise 103 Eigenschaftsindikator 68 ff. − angeborener 235 − Anlage (siehe dort) − endogener (siehe Anlage) − erworbener 76 f. − ethnische Zugehörigkeit 88 − exogener (siehe Umfeldfaktor) − familiäre Zugehörigkeit 88 − genetische 76 − Indikatorfunktion 69 − Individualbezug 73 − Kausalfaktor (siehe dort) − statistischer Informationscharakter 73 − Umfeldfaktor (siehe dort)

Eingriffsmodell 169 ff. − Prüfungsablauf 171 ff. Einschätzungsprärogative, gesetzgeberische − bei Gerechtigkeitsmaßstäben 175 − bei Tatsachenfeststellungen 264, 288, 361 Einschränkungsgrenzen − Recht auf Achtung der Individualität 429 ff. − Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 524 ff. − Recht auf freibestimmte Zukunft 429 ff. − Recht auf informationelle Selbstwahrnehmung 473 ff. Einsichtnahme in Patientenakten 524 (siehe auch Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung) Einstellungsuntersuchung (siehe Arbeitsrecht; Beamtenrecht) Einwanderung (siehe Asyl- und Ausländerrecht) Einwilligung 459 − eines Dritten 505 − fehlende 502 ff. − freiwillige 459, 469, 529 (siehe auch Sozialdruck) − gesetzlich vermutete 504 − informierte 492 f. − konkludente 502 − mutmaßliche 502 − verweigerte 504 − Widerruf 469, 500, 505 Einwilligungsbedürftigkeit 502 (siehe auch Routineuntersuchungen)

588

Sach- und Personenregister

Einwilligungsfähigkeit (siehe Nichteinwilligungsfähigkeit)

− Diskriminierungsverbot, sches 46, 236 ff. (passim)

Einzelfallentscheidung 386

Eugenik 37, 101, 148 ff., 537

Einzelinformation 55 (siehe auch Information)

− gesetzliche Vorgaben (siehe China: Gesetz über mütterliche und kindliche Gesundheitsfürsorge; Heterozygotenscreening)

Eisingen: Forschung trotz verweigerter Einwilligung 504 Empfindlichkeitsgen (siehe Anfälligkeitsgen) Enschede, Feuerwerkskatastrophe (siehe „Hielprik“-Skandal) Entelechie 355 Entfaltungsfreiheit 395 ff. − Recht auf Achtung der Individualität 411 − Recht auf informationelle Selbstbestimmung 461 Entscheidungserheblichkeit (siehe Eigenschaft, entscheidungserhebliche) Entsolidarisierung (siehe Risikoindividualisierung) Entsprechensprüfung 177 ff. Epilepsie 431 Erbgut (siehe Eigenschaftsindikator; Information, genetische) Erbinformation (siehe auch Information, genetische)

geneti-

− „Eugenik von unten“ 149, 311, 502 (siehe auch Heterozygotenscreening; Pränataldiagnostik; Teilnahmedruck) − „Eugenik von oben“ 101, 148 − Teilnahmedruck 311, 499 f., 502 (siehe auch Heterozygotenscreening; Pränataldiagnostik) − Vorschläge zur genspezifischen Geburtenkontrolle 149, 356 (siehe auch Crick; Pauling) Europäische Union, Grundrechtecharta − Diskriminierungsverbot, sches 44, 46

geneti-

Ex-ante-Analysen 244 (siehe auch Verwendungsweise, prädiktive) Ex-post-Analysen 131, 251 (siehe auch Verwendungsweise, differenzialdiagnostische) Expressivität 110 Exzeptionalismus 44 f.

− Abgrenzung erblich – vererblich – genetisch 238 ff.

− endogener Eigenschaftsindikatoren 277 ff., 405 f., 480 ff., 496 f.

− zur Kritik am Begriff 74

− genetischer 44 f., 405 f., 477 ff., 495 f.

Erbmerkmal (siehe Eigenschaftsindikator; Merkmal, genetisches; Information, genetische) Erforderlichkeit (siehe Verhältnismäßigkeitsprüfung) Erhaltung der Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung (siehe Grundbedingungen) Erheblichkeit (siehe Eigenschaft, entscheidungserhebliche) Erregerdiagnostik 131 Estland: Humangenomforschungsgesetz − Biobank 465 f., 476

Fahndung, genetische 86, 133, 163 Fahrtauglichkeit 333 f. Fallgruppenbildung 386 (siehe auch Kategorisierung, grundrechtsdogmatische) Familienplanung 148 ff. Familienanamnese 77, 97 ff. − effects, intergenerational (siehe dort) − genetische 97 f., 228 ff., 255, 428 − Krankheitsvorgeschichte 99 f., 273, 307

Sach- und Personenregister − prädiktive 94, 338 − präkonzeptionelle 100 f. − praktische Bedeutung 100 f. − Stellung im Testablauf 107, 109 − Verbot genetischer Diskriminierung 255, 273, 307

589

l’asile, 134 (Fn. 283) (siehe auch Asylrecht) Frauendiskriminierung (siehe Geschlechterdiskriminierung) Freiheitsausübung 536 − negative 536

Familienzusammenführung (siehe Asylund Ausländerrecht)

− positive 536

Farbenblindheit 91, 94, 408

− Bagatelleingriffe 178 f.

Fehlbewertungen (siehe Fehler)

− Berücksichtigung in der gleichheitsrechtlichen Prüfung 187 f.

Fehler 110 ff. (siehe auch Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit) − Anwendungsfehler 116 ff. − Interpretationsfehler 118 ff. − technische 112 − Verständnisprobleme 122 − wissenschaftliche Irrtümer 112 Fehleranfälligkeit (siehe Fehler) Fehlinterpretation (siehe Fehler)

Freiheitsrecht 50, 162

− Störungsfreiheit (siehe Integritätsschutz) − strukturelle Unterschiede zum Gleichheitsrecht 171, 174, 178 f., 180. 190 f., 340 f., 420 − unbenanntes 392 f., 470 − Verhaltensfreiheit tungsschutz)

(siehe

Entfal-

Fremdwahrnehmung lichkeitsbildung)

(siehe

Persön-

Fingerabdruck − daktylischer 71, 88, 458

Galileo, Galilei 264

− genetischer 71, 84, 102, 104 ff., 133 ff., 157, 457 f., 472 f.

„GATTACA“ 150, 318, 352

− herkömmlicher (siehe Fingerabdruck, daktylischer)

Gebot der manifestationsnächsten Typisierung 377, 424 ff. (siehe auch Verhältnismäßigkeitsprüfung)

Flugsicherheit 112 f., 373 f., 408, 411 f., 428 f., 430 f. (Arbeitsrecht, Eignungstest)

Geeignetheit (siehe Verhältnismäßigkeitsprüfung)

Formalisierung 387 (siehe auch Kategorisierung, grundrechtsdogmatische)

Genbank (siehe Biobank)

Forschung, populationsgenetische (siehe Populationsgenetik) Frankreich − Ediktes von Nantes 341 (siehe auch Religionsfreiheit) − certificat prénuptial 498 (siehe auch Recht auf Nichtwissen) − Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 204, 329, 416 − loi relatif à la maîtrise de l’immigration, à l’intégration et à

Gefahrenabwehrrecht 162 f., 430 Genchip (siehe DNS-Chip) Gendaten (siehe Information, genetische) Gendatenbank 98, 133, 158, 457, 465, 472 − Abgrenzung zur Biobank 465 (Fn. 302) − Argentinien: Gendatenbank zur Identifizierung der Kinder von während der Militärdiktatur Verschleppten 457 f., 492, 522 − Island: Gendaten- und Biobank der Firma deCODE Genetics 98 − Kidnapping-Gendatenbanken 133

590

Sach- und Personenregister

Gendefekt (siehe Merkmal, genetisches)

Gerechtigkeit 171 f., 207

Gendiagnostik

− formale 172 (Fn. 15)

− Anwendungsbereiche 132 ff.

− „im engeren Sinne“ 172

− Begriff 35

− Individualgerechtigkeit 172 (siehe auch dort)

− postnatale 225, 243, 527 − präkonzeptionelle 100 f., 148, 151, 527

− materielle 171 f., 292

− pränatale (siehe Pränataldiagnostik)

Gerechtigkeitserwägung (siehe Gerechtigkeitsmaßstab)

geneticization (siehe Genetifizierung)

Gerechtigkeitsmaßstab

Genetifizierung

− Alter der Norm 214

− des gesellschaftlichen Lebens 165

− Begriff 169 f.

− der Medizin 155

− der Aussagegenauigkeit 256, 259, 317 ff.

Genetisierung (siehe Genetifizierung) Genom 81 Genomanalyse (siehe Untersuchung, genetische) Genotyp 92 Genotypuntersuchung (siehe Untersuchung, genetische)

− der Aussagerichtigkeit 256 ff. − der individuellen Beeinflussbarkeit 256, 290, 350 − Diskriminierungsverbot 206 ff. − Einklagbarkeit 212 − Ermittlung 171 ff.

Genprobe 81 ff.

− komplexer 193, 196, 215 f.

− Probenmaterial 81 ff.

− Lebens- und Sachbereichbezogenheit 173 f., 196 ff., 207 ff.

− Probenstabilität 82 − Probenverfügbarkeit 83 f. − Probenverwertbarkeit 85 f. Genprodukt 93

− Steigerungsfähigkeit 212 − Systemgerechtigkeit 172 f., 176 (Fn. 37), 214

Genprofil (siehe Persönlichkeitsprofil)

− Veränderungsresistenz 176 (Fn. 37), 214

Gentechnik 35 f.

− Verallgemeinerungsfähigkeit 210

− Gentechnik an der übrigen belegten Natur 35

− Würdigkeit, individuelle 213

− grüne (siehe Gentechnik an der übrigen belegten Natur) − Humangenetik (siehe dort) − rote (siehe Humangenetik; Gendiagnostik; Gentherapie) Gentechnikgesetz, österreichisches Gentest (siehe auch Untersuchung, genetische) − direkter/indirekter 92, 100, 229 Gentherapie 35 ff. Geomarketing 78 f.

Gerichtsverfahren 133 Geschlechterdiskriminierung 116, 191, 259, 285, 319 ff., 326, 358, 407, 416 f. − Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 197 − natürliche Unterschiede 328 f. − Rollenverteilung 266, 285, 407, 416 f. − Typisierungen 60, 170, 183, 259, 301, 319 ff., 326, 329, 367, 401, 407 − Vorurteile 259 − § 611a BGB 266

Sach- und Personenregister „Gesetz der großen Zahl“ 55, 278, 317

591

Gesundheitsdaten

− durch das Verbot Diskriminierung 47 ff.

− und Gendaten 102 ff., 242

Grundrechtskonkurrenz

Gesundheitsobliegenheit 441 ff., 445 f., 498 (siehe auch Obliegenheiten; Verhalten, genkonformes)

− beim Recht auf Achtung der Individualität 453

Gesundheitsversorgung medizinische)

(Versorgung,

Gewährleistungsbereichsbegrenzung (siehe Exzeptionalismus)

genetischer

− beim Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 540 ff. − beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung 461 ff.

Gewährleistungsbereichsbestimmung

Gruppeninformation (siehe auch Information)

− abstrakte 392

− Begriff 60

− kasuistische 392

− aktualisierte 61 f., 400, 458, 490 f., 533, 546

Gewaltenteilung, datenschutzrechtliche 470, 515 Gewebeprobe 465 ff. (siehe auch Genprobe) Gleichbehandlung (siehe auch Recht auf Gleichbehandlung) − normative 187, 208 − schematische 187, 208, 328 Gleichbehandlungsgrundsatz (siehe auch Recht auf Gleichbehandlung)

− nicht aktualisierte 61 − individualisierbare 61 − Recht auf Achtung der Individualität 400 − Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 490 Gruppenzugehörigkeitsinformation 70, 73 (siehe auch Individualbezug) Guthrie-Card 157, 503

− Prüfungsmaßstab 50 − Rechtserkenntnisquelle 50

Haftungsrecht 139, 146

Gleichheit, konkrete 208

− Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Gerechtigkeit 305

Gleichstellungsgebot 294 ff. Glukose-6-Phosphatdehydronase − Arbeitnehmerschutz 93 gonosomal 240 Griechenland: präkonzeptionelle Reihenuntersuchungen in Orchemenos 151 Großmütter der Plaza de Mayo (siehe Identifizierung) Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung 422 f., 534 Gründereffekt 89 Grundrecht, unbenanntes 386, 388 f., 392 f. (Fn. 51), 470 Grundrechtsbeeinträchtigungen (siehe auch Recht auf …)

Hämochromatose 153, 403, 445, 500 Hämophilie 129, 273 Handlungsfreiheit 535 − in Abgrenzung zur Wissensfreiheit 534 f. Hautkrebs 314 Heilige Kirche Zyperns (siehe Zypern) Hessen: Verbeamtung einer Lehrerin mit möglicher Veranlagung zur Huntington-Krankheit 432 f. heterozygot 99 (siehe auch Anlageträgerstatus) Heterozygotenscreening (siehe auch Reihenuntersuchung) − Sichelzellenanämie 96, 139, 498 − Tay-Sachs-Krankheit 151, 499

592

Sach- und Personenregister

− Thalassämie 151, 165, 543

Home-Kits 122

− Zystische Fibrose 500

Homosexualität

„Hielprik“-Skandal 157, 503

− genetische Veranlagung 104, 127

Hippel-Landau-Syndrom 141

− als Eigenschaftsindikator 427

Hiroshima, Strahlenopfer 82

homozygot 90

HIV-Diagnostik (siehe HIV-Test)

Humangenetik 35 ff.

HIV-Infektion 66

Huntington-Krankheit 97f., 103, 129, 349

− Adoptionsrecht 152 − Arbeitsrecht 263, 406, 427 − Aufenthaltserlaubnisse, ausländerrechtliche 144 − Beamtenrecht 406, 427, 483 − Eigenschaftsindikator 65 f., 76, 338 − Diskriminierungsschutz 348 ff., 361

198

f.,

− Drittbezug 468 f., 506, 537 − Recht auf Achtung der Individualität 406, 427, 434 f. − Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 485 f., 495, 503 f., 516, 532, 537, 544 − Recht auf informationelle Selbstebestimmung 468 f. − Stigmatisierung, 165, 281, 312

gesellschaftliche

− Versicherung 143, 147, 436 HIV-Test 77 − falsch-positive 516 − Heiratswilligen 498 (siehe Frankreich: certificat prénuptial; Zypern, Heilige Kirche) − nicht indizierte 263, 483 − prädiktiver Charakter 338, 366, 435 − ungewollter 503 f. (siehe Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung; Recht auf informationelle Selbstbestimmung) − Vergleich mit Gentests 77, 198 f., 348 ff., 361, 495 HLA-Typisierung (siehe Transplantationsrecht)

− Determinismus 308 f., 348, 350, 366 f., 429 − Stigmatisierung, dort)

familiäre

(siehe

− Survivor-Syndrom (siehe dort) − Test 99, 153, 506, 516, 519, 532 − Therapierbarkeit 124, 160, 429 − Vererbungsgang 97 f., 103, 141, 239 Huxley − Aldous Leonhard 352 (siehe auch Brave New World) − Julian 39 Idealnorm 200 Identifikationsfunktion − Abgrenzung zur Indikatorfunktion 71, 102, 108 − Anwendungsbereiche 88, 104 ff. 132 ff. Identifikationskennzeichen (siehe Identifikationsmerkmal) Identifikationsmerkmal Merkmal)

(siehe

auch

Identifikationsmuster (siehe Identifikationsfunktion − genetische (siehe Fingerabdruck, genetischer) Identifizierung (siehe Identitätsfeststellung) Identität 449 − Abgrenzung zur Individualität 449

Sach- und Personenregister Identitätsfeststellung, genetische 132 ff. − Argentinien: Identifizierung der Kinder von Verschleppungsopfern aus der Militärdiktatur (siehe dort) − Asyl- und Ausländerrecht 134 − Feststellung von Verwandtschaftsverhältnissen 88 − Leistungsverwaltung 133 − Populationsgenetik 135 (siehe auch dort) − Strafprozess 133 − Unfall- und Katastrophenfälle 135

593

− Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 490 ff., 518, 546 − Recht auf informationelle Selbstbestimmung 456, 458, 473 Individualgerechtigkeit 170 ff., 207 f. (siehe auch Recht auf Gleichbehandlung) − Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagegenauigkeit 328 − konkreter Inhalt (siehe Gerechtigkeitsmaßstab) − und Idealnorm 200

− Zivilprozess 133

Individualinformation (siehe auch Information, statistische)

„Idiotentest“ (siehe MPU)

− Begriff 53, 55, 59 ff.

Indikation 107

− bei Eigenschaftsindikatoren 69 f.

− fehlende 111

− bei Manifestationen 62, 66, 344, 363

− fehlerhafte 110 f., 116 f., 262 (siehe auch Fehler) Indikationsvorbehalt 509 f.

− Recht auf Achtung der Individualität 408, 412, 546

Indikator (siehe Eigenschaftsindikator, Merkmal)

− Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 490 f., 517 f., 535, 546

Indikatorfunktion

− Recht auf informationelle Selbstbestimmung 456 f., 546

− Abgrenzung zur Identifikationsfunktion (siehe Identifikationsfunktion) − des Eigenschaftsindikators 69, 71 − des genetischen Merkmals 88, 102, 108, 135 ff. (siehe auch Gendiagnostik) Individualaussage (siehe Information) Individualbezug 340 ff. (siehe auch Gruppenzugehörigkeitsinformation; Personenbezug) − Genprobe (siehe Anonymisierbarkeit) − Herstellung des Individualbezugs (siehe Aktualisierung statistischer Informationen; Gruppeninformation)

Individualität 449 − Abgrenzung zur Identität 449 Individualisierbarkeit statistischer Informationen 61 Infektion (siehe auch HIV-Infektion) − als Eigenschaftsindikator 53, 65, 76 − als Indikator für die Ansteckungsgefahr Dritter 65 f. Information − Abgrenzung (Fn. 89)

zum

Datum

52

− diagnostische 73 131 − differenzialdiagnostische 73 131 − Einzelinformation 55

− offensichtlicher 494 (siehe auch Merkmal, verborgenes)

− genetische 74

− Recht auf Achtung der Individualität 400, 405, 412

− Individualinformation (siehe dort)

− Gruppeninformation (siehe dort) − Personeninformation 54

594

Sach- und Personenregister

− prädiktive 73, 128, 533

− Rassendiskriminierung 114, 330

− Sachinformation 54

− Veranlagung, genetische 39, 89, 104, 114, 127, 318 (siehe auch Stigmatisierung, genetische)

− statistische 55 − Überschussinformation 85

Intelligenztest 407

− Zufallsinformation 87, 506 − Zusatzinformation 87 (siehe auch dort) Informationsanknüpfung (siehe auch Bezugskriterium, statistisches) − als Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 224, 238 ff. Informationscharakter, statistischer (siehe Eigenschaftsindikator)

− Recht auf Achtung der Individualität 407, 437 − Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 491 − Surrogatmerkmal 407 − Überprüfbarkeit 437 (siehe auch Stigmatisierung) Interpretation (siehe Testergebnis)

Informationsfreiheit 516

Interpretationsfehler (siehe Fehler)

Informationsgegenstand 242 f.

Inuit 90

− als Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 224, 242 f.

Island: Gesundheitsdatenbankgesetz

Informationsgrundlage 234 ff. − als Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 224, 234 ff.

− Gendaten- und Biobank der Firma deCODE Genetics 98, 472 − kein Diskriminierungsverbot 46

(siehe

− „Opt-out“-Lösung für Teilnahme an Biobank 505

Informationsverschaffungsanspruch 535 (siehe auch Auskunftsanspruch, datenschutzrechtlicher)

Japan: Strahlenopfer der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki 82

Inkonsistenz (siehe Recht auf Gleichbehandlung)

„Jeder nach seinen Verdiensten“ 292

Integritätsschutz 395 ff.

Jonas, Hans 486 f.

Informationssymmetrie 508 auch Versicherungsrecht)

− durch das Recht auf Achtung der Individualität 448 f. − durch das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 534 − durch das Recht auf freibestimmte Zukunft 449

„Jeder nach seinen Werken“ 292

Karpaltunnel-Syndrom (siehe BNSFEisenbahngesellschaft 139 f., 444) Karyogramm 93 Karyotyp 92

− durch das Recht auf informationelle Selbstbestimung 461

Karyotypuntersuchung (siehe Karyogramm, Untersuchung)

Intelligenz

Kass, Leon 486 f. (Fn. 410)

− als Unterscheidungskriterium 229, 345

Katastrophenfälle 135

− Definition, unklare 116

− gesellschaftliche 355, 410 (siehe auch Stigmatisierung; Typisierung)

− Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit 229 − Manifestation, dauerhafte 67

Kategorisierung

− grundrechtsdogmatische 386 ff. − von Informationen 52 ff.

Sach- und Personenregister Kausalfaktor 53 − Abgrenzung zum Risikofaktor 57, 278 ff. 280 − Relevanz der Feststellung eines Kausalitätsfaktors 281, 345 f. Kausalität 56 − und Aussagegenauigkeit 345 − und Korrelation 57 f. Kausalitätsbewertungen (siehe auch Verwendungsweise, differenzialdiagnostische)

595

− Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 488 ff. − Recht auf informationelle Selbstbestimmung 465 ff. Konsistenz der Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs (siehe Recht auf Gleichbehandlung) Konstitutionstest 367 Konstruktivismus 353 (Fn. 660), 367 Kontextrelativität − von Gerechtigkeit 173, 215 f.

− personenbezogene 131 ff., 408 f.

− von Manifestationen 64

− sachbezogene 371

− von Informationen 52 (Fn. 89)

Keimzellen 82, 238 ff. (siehe auch gonosomal)

Kontraproduktivität, rechtspolitische

Kenntnisnahme, mittelbare 507 (siehe auch Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung)

− der Einführung eines einfachgesetzlichen Verbots genetischer Diskriminierung 359, 420, 549 Kopplungsanalyse 92

Kernbereich, grundrechtlicher 477 ff., 535

Körperzellen 82, 238 ff. (siehe auch autosomal)

Kindergärten (siehe Kindertagesstätten)

Krankenversicherung 142 f.

Kindertagesstätten 146

− Behandlungskostenübernahme 439

Klassengesellschaft, genetische 352

− Off-Label-Use von Medikamenten 439

Klonierung und das Recht auf Nichtwissen 486 Konkretisierung − eines Gerechtigkeitsmaßstabs 197, 215, 251 (siehe auch Gleichheit, konkrete) − eines 390 ff.

Grundrechtsschutzbereichs

Konkretisierungsanlass, dogmatischer 390 f.

Kranker, gesunder 38, 124, 155, 339 (Fn. 605), 354 (Fn. 662), 430 (siehe auch Pränataldiagnostik; Untersuchungsergebnis, falsch-positives) Krankheitsmanifestation − als Eigenschaft 103 − als Eigenschaftindikator 65

grundrechts-

− Recht auf Achtung der Individualität 397 ff. − Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 485 ff. − Recht auf informationelle Selbstbestimmung 464 Konkretisierungsgrund, grundrechtsdogmatischer 391 ff. − Recht auf Achtung der Individualität 399 ff.

Kreditrecht 146 Kreditscoring 78, 403 Kriegsführung, biologische 164 Kriminalität − genetische Veranlagung 104, 115, 162, 285 Kriminalitätsprävention (siehe Gefahrenabwehr) Kriterium (siehe Bezugskriterium, statistisches)

596

Sach- und Personenregister

„Lebensborn“ 150

− rechtliche 63

Lebensplanung, genetische 539

− wiederkehrende 67, 438 (Fn. 214)

Lebensversicherung 65, 143 f.

Manifestationsalter 68, 129

− Antiselektion 508

Manifestationsarten (siehe Manifestation)

− Diskriminierung 120

Manifestationsdauer 68 (siehe auch Vorhersagezeitraum)

− Sekundärmarkt 147 f. − Zugang 143

Manifestationswahrscheinlichkeit 99, 130, 280, 283, 347, 349, 366 (siehe auch Penetranz)

Leibholz, Gerhard 48 Leistungsrecht − Recht auf Verschaffung von Individualinformationen 514, 535 − Recht auf Wissen 536 Leistungsverwaltung recht)

(siehe

Sozial-

− Begriff 70, 72, 322 f. − Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 223 f., 243 − und Kausalität 345 f. − und Stigmatisierung 367

Leukämie 142

− und Vererbungswahrscheinlichkeit 107, 286 f. (Fn. 457), 428

lex posterior derogat legi priori 218 lex specialis derogat legi generali 218

Manifestationszeitpunkt 430 Medikamentenverträglichkeit 439 (siehe auch Pharmakogenetik)

„Life-style“-Test 104, 119, 509 Louis-Barr-Syndrom 138 Löschungsanspruch, datenschutzrechtlicher 470, 515, 518 (siehe auch Recht auf informationelle Selbstbestimmung) Lüge, wahre 354, 368

Medizin (siehe auch Versorgung, medizinische) − klinische 94, 154 f., 158 − kurative 153, 155 − prädiktive 128, 155 f.

Lysenko, Trofim Denisowitsch 113

− präklinische (siehe Medizin, prädiktive)

„Mail-order“-Test 122

− präsymptomatische (siehe Medizin, prädiktive)

Makel, bleibender (siehe Schicksalhaftigkeit)

Mehlstauballergie 137 Meinungsfreiheit 463, 535

Mangel an zeitnaher Überprüf- und Widerlegbarkeit (siehe Widerlegbarkeit)

Mendel’sche Gesetze 97 f., 113, 286 (Fn. 457)

Manifestation 63 ff.

Menschenwürdebezug (siehe auch Objekt-Formel)

− als Einzelinformation 66 − dauerhafte (Fn. 214)

66,

368,

431,

− einmalige 67, 423

438

− genetische Untersuchung 352 − personenbezogene Prognose 412 ff.

− Krankheitsmanifestation 65

− personenbezogene Typisierung 366, 409 f., 412 f.

− medizinische 63

− Persönlichkeitsprofil 478 f.

− neu einsetzende 67

− Untersuchungsmethode 271, 478

Sach- und Personenregister Menschenwürdeverletzung

Wahrscheinlichkeit; statistische)

597 Information,

− durch genetische Untersuchungen 271, 477

Nationalsozialismus

− durch Genprofilerstellung 477 ff.

− Eugenik- und Rassegesetze 148

− durch Vorenthaltung von Wissen 488

− „Lebensborn“ 150

Merkmal (siehe Bezugskriterium, statistisches; Identifikationsmerkmal)

− Menschenversuche 469

− genetisches 101 ff., 109 ff.

Netzhautepithel 77, 87 f., 228, 506

− körperliches 104

„Neue Formel“ der gleichheitsrechtlichen Prüfung 182 f.

− verborgenes 72, 101, 126

„Nature-nurture“-Differenzierung 311

Merton, Robert K. 353, 368 (siehe auch Verselbständigung, meinungshafte)

Neugeborenenscreening 96, 135, 157, 273, 487

Missbrauchspotenzial

Nichtaufklärung

− Genproben 83, 503

− über Untersuchungsmöglichkeiten 508 f.

Mitteilung, unerwünschte 497 ff. (siehe auch Recht auf frei bestimmte Selbstwahrnehmung) Mohawks 104 Monitoring 96

Neumutation (siehe Mutation)

Nichteinwilligungsfähigkeit 505 Niederlande: „Hielprik“-Skandal (siehe dort) Normstruktur von Diskriminierungsverboten 222 ff.

MPU 523 Mukoviszidose 90, 100, 103, 129

Nuu-chat-nulth 91

− Untersuchung, 100

Objekt-Formel

präkonzeptionelle

− Überbewertung genetischer Befunde 120 − Versicherungsschutz 120, 146 Multifunktionalität der Gene 86 Multiplex-Test 94 Mutation − generative 82, 239 − induzierte 82

− „jemanden zum bloßen Objekt statistischer Betrachtungen machen“ 327, 366 f., 409 f., 412 ff., 430, 477 Objektivierbarkeit von Wahrscheinlichkeitsaussagen 283 f. (siehe auch Wahrscheinlichkeit; Information, statistische) Obliegenheit 371 f., 441 ff., 445 f., 498 (siehe auch Sozialdruck)

− Neumutation 82, 106, 204, 238 ff., 265, 312

− Beratungsobliegenheit 498 (Fn. 459)

− somatische 82, 88

− Gesundheitsobliegenheit (siehe dort)

− Spontanmutation 82, 120, 263

− Krankenkassenrecht 445

− sporadische 82

− Krankenversicherung, private 446

− Deliktsrecht 446

− Pränataldiagnostik 311 N-Acetyltransferase-Polymorphismus 93 Nachhaltigkeit von Wahrscheinlichkeitsaussagen 281 ff. (siehe auch

− Präventivmedizin 445 ff., 498 (siehe auch Vorsorgeuntersuchungen) − Unfallversicherung 446

598

Sach- und Personenregister

− Untersuchungsobliegenheit 498 (Fn. 459)

483,

Off-Label-Use von Medikamenten 439 „ohne Ansehen der Person“ 321

− von Typisierungen (siehe dort) − von Zulassungsregelungen, subjektive 421 f. Personeninformation (siehe Information)

Ökogenetik 145 OLG Celle: Mitverschulden bei Verteidigung des eigenen Hundes in Kenntnis der eigenen Veranlagung zu Psoriasis 447

Persönlichkeitsbewertung (siehe Persönlichkeitsbildung)

„Opt-in“-Lösung (siehe Einwilligung) „Opt-out“-Lösung (siehe Einwilligung)

− von außen beeinflusster Bereich 381

Optionsrecht

Persönlichkeitsentfaltung 327 ff., 422

− Recht auf Wissen 536

Persönlichkeitsprofil 59, 470 ff., 478 f.

Orchemenos (siehe Griechenland)

− Genprofil 84, 119, 139, (Fn. 372), 158, 439, 478 ff.

orphan, therapeutic (siehe Therapiewaise)

Persönlichkeitsbildung 380 ff. − innerer, reflexiver Bereich 381 f.

152

− Leistungsprofil 138

orphan drugs 161

− Risikoprofil 321

orphan disease 158, 160

Persönlichkeitsrecht

Österreich: Gentechnikgesetz 43, 46

− Recht auf Achtung der Individualität (siehe dort)

Partnerwahl, genetische 151

− Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung (siehe dort)

Patientenselbstbestimmung Recht auf …)

(siehe

Pauling, Linus: Tätowierung auf der Stirn für alle heterozygoten Träger des Sichelzellenanämie-Gens 190, 356

− Recht auf informationelle Selbstbestimmung (siehe dort) − und Typisierung 340, 412 − und Ungleichbehandlung 326, 340

Penetranz 109

Persönlichkeitswahrnehmung Persönlichkeitsbildung)

Personenbezug 53 f.

Pflegeheime 146

− in der gleichheitsrechtlichen Prüfung 419 f.

Pflichtberatung 509

− in der Prüfung von Art. 12 GG 421 f.

(siehe

Pflichtuntersuchung 508 (siehe auch Obliegenheit) Phänotyp 94

− individuelle Beeinflussbarkeit 293 (Fn. 480)

Phänotypuntersuchung (siehe Untersuchung)

− von Daten (siehe Daten, personenbezogene)

Pharmakogenetik 158, 439

− von Diskriminierungsmerkmalen 200, 274, 276 − von Informationen 53 ff., 400 ff. (siehe auch Individualbezug)

Phenylketonurie 273 (siehe auch Neugeborenenscreening) Pingelap 91 Populationsgenetik 36, 88 ff., 259

− von Prognosen (siehe dort)

− Anwendungsbereiche 88 ff., 164, 259

− von Regelungen 54, 400 ff.

− Ethnopille 440

Sach- und Personenregister

599

− Forschung 135, 466 (siehe auch Biobanken)

Probenverwertbarkeit (siehe Genprobe)

− Stigmatisierungspotenzial 161, 356, 427 f. 439 ff. 494, (siehe auch Rassendiskriminierung)

Prognose (siehe auch Information, prädiktive)

Präimplantationsdiagnostik 37, 148, 150, 404 (siehe auch Pränataldiagnostik) präklinisch (siehe Medizin, prädiktive) Praktikabilität (siehe Rechtspragmatismus) Praktikabilitätserwägung (siehe Rechtspragmatismus)

Profiling (siehe Persönlichkeitsprofil)

− Aussageungenauigkeit (siehe dort) − personenbezogene 159, 334 (Fn. 588), 364 ff. (siehe auch Recht auf freibestimmte Zukunft) prophecy, self-fulfilling (siehe Verselbständigung, meinungshafte) Prophezeiung, selbsterfüllende (siehe Verselbständigung, meinungshafte)

Pränataldiagnostik 37, 148 f.

Prophylaxe 123 (siehe auch Vorsorgeuntersuchung)

− Chromosomenveränderungen 93, 405

Prostatakrebs 126

− falsch-positive Untersuchungsergebnisse 405

Psoriasis (siehe OLG Celle)

− Handlungsautomatismen 502 − Teilnahmedruck, gesellschaftlicher 311 (siehe auch dort) − und Eugenik (siehe dort) − und das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 527

Rassendiskriminierung 205, 207 − mittelbare 113 f., 116 f., 289, 363, 427 − genetische begründete 89, 113 f., 117 − Pharmakogenetik (siehe dort)

Präponderanz 171

− Populationsgenetik (siehe dort)

Präventivmedizin (siehe Pränataldiagnostik; Vorsorgeuntersuchungen)

− stigmatisierende Theorienbildung 114 f., 120, 258, 356, 416

präsymptomatisch (siehe Medizin, prädiktive)

− und Sichelzellenanämie (siehe dort)

Praxisnorm 200, 326, 332 ff. Preußen − Edikt von Potsdam von 1685 341 − Politisches Testament Friedrich II. des Großen 415

− und Tay-Sachs-Krankheit dort)

(siehe

Rassendiskriminierungsverbot 204 f., 289, 460 − als Typisierungsverbot 319, 330, 335

Prima-facie-Beweis

− gesellschaftssteuernder 203 f., 416

− und genetische Veranlagungen 121 (Fn. 212), 147

− und der Gerechtigkeitsmaßstab der Aussagerichtigkeit 258 f., 268

Prima-facie-Recht 171, 187, 195, 208

Rasterfahndung

Primärinformationen 467 f., 470, 475

− genetische 86, 163

Privatsphäre

− polizeiliche 79, 457

− Relativität 385

Rationalisierung 386 (siehe auch Kategorisierung, grundrechtsdogmatische)

Privileg, therapeutisches 544 Probenstabilität (siehe Genprobe)

Charakter

600

Sach- und Personenregister

Recht auf Achtung der Individualität 397 ff., 451 − Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung 410 − Abgrenzung zum Recht Gleichbehandlung 410 f.

auf

Recht auf freie Berufswahl − und das Recht auf Achtung der Individualität 421 Recht auf Gleichbehandlung 410, 451 (siehe auch Vergleichsgruppenbildung)

− Gebot der manifestationsnächsten Typisierung (siehe dort)

− Angemessenheit des Eingriffs 194

− Gewährleistungsbereich 400 ff.

− Eingriffintensität 187 ff.

− Rechtfertigungsanforderungen 423 ff.

− Individualgerechtigkeit (siehe dort)

− Eingriff 177 ff.

Recht auf Einsichtnahme in Patientenakten 524

− Konsistenz der Umsetzung des Gerechtigkeitsmaßstabs 172 ff., 177 f., 186 f., 217 f., 222, 256

Recht auf Erhaltung der Grundbedingungen der Persönlichkeitsentfaltung (siehe Grundbedingungen)

− Rechtfertigung 180 ff.

Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 483 ff. − Abgrenzung zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung (siehe dort)

von

Eingriffen

− Rechtfertigungsanforderungen Personenbezug 419 ff.

bei

− Rechtspragmatismus (siehe dort) − Rechtssicherheit (siehe dort) − und Typisierungsverbot 328 ff.

− Abstammungsbestimmung (siehe dort)

− Willkürlichkeit beim Vergleichen (siehe Vergleichsgruppenbildung)

− Aktivierungsvorbehalt (siehe dort)

Recht auf informationelle Selbstbestimmung 410 ff.

− Argentinien: Identifizierung der Kinder von Verschleppungsopfern aus der argentinischen Militärdiktatur 492, 522 − China: Gesetz über mütterliche und kindliche Gesundheitsfürsorge 149 − Frankreich: 498

Certificat

prénuptial

− Gewährleistungsbereich 489 ff. − Kasuistik 496 ff. − Rechtfertigungsanforderungen 524 ff. − Vaterschaftstests (siehe dort) − Zypern: Gentest-Zertifikat der Heiligen Kirche Zyperns 151 Recht auf freibestimmte Zukunft 429 ff., 451 (siehe auch Recht auf Achtung der Individualität) − Gebot der manifestationsnächsten Typisierung (siehe dort)

− Abgrenzung zu Diskriminierungsverboten 461 f. − Abgrenzung zum Recht auf Achtung der Individualität 461 f. − Abgrenzung zum Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 462 f., 511 ff., 540 f. − Abgrenzung zum Recht auf freie Meinungsäußerung 463 − Abgrenzung zur Recht auf körperliche Unversehrtheit 463, 541 f. − Gewährleistungsbereich 455 ff., 464 ff. − Schutz vor Diskriminierungspotenzialen 454 − Zweckbindungsgebot 250 (Fn. 333), 469 f., 515 Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung 422, 521 ff.

Sach- und Personenregister

601

Recht auf körperliche Unversehrtheit 463, 515 f., 541 f.

− Neugeborenenscreening (siehe dort)

Recht auf Nichtwissen (siehe auch Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung)

− Sichelzellenanämie 117, 498

− erste Postulation 486 ff.

− Thalassämie 151, 165, 500 (siehe auch Zypern)

− Kasuisitik 497 ff. − und Gendiagnostik 486 ff. − und HIV-Problematik 485 f. Recht auf normative Gleichbehandlung (siehe Gleichbehandlung, Recht auf Gleichbehandlung) Recht auf Wissen (siehe auch Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung) − im Verhältnis zum datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch 513

− Phenylketonurie 273 − Tay-Sachs-Krankheit 151, 499

− Zystische Fibrose 500 Relativität − der Gerechtigkeitsmaßstäbe (siehe Kontextrelativität) − der Privatsphäre 385 Reliabilität 112 Religionsfreiheit 341, 356 f., 535 Resozialisierung 422 Resistenzen, genetische 86 f.

− Kasuistik 507 ff.

− gegen AIDS 48, 102

Recht zur Lüge 463

− gegen Malaria 46, 86

Rechte, genetische

− gegen Schadstoffe 102

− Edinburgh Charter of genetic rights 39

rights, genetic (siehe Rechte, genetische)

− genspezifische Rechtsgewährleistungen (siehe Exzeptionalismus)

Risiko, individuelles 155, 277 ff., 319 ff., 330 f., 548

Rechtserkenntnisquelle (siehe Recht auf Gleichbehandlung)

Risikoberechnung (siehe auch Gendiagnostik; Typisierung)

Rechtsfolge, zweckspezifische (siehe Vielschichtigkeit der Auslegung)

− bei Versicherungen 120, 143, 301, 435 ff.

Rechtspragmatismus 179, 181, 193 200, 388, 450 (siehe auch Typisierung; Recht auf Gleichbehandlung)

Risikoentsolidarisierung (siehe Risikoindividualisierung)

Rechtssicherheit 179, 181, 193, 200, 387 f., 391, 450, 530 (siehe auch Recht auf Gleichbehandlung; Typisierung) Reduktionismus, biologischer 284 (Fn. 447), 360, (Fn. 683) (siehe auch Exzeptionalismus; Kontraproduktivität, rechtspolitische) Reihenuntersuchung, genetische 95 ff., 499, 530 − Alpha-1-Antitrypsin 487 − Hämochromatose 500 − Heterozygotenscreening (siehe dort)

Risikofaktor, 279, 281 ff. (siehe auch Eigenschaftsindikator) − und Eigenschaftsindikator (Fn. 149)

69

− und Kausalfaktor 280 − und Risikoindikator 68 (Fn. 148) Risikogruppe 72, 344, 427, 442, 519 (siehe auch Obliegenheiten; Typisierung) Risikoindikator (siehe Risikofaktor) Risikoindividualisierung 142, 284 ff., 330 f. Risikoperson 279, 330 Risikowahrnehmung 275, 385 f.

602

Sach- und Personenregister

Rohwedder, Detlef Karsten 84 Röntgenuntersuchung 77, 94, 239, 431 Routineuntersuchung 96, 502 f., 530 Rubinstein-Klon 487 Sachbezug von Aussagen (siehe Personenbezug) Sachinformation (siehe Information) Samenbank für Nobelpreisträger 150 Schematisierung − Abgrenzung zur Typisierung 174 (Fn. 44) „Schere zwischen Diagnose und Therapie“ 123 ff., 156 Schicksalhaftigkeit 37, 124, 279 ff., 312, 496, 518 Schizophrenie 104, 140 Schlaganfall 273 Schockfälle 542 Schutz des ungeborenen Lebens 404 f., 446, 502 Schutz von Ehe und Familie 542 f. Schutzauftrag, verfassungsrechtlicher 256, 294 ff. Schutzbedürftigkeit, verfassungsrechtliche 392 − Recht auf Achtung der Individualität 408 ff. − Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 511 ff. − Recht auf informationelle Selbstbestimmung 470 Schutzbereich (siehe Gewährleistungsbereich) Schutzintensität 450, 456, 460, 464 Schutzrichtung − des Rechts auf Achtung der Individualität 399 f. − des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 488 f. − des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung 453 ff.

Schutzwürdigkeit, verfassungsrechtliche 393 f. (siehe auch Exzeptionalismus; Menschenwürdebezug) − des Rechts auf Achtung der Individualität 412 ff. − des Rechts auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 517 f. − des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung 470 ff., 476 ff. Schutzzonen, einfachgesetzlich hervorgehobene 473 − beim Recht auf Achtung der Individualität 418 − beim Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 520 f. − beim Recht auf informationelle Selbstbestimmung 473 Schwangerschaftsabbruch (siehe Pflichtberatung) Schweden: „Krankmachende Aufklärung“ beim Neugeborenenscreening auf Alpha-1-Antitrypsin-Mangel 487 Schweiz: Bundesgesetz über genetische Untersuchungen beim Menschen (GUMG) 43 f. − genetische Diskriminierungsverbot 46, 128, 131, 134 f., 163, 224 ff. Schwellengewicht 171 Screening (siehe Reihenuntersuchung) Seargent, Terri 403, 438 (siehe auch Diskriminierung, genetische) Sekundärinformation 468, 475 (siehe auch Information) Sekundärmarkt für Lebensversicherung 147 (siehe auch Lebensversicherung) Selbstbestimmung (siehe auch Recht auf …) − bioethische 538 f. − genetische 539 Selbstbestimmungsrecht (siehe Recht auf …) Selbstdarstellung 455 Selbstwahrnehmung 380, 381 ff. (siehe auch Persönlichkeitsbildung; Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung)

Sach- und Personenregister

603

Selbstwert 380, 381 ff. (siehe auch Persönlichkeitsbildung)

− Eigenschaftsindikator 51, 70, 74, 204 f.

− und Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 491, 517, 519, 528, 530 f. 534

− Identität (siehe dort)

Semiotik 225 (Fn. 227)

− Krankheitsursache 126

Sensibilität von Daten

− Kreditscoring (siehe dort)

− genetischer Daten 535

− Messbarkeit 284 f.

− Selbstwahrnehmung 385

− MPU (siehe MPU)

− und Untersuchungsmethode 272

− Rasterfahndung, polizeiliche (siehe dort)

Sichelzellenanämie

− individuelle 281 f. 403

Beeinflussbarkeit

− Heterozygotenscreening 96, 139, 498

− Täterprognosen (siehe dort)

− Malariaresistenz 48 (Fn. 80), 86

− Umfeldfaktor 53, 70, 74, 78 f.

− Pflichtuntersuchung 498

− UNESCO: Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und die Menschenrechte (siehe dort)

− Populationsgenetik 90, 289 − Rassendiskriminierung, 117, 289, 363, 427

mittelbare

Sozialverhalten

− Tätowierung auf der Stirn 190, 356

− als Unterscheidungskriterium 345

− Untersuchung, proteinchemische 93

− Definition, unklare 127

Sicherungsverwahrung 423, 433 f.

− Manifestation, dauerhafte 67

Siebtest (siehe Reihenuntersuchung)

− Recht auf Achtung der Individualität 437 ff.

Sozialdruck − zur Nichtvornahme von Untersuchungen 508, 531 − zur Vornahme von Untersuchungen (siehe Teilnahmedruck) Sozialisation (siehe Sozialumfeld)

− Recht auf informationelle Selbstbestimmung 467 − Surrogatmerkmal 439, 467 − Überprüfbarkeit 127, 437, 439 (siehe auch Stigmatisierung)

Sozialrecht

− Veranlagung, genetische 39, 103, 467

− Alters- und Pflegeheime 146

− Veranlagung, geschlechtliche 467

− Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit 302

Spezifikation

− Identitätsfeststellung 134 − Kindestagesstätten 146 − Krankenversicherung (siehe dort) − Leistungsberechtigung 302 Sozialkompetenz (siehe Sozialverhalten) Sozialumfeld − Bezugskriterium, statistisches 53, 70, 74

− des Diskriminierungskriteriums 224 − informationsbezogene 233 ff. − methodenbezogene 228 ff. − situationsbezogene 243 ff. Sphärenschutz (siehe Integritätsschutz) Spontanmutation (siehe Mutation) Ständegesellschaft 204, 415 Statistik 55 (siehe auch Aussage, statistisch)

604

Sach- und Personenregister

Stellvertretermerkmal (siehe Surrogatmerkmal) Stigmatisierung

Survivor-Syndrom 528 Suszeptibilitätsgen keitsgen)

− Anlageträgerstatus 112, 117, 120, 151, 165 (siehe auch Heterozygotenscreening)

Symptom

− familiäre 103, 432 f. (siehe auch Huntington-Krankheit)

− Begriff 63, 338

(siehe

Anfällig-

− als Eigenschaftsindikator 66, 77, 110, 154, 235, 246, 295, 366 System, inertes 365

− genetische 120, 127, 165 − gesellschaftliche 126, 165

Systemgerechtigkeit 172 ff., 214

− HIV-Infektion (siehe dort)

Systemkompatibilität

− Manifestationswahrscheinlichkeit (siehe dort)

− von Gerechtigkeitsmaßstäben 298 ff., 316, 445 f.

− Populationsgenetik (siehe dort)

Systemkonformität (siehe Systemkompatibilität)

− Tätowierung auf der Stirn 190, 356 − Untersuchungsergebnisse 126, 165 Störung, genetische (siehe Merkmal, genetisches) Störungsfreiheit schutz)

(siehe

Integritäts-

Täterprognose 433 f. Tay-Sachs-Krankheit − Diskriminierungsverbot 289 − Heterozygotenscreening 151, 499

Strafrecht

− Populationsgenetik 90

− Fallgruppenbildung 387

− Rassendiskriminierung, 363, 427

− Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit 304

mittelbare

− Stigmatisierung 151

− Typisierungen 332

− Untersuchung, phänotypische 88

− Vorsatz- und Schuldprinzip 304, 413 (Fn. 128)

Teilnahmedruck (siehe auch Sozialdruck)

− Resozialisierung 422

− gesellschaftlicher 151, 311, 497 ff. (siehe insb. auch Pränataldiagnostik)

Strafverfolgung 164 − Fingerabdruck, genetischer (siehe dort) − Sicherungsverwahrung (siehe dort) − Täterprognosen 433 f. Stresstoleranz 104, 163 Subjektivität der Risikowahrnehmung 275, 385 Succinyldicholinempfindlichkeit 90 Suchtest (siehe Reihenuntersuchung) Surrogatmerkmal 71 (Fn. 153), 246 406 f. (siehe auch Bezugskriterium, statistisches; Eigenschaftsindikator; Merkmal)

− rechtlicher (siehe Obliegenheiten) Test − genetischer (siehe Testverfahren) − heimlicher (siehe Datenerhebung, heimliche) − indikationsloser 116 (siehe auch Fehler) − sinnloser 111 − verdachtsunabhängiger (siehe Reihenuntersuchung) Testergebnis (siehe Untersuchungsergebnis)

Sach- und Personenregister

605

Testinteressent 122, 249, 263, 475, 525

− manifestationsnächste (siehe Gebot der ...)

Testverbot 508 ff.

− personenbezogene 180, 318 f., 326, 329, 334, 339 ff., 369 ff., 400 f. (siehe auch Prognosen, personenbezogene; Recht auf Achtung der Individualität)

Testverfahren − Ablauf 106 ff. − Familienanamnesen 109 − Fehlerquellen 110 ff. (siehe auch Fehler)

− Rechtfertigungsanforderungen 418

Thalassämie

− Rechtssicherheit (siehe dort)

− Heterozygotenscreening 151, 165, 530 (siehe auch Griechenland, Zypern)

− sachbezogene 162, 340 f., 371f., 401 f., 411 f.

− Rechtspragmatismus (siehe dort)

− Krankheitsbeschreibung 90

− sozialisationsbezogene (siehe Sozialumfeld; Umfeldfaktor)

− Populationsgenetik 143

Typisierungsverbot 325 f.

− Teilnahmedruck 500 (siehe auch dort)

Typisierungswert 58, 189, 192, 323

− Untersuchungsobliegenheiten 483, 543

Überbewertung (siehe auch Fehler)

Therapie

− von Diagnosen 121

Therapierbarkeit 81, 159 f., 525 ff.

− von Eigenschaftsindikatoren 277 ff.

− finanzielle Ressourcen 151, 160 − genetischer Krankheiten 122 ff.

− von genetischen Untersuchungsergebnissen 111 f., 119 ff., 154, 256 f., 263, 287 (Fn. 462)

Therapiewaise 158, 160 f.

Überdiagnose 119, 531

Thomas-Theorem (siehe Verselbständigung, meinungshafte)

Übergewicht 77

Transplantationsmedizin (siehe Transplantationsrecht)

Überprüfbarkeit (siehe Widerlegbarkeit)

Transplantationsrecht

Überschussinformation (siehe auch Information)

− Erfolgsaussichten 434

− Begriff 85 f.

− Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit 303

− Recht auf informationelle Selbstbestimmung 470

− HLA-Typisierung 435, 506 f.

− Verbot genetischer Diskriminierung 233

− Knappheit an Therapiemitteln 153, 159, 430 − Nabelschnurblut-Biobank 467 − Prognosen, personenbezogen 434 f. Tristan da Cunha 91 Typisierung (siehe auch Recht auf Achtung der Individualität; Recht auf Gleichbehandlung) − Individualgerechtigkeit (siehe dort)

Übertherapie 125 Ultraschalluntersuchung 77, 94 Umfeld, soziales (siehe Sozialumfeld) Umfeldfaktor 75, 78 ff., 433 − Anfälligkeiten 75 − Arbeitsrecht 139 − Begriff 53, 75, 78 ff.

606

Sach- und Personenregister

− gesellschaftliche Wahrnehmung 277 ff., 405 f., (siehe auch Exzeptionalismus)

− genetische 228 ff.

− Krankheitsursache 126

− medizinisch-psychologische (siehe MPU)

− Obliegenheiten 442

− heimliche (siehe Datenerhebung, heimliche)

− Recht auf Achtung der Individualität 442

− molekulargenetische 92

− Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 490

− populationsgenetische (siehe Populationsgenetik)

− Verbot genetischer Diskriminierung 362

− pränatale (siehe Pränataldiagnostik)

− phänotypische 94

− Wahrnehmbarkeit 460

− präsymptomatische (siehe Medizin, prädiktive)

− Zusammenwirken von exo- und endogenen Faktoren 75, 141, 345, 496

− probabilistische 130

unaffected carrier status 99 (siehe auch heterozygot) Uneigenständigkeitsthese 195 ff., 199 ff. (siehe auch Diskriminierungsverbot; Gerechtigkeitsmaßstab)

− proteinchemische 93 − zytogenetische 92 Untersuchungsart 224, 229 ff.

− gruppenbezogen 319

Untersuchungsergebnis 81, 101 ff., 228 ff., 525 − falsch-positives 275 (Fn. 423), 405, 516, 532 (Fn. 605) (siehe auch Kranker, gesunder) − günstiges/ungünstiges 102 − Interpretation 108 − negatives 102 − ohne therapeutischen Nutzen 124 (siehe auch Kranker, gesunder) − positives 102, 106 f., 119, 122, 129 (siehe auch Vorhersagewert, positiver) − psychosomatisch belastendes 485, 503, 516

− Individualgerechtigkeit (siehe dort)

Untersuchungsgegenstand 233 ff.

− personenbezogen 419

− unklarer 116

UNESCO: Allgemeine Erklärung über das menschliche Genom und die Menschenrechte 204 f., 265 Unfallopferidentifizierung 135 (siehe auch Identitätsfeststellung) Ungleichbehandlung (siehe auch Diskriminierungshandlung; Gerechtigkeitsmaßstab; Recht auf Gleichbehandlung) − durch ein genetisches Diskriminierungsverbot 47 ff.

− persönlichkeitsrechtlicher 326, 340 f.

Bezug

− willkürlich gewählter 116 Untersuchungsmaterial 80, 81 ff.

− Recht auf Achtung der Individualität (siehe dort)

Untersuchungsmethode 80, 91 ff. (siehe auch Untersuchungsart)

Ungleichbehandlungsverbot 251 f.

Untersuchungsmotivation 224, 231 ff.

Unheilbarkeit (siehe Therapierbarkeit) Untersuchung

Untersuchungsobliegenheit (siehe Obliegenheit)

− angebotsinduzierte 500, 537

Untersuchungsumstand 81, 127 ff.

− deterministische 124, 130, 429 (siehe auch Determinismus, genetischer)

Untersuchungsverbot (siehe Testverbot)

− Einwilligung 458 ff., 469 f., 497 ff.

USA (siehe Vereinigte Staaten von Amerika)

Sach- und Personenregister

607

Vaterschaftstest 40, 82, 105 f., 133, 492, 504, 544 (siehe auch Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung)

− „Declaration of Independence“ von 1776 und die Abschaffung der Sklaverei 204

− heimlicher 529

− Dupont de Nemour: Heterozygotenscreening bei Mitarbeitern der Chemiefirma 117

− als Zufallsbefund 507 Verallgemeinerungsfähigkeit Gerechtigkeitsmaßstab)

(siehe

Veränderungsresistenz (siehe Gerechtigkeitsmaßstab) Veranlagung (siehe auch Anlage, Eigenschaftsindikator) − erbliche 76

− Gefängnisse: Forschung nach der Veranlagung zur Kriminalität (XYY-Chromosomensatz) 162 − Orphan Disease Act 161 (Fn. 429) − Samenbank (siehe dort)

für

Nobelpreisträger

− Schulen: Durchführung von Heterozygotenscreenings 139, 151

− erworbene 76 − genetische 53, 68 ff., 73, 101 ff. (siehe auch Erbinformation) Verantwortlichkeit (siehe auch Obliegenheiten) − haftungsrechtliche 139, 146, 372, 441 f., 445 (siehe auch Haftungsrecht) − individuelle 305, 331 (siehe auch Risikoindividualisierung) − Kausalität 345 ff.

− Seargent, Terri: Entlassung wegen einer genetischen Erkrankung (siehe dort) − US Air Force Academy: Heterozygotenscreening bei der Einstellung 117 − US Armed Forces: Gewebeproben zur Identifizierung 135, 467 Vererblichkeit (siehe Drittbetroffenheit)

auch

Vererbungswahrscheinlichkeit 88, 97 ff., 107 (siehe auch Manifestationswahrscheinlichkeit; Mendel’sche Gesetze)

Verantwortung, genetische 331, 382 (Fn. 7)

− Beamtenrecht: Fall der hessischen Beamtenanwärterin 433 (Fn. 196)

Verborgenheit (siehe auch Merkmal)

− Fehleinschätzungen 120 (siehe auch Determinismus; Fehler)

− strafrechtliche Strafrecht)

347

(siehe

− genetischer Daten 126 f. − statistischer Bezugskriterien 72, 101 Verbot der Vorfelddiskriminierung (siehe Vorfelddiskriminierung) Verbot genetischer Diskriminierung − Begriff und Struktur 222 ff. − Kontraproduktivität, sche 359, 420, 549 − Regelungen und schläge 40 ff.

rechtspolitiRegelungsvor-

− Verfassungsmäßigkeit: Gleichheitsrechtliche Vereinbarkeit 168 ff. Vereinigte Staaten von Amerika − BNSF-Eisenbahngesellschaft (siehe dort)

− Partnerwahl und Kinderwunsch: „Vererbungsrisiko“ 100 f., 190, 311, 382, 499 f. − und Manifestationswahrscheinlichkeit 286 f. (Fn. 457), 428 Vergleichsgruppenbildung 170 186 ff. (siehe auch Recht auf Gleichbehandlung; Typisierung) − Eingriffsmodell 170, 173, 177, 183 ff., 211 − herkömmliche Methode 183, 185 − in der gleichheitsrechtlichen Prüfung eines Verbots genetischer Diskriminierung 47 − Vorwurf der Willkürlichkeit 173, 179, 184 f.

608

Sach- und Personenregister

Verhalten, genkonformes 142, 372, 441 f., 447 (siehe auch Gendiagnostik; Obliegenheit; Pränataldiagnostik; Sozialdruck) Verhaltensfreiheit (siehe Entfaltungsfreiheit) Verhältnismäßigkeitsprüfung auch Recht auf ...)

(siehe

− Eingriffsmodell 337 ff. − Gebot der manifestationsnächsten Typisierung (siehe dort)

Vielschichtigkeit der Auslegung − Ermittlung von Gerechtigkeitsmaßstäben 221 Vorbeugung (siehe Prophylaxe) Vorenthaltung (siehe auch Verweigerung) − eines vergleichbaren Diskriminierungsschutzes 47 ff. (siehe auch Ungleichbehandlung)

Verselbstständigung, meinungshafte

− personenbezogener Informationen 492 ff., 510 (siehe auch Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung)

− Begriff 367 f., 353 f.

Vorfelddiskriminierung 222, 254

− Verbot genetischer Diskriminierung (siehe dort)

Vorhersagewert

Versicherungsrecht

− positiver 106 f., 129 f., 322 f.

− Antiselektion 508

Vorhersagezeitraum

− Gerechtigkeitsmaßstab der individuellen Beeinflussbarkeit 301 f., 304 f.

− als Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 224, 248

− negativer 129

− Informationssymmetrie 508

Vorsatz-Schuld-P rinzip (siehe Strafrecht)

− Krankenversicherung (siehe dort)

Vorsorgeuntersuchung

− Lebensversicherung (siehe dort)

− Arbeitsrecht 431 − Familienanamnese 338 (siehe auch dort) − Heterozygotenscreening (siehe dort) − Nachteile aufgrund von Offenbarungspflichten 342 f. − prädiktive Untersuchungen 245 − Schwangerschaftsvorsorge 501 (Fn. 472) − Teilnahmedruck, gesellschaftlicher (siehe dort) − Teilnahmeobliegenheiten 445 ff., 498 (siehe auch Obliegenheit) Vorurteilsbildung (siehe auch Stigmatisierung)

− Recht auf Achtung als Individualität 435 f.

− Risikoberechnung (siehe dort) − schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalls 304 f. Versorgung, medizinische 152 ff. Verwaltungspraktikabilität Rechtspragmatismus)

(siehe

Verweigerung (siehe auch Vorenthaltung) − der Mitteilung von Testergebnissen 510 f. − der Testdurchführung 509 f. Verwendungsweise − als Spezifikation des Diskriminierungskriteriums 224 f., 244 ff. − diagnostische 246 f., 407 − differenzialdiagnostische 247 f., 408 − prädiktive 244 ff., 406 Verwertungsverbot 251, 253

− durch wissenschaftliche Theorien 115 Wahrnehmbarkeit (siehe auch Verborgenheit) − Diskriminierungskriterien 72, 205, 230, 246, 356, 357 (Fn. 678)

Sach- und Personenregister − Manifestationen 93 − statistischer Bezugskriterien 356 (siehe Merkmal, verborgenes; Verborgenheit) − und das Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 72, 491, 493 f., 529, 546 − und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung 460, 480, 546 Wahrnehmungsebene 380 ff. Wahrscheinlichkeit

609

Wertzuweisung (siehe Persönlichkeitsbildung) Wesentlichkeitstheorie 180 Widerlegbarkeit − diagnostischer Aussagen 366 ff., 439 − prädiktiver Aussagen 366 ff., 413, 430 Widerspruchslösung 504 (siehe auch Einwilligung)

− bedingte 98

Willkürformel 48, 182 f. (siehe auch Leibholz)

− Expressivität (siehe dort)

Willkürverbot 267, 269, 303, 483

− individualisierte 277 f.

Wirkung, indizielle (siehe Schutzzonen, einfachgesetzlich hervorgehobene)

− internalisierte 278 ff. − Nachhaltigkeit 281 ff. − Objektivierbarkeit 283 f.

Wissensfreiheit 534 f.

− Penetranz (siehe dort)

− in Abgrenzung zur Handlungsfreiheit 534 f.

− Vererbungswahrscheinlichkeit (siehe dort)

„worry culture“ 279 (Fn. 433)

Wahrscheinlichkeitsaussage (siehe Information, statistische; Wahrscheinlichkeit))

Würdigkeit, individuelle (siehe Gerechtigkeitsmaßstab)

„Walk-in“-Test 122

Ziel (siehe auch Zweck, extern)

Wertentscheidung

− Abgrenzung zum Begriff des Rechts 192 (Fn. 105), 207 ff.

− primäre 170 (Fn. 7), 184 (Fn. 73), 200 ff., 256, 332 f., 425 f. − sekundäre 200, 333, 425 f.

Zufallsinformation (siehe auch Information)

− Recht auf Achtung der Individualität 414 f.

− Begriff 87 − Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 494, 506 − Verbot genetischer Diskriminierung 224, 232 Zulassungsbeschränkungen, subjektive 421 (siehe auch Arbeitsrecht; Beamtenrecht)

− Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 519 f.

Zusatzinformation (siehe auch Information)

− Recht auf Gleichbehandlung 188 ff.

− Begriff 87 − Recht auf freibestimmte Selbstwahrnehmung 494 f., 506 − Recht auf informationelle Selbstbestimmung 467 f., 471, 475, 480

Wertigkeit von Rechtspositionen (siehe auch Menschenwürdebezug) − als Kriterium der verfassungsrechtlichen Schutzwürdigkeit, 389, 392 ff.

− Recht auf informationelle Selbstbestimmung 460 Wertschätzung (siehe Persönlichkeitsbildung)

610

Sach- und Personenregister

− Verbot genetischer Diskriminierung 224, 233

Zweckermittlung 257 (siehe auch Gerechtigkeitsmaßstab)

Zwang, faktischer (siehe Obliegenheiten; Sozialdruck)

Zwecksetzung 267 ff. (siehe auch Gerechtigkeitsmaßstab)

Zweck

Zweckumsetzung 269 f. (siehe auch Gerechtigkeitsmaßstab)

− Begriff 192 (Fn. 105), 207 ff. − externer 179 f., 181, 193 f., 206 ff. − interner 179 f., 181, 206 ff. (siehe auch Gerechtigkeitsmaßstab; Individualgerechtigkeit) − kollektiver 170 (siehe Zweck, extern) Zweckbindungsgebot (siehe Recht auf informationelle Selbstbestimmung) Zweckerläuterung 258 ff. (siehe auch Gerechtigkeitsmaßstab)

Zweitauswertung (siehe Zusatzinformation) Zypern: Gentestverlangen der Heiligen Kirche Zypern gegenüber Heiratswillige 151 (siehe auch Thalassämie) Zystische Fibrose 130, 500 Zytogenetik 92 f. (siehe auch Gendiagnostik; Untersuchung, zytogenetische; Untersuchungsart)