Das Völkerstrafgesetzbuch und das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht: Zur Frage der Zulässigkeit von strafgesetzlichen Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes [1 ed.] 9783428530694, 9783428130696

Die Aktualität des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 II GG (nulla poena sine lege) ergibt

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Das Völkerstrafgesetzbuch und das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht: Zur Frage der Zulässigkeit von strafgesetzlichen Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes [1 ed.]
 9783428530694, 9783428130696

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Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Band 4

Das Völkerstrafgesetzbuch und das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

Von

Milan Kuhli

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MILAN KUHLI

Das Völkerstrafgesetzbuch und das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Herausgegeben von RiLG Prof. Dr. Kai Ambos

Band 4

Das Völkerstrafgesetzbuch und das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht Zur Frage der Zulässigkeit von strafgesetzlichen Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes

Von

Milan Kuhli

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Sommersemester 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-13069-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern Horst und Karin Kuhli in Liebe und Dankbarkeit

Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 2008 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie ergänzt und auf den Stand vom Januar 2009 gebracht. An dieser Stelle danke ich meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Klaus Günther für die engagierte Betreuung meiner Arbeit. Herrn Professor Dr. Stefan Kadelbach danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie für seine Anregungen in der Phase der Ergänzung und Aktualisierung meiner Arbeit. Mein Dank gebührt überdies Herrn Professor Dr. Cornelius Prittwitz für die freundliche Bereitschaft, den Vorsitz in meiner Disputation zu übernehmen. Überdies danke ich Herrn Professor Dr. Kai Ambos für die Aufnahme meiner Arbeit in seine Schriftenreihe. Die Dissertation wurde durch die Friedrich-Naumann-Stiftung gefördert, der ich gleichermaßen für ihre materielle wie für ihre ideelle Unterstützung danke. Zu danken habe ich überdies dem Exzellenz-Cluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main für die großzügige Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Dank schulde ich auch und vor allem meinen lieben Eltern Pfarrer Horst Kuhli und Oberstudienrätin Karin Kuhli geb. Bechtum, deren umfassender Unterstützung ich stets gewiss sein konnte und denen ich diese Arbeit widme. Während der Drucklegung wurde die Arbeit mit dem von der Anwaltssozietät Clifford Chance gestifteten Werner-Pünder-Preis 2009 der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt e. V. ausgezeichnet. Für diese Ehrung danke ich dem Förderverein, der Sozietät Clifford Chance und der Auswahlkommission sehr herzlich. Frankfurt a. M., im April 2009

Milan Kuhli

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

I.

Zur Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

II.

Zum Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

III. Zum Untersuchungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

B. Das Völkerstrafgesetzbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

I.

Gesetzgeberische Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

2. Erstes Ziel: Erfassung des spezifischen Unrechts der Verbrechen gegen das Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

3. Zweites Ziel: Anpassung des deutschen Strafrechts an das Römische Statut

37

4. Drittes Ziel: Verbesserung der Rechtsklarheit und Steigerung der Handhabbarkeit in der Praxis durch Normierungen in einem einheitlichen Regelungswerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5. Viertes Ziel: Förderung und Verbreitung des humanitären Völkerrechts . . . . II.

41

Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

1. Teil 1: Allgemeine Regelungen (§§ 1 bis 5 VStGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

2. Teil 2: Straftaten gegen das Völkerrecht (§§ 6 bis 14 VStGB) . . . . . . . . . . . .

52

a) Abschnitt 1: Völkermord (§ 6 VStGB) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

aa) Völkermord (§ 6 VStGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

bb) Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) . . . . . . . . . . . . . .

58

b) Abschnitt 2: Kriegsverbrechen (§§ 8 bis 12 VStGB) . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

c) Abschnitt 3: Sonstige Straftaten (Verletzung der Aufsichtspflicht [§ 13 VStGB] und Unterlassen der Meldung einer Straftat [§ 14 VStGB]) . . . .

68

C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

I.

Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht im deutschen Recht . .

71

1. Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

2. ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

a) Das Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

Inhaltsverzeichnis

10

aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

bb) Das Demokratieprinzip als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

b) Die Theorie der Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

aa) Zur Theorie der Generalprävention auf der Ebene der konkreten Strafanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 bb) Zur Theorie der Generalprävention auf der Ebene der Strafdrohung . .

82

cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

c) Rechtsstaatliche Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

aa) Das Prinzip der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

bb) Der Grundsatz der Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

(1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

(2) Das Gewaltenteilungsprinzip als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

cc) Das Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

(1) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

(2) Das Schuldprinzip als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

d) Zusammenfassung zur ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

3. Inhalt und Reichweite des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

a) Zum Begriff des Gewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

b) Fallgruppen, die nicht unter das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG fallen sollen . . . . . . . . . . . . . . .

99

aa) Gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen . . . . . 100 bb) desuetudo (Nichtanwendung bestehender Strafgesetze auf Grund gemeinsamer Rechtsüberzeugung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 cc) Gewohnheitsrechtliche Tatbestandseinengung durch milde Auslegung 102 dd) Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (1) Im Besonderen: Gewohnheitsrechtliche Einschränkung von Rechtfertigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 (2) Im Allgemeinen: Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 ee) Heranziehung gewohnheitsrechtlicher Sätze anderer Rechtsgebiete . . 108 ff) Zusammenfassung und Systematisierung der Fallgruppen . . . . . . . . . 108 II.

Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht im Völkerrecht? . . . . 109

Inhaltsverzeichnis

11

D. Verstoß der auf Völkergewohnheitsrecht verweisenden VStGB-Tatbestände gegen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. II.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . 114 1. § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB (Vertreibung oder zwangsweise Überführung) . . . . . 114 a) „Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Opfers“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) „Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“ . . . . . . . . . . . . . 120 2. § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB (Folter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB (Freiheitsentziehung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB (Verfolgung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5. § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB (Vertreibung oder zwangsweise Überführung) . . . . . 137 6. § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB (Bestrafung ohne ordentliches Verfahren) . . . . . . . . 139 7. § 9 Abs. 1 VStGB (Plünderung oder Zerstörung von Sachen) . . . . . . . . . . . . 141 8. § 9 Abs. 2 VStGB (Aufhebung und Aussetzung von Rechten und Forderungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 9. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB (Angriffe gegen Hilfsmissionen und friedenserhaltende Missionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 10. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe gegen durch das Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnete Personen und Objekte) . . . . . . . . . 146 11. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe auf zivile Objekte) . . . . . . . . . . . . . . 147 12. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB (Aushungern der Zivilbevölkerung) . . . 148 13. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

III. Eingriff in den Schutzbereich des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Zur Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Zur völkerrechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts . . . . . . . . . . 156 aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 (1) Zur völkerrechtskonformen Auslegung des einfachen deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Zur völkerrechtskonformen Auslegung des deutschen Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Allgemeine Grenzen der völkerrechtskonformen Auslegung deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

12

Inhaltsverzeichnis d) Exkurs: Die Diskussion um die Völkerrechtsfreundlichkeit des Rückwirkungsverbots nach Art. 103 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit den Mauerschützenprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Allgemeines zu den Mauerschützenfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 bb) Die Mauerschützenrechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) Die Mauerschützenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 dd) Die Literatur zur Frage einer völkerrechtskonformen Auslegung des Rückwirkungsverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Nolte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (2) Werle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (3) Krajewski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 e) Zur Frage einer völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG im vorliegenden Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Völkerrechtskonforme Auslegung wegen völkerrechtlicher Bestrafungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 bb) Völkerrechtskonforme Auslegung wegen völkergewohnheitsrechtlicher self-executing-Strafbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (1) Grenze einer völkerrechtskonformen Auslegung: Möglicher Wortsinn des Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (2) Grenze einer völkerrechtskonformen Auslegung: Erkennbarer Zweck des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 (3) Grenze einer völkerrechtskonformen Auslegung: Verbot der Minderung des nationalen Grundrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 f) Zusammenfassung zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 3. Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Zulässigkeitskriterien für formellgesetzliche dynamische Verweisungen auf Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Anwendung auf die Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs . . . . . . . . . . 190 aa) § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB (Vertreibung oder zwangsweise Überführung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 bb) § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB (Folter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 cc) § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB (Freiheitsentziehung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 dd) § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB (Verfolgung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 ee) § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB (Vertreibung oder zwangsweise Überführung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Inhaltsverzeichnis

13

ff) § 9 Abs. 1 VStGB (Plünderung oder Zerstörung von Sachen) . . . . . . . 196 gg) § 9 Abs. 2 VStGB (Aufhebung und Aussetzung von Rechten und Forderungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 hh) § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe gegen durch das Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnete Personen und Objekte) . . . . 197 ii) § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe auf zivile Objekte) . . . . . . . . 198 jj) § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB (Aushungern der Zivilbevölkerung) 198 kk) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Exkurs: Übertragung der vorliegenden Kriterien auf sonstige Fälle der mittelbaren Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Zur Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Zur Heranziehung gewohnheitsrechtlicher Sätze anderer Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 cc) Zu den Fällen der mittelbar nachteiligen Auswirkungen der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen auf die Strafbarkeit Dritter (am Beispiel von § 32 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 IV.

Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . 205 1. Allgemeines zum Rechtsinstitut der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Abwägbarkeit des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Exkurs: Die Diskussion um die Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit den Mauerschützenprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . 211 aa) Der Mauerschützenbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 95, 96 ff.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 bb) Die im Zusammenhang mit den Mauerschützenprozessen geführte Diskussion um eine Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . 213 b) Eigene Stellungnahme zur Einschränkbarkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . 215 aa) Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 bb) Das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip als strenge Grenze zwischen der Staatsgewalt und der Freiheit des Bürgers . . . . . . . . . . . . . 217 cc) Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 7 Abs. 2 EMRK . . 219 (1) Zu den Einzelprinzipien des Art. 7 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (a) Schutzgehalt des Art. 7 Abs. 1 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (b) Art. 7 Abs. 2 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 (2) Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 7 Abs. 2 EMRK als Argument gegen eine Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Inhaltsverzeichnis

14

3. Kollidierendes Verfassungsrecht im Falle von Gesetzen, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen im Zusammenwirken mit Art. 25 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 c) Staatliche Schutzpflichten (am Beispiel der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Herleitung der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben . . . . . . . 232 bb) Zur Frage einer Kollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 V.

Zusammenfassung zur Frage der Vereinbarkeit der untersuchten Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

E. Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG? . . . . . . . . . . . . . . . 239 F. Zusammenfassung und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 I.

Zur Auslegung des Völkerstrafgesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

II.

Zur ratio des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

III. Zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 IV. Zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei formellgesetzlicher dynamischer Verweisung auf Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 V.

Zur Frage der Abwägbarkeit des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht mit kollidierendem Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

VI. Zur Frage, ob Verfassungsrecht existiert, das formellgesetzliche dynamische Verweisungen auf Gewohnheitsrecht gebietet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 VII. Zur Frage einer Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 VIII. Zur Frage der Vereinbarkeit der untersuchten Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis a. A. Abg. Abs. a. F. AJIL Alt. AöR ARSP Art. AT Aufl. AVR Bd. Bde. Beschl. BGBl. BGH BGHSt BGHZ BSG BT-Drucks. Buchst. BVerfG BVerfGE BVerwGE BYIL bzw. CLF Diss. DÖV DRiZ DRZ DtZ DuR DVBl.

andere Ansicht Abgeordnete / Abgeordneter Absatz alte Fassung The American Journal of International Law Alternative Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Allgemeiner Teil Auflage Archiv des Völkerrechts Band Bände Beschluss Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundessozialgericht Bundestagsdrucksache Buchstabe Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts British Yearbook of International Law beziehungsweise Criminal Law Forum Dissertation Die Öffentliche Verwaltung. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungspolitik Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt

16 ebd. ed. EGMR EGStPO EGVStGB EGZPO EMRK Entsch. et al. EuGRZ FG Fn. FS GA gem. GG GYIL Habil.-Schr. HarvILJ Hrsg. Hs. HStR HuV-I ICC ICTR ICTY IGH insb. Internat. IPbürgR IPwirtschR i. S. d. IStGH i. V. m. JA JICJ JöR JR Jura

Abkürzungsverzeichnis ebenda edition / editor Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zur Strafprozessordnung Einführungsgesetz zum Völkerstrafgesetzbuch (eigentlich: Gesetz zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs) Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung (eigentlich: Gesetz, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung) Europäische Menschenrechtskonvention (eigentlich: Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) Entscheidung et alii Europäische Grundrechte-Zeitschrift Festgabe Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht gemäß Grundgesetz German Yearbook of International Law Habilitationsschrift Harvard Human Rights Journal Herausgeber Halbsatz Handbuch des Staatsrechts Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften International Criminal Court International Criminal Tribunal for Rwanda International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia Internationaler Gerichtshof insbesondere International Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Sinne der / des Ständiger Internationaler Strafgerichtshof in Verbindung mit Juristische Arbeitsblätter Journal of International Criminal Justice Jahrbuch des Öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Jura. Juristische Ausbildung

Abkürzungsverzeichnis JuS JZ KJ KritV MDR MschrKrim m. w. N. n. F. N. F. NJ NJW No. Nr. NStZ NVwZ NZWehrr o. J. OLG o. O. RES RGSt Rn. RSDIE / SZIER Rspr. s. S. SACJ scil. StGB StPO StV s. v. u. a. UN Univ. Urt. v. Var. vgl. VN

17

Juristische Schulung. Zeitschrift für Studium und Ausbildung Juristenzeitung Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Monatsschrift für Deutsches Recht Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Folge Neue Justiz Neue Juristische Wochenschrift numero Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht ohne Jahr Oberlandesgericht ohne Ort Resolution Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Randnummer Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Rechtsprechung siehe Satz / Seite South African Journal of Criminal Justice scilicet Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger sub voce und andere United Nations University Urteil vom Variante vergleiche – Vereinte Nationen – Vereinte Nationen. Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen

18 vol. Vorbem. VStGB VVDStRL WestEnd WVK YBIHL ZaöRV z. B. ZfRV Ziff. ZRP ZStrR ZStW zugl.

Abkürzungsverzeichnis volume Vorbemerkung Völkerstrafgesetzbuch Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung Wiener Vertragrechtsübereinkommen (eigentlich: Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge) Yearbook of International Humanitarian Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Ziffer Zeitschrift für Rechtspolitik Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zugleich

A. Einleitung A. Einleitung

I. Zur Problematik I. Zur Problematik

Das Völkerstrafrecht erlebt seine praktische Bewährungsprobe jeden Tag aufs Neue: Die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien, die Massaker an der Bevölkerungsgruppe der Tutsi in Ruanda sowie die Vertreibungen im Sudan – dies sind nur drei Beispiele von Völkerrechtsverbrechen aus den letzten Jahren. Die Frage, wie die für diese Taten Verantwortlichen auf internationaler Ebene strafrechtlich verfolgt werden können, wäre bis vor wenigen Jahren eine rein theoretische gewesen1, da es lange Zeit an entsprechenden internationalen Institutionen gefehlt hat. In den vergangenen Jahren hat sich das Völkerstrafrecht in dieser Hinsicht jedoch rapide entwickelt.2 Das Völkerstrafrecht ist ein vergleichsweise junges Rechtsgebiet, sowohl im Vergleich zum Völkerrecht als auch im Vergleich zum Strafrecht.3 Systematische Versuche, bestimmte Taten als internationale Verbrechen zu ächten, lassen sich erst ab dem 19. Jahrhundert feststellen4, auch wenn sich die ideengeschichtlichen Spuren im Einzelnen weiter zurückverfolgen lassen5. Hemmnisse in dieser Entwicklung ergaben sich unter anderem daraus, dass die natürliche Person, also das Individuum, im klassischen Völkerrecht keine Rechte und Pflichten hatte6, so dass dem klassischen Völkerrecht der Gedanke einer Haftung von Einzelpersonen für von ihnen verschuldetes Unrecht fremd war7. Da Anknüpfungspunkt jeder Strafbarkeit die individuelle Schuld ist, sind Strafnormen im Völkerrecht überhaupt erst möglich, seitdem der Einzelne auf der Ebene des Völkerrechts als Subjekt in Erscheinung tritt und nicht mehr bloßes Objekt der Völkerrechtsnormen ist.8 Eine weitere Hürde, die das Völkerstrafrecht nehmen musste, war die im Souveränitätsgedanken verankerte Abwehrposition der Staaten gegen „Einmischungen“ von außen.9 1

Satzger, NStZ 2002, S. 125. Die rapide Entwicklung des Völkerstrafrechts wird auch betont von: Triffterer, ZStW 114 (2002), S. 322; Satzger, NStZ 2002, S. 125; Safferling, JA 2000, S. 164. 3 Triffterer, ZStW 114 (2002), S. 322; Armstrong / Farrell / Lambert, International Law and International Relations, S. 178; Cottier, Universal and Territorial Jurisdiction, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 850; Heilmann, Die Effektivität des IStGH, S. 27. 4 Armstrong / Farrell / Lambert, International Law and International Relations, S. 178. 5 Ferencz, HuV-I 1998, S. 80. 6 Ahlbrecht, Geschichte, S. 19; vgl. Bassiouni, Introduction, S. 57. 7 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 2. 8 Hobe / Kimminich, Völkerrecht, S. 242 f. 9 Lee, The Rome Conference, in: ders., The Making of the Rome Statute, S. 5; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 2. 2

20

A. Einleitung

Ein erster wirklicher Durchbruch des Völkerstrafrechts erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg10, als die Hauptkriegsverbrecher in den Jahren von 1945 bis 1948 durch die internationalen Militärtribunale von Nürnberg11 und Tokio12 strafrechtlich verfolgt und verurteilt wurden.13 Nach Abschluss dieser Prozesse geriet die Entwicklung des normierten Völkerstrafrechts jedoch ins Stocken.14 Der beginnende Kalte Krieg hemmte die politische Realisierung umfassender Kodifikationsprojekte bis weit in die 80er Jahre hinein.15 Stattdessen wurden spezielle Themenbereiche Gegenstand völkerrechtlicher Verträge.16 So enthält beispielsweise die Völkermordkonvention von 1948 völkerstrafrechtliche Bestimmungen. Gemäß Art. I der Völkermordkonvention bestätigen die vertragschließenden Parteien, dass Völkermord ein Verbrechen gemäß internationalem Recht ist, zu dessen Verhütung und Bestrafung sie sich verpflichten.17 Außer den Vereinten Nationen bemühte sich auch das Internationale Rote Kreuz um die Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts.18 Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die vom Internationalen Roten Kreuz initiierten vier Genfer Abkommen19

10

Bassiouni, Draft Statute, S. 4; Cassese, International Criminal Law, S. 40. Der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg wurde errichtet auf der Grundlage des Londoner Viermächteabkommens vom 8. August 1945 (abgedruckt in: International Military Tribunal Nuremberg, Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal Nuremberg, 14 November 1945 – 1 October 1946, vol. 1, S. 8 ff.) mit dem diesem Abkommen als Anhang beigefügten Statut („Charter of the International Military Tribunal“, abgedruckt in: International Military Tribunal Nuremberg, Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal Nuremberg, 14 November 1945 – 1 October 1946, vol. 1, S. 10 ff.; Van den Wyngaert, International Criminal Law, S. 55 ff.). Die Verurteilungen erfolgten nach den Bestimmungen dieses Statuts. 12 Der Tokioter Kriegsverbrecherprozess fand seine Grundlage in einem Erlass des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte General Douglas MacArthur vom 19. Januar 1946 (abgedruckt in: Van den Wyngaert, International Criminal Law, S. 63 ff.). Dieser Erlass sah die Errichtung des Gerichtshofs vor und legte das anwendbare Recht fest (Röling / Rüter, The Tokyo Judgment, vol. 1, S. 20). 13 Vgl. Schabas, Introduction to the ICC, S. 5 ff.; Cassese, International Criminal Law, S. 329 ff.; Bassiouni, Introduction, S. 405 ff., 414 ff. 14 Triffterer, Dogmatische Untersuchungen, S. 15; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726. 15 Bassiouni, Introduction, S. 422; Engelhart, Jura 2004, S. 738. 16 Ahlbrecht, Geschichte, S. 124. 17 Vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 41. 18 Triffterer, Dogmatische Untersuchungen, S. 17. 19 I. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde (abgedruckt in: BGBl. 1954 II, S. 783 ff.; Zustimmungsgesetz: BGBl. 1954 II, S. 781); II. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See (abgedruckt in: BGBl. 1954 II, S. 813 ff.; Zustimmungsgesetz: BGBl. 1954 II, S. 781); III. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen (abgedruckt in: BGBl. 1954 II, S. 838 ff.; Zustimmungsgesetz: BGBl. 1954 II, S. 781); IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (abgedruckt in: BGBl. 1954 II, S. 917 ff.; Berichtigung der deutschen Übersetzung in: BGBl. 1956 II, S. 1586; Zustimmungsgesetz: BGBl. 1954 II, S. 781). 11

I. Zur Problematik

21

vom 12. August 1949 sowie die beiden Zusatzprotokolle20 vom 8. Juni 1977.21 In den vier Genfer Konventionen22 (sowie im Ersten Zusatzprotokoll23) verpflichten sich die Vertragsstaaten dazu, mindestens schwere Verletzungen (sogenannte grave breaches)24 der Abkommen (und des ersten Zusatzprotokolls) unter Strafe zu stellen. Damit wird der mittelbare Schutz des Völkerrechts durch das staatliche Recht in den Vordergrund gestellt.25 Einen bedeutenden Aufschwung erlangte das Völkerstrafrecht allerdings erst nach Ende des Kalten Krieges.26 Die Bemühungen um die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes fanden nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und nach der damit verbundenen Auflösung der Pattsituation im UN-Sicherheitsrat eine praktische Verwirklichung in der Schaffung zweier Ad-hoc-Strafgerichtshöfe27, also solcher Gerichtshöfe, deren Auftrag zeitlich und räumlich begrenzt ist28. Den Anlass, das Recht von Nürnberg auch in der Praxis zu reaktivieren, gaben dabei die schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts, die auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien seit Anfang der 90er Jahre begangen wor20

Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I; abgedruckt in: BGBl. 1990 II, S. 1551 ff.; Zustimmungsgesetz: BGBl. 1990 II, S. 1550); Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II; abgedruckt in: BGBl. 1990 II, S. 1637 ff.; Zustimmungsgesetz: BGBl. 1990 II, S. 1550). 21 Cassese, International Criminal Law, S. 41; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 41. 22 Art. 49 der I. Genfer Konvention; Art. 50 der II. Genfer Konvention; Art. 129 der III. Genfer Konvention; Art. 146 der IV. Genfer Konvention. 23 Gemäß Art. 85 Abs. 1 des Ersten Zusatzprotokolls finden die Bestimmungen der Genfer Abkommen über die Ahndung von Verletzungen und schweren Verletzungen, ergänzt durch die Bestimmungen des 2. Abschnitts des 5. Teils des Ersten Zusatzprotokolls, auch auf die Ahndung von Verletzungen und schweren Verletzungen des Ersten Zusatzprotokolls Anwendung. 24 Als schwere Verletzungen (grave breaches) der I. Genfer Konvention gelten gemäß Art. 50 der I. Genfer Konvention unter anderem die folgenden Handlungen, sofern sie gegen durch dieses Abkommen geschützte Personen oder Güter begangen werden: Vorsätzliche Tötung, Folterung oder unmenschliche Behandlung sowie Zerstörung und Aneignung von Eigentum, die durch militärische Erfordernisse nicht gerechtfertigt sind und in großem Ausmaß rechtswidrig und willkürlich vorgenommen werden. Entsprechende Bestimmungen enthalten die Art. 51 der II. Genfer Konvention, Art. 130 der III. Genfer Konvention sowie Art. 147 der IV. Genfer Konvention. 25 Jescheck, ZStrR 1957, S. 228. Nach seiner Auffassung wird jedoch dadurch der Grundsatz der unmittelbaren völkerrechtlichen Strafbarkeit von Kriegsverbrechen nicht aufgehoben. Ein Staat, der keine oder nur unzureichende Strafbestimmungen im staatlichen Recht eingeführt hat, könne nämlich in den Grenzen der Konventionen schwere Zuwiderhandlungen durch seine Gerichte unmittelbar nach Völkerrecht bestrafen lassen, sofern seine innerstaatliche Verfassung nicht Verbrechen und Strafe an die Existenz eines formellen Gesetzes knüpft (Jescheck, ZStrR 1957, S. 228). In ähnlicher Weise äußert sich: Triffterer, Dogmatische Untersuchungen, S. 17. 26 Cassese, International Criminal Law, S. 334 f.; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726. 27 Safferling, JA 2000, S. 164; Bassiouni, Introduction, S. 426 ff.; Schabas, Introduction to the ICC, S. 10 ff. 28 Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 212.

22

A. Einleitung

den waren, und die Massaker an den Tutsi in Ruanda.29 Mit Resolution 827 vom 25. Mai 1993 beschloss der UN-Sicherheitsrat die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia – ICTY), mit Resolution 955 vom 8. November 1994 die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda – ICTR). Einen vorläufigen Höhepunkt der Entwicklung des Völkerstrafrechts stellt die Schaffung des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs dar.30 Die Bemühungen um die Einrichtung einer solchen Institution reichen zwar schon in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück31, jedoch gelang es erst in dem nach Ende des Kalten Krieges günstigeren weltpolitischen Klima, die Arbeiten zur Schaffung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes entscheidend voranzubringen.32 Nachdem konkrete Vorarbeiten33 hierzu schon seit Ende der 80er Jahre durchgeführt wurden – unter anderem von der Völkerrechtskommission (International Law Commission)34 – fand in der Zeit vom 15. Juni bis 17. Juli 1998 in Rom eine Internationale Konferenz zur Ausarbeitung des Statuts für einen Internationalen Strafgerichtshof statt, an der 162 Staaten vertreten waren.35 Das sogenannte Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde am 17. Juli 1998 mit 120 29 Armstrong / Farrell / Lambert, International Law and International Relations, S. 179; Lee, The Rome Conference, in: ders., The Making of the Rome Statute, S. 6; Weigend, FS Roxin, S. 1377. 30 Ambos, CLF 1999, S. 1. 31 Einen Versuch, im Rahmen des Völkerbundes einen ständigen internationalen Strafgerichtshof zur Verfolgung terroristischer Straftaten einzurichten, stellte die Convention pour la création d’une Cour pénale internationale dar, welche am 16. November 1937 von 13 Staaten unterzeichnet wurde, jedoch nie in Kraft trat (Jescheck, Verantwortlichkeit, S. 117; Triffterer, ZStW 114 [2002], S. 347; Triffterer, Dogmatische Untersuchungen, S. 12 f.; Ahlbrecht, Geschichte, S. 57 f.). Ein anderes Beispiel ist die Völkermordkonvention von 1948, die in ihrem Art. 6 die Verfolgungszuständigkeit eines internationalen Strafgerichts vorsieht. Die UN-Generalversammlung beauftragte deshalb die Völkerrechtskommission, „to study the desirability and possibility of establishing an international judicial organ for the trial of persons charged with genocide or other crimes over which jurisdiction will be conferred upon that organ by international conventions“ (UN Documents A / RES / 3/260 v. 9. Dezember 1948; vgl. Ahlbrecht, Geschichte, S. 138 ff.; vgl. Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 57). Das sich rapide verschlechternde weltpolitische Klima verhinderte jedoch in der Folgezeit den Fortgang der Arbeiten (Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 57; vgl. Ahlbrecht, Geschichte, S. 143 ff.). 32 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 56, 58. 33 Ausführlich zu dem „Weg“ hin zum Römischen Statut siehe: Ahlbrecht, Geschichte, S. 335 ff. 34 Die Völkerrechtskommission erarbeitete den Entwurf für ein IStGH-Statut, welcher auf der 46. Sitzung der Völkerrechtskommission am 23. November 1994 angenommen wurde und der anschließend der Generalversammlung vorgelegt wurde (Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 58; Lee, The Rome Conference, in: ders., The Making of the Rome Statute, S. 3; Schabas, Introduction to the ICC, S. 9 f.; vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 340 f.). 35 Schabas, Introduction to the ICC, S. 15; Bassiouni, Introduction, S. 462 ff.; vgl. UN Documents A / CONF.183 / 2/Add.1 v. 14. April 1998.

I. Zur Problematik

23

Stimmen angenommen und trat am 1. Juli 2002 in Kraft. Am 11. März 2003 hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine Arbeit aufgenommen.36 In Gestalt dieses Gerichts ist eine ständige – also von der Bewältigung konkreter Konfliktherde losgelöste – Instanz zur Verfolgung und Aburteilung völkerrechtlicher Verbrechen geschaffen worden.37 Auch wenn sich immer noch Staaten weigern, dem Römischen Statut beizutreten, ist die dargestellte Entwicklung des Völkerstrafrechts grundsätzlich zu begrüßen. So ist diese Rechtsmaterie bereits aufgrund der Strafzwecke, die damit verfolgt werden, als sinnvoll zu erachten. Zwar ist zuzugeben, dass im Völkerstrafrecht die Rechtfertigung und Begründbarkeit der Strafe noch größere Schwierigkeiten bereiten als im sonstigen Strafrecht, da mit den Taten, um die es hier geht, eine so neue und große Dimension des Verbrechens erreicht ist, dass die bisherigen theoretischen Begründungen auf sie teils überhaupt nicht, teils nur in weitgehend modifizierter Form übertragbar sind.38 Ob das Völkerstrafrecht dem Unrechts- und Schuldausgleich, der Sühne und Vergeltung sowie der Spezialprävention dienen kann, ist eher zweifelhaft.39 Problema36

Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 66. Vgl. Politi, The Rome Statute, in: ders./Nesi, S. 8; Schabas, Introduction to the ICC, S. 67; Zimmermann, GYIL 45 (2002), S. 35 f. 38 Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 339; Jäger, KritV 1993, S. 270; Paech, Blätter für deutsche und internationale Politik 2002, S. 442; Ambos / Steiner, JuS 2001, S. 13. Demgegenüber bezieht Werle zufolge das Völkerstrafrecht seine Legitimation als Strafrecht über das aus dem staatlichen Strafrecht übertragbare Strafzweckprogramm (Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 94). Auch Farer sieht die Strafzwecke des nationalen Strafrechts und die des Völkerstrafrechts als vergleichbar an: „The purposes of penal sanctions in international law are largely coextensive with those in national legal orders“ (Farer, Human Rights Quarterly 22 [2000], S. 91). 39 Verwiesen sei insoweit auf: Farer, Human Rights Quarterly 22 (2000), S. 91 f.; Akhavan, AJIL 95 (2001), S. 7 ff.; Möller, Völkerstrafrecht und IStGH, S. 413 ff.; Ambos, KritV 1996, S. 365 ff.; Ambos / Steiner, JuS 2001, S. 9 ff. (passim); Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 94 ff.; Jäger, KritV 1993, S. 270 ff.; Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 339 ff. An dieser Stelle soll lediglich ein knapper Überblick über den Meinungsstand in der Forschung und in der internationalen Strafgerichtsbarkeit gegeben werden: a) Vergeltung, Unrechts- und Schuldausgleich durch Völkerstrafrecht Ob durch das Völkerstrafrecht ein Unrechts- und Schuldausgleich erreicht werden kann, wird unterschiedlich bewertet. Nach Werle ist die Bestrafung von Völkerrechtsverbrechen gleichermaßen ein Gebot elementarer Gerechtigkeit wie des Gedankens des Schuldausgleichs (Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 95; Werle, ZStW 109 [1997], S. 821). Auch Jescheck sieht eine der Funktionen der völkerrechtlichen Strafe in der Sühne für begangenes Unrecht (Jescheck, Verantwortlichkeit, S. 195). Andere Stimmen in der Literatur sehen die Möglichkeit des Unrechts- und Schuldausgleichs durch das Völkerstrafrecht sehr kritisch. So heißt es zum Beispiel bei Jäger: „Die Vorstellung, Schuld könne durch Strafe ‚ausgeglichen‘ werden, muß […] bei Verbrechen dieser Größenordnung besonders absurd erscheinen“ (Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 339). Ähnlich: Paech, Blätter für deutsche und internationale Politik 2002, S. 442 („Weder Gerechtigkeit noch Wiedergutmachung, weder Sühne noch Vergeltung […] lassen sich mit internationalen Strafverfahren verbinden. Man wird damit solchen Verbrechen [nicht] […] ‚gerecht‘.“); Ambos / Steiner, JuS 2001, S. 12 („[D]ie Vergeltung als Strafgrund [ist] auch im Völkerstrafrecht abzulehnen. Ein Ausgleich des erlittenen Unrechts ist bei Massenverbrechen undenkbar.“). 37

24

A. Einleitung

tisch erscheint auch, ob das Völkerstrafrecht in seiner gegenwärtigen40 Ausprägung Abschreckungswirkung im Sinne der negativen Generalprävention zu entfalten vermag41. Generell ist die Frage sehr umstritten, inwieweit potentielle Täter durch Strafe abschreckbar sind42. Insoweit gilt es zu berücksichtigen, dass regelmäßig nicht die Strafdrohung als solche abschreckende Wirkung zu entfalten vermag, sondern vielmehr der Grad der Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Ergreifung und Überführung43. Bei Tätern, die institutionell in ein System staatlichen Unrechts eingebunden sind, kommt noch hinzu, dass diese Personen häufig von einer organizational façade geschützt werden. Hier wäre für eine abschreckende Wirkung der völkerrechtlichen Strafe erforderlich, dass die Aussicht auf eine solche Sanktion diese organizational façade überhaupt zu durchdringen vermag, ein Unterfangen, das – betrachtet man die Allmacht vieler autoritärer Regime – regelmäßig so gut wie aussichtslos erscheint.44 b) Spezialpräventive Wirkung des Völkerstrafrechts Auch die Frage, ob Völkerstrafrecht spezialpräventiv wirken kann, wird in der Forschung unterschiedlich beantwortet. So schätzt Werle die Möglichkeit, dass Völkerstrafrecht spezialpräventive Wirkung zu entfalten vermag, positiv ein (Werle, ZStW 109 [1997], S. 822; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 96). Auch Roggemann sieht – in Bezug auf das Jugoslawientribunal – einen der Hauptzwecke in der Spezialprävention (Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 210). Demgegenüber wendet Jäger ein, spezialpräventive Konzepte der Resozialisierung und Behandlung seien nicht auf kriminelle Machthaber zugeschnitten (Jäger, KritV 1993, S. 271; Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 340 f.). 40 Optimistisch, dass eine völkerstrafrechtliche Ordnung, die angemessen auf internationale Verbrechen reagiert, mittelfristig abschreckende Wirkung zu entfalten vermag: Meron, From Nuremberg to The Hague, in: ders., War Crimes Law Comes of Age, S. 201; Ambos / Steiner, JuS 2001, S. 13. 41 Ebenso: Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 339 f.; Jäger, KritV 1993, S. 270; Paech, Blätter für deutsche und internationale Politik 2002, S. 442; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 96. A. A. in Bezug auf das Jugoslawientribunal: Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 210, wonach einer der Hauptzwecke der Tätigkeit des Jugoslawientribunals in der negativen Generalprävention bestehen soll. In Bezug auf den Ständigen Internationalen Strafgerichtshof ebenso wie Roggemann: Wirth / Harder, ZRP 2000, S. 144. 42 Günther, Der strafrechtliche Schuldbegriff, in: Smith / Margalit, S. 52. 43 Meron, From Nuremberg to The Hague, in: ders., War Crimes Law Comes of Age, S. 201. Vgl. Jescheck, Verantwortlichkeit, S. 194 f., der außerdem feststellt, dass in einem bewaffneten Konflikt eine drohende völkerrechtliche Bestrafung die höchst unerwünschte Wirkung haben kann, dass der militärisch Verlierende zum äußersten Widerstand angespornt wird. 44 Ambos / Steiner, JuS 2001, S. 13; Akhavan, AJIL 95 (2001), S. 9. Nach Jäger spricht auch ein weiterer Grund gegen die Annahme abschreckender Wirkung des Völkerstrafrechts: Zu bedenken sei nämlich, dass die völkerrechtliche Strafverfolgung regelmäßig die völlige Veränderung der politischen Verhältnisse des betroffenen Staates voraussetze. Es sei aber wirklichkeitsfremd anzunehmen, Machthaber fürchteten nicht in erster Linie die Niederlage im Krieg oder das Ende ihrer Herrschaft, wohl aber eine später nachfolgende und überdies ungewisse Bestrafung (Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 340; ebenso: Jakobs, GA 1994, S. 18).

I. Zur Problematik

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Nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint jedoch, dass der Verhängung völkerrechtlicher Strafen in gewisser Weise eine positiv-generalpräventive45 Wirkung zukommen kann46, indem hierdurch ein Beitrag zur Errichtung und Verfestigung einer völkerrechtlichen Wertordnung geleistet wird47. Im Vordergrund stehen dabei die Erzeugung48 und Bekräftigung eines internationalen Normbewusstseins49: Der Menschheit soll durch die Kodifikation und Anwendung des Völkerstrafrechts zum Bewusstsein gebracht werden, dass das Völkerrecht gegenüber dem Rechtsbrecher durchgesetzt wird50, wodurch das Völkerstrafrecht der Stabilisierung der völkerrechtlichen Normen dient.51 Günther stellt zwar zu 45 Kritisch gegenüber einer positiv-generalpräventiven Wirkung von Strafe: Günther, Der strafrechtliche Schuldbegriff, in: Smith / Margalit, S. 53. 46 Ebenso: Akhavan, AJIL 95 (2001), S. 30; Triffterer, FS Jescheck, S. 1500 ff.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 96; Möller, Völkerstrafrecht und IStGH, S. 507 ff. (insbesondere S. 522); Jescheck, Verantwortlichkeit, S. 195 ff. Auch der Jugoslawien-Strafgerichtshof hat die generalpräventive Wirkung des Völkerstrafrechts betont: „The Trial Chamber is […] of the view that […] [the] relevant sentencing purpose is to show the people of not only the former Yugoslavia, but of the world in general, that there is no impunity for these types of crimes. This should be done in order to strengthen the resolve of all involved not to allow crimes against international humanitarian law to be committed as well as to create trust in and respect for the developing system of international criminal justice.“ (ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 [Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber], Absatz 848) Vorsichtig gegenüber der Annahme einer positiv-generalpräventiven Wirkung des Völkerstrafrechts: Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 340. Danach spreche die Erkenntnis, dass das Strafrecht nicht von sich aus ein Normbewusstsein schaffe, sondern nur die auf andere Weise, vor allem im sozialen Nahraum, vermittelten Norm- und Wertvorstellungen unterstützen und stabilisieren könne, dagegen, dass völkerstrafrechtliche Regelungen als solche eine bisher noch weitgehend fehlende Ethik des politischen und kollektiven Verhaltens schaffen könnten. Dies sei überhaupt nur als Langzeitwirkung eines ganz allmählichen, komplexen Prozesses des Umdenkens und der Bewusstseinsbildung vorstellbar, zu dem – das gesteht auch Jäger ein – das Völkerstrafrecht allerdings beitragen könne. 47 Ambos / Steiner, JuS 2001, S. 13. 48 Jäger merkt an, dass dadurch insoweit über den Strafzweck der positiven Generalprävention im bisherigen Sinne hinausgegangen werde, als durch Völkerstrafrecht das Normbewusstsein nicht nur stabilisiert, sondern weitgehend überhaupt erst geschaffen werden müsse (Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 342). 49 Möller, Völkerstrafrecht und IStGH, S. 522; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 96. Triffterer sieht in seinem Generalbericht zum XIV. Internationalen Strafrechtskongress die These gerechtfertigt, Völkerstrafrecht könne jedenfalls in begrenztem Maße bewusstseinsbildend wirken (Triffterer, ZfRV 1989, S. 87). 50 Jescheck, Verantwortlichkeit, S. 195. In Bezug auf die Strafzwecke, die mit dem Jugoslawientribunal verfolgt werden, ebenso: Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 210. 51 Vgl. Meron, From Nuremberg to The Hague, in: ders., War Crimes Law Comes of Age, S. 201. Jäger sieht neben dem Sanktionsinstitut der völkerrechtlichen Strafe noch andere Präventionsmöglichkeiten. So sei zum Beispiel von einer bereits während der Fortdauer der kollektiven Unrechtszustände stattfindenden öffentlichen Berichterstattung über Verbrechen ein gewisser präventiver Effekt zu erhoffen (Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 347 ff.

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A. Einleitung

Recht fest, dass die Wirkung der Wiederherstellung eines möglicherweise erschütterten Normvertrauens empirisch nur sehr schwer zu belegen ist52, doch erscheint sie auch nicht von vornherein ausgeschlossen. Singulär würde eine solche – lediglich nicht auszuschließende – positiv generalpräventive Wirkung sicherlich nicht zur Begründung des Völkerstrafrechts ausreichen, jedoch sollte sie kumulativ mit der friedenssichernden Funktion gesehen werden, die dem Völkerstrafrecht im innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Bereich zugeschrieben wird53. So zeigt die historische Erfahrung, dass nach blutigen Kriegen und Systemunrecht der innere Friede und damit letztlich die äußere Friedensfähigkeit von Gesellschaften nur wiedergewonnen werden kann, wenn begangene Unrechtstaten möglichst vollständig aufgeklärt werden.54 Das Völkerstrafrecht vermag zu dieser Aufgabe einen erheblichen Beitrag zu leisten. Ein völkerrechtliches Strafverfahren dient aber auch insoweit dem Schutz des innerstaatlichen Friedens, als die der völkerrechtlichen Verbrechen Beschuldigten ohne solche Verfahren möglicherweise jeglicher rechtsstaatlicher Schutzgarantien beraubt wären. Auch wenn die Verbrechen, die ihnen zur Last gelegt werden, noch so grausam sind, darf willkürlicher und möglicherweise maßloser Vergeltung sowie Lynch- und Selbstjustiz nicht das Feld überlassen werden (Mussolini, Ceauşescu).55 Das Strafrecht ist eines der Mittel56, um die auf blutige Kriege und politisches Systemunrecht zwangsläufig folgenden Konflikte in die geregelten Bahnen eines rechtlich geordneten Verfahrens zu lenken und auf diese Weise die Gesellschaft vor neuen gewaltsamen Auseinandersetzungen zu bewahren.57 Im zwischenstaatlichen Bereich ergibt sich die friedenssichernde Funktion des Völkerstrafrechts außerdem daraus, dass die Bestrafung von völkerrechtlichen Verbrechen einen Beitrag zur Herstellung eines gerechten Friedens zwischen den Konfliktparteien darstellen kann. Über die friedenssichernde Funktion des Völkerstrafrechts sowie seine spezifischen Strafzwecke hinaus sind noch weitere positive Funktionen dieser Rechtsmaterie hervorzuheben. So betont Paech die Demonstrations- und Delegitimie[insbesondere S. 348]). Da der Begriff Völkerstrafrecht auf das Sanktionsinstrument der Strafe verengt ist, möchte Jäger deshalb eher von Völkerkriminalrecht sprechen (Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 344). 52 Günther, Der strafrechtliche Schuldbegriff, in: Smith / Margalit, S. 53. 53 Lee, The Rome Conference, in: ders., The Making of the Rome Statute, S. 1; vgl. Günther, Der strafrechtliche Schuldbegriff, in: Smith / Margalit, S. 57. 54 Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 210 f.; vgl. Lee, The Rome Conference, in: ders., The Making of the Rome Statute, S. 1. 55 Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 345. 56 Dass es jedoch – abgesehen von Strafe – auch andere Mittel geben kann, um Lynchund Selbstjustiz zu verhindern, wird zu Recht von Günther betont (Günther, WestEnd, Heft 1 [2005], S. 132). 57 Roggemann, Die Internationalen Strafgerichtshöfe, S. 210 f.; Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 345.

I. Zur Problematik

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rungsfunktion des Völkerstrafrechts, die seiner Meinung nach vor allem aus dem Strafverfahren an sich folgt und weniger aus dem Urteil.58 Tatsächlich begegnet die gerichtliche Feststellung von Humanitätsverbrechen der staatlich veranlassten Vertuschung solcher Taten, wodurch auch der Geschichtsfälschung vorgebeugt wird.59 Darüber hinaus ist zu betonen, dass durch die Anwendung von Völkerstrafrecht eine individuelle Zurechnung von Verbrechen erfolgt. So heißt es in den Nürnberger Urteilen: „Crimes against international law are committed by men, not by abstract entities, and only by punishing individuals who commit such crimes can the provisions of international law be enforced.“60

Eine solche Individualisierung und die damit verbundene Feststellung, dass nicht ein abstraktes System die fraglichen Verbrechen begangen hat, ist sowohl für die Opfer und ihre Angehörigen wichtig, weil sie einen Anspruch auf die volle Wahrheit haben, als auch für die Gesellschaft als solche, da durch die Individualisierung eine Kollektivschuldtheorie verworfen wird.61 Zu bemerken ist dabei jedoch, dass diese Wirkungen des Völkerstrafrechts in denjenigen Fällen unvollkommen zur praktischen Anwendung kommen, in denen strafrechtliche Verantwortlichkeit nur bei den Individuen festgestellt wird, die Teil einer in einem bewaffneten Konflikt unterlegenen Partei sind.62 Eine solch einseitige Anwendung des Völkerstrafrechts würde bloß als „Siegerjustiz“ empfunden. Die Bildung eines Bewusstseins des Inhalts, dass das Völkerrecht gegenüber jedem Rechtsbrecher durchgesetzt wird, verlangt also zwingend die Anwendung eines universalen Völkerstrafrechts durch einen internationalen Strafgerichtshof 63 – eine kriminologische Prämisse, die eine rechtspolitische Forderung nach sich zieht. Übersehen werden darf außerdem nicht, dass strafrechtliche Prinzipien auch im Völkerstrafrecht nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Völkerrechtliche Verbrechen sind als Regelungsmaterie dem Rechtsgebiet des Völkerrechts zuzuordnen; als Straftaten gelten für sie jedoch darüber hinaus die Besonderheiten, die strafrechtliche Normen generell kennzeichnen. Dementsprechend sind im Bereich des Völkerstrafrechts einerseits die Regeln des Völkerrechts, andererseits die Grund-

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Paech, Blätter für deutsche und internationale Politik 2002, S. 442. Werle, ZStW 109 (1997), S. 822; Akhavan, AJIL 95 (2001), S. 7; vgl. Günther, Der strafrechtliche Schuldbegriff, in: Smith / Margalit, S. 58 f.; vgl. Günther, Aufgaben- und Zurechnungsverantwortung, in: Heidbrink / Hirsch, S. 303. 60 International Military Tribunal Nuremberg, Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal Nuremberg, 14 November 1945 – 1 October 1946, vol. 1, S. 223. 61 Werle, ZStW 109 (1997), S. 822; vgl. Günther, Der strafrechtliche Schuldbegriff, in: Smith / Margalit, S. 57. 62 Vgl. Jescheck, Verantwortlichkeit, S. 305. 63 Jäger, Makroverbrechen, in: Hankel / Stuby, S. 347; Jescheck, Verantwortlichkeit, S. 197. 59

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A. Einleitung

sätze des Strafrechts zu beachten.64 Wenn Völkerstrafrecht nicht in Willkürjustiz ausarten soll, müssen Wesensmerkmale des Strafrechts, wie etwa das Schuldprinzip sowie der Grundsatz „nullum crimen, nulla poena sine lege“ auch im Völkerstrafrecht Berücksichtigung finden65, ohne dass an dieser Stelle bereits näher auf die Frage einzugehen ist, in welchem Umfang das letztere Prinzip im Bereich des Völkerstrafrechts Anwendung findet. Diese Prinzipien, zum Beispiel das Schuldprinzip sowie der Grundsatz „nullum crimen, nulla poena sine lege“ in seiner völkerrechtlichen Ausprägung, gelten aus völkerrechtlicher Sicht – also unabhängig von den Anforderungen, die die nationalen Rechtsordnungen an das Strafrecht stellen – sowohl im Rahmen der Durchsetzung von Völkerstrafrecht durch internationale Gerichte als auch bei der Durchsetzung dieser Rechtsmaterie durch nationale Gerichte. Für diese verschiedenen Durchsetzungsmechanismen des Völkerstrafrechts hat Bassiouni die Begriffe „direct enforcement system“ und „indirect enforcement system“ geprägt66, wobei ersterer die Durchsetzung des Völkerstrafrechts durch internationale Gerichte, letzterer die Durchsetzung durch nationale Gerichte erfasst67. Im letzteren Fall, dem Bereich des indirect enforcement system, sind neben den Anforderungen des Völkerrechts außerdem auch die Anforderungen der jeweiligen nationalen Rechtsordnung zu beachten.68 Triffterer unterscheidet dabei zwei Varianten des indirect enforcement system: Zum einen die unmittelbare Anwendung von Völkerstrafrecht durch staatliche Gerichte, zum anderen dessen mittelbare Anwendung nach erfolgter Transformation in das nationale Recht.69 Richtigerweise sollten unter den Begriff des indirect enforcement system jedoch auch staatliche Gesetze gefasst werden, die keine Transformationsgesetze darstellen, jedoch gleichwohl materiell Völkerstrafrecht enthalten – wie zum Beispiel das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, das den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bildet. Was das Prinzip „nullum crimen, nulla poena sine lege“, also das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip anbelangt, ist hervorzuheben, dass sich in der deutschen Rechtsordnung – § 1 StGB sowie Art. 103 Abs. 2 GG70 – dessen strikte Geltung in der engen Form des „nullum crimen, nulla poena sine lege scripta, stricta et certa“ durchgesetzt hat.71 Aus diesem Prinzip folgt unter anderem das Verbot der 64

Triffterer, ZfRV 1989, S. 92. Triffterer, ZStW 114 (2002), S. 340; Triffterer, ZfRV 1989, S. 93; vgl. Condorelli, War Crimes and Internal Conflicts in the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 113 ff. 66 So z. B. in: Bassiouni, Introduction, S. 18, 333 ff. (Kapitel V), 387 ff. (Kapitel VI). Vgl. Triffterer, Regierungskriminalität in der DDR, in: Lampe, S. 138. 67 Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 347. 68 Vgl. Gardocki, ZfRV 1989, S. 129. 69 Triffterer, Regierungskriminalität in der DDR, in: Lampe, S. 138. 70 Nach hier vertretener Auffassung normiert Art. 104 Abs. 1 GG nicht das Prinzip „nullum crimen, nulla poena sine lege“. 71 Wilkitzki, ZStW 99 (1987), S. 460. 65

I. Zur Problematik

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Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – ein Grundsatz, dessen Aktualität sich im Rahmen des Völkerstrafgesetzbuchs daraus ergibt, dass zahlreiche Normen dieses Gesetzes möglicherweise in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht72 verweisen73: – So enthalten § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB und § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB die Tatbestandsvoraussetzung „unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“. § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB und § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB enthalten in ihrem Tatbestand außerdem die Voraussetzung, dass die Person, gegen die die schädigende Handlung unternommen wird, sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält. – § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB enthält das Tatbestandsmerkmal der völkerrechtlich zulässigen Sanktionen. – § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB enthält unter anderem die Tatbestandsvoraussetzung eines „nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten“ Grundes. – § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB enthält das Tatbestandsmerkmal der völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien. – § 9 Abs. 1 und Abs. 2 VStGB verlangen in ihrem Tatbestand, dass die Tathandlung „völkerrechtswidrig“ vorgenommen wird. – § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB normiert in seinen Tatbestandsvoraussetzungen unter anderem, dass die Person, gegen die sich die schädigende Handlung richtet, „Anspruch auf den Schutz haben“ muss, „der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird“. – Bei § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB setzt der Tatbestand voraus, dass die Personen, gegen die sich die schädigende Handlung richtet „in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnet sind“. 72 Einige Normen des Völkerstrafgesetzbuchs verweisen in ihren Tatbestandsvoraussetzungen auch auf völkerrechtliche Verträge. So verlangt beispielsweise § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB in seinem Tatbestand unter anderem die Tötung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person. Gemäß § 8 Abs. 6 VStGB fallen unter den Begriff der nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person im internationalen bewaffneten Konflikt unter anderem geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I. Auch ein solcher Verweis auf völkerrechtliche Verträge scheint im Hinblick auf das Prinzip „nullum crimen, nulla poena sine lege“ nicht unproblematisch. So hebt Satzger zu Recht hervor, dass die völkerrechtlichen Verträge zwar geschriebenes Recht darstellen, dass sich gegen die Verweisungen auf völkerrechtliche Verträge durch Normen des VStGB jedoch zumindest Bestimmtheitsbedenken nicht ausschließen lassen (Satzger, NStZ 2002, S. 131). Dieses Problem wird allerdings nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sein. 73 Ausführlich zum Begriff der dynamischen Verweisung und zu den sonstigen Fällen von Verweisungen vgl. Clemens, AöR 111 (1986), S. 67 ff.; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 27 ff.

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A. Einleitung

– § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB verlangt in seinem Tatbestand, dass sich der Angriff gegen zivile Objekte richtet, die durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind. – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB enthält die Tatbestandsvoraussetzung „unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“. Es stellt sich die Frage – und dies ist das Kernproblem, mit dem sich die vorliegende Untersuchung befasst –, ob und inwieweit dynamische strafgesetzliche Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht im Hinblick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht zulässig sind.

II. Zum Gang der Darstellung II. Zum Gang der Darstellung

Die folgende Untersuchung besteht aus vier Teilen. Im ersten Teil74 erfolgt eine allgemeine Darstellung des Völkerstrafgesetzbuchs. In diesem Rahmen wird insbesondere auf die Ziele eingegangen, die mit der Einführung dieses Gesetzes verfolgt wurden. Darüber hinaus wird ein Überblick über Inhalt und Aufbau des Völkerstrafgesetzbuchs gegeben. Der zweite Teil75 gibt einen Überblick über das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht. Er beginnt mit einer Einführung in die Normierung dieses Verbots in der deutschen Rechtsordnung. Hieran schließt sich eine Untersuchung an, welche ratio diesem Verbot in seiner Ausprägung nach Art. 103 Abs. 2 GG zugrunde liegt. Anschließend widmet sich die Arbeit dem Inhalt und der Reichweite des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG. In diesem Zusammenhang wird vor allem auf die in der Rechtswissenschaft diskutierten Fallgruppen eingegangen, die nicht unter das Verbot fallen sollen. Daneben wird im zweiten Teil auch das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip in seiner völkerrechtlichen Ausprägung in die Untersuchung einbezogen. Dieses stellt zwar nicht den unmittelbaren Prüfungsmaßstab der im dritten Teil erfolgenden Verfassungsprüfung dar, jedoch erlangt es Bedeutung im Rahmen der Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG. Im dritten Teil76 – dem Hauptteil der Arbeit – erfolgt schließlich die Prüfung, ob und inwieweit dynamische strafgesetzliche Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht verstoßen. Die Beantwortung dieser Frage ist aus mehreren Gründen nicht unproblematisch: Erstens steht bei dieser Art von Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht nicht die Strafbegründung durch nationales Gewohnheitsrecht in Rede, sondern die durch Völkergewohnheitsrecht. Damit einhergehend stellt sich die Frage, ob das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot der 74

Kapitel B. („Das Völkerstrafgesetzbuch“). Kapitel C. („Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht“). 76 Kapitel D. („Verstoß der auf Völkergewohnheitsrecht verweisenden VStGB-Tatbestände gegen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG“). 75

III. Zum Untersuchungsmaßstab

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Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht auch die Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht verbietet. Rechtsmethodisch lässt sich diese Frage an der Auslegung des Begriffs „gesetzlich bestimmt“ in Art. 103 Abs. 2 GG festmachen: Fällt unter diesen Begriff auch Völkergewohnheitsrecht? Diese Frage wird dabei insbesondere unter dem Blickwinkel der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und der – wie im zweiten Teil zu zeigen sein wird – nur eingeschränkten Geltung des strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzips im Völkerrecht zu untersuchen sein. Im Anschluss daran wird die zweite Problematik der vorliegenden Fallgestaltung untersucht. Es stellt sich nämlich die Frage, ob Art. 103 Abs. 2 GG auch die mittelbare Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht erfasst, also den dynamischen Verweis von formellen Gesetzen auf Gewohnheitsrecht. Haben die beiden eben genannten Fragestellungen den Bereich der tatbestandlichen Einschlägigkeit des Art. 103 Abs. 2 GG erfasst, so schließt sich daran die Untersuchung an, ob ein möglicherweise gegebener Eingriff in den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wäre. In diesem Zusammenhang stellt sich vor allem das Problem, ob Art. 103 Abs. 2 GG im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht absolute Geltung hat oder durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist. Hierbei wird auch exkursweise auf die Diskussion eingegangen, die im Zusammenhang mit den sogenannten Mauerschützenprozessen um die Einschränkbarkeit des ebenfalls aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Rückwirkungsverbots geführt worden ist. Der vierte Teil77 befasst sich mit einer rechtspolitischen Frage, die durch das Untersuchungsergebnis des dritten Teils motiviert ist, wonach formellgesetzliche dynamische Verweise auf Gewohnheitsrecht unter Umständen als zulässig zu erachten sind. An dieses Ergebnis de lege lata knüpft der vierte Teil der Arbeit an und widmet sich der Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, den Wortlaut von Art. 103 Abs. 2 GG dergestalt zu ändern, dass diese Verfassungsvorschrift einfachgesetzlichen Straftatbeständen, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, in keinem Fall entgegensteht.

III. Zum Untersuchungsmaßstab III. Zum Untersuchungsmaßstab

Was den Untersuchungsgegenstand – das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG – anbelangt, mag man einwenden, warum hier dynamische strafgesetzliche Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht nicht auch im Hinblick auf Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG untersucht werden. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG lautet: „Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden.“

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Kapitel E. („Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG?“).

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A. Einleitung

Die formellen Gewährleistungen der Freiheit in Art. 104 GG stehen in „unlöslichem Zusammenhang“78 mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Art. 104 GG regelt in Ergänzung zu Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG, welcher den maßgeblichen Einschränkungsvorbehalt zum Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG darstellt79, die formellen Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung. Dabei konkretisiert Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG – für sämtliche Formen von Freiheitsbeschränkungen – die Regelung des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG, welche materielle Grundrechtsgrenzen für Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG enthält.80 Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG nimmt dabei den in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG bereits enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen durch das Erfordernis eines „förmlichen“ Gesetzes und durch die zum Verfassungsgebot erhobene Forderung nach Beachtung der in dem Gesetz vorgeschriebenen Formen.81 Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG ist damit lex specialis zum einfachen Gesetzesvorbehalt nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG82, so dass ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG immer zugleich auch eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG darstellt.83 Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG bestimmt, dass eine Freiheitsbeschränkung nur soweit zulässig ist, als sie auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes erfolgt.84 Damit reichen nach dieser Bestimmung Rechtsverordnungen85, Satzungen oder Gewohnheitsrecht als Rechtsgrundlagen für Freiheitsbeschränkungen grundsätzlich nicht aus.86 Ebenso wenig kann nach Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG ein analog angewendetes Gesetz zulässige materiell-rechtliche Grundlage87 für eine Freiheitsbeschränkung

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BVerfGE 10, 302 (322). Gusy, NJW 1992, S. 457. 80 v.Mangoldt / Klein / Starck-Gusy, Art. 104, Rn. 11. 81 BVerfGE 29, 183 (195); BVerfGE 105, 239 (247); BVerfG NStZ 2002, 157 (158); Grabitz, in: HStR VI, 2. Aufl., § 130, Rn. 21; Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Hopfauf-Schmahl, Art. 104, Rn. 1. Vgl. BVerfGE 58, 208 (220); BVerfGE 65, 317 (321 f.). 82 Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 411. 83 BVerfGE 58, 208 (220); Umbach / Clemens-Wehowsky, Art. 104, Rn. 7. 84 BVerfGE 14, 174 (186 f.); Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 104, Rn. 3; Maunz / Dürig-Dürig, Art. 104, Rn. 14 f.; Umbach / Clemens-Wehowsky, Art. 104, Rn. 14. 85 Anders für die mit dem Rang eines förmlichen Gesetzes erlassenen gesetzesvertretenden Verordnungen der Weimarer Zeit: BVerfGE 22, 1 (12 f.). Darüber hinaus hat es das Bundesverfassungsgericht nach Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG als zulässig angesehen, dass durch Rechtsverordnung der Eingriffstatbestand „spezifiziert“ wird, wenn das zugrundeliegende formelle Gesetz hinreichend deutlich bestimmt, was strafbar sein soll, sowie Art und Maß der Strafe festlegt (BVerfGE 14, 174 [187]; BVerfGE 51, 60 [70 f.]; BVerfGE 75, 329 [342]; vgl. Umbach / Clemens-Wehowsky, Art. 104, Rn. 14). 86 BK-Rüping, Art. 104, Rn. 27 f.; Maunz / Dürig-Dürig, Art. 104, Rn. 14 f.; vgl. Grabitz, in: HStR VI, 2. Aufl., § 130, Rn. 21. 87 Anders als bei der analogen Heranziehung materiell-rechtlicher Ermächtigungsgrundlagen für Freiheitsentziehungen soll Art. 104 GG jedoch der analogen Anwendung von Verfahrensvorschriften nicht von vornherein entgegenstehen (vgl. BVerfGE 83, 24 [31 f.]; BVerfG DtZ 1995, 436 [436]). 79

III. Zum Untersuchungsmaßstab

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sein.88 Darüber hinaus wird aus Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG auch ein Bestimmtheitsgebot abgeleitet.89 Zuzugeben ist, dass die hier untersuchten Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs auch im Hinblick auf Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG problematisch erscheinen. Gleichwohl wird von einer Untersuchung der Vereinbarkeit der in Rede stehenden Normen des Völkerstrafgesetzbuchs mit Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG abgesehen. Diese Norm ist nämlich, wie sich aus dem dargestellten engen Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG ergibt, nicht Ausprägung des nullum-crimen-Prinzips90, sondern folgt vielmehr aus dem Habeas-Corpus-Gedanken91 – dem Gedanken also, staatliche Machtbefugnisse bei Freiheitsentziehungen zu regeln92. Schutzgut des Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG ist – ebenso wie von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG – die Freiheit der Person, also die körperliche Bewegungsfreiheit.93 Die Regelungen des Art. 104 GG, die ursprünglich mit denen des Art. 2 Abs. 2 S. 2, S. 3 GG zusammengefasst werden sollten94, sind nicht aus systematischen, sondern nur aus redaktionellen Erwägungen in den Abschnitt „Die Rechtsprechung“ verwiesen worden.95 Zum Zwecke der besseren Wahrnehmbarkeit sollten im Grundrechtsteil nur allgemeine Grundsätze stehen, während detaillierte Durchführungsbestimmungen in die hinteren Abschnitte aufgenommen werden sollten.96 Aus der Tatsache, dass Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG Ausdruck des Habeas-Corpus-Gedankens ist – und nicht des nullum-crimen-Prinzips – folgt, dass diese Norm auch kein explizites Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht enthält, sondern ein Verbot der auf Gewohnheitsrecht gestützten Freiheitsbeschränkung. Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG erfasst also etwas substantiell anderes als Art. 103 Abs. 2 GG, auch wenn sich die Anwendungsbereiche beider Vorschriften im Bereich der freiheitsbeschränkenden Strafe überschneiden können. Ebenso wie die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG werden hier im Übrigen auch andere verfassungsrechtliche Probleme unberücksichtigt gelassen, die sich möglicherweise im vorliegenden Fall stellen. Zu denken ist in diesem 88 BVerfGE 29, 183 (195 f.); Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 104, Rn. 3; Grabitz, in: HStR VI, 2. Aufl., § 130, Rn. 21; v.Mangoldt / Klein / Starck-Gusy, Art. 104, Rn. 26; Münch / Kunig-Kunig, Art. 104, Rn. 10; Umbach / Clemens-Wehowsky, Art. 104, Rn. 14. 89 v.Mangoldt / Klein / Starck-Gusy, Art. 104, Rn. 26; vgl. BVerfGE 14, 245 (251). 90 Zurückzuweisen ist deshalb die Auffassung von Wilkitzki, wonach das nullum-crimenPrinzip im deutschen Recht Eingang in Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG gefunden haben soll (Wilkitzki, ZStW 99 [1987], S. 460 f.). 91 Vgl. v.Mangoldt / Klein / Starck-Gusy, Art. 104, Rn. 2; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 412. 92 Münch / Kunig-Kunig, Art. 104, Rn. 1. 93 Gusy, NJW 1992, S. 457; v.Mangoldt / Klein / Starck-Gusy, Art. 104, Rn. 16. 94 Vgl. Art. 3 des Herrenchiemseer Entwurfs, zitiert in: JöR N. F. 1 (1951), S. 745. 95 BVerfGE 14, 174 (186); Maunz / Dürig-Dürig, Art. 104, Rn. 1. 96 Vgl. den Vorschlag des Abgeordneten Heuß in der vierten Sitzung des Grundsatzausschusses vom 21. September 1948, in: JöR N. F. 1 (1951), S. 745 f. Vgl. hierzu auch: v.Mangoldt / Klein / Starck-Gusy, Art. 104, Rn. 6.

34

A. Einleitung

Zusammenhang beispielsweise an Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG, demzufolge die „nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze […] vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bundesgesetzblatte verkündet“ werden. Was die hier zu untersuchenden dynamischen strafgesetzlichen Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht anbelangt, so stellt sich im Hinblick auf Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG die Frage, ob im Falle der Verweisung von einem förmlichen Gesetz auf andere Vorschriften auch diese in Bezug genommenen Vorschriften gesetzesförmig verkündet werden müssen.97 All diese Fragen würden letztlich jedoch den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen, so dass die Arbeit aus diesem Grunde keine endgültige Aussage über die Verfassungsmäßigkeit der hier in Rede stehenden Vorschriften treffen kann, sondern sich auf die Frage der Vereinbarkeit mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG beschränkt.

97

Zu dieser Frage vgl. Clemens, AöR 111 (1986), S. 86 ff. m. w. N.

B. Das Völkerstrafgesetzbuch B. Das Völkerstrafgesetzbuch

I. Gesetzgeberische Ziele I. Gesetzgeberische Ziele

1. Allgemeines Auch wenn es sich beim Völkerstrafgesetzbuch nicht um ein Transformationsgesetz, sondern um ein eigenständiges deutsches Gesetz handelt, ist die Entstehung dieses Gesetzes gleichwohl im internationalen Kontext zu sehen. Dieser internationale Bezug ergibt sich daraus, dass das Völkerstrafgesetzbuch Straftaten gegen das Völkerrecht normiert, wie sich bereits aus der Überschrift zum zweiten Teil des Völkerstrafgesetzbuchs ergibt. Vor allem ist die Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Statuts des Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs zu sehen. So heißt es im Regierungsentwurf des Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches: „Das materielle Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland soll an das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 und weiteres allgemein anerkanntes Völkerrecht angepasst werden […] Zu diesem Zweck wird das weitgehend eigenständige Regelungswerk eines Völkerstrafgesetzbuches geschaffen.“1

Konkrete Ziele, die mit der Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs verfolgt werden, sind dabei die folgenden: (1) Zum einen soll das spezifische Unrecht der Verbrechen gegen das Völkerrecht besser erfasst werden, als dies nach allgemeinem deutschen Strafrecht bis zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs möglich war. (2) Darüber hinaus soll im Hinblick auf die sogenannte Komplementarität der Verfolgungszuständigkeit des Internationalen Ständigen Strafgerichtshofs sichergestellt sein, dass die Bundesrepublik Deutschland stets in der Lage ist, Verbrechen, die in die Zuständigkeit des IStGH fallen, selbst zu verfolgen. (3) Außerdem soll durch die Zusammenfassung der völkerstrafrechtlichen Normen in einem einheitlichen Regelungswerk die Rechtsklarheit und Handhabbarkeit in der Praxis gefördert werden. (4) Überdies soll durch die Schaffung des Völkerstrafgesetzbuchs die Förderung und Verbreitung des humanitären Völkerrechts bewirkt werden.2 Im Folgenden werden diese Ziele im Einzelnen näher beleuchtet. 1 2

BT-Drucks. 14 / 8524, S. 1. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 12; vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 270.

B. Das Völkerstrafgesetzbuch

36

2. Erstes Ziel: Erfassung des spezifischen Unrechts der Verbrechen gegen das Völkerrecht Vor Inkrafttreten des Völkerstrafgesetzbuchs waren die Verbrechen gegen das Völkerrecht vom bundesdeutschen Recht nur unzureichend erfasst.3 Zwar war das Verbrechen des Völkermordes bereits vor Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs durch § 220a StGB a. F.4 normiert5, jedoch fehlten spezielle Tatbestände für Kriegsverbrechen6 ebenso wie solche für Verbrechen gegen die Menschlichkeit7. Auch wenn diese Völkerrechtsverbrechen in der Masse der Fälle bereits vor Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs nach deutschem Recht strafbar waren8, gelang es regelmäßig nicht, ihren spezifischen Unrechtsgehalt zu erfassen9. So blieb beispielsweise der spezifische Unrechtskern des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, der in dem funktionalen Zusammenhang der Tatbegehung mit einem ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen eine Zivilbevölkerung besteht, im deutschen Strafrecht vor Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs unberücksichtigt.10 Für den Bereich der Kriegsverbrechen gilt Ähnliches: So erfassen die einzelnen Tatbestände des StGB nicht den unrechtserhöhenden Zusammenhang der Tatbegehung mit einem bewaffneten Konflikt.11 Im Einzelfall waren darüber hinaus vor Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs auch solche Fälle denkbar, in denen eine Verhaltensweise zwar nach Völkerrecht, nicht aber nach deutschem Recht strafbar war.12 Zu nennen ist hier beispielsweise die 3

Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 304. § 220a StGB ist mit Wirkung vom 30. Juni 2002 durch Art. 2 Nr. 10 EGVStGB (BGBl. 2002 I, S. 2254 [S. 2258]) aufgehoben worden. Stattdessen hat der Tatbestand des Völkermordes Eingang in § 6 VStGB gefunden (MüKo-Kreß, § 220a/§ 6 VStGB, Rn. 27). 5 Werle, JZ 2001, S. 886; Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 354. 6 Ambos / Wirth, Genocide and War Crimes, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 769; Werle / Nerlich, HuV-I 2002, S. 124. 7 Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 271. 8 Vgl. Satzger, NStZ 2002, S. 126; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 304; Ambos / Wirth, Genocide and War Crimes, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 769 f. So sind beispielsweise die im Römischen Statut genannten Verhaltensweisen überwiegend auch als „gewöhnliche Verbrechen“ (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 12; Satzger, NStZ 2002, S. 126) strafbar, da vorsätzliche Tötungen, schwere Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen und sexuelle Gewaltdelikte im StGB kriminalisiert sind und bestimmte Verhaltensweisen – so zum Beispiel die Vertreibung – durch Kombination verschiedener dieser Tatbestände des StGB erfassbar sind (Werle, JZ 2000, S. 756 f.). 9 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 12; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 304; Satzger, NStZ 2002, S. 126; Ebert, FS Müller-Dietz, S. 177; vgl. Kreß, Vom Nutzen, S. 14 ff. 10 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 12; Werle, JZ 2000, S. 757; Satzger, NStZ 2002, S. 126; Blanke / Molitor, AVR 39 (2001), S. 167. Kritisch hierzu: Lampe, FS Kohlmann, S. 172 f. 11 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 12; Satzger, NStZ 2002, S. 126. 12 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 304; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726. Im Einzelnen zu diesen Strafbarkeitslücken siehe: Kreß, Vom Nutzen, S. 12 f. 4

I. Gesetzgeberische Ziele

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in einem internationalen bewaffneten Konflikt erfolgende völkerrechtswidrige Überführung eines Teils der eigenen Zivilbevölkerung in ein besetztes Gebiet.13 Defizite ergaben sich darüber hinaus auch im Bereich des deutschen Strafanwendungsrechts14, das für die verschiedenen Völkerrechtsverbrechen keine in sich stimmigen Regelungen über die Strafbarkeit von Auslandstaten bereithielt15: Vor Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs war die Geltung deutschen Strafrechts unabhängig vom Recht des Tatorts (Universalitätsprinzip) lediglich für Völkermord (§ 6 Nr. 1 StGB a. F.16) und Kriegsverbrechen (§ 6 Nr. 9 StGB i. V. m. den Regelungen der Genfer Abkommen zum Schutz von Opfern bewaffneter Konflikte) gesichert.17

3. Zweites Ziel: Anpassung des deutschen Strafrechts an das Römische Statut Das gesetzgeberische Ziel der Anpassung des deutschen Strafrechts an das Römische Statut ist auch vor dem Hintergrund dessen zu sehen, dass dieses Statut zur Durchsetzung des Völkerstrafrechts auf der Mitwirkung der einzelnen Staaten aufbaut18. Auch nach Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs soll die Ahndung schwerster Straftaten gegen das Völkerrecht weiterhin primär Aufgabe der Staaten bleiben19. Dementsprechend wird in Abs. 10 der Präambel des IStGHStatuts und nochmals in Art. 1 S. 2 IStGH-Statut darauf hingewiesen, dass der Internationale Strafgerichtshof „shall be complementary to national criminal jurisdictions“. Nach diesem Grundsatz der Komplementarität20 ist der Internationale Strafgerichtshof für die Verfolgung eines Verbrechens unzuständig, wenn im gleichen Fall ein Verfahren vor einem zuständigen nationalen Gericht anhängig ist, rechtskräftig abgeschlossen oder eingestellt wurde, es sei denn der betreffende Staat hat sich zu einer effektiven Strafverfolgung weder willig noch fähig gezeigt, Art. 17 IStGH-Statut21. Mit der Unwilligkeit (Art. 17 Abs. 2 IStGH-Sta13

Werle, JZ 2000, S. 757. Satzger, NStZ 2002, S. 126; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 304. 15 Werle, JZ 2001, S. 886. 16 § 6 Nr. 1 StGB ist mit Wirkung vom 30. Juni 2002 durch Art. 2 Nr. 2 EGVStGB (BGBl. 2002 I, S. 2254 [S. 2258]) aufgehoben worden. 17 Werle, JZ 2001, S. 886; Satzger, NStZ 2002, S. 126. 18 Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726; Werle, JZ 2001, S. 886. 19 Duffy / Huston, Implementation of the ICC Statute, in: Kreß / Lattanzi, S. 31; Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 348; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726. 20 Stahn betont unter Hinweis auf Abs. 4 der Präambel, Art. 1 und Art. 17 Abs. 1 Buchst. d IStGH-Statut, das Komplementaritätsprinzip beinhalte zunächst einmal den Grundsatz, dass der IStGH nur für die Aburteilung der schwersten Verbrechen zuständig ist (Stahn, EuGRZ 1998, S. 589). 21 Arsanjani, AJIL 93 (1999), S. 27 f.; Wirth / Harder, ZRP 2000, S. 146; Satzger, NStZ 2002, S. 125; Werle, JZ 2001, S. 886; Bassiouni, Introduction, S. 500 f.; Roitzheim, DRiZ 2001, S. 448; Razesberger, The Principle of Complementarity, S. 29. 14

38

B. Das Völkerstrafgesetzbuch

tut) ist dabei vor allem die Situation gemeint, in der ein Regime Straftäter aus den eigenen Reihen deckt (Rechtsmissbrauch), während das Kriterium der Unfähigkeit (Art. 17 Abs. 3 IStGH-Statut) den Zusammenbruch der Staatsgewalt („failed state“) in den Blick nimmt.22 Durch dieses Komplementaritätsprinzip unterscheidet sich das Römische Statut von den Statuten der beiden Ad-hoc-Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda23: So hat das Jugoslawientribunal gemäß Art. 9 Abs. 2 seines Statuts Vorrang vor nationalen Gerichten und kann Strafverfahren in jeder Verfahrenslage an sich ziehen. Da jedoch die Zuständigkeit der nationalen Gerichte und des Tribunals konkurrierend bleibt (Art. 9 Abs. 1 des Statuts des Jugoslawientribunals), kann letzteres entscheiden, ein bestimmtes Verfahren durch nationale Gerichte durchführen zu lassen. Eine ähnliche Bestimmung wie Art. 9 des Statuts des Jugoslawientribunals enthält Art. 8 des Statuts des Ruandatribunals. Der im Römischen Statut verankerte Komplementaritätsgrundsatz trägt mehreren Gesichtspunkten Rechnung: Zum einen der Rücksichtnahme auf die Territorialhoheit des Tatortstaates sowie die Personalhoheit des Heimatstaates von Täter und Opfer – diesen Staaten muss Gelegenheit gegeben werden, ein eigenes Verfahren durchzuführen; zum anderen den effektiven Verfolgungsmöglichkeiten derjenigen Staaten, die sich durch entsprechende Gesetzgebungsakte für zuständig erklärt haben und der Täter habhaft werden können.24 Zugleich liegt diesem Konzept dezentral organisierter Weltstrafrechtspflege aber auch die realistische Einschätzung zugrunde, dass der Internationale Strafgerichtshof nach seiner Kapazität nur einen Bruchteil der Völkerrechtsverbrechen selbst wird verfolgen können.25 Bei der Verwirklichung dieses Konzepts dezentral organisierter Weltstrafrechtspflege setzt das Römische Statut grundsätzlich auf die Freiwilligkeit der Vertragsstaaten. So begründet es grundsätzlich26 keine an die Staaten gerichtete Pönalisierungspflicht für die im Statut enthaltenen Straftatbestände.27 Jedoch entspricht es dem Geist des Römischen Statuts, wenn die Vertragsstaaten ihre materiellen Strafnormen an seine Regelungen anpassen.28 Zimmermann spricht deshalb von einer 22 Schabas, Introduction to the ICC, S. 67 f.; Seidel / Stahn, Jura 1999, S. 16; Stahn, EuGRZ 1998, S. 589; vgl. Holmes, Complementarity, in: Lee, S. 48 ff. 23 Politi, The Rome Statute, in: ders./Nesi, S. 14; Triffterer-Bergsmo, Rome Statute, Preamble, Rn. 22; Fastenrath, JuS 1999, S. 634; vgl. Weigend, Völkerstrafgesetzbuch, in: Neubacher / Klein, S. 121. 24 Stahn, EuGRZ 1998, S. 589. 25 Kreß, Vom Nutzen, S. 7; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 726 f.; Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 348; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 276. 26 Eine Ausnahme stellen nur die gegen die Integrität der Rechtspflege des IStGH gerichteten Straftaten dar, für die Art. 70 Abs. 4 Buchst. a IStGH-Statut eine Bestrafungspflicht normiert (Satzger, NStZ 2002, S. 125). 27 Satzger, NStZ 2002, S. 125; Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 348; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 727; Werle, JZ 2001, S. 886; Zimmermann, NJW 2002, S. 3068; Zimmermann, ZRP 2002, S. 98. 28 Werle, JZ 2001, S. 886; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 727.

I. Gesetzgeberische Ziele

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„Pönalisierungsobliegenheit“29, Werle und Jeßberger von einem „Auftrag an die Staaten“30, Cassel von „occasion and stimulus“31, Satzger von einem „wenn nicht rechtlichen, so doch rechtspolitischen […] Zwang“32. Mit diesen Termini soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das Römische Statut die – politisch kaum zu realisierende – Verpflichtung der Staaten vermeidet, nationale Strafvorschriften für die Delikte des Statuts zu schaffen, sondern stattdessen auf die Völkerstrafrechtsfreundlichkeit sowie den politischen Druck innerhalb der Unterzeichnerstaaten setzt, eine Verurteilung eigener Staatsbürger vor einem internationalen Gericht zu vermeiden33. Von dieser Pönalisierungsobliegenheit ist die in Art. 70 Abs. 4 Buchst. a IStGHStatut normierte Bestrafungsverpflichtung zu unterscheiden, die sich an jeden Vertragsstaat richtet und sich auf Straftaten gegen die Rechtspflege bezieht: „Jeder Vertragsstaat dehnt seine Strafgesetze, durch die Straftaten gegen seine eigenen Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren unter Strafe gestellt werden, auf die in diesem Artikel genannten34 Straftaten gegen die Rechtspflege aus, die in seinem Hoheitsgebiet oder von einem seiner Staatsangehörigen begangen werden.“ (Art. 70 Abs. 4 Buchst. a IStGH-Statut)

Zum anderen muss die Pönalisierungsobliegenheit des Römischen Statuts auch von der generellen Frage differenziert werden, inwieweit nach geltendem Völkergewohnheitsrecht eine an die Staaten gerichtete Pflicht zur Verfolgung von Verbrechen gegen das Völkerrecht besteht. In welchem Umfang dies der Fall ist, wird nicht einheitlich beantwortet35, jedoch bekräftigt Abs. 6 der Präambel des IStGHStatuts zumindest die Existenz einer solchen – im Einzelnen wie auch immer gearteten – Pflicht.36 Dort heißt es: „Recalling that it is the duty of every State to exercise its criminal jurisdiction over those responsible for international crimes.“

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Zimmermann, NJW 2002, S. 3068; Zimmermann, ZRP 2002, S. 98. Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 727. 31 Cassel, New England Law Review 35 (2001), S. 423. 32 Satzger, NStZ 2002, S. 127. 33 Satzger, NStZ 2002, S. 125 f. 34 Von den in Art. 70 Abs. 1 IStGH-Statut normierten Straftaten gegen die Rechtspflege des IStGH seien beispielhaft die folgenden genannt: – Falschaussage, wenn nach Art. 69 Abs. 1 IStGH-Statut die Pflicht zur Wahrheit bestand (Art. 70 Abs. 1 Buchst. a IStGH-Statut), – Vorlage von Beweismitteln, von denen die Partei weiß, dass sie falsch, ge- oder verfälscht sind (Art. 70 Abs. 1 Buchst. b IStGH-Statut), – Forderung oder Annahme einer Bestechung durch einen Bediensteten des IStGH im Zusammenhang mit seinen Dienstpflichten (Art. 70 Abs. 1 Buchst. f IStGH-Statut). 35 Vgl. hierzu: Cassese, International Criminal Law, S. 301 ff.; Triffterer-Triffterer, Rome Statute, Preamble, Rn. 17; Ambos, AVR 37 (1999), S. 318 ff.; Tomuschat, FS Steinberger, S. 315 ff. 36 Triffterer-Triffterer, Rome Statute, Preamble, Rn. 17; Kreß, Israel Yearbook on Human Rights 30 (2000), S. 163; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 727; Satzger, NStZ 2002, S. 125; Wirth / Harder, ZRP 2000, S. 146. 30

40

B. Das Völkerstrafgesetzbuch

Der Pönalisierungsobliegenheit und dem Komplementaritätsprinzip des Römischen Statuts entsprechend – und damit unter anderem auch zur Vermeidung der Strafverfolgung deutscher Soldaten durch ein internationales Gericht37 – passt das Völkerstrafgesetzbuch das deutsche materielle Strafrecht38 weitgehend an das IStGH-Statut an39. Die Vornahme einer solchen Anpassung war schon bei Unterzeichnung des IStGH-Statuts die erklärte Absicht der Bundesregierung gewesen.40 Durch die Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs kommt die Bundesrepublik Deutschland aber nicht nur dieser Pönalisierungsobliegenheit des Römischen Statuts nach, sondern auch einigen Bestrafungspflichten aus anderen völkerrechtlichen Verträgen. Zum Beispiel erfüllt das Völkerstrafgesetzbuch mit seinen Regelungen über Kriegsverbrechen auch die Verpflichtungen des Ersten Zusatzprotokolls zu den vier Genfer Konventionen, die in diesem Zusatzprotokoll genannten schweren Verletzungen (grave breaches) unter Strafe zu stellen.41

4. Drittes Ziel: Verbesserung der Rechtsklarheit und Steigerung der Handhabbarkeit in der Praxis durch Normierungen in einem einheitlichen Regelungswerk Das Völkerstrafgesetzbuch wurde dem Ziel der Förderung der Rechtsklarheit und Handhabbarkeit in der Praxis entsprechend als weitgehend eigenständiges Gesetz konzipiert. Der Gesetzgeber sah davon ab, diese Rechtsmaterie vollständig in das Strafgesetzbuch einzufügen. 37

Hermsdörfer, DRiZ 2000, S. 70. Anzumerken ist, dass nach Art. 16 Abs. 2 S. 2 GG die Auslieferung eines Deutschen an ein solches Gericht zulässig sein kann. Erforderlich ist dafür unter anderem, dass rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind. 38 Satzger weist darauf hin, dass die im IStGH-Statut genannten Straftatbestände zum einen – obwohl ihr Inhalt mittlerweile als Völkergewohnheitsrecht betrachtet werden dürfe – nicht schon gemäß Art. 25 GG als Teil der allgemeinen Regeln des Völkerrechts unmittelbare Geltung im inneren Recht der Bundesrepublik beanspruchen könnten. Da Art. 25 GG dem Völkergewohnheitsrecht nur einen Rang unterhalb des Grundgesetzes zumesse, seien völkergewohnheitsrechtliche Tatbestände nämlich an Art. 103 Abs. 2 GG zu messen, so dass im Ergebnis eine deutsche Strafverfolgung auf Grundlage von Völkergewohnheitsrecht ausgeschlossen sei. Zum anderen, so Satzger, ändere die Aufzählung der völkerrechtlichen Verbrechen im Römischen Statut nichts an diesem Ergebnis, und zwar unter anderem deshalb, weil die im Statut aufgezählten Tatbestände keine Straftatbestände im herkömmlichen Sinne seien, sondern vielmehr bloße Zuständigkeitsvorschriften für den IStGH. Damit bleibe festzuhalten, dass eine unmittelbare Anwendung des Römischen Statuts in der deutschen Rechtsordnung ausgeschlossen sei. Erforderlich sei vielmehr eine Transformation nach Art. 59 Abs. 2 GG (Satzger, NStZ 2002, S. 126). 39 Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 725; Zimmermann, ZRP 2002, S. 98; Zimmermann, NJW 2002, S. 3068. 40 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 301. 41 Zimmermann, ZRP 2002, S. 98; Zimmermann, NJW 2002, S. 3069.

I. Gesetzgeberische Ziele

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Durch die eigenständige und einheitliche Kodifikation wird zum einen die Übersichtlichkeit der Rechtsmaterie gefördert42, da die Regelungen in kompakter Weise zusammengeführt werden konnten43. So ist es dem Gesetzgeber beispielsweise im Bereich der Kriegsverbrechen gelungen, durch Zusammenführung paralleler Regelungen im Völkerstrafgesetzbuch eine gegenüber dem IStGH-Statut deutlichere Strukturierung und Straffung zu erreichen und damit die Rechtsanwendung zu erleichtern.44 Ein weiterer Vorteil der Gestaltung des Völkerstrafgesetzbuchs als weitgehend eigenständigem Gesetz neben dem Strafgesetzbuch besteht in der – gegenüber einer unmittelbaren Eingliederung dieser Materie in das Strafgesetzbuch – geringeren normativen Rückwirkung auf den Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs45. Für den Rechtsunterworfenen ergibt sich überdies der Vorteil einer größeren Transparenz und besseren Zugänglichkeit der Rechtsmaterie.46 Wenn das Völkerstrafgesetzbuch soeben als weitgehend eigenständiges Gesetz bezeichnet wurde, soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass es nicht völlig isoliert neben dem StGB steht. § 2 VStGB erklärt als Verweisungsnorm, dass auf Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch das allgemeine Strafrecht Anwendung findet, soweit nicht die §§ 1, 3, 4, 5 VStGB besondere Bestimmungen treffen. Auch die hierdurch vorgenommene teilweise „Einbettung des Völkerstrafgesetzbuches in das allgemeine deutsche Strafrecht“47 lässt sich jedoch mit den hier dargestellten Zielen – der Verbesserung der Rechtsklarheit und der Steigerung der Handhabbarkeit in der Praxis – erklären: Mit § 2 VStGB ist es dem Gesetzgeber gelungen, für den Bereich der Allgemeinen Regeln so weit wie möglich auf Sondervorschriften gegenüber dem StGB – und damit auf die Etablierung eines zweiten umfassenden Allgemeinen Teils innerhalb des deutschen Strafrechts48 – zu verzichten.49

5. Viertes Ziel: Förderung und Verbreitung des humanitären Völkerrechts Die Schaffung des Völkerstrafgesetzbuchs als weitgehend eigenständiges Gesetz neben dem StGB dient aber nicht nur der Rechtsklarheit und Handhabbarkeit in der Praxis, sondern bewirkt auch eine – im Vergleich zu einer völligen Eingliederung dieser Materie in das StGB – höhere Symbolkraft50. Durch eine weitgehend eigenständige Kodifikation besteht auch nicht die Gefahr, dass das Völker42

Satzger, NStZ 2002, S. 126; vgl. Kreß, Vom Nutzen, S. 19 ff. Vgl. Werle, JZ 2001, S. 888. 44 Vgl. Roitzheim, DRiZ 2001, S. 449. 45 Zimmermann, ZRP 2002, S. 99. 46 Blanke / Molitor, AVR 39 (2001), S. 168; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 278. 47 Werle, JZ 2001, S. 889. 48 Werle, JZ 2001, S. 889. 49 Vgl. Roitzheim, DRiZ 2001, S. 448. 50 Zimmermann, ZRP 2002, S. 99. 43

42

B. Das Völkerstrafgesetzbuch

strafrecht in der deutschen Rechtsordnung zum bloßen Nebenstrafrecht degradiert wird.51 Die Schaffung eines eigenen Gesetzes, welches relativ einfach im Ausland übernommen werden kann, begünstigt überdies die Exportierbarkeit dieser Materie in andere Rechtsordnungen.52 So kann ein leicht rezipierbares Völkerstrafgesetzbuch Vorbildfunktion insbesondere für solche Staaten erlangen, die sich – aufgrund geringerer juristischer Ressourcen – im Rahmen ihrer Gesetzgebung an den Rechtsordnungen anderer Staaten orientieren.53

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

Das Völkerstrafgesetzbuch besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil (§§ 1–5 VStGB) enthält die allgemeinen Regelungen, während der zweite Teil (§§ 6–14 VStGB) die Straftaten gegen das Völkerrecht normiert und somit den Besonderen Teil darstellt.

1. Teil 1: Allgemeine Regelungen (§§ 1 bis 5 VStGB) Das Völkerstrafgesetzbuch enthält, wie dargestellt, keinen in sich geschlossenen Allgemeinen Teil, sondern beschränkt sich lediglich auf einige Abweichungen gegenüber dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs. § 2 VStGB erklärt als Verweisungsnorm, dass auf Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch das allgemeine Strafrecht Anwendung findet, soweit nicht die §§ 1, 3, 4, 5 VStGB besondere Bestimmungen treffen. Im Hinblick auf den Allgemeinen Teil gelten deshalb nach § 2 VStGB grundsätzlich die Regelungen des Allgemeinen Teils des StGB sowie die im deutschen Strafrecht allgemein anerkannten ungeschriebenen Grundsätze, die zum Beispiel die Voraussetzungen von Vorsatz und Fahrlässigkeit regeln.54 Nur soweit das Völkerstrafgesetzbuch in seinen §§ 1, 3, 4 und 5 Sondervorschriften enthält, verdrängen diese gemäß § 2 VStGB die allgemeinen Regelungen.55 Der Anwendungsbereich des Völkerstrafgesetzbuchs wird durch dessen § 1 normiert; § 3 VStGB enthält einen speziellen Schuldausschließungsgrund für denjenigen, der eine Tat nach §§ 8 bis 14 VStGB in Ausführung eines militärischen Befehls oder einer Anordnung von vergleichbarer tatsächlicher Bindungswirkung begeht, sofern der Täter nicht erkennt, dass der Befehl bzw. die Anordnung rechts51 52 53 54 55

Satzger, NStZ 2002, S. 126. Zimmermann, ZRP 2002, S. 99. Vgl. Wirth / Harder, ZRP 2000, S. 146. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 14. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 14.

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

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widrig ist und deren Rechtswidrigkeit auch nicht offensichtlich ist56; § 4 VStGB regelt die strafrechtliche Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter57 und § 5 VStGB normiert die Unverjährbarkeit von Verbrechen58 nach dem VStGB. Mit der Einführung dieser wenigen Spezialregelungen übte der Gesetzgeber große Zurückhaltung.59 Dies mag auf den ersten Blick merkwürdig anmuten, da das Römische Statut in Art. 22 bis 33 sowie 77 bis 80 einen nahezu kompletten Allgemeinen Teil enthält. Die Vorgehensweise des Gesetzgebers ist jedoch in mehrfacher Hinsicht begründet: So wurde hier bereits darauf hingewiesen, dass die durch § 2 VStGB erfolgende weitgehende Einbettung des Allgemeinen Teils des VStGB in das allgemeine deutsche Strafrecht von pragmatischen Erwägungen geleitet wurde. Für Straftaten gegen das Völkerrecht sollte kein zweiter kompletter Allgemeiner Teil innerhalb des deutschen Strafrechts etabliert werden.60 Der Gesetzgeber verzichtete also aus Gründen der Rechtssicherheit und der Vereinfachung der Rechtsanwendung für den Allgemeinen Teil des Völkerstrafgesetzbuchs soweit wie möglich auf Sondervorschriften.61 Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung des Gesetzgebers im Bereich des Allgemeinen Teils des Völkerstrafgesetzbuchs liegt darin, dass der Anpassungsbedarf des deutschen Strafrechts an das völkerrechtliche Strafrecht im Bereich des Allgemeinen Teils erheblich geringer ist als im Bereich des Besonderen Teils. Dar56 § 3 VStGB stellt im Vergleich zu § 17 StGB, welcher auch für den Bereich des VStGB anwendbar bleibt, eine für den Täter günstigere Irrtumsregelung dar (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 18). 57 Da § 4 VStGB im Zusammenhang mit §§ 13, 14 VStGB steht, werden diese drei Normen weiter unten [vgl. Kapitel B. II. 2. c)] gemeinsam erörtert. 58 Da § 5 VStGB seinem Wortlaut nach nur für Verbrechen nach dem VStGB gilt und sich der Begriff des Verbrechens nach § 2 VStGB i. V. m. § 12 Abs. 1, Abs. 3 StGB bestimmt, finden auf die Vergehen nach §§ 13, 14 VStGB gemäß § 2 VStGB die allgemeinen Verjährungsfristen des StGB Anwendung. Begründet wird diese gesetzgeberische Entscheidung mit Gleichheitserwägungen im Hinblick auf das StGB (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 19). Durch diese Beschränkung der Reichweite von § 5 VStGB auf Verbrechen i. S. d. § 2 VStGB i. V. m. § 12 Abs. 1, Abs. 3 StGB ergibt sich eine Deckungslücke zwischen dem VStGB und dem Römischen Statut, da Art. 29 IStGH-Statut einen Verjährungsausschluss für sämtliche Straftaten i. S. d. Art. 5 IStGH-Statut vorsieht. Somit kann es zu dem – im Hinblick auf das Komplementaritätsprinzip unerwünschten – Ergebnis kommen, dass eine Straftat nach §§ 13, 14 VStGB auf Grund von Verjährung in Deutschland nicht mehr verfolgbar ist, während der IStGH dieselbe Tat – mangels Verjährbarkeit der in seine Zuständigkeit fallenden Delikte – aburteilen könnte (Satzger, NStZ 2002, S. 129). 59 Satzger, NStZ 2002, S. 127. So enthält das Völkerstrafgesetzbuch beispielsweise keine Sonderregelung zur Notwehr, obwohl Art. 31 Abs. 1 Buchst. c IStGH-Statut eine eigenständige Regelung zur Notwehr enthält, die gegenüber § 32 StGB einige Modifikationen aufweist. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs war die Übernahme dieser Statutsvorschrift in das Völkerstrafgesetzbuch entbehrlich, da bereits im Rahmen des § 32 StGB statutskonforme Ergebnisse zu erzielen seien (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 15). 60 Werle, JZ 2001, S. 889 f. 61 Vgl. Roitzheim, DRiZ 2001, S. 448.

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

über hinaus ist zu bedenken, dass die Entwicklung des Allgemeinen Teils im völkerrechtlichen Strafrecht nicht annähernd den gleichen Reifegrad aufweist wie die Entwicklung des Besonderen Teils in dieser Rechtsmaterie. Zwar enthalten die Art. 22 bis 33 IStGH-Statut und Art. 77 bis 80 IStGH-Statut einen Allgemeinen Teil des Völkerstrafrechts, der nahezu alle in §§ 13–35 StGB geregelten Institutionen aufgreift, jedoch stellen diese Normen des Römischen Statuts die erste zusammenhängende Regelung eines Allgemeinen Teils des völkerrechtlichen Strafrechts dar.62 Dementsprechend finden sich in diesem Teil des Statuts noch viele „Kompromißformulierungen […], die als ‚völkerstrafrechtliches Rohmaterial‘ noch des strafrechtsdogmatischen Feinschliffs bedürfen“63. Da hier also noch für viele Regelungen eine Konsolidierung durch Wissenschaft und Praxis notwendig ist, hätte eine vollständige Übernahme des Allgemeinen Teils des Römischen Statuts in das Völkerstrafgesetzbuch eher zur Verwirrung beigetragen als für Klarheit gesorgt.64 Aus diesem Grunde ist die vom Gesetzgeber im ersten Teil des Völkerstrafgesetzbuchs gewählte Vorgehensweise zu begrüßen, auch wenn sie zu teilweisen Abweichungen des Allgemeinen Teils des deutschen Völkerstrafrechts vom Allgemeinen Teil des Römischen Statuts führt. Solche Abweichungen ergeben sich dabei in zwei Richtungen: Teilweise bleiben die Normen des Allgemeinen Teils des deutschen Völkerstrafrechts hinter dem Römischen Statut zurück65, teilweise gehen sie darüber hinaus66. Beide Fälle führen zu verschiedenen Problemen, die 62

Vgl. Werle, JZ 2001, S. 890; Weigend, FS Roxin, S. 1386. Weigend, FS Roxin, S. 1386. 64 Werle, JZ 2001, S. 890. 65 So wurde bereits auf die unterschiedlichen Verjährungsvorschriften im deutschen Recht und im Römischen Statut hingewiesen. Weitere Beispiele für ein Zurückbleiben des Allgemeinen Teils des deutschen Völkerstrafrechts hinter dem Römischen Statut sind der Notwehrexzess und der Rücktritt. So fehlt im Römischen Statut eine dem § 33 StGB (i. V. m. § 2 VStGB) entsprechende Normierung des Notwehrexzesses (vgl. Satzger, NStZ 2002, S. 128). Und im Bereich des Rücktritts ergibt sich eine Deckungslücke zwischen dem deutschen Recht und dem Römischen Statut dadurch, dass nach § 24 Abs. 1 S. 2 StGB (i. V. m. § 2 VStGB) dem Täter auch dann Strafbefreiung zukommt, wenn der Erfolg eintritt, dieser Erfolg dem Täter aber nicht objektiv zugerechnet werden kann und er sich freiwillig und ernsthaft um die Vollendungsverhinderung bemüht hat (vgl. Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 646), wohingegen nach Art. 25 Abs. 3 Buchst. f Römisches Statut ein Rücktritt immer nur bei Ausbleiben des Erfolgs in Betracht kommt (Satzger, NStZ 2002, S. 128, Fn. 46). 66 Beispiele hierfür sind die Regelungen über den bedingten Vorsatz und die Unterlassungsstrafbarkeit. So bewirkt § 2 VStGB, dass im deutschen Recht auch für Straftaten gegen das Völkerrecht grundsätzlich bedingter Vorsatz ausreichend ist. Nach Art. 30 Abs. 1 IStGH-Statut ist demgegenüber grundsätzlich nur strafbar, wer die Taten mit „intent and knowledge“ begeht. Bedeutung und Reichweite dieser Vorsatzdefinition bedürfen der Klärung, jedoch sind nach vorherrschender Auffassung Fälle des bedingten Vorsatzes vom Statut grundsätzlich nicht erfasst (vgl. Werle, JZ 2001, S. 890; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 164). Im Hinblick auf die Unterlassungsstrafbarkeit geht das deutsche Strafrecht weiter als das Römische Statut, da über § 2 VStGB i. V. m. § 13 StGB eine umfassende Unterlassungsstraf63

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

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im Folgenden näher erörtert werden. Soweit im Bereich des Besonderen Teils des Völkerstrafgesetzbuchs vergleichbare Abweichungen vom Römischen Statut bestehen, gelten die folgenden Überlegungen entsprechend. Der erste der beiden Fälle – also das Zurückbleiben des deutschen Völkerstrafrechts hinter dem Römischen Statut – ist im Hinblick auf das Komplementaritätsprinzip des IStGH-Statuts nicht unproblematisch. Es sind hier nämlich Fälle denkbar, in denen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (in Verbindung mit dem Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs) eine Verurteilung unmöglich ist, während eine Bestrafung durch den Internationalen Ständigen Strafgerichtshof auf der Grundlage des Statuts denkbar ist67, wodurch die Pönalisierungsobliegenheit, die sich aus dem Römischen Statut ergibt, teilweise nicht erfüllt wird.68 In diesen Fällen ist deshalb zu fragen, ob nicht – im Hinblick auf das Komplementaritätsprinzip und die Pönalisierungsobliegenheit des Römischen Statuts – mittels einer völkerrechtskonformen Auslegung69 der betreffenden deutschen Normen ein Gleichlauf mit dem Römischen Statut erreicht werden könnte. Der Möglichkeit einer solchen völkerrechtskonformen Auslegung sind jedoch Grenzen gesetzt. Solche Grenzen ergeben sich zum Beispiel aus dem möglichen Wortsinn sowie dem erkennbaren Zweck der auszulegenden Norm. Zum Beispiel muss eine völkerrechtskonforme Auslegung nach hier vertretener Auffassung dann ausscheiden, wenn der Gesetzgeber bewusst von den Vorgaben des Römischen Statuts abgewichen ist. Es ist daher immer im Einzelfall zu prüfen, ob eine solche völkerrechtskonforme Auslegung möglich ist.70 Die Frage einer völkerrechtskonformen Auslegung stellt sich auch in dem umgekehrten Fall, in dem die Normen des Völkerstrafgesetzbuchs über das Römische

barkeit begründet wird, während sich im Römischen Statut die strafrechtliche Haftung für das Unterlassen einer gebotenen Handlung – abgesehen von der speziellen Form der Befehlsgeberoder Vorgesetztenverantwortlichkeit – ebenso wenig findet wie überhaupt im Völkerstrafrecht (Werle, JZ 2001, S. 890, Fn. 45; vgl. Ambos, CLF 1999, S. 19). 67 Vgl. Satzger, NStZ 2002, S. 128. 68 Vgl. Satzger, Internationales Strafrecht, § 16, Rn. 18 ff. 69 Ausführlich zum Rechtsinstitut der völkerrechtskonformen Auslegung vgl. unten: Kapitel D. III. 2. c). 70 Zu berücksichtigen ist für den Fall des Zurückbleibens des Allgemeinen Teils des Völkerstrafgesetzbuchs hinter dem Römischen Statut auch eine mögliche Abmilderung des Problems durch Art. 31 Abs. 3 IStGH-Statut. Nach dieser Norm ist der Internationale Ständige Strafgerichtshof befugt, auf der Grundlage des nach Art. 21 IStGH-Statut anwendbaren Rechts auch andere als die in Art. 31 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Gründe für den Ausschluss strafrechtlicher Verantwortlichkeit in Betracht zu ziehen (vgl. Satzger, NStZ 2002, S. 128). Zu dem nach Art. 21 IStGH-Statut anwendbaren Recht gehören dabei unter anderem auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die der Gerichtshof aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Rechtssysteme der Welt ableitet (Art. 21 Abs. 1 Buchst. c IStGH-Statut). Möglicherweise finden auf diese Weise in Verfahren vor dem IStGH auch diejenigen oben genannten Gründe Anwendung, die nach deutschem Recht den Ausschluss der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach sich ziehen.

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

Statut hinausgehen, also mehr Verhaltensweisen unter Strafe stellen als das Statut. Eine völkerrechtsfreundliche Auslegung ist hier allerdings nicht vor dem Hintergrund des Komplementaritätsprinzips, sondern vielmehr vor dem Hintergrund des völkerrechtlichen Interventionsverbots und des durch § 1 VStGB statuierten Weltrechtsprinzips in Betracht zu ziehen. Für die Ausübung von Hoheitsgewalt bei Sachverhalten mit Auslandsbezug ist nach Völkergewohnheitsrecht ein legitimierender Anknüpfungspunkt erforderlich.71 Aus völkerrechtlicher Sicht wäre es deswegen grundsätzlich unstatthaft, wenn sich ein Staat anmaßen würde, Vorgänge zu regeln, die mit ihm in keinerlei Beziehung stehen.72 Übt ein Staat im Hinblick auf einen Sachverhalt mit Auslandsbezug Hoheitsgewalt ohne Vorliegen eines legitimierenden Anknüpfungspunktes aus, so stellt dies grundsätzlich einen unzulässigen Eingriff in die Belange anderer Staaten und damit einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot dar.73 Worin ein legitimierender Anknüpfungspunkt im eben genannten Sinne zu sehen ist, hängt dabei von der Eigenart des Regelungsgegenstandes ab.74 Als legitimierende Anknüpfungspunkte sind völkergewohnheitsrechtlich unter anderem das Territorialitätsprinzip75, das aktive Personalitätsprinzip76, das Schutzprinzip77

71 O’Keefe, JICJ 2 (2004), S. 738; Wallace, International Law, S. 109. Vgl. (bezogen auf die Auferlegung von Abgaben gegen einen im Ausland lebenden Ausländer, die an einen Sachverhalt anknüpft, der ganz oder teilweise im Ausland verwirklicht worden ist) BVerfGE 63, 343 (369). 72 Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Aufl., Rn. 1366; vgl. Oxman, Jurisdiction of States, in: Bernhardt, S. 55. 73 Herdegen, Völkerrecht, § 26, Rn. 1. 74 BVerfG NJW 2001, 1848 (1852). 75 Das Territorialitätsprinzip knüpft an den Tatort an und weist damit demjenigen Staat, der die Gebietshoheit ausübt, die Strafgewalt über alle auf seinem Territorium begangenen Taten zu (Henzelin, Le principe de l’universalité en droit pénal international, S. 22; Podgor, Studies in Law, Politics, and Society 28 [2003], S. 119; O’Keefe, JICJ 2 [2004], S. 739; Zieher, Das sog. Internationale Strafrecht nach der Reform, S. 75 f.; vgl. Oxman, Jurisdiction of States, in: Bernhardt, S. 56 f.). 76 Beim aktiven Personalitätsprinzip knüpft die Strafgewalt an die Staatsangehörigkeit des Täters an (Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 511. Vgl. Akehurst, BYIL 46 [1972–1973], S. 156; Wallace, International Law, S. 112; O’Keefe, JICJ 2 [2004], S. 739; Henzelin, Le principe de l’universalité en droit pénal international, S. 25). 77 Nach dem Schutzprinzip erstreckt sich die nationale Strafgewalt auch auf Taten, die inländische Rechtsgüter verletzen oder gefährden, und zwar unabhängig davon, durch welchen Täter oder an welchem Ort diese Taten begangen werden (MüKo-Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 39). Dieses Prinzip unterteilt sich in das Schutzprinzip im staatsschutzrechtlichen Sinne (Realprinzip) sowie das Schutzprinzip im individualrechtlichen Sinne (Passives Personalitätsprinzip) (O’Keefe, JICJ 2 [2004], S. 739; Wallace, International Law, S. 118; vgl. Akehurst, BYIL 46 [1972–1973], S. 157 ff.). Während jedoch das Realprinzip nahezu unbestritten ist, wird das passive Personalitätsprinzip demgegenüber immer stärker in Zweifel gezogen (vgl. SchSch-Eser, Vorbem. §§ 3–7, Rn. 7), so z. B. von: Schultz, GA 1966, S. 202; Vogler, FS Maurach, S. 605.

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

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sowie das angesprochene Weltrechtsprinzip (oder auch Universalitätsprinzip) anerkannt.78 Dabei erlaubt der zuletzt genannte Grundsatz – das Weltrechts- bzw. Universalitätsprinzip – jedem Staat die weltweite innerstaatliche Verfolgung bestimmter extraterritorialer Straftaten unabhängig vom Tatort und unabhängig davon, welche Staatsangehörigkeit Täter und Opfer haben.79 Der legitimierende Anknüpfungspunkt zur Ausübung von Hoheitsgewalt ergibt sich hier aus dem Unrechtsgehalt der Tat.80 An bestimmten Rechtsgütern hat die Staatengemeinschaft nämlich ein so hohes Interesse, dass nach Völkergewohnheitsrecht die Verteidigung dieser Rechtsgüter mit den Mitteln des Strafrechts jedem Staat erlaubt ist.81 Grundgedanke dieses Weltrechtsprinzips ist die Solidarität aller Staaten beim Schutz allgemein anerkannter Rechtsgüter von überragender Bedeutung.82 Die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Weltrechtsprinzips ist unter anderem83 für Völkermord, Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt84 sowie für Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt.85 Durch § 1 VStGB wird das Weltrechtsprinzip für die im Völkerstrafgesetzbuch normierten Verbrechen86 für anwendbar erklärt.87 Begründet wird diese legislative Entscheidung damit, dass sich die im Völkerstrafgesetzbuch geregelten Verbrechen durchweg gegen die vitalen Interessen der Völkergemeinschaft richten.88 78 Vgl. O’Keefe, JICJ 2 (2004), S. 739 f.; Cassese, International Criminal Law, S. 277 ff.; Wallace, International Law, S. 109. 79 Cottier, Universal and Territorial Jurisdiction, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 850; O’Keefe, JICJ 2 (2004), S. 739 f.; Green, International and Comparative Law Quarterly 29 (1980), S. 568; Broomhall, International Justice and the ICC, S. 106; MüKo-Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 47; Staudinger, NJW 1999, S. 3099; Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 123; Cassese, International Criminal Law, S. 284; Oxman, Jurisdiction of States, in: Bernhardt, S. 58. 80 Werle, JZ 2001, S. 890; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 729; Broomhall, International Justice and the ICC, S. 107. 81 Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 512; Cassese, International Criminal Law, S. 284; Cottier, Universal and Territorial Jurisdiction, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 851; Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 357; vgl. Keller, GA 2006, S. 27. 82 Staudinger, NJW 1999, S. 3099; SchSch-Eser, Vorbem. §§ 3–7, Rn. 8. 83 Vgl. zur Folter etwa: Brody / Duffy, Prosecuting Torture Universally, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 829 ff. 84 Zur Frage der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung des Weltrechtsprinzips für nichtinternationale bewaffnete Konflikte vgl. unten in diesem Kapitel. 85 Vgl. Broomhall, International Justice and the ICC, S. 110; Werle, ZStW 109 (1997), S. 824; Robinson, The Elements of Crimes against Humanity, Introduction, in: Lee, S. 57. 86 Damit gilt das Weltrechtsprinzip nach § 1 VStGB nur für die Verbrechen (im Sinne des § 12 Abs. 1, Abs. 3 StGB i. V. m. § 2 VStGB) nach §§ 6 bis 12 VStGB. Da die §§ 13, 14 VStGB demgegenüber Vergehen im Sinne des § 12 Abs. 2, Abs. 3 StGB i. V. m. § 2 VStGB darstellen, finden auf sie nicht § 1 VStGB, sondern die allgemeinen Regeln der §§ 3 bis 7 StGB i. V. m. § 2 VStGB Anwendung. 87 Gierhake, ZStW 120 (2008), S. 375; vgl. Ambos / Wirth, Genocide and War Crimes, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 770 f. 88 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 14.

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

Dadurch, dass § 1 VStGB deutlich macht, dass deutsche Gerichte für Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch auch dann zuständig sind, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist, wird die anderslautende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Geltung des Weltrechtsprinzips für Völkermord (§ 6 Nr. 1 StGB a. F.)89 – zumindest für den Bereich des Völkerstrafgesetzbuchs – gesetzgeberisch korrigiert.90 Im Hinblick auf die durch § 1 VStGB erfolgende Anordnung des Weltrechtsprinzips für Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch ist die oben angesprochene Tatsache, dass das Völkerstrafgesetzbuch teilweise über das Römische Statut hinausgeht – also mehr Verhaltensweisen unter Strafe stellt als das Statut – insofern von Bedeutung, als das Weltrechtsprinzip nach Völkerrecht nicht unbeschränkt zulässig ist. Es wurde in dieser Untersuchung darauf hingewiesen, dass sich der legitimierende Anknüpfungspunkt zur Ausübung von Hoheitsgewalt im Rahmen des Weltrechtsprinzips aus dem Unrechtsgehalt der Tat ergibt und dass das Völkergewohnheitsrecht die Strafverfolgung unter Anwendung dieses Prinzips nur bei Verletzung bestimmter Rechtsgüter gestattet. Daraus folgt, dass der Unrechtsgehalt der Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch nur solange den erforderlichen völkerrechtlichen Anknüpfungspunkt für die Ausübung von Hoheitsgewalt unter Anwendung des Weltrechtsprinzips – also für die strafrechtliche Ahndung von Taten ohne Inlandsbezug – bietet, wie nach Völkergewohnheitsrecht für entsprechende Taten das Universalitätsprinzip zulässig ist. Sollte das Völkerstrafgesetzbuch ein Verbrechen normieren, für welches das Völkergewohnheitsrecht nicht die Geltung des Weltrechtsprinzips vorsieht, so würde die durch ein deutsches Gericht erfolgende Ahndung dieses Verbrechens, wenn es keinen Inlandsbezug aufweist,

89 Vgl. beispielsweise das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. April 1999, in dem es heißt: „Nach § 6 Nr. 1 StGB gilt kraft des Weltrechtsprinzips deutsches Strafrecht für ein im Ausland begangenes Verbrechen des Völkermordes. […] bedarf es – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus – eines legitimierenden Anknüpfungspunktes im Einzelfall, der einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung zum Inland herstellt; nur dann ist die Anwendung innerstaatlicher (deutscher) Strafgewalt auf die Auslandstat eines Ausländers gerechtfertigt. Fehlt ein derartiger Inlandsbezug, verstößt die Strafverfolgung gegen das Nichteinmischungsprinzip, das aus der völkerrechtlich gebotenen Beachtung der Souveränität anderer Staaten folgt.“ (BGHSt 45, 64 [65 f.]) Zuletzt war diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings ins Wanken geraten (Zimmermann, ZRP 2002, S. 100). In einem Urteil vom 21. Februar 2001 erklärte der BGH, er neige „dazu, jedenfalls bei § 6 Nr. 9 StGB, solche zusätzlichen legitimierenden Anknüpfungstatsachen für nicht erforderlich zu halten“ (BGHSt 46, 292 [307]). Das Bundesverfassungsgericht ließ in einem Beschluss vom 12. Dezember 2000 zur Geltung deutschen Strafrechts für Völkermord im Ausland die Frage, ob bei § 6 Nr. 1 StGB im Hinblick auf das Interventionsverbot ein weiterer Anknüpfungspunkt zu verlangen sei, ausdrücklich offen (BVerfG NJW 2001, 1848 [1852 f.]). 90 Zimmermann, ZRP 2002, S. 100; Satzger, NStZ 2002, S. 131; Werle, JZ 2001, S. 890; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 729.

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

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nach hier vertretener Auffassung einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot darstellen.91 Aus dem Bereich des Besonderen Teils des Völkerstrafgesetzbuchs erachtet Satzger diesbezüglich insbesondere die über das Römische Statut hinausgehende Gleichstellung von internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten durch § 10 Abs. 2 oder § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 5 VStGB als problematisch.92 Werle gesteht demgegenüber zwar ein, dass sich Zweifel an der völkergewohnheitsrechtlichen Geltung des Weltrechtsprinzips für nichtinternationale bewaffnete Konflikte daraus ergeben, dass die Genfer Abkommen die Geltung des Weltrechtsprinzips nur für Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt ausdrücklich vorsehen.93 Gleichwohl soll ihm zufolge die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Weltrechtsprinzips auch im Hinblick auf Bürgerkriegsverbrechen zu bejahen sein.94 Besonders problematisch ist aus dem Bereich des Allgemeinen Teils in diesem Zusammenhang der durch § 2 VStGB erfolgende Verweis auf das Allgemeine Strafrecht, der unter anderem zur Folge hat, dass auch im Rahmen des Völkerstrafgesetzbuchs zur Tatbestandsverwirklichung grundsätzlich bedingter Vorsatz ausreicht, wohingegen Art. 30 des Römischen Statuts nach nicht unumstrittener95, aber wohl vorherrschender Auffassung96 Fälle des bedingten Vorsatzes nicht er-

91 Ambos zufolge kann die Anwendung von § 1 VStGB nicht zu einem Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot führen, da die §§ 6–12 VStGB seiner Auffassung nach völkerrechtliche Kernverbrechen („core crimes“) normieren, deren Verfolgung im Interesse der Menschheit als solcher liegt (Ambos, NStZ 2006, S. 434). 92 Satzger, NStZ 2002, S. 132; Satzger, Internationales Strafrecht, § 16, Rn. 39. 93 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 187, Fn. 377. 94 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 187; ebenso: Kreß, Israel Yearbook on Human Rights 30 (2000), S. 169 f. 95 Vgl. hierzu: Saland, Principles, in: Lee, S. 205. 96 So zum Beispiel: Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 804: „Art. 30 [IStGH-Statut] verlangt die wissentliche und willentliche Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale der Art. 6–8 im Sinne des dolus directus. Im Hinblick auf die tatbestandliche Tätigkeit muß der Täter willentlich, im Hinblick auf den Erfolg willentlich und wissentlich, im Hinblick auf Tatumstände wissentlich handeln.“ Ambos, CLF 1999, S. 21 f.: „[T]he wording of article 30 hardly leaves room for an interpretation which includes dolus eventualis within the concept of intent as a kind of ‚indirect intent‘.“ Weigend, FS Roxin, S. 1389 f.: „Art. 30 Abs. 1 IStGH-Statut stellt zunächst den Grundsatz auf, daß die dort behandelten Taten, wenn nichts anderes bestimmt ist,[…] nur dann strafbar sind, wenn der Täter sie mit ‚intent and knowledge‘ begeht.[…] Dabei bezieht sich der Ausdruck ‚intent‘, wie sich aus einer Definition in Art. 30 Abs. 2 des Statuts ergibt, auf das Verhalten des Täters sowie auf dessen Folgen und erfaßt insoweit etwa den Bereich, den man im deutschen Recht mit ‚dolus directus‘ umschreibt;[…] der Begriff ‚knowledge‘ bezieht sich auf sonstige (Begleit-)Umstände der Tat sowie deren Konsequenzen und läßt sich als ‚Bewußtsein‘ verstehen, daß ein

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

fasst97. Unter Berücksichtigung dieser – wenn auch innerhalb der Forschung noch nicht endgültig geklärten – Völkerrechtslage sind Fälle denkbar, in denen die durch ein deutsches Gericht erfolgende Anwendung des Weltrechtsprinzips auf ein mit bedingtem Vorsatz begangenes Delikt nach dem Völkerstrafgesetzbuch – also die Ahndung einer solchen Tat, die keinen Inlandsbezug aufweist – einen Verstoß gegen das Interventionsverbot darstellt. Zur Vermeidung eines solchen Verstoßes bieten sich in den Fällen, in denen das Völkergewohnheitsrecht – im Gegensatz zu § 1 VStGB – die Anwendung des Weltrechtsprinzips nicht gestattet, verschiedene Lösungsmöglichkeiten an. In Betracht kommt beispielsweise eine Angleichung des Völkerstrafgesetzbuchs an das Völkergewohnheitsrecht im Wege der völkerrechtskonformen Auslegung. Eine solche Auslegung scheitert jedoch nach hier vertretener Auffassung jedenfalls dann, wenn der deutsche Gesetzgeber bei der Schaffung des Völkerstrafgesetzbuchs bewusst von völkerrechtlichen Vorgaben abgewichen ist.98 Aus diesem Grunde muss wohl auch die zweite Lösungsmöglichkeit, nämlich eine völkerrechtskonforme Auslegung des § 1 VStGB dahingehend, dass im Falle eines drohenden Verstoßes gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot ein Inlandsbezug der Tat erforderlich ist, regelmäßig ausscheiden.99 Am ehesten gangbar erscheint eine Lösung des Problems im Wege einer völkerrechtskonformen Auslegung des § 153f StPO – einer Vorschrift, die § 1 VStGB im Verfahrensrecht flankiert100. § 153f StPO enthält Möglichkeiten der Einstelsolcher Umstand vorliegt bzw. daß er voraussichtlich (‚im gewöhnlichen Verlauf der Ereignisse‘) die im Tatbestand beschriebene Folge haben wird.“ BT-Drucks. 14 / 8524, S. 15: „Von der Vorsatzdefinition des Artikels 30 IStGH Statut ist […] der Fall nicht erfasst, dass der Täter sich einen bestimmten Taterfolg nur als möglich vorstellt, ihn aber für den Fall seines Eintritts billigend in Kauf nimmt.“ 97 Vgl. hierzu: Werle, JZ 2001, S. 890; R. Arnold, CLF 2003, S. 129 ff. 98 Aus diesem Grunde ist die Auffassung Zimmermanns, der eine völkerrechtskonforme Auslegung des § 2 VStGB befürwortet – wohl dahingehend, dass diese Norm nur in eingeschränkter Weise auf § 15 StGB verweist und damit Fälle des bedingten Vorsatzes nicht erfasst – (Zimmermann, NJW 2002, S. 3069), abzulehnen. Der deutsche Gesetzgeber hat das Vorsatzverständnis des Art. 30 IStGH-Statut, das auch seiner Meinung nach Fälle bedingten Vorsatzes nicht erfasst, bewusst nicht ins Völkerstrafgesetzbuch übernommen, da bei den in diesem Gesetz geregelten Delikten die Begehung mit bedingtem Vorsatz nicht als weniger vorwerfbar angesehen werden könne als in den sonstigen Fällen des deutschen Rechts, in denen eine Möglichkeitsvorstellung des Täters bereits zur Vorsatzstrafe führt. Der deutsche Gesetzgeber wollte den Verweis des § 2 VStGB also in bewusster Abweichung vom Völkerrecht (unter der Prämisse, dass Art. 30 IStGH-Statut Fälle des bedingten Vorsatzes wirklich nicht erfasst) vollständig auf § 15 StGB erstrecken, so dass auch für Delikte nach dem Völkerstrafgesetzbuch grundsätzlich bedingter Vorsatz ausreicht (vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 15). 99 In BT-Drucks. 14 / 8524, S. 14, wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass durch die Formulierung von § 1 VStGB klargestellt werde, „dass es jedenfalls für die Verbrechen nach dem VStGB eines besonderen Inlandsbezugs nicht bedarf“. 100 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 37; Weigend, Völkerstrafgesetzbuch, in: Neubacher / Klein, S. 131; vgl. Meyer-Gossner, § 153f, Rn. 1.

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

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lung des Strafverfahrens101, durch die das in § 1 VStGB normierte Weltrechtsprinzip abgemildert wird.102 Das ansonsten nach § 153c StPO bei Auslandstaten bestehende Einstellungsermessen der Staatsanwaltschaft wird durch § 153f StPO für den Bereich des Völkerstrafgesetzbuchs103 strukturiert.104 Für Fälle mit starkem Inlandsbezug ergibt sich aus § 153f StPO eine prinzipielle Strafverfolgungspflicht.105 Andererseits sollen die deutschen Strafverfolgungsbehörden nach der gesetzgeberischen Intention bei Vorliegen bestimmter Fallkonstellationen grundsätzlich von ihrer Verfolgungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen, sondern ausländischen oder internationalen Strafverfolgungsbehörden den Vortritt lassen. Begründet wird dies zum einen damit, dass eine Überlastung der deutschen Ermittlungsressourcen durch Fälle, die keinen Bezug zu Deutschland aufweisen und bei denen die Aufnahme von Ermittlungen durch die deutschen Behörden auch keinen nennenswerten Aufklärungserfolg verspricht, vermieden werden soll, und zum anderen damit, dass grundsätzlich auch in den Fällen, welche dem Weltrechtsprinzip unterliegen, eine gestufte Zuständigkeitspriorität bestehe: Danach seien zur Strafverfolgung in erster Linie der Tatortstaat und der Heimatstaat von Täter oder Opfer sowie ein zuständiger internationaler Gerichtshof berufen; die an sich gegebene Zuständigkeit von Drittstaaten sei demgegenüber als Auffangzuständigkeit zu verstehen.106 In denjenigen Fällen, in denen ein Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch begangen wurde, welches keinen Inlandsbezug aufweist und für welches nach Völkergewohnheitsrecht das Universalitätsprinzip nicht zulässig ist, sollte § 153f StPO zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot in folgender Weise völkerrechtskonform ausgelegt werden: Soweit diese Norm in solchen Fällen ein Einstellungsermessen vorsieht, sollte dieses grundsätzlich auf Null reduziert sein, so dass zwingend einzustellen wäre.

101 Vgl. in diesem Zusammenhang die Entscheidungen des Generalbundesanwalts beim BGH und des OLG Stuttgarts zu den Strafanzeigen gegen den ehemaligen Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika Donald H. Rumsfeld wegen Folterungen im Gefängniskomplex Abu Ghraib (Irak): GBA JZ 2005, 311 f.; OLG Stuttgart NStZ 2006, 117 ff. Vgl. hierzu auch: Basak, HuV-I 2005, S. 85 ff. (passim); Fischer-Lescano, KJ 38 (2005), S. 72 ff. (passim); Ambos, NStZ 2006, S. 434 ff. (passim). 102 Zimmermann, ZRP 2002, S. 100; Gierhake, ZStW 120 (2008), S. 375; vgl. Roitzheim, DRiZ 2001, S. 449. 103 Vgl. § 153c Abs. 1 S. 2 StPO, wonach für Taten, die nach dem VStGB strafbar sind, § 153f StPO gilt. 104 Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 732; vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 37. 105 Vgl. Roitzheim, DRiZ 2001, S. 449. 106 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 37.

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

2. Teil 2: Straftaten gegen das Völkerrecht (§§ 6 bis 14 VStGB) Der zweite Teil des Völkerstrafgesetzbuchs – der Besondere Teil – gliedert sich in drei Abschnitte, nämlich den Abschnitt „Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (§§ 6, 7 VStGB), den Abschnitt „Kriegsverbrechen“ (§§ 8–12 VStGB) sowie den Abschnitt „Sonstige Straftaten“ (§§ 13, 14 VStGB). Bei der Formulierung der Tatbestände der §§ 6 bis 14 VStGB orientierte sich der Gesetzgeber zwar vor allem am Römischen Statut, an sonstigen verbindlichen Instrumenten des humanitären Völkerrechts sowie an den von der Vorbereitungskommission des Internationalen Strafgerichtshofs am 30. Juni 2000 angenommenen sogenannten Verbrechenselementen107, wich jedoch im Einzelfall von diesen Vorgaben ab, um eine Harmonisierung mit den in Deutschland üblichen Begriffen und Strukturen des Strafrechts zu erreichen.108 Bevor auf die einzelnen Tatbestände näher eingegangen wird, sollen an dieser Stelle zwei Aspekte angemerkt werden. Zum einen ist hervorzuheben, dass den einzelnen Straftatbeständen des Völkerstrafgesetzbuchs konkrete Strafrahmen zugeordnet sind, wohingegen das IStGH-Statut109 im Hinblick auf die zu verhängenden Strafen nur allgemeine, wenig bestimmte Vorgaben trifft.110 Die im Völkerstrafgesetzbuch erfolgte Festlegung konkreter Strafrahmen für das jeweilige Delikt ist unter anderem aufgrund des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG unerlässlich.111 Ein anderer zu erörternder Aspekt ist der des Verhältnisses zwischen den Straftatbeständen des Völkerstrafgesetzbuchs und denen des StGB. Da § 2 VStGB nur in §§ 1, 3, 4 und 5 VStGB verdrängende Sonderregelungen vorsieht, bleibt der gesamte Besondere Teil des StGB grund107 Gemäß Art. 9 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut helfen die Verbrechenselemente dem Gerichtshof bei der Auslegung und Anwendung der Art. 6, 7 und 8 IStGH-Statut. Vgl. hierzu: Rückert / Witschel, Genocide and Crimes against Humanity, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 59 ff. 108 Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 12 f. 109 Art. 77 IStGH-Statut sieht für die in Art. 5 IStGH-Statut genannten Verbrechen als Sanktionen eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe bis zu einem Höchstmaß von 30 Jahren (Art. 77 Abs. 1 Buchst. a IStGH-Statut) oder, wenn dies durch die außergewöhnliche Schwere des Verbrechens und die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten gerechtfertigt ist, eine lebenslange Freiheitsstrafe (Art. 77 Abs. 1 Buchst. b IStGH-Statut) vor. Neben der Freiheitsstrafe kann der Gerichtshof auch eine Geldstrafe nach den in der Verfahrens- und Beweisordnung enthaltenen Kriterien anordnen (Art. 77 Abs. 2 Buchst. a IStGH-Statut). Art. 78 IStGH-Statut enthält Regeln für die Festsetzung der Strafe. Zu berücksichtigende Kriterien sollen dabei zum Beispiel die Schwere des Verbrechens und die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten sein (Art. 78 Abs. 1 IStGH-Statut). Die genannten Regeln werden ergänzt und konkretisiert durch die Verfahrens- und Beweisregeln vom 2. November 2000 (Werle, JZ 2001, S. 891 f., Fn. 60; Satzger, NStZ 2002, S. 127, Fn. 36). 110 Satzger, NStZ 2002, S. 127; vgl. Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 355. 111 Werle, JZ 2001, S. 891 f.

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sätzlich auch auf die im Völkerstrafgesetzbuch unter Strafe gestellten Verhaltensweisen anwendbar.112 Wenn ein Täter also durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des StGB als auch einen solchen des VStGB verwirklicht, gelten somit die von der Verweisung des § 2 VStGB umfassten allgemeinen Konkurrenzregeln.113 Häufig wird in diesen Fällen nach dem Grundsatz der Spezialität das Völkerstrafgesetzbuch anzuwenden sein114, so vor allem im Bereich der Kriegsverbrechen115. Je nach Sachlage kann aber auch Tateinheit (§ 52 StGB i. V. m. § 2 VStGB) in Betracht kommen116, wie etwa im Verhältnis zwischen Völkermord (§ 6 VStGB) und Mord (§ 211 StGB)117.

a) Abschnitt 1: Völkermord (§ 6 VStGB) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) Das Völkerstrafgesetzbuch normiert die Tatbestände des Völkermordes (§ 6 VStGB) und des Verbrechens gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) aufgrund ihres engen Sachzusammenhangs118 in ein und demselben Abschnitt.119

112 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 14. Da das Völkerstrafgesetzbuch mithin keine abschließenden Sonderregelungen für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden, enthält, können außerdem Verhaltensweisen auch dann nach StGB strafbar sein, wenn eine Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht gegeben ist. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Vornahme völkerrechtlich zulässiger Kampfhandlungen nach allgemeinen Grundsätzen nicht strafbar ist und dann auch nicht nach §§ 211 ff. StGB bestraft werden kann, sofern der Täter die Regeln des völkerrechtlichen Kriegsführungsrechts eingehalten hat. War das Verhalten nach Völkerrecht verboten, so kann es allerdings auch dann nach deutschem Strafrecht strafbar sein, wenn das Völkerrecht selbst keine Strafbarkeit anordnet (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 13). 113 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 14; Werle, JZ 2001, S. 889, Fn. 38; vgl. Roitzheim, DRiZ 2001, S. 449. 114 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 13; Roitzheim, DRiZ 2001, S. 449. 115 Werle, JZ 2001, S. 889, Fn. 38. 116 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 13; Roitzheim, DRiZ 2001, S. 449. Da die §§ 1, 3, 4 und 5 VStGB nur für den Bereich des Völkerstrafgesetzbuchs abweichende Regelungen des StGB verdrängen, diese aber für den Bereich des allgemeinen Strafrechts unberührt lassen, kann es vorkommen, dass auf eine Handlung, die sowohl von Tatbeständen des StGB als auch von solchen des Völkerstrafgesetzbuchs erfasst wird, unterschiedliche allgemeine Regeln Anwendung finden (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 12). 117 Werle, JZ 2001, S. 889, Fn. 38. 118 Vgl. Triffterer-Schabas, Rome Statute, Art. 6, Rn. 29: „obvious overlap“. 119 Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 19; Hartmann, Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, in: Kühne / Esser / Gerding, Völkerstrafrecht, Kapitel 4, S. 136.

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aa) Völkermord (§ 6 VStGB) In der Resolution 96 (I) vom 11. Dezember 1946 definierte die UN-Generalversammlung den auf Raphael Lemkin120 zurückgehenden Begriff genocide als „denial of the right of existence of entire human groups“121. Der Tatbestand des Völkermordes nach § 6 VStGB erfasst verschiedene Handlungen, die in der Absicht vorgenommen werden, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische122 Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.123 Damit entspricht diese Bestimmung grundsätzlich den internationalen Völkermordtatbeständen nach Art. II der Völkermordkonvention, Art. 6 des IStGH-Statuts, Art. 4 des ICTY-Statuts oder Art. 2 des ICTR-Statuts124, die allesamt bei der Auslegung des § 6 VStGB zu berücksichtigen sind.125 Der Begriff des Völkermordes oder – gleichbedeutend – des Genozids ist insoweit etwas unscharf, als dieses Verbrechen weder eine Tötungshandlung noch die objektive Vernichtung eines ganzen Volkes voraussetzt.126 So ist nach § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuchs neben der Tötung eines Mitglieds der betreffenden Gruppe (Nr. 1) taugliche Tathandlung auch: 120

Lemkin, Axis Rule in Occupied Europe, S. 79: „New conceptions require new terms. By ‚genocide‘ we mean the destruction of a nation or of an ethnic group. This new word, coined by the author to denote an old practise in its modern development, is made from the ancient Greek word genos (race, tribe) and the Latin cide (killing), thus corresponding in its formation to such words as tyrannicide, homocide, infanticide, etc.“ 121 UN Documents A / 96(I) (1946) v. 11. Dezember 1946, Absatz 1. 122 Die Aufzählung der Gruppenmerkmale „national“, „rassisch“, „religiös“ oder „ethnisch“ gilt als abschließend, so dass insbesondere politische, wirtschaftliche und kulturelle Gruppen tatbestandlich nicht umfasst sein sollen (Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 132). Vgl. ICTY, Urt. v. 14. Dezember 1999 (Case No.: IT-95-10-T; Jelisić; Trial Chamber), Absatz 69; Triffterer-Schabas, Rome Statute, Art. 6, Rn. 11; Schabas, Genocide, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 452. 123 Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 727; vgl. Schabas, Genocide, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 450. 124 Vgl. Triffterer-Schabas, Rome Statute, Art. 6, Rn. 1; Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 355. 125 Vgl. zur Vorgängerregelung nach § 220a StGB die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts: „Ist der Einzelne Normbefehlen des nationalen wie des Völkerrechts unterworfen, verlangt das Rechtsstaatsprinzip i. V. mit Art. 103 II GG folglich, dass die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts, das – wie § 220a StGB – der Umsetzung von Völkerstrafrecht dient, das Analogieverbot auch im Lichte des völkerrechtlichen Normbefehls sehen. Das muss jedenfalls dann gelten, wenn – wie vorliegend – eine Strafbarkeit des Bf. unmittelbar nach Völkerrecht in Betracht kommt […]. Die heute überwiegende Auffassung geht von einer unmittelbaren Strafbarkeit von Völkermordverbrechen nach Völkerrecht aus […]. Die mögliche Wortlautgrenze von § 220a StGB ist daher auch im Lichte des internationalen Völkermordtatbestands, wie er in Art. II Völkermordkonvention, Art. 4 Statut des Jugoslawien-Strafgerichtshofs, Art. 4 [sic!] Statut des Ruanda-Strafgerichtshofs und Art. 6 Römisches Statut eines Internationalen Strafgerichtshofs niedergelegt ist, zu bestimmen.“ (BVerfG NJW 2001, 1848 [1850]) 126 Neubacher, Jura 2007, S. 849.

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– die Zufügung schwerer körperlicher oder seelischer Schäden (insbesondere der in § 226 StGB bezeichneten Art) gegenüber einem Mitglied der Gruppe (Nr. 2), – das Stellen der Gruppe unter Lebensbedingungen, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizufügen (Nr. 3), – die Verhängung von Maßregeln, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen (Nr. 4) sowie – die gewaltsame Überführung eines Kindes der Gruppe in eine andere Gruppe (Nr. 5).127 Der Tatbestand ist schon dann erfüllt, wenn eine der bezeichneten Handlungen vorsätzlich (§ 2 VStGB in Verbindung mit § 15 StGB) und in genozidaler Absicht vorgenommen wird.128 Diese Absicht ist es, die den speziellen Unrechtskern des Völkermordes ausmacht.129 Da es sich hierbei um eine überschießende Innentendenz handelt130, ist für die Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich, dass die ganze oder teilweise Zerstörung der Gruppe objektiv tatsächlich eintritt.131 Anders als der ICTY im Fall Jelisić132 verlangen die Verbrechenselemente zu Art. 6 IStGH-Statut für das Vorliegen von Völkermord im Sinne des Römischen Statuts einen Begehungszusammenhang der einzelnen Tathandlung mit gleichartigen Verhaltensweisen, die gegen die Gruppe gerichtet sind.133 In der Tatbestands127 Vgl. zu den vom Römischen Statut geforderten Tathandlungen: Triffterer-Schabas, Rome Statute, Art. 6, Rn. 14 ff. 128 Neubacher, Jura 2007, S. 849; vgl. Aptel, CLF 2002, S. 275. 129 Vgl. Triffterer-Schabas, Rome Statute, Art. 6, Rn. 7. 130 Satzger, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 8. 131 Gil Gil, ZStW 112 (2000), S. 394 f. 132 Dort heißt es: „[…] the drafters of the Convention did not deem the existence of an organisation or a system serving a genocidal objective as a legal ingredient of the crime. In so doing, they did not discount the possibility of a lone individual seeking to destroy a group as such“ (ICTY, Urt. v. 14. Dezember 1999 [Case No.: IT-95-10-T; Jelisić; Trial Chamber], Absatz 100). Zugleich betont der Gerichtshof jedoch, dass es regelmäßig in tatsächlicher Hinsicht schwierig sein dürfte, das Vorliegen von Völkermord zu beweisen, wenn ein Einzeltäter individuell handelt: „The Trial Chamber observes, however, that it will be very difficult in practice to provide proof of the genocidal intent of an individual if the crimes committed are not widespread and if the crime charged is not backed by an organisation or a system.“ (ICTY, Urt. v. 14. Dezember 1999 [Case No.: IT-95-10-T; Jelisić; Trial Chamber], Absatz 101) 133 Die Verbrechenselemente Art. 6 Buchst. a Nr. 4, Art. 6 Buchst. b Nr. 4, Art. 6 Buchst. c Nr. 5, Art. 6 Buchst. d Nr. 5, Art. 6 Buchst. e Nr. 7 IStGH-Statut lauten einheitlich: „The conduct took place in the context of a manifest pattern of similar conduct directed against that group or was conduct that could itself effect such destruction.“ Vgl. Oosterveld, The Context of Genocide, in: Lee, S. 45 ff.; Triffterer-Schabas, Rome Statute, Art. 6, Rn. 4 ff.; Rückert / Witschel, Genocide and Crimes against Humanity, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 65. Kritisch hierzu: Satzger, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 14, der hervorhebt, dass die Verbrechenselemente insofern dem Wortlaut des Art. 6 IStGH-Statut sowie dem Völkergewohnheitsrecht widersprechen.

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struktur des § 6 VStGB kommt ein solcher Zusammenhang mit einer Art Gesamttat nicht zum Ausdruck, doch schlägt Kreß insoweit eine prinzipielle Verschränkung von Einzel- und Gesamttat im subjektiven Tatbestand vor.134 Unabhängig von der dogmatischen Einordnung eines solchen Gesamttatmerkmals dürfte dessen Bejahung im Regelfall aber keinerlei Probleme bereiten. Geschütztes Rechtsgut des Völkermordtatbestandes ist jedenfalls135 das Existenzrecht der Gruppe136, wobei jedoch im Einzelnen Uneinigkeit darüber herrscht137, ob dies nur den physischen und biologischen Bestand der Gruppe betrifft138 oder auch 134 MüKo-Kreß, § 220a/§ 6 VStGB, Rn. 14 f. In Ausnahmefällen will Kreß aber auch eine bloße Einzeltat zur Tatbestandsverwirklichung ausreichen lassen (vgl. MüKo-Kreß, § 220a/§ 6 VStGB, Rn. 78). 135 Zu der umstrittenen Frage, inwieweit völkerstrafrechtliche Regelungen außerdem die supranationalen Rechtsgüter des Friedens und der Sicherheit schützen, vgl. Triffterer, ZStW 114 (2002), S. 342 ff.; Lagodny, ZStW 113 (2001), S. 803; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 118 f. Hierfür würde zumindest sprechen, dass in Abs. 4 der Präambel zum Römischen Statut betont wird, „dass solche schweren Verbrechen [i. S. d. IStGH-Statut] den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt bedrohen.“ In eine ähnliche Richtung weist zudem die Resolution 827 vom 25. Mai 1993, mit der der UN-Sicherheitsrat die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien beschloss und sich hierbei ausdrücklich auf Kapitel VII der UN-Charta stützte: „The Security Council, […] [a]cting under Chapter VII of the Charter of the United Nations, […] [d]ecides hereby to establish an international tribunal […].“ (Abs. 1, Abs. 12, Abs. 14 der Resolution 827 des UN-Sicherheitsrats vom 25. Mai 1993, zitiert nach: BT-Drucks. 13 / 57, Anlage 1 [S. 14]) Die damalige Situation in Jugoslawien wurde in diesem Zusammenhang ausdrücklich als eine solche Lage beschrieben, „[which] continues to constitute a threat to international peace and security.“ (Abs. 5 der Resolution 827 des UN-Sicherheitsrats vom 25. Mai 1993, zitiert nach: BT-Drucks. 13 / 57, Anlage 1 [S. 14]) Vgl. überdies die Resolution 955 des UN-Sicherheitsrats vom 8. November 1994, mit der beschlossen wurde, den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda einzurichten (abgedruckt in: BT-Drucks. 13 / 7953, Anlage 4 [S. 16 ff.]). 136 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 129. 137 Vgl. Schabas, Introduction to the ICC, S. 38. 138 So zum Beispiel: ICTY, Urt. v. 2. August 2001 (Case No.: IT-98-33-T; Krstić; Trial Chamber), Absatz 580, wo aber ausdrücklich auf die Indizwirkung der Zerstörung kultureller Objekte einer Gruppe auf das Vorliegen genozidaler Absicht hingewiesen wird: „The Trial Chamber […] recognises that, despite recent developments, customary international law limits the definition of genocide to those acts seeking the physical or biological destruction of all or part of the group. Hence, an enterprise attacking only the cultural or sociological characteristics of a human group in order to annihilate these elements which give to that group its own identity distinct from the rest of the community would not fall under the definition of genocide. The Trial Chamber however points out that where there is physical or biological destruction there are often simultaneous attacks on the cultural and religious property and symbols of the targeted group as well, attacks which may legitimately be considered as evidence of an intent to physically destroy the group. In this case, the Trial Chamber will thus take into account as evidence of intent to destroy the group the deliberate destruction of mosques and houses belonging to members of the group.“

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die Gruppe als gesellschaftliches Gebilde umschließt139. Strittig ist überdies, inwieweit der Völkermordtatbestand darüber hinaus auch Rechtsgüter der einzelnen Gruppenmitglieder schützt.140 Vor Einführung des VStGB war der Tatbestand des Völkermordes in § 220a StGB a. F. normiert. Diese Norm beruhte auf der Definition des Artikels II der Völkermordkonvention.141 § 6 VStGB hat den Tatbestand des Völkermordes aus § 220a StGB a. F. übernommen, wobei die dabei vorgenommenen geringfügigen Änderungen des Wortlauts keine sachlichen Abweichungen bezwecken.142 So ist beispielsweise im Normtext nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Tatbestandsalternativen § 6 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5 VStGB bereits dann erfüllt sein können, wenn sich der Angriff gegen eine einzelne Person richtet.143 Diese Tatbestandsformulierung weicht zwar vom Wortlaut des Art. II Buchst. a, b und e der Völkermordkonvention, des Art. 6 Buchst. a, b und e IStGH-Statut sowie des § 220a Nr. 1, 2 und 5 StGB a. F. ab, die allesamt von Mitgliedern oder Kindern der Gruppe sprechen. Jedoch bedingt diese Wortlautabweichung nicht zwingend zugleich eine inhaltliche Abweichung. So kann man die Pluralfassung grammatikalisch ohnehin auch auf eine an einer einzigen Person begangene Tathandlung beziehen.144 Dementsprechend entspricht die singuläre Wortlautfassung des § 6 Abs. 1 VStGB auch den Verbrechenselementen zu Art. 6 Buchst. a, b und e IStGHStatut und bestätigt überdies die bisherige Auslegung des § 220a StGB a. F.145 Abgesehen von der singulären Wortlautfassung hinsichtlich der Anzahl der Opfer wurde in § 6 VStGB auch das noch in § 220a StGB a. F. enthaltene Tatbestandsmerkmal der „durch ihr Volkstum bestimmte[n] Gruppe“ geändert, indem es an den internationalen Sprachgebrauch angepasst und durch den Begriff „ethnische Gruppe“ ersetzt wurde146. Auch hiermit sind jedoch keine sachlichen Änderungen verbunden.147

139 So zum Beispiel: BGHSt 45, 64 (81); Satzger, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 7. Vgl. hierzu auch: Vest, ZStW 113 (2001), S. 476, der als eines der durch den Völkermordtatbestand geschützten Rechtsgüter die Möglichkeit der Gruppe zur „elementaren kulturellen Prägung der Nachkommenschaft“ ansieht. 140 Bejahend: MüKo-Kreß, § 220a/§ 6 VStGB, Rn. 2; Ambos, Internationales Strafrecht, § 5, Rn. 3. Ablehnend: BGHSt 45, 64 (81 ff.); Gil Gil, ZStW 112 (2000), S. 393 f. 141 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 19. 142 Werle, JZ 2001, S. 892. 143 Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 727; Werle, JZ 2001, S. 892. 144 Neubacher, Jura 2007, S. 850. A. A.: Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 135, demzufolge die Verbrechenselemente an die Wortlautgrenze von Art. 6 Buchst. a, b und e IStGHStatut stoßen und damit im Widerspruch hierzu stehen. 145 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 19. 146 Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 727. 147 Zimmermann, NJW 2002, S. 3069.

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bb) Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) Der weitgehend in Anlehnung an Art. 7 IStGH-Statut gefasste148 § 7 VStGB stellt Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe. Jenseits der umstrittenen Frage, inwieweit jeder völkerstrafrechtliche Tatbestand zugleich auch die supranationalen Rechtsgüter des Friedens und der Sicherheit in der Welt schützt149, dürfte Einigkeit darin bestehen, dass die internationalen und nationalen Straftatbestände, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Gegenstand haben, grundlegende Menschenrechte schützen150. In dieser Hinsicht führt der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien im Fall Kupreškić et al. aus: „[T]he rules prohibiting crimes against humanity […] are intended to safeguard basic human values by banning atrocities directed against human dignity.“151

Zu betonen ist bei den Tatbeständen zur Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit also insbesondere die Schutzfunktion zugunsten individueller Güter.152 Der spezifische Unrechtskern der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ergibt sich daraus, dass die unmittelbare Tathandlung – die sogenannten Einzeltaten (zum Beispiel Tötung153 oder Vertreibung154) – im funktionalen Zusammenhang mit einer sogenannten Gesamttat (chapeau155) steht.156 Die Einzeltat, die in den überwiegenden Fällen bereits als solche von den Strafvorschriften des StGB erfasst wird, erlangt erst durch diesen Zusammenhang mit der Gesamttat den Charakter eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit.157 In ähnlicher Weise wie Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut158 verlangt § 7 Abs. 1 VStGB, dass die un148

Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 278; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 727 f. Siehe dazu oben: Kapitel B. II. 2. a) aa). Vgl. explizit zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Manske, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 278 ff., 286. 150 Dahingehend: Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 120 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 173. 151 ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 547. 152 Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 125. 153 Art. 7 Abs. 1 Buchst. a IStGH-Statut; § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB. 154 Art. 7 Abs. 1 Buchst. d Alt. 1, Abs. 2 Buchst. d IStGH-Statut; § 7 Abs. 1 Nr. 4 Alt. 1 VStGB. 155 Triffterer-Dixon / Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 3 ff. 156 Vgl. Robinson, The Elements of Crimes against Humanity, in: Lee, S. 57; Blanke / Molitor, AVR 39 (2001), S. 167; Rückert / Witschel, Genocide and Crimes against Humanity, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 70 f. 157 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 20; vgl. Triffterer-Dixon / Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 3, 11. 158 In seiner englischen Fassung lautet Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut in seinem Obersatz wie folgt: „For the purpose of this Statute, ‚crime against humanity‘ means any of the following acts when committed as part of a widespread or systematic attack directed against any civilian population, with knowledge of the attack: […].“ 149

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

59

mittelbare Tathandlung „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“ vorgenommen wird. In subjektiver Hinsicht ist dabei nach § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB erforderlich, dass der Täter zumindest bedingten Vorsatz hinsichtlich der Gesamt- und der Einzeltat hat.159 Was den Begriff des „Angriffs“ im Sinne des § 7 Abs. 1 VStGB anbelangt, fordert die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs im Einklang mit der völkerrechtlichen Lage160 keinen militärischen Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts161, sondern verweist stattdessen auf die Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 Buchst. a IStGH-Statut162. In dieser Bestimmung heißt es: „[…] ‚Angriff gegen die Zivilbevölkerung‘ [ist] eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Absatz 1 genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik163 eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat.“

Wichtig ist, dass das Erfordernis einer mehrfachen Begehung von Einzeltaten nicht so verstanden werden darf, dass es sich um jeweils gleiche Einzeltaten handelt. Vielmehr kann sich ein „Angriff“ beispielsweise auch aus einer Kombi-

159

BT-Drucks. 14 / 8524, S. 20. Vgl. Mettraux, HarvILJ 43 (2002), S. 246; Triffterer-Dixon / Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 8; v.Hebel / Robinson, Crimes, in: Lee, S. 92 f.; Robinson, The Context of Crimes against Humanity, in: Lee, S. 74; Robinson, AJIL 93 (1999), S. 45 f.; Rückert / Witschel, Genocide and Crimes against Humanity, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 71. 161 Vgl. zum Begriff des Angriffs im Sinne des humanitären Völkerrechts: Art. 49 Abs. 1 ZP I: „Der Begriff ‚Angriffe‘ bezeichnet sowohl eine offensive als auch eine defensive Gewaltanwendung gegen den Gegner.“ 162 Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 20. 163 Aufgrund dieses Merkmals, demzufolge für das Vorliegen eines „Angriffs“ im Sinne des Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut (und damit letztlich auch im Sinne von § 7 Abs. 1 VStGB) die Ausführung oder Unterstützung einer bestimmten Politik nötig ist (sog. „Policy Element“), wirft Ambos die Frage auf, ob die dem Wortlaut nach alternativ („oder“) formulierten Merkmale „ausgedehnt“ und „systematisch“, die das Vorliegen einer Gesamttat in Art. 7 Abs. 1 IStGHStatut umschreiben, nicht kumulativ gelesen werden müssten. Dieses Problem stelle sich deshalb, da das Merkmal der Ausführung oder Unterstützung einer bestimmten Politik letztlich nicht nur über Art. 7 Abs. 2 Buchst. a IStGH-Statut den Begriff des „Angriffs“ umschreibe, sondern auch im Merkmal „systematisch“ enthalten sei. Letztlich kommt Ambos jedoch zu dem Ergebnis, dass die Merkmale „ausgedehnt“ und „systematisch“ nicht kumulativ, sondern nur alternativ vorliegen müssen, dass jedoch „ausgedehnte“ Handlungen, die nicht „systematisch“ begangen werden, nur dann eine Gesamttat im Sinne des Verbrechens gegen die Menschlichkeit begründen können, wenn sie zumindest von einer staatlichen oder organisierten Macht oder Autorität geduldet werden (Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 185 f.; vgl. hierzu auch: ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 [Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber], Absatz 552, 555; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 137 ff.; v.Hebel / Robinson, Crimes, in: Lee, S. 95 ff.; Robinson, AJIL 93 [1999], S. 47; Clark, Crimes against Humanity and the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 91; Rückert / Witschel, Genocide and Crimes against Humanity, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 71). 160

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

nation von Tötungshandlungen, Vergewaltigungen und Vertreibungen zusammensetzen.164 Die Begriffe „ausgedehnt“ und „systematisch“, die in § 7 VStGB im Sinne zweier Tatbestandsalternativen gefasst sind165, umschreiben eine quantitative sowie eine qualitative Dimension des Angriffs166: Während sich das Merkmal „ausgedehnt“ unter anderem auf die hohe Zahl an Opfern bezieht167, verlangt der Begriff „systematisch“ eine organisierte Gewaltanwendung168. Letzteres impliziert regelmäßig ein Handeln entsprechend eines vorher gefassten Plans oder einer ebensolchen Politik, womit vor allem solche Taten aus dem Anwendungsbereich des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ausgeschlossen werden sollen, die gleichsam zufällig und nicht als Teil eines Gesamtplans oder einer weiteren Politik begangen werden. Hinter dem Angriff muss stets ein Kollektiv stehen, wobei es sich jedoch nicht unbedingt um einen Staat im völkerrechtlichen Sinne handeln muss.169 Der Angriff muss sich gegen eine Zivilbevölkerung richten. Erforderlich ist hierfür nicht, dass sich die Tat gegen die gesamte Bevölkerung eines Staates oder Territoriums richtet, während auf der anderen Seite auch nicht ausreichend ist, dass nur vereinzelte und isolierte Zivilpersonen zum Tatopfer werden.170 Findet die Einzeltat des Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Zeiten bewaffneter Konflikte statt – was nach dem oben Gesagten keinerlei Voraussetzungen für das Vorliegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist171 –, so lässt sich der Begriff der Zivilbevölkerung unmittelbar aus dem humanitären Völkerrecht gemäß Art. 50 Abs. 1 ZP I (i. V. m. Art. 4 Buchst. A Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 6 GK III, Art. 43 ZP I) herleiten; danach fallen Angehörige der Streitkräfte ebenso wenig unter den Begriff der Zivilbevölkerung wie Milizionäre oder Mitglieder von Aufstandsbewegungen.172 Wird die Einzeltat des Verbrechens gegen die Menschlichkeit nicht vor dem Hin164

ICTR, Urt. v. 21. Mai 1999 (Case No.: ICTR-95-1-T; Kayishema / Ruzindana), Absatz 122. Vgl. zum IStGH-Statut: v.Hebel / Robinson, Crimes, in: Lee, S. 94 f.; Schabas, Introduction to the ICC, S. 44. Vgl. zur Rechtsprechung des ICTY und des ICTR: Lattanzi, Crimes against Humanity, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 479 f. 166 Vgl. Robinson, AJIL 93 (1999), S. 47. 167 Vgl. auch: ICTY, Urt. v. 3. März 2000 (Case No.: IT-95-14-T; Blaškić; Trial Chamber), Absatz 206; Clark, Crimes against Humanity and the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 91; Triffterer-Dixon / Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 11. 168 ICTY, Urt. v. 31. Juli 2003 (Case No.: IT-97-24-T; Stakić; Trial Chamber), Absatz 625. Vgl. auch: ICTR, Urt. v. 21. Mai 1999 (Case No.: ICTR-95-1-T; Kayishema / Ruzindana), Absatz 123; BT-Drucks. 14 / 8524, S. 20; Clark, Crimes against Humanity and the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 91. 169 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 20. 170 Vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 148. 171 Vgl. außerdem: Manske, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 286; Robinson, The Context of Crimes against Humanity, in: Lee, S. 62 f. 172 ICTY, Urt. v. 29. Juli 2004 (Case No.: IT-95-14-A; Blaškić; Appeals Chamber), Absatz 110. Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 190; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 150 f. 165

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

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tergrund eines bewaffneten Konfliktes begangen, wird der Begriff der „Zivilbevölkerung“ vom ICTR in ähnlicher Weise ausgelegt.173 Aus der Tatsache, dass der Begriff der „Zivilbevölkerung“ in § 7 Abs. 1 VStGB nicht weiter eingeschränkt wird – die Norm spricht von einem „Angriff […] gegen eine174 Zivilbevölkerung“ –, ergibt sich, dass sich die Einzeltaten auch gegen solche Personen richten können, die die gleiche Staatsangehörigkeit wie der Täter besitzen.175 § 7 VStGB ist zwar insgesamt in Anlehnung an das Römische Statut formuliert, weicht in verschiedener Hinsicht aber auch hiervon ab. Beispielsweise normiert jene Bestimmung in ihren Absätzen 2 bis 5 verschiedene Qualifikationen, Erfolgsqualifikationen und minder schwere Fälle.176 Auch hinsichtlich der Einzeltaten177 ist § 7 VStGB zum Teil anders formuliert als Art. 7 IStGH-Statut, wobei diese Änderungen unter anderem den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes nach Art. 103 Abs. 2 GG Rechnung tragen.178 b) Abschnitt 2: Kriegsverbrechen (§§ 8 bis 12 VStGB) Der Sache nach stellen völkerrechtliche Straftatbestände, die Kriegsverbrechen zum Gegenstand haben, Normen dar, die in akzessorischer Weise wesentliche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht als dem ius in bello unter Strafe stellen.179 Für das Vorliegen eines Kriegsverbrechens ist damit – erstens – ein Verstoß gegen internationales humanitäres Recht erforderlich, der – zweitens – durch Strafbestimmungen kriminalisiert ist.180 Nicht jeder Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht stellt damit zugleich ein Kriegsverbrechen dar. 173

Siehe hierzu die Entscheidung Kayishema / Ruzindana des ICTR: „Traditionally, legal definitions of ‚civilian‘ or ‚civilian population‘ have been discussed within the context of armed conflict. However, under the Statute, crimes against humanity may be committed inside or outside the context of an armed conflict. Therefore, the term civilian must be understood within the context of war as well as relative peace. The Trial Chamber considers that a wide definition of civilian is applicable and, in the context of the situation of Kibuye Prefecture where there was no armed conflict, includes all persons except those who have the duty to maintain public order and have the legitimate means to exercise force. Non-civilians would include, for example, members of […] the police and the Gendarmerie Nationale.“ (ICTR, Urt. v. 21. Mai 1999 [Case No.: ICTR-95-1-T; Kayishema / Ruzindana], Absatz 127) Vgl. Triffterer-Dixon / Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 13; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 151 ff.; Lattanzi, Crimes against Humanity, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 487 ff. 174 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 175 Vgl. Mettraux, HarvILJ 43 (2002), S. 254. 176 Vgl. Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 728; Werle, JZ 2001, S. 893. 177 Soweit Einzeltaten des § 7 VStGB für die vorliegende Untersuchung relevant sind, werden sie an anderer Stelle gesondert erörtert (vgl. dazu unten: Kapitel D. II.). 178 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 20; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 278 f.; Ambos, CLF 2003, S. 241 f. 179 Vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 47; Satzger, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 53. 180 Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 1.

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

Mit dem Abschnitt über Kriegsverbrechen berücksichtigt der Gesetzgeber des Völkerstrafgesetzbuchs nicht nur entsprechende Bestimmungen des Römischen Statuts, sondern auch Vorschriften des Zusatzprotokolls I181 sowie des am 26. März 1999 abgeschlossenen Zweiten Protokolls182 zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten.183 Die Tatbestände der Kriegsverbrechen nach dem VStGB erfassen jeweils eine Reihe von Einzeltaten, die regelmäßig bereits als solche durch das StGB strafbar sind. Ihren Charakter als Völkerrechtsverbrechen erlangen diese Einzeltaten dadurch, dass sie nach den insoweit gleichlautenden Absätzen 1 der §§ 8 bis 12 VStGB „[…] im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt […]“ begangen worden sein müssen.184 Diese Gesamttat ist es, die den spezifischen Unrechtsgehalt von Kriegsverbrechen ausmacht.185 Was den Begriff des bewaffneten Konflikts im zwischenstaatlichen Bereich anbelangt, lässt sich ein Ansatzpunkt für dessen Auslegung aus den Genfer Konventionen herleiten186: Der gemeinsame Art. 2 Abs. 1 der GK I bis IV normiert als grundsätzlichen Anwendungsbereich dieser Abkommen nämlich die „Fälle[…] eines erklärten Krieges oder eines anderen187 bewaffneten Konflikts, der zwischen zwei oder mehreren der Hohen Vertragsparteien entsteht, auch wenn der Kriegszustand von einer dieser Parteien nicht anerkannt wird.“

Hieraus ergibt sich, dass eine Kriegserklärung keine zwingende Voraussetzung für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts im zwischenstaatlichen Bereich ist.188 Eine Definition des Begriffs des bewaffneten Konflikts (armed conflicts), die sowohl für den zwischenstaatlichen als auch den innerstaatlichen Bereich gilt, bietet der ICTY: „[W]e find that an armed conflict exists whenever there is a resort to armed force between States or protracted armed violence between governmental authorities and organized armed groups or between such groups within a State.“189

181 Beispielsweise beruht der Straftatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. a VStGB (Medizinische und andere Versuche) unter anderem auf Art. 11 Abs. 2 Buchst. b des Zusatzprotokolls I (vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 27). 182 Zu nennen ist insoweit zum Beispiel § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe auf zivile Objekte), der nicht nur mit Bestimmungen des Römischen Statuts und des Zusatzprotokolls I im Zusammenhang steht, sondern auch mit Art. 15 des Zweiten Protokolls zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 33). 183 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 23. 184 Werle, JZ 2001, S. 894. 185 Vgl. Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 6; Dörmann, War Crimes in the Elements of Crimes, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 103. 186 Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 25. 187 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 188 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 230. 189 ICTY, App. Decision, 2. Oktober 1995 (Case No.: IT-94-1; Tadić), Absatz 70. Vgl. auch: ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 561; ICTY, Urt.

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

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Ein bewaffneter Konflikt liegt damit jedenfalls dann vor, wenn im zwischenstaatlichen Bereich zwischen zwei oder mehreren Staaten190 oder wenn im innerstaatlichen Bereich zwischen Streitkräften und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen untereinander bewaffnete Gewalt angewendet wird, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer sind.191 Diese Definition entspricht in ihrem Teil, der den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt betrifft, auch derjenigen Umschreibung, die in Art. 8 Abs. 2 Buchst. f IStGH-Statut zu finden ist. Dort heißt es: „[Art. 8] Absatz 2 Buchstabe e [IStGH-Statut] […] findet Anwendung auf bewaffnete Konflikte, die im Hoheitsgebiet eines Staates stattfinden, wenn zwischen den staatlichen Behörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen ein lang anhaltender bewaffneter Konflikt besteht.“

Für die Frage, welcher Grad an Organisation bei diesen Konfliktparteien erforderlich ist, könnte sich dem Zusatzprotokoll II von 1977 eine Auslegungshilfe entnehmen lassen. Dieses hat den Schutz von Opfern nichtinternationaler bewaffneter Konflikte zum Gegenstand und verlangt in seinem Art. 1 Abs. 1 hinsichtlich der an dem bewaffneten Konflikt beteiligten organisierten bewaffneten Gruppen, dass sie „unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, daß sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“

Jedoch wird das hierdurch aufgestellte Erfordernis der tatsächlichen Gebietskontrolle („exercise such control over a part of its territory“, Art. 1 Abs. 1 Zusatzprotokoll II) zunehmend in Zweifel gezogen, da Konfliktparteien mittlerweile mittels moderner Waffentechnik auch über eine größere räumliche Distanz zielsicher agieren können.192 Überzeugender erscheint es daher, mit dem ICTR im Fall Akayesu193 auf die potentielle Fähigkeit der Konfliktpartei zur Kontrolle eines Gebietes abzustellen („able to dominate a sufficient part of the territory“194). Im Einzelnen werden in eben genannter Entscheidung folgende Kriterien für das nötige Maß an Organisation von Streitkräften aufgestellt, die in Opposition zur Regierung handeln: „The armed forces opposing the government must be under responsible command, which entails a degree of organization within the armed group or dissident armed forces. This degree of organization should be such so as to enable the armed group or dissident forces to v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 545; ICTY, Urt. v. 3. März 2000 (Case No.: IT-95-14-T; Blaškić; Trial Chamber), Absatz 63. 190 Das Vorliegen eines solchen bewaffneten Konflikts zwischen Staaten wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die konkrete Gewaltanwendung durch andere Akteure als staatliche Streitkräfte erfolgt (Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 5). 191 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 25. 192 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 232; Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 5. 193 Vgl. hierzu: Selbmann, Genozid, S. 123 f. 194 ICTR, Urt. v. 2. September 1998 (Case No.: ICTR-96-4-T; Akayesu), Absatz 626.

B. Das Völkerstrafgesetzbuch

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plan and carry out concerted military operations, and to impose discipline in the name of a de facto authority. Further, these armed forces must be able to dominate a sufficient part of the territory so as to maintain sustained and concerted military operations and to apply Additional Protocol II. In essence, the operations must be continuous and planned. The territory in their control is usually that which has eluded the control of the government forces.“195

Neben diesem Maß an Organisiertheit der Konfliktparteien ist es der Grad der Intensität der Kampfhandlungen, der im innerstaatlichen Bereich ein Kriterium für die Abgrenzung eines bewaffneten Konflikts von „Fälle[n] innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte[n], vereinzelt auftretende[n] Gewalttaten oder andere[n] ähnliche[n] Handlungen“196 – und damit zugleich für die Abgrenzung von Kriegsverbrechen gegenüber gewöhnlicher Kriminalität – bildet.197 Aus der Schutzrichtung des humanitären Völkerrechts folgt dabei, dass die Beurteilung der Intensität des Konflikts anhand objektiver Kriterien – und damit nicht etwa aus der subjektiven Sicht der Konfliktparteien – erfolgt.198 Was den räumlichen Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts – und damit zugleich die Reichweite des Tatbestandes der Kriegsverbrechen anbelangt, ist es nicht erforderlich, dass in dem gesamten Gebiet einer in Frage stehenden Region tatsächlich Kampfhandlungen stattfinden.199 Ausreichend ist vielmehr, dass das Vorliegen von Kämpfen für einen bestimmten Teil des Gebietes festgestellt wird.200 Grundsätzlich können tatbestandsmäßige Kriegsverbrechen damit auch in solchen Teilen des betroffenen Landes verübt werden, die außerhalb der unmittelbaren Kampfzone liegen. Auch schließt die Tatsache, dass der Tatort sich hinter den aus Sicht des Täters feindlichen Linien befindet, den Tatbestand von Kriegsverbrechen nicht aus.201 Für die Frage des exakten geographischen Anwendungs195

ICTR, Urt. v. 2. September 1998 (Case No.: ICTR-96-4-T; Akayesu), Absatz 626. So der Wortlaut von Art. 8 Abs. 2 Buchst. f S. 1 IStGH-Statut. 197 Vgl. hierzu: ICTR, Urt. v. 2. September 1998 (Case No.: ICTR-96-4-T; Akayesu), Absatz 620 f.: „For a finding to be made on the existence of an internal armed conflict in the territory of Rwanda at the time of the events alleged, it will therefore be necessary to evaluate both the intensity and organization of the parties to the conflict. […] Both groups [on the one side, the governmental forces, the FAR, and on the other side, the RPF] were well-organized and considered to be armies in their own right. Further, as pertains to the intensity of conflict, all observers to the events, including UNAMIR and UN Special rapporteurs, were unanimous in characterizing the confrontation between the two forces as a war, an internal armed conflict.“ Vgl. auch: ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 562; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 231; BT-Drucks. 14 / 8524, S. 25. 198 Vgl. ICTR, Urt. v. 2. September 1998 (Case No.: ICTR-96-4-T; Akayesu), Absatz 603; Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 5. 199 Vgl. ICTY, Urt. v. 12. Juni 2002 (Case No.: IT-96-23 & IT-96-23 / 1-A; Kunarac et al.; Appeals Chamber), Absatz 57. 200 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 235. 201 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 25. 196

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

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bereichs des Kriegsrechts ist entscheidend, ob es sich um einen internationalen oder um einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt handelt: „[I]nternational humanitarian law continues to apply in the whole territory of the warring States or, in the case of internal conflicts, the whole territory under the control of a party, whether or not actual combat takes place there.“202

Dies hat wiederum Auswirkungen auf das Erfordernis eines Nexus’ zwischen der Einzeltat und der Gesamttat, das in den insoweit identischen Absätzen 1 der §§ 8 bis 12 VStGB durch das Merkmal „im Zusammenhang mit“ zum Ausdruck kommt. So ist das Vorliegen eines solchen Zusammenhangs nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Einzeltaten nicht inmitten der den bewaffneten Konflikt konstituierenden Kampfhandlungen stattfinden203; ausreichend ist vielmehr, dass die Einzeltat innerhalb desjenigen Territoriums begangen wird, in welchem humanitäres Völkerrecht anwendbar ist, auch wenn die bewaffneten Auseinandersetzungen letztlich in einem anderen Teil dieses Gebietes stattfinden.204 Diese räumliche Unabhängigkeit der Einzeltat von der Gesamttat entbindet jedoch nicht von dem Zusammenhangserfordernis, das in der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs als „funktional“ beschrieben wird205. Die Rechtsprechung des ICTY verlangt hier einen „obvious link“206 oder – gleichbedeutend – einen „evident nexus“207, wofür eine enge Beziehung erforderlich sein soll („were closely related to“208). Nicht ausreichend ist damit, wenn die Einzeltat lediglich „bei Gelegenheit“ eines bewaffneten Konflikts begangen wird209, was etwa der Fall ist, wenn ein Einzelner die durch die Kampfhandlungen bedingte chaotische Lage für seine individuellen kriminellen Zwecke ausnutzt.210 Auf der anderen Seite ist aber auch nicht erforderlich, dass die Einzeltat zu einer bestimmten Praxis gehört,

202 ICTY, App. Decision, 2. Oktober 1995 (Case No.: IT-94-1; Tadić), Absatz 70. Vgl. auch: ICTY, Urt. v. 3. März 2000 (Case No.: IT-95-14-T; Blaškić; Trial Chamber), Absatz 64. 203 Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 25. 204 Vgl. ICTY, App. Decision, 2. Oktober 1995 (Case No.: IT-94-1; Tadić), Absatz 70: „It is sufficient that the alleged crimes were closely related to the hostilities occurring in other parts of the territories controlled by the parties to the conflict.“ Vgl. auch: ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 573; ICTY, Urt. v. 3. März 2000 (Case No.: IT-95-14-T; Blaškić; Trial Chamber), Absatz 69 f.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 238. 205 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 25. 206 So: ICTY, Urt. v. 16. November 1998 (Case No.: IT-96-21-T; Mucić et al.; Trial Chamber), Absatz 193. 207 So: ICTY, Urt. v. 3. März 2000 (Case No.: IT-95-14-T; Blaškić; Trial Chamber), Absatz 69. 208 So: ICTY, App. Decision, 2. Oktober 1995 (Case No.: IT-94-1; Tadić), Absatz 70; ICTY, Urt. v. 3. März 2000 (Case No.: IT-95-14-T; Blaškić; Trial Chamber), Absatz 69; ICTY, Urt. v. 16. November 1998 (Case No.: IT-96-21-T; Mucić et al.; Trial Chamber), Absatz 193. Vgl. Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 6. 209 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 25. 210 Vgl. Dörmann, War Crimes in the Elements of Crimes, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 103.

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

die durch eine der Konfliktparteien offiziell unterstützt oder toleriert wird.211 In der Entscheidung Kunarac et al. hat der ICTY bestimmte Kriterien aufgestellt, die bei der Prüfung des Zusammenhangserfordernisses zwischen Einzel- und Gesamttat unter anderem zu berücksichtigen sind: „[T]he fact that the perpetrator is a combatant; the fact that the victim is a non-combatant; the fact that the victim is a member of the opposing party; the fact that the act may be said to serve the ultimate goal of a military campaign; and the fact that the crime is committed as part of or in the context of the perpetrator’s official duties.“212

In zeitlicher Hinsicht ist für das Vorliegen des Zusammenhangs zwischen der Einzel- und der Gesamttat nicht zwingend erforderlich, dass die Einzeltat unmittelbar während der bewaffneten Auseinandersetzungen stattfindet; entscheidend soll vielmehr sein, ob die Tat im zeitlichen Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts begangen wird. Somit kann ein Kriegsverbrechen nach dem VStGB grundsätzlich auch dann begangen werden, wenn die aktiven Kampfhandlungen unterbrochen oder beendet sind, wie zum Beispiel im Falle von Straftaten gegenüber im Gewahrsam befindlichen Kriegsgefangenen213 (vgl. Art. 5 Abs. 1 GK III). Hinsichtlich der Eigenschaft, Täter eines Kriegsverbrechens zu sein, existieren keine Einschränkungen, so dass auch Zivilpersonen taugliche Täter sein können.214 Die §§ 8 bis 12 VStGB sind gegenüber Art. 8 des Römischen Statuts – unter anderem aus Gründen einer besseren Übersichtlichkeit – anders strukturiert.215 Zum einen übernahm das Völkerstrafgesetzbuch nicht die im IStGH-Statut angelegte Differenzierung zwischen den grave breaches der vier Genfer Konventionen und den übrigen Kriegsverbrechen, die im internationalen bewaffneten Konflikt begangen werden.216 Zum anderen wurde in den §§ 8 bis 12 VStGB in bewusster Abweichung von Art. 8 des Römischen Statuts die Aufteilung der einzelnen Tatbestände nach internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten aufgegeben.217 Überdies wurden im Völkerstrafgesetzbuch auch vielfach Tatbestände, die nach dem IStGH-Statut nur auf internationale bewaffnete Konflikte anwendbar sind218, auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte ausgedehnt.219 Damit folgt das Völkerstrafgesetzbuch der modernen völkerstrafrechtlichen Tendenz zur Gleichbehandlung internationaler und nichtinternationaler bewaffneter Kon211 ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 573; ICTY, Urt. v. 16. November 1998 (Case No.: IT-96-21-T; Mucić et al.; Trial Chamber), Absatz 195; ICTY, Urt. v. 3. März 2000 (Case No.: IT-95-14-T; Blaškić; Trial Chamber), Absatz 70. 212 ICTY, Urt. v. 12. Juni 2002 (Case No.: IT-96-23 & IT-96-23 / 1-A; Kunarac et al.; Appeals Chamber), Absatz 59. 213 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 25. 214 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 26. Vgl. hierzu: Schabas, Introduction to the ICC, S. 57. 215 Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 355. 216 Zimmermann, ZRP 2002, S. 99. Vgl. zur entsprechenden Struktur des IStGH-Statuts: Venturini, War Crimes, in: Politi / Nesi, S. 96 ff. 217 Zimmermann, ZRP 2002, S. 99; Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 728. 218 Vgl. hierzu: v.Hebel / Robinson, Crimes, in: Lee, S. 108 ff. 219 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 1274.

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

67

flikte.220 Diese Tendenz kommt beispielsweise in einer Entscheidung des Jugoslawientribunals im Tadić-Verfahren zum Ausdruck221, in welcher die weitgehende völkergewohnheitsrechtliche Gleichbehandlung von Kriegsverbrechen und Bürgerkriegsverbrechen festgestellt wurde222. Entsprechend dieser völkerrechtlichen Entwicklung ist auch in den §§ 8 bis 12 VStGB die Mehrzahl der Handlungen sowohl in Kriegen als auch in Bürgerkriegen strafbar. Lediglich soweit der Stand des geltenden Völkergewohnheitsrechts die Gleichbehandlung von internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten noch nicht gestattet, ist die Unterscheidung zwischen diesen beiden Konfliktarten auch im Völkerstrafgesetzbuch durch die Aufnahme besonderer Tatbestände beibehalten worden.223 Ordnungskriterium der §§ 8 bis 12 VStGB ist das jeweilige Schutzgut beziehungsweise die zu Grunde liegende Tathandlung224, woraus sich folgende Gliederung der Tatbestände ergibt: – Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 VStGB), – Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9 VStGB), – Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen und Embleme (§ 10 VStGB), – Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung (§ 11 VStGB) sowie – Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung (§ 12 VStGB). 220 Satzger, NStZ 2002, S. 127. Vgl. auch Condorelli, War Crimes and Internal Conflicts in the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 108 ff.; Momtaz, YBIHL 2 (1999), S. 179 ff.; v.Hebel / Robinson, Crimes, in: Lee, S. 104 f. 221 Heintschel von Heinegg, Criminal International Law and Customary International Law, in: Zimmermann, S. 30; Momtaz, YBIHL 2 (1999), S. 180; Condorelli, War Crimes and Internal Conflicts in the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 109. 222 So schreibt der Gerichtshof: „[…] international law treated the two classes of conflict in a markedly different way: interstate wars were regulated by a whole body of international legal rules, governing both the conduct of hostilities and the protection of persons not participating (or no longer participating) in armed violence (civilians, the wounded, the sick, shipwrecked, prisoners of war). By contrast, there were very few international rules governing civil commotion, for States preferred to regard internal strife as rebellion, mutiny and treason coming within the purview of national criminal law and, by the same token, to exclude any possible intrusion by other States into their own domestic jurisdiction. This dichotomy was clearly sovereignty-oriented and reflected the traditional configuration of the international community, based on the coexistence of sovereign States more inclined to look after their own interests than community concerns or humanitarian demands. […] Since the 1930s, however, the aforementioned distinction has gradually become more and more blurred, and international legal rules have increasingly emerged or have been agreed upon to regulate internal armed conflict.“ (ICTY, App. Decision, 2. Oktober 1995 [Case No.: IT-94-1; Tadić], Absatz 96 f.) 223 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 24; Werle, JZ 2001, S. 893 f. So gelten die §§ 8 Abs. 3, 9 Abs. 2 und 11 Abs. 3 VStGB nur für internationale bewaffnete Konflikte. 224 Zimmermann, ZRP 2002, S. 99; vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 229.

68

B. Das Völkerstrafgesetzbuch

Soweit die einzelnen Tatbestände dieser Bestimmungen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung Relevanz besitzen, werden sie weiter unten näher dargestellt.225

c) Abschnitt 3: Sonstige Straftaten (Verletzung der Aufsichtspflicht [§ 13 VStGB] und Unterlassen der Meldung einer Straftat [§ 14 VStGB]) Das Völkerstrafgesetzbuch hat von einer einheitlichen Regelung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter in einer einzigen Vorschrift, wie dem „dogmatisch holprige[n]“226 Art. 28 IStGH-Statut, abgesehen.227 Diese Bestimmung umfasst unterschiedlichste Aspekte der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Vorgesetzten228, deren einheitliche Erfassung der deutschen Strafrechtsdogmatik fremd wäre. Aus diesem Grund finden sich im

225

Vgl. dazu unten: Kapitel D. II. Werle / Jeßberger, JZ 2002, S. 729. Vgl. hierzu auch: Triffterer, FS Lüderssen, S. 443. 227 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 487. 228 Art. 28 IStGH-Statut lautet: „Neben anderen Gründen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit aufgrund dieses Statuts für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen gilt Folgendes: a) Ein militärischer Befehlshaber oder eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person ist strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Truppen unter seiner oder ihrer tatsächlichen Befehlsbeziehungsweise Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines oder ihres Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Truppen auszuüben, wenn i) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person wusste oder aufgrund der zu der Zeit gegebenen Umstände hätte wissen müssen, dass die Truppen diese Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, und ii) der betreffende militärische Befehlshaber oder die betreffende Person nicht alle in seiner oder ihrer Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen. b) In Bezug auf unter Buchstabe a nicht beschriebene Vorgesetzten- und Untergebenenverhältnisse ist ein Vorgesetzter strafrechtlich verantwortlich für der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegende Verbrechen, die von Untergebenen unter seiner tatsächlichen Führungsgewalt und Kontrolle als Folge seines Versäumnisses begangen wurden, eine ordnungsgemäße Kontrolle über diese Untergebenen auszuüben, wenn i) der Vorgesetzte entweder wusste, dass die Untergebenen solche Verbrechen begingen oder zu begehen im Begriff waren, oder eindeutig darauf hinweisende Informationen bewusst außer acht ließ; ii) die Verbrechen Tätigkeiten betrafen, die unter die tatsächliche Verantwortung und Kontrolle des Vorgesetzten fielen, und iii) der Vorgesetzte nicht alle in seiner Macht stehenden erforderlichen und angemessenen Maßnahmen ergriff, um ihre Begehung zu verhindern oder zu unterbinden oder die Angelegenheit den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen.“ 226

II. Inhalt und Struktur des Völkerstrafgesetzbuchs

69

Völkerstrafgesetzbuch drei verschiedene Normen, die jeweils einzelne229 Aspekte von Art. 28 IStGH-Statut erfassen: Zum einen die Straftatbestände der §§ 13, 14 VStGB, zum anderen die allgemeine Vorschrift des § 4 VStGB.230 Die letztgenannte Norm regelt dabei Fälle der täterschaftlichen Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter für Straftaten ihrer Untergebenen.231 Entsprechend dem Modell des § 357 StGB232 bestimmt § 4 Abs. 1 S. 1 VStGB, dass ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach dem VStGB zu begehen, wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft wird. Diese Regelung gilt gemäß § 4 Abs. 2 VStGB nicht nur für formelle, sondern auch für bloß faktische militärische und zivile Vorgesetzte.233 Das Römische Statut dehnt die Gleichstellung der Strafbarkeit des Vorgesetzten mit der des Untergebenen auch auf solche Konstellationen aus, in denen den Vorgesetzten lediglich Fahrlässigkeit hinsichtlich der Tat des Untergebenen beziehungsweise hinsichtlich der eigenen Nichtverhinderung trifft.234 Gemäß § 2 VStGB in Verbindung mit § 15 StGB greift § 4 VStGB demgegenüber nur in den Fällen, in denen der Vorgesetzte die Tat des Untergebenen vorsätzlich nicht verhindert und ihn auch Vorsatz hinsichtlich der Tat des Untergebenen trifft.235 Eine Gleichbehandlung des nur fahrlässig handelnden Vorgesetzten mit dem vorsätzlich handelnden Untergebenen würde nicht in die Systematik des deutschen Strafrechts passen, welches die täterschaftliche Vorgesetztenstrafbarkeit – über die Fälle der mittelbaren Täterschaft hinaus – grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des § 13 StGB oder der Sondervorschrift des § 357 StGB zulässt.236 Erforderlich ist nach deutscher Strafrechtsdogmatik in sämtlichen dieser Fälle, dass der Vorgesetzte mit

229

Anders als Art. 28 IStGH-Statut erfasst § 14 VStGB nicht das fahrlässige Unterlassen der Meldung einer Straftat (§ 2 VStGB in Verbindung mit § 15 StGB) (vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 61). 230 Cassese, International Criminal Law, S. 206 f.; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 487. 231 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 489. 232 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 36. 233 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 19. 234 Satzger, NStZ 2002, S. 129; vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 60. Art. 28 Buchst. a (i) IStGH-Statut verwendet in seiner englischen Fassung die Worte „should have known“, womit er von Art. 7 Abs. 3 ICTY-Statut abweicht, welcher verlangt, dass der Verantwortliche „had reason to know“. In Bezug auf diese Bestimmung des ICTY-Statuts vertritt der ICTY die Auffassung, dass hierdurch kein Fahrlässigkeitsmaßstab implementiert werde (vgl. ICTY, Urt. v. 29. Juli 2004 [Case No.: IT-95-14-A; Blaškić; Appeals Chamber], Absatz 63). Eine solche Auffassung ist bereits bezüglich Art. 7 Abs. 3 ICTY-Statut fraglich; im Hinblick auf Art. 28 Buchst. a (i) IStGH-Statut („should have known“) könnte sie jedoch keinesfalls übernommen werden. 235 Vgl. Satzger, NStZ 2002, S. 129. 236 Satzger, NStZ 2002, S. 129. Zimmermann wirft in diesem Zusammenhang die Frage auf, ob § 4 VStGB eine abschließende Sonderregelung darstellt, so dass darüber hinaus keine Unterlassungsstrafbarkeit nach den allgemeinen Regelungen des StGB möglich wäre (Zimmermann, ZRP 2002, S. 100 f.).

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B. Das Völkerstrafgesetzbuch

Vorsatz handelt.237 Für die Fälle, in denen der Vorgesetzte von dem Bevorstehen der Tatbegehung durch den Untergebenen nichts wusste, wäre eine täterschaftliche Unterlassungshaftung des Vorgesetzten für die vorsätzliche Tat des Untergebenen mit dem Schuldgrundsatz nicht zu vereinbaren.238 Für solche in Art. 28 IStGH-Statut gleichgewichtig mit den Vorsatzfällen angesprochenen Fälle fahrlässiger NichtVermeidung von Straftaten Untergebener findet jedoch § 13 VStGB Anwendung, der einen gesonderten Straftatbestand der Aufsichtspflichtverletzung vorsieht.239 § 14 VStGB schließlich normiert die strafrechtliche Haftung eines Vorgesetzten, der es unterlässt, eine von seinem Untergebenen begangene Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch unverzüglich der für die Untersuchung oder Verfolgung solcher Taten zuständigen Stelle zur Kenntnis zu bringen.

237 238 239

Satzger, NStZ 2002, S. 129. Werle, JZ 2001, S. 891. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 36.

C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht Im weiteren Verlauf wird zu zeigen sein, dass im Völkerrecht ein Rechtsprinzip, das mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht in seiner deutschen Ausprägung vergleichbar wäre, nicht existiert. Diese Tatsache rechtfertigt es, der deutschen Rechtsordnung (dazu Kapitel I.) sowie dem Völkerrecht (dazu Kapitel II.) in Bezug auf die Untersuchung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht jeweils ein eigenes Kapitel zu widmen.

I. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht im deutschen Recht I. Im deutschen Recht

Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht ist eines der Elemente des Prinzips „Keine Strafe ohne Gesetz“, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit vor Begehung der Tat gesetzlich bestimmt war. Dieses Prinzip, welches seine lateinische Formulierung „nulla poena sine lege“ durch Anselm von Feuerbach erhalten hat1, ist in der deutschen Rechtsordnung unter anderem auf einfachgesetzlicher Ebene (§§ 1, 2 StGB) und im Grundgesetz (Art. 103 Abs. 2 GG)2 normiert. Es bedingt zugleich den Satz „Kein Verbrechen ohne Gesetz“ („nullum crimen sine lege“), was bedeutet, dass kein Verbrechen als solches bestraft werden darf, wenn es nicht zuvor gesetzlich als Verbrechen bezeichnet worden ist.3 Art. 103 Abs. 2 GG enthält beide Prinzipien; das in dieser Verfassungsnorm verankerte Prinzip der Gesetzesbestimmtheit gilt also zum einen für den Tatbestand („nullum crimen sine lege“), zum anderen für die Strafandrohung („nulla poena sine lege“).4 Da die Thematik „Das Völkerstrafgesetzbuch und das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht“ im Wege einer verfassungsrechtlichen Prüfung dargestellt wird, spielt die nähere Ausgestaltung des Art. 103 Abs. 2 GG als Maßstab 1

Die eingängige lateinische Bezeichnung „nulla poena sine lege“ findet man bei Anselm von Feuerbach in § 20 seines „Lehrbuchs des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts“. Vor Feuerbach wurde dieser Begriff nicht verwendet (Binding, Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, S. 17 f.). 2 Zurückzuweisen ist die Auffassung von Wilkitzki, wonach dieses Prinzip im deutschen Verfassungsrecht Eingang in Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG gefunden haben soll (Wilkitzki, ZStW 99 [1987], S. 460 f.). Vgl. dazu oben: Kapitel A. 3 Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 18. 4 BVerfGE 25, 269 (285).

C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

72

dieser verfassungsrechtlichen Prüfung eine wichtige Rolle. Aus diesem Grunde widmet sich die folgende Untersuchung zuerst einer allgemeinen Einführung in diese Verfassungsnorm (dazu Abschnitt 1.). Daran anschließend befasst sich die Arbeit mit der Frage der ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG (dazu Abschnitt 2.). Die Beantwortung dieser Frage ist vor allem bedeutsam für die weiter unten vorzunehmende Untersuchung der Fragen, ob Art. 103 Abs. 2 GG in bestimmter Weise völkerrechtskonform ausgelegt werden kann sowie, ob diese Norm durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist. An die Erörterung der ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG schließt sich ein Überblick über Inhalt und Reichweite des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG an (dazu Abschnitt 3.).

1. Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Hiermit stellt diese Norm sowohl Anforderungen an die Rechtsquelle, aus der sich eine Strafnorm ergibt, als auch an den Inhalt einer solchen Strafnorm5: Ausprägungen dieser Anforderungen an die Rechtsquelle sind unter anderem das Analogieverbot6, welches das an die Rechtsprechung gerichtete Verbot beinhaltet, zuungunsten des Täters ein Strafgesetz auf einen Fall anzuwenden, der nicht vom Wortlaut des betreffenden Gesetzes gedeckt ist7, sowie das hier interessierende Verbot der Strafbegründung und Strafschärfung durch Gewohnheitsrecht8. Über diese konkreten Einzelprinzipien hinausgehend enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen allgemeinen strafrechtlichen Gesetzesvorbehalt9: Aus dem Gebot, dass die Strafbarkeit der Tat vor deren Begehung gesetzlich bestimmt sein muss, folgt nämlich, dass eine strafgerichtliche Verurteilung nur auf Grund eines gültigen Strafgesetzes erfolgen darf.10 Indem Art. 103 Abs. 2 GG fordert, dass die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt ist, stellt diese Verfassungsnorm zugleich Anforderungen an den Inhalt einer Strafnorm. Diese Anforderungen fasst man unter dem Begriff des Bestimmtheitsgebots11 („nulla poena sine lege certa“)12 zusammen. Der Bestimmtheitsgrundsatz richtet sich an den Gesetzgeber und enthält das Verbot, inhaltlich unbestimmte Strafgesetze zu erlassen.13 5

Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 21. BVerfGE 26, 41 (42); BVerfGE 64, 389 (393); BVerfGE 75, 329 (340). 7 Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 2; Krey / Weber-Linn, FS Blau, S. 131; Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 4. 8 BVerfGE 26, 41 (42); BVerfGE 64, 389 (393); BVerfGE 75, 329 (340). 9 BVerfGE 71, 108 (114); BVerfGE 75, 329 (341); BVerfGE 78, 374 (382). 10 BVerfGE 14, 174 (185); BVerfGE 25, 269 (285). 11 BVerfGE 75, 329 (340). 12 Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 21. 13 Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 6. 6

I. Im deutschen Recht

73

Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber dabei, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.14 Über die genannten Prinzipien hinaus enthält Art. 103 Abs. 2 GG außerdem ein Rückwirkungsverbot. Art. 103 Abs. 2 GG verbietet also dem Gesetzgeber die rückwirkende Strafbegründung und Strafschärfung15 und untersagt des Weiteren dem Richter die Bestrafung unter Zugrundelegung eines Gesetzes, das zur Tatzeit noch nicht in Kraft war16.

2. ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG Die Aufnahme des Prinzips „nullum crimen, nulla poena sine lege“ in das Grundgesetz schien im Gesetzgebungsverfahren so selbstverständlich zu sein, dass eine Diskussion der diesem Prinzip zugrunde liegenden ratio weitgehend unterblieb.17 14 BVerfGE 25, 269 (285); BVerfGE 41, 314 (319); BVerfGE 47, 109 (120); BVerfGE 71, 108 (114); BVerfGE 75, 329 (340 f.); BVerfGE 78, 374 (381 f.). 15 BVerfGE 7, 111 (119); BVerfGE 26, 41 (42); BVerfGE 47, 109 (120); BVerfGE 64, 389 (393); Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 21. 16 Seidel, Grund- und Menschenrechte, S. 317. 17 Siehe zur Entstehung des Art. 103 Abs. 2 GG: a) Entwurfsfassungen Art. 136 Abs. 1 Grundgesetz-Entwurf (Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu den Formulierungen der Fachausschusses [10.11.1948 bis 5.12.1948]), in: Parlamentarischer Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), S. 17 (S. 35); Art. 135 Abs. 2 Grundgesetz-Entwurf (Fassung der 1. und 2. Lesung des Hauptausschusses), in: Parlamentarischer Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), S. 41 (S. 76); Art. 135 Abs. 2 Grundgesetz-Entwurf (Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses vom 13./16.12.1948 zur Fassung der 1. Lesung des Hauptausschusses), in: Parlamentarischer Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), S. 85 (S. 110); Art. 135 Abs. 2 Grundgesetz-Entwurf (Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zur Fassung der 2. Lesung des Hauptausschusses), in: Parlamentarischer Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), S. 117 (S. 162); Art. 135 Abs. 2 Grundgesetz-Entwurf (Vorschlag des Fünferausschusses für die 3. Lesung des Hauptausschusses [Stand: 5.02.1949]), in: Parlamentarischer Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), S. 173 (S. 190); Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz-Entwurf (Fassung der 4. Lesung des Hauptausschusses [Stand: 5.05.1949]), in: Parlamentarischer Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), S. 241 (S. 252). b) Erläuterungen 25. Sitzung (vom 9.12.1948) des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 295 (S. 297); 38. Sitzung (vom 13.01.1949) des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 475 (S. 481); 50. Sitzung (10.02.1949) des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 655 (S. 669); 57. Sitzung (vom 5.05.1949) des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, in: Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, S. 743 (S. 758).

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

Dementsprechend werden zu der Frage nach dem Grundgedanken des Art. 103 Abs. 2 GG die unterschiedlichsten Auffassungen vertreten.18 Betrachtet man die Literatur und Rechtsprechung hierzu, so fällt auf, dass – bei im Einzelfall unterschiedlich starker Akzentuierung – im Wesentlichen fünf Elemente wiederholt als Grundlage des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht in Betracht gezogen werden. Diese sind: – das Demokratieprinzip19, – die Theorie der Generalprävention20, – das Prinzip der Rechtssicherheit21, – der Gewaltenteilungsgrundsatz22 und – das Schuldprinzip23. Diese Grundsätze und Prinzipien werden deshalb im Folgenden daraufhin untersucht, ob und inwieweit sie tatsächlich die Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht darstellen.

a) Das Demokratieprinzip aa) Allgemeines Bei dem Begriff der Demokratie handelt es sich nicht um ein unveränderliches Gebilde, sondern um einen Typus, der in verschiedenen Ausprägungen, sogenannten Demokratiemodellen, vorliegt. Als Typus ist dieser Begriff also nicht definierbar, sondern nur der Umschreibung zugänglich.24 Wenngleich es eine Vielzahl von Demokratiemodellen gibt, so existieren dennoch bestimmte Mindestanforderungen, die dem Demokratieprinzip nach heutigem Verständnis immanent sind.25 18

Krey, Studien, S. 206; Buchner, Mauerschützen, S. 44. So z. B. Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 122; Krey / Weber-Linn, FS Blau, S. 130 f., 145; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 17; Classen, GA 1998, S. 224; Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 13 f. 20 So z. B.: Schreiber, Gesetz und Richter, S. 216; Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 11–14; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 122; Krey / Weber-Linn, FS Blau, S. 131. 21 So z. B.: BVerfGE 28, 175 (183); BVerfGE 85, 69 (73); BVerfGE 87, 363 (391); BVerfGE 92, 1 (12); BVerfGE 95, 96 (131); Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 122; Krey / Weber-Linn, FS Blau, S. 130, 145; Schönke, MDR 1947, S. 86; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 17. 22 So z. B.: Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 67; Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 14; Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 9; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 122; Krey / WeberLinn, FS Blau, S. 130, 145; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 17. 23 So z. B.: BVerfGE 25, 269 (285); Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 998 f.; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 17. 24 Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 3. 25 v.Mangoldt / Klein / Starck-Sommermann, Art. 20 I, Rn. 81; Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 13. 19

I. Im deutschen Recht

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Das Prinzip der Volkssouveränität als das entscheidende Element des grundgesetzlichen Demokratieprinzips kommt in Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zum Ausdruck.26 Nach dieser Norm geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Da das Volk als solches aber nur beschränkt handlungsfähig ist, kann es nicht alle Entscheidungen selbst treffen, sondern muss durch besondere staatliche Organe handeln. Deshalb wird die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe“ ausgeübt, Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG. Die Begriffe „Wahlen“ und „durch“ in Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG enthalten damit die grundsätzliche Entscheidung des Grundgesetzes für die repräsentative Demokratie.27 Demgegenüber stellen Abstimmungen ein Element direkter Demokratie dar.28 In einer repräsentativen Demokratie wird die Staatsgewalt nicht unmittelbar durch das Volk ausgeübt, sondern durch Staatsorgane, welche ihrerseits durch das Volk unmittelbar oder mittelbar berufen sind.29 Repräsentation bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die unmittelbar gewählte Volksvertretung gewährleistet, dass die Staatsgewalt konkret auf der Anerkennung und Billigung des Volkes beruht. Der Repräsentationsgedanke des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes ergibt sich auch daraus, dass das Grundgesetz die Wahl30 von Bundestagsabgeordneten vorsieht (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG), die Vertreter des ganzen Volkes sind und die an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). In einer repräsentativen Demokratie bilden somit Volksvertretung und Wahlen zu dieser das Kernstück der staatlichen Institutionen.31 Von den plebiszitären Elementen nach Art. 29 GG32, 118 GG33, 118a GG34 abgesehen, ist nach dem Grundgesetz auf Bundesebene35 die Parlamentswahl die 26

Böckenförde, in: HStR I, 2. Aufl., § 22, Rn. 1. Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 18. 28 v.Mangoldt / Klein / Starck-Sommermann, Art. 20 II, Rn. 157. 29 Vgl. Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 10, Rn. 37 ff. 30 Gemäß Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG muss das Volk auch in den Ländern, Kreisen und Gemeinden eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. 31 Badura, Staatsrecht, Kapitel D, Rn. 10. 32 So bestimmt beispielsweise Art. 29 Abs. 2 S. 1 GG: „Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes ergehen durch Bundesgesetz, das der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf.“ 33 Art. 118 S. 2 GG sieht die Möglichkeit einer Volksbefragung für bestimmte Neugliederungsmaßnahmen vor. Da diese Neugliederung jedoch durch die Gesetze vom 4. Mai 1951 (BGBl. 1951 I, S. 283; BGBl. 1951 I, S. 284 ff.) entsprechend Art. 118 S. 2 GG vorgenommen wurde, hat Art. 118 GG keine praktische Bedeutung mehr (Münch / Kunig-Kunig, Art. 118, Rn. 4). 34 Art. 118a GG sieht für die Neugliederung in dem die Länder Berlin und Brandenburg umfassenden Gebiet die Möglichkeit der „Beteiligung“ der Wahlberechtigten beider Länder vor. Wie diese Beteiligung im Einzelnen auszusehen hat, wird dabei bewusst der Vereinbarung zwischen diesen beiden Ländern überlassen (vgl. Jarass / Pieroth-Pieroth, Art. 118a, Rn. 1). 35 Eine Institution unmittelbarer Demokratie auf kommunaler Ebene normiert Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG. Hiernach kann in Gemeinden an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten. 27

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

einzige Art der unmittelbaren Einflussnahme des Volkes auf die Staatswillensbildung.36 Der Grund für die Entscheidung des Grundgesetzes zugunsten einer repräsentativen Demokratie liegt darin, dass in einem modernen Massenstaat mit seiner nur für Experten transparenten sozialen und wirtschaftlichen Struktur und seinem komplexen System von Rechtsnormen eine allzuständige unmittelbare Demokratie, in der das Volk die Staatsgewalt selbst handelnd ausübt, praktisch undurchführbar ist. Überdies birgt eine direkte Demokratie immer die Gefahr demagogischer Manipulation des Volkswillens in sich. Die Entscheidung des deutschen Verfassungsgebers für eine repräsentative Demokratie ist damit auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen der nationalsozialistischen Zeit zu sehen.37 Aus dem Prinzip der Volkssouveränität folgt die Notwendigkeit, dass Staatsorgane ihre Legitimation unmittelbar oder wenigstens mittelbar aus einem Willensakt des Volkes herleiten können.38 Dies bedeutet, dass eine „ununterbrochene Legitimationskette“39 zwischen dem Volk und der Ausübung staatlicher Gewalt bestehen muss. Das Bundesverfassungsgericht spricht hier von einem „Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft“40. Dieser Zurechnungszusammenhang wird vor allem durch die Wahl des Parlamentes, durch die von ihm beschlossenen Gesetze als Maßstab der vollziehenden Gewalt, durch den parlamentarischen Einfluss auf die Politik der Regierung sowie durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt.41 Aus dem eben Genannten ergibt sich als weiteres Element des Demokratieprinzips sodann das Erfordernis regelmäßiger freier Wahlen.42 Darüber hinaus muss eine freie Meinungsbildung möglich sein43, woraus die besondere Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte in der Demokratie folgt.44 Da sich die unterschiedlichen Meinungen nur in einem Mehrparteiensystem so organisieren können, dass bei den Wahlen echte Alternativen zur Verfügung stehen, folgt das Mehrparteiensystem ebenfalls aus dem Demokratieprinzip.45 Kernelemente des 36

Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland I, S. 293. Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 10, Rn. 41. 38 Böckenförde, in: HStR I, 2. Aufl., § 22, Rn. 1; v.Mangoldt / Klein / Starck-Sommermann, Art. 20 I, Rn. 82. 39 Böckenförde, in: HStR I, 2. Aufl., § 22, Rn. 1. 40 BVerfGE 83, 60 (72). 41 BVerfGE 83, 60 (72). 42 BVerfGE 1, 14 (33); BVerfGE 18, 151 (154); BVerfGE 44, 125 (139); BVerfG NVwZ 1994, 893 (893). 43 BVerfGE 91, 262 (267). 44 Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 17; v.Mangoldt / Klein / Starck-Sommermann, Art. 20 I, Rn. 84. 45 BVerfGE 5, 85 (199, 224); BVerfGE 52, 63 (88); v.Mangoldt / Klein / Starck-Sommermann, Art. 20 I, Rn. 85; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland I, S. 621. 37

I. Im deutschen Recht

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Demokratieprinzips sind außerdem das Mehrheitsprinzip46 und der Minderheitenschutz47: Das Mehrheitsprinzip bedeutet, dass Entscheidungen grundsätzlich der Mehrheit bedürfen. Das Prinzip des Minderheitenschutzes dient dazu, Minderheiten die Möglichkeit zu gewährleisten, irgendwann selbst einmal zur Mehrheit zu werden; hierdurch wird gewährleistet, dass der politische Prozess offengehalten wird.48

bb) Das Demokratieprinzip als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht Die Meinung, die das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht als Ausprägung des Demokratieprinzips ansieht, argumentiert unter anderem damit, dass an die Legitimation eines Strafurteils besonders strenge Anforderungen zu stellen seien. In der Strafjustiz trete nämlich die staatliche Gemeinschaft dem Einzelnen unmittelbar und mit dem besonders hohen Anspruch gegenüber, über Tat und Täter ein Unwerturteil zu fällen, an welches sich schwerwiegende Rechtsfolgen knüpfen. Für ein solches schwerwiegendes Unwerturteil und dessen Rechtsfolgen besitze aber nur das Parlament als der Repräsentant des Volkes und somit des Souveräns die Legitimation.49 Das Erfordernis eines formellen Gesetzes im Bereich der Strafbegründung ergebe sich – so wird außerdem argumentiert – überdies aus der von der Rechtsprechung50 entwickelten Wesentlichkeitstheorie.51 Nach dieser Theorie verpflichten das Demokratieprinzip sowie der Gewaltenteilungsgrundsatz und das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung52 den Gesetzgeber, wesentliche Entscheidungen – insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung – selbst zu treffen und nicht dem Ermessen der Verwaltung zu überlassen.53 Die Wesentlichkeitstheorie ergibt sich nach der Rechtsprechung aus der Tatsache, dass das Grundgesetz eine demokratisch-parlamentarische Staatsverfassung darstellt, woraus folgt, dass die Entscheidung aller grundsätzlichen Fragen, die den Bürger unmittelbar betreffen, durch Gesetz erfolgen muss.54 Der 46 BVerfGE 1, 299 (315); BVerfGE 5, 85 (198 f.); BVerfGE 29, 154 (165); Badura, in: HStR I, 2. Aufl., § 23, Rn. 31. 47 BVerfGE 5, 85 (198 f.). 48 v.Mangoldt / Klein / Starck-Sommermann, Art. 20 I, Rn. 86. 49 Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 13 f. 50 Vgl. BVerfGE 41, 251 (260); BVerfGE 45, 400 (417 f.); BVerwGE 47, 201 (201, 203). 51 Krey / Weber-Linn, FS Blau, S. 130. 52 Insoweit sieht die Auffassung, die das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht als Ausprägung der Wesentlichkeitstheorie ansieht, die Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht letztlich nicht nur im Demokratieprinzip, sondern auch im Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. 53 BVerfGE 20, 150 (157 f.); BVerfGE 41, 251 (260); BVerwGE 47, 201 (201, 203). 54 BVerfGE 40, 237 (248 f.).

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

Grund hierfür wird darin gesehen, dass dem vom Parlament beschlossenen Gesetz gegenüber dem bloßen Verwaltungshandeln die unmittelbarere demokratische Legitimation zukommt und dass das parlamentarische Verfahren ein höheres Maß an Öffentlichkeit der Auseinandersetzung und Entscheidungssuche und damit auch größere Möglichkeiten des Ausgleichs widerstreitender Interessen bietet.55 In einem Staatswesen, in dem das Parlament die einzige Institution ist, die unmittelbar demokratisch legitimiert ist, sei vor allem dieses Parlament dazu berufen, im öffentlichen Willensbildungsprozess unter Abwägung der verschiedenen Interessen über die von der Verfassung offen gelassenen Fragen des Zusammenlebens zu entscheiden. Der Staat erfülle in diesem Bereich durch seine gesetzgebende Gewalt die Aufgabe, Hüter des Gemeinwohls gegenüber Gruppeninteressen zu sein.56 Überdies sei zu berücksichtigen, dass die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung nach Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG an Gesetz und Recht gebunden sind. Der aus dieser Norm folgende Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes verliere aber seinen Sinn, wenn nicht schon die Verfassung selbst verlange, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen nur rechtmäßig ist, wenn es durch formelles Gesetz legitimiert ist (Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes). Hieraus wird also gefolgert, dass der Gesetzgeber wesentliche Entscheidungen – insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung – durch Verabschiedung formeller Gesetze selbst zu treffen habe. Was als wesentlich in diesem Sinne anzusehen ist, ist umstritten, da die Wesentlichkeitstheorie hierfür keine sehr präzisen Vorgaben liefert.57 Nach dem Bundesverfassungsgericht richtet sich diese Frage zunächst allgemein nach dem Grundgesetz, wobei der Schutz der Grundrechte ein relevantes Kriterium darstellt. „Wesentlich“ im Sinne der Wesentlichkeitstheorie bedeutet also vor allem „wesentlich“ für die Verwirklichung der Grundrechte.58 Hieran – und an der gesamten Wesentlichkeitstheorie – wird kritisiert, dass dieses Abgrenzungsmerkmal zu vage sei.59 Kern der Argumentationsstruktur innerhalb der Diskussion, ob das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht aus dem Demokratieprinzip und der Wesentlichkeitstheorie folgt, ist also die Frage nach der Legitimation von Strafurteilen.60 Jedoch ist die Frage zu stellen, ob ein Strafurteil, das sich auf Gewohnheitsrecht bezieht, welches sich unmittelbar im Volk gebildet hat, nicht in gleicher Weise – oder sogar in noch stärkerem Maße – durch den Souverän legitimiert ist wie ein Strafurteil, das sich auf Straftatbestände stützt, die in formellen Gesetzen normiert sind. Allerdings unterstellt dieser Einwand, dass Gewohnheitsrecht tatsächlich seine Grundlage im Volk findet. Hieran ist zwar richtig, 55 56 57 58 59 60

BVerfGE 40, 237 (249). BVerfGE 33, 125 (159). Stein / Frank, Staatsrecht, S. 158. BVerfGE 47, 46 (79). Siehe dazu: Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 62, Rn. 44 ff. m. w. N. Krey, Studien, S. 207.

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dass es sich beim Volk um die vom Gewohnheitsrecht betroffenen Rechtsgenossen handelt, auf deren Übung und opinio iuris es letztlich für die Entstehung von Gewohnheitsrecht ankommt. Jedoch findet Gewohnheitsrecht faktisch seine Grundlage regelmäßig nicht unmittelbar im Volk.61 So kommt zum Beispiel Esser in seiner Untersuchung über Gewohnheitsrecht und Richterrecht zu dem Ergebnis: „Man kommt schlechterdings nicht an dem Eingeständnis vorbei, daß sich nirgends mehr ein Gewohnheitsrecht nachweisen läßt, an dessen Bildung die gerichtliche Spruchpraxis oder andere Staatsorgane nicht maßgeblich beteiligt wären.“62

Diese Tatsache folgt unter anderem daraus, dass eine Norm zu ihrer faktischen Durchsetzbarkeit einer Instanz bedarf, welche die Existenz dieser Norm anerkennt. Regelmäßig ist nur so die Möglichkeit gewährleistet, dass diese Norm von den von der Norm betroffenen Rechtsgenossen wahrgenommen werden kann. Diese Instanz ist beim Gewohnheitsrecht regelmäßig der Richter. Hervorzuheben ist hierbei aber, dass es sich bei der richterlichen Anerkennung nicht um die für die Entstehung von Gewohnheitsrecht erforderliche Übung handelt, sondern vielmehr um die Feststellung, dass Gewohnheitsrecht besteht. Zwar stellt diese richterliche Feststellung eines Gewohnheitsrechtssatzes das Mittel dar, die Wahrnehmbarkeit des jeweiligen Gewohnheitsrechtssatzes zu gewährleisten, so dass die richterliche Anerkennung lediglich Erkenntnisakt und somit keine konstitutive rechtliche Entstehungsvoraussetzung von Gewohnheitsrecht63 ist. Dennoch kann nicht geleugnet werden, dass die Einflussmöglichkeiten der Rechtsprechung auf die genaue Ausgestaltung des jeweiligen Gewohnheitsrechtssatzes sehr groß sind. Demnach findet auch die inhaltliche Ausgestaltung eines Gewohnheitsrechtsatzes regelmäßig ihre Grundlage nicht im Volk, sondern in der Judikative. Der Einwand, ein Strafurteil, welches sich auf Gewohnheitsrecht stützt, sei deshalb eher demokratisch legitimiert als ein Strafurteil, das seine Grundlage in schriftlich fixierten formellen Gesetzen findet, geht deshalb fehl, weil die von diesem Einwand unterstellte Voraussetzung der Ableitung des Gewohnheitsrechts aus dem Volk regelmäßig gerade nicht zutrifft. Da die Legitimationskette vom Volk zum unmittelbar gewählten Parlament kürzer ist als zum Richter64, der das Ge61

Freitag, Gewohnheitsrecht und Rechtssystem, S. 169 f. Esser, FS v.Hippel, S. 125. 63 Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, S. 20; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 112. A. A.: Zeidler, AöR 86 = N. F. 47 (1961), S. 389. 64 Die Richter der verschiedenen Gerichtsbarkeiten werden grundsätzlich durch Ernennung in ihr Amt berufen. Diese Ernennung erfolgt durch den zuständigen Minister (Badura, Staatsrecht, Kapitel H, Rn. 10). So ernennt beispielsweise gemäß § 3 Abs. 1 Hessisches Richtergesetz der Minister der Justiz den Richter auf Vorschlag desjenigen Ministers, zu dessen Geschäftsbereich der Gerichtszweig gehört. Allerdings sieht die Rechtsordnung für bestimmte Fälle in Abweichung vom eben genannten Regelfall eine Richterwahl vor, d. h. eine Berufung in das Richteramt, die nicht allein von der Entscheidung des zuständigen Ministers abhängt (Badura, Staatsrecht, Kapitel H, Rn. 10). So 62

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

wohnheitsrecht „feststellt“, spricht insoweit einiges dafür, einem Strafurteil, das sich auf Tatbestände stützt, die in formellen Gesetzen normiert sind, eine höhere demokratische Legitimation zuzusprechen als einem Strafurteil, welches sich in den angewendeten Tatbeständen auf Gewohnheitsrecht bezieht. Dieses Ergebnis gilt besonders unter Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie, nach der der Gesetzgeber verpflichtet ist, alle wesentlichen Entscheidungen – vor allem im Bereich der Grundrechtsausübung – selbst zu treffen. Die Normierung von Straftatbeständen stellt nämlich eine wesentliche Entscheidung in diesem Sinne dar. Straftatbestände sind die Grundlage eines Strafurteils, durch welches die Strafe verhängt wird. Diese ist das schwerste und einschneidendste Mittel des Eingriffs in Rechte und Freiheiten des Einzelnen.65 So stellt die Freiheitsstrafe einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG dar. Geldstrafen belasten den Täter wirtschaftlich und stellen Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 GG dar. Über den Grundrechtseingriff in die Freiheit oder das Vermögen des Betroffenen hinaus enthält die Strafe auch einen sozialethischen Tadel.66 Demnach stellt die Entscheidung über die Normierung von Straftatbeständen eine wesentliche Entscheidung dar, die nach der Wesentlichkeitstheorie vom Gesetzgeber getroffen werden muss. Es spricht damit also letztlich viel dafür, eine der Grundlagen des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht im Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie zu sehen.

b) Die Theorie der Generalprävention Die Theorie der Generalprävention sieht den Zweck des Strafens67 in der Verbrechensvorbeugung durch Beeinflussung der Allgemeinheit.68 Nach der sogenannten Theorie der negativen Generalprävention soll die Bestrafung des Täters die Abschreckung anderer bewirken, die in Gefahr sind, ähnliche Straftaten zu begehen.69 Aus rechtshistorischer Sicht ist der wohl einflussreichste Vertreter jener Lehre Anselm von Feuerbach mit seiner Theorie vom psychologischen Zwang. Feuerbach sah die Aufgabe des Strafrechts darin, die Rechtsgüter dadurch zu werden beispielsweise die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt (Art. 94 Abs. 1 S. 2 GG). Über die Berufung der Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes entscheidet der für das jeweilige Sachgebiet zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss, der aus den für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Ministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestag gewählt werden (Art. 95 Abs. 2 GG). 65 Müller-Dietz, FS Jescheck, S. 814. 66 Kühl, Strafrecht AT, § 10, Rn. 2. 67 Ebenso richtet sich in den Augen dieser Theorie die Bedeutung der Schuld nach den Zwecken, die mit einer Strafe bei dritten Personen erreicht werden sollen (Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 2 f.). 68 Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 282. 69 BGHSt 6, 125 (126 f.); SK-Horn, § 46, Rn. 11; SchSch-Stree, Vorbem. §§ 38 ff., Rn. 2; Naucke, Strafrecht, § 1, Rn. 140; Albrecht, Kriminologie, S. 53.

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schützen, dass auf den potentiellen Täter ein psychischer Zwang ausgeübt wird: Sobald für ihn der Anreiz zu einem Verbrechen auftritt, soll – so war die Vorstellung – die Aussicht, für die Tat eine bestimmte Strafe zu erleiden, ein Gegenmotiv schaffen, das ihn von der Tat abhält.70 Diese Abschreckungswirkung soll sich dabei sowohl auf der Ebene der Strafdrohung als auch auf der Ebene der konkreten Strafverhängung und -zumessung im Einzelfall entfalten.71 Demgegenüber ist die Theorie der positiven Generalprävention auf die Stabilisierung der gesellschaftlichen Normtreue bezogen.72 Nach dieser Ansicht hat Strafe die Aufgabe, der Allgemeinheit die Unverbrüchlichkeit des Rechts vor Augen zu führen und so die Rechtstreue der Bevölkerung zu stärken.73 Durch Strafe soll demnach die Erhaltung und Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung erreicht werden.74 Roxin75 unterscheidet im Bereich der positiven Generalprävention zwischen drei Effekten: erstens dem Lerneffekt der Stärkung des Rechtsbewusstseins; zweitens dem Vertrauenseffekt, der sich daraus ergibt, dass der Bürger sieht, dass das Recht sich durchsetzt; drittens dem Befriedigungseffekt, der sich dann ergibt, wenn das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit durch die als Reaktion auf den Rechtsbruch folgende Sanktion befriedigt und beruhigt wird. Die Theorie der negativen Generalprävention ist ebenso wie die der positiven Generalprävention nicht unumstritten und sieht sich verschiedenen Einwänden rechtlicher und faktischer Art ausgesetzt76, jedoch kann dies letztlich nicht Gegenstand dieser Untersuchung sein. Zu fragen ist an dieser Stelle vielmehr gleichsam hypothetisch, ob die Theorie der Generalprävention – losgelöst von der Frage, ob und inwieweit sie in sich überzeugend ist – überhaupt ein Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht zwingend erforderlich machen würde. Diskutiert man über den Zweck des Strafens so lassen sich über die rein theoretische Diskussion der Rechtfertigung staatlich veranlasster Übelszufügungen hinaus unter anderem zwei weitere Betrachtungsebenen unterscheiden77: Die erste hiervon ist abstrakt und betrifft den Bereich der vom Einzelfall losgelösten Strafandrohung, während die zweite – konkrete – Ebene die Bedeutung der verschiedenen 70 Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, §§ 8–20 (S. 12–18). 71 Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 16 (S. 16); Roxin, Strafrecht AT 1, § 3, Rn. 23. 72 Vgl. Albrecht, Kriminologie, S. 53. 73 BVerfGE 45, 187 (256); BGHSt 24, 40 (44); SchSch-Stree, Vorbem. §§ 38 ff., Rn. 2. 74 BGH NStZ 1995, 77 (78). 75 Roxin, Strafrecht AT 1, § 3, Rn. 27. 76 Vgl. Günther, Der strafrechtliche Schuldbegriff, in: Smith / Margalit, S. 52 f. 77 Diese Unterteilung in Ebenen erfolgt in Anlehnung an MüKo-Radtke, Vor §§ 38 ff., Rn. 29 ff., der allerdings teilweise abweichende Ebenen gebraucht: Die rein theoretische Ebene, die Ebene der Auswahl und Bemessung der konkreten Sanktion und die Ebene der empirischen Überprüfung der Wirksamkeit des Strafrechts und seiner Sanktionen.

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

Strafzwecke für die Verhängung der Strafe im Einzelfall umfasst. Kombiniert man diese beiden Betrachtungsebenen mit der positiven und der negativen Ausprägung der Generalprävention, so ergeben sich folgende vier Untersuchungsgegenstände: – die Theorie der positiven Generalprävention auf der Ebene der konkreten Strafanwendung [dazu aa)], – die Theorie der negativen Generalprävention auf der Ebene der konkreten Strafanwendung [dazu aa)], – die Theorie der positiven Generalprävention auf der Ebene der Strafdrohung [dazu bb)], – die Theorie der negativen Generalprävention auf der Ebene der Strafdrohung [dazu bb)].

aa) Zur Theorie der Generalprävention auf der Ebene der konkreten Strafanwendung Auf der Ebene der konkreten Strafanwendung kann die Theorie der Generalprävention von vornherein ein Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nicht erforderlich machen. Sowohl für den Aspekt der Stärkung der Normtreue der Allgemeinheit (positive Generalprävention) als auch hinsichtlich des Gesichtspunkts der Abschreckung der Allgemeinheit (negative Generalprävention) ist es unbeachtlich, ob einem Strafurteil Tatbestände zugrunde liegen, die in formellen Gesetzen normiert sind, oder solche, die sich aus Gewohnheitsrecht ergeben. Die Wahrnehmung eines Strafverfahrens in der Öffentlichkeit beschränkt sich eher auf Teilaspekte wie zum Beispiel die Person des Täters oder des Opfers, den Sachverhalt der zugrunde liegenden Tat und das Strafmaß oder die Art der Sanktion. Auf der Ebene der konkreten Strafanwendung muss die Theorie der Generalprävention demnach als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht ausscheiden.

bb) Zur Theorie der Generalprävention auf der Ebene der Strafdrohung Was die Ebene der abstrakten Strafdrohung anbelangt, muss zwischen der Theorie der Generalprävention in ihrer positiven und ihrer negativen Ausprägung näher differenziert werden. Nach der zuerst genannten – der auf Stabilisierung der gesellschaftlichen Normtreue bezogenen Theorie der positiven Generalprävention – soll Strafe der Allgemeinheit die Durchsetzungsfähigkeit des Rechts verdeutlichen und hierdurch die Rechtstreue der Allgemeinheit stärken. Bereits hieraus wird ersichtlich, dass dieser Theorie auf der Ebene der abstrakten Strafdrohung von vornherein keine Bedeutung zukommen kann, denn durchgesetzt wird

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das Strafrecht nicht durch die Strafdrohung – diese stellt vielmehr die Konstituierung des Rechts dar –, sondern durch die Anwendung im konkreten Fall. Als mögliche Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht bleibt somit nur noch die Theorie der negativen Generalprävention auf der Ebene der abstrakten Strafdrohung. Der Aspekt der Abschreckung der Allgemeinheit wird von den Verfechtern der Generalprävention gerade im Bereich der Strafdrohung betont. Jedoch kann diese so verstandene Theorie der negativen Generalprävention auf der Ebene der Strafdrohung nur dann eine taugliche Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht darstellen, wenn einzig geschriebenes Recht – nicht aber Gewohnheitsrecht – in ausreichendem Maße dem Strafzweck der Abschreckung gerecht würde. In der Tat wird von derjenigen Auffassung, die die Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht in der Theorie der negativen Generalprävention sieht, argumentiert, nur bei geschriebenen Normen könne der Bürger sehen, welches Verhalten mit welcher Strafe sanktioniert wird.78 Jedoch ist es keineswegs zwingend, dass eine geschriebene Norm eher abschreckende Wirkung zu entfalten vermag als eine gewohnheitsrechtliche. Die gegenteilige Ansicht verkennt, dass ein juristischer Laie regelmäßig nicht unmittelbar mit geschriebenen Normen konfrontiert ist, sondern die Geltung dieser Normen durch Dritte – sei es im Laufe des Sozialisations- und Erziehungsprozesses, sei es durch Medien – vermittelt bekommt. Insoweit kann es aber keinen Unterschied machen, ob die Norm, auf die durch die Dritten verwiesen wird, letztlich eine solche des geschriebenen Rechts oder eine solche des Gewohnheitsrechts ist. Dafür, dass geschriebene Normen eher abschreckende Wirkung zu entfalten imstande sind als Gewohnheitsrecht, würde höchstens sprechen, dass durch die Verbreitung geschriebener Normen gewährleistet ist, dass sich der Laie unmittelbar informieren kann. Allerdings stellt die Theorie der negativen Generalprävention entgegen Grünwald79 nicht auf die bloße Erkennbarkeit der Strafnorm, sondern auf deren tatsächliche Kenntnis ab. Das Instrument, auf welches die Theorie der negativen Generalprävention aufbaut, ist die tatsächliche Abschreckung, nicht die potentielle Abschreckbarkeit. Letztlich stellt die Theorie der negativen Generalprävention also auch auf der Ebene der Strafdrohung keine taugliche Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht dar. 78

Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 125; Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 23. Grünwald vertritt die Auffassung, aus der Theorie der negativen Generalprävention folge das Postulat der Erkennbarkeit strafrechtlicher Bewertung einer Handlung, woraus sich das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht ergebe. Da aber – nach Auffassung Grünwalds – die Feuerbachsche Theorie des psychischen Zwangs, mithin die Theorie der negativen Generalprävention, im deutschen Strafrecht aufgegeben sei, sei das Postulat der Erkennbarkeit strafrechtlicher Bewertung und damit auch das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht dieser seiner ursprünglichen Grundlage entzogen (Grünwald, ZStW 76 [1964], S. 10, 13). 79 Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 10.

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

cc) Zusammenfassung Die Untersuchung hat ergeben, dass die Theorie der Generalprävention – selbst wenn man sie als Strafzweck dem Grunde nach akzeptieren mag – in keiner ihrer Ausprägungen eine taugliche Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht darstellt. Auf der Ebene der konkreten Strafanwendung – dem Strafurteil – ergibt sich dies bereits daraus, das es sowohl für den Aspekt der Stärkung der Normtreue der Allgemeinheit (positive Generalprävention) als auch hinsichtlich des Gesichtspunkts der Abschreckung der Allgemeinheit (negative Generalprävention) unbeachtlich ist, ob einem Strafurteil Tatbestände zugrunde liegen, die in formellen Gesetzen normiert sind, oder solche, die sich aus Gewohnheitsrecht ergeben. Auf der Ebene der abstrakten Strafdrohung ist zu unterscheiden: Was die positive Generalprävention anbelangt, stellt sie nach hier vertretener Auffassung von vornherein keinen tauglichen Strafzweck im Bereich der abstrakten Strafdrohung dar; und was die negative Generalprävention betrifft, so baut diese zwar gerade auf die Strafdrohung, scheidet aber gleichwohl als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht aus, da geschriebenes Recht nicht eher abzuschrecken vermag als Gewohnheitsrecht.

c) Rechtsstaatliche Prinzipien Das Prinzip der Rechtssicherheit, der Gewaltenteilungsgrundsatz sowie das Schuldprinzip, die allesamt als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht genannt werden80, haben die Gemeinsamkeit, dass sie allesamt rechtsstaatliche Grundsätze darstellen.81 Das Rechtsstaatsprinzip ist eines der ele80

a) Hinsichtlich des Prinzips der Rechtssicherheit Z. B.: Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 122; Krey / Weber-Linn, FS Blau, S. 130, 145; Schönke, MDR 1947, S. 86; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 17. b) Hinsichtlich des Gewaltenteilungsgrundsatzes Z. B.: Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 67; Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 14; Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 9; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 122; Krey / WeberLinn, FS Blau, S. 130, 145; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 17. c) Hinsichtlich des Schuldprinzips Z. B.: BVerfGE 25, 269 (285); Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 998 f.; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 17. 81 Dazu, dass das Prinzip der Rechtssicherheit ein rechtsstaatlicher Grundsatz ist: BVerfGE 2, 380 (403); BVerfGE 7, 89 (92); BVerfGE 7, 194 (196); BVerfGE 11, 64 (72); BVerfGE 13, 261 (271); BVerfGE 14, 288 (291); BVerfGE 20, 323 (331); BVerfGE 22, 241 (248); BVerfGE 25, 269 (290); BVerfGE 30, 392 (401); BVerfGE 35, 41 (47); BVerfGE 39, 128 (143); SchmidtJortzig, NJW 1994, S. 2571. Dazu, dass der Gewaltenteilungsgrundsatz ein rechtsstaatlicher Grundsatz ist: Badura, Staatsrecht, Kapitel D, Rn. 47; Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 77; Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 24.

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mentaren Prinzipien des Grundgesetzes82, auch wenn der Begriff des Rechtsstaatsprinzips im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt wird. Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG nennt lediglich den Begriff des Rechtsstaates. In Art. 20 GG wird die Rechtsstaatlichkeit zwar nicht ausdrücklich genannt, jedoch enthält diese Vorschrift einige wesentliche rechtsstaatliche Grundsätze, weshalb das Rechtsstaatsprinzip unter anderem aus Art. 20 GG, vor allem aus dessen Abs. 3, hergeleitet wird.83 Das Rechtsstaatsprinzip wird von einer Reihe von Einzelelementen84 geprägt. Allerdings erschöpft sich das Rechtsstaatsprinzip nicht in der bloßen Addition dieser Einzelelemente.85 Vielmehr hat das Rechtsstaatsprinzip selbst eine eigene normative Bedeutung. So gibt es Bereiche, deren normative Linien erst aus einer systembewussten Zusammenschau jener aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Einzelprinzipien und im Blick auf das dahinterstehende Prinzip „Rechtsstaat“ entwickelt werden müssen.86 Dementsprechend ist das Rechtsstaatsprinzip nach dem Bundesverfassungsgericht87 eine derjenigen Leitideen, die die Verfassung innerlich zusammenhalten. Von einer ausdrücklichen Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips hat der Verfassungsgeber abgesehen, weil er das Rechtsstaatsprinzip bereits als prägendes Element im vorverfassungsmäßigen Gesamtbild als vorhanden ansah. Problematisch wäre allerdings eine allzu extensive Auslegung des Rechtsstaatsprinzips unter völliger Loslösung von seinen Einzelprinzipien.88 Grundsätzlich ist es nämlich Sache des Gesetzgebers, bei der normativen Konkretisierung eines Verfassungsgrundsatzes zwischen möglichen Alternativen zu wählen. Diese Gestaltungsfreiheit endet erst dann – d. h. der einfache Gesetzgeber verletzt das Rechtsstaatsprinzip erst dann –, wenn sich bei Berücksichtigung aller Umstände und nicht zuletzt der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten unDazu, dass das Schuldprinzip ein rechtsstaatlicher Grundsatz ist: BVerfGE 20, 323 (331); BVerfGE 23, 127 (132); BVerfGE 25, 269 (285). Dazu, dass das Prinzip der Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) ein rechtsstaatlicher Grundsatz ist: Schmidt-Jortzig, NJW 1994, S. 2571. 82 BVerfGE 1, 14 (18 [Leitsatz 28]); BVerfGE 20, 323 (331). Ausführlich zum Rechtsstaatsprinzip: Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, passim. 83 Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 24. – Nach BVerfGE 2, 380 (403) und BVerfGE 45, 187 (246) ergibt sich das Rechtsstaatsprinzip aus einer Zusammenschau der Bestimmungen der Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG sowie aus der Gesamtkonzeption des Grundgesetzes. – In BVerfGE 35, 41 (47) und BVerfGE 39, 128 (143) wird das Rechtsstaatsprinzip demgegenüber lediglich mit Art. 20 Abs. 3 GG, in BVerfGE 63, 343 (353) mit Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG zitiert. – Herzog leitet das Rechtsstaatsprinzip aus einer Gesamtschau des Grundgesetzes ab (Maunz / Dürig-Herzog, Art. 20, VII, Rn. 32). 84 Ein Überblick über die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Einzelprinzipien findet sich bei: Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 27 ff.; Schmidt-Jortzig, NJW 1994, S. 2571. 85 A. A.: Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 24. Danach reicht das Rechtsstaatsprinzip nicht weiter als seine Unterprinzipien. 86 Schmidt-Jortzig, NJW 1994, S. 2570. 87 BVerfGE 2, 380 (403); BVerfGE 25, 269 (290). 88 Schmidt-Jortzig, NJW 1994, S. 2570.

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zweideutig ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind.89

aa) Das Prinzip der Rechtssicherheit Das Prinzip der Rechtssicherheit gebietet, rechtliche Regelungen so zu fassen, dass die Betroffenen ihre Normunterworfenheit und die Rechtslage hinreichend konkret erkennen können, so dass sie ihr Verhalten danach auszurichten vermögen.90 Der Bürger soll die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können; er muss darauf vertrauen können, dass sein dem geltenden Recht entsprechendes Handeln von der Rechtsordnung mit allen ursprünglich damit verbundenen Rechtsfolgen anerkannt bleibt.91 Das Prinzip der Rechtssicherheit bedeutet damit für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz.92 Grünwald93 lehnt das Prinzip der Rechtssicherheit als Grundlage des Prinzips „nullum crimen, nulla poena sine lege“ mit der Begründung ab, die Forderung, der Rechtsbrecher94 dürfe nicht von den Folgen seiner Tat überrascht werden, sei verfehlt. Grünwald macht diese Aussage an zwei Beispielen fest: Zum einen bezieht er sich auf eine Entscheidung des Reichsgerichts95, welcher folgender Sachverhalt zugrunde lag: Zwei Brüder hatten an der aufgebahrten Leiche ihres Vaters beschimpfenden Unfug verübt. In seiner damaligen Fassung bedrohte § 168 StGB nur den Unfug an Gräbern mit Strafe. Das Reichsgericht bestätigte jedoch die Verurteilung der Angeklagten, da zu dieser Zeit die Analogie geboten war. Hiergegen, so Grünwald, ließe „sich […] nicht ernsthaft einwenden, dass damit das Vertrauen der Täter auf ihre Straflosigkeit enttäuscht worden sei“96. Als zweites Beispiel nennt Grünwald die rückwirkende Ersetzung einer zeitigen Zuchthausstrafe durch eine lebens89

BVerfGE 57, 250 (276); BVerfGE 65, 283 (290). Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 62. 91 BVerfGE 13, 261 (271). 92 BVerfGE 13, 215 (224); BVerfGE 13, 261 (271); BVerfGE 14, 288 (297); BVerfGE 15, 313 (324). Demgegenüber bezeichnet das Bundesverfassungsgericht in neueren Entscheidungen das Prinzip des Vertrauensschutzes als selbständigen rechtsstaatlichen Grundsatz (so z. B.: BVerfGE 30, 392 [403]; BVerfGE 50, 244 [250]; BVerfGE 55, 185 [203]; BVerfGE 59, 128 [152]). 93 Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 12 f. 94 Grünwald verwendet den Begriff des Rechtsbrechers hier in einem sehr weiten Sinn. Danach fallen unter diesen Begriff auch die Personen, die nur in analoger Weise einen Tatbestand erfüllen. Da Grünwald die Herleitung des Prinzips „nullum crimen, nulla poena sine lege“ in seinen sämtlichen Ausprägungen – damit auch in der Ausprägung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – aus dem Prinzip der Rechtssicherheit ablehnt, subsumiert er unter den Begriff des Rechtsbrechers offensichtlich auch Personen, die gegen Gewohnheitsrecht, welches eine Bestrafung vorsieht, verstoßen. 95 RGSt 71, 323 ff. 96 Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 13. 90

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lange. Nach Grünwald wäre dies „nicht deshalb bedenklich, weil damit Täter mit einer Strafe belegt würden, auf die sie sich nicht einstellen konnten“97. Grünwald stellt hier also darauf ab, dass in diesen Beispielen das Vertrauen der Betroffenen auf Straflosigkeit bzw. eine mildere Strafe und damit generell das Vertrauen der Rechtsbrecher auf die strafrechtliche Folgenlosigkeit ihres Tuns nicht schutzwürdig sei. Gegen diese Auffassung sind zunächst grundsätzliche Bedenken deswegen vorzubringen, weil Grünwald hier aus zwei Beispielen auf etwas Allgemeines schließt. Darüber hinaus ist seine Auffassung in ihrer Allgemeinheit auch dem Inhalt nach abzulehnen. Wenn Grünwald meint, das Vertrauen des Rechtsbrechers in die strafrechtliche Folgenlosigkeit seines Handelns sei generell nicht schutzwürdig, so ist ihm entgegenzuhalten, dass er einem argumentativen Zirkelschluss unterliegt. Schließlich ist es ja gerade die entscheidende Frage, ob jemand, der gegen strafbegründendes Gewohnheitsrecht verstößt, ein Rechtsbrecher im Sinne der deutschen Strafrechtsordnung ist. Sofern Grünwald jedoch die Schutzwürdigkeit des Vertrauens anspricht, betont er den wichtigen Aspekt, dass durch den Vertrauensgrundsatz nur das schutzwürdige Vertrauen geschützt wird98. Die Voraussetzung „Vertrauen“ gibt dem Vertrauensgrundsatz eine subjektive Komponente; der Grundsatz des Vertrauensschutzes stellt nämlich auf die Sicht des Bürgers ab99, indem er voraussetzt, dass beim Bürger tatsächlich Vertrauen vorlag. Insofern der Schutz aber nur für schutzwürdiges Vertrauen gilt, enthält der Vertrauensgrundsatz auch eine objektive Komponente.100 Der Vertrauensschutz entfällt also dann, wenn das Vertrauen des Bürgers nicht schutzwürdig ist. Zur Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens existiert – über den Bereich des Strafrechts hinausgehend – Rechtsprechung vor allem im Zusammenhang mit belastenden Gesetzen, die eine echte Rückwirkung besitzen101. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Vertrauen in die ohne diese Gesetze bestehende Rechtslage in folgenden Fallgruppen nicht schutzwürdig ist: – Der von der Rückwirkung betroffene Bürger musste nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit dieser Regelung rechnen.102 97

Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 13. Schmidt, JuS 1973, S. 531. 99 Maurer, in: HStR III, 2. Aufl., § 60, Rn. 2. 100 Der in der Literatur (so z. B. bei: Pieroth, JZ 1984, S. 972) teilweise zu findende Vorwurf der Zirkelhaftigkeit der Formel „Schutz nur für schutzwürdiges Vertrauen“ ist somit unbegründet: Vielmehr stellt die Voraussetzung der Schutzwürdigkeit eine objektive Einschränkung des Schutzes für Vertrauen dar. 101 Echte Rückwirkung liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich in abgeschlossene, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfGE 11, 139 [145 f.]; BVerfGE 14, 288 [297]; BVerfGE 25, 371 [404]; BVerfGE 95, 64 [86]). 102 BVerfGE 13, 261 (272); BVerfGE 30, 367 (387); BVerfGE 37, 363 (397); BVerfGE 48, 1 (20). – Nach neueren Entscheidungen (BVerfGE 88, 384 [404]; BVerfGE 95, 64 [86 f.]) fehlt es 98

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– Das geltende Recht ist unklar und verworren103: In diesen Fällen erfordert das Rechtsstaatsprinzip selbst, dass die Rechtssicherheit und Gerechtigkeit durch eine klärende Regelung rückwirkend hergestellt wird.104 – Durch sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderungen wird kein oder nur ein ganz unerheblicher Schaden verursacht (sogenannter Bagatellvorbehalt).105 – Auch das Vertrauen auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein muss nicht immer schutzwürdig sein. Der Gesetzgeber kann daher unter Umständen eine nichtige Bestimmung rückwirkend durch eine rechtlich nicht zu beanstandende Norm ersetzen.106 – Schließlich können zwingende Gründe des gemeinen Wohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen.107 Diese Rechtsprechung gilt zwar unmittelbar nur für die Fälle der echten Rückwirkung, jedoch lassen sich daraus auch Anhaltspunkte für allgemeine Kriterien der Schutzwürdigkeit von Vertrauen ableiten. So ergibt sich ein Zusammenhang zwischen Eingriffsintensität und Schutzwürdigkeit des Vertrauens aus der Tatsache, dass Fälle der echten Rückwirkung zugunsten des Betroffenen unbeschränkt zulässig sind108, ebenso wie daraus, dass bei Eingreifen des Bagatellvorbehalts das Vertrauen nicht schutzwürdig ist109. Daraus folgt, dass die Schutzwürdigkeit des in dieser Fallgruppe nicht erst an der Schutzwürdigkeit des Vertrauens, sondern es konnte sich schon gar kein Vertrauen bilden. Nach der hier vertretenen Auffassung, wonach das Vertrauen eine subjektive Komponente darstellt, kommt es für die Frage des Vorliegens des Vertrauens jedoch nur auf die Sicht des Bürgers an. Ob der Bürger Grund hatte zu vertrauen, ist demgegenüber eine Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens. 103 BVerfGE 13, 261 (272); BVerfGE 30, 367 (388); BVerfGE 50, 177 (193 f.); BVerfGE 88, 384 (404). 104 BVerfGE 30, 367 (388). 105 BVerfGE 30, 367 (389). – Nach BVerfGE 72, 200 (258) lässt sich die Fallgruppe des Bagatellvorbehalts demgegenüber gerade nicht auf den Grundgedanken der fehlenden Schutzwürdigkeit des Vertrauens zurückführen. Auf welchen Grundgedanken der Bagatellvorbehalt zu stützen ist, wird indes offen gelassen. – Nach BVerfGE 95, 64 (87) fehlt es in dieser Fallgruppe nicht erst an der Schutzwürdigkeit des Vertrauens, sondern es konnte sich schon gar kein Vertrauen bilden. Nach der hier vertretenen Auffassung, wonach das Vertrauen eine subjektive Komponente darstellt, kommt es für die Frage des Vorliegens des Vertrauens jedoch nur auf die Sicht des Bürgers an. Ob der Bürger Grund hatte zu vertrauen, ist demgegenüber eine Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens. 106 BVerfGE 13, 261 (272). 107 BVerfGE 2, 380 (405); BVerfGE 13, 261 (272); BVerfGE 30, 367 (390 f.); BVerfGE 37, 363 (397). 108 Vgl. Stein / Frank, Staatsrecht, S. 159. 109 BVerfGE 30, 367 (389). – Nach BVerfGE 72, 200 (258) lässt sich – wie dargestellt – die Fallgruppe des Bagatellvorbehalts demgegenüber gerade nicht auf den Grundgedanken der fehlenden Schutzwürdigkeit des Vertrauens zurückführen. Auf welchen Grundgedanken der Bagatellvorbehalt zu stützen ist, wird indes offen gelassen. – Nach BVerfGE 95, 64 (87) fehlt es in dieser Fallgruppe – wie dargestellt – nicht erst an der Schutzwürdigkeit des Vertrauens, sondern

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Vertrauens umso eher anzunehmen ist, je größer die Eingriffsintensität ist. Dogmatisch lässt sich dieser Zusammenhang zwischen Vertrauensschutz und Eingriffsintensität damit erklären, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes, der seinerseits aus dem Prinzip der Rechtssicherheit folgt, den Bürger in seinem Vertrauen auf die Erhaltung seiner Rechtspositionen schützen soll. Da ein Strafurteil zu sehr schweren Eingriffen in die Grundrechte des Verurteilten führen kann110, ist die Schutzwürdigkeit des Vertrauens, nicht strafrechtlich belangt zu werden, entgegen Grünwald regelmäßig gegeben. Insoweit spricht einiges dafür, die Grundlage des Prinzips „nullum crimen, nulla poena sine lege“ im Prinzip der Rechtssicherheit und im Vertrauensgrundsatz zu sehen. Letztlich würde dies allerdings nur dann gelten, wenn die Rechtssicherheit durch Gewohnheitsrecht nicht in gleichem Maße gewahrt würde wie durch geschriebenes Recht. Wie im Rahmen dieser Untersuchung festgestellt wurde, nimmt der Laie Strafnormen regelmäßig nicht unmittelbar wahr, sondern über die Vermittlung durch Dritte. Allerdings sind im Rahmen des Prinzips der Rechtssicherheit andere Maßstäbe anzulegen als im Rahmen der negativen Generalprävention, bei der es auf die tatsächliche Wahrnehmung der Strafnorm ankommt. Nach den obigen Ausführungen gebietet das Prinzip der Rechtssicherheit nur, rechtliche Regelungen so zu fassen, dass der Betroffene die Rechtslage hinreichend konkret erkennen kann. Nicht entscheidend ist also, ob der Betroffene die Rechtslage auch tatsächlich wahrgenommen hat.111 Insoweit ist das Prinzip der Rechtssicherheit verobjektiviert. Deshalb ist es irrelevant, ob tatsächlich Kenntnis von der geschriebenen Norm genommen wird. Unter Zugrundelegung dieses Kriteriums, nach dem es nur auf eine mögliche Kenntnisnahme der Rechtsnorm ankommt, ist zu konstatieren, dass geschriebene Normen im Vergleich zu Gewohnheitsrecht der Rechtssicherheit eher dienen, weil sie schriftlich fixiert sind und der Öffentlichkeit vergleichsweise leicht zugänglich sind112. Überdies ist der Inhalt geschriebener Normen aufgrund ihrer visuellen Wahrnehmbarkeit leichter zu erfassen als der von ungeschriebenem Gewohnheitsrecht. Allein unter diesem Aspekt spricht mithin einiges dafür, aus dem Prinzip der Rechtssicherheit die Forderung abzuleiten, dass Strafnormen in schriftlich fixierten Gesetzen geregelt sind, woraus sich ergibt, dass das Prinzip der Rechtssicherheit eine Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht darstellt. es konnte sich schon gar kein Vertrauen bilden. Nach der hier vertretenen Auffassung, wonach das Vertrauen eine subjektive Komponente darstellt, kommt es für die Frage des Vorliegens des Vertrauens jedoch nur auf die Sicht des Bürgers an. Ob der Bürger Grund hatte zu vertrauen, ist demgegenüber eine Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens. 110 Zur Grundrechtsrelevanz der Geld- und Freiheitsstrafe vgl. oben: Kapitel C. I. 2. a) bb). 111 Erb, ZStW 108 (1996), S. 275. 112 Gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG i. V. m. Art. 72 Abs. 1, Abs. 2 GG ergehen Strafgesetze grundsätzlich als Bundesgesetze. Diese werden nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG im Bundesgesetzblatt verkündet.

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bb) Der Grundsatz der Gewaltenteilung (1) Allgemeines Der Grundsatz der Gewaltenteilung geht auf Montesquieu zurück. Im heutigen Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland stellt der Gewaltenteilungsgrundsatz, der Teil des Rechtsstaatsprinzips ist113, eines der maßgeblichen Prinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes dar114. Das Grundgesetz unterscheidet in Art. 20 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 GG zwischen der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt sowie der Rechtsprechung und weist die Ausführung der in diesen drei Gewalten in Erscheinung tretenden Staatsgewalt besonderen Organen zu. Damit bringt das Grundgesetz das Prinzip der Gewaltenteilung zum Ausdruck. Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Gewaltenteilung werden zum einen in der Unterscheidung der Funktionen der Rechtssetzung, der Vollziehung und der Rechtsprechung, in der Zuweisung dieser Funktionen an besondere Gewalten, in dem Verbot, Funktionen wahrzunehmen, die einer anderen Gewalt zugewiesen sind (Gewaltentrennung), und zum anderen in der gegenseitigen Kontrolle und Hemmung der Gewalten (Gewaltenbalancierung) gesehen.115 Der Sinn der Gewaltenteilung liegt zum einen darin, dass Legislative, Exekutive und Judikative sich gegenseitig ergänzen, kontrollieren und begrenzen, damit die Staatsgewalt gemäßigt und gehemmt wird, um so die Freiheit des Einzelnen zu schützen.116 Zum anderen wird durch das Prinzip der Gewaltenteilung eine sachgemäße Verteilung der Staatsfunktionen angestrebt, die der unterschiedlichen Struktur der Staatsorgane angepasst ist (organadäquate Funktionenteilung).117 Um eine der Eigenart der Aufgaben entsprechende gute und sachgemäße Erfüllung sicherzustellen, sollen Struktur, Zusammensetzung und Besetzung der Organe funktionsgerecht sein.118 In der deutschen Verfassungsordnung ist der Grundsatz der Gewaltenteilung nicht strikt durchgeführt worden.119 So enthält das Grundgesetz zahlreiche sogenannte Gewaltenverschränkungen. Beispielsweise dürfen die Mitglieder der Bundesregierung zugleich Abgeordnete des Bundestages sein. Dieser Zustand lässt sich damit begründen, dass der Sinn des Gewaltenteilungsgrundsatzes, der nach 113

Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 77; Münch / Kunig-Schnapp, Art. 20, Rn. 24. BVerfGE 3, 225 (247); BVerfGE 67, 100 (130); BVerfGE 95, 1 (15). 115 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 476; Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 81. 116 BVerfGE 3, 225 (247); BVerfGE 7, 183 (189); BVerfGE 9, 268 (279); BVerfGE 22, 106 (111); BVerfGE 30, 1 (28); BVerfGE 67, 100 (130); BVerfGE 68, 1 (86); BVerfGE 95, 1 (15); Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 81; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 476; Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 69, Fn. 213. 117 BVerfGE 68, 1 (86); BVerfGE 90, 286 (364); BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 98, 218 (251 f.); Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 81; Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 15; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 482. 118 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 488. 119 BVerfGE 3, 225 (247); BVerfGE 7, 183 (188); BVerfGE 95, 1 (15). 114

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dem oben Gesagten in der organadäquaten Funktionenteilung und der Mäßigung der Staatsgewalt durch gegenseitige Kontrolle der Gewalten besteht, keine absolute Trennung der Gewalten erfordert, sondern auch eine Gewaltenverschränkung ausreichen lässt.120 Allerdings muss die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten gewahrt bleiben, so dass keine Gewalt ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über die anderen Gewalten erhalten darf und keine Gewalt der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden darf. Somit ist der Kernbereich der verschiedenen Gewalten unveränderbar.121

(2) Das Gewaltenteilungsprinzip als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht In der Diskussion, ob das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht eine Ausprägung des Prinzips der Gewaltenteilung ist, wird vor allem der Aspekt der Hemmung richterlicher Machtbefugnisse hervorgehoben. Diese Hemmung soll vor allem der Sicherung der bürgerlichen Freiheitsrechte dienen sowie der Vermeidung der Gefahr, dass richterliche Entscheidungen ohne die nötige Distanz zum Einzelfall getroffen werden. Art. 103 Abs. 2 GG soll sicherstellen, dass die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten vom Gesetzgeber und nicht von der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird.122 Von den beiden Zwecksetzungen des Prinzips der Gewaltenteilung – organadäquate Funktionenteilung und Mäßigung der Staatsgewalt – spielt in der Diskussion um die ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht also vor allem der Aspekt der Freiheitsverbürgung durch Mäßigung der Staatsgewalt eine Rolle. So wird vorgebracht, aus der engen Verbindung von Recht und Sittlichkeit im Bereich des Strafrechts ergebe sich dort in besonderem Maße die Gefahr, dass ohne Vorliegen eines gesetzlichen Straftatbestandes richterliche Entscheidungen ohne notwendige Distanz zum Einzelfall emotional belegt würden, was sich für den Täter nachteilig auswirken könnte. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht verfolge mithin den Zweck, dass die Strafnormen durch den Gesetzgeber in gewisser Distanz von den Einzelfällen aufgestellt werden.123 Berücksichtigt man das in dieser Untersuchung124 festgestellte Ergebnis, wonach Gewohnheitsrecht faktisch weitgehend Richterrecht ist und damit seine Grundlage regelmäßig nicht unmittelbar im Volk findet, so erscheint diese Argumentation plausibel. Zwar reagiert auch der Gesetzgeber mit der Schaffung neuer Straftatbestände häufig auf gesellschaftliche Entwicklungen oder aktuelle Ereignisse, jedoch han120 121 122 123 124

BVerfGE 9, 268 (279); BVerfGE 30, 1 (28); BVerfGE 95, 1 (15). BVerfGE 9, 268 (279 f.); BVerfGE 95, 1 (15). BVerfGE 85, 69 (73); BVerfGE 92, 1 (11 f.). Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 14; Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 69. Vgl. oben: Kapitel C. I. 2. a) bb).

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delt er trotzdem in Distanz zum konkreten Einzelfall. Aufgrund des ebenfalls aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Rückwirkungsverbots ist es ihm nämlich verwehrt, bereits vergangene Verhaltensweisen rückwirkend strafrechtlich zu sanktionieren beziehungsweise rückwirkend mit einer gegenüber dem früheren Zeitpunkt härteren Sanktion zu belegen.125 Der Gesetzgeber kann somit ein aktuelles Ereignis – zum Beispiel ein besonders grausames Verbrechen – nur zum Anlass nehmen, Straftatbestände zu normieren, mit denen für die Zukunft ähnliche Verhaltensweisen für strafbar erklärt werden.126 Demgegenüber ist der Richter mit einem konkreten Fall befasst, der unter Umständen großes Aufsehen in der Öffentlichkeit und damit verbundene emotionale Reaktionen erregt. In dieser Situation der richterlichen Befassung mit einem konkreten Fall erscheint es angezeigt, dass die in Frage kommenden Straftatbestände schriftlich fixiert und damit eindeutig sind, da die fehlende schriftliche Fixierung eines Straftatbestandes zu Schwierigkeiten bei der Feststellung des genauen Inhalts dieses Straftatbestandes führen kann. Eng hiermit verknüpft ist der Aspekt der Hemmung der richterlichen Machtbefugnis zum Zwecke der Sicherung der Freiheitsrechte des Bürgers. Hierbei geht es um den Schutz individueller Freiheit vor richterlicher Willkür. Dieser Gesichtspunkt kann vor allem auf die grundrechtliche oder zumindest grundrechtsgleiche127 Komponente des strafrechtlichen Gesetzesvorbehalts gestützt werden.128 Dabei stellt sich heute die Frage der Begrenzung der richterlichen Machtbefugnis noch dringender denn je: Die Tatsache, dass die im 18. Jahrhundert existierende Idee der Eindeutigkeit der Gesetze und die damit einhergehende Idee der strengen Gesetzesbindung129, wonach der Richter als bloßer „Subsumtionsautomat“130 lediglich die im geschriebenen Gesetz fertig daliegenden Ergebnisse auszuwerfen braucht, zugunsten der Annahme eines Entscheidungsspielraums des Richters bei der Gesetzesanwendung aufgegeben wurde, darf nämlich gerade nicht die Annahme zur Konsequenz haben, die Gesetzesbindung des Richters sei obsolet geworden. Vielmehr stellt sich nun bei der Annahme eines Entscheidungsspielraums 125 BVerfGE 25, 269 (286); Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 32; Jarass / Pieroth-Pieroth, Art. 103, Rn. 52. 126 Kratzsch spricht zutreffend von dem „dem Einzelfall und dem Druck der Öffentlichkeit entrückten Gesetzgeber“ (Kratzsch, GA 1971, S. 72). 127 Ob Art. 103 Abs. 2 GG ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht ist, ist umstritten: Für Grundrechtsqualität sprechen sich z. B. aus: Rittstieg, DuR 19 (1991), S. 410; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 99; Schorn, EMRK, Art. 7 I, Unterpunkt 13 (S. 239); v.Mangoldt / Klein / Starck-Nolte, Art. 103 II, Rn. 103; Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 491. Dass Art. 103 Abs. 2 GG nur grundrechtsgleich sei, vertreten demgegenüber z. B.: BVerfGE 85, 69 (72); Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1084; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 997; Jarass / Pieroth-Pieroth, Art. 103, Rn. 40. 128 Krey, Studien, S. 206 f. 129 Ausprägungen dieser Ansicht sind Montesquieus Charakterisierung des Richters als „bouche qui prononce les paroles de la loi“ (Montesquieu, Esprit des lois, Livre XI, Chapitre VI [S. 134]) sowie das Kommentierungsverbot der Aufklärungsgesetze (vgl. Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 10). 130 Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 10.

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des Richters die Frage, wie man die richterliche Gewalt begrenzen könne, umso dringlicher.131 Hieraus ergibt sich, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht auch eine Ausprägung der Aspekte der Hemmung richterlicher Machtbefugnisse ist, welche zum Zwecke der individuellen Freiheitssicherung und zum Zwecke der Vermeidung der Gefahr, dass richterliche Entscheidungen ohne die nötige Distanz zum Einzelfall getroffen werden, erfolgt. Da diese beiden Aspekte aus dem Prinzip der Gewaltenteilung folgen, ist letztlich auch das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht eine Ausprägung des Gewaltenteilungsgrundsatzes.

cc) Das Schuldprinzip (1) Allgemeines Nach dem Schuldprinzip setzt Strafe Schuld voraus (nulla poena sine culpa).132 Hieraus folgt aber nicht nur, dass nicht bestraft werden kann, wer ohne Schuld handelt (Ausschluss der Erfolgshaftung), sondern auch, dass die Strafe auch das Maß der Schuld nicht überschreiten darf (Strafzumessung im Rahmen der Schuldobergrenze).133 Die Strafe muss also in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen.134 Insoweit folgt das Schuldprinzip auch aus der rechtsstaatlichen Idee der materiellen Gerechtigkeit. Was Schuld ist, wird im Strafgesetzbuch allerdings ebenso wenig abschließend und positiv definiert wie in vielen anderen Strafrechtsordnungen.135 Gesetzlich geregelt sind im deutschen Strafrecht nur negative Bedingungen, bei deren Vorliegen das Schuldurteil über eine Person ausgeschlossen ist.136 Legt man für eine Begriffsbestimmung den normativen Schuldbegriff zugrunde, so lässt sich Schuld als Vorwerfbarkeit begreifen.137 Dem schuldhaft handelnden Täter wird vorgeworfen, 131

Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 10. BVerfGE 41, 121 (125); BVerfGE 50, 125 (133); BGHSt 2, 194 (200). 133 Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 23. 134 BVerfGE 6, 389 (439); BVerfGE 25, 269 (286); BVerfGE 27, 18 (29); BVerfGE 45, 187 (260); BVerfGE 54, 100 (108). 135 Günther, KJ 2006, S. 117. 136 Günther, Der strafrechtliche Schuldbegriff, in: Smith / Margalit, S. 62. 137 BGHSt 2, 194 (200); Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 404. Kritisch gegenüber dieser Gleichsetzung der Begriffe „Schuld“ und „Vorwerfbarkeit“: SchSch-Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 114. Danach sei diese Gleichsetzung zumindest ungenau, da die Vorwerfbarkeit nur die Folge von Schuld sein könne, nicht aber diese selbst. Die Vorwerfbarkeit sei nur ein von anderen abgegebenes Urteil über etwas, nicht aber dieses Etwas selbst. Nach Lenckner ist deshalb zwischen den Begriffen „Schuldtatbestand“ als dem Gegenstand der Wertung, „Vorwerfbarkeit“ als der Wertung selbst und „Schuld“ als dem Gegenstand mitsamt seinem Wertprädikat zu unterscheiden (ebenso: Roxin, FS Henkel, S. 171). 132

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dass er eine rechtswidrige Tat begangen hat, obwohl er sich anders, nämlich normgerecht, hätte verhalten können.138 Gegenstand des Schuldvorwurfs ist die in der rechtswidrigen Tat zum Ausdruck kommende fehlerhafte Einstellung des Täters zu den Verhaltensanforderungen der Rechtsordnung.139 Die Rechtsordnung vermag also nicht schon daran, dass jemand sich tatbestandsmäßig-rechtswidrig verhalten hat, die Strafsanktion zu knüpfen. Diese setzt vielmehr auch voraus, dass dem Täter das Verhalten persönlich vorzuwerfen ist.140 Das Schuldprinzip wurzelt nach dem Bundesverfassungsgericht im Rechtsstaatsprinzip und in der vom Grundgesetz vorausgesetzten und in Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verfassungskräftig geschützten Würde und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen, die vom Gesetzgeber auch bei der Ausgestaltung des Strafrechts zu achten und zu respektieren ist.141 Die Strafe ist nämlich – im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme – dadurch gekennzeichnet, dass sie unter anderem auf Repression und Vergeltung abzielt. Mit der Strafe wird dem Täter ein Rechtsverstoß vorgehalten und zum Vorwurf gemacht. Ein solcher strafrechtlicher Vorwurf setzt aber Vorwerfbarkeit, also strafrechtliche Schuld, voraus. Andernfalls wäre die Strafe eine mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbare Vergeltung für einen Vorgang, den der Betroffene nicht zu verantworten hat.142 Dem Schuldprinzip kommt Verfassungsrang zu.143

(2) Das Schuldprinzip als Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht Das Schuldprinzip kann nur dann Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht sein, wenn es zwingend verlangen würde, dass ein Verstoß gegen Gewohnheitsrecht nicht bestraft werden dürfte. Berücksichtigt man des Weiteren, dass nach dem Schuldprinzip eine Bestrafung das Vorliegen von Schuld voraussetzt, so lässt sich die eben dargestellte Prämisse dahingehend präzisieren, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nur dann aus dem Schuldprinzip folgt, wenn ein Verstoß gegen Gewohnheitsrecht nie schuldhaft wäre. Dies wird in der Tat teilweise mit dem Argument bejaht, dass von einer vorwerfbaren Fehlentscheidung zur Verwirklichung straftatbestandsspezifischen Unrechts – also von schuldhaftem und rechtswidrigem Handeln – nur dann die Rede sein könne, wenn das den Unrechtstatbestand spezifizierende formelle Strafgesetz als der Richtpunkt dieser Fehlentscheidung gegen das Recht im Zeitpunkt der Tat 138

BGHSt 2, 194 (200); Kühl, Strafrecht AT, § 10, Rn. 3. Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 400. 140 BVerfGE 20, 323 (331). 141 BVerfGE 25, 269 (285); BVerfGE 45, 187 (259); BVerfGE 50, 125 (133). 142 BVerfGE 20, 323 (331). 143 BVerfGE 20, 323 (331); BVerfGE 23, 127 (132); BVerfGE 41, 121 (125); BVerfGE 50, 125 (133). 139

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existiert.144 Dem wird jedoch andererseits entgegengehalten, Anknüpfungspunkt des Schuldvorwurfs sei nicht das Strafgesetz, sondern allein das Verbot der betreffenden Handlung.145 Damit rückt letztlich das Unrechtsbewusstsein in den Mittelpunkt der Diskussion um die Frage, ob das Schuldprinzip Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht ist. Die Einordnung des Unrechtsbewusstseins als Schuldmerkmal geht zurück auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18. März 1952.146 Dieses Bewusstsein kann dem Bundesgerichtshof zufolge im Einzelfall fehlen, wenn der Täter die Verbotsnorm nicht kennt oder verkennt.147 Der Gesetzgeber hat dieser Feststellung im Jahre 1975 durch Einführung des § 17 StGB Rechnung getragen.148 Nach § 17 S. 1 StGB handelt der Täter dann ohne Schuld, wenn ihm bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun (Unrechtsbewusstsein), fehlt und dieser Irrtum unvermeidbar war. Fehlte dem Täter Unrechtsbewusstsein und war dieser Irrtum vermeidbar, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden, § 17 S. 2 StGB. Dies bedeutet, dass nach der gesetzgeberischen Konzeption nur das unvermeidbare Fehlen des Unrechtsbewusstseins die Schuld ausschließt (§ 17 S. 1 StGB), während das vermeidbare Fehlen des Unrechtsbewusstseins am Vorliegen einer schuldhaften Vorsatztat nichts ändert (§ 17 S. 2 StGB). Kraft gesetzgeberischer Entscheidung reicht es damit für die Vorsatzstrafbarkeit aus, dass der Täter den Widerspruch seines vorsätzlichen Verhaltens zum Recht hätte einsehen können (sog. potentielles oder virtuelles Unrechtsbewusstsein).149 Schuldhaftes Handeln verlangt also nicht zwingend tatsächlich vorliegendes Unrechtsbewusstsein. Aufgrund der seit dem Jahre 1975 geltenden Gesetzeslage muss die eben getroffene Feststellung, das Unrechtsbewusstsein sei Schuldmerkmal, somit dahingehend präzisiert werden, dass das Unrechtsbewusstsein zwar ein Schuldmerkmal ist, jedoch kein notwendiges, da nach § 17 S. 2 StGB Schuld auch dann vorliegt, wenn der Täter kein Unrechtsbewusstsein hat und dieser Irrtum vermeidbar war. Grund für die Regelung des § 17 S. 2 StGB – also für die Bestrafung wegen vorsätzlicher und schuldhafter Tat im Falle eines vermeidbaren Verbotsirrtums – ist, dass der Täter in diesem Fall in vorwerfbarer Weise – nämlich trotz Erkennbarkeit – nicht er144

Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 998 f. Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 11; Schreiber, Gesetz und Richter, S. 211; Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 15. Auch Roxin vertritt unter Hinweis auf § 17 StGB die Meinung, dass Schuld nicht die Erkennbarkeit der Strafbarkeit des Verhaltens, sondern nur die Erkennbarkeit des Unrechts voraussetze. Demnach gehe der nullum-crimen-Satz über die Erfordernisse des Schuldprinzips hinaus. Andererseits müsse aber auch gesehen werden, dass das Unrechtsbewusstsein praktisch in aller Regel nur gegeben ist, wenn der Täter die Strafvorschrift hätte kennen können. Insofern gehöre der Schuldgedanke also doch zu den Grundlagen des Gesetzlichkeitsprinzips. Unrichtig sei jedoch, Art. 103 Abs. 2 GG allein oder überwiegend als Spezifizierung des strafrechtlichen Schuldgrundsatzes zu betrachten (Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 24 f.). 146 BGHSt 2, 194 (201). 147 BGHSt 2, 194 (201). 148 Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 452. 149 Kühl, Strafrecht AT, § 11, Rn. 29. 145

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

kannte, Unrecht zu tun; jedoch ist die Schuld wegen der fehlenden aktuellen Unrechtskenntnis in der Regel geringer, weswegen die Strafe fakultativ nach § 17 S. 2 StGB i. V. m. § 49 Abs. 1 StGB gemildert werden kann.150 In Anbetracht dieser Gesetzeslage kann die oben aufgestellte Prämisse – das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht folgt nur dann aus dem Schuldprinzip, wenn ein Verstoß gegen Gewohnheitsrecht nie schuldhaft wäre – nun ein weiteres Mal präzisiert werden: Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht kann nur dann Ausprägung des Schuldprinzips sein, wenn bei Verstößen gegen strafbegründendes Gewohnheitsrecht immer in unvermeidbarer Weise das Unrechtsbewusstsein fehlen würde, § 17 S. 1 StGB. Dies lässt sich jedoch in dieser Allgemeinheit nicht bejahen. Unrechtsbewusstsein ist das Bewusstsein, dass das Verhalten rechtswidrig ist. Das Bewusstsein der Sozialschädlichkeit oder Sittenwidrigkeit des eigenen Verhaltens genügt also nicht.151 Auf der anderen Seite ist Gegenstand des Unrechtsbewusstseins auch nicht die Kenntnis des verletzten Rechtssatzes oder der Strafbarkeit der Tat. Ausreichend ist vielmehr, wenn der Täter überhaupt weiß, dass sein Verhalten gegen die rechtliche Ordnung, die das gesamte Zivilrecht, Strafrecht und öffentliche Recht umfasst, verstößt.152 Bezugspunkt dieser Kenntnis der rechtlichen Unerlaubtheit kann somit zum Beispiel auch das bürgerliche Recht oder sogar das Gewohnheitsrecht sein.153 Hätte der Gesetzgeber für das Vorliegen des Unrechtsbewusstseins Kenntnis der Strafbarkeit verlangt, so hätte er in § 17 StGB von der „Einsicht, strafbar zu handeln“ und nicht von der „Einsicht, Unrecht zu tun“ sprechen müssen. Dass kein Strafbarkeitsbewusstsein erforderlich ist, wird rechtspolitisch damit begründet, dass die Kenntnis des Verbots für den Täter auf jeden Fall genügen müsse, um zu rechtstreuem Verhalten motiviert zu werden; die Spekulation auf die bloße Straffreiheit verdiene keine mildere Behandlung.154 Da das Unrechtsbewusstsein mithin keine Kenntnis des verletzten Rechtssatzes verlangt, schließt die fehlende schriftliche Fixierung einer Strafnorm nicht von vornherein aus, dass der Täter Kenntnis des Verbots hatte oder dass das Verbot dem Täter zumindest erkennbar war. Dies ergibt sich bereits daraus, dass das Verbot nicht zwingend identisch mit der Strafvorschrift sein muss. So kann sich das Verbot zum Beispiel auch aus Normen des Zivilrechts ergeben. Weiß der Täter also beispielsweise, dass er mit der Benutzung eines fremden Fahrrads eine zivilrechtlich unerlaubte verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) begeht, ohne sich zugleich der Strafbarkeit seines Tuns gemäß § 248b StGB bewusst zu sein, so befindet er sich nicht in einem Verbotsirrtum.155 Wenn aber die fehlende schriftliche Fixierung 150

Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 452; MüKo-Joecks, § 17, Rn. 33. Roxin, Strafrecht AT 1, § 21, Rn. 12. 152 BGHSt 2, 194 (202); Roxin, Strafrecht AT 1, § 21, Rn. 12; SchSch-Cramer / Sternberg-Lieben, § 17, Rn. 5; Kühl, Strafrecht AT, § 11, Rn. 28; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 453; Lackner / Kühl, § 17, Rn. 2; Fischer, § 17, Rn. 3; Otto, Jura 1990, S. 645 f. 153 Schreiber, Gesetz und Richter, S. 211. 154 Roxin, Strafrecht AT 1, § 21, Rn. 13. 155 Roxin, Strafrecht AT 1, § 21, Rn. 13. 151

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einer Strafnorm nicht von vornherein ausschließt, dass der Täter Kenntnis des Verbots hatte oder dass das Verbot dem Täter zumindest erkennbar war, so ist es für das Vorliegen des Unrechtsbewusstseins irrelevant, ob die Strafvorschrift, auf deren Kenntnis es für das Vorliegen des Unrechtsbewusstseins ja gar nicht ankommt, in einem formellen Gesetz schriftlich normiert ist oder ob es sich dabei um eine solche des ungeschriebenen Gewohnheitsrechts handelt. Dementsprechend steht auch das Schuldprinzip indifferent zu der Frage, ob Strafnormen in formellen Gesetzen schriftlich fixiert sein müssen oder sich auch aus Gewohnheitsrecht ergeben können. Deshalb verlangt das Schuldprinzip, wonach Strafe Schuld voraussetzt, nicht das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht. Das Schuldprinzip fordert lediglich, bei einem hypothetisch gedachten Verstoß gegen strafbegründendes Gewohnheitsrecht zu prüfen, ob dieser schuldhaft ist und falls dies nicht der Fall ist, zum Beispiel weil ein durchaus denkbarer unvermeidbarer Verbotsirrtum gegeben ist, mangels Schuld freizusprechen. Demnach stellt das Schuldprinzip nicht die Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht dar.156

d) Zusammenfassung zur ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG In Zusammenfassung lässt sich damit festhalten, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG seine Grundlage im Prinzip der Rechtssicherheit, im Prinzip der Gewaltenteilung und im Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie findet. Demgegenüber stellen weder das Schuldprinzip noch die Theorie der Generalprävention eine Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG dar.

3. Inhalt und Reichweite des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG a) Zum Begriff des Gewohnheitsrechts Die Bildung von Gewohnheitsrecht ist grundsätzlich auf allen Rechtsebenen möglich.157 Der Begriff des Gewohnheitsrechts ist nicht gesetzlich definiert.158 Richtigerweise ist er kein Sammelbegriff für das gesamte nichtgesetzte Recht159, welches alles Recht umfasst, was nicht Bestandteil des gesetzten Rechts ist. Letz156

Ebenso: Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 123. Müller-Uri, in: Giemulla / Jaworsky / Müller-Uri, Verwaltungsrecht, Rn. 25. 158 Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, S. 17. 159 Germann, Probleme und Methoden der Rechtsfindung, S. 136 f.; Höhn, Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht, S. 43; Ossenbühl, Verwaltung, in: Erichsen / Ehlers, 12. Aufl., Zweiter Abschnitt, Rn. 68. 157

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

tere Kategorie beinhaltet diejenigen Normen, die von staatlichen Organen gebildet werden in der alleinigen Absicht, Recht zu schaffen, während nichtgesetztes Recht in Handlungen zu Tage tritt, die zu anderen Zwecken als zur Rechtssetzung vorgenommen werden.160 Die Erscheinungen des nichtgesetzten Rechts haben also die Gemeinsamkeit, dass sie nicht in einem förmlichen Rechtssetzungsverfahren zustande gekommen sind.161 Beim Gewohnheitsrecht handelt es sich um diejenige Unterart des nichtgesetzten Rechts162, die vor allem durch ihre Entstehungsvoraussetzungen charakterisiert ist. Diese sind nicht gesetzlich normiert163, jedoch herrscht in der Literatur164 und Rechtsprechung165 weitgehend Einigkeit darüber, dass jedenfalls folgende Elemente für die Entstehung von Gewohnheitsrecht konstitutiv sind: – eine lang dauernde Übung (consuetudo) (objektives Element) und – das Bewusstsein, mit der Vornahme dieser Übung einem Gebot des Rechts nachzukommen (opinio iuris)166 (subjektives Element). Demgegenüber legt Wackernagel seiner Untersuchung über die Feststellung von Gewohnheitsrecht einen Gewohnheitsrechtsbegriff zugrunde, der alle diejenigen in einer bestimmten Rechtsgemeinschaft geltenden objektiven Rechtsregeln umfasst, welche nichtgesetztes Recht darstellen. Jedoch lässt er ausdrücklich dahingestellt, ob bei einer solchen weitgefassten Umschreibung die Bezeichnung Gewohnheitsrecht im Grunde noch zutrifft (Wackernagel, FS Haff, S. 361). 160 Höhn, Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht, S. 3 f. 161 Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht?, S. 45. 162 Höhn, Gewohnheitsrecht im Verwaltungsrecht, S. 43. 163 Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, S. 18. 164 Ossenbühl, Verwaltung, in: Erichsen / Ehlers, 12. Aufl., Zweiter Abschnitt, Rn. 70; Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 61, Rn. 42; Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 25, Rn. 15; Müller-Uri, in: Giemulla / Jaworsky / Müller-Uri, Verwaltungsrecht, Rn. 25; Fischer, § 1, Rn. 9; MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 24; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 112; SK-Rudolphi, § 1, Rn. 17. 165 BVerfGE 9, 109 (117); BVerfGE 22, 114 (121); BVerfGE 57, 121 (134 f.); BVerfGE 61, 149 (203); BVerfG NVwZ 1987, 124 (124); BGHSt 5, 12 (23); BGHSt 8, 360 (381); BGHSt 12, 62 (65); BVerwGE 8, 317 (321 f.); BGHZ 18, 81 (93); BGHZ 37, 219 (222). 166 Über die genaue Ausgestaltung der opinio iuris herrscht keine Einigkeit: a) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts So verlangt das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 8. Januar 1959, dass die beteiligten Stellen in der Überzeugung gehandelt haben, es bestehe eine Verpflichtung (BVerfGE 9, 109 [117]); in einem anderen Beschluss vom 28. Juni 1967 spricht es von der Voraussetzung, dass die Übung „von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird“ (BVerfGE 22, 114 [121]); ebenso äußert es sich in einem Beschluss vom 7. Februar 1984 (BVerfG NVwZ 1987, 124 [124]) sowie in einem Urteil vom 19. Oktober 1982 (BVerfGE 61, 149 [203]). b) Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Das Bundesverwaltungsgericht fordert „die Überzeugung aller Beteiligten in der Richtung […], daß die zur Anwendung kommende Übung wirklich Recht ist (BVerwGE 8, 317 [321 f.]). c) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Der Bundesgerichtshof in Strafsachen verlangt in einem Beschluss vom 25. Juni 1953 als subjektives Element für die Entstehung von Gewohnheitsrecht „Rechtsüberzeugung“

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Teile167 dieser Rechtsprechung und Literatur verlangen darüber hinaus als Entstehungsvoraussetzung von Gewohnheitsrecht, dass die Übung als Rechtssatz formulierbar sei (formales Element). Nur durch diese Formulierbarkeit werde die Gewohnheit zur Rechtsquelle.168

b) Fallgruppen, die nicht unter das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG fallen sollen Art. 103 Abs. 2 GG verbietet die Strafbegründung und Strafschärfung durch Gewohnheitsrecht. Hieraus ergibt sich bereits, dass Strafausschluss und Strafmilderung grundsätzlich nicht von diesem Verbot erfasst sind. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht gilt also nur für Gewohnheitsrecht, das den Beschuldigten beschwert. Hiervon ausgehend – aber auch darüber hinausgehend – werden in der Rechtsprechung und Literatur verschiedene Fallgruppen diskutiert, die nicht unter den Schutzbereich des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG fallen sollen.

(BGHSt 5, 12 [23]), während er in einem Beschluss vom 24. November 1955 „Rechtsgeltungswillen“ fordert (BGHSt 8, 360 [381]). In einem Urteil vom 1. Juli 1958 fordert er die „Meinung, ein Recht auszuüben“ (BGHSt 12, 62 [65]). d) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Der Bundesgerichtshof in Zivilsachen verlangt als Voraussetzung „Rechtsüberzeugung“ (BGHZ 18, 81 [93]; BGHZ 37, 219 [222]). e) Die Literatur Stober verlangt die Überzeugung rechtlicher Gebotenheit oder Gewährung (Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 25, Rn. 15). In ähnlicher Weise formuliert Fischer, dass die Übung von den Rechtsgenossen als verbindliche Norm anerkannt sein muss (Fischer, § 1, Rn. 9). Demgegenüber fordert Ossenbühl „die Überzeugung der Beteiligten von der Rechtmäßigkeit der Übung“ (Ossenbühl, Verwaltung, in: Erichsen / Ehlers, 12. Aufl., Zweiter Abschnitt, Rn. 70; Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 61, Rn. 42). Ebenso spricht Müller-Uri von der Überzeugung der Beteiligten, dass die vorgenommene Übung rechtmäßig ist (Müller-Uri, in: Giemulla / Jaworsky / Müller-Uri, Verwaltungsrecht, Rn. 25). In ähnlicher Weise verlangen Jescheck / Weigend die Anerkennung der Norm als von Rechts wegen geltend (Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 112). Schmitz lässt sogar die allgemeine Anerkennung einer Rechtsübung ausreichen (MüKoSchmitz, § 1, Rn. 24). 167 Ossenbühl, Verwaltung, in: Erichsen / Ehlers, 12. Aufl., Zweiter Abschnitt, Rn. 70; Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 61, Rn. 42; Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 25, Rn. 15. Das Bundesverwaltungsgericht formuliert dies folgendermaßen: „Es genügt nicht ein bestimmtes Brauchtum, eine Gewohnheit oder eine Verkehrssitte, es muß vielmehr zu einer gesetzesgleichen Regelung der Materie durch Gewohnheit kommen.“ (BVerwGE 8, 317 [321]) 168 Wolff / Bachof / Stober / Kluth, Verwaltungsrecht I, § 25, Rn. 15.

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

aa) Gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen Eine der angesprochenen Fallgruppen ist die gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen.169 Unter dem Begriff der Straffreistellungsgründe versteht man zum Beispiel Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe. Ein Beispiel für einen gewohnheitsrechtlich gebildeten Rechtfertigungsgrund ist die mutmaßliche Einwilligung. Darüber hinaus können insbesondere für Taten, die im Krieg begangen werden, völkergewohnheitsrechtliche Rechtfertigungsgründe eine Rolle spielen.170 Auf den ersten Blick scheint die gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht unproblematisch zu sein, weil sie für denjenigen, der sich auf den Straffreistellungsgrund zu berufen vermag, zu einer Strafeinschränkung führt. Eine derartige Bildung von Gewohnheitsrecht zugunsten des Täters ist jedoch in denjenigen Fällen nicht unproblematisch, in denen sie zugleich mittelbar nachteilige Auswirkungen auf die Strafbarkeit von Dritten haben kann.171 Solch eine Verknüpfung der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen mit der Strafbarkeit von Dritten kann sich insbesondere aus § 32 StGB ergeben. So ist nämlich ein menschlicher Angriff auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter bei Eingreifen eines gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrundes nicht rechtswidrig, was eigentlich zur Folge hat, dass sich der Angegriffene bei Vornahme einer Abwehrmaßnahme mangels rechtswidrigen Angriffs nicht auf Notwehr (§ 32 StGB) berufen könnte. Dies wiederum würde mittelbar eine Strafbegründung darstellen. Die gewohnheitsrechtliche Anerkennung eines Entschuldigungsgrundes könnte mittelbar strafbegründenden Charakter erlangen, indem das Vorliegen eines schuldlos geführten Angriffs zu Einschränkungen der Gebotenheit im Rahmen von § 32 StGB führen könnte172. Insoweit ist Rudolphi173 zu widersprechen, wenn er meint, die gewohnheitsrechtliche Entstehung von Entschuldigungsgründen sei in dieser Hinsicht unproblematisch. Nach überwiegender Ansicht174 soll jedoch auch in einem solchen Fall der mittelbaren Strafbegründung durch gewohnheitsrechtliche Anerkennung von Straf169 Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 1003; MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 26; SchSch-Eser, § 1, Rn. 14; Schönke, MDR 1947, S. 86. Für die Möglichkeit der Bildung gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgründe: BGHSt 11, 241 (244 f.). 170 Vgl. hierzu: Schwenck, FS Lange, S. 97 f.; Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 152. 171 SK-Rudolphi, § 1, Rn. 20; SchSch-Eser, § 1, Rn. 14. 172 BSG NJW 1999, 2301 (2302); SchSch-Lenckner / Perron, § 32, Rn. 52. 173 SK-Rudolphi, § 1, Rn. 20. 174 MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 26; SchSch-Eser, § 1, Rn. 14; SK-Rudolphi, § 1, Rn. 20. – Eine andere Auffassung vertritt Jähnke für den Bereich des Kernstrafrechts. Er argumentiert damit, dass der Gesetzgeber zu bestimmen habe, welche Rechtsgüter strafrechtlich geschützt werden sollen, so dass auch nur der Gesetzgeber darüber befinden dürfe, unter welchen Voraussetzungen Private diesen Schutz durchbrechen dürfen. Außerhalb des Bereichs des Kernstrafrechts soll nach Jähnke demgegenüber eine differenzierte Betrachtung angezeigt sein: Soweit

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einschränkungsgründen kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vorliegen. Soweit dies überhaupt problematisiert wird, wird vor allem argumentiert, Art. 103 Abs. 2 GG erfasse nach seinem Sinn und Zweck solche lediglich indirekten Strafbarkeitserweiterungen nicht. Überdies wird vorgebracht, andernfalls müssten dieselben Grenzen mit Rücksicht auf mittelbar strafbarkeitsausdehnende Wirkungen auch für die gewohnheitsrechtliche Aufhebung oder Einengung von Straftatbeständen (desuetudo) gezogen werden.175 Was das letzte Argument anbelangt, so ist jedoch nicht recht ersichtlich, wie die desuetudo mittelbar strafbegründende Wirkung zu entfalten vermag: § 32 StGB setzt lediglich einen rechtswidrigen Angriff voraus, nicht jedoch die Verwirklichung eines Straftatbestandes durch den Angreifer176. Letztlich ist die Frage der Zulässigkeit nachteiliger Auswirkungen auf die Strafbarkeit Dritter (infolge der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen in Verbindung mit § 32 StGB) eine Frage der ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG. Es wurde gezeigt, dass dieses Verbot seine Grundlage im Prinzip der Rechtssicherheit, im Grundsatz der Gewaltenteilung sowie im Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie findet. Die Problematik, inwieweit diese Grundsätze und Prinzipien einer solchen über § 32 StGB vermittelten gewohnheitsrechtlichen Strafbegründung entgegenstehen, wird weiter unten im Zusammenhang mit der Frage untersucht, ob das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG auch dann einschlägig ist, wenn durch formelle Gesetze auf Gewohnheitsrecht verwiesen wird.177 Die Parallelität dieser Fälle ergibt sich daraus, dass auch hier – also in den Fällen einer über § 32 StGB vermittelten gewohnheitsrechtlichen Strafbegründung – das Gewohnheitsrecht nicht unmittelbar, sondern lediglich vermittelt über eine gesetzliche Regelung (§ 32 StGB) zur Anwendung gelangt. Es wird zu zeigen sein, dass die in dem Abschnitt über die Zulässigkeit formellgesetzlicher dynamischer Verweise auf Gewohnheitsrecht gefundenen Ergebnisse auch für die Fallgruppe der über § 32 StGB vermittelten gewohnheitsrechtlichen Strafbegründung Anwendung finden. Ohne das Ergebnis vorwegzunehmen, ist an dieser Stelle gleichwohl auf den Aspekt hinzuweisen, dass die gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen selbst im Falle eines Nichteingreifens von § 32 StGB nicht immer mittelbar strafbegründende Wirkung in Bezug auf einen sich verteidigenden Dritten entfalten müsste. So bedeutet nämlich beispielsweise die Tatsache, das Strafgesetzbuch auf außerstrafrechtliche Normen verweist, soll das Gesetzlichkeitsprinzip grundsätzlich nicht gelten, so dass in diesem Umfang grundsätzlich auch die Anwendung von Rechtfertigungsgründen möglich sein soll, die im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze finden. Jedoch soll letzteres nur gelten, soweit die Gedanken des Vertrauensschutzes und der Vorhersehbarkeit nicht im Einzelfall Priorität genießen (Jähnke, FS BGH, S. 405 f.). 175 SK-Rudolphi, § 1, Rn. 20. 176 Fischer, § 32, Rn. 8. 177 Vgl. unten: Kapitel D. III. 3.

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

dass gegen einen Angriff, der von einem gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist, kein Notwehrrecht besteht, nicht zwingend, dass eine Verteidigung gegen diesen Angriff rechtswidrig sein müsste. Vielmehr ist in diesen Fällen der Weg frei für eine strafrechtliche Beurteilung der Verteidigungshandlung nach § 34 StGB.178

bb) desuetudo (Nichtanwendung bestehender Strafgesetze auf Grund gemeinsamer Rechtsüberzeugung) Allgemein befürwortet179 wird die Möglichkeit einer Beseitigung bestehender Strafgesetze durch Gewohnheitsrecht. Dieser Fall einer sogenannten desuetudo liegt dann vor, wenn bestehende Strafgesetze auf Grund gemeinsamer Rechtsüberzeugung nicht mehr angewendet werden. Dass diese Fallgruppe nicht unter das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht fällt, ergibt sich bereits daraus, dass dieses Verbot nur die Strafbegründung und Strafschärfung, nicht jedoch die Strafeinschränkung oder Beseitigung von Strafvorschriften erfasst.

cc) Gewohnheitsrechtliche Tatbestandseinengung durch milde Auslegung Auch die gewohnheitsrechtlich verfestigte Tatbestandseinengung durch milde Auslegung verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG180, da diese Verfassungsbestimmung nur die Strafbegründung und Strafschärfung – also nicht die Strafeinschränkung – durch Gewohnheitsrecht verbietet. Allerdings sind an die Gewohnheitsrechtsqualitäten eines Auslegungsergebnisses sehr hohe Anforderungen – insbesondere im Hinblick auf dessen Unbestrittenheit in Lehre und Rechtsprechung – zu stellen, da das Vorliegen von Gewohnheitsrecht eine lang andauernde Übung (consuetudo) voraussetzt, die in dem Bewusstsein vorgenommen wird, mit der Vornahme dieser Übung einem Gebote des Rechts nachzukommen.

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Vgl. SchSch-Lenckner / Perron, § 34, Rn. 6; a. A. wohl: Seelmann, § 34 StGB, S. 64 f. OLG Köln NJW 1951, 974 (974); OLG Braunschweig NJW 1955, 355 (355); Schönke, MDR 1947, S. 86; SK-Rudolphi, § 1, Rn. 19; SchSch-Eser, § 1 Rn. 11; Fischer, § 1, Rn. 9; LK-Dannecker, § 1, Rn. 176. 180 SchSch-Eser, § 1, Rn. 13; Schönke, MDR 1947, S. 86. 179

I. Im deutschen Recht

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dd) Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts (1) Im Besonderen: Gewohnheitsrechtliche Einschränkung von Rechtfertigungsgründen Umstritten ist die Frage, ob und inwieweit bestehende Rechtfertigungsgründe gewohnheitsrechtlich eingeschränkt werden können.181 Hierbei ist zwischen gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgründen und solchen, die in Gesetzen normiert sind, zu unterscheiden. Erstere sollen – wie oben dargestellt – nach überwiegender Ansicht bereits von vornherein nicht in den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 2 GG fallen, so dass der nullum-crimen-Satz auch einer gewohnheitsrechtlichen Einschränkung von gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgründen nicht entgegenstehen soll.182 Schwieriger zu beurteilen ist jedoch die Frage der gewohnheitsrechtlichen Einschränkbarkeit von gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründen.183 Dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG, wonach die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt sein muss, lässt sich nämlich keine genaue Aussage darüber entnehmen, ob die Ebene der gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründe von dieser Garantie umfasst ist.184 Hier gibt es zwei Auslegungsmöglichkeiten, welche beide zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Auf der einen Seite kann man den Begriff der Strafbarkeit in der Weise interpretieren, dass er nur das Bestehen eines Straftatbestandes meint. In diesem Fall wären gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe nicht vom Schutz des Art. 103 Abs. 2 GG erfasst. Auf der anderen Seite ist der Begriff der Strafbarkeit aber auch so auslegbar, dass er den Inbegriff der Voraussetzungen zur Ahndung einer konkreten Verhaltensweise erfasst, so dass auch gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe von der Garantie des Art. 103 Abs. 2 GG mit erfasst wären.185 Gegen eine Erstreckung des in Art. 103 Abs. 2 GG normierten Prinzips „nullum crimen, nulla poena sine lege“ auf gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe wird unter anderem mit dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung argumentiert: Rechtfertigungsgründe entfalten vielfach auch Auswirkungen in anderen 181

Erb, ZStW 108 (1996), S. 266. SchSch-Eser, § 1, Rn. 14a; Erb, ZStW 108 (1996), S. 279. 183 Vgl. SchSch-Eser, § 1, Rn. 14a. – Dass das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht auch bei gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründen gilt, dass also gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe nicht durch Gewohnheitsrecht eingeschränkt werden können, vertreten zum Beispiel: Engels, GA 1982, S. 119; Kratzsch, GA 1971, S. 71 f.; Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 3 f. – Zum entsprechenden Problem beim Analogieverbot vertritt Krey die Meinung, das Analogieverbot gelte nicht für Rechtfertigungsgründe – unabhängig davon, ob diese gewohnheitsrechtlich oder gesetzlich normiert seien (Krey, JZ 1979, S. 712). 184 Erb, ZStW 108 (1996), S. 271. 185 So zum Beispiel: Koch, ZStW 104 (1992), S. 817 f.; SchSch-Eser, § 1, Rn. 14a; Engels, GA 1982, S. 119. 182

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

Rechtsbereichen, also im Zivilrecht und im öffentlichen Recht; würde für sie im Bereich des Strafrechts Art. 103 Abs. 2 GG gelten, könnten Entscheidungen des Strafrichters von denen des Zivil- oder Verwaltungsrichters, denen die gewohnheitsrechtliche Einschränkung von Rechtfertigungsgründen erlaubt ist, abweichen, was mit dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung nicht zu vereinbaren sei.186 Hiergegen wird jedoch eingewandt, die Idee der Einheit der Rechtsordnung sei nicht immer zwingend. Dem ist zuzustimmen: Für divergierende Entscheidungen des Strafrichters auf der einen und des Zivil- bzw. Verwaltungsrichters auf der anderen Seite kann nämlich immerhin sprechen, dass Straf-, Zivil- und öffentliches Recht unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und demnach – je nach Blickwinkel – die Frage der Rechtswidrigkeit anders beurteilt werden kann.187 Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Verzahnung des Strafrechts mit den übrigen Rechtsgebieten des Zivil- und des öffentlichen Rechts nicht nur auf die Rechtfertigungsgründe beschränkt ist. So kennt beispielsweise das Versicherungsrecht die Kategorien des Vorsatzes und der Fahrlässigkeit, § 830 BGB die der Mittäterschaft. Auch in diesen Bereichen kann der Strafrichter keine Rücksicht auf andere Rechtsgebiete nehmen.188 Dementsprechend kann man aus dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung letztlich kein Argument gegen eine Erstreckung des in Art. 103 Abs. 2 GG normierten Prinzips „nullum crimen, nulla poena sine lege“ auf gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe herleiten. Für die Entscheidung der Frage, ob und inwieweit speziell das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht für gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe gilt, ist letztlich auf Sinn und Zweck dieses Verbots abzustellen. Wie die bisherige Untersuchung ergab, findet das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht seine Grundlage unter anderem im Prinzip der Rechtssicherheit. Rechtssicherheit bedeutet vor allem Vertrauensschutz für den Bürger. Im Falle des Art. 103 Abs. 2 GG geht es dabei um das Vertrauen des Bürgers, mit den besonders einschneidenden strafrechtlichen Sanktionen nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen belegt zu werden. Dieses Anliegen erscheint bei den gesetzlichen Rechtfertigungsgründen nicht weniger dringlich als auf Tatbestandsebene.189 Der Fall, dass ein gesetzlich normierter Rechtfertigungsgrund infolge entgegenstehenden Gewohnheitsrechts nicht besteht, kann genauso gravierende Folgen für den Betroffenen nach sich ziehen wie der Fall der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straftatbeständen. Es besteht also regelmäßig schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen dahingehend, dass gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe tatsächlich auch existieren. Demnach verbietet das Prinzip der Rechtssicherheit für sich genommen, gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe durch Gewohnheitsrecht aufzuheben.

186 187 188 189

Vgl. hierzu: Engels, GA 1982, S. 120. Engels, GA 1982, S. 120. Jähnke, FS BGH, S. 397. Erb, ZStW 108 (1996), S. 275.

I. Im deutschen Recht

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Gleiches gilt auch für den Gewaltenteilungsgrundsatz. Dieser stellt insofern die Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht dar, als er auch die Aspekte der Hemmung richterlicher Machtbefugnisse zum Zwecke der individuellen Freiheitssicherung und zum Zwecke der Vermeidung der Gefahr, dass richterliche Entscheidungen ohne die nötige Distanz zum Einzelfall getroffen werden, enthält. Diese Gefahr einer unter dem Eindruck des Augenblicks ausgesprochenen Ad-hoc-Bestrafung droht auch im Bereich der Rechtfertigungsgründe.190 Das Erfordernis der Distanz zwischen der strafgesetzgebenden Instanz und dem konkreten Einzelfall stellt sich bei Rechtfertigungsgründen sogar mit noch höherer Dringlichkeit als bei den einzelnen Tatbeständen, da auf der Ebene der Rechtfertigung Straffreiheit für viel gravierendere Rechtsgutsverletzungen möglich ist als auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit191, wo das Strafrecht für Angriffe auf Leib, Leben und persönliche Freiheit ein sehr umfassendes Regelungswerk bereithält. Strafbarkeitslücken auf Tatbestandsebene werden sich in der Regel nur dann ergeben, wenn Fortschritte in der Technik und im Wirtschaftsleben neue strafrechtlich schützenswerte Interessen entstehen lassen. Im sogenannten Kernstrafrecht wird es jedoch regelmäßig nicht zu Strafbarkeitslücken auf Tatbestandsebene kommen. Demgegenüber kann es in diesem Bereich durchaus Strafbarkeitslücken durch zu weit gefasste Rechtfertigungsgründe geben, da Rechtfertigungsgründe grundsätzlich192 bei sämtlichen Straftatbeständen Anwendung finden.193 Das Erfordernis der Distanz der strafgesetzgebenden Instanz zum Einzelfall ist aber im Falle gravierender Rechtsgutsverletzungen, die eher geeignet sind, Emotionen hervorzurufen, höher als im Falle leichter Rechtsgutsverletzungen. Demnach verbietet auch das Gewaltenteilungsprinzip, gesetzlich normierte Rechtfertigungsgründe gewohnheitsrechtlich aufzuheben. Das gleiche Ergebnis ergibt sich auch aus Sicht des Demokratieprinzips unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie, der dritten Säule des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht. Da die Geltung eines Rechtfertigungsgrundes nämlich genauso über Strafbarkeit und Straffreiheit entscheidet wie der Anwendungsbereich eines Straftatbestandes, stellt die Frage der Geltung eines Rechtfertigungsgrundes ebenso eine wesentliche Frage im Sinne der Wesentlichkeitstheorie dar wie die Frage des Anwendungsbereichs eines Straftatbestandes. Demnach ist es Aufgabe des Gesetzgebers, über die Aufhebung gesetzlich normierter Rechtfertigungsgründe zu entscheiden. 190

Engels, GA 1982, S. 119; Kratzsch, GA 1971, S. 72. Erb, ZStW 108 (1996), S. 277. 192 Das materielle Strafrecht kennt auch Rechtfertigungsgründe, die nur für einzelne Delikte des Besonderen Teils gelten, so zum Beispiel § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen), der besondere Rechtfertigungsgründe für die Ehrverletzungsdelikte enthält (SchSchLenckner, § 193, Rn. 1). 193 Erb, ZStW 108 (1996), S. 273 f. Die Tatsache, dass das Eingreifen eines Rechtfertigungsgrundes unter Umständen über lebenslange Freiheitsstrafe oder Freispruch entscheiden kann, und die daraus möglicherweise in der Öffentlichkeit erregten Emotionen, betont auch: Kratzsch, GA 1971, S. 72. 191

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

Da somit sämtliche Grundlagen des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – das Prinzip der Rechtssicherheit, der Gewaltenteilungsgrundsatz und das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie – ein Verbot gewohnheitsrechtlicher Aufhebung von gesetzlich normierten Rechtfertigungsgründen fordern, ist dieses Verbot grundsätzlich auch Bestandteil des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht.

(2) Im Allgemeinen: Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts Im Schrifttum wird teilweise194 die Auffassung vertreten, im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts sei strafbegründendes Gewohnheitsrecht zulässig. In dieser Allgemeinheit ist diese Aussage jedoch nicht haltbar.195 So wurde in dem vorangegangenen Abschnitt ermittelt, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht grundsätzlich auch für die Fälle gewohnheitsrechtlicher Aufhebung gesetzlicher Rechtfertigungsgründe gilt. Die Annahme, im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts sei strafbegründendes Gewohnheitsrecht zulässig, würde außerdem – konsequent durchgehalten – zu einer beliebigen Ausdehnung der Strafbarkeit führen. Die Geltung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht im Besonderen Teil wäre überflüssig, würde man Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil immer zulassen.196 Die Tatsache, dass Teile der Strafbarkeitsvoraussetzungen nicht im Besonderen Teil, sondern im Allgemeinen Teil des StGB normiert sind, findet ihren Grund lediglich darin, dass diese Strafbarkeitsvoraussetzungen für alle oder zumindest für eine größere Zahl von Verbrechen gelten und deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen aus dem Besonderen Teil ausgeklammert sind.197 Mithin ist als Zwischenergebnis festzuhalten, dass die Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB dem Geltungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG grundsätzlich unterfallen können.198 Dieses Ergebnis folgt jedoch nicht daraus, dass § 1 StGB, der das Prinzip „nullum crimen, nulla poena sine lege“ im StGB normiert, an der Spitze des Allgemeinen Teils des StGB steht. § 1 StGB steht im Range eines einfachen Gesetzes, also unterhalb des Grundgesetzes. Sollte die einfachgesetzliche Normierung des nullum-crimen-Prinzips in § 1 StGB strenger sein als die verfassungsrechtliche Normierung dieses Prinzips in Art. 103 Abs. 2 GG – was nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist –, würde diese Tatsache nichts an der Reichweite des Art. 103 Abs. 2 GG ändern. 194

So z. B.: Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 55; Jescheck / Weigend, Strafrecht AT, S. 112. Im Ergebnis ebenso: Kratzsch, GA 1971, S. 71; Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 46; Schmitt, FS Jescheck, S. 224; Jähnke, FS BGH, S. 395; SK-Rudolphi, § 1, Rn. 18; MüKoSchmitz, § 1, Rn. 25. 196 MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 25. 197 Kratzsch, GA 1971, S. 71. 198 Jähnke, FS BGH, S. 399. 195

I. Im deutschen Recht

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Wenn die Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB also grundsätzlich dem Art. 103 Abs. 2 GG unterfallen, so ist dennoch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber weite Bereiche der allgemeinen Strafrechtslehren offen gelassen und der Entscheidung durch die Rechtsprechung überantwortet hat, teils wegen der Schwierigkeiten, die einer Kodifikation solcher Materien vielfach entgegenstehen, teils aus dem Bestreben, die wissenschaftliche Entwicklung nicht durch Festschreibung eines später überholten Erkenntnisstandes zu blockieren.199 Die Frage, inwiefern es im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG zulässig ist, Bereiche der allgemeinen Strafrechtslehren, die vom Gesetzgeber nicht geregelt worden sind, mittels Gewohnheitsrechts auszufüllen, ist letztlich parallel zu der Frage, ob und wann formellgesetzliche dynamische Verweisungen auf Gewohnheitsrecht nicht unter das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht fallen. Beide Fragen werden im Kapitel über die Zulässigkeit von formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht beantwortet200, so dass hier auf ihre eingehende Erörterung verzichtet wird. Als Ergebnis ist jedoch bereits vorwegzunehmen, dass eine innerhalb des gesetzlichen Rahmens erfolgende gewohnheitsrechtliche Verfestigung allgemeiner Lehren des Strafrechts – zum Beispiel bei Vorsatz, Fahrlässigkeit und unechter Unterlassung – grundsätzlich für zulässig zu erachten ist.201 Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit strafbegründenden Gewohnheitsrechts im Rahmen der allgemeinen Lehren ist allerdings die Frage, ob solches im Einzelfall auch tatsächlich vorliegt. Das Vorliegen von Gewohnheitsrecht setzt jedenfalls eine lang dauernde Übung (consuetudo) in dem Bewusstsein, mit der Vornahme dieser Übung einem Gebote des Rechts nachzukommen, voraus. Einer strafrechtlichen Judikatur steht jedoch nur sehr selten eine allgemeine Rechtsüberzeugung zur Seite, da fast alle allgemeinen Lehren im Strafrecht umstritten sind und auch gesicherte Ergebnisse kaum ins Volksbewusstsein dringen.202 Nur ausnahmsweise sollten daher von der Rechtsprechung und Wissenschaft entwickelte Rechtssätze, und dann auch nur in ihrem unbestrittenen Kern, als Gewohnheitsrecht anerkannt werden.203

199

Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 47; BK-Rüping, Art. 103 II, Rn. 53. Vgl. unten: Kapitel D. III. 3. 201 BK-Rüping, Art. 103 II, Rn. 53; SK-Rudolphi, § 1, Rn. 18, 21; Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 55. – A. A.: Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 47; MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 25. Danach ist strafbegründendes Gewohnheitsrecht auch im Bereich der allgemeinen Lehren des Strafrechts unzulässig. Bestehende Lücken in diesem Bereich dürfen mithin immer nur im Rahmen zulässiger Auslegung, nicht jedoch durch Gewohnheitsrecht, geschlossen werden. 202 Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 47. 203 SK-Rudolphi, § 1, Rn. 21. 200

C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

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ee) Heranziehung gewohnheitsrechtlicher Sätze anderer Rechtsgebiete Nicht vom Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht sollen auch diejenigen Fälle erfasst sein, in denen die Berücksichtigung gewohnheitsrechtlich gebildeter außerstrafrechtlicher Normen zur Folge hat, dass ein bestimmtes Verhalten die Merkmale eines Straftatbestandes erfüllt.204 So kann zum Beispiel die gewohnheitsrechtliche Abänderung von Vorschriften über das Eigentum Auswirkungen auf den Diebstahlstatbestand des StGB haben.205 In den Fällen der Heranziehung gewohnheitsrechtlicher Sätze anderer Rechtsgebiete geht es also darum, dass ein gesetzlich normierter Begriff – wie zum Beispiel der der Fremdheit im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB – einen Rechtszustand beschreibt, der unter Umständen gewohnheitsrechtlich geprägt ist. Insoweit bestehen auch hier deutliche Parallelen zu den oben dargestellten Fällen der über § 32 StGB vermittelten gewohnheitsrechtlichen Strafbegründung. Aus diesen Gründen wird auch die Fallgruppe der Heranziehung gewohnheitsrechtlicher Sätze anderer Rechtsgebiete weiter unten in dem Kapitel über die Zulässigkeit von dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht206 noch einmal näher erörtert.

ff) Zusammenfassung und Systematisierung der Fallgruppen Versucht man die eben dargestellten, in der Rechtswissenschaft als Ausnahme vom Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG diskutierten Fallgruppen anhand ihrer Merkmale zu systematisieren, so lassen sich zwei Gruppen festhalten. Zum einen sind diejenigen Fälle zu nennen, in denen Gewohnheitsrecht strafeinschränkende Wirkung entfaltet. Dies sind die Fallgruppen: – Gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen, – desuetudo, – Gewohnheitsrechtliche Tatbestandseinengung durch milde Auslegung. Eigentlich handelt es sich bei diesen Fallgestaltungen nicht im eigentlichen Sinne um Ausnahmen vom Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht. Dieses Rechtsprinzip steht, wie sich bereits aus seinem Namen ergibt, lediglich einer Strafbegründung (und darüber hinaus auch einer Strafschärfung), nicht aber einer Strafeinschränkung oder einem Strafausschluss entgegen. Die genannten Fallgruppen fallen also bereits von vornherein nicht unter das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht. 204 RGSt 46, 108 (111 f.); Schönke, MDR 1947, S. 86; SchSch-Eser, § 1, Rn. 16; Maunz / Dürig-Schmidt-Assmann, Art. 103 II, Rn. 222; BK-Rüping, Art. 103 II, Rn. 54; Fischer, § 1, Rn. 9. 205 Vgl. SchSch-Eser, § 1, Rn. 16. 206 Vgl. unten: Kapitel D. III. 3.

II. Im Völkerrecht?

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Anders und problematischer zu beurteilen sind demgegenüber die sonstigen der dargestellten Fallgruppen. Sie alle haben die Gemeinsamkeit, dass sie strafbegründendes Gewohnheitsrecht erfassen, welches jedoch in gewisser Weise einen vom Gesetzgeber geschaffenen Rahmen ausfüllt. Dies sind zum einen die beiden Fallgruppen: – Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des StGB, – Heranziehung gewohnheitsrechtlicher Sätze anderer Rechtsgebiete. Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang auch diejenigen Fälle zu nennen, in denen die gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen mittelbar dazu führt, dass eine Notwehrhandlung nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt ist. Diese zuletzt genannten Fälle sind im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG deswegen so problematisch, weil sie letztlich strafbegründendes Gewohnheitsrecht erfassen. Die Frage, unter welchen Umständen diese Fälle nicht vom Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht erfasst werden, wird weiter unten207 erörtert.

II. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht im Völkerrecht? II. Im Völkerrecht?

Allgemein ist festzuhalten, dass im Völkerrecht ein Rechtsprinzip existiert, welches man als Grundsatz der Normbindung (nullum crimen sine lege) bezeichnen kann, wenn man die Prämisse beachtet, dass mit der Verwendung dieser Terminologie noch nicht gesagt ist, ob dieses völkerrechtliche Prinzip „nullum crimen sine lege“ erstens ein völkerrechtliches Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht umfasst und zweitens die übrigen Einzelgrundsätze in einer dem deutschen Recht vergleichbaren Weise normiert.208 Unter Beachtung dieser Bedingung ist festzuhalten, dass das Prinzip „nullum crimen sine lege“ – in unterschiedlicher Ausgestaltung – nicht nur Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts ist, sondern auch im geschriebenen Völkerrecht Normierung findet. So ist es beispielsweise Regelungsgegenstand von Art. 11 Nr. 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948. Darüber hinaus wird es durch Art. 99 Abs. 1 des III. Genfer Abkommens über die Behandlung der Kriegsgefangenen, Art. 65, 67, 68 Abs. 2 des IV. Genfer Abkommens zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten, Art. 7 Abs. 1 EMRK, Art. 15 Abs. 1 IPbürgR, Art. 22–24 IStGHStatut sowie Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union 207

Vgl. unten: Kapitel D. III. 3. Vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 139 ff.; Ambos, CLF 1999, S. 4; Condorelli, War Crimes and Internal Conflicts in the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 113 ff.; Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 59; Hollweg, JZ 1993, S. 985; Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 110; Triffterer-Broomhall, Rome Statute, Art. 22, Rn. 15. 208

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C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

normiert, wobei die einzelnen Bestimmungen in ihrer Reichweite teilweise abweichen. Trotz dieser Abweichungen im Einzelfall ist festzuhalten, dass der völkerrechtliche Grundsatz der Normbindung (nullum crimen sine lege) allgemein andere Anforderungen enthält als in der deutschen Rechtsordnung.209 So verlangt jener Grundsatz zwar die Bestimmtheit völkerstrafrechtlicher Normen, ist dabei allerdings gegenüber den üblichen Anforderungen im deutschen Recht weniger streng.210 Ergibt sich aus dem auch vom völkerrechtlichen nullum-crimen-Prinzip erfassten Verbot der rückwirkenden Bestrafung sowie der strafbegründenden und strafschärfenden Analogie211 noch ein gewisses Maß an Entsprechung zur deutschen Rechtsordnung, so ist demgegenüber hinsichtlich der Frage der Anforderungen an die Art der Rechtsquelle, die der Bestrafung zugrunde gelegt wird, zwischen dem deutschen Recht und dem Völkerrecht ein erheblicher Unterschied zu verzeichnen: Unbeschadet spezieller völkervertraglicher Bestimmungen ist Voraussetzung einer Bestrafung nach Völkerstrafrecht grundsätzlich lediglich, dass zum Tatzeitpunkt eine geschriebene oder ungeschriebene Strafnorm besteht.212 Damit ist im Völkerrecht auch die Strafverfolgung aufgrund gewohnheitsrechtlich anerkannter Strafnormen zulässig213; es existiert also kein völkerrechtliches Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht214. Dementsprechend vertrat auch der damalige UN-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali in seinem Bericht zur Errichtung des Jugoslawientribunals folgende Auffassung: „[T]he application of the principle nullum crimen sine lege requires that the international tribunal should apply rules of international humanitarian law which are beyond any doubt part of customary law.“215

Was das Prinzip „nulla poena sine lege“ anbelangt, so ist zu bemerken, dass das Völkerstrafrecht – unbeschadet spezieller völkervertraglicher Bestimmungen – grundsätzlich nicht die Vorgabe hinreichend enger Strafrahmen kennt, wie sie etwa dem deutschen Verständnis des Bestimmtheitsgrundsatzes entspricht.216 Das Völ209 Vgl. Ambos, CLF 1999, S. 4; Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 59; Glaser, ZStW 76 (1964), S. 518; Buchner, Mauerschützen, S. 274; Niehoff, Normen des Völkerstrafrechts, S. 12. 210 Vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 145. 211 In Bezug auf das Analogieverbot vertritt Glaser eine andere Auffassung: „[A]ngesichts des gewohnheitsrechtlichen Charakters des Völkerstrafrechts muß angenommen werden, daß hier, entgegen dem innerstaatlichen Strafrecht, eine extensive Auslegung sowie die Anwendung von Analogieschlüssen zulässig sind“ (Glaser, ZStW 76 [1964], S. 523). 212 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 100; Triffterer, Regierungskriminalität in der DDR, in: Lampe, S. 146; Niehoff, Normen des Völkerstrafrechts, S. 12. 213 Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 112; Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 60; vgl. Glaser, Droit international pénal conventionnel, S. 44. 214 Vgl. Glaser, ZStW 76 (1964), S. 520; Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 60 f. 215 Report of the Secretary-General pursuant to paragraph 2 of Security Council resolution 808 (1993), Absatz 34 (UN-Documents S / 25704). 216 Vgl. Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 111.

II. Im Völkerrecht?

111

kerrecht fordert also grundsätzlich keine vorherige Bestimmung von Art und Höhe der in Betracht kommenden Strafe.217 Aus diesem Grunde ist die Geltung des Prinzips „nulla poena sine lege“ im Völkerrecht grundsätzlich – also unbeschadet spezieller völkervertraglicher Bestimmungen – abzulehnen.218 Ein Beispiel für die Festlegung eines sehr weiten Strafrahmens gibt das Römische Statut.219 Nach dessen Art. 77 Abs. 1 kann der Gerichtshof für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe bis zu einer Höchstdauer von 30 Jahren oder, wenn es durch die außergewöhnliche Schwere des Verbrechens und die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten gerechtfertigt ist, eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängen. In Zusammenfassung lässt sich festhalten, dass das Prinzip „nulla poena sine lege“ im Völkerrecht gar nicht und das Prinzip „nullum crimen sine lege“ im Völkerrecht in einer im Vergleich zur deutschen Rechtsordnung nur sehr eingeschränkten Weise Geltung besitzt. So sind im Völkerrecht die Bestimmtheitsanforderungen an den Tatbestand einer Strafnorm im Vergleich zur deutschen Rechtsordnung grundsätzlich viel geringer. Wichtig für die vorliegende Untersuchung ist die Tatsache, dass ein völkerrechtliches Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht grundsätzlich nicht existiert. Fragt man nach den Gründen für diese Divergenz zwischen dem Völkerrecht und der deutschen Rechtsordnung, so ist vor allem auf die Rechtsnatur des Völkerrechts hinzuweisen. Hierbei handelt es sich seinem Ursprung nach um „ein über Jahrhunderte gewachsenes Gewohnheitsrecht“220, das sich als solches auch fortentwickelt. Dem Völkerrecht würde es daher zuwiderlaufen, wenn gewohnheitsrechtlich anerkannte Strafnormen nicht angewendet werden dürften.221 Die damit einhergehende Zulässigkeit gewohnheitsrechtlicher Bestimmungen im Bereich des Völkerstrafrechts hat wiederum zur Folge, dass die Bestimmtheitsanforderungen an Strafnormen im Völkerrecht deutlich niedriger sind als im deutschen Recht. Dies folgt unter anderem daraus, dass Tatbestände, die im Wege der Gewohnheit entstehen, notwendigerweise viel weniger präzise gefasst sind als solche

217 Triffterer, Dogmatische Untersuchungen, S. 127, 131; Triffterer, Regierungskriminalität in der DDR, in: Lampe, S. 145 f. 218 So auch Triffterer: „Im Völkerrecht gilt […] lediglich der Grundsatz ‚nullum crimen sine lege‘“ (Triffterer, Bestandsaufnahme, in: Hankel / Stuby, S. 219). Von dieser Meinung geht wohl auch Boutros Boutros Ghali in seinem eben genannten Bericht zur Errichtung des Jugoslawientribunals aus. In diesem Bericht berücksichtigte er lediglich „the application of the principle nullum crimen sine lege“ (Report of the Secretary-General pursuant to paragraph 2 of Security Council resolution 808 [1993], Absatz 34 [UN-Documents S / 25704]). – Eine andere Ansicht vertritt Werle, der die grundsätzliche Geltung des Prinzips „nulla poena sine lege“ im Völkerrecht bejaht (Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 100). 219 Jeßberger / Powell, SACJ 14 (2001), S. 355. 220 Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 61. 221 Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 61; Glaser, ZStW 76 (1964), S. 516–523; vgl. Cassese, International Criminal Law, S. 143.

112

C. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht

des gesetzten Rechts222: Während ein Gesetzgeber die Möglichkeit hat, wenigstens bis zu einem gewissen Grade die Merkmale strafwürdigen Verhaltens zu bestimmen, besteht eine solche Möglichkeit auf dem Gebiete des Gewohnheitsrechts nur sehr eingeschränkt.223 Im Völkerrecht konnten sich Straftatbestände regelmäßig nur anhand von Einzelereignissen nach und nach entwickeln.224 Die niedrigeren Bestimmtheitsanforderungen im Bereich des Völkerstrafrechts sind aber auch Folge davon, dass sich internationale Delikte – auch im Bereich des geschriebenen Völkerrechts – generell viel weniger für eine Präzisierung eignen als Delikte im Bereich der nationalen Gesetzgebung.225 Diese Erkenntnis folgt schon allein aus der Tatsache, dass internationale Delikte, die Einzug ins geschriebene Völkerrecht halten, notwendigerweise in verschiedene Sprachen übersetzt werden, was einen Verlust an Präzision zur Folge hat. Hinzu kommt der Umstand, dass internationale Delikte im Allgemeinen einer vergleichsweise wenig vorhersehbaren Entwicklung unterliegen. Die begrenzt vorhersehbare Weiterentwicklung des Völkerrechts und der Einfluss politischer Komponenten macht damit häufig die genaue Umschreibung eines Tatbestands äußerst schwierig.226 Diese Tatsachen machen deutlich, dass an die Strafnormen des Völkerrechts, seien sie geschriebener oder ungeschriebener Natur, viel geringere Bestimmtheitsanforderungen gestellt werden können als an solche des deutschen Rechts. Entscheidend für unsere Untersuchung ist aber die Tatsache, dass im Völkerstrafrecht kein Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht existiert. Ob dieser Umstand Auswirkungen auf die Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG zeitigt, wird sich später zeigen.

222 223 224 225 226

Satzger, JuS 2004, S. 945; vgl. Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 110 f. Glaser, ZStW 76 (1964), S. 523. Vgl. Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 111; Satzger, JuS 2004, S. 944 f. Glaser, ZStW 76 (1964), S. 523. Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 62.

D. Verstoß der auf Völkergewohnheitsrecht verweisenden VStGB-Tatbestände gegen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

I. Einleitung I. Einleitung

Folgende Normen des Völkerstrafgesetzbuchs scheinen in ihren Tatbestandsvoraussetzungen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht zu verweisen: – § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB und § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB enthalten die Tatbestandsvoraussetzung „unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“. § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB und § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB fordern außerdem, dass sich die Person, gegen die die schädigende Handlung unternommen wird, „rechtmäßig in einem Gebiet aufhält“. – § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB normiert in seinem Tatbestand das Merkmal der völkerrechtlich zulässigen Sanktionen. – § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB enthält unter anderem die Tatbestandsvoraussetzung eines „nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten“ Grundes. – § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB setzt das Tatbestandsmerkmal der völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien voraus. – § 9 Abs. 1 und Abs. 2 VStGB enthalten die Tatbestandsvoraussetzung, dass die Tathandlung „völkerrechtswidrig“ vorgenommen wird. – § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB normiert in seinen Tatbestandsvoraussetzungen unter anderem, dass die Person, gegen die sich die schädigende Handlung richtet, „Anspruch auf den Schutz haben“ muss, „der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird“. – In § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB setzt der Tatbestand voraus, dass die Personen, gegen die sich die schädigende Handlung richtet „in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnet sind“. – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB verlangt in seinem Tatbestand, dass sich der Angriff gegen zivile Objekte richtet, die durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

– § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB enthält die Tatbestandsvoraussetzung „unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“. Es stellt sich hier die Frage, ob diese Normen gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht verstoßen. Die dahingehende Untersuchung besteht aus zwei Teilen. In einem ersten Teil wird das Vorliegen eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG erörtert (dazu Kapitel III.). Daran schließt sich die Frage an, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann (dazu Kapitel IV.). Ehe auf diese Fragen eingegangen wird, ist jedoch die Feststellung erforderlich, ob und inwieweit die eben genannten Normen des Völkerstrafgesetzbuchs in ihren Tatbeständen tatsächlich auf Völkergewohnheitsrecht verweisen (dazu Kapitel II.).

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

1. § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB (Vertreibung oder zwangsweise Überführung) § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB erfasst die Tatbestände der Vertreibung und der zwangsweisen Überführung. Nach dieser Norm macht sich derjenige strafbar, der „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung […] einen Menschen, der sich rechtmäßig1 in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts2 durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt.“

Wie sich aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB ergibt (einen Menschen) – und insoweit in Abweichung zum IStGH-Statut, jedoch in Übereinstimmung mit den Verbrechenselementen hierzu3 – genügt für die Tatbestandsverwirk1

Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 3 Siehe Verbrechenselement Nr. 1 zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. d IStGH-Statut: „The perpetrator deported or forcibly[…] transferred,[…] without grounds permitted under international law, one or more persons to another State or location, by expulsion or other coercive acts.“ (Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit), das insoweit vom Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 Buchst. d IStGH-Statut abweicht: „Deportation or forcible transfer of population.“ (Art. 7 Abs. 1 Buchst. d IStGH-Statut; Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit) „‚Deportation or forcible transfer of population‘ means forced displacement of the persons concerned by expulsion or other coercive acts from the area in which they are lawfully present, without grounds permitted under international law.“ (Art. 7 Abs. 2 Buchst. d IStGHStatut; Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit) 2

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lichung der Transfer einer einzelnen Person.4 Begründet wird dies damit, dass die Erstreckung des Tatbestands nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB auf Taten, die sich gegen singuläre Tatopfer richten, zur Erfassung des strafwürdigen Unrechts notwendig sei, wobei die Unrechtssteigerung auch hier im funktionalen Zusammenhang der Einzeltat mit der Gesamttat gesehen wird.5 Entscheidend ist für das Vorliegen der unmittelbaren Tathandlungen „Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen“ das Zwangselement gegenüber dem Opfer. Hierunter ist nicht nur körperlicher Zwang, sondern auch jegliche Form der psychischen Drohung zu verstehen.6 Dementsprechend fasst der ICTY auch solche Fallgestaltungen unter den Vertreibungstatbestand, in denen das Opfer der Verbringung nur deshalb zustimmt, um einer noch schlimmeren Situation am gegenwärtigen Ort zu entgehen.7 In wiederholter Weise hat der ICTY deshalb darauf abgestellt, ob das Opfer „was not faced with a genuine choice as to whether to leave or to remain in the area.“8

Sollte gemessen an diesem Maßstab eine wirkliche Zustimmung des Opfers zu der Verbringung vorliegen, dürfte diese im Bereich des § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB bereits ein tatbestandsausschließendes Einverständnis begründen. Nach Völkergewohnheitsrecht unterscheiden sich die Begriffe der Vertreibung und der zwangsweisen Überführung dadurch, dass jener die Verbringung der Opfer in einen anderen Staat verlangt, während dieser sich auf Deportierungsmaß-

Zu Recht heißt es daher in der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs: „Abweichend von Artikel 7 IStGH-Statut verlangt § 7 Abs. 1 Nr. 4 [VStGB] nicht die Verbringung ‚der Bevölkerung‘ (Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe d IStGH-Statut) oder mehrerer ‚Personen‘ (Artikel 7 Abs. 2 Buchstabe d IStGH-Statut). Die Erweiterung des Tatbestandes gegenüber dem Wortlaut des IStGH-Statuts entspricht der Regelung in den Verbrechenselementen […].“ (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21) 4 Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 287; Satzger, Internationales Strafrecht, § 15, Rn. 44. 5 Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. 6 Vgl. ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 125; Triffterer-Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 34, 102; Goodwin-Gill, BYIL 47 (1974– 1975), S. 55. 7 ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 125. Zu weitgehend erscheint es daher, wenn Meseke schreibt: „Eine Flucht der Zivilbevölkerung aus einem Gebiet aus Angst vor drohender Diskriminierung dürfte den Tatbestand noch nicht erfüllen“ (Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 204). Vielmehr dürfte es in solchen Fällen gerade auf die Umstände des Einzelfalles ankommen. Entscheidende Kriterien sind dann etwa die Intentionen des Täters oder die Frage, inwieweit den Opfern die Kausalverknüpfung zwischen dem Unterlassen der Flucht und dem Erleiden der Diskriminierungen vor Augen gehalten wurde. 8 ICTY, Urt. v. 2. August 2001 (Case No.: IT-98-33-T; Krstić; Trial Chamber), Absatz 147; vgl. ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 125.

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nahmen innerhalb ein und desselben Staatsgebietes bezieht.9 Der Wortlaut des § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB ist insoweit nicht eindeutig, da sich Verbringungsmodalitäten „in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet“ grammatikalisch sowohl auf den Begriff der Vertreibung als auch auf den der zwangsweisen Überführung beziehen können, jedoch ist insoweit nicht davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber in dieser Hinsicht vom Völkergewohnheitsrecht abweichen wollte. Letztlich besitzt diese Unterscheidung – wie der ICTY zu Recht betont – im Ergebnis ohnehin wenig praktische Relevanz: Zum einen gebraucht das geschriebene humanitäre Völkerrecht häufig beide Begriffe kumulativ10, zum anderen stellt jegliche Verbringung regelmäßig eine schwere traumatische Erfahrung für das Opfer dar.11 Als problematisch im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG erweisen sich in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB das Erfordernis eines rechtmäßigen Aufenthalts des Opfers [dazu a)] sowie das Tatbestandsmerkmal „unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“ [dazu b)].

a) „Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Opfers“ Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB beruht auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 Buchst. d IStGH-Statut12, so dass es bereits aus diesem Grunde gerechtfertigt erscheint, für die Auslegung des Merkmals eines rechtmäßigen Aufenthalts des Opfers in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB diese Statutsnormen heranzuziehen. Maßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. d, Abs. 2 Buchst. d IStGH-Statut ist das Völkerrecht.13 Dementsprechend bestimmt die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs, dass für die Beantwortung der Frage, ob sich eine Person rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, völkerrechtswidriges innerstaatliches Recht unbeachtlich 9 Vgl. ICTY, Urt. v. 2. August 2001 (Case No.: IT-98-33-T; Krstić; Trial Chamber), Absatz 521; Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 301; Triffterer-Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 31; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 202 f.; Clark, Crimes against Humanity and the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 84. 10 So führt der Gerichtshof in der Entscheidung Krstić aus: „Article 2(g) of the Statute, Articles 49 and 147 of the Geneva Convention concerning the Protection of Civilian Persons in Time of War (Fourth Geneva Convention), Article 85(4) (a) of Additional Protocol I, Article 18 of the ILC Draft Code and Article 7(1)(d) of the Statute of the International Criminal Court all condemn deportation or forcible transfer of protected persons.[…] Article 17 of Protocol II likewise condemns the ‚displacement‘ of civilians.“ (ICTY, Urt. v. 2. August 2001 [Case No.: IT-98-33-T; Krstić; Trial Chamber], Absatz 522) 11 ICTY, Urt. v. 2. August 2001 (Case No.: IT-98-33-T; Krstić; Trial Chamber), Absatz 522 f.; vgl. ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 123. 12 Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 20. 13 Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 815; Triffterer-Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 100; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 205.

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ist.14 Ein Beispiel für entsprechendes Völkerrecht ist der völkerrechtliche Grundsatz, dass jeder Mensch das Recht hat, sich in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufzuhalten.15 Grundsätzlich unzulässig ist es damit nach Völkerrecht, eigene Staatsangehörige auszuweisen.16 In dieser Weise bestimmt Art. 3 Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK: „Niemand darf durch eine Einzel- oder Kollektivmaßnahme aus dem Hoheitsgebiet des Staates ausgewiesen werden, dessen Angehöriger er ist.“

Allerdings ist der Maßstab für die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Aufenthalt nach Völkerrecht rechtmäßig ist, nicht auf völkerrechtliche Verträge beschränkt, sondern umfasst auch Völkergewohnheitsrecht. An die hiermit getroffene Feststellung, dass der Begriff der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Opfers in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB ein Merkmal darstellt, das eine Verweisung auf Völkergewohnheitsrecht enthält, schließt sich die Frage an, ob diese Verweisung eine solche dynamischer oder statischer Natur ist. Während im letzteren Fall auf diejenigen Rechtsnormen Bezug genommen wird, wie sie sich zu einem festgelegten Zeitpunkt – regelmäßig ist dies der Zeitpunkt des Inkrafttretens der verweisenden Norm – darstellen, wird im ersteren Fall flexibel auf die jeweils gültige Fassung bestimmter Rechtsnormen verwiesen. In diesem Fall wäre also durchaus möglich, dass sich diejenige Bestimmung, auf die Bezug genommen wird, nach Inkrafttreten der verweisenden Norm inhaltlich ändert, was sodann wiederum – über die Verweisung – Einfluss auf den Inhalt der verweisenden Norm hätte. Ob es sich bei Verweisungen um solche dynamischer oder statischer Natur handelt, ist letztlich eine Frage der Auslegung der verweisenden Bestimmung. Für das Vorliegen statischer Verweisungen würde es sprechen, wenn nach dem gesetzgeberischen Willen nicht die Kontrolle über die Normen, auf die verwiesen wird, aus der Hand gegeben werden soll. Dies gilt im Besonderen dann, wenn die Normen, die Gegenstand der Verweisung sind, von einer anderen Körperschaft erlassen werden als diejenigen Normen, die die Verweisung enthalten. Der Grund warum im Falle statischer Verweisungen diejenigen Normen, auf die verwiesen wird, nicht unmittelbar in die verweisenden Regelungen integriert werden, ist häufig schlicht ein gesetzesökonomischer: Durch die Verweisung wird vermieden, die Normen, 14

BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. Blumenwitz, in: ders., Flucht und Vertreibung, S. 36; Triffterer-Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 100. 16 Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 206. Vgl. demgegenüber in Bezug auf Ausländer die Bestimmung des Art. 13 IPbürgR: „Ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, kann aus diesem nur auf Grund einer rechtmäßig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden, und es ist ihm, sofern nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit entgegenstehen, Gelegenheit zu geben, die gegen seine Ausweisung sprechenden Gründe vorzubringen und diese Entscheidung durch die zuständige Behörde oder durch eine oder mehrere von dieser Behörde besonders bestimmte Personen nachprüfen und sich dabei vertreten zu lassen.“ 15

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die Gegenstand der Verweisung sind, dem Inhalte nach nochmals zu wiederholen. Anders stellt sich die Situation im Falle dynamischer Verweisungen dar: Auch hier kommen zwar Aspekte der Gesetzesökonomie zum Tragen, allerdings in einer anderen Weise. So wird durch dynamische Verweisungen ermöglicht, spätere Änderungen der Normen, auf die verwiesen wird, gleichsam zu antezipieren, indem diese Normen in ihrer jeweils gültigen Fassung inkorporiert werden. Wenn § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB durch das Merkmal des rechtmäßigen Aufenthalts des Opfers unter anderem auf Völkergewohnheitsrecht verweist, handelt es sich letztlich um eine dynamische Verweisung. Dies ergibt die gesetzgeberische Intention: So wurde oben darauf hingewiesen, dass eines der Ziele, die mit der Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs verfolgt werden, darin besteht, im Hinblick auf die Komplementarität der Verfolgungszuständigkeit des Internationalen Ständigen Strafgerichtshofs sicherzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland stets in der Lage ist, Verbrechen, die in die Zuständigkeit des IStGH fallen, selbst zu verfolgen. Diese Intention impliziert das Erfordernis, das VStGB weitestmöglich offenzuhalten für zukünftige Entwicklungen im Bereich des Völkerstrafrechts. Nur eine dynamische Verweisung vermag jedoch einen ständigen Gleichlauf des Völkerstrafgesetzbuchs mit völkergewohnheitsrechtlichen Normen zu erreichen. Auch in der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs kommt die Absicht der Erzielung eines Gleichlaufs zwischen dem VStGB und dem Völkergewohnheitsrecht zum Ausdruck. So heißt es dort hinsichtlich § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB, dass dessen ebenfalls auf Völkergewohnheitsrecht verweisendes17 Tatbestandsmerkmal der nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe Raum lassen soll für eine menschenrechtsfreundliche Weiterentwicklung des Völkergewohnheitsrechts18. Es ist nicht davon auszugehen, dass die gesetzgeberische Intention in Bezug auf diejenigen Tatbestandsmerkmale, bei denen in der Gesetzesbegründung ein entsprechender Hinweis fehlt, in eine andere Richtung gehen soll. Hieraus ergibt sich zugleich, dass in denjenigen Fällen, in denen im Folgenden das Vorliegen einer Verweisung auf Völkergewohnheitsrecht festgestellt wird, von einer dynamischen Verweisung auszugehen ist. Somit ist also festzuhalten, dass durch das Merkmal der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Opfers in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB in dynamischer Weise auf Völkergewohnheitsrecht verwiesen wird – eine Feststellung, die jedoch nur die Perspektive auf die gesetzgeberische Konzeption eröffnet. Denn selbstverständlich kommt eine ihrer Konzeption nach dynamische Verweisung in denjenigen Fällen faktisch einer statischen Verweisung gleich, in denen die in Bezug genommenen Bestimmungen sich nicht weiterentwickeln. Zwar bleibt es auch in diesen Fällen rechtlich beim Vorliegen einer dynamischen Verweisung – für die Diktion ist al17 18

Vgl. dazu unten: Kapitel D. II. 4. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22.

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lein die gesetzgeberische Intention entscheidend –, jedoch stellen sich nicht zwingend die gleichen rechtlichen Probleme wie bei einer tatsächlich dynamischen Verweisung, bei der die in Bezug genommenen Bestimmungen einem wirklichen Wandel unterliegen. Nur der zuletzt genannte Fall bringt die Gefahr mit sich, dass der Gesetzgeber der Verweisungsnorm keine Kontrolle über den Regelungsgehalt behält. Unter diesem Blickwinkel ließe sich im vorliegenden Fall durchaus fragen, wie dynamisch sich völkergewohnheitsrechtliche Strafbestimmungen tatsächlich entwickeln. Zumindest seit jüngster Zeit scheint es doch so zu sein, dass strafrechtlich relevantes Völkergewohnheitsrecht in seiner Gesamtheit von einem so breiten Konsens getragen ist, dass die mit einer dynamischen Verweisung einhergehende hypothetische Gefahr für die durch Art. 103 Abs. 2 GG geschützten Rechte geringer wäre. Auf der anderen Seite kann es – insbesondere für ein stark am Gesetzeswortlaut orientiertes Rechtsgebiet wie das des Strafrechts – letztlich nicht entscheidend darauf ankommen, wie sich das entsprechende Völkergewohnheitsrecht in seiner Gesamtheit entwickelt. Entscheidend dürfte vielmehr die Entwicklung solcher völkergewohnheitsrechtlicher Details sein, die letztlich den Ausschlag für die Frage der Strafbarkeit im Einzelfall geben. Richtet man hier den Blick auf diese Details, so lässt sich durchaus sagen, dass die Möglichkeit einer relevanten Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts auch heute nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist. So bemerkt die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs beispielsweise hinsichtlich des erwähnten Verfolgungstatbestandes des § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB, der mit seinem Merkmal der nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe auf Völkergewohnheitsrecht verweist19, dass zwar derzeit eine Verfolgung auf Grund der sexuellen Orientierung noch nicht als solche als strafbares Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfasst werden könne, dass jedoch die Gesetzesformulierung des § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB insoweit offen für den Fall bleibe, dass sich entsprechendes Völkergewohnheitsrecht in der Zukunft herausbildet.20 Es sind Beispiele wie dieses, die die Möglichkeit einer tatsächlichen Dynamik im strafrechtlichen Völkergewohnheitsrecht belegen – mag sich diese Dynamik auch nur im Detail abspielen. Dies gilt umso mehr, als selbst der VStGB-Gesetzgeber von einer solchen Möglichkeit der Veränderlichkeit des Völkergewohnheitsrechts ausgeht. Gerade aus Sicht eines rechtsstaatlich orientierten Strafrechts erscheint es daher angezeigt, gleichsam vom schlimmsten Fall auszugehen – einer durch den deutschen Gesetzgeber kaum kontrollierbaren potentiellen Dynamik innerhalb des Völkergewohnheitsrechts, die unmittelbare Auswirkungen auf den Anwendungsbereich deutscher Straftatbestände zeitigt.

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Vgl. dazu unten: Kapitel D. II. 4. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. Vgl. insoweit auch: ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 711 ff. 20

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b) „Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“ Die Formulierung „Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“ wurde in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB leicht abweichend vom Römischen Statut gewählt, in dessen Art. 7 Abs. 2 Buchst. d von einer „völkerrechtlich unzulässige[n] Verbringung“ die Rede ist. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass sich aus diesem sprachlichen Unterschied relevante Abweichungen in der Sache ergeben. Das geschriebene Völkerrecht umfasst verschiedene Erlaubnistatbestände für Verbringungen. So können beispielsweise entsprechende Zwangsmaßnahmen innerhalb eines Landes zulässig sein, wenn dies zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung oder der Volksgesundheit notwendig ist.21 Erlaubnisgründe können sich überdies aus Art. 49 GK IV sowie Art. 17 ZP II ergeben.22 Nach diesen Bestimmungen sind beispielsweise solche Evakuierungen der Bevölkerung zulässig, die im Hinblick auf die Sicherheit der betreffenden Zivilpersonen oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten sind (Art. 49 Abs. 2 GK IV, Art. 17 Abs. 1 ZP II).23 An diesen beiden Rechtfertigungsgründen fehlt es zum Beispiel dann, wenn die Verbringung der Bevölkerung einen Selbstzweck darstellt.24 Darüber hinaus hat der ICTY im Fall Simić den ultima-ratio-Charakter von Verbringungsmaßnahmen betont, der einer Zulässigkeit im Einzelfall entgegenstehen kann: „The Trial Chamber finds that in view of the drastic nature of a forced displacement of persons, recourse to such measures would only be lawful in the gravest of circumstances and only as measures of last resort.“25 21 Vgl. zum Beispiel: Art. 12 Abs. 3 IPbürgR, der eine Ausnahmebestimmung zum Recht auf Freizügigkeit nach Art. 12 Abs. 1 IPbürgR darstellt. Beide Absätze lauten: „[…] (1) Jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. (2) […] (3) Die oben erwähnten Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist und die Einschränkungen mit den übrigen in diesem Pakt anerkannten Rechten vereinbar sind.“ Vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 204. 22 ICTY, Urt. v. 2. August 2001 (Case No.: IT-98-33-T; Krstić; Trial Chamber), Absatz 524; ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 125, Fn. 218; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 205; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 205; Mettraux, HarvILJ 43 (2002), S. 287; Meron, Deportation, in: ders., War Crimes Law Comes of Age, S. 142; Becker, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 201. 23 Vgl. aber unter anderem folgende Rückausnahme: „Zivilpersonen dürfen nicht gezwungen werden, ihr eigenes Gebiet aus Gründen zu verlassen, die mit dem Konflikt im Zusammenhang stehen.“ (Art. 17 Abs. 2 ZP II) 24 Vgl. ICTY, Urt. v. 2. August 2001 (Case No.: IT-98-33-T; Krstić; Trial Chamber), Absatz 527. 25 ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 125, Fn. 218.

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

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Nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs soll ein „Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“ im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB dann zu bejahen sein, wenn keine sachlichen Gründe für die Ausführungsmaßnahmen vorliegen. Ein derartiger Verstoß sei danach beispielsweise gegeben, wenn das Opfer allein aus rassischen Gründen im Rahmen einer Politik sogenannter „ethnischer Säuberungen“ aus dem angestammten Siedlungsgebiet seiner Gruppe vertrieben wird.26 Nicht unter den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB soll demgegenüber beispielsweise die Verlegung von Bevölkerungsgruppen zu deren eigenem Schutz – etwa vor Naturkatastrophen oder vor militärischen Kampfhandlungen im Falle eines bewaffneten Konflikts – fallen.27 Formell betrachtet soll der Begriff des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs auf den Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts in Art. 25 GG „und damit insbesondere auf die Regeln des Völkergewohnheitsrechts“28 verweisen. In derselben Begründung heißt es weiter: „Da Artikel 25 GG nur universell geltendes Völkergewohnheitsrecht umfasst, ist sichergestellt, dass auch nach deutschem Recht nur solche Handlungsweisen erfasst werden, die nach universell geltenden Standards als strafwürdiges Unrecht einzuordnen sind. Ausweisungsmaßnahmen, die nur gegen völkervertragliche Regelungen oder gegen regionales Völkergewohnheitsrecht verstoßen, sind nicht tatbestandsmäßig.“29

Die hierdurch zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung, der Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts i. S. d. Art. 25 GG erfasse nicht regionales Völkergewohnheitsrecht, ist allerdings nicht unumstritten. Der Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts i. S. d. Art. 25 GG ist in seiner Reichweite nicht restlos geklärt. Nahezu unstreitig ist, dass er nicht völkerrechtliche Verträge als solche erfasst, da Art. 59 Abs. 2 GG insoweit eine Spezialvorschrift zu Art. 25 GG darstellt.30 Unstreitig ist auch, dass universelles Völkergewohnheitsrecht unter den 26 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. Vgl. entsprechend zum IStGH-Statut: Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 205; Clark, Crimes against Humanity and the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 84; Schabas, Introduction to the ICC, S. 46. 27 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. Zur Reichweite des völkerrechtlichen Vertreibungsverbots siehe unter anderem: Blumenwitz, in: ders., Flucht und Vertreibung, S. 3 ff.; Kimminich, Das Vertreibungsverbot in der völkerrechtlichen Entwicklung, in: Blumenwitz, Flucht und Vertreibung, S. 95 ff. 28 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. 29 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. 30 So zum Beispiel: Sachs-Streinz, Art. 25, Rn. 29; Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum, Abschnitt 2, Rn. 133; vgl. BVerfGE 100, 266 (269). Falls bestehendes Völkergewohnheitsrecht in völkerrechtlichen Verträgen kodifiziert wird und diese für Deutschland in Kraft getreten sind, gründet sich die innerstaatliche Geltung sowohl auf Art. 25 GG als auch auf den nach Art. 59 Abs. 2 GG erteilten Rechtsanwendungsbefehl (Umbach / Clemens-Hofmann, Art. 25, Rn. 17).

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts i. S. d. Art. 25 GG fällt.31 Jedoch ist sowohl für regionales Völkergewohnheitsrecht als auch für die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts32 umstritten, ob diese Rechtsquellen unter den Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts i. S. d. Art. 25 GG fallen.33 Jedoch kommt es an dieser Stelle letztlich nicht darauf an, ob die in der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs geäußerte Rechtsauffassung, regionales Völkergewohnheitsrecht falle nicht unter Art. 25 GG, zu überzeugen vermag. Hier ist allein der legislative Wille zu berücksichtigen, wonach regionales Völkergewohnheitsrecht nicht unter § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB fallen soll. Das in dieser Norm enthaltene Tatbestandsmerkmal des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts verlangt demnach einen Verstoß gegen universelles Völkergewohnheitsrecht und stellt mithin eine dynamische Verweisung auf dieses dar.34

2. § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB (Folter) § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB normiert das Verbrechen der Folter. Strafbar macht sich danach, wer „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung […] einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind.“35

In Übereinstimmung mit Art. 7 Abs. 2 Buchst. e IStGH-Statut ist die erste Voraussetzung der Einzeltat i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB damit, dass sich das Tatopfer im Gewahrsam des Täters oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet. Durch die zuletzt genannte Alternative, die in § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB mit den Worten „in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle“ umschrieben wird, sollen Fälle von Kontrollsituationen erfasst werden, die eine der Ingewahrsamnahme vergleichbare Qualität besitzen.36 Das weitere in § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB enthaltene Merkmal der Erheblichkeit der körperlichen oder seelischen Schäden oder Leiden entspricht ebenfalls der 31

So zum Beispiel: Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 187. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 15, 25 [34]; BVerfGE 16, 27 [33, 63]; BVerfGE 23, 288 [317]; BVerfGE 31, 145 [177]; BVerfGE 66, 39 [64 f.]; BVerfGE 96, 68 [86]) und Teile der Literatur (so z. B.: Sachs-Streinz, Art. 25, Rn. 35; AK-GG-Zuleeg, Art. 24 Abs. 3 / Art. 25, Rn. 17) fassen die von den Kulturvölkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze i. S. d. Art. 38 Abs. 1 Buchst. c IGH-Statut unter den Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts i. S. d. Art. 25 GG. – A. A.: Ambos, StV 1997, S. 41, Fn. 37. 33 Sachs-Streinz, Art. 25, Rn. 26, 35. 34 Ebenso: Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 288. Vgl. auch: Satzger, Internationales Strafrecht, § 16, Rn. 34. 35 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 36 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. 32

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

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Völkerrechtslage37: So spricht beispielsweise Art. 1 Abs. 1 der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1984 in seiner verbindlichen englischen Fassung von „severe pain or suffering“. Der Begriff der Erheblichkeit in § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB stellt ein wertausfüllungsbedürftiges Merkmal dar, das sich letztlich nicht exakt definieren, sondern nur umschreiben lässt.38 Dementsprechend erscheint die Feststellung des ICTY in der Entscheidung Krnojelac ausreichend, derzufolge mit dem Merkmal der Erheblichkeit Akte von substanziellem Gewicht erfasst sind, wofür sämtliche Umstände des Einzelfalles heranzuziehen sind.39 Hinsichtlich des letzten Gesichtspunkts führt das Gericht aus: „When assessing the seriousness of the acts charged as torture, the Trial Chamber must take into account all the circumstances of the case, including the nature and context of the infliction of pain, the premeditation and institutionalisation of the ill-treatment, the physical condition of the victim, the manner and method used, and the position of inferiority of the victim. In particular, to the extent that an individual has been mistreated over a prolonged period of time, or that he or she has been subjected to repeated or various forms of mistreatment, the severity of the acts should be assessed as a whole to the extent that it can be shown that this lasting period or the repetition of acts are inter-related, follow a pattern or are directed towards the same prohibited goal.“40

Eine umfangreiche und nicht erschöpfende41 Auflistung tatbestandsmäßiger Foltermaßnahmen beinhaltet der Bericht42 des damaligen UN-Sonderberichterstatters für Folter Pieter H. Kooijmans vom 19. Februar 1986. Genannt werden darin beispielsweise folgende Arten von Folter: – Schläge, – Extrahierung von Nägeln oder Zähnen, – Hervorrufen von Verbrennungen, – Elektroschocks, – sexuelle Übergriffe, 37 Vgl. ICTY, Urt. v. 16. November 1998 (Case No.: IT-96-21-T; Mucić et al.; Trial Chamber), Absatz 452 ff. 38 Vgl. ICTY, Urt. v. 16. November 1998 (Case No.: IT-96-21-T; Mucić et al.; Trial Chamber), Absatz 469; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 212; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 207. 39 Vgl. ICTY, Urt. v. 15. März 2002 (Case No.: IT-97-25-T; Krnojelac; Trial Chamber), Absatz 181 f. 40 ICTY, Urt. v. 15. März 2002 (Case No.: IT-97-25-T; Krnojelac; Trial Chamber), Absatz 182. 41 Die Tatsache, dass derartige Aufzählungen nur beispielhaften Charakter haben, ist zu begrüßen, da andernfalls potentiellen Tätern die Möglichkeit gegeben würde, durch spezielle Methoden den Tatbestand der Folter zu umgehen (vgl. ICTY, Urt. v. 16. November 1998 [Case No.: IT-96-21-T; Mucić et al.; Trial Chamber], Absatz 469). 42 „Report by the Special Rapporteur, Mr. P. Kooijmans, appointed pursuant to Commission on Human Rights resolution 1985 / 33“ v. 19. Februar 1986 (E / CN.4 / 1986 / 15), Absatz 119.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

– Verabreichen bestimmter Arten von Drogen, – Schlafentzug in ausgedehnter Weise, – Verweigerung von Nahrung, – totale Isolierung, – bewusstes Hervorrufen von Ungewissheit des Gefangenen hinsichtlich Raum und Zeit, – simulierte Exekutionen, – Drohung der Tötung von Verwandten. Eine andere Frage ist, ob § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB einen besonderen Zweck fordert, der mit der Folterhandlung verfolgt wird. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ist dies nicht der Fall, doch ergibt sich die Problematik daraus, dass in der internationalen Rechtsprechung vertreten wird, dass der völkergewohnheitsrechtliche Foltertatbestand eine solche Zwecksetzung des Täters verlange.43 Tatsäch43

So zum Beispiel der ICTY in der Entscheidung Kunarac et al.: „The act or omission must aim at obtaining information or a confession, or at punishing, intimidating or coercing the victim or a third person, or at discriminating, on any ground, against the victim or a third person.“ (ICTY, Urt. v. 22. Februar 2001 [Case No.: IT-96-23-T & IT-96-23 / 1-T; Kunarac et al.; Trial Chamber], Absatz 497) Ebenso: ICTY, Urt. v. 15. März 2002 (Case No.: IT-97-25-T; Krnojelac; Trial Chamber), Absatz 185 f.: „The Trial Chamber is satisfied that the following relevant purposes have become part of customary international law: obtaining information or a confession; punishing, intimidating or coercing the victim or a third person; or discriminating, on any ground, against the victim or a third person. […] The Trial Chamber is of the opinion that, although other purposes may come to be regarded as prohibited under the torture provision in due course, they have not as yet reached customary status.“ Vgl. auch: ICTR, Urt. v. 2. September 1998 (Case No.: ICTR-96-4-T; Akayesu), Absatz 594: „The Chamber defines the essential elements of torture as: […] The perpetrator must intentionally inflict severe physical or mental pain or suffering upon the victim for one or more of the following purposes: (a) to obtain information or a confession from the victim or a third person; (b) to punish the victim or a third person for an act committed or suspected of having been committed by either of them; (c) for the purpose of intimidating or coercing the victim or the third person; (d) for any reason based on discrimination of any kind. […].“ Einschränkend insoweit aber: ICTY, Urt. v. 16. November 1998 (Case No.: IT-96-21-T; Mucić et al.; Trial Chamber), Absatz 470: „Another critical element of the offence of torture is the presence of a prohibited purpose. As previously stated, the list of such prohibited purposes in the Torture Convention expands upon those enumerated in the Declaration on Torture by adding ‚discrimination of any kind‘. The use of the words ‚for such purposes‘ in the customary definition of torture, indicate that the various listed purposes do not constitute an exhaustive list, and should be regarded as merely representative. Further, there is no requirement that the conduct must be solely perpetrated for a prohibited purpose. Thus, in order for this requirement to be met, the pro-

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lich verlangt Art. 1 Abs. 1 der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1984 in seiner Folterdefinition, dass die Tathandlung begangen wird „[…] for such purposes as obtaining from him or a third person information or a confession, punishing him for an act he or a third person has committed or is suspected of having committed, or intimidating or coercing him or a third person, or for any reason based on discrimination of any kind […].“

Jedoch sieht Abs. 2 dieser Regelung ausdrücklich vor, dass diese Definition sämtliche internationalen Übereinkünfte oder innerstaatlichen Rechtsvorschriften unberührt lässt, die weitergehende Bestimmungen enthalten. Eine weitergehende Bestimmung in diesem Sinne stellt Art. 7 Abs. 1 Buchst. f, Abs. 2 Buchst. e des IStGH-Statuts dar44, der weder nach seinem Wortlaut noch nach seinem Sinn und Zweck eine gesonderte Zwecksetzung des Täters erfordert.45 Insoweit ist auf die Verbrechenselemente zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. f IStGH-Statut zu verweisen, in denen es ausdrücklich heißt: „It is understood that no specific purpose need be proved for this crime.“46

Dementsprechend scheinen hinsichtlich der Behauptung, der völkergewohnheitsrechtliche Foltertatbestand verlange eine gesonderte Zwecksetzung des Täters, Zweifel angezeigt. Berücksichtigt man noch dazu, dass die von Art. 1 Abs. 1 UN-Anti-Folter-Konvention aufgezählten Zwecksetzungen ein sehr weites Spektrum umfassen47 – dies gilt insbesondere für das Merkmal discrimination –, so wird rasch deutlich, dass im Falle des Verzichts auf ein derartiges Erfordernis einer gesonderten Zwecksetzung der Anwendungsbereich des völkerstrafrechtlichen Foltertatbestandes nur unwesentlich ausgeweitet würde. Dies gilt insbesondere deshalb, da das Gesamttaterfordernis „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“ insoweit ein ausreichendes Korrektiv zu begründen vermag. Aus diesem Grunde erscheint es angezeigt, auch

hibited purpose must simply be part of the motivation behind the conduct and need not be the predominating or sole purpose.“ 44 Vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 212, der hervorhebt, dass die AntiFolter-Konvention der Vereinten Nationen nicht den gegenwärtigen Stand des völkerstrafrechtlichen Gewohnheitsrechts widerspiegelt. 45 Vgl. jedoch: Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 217. 46 Verbrechenselemente zum IStGH-Statut, Fn. 14 (zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. f). Vgl. jedoch Hall, der hieraus andere Schlussfolgerungen zieht: „[A] footnote to the title of the elements of torture in the Elements of Crimes reintroduces, in a political compromise, the possibility of a purpose requirement by stating that ‚[i]t is understood that no specific purpose need be proved for this crime‘ (emphasis supplied). If the Court were to accept this footnote as an authoritative interpretation, then it might find that some purpose is required, as in all other definitions of torture.“ (Triffterer-Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 109; Hervorhebungen im Original) 47 Vgl. insoweit auch: ICTY, Urt. v. 16. November 1998 (Case No.: IT-96-21-T; Mucić et al.; Trial Chamber), Absatz 470.

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im Rahmen des § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB auf ein besonderes Zwecksetzungsmerkmal, das über den Wortlaut hinausgehen würde, zu verzichten.48 Als problematisch im Hinblick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht erweist sich das Merkmal der völkerrechtlich zulässigen Sanktionen, bei dessen Vorliegen der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB nicht erfüllt ist. Entsprechende Merkmale finden sich auch in internationalen Übereinkünften, so zum Beispiel in Art. 7 Abs. 2 Buchst. e des IStGH-Statuts49, in Art. 1 Abs. 1 der UN-Anti-Folter-Konvention50 oder in Art. 1 Abs. 1 der Deklaration über den Schutz aller Personen vor Folter, die die UN-Generalversammlung am 9. Dezember 1975 angenommen hat51. Hinsichtlich der letzten beiden Bestimmungen führte der UN-Sonderberichterstatter Pieter H. Kooijmans in seinem Bericht vom 19. Februar 1986 aus: „Article 1, paragraph 1, of the Convention excludes ‚[…] pain or suffering arising only from, inherent in or incidental to lawful sanctions‘ (last sentence). The last sentence of article 1, paragraph 1, of the Declaration was the same but added ‚[…] to the extent consistent with the Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners52‘. As a result, ‚lawful sanctions‘ under national law53 (e.g. mutilation or other corporal punishments) may not be lawful under international law54, including the Convention, and may be considered as torture.“55

Damit sind Körperstrafen – beispielsweise Verstümmelungen – nicht vom Tatbestand der Folter ausgenommen. Was das völkerstrafrechtliche Merkmal der lawful sanctions jedoch erfassen soll, ist die Todesstrafe, die demnach nicht per se Folter im völkerstrafrechtlichen Sinne darstellt.56 Die damit in den genannten Aus48

Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 208. Der entscheidende Tatbestandsteil lautet dort: „‚torture‘ […] shall not include pain or suffering arising only from, inherent in or incidental to, lawful sanctions.“ 50 Dort heißt es unter anderem: „[…] the term ‚torture‘ […] does not include pain or suffering arising only from, inherent in or incidental to lawful sanctions.“ 51 Der insoweit entscheidende Teil dieser Resolution 3452 lautet: „[…] torture […] does not include pain or suffering arising only from, inherent in or incidental to, lawful sanctions to the extent consistent with the Standard Minimum Rules for the Treatment of Prisoners.“ (UN Documents A / RES / 30 / 3452 v. 9. Dezember 1975) 52 Solche Regeln über die Behandlung Gefangener sind auf völkerrechtlicher Ebene beispielsweise niedergelegt in: Resolution 45 / 111 der UN-Generalversammlung („Basic Principles for the Treatment of Prisoners“ [UN-Documents A / RES / 45 / 111]) v. 14. Dezember 1990. 53 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 54 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 55 „Report by the Special Rapporteur, Mr. P. Kooijmans, appointed pursuant to Commission on Human Rights resolution 1985 / 33“ v. 19. Februar 1986 (E / CN.4 / 1986 / 15), Absatz 37. 56 Vgl. Mautino, Journal of Immigrant Health 2000, S. 181; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 289; BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. 49

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führungen des UN-Sonderberichterstatters zum Ausdruck kommende Auffassung, für das Vorliegen von lawful sanctions reiche eine Vereinbarkeit mit nationalem Recht allein nicht aus – entscheidend sei vielmehr die Übereinstimmung mit internationalem Recht –, entspricht im Wesentlichen auch der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs.57 Danach sollen völkerrechtlich zulässige Sanktionen i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB nur solche sein, die mit den allgemeinen Regeln des Völkerrechts vereinbar sind.58 Hierunter fallen Bestimmungen des geschriebenen Völkerrechts, wie beispielsweise die des Art. 10 IPbürgR.59 Da der Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts, auf den hier nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs verwiesen wird, jedoch auch Völkergewohnheitsrecht umfasst, liegt letztlich wiederum ein dynamischer Verweis auf Völkergewohnheitsrecht vor, wobei nach dieser Gesetzesbegründung durch § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB – anders als bei § 7 Abs. 1 Nr. 4 und 9 VStGB – auch auf regionales Völkergewohnheitsrecht Bezug genommen sein soll.60

3. § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB (Freiheitsentziehung) § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB normiert das Verbrechen der Freiheitsentziehung. Nach dieser Norm macht sich strafbar, wer „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung […] einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts 61 in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt.“

Die Tathandlung der Freiheitsberaubung in diesem Sinne verlangt, dass der Täter das Opfer daran hindert, den Aufenthaltsort frei zu verlassen, worunter auch Situationen fallen sollen, in denen die physische Bewegungsfreiheit des Opfers auf ein bestimmtes Gebiet beschränkt wird, wie es etwa im Falle der Einweisung in ein Lager der Fall ist.62 § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB ist insoweit enger gefasst als § 239 Abs. 1 StGB, als jene Bestimmung eine Freiheitsberaubung in schwerwiegender Weise verlangt. Einen Anhaltspunkt für die Frage, ab wann eine Freiheitsberaubung schwerwiegend 57 Demgegenüber blieb die Frage, ob der Maßstab der „gesetzlich zulässigen Sanktionen“ i. S. d. Art. 7 Abs. 2 Buchst. e IStGH-Statut im staatlichen Recht oder im Völkerrecht zu finden ist, im Rahmen der Beratungen zu den Verbrechenselementen zu dieser Bestimmung umstritten (Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 215 f.). 58 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. 59 Vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 216. 60 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 21. 61 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 62 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. Vgl. Triffterer-Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 38; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 208.

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in diesem Sinne ist, kann möglicherweise § 239 Abs. 3 StGB liefern, der als Qualifikationstatbestand zu § 239 Abs. 1 StGB dann eingreift, wenn der Täter das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt (Nr. 1) oder durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht (Nr. 2). Selbstverständlich ist eine solche Übertragung der Grundsätze des § 239 Abs. 3 StGB auf § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB nicht zwingend, jedoch spricht zumindest einiges dafür, für die Frage, ob die Freiheit in schwerwiegender Weise im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB beraubt wird, auf die Dauer der Gefangennahme oder die Art der Behandlung des Gefangenen abzustellen.63 Allerdings ist hervorzuheben, dass auch kurze Freiheitsentziehungen schwerwiegend sein können, wenn entsprechende Umstände hinzutreten.64 Zu kurz gegriffen scheint es daher, wenn nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs durch die Formulierung „in schwerwiegender Weise“ in § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB insbesondere Freiheitsberaubungen von nur geringer Dauer ausgeschlossen werden sollen.65 Vielmehr ist es angemessen, stets auf den Einzelfall abzustellen. § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB beruht auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. e IStGH-Statut66, ist jedoch im Einzelnen abweichend formuliert.67 So ist in § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB das im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG problematische Tatbestandsmerkmal des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts leicht abweichend von Art. 7 Abs. 1 Buchst. e IStGH-Statut gewählt, wo ein Verstoß gegen die Grundregeln (fundamental rules) des Völkerrechts68 gefordert wird.69 Einen Hinweis für die Frage, wann ein Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts i. S. d. § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB

63

Vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 208. Insoweit kann Hall nur zugestimmt werden, der in Bezug auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. e IStGH-Statut ausführt: „There is no indication in the various drafts of this provision of what was meant by ‚severe‘. One possibility could be something longer than short-term detentions, for a matter of days or weeks, but recent history is rife with widespread or systematic short-term detentions where the conditions were severe, the detention secret or the short-term detentions repeated. Therefore, it will be up to the Court case by case to determine whether the deprivation of liberty was severe, taking into account such factors as whether the detainee was subjected to torture or other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, including crimes of sexual violence, or other intimidation; whether the detention was secret or the detainee otherwise cut off from the outside world; and whether the detention was part of a series of repeated detentions.“ (Triffterer-Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 38) 65 So: BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. 66 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. 67 Art. 7 Abs. 1 Buchst. e IStGH-Statut ahndet gemäß seiner amtlichen deutschen Übersetzung folgende Einzeltaten: „Freiheitsentzug oder sonstige schwerwiegende Beraubung der körperlichen Freiheit unter Verstoß gegen die Grundregeln des Völkerrechts.“ 68 Vgl. hierzu: Triffterer-Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 39. 69 Vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 292. 64

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gegeben ist, kann hier die Rechtsprechung zum Tatbestand der Freiheitsentziehung nach Art. 5 Buchst. e ICTY-Statut geben. In der Entscheidung Kordić / Čerkez führte der ICTY hierzu aus: „[…] [T]he imprisonment of civilians will be unlawful where: – civilians have been detained in contravention of Article 42 of Geneva Convention IV, i. e., they are detained without reasonable grounds to believe that the security of the Detaining Power makes it absolutely necessary; – the procedural safeguards required by Article 43 of Geneva Convention IV are not complied with in respect of detained civilians, even where initial detention may have been justified;[…] and – they occur as part of a widespread or systematic attack directed against a civilian population.“70

Artikel 42 und 43 der vierten Genfer Konvention gelten für geschützte Personen, die interniert sind oder denen ein Zwangsaufenthalt zugewiesen worden ist, jedoch geht der Anwendungsbereich des in § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB enthaltenen Tatbestandserfordernisses des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts über eine Verletzung dieser Bestimmungen der vierten Genfer Konvention hinaus. Einen Anhaltspunkt geben insoweit die Ausführungen des ICTY im Fall Krnojelac, wo in Anknüpfung an das obige Zitat aus der Entscheidung Kordić / Čerkez festgehalten wird: „[T]he Trial Chamber considers that, as a crime against humanity, the definition of imprisonment is not restricted by the grave breaches provisions of the Geneva Conventions. […] […] The Trial Chamber is of the view that any form of arbitrary physical deprivation of liberty of an individual may constitute imprisonment under Article 5(e) as long as the other requirements of the crime are fulfilled. […] […] [T]he Trial Chamber is of the view that, under Article 5(e) of the Tribunal’s Statute, a deprivation of an individual’s liberty will be arbitrary and, therefore, unlawful if no legal basis can be called upon to justify the initial deprivation of liberty. If national law is relied upon as justification, the relevant provisions must not violate international law.[…] In addition, the legal basis for the initial deprivation of liberty must apply throughout the period of imprisonment. If at any time the initial legal basis ceases to apply, the initially lawful deprivation of liberty may become unlawful at that time and be regarded as arbitrary imprisonment.“71

In einem ähnlichen Sinne soll auch nach der Intention des VStGB-Gesetzgebers der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB über einen Verstoß gegen Artikel 42 und 43 der vierten Genfer Konvention hinausgehen. So soll das in 70 ICTY, Urt. v. 26. Februar 2001 (Case No.: IT-95-14 / 2-T; Kordić / Čerkez; Trial Chamber), Absatz 303; vgl. auch: ICTY, Urt. v. 15. März 2002 (Case No.: IT-97-25-T; Krnojelac; Trial Chamber), Absatz 110. 71 ICTY, Urt. v. 15. März 2002 (Case No.: IT-97-25-T; Krnojelac; Trial Chamber), Absatz 111 f., 114.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

§ 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB enthaltene Tatbestandsmerkmal des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts laut Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs einen Verstoß gegen universelles Völkergewohnheitsrecht verlangen.72 Insoweit gilt das oben zu dem identischen Tatbestandsmerkmal in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB Gesagte entsprechend, insbesondere was den Anwendungsbereich von Art. 25 GG anbelangt.73 Dass Verweisungen dieser Art zumindest potentiell dynamischer Natur sind74, wurde ebenfalls bereits dargelegt.75

4. § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB (Verfolgung) § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB normiert das Verbrechen der Verfolgung. Danach macht sich strafbar, wer „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung […] eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen76 grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt.“

Die Bestimmung steht in engem Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. h IStGH-Statut, der in der amtlichen deutschen Übersetzung folgende Einzeltat ahndet: „Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe oder Gemeinschaft aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, Gründen des Geschlechts im Sinne des Absatzes 3 oder aus anderen nach dem Völkerrecht universell als unzulässig anerkannten Gründen im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen.“

Einer der Unterschiede im Wortlaut dieser beiden Bestimmungen ergibt sich daraus, dass jene kein dem Art. 7 Abs. 1 Buchst. h IStGH-Statut entsprechendes Zusammenhangserfordernis – „im Zusammenhang mit einer in diesem Absatz genannten Handlung oder einem der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen“ –

72

BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. Auch im Rahmen der Begründung zu § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB vertritt der VStGB-Gesetzgeber seine enge Auffassung zum Anwendungsbereich von Art. 25 GG: „Artikel 25 GG[…] erfasst […] nur solche Sätze des Völkergewohnheitsrechts, die eine weltweite Geltung besitzen.“ (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22) Vgl. hierzu oben: Kapitel D. II. 1. b). 74 Vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 292. 75 Vgl. oben: Kapitel D. II. 1. a). 76 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 73

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

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enthält77, jedoch entspricht das Erfordernis eines solchen Zusammenhangs ohnehin nicht dem Stand des geltenden Völkergewohnheitsrechts.78 Verwiesen sei insoweit auf die Ausführungen des ICTY im Fall Kupreškić et al.: „[T]he Trial Chamber finds that although the Statute of the ICC may be indicative of the opinio juris of many States, Article 7(1)(h) is not consonant with customary international law. In addition, it draws attention to an important provision of the ICC Statute dealing with this matter. The application of the provisions contained in Part II of the Statute (on jurisdiction, admissibility and applicable law), including Article 7 on crimes against humanity, is restricted by Article 10 of the same Statute which provides that ‚Nothing in the Statute shall be interpreted as limiting or prejudicing in any way existing or developing rules of international law for purposes other than this Statute‘ (emphasis added). This provision clearly conveys the idea that the framers of the Statute did not intend to affect, amongst other things, lex lata as regards such matters as the definition of war crimes, crimes against humanity and genocide. […] Accordingly, the Trial Chamber rejects the notion that persecution must be linked to crimes found elsewhere in the Statute of the International Tribunal. It notes that in any case no such requirement is imposed on it by the Statute of the International Tribunal.“79

Die Erfassung der Tathandlung der Verfolgung bereitet einige Schwierigkeiten. Zwar liefert das VStGB in Übereinstimmung mit dem Römischen Statut – und im Gegensatz zu anderen Bestimmungen des schriftlichen Völkerstrafrechts80 – eine Umschreibung dessen, was objektive Voraussetzung für das Vorliegen einer Verfolgung ist: § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB spricht in objektiver Hinsicht von der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte – Art. 7 Abs. 2 Buchst. g IStGH-Statut nennt es den völkerrechtswidrigen schwerwiegenden Entzug von Grundrechten. Jedoch ist mit einer solchen Umschreibung noch nicht viel gewonnen. Die Frage, wann grundlegende Menschenrechte entzogen oder wesentlich eingeschränkt werden (§ 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB), scheint nicht wesentlich leichter zu beantworten zu sein als diejenige, ob eine Verfolgung im Sinne dieser Vorschrift gegeben ist. Nicht viel weiter hilft hier die Gesetzesbegründung zum VStGB, derzufolge unter den grundlegenden Menschenrechten im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB „neben anderen insbesondere81 die Rechte auf Leben, Gesundheit oder Bewegungsfreiheit“82 zu verstehen sind – eine Definition, die das Merkmal der grundlegenden Menschenrechte nicht viel bestimmter macht. Interessant sind insoweit Ausführungen des ICTY aus der Entscheidung Kupreškić 77

Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 293. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. Vgl. hierzu auch: Ambos / Wirth, CLF 2002, S. 73; Clark, Crimes against Humanity and the ICC-Statute, in: Politi / Nesi, S. 86. 79 ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 580 f. 80 Beispielsweise enthalten weder das ICTR-Statut noch das ICTY-Statut eine nähere Umschreibung der Tathandlung der Verfolgung (vgl. Art. 3 Buchst. h ICTR-Statut sowie Art. 5 Buchst. h ICTY-Statut). 81 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 82 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. 78

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

et al., mit denen der ICTY eine gewisse Unbestimmtheit bei der Auslegung des Merkmals der grundlegenden Menschenrechte für erforderlich erklärt: „The Trial Chamber does not see fit to identify which rights constitute fundamental rights for the purposes of persecution. The interests of justice would not be served by so doing, as the explicit inclusion of particular fundamental rights could be interpreted as the implicit exclusion of other rights (expressio unius est exclusio alterius). This is not the approach taken to crimes against humanity in customary international law, where the category of ‚other inhumane acts‘ also allows courts flexibility to determine the cases before them, depending on the forms which attacks on humanity may take, forms which are ever-changing and carried out with particular ingenuity. Each case must therefore be examined on its merits.“83

Fehlt es somit an einer exakten Definition dessen, was unter der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte zu verstehen ist, stellt sich das Erfordernis, dieses Element zumindest dem Ansatz nach zu umschreiben. Eine der Herangehensweisen zu einer solchen Umschreibung ist dabei die Frage nach dem Verhältnis des Verfolgungstatbestandes zu den übrigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit – im Völkerstrafgesetzbuch meint dies die Nummern 1 bis 9 des § 7 Abs. 1. Insoweit ergeben der systematische Zusammenhang sowie die Tatsache des identischen Strafmaßes von Verfolgung nach § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB und den anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 8, Nr. 9 VStGB, dass nicht jegliche Beeinträchtigung von Grundrechten eine tatbestandliche Verfolgung begründen kann; erforderlich ist vielmehr eine den Nummern 8 und 9 des § 7 Abs. 1 VStGB vergleichbare Schwere des Unrechtsgrades, die in § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB durch die einschränkenden Merkmale der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte verdeutlicht wird.84 Andererseits dürfte dahingehend Einigkeit bestehen, dass unter den Tatbestand der Verfolgung gerade auch solche Verhaltensweisen fallen können, die bereits

83 ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 623. 84 Vgl. in Bezug auf das ICTY-Statut: ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 618 f., 621: „[N]ot every denial of a human right may constitute a crime against humanity. […] it can be said that at a minimum, acts of persecution must be of an equal gravity or severity to the other acts enumerated under Article 5 [ICTY Statute]. […] The Trial Chamber therefore defines persecution as the gross or blatant denial, on discriminatory grounds, of a fundamental right, laid down in international customary or treaty law, reaching the same level of gravity as the other acts prohibited in Article 5 [ICTY Statute].“ (Hervorhebung im Original) Vgl. darüber hinaus auch: ICTY, Urt. v. 31. Juli 2003 (Case No.: IT-97-24-T; Stakić; Trial Chamber), Absatz 736; ICTY, Urt. v. 18. Dezember 2003 (Case No.: IT-94-2-S; Nikolić; Trial Chamber), Absatz 110; ICTY, Urt. v. 1. September 2004 (Case No.: IT-99-36-T; Brđanin; Trial Chamber), Absatz 995; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 214; Ambos / Wirth, CLF 2002, S. 74 ff.; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 245.

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

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andere Tatbestände der Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfüllen.85 Andernfalls wäre es nicht in jedem Fall möglich, das spezifische Unrecht solcher Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu erfassen, die unter bestimmte Tatbestände nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 VStGB fallen und gleichzeitig aus besonderen Gründen der Diskriminierung begangen werden, ohne dass die Schwelle zum Völkermord überschritten wird.86 Zu Recht erklärt Ambos dieses Diskriminierungsmotiv – im Rahmen des § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB sind dies die politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründe, Gründe des Geschlechts oder andere nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe – „zu dem zentralen Merkmal“87 des Verbrechens der Verfolgung. Dieses Diskriminierungsmotiv ist es auch, welches das Verbrechen der Verfolgung von den anderweitigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit abhebt88 und in die Nähe des Völkermordes rückt. Wenn man so will, stellt der Völkermord die schwerste Form der Verfolgung dar.89 Dieses Näheverhältnis beider

85

Vgl. ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 604 f.; ICTY, Urt. v. 1. September 2004 (Case No.: IT-99-36-T; Brđanin; Trial Chamber), Absatz 994; Ambos / Wirth, CLF 2002, S. 74. In der Entscheidung Simić stellte der ICTY hierzu fest, dass Handlungen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen, bereits für sich genommen den objektiven Tatbestand der Verfolgung verwirklichen können: „It is clear that, for the purposes of this Tribunal, persecution may encompass acts which are listed in the Statute,[…] as well as acts which are not listed in the Statute.[…] Acts or omissions enumerated under other sub-paragraphs of Article 5 of the Statute are by definition serious enough.“ (ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 [Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber], Absatz 48) 86 Vgl. ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 606 f. 87 Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 215. 88 Vgl. ICTY, Urt. v. 26. Februar 2001 (Case No.: IT-95-14 / 2-T; Kordić / Čerkez; Trial Chamber), Absatz 212; ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 51; ICTY, Urt. v. 1. September 2004 (Case No.: IT-99-36-T; Brđanin; Trial Chamber), Absatz 996. 89 Vgl. ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 636: „[T]he mens rea requirement for persecution is higher than for ordinary crimes against humanity, although lower than for genocide. In this context the Trial Chamber wishes to stress that persecution as a crime against humanity is an offence belonging to the same genus as genocide. Both persecution and genocide are crimes perpetrated against persons that belong to a particular group and who are targeted because of such belonging. In both categories what matters is the intent to discriminate […]. While in the case of persecution the discriminatory intent can take multifarious inhumane forms and manifest itself in a plurality of actions including murder, in the case of genocide that intent must be accompanied by the intention to destroy, in whole or in part, the group to which the victims of the genocide belong. Thus, it can be said that, from the viewpoint of mens rea, genocide is an extreme and most inhuman form of persecution. To put it differently, when persecution escalates to the extreme form of wilful and deliberate acts designed to destroy a group or part of a group, it can be held that such persecution amounts to genocide.“

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Tatbestände ergibt sich nicht nur aus der jeweils geforderten subjektiven Tatseite, sondern auch aus dem Tatobjekt: § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB verlangt, dass sich die Tat gegen eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft richtet; der Völkermordtatbestand nach § 6 Abs. 1 VStGB spricht von einer nationalen, rassischen, religiösen oder ethnischen Gruppe. Auf der anderen Seite ist jedoch zu betonen, dass diese Tatobjekte nicht identisch sind: Anders als beim Völkermord verlangt der Verfolgungstatbestand keine bestimmten objektivierbaren Gruppenmerkmale, sondern stellt auf die subjektive Wahrnehmung durch den Täter ab.90 Auch ist die Verfolgung nicht auf nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppen beschränkt.91 Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Tathandlung der Verfolgung sehr unterschiedliche Formen annehmen kann.92 So ist für das Vorliegen der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte nicht zwingend ein physisches Element erforderlich93; tatbestandsmäßig können zum Beispiel auch ökonomische oder rechtliche Maßnahmen sein.94 Insbesondere hinsichtlich letzterer – aber auch im Übrigen – ist zu betonen, dass die Vereinbarkeit einer Maßnahme mit nationalem Recht für sich genommen das Vorliegen eines Verfolgungstatbestandes nicht ausschließt.95 § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB soll bereits dann erfüllt sein, wenn der Entzug oder die wesentliche Einschränkung der grundlegenden Menschenrechte angeordnet ist.96 Der Verfolgungstatbestand umfasst dabei in objektiver Hinsicht auch solche Handlungen, die nicht unter § 7 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 VStGB fallen.97 Eine beispielhafte – und damit nicht abschließende – Auflistung von Verhaltensweisen, die unter den

90

Vgl. Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 239 f. Vgl. Triffterer-Boot / Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 60. 92 Vgl. ICTY, Urt. v. 31. Juli 2003 (Case No.: IT-97-24-T; Stakić; Trial Chamber), Absatz 735; ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 50; ICTY, Urt. v. 2. Dezember 2003 (Case No.: IT-02-60 / 1-S; Nikolić; Trial Chamber), Absatz 105; ICTY, Urt. v. 1. September 2004 (Case No.: IT-99-36-T; Brđanin; Trial Chamber), Absatz 994; Triffterer-Boot / Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 116; Mettraux, HarvILJ 43 (2002), S. 292. 93 ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 707; ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 568; Triffterer-Boot / Hall, Rome Statute, Art. 7, Rn. 116. 94 ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 707 ff.; Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 214; vgl. Bassiouni, Crimes against Humanity, S. 317. 95 ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 614. 96 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. 97 Vgl. ICTY, Urt. v. 31. Juli 2003 (Case No.: IT-97-24-T; Stakić; Trial Chamber), Absatz 735; ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 48; ICTY, Urt. v. 1. September 2004 (Case No.: IT-99-36-T; Brđanin; Trial Chamber), Absatz 994. 91

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

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völkerstrafrechtlichen Verfolgungstatbestand fallen, liefert die International Law Commission: „Persecution may take many forms, for example, a prohibition on practising certain kinds of religious worship; prolonged and systematic detention of individuals who represent a political, religious or cultural group; a prohibition on the use of a national language, even in private; systematic destruction of monuments or buildings representative of a particular social, religious, cultural or other group.“98

Regelmäßig dürften Verfolgungshandlungen als Teil einer umfassenden Politik stattfinden, weswegen sie in diesen Fällen auch in ihrem Gesamtzusammenhang zu betrachten sind.99 So kann sich beispielsweise die Schwere des begangenen Unrechts gerade aus diesem Kontext ergeben.100 Gleichwohl kann es aber auch Fälle geben, in denen unter den Tatbestand der Verfolgung auch solche Verhaltensweisen fallen, die von einem Einzeltäter begangen werden, der gleichsam selbständig handelt und gerade nicht unmittelbarer Teil einer Gesamtpolitik ist. So führt der ICTY im Fall Brđanin aus: „There is no requirement under persecution that a discriminatory policy exist or that, in the event that such a policy is shown to have existed, the accused need to have taken part in the formulation of such discriminatory policy or practice by a governmental authority.“101

Ein Beispiel für einen derartigen Fall bildet die Verurteilung von Julius Streicher durch den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg. Streicher wurde vom Tribunal unter anderem wegen der Herausgeberschaft und der inhaltlichen Mitarbeit102 an der antisemitischen Wochenzeitung „Der Stürmer“ des Tatbestands der Verfolgung schuldig gesprochen, obwohl er diese Taten nicht in öffentlicher Funktion begangen hatte.103 Der Internationale Militärgerichtshof von Nürnberg führte hierzu aus: „For his twenty-five years of speaking, writing, and preaching hatred of the Jews, Streicher was widely known as ‚Jew-Baiter Number One.‘ In his speeches and articles, week after week, month after month, he infected the German mind with the virus of anti-Semitism. and incited the German people to active persecution. Each issue of ‚Der Stürmer‘, which

98 Report of the International Law Commission on the work of its forty-third session (29. April – 19. Juli 1991), Official Records of the General Assembly, Forty-sixth session, Supplement No. 10 (UN Documents A / 46 / 10), S. 104. 99 ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 615; ICTY, Urt. v. 17. Oktober 2003 (Case No.: IT-95-9-T; Simić; Trial Chamber), Absatz 48. 100 Vgl. ICTY, Urt. v. 31. Juli 2003 (Case No.: IT-97-24-T; Stakić; Trial Chamber), Absatz 736; ICTY, Urt. v. 1. September 2004 (Case No.: IT-99-36-T; Brđanin; Trial Chamber), Absatz 995; Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 245. 101 ICTY, Urt. v. 1. September 2004 (Case No.: IT-99-36-T; Brđanin; Trial Chamber), Absatz 996. 102 Vgl. hierzu: Ruault, Julius Streicher, passim. 103 Vgl. ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 625.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

reached a circulation of 600,000 in 1935, was filled with such articles, often lewd and disgusting. […] Streicher’s incitement to murder and extermination at the time when Jews in the East were being killed under the most horrible conditions clearly constitutes persecution on political and racial grounds in connection with war crimes as defined by the Charter, and constitutes a crime against humanity.“104

Wenn nach dem oben Gesagten der besondere diskriminierende Grund das entscheidende Merkmal des Verfolgungstatbestands ist, stellt sich nun die Frage, wie dieses subjektive Erfordernis im Genauen auszulegen ist. § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB enthält acht Varianten – „aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen“ –,

deren erste sieben exakter umschrieben sind als dasjenige Merkmal, welches den unmittelbaren Bezug zum Völkerrecht herstellt: die nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe. Dieser im Hinblick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht problematische Teil des Tatbestands von § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB soll nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs Raum für eine menschenrechtsfreundliche Weiterentwicklung des Völkergewohnheitsrechts schaffen105, womit der Gesetzgeber erstens ausdrücklich auf Völkergewohnheitsrecht verweist und zweitens in expliziter Weise eine dynamische Entwicklung dieser Rechtsmaterie in der Zukunft in Betracht zieht. Als Beispiel für einen solchen Bedarf, den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB für die zukünftige Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts offenzuhalten, wird in der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des VStGB darauf verwiesen, dass derzeit eine Verfolgung auf Grund der sexuellen Orientierung noch nicht als solche als strafbares Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfasst werden könne, dass jedoch die Gesetzesformulierung des § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB insoweit offen für den Fall bleibe, dass sich entsprechendes Völkergewohnheitsrecht in der Zukunft herausbildet.106

104 International Military Tribunal Nuremberg, Trial of the Major War Criminals before the International Military Tribunal Nuremberg, 14 November 1945 – 1 October 1946, vol. 1, S. 302 ff. 105 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22. 106 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22; vgl. insoweit auch: ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 711 ff.

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

137

5. § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB (Vertreibung oder zwangsweise Überführung) Der Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, der die Regelungen des Art. 8 Abs. 2 Buchst. a (vii) und Art. 8 Abs. 2 Buchst. e (viii) IStGH-Statut107 zusammenführt108, normiert die Kriegsverbrechen der Vertreibung oder zwangsweisen Überführung der Zivilbevölkerung. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB macht sich strafbar, wer „im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt […] eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig109 in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts110 durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt.“

Dieser Kriegsverbrechenstatbestand ist äquivalent zu der oben dargestellten Bestimmung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, welche die Delikte der Vertreibung oder zwangsweisen Überführung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahndet. Was die beiden Tatbestände unterscheidet, ist naturgemäß ihr Gesamttatzusammenhang: hier beim Kriegsverbrechen der „Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“111, dort beim Verbrechen gegen die Menschlichkeit das Merkmal „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“112. Was die Bestimmungen ebenfalls unterscheidet, ist das konkrete Tatobjekt: Spricht § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB als Bestimmung, die grundsätzlich unabhängig von bewaffneten Konflikten anwendbar ist, von „einem Menschen“, so verlangt § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB „eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person“. Dieser Begriff der nach dem hu107

Diese Bestimmungen des Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut lauten: „Im Sinne dieses Statuts bedeutet ‚Kriegsverbrechen‘ a) schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949, nämlich jede der folgenden Handlungen gegen die nach dem jeweiligen Genfer Abkommen geschützten Personen oder Güter: […] vii) rechtswidrige Vertreibung oder Überführung[…] oder rechtswidrige Gefangenhaltung; […] […] e) andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im bewaffneten Konflikt, der keinen internationalen Charakter hat, nämlich jede der folgenden Handlungen: […] viii) die Anordnung der Verlegung der Zivilbevölkerung aus Gründen im Zusammenhang mit dem Konflikt, sofern dies nicht im Hinblick auf die Sicherheit der betreffenden Zivilpersonen oder aus zwingenden militärischen Gründen geboten ist.“ 108 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 27. 109 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 110 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 111 Vgl. dazu oben: Kapitel B. II. 2. b). 112 Vgl. dazu oben: Kapitel B. II. 2. a) bb).

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

manitären Völkerrecht zu schützenden Person wird für das Völkerstrafgesetzbuch in dessen § 8 Abs. 6 legaldefiniert. Zu differenzieren ist danach in Übereinstimmung mit der völkerrechtlichen Lage zwischen internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten. § 8 Abs. 6 VStGB lautet: „[…] Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind 1. im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I113 […], namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen114; 2. im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden; 3. im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.“115

Sämtliche dieser Personengruppen teilen die Eigenschaft, dass sie nicht – bzw. nicht mehr – unmittelbar an den bewaffneten Auseinandersetzungen teilnehmen.116 Worin sich § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB und § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB gleichen, sind neben der Tathandlung der Vertreibung bzw. zwangsweisen Überführung diejenigen Merkmale, die laut oben Gesagtem dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen: das Erfordernis eines rechtmäßigen Aufenthalts des Opfers sowie das Tatbestandsmerkmal „unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“. Wie die Identität im Wortlaut von § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB und § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB nahelegt, bestehen insoweit auch der Sache nach keine Unterschiede. So verweist die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs hinsichtlich der Auslegung der in § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB enthaltenen Merkmale der Rechtmäßigkeit und des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts auf die entsprechende Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB.117 Damit gilt auch an dieser Stelle das zu § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB Gesagte118 entsprechend: Durch das Merkmal des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völker-

113 Vgl. hierzu: ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 578 ff.; ICTY, Urt. v. 3. März 2000 (Case No.: IT-95-14-T; Blaškić; Trial Chamber), Absatz 124 ff. 114 Auch der hiermit einhergehende Verweis des VStGB auf völkerrechtliche Verträge ist im Hinblick auf das Prinzip „nullum crimen, nulla poena sine lege“ nicht unproblematisch. So hebt Satzger zu Recht hervor, dass die völkerrechtlichen Verträge zwar geschriebenes Recht darstellen, dass sich gegen die Verweisungen auf völkerrechtliche Verträge durch Normen des VStGB jedoch zumindest Bestimmtheitsbedenken nicht ausschließen lassen (Satzger, NStZ 2002, S. 131). 115 Vgl. hierzu: BT-Drucks. 14 / 8524, S. 30 f. 116 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 30. 117 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 27. 118 Vgl. oben: Kapitel D. II. 1.

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

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rechts wird dynamisch auf universelles Völkergewohnheitsrecht verwiesen, während das Merkmal der Rechtmäßigkeit unter anderem einen dynamischen Verweis auf universelles und regionales Völkergewohnheitsrecht darstellt.

6. § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB (Bestrafung ohne ordentliches Verfahren) § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB erfasst das Kriegsverbrechen der Bestrafung ohne ordentliches Gerichtsverfahren. Nach dieser Bestimmung macht sich derjenige strafbar, der „im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt […] gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien119 bietet, abgeurteilt worden ist.“

Das Tatbestandsmerkmal der erheblichen Strafe in diesem Sinne soll Bagatellfälle vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausschließen.120 Durch § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB werden die in den Art. 8 Abs. 2 Buchst. a (vi) und Art. 8 Abs. 2 Buchst. c (iv) IStGH-Statut aufgeführten verschiedenen Handlungsalternativen der Verletzung von Garantien im Strafverfahren in einer Bestimmung kombiniert121, ohne dass hiermit inhaltliche Änderungen bezweckt sein sollen.122 119

Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 27. 121 Diese Bestimmungen des Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut lauten: „Im Sinne dieses Statuts bedeutet ‚Kriegsverbrechen‘ a) schwere Verletzungen der Genfer Abkommen vom 12. August 1949, nämlich jede der folgenden Handlungen gegen die nach dem jeweiligen Genfer Abkommen geschützten Personen oder Güter: […] vi) vorsätzlicher Entzug des Rechts eines Kriegsgefangenen oder einer anderen geschützten Person auf ein unparteiisches ordentliches Gerichtsverfahren; […] […] c) im Fall eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter hat, schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949, nämlich die Verübung jeder der folgenden Handlungen gegen Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Angehörigen der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder eine andere Ursache außer Gefecht befindlich sind: […] iv) Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordentlich bestellten Gerichts, das die allgemein als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.“ 122 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 27. 120

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Die im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG problematische Tatbestandsvoraussetzung ist das Merkmal der völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien. Hierunter sollen nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs „grundlegende[…], auch nach Völkergewohnheitsrecht einzuhaltende[…] Garantien [fallen], so wie sie in Artikel 75 Zusatzprotokoll I und Artikel 6 Zusatzprotokoll II zu den vier Genfer Abkommen kodifiziert wurden […]. Sowohl der Spruchkörper als auch das durchgeführte Verfahren müssen den Mindestvorgaben des Völkerrechts genügen.“123

Was die Anforderungen an den erkennenden Spruchkörper anbelangt, ist demnach erforderlich, dass das Urteil von einem unparteiischen und unabhängigen Gericht gefällt wird (vgl. Art. 75 Abs. 4 Hs. 2 Zusatzprotokoll I, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Zusatzprotokoll II).124 Im Hinblick auf das Verfahren sind unter anderem folgende Grundsätze zu beachten: – das Erfordernis der Unterrichtung des Beschuldigten über die ihm zur Last gelegte Straftat (Art. 75 Abs. 4 Hs. 3 Buchst. a Zusatzprotokoll I, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Buchst. a Zusatzprotokoll II), – das Verteidigungsrecht des Beschuldigten (Art. 75 Abs. 4 Hs. 3 Buchst. a Zusatzprotokoll I, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Buchst. a Zusatzprotokoll II), – das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 75 Abs. 4 Hs. 3 Buchst. c Zusatzprotokoll I, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Buchst. c Zusatzprotokoll II), – die Unschuldsvermutung (Art. 75 Abs. 4 Hs. 3 Buchst. d Zusatzprotokoll I, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Buchst. d Zusatzprotokoll II), – das Anwesenheitsrecht des Beschuldigten in der Hauptverhandlung (Art. 75 Abs. 4 Hs. 3 Buchst. e Zusatzprotokoll I, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Buchst. e Zusatzprotokoll II), – der nemo-tenetur-Grundsatz (Art. 75 Abs. 4 Hs. 3 Buchst. f Zusatzprotokoll I, Art. 6 Abs. 2 S. 2 Buchst. f Zusatzprotokoll II), – das Doppelbestrafungsverbot (Art. 75 Abs. 4 Hs. 3 Buchst. h Zusatzprotokoll I) sowie – das Recht des Beschuldigten auf eine öffentliche Urteilsverkündung (Art. 75 Abs. 4 Hs. 3 Buchst. i Zusatzprotokoll I). Obgleich die Bestimmungen nach Art. 75 Zusatzprotokoll I und Art. 6 Zusatzprotokoll II auch völkergewohnheitsrechtliche Geltung besitzen125, steht nach der Intention des VStGB-Gesetzgebers doch eher ein Verweis auf sie in ihrer Eigen123

BT-Drucks. 14 / 8524, S. 27. Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 249. 125 Vgl. Report of the Secretary-General pursuant to paragraph 2 of Security Council resolution 808 (1993), Absatz 33 (UN-Documents S / 25704). 124

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

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schaft als völkervertragliche Bestimmungen im Vordergrund als ein solcher auf gewohnheitsrechtliche Regelungen. Aus diesem Grunde wird § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB im Rahmen der folgenden Untersuchung nicht weiter verfolgt.

7. § 9 Abs. 1 VStGB (Plünderung oder Zerstörung von Sachen) § 9 Abs. 1 VStGB erfasst die Kriegsverbrechen der Plünderung und Zerstörung von Sachen. Die Norm verlangt in ihrem Tatbestand, dass der Täter „im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig126 Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt […].“

Auch § 9 Abs. 1 VStGB führt verschiedene Bestimmungen des Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut zu einer einheitlichen Norm zusammen – so dessen Buchst. b (xiii), Buchst. b (xvi), Buchst. e (v) sowie Buchst. e (xii)127. Jedoch ist der Tatbestand des § 9 Abs. 1 VStGB im Vergleich zum Römischen Statut insoweit enger gefasst, als jener das einschränkende Merkmal des erheblichen Umfangs enthält, mit dem Bagatellfälle aus dem Tatbestand ausgeschlossen werden sollen.128 126

Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. Diese Bestimmungen des Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut lauten: „Im Sinne dieses Statuts bedeutet ‚Kriegsverbrechen‘ […] b) andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche, nämlich jede der folgenden Handlungen: […] xiii) die Zerstörung oder Beschlagnahme feindlichen Eigentums[…], sofern diese nicht durch die Erfordernisse des Krieges zwingend geboten ist; […] xvi) die Plünderung einer Stadt oder Ansiedlung, selbst wenn sie im Sturm genommen wurde; […] […] e) andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im bewaffneten Konflikt, der keinen internationalen Charakter hat, nämlich jede der folgenden Handlungen: […] v) die Plünderung einer Stadt oder Ansiedlung, selbst wenn sie im Sturm genommen wurde; […] xii) die Zerstörung oder Beschlagnahme gegnerischen Eigentums[…], sofern diese nicht durch die Erfordernisse des Konflikts zwingend geboten ist.“ 128 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31. 127

142

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Die unmittelbaren Tathandlungen der Plünderung, Zerstörung, Aneignung und Beschlagnahme in § 9 Abs. 1 VStGB lassen sich in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Strafrecht129 auslegen.130 Erforderlich ist stets, dass die Tatobjekte im Zeitpunkt der Tatbegehung „der Gewalt der [aus Sicht des Täters] eigenen Partei unterliegen“ (§ 9 Abs. 1 VStGB).131 Dieses Merkmal erstreckt sich zwar grammatikalisch nicht zwingend auch auf die Handlungsalternative der Plünderung, jedoch ergibt sich das Erfordernis des Gewaltverhältnisses zwischen Täter und Tatobjekt bei dieser Tatbestandsalternative bereits daraus, dass eine Plünderung denknotwenig ein solches Gewaltverhältnis begründet.132 Das Vorliegen eines Gewaltverhältnisses setzt voraus, dass der entsprechende Gebietsteil im Sinne des IV. Genfer Abkommens besetzt ist oder dass die handelnde Partei – etwa im Verlauf offensiver militärischer Kampfhandlungen – tatsächliche Kontrolle über die fraglichen Tatobjekte erlangt hat.133 Als problematischer Teil des § 9 Abs. 1 VStGB erweist sich im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG das Merkmal der Völkerrechtswidrigkeit, das allein für die Tathandlungen der Zerstörung, Aneignung und Beschlagnahme gilt und nicht für die Plünderung, die per se unzulässig ist. Das Merkmal der Völkerrechtswidrigkeit steht selbständig neben dem – ebenfalls nur für die Tathandlungen der Zerstörung, Aneignung und Beschlagnahme – geltenden Tatbestandserfordernis, demzufolge die Tathandlung nicht durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten sein darf. Hieraus ergibt sich, dass das Merkmal der Völkerrechtswidrigkeit, das dem Wortlaut nach auf das gesamte Völkerrecht verweist, der Sache nach andere Aspekte als militärische Erfordernisse zum Gegenstand haben muss. In diese Richtung weist auch die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs, in der es heißt: „[D]ie Kennzeichnung der Handlungen als völkerrechtswidrig [weist] darauf hin, dass auch solche Zerstörungen, Aneignungen und Beschlagnahmen nicht gemäß § 9 Abs. 1 strafbar sind, die zwar nicht durch militärische Erfordernisse gerechtfertigt sind, aber als legale Kriegshandlung im Einklang mit dem Völkerrecht stehen.“

Was dem Gesetzgeber damit vorschwebte, dürften Fälle sein, wie zum Beispiel die gegenüber einem Kriegsgefangenen vorgenommene Beschlagnahme von Geld und Wertsachen, die aus dem Grund vorgenommen wird, um die Etablierung eines Schwarzmarktes im betreffenden Gefangenenlager sowie die Entstehung von Machtund Abhängigkeitsverhältnissen unter den jeweiligen Gefangenen zu verhindern.134 Da das Merkmal der Völkerrechtswidrigkeit in § 9 Abs. 1 VStGB die Gesamtheit des 129

Vgl. z. B.: § 125a S. 2 Nr. 4 Alt. 1 StGB (Plünderung), § 303 Abs. 1 Alt. 2 StGB (Zerstörung) oder den Begriff der Aneignung im Rahmen der Zueignungsabsicht nach § 242 Abs. 1 StGB. 130 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31. 131 Zerstörungen infolge von Distanzangriffen erfüllen mithin nicht den Tatbestand des § 9 Abs. 1 VStGB (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31). 132 Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31. 133 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31. 134 Vgl. hierzu die Anforderungen nach Art. 18 GK III.

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

143

Völkerrechts umfasst, ist zumindest auch ein Verweis auf Völkergewohnheitsrecht gegeben, der nach dem oben Gesagten ein solcher dynamischer Natur ist.

8. § 9 Abs. 2 VStGB (Aufhebung und Aussetzung von Rechten und Forderungen) Gleiches wie für § 9 Abs. 1 VStGB gilt auch für das Merkmal der Völkerrechtswidrigkeit, welches in § 9 Abs. 2 VStGB enthalten ist. Auch hier liegt ein dynamischer Verweis auf Völkergewohnheitsrecht vor. § 9 Abs. 2 VStGB normiert die Fälle der Aufhebung und Aussetzung von Rechten und Forderungen. Sein Tatbestand setzt voraus, dass der Täter „im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt völkerrechtswidrig135 anordnet, dass Rechte und Forderungen aller oder eines wesentlichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei aufgehoben oder ausgesetzt werden oder vor Gericht nicht einklagbar sind.“

Die Vorschrift findet ihren völkerrechtlichen Hintergrund in Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xiv) IStGH-Statut136, der folgende Einzeltat ahndet: „die Erklärung, dass Rechte und Forderungen von Angehörigen der Gegenpartei aufgehoben, zeitweilig ausgesetzt oder vor Gericht nicht einklagbar sind.“

Ebenso wie § 9 Abs. 2 VStGB findet Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xiv) IStGH-Statut nur im internationalen bewaffneten Konflikt Anwendung. Wenn auch nach dem Wortlaut beider Bestimmungen die bloße Erklärung (§ 9 Abs. 2 VStGB) bzw. das Anordnen oder Declaring (Art. 8 Abs. 2 Buchst. b [xiv] IStGH-Statut) zur Tatbestandserfüllung auszureichen scheinen, ist offenbar, dass sowohl nach dem Römischen Statut137 als auch nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht jegliche Kundgabe unter Strafe stehen soll – Cottier spricht bildhaft vom „random man in the street idly declaring any sort of things“, der nicht nach diesen Bestimmungen strafrechtlich verantwortlich sein soll.138 Tatbestandsmäßig können daher nur solche Erklärungen, Deklarationen oder Anordnungen sein, die geeignet sind, die Geltendmachung von Rechten und Forderungen faktisch zu behindern.139 In diese Richtung weisen auch die Verbrechenselemente zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xiv) IStGH-Statut, die in Nr. 1 lauten: „The perpetrator effected140 the abolition, suspension or termination of admissibility in a court of law of certain rights or actions.“141 135

Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31. 137 Dörmann, Elements of War Crimes under the Rome Statute, Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xiv), S. 263. 138 Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 160. 139 Vgl. Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 160. 140 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 141 Verbrechenselement Nr. 1 zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xiv) IStGH-Statut. 136

144

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Sowohl Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xiv) IStGH-Statut als auch § 9 Abs. 2 VStGB enthalten keine Beschränkung auf solche Fälle, in denen die Tathandlungen von einer Besatzungsmacht vorgenommen werden. Es spricht demnach nichts dagegen, auch diejenigen Fälle unter diese Normen zu fassen, in denen ein Staat Bankkonten fremder Staatsangehöriger innerhalb seines Hoheitsgebiets beschlagnahmt.142 Hinsichtlich des Tatbestands des § 9 Abs. 2 VStGB spricht für diese Lösung insbesondere, dass diese Bestimmung nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs auch Fälle der Wirtschaftskriegsführung erfassen soll.143 Im Gegensatz zum Römischen Statut, das in seinem Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xiv) schlicht von den „Angehörigen der Gegenpartei“ spricht, verlangt § 9 Abs. 2 VStGB ausdrücklich, dass sich die Tathandlung gegen die „Rechte und Forderungen aller oder eines wesentlichen Teils144 der Angehörigen der gegnerischen Partei“

richtet, jedoch sollen auch unter der Geltung des Römischen Statuts solche Rechtsentziehungen nicht erfasst sein, die lediglich vereinzelt stattfinden.145 Das im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG problematische Tatbestandsmerkmal der Völkerrechtswidrigkeit in § 9 Abs. 2 VStGB soll nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs beispielsweise sicherstellen, dass unter anderem Embargomaßnahmen auf der Grundlage einer vom Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Satzung erlassenen Resolution von vornherein nicht unter den Tatbestand des § 9 Abs. 2 VStGB fallen.146

9. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB (Angriffe gegen Hilfsmissionen und friedenserhaltende Missionen) § 10 VStGB erfasst Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen und Embleme. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB speziell normiert dabei Angriffe gegen Hilfsmissionen und friedenserhaltende Missionen und verlangt in seinen Voraussetzungen, dass der Täter „im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt […] einen Angriff gegen Personen, Einrichtungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge richtet, die an einer humanitären Hilfsmission oder an einer friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen beteiligt sind, solange sie An-

142 143 144 145 146

Vgl. hierzu: Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 158. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31. Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31; Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 160. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31.

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

145

spruch auf den Schutz haben, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird.“147

Die Bestimmung beruht auf Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (iii) und Art. 8 Abs. 2 Buchst. e (iii) IStGH-Statut148, von denen ersterer im zwischenstaatlichen und letzterer im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt Anwendung findet. Hinsichtlich der erforderlichen Einzeltat sind diese Bestimmungen des Römischen Statuts wortgleich.149 Der Angriff – also die Gewaltanwendung150 – muss sich gegen Teile einer humanitären Hilfsmission oder einer friedenserhaltenden Mission richten, wobei hinsichtlich beider Missionen – insoweit ist der Wortlaut des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB nicht ganz eindeutig – erforderlich ist, dass sie in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen stattfinden.151 Der Begriff der humanitären Hilfsmission im Sinne des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB umfasst sowohl Missionen, die von nichtstaatlichen Organisationen vorgenommen werden, als auch solche zwischenstaatlicher Einrichtungen.152 In subjektiver Hinsicht muss der Täter Vorsatz im Hinblick auf den Schutzstatus der angegriffenen Personen und Objekte haben und den Angriffserfolg „als sicher voraussetzen oder wollen“153. Im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG ist die Tatbestandsvoraussetzung problematisch, dass die Personen, die Einrichtungen, das Material, die Einheiten bzw. die Fahrzeuge, gegen die sich die schädigende Handlung richtet, Anspruch auf den Schutz haben müssen, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird. Laut Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs soll durch dieses Tatbestandsmerkmal auf die gewohnheitsrechtlich geltenden Bestimmungen der Art. 51 und 52 des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen zurückgegriffen werden.154 Nach Art. 51 Abs. 3 des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen genießen beispielsweise Zivilpersonen den Schutz der Art. 48 ff. dieses Protokolls, sofern und solange sie nicht unmittelbar an Feindseligkeiten teilnehmen. Darüber hinaus gibt es noch weitere Bestimmungen aus dem Bereich des humanitären Völkerrechts, die von der Gesetzesbegründung nicht explizit genannt werden, jedoch gleichfalls Relevanz besitzen 147

Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31. 149 Diese Normen des Römischen Statuts ahnden folgende Einzeltaten: „[…] vorsätzliche Angriffe auf Personal, Einrichtungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge, die an einer humanitären Hilfsmission oder friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen beteiligt sind, solange sie Anspruch auf den Schutz haben, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem internationalen Recht des bewaffneten Konflikts gewährt wird.“ 150 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 32. 151 Vgl. Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 40. 152 Vgl. Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 43. 153 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 32. 154 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 32. 148

146

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

dürften. Zu nennen ist insoweit beispielsweise Art. 13 Abs. 1 S. 1 des Ersten Zusatzprotokolls, demzufolge der den zivilen Sanitätseinheiten gebührende Schutz dann endet, wenn diese außerhalb ihrer humanitären Bestimmung zu Handlungen verwendet werden, die den Feind schädigen.155 An dieser Stelle gilt das eben zu § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB Gesagte entsprechend: Auch wenn die Art. 13, Art. 51 und Art. 52 des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen letztlich auch gewohnheitsrechtlich gelten, steht nach der gesetzgeberischen Intention doch eher ein Verweis auf diese völkervertraglichen Bestimmungen im Vordergrund als ein solcher auf gewohnheitsrechtliche Regelungen. Aus diesem Grunde wird § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB im Rahmen der folgenden Untersuchung nicht weiter verfolgt.

10. § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe gegen durch das Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnete Personen und Objekte) § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB bestraft denjenigen, der „im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt […] einen Angriff gegen Personen, Gebäude, Material, Sanitätseinheiten oder Sanitätstransportmittel richtet, die in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht156 mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnet sind.“

Den völkerrechtlichen Hintergrund dieser Bestimmung bilden die wortgleichen Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxiv) und Art. 8 Abs. 2 Buchst. e (ii) IStGH-Statut157, die folgende Einzeltaten zum Gegenstand haben: „vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, Material, Sanitätseinheiten, Sanitätstransportmittel und Personal, die in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen versehen sind.“

Im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG problematisch ist das Merkmal „in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht“, durch welches unter anderem auch ein dynamischer Verweis auf Völkergewohnheitsrecht erfolgt. In der Gesetzesbegründung zum Entwurf des Völkerstrafgesetzbuchs heißt es hierzu: „Erstens muss die Kennzeichnung in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht erfolgt sein. Zweitens darf dieser Schutz der geschützten Objekte und Personen nicht gemäß den Vorschriften des Zusatzprotokolls I, die insoweit ihrerseits Völkergewohnheitsrecht reflektieren, entfallen sein.“158 155 156 157 158

Vgl. Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 49. Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 32. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 32.

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

147

11. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe auf zivile Objekte) § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB erfasst das Kriegsverbrechen des Angriffs auf zivile Objekte. Hiernach macht sich strafbar, wer „im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt […] mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen zivile Objekte richtet, solange sie durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind 159, namentlich Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude oder entmilitarisierte Zonen sowie Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten.“

Dieser Tatbestand führt im Besonderen160 verschiedene Regelungen des Römischen Statuts161 und des Zusatzprotokolls I162 zu einer einheitlichen Regelung zu159

Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. Berücksichtigt wird überdies auch Art. 15 des Zweiten Protokolls zum Haager Abkommen von 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (BT-Drucks. 14 / 8524, S. 33). 161 Zu nennen sind hier Art. 8 Abs. 2 Buchst b (ii), Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (v), Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (ix) sowie Art. 8 Abs. 2 Buchst. e (iv) IStGH-Statut: „Artikel 8 – Kriegsverbrechen […] (2) Im Sinne dieses Statuts bedeutet ‚Kriegsverbrechen‘ […] b) andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbaren Gesetze und Gebräuche, nämlich jede der folgenden Handlungen: […] ii) vorsätzliche Angriffe auf zivile Objekte, das heißt auf Objekte, die nicht militärische Ziele sind; […] v) der Angriff auf unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, die nicht militärische Ziele sind, oder deren Beschießung, gleichviel mit welchen Mitteln; […] ix) vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, auf geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, sofern es nicht militärische Ziele sind; […] e) andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im bewaffneten Konflikt, der keinen internationalen Charakter hat, nämlich jede der folgenden Handlungen: […] iv) vorsätzliche Angriffe auf Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, auf geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, sofern es nicht militärische Ziele sind; […].“ 162 Hierbei handelt es sich um Art. 85 Abs. 4 Buchst. d ZP I: „Als schwere Verletzungen dieses Protokolls gelten außer den in den vorstehenden Absätzen und in den Abkommen bezeichneten schweren Verletzungen folgende Handlungen, 160

148

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

sammen, wobei die unterschiedliche Behandlung des Schutzes ziviler Objekte in innerstaatlichen und zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten aufgegeben wurde.163 § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB verlangt, dass sich der Angriff gegen zivile Objekte richtet, woraus gefolgert wird, dass der Täter sowohl hinsichtlich der Zivileigenschaft des Tatobjektes als auch hinsichtlich der Trefferwahrscheinlichkeit zielgerichtet handeln muss, demnach also diesbezüglich zumindest dolus directus 2. Grades besitzen muss.164 Das im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG problematische Tatbestandsmerkmal ist das Erfordernis, dass die Objekte, gegen die sich die Handlung richtet, durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sein müssen. Für die Auslegung dieses Merkmals verweist die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs auf die gewohnheitsrechtlich geltende Definition des Art. 52 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen, die durch weitere vom humanitären Völkerrecht geschaffene Voraussetzungen ergänzt werden soll.165 Unter diese zuletzt genannte Kategorie kann auch reines Völkergewohnheitsrecht fallen, so dass auch insoweit von einem dynamischen Verweis auf diese Rechtsmaterie auszugehen ist.

12. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB (Aushungern der Zivilbevölkerung) § 11 VStGB erfasst die Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VStGB erfasst dabei den Tatbestand des Aushungerns von Zivilpersonen. In ihren Voraussetzungen verlangt diese Norm, dass der Täter „im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt […] das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung einsetzt, indem

wenn sie vorsätzlich und unter Verletzung der Abkommen oder des Protokolls begangen werden: […] weitgehende Zerstörungen verursachende Angriffe, die gegen eindeutig erkannte geschichtliche Denkmäler, Kunstwerke oder Kultstätten gerichtet sind, welche zum kulturellen oder geistigen Erbe der Völker gehören und denen auf Grund einer besonderen Vereinbarung, zum Beispiel im Rahmen einer zuständigen internationalen Organisation, besonderer Schutz gewährt wurde, wenn keine Anzeichen dafür vorliegen, daß die gegnerische Partei Artikel 53 Buchstabe b verletzt hat und wenn die betreffenden geschichtlichen Denkmäler, Kunstwerke und Kultstätten nicht in unmittelbarer Nähe militärischer Ziele gelegen sind.“ 163 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 33. Vgl. zur entsprechenden völkergewohnheitsrechtlichen Entwicklung: ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 521 („The protection of civilians in time of armed conflict, whether international or internal, is the bedrock of modern humanitarian law“). 164 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 33. 165 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 33; vgl. auch: Triffterer-Dörmann, Rome Statute, Art. 8, Rn. 36.

II. Vorliegen eines dynamischen Verweises auf Völkergewohnheitsrecht

149

er ihnen die für sie lebensnotwendigen Gegenstände vorenthält [Alt. 1] oder Hilfslieferungen unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht166 behindert [Alt. 2].“

Eine entsprechende Vorschrift des Römischen Statuts findet sich in dessen Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxv). Diese Bestimmung ist hinsichtlich der Einzeltat ähnlich formuliert wie § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB167, gilt jedoch im Gegensatz zu dieser Norm nur im zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikt. Begründet wird die mit § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VStGB vorgenommene Erweiterung des Tatbestands auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte damit, dass die Tathandlung des Aushungerns der Zivilbevölkerung letztlich einen ähnlichen Effekt erzielt wie diejenige des direkten Angriffs gegen die Zivilbevölkerung, der nach Völkergewohnheitsrecht ebenfalls für alle Konfliktarten strafbewehrt ist. Auch wird darauf hingewiesen, dass mit dem Völkerstrafgesetzbuch das Ziel verfolgt wird, jegliche unmenschliche Behandlung von Menschen unter Strafe zu stellen, ohne dass dabei nach der Konfliktart zu differenzieren sein soll.168 Diese Begründung des Gesetzgebers des VStGB erscheint überzeugend; hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch, dass in jüngeren UN-Resolutionen des Sicherheitsrates sowie der Generalversammlung wiederholt darauf hingewiesen wurde, dass der von bewaffneten Konflikten betroffenen Zivilbevölkerung der Zugang zu Hilfslieferungen ermöglicht werden müsse, und zwar insgesamt losgelöst davon, ob der Konflikt internationalen oder zwischenstaatlichen Charakter besitze.169 Zu verweisen ist überdies auch auf die für nichtinternationale bewaffnete Konflikte geltende Bestimmung des Art. 14 ZP II, die das Aushungern von Zivilpersonen als Mittel der Kriegsführung verbietet.170 Hinsichtlich der Tathandlung des Aushungerns ist erforderlich, dass der Täter den Zivilpersonen die für sie lebensnotwendigen Gegenstände171 vorenthält oder Hilfslieferungen unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht behindert. Darüber hinausgehend ist nicht erforderlich, dass die Maßnahmen dahingehend erfolgreich waren, dass die betroffenen Zivilpersonen tatsächlich Hunger leiden. Jedoch impliziert der Begriff des Aushungerns das Erfordernis einer entsprechen166

Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxv) IStGH-Statut erfasst in dieser Hinsicht „das vorsätzliche Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegführung durch das Vorenthalten der für sie lebensnotwendigen Gegenstände, einschließlich der vorsätzlichen Behinderung von Hilfslieferungen, wie sie nach den Genfer Abkommen vorgesehen sind.“ 168 BT-Drucks. 14 / 8524, S. 34. 169 Vgl. z. B.: UN Documents S / RES / 1265 (1999) v. 17. September 1999, Abs. 7; UN Documents A / RES / 54 / 179 v. 24. Februar 2000 (Situation of human rights in the Democratic Republic of the Congo), Nr. 3 Buchst. c; UN Documents A / RES / 54 / 182 v. 29. Februar 2000 (Situation of human rights in the Sudan), Nr. 3 Buchst. c. 170 Vgl. Henckaerts / Doswald-Beck, Customary International Humanitarian Law, vol. 1, S. 187. 171 Hierunter dürften nicht nur Lebensmittel fallen, sondern auch medizinische Hilfsmittel oder unter bestimmten Umständen auch solche Gegenstände, die dem Schutz vor Witterungsunbilden und dem Erhalt elementarer Lebensfunktionen dienen (vgl. hierzu: Dörmann, War Crimes in the Elements of Crimes, in: Fischer / Kreß / Lüder, S. 127 f.). 167

150

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

den Zielsetzung des Täters.172 Die zweite Handlungsalternative des § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VStGB – die Behinderung von Hilfslieferungen – hat nach dem Wortlaut dieses Tatbestands unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht zu erfolgen. Dieses Erfordernis ist deswegen im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG problematisch, da der Begriff des humanitären Völkerrechts in diesem Sinne neben solchen Bestimmungen wie der des Art. 54 ZP I auch reines Völkergewohnheitsrecht umfasst. Auch insoweit ist also ein dynamischer Verweis auf Völkergewohnheitsrecht gegeben.

13. Zusammenfassung In Zusammenfassung lässt sich damit festhalten, dass – § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB durch das Merkmal der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Opfers sowie das des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts, – § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB durch das Tatbestandselement der völkerrechtlich zulässigen Sanktionen, – § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB durch das Erfordernis des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts, – § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB durch die Tatbestandsvoraussetzung der nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe, – § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB durch das Tatbestandselement der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Opfers sowie das des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts, – § 9 Abs. 1 VStGB durch das Merkmal der Völkerrechtswidrigkeit der Zerstörung, Aneignung oder Beschlagnahme, – § 9 Abs. 2 VStGB durch das Erfordernis der Völkerrechtswidrigkeit der Anordnung, – § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB durch die Tatbestandsvoraussetzung der Kennzeichnung des Opfers mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen in Übereinstimmung mit humanitärem Völkerrecht, – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB durch das Tatbestandserfordernis, dass die Objekte, gegen die sich die Handlung richtet, durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sein müssen, sowie – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB durch das Tatbestandselement des Verstoßes gegen das humanitäre Völkerrecht 172

Vgl. Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 224 f.

III. Eingriff in den Schutzbereich

151

dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen. Ob diese Verweise zugleich einen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG oder gar einen Verstoß gegen dieses Verfassungsprinzip darstellen, wird im Folgenden zu untersuchen sein. Demgegenüber wird der Straftatbestand des § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VStGB im Rahmen der folgenden Überlegungen nicht weiter verfolgt. Zwar ist laut Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs durch das Tatbestandsmerkmal „nach dem humanitären Völkerrecht“ auf die gewohnheitsrechtlich geltenden Bestimmungen der Art. 51 und 52 des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen zurückzugreifen.173 Jedoch steht nach der gesetzgeberischen Intention – auch wenn die genannten Bestimmungen des Ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen letztlich auch gewohnheitsrechtlich gelten – eher ein Verweis auf Art. 51 und 52 in ihrer Eigenschaft als völkervertragliche Bestimmungen im Vordergrund als ein Verweis auf gewohnheitsrechtliche Regelungen. Entsprechendes gilt für § 8 Abs. 1 Nr. 7 VStGB, bei dem durch das Merkmal der völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien ein Verweis auf die völkervertraglichen Bestimmungen der Art. 75 Zusatzprotokoll I und Art. 6 Zusatzprotokoll II zu den vier Genfer Abkommen im Vordergrund steht.

III. Eingriff in den Schutzbereich des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG III. Eingriff in den Schutzbereich

1. Einleitung Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 2 GG kann nicht nur durch die Judikative, sondern auch durch die Legislative selbst erfolgen.174 Von dem „typischen“ Anwendungsbereich des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG unterscheidet sich die hier zu untersuchende Fallgestaltung der dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisenden Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs jedoch in zweifacher Hinsicht. Zum einen steht hier nicht nationales Gewohnheitsrecht in Rede, sondern Völkergewohnheitsrecht. Zum anderen findet diese Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts vorliegend nur mittelbar, also über einen dynamischen Verweis durch formelle Gesetze, Anwendung. Diese doppelte Abweichung vom „typischen“ Anwendungsbereich des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bedingt für die folgende Untersuchung zwei verschiedene Fragestellungen: 173 174

BT-Drucks. 14 / 8524, S. 32. Vgl. BVerfGE 105, 135 (153); Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1097.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Erstens: Erfasst das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG auch die Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht? In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Gedanke der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und damit einhergehend die Frage Bedeutung, ob Art. 103 Abs. 2 GG gegebenenfalls einer völkerrechtskonformen Auslegung zugänglich ist (dazu Abschnitt 2.). Zweitens: Findet das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG auch auf die mittelbare Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht Anwendung (dazu Abschnitt 3.)?

2. Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht a) Einleitung Offengeblieben ist bislang die Frage, ob Völkergewohnheitsrecht unter den Begriff des Gewohnheitsrechts im Sinne des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG fällt. Stellt man den Gewohnheitsrechtscharakter von Völkergewohnheitsrecht in den Vordergrund, so spricht nichts dagegen, Völkergewohnheitsrecht unter das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG zu fassen. Auch das völkerrechtliche Gewohnheitsrecht ist ein ungeschriebenes, weder durch einen Gesetzgeber noch durch ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Rechtsgenossen gesetztes Recht. Auch das Völkergewohnheitsrecht verlangt als Entstehungsvoraussetzung objektiv eine allgemeine Übung (consuetudo) und subjektiv eine dieser Übung entsprechende Rechtsüberzeugung (opinio iuris).175 Über diese beiden Entstehungsvoraussetzungen wird das Völkergewohnheitsrecht in Art. 38 Abs. 1 Buchst. b IGH-Statut definiert. Völkergewohnheitsrecht stellt lediglich insofern einen Spezialfall von Gewohnheitsrecht dar, als ersteres nur dann vorliegt, wenn die allgemeine Übung von Völkerrechtssubjekten in ihrem gegenseitigen Verkehr vorgenommen wird.176 Eine solche Betrachtungsweise, die lediglich auf den Gewohnheitsrechtscharakter von Völkergewohnheitsrecht abstellt, würde allerdings der Tatsache nicht gerecht, dass es sich bei Völkergewohnheitsrecht um eine Rechtsquelle des Völkerrechts handelt – einer Rechtsordnung177, die sich dadurch auszeichnet, dass 175 Bleckmann, ZaöRV 37 (1977), S. 511; Cassese, International Law in a Divided World, S. 180; Wallace, International Law, S. 9. 176 Vgl. Wallace, International Law, S. 9. 177 Zum Charakter des Völkerrechts als Rechtsordnung siehe: Bruns, ZaöRV 1,1 (1929), S. 1 ff.; Bruns, ZaöRV 3,1 (1933), S. 445 ff.; Mosler, ZaöRV 36 (1976), S. 6 ff.

III. Eingriff in den Schutzbereich

153

sie keine zentrale Instanz der Weltgesetzgebung kennt178. Völkerrecht beruht weitgehend auf Koordination.179 Entsprechend den Bedingungen eines internationalen Systems ohne zentrale Rechtssetzungsinstanz hat das Völkergewohnheitsrecht die Entwicklung des Völkerrechts über lange Zeit maßgeblich bestimmt.180 Dementsprechend kommt dem Völkergewohnheitsrecht im Völkerrecht quantitativ eine hohe Bedeutung zu181, insbesondere im Vergleich zur Bedeutung nationalen Gewohnheitsrechts innerhalb der deutschen Rechtsordnung. Dieser Aspekt wirkt sich auch auf die Reichweite des Prinzips „nullum crimen sine lege“ im Völkerrecht aus. Die Tatsache, dass die Rolle des Völkergewohnheitsrechts innerhalb des Völkerrechts – schon aufgrund der hohen quantitativen Bedeutung des Völkergewohnheitsrechts – nicht mit der Rolle des nationalen Gewohnheitsrechts innerhalb der deutschen Rechtsordnung zu vergleichen ist, gilt es in hinreichendem Maße zu berücksichtigen im Zusammenhang mit der Frage, ob das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht auch die Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht erfasst. Dogmatisch ließe sich dieser Gesichtspunkt mittels einer völkerrechtskonformen bzw. völkerrechtsfreundlichen182 Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG erfassen. Daher soll im Folgenden der Frage nachgegangen werden, ob eine völkerrechtskonforme Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG zu dem Ergebnis führt, dass diese Norm nicht das Verbot der Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht erfasst. Soweit ersichtlich, ist eine derartige völkerrechtskonforme Auslegung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch

178

Wallace, International Law, S. 7, 9; Herdegen, Völkerrecht, § 1, Rn. 15. Seidl-Hohenveldern / Stein, Völkerrecht, 10. Aufl., Rn. 539. 180 Oppenheim / Lauterpacht, International Law, S. 25. 181 Vgl. Cassese, International Law in a Divided World, S. 181 ff. 182 Die Begriffe „völkerrechtsfreundliche Auslegung“ und „völkerrechtskonforme Auslegung“ werden vorliegend synonym verwendet. Anders: Uerpmann, Die EMRK und die deutsche Rechtsprechung, S. 54 f. am Fall der EMRK. Danach liegt eine konventionskonforme Auslegung dann vor, wenn zwei oder mehrere Auslegungsmöglichkeiten existieren, von denen der eine Teil der Konvention widerspricht, während der andere Teil konventionskonform ist. Die konventionsfreundliche Auslegung soll demgegenüber unterhalb der Schwelle der konventionskonformen Auslegung bleiben. Nach Uerpmann setzt die konventionsfreundliche Auslegung – genauso wie die konventionskonforme Auslegung – dort an, wo zwei oder mehr Auslegungsmöglichkeiten bestehen. Anders als bei der konventionskonformen Auslegung sollen bei der konventionsfreundlichen Auslegung aber alle Auslegungsvarianten mit der EMRK vereinbar sein. Der Richter soll in diesem Fall gemäß der konventionsfreundlichen Auslegung derjenigen Auslegung den Vorzug geben, die den Wertentscheidungen der Konvention am besten entspricht (Uerpmann, Die EMRK und die deutsche Rechtsprechung, S. 54 f.). Für eine derartige Unterscheidung besteht jedoch kein Bedürfnis. Es spricht nichts dagegen, auch im letzteren Fall von konventionskonformer Auslegung zu sprechen, während genauso wenig dagegen spricht, im ersteren Fall den Begriff der konventionsfreundlichen Auslegung zu verwenden. 179

154

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Gewohnheitsrecht in Wissenschaft und Rechtsprechung bislang noch nicht in Betracht gezogen worden. Allerdings wurde im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion um die sogenannte Mauerschützenrechtsprechung die Frage einer – im Einzelnen anders gelagerten – völkerrechtskonformen Auslegung des ebenfalls aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Rückwirkungsverbots diskutiert. Aus diesem Grunde wird die Mauerschützenrechtsprechung und die diesbezügliche Diskussion zur völkerrechtskonformen Auslegung des Rückwirkungsverbots weiter unten in Form eines Exkurses dargestellt [dazu Unterabschnitt d)]. Da die Methode der völkerrechtskonformen Auslegung ihrerseits aus dem Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes hergeleitet wird, soll im Folgenden jedoch zuerst dieses Prinzip dargestellt werden [dazu Unterabschnitt b)], während daran anschließend allgemeine Erläuterungen zur völkerrechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts folgen [dazu Unterabschnitt c)]. Im Anschluss an den Exkurs zur Mauerschützenrechtsprechung wird dann schließlich der Frage nachgegangen, ob Art. 103 Abs. 2 GG dahingehend völkerrechtskonform ausgelegt werden kann, dass er das Verbot der Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht erfasst [dazu Unterabschnitt e)].

b) Zur Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Aus verschiedenen Vorschriften des Grundgesetzes wird in Literatur183 und Rechtsprechung184 ein Grundgedanke hergeleitet, den man als „Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes“ bezeichnen kann. Das Grundgesetz bekennt sich an mehreren Stellen zu einer internationalen Offenheit185 und zur internationalen Zusammenarbeit.186 Diese im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Gedanken implizieren die Abkehr von der Idee des geschlossenen Nationalstaates und einer Politik der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Isolierung.187 Das Grundgesetz geht also von der Eingliederung des von ihm verfassten Staates in die Völkerrechtsordnung der Staatengemeinschaft aus.188 Diese „völkerrechts183 K. Vogel, Internationale Zusammenarbeit, passim; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland I, S. 475 f.; Münch / Kunig-Sommermann, Art. 20a, Rn. 4; Bernhardt, FG BVerfG, Bd. 2, S. 160. 184 BVerfGE 6, 309 (362); BVerfGE 18, 112 (121); BVerfGE 31, 58 (75). 185 Demgegenüber sind nach Tomuschat die Begriffe der Völkerrechtsfreundlichkeit und der Offenheit auseinanderzuhalten. Von Völkerrechtsfreundlichkeit sollte seiner Meinung nach nur im Sinne einer Leitmaxime gesprochen werden, die darauf abzielt, im innerstaatlichen Rechtsraum die Befolgung völkerrechtlicher Gebote zu fördern und zu erleichtern. Demgegenüber bedeute internationale Offenheit Verzicht auf eine Ausschließlichkeit der souveränen staatlichen Rechtsmacht zugunsten der Eingliederung in den Ordnungsrahmen der internationalen Gemeinschaft (Tomuschat, in: HStR VII, § 172, Rn. 8 f.). 186 Vgl. Tomuschat, in: HStR VII, § 172, Rn. 1. 187 K. Vogel, Internationale Zusammenarbeit, S. 10. 188 BVerfGE 63, 343 (370).

III. Eingriff in den Schutzbereich

155

freundliche Grundhaltung des Grundgesetzes“189 ergibt sich aus einer Gesamtschau verschiedener Bestimmungen des Grundgesetzes: – Die Präambel bekennt sich dazu, dass das Deutsche Volk von dem Willen beseelt ist, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. – Art. 1 Abs. 2 GG normiert, dass das Deutsche Volk sich zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt. – Nach Art. 9 Abs. 2 GG sind Vereinigungen, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten. – Art. 24 Abs. 1 GG bestimmt, dass der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen kann. – Gemäß Art. 24 Abs. 2 GG kann sich der Bund zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen und dabei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern. – Art. 24 Abs. 3 GG normiert, dass die Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten im Wege der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit gefördert werden soll. – Nach Art. 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts mit dem Range vor den Bundesgesetzen. – Gemäß Art. 26 Abs. 1 GG sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig und unter Strafe zu stellen. – Art. 26 Abs. 2 GG bestimmt, dass zur Kriegsführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden dürfen. – Art. 32 GG normiert die Zuständigkeit des Bundes oder der Länder, Art. 59 GG die einzelner Verfassungsorgane des Bundes für völkerrechtliche Handlungen. – Nach Art. 100 Abs. 2 GG ist das Bundesverfassungsgericht mit der Entscheidung darüber betraut, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt. Diese durch das Grundgesetz erfolgende Betonung des Stellenwertes der allgemeinen Regeln des Völkerrechts und völkerrechtlicher Verträge sowie der Mög189

Badura, Staatsrecht, Kapitel D, Rn. 118.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

lichkeit der Einbindung Deutschlands in übergeordnete Organisationsformen der internationalen Zusammenarbeit entsprang dabei unter anderem dem Bemühen, nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die normativen Grundlagen für eine Wiedereingliederung Deutschlands als geachtetes Mitglied in die Staatengemeinschaft zu schaffen.190 Die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes entfaltet über die eben genannten einzelnen Verfassungsbestimmungen hinaus normative Bedeutung.191 Besondere verfassungsrechtliche Ausprägungen der internationalen Offenheit des Grundgesetzes sind unter anderem der Verfassungsauftrag zur internationalen Zusammenarbeit (Kooperation, Integration) sowie vor allem das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des deutschen Rechts.192

c) Zur völkerrechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts aa) Allgemeines Aus der Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Offenheit und Zusammenarbeit lässt sich das verfassungsrechtliche Gebot ableiten, weitestmögliche Harmonie zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht herzustellen.193 Dieses Gebot klingt vor allem in der Präambel des Grundgesetzes sowie in Art. 1 Abs. 2, Art. 24, Art. 25, Art. 26, Art. 32 und Art. 59 GG an. So hat der Verfassungsgeber zum Beispiel in Art. 25 GG eine Grundentscheidung zugunsten der Harmonie der allgemeinen Regeln des Völkerrechts mit dem staatlichen Recht getroffen.194 Auch das durch Art. 59 Abs. 2 GG aufgestellte Erfordernis der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Gesetzesform bei Verträgen von größerer politischer Bedeutung und bei Verträgen über Gegenstände der Gesetzgebung dient nicht zuletzt dazu, völkerrechtliche Bindung und innerstaatliche Rechtsordnung miteinander in Einklang zu bringen, indem vor der Ratifikation eines Vertrages die innerstaatlich kompetenten Organe vertragsgemäße innerstaatlich wirksame Vorschriften erlassen.195 Daraus lässt sich der weitergehende Schluss ziehen, dass auch das originär innerstaatliche Recht seine Eigenständigkeit gegenüber dem Völkerrecht nicht allein aus dem formalen Grunde behaupten soll, dass es seine Entstehung einem souveränen Akt des deutschen Gesetzgebers verdankt.196 Aus der systematischen Gesamtschau der genannten Verfassungsbestimmungen ergibt sich mithin, dass nach 190 191 192 193 194 195 196

K. Vogel, Internationale Zusammenarbeit, S. 10; Herdegen, Völkerrecht, § 22, Rn. 8. Herdegen, Völkerrecht, § 22, Rn. 10. Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 1. Bernhardt, FG BVerfG, Bd. 2, S. 160; Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 2. Sommermann, AöR 114 (1989), S. 415 f.; Bleckmann, DÖV 1979, S. 312. Bernhardt, FG BVerfG, Bd. 2, S. 160. Tomuschat, in: HStR VII, § 172, Rn. 27.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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der Konzeption des Grundgesetzes staatliches Recht, Völkerrecht und die Erfordernisse der internationalen Gemeinschaft in ihrer Verbindung und ihren Wechselwirkungen gesehen werden müssen.197 Hieraus folgt der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen bzw. völkerrechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts, der in Rechtsprechung198 und Literatur199 weitgehend anerkannt ist. Das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung ist keine den klassischen hermeneutischen Auslegungsregeln vergleichbare Methode, sondern wie die verfassungskonforme Auslegung eine Harmonisierungsregel.200 Die völkerrechtsfreundliche Auslegung kommt dann zur Anwendung, wenn der Wortlaut einer innerstaatlichen Rechtsnorm mehrere Deutungen zulässt, von denen nur eine dem Völkerrecht entspricht.201 In diesem Fall verlangt der Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung, dass die Norm entsprechend der Interpretation auszulegen ist, die dem Völkerrecht inhaltlich entspricht. Das Prinzip der völkerrechtskonformen Auslegung findet seine Grenze jedoch unter anderem im erkennbaren Zweck der auszulegenden Vorschrift.202 Eine spezielle Ausprägung dieses Grundsatzes ist dabei das Prinzip der menschenrechtskonformen Interpretation. Dogmatischer Anknüpfungspunkt dieses Grundsatzes ist vor allem Art. 1 Abs. 2 GG, wonach sich das deutsche Volk zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt bekennt. Mit diesem Bekenntnis knüpfte der Verfassungsgeber nicht nur an die naturrechtliche Menschenrechtstradition an, sondern auch an den internationalen Menschenrechtsschutz.203

(1) Zur völkerrechtskonformen Auslegung des einfachen deutschen Rechts Wenn weiter oben gesagt wurde, dass das deutsche Recht völkerrechtskonform auszulegen ist, so muss diese Aussage dahingehend präzisiert werden, dass damit noch nicht impliziert ist, dass der Grundsatz völkerrechtskonformer bzw. menschenrechtskonformer Auslegung auch für das Verfassungsrecht gilt. Jedenfalls 197

Bernhardt, FG BVerfG, Bd. 2, S. 160. BVerfGE 64, 1 (20); BVerfGE 74, 358 (370). 199 Sommermann, AöR 114 (1989), S. 415; Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 190; Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 2; Bleckmann, DÖV 1979, S. 312 (dort jedoch noch mit der Einschränkung, dass nicht behauptet werde, dass diese Darlegung bereits geltendes Recht sei [ebd., S. 309]); Bleckmann, DÖV 1996, S. 137. 200 Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 3. 201 Tomuschat, in: HStR VII, § 172, Rn. 27; Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 3; Münch / Kunig-Rojahn, Art. 59, Rn. 38d; Bleckmann, DÖV 1979, S. 312. 202 Sommermann, AöR 114 (1989), S. 418. 203 v.Mangoldt / Klein / Starck-Sommermann, Art. 20 I, Rn. 137; Sommermann, AöR 114 (1989), S. 416. 198

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

aber sind einfache Gesetze völkerrechtskonform auszulegen.204 Für allgemeine Regeln des Völkerrechts ergibt sich dies bereits aus Art. 25 S. 2 GG, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vorgehen, weshalb abweichende deutsche einfachgesetzliche Rechtsbefehle diesen allgemeinen Regeln des Völkerrechts gegenüber keinen Bestand haben können. Mittels der völkerrechtskonformen Auslegung des einfachen Rechts am Maßstab der allgemeinen Regeln des Völkerrechts wird somit ein Konflikt verhindert und eine Harmonisierung zwischen den allgemeinen Regeln des Völkerrechts und einfachem deutschen Recht erreicht.205 Über die allgemeinen Regeln des Völkerrechts hinaus sind Maßstab der völkerrechtskonformen Auslegung einfachen Rechts jedoch auch andere völkerrechtliche Normen, so zum Beispiel völkerrechtliche Verträge. Im Falle der völkerrechtskonformen Auslegung am Maßstab von völkerrechtlichen Verträgen soll nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts206 der Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung einfachen Rechts auch für solche Gesetze gelten, die zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag. Aus dieser Aussage geht jedoch nicht eindeutig hervor, ob sie nur für den Fall gelten soll, dass das völkerrechtskonform auszulegende Gesetz zeitlich vor dem Zustimmungsgesetz zum völkerrechtlichen Vertrag erlassen worden ist207, oder auch für den Fall, dass das völkerrechtskonform auszulegende Gesetz zeitlich nach diesem Zustimmungsgesetz erlassen worden ist. Das Bundesverfassungsgericht setzt den zeitlichen Bezug des auszulegenden Gesetzes nur zu dem völkerrechtlichen Vertrag, nicht aber zu dessen Zustimmungsgesetz. Richtigerweise gilt der Grundsatz völkerrechtskonformer Auslegung einfachen Rechts jedoch entsprechend der zweiten der eben genannten zwei Auslegungsalternativen – also auch für Gesetze, die zeitlich nach Erlass des Zustimmungsgesetzes erlassen worden sind. Zwar richtet sich der Rang innerstaatlich anwendbarer völkerrechtlicher Verträge nach dem Rang des parlamentarischen Zustimmungsgesetzes, welches ein einfaches Gesetz darstellt.208 Dementsprechend gilt im Falle der Konkurrenz zwischen einem 204

BVerfGE 74, 358 (370); Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 3. Tomuschat, in: HStR VII, § 172, Rn. 35. 206 BVerfGE 74, 358 (370). 207 Diese Fallkonstellation ergibt sich dann, wenn das völkerrechtskonform auszulegende Gesetz nach Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages, aber vor Erlass des Zustimmungsgesetzes zu diesem Vertrag erlassen worden ist. 208 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 177; v.Mangoldt / Klein / Starck-Kempen, Art. 59 II, Rn. 92. Aus Sicht der Transformationstheorie ergibt sich dieses Ergebnis, wonach das transformierte Recht den Rang des Transformators teilt, von selbst. Die Vollzugstheorie, nach der ein völkerrechtlicher Vertrag durch den innerstaatlichen Geltungsbefehl nicht zu einer Norm des innerstaatlichen Rechts wird, muss demgegenüber das Verhältnis des durch das Vertragsgesetz für den innerstaatlichen Vollzug freigegebenen Völkerrechts gesondert bestimmen. Dies gibt die Möglichkeit inhaltlicher Qualifizierung, so dass zum Beispiel völkerrechtlich vereinbarten Menschenrechten ein höherer Rang eingeräumt werden könnte als einfachem Recht oder gar Verfassungsrecht. Jedoch werden selbst innerhalb der Vollzugslehre solche Konsequenzen 205

III. Eingriff in den Schutzbereich

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innerstaatlich anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag – genauer gesagt: dem Zustimmungsgesetz zu diesem – und einem sonstigen Bundesgesetz grundsätzlich die Regel der lex posterior209, was zur Folge hätte, dass das sonstige Bundesgesetz, wenn es später ergangen ist, das Zustimmungsgesetz zum völkerrechtlichen Vertrag verdrängen würde. Jedoch ist nach der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen will oder die Verletzung solcher Verpflichtungen beabsichtigt.210 Unter Berücksichtigung dieses Aspekts macht es keinen Unterschied, ob das Zustimmungsgesetz zu dem völkerrechtlichen Vertrag zeitlich vor oder nach dem Gesetz, um dessen völkerrechtskonforme Auslegung es geht, erlassen worden ist, da die völkerrechtliche Verpflichtung grundsätzlich unabhängig vom innerstaatlichen Zustimmungsakt ist. Deshalb gilt der Grundsatz der Auslegung einfachen Rechts am Maßstab von völkerrechtlichen Verträgen auch für Gesetze, die zeitlich nach Erlass des Zustimmungsgesetzes zu demjenigen völkerrechtlichen Vertrag erlassen worden sind, der im konkreten Fall den Auslegungsmaßstab bildet.

(2) Zur völkerrechtskonformen Auslegung des deutschen Verfassungsrechts Ist das Erfordernis der völkerrechtskonformen Auslegung einfachen deutschen Rechts also eindeutig zu bejahen, so lässt sich diese Feststellung in Bezug auf das Grundgesetz nicht so einfach treffen. Das Bundesverfassungsgericht hat verschiedentlich die EMRK und andere Menschenrechtsabkommen mittelbar in seine verfassungsrechtlichen Erwägungen einbezogen. So finden beispielsweise in einem Beschluss des Ersten Senats vom 4. Mai 1971 im Zusammenhang mit der Bestimmung der Reichweite von Art. 6 Abs. 1 GG die Normen der Art. 12 EMRK, Art. 16 Abs. 1 S. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 sowie die Präambel des UN-Übereinkommens vom 10. Dezember 1962 über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung von Eheschließungen211 Erwähnung.212 Jedoch werden in dieser Entscheidung die genannten internationalen kaum gezogen (vgl. zum Ganzen: Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum, Abschnitt 2, Rn. 113 f.). Demnach bestimmt sich im Ergebnis die Frage, welchen Rang ein völkerrechtlicher Vertrag im innerstaatlichen Bereich hat, unabhängig von der Entscheidung über die Art seiner Einbeziehung (Transformation oder Vollzug) (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 177). 209 Tomuschat, in: HStR VII, § 172, Rn. 35. 210 BVerfGE 74, 358 (370). 211 Zustimmungsgesetz: BGBl. 1969 II, S. 161 ff.; Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens: BGBl. 1970 II, S. 110. 212 BVerfGE 31, 58 (67 f.).

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Normen lediglich parallel neben Art. 6 Abs. 1 GG angesprochen. Der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 GG wird also aus Art. 6 Abs. 1 GG selbst heraus bestimmt, während die internationalen Normen lediglich vergleichend Erwähnung finden. Demgegenüber wird in einem zwei Jahre später ergangenen Beschluss des Zweiten Senats vom 16. Mai 1973 für die Definition der Unschuldsvermutung ausdrücklich auf Art. 6 Abs. 2 EMRK Bezug genommen.213 In ähnlicher Weise wird in einem Beschluss des Zweiten Senats vom 13. Januar 1987 bei der Bestimmung des Schutzbereiches des Art. 12 GG neben dem Übereinkommen Nr. 105 der Internationalen Arbeitsorganisation214 auch die Rechtsprechung der Kommission für Menschenrechte zu Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3 EMRK berücksichtigt.215 Allerdings enthält sich das Bundesverfassungsgericht in den beiden zuletzt genannten Entscheidungen jedes rechtsdogmatischen Hinweises in Bezug auf die Berücksichtigung der genannten internationalen Normen.216 Diese Frage, ob und in welchem Umfang internationale Abmachungen für die Auslegung nationalen Verfassungsrechts heranzuziehen sind, wird jedoch in einem Beschluss des Ersten Senats vom 20. Oktober 1981217 angesprochen. Allerdings lässt der Senat diese Frage ausdrücklich offen, da er in dem zu entscheidenden Fall keinen Widerspruch zwischen einer bestimmten Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 11 EMRK, Art. 5 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961, dem Übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9. Juli 1948218 sowie dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966 feststellen konnte.219 Erst in einem Beschluss vom 26. März 1987 stellt der Zweite Senat ausdrücklich fest, dass bei „der Auslegung des Grundgesetzes […] auch Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen [sind], sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt.“220

In ähnlicher Weise – allerdings nicht bezogen auf das gesamte Grundgesetz, sondern nur auf das Rechtsstaatsprinzip und die daraus abgeleitete Unschuldsvermutung – verlangt der zweite Senat in einem Beschluss vom 29. Mai 1990, dass die Auslegung der EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschen-

213

BVerfGE 35, 311 (320). Zustimmungsgesetz: BGBl. 1959 II, S. 441 ff. 215 BVerfGE 74, 103 (121 f.). 216 Sommermann, AöR 114 (1989), S. 411. 217 BVerfGE 58, 233 (253–255). 218 Zustimmungsgesetz: BGBl. 1956 II, S. 2072 ff. 219 Die Frage, ob die Europäische Sozialcharta für die Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG heranzuziehen ist, lässt der Erste Senat auch in BVerfGE 88, 103 (112) offen. 220 BVerfGE 74, 358 (370). 214

III. Eingriff in den Schutzbereich

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rechte als Auslegungshilfe bei der Ermittlung der Tragweite des Rechtsstaatsprinzips und der Unschuldsvermutung heranzuziehen sind.221 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang noch ein Beschluss des Zweiten Senats vom 14. November 1990. Hierin konstatiert der Senat, dass für die Auslegung der Grundrechte der Standard der völkerrechtlich garantierten Menschenrechte bedeutsam ist.222 Damit erklärt das Bundesverfassungsgericht – wenn auch nur in Bezug auf die Grundrechte, mithin nicht in Bezug auf das Grundgesetz als Ganzes – erstmals nicht nur einzelne Menschenrechtsabkommen für auslegungsrelevant, sondern den gesamten Standard völkerrechtlich garantierter Menschenrechte. Zwar verweist das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle auf den oben angesprochenen Beschluss vom 26. März 1987223, in welchem nur die EMRK für auslegungsrelevant erklärt wurde, jedoch lässt sich hieraus gerade nicht der Schluss ziehen, mit den völkerrechtlich garantierten Menschenrechten im Sinne der Entscheidung vom 14. November 1990 sollten nur die in der EMRK fixierten gemeint sein. Vielmehr erwähnt der Senat in diesem Beschluss neben Art. 4 Abs. 3 Buchst. a EMRK auch Art. 8 Nr. 3 Buchst. c Nr. 1 des Internationalen Übereinkommens über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966224. Hieraus ergibt sich, dass das Bundesverfassungsgericht in diesem Beschluss für die Auslegung der Grundrechte nicht nur die EMRK, sondern den gesamten Standard völkerrechtlich garantierter Menschenrechte für relevant erklärt. Als Ergebnis dieses Überblicks der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich somit festhalten, dass das Gericht zwar in keinem Fall ausdrücklich sagt, dass das gesamte Grundgesetz konform zum gesamten Standard völkerrechtlich garantierter Menschenrechte auszulegen sei, es aber vielfach Andeutungen in diese Richtung gibt. Über diese Andeutungen hinaus existieren einige konkrete Aussagen zur völkerrechtskonformen Auslegung des Grundgesetzes. So erklärt das Bundesverfassungsgericht, dass bei der Auslegung des Grundgesetzes die EMRK zu berücksichtigen sei225 und dass zumindest für die Auslegung der Grundrechte der Standard der völkerrechtlich garantierten Menschenrechte gelten müsse226. Auch in der Literatur227 wird das Erfordernis einer völkerrechtsfreundlichen Interpretation des Grundgesetzes bejaht. Im Einklang hiermit ist zu betonen, dass neben der EMRK grundsätzlich auch andere internationale Menschenrechtsab221

BVerfGE 82, 106 (120). BVerfGE 83, 119 (128). 223 BVerfGE 74, 358 (370). 224 Zustimmungsgesetz: BGBl. 1973 II, S. 1533 ff. 225 BVerfGE 74, 358 (370). 226 BVerfGE 83, 119 (128). 227 Jarass / Pieroth-Jarass, Art. 25, Rn. 4; Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 3; Münch / Kunig-Rojahn, Art. 59, Rn. 38e; Bleckmann, DÖV 1979, S. 312 (dort jedoch noch mit der Einschränkung, dass nicht behauptet werde, dass diese Darlegung bereits geltendes Recht sei [ebd., S. 309]). 222

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

kommen als Auslegungskriterien des Grundgesetzes, insbesondere der deutschen Grundrechte, in Betracht kommen.228 Dass sich der Grundsatz der völker- und menschenrechtskonformen Auslegung des Grundgesetzes nicht auf die EMRK als Auslegungsmaßstab beschränkt, ergibt sich bereits aus Art. 1 Abs. 2 GG, dessen menschenrechtliche Perspektive nicht auf Europa beschränkt ist, wie sich aus der Klausel „in der Welt“ ergibt. Dementsprechend kommen neben der EMRK grundsätzlich auch universell ausgerichtete Menschenrechtsabkommen als Auslegungskriterien des Grundgesetzes in Betracht.229 Als Auslegungsmaßstab des Grundgesetzes können darüber hinaus auch andere regionale Menschenrechtsabkommen, die von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen sind230, sowie die allgemeinen Regeln des Völkerrechts231 zu berücksichtigen sein. Zu klären bleibt noch, ob sämtlichen völkerrechtlichen Normen im Rahmen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes der gleiche Stellenwert zukommt. Unterschiede ergeben sich bereits aus dem unterschiedlichen Verbindlichkeitsgrad der einzelnen Normen: So besitzen beispielsweise völkerrechtliche Menschenrechtsabkommen, die self-executing sind, bereits wegen dieser subjektiv-rechtlichen Komponente im Rahmen der völkerrechtskonformen Auslegung von Grundrechten eine größere Bedeutung als Abkommen, die lediglich an Staaten gerichtet sind. Ein anderes Differenzierungskriterium stellt die unterschiedliche Regelungsdichte völkerrechtlicher Normen dar: So liefern detaillierte Spezialabkommen über ein bestimmtes Menschenrecht mehr Anhaltspunkte für die Auslegung eines Grundrechts als Abkommen von höherem Abstraktionsgrad. Die Regelungsdichte eines Abkommens und damit dessen Wert für die völkerrechtskonforme Auslegung wird dabei noch einmal zusätzlich durch die Existenz besonderer Kontrollorgane, die die menschenrechtlichen Bestimmungen im Einzelfall konkretisieren, gesteigert – so zum Beispiel durch die Straßburger Organe, die durch die EMRK eingesetzt sind.232 228 Kritisch gegenüber der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes am Maßstab von Menschenrechten, die in völkerrechtlichen Verträgen normiert sind, äußert sich jedoch Tomuschat. Danach sei zu berücksichtigen, dass völkervertragliche Bindungen aus einem Akt freiwilliger Selbstverpflichtung des jeweiligen Völkerrechtssubjekts erwachsen. Da die Verfassung aber für solches Handeln der mit der Führung der Außenpolitik betrauten Organe die Einhaltung sowohl der Kompetenzvorschriften als auch der von der Verfassung aufgestellten materiellen Schranken vorschreibe, bleibt somit nach Tomuschat der Inhalt völkerrechtlicher Verträge über das jeweilige Zustimmungsgesetz zum völkerrechtlichen Vertrag grundsätzlich nur Objekt verfassungsrechtlicher Überprüfung, prägt aber nicht seinerseits den Verfassungsinhalt. Allerdings soll in Ausnahmefällen dann etwas anderes gelten, wenn ein multilateraler Vertrag einen derart festen internationalen Wertkonsens widerspiegelt, wie es namentlich bei der EMRK der Fall ist. Derartige völkerrechtliche Verträge sollen auch nach Tomuschat Orientierungspunkt bei der Auslegung des Grundgesetzes sein (Tomuschat, in: HStR VII, § 172, Rn. 28). 229 v.Mangoldt / Klein / Starck-Sommermann, Art. 20 I, Rn. 136; Sommermann, AöR 114 (1989), S. 419. 230 Sommermann, AöR 114 (1989), S. 419. 231 Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 3. 232 Sommermann, AöR 114 (1989), S. 420 f.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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bb) Allgemeine Grenzen der völkerrechtskonformen Auslegung deutschen Rechts Unabhängig von der Frage, welche Grundgesetznormen völkerrechtskonform auszulegen sind und in Bezug auf welche völkerrechtlichen Normen diese konforme Auslegung zu erfolgen hat, stellt sich die Frage nach den Grenzen völkerrechtskonformer Auslegung. In dieser Untersuchung fanden als Grenze bereits der mögliche Wortsinn und der erkennbare Zweck der auszulegenden Norm Erwähnung. Dies bedeutet, dass sowohl der Wortlautauslegung als auch der teleologischen Auslegung eine Vorrangstellung vor der völkerrechtsfreundlichen Auslegung zukommt. Eine weitere Grenze ergibt sich aus dem Verbot der Minderung nationalen Grundrechtsschutzes im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung.233 Darüber hinaus ergeben sich bei der völkerrechtskonformen Auslegung von Normen des Grundgesetzes verfassungsrechtliche Schranken aus dem Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung, deren internationale Offenheit und Völkerrechtsfreundlichkeit nur eines von mehreren Strukturelementen darstellt.234 Die völkerrechtsfreundliche Auslegung bildet demnach nur einen Gesichtspunkt, der im Prozess der Interpretation zu berücksichtigen ist, möglicherweise aber gar nicht „durchschlägt“.235 Nach Geiger236 ergibt sich eine Grenze der völkerrechtsfreundlichen Auslegung schon aus der Überlegung, dass die ausdrücklichen Vorschriften der Verfassung zur Übernahme und zum Rang völkerrechtlicher Regeln nicht über den Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung eingeebnet werden dürfen. Hierzu ist jedoch anzumerken, dass eine Einebnung von Art. 25 GG und Art. 59 Abs. 2 GG durch das Institut der völkerrechtsfreundlichen Auslegung bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil die völkerrechtsfreundliche Auslegung immer nur innerhalb der Grenze des möglichen Wortsinns sowie des erkennbaren Zwecks der auszulegenden Norm Berücksichtigung findet. 233 In diesem Zusammenhang ist auch die sogenannte Görgülü-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu nennen, in der sich ebenfalls Erwägungen über mögliche Grenzen einer EMRK-konformen Auslegung des deutschen Rechts finden (vgl. Kadelbach, Jura 2005, S. 480). So heißt es im zweiten Leitsatz dieses Beschlusses vom 14. Oktober 2004: „Bei der Berücksichtigung von Entscheidungen des EGMR haben die staatlichen Organe die Auswirkungen auf die nationale Rechtsordnung in ihre Rechtsanwendung einzubeziehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich bei dem einschlägigen nationalen Recht um ein ausbalanciertes Teilsystem des innerstaatlichen Rechts handelt, das verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen will.“ (BVerfG DVBl. 2004, 1480 [1480, Leitsatz 2]) Und in der Urteilsbegründung heißt es noch deutlicher: „[…] widerspricht es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist.“ (BVerfG DVBl. 2004, 1480 [1482]) 234 Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 4; Münch / Kunig-Rojahn, Art. 59, Rn. 38e. 235 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 190. 236 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 190.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

d) Exkurs: Die Diskussion um die Völkerrechtsfreundlichkeit des Rückwirkungsverbots nach Art. 103 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit den Mauerschützenprozessen Im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion um die sogenannte Mauerschützenrechtsprechung wurde auch die Frage einer völkerrechtskonformen Auslegung des Rückwirkungsverbots nach Art. 103 Abs. 2 GG diskutiert, weswegen dieser Aspekt der Mauerschützenproblematik an dieser Stelle Relevanz besitzt.

aa) Allgemeines zu den Mauerschützenfällen Bei den Mauerschützenfällen ging es um die Frage, ob Personen, die Todesschüsse an der ehemaligen innerdeutschen Grenze zu verantworten haben (Grenzsoldaten, ihre Vorgesetzten und politisch Verantwortliche), nach der Wiedervereinigung wegen Totschlags bzw. Mordes verurteilt werden durften. Von anderen Fällen des DDR-Unrechts – wie zum Beispiel Wahlfälschung, Rechtsbeugung, Bespitzelung oder Doping – unterscheidet sich die Mauerschützenproblematik dadurch, dass es hierbei um die Wirksamkeit bzw. Auslegung eines im DDR-Recht ausdrücklich genannten Rechtfertigungsgrundes ging.237 Die angeklagten Grenzsoldaten und ihre Befehlshaber beriefen sich nämlich regelmäßig auf § 27 DDRGrenzgesetz oder ähnliche Bestimmungen, die den Schusswaffeneinsatz gegen Grenzverletzer gestatteten.238

bb) Die Mauerschützenrechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Rückwirkungsverbot In seiner ersten Mauerschützenentscheidung239 stellte der Bundesgerichtshof fest, dass ein der Staatspraxis entsprechender Rechtfertigungsgrund, der als ultima ratio die vorsätzliche Tötung von Personen deckte, die unbewaffnet und ohne Gefährdung allgemein anerkannter Rechtsgüter die innerdeutsche Grenze zu überschreiten versuchten, bei der Rechtsanwendung unbeachtlich sei, da ein solcher Rechtfertigungsgrund wegen offensichtlichen und unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte unwirksam sei.240 Hiermit bezog sich der Bundesgerichtshof auf die Radbruchsche Formel, nach der „das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des posi237 238 239 240

Vgl. v.Mangoldt / Klein / Starck-Nolte, Art. 103 II, Rn. 124 ff. Krajewski, JZ 1997, S. 1054; vgl. Kadelbach, Jura 2002, S. 330. BGHSt 39, 1 ff. BGHSt 39, 1 (14 ff.).

III. Eingriff in den Schutzbereich

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tiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat.“241

Als Anhaltspunkt für diese Frage, ab wann im Sinne der Radbruchschen Formel der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit so unerträglich ist, dass das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat, sah der Bundesgerichtshof dabei die internationalen Menschenrechtspakte, insbesondere den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte.242 An diese Feststellung, dass § 27 DDR-Grenzgesetz in der Auslegung, die durch die tatsächlichen Verhältnisse an der Grenze gekennzeichnet war, von Anfang an keine Wirksamkeit gehabt habe243, schloss der Bundesgerichtshof die Prüfung der Frage an, ob § 27 DDR-Grenzgesetz mit Auslegungsmethoden, die dem Recht der DDR eigentümlich waren, auch dahingehend hätte ausgelegt werden können, dass die Todesschüsse als rechtswidrig anzusehen waren244. Die Prüfung des Gerichts ergab, dass eine solche menschenrechtsfreundliche Auslegung möglich gewesen wäre und dass der so bestimmte Rechtfertigungsgrund das Verhalten der Angeklagten (Dauerfeuer mit bedingtem Tötungsvorsatz) nicht gedeckt hätte.245 Für die Frage eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot legte der Bundesgerichtshof diese menschenrechtsfreundliche Auslegung des § 27 DDR-Grenzgesetz zugrunde: Da das Verhalten der Angeklagten schon zum Tatzeitpunkt durch den – aus Sicht des Bundesgerichtshofs – bereits damals menschenrechtsfreundlich auszulegenden § 27 DDR-Grenzgesetz nicht gedeckt war, lag somit nach Auffassung des Bundesgerichtshofs durch die Bestrafung der Angeklagten nach der Wiedervereinigung auch kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG vor. Dieses Rückwirkungsverbot untersage – so das Gericht – mithin nicht, bei der Aburteilung der Angeklagten von einer menschenrechtsfreundlichen Auslegung des DDR-Rechts auszugehen, auch wenn diese von der damaligen Rechtspraxis abweicht. Der Richter sei also nicht im Sinne reiner Faktizität an diejenige Interpretation des Rechts gebunden, die zur Tatzeit in der Staatspraxis Ausdruck gefunden hatte. Die Erwartung, das Recht werde – entsprechend der Staatspraxis zur Tatzeit – auch in Zukunft so angewandt werden, dass ein menschenrechtswidriger Rechtfertigungsgrund anerkannt werde, sei nicht schutzwürdig.246 Nichts anderes soll im Übrigen gelten,

241

Radbruch, Süddeutsche Juristen-Zeitung 1 (1946), S. 107. BGHSt 39, 1 (16 ff.). 243 BGHSt 39, 1 (22). 244 BGHSt 39, 1 (23 ff.). Zu dieser Argumentation des Bundesgerichtshofs siehe: Günther, StV 1993, S. 19 ff.; H. Dreier, JZ 1997, S. 426. Anmerkungen zu dieser Kritik finden sich bei: BGHSt 41, 101 (110 f.). 245 BGHSt 39, 1 (23). 246 BGHSt 39, 1 (29 f.). 242

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

„wenn ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund, der gleich gewichtigen Einwendungen ausgesetzt ist, überhaupt keiner Auslegung zugänglich wäre, die sich an den Menschenrechten orientiert.“247

Diese Grundsätze wurden in weiteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bestätigt.248

cc) Die Mauerschützenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rückwirkungsverbot In seinem Beschluss vom 24. Oktober 1996249 wies der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts neben den Verfassungsbeschwerden von ehemaligen Mitgliedern das Nationalen Verteidigungsrates der DDR auch die eines ehemaligen Angehörigen der DDR-Grenztruppen zurück. Der Senat lehnte dabei einen Verstoß gegen das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Rückwirkungsverbot mit der Begründung ab, das Rückwirkungsverbot finde „seine rechtsstaatliche Rechtfertigung in der besonderen Vertrauensgrundlage, welche die Strafgesetze tragen, wenn sie von einem an die Grundrechte gebundenen demokratischen Gesetzgeber erlassen werden.“250

An einer solchen Vertrauensgrundlage fehle es aber, wenn der Träger der Staatsmacht Unrecht begünstigte „und so die in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtete.“251

Das Bundesverfassungsgericht nimmt hier also unter mittelbarem Bezug auf völkerrechtliche Normen eine Einschränkung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Rückwirkungsverbots vor, ohne dies jedoch methodisch in einer völkerrechtskonformen Auslegung des Rückwirkungsverbots zu verankern. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in weiteren Entscheidungen bestätigt.252 Sie ist in der Literatur253 vielfach auf Kritik254 gestoßen, erhielt aber auch Zustimmung255. 247

BGHSt 39, 1 (30). BGHSt 39, 168 (181 ff.); BGHSt 40, 113 (116); BGHSt 40, 218 (232); BGHSt 40, 241 (244 ff.); BGHSt 41, 101 (105 ff.). 249 BVerfGE 95, 96 ff. 250 BVerfGE 95, 96 (133). 251 BVerfGE 95, 96 (133). 252 BVerfG NJW 1998, 2585 (2585 f.); BVerfG NJW 2000, 1480 (1480). 253 Ein guter Überblick zum Meinungsstand findet sich bei Lackner / Kühl, § 2, Rn. 16a. 254 So z. B.: H. Dreier, JZ 1997, S. 421 ff. (passim); Ambos, StV 1997, S. 39 ff. (passim); Albrecht, NJ 1997, S. 1 f. (passim); J. Arnold, NJ 1997, S. 115 ff. (passim); Roggemann, NJ 1997, S. 231; Lamprecht, DRiZ 1997, S. 140 f. (passim); Krajewski, JZ 1997, S. 1055; Classen, GA 1998, S. 215 ff. (passim); Kluth, JA 1998, S. 104 f.; Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 224. 255 So z. B.: Werle, ZStW 109 (1997), S. 825 ff. 248

III. Eingriff in den Schutzbereich

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dd) Die Literatur zur Frage einer völkerrechtskonformen Auslegung des Rückwirkungsverbots Im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht, dass nach dem eben Gesagten in seinen Mauerschützenentscheidungen nicht ausdrücklich eine völkerrechtskonforme Auslegung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Rückwirkungsverbots vornahm, wurde eine solche teilweise in der Literatur in Erwägung gezogen.

(1) Nolte Nolte256 zieht eine EMRK-konforme Auslegung des Rückwirkungsverbots in Erwägung. Ausgangspunkt seiner Gedankengänge ist dabei die Radbruchsche Formel. Ihr richtiger Kern – so Nolte – liege darin, dass das Rückwirkungsverbot zurücktreten müsse, wenn der Anspruch des Rechtsstaates, ein Mindestmaß an materieller Gerechtigkeit zu gewährleisten, sonst verfehlt würde. Das Mindestmaß an materieller Gerechtigkeit müsse jedoch mit Mitteln gewährleistet werden, welche ihrerseits ein Mindestmaß an Orientierungssicherheit wahren. Deshalb sei es richtig, den Maßstab für die Einschränkbarkeit des Rückwirkungsverbots im Völkerrecht zu suchen. Könnte allerdings jede Art von Menschenrechtsverletzungen eine rückwirkende Bestrafung begründen, wäre das Rückwirkungsverbot seiner Substanz beraubt. Deswegen sei – so Nolte – als Maßstab für die Zulässigkeit einer rückwirkenden Bestrafung auf die entsprechenden Formulierungen in völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere also in Art. 7 Abs. 2 EMRK, abzustellen. Da Art. 7 Abs. 2 EMRK eine Bestrafung nur für Taten zulässt, die zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar waren, ließe Art. 103 Abs. 2 GG – im Lichte der EMRK ausgelegt – Nolte zufolge eine rückwirkende Anwendung von Strafgesetzen nur zu, wenn es sich um völkerrechtliche Verbrechen handelt.

(2) Werle Nach Werle257 ist das Rückwirkungsverbot im Einklang mit den Nürnberger Prinzipien – also denjenigen Prinzipien des Völkerstrafrechts, die im Statut für den Internationalen Militärgerichtshof von Nürnberg niedergelegt wurden258 – zu begrenzen. Dabei argumentiert Werle ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Mauerschützenbeschluss259: Das Rückwirkungsverbot stehe im Kontext einer Verfassung, deren Rechtsbegriff durch Grundrechte und Menschenrechte ge256 257 258 259

Zum folgenden: v.Mangoldt / Klein / Starck-Nolte, Art. 103 II, Rn. 132 ff. Zum folgenden: Werle, ZStW 109 (1997), S. 826 f. Broomhall, International Justice and the ICC, S. 19; Werle, Völkerstrafrecht, Rn. 40. BVerfGE 95, 96 (96 [Leitsätze 2 und 3], 132 f.).

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

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prägt sei. Die Rechtmäßigkeit schwerster Menschenrechtsverletzungen wie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit sei im Rahmen des Grundgesetzes nicht denkbar, woraus sich die strikte Formalisierung und der absolute Vertrauensschutz des Art. 103 Abs. 2 GG erkläre. Im Verhältnis zu einer nichtrechtsstaatlichen Ordnung entfalle mit der Rechtsstaatskontinuität die Basis für diesen strikten Vertrauensschutz, was insbesondere dann gelte, wenn ein Staat systematisch Menschenrechte verletzt. Als Fazit vertritt Werle deshalb die Ansicht, dass bei völkerrechtlichen Straftaten menschenrechtswidrige Legalisierungen für die Anwendung des Rückwirkungsverbots unbeachtlich seien. Es sei nämlich ausgeschlossen, dass das Rückwirkungsverbot des Grundgesetzes eine Bestrafung verbietet, welche Art. 7 Abs. 2 EMRK zulässt. In rechtspolitischer Hinsicht verlangt Werle deshalb eine förmliche Aufgabe des deutschen Vorbehalts zu Art. 7 Abs. 2 EMRK. Werle befürwortet damit letztlich also einen inhaltlichen Gleichlauf zwischen Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 7 Abs. 2 EMRK, ohne dies jedoch methodisch ausdrücklich in einer völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG zu fundieren.

(3) Krajewski Krajewski260 kritisiert an der dargestellten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Prinzip „nulla poena sine lege“ in seiner völkerrechtlichen Ausprägung im Rahmen einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG hätte beachtet werden müssen. Das völkerrechtliche Rückwirkungsverbot sei ein im gesamten Geltungsbereich der EMRK bzw. des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966 absolut geltendes Menschenrecht. Es hänge nicht davon ab, ob die Strafgesetze von einem demokratischen Gesetzgeber erlassen worden sind, da die völkerrechtlich garantierten Menschenrechte Krajewski zufolge unabhängig vom politischen System der einzelnen Länder gelten. Gerade wenn die Strafgesetze von einem undemokratischen Gesetzgeber erlassen wurden, gewinne das Rückwirkungsverbot seine besondere Bedeutung, da die Schutzbedürftigkeit des Individuums gegenüber einem undemokratischen Gesetzgeber ungleich höher sei als gegenüber einem demokratischen Gesetzgeber. Das Rückwirkungsverbot könne folglich nicht auf einen besonderen Schutz des Vertrauens in den demokratischen Gesetzgeber reduziert werden, so dass die Interpretation des Art. 103 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht Krajewski zufolge insoweit den Garantien der Art. 7 EMRK und Art. 15 IPbürgR widerspreche. Im Ergebnis würde seiner Meinung nach eine völkerrechtskonforme Interpretation des Art. 103 Abs. 2 GG zu dem Ergebnis führen, dass nicht nur die Straftatbestände der §§ 112 ff. DDR-StGB (Mord und Totschlag), sondern auch die Rechtfertigungsgründe des DDR-Rechts in den Mauerschützenprozessen Anwendung hätten finden müssen. 260

Zum Folgenden: Krajewski, JZ 1997, S. 1054.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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e) Zur Frage einer völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG im vorliegenden Fall Die völkerrechtskonforme Auslegung ist Mittel zum Zweck, weitestmögliche Harmonie zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht herzustellen. Betrachtet man das Völkerrecht, so stößt man auf zwei Bereiche, aus denen sich möglicherweise Bedarf nach Harmonisierung der deutschen Rechtsordnung mit der Völkerrechtsordnung ergibt. Auf der einen Seite ist hier der Bereich der an Staaten gerichteten Bestrafungspflichten zu nennen. Bei diesen handelt es sich um völkerrechtliche Bestimmungen, durch die Staaten verpflichtet werden, bestimmte nationale Strafnormen zu erlassen. Der Einzelne kann dabei – bereits aus völkerrechtlicher Sicht – nicht direkt aufgrund dieser völkerrechtlichen Normen, sondern nur aufgrund einer innerstaatlichen Norm bestraft werden.261 Im Rahmen der Untersuchung, inwiefern sich aus völkerrechtlichen Bestrafungspflichten möglicherweise das Erfordernis einer völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG ergibt, als deren Ergebnis diese Bestimmung einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht entgegensteht, gewinnt auch die Pönalisierungsobliegenheit des Römischen Statuts Bedeutung. Diese stellt zwar keine völkerrechtliche Bestrafungspflicht dar, weil ihr das verpflichtende Element fehlt. Allerdings ist sie insoweit einer Bestrafungspflicht ähnlich, als auch die Pönalisierungsobliegenheit des Römischen Statuts gegenüber Staaten besteht [dazu Unterabschnitt aa)]. Den anderen völkerrechtlichen Bereich, aus dem sich möglicherweise Bedarf nach einer völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG im oben genannten Sinne ergibt, bilden diejenigen völkerrechtlichen Strafbestimmungen, die den Einzelnen von der völkerrechtlichen Warte her erstens unmittelbar verpflichten und nach denen er zweitens direkt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.262 Da diese Normen aus völkerrechtlicher Perspektive unmittelbar anwendbar sind, werden sie self-executing genannt.263 Besondere Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang die im Vergleich zur deutschen Rechtsordnung nur sehr eingeschränkte Geltung des Prinzips „nullum crimen sine lege“ im Völkerrecht [dazu Unterabschnitt bb)].

261

Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 58. Von der Frage, ob aus völkerrechtlicher Sicht eine Bestrafung des Einzelnen unmittelbar nach Völkerrecht möglich ist, muss die Frage unterschieden werden, ob innerstaatliches Recht – insbesondere Verfassungsrecht – die unmittelbare Anwendung völkervertraglich oder völkergewohnheitsrechtlich verankerter Straftatbestände zulässt. Selbst wenn bestimmte völkerrechtliche Strafnormen den Einzelnen direkt nach Völkerrecht verpflichten, können der unmittelbaren Anwendung dieser Normen nämlich innerstaatliche Vorgaben entgegenstehen (vgl. Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 58; vgl. Wilkitzki, ZStW 99 [1987], S. 461). 263 Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 58. 262

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

aa) Völkerrechtskonforme Auslegung wegen völkerrechtlicher Bestrafungspflichten Völkerrechtliche Bestrafungspflichten finden sich sowohl in internationalen Abkommen als auch im Völkergewohnheitsrecht. So besteht beispielsweise nach Völkergewohnheitsrecht die Pflicht eines Tatortstaates zur Bestrafung von Völkerrechtsverbrechen.264 Die Idee, aufgrund völkerrechtlicher Bestrafungspflichten, die an die Bundesrepublik Deutschland adressiert sind, eine völkerrechtskonforme Auslegung in oben genannter Weise vorzunehmen, basiert auf folgenden zwei Annahmen: Erstens: Kommt die Bundesrepublik Deutschland einer an sie gerichteten völkerrechtlichen Bestrafungspflicht nicht nach, so stellt dies grundsätzlich einen Verstoß gegen Völkerrecht dar. Zweitens: Das Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, aus dem sich das Rechtsinstitut der völkerrechtskonformen Auslegung ergibt, verlangt jedoch die Vermeidung von Verstößen gegen das Völkerrecht. Als Harmonisierungsregel zwischen Völkerrecht und deutschem Recht findet das Institut der völkerrechtskonformen Auslegung nur dort Anwendung, wo auch tatsächlich ein Harmonisierungsbedarf besteht. Insbesondere im Bereich der völkerrechtsfreundlichen Auslegung von Normen des Grundgesetzes sollte deshalb stets vorab geprüft werden, ob eine Harmonisierung tatsächlich erforderlich ist. Diese abstrakte Fragestellung konkretisiert sich im vorliegenden Fall in folgender Weise: Steht Art. 103 Abs. 2 GG einer Befolgung völkerrechtlicher Bestrafungspflichten durch die Bundesrepublik Deutschland im Wege, wenn man aus dieser Verfassungsnorm ein Verbot der Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht ableitet? Diese Frage ist zu verneinen. Durch völkerrechtliche Bestrafungspflichten wird gerade nicht vorgeschrieben, auf welche Weise diesen Verpflichtungen nachzukommen ist. Aus einer an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten völkerrechtlichen Bestrafungspflicht folgt also nicht auch zugleich das Erfordernis, dass die Bundesrepublik Deutschland völkerstrafrechtlichem Gewohnheitsrecht in der deutschen Rechtsordnung unmittelbar strafbegründende Wirkung verleiht. Hierfür spricht nicht zuletzt, dass in völkerrechtlichen Bestrafungspflichten zumeist lediglich die verbotene Handlung genannt ist, ohne dass die Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelnen präzisiert werden oder Regelungen bezüglich der Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgründe und der Rechtsfolgen getroffen werden265. Dies gilt in besonders starkem Maße für völkergewohnheitsrechtlich geltende Bestrafungspflichten. Es steht der Bundesrepublik Deutschland aus völkerrechtlicher Sicht also frei, einer völkerrechtlichen Bestrafungspflicht beispielsweise auch durch Einführung eines entsprechenden formellen Gesetzes nachzukommen. Da also bereits die Frage zu verneinen ist, ob Art. 103 Abs. 2 GG einer Befolgung völkerrechtlicher Bestrafungspflichten durch die Bundesrepublik Deutsch264 265

Kreß, Israel Yearbook on Human Rights 30 (2000), S. 163. Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 59; vgl. Wilkitzki, ZStW 99 (1987), S. 465.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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land im Wege steht, wenn man aus dieser Norm ein Verbot der Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht ableitet, vermögen völkerrechtliche Bestrafungspflichten, die sich an die Bundesrepublik Deutschland richten, von vornherein nicht das Erfordernis einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG dahingehend zu begründen, dass diese Verfassungsbestimmung eine Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht verbietet. Aus diesem Grunde kommt es an dieser Stelle auch nicht auf die Frage der Grenzen völkerrechtskonformer Auslegung an. Ebenso kann an dieser Stelle offenbleiben, ob in Bezug auf die hier in Rede stehenden Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs im Einzelnen völkerrechtliche Pönalisierungspflichten bestehen.

bb) Völkerrechtskonforme Auslegung wegen völkergewohnheitsrechtlicher self-executing-Strafbestimmungen Auch der andere Begründungsansatz einer völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG – nämlich völkergewohnheitsrechtliche self-executingStrafbestimmungen – führt im Endergebnis nicht zum Erfolg. Zwar gilt das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht im Völkerrecht grundsätzlich nicht, so dass Quelle völkerstrafrechtlicher Bestimmungen, die sich unmittelbar an den Einzelnen richten, aus völkerrechtlicher Sicht auch das Völkergewohnheitsrecht sein kann. Aus diesem Grunde könnte sich durchaus das Erfordernis einer völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG dahingehend ergeben, dass diese Verfassungsnorm einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht entgegenstehen würde. Auf diese Weise könnte völkergewohnheitsrechtlichen self-executing-Strafbestimmungen auch vor deutschen Gerichten unmittelbare Wirkung verliehen werden. Letztlich scheitert eine solche völkerrechtskonforme Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG jedoch an den Schranken, denen das Rechtsinstitut der völkerrechtskonformen Auslegung unterliegt. In Bezug auf die völkerrechtskonforme Auslegung von Normen des Grundgesetzes ergeben sich solche Schranken zum Teil aus dem Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung: Die internationale Offenheit und Völkerrechtsfreundlichkeit bilden nur eines von mehreren Strukturelementen des Grundgesetzes, die bei der Auslegung von Verfassungsbestimmungen zu beachten sind.266 Das Rechtsinstitut der völkerrechtsfreundlichen Auslegung stellt demnach nur einen Gesichtspunkt dar, der innerhalb des Grundgesetzes im Prozess der Norminterpretation zu berücksichtigen ist, möglicherweise aber gar nicht „durchschlägt“.267 Insbesondere findet das Institut der völkerrechtsfreundlichen Auslegung seine Grenze auch im möglichen Wortsinn und dem erkennbaren Zweck der jeweils auszulegenden Norm. Dies bedeutet, dass sowohl der Wortlautauslegung als auch der teleo266 267

Münch / Kunig-Rojahn, Art. 24, Rn. 4; Münch / Kunig-Rojahn, Art. 59, Rn. 38e. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 190.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

logischen Auslegung eine Vorrangstellung vor der völkerrechtsfreundlichen Auslegung zukommt. Eine weitere Grenze der völkerrechtsfreundlichen Auslegung ergibt sich nach hier vertretener Auffassung aus dem grundsätzlichen Verbot der Einschränkbarkeit nationaler Menschenrechte im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung. Aus diesen verschiedenen Schranken völkerrechtskonformer Auslegung ergibt sich der weitere Ablauf der Untersuchung. Es wird zu zeigen sein, dass eine völkerrechtskonforme Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG dahingehend, dass diese Verfassungsnorm einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht entgegenstehen würde, letztlich scheitert. Sowohl der erkennbare Normzweck des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG [dazu Unterabschnitt (2)] als auch das Verbot der Einschränkbarkeit nationaler Menschenrechte im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung [dazu Unterabschnitt (3)] widersprechen nämlich bereits einer derartigen Auslegung. Ehe jedoch auf diese Schranken näher eingegangen wird, die eine völkerrechtskonforme Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG in eben genannter Weise scheitern lassen, wird im Folgenden zuerst der mögliche Wortsinn des Art. 103 Abs. 2 GG behandelt, der für sich betrachtet einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung in eben genannter Weise nicht per se entgegenstünde [dazu Unterabschnitt (1)].

(1) Grenze einer völkerrechtskonformen Auslegung: Möglicher Wortsinn des Art. 103 Abs. 2 GG Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – und damit auch das Verbot der Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht – wird in dieser Verfassungsnorm aus dem Begriff gesetzlich hergeleitet. Es ist im Folgenden zu untersuchen, ob diese Auslegung vom möglichen Wortsinn dieses Begriffes zwingend geboten wird. Anders formuliert geht es also darum, ob der mögliche Wortsinn des Merkmals gesetzlich auch die Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts erfasst – ob also eine Strafe, welche nur durch Völkergewohnheitsrecht vorgesehen ist, als gesetzlich bestimmt bezeichnet werden kann. Ist dies der Fall, so würde eine völkerrechtskonforme Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG, als deren Ergebnis diese Verfassungsnorm einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht entgegenstehen würde, nicht am möglichen Wortsinn des Merkmals gesetzlich scheitern. Die Begriffe gesetzlich beziehungsweise Gesetz können nicht verfassungsunabhängig und damit gleichsam raum- und zeitlos definiert werden268, da sich mit diesen Begriffen im Laufe der Geschichte unterschiedliche Vorstellungen verbun-

268

Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 61, Rn. 5.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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den haben und die Rolle der Gesetzgebung häufig sehr verschieden war269. Es gibt also keinen dem positiven Recht vorgeordneten Gesetzesbegriff a priori.270 Hieraus folgt, dass der mögliche Wortsinn des Gesetzesbegriffs aus dem positiven Recht abzuleiten ist. Nach der Lehre vom dualistischen Gesetzesbegriff unterscheidet man zwischen Gesetzen im formellen und solchen im materiellen Sinne. Der formelle Gesetzesbegriff knüpft dabei an die Form des Zustandekommens beziehungsweise an die Urheberschaft an, der materielle Gesetzesbegriff demgegenüber an den Inhalt.271 Gesetz im formellen Sinne ist nach dieser Lehre jeder in dem verfassungsrechtlich vorgeschriebenen (förmlichen) Verfahren zustande gekommene Willensakt des Gesetzgebers ohne Rücksicht auf den Inhalt, wohingegen Gesetz im materiellen Sinne nach der Lehre des dualistischen Gesetzesbegriffs jede Rechtsnorm sein soll.272 Die Begriffsbestimmung des Gesetzes im materiellen Sinne umschließt damit auch das Gewohnheitsrecht.273 Allerdings erheben sich mittlerweile in verstärktem Maße Stimmen, die den Begriff des Gesetzes enger verstehen.274 So schreibt beispielsweise Achterberg: „Das Regelungsverfahren stellt einziges, aber auch hinreichendes Kriterium des Gesetzesbegriffs unter dem Grundgesetz dar. Dieser läßt sich mithin folgendermaßen umreißen: Gesetz ist der vom Parlament im Wege des verfassungsgesetzlich hierfür vorgesehenen Verfahrens erlassene Hoheitsakt275. Alle anderen Deutungsversuche stehen mit der geltenden Verfassungsordnung nicht in Einklang.“276

In ähnlicher Weise formuliert Hesse: „Gesetz ist jede Anordnung der gesetzgebenden Körperschaften im Gesetzgebungsverfahren und in der Form des Gesetzes. Dieser nur scheinbar formelle Begriff läßt sich nicht aufspalten. Es gibt nach dem Grundgesetz keine nur-formellen oder nur-materiellen Gesetze.“277

269

Schneider, Gesetzgebung, Rn. 13. Achterberg, DÖV 1973, S. 289. 271 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland II, S. 564; Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 61, Rn. 9. 272 Vgl. hierzu: Starck, Gesetzesbegriff, S. 21; Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 61, Rn. 9; Köbler, Artikel „Gesetz“, in: Tilch / Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, S. 1962; Schneider, Gesetzgebung, Rn. 14; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland II, S. 564. 273 Vgl. hierzu: Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 61, Rn. 9; Schneider, Gesetzgebung, Rn. 14; Starck, Gesetzesbegriff, S. 22; Köbler, Artikel „Gesetz“, in: Tilch / Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, S. 1962. Genau genommen fällt Gewohnheitsrecht unter den Begriff des Gesetzes im nur materiellen Sinne. Nach dem klassischen dualistischen Gesetzesbegriff stehen der materielle und der formelle Gesetzesbegriff nämlich im Verhältnis zueinander, wie zwei sich teilweise deckende, einander schneidende Kreise (Ossenbühl, in: HStR III, 2. Aufl., § 61, Rn. 9). Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses gibt es also Gesetze im sowohl formellen als auch materiellen Sinne, Gesetze im nur formellen Sinne und Gesetze im nur materiellen Sinne. 274 So zum Beispiel: Achterberg, DÖV 1973, S. 297; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 506 f. 275 Diese Definition des Gesetzesbegriffs ist im Original hervorgehoben. 276 Achterberg, DÖV 1973, S. 297. 277 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 506. 270

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Gemäß dieser Begriffsbestimmung fiele Gewohnheitsrecht – und damit auch Völkergewohnheitsrecht – nicht unter den Begriff des Gesetzes.278 Dieser Ansicht ist jedoch zu widersprechen. Auch heute noch existieren in der deutschen Rechtsordnung zwei Gesetzesbegriffe. Die Unterscheidung zwischen Gesetzen im formellen und Gesetzen im materiellen Sinne hat in das Grundgesetz an mehreren Stellen Eingang gefunden.279 So spricht beispielsweise Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG von einem „förmlichen Gesetz[…]“ und Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG von der „Form eines Bundesgesetzes“. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: „Der Sprachgebrauch des Grundgesetzes bei der Verwendung des Wortes ‚Gesetz‘ ist nicht einheitlich. Der Begriff wird bald in formellem, bald in materiellem Sinne verwandt.“280

Aus dem Bereich einfacher Gesetze ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel Art. 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch zu erwähnen, in dem es – anderen einfachgesetzlichen Regelungen281 ähnlich – heißt: „Gesetz im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs und dieses Gesetzes ist jede Rechtsnorm“. Damit liegt dieser Begriffsbestimmung die Definition des Gesetzes im materiellen Sinne zugrunde. Festzuhalten bleibt damit, dass der Gesetzesbegriff nach seinem möglichen Wortsinn auch Gewohnheitsrecht – und damit auch Völkergewohnheitsrecht – umfasst. Daraus ergibt sich, dass der mögliche Wortsinn des Art. 103 Abs. 2 GG, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde, einer Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – und ebenso durch Völkergewohnheitsrecht – nicht per se282 entgegensteht. Die Tatsache, dass aus dieser Verfassungsnorm ein Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht und durch Völkergewohnheitsrecht hergeleitet wird, ist 278 Hesse räumt jedoch auch ein, dass das Grundgesetz in manchen seiner Bestimmungen den Begriff des Gesetzes offenbar in einem mehr oder minder weiten Sinne mit dem Begriff des Rechts gleichsetzt. Diese Tatsache spreche jedoch nicht gegen sein engeres Verständnis vom Begriff des Gesetzes: „So ist zwar der Richter nach Art. 97 Abs. 1 GG auch an Verordnungs- und Gewohnheitsrecht gebunden. Aber diese Bindungswirkung vermögen Rechtsverordnungen nur zu entfalten, weil und soweit sie sich auf das ihnen zugrundeliegende Gesetz zurückführen lassen, so daß es sich in Wahrheit um eine Bindung an dieses handelt. Ähnliches gilt für das Gewohnheitsrecht, das zwar im Sinne von Art. 20 Abs. 3 GG (‚Gesetz und Recht‘) für die rechtsprechende Gewalt verbindliches Recht enthält, das aber nicht in Widerspruch zu ranghöherem oder ranggleichem geschriebenen Recht treten darf. […] In jedem Falle bleibt also der enge Zusammenhang von delegiertem Recht oder Gewohnheitsrecht und Gesetz gewahrt. […] Auch wenn daher das Grundgesetz den Gesetzesbegriff teils in engerem, teils in weiterem Sinne verwendet, nötigt das doch nicht dazu, diesen Begriff in seinem Kern aufzuspalten.“ (Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 507) 279 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland II, S. 567. 280 BVerfGE 1, 184 (189). 281 So zum Beispiel: § 12 EGZPO; § 7 EGStPO. 282 Eine nur in Abhängigkeit vom Einzelfall zu beantwortende Frage ist demgegenüber, ob strafbegründendes Gewohnheitsrecht hinreichend bestimmt ist.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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also Ergebnis einer Auslegung, die vom Wortsinn des Art. 103 Abs. 2 GG eigentlich nicht gefordert wird. Wenn aber der mögliche Wortsinn des Art. 103 Abs. 2 GG für sich genommen einer Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – und durch Völkergewohnheitsrecht – nicht per se widerspricht, so steht er grundsätzlich auch einer entsprechenden völkerrechtskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegen. Im Folgenden wird jedoch zu zeigen sein, dass eine solche völkerrechtsfreundliche Auslegung am erkennbaren Zweck des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht scheitert.

(2) Grenze einer völkerrechtskonformen Auslegung: Erkennbarer Zweck des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG Der Normzweck des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht lässt sich aus der ratio herleiten, die diesem Verbot zugrunde liegt. Wie im Rahmen dieser Untersuchung festgestellt wurde, findet es seine Grundlage in den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung sowie dem Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie. Würden sie einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht entgegenstehen, würde dies dafür sprechen, dass auch der Normzweck des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht entgegensteht. Aus Sicht dieser Prinzipien und Grundsätze macht es keinen Unterschied, ob ein deutsches Gericht dem von ihm gefällten Strafurteil nationales Gewohnheitsrecht oder Völkergewohnheitsrecht zugrunde legen würde. Insbesondere ist die Tatsache, dass es auf internationaler Ebene grundsätzlich keine zentrale Rechtssetzungsinstanz gibt und dass im Völkerrecht als einer Koordinationsrechtsordnung das Völkergewohnheitsrecht eine sehr viel größere Rolle spielt als im deutschen Recht das Gewohnheitsrecht283, für die Frage der Zulässigkeit der Anwendung von Völkergewohnheitsrecht durch ein deutsches Gericht irrelevant, da die dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht zugrunde liegenden Prinzipien und Grundsätze durch diesen Aspekt nicht berührt werden. So gebietet das Prinzip der Rechtssicherheit nur, rechtliche Regelungen so zu fassen, dass die Betroffenen ihre Normunterworfenheit und die Rechtslage hinreichend konkret erkennen können.284 Der Bürger soll die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können.285 Damit stellt das Prinzip der 283 284 285

Auf diese Tatsache weist Triffterer hin (Triffterer, ZStW 114 [2002], S. 340). Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 62. BVerfGE 13, 261 (271).

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Rechtssicherheit allein auf den individuellen potentiellen Normadressaten ab; irrelevant ist aus Sicht dieses Prinzips demnach der Aspekt, ob es andere Rechtssetzungsinstanzen gibt und welche Bedeutung der fraglichen Rechtsquelle innerhalb der Rechtsordnung zukommt. Dasselbe Ergebnis stellt sich aus Sicht des im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Gewaltenteilungsgrundsatzes dar. Durch diesen Grundsatz in seiner Ausprägung, die er im Grundgesetz hat, werden nur die Befugnisse der nationalen Gewalten – der Legislative, der Exekutive und der Judikative – voneinander abgegrenzt. Würde ein deutsches Strafgericht für die Urteilsfindung völkergewohnheitsrechtliche Normen anwenden, so ginge dies genauso zulasten des nationalen Gesetzgebers wie im Falle der Anwendung nationalen Gewohnheitsrechts durch das Gericht. Da außerdem auch bei der richterlichen Anwendung und Feststellung von Völkergewohnheitsrecht durch ein deutsches Strafgericht das Problem der richterlichen Einflussnahme auf die inhaltliche Ausgestaltung des Gewohnheitsrechtssatzes besteht286, ergibt sich auch in diesen Fällen das Erfordernis der Hemmung richterlicher Machtbefugnisse zum Zwecke der individuellen Freiheitssicherung und zum Zwecke der Vermeidung der Gefahr, dass richterliche Entscheidungen ohne die nötige Distanz zum Einzelfall getroffen werden. Da diese Aspekte Elemente des Gewaltenteilungsgrundsatzes sind, folgt aus diesem somit auch das Verbot der Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht. Gleiches ergibt sich aus Sicht des Demokratieprinzips unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie. Dass hiernach irrelevant ist, ob der nationale Strafrichter seinem Strafurteil nationales Gewohnheitsrecht oder Völkergewohnheitsrecht zugrunde legt, ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass die Wesentlichkeitstheorie, welche unter anderem aus dem Demokratieprinzip folgt, verlangt, dass sich die Voraussetzungen der Strafbarkeit und der Bestrafung aus einem formellen Gesetz ergeben – ein Erfordernis, das bei der Anwendung von nationalem Gewohnheitsrecht ebenso wenig erfüllt wird wie bei der Anwendung von Völkergewohnheitsrecht. Als Zwischenergebnis lässt sich mithin festhalten, dass sich aus den Grundlagen des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG – und damit als Kondensat dieser Grundlagen aus dem Verbot selbst – nicht die Zulässigkeit der Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht ergibt. Da der Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung seine Grenze unter anderem im erkennbaren Zweck der auszulegenden Norm findet, scheidet eine völkerrechtskonforme Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG dahingehend, dass er eine Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht verbietet, bereits aus diesem Grunde aus.

286 Zwar setzt Art. 38 Abs. 1 Buchst. b IGH-Statut für die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht eine entsprechende Staatenpraxis voraus, doch dürfte diese keineswegs immer eindeutig sein.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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(3) Grenze einer völkerrechtskonformen Auslegung: Verbot der Minderung des nationalen Grundrechtsschutzes Das eben gefundene Ergebnis wird durch einen weiteren Aspekt bestätigt. In seiner Entscheidung vom 26. März 1987 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts festgestellt, dass Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK bei der Auslegung des Grundgesetzes in Betracht zu ziehen sind, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt. Eine solche Einschränkung oder Minderung sei bereits durch Art. 53 EMRK287 ausgeschlossen.288 Diese Bestimmung lautet folgendermaßen: „Diese Konvention ist nicht so auszulegen, als beschränke oder beeinträchtige sie Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in den Gesetzen einer Hohen Vertragspartei oder in einer anderen Übereinkunft, deren Vertragspartei sie ist, anerkannt werden.“

Aus der genannten Entscheidung lässt sich eine allgemeine Grenze für das Rechtsinstitut der völkerrechtsfreundlichen Auslegung herleiten – also über die EMRK-konforme Auslegung hinaus. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die UN-Charta in ihren Art. 55, 56 die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit den Vereinten Nationen fordert, um die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu erreichen, wäre es nämlich unverständlich, wenn die völkerrechtsfreundliche Auslegung der Verfassung eine Zurücknahme des Grundrechtsschutzes insoweit fordern würde, als völkerrechtliche Verträge diesem Grundrechtsschutz nicht Rechnung tragen.289 Überdies bezweckt nicht nur die EMRK mit ihrem Art. 53 die Sicherung eines menschenrechtlichen Mindeststandards, sondern auch andere Menschenrechtsabkommen, wie zum Beispiel Art. 5 Abs. 2 IPwirtschR290. Aus diesen Normen ergibt sich nach hier vertretener Auffassung das allgemeine Verbot der Minderung des nationalen Grundrechtsschutzes im Wege der völkerrechtskonformen Auslegung. Würde man Art. 103 Abs. 2 GG völkerrechtsfreundlich dahingehend auslegen, dass diese Norm einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht entgegensteht, würde dies gerade eine Absenkung des Schutzgehalts dieser Verfassungsnorm bedeuten. Unabhängig von dem Streit, ob es sich bei Art. 103 Abs. 2 GG um ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht handelt291, verbietet damit auch 287 Das Bundesverfassungsgericht spricht noch von Art. 60 EMRK. Diese Norm wurde durch Art. 2 Abs. 1 des „Protokoll Nr. 11 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus“ zu Art. 53 EMRK (BGBl. 1995 II, S. 587 f.). 288 BVerfGE 74, 358 (370). 289 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 190 f. 290 Sommermann, AöR 114 (1989), S. 393. 291 Ob Art. 103 Abs. 2 GG ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht ist, ist umstritten: Für Grundrechtsqualität sprechen sich z. B. aus: Rittstieg, DuR 19 (1991), S. 410; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 99; Schorn, EMRK, Art. 7 I, Unterpunkt 13 (S. 239); v.Mangoldt / Klein / Starck-Nolte, Art. 103 II, Rn. 103; Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 491.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

das Verbot der Minderung des nationalen Grundrechtsschutzes im Wege der völkerrechtsfreundlichen Auslegung eine Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG dahingehend, dass diese Bestimmung einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht entgegensteht.

f) Zusammenfassung zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht In Zusammenfassung lässt sich damit festhalten, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG auch der Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht entgegensteht. Insbesondere ist keine anderweitige völkerrechtskonforme Auslegung dieser Verfassungsnorm möglich. Zwar wäre nach dem möglichen Wortsinn des Art. 103 Abs. 2 GG eine Auslegung in der Weise möglich, dass diese Bestimmung einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht per se entgegensteht, jedoch scheitert eine dahingehende völkerrechtskonforme Auslegung aus zwei Gründen: Erstens wegen des erkennbaren Zwecks des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG, dem eine derartige völkerrechtskonforme Auslegung zuwiderliefe; zweitens wegen des Verbots der Einschränkung nationaler Grundrechte im Wege der völkerrechtskonformen Auslegung. Die unmittelbare, also nicht über einen formellgesetzlichen Verweis vermittelte, Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht ist demnach durch Art. 103 Abs. 2 GG ausgeschlossen.292

3. Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht Es stellt sich damit die Frage, ob Art. 103 Abs. 2 GG auch der mittelbaren Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht entgegensteht, also der strafbarkeitsbegründenden Anwendung von Gewohnheitsrecht, die über eine dynamische Verweisung durch formelle Gesetze vermittelt ist. Dies wird im Folgenden zuerst abstrakt behandelt [dazu Unterabschnitt a)] und sodann auf die hier in Rede stehenden Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs bezogen [dazu Unterabschnitt b)]. Schließlich werden die hier ermittelten Zulässigkeitskriterien im Wege eines Exkurses auf sonstige Fälle mittelbarer Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht übertragen [dazu Unterabschnitt c)]. Dass Art. 103 Abs. 2 GG nur grundrechtsgleich sei, vertreten demgegenüber z. B.: BVerfGE 85, 69 (72); Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1084; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 997; Jarass / Pieroth-Pieroth, Art. 103, Rn. 40. 292 Ebenso: Wilkitzki, ZStW 99 (1987), S. 461.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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a) Zulässigkeitskriterien für formellgesetzliche dynamische Verweisungen auf Gewohnheitsrecht Soweit ersichtlich, ist die Frage, ob das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG auch dann einschlägig ist, wenn durch formelles Gesetz auf Gewohnheitsrecht dynamisch verwiesen wird, in der Rechtswissenschaft bislang kaum erörtert worden. Speziell mit derjenigen Verweisung auf Völkergewohnheitsrecht, die durch § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB vorgenommen wird, hat sich jedoch Satzger befasst. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB macht sich derjenige strafbar, der im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt. In der vorliegenden Untersuchung wurde festgestellt, dass neben dem Tatbestandsmerkmal „rechtmäßig“ vor allem das Merkmal „unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“ auf Völkergewohnheitsrecht verweist. Unter Hinweis auf Art. 103 Abs. 2 GG hält Satzger bereits den durch das zuletzt genannte Merkmal erfolgenden Verweis in mehrfacher Hinsicht für bedenklich: Erstens in Bezug auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht, zweitens im Hinblick auf die Unbestimmtheit des in Bezug genommenen Völkergewohnheitsrechts, da es regelmäßig für den Einzelnen äußerst schwierig sei, den Inhalt dieses ungeschriebenen und stetigem Wandel unterworfenen Normenkomplexes festzustellen.293 Satzger hält hierzu fest: „Sind dynamische Verweisungen in Strafvorschriften angesichts der verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen schon im Allgemeinen nicht unproblematisch[…], so ist eine Verweisung auf eine im Wesentlichen ungeschriebene und zersplitterte Rechtsquelle gänzlich inakzeptabel.“294

Satzger bezieht sich in seinen Ausführungen letztlich also vor allem auf das Prinzip der Rechtssicherheit. Dieses Prinzip gebietet, rechtliche Regelungen so zu fassen, dass die Betroffenen ihre Normunterworfenheit und die Rechtslage hinreichend konkret erkennen können, so dass sie ihr Verhalten danach auszurichten vermögen.295 Der Bürger soll die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können; er muss darauf vertrauen können, dass sein dem geltenden Recht entsprechendes Handeln von der Rechtsordnung mit allen ursprünglich damit verbundenen Rechtsfolgen anerkannt bleibt.296

293 294 295 296

Satzger, JuS 2004, S. 946; Satzger, NStZ 2002, S. 130 f. Satzger, NStZ 2002, S. 131. Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 62. BVerfGE 13, 261 (271).

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Das Prinzip der Rechtssicherheit bedeutet damit für den Bürger in erster Linie Vertrauensschutz.297 Tatsächlich droht im Falle eines dynamischen Verweises auf Gewohnheitsrecht durch formelle Gesetze eine erhebliche Beeinträchtigung der Rechtssicherheit, berücksichtigt man nur die Schwierigkeiten, die ein Einzelner regelmäßig hat, sich vom Inhalt völkergewohnheitsrechtlicher Normen Kenntnis zu verschaffen. Satzger hebt völlig zu Recht hervor, dass es bereits für einen Richter mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden sein kann, den Inhalt des Völkergewohnheitsrechts festzustellen.298 So gesehen macht es im Hinblick auf das Prinzip der Rechtssicherheit auf den ersten Blick keinen Unterschied, ob Völkergewohnheitsrecht unmittelbar oder lediglich vermittelt über einen formellgesetzlichen Verweis zur Anwendung gelangt. Ob jedoch das Prinzip der Rechtssicherheit aus diesem Grunde formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht stets entgegensteht, wird weiter unten zu untersuchen sein. Was andererseits den Aspekt der Zweckmäßigkeit betrifft, so ist festzuhalten, dass in bestimmten Situationen durchaus ein praktisches Bedürfnis nach formellen Gesetzen bestehen kann, die auf Gewohnheitsrecht verweisen. Zum einen ist in diesem Zusammenhang auf den gesetzesökonomischen Effekt hinzuweisen, der darin besteht, dass bei der Verwendung von gesetzlichen Verweisungen auf die ausdrückliche Wiederholung des Textes der Normen, die in Bezug genommen werden, verzichtet werden kann.299 Darüber hinaus ist insbesondere für die hier untersuchten Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs auf die Möglichkeit hinzuweisen, durch dynamische Verweise eine Angleichung nationaler Tatbestände an das Völkerrecht zu bewirken300. Letztlich stehen jedoch auch die Grundlagen des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – das Prinzip der Rechtssicherheit, der Gewaltenteilungsgrundsatz sowie das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie – formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht grundsätzlich nicht entgegen, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt sind. Zwar gebietet das Prinzip der Rechtssicherheit, rechtliche Regelungen so zu fassen, dass die Betroffenen ihre Normunterworfenheit und die Rechts297 BVerfGE 13, 215 (224); BVerfGE 13, 261 (271); BVerfGE 14, 288 (297); BVerfGE 15, 313 (324). Demgegenüber bezeichnet das Bundesverfassungsgericht in neueren Entscheidungen das Prinzip des Vertrauensschutzes als selbständigen rechtsstaatlichen Grundsatz (so z. B.: BVerfGE 30, 392 [403]; BVerfGE 50, 244 [250]; BVerfGE 55, 185 [203]; BVerfGE 59, 128 [152]). 298 Satzger, NStZ 2002, S. 131. 299 Vgl. Clemens, AöR 111 (1986), S. 66. – Moll weist auf den Aspekt hin, dass ein allzu eng geflochtenes Normengefüge im Einzelfall den Normadressaten auch verwirren kann (Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 137 f.). 300 Zu dem mit der Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs verfolgten Ziel des Gesetzgebers, eine Anpassung des deutschen Strafrechts an das Römische Statut zu erreichen, vgl. oben: Kapitel B. I. 3.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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lage hinreichend konkret erkennen können, so dass sie ihr Verhalten danach auszurichten vermögen.301 Aus dieser Umschreibung ist jedoch nicht zwingend zu entnehmen, dass formellgesetzliche dynamische Verweise auf Gewohnheitsrecht am Prinzip der Rechtssicherheit scheitern würden. Zwar ist eben darauf hingewiesen worden, dass sich auch im Falle von formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht – nicht anders als bei der unmittelbaren Anwendung von Gewohnheitsrecht – das Problem stellt, den Inhalt des in Bezug genommenen Normenkomplexes zu ermitteln. Dies gilt schon allein deshalb, weil Gewohnheitsrecht regelmäßig nicht schriftlich fixiert und damit visuell wahrnehmbar ist. Diese Aspekte haben jedoch letztlich nicht zur Folge, dass eine durch formellgesetzliche Verweisung vermittelte Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht im Hinblick auf das Prinzip der Rechtssicherheit zwingend unzulässig ist. Von den Fällen der unmittelbaren Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht, die im Hinblick auf das Prinzip der Rechtssicherheit hochproblematisch sind, unterscheiden sich die Fälle formellgesetzlicher dynamischer Verweisungen auf Gewohnheitsrecht nämlich regelmäßig dadurch, dass neben den auf Gewohnheitsrecht verweisenden Tatbestandsmerkmalen noch weitere schriftlich fixierte Merkmale bestehen, die im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht unproblematisch sind. Soweit diese Merkmale geeignet sind, den Tatbestand insgesamt hinreichend einzuschränken, wird für den Einzelnen zumindest klar, aus welchem Lebensbereich dasjenige Gewohnheitsrecht, auf welches verwiesen wird, stammt. So ergibt sich beispielsweise aus den geschriebenen Tatbestandsmerkmalen des angesprochenen § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, dass das auf Völkergewohnheitsrecht verweisende Merkmal „unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts“ lediglich solches Völkergewohnheitsrecht erfasst, das sich thematisch auf Verbringungsmaßnahmen bezieht. Aus diesem Grunde ist auch die Auffassung Satzgers zurückzuweisen, derzufolge mit der in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB erfolgten Anknüpfung an eine völkergewohnheitsrechtliche Pflichtverletzung eine Tatbestandsvoraussetzung etabliert worden sei, die nicht mehr durch eine lex scripta umrissen ist302. Diese Auffassung berücksichtigt zu wenig die Möglichkeit systematischer Auslegung, die dazu führt, dass auch die Reichweite eines rein völkergewohnheitsrechtlich geprägten Tatbestandsmerkmals durch andere – im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht unproblematische – Tatbestandsmerkmale beeinflusst werden kann. Das Prinzip der Rechtssicherheit, welches lediglich eine Formulierung rechtlicher Regelungen in einer Weise verlangt, die es dem Einzelnen ermöglicht, die Rechtslage hinreichend konkret zu erfassen, so dass er sein Verhalten entsprechend auszurichten vermag, verbietet grundsätzlich nicht die Verwendung einzelner Tatbestandsmerkmale, die für sich genommen relativ unbestimmt sind (seien dies Verweise auf Gewohnheitsrecht oder sonstige „schlicht unbestimmte“ Tat301 302

Zippelius / Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, § 12, Rn. 62. Satzger, NStZ 2002, S. 131.

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bestandsmerkmale), die aber innerhalb eines hinreichend engen gesetzlichen Rahmens normiert sind. Die isolierte Betrachtung jedes einzelnen Merkmals im Hinblick auf seine Bestimmtheit würde verkennen, dass nicht nur Gesetze und Normen, sondern auch Tatbestandsmerkmale immer in einem systematischen Zusammenhang auszulegen sind. Damit bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass das Prinzip der Rechtssicherheit formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht dann nicht entgegensteht, solange der gesetzliche Rahmen, den das Gewohnheitsrecht auszufüllen hat, seinerseits hinreichend eng ist, ohne dass damit an dieser Stelle bereits festgestellt ist, welche genauen Anforderungen an die zuletzt genannte Voraussetzung zu stellen sind. Das gleiche Ergebnis einer im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht gegebenen prinzipiellen Zulässigkeit formellgesetzlicher dynamischer Verweise auf Gewohnheitsrecht gilt auch für die weitere Grundlage dieses Verbots: das Prinzip der Gewaltenteilung. Durch diesen Grundsatz in der Ausprägung des Grundgesetzes werden die Befugnisse der Legislative, der Exekutive und der Judikative voneinander abgegrenzt. Das Grundgesetz weist in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG die Ausführung der in diesen drei Gewalten in Erscheinung tretenden Staatsgewalt besonderen Organen zu. Der Grundsatz der Gewaltenteilung dient dabei vor allem zwei Zwecken: Zum einen soll erreicht werden, dass sich Legislative, Exekutive und Judikative gegenseitig ergänzen, kontrollieren und begrenzen, damit die Staatsgewalt gemäßigt und gehemmt wird, um so die Freiheit des Einzelnen zu schützen.303 Zum anderen wird durch das Prinzip der Gewaltenteilung eine sachgemäße Verteilung der Staatsfunktionen angestrebt, die der unterschiedlichen Struktur der Staatsorgane angepasst ist (organadäquate Funktionenteilung).304 Dadurch, dass ein Strafgesetzgeber in den von ihm erlassenen Straftatbeständen dynamisch auf Gewohnheitsrecht verweist, wird der Grundsatz der Gewaltenteilung grundsätzlich nicht verletzt. Zwar können die Einflussmöglichkeiten der Rechtsprechung auf die genaue Ausgestaltung eines anzuwendenden Gewohnheitsrechtssatzes mitunter sehr groß sein. Solange der Gesetzgeber durch die übrigen Tatbestandsmerkmale jedoch einen hinreichend engen Rahmen vorgibt, erscheint die Möglichkeit der richterlichen Einflussnahme auf die Ausgestaltung des anzuwendenden Gewohnheitsrechts ausreichend beschränkt und somit im Hinblick auf die vom Grundsatz der Gewaltenteilung geschützte Freiheit des Einzelnen hinnehmbar. Unter den gleichen Voraussetzungen ist auch das Erfordernis der organadäquaten Funktionenteilung erfüllt. Auch für den Grundsatz der Gewaltenteilung gilt somit, dass dieses Prinzip formellgesetzlichen dynamischen Verweisen 303 BVerfGE 3, 225 (247); BVerfGE 7, 183 (189); BVerfGE 9, 268 (279); BVerfGE 22, 106 (111); BVerfGE 30, 1 (28); BVerfGE 67, 100 (130); BVerfGE 68, 1 (86); BVerfGE 95, 1 (15); Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 81; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 476; Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 69, Fn. 213. 304 BVerfGE 68, 1 (86); BVerfGE 90, 286 (364); BVerfGE 95, 1 (15); BVerfGE 98, 218 (251 f.); Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 81; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 482.

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auf Gewohnheitsrecht dann nicht entgegensteht, solange weitere Tatbestandsmerkmale existieren, die ihrerseits einen hinreichend engen Rahmen aufspannen. Das gleiche Ergebnis folgt auch aus der dritten Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht, dem Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie. Nach letzterer verpflichten das Demokratieprinzip und der Gewaltenteilungsgrundsatz – sowie das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung – den Gesetzgeber, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen.305 In Anbetracht der Grundrechtseingriffe, die mit der Verhängung einer Strafe verbunden sind306, und angesichts der Tatsache, dass eine Strafe einen sozialethischen Tadel enthält307, ist die Normierung von Straftatbeständen zwar durchaus als wesentliche Entscheidung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie zu charakterisieren. Gleichwohl folgt hieraus noch nicht, dass die Wesentlichkeitstheorie verlangt, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Straftatbestandes auf das genaueste vom Gesetzgeber umrissen werden. Es gilt vielmehr auch in Bezug auf die Wesentlichkeitstheorie: Formellgesetzliche dynamische Verweise auf Gewohnheitsrecht sind solange zulässig, als weitere – nicht gewohnheitsrechtlich geprägte – Tatbestandsmerkmale existieren, die ihrerseits einen hinreichend engen Rahmen vorgeben. Die Tatsache, dass in Fällen dynamischer Verweisung auf Rechtsnormen, die nicht formellgesetzlicher Natur sind, der Regelungsgehalt der in Bezug genommenen Bestimmungen ohne Beteiligung des zuständigen und demokratisch legitimierten Gesetzgebers geändert werden kann308, erscheint unter der eben genannten Voraussetzung als hinnehmbar. In der Begrifflichkeit der Wesentlichkeitstheorie stellt die Normierung von Tatbestandsmerkmalen, die dynamisch auf Gewohnheitsrecht verweisen, dann also eine nichtwesentliche Entscheidung dar, wenn in demselben Tatbestand weitere – nicht gewohnheitsrechtlich geprägte – Tatbestandsmerkmale existieren, die ihrerseits einen hinreichend engen Rahmen aufspannen. Somit bleibt festzuhalten, dass sämtliche Grundlagen des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – und damit als Kondensat dieser Grundlagen das Verbot selbst – einem formellgesetzlichen dynamischen Verweis auf Gewohnheitsrecht dann nicht entgegenstehen, solange durch die übrigen schriftlich fixierten Merkmale des jeweiligen Tatbestands ein hinreichend enger gesetzlicher Rahmen aufgespannt wird. Mit dieser Erkenntnis ist freilich solange noch nichts gewonnen, wie ein trennscharfes Abgrenzungskriterium für die Beantwortung der Frage fehlt, ab wann ein gesetzlicher Rahmen, den es durch Gewohnheitsrecht auszufüllen gilt, als hinreichend eng bezeichnet werden kann. Diese Frage ist, soweit ersichtlich, in der Rechtswissenschaft bislang kaum erörtert worden. Anhaltspunkte könnten jedoch die Literatur und Rechtsprechung zur Verweisung for305 306 307 308

BVerfGE 20, 150 (157 f.); BVerfGE 41, 251 (260); BVerwGE 47, 201 (201, 203). Vgl. dazu oben: Kapitel C. I. 2. a) bb). Kühl, Strafrecht AT, § 10, Rn. 2. Auf diesen Aspekt weist zutreffend hin: Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 74.

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mellgesetzlicher Strafnormen auf andere Rechtssetzungsakte bieten.309 So werden beispielsweise formellgesetzliche Verweisungen auf Rechtsverordnungen im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG unter bestimmten Voraussetzungen überwiegend für zulässig erachtet.310 Das Bundesverfassungsgericht hat hinsichtlich solcher mittelbar strafbegründender Rechtsverordnungen schon frühzeitig festgestellt: „Gesetze im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG sind nicht nur Gesetze im formellen Sinne, sondern auch Rechtsverordnungen, die im Rahmen von Ermächtigungen ergangen sind, die den Voraussetzungen des Art. 80 Abs. 1 GG genügen. […] [Es] müssen an die inhaltliche Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm für Eingriffs- und zumal für Strafgesetze311 strenge Anforderungen gestellt werden. Der Gesetzgeber muß die Ermächtigung zur Strafandrohung unzweideutig aussprechen und dabei Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung so genau umreißen, daß die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe für den Bürger schon aus der Ermächtigung und nicht erst aus der auf sie gestützten Verordnung voraussehbar sind.“312

Diese Rechtsprechung ist jedoch auf die vorliegende Fallkonstellation letztlich nicht übertragbar. Bei Rechtsverordnungen handelt es sich um etwas substantiell anderes als bei Gewohnheitsrecht. Erstere müssen – jedenfalls313 soweit es sich um Rechtsverordnungen des Bundes handelt – gemäß Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG grundsätzlich im Bundesgesetzblatt verkündet werden und stellen staatlich gesetztes Recht dar; Gewohnheitsrecht ist demgegenüber weder staatlich gesetztes Recht noch in irgendeinem Fall zwingend schriftlich zu fixieren. Einen Ansatzpunkt zur Lösung der vorliegenden Fälle bietet allerdings die Tatsache, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht in engem Zusammenhang mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz steht, der ebenfalls aus Art. 103 Abs. 2 GG folgt. Diese Tatsache ergibt sich daraus, dass Gewohnheitsrecht aufgrund seiner regelmäßig schwierigen Ermittelbarkeit für den Einzelnen nur bedingt erkennbar ist und damit häufig unbestimmtes Recht darstellt. Daraus folgt in Bezug auf die hier untersuchten Tatbestände des Völkerstrafge-

309 Ausführlich hierzu: Enderle, Blankettstrafgesetze, passim; Paul, Seeverkehrsrecht, passim (insbesondere S. 67 ff.); Moll, Blankettstrafgesetzgebung, passim; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 239 ff. 310 So z. B.: BVerfGE 14, 174 (185 f.); BVerfGE 14, 254 (257); BVerfGE 22, 21 (25); BVerfGE 37, 201 (208 f.); BVerfGE 38, 348 (371); BVerfGE 51, 60 (73); BVerfGE 75, 329 (342); BVerfGE 78, 374 (382); BVerfG NJW 1992, 2624 (2624); BGH NJW 1996, 1482 (1483); OLG Karlsruhe NJW 1972, 964 (965); Kühl, FS Lackner, S. 832 f.; Schall, NJW 1990, S. 1266; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 22 f.; Maunz / Dürig-Schmidt-Assmann, Art. 103 II, Rn. 210; Umbach / Clemens-Zierlein, Art. 103, Rn. 128. 311 In der Literatur wird teilweise betont, dass im Falle von Strafgesetzen, die auf Verordnungen verweisen, die Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG in strafrechtstypischer Weise verschärft werden müssen (so z. B.: Maunz / Dürig-Schmidt-Assmann, Art. 103 II, Rn. 210). 312 BVerfGE 14, 174 (185 f.). 313 Das Publizitätsgebot des Art. 82 Abs. 1 S. 2 GG gilt nur für Rechtsverordnungen des Bundes. Für Rechtsverordnungen der Länder greifen die entsprechenden Vorschriften des jeweiligen Landesverfassungsrechts (vgl. v.Mangoldt / Klein / Starck-Brenner, Art. 82, Rn. 35).

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setzbuchs folgendes: Durch den Verweis auf Gewohnheitsrecht inkorporieren sie zugleich per se unbestimmte Tatbestandsmerkmale. Es liegt daher nahe, für die Kriterien, ab wann ein gesetzlicher Rahmen, den es durch Gewohnheitsrecht auszufüllen gilt, als hinreichend eng bezeichnet werden kann, das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot heranzuziehen. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts begründet dieses Rechtsprinzip die Verpflichtung des Gesetzgebers, „die Voraussetzungen der Strafbarkeit314 so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.“315

Gleichzeitig hebt das Gericht aber auch hervor, dass die Bestimmtheitsanforderungen an eine Strafnorm nicht überspannt werden dürfen.316 Diese Auffassung ist grundsätzlich zu begrüßen. Ein gewisses Maß an Unbestimmtheit ist unvermeidbar, was sich bereits daraus ergibt, dass letztlich alle Begriffe mehrere Interpretationen zulassen.317 Selbst bei den sogenannten deskriptiven Begriffen ist eine Wertung nie völlig entbehrlich.318 Überdies würde – wie das Bundesverfassungsgericht selbst betont – eine Übersteigerung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots dazu führen, dass „die Gesetze […] zu starr und kasuistisch [würden] und [damit] […] der Vielgestaltigkeit des Lebens, dem Wandel der Verhältnisse oder der Besonderheit des Einzelfalls nicht mehr gerecht werden“319

könnten. Aus diesen Gründen wird ersichtlich, dass vom Bundesverfassungsgericht Einschränkungen des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes zugelassen werden: 314 Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot gilt – wie sämtliche Teilelemente des Prinzips „nullum crimen, nulla poena sine lege“ – auch für die Rechtsfolgenseite einer Strafnorm (BVerfGE 45, 363 [371]). Art. 103 Abs. 2 GG fordert also auch die hinreichende Bestimmtheit der Strafe und der sonstigen Deliktsfolgen (Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 77). Der Einzelne soll nicht nur von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, sondern auch, welche Strafe ihm für den Fall eines Verstoßes gegen jenes Verbot droht (BVerfGE 25, 269 [285]). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit auf der Rechtsfolgenseite der Norm weniger hoch sind als auf der Tatbestandsseite. Dies liegt darin begründet, dass das Schuldprinzip und die kodifizierten Strafzumessungsgrundsätze nach § 46 StGB dem Straftäter einen gewissen Grad an ausgleichender Sicherheit geben (Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 79). 315 BVerfGE 47, 109 (120); BVerfGE 75, 329 (341); BVerfGE 87, 209 (223 f.). Vgl. auch: BVerfGE 25, 269 (285); BVerfGE 92, 1 (12). 316 BVerfGE 48, 48 (56). 317 Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 67; vgl. MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 40. 318 SchSch-Eser, § 1, Rn. 19. 319 BVerfGE 45, 363 (371). Vgl. auch: BVerfGE 4, 352 (358); BVerfGE 11, 234 (237); BVerfGE 14, 245 (251); BVerfGE 28, 175 (183); BVerfGE 37, 201 (208); BVerfGE 48, 48 (56); BVerfGE 71, 108 (115); BVerfGE 75, 329 (341); BVerfGE 78, 374 (389); BVerfGE 87, 209 (224); BVerfGE 92, 1 (12); BGHSt 18, 359 (362); SchSch-Eser, § 1, Rn. 19.

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„Das Gebot der Bestimmtheit des Gesetzes darf nicht übersteigert werden […]. Das Strafrecht kann […] nicht darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die formal nicht allgemeingültig umschrieben werden können und mithin in besonderem Maße einer Deutung durch den Richter bedürfen. Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit bedeutet also nicht, daß der Gesetzgeber gezwungen ist, sämtliche Straftatbestände ausschließlich mit rein deskriptiven, exakt erfaßbaren Tatbestandsmerkmalen zu umschreiben […]. Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe im Strafrecht sind deshalb nicht von vornherein verfassungsrechtlich zu beanstanden. Gegen die Verwendung derartiger Klauseln oder Rechtsbegriffe bestehen jedenfalls dann keine Bedenken, wenn sich mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden […] oder aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung320 eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen läßt, so daß der Einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen.“321

Präzisierend zur letzten Aussage – und damit auch zu der oben angeführten verfassungsgerichtlichen Definition des strafrechtlichen Bestimmtheitsgebots – hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt: „[I]m Regelfall muß der Normadressat […] anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise für ihn wenigstens das Risiko einer Bestrafung322 erkennbar.“323

Dieselben Kriterien gelten auch für die Straftatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs. Selbst in Anbetracht des engen Bezugs des Völkerstrafgesetzbuchs zum Völkerrecht sind an die Bestimmtheit des Völkerstrafgesetzbuchs keine geringeren Anforderungen zu stellen.324 Ebenso wenig wie oben eine völkerrechtsfreund320 In der Literatur wird demgegenüber vielfach betont, es sei im Hinblick auf den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht ausreichend, wenn ein an sich unbestimmtes Tatbestandsmerkmal durch eine gleich bleibende Anwendung in der Rechtsprechung konkretisiert worden ist (so zum Beispiel: Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 68; MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 46). Argumentiert wird unter anderem damit, dass andernfalls – wenn also der Gesetzgeber die Herstellung der nötigen Bestimmtheit regelmäßig den Gerichten überlassen würde – die Gewaltenteilung preisgegeben würde (Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 68; vgl. MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 46). Die Quasi-Möglichkeit einer nachträglichen Heilung der an sich verfassungswidrigen Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei überdies auch deshalb abzulehnen, da sie dem Gesetzgeber einen Freibrief für Verstöße gegen Art. 103 Abs. 2 GG ausstelle (MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 46). 321 BVerfGE 45, 363 (371 f.). Vgl. hierzu: BVerfGE 4, 352 (358); BVerfGE 11, 234 (237); BVerfGE 28, 175 (183); BVerfGE 37, 201 (208); BVerfGE 48, 48 (56); BVerfGE 92, 1 (12); BGHSt 28, 312 (313); BGHSt 37, 266 (273 f.); Maunz / Dürig-Schmidt-Assmann, Art. 103 II, Rn. 186. 322 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 323 BVerfGE 71, 108 (115). Vgl. auch: BVerfGE 47, 109 (121); BVerfGE 75, 329 (341); BVerfGE 85, 69 (73); BVerfGE 87, 209 (224); BVerfGE 87, 363 (391 f.); BVerfGE 92, 1 (12). – Zur Kritik an dieser Einschränkung des Bestimmtheitsgebots vgl. Umbach / Clemens-Zierlein, Art. 103, Rn. 127 m. w. N. 324 Demgegenüber soll nach Satzger im Bereich des Völkerstrafgesetzbuchs aufgrund dessen engen Bezugs zum Völkerrecht ein im Vergleich zum gewöhnlichen Standard des Art. 103 Abs. 2 GG abgeschwächtes Maß an Bestimmtheit hinzunehmen sein. Zu bedenken sei näm-

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liche Auslegung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht vorgenommen werden konnte, scheint eine solche hinsichtlich des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes möglich zu sein. Hinsichtlich des Verhältnisses von Strafhöhe und Bestimmtheitsanforderungen hat die Rechtsprechung festgestellt, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso präziser bestimmen müsse, je schwerer die durch das betreffende Gesetz angedrohte Strafe ist.325 Gleichzeitig haben die Gerichte aber auch häufig betont, dass der Bestimmtheitsgrundsatz selbst bei Gesetzen, die sehr hohe Strafen androhen, nicht übersteigert werden dürfe.326 Die Annahme dieser Je-destoFormel wird zum Teil von der Literatur geteilt327, wobei jedoch mitunter kritisch betont wird, dass für diese Formel letztlich nur ein sehr schmaler Raum bleibe: So stehe im Strafrecht nicht die erhebliche Variationsbreite zur Verfügung, wie sie in Bezug auf die Bestimmtheit verwaltungsrechtlicher Eingriffs-, Leistungsund Planungsgesetze gegeben ist; der Strafgesetzgeber bewege sich vielmehr ausschließlich im Eingriffsbereich328. Zum Teil wird die Je-desto-Formel in der Literatur auch gänzlich abgelehnt mit dem Argument, das Gesetzlichkeitsprinzip gelte für alle Strafbestimmungen in gleicher Weise und gestatte keinerlei Nachlässe für leichtere Delikte.329 Entscheidend an der eben dargestellten Rechtsprechung zum strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz ist die Feststellung, dass es erforderlich – aber zugleich auch ausreichend – ist, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen, wobei es in Grenzfällen genügt, dass wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar sein soll. Konsequenterweise muss hieraus aber auch folgen, dass es im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG für den Gesetzgeber unter Umständen zulässig sein kann, in Straftatbestände einzelne – für sich genommen – sehr unbestimmte Merkmale aufzunehmen, solange sich für den Einzelnen aus den übrigen Merkmalen das Risiko einer Bestrafung entnehmen lässt. Mit anderen Worten: Einzelne unbestimmte Merkmale sind innerhalb eines Tatbestands solange unschädlich, wie die übrigen Tatbestandsmerk-

lich unter anderem, dass sich auch in den Fällen, in denen eine Norm des Völkerstrafgesetzbuchs den herkömmlichen Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes nicht entspräche, eine Strafbarkeit unmittelbar nach Völkerstrafrecht ergebe. Es gehe im Rahmen des Völkerstrafgesetzbuchs also nicht darum, ob überhaupt eine Strafbarkeit begründet werde, sondern ob sie – neben dem allgemeinen Völkerstrafrecht – auch zusätzlich durch das Völkerstrafgesetzbuch begründet werde (Satzger, JuS 2004, S. 945 f.). 325 BVerfGE 14, 245 (251); BVerfGE 26, 41 (43); BVerfGE 75, 329 (342). 326 BVerfGE 14, 245 (251); BVerfGE 75, 329 (342). 327 So im Grundsatz zum Beispiel: Maunz / Dürig-Schmidt-Assmann, Art. 103 II, Rn. 189. 328 Maunz / Dürig-Schmidt-Assmann, Art. 103 II, Rn. 189. 329 So zum Beispiel: Appel, Verfassung und Strafe, S. 119 f.; Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 68; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 29; AK-GG-Wassermann, Art. 103, Rn. 52; vgl. Krahl, Bestimmtheitsgrundsatz, S. 319 f.

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male die unter Strafe gestellten Verhaltensweisen so umschreiben, dass sich der Einzelne danach zu richten vermag. Die hiermit aufgestellte These, derzufolge ein einzelnes Tatbestandsmerkmal oder eine überschaubare Anzahl unbestimmter Tatbestandsmerkmale nicht zwingend den Gesamttatbestand unbestimmt macht, gilt im Übrigen generell für einzelne unbestimmte Merkmale innerhalb eines Tatbestands – also nicht nur für Verweisungen auf Gewohnheitsrecht. Dementsprechend ist die Auffassung von Schmitz zurückzuweisen, schon bei Unbestimmtheit eines einzigen Tatbestandsmerkmals innerhalb eines Straftatbestandes sei der gesamte Tatbestand unbestimmt330. Eine solche Ansicht verkennt die Fähigkeit des Einzelnen, die Reichweite eines Tatbestands bereits aufgrund einiger Tatbestandsmerkmale so einzugrenzen, dass man sich nach dem Tatbestand zu richten vermag. Auch berücksichtigt Schmitz zu wenig die Möglichkeiten systematischer Auslegung: Der Begriff der Systematik in diesem Sinne umfasst nämlich nicht nur andere Normen, sondern auch andere Teile desselben Tatbestands. Aus diesem Grunde ist die quantitative Auffassung Schünemanns dem Ansatz nach zu begrüßen, auch wenn sie im Einzelnen von der hier vorgetragenen abweicht und in mehreren Details kritikwürdig erscheint. Schünemann zufolge ist der Begriff der Bestimmtheit eines Tatbestands dahin zu definieren, dass der Anteil der noch hinreichend bestimmbaren Tatbestandsmerkmale an der Begrenzung des strafbaren Verhaltens jedenfalls mehr als 50 % betragen müsse331. Gemeint ist damit also, dass „die dem Richter durch einen reinen Wertbegriff überantwortete freie Entscheidungskompetenz auf Ausnahmefälle, und d. h. auf weniger als 50 %, beschränkt sein muß.“332

Einer von Roxins Kritikpunkten an dieser These, eine quantitative Abschätzung nach Prozenten sei kaum mit hinreichender Sicherheit möglich333, wird letztlich von Schünemann selbst hervorgehoben: „[D]ie quantitative Abgrenzung [kann] natürlich nicht durch eine exakte quantitative Methode, sondern nur durch eine mehr oder weniger pauschale Schätzung praktisch realisiert werden.“334

Deshalb wird an dieser Stelle mit einer anderen – nicht quantitativen – Methode gearbeitet. Ausgehend von der Überlegung, dass der Einzelne nach dem Prinzip der Rechtssicherheit sowohl theoretisch als auch praktisch die Möglichkeit haben muss, sich bewusst dem Risiko zu entziehen, durch sein Verhalten einen Straftatbestand zu erfüllen, ist zu fordern, dass sich auch in einem Straftatbestand, der gewisse unbestimmte Tatbestandsmerkmale enthält, zumindest aufgrund der übrigen 330 331 332 333 334

MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 41. Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 35. Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 36. Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 72. Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 36.

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Tatbestandsmerkmale bereits eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Nur in einem solchen Fall kann sich der Einzelne – auch bei gänzlichem Fehlen der Kenntnis von der Reichweite des unbestimmten Tatbestandsmerkmals oder der unbestimmten Tatbestandsmerkmale – bewusst machen, ob er sich durch sein Verhalten in das Risiko, einen Straftatbestand zu erfüllen, begibt. Unter diesen Voraussetzungen erscheinen die nachteiligen Auswirkungen für das Prinzip der Rechtssicherheit akzeptabel. Gleiches gilt – und hiermit abstrahieren wir von der Sicht des einzelnen potentiellen Täters – im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie. Was den Grundsatz der Gewaltenteilung anbelangt, ist festzustellen, dass die durch dieses Prinzip geschützte Freiheit des Einzelnen durch die faktischen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Rechtsprechung bei der Auslegung unbestimmter Tatbestandsmerkmale sowie bei der Feststellung eines anzuwendenden Gewohnheitsrechtssatzes dann nicht beeinträchtigt wird, wenn der Gesetzgeber durch die übrigen – im Hinblick auf das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot und das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht unproblematischen – Tatbestandsmerkmale eine Menge von Lebenssachverhalten festlegt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. In diesem Fall ist auch die – ebenfalls durch das Prinzip der Gewaltenteilung angestrebte – sachgemäße (das heißt eine der unterschiedlichen Struktur der Staatsorgane angepasste) Verteilung der Staatsfunktionen gewahrt. Auch für den Grundsatz der Gewaltenteilung gilt somit, dass dieses Prinzip einzelnen unbestimmten Tatbestandsmerkmalen im Allgemeinen und formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht im Besonderen dann nicht entgegensteht, wenn in dem jeweiligen Tatbestand weitere – im Hinblick auf den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz und das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht unproblematische – Tatbestandsmerkmale existieren, die eine Menge von Lebenssachverhalten umschreiben, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Dasselbe gilt letztlich auch für das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie. Was die Fälle formellgesetzlicher dynamischer Verweisungen auf Gewohnheitsrecht anbelangt, so erscheint insbesondere die Tatsache, dass der Regelungsgehalt der in Bezug genommenen Bestimmungen ohne Beteilung des zuständigen und demokratisch legitimierten Gesetzgebers geändert werden kann, unter der hier geforderten Voraussetzung akzeptabel. Gemessen an diesen Kriterien würde der fiktive Straftatbestand „Jeder, der sich unwürdig verhält, wird mit Strafe X bestraft.“

gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot verstoßen, da das Tatbestandsmerkmal des unwürdigen Verhaltens für sich genommen zu unbestimmt ist und das andere Tatbestandsmerkmal „jeder“ keine in sich geschlossene und klar abgrenzbare

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Menge von Lebenssachverhalten umfasst, der sich der Einzelne entziehen kann. An letzterem würde es auch bei dem fiktiven Tatbestand „Jeder, der sich in der Öffentlichkeit unwürdig verhält, wird mit Strafe X bestraft.“

fehlen. Als im Hinblick auf den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz zulässig erachtet werden muss demgegenüber jedoch folgender hypothetisch gedachter Straftatbestand: „Jeder, der sich als Besucher in dem öffentlichen Gebäude A unwürdig verhält, wird mit Strafe X bestraft.“

In diesem Beispiel ist zwar das Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit für sich genommen genauso unbestimmt wie in den beiden vorangegangenen Beispielen; jedoch wird durch die übrigen Tatbestandsmerkmale für den Einzelnen klar, dass nur solche Menschen in das Risiko einer Bestrafung gelangen, die sich als Besucher in dem öffentlichen Gebäude A aufhalten. Durch diese übrigen Tatbestandsmerkmale wird nämlich eine in sich geschlossene und klar abgrenzbare Menge von Lebenssachverhalten erfasst, der sich der Einzelne bewusst entziehen kann. Das gleiche Ergebnis gilt auch für folgendes fiktives Tatbestandsbeispiel: „Jeder, der als Besucher in dem öffentlichen Gebäude A gegen Gewohnheitsrecht verstößt, wird mit Strafe X bestraft.“

Dieser Fall ist also im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) als zulässig zu erachten. Gleichwohl ist anzumerken, dass insbesondere dynamische Verweisungen auf Gewohnheitsrecht in der strafgesetzgeberischen Praxis nach Möglichkeit die Ausnahme bleiben sollten.335 Unter dieser Voraussetzung scheint die mit formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht unbestreitbar einhergehende Berührung des Prinzips der Rechtssicherheit, des Gewaltenteilungsgrundsatzes sowie des Demokratieprinzips unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie im Hinblick auf die oben genannten Vorteile hinnehmbar.

b) Anwendung auf die Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs Unter Berücksichtigung der eben aufgestellten Kriterien ist im Folgenden zu untersuchen, ob die hier in Rede stehenden Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs einen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) darstellen. Es wird also der Frage nachgegangen, ob sich in den dynamisch auf Völkergewohn335

Vgl. auch den Ansatz Mesekes, der im Hinblick auf das Merkmal des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB in Erwägung zieht, nur evidente Verstöße gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts unter den Tatbestand zu fassen (Meseke, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 288).

III. Eingriff in den Schutzbereich

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heitsrecht verweisenden Tatbeständen bereits aufgrund der Tatbestandsmerkmale, die nicht auf Gewohnheitsrecht verweisen, eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag.

aa) § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB (Vertreibung oder zwangsweise Überführung) § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB normiert die Tatbestände der Vertreibung und der zwangsweisen Überführung. Nach dieser Norm macht sich strafbar, wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt. Sieht man in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB von den auf Gewohnheitsrecht verweisenden Tatbestandsmerkmalen ab (Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Opfers; Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts), so erfasst der übrige Tatbestandsteil sämtliche Fälle, in denen im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung ein Mensch vertrieben oder zwangsweise überführt wird, indem er durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbracht wird. Die Gruppe der hierdurch erfassten Lebenssachverhalte ist als in sich geschlossen und klar abgrenzbar zu qualifizieren, da sie eine zwangsweise Verbringung eines Menschen voraussetzt336. Ein Einzelner vermag sich auch regelmäßig bewusst dieser Menge von Lebenssachverhalten zu entziehen. Aus diesem Grunde befinden sich die in § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB enthaltenen, auf Gewohnheitsrecht verweisenden Tatbestandsmerkmale innerhalb eines hinreichend engen gesetzlichen Rahmens und stellen somit nach hier vertretener Auffassung keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG dar.

bb) § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB (Folter) § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB normiert das Verbrechen der Folter. Strafbar macht sich danach, wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen Menschen, der sich im Gewahrsam des Täters oder in sonstiger Weise unter dessen Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge 336

Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 20.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind. Auf Gewohnheitsrecht wird in diesem Tatbestand durch das Merkmal der völkerrechtlich zulässigen Sanktionen verwiesen, bei dessen Vorliegen der Tatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB nicht erfüllt ist. Der übrige – im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht unproblematische – Tatbestandsteil des § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB umfasst diejenigen Lebenssachverhalte, in denen im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung ein Mensch gefoltert wird, indem diesem Menschen erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zugefügt werden. Diese Gruppe von Lebenssachverhalten erscheint erstens in sich geschlossen und klar abgrenzbar und stellt zweitens eine Gruppe dar, der sich ein Einzelner regelmäßig bewusst entziehen kann. Aus diesem Grunde stellt das auf Gewohnheitsrecht verweisende Merkmal der völkerrechtlich zulässigen Sanktionen ein Tatbestandsmerkmal dar, das sich innerhalb eines hinreichend engen gesetzlichen Rahmens befindet, so dass durch dieses Merkmal nicht in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG eingegriffen wird.

cc) § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB (Freiheitsentziehung) § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB erfasst das Verbrechen der Freiheitsentziehung. Strafbar macht sich danach, wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt. Auf Gewohnheitsrecht verweist in diesem Tatbestand das Merkmal des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts. Der übrige – im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht unproblematische – Tatbestandsteil des § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB umfasst damit diejenigen Lebenssachverhalte, in denen im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung ein Mensch in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt wird. Auch diese Gruppe von Lebenssachverhalten erscheint erstens in sich geschlossen und klar abgrenzbar und stellt zweitens eine Gruppe dar, der sich ein Einzelner regelmäßig bewusst entziehen kann. Es fallen hierunter nach der Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des Völkerstrafgesetzbuchs nämlich nur diejenigen Fälle, in denen der Täter einen oder mehrere Menschen daran hindert, den Aufenthaltsort frei zu verlassen, womit auch die Situationen erfasst sind, in denen eine Person zwar ihrer physischen Bewegungsfreiheit nicht vollständig beraubt wird, diese aber auf ein bestimmtes Gebiet – zum Beispiel durch Einweisung in ein Lager – beschränkt wird337. Damit stellt das auf 337

Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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Gewohnheitsrecht verweisende Merkmal des Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts ein Tatbestandsmerkmal dar, das sich innerhalb eines hinreichend engen gesetzlichen Rahmens befindet, und stellt aus diesem Grunde nach hier vertretener Auffassung keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG dar.

dd) § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB (Verfolgung) Problematischer ist demgegenüber § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB, der das Verbrechen der Verfolgung normiert, macht sich strafbar, wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt. Der im Hinblick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG enthaltene Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht problematische Teil des Tatbestands von § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB ist das Merkmal der nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe. Bei Außerachtlassung dieses Tatbestandsmerkmals bliebe in § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB der Tatbestandsteil: „Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr […] grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt.“

Es ist fraglich, ob die Gruppe von Lebenssachverhalten, die von diesem Tatbestandsteil umfasst wird, als derart in sich geschlossen und klar abgrenzbar bezeichnet werden kann, dass das Defizit an Bestimmtheit des auf Gewohnheitsrecht verweisenden Merkmals der nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe kompensiert werden kann. Dies ist deswegen höchst problematisch, weil insbesondere die Merkmale der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte relativ unbestimmt sind. Der Gesetzgeber versteht unter den grundlegenden Menschenrechten im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB „neben anderen insbesondere338 die Rechte auf Leben, Gesundheit oder Bewegungsfreiheit“339 – eine Definition, die das Merkmal der grundlegenden Menschenrechte nicht viel bestimmter macht. Aufschlussreich sind insoweit Ausführungen des ICTY aus der Entscheidung Kupreškić et al., mit

338 339

Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 22.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

denen der ICTY eine gewisse Unbestimmtheit bei der Auslegung des Merkmals der grundlegenden Menschenrechte für erforderlich erklärt: „The Trial Chamber does not see fit to identify which rights constitute fundamental rights for the purposes of persecution. The interests of justice would not be served by so doing, as the explicit inclusion of particular fundamental rights could be interpreted as the implicit exclusion of other rights (expressio unius est exclusio alterius). This is not the approach taken to crimes against humanity in customary international law, where the category of ‚other inhumane acts‘ also allows courts flexibility to determine the cases before them, depending on the forms which attacks on humanity may take, forms which are ever-changing and carried out with particular ingenuity. Each case must therefore be examined on its merits.“340

Natürlich sind diese rechtspolitischen Gründe nicht völlig von der Hand zu weisen, jedoch gehen sie zu Lasten der Rechtssicherheit. Denn wenn bereits das Merkmal der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte vergleichsweise unbestimmt ist, vermag es grundsätzlich auch keinen hinreichend engen Rahmen aufzuspannen, den es durch den Verweis auf Völkergewohnheitsrecht auszufüllen gilt. Auf der anderen Seite ist jedoch zu bedenken, dass zumindest die übrigen in § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 1–7 VStGB aufgeführten Gründe341 zur Auslegung des in § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB normierten Merkmals der nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe beitragen können, auch wenn jene als alternative Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen von § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB nicht verwirklicht sein müssen.342 Da § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB von anderen Gründen spricht, ergibt die Auslegung, dass unter dem Merkmal der nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründe zumindest ein den Gründen in § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 1–7 VStGB vergleichbarer Grund zu verstehen ist. Gleichwohl erscheint § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG bedenklich.343 Um jeglichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB auszuschließen, ist der Gesetzgeber deshalb hiermit zur Nachbesserung dieser Bestimmung aufgerufen. In Betracht käme insoweit eine nähere Umschreibung der Merkmale der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte. In seiner jetzigen Fassung jedenfalls stellt § 7 Abs. 1 Nr. 10 340 ICTY, Urt. v. 14. Januar 2000 (Case No.: IT-95-16-T; Kupreškić et al.; Trial Chamber), Absatz 623. 341 § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 1 VStGB erfasst politische Gründe, Var. 2 rassische Gründe, Var. 3 nationale Gründe, Var. 4 ethnische Gründe, Var. 5 kulturelle Gründe, Var. 6 religiöse Gründe, Var. 7 Gründe des Geschlechts. 342 Vgl. insoweit auch: ICTY, Urt. v. 7. Mai 1997 (Case No.: IT-94-1-T; Tadić; Trial Chamber), Absatz 712. 343 Vgl. Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 214.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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Var. 8 VStGB einen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG dar. Ob dieser Eingriff zugleich einen Verstoß bedeutet, wird weiter unten344 untersucht.

ee) § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB (Vertreibung oder zwangsweise Überführung) Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB normiert den Kriegsverbrechenstatbestand der Vertreibung oder zwangsweisen Überführung der Zivilbevölkerung. Nach dieser Bestimmung macht sich strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt. Die im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG problematischen Tatbestandsmerkmale sind hier die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts der Person, gegen die sich die schädigende Handlung richtet, sowie das Vorliegen eines Verstoßes gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts. Demgegenüber stellt das Merkmal der nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person keinen unmittelbaren Verweis auf Gewohnheitsrecht dar, wie sich aus der Legaldefinition des § 8 Abs. 6 VStGB ergibt. Sieht man in § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB von den auf Gewohnheitsrecht verweisenden Tatbestandsmerkmalen ab, so erfasst der übrige Tatbestandsteil sämtliche Fälle, in denen im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person vertrieben oder zwangsweise überführt wird, indem sie durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbracht wird. Die Gruppe der hierdurch erfassten Lebenssachverhalte ist als in sich geschlossen und klar abgrenzbar zu qualifizieren. Überdies vermag sich ein Einzelner regelmäßig dieser Menge von Lebenssachverhalten bewusst zu entziehen. Für § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB gilt damit dasselbe wie in Bezug auf die parallele Bestimmung des § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, welcher die Tatbestände der Vertreibung oder zwangsweisen Überführung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahndet. Insbesondere führt auch nicht das in § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB im Vergleich zu § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB unterschiedliche Gesamtverbrechen zu einer differenten Bewertung der Rechtslage. Die in § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB enthaltenen, auf Gewohnheitsrecht verweisenden Tatbestandsmerkmale stellen somit keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter besonderer 344

Vgl. unten: Kapitel D. IV.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG dar.

ff) § 9 Abs. 1 VStGB (Plünderung oder Zerstörung von Sachen) § 9 Abs. 1 VStGB erfasst die Kriegsverbrechen der Plünderung und Zerstörung von Sachen. Die Norm verlangt in ihrem Tatbestand, dass der Täter im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt. Das Tatbestandsmerkmal völkerrechtswidrig verweist dabei auf die Gesamtheit des Völkerrechts, mithin auch auf Völkergewohnheitsrecht. Bei Außerachtlassung dieses Tatbestandsmerkmals in § 9 Abs. 1 VStGB erfasst der übrige Tatbestandsteil sämtliche Fälle, in denen jemand im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in erheblichem Umfang Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist. Es bliebe damit eine Gruppe von „strafbarkeitsriskanten“ Lebenssachverhalten bestehen, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Tathandlungen der Zerstörung, der Aneignung und der Beschlagnahme in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Strafrecht zu verstehen sind345. § 9 Abs. 1 VStGB stellt somit keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG dar.

gg) § 9 Abs. 2 VStGB (Aufhebung und Aussetzung von Rechten und Forderungen) Auch das in § 9 Abs. 2 VStGB enthaltene Merkmal der Völkerrechtswidrigkeit, welches auf Gewohnheitsrecht verweist, befindet sich innerhalb eines hinreichend engen gesetzlichen Rahmens. § 9 Abs. 2 VStGB normiert die Fälle der Aufhebung und Aussetzung von Rechten und Forderungen. Sein Tatbestand setzt voraus, dass der Täter im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt völkerrechtswidrig anordnet, dass Rechte und Forderungen aller oder eines wesent345

BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31.

III. Eingriff in den Schutzbereich

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lichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei aufgehoben oder ausgesetzt werden oder vor Gericht nicht einklagbar sind. Sieht man von dem auf Gewohnheitsrecht verweisenden Merkmal der Völkerrechtswidrigkeit ab, so bliebe folgender Tatbestandsteil bestehen: „Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt […] anordnet, dass Rechte und Forderungen aller oder eines wesentlichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei aufgehoben oder ausgesetzt werden oder vor Gericht nicht einklagbar sind.“

Dieser Tatbestandsteil erfasst eine in sich geschlossene und klar abgrenzbare Gruppe von Lebenssachverhalten, der sich ein Einzelner bewusst zu entziehen vermag, und zwar insbesondere deshalb, weil § 9 Abs. 2 VStGB mit dem Tatbestandsmerkmal aller oder eines wesentlichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei eine Strafbarkeitsschwelle enthält, die dazu führt, dass nur solche Verhaltensweisen von § 9 Abs. 2 VStGB erfasst sind, die ein methodisches bzw. systematisches Vorgehen darstellen. Individuelle und singuläre Verhaltensweisen werden damit von § 9 Abs. 2 VStGB nicht erfasst.346 Überdies können nur solche Erklärungen, Deklarationen oder Anordnungen tatbestandsmäßig sein, die geeignet sind, die Geltendmachung von Rechten und Forderungen faktisch zu behindern.347 Damit bleibt letztlich festzuhalten, dass der Verweis auf Gewohnheitsrecht in § 9 Abs. 2 VStGB keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter besonderer Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG darstellt.

hh) § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe gegen durch das Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnete Personen und Objekte) § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB bestraft den im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt begangenen Angriff gegen Personen, Gebäude, Material, Sanitätseinrichtungen oder Sanitätstransportmittel, die in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnet sind. Bei Außerachtlassung des auf Gewohnheitsrecht verweisenden Merkmals der Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht erfasst der übrige Tatbestandsteil sämtliche Fälle, in denen im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt ein Angriff gegen Personen, Gebäude, Material, Sanitätseinheiten oder Sanitätstransportmittel gerichtet wird, die mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnet sind. Die Gruppe der hierdurch erfassten Lebenssachverhalte ist in sich geschlossen und klar abgrenzbar. Überdies vermag sich ein Einzelner dieser Menge von Lebenssachverhalten zu entziehen, so dass auch in Bezug 346 347

Vgl. BT-Drucks. 14 / 8524, S. 31. Vgl. Triffterer-Cottier, Rome Statute, Art. 8, Rn. 160.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

auf § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB festzuhalten bleibt, dass das auf Gewohnheitsrecht verweisende Merkmal der Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter besonderer Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG darstellt.

ii) § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB (Angriffe auf zivile Objekte) § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB erfasst die Kriegsverbrechen der Angriffe auf zivile Objekte. Hiernach macht sich strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen zivile Objekte richtet, solange sie durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind, namentlich Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude oder entmilitarisierte Zonen sowie Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte entfalten. Bei Außerachtlassung des auf Gewohnheitsrecht verweisenden Merkmals des Schutzes durch das humanitäre Völkerrecht erfasst der übrige Tatbestandsteil sämtliche Fälle, in denen im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt mit militärischen Mitteln ein Angriff gegen zivile Objekte gerichtet wird. Die Gruppe der hierdurch erfassten Lebenssachverhalte ist in sich geschlossen und klar abgrenzbar – dies nicht zuletzt deshalb, weil § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB eine beispielhafte Aufzählung von in Betracht kommenden Tatobjekten enthält. Da sich ein Einzelner außerdem dieser Menge von Lebenssachverhalten bewusst zu entziehen vermag, gilt auch für § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB, dass das auf Gewohnheitsrecht verweisende Merkmal des Schutzes durch das humanitäre Völkerrecht keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter besonderer Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG darstellt.

jj) § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB (Aushungern der Zivilbevölkerung) Dasselbe gilt schließlich auch in Bezug auf § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB, der das Kriegsverbrechen des Aushungerns von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung erfasst. § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VStGB verlangt im Einzelnen in seinen Voraussetzungen, dass der Täter im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung einsetzt, indem er ihnen die für sie lebensnotwendigen Gegenstände vorenthält oder Hilfslieferungen unter Verstoß gegen das hu-

III. Eingriff in den Schutzbereich

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manitäre Völkerrecht behindert. Sieht man im Rahmen des § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB von dem auf Gewohnheitsrecht verweisenden Tatbestandsmerkmal „unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht“ ab, so bliebe ein Tatbestandsteil bestehen, der Fälle erfasst, in denen jemand im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung einsetzt, indem er Hilfslieferungen behindert. Die Gesamtheit dieser Fälle ist als eine in sich geschlossene und klar abgrenzbare Menge von Lebenssachverhalten zu charakterisieren, der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Aus diesem Grunde stellt § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter besonderer Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) nach Art. 103 Abs. 2 GG dar.

kk) Zusammenfassung Damit bleibt festzuhalten, dass die Tatbestände nach – § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, – § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB, – § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB, – § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, – § 9 Abs. 1 VStGB, – § 9 Abs. 2 VStGB, – § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB, – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB sowie – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB nicht vom Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) erfasst werden, damit also keinen Eingriff in dieses Verfassungsprinzip darstellen. Von den untersuchten Tatbeständen ist allein § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht (unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes) bedenklich.348 Der Gesetzgeber ist hier zur Nachbesserung aufgerufen. In Betracht käme insoweit eine nähere Umschreibung der Merkmale der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte. In seiner jetzigen Fassung stellt 348

Vgl. insoweit auch: Ambos, Internationales Strafrecht, § 7, Rn. 214.

200

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

§ 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB einen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG dar. Ob dieser Eingriff zugleich einen Verstoß begründet oder ob er verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist, kann abschließend erst geklärt werden, wenn untersucht worden ist, ob das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht innerhalb der grundgesetzlichen Verfassungsordnung absolute Geltung hat oder ob es durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist. Dieser Frage wird im Anschluss an den folgenden Exkurs nachgegangen.

c) Exkurs: Übertragung der vorliegenden Kriterien auf sonstige Fälle der mittelbaren Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht Die oben aufgestellten Zulässigkeitskriterien gelten auch für sonstige Fälle mittelbarer Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht. Derartige Fälle sind im Rahmen des Kapitels über Inhalt und Reichweite des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG dargestellt worden. Zu nennen sind hier zum einen die beiden Fallgruppen – Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des StGB [dazu Unterabschnitt aa)], – Heranziehung gewohnheitsrechtlicher Sätze anderer Rechtsgebiete [dazu Unterabschnitt bb)]. Beide Fallgruppen haben die Gemeinsamkeit, dass sie strafbegründendes Gewohnheitsrecht betreffen, das einen vom Gesetzgeber geschaffenen Rahmen ausfüllt. Darüber hinaus sind in diesem Zusammenhang auch diejenigen Fälle zu nennen, in denen die gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen mittelbar nachteilige Auswirkungen auf die Strafbarkeit von Dritten entfaltet. Eine derartige Verknüpfung der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen mit der Strafbarkeit von Dritten kann sich insbesondere aus § 32 StGB ergeben [dazu Unterabschnitt cc)].

aa) Zur Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts Nach dem bisherigen Untersuchungsergebnis349 ist festzuhalten, dass zwar einerseits die Vorschriften des Allgemeinen Teils des StGB grundsätzlich dem Art. 103 Abs. 2 GG unterfallen, dass jedoch gleichzeitig der Gesetzgeber weite Bereiche der allgemeinen Strafrechtslehren offen gelassen und der Entscheidung durch die 349

Vgl. oben: Kapitel C. I. 3. b) dd).

III. Eingriff in den Schutzbereich

201

Rechtsprechung überantwortet hat – teils wegen der Schwierigkeiten, die einer Kodifikation solcher Materien vielfach entgegenstehen, teils aus dem Bestreben, die wissenschaftliche Entwicklung nicht durch Festschreibung eines später überholten Erkenntnisstandes zu blockieren.350 Die Frage, inwiefern es im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG zulässig ist, Bereiche der allgemeinen Strafrechtslehren, die vom Gesetzgeber nicht geregelt worden sind, mittels Gewohnheitsrechts auszufüllen, ist letztlich parallel zur der in diesem Kapitel untersuchten Problematik, ob und wann formellgesetzliche dynamische Verweisungen auf Gewohnheitsrecht nicht unter das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht fallen. In beiden Fällen geht es um die gewohnheitsrechtliche Ausfüllung eines vom Gesetzgeber geschaffenen formellgesetzlichen Rahmens. Aufgrund dieser Parallelität ergibt sich, dass für die Fälle der Anwendung von Gewohnheitsrecht im Allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts die in dem vorliegenden Kapitel entwickelten Zulässigkeitskriterien entsprechende Anwendung finden. Dies bedeutet, dass Bereiche der allgemeinen Strafrechtslehren, die vom Gesetzgeber nicht geregelt worden sind, dann mittels Gewohnheitsrechts ausgefüllt werden dürfen, wenn der vom Gesetzgeber geregelte Rahmen im Bereich der allgemeinen Strafrechtslehren als hinreichend eng bezeichnet werden kann. Entscheidend ist damit auch hier, dass sich im Bereich der allgemeinen Strafrechtslehren aufgrund der vom Gesetzgeber normierten Regelungen bereits eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Eine innerhalb eines solchen hinreichend engen gesetzlichen Rahmens erfolgende gewohnheitsrechtliche Verfestigung351 allgemeiner Lehren des Strafrechts – zum Beispiel im Bereich des Vorsatzes, der Fahrlässigkeit sowie der unechten Unterlassung – ist damit grundsätzlich für zulässig zu erachten.352

350

Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 47; BK-Rüping, Art. 103 II, Rn. 53. Eine andere Frage ist, ob im Einzelfall auch tatsächlich Gewohnheitsrecht gegeben ist. Immerhin ist für das Vorliegen von Gewohnheitsrecht eine lang dauernde Übung (consuetudo) zu fordern, die in dem Bewusstsein vorgenommen wird, mit der Vornahme dieser Übung einem Gebote des Rechts nachzukommen. Einer strafrechtlichen Judikatur steht jedoch nur sehr selten eine allgemeine Rechtsüberzeugung zur Seite, da fast alle allgemeinen Lehren im Strafrecht umstritten sind und auch gesicherte Ergebnisse kaum ins Volksbewusstsein dringen (Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 47). Nur ausnahmsweise sollten daher von der Rechtsprechung und Wissenschaft entwickelte Rechtssätze – und dann auch nur in ihrem unbestrittenen Kern – als Gewohnheitsrecht anerkannt werden (SK-Rudolphi, § 1, Rn. 21). 352 BK-Rüping, Art. 103 II, Rn. 53; SK-Rudolphi, § 1, Rn. 18, 21; Wessels / Beulke, Strafrecht AT, Rn. 55. Eine andere Ansicht vertreten Roxin sowie Schmitz. Danach ist strafbegründendes Gewohnheitsrecht auch im Bereich der allgemeinen Lehren des Strafrechts unzulässig. Bestehende Lücken in diesem Bereich dürfen nach dieser Auffassung mithin immer nur im Rahmen zulässiger Auslegung, nicht jedoch durch Gewohnheitsrecht, geschlossen werden (Roxin, Strafrecht AT 1, § 5, Rn. 47; MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 25). 351

202

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

bb) Zur Heranziehung gewohnheitsrechtlicher Sätze anderer Rechtsgebiete Mit den hier aufgestellten Kriterien für die Zulässigkeit formellgesetzlicher dynamischer Verweisungen auf Gewohnheitsrecht lassen sich auch diejenigen Fälle erfassen, in denen die Berücksichtigung gewohnheitsrechtlich gebildeter außerstrafrechtlicher Normen zur Folge hat, dass ein bestimmtes Verhalten die Merkmale eines Straftatbestandes erfüllt. Gemeint sind damit zum Beispiel solche Fälle, in denen die gewohnheitsrechtliche Abänderung von Vorschriften über das Eigentum – vermittelt durch das Merkmal der Fremdheit in § 242 Abs. 1 StGB – Auswirkungen auf den Diebstahlstatbestand hat.353 Diese Fälle sollen nach überwiegender Ansicht354 nicht vom Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht erfasst werden. Dem ist unter der Prämisse zu folgen, dass die hier aufgestellten Kriterien für die Zulässigkeit mittelbar strafbegründenden Gewohnheitsrechts im Einzelfall erfüllt sein müssen. Erforderlich ist daher, dass sich aufgrund der übrigen Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Tatbestands – in dem eben dargestellten Beispiel also des § 242 Abs. 1 StGB – eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Für das eben gewählte Beispiel des § 242 Abs. 1 StGB ist diese Voraussetzung erfüllt.

cc) Zu den Fällen der mittelbar nachteiligen Auswirkungen der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen auf die Strafbarkeit Dritter (am Beispiel von § 32 StGB) Die Problematik der mittelbar nachteiligen Auswirkungen der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen auf die Strafbarkeit Dritter ist oben355 aufgezeigt worden. Auf den ersten Blick scheint eine gewohnheitsrechtliche Bildung von Straffreistellungsgründen im Hinblick auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG unproblematisch zu sein, weil sie für denjenigen, der sich auf den Straffreistellungsgrund zu berufen vermag, zu einer Strafeinschränkung führt. Eine derartige Bildung von Gewohnheitsrecht zugunsten des Täters ist jedoch in denjenigen Fällen nicht unproblematisch, in denen sie zugleich mittelbar nachteilige Auswirkungen auf die Strafbarkeit von Dritten haben kann.356 Eine solche Verknüpfung der gewohnheits353

Vgl. SchSch-Eser, § 1, Rn. 16. RGSt 46, 108 (111 f.); Schönke, MDR 1947, S. 86; SchSch-Eser, § 1, Rn. 16; Maunz / Dürig-Schmidt-Assmann, Art. 103 II, Rn. 222; BK-Rüping, Art. 103 II, Rn. 54; Fischer, § 1, Rn. 9. 355 Vgl. oben: Kapitel C. I. 3. b) aa). 356 SK-Rudolphi, § 1, Rn. 20; SchSch-Eser, § 1, Rn. 14. 354

III. Eingriff in den Schutzbereich

203

rechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen mit der Strafbarkeit von Dritten kann sich insbesondere aus § 32 StGB ergeben. So ist ein menschlicher Angriff auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter bei Eingreifen eines gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrundes kein rechtswidriger Angriff, was damit eigentlich zur Folge hätte, dass sich der Angegriffene bei Vornahme einer Abwehrmaßnahme mangels rechtswidrigen Angriffs nicht auf Notwehr (§ 32 StGB) berufen könnte, was mittelbar eine Strafbegründung darstellen würde. Auch die gewohnheitsrechtliche Anerkennung eines Entschuldigungsgrundes könnte dadurch, dass das Vorliegen eines schuldlos geführten Angriffs zu Einschränkungen der Gebotenheit im Rahmen von § 32 StGB führen könnte, mittelbar strafbegründenden Charakter erlangen357. Nach überwiegender Ansicht358 soll jedoch auch in einem solchen Fall der mittelbaren Strafbegründung durch gewohnheitsrechtliche Anerkennung von Strafeinschränkungsgründen kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vorliegen. Soweit dies überhaupt problematisiert wird, wird unter anderem argumentiert, Art. 103 Abs. 2 GG erfasse nach seinem Sinn und Zweck solche lediglich indirekten Strafbarkeitserweiterungen nicht359. Diese Ansicht ist jedoch zurückzuweisen. Richtig ist, dass diese Frage der Zulässigkeit nachteiliger Auswirkungen auf die Strafbarkeit Dritter (infolge der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen in Verbindung mit § 32 StGB) letztlich eine Frage der ratio des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG darstellt. Hieraus folgt jedoch nicht, dass solche mittelbar strafbegründenden Auswirkungen stets zulässig sind. Letztlich ergeben sich die Kriterien für die Zulässigkeit mittelbar strafbegründender Wirkungen der gewohnheitsrechtlichen Bildung von Straffreistellungsgründen wiederum aus den Kriterien, die in diesem Kapitel für die Zulässigkeit formellgesetzlicher dynamischer Verweise auf Gewohnheitsrecht ermittelt worden sind. Die Parallelität beider Fälle, die die Übertragbarkeit der Zulässigkeitskriterien gestattet, ergibt sich daraus, dass auch hier – also in den Fällen einer über § 32 StGB vermittelten gewohnheitsrechtlichen Strafbegründung – das Gewohnheitsrecht nicht unmittelbar, sondern lediglich vermittelt über eine gesetzliche Regelung (§ 32 StGB) zur Anwendung gelangt. Entscheidend ist damit 357

BSG NJW 1999, 2301 (2302); SchSch-Lenckner / Perron, § 32, Rn. 52. So zum Beispiel: MüKo-Schmitz, § 1, Rn. 26; SchSch-Eser, § 1, Rn. 14; SK-Rudolphi, § 1, Rn. 20. – Eine andere Auffassung vertritt Jähnke für den Bereich des Kernstrafrechts. Er argumentiert damit, dass der Gesetzgeber zu bestimmen habe, welche Rechtsgüter strafrechtlich geschützt werden sollen, so dass auch nur der Gesetzgeber darüber befinden dürfe, unter welchen Voraussetzungen Private diesen Schutz durchbrechen dürfen. Außerhalb des Bereichs des Kernstrafrechts soll nach Jähnke demgegenüber eine differenzierte Betrachtung angezeigt sein: Soweit das Strafgesetzbuch auf außerstrafrechtliche Normen verweist, soll das Gesetzlichkeitsprinzip grundsätzlich nicht gelten, so dass in diesem Umfang grundsätzlich auch die Anwendung von Rechtfertigungsgründen möglich sein soll, die im Wortlaut des Gesetzes keine Stütze finden. Jedoch soll letzteres nur gelten, soweit die Gedanken des Vertrauensschutzes und der Vorhersehbarkeit nicht im Einzelfall Priorität genießen (Jähnke, FS BGH, S. 405 f.). 359 SK-Rudolphi, § 1, Rn. 20. 358

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

auch hier, ob sich bei Außerachtlassung des Merkmals der Rechtswidrigkeit360 in § 32 Abs. 2 StGB aufgrund der übrigen Tatbestandsmerkmale in § 32 StGB bereits eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Merkmal des rechtswidrigen Angriffs in § 32 Abs. 2 StGB stellt eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale des § 32 StGB dar. Die übrigen Tatbestandsmerkmale der Notwehrdefinition in § 32 Abs. 2 StGB bilden für sich genommen keine in sich geschlossene und klar abgrenzbare Gruppe von Lebenssachverhalten. Dies hat zur Folge, dass die bei Vorliegen gewohnheitsrechtlicher Rechtfertigungsgründe erfolgende Verneinung des Merkmals der Rechtswidrigkeit in § 32 Abs. 2 StGB gegen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen würde. Es erscheint aus diesem Grunde geboten, im Wege der verfassungskonformen Auslegung, die anhand von Art. 103 Abs. 2 GG erfolgt, unter den Begriff des rechtswidrigen Angriffs im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB auch solche Handlungen zu fassen, die gewohnheitsrechtlich gerechtfertigt sind, für die aber darüber hinaus kein formellgesetzlicher Rechtfertigungsgrund existiert. Der Begriff der Rechtwidrigkeit in § 32 Abs. 2 StGB bedeutet entsprechend dieser Auslegung also nur, dass keine formellgesetzlichen Rechtfertigungsgründe bestehen dürfen. Die hier vorgenommene verfassungskonforme Auslegung hat damit zur Folge, dass gegenüber einer gegenwärtigen Handlung, welche lediglich durch einen gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist, grundsätzlich ein Notwehrrecht aus § 32 StGB besteht. Durch dieses Ergebnis wird derjenige, der sich auf einen gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund berufen kann, auch nicht unbillig belastet. Zwar wird ihm von Gewohnheitsrechts wegen ein Verhalten gestattet, gegenüber dem ein anderer unter Umständen ein Notwehrrecht hat. Jedoch ist zu bedenken, dass auch gegenüber einem Verhalten, welches durch einen formellgesetzlichen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist, unter Umständen eine Verteidigungshandlung zulässig sein kann. So bedeutet nämlich die Tatsache, dass gegen einen Angriff, der von einem formellgesetzlichen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist, kein Notwehrrecht nach § 32 StGB besteht, nicht zwingend, dass eine Verteidigung gegen diesen Angriff rechtswidrig sein muss. Vielmehr ist in diesen Fällen der Weg frei für eine strafrechtliche Beurteilung der Verteidigungshandlung nach § 34 StGB.361 Unabhängig davon gilt für den praktisch bedeutsamsten gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrund der rechtfertigenden Einwilligung ohnehin folgendes: Unbillige Ergebnisse, die daraus resultieren könnten, dass nach hier vertretener Auffassung ein Verhalten, welches nur auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung gestützt wird, gleichwohl einen rechtswidrigen Angriff im Sinne von § 32 Abs. 2 360 Wie bereits dargelegt, stellt sich die gleiche Problematik auch im Rahmen des ungeschriebenen Notwehrmerkmals der Gebotenheit. 361 Vgl. SchSch-Lenckner / Perron, § 34, Rn. 6; a. A. wohl: Seelmann, § 34 StGB, S. 64 f.

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

205

StGB darstellt, werden dadurch vermieden, dass § 32 StGB bei einer unvermittelten – also nicht vorher angekündigten – Verteidigungshandlung aus einem anderen Grunde ausscheidet. Der Notwehrtatbestand ist in diesem Fall nicht einschlägig, weil der Angriff durch die Einwilligung letztlich herausgefordert wurde und weil der Einwilligende auf den strafrechtlichen Schutz seines Rechtsgutes verzichtet hat362. Dieses Ergebnis hängt also nicht mit der Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes zusammen – die Handlung, in welche eingewilligt wurde, bleibt rechtswidrig im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB –, sondern folgt aus der ratio des Notwehrtatbestandes. Art. 103 Abs. 2 GG wird hierdurch nicht berührt. Dies bedeutet beispielsweise in Bezug auf den Fall der Einwilligung in eine ärztliche Heilbehandlung – wenn man der nicht unumstrittenen Ansicht folgt, dass der ärztliche Heileingriff eine tatbestandliche Körperverletzung darstellt363 –, dass der Patient sich nicht unter Berufung auf § 32 StGB unvermittelt gegen den Heileingriff verteidigen darf. Etwas anderes gilt selbstverständlich, wenn der Patient den Heileingriff ablehnt, nachdem er die Einwilligung dazu erklärt hat, und wenn der Arzt die Heilbehandlung gleichwohl vornimmt bzw. fortsetzt. Dass der Patient in diesen Fällen ein Notwehrrecht nach § 32 StGB hat, ist jedoch bloß die schlichte Folge aus der Tatsache, dass eine Einwilligung jederzeit widerrufbar ist.

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

Im Folgenden soll untersucht werden, ob auch im Falle eines Eingriffs in den Schutzbereich des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht immer zwingend eine Verletzung von Art. 103 Abs. 2 GG vorliegt oder ob es die Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines solchen Eingriffs gibt. Da Art. 103 Abs. 2 GG vorbehaltlos gewährleistet ist, kommt eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 103 Abs. 2 GG nur durch kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht. Im Folgenden wird zuerst ein allgemeiner Überblick über das Rechtsinstitut der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht gegeben (dazu Abschnitt 1.), ehe dem Sonderproblem nachgegangen wird, ob das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht innerhalb der grundgesetzlichen Verfassungsordnung absolute Geltung hat oder ob es durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist (dazu Abschnitt 2.). Hieran anschließend wird – vor allem relevant in Bezug auf § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB – untersucht, welches kollidierende Verfassungsrecht im Falle 362 Vgl. zu den anders gelagerten, aber letztlich ähnlich zu behandelnden Fällen der Absichtsprovokation: Roxin, Strafrecht AT 1, § 15, Rn. 59 ff. m. w. N. 363 Vgl. zu dieser Frage: SchSch-Eser, § 223, Rn. 27 ff. m. w. N.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

von Gesetzen, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, in Betracht kommt (dazu Abschnitt 3.).

1. Allgemeines zum Rechtsinstitut der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner sogenannten Kriegsdienstverweigerungsentscheidung festgestellt, dass mit Rücksicht auf die Einheit des Grundgesetzes und die von ihm geschützte gesamte Wertordnung auch unbeschränkbare Grundrechte, also solche, die nicht unter Gesetzesvorbehalt stehen, in einzelnen Bereichen durch kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte begrenzt werden können.364 Das Bundesverfassungsgericht rekurriert hier also in seinem Gedankengang auf den Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung365. Dieser Gedanke geht davon aus, dass das Grundgesetz nicht ein Konglomerat zufällig aneinander gereihter Rechtssätze darstellt, sondern von einer Gesamtidee getragen ist, nach der das Grundgesetz ein geschlossenes Ganzes der Ordnung des Staats- und Gemeinschaftslebens ist.366 Da das Grundgesetz in seiner Gesamtheit also als Einheit zu sehen ist, sind Widersprüche, die bei der uneingeschränkten Anwendung einzelner Verfassungsrechtssätze entstehen können, auszugleichen. Die systematische Interpretation des Grundgesetzes führt damit dazu, dass auch grundsätzlich uneinschränkbare Grundrechte mittels anderer Verfassungswerte einschränkbar sind.367 Diese Konzeption der Einheit der Verfassung gilt im Übrigen grundsätzlich für sämtliche Verfassungswerte, so dass es hier nicht auf die umstrittene Frage ankommt, ob Art. 103 Abs. 2 GG ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht ist368. Allerdings ist zu diesem Streit anzumerken, dass für die Einordnung des Art. 103 Abs. 2 GG als lediglich grundrechtsgleiches Recht immerhin sprechen würde, dass Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG unter anderem von „Grundrechte[n] oder […] Art. 103 GG“ spricht, woraus sich ergibt, dass Art. 103 Abs. 2 GG nach der Konzeption des Grundgesetzes nicht die Rechtsnatur eines Grundrechts zukommt. Letztlich kann diese Problematik hier jedoch offen gelassen werden. 364

BVerfGE 28, 243 (261). Dieser Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung spielt nach dem Bundesverfassungsgericht auch bei der Auslegung von Verfassungsbestimmungen eine Rolle (BVerfGE 1, 14 [32]; BVerfGE 30, 1 [19]; BVerfGE 33, 23 [29]; BVerfGE 55, 274 [300]). 366 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland I, S. 131 f. 367 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 29. 368 Ob Art. 103 Abs. 2 GG ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht ist, ist umstritten: Für Grundrechtsqualität sprechen sich z. B. aus: Rittstieg, DuR 19 (1991), S. 410; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 99; Schorn, EMRK, Art. 7 I, Unterpunkt 13 (S. 239); v.Mangoldt / Klein / Starck-Nolte, Art. 103 II, Rn. 103; Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 491. – Dass Art. 103 Abs. 2 GG nur grundrechtsgleich sei, vertreten demgegenüber z. B.: BVerfGE 85, 69 (72); Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1084; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 997; Jarass / Pieroth-Pieroth, Art. 103, Rn. 40. 365

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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Es bleibt die Frage, wie ein Ausgleich zwischen kollidierenden Verfassungsgütern vorzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht löst Kollisionen durch eine Güterabwägung im konkreten Fall369: Die konfligierenden Verfassungswerte sollen danach – soweit möglich – zum Ausgleich gebracht werden. Falls sich ein solcher Ausgleich nicht erreichen lässt, soll unter Berücksichtigung der konkreten Umstände entschieden werden, welches Interesse zurückzustehen hat.370 Durch dieses Bestreben, nach Möglichkeit einen Ausgleich zwischen den kollidierenden Verfassungswerten zu erzielen, ähnelt diese Konzeption des Bundesverfassungsgerichts dem von Hesse begründeten Institut der praktischen Konkordanz371, nach dem kollidierenden Verfassungsgütern im Wege des Ausgleichs zu optimaler Wirksamkeit verholfen werden muss372. Hierbei müssen die Grenzziehungen verhältnismäßig sein, dürfen also nicht weiter gehen, als es notwendig ist, um die Konkordanz beider Rechtsgüter herzustellen.373 Demnach ist zwischen kollidierenden Verfassungswerten ein möglichst schonender Ausgleich vorzunehmen.

2. Abwägbarkeit des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht Im Folgenden ist zu fragen, ob das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht überhaupt einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht zugänglich ist. In der Literatur ist der Versuch einer Abwägung des Art. 103 Abs. 2 GG mit kollidierendem Verfassungsrecht bisher, soweit ersichtlich, nur vereinzelt374 unternommen worden. Die weit überwiegende 369

So zum Beispiel in: BVerfGE 7, 198 (210). Vgl. Ossenbühl, NJW 1976, S. 2107. BVerfGE 35, 202 (225). 371 Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 237. 372 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 318. 373 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72. 374 So zum Beispiel: Buchner, Mauerschützen, S. 265 ff.; Pieroth, VVDStRL 51, S. 103; Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 226 ff. a) Buchner Buchner nimmt im Rahmen ihrer Untersuchung über die Rechtswidrigkeit der Tötungshandlungen von DDR-Grenzsoldaten an der innerdeutschen Grenze einen verfassungsmäßigen Ausgleich zwischen den Wertentscheidungen des Art. 25 GG und Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der praktischen Konkordanz vor. Unter den Begriff der Wertentscheidung des Art. 25 GG fasst Buchner die über Art. 25 GG umgesetzten ius-cogens-Sätze des Völkerrechts, denen sie Verfassungsrang beimisst (Buchner, Mauerschützen, S. 265 ff.). b) Pieroth Pieroth erwägt in Bezug auf die Frage, ob das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Rückwirkungsverbot einer nachträglichen Bestrafung von NS-Verbrechen oder Taten im DDR-Regime entgegensteht, die aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ableitbare Schutzpflicht des Staates für die Menschenwürde, das Leben und die körperliche Unversehrtheit als mit Art. 103 Abs. 2 GG kollidierendes Verfassungsrecht anzusehen. Gegen diese Methode erhebt er jedoch selbst Bedenken, da seiner Meinung nach wegen der historischen Singularität der eben genannten Taten Geeignetheit und Erforderlichkeit des Strafens zum Schutz heutigen und zukünftigen Lebens und körperlicher Unversehrtheit nicht nachweisbar seien (Pieroth, VVDStRL 51, S. 103). 370

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Ansicht375 nimmt an, dass Art. 103 Abs. 2 GG absolut gilt – eine Auffassung, die zur Folge hat, dass diese Norm einer Abwägung nicht zugänglich sein soll, so dass ein Eingriff in Art. 103 Abs. 2 GG immer zugleich eine Verletzung dieser Norm darstellen würde. Unter Zugrundelegung dieser Ansicht würde auch § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB gegen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen. Eine Diskussion der Frage, ob eine einzelne Verfassungsvorschrift unabwägbar und damit durch kollidierendes Verfassungsrecht im Wege der praktischen Konkordanz nicht einschränkbar sein kann, mutet zunächst merkwürdig an. Nach dem eben Gesagten folgt das Rechtsinstitut der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht nämlich ganz wesentlich aus der Vorstellung, dass das Grundgesetz eine Einheit darstellt. Aus diesem Grunde sind Widersprüche, die bei der uneingeschränkten Anwendung einzelner Verfassungsrechtssätze entstehen können, eigentlich auszugleichen. Nimmt man aber für einzelne Verfassungsnormen – wie zum Beispiel das hier in Rede stehende Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG – Uneinschränkbarkeit an, so entzieht man sie dadurch dieser Verfassungseinheit. Man gesteht ihnen in gewisser Weise eine Vorrangstellung vor anderen Verfassungsvorschriften zu, die im Falle einer Kollision mit der uneinschränkbaren Verfassungsnorm soweit zurücktreten müssen, wie der Anwendungsbereich der uneinschränkbaren Verfassungsnorm reicht.376 Nun ist jedoch der deutschen Verfassungsordnung die Idee der Uneinschränkbarkeit bestimmter Verfassungsnormen nicht fremd. Dass es Rangunterschiede innerhalb des Grundgesetzes gibt, folgt bereits aus Art. 79 Abs. 3 GG: Die dort aufgezählten Rechtssätze und Rechtsgrundsätze haben einen höheren Rang, da sie mit verfassungsimmanenten Mitteln nicht angetastet werden können.377 Eine besondere Stellung innerhalb des Grundgesetzes kommt dabei Art. 1 Abs. 1 GG zu. Einc) Rosenau Rosenau nimmt im Rahmen seiner Untersuchung über die strafrechtliche Verantwortung von Grenzsoldaten für den Schusswaffengebrauch an der deutsch-deutschen Grenze eine Abwägung vor zwischen dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG und der von ihm angenommenen aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 GG folgenden staatlichen Schutzpflicht, den menschenrechtswidrigen Einsatz der Schusswaffe an der innerdeutschen Grenze mit Mitteln des Strafrechts zu verfolgen (Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 226 ff. [insbesondere S. 236 f. und S. 256 ff.]). 375 So z. B.: Maunz / Dürig-Schmidt-Assmann, Art. 103 II, Rn. 177; Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 141 ff.; Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 492; Ambos, StV 1997, S. 41; Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 34; Ebert, FS Müller-Dietz, S. 182 f.; Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1098. 376 Dementsprechend hält es Kunig – außer bei Art. 1 Abs. 1 GG – für problematisch und größtenteils auch unzulässig, Verfassungsnormen und -prinzipien abstrakt (also losgelöst von Einzelfällen, in denen sie konfligieren) in ein festes Rangverhältnis bringen zu wollen. Die Rechtsordnung kenne zwar eine Rechtsquellenhierarchie, aber grundsätzlich keine Stufungen auf der Ebene des Verfassungsrechts (Münch / Kunig-Kunig, Art. 1, Rn. 4). 377 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland I, S. 113 ff.

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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griffe in seinen Schutzbereich sind nie verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, auch nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht.378 Die Menschenwürde ist höchster Rechtswert innerhalb der deutschen Verfassungsordnung379, was sich schon aus der systematischen Stellung des Art. 1 Abs. 1 GG an der Spitze des Grundgesetzes und der Inbezugnahme von Art. 1 GG durch Art. 79 Abs. 3 GG als einziges dort ausdrücklich genanntes Grundrecht ergibt.380 Überdies erklärt Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG die Würde des Menschen für „unantastbar“ und nicht für „unverletzlich“, wie es in den Art. 2 Abs. 2 S. 2, Art. 4 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 GG der Fall ist, deren Beschränkbarkeit sich ja teilweise aus dem Grundgesetz selbst381 ergibt.382 Festzuhalten bleibt somit, dass es innerhalb der Gesamtheit der Verfassungsnormen durchaus Rangunterschiede geben kann.383 Dennoch sollte man sich bei der Debatte darüber, ob das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann, immer vor Augen halten, dass bei Annahme einer Uneinschränkbarkeit bestimmter Verfassungsnormen andere – kollidierende – Verfassungsbestimmungen insoweit zurücktreten müssen. Aus diesem Grunde ist es angezeigt, für den Fall, 378 Nach BVerfGE 93, 266 (293) ist die Menschenwürde als Wurzel aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig. Nach Jarass unterliegt die Garantie der Menschenwürde keinen Beschränkungsmöglichkeiten, auch nicht durch andere Verfassungsgüter. Jedoch können seiner Meinung nach Eingriffe Privater in die Menschenwürde anderer Personen mit solchen Mitteln bekämpft werden, die ihrerseits Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG beeinträchtigen, sofern ein milderes Mittel nicht zur Verfügung steht. Ob es allerdings solche Fälle gibt, ist seiner Meinung nach zweifelhaft (Jarass / Pieroth-Jarass, Art.1, Rn. 16). – Demgegenüber hält Kloepfer eine Beschränkbarkeit von Art. 1 Abs. 1 GG keineswegs für undenkbar (Kloepfer, FG BVerfG, Bd. 2, S. 411 ff.). 379 BVerfGE 6, 32 (41); BVerfGE 30, 173 (193); BVerfGE 45, 187 (227). 380 Münch / Kunig-Kunig, Art. 1, Rn. 4. 381 So zum Beispiel: – Art. 104 GG als Gesetzesvorbehalt zu Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, – Art. 136 Abs. 3 S. 2 Weimarer Reichsverfassung (i. V. m. Art. 140 GG), durch den Eingriffe in die negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit gerechtfertigt werden, – Art. 10 Abs. 2 GG als Gesetzesvorbehalt zu Art. 10 Abs. 1 GG, – Art. 13 Abs. 2 bis Abs. 5 und Abs. 7 GG, die Eingriffsermächtigungen zu Art. 13 Abs. 1 GG enthalten. 382 Vgl. Kloepfer, FG BVerfG, Bd. 2, S. 411, der freilich trotzdem eine Beschränkbarkeit von Art. 1 Abs. 1 GG keineswegs für undenkbar hält (ebd., S. 411 ff.). 383 Dementsprechend prüft beispielsweise das Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 3, 225 (237 ff.), ob Art. 117 Abs. 1 Hs. 2 GG die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung verletzt. In BVerfGE 45, 187 (226) hält es sogar einfaches Recht innerhalb des Grundgesetzes für möglich. Das Bundesverfassungsgericht lässt nämlich offen, ob Art. 143 GG a. F., der am 30. August 1951 aufgehoben wurde (BGBl. 1951 I, S. 739 [S. 747]) und der eine Strafnorm gegen Hochund Landesverrat darstellte, Verfassungsrang zukam oder ob es sich lediglich um eine einfachrechtliche Strafbestimmung handelte, die der Verfassungsgeber nur deswegen in das Grundgesetz aufgenommen hatte, weil er einen sofortigen strafrechtlichen Schutz der in der Entstehung begriffenen Bundesrepublik gegen Hoch- und Landesverrat für erforderlich gehalten hatte.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

dass keine eindeutigen gegenteiligen Anzeichen auf eine Uneinschränkbarkeit bestimmter Verfassungsnormen hindeuten, im Sinne der Einheit des Grundgesetzes prinzipiell von der Einschränkbarkeit dieser Verfassungsnormen durch kollidierendes Verfassungsrecht auszugehen. Es gilt demnach eine Vermutung für die Einschränkbarkeit von Verfassungsnormen durch kollidierendes Verfassungsrecht. Die Frage der Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG hat zuletzt vor allem im Zusammenhang mit der juristischen Aufarbeitung der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze Bedeutung erlangt. Hierbei ist insbesondere der Mauerschützenbeschluss des Bundesverfassungsgerichts384 relevant, da das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung eine Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG bejaht hat.385 Aufgrund dieses Zusammenhangs mit der vorliegenden Frage soll im Folgenden auf die Diskussion um die Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG eingegangen werden, die im Zusammenhang mit eben angesprochener Entscheidung geführt wurde [dazu Unterabschnitt a)]. Hieran anschließend erfolgt eine eigene Stellungnahme zu der Frage, ob das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist [dazu Unterabschnitt b)]. In diesem Zusammenhang werden auch die Argumente aus der Diskussion um die Mauerschützenrechtsprechung herangezogen, soweit sie auf die vorliegende Fragestellung übertragbar sind.

384

BVerfGE 95, 96 ff. BVerfGE 95, 96 (133). Demgegenüber nahm der Bundesgerichtshof in seiner ersten Mauerschützenentscheidung (BGHSt 39, 1 ff.) keine Einschränkung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Rückwirkungsverbots vor, da nach seiner Meinung Art. 103 Abs. 2 GG die Bestrafung der Angeklagten von vornherein nicht hindere. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG scheide deswegen aus, weil aufgrund der von ihm – dem Bundesgerichtshof – zugrunde gelegten menschenrechtsfreundlichen Auslegung das DDR-Recht schon zur Zeit der Tatbegehung nur so hätte ausgelegt werden dürfen, dass die vorsätzlichen Schüsse durch § 27 Abs. 2 DDR-Grenzgesetz gar nicht gerechtfertigt waren. Nach dem in dieser Weise ausgelegten Recht der DDR war die Tat nach Auffassung des Bundesgerichtshofs also bereits im Zeitpunkt ihrer Begehung strafbar und somit gesetzlich bestimmt i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG (BGHSt 39, 1 [26 ff.]). Auf die Frage der Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG im Falle der Eröffnung seines Schutzbereiches kommt es aus diesem Blickwinkel gar nicht an, weshalb der Bundesgerichtshof hierzu auch nicht Stellung nehmen musste. Diese Grundsätze wurden in weiteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bestätigt (BGHSt 39, 168 [181 ff.]; BGHSt 40, 30 [41 ff.]; BGHSt 40, 113 [116]; BGHSt 40, 241 [244 ff.]; BGHSt 41, 101 [105 ff.]). An anderer Stelle konnte der Bundesgerichtshof die Frage offenlassen, da es im Ergebnis hierauf nicht ankam (BGHSt 39, 353 [367]; BGHSt 40, 48 [51]). Offenbleiben soll an dieser Stelle, ob diese Begründung des Bundesgerichtshofs aus der ersten Mauerschützenentscheidung überzeugt (verneinend: Laskowski, JA 1994, S. 163: Der Bundesgerichtshof unterlege dem DDR-Recht eine ideale Interpretation, die seiner damaligen tatsächlichen Auslegung nicht entspreche. Auf diese Weise nehme der Bundesgerichtshof eine nachträgliche Umwertung und Uminterpretation des DDR-Rechts vor, die zu einer verdeckten Rückwirkung führe). Entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang, in dem es um die Frage geht, ob Art. 103 Abs. 2 GG einschränkbar ist, allein die Tatsache, dass der Bundesgerichtshof keine solche Einschränkung vornimmt. 385

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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a) Exkurs: Die Diskussion um die Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit den Mauerschützenprozessen aa) Der Mauerschützenbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 95, 96 ff.) In dem am 24. Oktober 1996 ergangenen Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts wurde die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Mitgliedern des Nationalen Verteidigungsrates der DDR sowie eines Angehörigen der DDR-Grenztruppen wegen der Tötung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze überprüft. Hierbei ging es insbesondere um die Frage, ob das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Rückwirkungsverbot einer Bestrafung dieser Personen entgegensteht. Die Beschwerdeführer sahen einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG vor allem darin, dass ihnen durch die Strafgerichte die Berufung auf einen Rechtfertigungsgrund versagt wurde, welcher sich aus Vorschriften der DDR, wie sie in der damaligen Praxis ausgeübt und angewendet wurden, zur Tatzeit ergab.386 Gemäß den Erläuterungen des Senats in den Entscheidungsgründen ist Art. 103 Abs. 2 GG unter anderem eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips, welches Rechtssicherheit gewährt, Vertrauen schützt und die Staatsgewalt an das Gesetz bindet.387 Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung stellt das Bundesverfassungsgericht zugleich fest, dass das „Rechtsstaatsprinzip […] als eine der Leitideen des Grundgesetzes aber auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit“ umfasse.388 Dem Senat zufolge werden die eben genannten rechtsstaatlichen Anliegen – und damit auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit – für den Bereich des Strafrechts im Schuldprinzip aufgenommen, welches ebenfalls dem Art. 103 Abs. 2 GG zugrunde liege.389 Mit diesen Ausführungen positioniert das Bundesverfassungsgericht Art. 103 Abs. 2 GG als eine Verfassungsnorm, die sich durch ihre Grundlagen im Spannungsfeld zwischen materieller Gerechtigkeit und formeller Rechtssicherheit befindet.390 Anschließend führt der Senat unter Hinweis auf eine ältere Entscheidung391 aus, dass das strafrechtliche Rückwirkungsverbot absolut sei.392 Es erfülle „seine rechtsstaatliche und grundrechtliche Gewährleistungsfunktion durch eine strikte 386

BVerfGE 95, 96 (130). BVerfGE 95, 96 (130). 388 BVerfGE 95, 96 (130). 389 BVerfGE 95, 96 (130 f.). In Bezug auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht sei an dieser Stelle auf die weiter oben vom Verfasser der vorliegenden Arbeit vertretene entgegenstehende Auffassung verwiesen, derzufolge das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht keine Ausprägung des Schuldprinzips ist [vgl. oben: Kapitel C. I. 2. c) cc)]. 390 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 123 f. 391 BVerfGE 30, 367 (385). 392 BVerfGE 95, 96 (131). 387

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Formalisierung“393. In Anbetracht dieser Feststellung des Senats war die zentrale Frage der Entscheidung, ob das strafrechtliche Rückwirkungsverbot derart absolut ist, dass es auch dann volle Beachtung findet, wenn eine Bestrafung aus Gerechtigkeitserwägungen geboten erscheint.394 Die vom Bundesverfassungsgericht gewählten Formulierungen „absolut“ und „strikte Formalisierung“ legen es eigentlich nahe, diese Frage positiv zu beantworten. Jedoch wird sie vom Senat letztlich verneint. Die Ausführungen hierzu werden eingeleitet durch allgemeine Hinweise zur Reichweite des Art. 103 Abs. 2 GG bei Rechtfertigungsgründen. Art. 103 Abs. 2 GG gebiete zwar „auch, einen bei Begehung der Tat gesetzlich geregelten Rechtfertigungsgrund weiter anzuwenden, wenn dieser im Zeitpunkt des Strafverfahrens entfallen ist“395. Allerdings soll nach Auffassung des Senats für Rechtfertigungsgründe nicht – wie für den Straftatbestand und die Strafandrohung – der strikte Gesetzesvorbehalt gelten.396 So könnten strafrechtliche Rechtfertigungsgründe auch gewohnheitsrechtlich oder durch Rechtsprechung Geltung erlangen.397 Die Frage, ob und inwieweit Art. 103 Abs. 2 GG auch das Vertrauen in den Fortbestand anerkannter ungeschriebener Rechtfertigungsgründe schützt, lässt das Gericht jedoch offen, da in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall „ein – teils normierter, teils auf staatlicher Anordnung und Praxis beruhender – Rechtfertigungsgrund unter Voraussetzungen in Anspruch genommen [wird], die Einschränkungen des absoluten Rückwirkungsverbots des Art. 103 Abs. 2 GG von Verfassungs wegen zulassen“. Art. 103 Abs. 2 GG habe nämlich – so das Gericht – „als Regelfall im Blick, dass die Tat im Anwendungsbereich des vom Grundgesetz geprägten materiellen Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland begangen und abgeurteilt“ werde.398 Das strikte Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG finde seine rechtsstaatliche Rechtfertigung also „in der besonderen Vertrauensgrundlage, welche die Strafgesetze tragen, wenn sie von einem an die Grundrechte gebundenen demokratischen Gesetzgeber erlassen werden. Diese besondere Vertrauensgrundlage entfällt, wenn der andere Staat für den Bereich schwersten kriminellen Unrechts zwar Straftatbestände normiert, aber die Strafbarkeit gleichwohl durch Rechtfertigungsgründe für Teilbereiche ausgeschlossen hatte, indem er über die geschriebenen Normen hinaus zu solchem Unrecht aufforderte, es begünstigte und so die in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte in schwerwiegender Weise mißachtete. […] In dieser ganz besonderen Situation untersagt das Gebot materieller Gerechtigkeit […] die Anwendung eines solchen Rechtfertigungsgrundes. Der strikte Schutz von Vertrauen durch Art. 103 Abs. 2 GG muß dann zurücktreten399.“400

393 394 395 396 397 398 399 400

BVerfGE 95, 96 (131). Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 26. BVerfGE 95, 96 (131 f.). BVerfGE 95, 96 (132). BVerfGE 95, 96 (132). BVerfGE 95, 96 (132). Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. BVerfGE 95, 96 (133).

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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bb) Die im Zusammenhang mit den Mauerschützenprozessen geführte Diskussion um eine Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG Die Mauerschützenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhielt in der Literatur401 zum Teil Zustimmung402, ist jedoch vielfach auch auf Kritik403 gestoßen. Unter Bezugnahme auf die Mauerschützenprozesse wird unter anderem vorgebracht, das Prinzip „nullum crimen, nulla poena sine lege“ sei ein an sich unveräußerliches Grundrecht. Es gehöre nämlich zu den „vornehmsten Überlieferungen der Rechtskultur“.404 Gegen eine Abwägbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG spreche überdies, dass dessen Wortlaut keinerlei Einschränkungen zulasse.405 Nach der Gesetzesfassung des Art. 103 Abs. 2 GG gelte das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip uneingeschränkt und ohne Ausnahme. Insbesondere enthalte Art. 103 Abs. 2 GG nicht die sogenannte Nürnberg-Klausel wie beispielsweise Art. 7 Abs. 2 EMRK und Art. 15 Abs. 2 IPbürgR.406 Vorgebracht wird des Weiteren, durch das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip werde gerade eine strenge Grenze zwischen der Staatsgewalt und der Freiheit des Bürgers gezogen – eine strenge Grenze, die deshalb erforderlich sei, weil das Strafrecht als besonders scharfes Mittel in die Freiheit des Einzelnen eingreife.407 In seiner gegenwärtigen Fassung verlange Art. 103 Abs. 2 GG deshalb strikte Positivität.408 Art. 103 Abs. 2 GG sei strikt formalisiert409 und gelte deshalb ausnahmslos. Dies werde auch dadurch bestätigt, 401

Ein guter Überblick zum Meinungsstand findet sich bei: Lackner / Kühl, § 2, Rn. 16a. So z. B.: Werle, ZStW 109 (1997), S. 825 ff. 403 So z. B.: H. Dreier, JZ 1997, S. 421 ff. (passim); Ambos, StV 1997, S. 39 ff. (passim); Albrecht, NJ 1997, S. 1 f. (passim); J. Arnold, NJ 1997, S. 115 ff. (passim); Roggemann, NJ 1997, S. 231; Lamprecht, DRiZ 1997, S. 140 f. (passim); Krajewski, JZ 1997, S. 1055; Classen, GA 1998, S. 215 ff. (passim); Kluth, JA 1998, S. 104 f.; Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 224. 404 Lamprecht, DRiZ 1997, S. 140 f. 405 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 133, 159. 406 Ebert, FS Müller-Dietz, S. 182. 407 Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 491. 408 Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 492, 494; Ambos, StV 1997, S. 41. 409 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 129; vgl. Münch / Kunig-Kunig, Art. 103, Rn. 34. – Vgl. auch: Ambos, StV 1997, S. 41, der aus dieser strikten Formalisierung des Art. 103 Abs. 2 GG die positivrechtliche Begründung des deutschen Vorbehalts zu Art. 7 Abs. 2 EMRK ableitet, möge „dieser Vorbehalt aus formaljuristischer Sicht auch überflüssig und in erster Linie politisch begründet gewesen sein (‚Nürnbergklausel‘)“. (Zu der Frage, ob der Vorbehalt überflüssig ist, vgl. weiter unten). Interessanterweise spricht auch das Bundesverfassungsgericht – genauso wie seine Kritiker – in der Mauerschützenentscheidung davon, das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG erfülle seine rechtsstaatliche und grundrechtliche Gewährleistungsfunktion durch eine strikte Formalisierung (BVerfGE 95, 96 [S. 96 {Leitsatz 1, a}, S. 131]). Daraus zieht das Gericht jedoch nicht die Konsequenz, Art. 103 Abs. 2 GG sei nicht einschränkbar. Werle zufolge schließen sich strikte Formalisierung und Einschränkbarkeit allerdings nicht zwangsläufig aus: Das Rückwirkungsverbot stehe im Kontext einer Verfassung, deren Rechtsbegriff durch Grundrechte und Menschenrechte geprägt ist. Die strikte Formalisierung und der absolute Vertrauensschutz des Art. 103 Abs. 2 GG erklärten sich daraus, dass die Rechtmäßigkeit schwerster Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des Grundgesetzes gar nicht denkbar sei. Im Ver402

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

dass die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vorbehalt zum genannten Art. 7 Abs. 2 EMRK erklärt habe.410 Gegen die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, Art. 103 Abs. 2 GG befinde sich durch seine Grundlagen im Spannungsfeld zwischen materieller Gerechtigkeit und formeller Rechtssicherheit411, wird eingewandt, dies sei konstruiert und entspreche nicht der Wirklichkeit.412 Vielmehr trage Art. 103 Abs. 2 GG die Lösung der beiden in Konkurrenz stehenden Rechtsgüter Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit bereits in sich, verkörpere also das Ergebnis einer im Vorfeld durchgeführten Güterabwägung.413 Art. 103 Abs. 2 GG sei dadurch bereits Ausdruck einer bestimmten Gerechtigkeitsvorstellung414, indem die Verhängung einer Strafe an strenge Voraussetzungen geknüpft wird. Es sei also gerade die formale Ausgestaltung des Art. 103 Abs. 2 GG, die der Wahrung der Gerechtigkeit diene415, so dass folglich nur ein scheinbarer Konflikt zwischen den Rechtsgütern der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit bestehe416. Bereits im Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG, der von gesetzlich bestimmter Strafbarkeit spreche und nicht von Gesetz und Recht wie in Art. 20 Abs. 3 GG, zeige sich, dass allgemeine Gerechtigkeitserwägungen keinen Maßstab für eine individuelle Strafbarkeitsbegründung darstellen sollen.417

hältnis zu einer nicht-rechtsstaatlichen Ordnung entfalle jedoch die Basis für diesen strikten Vertrauensschutz. Deshalb sei das Rückwirkungsverbot im Einklang mit den Nürnberger Prinzipien begrenzt (Werle, ZStW 109 [1997], S. 826 f.). 410 Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 492; Ebert, FS Müller-Dietz, S. 182; vgl. Grünwald, FS Arthur Kaufmann, S. 446 f.; vgl. Joerden, GA 1997, S. 210 f. – Dem Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland später den IPbürgR ohne Vorbehalt gegen dessen – dem Art. 7 Abs. 2 EMRK entsprechenden – Art. 15 Abs. 2 ratifizierte, misst Ebert zumindest nicht mehr Gewicht zu als der Tatsache, dass die Bundesrepublik den Vorbehalt gegen Art. 7 Abs. 2 EMRK nicht, wie es nach Art. 22 der Wiener Vertragsrechtskonvention möglich gewesen wäre, zurückgezogen hat (Ebert, FS Müller-Dietz, S. 182 f.). 411 BVerfGE 95, 96 (130 f.). 412 H. Dreier, JZ 1997, S. 432. 413 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 129 f. In Bezug auf das Rückwirkungsverbot ebenso: H. Dreier, JZ 1997, S. 432. 414 Dreier fordert deshalb, dass das Rückwirkungsverbot nicht mehr durch materielle Gerechtigkeitserwägungen oder durch Rekurs auf eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens eingeschränkt werden dürfe (H. Dreier, JZ 1997, S. 432). 415 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 130. Auf diesen Aspekt hatte schon vor der Diskussion um die Mauerschützenprozesse Grünwald hingewiesen: Soweit das nullum-crimen-Prinzip eine Folgerung aus der Gewaltenteilung ist, sei es dazu bestimmt, die Gefahren abzuwenden, die sich gerade für die Gerechtigkeit ergeben, wenn strafbegründende Rechtssätze unter dem Eindruck des Einzelfalles aufgestellt werden (Grünwald, ZStW 76 [1964], S. 18). 416 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 130. Diesen Aspekt heben in einem anderen Zusammenhang auch Pieroth und Kingreen hervor: Auch Rechtssicherheit habe Gerechtigkeit zum Ziel. Gerechtigkeit fordere die generelle Gültigkeit eines Gesetzes und verbiete ein „nachträgliches Zurechtschneiden“ einer Norm unter dem Eindruck geschehener Taten (Pieroth / Kingreen, NJ 1993, S. 392). 417 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 129.

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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b) Eigene Stellungnahme zur Einschränkbarkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG Fasst man die in der Literatur vorzufindenden kritischen Stimmen zu der Mauerschützenrechtsprechung zusammen, so ergibt sich, dass unter anderem folgende Argumente gegen eine Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG ins Feld geführt werden: – Zum einen spreche der Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG, demzufolge das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip uneingeschränkt und ohne Ausnahme gelte, gegen eine Einschränkbarkeit.418 – Durch das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip werde eine strenge Grenze zwischen der Staatsgewalt und der Freiheit des Bürgers gezogen – eine strenge Grenze, die deshalb erforderlich sei, weil das Strafrecht als besonders scharfes Mittel in die Freiheit des Einzelnen eingreife.419 – Auch die Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland zu Art. 7 Abs. 2 EMRK einen Vorbehalt erklärt habe, spreche gegen eine Einschränkbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG.420 Da diese Argumente auch für die vorliegende Fragestellung der Einschränkbarkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht bedeutsam sind, werden sie im Folgenden kritisch gewürdigt [dazu Unterabschnitte aa) bis cc)].

aa) Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG Art. 103 Abs. 2 GG lautet: „Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.“

Wenn das Argument, die Uneinschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG ergebe sich aus dessen Wortlaut, so zu verstehen sein soll, dass Art. 103 Abs. 2 GG deshalb uneinschränkbar sein soll, weil er keinen Gesetzesvorbehalt enthält, so geht dieses Argument fehl. Das Grundgesetz kennt als ausdrückliche Einschränkung von Grundrechten – man müsste eigentlich sprachlich korrekt eher von einer Einschränkbarkeit sprechen – das Rechtsinstitut des Gesetzesvorbehalts. Durch einen solchen Gesetzesvorbehalt wird dem Gesetzgeber gestattet, die Rechtsposition des Grundrechtsträgers unter bestimmten Voraussetzungen nach seinem Ermessen einzuschränken. Die Tatsache, dass Art. 103 Abs. 2 GG keinen solchen Gesetzesvorbehalt enthält, kann allerdings nicht per se einer Einschränkbarkeit 418 419 420

Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 133, 159; vgl. Ebert, FS Müller-Dietz, S. 182. Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 491. Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 492; vgl. Ebert, FS Müller-Dietz, S. 182.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

dieser Verfassungsnorm entgegenstehen. Das Rechtsinstitut der Einschränkbarkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht im Wege der praktischen Konkordanz greift schließlich insbesondere bei vorbehaltlos gewährleisteten Verfassungsnormen. Damit spricht die Tatsache, dass Art. 103 Abs. 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält, nicht grundsätzlich gegen eine mögliche Einschränkbarkeit dieser Norm. Jedoch ist zu berücksichtigen – und dies könnte ein anderer argumentativer Ansatzpunkt für eine sich aus dem Wortlaut ergebende Uneinschränkbarkeit sein –, dass Art. 103 Abs. 2 GG normiert, eine Tat könne nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Dem Wort „nur“ kommt im allgemeinen Sprachgebrauch die Bedeutung von Ausnahmslosigkeit zu. Auf den ersten Blick könnte sich hieraus durchaus ein Argument für die Uneinschränkbarkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht ergeben. Allerdings folgt aus systematischen Erwägungen, dass Normen des Grundgesetzes, die in ihrem Tatbestand das Wort „nur“ enthalten, deshalb noch nicht zwingend abschließend, also uneinschränkbar sein müssen. Das Grundgesetz verwendet den Begriff „nur“ außer in Art. 103 Abs. 2 GG auch an anderer Stelle, so beispielsweise421 in Art. 11 Abs. 2 GG und in Art. 13 Abs. 2 GG. Gemäß Art. 11 Abs. 2 GG darf das Recht aus Art. 11 Abs. 1 GG „nur422 durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur423 für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.“

Art. 13 Abs. 2 GG bestimmt, dass „Durchsuchungen […] nur424 durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur425 in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden“

dürfen. Sowohl Art. 11 Abs. 2 GG als auch Art. 13 Abs. 2 GG scheinen abschließende Eingriffsermächtigungen zu den jeweiligen Grundrechten zu enthalten, da sie Eingriffe nur unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erklären. Doch bereits aus der Systematik des Grundgesetzes ergibt sich letztlich, dass die Verwendung des Wortes „nur“ in Art. 11 Abs. 2 GG und Art. 13 Abs. 2 GG 421 Weitere Beispiele für die Verwendung des Wortes „nur“ im Grundgesetz sind: Art. 12 Abs. 3 GG, Art. 13 Abs. 5 S. 2 Hs. 1 GG, Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG, Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 16a Abs. 4 S. 1 Hs. 1 GG, Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG sowie Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG. 422 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 423 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 424 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 425 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit.

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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nicht im Sinne einer Ausnahmslosigkeit verstanden wird. So bestimmt Art. 17a Abs. 2 GG, dass Gesetze unter bestimmten Voraussetzungen bestimmen können, dass die Grundrechte der Freizügigkeit (Art. 11 GG) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) eingeschränkt werden. Art. 17a Abs. 2 GG ist somit ein Gesetzesvorbehalt zu Art. 11 Abs. 1 GG und Art. 13 Abs. 1 GG, der unabhängig von den Voraussetzungen der Art. 11 Abs. 2 GG und Art. 13 Abs. 2 GG Anwendung findet426, obwohl die Gesetzesvorbehalte aus Art. 11 Abs. 2 GG und Art. 13 Abs. 2 GG ausweislich ihres Wortlautes („nur“) einen abschließenden Charakter zu haben scheinen. Dies belegt, dass der im Grundgesetz gebrauchte Begriff „nur“ nicht in dem Sinne verstanden werden kann, dass die entsprechende Verfassungsvorschrift, die diesen Begriff verwendet, abschließend und damit uneinschränkbar gilt. Aus der Verwendung des Wortes „nur“ in Art. 103 Abs. 2 GG kann also auch nicht gefolgert werden, dass diese Verfassungsnorm nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar sein soll. Der in der Literatur verbreiteten Auffassung, aus dem Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG ergebe sich dessen strikte Positivität, kann damit nicht gefolgt werden. Auf der anderen Seite ist Ebner von Eschenbach427 aber darin Recht zu geben, dass der Wortlaut des Art. 103 Abs. 2 GG auch nicht zwingend für eine Abwägbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG mit anderen kollidierenden Verfassungsnormen im Wege der praktischen Konkordanz spricht. Da das Wortlautargument mithin in der vorliegenden Frage nicht weiterführt, sind weitere Argumente für oder gegen eine Einschränkbarkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG zu untersuchen.

bb) Das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip als strenge Grenze zwischen der Staatsgewalt und der Freiheit des Bürgers Gegen eine Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG wird nach dem oben Gesagten auch vorgebracht, dass durch das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip eine strenge Grenze zwischen der Staatsgewalt und der Freiheit des Bürgers gezogen werde – eine strenge Grenze, die deshalb erforderlich sei, weil das Strafrecht als besonders scharfes Mittel in die Freiheit des Einzelnen eingreife.428 Dieses Argu426 Art. 17a Abs. 2 GG steht selbständig neben den Gesetzesvorbehalten aus Art. 11 Abs. 2 GG und Art. 13 Abs. 2 GG (v.Mangoldt / Klein / Starck-Brenner, Art. 17a Abs. 2, Rn. 35; BK-K. Ipsen / J.Ipsen, Art. 17a, Rn. 129; Münch / Kunig-Rauball, Art. 17a, Rn. 17). 427 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 165. 428 Anzumerken ist, dass im Folgenden nicht auf das im Rahmen der Mauerschützendiskussion vorgebrachte Argument eingegangen wird, Art. 103 Abs. 2 GG sei bereits das Ergebnis einer – zugunsten der Rechtssicherheit ausgefallenen – Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit. Dieses Argument richtete sich gegen die Ausführungen, mit denen das Bundesverfassungsgericht Art. 103 Abs. 2 GG als eine Verfassungsnorm positionierte, die sich durch ihre Grundlagen gerade im Spannungsfeld zwischen materieller Gerechtigkeit und formeller Rechtssicherheit befindet (BVerfGE 95, 96 [130 f.]).

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

ment rekurriert letztlich wieder auf die ratio des Art. 103 Abs. 2 GG, und hierbei insbesondere auf den Grundsatz der Rechtssicherheit und den aus dem Demokratieprinzip folgenden Aspekt, demzufolge an die Legitimation eines Strafurteils besonders strenge Anforderungen zu stellen sind. In der Strafjustiz trete nämlich die staatliche Gemeinschaft dem Einzelnen unmittelbar und mit dem besonders hohen Anspruch gegenüber, über Tat und Täter ein Unwerturteil zu fällen, an welches sich schwerwiegende Rechtsfolgen knüpfen. Für ein solches schwerwiegendes Unwerturteil und dessen Rechtsfolgen besitze aber nur das Parlament als der Repräsentant des Volkes – also als Repräsentant des Trägers der Staatsgewalt – die Legitimation429, was sich überdies aus der Wesentlichkeitstheorie ergebe. Darüber hinaus wird die Argumentation, Art. 103 Abs. 2 GG enthalte eine strenge und damit uneinschränkbare Grenze zwischen der Freiheit des Bürgers und der Staatsgewalt, auch bestimmt durch den aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung folgenden Aspekt der Hemmung richterlicher Machtbefugnisse zum Zwecke der individuellen Freiheitssicherung und zum Zwecke der Vermeidung der Gefahr, dass richterliche Entscheidungen ohne die nötige Distanz zum Einzelfall getroffen werden. In der vorliegenden Untersuchung wurde nachgewiesen, dass diese Grundsätze und Prinzipien – also das Prinzip der Rechtssicherheit, der Gewaltenteilungsgrundsatz sowie das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie – tatsächlich die Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bilden. Es fragt sich aber, ob aus diesen Prinzipien auch zwingend folgt, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG uneinschränkbar ist, also auch nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann. Jedoch ist im Rahmen der Untersuchung der Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei formellgesetzlicher dynamischer Verweisung auf Gewohnheitsrecht festgestellt worden, dass die Grundlagen des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht – das Prinzip der Rechtssicherheit, der Gewaltenteilungsgrundsatz sowie das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie – grundsätzlich nicht einmal formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht entgegenstehen, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt sind430. Wenn die Grundlagen des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht aber schon bestimmte „interne“ Einschränkungen dieses Verbots zulassen, erscheint das Argument nicht stichhaltig, durch das strafrechtliche Gesetzlich-

Vorliegend geht es aber nicht um dieses Spannungsverhältnis, sondern um die Frage, ob das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG durch andere Verfassungsnormen im Wege der praktischen Konkordanz eingeschränkt werden kann. Die Frage, ob eine Verfassungsnorm deswegen gegen eine andere Verfassungsnorm nicht abgewogen werden kann, weil erstere bereits das Ergebnis einer Abwägung mit letzterer darstellt, kann nur für jedes Paar von Verfassungsnormen im Einzelfall geprüft werden. 429 Grünwald, ZStW 76 (1964), S. 13 f. 430 Vgl. oben: Kapitel D. III. 3. a).

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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keitsprinzip werde eine strenge Grenze zwischen der Staatsgewalt und der Freiheit des Bürgers gezogen – zumindest dann nicht, wenn man die Strenge einer solchen Grenze in der Weise interpretieren will, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG einer Abwägung durch kollidierendes Verfassungsrecht nicht zugänglich sein soll. Damit ist das Argument, durch das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip werde eine strenge Grenze zwischen der Staatsgewalt und der Freiheit des Bürgers gezogen, so dass Art. 103 Abs. 2 GG einer Einschränkung durch kollidierendes Verfassungsrecht nicht zugänglich sei, als unrichtig zurückzuweisen.

cc) Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 7 Abs. 2 EMRK Wenn in der Literatur431 gegen eine Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG angeführt wird, dass die Bundesrepublik Deutschland zu Art. 7 Abs. 2 EMRK einen Vorbehalt erklärt hat, so sind auch gegen dieses Argument verschiedene Bedenken anzumelden. Ehe auf diese näher eingegangen wird [dazu Unterabschnitt (2)], soll im Folgenden jedoch zuerst ein einleitender Überblick über die Einzelprinzipien gegeben werden, die Art. 7 EMRK normiert [dazu Unterabschnitt (1)].

(1) Zu den Einzelprinzipien des Art. 7 EMRK Nach Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK darf niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK verbietet überdies die Verhängung einer Strafe, die schwerer ist als die zur Zeit der Begehung angedrohte. Art. 7 Abs. 2 EMRK erlaubt jedoch die Verurteilung oder Bestrafung einer Person wegen einer Handlung oder Unterlassung, die im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war.

(a) Schutzgehalt des Art. 7 Abs. 1 EMRK Art. 7 Abs. 1 EMRK enthält unterschiedliche Rechtsgarantien. Den Ausgangspunkt bildet dabei das strafrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip, also das Prinzip der Gesetzmäßigkeit strafrechtlicher Urteile. In den Worten von Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK muss die Tat, welche dem strafrechtlichen Urteil zugrunde liegt, „nach innerstaatlichem oder internationalem Recht“ strafbar sein. Wie allerdings der Begriff Recht im Sinne dieser Vorschrift auszulegen ist – wie weit das Gesetzlichkeitsprinzip nach Art. 7 Abs. 1 EMRK also reicht –, wird in der Literatur 431

So z. B.: Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 492; Ebert, FS Müller-Dietz, S. 182.

220

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

nicht einheitlich beantwortet: So wird teilweise432 vertreten, unter den Begriff des Rechts im Sinne des Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK fielen nur geschriebene Normen, während eine andere Auffassung433 diesen Begriff weiter fasst und darin neben geschriebenen auch ungeschriebene Normen einbezieht. Für letztere Ansicht spricht dabei der Wortlaut der englischen Originalfassung von Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK: Der dort verwendete Begriff law erfasst nämlich grundsätzlich auch common law.434 Dementsprechend vertritt auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Auffassung, der Begriff Recht in Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK umfasse sowohl geschriebenes als auch ungeschriebenes Recht.435 Damit lässt Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK unter anderem innerstaatliches sowie völkerrechtliches Gewohnheitsrecht als Bestrafungsgrundlage zu.436 Aus dem strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip nach Art. 7 Abs. 1 EMRK folgt das Verbot der analogen Anwendung von Strafbestimmungen zum Nachteil des Täters.437 Allerdings hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass Art. 7 EMRK nicht so gelesen werden dürfe, dass diese Bestimmung die von Fall zu Fall erfolgende schrittweise Klärung von strafrechtlichen Bestimmungen durch gerichtliche Interpretation verbiete; das Ergebnis der Entwicklung müsse jedoch in den Grenzen angemessener Vorhersehbarkeit bleiben und dürfe das „Wesen“ der Straftat nicht verändern.438 Darüber hinaus enthält Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK auch einen strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz. Dieser fordert, dass der Straftatbestand hinreichend zugänglich und bestimmt439 ist. Der Betroffene muss danach erstens von der einschlägigen Norm und deren Inhalt in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können und zweitens aus ihrem Wortlaut – notfalls mit Hilfe der Auslegung durch die Rechtsprechung – zur Tatzeit erkennen können, mit welchem Verhalten er sich strafbar macht.440 Art. 7 Abs. 1 S. 1 EMRK enthält außerdem ein Verbot der rück-

432

So zum Beispiel: Schorn, EMRK, Art. 7 I, Unterpunkt 8 (S. 237). So zum Beispiel: Kadelbach, Keine Strafe ohne Gesetz, in: Grote / Marauhn, EMRK / GG, Kapitel 15, Rn. 7 f.; Frowein / Peukert-Frowein, EMRK-Kommentar, Art. 7, Rn. 4; Kreicker, Gewalttaten, S. 8; Grabenwarter, EMRK, § 24, Rn. 131; Peters, EMRK, S. 143. 434 Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 101. 435 EGMR, Urt. v. 22.03.2001 – Beschwerden Nr. 34044 / 96, 35532 / 97 u. 44801 / 98 (Streletz, Keßler u. Krenz ./. Deutschland), Ziff. 57, deutsche Übersetzung nach: NJ 55 (2001), 261 (261). 436 Kreicker, Gewalttaten, S. 95. 437 van Dijk / van Hoof, European Convention on Human Rights, 2nd ed., S. 359; Grabenwarter, EMRK, § 24, Rn. 131; Schorn, EMRK, Art. 7 I, Unterpunkt 10 (S. 238). 438 EGMR, Urt. v. 22.03.2001 – Beschwerden Nr. 34044 / 96, 35532 / 97 u. 44801 / 98 (Streletz, Keßler u. Krenz ./. Deutschland), Ziff. 50, deutsche Übersetzung und Bearbeitung nach: NJW 2001, 3035 (3037); vgl. Grabenwarter, EMRK, § 24, Rn. 131. 439 van Dijk / van Hoof, European Convention on Human Rights, 2nd ed., S. 359. 440 Vgl. Sondervotum des Richters Cabral Barreto zu EGMR, Urt. v. 22.03.2001 – Beschwerde Nr. 37201 / 97 (K.-H. W. ./. Deutschland), deutsche Übersetzung nach: NJ 55 (2001), 272 (272). 433

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

221

wirkenden Strafbegründung, Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK ein Verbot der rückwirkenden Strafschärfung.441

(b) Art. 7 Abs. 2 EMRK Art. 7 Abs. 2 EMRK erlaubt die Verurteilung oder Bestrafung einer Person wegen einer Handlung oder Unterlassung, die im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war. Der in dieser Norm verwendete Begriff der von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen verweist dabei auf Art. 38 Abs. 1 Buchst. c IGH-Statut.442 Dies bedeutet, dass nach Art. 7 Abs. 2 EMRK eine Bestrafung auch dann zulässig ist, wenn die fragliche Tat im Zeitpunkt ihrer Begehung zwar nicht nach dem nationalen Strafrecht des strafverfolgenden Staates oder nach völkerrechtlichem Vertrags- oder Gewohnheitsrecht strafbar ist, jedoch von den nationalen Rechtsordnungen der meisten anderen Staaten als strafbar angesehen wird.443 Durch die Einführung von Art. 7 Abs. 2 EMRK hatte unter anderem die Aburteilung von NS-Verbrechern in den Nürnberger Prozessen legitimiert werden sollen.444 Art. 7 Abs. 2 EMRK sollte den oft geäußerten Vorwurf entkräften, die alliierten und deutschen Gerichte hätten mit der Verurteilung der nationalsozialistischen Funktionsträger wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen das Rechtsprinzip „nullum crimen, nulla poena sine lege“ verstoßen.445 Aus diesem Grunde wird Art. 7 Abs. 2 EMRK auch als Nürnberg-Klausel bezeichnet.446 Obwohl Art. 7 Abs. 2 EMRK damit entstehungsgeschichtlich auf die Kriegsverbrecherprozesse der Nachkriegszeit zugeschnitten ist, wird heute dennoch weitgehend447 anerkannt, dass diese Vorschrift auch in anderen Fällen Anwendung finden kann. Allerdings hebt Kreicker zu Recht hervor, dass man der Intention des Art. 7 Abs. 2 EMRK nur dann gerecht werden kann, wenn man die Anwendung dieser Vorschrift auf Fälle begrenzt, in denen angesichts der Tatumstände und der Bedeutung des verletzten Rechtsguts eine Straflosigkeit untragbar wäre. Bereits der in 441 Vgl. Grabenwarter, EMRK, § 24, Rn. 127; Guradze, EMRK, Art. 7, Unterpunkt 4 (S. 112); Peters, EMRK, S. 143. 442 Guradze, EMRK, Art. 7, Unterpunkt 10 (S. 115); Seidel, Grund- und Menschenrechte, S. 319; Kreicker, Gewalttaten, S. 96. 443 Kreicker, Gewalttaten, S. 96 f.; vgl. Hummer / Mayr-Singer, NJ 2000, S. 565. 444 Vgl. Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 105; Jescheck, NJW 1954, S. 785; v.Weber, ZStW 65 (1953), S. 348; Peters, EMRK, S. 143; Seidel, Grund- und Menschenrechte, S. 319; Kreicker, Gewalttaten, S. 95; van Dijk / van Hoof, European Convention on Human Rights, 2nd ed., S. 365; Frowein / Peukert-Frowein, EMRK-Kommentar, Art. 7, Rn. 8. 445 Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 147; vgl. v.Weber, ZStW 65 (1953), S. 348. 446 So zum Beispiel: Peters, EMRK, S. 143; Kreicker, Gewalttaten, S. 95. 447 van Dijk / van Hoof, European Convention on Human Rights, 2nd ed., S. 365; Classen, GA 1998, S. 218; vgl. Grabenwarter, EMRK, § 24, Rn. 135.

222

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Art. 7 Abs. 2 EMRK enthaltene Begriff der allgemeinen Rechtsgrundsätze verbiete nämlich das Abstellen auf andere als grundlegende und für das friedliche Zusammenleben elementare Strafvorschriften.448

(2) Vorbehalt der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 7 Abs. 2 EMRK als Argument gegen eine Einschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG? Die EMRK ist aufgrund des Bundesgesetzes vom 7. August 1952449 gemäß ihrem Art. 66 Abs. 2 für die Bundesrepublik Deutschland am 3. September 1953 in Kraft getreten450. Bei der am 5. Dezember 1952 erfolgten Ratifizierung hatte die Bundesrepublik Deutschland den Vorbehalt erklärt, „daß sie die Bestimmung des Artikels 7 Abs. 2 der Konvention nur in den Grenzen des Artikels 103 Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland anwenden [werde].“451

Nach der Legaldefinition des Art. 2 Abs. 1 Buchst. d WVK handelt es sich bei einem Vorbehalt um eine von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrages oder bei dem Beitritt zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern. Ob sich aus dem Vorbehalt zu Art. 7 Abs. 2 EMRK ein Argument gegen die Einschränkbarkeit des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht herleiten lässt, ist fraglich. In der Literatur452 wird zum Teil vertreten, dass dieser Vorbehalt bereits wegen Verstoßes gegen Art. 57 Abs. 1 S. 1 EMRK unwirksam sei. Diese Bestimmung lautet: „Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung dieser Konvention oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde einen Vorbehalt zu einzelnen Bestimmungen der Konvention anbringen, soweit ein zu dieser Zeit in seinem Hoheitsgebiet geltendes Gesetz mit der betreffenden Bestimmung nicht übereinstimmt.“

Erforderlich ist daher für einen wirksamen Vorbehalt, dass der betreffende Staat andernfalls – also ohne Erklärung des Vorbehalts – gegen die „betreffende Vorschrift“ der EMRK verstoßen würde. Die Meinung, die die Unwirksamkeit des

448

Vgl. Kreicker, Gewalttaten, S. 97 f. BGBl. 1952 II, S. 685 ff. 450 Bekanntmachung über das Inkrafttreten, in: BGBl. 1954 II, S. 14. 451 Dieser Vorbehalt ist abgedruckt in der Bekanntmachung über das Inkrafttreten der EMRK (BGBl. 1954 II, S. 14 [S. 14]). Eine Auflistung der politischen Gründe für die Erklärung dieses Vorbehalts m. w. N. findet sich bei: Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 149 ff. 452 Kreicker, Gewalttaten, S. 99 f. – Nach Guradze und Wassermann entspricht der deutsche Vorbehalt nicht den Erfordernissen des Art. 57 Abs. 2 EMRK (Guradze, EMRK, Art. 7, Unterpunkt 11 [S. 116]; AK-GG-Wassermann, Art. 103, Rn. 62). 449

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

223

Vorbehalts wegen Verstoßes gegen Art. 57 Abs. 1 S. 1 EMRK annimmt, argumentiert damit, dass Art. 103 Abs. 2 GG mit Art. 7 Abs. 2 EMRK überhaupt nicht in Kollision trete. Erstens – so das Argument – enthalte Art. 7 Abs. 2 EMRK keine Bestrafungspflicht, sondern lediglich eine Bestrafungsbefugnis. Zweitens garantiere die Konvention nach Art. 53 EMRK nur Mindestrechte453, so dass Art. 103 Abs. 2 GG als eine Vorschrift, die im Vergleich zu Art. 7 Abs. 2 EMRK den Einzelnen stärker vor Bestrafungen schützt, ohnehin maßgebend gewesen wäre454. Aus diesen Gründen wird der Vorbehalt zu Art. 7 Abs. 2 EMRK auch als überflüssig erachtet455. Er sei allenfalls Ausdruck politischen Protests456, jedoch kein wirksamer Vorbehalt. In der Tat erscheint ein Verstoß des Vorbehalts gegen Art. 57 Abs. 1 S. 1 EMRK plausibel. Nach dem eben Gesagten ist gemäß dieser Bestimmung ein Vorbehalt zur EMRK nur statthaft, wenn eine innerstaatliche Norm mit einer Bestimmung der EMRK nicht übereinstimmt. Dies setzt voraus, dass die innerstaatliche Norm einer Verpflichtung aus der EMRK entgegensteht.457 Jedoch räumt die EMRK in Art. 7 Abs. 2 EMRK eine bloße Befugnis zur Bestrafung ein.458 Dies ergibt sich aus dessen englischem und französischem Wortlaut, die beide verbindlich sind. In der englischen Fassung lautet Art. 7 Abs. 2 EMRK folgendermaßen: This article459 „shall not prejudice460 the trial and punishment of any person for any act or omission which, at the time when it was committed, was criminal according to the general principles of law recognised by civilised nations.“461

453

Art. 53 EMRK lautet: „Diese Konvention ist nicht so auszulegen, als beschränke oder beeinträchtige sie Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in den Gesetzen einer Hohen Vertragspartei oder in einer anderen Übereinkunft, deren Vertragspartei sie ist, anerkannt werden.“ 454 Jescheck, NJW 1954, S. 785. 455 Kadelbach, Keine Strafe ohne Gesetz, in: Grote / Marauhn, EMRK / GG, Kapitel 15, Rn. 8; Schorn, EMRK, Art. 7 II, Unterpunkt 3 (S. 242 f.); Guradze, EMRK, Art. 7, Unterpunkt 11 (S. 116); v.Weber, ZStW 65 (1953), S. 348. Nach Echterhölter „stößt [der Vorbehalt] […] juristisch ins Leere“ (Echterhölter, JZ 1956, S. 146; ebenso: Classen, GA 1998, S. 223). 456 Kreicker, Gewalttaten, S. 99. Jescheck spricht von einem Akt der Missbilligung durch den deutschen Gesetzgeber (Jescheck, NJW 1954, S. 785). Auch Krey vertritt die Auffassung, dass es des Vorbehalts nicht bedurft hätte, allerdings sei er eine rechtspolitisch begrüßenswerte Missbilligung der durch Art. 7 Abs. 2 EMRK vorgenommenen „Verwässerung“ des nullumcrimen-Prinzips (Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 105). 457 Kreicker, Gewalttaten, S. 99. 458 Echterhölter, JZ 1956, S. 146; Kreicker, Gewalttaten, S. 99; Grünwald, FS Arthur Kaufmann, S. 446; Schorn, EMRK, Art. 7 II, Unterpunkt 3 (S. 242); Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 158. – A. A.: Classen, GA 1998, S. 223, demzufolge Art. 7 Abs. 2 EMRK eine Bestrafungspflicht normiert. 459 In BGBl. 2002 II, S. 1054 (S. 1059) heißt es „article“, während in BGBl. 1952 II, S. 685 (S. 689) „Article“ steht. 460 Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. 461 Zitiert nach: BGBl. 1952 II, S. 685 (S. 689) sowie BGBl. 2002 II, S. 1054 (S. 1059).

224

D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Die entscheidende Passage „shall not prejudice“ bedeutet in wörtlicher Übersetzung: „soll462 nicht beeinträchtigen“ – auch der französische Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 EMRK ist wörtlich entsprechend zu übersetzen463 –, doch ist die prohibitive Verwendung entsprechender Verben in deutschen Rechtstexten ungebräuchlich und wird durch ein einfaches Präsens ersetzt („beeinträchtigt nicht“)464. Damit ergibt sich aus den Originaltexten465, dass Art. 7 Abs. 2 EMRK keine an die Staaten gerichtete Bestrafungspflicht, sondern nur eine Straferlaubnis enthält. Mit 462 In der zweiten und dritten Person des Singulars beinhaltet das defektive Verb „shall“ einen Sollensaspekt bzw. drückt in verneinter Form einen Prohibitiv aus (Koziol / Hüttenbrenner, Grammatik der englischen Sprache, S. 155). 463 In der Fassung von BGBl. 1952 II, S. 685 (S. 689) lautet die französische Version des Art. 7 Abs. 2 EMRK: „Le présent article ne portera pas atteinte au jugement et à la punition d’une omission qui au moment où elle a été commise, était criminelle d’après les principes généraux de droit reconnus par les nations civilisées.“ In der Fassung von BGBl. 2002 II, S. 1054 (S. 1059) lautet sie: „Le présent article ne portera pas atteinte au jugement et à la punition d’une personne coupable d’une action ou d’une omission qui, au moment où elle a été commise, était criminelle d’après les principes généraux de droit reconnus par les nations civilisées.“ Das französische Futur drückt wie das englische „shall“ ebenfalls einen Sollensaspekt aus und gibt in der Negation einen Prohibitiv wieder (Regula, Grammaire française explicative, S. 171). In deutscher Übersetzung bedeutet die entscheidende Passage der französischen Variante von Art. 7 Abs. 2 EMRK („ne portera pas atteinte“) dementsprechend wörtlich: „soll nicht beeinträchtigen“. 464 Der französische wie auch der englische Prohibitiv des forensischen Sprachgebrauchs wird im Deutschen durch ein einfaches Präsens wiedergegeben, wie für das Französische die Beispielwendung „cet article ne portera pas atteinte à“ bzw. seine deutsche Wiedergabe mit „dieser Artikel läßt … unberührt“ (Sachs / Villatte, Großwörterbuch Französisch, S. 69, s. v. „atteinte“) und für das Englische die ausdrückliche Angabe „Mußbestimmung (im Deutschen durch Indikativ wiederzugeben): ‚any person shall be liable – jede Person ist verpflichtet‘“ (Messinger / Rüdenberg, Handwörterbuch Englisch, S. 576, s. v. „shall, Nr. 3“) belegen. 465 Die deutsche Sprache wird in der EMRK nicht als verbindliche Sprache genannt. Aus der ursprünglichen gängigen (fälschlichen) deutschen Übersetzung des Art. 7 Abs. 2 EMRK, die auch in dem Zustimmungsgesetz zur EMRK vom 7. August 1952 (BGBl. 1952 II, S. 685 ff.) verwendet wurde, ging nicht hervor, dass Art. 7 Abs. 2 EMRK keine Strafverpflichtung enthält. Diese Version lautete: „Durch diesen Artikel darf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die […].“ (BGBl. 1952 II, S. 685 [S. 689]), womit irrigerweise der Anschein erweckt wurde, Art. 7 Abs. 2 EMRK gebiete den Staaten, eine entsprechende Bestrafungsmöglichkeit im nationalen Recht vorzusehen (Kreicker, Gewalttaten, S. 100). So geht zum Beispiel Classen davon aus, Art. 7 Abs. 2 EMRK normiere eine Bestrafungspflicht (Classen, GA 1998, S. 223). Möglicherweise war diese Interpretation von Art. 7 Abs. 2 EMRK auch der Anlass für die Bundesrepublik, den Vorbehalt zu erklären (Grünwald, FS Arthur Kaufmann, S. 446 f.; Kreicker, Gewalttaten, S. 100). Am 17. Mai 2002 wurde die korrekte deutsche Übersetzung des englischen und französischen Wortlauts bekanntgemacht, wodurch der Erlaubnischarakter von Art. 7 Abs. 2 EMRK auch in der deutschen Übersetzung zur Geltung kommt (BGBl. 2002 II, S. 1054 [S. 1059]). Durch Art. 2 des Gesetzes zu dem Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur EMRK (BGBl. 1995 II, S. 578 [S. 578]) war das Bundesministerium der Justiz ermächtigt worden, die EMRK mit einer sprachlich überarbeiteten deutschen Übersetzung bekanntzumachen. Von dieser Er-

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

225

dieser Strafbefugnis gerät Art. 103 Abs. 2 GG aber gar nicht in Konflikt, so dass diese Verfassungsnorm dem Art. 7 Abs. 2 EMRK auch nicht widerspricht. Art. 53 EMRK erlaubt überdies ausdrücklich die Gewährung weitergehender Menschenrechte und Grundfreiheiten auf nationaler Rechtsgrundlage. Damit liegt tatsächlich kein Widerspruch zwischen Art. 103 Abs. 2 GG und der EMRK vor, so dass die Vorbehaltsvoraussetzungen des Art. 57 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht erfüllt sind. Ob der deutsche Vorbehalt zu Art. 7 Abs. 2 EMRK deswegen auch unwirksam ist, kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, da selbst ein rechtswirksamer Vorbehalt nicht geeignet ist, die Uneinschränkbarkeit einer Norm des Grundgesetzes zu begründen. War die fragliche Verfassungsnorm vor Erklärung des Vorbehalts nicht uneinschränkbar, so kann sie es auch nicht infolge der Erklärung eines entsprechenden Vorbehalts werden, da hierdurch regelmäßig nicht die Voraussetzungen einer Verfassungsänderung eingehalten werden. Die Tatsache, dass die Vorbehaltserklärung zu Art. 7 Abs. 2 EMRK eine Rechtsansicht des Erklärenden bezüglich der Reichweite des Art. 103 Abs. 2 GG widerspiegelt, kann für die Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG keine Bedeutung haben. Darüber hinaus ist in Bezug auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG zu berücksichtigen, dass kein Vorbehalt zur Bestimmung des Art. 7 Abs. 1 EMRK erklärt wurde466, welche nach hier vertretener Auffassung467 eine Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht zulässt. Im Ergebnis kann demnach aus der Tatsache, dass die Bundesregierung im Rahmen der Ratifikation der EMRK einen Vorbehalt zu Art. 7 Abs. 2 EMRK erklärt hat, kein Argument für eine Uneinschränkbarkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG hergeleitet werden.468

c) Zusammenfassung In Zusammenfassung lässt sich damit sagen, dass die Möglichkeit einer Einschränkung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht zu bejahen ist. Die Untersuchung hat ergeben, dass sämtliche Argumente, die im Rahmen der Mauerschütmächtigung machte eben genanntes Ministerium mit der Bekanntmachung der Neufassung der EMRK (BGBl. 2002 II, S. 1054 ff.) Gebrauch. Danach lautet Art. 7 Abs. 2 EMRK nun: „Dieser Artikel schließt nicht aus, dass jemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt oder bestraft wird, die zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war.“ (Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit) 466 Vgl. Jescheck, NJW 1954, S. 784. 467 Vgl. zu diesem Streit oben: Kapitel D. IV. 2. b) cc) (1). 468 Aus diesem Grunde ist im vorliegenden Zusammenhang auch irrelevant, dass die Bundesregierung zu der Bestimmung des Art. 15 Abs. 2 IPbürgR, die dem Art. 7 Abs. 2 EMRK entspricht, keinen Vorbehalt erklärt hat. Vgl. hierzu: Ebert, FS Müller-Dietz, S. 182 f.; Kreicker, Gewalttaten, S. 100, Fn. 375.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

zendebatte für eine Uneinschränkbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG angeführt wurden, letztlich nicht zu überzeugen vermögen. Gleichwohl ist auch einzugestehen, dass es ebenso wenig ein zwingendes Argument gibt, welches für eine Einschränkbarkeit dieser Verfassungsbestimmung ins Feld geführt werden kann. In dieser „argumentativen Pattsituation“ muss die oben469 dargestellte Vermutung für die Einschränkbarkeit von Verfassungsnormen durch kollidierendes Verfassungsrecht greifen. Ob für die Fallkonstellation von Gesetzen, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, solches kollidierendes Verfassungsrecht tatsächlich auch besteht, ist hiermit allerdings noch nicht geklärt. Dies ist eine Frage, die im folgenden Kapitel behandelt wird.

3. Kollidierendes Verfassungsrecht im Falle von Gesetzen, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen a) Einleitung Nachdem im vorangegangenen Kapitel festgestellt wurde, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG innerhalb der deutschen Verfassungsordnung nicht absolut gilt, sondern prinzipiell auch durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann, ist nun im Folgenden zu fragen, ob in Bezug auf die hier interessierende Fallkonstellation einfachgesetzlicher Strafbestimmungen, die in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, Verfassungswerte existieren, die mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG in Kollision treten und das Erfordernis einer Einschränkung im Wege der praktischen Konkordanz begründen. Dies würde Verfassungswerte voraussetzen, welche gerade verlangen, dass einfachgesetzliche Strafbestimmungen in ihren Tatbeständen auf Völkergewohnheitsrecht verweisen. Von den hier untersuchten Tatbeständen des Völkerstrafgesetzbuchs ist diese Frage nach dem oben Gesagten allein in Bezug auf § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB von Bedeutung, da dies nach hier vertretener Auffassung die einzige Bestimmung ist, die durch ihre Verweisung auf Völkergewohnheitsrecht in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG eingreift. Kollidierendes Verfassungsrecht ist im Falle von Gesetzen, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, aus zwei verschiedenen Bereichen in Erwägung zu ziehen: Auf der einen Seite aus dem Bereich völkergewohnheitsrechtlicher self-executing-Strafbestimmungen im Zusammenwirken mit Art. 25 GG [dazu Unterabschnitt b)], auf der anderen Seite aus dem Bereich staatlicher Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Rechtswerte. Die Frage, inwieweit letztere mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG in 469

Vgl. dazu oben: Kapitel D. IV. 2.

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

227

Kollision treten, wird dabei exemplarisch anhand der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben untersucht [dazu Unterabschnitt c)].

b) Völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen im Zusammenwirken mit Art. 25 GG Völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen sind nur unter zwei Voraussetzungen geeignet, in Bezug auf Gesetze, welche dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der praktischen Konkordanz einzuschränken: Zum einen müssten völkergewohnheitsrechtliche self-executingStrafbestimmungen einen Verfassungswert darstellen; zum anderen müssten sie in Bezug auf die Fallgestaltung einfachgesetzlicher Strafbestimmungen, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG in Kollision treten. Es wird zu zeigen sein, dass es hier bereits am Erfordernis des Verfassungswertes völkergewohnheitsrechtlicher self-executing-Strafbestimmungen fehlt, so dass es letztlich nicht mehr auf die Frage einer Kollision mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG ankommt. Für sich genommen sind völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen Teil der Völkerrechtsordnung. Die folgende Untersuchung wird aber darüber hinaus ergeben, dass völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen auch in Verbindung mit Art. 25 GG keinen Verfassungswert darstellen. Zwar würden solche Strafbestimmungen – jedenfalls soweit sie als Teil des universellen Völkergewohnheitsrechts zu qualifizieren wären470 – unter den Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne von Art. 25 GG fallen. Jedoch ist umstritten, ob diese Verfassungsbestimmung den allgemeinen Regeln des Völkerrechts Verfassungsrang verleiht471. Ehe auf diese Rangfrage näher eingegangen wird, soll allerdings zunächst die Frage aufgeworfen werden, ob das Rechtsinstitut der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht überhaupt für allgemeine Regeln des Völkerrechts gelten würde, falls diese über Art. 25 GG Verfassungsrang erhielten. Diese Frage stellt sich deswegen, weil die allgemeinen Regeln des Völkerrechts – selbst wenn sie über Art. 25 GG Verfassungsrang erhalten würden – formal nicht Teil des Grundgesetzes würden. Die hiermit zusammenhängende Problematik ergibt sich aus dem Grundgedanken, der dem Rechtsinstitut der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht zugrunde 470

Zu dem Streit, ob der Begriff der allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG auch regionales Völkergewohnheitsrecht umfasst, vgl. oben: Kapitel D. II. 1. b). 471 Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 147; BerlinerKommentar-Hobe, Art. 25, Rn. 30; Umbach / Clemens-Hofmann, Art. 25, Rn. 22.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

liegt. In seiner Kriegsdienstverweigerungsentscheidung hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass mit Rücksicht auf die Einheit des Grundgesetzes und die von ihm geschützte gesamte Wertordnung auch unbeschränkbare Grundrechte – also solche, die nicht unter Gesetzesvorbehalt stehen – in einzelnen Bereichen durch kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte begrenzt werden können.472 Das Bundesverfassungsgericht rekurrierte hier also in seinem Gedankengang auf den Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung. Damit führt die systematische Interpretation des Grundgesetzes dazu, dass auch grundsätzlich uneinschränkbare Grundrechte – und darüber hinausgehend auch sonstige Verfassungswerte – durch andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte eingeschränkt werden können.473 Unabhängig von der Frage, welchen Rang allgemeine Regeln des Völkerrechts durch Art. 25 GG in der deutschen Rechtsordnung erhalten, stellt sich hier die prinzipielle Frage, ob der Gedanke der Einheit der Verfassung prinzipiell auch solche Normen erfasst, die lediglich über eine Verweisung Verfassungsrang erhalten, ohne selbst formal Teil des Grundgesetzes zu werden. Die Konzeption der Einheit der Verfassung baut gerade auf dem Gedanken auf, dass das Grundgesetz nicht ein Konglomerat zufällig aneinander gereihter Rechtssätze ist, sondern von einer Gesamtidee getragen ist, nach der das Grundgesetz ein geschlossenes Ganzes der Ordnung des Staats- und Gemeinschaftslebens ist474. Bezüglich der Bestimmungen der Art. 136, Art. 137, Art. 138, Art. 139 und Art. 141 der Weimarer Reichsverfassung, welche durch Art. 140 GG zum Bestandteil des Grundgesetzes erklärt werden, selbst aber nicht formal Teil des Grundgesetzes sind, mag noch einleuchten, dass sie von der „Gesamtidee“, die das Grundgesetz durchzieht, mit umfasst sind.475 Wie verhält es sich aber mit den zahllosen allgemeinen Regeln des Völkerrechts, auf die Art. 25 GG dynamisch verweist? Könnte man bei ihnen – unter der Voraussetzung, dass sie durch Art. 25 GG mit Verfassungsrang ausgestattet werden – noch von einer Einheit sprechen, die sie mit dem Grundgesetz bilden? Letztlich kann diese Frage hier aber offenbleiben, da im Folgenden gezeigt wird, dass Art. 25 GG den allgemeinen Regeln des Völkerrechts ohnehin keinen Verfassungsrang einräumt. Der in der Rechtswissenschaft geführte Streit um die Frage, welcher Rang den allgemeinen Regeln des Völkerrechts über Art. 25 GG in der deutschen Rechtsord472

BVerfGE 28, 243 (261). Vgl. Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 29. 474 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland I, S. 131 f. 475 Dementsprechend betont das Bundesverfassungsgericht, dass die inkorporierten Kirchenartikel der Weimarer Verfassung mit dem Grundgesetz ein organisches Ganzes bilden (BVerfGE 53, 366 [400]). Nach BVerfGE 33, 23 (31) allerdings soll Art. 136 der Weimarer Reichsverfassung von Art. 4 Abs. 1 GG „überlagert“ werden. von Campenhausen betont demgegenüber, dass die durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung vollgültiges Verfassungsrecht sind und gegenüber anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht auf einer Stufe minderen Rangs stehen (v.Campenhausen, in: HStR VI, 2. Aufl., § 136, Rn. 35). 473

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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nung zukommt, ist Folge des nicht eindeutigen Wortlauts des Art. 25 S. 2 Hs. 1 GG. Nach dieser Bestimmung gehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen vor, woraus sich zumindest ergibt, dass sie im Rang über einfachen Bundesgesetzen stehen. Damit ist aber die Frage noch nicht geklärt, wie das Rangverhältnis zwischen den allgemeinen Regeln des Völkerrechts und dem Grundgesetz ist. Nach einer sehr weitgehenden Auffassung476 sollen jene im Range über dem Grundgesetz stehen. Diese Ansicht kann sich dabei auf die Entstehungsgeschichte des Art. 25 GG berufen477: In der vierten Lesung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates begründete nämlich der Abgeordnete von Brentano den Antrag des Abgeordneten von Mangoldt, in den damaligen Art. 29, der letztlich als Art. 25 Aufnahme ins Grundgesetz fand, eine Rangklausel einzufügen und damit dieser Norm die Fassung zu geben478, die im Wesentlichen479 mit der heutigen Fassung des Art. 25 GG übereinstimmt, dahingehend, dass das Völkerrecht unter allen Umständen dem Bundesrecht, auch dem Bundesverfassungsrecht, vorgehe480. Der Ausschuss nahm daraufhin den Mangoldtschen Antrag einstimmig an, im Plenum wurde Art. 25 dann in zweiter und dritter Lesung ohne Erörterungen gebilligt.481 Gegen die Auffassung, wonach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts durch Art. 25 GG Überverfassungsrang zukommen soll, werden jedoch zu Recht verschiedene Bedenken angemeldet. So wird unter anderem vorgebracht, ein legitimes Interesse an einem Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts über dem Grundgesetz sei nicht zu erkennen.482 Darüber hinaus hätte die Einräumung eines 476 So z. B.: BK-Menzel, Art. 25, S. 10; Pigorsch, Einordnung, S. 59. – Hobe differenziert in dieser Frage. So schreibt er: „Diejenigen Regeln des allgemeinen Völkerrechts, die als zwingendes Völkerrecht zu bezeichnen sind, dürften jedenfalls Verfassungsrang, richtigerweise aber wohl sogar Überverfassungsrang, besitzen. […] Für alle anderen allgemeinen Regeln des Völkerrechts ist zumindest […] Zwischenrang zwischen Grundgesetz und einfachen Gesetzen anzunehmen.“ (BerlinerKommentar-Hobe, Art. 25, Rn. 33 f.) 477 Maunz / Dürig-Herdegen, Art. 25, Rn. 42; BerlinerKommentar-Hobe, Art. 25, Rn. 31. 478 Der Antrag sah die Fassung vor: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“ (Zitierung nach: JöR N. F. 1 [1951], S. 235) Der Wortlaut, der vom Hauptausschuss in der zweiten Lesung beschlossen worden war (vgl. JöR N. F. 1 [1951], S. 233 f.), lautete: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesverfassungsrechts und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für alle Bewohner des Bundesgebietes.“ (Zitierung nach: JöR N. F. 1 [1951], S. 234) 479 Eine lediglich sprachliche Abweichung ergibt sich nur insofern, als der Antrag des Abgeordneten von Mangoldt vom „Bestandteil des Bundesrechts“ (Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit) spricht, während die heutige Fassung des Art. 25 GG den Wortlaut „Bestandteil des Bundesrechtes“ (Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit) enthält. 480 Begründung des Antrags des Abgeordneten von Mangoldt durch den Abgeordneten von Brentano (JöR N. F. 1 [1951], S. 235). 481 JöR N. F. 1 (1951), S. 235. 482 Maunz / Dürig-Herdegen, Art. 25, Rn. 42.

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Überverfassungsrangs der allgemeinen Regeln des Völkerrechts ausdrücklich erfolgen müssen.483 Auch spreche die Tatsache, dass Art. 25 GG nicht in Art. 79 Abs. 3 GG genannt und damit auch nicht für unabänderlich erklärt worden ist, gegen die Annahme, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts würden durch Art. 25 S. 2 Hs. 1 GG Überverfassungsrang erhalten.484 Aus diesen Gründen ist die Annahme, dass Art. 25 GG den allgemeinen Regeln des Völkerrechts einen Überverfassungsrang verschafft, letztlich abzulehnen. Nach einer anderen Auffassung485 sollen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts durch Art. 25 GG Verfassungsrang erlangen und somit auf derselben Stufe wie das Grundgesetz stehen. Argumentiert wird unter anderem damit, dass mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen sei, dass Art. 25 S. 2 Hs. 1 GG als die Norm, die einen Rechtsanwendungsbefehl erteilt, der anzuwendenden Norm die gleiche Rangstufe zuweise.486 Gegen diese Meinung wird jedoch das Argument vorgebracht, dass die Annahme von Verfassungsrang eine ausdrückliche Klarstellung durch das Grundgesetz voraussetzen würde487. Überdies käme Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG nicht zum Zuge488, wonach das Grundgesetz nur durch ein Gesetz geändert werden kann, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Aus diesem Grunde ist auch die Annahme eines Verfassungsrangs abzulehnen. Durchgesetzt hat sich letztlich eine dritte und überzeugende Ansicht489, welche den Rang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts unterhalb des Grundgesetzes und oberhalb des einfachen Rechts sieht. Vorgebracht wird dabei zu Recht, dass Art. 25 S. 2 Hs. 1 GG nach seinem Sinn und Zweck die Bundesrepublik Deutschland vor staatengemeinschaftswidrigen Gesetzen schützen, nicht aber die Bestimmungen des Grundgesetzes selbst zur Disposition stellen soll.490 Wenn aber Art. 25 S. 2 Hs. 1 GG nach dieser überzeugenden Ansicht den allgemeinen Regeln des Völkerrechts keinen Verfassungsrang einräumt, so sind völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen auch in Verbindung mit Art. 25 GG von vornherein nicht geeignet, das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der praktischen Konkordanz einzuschränken. Sollte nämlich eine Kollision zwischen völkergewohnheitsrechtlichen self-executing-Strafbestimmungen und dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bestehen, müssten jene innerhalb der 483

BerlinerKommentar-Hobe, Art. 25, Rn. 31. Umbach / Clemens-Hofmann, Art. 25, Rn. 22. 485 So z. B.: Herzog, EuGRZ 1990, S. 486; Sachs-Streinz, Art. 25, Rn. 90. 486 Sachs-Streinz, Art. 25, Rn. 90. 487 Maunz / Dürig-Herdegen, Art. 25, Rn. 42. 488 Münch / Kunig-Rojahn, Art. 25, Rn. 37; vgl. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum, Abschnitt 2, Rn. 152. 489 So zum Beispiel: Bremer, Nationale Strafverfolgung, S. 148; Maunz / Dürig-Herdegen, Art. 25, Rn. 42; Umbach / Clemens-Hofmann, Art. 25, Rn. 23. 490 Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 191. 484

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deutschen Rechtsordnung insoweit weichen, wären also nicht in der Lage, das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der praktischen Konkordanz einzuschränken.491 Aus diesem Grunde kann hier auch die Frage offenbleiben, ob völkergewohnheitsrechtliche self-executingStrafbestimmungen in Bezug auf die hier interessierende Fallgestaltung einfachgesetzlicher Straftatbestände, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG kollidieren.

c) Staatliche Schutzpflichten (am Beispiel der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben) Auch der Versuch, mittels staatlicher Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter eine Einschränkung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der praktischen Konkordanz begründen zu wollen492, scheitert letztlich. Zwar existieren in der deutschen Verfassungsordnung derartige Schutzpflichten, diese treten jedoch bezüglich der Fallgestaltung einfachgesetzlicher Straftatbestände, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Kollision. Dies wäre nämlich nur dann gegeben, wenn staatliche Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter vom Gesetzgeber verlangen würden, einfachgesetzliche Straftatbestände unter Umständen so auszugestalten, dass sie in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen. Es wird zu zeigen sein, dass dies nicht der Fall ist. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die hier vorgenommene Untersuchung exemplarisch erfolgt. Das bedeutet: Zwar wird im Folgenden nur das Vorliegen einer Kollision des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG mit der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben analysiert; die Untersuchung und insbesondere ihr Ergebnis gelten jedoch im Wesentlichen auch in Bezug auf andere staatliche Schutzpflichten. Wenn die folgende Prüfung auf die staatliche Schutzpflicht für Leib und Leben begrenzt wird, obwohl das Rechtsinstitut der staatlichen Schutzpflicht auch bei anderen grundrechtlich geschützten Rechtsgütern nicht ausgeschlossen wird493, so findet diese Vorgehensweise ihren Grund in dem Bestreben, die wesentlichen Aspekte, die in Bezug auf die vorliegende Prüfung für sämtliche staatliche Schutzpflichten entsprechend gelten, her491

Vgl. Satzger, NStZ 2002, S. 126. Im Rahmen der Mauerschützenproblematik zieht Rosenau diesen Ansatz – bezogen allerdings auf das aus Art. 103 Abs. 2 GG folgende Rückwirkungsverbot – in Erwägung (Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 226 ff.). 493 Stern / Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland III / 1, S. 944; vgl. Götz, in: HStR III, 2. Aufl., § 79, Rn. 10. 492

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vorzuheben. Die Tatsache, dass die exemplarische Untersuchung hier gerade anhand der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben vorgenommen wird, ist darin begründet, dass diese gerade diejenige der Schutzpflichten ist, welche wegen des Gewichts der Rechtsgüter, die durch sie geschützt werden, in den Worten von Stern „besonders ernst zu nehmen ist“494. Man kann damit also sagen: Wenn schon die staatliche Schutzpflicht für Leib und Leben das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht einzuschränken vermag, so gilt dieses Ergebnis für sämtliche anderen staatlichen Schutzpflichten erst recht.

aa) Herleitung der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben Das Bundesverfassungsgericht hat zum ersten Mal in einer Entscheidung vom 25. Februar 1975 zum Schwangerschaftsabbruch festgestellt, dass eine „Pflicht des Staates [bestehe], jedes menschliche Leben zu schützen“495. Diese Feststellung wurde in weiteren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts wiederholt496 und darüber hinaus auch auf das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit erweitert497, welches ebenso wie das Rechtsgut Leben durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützt ist. Die Schutzpflicht des Staates für Leib und Leben wird dabei vom Bundesverfassungsgericht unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hergeleitet.498 Nach seiner ständigen Rechtsprechung begründen Grundrechte nicht nur „subjektive Abwehrrechte des einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern stellen zugleich objektivrechtliche Wertentscheidungen der Verfassung dar, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gelten und Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung geben.“499

Dass sich hieraus an den Staat gerichtete Schutzpflichten ergeben können, welche es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, dass die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt, soll sich dabei nach der Rechtsprechung vor allem auch aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ergeben500, wonach es Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Dementsprechend begründet Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts also nicht nur ein subjektives Abwehrrecht des 494

Stern / Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland III / 1, S. 944. BVerfGE 39, 1 (41). 496 So zum Beispiel: BVerfGE 46, 160 (164); BVerfGE 49, 24 (53); BVerfGE 53, 30 (57); BVerfGE 56, 54 (73); BVerfGE 77, 170 (214); BVerfGE 77, 381 (402 f.); BVerfGE 79, 174 (201 f.); BVerfGE 88, 203 (251). 497 So zum Beispiel: BVerfGE 53, 30 (57); BVerfGE 56, 54 (73); BVerfGE 77, 381 (402 f.); BVerfGE 79, 174 (201 f.). 498 Vgl. BVerfGE 39, 1 (41). 499 BVerfGE 49, 89 (141 f.). 500 BVerfGE 49, 89 (142). 495

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Einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern auch eine Schutzpflicht des Staates für Leib und Leben.501 Diese Rechtsprechung hat in der Literatur nahezu einhellige Zustimmung gefunden.502

bb) Zur Frage einer Kollision Da mithin feststeht, dass in der deutschen Verfassungsordnung eine staatliche Schutzpflicht für Leib und Leben existiert, ist im nächsten Schritt zu untersuchen, ob dieser Verfassungswert vorliegend mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG kollidiert, so dass die Vornahme einer praktischen Konkordanz zwischen beiden Verfassungswerten notwendig würde. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, welche Anforderungen die staatliche Schutzpflicht für Leib und Leben in der vorliegenden Fallgestaltung an den Strafgesetzgeber stellt. Eine Einschränkung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG aufgrund der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben als einem kollidierenden Verfassungswert würde voraussetzen, dass diese Schutzpflicht vom Gesetzgeber verlangt, einfachgesetzliche Straftatbestände unter Umständen so auszugestalten, dass sie in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen. Die Schutzpflicht für Leib und Leben fordert im Einzelnen vom Staat, sich schützend und fördernd vor diese Rechtsgüter zu stellen „und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren“503. Rechtswidrige Eingriffe von Seiten anderer meint dabei insbesondere Eingriffe nichtstaatlicher Natur.504 An der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben haben sich dabei sämtliche Bereiche der Rechtsordnung – je nach ihrer besonderen Aufgabenstellung – auszurichten.505 Ein Mittel zur Erfüllung dieser Schutzpflicht kann unter Umständen auch der Erlass materieller Vorschriften strafrechtlicher Natur sein.506 So hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht festgestellt: „Aufgabe des Strafrechts war es seit jeher, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen.“507 501 Vgl. BVerfGE 53, 30 (57); BVerfGE 56, 54 (73); BVerfGE 77, 170 (214); BVerfGE 79, 174 (201 f.). 502 So z. B.: Götz, in: HStR III, 2. Aufl., § 79, Rn. 10 ff.; Badura, Staatsrecht, Kapitel C, Rn. 22, 37; Stern / Sachs, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland III / 1, S. 931 ff. Umfassend zur staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben: Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, passim. 503 BVerfGE 53, 30 (57); ebenso: BVerfGE 56, 54 (73). 504 AK-GG-Correll, Art. 2 Abs. 2, Rn. 19. 505 BVerfGE 39, 1 (42); BVerfGE 46, 160 (164); vgl. Isensee, in: HStR V, 2. Aufl., § 111, Rn. 139. 506 BVerfGE 39, 1 (45 ff.); AK-GG-Correll, Art. 2 Abs. 2, Rn. 22; Götz, in: HStR III, 2. Aufl., § 79, Rn. 12; Rüfner, in: HStR V, 2. Aufl., § 117, Rn. 61. 507 BVerfGE 39, 1 (46).

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Das Strafrecht dient dem Rechtsgüterschutz und ist daher prädestiniert, die durch Grundrechte geschützten Rechtsgüter zu schützen.508 Das Bundesverfassungsgericht hat dies in der Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch – allerdings in Bezug auf den Schutz des ungeborenen Lebens – präzisiert, und zwar in folgender Weise: „Im äußersten Falle, wenn nämlich der von der Verfassung gebotene Schutz auf keine andere Weise zu erreichen ist509, kann der Gesetzgeber verpflichtet sein, zum Schutze des sich entwickelnden Lebens das Mittel des Strafrechts einzusetzen.“510

Die Richterin Rupp-v. Brünneck und der Richter Simon haben zu eben genannter Entscheidung jedoch ein Sondervotum511 geäußert, in welchem es unter anderem heißt: „Wenn die in einer Grundrechtsnorm enthaltene objektive Wertentscheidung zum Schutz eines bestimmten Rechtsgutes genügen soll, um daraus die Pflicht zum Strafen herzuleiten, so könnten die Grundrechte unter der Hand aus einem Hort der Freiheitssicherung zur Grundlage einer Fülle von freiheitsbeschränkenden Reglementierungen werden. […] Selbstverständlich setzt die Verfassung voraus, daß der Staat zum Schutz eines geordneten Zusammenlebens auch seine Strafgewalt gebrauchen kann; der Sinn der Grundrechte geht jedoch nicht dahin, solchen Einsatz zu fordern, sondern ihm Grenzen zu ziehen.“512

Diese Bedenken gegen grundrechtlich begründete Pflichten des Gesetzgebers zum Erlass von Strafnormen greifen jedoch nach hier vertretener Auffassung letztlich nicht durch.513 Wenn der Staat nämlich durch ein Grundrecht verpflichtet ist, ein Rechtsgut gegen Angriffe Dritter zu schützen, werden oft Maßnahmen unvermeidlich sein, durch welche die Freiheitsbereiche anderer Grundrechtsträger tangiert werden; in dieser Hinsicht ist aber die Rechtslage beim Erlass von sozial- oder zivilrechtlichen Normen keine grundsätzlich andere als beim Erlass von Strafnormen.514 Gegen die Annahme, aus der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben könne sich unter Umständen eine Pflicht zum Erlass von Strafnormen ergeben, kann auch nicht ins Feld geführt werden, dass das Grundgesetz selbst nur in Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG ausdrücklich einen Verfassungsauftrag zur Bestrafung bestimmter Verhaltensweisen ausspricht.515 Aus diesem Verfassungsauftrag folgt weder, dass es keine anderen verfassungsrechtlichen Bestrafungspflichten gibt, noch, unter welchen Voraussetzungen solche verfassungsrechtlichen Bestrafungspflichten in Betracht zu ziehen sind.516 Damit bleibt festzuhalten, dass sich an dem oben gefun508 509 510 511 512 513 514 515 516

Götz, in: HStR III, 2. Aufl., § 79, Rn. 12; vgl. Rüfner, in: HStR V, 2. Aufl., § 117, Rn. 61. Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit. BVerfGE 39, 1 (46 f.). BVerfGE 39, 1 (68 ff.). BVerfGE 39, 1 (73). Vgl. Götz, in: HStR III, 2. Aufl., § 79, Rn. 12, Fn. 40. BVerfGE 39, 1 (47). Götz, in: HStR III, 2. Aufl., § 79, Rn. 12; vgl. Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 228. Müller-Dietz, FS Dreher, S. 104; Götz, in: HStR III, 2. Aufl., § 79, Rn. 12.

IV. Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung

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denen Zwischenergebnis nichts ändert: Unter Umständen kann eine Pflicht des Staates bestehen, die grundrechtlich geschützten Rechtsgüter Leib und Leben mittels des Strafrechts vor Verletzungen durch andere zu schützen.517 Aus der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben kann sich also möglicherweise auch eine an den Gesetzgeber gerichtete Pflicht zum Erlass von Strafnormen ergeben.518 An das Vorliegen einer solchen Pflicht sind allerdings sehr hohe Anforderungen zu stellen: Erforderlich ist, dass es um den Schutz existentieller Lebensinteressen des Bürgers oder der Gesellschaft geht und dass sich dieser Schutz allein durch eine Strafdrohung in dem gebotenen Maße sicherstellen lässt.519 Das Bundesverfassungsgericht hat überdies festgestellt, dass dem Gesetzgeber – genauso wie der vollziehenden Gewalt – bei der Erfüllung der Schutzpflicht für Leib und Leben ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, welcher beispielsweise auch Raum für die Berücksichtigung konkurrierender öffentlicher und privater Interessen lässt.520 Wie die staatlichen Organe ihre Verpflichtung zu einem effektiven Schutz von Leib und Leben im Einzelnen erfüllen, ist danach also von ihnen grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden.521 Das Grundgesetz gibt nur den Schutz der Rechtsgüter als Ziel vor, nicht aber die konkrete Ausgestaltung dieses Schutzes.522 Weiter hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Rechtsprechung – gemäß dieser weiten Gestaltungsfreiheit von Legislative und Exekutive bei der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht für Leib und Leben – grundsätzlich nur in begrenztem Umfang überprüfen könne, welche Maßnahmen im Einzelnen zum Schutz eben genannter Rechtsgüter geboten sind.523 Ein Gericht könne die Verletzung dieser Schutzpflicht nur feststellen, wenn die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen hat oder wenn die getroffenen Maßnahmen offensichtlich gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das Schutzziel zu erreichen.524 In einer Entscheidung zum Fluglärm begründete das Bundesverfassungsgericht diese begrenzte Überprüfbarkeit in folgender Weise: 517

Ebenso: Götz, in: HStR III, 2. Aufl., § 79, Rn. 12. SK-Rudolphi, Vor § 1, Rn. 1a. 519 SK-Rudolphi, Vor § 1, Rn. 1a. 520 BVerfGE 77, 170 (214 f.); BVerfGE 79, 174 (202). 521 BVerfGE 56, 54 (80 f.); vgl. BVerfGE 46, 160 (164). 522 BVerfGE 88, 203 (254); vgl. AK-GG-Correll, Art. 2 Abs. 2, Rn. 22. 523 BVerfGE 77, 170 (215); BVerfGE 79, 174 (202). 524 BVerfGE 79, 174 (202). – Als weiteren materiell-rechtlichen Beurteilungsmaßstab eines grundrechtsschützenden Gesetzes hat das Bundesverfassungsgericht das Untermaßverbot in seine Rechtsprechung eingeführt (BVerfGE 88, 203 [254]); vgl. AK-GG-Correll, Art. 2 Abs. 2, Rn. 23). Das Bundesverfassungsgericht fasst dieses Kriterium wie folgt zusammen: „Notwendig ist ein – unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter – angemessener Schutz; entscheidend ist, daß er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen, die der Gesetzgeber trifft, müssen für einen angemessenen und wirksamen Schutz ausreichend sein und zudem auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen.“ (BVerfGE 88, 203 [254]) 518

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

„[Es ist] regelmäßig eine höchst komplexe Frage […], wie eine positive staatliche Schutzund Handlungspflicht, die erst im Wege der Verfassungsinterpretation aus den in den Grundrechten verkörperten Grundentscheidungen hergeleitet wird, durch aktive gesetzgeberische Maßnahmen zu verwirklichen ist. Je nach der Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse, der konkreten Zielsetzungen und ihrer Priorität sowie der Eignung der denkbaren Mittel und Wege sind verschiedene Lösungen möglich. Die Entscheidung, die häufig Kompromisse erfordert, gehört nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip in die Verantwortung des vom Volk unmittelbar legitimierten Gesetzgebers und kann vom Bundesverfassungsgericht in der Regel nur begrenzt nachgeprüft werden, sofern nicht Rechtsgüter von höchster Bedeutung auf dem Spiele stehen.“525

Damit ist es weitgehend Sache des gesetzgeberischen Ermessens, auf welche Weise der staatliche Schutz für Leib und Leben gewährleistet werden soll.526 Methodologisch gesehen stellen die grundrechtlichen Schutzpflichten demnach keine Regeln dar, für die es nur die Alternativen der Einhaltung oder der Verletzung gibt, sondern Prinzipien, also Optimierungsgebote, welche nur mehr oder weniger realisiert werden können.527 Jedoch soll sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unter bestimmten Umständen die Gestaltungsfreiheit, die dem Gesetzgeber und der vollziehenden Gewalt bei der Erfüllung der Schutzpflichten zukommt, in der Weise einengen, dass der Schutzpflicht nur durch eine bestimmte Maßnahme genüge getan werden kann.528 Aus dem eben Gesagten ergibt sich allerdings vorliegend keine Pflicht des Gesetzgebers, einfachgesetzliche Strafbestimmungen, die die Rechtsgüter Leib und Leben schützen, unter Umständen so auszugestalten, dass sie in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen. Es ist nämlich festzuhalten, dass eine Strafnorm, die in ihrem Tatbestand dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweist, nicht eher geeignet ist, potentielle Täter von der Begehung einer entsprechenden Straftat abzuhalten, als eine inhaltlich vergleichbare Strafnorm, die nicht auf Völkergewohnheitsrecht verweist. Eine gegenteilige Auffassung würde verkennen, dass ein juristischer Laie regelmäßig nicht unmittelbar mit geschriebenen Normen konfrontiert ist, sondern diese durch Dritte – sei es im Laufe des Sozialisations- und Erziehungsprozesses, sei es durch Medien – vermittelt bekommt. Insoweit kann es aber keinen Unterschied machen, ob die Norm, auf die durch die Dritten verwiesen wird, letztlich eine solche des geschriebenen Rechts oder eine solche des Gewohnheitsrechts ist. Dementsprechend ist nicht ersichtlich, dass die genannte Schutzpflicht sowie das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG in Bezug auf die Fallgestaltung einfachgesetzlicher Strafbestimmungen, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, in Kollision miteinander treten. Dasselbe gilt insoweit auch in Bezug auf andere staatliche Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter. 525 526 527 528

BVerfGE 56, 54 (81). Vgl. Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 228. Isensee, in: HStR V, 2. Aufl., § 111, Rn. 138. BVerfGE 77, 170 (215); vgl. BVerfGE 46, 160 (164 f.).

V. Zusammenfassung

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d) Zusammenfassung In Zusammenfassung lässt sich damit festhalten, dass es in Bezug auf die Fallkonstellation einfachgesetzlicher Straftatbestände, die in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, kein Verfassungsrecht gibt, das mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG kollidiert. Sowohl völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen in Verbindung mit Art. 25 GG als auch staatliche Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter scheiden diesbezüglich aus – jene deshalb, weil sie gar keinen Verfassungswert darstellen, diese deswegen, weil sie nicht in Kollision mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG treten.

V. Zusammenfassung zur Frage der Vereinbarkeit der untersuchten Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG V. Zusammenfassung

Die Untersuchung in Kapitel D., II. und III. hat ergeben, dass die Tatbestände nach – § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, – § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB, – § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB, – § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, – § 9 Abs. 1 VStGB, – § 9 Abs. 2 VStGB, – § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB, – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB sowie – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB nicht vom Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG erfasst werden, damit also keinen Eingriff in dieses Verfassungsprinzip darstellen. Allein § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB begründet einen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG. Wie die Untersuchung in Kapitel D, IV ergab, ist ein solcher Eingriff nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Zwar ist das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG nach hier vertretener Auffassung prinzipiell einer

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D. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht zugänglich. Jedoch scheidet eine solche Rechtfertigung im vorliegenden Fall mangels der Existenz von kollidierendem Verfassungsrecht aus. In seiner jetzigen Fassung stellt § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB damit einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG dar. Aus diesem Grunde ist der Gesetzgeber zur Nachbesserung dieses Tatbestands aufgerufen. In Betracht käme insoweit eine nähere Umschreibung der Merkmale der Entziehung oder wesentlichen Einschränkung grundlegender Menschenrechte.

E. Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG? E. Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG? Betrachtet man die vorherigen Kapitel, so lässt sich als Ergebnis festhalten, dass ein dynamischer Verweis durch Straftatbestände auf Völkergewohnheitsrecht nicht zwingend gegen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. Dies ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls und hängt vielfach von Wertungen ab. Gerade im strafrechtlichen Bereich aber, in dem erhebliche Grundrechtseingriffe in Betracht kommen, ist eine solche Ungewissheit hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit einer Norm sehr unbefriedigend. Es stellt sich hier deswegen die Frage, ob es nicht rechtspolitisch sinnvoll wäre, Art. 103 Abs. 2 GG dahingehend zu ändern, dass diese Verfassungsvorschrift einfachgesetzlichen Straftatbeständen, die auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, in keinem Fall entgegensteht. Diese Frage nach einer Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG ist dabei auch als Denkanstoß zu verstehen, wie man in einer Zeit rapider Entwicklung des Völkerstrafrechts auch das Grundgesetz dieser Entwicklung anpassen kann. Darüber hinaus könnte dem Völkerstrafrecht durch eine Änderung von Art. 103 Abs. 2 GG möglicherweise zu noch größerer Wirkung verholfen werden. Für die Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG in eben bezeichneter Weise kommt zum Beispiel die Einführung eines Art. 103 Abs. 2 S. 2 GG in Betracht, der folgendermaßen lauten könnte: „Satz 1 ist nicht dahingehend auszulegen, dass er Strafgesetzen entgegensteht, die in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen.“

Problematisch ist insoweit jedoch bereits, ob eine derartige konstitutive Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG überhaupt rechtlich zulässig wäre, wobei insbesondere Art. 79 Abs. 3 GG zu berücksichtigen ist. Zwar gilt diese sogenannte Ewigkeitsklausel auch für den (irrenden) verfassungsloyalen Gesetzgeber1, jedoch 1 Münch / Kunig-Bryde, Art. 79, Rn. 28. Als zu eng erscheint dementsprechend die Aussage des Bundesverfassungsgerichts aus dem Abhörurteil, es sei Sinn des Art. 79 Abs. 3 GG, „zu verhindern, daß die geltende Verfassungsordnung in ihrer Substanz, in ihren Grundlagen auf dem formal-legalistischen Weg eines verfassungsändernden Gesetzes beseitigt und zur nachträglichen Legalisierung eines totalitären Regimes mißbraucht werden kann.“ (BVerfGE 30, 1 [24]; Hervorhebung durch den Verfasser der vorliegenden Arbeit) Zu Recht heißt es in dem Minderheitsvotum zum Abhörurteil: „Eine solche gewichtige und in ihren Konsequenzen weittragende Ausnahmevorschrift [scil.: Art. 79 Abs. 3 GG] darf sicherlich nicht extensiv ausgelegt werden. Aber es heißt ihre Bedeutung völlig verkennen, wenn man ihren Sinn vornehmlich darin sehen wollte, zu verhindern, daß der formal-legalistische Weg eines verfassungsändernden Gesetzes zur nachträglichen Legalisierung eines totalitären Regimes mißbraucht wird. […] Art. 79 Abs. 3 GG

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E. Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG?

besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Art. 79 Abs. 3 GG als Ausnahmevorschrift vom demokratischen Prinzip der Volkssouveränität eng auszulegen ist.2 Entsprechend diesem Gebot heißt es im Abhörurteil des Bundesverfassungsgerichts: „[Art. 79 Abs. 3 GG] verbietet […] eine prinzipielle Preisgabe der dort genannten Grundsätze. Grundsätze werden ‚als Grundsätze‘ von vornherein nicht ‚berührt‘, wenn ihnen im allgemeinen Rechnung getragen wird und sie nur für eine Sonderlage entsprechend deren Eigenart aus evident sachgerechten Gründen modifiziert werden.“3

An der Aussage, eine aus sachgerechten Gründen erfolgende Modifikation der Grundsätze falle nicht unter den Begriff des Berührens im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG, hat das Bundesverfassungsgericht auch in zwei späteren Entscheidungen festgehalten, wenn auch nicht unter ausdrücklicher Wiederholung der Auffassung, dass Art. 79 Abs. 3 GG eine prinzipielle Preisgabe der dort genannten Grundsätze verbiete.4 Aus dem Erfordernis restriktiver Auslegung des Art. 79 Abs. 3 GG folgt, dass nur die dort aufgezählten Grundsätze (Gliederung des Bundes in Länder, grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung sowie die in Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze), nicht jedoch weitere Grundsätze von der Ewigkeitsklausel erfasst sind.5 Auf der anderen Seite ist gerade im Hinblick auf die in Art. 1 GG niedergelegten Grundsätze zu beachten, dass ein jedes Grundrecht auch einen Menschenwürdegehalt besitzt.6 Auch wenn diese Grundrechte keine Erwähnung in Art. 79 Abs. 3 GG finden, sind sie dennoch nach Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in der Reichweite dieses Menschenwürdegehalts durch den Gesetzgeber nicht abänderbar.7 So stellt das Bundesverfassungsgericht fest: „[I]n Verbindung mit der in Art. 1 Abs. 3 GG enthaltenen Verweisung auf die nachfolgenden Grundrechte sind deren Verbürgungen insoweit einer Einschränkung grundsätzlich entbedeutet mehr: Gewisse Grundentscheidungen des Grundgesetzgebers werden für die Dauer der Geltung des Grundgesetzes […] für unverbrüchlich erklärt.“ (BVerfGE 30, 1 [38 f.] [Minderheitsvotum]) Dem zuletzt Zitierten ist zuzustimmen, da die Substanz der geltenden Verfassungsordnung gerade auch von einem (irrenden) verfassungstreuen Gesetzgeber beseitigt werden kann, der keinerlei Ambitionen besitzt, ein totalitäres Regime zu errichten. Würde man die von einem verfassungsloyalen Gesetzgeber vorgenommenen Änderungen des Grundgesetzes vom Anwendungsbereich des Art. 79 Abs. 3 GG ausnehmen – ein Unterfangen, das im Übrigen wegen Beweisschwierigkeiten zum Scheitern verurteilt wäre –, so liefe dies letztlich auf eine Aushebelung dieser Verfassungsbestimmung hinaus. 2 So zum Beispiel: Maunz / Dürig-Maunz / Dürig, Art. 79, Rn. 31; Münch / Kunig-Bryde, Art. 79, Rn. 28; Umbach / Clemens-Rubel, Art. 79, Rn. 26; vgl. BVerfGE 30, 1 (25). 3 BVerfGE 30, 1 (24). 4 Vgl. BVerfGE 84, 90 (121); BVerfGE 94, 49 (103). 5 Umbach / Clemens-Rubel, Art. 79, Rn. 26. 6 Maunz / Dürig-Maunz / Dürig, Art. 79, Rn. 42. 7 Münch / Kunig-Bryde, Art. 79, Rn. 36; vgl. BK-Evers, Art. 79 Abs. 3, Rn. 173.

E. Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG?

241

zogen, als sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 Abs. 1 und 2 GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar sind.“8

Unabhängig von der Frage, ob es sich bei Art. 103 Abs. 2 GG um ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht handelt9, gilt das eben Gesagte, wonach jedes Grundrecht einen unantastbaren Menschenwürdegehalt besitzt, auch in Bezug auf Art. 103 Abs. 2 GG. Dabei kann hier die Frage, inwieweit eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG nach Art. 79 Abs. 3 GG rechtlich zulässig ist, nicht für die gesamte Bestimmung des Art. 103 Abs. 2 GG einheitlich beantwortet werden, sondern ist davon abhängig, welches der Einzelprinzipien des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“ von der jeweiligen Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG betroffen wäre.10 Es ist zu fragen, ob durch eine Änderung des jeweiligen Einzelprinzips des Grundsatzes „nullum crimen, nulla poena sine lege“ „die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt“ werden (Art. 79 Abs. 3 GG). Da die oben vorgeschlagene Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG Auswirkungen auf das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht hätte, ist somit auf dieses Prinzip abzustellen. Es wurde hier festgestellt, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG seine Grundlage im Prinzip der Rechtssicherheit, im Prinzip der Gewaltenteilung und im Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie findet. Demgegenüber stellen weder das Schuldprinzip noch die Theorie der Generalprävention eine Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht dar. Aus dieser Feststellung ergibt sich zugleich, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Art. 1 Abs. 1 GG wurzelt, was sich – in gekürzter Form – damit begründen lässt, dass die fehlende schriftliche Fixierung einer Strafnorm keineswegs ausschließt, dass der Täter Kenntnis des Verbots hatte oder dass das Verbot dem Täter zumindest erkennbar war. Durch eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG in oben vorgeschlagener Weise würden also nicht die in Art. 1 Abs. 1 GG niedergelegten Grundsätze im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG berührt. Weitaus problematischer erscheint diese Frage jedoch hinsichtlich der übrigen 8

BVerfGE 84, 90 (121); BVerfGE 94, 49 (103). Ob Art. 103 Abs. 2 GG ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht ist, ist umstritten: Für Grundrechtsqualität sprechen sich z. B. aus: Rittstieg, DuR 19 (1991), S. 410; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rn. 99; Schorn, EMRK, Art. 7 I, Unterpunkt 13 (S. 239); v.Mangoldt / Klein / Starck-Nolte, Art. 103 II, Rn. 103; Dannecker / Stoffers, JZ 1996, S. 491. – Dass Art. 103 Abs. 2 GG nur grundrechtsgleich sei, vertreten demgegenüber z. B.: BVerfGE 85, 69 (72); Pieroth / Schlink, Grundrechte, Rn. 1084; Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, S. 997; Jarass / Pieroth-Pieroth, Art. 103, Rn. 40. 10 Zu unbestimmt erscheint daher die Aussage Rüpings, wonach Art. 103 Abs. 2 GG an der Garantie des Art. 79 Abs. 3 GG nur insoweit teilnimmt, als man den durch Art. 103 Abs. 2 GG verwirklichten Schutz vor willkürlicher Handhabung der Strafgewalt auch als Ausdruck der Achtung vor der Menschenwürde des Gewaltunterworfenen ansieht (BK-Rüping, Art. 103 Abs. 2, Rn. 86). Vielmehr ist für jedes Einzelprinzip des Art. 103 Abs. 2 GG gesondert zu untersuchen, ob und inwieweit es von der Garantie des Art. 79 Abs. 3 GG erfasst wird. 9

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E. Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG?

Grundsätze, die in Art. 79 Abs. 3 GG genannt werden. Fraglich ist hier vor allem, ob durch eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG in oben vorgeschlagener Weise die in Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze berührt werden. Hierfür spricht jedenfalls, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG seine Grundlage unter anderem im Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie sowie im Gewaltenteilungsgrundsatz findet. Ob eine konstitutive Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG, wie sie hier vorgeschlagen wurde, rechtlich zulässig ist, ist also problematisch. Eine andere Frage ist jedoch bereits, ob eine derartige Änderung überhaupt rechtspolitisch sinnvoll wäre. Fragt man nach dem rechtspolitischen Nutzen der hier vorgeschlagenen Änderung, so sind zwei Betrachtungsebenen auseinanderzuhalten: Zum einen die formale Ebene, die den Wortlaut der hier vorgeschlagenen Änderung sowie das Gesetzgebungsverfahren, welches mit einer solchen Änderung verbunden wäre, betrifft; zum anderen die inhaltliche Ebene, welche die Änderung der Rechtslage erfasst, die mit der hier in Erwägung gezogenen Verfassungsänderung einherginge. Was die formale Ebene der hier vorgeschlagenen Änderung anbelangt, so ist hinsichtlich des Wortlauts festzustellen, dass Art. 103 Abs. 2 GG im Falle einer Änderung in der oben vorgeschlagenen Weise die Prägnanz verlieren würde, die seiner jetzigen Fassung eigen ist. Auf der anderen Seite würde eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG in der hier vorgeschlagenen Weise verschiedene Vorteile mit sich bringen, die man in Anlehnung an Ebner von Eschenbach mit dem Begriff der „Ehrlichkeit“11 charakterisieren kann: So wäre die Tatsache, dass die Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG eine umfangreiche Auslegung dieser Bestimmung entbehrlich machen würde, aus Gründen der Rechtssicherheit zu begrüßen. Darüber hinaus würde die hier vorgeschlagene Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG die Einschränkung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht ins öffentliche Bewusstsein rufen12, und zwar zum einen deshalb, weil die Einschränkung dieses Rechtsprinzips aus dem Wortlaut von Art. 103 Abs. 2 GG selbst ersichtlich würde, zum anderen, weil die Entscheidung einer Verfassungsänderung im Rahmen einer parlamentarischen Willensbildung vermutlich auch zu einer „öffentlichen politischen Diskussion und politischen Selbstverständigung“13 führen würde. Letztlich würde durch eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG auch die ausdrücklich ausgesprochene demokratische Verantwortlichkeit des Gesetzgebers eingefordert.14 11 Diesen Begriff verwendet Ebner von Eschenbach im Zusammenhang mit der Mauerschützenproblematik in Bezug auf die Vorteile, die mit einer im Wege der Verfassungsänderung erfolgenden Einschränkung des Rückwirkungsverbots nach Art. 103 Abs. 2 GG verbunden wären (Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 187). 12 Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 219. 13 Günther, StV 1993, S. 24, in Bezug auf eine Einschränkung des Rückwirkungsverbots nach Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der Verfassungsänderung. 14 Vgl. in Bezug auf eine Einschränkung des Rückwirkungsverbots nach Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der Verfassungsänderung: H. Dreier, JZ 1997, S. 433; Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 219; Ebner von Eschenbach, Unrecht, S. 187.

E. Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG?

243

Was die inhaltliche Seite der hier vorgeschlagenen Änderung anbelangt, sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen. Ohne Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG ist die Frage, ob ein dynamischer Verweis durch Straftatbestände auf Völkergewohnheitsrecht gegen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG verstößt, abhängig vom Einzelfall zu beantworten, wobei es darauf ankommt, ob sich aufgrund der übrigen – nicht auf Gewohnheitsrecht verweisenden – Merkmale des betreffenden Tatbestands bereits eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Die hier vorgeschlagene Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG hätte den Vorteil inhaltlicher Rechtssicherheit, da ein durch Strafgesetze erfolgender Verweis auf Völkergewohnheitsrecht in jedem Fall zulässig wäre. Das Prinzip der Rechtssicherheit wäre gleichzeitig aber von einer anderen Seite bedroht, und zwar deshalb, weil die hier vorgeschlagene Verfassungsänderung auch die Schaffung solcher Straftatbestände zuließe, die auf Völkergewohnheitsrecht verweisen und in denen sich aufgrund der übrigen – nicht auf Gewohnheitsrecht verweisenden – Merkmale des betreffenden Tatbestands nicht bereits eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Erscheint das Problem der Nichtüberblickbarkeit von Völkergewohnheitsrecht durch den potentiellen Täter in der jetzigen Rechtslage – also ohne Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG – hinnehmbar, weil dynamische Verweise auf Völkergewohnheitsrecht nach hier vertretener Auffassung nur dann zulässig sind, wenn sie in einem hinreichend engen gesetzlichen Rahmen erfolgen, wäre demgegenüber im Falle der hier vorgeschlagenen Verfassungsänderung der Verweis auf nicht überschaubares Völkergewohnheitsrecht zulässig, das nicht durch einen hinreichend engen gesetzlichen Rahmen eingeschränkt ist. Es zeigt sich damit, dass das Prinzip der Rechtssicherheit Argumente sowohl für wie gegen eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG liefert. Ein Argument von einer ganz anderen Seite ergibt sich daraus, dass durch eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG in der hier vorgeschlagenen Weise ein stärkerer Gleichlauf der nationalen Rechtsordnung mit dem Völkerrecht erreicht werden könnte – eine Idee, die bereits dem Rechtsgedanken des Art. 25 GG zugrunde liegt. Eine Änderung von Art. 103 Abs. 2 GG – wie sie oben vorgeschlagen wurde – hätte nämlich zur Folge, dass Verweise auf Völkergewohnheitsrecht häufiger zulässig wären, als dies nach bestehender Rechtslage und hier vertretener Auffassung der Fall ist. Gleichzeitig würde sich daraus jedoch der Nachteil ergeben, dass spezifische Besonderheiten der nationalen Rechtskultur gegenüber Völkergewohnheitsrecht möglicherweise nicht mehr so stark zur Geltung kommen würden.15 Dadurch, dass gewohnheitsrechtliches Völkerstrafrecht im Falle der hier vorgeschlagenen Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG ohne das Erfordernis eines speziellen 15

Vgl. in einem anderen Zusammenhang: Werle, JZ 2001, S. 887 f.

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E. Rechtspolitischer Ausblick: Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG?

Umsetzungsaktes im deutschen Recht Anwendung finden könnte, sofern ein entsprechender Verweis durch einfache Strafgesetze bestehen würde, wäre der einfache Gesetzgeber nicht mehr gezwungen, die Tatbestände selbst zu normieren und dadurch beizutragen, das Völkergewohnheitsrecht weiterzuentwickeln.16 Das Bemühen, durch eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG dem Völkerstrafrecht zu noch mehr Wirkung zu verhelfen, würde dadurch in sein Gegenteil verkehrt. Zu bedenken ist außerdem, dass der deutsche Gesetzgeber gerade im Bereich des Völkerstrafgesetzbuchs in bestimmten Fällen bewusst vom bestehenden Völkerrecht abgewichen ist. Die zuletzt genannten Argumente dürfen dabei wiederum nicht überbewertet werden, da es dem einfachen Gesetzgeber auch im Falle der hier vorgeschlagenen Verfassungsänderung unbenommen bliebe, in bestimmten Bereichen von Verweisungen auf Völkergewohnheitsrecht abzusehen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass auf inhaltlicher Ebene verschiedene Bedenken gegen eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG in oben genannter Weise anzumelden wären. Es erscheint somit aus rechtspolitischer Sicht eher geboten, von einer solchen Änderung abzusehen. Allerdings bleiben die überwiegend positiven – das heißt für eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG streitenden – Untersuchungsergebnisse, die auf der formalen Ebene ermittelt wurden. Diese hätten ebenso Gültigkeit in Bezug auf eine Änderung des Wortlauts von Art. 103 Abs. 2 GG, die lediglich deklaratorisch die bestehende Rechtslage – so wie sie in dieser Arbeit ermittelt wurde – widerspiegeln würde. In Betracht kommt zum Beispiel die Einführung eines Art. 103 Abs. 2 S. 2 GG, der folgendermaßen lauten könnte: „Satz 1 ist nicht dahingehend auszulegen, dass er Straftatbeständen entgegensteht, die einzelne unbestimmte Tatbestandsmerkmale enthalten, wenn sich aufgrund der übrigen Merkmale in diesen Tatbeständen bereits eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag.“

Eine derartige Änderung sähe sich nicht mit den eben dargestellten inhaltlichen Kritikpunkten konfrontiert, könnte aber die formalen positiven Aspekte, die hier ermittelt wurden, für sich in Anspruch nehmen. Da sich hier auch keine rechtlichen Bedenken stellen – schließlich handelt es sich um eine rein deklaratorische Änderung –, könnte sie durchaus in Erwägung gezogen werden.

16 Der Aspekt, dass durch die Schaffung eines einfachen Gesetzes das humanitäre Völkerrecht gefördert und dessen Verbreitung bewirkt wird, ist auch eines der Ziele, die mit der Einführung des Völkerstrafgesetzbuchs verfolgt wurden (vgl. oben: Kapitel B. I. 5.).

F. Zusammenfassung und Thesen F. Zusammenfassung und Thesen

I. Zur Auslegung des Völkerstrafgesetzbuchs1 I. Zur Auslegung des Völkerstrafgesetzbuchs

Im Rahmen der Auslegung des Völkerstrafgesetzbuchs ergeben sich teilweise Probleme, die auf der einen Seite aus dem Komplementaritätsprinzip des Römischen Statuts, auf der anderen Seite aus dem durch § 1 VStGB normierten Universalitätsprinzip sowie dem völkerrechtlichen Interventionsverbot resultieren. Soweit das Völkerstrafgesetzbuch hinter dem Römischen Statut zurückbleibt, stellt sich die Frage, ob nicht – im Hinblick auf das Komplementaritätsprinzip und die im Römischen Statut enthaltene Pönalisierungsobliegenheit – mittels einer völkerrechtskonformen Auslegung der betreffenden deutschen Normen ein Gleichlauf mit dem Römischen Statut erreicht werden kann. Der Zulässigkeit einer solchen völkerrechtskonformen Auslegung sind jedoch im Einzelfall Grenzen gesetzt. Solche Grenzen ergeben sich zum Beispiel aus dem möglichen Wortsinn sowie dem erkennbaren Zweck der auszulegenden Norm. Es ist daher stets im Einzelfall zu prüfen, ob eine solche völkerrechtskonforme Auslegung zulässig ist. Die Frage einer völkerrechtskonformen Auslegung stellt sich auch in dem umgekehrten Fall, in dem die Normen des Völkerstrafgesetzbuchs über das Römische Statut hinausgehen. Eine völkerrechtsfreundliche Auslegung ist in diesem Fall vor dem Hintergrund des völkerrechtlichen Interventionsverbots und des durch § 1 VStGB statuierten Weltrechtsprinzips in Betracht zu ziehen. Im Hinblick auf die durch § 1 VStGB erfolgende Anordnung des Weltrechtsprinzips für Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch ist nämlich die Tatsache, dass das Völkerstrafgesetzbuch teilweise über das Römische Statut hinausgeht, insofern von Bedeutung, als das Weltrechtsprinzip nach Völkerrecht nicht unbeschränkt zulässig ist. Das Völkergewohnheitsrecht gestattet die Strafverfolgung unter Anwendung dieses Prinzips nur bei Verletzung bestimmter Rechtsgüter. Sollte das Völkerstrafgesetzbuch ein Verbrechen normieren, für welches das Völkergewohnheitsrecht nicht die Geltung des Weltrechtsprinzips vorsieht, so würde die durch ein deutsches Gericht erfolgende Ahndung dieses Verbrechens, wenn es keinen Inlandsbezug aufweist, nach hier vertretener Auffassung einen Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot darstellen. Zur Vermeidung eines solchen Verstoßes bieten sich in den Fällen, in denen das Völkergewohnheitsrecht – im Gegensatz zu § 1 VStGB – die Anwendung des Weltrechtsprinzips nicht gestattet, verschiedene Lösungsmöglichkeiten an. Am ehesten gangbar erscheint dabei eine Lösung des Pro1

Vgl. zum Folgenden oben: Kapitel B. II. 1.

246

F. Zusammenfassung und Thesen

blems im Wege einer völkerrechtskonformen Auslegung des § 153f StPO. Diese Norm enthält Möglichkeiten der Einstellung des Strafverfahrens, durch die das in § 1 VStGB normierte Weltrechtsprinzip abgemildert wird. In denjenigen Fällen, in denen ein Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch begangen wurde, welches keinen Inlandsbezug aufweist und für welches nach Völkergewohnheitsrecht das Universalitätsprinzip nicht zulässig ist, sollte § 153f StPO zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot in folgender Weise völkerrechtskonform ausgelegt werden: Soweit diese Norm ein Einstellungsermessen vorsieht, sollte dieses grundsätzlich auf Null reduziert sein: Es müsste dann also zwingend eingestellt werden.

II. Zur ratio des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht2 II. Zur ratio des Verbots

Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG findet nach hier vertretener Auffassung seine Grundlage im Prinzip der Rechtssicherheit, im Grundsatz der Gewaltenteilung und im Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie. Demgegenüber stellen weder das Schuldprinzip noch die Theorie der Generalprävention eine Grundlage des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG dar.

III. Zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht3 III. Zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots

Das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG steht nach hier vertretener Auffassung der unmittelbaren Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht entgegen. Insbesondere ergab die Untersuchung, dass keine anderweitige völkerrechtskonforme Auslegung dieser Verfassungsnorm möglich ist. Zwar wäre nach dem möglichen Wortsinn des Art. 103 Abs. 2 GG eine Auslegung in der Weise möglich, dass diese Bestimmung einer Strafbegründung durch Völkergewohnheitsrecht nicht per se entgegensteht, jedoch scheitert eine dahingehende völkerrechtskonforme Auslegung aus zwei Gründen: Erstens wegen des erkennbaren Zwecks des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG, dem eine derartige völkerrechtskonforme Auslegung zuwiderliefe; zweitens wegen des Verbots der Einschränkung nationaler Grundrechte im Wege der völkerrechtskonformen Auslegung.

2 3

Vgl. zum Folgenden oben: Kapitel C. I. 2. Vgl. zum Folgenden oben: Kapitel D. III. 2.

IV. Zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots

247

IV. Zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG bei formellgesetzlicher dynamischer Verweisung auf Gewohnheitsrecht4 IV. Zur Frage der Einschlägigkeit des Verbots

Die Grundlagen des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG – nämlich das Prinzip der Rechtssicherheit, der Gewaltenteilungsgrundsatz sowie das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie – stehen nach hier vertretener Auffassung formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht grundsätzlich nicht entgegen, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt sind. Sowohl das Prinzip der Rechtssicherheit als auch der Grundsatz der Gewaltenteilung wie auch das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie – und damit als Kondensat dieser Grundlagen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht selbst – stehen formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht dann nicht entgegen, wenn der gesetzliche Rahmen, den das Gewohnheitsrecht auszufüllen hat, seinerseits hinreichend eng ist – solange also durch die übrigen schriftlich fixierten Merkmale des jeweiligen Tatbestands ein hinreichend enger gesetzlicher Rahmen aufgespannt wird. Die Untersuchung ergab, dass für die Kriterien, ab wann ein gesetzlicher Rahmen, den es durch Gewohnheitsrecht auszufüllen gilt, als hinreichend eng bezeichnet werden kann, das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot in ergänzender Weise heranzuziehen ist. Nach diesem Grundsatz ist es erforderlich, aber zugleich ausreichend, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen, wobei es in Grenzfällen genügt, dass wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar ist. Konsequenterweise muss hieraus aber folgen, dass es im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG für den Gesetzgeber unter Umständen zulässig sein kann, in Straftatbestände einzelne – für sich genommen – sehr unbestimmte Merkmale aufzunehmen, solange sich für den Einzelnen aus den übrigen Merkmalen das Risiko einer Bestrafung entnehmen lässt. Mit anderen Worten: Einzelne unbestimmte Merkmale sind innerhalb eines Tatbestands solange unschädlich, wie die übrigen Tatbestandsmerkmale die unter Strafe gestellte Verhaltensweise so umschreiben, dass sich der Einzelne danach zu richten vermag. Die hiermit aufgestellte These, derzufolge ein einzelnes Tatbestandsmerkmal oder eine überschaubare Anzahl unbestimmter Tatbestandsmerkmale nicht zwingend den Gesamttatbestand unbestimmt macht, gilt im Übrigen generell für einzelne unbestimmte Merkmale innerhalb eines Tatbestands – also nicht nur für Verweisungen auf Gewohnheitsrecht.

4

Vgl. zum Folgenden oben: Kapitel D. III. 3.

248

F. Zusammenfassung und Thesen

Ausgehend von der Überlegung, dass der Einzelne nach dem Prinzip der Rechtssicherheit sowohl theoretisch als auch praktisch die Möglichkeit haben muss, sich bewusst dem Risiko zu entziehen, durch sein Verhalten einen Straftatbestand zu erfüllen, ist nach hier vertretener Auffassung zu fordern, dass sich auch in einem Straftatbestand, der gewisse unbestimmte Tatbestandsmerkmale enthält, zumindest aufgrund der übrigen Tatbestandsmerkmale bereits eine Menge von Lebenssachverhalten ergibt, die in sich geschlossen und klar abgrenzbar ist und der sich der Einzelne bewusst zu entziehen vermag. Nur in einem solchen Fall kann sich der Einzelne – auch bei gänzlichem Fehlen der Kenntnis von der Reichweite des unbestimmten Tatbestandsmerkmals oder der unbestimmten Tatbestandsmerkmale – bewusst machen, ob er sich durch sein Verhalten in das Risiko, einen Straftatbestand zu erfüllen, begibt. Unter diesen Voraussetzungen erscheinen die nachteiligen Auswirkungen für das Prinzip der Rechtssicherheit akzeptabel. Gleiches gilt aber auch – und hiermit abstrahieren wir von der Sicht des einzelnen potentiellen Täters – im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip unter besonderer Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie. Gleichwohl ist anzumerken, dass insbesondere dynamische Verweisungen auf Gewohnheitsrecht in der strafgesetzgeberischen Praxis nach Möglichkeit die Ausnahme bleiben sollten. Unter dieser Voraussetzung scheint die mit formellgesetzlichen dynamischen Verweisungen auf Gewohnheitsrecht unbestreitbar einhergehende Berührung des Prinzips der Rechtssicherheit, des Gewaltenteilungsgrundsatzes sowie des Demokratieprinzips unter besonderer Berücksichtigung des Wesentlichkeitsgrundsatzes im Hinblick auf die oben genannten Vorteile hinnehmbar.

V. Zur Frage der Abwägbarkeit des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht mit kollidierendem Verfassungsrecht5 V. Zur Frage der Abwägbarkeit des Verbots

In der Literatur ist der Versuch einer Abwägung des Art. 103 Abs. 2 GG mit kollidierendem Verfassungsrecht bisher, soweit ersichtlich, nur vereinzelt unternommen worden. Die weit überwiegende Ansicht nimmt an, dass Art. 103 Abs. 2 GG absolut gilt, also nicht durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist. Diese Ansicht hat zur Folge, dass ein Eingriff in Art. 103 Abs. 2 GG immer zugleich eine Verletzung dieser Norm darstellen würde. Die vorliegende Untersuchung hat ergeben, dass es innerhalb der Gesamtheit der Verfassungsnormen des Grundgesetzes durchaus Rangunterschiede geben kann. Dennoch sollte man sich bei der Debatte darüber, ob Art. 103 Abs. 2 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann, immer vor Augen hal5

Vgl. zum Folgenden oben: Kapitel D. IV. 2.

VI. Zur Frage des kollidierenden Verfassungsrechts

249

ten, dass bei Annahme einer Uneinschränkbarkeit bestimmter Verfassungsnormen andere – kollidierende – Verfassungsbestimmungen insoweit zurücktreten müssen. Aus diesem Grunde ist es angezeigt, für den Fall, dass keine eindeutigen gegenteiligen Anzeichen auf eine Uneinschränkbarkeit bestimmter Verfassungsnormen hindeuten, im Sinne der Einheit des Grundgesetzes prinzipiell von der Einschränkbarkeit dieser Verfassungsnormen durch kollidierendes Verfassungsrecht auszugehen. Es gilt demnach eine Vermutung für die Einschränkbarkeit von Verfassungsnormen durch kollidierendes Verfassungsrecht. Da die Untersuchung ergab, dass keine zwingenden Argumente gegen eine Einschränkbarkeit des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG durch kollidierendes Verfassungsrecht sprechen, und da außerdem keine Argumente existieren, die für dessen Einschränkbarkeit ins Feld geführt werden können, muss in dieser „argumentativen Pattsituation“ die eben dargestellte Vermutung greifen. Damit ergibt sich, dass das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG prinzipiell durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar ist.

VI. Zur Frage, ob Verfassungsrecht existiert, das formellgesetzliche dynamische Verweisungen auf Gewohnheitsrecht gebietet6 VI. Zur Frage des kollidierenden Verfassungsrechts

Die Frage, ob Verfassungswerte existieren, welche verlangen, dass einfachgesetzliche Strafbestimmungen in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, ist letztlich zu verneinen. In der vorliegenden Untersuchung sind zwei verschiedene Rechtsbereiche im Hinblick auf diese Frage analysiert worden: Zum einen völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen im Zusammenwirken mit Art. 25 GG; zum anderen staatliche Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Rechtswerte. Die Untersuchung ergab jedoch, dass völkergewohnheitsrechtliche self-executing-Strafbestimmungen auch in Verbindung mit Art. 25 GG von vornherein nicht geeignet sind, das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der praktischen Konkordanz einzuschränken, da Art. 25 S. 2 Hs. 1 GG nach überzeugender Ansicht den allgemeinen Regeln des Völkerrechts keinen Verfassungsrang einräumt. Auch der Versuch, mittels staatlicher Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter eine Einschränkung des Verbots der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG im Wege der praktischen Konkordanz begründen zu wollen, scheitert letztlich. Zwar existieren in der deutschen Verfassungsordnung derartige Schutzpflichten, diese treten jedoch bezüglich der Fallgestaltung einfachgesetzlicher 6

Vgl. zum Folgenden oben: Kapitel D. IV. 3.

250

F. Zusammenfassung und Thesen

Straftatbestände, die dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Kollision. Dies wäre nur dann der Fall, wenn staatliche Schutzpflichten für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter vom Gesetzgeber verlangen würden, einfachgesetzliche Straftatbestände unter Umständen so auszugestalten, dass sie in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen. Dies ist jedoch zu verneinen, da festzuhalten ist, dass eine Strafnorm, die in ihrem Tatbestand dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweist, keinesfalls eher geeignet ist, potentielle Täter von der Begehung einer entsprechenden Straftat abzuhalten, als eine inhaltlich vergleichbare Strafnorm, die nicht auf Völkergewohnheitsrecht verweist. Dementsprechend ist eine Strafnorm, die in ihrem Tatbestand dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweist, auch nicht eher geeignet, grundrechtlich geschützte Rechtsgüter zu schützen, als eine inhaltlich vergleichbare Strafnorm, die nicht auf Völkergewohnheitsrecht verweist.

VII. Zur Frage einer Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG7 VII. Zur Frage einer Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG

Die vorliegende Untersuchung ergab, dass nach geltendem Recht ein dynamischer Verweis durch Straftatbestände auf Völkergewohnheitsrecht unter bestimmten Umständen nicht gegen das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. In Anbetracht dieses Ergebnisses wurde die Frage gestellt, ob es nicht rechtspolitisch sinnvoll wäre, Art. 103 Abs. 2 GG dahingehend zu ändern, dass diese Verfassungsvorschrift einfachgesetzlichen Straftatbeständen, die auf Völkergewohnheitsrecht verweisen, in keinem Fall entgegensteht. Für die Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG in eben bezeichneter Weise käme zum Beispiel die Einführung eines Art. 103 Abs. 2 S. 2 GG in Betracht, der folgendermaßen lauten könnte: „Satz 1 ist nicht so auszulegen, als stünde er Strafgesetzen entgegen, die in ihren Tatbeständen dynamisch auf Völkergewohnheitsrecht verweisen.“

Problematisch ist bereits, ob eine solche Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG überhaupt rechtlich zulässig wäre – jedenfalls ist sie aus rechtspolitischer Sicht nicht sinnvoll. Was die Frage des rechtspolitischen Nutzens anbelangt, sind hierbei zwei Betrachtungsebenen zu unterscheiden: Zum einen die formale Ebene, die den Wortlaut der hier vorgeschlagenen Änderung sowie das Gesetzgebungsverfahren, welches mit einer solchen Änderung verbunden wäre, betrifft; zum anderen die inhaltliche Ebene, welche die Änderung der Rechtslage erfasst, die mit der hier in Erwägung gezogenen Verfassungsänderung einherginge. Die vorliegende Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass auf inhaltlicher Ebene verschiedene Bedenken gegen eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG in 7

Vgl. zum Folgenden oben: Kapitel E.

VIII. Zur Frage eines Verstoßes des VStGB gegen Art. 103 Abs. 2 GG

251

oben genannter Weise anzumelden wären, so dass es aus rechtspolitischer Sicht eher geboten erscheint, von einer solchen Änderung abzusehen. Auf formaler Ebene ergaben sich jedoch überwiegend positive – das heißt, eine Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG befürwortende – Untersuchungsergebnisse. Diese positiven Aspekte hätten dabei ebenso Gültigkeit in Bezug auf eine Änderung des Wortlauts von Art. 103 Abs. 2 GG, die lediglich deklaratorisch die bestehende Rechtslage – so wie sie in dieser Arbeit ermittelt wurde – widerspiegeln würde. Eine solche Änderung sähe sich nicht mit den eben dargestellten inhaltlichen Kritikpunkten konfrontiert, könnte aber die formalen positiven Aspekte für sich in Anspruch nehmen. Aus diesen Gründen könnte sie durchaus in Erwägung gezogen werden.

VIII. Zur Frage der Vereinbarkeit der untersuchten Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuchs mit dem Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG VIII. Zur Frage eines Verstoßes des VStGB gegen Art. 103 Abs. 2 GG

Die Tatbestände nach – § 7 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, – § 7 Abs. 1 Nr. 5 VStGB, – § 7 Abs. 1 Nr. 9 VStGB, – § 8 Abs. 1 Nr. 6 VStGB, – § 9 Abs. 1 VStGB, – § 9 Abs. 2 VStGB, – § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB, – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VStGB sowie – § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Alt. 2 VStGB stellen keinen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG dar, sind also mit diesem Verfassungsprinzip von vornherein vereinbar. Allein § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB begründet einen Eingriff in das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG. Wie die Untersuchung ergab, ist ein solcher Eingriff nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Zwar ist das Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht nach Art. 103 Abs. 2 GG nach hier vertretener Auffassung prinzipiell einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung durch kollidierendes Verfassungsrecht zugänglich. Jedoch scheidet eine solche Rechtfertigung im vorliegenden Fall mangels der Existenz von kollidierendem Verfassungsrecht aus. In seiner jetzigen Fassung stellt § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB somit einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG dar. Aus

252

F. Zusammenfassung und Thesen

diesem Grunde ist der Gesetzgeber zur Nachbesserung von § 7 Abs. 1 Nr. 10 Var. 8 VStGB aufgerufen. Denn das Völkerstrafrecht, auch wenn und soweit es sich gegenüber dem Rechtsbrecher bewähren muss, hat Grenzen einzuhalten – Grenzen, die den Schutz eines jeden Individuums – auch des Rechtsbrechers – auf dem Boden der seit der Aufklärung errungenen Prinzipien garantieren.

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Sachverzeichnis Abhörurteil 239–240 Abu Ghraib 51 ad-hoc-Strafgerichtshöfe/ad-hoc-Tribunale 21, 38 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 109, 143, 159 Analogie 86, 275 Analogieverbot 54, 72, 86, 103, 110 Aneignung 21, 142, 150, 196 Angriff 59, 61–62, 105, 144–148, 197–198, 234 Angriffskrieg 155 Anknüpfungspunkt, legitimierender 46–48 Anti-Folter-Konvention 123, 125 Aufhebung, gewohnheitsrechtliche 101, 106 Aufhebung und Aussetzung von Rechten und Forderungen 105, 143, 196 Aufsichtspflichtverletzung 68, 70 Aushungern 148–149, 198–199 Auslandsbezug 46 Auslandstaten 37, 48, 51 Auslegung, völkerrechtsfreundliche bzw. völkerrechtskonforme 45–46, 45, 50–51, 72, 152–154, 156–159, 161–164, 166–172, 175–178, 186, 245–246 Ausweisung 114–115, 117, 121, 137, 179, 191, 195 Bagatellvorbehalt 88 Befriedigungseffekt 81 Beschlagnahme 141–142, 150, 196 Bestimmtheit 110, 182, 184–188, 193 Bestimmtheitsanforderungen 111–112, 179, 185, 187 Bestimmtheitsgrundsatz 33, 52, 61, 72, 110, 184–187, 189–199, 220, 247 Bestrafungsbefugnis 223 Bestrafungspflicht 38–39, 169–170, 223–224 Blankettstrafgesetzgebung 29, 180, 183–184 Bundespräsident 34 Bürgerkrieg 49, 67

Bürgerkriegsverbrechen 67 Ceauşescu, Nicolae 26 chapeau 58 consuetudo 98, 102, 107, 152, 201 Demokratieprinzip 74–78, 80, 97, 101, 105– 106, 175–176, 180, 183, 189–190, 218, 241–242, 246–248 Deportation 114–115, 120 desuetudo 101–102, 108 Diebstahlstatbestand 108, 202 Diskriminierung 115, 133 Distanzangriff 142 dolus directus 49, 148 dolus eventualis s. Vorsatz, bedingter Doppelbestrafungsverbot 140 Eigenmacht, verbotene 96 Einheit der Rechtsordnung 103–104 Einheit der Verfassung 163, 171, 206, 208, 210, 238, 249 Embargomaßnahmen 144 EMRK 92, 109, 117, 153, 159–163, 167– 168, 177, 206, 213–215, 219–225, 241 Entschuldigungsgründe 100 Entziehung (der Menschenrechte) 193–194, 199, 238 Ermessen 77, 215, 236 „Ethnische Säuberungen“ 121 Evakuierungen 120 Ewigkeitsklausel 239–240 Exekutionen 124 Exekutive 90, 176, 182, 235, s. a. Verwaltung Fahrlässigkeit 42, 69, 104, 107, 201 failed state 38 Feuerbach, Anselm von 71, 80–81 Folter 47, 51, 122–126, 191 Freiheitsberaubung 36, 127–128

Sachverzeichnis Freiheitsentziehung 32–33, 127–129, 192 Freiheitsstrafe 52, 80, 89, 105, 111, 139 Funktionenteilung 90–91, 182 Geldstrafe 52, 80 Generalprävention 24, 80–84, 89, 97, 241, 246 Genfer Abkommen 20–21, 29, 37, 40, 49, 62, 66, 109, 113, 129, 137–140, 142, 145– 146, 148–151, 197 Genozid/Genocide 36, 47, 52, 54–55, 58–59, 63 Geschichtsfälschung 27 Gesetz, formelles 32, 78, 173, 178–180 Gesetz, materielles 32, 35, 40, 93, 103, 105– 106, 167, 173–174, 200–201, 211–212, 214, 217, 233 Gesetzesbegriff 173–174 Gewaltenteilung 90–91, 93, 97, 101, 175, 182, 186, 189, 214, 218, 236, 241, 246–248 GG 28, 30–34, 40, 52, 61, 71–75, 78, 80, 85, 89–92, 94–95, 97, 99, 101–104, 106– 109, 112–114, 116, 118–122, 124, 126, 128, 130, 132, 134, 136, 138, 140, 142, 144–146, 148, 150–160, 162–172, 174– 180, 182, 184–188, 190–220, 222–244, 246–251 Görgülü-Entscheidung 163 Grenze, innerdeutsche 164, 207–208, 210– 211 Grundgesetz s. GG Grundrechtsgleiches Recht 92, 178, 206, 241 Gruppe, ethnische 54, 57, 121, 130, 133–134, 136, 193–194 Haager Abkommen 62, 147 Habeas-Corpus-Gedanke 33 Heileingriff, ärztlicher 205 Heimatstaat 38, 51 ICC s. IStGH ICTR 22, 38, 54, 60–61, 63–64, 124, 131 ICTR-Statut 54, 131 ICTY 22, 24–25, 38, 54–56, 58–60, 62–67, 69, 110, 115–116, 119–120, 123–125, 129, 131–136, 138, 148, 193–194 ICTY-Statut 54, 69, 129, 131–132 IGH-Statut 122, 152, 176, 221

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Inlandsbezug 48, 50–51, 245–246 International Law Commission 22, 135 Interventionsverbot 46, 48–51, 245–246 Irak 51 Irrtum 95 IStGH 19, 20, 22–23, 25, 28, 35, 37–41, 43–45, 47, 49–50, 52, 54–61, 63–64, 66– 70, 109, 114–116, 118, 121–122, 125–128, 130–131, 137, 139, 141, 143–147, 149, 167 IStGH-Statut 22, 35–41, 43–45, 48–50, 52, 54–61, 63–64, 66, 68–70, 109, 111, 114– 116, 120–122, 125, 127–128, 130–131, 137, 139, 141, 143–145, 147, 149, 180, 245 ius in bello 61 ius-cogens-Sätze 207 Judikative 79, 90, 151, 176, 182 Jugoslawientribunal s. ICTY Kalter Krieg 21–22 Kampfhandlungen 53, 63–66, 121, 142 Kollektivschuldtheorie 27 Kollidierendes Verfassungsrecht 31, 72, 200, 205–210, 216–219, 225–227, 233, 238, 248–249, 251 Komplementaritätsprinzip 35, 37–38, 40, 43, 45–46, 118, 245 Konflikte, internationale bewaffnete 21, 47 Konflikte, nichtinternationale bewaffnete 49, 62–63, 66–67, 137–139, 141, 144, 146– 148, 195–199 Konkurrenzregeln 53 Körperstrafen 126 Kriegsdienstverweigerungsentscheidung 206, 228 Kriegsgefangene 20, 109, 138–139, 142 Kriegsverbrechen 21, 36–37, 40–41, 47, 49, 52, 61–62, 64, 66–67, 111, 137, 139, 141, 144, 147–148, 196, 198 Legislative 90, 151, 176, 182, 235 Lemkin, Raphael 54 lex lata 131 lex posterior 159 lex scripta 181 lex specialis 32

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Sachverzeichnis

Makrokriminalität 253 Makroverbrechen 23–27 Mauerschützenprozesse 31, 154, 164, 166– 168, 210–211, 213–215, 231 Mehrheitsprinzip 77 Mehrparteiensystem 76 Menschenrechtskonvention, europäische s. EMRK Menschenwürde 207, 209, 241 Minderheitenschutz 77 Montesquieu, Charles de 90, 92 Mussolini, Benito 26 Nachkriegszeit 221 nemo-tenetur-Grundsatz 140 Nichteinmischungsprinzip s. Interventionsverbot Notwehr 43–44, 100, 102, 109, 203–205 NS-Verbrecher 221 Nürnberger Prinzipien 167, 214 Nürnberger Prozesse 20, 135, 167, 221 Nürnberg-Klausel 213, 221 nulla poena sine culpa 93 nullum crimen, nulla poena sine lege 20, 28–29, 33, 71–74, 83, 86, 89, 103–104, 106, 109–111, 138, 153, 168–169, 185, 213–214, 231, 241 opinio iuris 79, 98, 152 Personalhoheit 38 Personalitätsprinzip 46 Plünderung 141–142, 196 Pönalisierungsobliegenheit 39–40, 45, 169, 245 Pönalisierungspflicht 38, 171 Radbruchsche Formel 164, 167 Realprinzip 46 Rechtfertigungsgrund 100–106, 120, 164– 166, 168, 170, 203–205, 211–212 Rechtssicherheit 43, 84, 86, 88–89, 97, 101, 104, 106, 175–176, 179–182, 188–190, 194, 209, 211, 214, 217–218, 241–243, 246–248 Rechtsstaatsprinzip 54, 77, 84–85, 88, 90, 94, 160–161, 183, 211

Rechtsverordnung 32, 174, 184 Richterrecht 79, 91 Richterwahl 79 Römisches Statut s. IStGH-Statut Ruandatribunal s. ICTR Rückwirkungsverbot 31, 73, 92, 154, 164– 168, 207–208, 210–214, 231, 242 Schuld 19, 24–27, 70, 80–81, 93–97 Schuldausschließungsgrund 42 Schuldprinzip 28, 70, 84–85, 93–97, 185, 211, 241, 246 Schutzpflicht 207–208, 226–227, 231–237, 249–250 Schutzprinzip 46 Selbstjustiz 26 self-executing-Strafbestimmungen 162, 169, 171, 226–227, 230–231, 237, 249 Siegerjustiz 27 Sittenwidrigkeit 96 Souveränität 48 Sozialschädlichkeit 96 Spezialprävention 23–24 Staatsangehörigkeit 46–47, 61, 117 StGB 28, 36–37, 40–45, 47–48, 50, 52–55, 57–59, 62, 69, 71, 86, 93, 95–96, 100– 102, 105–109, 127–128, 142, 168, 185, 200, 202–205 Strafgesetzbuch s. StGB Strafverfahren 23, 26–27, 38, 82, 139, 212, 246 Strafzweck 23, 25–26, 82–84 Streicher, Julius 135–136 Tatortstaat 38, 51, 170 Territorialhoheit 38 Territorialitätsprinzip 46 Todesstrafe 126, 139 Transformationsgesetz 28, 35 Transformationstheorie 158 Überführung 55, 114–116, 137–138, 191, 195 ultima-ratio 120, 164 UN-Charta 56, 109, 144–145, 177 UN-Generalversammlung 22, 54, 126, 149 Universalitätsprinzip 37, 47–48, 51, 245–246

Sachverzeichnis Unrechtsbewusstsein 95–97 UN-Sicherheitsrat 21–22, 56, 144, 149 Unterlassen 45, 68–69, 107, 115, 201, 219, 221, 225 Untermaßverbot 235 UN-Völkerrechtskommission s. International Law Commission Verbotsirrtum 95–97, 271, 273 Verbrechenselemente 52, 55, 57, 114–115, 125, 127, 143 Verbringung 115–116, 120, 181, 191 Verfassungsänderung 225, 242–244, 250 Verfassungsbeschwerde 166 Verfolgung 22–23, 37, 39, 47, 49, 70, 119, 130–136, 193 Verjährung 43 Verstümmelung 126 Verträge, völkerrechtliche 20, 23, 25, 28, 46, 126, 154–155, 158–159, 162–163, 169– 171 Vertrauensschutz 86–87, 89, 101, 104, 168, 180, 203, 213–214 Vertreibung 19, 36, 60, 114–117, 121, 137– 138, 191, 195 Verwaltung 76–77, 97–99, 183, 232, s. a. Exekutive Verweisung 29–31, 34, 49–50, 53, 101, 107– 108, 114–115, 117–119, 121–123, 125, 127, 129–133, 135, 137–141, 143, 145– 151, 178–185, 188–190, 194–195, 197, 202–203, 206, 218, 226–228, 231, 233, 236–237, 239–240, 243–244, 247–250 Völkerbund 22 Völkergewohnheitsrecht 30–31, 34, 39–40, 46–48, 50–51, 55, 67, 109, 113–119, 121–123, 125, 127, 129–131, 133, 135– 141, 143, 145–154, 169–172, 174–181, 190, 194, 196, 206, 226–227, 231, 233, 236–237, 239, 243–246, 249–250 Völkermord 20, 36–37, 47–48, 52–55, 57, 111, 133–134, 168 Völkermordkonvention 20, 22, 54, 57

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Völkerrecht, humanitäres 21, 29–30, 35, 41, 52, 59–61, 64, 66–67, 113–114, 116, 137– 139, 144–151, 195, 197–199, 244 Völkerrechtsfreundlichkeit 31, 152, 154, 156, 163–164, 170–171 Völkerrechtsgemeinschaft 166, 212 Völkerrechtssubjekt 152, 162 Völkerstrafgesetzbuch s. VStGB Völkerstrafrecht 19–28, 36–37, 39–40, 44–45, 49, 53–54, 66, 68–69, 110–112, 116, 118, 167, 187, 239, 243–244, 252 Volksbefragung 75 Volksentscheid 75 Vollzugstheorie 158 Vorbehalt des Gesetzes 78 Vorbehalt, völkerrechtlicher 168, 213–215, 219, 222–223, 225 Vorgesetztenstrafbarkeit 69 Vorgesetztenverantwortlichkeit 45 Vorsatz 42, 44, 49–50, 59, 69–70, 104, 107, 145, 165, 201 Vorsatz, bedingter 44, 49–50, 59, 165 VStGB 28–33, 35–38, 40–71, 113–124, 126–134, 136–151, 171, 178–181, 184, 186–187, 190–200, 205, 208, 226, 237– 238, 244–246, 251–252 Weimarer Reichsverfassung 209, 238 Weimarer Zeit 32 Weltrechtsprinzip 46–48, 50–51, 245–246 Weltstrafrechtspflege 38 Wesentlichkeitstheorie 77–78, 80, 97, 101, 105–106, 175–176, 180, 183, 189–190, 218, 241–242, 246–248 Zivilbevölkerung 36–37, 53, 59–61, 114– 115, 122, 125, 127, 130, 137, 148–149, 179, 191–193, 195, 198 Zivilrecht 96, 104 Zusatzprotokolle zu den Genfer Abkommen 21, 29, 40, 62–63, 138, 140, 145–148, 151 Zustimmungsgesetz 20–21, 158–162, 224 Zwangsaufenthalt 129