Das Unrecht der versuchten Tat [1 ed.] 9783428466498, 9783428066490

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Das Unrecht der versuchten Tat [1 ed.]
 9783428466498, 9783428066490

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RAINER ZACZYK

Das Unrecht der versuchten Tat

Schriften zum Strafrecht Heft 80

Das Unrecht der versuchten Tat

Von Prof. Dr. Rainer Zaczyk

DUßcker & Humblot . Berliß

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt/M. gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Zaczyk, Rainer: Das Unrecht der versuchten Tat I von Rainer Zaczyk. Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Strafrecht; H. 80) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Habil.-Schr., 1987 ISBN 3-428-06649-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-06649-9

Ernst Amadeus Wolf! gewidmet

Vorwort Die Arbeit hat im Sommersemester 1987 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M. als Habilitationsschrift vorgelegen. Sie wurde Anfang 1987 abgeschlossen, nachträglich erschienene Rechtsprechung und Literatur wurde soweit wie möglich eingearbeitet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat nicht nur den Druck des Buches durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß gefördert, sie hat vor allem die Fortführung des Arbeitsgangs an einer entscheidenden Stelle durch ein Habilitandenstipendium ermöglicht; für beides sage ich hier nochmals Dank. Mein Dank gilt ferner den Frankfurter Strafrechtslehrern Friedrich Geerds, Winfried Hasserner, Herbert Jäger, Klaus Lüderssen und Wolfgang Naucke. In ihrem Dienstagsseminar konnte ich die wichtigsten Thesen der Arbeit referieren und erfuhr auch bei dieser Gelegenheit kritische, aber hilfreiche Diskussion. Ein besonderer Dank gilt Wolfgang Naucke, der die Mühe des Zweitgutachtens im Habilitationsverfahren in einem Forschungssemester auf sich nahm. Frau Gisela Becher und Frau Astrid Holthus haben mit großer Zuverlässigkeit die Reinschrift des Textes besorgt. Michael Kahlo hat den gesamten Text einer für mich sehr wertvollen Kritik unterzogen. Meinem Lehrer Ernst Amadeus Wolff ist die Arbeit als Zeichen des Dankes und der Verehrung gewidmet. Frankfurt/M. und Heidelberg, Herbst 1988

Rainer Zaczyk

Inhaltsveneichnis Einleitung

17

1. Teil

Kritische Aufnahme des DiskussioDsstandes A. Vermittelnde Lösungen der Gegenwart

...................................

20

I. Einleitende Bemerkungen .........................................

20

11. Die sogenannte Eindruckstheorie

21

1. Die Bestimmung der heute h. L. .................................

21

2. Die Begründung der Eindruckstheorie durch v. Gemmingen

.........

24

a) Darstellung ................................................. b) Kritik ......................................................

24 25

III. Vermittelnde Lehren zum Unrecht .................................

28

1. Bestimmung des Unrechts nach den Strafzwecken ..................

29

2. Der systemtheoretische Ansatz

31

.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

a) Seine Einbeziehung durch Jakobs b) Jakobs' neuere Konzeption

.............................

32 34

IV. Die ,,Ausweitung" der Unrechtslehre (Kratzsch) ......................

36

1. Darstellung dieser Lehre ........................................

36

2. Kritik

........................................................

39

V. Zusammenfassung ...............................................

41

B. Objektive Lehren zu Versuch und Vol/endung

I. Die objektive Versuchstheorie

.............................

41

.....................................

41

1. Ihre Begründung durch Feuerbach

...... .................... .....

41

2. Die Fortbestimmung des Gefahrbegriffs durch Mittermaier und v. Liszt; Kritik an diesem Kriterium ......................................

43

10

Inhaltsverzeichnis 3. Andere Gestaltungen einer objektiven Versuchstheorie

52

a) Die Lehre von der teilweisen Verwirklichung des Unrechts ....... . b) Die Lehre vom Mangel am Tatbestand ........................ .

52 53

4. Der Übergang zum nächsten Abschnitt; die rechtsstaatliche Bedeutung der objektiven Unrechtsbestimmung ..... ; .......................... .

54

II. Objektive Unrechtslehren ........................................ .

55

1. v. Liszt

55

2. Mezger

59

3. Der Beitrag der Wertlehren

61

a) Der methodologische Ansatz bei Rickert ........................ b) Rickerts "System der Philosophie" und die Wertlehren Schelers und Hartmanns ................................................. 4. Die Lehre Bindings

62 63

............................................

69

a) Generelle Bestimmung seines Standpunkts flir das Thema dieser Arbeit ..................................................... b) Darstellung und Kritik seiner Lehre

69 70

C. Subjektive Lehren ................................................... .

75

I. Die subjektive Versuchstheorie und verwandte Lehren ............... .

76

1. Die ältere subjektive Lehre ..................................... .

76 76 78

a) Überblick ................................................. . b) v. Buris Versuchstheorie ..................................... . c) Die subjektive Versuchstheorie in der Rechtsprechung und der Umkehrschluß aus § 59 a. F. . ....................................... . d) Die subjektive Versuchstheorie und das geltende Recht .......... . 2. Abwandlungen der subjektiven Versuchstheorie ................... . a) Die Lehre von der Tätergefahr b) Die sog. "Plantheorie"

............................... .

II. Subjektive Unrechtslehren

79 81

82 82 82 85

1. Einleitende Bemerkungen ...................................... .

85

2. Die Imperativentheorie

86

3. Unrecht als Aktunwert

94

a) b) c) d)

Einleitende Bemerkungen 94 Subjekt und Tat bei Welzel 95 Subjekt und Recht bei Weizel und Armin Kaufmann ............ . 98 Konsequenzen flir den Versuch 104

Inhaltsverzeichnis

11

4. Personale Unrechtslehren ....................................... 105 a) Überblick b) Unrecht als Pflichtverletzung; die Lehre in den 30er Jahren c) Die Unrechtslehre Maihofers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Darstellung .............................................. (2) Kritik ................................................... d) Weiterentwicklung der personalen Unrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Lampe .................................................. (2) Otto (in Anlehnung an Hardwig) ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (3) Die dort noch offenen Probleme; Hinweise auf die Lösung durch Arbeiten E. A. Wolffs und Michael Köhlers ..................

105 106 108 108 110 112 112 117 118

D. Bestimmung des Unrechts durch die Lehre 110m Rechtsgut ................... 119

I. Die Bedeutung der Rechtsgutslehre

119

11. Ihre gedankliche Entwicklung

120

1. Die Anfänge bei Feuerbach

120

2. Die Fortführung durch Birnbaum ................................ 121 3. Der Zusammenhang zwischen geistesgeschichtlicher Entwicklung und Rechtsgutslehre .............................................. . 122 4. Die Entwicklung im 20. Jahrhundert

123

5. Rechtsgut und Subjektivität

124

2. Teil Begründung des Unrechts des Versuchs A. Überblick

126

B. Die Konstitution rechtlicher Freiheit

I. Einleitung

..................................... 128

...................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 128

11. Die Autonomie der Person und das Rechtsverhältnis (rechtsphilosophische Grundlegung) ................................................... 130 1. Kant ......................................................... 130 a) Aufweis der Freiheit in der "Kritik der reinen Vernunft" .......... b) Positive Bestimmung der Freiheit in der "Kritik der praktischen Vernunft" ..................................................... c) Kritische Positionen gegen Kant (exemplarisch) .................. (1) Adorno ................................................. (2) Hegel ................................................... d) Die Erscheinung der Freiheit im Recht ................. . .......

130 136 142 142 143 146

12

Inhaltsverzeichnis 2. Fichte

154

a) Fichtes Ansatz des Problems .................................. 154 b) Entfaltung des Ansatzes in der "Grundlage des Naturrechts" 157 c) Der Ertrag von Fichtes Lehre ............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 162 3. Zwischenergebnis .............................................. 165 III. Erste Konkretisierung des Rechtsverhältnisses

165

1. Einleitende Bestimmungen ...................................... 165

2. Grundsachverhalte des Rechtsverhältnisses : Leben

166

3. Körper .................................... . .................. 167 4. Freiheit und Eigentum

....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 168

5. Bedeutung dieser Bestimmungen für den Gang der Arbeit ........... 169 IV. Zweite Konkretisierung des Rechtsverhältnisses

...................... 170

1. Auflösung des engeren Interpersonalverhältnisses

170

2. Gesellschaftliche Konstitution von Rechtsgütern

172

a) Kennzeichnung der Konstitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Beispiele ................................................... aa) "Umwelt" ............................................... bb) Vertrauen des Rechtsverkehrs in Urkunden .................. cc) Tatsachenerrnittlung vor Gericht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Die praktische Leistung der Konstituenten ......................

172 173 173 174 175 176

3. Exkurs: Rechtsgüter als zeitlich bedingte Elemente ................. 178 4. Ergebnis

180

V. Der Staat und die gesetzliche Konstitution der Freiheit 1. Die Notwendigkeit der Dimension des Staats

181

...................... 181

a) Der Ansatz beim Rechtsverhältnis ............................. 181 b) Abweisung des Begriffs "Not- und Verstandesstaat" bei Hegel 182 c) Staat und Einzelner: der Staatsvertrag .......................... 183 2. Nähere Konkretisierung des Staats

185

3. Rechtsgüter des Staats .......................................... 190 a) Ihre Kennzeichnung ......................................... b) Verhältnis der Einzelnen zu ihnen ............................. aa) Als "Norrnalbürger" ...................................... bb) Als Amtsträger .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Das Problem der gesetzlichen Festlegung dieser Rechtsgüter

190 191 191 192 192

VI. Zusammenfassung ............................................... 193

13

Inhaltsverzeichnis C. Zur Bestimmung vollendeten Unrechts

I. Einleitende Bemerkungen

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IIo Vollendetes Unrecht als Unterdrückung konkreter Freiheit (Rechtsgutsverletzung) 0000000000000000000000000000000000000000000000000000

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1. Zusammenhang mit den Ausführungen unter Bo 20

30

196

Verletzung von Daseinselementen der Person und der Gesellschaft Verletzung von Daseinselementen des Staats

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a) Grundsätzlicher Unterschied zu Verletzungen der Person b) Genauere Bestimmung des Unterschieds c) Bestimmung der Eigenart der Verletzung d) Zusammenfassung 40

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Vorsätzliche und fahrlässige Verletzung

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a) Das Verhältnis des Willens zur Verletzung b) Die willentliche (vorsätzliche) Verletzung c) Die Verletzung aus Unbedachtsamkeit (Fahrlässigkeit); Konsequenzen für den Versuch 0

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IIIo Vollendetes Unrecht als Erfüllung der Merkmale des Tatbestandes 1. Einleitende Bemerkungen 20

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Tatbestandsmerkmale

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Die Distanz zwischen tatbestandIich umschriebenem und materiell vollendetem Unrecht 0

50

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a) Verhältnis zum materiellen Unrecht b) Verhältnis zur Rechtswidrigkeit als systematischem Begriff c) Verhältnis zur Innensicht des Täters 40

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Bedeutung des Gesetzeserfordernisses

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Die Transformation materiellen Unrechts in formelles durch den Gesetzgeber

Do Das Unrecht des Versuchs

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I. Einleitende Bemerkungen

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20

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IIo Prinzipien versuchten Unrechts (Erklärung der Möglichkeit des Versuchs) 10

196

Versuch als Übergang eines Konstituenten des Rechtsguts zur Verletzung Generelle Bestimmung des Unrechts des Versuchs bei Rechtsgütern der Person 0000000000000000000000000000000000000000000000000000

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14

Inhaltsverzeichnis 3. Generelle Bestimmung des Unrechts des Versuchs bei Rechtsgütern der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 238

4. Generelle Bestimmung des Unrechts des Versuchs bei Rechtsgütern des Staats ........................................................ 238 III. Differenzierte Bestimmung des Unrechts des Versuchs ................ 241 1. Aufgabe der folgenden Abschnitte: Konkretisierung der Grundsätze

2. Versuch bei Delikten gegen die Person

241

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 241

242 243 248 251 252 b) Mängel des Gegenübers (Objektbereichs) der Handlung . . . . . . . . .. 253 aa) Einleitende Bemerkungen ................................. 253 bb) Differenzierte Behandlung der Objektmängel, insbes. die Grenze zwischen Versuch und Wahndelikt bei sog. normativen Tatbestandsmerkmalen; Beispiele aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . .. 253 c) Mängel des Subjekts ......................................... 268 a) Mängel der Handlung ........................................ aa) Kennzeichnung der Innensicht des Täters; der Tatentschluß bb) Kennzeichnung der Außenperspektive der Handlung .......... (1) Der abergläubische Versuch ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) Das bloße "Wünschen" eines Erfolgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

3. Versuch bei Delikten gegen die Gesellschaft ....................... 271 a) Mängel der Handlung ........................................ 271 aa) Die Innenperspektive ..................................... 271 bb) Die Außenperspektive, insbes. bei "Normativität" der Handlung 273

279 279 281 281 284 c) Mängel des Subjekts ......................................... 285

b) Mängel des Gegenübers (Objektbereichs) der Handlung . . . . . . . . .. aa) Verhältnis zu Mängeln der Handlung bei diesen Delikten ...... bb) Erörterung von Beispielen ................................. (1) § 154 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2) § 267 ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

4. Versuch bei Delikten gegen den Staat a) Unterschied zu den anderen Delikten ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Mängel der Handlung ........................................ aa) Die Innenperspektive ..................................... bb) Die Außenperspektive ............. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Fehler des instrumentalen Handlungsvollzugs ............. (2) "Normativität" der Handlung .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (3) Besonderheit bei Amtsdelikten .......................... c) Mängel des Gegenübers (Objektbereichs) der Handlung . . . . . . . . .. aa) Erörterung an Beispielsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) Fall zu § 108 .......................................... (2) Versuch bei §370 AO .................................. (3) Versuch bei §258 .....................................

285 285 286 286 287 287 287 290 291 291 291 292 294

Inhaltsverzeichnis bb) Differenzierung bei Amtsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) §258a ............................................... (2) §§ 331 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. (2.1) Irrtümliche Annahmen des Extraneus .. . . . . . . . . . . . .. (2.2) Irrtümliche Annahmen des Amtsträgers ..............

15 295 295 296 297 298

d) Mängel des Subjekts ......................................... 298

299

IV. Das unmittelbare Ansetzen zur Tat

1. Zusammenhang des "unmittelbar Ansetzens" mit der Bestimmung des Unrechts des Versuchs .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 299 2. Zur Auslegung des § 22 ......................................... 302 a) Kriterien f1ir "vortatbestandliches" Unrecht und die Formeln zu § 22 b) Einzelbetrachtung der Formeln ................................ aa) Formeln, die sich am Tatbestand orientieren ................. bb) Formeln, die sich am materiellen Unrecht orientieren ......... ce) Die Formel von der Gefährdung des Rechtsguts ..............

302 304 304 305 306

3. Aus der hier vorgetragenen Lehre resultierende Bestimmung des "unmittelbar Ansetzens" .............................................. 308 a) Bestimmung des Übergangs freiheitskonstituierender zu freiheitsunterdrückenden Handlungen .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Beispiel aus der Rechtsprechung ............................... c) Bedeutung des subjektiven Elements ........................... d) Erörterung von Beispielsfällen aus der Rechtsprechung . . . . . . . . . .. (1) BGH GA 1980, 24 ........................................ (2) BGHSt 26, 201 ........................................... (3) OLG Koblenz, NJW 1983, 1625 ............................ (4) BayObLG JR 1978,38 .................................... 4. Sonderfälle des "unmittelbar Ansetzens"

308 311 312 313 313 314 315 316

.......................... 317

a) Versuch des unechten Unterlassungsdelikts b) Versuch bei "Distanzdelikten" ................................. c) Versuch bei konkreten und abstrakten Gefahrdungsdelikten sowie selbständig pönalisierten Vorbereitungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . .. (1) §315c .................................................. (2) § 306 .................................................... (3) Selbständig pönalisierte Vorbereitungshandlungen

318 320 322 322 323 323

Zusammenfassung der Ergebnisse der Arbeit ................................ 326 Literaturverzeichnis ..................................................... 331

Einleitung Die vorliegende Arbeit nimmt eine Fragestellung auf, die seit Beginn der systematischen Behandlung des Strafrechts durch Feuerbach eines seiner Grundprobleme darstellt und dementsprechend immer wieder wissenschaftliche Stellungnahmen herausforderte. Wohl bei keinem anderen grundsätzlichen Thema der Strafrechtswissenschaft ist andererseits so oft das Ende der Diskussion mit dem Hinweis gefordert worden, jedes weitere Bemühenum die Aufklärung des Problems sei fruchtlos!. Aber der Schluß einer wissenschaftlichen Diskussion ist die Lösung des Problems und nicht das Aufgeben der Arbeit daran. Es kann gerade im Strafrecht keine Gleichgültigkeit geben in einer Frage, die die Grenze zwischen Strafbarkeit (und zwar im Extremfall mit der Strafdrohung der Vollendungsstrafe) und Nicht-Strafbarkeit einer Tat betrifft. Nun hatte die Entwicklung der Unrechtslehre in diesem Jahrhundert auch Einfluß auf das hier behandelte Problem. Denn die "personale Unrechtslehre", die man zu Recht als Summe der dogmatischen Bemühung der Gegenwart versteht 2 , erklärte stets den Versuch zu einem der Prüfsteine für ihre Richtigkeit. Im Gang des ersten Teils dieser Arbeit wird sich zeigen, daß diese Überzeugung trügt. Zwar wird sich ihr Grundgedanke als richtig erweisen: man kann den Versuch einer Tat als Unrecht angemessen nur erklären, wenn man eine (wie immer näher zu bestimmende) personale Unrechtslehre vertritt. Aber wenn aus dieser Grundlage Ergebnisse für das Unrecht des Versuchs abgeleitet werden sollen, bedarf es einer erheblich differenzierteren Bestimmung dessen, was unter "personalem Unrecht" zu verstehen ist. Ein Indiz für diese Feststellung ist, daß weithin die Diskussion um einzelne Problembereiche des Versuchs von der (allgemeinen) Unrechtslehre ganz abgekoppelt geführt wird, so, als habe das eine mit dem anderen nichts zu tun J . Dabei ist das Gegenteil der Fall. Der Versuch einer Tat kann Strafe nur begründen, wenn er Unrecht ist, d. h. wenn er für sich genommen bereits Elemente aufweist, die auch das vollendete Unrecht kennzeichnen. Mag es auch Unterschiede zwischen beiden Arten geben (und es gibt sie), dürfen sie doch nicht so beschaffen sein, daß sie an der Qualität "Unrecht" etwas ändern. An dieser Stelle wird ein weiterer Gesichtspunkt deutlich. Die Frage nach dem Unrecht des Versuchs wird häufig mißverstanden als eingeschränkt auf den sog. 1 Vgl. z. B. Stenglein, DJZ 1902, S. 333 1. Sp.; Frank, Vollendung und Versuch, VDA V, S. 163 ff. (263); vgl. auch Seeger, GA 18 (1870), S. 246. 2 S. dazu auch Hirsch, ZStW 93 (1981), S. 831 ff. (833). 3 S. dazu auch Schmidhäuser, AT, 15/13ff.

2 Zaczyk

18

Einleitung

untauglichen Versuch. Das ist aber mit nichts anderem als der höheren Plausibilität begründbar, mit der ein fehlgeschlagener Versuch als "Unrecht" wegen des eindeutigen Vorliegens einer Gefährdung bezeichnet werden kann. Keineswegs ist damit aber begründet, daß die Gefährdung ein gleiches Unrecht wie die Verletzung darstellen kann (vgl. § 2311 4 ), sondern das bleibt hier nur mitbehauptet. M.a. W.: eine Arbeit über das Unrecht des Versuchs muß Kriterien entwickeln, die für den Versuch generell gelten und nicht nur den untauglichen Versuch bestimmen. Mit den genannten Aspekten ist auch schon der Umkreis bezeichnet, in dem sich die vorliegende Arbeit orientiert. Es bedarf einerseits einer Aufbereitung der Versuchslehre, andererseits einer Stellungnahme zur Unrechtslehre. Der Begründungsgang erfolgt insgesamt in zwei Schritten: der erste Teil der Arbeit nimmt den Stand der Diskussion in dem gekennzeichneten Umfang kritisch auf, der zweite Teil unternimmt dann eine Begründung des Unrechts des Versuchs, die sich an den im ersten Teil aufgezeigten, für den Versuch notwendigen Positionen orientiert. Der erste Teil wird also deshalb als "kritisch" bezeichnet, weil er selbst schon Teil der Begründung ist und sich nicht als gleichgültiges Referat früher vorgetragener Lehrmeinungen versteht. Daher geht es auch nicht um "Ablehnung" der einen, "Zustimmung" zur anderen Ansicht, sondern um die Herausarbeitung von verschiedenen Aspekten eines Problems, dessen Lösung man von mehreren Ansätzen aus unternehmen kann. Auf diese Weise ist für die Lösung des zweiten Teils aufzuzeigen, daß und in welchem Umfang sie auf Gesichtspunkte zurückgreifen kann, die von den bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen schon bereitgestellt worden waren und nur in einen anderen Begründungszusammenhang eingebettet werden mußten. Die Gliederung des ersten Teils mag auf den ersten Blick zu grob und undifferenziert erscheinen; "bequeme Ausdrücke" sind nach Hegel"subjektiv" und "objektiv"s. Die Einteilung ist auch nicht als endgültige Klassifizierung gemeint, sondern bedient sich der Begriffe "vermittelnd", "objektiv" und "subjektiv" als Leitfaden, um die Diskussion seit Feuerbachs Zeiten auf eine auch für den Leser leichter nachvollziehbare Weise zu ordnen. Allerdings liegt darin doch auch schon ein Teil des Gedankengangs, denn der Versuch stellt nun einmal einen besonderen Zusammenhang zwischen "Innen" und "Außen" dar - wenn man so will also eine Vermittlung von Subjektivität und Objektivität. Die Gliederung des zweiten Teils löst sich dann von diesem Leitfaden und richtet sich nach dem Gang der Sache selbst, die den genannten Punkten des ersten Teils ihren jeweiligen Ort gibt. Zu ihm ist nichts Vorläufiges zu sagen, da er seine Begründung in sich enthält. Er schließt aber auch insofern an den ersten Teil an, als er als eine Fortentwicklung der personalen Unrechtslehre begriffen werden kann. Von seiner Grundlage aus werden dann einzelne Problemfälle des Versuchs zu einer neuen Klärung gebracht. 4 S

§§ ohne Gesetzesangabe sind solche des StGB. Hegel, Enzyklopädie, Werke Bd. 8, S. 116 (Zusatz zu § 41).

Einleitung

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Eine Bemerkung gilt noch dem Umfang des behandelten Stoffs. Ein Thema wie dieses kann nach jeder Richtung hin ausgedehnt werden; es weist mehrere Stationen des Gedankengangs auf, die zu eigenen Monographien Anlaß geben und gegeben haben. Daher ist es keine salvatorische Klausel, sondern schlicht Ausdruck einer Notwendigkeit, wenn um Verständnis für die Beschränkung gebeten wird, die der Verfasser sich insbesondere im zweiten Teil der Arbeit auferlegt hat; es fehlen dort Ausführungen zum Versuch bei der Tatbeteiligung mehrerer sowie zu dem Problem des objektiv gegebenen, subjektiv aber unbekannten Rechtfertigungsgrundes; auch der Rücktritt vom Versuch ist nicht mehr behandelt. Jeder dieser Problembereiche erfordert für eine Stellungnahme zusätzliche grundsätzliche Überlegungen, die über den vorausgesetzten Umfang und Zweck dieser Arbeit hinausgehen. Die Formulierung ihres Titels geschah nicht unbedacht. Daß vom Unrecht der versuchten Tat die Rede ist, soll zeigen, daß nicht Hegels Bestimmungen gefolgt wird 6 , sondern eine Anlehnung an eine Begriffsbestimmung Kants erfolgt: "Tat heißt eine Handlung, sofern sie unter Gesetzen der Verbindlichkeit steht, folglich auch sofern das Subjekt in derselben nach der Freiheit seiner Willkür betrachtet wird. "7

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2*

Vgl. Hegel, RPh, §§ 115,117,118. Metaphysik der Sitten, Werke Bd. 7, AB 22.

1. Teil

Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes A. Vermittelnde Lösungen der Gegenwart I. Einleitende Bemerkungen Die Diskussion um das Unrecht des Versuchs ist zu einem gewissen Stillstand gekommen. Das beruht zum einen sicherlich auf der noch nicht lange zurückliegenden Neufassung der Versuchsbestimmungen (§§ 22, 23, 24)1, mit der gewissermaßen durch die Autorität des Gesetzgebers noch einmal bekräftigt wurde, daß der Versuch Unrecht sei 2 • Zum anderen aber glaubt man in der Wissenschaft eine Formel gefunden zu haben, die vor allem die zweifelhaften Fälle des Versuchs - also insbesondere den sogenannten untauglichen Versuch - nach ihrer Strafwürdigkeit unterscheidbar machen soll: Nach einer vielfach vertretenen Lehre 3 soll maßgeblich sein der rechtserschütternde Eindruck der Tat auf die Rechtsgemeinschaft 4 . Die Eigenart dieser Problemlösung - die unter 11. näher betrachtet werden soll- fügt sich ein in eine Reihe von ähnlichen Ansätzen zur Basis des Unrechts, die hier unter dem Oberbegriff "Vermittelnde Lösungen" zusammengefaßt behandelt werdens. Ihrem allgemeinen Inhalt nach und aus der Perspektive des Versuchs gesehen stellen sie gleichsam "Begleittheorien" einer solchen Lehre zum speziellen Problem des Versuchs dar, und dies erklärt zum Teil, weshalb in der Gegenwart eine vermehrte Bereitschaft dazu besteht, eine solche Lösung zu akzeptieren, "Vermittelnd" werden sie hier nicht deswegen genannt, weil sie etwa den Zusammenhang zwischen Tat und Täter genauer bestimmten, sondern deshalb, weil sie die Lösung grundlegender 1 Durch das 2. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 4. 7. 1969 (BGBI. I, 717), in Kraft seit 1. 1. 1975 (BGBI. I, 1). 2 Immerhin hat es in der Literatur auch insoweit kritische Stimmen gegeben. Zimmerl, Aufbau des Strafrechtssystems, S. 128 fT., sah im Versuch eine Systemwidrigkeit, die er aus dem Strafrecht verbannen und durch den BegrifT der "erfolglosen Handlung" ersetzen wollte, deren Unrechtsgehalt "bis zum Nullpunkt" absinken könne, je nach dem Grad ihrer Gefährlichkeit und unabhängig von den Intentionen des Täters (S. 136 f.). Nowakowski, Zur Lehre von der Rechtswidrigkeit, ZStW 63 (1951), 287fT. (316fT.) nahm an, beim Versuch liege nur Schuld, aber kein Unrecht vor. 3 Vgl. vorläufig nur leseheck, AT, § 49 II 3, S. 416 m. w. Nachw. 4 Einen anderen Grund für den bezeichneten Stillstand der Diskussion bildet die Entwicklung der personalen Unrechtslehre, die in ihre Überlegungen immer auch das Problem des Versuchs mit einbezogen hatte und dadurch die Versuchsdiskussion gleichsam in sich aufsog; auf diese Lehre wird erst unter C. näher eingegangen. 5 Zur Bezeichnung "vermittelnd" s. auch Vogler, LK, RN 51 vor § 22.

A. Vermittelnde Lösungen der Gegenwart

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strafrechtlicher Probleme in einem von deren ursprünglicher Lokalisation abgehobenenen Zwischenbereich suchen, der erst in ein~m zweiten Schritt verlassen und an die Tat zurückgebunden werden muß. Man könnte diese Lehren daher auch abstrakte Lehren nennen. 11. Die sogenannte Eindruckstheorie

1. Die Bestimmung der heute herrschenden Lehre In seinem Aufsatz "Tatentschluß und Anfang der Ausführung beim Versuch"6 hat Roxin bereits im Jahre 1979 mit gewissem Recht festgestellt, die Eindruckstheorie stelle die "ganz herrschende Meinung" dar. Denn insbesondere die Lehrbuch- und Kommentarliteratur 7 hat - bei allerdings gewichtigen Gegenstimmen 8 - das in der Eindruckstheorie liegende Angebot aufgegriffen, eine Art Vereinigungsformel zu liefern, die "zwischen den Extremen der subjektiven und objektiven Theorien hindurchführt"9. Nicht ganz einheitlich in den Formulierungen lO und auch nicht im gedanklichen Ansatz, was das Verhältnis zu anderen Versuchstheorien betrifft 11 , aber jedenfalls in der JuS 1979, S. 1 ff., hier S. 1 m. Anm. 1. Dreher/ Tröndle, § 22 RN 8 (für die Abgrenzung Vorbereitung/Versuch; s. auch RN 24); Eser in: Schönke/Schröder, RN 17,23 vor § 22; ders., Studienkurs 11, Fall 31, RN A34(S. 91 f.); Geilen, AT, 149; Jescheck, AT, § 4911 3, S. 416; Maurach/Gössel, AT /2, S. 17f. (RN 22f.), Rudolphi, SK, RN 13,14 vor§ 22; Vogler, LK, RN 51 ff. vor§ 22, bes. 52 a. E.; Wesseis, AT, § 14 I 2, S. 168. Blei hat noch in der 17. Aufl. des AT die Eindruckstheorie vertreten (§ 67 II c, S.208f.), doch sind in der 18. Aufl. diese Ausführungen ganz aufgegeben; in § 67 I, S. 231, wird nur noch davon gesprochen, daß die subjektive Theorie logisch einwandfrei sei, wenn man die Bestrafung des untauglichen Versuchs kriminalpolitisch und dogmatisch anerkenne. - S. aus der übrigen Literatur Burgstaller, ÖJurBI. 1976, 113ff. (122); dens., ÖJurBI. 1969,521 ff. (529f.), dort aber noch deutlicher auf die subjektive Theorie abstellend, s. insbes. auch S. 529 m. Anm. 85; Grünwald, Welzel-Festschrift, 701 ff. (712); J. Meyer, ZStW 87 (1975), 598ff. (604); Roxin, a.a.O (Anm. 6); s. auch schon dens. JuS 1973, 329ff. (331 m. FN 21); Schünemann, GA 1986, 310ff; Sonnen/Hansen-Siedler, JA 1988, 17ff. (19). - Zur Eindruckstheorie vgl. ferner noch die von Roxin betreute Dissertation von Stylianos Papageorgiou-Gonatas, Wo liegt die Grenze zwischen Vorbereitungshandlungen und Versuch?, bes. S. 200ff. In dieser Arbeit wird die Eindruckstheorie verdienstvollerweise bis hin zu Einzelfällen konkretisiert (228 ff., 238 ff.); freilich verbleibt die so wichtige Grundlegung dieser Lehre (S. 200ff.) ganz im Rahmen der bekannten Argumentation. S. ferner unten Anm. 20. S Krit. bes. Baumann/ Weber, AT, § 32 I 2 c, S. 471; Jakobs, AT, 25/20, S. 588f. (s. dazu aber auch unten im Text bei Anm. 61 ff.); Hellmuth Mayer, AT (1953), 288; Stratenwerth, AT, RN 657f. S. ferner Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 208fl (s. auch dazu unten im Text Anm.41); Burkhardt, Rücktritt, S.56 m. Anm. 31; S. 71 f.; Kühl, JuS 1980, 507; Nowakowski, ÖJZ 1953, 596ff. (599 f. m. Anm. 21 a); dens., JZ 1958, 415f. - Zur älteren Literatur sehr kritisch Binding, Normen III, 453, FN 23 unter Ziff. III; 477 FN 2 a. E. 9 Roxin, a. a. 0 (Anm. 6), S. 1. 10 Vgl. die Zusammenstellung bei Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 209f. 11 Zum Teil wird die Eindruckstheorie als objektive Ergänzung zur subjektiven Theorie angesehen (Beispiel: Eser in: Schönke/Schröder, RN 23 vor § 22), z. T. als eigenständige Begründung für das Unrecht des Versuchs, so Roxin, JuS 1979, 1. 6 7

1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

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Richtung geschlossen, soll die Strafbarkeit des Versuchs "aus dem rechtserschütternden Eindruck, den die Betätigung des verbrecherischen Willens in der Allgemeinheit hinterläßt"12 ,zu erklären sein. Es geht also um eine Wirkung der Tat bei Anderen. Zwar soll es nicht auf eine aktuelle, faktische Betroffenheit ankommen (etwa bei Beobachtern der Tat), sondern auf die nachträglich festzustellende Eignung der Versuchshandlung zur Herbeiführung dieser Wirkung 13. Insgesamt jedoch geht es ersichtlich um eine (Sozial-) Psychologisierung der Kriterien zur Bestimmung des Versuchs 14. Betrachtet man das Kriterium des "Eindrucks" genauer, so fallt zunächst auf, daß der Bereich der Tat selbst verlassen ist. Denn "objektiv" ist dieses Kriterium nicht in dem Sinne, daß es die Handlung des Täters in eine Beziehung setzt zum angegriffenen Rechtsgut. Vielmehr setzt es die Gesamtheit des Geschehens in ein Verhältnis zu einem Eindruck der Allgemeinheit, der selbst wieder mit Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu tun haben soll: erst das Betroffensein dieser Dimension macht den Versuch "strafwürdig". Straftatsystematisch bleibt das Merkmal gleichwohl unklar. Häufig wird versucht, seine Bedeutung für das Unrecht des Versuchs dadurch kleinzuhalten, daß man es lediglich als Einschränkung der subjektiven Versuchslehre begreift 15 . Burgstaller ordnet es dann als objektive Bedingung der Strafbarkeit ein l6 . Das ist zwar formal präzise, zeigt aber zugleich die Unzulänglichkeit. Abgesehen von allen sonstigen Bedenken gegen objektive Bedingungen der Strafbarkeit würde dies bedeuten, daß eine gesamte Deliktskategorie dem Schuldgrundsatz entzogen würde. Das kann keine angemessene Lösung sein. Der Vorwurf kann auch nicht dadurch gemildert werden, daß man die strafbarkeitseinschränkende Funktion des Kriteriums hervorhebt. Denn wenn ein solches Merkmal nicht aus gedanklicher Notwendigkeit folgt, sondern dem Versuch äußerlich interpretatorisch beigegeben wird, bleibt es beliebig; es läßt sich nicht angeben, weshalb es bei gewandelten Verhältnissen als Wohltat nicht auch wieder entzogen werden sollte. Das Eindrucksmoment ist daher ernstgenommen nur dann, wenn man es wie ausdrücklich Roxin 17 - als ein das Unrecht des Versuchs konstituierendes Moment versteht: nur dann ist der Versuch Unrecht, wenn er über die konkrete Handlung hinaus geeignet ist, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Geltung des Rechts zu erschüttern; das wird beim "tauglichen" Versuch stets der Fall sein und bis hin zum abergläubischen Versuch immer mehr abnehmen. So die Formulierung bei Eser in: Schönke/Schröder, RN t 7 vor § 22. So deutlich Blei in der 17. Aufl. seines AT, S. 209 (zu Bleis veränderter Position s. oben Anm. 7); s. dazu auch Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 210. 14 Vgl. Hellmuth Mayer, AT (1953), S. 288 (krit. zur Eindruckstheorie); s. ferner Eser in: Schönke/Schröder, RN 23 vor § 22. 15 Von den oben Anm. 7 Genannten etwa Eser, Rudolphi und Vogler, jeweils a.a.O. 16 ÖJBI. 1976, 122 m. FN 63. 17 JuS 1979, 1. 12

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A. Vennittelnde Lösungen der Gegenwart

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Faßt man das Eindrucksmoment so auf, dann wäre innerhalb eines Teilbereichs des Problems der Bestimmung von Unrecht ein Kriterium eingeführt, das den herkömmlichen Begriffsrahmen (gebildet etwa durch die Begriffe Handlungsunrecht einerseits, Erfolgsunrecht andererseits) um einen wesentlichen Schritt verläßt. Denn innerhalb dieses Rahmens geht es stets um Unrecht in konkretisierter Form, als einzelnes Delikt, nicht aber um Angriffe gegen die Rechtsordnung als ganzer. Angesichts einer so fundamentalen Neubestimmung erwartet man, daß die Vertreter dieser Lösung auf eine entsprechend grundsätzliche Ableitung dieses Kriteriums verweisen können. Dies ist aber nicht der Fall. Es gibt eine einzige Arbeit, die dies unternimmt 18 - und sie wird häufig nicht zitiert 19 • Als Ursprünge der Eindruckstheorie werden vielmehr einige Arbeiten bemüht, in denen dieser Ansatz schon vom äußeren Umfang her mehr als eine Art spontaner Einfall vorgetragen wird denn als schrittweise entwickelte wissenschaftliche Begründung 20 • Dieser Anforderung genügt nur die Arbeit von Gemmingens, und daher soll seine Argumentation im Folgenden kritisch dargestellt werden. Unter III. wird dann gezeigt, weshalb auch ohne eine solch genauere Begründung die Eindruckstheorie gleichsam "in die Zeit" paßt. Das wird zu einer zusätzlichen Kritik an derartigen Unrechtsbestimmungen führen. 18 Hans Dieter Freiherr von Gemmingen, Die Rechtswidrigkeit des Versuchs (1932). S. ferner vom selben Verf. ZStW 52 (1932), 153ff. (158f., 165); Deutsches Strafrecht, Neue Folge 2 (1935), 105ff. (109). 19 In den Literaturangaben zit. bei Maurach/GÖssel,. AT /2, vor§ 41, S. 10; Vogler, LK, Lit. vor § 22; bei Jescheck zit. auf S. 416, FN 14. 20 Wohl der erste Ansatz zur Eindruckstheorie findet sich in einem Aufsatz von Dünger, ZStW 6 (1886), 291 ff., bes. 361. Dünger schreibt dort, man könne den Grund der Strafbarkeit des Versuchs "in der psychologischen Thatsache finden, daß durch die Vorstellung der Gefährlichkeit der ein Rechtsgut bedrohenden Versuchshandlung in der Gesellschaft die Vorstellung der Strafbarkeit dieser Handlung oder ( ... ) die instinktive Reaktion der Gesellschaft gegen diesen ( ... ) Einbruch in die Rechtsordnung wachgerufen wird." Dünger bezieht sich zum einen auf einen Aufsatz von Lammasch, Grünhut's Zeitschrift 9 (1882), 221 ff., bes. 268-278, was aber sicherlich ein Mißverständnis ist, denn Lammasch vertritt dort eine Theorie der Gefahr. Interessant ist aber, daß Dünger sich weiter auf Franz v. Liszt bezieht. Nun vertrat dieser zwar auch in seinem Lehrbuch eine objektive Versuchstheorie (s. dazu noch unten B I); auch Düngers Ausführungen werden etwa von Germann, Grund, S. 19 so verstanden. v. Liszt hatte jedoch in einem Literaturbericht in ZStW 2 (1882), 613ff., hier 622-624 zu dem genannten Aufsatz von Lammasch folgende erläuternde Sätze geschrieben, die gewissennaßen um einen Schritt über das Kriterium einer objektiven Gefahr hinausführen: die Unterscheidung zwischen gefährlichem und ungefährlichem Versuch liege an "dem letzten empirischen Grunde aller Strafe, dem ,ressentiment' ( ... ), welches als instinktive Reaktion früher ist als jene Vorstellung (sc. der Vorstellung der Strafbarkeit, auf die Lammasch abhebt), und daher nicht bestimmt durch sie ( ... ). Wir, d. h. der einzelne wie die Gesamtheit, ,ressentieren' gewisse Fälle des Versuchs nicht als Gefährdung von Rechtsgütern, und reagieren daher gar nicht oder doch nicht in gleicher Weise wie gegen den ,gefährlichen' Versuch gegen diese Fälle" (624). Hier wird schon im Ansatzjene Umkehrung zwischen Grund (Unrecht) und Folge (Strafe) sichtbar, die auch heute die Eindruckstheorie wesentlich ausmacht.Weitere frühere Vertreter waren dann Horn, ZStW 20 (1900), 309ff. (324ff., insbes. 357, wo bereits von der "Beunruhigung der Rechtsgenossen" und der "Störung des Rechtsfriedens" die Rede ist), sowie v. Dar, Gesetz und Schuld 11 (1907), 490f., 527ff.

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

2. Die Begründung der Eindruckstheorie durch v. Gemmingen

a) Von Gemmingen ist in seinem Ansatz wesentlich der sogenannten südwestdeutschen Schule des Neukantianismus 21 verpflichtet 22 und unterscheidet drei notwendige Seiten des Rechts: zuerst ist es Bedeutungswelt, "eine Gesamtheit von Sollens- oder besser gesagt Wollensbedeutungen"23; in dieser Perspektive ist es geistige Wirklichkeit. Da es aber als solche erst auf eine konkret zu ordnende soziale Wirklichkeit bezogen werden muß, gehört diese, das "Regelungssubstrat" , als notwendige zweite Seite ihm zu. Um "ins Leben zu treten"24 bedarf das Recht schließlich des Aspekts der Geltung; zu ihr "gehört eine bestimmte Fähigkeit der Normen, sich durchzusetzen. Und diese beruht auf einem bestimmten seelischen Verhalten der Rechtsunterworfenen. "25 Parallel zu diesen drei notwendigen Seiten des Rechts bestimmt von Gemmingen das Rechtswidrige. Rechtswidrig kann einmal sein ein Verstoß gegen die Sinnbedeutung als erste Seite des Rechts. Auf nicht genauer erläuterte Weise bezieht von Gemmingen hier den Täter mit ein und sagt, es ginge in diesem Betracht um das Zurückbleiben hinter rechtlichen Anforderungen 26 . Zum zweiten ist das Rechtswidrige begreifbar als Veränderung der Wirklichkeit; es ist Substratwidrigkeit. Das versteht von Gemmingen so, daß ein Zustand geschaffen wird, der der kulturellen Wirklichkeit zuwider läuft 27 . Die dritte Seite aber wird beeinträchtigt durch den Angriff auf die Machtgeltung des Rechts, auf seine Geltungswirklichkeit 28 . Diese Form der Rechtswidrigkeit ist "die schädlichste Widersacherin"29 für das Recht. Sie vollzieht sich so, daß zum einen der Täter "seinen persönlichen Beitrag zu dem sozialpsychologischen Faktum der Rechtsgeltung hinterzieht" 30 , wobei dies aber noch der kleinere Teil des Schadens ist: "Schwerwiegender ist die schädliche Wirkung der Tat auf die Beteiligten. Auf die Geschädigten dadurch, daß sie sich um die Gegengabe ihres Glaubens, um den ihnen durch die Rechtsordnung gewährten Schutz betrogen sehen, auf Andere dadurch, daß ihre Scheu vor der Unbotmäßigkeit durch böses Beispiel untergraben wird."31 Von Gemmingen betont, daß 21 Vgl. zu ihr etwa Radbruch, Rechtsphilosophie, bes. 119ff. ("Der Begriff des Rechts"). 22 Rechtswidrigkeit des Versuchs, s. 9 Anm. 8; S. 19 m. Anm. 28. Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich die folgenden Seitenangaben jeweils auf dieses Buch. 23 S.8. 24 S.9. 25 S.9. 26 S. 20, 23 ff. Das "Zurückbleiben" ist zunächst aus der Perspektive der BedeutungsweIt gesehen. 27 S.32. 28 S.36ff. 29 S.36. 30 S. 38, 161. 31 S.38.

A. Vermittelnde Lösungen der Gegenwart

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die drei Aspekte meist verbunden in Erscheinung treten 32 , daß heißt aber auch: getrennt auftreten können. Bei der Erörterung des völlig ungefährlichen Versuchs isoliert von Gemrningen dann auch das Geltungsmoment und führt den Eindruck von der Tat zur Begründung ein 33 : "Auch der Angriff mit völlig unzulänglichen Mitteln, auch die objektiv ganz ungefährliche Tat kann der Umwelt sehr gefährlich erscheinen. Und sobald sie gefährlich erscheint, entsteht jene Beunruhigung, welche im Falle der Schuld das Bedürfnis nach der Reaktion wachruft, damit durch die Bestrafung das Gefühl des Geborgenseins für die Mitmenschen wieder hergestellt werden muß"34. Dabei versteht von Gemrningen den Eindruck von der Tat - ganz entsprechend der heute herrschenden Lehre - nicht als psychisches Faktum. Aber die Grundlage auch eines normativ zu fassenden "Eindrucks" ist dann doch ein nicht weiter bestimmtes "Gefühl" - mit der weitreichenden Konsequenz, daß dadurch ein Verhalten zu einem strafbaren Versuch erhoben wird 3s • b) In der Auseinandersetzung mit von Gemmingens Einordnung des Eindrucksmoments können die Mängel der Eindruckstheorie deutlicher hervorgehoben werden. Am Anfang muß dabei die Frage stehen, ob das Geltungswidrige der Tat (festgestellt durch den Eindruck, den sie auf andere macht) selbständig zur Begründung von Unrecht herangezogen werden kann 36 • Immerhin ist zunächst zuzugeben, daß bei vollendetem Unrecht (also in der Terminologie von Gemmingens: bei Vorliegen von Anforderungs- und Substratwidrigkeit) in der Geltungswidrigkeit ein zusätzlicher Aspekt der Gesamttat gesehen werden könnte, etwa ähnlich wie in Hegels Unrechtslehre als Ausdruck des "Positiven" Vgl. S.41. Diese Ausführungen v. Gemmingens sind allerdings nicht ganz fugenlos in seine Unrechtslehre eingepaßt, nach der das Eindrucksmoment isoliert auftreten kann. v. Gemmingen läßt nämlich keinen Zweifel daran, daß er für das Unrecht des Versuchs allein eine objektive, d. h. an der Gefahr für das Rechtsgut orientierte Lehre als angemessen ansieht (S. 93) - jedenfall "de lege lata", also nach § 43 a. F.; er differenziert sie mit Hilfe des Adäquanzgedankens, vgl. S. 112f., 141. Offenbar aus der Einschätzung heraus, daß die Zukunft (die Schrift erschien 1932!) dem Prinzip des Subjektivismus gehöre (vgl. die Bem. S. 93, 166), unternimmt er dann eine Einschränkung der subjektiven Lehre mit Hilfe des Moments der Geltungswidrigkeit (160ff.). In diesem Zusammenhang stehen die Ausführungen, auf die der Text sich hier bezieht. 34 S.162. 3S Vgl. das Beispiel v. Gemmingens S. 165: "Eine Frau, von der die Nachbarinnen sagen, sie sei schwanger und die es selber glaubt, obwohl es aus irgend welchen naheliegenden Gründen völlig unmöglich ist, und die irgendeine harmlose Flüssigkeit zum Zwecke der Abtreibung nimmt, pflegt erst durch den Klatsch und das Wichtigtun ihrer Gewatterinnen vor den Staatsanwalt gebracht zu werden. Also nur weil die Umwelt soviel Wesens von dem für sich betrachtet ungefährlichen Tun macht, ist das Verhalten objektiv eine Gefahr für die Rechtswirklichkeit. " 36 Kritisch auch schon Gallas in der Besprechung dieser Arbeit, ZStW 54 (1935), 281 ff. (283 f.). 32 33

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

im Verbrechen in seiner Stellung gegen das Recht überhaupt 37 • Aber dann dürfte die Beschreibung der Wirklichkeit jenes Moments nicht bei Ausdrücken wie "Beunruhigung" oder "Gefühl des Geborgenseins" stehen bleiben. Vielmehr müßte gezeigt werden, welche notwendige Stelle im Unrecht, die die beiden anderen Kriterien offenlassen, dieses Moment zusätzlich bestimmt. Die Geltung des Rechts kann aber unmöglich von einer zufälligen psychischen Gegebenheit abhängen; schon insofern ist das Eindrucksmoment unterbestimmt. Die beschränkte Kraft dieses Prinzips wird aber dann noch deutlicher, wenn man es - wie von Gemmingen beim untauglichen Versuch - isoliert: Bei einer Tat, die mangels Gefahr keine "Substratwidrigkeit" enthält, soll ein tatunabhängiges Moment unrechtsbegründend sein. Es geht dabei nicht darum, durch eine äußere Perspektive auf die Tat diese zu konstituieren, so lange man dies - mit anderen, objektiven Versuchstheorien - als die Konstitution der äußeren und damit notwendigen Seite des Unrechts begreift. Vielmehr wird das Gesamtgeschehen genommen und seine Wirkungen auf Dritte werden eingeschätzt. Dieser "Eindruck" enthält jedoch schon dadurch eine Schwäche, daß er an die Zufälligkeiten der Gestaltung der Tat anknüpfen kann 38 • Diese Schwäche ist aber in der Eindruckstheorie selbst angelegt, denn sie bietet ja gerade ein der Tat selbst äußerlich bleibendes Kriterium als Grundlage für das Unrechtsurteil an. Nun geht es beim Versuch stets um ein konkretes Delikt; bestraft wird nicht die Herbeiführung einer Erschütterung des Rechtsfriedens, sondern etwa ein versuchter Diebstahp9. Der Eindruck von der Tat soll materialer Grund dafür sein, sie als Unrecht zu begreifen. Damit wird das Verhältnis von Unrecht und Eindruck im Vergleich mit der vollendeten Tat beim Versuch umgekehrt: ist bei der vollendeten Tat das Unrecht Grund dafür, daß die Folge (der Eindruck) entsteht, soll nun - beim Versuch - der Eindruck Grund dafür sein, daß als Wirkung eine Tat produziert wird: eine Tat, die nach den sonst geltenden Kriterien (etwa der Gefährdung eines Rechtsguts) kein Unrecht darstellt, wird als Unrecht behandelt, weil sie so erscheint. Damit aber wird das Tatstrafrecht auf eine Stufe zurückversetzt, die es in einer zum Teil mühsamen Entwicklung verlassen hat: das Eindrucksmoment als Entscheidung über die Strafbarkeit ist 37 RPh, § 99. Bei dem Neuhegelianer Kohler treten dann auch Formulierungen auf, die der Eindruckstheorie sehr ähneln (Studien I, S. 20 ff.), gleichwohl aber immer noch auf den Willen des Täters bezogen sind. So gesehen profitiert noch die Behandlung des speziellen Versuchsproblems bei Kohler davon, daß in Hegels System der einzelne in eine Beziehung zum Ganzen des Rechts gesetzt war. Im Reflex sieht man dann aber auch, welche gedankliche Anstrengung erforderlich ist, um eine Eindruckstheorie substantiell und nicht schlagwortartig zu begründen. - Zum Ganzen auch Westpfahl, Versuch, S.17ff. 38 S. auch Kühl, JuS 1980, 507. v. Gemmingen selbst stellt in seinem erwähnten Aufsatz ZStW 52 (1932), S. 165 ausdrücklich etwa auf den Aspekt des "Sensationellen" der Tat ab: nach seiner dort geäußerten Auffassung muß bei einem Angriff auf einen Repräsentanten des Staats auch der absolut untaugliche Versuch strafbar sein. S. in diesem Zusammenhang nochmals das oben Anm. 35 zitierte Beispiel. 39 Vgl. zu dieser Kritik auch Burkhardt, Rücktritt, S. 71 f.

A. Vennittelnde Lösungen der Gegenwart

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gedanklich anzusiedeln etwa bei Feuerbachs Lehre vom Mangel am Tatbestand 40 , der Lehre vom versari in re illicita oder der Schuldunabhängigkeit der Tatfolgen beim erfolgsqualifizierten Delikt. Hier zeigt sich auch noch einmal deutlicher, weshalb man das Eindrucksmoment nicht dadurch retten kann, daß man es als bloßes Korrektiv einer im übrigen subjektiven Versuchstheorie verwendet. Denn das heißt, daß man einen zugegebenen Mangel der subjektiven Theorie (daß sie zu viele Fälle als Versuch erfaßt) zugibt, ihn aber durch ein selbst mangelhaftes Moment auszugleichen verspricht. Nun heilt zwar das Leben manchen Mangel der Theorie; wissenschaftlich gesehen kann jedoch darein das Vertrauen kaum gesetzt werden, und es bleibt festzustellen, daß aus einer solchen Addition unrichtiger Begründungen schwerlich etwas Richtiges entstehen kann. Derlei Kombinationen sind vielmehr ein Ausweg in die falsche Richtung: statt daß die subjektive Lehre immerhin an einem Tatstrafrecht orientiert - einer Revision ihres Begründungsgangs unterzogen wird, tritt man die Flucht aus der Unrechtslehre an. Mit der Eindruckstheorie werden die alten und schwierigen Fragen des Unrechts als Versuch nicht gelöst, sondern nur zugedeckt 41 • 40 Dabei geht es nicht um die auch in der Versuchslehre wirksam gewordene Ansicht, die v. Dohna begründet hat (dazu unten unter B I 2b), sondern um Fälle, in denen Feuerbach eine (gemilderte) Vollendungsstrafe begründen wollte, wenn eines der Merkmale des Tatbestandes fehlte bzw. nicht hinreichend gewiß erwiesen werden konnte; Feuerbach begründete das damit, daß das Gesetz eine Summe gewisser Bedingungen enthalte, die zusammen das ganze Strafübel begründeten, während jeder einzelnen Voraussetzung auch ein Quotient des Strafübels korrespondiere. Soviel Teile vorlägen, soviel Strafe könne auch ausgesprochen werden. Feuerbach, Revision 2, S.4f. Dazu Schmid, Gedächtnisschrift für Schröder, 19ff. und - mit den bei ihm häufigen starken Worten - Binding, Nonnen III, S. 489. 41 In den Zusammenhang der Eindruckstheorie gehört auch die Ansicht Alwarts, wonach der Versuch nur dann real strafbares Unrecht sein soll, wenn er "strafwürdig" erscheint. Anknüpfend an das teleologische System Schmidhäusers (s. AT, 15/18 speziell zum Versuch -) unternimmt es Alwart in seiner Untersuchung "Strafwürdiges Versuchen", eine solche Lehre vertieft zu begründen. Allerdings ist der vorgestellte Begründungszusammenhang uneinheitlich. Einerseits betont Alwart, daß es nicht in seiner Absicht liege, bis zur Frage des Unrechts des Versuchs vorzudringen (s. S.160); andererseits gibt er selbst zu, daß eine Arbeit über die Begriffe "Strafwürdigkeit" und "Versuch" wenigstens implizit Stellungnahmen zu diesem Problemkreis enthalten muß (S. 160 f.). Darauf weist auch die Fragestellung eingangs der Arbeit hin: es solle geklärt werden, wegen welcher Versuche gestraft werden sollte (S. 15) und dies solle im Zusammenhang mit einer "Gesamtkonzeption der Unrechtsbegründung beim Versuchsdelikt" geschehen. Angesichts dieses Ansatzes überrascht es dann, wenn aufS. 237 als eine der offengebliebenen Fragen der Arbeit die folgende benannt wird: "Sollte wegen Versuches überhaupt gestraft werden?" - Ähnlich unklar bleibt der Begriff der Strafwürdigkeit. Einerseits wird von ihm gesagt, er sei inhaltsleer (S. 83); andererseits soll das Strafwürdigkeitsurteil- hier folgt Alwart wiederum Schmidhäuser - sowohl an das Gefahrelement des Versuchs als auch an das intentionale Element (beim ungefährlichen Versuch) anknüpfen können, was Alwart letztlich aus einer Plausibilitätserwägung heraus begründet (S. 158f.). Damit wird aber lediglich ein Zustand hergestellt, der gleichsam subjektive und objektive Theorie auf ihrem je eigenen Feld ins Recht setzt - sieht man einmal von der etwas abweichenden Bestimmung des intentionalen Moments durch den

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l. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

111. Vermittelnde Lehren zum Unrecht

Daß trotz der genannten Bedenken die Eindruckstheorie in der Gegenwart so viele Anhänger hat gewinnen können, liegt zunächst sicher daran, daß sie gegen eine rein subjektive Lehre die "Außenseite" des Versuchsunrechts wieder zur Geltung gebracht hat; sie hat damit einen notwendigen Aspekt versuchten Unrechts betont, wie auch im zweiten Teil dieser Arbeit noch deutlich werden wird. Der Aufschwung der Eindruckstheorie liegt aber ferner daran, daß sie sich einer die strafrechtlichen Grundlagenfragen zunehmend bestimmenden Sicht anschließt. Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß sie die Bestimmungen strafrechtlicher Kategorien wie Unrecht, Schuld, aber auch das Rechtsgut zunehmend nach zweckrationalen Gesichtspunkten, also gleichsam von außen, vornimmt, wobei insbesondere die Strafzwecke im Vordergrund stehen. Noch um eine Stufe radikaler wird dieser Ansatz, wenn der gesamte Zusammenhang des Rechts (als bloßer Unterfall der Gesellschaft im Ganzen) überhaupt als finaler Zusammenhang bestimmt wird, wobei in der gegenwärtigen Diskussion vornehmlich Gedanken der Systemtheorie von Bedeutung sind. Mit der Kritik der Eindruckstheorie, wie sie unter 11. vorgetragen wurde, sind diese Lehren gleichsam nur zum kleineren Teil getroffen; daher sollen sie jetzt in ihrem grundlegenden Ansatz kritisiert werden.

anderen Vorsatzbegriff Schmidhäusers ab (s. zum Versuch AT, 15/28-30). Alwart begründet schließlich seine Meinung, wegen Versuchs sollte dann doch bestraft werden, mit einem Hinweis auf die Gerechtigkeit des Strafens sowie mit Gründen der Generalprävention (S. 238 f.). Das zeigt schließlich, daß er trotz seiner Kritik an der Eindruckstheorie (S. 208 -213) deren gedanklichem Ansatz nahesteht. Generalpräventive Erwägungen führen auch Wolter dazu, den untauglichen Versuch trotz fehlender Gefahrdung (auf die Wolter sonst das Unrecht wesentlich abstellt, vgl. Objektive und personale Zurechnung, S.27/28 u.ö.) für strafbar zu halten: bei ihm bestehe wenigstens der Eindruck der Gefahrlichkeit (S. 77ff.) und deshalb "vermag die Täterhandlung jedenfalls den Rechtsfrieden zu stören und das geschützte Rechtsgut mittelbar anzutasten. Sie ist deshalb in diesen eng begrenzten Ausnahmefallen durchaus der Strafe würdig und bedürftig" (a. a. 0 .., S. 79). S. auch S. 30tf., wo die Nähe zur Eindruckstheorie noch deutlicher ist. (Zur Berechtigung generalpräventiver Erwägungen bei der Bestimmung des Versuchs s. noch unten im Text unter IH.) - In diesen Zusammenhang gehören schließlich Salm, Das versuchte Verbrechen, sowie Sax, "Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung, JZ 1976, 9ff., 80ff., 429ff., hier S. 431-434, bes. 433. Das gilt für Salm trotz seiner Kritik an der Eindruckstheorie (S. 105ff.), denn nach ihm soll das "Bild" des Delikts den Ausschlag geben (s. etwa S. 3 f., 8,43, 56, 86, 151), was nur eine andere Bezeichnung für den Eindruck der Tat bei anderen ist. Nach Sax soll das schlechte Beispiel der einzelnen Tat beim ungefahrlichen Versuch auf lange Sicht das Rechtsgut dennoch gefahrden können. - Es soll bei all dieser Kritik nicht bestritten werden, daß die versuchte Tat auch eine "Außenseite" hat, die einen "Eindruck" auf andere ausüben kann. Dessen Einbeziehung in die Begründung der Strafbarkeit des Versuchs erfolgt bei allen genannten Ansichten aber in gleichsam direktem Zugriff, ohne die notwendige Rückbindung an Kriterien des Unrechts des Versuchs; darauf ist im zweiten Teil dieser Arbeit noch einzugehen.

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1. Bestimmung des Unrechts nach den StraJzwecken

In seinem Vortrag "Kriminalpolitik und Strafrechtssystem" hat Roxin 1970 gefordert, den alten Gegensatz zwischen diesen beiden Begriffen zu überwinden und die Kriminalpolitik Einfluß auf das Strafrechtssystem gewinnen zu lassen. Liest man den Vortrag weniger als Programmschrift, sondern gleichsam entspannt, so fordert er aufgrund einer etwas einseitigen Bestimmung der "Dogmatik" (sie wird als von der "Wirklichkeit" abgelöstes Regelsystem begriffen 42 ) eine (Wieder-) Einbeziehung der "Wirklichkeit" (der Dimension des Sozialen und Politischen43 ) ins Recht. Nun ließe sich ein Ausgleich dieses angeblichen Spannungsverhältnisses schon dadurch erreichen, daß man die Dogmatik, das "System" als begriffene Wirklichkeit erfaßt; Kategorien wie Handlung, Unrecht, Schuld etc. sind stets bezogen auf Strukturen des sozialen Lebens 44 • Auch wenn sie die Einzelphänomene des sozialen Lebens in einem bearbeiteten Begriff integrieren (so daß nicht unmittelbar das Alltagsverständnis im Begriff sich wiederfindet), beziehen sie sich doch keineswegs auf eine zweite Art von Wirklichkeit. Roxin bestimmt jedoch das Verhältnis beider anders und findet sich vor die Aufgabe gestellt, Wirklichkeit in die Dogmatik gewissermaßen von außen hineinzupressen. Auch das Strafrecht soll Sozialgestaltung betreiben 4s , freilich eingeschränkt durch rechtsstaatliche Prinzipien. "Rechtliche Gebundenheit und kriminalpolitische Zweckmäßigkeit dürfen einander nicht widersprechen, sondern müssen zu einer Synthese gebracht werden ( ... )"46. Bei dem von Roxin eingeschlagenen Weg kann dies nur eine äußerliche Verbindung sein, bei der dann eine Seite die Regie übernimmt, wie in folgendem Zitat deutlich wird: Die einzelnen Deliktskategorien - Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld - sind" von vornherein unter dem Blickwinkel ihrer kriminalpolitischen Funktion zu sehen ( ... )"47. Dabei liege dem Tatbestand das "Leitmotiv" der Gesetzesbindung zugrunde, in der Rechtswidrigkeit gehe es um die Lösung sozialer Konflikte und in der Schuld wirkten sich spezial- und generalpräventive Erwägungen, das heißt die Strafzwecke aus 48 • Betrachtet man diese drei Funktionen oder Motive näher, so fällt auf, daß die ersten beiden inhaltlich für die angestrebte Zweckrationalität wenig bieten, das S. etwa S. 4, 5, 7. Vgl. S. 7. 44 Daß gerade Roxin diese Auflösung des gesetzten Widerspruchs nicht in Erwägung zieht, überrascht deswegen besonders, weil sich seine Arbeiten zur Strafrechtsdogmatik stets durch eine genaue Erfassung der strafrechtlichen Auswirkungen bestimmter Sachverhaltskonstellationen auszeichnen. Als ein einziges Beispiel von vielen sei der Beitrag in der Maurach-Festschrift "Der Anfang des beendeten Versuchs" genannt. 4S S. 7, 8. 46 S. 10. 47 S.15. 48 S. 15f. S. dazu aber auch Roxin, "Schuld" und "Verantwortlichkeit" als strafrechtliche Systemkategorien, Festschrift für Henkel, S. 171 ff. (181 ff.). 42

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

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dritte Prinzip aber - die Strafzwecke - in sich eine Richtschnur zu enthalten scheint, die es ermöglicht, die Ergebnisse auszurichten. Denn offenbar ist es möglich, etwa unter dem Aspekt der Genralprävention zu untersuchen, ob ein Verhalten "noch" zugelassen werden kann oder nicht. Daher konnte es nicht überraschen, daß Roxin selbst diesen Gesichtspunkt auch für das Notwehrrecht fruchtbar machen wollte49 und Amelung ihn schließlich auch auf die Konstitution von Unrecht übertrug S0. Ersichtlich steht die von Roxinja auch vertretene Eindruckstheorie beim Versuch direkt in dieser Linie: Die Rechtstreue der Bevölkerung muß nur dann stabilisiert werden, wenn sie zuvor beunruhigt wurde. Durch diese Verselbständigungen des (general-) präventiven Aspekts wurde das Anliegen Roxins noch einmal radikalisiert. Denn jetzt geht es nicht mehr um die Einbeziehung der sozialen Wirklichkeit in das Strafrechtssystem im Sinne einer Verknüpfung beider Seiten, sondern das Verhältnis dreht sich insgesamt: das System wird dem Strafzweck unterworfen 51. Ersichtlich geht hier verloren, was man die "innere" Rationalität der Kategorien nennen kann; sie wird durch ein außenbestimmtes Merkmal ersetzt 52 • Zu klären bleibt, was ein solches Vorgehen rechtfertigen kann und insbesondere, ob Strafzweckerwägungen aus dem Ansatz der Generalprävention inhaltlich tauglich sind, die in den durch sie bestimmten Kategorien liegenden Sachgehalte angemessener zu erfassen. Die Generalprävention in ihrer modemen, gleichsam sanften Fassung wird als positive Generalprävention bezeichnet (im Gegensatz zur "Abschreckungsprävention" bei Feuerbach). Die Strafe soll dazu dienen, "die Rechtstreue der Bevölkerung zu stabilisieren"53. Ist die Bevölkerung rechtstreu - so läßt sich weiter schlußfolgern -, dann ist die rechtliche Friedensordnung im ganzen gesichert und die Gemeinschaft lebt in Frieden und Freiheit. Gegen eine solche (wenn auch sehr allgemeine) Bestimmung wäre wenig einzuwenden, ginge es dabei um eine Zweckbestimmung des Rechts als einer Ordnung, die alle Bürger eines Staates umfaßt. Die positive Generalprävention soll aber begründen, weshalb einem Einzelnen Leid (Strafe) zugefügt werden darf. Wird das mit dem ZStW 93 (1981), 68ff.-73f. u.ö.-. Amelung, Zur Kritik des kriminal politischen Strafrechtssystems von Roxin, in: Schünemann (Hrsg.), Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, 85ff. (90). 51 Mit einem gewissen Recht schreibt daher Schünemann, Roxins Forderung (in dem zit. Vortrag) habe ein "Erlösungswort für einen neuen Autbruch des strafrechtsdogmatischen Denkens bedeutet" (in dem in Anm. 50 zit. Sammelband, S. 46). Modernität allein sagt jedoch über Richtigkeit noch nichts aus; s. dazu den folgenden Text. - Dagegen ist Schmidhäusers in manchem ähnliche teleologische Konzeption viel weniger radikal, insbesondere beläßt sie die Systemkategorien als solche. S. dazu Schmidhäuser, Gedächtnisschrift für Radbruch, S. 268ff., 276; ders., AT, 6/1 ff., S. 139ff. 52 Hieran knüpfte die Kritik an Roxin auch immer an, vgl. etwa Stratenwerth, AT, RN 27; ders., Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 30ff.; ders., MSchrKrim. 55 (1972), 196f.; s. auch Burkhardt, Das Zweckmoment im Schuldbegriff, GA 1976, 321 ff. Vorsichtiger jetzt auch Roxin, SchwZStrR 104 (1987), 356ff. 53 So die Formulierung bei Roxin, ZStW 93, S. 74. 49

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Hinweis begründet, durch die Leidenszufügung ihm gegenüber gehe es den Anderen besser, so ist aber immer schon vorausgesetzt, daß er zur Gemeinschaft nicht mehr gehört. Denn die Begründung erfolgt unter Ausschluß seiner Subjektivität S4 ; er wird von vornherein als Instrument der Interessen der Anderen behandelt. Eine solche einfach zweckrationale Begründung der Strafe wird der Stellung auch eines Straftäters als Staatsbürger nicht gerecht. Ist aber schon eine solche Strafbegründung unzureichend, so wird der Fehler multipliziert, wenn nun auch noch die als Voraussetzungen der Strafe begriffenen Deliktskategorien nach dem Strafzweck bestimmt werden sollen. Selbst wenn man etwa das Schuldprinzip - sicherlich auch so noch unzulänglich ss nur als Hemmschuh einer staatlichen Strafgewalt versteht, mißt man ihm damit immer noch eine stärkere, nämlich ihm selbst innewohnende Kraft bei, als wenn man es überhaupt nur noch aus der Perspektive des Strafzwecks bestimmt S6 • Dann wird endgültig der Einzelne als Täter nicht einmal mehr an seiner Tat gemessen, sondern deren Bestimmung selbst wird ihm heteronom vorgesetzt. Zwei neuere Arbeiten haben vor allem gezeigt, daß eine den Täter aufnehmende Strafbegründung verwiesen ist auf die Unrechtsbegründung S7 • Nach der Seite der Begründung der Strafe ist dies hier nicht weiter zu verfolgen. Nach der Seite des Unrechts bedeutet dies, daß dessen Kriterien dem Strafzweck nicht untergeordnet werden können, sondern umgekehrt zunächst selbständig bestimmt und dann erst zur Rechtsfolge der Strafe fortentwickelt werden können. Das Unrecht weist dann ihm eigene Sachkriterien auf - so wie es in der Tradition zurecht auch immer verstanden wurde. Hier bestätigt sich also in weiterem Rahmen die auch oben vorgetragene Kritik der Eindruckstheorie beim Versuch. 2. Der systemtheoretische Ansatz

Einer Kritik wie der soeben vorgetragenen könnte man nun noch dadurch begegnen, daß man ihr das Recht streitig macht, die Subjektivität des Einzelnen den Zwecken der Gesellschaft entgegenzusetzen, und dagegen eine Konzeption vertritt, die auch noch das Dasein des Einzelnen aus einem übergreifenden Zweckzusammenhang heraus bestimmt. Es läge in der Konsequenz einer solchen Begründung, daß entsprechend strafrechtliche Kategorien wie etwa das Unrecht gleichfalls nur aus dem umfassend finalistlsch verstandenen Modell des sozialen Lebens heraus begriffen werden könnten. Die Systemtheorie, wie sie im Vgl. dazu die Kritik E. A. Wolffs, ZStW 97 (1985), 786ff. (799ff.). Und zwar deshalb, weil damit die staatliche Strafgewalt als außerhalb eines Begründungszusammenhangs stehend begriffen wird, der sich gerade von der Subjektivität (und damit auch: von der Schuld) des Einzelnen her konstituiert. 56 Vgl. Jakobs' Satz "Nur der Zweck gibt dem Schuldbegriff Inhalt" (Schuld und Prävention, S. 14). Man muß dabei stets bedenken, welche Möglichkeiten eine solche Formulierung weniger freundlich Gesonnenen einräumt. 57 Vgl. Michael Köhler, Über den Zusammenhang zwischen Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, bes. S. 29ff.; E. A. Wolf!, ZStW 97 (1985), 786ff. (806ff.). 54

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I. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

deutschen Sprachraum wesentlich von Luhmann vertreten wird 58 , bietet einen derartigen Anknüpfungspunkt für das Recht. Das Recht wird zum Subsystem eines umfassenden sozialen Systems S9 . Insbesondere Jakobs (für die Rechtsgutslehre aber auch Amelung (0 ) hat ein solches Verständnis für das Strafrecht fruchtbar zu machen versucht und vor allem den Normbegriff Luhmanns dabei herangezogen 61 . Schon in diesem ersten Ansatz sieht man dabei, wie auf diese Weise erneut der Grundgedanke der Eindruckstheorie - maßgeblich beim Versuch sei gleichsam das soziale Echo der Tat - eine zusätzliche Stütze findet. - Die folgende Darstellung nimmt zunächst Jakobs' Ausführungen in seinem Lehrbuch auf und geht anschließend auf einen jüngeren Text von ihm zum Problemkreis dieser Arbeit ein, der in seinem Gedankengang sich nicht bruchlos mit den Ausführungen des Allgemeinen Teils verbinden läßt. a) Nach Jakobs sind Versuch wie Vollendung "Angriffe auf die N ormgeltung"62. Der Täter macht durch sein Verhalten "expressiv", daß er sich nicht an die Norm hält 63 • Strafgrund (Unrecht) des Versuchs ist die "Verdeutlichung des Normbruchs in einem tatbestandsnahen Verhalten"M. Für das Unrecht des Versuchs ist damit jedenfalls ein wichtiges Postulat erfüllt, daß nämlich ein Zusammenhang hergestellt ist zwischen ihm und dem Unrecht der Vollendung. Fragt man nun weiter, was es denn für den Täter verbindlich macht, sich an die Norm zu halten, so begründet Jakobs dies wesentlich mit Anleihen aus Luhmanns Rechtsverständnis. Bei Jakobs haben sie folgende Fassung: Das Strafrecht garantiert den Bestand bestimmter Normen. "Die Garantie geht dahin, daß die Erwartungen, die zum Funktionieren des sozialen Lebens in der gegebenen und in der gesetzlich geforderten Gestalt unabdingbar sind, im Falle ihrer Enttäuschung nicht preisgegeben werden müssen"6S. Unrecht soll also wesentlich durch die Enttäuschung einer Erwartung gekennzeichnet sein. Jakobs bestimmt dies (in enger Anlehnung an Luhmann) folgendermaßen 58 Für das Thema des Rechts besonders wichtig Rechtssoziologie, 2. Aufl., passim; Ausdifferenzierung des Rechts (Sammelband); dort fehlt leider ein wichtiger Aufsatz: Normen in soziologischer Perspektive, Soziale Welt 1969, S. 28 ff., in dem Luhmann seine Normentheorie entwickelt. Kritisch und der Systemtheorie ihren der Technik nahestehenden Standort zuweisend Klaus Hartmann, Philosophische Perspektiven 1973, 130ff. S9 In Soziale Systeme, S. 509, bezeichnet Luhmann das Recht auch als das "Immunsystem des Gesellschaftssystems" . 60 S. Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, bes. S.330ff. 61 AT, bes. Abschn. 1 und 2, S. 3-39; zum Versuch 25/21 ff. S. 589f. S. auch schon Schuld und Prävention, S. 9ff. - Die Eindruckstheorie wird dabei von Jakobs scharf abgelehnt (25/20, S. 588 f.); daß er ihr im Ergebnis doch nahesteht meint auch Eser, Schönke/Schröder, RN 23 vor § 22; dazu noch im Text. 62 AT, 25/21, S. 589. 63 a. a. O. (Anm. 62). 64 AT, 25/23, S. 590f. 6S AT, 2/2, S. 27.

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weiter: Soziales Umgehen miteinander erfordere Orientierung; dies setze das Bestehen gewisser Regelmäßigkeiten voraus 66 • Ein sozialer Kontakt mit einem anderen erfolge also unter bestimmten "Erwartungen", die sich auf die Respektierung der geltenden Normen beziehen 67 , wodurch die erforderliche Entlastung vor Überraschungen gesichert wird. Wird eine solche Erwartung enttäuscht, so müssen zunächst die "Orientierungsmuster des Enttäuschten" überprüft werden 68 • Ersichtlich gibt es dabei zwei Möglichkeiten: Entweder richtet sich der Enttäuschte in Zukunft daran aus, daß die entsprechende Norm nicht mehr gilt, oder er versucht, seine Erwartung gleichwohl durchzuhalten und weiter z. B. davon auszugehen, daß der andere sein Eigentum respektiert. Da der Begriff der Erwartung ganz formal ist (auch Verletzungen kann man erwarten 69 ), müssen zunächst beide Möglichkeiten als gleichwertig behandelt werden, so daß nach einem inhaltlichen Kriterium für die Unterscheidung zu suchen wäre. Jakobs hält aber an dieser Alternative nicht fest, sondern leitet unmerklich auf die eine Seite über: "Eine normative Erwartung muß auch im Enttäuschungsfall nicht preisgegeben, sondern kann (kontrafaktisch) durchgehalten werden, indem nicht die Erwartung des Enttäuschten, sondern der Normbruch des Enttäuschenden als der maßgebliche Fehler definiert wird. Beispiel: Man sperrt den Übeltäter zur Demonstration der Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens ein"70. Eine Begründung, weshalb der Normbruch als der "maßgebliche Fehler definiert" werden darf, wird nicht gegeben. Dem Konzept liegt auch lediglich die Einschätzung zugrunde, daß durch die Einhaltung von Normen das soziale Leben gleichsam "glatter" verläuft 71 • Diese inhaltsleere Beschreibung könnte in 66 AT, 1 /4, S. 4. - Dem liegt die Auffassung zugrunde, daß auch der einzelne Mensch ein "System" ist, das Umweltereignisse in ihrer Komplexität und Kontingenz reduziert, s. dazu etwa Luhmann, Rechtssoziologie, S. 29,31 ff.; Normen in soziologischer Perspektive, S. 30 f. 67 AT, 1/6, S. 5. 68 AT, 1/4, S. 5. 69 Das zeigt auch gut ein Beispiel Luhmanns, Normen in soziologischer Perspektive, S. 33, das er in Rechtssoziologie, S. 35 wiederholt (wobei das "Erwarten von Erwartungserwartungen" nicht mehr ist als eine einfache Reflexivität des Erwartens, ohne daß der Zusammenhang qualitativ auf eine neue Stufe gehoben würde): eine Ehefrau erwartet, daß ihr Mann abends von ihr kaltes, nicht aber warmes Essen erwartet; diese Erwartung der Frau ist auch ihrem Mann bekannt. Fordert er nun unerwartet warmes Essen, so bringt er - nach Luhmann - die Erwartungen seiner Frau in bezug auf sein Erwarten durcheinander, "was, wenn wiederholt betrieben, sehr weittragende Unsicherheiten zur Folge haben kann" (Normen in soziologischer Perspektive, S. 33). Alle diese Aussagen behalten ihre Gültigkeit, wenn die Ehefrau etwa erwartet, von ihrem Mann abends verprügelt zu werden; auch hier kann es zu "weittragenden Unsicherheiten" kommen, wenn er eines Abends plötzlich freundlich ist. - S. zur Kritik auch Frithard Scholz, Freiheit als Indifferenz, S. 15ff., 204ff., bes. 228ff. 70 AT, 1/6, S. 5. 71 Luhmann sagt, die durch Normen ermöglichte Stabilisierung von Verhaltenserwartungen sei ein "evolutionärer Erfolg" (Normen in soziologischer Perspektive, S. 30).

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einem totalitären Staat ideal erfüllt sein. Die Subjektivität des Einzelnen ist als Richtpunkt der Norm aufgegeben; der Täter wird der Gesellschaft untergeordnet und für ihm gegenüber heteronome Zwecke verwendet72 • Die inhaltliche Frage ist zu offenkundig, als daß man sie übergehen könnte; auch Jakobs weicht ihr nicht aus. Er versucht - genau wie Amelung übrigens in seiner Rechtsgutslehre 73 - eine zusätzliche Legitimation für die inhaltliche Ausgestaltung gleichsam zu borgen, und zwar aus dem "Wert der Ordnung", die mit dem Strafrecht verteidigt wird 74 • Aber das bleibt zum einen der Rechtsbestimmung selbst äußerlich; nicht das Recht als Begriffwird inhaltlich ausgerichtet, sondern lediglich die Ordnung, der das Recht dient: auch die schlechte, wertlose Ordnung kann danach für sich in Anspruch nehmen, Rechtsordnung zu sein. Zum andern aber setzt diese Legitimation gegenüber der Autonomie des Einzelnen zu spät ein. Die Norm muß so begriffen werden, daß seine Teilhabe an der Ordnung, die die Norm repräsentiert, ausgewiesen ist. Ansonsten bleibt es bei der reinen Zufälligkeit, ob jeman einer "guten" oder "schlechten" Ordnung ausgeliefert ist, ohne daß auch nur an einer Stelle deutlich würde, daß er sich gegenüber der schieren Macht der anderen mit eigenem Recht muß wehren können 75 . Der Einzelne ist nicht etwa nur - wie Jakobs schreibt 76 - als gleichartiges, sondern vor allem als gleichwertiges Subjekt zu respektieren. b) Nun hat Jakobs in einem Vortrag vor der Strafrechtslehrertagung in Frankfurt 77 seine Begründung speziell zum Unrecht des Versuchs vertieft, wo bei jedoch an der zentralen Stelle der Normgeltung eine Verbindung zu den Ausführungen im Lehrbuch unklar bleibt. Jakobs führt aus, der freiheitliche Staat habe eine interne Sphäre des Bürgers zu respektieren; zu ihr gehören neben der psychophysischen Ausgestaltung der Person die Kleidung, einvernehmliche Jakobs gibt das zu: AT, 1 /20, S. 11. Rchtsgüterschutz, S. 361 ff. S. dazu die zutrefTende Kritik von Roxin, JA 1980, 545 ff. (546). 74 AT, 1/20, S.tt; s. auch 1/18, S.10. 75 Bemerkenswerterweise hat sich die System theorie in jüngerer Zeit in eine Richtung entwickelt, die die Autonomie des einzelnen zu berücksichtigen scheint. Es ist die Rede davon, daß die jeweils in Beziehung stehenden Systeme "autopoietischer" (sich selbst schafTender) Art sind (s. Luhmann, Soziale Systeme, S. 60fT., 296fT., 354fT.). Luhmann verweist in diesem Zusammenhang (mehr assoziativ) sogar auf Fichte, ohne dies näher zu erläutern (s. S. 60). Aber damit ist für die Systemtheorie nichts qualitativ Zusätzliches gewonnen. Denn es geht ihr nicht um ein Herausgehobensein dcs einzelnen Menschen durch die Kraft der Selbstreflexion und Selbstbestimmung, sondern Luhmann ontologisiert die Selbstreferenz; auch ein Einzeller ist autopoietisch. Bekanntlich geht der Anstoß zum Einzug der "autopoiesis" in die Systemtheorie von Humberto Maturana aus; dieser hat bei der Beobachtung von Fröschen und Tauben seine wesentlichen Einsichten gewonnen (s. M aturana / Varela, Autopoiesis and cognition, Introduction, S. XIV - XVI; s. auch S. XI: "Since mychildhood I have beeninterested in animalsand plants [ ... )"). Es ist zu bezweifeln, daß von hier aus ein direkter Schritt zur Rechtsordnung getan werden kann. 76 AT, 1/20, S. 11. 77 Kriminalisierung im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung, ZStW 97 (1985), 751-785; im folgenden sind jeweils nur die Seitenzahlen aus diesem Aufsatz angegeben. 72 73

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soziale Kontakte, Wohnung, Eigentum 78. In diesen Privatbereich dürfe der Staat nicht eindrigen, solle nicht die SubjektsteIlung des Bürgers enden. Daher dürfe der Staat mit der Reaktion der Strafe nur an den externen Bereich des Bürgers anknüpfen; zu ihm gehören wesentlich "nichteinvernehmliche soziale Kontakte"79. Für den Versuch hat das die Konsequenz, daß er primär nur an extern sich realisierenden Äußerungen des Subjekts als Grund der Strafbarkeit ansetzen kann; erst wenn diese als Störung erscheinen, kann nach dem Vorsatz (als einem Internum) gefragt werden BO • Das hat zunächst Konsequenzen, die auch der hier vertretenen - im zweiten Teil näher zu begründenden - Meinung nahestehen: nicht alles beim Versuch ist subjektiv ersetzbar 81 ; die äußere Tatseite ist nicht nur Erscheinungsform des bösen Willens, sondern muß als konstitutives Element in den Zusammenhang einbezogen werden 82 . Beizupflichten ist besonders auch der Kritik an der zu weiten Ansatzformel des § 22. Freilich bleiben viele Fragen offen, was sicher auch der notwendig knappen Vortragsform zuzuschreiben ist. Denn zu unverbunden stehen Innerlichkeit und Äußerlichkeit sich bei Jakobs gegenüber. Daß die interne Seite (Vorstellungen, Motive, Gedanken) auch für den sozialen Zusammenhang der Menschen Bedeutung hat, erschließt sich schon intuitiv. Nun muß das nicht notwendig auch für das Recht gelten. Aber man kann auch an Jakobs' Grundlegungen und Konsequenzen zeigen, daß mit der Gegenüberstellung beider Teile ihre Bedeutung nicht zureichend bestimmt sein kann. Beim Versuch soll allein an der äußeren Seite angeknüpft werden, was zunächst zur Folge hat, daß ein Verhalten für die anderen interpretationsbedür!tig sein muß83. Das kann man als Umschreibung der Eindruckstheorie verstehen, deren Schwierigkeit hier aber noch deutlicher wird. Denn "Interpretationsbedürftigkeit ex re" kann nur so verstanden werden, daß auch der Täter damit operieren kann; es erscheint aber fraglich, ob etwa Versuch schon ausgeschlossen sein soll, wenn der Täter eine denkbare Interpretationsmöglichkeit eines Verhaltens anbietet (denn dann müßte der Grundsatz in dubio pro reo gelten). Daß Jakobs' Lösung zu schematisch ist, zeigt sich auch, wenn man die Zugriffsmöglichkeiten des Staates schon im Ermittlungsverfahren überprüft. Wird der Bürger als Subjekt vernichtet, wenn seine Interna bei Hausdurchsuchungen, der Vornahme von körperlichen Untersuchungen oder der Entnahme von Blutproben tangiert werden? Aber auch der externe Bereich läßt sich umgekehrt vom internen nicht lösen; das zeigt im Strafrecht das einfache S.755. S.755. 80 S. 760, 761. 81 S.764. 82 S. 764 f. 83 S. 763: "die Interpretationsbedürftigkeit muß sich ex re ergeben". (Hervorhebung dort.) 78

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Beispiel des Tatumstandsirrtums (§ 16), und beim Versuch gibt es - etwa beim sogenannten untauglichen Objekt - vielerlei Fälle, die mit einer bloß externen Betrachtung inadäquat erfaßt werden (Beispiel: der Griff in die Tasche eines erkennbar Mittellosen; versuchter Diebstahl?). Insbesondere aber Jakobs' - in diesem Aufsatz nur kurz zur Begründung herangezogener 84 - Normbegriff zeigt, daß das Verhältnis VOn "Innen" und "Außen" nicht zureichend geklärt sein kann. Jakobs schreibt, die Normgeltung habe ein positives Moment: das Normvertrauen 8s • Ansatzpunkt eines solchen Vertrauens (dessen soziale Relevanz hier gar nicht bezweifelt werden soll) ist aber ganz sicher ein internes, in der Reflexion der Beteiligten sich vergewisserndes Element. Wenn aber schon die Norm als der die Rechtsgemeinschaft stabilisierende Begriff nur aus einem Internum des Bürgers heraus verständlich gemacht werden kann, dann zeigt sich, daß "Innen" und "Außen" auch beim Unrecht so einfach sich nicht scheiden lassen. IV. Die "Ausweitung" der Unrechtslehre (Kratzsch)

1. Darstellung dieser Lehre In jüngster Zeit hat Kratzsch in seiner Arbeit "Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht" eine sich schon in diesem Titel andeutende Radikalisierung des Standpunktes vorgenommen, der hier als" vermittelnder" bezeichnet wird. Für die vorliegende Arbeit ist Kratzschs Buch schon auch deshalb von Bedeutung, weil er es gerade als Beitrag für ein besseres Verständnis des § 22 ansieht 86 • Für Kratzsch liegt die zentrale Aufgabe des Strafrechts darin, Rechtsgüter umfassend zu schützen und dabei den Schutz nicht wie bisher dort enden zu lassen, wo ein Täter "rein zufällig" den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeiführt 87 • Durch möglichst effektive Gestaltung des von Kratzsch kybernetisch verstandenen Rechtssystems 88 gelte es, dieses Ziel zu erreichen. Wesentlich für Kratzschs Auffassung ist es nun, daß an dieser Aufgabe des Rechtsgüterschutzes nicht nur der Täter (durch Unterlassen gefährlicher Handlungen) mitwirkt, sondern sich diese Aufgabe aufteilt auf Gesetzgeber, Richter, Opfer, unbeteiligte Bürger 89 • Die Konsequenz aus dieser Betrachtungsweise ist eine Erweiterung des Unrechtsbegriffs: "Unrecht ist der Unwert, der verhindert werden muß, damit die Schutzziele des Strafrechts und der betreffenden Norm nach Maßgabe S.775. S.775. 86 Kratzseh, Verhaltenssteuerung, S.35; die Seitenzahlen ohne Titelangabe in den folgenden Anm. beziehen sich auf dieses Buch. 87 Vgl. etwa S. 31,73,119,202 U.Ö. 88 S. 5, 33. 89 S. 33, 101-103, 116, 151. 84 85

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der genannten Prinzipien verwirklicht werden."90 "Unter organisatorischen Aspekten bedeutet Unrecht einen Zustand der sozialen Handlungsorganisation, der verhindert werden muß, damit diese Organisation (!) die bedrohten Rechtswerte in optimaler Form erhalten kann."91 Eigenartigerweise läßt Kratzsch in seinem umfangreichen Werk die naheliegende Frage unbeantwortet, weshalb keiner der anderen Teilhaber dieses systemischen Rechtsgüterschutzes bei Versagen seiner Teilnahme mit Strafe bedroht ist, vielmehr diese Folge nur den Täter trifft. Allerdings sieht Kratzsch, daß eine derart effektive Kriminalitätsbekämpfung nicht schrankenlos sein kann. Eine "optimale" Normzielverwirklichung sei nur dann zu erreichen, wenn sie mit "Gegenrechten der Norm"92 in Einklang gebracht werde, insbesondere mit dem Prinzip der Autonomie der Bürger 93 . Aus diesem Grund müsse man bei der Verbrechensbekämpfung "gewisse Abstriche"~ vornehmen 95 . Rechtsgüterschutz und Gegenrechte müssen also optimal austariert werden. Zwei Beispiele sind es, die Kratzschs gesamte Arbeit durchziehen: Neben dem schon genannten § 22 (dazu unten 2.) ist es der § 306 Nr. 2 (Schwere Brandstiftung). Bei dieser Norm setzt Kratzsch an der bekannten Streitfrage an, ob eine restriktive Auslegung dieser Vorschrift für Fälle zu fordern ist, in denen eine Gefährdung von Menschenleben ausgeschlossen ist 96 • Kratzsch meint, die Notwendigkeit einer solchen Einschränkung sei nur dann einsichtig, wenn man der herkömmlichen Auffassung folgt, es komme nur auf den Täter für die Rechtsgutserhaltung an. Aber auch insoweit sieht Kratzsch in § 306 Nr. 2 eine Unrechts- und Schulderfordernissen genügende Regelung, denn der Tatbestand befehle eine bestimmte Handlung bzw. Unterlassung: "Auf dieses Verhalten beschränken sich der Unrechts- und Schuldvorwurr'.97 Daß dies aber auch berechtigt sei, folgert Kratzsch aus der generellen Gefährlichkeit des Anzündens von Wohnhäusern 98 und bringt dies nun in ein Verhältnis zu einem andern Organ der Rechtsgutserhaltung, dem Gesetzgeber: Ihm stehe in Gestalt des "uneigentlichen Gefährdungsdelikts" ein Normtyp zur Verfügung, "mit dessen S.188. 91 S. 192, Hervorh. dort. 92 Vgl. etwa S. 97, 140. 93 S. etwa S. 140, 152, 166, 206, 214, 223, 246, 256 FN 13, 348ff., 373. 94 S.97. 9S Bei der Benennung der verschiedenen sich geltend machenden Grundsätze fällt allerdings auf, daß Kratzsch sie bisweilen wenig stringent durchführt; so beginnt etwa eine Aufzählung der Prinzipien, die den Gesetzgeber beim Versuch dazu berechtigen, die Strafbarkeitsgrenze zeitlich vorzuverlegen, mit einem "unter anderem" und endet mit einem "usw." (S.423). Darin zeigt sich eine Schwierigkeit des Begründungszusammenhangs bei Kratzseh, die unten im Text näher benannt wird. 96 Vgl. S. 111 ff. m. Nachw. zum Streitstand. 97S.112. 98 S. 113. 90

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I. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Einsatz Rechtsschutzlücken der genannten Art 99 verhindert werden können"; setzte er ihn nicht ein, zöge er sich den Vorwurf zu, "nicht alle Möglichkeiten eines hinreichenden Lebensschutzes genutzt zu haben."loo § 306 Nr. 2 bewirke so auch eine Entlastung des Täters, wird ihm doch eine leicht erfüll bare Aufgabe gestellt: Er muß nur das Inbrandsetzen unterlassen, es werden ihm nicht noch Prognosen darüber zugemutet, ob er mit der zu unterlassenden Handlung etwa Menschen gefährdet, würde er doch dann mit Aufgaben belastet, denen er oft nicht gewachsen ist 1ol . Diese Ausführungen erfassen aber die Fragestellung derjenigen, die § 306 Nr. 2 restriktiv auslegen wollen, nur unvollständig, und in diesem Mangel zeigt sich bereits ein Mangel der Arbeit Kratzsch insgesamt. § 306 Nr.2 ist ein Verbrechen; die hohe Strafdrohung kann sich nicht allein daraus erklären, daß ein Gebäude in Brand gesetzt wird, sondern nur daraus, daß durch die Tat Menschenleben gefährdet werden können 102. Das aber heißt: das in § 306 Nr. 2 beschriebene Unrecht impliziert ein Gefahrelement für andere, und für die Frage des Verschuldens des Täters macht es durchaus einen Unterschied, ob er dieses Gefahrelement im Einzelfall gerade glaubt ausschließen zu können. Daraus wird auch deutlich, daß man die Einführung einer Strafdrohung für einzelne Bürger nicht zureichend damit rechtfertigen kann, dem Gesetzgeber stehe ein bestimmter Normtyp zur Verfügung. Vielmehr muß es Gründe dafür geben, weshalb der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten mit Strafe bedrohen darjl03. Der so geforderte Begründungszusammenhang zwischen Einsicht und Verfehlung des Einzelnen, Schuld, Unrecht und Strafe ist es, der bei den abstrakten Gefährdungsdelikten problematisch wird, wie insbesondere Arthur Kaufmann am Beispiel des § 323a (330a alter Fassung) gezeigt hat lO4 . Ignoriert man ihn - wie Kratzsch - so scheint das Problem gelöst, wo es doch nur übersehen ist.

99 Gemeint ist die Möglichkeit des zuflilligen Eintritts der Verletzung, wenn auch der Täter glaubt, daß niemand in dem Gebäude sich aufhält. 100 S.114. 101

S. 114f.

Vgl. nur Arthur Kaufmann, JZ 1963,432. 103 Dabei kann auch der Hinweis auf den Rechtsgüterschutz nicht genügen. Faßt man diese Aufgabe isoliert - wie es bei Kratzsch häufiger klingt -, dann potenziert man noch einen Fehler, auf den schon Hellmuth Mayer hingewiesen hat (Strafrecht des deutschen Volkes, S. 205): man reduziert den sozialen Zusammenhang auf einen Experimentiersaal der Physik. Begreift man aber, daß die Rechtsgüter in einem sozialen Handlungszusammenhang stehen (wie es auch bei Kratzsch sich einmal andeutet, S. 350ff.), dann rückt das Recht selbst auf die gleiche Ebene. Dann aber muß der Rechtsgüterschutz des Gesetzgebers in einer Verbindung stehen mit den Rechtspersonen und ihren Rechtsgütern. Wenn also z. B. deren Handlungen als notwendig mit Zuflilligkeiten belastet angesehen werden, kann es nicht angehen, Handlungen des Gesetzgebers als von dieser Beschränkung ausgenommen anzusehen. 104 JZ 1963, 425ff. 102

A. Vennittelnde Lösungen der Gegenwart

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2. Kritik Reduziert man auch beim Versuch die Fragestellung auf die Möglichkeiten des Gesetzgebers, die verschiedenen Gestaltungen der Versuchsfälle "in den Griff' zu bekommen, im Sinne einer "effektiven Verbrechensbekämpfung" 105 , dann liegt Kratzschs Lösung nahe: für ihn ist der Versuch ein abstraktes Gefährdungsdelikt 106. Der Gesetzgeber sieht ganz ab von der im Einzelfall so schwierigen 107 Feststellung des Vorliegens einer konkreten Gefahr, sondern behandelt die einzelne versuchte Handlung als "Großstörung"108: Es gehe einerseits nicht um eine individuelle Rechtsgutsgefährdung, sondern nur um eine statistische 109 , d.h. zur Beherrschung der Zufallsgefahr werden von der Norm mehr Fälle erfaßt, als sich in einer realen Gefährdung oder sogar Verletzung niederschlagen können 110; andererseits erfaßt eine solche Regelung als "Großstörung" nicht nur den Täter als Kausalfaktor, sondern - am Beispiel des § 306 Nr. 2 - auch das "Verhalten von zufällig hinzukommenden Hausbewohnern, Besuchern und anderen"lll. Beim Versuch ist diese Regelung noch dadurch gekennzeichnet, daß in §§ 23 Abs. 3, 24 bestimmte Fälle aus der Strafbarkeit ausgegrenzt werden 112 • Gegen diese Auffassung vom Strafgrund des Versuchs ergeben sich zunächst einige naheligende und mehr vordergründige Einwände. So rechtfertigt Kratzsch an keiner Stelle seiner Arbeit die Rede vom Versuch als einem eigenständigen Delikt. § 23 Abs. 2 orientiert aber die Versuchsstrafe am Strafrahmen des vollendeten Delikts des Besonderen Teils und läßt dabei sogar Vollendungsstrafe zu. Schon das schließt eine einfache Erfassung "des" Versuchs als "abstraktes Gefährdungsdelikt" aus. Gerade auch das von Kratzsch fortwährend benutzte Beispiel des § 306 hätte ihm dieses Problem vor Augen führen müssen: denn bei § 306 Nr. 2 ist wegen §§ 23 Abs. 1,12 Abs. 1 der Versuch selbst strafbar; nach Kratzsch würde also ein abstraktes Gefährdungsdelikt durch ein noch abstrakteres Gefährdungsdelikt, eine Großstörung durch eine Größtstörung ergänzt. Wird auf diese Weise sichtbar, ein welch großes Feld von Handlungen dem Zugriff des strafenden Gesetzgebers - nach Kratzschs Konstruktion - zur Verfügung steht, so stellt sich erneut die schon oben angesprochene Frage nach Vgl. etwa S. 73. S. besonders S. 430ff. 107 Vgl. S. 432. 108 Dieser Begriff ist mißverständlich, scheint er doch auf die Größe der Störung hinzudeuten; in Wahrheit soll sie im einzelnen Fall des untauglichen Versuchs klein sein; groß wird sie nur dadurch, daß sie alle anderen (tauglichen wie untauglichen Fälle) gewissennaßen mit anspricht; vgl. auch im Text. 109 S. 274 ff.; s. auch 419/420. 110 S. auch S. 283 ff. 111 S.275. 112 S. 281. 105

106

40

I. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

der Berechtigung dieses Vorgehens. Zweifel erheben sich schon bei der umfassenden Aufgabenbestimmung des (Straf-)Rechts, es diene einer "optimalen, d. h. möglichst effektiven und angemessenen Form der Unrechtsbekämpfung", wobei insbesondere "dem Zufall als Störfaktor der Gefahrenabwehr grundsätzlich keine Chance" gelassen werden soll 113 • Nun drängt sich die schon oben angedeutete Frage auf, woher Kratzsch den Optimismus bezieht, die Verwalter des Rechtssystems könnten ihre Handlungen frei von dem Versagen, den Zufälligkeiten und der Prognoseunfähigkeit vollziehen, die in Kratzschs Modell den einfachen Bürger kennzeichnet; staats theoretisch gesehen bleibt auch offen, weshalb er einem solchen Staatsverband beitreten sollte, der seinedes Bürgers - Fähigkeiten geringschätzt, die eigenen aber sehr hoch einstuft. Noch gravierender wird dieses Problem, wenn man es von der Strafe her sieht: worin sollte die Berechtigung für einen so gedachten Staat liegen, auf eine der von Kratzsch benannten "Großstörungen" mit individueller Strafe zu reagieren, wenn gleichzeitig mitbehauptet wird, auf den Einzelnen als Täter komme es bei der Gefahrenbekämpfung nur als einen von vielen an. Schon oben war erwähnt worden, daß auch Kratzsch sieht, daß er mit den bisher genannten Bestimmungen dem Zwangscharakter des Rechts zu viel Raum gibt. Er legt daher Wert auf eine "optimale" Realisierung der Norm, d. h. es müssen stets auch "Gegeninteressen" oder "Gegenrechte" der Norm in Betracht gezogen werden 114 , und ein wichtiges Gegenrecht ist die Autonomie der Bürger 11 S • Darunter versteht Kratzsch die "uneingeschränkte Form" der "Entscheidungskompetenz"116 bzw. einen Herrschaftsbereich, der "gegen Eingriffe von außen mehr oder weniger abgeschirmt ist" 117 • Aber ein demokratisches Rechtsverständnis fordert eine Beziehung zwischen der Rechtsnorm und der Autonomie des Einzelnen; das Recht wird von einer Legislative gesetzt, die die Einzelnen repräsentiert. Schon von daher genügt es nicht, ein als von außen gesetztes Recht aus der Defensive des Bürgers mit dem Begriff der Autonomie in seine Schranken zu weisen. Aber auch gedanklich ist es unzulänglich, verschiedene Begründungsstränge auf "Prinzipien" zu bringen, deren Verbindung untereinander ungeklärt bleibt. "Zufallsbeherrschung" als Aufgabe des Rechts wendet sich an autonome Bürger; deshalb muß beides in einem Zusammenhang stehen und dieser Zusammenhang auch begreiflich gemacht werden können. Daher genügt es nicht, eine Disharmonie von Prinzipien festzustellen, die lediglich von Fall zu Fall in Einklang gebracht werden. Denn dann setzt man bei demjenigen, der diesen Einklang herstellt, eben jenes Wissen voraus, das man dem Bürger abspricht und das man in der wissenschaftlichen Begründung selbst nicht mehr leisten zu können vermeint. 113 114 115

116 117

S. 31. Etwa S. 140 u. Ö. S. 348ff., bes. 349, 355. S.349. S. 355.

B. Objektive Lehren zu Versuch und Vollendung

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Geht es um eine Begründung der Frage, weshalb für eine individuelle Tat eine individuelle Strafe verhängt werden kann, wie dies auch beim Versuch einer Tat geschieht, führen die Überlegungen Kratzschs von dem Problem weg, an statt es zu lösen. Es bleibt dann die Frage ungeklärt, weshalb die einzelne versuchte Handlung Unrecht sein kann. V. Zusammenfassung

Die Unrechts begründung kann weder beim Versuch noch bei der Vollendung mit Lehren geleistet werden, die den Täter und die Tat lediglich in deren gesellschaftlich vermittelter Erscheinungsform begreifen. Vielmehr müssen Kriterien gefunden werden, die die Bestimmung des Unrechts anonymer Willkür entziehen. Für die Versuchslehre als Thema dieser Arbeit bedeutet das, daß jedenfalls mit den vermittelnden Lehren der Gegenwart das sie ausmachende Problem nicht zureichend gelöst werden kann. Man ist damit verwiesen auf die Standpunkte, die die Versuchslehre ursprünglich bestimmten und in die auch die Unrechtslehren sich aufteilen lassen, in objektive und subjektive Lehren. Ihnen - zunächst einer objektiven Bestimmung - wendet die Arbeit sich jetzt zu.

B. Objektive Lehren zu Versuch und Vollendung I. Die objektive Versuchstheorie

1. Ihre Begründung durch Feuerbach

In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Beginn der systematischen Behandlung des Strafrechts steht die sogenannte objektive Versuchstheorie in der Fassung, die Feuerbach ihr gab. Sie bezog damals und sie bezieht noch heute ihre große Überzeugungskraft vornehmlich daraus, daß sie aus allgemeinen Prinzipien eines rechtsstaatlichen Strafrechts geradezu zwangsläufig folgt; dies sicherte ihr seit damals eine große Anhängerschaftl. Schon in der Weise, wie 1 Die nun folgende Zusammenstellung ist nicht erschöpfend; in fast allen zitierten Arbeiten findet man Hinweise auf weitere, auch ältere Literatur; von der Kennzeichnung kleinerer Abweichungen in der Entscheidung von Einzelfragen wurde abgesehen; sie sind etwa folgender Art: Kohn, Der untaugliche Versuch und das Wahnverbrechen, vertritt die Theorie objektiver Gefahr - S.37ff. -, fordert dann aber die Schaffung von Sondertatbeständen für alle untauglichen Tötungsversuche sowie für Taschendiebstähle, wenn die Tasche leer ist, S. 55. - Baumgarten, Die Lehre vom Versuche der Verbrechen, 419ff.; Berner, Lehrbuch (15. Aufl.), § 77, S. 138ff.; Cohn, Zur Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen, 332ff., bes. 351 ff., 395 ff., 435 ff., 488 ff.; ders., Die Revisions· bedürftigkeit des heutigen Versuchsbegriffs, S. 108/109, 166; ders., GA 28 (1880), 361 ff. (381, s. aber auch 384/385); P. J. A. Feuerbach, Lehrbuch, § 42, S. 71 ff.; Finger, Das Strafrecht systematisch dargestellt, Bd. I, 226ff.; Geib, Lehrbuch, S. 308·310; Hagemann GA 32 (1884), 221 ff.; Huther, GA 36 (1888), 433ff. (438ff.); Isenschmid, Bestrafung des

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l. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Feuerbach sie seinerzeit 2 in die Diskussion einführte, zeigt sich die Stärke der Lehre deutlich. In § 42 seines Lehrbuchs 3 und der zugehörigen Anmerkung 3 spricht sich Feuerbach für die Bestrafung nur des objektiv gefährlichen Versuchs aus, "weil bürgerliche Stratbarkeit ohne eine dem äußeren Recht widersprechende Handlung unmöglich, eine Handlung aber nur dann (äußerlich) rechtswidrig ist, wenn sie das Recht verletzt oder gefährdet. Die rechtswidrige Absicht allein gibt keiner Handlung das Merkmal der Rechtswidrigkeit. Wer von dem Verbrechen der Mittheilung eines vermeintlichen Gifts, von dem Versuch einer Tödtung eines Leichnams und dergleichen spricht, verwechselt das Moralische mit dem Rechtlichen, die Gründe der Sicherungspolizei mit dem Recht zur Strafe, und muß auch jenen Baiern eines stratbaren Versuchs der Tötung schuldig erkennen, der nach einer Kapelle wallfahrtet, um da seinen Nachbarn - todtzubeten." In diesen wenigen Zeilen ist zu der grundsätzlichen Frage des Versuchs, S. 62f.; Kohn, Der untaugliche Versuch und das Wahnverbrechen, S.37ff.; Kriegsmann, Wahnverbrechen und untauglicher Versuch, 29 ff., 41 f., 61; v. Kries, Über den Begriff der objektiven Möglichkeit, Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie, S. 299-309; M. E. Mayer, DJZ 1902, 330ff.; ders., Versuch und Teilnahme, 331 ff. (339ff.); Merkei, Lehrbuch. 116ff., bes. 130ff.; ders., Die Lehre von Verbrechen und Strafe, S. 140ff., Hugo Meyer, Grundzüge des Strafrechts, S. 36f.; C. J. A. Mittermaier, Beiträge zur Lehre vom Versuche der Verbrechen, Neues Archiv des Criminalrechts, Bd. I, 1816/17, S.163ff. (183ff., 194ff.); ders., GS 11 (1859), 403ff. (407ff.); Natorp, Der Mangel am Tatbestand, S. 45 ff.; Niethammer in J. v. Olshausen's Kommentar (11. Aufl.), § 43 Anm. 19ff.; Oetker, ZStW 17 (1897), 53ff. (61 ff.); Oppenhoff, Kommentar, § 43 Anm. 7-9; Pusinelli, JR 1950, 398f.; ders., JR 1951, 197f.; v. Rohland, Die Gefahr im Strafrecht, 66ff., bes. 82ff.; Roos, JR 1950, 206ff. (210); Rosenberg, ZStW 20 (1900), 685ff. (702,705-707); Rotering, GA 31 (1883), 266ff. (268); Rubo, GS 17 (1865), 1ff. (7ff.); Scherer, GS 29 (1878), 481f[ (506[); Senf, GS 67 (1906), 245ff. (305ff.); Stienen, ZStW 34 (1913), 459ff. (460 m. Anm.7); Temme, Lehrbuch des Preußischen Strafrechts, § 61, bes. S.286ff., s. aber auch §§ 57ff., S.272ff.; Vi/lnow, GA 35 (1887), 98ff. (122ff.); Wachenfeld, Lehrbuch, S. 166ff.; Wintritz, Das problematische und das apodiktische Urteil, S. 43ff., 79ff., 137; H. A. Zachariae, Die Lehre vom Versuche der Verbrechen, Theil I, 233ff., 239ff.; ders., GA 3 (1855), 162ff., 289ff.; 5 (1857), 577ff. (bes. 583ff.); Zimmermann, GA 29 (1881), 182ff. (195f.); Zucker, GA 36 (1888), 370ff. (372ff.); ders., GA 37 (1889), 274ff. Aus neuerer Zeit sind vor allem zu nennen: Dicke, JuS 1968, 157ff.; Rudolphi, Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes usw., Maurach-Festschrift, 51 ff. (70ff.); Schönwandt, Grundlagen der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, 60, 94, 123ff.; Spendei, Zur Neubegründung der objektiven Versuchstheorie, Stock-Festschrift, S. 89ff.; ders., ZStW 65 (1953), 519ff.; NJW 1965, 1881 ff.; JuS 1969, 314ff.; Treplin, ZStW 76 (1964), 441 ff. (450 ff., vgl. allerdings auch 457). - Weitere Nachweise finden sich in den folgenden Anm. 2 Zur wissenschaftlichen Diskussion vor Feuerbach s. Seeger, Die Ausbildung der Lehre vom Versuch usw.; Sellner, Durchbruch der Lehre vom Verbrechensversuch usw.; Schaffstein, Die allgemeinen Lehren (zum Versuch: S. 157 -169). Die Geschichte des Problems wird am ausführlichsten wohl bei Baumgarten, Zur Lehre vom Versuche der Verbrechen, S.1-227, dokumentiert. Kürzere Abrisse bei v. Bar, Gesetz und Schuld, S. 487ff.; Delaquis, Der untaugliche Versuch, S. 53-63. 3 Zitiert nach der von Mittermaier herausgegebenen 14. Auflage, die den Text Feuerbachs unverändert enthält (Vorwort, VI).

B. Objektive Lehren zu Versuch und Vollendung

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Unrechts des Versuchs schon alles gesagt, was auch später zur Begründung einer objektiven Versuchslehre angeführt werden wird 4 • Die speziellere Frage, wann denn ein Versuch gefährlich ist bzw. in Feuerbachs Worten "in ursachlichem Zusammenhange" steht, ließ Feuerbach unbeantwortet. Sie aber war es, die in der Folgezeit die Wissenschaft am meisten beschäftigte. Dadurch trat eine Trennung zwischen der Begründung des Unrechts des Versuchs aus prinzipiellen Überlegungen und seiner wissenschaftlich aktuellen Behandlung ein. So wurde ursprünglich Zusammengehörendes voneinander isoliert (und bis in die Gegenwart hinein nicht mehr recht zusammengebracht 5); das Problem des Versuchs schien das Problem der Bestimmung der von ihm ausgehenden Gefahr zu sein. Darin aber lag eine Reduzierung des Problems, und nicht zuletzt sie machte es der subjektiven Versuchstheorie so leicht, sich faktisch durchzusetzen. 2. Die Fortbestimmung des Gefahrbegriffs durch Mittermaier und v. Liszt; Kritik an diesem Kriterium

Die wohl bekannteste Bestimmung des Gefahrmoments als äußeres Kennzeichen einer versuchten Unrechtshandlung stammt von Mittermaier. In der Abhandlung "Beiträge zur Lehre vom Versuche der Verbrechen"6 schlägt er vor, als gefährlich nur den Versuch anzusehen, bei dem ein "im Kausalzusammenhange stehendes verbrecherisches Mittel" verwendet wird 7 • Und umgekehrt: "Nur jene Handlung ist straflos, aus welcher gar nie, unter keinen Umständen das beabsichtigte Verbrechen entstehen kann, und man muß daher wohl von unzweckmäßigen straflosen Handlungen die bloß unzulänglichen, welche an sich zweckmäßig sind, aber in concreto den Erfolg nicht hervorbrachten, trennen."8 Erst später nennt Mittermaier diese zwei Klassen von Versuchen die absolut und die relativ untauglichen 9 - und verwischt dabei bemerkenswerterweise die Feuerbachsche Einteilung von gefährlichem und ungefährlichem 4 Als Beispiele vgl. nur Schönwandt, Grundlagen der Strafbarkeit usw., S. 48ff., sowie Spendei, Zur Neubegründung, Stock-Festschrift, 89ff. (90ff.). S Man sieht das auch daran, daß bisweilen die sog. "Versuchstheorien" als allein der Domäne des untauglichen Versuchs zugehörig betrachtet werden (vgl. z. B. Dreher ( Tröndle, § 22 RN 23ff.). Das wissenschaftliche Problem der Begründung des Unrechts einer letztlich folgenlos gebliebenen Handlung ist aber umfangreicher; es stellt sich auch beim fehlgeschlagenen Versuch und kann dort nicht etwa mit dem Hinweis auf die unzweifelhaft bestehende Gefahrdung zur Seite gestellt werden. 6 Neues Archiv des Criminalrechts, 1816(17, S.163ff. 7 a. a. O. (Anm. 6), S. 172. 8 a.a.O. (Anm. 6), S.194. 9 Erstmals in einer Literaturbesprechung, Neues Archiv des Criminalrechts, X, S. 550 (zit. nach Binding, Normen III, S.469 Anm. 5); ausführlich dann GS 11 (1859), 403 ff. (407,414,430,437). Über Schwankungen in der Auffassung Mittermaiers vgl. Baumgarten, Lehre vom Versuch, 241-244. Die im Text beschriebene ist die am ausführlichsten begründete.

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Versuch, indem es nun so aussieht, als gebe es einerseits taugliche, andererseits relativ und absolut untaugliche Versuche. Damit wurde tendenziell das Problem des Unrechts des Versuchs - das dazu zwingt, rechtswidrige von nicht rechtswidrigen Versuchshandlungen zu trennen - noch einmal verkleinert: Nun galt es, absolute von relativer Untauglichkeit zu scheiden - daß der gefahrliche Versuch strafbar war, galt für ausgemacht. Nach der genannten Kriterien Mittermaiers sollte strafbar sein etwa der Versuch der Vergiftung, wenn die gegebene Dosis zu gering war, straflos hingegen der Versuch, einen Anderen mit Zucker zu vergiften, denn Zucker sei kein Gift lO • Stets vorhanden sein mußte jedoch der Gegenstand (das Objekt) der Versuchshandlung l l . Die Differenzierung Mittermaiers erwies sich als zugkräftig 12 und langlebig; Wachenfeld schrieb noch 1914 13 , sie entspreche der herrschenden Meinung in der Literatur, was damals wohl kaum noch zutraf1 4 . Denn schnell war erkannt worden, daß Mittermaiers Unterscheidung eine Abstraktion vom konkreten Fall erforderte (man ergänzt die gegebene Menge Gift um die noch zum Erfolg nötige) ohne jedoch anzugeben, woher der Maßstab für die bei der Abstraktion ersetzbaren Umstände herkam (ein ungeladenes Gewehr taugt nicht zum Erschießen, wohl aber zum Erschlagen; ein Diabetiker kann mit Zucker vergiftet werden)ls. Mittermaier selbst wollte letztlich "dem Ermessen der Richter und Geschworenen und dem Einfluß der Fortschritte der Wissenschaft die Entscheidung einzelner Fälle ( ... ) überlassen"16. 10 Viele Beispiele finden sich in dem Aufsatz GS 11 (1859), bes. S. 441 ff. -Je entfernter und relativ unabhängiger von einem Prinzip man die Unterscheidungen setzt, desto mehr lädt man dazu ein, spitzfindige Gegenargumente zu entwickeln. Immer wieder wurde Mittermaier vorgehalten, man könne mit Zucker einen Diabetiker vergiften, woraus die relative Tauglichkeit dieses Mittels resultieren sollte. Anstatt aus solcher Argumentationsweise aber den Schluß zu ziehen, sich das Prinzip noch einmal zu betrachten, entwickelte man neue Gefahrbegriffe. S. dazu noch näher im Text. 11 NA I, S. 195; GS 1859,424. 12 Und zwar auch für die Praxis, s. die Bem. bei Baumgarten, Zur Lehre vom Versuche, S. 248: "Mittermaiers Auffassung wußte sich in ganz Europa ( ... ) allgemeine Anerkennung in der Judikatur zu verschaffen". Dazu auch die Dissertation von Dietrich Pinski, Die Rechtsprechung des Preußischen Obertribunals zum untauglichen Versuch, bes. S.66ff. 13 Art. Strafrecht in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Bd. V, S. 24 (Wachen/eid selbst folgt ihr allerdings nicht). 14 Von den in Anm. 1 genannten Autoren machten sich folgende die Unterscheidung Mittermaiers ausdrücklich zu eigen: Berner, Geib, Scherer, Zachariae; jeweils a. a. 0.; für die Gegenwart Pusinelli, a. a. 0.; vgl. auch noch Temme, Preuß. Strafrecht, § 61. - Noch heute baut § 15 III öStGB auf dieser Unterscheidung auf. 15 Vgl. nur etwa Baumgarten, Lehre vom Versuche, S. 251; v. Dohna, Mangel am Tatbestand, S. 56f. m. Anm. 1 auf S. 57. 16 GS 1859,439, vgl. auch S. 438. In dieser Wendung zum konkreten Rechtsfall dürfte sich zwar einerseits ein allgemeiner Zug der wissenschaftlichen Arbeit Mittermaiers niederschlagen, s. dazu Lüderssen, Einleitung zu: Feuerbach/Miuermaier, Theorie der Erfahrung, S. 42ff.; ders. JuS 1967, 444ff.; aber darüber hinaus kommt darin die Einsicht zum Tragen, daß beim Versuch die Situation der konkreten Tat eine Rolle spielt, die sich

B. Objektive Lehren zu Versuch und Vollendung

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Es fehlte dann auch nicht an Ansätzen, am Moment der Gefahr bei der Bestimmung des Unrechts des Versuchs zwar festzuhalten, den gefährlichen Versuch aber auf andere Weise als Mittermaier zu bestimmen. So wollten einige auf die generelle Tauglichkeit des Mittels zur geplanten Tat abstellen 17, andere darauf, daß der Tatplan des Täters gefährlich erscheine 18.19 (was bereits Kreuzungsstellen mit der subjektiven Theorie ergibt und daher dort nochmals behandelt werden soll). Wieder andere differnzierten nach der Untauglichkeit des Mittels und derjenigen des Objekts 20 . Stets blieb es dabei, daß die Situation ex post betrachtet wurde, so daß das eigentliche Kriterium der Gefahr nicht als Zustand der Ungewißheit selbständig erfaßt, sondern gewissermaßen in den Weltzusammenhang hineinverlegt wurde; er wohnte manchen Handlungen inne und anderen nicht, und dies glaubte man generalisierend feststellen zu können. Ein wirklicher Fortschritt konnte daher erst zustande kommen, als man begann, sich in die Situation der Handlung selbst zu versetzen und - trotz Kenntnis ihres Scheiterns - die Gefährlichkeit prognostisch aus der Situation der Tat heraus zu beantworten. Franz v. Liszt prägte das Wort von der "nachträglichen Prognose"21: "Ungefährlich nennen wir den Versuch, wenn, wie die nachträgliche Prognose ergibt, die Möglichkeit des Eintritts des Erfolgs eine verschwindend kleine gewesen ist. Bei dieser Beurteilung haben wir abzusehen von all dem, was der konkrete Verlauf gelehrt hat, und uns zurückzuversetzen in jene Umstände, unter welchen die Versuchshandlung vorgenommen ist."22 Auch hier ist es der - allerdings aus der Situation der begriffiich nicht vollständig vorausbestimmen läßt; das zeigt sich deutlich am Problem der Bestimmung des "unmittelbaren Ansetzens" zur Tat. 17 Hier wirkte sich der Gedanke der Bestimmung der Kausalität als adäquater Bewirkung aus; vgl. etwa v. Rohland, Gefahr, S. 12ff., 81 f., 96 f. und insbesondere v. Kries, Über den Begriff der objektiven Möglichkeit, S. 299-309 zum Versuch; s. dens., ZStW 9 (1889), 528ff. (534f.); s. aber auch Germann, Strafbarkeit, S. 22 m. Anm. 43. Vgl. ferner Merkei, Lehrbuch, S. 118; Cohn, GA 28 (1880), 361 ff. (381). 18 So schon Schröter, Handbuch des peinlichen Rechts, § 80 zit. bei Pfotenhauer, Einfluß des factischen Irrtums, 17; Köstlin, System, § 83 - allerdings dort nicht den Strafgrund betreffend -; Walther, KritVJSchr. V (1863), S.39; Haeberlin, GS 1864, S.232. Auch Kohler, Studien I, S. 20ff. ist hier zu nennen, vgl. freilich auch unten C, FN49. 19 Für den Zweck der vorliegenden Arbeit wäre es unergiebig, den Verästelungen der objektiven Versuchstheorie im 19. Jahrhundert im einzelnen nachzugehen; für Nachweise s. die Tabelle bei Germann, Strafbarkeit des Versuchs, S. 30; ferner die Angaben bei Delaquis, Untauglicher Versuch, S. 63ff. 20 Vgl. die Zusammenstellung bei Rubo, GS 17 (1865), 1 ff. (13ff.), Delaquis, Untauglicher Versuch, S. 243ff. 21 Erstmals wohl in dem Besprechungsaufsatz "Das fehlgeschlagene Delikt und die Cohn'sche Versuchstheorie", ZStW 1 (1881), 93ff. (102); s. dazu Heinitz, ZStW 81 (1964), 572ff. (590). Bei Cohn selbst taucht das Wort "Prognose" auf S. 168 ohne den Zusatz "nachträglich" auf (Zur Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen, Bd. 1-= alles Erschienene). 22 v. Liszt, Lehrbuch, 2. Aufl. 1884, S. 191 (zit. nach v. Hippel, Lehrbuch Bd. 11, S. 425); vgl. auch die Fassung der 21./22. Aufl. 1919, S.200. Zu dieser Lehre Kriegsmann,

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Handlung heraus verwendete - Gedanke der adäquaten Verursachung, der das Urteil über den Versuch bestimmt 23 • Die objektive Versuchstheorie in der in diesem Abschnitt erwähnten Fassung bezieht sich also letztlich immer noch auf den Satz von Feuerbach, wonach der Versuch eine im "ursachlichen Zusammenhange" stehende Handlung verlangt. Noch in neueren Arbeiten taucht das auf, wenn etwa Schönwandt den gefährlichen Versuch mit der Risikoschaffung beziehungsweise -erhöhung zu erfassen sucht 24 , wobei er gleichfalls eine nachträgliche Prognose fordert 25 • Im Folgenden soll nicht die eine Spielart der objektiven Lehre gegen die andere abgewogen werden, sondern es soll die Berechtigung der mit ihr gewählten Begründungsweise insgesamt untersucht werden. Zwei Fragen sollen dabei behandelt werden: a) Wie bestimmt die objektive Versuchstheorie (in ihren verschiedenen Fassungen) die Beziehung zwischen "Gefahr" und "Erfolg" (also etwa der Rechtsverletzung bei Feuerbach); dabei muß auch zur Sprache kommen, welches Bild von der Tat ein solcher Gefahrbegriff entwirft; b) weshalb kann Gefahr Unrecht sein. Die Antworten auf beide Fragen werden in einem ersten Ansatz genauer erkennen lassen, was "Objektivität" im Unrecht bedeuten kann. Zu a) Durch die Konzentration des Versuchsproblems auf die Bestimmung der Gefährlichkeit der einzelnen Versuchshandlung blieb dasjenige, was da gefährdet wurde, ganz am Rande der Betrachtung 26 . Dadurch geriet auf der anderen Seite der Gefahrbegriff in die Gefahr, verselbständigt zu werden und Wahnverbrechen und untauglicher Versuch, S. 19 f.; Wintritz, Das problematische und das apodiktische Urteil, S. 56f.; Henckel, Gefahrbegriff, S. 23, 30; v. Hip'pel. Lehrbuch, Bd. 11, S. 425-430; auch SpendeI, Neubegründung, allerdings mit einer Anderung des Beurteilungsmaßstabs, S.105/106: ex-ante - Maßstab nur für die Handlung, ex-post Maßstab für sonstige Umstände. - S. auch Oehler, Zweckrnoment, S. 120 (allerdings widersprüchlich zum ungefährlichen Versuch, wo er sich der Meinung Langes anschließt (s. dazu unten CI 2 a); ebenso Reinhardv. Hippel, Untersuchungen über den Rücktritt vom Versuch, S. 25f. m. FN 182; S. 27f. zur Tätergefahr. 23 So ausdrücklich v. Hippel, Lehrbuch, Bd. 11, S. 430 m. FN 2; Henckel, GefahrbegrifT, S. 13 u. passim. 24 Schönwandt, Grundlage der Strafbarkeit des untauglichen Versuchs, Diss. Göttingen 1975. Die einfache Übernahme eines Kausalprinzips in die Versuchslehre lehnt Schönwandt zu Recht ab (S. 123ff; dazu noch im Text), argumentiert dann aber mit den oben genannten Zurechnungskriterien, ohne deren Berechtigung auszuweisen (s. bes. S. 125 fT.). - Trotz mancher Uneinheitlichkeit in der Begründung (unklar bleibt z. B die Bedeutung der Elemente Strafwürdigkeit und Verhältnismäßigkeit für den Versuch, s. S. 159fT.) ist auf Schönwandts Arbeit im Rahmen unserer Bemühungen deshalb besonders hinzuwesien, weil Schönwandt die Bedeutung des Rechtsguts für die Versuchsbestimmung zutreffend erkennt (S. 94ff.; 101 fT.). 2S Vgl. die Formulierung S. 180. 26 Es wurde schon oben darauf hingewiesen, daß selbstverständlich das Problem des "Unrechts" und des "Rechtsguts" in der wissenschaftlichen Diskussion weiter behandelt wurde. Aber es wurde nicht der Zusammenhang mit dem Problem des Unrechts des Versuchs gesehen. Damals wie heute verknüpften sich diese Linien immer nur zufällig.

B. Objektive Lehren zu Versuch und Vollendung

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nicht mehr mit Blick auf das Recht und den "rechtlichen" Erfolg gesehen zu werden, sondern isoliert als für sich bestehende Größe; es entfiel damit die Kontrollmöglichkeit dafür, welcher jeweils angenommene Inhalt des Gefahrbegriffs sich auch noch mit der Bestimmung des Unrechts vereinbaren ließ. Besonders nahe lag es, den Begriff der Gefahr als Begriff der Erfahrungswissenschaft (anders gesagt: als naturwissenschaftlichen Begriff) zu sehen. Das hatte vornehmlich zwei Gründe. Zum einen ist es der genannten Literatur zum Versuch eigen - unabhängig davon, welche Meinung im einzelnen vertreten wird -, die Beispiele aus dem Bereich der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte zu entnehmen. Bei ihnen sieht es so aus, als lasse sich das Delikt auf einen ganz äußerlich ablaufenden Vorgang reduzieren, der sich in Kausalbestandteile zerlegen und nahezu experimentell nachstellen läßt. Mit diesem Aspekt steht der zweite Grund im Zusammenhang. Die objektive Versuchstheorie hielt sich stets (und zu Recht) etwas darauf zugute, rechtsstaatlichen Anforderungen dadurch zu genügen, daß sie präzise angeben zu können glaubte, wann äußerlich eine Versuchshandlung vorlag 27 • Im Lauf des 19. Jahrhunderts und bis in die Gegenwart hinein wurde aber "Präzision" zunehmend mit Beobachtbarkeit und naturwissenschaftlicher Exaktheit gleichgesetzt. Trafen sich die Linien - und das geschah im Begriff der Gefahr beim Versuch -, dann mußte es hier als ausgesprochenes 28 oder heimliches 29 - Ziel der Beschäftigung mit dem Begriff der Gefahr erscheinen, ihn zu einer errechenbaren Größe zu transformieren. Diese Betrachtungsweise läßt sich aber nicht auf ein Moment der Handlung reduzieren. Wenn man die Gefahr als kausalgesetzlich und statistisch erfaßbar ansieht, dann gerät einem unter der Hand auch das gefährdete Objekt zu einem wesentlich in der kausal bestimmten Welt angesiedelten Gegenstand. Wie noch später genauer zu zeigen sein wird, reduziert eine solche Betrachtung aber die Verletzung um ihre spezifisch rechtliche (das praktische Handeln der Einzelnen untereinander betreffende) Dimension. Daß diese Sehweise überhaupt so eindringliche und überzeugende Ergebnisse für den Versuch lieferte, lag wie schon gesagt daran, daß man die Beispiele aus reinen Erfolgsdelikten bezog und vornehmlich an ihnen das Prinzip auch wieder erläuterte. Außerdem kann nicht geleugnet werden, daß das Recht auch die kausalgesetzlich bestimmte Wirklichkeit mit aufnimmt und daher ein Teil rechtlicher Phänomene scheinbar erschöpfend dadurch erklärt werden kann, daß man sie für die Problemlösung 27 S. schon oben das Feuerbach-Zitat bei Anm. 3; in neuerer Zeit dann wieder Spendel, Zur Neubegründung, S. 90ff.; ders., ZStW 65 (1953), 519ff. (bes. 531 f.). 28 Z. B. v. Liszt, Lehrbuch, 2. Autl., S. 8: Gefahr, wenn der Erfolg in 50% aller Fälle einzutreten ptlegt; Rotering, GA 31 (1883),268; v. Kries, Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, S. 24ff. 29 Z. B. bei Henckel, Gefahrbegriff, S. 27f., der eine Berechenbarkeit ablehnt, sie aber von der Rückseite her wieder einführt: " ... wenn die betrachteten Bedingungen als Ganzes genommen zum Erfolge hindrängen, den Erfolg ermöglichen, während das Ausbleiben des Erfolges uns unberechenbar, nur ein Zufall zu sein scheint." S. auch Horn, Konkrete Geflihrdungsdelikte, S. 172 ff.

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auf diesem Bereich reduziert. Nun gelingt das aber nicht bei allen Delikten. Um zu erklären, wie etwa ein Versuch eines Tätigkeitsdelikts (z. B. § 154) oder der Versuch eines konkreten Gefährdungsdelikts (z. B. § 315c) möglich sei, mußte man von der "Realgefahr" abrücken und den Gefahrbegriff mit anderen Kriterien auffüllen 30 • v. HippePl und ihm folgend sein Schüler HenckeP2 wollten es als Lösung genügen lassen, daß die Gefahr der Verwirklichung eines Deliktstatbestandes sich feststellen ließ. Aber dieser Ausweg wirft ganz neue Probleme auf, die weder von v. Hippel noch von Henckel angesprochen wurden. Denn es muß bei einer solchen Sicht der Gefährlichkeit des Versuchs geklärt werden, welcher Bereich der Wirklichkeit gemeint ist, in dem die Deliktstatbestände angesiedelt sind. Da das Urteil über die Gefährlichkeit der Handlung auf ihn sich beziehen muß, kann auch der Begriff der Gefahr nicht mehr problemlos so verstanden werden, daß er sich mit dem der adäquaten Kausalität deckt 33 •34 . Der Gefahrbegriff müßte dann im Blick auf die Potenz einer Handlung konzipiert werden, "einen Tatbestand" zu verwirklichen. Das ist zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, bedarf aber so vieler zusätzlicher Begründungselemente, daß das Argumentieren mit dem Gefahrbegriff allein nicht weiterhilft. So wie der Gefahrbegriff allgemein im Zusammenhang mit dem Versuch entwickelt und angewendet wurde, erinnert er an eine Kategorie im Kantischen Verständnis. Nach Kant sind Kategorien die Konstituenten der sinnlichen Erfahrungen 35 • Ganz entsprechend wurde der Begriff der Gefahr so aufgefaßt, als werde mit seiner Hilfe von einem Beobachter (etwa dem Richter) eine äußere sinnlich erfahrbare Gegebenheit als "gefährlich" erkannt, so wie andere Gegebenheiten als im Kausalzusammenhang stehend erkannt werden können. Eine solche Behandlung eines rechtlichen Phänomens bringt aber notwendig eine Verkürzung der rechtlich-wirklich gegebenen Situation mit sich. Denn zum einen kann sie den Täter als Rechtsperson und Urheber des Geschehens ausblenden, kommt es doch nur auf die äußere Qualität der von ihm ausgegangenen Handlung an; auch die "nachträgliche Prognose" ändert daran nichts. Zum anderen aber wurde auch auf der Seite des Opfers der Tat eine Reduzierung insofern vorgenommen, als es ebenfalls in den Kausalzusammenhang hinabgesetzt wurde. Es wurde zum festen Block, auf den Kausalstränge zuliefen oder nicht. Unabhängig davon aber, ob die intendierte Verletzung ein (auch) als Kausalereignis festzustellender "Erfolg" ist, kommen doch in ihr die 30 Konsequent vom Standpunkt einer Theorie der objektiven Gefahr insoweit allerdings Baumgarten, Lehre vom Versuche, S. 416,425, der in beiden genannten Fällen gegen die damals überwiegende Meinung, vgl. die Nachw. a.a.O. - Versuch ablehnte. 31 Lehrbuch, Bd. II, S. 405. 32 GefahrbegrifT, S. 39. 33 s. aber sowohl v. Hippel, Lehrbuch, Bd. II, S. 430, als auch Henckel, GefahrbegrifT, S.13. 34 Insofern zu Recht kritisch zum Verhältnis Wollen Tatbestandsverwirklichung Schmidhäuser, AT, 15/27, S. 600. 35 Vgl. KrV, B 148 fT.

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bei den Seiten des Handelnden und des Verletzten ins Spiel, und von ihnen aus ordnet sich die Welt nicht einfach in gefährliche und ungefährliche Situationen 36. Eine Lösung könnte also nur so aussehen, daß man das Gefahrmoment in andere Zusammenhänge einbettet. Zu b) Soll dabei aber das Gefahrmoment weiter den Ausschlag geben, dann muß ein solches Unternehmen eine zweite Schwierigkeit bewältigen. Sie liegt darin zu klären, ob tatsächlich "Gefahr" schon Unrecht ist. Läßt man zunächst einmal umfassendere, aufnormtheoretischen Erwägungen basierende Konzeptionen beiseite, die überhaupt nur noch die Gefahr als das zentrale Moment des Unrechts anerkennen wollen 37, und fragt gleichsam naiv danach, ob das "Beinahe" schon das "Ganze" sein kann, findet man nicht sehr ausführliche Antworten. Sehr häufig ist ein eher formales, die Strafe und das Unrecht gewissermaßen schon als begründet voraussetzendes Argument: Der Staat könne über das Strafrecht nicht nur Verletzungen, sondern schon auch Gefährdungen verhindern 38 • Allerdings fragt sich dann, weshalb das Strafrecht sich nicht überhaupt auf Gefährdungen konzentriert, um es erst gar nicht zu Verletzungen kommen zu lassen 39 • Offenbar ist doch auch ein materielles (und kein bloß funktionales) Argument notwendig, um schon die Gefährdung als Unrecht begreifen zu können. Instruktiv sind zu dieser Frage Ausführungen von Gallas 40 , denen sich auch Horn in seiner Untersuchung über konkrete Gefährdungsdelikte angeschlossen hat41 • Gallas schreibt: "Konkrete Gefährdung ( ... ) bedeutet ( ... ) für das betroffene Rechtsgut eine vom Täter herbeigeführte Verschlechterung seiner Lage: die Existenz oder Integrität des Guts sind tatsächlich in Frage gestellt, und die Krise, in die es damit geraten ist, besitzt, wie etwaige Reaktionen der Umwelt oder Abwehrmaßnahmen des Rechtsgutsträgers zeigen, ,soziale Realität', unabhängig davon, ob tatsächlich etwas passiert oder die Krise sich nur als vorübergehend erweist. "42 Der damit bezeichnete materielle Grund von Gefährdungsunrecht hat es nun beim Versuch mit einer Schwierigkeit zu tun, der ihn allein noch nicht als ein das 36 Freilich ist anzumerken, daß die ganze Schärfe "rechnerischer" Gefahr deswegen nicht zum Tragen kommen kann, weil gewissermaßen neben der wissenschaftlichen Erörterung ein intuitives, alltägliches Verständnis von "Gefahr" immer mitläuft. Unabhängig davon, ob es mit Kriterien der adäquaten (potentiellen) Kausalität entscheid bar ist, "weiß" man, daß das Geld um ein Haar gestohlen worden wäre, hätte man es nicht zufällig vor dem Zugriff des Taschendiebs von der rechte Tasche in die linke gesteckt. In diesem "praktischen" Sinne auch immer die Rechtsprechung, s. etwa BGHSt 18, 272ff. m. w. Nachw. Aber das ist noch nicht selbst die Lösung, sondern deutet nur darauf hin, daß die wissenschaftliche Behandlung der Frage auszuweiten ist. 37 Dazu Wolter, Objektive und personale Zurechnung usw., passim. 38 Vgl. etwa Baumann/ Weber, AT, § 33 I 1c, S.480. 39 Bekanntlich ist diese Auffassung in einem Zu- Ende-Denken der Ansichten Welzels und Armin Kaufmanns von Zielinski auch entwickelt worden; s. dazu unten C bei Anm.142ff. 40 Abstrakte und konkrete Gefährdung, Heinitz-Festschrift, S. 171ff. (176). 41 Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 106 m. Anm. 129.

4 Zaczyk

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Unrecht des Versuchs erschöpfendes Moment erscheinen läßt. Beim Versuch ist die Situation von anderen Fällen einer vollendeten Gefährdung dadurch unterschieden, daß es dem Täter gerade um die Vollendung geht. Schon die Objektivierung des Handlungswillens ist aus diesem Grund auch äußerlich unvollständig; sie ist kein "Gefährdungserfolg" (vgl. Gallas a. a. 0.), und der Versuch ist kein konkretes Gefährdungsdelikt 43 • Das Urteil über ihn ist mit Konstatierung einer Gefahr nicht abgeschlossen, sondern sieht diese Gefahr selbst nur als Teil an. Auch äußerlich wird die Versuchshandlung als ergänzungsbedürftig gesehen. Man bleibt nicht bei der Feststellung stehen, die Aktion des Täters sei abgeschlossen und diese Aktion sei gefährlich für das bestimmte Rechtsgut, sondern man geht anders vor: es wird konstatiert, daß die Aktion mit Blick auf die Vollendung unvollständig sei, daß aber gleichwohl (so jedenfalls die objektive Versuchstheorie) der schon geleistete Teil geeignet sei, die Vollendung herbeizuführen: daß er gefährlich sei. Nur diese Sicht macht auch ein Institut wie den Rücktritt vom Versuch vorstellbar. Der Versuch bezieht damit die Vollendung gedanklich immer mit ein, und wenn man überlegt, wie wenig sich die objektive Versuchslehre um das Unrecht des Versuchs, wie sehr dagegen um die Analyse der Gefahr bemüht hat, wird auch der diesem Vorgehen zugrundeliegende Gedanke klarer. Beim Versuch wird das Moment der Gefahr in doppelter Weise nutzbar gemacht. Zum einen zeigt sie beim "gefährlichen" Versuch an, daß schon "etwas" geschehen ist. Zum anderen soll sie die Brücke zur Vollendung schlagen; es hat beim Versuch nicht mit der Gefährlichkeit sein Bewenden, es geht nicht allein um die "Existenzkrise" des Rechtsguts. Der Begriff der Gefahr erhält dadurch einen neuen Akzent, der deutlicher als im Fall des konkreten Gefährdungsdelikts an ihm das Moment des Übergangs hervorhebt. Über ihn wird das Unrecht der Vollendung gewissermaßen in den Versuch hineintransportiert. Weil die Tötung Unrecht ist, ist Unrecht auch, sie anzustreben und dabei mit der Tat so weit zu gedeihen, daß der Eintritt des Todes wahrscheinlich ist. Das Moment der Gefahr rückt den Versuch einerseits an die Vollendung heran, macht in der Herstellung dieser Beziehung aber auch klar, daß er defizient ist gegenüber der vollendeten Tat. Aus welchem Blickwinkel man es auch immer sieht, bleibt es doch bei einem scheinbar übergangslosen Gegeneinander von Gefahr und Erfolg, ohne daß deutlich würde, was denn die wirklich überbrückende Instanz ist. Auch hier wird im Ansatz deutlich, an welcher Stelle eine subjektive Versuchstheorie ansetzen konnte, indem sie die Subjektivität des

42 a.a.O. (Anm.40). Es sei hier nur angedeutet, daß sich eine zusätzliche Bestimmungsmöglichkeit aus dem Begriff des Rechtsguts ergibt; vgl. dazu vorläufig Schmidhäuser, AT, 8/34 (Achtungsanspruch); Westpfahl, Versuch, S. 5 (zu Feuerbach). 43 Vgl. auch Binding, Normen I, S. 122. Das wird im Text später noch näher dargelegt. - Ganz anderer Ansicht Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 203. Der untaugliche Versuch kann dann aber nicht mehr erklärt werden. S. auch v. Hippel, ZStW 75 (1963), 443ff. (447f.).

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Täters als das verbindende Element - wenn auch in noch ganz unentwickelter Weise - ins Spiel brachte. An dieser Stelle der Behandlung der objektiven Versuchstheorie könnte sich der Vorwurf erheben, die erörterten Differenzierungen seien haarspalterisch: das wesentliche Element des Gefahrbegriffs sei es doch, hinzuweisen auf das, was gefährdet ist und es damit für sich auch zu enthalten. Es genüge dann - etwa über das Hilfsmittel des Adäquanzurteils - festzustellen, ob die Tendenz zur Verwirklichung auch stark genug war. Aber das trifft nicht zu. Dabei ergeben sich erste Zweifel schon an der prognostischen Kraft des Adäquanzurteils, wie sie schon öfter geäußert wurden 44 • Sie beziehen sich auf die Tatsache, daß das Adäquanzurteil seine Rechtfertigung daraus bezieht, aus abgeschlossenen Kausalverläufen gänzlich unwahrscheinliche auszusondern 4s . Diese Möglichkeit bezieht die Lehre von der adäquaten Kausalität aber vornehmlich daraus, daß sie in dem Gewirr von Notwendigkeit und Zufall gleichsam einen festen Haltepunkt hat: den eingetretenen und gedanklich isolierten Erfolg. Diese Basis des Urteils fällt aber dann weg, wenn verlangt wird, aus einem nicht beendeten Geschehen ein künftiges Ereignis zu folgern. Hier wird deutlich, daß ein Wenn-Dann-Schema offenbar in diesem Zusammenhang davon lebt, das Ziel des Fragens (den bestimmten Erfolg X) immer schon vorgegeben zu haben. Wird aber gefordert, aus einem "Wenn" ein "Dann" zu folgern, fehlt das Maß für die Einschätzung. Und das wird auch nicht dadurch ausgeglichen, daß man durch die Adäquanz einen Kreis "typischer" Gefährdungen sich erschließt 46 • Man sieht das daran, daß die Eliminierung des Zufalls wesentliches Anliegen der Adäquanzlehre - im Fall der Prognose schon vorausgesetzt ist: Es kann die Möglichkeit keinen Ort mehr haben, daß der Erfolg nur zufällig eingetreten oder auch ausgeblieben wäre. An dieser Stelle kommt das eigentlich zu Begründende erst zu Tage: Weshalb sollte man nicht gerade wegen der U ndurchschaubarkeit zukünftiger Kausalverläufe in dem Fall, in dem feststeht, daß der Erfolg nicht mehr eintreten kann, nicht bei der Feststellung der Indifferenz der Handlung bleiben? Der Versuch wäre dann nichts anderes als der Ausdruck der Tatsache, daß man als Mensch in einem Fall Erfolg, im andern aber Mißerfolg hat. Isoliert man die gefährliche Handlung47 und macht sie zu einem äußerlichen Geschehen, trennt man sie in 44 s. etwa Schröder, Gefährdungsdelikte, ZStW 81 (1969), S. 7ff. (9ff.); Schönwandt, Untauglicher Versuch, S.122/123; Stöger, Untauglicher Täter, S.49. Reinhard von Hippet, Rücktritt, S. 18. 45 "Es soll also, wo das ursächliche Moment A den Erfolg B verursachte (bedingte), A die adäquate Ursache von B, B die adäquate Folge von A heißen, falls generell Aals begünstigender Umstand von B anzusehen ist; im entgegengesetzten Fall soll von zufälliger Verursachung und zufälligem Effecte gesprochen werden." J. v. Kries, Über den Begriff der objectiven Möglichkeiten, S. 202. 46 s. dazu etwa Reinhard v. Hippet, Rücktritt, S. 20. 47 Wobei sich nichts ändert, wenn man mit Horn - auch den Gefahr"erfolg" noch von der Handlung trennt (Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 13) und so eine zusätzliche

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zwei Richtungen aus dem Zusammenhang: Man entläßt sie aus der Verbindung mit dem Handelnden und läßt zudem ihre Beziehung zum Erfolg (was das Unrecht betrifft) im Ungewissen. Man bleibt dann auf gedankliche Operationen angewiesen, die letztlich nicht mehr sind als theoretisch umformulierte Plausibilitätsempfindungen. Die Gabe einer zu geringen Dosis Arsen ist dann (noch) gefährlich, ebenso der Fehlschuß mit einem geladenen wie der "Schuß" mit einem ungeladenen Gewehr, die "Vergiftung" mit Zucker ist es nicht mehr usw. Das vorgeschlagene Prinzip ist nicht so umfassend gebildet, daß der Einzelfall, der stets gesonderter Einschätzung bedarf, in einem direkten Verhältnis zum Prinzip stünde. Die objektive Versuchstheorie in der Form einer Theorie objektiver Gefahr hat das Problem des Versuchs zu verkürzt aufgenommen. 3. Andere Gestaltungen einer objektiven Versuchstheorie

Schon früh gab es Bemühungen, im engeren Rahmen der Versuchslehre selbst Lösungen zu entwickeln, für die der Begriff der Gefahr nicht mehr das entscheidende Kriterium war. Sie lassen sich unterscheiden in einen materialen und einen formalen Begründungsgang; beiden ist gemein, daß sie die Versuchslehre notwendig in Richtung auf eine allgemeine Unrechtslehre vorantreiben, die dann selbst wieder nur "objektives" Unrecht beschreibt. Es handelt sich zum einen um die Ansicht, die den Versuch als teilweise Verwirklichung des Unrechts behandelt, zum anderen um die Lehre vom Mangel an Tatbestand. a) Die Lehre vom Versuch als teilweise verwirklichtem Unrecht 48 stützte sich vordergründig auf Wendungen in wichtigen Kodifikationen, etwa dem code penal (Art. 2: "commencement d'execution") oder später auch dem RStGB (§ 43 "Anfang der Ausführung"). Dahinter stand aber ein entwickeltes Verständnis des Versuchs als eines Zusammenhangs von Vorsatz (böser Absicht) und der äußeren Verwirklichung. Diese Lehre gelangt zu einer weitgehenden Straflosigkeit des untauglichen Versuchs, denn "was auszuführen unmöglich ist, kann man auch nicht auszuführen anfangen"49. In der Fassung, die Geyer dieser Lehre gibt, ist der strafbare Versuch dadurch gekennzeichnet, daß er ein teilweises Voranschreiten auf dem Weg zum Erfolg bedeutet und nur durch ein äußerlich hinzutretendes Hindernis der Erfolgseintritt ausbleibt 50 ; mit unzulänglichen Mitteln hingegen Unterscheidung zwischen Handlung, Gefahrerfolg und Verletzungserfolg trifft. Eher wird bei diesem Vorgehen die Isolierung noch stärker. 48 Vertreten z. B. von Abegg, Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft, S. 152ff.; Temme, Lehrbuch des Preußischen Strafrechs, S. 272f., 283ff.; Luden, Abhandlungen I, S. 3ff.; Geyer, GS 18 (1866), 35ff.; ders., ZStW 1 (1881), 30ff.; später insbesondere Binding, Normen III, S. 430 u. ö.; Schoetensack, Frank-Festgabe, Bd. H, S. 55 ff. Weitere Nachweise bei Germann, Grund der Strafbarkeit, S.4f. 49 Berner, Lehrbuch, 17. Aufl., S. 140. 50 GS 18 (1866), S. 46f., 52, 73f., 78f.

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(und zwar unabhängig von "relativer" oder "absoluter" Untauglichkeit) kann man den Weg zum Erfolg nicht einmal antreten. Diese Lehre litt freilich darunter, daß sie die nähere Bestimmung des "teilweisen" Unrechts nicht unternahm, sondern in der Eindimensionalität eines Stranges von Versuch zu Vollendung verblieb und in ihr jenes Deckungsverhältnis von dolus und Ausführung aufsuchte. Erforderlich wäre aber gewesen, jenseits von Kausalitätsvorstellungen die Möglichkeit und die Bedingungen teilweisen Unrechts zu bestimmen, d.h. aber: eine über das Problem des Versuchs hinausgehende Diskussion vorzunehmen und von ihr gewissermaßen zum Versuch zurückzukehren. Das jedoch war eine Anstrengung, die im Rahmen der Versuchslehre selbst nicht mehr zu leisten war, sondern eine weitere Perspektive forderte. Erst im nächsten Abschnitt ist daher auf Binding einzugehen, der dies unternahm. b) Die Lehre vom Mangel am Tatbestand 51 kombiniert verschiedene Aspekte des Versuchs: die subjektiv-objektiv vermittelnde Handlung, die ganz natürlich verstanden wird, und den in einem normativ bestimmten Bereich angesiedelten Tatbestand im übrigen. Ihr gedanklicher Ansatz unterscheidet sich nicht von dem üblichen Ansatz der objektiven Versuchstheorie: Zwischen Handlung und Erfolg besteht ein "einliniger" Kausalstrang; der Wille des Täters zeichne sich dadurch aus, daß er über die Handlung den Erfolg herbeiführen wolle und dies auch könne; nur in der Herbeiführung solcher zukünftiger Ereignisse sei der Wille auch mächtig 52 . Die Tatbestände des Strafrechts verlangten für die kriminelle Handlung aber noch das Vorhandensein zusätzlicher Umstände; etwa die Fremdheit der Sache in § 242. Das Wesentliche solcher Merkmale sei es, daß der Wille des Täters nicht auf ihre Herbeiführung gerichtet sein könne, sondern sie lediglich vorzustellen, d. h. in sich aufzunehmen habe. Fehle es an ihrem Vorhandensein, so liege ein Mangel am Tatbestand vor; ein Versuch sei in diesem Fall nicht möglich 53. Außerdem noch fordert v. Dohna für die Willensbeziehung zum Erfolg nomologisch zutreffende Kenntnisse des Täters und nähert sich damit der noch unten zu besprechenden Plantheorie: der Täter muß allgemein richtig den Kausalverlauf einschätzen; irrt er hier, liegt ebenfalls kein Versuch vor 54 • 51 Vertreten z. B. von Havenstein, GA 36 (1888), 33 ff. (35); Kroschel, GS 41 (1889), 273ff. (286); ders., GS 43 (1890), 216ff. (228); vor allem v. Dohna, Der Mangel am Tatbestand, Güterbock-Festschrift, 37ff.; ders. Aufbau der Verbrechenslehre. 56ff.; Frank, Vollendung und Versuch, VDA V, bes. S. 253ff.; ders., StGB, § 43 Anm. I und III; August Köhler, Deutsches Strafrecht, AT, 440ff., 459ff. (464f.); i. Erg. auch M. E. Mayer, AT, 354ff., 364ff.; Mezger, Strafrecht, AT, 396ff.; Beling, Grundzüge, S.57; v. Liszt / Schmidt, Lehrbuch, 288 ff. (289, 290 Anm. 5, 300 ff.); Theodor Rittler, MSchrKrim. 19 (1928), 520ff. (525). In der Gegenwart dürfte Schmidhäuser dieser Lehre nahestehen: AT 15/41, S. 606f. rn. Anm. 30. 52 v. Dohna, Güterbock-Festschrift, S. 46. 53 a. a. o. (FN 52), 49. 54 a. a. O. (FN 52), S. 59 f.

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Man hat in der Auseinandersetzung mit dieser Lehre immer wieder den Vorwurf erhoben, es sei zufallig, daß einzig der Erfolg als Endpunkt des Delikts fehlen dürfe, daß sein Fehlen keinen Mangel am Tatbestand begründe 55 . Der Einwand trifft aber nicht ganz genau. Denn v. Dohna hat einen Grund dafür angegeben, der den Erfolg (allerdings nur im Sinne eines Außenweltgeschehens) von anderen Tatbestandsmerkmalen unterscheidet: er allein soll willensabhängig sein. Wie sich auch im Verlauf dieser Arbeit zeigen wird, ist das kein im Ansatz fehlgehender Gedanke. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, den Sinn der Handlungsbedeutung zu verfehlen 56 • Für die Verletzung entscheidend ist nicht z. B. der Gewahrsamswechsel einer Sache, sondern gerade der einer fremden Sache. Das muß auch rur die Sicht des Täters eine Rolle spielen. Faßt man freilich den Erfolg als bloßes Kausalereignis auf5 7 , dann reduziert man ihn schon im Ansatz um die wesentliche Seite der Verletzung und hat sich dann für die Versuchslösung freie Bahn geschaffen. Aber der in der Reduktion liegende Mangel ist dann doch zu deutlich. Erneut zeigt sich, aus welchen Gründen die subjektive Versuchstheorie sich mit ihrer theoretisch so schmalen Basis, die aber große Plausibilität für sich beansprucht, in der Praxis durchsetzen konnte. 4. Der Übergang zum nächsten Abschnitt; die rechtsstaatliche Bedeutung der objektiven Unrechtsbestimmung

Der Begründungswert einer objektiven Versuchstheorie ist gleichwohl noch nicht ausgeschöpft. Zwar konnte in den kritischen Ausführungen bisher gezeigt werden, daß in der objektiven Versuchstheorie allgemein das Verhältnis zwischen Versuch und Vollendung entweder unbestimmt oder unterbestimmt ist. Aber damit ist noch nicht der zweite Gesichtspunkt berücksichtigt, der in der objektiven Versuchstheorie seit Feuerbach mitschwingt und gleichsam von der anderen Seite - der allgemeinen Unrechts bestimmung - Rückrechnungen auf das unvollendete Delikt ermöglichen könnte. Denn wenn es so sein sollte, daß das Unrecht auf näher zu qualifizierende Weise allein "objektiv" zutreffend bestimmt werden kann, dann kann auch der Versuch nur Unrecht sein, wenn er von daher seine Kriterien bezieht. Im folgenden soll deshalb das Anliegen objektiver Unrechtslehren daraufhin untersucht werden, ob der Versuch in ihrer Unrechtsbestimmung mitenthalten sein kann. Von da aus läßt sich dann noch einmal fragen, wie der Versuch als Unrecht erfaßt werden könnte. Vgl. etwa v. Hippel, AT 11, S.432; auch Jescheck, AT, § 50 I 3, S. 400 (2. Aufl.). Vgl. dazu auch die Feststellung Havensteins, die er als den Fundamentalsatz der Lehre vom Mangel am Tatbestand bezeichnet: "Eine vollendete Handlung kann niemals Versuch ( ... ) sein" (GA 36 - 1888 -, 33ff. - 35 -). Die Vollendung wird hier ausschließlich auf die äußere Veränderung bezogen. Das gibt dann auch den Grund ab für die Unterscheidung v. Dohnas zwischen "ontologischem" und "nomologischem" Wissen des Täters und dessen Relevanz für das Unrecht des Versuchs, Güterbock -Festschrift, 59 f. Vgl. zur Kritik auch Binding, Normen III, 493 ff. 57 Sehr deutlich v. Dohna, Güterbock-Festschrift, 47. 55

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11. Objektive Unrechtslehren Objektiv sollen im folgenden solche Unrechtslehren genannt werden, die das Unrecht Gedenfalls in einem ersten Schritt) als ein von seiner Verwirklichung durch eine Rechtsperson ablösbares Geschehen begreifen, also die Selbständigkeit seines Vorhandenseins gegenüber dem Prozeß seiner Realisierung betonen 58. Bei dieser anfanglichen Bestimmung liegt die Vermutung nahe, daß solche Lehren für eine um die Lösung des Versuchproblems sich bemühende Arbeit nur geringen Ertrag liefern können 59; das wird noch bestärkt durch die vorangehende Kritik an den objektiven Versuchstheorien. Wenn gleichwohl die objektiven Unrechtslehren hier in die Betrachtung einbezogen werden, dann deshalb, weil sich unter diesem Etikett im einzelnen sehr unterschiedliche Positionen verbergen; die Weise, wie sie die Eigenart der Verletzung bestimmen, gibt bei manchen von ihnen auch Hinweise auf den Versuch. Denn daß er auch eine "äußere" (wie immer näher zu charakterisierende) Seite hat, ist so lange unbezweifelbar, wie man ihn überhaupt als rechtliches Phänomen einordnet. Die folgenden Ausführungen verstehen sich nicht als historischer Abriß60, sondern orientieren die Darstellung an der Problematik versuchten Unrechts. 1. v. Liszt

"Unrecht ist ( ... ) Veränderung eines rechtlich gebilligten bzw. Herbeiführung eines rechtlich mißbilligten Zustandes ( ... )"61. Dieser häufig zitierte Satz Mezgers steckt mit den Begriffen "Zustand", "Veränderung" bzw. "Herbeiführung" und dem Verhältnis des Rechts dazu ("Billigung" bzw. "Mißbilligung") gewissermaßen das Argumentationsfeld einer objektiven Unrechtslehre ab. Da Unrecht Negation des Rechts ist, hätte dieses es gleichfalls mit äußeren "Zuständen" zu tun, wenn man die Interpretation auf das Zitat beschränkt; allerdings wäre so gefaßt die Negation nicht vollständig, Unrecht ist zugleich Negation des Rechts, das selbst sich auf äußere Zustände bezieht; das wird noch näher zu erörtern sein. Mit dieser Konzeption verbunden ist gewöhnlich das Schlagwort von der Rechtsnorm als Bewertungsnorm. 58 Also anders als bei Zielinski, der objektives Unrecht als schuldloses Unrecht bezeichnet (Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 26). Das ist erst eine zusätzliche Dimension der grundlegenden Fragestellung, die schon voraussetzt, daß nur andere verantwortliche Rechtspersonen als Urheber von Unrecht begriffen werden können. 59 Arthur Wegner, AT, S. 222: "Bei der Versuchslehre ist der richtige Ort, daran zu denken, daß eine rein objektiv Unrechtslehre undurchführbar ist." 60 Als Überblick über Unrechtslehren vgl. Nagler, Der heutige Stand usw., 275ff.; Nowakowski, ZStW 63 (1951), 287 ff.; Stratenwerth, SchwZStR 1963,233 ff.; Krauß, ZStW 76 (1964), 19ff. Ferner Lampe, Personales Unrecht, S. 13ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 26ff. 61 Mezger, Subjektive Unrechtselemente, GS 89 (1924), 245/246. Vgl. auch ganz ähnlich Kohlrausch, Irrtum und Schuldbegriff, 50ff. (der dieser Konzeption freilich ablehnend gegenübersteht).

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Mit diesem Schlagwort einher geht nun gedanklich zunächst die Möglichkeit, den Raum der Veränderung (gewissermaßen die Gegenständlichkeit des Unrechts) vom Raum der Bewertung getrennt zu halten. Das Ergreifen einer solchen Möglichkeit lag im 19. Jahrhundert deshalb nahe, weil sich mit ihr weitgehend ein empirisch-naturwissenschaftliches Verständnis auch der Gegenstände des Rechts durchhalten ließ. Man scheint damit sogar einer besonderen, durch das Verständnis der Neuzeit an das Recht herangetragenen Forderung genügen zu können, nämlich das Recht an gleichsam beobachtbare Vorgänge zu knüpfen, die nicht der relativen Ungewißheit subjektiver Einschätzung unterliegen. Es überrascht daher nicht, daß Teile eines solchen Verständnisses bis in die Gegenwart hinein Wirkung entfalten 62. Begreift man Objektivität so, dann tritt sogleich ein Problem auf, das für objektive Unrechtslehren allgemein Nagler formuliert hat: sie haben mit dem "Gespenst der widerrechtlich waltenden Natur" zu schaffen 63 • Ob ein Mensch durch die Tat eines anderen oder durch Blitzschlag getötet wird, ist für das Faktum seines Todes gleichgültig; jedenfalls ist ein vom Recht nicht gebilligter Zustand eingetreten 64 • Im Strafrecht war es - mit einer freilich bedeutsamen Modifikation des Gesamtverständnisses von Recht und äußerer Welt - Franz v. Liszt, der eine solche Konzeption der Tendenz nach vertrat: "Das, was als Wirkliches dem Begriffe des Verbrechens entspricht, mag dieser gefaßt sein wie er will, ist immer ein sinnfälliges Ereignis der Außenwelt, ein Geschehen an Menschen und Dingen, eine Veränderung nach dem die Natur beherrschenden Kausalgesetzen. "65 Oder, im gleichen Aufsatz 66 : "Nur in der begriffiichen Abstraktion der Rechtswissenschaft erscheint das Verbrechen als Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern; als Ereignis der Sinnenwelt ist es die an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit erfolgende Bewirkung einer sinnfälligen Veränderung an einzelnen bestimmten Personen oder Sachen durch willkürliche Körperbewegung. " An diesem letzten Zitat ist für unser Thema zweierlei bemerkenswert. Zum einen benennt v. Liszt die Gefährdung als mögliche Erscheinungsform des Verbrechens; er vertrat auch bekanntlich eine objektive Versuchslehre 67 • Zum 62 S. z. B. die Bem. bei Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 413, unter Bezugnahme auf Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz, S. 13. 63 Nagler, Stand der Lehre, S. 64; s. auch Merkei, Grundeinteilung, S. 45. 64 v. Jhering nahm insofern eine MittelsteIlung ein, als er zwar schuldloses Verhalten als unrechtsbegründend ansehen wollte (der gutgläubige Besitzer einer fremden Sache), dafür aber jedenfalls willentliches Verhalten verlangte. Allerdings argumentiert er bei der Ablehnung "naturhaften" Unrechts lediglich mit dem Fehlen einer Klagemöglichkeit, und auch beim unrechtmäßigen Besitzer soll es offenbar nicht auf die Willentlichkeit der Besitzbegründung, sondern auf die Ablehnung der Herausgabe ankommen (v. Jhering, Das Schuldmoment im römischen Privatrecht, S. 155ff., 161). 65 Rechtsgut und Handlungsbegriff im Bindingschen Handbuche, Aufs. I, 222. 66 a. a. O. (FN 65), 241.

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anderen ist das "Gespenst der widerrechtlich waltenden Naturen" dadurch gebannt, daß eine willkürliche Körperbewegung, d. h. aber - vernünftig verstanden - ein menschliches Verhalten für das Verbrechen erforderlich ist 68 . Das kann ja auch kaum anders sein, denn nach den gedanklichen Anstrengungen des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts mußte das Recht vom Menschen her konzipiert werden, und auch v. Liszt stand auf diesem schon bereiteten Boden. Gleichwohl konnte er die darin liegende Chance einer prinzipiellen Neubestimmung des Verhältnisses von Einzelnem und Recht nicht ergreifen. Das lag daran, daß er zwar mit der Beziehung des Rechts auf die äußere Welt und die Einbeziehung menschlicher Aktion - wenn auch nur in reduzierter Form - eine gewissermaßen schlicht empirische Reduktion des Rechts vermied, aber nur um den Preis, einen dynamisierten Naturbegriff einzuführen, der Welt, Recht und Mensch umspannte, und die Verhältnisse im Rücken der Beteiligten vorantrieb 69 • Indem v. Liszt die Entwicklung des Rechts als eine evolutionistische begriff, war ihm der Weg zu einer Sonderstellung des einzelnen Individuums in dem Zusammenhang versperrt. Diese Ausführungen sollen mit einigen Stellen aus v. Liszts bekanntem Aufsatz "Der Zweckgedanke im Strafrecht"70 belegt werden, in dem er das Verhältnis von Verbrechen und Strafe näher beschreibt. Nach seiner Vorstellung können Verbrechen und Strafe nur aus dem Prinzip der Erhaltung des Einzelnen und der Art erklärt werden; die hier offenkundige Nähe zur Evolutionstheorie wird von v. Liszt zugegeben 71. Generell läßt sich das Verbrechen als Störung der Lebensbedingungen bezeichnen 72 ; die Strafe ist zunächst bloße Triebhandlung 73. Im Laufe einer Entwicklung zur immer helleren Erfassung der Gegebenheiten klärt sich der anfänglich blinde Reaktionszusammenhang zwischen Störung und Gegenaggression immermehr auf. In dieser Entwicklung wird nicht nur das Verbrechen begrifflich näher bestimmt14, sondern auch Art und Maß der Strafe 75. Das teleologische Modell macht sich im Recht ebenso geltend wie bei der Entwicklung der Knospe zur Blume 76. Das Verständnis des Unrechts als 67 s. Lehrbuch, S. 192f., 199. 68 Wobei außer Betracht bleibt, daß "menschliches Verhalten" hier offensichtlich erheblich unterbestimmt ist. 69 Vgl. dazu und zum folgenden E. A. Wolff, ZStW 97 (1985) 795ff. 70 ZStW 3 (1882) 1 ff.; im folgenden zitiert nach dem Abdruck in Aufsätze I, 126 ff. Vgl. ferner Lehrbuch, §§ 1-4, S. 1 ff. 71 a. a. O. (FN 70), S. 133, 137. Sehr deutlich auch ZStW 26 (1906) 556: " ... für unsere menschliche Zwecksetzung bleibt uns nur die Hemmung oder Förderung eines von menschlicher Willkür unabhängigen Entwicklungsganges." 72 a.a.O. (FN 70),147,152. 73 a.a.O. (FN 70),127,142 u.ö. 74 a.a.O. (FN 70),147. 75 a.a.O. (FN 70), bes. S. 152ff. 76 v. Liszt steht damit den Vorstellungen v. Jherings sehr nahe; vgl. v. Liszt selbst, a. a. O. (FN 70), S. 150f.; v. Jhering, Zweck im Recht, passim, bes. Teil I; ein Unterschied besteht

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

einer distanziert vom beobachtenden Verstand geleisteten Beschreibung eines äußeren Vorgangs ist mithin der (vorläufige?) Endpunkt der Entwicklung der Unrechtsbestimmung nach v. Liszt. Das Verhältnis zwischen Recht und äußerer Wirklichkeit wird dabei so bestimmt, daß das Recht menschliche Interessen anerkennend in sich aufnimmt; sie sind dann rechtlich geschützte Interessen. Dies leistet nach v. Listzt der "allgemeine Wille", der einige Interessen anerkennt, andere zurückweist1 7 . Fragt man nach der Bedeutung der einzelnen Individuen in diesem Zusammenhang, so läßt sich die Antwort in einem ersten Schritt aus dem Gesagten ermitteln. Die im gedanklichen Ansatz erfolgende Reduktion der Personen auf ihre Eigenschaft, Urheber von Lebensprozessen zu sein 78 , kann durch keine äußerlich hinzutretende zusätzliche Bestimmung dem Prinzip nach näher aufgefangen werden. Selbst der Rechtswissenschaftler, dem v. Liszt implizit ein erhöhtes Maß von Einsicht zuweist, wird letztlich von Entwicklungstendenzen geschoben, die er selbst nicht vollständig überblicken kann (s. o. Anmerkung 71). So bleibt auch ganz unausgewiesen, woher die Qualität des allgemeinen Willens kommen soll, die Anerkennung bzw. Zurückweisung von Interessen gerecht vorzunehmen 79 - und nicht nur auf der Höhe des empirisch-zufälligen augenblicklichen Entwicklungsstandes. Mit dem Begriff des allgemeinen Willens ist eine Qualität benannt, die zunächst - auch bei Rousseau - an dem vernünftigen Willen des Einzelnen ansetzen muß; dieser Zusammenhang kann aber nicht mehr hergestellt werden, wenn er einmal verlorengegangen ist. Mit der rechnend-rationalen Erfassung des Einzelnen ist aber ein zusätzliches Moment vorhanden, das für unser Problem einer Versuchsbestimmung aus der Perspektive einer solchen objektiven Unrechtslehre von wesentlicher Bedeutung ist. Das Recht ist in dieser Auffassung beschreibend auf die äußere Wirklichkeit gerichtet. Diese Position des Rechts liegt aber überhaupt nahe, da es sich so auf die Perspektive des Richters verengt, d. h. die notwendig auch neutrale, den Lebensvollzügen selbst enthobene Position. Damit entgleitet dem Recht aber die Möglichkeit, sich in die Realität der Vorgänge als einer ihrer Teile zu integrieren. Beim Versuch wird das ganz deutlich: Eine solche Auffassung muß beschreiben, was sich äußerlich verändert, wenn sich der Zustand gerade nicht verändert. Nun gelingt natürlich eine Beschreibung dann, wenn sie das Moment der Gefahr mit aufnimmt. Aber sie hat für dieses Vorgehen nichts vorzuweisen als die Plausibilität, und sie hat stets den Einwand zu gewärtigen, daß die eingetretene lediglich insofern, als bei dem Zivilisten v. Jhering der Zusammenhang auf eher unauffällige, also gewissermaßen "verträgliche" Weise sich herstellt, während beim Strafrechtler v. Liszt das Moment des "Kampfes" mehr im Vordergrund steht. 77 Lehrbuch, S. 4. 78 s. dazu auch Radbruch, Handlungsbegriff, bes. S. 129ff. Vgl. allerdings auch die spätere Korrektur Radbruchs, Frank-Festgabe Bd. I, S. 158ff., 161f. 79 Und dieses Problem" verdoppelt" sich dann bei der Begründung der Strafe; vgl. dazu E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), 795f.

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Situation für das Unrecht indifferent zu beurteilen ist so . Schließlich ist das Überwiegen des Willensmoments beim untauglichen Versuch nicht mehr erfaßbar 81 . Damit ist der Mangel noch nicht systematisch nachgewiesen (denn diese Auffassung könnte ja richtig sein), sondern nur zur Überlegung gestellt. Eine Unrechtslehre der Art, wie v. Liszt sie vorgetragen hat, kann jedenfalls für den Versuch keine zusätzlichen Einsichten bringen, die die bereits bei den objektiven Versuchstheorien benannten Schwierigkeiten überwinden könnten.

2. Mezger Nicht in seiner systematisch entwickelten Gesamtkonzeption ist Mezger über v. Liszt hinausgegangen 82, sondern in einer entscheidenden näheren Bestimmung der materialen Seite des Unrechts ganz aus der Perspektive des Verletzten. Das hat auch Auswirkungen auf das Verständnis des Versuchs. Ganz ähnlich wie v. Liszt bestimmt Mezger das Recht als "Mittel im Dienste der Erhaltung und Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft" 83 . "Die letzten Zwecke des Rechts liegen nicht innerhalb, sondern außerhalb des Rechtslebens im Leben der Gesellschaft. .. "84. Anders aber als v. Liszt und mehr an - unter 3. gleich zu besprechenden - neukantianischen Positionen orientiert, stellt er das Recht als Bild des Richtigen (Bewertungsnorm) schärfer dem sozialen Leben gegenüber; die bei von Liszt festgestellte Bedeutung des Evolutionsgedankens ist bei Mezger zurückgenommen. Wichtiger aber ist, wie er das materielle Unrecht differenzierter behandelt. Die Lebensbedingungen selbst, die das Recht gestaltet, kennzeichnet Mezger als menschliche Interessen; das ist "die Anteilnahme des Willens an etwas"8S, und das Recht billigt diese Willensbeziehung und Willens betätigung 86 . Unrecht 80 Das wird sehr deutlich bei Spendet, Zur Neubegründung der objektiven Versuchstheorie, Festschrift für Stock, S. 89fT. (110f.), wo Spendet selbst letztlich jede Interpretation eines Geschehens als entlastend zulassen will, die eine mögliche Versuchshandlung als "nicht so gemeint" verstehbar werden läßt. 81 Die von v. Liszt geforderte "Ernstnahme" der Gefahr durch die "nachträgliche Prognose" ändert daran nichts, da sie nicht die Grundkonstruktion (äußerer Sachverhalt) berührt; s. oben bei Anm. 22. 82 Zu nennen sind dafür vor allem die Schrift "Sein und Sollen im Recht" und "Die subjektiven Unrechtselemente" (GS 89 -1924 -, 207ff.). Etwas anders sind die Akzente gesetzt in "Moderne Wege der Strafrechtsdogmatik", S. 7-10, wo Mezger stärker als früher auf die Wert- und Existenzphilosophie abstellen will, ohne dies jedoch geschlossen durchzuführen (s. auch Moderne Wege, S. 20fT.). 83 Sein und Sollen, S. 80. 84 Sein und Sollen, S. 81. 85 Subjektive Unrechtselemente, S.248. Auch v. Liszt sprach bekanntlich vom "Interesse" (s. etwa Rechtsgut und HandlungsbegrifT, Aufs. I, S. 225), aber ohne die in ihm liegende Dynamik genauer herauszuarbeiten; s. dazu auch Ametung, Rechtsgüterschutz, S.85. 86 a.a.O. (FN 85).

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

ist die Verletzung eines solchen Interesses 87 • Damit ist zweierlei gemeint. Zum einen stört das Unrecht das Bild der guten Ordnung, das das Recht vom sozialen Leben entwirft 88 ; unter 3. wird dies noch genauer zu erörtern sein. Zum andern aber bestimmt sich das Unrecht ganz aus der Perspektive des Verletzten: "Maßstab des Unrechts ist grundsätzlich nicht die Zwecksetzung, die Interessenrichtung des unrecht Handelnden, des Verletzers, sondern überall die Zwecksetzung, die Interessenrichtung des unrecht Leidenden, des Verletzten. "89 Mit dem Begriff "Interesse" werden die Lebensbedingungen der Einzelnen einmal (wenn auch nur einfach) reflektiert begriffen; es ist eine Distanz gesetzt zwischen Einzelnem und Lebensgut, die durch das Interesse (die Anteilnahme des Willens) wieder überbrückt wird. Dadurch wird deutlicher als bei v. Liszt, daß durch das Unrecht nicht nur ein naturhafter Zusammenhang gestört wird, sondern ein (schon) reflexiv bestimmter. Zwar hat Mezger die Beziehung zwischen Willen und Interesse und insbesondere die Qualität des Willens nicht sehr weit aufgehellt; er bleibt dabei stehen, daß der Wille letztlich Interesse an allem und jedem nehmen kann 90 , ohne daß qualitative Anhaltspunkte ihn dabei leiteten. Immerhin wird am sozialen Leben durch die Konzeption Mezgers ein Moment hervorgehoben, das im Selbstbewußtsein der einzelnen Personen auch anwesend ist: die Gestaltbarkeit durch die Einzelnen; sie sind herausgehoben aus einem naturhaft fortlaufenden Entwicklungsprozeß. Die Objektivität des Unrechts wird dadurch (zunächst auf der Opferseite) in einem ersten Schritt an die Handelnden zurückgebunden. Nun liegt darin gerade für das Problem des Versuchs eine Chance. Im Zusammenhang mit der Verbrechenslehre Feuerbachs hat Michael Westpfahl in seiner Dissertation daraufhingewiesen 91 : wenn das Recht des Einen anerkannt wird, besteht die notwendig andere Seite dieses Gedankens darin, daß die Anderen dieses Recht respektieren müssen. Nach Westpfahl - der Feuerbach diese Ansicht für die ersten Auflagen des Lehrbuchs unterstellt, in denen Feuerbach die Strafbarkeit des absolut untauglichen Versuchs vertrat - läuft das auf die subjektive Versuchstheorie hinaus. Der zweite Teil dieser Arbeit wird zeigen, daß das ein zu schneller Zugriff auf die Lösung ist. Aber gerade auch für Mezger hätte eine ähnliche Lösung naheliegen müssen. Nicht nur, daß er über "subjektive Unrechtselemente" spricht, hätte ihm Veranlassung geben müssen, die konstitutive Beteiligung des Täters am Unrecht im Rückstoß auch am Rechtsverhältnis zu überdenken. Sondern gerade auch die zentrale Stelle seiner Rechtfertigung subjektiver Unrechtselemente deutet in diese Richtung, zeigt aber auch, daß Mezger sie nicht eingeschlagen hat: Er schreibt, die Berücksichtigung der Willensrichtung des Täters sei deshalb oft notwendig, weil eine 87 88 89 90

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a.a.O. (FN 85), S. 249. a.a.O. (FN85), 239ff. (bes. 241-243). a. a. O. (FN 85), S. 250. s. dazu auch E. A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht, S. 153f. Zum Unrecht im Versuch, S. 5.

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objektive Unrechtsbestimmung allein das Phänomen verkürzt: "So grob und äußerlich läßt sich das feine und komplizierte menschliche Interessenspiel nicht fassen."92 In Mezgers Verständnis erscheinen jedoch subjektive Unrechtselemente bloß als Ergänzung eines sonst farblosen Bildes; es bleibt bei der Unrechtsbestimmung vom Verletzten aus. Das zeigt sich dann wieder deutlich beim Versuch: Mezger vertritt eine objektive Versuchstheorie 93 . Das "feine menschliche Interessenspiel" wirkt sich also beim Versuch nicht dahin aus, daß der Täter konstitutiv in den Zusammenhang miteinbezogen würde. Immerhin aber bekommt das Moment der Gefahr des Versuchs durch die von Mezger duchgehaitene Perspektive des Verletzten eine zusätzliche Qualität. Sie wird nicht mehr allein prospektiv aus der Handlung des Täters heraus bestimmt, sondern läßt sich aus der Perspektive desjenigen betrachten, auf den das Geschehen zuläuft. Und für dessen Position macht es in der Tat einen Unterschied, ob sie real gefährdet ist oder aber nicht. Insofern ist der Stand der Indifferenz hier verlassen. 3. Der Beitrag der Wertlehren Die Unrechtsbestimmung erfährt eine Bereicherung, wenn man in sie den Widerspruch gegen eine werthaft-gestaitete soziale Welt aufnehmen kann 94 • Denn damit ist (auf eine noch näher zu zeigende Weise) eine Möglichkeit eröffnet, die Rechtlichkeit bzw. Unrechtlichkeit einer Tat als eine eigene Qualität an ihr zu erfassen. In diesem Verständnis steht der Einzelne nicht in seinem Lebensbezug zur Welt im Vordergrund (wie es im Begriff des "Interesses" der Fall war), sondern das Ganze seines Daseins wird erst als bezogen aufWerte und deren Verwirklichung begreiflich. Die Entfaltung dieses Ansatzes im Rahmen einer Eörterung objektiver Unrechtslehren ist nicht selbstverständlich, wenn man zur Wertphilosophie wesentlich Welzels Übernahme (d.h. eine subjektive Unrechtslehre) assoziiert. Doch läßt sich in dem vorliegenden Zusammenhang die Rolle der Wertlehren angemessen erfassen, lag ihre Bedeutung im Gang des neunzehnten Jahrhunderts doch darin, das gleichsam zerfallene Gute an einzelnen Punkten - den Werten - wieder zu sammeln und fest werden zu lassen 9s . Es wird zu zeigen sein, daß gerade dadurch die Wertlehren im Hinbick auf die praktische Philosophie, insbesondere die Rechtsphilosophie, zu einem Rückfall auf vorkantische, d. h.: vorkritische, Stufen beigetragen haben. Subjektive Unrechtselemente, S. 260. Subjektive Unrechtselemente, S.266 (wo die subjektive Versuchstheorie ohne Begründung abgelehnt wird); ausgeführt dann im Lehrbuch, S. 396f. 94 Bei Mezger war das angelegt, aber nicht streng durchgeführt, vgl. etwa ZStW 57 (1938), 675fT. (697), später dann Moderne Wege, insbes. 7-10 (s. aber auch 20-32 zum Unrecht, wo die alten Standpunkte deutlich noch erhalten sind). 9S Vgl. den Artikel "Das Gute" von Helmut Kuhn in: Baumgartner u.a. (Hrsg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, S. 671 f. 92

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In der Rechtswissenschaft ist diese Lehre (nimmt man sie vorläufig einmal als Ganzes) ungleich wirkmächtiger geworden als in der Philosophie, auch wenn sie dort im hermeneutischen Denken, also gewissermaßen versteckt, weiterlebt 96 • Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lebt von ihr 97 ; die Formulierung des § 34 ist nur aus ihr heraus zu verstehen 98 • Ins Strafrecht übertragen wurden zwei unterschiedliche Ausfaltungen dieses Ansatzes. Einmal die eher methodologisch ausgerichtete des sogenannten Südwestdeutschen Neukantianismus, vor allem Rickerts und Lasks. Zum anderen - und erfolgreicher als der erste Ansatz, bis in die Gegenwart - waren es die Wertlehren der Phänomenologen Scheler und Nicolai Hartmann. Dabei verlief die Aufnahme durch das Strafrecht in zwei unterschiedlichen Bahnen. a) Die erste Übernahme hielt sich vornehmlich an Rickert und dessen frühe Arbeit "Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung"; ihr Ergebnis war der sogenannte teleologische Rechtsgutsbegriff99. Rickert hatte vornehmlich auf die Geschichtswissenschaft konzentriert - dargelegt, daß im Gegensatz zur generalisierenden Methode der Naturwissenschaften (die auf allgemein geltende Gesetze abzielt) die Kulturwissenschaften eine individualisierende Betrachtung des gegebenen Stoffs vornähmen, d. h. eine Sinnerfassung des konkret Gegebenen 100. Erkenntnistheoretisch möglich sei das dadurch, daß sie den Tatsachenstoff aufWerte bezögen und damit seinen Sinn begriffen 101. Diese Erkenntnisform der Wertbeziehung wurde nun von Honig und Schwinge so auf das Strafrecht übertragen, daß der einzelne Tatbestand zum gegebenen Stoff gehörig, das Rechtsgut aber als der Wert begriffen wurde, auf den dieser Stoff zu beziehen sei 102. Die Elemente der Wertlehre Rickerts wurden dabei nahezu gewaltsam den gedanklichen Stationen des Strafrechts angepaßt. Was für Rickert der Wert ist, ist nun "die gesetzgeberische Idee"103; was bei ihm das geschichtliche Material ist, wird nun mehrerlei: einmal die Lebenswirklichkeit selbst 104-, dann aber auch das schon rechtlich gestaltete Material 105 • Das 96 Zum "weiteren Schicksal" der Wertphilosophie s. auch Schnädelbach, Philosophie in Deutschland, S. 229 ff. 97 s. dazu etwa die Arbeit von Helmut Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, zu Scheler, S. 170 ff. 98 s. Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, 83ff., 155ff. 99 Vgl. Honig, Die Einwilligung des Verletzten, 83ff., 90-94: Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, passim (zur Wertphilosophie S. 4-19). Zur Frage, inwieweit Honig von Rickert beeinflußt war, vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 129 m. FN 19. 100 Vgl. z. B. Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 188 ff., 277 ff. Hinzuweisen ist darauf, daß Rickert selbst für die Rechtswissenschaft ausdrücklich einen Vorbehalt anmeldet, S. 618/619: die Rechtswissenschaft weise wegen ihrer unmittelbaren Wertbeziehung eine große Nähe zur Philosophie als Wertlehre auf; da sie auch selbst normativ vorgehe, besitze sie eine andere logische Struktur als Naturwissenschaft / Kulturwissenschaft. 101 Vgl. etwa Grenzen, S. 333. 102 Vgl. Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 19ff.; Honig, Einwilligung, S. 91 ff. 103 Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 22.

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Entscheidende am teleologischen Rechtsgutsbegriff war es also, daß er seine Setzungen vom Gesetzgeber empfing. In Honigs Worten: "Die Schutzobjekte existieren nicht als solche, sie gewinnen erst Leben, indem wir die Gemeinschaftswerte als Zweckobjekte der Strafrechtssätze ins Auge fassen."I06 Und Schwinge: "Genauere Überlegung lehrt nun, daß nur das Auswahlprinzip sein kann, was man die gesetzgeberische Idee, den Grund oder Zweck des Rechtssatzes, seine Ratio genannt hat - mit anderen Worten das, was Triebkraft oder Motiv für die Schaffung der Gesetzesnorm war." 107 Der Mangel einer solchen Bestimmung des Rechtsguts (und vermittelt darüber des objektiven Gehalts des Unrechts) liegt darin, daß sie die gesetzgeberischen Vorstellungen als letzte Gegebenheiten der Rechtswissenschaft setzt und damit letztlich positivistisch bleibt. In der Tat räumt Schwinge ein, der Gesetzgeber habe die Möglichkeit, auch einen sozialschädlichen Zustand mit Rechtsschutz zu versehen. Eine solche Position schöpft die Möglichkeiten der Wertlehre nicht aus, auch wenn sie gewissermaßen im kleinen einen Mangel erweist, dem diese Lehre insgesamt unterliegt 108 • Denn eine verbindliche Wertordnung kann nicht der Bestimmung durch den Gesetzgeber ausgeliefert sein, sondern müßte ihn selbst binden. Freilich zeigt der Rückgriff auf ein die Ordnung bestimmendes Willenssubjekt eine mit der behaupteten Rangordnung der Werte verbundene Schwierigkeit auf, die besonders dann sich stellt, wenn man die Wertphilosophie mit dem Gedanken der Autonomie der Einzelnen zusammenhält. Das kann hier aber vorerst nur angedeutet werden. b) Die zweite Übernahme war dadurch gekennzeichnet, daß sie sich nicht an das methodologisch ausgerichtete Frühwerk Rickerts lO9 anschloß, sondern an sein die Wertlehre im Zusammenhang einer Welterfassung entfaltendes "System der Philosophie I" (1921). Sie wurde geleistet von Erik Wolf1 IO , Mittasch 111 und Würtenberger 112 und führte zu einem durch die Wertlehre inhaltlich beeinflußten Rechtsgutsbegriff113 • Deshalb unterscheidet sich diese Strömung im Ergebnis nicht wesentlich von der Anlehnung an die Wertphilosophie der Phänomenologen, also wesentlich Schelers 114 und Nicolai Hartmanns llS , die von Welzel für a.a.O. (FN 103), S. 9. So verstehe ich die Ausführungen a.a.O. (FN 103), S. 19. 106 Honig, Einwilligung, S. 94. 107 Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 22. 108 s. dazu auch E. A. Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht, S. 150 ff. 109 s. die Bem. von Rickert selbst, Grenzen, S. 9. 110 Strafrechtliche Schuldlehre I, S. 2, 73 ff. 111 Die Auswirkungen des wertbeziehenden Denkens in der Strafrechtssystematik, bes. S. 22 ff., 84 ff. 112 Das System der Rechtsgüterordnung, bes. S. 1 - 8. 1\3 Ich knüpfe insoweit an die Darstellung Amelungs, Rechtsgüterschutz, S. 146ff., an. 114 Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik. 115 Ethik. 104 105

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das Strafrecht fruchtbar gemacht wurde 1l6 • Die Bedeutung dieses Vorgangs wirkt im Strafrecht bis in die unmittelbare Gegenwart fort. In vielen Kommentaren und Lehrbüchern wird in den Grundfragen des Unrechts immer wieder auf den Begriff des Werts zurückgegriffen ll7 . Die Wertphilosophie erweist sich damit in der Rechtswissenschaft als lebensfähiger als in der Schulphilosophie, in der ihr nur ein kurzes Leben beschieden war 1l8 . Im Zusammenhang dieses Abschnitts soll zunächst nur auf die Wertlehre insoweit eingegangen werden, als sie eine objektive Ordnung von Werten als Richtpunkt praktischen Handeins postuliert. Es bleibt also zunächst noch außer Betracht, daß eine wichtige Folge der Wertlehre die Möglichkeit der Einführung eines Aktwertes darstellt, der der sittlich handelnden Person anhaftet. Freilich wird auch bei dieser Beschränkung schon das Verhältnis des Einzelnen zum Wert in seiner objektiven Gestalt angesprochen werden müssen. Dem besonderen Anliegen des Rechts (und des Strafrechts), die Regelung äußerer Verhältnisse zu leisten, kamen die Werttheoretiker dadurch entgegen, daß sie einen äußeren Bereich der Verbindung von Wert und Sein anerkannten: die Güter. Wenn auch die Bestimmung dieser Verbindung nicht einheitlich geschah 1l9 , war doch vom gedanklichen Ansatz her das soziale Leben um eine Sinndimension bereichert und das Recht als im Zusammenhang damit stehend begreiflich gemacht. Güter sind Verkörperungen von Werten im äußeren Sein, wobei man sich nicht nur Dinge, sondern auch - in der Formulierung Nicolai Hartmanns - "reale Verhältnisse" oder "reales Verhalten von Personen"120 vorzustellen hat. Unterscheidet man dann noch den Objektwert vom Wertob116 Wetzel hat immer wieder seine Unabhängigkeit von der Ethik Nicolai Hartmanns betont (vgl. z. B. Vorwort zu Das neue Bild, S. IX). Doch sind die Berührungspunkte in der Sache deutlich, und es ist sicher auch kein Zufall, daß Wetzel in "Das neue Bild des Strafrechtssystems" die Beschreibung der Finalstruktur der Handlung z. T. wörtlich (von ihm auch ausgewiesen) Hartmanns Ethik entnimmt. - Zum Verhältnis Welzel/ Hartmann auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 165 m. Anm.43. 117 Vgl. etwa Schmidhöuser, AT, 2/30 (36f.) (unter ausdrücklichem Bezug auf die "allgemeine Wertlehre"); 8/28 (205f.); Maurach/Zipf, AT 1, §7 I (S. 79f.); § 13 II 2 (162ff.) (hier allerdings unter starker Betonung des Gedankens der Sozialschädlichkeit); § 19 II A (256ff.); Jescheck, AT, § 1 III (S. 5f.); § 26 I (205ff.); Wesseis, AT, S. 2f.; s. auch Welzel, Lehrbuch, S. 1- 5; Lenckner in: Schönke / Schröder, RN 9 vor §§ 13 ff.; Rudolphi, SK, RN 8 vor § 1 (Rechtsgüter als "werthafte Funktionseinheiten"). 118 Helmut Kuhn spricht von dem "zu kurzlebigen philosophischen Ehren aufgestiegene(n) Wertbegrifr', Art. "Das Gute" in Baumgartner u.a. (Hrsg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, 672. - Die Überlebenskraft der Wertphilosophie in der Rechtswissenschaft beruht allerdings wesentlich darauf, daß die Ordnung der Werte vom Zusammenbruch eines politischen Systems und dem Ende eines Weltkriegs scheinbar unberührt bleibt. Es konnte deshalb leicht eine Brücke geschlagen werden von der hohen Zeit der Wertphilosophie im ersten Drittel des Jahrhunderts und der Zeit nach 1945. 119 Vgl. dazu die Darstellung bei Schnödelbach, Philosophie in Deutschland 1831 -1933, 197ff.,205ff. 120 Ethik, S. 145.

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jekt 121, so bieten sich verschiedene Differenzierungen für die Bestimmung des Unrechts an, das man etwa als Verletzung des Wertobjekts oder aber als Schaffung eines wertwidrigen Zustands näher fassen kann 122 (von der Übertragung auf den Aktunwert ganz abgesehen). Werthaft gestaltet ist das äußere Sein dann, wenn die Werte in ihm wirklich werden. Da von den wichtigsten Wertphilosophien das Reich der Werte als prinzipiell unabhängig vom Reich des Seins begriffen wird 123, die Werte aber wirklich werden sollen, bedarf es einer Stelle in der Welt, die beide verbindet 124. Das Subjekt ist es, das sich in der Entscheidung für den Wert zur sittlich handelnden Person erhebt. Für das Recht steht gleichwohl nicht die sittliche Person im Zentrum, sondern der äußere Bestand der Güter, auf dem die Sittlichkeit dann erst aufbaut 12S. Nach der Vorstellung derjenigen, die Wertlehren im Strafrecht vertreten, wählt das (Straf-)Recht aus den Gütern die für die Gemeinschaft besonders wichtigen aus und erhebt sie damit in den Rang von Rechtsgütern l26 • Schon daran wird deutlich, daß für das Unrecht - soweit es material verstanden wird - sich an der Grundstruktur des Werts nichts ändert, daß also auch in der Verletzung durch ein real wirkendes Subjekt seine Idealität erhalten bleibt. Das bedeutet vor allem, daß der Wert selbst nicht verletzt werden kann, soweit ihm ein eigenes, vom handgreiflich-gegenständlichen Sein abgelöstes Dasein zukommt; angreifbar ist stets nur sein Träger (in der Sprache des Strafrechts: das Handlungsobjekt). 121 Vgl. etwa Heyde, Wert, S. 22ff., zitiert b. Welzel, Über Wertungen im Strafrecht, in: Abhandlungen, S. 24f. 122 s. etwa Sehmidhäuser, AT, 2/31, S. 37f. (wobei dann noch bei Sehmidhäuser die Verletzung des Achtungsanspruchs des Werts selbst hinzukommt); oder Lampe, Personales Unrecht, S. 211 ff. (Subj~,ft / Objekt / Beziehungsunwert, s. dazu noch unten C II 4 d). S. ferner Sax, JZ 1976, S. 11. . 123 Vgl. die Übersicht bei Sehnädelbaeh, Philosophie, S. 206. Dabei wird nicht verkannt, daß Werte "real" begegnen können. - Wetzel vertritt in "Kausalität und Handlung", in: Abhandlungen, S. 17, eine andere Auffassung. Wert ist danach "eine Bezogenheit des Gegenstandes auf ein Ich, dem etwas ,wert' ist." Dabei geht aber die entscheidende positive Bestimmung des Guten durch die Wertlehre verloren; sie beantwortet gerade über eine naturalistische Interessenlehre hinaus die Frage, wann etwas "zu Recht" von einem Individuum für wertvoH gehalten wird. 124 Vgl. Riekert, System I, 265ff., oder Hartmann, Ethik, 127ff. s. auch Bruno Bauch, Wahrheit, Wert und Wirklichkeit, S. 467ff. (501 ff.). 125 Das wird an einer Stelle bei Hartmann sehr deutlich gesagt: "Das differenziertere sittliche Leben kann erst beginnen, wo die roheren Grundbedingungen erfüllt sind. ( ... ) Rechtlichkeit ist das Minimum an Moralität, das aller entfalteten Sittlichkeit vorausgeht." (Ethik, 422). Die Wertlehre begegnet an dieser SteHe einer Strömung der Interpretation von Kants Trennung von Legalität und Moralität, s. dazu noch 2. Teil, BIll d. - Ähnlich Seheler, Formalismus, S. 558; zu seiner eher negativen Einschätzung des Rechts s. auch S. 216, Anm. 1. 126 Vgl. Würtenberger, System, S.1-8; Mittaseh, Auswirkungen, S.41ff.; Wetzei, Lehrbuch, S. 2.

5 Zaczyk

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Es lohnt sich an dieser Stelle, unter Absehung aller Subjektivierungen über Aktunwert (Welzel) oder aber Verletzung eines vom Wert ausgehenden Achtungsanspruchs (Schmidhäuser), das Problem des untauglichen Versuchs im Verhältnis zur Wertlehre zu untersuchen. Das mag ein wenig gewaltsam erscheinen. Gleichwohl können sich aus dieser Betrachtung wesentliche Aufschlüsse über das Verhältnis von Willen und Wert ergeben. Begreift man die einem Wert geschehene Verletzung als Verletzung des ihn repräsentierenden, verkörpernden Objekts, dann steht man für den Versuch vor der Schwierigkeit aller objektiven Lehren: Man kann - mit allen aufgezeigten Schwierigkeiten - dann nur noch über eine Bestimmung des gefährlichen Versuchs zum Unrecht gelangen; der ungefährliche Versuch kann kein Unrecht sein. Denn wenn es so ist, daß die Werte - wie die Wertphilosophen immer betonten - ein ideales An-sieh-Sein haben 127, dann ist die Verbindung, die sie mit der Lebenswelt der Menschen eingehen, ihrem eigenen Reich gegenüber immer nur von sekundärer Art; ob ein Wert verwirklicht wird oder nicht, ändert an seinem Sein nichts. Entsprechend muß eine daran orientierte Verletzung mehr sein als bloße Intention 128. Wenn der untaugliche Versuch überhaupt ein ernstzunehmendes Ereignis darstellen soll, dann muß sich in ihm die Bedeutung der Subjektivität (hier noch ganz unaufgelöst und vorläufig eingeführt) gegenüber der unzulänglichen äußeren Veränderung geltend machen. Im Zusammenhang mit der Wertlehre gibt das Anlaß dazu, das Verhältnis von Einzelnem und Wertordnung zunächst in einem positiven Verständnis (also bei praktisch richtigem Verhalten) zu untersuchen. Das soll im Folgenden im Anschluß an Scheler und Nicolai Hartmann geschehen. Es besteht eine Vermutung dafür, daß das Recht der Subjektivität im Unrecht nicht weiter gehen kann als seine Mächtigkeit bei der Herstellung des positiv Richtigen 129. Von dieser Basis aus kann dann auch untersucht werden, ob sich für den Versuch eine Lösung ergibt. Scheler wendet sich in seinem Werk, wie sich schon aus dem Titel ergibt, gegen den "F ormalismus" in der Ethik, den er vor allem Kant vorwirft 130. Er postuliert dagegen eine Ethik, die dem guten Willen inhaltliche Bestimmungen gibt. Das wird dadurch möglich, daß das Handeln sich an einer gestuften Rangordnung 131 der Werte orientiert; gut ist eine Handlung, die einen positiven Wert erkennt (vorzieht) und ihn in ihrem Vollzug realisiert 132 . Für die sittlich handelnde 127 Vgl. etwa Riekert, System I, S. 114; Sehe/er, Formalismus, S. 279; Hartmann, Ethik, 119ff., 153. 128 Nicht begehbar ist der Ausweg von Sax, "Tatbestand" und Rechtsgutsverletzung, hier S. 431 ff., der meint, zwar nicht durch die einzelne Versuchshandlung werde der Wert verletzt, wohl aber könne er durch eine große Anzahl von Taten seine Geltung einbüßen. Denn es geht beim Unrecht stets um die einzelne Tat, nicht um ein Symptom. 129 s. auch die Analyse der Momente der Handlung bei Sehe/er, Formalismus, S. 137. 130 Vgl. Formalismus, S.173ff., bes. 200ff. 131 Zu ihr etwa Formalismus, S. 39f., 104ff.

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Person bedeutet dies eine Stellung gegenüber den Werten, die letztlich ihrer Stellung gegenüber der Welt als theoretisch erfahrbarer gleicht: es besteht zwar eine Distanz zwischen Erkennendem und Erkanntem, aber der Kreis der möglichen Bewußtseinsinhalte steht fest - sei es als Welt der Objekte, sei es als Rangordnung der Werte. Sittliches Handeln besteht dann in einem Sicheinfügen in das vorgegebene Gute 133 • Wie die Welt sein soll, liegt als Muster für die sittliche Einsicht vor; positiv gestaltet wird sie von den Einzelnen nur dadurch, daß sie ihr sittliches Handeln in den Dienst des Guten stellen. Die Bedeutung der Person für die Wirklichkeit des Guten liegt also darin, es in ihrer Handlung gleichsam nachzubilden. Daher überrascht es auch nicht, daß Scheler dieses Vermögen als Wert der Person selbst ansieht; es gibt gute und böse Menschen l34 - eine Vorstellung, die für die kritische praktische Philosophie Kants ausgeschlossen ist. Nach ihm bemißt sich das Prädikat gut oder böse allein an der Willensbestimmung einer Person, und das heißt: Jeder Einzelne ist jeweils neu dazu aufgerufen, sich zum Richtigen zu bestimmen; es kann für ihn keine konstitutionelle "Wertblindheit" geben, die ihn zum Bösen verdammt. Nun hat Scheler sich gerade als Kantkritiker verstanden (das gilt für Nicolai Hartmann gleichfalls I3S ). Das Wort "Formalismus" weist bereits in die Richtung der Kritik. Für Scheler ist das Sollen aus Pflicht eine Verkürzung der ethischen Einsicht in das Richtige, eine Verleugnung des Inhalts für das Gebiet der Moral. Schon diese Kritik an Kant ist nicht zutreffend 136, wie im zweiten Teil dieser Arbeit noch dargetan werden wird. Aber weitergehend wird auch die Begründung der Autonomie bei Kant unterschätzt. Die Formulierung des Kategorischen Imperativs "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne"137 verweist für das praktisch Richtige auf eine Denkbewegung des Einzelnen als nicht hintergehbarem Punkt vernünftigen Handelns. Damit ist für die Beurteilung praktisch gestalteter menschlicher Verhältnisse ein besonderer Standpunkt gewonnen. Die mit dem Kategorischen Imperativ gesetzte Freiheit und Gleichheit zwischen den Einzelnen verweist sie bei der Frage nach der Realität z. B. Formalismus, S. 47. Daß darin ein" Wertwesensobjektivismus" liegt, "der fast mittelalterlich anmutet", hat Seheler nur gegenüber Hartmann (für dessen Ethik) gesehen (vgl. Vorwort zur 3. Auflage, S. 21 unten), nicht aber für sich selbst gelten lassen wollen. Etwas bissig, aber in der Richtung zutreffend das Wort Blochs gegen Seheler von der "Moral-Kathedrale aus Normen", Naturrecht und menschliche Würde, S. 267. 134 Formalismus, S. 49 ff. 135 Vgl. Ethik, S. 98ff. (freilich im Ton moderater als Seheler). 136 Andere Ungenauigkeiten seien hier nur erwähnt, nicht näher behandelt: etwa S. 217 (Sollen aus Pflicht ergebe eine Berührungsangst vor aller Verwirklichung des Guten) oder S. 483 (die Fundierung des Sollens im Allgemeingültigen lasse es nicht zu, auch ein Gutes für die individuelle Person anzuerkennen). S. dazu auch Ingeborg Heidemann, Untersuchungen zur Kantkritik Max Schelers, bes. S. 119 ff. 137 KpV, § 7, A 54. 132 133

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des Guten auf sich selbst als deren letzten Grund zurück. Die Tröstung ist verwehrt, das an sich Wertvolle sei deshalb nicht verwirklicht, weil die Einzelnen als Instrumente der Wertordnung in der konkreten historischen Situation zu schwach waren, es zu realisieren. Vielmehr ist der Kreis der Verantwortung zwischen den Einzelnen und denen von ihnen produzierten Verhältnissen geschlossen: ihre Leistung schafft das Gute, ihr Versagen führt das Böse herbei. Das Verhältnis des Einzelnen zu den Werten ist so als heteronomes bestimmt; daran ändert auch Schelers Betonung der Autonomie der Person nichts 138 , die stets Autonomie unterhalb der Rangordnung der Werte sein muß. Nicolai Hartmann war in diesem Punkt kritischer gegen sich selbst. Er stellt ausdrücklich fest, daß ein materiales Bestimmtsein durch Werte auf Heteronomie hinauskomme 139 • Die Person muß aber - so meint Hartmann - auch dem Sollen gegenüber frei sein; es gebe für sie Freiheit über dem Gesetz 140 . Das Sollen, das von den Werten ausgeht, ist bloß "Aufforderung zur freien Entscheidung für den Wert" 141. Das heißt vor allem, daß auch die Entscheidung für das Böse freie Entscheidung ist 142 • Hartmann räumt dann ein, daß sich positiv nicht mehr angeben lasse, was diese Freiheit eigentlich sei 143. Für die Freiheit bleibt dann nur noch eine Art kosmisches Rauschen übrig. Es ist nicht ersichtlich, wie dieses bläßliche Vermögen den "Machtspruch" der Entscheidung 144 soll leisten können. Eine der wesentlichen Erkenntnisse von Kants praktischer Philosophie ist damit aufgegeben: die Einsicht von der immanenten Wirksamkeit praktischer Vernunft im Felde der Erfahrung 145 • Die Konzeption Schelers von der Inhaltsbestimmtheit des moralisch Guten durch die Rangordnung der Werte hat Auswirkungen auch auf das Recht. Scheler versteht das Recht als äußere Ordnung, die Sittlichkeit erst ermöglichen soll Wi und dabei so bestimmt ist, daß es sich vom Unrechtsein her versteht: Rechtmäßig ist alles, "was nicht ein Unrechtsein einschließt" 147 • Überträgt man das einmal direkt auf den Versuch, so steht man bei dieser Betonung der äußeren Ordnungen wieder vor der bekannten indifferenten Situation, bei der offen bleibt, ob der Versuch nun schon Unrecht ist oder nicht. Bei der Wertlehre aber verschärft sich das Problem dadurch noch einmal, daß die rechtliche und auch sittliche Qualität einer einzelnen Handlung ihre Färbung von außen (aus ihrem Formalismus, 486ff. Ethik, S. 759 (760. 140 Ethik, 766-768. 141 Ethik, 774. 142 Ethik, 803. 143 Zum Begriff der Freiheit bei Hartmann vgl. auch E. A. Wolff, Kausalität, S. 68 m. FN 54. 144 Ethik, S. 764. 145 KpV, A 83. 146 Formalismus, S. 558. 147 Formalismus, S. 216, Anm. 1. 138 139

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Verhältnis zu den Werten) erhält. Es fehlt damit der Punkt im Zusammenhang, an dem die Willens bestimmung des Einzelnen als notwendig für das Dasein des Guten begriffen werden kann und dann auch die entscheidende Stelle für das Dasein des Bösen ist. Denn wenn man so will, realisiert sich im Versuch das Gute gegen den Willen des Täters; kommt seinem Willen aber keine selbständige Bedeutung für die Realisierung des Guten zu, muß offen bleiben, weshalb er den äußeren Mangel an Realisation soll ausgleichen können. Die bloße zentrale Stellung des Subjekts für die Realisation des Guten als ein Instrument der Wertordnung reicht dafür nicht aus, denn in der mit ihr gesetzten Heteronomie liegt gerade ein gestuftes Verhältnis zwischen dem Sein des Guten und dem Selbstbewußtsein der Person vor. Nur wenn das Dasein des Guten und Richtigen mit dem Willen des Einzelnen so verbunden ist, daß es nicht nur seine Existenz von ihm empfängt, sondern durch ihn selbst bestimmt wird, kann umgekehrt das Unrecht analog verstanden werden. Das in der Wertphilosophie gesetzte Verhältnis der Heteronomie zwischen einzelnem Willen und den ihn bestimmenden Werten hat also für das Problem des Versuchs die weitere Auswirkung, daß die mit ihm einhergehende Dominanz des einzelnen Willens nicht erklärt werden kann - und es wird noch zu zeigen sein, daß dieser Mangel auch durch die Hervorhebung des Aktwerts / -unwerts der einzelnen Handlung nicht behoben werden kann. 4. Die Lehre Bindings

a) Einen gedanklichen Schritt über die Wertlehren hinaus gelangt man dadurch, daß man zeitlich Gedenfalls was die Rezeption im Strafrecht betrifft) einen Schritt hinter sie zurückgeht. In der Lehre Bindings ist die "Objektivität" des Rechts und des Unrechts noch am genauesten bestimmt worden - was damit einhergeht, daß sie nicht mehr in einem harten Gegensatz zur Subjektivität steht, sondern eine Tendenz des Übergangs in sich trägt. Daher ist zunächst auch kurz zu begründen, weshalb Binding an dieser Stelle behandelt wird, fordert er doch die Einsichtsfähigkeit des Täters zum (strafrechtlich erheblichen l48 ) Unrecht, kennt also nur "verschuldetes" Unrecht. Aber zum einen ist darauf hinzuweisen, daß Binding beim Versuch eine streng objektive Lehre vertritt, die nur die Teilverwirklichung des Unrechts für einen strafbaren Versuch hält 149 , wobei die Betonung auf der Verwirklichung liegt; die subjektive Lehre lehnt Binding scharf ab 150. Hinzu kommt aber ein weiterer, für den Gang der Entwicklung der vorliegenden Arbeit wichtigerer Grund. Binding bewahrte - wenn auch in einer gleichsam verkapselten und daher von ihm selbst nicht genügend explizierten Weise !5l - in seinem Begriff der Norm das Erbe der von Vgl. Binding, Der objektive Verbrechenstatbestand, GS 76 (1910), S. 1 ff. Vgl. Normen III, S. 423ff., 441 ff., 470. 150 Normen III, 507ff. 151 Vgl. seine Ausfälle gegen eine "naturrechtlich" vorgehende Rechtswissenschaft, etwa Normen III, 405f. 148

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Kant ausgehenden praktischen Philosophie in ihrer Verarbeitung durch Hegel. Kurz und vorläufig gesagt ist in Bindings Konzeption der Gedanke entwickelt, über das praktische Vennögen des Einzelnen hinausgehend das Recht selbst als geistige Macht zu verstehen, die das soziale Leben aufnimmt und gewissennaßen durchwirkt. Das Unrecht bleibt dann "objektiv", nur hat dieser Begriff seine Reduziertheit auf naturhaft Greifbares oder auch ein dies Greifbare überhöhendes Reich der Werte verloren. Das Recht ist eine den Einzelnen und sein Dasein als praktisch Handelnden (in einer historisch-konkreten Gesellschaft) aufnehmende Ordnung, in der er sich als Einzelner, aber auch in seiner Allgemeinheit wiederfindet. Darin ist notwendig mit enthalten, daß der Einzelne als "Teilhaber" des Geistes an der Konstitution des sozialen Lebens mitgedacht werden muß. Eine Ausarbeitung des Begriffs von Objektivität nimmt also die Richtung, daß in ihrem Ergebnis Subjektivität wieder mitgedacht werden muß. In Bindings Lehre ist dieser Ansatz enthalten, freilich in einer Weise, die die ganze Tiefe ihres Ursprungs nicht immer erkennen läßt und häufig vollends verflacht ls2 . Binding hat deshalb selbst dazu beigetragen, daß man seine Lehre an der Oberfläche messen kann, die sie einem darbietet, so etwa der bekannten Einschätzung, die ihn zum Positivisten stempelt ls3 : so lehnt er zwar jede Ausweitung des untauglichen Versuchs über die Fälle der Teilverursachung hinaus ab, stellt sich aber ohnmächtig gegen gesetzliche Anordnungen einer solchen Strafbarkeit lS4 • Daß unter dieser Oberfläche aber mehr an Gehalt verborgen ist, sei im Folgenden dargestellt. b) Nach Binding übertritt der Täter bei der Tat kein Strafgesetz, sondern er erfii1lt es gerade: Er ist der anonyme "Wer" des Tatbestandes. Der Täter handelt vielmehr einer "hinter" dem Strafgesetz stehenden Nonn l55 zuwider, die ihn in Fonn eines "du sollst nicht ... " oder "du sollst ... " anspricht. Diese Nonnen sind - obwohl sie ungesetzt sind - Rechtsnonnen, die ausschließlich dem öffentlichen Recht angehören 156. Bemerkenswert ist die Begründung, die Binding dafür gibt, daß es sich hier tatsächlich um Rechtsnonnen handelt und 152 Vgl. z. B. den Satz Normen III, S. 481: "Jede Norm bedeutet für die Rechtsgenossen eine Freiheitsbeschränkung ( ... )"; wenn aber die Normen Ausdruck einer allgemeinen Richtigkeit sind, bilden sie für eine substantielle Lehre von der Freiheit keine Beschränkung, sondern müssen mit ihr in einer näher zu bestimmenden positiven Beziehung stehen. - S. aber auch Normen II, Schuld und Vorsatz, bes. TI. 1, § 61; hier spürt man deutlicher, woher Bindings Lehre ihre Kraft bezieht. 153 Vgl. z.B. Grünhut, Methodische Grundlagen, Frank-Festgabe I, S. 10f.; Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 42 fT. (47 f.); Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 77 ff.; Eh. Schmidt, Einführung, § 273/2, S. 304 fT. (allerdings den Zusammenhang zum Liberalismus miteinbeziehend): noch vorsichtiger als Schmidt dann Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes, 273 fT. (274). 154 Normen III, S. 411, 475f. ISS Normen I, S. 7, 42fT. - Im ganzen zur Lehre Bindings s. die in den Einzelmomenten sehr sorgfältige Darstellung von Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes, S. 1-35. 156 Normen I, S. 97.

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nicht um Gebote der Ethik. Das könnte man deswegen annehmen, weil die Normen in ihrem unbedingten Sollensanspruch sich von Geboten der Sittlichkeit nicht zu unterscheiden scheinen. Es muß also erklärt werden, woran der Verpflichtete sie als Rechtssätze, d. h. als allgemein und auch von ihm zu beachtende und notfalls zwangsweise durchzusetzende Regeln erkennen kann 157. Binding zeigt das auf doppelte Weise. Zum einen könnte der Einzelne eine Norm des Rechts schon daran erkennen, daß das Recht die Nichtbefolgung dieser Normen mit Rechtsfolgen ausgestattet hat l58 • Dieser Gedanke gibt ersichtlich als Beweis nicht viel her, denn er verwechselt den Grund mit der Folge; es muß gerade unabhängig von der Tatsache, daß eine Übertretung einer Norm einer Rechtsfolge angeknüpft ist, nachgewiesen werden, daß die Befolgung der Norm Rechtspflicht ist und daher eine Sanktion zu Recht mit ihr verbunden werden kann. Binding gibt sich mit diesem ersten Gedanken noch nicht zufrieden l59 • Er folgert den Rechtscharakter der Norm in einem zweiten Ansatz aus der Einsicht des Einzelnen, wobei er so eng wie kaum sonst Norm und wirkliches praktisches Handeln verbindet. Er meint nämlich, die alltägliche Erfahrung gäbe genug zum Beweis her: "Sie drängt jedem Denkfähigen die Erkenntnis auf, wie zahlreiche Handlungen mit den Interessen unseres Rechtslebens unvereinbar sind; er wird dann regelmäßig den Schluß ziehen, ebenso wenig wie jemand anderes könne er selbst zu deren Vornahme befugt sein, sie seien demgemäß verboten; denn er wird vom Staate als geschehen voraussetzen, was er vom Staate glaubt, verlangen zu müssen."I60 Nun wird man allerdings nicht übersehen können, daß hier auch ein Repräsentant eines selbstbewußten, den Staat tragenden Bürgertums spricht, von dessen Selbstgewißheit diese Ausführungen wesentlich getragen sind. Doch schwingt darin auch anderers mit. Zunächst wird hier im Ansatz deutlich, weshalb Binding Unrecht nur als von einem Täter ausgehend denken kann, der in der Lage ist, sein Tun in einen allgemeinen Zusammenhang zu stellen, der also" vernünftig" ist. Die Norm wird als vom Einzelnen gedanklich nachkonstruierbar begriffen, und entsprechend muß auch seine Reflexion für die Verletzung vorhanden sein. Zusätzlich aber läßt sich von diesem Punkt aus eine Linie zur klassischen deutschen Philosophie, insbesondere Kants und Hegels ziehen - wenn auch Binding selbst das in diesem Zusammenhang nicht getan hat. Aber nur wenn man mit Kant die Einsicht teilt, daß praktisch richtiges Handeln seinen letzten Grund im selbstbewußten Einzelnen hat und Ausdruck und Leistung seiner Freiheit ist, Normen I, S.43f. Normen I, S.44. 159 Er kann es auch deshalb nicht, weil ihm die Sanktion für den Begriff der Norm nicht wesentlich ist, vgl. Normen I, § 10 ("Die Norm als echter Rechtssatz und als lex imperfecta"), S. 63ff. 160 Normen I, S. 44. Vgl. auch den Satz Normen II, S. 148: "Die Selbstsucht sagt uns, was wir uns nicht gefallen zu lassen brauchen, und unsere Vernunft folgert meist richtig, daß diese Handlungen Anderen uns gegenüber und uns Anderen gegenüber verboten sein müssen." 157 158

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kann man, wie Binding, die Norm darauf fundieren und auch das Unrecht im ganzen auf die Person beziehen. Das im Recht notwendige Verhältnis wechselseitiger Freiheit, das in dem Zitat oben ebenfalls anklingt, findet sich in Kants allgemeinem Prinzip des Rechts l61 : "Eine jede Handlung ist Recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann". Und schließlich kann das Verhältnis Staatsbürger - Staat mit einem Hegel-Zitat verdeutlicht werden: "Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit; die konkrete Freiheit aber besteht darin, daß die persönliche Einzelheit und deren besondere Interessen sowohl ihre vollständige Entwicklung und die Anerkennung ihres Rechts für sich ( ... ) haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils übergehen, teils mit Wissen und Willen dasselbe, und zwar als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen ( ... )" 162. Binding hat seine Normentheorie nicht ausdrücklich an diese Gedanken angeschlossen und sie aus ihnen entwickelt, aber mit ihrer Hilfe läßt sie sich angemessener verstehen. Hinzukommen muß jedoch ein zweiter Schritt, der die Bedeutung des Gesetzgebers genauer aufklärt. Denn der Gesetzgeber ist es, der - sei es ausdrücklich, sei es konkludent 163 - die Normen setzt. Er entwirft die rechte Ordnung des gemeinschaftlichen Lebens und legt in Geboten und Verboten die Pflichten des Staatsbürgers inhaltlich fest. Es ist ein wesentliches Anliegen Bindings, das praktisch Richtige nicht nur nach der Seite der subjektiven Maximenbildung und deren Läuterung durch den Kategorischen Imperativ zu erfassen, sondern es darüber hinaus in einen objektiv-allgemeinen Zusammenhang einzubinden. Wenn eine bestimmte Handlung vom Gesetzgeber verboten wird, gilt nach Binding: "Nicht mehr die unverbindliche Ansicht irgendwelcher Kreise, sondern der Gemeinwille hat sie verworfen: dem hat sich die individuelle Vernunft und der Individual-Wille zu fügen."I64 Die Normen "geben dem Staat ein Gehorsamsrecht und legen allen Normgebundenen die Pflicht der Botmäßigkeit auf."165 Das Delikt ist daher der Form nach "Ungehorsam"; es ist "die schuldhafte Mißachtung des öffentlichen Rechts auf Botmäßigkeit"I66. Begriffe wie Befehl/Gehorsam, Recht auf Botmäßigkeit etc. legen verständlicherweise - die Auffassung nahe, Binding habe es ganz dem Gesetzgeber überlassen, die Bestimmung des Richtigen zu treffen und sie den Untertanen verbindlich vorzuschreiben; aus deren Sicht werden die Rechtsregeln heteronom bestimmt 167 • Jedenfalls dem Anliegen Bindings wird man damit aber kaum gerecht. 101 162

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MdS, §"C. RPh., § 260. Normen I, S. 155 und Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes, S. 59. Normen 11, S. 159. Normen I, S. 82. Normen I, S. 298.

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Zum angemessenen Verständnis dieser Stellen muß noch einmal auf Kant zurückgegangen werden. Die Notwendigkeit, einen Staat zu gründen, ergibt sich bei ihm daraus, daß selbst beim besten Willen der Einzelnen immer noch (gleichsam "naturbedingt") Schwächen übrigbleiben, wie etwa die, "über andere den Meister zu spielen" 168. Ein gesicherter Zustand des Daseins der Einzelnen kann daher nur in einer "Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen", d.h. einem Staat l69 erreicht werden. Hegel hatte das insofern noch radikalisiert, als er schon die substantielle Freiheit des Einzelnen nur an deren Übereinstimmung mit dem sittlichen (als einem objektiv geltenden Maß) gebunden hat: "Es (das Sittliche) ist auf diese Weise die Freiheit oder der an und für sich seiende Wille als das Objektive, Kreis der Notwendigkeit, deren Momente die sittlichen Mächte sind, welche das Leben der Individuen regieren und in diesen als ihren Akzidenzen ihre Vorstellung, erscheinende Gestalt und Wirklichkeit haben." 170 Eine der genannten "sittlichen Mächte" ist der Staat, "die Wirklichkeit der sittlichen Idee" 171. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, wie und weshalb man diese Konzeption mißverstehen kann und auch nicht darauf, ob mit ihr die Freiheit an ihren höchsten Punkt gekommen ist -: entscheidend ist zunächst nur, daß Hegel das Recht als Dasein der Freiheit 172 begreift und es jedenfalls seinem Anliegen nach dadurch einer heteronomen Zwangsordnung entgegensetzt. Sowohl der Kantische als auch der Hegel'sche Ansatz sind bei Binding verarbeitet - wenn sie einem auch nicht als lebendige Gedanken entgegentreten, sondern eher als geerbte, verfestigte Gewißheiten. Erst vor diesem Hintergrund wird sichtbar, was in Sätzen wie in folgendem bei Binding mitschwingt (zum "Zweck" der Norm): "Will es (sc. das Verbot) nichts anderes als ihn (sc. den Menschen) Gehorsam lehren? In der Tat, diese Auffassung wäre des Rechts unwürdig. Dazu bestimmt, die menschliche Freiheit in höchstmöglichem Maße sicherzustellen, kann ihm deren Beschränkung nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck sein."173 Auf diese Weise verliert das "Herrscherrecht auf Gehorsam" 174 ein wenig von seiner heteronomen Härte, steht es doch unter dem Gedanken, daß die Konkretion des Vernünftigen in der Norm nur Ausdruck dessen ist, was der 167 Dieser Vorwurf klingt etwa bei Hassemer an, Theorie und Soziologie, S.47, und kann sich auf viele Stellen im Werk Bindings stützen; zu Recht aber erkennt auch Hassemer a. a. o. an, daß die kritische Potenz im Werk Bindings größer ist; vgl. gleich im Text. 168 MdS, § 42; s. auch § 44; dazu auch E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), 814ff., sowie Die Abgrenzung von Kriminalunrecht, S. 203 f. 169 MdS, § 45. 170 RPh, § 145. 171 RPh, § 257. 172 RPh, §§ 29, 30. 173 Normen I, S. 52; s. auch S. 109/110. 174 Normen I, S. 97.

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Normunterworfene als Vernünftiger selbst wollen müßte. Durch die Verbindung der Norm mit dem Dasein des Einzelnen im Staat stellt sich bei Binding ein enges Verhältnis zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit her, von welcher klar wird, daß sie praktisch gstaltete Wirklichkeit ist. Die Normen betreffen den Einzelnen nicht als statisches Subjekt, sondern wissen ihn als einen Tätigen 175: "Sie verweisen den Menschen nicht nur zur Ruhe, sondern zur rechten Tat"176. Normübertretung ist dann nicht bloß Gesinnungsabfall, sondern Übergang zu einer Veränderung der Wirklichkeit gemeinschaftlichen Lebens. Berühmt ist Bindings Satz "In der Schale des Ungehorsam birgt sich eine Gutsverletzung als Kern" 177. Hier wird deutlich, in welch spezifischer Weise Binding "Lebenswirklichkeit" und Norm in einem gegenseitig sich bestimmenden Verhältnis sieht l78 . Das Unrecht hat dann die zwei Seiten des "Wirklichen" (worunter nicht bloß greifbare Zustände zu verstehen sind) und des Rechtswidrigen (bei Binding: Ungehorsam). Freilich klärt Binding die hier entstehenden Schwierigkeiten zu wenig auf1 79 . Einerseits bemüht er sich, den "Zweck" der Normen zu erklären, andererseits schreibt er: "So bleibt uns Juristen nur Resignation übrig ( ... ); hinter Verbot und Gebot beginnt aber für den, der nach der Rechtswidrigkeit sucht, tiefster undurchdringlicher Nebel" 180. Eine Handlung wird verboten, "weil der Gesetzgeber die Handlung zur Zeit des Verbots als eine nicht zu ertragende Störung der Rechtsordnung glaubte auffassen zu müssen ( ... )"181. Der sich hier deutlich vordrängende Positivismus entfaltet seine Kraft ganz besonders deutlich beim Versuch. Binding glaubt - wie schon gesagt -, daß nur das Setzen einer Vgl. Normen I, S. 109. Normen I, S. 110. 177 Normen I, S. 365. 178 Bindings Definition des Guts lautet: "Sonach ist Rechtsgut Alles, was selbst kein Recht, doch in den Augen des Gesetzgebers als Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für diese von Wert ist, an dessen ungestörter und unveränderter Erhaltung sie nach seiner Ansicht ein Interesse hat, und das er deshalb durch seine Normen vor unerwünschter Verletzung oder Gefährdung zu sichern bestrebt ist" (Normen I, S. 353/354/355). Die Nähe zu v. Liszt ist hier deutlich; umso mehr überrascht dessen bekannte harte Kritik (Rechtsgut und Handlungsbegriff, Aufs. I, S.225ff.). Der entscheidende Mangel wird bei v. Liszt benannt, ohne daß dieser selbst etwas dagegenzusetzen hätte: es fehlt ein Kriterium für die Scheidung der Rechtsgüter in "berechtigte" und "unberechtigte" . 179 Das ungenaue Ins-Verhältnis-Setzen des einzelnen und der Norm ist wohl auch die Stelle, die es möglich macht, Binding als Vertreter der Imperativentheorie anzusehen; vgl. etwa Giannidis, Theorie der Rechtsnorm auf der Grundlage der Strafrechtsdogmatik, S. 27 ff. (bes. 28/29). Bemerkenswert ist allerdings, daß weder Binding sich so verstand (vgl. Normen I, S. 101 ff.) noch die Imperativentheorie ihn als einen der ihren bezeichnete (vgl. etwa die heftige Kritik bei Ho/dv. Ferneck, Rechtswidrigkeit, S. 179ff.). Und in der Tat ist es gerade die Zusammenschau von Recht und Wirklichkeit bei Binding, die ihn von der Imperativentheorie unterscheidet; s. dazu noch unten C 11 2. ISO Normen 11, S. 160f. 181 Normen 11, S. 155f. 175

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c. Subjektive Lehren

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Teilursache dazu berechtigt, vom Unrecht einer nur versuchten Tat zu sprechen 182. Gleichzeitig steht er ohnmächtig vor der Tatsache, saß der Gesetzgeber auch den untauglichen Versuch pönalisieren kann und darüber hinaus die Praxis des Reichsgerichts bereits den (damals) geltenden § 43 entsprechend auslegt. Hinzu kommt ein weiteres. Gerade Binding hätte für den Versuch einen wichtigen Schritt nach vorn tun können, da er Recht und soziale Wirklichkeit in einem Zusammenhang denken konnte. Kann nun gezeigt werden, daß der Einzelne an beiden Dimensionen gestaltend teil hat (indem er durch rechtmäßiges Verhalten unmittelbar die Wirklichkeit als rechtliche gestaltet), so könnte der Versuch als von diesem Zentrum ausgehend angemessener verstanden werden. Indem Binding den Versuch aber ganz auf die Seite der äußeren Verwirklichung reduziert. ("Teilursache")183, begibt er sich dieser Chance. Gerade ihm hätte eine nähere Untersuchung des "rechten Tuns" der Rechtssubjekte Aufschluß darüber geben können, in welcher Weise der Wille daran beteiligt ist, so daß daraus hätte klar werden können, welche Bedeutung er für das Unrecht hat. So aber reihte sich seine Versuchslehre ein in die üblicherweise damals vertretenen objektiven Lehren, die verkannten, daß sich hinter der theoretischen Unzulänglichkeit der subjektiven Versuchstheorie ein plausibler Gedanke verbarg, der ihr gerade in der Praxis zur Durchsetzung verhalf.

c.

Subjektive Lehren

Schon ein erster äußerlicher, mehr intuitiver Zugang zum Phänomen des Versuchs muß geradezu zwangsläufig die Aufmerksamkeit auf den das äußere Geschehen bestimmenden Willen lenken. Denn bleibt auch die äußere Verwirklichung unvollkommen, so liegt doch der Verwirklichungswille des Subjekts als ganzer vor. Deshalb drängt es sich gerade beim Versuch auf, an den Willen als den Grund der äußeren Veränderungen das Unrechtsurteil zu knüpfen. Ein Weiteres kommt hinzu. Schon die bei Binding nachgewiesenen Spuren der Bedeutung der Subjektivität für das Sein des Rechts deuten daraufhin, daß man es dabei nicht mit einem auf den Versuch reduzierbaren Element des sozialen Lebens zu tun hat. Das Sich-Geltendmachen der Subjektivität im Verständnis des Unrechts - das im Lauf der wissenschaftlichen Diskussion dieses Jahrhunderts deutlich zu beobachten ist - vollzieht im Grunde nur die Transformation eines der tragenden Prinzipien der Neuzeit in die Unrechtslehre. Um es in Hegels Worten zu sagen: "Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten"l. 182 Normen III, S. 423 ff, 441 ff., 470. 183 Weil er meint, die Normen seien so zu fassen: "Ihr sollt nicht die Ursache zu einem Tode, zu der oder jener Veränderung erzeugen"; Normen I, S. 115. 1 RPh, § 260. Hegel selbst war dabei derjenige, der mit der Rückführung in die "substantielle Einheit" das Prinzip der Subjektivität in Wahrheit zum Verschwinden

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Blickt man auf die Anfänge der subjektiven Versuchslehre und dann auf ihre Kulmination in der Versuchslehre v. Buris, könnte diese Beschreibung überfrachtet wirken. Sie zeigt aber ihre Berechtigung deutlicher, wenn man den Fortgang des Gedankens in der Imperativentheorie und dann der Unrechtslehre vornehmlich Welzels untersucht und sich insbesondere der personalen Unrechtslehre zuwendet, wie sie in der Gegenwart vertreten wird. Diese in sich deutlich gestufte Entwicklung soll im Folgenden in der skizzierten Weise näher dargestellt werden. I. Die subjektive Versuchstheorie und verwandte Lehren

1. Die ältere subjektive Lehre

a) Nach der subjektiven Versuchstheorie ist Grundlage der Versuchsstrafbarkeit der in einer äußeren Handlung manifest gewordene verbrecherische Wille. Die Bedeutung dieser Lehre für die Frage nach dem Unrecht des Versuchs liegt weniger in der ausgearbeiteten Substanz ihrer Begründung als vielmehr in der Macht, die sie in der Praxis der Rechtsprechung entfaltet hat. Daß sie so lange diese Stellung halten konnte, spricht allerdings - wie schon mehrfach betontdafür, daß sie eine wesentliche Seite am Unrecht des Versuchs erfaßt hat (und in der weiteren Entwicklung der subjektiven Unrechtslehre wurde diese Seite auch zusätzlich aufgeklärt). Doch geschah diese Erfassung im Ansatz mehr intuitiv; sie war weniger Frucht grundsätzlicher Erwägungen zum Unrecht als vielmehr Produkt des Wunsches, die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs - die man für notwendig hie1t 2 - zu rechtfertigen. Vorgetragen wurde sie etwa gleichzeitig mit Feuerbachs objektiver Lehre 3 von v. Grolmann 4 und Tittmann s. Tittmann führt aus, der Versuch erfordere lediglich "die Richtung gewisser Mittel auf einen bestimmten Zweck", so daß es nicht auf die Unzulänglichkeit (z. B. ungeladene Pistole) oder "ungeschickte Anwendung" ankomme: "Der Begriff des Versuchs ist also bloß ein relativer Begriff, weil er immer von der individuellen Absicht des Handelnden abhängt"6. brachte; die heute mancherorts vertretene Ethik des Diskurses ist nur ein schwacher Abglanz jener grundsätzlichen Bestimmung Hegels, die die Gewichte entscheidend zum Nachteil der Subjektivität verschob. Zur Diskurstheorie s. auch noch unten, 2. Teil, B, Anm.166. 2 Ein von Vertretern der subjektiven Theorie gern zitierter Ausspruch stammt von Saleilles (Essai sur la tentative et plus particuJierement sur la tentative irn':aJisable. Melun 1887, S. 34, zit. nach Germann, Grund, S. 12FN 56), der Meinungen, die den untauglichen Versuch für straflos erachteten, das Wort vom "scandale de l'impuniU:" entgegenhielt; s. auch Delaquis, Versuch, S. 73. 3 Feuerbach vertrat bis zur 3. Auflage seines Lehrbuchs selbst eine subjektive Theorie, s. Zachariae, Versuch, S. 236 Anm. 1; Baumgarten, Versuch, S. 236; Rubo, GS 17 (1865), S.4. 4 Grolmann, Grundsätze, § 31 (zit. nach der 4. Aufl. von 1825). 5 Tittmann, Handbuch I, §§ 96-98.

C. Subjektive Lehren

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In der wissenschaftlichen Diskussion herrschte jedoch die objektive Theorie in der Fassung Feuerbachs und Mittermaiers vor 7 • Eine Belebung und vertiefte Begründung erfuhr die subjektive Lehre B dann aber in einer Reihe von Arbeiten Maximilian v. Buris, dem sich viele Wissenschaftler jedenfalls dem Grundsatz nach anschlossen 9 • Gleichwohl gelang ihr der Durchbruch erst mit der Alle Zitate Tittmann, Handbuch, § 96, S. 191. Das ist auch die Einschätzung Germanns, Grund, S. 54f. Vgl. aber auch die unter 2. in diesem Abschnitt erörterte "Plantheorie". 8 Die hier nach ihren Grundgedanken dargestellt wird; bei vielen der genannten Autoren (vgl. Anm. 9), gibt es - ganz ähnlich wie bei der objektiven Theorie Abweichungen im Detail, ohne daß der Grund betroffen wäre. 9 I. Aus v. Buris zahlreichen Schriften sind für unser Thema folgende zu nennen: Erstmals vertritt er seine Auffassung wohl in dem Aufsatz Zur Lehre von dem Angriff auf die Ehre usw., in: Abhandlungen aus dem Strafrecht, S. 1-114, dort der Abschnitt über den Versuch S. 53-90, bes. 53-57; v. Buristellt hier noch weitgehend auf die objektive Seite der Tat insofern ab, als der deliktische Wille an ihr erkennbar sein muß; die Ausführungen haben noch nicht die Radikalität der späteren Schriften; s. dann Über Causalität und deren Verantwortung, zum Versuch S. 152-154; Zur Lehre vom Versuche, GS 19 (1867), 60ff.; Der Versuch des Verbrechens mit untauglichen Mitteln oder an einem untrüglichen (sie!) Objekt, GS 20 (1868),325 ff.; Über das Wesen des Versuchs, GA 25 (1877), 265ff.; Versuch und Causalität, GS 32 (1880),321 ff.; Über die sog. untauglichen Versuchshandlungen, ZStW 1 (1881), 185ff.; Die Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen (Beilagenheft zu GS 37 - 1885 -), 114-143; Über den Begriff der Gefahr und seine Anwendung auf den Versuch, GS 40 (1888), 503ff.; Gefahr und Versuch in der zweiten Auflage des ersten Bandes der Normen 1890, GS 44 (1891), 321 ff. 11. Andere Vertreter der subjektiven Theorie (chronologische Ordnung): Hertz, Das Unrecht und die allgemeinen Lehren des Strafrechts, S. 83 ff. (84,93) (heranzuziehen sind allerdings auch S.20f., 39f.); Lammasch, Das Moment objectiver Gerlihrlichkeit im Begriffe des Verbrechensversuchs, S.6ff., 25ff., 51ff.; ders., Handlung und Erfolg, GrünhutsZ 9 (1882), 221 ff. (275 ff.);· Hälschner, Gemeines deutsches Strafrecht, Bd. I, S. 341, 350, 352 (s. aber auch unten Anm. 40 zur Plantheorie); Havenstein, GA 36 (1888), 33 ff. (41 f., 54f., 60f.); Eisenmann, ZStW 13 (1893), 454ff. (457); v. LilienthaI, ZStW 15 (1895), 260ff. (290f.); Stenglein, DJZ 1902, 332ff.; Höpfner, ZStW 23 (1903), 643ff. (643 f.); Delaquis, Der untaugliche Versuch, 189 ff.; Fabian, Abgrenzung von untauglichem Versuch und Putativdelikt, 21 f., 4Of.; Redslob, Versuch und Vorbereitung, 144f.; Baer, Rücktritt und tät~~e Reue bei untauglichem Versuch, S. 3; v. Bülow, DJZ 1910, 218 ff.; Julius Goldfeld, Uber den Versuch mit untauglichen Mitteln und an untauglichen Objekten, S. 6, 20 ff., 34, 42f.; Germann, Über den Grund der Strafbarkeit des Versuchs, 65 ff. (bes. 127f.,146ff., s. auch 168); Schüler, Der Mangel am Tatbestand, S. 71 ff.; Kadecka, MSchrKrim 19 (1928), 129ff.; Hellmuth Mayer, Strafrecht des deutschen Volkes, S.306ff. (freilich mit großen Einschränkungen über das Erfordernis der "Objektivierung" des Willens, s. S. 311 ff.); vgl. auch ders. Lehrbuch AT, 278ff., Studienbuch AT, 141 ff. sowie SJZ 1949, Sp. 172ff.; Niethammer in v. Olshausens Kommentar, Anm.3 vor § 43, § 43 Anm.6 (12. Aufl., anders noch in der 11. Aufl.); WetzeI, Lehrbuch, zuletzt 11. Aufl. S. 192f.; Jagusch, LK (8. Aufl.), § 43 Anm. I 1, 11 2 (auch mit der Formel des Angriffs auf die Friedensordnung); M aurach, AT (4. Aufl.), § 41 111 B 3 c, S. 508 f.( die Formulierung dort deutet allerdings auch auf die Eindruckstheorie hin: abstrakte Gefährdung des allgemeinen Rechtsfriedens); Bockelmann, Zur Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch, in: ders., Strafrechtliche Untersuchungen, 135 ff. (142f.; ders., Zur Reform des Versuchsstrafrechts, ebd., 150ff. (154ff.); Busch, LK (9. Aufl.), § 43 RN 1; Baumann/ Weber, AT, § 32 I 2 c, S. 470f.; Fiedler, Vorhaben und 6

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berühmten Plenarentscheidung des Reichsgerichts 10, an der v. Buri mitwirkte und die deutlich seine Handschrift trägt l l . An den Grundsätzen dieser Entscheidung hat das Reichsgericht - trotz großen Widerstands auch in der Praxis 12 - stets festgehalten l3 , der BGH hat sich dieser Rechtsprechung ausdrücklich angeschlossen 14. b) Die Grundlage der Versuchstheorie v. Buris bildet seine Kausalitätslehre: Ein rechtlich relevanter Erfolg wird als Summe von Kräften betrachtet, deren jede einzelne gleichen Anteil an diesem Erfolg hat; scheidet auch nur eine Kraft aus, fällt auch der Erfolg weg l5 • Der menschliche Wille ist dabei lediglich eine den anderen Faktoren gleichwertige Bedingung l6 • Führt ein angestoßener Kausalverlauf nicht zu dem geplanten Erfolg, so zeigt sich darin, daß er in seiner konkreten Gestalt untauglich zu dessen Herbeiführung war. Da alle Bedingungen gleichwertig sind, ist gleichgültig, welche von ihnen den Mangel aufweist: Es gibt nur untaugliche Versuche 17 • Diesem Mangel auf der objektiven Seite ist auch durch den Begriff der Gefahr nicht abzuhelfen: Da die Wirklichkeit kausalgesetzlich festliegt, steht auch der Mißerfolg einer Handlung fest. Dem Begriff der Gefahr entspricht keine Wirklichkeit; er ist vielmehr eine Abstraktion von ihr 18 (indem mit ihm für Versuch, 97ff. (mit Einschränkungen); Stopfkuchen. Strafbare und nicht strafbare Fälle des untauglichen Versuchs, 50ff., 79ff. (allerdings Nähe zur Eindruckstheorie, S.53); Albrecht. Der untaugliche Versuch, S. 46 (mit Einschränkungen bei der Strafzumessung, s. zusf. S.107); Hruschka. AT, 2. Aufl., S.182ff.; Blei. AT, 230ff. Weitere Lit. in den folgenden Anm. - Zu vergleichen sind auch die oben A Anm. 7 Genannten, die meist die Eindruckstheorie verbunden mit der subjektiven Theorie vertreten. 10 RGSt 1, 439ff. 11 Maurach bezeichnet v. Buri in diesem Zusammenhang als "graue Eminenz" des Reichsgerichts: AT, 4. Aufl., S. 508. 12 Vgl. etwa LG Lüneburg, mitgeteilt bei Hagemann. GA 32 (1884), 243; OLG Hamburg, DJZ 1899, 58; LG Köln, aufgeh. von RGSt 17, 158ff.; LG Köln, aufgeh. v. RGSt 34, 217ff. \3 Vgl. RGSt 1, 451f. (untaugl. Objekt); dann RGSt 8, 198ff., 201 ff.); 11, 72ff. (77); 17, 158ff. (159f.); 34, 217f. (218ff.); 39, 316f.; 42, 92ff.; 47, 65ff., 189ff.; 49, 16ff. (20); 50, 35f.; 56, 316ff. (318); 60, 209ff. (215); 64, 130ff. (131); 68, 45ff. (52f.); 72, 109ff. (112f.); 264 ff. (265). 14 Ausdrückliche Übernahme der subjektiven Theorie in BGHSt 2, 74ff. (76) (vgl. zum Fall aber auch BGHSt 14, 345ff. (- 350 -); außerdem BGHSt 4, 254; 11, 268ff. (271); 324 ff. (327 f.); 15, 210 ff. (213); 30, 363 ff. (366). In den Entscheidungen seit E 11, 268 ff. wird zunehmend auf die im untauglichen Versuch stattfindende allgemeine Auflehnung gegen die Rechtsordnung abgestellt. 15 Vgl. zusammenfassend etwa Über die Causalität und deren Verantwortung, S. 1. 16 a.a.O. (Anm. 15), 1f. 17 Siehe GS 19 (1867), 60ff.; GA 25 (1877), 265ff., 272ff. GS 32 (1880), 321 ff.; Causalität und ihre strafrechtlichen Beziehungen, S. 119 f. 18 GS 32 (1880), S. 348. Dort findet sich auch das Beispiel, daß nach seiner- v. BurisAuffassung die Soldaten im Krieg, die unverletzt heimkehren, nur in diesem abstrakten Sinn gefährdet gewesen wären, - was später v. Buri den Vorwurf v. Hippels eintrug, daß

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möglich erklärt wird, was nie Wirklichkeit erlangen kann). Ist demnach das äußere Geschehen für den Versuch ganz bedeutungslos19 , kann nur an die subjektive Seite angeknüpft werden, die beim Versuch vollständig gegeben ist 20 und in der Tat sich manifestiert. Gegen diese willentliche Auflehnung gegen das Gesetz wendet sich die Strafe beim Versuch. Bei dieser Lehre bleiben aber noch zu viele Fragen ofTen 21 . Zunächst wird nicht klar, woraus die Berechtigung dafür abgeleitet ist, den streng objektiv gefaßten UnrechtsbegrifT der Vollendung beim Versuch aufzugeben und auf einen ausschließliCh am Willen des Täters orientierten Begriff überzugehen. Damit fehlt es aber an einer Angabe des Grundes dafür, weshalb nicht der Schluß zu ziehen ist, daß kein Versuch Unrecht ist. Zudem ist aber das Moment des Willens selbst unklar. Einerseits soll der Wille lediglich eine den anderen gleichgeordnete Bedingung im Kausalverlauf sein; in dieser Sicht ist er ganz von der objektiv gefaßten Vollendung her betrachtet. Andererseits soll er eine die übrigen Kausalfaktoren deutlich übersteigende Bedeutung besitzen, indem er sich über den wirklichen ("untauglichen") Kausalverlauf erhebt und dadurch erst zum Anknüpfungspunkt für die Versuchsstrafbarkeit werden kann 22 . Bevor der verbrecherische Wille den Grund für das Unrecht des Versuchs abgeben kann, muß er offenbar seiner rechtlichen Relevanz nach weiter aufgeklärt werden, als das in der subjektiven Versuchslehre v. Buri geschah. Die genannten Unklarheiten sind dann der Ursprung für weitere, daran anknüpfende Ungenauigkeiten: etwa wie der abergläubische Versuch zu behandeln ist 23 , wie nach dieser Lehre Vorbereitungs- von Ausführungshandlungen getrennt werden können und ob sich die Leugnung der "Gefahr" wirklich halten läßt 24 • c) Trotz aller Schwierigkeiten der objektiven Lehre in der Unterscheidung von tauglichem und untauglichem Versuch ist sie auch damals schon v. Buris Theorie jedenfalls insofern überlegen gewesen, als sie bereits im Begründungsansatz grundsätzliche Erwägungen zur Struktur des Unrechts anstellte. Man wird auch kaum sagen können, daß die subjektive Lehre die herrschende Meinung offenbar die Jurisprudenz den gesunden Menschenverstand verderbe (Lehrbuch 11, S.422). 19 GA 25 (1877), 266; GS 32 (1880),322; GS 19 (1867), 60/61. 20 GA 25 (1877), 266; GS 32 (1880), 323. 21 Ausführliche Kritik der Lehre v. Buris bei Cohn, Lehre vom versuchten und unvollendeten Verbrechen, 156 - 202. 22 v. Buri selbst schreibt: es sei "unvereinbar mit dem gesunden Leben der Rechtsgemeinschaft ( ... ), wenn der auf eine Verletzung gerichtete Wille sich straflos betätigen dürfte" (GS 44 - 1891 -, 321 ff. - 345). - Die wohl schärfste Kritik an v. Buri und dem Reichsgericht stammt von Binding, Normen III, 507ff., 527ff. Zur Kritik allgemein auch v. Hippel, Lehrbuch 11, 422 und Westpfahl, Versuch, S. 13f. 23 Über die verschiedenen Lösungsansätze der Vertreter der subjektiven Theorie informiert Germann, Grund, S. 60ff. 24 s. ebenfalls Germann, Grund, S. 64; s. auch die Nachweise in der folgenden Anm. 26.

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darstellte (siehe dazu oben B FN 1). Verständlich ist daher die große Überraschung in der Wissenschaft, als das Reichsgericht die Argumentation v. Buris bis in die Einzelargumente hinein übernahm 25,26 und die objektive Lehre kurzerhand mit dem Satz abtat, die Wissenschaft habe das Unhaltbare dieser Theorie überzeugend nachgewiesen 27 • An der Begründung für die subjektive Theorie hat das Reichsgericht stets festgehalten 28 und sie lediglich um einen Aspekt bereichert, den sogenannten Umkehrschluß aus § 59 (alter Fassung)29. Dieses Argument tauchte erstmals auf in der Entscheidung ROSt 42, 92ff. (94). Das Reichsgericht grenzt dort den untauglichen Versuch vom Wahndelikt ab und schreibt zur Begründung: "Wie der tatsächliche Irrtum nach § 59 StOB die Schuld ausschließt, so findet er auch umgekehrt zuungunsten des Täters 25 In dem Fall ging es um einen Abtreibungsversuch mit einem möglicherweise untauglichen Mittel ("bittere, dunkelfarbige Flüssigkeit"). Das RG stellt zunächst fest, der Gesetzgeber habe mit § 43 (a. F.) den Streit zwischen objektiver und subjektiver Lehre nicht entscheiden wollen (S. 440/441); es komme daher auf die "inneren" Gründe an, ob der untaugliche Versuch strafbar ist. Nachdem als entscheidend der Wille des Täters herausgestellt wurde (S. 441 unten) wird die objektive Theorie kurz dargestellt und dann mit v. Buris Argumenten abgelehnt (442/443). 26 Die Entscheidung löste sofort Reaktionen der Vertreter der objektiven Lehre aus, darunter auch Praktiker. Vgl. etwa die Aufsätze von Cohn, GA 28 (1880), 361 ff.; Geyer, ZStW 1 (1881), 30ff.; Zimmermann, GS 33 (1881), 260ff.; ders., GA 29 (1881), 182ff.; ders., GA 30 (1882),141 ff.; Hugo Meyer, GS 33 (1881),101 ff. (124f.m.Anm.). - Von dem anhaltenden Widerstand der Instanzgerichte gegen das Reichsgericht legt ein Aufsatz des Lüneburger Landgerichtsdirektors Hagemann in GA 32 (1884), 221ff. ein beeindruckendes Zeugnis ab. Anlaß für diesen Aufsatz war ein Fall des Abtreibungsversuchs einer Nichtschwangeren mit untauglichen Mitteln (vgl. S. 243), an dessen Strafbarkeit es nach der Lehre v. Buris und damit des RG keinen Zweifel geben konnte. Das LG Lüneburg hatte die Angeklagte gleichwohl freigesprochen und Hagemann versuchte nun mit viel Engagement, durch seine Arbeit diesen Freispruch auch wissenschaftlich zu verteidigen, indem er wenigstens bei fehlendem Objekt die Strafbarkeit ausschließen wollte, so wie es der objektiven Versuchstheorie entsprach. Ohne Erfolg: das RG hob das Urteil mit der gewohnt lapidaren Begründung auf (a. a. 0., S. 243/244). s. auch RGSt 34, 217 ff., wo noch 1901 das Landgericht Köln den gleichgelagerten Fall (Abtreibungsversuch einer Nichtschwangeren mit untauglichem Mittel) gegen das RG entschied; in geduldigem Ton legt das RG in der Entscheidung daraufhin nochmals die Lehre v. Buris dar (218 - 220) und wünscht sich zum Schluß, die Instanzgerichte möchten sich endlich der eindeutigen Linie des RG anschließen (221). - Wohl selten ist ein so schwieriges strafrechtliches Problem durch ein derartiges Maß an Sturheit bei einer derartigen Seichtigkeit der Begründung mit großer Relevanz für die Praxis gelöst worden. 27 RGSt 1, 439ff. (442). 28 Ausnahmen hat es nur zugelassen beim abergläubischen Versuch (s. RGSt 33, 321 ff. - 323) und mit einer allerdings schwankenden und verschieden interpretierbaren Rechtsprechung beim Versuch des untauglichen Subjekts; s. dazu einerseits die Ausführung RGSt 8, 198ff.; 29, 419ff. (420f.); allerdings auch GA 32 (1884), 243/244; anders dann RGSt 72, 109ff. (112f.); dazu Stöger, Versuch, S. 15-19; Bruns, GA 79,161 ff. (163 f., 184ff.). 29 § 59 a. F. lautete: Wenn jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Tatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Tatbestand gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, so sind ihm diese Umstände nicht zuzurechnen.

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Beachtung, wenn er zur Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorhandenen Tatbestandserfordernisses führt". Doch ist dieser Schluß schon aus formallogischen Gründen zweifelhaft, da nicht sicher ist, ob in der Umkehrung des Ausgangssatzes das Verhältnis von Grund und Folge von gleicher Notwendigkeit ist 30 . Selbst wenn er sich aber in dieser Hinsicht rechtfertigen ließe, ist er in der Sache unergiebig (was sich übrigens bei der neuen Fassung des § 16 mit größerer Deutlichkeit ergibt 31 ): § 59 (alter Fassung) regelt den Fall, daß der objektive Unrechtsbestand zwar vorliegt, jedoch nicht als willentliche Verletzung durch den Täter begreifbar und daher Vorsatzunrecht ausgeschlossen ist. Aus dieser Regelung ist nicht zu begründen, daß für das Unrecht die Vollständigkeit der subjektiven Seite genügt, wenn es gerade am objektiven Unrecht mangelt 32 . Mit anderen Worten: Der Grund für die Unrechtsrelevanz des vollständigen deliktischen Willens läßt sich aus einer Umkehrung der Irrtumsvorschrift nicht ableiten 33 . d) Die subjektive Versuchstheorie bildet nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Grundlage für das Verständnis des derzeit geltenden Rechts (§§ 22, 23)34. Freilich ist dort eine konsequente Durchführung der subjektiven Theorie - was angesichts deren Begründungsdefizits nicht verwunderlich ist - nicht gelungen 3s . So bleibt schon unklar, wieviel an "objektivem Gehalt" (qualitativ und quantitativ) das "Unmittelbar-Ansetzen" des § 22 trotz der Orientierung an der Vorstellung des Täters aufweisen muß36. Völlig losgelöst von theoretischen 30 Vgl. dazu die eingehende Untersuchung von Spende!. ZStW 69 (1957), S. 441 ff., bes. 449ff.; ihm zustimmend Engisch. Heinitz-FS, S.189; anders Sax. JZ 1964, 241 ff. (allerdings letztlich mit einer mehr inhaltlichen als formallogischen Argumentation, vgl. S. 244f.); dagegen wiederum Spende!. NJW 1965, 1881 ff. (1886f.). S. schließlich Puppe, Lackner-Festschrift, S. 199ff. 31 Dafür, daß auch § 59 a.F. sich lediglich auf den Vorsatz bezog, Sax. a.a.O. (Anm. 30), S. 242; dagegen Spende!. NJW 1965, 1886 r. Sp. 32 Die gleiche Kritik bei Robert v. Hippe!. Lehrbuch 11, S. 422 Anm. 2; Lobe. LK (4. und 5. Aufl.), § 43 Anm. 11 b. 33 Das wird auch im Streit um die formallogische Haltbarkeit des Schlusses stets angesprochen, s. Spende!. ZStW 69 (1957), 458 f.; Sax. JZ 1964, 245 r. Sp.; Baumann. NJW 1962, 16ff. (18); Engisch. Heinitz-FS, S.205. Zu diesem Punkt ist bereits von Binding. Normen III, S. 554f. das Nötige gesagt worden. 34 Zweiter Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses, BT Drucks. V / 4095, S. 11 / 12. Als Votum für die subjektive Theorie versteht auch Meyer diese (nicht ganz eindeutige) Stelle, s. ZStW 87 (1975), 603 m. Anm. 30. Anders - aber offenbar nur die Ansatzformel betreffend - Jescheck. SchwZStR 1975, 1 ff. (29); Roxin. JuS 1973,329; s. auch Anm. 36. 35 Daß man diese Schwächen nicht dadurch ausgleichen kan, daß man sie über die Eindruckstheorie korrigiert, dürfte nach dem oben A 11 2 b Gesagten deutlich sein. 36 In diesem Punkt war die Formulierung des § 43 a. F. (" ... Handlungen, welche einen Anfang der Ausführung dieses Verbrechens oder Vergehens enthalten ... ") viel hilfreicher, s. dazu auch Jakobs. ZStW 97 (1895), 764f. Dabei ist dies nicht bloß ein isoliertes Problem der Abgrenzung zwischen Vorbereitung und Versuch, sondern gleichsam der Anwendungsfall einer jeden Versuchstheorie in der "Wirklichkeit". S. dazu noch ausführlich unten 2. Teil, Abschn. D IV.

6 Zaczyk

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Grundlagen bietet sich außerdem § 23 III dar, der Reste der früheren objektiven Versuchstheorie in Gestalt von Strafzumessungserwägungen wiederbelebt 37 ; seiner Funktion nach korrigiert er die plausible subjektive Versuchstheorie mit einem plausiblen Widerstand gegen deren theoretische Konsequenzen. - Mit seinen disparaten Lösungselementen weist das geltende Recht also mehr auf die wissenschaftliche Behandlung der Probleme zurück als ihr eine Richtung zu geben.

2. Abwandlungen der subjektiven Versuchstheorie Innerhalb einer prinzipiell subjektiv ausgerichteten Versuchstheorie wurde es auf zweierlei Weise unternommen, die Relevanz des Täterwillens zusätzlich zu bestimmen. a) Der erste Ansatz beschränkte sich wesentlich auf die Erklärung des untauglichen Versuchs; bei ihm sei zwar der jeweils geäußerte Wille des Täters für das Rechtsgut ungefährlich, der Täter zeige sich jedoch als dessen Angreifer, so daß er die Wiederholung des Angriffs - und dann auf taugliche Weise befürchten läßt 38 • Reduziert auf eine Erklärung des Unrechts einer konkreten Versuchshandlung ist dieser Ansatz ersichtlich unzureichend, denn er verläßt die je einzelne Handlung, um deren Unrecht es gerade geht, und greift auf präventivpolizeiliche Gesichtspunkte zurück. Möglicherweise aber klingt in ihm der Gedanke an, daß der Täter auch jenseits der konkreten Tat in einer Verbindung mit dem Rechtsgut steht und deshalb die Betrachtung seiner Tat in dieses Verständnis gewissermaßen eingebettet werden muß 39 • Das rückte diese Lehre in die Nähe der hier im zweiten Teil vertretenen, bedürfte aber erheblich genauerer Begründung, als das an den in Anmerkung 38 zitierten Stellen geschieht. b) An der Einzeltat orientiert bleibt eine andere Lehre, die eine lange Tradition hat, eine Verbindung von subjektiven und objektiven Momenten enthält und bisweilen auch als "Plantheorie" bezeichnet wird 40 • Auch nach ihr Kritisch dazu Gössel. GA 1971, 227ff.; Meyer. ZStW 87 (1975), 614ff. Vgl. Kohlrausch/ Lange. StGB, 43. Aufl., Anm. III 3 i. V.m. III 2 vor § 43; Waiblinger. ZStW 69 (1957), 189ff. (214 Ziff.3. und vor allem S.219); Oehler. Zweckrnoment, S. 121; Reinhardv. Hippel. Untersuchungen, S. 27f. (wie Oehlersonst aber der neueren objektiven Lehre folgend). Anklänge auch bei Engisch. Unrechtstatbestand, S. 435 (zu Engisch aber auch der Abschnitt über die Imperativentheorie, unten C 11 2). Früher schon in dieser Richtung Eduard v. Liszt. ZStW 25 (1906), S. 36 (i. Erg. folgt er allerdings der Plantheorie, s. sogleich im Text unter b). Neuerdings J. Ben/er. Allgemeines Strafrecht, RN 475. 39 Vor allem in Engischs Fassung (a.a.O. Anm. 38 -) wird das deutlich. 40 s. schon Pfotenhauer. Der Einfluß des factischen Irrtums usw., 81 ff., 1OOff.; Köstlin. System des deutschen Strafrechts, 1. Abt., S.228, 229; ders .• Neue Revision, 339ff. (371 ff.); Krug. Die Lehre vom Versuche der Verbrechen, 22ff.; Hälschner. System des preußischen Strafrechts I, 182/183, 189, 198 (allerdings enge Fassung der Ausführungsverhandlung, vgl. 192, 196f.) (Hälschner vertrat später die subjektive Theorie, s. oben Anm.9); Walther. KritVjSchr. V (1863),34; Häberlin. GS 16 (1864), 218ff. (218, 232f.; 37 38

C. Subjektive Lehren

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ist Grundlage der Versuchsstrafbarkeit der Wille des Täters, doch wird für ihn eine bestimmte Qualität erfordert: Er muß seinem Inhalt nach gefährlicher Wille sein, d. h. er muß so beschaffen sein, daß er - umgesetzt in die Wirklichkeit gedacht - verletzungstauglich ist; auf den Mangel der Verwirklichung der konkreten Ausführung soll es dann nicht mehr ankommen. So ist es beispielsweise der Willensbeschaffenheit nach gefährlich, einen anderen mit einem Gewehr erschießen zu wollen - unabhängig von der Zufälligkeit im Einzelfall, ob das Gewehr geladen ist oder nicht. Hingegen ist es schon vom Inhalt des Willens her ungefährlich, einen anderen mit Zucker töten zu wollen; hier nimmt der Täter irrig eine Kausalverbindung an, die der Erfahrung nach nicht besteht; er begeht keinen Tötungsversuch. Dabei ist jedoch zunächst schon fraglich, ab man sich mit dieser Lehre nicht alle die Abgrenzungsschwierigkeiten einhandelt, die bereits die ältere objektive Theorie nicht befriedigend lösen konnte 41 . Denn auch die Lehre von der Gefährlichkeit des Tatplans muß notwendig mit Tatbildern operieren, die Abstraktionen vom wirklichen Verlauf sind und daher gleichfalls einer Einschätzung bedürfen, welche Mängel im wirklichen Verlauf vernachlässigt werden dürfen und welche nicht. Ist es - um ein Beispiel v. Bars aufzugreifen 42 - ein gefährlicher Plan, mit einer 12 Fuß hohen Leiter in ein Haus einsteigen zu wollen, dessen einzige Einstiegsöffnung fünfzig Fuß hoch ist? "Einsteigen mit einer Leiter" scheint für einen Diebstahl ein gefährlicher Plan zu sein; nimmt man aber die ergänzenden Umstände hinzu, wird man zweifeln müssen; es ist jedenfalls nicht eindeutig, wie die Antwort auszufallen hat 43 • Hinzu kommt aber, daß die grundsätzliche Frage ähnlich wie bei der sozusagen "einfach-subjektiven" Lehre v. Buris ohne Antwort bleibt: in welchem Verhältnis der Wille - und sei er gefährlicher Wille - zum Unrecht steht und weshalb und in welchem Maß von einer vollständigen Verwirklichung dieses Willens abgesehen werden kann. Allerdings bedarf diese Kritik hier einer Erläuterung. Denn bei der Plantheorie ist - das zeigen schon die Namen ihrer Vertreter - der Anklang an die Ausführungen Hegels zur Handlung unver238 ff.); ders. GS 24 (1872),253 ff. (262 ff.); Bar, Zur Lehre von Versuch und Teilnahme am Verbrechen, S. 16f. (Bar vertrat später die Eindruckstheorie, s. oben A, Anm. 20 a. E.); Kohler, Studien zum Strafrecht I, S. 9ff. (allerdings mit starker Betonung der "Gefährdung der Rechtsordnung", bes. S. 20ff.); Wachenfeld, Art. Strafrecht, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, Bd. V; wohl auch Klee, Wille und Erfolg in der Versuchslehre, S. 34 (allerdings unter Ausschluß des untauglichen Objekts, 26ff., 37ff.); Ralis, ZStW 61 (1942), 1 ff. (48ff.). - Binding (Normen III, 527 Anm.4O) nennt Bauer als Begründer dieser Lehre, vgl. Bauer, Abhandlungen I, 305ff. (378); ders., Lehrbuch, 104 ff. (109 f. m. Anm. d); an diesen Stellen spricht Bauer aber nur davon, daß der verbrecherische Wille sich "an den Tag gelegt" haben müsse; das ist eher in die "normale" subjektive Theorie einzuordnen. 41 Dieser Verdacht drängt sich besonders bei der Lektüre der Abhandlung Kohlers auf, a.a.O. (Anm.4O), S. 16ff. 42 Zur Lehre von Versuch und Teilnahme am Verbrechen, 15. 43 Vgl. auch Westpfahl, Versuch, 20. 6*

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kennbar 44 • Für Hegel stehen die Handlung und ihre Folgen nicht in einem äußeren (zufälligen) Verhältnis zueinander, das sich etwa über die Kategorie der Kausalität verbinden ließe. Vielmehr gilt: "Die Folgen, als die Gestalt, die den Zweck der Handlung zur Seele hat, sind das ihrige ( ... )"45. Die Handlung in vollem Sinne findet sich also ganz in der Wirklichkeit als ihrer Realität wieder. Geht man mit diesem Handlungsbegriff zum Problem des Versuchs über 46 , also auf die Fallgestaltung, in der intendierte Folgen nicht eintreten, so kann in dem umfassenden Sinn von Handlung nur noch dann gesprochen werden, wenn die Ursache des Ausbleibens der Folgen nicht schon in einem Mangel des Handlungswillens besteht, sondern wenn sie aus jenen Zufälligkeiten resultiert, denen jeder Handelnde (auch der Erfolgreiche) unterliegt. Daran wird deutlich, daß in diesem Zusammenhang "Tauglichkeit des Täterplans" mehr zum Inhalt hat als eine innere Wiederspiegelung äußerer Kausalverläufe; vielmehr ist die Substanz der Handlung selbst betroffen: sie muß das Urteil zulassen, die intendierten Folgen "beseelen" zu können, anderenfalls sie zu einem unsinnigen Unternehmen herabsinkt. Sicherlich ist mit dieser zusätzlichen Aufklärung der Handlungsstruktur für den Versuch eine Dimension zusätzlicher Bedeutung gewonnen. Gleichwohldas kann in vollem Umfang allerdings erst der zweite Teil dieser Arbeit zeigen ist die Frage des Unrechts des Versuchs damit noch nicht genügend beantwortet. In Hegels Darstellung erscheint der Versuch als Problem des Verhältnisses des Geistes zur Endlichkeit und der Frage möglicher Zurechnung von Folgen in diesem Bereich 47 • Die Feststellung des Unrechts einer solchen Handlung erfordert jedoch die weitergehende Untersuchung, inwieweit der Zusammenhang von Intention und Realisiertem (bzw. Nicht-Realisiertem) als solcher einen Widerspruch gegen das Recht darstellen kann. Nun gibt Hegel- nicht für den Versuch, aber umfassend für das Verbrechen - darauf insofern eine Antwort, als er beschreibt (Rechtsphilosophie, §§ 95 ff.), wie im Verbrechen der einzelne endliche Wille das Recht negiert. Es müßte nun aber für unser Problem ein Zwischenschritt geschehen, mit dem gezeigt wird, in welchem Verhältnis Negation des Rechts und äußere Realisation stehen. Es ist keineswegs sicher, daß dem tatmächtigen Willen - so wie Hegel das in § 118 beschreibt - nach Hegels Grundkonzeption des Unrechts die nicht-eingetretenen intendierten Folgen zugute kommen müssen, ja ob nicht sogar auf ein Ansetzen zur Tat verzichetet werden kann. An der Stelle des Versuchsproblems wird eine 44 Bei Köstlin ist das besonders deutlich, s. z. B. System I, § 82 i. .V. m. §§ 58,73. - V gl. zum folgenden E. v. Bubnoff, Entwicklung, S. 43 ff. 45 RPh, § 118. 46 Heget selbst erwähnt den Versuch in einem Halbsatz, RPh, § 118, Anm.: "Hierin liegt, daß es dem Verbrecher, wenn seine Handlung weniger schlimme Folgen hat, zu gute kommt ( ... )"; vgl. zur "Spiegelbildlichkeit" des § 118 H. C. Jahr. Problem der Strafmilderung, S.95ff. 47 Das wird besonders deutlich in den eindringlichen Untersuchungen, die H. C. Jahr diesem Problem gewidmet hat, vgl. Problem der Strafmilderung, S. 93 -108.

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grundsätzliche Frage der Hegel'schen Rechtsphilosophie - das Verhältnis von Moralität und Sittlichkeit - gewissermaßen von der Rückseite (dem Unrecht) her thematisiert: Kann der einzelne, unvollständig realisierte Wille Unrecht sein; das ist positiv gewendet die Frage danach, in welchem Verhältnis einzelner Wille zum Dasein des Rechts steht. Bekanntlich mißt Hegel- bei aller Anerkennung des freien Selbstbewußtseins - den Mächten der Sittlichkeit hier eine überlegene Stellung zu 48 • Eine Fernwirkung des so bestimmten Zusammenhangs ergibt sich beim Versuch, und zwar als Unklarheit darüber, ob er (schon) Unrecht sein kann oder aber vernachlässigt werden könnte 49 . Man sieht aber hieran, daß in der Plantheorie (der subjektiv-objektiven Theorie) implizit ein Gedanke zumindest als Problemhinweis enthalten ist, der sich in den im folgenden zu besprechenden subjektiven Unrechtslehren verstärkt geltend machen wird: der Gedanke der Tatmacht des einzelnen Rechtssubjekts, d. h. die Einsicht, daß Veränderungen in der sozialen Welt nicht in ihrer Reduktion auf äußerliches Geschehen zureichend erfaßbar sind, sondern nur in einem Verständnis, das sie ursprünglich als Produkt der handelnden Subjekte begreift. Hier liegt ein Ansatz dafür vor, daß sich das Ernstnehmen des Verwirklichungswillens am Horizont des Gefährdungswissens der anderen orientieren muß (ohne daß dies damit schon näher bestimmt wäre). Mit der Plantheorie ist damit gedanklich ein Niveau erreicht, das eine auf den Versuch beschränkte Perspektive übersteigt und auf allgemeine Erwägungen zur Rolle des Subjekts im Unrecht verweist. 11. Subjektive Unrechtslehren 1. Einleitende Bemerkungen Schon im Ansatz umfassender muß die Bedeutung des Subjekts in all den Lehren bestimmt werden, die das Unrecht gerade vom Subjekt aus begründen. Denn es geht nun nicht mehr um ein auf den Versuch reduziertes Problem, sondern - implizit - um eine Rechtsbegründung auf der Basis der Subjektivität, d. h. ausgehend von einem Einzelnen, der als selbstbewußter Einzelner begriffen wird. Das wird allerdings von diesen Lehren nicht immer ausdrücklich 48 Die freilich gemildert wird, wenn man mit Michael Köhler die Sittlichkeit bei Hegel als "institutionell entwickelte Intersubjektivität" begreift; vgl. Begriff der Strafe, S. 57, sowie Strafbegründung im konkreten Rechtsverhältnis, Lackner-Festschrift, S. 13, 16, 25ff. 49 Diesen Punkt zeigen auch gut die Ausführungen Kohlers. Studien I, S.20ff. Nachdem er zunächst die "Gefährlichkeit" des Tatplans als notwendiges Element des Versuchs hervorgehoben hat (insbes. S. 9ff.), lenkt er den Blick anschließend ganz auf die Seite der Rechtsordnung und schreibt etwa: "Die Rechtsordnung ist an sich eine so heilige Sache, daß ein Attentat gegen sie eine Repression verdient, ohne Rücksicht darauf, ob die Handlung so angelegt war, daß hierdurch ein bestimmtes Ding oder eine bestimmte Person in Gefahr gesetzt wird, oder nicht" (S. 20). Ähnliche Stellen finden sich dann mehrfach S. 21-25.

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behandelt; sie beschränken sich vielmehr vordergründig auf eine Unrechtsbegründung, und deshalb spielt auch der Versuch bei ihnen stets eine besondere Rolle, läßt er sich doch mit diesem Ansatz venneintlich bruchlos erklären. Nur konsequent erscheint es von daher, daß man ihn schließlich zum Prototyp des Unrechts erhob 50 • Daß darin eine Verkürzung liegt, sieht man schon daran, daß nun die Differenz von Vollendung und Versuch nicht mehr existiert 51 • Das ist aber nur der Widerschein eines grundsätzlichen Problems: Eine Unrechtsbegründung aus dem Prinzip der Subjektivität heraus kann deshalb nicht die Folgen einer Handlung vernachlässigen, weil jede rechtliche Bestimmung den äußeren Zusammenhang zwischen Subjekten betrifft und ihn in ihre Begründung rniteinbeziehen muß. Hier treten aber Schwierigkeiten auf, die es verbieten, Subjektivität vordergründig mit "Innerlichkeit" zu identifizieren. Es geht vielmehr darum, den selbstbewußten Einzelnen als Rechtsperson zu konstituieren, d. h. in seiner Beziehung zu anderen. Das Problem der objektiven Lehren stellt sich also hier genau umgekehrt: Ging es dort darum, den Einzelnen konstitutiv in die Rechts-/Unrechtsbegründung einzubeziehen, geht es hier darum, die äußeren Verhältnisse als mit ihm zusammenhängende Produkte verständlich zu machen. Wie schon oben vor I. angedeutet, werden im folgenden drei wesentliche Positionen einer solchen Begründung untersucht: zunächst die Stellung des Einzelnen im Verhältnis zur Nonn, wie die Imperativentheorie sie entwickelt hat (2.), sodann das Verständnis des Einzelnen als einem, der die Werte in einer Gemeinschaft verwirklicht (3.), schließlich die über dieses immer noch isolierte Subjekt hinausführende Überlegungen der Gegenwart, in denen die personale Unrechtslehre aus einem Beziehungsverhältnis zwischen den Personen entwickelt wird. 2. Die Imperativentheorie Eine erste Begründungsmöglichkeit subjektiven Unrechts setzt an dem Verständnis der Rechtsnonn S2 als Bestimmungsnonn an S3 ; Unrecht ist dann wesentlich Auflehnung gegen die N onn im Sinne eines "falschen Wollens". Ausgearbeitet begegnet dieser Ansatz in der sogenannten Imperativentheorie, die am Ende des neunzehnten Jahrhunderts besonders wirkmächtig war S4 und in so Zielinski, Handlungs- und Erfolgswert, S. 128fT. (143f.); zu Zielinski s. auch noch unten b. Anm. 142ff. SI Bei der Schuld wird dies noch deutlicher. Armin Kaufmann weist demjenigen, der ein Mehr an Schuld bei der Vollendung gegenüber dem Versuch feststellen will, die "wissenschaftliche Beweislast" zu (ZStW 80 [1968], 34ff. - 51 -). Doch ist festzuhalten, daß es hier nicht um Fragen der Beweislast, sondern der wissenschaftlichen Erkenntnis geht; bei ihr trägt jede Seite die "Beweislast" ganz. 52 "Norm" sei hier ganz unbefangen mit "Rechtssatz" gleichgesetzt; auf die in den verschiedenen Lehren unterschiedliche Bestimmung dieses BegrifTs kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. 53 Vgl. zunächst als ersten Überblick Jescheck, AT, § 24 II, S. 188f. 54 Über Vorläufer s. Nagler, Der heutige Stand, S. 309 m. FN 2, 310 m. FN 1.

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einer Reihe von Arbeiten ausgefaltet wurde 55 • Den Grundsatz dieser Lehre formuliert Thon: "Das gesamte Recht einer Gemeinschaft ist nichts als ein Komplex von Imperativen ( ... )56. Im Recht wendet sich der Gemeinwille wieder an den Einzelwillen zurück und gibt ihm einen ,Impuls' 57 zum richtigen Handeln." Bevor auf die Einzelheiten dieser Lehre eingegangen wird, soll zunächst ihr Grundgedanke gewürdigt werden: Der Wille des Einzelnen bewegt die Verhältnisse, die das Recht zum Gegenstand und Inhalt hat, und rechtliche Verhältnisse stellen sich nur über Handlungsvollzüge der Einzelnen her. Das verschafft den Adressaten der Imperative jedenfalls im gedanklichen Ansatz eine prinzipiell andere Stellung im Verhältnis zum Recht als in vielen der objektiven Lehren (siehe oben Abschnitt B). Und es ist nicht zu verkennen, daß eine wichtige Seite einer Rechtsordnung gedanklich erfaßt ist, wenn sie so verstanden wird, daß sie Ausdruck eines gemeinsamen Wollens ist, das über den Willen des Einzelnenbei rechtmäßigem Verhalten - gleichsam lebendig wird. Nun lassen allerdings Begriffe wie "Imperativ" oder "Adressat der Rechtsnorm" ähnliche Assoziationen aufkommen wie die Normentheorie Bindings: man vermutet eine von außen aufgesetzte, heteronome Begründung des Rechts 58. Die folgenden Untersuchungen sollen die Berechtigung dieses Eindrucks überprüfen. 55 Zu nennen sind insbesondere Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, bes. S. 1 - 11: Schuppe, Grundzüge der Ethik und Rechtsphilosophie, bes. S. 276fT.; ders., Der BegrifT des subjektiven Rechts, S. 15fT.; Hold v. Ferneck, Die Rechtswidrigkeit I, passim. S. auch v. Jhering, Der Zweck im Recht, Bd. I, 256fT. (257); dazu ist allerdings anzumerken, daß bei v. Jhering das Recht selbst wieder - wie auch die einzelne Rechtsperson - in einen Finalzusammenhang der Welt eingebunden ist und man daher v. Jhering nicht in der Weise als Imperativentheoretiker bezeichnen kann wie die erstgenannten Arbeiten. - Auch Bierling, Juristische Prinzipienlehre, bes. Bd. I, S. 26fT., wird gewöhnlich zu dieser Gruppe gerechnet (vgl. nur Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 29); gemessen aber etwa an Hold v. Fernecks Schrift sind seine Bestimmungen nicht von vergleichbarer gedanklicher Konsequenz: aufschlußreich etwa seine Ausführungen zum Unrecht, Prinzipien Bd. III, S. 3, 6, 170, in denen er stets mehr auf die unmittelbare Plausibilität der Aspekte als auf ihren Zusammenhang mit den Grundsätzen der Imperativentheorie zu achten scheint; s. auch noch unten Anm. 90fT. Daß Binding nicht zur Imperativentheorie in dem hier behandelten Sinn gerechnet werden darf, ergibt sich aus einem Vergleich der folgenden Ausführungen im Text mit d~njenigen oben Abschnitt B II 4. - Zur Imperativentheorie in neuerer Zeit vgl. etwa Giorgio dei Vecchio, Lehrbuch der Rechtsphilosophie, S. 385 fT.; Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 22 ff. (mit vielen Nachw. in Anm.6 b); ders., Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S.29fT.; Ilmar Tammelo, Contemporary developments usw., 255 fT.; Luis Legaz y Lacambara, Rechtsphilosophie, S.351fT.; Hans Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S.8fT., 16fT. Für das Strafrecht etwa Oehler, Zweckrnoment, S. 22fT. 56 Rechtsnorm, S. 8. 57 Rechtsnorm, S. 1/2. 58 Zu hart ist die Kritik Krügers, Der Adressat der Rechtsnorm, S. 13ff., s. aber auch Lampe, Personales Unrecht, 109fT.

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Gewöhnlich dreht sich die Auseinandersetzung mit der Imperativentheorie allerdings um zwei andere Fragen: einmal um das Problem, an welche Adressaten die Normen gerichtet sind (an alle Einzelnen oder nur an alle Vernünftigen) 59; zum anderen darum, ob sich denn alle Rechtssätze eines Rechtssystems als Imperative begreifen lassen 60 • Vornehmlich die erste Frage spielt auch für die zutreffende Erfassung des Unrechts eine wichtige Rolle, denn mit ihrer Beantwortung wird geklärt, ob Unrecht nur schuldhaft oder auch schuldlos begangen werden kann. Gleichwohl ist sie für den hier zu erörternden Zusammenhang nur von sekundärer Bedeutung; für ihn kommt es auf einen anderen Punkt an: Unabhängig davon, ob sich der Imperativ nur an "Vernünftige" oder "an alle" richtet, muß zunächst geklärt werden, in welchem grundsätzlichen Verhältnis er begriffiich zum Rechtssubjekt steht. Denn daraus kann dann abgeleitet werden, welches Gewicht dem Einzelnen bei der Normübertretung zukommt, in welchem Maß es also beim Unrecht des Versuchs auf den subjektiven Anteil ankommen kann. In unterschiedlich deutlicher Weise - explizit bei Alexander Hold v. Ferneck 61 - faßt die Imperativentheorie dieses Verhältnis als ein ausschließlich vom Gesetzgeber gegenüber dem Einzelnen bestimmtes und damit heteronomes auf. Das Recht nimmt nicht vom einzelnen Subjekt her seinen Ausgang - sei es auch nur in der Konstruktion als verwoben in einen allgemeinen Willen bestimmt -, sondern das Recht bewegt sich als eigene Größe zu ihm hin. Entsprechend kann das Zusammenleben der Einzelnen nicht etwa als Produkt ihres autonomen HandeIns begriffen werden, sondern vielmehr als ein Handeln, das - falls es rechtmäßig ist - sich in die vom Recht vorgezeichneten Formen gleichsam einpaßt. Selbst wenn man also die Normen nur an alle Vernünftigen ergehen läßt, bedeutet das in dieser Sicht lediglich, daß man nur von ihnen sinnvoll verlangen kann, sich in die vorgezeichnete Ordnung zu fügen; nicht aber kommt ihnen damit prinzipiell eine andere Stellung gegenüber dem Recht zu als den Unvernünftigen. Besonders deutlich wird dies bei Hold v. Ferneck, nach dessen Ansicht sich die Norm nur an den zurechnungsfähigen Adressaten richtet 62 • Auf die von ihm ausdrücklich heteronom verstandene Rechtsbegründung hat das aber keine Auswirkungen: Nach seiner Ansicht strebt der Mensch - also auch in seiner Konzeption der Vernünftige - immer nach Lust 63 ; daher müsse es Instanzen geben, die seine Handlungsfreiheit einschränken, denn der Einzelne sei alleine nicht in der Lage, die Interessen seiner Mitmenschen zu wahren 64 . Daher muß

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s. als Überblick Krüger, Adressat, S. 29ff. s. dazu Engisch, Einführung, S. 22 ff. Die Rechtswidrigkeit I, S. 46f., 51. Rechtswidrigkeit I, S. 355 ff. (361). Rechtswidrigkeit I, S. 35. S.36/37.

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eine objektive, zwingende Macht bestehen, die den Einzelnen auf dem richtigen Weg hält: das Recht 65 , 66. Diese prinzipielle Distanz zwischen dem Recht und dem konkreten einzelnen Individuum weist schon auf Schwierigkeiten hin, die in der Bestimmung gerade des Unrechts des Versuchs sich verstärken müssen: Je schärfer die Trennlinie zwischen Recht und Einzelnem gezogen ist, desto unklarer wird dessen Stellung als Urheber von Unrecht; dieses Problem hat sich schon oben bei der Darstellung der sogenannten objektiven Lehren gezeigt. Der Einzelne erscheint in der Imperativentheorie in der Rechtsbegründung rein negativ, wird aber im Unrecht gewissermaßen "positiv" (gestaltend) tätig; beim Versuch muß daswie noch näher zu zeigen ist - zu Brüchen führen. Zunächst sei allerdings der erste Teil der These, die Negativität der Einzelperson in der Imperativentheorie, an zwei Beispielen illustriert: bei der Bestimmung des subjektiven Rechts und bei der Bestimmung der Rechtspflicht. Bei Thon wird das subjektive Recht wie folgt konstruiert: Die Imperative, die als den Willen lenkende Handlungsanweisungen auf den Einzelnen zugreifen, wenden sich im Fall des subjektiven Rechts gleichsam von ihm ab und richten sich nur noch in seinem Interesse an Andere. "Eigentümer einer Sache ist derjenige, welcher gegen den Genuß der Sache seitens dritter Personen in relativ weitestem Umfange durch Normen geschützt wird."67 Oder 68 : "Das Recht ist nur Mittel, nie Selbstzweck - nämlich das Mittel oder genauer ein Mittel zur Ermöglichung eines gegenwärtigen oder künftigen Genusses. Letzterer gehört so wenig zum Begriffe des Rechts, wie zum Gartenzaun der Garten gehört ( ... )". Was - aus der Perspektive des Rechts - jenseits des Gartenzauns liegt, das also, was den Gartenzaun erst zum Gartenzaun macht, bleibt im Recht gleichgültig und fremd. Was aus der Perspektive des Berechtigten, also etwa des Eigentümers, die ursprüngliche Bestimmung ist, daß nämlich dieses oder jenes sein eigenes ist, gerät in der Imperativentheorie zur Leerstelle, und es wird die Berechtigung von Bindings bekanntem Spott deutlich, nach der Imperativentheorie sei das Eigentum "das Loch im Zentrum eines Normenkreises"69. Wird aber das Recht insgesamt als ein von außen zugreifender "Komplex von Imperativen" begriffen, fehlt notwendig die Stelle, etwa Eigentum positiv begreifen zu können 70. 65 s. auch Thon, Rechtsnorm, S. 292: "Die natürliche Freiheit der Menschen besteht rechtlich überall fort, bis ihr durch die Rechtsordnung eine Schranke gesetzt ist." 66 Hold v. Ferneck differenziert diese Bestimmungen in seiner Arbeit, etwa nach der Rolle der ethischen Mächte - Sittlichkeit, Religion - oder nach der Möglichkeit einer Verinnerlichung der Rechtsregel; der Grundsatz der Heteronomie im Bereich des Rechts wird dabei jedoch an keiner Stelle aufgegeben. 67 Rechtsnorm, S. 161. 68 Rechtsnorm, S. 219. 69 Karl Binding, zu Thon, Rechtsnorm und subjectives Recht, in: Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, Erster Band, 522ff. (539).

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Für eine subjektive U nrechtsbegcündung jedenfalls auf den ersten Blick noch wichtiger ist der Begriff der Rechtspflicht. Hold v. Ferneck schreibt konsequent für die Imperativentheorien: "Der Pflichtbegriff ist der Mittelpunkt des Rechtssystems."71 Entsprechend gilt dann für die Rechtswidrigkeit: "Es ist sonach unmöglich, daß eine Handlung oder Unterlassung ( ... ) rechtswidrig ist, ohne pflichtwidrig zu sein."72 Hier zeigt sich erneut der schon oben erwähnte positive Ansatz, der das Unrecht als ein durch das Subjekt gestaltetes Ereignis begreifbar werden läßt: "Der Begriff der Rechtswidrigkeit oder Pflichtwidrigkeit läßt eine Zerfällung in eine objektive und subjektive Seite schlechterdings nicht zu. Denn das Recht erfaßt weder die Innerlichkeit des Menschen allein, noch die äußere Sphäre allein, sondern es wirkt durch die Innerlichkeit - als Motiv - auf die äußere Betätigung. "73 Sieht man sich jedoch die Konstruktion der Pflicht näher an, geht dieser positive Ansatz wieder verloren. Besonders aufschlußreich ist auch hier wieder Hold v. Fernecks Darstellung. Nach seiner Auffassung entsteht eine Pflicht durch eine Wechselwirkung zwischen zwei Willenszentren: einem Befehlenden und einem vom Befehl Betroffenen 74. Die Entstehung der Pflicht kann nicht so begriffen werden, daß der Befehlende die Aufforderung ausspricht, der Befehlsempfänger möge in der konkreten Situation egoistische Motive zugunsten altruistischer Motive zurückstellen und im Sine des Rechts handeln. Darin läge nämlich die Anerkennung, daß der Befehlsempfänger überhaupt das Vermögen besitzt, aus eigener Entscheidung altruistischen Motiven den Vorzug zu geben; das aber sei 70 Der Notwendigkeit dieser Konstruktion aus dem Ansatz der Imperativentheorie heraus entgeht auch Hold v. Ferneck nicht, der glaubt, Thons Bestimmung hinter sich zu lassen (Rechtswidrigkeit I, S. 111), dann aber schreibt (a.a.O., S.117): "Subjektiv berechtigt zu sein heißt sonach, dadurch eine Macht über einen Menschen zu üben, daß dieser durch ein Motiv (sc. die Strafdrohung) von einem Thun abgehalten wird, das einem Interesse zuwiderläuft, welches der Gesetzgeber zu schützen strebt ( ... )". An Thons negativer Bestimmung hat sich nichts geändert; um im Bild zu bleiben, ragt aus dem Loch im Normenkreis bei v. Ferneck ein Arm, der die anderen wegdrückt; lediglich der Imperativ wird verstärkt, aber nichts für die positive Erfassung des subjektiven Rechts gewonnen. 71 Rechtswidrigkeit I, S. 94. s. dazu auch Nagler, Der heutige Stand usw., S. 309ff. 72 Gegen diese Bestimmung spricht nicht die Stelle in Rechtswidrigkeit I, S. 126, wo es heißt "Verbrechen ist sonach, wie jede pflichtwidrige Handlung, Verletzung eines abstracten Interesses". Denn da - nach Hold v. Ferneck - das Recht nicht das konkrete Interesse, sondern nur das abstrakte, d. h. ein Durchschnittsinteresse, schützt, geht es nicht um individuelle und damit material bestimmte Verletzung, sondern lediglich um die Verletzung eines generellen Interesses, d.h. aber schließlich um Rechtsverletzung. Wenn aber das Recht ein Komplex von Imperativen ist, bleibt von der Interessenverletzung nur die Imperativwidrigkeit übrig. - Vgl. auch Thon, Rechtsnorm, S. 110f.: "Nicht aus Rücksicht für Hinz oder Kunz wird deren Eigentum von der Rechtsordnung geschützt: um der gemeinen Interessen willen wird das Rechtsinstitut des Eigentums aufgestellt ( ... )". 73 Rechtswidrigkeit I, S. 277. 74 Rechtswidrigkeit I, S. 73ff. Vgl. zum folgenden auch Hans-Ludwig Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, S. 82 f.

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Indeterminismus, den Hold v. Ferneck aus dem Gebiet des Rechts als Wissenschaft notwendig verbannt sehen will 75 • Die Konstruktion der Pflicht müsse vielmehr so aussehen: Es erfolgt der Befehl (etwa: Du sollst nicht stehlen); der Angesprochene sagt: - Meine Motive treiben mich aber zu der untersagten Handlung; darautbin wird die Sachlage der Motive geändert: Motive werden hinzugefügt (etwa: Strafe) oder weggenommen (Beseitigung der Armut). Dem Recht als äußere Handlungsanleitung bleibt "in der Tat für den Begriff der Pflicht, vom Standpunkt der Willensunfreiheit betrachtet, kein anderes Merkmal als das des Zwangs: Pflicht ist Zwang."76 Es gibt keine Norm ohne Sanktion 77 • Die Tatsache, daß das Zusammenleben der Einzelnen in der Regel ohne Zwang reibungslos abläuft, erklärt Hold v. Ferneck damit, daß sie - von den ethischen Mächten beeinflußt - die Rechtsregeln verinnerlicht haben (womit über deren Freiheitlichkeit nichts ausgesagt ist); sie erfüllen daher die Pflichten "freiwillig"; einer Rechtspflicht kommen sie nach Hold v. Ferneck damit aber nicht nach, da das Zwangsmoment fehlt 78 • Diese Konstruktion der Rechtspflicht als einer Kombination von inneren Antrieben und äußerem Zwang ist mit dem Ansatz der Imperativentheorie notwendig verbunden. Durch die Pflicht wird das Subjekt ins Recht geholt; ist aber das Recht nur äußerlich, bleibt auch die ins Subjekt versenkte Pflicht ihm als Person letztlich fremd. Auch bei Thon tritt diese Äußerlichkeit der Verpflichtung hervor 79 ; bei Bierling ist die Härte des Hold v. Ferneckschen Pflichtbegriff dadurch verdunkelt, daß Bierling die "Anerkenung" der Normen fordert 80 ; der Akt dieser Anerkennung verändert aber nicht etwa die Stellung des Subjekts zum Recht, sondern entschärft lediglich den Begriff der Pflicht ein wenig, indem dadurch der Boden für Bierlings Auffassung gelegt ist, das Recht bedürfe nicht primär des Moments des Zwangs 81 • Wird die Pflicht nur als äußerlich zugeschrieben verstanden und erscheint das subjektive Recht als Recht nur als Abglanz dessen, was es für das Subjekt real bedeutet, dann ist die Subjektivität im Recht nur negativ bestimmt. Der Einzelne 7S Vgl. Rechtswidrigkeit I, S. 51 ff. Wissenschaft sei verbunden mit der durchgängigen Anerkennung des Kausalprinzips (S.51). Daraus folgt: "Der Jurist ist Determinist" (S. 72). Dieser Satz sei "streng logisch genommen ( ... ) ein analytisches Urteil" (a. a. 0.). 76 Rechtswidrigkeit I, S. 76 (Hervorh. im Text). 77 Rechtswidrigkeit I, S. 79. 78 Rechtswidrigkeit I, S. 96. Daß Hold v. Ferneck diesen reduzierten Begriff der Pflicht mit einem Kant-Zitat belegt ("Was jeder schon von selbst tut, gehört nicht unter den Begriff Pflicht") ist schwer nachvollziehbar. Daß - um es verkürzt zu sagen - der Zwingende und der Gezwungene ein und dasselbe sind, ist für Kant gerade der Grund für Autonomie, die dem Begriff der Pflicht und daraus notwendig folgend dem Begriff des Rechts eine ganz andere Position verschafft, die Heteronomie gerade ausschließt. 79 s. etwa Rechtsnorm, S. 138 ff. 80 s. etwa Prinzipien I, S. 29,45,171,201 u. Ö. Dazu Schreiber, Begriff der Rechtspflicht, S.90. 81 Prinzipien IH, S. 4 m. Anm. 1.

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tritt nicht als Für-sieh-Sein und damit konstitutiv in die Rechtsbegründung ein, sondern wird vom Recht gleichsam definiert 82 : Die Regeln rücken so nahe an ihn heran, daß der verbleibende Rest "Subjektivität" genannt werden könnte. Der Einzelne ist zur Verwirklichung des Rechts als Motor denknotwendig, macht aber nicht eine begründende Stelle im Zusammenhang aus. Wie schon eingangs erwähnt, wirkt sich die Blässe des Subjekts notwendig auch bei der Bestimmung des Unrechts aus. Unrecht als Pflichtwidrigkeit (Hold v. Ferneck)83 , Übertretung eines Imperativs (Thon) 84 , Rechtsübertretung sowie Rechts- bzw. Pflichtverletzung verstanden (Bierling)8S scheint dem Subjekt die zentrale Rolle beim Unrecht zuzuweisen. Ist es aber schon bei der positiven Konstitution des Rechts in der Weise eines bloßen Zugriffsobjekts erfaßt, kann es beim Unrecht diesen Substanzverlust nicht wieder einholen. Pflichtwidrigkeit etc. ist dann ausschließlich äußerer Regelverstoß, "falsches Wollen". Wenn aber nicht festgestellt ist, daß das Subjekt im Recht eine konstitutive Bedeutung hat, bleibt notwendig die Antwort auf die Frage offen, weshalb seinem falschen Wollen so große Relevanz zukommen soll. Insbesondere das Problem versuchten Unrechts zeigt nun weiter, daß man auf dieser ersten Stufe einer subjektiven Unrechtsbegründung ganz ähnlichen Schwierigkeiten ausgesetzt ist wie bei den oben behandelten objektiven Lehren: Der Zusammenhang zwischen Subjektivität und (U n-)Recht ist ungeklärt. Noch zusätzlich hat man sich allerdings die Schwierigkeit eingehandelt, nicht einmal die Vollendung mehr als Gutsverletzung begreifen zu können, was vornehmlich an der negativen Fassung des subjektiven Rechts liegt. Die Vertreter der Imperativentheorie hatten dann auch mit dem Versuch größere Schwierigkeiten, als es ihr Ansatz vermuten läßt. Bei Hold v. Ferneck ist dieser Ansatz noch am deutlichsten hochgehalten, wenn er schreibt, daß nach der Imperativentheorie "in Wahrheit ( ... ) immer nur der Versuch verboten" sei 85 a, daß das Recht "nicht das Treffen, sondern das Schießen "86 verbiete. Diese 82 Die Distanz zwischen Rechtsnorm und einzelnem, die dem Ansatz der Imperativentheorie eigen ist, wurde von Julius Binder (jedenfalls in seinen frühen Schriften) geradezu zu einem Zentralmoment der Lehre erhoben: eine Rechtspflicht sei juristisch überhaupt nicht zu begründen (Rechtsnorm und Rechtspflicht, S. 37ff.); das Recht sei "reale Macht, die sich selbstherrlich durchzusetzen weiß und auf Verpflichtungen überhaupt nicht angewiesen ist" (S. 38). Das Recht ist dann nur noch äußere Ordnungsrnacht. Binder hat allerdings später diese Position nach und nach revidiert, vgl. Rechtsphilosophie, S. 745 ff. und außerdem Schreiber, Begriff der Rechtspflicht, 118ff. bes. S.123f. m. w. Nachw. 83 Rechtswidrigkeit I, S. 276 ff. 84 Rechtsnorm, S. 25 f. 85 Prinzipien III, S. 170. Bierling kennt außerdem noch das Moment der Rechtsstörung (a. a. 0.) und schreibt zu den drei Momenten, jede Rechtswidrigkeit müsse sich "auf alle diese Dinge" beziehen (Prinzipien III, 171). Ausgewiesen sind "alle diese Dinge" aber nicht; vgl. zum Versuch auch alsbald im Text. 85. Rechtswidrigkeit I, S. 289. 86 Rechtswidrigkeit I, 354.

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Aussage wird jedoch noch im gleichen Werk wieder fraglich, wenn Hold v. Ferneck an einer Stelle die Gefahrdung des geschützten Interesses für den Versuch in Erwägung zieht 87 , eine Position, die er in einer späteren Studie zum Versuch noch deutlicher bezogen hat 88 . Auch Thon verlangt offenbar für den Versuch eine Gefahrdung 89 . Bei Bierling schließlich kommt jede Seite zu ihrem Recht: In der "Kritik der juristischen Grundbegriffe"90 und in Band 1 der "Prinzipien"91 führt er aus, schon der bloße gegen eine Rechtsnorm verstoßende Wille sei Unrecht; demzufolge begrüßt er die Praxis des Reichsgerichts bei untauglichen Versuchen 92 . Bei der Frage der Strafzumessung erklärt er dann aber den Erfolg zu einem wesentlichen Element 93 . Die Schwächen eines nur äußerlich bestimmten Pflichtbegriffs kommen beim untauglichen Versuch besonders deutlich zum Vorschein. Die Pflicht etwa, einen Andern nicht zu töten, besteht nicht abstrakt, sondern bezieht sich auf konkrete Lebensvollzüge, in denen die Einzelnen ihr nachkommen; sie nimmt diese Umstände so, wie sie real bestehen, in sich auf. Das Gleiche muß dann aber auch für die Verletzung gelten. Es müßte also begründet werden, weshalb die Handlungsanweisung "Du sollst nicht töten" in einer konkreten Situation umformulierbar ist in die Anweisung "Du sollst das Töten auch nicht mit einem ungeladenen Gewehr versuchen"94. Das ist aber nur dann möglich, wenn übergreifend über die einzelne Situation gezeigt werden kann, weshalb es für das Recht aufLeben auf die innere pflichtgemäße Haltung des Einzelnen überhaupt ankommt - damit aber wird ein ganz anderes Verhältnis zwischen den Beteiligten postuliert, in dem ihre subjektiven Rechte material verstanden und in eine Beziehung zu ihrem willentlichen Verhalten gesetzt werden. Ist das Subjekt im Verhältnis zur imperativen Konstruktion der Rechtsordnungen aber als 87 Rechtswidrigkeit I, S. 289. 88 s. Hold-Ferneck (so die Schreibweise des Namens nach dem Ersten Weltkrieg), Der Versuch (Eine rechtsphilosophische Betrachtung zum Deutschen Strafgesetzentwurf), bes. S. 12f.: der Täter übertrete stets nur die Versuchsnorm, denn das Recht könne nicht den Erfolg verbieten, sondern nur "das zu bewirken Suchen" (S. 12). Der kausale Nexus dürfe zwar auch beim Versuch nicht fehlen, doch gehe es dabei nicht um den "individuellen" Kausalverlauf der konkreten Tat, sondern um die Typizität der Handlung: "Ein Bewirkenwollen bildet also juristisch nur dann einen Versuch, wenn die Tat im allgemeinen so beschafTen ist, daß sie zur Vollendung führen kann" (S. 13). Die Unterbestimmung der Pflichtwidrigkeit für die Bedeutung des Unrechts, bedingt durch die Unterbestimmung der Bedeutung des Subjekts im Recht, potenziert sich noch im Versuch, weil mit dem Moment der äußeren Typizität der Handlung dem Täter gleichsam noch einmal das Recht seines Irrtums aus der Hand genommen und seine Erfolglosigkeit an von ihm unabhängigen Kriterien gemessen wird. - Ähnliche Ansätze dann bei Engisch, Unrechtstatbestand, S. 437 (Versuch als Verletzung einer dem Rechtsgut gegenüber bestehenden Sorgfaltspflicht). Zu Hold v. Ferneck s. auch Westpfahl, Versuch, S. 27f. 89 Rechtsnorm, S. 19, Anm. 51. 90 Bd. I, 147, 154fT. 9IS.178. 92 Prinzipien, Bd. III, S. 132. 93 Prinzipien, Bd. III, S. 333 fT.

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

ohnmächtig begriffen, kann nicht gezeigt werden, wie die irrtümliche Annahme einer Pflichtverletzung deren objektives Nichtbestehen ausgleichen kann. 3. Unrecht als Aktunwert a) Das Verhältnis des Einzelnen zur Rechtsnorm, wie die Imperativentheorie es begriff, entsprach in dem psychologisierenden Verständnis von Wille und Befehl 95 dem mehr auf die Naturwissenschaften ausgerichteten Denken der zweiten Hälfte des neunzehnten lahrhunderts 96 • In dem Maße, in dem die Philosophie überhaupt wieder an Boden gewann 97 , also insbesondere mit dem Aufkommen des Neukantianismus und der Wertphilosophie, mußten sich auch die Fragen nach Recht und Unrecht wieder neu stellen. Wie schon oben bei den Wertlehren gezeigt 98 , sorgten Autoren wie Honig, Erik Wolf, Mezger, Thierfelder und andere für die Wiedergewinnung der Einsicht, daß Begriffe wie "Sinn" oder "Wert" im sozialen Leben offenbar Wirklichkeiten treffen, die sich einer kausal-mechanischen Betrachtung entziehen. Der Ertrag und die Grenzen der Wertlehre für das Recht wurden schon oben (B 11 3) bei den objektiven Unrechtslehren erörtert. Offengeblieben waren dort noch die zusätzlichen Erkenntnismöglichkeiten, die eine Übertragung des Wertaspekts auf die handelnde Person mit sich bringt. Eine solche Übertragung hat für das Strafrecht in zweierlei Hinsicht Bedeutung: Zum einen kann das Unrecht als ein von einem handelnden Individuum gesetzter Unwert begriffen werden; zum anderen kann der Begriff der Handlung neu bestimmt werden. Bemühungen in dieser Richtung fanden vielfaltig statt; genannt seien etwa Hegler, v. Weber, v. Dohna 99 • Am entschlossensten aus Grundlagen entfaltet wurde dieser Ansatz bei Welzel, dessen Lehre - auch in ihrer Fortentwicklung durch Arrnin Kaufmann und Diethart Zielinski - im folgenden behandelt werden soll. Davor ist eine kurze Bemerkung zur Terminologie nötig. Welzels Lehre wird häufig - auch von ihm selbst 1°O - als personale Unrechtslehre bezeichnet 101; das kann man wegen ihrer Ausrichtung auf die handelnde Person Vgl. auch die Kritik bei Westpfahl. Versuch, S. 28/29. s. auch Gallas. Zum gegenwärtigen Stand, S. 50. 96 Vgl. etwa die Darstellung bei Welzel. Naturalismus und Wertphilosophie, in: Abhandlungen, S. 29 ff. 97 Die damalige Situation läßt sich gut durch Worte von Alois Riehl aus dem Jahr 1902 illustrieren (Philosophie der Gegenwart, hier zit. nach der 4. Aufl. 1912): "Wer sich etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Aufgabe gestellt hätte, öffentlich über Philosophie zu reden, würde mit seinem Vorhaben gewiß gescheitert sein. Auch unter den Höchstgebildeten seiner Zeitgenossen würde er die Hörer für seine Rede nicht gefunden und sich überdies dem Verdacht ausgesetzt haben, im Zeitalter der Naturwissenschaften so etwas wie Alchemie anpreisen zu wollen" (S. 1). 98 s. oben Abschnitt B. 99 Vgl. dazu Busch. Wandlungen, S. 5 ff. 100 Lehrbuch, S. 62. 94 95

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auch mit guten Gründen vertreten 102. Der Begriff der personalen Unrechtslehre sollte jedoch reserviert werden für Lehren, die die Person als in Beziehung zu anderen Personen und dann auch in Beziehung zur Norm stehend begreift; diese Positionen werden erst im nächsten Abschnitt behandelt 103. Im vorliegenden Zusammenhang wird es darum gehen zu zeigen, weshalb bei Welzel der Begriff Personalität nicht vollständig entwickelt ist, was sich dann insbesondere in der Versuchslehre auswirkt. b) Im ersten größeren Aufsatz Welzels "Kausalität und Handlung" aus dem Jahr 1931 104 findet sich der Satz: "Gewiß ist die Rechtsordnung frei, an jedes beliebige Geschehen Rechtsfolgen für einen Menschen zu knüpfen." lOS Dieses "Geschehen" soll hier zunächst nach der Seite seines Seins untersucht werden, bevor im Abschnitt c das in diesem Satz anklingende Verhältnis von Rechtsordnung und einzelner Person behandelt werden soll. Bekanntlich war Welzel der Auffassung, das in Rede stehende "Geschehen" sei selbst nicht "beliebig", sondern unterliege bestimmten unveränderlichen Strukturen, insbesondere der Finalstruktur der Handlung. Nach Welzels Auffassung sind diese Gesetzlichkeiten des Seins zwar der Erkenntnis zugänglich und können durch sie aufgehellt werden, in ihrer Festgelegtheit sind sie aber widerständig und vorgegeben. Eine dieser Seinsgesetzlichkeiten ist die menschliche Handlung. Daß heißt nun nicht, daß sie auch inhaltlich (etwa durch eine Triebstruktur) festgelegt wäre (obwohl diese Aussage noch zu überprüfen sein wird). Vielmehr geht es bei der Festgelegtheit der Struktur der Handlung um die Form des Vollzugs eines WoIIens; über sie jedenfalls kommt keine Erkenntnis und keine praktische Einsicht hinweg 106 . Nach Welzels Auffassung orientiert sich das Wollen zunächst an Werten; es setzt Gegenstände als werthaft oder wertlosl07 • Es ist dabei aber nicht auf die 101 Z.B. Hirsch, ZStW 93 (1981), 831ff., bes. 836ff.; Krauß, ZStW 76 (1964), S.19ff. (38ff.); Suarez Montes, Welzel-Festschrift, S. 381 m. FN 5. 102 Anders aber ausdrücklich und m. E. zutreffend - Zielinski: "Finale U nrechtslehre", Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 5 m. Anm.1, 80 u.Ö. 103 Gegen die Bezeichnung der Welzel'schen Unrechtslehre als "personal" auch Maihofer, Unrechtsvorwurf, S. 145 und Otto, ZStW 87 (1975), 560f. 104 ZStW 51, 703ff. Wiederabgedruckt in Abhandlungen, S. 7ff. Die folgenden Zitate aus diesem Nachdruck. 105 Kausalität und Handlung, S. 10, s. auch S. 20. S. ferner Das neue Bild, S. 18; Studien zum System des Strafrechts, Abhandlungen, S. 129; Lehrbuch S. 37,42. 106 Kausalität und Handlung, S. 7/8, 13. Die Darstellung Welzels S. 13 ff. ist für seine Begründungsweise charakteristisch, weil sie zeigt, wie er sich das "Sein" und dessen "Erkenntnis" vorstellt. Der Hinweis auf Kant allerdings ist eher mißverständlich (S. 8). 107 Nach Welzel besitzen die Werte kein eigenes Dasein (Kausalität und Handlung, S. 17): "Vielmehr ist uns der Wert eine Bezogenheit des Gegenstandes auf ein ,Ich', dem etwas ,wert' ist." Damit kann allerdings noch nichts Endgültiges über die Wertungen der Rechtsordnung gesagt sein, denn nach der zitierten Definition ist auch dem Dieb die begehrte und dann weggenommene Sache ein "Wert".

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

bloß passive Erkenntnis gewerteter Zustände beschränkt, sondern kann sie selbst hervorbringen. Das Ich will einen Wert verwirklichen (z. B. ein Bild malen), übersetzt seine Vorstellung vom Ziel und dem Mittel, es zu erreichen, in Tätigkeit um und bildet dann in seinem Sinn die Realität neu. Der Erfolg wächst stetig aus dem Entschluß: ,,( ... ) der Handlungszusammenhang zwischen Erfolg und Entschluß (ist) kein kausaler, sondern ein teleologischer Sinnsetzungszusammenhang. "108 Die menschliche Handlung ist also ein Zusammenspiel von gedanklicher Vorarbeit und körperlichem Nachvollzug 109. Bei dieser frühen Darstellung der finalen Handlung war jedenfalls rudimentär das Vermögen der Wertverwirklichung durch den Einzelnen mit dem Begriff der Handlung verbunden. Nimmt man hinzu, daß die Beurteilung des Guten und des Bösen, des Rechts und des Unrechts, zwischen den Einzelnen und der Rechtsordnung nicht völlig disparat sein wird, so kam in dieser Konzeption der Wert gleichsam auf beiden Seiten vor, so daß die "Beliebigkeit" im eingangs zitierten Satz nicht schrankenlos und nicht unverbunden mit Wertvorstellungen des Einzelnen sein konnte. Wie noch im nächsten Abschnitt zu zeigen sein wird, hat Welzel diesen Ansatz aber nicht weiter ausgebaut, sondern im Gegenteil betont, daß der Handlungsbegriff strikt vorrechtlich zu denken ist; noch in der elften Auflage seines Lehrbuchs, fast vierzig Jahre nach dem Aufsatz "Kausalität und Handlung", stellt Welzel als Beispiele finaler Handlungen das Spazierengehen und das Tanzen neben das Unzuchttreiben und Falschschwören 11o . Mit der Analyse der menschlichen Handlung will Welzel also lediglich aufzeigen, wie der Gegenstand (das Objekt) rechtlicher, insbesondere strafrechtlicher Wertung beschaffen ist lll . Damit aber - und das schließt an das oben Gesagte an - ist der Einzelne im Bereich seiner Handlungen prinzipiell von einer Teilhabe am Recht abgeschnitten; es fehlt ein Ansatzpunkt dafür, das Tun des Einzelnen mit dem Dasein des Rechts zu verbinden. Die mit Welzels Konzept für das Strafrecht verbundenen innersystematischen Schwierigkeiten hat die wissenschaftliche Kritik oft herausgearbeitet 112. Im Kausalität und Handlung, S. 19. Eine genauere Beschreibung dieses Zusammenhangs findet sich in Das Neue Bild, S. 1-4. Zum Verhältnis dieser Bestimmung zu Nicolai Hartmanns "Finalnexus" s. Klug, Emge-Festschrift, S. 34fT. - Welzel hat später den Namen "kybernetische" Handlung dem der "finalen Handlung" vorziehen wollen (Maurach-Festschrift, S. 3 ff. - 7 -); die Lenkung und Steuerung der Handlung sollte im Vordergrund stehen (a.a.O.). Den Hintergrund dieser Neubenennung bildet aber kein Wandel in der Unrechtsauffassung, sondern nur die bekannte Schwierigkeit der finalen Handlungslehre mit der Struktur der fahrlässigen Handlung. Die in der "kybernetischen" Handlung implizierten Bezüge des Täters zum Erfolg und zu Recht/Unrecht haben sich für die vorsätzliche Handlung nicht geändert. 110 Lehrbuch, S. 36f. 111 Lehrbuch, S.42: ,,(Der finalen Handlungslehre) genügt es, das (vorrechtliche) sachliche Substrat zu finden, an das die Rechtsordnung ihre Wertprädikate anknüpft." (Hervorh. im Text). 108 109

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vorliegenden Zusammenhang wichtig ist vor allem die Kritik an der instrumentalen Fassung der Handlung 1l3 • Der Handelnde wird nicht als eine Person begriffen, die Subjekt der Unrechtstat ist, sondern nur als jemand, der äußere Erfolge (die in einer zweiten Stufe vom Recht negativ bewertet werden) "final" herbeiführen kann. Das läßt sich gut daran zeigen, wie Welzel die ,,sinnhaftigkeit" der finalen Handlung versteht. Der die Handlung lenkende Wille ist für Welzel nicht hinreichend damit beschrieben, daß er eine den Kausalprozeß überholende und beherrschende Kraft ist, denn als Summe äußerlich ablaufender Kausalprozesse ist die rechtliche Wirklichkeit unterbestimmt. Die Welt der Handlung, soweit sie für das Recht bedeutsam ist, ist "die im praktischen Handeln gegebene Wirklichkeit des sozialen Lebens"1I4. In diesen Zusammenhang fügt sich menschliches Handeln ein; es gewinnt dadurch die Eigenschaft, sinnvolles Handeln zu sein. Mit "Sinnhaftigkeit" der Handlung meint Welzel aber keineswegs "Rechtlichkeit" in der Bedeutung, daß der Einzelne durch seine eigene Entscheidung Recht schafft oder negiert. "Sinn" wird vielmehr von Welzel wertfrei genommen und betrifft wieder nur die Struktur der Handlung: ,,( ... ) die finalen Handlungsabläufe empfangen ihre objektive Gestalt vom zwecksetzenden Willen, der die Mittel sinnvoll für die Zweckerreichung angeordnet hat und der ihnen deshalb mit dem Zweck einen Sinn gegeben hat. "115 Danach ist es für die Tötung eines Menschen "sinnvoll", ein Gewehr zu laden, zu zielen und zu schießen. Daß ein dann erfolgender Treffer aber auch nach dem unmittelbaren Verständnis des Täters etwas anderes sein muß als der Treffer ins Schwarze bei einer Zielscheibe, kommt in diesem Begriff der Handlung nicht vor. Gallas hat darauf hingewiesen, daß auch schon die frühere sogenannte kausale Handlungslehre auf ein Willensmoment in der Handlung nicht verzichtet hat 1l6 • Gleichwohl kommt auch in der bloß instrumentalen Fassung der Handlung bei Welzel dem Subjekt eine zusätzliche Stellung gegenüber dem von ihm Bewirkten zu: Es wird erklärt, daß das Bewirkte einerseits auch aus der Innensicht des Täters sein Bewirktes ist; ferner aber wird der Einzelne als einer bewußt herbeigeführten Veränderung Mächtiger auch von den Anderen - und das heißt: schon im Unrecht - begriffen. Der Handlungswille gehört daher notwendig in seiner lenkenden Macht zum Unrechtstatbestand, und dies stellt sicherlich einen Erkenntnisgewinn gegenüber der kausalen Handlungslehre dar. Fraglich bleibt, ob damit tatsächlich das Unrecht subjektiv bestimmt istdas aber ist die entscheidende Frage für das Unrecht des Versuchs. Bekanntlich 112 s. etwa Engisch, Kohlrausch-Festschrift, bes. 153fT.; Gal/as, Zum gegenwärtigen Stand, Sammelband, S.23fT.; Roxin, Zur Kritik der finalen Handlungslehre, bes. S. 101 ff.; Michaelowa, Handlung, S. 32ff. 113 Dazu besonders E. A. Wolf!. HandlungsbegrifT, S. 12ff. 114 Studien zum System des Strafrechts, in: Abhandlungen, S. 124fT. 115 Studien, a.a.O. (Anm. 114), S. 130. 116 Zum gegenwärtigen Stand, Sammelband, S. 20.

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I. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

hat die finale Handlungslehre es immer als einen Beweis für ihre Richtigkeit angeführt, daß der Tatentschluß beim Versuch Unrechtsbestandteil sei und er diese Eigenschaft nicht verlieren könne, wenn die Tat vollendet wurde 117 • Bisher ist allerdings erst der steuernde Wille als ein Element einer instrumental gefaßten Handlung nachgewiesen, dem lediglich von außen (von der Rechtsordnung) Unwert beigelegt wird, ohne daß die Berechtigung dafür weiter aufgeklärt wäre. Immerhin wird auf diesem Stand für den Versuch in einem ersten Schritt erklärbar, weshalb der Einzelne als Tatmächtiger gleichsam an seinem Vorsatz festgehalten werden kann, auch wenn es an der äußeren Vollendung fehlt. Erst eine Betrachtung des Verhältnisses von finaler Handlung und Unrecht kann allerdings zeigen, ob damit für das Unrecht des Versuchs etwas Wesentliches gewonnen ist. c) Schon das eingangs des Abschnitts b. angeführte Zitat aus dem Aufsatz "Kausalität und Handlung" gab einen Eindruck davon, wie Welzel sich das Verhältnis von Recht und finaler Handlung denkt: Das Recht bewertet die Handlung und knüpft Rechtsfolgen an sie. Das geschieht durch die Tatbestände des Strafgesetzbuchs, in denen nach Welzel die "Verbotsmaterie" niedergelegt ist, das heißt: die "sachliche, gegenständliche Beschreibung, die Verhaltensmuster des verbotenen Verhaltens" 118. In den Tatbeständen des Strafrechts geschieht nicht mehr, als daß aus der Fülle der tatsächlichen Handlungen (Tanzen, Töten) bestimmte Handlungsvollzüge herausgegriffen und beschrieben werden. Damit ist also lediglich mitgeteilt, daß der Tatbestand ein Verbot enthält; sachlich ist aber kein Kriterium dafür angegeben, daß auch inhaltlich ein Unterschied besteht zwischen Tanzen und Töten. Insofern ist Gallas' Diagnose ganz zutreffend, daß der Begriff der Verbotsmaterie eine bloß formale Kategorie darstellt 119 und Welzels Erstaunen über diese Klassifizierung 120 zeigt nur, daß er es so offenbar nicht gemeint hat, ohne daß jedoch klar würde, in welcher Richtung die Lösung zu finden sei. Geht man allerdings gedanklich noch einen Schritt weiter und fragt nach den Aufgaben des Strafrechts, so gewinnt die darauf von Welzel gegebene Antwort auch Bedeutung für die mögliche Verbindung von finaler Handlung und Unrecht. "Aufgabe des Strafrechts ist es, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen" 121, das heißt "bestimmte Lebensgüter der Gemein117 Welzel, Um die finale Handlungslehre, S. 13; Das neue Bild, S.9, 28; Lehrbuch, S. 60f. Dazu auch Gallas, Zum gegenwärtigen Stand, Sammelband, S. 48f.; Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, S. 151; Busch, Wandlungen, S. 13; Stratenwerth, Natur der Sache, S. 19; Hirsch, ZStW 93 (1981), 839. - Kritisch Engisch, Unrechtstatbestand, S.436 ("Grundfall" sei die Vollendung; als "Strafausdehnungsgrund" bedürfe der Versuch notwendig seiner eigentümlichen unrechtsbegründenden Merkmale); s. auch Engisch, Rittler-Festschrift, S. 173 f. 118 Lehrbuch, S. 49. 119 Zum gegenwärtigen Stand, Sammelband, S. 38. 120 Lehrbuch, S. 54. 121 Lehrbuch, S. 1.

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schaft (Sachverhaltswerte) ( ... ), wie zum Beispiel den Bestand des Staates, das Leben, die Gesundheit ( ... )" 122. Dies geschieht durch Pönalisierung der auf eine Verletzung dieser Güter zielenden Handlungen, die dadurch mit einem (Akt-)Unwert belegt werden. Wichtig ist nun, daß Welzel es dabei nicht beläßt, sondern eine jenseits der Unwerte liegende positive Ordnung zeichnet: sie ist bestimmt von der "Geltung der positiven sozialethischen Aktwerte, wie der Achtung vor fremdem Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und so for1."123 Auch auf diese Seite läßt sich das Strafrecht beziehen: Seine Aufgabe besteht gerade auch im "Schutz der elementaren sozialethischen Gesinnungs(Handlungs-)Werte ( ... )"124. Durch diese Wendung zur positiven Bedeutung der einzelnen Aktwerte ändert sich tendenziell die Stellung des Einzelnen zum Wertbestand. Durch sein wertverwirklichendes Handeln wird er zum Mitträger der sozialen Ordnung als des Bestands von Werten der genannten Art. Die gesicherte Existenz einer solchen Ordnung ist gerade auch Ergebnis der Handlungen der Einzelnen. Von der philosophischen Wertlehre wurde diese Bedeutung des Einzelnen, sein Verhältnis zum Wert, auch immer hervorgehoben. Sowohl Max Scheler als auch Nicolai Hartmann - um nur diese beiden zu erwähnen - haben wesentliche Teile ihrer Hauptwerke zur Ethik dieser Frage gewidmet 125 • Gleichwohl waren letztlich für sie die (objektiven) Güterwerte das Entscheidende l26 , und trotz der wesentlichen Stellung des Subjekts für ihre Verwirklichung verloren sie nicht ihr dem Einzelnen äußerlich bleibendes Sein. In der Übertragung dieser Lehren auf das Strafrecht verschoben sich jedoch die Gewichte. Die Aufmerksamkeit wandte sich ganz dem Handlungsunwert zu; der Erfolgsunwert wurde nachrangig 127 • Diese gedankliche Entwicklung liegt nun nicht schon in der Finalstruktur der Handlung beschlossen, denn diese Kennzeichnung der Handlung lebt ja gerade von der Verwirklichungsmacht des Einzelnen und bezieht deshalb den "Erfolg" notwendig in die Handlung mit ein. Der Grund für die Verkümmerung des Erfolges im Rahmen einer "finalen Unrechtslehre"128 liegt vielmehr in einer verstärkten Einbeziehung der Gedanken der Imperativentheorie, das heißt also des Verständnisses des Rechts als System von Ge- und Verboten. Für die Stellung des einzelnen Rechtssubjekts zum Recht hat das weitreichende Folgen, denn die in der Wertlehre sich 122

Lehrbuch, S. 2.

Lehrbuch, S. 2. 124 Lehrbuch, S. 4. 125 Seheler, Formalismus, S. 382ff., 469ff. (bes. 481 ff.); Nieolai Bartmann, Ethik, S. 176ff., 686ff. 126 s. dazu auch Würtenberger, Geistige Situation, S. 59ff. (S. 60 m. Anm. 70, S. 63). 127 Vgl. für Welzel Lehrbuch, S.62. 128 s. die Nachw. unten Anm. 130. Dabei ist die Trennung der Lehre Welzels von Armin Kaufmann und Zielinski, wie Mylonopoulos sie vornimmt (Handlungs- und Erfolgswert, S. 30ff.) in den Grundlagen nicht notwendig. 123

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Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

geltendmachende Trennung von Wert und einzelnem Subjekt wurde durch die Imperativentheorie noch einmal verstärkt 129. Insbesondere bei Armin Kaufmann und Diethart Zielinski gewann diese Einstellung gegenüber dem "Erfolg" einer Tat dann den Vorzug 130; bei Welzel war sie immerhin noch dadurch abgefangen, daß er die "sekundäre" Bedeutung des Sachverhaltsunwerts heraushob l3l . Diese Entwicklung war vor allem für den Versuch sehr bedeutsam: Unversehens wurde er zum Prototyp des Unrechts 132 • Es lohnt sich, diese rasche Wandlung eines Problems (des Unrechts des Versuchs) zu einem Prinzip (dem Grund des Unrechts) auf den ihr zugrundeliegenden Gedankengang hin zu untersuchen, wie ihn insbesondere Armin Kaufmann und ihm folgend Zielinski entwickelt haben. Nach Armin Kaufmanns Ansicht erklärt sich geltendes Recht aus einer Stufenfolge von Wertungen 133: Auf einer ersten Wertungsstufe, die stets positiv (im Sinne von wertsetzend) ist, werden die Rechtsgüter geschaffen; diese positiven Wertungen zusammengenommen ergeben das Ganze der sozialen Ordnungen. Auf der zweiten Stufe erfolgt die Bewertung von Ereignissen, die den positiven Zustand stören; sie unterliegen einem negativen Werturteil und zwar unabhängig davon, wie sie verwirklicht werden, "ob durch Handlungsfähige oder Handlungsunfähige, ob durch Menschen oder blinde Naturwesen."I34 Die dritte und letzte Wertungsstufe liest aus jenen Wertungen der zweiten Stufe diejenigen aus, die Menschenwerke sind; im wesentlichen geht es also um die durch finale Handlungen hervorgebrachten Außenweltereignisse. "Das Geschehnis wird zum Willenszweck, die Finalität macht das Ereignis einem Menschen zurechenbar, und die Wertung bezieht den Menschen mit ein: ,personales Unrecht'." 135 Dies ist die erste und entscheidende Stelle der Trennung von Handlungsunwert und dem auf der zweiten Wertungsstufe angesiedelten Erfolgsunwert. Der Gesetzgeber transformiert nämlich diese Wertung in Normen, die den Einzelnen zu rechtem Verhalten veranlassen sollen. Indem dem Einzelnen gesagt wird, was er zu tun oder zu lassen hat, "vollzieht die Norm ihren Sprung in die Rechtswirklichkeit" 136; die Norm wird "Motivationsmittel"137. Da Armin Kaufmann der Ansicht ist, daß sich diese s. Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes, S. 121 ff. Die Irrelevanz des Erfolges wird außerdem betont von Horn, Konkrete Gefährdungsde1ikte, S.78ff.; Lüderssen, ZStW 85 (1973), 288ff. (292); ders., BockelmannFestschrift, S. 181 ff. (182f.); Suarez Montes, Welze1-Festschrift, 389ff. (für die Fahrlässigkeitstat); Schaffstein, We1zel-Festschrift, 562, 572 (ebenfalls für die Fahrlässigkeit); von einem anderen Ausgangspunkt aus Schmidhäuser, AT, 8/79, S. 238. 131 Lehrbuch, S. 62. 132 Am deutlichsten bei Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 143f. 133 Zum folgenden Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes, S. 69-74. 134 a. a. O. (Anm. 133), S. 70. 135 a. a. O. (Anm. 133), S. 71. 136 a. a. O. (Anm. 133), S. 76. 129 130

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Norm zunächst generell "an alle" richtet l38 , muß er klären, wie ein konkreter Einzelner konkret verpflichtet werden kann (was durch die generelle Fassung noch nicht geleistet ist). Die Norm soll sich dann zu Pflicht konkretisieren, wenn ein Adressat "in einer zeitlich und räumlich bestimmten Situation den verbotenen Akt" vornehmen könnte, er also "die physischen und psychischen Voraussetzungen zur Vollziehung des verbotenen Akts angesichts der konkreten Situation hat"139. Einem solchen konkret Handlungsfähigen legt die Norm die Pflicht auf, die Handlung zu unterlassen. Bemerkenswert ist die Bestimmung der Handlungsfähigkeit durch Armin Kaufmann. Sie setzt nur voraus a) Erkenntnis des Tatobjekts, b) Möglichkeit der Vorausberechnung des Kausalverlaufs, c) wirkliche Realisierungsmöglichkeit (nach physischen und psychischen Fähigkeiten)140. In diesem Begriff der Pflicht kommt das Ergebnis des Pflichtverstoßes in der Rechtswelt nicht mehr vor; der Pflichtverstoß ist schon dann gegeben, wenn ein Einzelner sich gegen die Norm auflehnt und eine pflichtwidrige Handlung vornimmt; ob dann zusätzlich der Erfolg eintritt, ist bedeutungslos: "Der Akt ist das personale Unrechtsmerkmal schlechthin."141 Zielinski 142 formulierte daraus die sich aus diesem Ansatz fast zwangsläufig ergebenden Konsequenzen: "Die Realisierung des Gegenstandes des Erfolgsun137 Sie ist "Motiv des Menschen" (S. 105, vgl. auch S. 129, 139); das versteht Kaufmann ganz psychologistisch als subjektive Widerspiegelung eines äußerlichen Befehls an einen instrumental begriffenen Willen. 138 Vgl. a.a.O. (Anm. 133), S. 124f. 139 a.a.O. (Anm. 133), S. 139. 140 a.a.O. (Anm. 133), S. 140f. Wie man sich das genauer vorzustellen hat, wird von Armin Kaufmann sehr anschaulich geschildert: "Es sind recht konkrete, handgreifliche Pflichten, die dem Handlungsfähigen aus der Norm erwachsen. Die Pflicht verlangt, Herrn Müller nicht zu ohrfeigen - obwohl man es jetzt könnte. Die Pflicht, die aus dem Verbot der Urkundenfälschung erwächst, fordert von A die Unterlassung der Abänderung der Geburtsurkunde - obwohl A die Gelegenheit und die Fertigkeit hierzu hat. ( ... ) Ein in bunter Folge ständig wechselnder Kreis von konkreten U nterlassungs- und Handlungspflichten begleitet unseren Lebensweg. Die Normen bleiben - bis zur nächsten Gesetzesänderung; die menschlichen Möglichkeiten dagegen ändern sich im Tagesgeschehen und von Tag zu Tag, und mit ihnen wechseln die konkreten Pflichten". Dabei begreift Kaufmann - wie ein Beispiel, Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S.40, zeigt - die genannte Handlungsfähigkeit als ganz auf die instrumentale Seite verkürzt; es ist nicht ersichtlich, wie sie sich in dieser Bestimmung von der nicht-geistigen (etwa tierischen) Handlungsfähigkeit unterscheiden soll; s. dazu auch E. A. Wolff, Radbruch-Gedächtnisschrift, S. 294. - Am Rande sei bemerkt, daß Kaufmanns Beschreibung des sozialen Lebens ihren strafrechtlichen Ursprung nicht ganz verleugnen kann: daß ich jeden mir Begegnenden anderen als (mein) potentielles Opfer begreifen, er sich mich als Täter denken soll - und umgekehrt -, wird einem (strafrechtlich) unbefangenen Bewußtsein kaum entsprechen. 141 Lebendiges und Totes, S. 157. 142 In seiner Arbeit "Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegrirr', in der er sich auf Armin Kaufmann stützt (s. S. 123ff.). - Zur Kritik s. Stratenwerth, SchaffsteinFestschrift, S. 177ff.; Krey, ZStW 90 (1978), S. 199ff.; Schaffstein, GA 1975, 342f. - Zu einer solchen Haltung überhaupt s. Hall, Über das Mißlingen, FS für Erik Wolf, 454ff.

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werturteils ist dem Unrecht gegenüber immer nur zufällig mitgegeben. Mangels jeder Brücke zwischen dem Erfolgsunwert und dem finalen Akt vermag der Erfolgsunwert weder die Norm noch die Pflicht zu fundieren."l43 Daraus ergibt sich, daß die Norm, die den Versuch verbietet, genereller ist als die Norm, die den Erfolg verbietet l44 . Das alles sind Schlußfolgerungen aus dem von Zielinski als zutreffend angenommenen Satz, daß die Norm den Adressaten nur ein Tun oder ein Unterlassen befehlen könne; der Erfolg jedes Akts verhalte sich diesem gegenüber zufällig und stehe daher notwendig außerhalb des Befehlszusammenhangs 145 • Diese Lehre in der Fassung, die Zielinski ihr gab, leidet zunächst schon an inneren Widersprüchen, worauf Michael Köhler zutreffend hingewiesen hat l4(j: Der finale Akt als Mitteleinsatz läßt sich selbst noch einmal in ein U rsacheWirkungs-Schema auflösen (etwa bezüglich des Motivationsverlaufs), so daß sich die Frage nach dem "Erfolg" nur erneut stellte. Doch ist dieser Einwand nur als Konsequenz formuliert; er zielt in Wirklichkeit auf die bei Zielinski verlorengegangene Einheit zwischen Bewirkendem und Bewirktem, deren Notwendigkeit sich auch schon einem vorläufigen Verständnis von Handlungsvollzügen erschließt 147 • Wäre wirklich jeder Erfolgseintritt zufällig, so gälte das nicht nur für das Strafrecht, sondern für das Handeln überhaupt. Das würde die Lebensbewältigung selbst bei einfachen natürlichen Vorgängen wie zum Beispiel Essen und Trinken zu einer Art existentiellem Glücksspiel machen. Wer ein Glas Wasser trinkt, erlebt es keineswegs als zufällig, daß er das Wasser tatsächlich in sich aufnimmt; er geht vielmehr von der vorausgesetzten Einheit von Handlung und Erfolg immerfort aus. Zahllose Vorgänge des alltäglichen Lebens besäßen eine grundlegend andere Bedeutung für uns, wenn diese Einheit nicht existierte l48 . Die finale Handlungslehre ist - wie schon bemerkt - von diesem Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 142. a.a.O. (Anm. 143), S. 138. 145 a.a.O. (Anm. 143), S. 142. 146 Bewußte Fahrlässigkeit, S. 329 Anm. 8. 147 Bei Zielinski wird diese Einheit auch nicht mit einem Schritt aufgelöst, sondern in einer Art immer fortlaufender Schlußfolgerungen, die sich ihres Ursprungs nicht mehr vergewissert. "Es ist nichts inkonsequenter als die höchste Konsequenz, weil sie unnatürliche Phänomene hervorbringt, die zuletzt umschlagen" (Goethe. Maximen und Reflexionen, Nr.899). - Vgl. zur Kritik auch Stratenwerth. Schaffstein-Festschrift, S. 186-188, wo er überzeugend darlegt, daß Zielinski erfolglos versucht, den Erfolg beim Strafbedürfnis als eine Art objektiver Bedingung der Strafbarkeit einzuführen. Kritisch zu Stratenwerth selbst allerdings Lüderssen. Bockelmann-Festschrift, S. 181 ff. (186ff.). 148 Für eine Einbeziehung des Erfolgs in den Zusammenhang der Handlung nach den Auseinandersetzungen der neueren Zeit auch Mylonopoulos. Handlungs- und Erfolgsunwert, S. 67ff; s. auch seine Nachweise S. 18 FN 4 über die allgemein behauptete Relevanz des Erfolgsunwerts neben dem Aktunwert. Vgl. auch Küper. Entwicklungstendenzen der Strafrechtswissenschaft in der Gegenwart - Die Festschrift für Paul Bockelmann, GA 1980, 201 ff. (215 ff.); Krauß. ZStW 76 (1964), 42f., 57ff.; Stratenwerth. SchwZStR 79 (1963), zusf. S.255f. 143

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Zusammenhang auch immer ausgegangen und bezog ihre Kraft gerade aus seiner Analyse in Blick auf den instrumental steuernden Willen. Gegen die von Welzel und Kaufmann vorgenommene Bestimmung des Aktunwerts erhebt sich jedoch außerdem noch ein weiterer und tiefer reichender Einwand, der an schon Gesagtes anknüpft. Bei beiden ist zwischen dem Subjekt des Handlungsvollzugs und der objektiven Ordnung kein so geartetes Verhältnis hergestellt, daß das Subjekt auch noch gegenüber der ihm begegnenden Ordnung als autonomes Subjekt begriffen werden kann 149. Indem Welzel und Kaufmann das Strafrecht wesentlich als System von Verboten begreifen, erheben sie nur scheinbar das Subjekt zur Zentralgestalt des Unrechts - und damit im Rückstoß: des Rechts. Entscheidend ist in Wahrheit die objektive Ordnung (die erste Wertungsstufe im Sinne Armin Kaufmanns), aufgrund derer sich dann die Verbote solcher Handlungen ableiten lassen, die zu negativen Ereignissen führen. Zumindest für eine demokratisch verfaßte Ordnung müßte aber gezeigt werden, daß und wie der Einzelne an der Konstitution der Ordnung teil hat; dies ist eine notwendige Stelle in der Theorie. Wird sie nicht aufgeklärt, bleibt eine solche Lehre immer vor-demokratisch, philosophiegeschichtlich gesprochen: vor-kritisch. Bei Welzel findet sich die Formulierung, daß erst aus den Verboten der Rechtsunterworfenen und die Richter wissen könnten, was nicht mehr rechtlich gestattet sei IS0; das erinnert an das Rechtsverständnis eines nicht aufgeklärten Absolutismus. Der Aktunwert könnte erst dann als Zentralmoment des Unrechts angesehen werden, wenn er in unmittelbare Beziehung gesetzt würde zu dem, was sich in der Realisierung des Akts ändert. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird eine entsprechende Begründung unternommen werden, die dann allerdings auch den "Aktunwert" mit dem "Erfolgsunwert" wieder verbindet. Geschieht dies nicht - wie bei Welzel und vor allem Armin Kaufmann - bleibt zum einen die Sphäre außer Betracht, die erklärtermaßen (als unerwünschter Erfolg) den Aktunwert erst zum Aktunwert macht. Zum anderen aber wird die Person dann nicht als Rechtsperson bestimmt, die durch ihr verantwortliches Handeln eine Rechtsordnung mitträgt und im Unrecht deshalb auch die Macht offenbart, jene Ordnung zu zerstören. Der "Aktunwert" erhält dann jedoch eine zusätzliche Bestimmung, die weit über die bloße Innensicht des Täters hinausreicht. Vernünftiges Subjekt und Dasein des Rechts rücken dann insgesamt in ein engeres Verhältnis zueinander; das Subjekt steuert nicht mehr bloß finalinstrumental seine Handlungen, sondern verwirklicht mit ihnen Recht und Unrecht. Weder Welzel noch Armin Kaufmann ist es gelungen, den Gedanken der verantwortlich handelnden Person bis in die Unrechtslehre hinein durchzuhalten. Welzel selbst hat den Gedanken der Verantwortung des Einzelnen für sein 149 150

s. zur Kritik auch Lampe, Rechtsanthropologie, S. 18fT. (bes. S.20). Lehrbuch, S.49.

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Tun als bleibende Erkenntnis der Naturrechtslehre behauptet l51 . Verantwortliches Handeln ist dann aber ein generelles Merkmal aller Vernünftigen, das mithin schon ihren Umgang als Rechtsperson bestimmen muß. Damit verbietet es sich jedoch, die Frage der Verantwortung auf das Gebiet der Schuld zu reduzieren, sie also als individuell vorhanden oder nicht vorhanden zu begreifen. d) Unterzieht man das bei der finalen Handlungslehre öfters beklagte "Ineinander von Handlungs- und Unrechtslehre"152 in der unter c. vorgenommenen Weise einer Kritik, wird auch die Bedeutung der Lehre vom Aktunwert für das Unrecht des Versuchs genauer feststellbar. Noch in der Festschrift für Welzel hatte Armin Kaufmann geschrieben: "Der Versuch ist ein Bereich, in dem sich die personale Unrechtslehre besonders bewährt; ja, sie liefert für die Strafwürdigkeit des Versuchs überhaupt erst das sachliche Fundament."153 Wenn aber der Vorsatz ausschließlich Verwirklichungswille ist, auf den das Recht sich nur wertend bezieht, so ist für den Versuch durch die finale Handlungslehre zunächst nicht mehr bestimmt, als daß er eine willensgetragene Handlung erfordert. Gallas' Kritik an der finalen Handlungslehre, daß sie der kausalen Handlungslehre näher steht als man auf den ersten Blick sieht, entfaltet beim Unrecht des Versuchs noch eine zusätzliche Kraft. Denn es zeigt sich, daß mit der finalen Handlungslehre das Unrecht des Versuchs gar nicht weiter bestimmt worden ist 154. Immerhin erklärt ist allerdings, daß das Subjekt der Tat als Verwirklichungsmächtiger - aber nur im instrumentalen Sinne - verstanden werden kann. Beim Versuch wirkt sich für Welzel und seine Schule aber zusätzlich noch einmal die Trennung von Handlungs- und Erfolgswert aus. Nach der gesamten Konzeption Welzels hatte der Erfolgswert immer noch eine Bedeutung insofern, als er das Ziel der Handlung und damit ihre Wertigkeit selbst prägte. Sieht man einmal von der Frage ab, inwieweit eine solche Unrechtsbegründung im ganzen tragfähig ist, kann jedenfalls mit dieser Position der "normale" taugliche Versuch als Unrecht plausibel gemacht werden: Der Handlungsunwert liegt bei ihm vollständig vor, der schon überhaupt als nachrangig gesetzte Erfolgsunwert fehlt zwar durch Zufall, was aber an der Richtung der Handlung auf ihn nichts ändert. Schwieriger jedoch wird die Situation beim untauglichen Versuch. Auch er wird als Versuch eines konkreten Delikts, einer konkreten Rechtsgutsbeeinträchtigung aufgefaßt. Aber hier ist die Bindung des Handlungsunwerts an den Erfolgswert aufgelöst. Denn wenn bestimmte Akte deshalb mit einem Unwert belegt werden, weil bestimmte unerwünschte Erfolge aus ihnen resultieren können, bedarf es jedenfalls noch wenigstens eines zusätzlichen Begründungsschrittes zur Beantwortung der Frage, weshalb um der Vermeidung des gleichen Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 239f. Engisch, Kohlrausch-Festschrift, S. 157; s. auch Bloy, ZStW 90, 609ff. (625). 153 Welzel-Festschrift, S. 402. 154 Auch Suarez Montes sieht die hier auftauchende Schwierigkeit (Welzel-Festschrift, S. 380), ohne daraus jedoch irgendweIche Konsequenzen zu ziehen (S. 381). 151

152

C. Subjektive Lehren

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Erfolgs willen auch Handlungen unwert sind, die in sich gar nicht die Möglichkeit tragen, jenen Erfolg wirklich herbeizuführen. Ein unvermittelter Übergang auf die Vorstellung des Täters ist dabei für die Unrechtsbegründung notwendig ausgeschlossen: wie oben gezeigt, bleibt der Täter in der Lehre vom Aktunwert nur ein instrumental gefaßter "Bewirkender"; der Wert selbst bleibt ihm äußerlich. Seine Vorstellung kann daher nur instrumental mächtig sein, nicht aber mit Blick auf das Unrecht. Deshalb kann seine Vorstellung allein den Wert bzw. den Unwert der Tat nicht bestimmen. Bezeichnenderweise lenkt Welzel bei der Frage des untauglichen Versuchs auch vom konkreten Rechtsgut ab. Zur Rechtfertigung der subjektiven Versuchstheorie schreibt er: "Dagegen sieht die subjektive Theorie die Rechtsordnung in einem umfassenden Sinne als eine das Volksleben gestaltende geistige Macht. Die Realität und Geltung dieser geistigen Macht wird aber schon durch einen Willen verletzt, der Handlungen vornimmt, die er für eine taugliche Ausführungshandlung eines Verbrechens hält. Hier bewegt er sich nicht mehr in bloßen Vorbereitungshandlungen, sondern setzt unmittelbar zur Verbrechensverwirklichung an. Schon eine solche Handlung ist für die Rechtsordnung als gestaltende Ordnungsmacht unerträglich." ISS Dagegen bleibt aber der Einwand bestehen, daß der Täter nicht wegen eines "Angriffs auf die Rechtsordnung" bei untauglichen Versuch bestraft wird, sondern wegen eines Angriffs auf das konkrete Rechtsgut. Vom angegriffenen Rechtsgut aus aber bleibt es unausgewiesen, weshalb mit dem untauglichen Versuch ein "Ansatz zur Verbrechensverwirklichung" verbunden sein soll. Um so mehr bleibt bei Welzel unklar, weshalb ein Wille, der ausdrücklich als bloß instrumentaler Wille bestimmt ist, die gesamte Rechtsordnung soll erschüttern können. In der sich beim untauglichen Versuch deutlich ausprägenden Einseitigkeit der Lehre vom Aktunwert wird immerhin auch klar, in welcher Richtung die gedankliche Arbeit fortschreiten muß und tatsächlich auch fortgeschritten ist: Es muß begreiflich werden, wie der Wille des Einzelnen mit der Ordnung der Rechtsgüter und damit auch mit der Rechtsordnung als Ganzer verbunden ist. 4. Personale Unrechtslehren

a) Bereits in der Bemerkung zur Terminologie bei Welzel wurde darauf hingewiesen, daß in der vorliegenden Arbeit der Begriff der personalen Unrechtslehre enger als gewöhnlich verstanden wird. Nicht schon die Tatsache, daß im Unrecht subjektive Merkmale - sei es bei der Handlung, sei es als Element der Unrechtsbeschreibung - überhaupt Berücksichtigung finden, kennzeichnet entscheidend eine personale Unrechtslehre. Wesentlich ist vielmehr, daß in personalen Unrechtslehren eine unmittelbare Beziehung zwischen Person und Recht besteht, daß die Person unmittelbar Rechtsperson ist. Dies bedarf weiterer Entfaltung. Vorläufig läßt sich aber schon sagen, daß damit lSS

Lehrbuch, S. 193.

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

begreifbar wird, daß nicht erst äußerlich durch die Norm eine Beziehung zwischen dem Einzelnen und dem Recht hergestellt wird, sonder er es ist, von dem das Recht seinen Ausgang und Begründungsansatz nimmt. Das Unrecht des Versuchs muß sich in dieser Perspektive gleichsam von selbst ergeben, hängt doch dann auch die Rechtsgestaltung notwendig vom verantwortlich handelnden Subjekt ab l56 • In dieser Konzeption liegt allerdings ein bestimmtes Verhältnis von "Recht" und "Sein" beschlossen, das dem herkömmlichen Verständnis eines Gegensatzes von "Sollen" und "Sein" zuwider läuft. Gedanklich ausgearbeitet wurde ein solcher Ansatz in seinem philosophischen Ursprung von Fichte und Hegel, die dabei in bestimmten Punkten auf der praktischen Philosophie Kants aufbauten. Es wird im zweiten Teil dieser Arbeit unternommen werden, insbesondere Fichtes Überlegungen für das Strafrecht fruchtbar zu machen, wobei außerdem wesentlich auf Arbeiten E. A. Wolffs zurückgegriffen werden wird. Zunächst aber ist darzustellen, auf welche Weise in der engeren strafrechtlichen Diskussion vergleichbare Ansätze entfaltet wurden. In expliziter und entwickelter Form 157 geschah dies erstmals in den dreißiger Jahren dieses Jahrhunderts (b); von Maihofer (c), Hardwig, Lampe und Otto (d) wurde eine solche Lehre dann vertieft begründet. b) Das erste Stadium einer personalen Unrechtslehre ist bestimmt durch Arbeiten Dahms l58 , Schaffsteins 159 und Gallas l60 • 161. Daß sie sich in dieser Gestalt nicht durchsetzen konnte, hatte sicher auch politische Gründe: sie ging mit dem System unter, in dessen Herrschaft sie entstand. Aber auch wissenschaftlich (nicht nur wissenschaftspolitisch) betrachtet, lassen sich Gründe für ihre mangelnde Durchsetzungskraft benennen. Sie liegen wesentlich in dem 156 s. auch die Kritik Maihofers an Welzels "subjektivem" (nicht: personalem) UnrechtsbegrifT in: Rittler-Festschrift, S. 145f. Hinter der dort geäußerten Kritik, daß Welzel objektiv - personale Elemente (bestimmte PflichtensteIlungen, z. B. als Beamter) nicht in ihrer objektiven Bedeutung berücksichtige, steckt das im Text Gemeinte, wenn es auch bei Maihofer selbst noch einen anderen Akzent besitzt; dazu noch unten c. - Vgl. vorläufig dazu auch Lampe. Personales Unrecht, S. 111. 157 Oben Abschnitt B II 4 war gezeigt worden, daß auch der Lehre Bindings ein vergleichbares Verständnis entnommen werden kann; bei ihr war jedoch die Begriffiichkeit so fest geworden und gleichzeitig von difTerenzierten strafrechtlichen Problemen überlagert, daß sie explizit als personale Unrechtslehre nicht mehr deutlich werden konnte. 158 s. Dahm. Verbrechen und Tatbestand, S. 62fT.; ders .• ZStaatsWiss 1935, 283fT.; Gemeinschaft und Strafrecht, bes. S. 11 fT.; ZStW 57 (1938), 225fT. 159 s. insbes. Das Verbrechen als Pflichtverletzung, S. 108fT. DStR 1935, 97ff.; DStR 1937, 335fT.; ZStW 57 (1938), 295fT. 160 Gleispach-Festschrift, S. 50fT.; ZStW 60 (1941), 374fT. 161 Zu dem Anfang einer personalen Unrechtslehre mit den genannten Schriften s. auch Lampe. Personales Unrecht, S.37; Harro Otto. ZStW 87 (1975), S. 542 m. w. Nachw.; ferner Langer. Sonderverbrechen, S. 77fT. (der allerdings die Grundgedanken zu sehr nach Einzelautoren aufspaltet).

C. Subjektive Lehren

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doppelt negativen Ansatz dieser Lehre: Zum einen richtete insbesondere Schaffstein und die sogenannte Kieler Schule ihre Angriffe vordergründig gegen das "Rechtsgutsverletzungsdogma"; das von ihnen stattdessen betonte Moment der Pflichtverletzung als Kern des Verbrechens erschien so gleichsam erst auf zweiter Stufe; zum anderen aber - und das gilt auch für die Arbeiten von Gallas - wurde die Person nicht selbständig bestimmt und dann in ein Verhältnis zur Gemeinschaft gesetzt, sondern ihr Dasein wurde als Rückrechnung aus einem primär gemeinschaftlichen Zusammenhang gewonnen. Das ist näher zu zeigen. In den Arbeiten der genannten Autoren kommt in unterschiedlicher Akzentuierung der Gedanke zum Ausdruck, daß das Verbrechen wesentlich die Verletzung einer den Einzelnen als Glied einer Gemeinschaft treffenden Rechtspflicht ist 162. Die genauere Begründung für diese Auffassung setzt daran an, daß der Einzelne als ursprünglich eingebunden in eine Gemeinschaft gedacht wird, in die er hineingeboren wird und von der her er allererst seinen Status bezieht l63 ; die Gemeinschaft ist ursprünglicher als der Einzelne l64 • "Rechtsgüter" sind dann nicht - wie in der Tradition Feuerbachs - subjektive Rechte des Einzelnen, die der Staat begrenzt und garantiert, deren Substanz er aber nicht schafft. Sie sind vielmehr - umgekehrt - "Volksgüter", die erst in einem zweiten Schritt dem Einzelnen zuteil werden 165. Ebenso ist die Rechtsgemeinschaft nicht etwa als ein durch Zustimmung ihrer Mitglieder hervorgebrachtes (vertragstheoretisches) Konstrukt begreiflich, sondern nur als organisches Produkt, in dem das Ganze die Teile bestimmt. Unrecht ist in einer so verstandenen Gemeinschaft nicht primär als eine Verletzung fremder individueller Güter gekennzeichnet, sondern vor allem durch das Sich-verbesondern eines Einzelnen; es ist die Zerstörung eines als organisch bestehenden und gerade auf den Einzelnen (als Teil des Ganzen) angewiesenen Zusammenhangs 166. Da es kraft ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft eine natürliche Pflicht der Einzelnen ist, diesen organischen Zusammenhang mitzutragen, da er sich nur dann erhalten kann, wenn die Einzelnen sich seinen Forderungen entsprechend verhalten, wird einsichtig, 162 s. schon den Titel von Schaffsteins Schrift "Das Verbrechen als Pflichtverletzung". - Die genannten Texte Gallas' sind in der Sache mehr abwägend, versuchen das Moment der Tat (und damit den Aspekt der Rechtsgutsverletzung) immer auch noch als Korrektiv zu bewahren (s. etwa Gleispach-Festschrift, S. 69; zwar ist diese Stelle im späteren Aufsatz ZStW 60 - 1941 -, S. 388 FN 18 aufgegeben, doch finden sich auch in dieser Arbeit noch Gedanken, die in eine ähnliche Richtung gehen, etwa S. 395f.); vergleichbar einlenkend auch Dahm, ZStW 57 (1938), bes. 234f. 163 Gallas, Gleispach-Festschrift, S. 65; ZStW 60 (1941), 378f. 164- Schaffstein, DStR 1935, S. 99ff.; Dahm, Verbrechen und Tatbestand,S. 85ff. 165 Schaffstein, DStR 1937, S. 337; Gallas, Gleispach-Festschrift, S. 62f. 166 Vgl. Gallas, ZStW 60 (1941), S.388; wenn dort die Begriffe "Leistung" und "Willensverwirklichung" in Verbindung mit der Tat genannt werden, sind sie nicht "individualistisch zu verstehen, sondern zielen auf jenen organischen Zusammenhang; s. auch Dahm, ZStaatsWiss. 1935, 283ff., bes. 284f.

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weshalb dem Verbrechen nach dieser Auffassung nicht eine äußerlich bleibende Verletzung wesentlich sein kann (mag sie auch im Einzelfall mit dem Verbrechen verbunden sein)167. Kern des Verbrechens ist der Verstoß gegen die von der Gemeinschaft auferlegte Pflicht. Man macht es sich zu leicht, wenn man eine gedankliche Position wie die genannte als "nationalsozialistisch" kennzeichnet und damit abqualifiziert. Die in ihr erfolgte Bestimmung des Einzelnen aus der Gemeinschaft heraus ist eine mit dem Begriff des "zoon politikon" mitgesetzte Möglichkeit, die in der Gegenwart z. B. von der Systemtheorie fast noch radikaler als etwa bei Schaffstein für sich in Anspruch genommen wird (siehe dazu oben A III 2). Die Kritik muß daher auch grundsätzlicher vorgehen. Sie kann ansetzen an der Frage, wie das Für-sieh-Sein des Einzelnen und allgemeiner noch sein Selbstbewußtsein in einer solchen Lehre aufgenommen ist. Nach ihr ist der Einzelne als selbstreflexive Einheit nur negativ begreiflich, als ein Sichabsetzen von einem umfassenden Zusammenhang. Man sieht das daran, daß das Verbrechen im Grunde so bestimmt wird: die in ihm liegende Leugnung der Gemeinschaft schafft erst Raum für das Für-sieh-Sein. Aber auch wenn man nicht so weit geht, zeigt sich für jeden Einzelnen an seiner Selbsterfahrung, daß ein Begriff von Individualität als von der Gemeinschaft gewährter Freiraum (der damit auch jederzeit widerrufbar wäre) das Recht der Subjektivität unzureichend bestimmt. Sie muß eine eigene ausgewiesene Stelle im Zusammenleben mit anderen haben, die sich auch gegen die Gewalt der anderen muß behaupten können. Eine freiheitliche politische Ordnung ist ohne dieses Element nicht denkbar. Hier wird schon deutlich, weshalb man bei der dargestellten Lehre nur in einer reduzierten Weise von einer "personalen Unrechtslehre" sprechen kann. Die Verbindung von Recht und Person geschieht nicht so, daß der Person eine konstitutive Rolle im Dasein des Rechts zukäme; die Person macht sich vielmehr nur negativ, zerstörend im Unrecht geltend; dort aber muß ihr Wille notwendig ein nichtiger und zufälliger sein. Von personaler Unrechtslehre kann aber in dem eingangs geforderten Sinn nur dann gesprochen werden, wenn sie die negative Erscheinung einer personalen Rechtslehre ist und nicht die Konzeption so geartet ist, daß in ihr die Person geradezu verschwindet. c) Eine vertiefte Begründung dieses Verhältnisses von Einzelnem und Recht unternahm Maihofer l68 • (1) Auf einem existenzphilosophischen Verständnis des Daseins in der Welt aufbauend, unterscheidet Maihofer zwei Weisen des Seins der Person. Der s. Dahm, ZStW 57 (1938), S. 234f. Vgl. seine Arbeiten Recht und Sein, bes. S. 83 -125; Vom Sinn menschlicher Ordnung, sowie Der Unrechtsvorwurf, Rittler-Festschrift, S. 141 ff. S. außerdem noch Naturrecht als Existenzrecht (1963) und Rechtsstaat und menschliche Würde (1968), bes. S. 57 ff. 167

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Einzelne ist zunächst ausschließlich Für-sieh-Sein, bestimmt sich und sein Wollen autonom und erlebt in diesem Selbstbezug absolute Freiheit l69 : er ist Individualperson. Ferner aber ist er gleich ursprünglich eingeordnet in eine ihn umgebende Welt, die auch Welt von anderen ist. In ihr tritt jede seiner Lebensäußerungen in Erscheinung und verläßt schon dadurch den isolierten Selbstbezug. Zudem gibt jene Mitwelt aber auch die Muster vor, in denen man überhaupt sich betätigen kann: sie ist ein "vor-gegebenes und vor-bestimmtes Gefüge, in das alle Daseinsentfaltung sich zu ,fügen' hat, um auch nur zu ,wirken'." 170 In diesem Bereich seines Daseins lebt der Einzelne als Sozialperson, "als" Vater, "als" Anwalt, "als" Arzt USW. 171 Die äußere Ordnung tritt dabei dem Einzelnen als bereits - "von Vor-fahren und Zeit-Genossen" - geschaffenen Kultur entgegen; das Einfügen in sie ist so wesentlich dem Inhalt nach heteronom bestimmt 172 • "Damit steht alles Dasein-in-der-Welt im Spannungsfeld von Autonomie und Heteronomie der Lebensgestaltung."173 Das Recht hat nun die Aufgabe, den Raum des Sozialen mit seinen "Sozialgestalten des Alsseins"174 zu entwerfen und zu gliedern; es leistet dies durch "Vor-Zeichnung, damit Sicher-Stellung, notfalls Durchsetzung der Sozialgestalten"175. Der Maßstab der Gerechtigkeit ist das "suum cuique" der austeilenden und ausgleichenden Gerechtigkeit 176. Durch die Rechtshandlungen tritt der Einzelne in diese Sozialgestalten ein. Entsprechend gilt für die Unrechtshandlungen, daß er mit ihnen "auf eine vorbestimmte, durch eine Norm ,negativen Sollens' gesperrte Sozialgestalt sich einläßt. "177 Die Nähe zur Tätertypenlehre Erik Wolfs - auf den sich Maihofer selbst auch bezieht l78 - wird hier deutlich. Maihofer selbst aber hat in seiner Arbeit "Der Unrechtsvorwurf' diesen Ansatz insoweit präzisiert, als das Unrecht nicht primär ein Sich-begeben in die Rolle des Betrügers, Diebes, Mörders ist, sondern immer auch eine Interessenverletzung darstellt 179 . Es ist anzunehmen, daß Maihofer beides meint, wenn er von dem Sich-Einlassen auf eine gesperrte Sozialgestalt als wesentliches Merkmal des Unrechts spricht. Denn da der Raum des Sozialen in seinen Elementen und Beziehungen gerade von den Sozialpersonen gestaltet wird, bringt eine "gesperrte" Sozialgestalt 169 Recht und Sein, S.95f. "Autonomie" und "Freiheit" sind hier also nicht im kantischen Sinne gebraucht, sondern bedeuten Selbstsein unter Ausschluß aller anderen. 110 Recht und Sein, S. 102. 111 Recht und Sein, S.114ff.; Vom Sinn, S. 47ff. 112 Recht und Sein, S. 123; Vom Sinn, S. 22. 113 Recht und Sein, S. 124. 114 Recht und Sein, S. 125. 11S Recht und Sein, S. 125. 116 Recht und Sein, S. 121. 111 Recht und Sein, S. 113. 118 Ri ttler-Festschrift, S. 147 ff. 119 Rittler-Festschrift, S. 149ff.

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immer auch eine Störung jener äußeren Ordnung mit sich, die positiv von allen gemeinsam getragen wird. Es scheint so, als sei bei Maihofer jene geforderte Beziehung zwischen Recht und Person hergestellt. Dabei fällt allerdings auf, daß in Maihofers Konzeption das Recht es mit dem "Teil" der Person zu tun hat, der heteronom bestimmt ist. Aus der Sicht der Person muß das - als abgespalten von ihrem Für-sieh-Sein ihr gleichsam "schlechterer" Teil sein. Im folgenden soll deshalb das Verhältnis dieser Seite des Einzelnen zu seiner "asozialen", "autonomen" Daseinsform untersucht werden. Maihofer trennt jene beiden Extreme, das "Selbst" und das "Man" scharf voneinander, auch wenn er anerkennt, daß es dabei jeweils um denselben Einzelnen (als Individuum) geht. Er spricht von einem "Widerstreit, in dem es ,reine' Lösungen nicht gibt und der aus der fundamentalen Antinomie unseres Menschseins ,im Grunde' gar nicht ,aufgehen' kann."l80 Die Frage liegt nahe, weshalb diese Spannung notwendig besteht, und aufschlußreich für die Antwort ist eine nähere Betrachtung der Interpretation des Kategorischen Imperativs Kants, die Maihofer anbietet 181. Er meint, daß Kants berühmte Formulierung "Handle nach einer Maxime, welche zugleich als ein allgemeines Gesetz gelten kann"182 den Einzelnen zu einem "Werde allgemein!" auffordert 183 . Sicherlich liegt hierin einer der wesentlichsten Aspekte des Kategorischen Imperativs. Maihofer zweifelt allerdings daran, daß in diesem Aufruf zu einer Angliederung des eigenen HandeIns an Maßstäbe, die für alle vernünftigen Wesen gelten können, noch das "eigentlich" Menschliche des Einzelnen enthalten sei. Autonom sei nach dem Kategorischen Imperativ nur die Form der Unterwerfung unter das allgemein Vernünftige; "dem Inhalt nach ist sie (s.c. die Unterwerfung) reine Heteronomie eines nach den Maßstäben des Jedermann gelebten Lebens." 184 (2) Die Kritik dieses Verständnisses des Kategorischen Imperativs ermöglicht zugleich eine Kritik an Maihofers Rechtsbegriff.

Man braucht keine ausführliche Kantexegese zu leisten 185, um zu zeigen, daß Maihofers Interpretation des Kategorischen Imperativs eine von Kant stets mitgemeinte Seite vernachlässigt. Dabei geht es um die Tatsache, daß gerade der Einzelne es fertigbringt, sein Handeln an allgemeinen Gesetzen auszurichten. Anders ist gar nicht verständlich, weshalb Kant sowohl in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" als auch in der "Kritik der praktischen Vernunft" so

Recht und Sein, S. 124. Recht und Sein, S. 18fT.; vor allem Vom Sinn, S. 17fT. 182 So die Formulierung in der MdS, AB S. 25, Weischedei, Bd. 7, S. 331. 183 Vgl. Vom Sinn, S.21. 184 Vom Sinn, S. 22. 185 Zum Kategorischen Imperativ noch näher unten 2. Teil, B 11 1 b.

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großes Gewicht auf den Willen der Einzelnen und die durch ihn erfolgende "Umsetzung" des als richtig Erkannten legt. Das hat nach zwei Seiten Konsequenzen. Die erste betrifft die Realität einer Aktion des Ich. Wenn ich so handle, wie es einem für alle geltenden Gesetz entspricht, so ist die Handlung als das Produkt dieser Gedankenbewegung selbst Bestandteil jener Welt der anderen, denn sie ist Äußerung. Der Kategorische Imperativ gilt aber - und zwar auch in Maihofers Verständnis - nicht nur für mich als Einzelnen, sondern für alle anderen ebenfalls. Respektiere ich sie als moralische Personen, muß ich unterstellen, daß auch ihre Handlungen Produkte jener Ausrichtung des eigenen Tuns am allgemeinen Gesetz sind, in dem ich immer schon aufgenommen bin. Da es aber unsere wechselseitigen Handlungen sind, die unser gemeinschaftliches Leben konstituieren, ist die soziale Welt in der hier entscheidenden Perspektive nicht die gesichtslose Welt des "Jedermann", sondern eine von uns gemeinsam gestaltete Wirklichkeit. Dann aber ist es nicht zutreffend, wenn man sagt, der Einzelne unterwerfe sich heteronomen Festlegungen, wenn er sein Tun an allgemeinen Gesetzen ausrichtet. Deren Vermittlung in dem Selbstbewußtsein des Einzelnen muß vielmehr eine Stelle im Zusammenhang haben, auch wenn man die Bedeutung der Sittlichkeit (im Hegeischen Sinn) nicht verkennt. Das führt zu der zweiten Konsequenz einer Korrektur von Maihofers Verkürzung des Kategorischen Imperativs. Dabei geht es um seine Ansicht, der Kategorische Imperativ enthielte Autonomie nur in "formaler" Rücksicht. Zu dieser Auffassung wird Maihofer dadurch gedrängt, daß er "Selbstsein" eingestandenermaßen als "un-sozial" auffaßt l86 : Im Selbstsein ist der Einzelne ganz und ausschließlich bei sich, ist allein sein Gegenstand und Mittelpunkt der Welt. Wie schon oben angedeutet, ist an einem solchen "Reservat" des Für-sichSeins nicht vorbeizukommen, und es besitzt eine notwendige Stelle im Verständnis der Einzelnen. Gleichwohl fragt sich, ob diese Stelle in der Reflexion festgehalten und fixiert werden muß, d. h., ob es notwendig unmöglich ist, dieses "Ich" mit anderem zu verbinden. Maihofer nimmt das an, und von daher rührt dann auch eine entsprechend verkürzte Interpretation des Kategorischen Imperativs: Sein "Ich" kann nur der Form nach "selbst" ja sagen zu einem allgemeinen Gesetz; in Wahrheit muß es dieses Über-Sieh-Hinausgehen als Selbstverleugnung, ja als Selbstvernichtung empfinden 187. Bei Kant ist das Vermögen, sich in der je eigenen Handlung als Allgemeines zu begreifen, gerade Ausdruck des Selbstseins eines freien Wesens. In der Autonomie versenkt sich das einzelne Bewußtsein nicht in sich, sondern öffnet sich dem vernünftigen Sein der anderen. Autonomie bei Kant verweist dann schon auf Interpersonalität.

Recht und Sein, S. 94ff. Durch die Formel "Dasein in der Welt ist Selbstsein im Alssein" (Recht und Sein, Vorwort) wird nur das Problem bezeichnet, nicht aber - vor dem Hintergrund der Ausführungen Maihofers - die Lösung. 186

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Die bei Maihofer so strikt getrennten Sphären des Selbstseins und des Alsseins werden durch diesen anderen Ansatz miteinander vermittelt. Die von Vernünftigen gestaltete Welt ist dann nicht mehr der Bereich heteronomer Festlegungen, sondern das Resultat der Autonomie der Einzelnen, das ihre Freiheit als seinen Ursprung enthält. Damit ist aber das "eigentliche" Sein als Ich nicht dem Recht entzogen, sondern selbst sein Bestandteil 188 . Erst dann auch kann das Gewicht des personalen Unrechts - als Unrecht eines Konstituenten der Rechtsgemeinschaft - klarer hervortreten. d) Einen Schritt in der bezeichneten Richtung über Maihofer hinaus unternehmen Lampe und - mit etwas anderer Akzentuierung - Otto. In seiner Arbeit "Das personale Unrecht" geht Lampe das Thema mit folgender Fragestellung an: "Sollte es nicht möglich sein, den Weg der Verbindung von Mensch und Recht bzw. Unrecht vom Menschen her zu beschreiben, indem man der Einheit gewahr wird, die Recht und Mensch in der Rechtspersönlichkeit eingehen?"189 Aus einer Betrachtung des Menschen als reflektierendes, sein Leben planendes und gestaltendes Wesen 190 versucht Lampe zu analysieren, wie die Lebensplanung und -gestaltung vor sich geht und welche Bedeutung dem Recht in ihr zukommt. Weil ein vergleichbarer Ansatz auch der vorliegenden Arbeit zugrundeliegt, muß zur Verdeutlichung der Unterschiede etwas genauer auf Lampes Argumentation eingegangen werden. (1) Die Person wird von Lampe in einem ersten Schritt in ihrer physischen und psychischen Realität gekennzeichnet: als Wesen mit Bedürfnissen, Gefühlen, Trieben, aber auch - nicht mehr naturhaft, sondern schon geistig bestimmt mit Vorstellungen, Beweggründen etc. l9l . Das Zentrum der Person, aus dem heraus sie ihr Leben planend gestaltet, ist ihre Freiheit 192. Freiheit ist zunächst negativ Distanz zu den Kausalprozessen der eigenen physischen und psychischen Realität, von denen die Person nicht einfach fortgerissen wird 193. Mit dieser Ablehnung einer deterministischen Haltung ist allerdings nicht eine völlige Indifferenz gegenüber Bestimmungsgründen verbunden, worauf Lampe zu Recht hinweist 194. Denn immer ist es ja ein Ich, das sich in Distanz setzt, und zwar ein solches, das in seinem Dasein nicht in der Indifferenz stehenbleibt, sondern sie in der praktischen Leistung einerseits aufzeigt, andererseits sie aber in ihr auch überwindet und damit sich als gestaltende Kraft erweist. Dies ist das 188 Vgl. auch die Kritik von E. A. Wolff, Handlungsbegriff, S.34, FN 15; s. ferner Allessandro Baratta, Natur der Sache und Naturrecht, in: ders., Philosophie und Strafrecht, S. 115ff. 189 Personales Unrecht, S. 111. 190 Vgl. Personales Unrecht, S.114j115. 191 Personales Unrecht, 115 -117. Zur Bestimmung des Individuums im Recht s. ferner Lampe, Rechtsanthropologie I, passim. 192 Personales Unrecht, S. 158. 193 Personales Unrecht, S.163-169. 194 Personales Unrecht, S. 169f.

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positive Moment der Freiheit. "Die Freiheit bestimmt sich durch die Gründe, die sie sich selbst als Gründe setzt. Oder, mit anderen Worten: Selbstsein ist vom Selbst gesetztes Sein. "195 Leider verfolgt Lampe die in der Autonomie des Einzelnen liegenden Ansätze für das Recht nicht energisch genug weiter, sondern reduziert Freiheit gewissermaßen eindimensional auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtwelt im übrigen: er zeigt am Beispiel einer Tötung aus Eifersucht, daß dort offenbar werde, wie der Täter einerseits nicht von seiner Eifersucht einfach fortgerissen werde, sondern sich durch seine Tat auch selbst setze: "Das ,Selbstsein' des A zeigt sich darin, daß er sich seine Eifersucht als Triebfeder und die Vorstellung, daß, ,wenn er sie (die F) nicht haben könne, sie auch kein anderer haben solle', als Beweggrund seines Handelns gesetzt hatte."I96 Nun ist diese Bestimmung von Freiheit gegenüber einem bloß naturhaft ausgerichteten Dasein weniger weit entfernt als es scheint. Denn in dieser Art von Freiheit wird lediglich ein Beweggrund herausgehoben und zum bestimmenden gemacht. Auch ein Hund kann sich entscheiden, ob er lieber eine Wurst frißt, die in der Sonne liegt, oder ob er selbst im Schatten liegen bleibt. In dem Reflexionsprozeß einer qualitativ zusätzlich bestimmten Freiheit muß dasjenige eine ausgewiesene Stelle haben, in dem Freiheit wirklich wird; d. h. es muß einen Unterschied ausmachen, ob ich mich in einem Mord oder einer Rettungshandlung "selbst setze" 197. Eine Rechtsbegründung kann bei einer solchen Position - wie Lampe zutreffend erkennt - nicht stehenbleiben. Freiheit in dieser Form muß notwendig selbst wieder ausgerichtet und inhaltlich gebunden werden. Nach Lampes Auffassung geschieht dies durch das Sollen, das von Werten ausgeht 198. Allgemein läßt sich das hier auftretende Gebot als "Du sollst wollen" formulieren 199. Lampe eröffnet damit der wirklichen praktischen Entscheidung doch noch einen mehrdimensionalen Raum: "Die jeweils entscheidende Frage geht daher nicht nur dahin, ob der Täter etwas gewollt oder nicht gewollt habe, sondern auch, ob er etwas habe wollen oder nicht wollen sollen."2°O Der Inhalt dieses Sollens wird durch die Wertordnung bestimmt 201 , an der die Selbstsetzung des Einzelnen ihre Ausrichtung findet. Man könnte hier auf die schon oben geäußerte Kritik zu den Wertlehren verweisen, wenn nicht Lampe in der näheren Bestimmung des Unrechts gleichsam noch einmal den Ansatz aufnähme, eine Beziehung zwischen 195

196 197 198

199 200

201

Personales Unrecht, S. 170. Personales Unrecht, S. 171; vgl. dazu BGHSt 3, 180ff. Daß dies keinen Unterschied macht, sagt Lampe ausdrücklich (S. 176). Personales Unrecht, S. 189. Personales Unrecht, S. 189. Personales Unrecht, S. 199. Personales Unrecht, S. 189f.

8 Zaczyk

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Rechtsperson und Recht herzustellen. Das Urteil kann daher noch nicht gefallt werden, auch er habe die oben beschriebene Heteronomie der Wertlehren nicht überwunden. Vielmehr bedarf es dazu noch einer Untersuchung seiner Bestimmung des personalen Unrechts. Er setzt dabei an der Einheit der Person an und betont zu Recht, daß damit auch deren sozial-ethischen Bindungen mitgemeint sind: "Es ist nicht etwa so, daß dem Menschen nur Rechte angeboren, Pflichten aber auferlegt sind. "202 Daher könne man auch die Rechtsnorm nicht - wie es die Imperativentheorie unternahm - außerhalb des Einzelnen ansiedeln, sondern müsse sie schon als innere Bindung begreifen. Das führt Lampe zu dem Schluß: "Personales Unrecht ist der Verstoß nicht gegen die äußeren, sondern gegen die inneren Bindungen, welche in der Rechtspersönlichkeit von Natur aus enthalten sind. "203 Lampe konkretisiert diese innere Bindung weiter dahin, daß sie nur verletzt werden kann, wenn der Einzelne die Rechte derer, die er verletzt, auch erkennen kann 204-. Dies setzt allerdings jene Rechte "objektiv", als dem Andern zugehörig, voraus; es kommt nun darauf an, ihre Gestalt zu umreißen. Lampe wendet sich zunächst gegen die Vermutung, seine personale Unrechtslehre sei nur die Spielart einer subjektiven Unrechtslehre; vielmehr setze sich der Täter ins Unrecht und werde dadurch "objektiviert"20s. Bei der vorsätzlichen Handlung etwa verletze der Handelnde den von fremden Gütern ausgehenden Achtungsanspruch 206 . Dieser Punkt wäre nun dringend aufklärungsbedürftig, denn wenn die äußere Güterordnung konstitutiv in die Unrechtssetzung einbezogen wird, bedarf es einer näheren Bestimmung der hier bestehenden Relationen. Auch Lampe räumt ein, daß mit den genannten Grundsätzen noch nicht genügend geleistet ist, um die Objektivität der Verletzung mit der Täterpersönlichkeit, also Erfolgs- und Handlungsunwert zu vereinen. Er meint aber, der von ihm neu eingeführte Begriff der "Verletzung des Rechtsfriedens" sei im Stande, "sämtliche strafrechtlich relevanten Handlungs- und Erfolgswerte zum einen in sich aufzunehmen und zum andern auf einer übergreifenden Ebene zu vereinen."207 Voraussetzung dafür ist aber, daß es zwischen Subjekt- und Objektunwert überhaupt etwas beide Vermittelndes geben kann. Hier greift Lampe auf eine Stelle in Schelers Ethik zurück, in der dieser einen solchen Beziehungsunwert bei Verbindungen von Personen annimmt. In der Ehe beispielsweise sind nach Scheler Wertträger nicht nur Mann und Frau als Einzelne, sondern auch die Form (Ehe), in der sie verbunden sind, wie auch schließlich die Beziehungen innerhalb dieser Form zwischen den beteiligten Personen (die wirklich gelebte eheliche Gemeinschaft)208. 202 203

204 205 206 207

Personales Personales Personales Personales Personales Personales

Unrecht, Unrecht, Unrecht, Unrecht, Unrecht, Unrecht,

S. 203. S. 204. S. 205. S. 207. S. 207. S. 211.

C. Subjektive Lehren

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Lampe überträgt diese Einsicht Schelers auf das Strafrecht und meint, dort sei nicht auf den Wert, sondern auf den Unwert einer Beziehung abzustellen; wer einen Anderen körperlich verletze, bringe auch in seiner Beziehung zu diesem einen Unwert hervor 209 • Dieser allgemeine Beziehungsunwert im Verbrechen lasse sich materialisieren im Begriff des Rechtsfriedens, "welcher über allen menschlichen Beziehungen im Rechtsbereiche liegt" 210 • Der Bruch des Rechtsfriedens also ist Beziehungsunwert 211 • Bei aller Anerkennung der Wichtigkeit des Rechtsfriedens fragt sich gleichwohl, ob dieser Begriff genügend inhaltlich bestimmt ist, um aus ihm für das Strafrecht konkrete Ergebnisse abzuleiten. So führt Lampe ohne zusätzliche Begründung auf Seite 218 in seiner Arbeit vor, daß etwa der abergläubische Versuch den Rechtsfrieden nicht störe, hingegen störe ihn der Versuch (auch der untaugliche), allerdings dieser weniger als die Vollendung usw. Das bleibt mehr im Bereich von Behauptungen. Besonders deutlich aber zeigt sich die Unklarheit des Verhältnisses zwischen Handlungs-, Erfolgs- und Beziehungsunwert an einem Beispiel Lampes, das die Funktion des Beziehungsunwerts noch einmal verdeutlichen soll, aber wohl eher das Gegenteil bewirkt. Wenn A den B tötet, verwirklicht er einen Subjektunwert (er tötet); der Objektunwert liegt im Tod des Anderen. Der Beziehungsunwert "liegt in der Bedeutung, welche der Tötung für den Rechtsfrieden zukommt" 212 • Als Beispiel nun dafür, daß dieser letzte Unwert fehlen kann, wählt Lampe den von Engisch im Zusammenhang mit Kausalitätsproblemen gebildeten Scharfrichterfall. Der Vater eines getöteten Kindes wohnt der Hinrichtung des Mörders bei; es gelingt ihm, den Scharfrichter beiseite zu stoßen und selbst das Fallbeil auszulösen. Lampe ist der Ansicht, hier liege kein Beziehungsunwert vor; da er aber für das Unrecht ausschlaggebend sei, sei eine rechtswidrige Tötung nicht gegeben. Dieses Ergebnis ist schwerlich haltbar 213 • Der Beziehungsunwert als Rechtsfriedensstörung soll offenbar deswegen nicht vorliegen, weil der Verurteilte 208 Sehe/er, Fonnalismus, (6. Aufl.), S. 119 und Lampe, Personales Unrecht, S. 211 (wo die 4. Aufl. zit. wird). 209 Personales Unrecht, S. 211 f. 210 Personales Unrecht, S.217. 211 Personales Unrecht, S. 219. 212 Personales Unrecht, S. 224. 213 Das gilt ebenfalls für ein weiteres Beispiel Lampes, gebildet an der Operation eines Schwerkranken durch einen Arzt. "Subjektiven Wert besitzt beispielsweise der Arzt, der den Schwerkranken nach den Regeln seiner Kunst operiert ( ... ). Objektwert kommt dem Leben des Schwerkranken zu ( ... ). Der Beziehungswert schließlich liegt in der Operation des Schwerkranken - er liegt in der Bedeutung, welche die Operation für die Gemeinschaft hat ( ... )" (S. 224). Nach Lampe erweist sich nun die Selbständigkeit des Beziehungswerts darin, daß er fehlen kann, obwohl Subjekt- und Objektwert vorliegen: etwa bei der Operation eines zum Tode verurteilten Mörders (a. a. 0.). Dieses Ergebnis ist verwunderlich; kein Arzt ginge etwa davon aus, er könne mit diesem Patienten nach Belieben umgehen (z. B. die Operation unterlassen) und befände sich dabei auch noch im Einklang mit der Gemeinschaft. - S. auch im Text.

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

schon außerhalb des Gemeinschaftsfriedens stand. Nun zeigt schon eine ganz vorläufige Annäherung an den Fall, daß mit einer solchen Auffassung wesentliche Aspekte nicht erfaßt sind: Für den Vater ist es offenbar nicht das Gleiche, ob eine Instanz der Gemeinschaft oder er selbst die Todesursache setzt. Daraus folgt zwar einerseits - ganz in Lampes Sinn - die qualitative Eigenständigkeit der gemeinschaftlichen Sphäre. Andererseits aber zeigt gerade das feststell bare Eigengewicht der Tat des Vaters, daß die beteiligten Werte ihre Beziehung gerade auch im interpersonalen Bereich entfalten, sich also nicht im Rechtsfrieden verflüchtigen. Es müßte also ein Zusammenhang bestehen (und von Lampe gezeigt werden) zwischen dem Beziehungsunwert unter Personen (so wie Lampe ihn von Scheler übernommen hat) und dem allgemeinen Rechtsfrieden der Gemeinschaft. Bei Lampe dagegen bleibt der Beziehungsunwert als Mitte zwischen Subjekt- und Objektunwert abstrakt; er ist kein wirklicher Zusammenschluß beider Seiten des Unrechts, sondern nur ein äußerer Widerschein, der als "Rechtsfrieden" zudem noch blaß bleibt. Dabei sind das Anliegen Lampes und sein erster Lösungsansatz wichtig: aus der Enge des Gegensatzes "subjektiv" und "objektiv" hinauszukommen und zu zeigen, daß die Person selbst in Beziehung mit anderen Personen steht 214 . Formuliert man Lampes Anliegen so, dann wird auch die Stelle sichtbar, an der sein Begründungsgang eine Ungenauigkeit aufweist: Der bei Scheler an einer konkret bestehenden positiven Beziehung (Ehe) entwickelte Beziehungswert wurde von Lampe in einem ersten Schritt auf Unwert-Verhältnisse übertragen (was nach der Wertlehre sicherlich noch zulässig ist), dann aber erweitert auf Verhältnisse "ohne Dauer"215. Die Beziehung Täter-Opfer bei einer Körperverletzung etwa unterscheidet sich nun aber so grundlegend von einer positiven Dauerbeziehung, daß die Eigenart des zugrunde liegenden Verhältnisses den Charakter der Beziehung im ganzen wandeln muß. Sie ist nicht mehr von beiden Seiten freiheitlich gesetzt, sondern wird von einer Seite der anderen aufgezwungen, bleibt insofern ganz Werk des Täters, und es ist nicht recht ersichtlich, welche eigenständige Bedeutung sie gegenüber Subjekt- und Objektunwert dann noch haben soll. Daß mit der Verletzung des Anderen auch der Rechtsfrieden verletzt wird, ist in der Beziehung zwischen Täter und Opfer unmittelbar nicht anwesend. Hierin steckt allerdings auch wieder ein Hinweis auf eine mögliche Lösung. Wenn sich schon im positiven, rechtlichen Verhältnis der Einzelnen zueinander eine Mitte finden ließe, dann könnte in ihr die von Lampe gesuchte Möglichkeit liegen, Subjekt- und Objektunwert aufzunehmen 216 . Dann aber dürften beide 214 Stratenwerth hebt daher zutreffend die "Mehrdimensionalität" dieses Ansatzes hervor; Schaffstein-Festschrift, S. 186, Anm. 34. 215 Personales Unrecht, S. 212. 216 Lampe mag das im Begriff des Beziehungsunwerts mitgedacht haben: in seiner Rechtsanthropologie schreibt er im Vorwort (S. 7), im "Personalen Unrecht" habe er das Unrecht als "Störung" der mitmenschlichen Beziehungen entwickelt. An der entscheidenden Stelle des "Personalen Unrechts", S.21t /212, ergibt sich aber das nicht klar: bei dem

C. Subjektive Lehren

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nicht in dieser Mitte verschwinden, sondern müßten sich aus ihr heraus erst bestimmen lassen 217 • (2) Auch die Bemühungen Ottos gelten der Aufklärung der Beziehung zwischen den Rechtspersonen und deren Bedeutung für das Recht 218 • Auch er setzt an der Autonomie des Einzelnen an 219 , begreift sie aber nicht - wie etwa Maihofer - als ein den Einzelnen von den Anderen isolierendes Moment. Das Selbstsein des Einzelnen beruht vielmehr auf einem Verhältnis zwischen Personen, das Otto in Anlehnung an Luhmann 220 "Vertrauen" nennt: "Ein Gefühl innerer Verbundenheit mit dem Anderen ( ... ), die trotz aller sonstigen Verschiedenheit nicht in Frage gestellt ist. Es ist ein Akt der Erkenntnis des ,Selbst' im Anderen, der es ermöglicht, mit ihm eine Einheit zu bilden, in der ,ich' Fall der Körperverletzung wird ganz offensichtlich davon ausgegangen, daß erst mit der Tat die Beziehung hergestellt wird. Jedenfalls bleibt der Gedanke - auch soweit er im Begriff des Rechtsfriedens enthalten sein sollte - unentwickelt. 217 Vgl. zur Kritik auch Schmidt-Klügmann, Fremdexistenz, S. 72 Anm. 51. 218 Personales Unrecht, Schuld und Strafe, ZStW 87 (1975), 539ff., bes. 550ff., 554ff. - Otto ist dabei im Ansatz seinem Lehrer Hardwig verpflichtet. Hardwig hat in zwei Arbeiten (Die Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, ZStW 68 - 1956 -, 14ff., und Personales Unrecht und Schuld, MonSchrKrim44-1961-, S. 194ff.) Beiträge zu einer personalen Unrechtslehre erbracht. Er baut - anknüpfend an Tesar und den Soziologen Tönnies - auf einen grundlegenden Unterschied von Gesellschaft und Gemeinschaft auf: erstere ist ein äußerer, von Zwecküberlegungen getragener Zusammenschluß von Individuen, letztere ein auf der inneren Verbindung von einzelnen beruhender Zusammenhang (ZStW 68, S. 17f.). Daraus folgt nach Hardwig eine unterschiedliche Bestimmung des Unrechts: mit Blick auf die äußere Verbindung der Gesellschaft ist es Erfolgs- und Gefährdungsunrecht, mit Blick auf die Gemeinschaft ist es personales Unrecht i. S. eines Verstoßes gegen innere Bindungen (ZStW 68, S.20; MonSchrKrim. 44, S.195, 198). Hardwig meint nun, diese beiden sozialen Grundstrukturen - die er in sich noch weiter differenziert - seien als "polare und verschränkte" (MonSchrKrim. 44, S. 195) zu verstehen, ohne jedoch dabei zu klären, in welchem Verhältnis die Unrechtsarten in der sozialen Wirklichkeit stehen. So erscheint einerseits das auf die Bindung der Gemeinschaft beschränkte personale Unrecht als Kern des Verbrechens (MonSchrKrim. 44, S. 205), andererseits kann es aber auch fehlen (z. B. bei Zurechnungsunfähigkeit), wobei jedoch Akt- und Erfolgsunrecht bestehen bleiben sollen (ZStW 68, S. 31). Grund und Berechtigung für diese Aussage werden nicht genannt. Hardwig bestimmt an einer Stelle das Verhältnis von Gemeinschaft und Gesellschaft so, daß er die Gesellschaft als "äußerst verdünnte Gemeinschaft" bezeichnet (ZStW 68, S. 17, FN 9). Das würde aber bedeuten, daß personales Unrecht auch in der Gesellschaft (obgleich in "verdünnter" Form) vorliegen müßte, also etwa der bloße Erfolgsunwert nicht genügen kann. - Kritisch zu Hardwig auch Langer, Sonderverbrechen, S. 305f. 219 ZStW 87 (1975), 547f. 220 a. a. O. (FN 219), S. 553 f. Luhmanns Schrift: "Vertrauen" bestimmt diesen Begriff im Zusammenhang der Systemtheorie als eine (von mehreren) Möglichkeiten, Komplexität zu reduzieren, s. S.23ff. E. A. Wolf! hat in seiner 1965 erschienenen Schrift "Kausalität von Tun und Unterlassen" bereits das Vertrauensverhältnis für ein konkretes Problem des Strafrechts fruchtbar gemacht, freilich mit Implikationen, die über jenes Spezial problem hinausweisen, vgl. dazu S. 57ff. ("Die Freiheit, sich zu entscheiden"), ferner ZStW 81 (1969), bes. S. 896ff. sowie Die Abgrenzung von Kriminalunrecht, S. 212f.

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

und ,du' problemlos als ,wir' erscheinen. "221 Otto will allerdings diese" Wirheit" "überhaupt nur existentiell"222 verstehen. Dies ist offenbar skeptisch gemeint gegenüber der die Wirklichkeit gestaltenden Kraft dieser Beziehung, denn Otto meint, die Einsicht in die Verschiedenheit der Einzelnen löse Mißtrauen aus 223 . Nun ist dies ein Gedanke, der in vielfältiger Gestalt die vertragstheoretische Begründung des Staates in der Neuzeit trägt; darauf ist im zweiten Teil noch einzugehen. Er muß dann aber immer auch eine positive Seite aufweisen - etwa wie bei Kant das Vermögen des Einzelnen zum praktisch richtigen Handeln. Wird sie nicht mit durchgehalten, wird gar nicht ersichtlich, aufweiche Weise die staatliche Ordnung eine Verbesserung der Verhältnisse bringen kann. Bei Otto ist das "Vertrauen" schon an seiner Grundbestimmung entkräftet: da es sich notwendig immer auf einen Anderen - ein "Du" - richtet, Mißtrauen aber allein schon aus der Tatsache resultieren soll, daß dieses "Du" kein "Ich" ist, kann notwendig das Vertrauen nicht weit tragen. Das wird dann auch in der Bedeutung sichtbar, die es im Recht besitzt: Die Rechtsregeln bewirken durch "Planung und Vorzeichnung"224 des Verhaltens der Einzelnen, daß deren Handlungen erwartungssicher werden; das ursprüngliche Vertrauen wird durch Systemvertrauen ersetzt 225 ; eine Spur von ihm bleibt gleichwohl als zwischenmenschliche Substanz im Recht erhalten 226 . Es bleibt auch ein zusätzliches Verhältnis zwischen dem Einzelnen und der Rechtsnorm einsichtig: die in ihr dem Einzelnen angesonnene Entscheidung nimmt für sich in Anspruch, richtig . und vernünftig zu sein und appelliert gerade dadurch an seine eigene Vernunft, diese Richtigkeit anzuerkennen und sich ihr gemäß zu entscheiden 227 . Nach diesen Überlegungen kann Otto das Unrecht dahin bestimmen, daß es die ursprüngliche interpersonale Vertrauensbeziehung trifft, daß es damit nicht isoliert ist auf die Person des Täters, sondern umfassende Auswirkungen hat auf seine Stellung als vernünftige Rechtsperson und die Einbindung in die Gemeinschaft 228 . Offenbar direkt auf den Versuch bezogen ist der Satz, es genüge "die Manifestation der Absicht", ein Rechtsgut zu verletzen 229. (3) Mit den Arbeiten Lampes und Ottos ist die personale Unrechts lehre bis zu einem Punkt getrieben worden, der einen neuen Einsatz gerade für das Unrecht des Versuchs ermöglicht. Lampe und Otto halten einerseits an der Autonomie des Subjekts und damit an seiner herausgehobenen Stellung in der Rechtsorda.a.O. (FN 219), S. 554. a. a. O. (FN 219), S. 555. 223 a.a.O. (FN 219), S. 554f.; 556. 224 a. a. O. (FN 219), S. 556. 22S a.a.O. (FN 219), S. 556,561. Die Nähe zu Luhmann wird von Olto ausgewiesen, obwohl sein Verhältnis zur System theorie unklar bleibt, vgl. S. 549, 554. 226 a. a. O. (FN 219), S. 556. 227 a. a. O. (FN 219), S. 563 ff. 228 a. a. O. (FN 219), S. 562. 229 a. a. O. (FN 219), S. 562. 221

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D. Bestimmung des Unrechts durch die Lehre vom Rechtsgut

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nung fest, andererseits zeigen aber beide, daß Autonomie selbst gebunden ist. Das Gewicht und die Eigenart dieser Bindung wird freilich in beiden Arbeiten nicht hinreichend aufgeklärt. Mit welchem Recht gesagt werden kann, daß der Person "von Natur aus"230 innere Bindungen auferlegt sind, bleibt genauso offen wie die Frage, ob das "Gefühl" einer Verbindung zum Anderen schon genügender Aufweis der existentiellen Bedeutung dieser Beziehung ist 231 . Erst wenn die Notwendigkeit jenes interpersonalen Verhältnisses gezeigt ist, besteht auch die Möglichkeit, das Verhältnis als Basis des Rechts zu etablieren unbeschadet zusätzlicher Bedingungen, die näher aufzuweisen sind und die es dann weiter ermöglichen, das Recht als "objektive Ordnung" (und dennoch nicht heteronom) wie auch den Einzelnen als Rechtsperson (und dennoch nicht solipsistisch) zu begreifen. Es stellt sich damit am Ende der Betrachtung subjektiver Lehren bei Versuch und Unrecht die gleiche Situation dar wie am Ende der objektiven Lehren: Verwies dort ein entwickelter Begriff von "Objektivität" auf das handelnde Subjekt zurück, verweist hier ein entwickelter Begriff von "Subjektivität" auf die vom Einzelnen gestaltete Ordnung. Recht und Individuum stehen in einem wechselseitig bestimmten Verhältnis zueinander. In Anlehnung an die Philosophie des deutschen Idealismus ist es möglich, eine freiheitliche Verbindung beider Sphären herbeizuführen. E. A. Wolff und Michael Köhler haben in mehreren Schriften den Weg zu einem so gefaßten Verständnis des Rechts gewiesen 232 . Im zweiten Teil dieser Arbeit soll es unternommen werden, einen derartigen Gedankengang für das Problem des Versuchs zu entwickeln. Bevor dies aber geschehen kann, ist in einem Zwischenschritt auf ein mit dem gesamten hier vorgestellten Fragenkomplex eng zusammenhängendes Gebiet einzugehen: die Lehre vom Rechtsgut.

D. Bestimmung des Unrechts durch die Lehre vom Rechtsgut I. Die Bedeutung der Recbtsgutslehre Der in diesem Teil der Arbeit unter A. bis C. dargestellte Zusammenhang läßt sich ähnlich für die Lehre vom Rechtsgut aufweisen, auch wenn er dort sowohl historisch als auch in seinen verschiedenen gedanklichen Positionen eine andere Gestalt gewonnen hat. Der Begriff des Rechtsguts ermöglicht es, den allgemeinen Begriff des Unrechts zu konkretisieren und gewissermaßen auf anschauliche Lampe, Personales Unrecht, S. 204. Otto, a.a.O. (FN 219), S. 554/555. 232 Vgl. E. A. Wolff, Kausalität von Tun und Unterlassen, ders., Ehre und Beleidigung, ZStW 81 (1969), S.886ff.; ders., Gallas-Festschrift, S. 197ff.; ders., ZStW 97 (1985), 786 ff.; ders., Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, S. 137 ff. Michael Köhler, Bewußte Fahrlässigkeit; ders. Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung; ders., Der Begriff der Strafe. 230 231

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

Größe zu konzentrieren 1. Als Kennzeichnung der materialen Seite des Unrechts wird er heute duchgängig begriffen; seine dadurch begründete Bedeutung für Wissenschaft und Praxis (etwa bei der Kommentierung des Besonderen Teils) hat Hassemer zu Recht hervorgehoben 2 • Man verschenkt jedoch eine in diesem Begriffliegende Potenz, wenn man ihn für die Plastizität des Unrechts reserviert. Denn zunächst ist festzustellen, daß in ihm der Begriff des Rechts positiv (und nicht schon als Unrecht bestimmt) vorkommt. Offenbar kann er also in einem primären Zugang dazu verwendet werden, rechtliche Verhältnisse als richtige Verhältnisse anzugeben. Daraus wird dann auch deutlich, daß mit ihm allein eine hinreichende Bestimmung des (strafrechtlichen) Unrechts nicht gegeben sein muß, sondern daß - aus ihm entwickelt oder zu ihm hinzutretend - zusätzliche Kriterien sich geltend machen können 3 . Jedenfalls wird hier unmittelbar die Anknüpfung an die Ausführungen von Teil C. deutlich: Der Begriff des Rechtsguts schafft in seiner positiven Bedeutung die Möglichkeit, rechtlich-richtiges Verhalten näher zu bestimmen und damit auch die Autonomie des Einzelnen konkreter zu fassen. Diese Chance wurde in der historischen Entwicklung zu selten ergriffen, was wohl vor allem daran lag, daß "Rechtsgut" als genuin strafrechtlicher Begriff und damit immer schon von der Unrechtsseite her aufgefaßt wurde. Dank der Arbeiten von Sina4 und Amelung S ist es unnötig, den chronologischen Verlauf der Diskussion um den Begriff des Rechtsguts hier nachzuzeichnen. Er soll vielmehr lediglich daraufhin untersucht werden, ob und wie er im Verlauf dieser Diskussion als mit der Freiheit (Autonomie) des Einzelnen verbunden gedacht wurde. 11. Ihre gedankliche Entwicklung 1. Die Anfänge bei Feuerbach Aufschlußreich in dieser Beziehung ist der Beginn der Geschichte des Begriffs, obwohl er dort noch nicht "Rechtsgut" hieß. Feuerbach knüpft die Berechtigung des Staates zur Strafe an die Verletzung eines subjektiven Rechts 6 • Darin 1 Für die Rechtsgutslehre war das nicht nur vorteilhaft; bis in die Gegenwart hält sich untergründig die (verkürzende) Vorstellung, das einzelne Rechtsgut sei etwas Anschauliches und Greifbares; vgl. etwa Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 413; Hassemer, Religionsdelikte, S. 1323. 2 Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 12. 3 Vgl. dazu auch E. A. WoljJ, ZStW 97 (1985), S. 827. - Die Kritik von Jakobs an der Rechtsgutslehre (die sich dahin zusammenfassen läßt, daß aus der Bestimmung der Rechtsgüter sich nicht eine indirekte Bestimmung des strafrechtlichen Unrechts ableiten läßt, vgl. AT, 2j22ff., S. 36f.) geht daher in die falsche Richtung. 4 Peter Sina, Die Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs "Rechtsgut" (1962). 5 Knut Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft (1972). 6 Lehrbuch, §§ 19, 21, 23; Revision I, S. 56, 65 f.

D. Bestimmung des Unrechts durch die Lehre vom Rechtsgut

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ist mehr enthalten als eine bloße Unrechtskonkretisierung. Denn der Grund für diese Bestimmung des Unrechts liegt in Feuerbachs an Kant angelehntem Verständnis des Einzelnen als autonomen Individuums 7 • Nur zur Sicherung seines Daseins als Freien tritt der Einzelne dem Staat bei, dessen Gewalt dann notwendig darauf reduziet ist, die Rechte seiner Bürger zu bewahren 8 • Entsprechend kann auch nur die Verletzung der rechtlichen Subjektivität (des subjektiven Rechts) die Strafgewalt des Staates auslösen. Folgerichtig ist es dann, zwar noch die Verletzung des Staates selbst - als Garanten der Ordnung - als strafbares Unrecht zu begreifen 9 , nicht aber mehr Delikte gegen die Religion oder die Sittlichkeit 10. Unbeschadet der Tatsache, daß Feuerbach die in der Autonomie des Einzelnen liegenden Dimensionen nicht vollständig ausgemessen hat - was dann auch bald seine Lehre scheitern ließ -, hat er jedenfalls eine zusammenhängende Begründung vom Status des Einzelnen über die Konstitution des Staates zurück zum Unrecht geleistet. Er hat damit dem Strafrecht einen Begründungsrahmen vorgezeichnet, der es ermöglicht, seinen einzelnen Begriffen ihren festen Ort im Zusammenhang der Begründung zuzuweisen und der für ein rechtsstaatliches Strafrecht notwendig ist. Die in Feuerbachs Lehre liegende wissenschaftliche Substanz ging alsbald verloren, was nicht zuletzt mit dem rapiden Verfall des philosophischen Denkens im neunzehnten Jahrhundert zusammenhing. Äußerlich knüpfte die Ablehnung seiner Konzeption an den Delikten an, die sich nicht unmittelbar mit einem subjektiven Recht der Person verknüpfen ließen, den Religions- und Sittlichkeitsdelikten 11. In dieser Kritik kam aber mehr zur Geltung als der Wunsch, auch solche Delikte bestraft zu sehen. Vielmehr lag in ihr auch der Hinweis, daß die Subjektivität von Feuerbach zu statisch und unvermittelt mit dem Staat in eine Beziehung gesetzt worden war, so daß vermittelte (und das heißt auch: historisch gewachsene) Formen ihres Daseins nicht angemessen begriffen wurden. 2. Die Fortführung durch Birnbaum

Für die Rechtsgutslehre wirkte es sich schädlich aus, daß Feuerbachs Gesamtkonzeption nicht in dieser Richtung weitergedacht wurde (also unter Beibehaltung ihrer "Eckpfeiler"), sondern daß der Aufsatz, mit dem allgemein der Anfang der Rechtsgutslehre gekennzeichnet wird, nur am Symptom Anti-Hobbes, S. 13ff. Anti-Hobbes, S.9ff. S. zum Ganzen auch Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, S. 45ff. 9 Vgl. Lehrbuch, §§ 161 ff. iO Vgl. Lehrbuch, § 22; § 303 (zur Gotteslästerung als Rechtsverletzung der Kirche); §§ 446ff. 11 Vgl. zur Entwicklung Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 38ff. 7

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I. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

kurierte: Birnbaum 12 forderte eine Ausweitung des Rechtsgutsbegriffs, so daß eine Rechtsverletzung auch bei Verletzung von Gütern der Gesamtheit angenommen werden konnte. Indem die Schärfe von Feuerbachs Begriffiichkeit aufgegeben wurde, wurde der Begriff freigegeben: jeder Inhalt konnte nun zum Rechtsgut werden 13 ; die Bestimmung blieb dem Staat überlassen. Birnbaum ist zu konzedieren, daß er diese Ausweitung nicht im Blick hatte; seine Wendungen gegen einen schlechten Gesetzespositivismus 14 sollten nicht als bloße salvatorische Klauseln aufgefaßt werden. Auch kann wegen der schon genannten geistesgeschichtlichen Hintergründe die spätere Entwicklung kaum ihm alleine angelastet werden. Wesentlich bleibt aber, daß der Rechtsgutsbegriff damit die Verbindung zur Autonomie des Einzelnen verloren hatte. 3. Der Zusammenhang zwischen geistesgeschichtlicher Entwicklung und Rechtsgutslehre

Die Bedeutung dieses Verlusts wurde durch die geistige Entwicklung im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts - also zunächst außerhalb der Rechtsgutslehre und des Rechts selbst - noch gesteigert. Das starke Aufkommen naturwissenschaftlichen Denkens ließ einem Begriff wie "Autonomie" für (dem Geist der Zeit nach) "ernstzunehmendes" Denken keinen Raum mehr; die Wirkungen dieser Evolution reichen bis in die Gegenwart. So konnte dann auch die Ersetzung des Rechtsguts durch das rechtlich geschützte Interesse etwa bei Franz von Liszt 15 zwar das einzelne Individuum wieder in den Blick rücken, aber nur reduziert auf ein naturhaft bestimmtes Wesen, das durch den - mit ihm unvermittelten - Staat als Wahrer des Zusammenhangs auf der Bahn des Rechten gehalten wird 16. Was bei Amelung dann die "geisteswissenschaftliche Wende" in der Rechtsgutslehre genannt wird 17, war gleichwohl ungeeignet, den verlorenen Gedanken wiederzugewinnen. Zwar war die Wertphilosophie ausdrücklich angetreten, die Einseitigkeit der "naturwissenschaftlichen Begriffsbildung" aufzuheben, doch geschah dies mit Mitteln, die nicht prinzipiell genug am Selbstverständnis und 12 In seinem Aufsatz "Über das Erforderniß einer Rechtsverletzung zum Begriffe des Verbrechens, mit besonderer Rücksicht auf den Begriff der Ehrenkränkung", NA 1834, 149ff. bes. 166, 177. 13 Vgl. Birnbaum, a.a.O. (FN 12), S. 177. 14 a. a. O. (FN 12), S. 152, 153. Birnbaum ist deshalb in Schutz zu nehmen vor dem Satz Amelungs, "Birnbaums Erfindung" ebne "den Weg dafür, daß die Strafrechtslehre politische Wertentscheidungen ohne Voreinstellungen getreulich nachvollzieht". Auch Amelung konzediert jedoch gleich im nächsten Satz die "Ambivalenz" dieser Aussage (Rechtsgüterschutz, S. 50). 15 Vgl. vor allem Rechtsgut und Handlungsbegriff im Bindingschen Handbuche, Aufsätze I, S. 212ff. (bes. 218, 222, 224f.); s. auch Lehrbuch, S. 4 und ZStW 26 (1906), 556, wo die Nähe zur Evolutionstheorie ganz deutlich wird. 16 s. insbesondere Zweckgedanke, Aufsätze I, S. 159ff., 163ff. 17 Rechtsgüterschutz, S. 121 ff.

D. Bestimmung des Unrechts durch die Lehre vom Rechtsgut

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am Handeln des Einzelnen ansetzten. Die Wertphilosophie bestimmte nur das Material von Theorie und Praxis unterschiedlich, ohne jedoch dessen jeweilige Vorgegebenheit zu leugnen. Das damit gesetzte heteronome Element der Wertphilosophie war oben schon beschrieben worden, und ebenso, daß die Subjektivierung des Wertbegriffs, seine Inkorporierung in den Akt des Handelns, an jenem grundsätzlichen Element nichts änderte. 4. Die Entwicklung im 20. Jahrhundert

Die Entwicklung in diesem Jahrhundert ist wesentlich durch zwei Strömungen gekennzeichnet. Die eine führt letztlich vom Rechtsgut weg, bestimmt als entscheidend das Verhältnis des Einzelnen zur Norm und endet in einer Subjektivierung des Unrechts (siehe oben C II 2 u. 3). Die andere wurde für das Rechtsgut (immer gemessen an Feuerbachs Ansatz) äußerst folgenreich: Sie wechselte radikal die Perspektive, indem sie nicht mehr vom Begriff des Einzelnen ihren Ausgang nahm, sondern gerade umgekehrt den Einzelnen aus der Perspektive der Gemeinschaft betrachtete: Das vorausgesetzte Ganze (das man als Volksgemeinschaft oder Sozialsystem bezeichnen kann, was in dieser Beziehung ganz gleich ist) zerteilte sich erst in einem zweiten Schritt in einem Zusammenhang von Einzelnen und je eigenem Selbstverständnis. Die Basis der Rechtsgüter war damit der Gemeinschaft nicht mehr vorgeordnet, sondern die Sphäre von Selbständigkeit wurde von der Gemeinschaft gewährt. Das beginnt mit der teleologischen Rechtsgutslehre 18 und verbindet sich später mit dem stärker werdenden soziologischen Denken. Selbst ein Autor wie Rudolphi, der in seiner Rechtsgutslehre bemüht ist, die "verschiedenen Aspekte des Rechtsgutsbegriffs"19 zu vereinen, landet schließlich mit der Bestimmung des Rechtsguts als "sozialer Funktionseinheit"20 auf der Seite der Gemeinschaft, wie insbesondere seine Ausführungen zum Eigentum zeigen 21 . Bei Amelung schließlich ist diese Wendung explizit vollzogen. In Übernahme wesentlicher Gedanken der Systemtheorie 22 wird der Einzelne nur noch als Systembestandteil betrachtet; Unrecht ihm gegenüber wird auf das Problem der dadurch bewirkten Dysfunktionalität des Systems reduziert 23 . Die dieser Konzeption eingezogenen liberalen Grenzen 24 bleiben dem Gedankengang selbst äußerlich und damit zufällig 25 . 18 Vgl. Honig, Einwilligung, S. 94: "Die Schutzobjekte existieren nicht als solche, sie gewinnen erst Leben, indem wir die Gemeinschaftswerte als Zweckobjekte der Strafrechtssätze ins Auge fassen." 19 So der Titel seines Beitrags in der Honig-Festschrift, S. 151 ff. 20 a.a.O. (FN 19), bes. 162ff. 21 a. a. O. (FN 19), S. 164. 22 Rechtsgüterschutz, bes. S. 350ff. 23 a. a. O. (FN 22), S. 388. 24 Wie Anm. 23. 25 Dazu auch die Kritik von Hassemer, ZStW 87 (1975), 146ff. (bes. S. 162f.).

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1. Teil: Kritische Aufnahme des Diskussionsstandes

5. Rechtsgut und Subjektivität

Doch auch in der Gegenwart gibt es Bemühungen, die verlorengegangene Beziehung zwischen Einzelnem und staatlicher Ordnung im Begriff des Rechtsguts wiederzugewinnen. In Hassemers Rechtsgutskonzeption etwa spielt die "normative gesellschaftliche Verständigung" eine wichtige Rolle: Aus ihr - in die der Einzelne als Gesellschaftsmitglied notwendig im Diskursprozeß mit einbezogen ist - soll sich die Berechtigung von Rechtsgütern ergeben 26 . Freilich wird dort der Einsicht der Einzelnen wenig zugetraut; der genannte Gewinn wird durch Hassemers Favorisierung einer "rationalen Kriminalpolitik"27 - deren Vollstrecker ersichtlich als mit einem höheren Grad von Vernunft begabt verstanden werden als die Teilnehmer der gesellschaftlichen Verständigung 28 wieder eingezogen. Michael Marx schließlich spricht die Autonomie direkt an, wenn er Rechtsgüter definiert als "diejenigen Gegenstände, die der Mensch zu seiner freien Selbstverwirklichung braucht"29. Die Verbindung zu Feuerbach scheint damit wieder hergestellt zu sein. Sieht man allerdings näher hin, werden entscheidende Abweichungen deutlich. Marx begreift die Freiheit und damit die Basis der Rechtsgüter nicht als Denknotwendigkeit, sondern letztlich als zufallige (Wert-)Entscheidung für ein so geartetes Begreifen des Einzelnen 30 • Das ergibt einen ganz anderen Begriff von Freiheit: Selbst wenn sich im Nachdenken erhellt, daß es "besser" ist, daß es Freiheit gibt als daß es sie nicht gibt 3l , ist doch das Faktum, daß es sie zur Zeit gibt, historisch aufhebbar. Hinzu kommt, daß bei Marx einer der kritikwürdigen Punkte Feuerbachs noch verschärft auftritt. Indem die Subjektivität als in einer Beziehung mit ihren Rechten (Leben, Körper, Eigentum, etc. 32 ) stehend begriffen wird, wird sie selbst statisch und unhistorisch; nicht die Subjektivität selbst steht in einer wirklichen Interaktion mit anderen Subjekten, sondern nur einige Vergegenständlichungen des Subjekts (die Rechtsgüter). Von dieser gedanklichen Position aus wird dann auch der Staat nicht in seiner Wirklichkeit (etwa als mit Theorie und Soziologie, S. 160ff. a.a.O. (FN 26), S. 192fT. 28 Das wird gut deutlich an dem Beispiel S.242f. Hassemer erörtert dort die Strafbarkeit der Verletzung staatlicher Symbole (§§ 90-90b) und bindet dabei den Strafgesetzgeber an eine vorgängige nonnative Verständigung in der Gesellschaft, die zu dem Ergebnis kommt, daß dieser Strafrechtsschutz richtig ist. Hassemer bezeichnet aber gleichzeitig dieses Für-Richtig-Halten als irrationale Tabu-Reaktion und mißt der Rechtsgüterpolitik die Aufgabe zu, den Bürgern zu einem "rationalerem" Verhalten gegenüber dem Staat zu verhelfen. Die "nonnative gesellschaftliche Verständigung" ist also nur vorläufig rational. 29 Zur Definition, S. 62. 30 Sehr deutlich Zur Definition, S. 27, 34. 31 Zur Definition, S. 32. 32 Zur Definition, S. 61. 26

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D. Bestimmung des Unrechts durch die Lehre vom Rechtsgut

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Zwangsbefugnis gegenüber dem Einzelnen ausgestattet) begreiflich, sondern als im Miteigentum seiner Bürger stehend 33 • Auf diese Weise macht es sich Marx unmöglich, das vermittelte Dasein von Freiheit in seiner Selbständigkeit zu erfassen - eben jener Punkt, an dem auch schon Feuerbachs Lehre vom subjektiven Recht scheiterte. So behält Marx' Arbeit zwar einerseits das große Verdienst, an die Freiheit des Einzelnen als Basis der Rechtsgüter wieder erinnert zu haben, läßt aber andererseits die Aufgabe bestehen, die Autonomie des Einzelnen so mit der sozialen Welt (den Andern) zu verbinden, daß sie gerade auch in diesem Zusammenhang ihren Platz behält. Der Rechtsgutsbegriff - der durch das Wort "Gut" leider immer die Nähe zur Wertphilosophie suggeriert - verlöre dann seine Fixiertheit gegenüber dem Dasein des Einzelnen und würde aus seiner Interaktion mit Anderen heraus begreifbar. Indem so das Dasein des Rechts als Ergebnis eines Konstitutionsprozesses der einzelnen Rechtspersonen verstanden werden kann, kann auch die versuchte Verletzung neu bestimmt werden. Dies wird nun im zweiten Teil der Arbeit unternommen.

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Zur Definition, bes. S. 79-83 (82).

2. Teil

Begründung des Unrechts des Versuchs A. Überblick Die kritische Übersicht des ersten Teils führte zu dem Ergebnis, daß die bisherigen Lösungsansätze zum Unrecht (auch des Versuchs) jeweils an einem bestimmten Punkt in Begründungsschwierigkeiten geraten, und zwar die beiden wichtigsten in einem komplementären Verhältnis. Etwas vereinfacht gesagt: Objektive Unrechtsbestimmungen leiden zum einen daran, daß sie den Anteil des Täters an der Tat zu sehr ausblenden, zum andern aber auch daran, daß sie das Unrecht des Versuchs nicht selbständig erklären können. Subjektive Lehren einschließlich der personalen Unrechtslehre dagegen schneiden den Täter von dem ihm gegenüberstehenden sozialen Zusammenhang ab, in dem er als Person und mit seiner Tat steht; das führt beim Versuch dazu, daß sie adäquat nur ihn, nicht aber mehr die Vollendung erklären können. Das Ziel der folgenden Ausführungen ist es, diesen Zirkel komplementärer Schwierigkeiten zu lösen. Die Lösung kann nicht nur äußerlich erfolgen, indem man einer "Vereinigungsformel" ein neues Gebiet dadurch erschließt, daß man eine subjektive Lehre mit objektiven Elementen (oder umgekehrt) koppelt. Im Versuch gehen diese scheinbar disparaten Elemente eine viel zu eigenständige Verbindung ein, als daß derartige Halbheiten auch nur zur Erklärung des Phänomens taugen könnten. Damit ergibt sich aber die Notwendigkeit, eine weiter ausholende Begründung des Unrechts des Versuchs zu unternehmenungeachtet der Zustimmung zu manchen Einzelergebnissen, zu denen die bisherigen Lösungsansätze gelangen. Die Untersuchungen des ersten Teils lassen die Richtung der folgenden Überlegungen sichtbar werden. Einerseits muß ein Verständnis von Unrecht begründet werden, mit dem der Versuch selbst (aus sich heraus) als Unrecht begriffen werden kann. Andererseits muß dabei aber auch angegeben werden können, weshalb mit der Vollendung einer Tat wirklich ein zusätzliches Moment des Unrechts hinzutritt. Beide Aufgaben bedingen eine genauere Fassung des Unrechts. Sie muß das Subjekt ebenso konstitutiv miteinbeziehen wie die Tatsache, daß dieses Subjekt in einem Zusammenhang steht mit der äußeren Welt als solcher und anderen Subjekten in ihr. Hier zeigt sich schon, daß in einer solchen Bestimmung Begriffe wie "objektiv" und "subjektiv" nicht beziehungslos nebeneinander stehenbleiben können, sondern aufeinander verweisen. Damit kann dann für den Versuch eine

A. Überblick

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Unrechtslehre entfaltet werden, die erklärt, weshalb und wie bei ihm der Wille mit rechtlicher Relevanz objektiv wird, ohne doch schon sich vollendet verwirklicht zu haben. Den folgenden Untersuchungen liegt aber noch eine weitere prinzipielle Annahme zugrunde, von der auszugehen ebenfalls der kritische erste Teil nahelegte. Dort hatte sich gezeigt, daß die Bemühungen um eine begriffliche Fassung des Unrechts in seinen verschiedenen Verwirklichungsstadien gerade im Blick auf den Versuch zu spät einsetzen, wenn sie sich allein auf den Einzelnen und seine unrechte Tat konzentrieren. Besonders beim Versuch als dem gewissermaßen halben Schritt zum Unrecht scheint es aussichtsreich anzunehmen, daß eine materielle Erfassung des Unrechts nur dann gesichert möglich ist, wenn sie auf einer materiellen Erfassung des Rechts beruhtl. Konstitutive Merkmale des Einzelnen als Rechtsperson wie auch seine Beziehung zu anderen Subjekten sind nicht Elemente des Daseins, die im Unrecht primär erfahren würden. Vielmehr baut das Unrecht auf ihnen auf, denn es ist nur als Negation eines vorher schon rechtlich bestimmten Miteinander-Umgehens erfahrbar. Nicht der Diebstahl und nicht der Dieb sind das erste, sondern eine vorher bestehende Eigentumsordnung, der der Täter selbst als Rechtsperson zugehört. Aus diesem positiv gestalteten Bereich des Rechts - an dessen Gestaltung er selbst teilhat - tritt er mit seiner Unrechtstat heraus, und erst unter dieser Voraussetzung ist Unrecht in seiner ganzen Bedeutung verstehbar. Für den Versuch ergeben sich dadurch - das kann hier schon vorgreifend festgestellt werden - begrifflich ganz neue Möglichkeiten. Denn er muß nun nicht mehr lediglich prospektiv auf das Ziel, das mit ihm erstrebt wird (die Vollendung), hin bestimmt werden, sondern er kann auch aus dem Bereich betrachtet werden, der mit ihm verlassen wird. Es wurde schon in der Einleitung dieser Arbeit darauf hingewiesen, daß das nicht für jedes Einzelproblem beim Versuch zu neuen Ergebnissen führen kann und wird, daß aber die gewonnenen Einsichten diese Ergebnisse zusätzlich fundieren. Der damit projektierte Begründungsgang muß notwendig mehrere Schritte umfassen, und zwar genauer folgende drei: Zunächst muß der Einzelne in seiner Teilhabe am positiv, rechtlich gestalteten Bereich dargestellt werden; dies wird im Abschnitt B. unter dem Titel "Die Konstitution rechtlicher Freiheit"2 geschehen. Im Abschnitt C. "Das vollendete Unrecht" wird dann die Negation jenes Bereichs dargestellt. Schließlich werden in Teil D. "Das Unrecht des Versuchs" die Folgerungen für unser Thema gezogen. Bei diesem Begründungsgang wird eine große Zahl von Problemen des Strafrechts und der Rechtsphilosophie angesprochen. Es sei hier - in Wiederholung eines Satzes aus der s. dazu Michael Köhler, Bewußte Fahrlässigkeit, S. 324. Sprachlich möglich wäre auch die Formulierung" ... Konstituierung ... ". Mit der Anlehnung an das Substantiv (constitutio) statt an das Verb soll zum Ausdruck gebracht werden, daß das Dasein rechtlicher Freiheit sowohl Prozeß wie auch Produkt ist. 1

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2. Teil: Begründung des Unrechts des Versuchs

Einleitung oben - abermals der Hinweis erlaubt, daß alle diese Fragen nur so weit behandelt werden können, wie es das eigene Thema dieser Arbeit erfordert.

B. Die Konstitution rechtlicher Freiheit I. Einleitung

Auch wenn die Darstellung des ersten Teils nicht chronologisch aufgebaut war, wurde aus ihr doch deutlich, daß in den Bemühungen der letzten Jahrzehnte um die Bestimmung des Unrechts das Subjekt der Tat immer mehr in den Mittelpunkt gestellt wurde. Bisweilen wird in einer personalen Unrechtslehre eine Art Summe der Geschichte der deutschen Strafrechtsdogmatik gesehen 1. Nach der kritischen Intention des ersten Teils und nach dem soeben unter A. Gesagten kann nicht zweifelhaft sein, daß diese Entwicklung mit Blick auf eine freiheitliche (Straf-)Rechtsbegründung notwendig und richtig ist. Gleichwohl ist auch erkennbar, daß der Stand der personalen Unrechtslehre für den im folgenden zu unternehmenden Begründungsgang nicht entwickelt genug ist; zu sehr ist diese Lehre darauf fixiert, das Personale am Unrecht zu ermitteln. Ihren eigenen gedanklichen Voraussetzungen nach erfordert sie aber im Grunde eine Klärung der Frage, in welcher Beziehung die Person zum Recht steht, woraus dann erst folgt, weshalb es bei der Verwirklichung von Unrecht so sehr auf die Person ankommen muß2. Dabei genügt es ersichtlich nicht, den Einzelnen der Norm gegenüberzustellen und die Bemühungen darauf zu konzentrieren, diese gleichsam als ursprünglich-erste verstandene Beziehung zu klären 3 • Denn im Vgl. Hirsch, ZStW 93 (1981), 831 ff. (839). s. dazu auch Michael Köhler, Begriff der Strafe, S. 49 und passim. 3 Die heute zur Rechtsgeltung oft vertretenen "Anerkennungstheorien" setzen an dieser Stelle und damit gedanklich zu spät an; vgl. die Nachweise bei Neumann, Theorien der Rechtsgeltung, S. 25 m. Anm. 8. Denn es muß nicht nur zusätzlich gezeigt werden, welches Vermögen in der einzelnen Person wirksam wird, wenn sie jene Anerkennung vollzieht, sondern vor allem, weshalb es auf die Anerkennung überhaupt ankommen soll. Sie kann unmöglich beliebig sein, wenn die Norm allgemein gelten soll; aber erzwungen werden kann sie auch nicht, denn die Geltung der Norm soll erst mit der Anerkennung in Kraft gesetzt werden. Daher muß es einem entfalteten Begründungszusammenhang gerade um die inhaltliche Anerkennung der Norm gehen, wie Neumann a.a.O. richtig schreibt. Daß er allerdings mit Bittner, Moralisches Gebot oder Autonomie, Abschnitte 86ff., 124-127, meint, damit würde das Prinzip der Autonomie aufgegeben, ist schwer verständlich. Bittners Kritik an Kant trennt den kategorischen Imperativ von einem "Prinzip der Autonomie", das formal mit Selbstgesetzlichkeit identifiziert wird (Abschn.87); Kant habe beides fälschlich ineinsgesetzt (Abschn. 90ff.). Da Bittners Prinzip der Autonomie leer ist, bedarf es dringend inhaltlicher Anratungen, guter Gründe; konsequent landet er dann weit vor der Neuzeit bei Aristoteles (Absehn. 151). - Bittners Arbeit hebt an von der Frage eines Kindes, das seinem Bruder ein Stück Marzipan wegessen will: "Warum soll ich moralisch sein?" (Abschn.3) Aber es geht in der praktischen Philosophie nicht um Probleme von Kindern, sondern von Erwachsenen, und da hat eine solche nörgelnde Frage schon einen anderen Klang: indem der Frager gerade 1

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B. Die Konstitution rechtlicher Freiheit

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Verhältnis zu einem autonom verstandenen Einzelnen stellt sich die grundsätzlichere Frage nach der Begründung der Norm selbst, wenn sie für ihn eine Verpflichtung soll erzeugen können. Das aber heißt, daß die Position des Einzelnen als Rechtsperson überhaupt erfaßt werden muß, um dann erst auf dieser Basis in der Begründung fortschreiten zu können. Die Problematik der strafrechtlichen Unrechtslehre treibt so zu einem Punkt, an dem sich ein Überschritt zu Grundfragen der (Rechts-)Philosophie als notwendig erweist. Denn zum einen kann die Strafrechtswissenschaft mit ihren eigenen Mitteln die hier auftauchenden Fragen nicht mehr bewältigen. Zum anderen aber ergeben sich bei der genannten Problemstellung deutliche Berührungspunkte mit der Entwicklung der neuzeitlichen Philosophie seit Descartes4 • Denn ersichtlich greift der in einer personalen Unrechtslehre stets mitschwingende Gedanke, daß der Einzelne selbst Grund einer Veränderung ist, weiter als nur bis zur Verwirklichung von Unrecht. Man muß in ihm vielmehr einen Ausdruck des die Neuzeit überhaupt prägenden Prinzips der Subjektivität sehen 5. Dieses Prinzip fordert aber mehr als eine nur punktuelle "Berücksichtigung" des "Eigenwerts" des Einzelnen in einem ansonsten heteronom bestimmten System von Bindungen. Es verlangt vom Denken jene "Kopernikanische Wende", deren gedankliche Richtung Kant mit dem Satz "Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen"6 populär umschrieb. Kant war es auch, der als erster für die praktische Philosophie eine solche Position gedanklich durchgearbeitet begründete. Bei ihm und seiner kritischen Philosophie beginnend mit der Kritik der reinen Vernunft - müssen daher die folgenden Überlegungen ansetzen. Sie führen über Einsichten in die Konstitution von Erkenntnis zu Einsichten in den Begriff von Freiheit (Autonomie) und lassen dann auch deutlich werden, an welchem Punkt zusätzliche gedankliche Momente hinzugenommen werden müssen, um das Dasein rechtlicher Freiheit (das immer auch Freiheit der Andern ist) angemessen zu erklären.

voraussetzt, daß es um seine Selbständigkeit bei dem ganzen Problem geht, setzt er gewissermaßen die Leistung Kants mit voraus. Er wird dann auch bald einsehen, daß es außer ihm noch andere gibt, die Selbständigkeit haben und behalten wollen, und das heißt letztlich: zu begreifen, daß Autonomie und kategorischer Imperativ zusammengehören. 4 s. dazu auch Böckerstette, Aporien der Freiheit, der S. 35 fT. Verbindungslinien bis zu Nikolaus von Kues zieht. 5 s. vorläufig nur Joachim Ritter, Subjektivität und industrielle Gesellschaft, in: ders., Subjektivität, S. 11 ff.; Walter Schulz, Ich und Welt, passim; Klaus Hartmann, Politische Philosophie, S. 17 ff., 95 ff. 6 Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung, Werke 9, 53fT. (53). 9 Zaczyk

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2. Teil: Begründung des Unrechts des Versuchs

11. Die Autonomie der Person und das Rechtsverhältnis (rechtsphilosophische Grundlegung) 1. Kant Kants Aufweis der Freiheit erfolgt in zwei Schritten, die gesonderter Darstellung bedürfen. In der Kritik des theoretischen Erkenntnisvermögens zeigt er, daß Freiheit (denk-)möglich ist (a); in einer Kritik der praktischen Einsicht weist er nach, daß Freiheit (denk-)notwendig ist (b)1. a) In der "Kritik der reinen Vernunft" (KrV) unternahm Kant eine Kritik "des Vernunftvermögens überhaupt in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie, unabhängig von aller Erfahrung, streben mag" 8 • Geleitet wurde er dabei von der Überzeugung, daß alle Versuche, die Erkenntnis nach den Gegenständen auszurichten, auf die sie geht, gescheitert waren 9 ; es sollte daher einmal der entgegengesetzte Standpunkt - der also primär am Erkenntnisvermögen ansetzt - eingenommen werden: "Es ist hiermit also, als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe ließe."lo Nicht also fällt Erkenntnis in den Einzelnen von außen hinein und bestimmt seine Erfahrung, sondern er verhält sich schon im Vorgang der Erkenntnis aktiv l l . Das gilt zunächst für die Sinneseindrücke, die mit Hilfe der Anschauungsformen Raum und Zeit in eine Ordnung gebracht werden 12; es gilt dann aber auch für die denkende Erfassung des in der Anschauung Gegebenen, die der Verstand leistet l3 . Will man es nun unternehmen, eine Einsicht in diese Leistung des Verstandes zu gewinnen, so bedarf es dazu einer das Denken gleichsam aufbauenden Logik 14, die Kant eine transzendentale nennt: In ihr geht 7 Ausführlich zum Begründungsgang Kants mit Blick auf das Freiheitsproblem auch Böckerstette, Aporien der Freiheit, S. 207ff. (zur praktischen Vernunft 310ff., zum Recht 349ff.). 8 KrV A XII. Die KrV wird wie die KpV nach der Seitenzählung der ersten (A) und zweiten (B) Auflage zitiert. .. 9 Das bezieht sich vor allem auf die ältere (vorkritische) Metaphysik; vgl. etwa Delekat, Kant, S. 25 ff. 10 KrV B XVI. 11 Friedrich Kaulbach führt diesen Gedanken so weit, daß er sagt, der Begriff "Handlung" könne in der theoretischen und der praktischen Philosophie im Aspekt einer "strukturellen Analogie" gesehen werden (vgl. Prinzip Handlung, S. VII und öfter). Es erscheint fraglich, ob man das - wie Kaulbach meint - ohne den Überschritt zu Fichte annehmen kann. Das gilt noch verstärkt für die Arbeit von Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie, etwa S. 19ff., 160ff.; kritisch dazu auch Bartuschat, Philosophische Rundschau 1985, 236ff. (245). 12 Vgl. KrV, Transzendentale Ästhetik, B 33 ff. JA 19 ff. 13 Vgl. KrV B 74, 75JA 50, 51. 14 s. dazu auch Graye!f, Deutung und Darstellung, S. 10ff.

B. Die Konstitution rechtlicher Freiheit

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es um eine Erkenntnis "dadurch wir erkennen, daß und wie gewisse Vorstellungen (Anschauungen oder Begriffe) lediglich apriori angewandt werden, oder möglich seien (AA: sind)", nur sie könne "transzendental (das ist die Möglichkeit der Erkenntnis oder der Gebrauch derselben apriori) heißen" 15 . Nach Kant besteht eine solche transzendentale Logik aus zwei Teilen: der transzendentalen Analytik und der transzendentalen Dialektik. Die erste trägt die reinen Verstandesbegriffe oder Kategorien vor, "ohne welche überall kein Gegenstand gedacht werden kann"16. In der transzendentalen Dialektik dagegen wird eine Kritik des Verstandes und der Vernunft (sofern sie als Vermögen begriffen wird, in die Regeln des Verstandes selbst wieder Einheit zu bringen 17) unternommen "in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein ihrer grundlosen Anmaßungen aufzudecken" 18. Freiheit beispielsweise ist sicher auch "Gegenstand" des Denkens; in der transzendentalen Dialektik wird aber nachgewiesen werden, wie unzulänglich eine Annäherung an sie ist, wenn man vergißt, daß es sich bei ihr nicht um einen raum-zeitlich fixierbaren Gegenstand handelt. Der Unterschied wird deutlich, wenn man - aus der transzendentalen Analytik - als Beispiel die Kategorie der Kausalität heranzieht. Nur mit ihr kann verständlich gemacht werden, weshalb man in zwei zu unterschiedlichen Zeitpunkten wahrgenommene Zuständen das Verhältnis von Ursache und Wirkung bringen kann l9 . Die Annahme Humes, es handele sich dabei um eine durch Gewohnheit verfestigte Erfahrung dieser Abfolge 20 , wird einerseits nicht der Notwendigkeit des in ihr erlebten Vorganges gerecht und kann zum andern nicht begreiflich machen, daß wir den Grund der Veränderung in das Objekt legen und nicht in unsere subjektive Erfahrung 21 . Vergessen werden darf bei diesen Bestimmungen der transzendentalen Analytik - die hier nicht im einzelnen weiterverfolgt werden sollen - keinesfalls, daß es bei ihnen um Grundsätze des reinen Verstandes geht; für ihn aber gilt: ,,( ... ) alles, was der Verstand aus sich selbst schöpft, ohne es von der Erfahrung zu borgen, das habe er dennoch zu keinem anderen Behuf, als lediglich zum ErscheinungsgeBeide Zitate KrV B 80/ A 56. KrV B 87/ A 62. 17 Allgemein: Vermögen der Prinzipien, s. KrV B 356/ A 299. 18 KrV B 88/ A 63, 64. 19 s. KrV B 163 sowie B 232ff. (A 189ff.). 20 Vgl. Ein Traktat über die menschliche Natur, Buch I, Teil III, Abschn. 6, S. 124f.; Abschn. 8, S. 141 ff.; Abschn. 14, S. 210ff.; Abschn. 15, S. 233 ff. 21 Kant erläutert das an einem Beispiel: wenn man ein Schiff einen Strom hinabfahren sieht, so folgt auf die Wahrnehmung des Schiffs oberhalb einer bestimmten Stelle die Wahrnehmung unterhalb ihrer; es ist unmöglich, diese Wahrnehmung umzukehren, ihre Ordnung ist bestimmt. Betrachte ich hingegen ein Haus, so kann ich oben, unten, rechts oder links mit der Wahrnehmung beginnen; diese ist also nicht durch seine Erscheinung vorbestimmt. - Zu diesem Beispiel und einer an ihm geäußerten Kritik Schopenhauers s. Walter Bröcker, Kant über Metaphysik und Erfahrung, S. 71 f. 15

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2. Teil: Begründung des Unrechts des Versuchs

brauch"22; seine Grundsätze "enthalten nichts als gleichsam nur das reine Schema zur möglichen Erfahrung ( ... )"23. Unternimmt es nun die Vernunft-

was ihre notwendige Aufgabe ist - Einheit in die Regeln des Verstandes zu bringen, so ergibt sich eine wichtige Folge: Sobald sie die Einheit mit Begriffen herstellt, die nicht auf eine gegenständliche Erfahrung gerichtet sind, gaukelt sie eine Erkenntnissicherheit vor, die es nicht gibt und für die sie die Kategorien nicht zur Vergewisserung heranziehen kann. Der ganze zweite Teil der transzendentalen Logik (die transzendentale Dialektik) ist damit befaßt, ein solches Vorgehen zu entlarven, "eine Kritik des Verstandes und der Vernunft in Ansehung ihres hyperphysischen Gebrauchs, um den falschen Schein ihrer grundlosen Anmaßungen aufzudecken"24. Die Vernunft schafft Einheit durch Prinzipien, die die gegenständlich beschränkte Verstandeserkenntnis übersteigen und von Kant "Ideen" genannt werden. Nach dem Gesagten ist einsichtig, daß eine Idee "niemals zum unmittelbaren Gegenstande wissenschaftlicher Erkenntnis werden kann, weil (sie) die Grenze aller möglichen Erfahrungen übersteigt"2s. Gleichwohl sind sie nicht etwa Phantastereien, sondern notwendige Ordnungsprinzipien 26 . Eine dieser Ideen ist die einer transzendentalen Weltwissenschaft (cosmologia rationalis)27, mit der die Vernunft versucht, eine absolute Einheit der Reihe der Bedingungen einer Erscheinung herzustellen. Zu ihr - wie auch zu den anderen Ideen 2B - gelangt die Vernunft durch Vernunftsschlüsse, "die keine empirischen Prämissen enthalten, und vermittelst derer wir von etwas, das wir kennen, auf etwas anderes schließen, wovon wir doch keinen Begriff haben ( ... )"29. Für das Thema des Freiheitsbegriffs bei Kant sind nun die Vernunftsschlüsse wichtig, die die "unbedingte Einheit der objektiven Bedingungen in der Erscheinung zu ihrem Inhalt machen"30. Kant behandelt sie unter dem Titel "Antinomie", d. h. Widerstreit der Gesetze 31 • Unter den insgesamt vier Antinomien zu der genannten Aufgabe ist für uns die dritte wichtig, denn in ihr wird KrV B 295/ A 236 (Hervorh. von mir). KrV B 296/ A 236f.; s. auch B 303/ A 245 f. 24 KrV B 88/ A 63 f. Es ist nicht ganz zutrefTend zu sagen, die KrV sei Kritik "im negativen Sinne" (so Beck, Kants "Kritik der praktischen Vernunft", S. 35). Sie ist Kritik im Wortsinn, indem sie durch Bestimmung eines festen Bereichs von Gewißheit einen anderen Bereich von diesem abscheidet; s. dazu auch die sehr anschaulichen Einleitungssätze zu dem Abschnitt "Von dem Grunde der Unterscheidung aller Gegenstände überhaupt in Phaenomena und Noumena", B 294fT.! A 235fT. 2S Delekat, Kant, S. 159. 26 KrV, B 383/ A 327. 27 KrV, B 391f. / A 334 f. 28 Sie sind: Idee einer transzendentalen Seelenlehre (psychologia rationalis) und einer transzendentalen Gotteserkenntnis (theologia rationalis), s. Anm. 27. 29 KrV, B 397/ A 339. 30 KrV, B 433/ A 406. 31 KrV, B 434/A 407. 22 23

B. Die Konstitution rechtlicher Freiheit

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Freiheit thematisch. Ihre ausführlichere Behandlung erscheint auch deshalb geboten, weil durch sie auch ein im Strafrecht begegnendes Mißverständnis aufgeklärt werden kann (siehe dazu unten nach Anm. 47). Die dritte Antinomie legt folgenden Gesetzeswiderstreit zugrunde: Die Thesis behauptet: "Die Kausalität nach Gesetzen der Natur ist nicht die einzige, aus welcher die Erscheinungen der Welt insgesamt abgeleitet werden können. Es ist noch eine Kausalität durch Freiheit zur Erklärung derselben anzunehmen notwendig. "32 Die Antithesis lautet: "Es ist keine Freiheit, sondern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Natur. "33 Kant beweist 34 die Thesis mit der Unmöglichkeit, durch die Annahme durchgehender naturgesetzlicher Kausalität im Weltganzen die in der Aufgabe geforderte Einheit im Weltverständnis herzustellen. Denn es liegt im Kausalprinzip selbst, immer auf einen vorangehenden Zustand zu verweisen und gleichsam nicht zur Ruhe zu kommen. Also muß angenommen werden, daß es eine absolute Spontanität gibt, eine Ursachenreihe selbst anzustoßen, d. h. transzendentale Freiheit. Im Beweis der Antithesis klingt schon die spätere Lösung an. Die Möglichkeit transzendentaler Freiheit hat zum Inhalt - sagt Kant -, daß es eine besondere Kausalität gibt, die selbst Kausalität anstoßen kann. Als eine solche muß sie aber mit dem anzustoßenden Kausalzusammenhang schon eine Verbindung eingehen; als transzendentale Freiheit im Sinne einer völligen Losgelöstheit jener besonderen Kausalität von den Gesetzen der Natur sei sie "ein leeres Gedankending"35. Es muß also durchgängige Kausalität angenommen werden, auch wenn dadurch ein immerwährendes höhersteigendes Suchen nach Ursachen verbunden ist 36 • Zur Lösung des so verdeutlichten Widerspruchs erinnert Kant noch einmal an die Erkenntnisse der transzendentalen Ästhetik 37 : Die Gegenstände der Erkenntnis sind uns nicht an sich, sondern stets nur als Erscheinungen gegeben. Was immer wir über sie wissen, wissen wir durch unser Erkenntnisvermögen; keine Erkenntnis kann diesen ihr in sich gesetzten Rahmen je verlassen. Also sind auch in einem Regreß von Kausalgliedern einer Reihe diese immer als Gegenstände einer möglichen Erfahrung gedacht. In der Thesis wird diese Einschränkung gleichsam vergessen, denn nur dann kann eine Ursachenreihe als vollständig angesehen werden, wenn man das 32 KrV, B 472, 474 j A 444, 446. Ausführliche Darstellung bei Heimsoeth, Transzendentale Dialektik, Bd. 11, S. 237fT., 329fT. 33 KrV, B 473 jA 445. 34 Zum folgenden KrV, B 472 fT. jA 445ff. 35 KrV, B 475jA 447. 36 Ausführliche, auch philosophiegeschichtliche Einordnung der 3. Antinomie bei Delekat, Kant, S. 196-202. S. ferner Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 163ff., 180ff.; Beck, Kritik der praktischen Vernunft, S. 33 fT., 175 ff. 37 KrV, B 518fT.jA 490ff.

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2. Teil: Begründung des Unrechts des Versuchs

einzelne Bedingte (die Wirkung) als Ding an sich ansieht; nur dann ist mit ihm auch die ganze Reihe seiner Bedingungen gegeben 38 • Fassen wir es aber als solches auf, wie es uns notwendig in der Erfahrung begegnet, dann kommt nicht nur der zeitliche Sukzess der Reihe hinzu (indem wir sie nun als in der Zeit ablaufende Reihe vorstellen müssen), sondern es holen uns auch die Gesetze unseres Verstandes ein: Solche Gegenstände sind immer Erscheinungen für uns, sie setzen mithin wenigstens mögliche Erfahrungen voraus. Die Antithesis muß daher - weil am empirischen Verstandesgebrauch orientiert - wahr sein. Nur die Antithesis wird der Forderung der (theoretischen) Vernunft nach Einheitsstiftung gerecht. Immerhin kann aber soviel gesagt weren: Sie gibt kein konstitutives Prinzip der Erfahrung wieder (so daß ihr niemals etwas Gegebenes in der Erfahrung entsprechen wird), sondern kann nur ein regulatives Prinzip der Erfahrung sein 39 , d.h. die Richtung der Erkenntnisbemühungen angeben. Die schließliche Lösung des Widerstreits ist bemerkenswert, denn Kant verknotet gleichsam beide Gedankenstränge im Subjekt40 • Die Antithesis ist wahr, weil sie der Konstitution des Verstandes entspricht. Die Thesis immerhin verweist auf eine Idee der Vernunft (Freiheit), mit der jene Einheit geschaffen wird, die der Verstand alleine nicht leisten kann. Unter Freiheit wird dabei hier die Freiheit im kosmologischen Sinne gefaßt 41 , d. h. das Vermögen, einen Kausalzusammenhang von selbst anzustoßen. Das Subjekt eines solchen Eingriffs in den Weltzusammenhang - als innerweltliches Subjekt (Mensch) verstanden 42 - zeichnet es aus, daß es einerseits selbst dem Reich des Beobachtbaren zugehört und daher empirisch bestimmbare Kausalreihen gewissermaßen durch es hindurchlaufen; andererseits aber - und das ergibt sich schon aus der transzendentalen Deduktion der Kategorien, d. h. einer Erkenntnis des Verstandes als nicht-sinnlich affizierter Erkenntnis 43 - ist es intelligibles (nicht-sinnliches) Wesen; als solches (als homo noumenon) ist es empirisch unbedingt und damit frei. So kann verständlich gemacht werden, daß das Subjekt einerseits unter die Naturgesetze fällt, andererseits aber aus einem Bereich, der ihnen entzogen ist, auf sie einwirkt. Mit dieser Lösung der Antinomie ist kein positiver Beweis von Freiheit verbunden, wie Kant selbst an mehreren Stellen hervorhebt 44 und wie es auch KrV, B 525ff./A 497ff. KrV, B 537/ A 509. 40 s. auch Kritik der praktischen Vernunft (KpV), A 10, Anmerkung. 41 KrV, B 562/ A 533. 42 Das ist nicht selbstverständlich, denn die kosmologische Freiheit verweist zunächst auf Gott als ein "prima causa mundi"; s. dazu Delekat, Kant, S. 196ff. 43 Vgl. KrV, B 574/ A 547. 44 s. vor allem KrV, B 585f./A 557f., s. auch B 310f./A 255: "Der Begriff eines Noumenon ist aber bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche." Und weiter: "Die Einteilung der Gegenstände in Phaenomena und Noumena, und der Welt in eine Sinnes- und 38

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B. Die Konstitution rechtlicher Freiheit

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nach der Konstruktion der Vernunfterkenntnis, die aus Verstandeserkenntnis aufsteigt, nicht anders sein kann. Es verbleibt ein Zwiespalt in der Beurteilung einer Handlung, von der Kant sagt, daß sie einerseits vollständig nach Gesetzen der Natur beurteilt werden kann, andererseits als rein vernunftbestimmt zu betrachten ist 45 , und man kann auch fragen, ob es Kant später gelungen ist, diese fundamentale Trennung von so bestimmter Subjektivität und Welt ganz aufzuheben 46 • Dabei darf man aber nicht übersehen, daß für die Möglichkeit von Freiheit mit der dritten Antinomie der Kritik der reinen Vernunft ein entscheidender Schritt geleistet ist, der auch rechtsphilosophisch von unmittelbarem Ergebnis ist. Mit ihr ist nämlich zweierlei klargelegt. Zum einen liegt es nicht in der gedanklichen Reichweite einer Erklärung der Welt als nach Gesetzen der Kausalität ablaufender Vorgang, Freiheit auszuschließen; sie muß immer wenigstens als denkbar angenommen werden 47 • Und zweitens wird eine Betrachtung der Welt handelnder Subjekte als eine Summe von Kausalbeziehungen notwendig deshalb unvollkommen bleiben, weil sie nicht auf die Konstitutionsbedingungen dieser Betrachtung selbst reflektiert. Sie gibt damit eine beschränkte Wahrheit (denn die einzelnen sind unaufuebbar auch Naturwesen) als die ganze Wahrheit aus. Beließe man es bei der beschränkten Wahrheit der Kausalitätsreihe, so verlöre man jede Möglichkeit, im Denken haltzumachen und damit sich selbst erst zu verstehen. Das aber ist der erste und notwendige Schritt, um zu einem Verständnis der anderen Subjekte zu gelangen. Eine besondere Leistung dieses Aufweises von Freiheit liegt darin, daß Kant ihn aus den Bedingungen des Denkens des Einzelnen selbst ableitet; die Freiheit zeigt sich damit schon in diesem ersten vorläufigen Schritt als etwas, das der Einzelne im Denken auf sich nehmen muß48. Die Brücke zu einer positiven Bestimmung von Freiheit schlägt Kant in der Kritik der reinen Vernunft selbst. Denn offensichtlich muß Teil der Freiheit die Unabhängigkeit von naturgesetzlich bestimmten Abläufen sein. Damit verweist die transzendentale Idee der Freiheit (der Kritik der reinen Vernunft) als Verstandeswelt kann daher in positiver Bedeutung gar nicht zugelassen werden" (a. a. 0., hervorgehobener Zusatz von B). - Vgl. auch Köhler, Bewußte Fahrlässigkeit, S. 158ff. 4S s. etwa KrV, B 577ff./A 549ff. und das Beispiel B 582ff./A 554ff. 46 s. dazu auch Forschner, Gesetz und Freiheit, S. 201 ff. und Köhler, Bewußte Fahrlässigkeit, S. 173 f. 47 Der Gehalt von Kants Argumentation reicht daher weiter als bis zum sog. "Erkenntnisargument" von Freiheit (wonach schon die Tatsache der Möglichkeit der Distanzierung von Subjekt und Objekt im Erkennen ein Aufweis der Freiheit sein soll); s. dazu Köhler, Bewußte Fahrlässigkeit, S. 166f. m. Anm.7, 8. 48 Die herablassende Kritik Hegels gerade an den Antinomien - vgl. etwa Enzyklopädie 1830, § 48, s. auch Logik I, S. 183ff. - verdeckt nur allzuleicht, daß Kant mit der Selbst beschränkung des Denkens diesem auch einen Gewinn verschafft und nicht halbherzig auf umfassendere Einsichten verzichtet hat. Auf Hegels abweichende Position wird erst bei den eigentlichen rechtsphilosophischen Bestimmungen eingegangen.

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2. Teil: Begründung des Unrechts des Versuchs

Ausdruck eines Unbedingten schon auf jene praktische Freiheit, die es positiv zu begründen gilt 49 • Und Kant benennt auch schon in der Kritik der reinen Vernunft das Phänomen des Sollens, an dem sich zeigt, daß die Vernunft beansprucht, Kausalität zu haben SO. b) Kant behandelt das Problem menschlicher Freiheit vornehmlich in zwei Schriften und dabei auf methodisch unterschiedliche Weise: während die "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" (1785) den Leser gleichsam an die Hand nimmt und ihn Stufe um Stufe zur Einsicht in die Gesetzlichkeiten praktischer Vernunft führt, setzt die "Kritik der praktischen Vernunft" (1788) mit systematischer Geschlossenheit an der höchsten Stufe mit einer "Analytik der reinen praktischen Vernunft" an Sl • Beiden Werken gemeinsam ist eine gegenüber der Kritik der reinen Vernunft erweiterte Perspektive 52. Dort fand das Denken Halt in den Erscheinungen der äußeren Welt; aus diesem Grund konnte sich reine theoretische Vernunft auch nur problematisch (in ihren Ideen) von dieser Verankerung lösen. Nunmehr geht es um das Problem des HandeIns, also des Hineinwirkens in die äußere Welt der Erscheinungen. Es geht also um die Frage, wie das Denken aus sich heraus gehen und die Welt nach seinem Bild ordnen kann s3 • Schon von daher wird klar, daß für die Erkenntnis der Prinzipien jenes Vermögens (Praxis) die Materie seiner Wirksamkeit keine alleinige konstitutive Bedeutung haben kann, geht es doch gerade um ein sie übergreifendes Vermögen. Daß überhaupt menschliches Handeln ursprünglich Kausalreihen anstoßen kann, ist eine nicht wegzuleugnende Tatsache, die jeder kennt: Ich kann jetzt aufstehen und mir Essen zubereiten, kann aber auch weiter in einem Buch lesen etc.; die jeweils ganz unterschiedlichen Änderungen in der Welt der Erscheinungen weiß ich als allein von meinem Entschluß abhängig. Nun ist damit noch nicht geklärt, ob dieses Anheben einer Kausalreihe nicht bloß seinerseits wieder kausal bedingt war. Gegenüber diesem Einwand hatte jedoch Kant - wie oben dargestellt - schon in der Kritik der reinen Vernunft gezeigt, daß sein genaues Gegenteil (Freiheit) mit ihm keineswegs widerlegt ist. Hinzu kommt aber, daß ein Verharren des Denkens in dieser Alternative eine Beschränkung in der ihm möglichen Aufhellung des Phänomens (nämlich des Grund-Seins für eine Kausalreihe) bedeutet. Das zeigt sich schon daran, daß in der Alternative 49 Vgl. KrV, B 561/ A 533: "Es ist überaus merkwürdig, daß auf diese transzendentale Idee der Freiheit sich der praktische BegrifT derselben gründe, und jene in dieser das eigentliche Moment der Schwierigkeiten ausmache, welche die Frage über ihre Möglichkeit von jeher umgeben haben." 50 KrV, B 575fT./ A 547fT. 51 KpV, A 35fT. 52 Zur philosophiegeschichtlichen Einordnung beider Schriften s. Delekat, Kant, S. 255 fT. - Zur Philosophiegeschichte vor Kant, geschrieben im Blick auf seine philosophische Leistung, s. auch Böckerstette, Aporien der Freiheit und ihre Auflösung durch Kant, S. 15 - 203. 53 s. dazu auch KpV, A 77fT.

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Freiheit einerseits zu weit bestimmt ist (sie muß letztlich bis zur "kosmologischen Freiheit" erhoben werden), andererseits zu reduziert (denn Freiheit als "Anstoß einer Kausalreihe" begriffen gibt jedenfalls das Selbstverständnis menschlicher Handlungsmöglichkeit unangemessen wieder). Oder anders gesagt: Bleibt man in jenem Gegensatz, so begibt man sich der Möglichkeit, die Scheinalternative DeterminismusJIndeterminismus 54 hinter sich zu lassen. Diese Möglichkeit ist nicht erträumt, sondern baut darauf auf, daß die Alternative in der scheinbaren Unversöhnlichkeit ihrer Glieder eine Alternative theoretischer Betrachtung ist. Schon daraus ergibt sich, daß sie der Eigenart menschlichen Handeins, in dem immer auch ein selbstreflexives und damit aller theoretischen Betrachtung vorausliegendes Element steckt, nicht gerecht werden kann. So ist auch die erste Bestimmung praktischer Freiheit in der Kritik der reinen Vernunft noch negativ: "Unabhängigkeit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit."55 Immerhin ist mit dem Begriff "Willkür" gewissermaßen eine Wegweisung für weitergehende Überlegungen gegeben. "Willkür" definiert Kant 56 später als ein Vermögen, nach Belieben zu tun oder zu lassen, das verbunden ist mit dem Bewußtsein, durch eigene Handlung das Gewählte hervorzubringen 57. Auch diese Bestimmung von Freiheit im Sinne von Wahlfreiheit läßt sich an eigenem Erleben aufzeigen; es ist zu vermuten, das sie auch einem geläufigen Verständnis von Freiheit entspricht 58 • Doch muß man sie nicht scholastisch auf die Spitze treiben 59, um zu erfassen, daß damit die gestellte Aufgabe (wie Vernunft selbst praktisch werden kann) noch nicht gelöst sein kann. Nicht die Indifferenz zwischen zwei Möglichkeiten kann Freiheit im positiven Sinne sein, sondern der gesuchte Begriffmuß einen Vernunftgrund für die Entscheidung enthalten, angeben, warum ich dies tue und nicht das andere. Dazu auch Köhler, Bewußte Fahrlässigkeit, S. 169f. KrV, B 562jA 534. 56 Zur Verwendung der Begriffe "Wille" und "Willkür" bei Kant und seinen unmittelbaren Vorläufern s. Beck, Kritik der praktischen Vernunft, S. 170f. und Anm. 1 (S. 287). Daß in der MdS allerdings Kant die Willkür auf die Wahlfreiheit reduziere, wie Beck schreibt (S. 171), ist ungenau; s. dazu MdS, AB 5 und unten (b. FN 122f.); s. auch Beck selbst, S. 187 m. Anm. 66 (S. 291). 57 MdS, Einleitung, AB 5. Hierzu und zum folgenden E.A. Wo/ff. Kausalität von Tun und Unterlassen, S. 62ff. 58 s. Köhler, Bewußte Fahrlässigkeit, S. 172ff. Zur Wahlfreiheit vgl. auch Windelband, Über Willensfreiheit, S. 32ff. 59 s. Windelband, Über Willensfreiheit, S. 50: "In der Geschichte des Problems der Willensfreiheit geht ein mythisches Tier um. Sein Ursprung ist unbekannt, denn in den Schriften des Scholastikers, nach welchem es heißt - Johannes Buridan - findet es sich nicht. Aber in der Literatur spukt diese Erscheinung oft, immer in derselben Lage. Ein Esel ist's, der zwischen zwei gleich weit entfernten, gleich großen, gleich duftigen Heubündeln steht und hungert - hungert, weil er kein Motiv hat, das eine Bündel vor dem anderen anzubeißen. Nun, in solcher Lage verhungern, das mag wohl das Schicksal des metaphysischen Esels sein: der wirkliche Esel ist klüger - er frißt alle beide, eins um das andere." 54

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Jedenfalls ist man an dieser Stelle schon so weit, feststellen zu können, daß der Bestimmungsgrund der Handlung im Einzelnen selbst liegen muß. Eine heteronome Bestimmung der Handlungen würde weder den bereits beschriebenen Stufen des Selbstbewußtseins gerecht werden, noch könnte sie auf das gestellte Problem eine befriedigende Antwort geben. Denn wenn die Vernunft durch das je einzelne vernünftige Wesen soll praktisch werden können, dann muß im Einzelnen jeweils selbst die Stelle liegen, die die Verbindung zwischen dem Handeln und dessen Vernünftigkeit leistet. Jenseits allen argumentativen Abweises von Heteronomie sonst (dazu gleich im Text) ist daher mit dem Aufwerfen des Problems - vor allem auf dem Hintergrund der Kritik der reinen Vernunft - ein Teil der Antwort schon geleistet. Nicht der bestimmte (im Sinne von: entschlossene) Wille allein kann es nun sein, der - als Basis der Handlung - diese zu einer freiheitlichen macht, d. h. Freiheit besteht nicht schon darin, sich bewußt für die Aktion A zu entscheiden OO • Ein vernünftiger Wille bedarf offenbar eines Maßes und der Maßstab muß in der Vernunft selbst liegen. Wie er sich geltend macht, beschreibt Kant am Phänomen des Sollens an einer berühmten Stelle der Kritik der praktischen Vernunft: "Setzet, daß jemand von seiner wollüstigen Neigung vorgibt, sie sei, wenn ihm der beliebte Gegenstand und die Gelegenheit dazu vorkämen, für ihn ganz unwiderstehlich: Ob, wenn ein Galgen vor dem Hause, da er diese Gelegenheit trifft, aufgerichtet wäre, um ihn sogleich nach genossener Wollust daran zu knüpfen, er alsdenn nicht seine Neigung bezwingen würde. Man darf nicht lange raten, was er antworten würde. Fragt ihn aber, ob, wenn sein Fürst ihm, unter Androhung derselben unverzögerten Todesstrafe, zumutete, ein falsches Zeugnis wider einen ehrlichen Mann, den er gerne unter scheinbaren Vorwänden verderben möchte, abzulegen, ob er da, so groß auch seine Liebe zum Leben sein mag, sie wohl zu überwinden für möglich halte. Ob er es tun würde, oder nicht, wird er vielleicht sich nicht getrauen zu versichern; daß es ihm aber möglich sei, muß er ohne Bedenken einräumen."61 Untersucht man dieses Phänomen näher, gelangt man auf diesem Weg zu einem Vernunftgrund der Willensbestimmung. Im Sollen spricht sich nicht nur der negative Begriff der Freiheit aus (indem ich erlebe, daß nicht meine Neigungen und Triebe mich fortreißen, ich vielmehr Distanz zu ihnen habe), sondern es findet auch eine inhaltliche Ausrichtung statt: Im zitierten Beispiel weiß der zum falschen Zeugnis Aufgeforderte, daß es 60 Daher genügt es nicht, Freiheit aus der Offenheit menschlichen Handeins (i. S. einer Nichterkennbarkeit zukünftigen Tuns) abzuleiten (Kennzeichnung dieser Meinung bei Pothast, Unzulänglichkeit der Freiheitsbeweise, S. 177 ff.). Denn dieser Standpunkt bleibt nur negativ, gibt er doch kein Maß dafür, wie der Einzelne denn nun im Angesicht der Offenheit seines Tuns konkret handeln soll. Es bleibt deshalb die bloße Entschlossenheit selbst übrig. Das bedeutet aber ein Wegschieben des Freiheitsproblems in einen unendlichen Progreß: bestimmbar ist immer nur die geschehene Handlung, nicht die zukünftige. 61 KpV, A 54.

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richtig ist, der Aufforderung zu widerstehen. Erbracht wird damit über meine egoistische Perspektive hinaus eine den Anderen mit umfassende Leistung des Willens - und unabhängig von der Frage, ob ich die geforderte Handlung auch wirklich vollbringe, liegt doch jene Leistung vor. Möglich ist sie auf einer ersten Stufe 62 dadurch, daß der Wille nur überhaupt subjektiv gerichtet ist, und zwar durch subjektive Bestimmungen oder Maximen. In ihnen wird der Inhalt einer Handlung gleichsam in einem ersten Schritt zu einer subjektiven (für mich geltenden) Allgemeinheit erhoben, indem er auf sein innewohnendes Prinzip untersucht und damit als in einem ersten umfassenden Sinne selbst gesetzt begriffen wird. So läß sich etwa das Behalten eines entliehenen Gegenstandes auf den Grundsatz zurückführen, sein eigenes Vermögen durch alle tauglichen Mittel zu vermehren; es kommt also auf dieser Stufe noch nicht auf den moralischen Gehalt der Maxime an. Sie wird erst auf der zweiten Stufe von Kants Argumentation thematisch. Kant fragt nach objektiven Bestimmungsgründen des Willens, d. h. solchen mit Verbindlichkeit für alle vernünftigen Wesen. Kant nennt sie Imperative und teilt sie in hypothetische (bedingte) und kategorische (unbedingte). Bedingt heißen die ersteren, weil sie den Willen auf einen vorausgesetzten Zweck hin ausrichten, mithin durch diesen Zweck bedingt sind; will ich ein Haus bauen, muß ich die Regeln der Baukunst einhalten, soll das Haus nicht einstürzen. Der kategorische Imperativ (es ist nur ein einziger) dagegen gebietet unbedingt. Er stellt gewissermaßen die begriffiiche Form des im Sollen vernommenen Aufrufs der Vernunft dar und Kant zeigt in einzelnen Schritten, weshalb dieser Imperativ unbedingt gebieten muß. Denn sobald einzelne Zwecke (etwa die Glückseligkeit des Einzelnen oder vieler Einzelner) zu letztgültigen Bestimmungsgründen des Willens werden, maßt sich der Einzelne für die praktische Entscheidung nicht nur ein Wissen an, das er gar nicht besitzen kann 63 • Er liefert sich zudem der Zufälligkeit dieser Zwecke aus. Sie mögen ihm oder anderen gegeben sein oder nicht, erreichbar sein oder nicht: stets würde die Vernunft von ihnen gezogen und bestimmt, ohne selbst für sich praktisch zu werden, also die Zwecke an sich (der Vernunft) auszurichten 64 . Nur wenn die Vernunft in ihrem Grundgesetz für 62 Vgl. zum folgenden KpV, A 36f.; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (GMS), BA 36ff. 63 s. GMS, BA 46/47: "Nun ist's unmöglich, daß das einsehendste und zugleich allervermögendste, aber doch endliche Wesen sich einen bestimmten Begriff von dem mache, was er hier eigentlich wolle. Will er Reichtum, wie viel Sorge, Neid und Nachstellung könnte er sich dadurch nicht auf den Hals ziehen. Will er viel Erkenntnis und Einsicht, vielleicht könnte das ein nur um desto schärferes Auge werden, um die Übel, die sich für ihn jetzt noch verbergen und doch nicht vermieden werden können, ihm nur um desto schrecklicher zu zeigen, oder seinen Begierden, die ihm schon genug zu schaffen machen, noch mehr Bedürfnisse aufzubürden." 64 In dieser Einschätzung ist Kant auch sein Kritiker Sehe/er gefolgt, vgl. Formalismus, S. 32ff. Freilich verlor Sehe/er dann den Grund dieser Argumentation Kants aus den Augen, und indem er vorgab, praktische Vernunft nur zu materialisieren, lieferte er die Selbstbestimmung des einzelnen der Hierarchie der Werte aus; sehr deutlich etwa Formalismus, S. 47f., 486ff.

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das Handeln von den Befindlichkeiten des je Einzelnen absieht, ermöglicht sie prinzipiell ein Beieinanderstehen der Vielen, die ja gerade in ihrer Bedürfnisstruktur auf eine endliche Welt treffen, wodurch die Notwendigkeit von deren Aufteilung (und damit ein jenseits ihrer selbst liegendes Prinzip) deutlich wird 6s . Kant zeigt nun weiter, daß der kategorische Imperativ - eben weil er ohne jeden materialen Bestimmungsgrund gebieten muß - nur der Form nach den Willen bestimmen kann 66 • Das Ergebnis dieser Schritte ist dann die bekannte Formel des kategorischen Imperativs: "Handele so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne. "67 Kant bezeichnet das Bewußtsein dieses Sittengesetzes - das er für unleugbar hält 68 - als ein "Faktum der Vernunft"69; die Vernunft kündigt sich in ihm als ursprünglich gesetzgebend an. Der große Gewinn dieses Aufweises von Freiheit liegt darin, daß Freiheit nicht als etwas Gegenständliches behauptet wird, sondern auf eine von jedem Einzelnen zu erbringende Leistung aufbaut. Entsprechend leugnet Kant, daß Freiheit in reiner Form erkennbar sepo. Vielmehr erscheint sie uns lediglich im kategorischen Imperativ; Freiheit und moralisches Gesetz weisen wechselweise aufeinander; die Freiheit ist "die ratio essendi des moralischen Gesetzes, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit ( ... )"71. Wenn sich aber die Freiheit in einem für jeden erlebbaren Phänomen zeigt - das uns gedanklich unaufgelöst zunächst als Sollen erscheint -, so ergibt sich daraus in einem ersten Schritt ein wichtiges Element rechtlicher Freiheit. Die Wirklichkeit freiheitlichen Daseins ist nicht gleichsam im Zugriff unmittelbar herstellbar, indem etwa einige wenige Freiheit für alle anderen "schaffen", sondern nur als Produkt einer von allen erbrachten Leistung. Der kategorische Imperativ ist damit die Basis von Autonomie (da er die Leistung unabweisbar dem Einzelnen auferlegt) und zudem der Grund für die Verwirklichung allgemeiner Freiheit 65 s. KpV, A 51. Kant zitiert zur Illustration "ein gewisses Spottgedicht auf die Seeleneintracht zweier sich zu Grunde richtender Eheleute: ,,( ... ) 0 wundervolle Harmonie, was er will, will auch sie ( ... )". - Bei Hobbes ist es dieses Argument, das den Naturzustand kennzeichnet und gleichzeitig zwingt, ihn zu verlassen; s. Leviathan, 13. Kap., 17 Kap. Zum ganzen auch Köhler. Bewußte Fahrlässigkeit, S. 168. 66 Vgl. Kp V, A 48 ff. - Auf die an jenem angeblichen "Formalismus" geäußerte Kritik wird noch einzugehen sein. 67 KpV, A 54. Zu anderen Formulierungen s. Paton. Kategorischer Imperativ, S. 152f. 68 KpV, A 56. 69 KpV, A 56. Hermann Krings. Die systematische Struktur der Normbegründung, S. 638, will dabei "Faktum" als "im Sinne eines in transzendentaler Aktualität generierten Faktums" und nicht als ein mit der Vernunftnatur gegebenen Faktums verstehen. Dabei fragt sich jedoch, ob diesem Verständnis nicht bereits notwendig Fichtes Erweiterung des Kantischen Ansatzes zugrundeliegt. Dazu s. später im Text. 70 KpV, A 52f. 71 KpV, A 5, Anm. S. dazu auch Böckerstette. Aporien, S. 310ff.; Walter Schulz. Philosophie in der veränderten Welt, S 701 f.

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(denn ihr Dasein ist in seiner Formel der Richtpunkt der Sollensanforderung). Es ist also dem Einzelnen gegeben, sich zur Freiheit zu erheben, und dies gelingt ihm nur, wenn er sein Handeln in eine Gemeinschaft mit anderen Vernünftigen einordnen kann. Dabei ist das keine heroische Tat - worauf auch Kant immer wieder hinweist 72 - , sondern liegt alltäglichem, als "richtig" verstandenem Handeln zugrunde. Die Richtigkeit dieser Einschätzung kann dabei übrigens nicht nur am Phänomen eigenen Erlebens eines Sollens (siehe schon oben das Beispiel des falschen Zeugnisses) aufgewiesen werden, sondern gerade auch aus der Sicht der Anderen. Denn nur eine Praxisvernunft wie die von Kant beschriebene kann der Grund für Vertrauen der Anderen sein. Wäre das Verhalten der Einzelnen den Gründen eigener Glückseligkeit ausgeliefert, wäre das nicht möglich. Auch dies erläutert Kant an einem Beispiel: " . . . setzet, es empfehle euch jemand einen Mann zum Haushalter, dem ihr alle eure Angelegenheiten blindlings anvertrauen könnet, und, um euch Zutrauen einzuflößen, rühmete er ihn als einen klugen Menschen, der sich auf seinen eigenen Vorteil meisterhaft verstehe, auch als einen rastlos wirksamen, der keine Gelegenheit dazu ungenützt vorbeigehen ließe, endlich, damit auch ja nicht Besorgnisse wegen eines pöbelhaften Eigennutzes desselben im Wege stünden, rühmete er, wie er recht fein zu leben verstünde, nicht im Geldsammeln oder brutaler Üppigkeit, sondern in der Erweiterung seiner Kenntnisse, einem wohlgewählten belehrenden Umgange, selbst im Wohltun der Dürftigen, sein Vergnügen suchte, übrigens aber wegen der Mittel (die doch ihren Wert oder Unwert nur vom Zwecke entlehnen) nicht bedenklich wäre, und fremdes Geld und Gut ihm hierzu, sobald er nur wisse, daß er es unentdeckt und ungehindert tun könne, so gut wie sein eigenes wäre: So würdet ihr entweder glauben, der Empfehlende habe euch zum besten, ober er habe den Verstand verloren. "73 Da Kant die Freiheit mit dem Dasein des Einzelnen als eines Vernünftigen in eins setzt, ist dieser Freiheitsbegriff jedenfalls seiner gedanklichen Konsequenz nach nur als sich innerweltlich verwirklichend zu begreifen. Damit muß er (wenn auch über zusätzliche gedankliche Vermittlungsschritte) notwendig über die Bedeutung für die Person auch Bedeutung für das Recht erlangen. Die Rechtsbegründung muß notwendig an der autonomen Person als solcher ansetzen 74. s. etwa KpV, A 277; GMS, BA 34. KpV, A 62f. 74 s. dazu auch E.A. Wo/ff. ZStW 97 (1985), 786fT. (806fT.); Michael Köhler, Bewußte Fahrlässigkeit, S. 178fT.; ders., Der BegrifT der Strafe, bes. S. 44fT. - In seinem Beitrag "Die praktische Ohnmacht der reinen Vernunft" (Neue Hefte für Philosophie, 22, S. 1 fT.) leugnet Oswald Schwemmer den mit diesem Autonomieansatz verbundenen Wirklichkeitsbezug von Kants Ethik; letztlich verbleibe nach ihr alles in der Innenwelt des Handelnden (s. etwa S. 15). Wenn auch nicht zu bestreiten ist, daß Kant mit dem "Erscheinen" der Freiheit Schwierigkeiten hat (dazu noch im Text), kann doch andererseits kaum angenommen werden, er verstehe unter Handeln ausschließlich die Innensicht von Praxis, geht es ihm doch in der praktischen Philosophie um die Kausalität (!) von Freiheit. Schwemmer übersieht, daß Kant bei der Suche nach Bestimmungsgründen des Handeins 72 73

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c) Bevor diese aus dem Kategorischen Imperativ selbst sich ergebende Konsequenz näher untersucht wird, sollen zunächst beispielhaft zwei Einwände gegen Kants praktische Philosophie diskutiert werden. Es handelt sich zum einen um eine mehr politisch inspirierte Kritik (Adorno), zum anderen um diemit der ersten zusammenhängende - "Formalismus"-Kritik, die wohl am häufigsten gegenüber Kant geäußert wurde. (1) Adorno wirft Kant vornehmlich zweierlei vor: Einerseits trenne er die (reine) praktische Vernunft von der Materie ihres Wirkens 7s , andererseits verkenne Kant, daß über das für den Kategorischen Imperativ so bedeutsame "allgemeine Gesetz" gesellschaftlich verfestigte Realität repressiv auf Autonomie einwirke und diese damit vernichte. Das beiden Argumenten gleichermaßen zugrundeliegende Mißverständnis läßt sich deutlicher zeigen, wenn man sie vor ein positives Verständnis von Kant hält. Dabei soll zunächst gar nicht abgestritten werden, daß Kant in seiner praktischen Philosophie notwendig mit der Schwierigkeit konfrontiert wird, empirische und intelligible Welt - in der Kritik der reinen Vernunft so fundamental geschieden - zusammendenken zu müssen, denn Freiheit muß erscheinen können. Aber diese Schwierigkeiten stehen am Ende seiner Überlegungen zur Freiheit, nicht an deren Anfang; und das läßt darauf hoffen, daß sie gleichwohl auf der von Kant geleisteten Grundlegung zu lösen sind. Das ist keineswegs eine gleichgültige Unterscheidung. Schon oben im Text wurde bemerkt, daß Kants Überlegungen zur menschlichen Freiheit am erleb baren Phänomen des Sich-selbst-bestimmenKönnens ansetzen; damit haben sie aber immer schon eine "ganze" Person zum Ausgangspunkt. Das zeigt sich auch daran, daß Kant etwa die Bedeutung der Glückseligkeit für die Einzelnen stets betont16 • Die von Adorno (wie auch z. B. von Schwemmer 77 ) so mißbilligte "Reinheit" der praktischen Vernunft kommt dadurch zustande, daß Kant das Schwergewicht seiner Erörterungen auf den Bestimmungsgrund von Handlungen legt und es dabei unternimmt, den Bestimmungsgrund von jedem empirischen Einfluß freizuhalten. Das heißt aber keineswegs, daß Kant die Seite der Realisation dieses Willens vergäße, geht es ihm doch gerade um die Verwirklichung von Vernunft. Hinzu kommt: Auch mir als empirischem Einzelnen tritt ein vom Kategorischen Imperativ bestimmter Wille nicht gleichsam fremd gegenüber, unirdisch rein, sondern es bleibt mein eigener Wille (freilich nicht betrachtet als versenkt in Alltäglichkeiten, sondern analysiert bis auf seinen Grund). Hält man dies fest, dann relativiert sich auch die angebliche Repressivität des Kategorischen Imperativs. Zum einen bestimmt Kant ihn nicht so, daß das doch dieses selbst nicht vergiBt. S. dazu auch Paton, Kategorischer Imperativ, S. 80f.; Kaulbach, Handlung, S. 200f. 7S Negative Dialektik (ND), etwa S. 212, 222. 76 s. etwa Anm. II zu § 3 der KpV, A 46ff; s. auch A 223ff. und GMS, BA 11f. 77 s. o. Anm. 74.

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empirische Ich von einem ihm fremden Gesetz heteronom zum Handeln getrieben würde, sondern so, daß das empirische Ich sich selbst zu ihm erhebt und über diese Bewegung zur Freiheit gelangt. Zum anderen ist es ein von Adorno viel zu schnell unternommener Schritt, von der (zudem bei ihm noch unzureichend aufgeklärten) Autonomie des Einzelnen zu einer "bestehenden Gesellschaft" überzugehen 78, die wesentlich als Klassengesellschaft begriffen wird. Gerade der Soziologe könnte von seiner Profession her ein unmittelbares Verständnis dafür haben, daß aufgrund der Wechselwirkung des Einzelnen mit Anderen seine Autonomie sich nicht gleichsam "rein" im sozialen Zusammenhang wiederfinden kann. Man muß dann aber bei der Beurteilung Kants auch die einzelnen Vermittlungsschritte heranziehen, die Kant in seiner Rechtslehre unternimmt, um den Kategorischen Imperativ in die Sozialität hinein zu verlängern. Adorno unternimmt dies nicht. Seine Kritik leidet deshalb daran, daß sie einen ausschließlich am Einzelnen entwickelten hochdifferenzierten Begriffvon Autonomie einem eher plakativen Begriffvon Gesellschaft konfrontiert und glaubt, damit das Ungenügen von Kants Freiheitsbegriff gezeigt zu haben 79 . (2) In Adornos Kritik klingt aber einer der zentralen und besser ausgearbeiteten Einwände gegen Kants Ethik an, der schon von Hegel vorgebracht wurde 80 und den dieser gleichsam systematisch in der "Philosophie des Rechts" zu überwinden glaubte: der Einwand des Formalismus der Kantischen EthiksI. Mann kann ihn wohl kaum so wie Paton zurückweisen: Wenn ein Philosoph wie Kant sehr fundamental über Moralität nachdenke, so entstehe eben eine "abstrakte philosophische Analyse des moralisch Guten"S2. Denn der Einwand ist ganz unabhängig von der Abstraktionshöhe des Nachdenkens über Moralität formuliert; er zielt vielmehr allein auf das Ergebnis von Kants Bemühungen: den Kategorischen Imperativ. Daher ist die Frage nach der Berechtigung dieser Kritik identisch mit der Frage nach der richtigen Bestimmung von Autonomie selbst. Nur dann kann ein Rechtsverständnis auf Kants Leistung aufbauen, wenn es gelingt darzulegen, daß diese Kritik unberechtigt ist. Vgl. etwa ND, S. 279. Bemerkenswert ist, daß dieses schiefe Verhältnis auch einer positiven Bestimmung von Freiheit bei Adorno selbst im Wege steht. Er meint (ND S.260): "Wäre der Produktions- und Reproduktionsprozeß der Gesellschaft den Subjekten transparent und von ihnen bestimmt, so würden sie auch nicht mehr von den ominösen Lebensstürmen hinund hergeworfen." Oder: "Vielleicht wären freie Menschen auch vom Willen befreit ( ... )" (ND, S.261). Nun plötzlich wird der Tatsache der Vermittlung überhaupt keine Bedeutung mehr zugemessen, und Freiheit bekommt Züge des Lyrischen. An keiner Stelle seiner Schriften war Kant je so weltfremd wie der Soziologe aus unserem Jahrhundert hier. 80 s. Behandlungsarten des Naturrechts, Werke Bd. 2, 459 tT. RPhil., § 135. Zu Hegels Kant-Kritik auch Andreas Wildt, Autonomie und Anerkennung, S.44tT. m. w. Nachw. 81 Dazu auch E.A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 809 m. Anm. 59. 82 Kategorischer Imperativ, S. 77. 78

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In den "Behandlungsarten des Naturrechts" schreibt Hegel 83 , durch den Kategorischen Imperativ könne man nicht zu einer inhaltlichen Erkenntnis dessen gelangen, was Recht und Pflicht sei. Denn in ihm träfe ein inhaltlich Bestimmtes (die einzelne Maxime) mit einem formalen, reinen Prinzip (ihrer Verallgemeinerbarkeit) zusammen; ein solches Prinzip könne aber - soll es nur "rein" bleiben - eine bestimmte Einzelheit nicht zur bestimmten Allgemeinheit erheben, sondern nur zur formalen. Außerdem wendet Hegel ein, einer jeden Bestimmtheit (als solcher genommen) stehe die ihr entgegengesetzte gegenüber, und es bleibe ganz zufällig, welche denn nun auf ihre Verallgemeinerbarkeit untersucht werde. Das führt Hegel später in der Rechtsphilosphie zu dem Satz: "Im Gegenteil kann alle unrechtliche und unmoralische Handlungsweise auf diese Weise gerechtfertigt werden. "84 Hegel demonstriert diesen Einwand an dem bekannten Beispiel aus der Kritik der praktischen Vernunft, das Kant folgendermaßen bildet: Jemand hat die Maxime, sein Vermögen durch alle sicheren Mittel zu vergrößern. Nun hat er ein ihm anvertrautes Gut (Depositum) in Händen, dessen Eigentümer verstorben ist; Beweismittel existieren nicht. Darf er den Besitz gegenüber den Erben ableugnen? Kant argumentiert: erhöbe ich diese Maxime zum allgemeinen Gesetz, so vernichtete sich dieses selbst, denn dann gäbe es kein Depositum mehr 8s . Fast spöttisch wendet Hegel dagegen ein: "Daß es aber gar kein Depositum gäbe, welcher Widerspruch läge darin?"86 Auf den ersten Blick ist diese Argumentation geradezu modern, gefällt sie sich doch darin, alles als möglich zu setzen und so jede Bestimmtheit gewissermaßen ihrem Gegenteil auszuliefern. Was allerdings den von Kant immer mitgemeinten Grund der Sache betriffe, nämlich die Verwirklichung von Freiheit, wollte natürlich auch Hegel selbst eine solche Beliebigkeit gerade nicht gelten lassen. Daß er aber Kants Lehre in seiner Interpretation nicht einmal die Chance gibt, diese mitgemeinten Dimensionen geltend zu machen, läß seinen Vorwurf fast hinterhältig erscheinen. Um Kant angemessen zu würdigen, muß man sich das Beispiel noch einmal näher ansehen. Kant setzt nicht abstrakt an (etwa: Ist es gut, daß es ein Depositum gibt o. ä.), sondern bezieht sich auf einen interpersonal sich abspielenden Vorgang: das Anvertrauen einer Sache. Viel zu vordergründig ist es, ein solches Geschehen unter der Alternative zu betrachten, daß es genausogut nicht existieren könne; mit dem bloßen Faktum eines solchen Instituts argumentiert Kant auch gar nicht. Vielmehr setzt das ethische Problem (Soll ich a. a. O. (FN 80), S. 461 tT. RPhil., § 135, Anm. - Für das Problem des Rechts selbst liegt in diesem Vorwurf etwas Richtiges, das aber Kant selbst auch gesehen hat, s. dazu unten im Text. 85 KpV, A 49tT. 86 Behandlungsarten des Naturrechts, S. 462. In der RPhil. (§ 135, Anm.) wird das sogar noch gesteigert: "Daß kein Eigentum stattfindet, enthält für sich ebensowenig einen Widerspruch, als daß dieses oder jenes einzelne Volk, Familie usf. nicht existiere oder daß überhaupt keine Menschen leben." (Hervorh. i. Original). - Zur Kritik an Hegels Kantkritik s. ausführlich Andreas Wildt, Autonomie und Anerkennung, S. 44tT. 83

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die Sache zurückgeben?) schon in einem Kontinuum von Freiheit und betätigtem Vertrauen ein: Die Hinterlegung einer Sache bei einem Anderen setzt dessen Freiheit (im Sinne Kants) schon voraus 87 ; denn betrachtete ich den Anderen als ein triebgeleitetes Wesen, bedeutete die Hinterlegung einer Sache bei ihm, daß nur der Zufall seiner Triebbefindlichkeit entscheiden würde, ob ich die Sache wiederbekomme oder nicht. Man sieht nun deutlich, daß die zur Prüfung stehende Maxime des derzeitigen Besitzers (sein Vermögen durch sichere Mittel zu vergrößern, d. h. hier: die Sache zu behalten) es in der Tat nicht verträgt, zum allgemeinen Gesetz erhoben zu werden: Vordergründig betrachtet macht sie dann ein Depositum unmöglich, ihrem ganzen Sinn nach aber zerstört sich Vertrauen zwischen den Beteiligten als Vernünftigen. Erst durch die von Kant mit dem Kategorischen Imperativ beschriebene Leistung des Einzelnen, sich zu einer vernünftigen Entscheidung (die den Anderen mitumgreift) zu erheben, wird ein Institut wie das Depositum auch nur denkbar. Denn nur so kann überhaupt begriffen werden, wie der Einzelne zu einem Verhalten kommt, das seine Richtigkeit gleichsam zwischen ihm und dem Andern ansiedelt. Mit ,anderen Worten: Nur so kann das Dasein von Freiheit begriffen werden, an dem auch Hegel so viellag 88 . Der Vorwurf des Formalismus unterstellt, Kant habe die ethische Frage ausschließlich aus der Perspektive eines allgemeinen Gesetzes betrachtet. Abgeschnitten wird dabei, daß Kant nicht nur an einer konkreten Maxime einer konkreten Handlung ansetzt, sondern immer auch an einem konkreten Subjekt, von dem die Erhebung zur Freiheit als eine nur von ihm zu erbringende Leistung gefordert ist. Nach Kant fallen also die Kompetenzen der Beurteilung des Guten und der Kraft des Guten (principium executionis)89 zusammen 90 • Freilich bleibt eine solche Interpretation einer schon oben angedeuteten Schwierigkeit ausgesetzt: Noch in der Kritik der praktischen Vernunft hielt Kant daran fest, daß ein prinzipieller Unterschied besteht zwischen dem Einzelnen als Teil der Sinnenwelt (als solcher ist er der Naturgesetzlichkeit unterworfen) und als dem sich freiheitlich bestimmenden Vernunftwesen 91 ). Wenn aber die Vernunft wirkliche Handlungen bestimmen soll, dann müssen s. auch schon oben b. Anm. 73. Die Konsequenzen aus der Denkmöglichkeit, daß es kein Depositum gäbe, reichen also weiter als bis zu bloßen äußeren Zusammenhängen, die auch Hegel konzediert: "Daß kein Depositum sei, wird anderen notwendigen Bestimmtheiten widersprechen; sowie, daß ein Depositum möglich sei, mit anderen notwendigen Bestimmtheiten zusammenhängen und dadurch selbst notwendig sein wird." (Behandlungsarten, S. 462). 89 Vgl. dazu Henrieh, Ethik der Autonomie, in: ders., Selbstverhältnisse, S. 6ff., 17ff., 28ff. 90 Indem Seheler die das sittliche Handeln bestimmenden Werte als außerhalb des Einzelnen existierend begreift, den Einzelnen als sittliche Person also nur als an den Werten ausgerichtet bestimmt, läßt seine Ethik dem Einzelnen als Träger der Entscheidung weniger Raum als der des Formalismus bezichtigte Kant; s. Formalismus in der Ethik, etwa S. 278, 505; zu Seheler auch schon oben Anm. 64. 91 S. KpV, A 1741T.; s. auch GMS, BA 741T. (Reich der Zwecke). 87 88

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diese Handlungen an sich selbst das Zeichen der Freiheit tragen, oder anders gesagt: Freiheit muß erscheinen können 92 . Der Einzelne bleibt als diese oder jene konkrete Person unterbestimmt, wenn er in der Erfahrung der Anderen als Sinnenwesen reduziert auftreten könnte, wenn seine Handlungen als raumzeitliche, kausalgesetzlich festgelegte Abläufe verstanden würden. Erst die Erfassung "freiheitlicher" Kausalität erlaubt es, das menschliche Dasein mit Anderen als selbstproduziertes Dasein in Freiheit zu begreifen (womit der fortbestehende Zusammenhang mit der Kausalgesetzlichkeit der Natur nicht geleugnet wird). d) Man kann die Rechtslehre in der Metaphysik der Sitten als einen Hinweis darauf ansehen, daß Kant sich dieses Problems bewußt war. "Metaphysik" wird in der Kritik der reinen Vernunft 93 definiert als Teil der Philosophie der reinen Vernunft, nämlich "die ganze (wahre sowohl als scheinbare) philosophische Erkenntnis aus reiner Vernunft im systematischen Zusammenhange"9